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German Pages XII, 232 [235] Year 2020
Christian Gärtner Hrsg.
Smart Human Resource Management Analytics, Automatisierung und Agilität in der Personalarbeit
Smart Human Resource Management
Christian Gärtner Hrsg.
Smart Human Resource Management Analytics, Automatisierung und Agilität in der Personalarbeit
Hrsg. Christian Gärtner Professur für Human Resource Management, Arbeitspsychologie und Digitalisierung der Arbeitswelt Hochschule München München, Deutschland
ISBN 978-3-658-30266-5 ISBN 978-3-658-30267-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Christian Gärtner Teil I Agilität 2 Agile Organisationsentwicklung bei TRUMPF: Herausforderungen, Erfahrungen, Erkenntnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Heiko Schröder und Juliane Pilster 3 Smarte Algorithmen und geballte Menschlichkeit: So gelingt der Weg zur vernetzten Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Jana Tepe 4 Smart HR Development: Mehrwert durch moderne Entwicklungsinstrumente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Katrin Krömer und Olaf Petersen 5 Mitarbeiterorientierung als Wettbewerbsvorteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Leon Jacob und Felicitas von Kyaw Teil II Analytics 6 Smartes Employer Branding?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Martin Camphausen 7 Der Fall Hubert K. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Carsten Knaut und Maike Schrickel 8 Data Science im HR-Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Melanie Baier 9 Strategische Personalplanung & Qualitatives Skillmanagement. . . . . . . . . . . 133 Christian Vetter und Mariia Semenova
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Teil III Automatisierung 10 Robotic Process Automation im Human Resource Management. . . . . . . . . . . 149 Andreas S. Schuster 11 CARL – von der Idee zur Vision, vom MVP zur Enterprise-Lösung . . . . . . . 161 Sabine Rinser-Willuhn und Christian Greiner 12 Effizienz- und Ergonomieanalysen mittels Sensoren und künstlicher Intelligenz in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Malcolm Anthony Harris Teil IV Neue Anforderungen an HR als Funktion und an (HR-)Führungskräfte 13 Die digitale Transformation und ihre Konsequenzen für HR-Leader. . . . . . . 193 Jörg K. Ritter und René Sadowski 14 Neustart für eine moderne Personalarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Fabian Huhle, Tom Gellrich, Andreas Stocker und Fabian Englert
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Dr. Melanie Baier ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der Quadriga Hochschule Berlin tätig. Zuvor war sie in gleicher Funktion an der TU Dresden sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Business Development des C-LAB Paderborn beschäftigt. An der TU Dresden studierte und promovierte Melanie Baier in Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Betriebswirtschaftslehre, Evolutionsökonomie und Innovationsmanagement. Sie ist Expertin für quantitative Analysemethoden und -Tools. Sie entwickelt im Rahmen von unterschiedlichen Weiterbildungsformaten die „Data Literacy“ im HR-Bereich weiter. Martin Camphausen (MBA) ist Leiter Marketing und Employer Branding des Klinikverbundes Südwest. Zuvor war er Mitglied der Geschäftsführung und Director Healthcare der Kommunikationsagentur JP│KOM, für die er Kunden aus den Bereichen MedTech, Pharma und Krankenhäuser betreute. Vor seinem Wechsel auf Agenturseite war er Leiter Unternehmenskommunikation der Frankfurter Rotkreuz-Kliniken. Neben dem Kommunikationsmanagement verantwortete er dort das mehrfach mit Awards ausgezeichnete Employer Branding sowie das Personalmarketing. Fabian Englert ist Senior Projektleiter im Bereich Restructuring, Performance, Transformation & Transaction bei Roland Berger. Seine Fachgebiete umfassen Corporate Performance-Programme, organisatorische Transformation sowie das Themengebiet Human Resources und die moderne Personalarbeit. Er berät mittelständische Unternehmen und globale Konzerne in den Branchen Automotive, High-Tech, Chemie & Pharma und im Finanzsektor. Fabian Englert ist seit 2017 bei Roland Berger und studierte Betriebswirtschaftslehre (Diplom-Kaufmann) an der Universität Bayreuth. Dr. Tom Gellrich ist Partner im Bereich Restructuring, Performance, Transformation & Transaction bei Roland Berger. In diesem Rahmen leitet er gemeinsam mit Fabian Huhle das Expert Team Organisation, People & Transformation. Er berät nationale und globale Kunden bei großen Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogrammen sowie bei M&A, Post-Merger-Integrationen und Veräußerungen. Seine Branchenschwerpunkte liegen in VII
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den Bereichen Telekommunikation, Tourismus, Transport, Luftfahrt und Finanzdienstleistungen. Dr. Tom Gellrich ist Absolvent der Universität Mannheim und promovierte an der Universität Frankfurt. Darüber hinaus hatte er eine Professur für Allgemeine BWL inne und ist Aufsichtsratsvorsitzender eines erfolgreichen Mittelständlers im Bereich Robotics und Regelungstechnik. Christian Greiner ist Experte in digitaler Strategy und Innovation und seit 15 Jahren im Umfeld digitaler Transformationen beschäftigt. Spezialisiert auf Innovationsmanagement, mit Fokus auf Organisationsentwicklung und Gestaltung von Unternehmenskultur, arbeitete er branchenübergreifend in Projekten zu HR, Marketing, Produktion, Controlling, Forschung und Momentan ist er Produkt Manager in einem Fintech Unternehmen in München. Malcolm Harris ist Business Developer bei der MotionMiners GmbH, einer auf automatisierte Prozessanalysen spezialisierten Ausgründung des Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik. Er hat einen Master in Betriebswissenschaften mit den Schwerpunkten Innovation, Entrepreneurship und Marketing und vor seinem Einstieg in der Start-up-Welt arbeitete er einige Jahre als Unternehmensberater in einer Managementberatung. Fabian Huhle ist Senior Partner im Bereich Restructuring, Performance, Transformation & Transaction bei Roland Berger. In diesem Rahmen leitet er gemeinsam mit Tom Gellrich das Expert Team Organisation, People & Transformation. Er berät mittelständische Unternehmen und globale Konzerne in der Gestaltung und Weiterentwicklung ihrer Organisation. Neben der Verbesserung von Auf- und Ablauforganisationen beschäftigt er sich mit der Rolle und dem Mehrwert von Unternehmenszentralen im Zusammenspiel mit den dezentralen Geschäftseinheiten sowie der Steigerung der Leistungseffizienz in Unterstützungsfunktionen wie z. B. HR oder Finanz- und Rechnungswesen. Er ist Autor mehrerer Publikationen über Organisation, darunter die Roland Berger Corporate Headquarters Study. Fabian Huhle ist seit 2002 bei Roland Berger und hat seinen Diplom-Kaufmann an der European Business School in Oestrich-Winkel mit Auslandsstudien in Argentinien und in den USA absolviert. Leon Jacob ist seit 2012 für die internationale HR-Managementberatung hkp/// group tätig. Er ist die treibende Kraft des Employee Experience Design Ansatzes sowie Experte für HR-, Talent- und Performance-Management. Als Berater begleitet er Unternehmen unterschiedlichster Größe und Branchen in Transformationsprojekten. Sein Fokus gilt der Bewältigung klassischer Herausforderungen in der Identifikation, Entwicklung, Nutzung und Bindung von Talenten – und hier im Speziellen der Entwicklung mitarbeiterorientierter Lösungen entlang des Employee Lifecycles. Gemeinsam mit dem Bundesverband der Personalmanager, gestaltet er interaktive Formate, um Personaler von EX Design zu begeistern. Leon Jacob studierte Philosophie, Wirtschaft und Psychologie in Bayreuth, Stellenbosch und Nottingham.
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Prof. Dr. Carsten Knaut ist Professor für Personal und digitale Arbeitswelt an der Technischen Hochschule Köln. Er hat Wirtschaftsinformatik studiert und zu einem organisationspsychologischen Thema promoviert. Als Personaler im Körper eines IT’lers begeistert er sich für Menschen, Organisationen und Daten gleichermaßen. Vor seinem Wechsel an die Hochschule war er Leiter der digitalen Transformation des Lebensmittelherstellers Zentis, hat die digitale Transformation des Personalbereichs des Biotech-Unternehmens QIAGEN verantwortet und war Seniorberater für IT- und Organisationsprojekte bei arvato | Bertelsmann. Dr. Katrin Krömer leitet die Personal- und Führungskräfteentwicklung der Deutschen Bahn seit April 2018. Zuvor hatte sie mehrere Stationen als Geschäftsführerin in den Bereichen Personal und Finanzen/Controlling, u. a. bei der DB JobService GmbH und der Bundesagentur für Arbeit. Nahezu 10 Jahre war sie davor als Unternehmensberaterin bei McKinsey & Company tätig. Frau Krömer ist Mitglied des Aufsichtsrats der DB Fahrzeuginstandhaltung GmbH und der DB Services GmbH. Felicitas von Kyaw hat umfangreiche Managementerfahrung im Umfeld Change und Transformation Management, Human Resources, Marketing und Sales die sie aus Tätigkeiten in Konzernen, Beratungen und Start-Ups mitbringt. Sie arbeitet bei Coca-Cola European Partners Deutschland als Geschäftsführerin Personal und Arbeitsdirektorin (VP People & Culture). Davor war sie beim schwedischen Konzern Vattenfall als VP People in der europaweiten Business Area Customers & Solutions, bzw. als Corporate VP Organizational Development & Change Management tätig; zudem bei der Vattenfall GmbH als Mitglied des Aufsichtsrats. Bei der internationalen Management Beratung Capgemini Consulting wirkte sie als Head der Change Management Practice. Sie ist Dipl. Volkswirtin sowie systemische Beraterin und Coach. Im Bundesverband der Personalmanager (BPM) ist sie seit mehreren Jahren im Präsidium. Dr. Olaf Petersen ist Leiter Grundsätze Personal- und Führungskräfteentwicklung bei der Deutschen Bahn AG und verantwortlicher Projektleiter für die Einführung eines integrierten Performance Managements für Mitarbeiter und Führungskräfte. Zuvor war er über zehn Jahre in den unterschiedlichsten Managementfunktionen im HR-Bereich für die DB tätig. Vor seiner Zeit bei der DB forschte er zu der Unternehmens- und Organisationsentwicklung von IT-Startups und wurde hierfür mit dem Wissenschaftspreis der Plansecur- Stiftung ausgezeichnet. Juliane Pilster ist Agile Manager im Geschäftsbereich Werkzeugmaschinen bei TRUMPF. Die Wirtschaftsingenieurin auf dem Gebiet der Elektrotechnik arbeitet seit 2018 daran mit, die TruConnect-Softwareentwicklung als agile Organisation zukunftsfähig zu machen und engagiert sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens rund um das Thema Agilität. So ist sie unter anderem Initiatorin der Konferenz „AgileDays@TRUMPF“, die im Jahr 2019 erstmalig stattgefunden hat. Während ihrer berufli-
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chen Laufbahn hat sie bereits verschiedenen Fach- und Führungspositionen in unterschiedlichen Firmen innegehabt. Dabei hat sie gelernt, dass es vor allem darauf ankommt, wie Menschen zusammenarbeiten und welche Rahmenbedingungen sie dabei vorfinden. Sabine Rinser-Willuhn verantwortet in der Siemens AG neben der deutschen HR IT Landschaft auch einige globale Applikationen wie z. B. CARL, welche sie mit auf- und ausgebaut hat. Sie hat viele Projekte mit dem Focus auf Automatisierung und Digitalisierung der HR-Fachfunktion sowohl auf der HR- als auch auf der IT-Seite geleitet. Ihr Focus liegt – neben der digitalen Optimierung von Personalprozessen aus Sicht einer administrativen HR – vor allem auch auf dem Beitrag, mit welchem HR das Business – Mitarbeiter und Manager – unterstützt. Dr. Jörg K. Ritter ist seit 2019 Senior Advisor bei Egon Zehnder International und war dort seit 1994 als Berater und seit 1999 als Partner tätig. Zuvor war er Senior Associate bei McKinsey & Company und als Berater und Vorstandsassistent für die Treuhandanstalt Berlin und als Unterabteilungsleiter im Wirtschaftsministerium tätig. Seit 2014 ist er zudem Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personal- und Organisationsentwicklung an der Quadriga Hochschule Berlin. Seit 2017 ist er stellvertretender Vorsitzender des Advisory Board des Hidden Champions Institute der European School of Management and Technology (ESMT Berlin). Dr. René Sadowski ist seit 2006 bei Egon Zehnder International, insbesondere mit dem Fokus auf Family Business Advisory und HRM, tätig. Parallel war er war Projektmanager der Family Board Academy, einer gemeinsamen Initiative mit McKinsey und KPMG zur Aus- und Weiterbildung potenzieller und aktiver Mitglieder von Aufsichts- und Beiräten in Familienunternehmen. Im Rahmen seines beruflichen Werdegangs hat er in den Niederlanden, Belgien und Großbritannien gelebt. Seit 2017 ist er zudem Professor für Entrepreneurship & Innovation Management, seit 2019 an der ISM Hochschule Berlin. Maike Schrickel ist Data Analyst bei Zentis. Sie studierte an der TU Dresden Verkehrswirtschaft sowie italienische und französische Literatur- und Kulturwissenschaften. Nach dem Studium arbeitete sie in München als Junior Data Scientist bei rpc – The Retail Performance Company, einem Joint Venture von BMW und h&z Consulting. Dort war sie maßgeblich in Retail-Projekte involviert sowie mit der Erstellung von Business Cases, der Datenaufbereitung und -analyse betraut. Bei ihrer nächsten Station, der e.GO Mobile AG aus Aachen, zählten zu ihrem Aufgabengebiet der Aufbau einer unternehmens- und bereichsübergreifenden Reporting-Plattform sowie die Koordination, Planung und Steuerung von Forschungsprojekten und deren Transfer in die Serienentwicklung. Im Anschluss wechselte sie zum Lebensmittelhersteller Zentis, wo sie aktuell den Bereich Data Analytics aufbaut und Transparenz durch datenbasierte Entscheidungen fördert.
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Dr. Heiko Schröder ist Agile Manager im Geschäftsbereich Werkzeugmaschinen bei TRUMPF. Dort gestaltet er seit 2018 die agile Transition der TruConnect-Softwareent wicklung mit und entwickelt diese, nach agilen Prinzipien organisierte Abteilung weiter. Er ist promovierter Physiker und war vor seiner Zeit bei TRUMPF fast ein Jahrzehnt in einem Luft- und Raumfahrtunternehmen tätig, zuletzt als Abteilungsleiter für alle Entwicklungsprogramme. Dabei hat er umfangreiche Erfahrungen in der Gestaltung von Veränderungsprozessen gesammelt. Für ihn ist es entscheidend, Agilität im eigenen Kopf beginnen zu lassen und bei jeder Veränderung die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Andreas S. Schuster ist Senior Consultant für Operational Excellence & Process Governance bei der Firma metafinanz Business & IT-Consulting (Allianz Gruppe). Mit Robotic Process Automation, Process Mining und Business Process Management beschäftigte er sich seitdem er als Managementberater bei BearingPoint im Bereich Digital & Strategy zum ersten Mal mit der Thematik in Berührung kam und mittlerweile Projekten in verschiedenen Branchen und Bereichen, wie Financial Services (Banking/Insurance), Pharma und Medizintechnik, Sicherheit und Infrastruktur, sowie Public Services durchgeführt hat. Zuvor war er rund sechs Jahre in verschiedenen Positionen bei der Commerzbank beschäftigt. Unter anderem als Pressesprecher, Compliance Officer und Koordinator im Vorstandsoffice. Er hält einen MBA International Management, einen M.A. in Change Management and Decision Making und einen B.A. in Governance and Public Policy. Mariia Semenova ist verantwortlich für das Content & Marketing Development bei HRForecast. Sie ist Absolventin von vier Universitäten und schreibt zurzeit an ihrer Doktorarbeit. Sie spricht sechs Sprachen, hat zehn wissenschaftliche Artikel veröffentlicht und blickt auf zahlreiche Erfahrungen bei der Arbeit in und mit führenden Unternehmen zurück. Außerdem beschäftigt sie sich mit den Themen der europäischen Integration, der Flüchtlings- und Migrationskrise, den Konflikten in der Ostukraine, in Syrien, Rohingya, Nahostkonflikt sowie dem Kampf gegen die Frauendiskriminierung. Ihr Motto lautet: „Lasst uns lieber Morgen erfinden, als uns über die gestrigen Ereignisse zu sorgen.“ Andreas Stocker ist Partner im Bereich Restructuring, Performance, Transformation & Transaction bei Roland Berger. Er ist Experte für Organisation (Organisationsdesign und -transformation, agile Organisation, Unternehmenszentrale und -funktionen, Kulturwandel) sowie Corporate Performance (Leistungsprogramme, Prozessoptimierung, Overhead- Effizienz). Er ist Autor mehrerer Publikationen über Organisation, darunter die Roland Berger Corporate Headquarters Study. Andreas Stocker ist seit 2006 bei Roland Berger und hat einen MBA-Abschluss der University of Chicago Booth School of Business. Jana Tepe ist Geschäftsführerin von Tandemploy, einer Firma, die seit 2014 die Arbeitswelt auf den Kopf stellt. Das mittlerweile 25-fach ausgezeichnete Berliner Unternehmen entwickelt Software, die Mittelständler wie Konzerne beim gelungenen Wissenstransfer
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sowie der Flexibilisierung ihrer Strukturen und Arbeitsmodelle (hin zu einer vernetzten Organisation) unterstützt. In der eigenen Firma lebt Jana das vor, wie andere Arbeit aussehen kann: Sie selber teilt sich die Geschäftsführung im Jobsharing, alle Mitarbeiter*innen arbeiten in flexiblen Arbeitsmodellen und interdisziplinären Teams, zuletzt hat sie die starre 40-Stunden-Stelle bei Tandemploy abgeschafft. Ihr Anliegen einer vernetzten, innovativen und zukunftsgewandten Arbeitswelt diskutieren die beiden Gründerinnen auch auf höchster politischer und gewerkschaftlicher Ebene und sind u. a. im Beirat „Junge Digitale Wirtschaft“ des Bundesministeriums sowie im Ethikbeirat HR Tech engagiert. Christian Vetter ist CEO und Mitbegründer von HRForecast, wo er sich der datengesteuerten Entscheidungsfindung, disruptiven Technologien und dem Workforce Management der nächsten Generation widmet. Nach Abschluss seines BWL-Studiums war er in verschiedenen Positionen in den Bereichen Vertrieb und Supply Chain Planning bei Siemens und dem Lichtbereich Osram tätig. Er ist oft auf Kongressen und Veranstaltungen zu sehen und teilt seine Expertise in den Bereichen Datenanalyse und datengesteuertes Workforce Management. Aufgrund seiner interdisziplinären Industrie- und Beratungserfahrung verfügt er über eine breite Expertise sowohl im strategischen Personalmanagement als auch in innovativen Datentechnologien. Sein Motto lautet: „Der beste Weg, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten“.
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Einleitung Christian Gärtner
Smart HRM meint den intelligenten Einsatz von digitalen Tools in der Personalarbeit, insbesondere in den Bereichen Analytics, Automatisierung und agiler Arbeit. Es geht nicht nur um digitale Tools (softwarebasierte Instrumente), sondern um deren clevere bzw. kluge Anwendung in der Praxis. Genau darüber schreiben die Autoren in diesem Band. Aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrung im HR-Bereich und ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber digitaler Technologien sind sie die richtigen Experten für „Smart HRM“. Die Themen, Beispiele und Branchen sind breit gefächert: Von der Gestaltung agiler Arbeit in der Softwareentwicklung eines Maschinenbauers über branchenunabhängige Verfahren mit firmenspezifischen Daten aus dem Bereich People Analytics bis hin zur Automatisierung der Personalplanung für die Belegschaft eines produzierenden Unternehmens. Die Beiträge spiegeln den Stand der Themen zum Jahresende 2019 wider. Sehen Sie als Leser1 das Geschriebene also bitte durch die Brille der jeweiligen Autoren zum damaligen Zeitpunkt: Die Erkenntnisse speisen sich aus den praktischen Erfahrungen, die innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums gemacht wurden – Langzeiteffekte können angesichts der Neuartigkeit der Technologien bzw. Methoden noch gar nicht vorliegen. Auch geht es in diesem Band nicht um wissenschaftliche Studien zur Wirkungsweise digitaler Tools in der Personalarbeit (wer hierzu mehr erfahren möchte, sei auf die „Schwesterpublikation“ Zur einfacheren Lesbarkeit wird nur ein grammatikalisches Geschlecht (oder der Plural) verwendet. Es sind aber immer alle Geschlechter gemeint. 1
C. Gärtner (*) Professur für Human Resource Management, Arbeitspsychologie und Digitalisierung der Arbeitswelt Hochschule München, München, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_1
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verwiesen: Gärtner 2020). Das schmälert nicht den Mehrwert, den die Beiträge liefern. Im Gegenteil: Die genannten Erfolgsfaktoren und geäußerten Empfehlungen liefern hilfreiche Anhaltspunkte und interessante Ideen, die dann empirisch überprüft werden können, sei es durch die Wissenschaft oder durch die Anwender in einer anderen Organisation.
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Übersicht über die Beiträge
Im Folgenden werde ich nach einer kurzen inhaltlichen Zusammenfassung immer einen Hinweis geben, warum und für wen sich das Lesen des jeweiligen Beitrags lohnt. Dieses Resümee ist natürlich von meiner subjektiven Perspektive geprägt und ich muss die vielen Gedanken der Autoren auf ein oder zwei Aspekte reduzieren. Ich hoffe, die Leser empfinden diese kurze Einordnung als Mehrwert – und die Autoren verzeihen mir, dass ich ihre Ausführungen so stark verkürzt habe. Agilität Heiko Schröder und Juliane Pilster (beide TRUMPF) führen zunächst in die Relevanz agiler Arbeit und Organisationsmethoden ein: Warum braucht es sie und welche Prinzipien bzw. Frameworks gibt es? Dabei beschreiben sie einerseits, warum selbstorganisatorische Strukturen bei volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umwelten sinnvoll sind. Andererseits betonen sie auch immer wieder die Relevanz von nicht-strukturellen Aspekten, allen voran der Kultur einer Organisation und das Mind-Set von Führungskräften. Anschließend illustrieren sie, was den „Cascading-Scrum“-Ansatz ausmacht und wie er bei TRUMPF in die Praxis umgesetzt wird. Der Beitrag ist für alle interessant, die einerseits die Grundlagen agilen Arbeitens im Detail nachvollziehen möchten und andererseits wissen wollen, mit welchen Ideen und Kniffs Scrum bei einem großen und seit Jahren erfolgreichen Maschinenbauer umgesetzt wurde. Jana Tepe (Tandemploy) geht es um nichts weniger als eine radikale Zentrierung der Personalarbeit auf das menschliche Miteinander. Bei der (Personal-)Arbeit geht es insbesondere um unterschiedliche Formen des „Matchings“, zum Beispiel die Passung von Fähigkeiten, Interessen, Motiven einerseits und Tätigkeiten, Anforderungen und Zielen andererseits oder die Passung von Wissen und Informationsbedarfen, Experten und Novizen, u.v.m. Um dieses Zusammenspiel schneller, automatischer und effizienter zu machen, bietet die Tandemploy-Software eine Reihe von Funktionen an (z. B. Mentoring, Job- Sharing, Lunch Dates). Jana Tepe macht aber eindringlich deutlich, dass die Technologie immer nur eine Unterstützung bieten kann. Der Artikel greift sowohl das große Ganze (Arbeits- und Beschäftigungsformen, Unternehmenskultur) als auch die kleinen Details (Funktionen und Anwendungsszenarien des digitalen Tools von Tandemploy) auf. Die Autorin hat ein flammendes Plädoyer für neue Formen des Arbeitens verfasst. Wem die Ausführungen wie ein utopischer Arbeits- und Organisationswurf für Erzengel vorkommen, der sei daran erinnert, dass es schon einmal eine breit angelegte „Humanisierung
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der Arbeit“ gab. Was damals die Automobilproduktion zum Beispiel bei Volvo in Uddevalla war, ist heute die digitale Wirtschaft in Berlin und andernorts. Katrin Krömer und Olaf Petersen (beide Deutsche Bahn) zeichnen zunächst die strategische Neuausrichtung der Personalentwicklung der DB nach, um den Rahmen für das, was danach kommt, zu verdeutlichen: Es geht um die Neugestaltung des Performance Management-Systems hin zu einem dialogorientiertem Feedback- und Leistungsbeurteilungssystem. Im Beitrag werden einzelne Elemente dieses Systems konkret beschrieben. Wichtig sind allerdings auch die übergeordneten Prinzipien wie Eigenverantwortung und der Wegfall starrer Regeln oder das „Miteinanderverständnis“. So müssen zum Beispiel Führungskräfte für die Gesamtbewertung eines Mitarbeitenden „geradestehen“ und können sich nicht auf eine Rechenregel berufen oder gar hinter ihr verstecken. Auch wenn die DB ein Großkonzern ist: Die Ideen, Maßnahmen und Herausforderungen, die im Beitrag erwähnt werden, sollten für alle HR-Professionals von Interesse sein. Dies nicht zuletzt, weil es um einen zentralen Aspekt von Arbeit geht: die Bewertung und Steuerung von Leistung. Leon Jacob (hkp///group) und Felicitas von Kyaw (Coca Cola European Partners) beleuchten das Thema „Employee Experience Design“. Die Kernidee ist, die Erfahrungen, die Mitarbeitende mit dem Arbeitgeber machen, so zu gestalten, dass positive Emotionen hervorgerufen (und auch nachhaltig erinnert) werden. Dreh- und Angelpunkt sind die „moments that matter“, also jene Schlüsselmomente, die für Mitarbeitende von besonderer Bedeutung sind, sei es der erste Arbeitstag, eine wichtige Weiterbildungsmaßnahme oder eine Entscheidung über den nächsten Karriereschritt. Natürlich ist das nicht erst seit ein paar Jahren zentral für gute Personalarbeit. Es haben sich aber neue Methoden und Tools als hilfreiche Werkzeuge für die Analyse und Gestaltung der „Employee Experience“ etabliert (z.B. Design Thinking). Genau diese werden von den beiden Autoren ausführlich beschrieben und anhand von Praxisbeispielen illustriert. Neben der fundierten und breit recherchierten Darstellung von Argumenten für und Prinzipien von Employee Experience Design besticht der Beitrag vor allem durch die Vielzahl an beschriebenen Methoden und Tools. Davon können HR-Professionals aus allen Bereichen profitieren. Analytics Martin Camphausen (Klinikverbund Südwest) skizziert, wie datengetriebenes Employer Branding, also der Aufbau einer Arbeitgebermarke, aussehen kann – ganz ohne Formeln. Die braucht es nämlich nicht unbedingt, insbesondere, wenn auf qualitative Daten zurückgegriffen wird. Neben dem grundsätzlichen Vorgehen beim Aufbau einer Arbeitgebermarke pickt sich Martin Camphausen einige relevante Faktoren heraus (z. B. die Relevanz von Mitarbeiterbefragungen und Workshops, Karriereseiten) und beschreibt, wie eine Employee Value Proposition beschaffen sein muss – und wie sie am Fallbeispiel der Frank furter Rotkreuz-Kliniken auch geschaffen wurde. Da der Kampf um Talente wieder neu entfacht wurde und angesichts des demografischen Wandels auch noch anhalten wird, ist der Artikel vor allem für jene von Interesse,
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die im Personalmarketing- und Recruiting-Umfeld arbeiten – und die sich gefragt haben, wie man von intuitiv kreierten Slogans hin zu systematisch aus Daten abgeleiteten Employee Value Propositions kommt. Carsten Knaut (TH Köln) und Maike Schrickel (Zentis) schildern äußerst anschaulich, wie People Analytics in der Praxis eingesetzt werden kann. Anhand eines zwar fiktiven, aber sehr realistischen Falls zeigen sie, wie HR-Professionals datenbasierte Vorschläge zur Verbesserung der Mitarbeitersituation machen können. Im Mittelpunkt stehen die Fragen, wie sich die Führungsqualität von Vertriebsleitern auf die Mitarbeitenden auswirkt und ob sie die Unterschiede im Erfolg von Vertriebsteams erklären kann – und ob sich ein Coaching von Führungskräften auszahlt. Die Autoren schaffen es, den Leser auf eine spannende und erkenntnisreiche Reise bei der Suche nach Antworten mitzunehmen. Dabei zeigen sie nicht nur, welche analytischen Verfahren eingesetzt werden können – angefangen von einfachen Vergleichen und Heat-Maps bis hin zu Sensitivitätsanalysen mit einer Monte Carlo-Simulation –, sondern auch, welche zwischenmenschlichen und abteilungsübergreifenden Herausforderungen zu bewältigen sind. Der Umgang mit Daten(analysen) wird immer wichtiger und ist für viele HR-Professionals schon heute Teil des täglichen Geschäfts. Wer sich noch nicht auf diese Reise begeben hat, sollte sich von diesem Beitrag animieren lassen – denn am Ende winkt ein Platz am Tisch der Entscheider, an dem datenbasierte Vorschläge mehr Gewicht haben als andere. Melanie Baier (Quadriga Hochschule) taucht tiefer in die Analyse von Personaldaten ein. Anhand von Daten zum Kündigungsverhalten von Mitarbeitenden zeigt sie eingängig, wie ein ganzheitliches Vorgehen bei People Analytics aussieht: Aufbauend auf einer deskriptiven Analyse der Daten (mittels eines Mosaikplots) nimmt sie noch eine explorative (Assoziationsanalyse) und eine prädiktive Analyse (Decision Tree) vor. Dabei führt sie Schritt für Schritt aus, wie man vorgehen kann und welche Vor- und Nachteile bzw. Grenzen die einzelnen Analysen haben. Für alle, die wissen wollen, was hinter mit dem Buzzword „People Analytics“ steckt und wie man bei einem der am öftesten genannten Anwendungsfälle – der Analyse und Vorhersage des Kündigungsverhaltens – vorgeht. Und für alle, die nicht nur lesen, sondern auch nachrechnen wollen, bietet die Autorin den Datensatz und den R-Code an. Christian Vetter und Mariia Semenova (beide HRForecast) beschäftigen sich mit den digitalen Möglichkeiten, wie strategische Personalplanung und Skillmanagement aktuell bewerkstelligt werden können. Zunächst liefern die Autoren eine Einschätzung des Status quo in Bezug auf Skillmanagement und Personalplanung in der deutschsprachigen HR-Landschaft. Nach den allgemeinen Ausführungen beschreiben sie einen konkreten Anwendungsfall. Bei diesem wurden die digitalen Technologien von HRForecast eingesetzt, um das versteckte Wissen im Unternehmen sowie die Skillprofile der Mitarbeitenden sichtbar zu machen, den zukünftigen Markt- und Unternehmensanforderungen gegenüberzustellen und die Wissenslücken der Mitarbeiter durch individualisierte Learning Journeys zu schließen – alles auf Basis von Machine Learning-Verfahren.
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Der Beitrag illustriert, was im Bereich strategische Personalplanung und Skillmanagement bereits heute möglich ist, wenn ausreichend Daten vorliegen. Dabei ist kein allzu tiefes technisches bzw. statistisches Vorwissen notwendig, um zu verstehen, wie vorgegangen wurde. Automatisierung Andreas Schuster (metafinanz) skizziert zunächst die möglichen Einsatzgebiete von Robotic Process Automation (RPA) im HR-Umfeld, bevor er einen konkreten Fall aus dem Bereich der Personalplanung detailliert beschreibt. Der Softwareroboter übernimmt die Erstellung eines Reports, für den Daten und Kennzahlen aus neun Exceldateien mit insgesamt 17 Blättern gezogen und aufbereitet werden müssen. Durch die Automatisierung konnte die wöchentliche Bearbeitungszeit von 8 Stunden auf 6 Min reduziert werden – und das, ohne die Fehler, die vorher beim manuellen Kopieren von Daten und Erstellen von Pivot-Tabellen regelmäßig gemacht wurden. RPA ist eines der Schlagwörter, bei denen HR-Professionals hinter die Kulissen schauen müssen, um Anwendungsbereiche sowie Vor- und Nachteile bzw. Grenzen zu erkennen. Genau dafür eignet sich das kleine Projekt, dessen Bearbeitung Andreas Schuster Schritt für Schritt auch für Neulinge auf dem Gebiet nachvollziehbar macht. Sabine Rinser (Siemens) und Christian Greiner (IBM) erlauben einen Einblick in eines der spannendsten HR-Projekte der letzten beiden Jahre: die Einführung von CARL, dem Cognitive HR Advisor der Siemens AG. Sie beschreiben zunächst die Grundfunktionen dieses Chatbots und der Landing Page für administrative Personalthemen wie den Kinderbetreuungszuschuss. Sie schildern aber auch, wie das Projekt seinen Anfang nahm, wie das Projektteam aus Siemens und IBM-Mitarbeitenden lernte, auf was es bei der Entwicklung eines Chatbots alles zu achten gilt, und wie der globale Roll-out in die Landesgesellschaften bei Siemens von statten geht. Außerdem wird die Technologie im Hintergrund kurz erläutert. Dieses Kapitel ist ein Muss für alle HR-Professionals, die wissen wollen, wo sich agiles Arbeiten sowie der Einsatz eines Chatbots lohnen und auf welche Hürden sowie Fragen man sich gefasst machen sollte. Malcolm Harris (MotionMiners) beleuchtet ein ganz anderes Thema aus dem Umfeld der Automatisierung von (Personal-)Arbeit: die automatische und anonyme Analyse manueller Arbeitsprozesse. Die Hard- und Software (mobile Sensoren, Beacons, künstliches neuronales Netz), die MotionMiners entwickelt hat, ersetzen traditionelle Methoden zur Erfassung und Analyse manueller Prozesse. Dadurch können Ergonomieverbesserungen und Effizienzsteigerungen schneller, billiger und auch tatsächlich anonym durchgeführt werden. Wie dies funktioniert wird ausführlich anhand von Prozessen in einem Logistikzentrum der Firma Blumenbecker Industriebedarf geschildert. Zudem wird auf einen weiteren Anwendungsfall verwiesen: Pflegedienstleistungen. Auch wenn die beschriebenen Technologien zunächst nur für manuelle Prozesse sinnvoll einsetzbar sind, zeigen die Beispiele doch die Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten – und den Mehrwert, der dadurch geschaffen werden kann, sowohl hinsichtlich Effizienz als auch Ergonomie bzw. Schutz der Gesundheit des Personals. Deshalb ist der Beitrag sowohl für HR-Professionals aus dem Gesundheitsmanagement relevant als auch für jene, die sich um Prozesse, Organisation und Performance Management kümmern.
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Neue Anforderungen an HR als Funktion und an (HR-)Führungskräfte Jörg Ritter und René Sadowski (beide Egon Zehnder) spannen einen Bogen von den Anforderungen, die HR als Funktion jetzt und zukünftig bewältigen muss, hin zu den notwendigen Kompetenzen bzw. Potenzialen, die HR-Führungskräfte mitbringen sollten, um in dieser neuen HR-Welt erfolgreich zu sein. Dabei erläutern sie ihre Perspektive zunächst anhand des TOP-Modells – Transforming Organization & People –, das vier Fokusbereiche beschreibt, die HR zukünftig im Blick haben sollte. Um die damit verbundenen Aufgaben zu bewältigen, braucht es neue Kompetenzen bzw., wie Ritter und Sadowski argumentieren, das Potenzial zukünftig bestimmte Kompetenzausprägungen zu erreichen. Potenzial wiederum lässt sich anhand von vier Dimensionen (Curiosity, Insight, Engagement, Determination) näher definieren. Ritter und Sadowski illustrieren zudem anhand eines Profils für HR-Führungskräfte, wie Potenzial und Kompetenzen zusammenhängen. Nach dem Lesen des Kapitels weiß man, wie zwei Protagonisten der deutschsprachigen Personalberatungsszene über die aktuellen und zukünftigen Anforderungen an HR, die Personalarbeit und (HR-)Führungskräfte denken. Die Betonung von Potenzial und Entwicklungsfähigkeit erscheint als stimmige Antwort auf die Herausforderungen, die sich in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Arbeitsumgebungen stellen. Fabian Huhle, Tom Gellrich, Andreas Stocker und Fabian Englert (alle Roland Berger) beleuchten ebenfalls, wie sich die Rolle von HR als Funktion ändert. Anders als Ritter und Sadowski, die vor allem den Blick auf HR-Führungskräfte richten, fokussieren die vier Autoren die organisationale Ebene: Sie beschreiben unterschiedliche Archetypen, die jeweils eine Weiterentwicklung des weit verbreiteten Drei-Säulen Modells (HR Business Partner, Shared Service Center, Center of Expertise) darstellen. Letztlich geht es darum, wie sich HR aufstellen bzw. organisieren kann, um neuen Anforderungen gerecht zu werden und dabei insbesondere das Motto „Every Manager is a People Manager“ in der täglichen Personalarbeit umzusetzen. Die Autoren stellen die vier unterschiedlichen Archetypen nicht nur dar, sie zeigen auch auf, welche Vorteile sie gegenüber dem etablierten Drei-Säulen-Modell haben. Sehr erkenntnisreich und praxisgesättigt sind zudem die Ausführungen zu den Kriterien, die für die Einführung des jeweiligen Typs erfüllt sein sollten. Abgerundet wird der Beitrag mit einem Praxisbeispiel: Anhand des Wissenschafts- und Technologieunternehmens Merck wird ausführlich beschrieben, wie die spezifischen Anforderungen der unterschiedlichen Merck-Geschäftsfelder zu Änderungen in der HR-Organisation führen. Natürlich sind stark ausdifferenzierte HR-Organisationsformen vor allem für große Unternehmen relevant. Von den vielen Ideen und Anregungen, die der Beitrag bereithält, können aber auch interessierte HR-Professionals aus kleineren Organisationen profitieren.
Literatur Gärtner, C. (2020). Smart HRM: Digitale Tools für die Personalarbeit. Wiesbaden: Springer Gabler.
Teil I Agilität
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Agile Organisationsentwicklung bei TRUMPF: Herausforderungen, Erfahrungen, Erkenntnisse Heiko Schröder und Juliane Pilster
2.1
ie agile Organisation als evolutionäre Antwort auf ein D Umfeld im Wandel
Das Umfeld, in dem unternehmerische Wertschöpfung stattfindet, ist von vielen äußeren Faktoren wie beispielsweise der Wettbewerbssituation, der globalen Marktentwicklung oder dem technologischen Fortschritt abhängig. In der Regel bleibt keiner dieser Faktoren über die Zeit stabil, weswegen sich Unternehmen seit jeher wandelnden Rahmenbedingungen stellen müssen, sofern sie dauerhaft bestehen wollen. Dabei gab es historisch gesehen neben Phasen stetigen Wandels auch disruptive Umbrüche, von denen die Mechanisierung der Arbeit, die Massenproduktion und die mit dem Aufkommen von IT-Systemen ermöglichte Prozessautomatisierung oftmals als die ersten drei Stufen der industriellen Revolution seit Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben werden (Kagermann et al. 2013). In den letzten Jahren nehmen Marktteilnehmer in vielen Branchen ein Umfeld wahr, das sich nicht nur zunehmend schnell, sondern auch in verschiedenen Dimensionen radikal
Diesen Beitrag haben die beiden Autoren gemeinsam konzipiert, wobei der Fokus von Heiko auf dem Text und der von Juliane auf den Illustrationen lag. Wir danken allen Mitgestaltern in der Abteilung, insbesondere Moni, Rainer, Andreas, Michel und Andreas, die im Gegensatz zu ihnen selbst bereits seit Anfang an dabei sind, sowie ihren Teams und allen weiteren Kollegen, ohne die das Abenteuer agile Organisation erstens nicht möglich wäre und zweitens nur halb so viel Spaß machen würde. H. Schröder (*) · J. Pilster TRUMPF Werkzeugmaschinen GmbH + Co. KG, Ditzingen, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_2
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verändert. Das Ergebnis sind komplexe Rahmenbedingungen, die es zunehmend verhindern, plangetrieben auf Basis von Kausalketten Wertschöpfung zu betreiben. Als Antwort auf dieses auch mit dem Akronym „VUKA“ (volatil, unsicher, komplex und ambivalent; vgl. den nächsten Abschnitt) beschriebenes Umfeld haben sich eine Vielzahl von Methoden bewährt, die auf die Werte und Prinzipien des „Agilen Manifests“ aufbauen und daher gemeinhin unter dem Attribut „agil“ gebündelt werden (Beck et al. 2001). In den folgenden Abschnitten legen wir anhand eines Entwicklungsmodells in vier Stufen dar, wie eine agile Organisationsstruktur dabei helfen kann, in einer VUKA Welt zu bestehen (Abb. 2.1).
2.1.1 Stufe 1: VUKA braucht Anpassungsfähigkeit Der Begriff VUKA-Welt, der die aktuellen Herausforderungen vieler Unternehmen so treffend zusammenfasst, wurde interessanterweise vom amerikanischen Militär geprägt (U.S. Army Heritage and Education Center 2018). Dieses sah sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs plötzlich einer wesentlich komplexeren Welt gegenüber, als es zu Zeiten der zwei Supermächte der Fall war. Folgende Dimensionen prägen dabei die Komplexität des Umfelds: • Volatilität: Einflussfaktoren ändern sich zunehmend häufig und schnell. Die Vorhersagbarkeit in einem volatilen Umfeld geht verloren.
Abb. 2.1 Vier Stufen von einer VUKA-Umgebung hin zu einer agilen Organisation (eigene Erstellung)
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• Unsicherheit: Es herrscht zunehmende Unklarheit darüber, was als Nächstes passiert, wodurch sich etablierte Handlungsparadigmen nicht mehr erfolgsversprechend anwenden lassen. • Komplexität: In einem komplexen System interagieren die einzelnen Komponenten auf so vielfältige Art und Weise, dass Ursache-Wirkung-Beziehungen sich (wenn überhaupt) nur im Nachgang erkennen lassen. Selbst tief greifende Analysen führt bei komplexen Problemen nicht zur Lösung. • Ambiguität: Mehrdeutigkeit erschwert die Entscheidungsfindung („Sowohl als auch“-Umgebung) Als Konsequenz wird es für Unternehmen unter solchen Rahmenbedingungen immer schwieriger, die zukünftige Marktentwicklung einzuschätzen und die eigene Produktpalette entsprechend auszurichten. Produktlebenszyklen verkürzen sich teilweise drastisch und der Markterfolg einer Produktentwicklung ist nicht mehr im gleichen Maße planbar, wie das früher möglicherweise der Fall gewesen sein mag. Es bedarf eines Umstiegs von plangetriebener hin zu einer wertgetriebenen Entwicklung. Um dies zu veranschaulichen, schauen wir uns zunächst die klassischen Merkmale der Projektentwicklung an: Als Ergebnis einer umfangreichen Anforderungsanalyse wird der Umfang vereinbart und davon abgeleitet Kosten und Zeitaufwand geschätzt. Kosten und Zeit bilden zwei Ecken des sogenannten Projektdreiecks (Qualität bzw. Umfang die dritte). Plangetrieben vorzugehen bedeutet, die notwendigen Schritte zur Erreichung des Projektumfangs samt ihrer Abhängigkeiten bereits vor Projektstart zu beschreiben und dann abzuarbeiten. Man spricht auch von „Wasserfall-Planung“. Zur Absicherung eines verkürzten Planungshorizonts werden in der Regel Design-Iterationen eingebaut und so eine gewisse Anpassungsfähigkeit sichergestellt. In einem Umfeld sich ständig ändernder Anforderungen gerät dieses Vorgehen jedoch schnell an seine Grenzen. Das Risiko teurer Fehlentwicklungen, die an den Anforderungen des Marktes vorbeigehen, wächst in dem Maße, in dem sich die Änderungsgeschwindigkeit erhöht. Hier erscheint ein wertgetriebener Ansatz wesentlich erfolgsversprechender: Cross-funktional besetzte Teams arbeiten iterativ und inkrementell daran, den Wert einer Entwicklung im Sinne der Produktvision zu erhöhen. Das traditionelle Projektdreieck wird damit auf die Spitze gedreht und Kosten und Zeit als Größen fixiert. Dafür beruht nun der zu erwartbare Umfang in einem gegebenen Zeit- und Kostenrahmen auf Schätzungen. Die Wesensmerkmale einer wertgetriebenen Produktentwicklung sind im agilen Manifest beschrieben (Beck et al. 2001), auf dessen Grundlage sich eine Vielzahl an Entwicklungsmethoden etabliert hat. Das mit Abstand bekannteste Rahmenwerk stellt „Scrum“ dar (Schwaber und Sutherland 2018), sodass es oftmals als Grundlage herangezogen wird, um „agile Pilotprojekte“ zu etablieren. Voraussetzungen für die erfolgreiche Anwendung der Methode in Pilotprojekten sind unter anderem: • Die agile Methode (z. B. Scrum) ist sorgfältig im Team etabliert. • Der definierte Entwicklungsumfang ist im Wesentlichen von einem Team mit weniger als zehn Mitgliedern leistbar.
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• Das Team hat 100 % Fokus auf die Aufgabe und arbeitet über den Entwicklungszeitraum gemeinsam in einem Raum. • Es gibt keine Störungen von außen (z. B. Management-Interventionen). • Es gibt eine direkte Feedback-Schleife mit dem Kunden, den Nutzern bzw. mit dem Auftraggeber. Obwohl diese Voraussetzungen für viele Projektorganisationen zunächst befremdlich wirken könnten, kennen viele Organisationen und Individuen einen ähnlichen Arbeitsmodus aus einem unerwartet verwandten Kontext: der Taskforce im Krisenfall. Hier sorgt oftmals ein externer Schock, wie z. B. der Ausfall von bereits ausgelieferten Produkten in der Kundenumgebung, für eine VUKA-Situation. Reagiert wird mit der Zusammenstellung eines Teams, das von allen anderen Aufgaben befreit und in einem „War Room“ konzentriert und iterativ an der Lösung des Problems arbeitet. Nach unserer persönlichen Erfahrung zeichnen erfolgreiche Taskforces sich auch in ansonsten klassischen Rahmenbedingungen durch sehr agile Arbeitsweisen aus.
2.1.2 S tufe 2: Anpassungsfähigkeit erfordert Selbstorganisation und Autonomie Scrum als Entwicklungsvorgehen zeichnet sich durch eine sehr hohe Robustheit aus und kann zumindest im ersten Schritt im Rahmen eines einzelnen Pilotprojektes durchaus erfolgreich eingesetzt werden, ohne dass die zugrunde liegenden Werte und Prinzipien verinnerlicht und in der Organisation gelebt werden. Sie können während der Anwendung erlebt, verstanden und dann in den eigenen Alltag überführt werden. Jedoch sind die meisten Organisationen auf mehr als ein Entwicklungsteam angewiesen, um ihre Produkte zu entwickeln. Der zugehörige Entwicklungsprozess muss in diesem Fall skaliert werden. Hier offenbart sich schnell der Unterschied zwischen „agil machen“ und „agil sein“. Agilität im Sinne des agilen Manifests lässt sich als Mindset auffassen, das durch vier Werte beschrieben und durch 12 Prinzipien definiert wird. Die vier Werte lauten: „Individuen und Interaktionen vor Prozessen und Werkzeugen Funktionierende Produkte vor umfassender Dokumentation Zusammenarbeit mit dem Kunden vor Vertragsverhandlung Reagieren auf Veränderung vor dem Befolgen eines Plans“ „Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.“ (Beck et al. 2001)
Aus diesen Werten und den dazugehörigen Prinzipien leiten sich Praktiken ab, die wiederum zu einer Vielzahl von Methoden und Rahmenwerken zusammengesetzt werden. Scrum ist eines davon und als Rahmenwerk vollkommen im Einklang mit dem agilen Manifest. Bloße Anwendung der im Scrum Guide beschriebenen Vorgehensweisen stellt jedoch noch kein agiles und damit im VUKA-Umfeld erfolgsversprechendes Verhalten
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sicher. Denn Agilität entfaltet sich erst dann, wenn agile Teams zur Selbstorganisation befähigt und im Rahmen ihres Entwicklungsauftrags mit hoher Autonomie ausgestattet werden. Im agilen Manifest heißt es dazu: „Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams“ (Beck et al. 2001). An anderer Stelle wird das weiter ausgeführt: „Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.“ (Beck et al. 2001) Insbesondere in skalierten Umgebungen, also überall dort, wo mehrere Entwicklungsteams gemeinsam an einem Produkt arbeiten, ist es von entscheidender Bedeutung, einen Rahmen zu schaffen, in dem Selbstorganisation und Autonomie der Teams ermöglicht und gefördert werden. Wertschöpfung geschieht vornehmlich in den Teams und kann somit in VUKA-Umgebungen nur maximiert werden, wenn Teams die Autonomie haben, wertgetrieben Entscheidungen eigenständig im Sinne der Produktvision zu treffen, anstatt diese von der Hierarchie vorgegeben zu bekommen.
2.1.3 S tufe 3: Selbstorganisation und Autonomie bedürfen eines kulturellen Wandels Die Kultur einer Organisation wird nicht definiert, sondern geprägt durch die Art des Zusammenspiels der Handelnden dieser Organisation. Oder anders formuliert: Kultur ist der Schatten dieses Handelns. Eine gute Unternehmenskultur kann positiv als Korrektiv wirken gegenüber abweichendem Verhalten Einzelner oder Lücken im Prozess und so erheblich dazu beitragen, den Erfolg eines Unternehmens zu sichern. Auf der anderen Seite kann dieselbe Kultur auch blockierend wirken, wenn sich Handlungsprinzipien grundlegend ändern und nicht mehr zur etablierten Kultur passen. Aus diesem Grund stellt es traditionell hierarchisch geprägte Organisationen vor große Herausforderungen, agile Teams zur Selbstorganisation zu befähigen und mit der notwendigen Autonomie auszustatten. Definiert sich der Führungsanspruch der einzelnen Hierarchiestufen in einer Linienorganisation bisher oftmals auch (und auf Team- und Gruppenleiterebene sogar vor allem) durch fachliche Entscheidungskompetenz, soll eben diese nun agilen Teams und den darin definierten Rollen übertragen werden. Dies umzusetzen und eine Organisation dazu zu befähigen, verlangt sowohl den „klassischen“ Führungskräften als auch den Teams einiges ab. Denn während erstere Entscheidungskompetenz übertragen lernen müssen, müssen letztere sie annehmen. Beide Seiten sind in dieser Lernphase anfällig für eine „nostalgische“ Sehnsucht zurück zum alten System der Entscheidungskaskade, da es doch durch eine vermeintliche Klarheit gekennzeichnet war, die in einem Zustand noch nicht vollständig erlernter Selbstorganisation nicht erreicht werden kann. Wo früher „klare Ansage“ und Autorität als ordnendes Element herrschte, prägen auf einmal zähe Abstimmungsrunden und fehlende Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel die Wahrnehmung. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, diesen Lernprozess zum einen sorgfältig zu begleiten und für eine gemein-
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same und überall verstandene Zielausrichtung zu sorgen. Zum anderen sollte er durch die Vermittlung und das Vorleben der agilen Werte flankiert werden. Weiterhin bedarf es eines neuen Führungsverständnisses, das sich gut in dem Schlagwort Servant Leadership (dt. dienende Führung) ausdrückt. Um „dienend“ führen zu können, müssen viele Führungskräfte aber ein anderes Menschenbild an den Tag legen, als sie es bisher gewohnt waren. In der alten Welt, gut beschrieben durch die Theorie X von Douglas McGregor (Scheller 2018), steht das Management oben, und der Mitarbeiter dient diesem und nicht dem Kunden. Die Organisation stellt sich selbst ins Zentrum ihrer Welt, der Kunde ist bestenfalls ein Satellit. Hier ist ein Wandel nötig hin zu einem Verständnis, das von der Theorie Y ausgeht: der Mensch ist von Natur aus motiviert, seinen Beitrag zu leisten und sollte darin bestärkt statt nur kontrolliert werden. Wir drehen also wieder die klassische Hierarchie-Pyramide und rücken den Kunden an die Spitze. Das Management dient nun den Mitarbeitern, damit diese den Kunden bestmöglich bedienen können. Der Kunde steht im Mittelpunkt des Weltbildes. Bei all dem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Führung nicht an Hierarchie gebunden ist. Vielmehr findet Führung überall dort statt, wo Verantwortung übernommen wird. Wenn dies nicht nur auf dem Papier definiert, sondern zur gelebten Praxis einer Organisation geworden ist, dann war der kulturelle Wandel erfolgreich.
2.1.4 S tufe 4: Kultureller Wandel gelingt eher in einer agilen Organisation Grundsätzlich lassen sich die in den vorherigen drei Abschnitten dargelegten Entwicklungsstufen unabhängig von der Organisationsform erreichen, einen entsprechenden kulturellen Wandel in den Köpfen und die Befähigung agiler Strukturen und Rollen vorausgesetzt. Ein großer Pluspunkt bestehender Organisationsstrukturen sind ferner die Gewohnheit und Sicherheit, die sie allen Beteiligten vermitteln. Dies gilt es abzuwägen gegen die Unruhe, die ein groß angelegter Umbau der Aufbauorganisation zwangsläufig mit sich bringt. Allerdings sind klassische Aufbauorganisationen in der Regel nicht auf agile Strukturen und Rollen hin ausgerichtet, weswegen sich die agilen Arbeitsabläufe entweder in irgendeiner Form in die klassische Organisation eingliedern oder parallel zu deren Abläufen einfügen müssen. Hierdurch kann es zu rolleninhärenten Zielkonflikten kommen, z. B. beim fachlich weisungsbefugten Teamleiter im Verhältnis zu seinen Teammitgliedern sowie dazu, dass insbesondere in Stresssituationen in alte, nicht mehr erwünschte Verhaltensmuster zurückgefallen wird. Daher ist ein gelungener kultureller Wandel hin zu einer agil denkenden und handelnden Organisation nach unserer Überzeugung dann wahrscheinlicher, wenn sich die Aufbauorganisation an agile Arbeitsweisen anpasst und nicht umgekehrt.
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Die agile Transition in der TruConnect Software-Entwicklung
Bei der Schaffung einer agilen Aufbauorganisation sollte im Idealfall die gesamte Wertschöpfungskette einbezogen werden. Dazu wurden verschiedene Ansätze entwickelt und ausführlich besprochen (Kniberg und Ivarsson 2012; The LeSS Company B.V. 2019; Scaled Agile, Inc 2019). Kann aber eine agile Transition auch gelingen, wenn nur ein Teilbereich eines Unternehmens einbezogen wird? Die TruConnect Software-Entwicklung innerhalb des Geschäftsbereichs TRUMPF Werkzeugmaschinen hat vor drei Jahren einen solchen Weg beschritten, den wir im Folgenden beschreiben.
2.2.1 Ausgangslage und organisatorische Einordnung Das Familienunternehmen TRUMPF ist heute mit über 14.000 Mitarbeitern weltweit einer der führenden Hersteller von Fertigungslösungen in den Bereichen Werkzeugmaschinen und Lasertechnik. Wandel als Chance zu begreifen und zu nutzen gehört zur Unternehmenskultur, wie sich am Beispiel der Einführung der Lasertechnologie in die Metallbearbeitung eindrucksvoll nachvollziehen lässt (Streb 2018). Um nicht nur technologisch, sondern auch menschlich und wirtschaftlich Vorreiter sein und bleiben zu können, führte TRUMPF bereits 1998 das auf LEAN-Prinzipien aufbauende Wertschöpfungssystem SYNCHRO mit großem Erfolg im Produktionsbereich ein (Kammüller und Guber 2018). Agile Entwicklungsmethoden haben ihren Ursprung in den gleichen grundlegenden Prinzipien wie die Lean-Philosophie und übertragen wichtige Erkenntnisse wie Transparenz und schnelle Feedbackzyklen von Produktions- auf Entwicklungsumgebungen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass auch Scrum als agile Arbeitsweise bereits vor einem Jahrzehnt bei TRUMPF in der Softwareentwicklung etabliert worden ist, um dem Wandel hin zu einer VUKA-Welt zu begegnen. Nach der erfolgreichen Anwendung durch einzelne Teams in Pilotprojekten adaptierten sukzessive weitere Teams Scrum als Entwicklungsprozess. Allerdings bedingt es die komplexe und gewachsene Struktur der Steuerungs- und Programmierprodukte für Maschinen, dass mitunter viele Teams parallel daran arbeiten. Aus Sicht der abteilungsinternen Abläufe ergaben sich daraus zwei wesentliche Herausforderungen: 1. die Koordination der einzelnen Scrum-Teams und deren Ausrichtung auf die Lieferung eines gemeinsamen Produkts 2. die funktionale Linienorganisation bildet die aus Produktsicht erforderlichen Verantwortungsstrukturen und Entscheidungswege nur noch unzureichend ab Gleichzeitig ist die Entwicklung maschinennaher Software eng mit der Hardwareentwicklung verzahnt und muss daher anschlussfähig zur klassischen Maschinenentwicklung sein und bleiben. Mit der Schaffung einer agilen Aufbauorganisation, in der über 150
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Menschen in mehr als 20 agilen Teams koordiniert werden, wurde diesen Herausforderungen begegnet.
2.2.2 Wesentliche Merkmale der neuen Aufbauorganisation Die Grundidee der neuen Aufbauorganisation war es, einen effektiven und leichtgewichtigen Skalierungsrahmen für die Koordination vieler Entwicklungsteams zu liefern und die Teams dazu zu befähigen, selbstorganisiert und eigenverantwortlich zu arbeiten. Es ging also neben der Einführung einer geeigneten Skalierungsstruktur vor allem auch darum, die neu eingeführten agilen Rollen möglichst gut in ihrer Wirksamkeit zu unterstützen.
2.2.2.1 Cascading Scrum als Skalierungsmodell Auf der Suche nach einem geeigneten Rahmen für die Skalierung wurden zunächst verschiedene bereits bekannte Ansätze betrachtet, darunter sowohl generische wie LeSS (The LeSS Company B.V. 2019) und SaFE (Scaled Agile, Inc 2019) als auch unternehmensspezifische wie der von Spotify (Kniberg und Ivarsson 2012). Mit einigen Anleihen, insbesondere beim Spotify-Modell, wurde daraus mit „Cascading Scrum“ ein eigenes Skalierungsmodell entwickelt, das auf kaskadierende Koordinations- und Entscheidungsinstanzen zwischen den einzelnen Teams und Produkten aufbaut und damit sowohl der gewachsenen Struktur der vorhandenen Produktlandschaft Rechnung trägt als auch flexibel genug ist, um im gleichen Rahmen die Entwicklung völlig neuer Produkte voranzutreiben. Darüber hinaus bietet es die Möglichkeit, im weiteren Verlauf auch über die Softwareentwicklung hinaus zu skalieren. Das Kernelement bilden Scrum-Teams, die entweder eigenständig ein Produkt liefern können, eigenständig Modulverantwortung tragen oder zusammen mit anderen Teams Verantwortung für ein Produkt oder Modul übernehmen. Im letzteren Fall gemeinsamer Verantwortung erfolgt die teamübergreifende Koordination und Entscheidungsfindung in sogenannten Chapters, die sich entlang fachlicher Disziplinen aus Teamvertretern zusammenfinden und innerhalb dieser Disziplinen die Gestaltungskompetenz für ihr Produkt bzw. Modul haben. Die Koordination der gemeinsam genutzten Infrastruktur (Entwicklungsumgebung, Cloud-Dienste, Server, etc.) kann so beispielsweise über das Infrastruktur- Chapter erfolgen. Jedes Chapter einigt sich darauf, welches Mitglied als Chapter Speaker auftritt und die Koordination der Chapter-Arbeit übernimmt. Für Fragestellungen, die über eine einzelne Chapter-Disziplin hinausgehen und das gesamte Produkt bzw. Modul betreffen, gibt es das sogenannte Squad als weitere Koordinationsinstanz. In einem Squad auf Produkt- oder Modulebene arbeiten die Speakers der jeweiligen Chapters an übergreifenden Themen, bewerten Anforderungen an das Produkt und treffen gemeinsam fachliche Entscheidungen bezüglich der Umsetzung. Durch die Einbeziehung der Chapter Speakers soll sichergestellt werden, dass ein Squad zu allen technischen Fragestellungen aussagefähig ist. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass alle Teams auch einen Vertreter im Squad stellen und dieses somit auch für alle Teams spre-
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chen kann. Damit wird eine direkte Informationskaskade in die Teams und Chapters sichergestellt sowie eine reibungslose Abstimmung zwischen diesen Instanzen ermöglicht. Das Squad dient auch als Ansprechpartner gegenüber Produktverantwortlichen und Stakeholdern. Ist ein Produkt aus mehreren Modulen aufgebaut, von denen zumindest eines gemeinsam von mehreren Teams verantwortet wird, stellen die Modul-Squads (bei nur einem Team deckungsgleich mit dem zugehörigen Modul-Team) eine weitere Kaskadierungsinstanz dar mit Squad-übergreifenden Chapters, deren Speakers wiederum ein Produkt- Squad bilden (Abb. 2.2). Dieser Aufbau gilt zum Beispiel für das Programmiersystem, dessen Feature-Teams sich vor allem technologisch entlang der Prozesskette Blech (Schneiden, Stanzen, Biegen, Schweißen) aufgestellt haben, und für die Fabriksteuerungssoftware, deren Feature-Teams sich an den Tätigkeiten innerhalb einer Fertigung orientieren. Nach gleichem Prinzip lässt sich die Kaskadierung bei Betrachtung mehrerer Produkte innerhalb eines Portfolios bis zu einem Portfolio-Squad fortsetzen. Je nachdem, wie viele Teams die Basis für ein Squad bilden, wie viele Squads auf einer Ebene gebildet werden und ob der Koordinationsaufwand eher auf der Squad-Ebene oder auf der Ebene darunter liegt, kann es dabei durchaus sinnvoll sein, einzelne Instanzen zu überspringen und die Arbeit auf die relevanten Ebenen zu fokussieren. Der Bedarf definiert also die Struktur und nicht andersherum. Cascading Scrum bietet damit agil arbeitenden Entwicklungsteams die Möglichkeit, sich abhängig von der Komplexität der Produkte passende Koordinations- und Entschei-
Abb. 2.2 Aufbau eines Squads aus Teams und Chapters im Cascading Scrum (eigene Erstellung)
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dungsstrukturen in Form von Chapters und Squads zu schaffen. Diese setzen sich direkt aus Teammitgliedern zusammen und lassen sich bei Bedarf um weitere Verantwortungsträger oder Stakeholder der jeweiligen Kaskadierungsstufe entsprechend ergänzen. Da in den Chapters die Arbeit am Produkt und weniger der produktübergreifende Austausch innerhalb einer Profession im Vordergrund steht, sind einzelne Professionen zusätzlich eingeladen sogenannte Communities of Practice (CoP) zu bilden, in denen Raum und Zeit ist, Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen. Eine CoP ist dabei grundsätzlich offen für alle Interessierten und wird vom Engagement der Beteiligten getragen.
2.2.2.2 Trennung fachlicher und disziplinarischer Führung Cascading Scrum baut, wie im vorherigen Abschnitt beschrieben, auf Selbstorganisation und Eigenverantwortung der Teams. Zudem kommen mit dem Scrum Master als Verantwortlichem für den Kernprozess und dem Product Owner als Verantwortlichem für Produktvision und Product Backlog zwei agile Rollen hinzu, die es bisher nicht gab. Im Ergebnis sind viele der Aufgaben und Verantwortungen, die in der bisherigen Linienorganisation von Gruppen- und Abteilungsleitern wahrgenommen wurden, auf agile Rollen sowie auf die Entscheidungsinstanzen Chapters und Squads übertragen worden. Daher lag es nahe, zusammen mit der Einführung eines Skalierungsrahmens auch die Aufbauorganisation anzupassen. Ganzheitliche Ansätze der agilen Organisationsentwicklung wie beispielsweise Soziokratie oder Holokratie, die auch darauf abzielen, Selbstorganisation und Eigenverantwortung zu stärken, kamen dabei nicht infrage, da es hier nicht darum ging, ein gesamtes Unternehmen zu transformieren, sondern eine Abteilung innerhalb eines Gesamtunternehmens. Dementsprechend war es das Ziel, Selbstorganisation und Eigenverantwortung bestmöglich zu unterstützen und gleichzeitig die Anschlussfähigkeit zur Unternehmensorganisation und zu deren Prozessen sicherzustellen. Weiterhin sollte die Aufbauorganisation flexibel und ohne Strukturveränderungen auf Verschiebungen im Produktfokus reagieren können, was in klassischen Linienorganisationen oftmals nicht ohne weiteres möglich ist. Das zentrale Element der vor diesem Hintergrund entwickelten Lösung ist die Trennung von fachlicher und disziplinarischer Führung, um Augenhöhe unter allen Beteiligten im Entwicklungsprozess herzustellen. Die klassischen Gruppenleiterpositionen wurden abgeschafft und durch zwei neue Rollen ersetzt: den Chief Product Owner und den Agile Manager. Dabei zeichnet der Chief Product Owner für ein Produktportfolio verantwortlich und führt die Team Product Owner der Entwicklungsteams seines Portfolios in fachlicher Hinsicht. Disziplinarischer Vorgesetzter ist er hingegen nicht. Diese Rolle übernimmt der Agile Manager, dessen Fokus auf Menschen und Prozessen liegt. Als direkter Vorgesetzter von Entwicklern, Scrum Mastern und Product Ownern kümmert er sich um deren individuelle Weiterentwicklung, unterstützt bei Teamkonflikten und teamübergreifenden Abläufen und befähigt die Teams zur Selbstorganisation. Gleichzeitig bildet er als disziplinarische Führungskraft das Bindeglied zur Unternehmensorganisation, insbesondere zum Personalbereich, und gestaltet gemeinsam mit den anderen Agile Managern der Abteilung aktiv die Organisationsentwicklung (Abb. 2.3).
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Abb. 2.3 Aufteilung fachlicher und disziplinarischer Führung zwischen Chief Product Owner und Agile Manager (eigene Erstellung)
Diese Aufteilung der klassischen Führungsaufgaben schafft neue Freiräume und Vorzüge für beide Rollen. So kann sich der Chief Product Owner entlastet von administrativen Tätigkeiten voll auf die Produktgestaltung konzentrieren. Produktentscheidungen und damit ggf. verbundene Änderungen in den Teamzuordnungen lassen sich losgelöst von disziplinarischen Abhängigkeiten treffen. Den Entwicklungsteams fällt es ohne diese Abhängigkeiten leichter, mit ihrem Chief Product Owner auf Augenhöhe in den fachlichen Austausch zu gehen und Teampositionen ihm gegenüber geltend zu machen. Der Agile Manager wiederum kann sich auf die Führung von Menschen losgelöst von Fachlichkeit und Produktzuordnungen konzentrieren und stabile Entwicklungsbeziehungen zu jedem seiner Mitarbeiter aufbauen. So kann er insbesondere in sich schnell verändernden Umgebungen fokussiert dabei unterstützen, die Menschen – und damit letztlich auch die Organisation – dazu zu befähigen, sich an die jeweilige Umgebung anzupassen. Für den einzelnen Mitarbeiter ist der Agile Manager ein vom Entwicklungsalltag unabhängiger Ansprechpartner, wodurch seine individuelle Entwicklung z. B. durch Coaching wesentlich effektiver begleitet werden kann. Aus der Perspektive der Scrum-Teams ist die disziplinarische Führung völlig aus dem operativen Alltag herausgenommen. Dadurch wird insbesondere in einer bisher anders geprägten Unternehmenskultur das Entstehen von Eigenverantwortung und Selbstorganisation wesentlich gefördert. Führung in der Sacharbeit findet stärker durch die Übernahme von Verantwortung statt, woran sich im Cascading-Rahmen jeder beteiligen kann und soll. So können auch die beiden agilen Rollen Scrum Master und Product Owner wirksamer werden und ihren Teams und Ansprechpartnern innerhalb der Organisation auf Augenhöhe begegnen. Unbelastet von der Frage nach disziplinarischer Weisungsbefugnis können sie ihrer Prozess- bzw. Produktführung gerecht werden. Auf dieser Basis sind bereits zahl-
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reiche Arbeitsgruppen, u. a. zu Zukunftsthemen DevOps oder Machine Learning sowie Organisationsthemen wie Kultur, aus den Entwicklungsteams heraus entstanden. Agile Manager sind dabei nicht länger die Initiatoren, sondern dienen als Ermöglicher und Unterstützer, als Servant Leader. Im persönlichen Dialog mit den Teammitgliedern gestalten sie dann die individuelle Weiterentwicklung mit jedem Einzelnen. Kommt es zu Konfliktfällen in den Teams, agieren auch die Scrum Master zunächst unabhängig von den Agile Managern mit dem Fokus auf das Miteinander und ohne disziplinarische Abhängigkeiten. Sie greifen auf die Agile Manager erst dann zurück, wenn sie Unterstützung benötigen. Gleiches gilt für die Lösung von Impediments, die weder ein Scrum Master alleine noch das Scrum-Master-Chapter lösen können. Hier wird der Agile Manager ebenfalls einbezogen. Insbesondere die Product Owner, aber auch die Mitglieder der Entwicklungsteams sind auf den Austausch mit internen und externen Kunden angewiesen, um Feedback zu ihren Produkten zu erhalten. Diese Kommunikation erfolgt direkt und wird nicht über eine Führungskraft kanalisiert. Sobald es jedoch beispielsweise um produktbezogenen Qualifizierungsbedarf für die Teams geht, wird der Agile Manager zum Ausbildungspartner für die Product Owner, um den Produkterfolg sicherzustellen. Eine Gelegenheit für den Agile Manager, das Scrum-Team in Aktion zu erleben, ist das Sprint Review. Hier kann er bei Bedarf auch Feedback zum Produkt geben. Die klassische Führungsverantwortung ist also breit verteilt und nicht einfach auf die beiden neuen Führungsrollen Chief Product Owner und Agile Manager übertragen worden, wie in der unten stehenden Tabelle nochmals zusammengefasst ist (Tab. 2.1).
2.2.2.3 Offenheit, Verantwortung und gemeinsames Lernen als Basis für den kulturellen Wandel Ein eigener Skalierungsrahmen und ein neues Führungs- und Rollenmodell sind erkennbare Elemente der neuen Organisation. Allein vermögen sie es jedoch nicht, den beabsichtigten Wandel hin zu mehr Agilität zu bewirken. Denn wie im ersten Teil dieses Beitrags dargelegt, bedarf es dazu auch eines kulturellen Wandels, um die Strukturveränderungen zur vollen Entfaltung zu bringen. Die Basis für diesen Wandel und damit für die agile Transition in der TruConnect Software-Entwicklung bilden Offenheit, Verantwortung und gemeinsames Lernen. Offenheit und Transparenz sind entscheidende Faktoren in einem Veränderungsprozess, erst recht, wenn dieser so tief greifend ist wie diese agile Transition. Probleme, die im Wandel nicht ausbleiben, müssen auf allen Ebenen transparent gemacht und offen thematisiert werden. So sollen Kommunikationsflüsse vom Grundsatz her möglichst auf vollständiger Transparenz basieren und nicht länger auf der Frage, welche Informationen unbedingt transportiert werden müssen. Nur eine solche Offenheit ermöglicht es einer Organisation, sich kontinuierlich zu verbessern und noch nicht oder nicht mehr funktionierende Abläufe zu korrigieren. Vorbehalte dagegen können auf allen Ebenen auftreten und beruhen oftmals auf schlechten Erfahrungen mit offenem Verhalten. Diese ernst zu nehmen und behutsam abzubauen ist ein großer Schritt hin zu einer neuen Kultur der Offenheit.
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Tab. 2.1 Überblick über die prägenden Rollen und Instanzen im Cascading Scrum Rolle Entwicklungsteam
Chapter
Squad
Scrum Master
Team Product Owner
Chief Product Owner
Agile Manager
Beschreibung ∙ ist für die Lieferung seines (Teil-)Produkts verantwortlich ∙ übernimmt gemeinsam mit anderen Teams Verantwortung für das Gesamtprodukt (über die Mitarbeit in Chapters und Squads) ∙ verantwortet innerhalb seiner fachlichen Domäne die modul- bzw. produktübergreifende Koordination ∙ trifft entsprechende Entscheidungen ∙ vertritt auf seiner jeweiligen Ebene (Modul, Produkt, Portfolio) sowohl alle Fachdomänen als auch alle beteiligten Teams ∙ stellt das technische Entscheidungsgremium auf dieser Ebene dar ∙ verantwortlich für den Scrum-Prozess und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess seines Teams ∙ kümmert sich um Hemmnisse (Impediments) innerhalb und außerhalb seines Teams und gestaltet so die agile Organisation mit ∙ gestaltet die Produktvision und das Product Backlog seines (Teil-) Produkts und ist gemeinsam mit dem Produktmanagement für dessen Wertmaximierung verantwortlich ∙ ist für sein (Teil-)Produkt zentraler Ansprechpartner innerhalb und außerhalb der Organisation ∙ gestaltet die Produktvision und das Product Backlog für sein Produktportfolio ∙ verantwortet die zugehörigen Entwicklungsbudgets und gemeinsam mit dem Produktmanagement die strategische Ausrichtung ∙ disziplinarischer Vorgesetzter einer Entwicklungsmannschaft ∙ verantwortlich für die persönliche Weiterentwicklung der Mitglieder der (Scrum-)Teams (Entwickler, Product Owner, Scrum Master) ∙ gestaltet die teamübergreifenden Prozesse und die agile Organisation
Rollen und Instanzen im Cascading Scrum (eigene Erstellung)
Die Wirksamkeit der eingeführten agilen Strukturen hängt davon ab, dass Verantwortung auf die Teams übertragen und von diesen auch angenommen wird. Beides erfordert enorme Anstrengungen. Denn ein bisher von hierarchischen Entscheidungsstrukturen geprägtes System lässt sich nicht per Knopfdruck auf Eigenverantwortung umstellen. Den Führungskräften obliegt es, Verantwortung nicht nur zu übertragen, sondern auch dazu zu befähigen, diese wahrnehmen zu können. In diesem Lernprozess ist es wichtig, Geduld und gegenseitiges Verständnis aufzubringen, damit beide Seiten nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Betrachtet man Offenheit und Verantwortung als Grundsteine, so ist die Bereitschaft zum gemeinsamen Lernen die Klammer, die diese zusammenhält und zum Fundament für den kulturellen Wandel werden lässt. Denn nur, wenn sich alle Beteiligten gegenseitig Fehler zugestehen, eine offene Feedback-Kultur untereinander entwickeln und so ermöglichen, gemeinsam in die neue Organisation hineinzuwachsen, ist ein nachhaltiger Erfolg wahrscheinlich. In der TruConnect-Software-Entwicklung finden zu diesem Zweck nicht nur in den Teams, sondern auch auf Abteilungsebene regelmäßig Retrospektiven statt, in
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denen sich jeder einbringen kann und in denen gemeinsam Verbesserungsbedarfe und -potenziale aufgedeckt und priorisiert werden.
2.2.3 E rkenntnisse: Was wir auf unserer agilen Reise bisher gelernt haben Im vorherigen Abschnitt wurde bereits beschrieben, warum Offenheit, Verantwortung und gemeinsames Lernen als Basis für den kulturellen Wandel in der Abteilung betrachtet werden. An dieser Stelle werden noch einige wesentliche Erkenntnisse ergänzt, die unsere Organisation in den vergangenen drei Jahren der agilen Transition gewinnen konnte.
2.2.3.1 Selbstorganisation muss wachsen Selbstorganisation entsteht erst, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Eine davon ist gegenseitiges Vertrauen. Denn Verantwortung wird nur dann übernommen, wenn Vertrauen zwischen den Beteiligten besteht. Dies entsteht nicht von selbst und braucht Zeit zu wachsen und wohlwollende Unterstützung im Übergang, wenn z. B. Cascading-Instanzen das durch den Wegfall der Linienhierarchie entstehende Entscheidungsvakuum nicht gleich zu füllen imstande sind. Vorgaben und Hilfestellungen von „oben“, egal wie gut gemeint, stoßen in solchen Situationen schnell auf Ablehnung und ersticken Selbstorganisation im Keim. Ebenso ist auch Augenhöhe nicht allein durch Abschaffung disziplinarischer Verhältnisse vorhanden, sondern muss von allen Seiten gelernt werden. 2.2.3.2 Wertschätzung für neue Rollen Zu diesem fortwährenden Lernprozess gehört es auch, wechselseitig Verständnis und Wertschätzung für die neuen Rollen zu etablieren. Das gilt sowohl für die neuen Führungsrollen und für die agilen Rollen Scrum Master und Product Owner als auch für die Cascading-Entscheidungsinstanzen. So muss der Chief Product Owner ohne disziplinarische Führungsspanne und ohne „Kästchen“ im Organigramm insbesondere außerhalb der Abteilung erst als Führungskraft wahrgenommen werden. Der Agile Manager hingegen hat zwar nun eine deutlich größere Führungsspanne als vorher der Gruppenleiter, sieht sich aber seiner Fachlichkeit „beraubt“ und muss seine Rolle als Servant Leader innerhalb der Organisation finden. Seine Aufgabenteilung mit dem Scrum Master erweist sich in der Praxis als deutlich größere Herausforderung, als es aus den Rollendefinitionen ersichtlich wird. Gestalten doch beide die agilen Abläufe innerhalb der Abteilung entscheidend mit. Letztendlich gilt es, statt einer Abgrenzung die Schwerpunkte beider Rollen in der Zusammenarbeit herauszuarbeiten. Obwohl dem Scrum Master eine Schlüsselrolle im Scrum-Prozess zukommt, ist es nicht selbstverständlich, dass sein wertschöpfender Beitrag in Entwicklerteams und allgemein im Unternehmen von Anfang an gewürdigt wird. Ähnlich geht es dem Team Product Owner, der oftmals nur ein Teilprodukt verantwortet und seinen Gestaltungsbereich im Zusammenspiel mit dem Chief Product Owner finden muss.
2 Agile Organisationsentwicklung bei TRUMPF: Herausforderungen, Erfahrungen, …
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2.2.3.3 Bedeutung der Produktvision Während in einer klassischen Linienorganisation die Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel über die Hierarchie sichergestellt werden kann, gelingt dies in einer auf Selbstorganisation und Eigenverantwortung aufbauenden agilen Organisation am besten über eine klare und verständliche Produktvision, an der sich alle Teams in ihrer Tätigkeit orientieren können. Um als Orientierungspunkt zu funktionieren, muss diese Produktvision erlebbar sein und ihre Roadmap mit greifbaren Zwischenzielen regelmäßig an neue Gegebenheiten angepasst werden. Richtungsänderungen gehören in der VUKA-Welt dazu, sollten sich aber nicht nur in angepassten Wegen zum Ziel niederschlagen, sondern auch hinsichtlich der weiterhin bestehenden Produktvision eingeordnet werden, um Beliebigkeit zu vermeiden. Für Entwicklungsteams ist es zudem motivierend, die Vision ihres Produkts nicht nur verstanden zu haben, sondern diese auch aus den übergeordneten Produktvisionen der Abteilung und des Geschäftsbereichs ableiten zu können. 2.2.3.4 Die Außenwelt nicht vergessen In einer klassischen Linienorganisation lassen sich Entscheidungs- und Verantwortungsträger direkt mit einem Blick ins Organigramm ermitteln. Durch die Schaffung eines neuen Führungsmodells mit getrennten disziplinarischen und fachlichen Führungsrollen und die selbstorganisierte Übernahme von Verantwortung geht diese Klarheit für außerhalb der Organisation stehende Ansprechpartner zunächst verloren. Daher genügt es nicht, die agile Transition innerhalb der Abteilung erfolgreich zu gestalten. Ähnliche Anstrengungen sind auch an den Schnittstellen zur Außenwelt erforderlich, zumal deren Anforderungen in der Phase der abteilungsinternen Selbstfindung meist nicht im Vordergrund stehen. Diese aufzunehmen und in offenem Austausch in Einklang mit den neuen Abläufen und Entscheidungswegen zu bringen, ist eine wichtige Voraussetzung für den nachhaltigen Erfolg.
2.3
Fazit und Ausblick: Quo vadis?
Es war ein wagemutiger Schritt, eine in klassische Unternehmensstrukturen eingebettete Abteilung von heute auf morgen auf der Basis von agilen Prinzipien zu transformieren. Drei erkenntnisreiche Jahre später gibt es gute Gründe, diese Transition als Erfolg zu bewerten: Es ist eine neue Kultur der Offenheit, der Eigenverantwortung und des gemeinsamen Lernens entstanden. Es gibt ermutigende Beispiele dafür, dass die neuen Strukturen die Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit wie beabsichtigt deutlich erhöhen. Zudem plädierten in einer abteilungsinternen Umfrage ca. 80 % der Teilnehmer für eine Beibehaltung der Trennung disziplinarischer und fachlicher Führung und etwa zwei Drittel von ihnen bewerteten die agile Transition als erfolgreich. Ist die agile Transition damit abgeschlossen? Sicher nicht. Dennoch wurden Grundlagen geschaffen, auf deren Basis sich die Menschen, die Organisation und auch das angrenzende Umfeld kontinuierlich weiterentwickeln können.
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H. Schröder und J. Pilster
Die Befähigung zu Selbstorganisation und Eigenverantwortung setzt dringend benötigte Potenziale frei, um mit dem Wandel der Zeit Schritt zu halten. Es herrscht mehr Mut auf allen Ebenen, Dinge auszuprobieren; Initiativen müssen nicht mehr „von oben“ gestartet werden, sondern etablieren sich direkt aus der Community. Ein Beispiel dafür ist die Ausrichtung auf DevOps-Prinzipien, die über eine anfangs kleine Community of Practice vorangetrieben worden ist, mit der Zeit mehr und mehr Unterstützer gewann und mittlerweile die strategische Ausrichtung der Abteilung prägt. „Selbstorganisation braucht Führung“ lautet ein Buchtitel von Boris Gloger (2017). Wie diese Führung verteilt sein und welche Rahmenbedingungen sie vorgeben sollte, versteht die Organisation als Ganzes heute wesentlich besser als zu Beginn der Transition. Wurden Strukturen und Prozesse zunächst noch eher dogmatisch etabliert, gelingt es der gemeinsamen Führung mittlerweile wesentlich besser, Anpassungen im Sinne der agilen Prinzipien vorzunehmen. So lassen sich anfangs nicht vorgesehene Rollen (wie z. B. die des Systemarchitekten) oder weitere Strukturelemente hinzufügen (und auch wieder entfernen), um pragmatisch auf Koordinationsbedarfe zu reagieren. Der als VUKA-Welt bezeichnete Wandel der Umfeldfaktoren, der Ausgangspunkt für die agile Transition der TruConnect-Software-Entwicklung war, wird natürlich auch in anderen Teilen des Unternehmens wahrgenommen. Entsprechend gibt es auch in anderen Unternehmensteilen vielfältige Ansätze, diesem Wandel mit Agilität zu begegnen, die sich teilweise ähneln, teilweise aber auch deutlich unterscheiden. In einem unternehmensweiten Austausch wird nun erarbeitet, in welchem Umfeld sich welcher Ansatz am besten eignet und dabei auch betrachtet, wie sich die Trennung von fachlicher und disziplinarischer Führung mit den neuen Führungsrollen Chief Product Owner und Agile Manager auch auf andere Bereiche übertragen lässt. Eine Stärke dieses Modells in Kombination mit dem Cascading-Ansatz ist es, eine verhältnismäßig einfache Skalierung der Produktentwicklung über Abteilungsgrenzen hinweg zu ermöglichen, da die Verantwortung für Produkt und Menschen auf verschiedenen Schultern ruht und eine bereichsübergreifende fachliche Steuerung somit erleichtert wird. So lassen sich Koordinationsstrukturen organisch an den Wertschöpfungsprozess anpassen. Als konkretes Beispiel sei die Maschinensteuerung genannt, wo Hardware- und Softwareentwicklung so deutlich enger verzahnt werden konnten.
Literatur Beck, K., Beedle, M., van Bennekum, A., Cockburn, A., Cunningham, W., Fowler, M., & Thomas, D. (2001). Agiles Manifest. https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html. Zugegriffen am 28.12.2019. Gloger, B. (2017). Selbstorganisation braucht Führung. München: Hanser. Kagermann, H., Wahlster, W., & Helbig, J. (2013). Umsetzungsempfehlungen für das ZukunftsprojektIndustrie 4.0: Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. Frankfurt: acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.
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Kammüller, M., & Guber, F. (2018). SYNCHRO. Das Buch: Der lange Weg zur Exzellenz bei TRUMPF. Ludwigsburg: LOG_X. Kniberg, H., & Ivarsson, A. (Oktober 2012). Scaling Agile @ Spotify. https://blog.crisp.se/wp-content/uploads/2012/11/SpotifyScaling.pdf. Zugegriffen am 28.12.2019. Scaled Agile, Inc. (2019). SAFe (Scaled Agile Framework). https://www.scaledagileframework.com/. Zugegriffen am 28.12.2019. Scheller, T. (2018). Auf dem Weg zur agilen Organisation. In T. Scheller (Hrsg.), Auf dem Weg zur agilen Organisation (S. 124–131). München: Vahlen. Schwaber, K., & Sutherland, J. (2018). The scrum guide. https://scrumguides.org/. Zugegriffen am 28.12.2019. Streb, J. (2018). Trumpf: Geschichte Eines Familienunternehmens. München: Hanser. The LeSS Company B.V. (2019). LeSS (Large-Scale Scrum). https://less.works/. Zugegriffen am 28.12.2019. U.S. Army Heritage and Education Center. (2018). Who first originated the term VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity and Ambiguity)?
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Smarte Algorithmen und geballte Menschlichkeit: So gelingt der Weg zur vernetzten Organisation Jana Tepe
3.1
er AAA sagt, muss auch B sagen: Neues Arbeiten passt W nicht in alte Muster
AAA – wenn Sie das auf Ihrer Waschmaschine lesen, wissen Sie, das Teil läuft effizient und ressourcenschonend. In der Arbeitswelt ist es nicht ganz so einfach. Auch hier gibt es die drei As: Automatisierung, Agilität, Analytics. Und auch hier könnte ihre smarte Umsetzung die Effizienz in Unternehmen steigern und die Ressourcen schonen, die menschlichen wie die der Natur. Dafür braucht es – ähnlich wie bei der Haushaltsmaschine – einen neuen Antrieb. Man konnte auch sagen: ein komplett neues Betriebssystem. Dieses zu installieren stellt viele Organisationen allerdings vor große Herausforderungen, denn das Systemupdate hat nicht nur eine technologische, sondern vor allem eine menschliche Komponente. Ein gutes Zusammenspiel von Mensch und Maschine macht beim Schritt von der alten in die neue, digitale Arbeitswelt den entscheidenden Unterschied. Aus dieser Überzeugung heraus arbeiten wir bei Tandemploy an einem neuen Code für die Wirtschaft. Einem, der Menschen im Arbeitskontext ganz neue Erfahrungen und Sichtweisen ermöglicht, der alte Denkmuster aufbricht, intraorganisationales Lernen ermöglicht, an starren Hierarchien rüttelt, Talente identifiziert, Freiraum schafft, Mitgestaltung erlaubt, kurz: der anderes, besseres, kreativeres und zeitgemäßes Arbeiten möglich macht. Denn innovative Lösungen für die komplexen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nicht in den Strukturen von vor hundert Jahren finden. Automatisierung, Agilität und Analytics sind dabei übrigens nicht das Ziel, sondern der Weg, und zwar hin zu vernetzten und handlungsfähigen Unternehmen, zu „New-Work-Organisationen“, in denen Menschen entlang ihrer Talente und Bedürfnisse arbeiten und so maßgeblich zum unternehmerischen Erfolg J. Tepe (*) Tandemploy GmbH, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_3
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J. Tepe
beitragen. Ein Unternehmen mit AAA-Kennzeichnung läuft dann im besten Sinne effizient, ohne seine wertvollste Ressource zu verschleißen: seine Mitarbeitenden.
3.2
wie Automatisierung: Der Mythos vom Skill Gap im Blue A Collar Bereich
In keinem anderen Bereich treffen Mensch und Maschine so offensichtlich aufeinander wie in der Produktion. Guten Tag, Kollege Roboter! In keinem anderen Bereich wird aber auch deutlich, wie sehr Digitalisierung immer noch als rein technologischer Prozess gedacht wird. Alle reden darüber, was die Menschen mit den Maschinen machen und die Maschinen mit den Menschen. Das Entscheidende ist aber: Wie wirkt sich die Automatisierung auf das Zusammenspiel der Menschen im Unternehmen aus? In Zukunft werden nicht (nur) die Maschinen wichtiger – sondern vor allem die Leute, die mit ihnen arbeiten. Sie brauchen neue Skills für neue Jobs an der Schnittstelle von Mensch und Technik – und an der Schnittstelle von Mensch und Mensch! Denn während Roboter quasi als vernetzte Wesen geboren werden, müssen die entsprechenden „Sensoren“ bei den Mitarbeiter*innen in der Produktion erst aktiviert und geschult werden. So genannte „New Collar Skills“ sind dabei vor allem eins: New. Keine Lehrbücher wurden über sie geschrieben. Viele der Tätigkeiten, die Menschen in Zukunft machen werden, gibt es noch gar nicht. Sie stehen in keinem Lebenslauf und brauchen kein Zertifikat oder Abschlusszeugnis. Sie entstehen mit dem technologischen Fortschritt, sind in Bewegung und verändern sich im Laufe eines Arbeitslebens immer wieder. Was heißt das für die Aus- und Weiterbildung von so dringend benötigten New Collar-Fachkräften? – „Training through Community“ wird wichtiger, also das Lernen von und miteinander im Unternehmen. Dafür sind offene Strukturen und Kommunikationsräume nötig, zu denen alle Mitarbeiter*innen Zugang haben, ob am Schreibtisch oder in der Produktionshalle und unabhängig von Abteilung und Position. Jede*r kann ein*e Mentor*in sein, fast jeder Job lässt sich im Jobsharing-Tandem erledigen, jede*r kann von anderen etwas lernen, seinen oder ihren Horizont erweitern und diese Erkenntnisse in unternehmensrelevante Handlungen umsetzen. Die wichtigste Aufgabe für HR-Verantwortliche ist es, mit allen Mitarbeitenden verbunden zu sein – und zwar von Tag 1 an und kontinuierlich, sodass Skill Gaps gar nicht erst entstehen und der Übergang von Blue Collar zu New Collar sich begleitend und natürlich vollzieht. Voraussetzung dafür ist, dass Blue Collar Worker genauso in die Kommunikation im Unternehmen eingebunden werden, wie alle anderen, und sich bei Bedarf mit ihnen austauschen und von ihnen lernen können. Umgekehrt sind Mitarbeitende auf dem Shopfloor unmittelbar dran am Produkt und damit selbst wertvolle Wissensträger und Lernpartner für Kolleg*innen aus den Office-Bereichen.
3 Smarte Algorithmen und geballte Menschlichkeit: So gelingt der Weg zur …
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Abb. 3.1 Interne Vernetzung leicht gemacht: Die Tandemploy-Software matcht Kolleg*innen per Mausklick
The Tandemploy-Way: Automatisierung nicht als Ursache für, sondern als Mittel gegen den Skill Gap Unsere Software setzt den „Training-through-Community“-Gedanken unkompliziert um. Sie matcht automatisiert Kolleginnen und Kollegen für Mentoring-Tandems, Jobshadowings, Working Circles, spannende Projekte, einen Generationenaustausch oder ein unverbindliches Coffee Date – je nachdem, was der- oder diejenige gerade sucht oder lernen möchte (siehe Abb. 3.1). Firmen, egal aus welcher Branche, können aus über einem Dutzend verschiedener Matching-Themen auswählen und genau diejenigen einsetzen, die am besten zu ihnen passen. Damit helfen wir Organisationen, Silos (etwa zwischen White und Blue Collar Bereichen) abzubauen und vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr Raum zur Mitgestaltung zu geben. Dabei war und ist uns wichtig, dass alle Mitarbeitenden die Software einfach bedienen und nutzen können, ganz unabhängig davon, ob sie im Office oder auf dem Shopfloor arbeiten. Nur so kann echte Vernetzung gelingen, unabhängig von Bereichen und Positionen. In der Praxis heißt das, dass jede*r die Möglichkeit hat, sich mit Hilfe des digitalen Matching-Tools genau die Personen und Angebote zu suchen, die sie oder ihn bei einer bestimmten Aufgabe oder einem Entwicklungsschritt unterstützen können. Für Führungskräfte, insbesondere aus dem Bereich HR, liefert die Software zudem spannende Daten, anhand derer sie sehen können, welche Skills besonders nachgefragt werden und ob diese unternehmensintern abgedeckt sind. So können sie auf einen drohenden Skill Gap reagieren, bevor er entsteht.
3.3
wie Agilität: Technologischer Wandel A braucht Kulturwandel
3.3.1 Abschied von der Hierarchie? – Die bewegliche Pyramide Die digitale Transformation bringt es mit sich, dass vertraute Denkmuster und Arbeitsstrukturen in Frage gestellt werden. Die Hierarchie-Pyramide, die stets Sicherheit geboten
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J. Tepe
hat, bröckelt zusehends. In vielen Unternehmen gehen plötzlich „Change Berater“ ein und aus und reden von Selbstverantwortung und unternehmerischem Denken. Was über viele Jahre scheinbar gut funktioniert hat, soll plötzlich der Kern allen Übels sein. Ist das wirklich so? Müssen wir die Hierarchie komplett abschaffen, um auch morgen noch erfolgreich am Markt zu sein? Oder hat die Pyramide eventuell auch Vorteile, die wir bei aller Veränderung mitnehmen können? Sagen wir so: Die klassische Entscheidungspyramide aus Zeiten der Industrialisierung, in der das Management Entscheidungen trifft und alle anderen nur ausführen, hat mit Sicherheit ihren Zenit überschritten. Zukünftig wird es weniger starre Strukturen geben müssen, um für die Anforderungen einer digitalisierten Welt gewappnet zu sein. Das bedeutet aber nicht, dass sämtliche hierarchische Mechanismen von heute auf morgen abgeschafft werden müssen. In der „beweglichen Pyramide“ variiert die Entscheidungsmacht je nach Aufgabe und Projekt und ist stärker an die Kompetenz für die aktuell zu lösende Aufgabe als an die Position gebunden. So kann ein*e neue*r Mitarbeiter*in ein Projekt leiten, wenn er oder sie das nötige Know-How hat und sich in der Lage fühlt, das Projektteam zu führen, während ein Senior Manager für dieses Projekt zum Praktikanten wird. Rollen und Verantwortlichkeiten sind in Bewegung – und doch für die jeweilige Aufgabe klar definiert. Aber kann wirklich jede*r diese Verantwortung übernehmen? Theoretisch schon. Natürlich nicht von jetzt auf gleich. Schließlich werden Menschen, die über viele Jahre das ausgeführt haben, was von oben angeordnet wurde, nicht plötzlich zu Quasi- Unternehmer*innen im Unternehmen. Selbstorganisation und eigenverantwortliches Handeln müssen schrittweise gelernt und geübt werden. Menschen in Unternehmen, die immer stark hierarchisch agiert haben, brauchen neue Begegnungen und Erfahrungen, bei denen jeder spürt, dass Austausch und Kollaboration Spaß machen und dass es nicht die ausgefahrenen Ellbogen sind, die sie weiterbringen, sondern die Verbindung mit anderen und das Hinarbeiten auf ein gemeinsames Ziel.
3.3.2 Back to the roots: (Wissen) teilen ist geil! Die Voraussetzungen für Veränderung sind gar nicht schlecht. Immerhin haben Forschende am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie festgestellt, dass uns die Veranlagung zur Kooperation angeboren ist. Bereits als Kinder verstehen wir, was es bedeutet, ein gemeinsames Ziel zu haben und dieses auch gemeinsam zu erreichen (Hamann 2011). Die Wissenschaftler*innen fanden aber auch heraus, dass die Bereitschaft zu teilen an die Bereitschaft zur Kollaboration geknüpft ist. Sprich: Wir teilen nur, wenn wir das Gefühl haben, unser Gegenüber hat es verdient, weil er oder sie am selben Strang zieht. Das gilt für Murmeln vermutlich ebenso wie für Wissen. Was folgt aus diesen Punkten für den Wissenstransfer in Unternehmen?
3 Smarte Algorithmen und geballte Menschlichkeit: So gelingt der Weg zur …
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Wissenstransfer braucht flexible Strukturen Jede*r hat etwas beizutragen, das dem Unternehmen nützt. Wissen muss also in alle Richtungen geteilt werden können – von Führungskräften wie von Produktionsmitarbeiter*innen und quer über Abteilungen hinweg. Unternehmen können den Austausch von Wissen gezielt fördern, indem sie stärker in Projekten mit wechselnden Teams und Führungspersonen arbeiten. Wissenstransfer braucht ein gemeinsames Ziel Wer Wissen teilen soll, muss wissen warum. Positionen und Karrieredenken verstellen den Blick auf das eigentliche Ziel des Unternehmens. Dieses muss wieder klar herausgestellt werden. Warum sind wir hier? Worauf arbeiten wir hin? Was wollen wir gemeinsam erreichen? Wissenstransfer braucht eine offene und kollaborative Unternehmenskultur Belohnt werden darf nicht der oder diejenige mit dem größten Exklusivwissen. Wissen und Entscheidungsmacht sollten beweglich und für alle Mitarbeitenden verfügbar sein, die bereit sind, beides in den Dienst der gemeinsamen Zielerreichung zu stellen und ihre Erfahrungen dem Team zugänglich zu machen. Kollaboration schlägt Konkurrenz! The Tandemploy-Way: Das Bottom-Up-Prinzip Wir brechen mit unserer Software ganz konkret und praktisch herunter, was allen Unternehmen heute Kopfschmerzen bereitet: Wir schaffen Anlässe zur Vernetzung, statt nur abstrakt von einer Netzwerkorganisation zu reden. Was Vorstände und CEOs wollen – eine handlungsfähige und innovative Organisation, in der Skills und Wissen geteilt und immer wieder in neuen Konstellationen zusammengebracht werden – machen wir greifbar und mitgestaltbar (siehe Abb. 3.2). Durch Use Cases, wie Mentoring, Working Circles, Generation Exchange, Jobrotation, Jobsharing, Peer Learning, Lunch Dates usw., zu denen sich die Mitarbeitenden mit Hilfe der Software eigeninitiativ zusammenfinden, entstehen neue Begegnungen und vor allem Erfahrungen. Die Kontrolle über die eigenen Daten bleibt dabei stets bei den Mitarbeiter*innen, die sie freiwillig einspeisen, weil der Nutzen für sie klar ist. Auch der Umgang mit dem Ergebnis aus dem Matching obliegt den Nutzer*innen und nicht einem übergeordneten Management, sprich: nichts geschieht über die Köpfe der Mitarbeitenden hinweg. Wir sind überzeugt, dass Entscheidungsmacht über die eigene berufliche Weiterentwicklung der Schlüssel ist, um perspektivisch auch in anderen Unternehmensfeldern und für andere Kolleg*innen Verantwortung zu übernehmen.
3.4
A wie Analytics – but: FOR the People!
Daten werden aktuell als das schärfste Schwert im HR-Bereich gehandelt. Und ja, Daten sind ohne Frage wichtig für gute und zukunftsweisende Führungsarbeit. Aber über welche Daten reden wir eigentlich? Sind die gängigen KPIs der Vergangenheit – Krankheitstage,
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Abb. 3.2 Digitale Transformation heißt vor allem von- und miteinander lernen
Fluktuation, Anzahl Bewerbungen, Cost per Hire – ausreichend geeignet, um fundierte Entscheidungen aus HR-Sicht zu treffen und die Handlungsfähigkeit von Organisationen zu bemessen? Bräuchten wir nicht eigentlich neue, ganz andere Kennzahlen, um einschätzen zu können, wie gut, wie zukunftsfähig Unternehmen sind? Kennzahlen, die zum Beispiel Auskunft darüber geben … • wie viel kreatives Potenzial besteht – und wie viel davon genutzt wird, • wie gut Kolleg*innen miteinander vernetzt sind – und wie bereit, sich gegenseitig zu helfen und zu stärken,
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• wie effizient und beherzt Wissen geteilt wird, • wie selbstwirksam sich die Mitarbeitenden fühlen – und wie stark ihre Handlungen auf die Organisation einwirken, • wie mutig die Mitarbeitenden sind – und was mit den mutigen (Menschen und Aktionen) am Ende passiert. Diese Liste lässt sich sicher noch erweitern. Klar ist: Daten sind wichtig, aber wir müssen nach den richtigen und wichtigen Daten fragen und suchen. Sonst verlieren wir uns in einem Datenwust, der letztlich wenig aussagt über die Güte von Organisationen. Für Unternehmen ist es besonders spannend im Blick zu haben, wer sich mit wem vernetzt und aus welchen Konstellationen die besten Ideen und Ergebnisse hervorgehen. Stichwort: People Analytics. Studien haben gezeigt, dass es weniger die Eigenschaften und Lebensläufe von Mitarbeitenden sind („Attribute Analytics“), die zuverlässige Pro gnosen über ihre Performance und Entwicklung erlauben. Viel aufschlussreicher ist es, die Interaktionen von Menschen im Unternehmen zu analysieren – die US-amerikanischen Wissenschaftler Paul Leonardi und Noshir Contractor (2018) nennen es „Relational Analytics“: Sag mir, wie intensiv du vernetzt bist, und ich sag dir, wie gut du auf bestimmte Projekte und in bestimmte Teams passt. In den Untersuchungen der beiden zeigte sich etwa, dass nicht die formell einflussreichsten Kolleg*innen (also die mit den meisten Kontakten oder den meisten Menschen „unter“ ihrer Führung) in der Praxis den größten Impact erzielten, sondern die Mitarbeitenden, die die stärksten Verbindungen zu anderen hatten (zum Performance Management mit solchen Netzwerkdaten siehe Gärtner 2020).
3.4.1 Data first? – People first! „Big Data“ und „Künstliche Intelligenz“ sollen nun also zusammenbringen, was zusammengehört: Menschen und Aufgaben und Menschen und Menschen im Unternehmen. Gute Sache! Was aber, wenn die Datenlage in Unternehmen alles andere als „Big“ ist? Oder in erster Linie ein „Big Chaos“? KI kann viel, aber nicht alles. Wenn es darum geht, eine gute Datenbasis zu schaffen, die aus- und verwertbar ist, muss zunächst der Mensch ran. Oder: die Menschen. Die, die im Unternehmen sind und selbst am besten wissen, was sie an Skills und Erfahrungen mitbringen. Der erste Schritt sollte darin bestehen, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter*innen bereit sind, proaktiv Informationen über sich bereitzustellen und zu pflegen und dies gern tun. Bevor wir uns also auf die Technologie stürzen und über „People Analytics“ reden, lasst uns zunächst vor allem über „People“ reden und was sie brauchen. Am Anfang sollten keine fertigen Antworten stehen, sondern vor allem die richtigen Fragen: • Möchtest du deine Skills teilen? Bist du dir ihrer überhaupt bewusst? • Was hindert dich eventuell daran, deine Fähigkeiten transparent zu machen?
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• Ist dir klar, warum es sinnvoll ist, diese Informationen zu teilen? Und welche Vorteile sich daraus für dich ergeben? Siehst du den Nutzen dahinter? • Was brauchst du, um motiviert zu sein, Informationen über dich bereitzustellen und immer auf dem neuesten Stand zu halten? „Gute Daten“ sind letztendlich solche, die erkennbar Nutzen stiften für diejenigen, die sie zur Verfügung stellen. Wenn also HR-Führungskräfte mit Hilfe von Daten ihr Talent Management optimieren wollen, müssen sie ein Umfeld schaffen, in dem Mitarbeitende bereit sind, Informationen zu ihren Skills und Lernbedarfen zu teilen. Unsere Softwarelösung sorgt dann für die Transparenz, welche Skills verfügbar sind (siehe Abb. 3.3).
3.4.2 „Analytics FOR the people“ in 5 Schritten Was können Verantwortliche in Unternehmen also tun, um gute Daten zu bekommen, die dann auch den Einsatz von KI legitimieren? Daten, die Organisationen helfen, sich weiterzuentwickeln, hin zu einer Wirtschaft, die dem Menschen dient, einer „New Work Economy“?
Abb. 3.3 Wenn wir wüssten, was wir wissen … Der Skill Analyser macht vorhandene Skills sichtbar
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1. Stellt die Nutzenfrage – euch selbst gemeinsam mit allen, die ihre Daten zur Verfügung stellen (sollen). 2. Überprüft die Daten stetig, spiegelt sie an den Unternehmenswerten und passt sie daran an, wo nötig. 3. Gestaltet Strukturen, die Datenvielfalt erlauben. Investiert in die Persönlichkeitsentwicklung derjenigen, die die Maschinen trainieren, und schafft Raum für Reflexion und die Überprüfung der eigenen Vorurteile. 4. Vertraut nicht blind auf Daten und seid bereit, eurem gesunden Menschenverstand das letzte Wort zu geben und nicht der Maschine. 5. Nutzt Daten, um besser zu werden – offener, diverser, flexibler! Nutzt die Freiräume, die KI schafft, um euch als Menschen wieder stärker zu verbinden.
The Tandemploy-Way: Daten verantwortungsvoll nutzen Bieten wir Künstliche Intelligenz an? So weit würde ich nicht gehen. Die Gewaltigkeit des Wortes baut mitunter gedankliche Hürden in puncto Digitalisierung auf, die gar nicht nötig wären. Unsere Software arbeitet mit Algorithmen, die über den Verlauf der Zeit dazulernen, ja. Unsere Ontologie im Hintergrund ist aber auch das Ergebnis einer sechs Jahre langen manuellen Pflege. Es steckt also noch ein beachtlicher Teil menschliche Intelligenz darin. Das ist uns wichtig und Teil unserer Philosophie: People matter. Das erste und das letzte Wort bei der Nutzung unseres Matching-Tools hat der Mensch. Im Entwicklungsprozess folgen wir konsequent ethischen Richtlinien und garantieren Datenhoheit und Datensicherheit in höchstem Maße. Die Software wird von den Mitarbeitenden eigeninitiativ genutzt, auf Wunsch auch anonym. Sie haben die volle Datenhoheit und entscheiden, wer von ihren Kolleg*innen was sehen darf. Die Nutzung ist dabei absolut freiwillig. Die Übertragung der Daten geschieht auf sicherem Weg. Und: HR und Management bekommen eine Skill Map ausschließlich auf Basis aggregierter Daten, die nicht auf einzelne Mitarbeitende zurückzuführen sind.
3.5
Digitaler Wandel ohne Hürden? – In your dreams.
Wenn Unternehmen wollen, dass Mitarbeitende sich mit Hilfe unserer (oder anderer) Software leichter vernetzen, müssen sie natürlich sicherstellen, dass die verschiedenen Software-Lösungen, die in der Organisation zur Anwendung kommen, miteinander kommunizieren. Was offene Strukturen und Kommunikationsräume für die Mitarbeitenden sind, sind entsprechende Schnittstellen und Integrationsszenarien für die Software. Diese müssen es möglich machen, dass • standardisierte, cloud-basierte Software problemlos an die firmeneigene Kernsoftware andocken kann, • einzelne Anwendungen in beide Richtungen kommunizieren und
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• alle Mitarbeitenden externe Software als Dienstleistung problemlos nutzen können (SaaS). Unsere Erfahrung zeigt, dass es keine gute Idee ist, alle externen Tools in die Core- Software integrieren zu wollen. Leider ist dieses Vorgehen aber immer noch weit verbreitet. Viele Unternehmen fangen an, standardisierte Software verändern zu lassen, in der Hoffnung, diese genau auf ihre Bedürfnisse zuschneiden zu können. Das Ganze geht meist mit horrenden Beratungs- und Implementierungskosten einher. Entsprechend groß ist die Ernüchterung, wenn das Ergebnis mindestens störanfällig ist und sich schlimmstenfalls als unbrauchbar erweist. Es ist in etwa so, als würde man versuchen, die Menschen im Unternehmen gleichzumachen und in ein Raster zu pressen, statt ihre individuellen Stärken clever miteinander zu verbinden und je nach Herausforderung zu kombinieren. Genau diese Verbindungen sind aber nötig, um agil zu werden. Unternehmensstrukturen müssen angesichts der Dynamik von Märkten und Bedürfnissen möglichst flexibel gestaltet werden, in menschlicher wie in technologischer Hinsicht! Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass alle Grundfunktionalitäten verlässlich laufen und alle nötigen Aufgaben erledigt werden. Für den Einsatz von Software bedeutet das ganz praktisch, dass Core-Anwendungen am besten mit digitalen Experimentierräumen verknüpft werden. Standardisierte, cloudbasierte Einzellösungen lassen sich dabei nach dem Baukastenprinzip zu einer quasi- individuellen Gesamtlösung zusammensetzen, wobei die Einzelteile bei Bedarf jederzeit ergänzt, ausgetauscht oder ganz weggelassen werden können. The Tandemploy-Way: Gute Software kommuniziert gut Wie Agilität auf technischer Seite praktisch umgesetzt werden kann, zeigt unsere Zusammenarbeit mit SAP. So ergänzen wir als eine Art „New Work Satellit“ die SAP-Software SuccessFactors mit passgenauen Integrationen und können so gemeinsam Mehrwert für Unternehmen schaffen (siehe Abb. 3.4). Die Skills, die durch unsere Software erhoben werden, lassen sich in SuccessFactors zurückspielen. Angebote, wie Jobs oder Projekte, können wiederum aus bestehenden Systemen in unseres gepusht werden. Auch Schnittstellen zu bestehenden Intranets und Collaboration Tools sind möglich – hier können sich die entstandenen Einheiten, wie Projektteams oder Jobsharing-Tandems, dann weiter organisieren. Viele unserer Kunden nutzen SuccessFactors oder führen es gerade ein. Da bietet es sich an, die Software um einen Bottom-up-Experimentierraum für Neues Arbeiten zu erweitern. Experimentieren, #einfachmachen, Räume öffnen, um Neues auszuprobieren und neue Erfahrungen und Begegnungen im Unternehmen möglich zu machen – genau darum muss es in Unternehmen zukünftig noch viel stärker gehen, auf technologischer wie auf kultureller Seite. Die digitale Transformation erfolgreich zu gestalten, setzt voraus, Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Erfahrungen zusammenzubringen, die miteinander arbeiten und voneinander lernen. People matter – mehr als je zuvor! Daran ändert auch die zunehmende Automatisierung nichts. Ganz im Gegenteil: Technologie kann einen
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Abb. 3.4 Smarte Algorithmen bringen Mitarbeitende für unterschiedlichste Arbeitsformen zusammen
e ntscheidenden Beitrag leisten, um das menschliche Potenzial in Unternehmen zu heben. Das, was Unternehmen in Bezug auf Zielgruppe („Kenne deinen Kunden!“) und Konkurrenz („Kenne deinen Feind!“) schon lange machen, muss auch Einzug ins Innenleben der Organisation halten: Kenne deine Leute! Und: Lass sie einander kennenlernen! Dabei hilft das gute Gefühl und das Vertrauen darauf, dass Mitarbeitende hervorragend voneinander lernen können – und erwiesenermaßen sogar Lust darauf haben! Das belegen zum Beispiel die Zahlen unserer 2019er Studie zum Wissenstransfer (Tandemploy 2019). Hier zeigte sich, dass Mitarbeitende in Unternehmen gern viel öfter das Wissen von Kolleg*innen nutzen würden und zudem bereit sind, andere mit ihrem Know-How zu unterstützen (siehe Abb. 3.5). Auch sind viele Formate des Austauschs und organisationalen Lernens wie Peer Learning, Reverse Mentoring und Jobrotation bekannt, nur fehlen das passende Umfeld und die Offenheit auf Unternehmensseite, diese auch nutzen zu können. Wenn wir den Skill Gap abwenden wollen, kommt es aber genau darauf an, sich diese neuen Lernräume zu erschließen. Nur wenn Unternehmen es schaffen, beide Hebel – den kulturellen und den technologischen – zu bedienen und zu synchronisieren, gelingt ihnen der Sprung hin zu handlungsfähigen und innovativen Netzwerkorganisationen. In diesen Organisationen werden Skills und Wissen geteilt und immer wieder neu verknüpft. Gleichzeitig haben Führungskräfte ein genaues Bild von dem, was ihre Mitarbeitenden können und wollen – Stichwort Skill Mapping – und können ihre Weiterentwicklung begleiten und
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Abb. 3.5 Mitarbeitende wollen voneinander lernen – wenn man sie lässt
unterstützen. Ein solches „inneres Wachstum“ ist die ideale Basis, um in einer sich schnell wandelnden Welt beweglich, handlungsfähig und innovativ zu bleiben.
Literatur Contractor, N., & Leonardi, P. (2018). Better people analytics. https://hbr.org/2018/11/better-people-analytics. Zugegriffen am 20.12.2019. Gärtner, C. (2020). Smart HRM: Digitale Tools für die Personalarbeit. Wiesbaden: Springer Gabler. Hamann, K. (2011). Kinderleicht: Gerechtes Teilen nach gemeinsamer Anstrengung. https://www. mpg.de/forschung/kinder-teilen. Zugegriffen am 20.12.2019. Tandemploy. (2019). Studie zum Wissenstransfer in Unternehmen: Mitarbeitende wollen – werden aber durch Strukturen daran gehindert. https://www.tandemploy.com/de/blog/umfrage-wissenstransfer-in-unternehmen/. Zugegriffen am 20.12.2019.
4
Smart HR Development: Mehrwert durch moderne Entwicklungsinstrumente Katrin Krömer und Olaf Petersen
4.1
Einleitung
Die Welt verändert sich vor unseren Augen – mit ungekannter Geschwindigkeit. Von der VUCA-Welt ist die Rede, die durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit gekennzeichnet ist (Bennett und Lemoine 2014). Die Veränderungen werden maßgeblich von vier Faktoren bestimmt, die sich auch als 4D-Trends zusammenfassen lassen: Digitalisierung, Dynamisierung, Diversität und Demokratisierung (Liebhart und Oppelmayer 2017). Hinzu kommt der Klimawandel, der unser Leben wie keine andere Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten bestimmten wird. Diese großen Trends stellen Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Sie müssen ihr Geschäft digitalisieren und flexibler und agiler werden, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gleichzeitig eröffnen sich damit vielversprechende Möglichkeiten für Innovation und Weiterentwicklung. Kaum eine Branche, ein Unternehmen oder eine Unternehmensfunktion ist von dem Transformationsdruck ausgenommen. Der Funktion Personalentwicklung (PE) kommt eine Schlüsselrolle dabei zu, die nötige Transformation eines Unternehmens zu gestalten und es in der VUCA-Welt neu zu positionieren. So auch bei der Deutschen Bahn (DB). Die DB ist mit ihrem Auftrag und Produktportfolio in besonderem Maße mit diesen Herausforderungen und Chancen konfrontiert. Um diesen zu begegnen, wurde 2019 die Strategie „Starke Schiene“ verabschiedet. Die Erreichung der Klimaziele Deutschlands und des globalen Zwei-Grad-Ziels stehen dabei im Zentrum. Maßnahmen zur Verkehrsverlagerung auf die Schiene sollen den CO2-Ausstoß um 10,5 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren. In dem Zuge werden unter anderem die Verdopplung der Fahrgäste im K. Krömer (*) · O. Petersen Deutsche Bahn AG, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_4
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chienenpersonenverkehr und eine deutliche Erhöhung des Schienenanteils am deutschen S Güterverkehr angestrebt. Die „Starke Schiene“ ist eine ambitionierte Ausbaustrategie, die massive Investitionen in Infrastruktur und Personal vorsieht. Schlagkräftiger, moderner und robuster soll die Deutsche Bahn dadurch werden, eine umfassende Transformation, die die Gesamtleistungsfähigkeit des Konzerns steigert. Das ist ein gewaltiges Vorhaben für ein Unternehmen, das weltweit mehr als 300.000 Mitarbeiter beschäftigt und in den kommenden Jahren 100.000 Stellen neu besetzen wird. Als Reaktion auf diese gestiegenen Anforderungen hat die Personalentwicklung der DB eine grundlegende Neuausrichtung angestoßen. Die neue PE versteht sich als Teil des Geschäfts. Sie setzt auf mehr Eigenverantwortung und Partizipation der Mitarbeiter*innen und schlanke Strukturen. Das Produktportfolio wird auf wenige Kerninstrumente fokussiert, die digital umgesetzt und flexibel einsetzbar sind. Im Zentrum steht dabei ein neues Performance Management.
4.2
Grundlegende Neuausrichtung der Personalentwicklung
Die Transformation des DB-Konzerns im Sinne der Dachstrategie „Starke Schiene“ erfordert, dass die Personalentwicklung integraler Bestandteil des Geschäfts wird. In der Vergangenheit standen PE und Business oft unverbunden nebeneinander. PE-Instrumente wurden selten in Kooperation mit anderen Konzernfunktionen entwickelt, wie z. B. den Strategie- und Finanzfunktionen, und auch nicht als Teil der Geschäftssteuerung eingeführt. Sie waren zu wenig verzahnt und nur in geringem Maße mit den Anforderungen der operativen Unternehmensbereiche verprobt. In der Wahrnehmung der Mitarbeiter*innen erzeugten sie mitunter einen Zusatzaufwand, ohne dass ein ausreichender Mehrwert erkennbar war. Um PE bei der Deutschen Bahn in Zukunft wirksamer zu machen, wurde der Bereich neu aufgestellt und dabei systematischer mit dem Business verzahnt. Der Anspruch: Die PE-Instrumente sollen sowohl der Geschäftsentwicklung als auch der persönlichen Weiterentwicklung dienen und ein wirkungsvolleres Gesamtsystem ergeben. Die Entwicklung und Einführung von Instrumenten sowie die Qualifizierung dafür sollen als gemeinsame Aufgabe des Managements verstanden werden und nicht allein als Verantwortung von HR. Auf Basis dieses neuen Grundverständnisses wird die PE auch inhaltlich fokussiert ausgerichtet: Leistung rückt in den Mittelpunkt. Ein klarer Blick auf die Leistung der*des Einzelnen und von Teams soll die Leistungsfähigkeit steigern und damit im Ergebnis dazu beitragen, die Unternehmensziele zu erreichen. Dieser Priorisierung folgend, wurde das Produktportfolio der PE in einem dynamischen System organisiert. Um das Handlungsfeld Leisten und das neue Performance Management kreisen die Handlungsfelder Lernen, Entwickeln und Besetzen (siehe Abb. 4.1). Diese sind systematisch miteinander verzahnt. In ihrer Wirkung sollen sie einen wichtigen
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Abb. 4.1 Neuausrichtung der Personalentwicklung (eigene Erstellung)
Beitrag leisten, um der immer steigenden Anforderungen gerecht zu werden und die Transformation erfolgreich zu gestalten. Anforderungen Das gesamte System der PE ist an den Geschäftsanforderungen ausgerichtet. Diese beinhalten, „was“ erreicht werden soll – wie strategisch vorgegeben oder wie es sich konkret aufgrund besonderer Herausforderungen der aktuellen Geschäftslagen ergibt. Zudem wird unter den Anforderungen das „Wie“ im Sinne der angestrebten Unternehmenskultur bzw. des gewünschten Verhaltens gefasst. Diese Anforderungen hat die DB für ihre Mitarbeiter*innen in den „Kompass für ein starkes Miteinander“ übersetzt. Das lange herrschende klassische Führungsverständnis, das sich stark an Hierarchien orientierte, soll durch ein zeitgemäßes „Miteinanderverständnis“ abgelöst werden, das für alle Ebenen gilt – also vom Azubi bis zum Vorstandsmitglied. Ein deutliches Signal: Eigenverantwortung und Mitsprache des*der Einzelnen werden betont. Dies gilt nicht nur für moderne, agile Arbeitsformen, sondern auch zur Stärkung der Kooperation in eher traditionellen Organisationsformen. Dies ist aufgrund der Diversität der zahlreichen Geschäftsmodelle innerhalb des DB-Konzerns wichtig. Der Kompass beschreibt fünf Leit-Prinzipien der Zusammenarbeit und stellt eine deutliche Vereinfachung im Vergleich zu vorherigen, eher komplexen und schwer einprägsamen Leitbildern dar (siehe Abb. 4.2). Er dient zur allgemeinen Orientierung auf die gemeinsamen Ziele und ist Teil der Unternehmensstrategie. Für die PE ist er maßgebend für die Neuausrichtung aller bestehenden Instrumente.
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Abb. 4.2 Der neue Kompass für ein starkes Miteinander (eigene Darstellung)
Die fünf Prinzipien sollen eingängig und nachvollziehbar sein, um handlungsleitend in der Praxis zu werden. Mit rund 250 Mitarbeiter*innen und Führungskräfte aller Ebenen sowie der gesamten PE- und Change Community des Konzerns wurde für die Entwicklung der Prinzipien ein Rapid Prototyping-Prozess durchgeführt. Somit gelang es in sehr kurzer Zeit ein gemeinsames Verständnis des Miteinanders zu entwickeln, welches nun von einer breiten Basis getragen wird. In dem „Miteinanderverständnis“ kommt Führungskräften eine neue Rolle zu. Sie agieren weniger im Sinne klassischer Top-down-Führung und mehr als Coaches und Enabler, die ihren Mitarbeiter*innen auf Augenhöhe begegnen und sie dabei unterstützen, ihre beste Leistung abzurufen. Leisten Von zentraler Bedeutung für die Neuausrichtung der PE ist das neu entwickelte Performance Management. Es bietet Führungskräften und Mitarbeiter*innen Orientierung über die eigene Leistung und unterstützt sie dabei, in einen zielorientierten Dialog zu treten, um gemeinsam daran zu arbeiten, besser zu werden (unter 3. im Detail beschrieben). Es ist modular aufgebaut, durchgängig digital unterstützt und kann in einem konzernweit verbindlichen Rahmen nach den Anforderungen der jeweiligen Konzernunternehmen bedarfsgerecht ausgestaltet werden. Lernen Die Leistungseinschätzung im Rahmen von „meine Leistung“ kann Indikationen für Lernbedarfe im Bereich von fachlichen und/oder überfachlichen Kompetenzen eines*r
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itarbeiters*in liefern. Ein wichtiger Beitrag des Handlungsfelds Lernen ist deshalb die M detaillierte Analyse, welche Kompetenzen zur Bewältigung von aktuellen und zukünftigen Aufgaben notwendig sind und gegebenenfalls entwickelt werden müssen. Die PE bietet für Führungskräfte und Mitarbeiter*innen entsprechende Befähigungsmaßnahmen an, die ihre persönliche und berufliche Weiterentwicklung voranbringen. Entwickeln Zeigen die Ergebnisse aus „meine Leistung“ eine kontinuierliche Erfüllung oder Übererfüllung der Leistungserwartung, eröffnen sich für Führungskräfte und Mitarbeiter*innen Entwicklungschancen. Das kann den Aufstieg in eine Position mit höherer Verantwortung oder den Wechsel in eine Position mit anderen inhaltlichen oder rollenbezogenen Herausforderungen bedeuten – die Optionen werden bei agileren Arbeitsweisen immer vielfältiger. Bei konstanter Minderleistung ist die Entwicklung in eine adäquate Position oder eine Neuorientierung angezeigt. Die PE macht Mitarbeiter*innen und Führungskräften konzernweite Entwicklungsperspektiven transparent und unterstützt ihren Weg in eine neue Funktion. Die Verzahnung der Felder Leisten und Entwickeln zeigt sich beispielhaft in der DB Nachfolgeplanung. Die Ergebnisse der jährlichen Leistungseinschätzung durch das Performance Management werden bei der Kalibrierung von Nachfolgeplänen als ein Kriterium herangezogen. In der Regel sollte der Kandidat auf der aktuellen Position die Leistungserwartung erfüllen oder übertreffen. Ist dies nicht der Fall, dann prüfen HR und der Vorgesetzte im Besonderen, ob eine positive Leistungserwartung auf der avisierten Nachfolgeposition zu erwarten ist. Die Prozesse beider Bereiche sind dabei zeitlich aufeinander abgestimmt. Besetzen Die Ergebnisse aus „meine Leistung“ dienen bei internen Besetzungen als ein Auswahlkriterium. Außer den Erkenntnissen aus dem Performance Management werden auch solche aus dem Talentmanagement und der Nachfolgeplanung einbezogen. Zur Sicherung von qualitativ hochwertigen und nachhaltigen Besetzungen werden diagnostische Verfahren nach konzernweit einheitlichen Standards angewandt.
4.3
Fokus-Thema: „mein Performance Management“
Die klare Ausrichtung der Personalentwicklung auf Leistung macht ein hocheffektives, modernes Performance Management erforderlich. Leistung soll systematisch transparent gemacht werden und Gegenstand eines fortwährenden, offenen Dialogs in der Organisation sein. Dies erfordert ein Umdenken, eine neue Kultur des Feedbackgebens und -nehmens. Darum hat sich die DB entschieden, mit „mein Performance Management“ in diesem Bereich neue Wege zu gehen.
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Zunächst wurden auf Ebene der Geschäftssteuerung (kollektives Performance Management) Grundlagen geschaffen, um zielorientiert über Leistung ins Gespräch zu kommen. Dazu zählt etwa das neue Format der Performance Dialoge, das 2018 und 2019 Schritt für Schritt in den Geschäftsfeldern eingeführt wurde, um die Geschäftssituation fokussiert anhand von relevanten Geschäftskennzahlen z. B. zu Produktivität, Qualität, Umsatz- und Ergebnissituation, regelmäßig zu analysieren und auf Basis eines standardisierten Vorgehens wirkungsvolle Maßnahmen zur Geschäftsentwicklung abzuleiten. Um die Wirksamkeit des kollektiven Performance Management zu erhöhen, wird es im Rahmen der Neuaufstellung der PE stringenter mit konkreter Verantwortung auf individueller Ebene verknüpft.
4.3.1 Das Grundmodell von „mein Performance Management“ Der neue Ansatz gestaltet Ziele stärker handlungsleitend, stellt Feedback in den Mittelpunkt und macht Leistung kontinuierlich zum Gesprächsthema. „mein Performance Management“ besteht aus den Instrumenten „meine Leistung“ und „mein Impuls-Feedback“ (siehe Abb. 4.3). Die Entwicklung von „meine Leistung“ orientiert sich wesentlich an drei zentralen Faktoren zur Steigerung der Leistungsfähigkeit: handlungsleitende Kennzahlen, wirkungsvolle Maßnahmen und multiperspektivisches Leistungsfeedback. Gleichzeitig wird mit „mein Impuls-Feedback“ ein Instrument zur Verfügung gestellt, das spontanes Feedback ortsunabhängig und hierarchieübergreifend fördert. Sowohl Entwicklung als
Abb. 4.3 Das Grundmodell von „mein Performance Management“ (eigene Darstellung)
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auch Einführung der Instrumente fand in direkter Zusammenarbeit mit den Business- Funktionen statt.
4.3.1.1 „meine Leistung“: Differenzierte Leistungseinschätzung „meine Leistung“ setzt sich aus vier Modulen zusammen, die für alle Geschäftsbereiche grundsätzlich verbindlich sind. Sie werden spezifisch auf die Anforderungen der einzelnen Unternehmensteile ausgerichtet, um die jeweilige Unternehmensentwicklung bestmöglich zu fördern. Alle Module werden durchgängig durch eine Cloud-IT-Anwendung unterstützt. Leistungskennzahlen Es gilt das Geschäft anhand von wesentlichen Kennzahlen zu steuern, um die Zielerreichung im Blick zu haben und bei auftretenden Abweichungen rechtzeitig Maßnahmen einzuleiten. Im Modul Leistungskennzahlen werden diese Kennzahlen mit konkreter individueller Verantwortung einer Führungskraft hinterlegt, um definierte Zielwerte mit ihrem jeweiligen Team zu erreichen. Auf der Mitarbeiter*innenebene dienen sie als Orientierung. Für jeden Verantwortungsbereich ist es daher entscheidend, dass die Kennzahlen eine entsprechende Güte und Qualität haben. Also den Kern des Geschäfts treffen und handlungsleitend werden. Sie müssen dementsprechend geeignet sein, zu den wesentlichen Handlungsfeldern Orientierung zu geben. An diesen Kennzahlen wird schließlich der erzielte Geschäftserfolg gemessen. Es handelt sich um wenige Schlüsselkennzahlen, wie z. B. Durchlaufzeiten in Instandhaltungswerken, Verspätungsminuten von Zügen und Anzahl fehlerfrei bereitgestellter Züge, die gemeinsam mit dem jeweiligen Vorgesetzten festgelegt werden. Sie stammen nicht aus einem gesonderten HR-Prozess, sondern aus dem kollektiven Performance Management zur Geschäftsteuerung. Damit wird die Steuerung über Kennzahlen auch im individuellen Performance Management systematisch verankert. Je nach Reifegrad der Kennzahlen in den Einführungsbereichen liegen diese bereits in der notwendigen Güte vor und können unmittelbar herangezogen werden oder sind noch schrittweise mit Unterstützung des kollektiven Performance Managements zu entwickeln. Leistungsbeiträge Unter Leistungsbeiträgen ist die Vereinbarung von priorisierten Maßnahmen zur Zielerreichung zu verstehen, die einzeln und/oder in Teams (auch bereichsübergreifend) innerhalb von ungefähr drei Monaten bearbeitet werden. Sie entsprechen der Grundlogik der Key Results in der OKR-Logik (Objectives and Key Results), bei der übergeordnete Ziele in messbare Teilschritte unterteilt werden (Doerr 2018). Wobei nicht immer der direkte Erfolg einer Maßnahme an Kennzahlen gemessen werden kann. Die Leistungsbeiträge werden im Rahmen von Performance Dialogen entwickelt und nachgehalten. Regelmäßig wird der Bearbeitungsstatus besprochen und nach Abschluss die Wirksamkeit des Leistungsbeitrags für das Geschäft bewertet, also ob die Maßnahme wirklich den erhofften positiven Effekt erzielt hat. Zudem kann der jeweils Verantwortliche
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gemeinsam mit seiner Führungskraft die erzielte Umsetzungsqualität des Leistungsbeitrags reflektieren und persönliche Entwicklungspotenziale erschließen. Die individuelle Leistungssteuerung wird also unmittelbar aus der Geschäftssteuerung abgeleitet und daran auch wieder gemessen – und dies unterjährig, fortlaufend (z. B. alle 2 bis 3 Monaten) und nicht wie bei herkömmlichen Leistungsbewertungssystemen einmal im Jahr. Die Module Leistungskennzahlen und Leistungsbeiträge ersetzen die klassische jährliche Zielvereinbarung durch eine fortlaufende, unterjährige Analyse darüber, wie das Geschäft läuft und welche Maßnahmen angesetzt werden können, um besser zu werden. So können Führungskräfte in stärkerem Maße die Steuerung der Zielerreichung handlungsleitend gestalten und individuelle Beiträge zur Zielerreichung kontinuierlich zum Thema machen. Die Module erlauben es, Teams wesentlich geschäftsnäher zu steuern als bei klassischen Zielvereinbarungen, die einmal im Jahr beschlossen und oft in der Praxis nicht mehr unterjährig reflektiert werden. Anforderungen an das Geschäft – und damit gegebenenfalls Ziele und Maßnahmen – verändern sich jedoch heute in viel kürzeren Zeitabständen, als dies früher der Fall war. Der neue Ansatz von Leistungskennzahlen und Leis tungsbeiträgen trägt diesen Gegebenheiten der VUCA-Welt Rechnung und bietet eine vielversprechende Managementalternative. Leistungskompass Im Leistungskompass erhalten Führungskräfte und Mitarbeiter*innen eine Einschätzung, wie ihr Leistungsverhalten aus unterschiedlichen Perspektiven bewertet wird, dies mit Bezug auf die fünf Prinzipien des „Kompasses für ein starkes Miteinander“. Dank dieser multiperspektivischen Einschätzung wird umfassend aufgezeigt, an welchen Handlungsfeldern noch zu arbeiten ist und wo das gezeigte Verhalten bereits den Erwartungen entspricht. Multiperspektivisches Feedback ist per se kein neuer Ansatz. 360-Grad-Feedbacks gehören zum Standardrepertoire der Personalentwicklung – so auch bei der DB vor der Neuausrichtung der PE. In der Regel werden sie aber als reine Entwicklungsinstrumente eingesetzt und ihre Ergebnisse oft vertraulich behandelt. Mit dem Leistungskompass geht die DB einen anderen Weg. Es handelt sich um eine Leistungseinschätzung, die in die Beurteilung der Gesamtleistung im Geschäftsjahr einfließt. Das Feedback von Mitarbeiter*innen ist zum Beispiel ein Faktor in der Leistungsbewertung der Führungskraft, ebenso das Feedback von internen Geschäftspartner*innen. Dieser Ansatz kann sowohl wichtige Impulse für die persönliche Reflexion und Weiterentwicklung geben als auch das Gespräch mit Feedbackgebern anregen, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Führungskräfte erhalten darüber hinaus eine Einschätzung ihrer Mitarbeiter*innen aus unterschiedlichen Perspektiven. Weiterhin können die Ergebnisse aus der Durchführung von Leistungskompassen als Indikation dienen, inwieweit die Mannschaft ihr Verhalten im Sinne der fünf Kompass-Prinzipien weiterentwickelt. Der Leistungskompass wird ein- bis zweimal jährlich durchgeführt. Die Feedbacknehmer*innen können dann Geschäftspartner*innen, Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen
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zum Feedbackgeben einladen. Die Führungskraft und die fachliche Führungskraft sind als Feedbackgeber*innen in jedem Fall gesetzt. Optional kann die eingeschätzte Person zur persönlichen Entwicklung auch eine Selbsteinschätzung vornehmen. Alle beantworten mit den gleichen, wenigen Standardfragen auf einer fünfstufigen Häufigkeitsskala, inwieweit das geforderte Verhalten gezeigt wurde (1 sehr selten, 2 gelegentlich, 3 oft, 4 sehr oft, 5 immer). Zudem können die Feedbackgeber Kommentare und weiteres qualitatives Feedback hinzufügen. Das Ergebnis in Form eines Balkendiagramms zeigt auf einen Blick, wie die Person in ihrem Verhalten gesehen wird und ob unterschiedliche Einschätzungen vorliegen. Die eingeschätzte Person erhält die Rückmeldungen aus allen Perspektiven. Dabei sind die Einschätzungen aus den Perspektiven Mitarbeiter*innen, Geschäftspartner*innen und Kollegen*innen anonymisiert dargestellt, es wird jeweils der Mittelwert pro Perspektive angezeigt. Die Einschätzung des*r Vorgesetzten und der fachlichen Führungskraft erfolgt nicht anonymisiert. Der*ie Vorgesetzte der einzuschätzenden Person erhält dieselbe Einsicht in das Ergebnis aus allen Perspektiven bis auf die Kolleg*innenperspektive und die Selbsteinschätzung. Diese sind vertraulich, um sowohl den kritischen Selbstblick als auch kritisches Feedback unter Kolleg*innen nicht zu erschweren. Dies nimmt die Sorge, dass hieraus Nachteile erwachsen könnten. Gesamteinschätzung der Führungskraft Das vierte Modul von „meine Leistung“ ist die Gesamteinschätzung, eine jährliche Bewertung der Gesamtleistung, die auch die unterjährige Entwicklung nachzeichnet und damit zu einer differenzierteren Leistungsbewertung führt. Dafür nutzt der*ie Vorgesetzte die gesammelten Erkenntnisse aus den drei Modulen von „meine Leistung“: erzielte Arbeitsergebnisse (gemessen an Leistungskennzahlen zum Ergebnis des jeweiligen Verantwortungsbereichs), Realisierungsgrad und die Umsetzungsqualität der persönlichen Leistungsbeiträge sowie das gezeigte Arbeitsverhalten (gemessen an den Ergebnissen des Leistungskompasses). Ergebnisse aus dem Instrument „mein Impuls-Feedback“ fließen nicht ein. Ein entscheidender Punkt: Es gibt keine Rechenlogik, die aus den drei Modulen die Gesamtbewertung vorgibt. Es ist Aufgabe der Führungskraft, die vorhandenen Informationen zu sichten, zu gewichten und eine Beurteilung daraus abzuleiten. Eigenverantwortung statt starrer Regeln – dieser Ansatz entspricht dem im „Kompass für ein starkes Miteinander“ formulierten Grundverständnis der DB. Die Führungskraft wird in dem Prozess von HR begleitet, um in einem Sparringverhältnis zu differenzierten Bewertungen von Leistung zu kommen. Es ist ausgewiesenes Ziel der DB, eine möglichst gute Übereinstimmung von tatsächlicher Leistung und Leistungsbeurteilung zu erreichen und somit ein faires, ausgewogenes Bild in der Gesamteinschätzung. Dabei setzt die PE auch hier auf Eigenverantwortung statt auf Vorgaben. Auf eine Vorgabe zur Verteilung der Leistungseinschätzung, wie es beim Forced Ranking üblich ist, wird bewusst verzichtet. Denn beim Forced Ranking ist
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nicht das Ziel, die absolute Leistung einer Person möglichst treffend und transparent zu erfassen, sondern die Leistung relativ zu den Leistungen der Kolleg*innen zu beurteilen. Dabei werden Annahmen zur Verteilung von Leistung zugrunde gelegt, die empirisch nicht klar belegt sind. Es gibt Hinweise, dass bei Arbeitsleistung die oft angenommene Normalverteilung nicht zutreffend ist, sondern eher einer Pareto-Verteilung folgt (Aguinis und O’Boyle 2014). Danach wäre eine kleine Zahl von Mitarbeiter*innen für den Großteil der Gesamtleistung verantwortlich. Die Leistungsbewertung in der Gesamteinschätzung erfolgt auf einer vierstufigen Skala: Leistungserwartung teilweise erfüllt (Stufe 1), überwiegend erfüllt (Stufe 2), voll erfüllt (Stufe 3), deutlich übertroffen (Stufe 4). Es wurde bewusst eine asymmetrische Skala gewählt, um dem bekannten Milde-Effekt in der Leistungsbeurteilung (Lohaus und Schuler 2014, S. 387 f.) entgegenzuwirken. Wird die Ausprägung „voll erfüllt“ in der Mitte einer fünfstufigen Skala verankert, erscheint sie Führungskräften oft als „mittelmäßig“ und sie vergeben 4 oder 5 Punkte, obwohl die beurteilte Person die Leistungserwartung nicht übertroffen hat. Das zeigen Erfahrungen bei der DB aus der Vergangenheit.
4.3.1.2 „mein Impuls-Feedback“ Ergänzend zu „meine Leistung“ wurde das Instrument „mein Impuls-Feedback“ eingeführt: Mitarbeiter*innen, Führungskräfte und Teams haben die Möglichkeit, jederzeit anlassbezogen, unabhängig von Hierarchie und Bereichen, mit Hilfe einer Web-App Feedback zu geben und zu erhalten. Zudem können sie ergänzend zu ihrem Feedback auch Auszeichnungen vergeben, wie zum Beispiel „Kunden zum König gemacht“ oder „Für die DB Bereichsgrenzen überwunden“. Die Auszeichnungen sind in der App als grafisch ansprechende Badges umgesetzt, die Nutzerin*innen von „mein Impuls-Feedback“ über die Zeit sammeln können. Dieser Gamification-Ansatz wurde bei der Entwicklung des Instruments bewusst gewählt, um die Motivation zur Nutzung zusätzlich zu erhöhen. Die Forschung hat vielfach gezeigt, dass Gamification das User-Engagement von digitalen Anwendungen deutlich erhöhen kann (Hammedi et al. 2019). Der Einsatz des „Impuls-Feedbacks“ ist freiwillig und nicht Bestandteil der Leistungsbewertung im Modul Gesamteinschätzung. Feedbacks bleiben vertraulich zwischen Feedbackgeber*in und Feedbackempfänger*in. Sollte von Nutzer*innen kein Feedback gewünscht sein, können diese in der Web-App geblockt werden und die Feed backempfänger*innen können jederzeit erhaltene Feedbacks löschen. „mein Impuls-Feedback“ ist eine Möglichkeit, sich gegenseitig in der persönlichen Weiterentwicklung zu unterstützen und die Zusammenarbeit zu verbessern. Es soll das Feedback im persönlichen Gespräch ergänzen und es nicht ersetzen. Damit kann es einen wertvollen Beitrag leisten, die Feedbackkultur positiv zu fördern und Mitarbeiter*innen und Führungskräften Entwicklungsfelder aufzuzeigen. Das Instrument kann darüber hinaus auch genutzt werden, um aktiv an der eigenen Kompetenzentwicklung zu arbeiten. Zum Beispiel könnte sich jemand entscheiden, seine
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räsentationsfähigkeiten verbessern zu wollen und dazu die Teilnehmer*innen eines MeeP tings gezielt nach Feedback fragen.
4.3.1.3 Flexibilität des Ansatzes „mein Performance Management“ wurde so entwickelt, dass es innerhalb eines verbindlichen Rahmens auf unterschiedliche Geschäftsanforderungen und Führungsmodelle zugeschnitten werden kann. Das ist bei der Deutschen Bahn von großer Bedeutung. Der Konzern gliedert sich in mehrere Unternehmen, die in sehr diversen Branchen tätig sind und entsprechend diverses Personal beschäftigen. Das Spektrum reicht neben dem Personenund Güterverkehr über die Instandhaltung des Schienennetzes hin zu IT-Entwicklung. Wenn Leistungskennzahlen in entsprechender Güte und Qualität vorliegen, sollen diese immer zur Geschäftssteuerung genutzt werden. Sie spiegeln die DB-Ziele und deren Erreichung wider. Soll darüber hinaus thematisiert werden, mit welchen Schlüsselmaßnahmen diese Kennzahlen erreicht werden, kommen die Leistungsbeiträge ins Spiel. In ihnen werden die Maßnahmen festgeschrieben und nachgehalten. Es gibt Fälle, in denen es schwierig ist, das Geschäft in Kennzahlen zu quantifizieren und mess- und dokumentierbar zu machen, etwa in Strategiebereichen. Hier ist die Vereinbarung von Leistungsbeiträgen für Führungskräfte verpflichtend, um den Fokus auf die relevanten Geschäftsziele sicherzustellen. Die Unternehmen können zudem für die Ausgestaltung des Leistungskompasses entscheiden, welche Feedbackperspektiven grundsätzlich zur Verfügung stehen sollen. Sie wählen aus einem validierten, konzernweit gültigen Set die relevanten Feedbackfragen aus und können über die Häufigkeit des Leistungskompasses entscheiden (ein- oder zweimal im Jahr).
4.3.2 Die Realisierung von „mein Performance Management“ Der Ansatz „mein Performance Management“ wurde innerhalb von etwa zweieinhalb Jahren konzeptionell entwickelt, IT-technisch umgesetzt, in mehreren Geschäftsbereichen getestet und für Leitende Angestellte eingeführt.
4.3.2.1 Die Entwicklung des Ansatzes Die Entwicklung von „mein Performance Management“ fand im kontinuierlichen Austausch mit mehr als 600 internen Stakeholder*innen statt und dauerte etwa ein halbes Jahr. In Workshops und Großveranstaltungen brachten diese ihre Expertise und Wünsche ein. Benchmark-Analysen wurden als weitere Informationsquelle herangezogen. So wurde im ersten Schritt sichergestellt, dass der Ansatz bedarfsgerecht und zeitgemäß ausgestaltet wird. Auf die Entwicklung folgte 2018 eine sechsmonatige Pilotphase in fünf diversen Geschäftsfeldern, die aus der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung des Pilottests
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estand. Rund 1900 Mitarbeiter*innen und Führungskräfte testeten ein halbes Jahr lang b die Instrumente „meine Leistung“ und „mein Impuls-Feedback“. In der Evaluation bewerteten die Nutzer*innen das Grundkonzept positiv, gaben aber auch deutliche Hinweise zur Verbesserung der User-Experience für die IT-Anwendung. Zudem wurden häufig Bedenken dazu geäußert, dass Feedback digital umgesetzt wird. Dies mit der Befürchtung, die neuen Instrumente sollten das persönliche Gespräch ersetzen. In der folgenden Kommunikation zur Einführung des neuen Ansatzes wurde noch stärker aufgezeigt, wie die digitalen Tools das persönliche Gespräch unterstützen und neue Gesprächsanlässe schaffen können.
4.3.2.2 Die Umsetzung in der IT-Cloud Die IT-Anwendungen von „mein Performance Management“ wurden mit einem Cloud- Anbieter in einer State-of-the-art-Lösung in der Cloud entwickelt. Dank des iterativen, agilen Vorgehens konnten zur Umsetzung von „meine Leistung“ und „mein Impuls- Feedback“ innerhalb eines halben Jahres funktionsfähige IT-Lösungen entwickelt werden. In der klassischen Softwareentwicklung hätte man etwa zwei Jahre veranschlagt. Das ständige Wechselspiel zwischen konzeptueller und IT-Entwicklung bereicherte die Ausgestaltung der Instrumente auch inhaltlich. Die IT-Anwendungen werden kontinuierlich weiterentwickelt und weitergedacht, wie zum Beispiel neue Features zur Kooperation im Team. Bei der Entwicklung hatten und haben Sicherheits- und Datenschutzbestimmungen höchste Priorität – eine wichtige Voraussetzung dafür, Akzeptanz für die neuen Instrumente zu schaffen. 4.3.2.3 Die Einführung des Ansatzes mit außergewöhnlichem Befähigungskonzept Das neue Performance Management wurde 2019 für mehr als 3000 Führungskräfte eingeführt. Dabei geht die Deutsche Bahn nicht nur mit der inhaltlichen Ausgestaltung und der technischen Umsetzung von „mein Performance Management“ neue Wege, auch das Befähigungskonzept wurde neu gedacht. Anstelle eines klassischen Seminaransatzes wurde mit den Führungskräften vor Ort gearbeitet. 70 externe Coaches und 180 interne HR-Partner*innen wurden zu dem Ansatz geschult, um die Managementteams vor Ort dabei zu unterstützen, für sich ein gemeinsames Grundverständnis zu entwickeln und konkrete Vereinbarungen zu treffen, wie sie in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich das neue Performance Management leben wollen. Durch diese intensive Befähigung wird die Identifikation der Führungskräfte mit dem neuen Performance Management erhöht und gleichzeitig werden Transferverluste minimiert. Die Befähigungsinitiative gliedert sich in drei „Teamsessions“, die sich über das Einführungsjahr verteilen und von je einem Tandem aus Coach und HR begleitet werden. In der ersten Teamsession wurden die Führungsteams in die Grundlagen und Module des Ansatzes eingeführt. Zudem wurde diskutiert, wie die Leistungskennzahlen und -beiträge
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im Team umgesetzt werden sollen. In der zweiten Teamsession lag der Schwerpunkt auf der Erläuterung des Leistungskompasses und dem Umgang mit Feedback. Die letzte Teamsession beschäftigt sich mit dem Modul Gesamteinschätzung und wie es gelingen kann, zu einer fairen und differenzierten Leistungseinschätzung zu kommen. Insgesamt wurden im Einführungsjahr mehr als 1000 Teamsessions durchgeführt. Die Teamsessions wurden fortlaufend evaluiert (unter anderem durch Feedback der Teilnehmer) und kontinuierlich weiterentwickelt. Für alle technischen Fragen stand eine Hotline zur Verfügung, die Nutzerin*innen bei Fragen zur Anwendung der IT-Lösung und bei der Behebung von möglichen Problemen unterstützt. Verschiedene Lernmaterialien ermöglichten es darüber hinaus, sich im Selbststudium mit dem Ansatz beschäftigen. Dazu gehörten unter anderem Leitfäden, FAQs, One-Pager- Präsentationen und „Learning Nuggets“ – eigens produzierte Erklärvideos, in denen die Funktionen der Instrumente Schritt für Schritt erklärt werden.
4.4
Reflexion und Ausblick
Die Ausbaustrategie „Starke Schiene“ erfordert es, die Leistungsfähigkeit der Deutschen Bahn weiter zu steigern. Mit einem neuen, digital gestützten Performance Management leistet die Personalentwicklung einen entscheidenden Beitrag zur Erreichung dieses Zieles. Nach dem Go-live von „mein Performance Management“ für Leitende Angestellte im Juli 2019 zeigten die ersten Feedbacks, dass die DB-Führungskräfte den neuen Ansatz insgesamt positiv annehmen. Die Instrumente befördern die Transformation in den einzelnen Unternehmen, ausgehend von den jeweiligen Gegebenheiten. Die Beschäftigung mit den Leistungskennzahlen bringt viel Energie in die Debatten, was die relevanten Schlüsselkennzahlen für die jeweiligen Bereiche sind und auf welche verzichtet werden kann. Dort zeigt sich eine unmittelbare Wechselwirkung zum Geschäft. In ähnlicher Weise trägt die Einführung der Leistungsbeiträge dazu bei, in Teams die Diskussionen über die Priorisierung von Maßnahmen in Schwung zu bringen und ihre Wirkung nachzuhalten. In den sechs ersten Monaten wurden bereits über 10.000 Leistungsbeiträge vereinbart. Das multiperspektivische Feedback im Leistungskompass entfaltet eine stimulierende Wirkung. Die Nutzer*innen setzten sich mit der Frage auseinander, wen sie zum Feedback einladen sollen. Jemanden einzuladen, der möglicherweise ein kritisches Feedback geben wird, kostet Kraft – und setzt einen starken Impuls. Eine kritische Rückmeldung der Geschäftspartner*innen kann der Start zu einem ehrlichen Dialog werden: Was läuft gut und was fehlt noch? Bei der ersten Durchführung des Leistungskompasses wurden rund 27.600 Feedbackanfragen (durchschnittlich 9 je User) versendet. Diese Anfragen wurden zu 82 % beantwortet. 81 % der Mitarbeiter*innen haben die Chance genutzt, ihrer Führungskraft Feedback zu geben. Fast jeder zweite User hat Geschäftspartner und Kolleg*innen um Feedback gebeten, die Eingeladenen haben zu rund 80 % die Anfragen beantwortet. 79 % der fachlichen und 85 % der disziplinarischen Führungskräfte haben ihren Mitarbeiter*innen
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eine Einschätzung zu ihrem Leistungsverhalten zurückgemeldet. Die Nutzerzahlen zeigen, dass der Leistungskompass gut angenommen wird. Auch das „Impuls-Feedback“ trägt dazu bei, die Feedback-Kultur im Konzern weiter zu entwickeln. Das Instrument wird in erheblichem Maße und konstant genutzt. So wurden in den ersten Monaten bereits über 3400 Feedbacks gesendet und mehr als 4500 Auszeichnungen verteilt. Eine echte Ergänzung zum persönlichen Gespräch, das oft im Alltag aus Zeit- und Termingründen Feedback untergeht. Gleichzeitig offenbaren sich Fragen, die es im Weiteren zu diskutieren gilt. Die Einführung des neuen Performance Managements bedeutet eine große Veränderung. Das Denken in Leistungsbeiträgen statt in klassischen Zielvereinbarungen ist noch ungewohnt. Nicht in allen Bereichen gibt es bereits belastbare Leistungskennzahlen. Die Verzahnung der Module mit dem Geschäft muss weiter optimiert werden, damit die Nutzung von „mein Performance Management“ nicht als zusätzliche Belastung im Alltag empfunden wird. Die Leistungsfähigkeit eines Großkonzerns systematisch zu steigern, ist ein Marathonlauf, kein Sprint. Es braucht einen langen Atem und viele einzelne Schritte, um ans Ziel zu kommen. Mit der erfolgreichen Einführung eines modernen Performance Managements sind bei der Deutschen Bahn die ersten Kilometer geschafft. Die nächsten Schritte sind klar vorgezeichnet: „mein Performance Management“ wird Mitte 2020 für Tarifmitarbeiter*innen und außertarifliche Führungskräfte eingeführt. Der Ansatz wird damit für 190.000 Menschen in Deutschland und Europa ausgerollt.
Literatur Aguinis, H., & O’Boyle, E., Jr. (2014). Star performers in twenty-first century organizations. Personnel Psychology, 67(2), 313–350. Bennett, N., & Lemoine, G. J. (2014). What a difference a word makes: Understanding threats to performance in a VUCA world. Business Horizons, 57(3), 311–317. Doerr, J. (2018). OKR: Objectives & Key Results: Wie Sie Ziele, auf die es wirklich ankommt, entwickeln, messen und umsetzen. München: Vahlen. Hammedi, W., Leclercq, T., & Poncin, I. (2019). Customer engagement: The role of gamification. In L. D. Hollebeek & D. E. Sprott (Hrsg.), Handbook of research on customer engagement (S. 164–184). Cheltenham: Edward Elgar Publishing. Liebhart, U., & Oppelmayer, A. (2017). Arbeitswelt in Kärnten 2030: Relevanz und Readiness Kärntner Unternehmen für die Trends der Arbeitswelt. Working paper no. 1. Fachhochschule Kärnten, Wirtschaft & Management. www.fh-kaernten.at/unser-studienangebot/wirtschaft-management/forschung/working-paper-series/. Zugegriffen am 13.01.2020. Lohaus, D., & Schuler, H. (2014). Leistungsbeurteilung. In H. Schuler & U. P. Kanning (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie (S. 357–411). Göttingen: Hogrefe.
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Mitarbeiterorientierung als Wettbewerbsvorteil Mit Employee Experience Design mitarbeiterorientierte Personalarbeit gestalten Leon Jacob und Felicitas von Kyaw
„So, my philosophy has always been, if you can put your staff first, your customers second, and shareholders third, effectively, in the end, the shareholders do well, the customers do better, and [your staff is] happy“ (Branson 2014).
5.1
Einleitung
Wir verbringen ca. 80.000 Stunden in unserem Leben mit Arbeit – die einen mehr, die anderen etwas weniger. Auf die genaue Zahl kommt es nicht an. Was klar ist: Für jeden von uns ist Arbeit ein wesentlicher Teil unseres Lebens. Und unsere Erwartungen an unsere Arbeit sind hoch: Wir möchten geschätzt und gut bezahlt werden, wir wollen uns beruflich und persönlich weiterentwickeln, wir möchten etwas gestalten und unsere Tätigkeit als sinnvoll erleben. Für Unternehmen ist es also höchste Zeit, ihre Arbeitswelt gezielt zu gestalten und für Erfahrungen und Erlebnisse zu sorgen, die begeistern – kurz um: eine gute Employee Experience (EX) zu schaffen.
L. Jacob (*) hkp Deutschland GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland E-Mail: [email protected] F. von Kyaw Mitglied des Präsidiums des Bundesverband der Personalmanager (BPM), Berlin, Deutschland
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_5
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Was unterscheidet Unternehmen mit einer guten Employee Experience von solchen, die eher schlechte Eindrücke bei ihren Angestellten hinterlassen? Sie haben die „moments that matter“ identifiziert und positiv gestaltet. Das sind jene Schlüsselmomente, die für Mitarbeiter1 von besonderer Bedeutung sind, und – sofern sie entsprechend gestaltet sind – positive Emotionen auslösen können, die wiederum zu positiven Erfahrungen und Erlebnissen am Arbeitsplatz führen. Ansatzpunkte und erste Einschätzungen der Employee Experience liefern Kennzahlen, die bei den meisten Unternehmen ohnehin schon vorliegen – Fluktuationsraten, Krankenstand oder Engagement. Besonders bei der Überarbeitung von Prozessen oder der Einführung neuer Technologien entstehen neue oder ändern sich bestehende Schlüsselmomente. Die damit einhergehende Veränderung der Employee Experience sollte entsprechend berücksichtigt werden. Versteht man Smart HRM als Überbegriff für die kluge Anwendung digitaler Tools in der Personalarbeit, so ist die Gestaltung einer positiven EX gleichermaßen Bestandteil und Folge dieser technologiegetriebenen Veränderung. Die immer weiter fortschreitende Digitalisierung und damit einhergehende Automatisierung und Vernetzung von Systemen hat einen wesentlichen Einfluss auf das Empfinden von Mitarbeitern in Unternehmen: Werden Mitarbeiter bei der Umsetzung neuer digitaler Strategien und der Einführung neuer Systeme miteinbezogen oder vor vollendete Tatsachen gestellt? Wie kann Smart HRM dazu genutzt werden, zeitaufwändige Prozesse zu vereinfachen und Mitarbeitern mehr Zeit für die wirklich wichtigen Aufgaben zu geben? Wie kann die Digitalisierung genutzt werden, um einen innovativen und schnellen Rekrutierungsprozess zu etablieren? Wie kann Lernen in Organisationen durch künstliche Intelligenz und Virtual Reality neu aufgesetzt werden? Das sind nur einige der Fragen, die im Zusammenhang mit Smart HRM und Employee Experience gestellt werden und deren Beantwortung Auswirkungen auf das Erlebnis von Mitarbeitern in ihrer Organisation haben. Viele Unternehmen haben die Bedeutsamkeit von Employee Experience bereits erkannt. Das zeigen verschiedene Studien, die das Thema Employee Experience als Top Thema für die nächsten Geschäftsjahre identifiziert haben (z. B. Deloitte 2019; TI People 2019). Ein weiterer Indikator ist die Häufigkeit des Begriffs in Jobbezeichnungen. Bei einem Vergleich von Jobtiteln auf LinkedIn findet man im Zeitraum von Mai 2017 bis November 2019 einen Anstieg von 240 % für Jobtitel, die Employee Experience beinhalten. Fand man im Jahr 2017 noch 838 Jobbeschreibungen mit dem Begriff Employee Experience, tragen ihn 2019 schon 2853 Menschen in ihrem Jobtitel (Staffbase 2019). Auch die Zahl der Suchanfragen bei Google ist für den Begriff „Employee Experience“ im Jahr 2019 deutlich gestiegen (Haufe.de 2019).
Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird im vorliegenden Kapitel die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung anderer Geschlechter, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein. 1
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In diesem Kapitel wollen wir zum einen eine kurze Einführung in das Thema Employee Experience geben und zum anderen vorstellen, wie Unternehmen die Employee Experience durch den Design Thinking Ansatz nachhaltig entwickeln können. Die Anwendung von Design Thinking Methoden für die Entwicklung der Employee Experience wird dabei unter der Begrifflichkeit Employee Experience Design zusammengefasst.
5.2
Employee Experience als Imperativ
5.2.1 Was ist Employee Experience? Die Employee Experience findet ihren Ursprung in der Customer Experience. Diese beschreibt das Erleben sämtlicher Interaktionspunkte mit dem Anbieter eines Produktes oder einer Dienstleistung. Heutzutage ist es nicht mehr die reine Dienstleistung oder das Produkt, welches einen Kunden an ein Unternehmen bindet. Es sind die, im Idealfall positiven, emotionalen Erfahrungen, die er mit dem Produkt oder der Dienstleistung macht. Unternehmen wünschen sich von ihren Kunden Loyalität. Diese entsteht über Verbundenheit – etwas, das deutlich über die Zufriedenheit einer effektiven, angenehmen und nutzenorientierten Kauferfahrung hinausgeht (von Kyaw 2018b). Gelingt es Unternehmen ihre Kunden zu begeistern, betreiben diese sogar Marketing, indem sie über eine Marke, ein Produkt oder eine Dienstleistung berichten und diese weiterempfehlen. Das Konzept der Customer Experience lässt sich vom externen Kunden auf den internen Kunden, d. h. auf den Mitarbeiter, übertragen und wird dadurch zur Employee Experience. Wie bei der Customer Experience sollte beachtet werden, dass auch Mitarbeiter ein Bild des eigenen Arbeitgebers entwickeln, welches von Emotionen geprägt ist. Das Bild entsteht durch alle Interaktionspunkte, die ein Mitarbeiter im Laufe seiner gesamten Beschäftigung mit seinem Arbeitgeber hat, d. h. vom Zeitpunkt der Bewerbung bis hin zum Austritt aus der Organisation (Chakrabarti 2018). Susan Peters, Vice President von General Electric, definiert Employee Experience als „seeing the world through the eyes of employees, staying connected, and being aware of their major milestones“ (zitiert nach Meister 2017). cc Wir definieren Employee Experience als aggregierten Gesamteindruck aller Interaktionen und Erfahrungen, die ein Mitarbeiter im Laufe seiner Beschäftigung im und mit dem eigenen Unternehmen und den darin handelnden Akteuren macht. Besonders prägend sind dabei Momente, in die Mitarbeiter in hohem Maße emotional involviert sind. Diese „moments that matter“ bestimmen wie sehr sich ein Mitarbeiter im Unternehmen engagiert und wie er es nach außen hin präsentiert. Auch wenn jeder Mitarbeiter unterschiedliche „moments that matter“ hat, gibt es Erlebnisse, die für jeden von Bedeutung sind: Der erste Tag im Job, jegliche Art von Feedback, der Umgang mit privaten Zwischenfällen oder die Kommunikation von organisationalen Veränderungen. Um diese „moments that matter“ zu gestalten, müssen Organisationen lernen, die Perspektive des Mitarbeiters einzuneh-
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men und dabei Erfahrungen und Erlebnisse gestalten, die bei Mitarbeitern positive Emotionen auslösen. Die Gestaltung einer positiven Employee Experience kann nur mit einem klaren Commitment aller Beteiligten gelingen und bedarf zudem eines Paradigmenwechsels im Denken und Handeln von HR: Mitarbeiter sind Kunden, deren Zufriedenheit durch ihre Erlebnisse geprägt werden, um deren Treue und Loyalität das Unternehmen im Wettbewerb steht, und die sich jeden Arbeitstag von Neuem für den Arbeitgeber entscheiden. Das bedeutet in der Konsequenz, dass sich HR weg von einer Prozessorientierung bewegen muss und hin zur Kundenorientierung (von Kyaw 2018a). Um das komplexe Konstrukt der Employee Experience zu vereinfachen, hat Jacob Morgan (2015) drei Faktoren identifiziert, die sich auf die Employee Experience auswirken: 1. Physische Arbeitsumgebung 2. Kulturelle Arbeitsumgebung 3. Technologische Arbeitsumgebung
1. Physische Arbeitsumgebung Die physische Umgebung ist diejenige, die wir sehen, berühren, riechen und schmecken können. Sie umfasst die Gestaltung des Arbeitsplatzes (Grundriss, Kunst an den Wänden, Bürostühle), die demografische Struktur der Kollegen und Zusatzleistungen wie eine Cafeteria, ein Fitnessstudio oder einen Aufenthaltsraum, der zur Entspannung genutzt werden kann. Weitere Faktoren, die direkt auf die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Konzentration wirken, sind Temperatur, Beleuchtung und Luftqualität. 2. Kulturelle Arbeitsumgebung Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Unternehmenskultur. Unabhängig davon wie diese definiert wird, ist es wichtig zu beachten, dass es hierbei um Empfindungen geht. Kultur ist das, was man fühlt, wenn man ein Unternehmen betritt. Es sind die Stimmungen und „Schwingungen“, die wahrgenommen werden, und es ist der Ton, der unter Kollegen und Vorgesetzten herrscht. Es ist der Sinn und Zweck der Arbeit, der von den Mitarbeitern verspürt wird, die Anreiz- und Vergütungssysteme (Compensation & Benefits) und vor allem die Menschen und ihr Verhalten selbst, die ein Unternehmen ausmachen. Die Unternehmenskultur trägt einen großen Teil dazu bei, ob Mitarbeiter angetrieben oder erschöpft, motiviert oder entmutigt sind und ob sie befähigt oder gebremst werden. Jeden Tag wird die Unternehmenskultur von Mitarbeitern wahrgenommen. Die Frage ist nur, wie. 3. Technologische Arbeitsumgebung Der dritte Aspekt ist das technologische Umfeld. Hierunter fallen alle Werkzeuge, mit denen Mitarbeiter ihre Arbeit erledigen. Hierzu gehören sowohl mobile Endgeräte wie
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Laptops und Smartphones als auch das interne soziale Netzwerk und alle Anwendungssoftwares. Bei diesen darf das Nutzererlebnis nicht in den Hintergrund rücken. Zeitgemäße Technologie und nutzerfreundliche Tools erleichtern die Kommunikation und Zusammenarbeit der Mitarbeiter und steigern gleichzeitig die Produktivität. Die drei Pfeiler sollten möglichst in Einklang gebracht werden, da es bereits negative Auswirkung auf die Employee Experience hat, wenn einer der drei instabil wird.
5.2.2 Warum Employee Experience? Employee Experience ist kein Wohlstandsthema. Gerade in Zeiten knapper Budgetplanungen sollten sich Unternehmen mit EX beschäftigen – und das nicht zum Selbstzweck. In fast allen Fällen gibt es einen klaren Business Case für eine Investition in die Employee Experience. Und häufig kann dieser schneller gefunden werden als gedacht. Kennzahlen, die in fast jeder Organisation erhoben werden, können als Ausgangspunkt für die wirtschaftliche Betrachtung der Employee Experience herangezogen werden und deren Verbesserung lässt sich bspw. in eingesparten Kosten oder in Produktivitätsgewinnen ausdrücken. Dazu gehören zum Beispiel Fluktuationsraten, Krankenstand und Engagement. Nachfolgend zeigen wir anhand von sechs Beispielen, wie eine positive Employee Experience mit der Wirtschaftlichkeit und Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zusammenhängt: 1. Eine positive EX und positive Geschäftszahlen gehen Hand in Hand MIT-Studienergebnisse (2017) zeigen, dass Unternehmen, deren Mitarbeiter ihre Employee Experience überdurchschnittlich bewerten, doppelt so viele Innovationen generieren, eine doppelt so hohe Kundenzufriedenheit erzielen und 25 % mehr Gewinn erwirtschaf ten als Unternehmen mit unterdurchschnittlichen Bewertungen (MIT CISR 2017). Laut Jacob Morgan (2017) erzielen Unternehmen, die konkret an der Employee Experience ihrer Mitarbeiter arbeiten, einen vierfachen Gewinn, haben doppelt so hohe Einnahmen bei gleichzeitig 40 % weniger Mitarbeiterfluktuation und benötigen insgesamt 24 % weniger Personal. Wenngleich dies noch keine Kausalität belegt, zeigt sich deutlich, dass eine positive EX und wirtschaftlicher Erfolg miteinander einhergehen. 2. Eine positive EX führt zu einer positiven CX Eine der vielen positiven Ergebnisse einer guten Employee Experience ist die Steigerung des Mitarbeiterengagements (Lindenbaum 2016) und deren positive Auswirkungen auf eine höhere Kundenorientierung. Ein Arbeitsumfeld, das Mitarbeiter mit positiven Erlebnissen verbinden, führt also indirekt dazu, dass Mitarbeiter selbst kundenorientierter handeln (Stock 2001; Sorenson 2013). Organisationen, die eine positive Customer Experience gestalten möchten, sollten daher bei der Employee Experience anfangen.
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3. Eine positive EX senkt die Fluktuation und damit verbundene Kosten Mitarbeiter, die sich ihrem Arbeitgeber und ihrer Tätigkeit verbunden fühlen, sind wesentlich produktiver, erzielen eine höhere Kundenzufriedenheit, haben weniger Krankheitstage und eine geringere Fluktuationsrate (Gallup 2019). Neben dem Wissen und den Ressourcen, die durch den Abgang eines Mitarbeiters verloren gehen, kostet jede Vakanz durchschnittlich 14.900 Euro (Warmbrunn 2019). Eine positive Employee Experience reduziert das Risiko einer Kündigung, verringert somit die Fluktuation und spart dem Unternehmen damit Geld. 4. Eine positive EX führt zu besseren Chancen im Wettbewerb um Talente Laut einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (2019) können aufgrund des Fachkräftemangels 49 % der Unternehmen offene Stellen längerfristig nicht besetzen. Unternehmen haben erkannt, dass sie sich von ihren Konkurrenten unterscheiden müssen, um Talente gewinnen und halten zu können. Durch immer mehr Onlinebewertungsportale fällt es Bewerbern leichter sich bereits im Vorfeld über ihren potenziellen Arbeitgeber zu informieren. Negative Kritik beeinflusst die Bemühungen neue Talente für das Unternehmen zu gewinnen. Hinzu kommt, dass ein Viertel der Mitarbeiter nach drei Jahren den Arbeitgeber wechselt. Ziel sollte es sein, dass gute Mitarbeiter im Unternehmen bleiben und dass diejenigen, die das Unternehmen verlassen, als Botschafter ihre po sitiven Erlebnisse und Emotionen mit anderen teilen. Diese Erkenntnis ist bislang allerdings erst in einem Teil der Unternehmen angekommen. In der Befragung von Citrix (2019) gehen nur 29 % der Befragten davon aus, dass Mitarbeiter durch eine positive Employee Experience treuer werden und sich Unternehmen einen Vorteil im Anwerben neuer Mitarbeiter sichern können. Es ist davon auszugehen, dass dieser Wert in den kommenden Jahren zunehmen wird. 5. Eine positive EX macht Unternehmen für die Generation Y attraktiver Der Generationen- und damit einhergehende Einstellungswechsel, der durch das vermehrte Eintreten der Generation Y in den Arbeitsmarkt erfolgt, haben erhebliche Auswirkungen auf die erwartete Unternehmenskultur. Bereits 2015 zählten 30 % der Erwerbstätigen in Deutschland zur Generation Y. Im Jahr 2020 macht die Generation Y 50 % der weltweiten Arbeitskräfte aus. Diese Generation bringt andere Erwartungen an ihren Arbeitsplatz mit, welche sich längst auch auf andere Generationen ausgedehnt haben. Sie erwarten eine gute IT-Ausstattung, mobile Tools, flexible und interessante Arbeits- und Karrieremöglichkeiten und wünschen sich regelmäßiges Feedback von ihren Vorgesetzten (PwC 2011). Die Auseinandersetzung mit Employee Experience hilft bei der Auswahl und Ausgestaltung entsprechender Tools und Maßnahmen zur Erfüllung der oben genannten Erwartungen der Generation Y. Damit stellt Employee Experience einen Ausgangspunkt für die Bildung einer attraktiven Arbeitgebermarke für diese Generation dar.
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6. Eine positive EX zeigt sich auch im Erleben von IT-Lösungen Mitarbeiter wünschen sich in ihrem Arbeitsumfeld konsumentenartige Nutzererlebnisse im Umgang mit technischen Lösungen. Einfach und intuitiv bedienbare Tools und Endgeräte, leicht zugängliche Informationen sowie die Möglichkeit ortsunabhängig arbeiten zu können, sind Teil der geforderten Nutzerfreundlichkeit (Lück und Donner 2019). Auch die Verknüpfung und Integration von Prozessen zur Vermeidung von Mehrfacheingaben ist dabei ein weiterer wichtiger Punkt. Um dies zu gewährleisten, müssen Lösungen in übergreifenden Teams aus z. B. HR, Marketing, Betriebsrat und IT entwickelt werden. Besonders, wenn es um die Einführung neuer Technologien geht, ist es wichtig, sich in die verschiedenen Anwendergruppen hineinzuversetzen und ihre „moments that matter“ zu identifizieren. Gestaltet man diese Momente bewusst, werden die Vorteile dieser Technologien wahrgenommen. Unterlässt man es, kommt es schnell zu Frustration, Abneigung oder gar Verweigerung.
5.2.3 Für wen ist Employee Experience relevant? Kurz gesagt: Für jeden, der einen Job hat. Employee Experience spricht Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen an. Arbeitnehmer suchen sich ihren nächsten Arbeitgeber auf Basis ihrer gesammelten Erfahrungen und Eindrücke mit dem Unternehmen aus. Dabei ziehen sie z. B. Produkte des Unternehmens, Bewertungsportale und Weiterempfehlungen von Familie und Freunden zu Rate. Arbeitgeber wiederum müssen in eine gute Employee Experience investieren und die richtigen Anreize schaffen, um Talente gewinnen und halten zu können (Citrix 2019). Dabei sollte nicht nur im White-Collar Segment, d. h. bei Mitarbeitern, die ihre Arbeit an einem Schreibtisch bzw. mit ihrem Laptop verrichten, auf eine gute Employee Experience geachtet werden. Im Gegenteil: Employee Experience ist ein Thema für alle Mitarbeitergruppen inklusive Blue-Collar (z. B. in der Produktion oder im Handwerk) und Pink-Collar (kundennahe Dienstleistungen). Je nach Berufsgruppe und Branche müssen Arbeitgeber auf andere Erwartungen eingehen, um von Bewerbern und Mitarbeitern positiv wahrgenommen zu werden. Im Blue-Collar Segment werden Anreize beispielsweise durch Jobsicherheit (72 %), ein hohes Einkommen (69 %) und die Arbeit in einem starken Team (69 %) geschaffen (Manes 2018). In Zeiten vermeintlicher Vollbeschäftigung benötigen Unternehmen ein Differenzierungsmerkmal, das über die Zahlung einer marktüblichen Vergütung hinausgeht. Um sich von der Konkurrenz abzuheben und die eigene Arbeitgebermarke zu stärken, müssen Unternehmen daher vor allem in hart umkämpften Arbeitsmärkten in ihre Employee Experience investieren. Dass Unternehmen positiv von ihren Investitionen in die eigene Employee Experience berichten, zeigen die Beispiele von Airbnb und dem Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf (UKE):
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L. Jacob und F. von Kyaw EX bei Airbnb
Airbnb ist eine Plattform, über die Reisende Wohnungen von Privatpersonen mieten können. Airbnb bietet somit eine Alternative zur Unterkunft im Hotel und ist mit diesem Konzept sehr erfolgreich. Reisenden stehen mittlerweile über 1.000.000.000 Angebote in 191 Ländern zur Verfügung. Vor allem der in 2016 ins Leben gerufene Slogan „belong anywhere“ verhalf dem Unternehmen zum Erfolg, da er nicht nur für Kunden, sondern auch für Mitarbeiter zutreffen sollte. Mark Levy, Global Head of Employee Experience bei Airbnb, berichtet über den Fokus auf eine positive EX: „At Airbnb we are focused on bringing to life our mission of creating a world where you can #belonganywhere, by creating memorable workplace experiences which span all aspects of how we relate to employees, including how we recruit them, develop them, the work environment we create with them, the type of volunteer experiences we offer them, and the food we share together. While these may sound like common sense, they are not. For example, our Airbnb space has moved from open space floor plan to a ,belong anywhere working environment,‘ where an employee can work from any number of workspaces, including what we call the kitchen counter, the dining room table, or the living room. This allows employees to either work alone or congregate with the folks they are working with to create the sense of belonging, rather than working from a closed-in cube, office, or dedicated desk“ (zitiert nach Meister 2015)
Damit diese Arbeitsumgebung geschaffen und mit Leben gefüllt werden kann, vereint die Rolle des Head of Employee Experience klassische HR-Funktionen wie Talent Management, Entwicklung und operationale HR-Aufgaben sowie Bereiche, die den Arbeitsplatz zum Erlebnis werden lassen sollen. Diese umfassen Einrichtung, interne Kommunikation, Verpflegung und Mitarbeiterevents. Durch diese Rolle werden Silos zwischen den Abteilungen Kommunikation, Marketing, HR, Immobilien und Social Responsibility aufgebrochen. Jeder Aspekt der Employee Experience richtet sich auf die Gestaltung einer außergewöhnlichen körperlichen, emotionalen, interkulturellen und virtuellen Erfahrung für Airbnb Mitarbeiter. Die Employee Experience setzt bei Airbnb bereits vor Eintritt in das Unternehmen ein. Da das Unternehmen wesentlich mehr Bewerbungen erhält, als es Stellen zu besetzten hat, geht es bei der Kandidatenauswahl neben der fachlichen Erfahrung in erster Linie um den kulturellen Fit. Um diesen zu überprüfen, werden Kandidaten zu zwei Interviews eingeladen, in denen die Übereinstimmung ihrer Einstellungen mit den „Core Values“ von Airbnb getestet wird. Gleichzeitig bekommen die Kandidaten durch die zwei Interviews eine Chance, die Kultur bei Airbnb kennenzulernen und auch für sich festzustellen, ob sie in dem Unternehmen arbeiten wollen. Auch während des einwöchigen Onboardings steht das Kennenlernen der Unternehmenswerte und dessen Zweck im Vordergrund. Mitarbeiter werden hier mit den Zielen und Kernwerten von Airbnb, den Geschäftsstrategien und -funktionen sowie den Arbeitsweisen vertraut gemacht.
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Sobald die Mitarbeiter ihre Arbeit aufnehmen, machen sie tägliche Erfahrungen, die von der Markenidentität, dem Zweck und den Werten des Unternehmens beeinflusst werden. So wird beispielsweise das Essen in der Cafeteria täglich von einem anderen Land inspiriert oder Feiern anlässlich internationaler Feiertage veranstaltet. Diese Momente stärken das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter zu einer weltweiten Gemeinschaft und erleichtern es ihnen, Kunden entsprechende Erfahrungen zu bieten. Wenn die Mitarbeiter das Konzept von Airbnb persönlich erleben und den Unternehmenszweck dadurch verinnerlichen, können sie als Markenbotschafter auftreten. Sie steigern die Bekanntheit der Marke, erklären das Konzept und können so dazu beitragen, das Markenversprechen von Airbnb zu erfüllen (Yohn 2018). Dies sind nur einige Beispiele, die die Employee Experience bei Airbnb auszeichnen. Dass das Konzept ein Erfolgsfaktor ist, zeigt unter anderem die Empfehlung von 90 % der Mitarbeiter, die Airbnb als „great place to work“ bewerten (Meister 2015).
EX im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) setzt auf eine digitale Strategie in der Employee Experience und zählt damit weltweit zu den Vorreitern, wenn es um den Einsatz innovativer Technik im Versorgungssektor geht. Neben der Einführung der elek tronischen Patientenakte hat das UKE auch eine digitale HR-Strategie entwickelt, die jeden Mitarbeiter des Unternehmens betrifft. Die elektronische Patientenakte erlaubt es beispielsweise jedem behandelnden Arzt und jeder Pflegekraft die digital gespeicherten Patientendaten zu jeder Zeit und von jedem Ort des Klinikums abzurufen. Auch die hauseigene Apotheke ist mit diesem System verknüpft. So können täglich bis zu 12.000 Einzeldosen elektronisch bestellt und computergesteuert abgefüllt werden. Dieser Prozess gewährleistet einen nahezu fehlerfreien Ablauf in der Zuordnung und Vergabe von Medikamenten (Siebener 2019). Das System führt zu einer Zeitersparnis im Arbeitsalltag, einer Zunahme der Patientensicherheit und zu einer Senkung der Gesundheitskosten. Auch der bürokratische Aufwand, den Pfleger und Ärzte zusätzlich zu ihren Hauptaufgaben leisten müssen, wird durch die elektronische Patientenakte maßgeblich gesenkt und Mitarbeiter können die gewonnene Zeit für das wirklich Wichtige aufwenden: den persönlichen Kontakt zum Patienten. Die digitale HR-Strategie umfasst die Digitalisierung von Arbeitsprozessen wie eine digitale Personalakte, Digitalisierung der Reisevorgänge, der Organisationsdaten, eine elektronische Dienstplanung, ein digitales Berichtswesen sowie ein elektronisches Bewerbermanagement. Neben der Minimierung des Verwaltungsaufwands, der Schaffung von Transparenz und der Beschleunigung von Prozessen sollte vor allem die gewonnene Zeit für eine serviceorientiertere Beratung der Führungskräfte genutzt werden. HR hat sich somit vom Verwalter zum Gestalter bei UKE entwickelt (van Loo 2016). Die Folge der erfolgreich umgesetzten Digitalisierungsstrategie ist eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit in der Belegschaft sowie die Möglichkeit, bei steigender Qualität
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mehr Arbeit zu erledigen. Die digitale Strategie hat somit einen erheblichen Einfluss auf die Employee Experience bei UKE. Diese beiden Beispiele verdeutlichen wie unterschiedlich Employee Experience angegangen und erlebt werden kann. Gleichzeitig liefern sie eine Veranschaulichung im klassischen Bürojob sowie in der Dienstleistungsbranche. Das Beispiel von Airbnb verdeutlicht den Zusammenhang einer guten Employee mit einer guten Customer Experience. Nur wenn die Mitarbeiter die Werte und Ziele des Unternehmens verstehen und selbst leben, können sie diese an den Kunden weitertragen und für ein gutes Kundenerlebnis sorgen. Eine gute Employee Experience muss nicht zwingend teuer sein. Im Beispiel von Airbnb wird der Schwerpunkt auf das Sammeln interkultureller Erfahrung gesetzt, die Airbnb auch unter anderem durch Speisen und Feste zu vermitteln versucht. Allerdings sind es, wie eine Sage-Studie aufgezeigt, nicht die großen Anreize, welche die Employee Experience nachhaltig beeinflussen. Es zählen vor allem Integrität und Mitarbeiterunterstützung. Angestellte wollen eine sinnvolle Arbeit verrichten und zählen auf Feedback und Wertschätzung ihrer Kollegen und Führungskräfte (Schneider 2019). Auch Nichtakademiker fühlen sich durch offene Kommunikation, ein heterogenes Team und Spaß bei der Arbeit motiviert (Manes 2018). Es ist somit für jedes Unternehmen empfehlenswert in die individuelle Employee Experience zu investieren – sowohl gedanklich als auch finanziell. Allerdings gilt auch hier nicht einfach das zu machen, was andere machen, sondern herauszufinden, welche „moments that matter“ die Mitarbeiter wirklich bewegen. Vor allem in arbeitsintensiven Branchen sind es Rekrutierungs- und Onboarding-Prozesse, die einen erheblichen Einfluss auf die Gewinnung und Bindung von Spitzenkräften haben. Das Verständnis der Relevanz der verschiedenen „moments that matter“ und die Berücksichtigung der eigenen Unternehmensstrategie und -kultur hilft Investitionen in den Bereichen zu tätigen, die am wirkungsvollsten sind (IBM Institute for Business Value 2016). Damit alle Bereiche der Employee Experience berücksichtigt werden, sollte die Zuständigkeit in diesem Kontext nicht allein bei HR liegen. Vielmehr sollten Silos aufgebrochen werden und ein Zusammenspiel von HR, dem Management, Marketing und der IT gelingen. Es sind Dinge wie die problemlose Bereitstellung der IT, die Einrichtung eines Help-Desks, eine Arbeitsumgebung, die produktives und kollaboratives Arbeiten ermöglicht, und die Verinnerlichung des Corporate Brandings, die die Employee Experience nachhaltig prägen. Um unnötige Ausgaben und Fehlentwicklungen zu vermeiden und gleichzeitig schnelle Ergebnisse zu erzielen, kann auf die Methode des Employee Experience Design (EX Design) zurückgegriffen werden. Hierbei werden Design-Thinking-Methoden wie die Erstellung von Personas, Journey Maps oder System Maps eingesetzt. Diese agilen Methoden helfen bei der Identifizierung der „moments that matter“ und sollen deshalb im Folgenden genauer vorgestellt werden.
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esign Thinking als innovativer Ansatz zur Gestaltung der D Employee Experience
5.3.1 Was ist Design Thinking? Die Begriffe Design Thinking, Service Design, holistic UX, user-centered design und human-centered design haben alle eins gemeinsam: Sie beschreiben einen menschenzen trierten Ansatz, der auf der Denkweise von Designern aufbaut und mit dem komplexe Problemstellungen angegangen werden können. So definiert Tim Brown, CEO der Designberatung IDEO und einer der bekanntesten Design Thinker, den Begriff wie folgt: „Design thinking is a human-centered approach to innovation that draws from the designer’s toolkit to integrate the needs of people, the possibilities of technology, and the requirements for business success“ (IDEO 2019). Auch in Fachkreisen lässt sich nicht immer eine eindeutige Differenzierung finden, da viele Designer die Ansicht vertreten, dass die reine namentliche Bezeichnung wesentlich weniger Bedeutung hat als die Prinzipien, die hinter den Begrifflichkeiten stecken. Gleichzeitig ist dieses Vorgehen ein hervorragendes Mittel, um Silos zu brechen und Menschen bei der Gestaltung von Produkten und Erlebnissen zu unterstützen. Somit sollten Designer selbst kein Silo aufbauen, indem sie die einzelnen Begrifflichkeiten hart voneinander abgrenzen (Stickdorn et al. 2018). Daher schließen wir uns der Meinung von Stickdorn et al. (2018) an und sagen „We don’t care what you call it, as long as you are doing [it].“ (Stickdorn et al. 2018, S. 19). Aufgrund der Lesbarkeit werden wir im weiteren Verlauf den Begriff Design Thinking verwenden.
5.3.1.1 Herkunft des Design Thinking Ansatzes Der Leitsatz „form follows function“ wurde bereits in den 1920er-Jahren durch die Bauhaus-Bewegung geprägt. Es galt die Dinge nicht mehr anhand von Schönheitsidealen einzelner Epochen zu designen, sondern die Funktion für den Nutzer in den Vordergrund zu stellen. Dieser Leitgedanke kann als Ursprung der Nutzerzentriertheit angesehen werden (ZEIT Akademie 2017). Auch weitere wissenschaftliche Vertreter haben den heutigen Design Thinking Begriff geprägt und beeinflusst. Zu diesen zählen beispielsweise Albert Bandura (1970), der das Prinzip der Selbstwirksamkeit entwickelt hat, Herbert Simon (1969), der die Bedeutung des Designs und vor allem die Denkweise, die hinter Designprozessen steht, als bedeutend identifizierte und Steve Jobs (1980), der durch die Entwicklung des iPhones die Nutzerzentriertheit verkörperte (ZEIT Akademie 2017). David Kelley war es, der den Begriff des Design Thinkings, wie wir ihn heute kennen, wesentlich geprägt und entwickelt hat. Er gründete 1991 mit seinen Kollegen die Designagentur IDEO. Gleichzeitig ist er Mitbegründer und Leiter des Hasso-Plattner Institute of Design in Stanford (auch d.school genannt), welche Studierende lehrt Probleme mittels Design Thinking zu lösen. Das wichtigste Grundprinzip lautet: „Der Mensch steht im Mittelpunkt der Produktentwicklung“. Dabei setzt Design Thinking schon früh im Entwicklungsprozess ein und wird
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für die Lösungsfindung komplexer Probleme verwendet. Der Prozess zielt auf eine Lösungsfindung ab, die die Bedürfnisse der Nutzer befriedigt, technisch machbar und gleichzeitig wirtschaftlich ist (Burmester 2016). Design Thinking kann in sämtlichen Themenbereichen eingesetzt werden und betont Innovation und Kreation der Anwender. Es ist nicht auf die reine Produktentwicklung oder Entwicklung und Verbesserung einer Dienstleistung beschränkt, sondern kann ganze Prozesse in Unternehmen optimieren (Burmester 2016).
5.3.1.2 Wichtige Elemente von Design Thinking Zwar gibt es unterschiedliche Ansichten was Design Thinking ist, aber es lassen sich einige zentrale und immer wiederkehrende Elemente identifizieren. Design Thinking als Mindset Design Thinking als Mindset beschreibt die Einstellung und Herangehensweise von Design Thinkern während des Design Thinking Prozesses. Der wichtigste Grundsatz dabei ist: „Innovation is made by humans for humans“ (Brenner et al. 2016, S. 8). Der Mensch steht also im Mittelpunkt des gesamten Prozesses. Zu Beginn jeder Innovation steht ein menschliches Bedürfnis, das es zu befriedigen gilt. Dieser Grundsatz zählt sowohl für das Mindset als auch für den Prozess und die Toolbox. Wenn die Kundenbedürfnisse nach Abschluss eines Innovationsprozesses nicht erfüllt werden können, muss dieser folglich wieder von vorne beginnen. Design Thinking als Mindset vereint alle (unten) genannten Prinzipien und hilft einem Design Team kundenorientierte und innovative Lösungen zu generieren, die eine Balance zwischen technologischer Machbarkeit, Business Relevanz und den menschlichen Bedürfnissen findet. Dabei sollte das Vorgehen gleichzeitig pragmatisch, co-kreativ und „hands-on“ durchgeführt werden (Stickdorn et al. 2018). Design Thinking als explorativer und iterativer Prozess Um diese innovativen Lösungen generieren zu können, wird die Vorgehensweise und Arbeitsumgebung im Design Thinking angepasst. Design Thinking hebt sich somit von traditionellen Methoden ab und kombiniert konvergentes und divergentes Denken (Guilford 1967). Beim divergenten Denken geht es darum, „out of the box“ zu denken und möglichst viele, ungewöhnliche Ideen zu generieren, welche dann im konvergenten Denken verdichtet und hinterfragt werden, um eine Antwort auf die vorhergehende Frage zu bekommen. Ein weiterer Grundsatz im Design Thinking Mindset ist „Fail often and early“. Durch frühzeitiges Testen können Entwicklungskosten für Produkte gespart werden, die es nicht auf den Markt schaffen. Mit regelmäßigen Tests kann Kundenfeedback eingeholt werden, um zu überprüfen, ob auch wirklich eine bedarfsgerechte Lösung entwickelt wird. Darauf zahlen auch die Prinzipien „build prototypes that can be experienced“ und „test early with customers“ ein. Dieser umfängliche und dauerhafte Einbezug des Kunden ist einer der zentralen Erfolgsfaktoren des Design Thinking. Da eine Lösung iterativ entwickelt, kontinuierlich mit dem Kunden überprüft und überarbeitet wird, ist auch das Prinzip „design
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never ends“ ein weiterer Faktor im Design Thinking Mindset. Die erarbeitete Lösung kann in jedem Prozessschritt des Design Thinkings – welche nachfolgend noch genauer erläutert werden – angepasst oder sogar komplett erneuert werden. Damit das Design Thinking Team erfolgreich arbeiten kann, bedarf es auch einer entsprechenden räumlichen Umgebung. Der Design Thinking Raum sollte an die Bedürfnisse des Teams angepasst und mit Materialien ausgestattet sein, die einerseits das Bauen von Prototypen ermöglichen (z. B. Knetmasse, Schaumstoff, Spielzeugfiguren) und andererseits den Arbeitsprozess als solchen flexibel halten. Zu diesen zählen beispielsweise bewegliche Wände, Post-its und Stehtische. Besonders wichtig ist, dass der Raum während eines Design Projekts nur vom Design Team genutzt wird und dieses jederzeit an dem Projekt in diesem Raum weiterarbeiten kann. Alle Design Thinking-Prozessmodelle haben gemein, dass sie iterativ bearbeitet werden. Das bedeutet, dass der Prozess mehrmals durchlaufen werden kann, ein einzelner Schritt mehrfach wiederholt oder nach einem halb durchlaufenen Prozess wieder von vorne begonnen werden kann. Ein weit verbreiteter Prozess ist der fünfphasige Prozess der Stanford d.school, welcher sich in die Phasen „Emphathize, Define, Ideate, Prototype und Test“ unterteilt (Hasso Plattner Institute of Design at Stanford 2018). Gleichzeitig besteht der Prozess immer aus einem „Double Diamond“, wobei sich das Design Team im ersten Diamanten im Problem-Raum und im zweiten Diamanten im Lösungsraum bewegt. Besonders hervorzuheben ist die Research bzw. Recherche-Phase als Kern des ersten Diamanten. Alle daran anknüpfenden Arbeiten hängen maßgeblich von den während der Recherche-Phase erhobenen Daten ab. Ziel dieser Phase ist es demnach, den Problemraum möglichst gut zu erforschen, d. h. die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer (im Fall von EX Design also der Mitarbeiter) herauszuarbeiten. Der Lösungsraum wird, wie bei vielen anderen Modellen auch, in die Phasen Ideation, Prototyping und Testing unterteilt. Hier geht es darum innovative Lösungen zu entwickeln, auszuprobieren und in iterativen Designschleifen bis zur Implementierung weiterzuentwickeln. Aufgrund der Vielzahl der Design Thinking-Prozessmodelle soll im Folgenden kurz auf das Modell der Autoren eingegangen werden, für welches im weiteren Verlauf die einzelnen Prozessschritte näher erläutert werden. Angelehnt an das Modell von Stickdorn et al. (2018) wurde das Prozessmodell in Abb. 5.1 entwickelt. Die Schritte Start, Fokus und Reflektion sind für die Gestaltung der gemeinsamen Arbeit in den zwei Phasen von Bedeutung. Im Auftakt werden die Teilnehmer abgeholt und bekommen die Design Challenge vorgestellt. Der Fokus dient dazu, die in der Recherche- Phase gesammelten Informationen zu verdichten und eine Richtung für den weiteren Prozess zu definieren. In der Reflektion wird der Design Prozess nochmals reflektiert. Dabei kann die weitere Entwicklung zwei unterschiedliche Wege einnehmen. Der getestete Prototyp muss eine weitere Iteration durchlaufen und weiterentwickelt werden oder die Entwicklung ist bereits so weit fortgeschritten, dass der Prototyp implementiert werden kann. Wichtiger als ein korrekt eingehaltener Prozess ist das Einnehmen und Beibehalten des Design Thinking Mindsets, frühes Nutzerfeedback, Prototyping und eine „quick-and- dirty“ Testphase in einem iterativen Vorgehen (Stickdorn et al. 2018).
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Abb. 5.1 Die zwei Phasen von Employee Experience Design
Design Thinking als Toolbox Um Design Thinking erfolgreich anzuwenden, reicht es nicht aus, den Prozess nur verstanden zu haben. Man benötigt zudem die entsprechenden Methoden und Werkzeuge, um den Prozess auch erfolgreich durchlaufen zu können. Mit anderen Worten: Der richtige Einsatz von Methoden an der richtigen Stelle ist ein zentraler Erfolgsfaktor in Design Thinking-Projekten. Gleichzeitig ist auch das reine Anwenden von Tools ohne entsprechenden Prozess und Mindset nicht zielführend, da die Tools aus dem Zusammenhang gerissen einen großen Teil ihres Einflusses verlieren und gegebenenfalls keinen Sinn ergeben (Stickdorn et al. 2018). Die Methoden, die in Design Thinking-Projekten eingesetzt werden, stammen aus verschiedenen Bereichen wie Qualitätsmanagement, Kommunikation, Kreativitätstechniken und Informatik (Brenner et al. 2016). Auch hier gilt es wieder die passende Methode für das individuelle Design Thinking-Projekt auszuwählen. Die Methoden bringen neben dem ausgewählten Prozessmodell eine weitere Systematik in den doch sonst sehr freien Design-Vorgang. Mit ihrer Hilfe sollen Fehler vermieden werden, die bei wahlloser Herangehensweise passieren könnten. Gleichzeitig helfen sie dem Design Team den Blickwinkel zu erweitern und über übliche Denkweisen hinauszugehen. Dass es eine Unmenge an geeigneten Tools und Methoden für Design Thinking Prozesse gibt, zeigen beispielsweise die 47 Methoden von Schindlholzer (2014, S. 121 f.) und die 77 Tools, die von Gerstbach (2017) aufgelistet wurden. Aus diesem Repertoire kann jeder Design Thinker schöpfen und die für sich passenden Tools auswählen. In Abschn. 5.4.1 werden am Beispiel des EX Design Prozesses einige Tools und Methoden vorgestellt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Design Thinking einen menschenzentrierten, lösungsorientierten Ansatz zur Bearbeitung komplexer Probleme darstellt. Hinter der Arbeitsweise steht zunächst eine grundlegende Haltung, die durch einen Prozess sowie durch ein Portfolio an praktischen Tools und Methoden Wirkung entfaltet. Eine mit Design Thinking entwickelte Lösung sollte dabei eine Balance zwischen Nutzerbedürfnissen, technologischer Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit finden.
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5.3.2 W ie passen Design Thinking und Employee Experience zusammen? Wie zuvor erläutert, steht beim Design Thinking die Nutzerzentriertheit im Vordergrund. Dieser Ansatz kann nicht nur für Produkte und Dienstleistungen für externe Kunden, sondern auch für interne Kunden, d. h. für Mitarbeiter, eingesetzt werden. Gleichzeitig haben wir aufgezeigt, dass Employee Experience einen bedeutenden Einfluss auf den Unternehmenserfolg hat. Um also ein Unternehmensumfeld zu schaffen, das die Bedürfnisse der Mitarbeiter in den Vordergrund stellt, „moments that matter“ identifiziert und so zu einer höheren Arbeitszufriedenheit führt, können Design Thinking-Methoden eingesetzt werden. Die Synthese von Design Thinking und Employee Experience führt folglich zum Employee Experience (EX) Design. Das Konzept des EX Designs ist damit nicht grundlegend neu, sondern entsteht durch die Synthese von Design Thinking und Employee Experience. Wirklich neu daran ist vor allem die Haltung, die Unternehmen einnehmen müssen, um eine gute Employee Experience zu schaffen – den Mitarbeitenden und seine Erfahrungen in den Mittelpunkt der Personalarbeit zu stellen. Um ein besseres Bild davon zu bekommen, was das konkret bedeutet, können folgende Fragen beantwortet werden: Wie arbeiten wir in Organisationen zusammen? Wie behandeln wir unsere Mitarbeiter? Möchte ich auch so behandelt werden? Welche „moments that matter“ können wir identifizieren und wo können wir am einfachsten ansetzen? Besonders wichtig ist, dass es gerade in der sich ständig verändernden (Arbeits-)Welt noch mehr als bisher um Beziehungen, Erfahrungen und Erlebnisse – um Human Relations – geht. Die Nutzung von Design Thinking für interne Prozesse und Themen ist in den letzten Jahren, so zeigt es eine Studie des Hasso-Plattner-Instituts (2015), immer beliebter geworden. Im Rahmen der Studie wurden als Hauptanwendungsgebiete für Design Thinking in Unternehmen das Bereitstellen interner Coachings und Trainings, die Gestaltung neuer Produkte und Services und die Erweiterung der Zusammenarbeit und des Wissenstransfers angegeben. Die Beliebtheit für Design Thinking in diesen Kontexten, lässt sich auf die Ursprünge des Service Designs zurückführen, bei dem vor allem Services für den Endkunden entwickelt und dabei auf Nutzerfreundlichkeit geachtet wird. Um eine entsprechende Customer Experience zu erreichen, werden Abläufe genauestens analysiert, online Shopping-Erlebnisse geschaffen oder Zahlungsabwicklungen vereinfacht. Das Konzept der Customer Experience wird nun von Organisationen auf die eigenen Mitarbeiter übertragen, wo es zur Employee Experience wird. Denn auch Mitarbeiter möchten in ihrem Arbeitsumfeld positive Erfahrungen und Emotionen erleben. Ein Element einer positiven EX ist, dass Mitarbeiter möglichst wenig Arbeit in administrative Tätigkeiten investieren müssen. Interaktionspunkte hier sind beispielsweise das Erfassen der Arbeitszeit und das Einreichen des Urlaubsantrags. Eine Überlegung zu diesen Punkten wäre: Gibt es hier digitale Lösungen, die den Vorgang erleichtern und eventuell bereits in andere Systeme oder Datenbanken integriert sind? Vorlage für diese Überlegung wäre das Prinzip „jetzt kaufen“ bei Amazon. Auch sollte beachtet werden, dass
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Mitarbeiter ihr Unternehmen nach einem ganzheitlichen Bild wahrnehmen. Kaum ein Bewerber entscheidet sich dafür, bei einem Unternehmen zu arbeiten, weil dieses eine gute HR-Abteilung hat. Diese ist im Vorfeld meist gar nicht bekannt. Arbeiten HR, Marketing und IT aber zusammen, führt das zu einem guten Mitarbeitererlebnis. Entscheidend ist der alltägliche Eindruck im Unternehmen: Sind die Tools, die für die Erfüllung der Ar beitsaufgabe benötigt werden, selbsterklärend und einfach zu bedienen? Wie ist der Kontakt zu Kollegen und Vorgesetzten, wie laufen Entscheidungsfindungen ab? Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sowohl bei der Customer als auch bei der Employee Experience darum geht, wie Menschen miteinander agieren und wie die Erfahrungen, die dabei entstehen, durch (technologische) Lösungen verbessert werden können. Tools des Design Thinking sind hilfreiche Werkzeuge dafür, diese Interaktionen zu analysieren, zu verstehen was Mitarbeiter wirklich beschäftigt und in kurzer Zeit konkrete Maßnahmen für Veränderungen in die Wege zu leiten. Ein Leitsatz, der bei der Entwicklung einer positiven Employee Experience beachtet werden sollte, ist, seine Mitarbeiter genauso erst zu nehmen wie die eigenen Kunden und sie dementsprechend zu behandeln.
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nwendung der Design Thinking Methoden zur Gestaltung A der Employee Experience
5.4.1 Vorgehensweise im Employee Experience Design EX Design unterteilt sich grundsätzlich in zwei Handlungsräume: den Problem- und den Lösungsraum. Ein typisches EX-Design-Projekt startet deshalb mit einer Recherchephase um den Problemraum genau zu verstehen. Ziel der Recherchephase ist es die Zielgruppe und ihre Bedürfnisse besser kennenzulernen. Für die Recherche können Nutzer von EX Design auf eine große Bibliothek an Methoden zurückgreifen, z. B. Fokusgruppen, Guerilla Research oder Ethnografien. Die Recherchetools sind mannigfaltig. Die Nutzung qualitativer Methoden ist dabei essenziell – nicht nur um zu verstehen, wo das Problem liegt, sondern auch, warum das Problem vorliegt. Für die Strukturierung der Erkenntnisse helfen Tools wie Personas, System Maps oder Journey Maps. Egal welche Methoden genutzt werden: Am Ende der Recherchephase geht es darum die zentralen Erkenntnisse herauszuarbeiten und die „moments that matter“ zu identifizieren. Im zweiten Handlungsraum von EX Design, dem Lösungsraum, geht es darum Ideen zu sammeln, Prototypen zu entwickeln, auszuprobieren und inkrementell zu verbessern. Die Kunst liegt dabei darin sich nicht in theoretischen Diskussionen über die beste Idee zu verlieren, sondern sich zu trauen Dinge auszuprobieren, echte Erfahrungen zu sammeln, daraus zu lernen und das Mitarbeitererlebnis Schritt für Schritt zu verbessern (von Kyaw und Jacob 2019).
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In Zusammenarbeit zwischen dem Bundesverband der Personalmanager und der hkp group ist 2019 das „Employee Experience Design Playbook“ entstanden, welches einen praktischen Einblick in das Vorgehen des EX Designs gibt und die einzelnen Prozessschritte näher erläutert. Angelehnt an das Playbook werden nachfolgend die Prozessschritte Recherche, Ideation, Prototyping und Testing etwas ausführlicher erläutert und beispielhafte Tools für die jeweiligen Prozessschritte aufgeführt (Bundesverband der Personalmanager e.V. und hkp Deutschland GmbH 2019).
5.4.1.1 Recherche Die Recherchephase steht zu Beginn eines jeden EX Design Projekts. Sie bildet die Basis für den weiteren Prozess und der Erfolg des gesamten Unterfangens hängt damit von ihr ab. Aber warum ist Recherche bei EX Design von solch großer Bedeutung und was ist daran so besonders? Schließlich ist die Idee, eine Analyse durchzuführen, um Ausgangslage, Schmerzpunkte und Ziele besser zu verstehen nicht neu und grundsätzlich auch in klassischen Projektvorhaben gang und gäbe. Häufig ist sie jedoch ein eher unbeliebtes To-do, das pflichtbewusst zu Beginn eines jeden Projekts abgehandelt wird, so dass das Projektteam schnell zu den vermeintlich wichtigeren Herausforderungen wie Konzeption, Abstimmung mit wichtigen Stakeholdern und Implementierung übergehen kann. Im EX Design wird der Recherche-Phase eine besondere Bedeutung beigemessen, so dass sie als spannende Herausforderung zur Grundlage für alles Weitere wird. Sie wird nicht einfach nur schnell abgehakt, indem die Einschätzung von Managern und Topvorständen eingeholt wird. Vielmehr dient sie dazu das Erleben (die Experience) der tatsächlichen Nutzer, also in der Regel der Mitarbeiter, umfassend zu analysieren und zu verstehen. Dazu sollten Mitarbeiter auch direkt befragt werden. Grundsätzlich ist im Rahmen der Recherche-Phase alles erlaubt, was dem Problemverständnis dient. Das heißt, dass quantita tive Datengenauso herangezogen werden können wie qualitative Daten. Während quantitative Daten Antworten darauf liefern, wo das Problem liegt (z. B. Mitarbeiter sind unzufrieden mit den Entwicklungsangeboten), geben qualitative Daten Hinweise auf die Ursachen eines Problems (z. B. Mitarbeiter können nicht oder nur umständlich passende Entwicklungsangebote identifizieren, weil die Schlagwortsuche schlecht ist). Da qualitative und quantitative Daten so unterschiedliche Erkenntnisse liefern, ist zu Beginn der Recherche-Phase genau zu klären, welche Informationen bereits vorliegen und welche In formationen für ein umfassendes Problemverständnis noch fehlen. Bei der Art und Weise der Datenerhebung sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Unsere Erfahrungen zeigen, dass insbesondere bei der Erhebung qualitativer Daten ein unkompliziertes Gespräch mit betroffenen Mitarbeitern häufig bessere Daten liefert als eine aufwändig aufgesetzte Umfrage. Ein weiterer Vorteil eines einfachen Gesprächs ist die Zeitersparnis. Die Zielgruppe eines solchen direkten Austauschs sollten direkt oder indirekt betroffene Mitarbeiter und Stakeholder sein, da diese in der Regel ein natürliches Interesse an dem Thema haben. Auch kritische Äußerungen sind willkommen und können als Indiz gesehen werden auf dem richtigen Weg zur Erschließung des Problems zu sein.
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Nach der Recherche sollte im Idealfall eine hinreichend große Datenmenge vorliegen. Um mit den Daten im EX Design Prozess weiter arbeiten zu können, müssen die Recherche-Erkenntnisse aufbereitet und visualisiert werden. Drei bewährte Methoden zur Visualisierung sind Personas, Journey Maps und System Maps. Personas Personas sind fiktive Personen, welche die Perspektive spezifischer Mitarbeitertypen verkörpern. Sie machen die Zielgruppe greifbar und helfen zu verstehen, für welche Zielgruppe Lösungen erarbeitet werden sollen und welche Bedürfnisse im Rahmen des EX Designs berücksichtigt werden müssen. Um mehrere Perspektiven abbilden zu können, ist es daher ratsam eine überschaubare Anzahl an Personas zu definieren, die klar voneinander abgegrenzt werden können. Die erstellten Personas sind Ergebnisse der Recherchephase und beinhalten somit nur zuvor erhobene Informationen (Abb. 5.2). Stereotype sollten nur in begründeten Fällen in die Personas mit einfließen, da diese das Bild der Zielgruppe verzerren würden. Wie alles im EX Design ist auch die Erstellung von Personas ein iterativer Prozess. Kann eine Persona nicht vollständig beschrieben werden, ist dies ein Indiz dafür, dass eine erneute Recherche betrieben werden muss – oder die Persona neu definiert werden muss. Journey Maps Journey Maps geben einen Überblick über die Erlebnisreise und Interaktionspunkte (Touchpoints) einer Persona mit einem Service bzw. den Erfahrungen eines Erlebnisses und visualisieren, wie diese Persona diesen Service erlebt. Bei der Erstellung einer Journey Map ist es daher wichtig den Blick der Persona nicht zu verlieren und nicht den eigenen Blickwinkel in den Vordergrund zu stellen. Es ist wichtig die „moments that matter“ zu identifizieren und zu verstehen, welche Hochs und Tiefs eine Persona erlebt und wo im Rahmen des EX Designs angesetzt werden kann. Da die Journey Map in der Recherchephase deren Ergebnisse visualisiert, sollte darauf geachtet werden, dass die aktuellen – und nicht die gewünschten – Touchpoints und Erlebnisse durch sie visualisiert werden (Abb. 5.3). Im weiteren Verlauf des EX Designs können Journey Maps auch dafür genutzt werden, das Zielbild darzustellen. In jedem Fall sollte klar sein, ob der Status quo abgebildet oder eine Target Journey entwickelt werden soll. Beides in einem funktioniert nicht. System Maps System Maps sind eine Art Mind-Map zur Darstellung von Zusammenhängen zwischen einer Persona und anderen Stakeholdern, Prozessen sowie Instrumenten. Sie machen verständlich, wie relevant die verschiedenen Stakeholder, Prozesse und Instrumente für die Persona sind und wodurch der Zusammenhang bzw. die Beziehung geprägt ist. Bei komplexen Themen kann es sein, dass sehr viele Zusammenhänge identifiziert wurden. Um den Überblick nicht zu verlieren, können für die Darstellung von Stakeholdern, Prozessen und Instrumenten beispielsweise verschiedene Farben genutzt werden. Ähnlich wie bei der Erstellung der Persona selbst kann es passieren, dass nach der ersten Recherche-Phase
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Abb. 5.2 Beispielhafte Persona im Rahmen eines EX Design Projekts
Fragen offen bleiben. Auch hier empfiehlt sich die iterative Entwicklung der System Map und die Arbeit mit Post-its oder digitalen Tools für die Visualisierung von System Maps, da diese flexibel sind und schrittweise erweitert oder verändert werden können.
5.4.1.2 Ideation Sobald ein gutes Verständnis des Status-quo, der Problemstellung und der Zielgruppe vorherrscht, wird der Problemraum verlassen und im Lösungsraum weitergearbeitet. Die erste Phase des Lösungsraums ist dabei die Ideation, in der auf Basis der Recherche- Erkenntnisse erste Lösungsideen entwickelt werden sollen. Für die Lösungsentwicklung kann aus einer Fülle an Methoden ausgewählt werden, die vom klassischen Brainstorming über Brainwriting bis hin zu Methoden wie 10 + 10 (siehe unten) reichen. Wichtig ist, dass der Lösungsraum vollständig ausgeschöpft wird und sich das Team nicht durch Aussagen wie „Das haben wir aber immer schon so gemacht“ oder „Das klappt eh nicht!“ selbst einschränkt. Es geht darum möglichst viele Ideen zu generieren, um im nächsten Schritt
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Abb. 5.3 Beispielhafte Journey Map im Rahmen eines EX Design Projekts
die vielversprechendste Idee im Schnittfeld von Mehrwert und Machbarkeit auszuwählen, mit der es dann ans Prototyping geht. Drei Methoden, welche die Auswahl leichter machen, sind die 10 + 10 Methode, Round Robin und das Idea Portfolio. 10 + 10 10 + 10 ist eine Methode, die in zwei Runden unterteilt wird. In der ersten Runde geht es darum in kurzer Zeit möglichst viele, mindestens aber 10, Ideen zu entwickeln, während in der zweiten Runde eine dieser Ideen konkretisiert wird. Um eine Vielfalt an Ideen zu generieren sollen die Teilnehmer im ersten Schritt dieser Methode schnell ihre ersten Ideen skizzieren. So entstehen pro Gruppe ca. 10 Ideen (Abb. 5.4). Diese stellen sich die Gruppenmitglieder untereinander vor und einigen sich für die nächste Runde auf eine dieser Ideen, die sie weiter ausarbeiten möchten. Dabei werden die anderen Ideen nicht komplett verworfen, sondern für einen späteren Zeitpunkt zurückgelegt. In der zweiten Runde soll die ausgewählte Idee nun verfeinert werden und die Teilnehmer werden dazu aufgefordert, 10 Variationen dieser Idee auszuarbeiten. In Kombination mit den Ideen aus der ersten Runde hat jedes Designteam in kürzester Zeit 10 + 10, d. h. 20 oder auch mehr Ideen generiert, aus denen sie nun einige zur weiteren Bearbeitung auswählen können. Round Robin Round Robin ist eine Methode, die einem Design Team dabei hilft, vorher generierte Ideen kritisch zu hinterfragen und gemeinsam zu verbessern. Dabei geben mehrere Personen
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Abb. 5.4 Workshopteilnehmer arbeiten mit der Methode 10+10
ihren Input zu einer Idee. Um diese Methode anzuwenden, kann auf ein Template zurückgegriffen werden, welches in vier Bereiche unterteilt ist. Jeder Teilnehmer bekommt ein solches Template, auf das er die Designfrage „Wie können wir …“ schreibt und anschließend seine Idee zur Lösungsfindung skizziert. Danach wird seine Idee an einen weiteren Teilnehmer gegeben, welcher nun Gründe dafür aufzeigen muss, warum die genannte Idee nicht funktioniert. Im letzten Schritt nutzt ein dritter Teilnehmer die zuvor gesammelten Infos auf dem Template, das er nun bekommt, und verbessert die initiale Idee unter Berücksichtigung der Anmerkungen der anderen Teilnehmer. Jede ursprüngliche Idee wird somit, durch den kollektiven Input der Teilnehmer, weiterentwickelt und verbessert. Als Folge entstehen im Idealfall eine Reihe von Ideen, die sich kein Teilnehmer alleine hätte vorstellen können. Idea Portfolio Das Idea Portfolio ist eine Priorisierungsmatrix, welche die ersten Ideen, die im Rahmen der Ideation entwickelt wurden, entlang der Kriterien „Mehrwert für die Persona“ und „Machbarkeit“ kategorisiert. Ein Idea Portfolio hilft zu verstehen, welche Ideen am vielversprechendsten sind und im Rahmen des Prototypings im Fokus stehen sollten. Im EX Design ist die Machbarkeit im Sinne der Umsetzbarkeit durch das Projektteam zu sehen und die Idee sollte danach bewertet werden, in wie weit die Projektmitglieder einen Einfluss ausüben können. Das Idea Portfolio sollte nicht zu statisch gesehen werden. Kommen beim Clustern und Priorisieren neue Ideen auf, können diese direkt in das Portfolio
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mit integriert werden. Mit Hilfe des Idea Portfolios werden Ideen identifiziert, auf die das Projektteam den größten Einfluss hat und die den größten Mehrwert für den Mitarbeiter bieten. Je nach Anzahl der gewonnenen vielversprechenden Lösungsideen reicht das jedoch nicht aus. Denn nicht alle Ideen können gleichzeitig zu Prototypen weiterentwickelt werden. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein neben Mehrwert und Machbarkeit auch noch den zeitlichen Aufwand für die Umsetzung als drittes Kriterium hinzuzuziehen. Auf diesem Wege lassen sich möglicherweise Ideen identifizieren, die sich besonders schnell umsetzen lassen und mit denen es sich daher lohnt anzufangen.
5.4.1.3 Prototyping Prototyping ist der Schritt, der von der Idee zur Lösung führt. Hier werden die vielversprechendsten Ideen in konkrete Lösungen überführt. Dieser Schritt erfordert von dem Design- Team vor allem konzeptionelles und manuelles Geschick. Damit nicht zu viel Zeit in Detaildiskussionen verloren wird, sollte der erste Prototyp sehr einfach gehalten werden. Dabei ist das verwendete Material aber keineswegs immer gleich: Soll gezeigt werden wie der Prototyp aussieht, wird auf einen anderen Ansatz zurückgegriffen als wenn die Funktion, der Kontext, in dem der Prototyp zum Einsatz kommt, oder das Verhalten der Beteiligten herausgestellt werden sollen. Ziel ist es, die Idee für Dritte erlebbar zu machen, um sich so in einem frühen Konzeptstadium Feedback der echten Nutzer einholen zu können. Das Feedback kann so direkt berücksichtigt und in einen weiteren Prototypen überführt werden. So entsteht in einem iterativen Prozess ein finaler Prototyp. Prototypen sind auf die Bedarfe der Personas ausgerichtet, um sicherzustellen, dass sie einen echten Mehrwert bieten. In einer reiferen Entwicklungsphase sind aber auch die wirtschaftlichen Aspekte zu berücksichtigen. Methoden, die für die unterschiedlichen Ansätze der Prototypen verwendet werden können, sind beispielsweise Advertisements, der Desktop Walkthrough und das Investigative Rehearsal. Advertisements Advertisements sind, wie der Name schon sagt, Werbeplakate, die sich an die Persona richten und die priorisierten Ideen einen Schritt konkreter beschreiben. Sie helfen den Mehrwert von Services für die Persona zu spezifizieren und sind eine erste Möglichkeit Ideen für Dritte zu visualisieren und erlebbar zu machen (Abb. 5.5). Um Schnellschüssen in puncto Design vorzubeugen, wird im ersten Schritt der Value (Mehrwert) einer Idee herausgestellt. Detaildiskussionen zum Design werden in das spätere Prototyping verschoben. Advertisements machen die Services in einer frühen Phase für Personas erlebbar. Sie sind eine erste Chance konkret zu verproben, ob die Idee tatsächlich eine attraktive Lösung ist, ob sie also das Interesse der Zielgruppe weckt und nachvollziehbar ist. Desktop Walkthrough Desktop Walkthroughs sind besonders beim Prototyping von Prozessen und Services empfehlenswert. Bei einem Desktop Walkthrough wird ein Prozess in ein 3D-Modell überführt. Dadurch werden die einzelnen Schritte eines Prozesses oder Ablaufs erlebbar
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Abb. 5.5 Advertisement Prototypen im Rahmen eines EX Design Workshops
emacht. Für die Darstellung können einfache Requisiten wie Lego oder Playmobilfiguren g genutzt werden (Abb. 5.6). Das entscheidende Ergebnis dieser Methode ist nicht das Modell, sondern die Prozesserfahrung. Im Vergleich zu Papiertools wie Customer Travel Maps ermöglichen Desktop Walkthroughs eine wesentlich schnellere Iteration der Prozesse/Abläufe, da das Feedback der Teilnehmer direkt eingearbeitet und getestet werden kann. Desktop Walkthroughs helfen ein gemeinsames Verständnis über die End-to-End Kundenerfahrung zu erhalten und können kritische Schritte und Schlüsselelemente eines Prozesses identifizieren. So entsteht eine gute Grundlage, um einen Service zu analysieren und zu optimieren. Investigative Rehearsal Investigative Rehearsal ist eine theatralische Methode, die dabei hilft Verhaltensweisen und Prozesse durch iteratives Durchspielen eines Szenarios zu erforschen. Diese Methode sollte vor allem beim Erproben von Interaktionen und Verhaltensweisen gewählt werden, da sie die emotionale Seite einer Erfahrung gut widerspiegeln kann. Daher eignet sich diese Methode besonders in der Erprobung der Employee Experience. Hier geht es um die emotionalen Erlebnisse eines Mitarbeiters und diese entstehen meistens aus der Interaktion mit anderen Menschen, wie zum Beispiel der Führungskraft und der Zusammenarbeit im Team. Der Ablauf eines Feedbackgesprächs zwischen Mitarbeiter und Führungskraft
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Abb. 5.6 Desktop Walkthrough Prototyp im Rahmen eines EX Design Workshops
sowie der Onboarding-Prozess sind typische Mitarbeitererlebnisse für die diese Prototyping-Methode gut geeignet ist.
5.4.1.4 Testing Damit das Ziel eines EX Designs, nämlich Services auf die Bedarfe der Personas auszurichten und somit einen echten Mehrwert zu generieren, erfüllt werden kann, ist kontinuierliches Testing ein wichtiger Erfolgsfaktor. Bereits in frühen Stadien liefert es Hinweise zur iterativen Optimierung und Detaillierung der Ideen und Prototypen (Abb. 5.7). Testing kann dabei in verschiedenen Ausprägungen der Einbindung von Mitarbeitern und Stakeholdern stattfinden. Am Ende ist es immer ein Abwägen zweier Fragen: Wie viel Input wird von den betroffenen Mitarbeitern und Stakeholdern benötigt? Was ist der Organisation zuzumuten? Bei der Entscheidung, wie die Prototypen verprobt werden, zeigt die Erfahrung: Wenn irgend möglich, sollte der unmittelbare Austausch mit Mitarbeitern einer indirekten oder asynchronen Interaktion vorgezogen werden. Dies spart nicht nur Zeit in der Vorbereitung, die viel besser in den Austausch selbst investiert werden sollte, sondern stärkt auch das Commitment der Befragten und schafft somit einen zusätzlichen Buy-In für die bevorstehende Einführung und Implementierung. Nach erfolgreichem Testen und vor der konkreten Umsetzung einer Idee sollte diese auf ihre (wirtschaftliche) Machbarkeit überprüft werden. Denn spätestens wenn es darum geht das für die Realisierung notwendige Budget zu erschließen ist eine Argumenta-
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Abb. 5.7 Workshopteilnehmer testen einen Prototypen
tion rein aus dem Blickwinkel der Personas zu kurz gesprungen. Dazu kann z. B. ein Business Modell Canvas herangezogen werden.
5.4.2 E rfolgsfaktoren bei der Umsetzung des Employee Experience Designs Bei der Umsetzung eines EX Design Projekts stehen Unternehmen vor zahlreichen He rausforderungen. Auf folgende Punkte sollten sich Organisationen einstellen: 1. Business Value darstellen Die größte Herausforderung besteht i. d. R. darin zu erkennen, dass Employee Experience einen großen Einfluss auf wichtige Kennzahlen des Unternehmens hat, es echte Business Cases für EX Design gibt und dass das Thema kein „nice to have“ ist. Wie wertvoll das Investment in Employee Experience sein kann, kann unter anderem mit Beispielrechnungen der Business Cases erfolgen – X % weniger Krankheitstage führt zu Y € an Einsparungen.
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2. Stakeholder einbinden Zu Beginn eines EX Design-Projekts sollten alle Stakeholder, von denen der Erfolg des Projekts abhängt, identifiziert werden. Dazu gehört i. d. R. auch die betriebliche Mitbestimmung. Gleichzeitig empfiehlt es sich, alle Stakeholder früh und aktiv am Projekt zu beteiligen. Bei der Zusammenstellung des Design Teams sollten vor allem Silos aufgebrochen und Mitarbeiter team- und abteilungsübergreifend einbezogen werden. Eine cross-funktionale Entwicklung ist sinnvoll und entscheidend, da den Menschen in einer Organisation egal ist, wer offiziell für einen Prozess zuständig ist. Wichtig ist, dass er funktioniert, egal ob die Verantwortung bei HR, IT oder einem Support-Team liegt. Ein weiterer Vorteil der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit ist, dass Commitment zur Sache entsteht, wenn gemeinsam an einem Projekt gearbeitet wird. 3. Qualitative Recherche betreiben Viele Projekte fangen mit der Auflistung von Best Practices und Ideen anderer Unternehmen an. Das ist aber gerade bei einem Thema wie Employee Experience nicht sinnvoll. Im Vordergrund sollten vielmehr der Blick auf die eigene Organisation und die Erlebnisse der eigenen Mitarbeiter stehen. Ein Fehler, der in diesem Punkt häufig gemacht wird, ist zu denken man wisse bereits alles und sofort bei der Arbeit an der Lösung starten zu wollen. Damit aber die tatsächlichen Bedürfnisse und Pain Points der Mitarbeiter herausgestellt werden können, ist ein Gespräch mit den Betroffenen zwingend notwendig. Bestätigen die Ergebnisse die Vorahnungen des Design Teams, können diese mit entsprechenden Daten aus der Recherchephase untermauert werden. Weichen die Ergebnisse von den Vermutungen ab, wird bares Geld und Zeit gespart ein Problem zu lösen, dass es eigentlich gar nicht gab und das Design Team kann sich mit dem eigentlichen Problem auseinandersetzten. 4. Mut zur Lücke Ein Erfolgsfaktor des EX Designs ist es schnell Ergebnisse zu liefern. Dazu müssen Prototypen schnell entwickelt, getestet und in einem iterativen Prozess verbessert werden. Gerade in Deutschland neigen Menschen und Organisationen dazu, Dinge von Anfang an perfekt entwickeln und umsetzen zu wollen. Im EX Design gilt es aber, mit dem kleinstmöglichsten Experiment zu starten, aus dem Informationen und Feedback generiert werden können, um es im nächsten Schritt zu verbessern (minimum viable product). Der Prototyp muss dabei kein vollendetes Design aufweisen und hegt auf keinen Fall den Anspruch auf Perfektion. Vielmehr soll verhindert werden, dass zu viel Energie, Zeit und Geld in Dinge investiert werden, die nicht den Nutzerbedürfnissen entsprechen. Günstige und schnelle Experimente sind zielführender als ein langes Basteln an der optimalen Idee. 5. Flexibel Planen Ein EX Design Projekt sollte nicht als Wasserfallprojekt geplant werden. Durch das iterative Vorgehen sind viele Schritte nicht planbar und das Design Team kann auch einzelne Lösungen wieder verwerfen und neu anfangen. Je nach Größe des Projekts empfiehlt es sich hier im Abstand von 2–4 Wochen zu planen. Dadurch kann sich der Budgetierungs-
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prozess, gerade in größeren Konzernen, für ein solches Projekt schwierig gestalten. Auch die Zeit, die Mitarbeiter für ein EX Projekt aufbringen, sollte nicht unterschätzt werden. Die Ressourcenplanung muss also im Rahmen eines EX Design Projekts flexibler gestaltet werden können als in herkömmlichen Projekten. Entscheiden sich Unternehmen nun die Employee Experience mit Hilfe von EX Design zu verbessern, sollten sich Design Teams, vor allem Anfänger, Unterstützung durch einen EX Design Experten holen. Dieser begleitet den Prozess, erklärt die Methoden und gibt dem Team wertvolle Hilfestellungen, so dass das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden kann.
5.5
Fazit
Employee Experience ist kein „nice to have“, sondern ein wichtiger Erfolgsfaktor für Unternehmen – sowohl im White-, als auch im Blue-Collar Sektor. Sie hilft Talente für Unternehmen zu gewinnen und Mitarbeiter zu halten. Dadurch können Ressourcen besser eingesetzt und das Wissen im Unternehmen gehalten werden. Außerdem braucht es eine gute Employee Experience, um eine gute Customer Experience schaffen zu können. Nur zufriedene und engagierte Mitarbeiter setzen sich für die Organisation ein und können ihre Energie darauf ausrichten, ein positives Kundenerlebnis zu schaffen. Gleichzeitig spiegelt sich eine positive Employee Experience auch direkt im Unternehmensgewinn wider: Unternehmen mit einer hohen EX erwirtschaften vergleichsweise 25 % mehr Gewinn als Unternehmen, deren EX sich im unteren Bereich befindet (MIT CISR 2017). Um sich mit dem Thema Employee Experience auseinanderzusetzen, kann der Design Thinking Ansatz helfen. Dieser setzt den Menschen in den Mittelpunkt und hilft Prozesse und Vorgänge aus den Augen eines Mitarbeiters zu betrachten. Durch diese Methode können „moments that matter“ identifiziert werden, in denen Mitarbeiter ein emotionales Erlebnis innerhalb einer Organisation haben. Diese „moments that matter“ sind von Person zu Person unterschiedlich. Gleichwohl gibt es Situationen, die bei jedem Mitarbeiter einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Zu diesen zählt beispielsweise die Bewerbungsphase, der erste Tag im neuen Job und der Onboarding-Prozess. Ob in diesen Bereichen Handlungsbedarf besteht, kann meist an bereits vorliegenden Kennzahlen wie Kündigungen in den ersten sechs Monaten, Engagement und Krankenstand abgelesen und der Business Value für ein EX Projekt hervorgehoben werden. Beim EX Design kommt es dann darauf an, neben den vorhandenen quantitativen Daten auch qualitative Daten zu erheben und in den direkten Austausch mit dem Mitarbeiter zu gehen. Auch sollte die Employee Experience durch ein cross-funktionales Team aus z. B. HR, Betriebsrat, IT und Marketing entwickelt werden, da sie nicht durch einzelne Interaktionspunkte mit HR, sondern durch die Wahrnehmung der Arbeit im Unternehmen und dessen Kultur als Ganzes entsteht. Um schnell in die Umsetzung zu kommen, kann auf bereits vorhandenen Daten aufgesetzt und schnell in den Design Prozess eingestiegen werden. Dabei sollten schnelle und
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einfache Prototypen gebaut und frühzeitig mit dem Endnutzer verprobt werden. Durch den iterativen Prozess lassen sich so hohe Investitionen in die falsche Lösung vermeiden und es kann eine optimale Nutzerorientierung erreicht werden. Abschließend lässt sich sagen: EX Design ist ein hervorragendes Werkzeug, um die Employee Experience in Unternehmen zu gestalten, die Personalarbeit mitarbeiterorientierter auszurichten und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Organisation zu steigern.
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Teil II Analytics
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Smartes Employer Branding? Was Analytics und qualitative Daten mit dem Erfolg von Arbeitgebermarken zu tun haben Martin Camphausen
6.1
Employer Branding: Weg vom Bauchgefühl
Die bis heute bekannteste und meist zitierte Definition von Employer Branding kommt von der Deutschen Employer Branding Akademie (DEBA 2006): „Employer Branding ist die identitätsbasierte, intern wie extern wirksame Positionierung eines Unternehmens als glaubwürdiger und attraktiver Arbeitgeber.“ Damit geht es bei der Arbeitgebermarkenbildung sowohl um Identitäts- und Organisationsentwicklung als auch Markenentwicklung (s.a. Kriegler 2017). In vielen Köpfen ruft „Employer Branding“ allerdings weiterhin nur die Assoziation von bunten Bildern und Kampagnen hervor. Zwar ist die Verknüpfung nicht gänzlich falsch, aber eben auch nicht richtig. Denn beim Aufbau einer Arbeitgebermarke geht es in erster Linie um zwei Dinge: Sowohl das Binden als auch das Finden von neuen, möglichst passenden Mitarbeitern (Kriegler 2018). Es geht nicht nur um fachliche Qualifikationen, sondern auch den Cultural Fit, also die persönliche Passung zur Organisationskultur und Integration in ein Unternehmen. Daher ist die Arbeitgebermarkenbildung auch nicht mit der Optimierung des Recruitings gleichzusetzen, sondern eine strategische und interdisziplinäre Aufgabe, welche die volle Aufmerksamkeit aller Verantwortlichen genauso benötigt wie Ausdauer, Geduld und gute Planung (Sponheuer 2010). Viel zu oft werden auch heute noch HR-Entscheidungen mit massiven Auswirkungen für Mitarbeiter und Gesamtorganisation aus der persönlichen Erfahrung des jeweiligen Entscheiders heraus getroffen. Sicher sind auch persönliche Erfahrungen wichtig für Managemententscheidungen, aber sie sollten zunehmend durch People Analytics ergänzt M. Camphausen (*) Klinikverbund Südwest GmbH Sindelfingen Frankfurt, Deutschland E-Mail: [email protected]
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_6
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M. Camphausen
werden. So können datengestützt Informationen geliefert werden, um Entscheidungen mit einem umfänglicheren Erfahrungsschatz als nur dem persönlichen treffen zu können.
6.1.1 People Analytics: Wieso das für Arbeitgebermarken relevant ist People Analytics baut auf der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen sehr unterschiedlichen Unternehmensbereichen auf. Darunter fallen neben dem Personalbereich auch Marketing, Unternehmenskommunikation, Controlling und IT. Nur wenn das Zusammenspiel gut funktioniert und Silos verlassen werden, kann die Aufgabe gelingen. Oft wird vergessen, dass der Betriebsrat ebenso ein wichtiger Player ist, denn zumeist geht es um personenbezogene Daten, was die Aktivitäten in deutschen Unternehmen mitbestimmungspflichtig macht. Auch Arbeitgebermarken leben von Interdisziplinarität und dem gemeinschaftlichen Wirken der genannten Bereiche. Insofern ergänzen sich die Bemühungen um beide Felder optimal, wenn das Bewusstsein dafür vorhanden ist. Das stellt jedoch sicher eine der anspruchsvollsten Aufgaben in Organisationen vieler Branchen dar, denn Silostrukturen und -denkweisen aufzubrechen ist kein einfaches Unterfangen – zumal, wenn Silos traditionell stark ausgeprägt sind und damit zuvor erfolgreich waren. Für Employer Branding ist außerdem spannend, dass Daten im Rahmen von People Analytics auf allen Ebenen betrachtet werden können: Organisationsebene, Team- bzw. Abteilungsebene und Individualebene. Wieso ist das von Bedeutung? Employer Brands entstehen aus dem Zusammenwirken der Handlungen Einzelner in einem Team, das wiederum eingebettet in organisationale Strukturen ist. Wenn zum Beispiel die Abstimmung zwischen HR- und Marketing-Teams nicht reibungslos verläuft, weil sie anhand unterschiedlicher Ziele gemessen werden und weder Raum noch Zeit für Abstimmungsmeetings vorhanden ist, dann wird es für den Einzelnen, aber vor allem auch die Organisation als Ganzes schwierig, eine einheitliche Employer Branding-Strategie zu verfolgen. Ohne Einigkeit wiederum kann keine stringente Markenführung erfolgen. Ähnlich wie Employer Branding und Personalmarketing häufig verwechselt oder gleichgesetzt werden, sind auch People Analytics und Personalcontrolling nicht dasselbe. Personalcontrolling dokumentiert im Wesentlichen die Entwicklung verschiedener Variablen und stellt Daten dar. People Analytics beschäftigt sich mehr mit der Frage nach der Beeinflussung von Variablen, ist also zukunftsgerichtet. Das kommt dem Anspruch von Employer Branding gleich, denn auch hier geht es nicht um die Frage, wie Daten sind, sondern was und wo es getan werden muss, damit die Personalkennzahlen besser werden.
6.1.2 Arbeitgebermarkenaufbau: Das 4-Phasen-Modell Der Aufbau einer Arbeitgebermarke folgt einem Prozess, der sich in vier Phasen aufgliedern lässt: Analyse, Strategie, Implementierung und Controlling wie Abb. 6.1 samt beispielhaften Maßnahmen zeigt. Viele der darin enthaltenen Punkte lassen sich nicht ohne
6 Smartes Employer Branding?
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Abb. 6.1 Beispielhafter Aufbau-Prozess einer Arbeitgebermarke anhand des 4-Phasen-Modells
quantitative und qualitative Daten umsetzen. Die Spreu trennt sich aber erst vom Weizen, wenn nicht nur lediglich quantitative, sondern qualitative Daten erhoben und anschließend auch ausgewertet werden, um daraus Maßnahmen abzuleiten. Was so selbstverständlich klingt, ist längst kein Alltag in Organisationen, denn Ressourcen und finanzielle Mittel sind begrenzt und die Verfahren anspruchsvoll – aber erforderlich. In Phase 1 sollte am meisten Zeit investiert werden, denn je besser und intensiver die Analysephase, umso stabiler das Konstrukt, auf dem die gesamte folgende Arbeit fußen wird. Oder umgekehrt ausgedrückt: Wer in der Analysephase hudelt, dem wird sein Arbeitgebermarkenaufbau mit Sicherheit später deutlich erschwert oder verzögert. Oft fangen Arbeitgeber erst mit dem Aufbau von Employer Brands an, wenn der Rekrutierungsdruck bereits unerträglich ist und akuter Handlungsbedarf entsteht. Dann sollen innerhalb weniger Wochen vollständige Arbeitgebermarken aufgesetzt werden. Markenaufbau funktioniert aber nicht kurzfristig (Sponheuer 2010) und Mitarbeiter merken außerdem, wenn plötzlich unternehmensweit Ad-hoc-Maßnahmen zum vermeintlich besseren Anstrich eines Arbeitgebers aus dem Boden gestampft werden. Hier ist also Vorsicht geboten. Phase 2 beim gezielten Aufbau einer Arbeitgebermarke widmet sich der Strategie. Die bereits erwähnte schöne Optik ist sicher kein unwesentlicher Bestandteil zur Vermarktung einer Arbeitgebermarke, kommt aber erst in dieser Phase. Und es geht hier um weitaus mehr als das. Selbstredend sollten sich die Erkenntnisse aus Phase 1 im Strategieteil widerspiegeln. Beispielsweise hilft das Benchmarking dabei, ein Arbeitgebermarkenversprechen, die Employer Value Proposition (EVP), aufzubauen. Denn dadurch weiß man, mit welchen zumeist sehr generischen Claims und austauschbaren Botschaften Wettbewerber am Markt agieren. Umso wichtiger ist es aber, bei der eigenen EVP ganz anders aufzutreten als alle anderen. Dazu später mehr in Abschn. 6.1.2.3. In Phase 2 geht es also darum, die Einzigartigkeit herauszuarbeiten und sich gleichzeitig zu überlegen, wo und in welcher Form man damit am besten punkten kann.
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M. Camphausen
Phase 3 steht für die Implementierung der Employer Brand. Hier passiert also all das, wonach sich die meisten Arbeitgeber von Anfang an am meisten sehnen. Bis zu diesem Zeitpunkt sind aber meistens etliche Monate oder mehr vergangen – je nach Größe des Arbeitgebers, der Komplexität seiner Organisationsform, eventuellen Bausteinen, die bereits vorhanden waren und dergleichen mehr. Das wesentliche Element in dieser Phase ist es, die Geschichte eines Arbeitgebers und seiner Mitarbeiter auf eine zur Organisation passende Weise in allen relevanten Kanälen zu erzählen. Wichtig ist, dass im Idealfall nicht nur der Arbeitgeber über sich erzählt, sondern vielmehr die Mitarbeiter über den Arbeitgeber erzählen. Hat man seine Arbeitgebermarke lehrbuchartig – also von innen nach außen – aufgesetzt (Camphausen und Brandstädter 2019; Tometschek 2017), ist die Wahrscheinlichkeit dafür am größten, denn dann hat man die Mitarbeiter konsequent von vornherein eingebunden und die Arbeitgebermarke mit ihnen zusammen aufgebaut. So werden Mitarbeiter am ehesten zu Markenbotschaftern bzw. Corporate Influencern (Heeser 2019; Camphausen und Brandstädter 2019). Phase 4 bildet die letzte Phase im Zyklus, hier geht es um das Controlling. Es wird zumeist eher stiefkindlich behandelt oder gar nicht erst umgesetzt. Dabei erfährt man nur über ein gutes Controlling, ob die Strategie aufgegangen ist, sich die Maßnahmen bewährt haben und die Ziele und KPIs erreicht wurden. Ähnlich wie in den Phasen davor gilt: Natürlich kann man sich bei der Wirksamkeit auch auf sein Bauchgefühl, Erfahrung, Herumfragen bei Führungskräften und Mitarbeitern verlassen. Wie sinnvoll und stringent das ist, ist eine andere Frage. So oder so hilft es, im ersten Zyklus beim Aufsetzen einer Arbeitgebermarke mindestens einige Standard-KPIs zu definieren. Inwiefern man die Datengetriebenheit in den folgenden Jahren intensiviert, ist ohnehin eine Frage, die davon abhängt, wie intensiv man Employer Branding auf Dauer betreiben kann und will. Wichtig ist aber: Hat man einmal aktiv mit dem Employer Branding begonnen, ist es eine Daueraufgabe, der man sich ständig widmen muss. Im Folgenden werden drei Maßnahmen, die auf qualitativen Daten aufbauen sollten, exemplarisch beleuchtet.
6.1.2.1 Mitarbeiterbefragungen/Workshops: Nicht nur auf Quantität setzen Bevor man mit dem Aufsetzen einer Employer Brand beginnt, sollte man über eine Mitarbeiterbefragung, qualitative (Leitfaden-)Interviews oder dergleichen schauen, wo das Unternehmen im Hinblick auf mitarbeiterorientierte Personalpolitik steht. Setzt man Arbeitgebermarken auf der grünen Wiese auf, fliegt einem das später mit Sicherheit um die Ohren. Denn dann propagiert man Werbebotschaften und keine aus dem Unternehmen heraus entwickelten Arbeitgebermarkenversprechen. Daten zu erheben und konsequent zu nutzen, ist also allein beim Setup essenziell. Mitarbeiterbefragungen werden in vielen Organisationen ohnehin regelmäßig durchgeführt, daher können die Fragebögen durch Cluster ergänzt werden, die für den Aufbau oder die Weiterführung von Arbeitgebermarken wichtig sind. So oder so hat man hierüber jedoch zumeist nur eine quantitative Aussage. Denn selbst wenn Felder für freie und somit
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qualitative Antworten eingestreut sind, werden die so erhobenen Daten selten systematisch ausgewertet. Wichtig ist auch: Viele Arbeitgeber müssten nach Abschluss der Mitarbeiterbefragung erst einmal innehalten und Maßnahmen ableiten, wie sie ein mitarbeiterorientierterer Arbeitgeber werden. Denn wenn Organisationen ihre Arbeitgeberattraktivität ehrlich abfragen, müssen sie ggf. auch mit einem Echo rechnen, das ihnen weitgehende Untätigkeit hinsichtlich der mitarbeiterorientierten Personalpolitik attestiert. Wenn das der Fall ist, müssen erst eventuelle Lücken behoben werden, bevor mit dem wirklichen Employer Branding begonnen wird. Dem 4-Phasen-Modell würde sozusagen eine Phase 0 vorangestellt werden. Entweder man setzt quantitative Fragebögen mit qualitativen Komponenten ein und wertet die Freitexte anschließend aus oder man macht gleich ergänzend zur Mitarbeiterbefragung qualitative (Leitfaden-)Interviews. Für viele Unternehmen spielen hier die Kosten die einzige Rolle. Dem muss entgegengesetzt werden: Die Einmalkosten, die man hier vermeintlich einspart, kosten im Employer Branding-Prozess unter Umständen ein Vielfaches, wenn man auf vergleichsweise wenig aussagekräftigen Fragebogenauswertungen aufbaut. Neben dem ausschließlichen Einbezug von strukturierten Daten über Mitarbeiterbefragungen sind Workshops mit Mitarbeitern und Führungskräften aller Bereiche eine gute Maßnahme, um qualitativen Input zu generieren. Während qualitative Leitfadeninterviews nur zwischen Interviewern und Interviewten stattfinden, können sich Mitarbeiter in Workshops gegenseitig mit Ideen und Anmerkungen befruchten. Wichtig ist dabei, dass diese Workshops nicht inhouse durchgeführt, sondern extern begleitet werden, weil es so per se einfacher ist, eine offene Gesprächsatmosphäre herzustellen, bei der wirkliche Knackpunkte des Berufsalltages bei einem Arbeitgeber besprochen werden. Sitzen Führungskräfte oder gar das oberste Management dabei, wird das in vielen Organisationen schwer. Und diese offene Atmosphäre ist elementar, wenn festgestellt werden soll, wie gut ein Arbeitgeber wirklich aufgestellt ist.
6.1.2.2 Karriereseiten: Wer seine Zahlen im Griff hat, punktet Die Karriereseite einer Organisation ist seit Jahren Streitpunkt unter Fachleuten: Ist sie in der heutigen Internetrecherchesystematik überholt oder umso wichtiger geworden? Fest steht: Sie ist zwar klassisches Rüstzeug und nur einer von unzähligen Touchpoints in der Candidate Journey, die Kandidaten im Laufe des Rekrutierungsprozesses zurücklegen. Organisationen haben hier aber die Möglichkeit, ihre eigenen Botschaften zu setzen und den idealen Arbeitgeberauftritt zu präsentieren, bei dem das Differenzierungspotenzial sofort ersichtlich wird (Camphausen 2020). Daher sollte ein besonderer Fokus auf der Karriereseite liegen und diese sollte vier wesentliche Anforderungen erfüllen (Athanas 2018): • Candidate Experience: Leichte Auffindbarkeit des Karriere-Bereiches, einfache Navigation und schlüssige Menüführung, kurze Ladezeiten, vor allem aber gute Lesbarkeit auf allen Endgeräten (insbesondere Smartphones)
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• Informationsqualität: Klare und aussagekräftige Informationen zu Arbeitgeber, Jobangebot inkl. Suchfunktion, Informationen zu Bewerbungsunterlagen und -prozess • Interaktion: Ansprechpartner und ggf. Chatbots für standardisierbare Anfragen bereitstellen, abonnierbare Newsalerts, Self-Assessment oder Matching als Cultural Fit- Orientierung • Verkaufsqualität/Effizienz: Suchmaschinenoptimierung, Auslesbarkeit von Jobangeboten für Crawler und Jobsuchmaschinen, Traffic-Generierung auf die Karriereseite, unkomplizierter Bewerbungseinreichungsprozess und schlanke Online-Formulare. Die meisten Organisationen sehen das Aufsetzen und Optimieren von Karriereseiten und Websites allgemein als einen großen Kraftakt an und sind froh, wenn die Seiten endlich „live gehen“. Eine Website/Karriereseite ist aber nie fertig, sondern muss ständig optimiert werden. Dafür sollte auch ein festes jährliches Budget beispielsweise für UX/UI und textliche Anpassungen samt angemessener personeller Ressourcen hinterlegt werden. So bleibt die Relevanz der Seiten gewährleistet – vor allem, wenn man Textoptimierungen gleich mit SEO-Tools durchführt. Karrierenetzwerke wie XING und LinkedIn sowie etliche Stellenausschreibungsportale bieten die Möglichkeit, „Employer Branding“-Profile zu buchen. Dort sind mal mehr mal weniger Möglichkeiten gegeben, sich als Arbeitgeber zu positionieren. Häufig können diese Profile auf den Portalen aber nur mit einem kurzen Unternehmenstext, einem Arbeitgebervideo und anderen Basics bestückt werden. Nie werden sich aber so viele und vor allem individuelle Optionen bieten wie auf der eigenen Karriereseite. Die Möglichkeiten einer Karriereseite und für wirkliches Employer Branding müssen aber auch genutzt werden. Die EVP sollte gut erkennbar sein und Organisationen Em ployer Telling betreiben und nicht ins Schwafeln geraten. Kurze, knackige Texte sind genauso wichtig wie weitere multimediale Angebote, die auf den Punkt bringen, warum es sich lohnt zu einem Arbeitgeber zu wechseln. Nicht zu unterschätzen ist auch der Faktor, dass über das crossmediale Spielen der Inhalte auch aktuellen Mitarbeitern immer wieder verdeutlicht wird, warum sie bei ihrem Arbeitgeber bleiben sollten. Der Start von Google for Jobs in Deutschland hat den Markt erneut beschleunigt und gleichzeitig gezeigt, dass die Umsetzung von Structured Data-Anforderungen kein Gerede von Futuristen ist, sondern längst Einzug in den Alltag gehalten hat. Inwiefern Google for Jobs als Plattform an Fahrt gewinnt oder zum Dauerstreitfall wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger wird, bleibt abzuwarten. Klar ist bisher, dass es deutsche Arbeitgeber mit Jobanzeigen selten in die Google-Box schaffen und viele Ergebnisse über LinkedIn und XING generiert werden. Auch viele bekannte und weniger bekannte Jobportale sind bei den Suchergebnissen dabei, Karriereseiten der Unternehmen finden sich dagegen eher selten (Knabenreich 2019). Für Arbeitgeber stellt sich in diesem Kontext die Frage, auf welches Pferd sie mit begrenzten Ressourcen setzen: Versuchen, den ständig wechselnden Anforderungen von Google nachzukommen und es eventuell in die Google for Jobs-Liste zu schaffen, oder umso mehr auf Karriereportale setzen – von denen wiederum einige bisher nicht bei Google for Jobs mitmachen.
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Im Sinne von People Analytics ist außerdem erfolgskritisch, über welche Jobportale die meisten Bewerbungen eingehen, wie hoch die Quote der passenden Bewerber auf verschiedene Stellenanzeigen ist, über welche Seiten Kandidaten auf die Karriereseite gekommen sind und ob sie zu Bewerbern wurden, wie hoch also die jeweilige Conversion Rate ist.
6.1.2.3 Employer Value Proposition: Was Arbeitgebermarkenversprechen mit Datenrelevanz zu tun haben Das zentrale Element einer Arbeitgebermarke ist die EVP, also das Arbeitgebermarkenversprechen. Analog zur Unique Selling Proposition (USP) als Leistungs- und Verkaufsversprechen soll die Austauschbarkeit einer Arbeitgebermarke in den Köpfen der Mitarbeiter und Kandidaten verhindert werden. Daher geht es um den Hauptdifferenziator zu anderen Unternehmen (siehe Abb. 6.2). Nur echte Alleinstellungsmerkmale können Arbeitgeber von anderen Arbeitgebern abheben. Da man sich über die zumeist austauschbare Produkt- und Leistungsebene sowie Benefits nur schwer von der Konkurrenz abhebt, bauen viele Arbeitgeber den Differenziator über Werte und die Unternehmenskultur auf. Aus diesem Fundus an Eigenheiten, die jeder Arbeitgeber besitzt, ein Profil mit Ecken und Kanten zu schärfen, erfordert jedoch viel Mut, den nur wenige besitzen. Kommt es zum Schwur, haben die meisten Angst vor der eigenen Courage. Denn sich ernsthaft abheben heißt auch: Auffällig und prägnant sein, im Zweifelsfall zu polarisieren und damit die Bewerbermenge verringern, also Einbußen in quantitativer Hinsicht hinzunehmen. Da in vielen Management- und HR-Etagen häufig noch der Glaubenssatz „Recruiting bedeutet: Viele Bewerbungen = gut“ gilt, wird es spätestens an diesem Punkt schwer. Denn richtiges Employer Branding mit wirklicher EVP Abb. 6.2 EVP-Dreieck (Agentur Junges Herz)
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verhindert eben massenhafte Bewerbungen und führt stattdessen zu weniger, aber passende(re)n Kandidaten. Die findet man nur, wenn man ihnen die Ecken und Kanten deutlich zeigt. Um es bildhaft auszudrücken: Wer zu stromlinienförmig ist, darf sich nicht wundern, wenn sich niemand gut an ihm festhalten kann. Glaubwürdigkeit ist bei der Arbeitgebermarkenbildung von zentraler Bedeutung. Es darf nichts propagiert werden, was nicht der Wahrheit entspricht. Denn sonst verprellt ein Arbeitgeber sowohl die bestehenden Mitarbeiter als auch mögliche neue. Wer sich aufgrund von wohlklingenden Botschaften bei einer Organisation bewirbt, am ersten Arbeitstag aber eine andere Organisation vorfindet als die versprochene, wird diese Organisation schnell wieder verlassen (Friers und Camphausen 2017) – und seine negative Erfahrung sicher weitergeben. Dass dieser Effekt nicht zu unterschätzen ist, zeigt die Fluktuationsrate. Zu Beginn der Beschäftigung ist sie stark erhöht und bewegt sich zwischen 30 und 60 Prozent im ersten Jahr (Watzka 2014, S. 79). Der Reputationsschaden kann somit große Ausmaße annehmen. Auf einem Arbeitnehmermarkt ist man also gut beraten, wenn man Wahrheit und Echtheit repräsentiert.
6.2
allbeispiel Frankfurter Rotkreuz-Kliniken: Das Personal F macht die Marke
Die Frankfurter Rotkreuz-Kliniken waren 2015 das erste Krankenhaus im deutschsprachigen Raum, das eine vollumfängliche Arbeitgebermarke aufgebaut hat. Entstanden ist dabei der bis heute bekannte und erfolgreiche „Teamgeist erleben“-Case. Die Employer Brand wurde zusammen mit den Mitarbeitenden von innen heraus aufgebaut (Inside-Out- Verfahren) und regelmäßig intern verankert. Was hat den Case so erfolgreich werden lassen? Obwohl Begriffe wie „Big Data“ und „Smart Data“ im Krankenhauswesen zur Entstehungszeit um 2014 und 2015 keine große Beachtung fanden, wurde der Case auf Mitarbeiterbefragungen und Workshops, der Optimierung der Karriereseite und einer EVP aufgebaut, die sich auf die vier Werte Teamgeist, Zeit (für Patienten), Qualifikation und Wertschätzung konzentrierten. Alle vier Werte sind insbesondere für Pflegekräfte von höchster Bedeutung, somit wurden für die Zielgruppe relevante Issues emotional aufgeladen. Die anschließende multimediale Platzierung der Werte in Verbindung mit Employer Telling-Ansätzen, die insbesondere über Social Media ausgespielt wurden, haben die Arbeitgebermarke greifbar gemacht. Wie war die Vorgehensweise? Zu Beginn wurden über eine Agentur qualitative Leitfadeninterviews mit Mitarbeitenden aller Berufsgruppen durchgeführt. So hatten die Mitarbeitenden die Chance, Kritik und Verbesserungsvorschläge am Arbeitgeber frei und anonym zu äußern. Zudem wurde grundsätzlich offen gefragt, d. h. mehr im Stil von „Wie finden Sie Ihren Arbeitgeber“ als „Was finden Sie an Ihrem Arbeitgeber gut“ gefragt. So sollte herauskristallisiert werden, ob, und wenn ja, wie weit die Frankfurter Rotkreuz- Kliniken von einer mitarbeiterorientierten Personalpolitik entfernt waren. Über ergänzende Workshops wurde detaillierter herausgefiltert, wie sich Hintergründe berufsgrup-
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penübergreifend darstellen. Für jeden Fachbereich beider Standorte wurden innerhalb der Teams „Botschafter“ festgelegt, die ihren Bereich in den Workshops im Namen ihres Teams vertreten haben. Aus den qualitativen Leitfadeninterviews und den Workshops wurden dann zwei Dinge abgeleitet: Maßnahmen zur weiteren Verbesserung der mitarbeiterorientierten Personalpolitik und anschließend die vier Werte, welche die EVP der Kliniken prägten. In dieser Überleitung von Interviewrohdaten zu Unternehmenswerten, die später breit gespielt werden, steckt enorme Arbeit. Und die Transferleistung ist ein kritischer Moment in der Markenbildung. Denn aus seitenweisen Daten das Wesentliche aus Sicht der Mitarbeitenden genauso herauszufiltern wie das Relevante für die Markenaufladung und -kommunikation, ist ein diffiziles Unterfangen, das höchste Konzentration erfordert. Am Ende entsteht hieraus aber das Fundament, auf dem das gesamte Employer Telling samt Markenführung aufbaut und aus dem sich die strategischen Hebel ableiten. Bevor die „Teamgeist erleben“-Kampagne gelauncht wurde, hat eine weitere interne Verankerung der Arbeitgebermarke stattgefunden (Internal Employer Branding). Denn zwischen den Mitarbeiterinterviews und Workshops und dem Herunterbrechen auf vier Werte lag über ein Jahr. Über die Kampagne wurden vor allem Pflegekräfte angesprochen. Daher wurden die Werte sowohl den Teilnehmern der Leitfadeninterviews und der Workshops als auch Pflegeführungskräften vorgestellt. So wurde sichergestellt, dass sich alle mit den Werten identifizieren konnten. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten die Werte nachjustiert werden müssen. Denn nichts wäre schlimmer, als mit Botschaften, vielmehr aber noch mit Werten, an die Öffentlichkeit zu gehen, hinter denen die Mitarbeitenden nicht stehen. Getreu dem Motto: „Versprich nichts, was du nicht halten kannst“. Der Wert „Zeit“ war der gewagteste der vier Werte. Denn Zeit zur Betreuung von Patienten fehlt Pflegekräften in vielen deutschen Krankenhäusern. Krankenhäuser, die also diesen Wert als einen von wenigen Kernwerten in die breite Öffentlichkeit geben, müssen sich ihrer Sache absolut sicher sein, damit sie keinen internen wie externen Reputationsschaden erleiden. Das passende Kampagnenmotiv trug später den die Botschaft: „Für Patienten nehme ich mir keine Zeit. Ich habe sie.“, was nicht nur bei der Geschäftsführung als gewagte Aussage empfunden wurde. Aber in den qualitativen Interviews wurde vielfach betont, dass man in den Kliniken mehr Zeit für Patienten habe als anderswo. Durch die konsequente Ableitung der Werte aus den qualitativen Interviews und die zusätzliche Rückkopplung in der Pflege, war also ein festes Wertefundament vorhanden – und der Wert Zeit für diese Organisation nicht gewagt, sondern ein wirklicher Differenziator gegenüber Wettbewerbern. Ebenso wie die anderen drei Werte. Hätte man im Setup der Employer Brand auf eine quantitative Befragungsmethode gesetzt, wären diese Differenziatoren nie so herausgekommen. Eine ausgeprägte interne Kommunikation und die damit verbundene regelmäßige Vorstellung der Schritte und geplanten Maßnahmen war die Voraussetzung für die starke interne Verankerung der Arbeitgebermarke. Vielmehr könnte man sogar sagen, dass durch diese Vorgehensweise am Ende das Personal die Arbeitgebermarke geprägt hat. Vermutlich war und ist der Case daher bis heute so erfolgreich. Die Frankfurter Rotkreuz-Kliniken
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haben es über diesen Weg geschafft, sich aus einer Lage herauszukämpfen, in der die Kliniken kurz davorstanden, OPs und Stationen herunterfahren zu müssen. Weil die Kampagne in verschiedenen Phasen über etwa ein Jahr aktiv bespielt wurde, konnten in einigen Bereichen Bewerberpools aufgebaut werden, wo vorher auf Stellenanzeigen keine einzige Bewerbung einging. Auch der Cultural Fit spielte eine immer größere Rolle. Über das Kurzbewerbungstool auf der Microsite gingen immer mehr Initiativbewerbungen ein. Dort war ein optionales Freifeld hinterlegt, in dem Bewerber vielfach betonten, dass die Werte genau das seien, wonach sie in der Verwirklichung als Pflegekraft seit Jahren suchten.
6.3
Strategische Relevanz: Qualitative Personalbedarfsplanung
Wie viele Mitarbeiter ein Arbeitgeber in den kommenden Jahren insgesamt sowie nach Standorten oder Bereichen aufgegliedert benötigt, scheint eine nachvollziehbare und denkbar einfache Frage. Doch gibt es eine hohe Zahl an Unternehmen, die trotz jahrelanger Thematisierung von demografischem Wandel, Fachkräftemangel und Co. weiterhin besser ihren Absatzmarkt einschätzen können als die genaue Anzahl ihrer Mitarbeiter oder deren Alter zu kennen (Trost 2012, S. 44 f.). Ziel der Personalbedarfsplanung ist es, Personal mit der richtigen Qualifikation zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitzustellen. Ergänzt um den Employer Branding-Faktor müsste der Satz heißen: Ziel der Personalbedarfsplanung ist es, kulturell passendes Personal mit der richtigen Qualifikation zur richtigen Zeit am richtigen Ort bereitzustellen. Mindestens drei Faktoren sind erforderlich, um die strategische Relevanz einer Personalbedarfsplanung zu bedienen. In die Berechnung des zukünftigen Personalbedarfs sollten einbezogen werden [ebd., S. 44]: • In Ruhestand gehende Mitarbeiter • Freiwillige Fluktuation • Wachstum Zugegeben, „Personalbedarfsplanung“ ist wahrlich kein einladender Begriff und er klingt nach sehr viel Arbeit an der Basis. Aber sie bildet die Grundlage für wesentliche HR-Aufgabenfelder und eben das Fundament für jegliches Handeln in Richtung Employer Branding, Personalmarketing, Recruiting sowie Aus-, Fort- und Weiterbildung. All das baut im Idealfall auf den Erkenntnissen der Personalbedarfsplanung auf. Merkt man bei der Auswertung beispielsweise, dass in bestimmten Bereichen die Fluktuation vor allem unter hoch qualifizierten Fachkräften auffällig ist, sollten im Sinne eines guten Employer Brandings Maßnahmen abgeleitet werden, die dieses Personal besser an die Organisation binden und ihnen Gründe geben, mindestens länger zu bleiben. Eine Personalbedarfsplanung lässt sich in acht Schritte aufgliedern (in Anlehnung an Personio o. J.):
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Altersstrukturanalyse Planungshorizontfestlegung Unternehmensstrategieableitung Qualifikationsniveaufestlegung Bruttopersonalbedarfsermittlung Fluktuationsmessung Nettopersonalbedarfsermittlung Maßnahmenplanung
Schritt 1: Aus der Altersstrukturanalyse wird zum einen ersichtlich, wie hoch das Durchschnittsalter im gesamten Unternehmen ist. Hieraus lassen sich grundsätzliche Tendenzen für die Auslegung einer Arbeitgebermarke festlegen. Außerdem lässt sich so he rausfinden, ob bestimmte Bereiche bzw. Abteilungen mehr betroffen sind als andere. Bei global aufgestellten Unternehmen ist zudem interessant, ob es Unterschiede bei der Länder- bzw. Standortbetrachtung gibt. Mit der Altersstrukturanalyse wird aber auch ersichtlich, ob gewisse Altersklassen unterrepräsentiert sind. Schritt 2: Die Planungshorizontfestlegung erfolgt üblicherweise in einem kurzfristigen, einem mittelfristigen und einem langfristigen Zeitrahmen. Kurzfristig bedeutet dabei zumeist ein Jahr, mittelfristig bis zu drei Jahre und langfristig bis zu etwa fünf Jahre. Grundsätzlich gilt dabei: Je kürzer der Planungshorizont, desto präziser die Planung. Dennoch sind die mittel- und langfristigen Planungen ebenso wichtig, auch wenn sich viele Faktoren nicht frühzeitig und nicht eindeutig abschätzen lassen. Bezogen auf Employer Brands ist zudem wichtig: Arbeitgebermarkenbildung ist eine langfristige Aufgabe, für die man am besten alle Horizonte in Betracht zieht und stetig darauf hinarbeitet. Schritt 3: Bei der Unternehmensstrategieableitung geht es darum, dass die HR- Aktivitäten und vor allem der Aufbau oder Ausbau einer Arbeitgebermarke keine eigenen Strategien, Ziele oder Regeln verfolgt, sondern all das aus der Unternehmensstrategie ableitet. Umgekehrt sollte die Employer Brand auf die Formulierung der Unternehmensstrategie einwirken. Denn werden nicht die richtigen Mitarbeitenden gehalten und gefunden, bringt die beste Unternehmensstrategie nichts. Die Strategie hängt am Ende also von den Mitarbeitenden ab. Sehr progressiv formuliert: Culture eats strategy for breakfast, EVP eats strategy for lunch. Schritt 4: In diesem Schritt geht es darum, das Qualifikationsniveau für einzelne Bereiche und Aufgaben festzulegen und sie mit den aus der Unternehmensstrategie abgeleiteten Zielen abzugleichen. Klingt nachvollziehbar, aber auch das ist im HR-Alltag nicht selbstverständlich. Qualifikationsniveaus werden in vielen Organisationen zusammen mit den Fachabteilungen festgelegt. Für viele Fachbereiche ist der Qualitätsanspruch klar, aber er muss auch allen anderen Beteiligten klar werden, die am Employer Branding- und Recruitingprozess beteiligt sind. Nur so kann gewährleistet werden, dass in den Abteilungen das ankommt, was benötigt wird. Schritt 5: Die Bruttopersonalbedarfsplanung, auch SOLL-Bedarfsplanung genannt, sollte mittels einer Softwarelösung erfolgen, da die Aufgabe für viele Branchen und Felder
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zu komplex geworden ist (siehe dazu Gärtner 2020). Sie definiert die Menge aller Personen einer bestimmten Kategorie, die für die gesamte Leistungserbringung erforderlich ist. Einfacher ausgedrückt: Welche Bereiche benötigen wie viel Arbeitsleistung mit welcher Qualifikation? Die Planung wird auf Basis von Schätzverfahren, Erfahrungswerten, Expertenbefragungen sowie Kennzahlenanalysen durchgeführt. Schritt 6: Mit der Fluktuationsmessung möchte man herausfinden, wann genau welche Art von Mitarbeiter eine Organisation verlässt bzw. in sie eintritt. Hierbei ist auch wichtig, welche Funktionen und Aufgaben sie jeweils haben – und bei Abgängern, ob die Funktionen und Aufgaben so beschaffen bleiben. Beispiel: Wenn eine Funktion digitaler oder anspruchsvoller gestaltet werden soll, hat das Auswirkungen auf die Recruitingaktivitäten. Gehen in einem bestimmten Bereich in den kommenden Jahren viele Mitarbeiter in Rente, könnte ein ganzer Bereich modernisiert werden. Dann wäre es relevant für das Employer Branding. Schritt 7: Die Nettopersonalbedarfsplanung, auch IST-Bedarfsplanung genannt, ergibt sich als Ergebnis aus dem Abgleich von Bruttopersonalbedarf und aktuellem Personalbestand plus der Differenz aus erwarteten Zu- und Abgängen. Schritt 8: Im letzten Schritt wird eine Maßnahmenplanung aufgesetzt, die auf den Ergebnissen und Erkenntnissen der vorangegangenen Schritte aufbaut. Daraus ergeben sich unter anderem Antworten auf Fragen wie: „Wie viele Mitarbeiter müssen jeweils zu welchem Zeitpunkt eingestellt werden?“ oder „Welche Qualifikationen benötigen neue Mitarbeiter in welchen Bereichen?“ Das Human Resources Management von vielen Arbeitgebern hat bis heute eher verwaltenden statt gestaltenden Charakter. Der gestaltende Charakter ergäbe sich in vielen Fällen allein daraus, dass Personalbedarfsplanungen erfolgen und regelmäßig aktualisiert werden. Besser sind jedoch qualitative Personalbedarfsplanungen, denn es bringt wenig, nur zu wissen, wie viele Arbeitskräfte man künftig braucht (quantitativ), sondern welche Qualifikationen und Entwicklungsmaßnahmen aktuelle und neue Mitarbeiter benötigen (qualitativ) (Watzka 2014, S. 27–36). Wie oben bereits beschrieben, geht es beim Em ployer Branding darum, die möglichst passenden Mitarbeiter in fachlicher wie persönlicher Hinsicht zu finden und zu binden. Da tut man gut daran zu wissen, was „passend“ wirklich bedeutet.
6.4
Datentrüffel: Smarte Employer Brands durch Smart Data
Viele Unternehmen besitzen unter anderem aufgrund der fortgeschrittenen Digitalisierung einen gigantischen Datenschatz, aus dem sie nichts machen. Häufig ist von „Big Data“ die Rede, während Smart Data längst an der Tagesordnung sein müssten. Denn was bringen einem viele Daten, aus denen man nichts macht. Das ist wie stolz jeden Tag in der Nationalbibliothek zu sitzen, aber nie eines der Bücher zu lesen. Der Umgang mit Big Data will erst einmal erlernt werden und es braucht Kreativität, um sie in relevante Aussagen und sinnvolle Maßnahmen zu verwandeln. Erst dann wird
6 Smartes Employer Branding?
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die Sache wirklich smart. Auf eine Formel gebracht: Daten sollen in Informationen und Informationen in Wissen verwandelt werden. Employer Brands sind in den Köpfen vieler entweder verschrien als komplizierte Theoriekonstrukte verkopfter HR-Nerds oder Marketingkampagnen mit bunten Bildern, wenig Text und noch weniger Inhalt. Ganz sicher werden Employer Brands aber bisher – mindestens in der Literatur – nicht als datengetriebene Aufgabe gesehen. Dabei ist der HR-Bereich vielfach seit jeher ein zahlengetriebener Bereich. Die Zahlen wurden bisher aber offenbar selten dazu genutzt, Erkenntnisse aus ihnen zu gewinnen – und erst recht nicht, sie mit der Arbeitgebermarkenbildung in Verbindung zu bringen, geschweige denn sie dezidiert dafür zu nutzen. Und das, obwohl Unmengen an möglichen Erkenntnissen in den Daten stecken. Aus den Datenschätzen die Trüffel herauszusuchen, sie in sinnvolle Informationen und später in wirkungsvolle Maßnahmen zu übersetzen, ist kein einfaches Unterfangen für Employer Branding. Zum einen, weil es grundsätzlich keine weit verbreitete Disziplin in deutschen Unternehmen ist, zum anderen aber, weil Employer Branding keine anerkannte oder zumindesten keine eigene Disziplin ist. Und das, obwohl die Unternehmen seit Jahren lauthals beklagen, dass der Arbeitnehmermarkt leer gefegt sei. Sicher ist die Rekrutierung herausfordernd, aber umso mehr ein Anlass, sich den erforderlichen Teil vom Kuchen zu sichern. Das wiederum gelingt nur, wenn man als Arbeitgeber auf sich aufmerksam macht und dabei verdeutlicht, wofür man steht. Wer dann seine Datenmengen nicht ungenutzt verstauben lässt, sondern erkennt, dass darin riesiges Potenzial liegt, der wird sich einen entscheidenden Vorteil im Markt erarbeiten, denn er wird die richtigen Personen am Markt finden und im Unternehmen halten. Und er wird beweisen, dass sowohl seine Daten als auch seine Employer Brand wirklich smart sind.
Literatur Athanas, C. (2018). Anforderungen an Karriere-Webseiten: Was der ultimative digitale Recruiting- Touchpoint leisten muss. meta HR Blog. https://blog.metahr.de/2018/11/21/anforderungen-ankarriere-webseiten-was-der-ultimative-digitale-recruiting-touchpoint-leisten-muss/. Zuletzt aktualisiert am 21.11.2018, Zugegriffen am 26.02.2020. Camphausen, M. (2020). Employer Branding im Gesundheitswesen. W. Kohlhammer GmbH (1. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Camphausen, M., & Brandstädter, M. (2019). Employer Branding: Von der Notwendigkeit einer Arbeitgebermarke für Gesundheitseinrichtungen. In D. Matusiewicz, F. Stratmann & J. Wimmer (Hrsg.), Marketing im Gesundheitswesen. Einführung. Bestandsaufnahme. Entwicklungs perspektiven (1. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Deutsche Employer Branding Akademie. (2006). Viel zitiert: Employer-Branding-Definition. https://employerbranding.org/about/employer-branding-definition-mission-und-grundsaetze/. Zugegriffen am 26.02.2020. Friers, M., & Camphausen, M. (2017). Digitale Strategien bei Employer Branding im Krankenhaus. In C. Stoffers (Hrsg.), Krankenhausmarketing 4.0. Erfolgreich in einer digitalen Welt (S. 283–292). Kulmbach: Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage.
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Gärtner, C. (2020). Smart HRM: Digitale Tools für die Personalarbeit. Wiesbaden: Springer Gabler. Heeser, A. (2019). Employer Branding und Personalmarketing: Was Kliniken in Sachen Corporate Influencer und Markenbotschafter beachten müssen. kma, 24 (9), 37–39. https://www.kma-online.de/aktuelles/management/detail/das-sollten-kliniken-bei-corporate-influencern-beachten-a-41917. Zugegriffen am 06.01.2020. Knabenreich, H. (2019). Google for Jobs. Wie Google den Jobmarkt revolutioniert und Sie im Re cruiting profitieren (1. Aufl.). Wiesbaden: Springer Fachmedien/Springer Gabler (essentials). Kriegler, W. R. (2017). Employer Branding: Die Arbeitgebermarke als Spiegel von Identität und Kultur. In J. Prölß & M. van Loo (Hrsg.), Attraktiver Arbeitgeber Krankenhaus. Employer Bran ding – Personalgewinnung – Mitarbeiterbindung (S. 179–200). Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Kriegler, W. R. (2018). Praxishandbuch Employer Branding – inklusive Arbeitshilfen online. Mit starker Marke zum attraktiven Arbeitgeber werden (3. Aufl.). München: Haufe-Lexware. Personio. (o. J.). Personalbedarfsplanung. https://www.personio.de/hr-lexikon/personalbedarfsplanung/. Zugegriffen am 26.02.2020. Sponheuer, B. (2010). Employer Branding als Bestandteil einer ganzheitlichen Markenführung. Wiesbaden: Gabler. Tometschek, R. (2017). Employer Branding. Innen beginnen. In J. Buckmann (Hrsg.), Einstellungs sache: Personalgewinnung mit Frechmut und Können (S. 77–90). Wiesbaden: Springer Fachmedien. Trost, A. (2012). Talent Relationship Management. Personalgewinnung in Zeiten des Fachkräfte mangels. Berlin/Heidelberg: Springer. Watzka, K. (2014). Personalmanagement für Führungskräfte. Elf zentrale Handlungsfelder. Wiesbaden: Springer Gabler.
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Der Fall Hubert K. Eine People Analytics Kurzgeschichte Carsten Knaut und Maike Schrickel
7.1
Der Auslöser
„Dieses Arschloch!“ Michael war auf hundertachtzig. Sie standen seit einigen Minuten in der Kaffeeküche und Michael war so aufgebracht, dass er nicht mal darauf achtete, ob ihn jemand auf dem Flur hören könnte. „Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass er mich vor meinem Kunden bloßstellt.“ Ulrike versuchte zu beschwichtigen. Aber Michael war nicht runterzubringen. Er kochte. Zuletzt hatte sie Christina so gesehen und kurz darauf kündigte diese. Und wie aufs Stichwort sagte auch Michael, dass er sich nun aktiv nach einem neuen Job umsehen und kündigen werde. Ob er denn schon mit Sebastian gesprochen habe, fragte Ulrike dazwischen. Michael schaute resigniert. Mit HR habe er schon mehrfach gesprochen. Getan habe sich aber nichts. Im Gegenteil. Michael hatte das Gefühl, dass Hubert ihn seitdem auf dem Kicker habe. Wie schwierig sich die Situation in Wirklichkeit darstellte, sollte sich später noch zeigen.
C. Knaut (*) TH Köln, Köln, Deutschland E-Mail: [email protected] M. Schrickel Zentis, Aachen, Deutschland © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_7
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7.1.1 Die HR-Perspektive Die Mitarbeiterbefragung lag jetzt schon drei Monate zurück, aber der Fall Hubert K. beschäftigte Sebastian noch immer. Wie konnte es nur sein, dass in einem wirtschaftlich durchaus erfolgreichen Bereich die Stimmung so derart vergiftet war? Drei Kündigungen in weniger als sechs Monaten. Und wenn man sich die Ergebnisse der Befragung ansah, war zu befürchten, dass es nicht die letzten Kündigungen waren. Schlimmer noch: In einer Diskussion mit der Geschäftsführung hatte er sich sogar Vorwürfe anhören müssen, wie er Hubert K. überhaupt in Frage stellen konnte. Immerhin sei er ein seit mehr als zehn Jahren sehr erfolgreicher Vertriebler. Er solle sich mal seine Umsätze ansehen, war ihm als Argument entgegengeworfen worden und damit wurde die Diskussion beendet. Selbst seine Chefin hatte nichts weiter erwidert. Er wäre ja zu neugierig, ob die Leistungen von Hubert K. wirklich so gut waren. Es konnte doch fast nicht sein, dass so eine Stimmung im Team nicht auf die Vertriebserfolge abstrahlte. Aber wie konnte man das prüfen? „Was wäre“, begann er laut zu denken, und seine Kollegin schaute auf, „wenn man die Vertriebserfolge ins Verhältnis zu den Ergebnissen der Mitarbeiterbefragung stellen könnte?“. Seine Kollegin sah ihn verwundert an. „Was erwartest du zu finden? “, fragte sie irritiert zu zurück. Sebastian wusste es nicht. Es war nur so ein Gefühl.
7.1.2 Seine Sicht Hubert K. bekam von alldem nichts mit. Er hatte gerade eine interne Ehrung für seine zehn Jahre Betriebszugehörigkeit erhalten und zudem erneut die besten Umsätze in seiner Region. Auf einer Tagung der Vertriebsführungskräfte klagte er einigen Kollegen sein Leid über die fehlende Einsatzbereitschaft seiner Mitarbeiter. „Ihr könnt euch das kaum vorstellen! Zu meiner Zeit hat man sich für seinen Chef noch den Allerwertesten aufgerissen. Wisst ihr, was ich meine? Und heute rennen sie direkt zur Personalabteilung, wenn man sie mal schief anschaut.“ Seine Kollegen hatten zustimmend genickt. Hubert K. suhlte sich in dieser anerkennenden Zustimmung und legte nach: „Und was soll dieser ganze Quatsch der Wohlfühlkultur. Um abzuliefern, brauche ich keine gute Laune“. Gelächter. Es wurde eine neue Flasche Wein bestellt.
7.1.3 Erste Annäherung „Hast du die Gesamtergebnisse der Mitarbeiterbefragung als Excel-Datei?“ fragte er seine Kollegin. Doch auch sie hatte nur PowerPoint Folien. Diese Folien hatte Sebastian genutzt, um mit Hubert K. ins Gespräch zu kommen. Seine Reaktion lag irgendwo zwischen: ‚Geh mir weg mit den bunten Bildchen‘ und ‚Du hast doch keine Ahnung vom Vertrieb‘.
7 Der Fall Hubert K.
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Ob er denn nicht wisse, dass sein Bereich eines der besten Vertriebsergebnisse erzielt habe? Beim Gedanken daran, ärgerte er sich noch heute über diese Ignoranz. Es gab für jeden Bereich eine detaillierte Darstellung und auch eine aggregierte Sicht, aber mit Powerpoint ließ sich nicht wirklich arbeiten. Die Rohdaten waren schnell angefragt. Eine riesige Excel-Tabelle mit einigen hundert Zeilen und vor allem fast hundert Spalten. Er brauchte eine Übersicht der einzelnen Bewertungsfaktoren im Vergleich zwischen den Abteilungen. Eine Heat-Map, in der die im Vergleich schlechten Werte rot hervorgehoben sind, wäre hilfreich. Die Pivot-Funktion war einfacher, als er sie in Erinnerung hatte. Er hatte die Funktion mal in einem Excel Training vorgestellt bekommen, aber das war lange her. Also behalf er sich mit einem YouTube Video. Einfach die Tabelle markiert und schon konnte er die Felder nach Belieben strukturieren und zusammenfassen. Und mit Hilfe der bedingten Formatierung war aus der Tabelle schnell eine Heat-Map gemacht. Wenig überraschend, dass die Zeile von Hubert K. fast durchgehend orange bis rot war. Diese Info war nicht neu, wenn auch in dieser Darstellung sehr prägnant. Überraschenderweise waren die Ergebnisse auch weniger schlecht, als er vermutet hätte. Diese Infos brachten ihn also nicht richtig weiter. Er brauchte mehr, wenn er verstehen wollte, ob und wie das Führungsverhalten von Hubert K. sich auf den Geschäftserfolg auswirkte. Bei der Entwicklung des Führungskräfte-Feedback-Formulars vor einigen Jahren, hatte er sich an Googles Projekt Oxygen (Garvin 2013) orientiert. Seither hatte er aber nie untersucht, wie sich das Führungsverhalten auf den Geschäftserfolg auswirkte. Dafür schien es jetzt an der Zeit.
7.1.4 Wie erfolgreich ist Hubert K. wirklich? Die finanzielle Sicht. Ihm stand eine große Aufgabe bevor: Eine Untersuchung der finanziellen Sicht. Was, wenn Hubert K. Recht hatte und sein Führungsstil erfolgreich war? Er brauchte jemanden aus dem Controlling, der ihm half. Ein Großteil der notwendigen Daten müsste doch vorhanden sein, war er sich sicher. „Der Bereich von Hubert K. wächst seit Jahren überdurchschnittlich“, war die spontane Antwort von Kirsten. „Zumindest im Vergleich mit anderen Vertriebsbereichen“, schob sie hinterher. „Wie meinst du das?“, fragte Sebastian irritiert. „Wir beginnen gerade uns anzusehen, wie die einzelnen Regionen im Vergleich zum Markt wachsen. Also, ob wir schneller als der Markt wachsen und Marktanteile gewinnen. Der Markt, für den Hubert zuständig ist, wächst seit Jahren stark. Stärker als andere Märkte. Hubert gewinnt dennoch Marktanteile hinzu, d. h. er wächst noch etwas schneller als der Markt. Wenn unsere Marktdaten stimmen, gewinnt er in geringem Maße neue Marktanteile.“, schilderte Kirsten. „Gibt es auch Bereiche, die deutlich stärker als der Markt wachsen?“, fragte Sebastian. „Oh ja, die gibt es. Wir haben sogar eine Region, die seit Jahren schrumpft und wo es der Vertriebsmannschaft dennoch gelingt, stetig Marktanteile hinzu zugewinnen. Vor allem seit letztem Jahr und mit Unterstützung von Björn in Merles Team, konnten sie viele
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Marktanteile gewinnen. Dennoch verliert der Bereich in absoluten Zahlen Umsatz. Eigentlich eine Schande, dass die absoluten Zahlen die Erfolge der Kollegen in dieser Region überschatten.“ Sebastian musste nachhaken und Kirsten gab ihm ein Rechenbeispiel: Der Markt in der Region von Hubert K. ist im letzten Jahr um die 5 % gewachsen. Unsere Umsätze in dieser Region sind um mehr als 6,5 % gewachsen. Also um 1,5 Prozentpunkte schneller als der Markt. Der Markt in der Region von Merle hingegen ist um 11 % zurückgegangen. Und dennoch war es Merle und ihrem Team gelungen, die Umsatzrückgänge auf 3 % zu beschränken. Das sei eine herausragende Leistung, auch wenn unter dem Strich ein Minus von 3 % stehe. Sebastian fragte sich unweigerlich, was Merle und ihr Team wohl in der Region von Hubert K. leisten würden. Er musste sich die Mitarbeiterbefragungsdaten von Merle ansehen. „Schaut ihr euch eigentlich auch an, was für indirekte Kosten die Fluktuation in einem Bereich verursacht?“, fragte er Kirsten noch. Die musste leider verneinen. Diese seien, wenn überhaupt, nur schwer zu beziffern. Wobei sie auch neugierig wäre, was all die Zeit kostet, die Führungskräfte in Vorstellungsgesprächen oder mit nicht wertschöpfender Administration verbrächten. „Und da sind die Kosten für die Einarbeitung und die Trainings der neuen Kollegen noch nicht mitgerechnet. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass jemand, der gekündigt hat, auch nicht mehr 100 % seiner Leistung bringt.“, ergänzte Sebastian. „Tja, die Krankenquote taucht leider nicht in der Bilanz auf“, bemerkte Kirsten süffisant. Die Performance von Hubert K. war also gut, aber nicht herausragend. Die Daten legten zudem die Vermutung nahe, dass sein Verhalten hohe indirekte Kosten verursachte und negative Langzeiteffekte haben könnte. Sebastian bedankte sich bei Kirsten und verließ ihr Büro.
7.1.5 Kritik wird laut(er) Ihr Gesichtsausruck ließ nichts Gutes vermuten. Als Sebastians Chefin in seiner Tür erschien, hatte er unweigerlich ein ungutes Gefühl. Scheinbar hatten die Finanzkollegen sich ausgetauscht und Sebastians Überlegungen waren bis zum Vertriebsvorstand vorgedrungen. Dieser hatte daraufhin einen klassischen Einzeiler an seine Chefin geschrieben. Welches Ziel diese Untersuchung verfolge, war seine einfache Frage gewesen. Es schien, als würde sich seine Chefin mehr darüber ärgern, nicht ausreichend involviert gewesen zu sein, als über die Mail des Vertriebsvorstandes. Sie müsse informiert sein, um auf solche Rückfragen vorbereitet zu sein. Ob Sebastian sich im Klaren darüber sei, welche Wellen seine Fragen schlagen würden? Ja, das war er. Und die erste kleine Welle interpretierte er als Zeichen dafür, dass er die richtigen Fragen stellte. Ob seine Chefin hinter ihm stehe, fragte er zurück. Wenn es der Organisation helfe, ja. Es dürfe aber nicht um einzelne Personen gehen. Hubert K. dürfe nicht als Einzelfall analysiert werden. Sebastian solle sich auf die Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten
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und Vertriebsleistung konzentrieren und die Namen einzelner Personen außen vorlassen. Anderenfalls würden sie sich angreifbar machen und riskieren, dass sie die Fachbereiche gegen sich aufbrächten. Den Geschäftsführer Vertrieb würde seine Chefin eingefangen bekommen. Vor allem, wenn sie ihm erläuterte, wie Sebastians Analyse helfen würde, die Budgets für Vertriebstrainings effizienter zu allokieren. Zwischenzeitlich musste Sebastian jedoch dringend mit dem Betriebsrat sprechen. Die Kollegen des BR mussten frühzeitig informiert sein. Sebastian versicherte, sich um einen Termin zu kümmern, um dem BR sein Vorhaben vorzustellen.
7.1.6 Vom Einzelfall zur strukturierten Untersuchung Er musste Struktur in seine Analyse bringen. Eine kurze Recherche im Netz förderte eine Vielzahl von brauchbaren Artikeln mit Schritt für Schritt Anleitungen und Case Studies für Datenanalyseprojekte im Personalumfeld zu Tage. Er entschied sich, seiner Untersuchung eine grundsätzliche betriebswirtschaftliche Fragestellung mit messbaren Kriterien zu Grunde zu legen und diese dann schrittweise zu zerlegen und zu untersuchen (Knaut 2018). Die Kernfrage seiner Untersuchung war: Wie wirkt sich die Führungsqualität des Vertriebsleiters auf die Leistung des Vertriebsteams und einzelner Vertriebsmitarbeiter aus? Doch was so einfach klang, hatte sich zu einer sehr umfangreichen Analyse ausgeweitet. Um diese Frage zu beantworten, musste er zuerst verschiedene Unterfragen beantworten: • • • •
Welche Führungseigenschaften könnten einen Einfluss auf den Vertriebserfolg haben? Was ist überhaupt Vertriebserfolg? Welche sonstigen Einflussfaktoren könnte es geben? Welche Maßnahmen zur Verbesserung könnte man anstoßen?
Er würde mit wenigen Datenquellen beginnen. Umsatzzahlen, Marktdaten und die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung lagen ihm ja bereits vor. Ein Anfang war also gemacht. Aber er würde Hilfe brauchen, wenn es darum ging, die Datenquellen zusammenzuführen. Vor allem die Korrelation von Führungskräfte-Feedback und Umsatzzahlen würde eine Herausforderung, aber auch ein gutes Projekt für eine Masterarbeit. Hatte sein ehemaliger Azubi sich nicht für ein berufsbegleitendes Studium entschieden?
7.1.7 Externe Unterstützung suchen Die Anfrage ergab, dass sein Ex-Azubi selbst zwar bereits ein Masterarbeitsthema hatte, die Hochschule aber einen Studienschwerpunkt „Data Analytics“ anbot. Sebastian bekam
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den Namen einer Professorin, die für Bachelor- und Masterarbeiten immer Praxispartner suchte. Das erste Telefonat mit Daniela Schmidt verlief völlig anders als erwartet. Bereits kurz nach dem Einstieg äußerte Daniela Schmidt ihre Zweifel an Sebastians Annahmen. „Es gibt da die Studie eines Kollegen, wonach Teamorientierung sich negativ auf die Leistung eines Vertrieblers auswirkt. Wichtig für den Vertriebserfolg ist vielmehr emotionale Belastbarkeit (Nachtwei 2014)“, erläuterte sie. Sebastian war konsterniert. Das würde bedeuten, Hubert K. brächte alles mit, was einen guten Vertriebler ausmacht, und Michael hätte sich einfach für den falschen Beruf entschieden!? Noch während er überlegte, schlug Frau Schmidt vor, zwei Studierende auf das Thema anzusetzen. Sie wäre ebenfalls neugierig, welchen Effekt die Führungsleistung auf den Vertriebserfolg habe – schließlich könnte es sein, dass man die Studienergebnisse nicht auf die vorliegenden, spezifischen Unternehmensbedingungen übertragen könne. Aber mit den firmeninternen Daten ginge das. Sie lud ihn an die Hochschule zu einem Treffen mit zwei Masteranden aus dem Schwerpunkt Data Analytics ein, die gerade nach einem Thema für ihre Masterarbeit suchten und bat ihn in Vorbereitung seine Zielsetzung und drei Hypothesen zu formulieren, welche sie dann als Grundlage für eine erste Abstimmung verwenden könnten.
7.2
Die Untersuchung
Da sich Sebastian nun bereits seit einigen Wochen mit dem Thema befasste, hatte er die Aufgabenstellung schnell formuliert. Den folgenden Dimensionen des Verhaltens einer Führungskraft unterstellte er Auswirkungen auf die Leistung des Vertriebsteams: • • • •
Unterstützung durch den Vorgesetzten Empfundenes Vertrauen durch den Vorgesetzten Kommunikation strategischer Ziele Trifft und begründet Entscheidungen
Seine Hypothese war, dass hohe Werte in diesen vier Dimensionen mit höheren Leistungen der einzelnen Vertriebsmitarbeiter einhergingen. Eine Masterarbeit müsste für ihn zwei Dinge leisten: 1. Prüfen, in welchem Umfang die Ergebnisse des Führungskräfte-Feedbacks den Vertriebserfolg erklären können. 2. Ein Konzept mit Maßnahmen zur Verbesserung des Vertriebserfolgs erarbeiten. Die Arbeit hätte also eine analytische und eine konzeptionelle Komponente. Sebastian präsentierte die ihm bisher vorliegenden Daten. Bisher hatte er:
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• Die Umsätze je Region der letzten drei Jahre • Das Wachstum der jeweiligen Märkte im selben Zeitraum • Die Ergebnisse des Führungskräfte-Feedbacks Die Controllerin Kirsten hatte ihm die Daten bereits anonymisiert zur Verfügung gestellt, so dass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen gezogen werden konnten. Frau Schmidt schlug vor, Sebastians Vermutungen in einem ersten Schritt in wissenschaftliche Hypothesen zu übersetzen. Eine solche Hypothese könnte lauten: „Je stärker die empfundene Unterstützung durch den Vorgesetzten, desto größer der Vertriebserfolg des Vertriebsmitarbeiters“. Ein solcher Konditionalsatz beschreibt einen vermuteten, allgemeingültigen und realen Sachverhalt, der empirisch untersuchbar ist (Bortz und Doering 2016, S. 4). Um Sebastians Vorannahmen zu verifizieren und möglichst gut begründete Hypothesen zu formulieren, bat Frau Schmidt die Studierenden um eine Literaturrecherche. Sie sollten prüfen, welche empirischen Untersuchungen es bereits gäbe und darauf basierend Hypothesen vorschlagen. Parallel würden sie die Daten auch untersuchen und auf Basis existierender Studien weitere Hypothesen entwickeln. Gerne würden sie Sebastian Zwischenergebnisse zur Verfügung stellen und die jeweiligen nächsten Schritte mit ihm abstimmen.
7.2.1 Bunte Bilder, Überraschungen und neue Ideen Es kam ihm vor wie ein unterhaltsames Suchspiel. Er hatte sich die Korrelationsmatrix, die ihm einer der Studierenden geschickt hatte, auf ein DIN A 3 Blatt ausgedruckt. Die Studierenden hatten Sebastian gebeten, die Korrelationsmatrix mit Vorsicht zu genießen, da ein statistisch sauberer Hypothesentest noch ausstehe und die Signifikanz der Ergebnisse erst geprüft werden müsste, bevor aus den Korrelationen irgendwelche Ableitungen getroffen werden könnten. Spielte der Signifikanztest in seinem Fall denn überhaupt eine Rolle, fragte er sich, als er die Mail der Studierenden las? Denn schließlich galten die Werte für die Daten ihres Unternehmens und damit für ihre Grundgesamtheit (Bortz 2015, S. 111–114). Ob sich die gewonnenen Erkenntnisse verallgemeinern und auf andere Unternehmen übertragen ließen, war ihm ja streng genommen egal. Das würde er noch mal mit Frau Schmidt diskutieren müssen. „Wie analog Datenanalyse doch sein konnte …“, dachte Sebastian schmunzelnd, als er begann interessante Bereiche der Korrelationsmatrix zu kennzeichnen (siehe Abb. 7.1). Der Einfluss des Führungsstils schien grundsätzlich geringer, als Sebastian erwartet hatte. Lediglich die Kommunikation durch den Vorgesetzten und seine Entscheidungsfähigkeit korreliert in nicht starkem Maße mit dem Vertriebserfolg. Frau Schmidt hatte eine
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Abb. 7.1 Korrelationsmatrix Führungskräftefeedback und Marktanteilswachstum
Vermutung in diese Richtung. Zum einen gab es eine People Analytics Case Study von McKinsey, die eine ähnliche Untersuchung bei einer Restaurant-Kette durchgeführt hatten und bei der sich das Führungsverhalten als deutlich weniger relevant herausgestellt hatte, als ursprünglich vermutet (Arellano et al. 2017). Eine Studie der Uni Mannheim (Homburg et al. 2015) war zudem zum Ergebnis gekommen, dass Führungskräfte im Vertrieb besonders erfolgreich sind, wenn sie extrovertiert und durchsetzungsfähig sind. „Na prima.“, entfuhr es Sebastian „an diesen Eigenschaften allein wäre ja auch nichts auszusetzen“. Etwas gefrustet aber noch nicht entmutigt, beschloss er, tiefer in die wirtschaftlichen Kennzahlen einzusteigen. Er würde sich gerne die Regionen im Einzelnen ansehen und rief bei Kirsten im Controlling an. Sie schickte ihm ein Liniendiagramm, aus dem er ersehen konnte, welche Regionen in den letzten Jahren über- und welche unterdurchschnittliches Marktanteilswachstum aufwiesen. „Moment mal!“, entfuhr es ihm laut und seine Kollegin schaute verschreckt hoch. „Meintest du mich, Sebastian?“ fragte sie irritiert. „Oh, entschuldige bitte. Nein, mir ist gerade nur etwas aufgefallen“. „Na, das Malen scheint ja Emotionen bei dir zu wecken“ erwiderte seine Kollegin schmunzelnd. Sebastian war bereits wieder in die Übersichten vertieft. Einmal mehr stach ihm das Ergebnis von Merles Team aus dem Jahr 2017 ins Auge. Dieser herausragende Wert stach stark heraus und ließ sich keinesfalls „nur“ durch das Führungskräftefeedback erklären. Er dachte noch mal über das Gespräch mit Kirsten aus dem Controlling nach, die Björn erwähnt hatte. Und jetzt erinnerte er sich: 2016 hatte er persönlich einen neuen Kollegen in Merles Bereich eingestellt. Dieser neue Kollege war Björn gewesen und er hatte damals erwähnt, über ein breites Netzwerk in der Branche zu verfügen und gegebenenfalls einen großen Auftrag mitzubringen. „Ach, dir ist es auch direkt aufgefallen.“ antwortete Kirsten, als Sebastian sie fragte, ob sie wisse, was die Ursache für diesen Sprung gewesen sei. Sebastian schilderte ihr seine Vermutung und Kirsten versprach, bei Gelegenheit mal zu schauen, ob sie den Marktbericht des Jahres 2017 noch irgendwo fand. Noch während sie sprachen, kam Sebastian
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plötzlich eine Idee: „Gäbe es die Möglichkeit, das Verhältnis von Marktwachstum, Marktanteilswachstum und Marktgröße in einer Grafik dazustellen?“. „Bewirbst du dich gerade fürs Controlling, Sebastian?“, fragte Kirsten lachend. Sie schlug ein Blasendiagram vor und fragte ihn, was er denn damit vorhabe. Er schilderte ihr seine Idee. Anerkennend bemerkte Kirsten: „Dieser Ansatz könnte glatt von einem Controller sein!“. War etwas im Markt geschehen oder konnte dieser Effekt wirklich auf einen einzelnen Mitarbeiter zurückzuführen sein? Er erinnerte sich an einen Vortrag, den er kürzlich gesehen hatte, wo es um die Bedeutung des Vertriebsnetzwerks für den Vertriebserfolg ging (Gärtner 2018; Milnor 2019). Dieser Fragestellung würde er separat nachgehen. Und er stellte sich noch eine ganz andere Frage: Wenn im Fall von Björn die Rekrutierung eines einzelnen Mitarbeiters einen so starken positiven Effekt hatte, gab es womöglich auch den umgekehrten Fall? Hatten sie im Bereich von Hubert K. in der Vergangenheit nach falschen Kriterien rekrutiert? Oder könnte man durch Trainings bzw. Coachings die vorhandenen Mitarbeiter zu noch besseren machen?
7.2.2 Der Ansatz: Blasen auf dem Weg nach Monte-Carlo Eine Glaskugel. Womit sonst sollte er Umsätze prognostizieren? Wie würden schwächere Mitarbeiter auf ein Coaching reagieren und welchen Nutzen würde es stiften? Ein Prozent mehr Umsatz oder zwei oder drei? Er konnte sich die Reaktion des Vertriebsvorstands schon ausmalen, wenn er mit pauschalen Annahmen ankäme. Er brauchte mehr als eine Glaskugel. Er schrieb Daniela Schmidt eine E-Mail und fragte sie, ob es hierzu belastbare Studien gäbe. Ihre Antwort kam prompt in Form eines Rückrufes. Ihr wären spontan keine Studien bekannt, aber sie würde gerne recherchieren. Daneben habe sie aber noch eine andere Idee. „Wir könnten mögliche Entwicklungen simulieren und verschiedene Szenarien berechnen.“ Die Technik dazu hieße Monte Carlo Simulation. Sie könnten mit diesem Verfahren verschiedene Entwicklungen jeder einzelnen Vertriebsregion simulieren und so potenzielle Umsatzentwicklungen prognostizieren. Sie würde ihre Studenten dransetzen und ihm in Kürze etwas schicken. Langsam begann ihm das Ganze Spaß zu machen. Unmittelbar nachdem er aufgelegt hatte, erhielt er von Kirsten das Blasendiagramm, über das sie gestern gesprochen hatten, und nur wenige Sekunden später surrte der Drucker (siehe Abb. 7.2). Mit dieser Darstellung konnte Sebastian arbeiten. Das Blasendiagramm zeigte ihm nicht nur, welche Regionen stärker und welche schwächer wuchsen. Vielmehr zeigte ihm diese Darstellung, welche Regionen in Größe und Marktwachstum vergleichbar waren. Denn sein Coachingkonzept machte nur Sinn, wenn Coach und Coachee unter vergleichbaren Rahmenbedingungen agierten. Er markierte sich potenzielle Coach/ Coachee Paare in Gelb. Die alles entscheidende Frage war jedoch immer noch nicht beantwortet: Welches Umsatzpotenzial bot sein Ansatz? Er sollte sich noch einige Tage gedulden müssen, bevor er
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Abb. 7.2 Blasendiagramm Marktanteile, Marktwachstum und Marktgröße
Abb. 7.3 Monte-Carlo Simulation Marktanteilswachstum
eine Rückmeldung der Studierenden erhielt. Erst nach drei Tagen erhielt er die Simulation. Die Darstellung hatte etwas von abstrakter Kunst (siehe Abb. 7.3). Die Studierenden hatten 30 mögliche Szenarien simuliert. Das Ergebnis war, dass das Umsatzpotenzial zwischen 0,2 und 2,7 Prozentpunkte je Coachee aus den unteren beiden Quantilen lag. Nahm man den Mittelwert von 1,45 und rundete ihn konservativ ab, so ergab sich ein Potenzial von ca. einem Prozentpunkt mehr Umsatz für die unteren beiden Quantile. Das entsprach einem Umsatzpotenzial von 3,5 Mio. EUR. Zusammen mit diesen Werten schlug Frau Schmidt, mit Verweis auf existierende Studien, einen A/B-Test zur Verifikation dieser Schätzung vor: • Sie würde zwei Gruppen von jeweils zehn Vertriebsmitarbeitern zusammenstellen –– In beiden Gruppen zu gleichen Teilen Führungskräfte und Vertriebler
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–– Möglichst vergleichbare Vertriebsregionen (bezogen auf Marktwachstum und Struktur der letzten drei Jahre) • In der Testgruppe: Coaching für die schwächere Vertriebsmitarbeiter durch einen he rausragenden Vertriebler. Nach einem Jahr würde man das Marktanteilswachstum beider Gruppen vergleichen. Einen ähnlichen Ansatz verfolge beispielsweise auch Google sehr erfolgreich (Bock 2015).
7.2.3 D er Entscheidungsprozess und das richtige Stakeholder Management Seit dem letzten Führungskräfte-Feedback und den Diskussionen rund um Hubert K. war eine Menge Zeit vergangen. Aber die Reaktion des Vertriebsvorstandes war Sebastian noch sehr präsent. Wenn sein Vorschlag eine reale Chance bekommen sollte, dann konnte der Weg nur über die Geschäftsführung führen. „Immerhin sprechen wir hier von einem Umsatzpotenzial im Millionenbereich“ murmelte er leise vor sich hin, als er aufstand, um in das Büro seiner Chefin rüberzugehen. Sagenhafte 30 Min. hatte er beim Vorstandsvorsitzenden bekommen. Aber immerhin die Chance, seinen Business Case vorzustellen. Sebastian und seine Chefin bereiteten den Termin beim Vorstand gemeinsam vor.
Abb. 7.4 CEO Slide Coaching Konzept
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Wie vereinbart, stiegen sie mit einer großen Zahl in das Gespräch ein. Mit leicht feuchten Händen berichtete Sebastian, dass er im Vertrieb ein zusätzliches Umsatzpotenzial von 3,5 Mio. Euro sähe. Er ließ die Zahl sacken. Der CEO nahm den Betrag scheinbar gänzlich unbeeindruckt zur Kenntnis. Nach einigen Sekunden des Schweigens fragte er schlicht: „Und darauf kommen Sie wie?“. Sebastian zeigte ihm einen einzelnen Slide (siehe Abb. 7.4) und fasste die Ergebnisse in zwei Sätzen zusammen. „Gute Vertriebsführungskräfte wachsen im Schnitt um 3–4 Prozentpunkte schneller als ihr Markt. Wenn die schwächeren Vertriebskollegen durch Coaching nur um einen Prozentpunkt stärker wachsen, sprechen wir von einem Umsatzplus von 3,5 Mio. Euro.“ Der CEO warf einen kurzen Blick auf das Slide. „Noch mehr Geld in Vertriebsschulungen zu pumpen, halte ich für sinnlos. Wie viel investieren wir bereits in Vertriebstrainings – 2 Mio. jährlich? Und sie wollen jetzt noch mehr Geld in die Hand nehmen?“. „Die Effekte der existierenden Trainings könnten wir mit diesem Ansatz ebenfalls untersuchen.“, bot Sebastian ruhig an und musste ein triumphales Lächeln unterdrücken. „Um ihre Frage zu beantworten: Nein, wir sind nicht hier, um mehr Trainingsbudget zu verhandeln. Wir haben einen Vorschlag, wie sich das Budget deutlich effizienter und vor allem messbarer einsetzen lässt.“ Langsam schien der CEO Gefallen an der Struktur des Gespräches gefunden zu haben. „Noch lieber wäre mir, sie zeigen mir, wie wir Trainingsbudget einsparen können. An den Topf müssen wir in der zweiten Jahreshälfte voraussichtlich sowieso ran.“, verkündete er mit Blick Richtung Sebastians Chefin. „Ist es vor diesem Hintergrund nicht umso wichtiger, dass wir das Budget effizient nutzen?“ fragte Sebastian. „Ach ja, die 3,5 Mio. Euro – dann erläutern Sie mal“. Sebastian erläuterte, kam jedoch nur bis zum Stichwort „geistige Flexibilität“, als das Gespräch durch eine Bemerkung des CEOs abzudriften drohte. „Wir suchen also nach den hellen Kerzen auf der Vertriebstorte“ stellte er lachend fest. Fast wäre Sebastian ein „Ihr Ernst jetzt?“ rausgerutscht. Zum Glück verkniff er sich die Bemerkung und setzte stattdessen fort: „Lassen Sie uns mit einer kleinen Testgruppe prüfen, was geschieht, wenn wir einige der schwächeren Kollegen durch die hellsten Kerzen anstecken lassen.“ „Der Case ist plausibel, auch wenn mir die Summen etwas hochgegriffen scheinen. Für eine Entscheidung brauchen wir Stefan als Vertriebsvorstand. Er muss den Ansatz als verantwortlicher Geschäftsführer für den Vertrieb mittragen. Machen Sie doch mal einen Termin mit ihm, mir und Kirsten aus dem Controlling. Dann sehen wir weiter. Ich werde mit Stefan im Vorfeld sprechen. Grundsätzlich vergeben wir uns nichts, wenn wir ihren Ansatz prüfen und sehen, ob Sie messbare Effekte erzielen.“
7.3
Die Umsetzung
Als Sebastian den großen Konferenzraum betrat, war die Diskussion bereits in vollem Gange. Er hatte einen 15-minütigen Slot im Rahmen des monatlichen Executive Meetings erhalten.
7 Der Fall Hubert K.
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„Wir müssen ohnehin an die Trainingsbudgets ran, Stefan.“ Mit diesem Halbsatz und Blick zu Sebastian, unterbrach der CEO die Diskussion. Demonstrativ stand Stefan auf und ging erst mal zur Kaffeemaschine. Sebastian würdigte er keines Blickes. Zusammen mit Professor Schmidt ging Sebastian zum Schreibtisch für die Referenten und schloss seinen Rechner an. Beruhigt stellte er fest, dass die Technik auf Anhieb funktionierte. Er zeigte dieselbe Folie, die er auch dem CEO gezeigt hatte. Mit Blick auf die Folie ging Stefan kopfschüttelnd zurück an seinen Platz. Noch während Sebastian seine begrüßenden Worte sprach, kommentierte Stefan, dass die Zahlen doch reine Spekulation seien. „Aber wenn wir mit einem Invest von weniger als 50 TEUR einen potenziellen Hebel von 3,5 Mio. EUR Umsatz erhalten, klingt das für mich immer noch nach einer sehr attraktiven Wette.“ erwiderte Sebastian nüchtern und erntete für diesen Kommentar anerkennten Blicke der restlichen Mitglieder des Executive Teams. Der hatte gesessen. Auch nach seiner Präsentation hielt sich Stefans Begeisterung immer noch in Grenzen. So konnte er sich auch einen abfälligen Kommentar nicht verkneifen. Mit leicht grimmigem Blick und einem knappen „Na, dann lasst uns mal sehen, wie HR uns zu 3,5 Mio. mehr Umsatz verhilft.“ machte er seinem Unmut zum Ende der Präsentation noch mal Luft. Sebastian hatte zu diesem Zeitpunkt bereits, was er wollte: Die Zustimmung des Executive Teams ihr Vorhaben mit zehn Vertrieblern zu pilotieren.
7.3.1 Ein Anfang, aber kein Ende Die zehn Kollegen aus der Testgruppe wurden jeder eine Woche von einem sehr erfolgreichen Kollegen begleitet und gecoacht. Über die darauffolgenden vier Monate geriet die Initiative zwischen dem Tagesgeschäft fast in Vergessenheit. Umso überraschter war Sebastian von der weitergeleiteten E-Mail seiner Chefin. Stefan fragte nach Ergebnissen des
Abb. 7.5 E-Mail Beispiel
112
C. Knaut und M. Schrickel
Piloten und forderte Sebastians Chefin auf, ihm eine Übersicht der Umsätze von Test- und Kontrollgruppe für das letzte Quartal zu schicken. Sebastian bereitete die Daten auf und antwortete Stefan folgendes: siehe Abb. 7.5. Zufrieden lächelnd drückte er auf „E-Mail versenden“. Er hatte einen Stein ins Rollen gebracht, der deutlich mehr Momentum entwickelte, als er zu Beginn vermutet hätte. Leider stand ihm jedoch auch noch ein schwerer Schritt bevor.
7.3.2 Was wurde aus Michael? Nicht mehr ständig unterwegs, ein geringeres, aber weniger variables Gehalt und vor allem ein anderer Vorgesetzter. Der Vertriebsinnendienst wäre für ihn durchaus eine Option, überlegte Michael, während Sebastian ihm die Rolle erläuterte. Dennoch hatte es für ihn auch ein Geschmäckle: Weshalb kommt Hubert K. mit seinem Verhalten durch? „Euer Ernst?“ platze es aus ihm heraus. „Ihr bietet mir einen anderen Job an, statt Hubert K. endlich rauszuschmeißen?“. Sebastian überraschte die Reaktion nicht und dennoch war es schwierig darauf diplomatisch zu antworten. Er erklärte Michael, dass auch mit Hubert K. gesprochen würde und man nach einer Lösung suche. Die Wahrheit sei aber auch, dass Hubert K. ein erfolgreicher Verkäufer sei. Der Vertrieb sei grundsätzlich erfolgsgetrieben und es werde bei Zeiten mit harten Bandagen agiert. Ob Michael sich in diesem Umfeld dauerhaft wohlfühlen würde, fragte er ihn. Michael schwieg. Er würde über die Situation und das Angebot nachdenken.
7.3.3 Und Hubert K.? Auch Hubert K. gehörte zu den Teilnehmern der sehr erfolgreichen Testgruppe.
Literatur Arellano, C., DiLeonardo, A., & Felix, I. (2017). Using people analytics to drive business performance: A case study. New York: McKinsey & Company. Bock, L. (2015). Work rules! Insights from inside Google that will transform how you live and lead. New York: Twelve. Bortz, J. (2015). Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer. Bortz, J., & Doering, N. (2016). Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler. Heidelberg: Springer. Gärtner, C. (2018). Workplace Analytics und Performance Management im Vertrieb. In F.-M. Binninger, T. Weise & A. Mues (Hrsg.), Moderne Personalpolitik in Handel und Vertrieb (S. 143–160). München: UTZ. Garvin, D. A. (2013). How Google sold its engineers on management. Harvard Business Review, 91, 74–83.
7 Der Fall Hubert K.
113
Homburg, C., Roecker, L., & Vomberg, A. (2015). Erfolgreiche Führung in Marketing und Vertrieb. Mannheim: IMU Research Insights. Knaut, C. (2018). Daten lügen nicht. Personalmagazin, 18(1), 54–56. Milnor, R. (2019). Network analytics: Manish Goel and RJ Milnor, 2019 Wharton People Analytics Conference. https://youtu.be/Cvv7km5Dt2c?t=539. Zugegriffen am 27.12.2019. Nachtwei, J. (2014). Egozentrisch und erfolgreich?! Vertriebsmanager, 9–10, 68–73.
8
Data Science im HR-Management Umsetzung eines ganzheitlichen Ansatzes am Beispiel „Vorhersage der Kündigungswahrscheinlichkeit von Beschäftigten“ Melanie Baier
8.1
ata Science im HR-Management: Evolutionärer statt D revolutionärer Wandel
Begriffe wie HR Analytics, People Analytics, Predictive Analytics etc. suggerieren bisweilen einen Paradigmenwechsel, d. h. eine Abkehr vom klassischen HR-Controlling, das sich vornehmlich auf In- und Output-Größen der HR-Funktion konzentriert, hin zu einem vollständig datenbasierten HR-Management, das mit der internen und externen Datenlandschaft der Organisation verankert ist. Damit geht es nicht mehr nur um die Effizienz und Effektivität der HR-Funktion, sondern insbesondere um ihre Wirkungshebel auf die Unternehmensleistung und die Frage, welche Erkenntnisse und Maßnahmen HR beisteuert, um die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der Organisation zu sichern. Dabei handelt es sich aber weniger um einen revolutionären Wandel. Denn alle Methoden, die in den letzten Jahren im Kontext von (predictive) HR Analytics als neu und in novativ gehandelt werden, beruhen auf wohlbekannten Mechanismen (z. B. bedingte Wahrscheinlichkeiten), sind keineswegs neu (z. B. adaptive, lernende Systeme wie in Simulationen und Künstlichen Neuronalen Netzen) und kommen in anderen Disziplinen schon seit einiger Zeit zum Einsatz (z. B. Assoziationsanalysen im Marketing). Nichtsdestotrotz: Für viele HR-Professionals ist all dies Neuland. Immerhin ist in der HR- Community ein im grundsätzlichen Konsens getragener Sinneswandel insofern festzustellen, als die Notwendigkeit eines stärker datenbasierten HR-Managements gesehen wird, ohne jedoch einem blinden Zahlenglauben zu verfallen.
M. Baier (*) Quadriga Hochschule Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_8
115
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M. Baier
Dieser Wandel wirft mitnichten alles Vorhandene im HR-Management über Bord. Zum einen, da die Methoden grundsätzlich nicht neu sind, sondern aufgrund der gestiegenen Rechenkapazitäten nur andere, innovative Zugänge zu den HR-Fragestellungen möglich sind. Zum anderen, da das klassische Reporting von Kennzahlen, oder enger gefasst: das HR-Controlling, keineswegs in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Denn hier liegt gerade die Datenbasis: es sind die historischen Daten, die zunächst nach Strukturen und Auffälligkeiten mit den Mitteln klassischer Statistik untersucht werden, bevor in einem weiteren Schritt Verfahren zum Einsatz kommen, die neue Strukturen entdecken können („unsupervised learning“) oder Wahrscheinlichkeiten für das Eintreffen bestimmter Ereignisse ermitteln, indem aus den Vergangenheitsdaten ein Modell erzeugt wird, das auch neue, unbekannte Daten richtig beurteilen kann („supervised learning“). Die Begriffe „un- bzw. supervised learning“ differenzieren dahingehend, ob die Zielvariable (oder auch abhängige, zu untersuchende Variable) bekannt ist oder nicht. Der Begriff „learning“ ist hier insofern irreführend, als nur in Modellen des „supervised learnings“ ein Modell trainiert und dessen Robustheit/Güte für neue, unbekannte Daten getestet wird und sich das Modell entsprechend über die Zeit mit hinzukommenden, neuen Daten verbessert bzw. lernt. Modelle des „unsupervised learnings“ haben zunächst einen rein explorativen Charakter, d. h. hier wird nach Mustern in Daten gesucht („Data Mining“) und kein Modell trainiert. Das schließt natürlich nicht aus, dass im Anschluss an ein „unsupervised learning“ mit den entsprechenden Erkenntnissen ein „supervised learning“-Modell zur Anwendung kommt. cc In diesem Beitrag wird folgendem Verständnis gefolgt: Data Science im HR- Management umfasst zum einen Verfahren deskriptiver und induktiver Statistik, die basierend auf historischen Daten Sachverhalte beschreiben und erklären. Zum anderen schließt Data Science im HR-Management Verfahren des Machine Learnings ein, mit denen in größeren Datenmengen nach unbekannten Mustern explorativ gesucht wird („unsupervised learning“) und/oder Modelle trainiert werden, die zukünftige Ereignisse robust vorherhersagen können („supervised learning“). Modelle zur Erklärung und Vorhersage von Ereignissen lassen sich nicht nur dahingehend unterscheiden, ob die Zielgröße/-variable bekannt ist oder nicht, sondern auch, ob es sich um die Untersuchung strukturierter oder unstrukturierter Daten handelt (vgl. Abb. 8.1). Unstrukturierte Daten sind in der Regel Audio- oder Text-Dateien, die nicht in numerischer Repräsentation (Codierung) in einem Datensatz abgebildet sind. Klassisches Beispiel ist der Spamfilter, der auf der Basis bedingter Wahrscheinlichkeiten und mit Hinzukommen neuer Daten immer besser lernt, Spam von nicht-Spam zu trennen.1 Die Analyse Die ebenfalls in diesem Zusammenhang zu nennende Sentimentanalyse ist dann rein deskriptiv, wenn der zu untersuchende Wortschatz mit einem bereits existierenden Sentiment-Lexikon abgeglichen wird. Auch hier ist es aber möglich, den Wortschatz in einen Trainings- und Testdatensatz zu splitten und auf Basis des mit den Trainingsdaten erzeugten und mit den Testdaten geprüften Modells hieraus ein Vorhersagemodell für bislang unbekannte, nicht in den Trainings- oder Testdaten 1
117
8 Data Science im HR-Management Datenstruktur Unstrukturierte Daten
Sentimentanalyse Spamfilter
Strukturierte Daten
Simulation KlassifikationsAssoziationsanalyse baumanalyse Clusteranalyse Regression Netzwerkanalyse Zeitreihenanalyse Zielgröße bekannt
Topic Modeling
Zielgröße unbekannt
Analyseansatz
Abb. 8.1 Methoden zur Erklärung und Vorhersage von Ereignissen
unstrukturierter Daten im Sinne eines „unsupervised learnings“ kann mit dem Verfahren des Topic Modelings vorgenommen werden. Topic Modeling sucht verborgene, semantische Muster (Themen) in Dokumenten und eignet sich daher sowohl dazu, große Text- Korpora, d. h. historische Dokumente, Blogs, Fehlerberichte etc. zusammenzufassen als auch Themen zu identifizieren, die weiterer Aufmerksamkeit bedürfen (z. B. aus firmeninternen Blogs). Verfahren zur Analyse strukturierter Daten mit bekannter Zielgröße (Quadrant links unten, siehe Abb. 8.1) sind in datenorientierten Unternehmensbereichen weitestgehend bekannt und verbreitet – neue Methoden und erhöhte Rechenkapazitäten erlauben mittlerweile auch die Erschließung der anderen (drei) Quadranten.2 Die Klassifikationsbaumanalyse als nicht-parametrisches Verfahren unterscheidet sich von Regressionsverfahren und Zeitreihenanalysen als parametrische Verfahren dadurch, dass im ersten Fall kein funktionaler Zusammenhang Y = f(X) angenommen bzw. formuliert wird.
8.2
eispiel: Vorhersage der Kündigungswahrscheinlichkeit B von Beschäftigten
8.2.1 Ausgangssituation und Relevanz der Fragestellung In Abhängigkeit von den externen Rahmenbedingungen (Fachkräftemangel in einem bestimmten Bereich, hoher Rekrutierungsaufwand aufgrund von Standortnachteilen des Unternehmens etc.), der jeweiligen Unternehmensstrategie (veränderte Anforderungsproenthaltene Worte bzw. Wortkombinationen zu machen. 2 Die Übersicht zu den Verfahren in Abb. 8.1 zeigt eine Auswahl wichtiger Verfahren und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
118
M. Baier
file aufgrund neuer Geschäftsfelder, Rationalisierungsmaßnahmen, Innovationsbedarf etc.) und den individuellen Kosten Mitarbeiter zu halten bzw. weiterzuentwickeln ist die tolerierte oder angestrebte Fluktuationsquote für jedes Unternehmen unterschiedlich hoch. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Mitarbeiterfluktuation nicht per se einen negativen Einfluss auf die Unternehmensperformance haben muss, sondern dieser Zusammenhang auch einen umgekehrt U-förmigen Verlauf folgen kann (vgl. Glebbeek und Bax 2004). Jenseits dieser kontextabhängigen Untersuchungen zwischen Mitarbeiterfluktuation und Unternehmensperformance ist es für ein einzelnes Unternehmen wichtig zu erfassen, welche Mitarbeiter das Unternehmen freiwillig verlassen. Insbesondere wenn es sich um strategisch relevante Funktionen und/oder High Performer im Unternehmen handelt, ist Handlungsbedarf seitens des HR-Managements geboten (vgl. Nyberg 2010). Gehaltserhöhungen sind dabei insbesondere bei High Performern nicht alleiniges Heilungsmittel. Andere Faktoren wie Vorhandensein einer Leistungskultur, Anerkennung der überdurchschnittlichen Leistung z. B. über ein Performance Management System und Weiterentwicklungsmöglichkeiten spielen hier eine Rolle (vgl. Glebbeek und Bax 2004; Shaw et al. 2009). Diese Überlegungen sind zu berücksichtigen, bevor aus den Ergebnissen des Vorhersagemodells entsprechende HR-Maßnahmen abgeleitet werden.
8.2.2 G anzheitliches Data Science im HR-Management: Beschreibung, Explorative Untersuchung, Vorhersage und Implikationen für das HR-Management Primäres Ziel des Beispiels ist es, für Analysemöglichkeiten im HR-Management zu sensibilisieren, mit denen jenseits des klassischen, eher vergangenheitsbezogenen HR- Reportings unter Anwendung explorativer und prädiktiver Verfahren neuartige Erkenntnisse gewonnen werden können, die Handlungsimplikationen für ein zukunftsorientiertes HR-Management haben. Hierbei handelt es sich um eine beispielhafte Darstellung, andere Fragestellungen und Analysemöglichkeiten erfordern andere Verfahren.3 Im vorliegenden Beispiel werden zunächst die Daten gesichtet und mit deskriptiven Verfahren analysiert. Darauf aufbauend werden weitere explorative Untersuchungen vorgenommen, um im Sinne eines „unsupervised learnings“ Muster in den Daten zu identifizieren, die nicht unmittelbar erwartet werden konnten. Dazu wird hier eine Assoziationsanalyse angewendet. Erst in einem dritten Schritt wird mit einem Klassifikationsbaumverfahren die Kündigungswahrscheinlichkeit für bestimmte Mitarbeitergruppen vorhergesagt. Ziel ist es, die Merkmale zu identifizieren, die besonders deutlich die Zugehörigkeit zu einer der beiden Klassen („bleiben“ oder „kündigen“) differenzieren. Welche Implikationen sich für das HR-Management aus der Analyse ergeben und welche neuen Fragen die Analyse gegebenenfalls noch offenlegt, wird abschließend diskutiert. Eine hilfreiche Übersicht zu unterschiedlichen Fragestellungen und Datensätzen findet sich z. B. unter https://www.analyticsinhr.com/blog/hr-data-sets-people-analytics/ (Zugegriffen am 27.12.2019). 3
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8 Data Science im HR-Management
8.2.2.1 Beschreibung: Deskriptive Datenanalyse Der vorliegende fiktive Datensatz enthält 11.100 Einträge zu Beschäftigen mit Angaben darüber, ob Person n im vergangenen Jahr gekündigt hat oder nicht, sowie Merkmale zur Person wie Rolle, Performance, Geschlecht, Funktion, Alter und Gehalt (vgl. Tab. 8.1). Während es sich bei der abhängigen Variable um eine nominale Variable handelt, umfassen die Einflussfaktoren sowohl nominale (Geschlecht, Funktion), ordinale (Rolle, Performance) als auch metrische Größen (Alter, Gehalt). Die deskriptive Datenanalyse dient zunächst dazu, potenziell relevante Personenmerkmale und möglicherweise auffällige Zusammenhänge zwischen diesen zu identifizieren. Für einen ersten Überblick zum Datensatz sind Mittelwerte, Verteilungen und Häufigkeiten geeignete Zugänge.4 Eine erste Zusammenfassung des Datensatzes zeigt, dass neben 100 Direktoren, 1000 Managern und 10.000 Mitarbeitern lediglich 10 Vizepräsidenten und 1 CEO vorhanden sind. Der Datensatz wird von den beiden zuletzt genannten Gruppen bereinigt, um sinnvolle und belastbare Analysen durchführen zu können. Insgesamt haben aus diesem reduzierten Datensatz 38 % der Beschäftigen im vergangenen Jahr gekündigt, wobei die Quote für Frauen mit 47 % überdurchschnittlich hoch ist und für die männlichen Beschäftigten mit 28 % deutlich geringer ausfällt. Differenziert nach Performance-Ratings zeigt sich, dass die Kündigungsquote für High Performer mit 48 % deutlich höher ausfällt als für diejenigen Beschäftigten mit mittlerer oder geringerer Tab. 8.1 Übersicht zu Variablen des Beispiels und deren Ausprägungen (in Anlehnung an (O.V. 2016)) $EK¦QJLJH 9DULDEOH
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Im weiteren Verlauf des Beitrages ist mit dem Begriff „Mitarbeiter“ stets diese Gruppe ohne Führungsposition gemeint. Sind alle Mitarbeiter des Unternehmens adressiert, wird der Begriff „Beschäftigte“ verwendet. 1
Um die Analysen und Ergebnisse dieses Beispiels zu replizieren, kann der R-Code bei der Autorin angefordert werden. 4
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Performance (je 34 %).5 Die sich hieran anschließende Frage, ob diejenigen Frauen, die kündigen, auch zur Gruppe der High Performer gehören, kann mit Hilfe eines Mosaikplots untersucht werden. In einem Mosaikplot wird die Häufigkeitsverteilung für mehrere kategoriale Variablen gegenübergestellt und geprüft, ob die Variablen voneinander unabhängig sind oder ob die Ausprägung von Merkmalen (Kündigung) in einem Zusammenhang zu anderen Merkmalsausprägungen (Geschlecht, Performance) steht. Ein Mosaikplot, der die Kündigungsquote (Werte 0 und 1) dem Geschlecht und der Performance-Bewertung (Werte 1 bis 3) gegenüberstellt, zeigt wie erwartet, dass der Anteil derjenigen, die nicht kündigen, etwas höher ist als der Kündigenden (Breite der Rechtecke in horizontaler Leserichtung, vgl. Abb. 8.2). Darüber hinaus wird deutlich, dass der Anteil der Beschäftigten mit mittlerer Performance-Bewertung vergleichsweise höher in der Gruppe der Beschäftigten ist, die nicht kündigen. Für den angestrebten Vergleich über die Geschlechter ist die Höhe der Rechtecke innerhalb der Kategorien kündigen („vol_leave“) und Performance („perf“) ausschlaggebend: Sie zeigt, dass relativ weniger Männer kündigen als Frauen. Die farblichen Markierungen ergeben sich aus der Messung der Pearson-Residuale: Rote Felder zeigen an, dass weniger
Abb. 8.2 Mosaikplot über Kündigungsquote, Performance und Geschlecht
5 Der Anteil der High Performer an der Belegschaft beträgt 30 %, derjenigen mit geringer Performance 10 % und mit mittlerer Performance 60 %.
8 Data Science im HR-Management
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Beobachtungen vorhanden sind als erwartet und blaue Felder, dass mehr Beobachtungen vorhanden sind als erwartet.6 Konkret bedeutet dies, dass unter den kündigenden Frauen mehr als erwartet eine mittlere oder hohe Performance-Bewertung aufweisen, während es bei den kündigenden Männern weniger als erwartet Mitarbeiter mit geringer oder mittlerer Bewertung sind. Von den Frauen, die bleiben, weisen weniger als erwartet eine hohe Performance-Bewertung auf. Im Hinblick auf die Altersstruktur der Beschäftigten zeigt ein Histogramm eine linkssteile Verteilung, d. h. ein Viertel der Beschäftigten weist ein Alter von 22 bis 24 Jahren auf. Um die Ausprägung der (numerischen) Variable Alter für verschiedene kategoriale Merkmalsausprägungen zu überprüfen, eignet sich die Anfertigung eines Boxplots. Ein Boxplot gibt einen schnellen Überblick über die Verteilung der Daten. Alle Daten größer dem unteren und kleiner dem oberen Quartil werden in einer Box abgetragen. In dieser Box befinden sich 50 % des Datensatzes, die sich um den Median der Variable herum gruppieren. Die Enden der unteren und oberen „Antenne“ („whiskers“), die von der Box wegführen, geben den Minimal- und Maximalwert an. In dem vorliegenden Beispiel zeigt sich, dass sich die Altersstruktur weder im Hinblick auf Geschlecht noch im Hinblick auf Performance unterscheidet. Mit Rückgriff auf die ersten Auswertungen ist daher zu vermuten, dass die höhere Kündigungsquote von Frauen und High Performern nicht dadurch bedingt ist, dass es sich „schlicht“ um unterschiedliche Altersgruppen handelt. Allerdings ist zu vermuten, dass sich die Altersstruktur im Hinblick auf die Rollen sehr wohl unterscheidet. Eine Boxplot-Darstellung offenbart, dass das durchschnittliche Alter von Mitarbeitern deutlich geringer ist als das der Manager und dieses wiederum geringer ist als das der Direktoren (vgl. Abb. 8.3). Für die Klassifikationsbaumanalyse bedeutet das Ergebnis, dass Alter und Rolle gemeinsam als möglicherweise klassifizierende Merkmale in Betracht gezogen werden sollten. Wird nur eine der Variablen in das Vorhersagemodell mit aufgenommen, ist eine möglicherweise höhere Kündigungswahrscheinlichkeit gar nicht auf die Ausprägung der berücksichtigten Variable zurückzuführen, sondern liegt in der Interdependenz mit der anderen Variable. Gehalt ist eine weitere numerische Variable, für die zunächst Gehaltsintervalle (-klassen) gebildet werden. Die Darstellung über ein Häufigkeitsdiagramm zeigt eine bimodale Verteilung und einen langen Ausläufer nach oben, so dass zu vermuten ist, dass in dem Datensatz unterschiedliche Gehaltsgruppierungen verborgen sind. Eine Boxplot-Aus wertung der Variable Gehalt nach den drei Rollen zeigt erwartungsgemäß, dass das durchschnittliche Gehalt für Mitarbeiter deutlich geringer ist als für Manager, die w iederum
Die Pearson-Residuale zeigen an, ob und in welche Richtung (+/−) die beobachtete Häufigkeit signifikant von der erwarteten Häufigkeit abweicht. Bei einem Wert von Nahe null sind die Variablen unabhängig. Rote Felder zeigen an, dass weniger Beobachtungen vorhanden sind als erwartet und blaue Felder, dass mehr Beobachtungen vorhanden sind als im Nullmodell (Unabhängigkeit). Erwartete Häufigkeiten ergeben sich aus dem Quotienten (Zeilen- x Spaltensumme)/Gesamtsumme der Fälle. 6
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Abb. 8.3 Altersstruktur der Beschäftigen nach Rolle
deutlich weniger verdienen als die Direktoren. Die Auswirkung möglicher Gehaltsdifferenzen auf die Kündigungswahrscheinlichkeit kann damit nicht unmittelbar aus den Rohdaten erhoben werden. So ist eine Gehaltsdifferenz von beispielsweise 5000 € in der Gruppe der Mitarbeiter mit einem Durchschnittsgehalt von 60.102 € anders zu bewerten als bei den Direktoren mit einem Durchschnittsgehalt von 195.598 €. Um eine Vergleichbarkeit zu erzeugen, wird eine neue Variable berechnet, die angibt, wie hoch die Gehaltsdifferenz eines jeden Beschäftigten zum mittleren Gehalt (median) der eigenen Rolle ist. Wie auch in den anderen Fällen kann ein Korrelationskoeffizient einen Hinweis darauf liefern, ob es zwischen Gehaltsdifferenz zum Median der eigenen Rolle und der Kündigungsquote einen Zusammenhang gibt. Der negative Korrelationskoeffizient von −0,2 bringt zum Ausdruck, dass ein Beschäftigter umso eher bereit war zu kündigen, je höher die Differenz zum Gehalts-Median war. Als letzte potenziell relevante Einflussvariable für die Analyse der Kündigungswahrscheinlichkeit ist die Ausprägung für unterschiedliche Unternehmensfunktionen zu betrachten. Hier zeigt sich, dass die Kündigungsquote in allen Unternehmensfunktionen vergleichbar hoch ist, außer im Bereich Sales, wo die Kündigungsquote 20 % über derjenigen aus anderen Unternehmensbereichen liegt. Ergänzend kann noch hinzugefügt werden, dass sich die höhere Kündigungsquote von Frauen über alle Unternehmensfunktionen erstreckt und es keine durch das Geschlecht bedingten Unterschiede im Hinblick auf die Funktionen gibt. Ebenso kann mit Hilfe eines Mosaikplots gezeigt werden, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen Unternehmensfunktionen und Performance- Kategorien gibt, die High Performer somit nicht in einer bestimmten Unternehmensfunktion über- oder unterdurchschnittlich häufig vertreten sind. Fazit aus der deskriptiven Analyse: Ziel war es, in Abhängigkeit der gegebenen Variablentypen – kategorial (nominal und ordinal) sowie metrisch – aufzuzeigen, welche Auswertungen und Darstellungsweisen sinnvoll sein können, um so einen ersten Überblick
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über die Daten und weiter zu untersuchende Fragestellungen zu bekommen. Für alle potenziell relevanten Einflussvariablen wurden Zusammenhänge zur Kündigungsquote und zu anderen Einflussvariablen identifiziert. Eine höhere Kündigungsquote konnte für Frauen und High Performer festgestellt werden, wobei diese unabhängig vom Alter ist. Darüber hinaus zeigt die Analyse eine für beide Geschlechter vergleichsweise ähnliche Kündigungsquote in den Unternehmensfunktionen an, wobei sie im Bereich Sales absolut höher ausgeprägt ist. Insgesamt weist die Belegschaft eine relativ junge Altersstruktur auf, wobei das Durchschnittsalter je nach Rolle im Unternehmen variiert, so dass ein Einfluss einer dieser Variablen auf die Kündigungsneigung nicht unabhängig von der anderen Variable betrachtet werden sollte. Schließlich zeigt die deskriptive Analyse, dass das Gehalt, das in seiner Größenordnung ebenfalls nach Rolle variiert, in einem Zusammenhang mit der Kündigungsquote steht und hier zu erwarten ist, dass eine höhere Gehaltsdifferenz zur eigenen Rolle die Neigung zu kündigen erhöht.
8.2.2.2 Explorative Untersuchung: Assoziationsanalyse Im Rahmen der Assoziationsanalyse geht es darum, in einem Datensatz relevante und interessante Zusammenhänge bzw. Regeln zwischen Variablen zu identifizieren, ohne dass a priori Annahmen aufgestellt werden („unsupervised learning“). Gegeben ist zunächst ein Itemset an Variablen bzw. Merkmalen I = {i1,i2, …, in}, das für jeden Merkmalsträger (in diesem Fall Beschäftigte) eine spezifische Merkmalsausprägung hat. Eine Assoziationsregel ist definiert als eine Implikation der Form X ⇒ Y mit X, Y ⊆ I und X ∩ Y = ∅. X und Y sind Teilmengen von Merkmalsausprägungen aus dem gesamten Itemset I, wobei ihre Schnittmenge leer ist, d. h. keine Merkmale in beiden Itemsets X und Y gleichzeitig enthalten sind. Die Merkmalsausprägungen, die in X enthalten sind, werden als Antezedenz bezeichnet („left hand side (lhs)“) und diejenigen Merkmalsausprägungen in Y als Konsequenz („right hand side (rhs)“). Zur Identifikation von Regeln werden in der Regel drei Maße verwendet:7 1. Support: Anteil einer spezifischen Merkmalsausprägung, bestehend aus X und Y, an allen möglichen Merkmalsausprägungen n. Dieses Maß gibt damit an, wie häufig eine bestimmte Merkmalskombination unter allen möglichen Merkmalsausprägungen vorkommt: 𝑠𝑢𝑝𝑝(𝑋⇒𝑌)=|𝑋∪𝑌| / 𝑛 2. Confidence: Bildet ab, wie zuverlässig eine bestimmte Assoziationsregel eintritt. Dieses Maß kann auch als bedingte Wahrscheinlichkeit P(Y| X) interpretiert werden, denn es gilt zu ermitteln, wie häufig die Merkmalsausprägungen von X und Y gemeinsam vorkommen, gegeben, dass in dieser spezifischen Ausprägung auch X vorkommt: 𝑐𝑜𝑛𝑓(𝑋⇒𝑌)=𝑠𝑢𝑝𝑝(𝑋∪𝑌)/𝑠𝑢𝑝𝑝(𝑋) Aus Platzgründen kann hier nur ein Abriss über die Assoziationsanalyse und ihre Anwendungsbereiche gegeben werden. Für weitere Details und Anwendungen vgl. Girmanová und Gašpárová (2018), Hahsler et al. (2005) und Tan et al. (2014). 7
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3. Lift: Ausmaß, mit dem die Assoziationsregel von einem zufälligen, d. h. unabhängigen, Auftreten abweicht. Je stärker der Wert von 1 abweicht, desto stärker der Zusammenhang (>1 = komplementär, .298
Realisierter Wert 0 1
1
Vorhergesagte Wahrscheinlichkeit 0 638 (True posives)
515 (False negaves)
774 (False posives)
1773 (True negaves)
Precision: 638/1412 = .45 Tatsächliche von allen vorhergesagten K.
Recall/Specifity: 638/1153 = .55 Kündigungen, die als solche vorhergesagt sind
Accuracy: 638+1773/3700 = .65 Anteil der insg. richgen Vorhersagen
Kodierung: Mitarbeiter, die bleiben = 0, Mitarbeiter, die kündigen = 1
Abb. 8.7 Bewertung eines Vorhersagemodells über die Confusion-Matrix
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• Precision: Tatsächlich eingetretene Fälle geteilt durch die Summe aller vorhergesagten Fälle • Recall/Specifity: Vorhergesagte Fälle geteilt durch die Summe aller tatsächlich eingetretenen Fälle • Accuracy: Summe richtiger Vorhersagen (positiv oder negativ) durch Gesamtsumme aller Fälle Modell zur Vorhersage von Kündigungswahrscheinlichkeiten Kern des Klassifikationsbaumverfahrens ist ein Algorithmus, der ohne Annahmen darüber, welche der möglichen Merkmale (Alter, Funktion, Performance etc.) die Kündigungswahrscheinlichkeit beeinflussen, aus der Menge der verfügbaren Merkmale diejenige Kombination identifiziert, die nach den Kriterien des Algorithmus am besten differenziert.8 Der mit den Trainingsdaten erzeugte Entscheidungsbaum bildet die als relevant extrahierten Merkmale als Knoten ab (vgl. Abb. 8.8).
Abb. 8.8 Vorhersage von Kündigungswahrscheinlichkeiten: Der trainierte Entscheidungsbaum
Hierbei kommt der rpart (Recursive Partitioning And Regression Trees)-Algorithmus zur Anwendung. Ohne auf die technischen Details einzugehen, werden mit diesem Algorithmus schrittweise diejenigen Merkmale (unabhängigen Variablen) identifiziert, die die Zugehörigkeit zu einer Ausprägung der jeweiligen abhängigen Variablen am besten trennt. Stufenweise werden solange Merkmale in das Modell aufgenommen, bis die Aufnahme weiterer Merkmale zu keiner verbesserten 8
8 Data Science im HR-Management
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Die in Abb. 8.8 abgebildeten Knoten beinhalten folgende Informationen: In der obersten Zeile findet sich das in dem Entscheidungsknoten dominante Ergebnis, d. h. hier für den oberen Knoten, dass die Mehrheit der Mitarbeiter nicht kündigt (Ausprägung 0). In der Zeile darunter wird die prozentuale Verteilung angezeigt, d. h. hier für den oberen Knoten, dass 62 % der Mitarbeiter bleiben, während 38 % kündigen. In der untersten Zeile innerhalb eines Knotens ist der Anteil aus der Gesamtstichprobe angegeben, d. h. für den oberen Knoten 100 %. Der oberste Knoten, in dem noch keine weitere Klassifikation stattgefunden hat, repräsentiert gleichzeitig das Grund- bzw. Vergleichsmodell und zeigt an, dass unter der Annahme, dass alle Mitarbeiter bleiben, das Modell in 62 % der Fälle richtig schätzt. Mit den weiteren Klassifikationen in Abb. 8.8 wird das Modell verfeinert, beginnend mit den am stärksten klassifizierenden Merkmale der Unternehmensfunktion. Gehört ein Mitarbeiter zur Funktion „Accounting, Finance, Marketing, Other“ (yes), wird keine weitere Klassifizierung mehr erzeugt, d. h. Mitarbeiter aus diesen Funktionen bleiben mehrheitlich im Unternehmen (70 %). Anders formuliert differenziert die Zugehörigkeit zur noch übrig bleibenden Funktion „Sales“ am stärksten. In diesem Fall spielen auch weitere Merkmale eine Rolle. Von den 30 % der Mitarbeiter, die im Bereich „Sales“ tätig sind, kündigt eine Mehrheit von 58 %. Dieser Anteil liegt für die weiblichen Mitarbeiter aus dem Bereich „Sales“, die gut die Hälfte ausmachen, mit 67 % überdurchschnittlich höher. Bei den männlichen Mitarbeitern aus dem Bereich „Sales“ bleibt eine knappe Mehrheit im Unternehmen (53 %), wobei in dieser Gruppe zusätzlich eine Rolle spielt, wie ihr Gehaltsabstand zum mittleren Gehalt ihrer eigenen Rolle ist. Verdient ein Mitarbeiter weniger als 1023 € im Vergleich zum Mittel der eigenen Rolle, kündigt eine Mehrheit von 58 %, liegt das Gehalt darüber, bleibt eine Mehrheit von 60 %. Insgesamt zeigt sich, dass die Kündigungswahrscheinlichkeit insbesondere für weibliche Mitarbeiter aus dem Bereich „Sales“ am höchsten ist, wobei diese Gruppe einen nicht unerheblichen Anteil von 16 % ausmacht. Selbst bei männlichen Sales-Mitarbeitern, die einen negativen relativen Gehaltsabstand hinnehmen müssen, ist die Kündigungswahrscheinlichkeit mit 58 % geringer. Der Klassifikationsbaum zeigt darüber hinaus an, dass in diesem Schätzmodell weder Alter noch Performance relevant sind. Das Merkmal Rolle, das hier nicht explizit auftaucht, ist implizit im relativen Gehaltsabstand zum mittleren Gehalt der Rolle enthalten. Bewertung der Güte des Vorhersagemodells Mit dem trainierten Modell werden in einem weiteren Schritt die Kündigungswahrscheinlichkeiten [0, 1] = {x ∈ R| 0 ≤ x ≤ 1} für den Testdatensatz berechnet und mit den realisier-
Differenzierung führt. Da es sich hier um einen Algorithmus handelt, der auf jeder Stufe eine unabhängige Entscheidung fällt, ist das Ergebnis sensibel gegenüber Veränderungen im Datensatz. Das Random Forest-Verfahren stellt eine Alternative dar, da hier zunächst x unabhängige Klassifikationsbaumverfahren mit leicht unterschiedlichen Startbedingungen durchgeführt werden, über die anschließend gemittelt wird. Für eine ausführliche Erläuterung der Algorithmen siehe (Awati 2016).
M. Baier
130 Tab. 8.2 Güte des Klassifikationsbaumes für unterschiedliche Schwellenwerte Recall Accuracy
Modell 1 (0,298) 0,55 0,65
Modell 2 (0,397) 0,62 0,68
Modell 3 (0,576) 0,62 0,68
Modell 4 (0,668) 0,65 0,67
ten Klassifizierungen {0, 1} verglichen, so dass über die Gütemaße aus der C onfusion-Matrix ein idealer Schwellenwert identifiziert werden kann. Da mit dem Klassifikationsbaumverfahren diskrete Klassen erzeugt werden (siehe die vier Klassen in der untersten Reihe in Abb. 8.8), entsprechen die möglichen Schwellenwerte den Kündigungswahrscheinlichkeiten eben dieser Klassen. Die Übersicht in Tab. 8.2 fasst die Gütemaße für unterschiedliche Modelle zusammen. Fazit aus der Klassifikationsbaumanalyse: Die Assoziationsanalyse in Abschn. 8.2.2.2 hat bereits gezeigt, dass die Zugehörigkeit zur Funktion Sales eine hohe Relevanz besitzt; entsprechend hat sich die Unternehmensfunktion in der Klassifikationsbaumanalyse als stärkster klassifizierender Faktor herauskristallisiert, gefolgt von den Merkmalen Geschlecht und Gehalt. Insgesamt gilt unter Berücksichtigung der Merkmale Funktion, Geschlecht und Gehalt, dass das Schätz-Modell die meisten richtigen Klassifizierungen (Accuracy) erzeugt, wenn für einen Beschäftigen mit einer berechneten Kündigungswahrscheinlichkeit > 0, 397 angenommen wird, dass dieser kündigt.9 Mit diesem geschätzten Modell läge man in 68 % der Fälle richtig. Im Vergleich zum Grundmodell, das keine Klassifikationsmerkmale berücksichtigt und das in 62 % der Fälle richtigliegt, ist dies eine Verbesserung um 6 Prozentpunkte. Im Vergleich zu einem Modell mit einem Schwellenwert zur Vorhersage von Kündigungen mit > 0, 668 fällt das Gütemaß Recall hier etwas geringer aus (vgl. Tab. 8.2), d. h. hier werden marginal weniger Beschäftigte identifiziert, die kündigen, bei denen die Kündigung aber nicht durch das Modell vorhergesagt wurde. Ob Accuracy oder Recall hier das ausschlaggebende Gütemaß sein sollte, ist insbesondere vor dem Hintergrund der Unternehmens- und HR-Strategie zu diskutieren.
8.2.3 Zusammenfassung und Implikationen für das HR-Management In der Gesamtbetrachtung aus deskriptiver, explorativer und prädiktiver Analyse lassen sich folgende wesentliche Ergebnisse zusammenfassen: • In allen drei Analyseverfahren der deskriptiven Analyse, der Assoziationsanalyse und des Klassifikationsbaumverfahrens hat sich die Zugehörigkeit zur Funktion Sales als ein Merkmal herauskristallisiert, das mit einer überdurchschnittlich hohen Kün digungsquote einhergeht, eine starke Assoziation zum Kündigen aufweist und mit Unter Berücksichtigung der hier verwendeten Gütemaße werden dieselben Werte für einen Schwellenwert von 0,576 erzeugt. Für diesen gilt aber >0,397, so dass der Schwellwert 0,397 als konservativer Schwellenwert interpretiert werden kann. 9
8 Data Science im HR-Management
131
einer im Vergleich zu anderen Funktionen erhöhten Kündigungswahrscheinlichkeit einhergeht. In allen Analyseverfahren konnte das Merkmal Alter als möglicher Bestimmungsgrund ausgeschlossen werden. • Aus der deskriptiven Analyse zeigte sich nicht nur eine überdurchschnittlich hohe Kündigungsquote für Frauen und High Performer, sondern auch, dass Frauen, die kündigten, häufiger als erwartet eine mittlere oder hohe Performance zeigten. Jedoch zeigte sich weder in der Assoziationsanalyse, dass die Merkmale Frau und hohe Performance als gemeinsame Merkmale eine Assoziationsregel zum Kündigungsverhalten bilden, noch hat der Algorithmus des Klassifikationsbaumverfahrens Performance als relevantes, klassifizierendes Merkmal extrahiert. Insgesamt konnte damit für Frauen aus dem Bereich Sales zwar eine Assoziation zum Kündigen und eine im Vergleich hohe Kündigungswahrscheinlichkeit festgestellt werden, die aber nicht explizit durch hohe Performance bedingt ist. • Während eine hohe Performance sowohl in der deskriptiven Analyse als auch in der Assoziationsanalyse mit erhöhtem Kündigungsverhalten in Verbindung gebracht wurde, hat das Vorhersagemodell die Performance der Beschäftigten als nicht hinreichend starken Differenzierungsfaktor identifiziert. • In allen Analyseverfahren hat sich eine nach unten abweichende Gehaltsdifferenz zum Median der eigenen Rolle als relevanter Faktor in der Bestimmung der Kündigungsquote, dem Kündigen und der Kündigungswahrscheinlichkeit gezeigt. Während im Rahmen der deskriptiven Analyse nur ein allgemeiner Zusammenhang formuliert werden konnte, hat die Assoziationsanalyse gezeigt, dass dieses Merkmal gemeinsam mit der Zugehörigkeit zur Funktion Sales und Nicht-Führungspositionen einhergeht. Dass die Gehaltsdifferenz insbesondere für männliche Beschäftigte eine Rolle spielt, hat sich in den sehr starken Assoziationsregeln gezeigt, die mit einem Bleiben im Unternehmen einhergehen. In diesem Sinne stellt das Ergebnis der Assoziationsanalyse eine Ergänzung zu dem der Klassifikationsbaumanalyse dar, in dem die Gehaltsdifferenz als differenzierender Faktor, bedingt durch das Merkmal Geschlecht, identifiziert wurde. Die Implikationen, die sich aus der Analyse für das HR-Management ergeben, sind weniger als unmittelbarer Maßnahmenplan zu verstehen, sondern geben vielmehr Handlungsanleitung dafür, an welchen konkreten Stellen tiefergehende Untersuchungen und Gespräche vonnöten sind. So wäre primär zu untersuchen, warum die Kündigungsquote im Bereich Sales so hoch ist, wenn Alter als mögliche Einflussvariable ausgeschlossen werden konnte. Ebenso, warum überdurchschnittlich viele Frauen im Bereich Sales kündigen. Eine Fragestellung, die sich entsprechend der obigen Analyse nicht nur auf den Bereich Sales und die weibliche Belegschaft beschränkt, ist, warum gerade Beschäftigte mit einer hohen Performance eher dazu neigen, zu kündigen. Schließlich sind mögliche Erklärungen für den Schwellenwert der Gehaltsdifferenz von 1023 € bei männlichen Mitarbeitern aus dem Bereich Sales zu eruieren. Hier können die Ergebnisse der Assoziationsanalyse weitere Hinweise liefern, was die Höhe des Schwellenwertes für unterschiedliche Funktionen und Rollen angeht.
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M. Baier
In der Gesamtbetrachtung ist es mit der Anwendung unterschiedlicher Verfahren möglich, ein ganzheitliches Bild zur jeweiligen Fragestellung zu bekommen. Aus den unterschiedlichen Analyseverfahren haben sich keine widersprüchlichen Ergebnisse ergeben, gleichwohl konnten an der ein oder anderen Stelle Ergebnisse überprüft, ergänzt und verfeinert werden. Die Nutzung unterschiedlicher Analyseverfahren ermöglicht es, eine Fragestellung aus unterschiedlichen Perspektiven zu analysieren und hilft damit nicht nur, die Kohärenz und Sinnhaftigkeit der Ergebnisse zu überprüfen, sondern auch detailliertere Hinweise für tiefergehende Untersuchungen zu gewinnen.
Literatur Awati, K. (2016). A gentle introduction to decision trees using R, Blog „from eight to late“. https:// eight2late.wordpress.com/2016/02/16/a-gentle-introduction-to-decision-trees-using-r/, https:// eight2late.wordpress.com/about/. Zugegriffen am 19.12.2019. Brink, H., Richards, J. W., & Fetherolf, M. (2016). Real-world machine learning. Shelter Island/ New York: Manning Publications. Girmanová, L., & Gašpárová, Z. (2018). Analysis of data on staff turnover using association rules and predictive techniques. Quality Innovation Prosperity, 22(2), 82–99. Glebbeek, A. C., & Bax, E. H. (2004). Is high employee turnover really harmful? An empirical test using company records. Academy of Management Journal, 47(2), 277–286. Hahsler, M., Grün, B., & Hornik, K. (2005). Arules – A computational environment for mining association rules and frequent item sets. Journal of Statistical Software, 14(15), 1–25. Nyberg, A. (2010). Retaining your high performers: Moderators of the performance-job satisfaction- voluntary turnover relationship. Journal of Applied Psychology, 95(3), 440–453. O.V. (2016). Extended tutorial: How to predict employee turnover. https://www.hranalytics101.com/ extended-tutorial-how-to-predict-employee-turnover/. Zugegriffen am 27.12.2019. Shaw, J. D., Dineen, B. R., Fang, R., & Vellella, R. F. (2009). Employee-organization exchange relationships, HRM practices, and quit rates of good and poor performers. Academy of Management Journal, 52(5), 1016–1033. Tan, P. N., Steinbach, M., & Kumar, V. (2014). Chapter 6, Association analysis: Basic concepts and algorithms. In P. N. Tan et al. (Hrsg.), Introduction to data mining. Essex: Pearson Education Limited.
9
Strategische Personalplanung & Qualitatives Skillmanagement Christian Vetter und Mariia Semenova
9.1
Strategische Personalplanung und Skillmanagement
„In gewisser Hinsicht muss die Menschheit ihre geistigen und physischen Fähigkeiten verbessern, wenn sie sich mit einer zunehmend komplexen Welt um sie herum auseinandersetzen will und wenn sie sich neuen Herausforderungen wie etwa der Raumfahrt stellen möchte“, behauptete Stephen Hawking (WELT 2011). Ob Personalmanagement mit der Raumfahrt auf einer Komplexitätsebene ist, sei einmal dahingestellt. Aber das Thema ist durchaus komplex, vor allem wenn man sich auf die Dimension der „Skills“ fokussiert und das, was Skillmanagement beinhaltet.
9.1.1 E rklärung der Begriffe „Skillmanagement“ und „Strategische Personalplanung“ Der Begriff „Skillmanagement“ ist seit langem kein weiteres Buzzword für eine neue Softwarelösung im Bereich des Personalwesens, sondern ein komplexer Managementansatz, der im Zuge der dynamischen, digital gesteuerten Umgebung und sich rasant entwickelnden Informationstechnologien immer wichtiger wird. Das Management von menschlichen Fähigkeiten und Qualifikationen ist nämlich das, was Skillmanagement genannt wird. „Es richtet seinen Blick an all jene, die bereit zu den Veränderungen und zu der aktiven geschäftlichen Erfolgsmitgestaltung sind“ – das wurde schon im Jahr 2013 (Faix „Die Zukunft gehört den Qualifizierten“ C. Vetter (*) · M. Semenova HRForecast (peopleForecast GmbH), München, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_9
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C. Vetter und M. Semenova
et al. 2013, S. 12) so beschrieben, aber die Bedeutung ist heute aktueller denn je. Das Skillmanagement wird von drei Größen bestimmt: a) Arbeitsmarkt als externer Einflussfaktor, b) Innovation, und c) organisatorische Modifikationen. In Bezug auf das Skillmanagement muss der Terminus „Skill“ aufgeklärt werden. Ein Skill ist ein Gesamtbegriff für die Kompetenzen, Fertigkeiten und Fähigkeiten und wird in Hard Skill (fachliche Qualifikationen, die durch Studium, Ausbildung und praktische Erfahrung vermittelt und durch Zertifizierungen bewertet werden) und Soft Skill (soziale, kommunikative, personale, mentale Kompetenz, Führungskompetenz, Umsetzungskompetenz, dazu auch Hobbys, Erfahrungen, Interesse) aufgeteilt (vgl. Moritz und Rimbach 2006, S. 23). Ein weiterer, für unser Thema wichtiger Begriff ist die Strategische Personalplanung. Als wesentlicher Teil des strategischen Personalmanagements und damit der strategischen Unternehmensplanung umfasst er die strategische Qualifikationsplanung und -steuerung. „Dabei findet die strategische Personalplanung unternehmensspezifisch mit eigens festgelegten zweckdienlichen Methoden statt und umfasst folgende zusammenhängende Elemente“ (Schwarz 2010, S. 22): • systematische Analyse der internen Personalsituation nach relevanten Kriterien, • Analyse des externen Personalangebots hinsichtlich Erwerbspersonenpotenzial nach Qualifikation in der relevanten Region und abhängig von der Konkurrenznachfrage, • Planung bzw. Prognose des Personalbedarfs nach relevanten Kriterien, • zielorientiertes Vorgehen und Abgleich mit der Unternehmensplanung, • Entwicklung von Handlungsalternativen zur Erreichung der Ziele, • Entscheidungsfindung und Anweisung zur Realisierung der gewählten Alternative, • Implementierung sowie • spätere Evaluation des Beitrags der Maßnahmen hinsichtlich des angestrebten Ziels.
9.1.2 Anwendungsgebiete und Aufgabenbereiche Die Ergebnisse des Skillmanagements tangieren sämtliche mitarbeiterrelevanten Bereiche in einer Unternehmung in Bezug auf: • Mitarbeiterentwicklung –– individuell – der einzelne Mitarbeiter, dessen Können durch Motivation und Zufriedenheit auf der Höhe der Zeit ist, steht im Mittelpunkt, –– funktionell – die Geschäftsführung hat den Beitrag der Personalentwicklung zur Wettbewerbsfähigkeit im Blick, • Personalentwicklung –– Karriereplanung – die Mitarbeiter vertiefen neigungsgerecht ihr Wissen und bleiben dadurch attraktive Arbeitnehmer,
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135
–– Führungskräfteauswahl – die Kandidaten verfügen über die als erforderlich erachteten Fähigkeiten, Kompetenzen oder Anlagen, um als Nachwuchsführungskraft oder für andere Entwicklungspfade in Betracht zu kommen, • Erfolgsplanung des Unternehmens – auf der Grundlage einer leistungsfähigen Personalstruktur werden Effizienz und Wirtschaftlichkeit des Unternehmens verbessert und auf künftige Aufgaben und Herausforderungen ausgerichtet. Professionelles Skillmanagement setzt sich aus drei Zielen zusammen: 1. optimale Personalausstattung auf der Grundlage der Fähigkeiten und Neigungen des Personals, 2. Steigerung der Produktivität und Qualität von Prozessen und Projekten, 3. Erhöhung der Mitarbeiterbindung durch die zunehmende Arbeitgeberattraktivität. Wird die Rendite des Kompetenzmanagementansatzes betrachtet, so ist es offensichtlich eine wertvolle und produktive Investition. Mit der Einrichtung und Umsetzung eines professionellen Skillmanagements reagieren Unternehmen jeder Größe, unabhängig ihrer Branchenzugehörigkeit, auf Entwicklungen im und um das Kerngeschäft durch: • stärkere Prozessausrichtung und Rollenzuordnung, denn die Fehlbesetzungen und Defizite bei den Stellenbesetzungen werden aufgedeckt und es wird gegengesteuert, • Gewinnung und Einsatz besonderer Fähigkeitsprofile (Skills, Kompetenzen) bei Mitarbeitern unabhängig von deren Position im Unternehmen, denn die fachliche und methodische (etwa analytisches Denken, Projektmanagement und Kostenbewusstsein) sowie die soziale und persönliche (etwa Selbstmanagement, Empathie und Führungskompetenzen) Qualifikation der Mitarbeiter wird aufrechterhaltet und weitergebildet, • Berücksichtigung der Auswirkungen flexiblerer Arbeitszeitmodellen dank der präzisen und mitarbeiterorientierten Aufgabenzuordnung, die sowohl für die effizienteste Leistung durch die personalisierte Arbeitszuteilung sorgt als auch die Verantwortung und die kreative Freiheit jeder einzelnen Person ermöglicht, • positiv höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter mit dem Arbeitsumfeld, indem Employer Brand, unternehmerisches Prestige und Selbstbewusstsein erhöht werden, • steigende Nachfrage an Alternativen zur traditionellen Führungslaufbahn und Kurswechsel in Richtung Holokratie, Selbstständigkeit und Mitverantwortung in den Entscheidungen, • Schaffung einer Organisation, die nach Fähigkeiten und nicht über organisatorische Silos gesteuert wird (Basis für eine agile Organisationsstruktur) Daraus ergeben sich zwei für das Kompetenzmanagement besonders wichtige Aspekte: a) ein hohes Maß an Transparenz über die vorhandenen Kompetenzen und deren Nutzung sowie b) ein präziseres Gesamtbild der zukünftig erforderlichen Kompetenzen und
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C. Vetter und M. Semenova
aufzubauendes Wissen, um in Zukunft als Unternehmen erfolgreich am Markt zu bestehen und mitzuhalten.
9.2
Status quo des Skillmanagements im Personalwesen
Schlagworte wie „Fachkräftemangel“, „War for Talents“ und „demografischer Wandel“ tauchen vermehrt in den Gesprächen mit Führungskräften auf. Wenn man sich jedoch die jeweiligen Unternehmen genau anschaut, so kann häufig schnell festgestellt werden, dass die systematische, gezielte Personalentwicklung nur selten synchron zu den strategischen Zielsetzungen des Unternehmens getaktet ist. Da aber der Stand der gegenwärtigen betrieblichen Weiterbildung noch eher selten die hochprofessionellen, modernen und zeitsparenden Weiter- oder Umbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, sinken die Motivation und das Engagement der Angestellten drastisch, und öfters ist das falsche oder fehlende Skillmanagement mitschuldig. In einer Zeit mit Druck vom Arbeitsmarkt, unzähligen Jobtiteln sowie eines globalen Überangebots an Weiterbildungsmöglichkeiten fühlen sich die Mitarbeiter eher verwirrt und verloren, anstatt gut versorgt. Das lässt sich mit folgenden Zahlen verdeutlichen: allein in Deutschland gab es 2018 1,2 Millionen Jobs, für die es keine passenden Bewerber gab; das entspricht zwei Arbeitslosen pro offener Stelle (ZEIT ONLINE 2018; Pilgram 2018). Zudem gibt es rund 50.000 Menschen pro Jahr, die sich umschulen lassen (Mai 2019). Mehr und mehr wird am Bedarf vorbeiqualifiziert bzw. sind zu wenige Kandidaten mit dem passenden Skillprofil vorhanden. Nicht nur die kleinen Unternehmen spüren den Mitarbeitermangel, sondern die größten Konzerne, die noch nie mit solchen Herausforderungen konfrontiert waren. Immer häufiger bewerben sich die Kandidaten ohne das passende Profil. Das liegt auch daran, dass das Top-Down Konzept nicht funktioniert und der Mitarbeiter in den Skillmanagementprozess mit eingebunden sein muss. Ein hoher Grad an Selbstverantwortung und Motivation muss bei dem Personal vorhanden sein, um sich mit der Arbeitswelt zu entwickeln.
9.2.1 Problemstellungen des Skillmanagements Die Hauptaufgabe von HR besteht darin, die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Fähigkeiten und zu den passenden Kosten zu besetzen. Doch in der Praxis wird HR anders wahrgenommen. Dort wird HR generell als langsam, veraltet oder zu administrativ angesehen, teilweise sogar ohne einen erkennbaren Mehrwert für das Geschäft. Das Skillmanagement als Teil des Talentmanagements ist aber ein selbstständiger Bereich im HR Management, das bei gebührender Berücksichtigung wertschöpfende Leistungen erschaffen kann. Somit wird sich der Fokus von HR in Richtung (Re-) Qualifizierung, Weiterbildung und eben Skillmanagement verändern, weil genau darin eine wertschöpfende Tätigkeit und somit eine zukünftige Kernaufgaben von HR liegt.
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Verdeutlichen wir uns den Status Quo des Skillmanagements mit einem Beispiel. Sollte heute ein HR-Leiter darum gebeten werden, ein tatsächliches Bild der Kompetenzen seiner Mitarbeiter zu beschreiben, so besteht die Gefahr, dass er in Verlegenheit kommt oder gar Schweigen muss, weil er die Antwort nicht geben kann. Würde dieselbe Person weiter gefragt, welche konkreten Skills die Angestellten in der Zukunft brauchen, kriegt man wiederum selten eine wirklich klare Antwort. Ob man wirklich weiß, was die Mitarbeiter im Unternehmen können? Wofür sie eine Neigung haben? Wie kann man effektive Maßnahmen für die Personalentwicklung definieren, ohne diese Fragen zuvor zu beantworten? Genau darin liegt die Aufgabe des Skillmanagementprozesses. Ist es nicht komisch, dass wir über Kunden heute so viele Details analysieren und sich Unternehmen dadurch einen klaren Wettbewerbsvorteil verschaffen, während Personaldaten weitestgehend unangetastet verkümmern? Sind die Mitarbeiter nicht mindestens so wertvoll wie Kunden? Zumindest haben sie es verdient, wie solche behandelt zu werden! Typischerweise verläuft ein traditioneller Kompetenzmanagementprozess folgendermaßen: zuerst beraten mehrere Verantwortliche monatelang darüber, welche Skillmetriken mit welchen Skillbezeichnungen und potenziellen Skills als Ausgangspunkt bereitzustellen sind. Dann, in einem weiteren Schritt, werden diese Skills bei jedem Mitarbeiter erhoben. Dies geschieht in der Regel im persönlichen Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder via Selbsteinschätzung und nimmt üblicherweise auch mehrere Monate bis hin zu einem Jahr in Anspruch. Schließlich, nach etwa ein bis zwei Jahren, erhält das Unternehmen dann ein (veraltetes) Bild seiner beruflichen Skilllandschaft, welches einem (oft ebenfalls veralteten) Zielbild gegenübergestellt werden soll. Zudem finden es viele von diesen Unternehmen schwer, die Daten zu konsolidieren, zu interpretieren und zu aktualisieren. Gleichzeitig können in der Zwischenzeit bereits andere Fähigkeiten für das Unternehmen relevant geworden sein oder die damaligen Mitarbeiter haben das Unternehmen sogar verlassen. Da die Märkte und Geschäftsmodelle immer dynamischer und schneller werden, verändert sich dieses Zukunftsbild ständig. Somit ist das zukünftige Zielbild kein fester Status, sondern ein bewegliches Ziel. Auf diese Weise sind die Ergebnisse traditioneller Kompetenzmanagementansätze schwierig oder unmöglich aus objektiver Sicht zu bewerten und, folglich, zu nutzen. Im Grunde genommen kennen nur der einzelne Mitarbeiter und ganz wenige seiner Kollegen, Familienmitglieder oder Freunde seine professionellen Skills. Bisher störte das kaum jemanden, denn alle Arbeitsabläufe waren in Silostrukturen einbetoniert und gewährten den Mitarbeitern wenig Möglichkeiten, ihre Potenziale zu erkennen und zu entwickeln. Die Kapazitäten eines Mitarbeiters wurden zumeist über Potenzialanalysen beispielsweise in Form von Testverfahren abgeschätzt, was zu vielfältigen methodischen sowie konzeptuellen Problemen führte. Offensichtlich stellen die Testergebnisse nur eine Momentaufnahme dar und erlauben somit keine gesicherten Aussagen über strategische Entwicklungspotenziale. Außerdem erfassen solche Testverfahren insbesondere soziale und personale Kompetenzen (Vgl. Bühner 1994, S. 134). Als Konsequenz sorgte dies für große Probleme in Unternehmen, zum Beispiel, dass die Belegschaft nicht optimal eingesetzt wurde.
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Man kann den Status quo folgendermaßen zusammenfassen und behaupten, dass jede Firma früher oder später eine Agenda mit den folgenden Fragen verfolgt: • Entsprechen die vorhandenen Rollen und Skills im Unternehmen den bevorstehenden Herausforderungen? • Wie wirkt sich der demografische Wandel auf das Rollen-, Produkt- und Leistungsspektrum sowie den Knowhow-Prozess aus? • Wie können teure Einkäufe bzw. Abwerbungen externe Mitarbeiter vermieden und auf Schlüsselpositionen durch interne Mitarbeiter besetzt werden? • Wie wandelt sich der aktuelle Werdegang vom Mitarbeiter in ein Zielprofil? • Verfügt das Unternehmen über die richtige Mischung von Kompetenzen in Schlüsselprojekten? Um diese umfassenden und branchenübergreifenden Fragen angemessen beantworten zu können, bündelt Skillmanagement viele Basisfunktionen und wird dadurch als Voraussetzung für die strategisch ausgerichtete Personalentwicklung betrachtet. Für die Unternehmen, die ein breites Leistungsspektrum und besonders umfangreiches Know-how anbieten, muss Skillmanagement ein Handbuch werden, das bei korrekter Verwendung die wertschöpfende Leistung schaffen kann.
9.2.2 Smarte Lösungen bei der Entwicklung des Skillmanagements Im Umfeld von digitalen Informationstechnologien entstehen ganz neuartige Ansätze des Skillmanagements mit der Zielsetzung, die Transformation des bereits erwähnten traditionellen Skillmanagement Prozesses zu einem digitalen, datengesteuerten Skillmanagement voranzutreiben. Wichtig ist es hier zu betonen, dass die Daten kein Hilfsmittel, aber ein wichtiger Transformationshebel sind. Wie können datenbasierte Ansätze hier Hilfe leisten? Das Konzept vom Data-Driven Skillmanagement ist folgendes: Es wird davon ausgegangen, dass Informationen (Daten) über die Qualifikationen der Mitarbeiter bereits irgendwo im Unternehmen vorhanden sind. Öfters sind diese Informationen jedoch in unstrukturierten Dateien, isolierten Excels, PDFs, CVs, Lebensläufen sowie in Softwaretools und HRM Systemen versteckt. Sowohl kleine als auch große Unternehmen haben im HR-Umfeld nach wie vor eine stark fragmentierte Datenstruktur und die Daten werden oft unstrukturiert und verteilt gespeichert, wie beispielsweise bei manuellen Texteingaben in Dokumenten oder Datenbanken. Diese separaten Daten beinhalten aber das wertvolle Wissen über die Skills der Belegschaft, allerdings unstrukturiert und verborgen und daher scheinbar nicht anwendbar. Erfolgsversprechend ist hierbei, eine Technologie bereitzustellen, die es ermöglicht, sowohl automatisiert als auch standardisiert das scheinbar verborgene Wissen im Unternehmen transparent zu machen. Und so liegt der Erfolg in der Kombination von Technologien aus dem Umfeld von Big Data und der Identifizierung verborgener Fähigkeiten mittels Algorithmen der
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künstlichen Intelligenz. Dies kann auf leistungsstarken mächtigen Skillkatalogen b asieren, die Millionen von Schlüsselwörtern verwenden, um unabhängig von der Dokumentensprache Skills zu klassifizieren, sodass es keine mehrdeutigen Begriffe oder Doppelregistrierungen gibt. Unter einem Skillkatalog versteht man einen hierarchisch strukturierten Katalog mit den sinn- und sachverwandten Begriffen, der das logische Navigieren durch den Wissensbestand ermöglicht. Im engeren Sinne spiegelt sich hierin das Leistungsangebot des Unternehmens in Form von Fähigkeiten und Kenntnissen wider, welches die eigentliche prozessuale Exzellenz erst ermöglicht. (Vgl. North 2005, S. 161). Der Einsatz eines Skillkatalogs sowie die technisch integrierte Unterstützung aus dem Bereich des Text Mining sind zwei Erfolgsfaktoren eines strategisch ausgerichteten, digitalen Skillmanagements. Ein wertvolles Ergebnis eines solches digitalen Skillmanagements ist ein transparentes Ist-Bild über die Skills der Mitarbeiter mit der Zukunftsprognose in dem benötigten zeitlichen Rahmen. Da digitale Technologien skalierbar sind, besteht ein weiterer großer Vorteil darin, dass Tausende von Mitarbeitern in kürzester Zeit analysiert werden können, sodass je nach Qualität und Aktualität der Basisdaten eine höhere Präzision erreicht werden kann als mit dem traditionellen Ansatz. Um das datengesteuerte Skillmanagement zu implementieren, gibt es zwei Ansätze: 1. Strategisch Top Down (von oben) – im Unternehmen werden die Skilllücken veranschaulicht und es wird aufgezeigt, welche Teams besonders gut, schlecht oder ungenügend an die Zukunft angepasst sind bzw. wo sich die zukunftsorientierten Skills im Unternehmen verbergen. 2. Individuell Bottom Up (von unten) – jeder Mitarbeiter kann sein Skillprofil einsehen und Änderungen vornehmen. Darüber hieraus wird die Transparenz darüber garantiert, welche Skills vom Unternehmen in der Zukunft besonders nachgefragt werden, welche individuellen Skilllücken bestehen und welche spezifischen Trainingsangebote diese Lücke schließen helfen können. Immerhin stehen heute Millionen von Schulungen online und offline zur Verfügung, was bei der Auswahl der richtigen Maßnahmen ohne Unterstützung schnell zu Überlastung führen kann. Die Fähigkeit des Managers, die dringend benötigte Unterstützung zu leisten, ist in den sich schnell verändernden Geschäftsmodellen von heute oft nicht gewährleistet. Wenn man einen realen und langfristigen Profit vom Skillmanagement bekommen möchte, muss man dabei zur Kenntnis nehmen, dass es kein leichter Prozess ist und Veränderungen in den bestehenden Abläufen und Gewohnheiten nötig sein können. Äußerst wichtig ist es, die Skill Gaps sowohl strategisch als auch operativ sichtbar zu machen. Darüber hinaus muss man vom Gedanken abkommen, alle Trainings selbst bereitzustellen. Da es zu viele Veränderungen in der Skilllandschaft gibt, ist es genau die Individualisierung, die für hohe Komplexität sorgt. Dennoch ist es eine sinnhafte Methode, mit Künstlicher Intelligenz und Datentechnologien maßgeschneiderte Learning Journeys aus den bestehenden Portfolios (z. B. MOOCs, Trainingsakademien, interne und externe
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rainer) bereitzustellen. Im nächsten Abschnitt werden wir die Konzepte noch einmal an T einem Praxisbeispiel näher beleuchten.
9.3
Anwendungsbeispiel
Die Welt 5.0 bringt immer neue technologische Entwicklungen mit sich, die ihrerseits frische Konzepte in der Bildungsarbeit diktieren. Um den Begriff „Welt 5.0“ zu verstehen, muss man sich die Reihenfolge großer technologischer Innovationen in der Industrie klarmachen. Mit der ersten Massenproduktion durch Maschinen begann die Industrie 1.0. Die weitere Automatisierung 2.0 kam mit den ersten Automobilen. Dieser Phase folgte die Arbeit an Rechenmaschinen und Personal Computern mittels Elektronik (3.0). Bis vor ein paar Jahren war die Menschheit in der Mitte der 4. industriellen Revolution, in der der Fokus auf die zunehmende Digitalisierung analoger Techniken und die Integration cyber- physischer Systeme gesetzt wurde. Nun befinden wir uns in der Wandelphase von der Welt 4.0 zu 5.0, das heißt, die Informatisierung und Digitalisierung sowie Automatisierung wissensintensiver Tätigkeiten nehmen konkretere Formen an. Gleichzeitig steht die Erde vor globalen Herausforderungen – Klimawandel und Energieverbrauch, Ungleichheit und Ressourcenraubbau, Hunger und Armut. So besteht die Aufgabe der Welt 5.0 in der Lösung der drängenden Probleme mithilfe digitaler Technologien und menschlicher Fähigkeiten. Übertragen wir dies auf die Arbeitsdimension, so spielen die Menschen mit ihren Skills die gleiche Rolle wie die Kunden selbst. Genau wie bei Kunden sind aber auch Mitarbeiter sehr individuell. HR muss also, genau wie der Vertrieb mit den Kunden, sicherstellen, dass die Bedürfnisse dutzender, hunderter oder sogar tausender Individuen berücksichtigt und befriedigt werden. In Zeiten des Fachkräftemangels gilt aber auch: es ist effizienter und zielgerichteter die eigene Belegschaft rechtzeitig entsprechend der zukünftigen Marktanforderungen zu entwickeln, als neue Mitarbeiter zu rekrutieren. Die Antwort liegt in personalisierten Learning Journeys – welche sowohl die Effizienz der Trainings als auch die Motivation der Mitarbeiter fördert. Das spart Kosten und maximiert die Potenziale der Belegschaft. Personalisierte Learning Journeys mit Künstlicher Intelligenz – solch ein Projekt wurde zwischen einem führenden europäischen Kommunikationsanbieter einerseits und dem HR-Technologieanbieter HRForecast andererseits durchgeführt. Das Ziel war es, die Skills transparent zu machen, Mitarbeiter mit besonders zukunftsorientierten Skills zu finden, die Fluktuation zu reduzieren und die vorhandene Belegschaft rechtzeitig fort- und umzuqualifizieren. HRForecast hat über 100 Millionen Zeilen Rohtextdaten verarbeitet, die im letzten Jahrzehnt gesammelt wurden. Unter Verwendung großer Datenlösungen wie Redshift, Spark und Elasticsearch werden Merkmale extrahiert, um die Daten zu verbessern. Schließlich wurden Neuronale Netzwerke eingesetzt, um Modelle wie Named Entity Recognition und Prediction Models mit einer Genauigkeit von über 90 % für den globalen
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Abb. 9.1 Top-Down Analyse der Skilllandschaft eines Unternehmens
Arbeitskräftemarkt zu erstellen. In diesem KI- und datengetriebenen Projekt wurde die Möglichkeit für die Mitarbeiter geschaffen, sich individuell und effizient in Übereinstimmung mit der Unternehmensstrategie und den Marktbedingungen entwickeln zu können. Die Aufgabe als HRForecast bestand darin, a) das versteckte Wissen im Unternehmen mithilfe der Künstlichen Intelligenz sichtbar zu machen, b) die Skilllandschaft der Mitarbeiter auf Basis von KI-Algorithmen gegenüber den zukünftigen Markt- und Unternehmensanforderungen zu stellen und c) die Wissenslücken der Mitarbeiter durch individualisierte KI-unterstütze Learning Journeys zu schließen. Um diese Ziele zu erreichen, wurde für dieses Projekt folgende Vorgehensweise umgesetzt: 1. HRForecast erstellte interaktive Dashboards und zukunftsorientierte Jobprofile basierend auf der Analyse von weltweiten, makroökonomischen Daten (siehe Abb. 9.1). Diese bildeten die Zielprofile für die Gapanalyse und die Skillentwicklung der Mitarbeiter. 2. Gleichzeitig wurden unternehmensweit unstrukturierte Mitarbeiterdaten (CVs, Zertifikate, Trainings) mit KI-Technologie analysiert, die Skills aus dem Gesamtgefüge systematisch registriert und in einer App hinterlegt, um einen Einblick in die Zukunftsorientierung der Belegschaft zu erhalten und die organisatorische Leistungsfähigkeit – auf Basis individueller Skillanalysen – zu überprüfen (siehe Abb. 9.2). Zu Grunde liegt die HRForecast Skillbibliothek, eine Art marktgetriebener, dynamischer Skillkatalog. Dieser umfasst zehntausende Einzelskills in über 25 unterschiedlichen Sprachen. Die Skillbibliothek ist nicht als statische Momentaufnahme zu
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Abb. 9.2 Beispielhafte Skillanalyse eines Mitarbeiters
v erstehen, sondern ist ständig im Wandel. Die Skillinformationen werden durch tägliches, globales Job- Durchforsten auf hunderten Jobportalen gewonnen. Die Skillbibliothek hat das Ziel, den gegenwärtigen Stand aller Skills auf der Welt abzubilden und wird kontinuierlich durch neue Skills oder Keywords für bestehende Skill erweitert. Das Projekt wurde fast ausschließlich von HR betreut. Bei der eingesetzten Software handelt es sich um eine SaaS Lösung, weswegen IT nur geringfügig eingebunden werden musste. Die Kommunikation stand im Fokus des Projektes, denn die Mitarbeiter müssen die Art und Weise der Wahrnehmung von Entwicklungs-, Weiterbildungsmöglichkeiten und Karrierepfaden ändern. Dadurch, dass die Teilnahme aber freiwillig war, hat ein Großteil der Teilnehmer die algorithmengestützten Vorschläge positiv aufgenommen. Der Datenschutz sowie der Betriebsrat gelten beide als wichtige Stakeholder in dem Implementierungsprozess. Wichtig war es für alle Beteiligten, dass beide Parteien frühzeitig involviert werden, sodass zu mehreren Zeitpunkten Abstimmungsschleifen durchlaufen wurden. Die Anforderungen des Datenschutzes konnten somit frühzeitig berücksichtigt werden. Des Weiteren wurde das Projekt mit einer Kommunikationskampagne begleitet und das Prinzip der freiwilligen Teilnahme führte dazu, dass kein Widerstand seitens der Arbeitnehmervertreter bestand.
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Abb. 9.3 Vorschlag von Lerninhalten in der smartPeople App
3. HRForecast erstellte zukunftsorientierte Jobprofile basierend auf der Analyse von weltweiten, makroökonomischen Daten. HRForecast ruft dabei täglich aus über 900 Stellenportalen weltweit die Stellenausschreibungen ab und nutzt Algorithmen, um relevante Informationen aus den Ausschreibungen zu gewinnen, wie Skills, suchende Unternehmen, Standorte oder die Stellentitel. Dies bildet die Grundlage für die globale Jobdatenbank mit mehr als 1,4B Stellenprofilen. Aus den aufbereiteten Daten werden des Weiteren zukünftige Aufgaben und Skills der jeweiligen Profile abgeleitet, sodass zukünftige Entwicklungen bzw. Veränderungen konkreter Profile antizipiert werden können. Nachdem die Zielprofile erstellt wurden, sahen die Mitarbeiter ihre individuellen Skillprofile ein und nahmen unterschiedliche Services wahr, wie die Zuordnung auf die Zielprofile, die Analyse von Skillgaps sowie den Vorschlag passender Lerninhalte und -pfade,
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um sich strategisch entwickeln und die Lücken zu den Zielprofilen reduzieren zu können (siehe Abb. 9.3). Zur technischen Unterstützung wurde die App smartPeople von HRForecast verwendet. Es handelt sich dabei um eine KI-basierte Skillplattform für Unternehmen, die einen tiefen Einblick in das organisatorische Skillset bietet. Dieses Tool vernetzt die Menschen miteinander auf Basis ihrer Skills, baut agile Strukturen alle Mitarbeitergruppen auf und überwindet somit Abteilungsbarrieren. Das Tool macht das bisher Unsichtbare (nämlich die Skills) sichtbar. Dadurch ergeben sich neue Wege, wie man Personal steuert. Unter anderem sorgt die Transparenz über Skills dafür, dass diese aktiv gesucht werden können. Dadurch wird es möglich, dass Personen nun nicht wie in der Vergangenheit mit einem konkreten Job verknüpft werden. Stattdessen kann man „skillpräzise“ Talente im Unternehmen besetzen, z. B. für Projekte, Aufgaben oder sonstige Anforderungen. Folglich wird die Dynamik im Unternehmen stark erhöht. Wenn Mitarbeiter Zugriff auf diese Skilldatenbank bekommen, können sie sich untereinander besser organisieren und selbstständig nach Unterstützung für Ihre Aufgaben suchen. Das erfordert ein Umdenken, da Hie rarchien gewissermaßen aufgelöst werden können und Mitarbeiter nicht mehr eine konkrete Stelle, sondern mehrere Aufgaben ausfüllen können. In einem individuellen Dashboard sieht der Mitarbeiter neben den Skills und deren Bewertung auch passende Vakanzen oder Aufgaben im Unternehmen. Jeder Skill wird aufgrund von ihrer Zukunftsorientierung bewertet. Es wird unterschieden zwischen den Skills mit einer zunehmenden Bedeutung, stabiler und sinkender Bedeutung. Es gibt zwei Indikatoren, die einen Skill zukunftsorientiert machen: 1. wenn das Vorkommen eines Skills in den Stellenausschreibungen im Laufe der Zeit zunimmt, steigt die Nachfrage nach diesem speziellen Skill auf dem Arbeitsmarkt. Dadurch wird die Qualifikation „zukunftsorientierter“, da eine steigende Nachfrage als Indikator für eine zunehmende Bedeutung der Qualifikation angesehen wird. Z. B: Englisch und Mandarin wurden in den letzten Jahren verstärkt gesucht (zukünftige Bedeutung nimmt zu), während die Deutsche Sprache weniger gesucht wurde (zukünftige Bedeutung nimmt ab). 2. Skills, die mit mindestens einem Trend verbunden sind, werden ebenfalls als „zukunftsorientierter“ angesehen. Zum Beispiel: Scrum ist ein Skill, der zum Trend Agile gehört (Skill Scrum hat eine zunehmende zukünftige Bedeutung). Es ist äußerst wichtig, dass dadurch ein klarer Kompetenzüberblick erkennbar wird: Die Projektteilnehmer sahen, welche Fähigkeiten sie auf welcher Ebene bereits haben und welche Fähigkeiten sie weiterentwickeln müssen, um ihre persönlichen beruflichen Ziele zu erreichen und zukunftsorientiert zu bleiben. Der Kunde sieht den Vorteil dieser Lösung besonders in der Objektivität des Ansatzes, denn KI-Algorithmen berechnen die Übereinstimmung zwischen den Fähigkeiten und Aufgaben und gewähren ein Verständnis, an welchen Fähigkeiten man noch arbeiten muss, um die Anforderungen zu erfüllen. Daraus ließen sich Schlussfolgerungen für das Talentmanagement und die Personalentwicklung
9 Strategische Personalplanung & Qualitatives Skillmanagement
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ziehen. Durch diesen Prozess wurde außerdem die Basis für eine kontinuierliche, digitale Skillmessung und -bewertung geschaffen sowie die Grundlage für eine agile und vernetzte Belegschaft bereitgestellt, indem sich eine mehrdimensionale Organisationsstruktur widerspiegelt. Das heißt, sämtliche Strukturen sind prozessual organisiert; der Fokus liegt immer auf dem Nutzen sowie der Erreichung der gestellten Ziele; die Arbeit ist selbstverantwortlich und selbstorganisiert.
9.4
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Unternehmenserfolg mithilfe eines datengetriebenen Personalmanagements analytisch unterstützt werden kann. Skillmanagement verkörpert dabei die Gesamtheit der Prozesse, die den passenden Personaleinsatz in quantitativer, qualitativer, zeitlicher und räumlicher Hinsicht gewährleisten sollen und dadurch den Effizienzgrad der Arbeitsleistung beeinflussen. Aus dem oben Gesagten folgt, dass Realisierung und Ausbau der menschlichen Ressourcen einen der wichtigsten Erfolgsgaranten für die unternehmerische Leistungsfähigkeit darstellen. Außerdem ist das Skillmanagement der ausschlaggebende Wettbewerbsfaktor für die Verbesserung der unternehmerischen Effizienz und Wirtschaftlichkeit, weil es die Ausrichtung auf künftige Aufgaben und Herausforderungen ermöglicht. Das Skillmanagement wird dreierlei Ansprüchen gerecht: a) Unternehmensziele im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit und des attraktiven Employer Brands werden erreicht; b) der Personalbedarf mit Fokus auf die motivierten und zufriedenen Mitarbeiter, deren Produktivität strategisch entwickelt wird, wird unterstützt und c) individuelle berufliche Wünsche werden erfüllt, indem die Mitarbeiter attraktive Arbeitnehmer bleiben. Zum Schluss besteht die Hauptaufgabe eines erfolgreichen Skillmanagementansatzes in der systematischen Durchführung der Personalentwicklung gemäß der strategischen Vision des Unternehmens. Das beinhaltet die Befriedigung des Bedarfs an Ressourcen mit benötigten Skills einerseits und der Nachfrage nach bestimmten Fähigkeiten (Skills) andererseits.
Literatur Bühner, R. (1994). Personalmanagement. Landsberg/Lerch: Moderne Industrie. Faix, W., Buchwald, C., & Wetzler, R. (2013). Skill-Management: Qualifikationsplanung für Unternehmen und Mitarbeiter. Wiesbaden: Gabler. Mai, J. (2019). Umschulung: Voraussetzung, Formen, Finanzierung, Tipps. karrierebibel.de. https:// karrierebibel.de/umschulung/. Zugegriffen am 09.10.2019. Moritz, A., & Rimbach, F. (2006). Soft Skills für Young Professionals: alles, was Sie für Ihre Karriere brauchen. Offenbach: Gabal. North, K. (2005). Kompetenzmanagement in der Praxis: Mitarbeiterkompetenzen systematisch identifizieren, nutzen und entwickeln. Wiesbaden: Gabler.
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C. Vetter und M. Semenova
Pilgram, J. (2018). Arbeitsmarkt: Viele Arbeitsuchende, mehr freie Jobs. Süddeutsche.de. https:// www.sueddeutsche.de/karriere/fachkraefte-woran-es-deutschland-mangelt-1.3897339. Zugegriffen am 11.03.2018. Schwarz, D. (2010). Strategische Personalplanung und Humankapitalbewertung: Simulationen anhand der Cottbuser Formel. Wiesbaden: Gabler. WELT. (2011). Wem gehört die Zukunft? DIE WELT. https://www.welt.de/print-welt/article568535/ Wem-gehoert-die-Zukunft.html. Zugegriffen am 17.11.2011. ZEIT ONLINE. (2018). Arbeitsmarkt: 1,2 Millionen offene Stellen in Deutschland. https://www. zeit.de/wirtschaft/2018-08/arbeitsmarkt-offene-stellen-deutsche-betriebe-rekordhoch. Zugegriffen am 07.08.2018.
Teil III Automatisierung
Robotic Process Automation im Human Resource Management
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Ein Anwendungsfall Andreas S. Schuster
10.1 Robotic Process Automation im Digitalen Zeitalter Im Rahmen der Digitalisierung können viele, oft noch manuell ausgeführte Prozesse durch neue Techniken automatisiert werden. Eine dieser Techniken ist Robotic Process Automation (RPA). Hier handelt es sich allerdings nicht um physische Roboter, wie sie aus dem Fernsehen oder von Produktionslinien bekannt sind, es geht um Softwareroboter: Programme, die in einer meist sehr nutzerfreundlichen Umgebung, oft im Baukastenprinzip aus einzelnen Aktivitäten zusammengesetzt werden, um menschliche Aktionen zu imitieren. Im besten Fall sind die zu automatisierenden Prozesse stark repetitiv, basieren auf klaren und eindeutigen Regeln und werden mit strukturierten Daten versorgt. Aktuelle Entwicklungen ermöglichen aber auch den Einsatz von Machine und Deep Learning. Diese Fortschritte ermöglichen es, auch unstrukturierte Daten zu verarbeiten, in diesen Mustern zu erkennen und aus diesen zu lernen. Die Roboter sind äußert flexibel und können jederzeit unkompliziert an Veränderungen angepasst werden – auch vom Business selbst, d. h. der Änderungsantrag muss nicht, wie sonst üblich, vom Business zur IT gegeben werden. Aber auch, wenn Robotic Process Automation auf der existierenden IT- Infrastruktur aufsetzt und nicht in diese eingreift, ist bei der Wartung und der allgemeinen Governance die IT-Abteilung ausführend tätig. So arbeiten bei der Implementierung Business und IT eng zusammen und garantieren ein möglichst ausgewogenes Ergebnis (Czarnecki und Auth 2019). cc Unter RPA – Robotic Process Automation – versteht man die automatisierte Bearbeitung von strukturierten Geschäftsprozessen durch digitale Software-Roboter. Diese innovative Technologie ermöglicht die Automatisierung sich wiederholender und regelbasierter A. S. Schuster (*) metafinanz Informationssysteme GmbH, München, Deutschland © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_10
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A. S. Schuster
Prozesse und Aufgaben, die von Menschen ausgeführt werden. Bei dieser robotergesteuerten Prozessautomatisierung übernehmen die Software-Roboter (Bots) die Rollen und Aufgaben von Anwendern und interagieren mit anderen Softwaresystemen. Entgegen einer ersten reflexhaften Annahme sind Software-Roboter aber keine physisch existenten Maschinen, wie man sie aus der Fertigungsindustrie kennt. Es handelt sich vielmehr um Software-Anwendungen, die eine menschliche Interaktion mit Benutzerschnittstellen von Softwaresystemen nachahmen. (Milad Safar, Managing Partner Weissenberg Group (2019)) Im Gegensatz zu einer aufwändigen und kostenintensiven Programmierung im Enterprise Resource Planning System setzt ein Softwareroboter direkt auf der Benutzeroberfläche an und imitiert dadurch vom Menschen ausgeführte Prozessschritte. Zum Beispiel würde der Roboter genauso die Maus zu dem E-Mail-Programm-Symbol auf dem Desktop führen und dieses mit Doppelklicken öffnen, wie ein Mensch es tun würde. Auch sind für diese Technik keine Anpassungen in der Geschäftslogik notwendig, wie beim klassischen Business Process Management – dennoch empfiehlt es sich den Prozess zu optimieren bevor in die Automatisierung gegangen wird (Smeets et al. 2019). Dementsprechend sind die Relevanz und die Verbreitung der Softwareroboter hoch und weiterhin steigend. BluePrism, ein führender RPA-Software-Hersteller, hat in einer weltweiten Umfrage unter ca. 5000 Entscheidungsträger in Firmen mit mehr als 250 Angestellten festgestellt, dass 88 Prozent dieser Entscheider einen klaren Plan haben, um Robotic Process Automation einzusetzen oder dies bereits getan haben (BluePrism 2018). Gartner (2019) gibt für den Softwaremarkt in den USA einen Marktanteil von 51 Prozent für RPA an, in Westeuropa sind es 23 Prozent. Auch wenn man Robotic Process Automation in allen Industriebranchen findet, sind Banken, Versicherungen, Telekommunikationsund Versorgungsunternehmen am stärksten vertreten. Oft haben diese Unternehmen viele Legacy-Systeme im Einsatz. Hier hat RPA den großen Vorteil diese zu integrieren und somit schnell digitalisieren zu können (Gartner 2019). Klassische Anwendungsbereiche sind Back- und Middle-Office, Finanzen und Buchhaltung, das Berichtswesen, der Kundendienst, Vertrieb und Marketing, IT und Infrastruktur, der operative Bereich und natürlich auch die Personalabteilung (Gartner 2019). Für die Personalabteilung geben unterschiedliche Quellen verschiedene Use Cases an (s. a. Gärtner 2020): EY (2017) • Lohnabrechnung • Pensionspläne • Neueinstellungen Mitarbeitertransfer
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Schabicki und Arndt (2018) • Lohn- und Gehaltsabrechnungen • Neueinstellungen, Transfers, Abgänge • Mitarbeiter Onboarding
Haliva (2018) • Lebenslauf-Screening und Kandidatenauswahl • Angebotsschreiben Verwaltung • Neueinstellungen und Onboarding • Einweisung und Ausbildung • Reise- und Spesenmanagement • Monatliche Gehaltsabrechnung • Mitarbeiterdatenmanagement • Berichte und Analyse von Umfragen und Unternehmensbewertungen • Zeit und Anwesenheiten • Exit Management
10.2 P raxisbeispiel – Automatisierung eines HR-Administrations-Prozesses Um die oben aufgezeigten Theorien, Methoden und Anwendungsgebiete deutlicher darzustellen und besser greifbar zu machen wird im Folgenden ein Beispiel aus der Praxis skizziert. Zuerst wird der Status Quo einer österreichischen Firma, aber vor allem deren HR-Abteilung gezeigt und das Ziel des Projekts erklärt. Darauf aufbauend werden die Projektstruktur und die Projektvorbereitungsphase sowie der Weg zur Lösung ausführlich aufgezeigt und die Lösung dargestellt.
10.2.1 Ausgangssituation und Zielsetzung Ein international agierender, in Österreich ansässiger Konzern möchte zuerst ausgewählte Prozesse automatisieren, um später ein Center of Excellence aufzubauen und Robotic Process Automation konzernweit auszurollen. Durch intensive Recherche und Vorbereitung wurde Robotic Process Automation als effektivste, kosteneffizienteste und schnellste Lösungsmöglichkeit ausgewählt. In einer Vorstudie wurden drei Softwareanbieter identifiziert und mit jedem Kandidaten ein Proof of Concept durchgeführt. Im Rahmen dieser Vorstudie war einer der drei zu automatisierenden Prozesse ein Verwaltungsprozess in der Personalabteilung.
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In diesem Prozess werden jeden Donnerstag die Konzernzahlen aufbereitet, um im Management Board am Freitag präsentiert zu werden. Es handelt sich um folgende Kennzahlen: • • • • • • • • • • • • •
Austritte Austrittsgründe Eintritte Eintageskrankenstunden Fehlzeiten Fluktuation Headcount AG FTE AG Headcount Töchter FTE Töchter Headcount Gesamt Krankenstunden Krankenstand
Diese sind aufgeteilt in neun Exceldateien mit insgesamt 17 Blättern, 251 Spalten und ca. 1000 Zeilen. Eine Mitarbeiterin verbrachte jeden Donnerstag acht Stunden, also einen kompletten Arbeitstag, damit die Management-relevanten Zahlen mittels der Excelfunktionen „Pivottabelle“ und „SVERWEIS“ aus den verschiedenen Dateien und Tabellen zu extrahieren und diese in fünf verschiedene Übersichtstabellen zu überführen. Durch die enorme Unübersichtlichkeit in den verschiedenen Tabellen konnte eine 100-prozentige Fehlervermeidung nicht garantiert werden und es war sehr wahrscheinlich, dass falsche Zahlen im Endprodukt auftauchten. Zudem war der hohe Zeitaufwand unverhältnismäßig zum Ergebnis. Abgesehen davon, dass die Mitarbeiterin, durch die stark repetitive und wenig anspruchsvolle Aufgabe nicht gefordert war und diese nur als notwendiges Übel, als Belastung betrachtete. Eine kostengünstige und schnelle Lösung musste her.
10.2.2 Projekt-Set-Up Um diesen Prozess zu automatisieren wurde nach pragmatischen Lösungen gesucht. Das Management entschied sich für den Aufbau einer Robotic Process Automation Unit. Um der neuen Technik Berechtigung im Konzern zu schaffen, wollte man zuerst sogenannte „Quick Wins“, also einfache und schnell umsetzbare Prozesse, die aber dennoch einen großen Hebel haben, generieren und anhand dieser die richtige Umsetzungssoftware identifizieren. In einem zweiten Schritt soll ein Center of Competence aufgebaut werden, um weitere Prozesse im ganzen Konzern zu automatisieren und um die Governance dafür zu bieten.
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So wurden drei Quick Wins ausgewählt und drei verschiedene Prozesse durch drei verschiedene Softwares (Automation Anywhere, BluePrism und UiPath) in einem Proof of Concept automatisiert. Jeder Proof of Concept dauerte drei bis fünf Tage und bestand aus dem Entwickler (softwarespezifisch), einer Business Analystin, die alle drei Proof of Concepts als Kundenspezialistin betreute, und der jeweiligen Fachkraft des zu bearbeitenden Prozesses. Es wurde sich bemüht möglichst viele Informationen vor Projektbeginn zu sammeln, was sich allerdings als schwierig erwies, da die Fachexpertise für Automatisierung vor Ort fehlte. Zudem war der Kunde skeptisch gegenüber der Herausgabe von sensiblen Dateien an Entwickler, die er nicht vorher kennen gelernt hatte. So kamen die Entwickler nahezu unvorbereitet zum Kunden und mussten sich auf ihr Fachwissen verlassen. Der Proof of Concept wurde in den Räumlichkeiten des Kunden durchgeführt. Nach dem Erstkontakt mit der Projektleitung durch die schon bekannte Business Analystin wurde sofort ein Meeting mit den betreffenden Mitarbeitern des Prozesses arrangiert und der komplette Prozess zusammen durchgegangen. Der Bildschirm wurde mittels eines Beamers auf eine Leinwand projiziert, sodass alle Beteiligten die gleiche Ansicht hatten. Der Entwickler, der in diesem Fall ein Management Consultant war (auch das zeigt, dass Robotic Process Automation in einfacheren Prozessen vom Business nicht nur gesteuert, sondern auch implementiert werden kann), protokollierte auf Klickebene den kompletten Prozess in einem sogenannten „Process Design Document“. Dieses Dokument ist eine Aufzeichnung aller Tätigkeiten, die für den Prozess ausgeführt werden müssen, mit Screenshots zusätzlich zu den schriftlichen Ausführungen. Auf Klickebene bedeutet, dass jeder einzelne Mausklick oder Tastaturanschlag notiert wird, da diese später auch vom Roboter ausgeführt werden müssen und somit eine lückenlose Aufnahme der einzelnen Aktivitäten unabdingbar für eine erfolgreiche Umsetzung ist. Zudem werden in diesem Rahmen alle Fragen rund um Berechtigungen, also Zugänge, Benutzernamen und Passwörter, sowie alle offenen Punkte zu den genutzten Systemen und alle weiteren fallspezifische Fragen geklärt. Nachdem das Process Design Document fertigstellt wurde und alle Fragen geklärt waren, startete die Programmierung des Prozesses. Bei der Umsetzung selbst war immer die Business Analystin anwesend, um Fachfragen sofort beantworten zu können. Prinzipiell ist es nicht nötig, dass der Analyst ständig neben dem Entwickler sitzt, da aber in diesem Fall ein erhöhter Zeitdruck (Umsetzungsdauer: Montag bis Mittwochnachmittag) vorherrschte war eine sofortige Lösung der Fragen vonnöten. Zudem kam zwei Mal am Tag die Fachspezialistin vorbei, um offene Punkte zum Prozess zu beantworten.
10.2.3 RPA-Lösung Im Folgenden wird vor allem auf die Automatisierung durch die Software von UiPath eingegangen, da diese später auch auf den Gesamtkonzern ausgerollt wurde. Da aber die Technik dieselbe bleibt ist die Vorgehensweise für alle Softwareanbieter ähnlich und die
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Ausführungen sind somit für alle Robotic Process Automation Projekte gültig. Lediglich die Umsetzung in der Software differiert. Wie oben schon beschrieben, ist die Methodik bei einer Robotic Process Automation die eines Baukasten. Das heißt die einzelnen Aktivitäten werden wie Bausteine aus dem Baukasten gezogen und in einer zeitlichen Abfolge untereinander angeordnet und werden dann von oben nach unten durch den Roboter ausgeführt. Im ersten Schritt werden die gelieferten Dateien bearbeitet Abschn. 10.2.3.1 und ausgelesen Abschn. 10.2.3.2. Ist dies bei allen Dateien geschehen, werden die zwischengespeicherten Daten in das Management Summary überführt und dieses endgültig erstellt Abschn. 10.2.3.3. Danach werden die Quelldateien als bearbeitet markiert und in den passenden Ordner verschoben Abschn. 10.2.3.4. Die Zieldateien, also das Management Summary, wird im letzten Schritt abgelegt und per Mail an die betreffenden Personen verschickt Abschn. 10.2.3.5.
10.2.3.1 Dateien bearbeiten Der Start war auch gleich der schwierigste Teil, denn die Bearbeitung der Daten in Excel war in der Umsetzung komplizierter als gedacht. Wie oben schon erwähnt, mussten die relevanten Daten mit Hilfe von Pivottabellen und SVERWEISEN aus der oft unübersichtlichen und großen Datenmenge extrahiert werden. Mittlerweile gibt es genau für diese Anwendungen Aktivitäten von UiPath, in welche nur noch die gewünschten Daten eintragen werden müssen und der Roboter alles weitere automatisch ausführt. Zur Zeit dieses Use Cases (Anfang 2019) gab es das noch nicht. Die Lösung des Problems ist dennoch relevant. Man wird immer wieder auf Probleme stoßen, die so noch nicht als Aktivität umgesetzt worden sind. Die Entwickler müssen daher kreativ sein, um einen Weg zu finden, den Prozess dennoch zu automatisieren. Ein gängiger Weg hierfür ist es, die auszuführende Tätigkeit anhand der einzelnen Mausklicks nachzubauen. Zum Beispiel würde man eine Zahl aus einer Zelle auslesen, indem man die Aktivität „Read Cell“ benutzt. Wäre diese Aktivität nicht vorhanden, würde man den Roboter mittels einer einfachen „Click“ Aktivität in die Zelle klicken lassen, dann den Inhalt auswählen, um ihn in einem weiteren Schritt in eine Variable zwischenzuspeichern. Das gleiche Prinzip war notwendig, um eine Pivottabelle zu bauen. Diese zu erstellen ist wesentlich aufwändiger als eine Zahl aus einer Zelle zu kopieren, somit war der Programmieraufwand auch wesentlich erheblicher. Komplizierter macht es nicht nur die höhere Komplexität der Klickreihenfolge, sondern auch, dass einzelne Felder von UiPath nicht erkannt wurden und somit frei Hand markiert werden musste. Eine solche Lösung kann nie so stabil funktionieren, wie eine automatisierte Erkennung. Zudem ist es beim Aufstellen der Pivottablle notwendig die Spalten und Zeilen per Drag and Drop in das richtige Schema zu ziehen, was eine zusätzliche Herausforderung für die Programmierung war. Dieses Problem konnte mit Short- cuts durch die „Send Hotkey“ Aktivität gelöst werden (siehe Abb. 10.1). Mit den Short- cuts konnte die Drag-and-Drop-Funktion ersetzt werden, indem den aneinandergereihten „Send Hotkey“-Aktivitäten vorgegeben wird, welche Elemente sie anklicken (d. h. aktivieren) und im Folgenden durch die Pfeil- und Tabulatortasten in die gewünschten Felder
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Abb. 10.1 Send Hotkey und Type Into Aktivität (eigene Darstellung)
manövrieren sollen. Nachdem eine umsetzbare Lösung für dieses Problem gefunden wurde konnte sie auf alle anderen Tabellen angewendet werden, auch wenn sie für jede einzeln angepasst werden musste. Die SVERWEISE in die richtige Zelle einzufügen stellte kein Problem dar. Mittels einer „Write Cell“ Aktivität wurde die vorformulierte Formel an gewünschter Stelle eingefügt und durch die schon bekannte Aktivität „Send Hotkey“ mit Enter ausgeführt.
10.2.3.2 Daten auslesen – Was ist eine Variable Die in Abschn. 10.2.3.1 generierten Daten müssen nun ausgelesen werden, um später in die Zieldateien übertragen zu werden.
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Dafür werden sogenannte Variablen genutzt. Eine Variable ist vereinfacht gesagt ein Container, in welchem Daten gespeichert und transportiert werden können. So wird zum Beispiel in einer Exceldatei in Zelle A1 der Wert 15 generiert, dieser würde jetzt mit der Aktivität „Read Cell“ ausgelesen. Gleichzeitig wird in dieser Aktivität eine Variable generiert und wie gewünscht benannt. Hier soll die Variable „var_Wert“ heißen. In diese Variable wird die Zahl 15 gespeichert. Das bedeutet es existiert nun eine Variable, die in ihrem „Inneren“ die Zahl 15 mitbringt. Die Variable hat einen bestimmten Typ und passt dementsprechend ihre Eigenschaften an, kann manipuliert, das heißt bearbeitet, mit anderen Variablen kombiniert oder in anderer Weise bearbeitet werden (Lindholm und Yellin 1997, S. 10–12). Dieses Prinzip ist ein wichtiges und sehr universell einsetzbares Prinzip. Es wird in sehr vielen Programmiersprachen und nicht nur bei Robotic Process Automation, sondern zum Beispiel auch bei Python oder R Programmierungen genutzt, sobald mit Daten gearbeitet wird. Das hat den Vorteil, dass die Werterkennung dynamisch ist. Da sich die Zahlen jede Woche ändern, muss jede Woche eine andere Zahl abgespeichert und übertragen werden.
10.2.3.3 Daten überführen und Summary erstellen Sind alle gewünschten Daten in Variablen gespeichert, werden die Variablen in die vorgefertigte Management Summary-Vorlage übertragen. Das bedeutet, nicht der Wert 15 wird in Feld C4 übertragen, sondern die Variable „var_Wert“ wird mit einer „Write Cell“ in die Zelle C4 geschrieben. Würde man der „Write Cell“ Aktivität sagen schreibe bitte „15“ in Zelle C4 wäre dies zwar in dieser Woche richtig, aber vermutlich in der nächsten Woche schon falsch. Durch das System der Variablen wird immer der neue Wert in der Variable gespeichert, der alte überschrieben und somit der aktuelle Wert übertragen. Sind alle ausgelesen Variablen in die bestehenden Templates übertragen, ist das komplette Management Summary erstellt, wird gespeichert und geschlossen (Aktivitäten „Save Workbook“ und „Close Workbook“). 10.2.3.4 Markieren und ordnen Alle bearbeiteten Quelldateien wurden im Explorer umbenannt und bekamen den Hinweis „b“ (für bearbeitet) an den Dateinamen vorangestellt. Für diese Aktion wurde die Aktivität „Type into“ benutzt. Sie wählt den Dateinamen aus, setzt den Cursor an die gewünschte Stelle im Namen und fügt den vorgegebenen Text ein. Somit war auf den ersten Blick klar, welche Dateien bearbeitet wurden und es konnte jederzeit eine Statusabfrage gewährleistet werden. Nachdem alle Dateien bearbeitet wurden, konnten die Dateien ins Archiv verschoben werden. Zudem wurde anhand des Merkmals „b“ überprüft, ob alle Dateien bearbeitet wurden. Der Roboter liest dazu alle Dateinamen aus, speichert diese in eine Variable und gleicht diese mit einer vordefinierten Variablen ab, in die das Merkmal „b“ für bearbeitet gesetzt wurde. Ist dieses Merkmal vorhanden wird die Datei geöffnet und unter gewünschtem Ordner (Archiv) gespeichert und aus dem aktuellen Ort gelöscht (Aktivität „Delete“).
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Abb. 10.2 UiPath Workplace: Erste Ebene des fertigen Prozesses (eigene Darstellung)
10.2.3.5 Management Summary ablegen und versenden Die erstellte Management Summary wird in einem bestimmten Sharepoint-Ordner nach gleichem Muster abgelegt wie die Quelldateien im Archiv. Zudem werden die Dateien noch mittels einer „Send Outlook Mail“-Aktivität mit einem vordefinierten Text an einen vorab definierten Teilnehmerkreis verschickt. Auch hier sind wieder Variablen im Spiel, die immer das aktuelle Datum eintragen und ausgewählte Zahlen schon in den Text der Mail einfügen (Abb. 10.2).
10.3 Lessons Learned/Vor-und Nachteile Die Vorteile sind in oben beschriebenem Use Case offensichtlich. Der auf klaren Regeln basierte Prozess konnte ohne Anpassungen oder Veränderungen direkt eins zu eins umgesetzt und vom Roboter ausgeführt werden. Jede Entscheidung hatte eine klare, vordefinierte Struktur und konnte somit in der RPA-Technologie umgesetzt werden. Bei komplexeren Prozessen, in die zum Beispiel Erfahrungswerte eingehen oder nach eigenem Ermessen entschieden werden muss, würde man einem Roboter diese Werte und Entscheidungen in eindeutige Muster übersetzten müssen. Was oft erst mal zu einer internen Diskussion und Aufrollbedarf in der Fachabteilung führt und die Umsetzung verzögern kann. Zudem war die Implementierungsdauer in diesem Fall extrem kurz. Hier ist zu beachten, dass es sich um einen Proof of Concept handelte und die komplette Governance erst mit der Entscheidung für diesen Anbieter aufgebaut wurde. Wird ein Center of Excellence von Grund auf aufgebaut, muss je nach Größe mit erheblichem Mehraufwand gerechnet werden. Nachdem die Grundvoraussetzungen geschaffen wurden, kann mit der eigentlichen
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Umsetzung begonnen werden. Gängige Angaben zur Dauer seitens der Softwareanbieter und Beratungsunternehmen sind sechs bis acht Wochen für einen Prozess. Die Erfahrung zeigt, dass man bei einem durchschnittlich komplexen Prozess mit zehn bis zwölf Wochen rechnen muss. Eine Umsetzungsdauer in sechs bis acht Wochen ist möglich, wenn absolut keine Probleme auftreten und keine Komplikationen in der Programmierung entstehen. Meist sind vor allem bei den ersten Prozessen den Programmierern die Systeme und deren Landschaft noch unbekannt und deren Eigenheiten bremsen das Vorankommen. Ist der Prozess einmal umgesetzt steht der Roboter rund um die Uhr zur Verfügung. Das heißt Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit ist nun kein Problem mehr, auch krank werden oder streiken kann der Roboter nicht. Zudem arbeitet ein Roboter nahezu fehlerfrei und wird nicht müde oder unkonzentriert. Weiterhin produziert er kaum Kosten, sollte er einmal nicht eingesetzt werden. Allerdings muss erwähnt werden, dass auch Systeme ausfallen und Hardware defekt werden kann. Einer der größten Vorteile ist die Systemunabhängigkeit. RPA kann jedes Programm automatisieren, da es direkt auf die Benutzeroberfläche zugreift. Somit ist eine Digitalisierung über mehrere Systeme oder Programme hinweg kein Problem. Ist ein Roboter erstellt worden, kann die Datei kopiert werden und ohne Probleme an anderer Stelle, in einem anderen Prozess, mit dem gleichen System oder Teilprozess erneut eingesetzt werden. Durch die frei gewordene Zeit können die Mitarbeiter sich entweder neuen und interessanteren Themen und Aufgaben zuwenden oder aber sich weiterbilden, um sich selbst dann im RPA-Bereich einzubringen Eine weitere Option wäre es, dem Mitarbeiter die gewonnene Zeit als arbeitsfreie Zeit zur Verfügung zu stellen und so die Work-Life- Balance zu verbessern.
10.4 Fazit und Ausblick Gemäß Gartner (2019) ist der Umsatz mit Robotic Process Automation Software 2018 um 63,1 % gestiegen. Also auf ein Gesamtvolumen von 846 Millionen US-Dollar und ist somit das am schnellsten wachsenden Segment des globalen Marktes für Unternehmenssoftware. Auch in 2020 wird das Wachstum nicht stoppen. UiPath (2019) geht von einer „Explosion“ im Bereich der öffentlichen Institutionen aus, zudem wird immer mehr intelligente Automatisierung möglich sein. Machine und Deep Learning werden eine immer größere Rolle spielen und den Anwendungsbereich enorm erhöhen. Zudem wird vermehrt Process Mining eine Rolle spielen. Diese Technologie hilft den Prozess vorab detailgenau zu analysieren, Automatisierungspotenzial aufzudecken und später zu überprüfen. Auch wird die Kombination mit weiteren Techniken, wie Chatbots (Interaktionsroboter) oder Optical Character Recognition (Software, um Dokumente zu lesen) mit RPA ausgebaut und erweitert. Hier sind zukünftigen Entwicklungen keine Grenzen gesetzt (Smeets et al. 2019; McKinsey 2019). Robotic Process Automation eignet sich hervorragend, um schnell und kostengünstig standardisierte Prozesse zu automatisieren. Dennoch sollte auch hier, wie bei jeder
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ransformation mit Augenmaß herangegangen werden und nur sorgfältig geprüfte Use T Cases umgesetzt werden – und bei aller IT darf der Mensch nicht vergessen werden (Stichwort: Change Management) (McKinsey 2019).
Literatur BluePrism. (2018). Automate or Stagnate. https://www.blueprism.com/uploads/resources/white-papers/Global-Survey_Automate-or-Stagnate_full-report.pdf. Zugegriffen am 21.12.2019. Czarnecki, C., & Auth, G. (2019). Prozessdigitalisierung durch Robotic Process Automation. In C. Seel (Hrsg.), Digitalisierung in Unternehmen (S. 113–132). Berlin: Springer. Ernst & Young LLP. (2017). Intelligent automation reshaping the future of work with robots. https:// www.ey.com/Publication/vwLUAssets/EY_intelligent_automation/$FILE/EY-intelligent-automation.pdf. Zugegriffen am 21.12.2019. Gartner. (2019). Gartner prognostiziert für RPA-Software starkes Wachstum. https://www.ecmguide. de/integration/geschaeftsprozesse/gartner-prognostiziert-fuer-rpa-software-starkes-wachstum-24388.aspx. Zugegriffen am 21.12.2019. Gärtner, C. (2020). Smart HRM: Digitale Tools für die Personalarbeit. Wiesbaden: Springer Gabler. Haliva, F. (2018). Top 10 HR tasks that are perfect for robotic process automation. https://blog. kryonsystems.com/rpa/top-ten-hr-tasks-that-are-perfect-for-rpa. Zugegriffen am 21.12.2019. Lindholm, T., & Yellin, F. (1997). The Java™ virtual machine specification. http://www.cs.miami. edu/home/burt/reference/java/language_vm_specification.pdf. Zugegriffen am 27.12.2019. McKinsey. (2019). What’s now and next in analytics, AI, and automation. https://www.mckinsey. com/featured-insights/digital-disruption/whats-now-and-next-in-analytics-ai-and-automation. Zugegriffen am 21.12.2019. Safar, M. (2019). Was ist Robotic Process Automation (RPA)? https://weissenberg-solutions.de/ was-ist-robotic-process-automation/. Zugegriffen am 27.12.2019. Schabicki, T., & Arndt, M. (2018). Prozessautomatisierung (RPA) für Unternehmen durch Roboter. https://www.bearingpoint.com/de-de/unsere-expertise/branchen/digitales-banking-der-zukunft/ prozessautomatisierung-rpa-fuer-unternehmen-durch-roboter. Zugegriffen am 21.12.2019. Smeets, M., Erhard, R., & Kaußler, T. (2019). Robotic Process Automation (RPA) in der Finanzwirtschaft. Berlin: Springer.
CARL – von der Idee zur Vision, vom MVP zur Enterprise-Lösung
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Sabine Rinser-Willuhn und Christian Greiner
11.1 Entstehungsgeschichte und Vision CARL CARL wurde durch einen Zufall „geboren“. Eine kleine „mini-Applikation“, die Zugang zu allen HR-Systemen der Siemens AG in Deutschland über eine Link-Sammlung bereit stellte, war in die Jahre gekommen und so entschieden sich einige Mitarbeitende der IT HR und HR, einen gemeinsamen Workshop durchzuführen, um Ideen zu entwickeln. Design Thinking, agile, Scrum – viele Schlagwörter, die wir immer wieder hörten oder sahen, machten neugierig und so ergriffen wir die Chance und zogen uns zu einem 3-tägigen Design Thinking Workshop – gemeinsam mit IBM – in die IBM Design Thinking Studios in Hamburg zurück. Grundidee war, mit Hilfe von Personae (Mitarbeitende, Manager), die Wünsche und Anforderungen aus Sicht der Nutzer an einen HR SPOC (Single Point of Entry) zu eruieren und damit die Grundlage unserer Vision zum Leben zu erwecken. Als Output dieses Design Thinking Workshop konnten wir eine Papierversion der LandingPage, die Idee zu einem inkludierten Chat-Bot und den Namen „CARL“ (benannt nach einem Sohn von Werner von Siemens bzw. „Cognitive Advisor for interactive user Relationship & continuous Learning“) verzeichnen. CARL war geboren und die Idee des inkludierten Chat-Bots ließ uns nicht mehr los.
Make something people want!
S. Rinser-Willuhn (*) Siemens AG, München, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Greiner München, Deutschland © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_11
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Im März 2017 beschlossen wir, unserer Idee Raum zu geben und den nächsten Schritt zu gehen. Ein Team von Mitarbeitenden von Siemens HR, Siemens IT und IBM traf sich zu einem 3-wöchigen-Hackathon in München im Watson IoT-Center, um unsere Idee zum „Leben zu erwecken“. Von Beginn an war uns ein agiles Setup wichtig. Während dieser drei Wochen arbeiteten wir in vier parallelen Teams in ein-Tages-Sprints: • Ein Team arbeitete an der grundsätzlichen Verbindung der beiden IT-Welten von Siemens und IBM. • Ein Team designte und programmierte die LandingPage (Java basiertes Frontend), stellte die technische Verknüpfung zu einigen existierenden HR-Applikationen her und füllte die LandingPage mit personalfachlichen Inhalten. • Ein Team lernte, wie man Chat-Bots (IBM Watson Assistant) erstellt und erarbeitete einen Chat-Bot für zwei HR Topics (Siemens Aktienprogramm und Kinderbetreuungszuschuss). • Ein Team beschäftigte sich mit der technischen Möglichkeit, Formulare automatisiert auszulesen, um die Daten dann per Schnittstelle an entsprechende Backendsysteme übergeben zu können. (Zu dieser Zeit verfolgten wir noch die Idee, diese Funktionalität in CARL einzubinden; dies wurde zu einem späteren Zeitpunkt jedoch verworfen.) Am Ende dieser drei Wochen hatten wir CARL technisch zum Leben erweckt – es existierte ein Produkt, welches die beiden IT-Welten von IBM und Siemens technisch verband und auf allen Arten von Endgeräten verfügbar war. Auf der LandingPage wurden verschiedene HR-fachliche Inhalte und News angeboten und es konnten auf der Siemens- Seite Fragen an den Chat gestellt werden, die von IBM Watson beantwortet wurden. Die CARL LandingPage ist ein Baukasten, der jeweils nach den Erfordernissen eines Landes konfiguriert und mit Inhalten gefüllt werden kann (siehe Abb. 11.1). Allerdings gelangten wir auch zu der Erkenntnis, dass es mit den vorhandenen technischen Mitteln nicht möglich war, Hunderte von HR Topics in mehreren Sprachen in einem einzigen Chat-Bot administrieren zu können, zumal wir den Anspruch hatten, dass künftig HR-Mitarbeitende den Chat-Bot ohne zusätzliche IT-Kapazitäten, eigenständig aufbauen und pflegen können sollten. Das Team erhielt die Möglichkeit, CARL live im HR Management Board präsentieren zu können. CARL konnte so als „Produkt“ präsentiert werden und nicht wie sonst so häufig üblich in Form einer „Folienschlacht“. Der Entschluss, die CARL LandingPage live zu setzen, stand relativ bald nach dem Hackathon fest. Und als IBM-seitig die Idee für ein „Content Management System“ entstand, welches HR in die Lage versetzt, auf sehr einfachem Weg (ohne tiefergehende IT-Kenntnisse) Chat-Bot Topics zu administrieren, wurde ein Team (ca. 12 Mitarbeitende, davon ca. 6 nur teilweise mitwirkend) zusammengestellt. Das Team entwickelte in der Zeit von Juli 2017 bis September 2017 CARL als MVP (Minimum Viable Product) und stellte
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Abb. 11.1 CARL LandingPage
diesen am 04.10.2017 in Deutschland und Österreich ca. 130.000 Siemens-Mitarbeitenden zur Verfügung. Während dieser drei Monate wurden – neben einem neuen „Look“, den die CARL LandingPage in Zusammenarbeit mit Siemens Employer Branding erhielt – auch alle rechtlichen Anforderungen, wie z. B. Mitbestimmung, Informationssicherheit und Datenschutz erfüllt. Ebenso ist es Siemens und dem Team wichtig, dass CARL barrierefrei zugänglich ist.
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Abb. 11.2 CARL: Dokumentensuche
Abb. 11.3 CARL: Suchergebnisse
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CARL wurde als „Baukasten“ konzipiert, um so jedem Land die Möglichkeit zu geben, den örtlichen Gegebenheiten entsprechend, technische/inhaltliche Fähigkeiten e inzusetzen oder ausgeblendet zu lassen. Teil der LandingPage ist die Dokumentensuche (Abb. 11.2), die Informationen und Links als Ergebnis ausspielt (Abb. 11.3). Das waren die Anfänge – vor nunmehr mehr als 2 Jahren. Zwischenzeitlich befindet sich das Team im 46 Sprint – was wurde in dieser Zeit erreicht? • CARL ist neben Deutschland und Österreich in weiteren 20 Ländern live (z. B. USA, Indien, Australien, Mexiko, Brasilien, Kanada etc.) • Die LandingPage ist in sehr vielen und der Chat-Bot in fünf Sprachen verfügbar:Deutsch (siehe Abb. 11.4), Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Französisch • Der Chat-Bot verzeichnet 60.000 Interaktionen pro Monat • Die LandingPage wird mehr als eine Million Mal im Monat kontaktiert • Das Team hat während der Sprints auch parallel weitere Hackathons (z. B. Watson Knowledge Studio) durchgeführt • CARL wurde mit weiteren funktionalen und technischen Features ausgestattet:
Abb. 11.4 CARL-Chatverlauf
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–– Nutzung von IBM Watson Discovery (Watson Discovery ist eine Cloud-native Insight-Engine, die Datenaufnahme, -speicherung und -aufbereitung mithilfe von Natural Language Processing kombiniert, um Erkenntnisse aus strukturierten und unstrukturierten Daten mit KI-gestützten Abfragen zu extrahieren). –– Anbindung von im Unternehmen bereits vorhandenen HR IT-Lösungen (z. B. Auftr agsmanagement-System). –– Es wurde ein umfangreiches automatisiertes Reporting implementiert, welches genaue Zugriffszahlen je Feature ermöglicht. –– Und permanent arbeitet das Team an der Verbesserung des Konversationsverhaltens des Chat-Bots an sich, mit dem Ziel, dieses immer besser einer Kommunikation „unter Menschen“ anzugleichen. Alle im Team haben die Chance genutzt, eine Vielzahl von neuen Dingen kennenzulernen (sowohl hinsichtlich technologischer als auch methodischer Kompetenzen). Wir konnten neue Erfahrungen in der Softwareentwicklung sammeln, die sich aufgrund der Tatsache ergeben haben, dass wir hinsichtlich der Größe und des kombinierten Ansatzes LandingPage/Chat-Bot als Pioniere auf diesem Gebiet gesehen werden können. Auch, dass wir wie ein Start-up-Unternehmen in einem Großkonzern – mit allen Chancen aber auch Herausforderungen – agieren konnten, hat uns allen neue Einblicke in strategische Projektarbeit ermöglicht. Das Interesse, das wir mit unserem Produkt innerhalb der Firma aber auch extern – bei anderen Firmen, im Rahmen von Messen, Veranstaltungen und Kongressen – wecken konnten, hätten wir zu Beginn unserer Reise mit CARL nie erwartet. So ist das Team sehr stolz, 2018 sowohl den Siemens-internen HR- als auch IT-Award gewonnen zu haben. Im Jahr 2019 schloss sich an diese internen Awards auch der „Preis der deutschen Personalwirtschaft“ in der Kategorie „HR Organisation“ an.
11.2 Methode und Setup des CARL Projektteams CARL ist ein Produkt, das aus einer Idee heraus entwickelt wurde. Das Team konnte sich zu Beginn an keiner Vorlage oder einem vergleichbaren Projekt oder Produkt orientieren. Die Technologie war ebenfalls auf diesen Anwendungsfall noch nicht unzählige Male zuvor eingesetzt worden. An die Organisation wurden neue Herausforderungen gestellt, wie eine Neu-Produktentwicklung gesteuert und bemessen werden sollte. Die Unsicherheiten, die sich daraus ergaben, ließen sich durch moderne Methoden und Konzepte der Software- Entwicklung minimieren. Die Ausrichtung auf Bedürfnisse der Nutzer (bspw.: Nutzerfreundlichkeit), orientiert an messbaren Unternehmenszielen (bspw.: Ticket-Reduzierung durch Chat-Antworten), der Fokus auf Fähigkeiten (bspw.: Dokumenten-Suche), die direkten Mehrwert für die Nutzer liefern und die datengetriebene Entscheidungsfindung stellen die organisatorische Basis für eine erfolgreiche Projektlaufzeit. Methodisch unterstützt wurde die Produktent-
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wicklung durch das „Lean Startup“ Modell, Agile und Scrum. Lean Startup liefert das das Konzept des „Build-Measure-Learn“ mit dem der Produktentwicklungsprozess strategisch organisiert wird (Ries 2000). Eine Fähigkeit (bspw.: Medien in Chat-Antworten) kann verschiedene Ausprägungen haben. Die Positionierung, die Konfigurationsmöglichkeiten oder das Speichern in einen CARL-eigenen Online Speicherplatz können verschiedenste Formen annehmen. Mit dem „Lean Startup“ Modell als Leitlinie lassen sich schnelle Entwicklungszyklen erreichen, die die Grundfunktion an den Nutzer liefern. Diese liegt strikt auf der Kernfähigkeit des Produkts, die sich im Konzept des MVP wiederfindet. So wurde bspw. zuerst die Fähigkeit angeboten, Links per HTML-Editor in die Antworten des Chats zu integrieren, bevor es zu einer nutzerfreundlichen Bedieneroberfläche im Content Management System ausgebaut wurde (Build). Im Folgenden wurde technisch gemessen, wie oft und welche Inhalte die Nutzer benutzten und über Interviews weitere Anforderungen an das „Feature“ identifiziert (Measure). Zusammen mit Nutzern wurde „gelernt“, auf was es im Prozess „Medien in Antworten integrieren“ ankommt (Learn). Die Operationalisierung dieses Vorgehens wird mit dem „Agile Framework“ von „Scrum“ erreicht (Schwaber 2004). Flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege, regelmäßige Kommunikation und ein breites Rollenverständnis, gepaart mit den agilen Praktiken (Daily Stand-up, Retroperspektiven, Backlog Management, Produkt Roadmap, Epics, Features und User Stories) bildeten die operationale Basis für die Durchführung des Projektes. Die Kombination aus klarer Ausrichtung auf den Nutzer und Unternehmensziele, robusten Methoden und der Offenheit, einen kulturellen Wandel zu durchleben, sind Bestandteile des Erfolgsrezepts des Projektes CARL.
11.2.1 Einblick in das Setup des CARL Projektteams Das zentrale CARL Projektteam hat eine Besetzungsstärke zwischen 10 und 15 Personen, wobei nur sehr wenige im Team Vollzeit an CARL beteiligt sind. Gearbeitet wird (hauptsächlich virtuell) in drei-Wochen-Sprints an 8 Standorten in- und außerhalb Deutschlands. Jeweils zum Abschluss eines Sprints und zum Aufsetzen des nächsten Sprints (Durchführen der „Sprint-Zeremonien“) trifft sich das Team persönlich. Diese Treffen sind aus unserer Sicht unerlässlich, um sowohl einen „Teamspirit“ als auch ein gemeinsames Verständnis bezüglich der nächsten anstehenden Ziele zu schaffen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Team Siemens-seitig aus drei verschiedenen und IBM-seitig aus vier verschiedenen Business-Einheiten besteht. Meist organisiert das Team an diesen Terminen auch gemeinsame Abendveranstaltungen. Zwei bis drei Mitarbeitende begleiten aus dem zentralen Team die Rollouts in den Ländern und stellen nach dem erfolgreichen Go live auch den Support für die HR-Anwender in den Ländern sicher.
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11.2.2 Wie gestaltet sich ein Rollout in einem Land? Wenn sich ein Land entscheidet, den vollen Umfang von CARL zu nutzen (Länder mit geringer Anzahl von Mitarbeitenden bevorzugen es beispielsweise, nur die LandingPage zu implementieren), werden in einem vier- bis fünftägigen Workshop vor Ort die Projektvorgehensweise, die Methodik und die Technik von CARL geschult, erste Inhalte der Country-LandingPage definiert und zwischen zwei bis fünf Chat-Bot Topics gemeinsam aufgebaut. Stets ist es uns wichtig, einen in den ersten Ansätzen verfügbaren Country-CARL technisch und inhaltlich etabliert zu haben, ehe wir dann in den „virtuellen Betreuungsmodus“ umschalten. Während dieser Zeit, die üblicherweise drei Monate dauert, unterstützt das globale Projektteam die Country-Projekt-Teams durch wöchentliche Meetings je Country, Begleitung entsprechender Stakeholder-Meetings in den Ländern und Video-Tutorials. Außerdem gibt es praktische Hilfe bei Anwenderfragen via virtueller Kommunikationsplattformen. Die Bereitstellung von Content im Rahmen eines Chat-Bots in Verbindung mit einer LandingPage unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von herkömmlichen Arten von Informationsaufbereitung. So stellt beispielsweise die durchgängige komplette Darstellung von Themengebieten (Rundschreiben, Formulare, Fachinhalte, Prozesse, zugehörigen IT- Systeme – gegebenenfalls im Kontext mit weiteren Fachthemen) eine Neuerung dar. Anfangs waren wir im Team der Meinung, dass ein Chat-Bot letzten Endes nur eine andersartige technische Aufbereitung der guten alten „FAQ“ (frequently asked questions) ist. Das hat sich als kompletter Irrtum erwiesen! Ein Gespräch zwischen Menschen mit Hilfe eines Chat-Bots technisch zu simulieren, erweist sich als große Herausforderung. Wie stellen Menschen eigentlich Fragen? Was erwarten sie als Antwort – und in welcher Form, Länge und „Tonart“? Wie können zusätzliche Informationen von Seiten der Maschine zur Verfügung gestellt werden? Eine Frage – eine Antwort – gut und schön. Wie aber führt man technisch durch eine komplette Konversation mit vielleicht verschiedenen Fragen zu unterschiedlichen Themenbereichen? Wann und wie muss eine Maschine Rückfragen stellen, um die bestmögliche Antwort technisch ausgeben zu können? All dies wird während des Rollouts – neben den technischen Schulungen – im Rahmen der Methodiken geschult. Von Seiten des zentralen Projektes stellen wir hierzu ein Konzept für den „Tone of voice“ (die „Tonart“), mit welcher unsere Mitarbeitenden informiert werden sollten, zur Verfügung. Es ist aber unerlässlich, dieses gemeinsam mit der HR im Land hinsichtlich der kulturellen Gegebenheiten anzupassen. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass es sehr wichtig ist – schließlich simulieren wir menschliche Interaktion im Chat – kulturellen Unterschieden besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Vor allem im Bereich der sogenannten „Chit Chats“ (informelle Konversation) gilt es, sprachlichen Feinheiten, humorvollen Ausprägungen und allgemeinen Inhalten entsprechende Beachtung zu schenken. Überhaupt waren wir verblüfft, wie wichtig es ist, Chit Chat in Rahmen eines Chat-Bots als Themenbereich anzubieten. Tatsächlich ist es aber genau diese Art der
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onversation, die dem User einen offenen und unkomplizierten Weg bietet, mit dem ChatK Bot in einen Dialog zu treten.
11.3 Technologisches Konzept Dieses Kapitel möchte den Überblick zur technischen Architektur geben. Ebenfalls soll beleuchtet werden, auf welcher Entscheidungsgrundlage und für welche Anwendungen die Bausteine ausgewählt wurden. Das Zusammenspiel zweier Web-Applikationen, mehrerer Microservices und Datenbanken über eine API-Schnittstelle stehen im Mittelpunkt der Betrachtung. Sowohl die Anbindung von firmeninternen Systemen, das Authentifizieren des Users über Unternehmensgrenzen hinweg, stellen besondere Anforderungen an das System. Auch das Thema Datensicherheit, hinsichtlich persönlicher Daten und Datenkommunikation über Unternehmensgrenzen hinaus, ist zu beachten. Die Ausgangssituation und Schritte zur Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen sollen im Folgenden ebenfalls in Kürze dargestellt werden. Um das Gesamtbild zu erfassen, wird zusätzlich das organisatorische Modell der „Deployment-Pipeline“ skizziert, um Architektur und Ablauf im Zusammenhang erfassen zu können. Die gewählten Bausteine ermöglichen den definierten „Use-Case“, den Mitarbeitenden des Unternehmens über eine Web-Applikation häufig gestellte Fragen schnellstmöglich und präzise systemisch zu beantworten. Am Ende des Kapitels soll der Leser verstehen, welche Bestandteile das System hat, wie diese verbunden sind, wie diese betrieben werden und welchen Nutzen diese im Gesamtkontext des Produktes erfüllen. Die Projekterfahrung hat gezeigt, dass die Zielarchitektur, zusammen mit dem Operating Model und der Change Methode die Säulen des Transformationsprozesses ausmachen. Basierend auf agilen Projektmethoden ist es möglich aus kleinen Ideen, weitreichende Features und komplexe Komponenten zu entwickeln. Die Architektur bedient sich dem Konzept der Microservices. Microservices sind ein Architekturmuster der Informationstechnik, bei dem komplexe Anwendungssoftware aus unabhängigen Prozessen komponiert wird, die untereinander mit sprachunabhängigen Programmierschnittstellen kommunizieren. Die Dienste sind weitgehend entkoppelt und erledigen eine kleine Aufgabe. So ermöglichen sie einen modularen Aufbau von Anwendungssoftware. (Newman 2015; Wolff 2015). Die Vorteile dieser Architektur sind: • • • • • •
Flexibilität durch starke Modularisierung Ersetzbarkeit Ergänzung von Legacy-Systemen Agile Prozesse skalieren Technologiefreiheit Continuous Delivery
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Die CARL-Architektur besteht aus mehreren abgrenzbaren Komponenten. Ein wesentlicher Baustein ist das Webfrontend, die LandingPage (siehe Abb. 11.1 oben), über welches die Mitarbeitenden auf die HR-Inhalte zugreifen können. Der Zugang wird über die siemensweite interne Authentifizierung ermöglicht. Ein Zugang aus dem Internet ist für Siemens Mitarbeitende ebenfalls möglich. Jedoch sind diejenigen Inhalte nicht erreichbar, die sich hinter der Sicherheitsschranke befinden. Diese Fähigkeit ermöglicht dem Mitarbeitenden einen Zugriff zu jederzeit an jedem Ort. An das Java-basierte Frontend wurden weitere Applikationen angebunden – zum einen sind das bereits existierende Systeme wie „Corporate Directory“ und zum anderen neu entwickelte Systeme wie der Chat-Bot. Die Integration dieser Systeme wird über eine API-Applikation gesteuert, die sich dem REST Prinzip bedient. REST bedeutet Representational State Transfer (abgekürzt REST, seltener auch ReST) und bezeichnet ein Programmierparadigma für verteilte Systeme, insbesondere für Webservices (Fielding 2000, S. 76 ff.). Der Chat-Bot besteht im gesamten aus vier Elementen. Ausgangspunkt ist die IBM Watson Assistant Technologie, welche die Grundfähigkeit eines Natural-Language Algorithmus bereitstellt. Er basiert auf einem Supervised-Learning Modell, das von Experten sowohl mit den möglichen Fragen als auch mit den Antworten auf diese Fragen befüllt werden muss. Die Fähigkeit aus wenigen initialen Fragen, zukünftig abweichende Fragestellungen, die im gleichen Kontext stehen, zu beantworten, ist die „Intelligenz“ des Systems. Die Antworten können mit multimedialen Inhalten angefüttert werden. Zusätzlich besitzt das System die Fähigkeit Dokumente, basierend auf Nutzerfragen, zu durchsuchen (siehe Abb. 11.2 oben). Der IBM Watson Discovery Service durchsucht ausgewählte Dokumente und liefert passende Paragrafen, die Mitarbeitenden Fragen beantworten sollen. Die beiden Response-Objekte werden über die zentrale API in das Frontend übergeben und dort ausgespielt (siehe Abb. 11.3 oben). Aufbereitet werden die Inhalte im IBM SEA (Scalable Enterprise Advisor) Content Management. Dieses System bietet ein Frontend mit dem HR-Experten die Services, an einer zentralen Stelle, konfigurieren und befüllen können. So gehen die Daten vom Experten in das Content Management System, werden in der Datenbank gespeichert und über die API zum einen in die IBM Watson Services überführt und zum anderen als ganzheitliches Objekt an das CARL Frontend übergeben. Die Eingaben, die von Nutzern auf dem CARL Chat-Bot eingegeben werden, werden ebenfalls über die API über die beteiligten Systeme orchestriert. Das gesamte System arbeitet mit anonymisierten Nutzer Identifikations-Nummern (AUID). Zu keiner Zeit ist es möglich einen Nutzer zu identifizieren. Die AUID ist für die Auswertung von Nutzerdaten dahingehend hilfreich und relevant, um sich stetig an die Wünsche und den Verhaltensweisen der Nutzer anzupassen. Somit ist sind rechtliche Voraussetzungen erfüllt. Die Herausforderung der Produktentwicklung bei CARL bestand darin, schnelle Entwicklungszyklen und ausreichende „Feedbacks“ in die täglichen Praktiken einzugliedern. Deshalb bedient sich die technische Produktionsstraße der Konzepte des DevOps: „Devops is a set of practices intended to reduce the time between committing a change to a
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system and the change being placed into normal production, while ensuring high quality“ (Bass et al. 2015, S. 63). Mit den DevOps Methoden konnte im ersten Schritt die Code- Qualität der Entwickler sichergestellt und stetig verbessert werden. Entsprechende Prozesse und Regeln wurden an die Anforderungen des Projekts speziell angepasst. Diese Grundlage sichert ebenfalls die Qualität des Testings und reduziert die Wahrscheinlichkeit eines Engpasses in der gesamten Prozesskette. Das Automatisieren des Test-Schrittes und des darauffolgenden Deployments sind in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess eingegliedert und umgesetzt worden und sind einer unserer entscheidenden Erfolgsfaktoren. Die schnellen Entwicklungszyklen zwingen das Produkt-Team in kleinen und weniger komplexen Schritten zu denken. Dadurch wird auf der einen Seite der Produktentwicklungsprozess als Ganzes effizienter und auf der anderen Seite können schnell Nutzungsdaten ausgewertet und in die Weiterentwicklung aufgenommen werden (Ries 2000).
11.4 Sie haben Fragen? Das CARL-Team antwortet Im Laufe der zwei Jahre hatten wir viel Gelegenheit, uns im Rahmen von Kongressen, Events, Messen, persönlichen Treffen und Telefonaten intern und extern mit vielen Interessierten auszutauschen – immer wieder sind wir dabei auf ähnliche Fragestellungen gestoßen und gerne möchten wir an dieser Stelle unsere Antworten auf diese Fragen mit Ihnen teilen. Frage: Wie war die Reaktion Ihrer Mitarbeitenden als nun plötzlich eine Maschine anstelle eines Menschen antwortete? CARL-Team antwortet: Mit CARL haben wir erstmals in unserem Umfeld den Rollout einer Applikation mit Hilfe des Siemens-internen Social-Media-Kanals begleitet. Dort wurden viele Themen bei uns platziert. Angefangen von Fragen zum Datenschutz über Funktionalitäten, die vermisst wurden, bis hin zur generellen Diskussionen, warum ausgerechnet HR einen Chat- Bot einsetzt. Unser Ziel war es von Anfang an, sehr schnell jeden Post innerhalb eines halben Tages offen zu beantworten. So konnten Fragen zum Datenschutz schnell mit dem Hinweis auf die anonymisierte CARL-Lösung beantwortet werden. Das agile Setup des Teams mit den damals zwei wöchigen Sprintzyklen hat es uns ermöglicht, innerhalb von 4 Wochen die am meisten gewünschten Funktionalitäten bereitzustellen. Generell haben wir keinen der bis dato üblichen Eingangskanäle in die HR (Mail, Telefon, etc.) durch CARL ersetzt und so konnten wir die Fragestellung „HR vs. Chat-Bot“ als Chance in einem breiten Umfeld Erfahrung mit dieser Technologie gewinnen zu können, diskutieren.
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Frage: Wie waren die Reaktionen des Betriebsrates, anderer Business-Einheiten, des Managements? CARL-Team antwortet: Unser Management hat uns die Chance gegeben, CARL nicht als Business-Case- getriebenes sondern als Innovations-Projekt aufzusetzen. Wir wurden „beobachtet“ – aber nicht „geführt“. Dies war eine einzigartige Chance, die das Team sehr gerne ergriffen hat. Die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat gestaltete sich von Anfang an sehr offen. Wir diskutierten CARL – aber auch generell die Chancen und Risiken der neuen Technologien – sehr intensiv. Vor dem Hinblick der garantierten Anonymität, die CARL bietet, und der Möglichkeit, im Konzern Erfahrungen mit dieser kommenden Technologie sammeln zu können, wurde CARL als interessantes Informationsmedium seitens des Betriebsrates begrüßt. Als „Start-up“ im eigenen Unternehmen hat sich für uns die allgemeine Erkenntnis bestätigt, im externen Firmenumfeld oft schneller Beachtung zu finden, als dies intern der Fall ist. Frage: Wie sind Sie mit Bedenken im Zusammenhang mit dem Komplex „Datenschutz“ umgegangen? CARL-Team antwortet: CARL arbeitet heute komplett anonymisiert – wir wissen zwar jederzeit, WAS gefragt wird, jedoch nie WER fragt. Frage: Wie wirkt sich die Anonymisierung auf das zukünftige technische Potenzial aus? CARL-Team antwortet: Unter einem rein technischen Gesichtspunkt limitiert die Anonymisierung viele Möglichkeiten die User Experience zu verbessern. Einem Mitarbeitenden eine Antwort in seinem ganz persönlichen Kontext zu geben, und nicht einfach nur in einer stumpfen Frage/ Antwort Abfolge, ist dadurch nicht möglich. Bspw. „Wie viele Urlaubstage habe ich noch?“ Darüber hinaus würde die Personalisierung die Möglichkeit bieten, weitere Inhalte über den aktuellen Kontext hinaus anzuzeigen. Ist bekannt, in welcher Abteilung ein Mitarbeitender beschäftigt ist, können proaktive Empfehlungen ganz spezifisch für den Mitarbeitenden gegeben werden. Die Anonymisierung der Nutzer durch die UID ist grundsätzlich jedoch kein Ausschlusskriterium für eine gute User Experience. Wir bieten dem Nutzer die Möglichkeit ein persönliches, sehr rudimentäres Profil anzulegen. Wenige Merkmale können auf freiwilliger Basis angegeben werden (z. B. in welcher Business Unit der Mitarbeitende beschäftigt ist). Die Entscheidung, welche Daten geteilt werden dürfen, hat der Nutzer somit selbst in der Hand. Über das Anonymisieren kann auch Nutzerverhalten abgeleitet werden. So geben wir Empfehlungen zu Themen auf Basis von Anzahl und Häufigkeit von Nutzer-Anfragen. Das bedeutet zwar, dass es nicht ganz persönlich relevant ist, aber für die meisten dann schon.
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Auf diese Weise wird das proaktive Weiterführen innerhalb von Themen von den HR-Mitarbeitenden vorgedacht und in die Konversationen eingebaut und bei Bedarf weiter ausgebaut und aktualisiert. So ist zwar keine vollständige und automatisierte Personalisierung erreicht, doch der Kompromiss ist bereits ein guter Schritt in diese Richtung. Frage: Wo steckt eigentlich die KI in CARL und welche Potenziale gibt es noch? CARL-Team antwortet: Die Chat-Bot Technologie und die Dokumentensuche bilden das maschinelle Herz der CARL „KI“. Die Fähigkeit einer Maschine, Text zu verstehen ist nicht trivial. Das System schafft es mit einer kleinen Menge an Beispielfragen alle anderen möglichen passenden Fragen abzuleiten. Man muss sich nur vorstellen, jemand müsste sich alle möglichen Fragen zum Kinderbetreuungszuschuss überlegen. Das ist schlicht unmöglich. Die Dokumentensuche filtert die passenden Paragrafen aus relevanten Dokumenten heraus und präsentiert diese dem Nutzer im Kontext seiner Frage. Der HR-Mitarbeitende muss nicht die Dokumente heraussuchen, bereitstellen oder versenden. Die lästige Arbeit, sich durch PDFs zu wühlen, zu scrollen oder zu durchsuchen entfällt auch für den Nutzer. Da das System nach dem Supervised Learning-Prinzip konstruiert ist, bieten sich hier noch viele Möglichkeiten, die Input-Daten automatisch in das System aufzunehmen. Dieser Automatisierungsschritt fokussiert stärker auf die Kernkompetenz des Bots: die bestmögliche Antwort auf eine Frage zu liefern. Zusätzliche Personalisierung über einen Knowledge Graph oder eine Recommendation-Engine wird diesen Anspruch noch mehr gerecht und liefert eine einzigartige persönliche User Experience. Die Automatisierung der technischen Prozessschritte, die Möglichkeit einer persönlichen User Experience und die Gestaltung der bestmöglichen Antwort durch die HR-Mitarbeitenden bieten die größten Potenziale. Frage: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Grenzen der Technologie? CARL-Team antwortet Die Technologie ist nicht im Stande, die Zusammenhänge und die Gesamtheit des HRs im Unternehmenskontextes zu verstehen. So wird es stets Mitarbeitende brauchen, die Antworten zu gestalten und so aufzubereiten, dass sie für Nutzer relevant sind. HR- Professionals können Themen, die sich nicht aus Daten ableiten lassen, einbauen und fördern. Die Regeln, wann wird was und wo in welcher Form angezeigt, erstellt ebenfalls der HR-Mitarbeitende. Jegliche Emotion, die noch transportiert werden muss, kommt ebenfalls nicht von der Maschine. Die Technologie kann nur so gut sein wie der Inhalt, der eingepflegt wird. In der Strukturierung der HR-Themen und Inhalte sowie in der digitalen Aufarbeitung kann das technische Setup nicht die gleiche Qualität erzielen. Der HR- Mitarbeitende schneidet die Themen in bekannte und sinnvolle Häppchen und implementiert diese in das System. Die Qualitätskontrolle wandert nicht in die Technik über. Es ist immer noch die Domäne des Menschen den Kontext, das Gefühl und die User Experience einzubringen sowie die gewünschte Qualität zu sichern.
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Frage: Spart Ihr Unternehmen durch CARL Arbeitsplätze ein? CARL-Team antwortet: Die Fragestellung an sich ist nicht neu – die zunehmende Automatisierung – auch im HR-Umfeld – ermöglicht es seit Jahrzehnten, einfache administrative HR-Aufgaben durch eine Maschine erledigen zu lassen (beispielsweise automatisierte Workflows). Das, was in Sachen Maschine Learning bzw. KI zu erwarten ist, wird ein gewaltiger (beinahe unvorstellbarer?) Technologie-Sprung – und wir befinden uns am Anfang der Reise. Langfristig gesehen werden uns diese neuen Technologien ermöglichen, noch mehr (nur?) administrative Aufgaben durch die Maschine erfüllen zu lassen. Dies schafft Freiraum bei den Mitarbeitenden für komplexe Themenstellungen. Des Weiteren merken wir aber bereits jetzt, dass auch neue, zusätzliche Anforderungsprofile/ Aufgaben hinsichtlich „Content-Management“ im Rahmen des Chat-Bots entstehen. Frage: Was hat sich durch CARL in Ihrem Unternehmen (Ihrer HR) geändert? CARL-Team antwortet: Wir sehen, dass wir als HR den Anstoß zu anderen Chat-Bot-Projekten im Unternehmen gegeben haben und auch die generelle Diskussion im Unternehmen bezüglich neuer Technologien mit anregen und unterstützen konnten. Frage: Was würden Sie anders machen, wenn Sie noch mal mit dem Projekt starten würden? CARL-Team antwortet: Ehrlich gesagt – nichts. Das bedeutet definitiv nicht, dass diese ganze Reise der letzten zwei Jahre stets komplikationsfrei und vorhersehbar ablief. Trotzdem können wir im Rückblick keinen Punkt ausmachen, wo wir an einem wichtigen und entscheidenden Meilenstein aus heutiger Sicht anders handeln würden. Frage: Was waren die Erfolgsfaktoren Ihres Projektes? CARL-Management antwortet: Ganz klar – das Team! Engagement, Leidenschaft, Mut, Freude und eine gemeinsame Vision bei allen Beteiligten. Unabhängig von Unternehmen, Organisationseinheiten, Standorten und Sprachen. Herzlichen Dank an ein wirklich einzigartiges Team!
Literatur Bass, L., Weber, I., & Zhu, L. (2015). DevOps: A software architect’s perspective. Boston: Addison- Wesley Professional. Fielding, R. T. (2000). Architectural styles and the design of network-based software architectures. Irvine: University of California. Newman, S. (2015). Microservices: Konzeption und design. Frechen: mitp Verlag. Ries, E. (2000). The lean startup. New York: Crown Publishing Group. Schwaber, K. (2004). Agile project management with scrum. London: Microsoft Press. Wolff, E. (2015). Microservices. Grundlagen flexibler Softwarearchitektur. Heidelberg: dpunkt.
Effizienz- und Ergonomieanalysen mittels Sensoren und künstlicher Intelligenz in Theorie und Praxis
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12.1 Einleitung Logistik -und Produktionsprozesse unterliegen heutzutage, abhängig von der Branche, in der Regel einem hohen Automatisierungsgrad. Die Industrie 4.0 bringt zusätzlich viele Veränderungen in Betrieben mit sich. Intelligente, eigenständig agierende Systeme nehmen dadurch immer wichtigere Positionen ein, die teilweise nicht mehr von Menschen ausführbar sind. Trotzdem gibt es Arbeit, die aufgrund ihrer Komplexität oder Diversität weiterhin und auch in Zukunft durch Menschen erledigt wird/werden muss. Auch die Schnittstellen zu diesen häufig hoch komplexen Teilbereichen werden häufig, z. B. wegen fehlender Integrierbarkeit, weiterhin von Menschen ausgeführt. Selbst moderne hochkomplexe Lieferketten mit Just-in-Sequence- oder Just-in-Time-Systemen können in der Regel nicht ohne manuelle Arbeit funktionieren. Handhabung, Fahrzeiten und Totzeiten sind immer abhängig vom zuständigen Mitarbeiter, der Arbeitsschicht, der Anforderungen im Materialfluss und vielen weiteren Einflussfaktoren. Gleichzeitig ist der Fortschritt dieser digitalen Transformation noch nicht in allen Unternehmen oder Unternehmensbereichen erfolgt. Der Bereich der manuellen Arbeitsprozesse und der Faktor Mensch bleiben also hoch relevant. Auch unter den Gesichtspunkten des demografischen Wandels und Fachkräftemangels wird die Arbeit im Personalwesen immer komplizierter. Umso wichtiger ist es daher manuelle Arbeitsprozesse zu analysieren und zu optimieren, um neben einer Effizienzsteigerung eine Minimierung der körperlichen Arbeitsbelastung zu erzielen. Diese Prozesse sind
M. A. Harris (*) MotionMiners GmbH, Dortmund, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_12
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oft, insb. im Vergleich zu den automatisierten Teilprozessen, eine informatorische „Blackbox“. Ineffizienzen werden zwar gesehen, lassen sich jedoch nicht quantifizieren. Dies gilt auch für die Erkennung von bspw. schlechte Haltung oder repetitiven Tätigkeiten. Manuelle Analysen sind in der Regel äußerst zeitintensiv, spezifisch und erfordern tiefergehendes Prozessverständnis. Traditionell werden diese beispielsweise von einem ausgebildeten Prozessingenieur mit Stoppuhr und Klemmbrett erfasst und anschließend ausgewertet. Im Rahmen dieses Beitrags wird ein gänzlich neuer Lösungsansatz für die Bewertbarkeit manueller Arbeit mithilfe von „Wearables“ (tragbare Sensoren, ähnlich wie Fitnesstracker) und einem „Deep-Learning Algorithmus“, vielen besser bekannt als künstliche Intelligenz, vorgestellt. Dabei werden die Arbeitsprozesse automatisch und anonym erfasst, durch eine künstliche Intelligenz verarbeitet und in von Menschen lesbare Kennzahlen umgewandelt (siehe Abb. 12.1). Neben der Erläuterung des Nutzens für das Personalwesen sowie der Funktionsweise der Motion-Mining® Technologie im Allgemeinen wird insbesondere in einem Use-Case bei der Firma Blumenbecker im Detail auf den Einsatz sowie die Vorteile dieser Technologie in der Praxis eingegangen.
Abb. 12.1 Mustererkennungslösung auf Basis von Machine Learning als zentrale Komponente von Motion-Mining®
12 Effizienz- und Ergonomieanalysen mittels Sensoren und künstlicher Intelligenz…
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12.2 Sensoren und KI und deren Relevanz für Personaler In Unternehmen werden sehr unterschiedliche Instrumente herangezogen, um jeweils Ergonomie oder Effizienz zu bewerten. So lässt sich Effizienz mithilfe von Zeiterfassungen prüfen (z. B. REFA oder MTM), wohingegen in der Ergonomie die Belastung untersucht wird (z. B. Leitmerkmalmethode oder EAWS). Es kann also passieren, dass ein auf Effizienz getrimmter Arbeitsplatz nach der Optimierung ergonomisch wesentlich schlechter geworden ist, beispielsweise aufgrund von Repetition durch erhöhte Taktfrequenz. Auch haben die traditionellen Methoden gemeinsam, dass die Datenerfassung, dadurch dass „händisch“ beobachtet und erfasst wird, nicht anonymisiert, äußerst zeitaufwendig und kompliziert ist. Im Hinblick auf einen starken demografischen Wandel mit potenziellem Wegfall von etwa 4 bis 6 Mio. Menschen im erwerbstätigen Alter bis 2035 (Destatis 2019a, b) und immer noch sehr starken Fehltageraten aufgrund von Beschwerden im Bereichen des Muskel-Skelett-Systems (ca. 22,5 %; DGUV 2017) gewinnt die Analyse von manuellen Arbeitsprozessen, insbesondere die Bewertung der ergonomischen Arbeitsbelastung, eine immer größere Rolle. Entstehende Kosten durch den Ausfall von Mitarbeitern sind jedes Jahr enorm. So fehlen Arbeitnehmer, u. a. bedingt durch physische und psychische Erkrankungen, etwa 15,2 Tage pro Jahr, was ca. 64 Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Produktionsausfällen entspricht (baua 2017). Um Lösungen für diese Herausforderungen zu finden, müssen in der Praxis auch im Bereich des Human Ressource Managements neue Werkzeuge verwendet werden. Arbeit muss, trotz starker Diversität von Aufgaben, bewertbar sein, ohne dass die Anonymität gefährdet wird. Hohe Prozessbelastung muss frühzeitig erkannt werden, um gegen Ausfallraten, Unzufriedenheit und Ineffizienz vorzubeugen. Gleichzeitig darf zwischenmenschliche Kommunikation nicht vernachlässigt werden. Das alles berührt Kernbereiche der Personalarbeit: Personaleinsatz(planung), Tätigkeits- und Leistungsbeurteilung bzw. Performance Management (individuell und zwischenmenschlich) sowie das betriebliche Gesundheitsmanagement. Eine Möglichkeit für sehr komplexe Zusammenhänge ist die Simulation. Vor allem, wenn manuell nicht mehr klar unterschieden werden kann, eignet sich diese Form der Darstellung eines Prozesses. Das generierte Bild und die daraus abgeleiteten Schlüsse bilden jedoch keine exakte Darstellung. So können interessante Anomalien in Bezug auf die Handlungen von Mitarbeitern nicht nachvollzogen werden und Ergonomie ist in diesem Zusammenhang oft nicht erfassbar, da statistische Gegenwerte fehlen. Dabei ermöglicht gerade die Kombination der Aspekte Effizienz und Ergonomie den optimalen Einsatz von Mitarbeitern, da operativ die Effizienz verbessert werden kann, ohne die Ergonomie strategisch zu gefährden. Mithilfe von Motion-Mining® können Prozessanalysen in diversen Prozessen in Bezug auf Effizienz und Ergonomie anonym und automatisiert umgesetzt werden. Dies ermöglicht ein schnelleres, umfangreicheres, detaillierteres und probandenunabhängiges Bild des Prozesses. Im Sinne eines holistischen Ansatzes wird gleichzeitig auch die Ergonomie
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in Form von Körperhaltung, der Anzahl der Handhabungen und der zurückgelegten Distanz erfasst. Diese Technologie kann auf diverse Art und Weise genutzt werden, um einen langfristigen optimalen Einsatz von Mitarbeitern zu gewährleisten. Zum einen kann mit Motion-Mining® die Effizienz eines Prozesses untersucht werden: Zeitanteile verschiedener Zonen können verglichen und allgemein dargestellt werden. So können beispielsweise Wartezeiten in Bereichen genau quantifiziert werden, um auf Bottlenecks oder Leerlauf zu schließen. Dies hilft beim optimalen Placement der Mitarbeiter, ohne die Effizienz verschiedener Mitarbeiter direkt vergleichen zu müssen. Ebenfalls kann die physische Leistung von Mitarbeitern sehr gut quantifiziert werden. Motion-Mining® ist prozessbezogen und nicht probandenbezogen zu verstehen. Verwendete Daten sind aggregiert und werden über einen längeren Zeitraum aufgenommen. Trotzdem kann Leistung zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen sehr gut verglichen werden. Dies dient zum einen dazu zu hinterfragen, welche prozesstechnischen Unterschiede es zwischen Arbeitsplätzen gibt, aber auch um Leistung unterschiedlicher Arbeitsplätze klar zu definieren, zu bewerten und zu vergüten. Mit dieser klaren Definition von Anforderungen an Arbeitsplätze wird auch die Beschaffung von Mitarbeitern für definierte Arbeitsplätze einfacher. Das Job-Profil kann sehr viel feiner erstellt werden, gleichzeitig kann von Anfang an eine potenzielle Belastung angesprochen werden. Beispielsweise könnte geringfügig belastbaren Personen von Anfang an eine Job-Rotation angeboten werden, insbesondere bei ergonomisch kritischen Arbeitsplätzen. Es besteht auch die Möglichkeit nach Alter und Belastung innerhalb einer Jobgruppe zu unterscheiden und entsprechend zu sortieren. Relevant sind solche Analysen also nicht nur für Personaleinsatzplanung, sondern auch die Personalbeschaffung und -entwicklung. Die eingesetzten neuronalen Netze erkennen und bewerten die automatisch erhobenen Daten dabei selbstständig. Durch die Ausgabe von quantitativen Daten und die schnelle Einsatzmöglichkeit während des laufenden Betriebs besteht dadurch die Möglichkeit Arbeitsplätze kontinuierlicher mit geringerer Frequenz zu untersuchen. Im Falle von Mitarbeiterbeschwerden, oder hohen Ausfallraten können schnell Kennzahlen geliefert werden, um das Problem klar identifizieren zu können.
12.3 Der Motion-Mining® Ansatz zur Analyse manueller Prozesse Herkömmlich Analysen manueller Prozesse sind traditionell äußerst schwierig, weil sie zeitaufwändig, fehleranfällig, nicht objektiv und nicht anonymisiert sind sowie meist nur auf Effizienz oder Ergonomie abzielen. Die von der MotionMiners GmbH, ein 2017 aus dem Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) gegründetes Startup, entwickelte Motion-Mining® Technologie versucht dabei mehrere dieser Probleme zu beheben. Während die meisten Methodiken eine Effizienzsteigerung oder eine Ergonomieverbesserungen als Ziel haben, werden Sensoren und Beacons eingesetzt, um beide Kriterien ganzheitlich zu erfassen und zu analysieren. Mitarbeiter tragen zur Erfassung der
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verschiedenen Tätigkeiten drei Sensoren/Wearables am Körper (siehe Abb. 12.2). Jeder Sensor enthält ein3-Achsen-Gyroskop, Magnetometer und Beschleunigungssensoren, sogenannten Inertial Measurement Units (IMUs), die zusammen pro Sekunde mehrere tausend Daten erheben. Diese Sensoren werden während des normalen Betriebs an den Handgelenken und am Gürtel getragen und behindern die Mitarbeiter nicht bei Ihren Arbeitsabläufen. Die Lokalisierung erfolgt über ein Beacon-Netzwerk. Hierfür wird in den zu messenden Regionen alle 4–5 Meter ein batteriebetriebender Bluebooth Low Energy Beacon in Hüfthöhe, bspw. an Regalen, befestigt. Bei einem Beacon handelt es sich um einen kleinen, etwa Hockey Puck großen Funksender, der ein Ortungssignal ausstrahlt. Diese Signale dienen der Verortung und Zuordnung einzelner Aktivitäten (siehe Abb. 12.3). Durch die Automatisierung der Datenerhebung können längere Zeiträume und somit realitätsnähere Daten erfasst werden. Zudem haben die Erfahrungen gezeigt, dass die Mitarbeiter nach kürzester Zeit vergessen, dass sie die Sensoren tragen. Die, in der Regel über zwei Wochen, erhobenen Daten werden automatisch analysiert. Die Zuordnung der Aktivitäten und Prozessschritte erfolgt über ein, auf Machine Learning basierendem, Mustererkennungsverfahren, welches mittels neuronaler Netze – einer künstlichen Intelligenz – die Rohdaten in von Menschen lesbare Kennzahlen umwandelt. Dieses, aus mehreren Schichten bestehende, neuronale Netz wurde während Forschungsarbeiten und mehreren Pilotprojekten initial aufgebaut und wird weiterhin stetig verbessert (Moya Rueda et al. 2018). Hierzu wurden Probanden während hunderter
Abb. 12.2 Motion-Mining® Messequipment
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Abb. 12.3 Zusammenspiel der einzelnen Komponenten
tunden auf Film aufgenommen und jede Bewegung im Detail analysiert und notiert. S Dieser Vorgang nennt sich Annotieren. Die mittels der Sensoren automatisch gewonnen Daten werden von der künstlichen Intelligenz analysiert und einer Aktivität mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zugeordnet. Hierbei werden immer alle Sensoren und die zugehörigen Daten (3-Achsen-Gyroskop, Magnetometer und Beschleunigungssensoren) zusammenhängend betrachtet. Anhand der Annotationen können diese Zuweisungen und Aktivitätswahrscheinlichkeiten bestätigen oder korrigieren. Die durchschnittliche Erkennungsrate konnte dabei mithilfe von Labordaten und mehr als 30 realen Kundenprozessen auf 90–95 % gesteigert werden und bietet dadurch eine höhere Erkennungsrate als es für gewöhnlich visuell menschlich möglich ist (z. B. aufgrund eines eingeschränkten
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ichtfeldes oder einer hohen Aktivitäten-Abfolgen-Frequenz). Der aktuelle ErkennungsS katalog umfasst bereits mehr als 50 verschiedene Aktivitäten. Dies bedeutet, dass eine Vielzahl an Prozessen bereits erkannt und analysiert werden kann. Falls neue Aktivitäten in einem Prozess vorkommen, die von der künstlichen Intelligenz bzw. dem neuronalen Netz, noch nicht erkannt werden kann, ist es möglich, das neuronale Netz mit relativ geringem Aufwand um die neuen Aktivitäten zu erweitern. Dieser Prozess heißt Anlernen. Hierzu wird, ähnlich wie während der Pilotstudien, ein Mitarbeiter mit den Sensoren ausgestattet und beim Ausführen der neuen Aktivitäten gefilmt. Eine halbstündige Videosequenz, in der die neuen Bewegungen durchgeführt werden, ist als Trainingsdatensatz ausreichend. Diese Sequenz wird anschließend annotiert und zum Anlernen des neuronalen Netzes verwendet. Dies ermöglicht eine präzise Ausgabe verschiedener Prozesskennzahlen in einem Dashboard (siehe Abb. 12.4), wie z. B. Wartezeiten je Region, Aktivitätszeiten je Prozess, Belastungsdauern oder ungesunde Bück-/Hebebewegungen. Die gewonnenen Daten werden zudem weiterverarbeitet, um u. a. Diagramme, Ausreißeranalysen oder Heatmaps der Lagerund Produktionsbereiche zu erstellen. Ebenfalls lassen sich die Wegestrecken der Mitarbeiter mittels Motion-Mining® gut rekonstruieren. Dies ist nicht nur aus Effizienzgründen interessant, sondern ist, in Kombination mit den weiteren zur Verfügung stehenden Ergo- nomiekennzahlen (wie z. B. Bückhäufigkeiten, Überkopftätigkeiten, Handhabungszeiten, repetitive Bewegungsabläufe) eine objektive Methode, um die tatsächliche Arbeitsbelastung
Abb. 12.4 Analyse Dashboard
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der Mitarbeiter zu Messen. Die parallele Messung und Analyse sowohl von Effizienz- als auch Ergonomiekennzahlen, macht durchaus Sinn, da hierdurch Synergieeffekte idealerweise erkannt und genutzt werden können (Fraunhofer 2017).
12.4 A utomatisierte Prozessanalysen in der Anwendung: Praxisbeispiel Blumendecker Das Unternehmen Blumenbecker Industriebedarf GmbH ist ein klassischer Vollsortimenter mit einer Reihe von spezialisierten Fachabteilungen. Das hochmoderne, 3500 Quadratmeter große Logistikzentrum in Beckum verfügt über ein Sortiment von bis zu 100.000 Artikeln aus dem Bereich Industriehandel. Der Standort bedient andere Blumenbecker Standorte sowie Bestellungen aus dem E-Commerce Bereich.1 Manuelle Arbeitsschritte verlieren im Zeitalter der Digitalisierung keine Relevanz. Um einen optimalen Prozessdurchlauf zu gewährleisten sowie körperliche Belastung gering zu halten prüft, analysiert, dokumentiert und optimiert das Industrial Engineering von Blumenbecker regelmäßig seine Prozesse. Input, sowie Output sind oft bekannt, die transformativen Prozesse sind in den meisten Fällen jedoch verborgen. Hier werden etablierte Bewertungsverfahren herangezogen, die meistens im Rahmen einer Prozessbegehung mit den benötigten Eingabewerten gefüllt werden. Diese Dokumentation gestaltet sich durch „händisches Ausfüllen“ häufig als zeitintensiv und erfordert Expertenwissen. Zusätzlich wird aufgrund des Aufwandes der Umfang einer Analyse ebenfalls geringgehalten. In der Folge bleiben viele Rationalisierungs-, Optimierungs- und Ergonomiepotenziale ungenutzt. Aus diesem Grund lag es nahe, eine automatische Analyse der manuellen Prozesse im Logistikzentrum in Beckum mithilfe von MotionMining durchzuführen. Zunächst wurden die Prozesse innerhalb weniger Stunden an einem Tag zwecks einer Probemessung erfasst. Diese Messung dient dem Anlernen des neuronalen Netzes, der MotionMiners-AI, um neue Aktivitäten und kann zudem Verbesserungen am Setup des Messequipments aufdecken. Im Anschluss an die Probemessung erfolgte die Hauptmessung. Hierfür wurden vier Mitarbeiter anonym über eine Arbeitswoche gemessen. Das Tracking von Tätigkeiten erfolgt mit Hilfe von drei mobilen Sensoren, die der Mitarbeiter jeweils am Gürtel und an den Handgelenken trägt (siehe Abb. 12.5). Eine Messung kann komplett autark durch den Mitarbeiter erfolgen: Vor Schichtbeginn müssen Mitarbeiter Sensoren und Smartphone aus einer Lade- und Synchronisationsstation entnehmen und die Messung mit dem Smartphone starten. Arbeiter können dann ihrer regulären Arbeit nachgehen und im Falle einer Pause oder einem anderen Grund die Messung pausieren. Nach Beendigung der Schicht müssen die Mitarbeiter die Hardware wieder in die Dock einlegen. Um eine selbstständige
Teile dieses Praxisbeispiels wurden in ähnlicher Form auch in „Warehouse IT – Wege in das digitalisierte Lager“ veröffentlicht (Harris 2020). 1
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Abb. 12.5 Mitarbeiter bei Blumenbecker mit sichtbarem Sensor am Handgelenk
Messung zu gewährleisten, wurde zudem ein Selbsthilfe-Tablet mit Erklärungsvideos aufgestellt. Zum Einsatz kamen 106 Beacons, die im Logistikzentrum zur Lokalisierung positioniert wurden (siehe Abb. 12.6). Für die Analyse wurden 85 relevante Bereiche definiert (z. B. Palettenregale, Abgabeplätze oder Wareneingang). In Zusammenarbeit mit Blumenbecker wurde zu Beginn des gemeinsamen Projektes definiert, welche Bereiche in der Analyse sinnvoll zu unterscheiden sind. Dies schloss sämtliche Kommissionierbereiche ein, wie beispielsweise die Fachbodenregalanlage, Zone für Gefahrgut und das zentrale Büro. Sonderbereiche dieser Analyse, wie Abgabeplätze, der Wareneingang und das Teamleiterbüro wurden als solche definiert und ebenfalls mit aufgenommen, um später quantifizieren zu können, wie hoch der Aufenthalt der Mitarbeiter in diesen Zonen ist. Zusätzlich dazu wurden Sozialbereiche mit Bluetooth- Beacons ausgestattet, um diese Bereiche klar von der Analyse auszuschließen. Zu den Schichtenden wurden alle Daten automatisch gespeichert. Diese Rohdaten konnten nach der Messung mit Hilfe der MotionMiners-AI analysiert werden. Das gesamte Projekt wurde in enger Ab- und Zustimmung mit dem Betriebsrat von Blumenbecker durchgeführt. Die Anonymität während der Erfassung sowie die einfache Handhabung der Messgeräte hat zu einer sehr guten Akzeptanz bei den involvierten Mitarbeiterinnen und
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Abb. 12.6 Beacon-Platzierung und Regionen bei Blumenbecker
Mitarbeitern geführt. Zu keiner Zeit wird vermerkt, welcher Mitarbeiter zu welcher Zeit oder an welchem Tag an der Messung teilnimmt. Die MotionMiners-AI kann die Sensordaten deuten, hat aber keinen Mitarbeiterbezug. Die Auswertung fokussiert sich auf Durchschnitts- und Mittelwerte, wie Weg-, Handhabungs- oder Verweilzeiten, welche aus dem Gesamtdatenbestand gebildet werden. Analyseausreißer können ebenfalls dargestellt werden, um trotz vollständiger Anonymisierung in der Lage zu sein, Anomalien nicht überproportional zu bewerten. Mithilfe von Heatmaps (siehe Abb. 12.7) zur Illustration der Bewegungen im Lager sowie bspw. Kreis-, Säulen- und Box-Plot-Diagrammen zur Darstellung von Zeitanteilen der Tätigkeiten auf den Kommissioniertouren werden Optimierungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Effizienz und Ergonomie aufgezeigt. Gerade durch die visuelle, sehr anschauliche Darstellung können Ergebnisse sowohl für operative Mitarbeiter als auch für das Management verständlich aufbereitet werden. Während der einwöchigen Messung mit vier Mitarbeitern wurden 334 Mio. Datenpunkte erfasst und von der MotionMiners-AI automatisch ausgewertet. Dabei legte jeder Mitarbeiter durchschnittlich 5,5 km Laufleistung zurück und absolvierte 1000 Bückbewegungen pro Schicht (600 hiervon im Fachbodenregal). Mögliche Effizienzsteigerungen von 40 % in einzelnen Bereichen konnten dank der Analysen aufgedeckt werden. Diagramme, wie in Abb. 12.8 dargestellt, decken z. B. sehr hohe Wartezeiten von 23,9 % in einzelnen Funktionsbereichen oder Prozessen auf und geben auf diese Weise wertvolle Anhaltspunkte für Neu- oder Umgestaltungen.
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Abb. 12.7 Heatmap des Blumenbecker Logistikzentrums
Abb. 12.8 Übersicht der Prozessanteile
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Abb. 12.9 Management Summary Diagramm zu den Ergonomiebedingungen in den Prozessen
Ergänzt werden die Effizienzanalysen und Optimierungsvorschläge durch Ergonomieauswertungen. Abb. 12.9 zeigt bspw. eine sehr hohe Quote von Handhabungen, die in einer ungesunden gebeugten Körperhaltung durchgeführt werden. Aufgrund dessen wurden Empfehlungen zur signifikanten Verringerung der Bückbewegungen seitens MotionMiners erarbeitet. Das gesamte Motion-Mining® Projekt konnte, vom Initialgespräch bis hin zur Ergebnispräsentation, in zwei Monaten abgeschlossen werden.
12.5 Pflegeprozesse als weiteres Anwendungsfeld Nach einem anfänglichen Fokus auf Einsatzgebiete in der Logistik z. B. in der Kommissionierung, im Warenein-/ausgang, der Einlagerung oder während Verpackungsprozessen hat sich Motion-Mining® zu einer Universallösung zur Erfassung und Analyse manueller Prozesse weiterentwickelt. Neben einer Anwendung in der Logistik werden insbesondere im Bereich der Produktion, Instandhaltung oder Prüf- und Kontrollprozessen sehr gute Ergebnisse erzielt. Als neustes Fachgebiet wird der Einsatz im HealthCare- und Krankenhausbereich erprobt. Dabei kann die Technologie nicht nur zur Analyse bspw. der Krankenhauslogistik dienen, sondern auch völlig neue Einsatzmöglichkeiten bieten wie der nachfolgende Ausblick erläutert. Pflegepersonal in Deutschland steht unter stetig steigendem Zeitdruck, die physische Arbeitsbelastung steigt. Gleichzeitig weist insbesondere die Pflege eine sehr hohe Prozessgranularität auf. In Zusammenarbeit mit der Abteilung „Health Care Logistics“ des
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Fraunhofer IML wird deshalb ein Einsatz bei Pflegeprozessen in Krankenhäusern entwickelt. Dies ist vor allem in Bezug auf pflegefremde bzw. patientenfremde Tätigkeiten interessant, die etwa 28 % der gesamten Arbeitszeit ausmachen. Den größten Anteil machen Dokumentation und Administration aus mit 20 % der Arbeitszeit, entsprechend 7,7 Std./ Woche (Blum 2002). Pflegedokumentation, wie beispielsweise Informationen zum Ausund Einkleiden von Patienten, Hilfe bei der Nahrungsmittelaufnahme, Verabreichen von Injektionen oder das Anbringen von Verbänden werden detailliert beschrieben und mit täglich auszufüllenden Leistungsnachweisen festgehalten. Es gibt bereits Bestrebungen die Zeit für Dokumentation in der Pflege zu reduzieren, wie eine elektronische Patientenakte, verbesserte Diktiersoftware oder eine langfristige Ausrichtung von Krankenhäusern zum papierlosen Informationsfluss. Nur wenige deutsche Krankenhäuser nutzen zurzeit eine Dokumentation mit teil- oder vollelektronischen Assistenzsystemen. Für Messwerte und Daten von Medizingeräten existieren teilweise Schnittstellen, auch für die Dokumentation von ärztlichen Befunden existierten intelligente Diktiergeräte. Pflegetätigkeit am Patientenbett wird bislang nicht technisch gestützt erfasst. Die Motion-Mining® Technologie könnte hierbei eine Grundlage zur Dokumentationserleichterung-/automatisierung bieten. Alle anfallenden Tätigkeiten in der Pflege, die dokumentiert werden müssen, könnten mithilfe von Motion-Mining® dabei detektiert werden. Komplexe Tätigkeiten sollen von Beginn an am Patientenbett automatisch aufge nommen werden. Ein spezialisiertes neuronales Netz identifiziert die Bewegungen und ordnen diese einer Pflegetätigkeit zu. Mithilfe von Kontextdaten können diese Tätigkeiten dann einer Patienten-ID zugewiesen werden. Diese Informationen werden anschließend in die betriebliche IT integriert, sodass die nachträgliche Dokumentation durch das Pflegepersonal restlos entfällt.
12.6 Fazit Trotz der fortschreitenden Digitalisierung von Prozessen werden uns manuelle Arbeitsprozesse noch eine Zeit lang weiter begleiten. Herkömmliche Methoden zur Erfassung und Analyse manueller Prozesse haben meistens eine Effizienzsteigerung oder eine Ergonomieverbesserungen als Ziel. Die Prozessaufnahme ist dabei oft aufwändig und basiert auf einer manuellen Erfassung aller Arbeitshandlungen der Mitarbeiter. Hierfür müssen speziell ausgebildete Prozessingenieure die Aktivitäten der Mitarbeiter beobachten und notieren sowie anschließend aggregieren und auswerten. Allein die Erfassung kostet viele Arbeitsstunden und gewährleistet keine wahrheitsgetreuen Daten. Die Beobachtung einzelner Mitarbeiter findet oft nur wenige Stunden oder Tage statt und besteht dadurch nur aus einer sehr kleinen Momentaufnahme. Zudem steht der Mitarbeiter unter Beobachtung und die erhobenen Daten sind kaum anonymisierbar. Dank neuer Entwicklungen im Bereich der Sensorik sowie zunehmend intelligenteren neuronalen Netzen ergeben sich hier jedoch neue Möglichkeiten.
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Motion-Mining® ermöglicht eine anonyme und automatische Analyse manueller Arbeitsprozesse, z. B. in der Logistik oder Produktion. Mitarbeiter tragen zur Erfassung der verschiedenen Tätigkeiten drei Wearables (mobile Sensoren) an den Handgelenken und am Gürtel. Die Lokalisierung erfolgt über Kleinstfunksender, sogenannte Beacons. Die gewonnenen Daten werden automatisch analysiert. Die Zuordnung der Aktivitäten und Prozessschritte erfolgt über die MotionMiners-AI, einem Machine Learning Algorithmus. Dies schafft eine beinahe universell einsetzbare Lösung. Mit den präzise gelieferten Prozesskennzahlen können Optimierungsmaßnahmen in den Bereichen Effizienz und Ergonomie generiert werden. Im direkten Vergleich zu herkömmlichen analogen Methoden müssen Mitarbeiter nicht individuell durch Experten beobachtet werden. Stattdessen können mehrere Prozesse pa rallel über längere Zeiträume erfasst werden, um so eine umfangreiche und objektive Datenbasis zu bilden. Wie das Praxisbeispiel anschaulich zeigt, kann bereits bei einer kurzen Messung von nur einer Woche durch die Analyseergebnisse eine Vielzahl an Optimierungsmöglichkeiten aufgedeckt werden. Während i. d. R. von mindestens 10 % Kosteneinsparungen bei Motion-Mining® Projekten ausgegangen wird, konnten im Einzelfall auch Ersparnisse von 40 % aufgedeckt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt der ganzheitlichen Analyse ist das Aufdecken ungesunder Körperbewegungen, wie z. B. Bückbewegungen, die den Rücken stark belasten oder Handhabungen, die über Kopf stattfinden. Auch hier konnte Verbesserungspotenzial identifiziert werden.
Literatur baua – Bundesanstalt für Arbeitschutz und Arbeitsmedizin. (2017). Volkswirtschaftliche Kosten durch Arbeitsunfähigkeit 2015. https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitswelt-und-Arbeitsschutz-im-Wandel/Arbeitsweltberichterstattung/Kosten-der-AU/pdf/Kosten-2015.pdf?__ blob=publicationFile&v=2. Zugegriffen am 06.01.2020. Blum, K. (2002). Pflegefremde/Patientenferne Tätigkeiten im Pflegedienst der Krankenhäuser. Studie zur Ermittlung des zeitlichen Aufwandes. Hrsg: Deutsches Krankenhaus Institut. Destatis – Statistisches Bundesamt. (2019a). 14. koordinierte Bevölkerungsberechnungsvorausberechnung für Deutschland. https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/. Zugegriffen am 06.01.2020. Destatis – Statistisches Bundesamt. (2019b). Bevölkerung im Erwerbsalter sinkt bis 2035 voraussichtlich um 4 bis 6 Millionen. Pressemitteilung Nr. 242 vom 27. Juni 2019. https://www.destatis. de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/06/PD19_242_12411.html. Zugegriffen am 06.01.2020. DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. (2017). Muskel-Skelett-System. https://dguv. de/de/praevention/themen-a-z/muskel-skelett-system/index.jsp. Zugegriffen am 06.01.2020. Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML. (2017). Effizient und ergonomisch dank „Motion-Mining“. https://www.iml.fraunhofer.de/de/presse_medien/pressemitteilungen/MotionMiners.html. Zugegriffen am 06.01.2020.
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Harris, M. (2020). Motion-Mining®-Analyse manueller Arbeitsprozesse bei Blumenbecker. In K. Schmeltzpfenning, T. Fohrmann & D. Spee (Hrsg.), Wege in das digitalisierte Lager. München: HUSS-VERLAG GmbH. Moya Rueda, F., Grzeszick, R., Fink, G. A., Feldhorst, S., & Ten Hompel, M. (2018). Convolutional neural networks for human activity recognition using body-worn sensors. Informatics, 5(2), 26.1–26.17.
Teil IV Neue Anforderungen an HR als Funktion und an (HR-)Führungskräfte
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Die digitale Transformation und ihre Konsequenzen für HR-Leader Jörg K. Ritter und René Sadowski
13.1 D ie Notwendigkeit eines neuen, ganzheitlichen Verständnisses für das Personalmanagement und HR-Leader Die großen Veränderungsdynamiken bei steigender Komplexität und Volatilität von Gesellschaft und Wirtschaft, welche sich besonders in der Digitalisierung von Wertschöpfungsprozessen sowie Geschäftsmodellen zeigt und umfangreiche Transformationen nach sich ziehen, hat in Konsequenz auch erhebliche Auswirkungen auf die Führung und Entwicklung von Mitarbeitern, auf Unternehmensorganisationen und -kultur. In sachlicher Betrachtung ist festzustellen, dass der Faktor Information im Verhältnis zu physischen Produktionsfaktoren zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Komplexität und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung nehmen zu. Zugleich gewinnt die Zusammenarbeit von Menschen in Teams sowie zwischen Mensch und Maschine an strategischer Relevanz. Darüber hinaus erleben wir – insbesondere in den westlichen Industrienationen – einen umfangreichen demografischen Wandel. Allein in Deutschland können bis zum Jahr 2030 bis zu sieben Millionen Arbeitnehmer fehlen. Hierbei sind Unternehmen mit oftmals komplett neuen Anspruchshaltungen nicht nur der jungen Generation konfrontiert, demnach sich diese Arbeitnehmer in ihrer Arbeit stärker verwirklichen und wertgeschätzt werden möchten.
J. K. Ritter (*) Egon Zehnder/Quadriga Hochschule Berlin, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] R. Sadowski Egon Zehnder, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_13
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Insgesamt bewirken diese sich verändernden Rahmenbedingungen und Geschäftsweltdynamiken die Notwendigkeit die heutige, in vielen Organisationen qualitativ hinreichend ausgestaltete Personalarbeit zu überdenken. Denn die neuen Anforderungen erfordern wirkungsmächtigere Antworten durch Führungskräfte in HR (Human Resources) und der Personalarbeit insgesamt. Die Chancen für HR und deren Führungskräfte, sich als werteund strategiekonformer Partner und Gestalter der Unternehmenszukunft zu etablieren, sind heute besser als jemals zuvor. Hierbei wird die stärkste Personalfunktion zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
13.2 Transformation der Personalarbeit Wenn in einer wissensintensiven Arbeitswelt die vorhandenen (und stetig bedeutender sowie knapper werdenden) Humanressourcen und nicht das Anlage- oder Finanzkapital den strategisch bedeutsamsten Faktor darstellt, dann wird sein Management immer wichtiger (Baier et al. 2017). Gleichzeitig ist die Diskussion um die Qualität und den Wertbeitrag von HR zum Unternehmenserfolg auch weiterhin ein viel diskutiertes und hinreichend unterschiedlich interpretiertes Thema (Capelli 2015; Charan et al. 2015; Gärtner et al. 2017; Ritter et al. 2016). Die kontinuierlich geforderte „Augenhöhe von HR mit dem Business“ lässt sich beispielhaft an der letzten Berufsfeldstudie des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM) ablesen. Hier gaben ca. 83 % der über 1300 Studienteilnehmer an, dass in ihrem Unternehmen die Personalabteilung als eine zentrale Organisationseinheit direkt unterhalb der Unternehmensleitung angesiedelt ist (Baier et al. 2017). Einschränkend muss jedoch konstatiert werden, dass einerseits der strategische Beitrag im Vergleich zur Vorgängerstudie (Seidenglanz et al. 2014) um ca. 6 % gesunken ist und andererseits Personalverantwortliche in Deutschland im internationalen Vergleich am seltensten Mitglied der Geschäftsführung sind (49 % versus 89 % beim Spitzenreiter Schweden) und am seltensten eine formulierte HR-Strategie vorweisen können (Wehner et al. 2017). Auch die Frage, welche beruflichen Erfahrungen und Kompetenzen HR-Leader selbst zukunftsfähig machen und zum Treiber digitaler Transformationen in Organisationen werden lassen, muss gestellt werden. Ist HR beispielsweise mit den Profilen von sogenannten Digital Natives oder Data Scientists vertraut und hat HR selbst die Kompetenz zur Nutzung analytisch-technologischer Möglichkeiten (Ritter et al. 2016)? Da unsere Gegenwart durch stetige Veränderungen im Sinne veränderter Wettbewerbsund Wertschöpfungsprozesse gekennzeichnet ist, sollte das Personalmanagement nicht nur dieses Tempo halten, sondern idealerweise einen Schritt voraus sein, um erfolgreich strategiekonform agieren zu können. Um Personalarbeit in diesem Sinne neu zu denken, wird im Folgenden ein Modell vorgestellt, das als Bezugsrahmen dient.
13 Die digitale Transformation und ihre Konsequenzen für HR-Leader
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13.2.1 Der Bezugsrahmen, eine neue Personalarbeit neu zu denken Die Notwendigkeit eines neuen, ganzheitlichen Verständnisses bei Führungskräften und HR wirkt hierbei auf vier unterschiedlichen, jedoch miteinander verzahnten und interagierenden Ebenen: die der Kultur, der Organisation, des Teams und des Individuums. Und in diesen vier Ebenen muss die Beantwortung der folgenden elementaren Fragen kontinuierlich und wirkungsmächtig ausgehandelt werden (siehe Abb. 13.1). Die maßgebliche Mitwirkung von HR bei der Beantwortung dieser Fragen sowie die dabei innewohnende kontinuierliche Hinterfragung und Weiterentwicklung der Qualität und des Wertbeitrags des Personalmanagements und seiner HR-Leader ist letztlich grundlegendes und entscheidendes Element für den ganzheitlichen Erfolg der Organisation (BCG und WFPMA 2014).
13.2.2 Das Transformation People & Organization (TOP) Modell Doch wie könnte die Personalarbeit der Zukunft aussehen? Antworten darauf bietet das sogenannte TOP-Modell, ein Akronym für Transformation People & Organization, welches in einer zweijährigen Studie durch die Partner Bundesverband der Personalmanager (BPM), die Quadriga Hochschule Berlin, Egon Zehnder und The Boston Consulting entwickelt wurde und einen inhaltlich-thematischen Denk- und Handlungsrahmen für eine neue Personalarbeit und damit für HR-Leader bietet. Hierfür wurden zunächst 50 persönliche Tiefeninterviews mit ausgewählten Führungspersönlichkeiten aus unterschiedlichen
Kultur Organisation Teams
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Kennen wir unseren Daseinszweck? Was sind unsere grundlegenden Überzeugungen? Was bedeutet exzellente Führung in diesem Zusammenhang?
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Ermöglicht unsere Struktur innovative und agile Entscheidungen? Unterstützen die derzeitigen Strukturen und Systeme unseren Führungsansatz?
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Individuum
Quelle: Egon Zehnder International
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Passt die Zusammensetzung des Teams zum Daseinszweck? Funktioniert das Team optimal? Ist das Team richtig eingespielt? Treffen wir die besten Personalentscheidungen, um unsere wichtigsten Rollen zu besetzen? Wie erkennen wir Talent und Potenzial? Unterstützen und entwickeln wir die richtigen Mitarbeiter?
© 2019 Egon Zehnder
Abb. 13.1 Notwendigkeit eines neuen ganzheitlichen Verständnisses bei Führungskräften und HR
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Funktionsbereichen, Organisationsgrößen und Sektoren durchgeführt („Blick auf HR“), um die aktuelle und perspektivische Erwartungshaltung an HR herauszuarbeiten. Hier gaben beispielsweise ca. 90 % der befragten CEOs, CHROs und Gewerkschaftsspitzen die Digitalisierung als bestimmendes Zukunftsthema an. Und ca. 75 % dieser Interviewten gaben an, dass sie derzeit in ihrer Organisation eine Transformation oder einen Kulturwandel zu meistern haben. Darauf aufbauend wurden in der quantitativen zweiten Phase („Blick von HR“) die mehr als 4000 Mitglieder des BPM 2017 zu den Rahmenbedingungen und individuellen Konstitutionen von HR befragt, die eine zukünftige Professionalisierung der HR-Community ermöglichen (Gärtner et al. 2017). Das im Rahmen der Auswertungen konzipierte TOP-Modell zeigt vier Fokusbereiche auf, welche die zukünftige Personalarbeit in seiner Zielsetzung und Themenbreite inhaltlich und organisatorisch definiert: die Organisation, die Arbeit, die Mitarbeiter und die HR-Plattform (Abb. 13.2).
13.2.2.1 F okusbereich 1: Die Organisation | Strategic Direction and Transformation Architecture Hier gestaltet HR die Arbeitsrealität in der Organisation und ihre Zukunftsfähigkeit. Initial ist hier die Frage, welchen Zweck die Organisation verfolgt, wie sie im Kern den Sinn ihres unternehmerischen Handelns definiert. Diesen Purpose mit zu formulieren und auf die Entwicklung der Organisationskultur in der Gesamtorganisation ausbalanciert zu achten, ist ein unverzichtbarer Teil der Gesamtstrategie. Jedoch geht der strategische Beitrag von HR-weit über die Definition einer People-Strategie hinaus, denn HR agiert als fester Bestandteil bei strategischen Entscheidungen wie Fusionen und Akquisitionen, neuen Geschäftsmodellen oder Änderungen an Organisationsstrukturen. Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass eine HR Due Diligence erstellt wird, um geschäftsstrategische Entscheidungen in Bezug auf die People-Dimension zu bewerten. Teil davon ist die Analyse des Fokus 1: Die Organisation Wie wollen wir die Arbeitsrealität in der Organisation und ihre Zukunftsfähigkeit gestalten? Strategic Direction and Transformation Architecture Fokus 2: Die Arbeit Wie optimieren wir die Zusammenarbeit und Arbeitsergebnisse von Teams und Bereichen? Performance Navigation Fokus 3: Die Mitarbeiter Wie bringen wir die Interessen des Unternehmens und der Mitarbeiter in Einklang und entwickeln jeden Menschen zu seinem vollen Potential? People Enablement Fokus 4: Die HR Plattform Wie erarbeiten wir optimale Personalprozesse, führen sie bestmöglich aus und analysieren alle mitarbeiterbezogenen Daten wertstiftend? HR Solutions and Operations Quelle: Rethinking HR - Egon Zehnder International, The Boston Consulting Group, Quadriga University & BPM (2017-2018) © 2019 Egon Zehnder
Abb. 13.2 Das Transformation Organization & People (TOP) Modell (Gärtner et al. 2017)
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aktuell vorhandenen und zukünftig notwendigen Portfolios an Kompetenzen und Köpfen. Daher ist die strategische Personalplanung deshalb nicht nur eine einmalige Pflichtübung, sondern wiederkehrend entlang der Unternehmensziele und zur Unterstützung strategischer Manöver durchzuführen. Solche Veränderungen müssen nicht nur inhaltlich, sondern auch prozessual begleitet werden. Für dieses Change Management braucht das Personalmanagement einerseits eigene Kompetenzen, andererseits auch die Kooperation mit den Mitbestimmungsgremien. Die Orchestrierung machtvoller Stakeholder-Netzwerke, um die Organisation als Ganzes weiterzuentwickeln, verlangt nach einer starken Positionierung von HR – im Management und in den Mitbestimmungsgremien. Für die erfolgreiche Ausgestaltung des Fokusbereich 1 sollte daher die Personalarbeit die folgenden thematischen Schwerpunkte umfassen: • • • • •
Definition des Unternehmenszwecks unterstützen Strategische Personalplanung nutzen Unternehmensstrategien mitentwickeln, People- und Unternehmensstrategie verzahnen Neue Geschäfts- und Organisationsmodelle identifizieren und ausgestalten Wandel und Transformation im Unternehmen und an der Schnittstelle zur Gesellschaft gestalten • Wertschaffend mit Mitbestimmung kooperieren
13.2.2.2 Fokusbereich 2: Die Arbeit | Performance Navigation In diesem Fokusbereich geht es um die kontinuierliche Optimierung der (Zusammen-) Arbeit von Einzelnen, aber vor allem von Teams. In der Geschäftswelt wird immer deutlicher, dass kompetitive Wertschöpfung erfolgreich nicht von einzelnen Personen und auch nicht von einzelnen Organisationen erbracht werden kann. Aus diesem Grund kommt es zu Teamarbeit, die vor Bereichs- und Organisationsgrenzen nicht Halt macht und zunehmend virtuell stattfindet. Deshalb stellt sich die Frage: Wie wird Arbeit in Teams innerhalb der Organisation, aber auch nach draußen in Partnerschaften, mit Freelancern oder Crowdworkern, also in Netzwerken oder im sogenannten Ökosystem, organisiert? Nachhaltig erfolgreiche Antworten darauf umfassen vor allem das Organisational Design und die Teameffektivität, z. B. durch die Einführung agiler Arbeitsmethoden, um Arbeit zukünftig in fluiden Zusammensetzungen und Kooperationen erbringen zu können. Hier kann das Personalmanagement zum Beispiel mithilfe von Agile Coaches, Enterprise Social Networks oder tätigkeitsbasierter Bürogestaltung aktiv unterstützen. Mit den gesammelten Daten und Erkenntnissen zur Effizienz von Teams und Organisationen kann HR evidenz- und analysebasiert entsprechende Maßnahmen zur Steuerung von Arbeit initiieren. Dazu gehört die Definition von Arbeitsprozessen sowie die Bewertung und Förderung der People Management Skills der Führungskräfte, um diese für ihre Vorbildfunktion in Veränderungsprozessen zu befähigen. Im Bestfall agiert das Personalmanagement also als „Performance Navigator“ und entwickelt Teams, Führungskräfte, Arbeitsplätze- und -prozesse entlang strategiekonformer Schlüsselkennzahlen (bspw. Verweildauer von Führungskräften und Spezialisten in Key Positionen mit positiver Performance, Erfüllungs-
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grad der variablen Gehaltszielstellung pro Jahr, Entwicklung von Umsatz pro Mitarbeiter zum Vorjahr, Verhältnis von internen und externen Besetzungen, Diversity Index von Führungsteams sowie Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen) weiter. Damit Personaler die Performance steuern können, müssen sie nicht nur wissen, was es an neuen Arbeitsmethoden gibt, sondern auch deren Anwendungsbedingungen kennen und analysieren, wo sie passen und wo nicht. So funktioniert beispielsweise Scrum insbesondere dann, wenn ein inkrementeller Projektmanagementansatz aufgrund der Komplexität und zunehmend notwendigen schnittstellenübergreifenden Zusammenarbeit zielführender ist. Für die erfolgreiche Ausgestaltung des Fokusbereich 2 sollte daher die Personalarbeit die folgenden thematischen Schwerpunkte umfassen: • Neue Arbeitsweisen und -modelle einführen (agiles bzw. virtuelles Arbeiten, kundenzentriert, agil, kooperativ etc.) • Arbeitsplatz und Umgebung gestalten • Effektivität und Performance von Teamarbeit direkt und indirekt erhöhen, z. B. durch Coaching, Analytics, digitale Tools • People Management der Führungskräfte unterstützen und fördern
13.2.2.3 Fokusbereich 3: Die Mitarbeiter | People Enablement Hier orchestriert das Personalmanagement die Entwicklung der Mitarbeiter zu ihrem vollen Potenzial. Über „klassische“ Personalentwicklung geht das insofern hinaus, als dass noch kontinuierlicher und systematischer auf Kultur, Zufriedenheit und Arbeitsweisen geachtet wird. So lassen sich frühzeitig Differenzen zwischen Mitarbeiter- und Organisationsinteressen identifizieren, um dann entsprechend zu intervenieren. Dabei geht es um die Befähigung der Belegschaft für neue beziehungsweise sich ändernde Positionen und Rollen, wenn neue Arbeitsformen und -techniken gefordert werden. Hier gilt es zugleich, einem möglichen Silodenken durch Community Building und attraktiven, bereichsübergreifenden Karrierepfaden entgegenzuwirken und somit die Nachfolgeplanung aktiv zu orchestrieren. Auch in diesem Fokusbereich kann sich das Personalmanagement als Treiber einer digitalisierten und kontinuierlich lernenden Organisation positionieren, indem Informationen und Wissen virtuell und kontextspezifisch dargeboten und vermittelt werden, beispielsweise via Augmented Reality oder webbasiertem Training. Für die erfolgreiche Ausgestaltung des Fokusbereich 3 sollte daher die Personalarbeit die folgenden thematischen Schwerpunkte umfassen: • • • • •
Individuelle Potenziale identifizieren und ermutigen Entwicklung von Potenzialträgern durchführen und fördern, Nachfolgeplanung orchestrieren Feedback zu Kultur, Zufriedenheit und Arbeitsweisen einholen Innovative (E-)Learning-Formate zur Flexibilisierung des Mitarbeitereinsatzes
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13.2.2.4 Fokusbereich 4: Die HR-Plattform|HR Solutions and Operations HR Solutions and Operations bildet die Plattform für die Aufgabenerledigung der ersten drei Bereiche, indem Personalprozesse optimal ausgeführt werden. Beispielsweise führt die Kombination aus automatisierten und digitalisierten Prozessen schon heute dazu, dass repetitive Tätigkeiten wie die Eingabe und Weiterleitung von (Personalstamm-)Daten in unterschiedliche Softwareanwendungen von Robotern erledigt werden können (Robotic Process Automation). Auch wenn Standardisierung und Automatisierung von Prozessen in diesem Fokusbereich zentrale Themen sind, geht es um mehr als nur die „Basics“. Einerseits können die Aufgaben in den anderen drei Fokusbereichen nur optimal erbracht werden, wenn das Design und die Ausführung der HR-Prozesse effizient und effektiv gestaltet sind. Dazu gehört, dass die Produkte und Dienstleistungen von HR datenbasiert verbessert werden. Die über die (Personal-)Arbeit gewonnenen Daten sollten mithilfe von Künstlicher Intelligenz analysiert und zur Entscheidungsunterstützung aufbereitet werden. Die Plattform liefert nicht nur zu, sondern macht auch datengetriebene Vorschläge und liefert Einschätzungen auf Basis von People Analytics. Andererseits muss zusätzlich zur Digitalisierung und Automatisierung tiefe funktionale Expertise aufgebaut werden. Beispielsweise braucht es Psychologen und Betriebswirte, aber auch Statistiker oder Mathematiker, um Personalprozesse wie Rekrutierung und Vergütung bestmöglich zu erbringen. Im Recruiting-Bereich macht es zudem einen Unterschied, wie man Vertriebler und Softwareentwickler anspricht, und nach welchen Kriterien man sie sucht und auswählt, weshalb die Recruiter auf Berufsbilder und Branchen spezialisiert sein sollten. Zusammen mit den Experten für Wandelprozesse aus dem Fokusbereich 1 treiben Datenspezialisten aus dem Fokusbereich 4 die Einführung digitaler Tools wie z. B. Enterprise Social Networks voran. Dies sind nicht nur IT-Themen – sie berühren Fragen der Teameffektivität, des Wissensmanagements, der Innovation und vor allem der Kultur des Zusammenarbeitens. Durch Digitalisierung und Automatisierung sowie durch die Generierung von Daten und Vorleistungen für die anderen Fokusbereiche ist die Plattform deutlich mehr als nur ein Shared Services Center, in dem die Standardprozesse abgewickelt werden. Stattdessen muss der Fokusbereich 4 mit Spezialisten ausgestattet werden, die eine hohe Expertise mitbringen, um in Zusammenarbeit mit Professionals der anderen Fokusbereiche personalwirtschaftliche und/oder geschäftsrelevante Entscheidungen zu treffen: Entscheidungen darüber, welche personalwirtschaftlichen Prozesse digitalisiert und mit selbstlernenden Technologien automatisiert werden sowie Entscheidungen darüber, welche People Analytics einen Mehrwert für das Business generieren. Nur wenn die Automatisierung durch Roboter, Self-Service-Schnittstellen und die Aufbereitung von HR-Metadaten mit spezifischer Expertise Hand in Hand gehen, verbindet sich Künstliche Intelligenz mit menschlicher.
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Für die erfolgreiche Ausgestaltung des Fokusbereich 4 sollte daher die Personalarbeit die folgenden thematischen Schwerpunkte umfassen: • Effiziente und effektive HR-Prozesse designen (optimale Standardisierung und Harmonisierung) • HR-Prozesse digitalisieren, neue digitale Tools einführen • Robotics Process Automation und Künstliche Intelligenz nutzen • Geschäftsrelevante, HR-bezogene Daten gewinnen und analysieren • Tiefe funktionale Expertise aufbauen für bestmögliche Personalprozesse Insgesamt bietet das TOP-Modell einen Denk- und Handlungsrahmen für die Neuausrichtung der Personalarbeit – jede Organisation wird für sich jedoch die optimale Ausgestaltung und Gewichtung der Themen innerhalb der vier Fokusbereiche finden müssen.
13.2.3 Einschätzung des TOP-Modells durch die HR-Community in Deutschland Wie relevant die vier Fokusbereiche des TOP-Modells für eine neue Personalarbeit sind, zeigen die Antworten der ca. 1300 Teilnehmer der BPM-Studie. Hier wurden die Teilnehmer befragt, wie wichtig sie die Inhalte der Fokusbereiche für die nächsten 5–10 Jahre einschätzen. Im Ergebnis zeigte sich, dass diese zwar deutlich mehrheitlich als wichtig bzw. sehr wichtig bewertet werden, jedoch die eigene Kompetenz, diese Inhalte auch professionell auszugestalten, deutlich geringer eingeschätzt wird. Konkret halten es 93 % für wichtig beziehungsweise sehr wichtig, dass HR eine Verbindung zwischen Unternehmensstrategie und Personalthemen (People Strategy) herstellt, jedoch nur 53 % schätzen die derzeitigen HR-Kompetenzen ihrer Organisation als sehr hoch beziehungsweise hoch. Eine ebenso deutliche Diskrepanz zeigt sich auch in der Rolle von HR als Moderator des Wandels, in der diese die Innovations- und Transformationsmentalität stärkt. 84 % der Studienteilnehmer sehen dies als wichtig oder sogar wichtig, jedoch nur 43 % schätzen hier die derzeitigen HR-Kompetenzen ihrer Organisation als hoch bis sehr hoch ein. Somit bescheinigen sich die Personalmanager offenbar selbst ein Defizit im Hinblick darauf, was HR können muss, um strategisch zu wirken und Transformationsprozesse aktiv mitzugestalten. Offenbar herrscht – mit den zunehmend schneller wachsenden sozioökonomischen und technologischen Herausforderungen – eine wachsende Unsicherheit darüber, welche Kompetenzen im Personalmanagement notwendig sind, um Strategien und Transformationsprozesse orchestrieren zu können (Baier et al. 2017) (Abb. 13.3).
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Abb. 13.3 Wichtigkeit der Inhalte und Eigenevaluierung zum TOP-Modell durch die HR-Community in Deutschland (Gärtner et al. 2017)
13.3 Ä nderung der Anforderungen an Kompetenzen für HR-Leader Die Leistung einer Person in einer bestimmten Position, einem Unternehmen und/oder einer Kultur wird durch die Fähigkeiten der Person beeinflusst. Kompetenz drückt den messbaren Qualitätsunterschied jener Fähigkeiten aus. Kompetenzen lassen sich am besten mit Verhaltensindikatoren beschreiben, die den Unterschied zwischen einer durchschnittlichen und einer hervorragenden Leistung in einer bestimmten Rolle erkennen lassen. Anhand von Kompetenzen kann definiert werden, wie gutes Führungsverhalten aussieht. Es kann dadurch zwischen guten und sehr guten Leistungsträgern unterschieden werden. Die erfolgreiche Orchestrierung der eigenen digitalen Transformation erfordert in vielen Unternehmen in Bezug auf die Aufbau- und Ablauforganisation eine erhebliche Steigerung von Agilität in der bereichs- und funktionsübergreifenden Zusammenarbeit. In Konsequenz dessen verändern sich auch die Kompetenzen und deren Verhaltensausprägungen – also letztlich die messbaren Eigenschaften, die erfolgreiches Agieren innerhalb und auch außerhalb der Organisationsgrenzen ausmachen. Die folgende Abbildung zeigt auf, wie sich Kernkompetenzen für HR-Leader – auch im Vergleich zu CEOs – ändern und welche eine hohe Relevanz besitzen (siehe Abb. 13.4). CEOs stufen das Humankapital immer wieder als eine Top-Herausforderung und -Priorität ein, aber in der Regel schätzen sie den Blick ihres Chief Human Resources Officer
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J. K. Ritter und R. Sadowski CEO
Results Orientation
HR +
Strategic Orientation
+
Collaboration & Influencing
+
Delivering Results Shaping Strategy
+
Team Leadership
Influencing Collaboratively Leading Teams
Building Organizational Capability Change Leadership
+
+
Developing Talent
+
Driving Change
Commercial Orientation
Driving Commercial Outcomes
Marketplace Insight
Understanding the Market
Customer Orientation
Building Customer Value +
NEW weniger relevant
Hoch relevant
Leading Innovation © 2019 Egon Zehnder
Abb. 13.4 Veränderte Kompetenzen für HR-Leader
(CHRO) als weniger wichtig ein als den anderer Funktionen. Der CHRO muss jedoch ein echter strategischer Partner des CEO werden. Hierfür muss der CEO die Positionsbeschreibung des CHROs neu definieren und ein zentrales Entscheidungsgremium schaffen, das CEO, CFO und CHRO umfasst (Charan et al. 2015). In einem solchen Triumvirat an der Spitze einer Organisation werden dann „auf Augenhöhe“ die Finanzkennzahlen mit denen in Verbindung gesetzt, die diese auch ermöglichen (Charan et al. 2015). In genauerer Betrachtung der Kompetenzen stechen vier Kompetenzen besonders he raus, die für das erfolgreiche Agieren von HR-Leadern (und insbesondere dem CHRO) eine herausragende Bedeutung haben. Dies sind Delivering Results, Influencing Collaboratively, Developing Talent und Driving Change. Results Orientation bedeutet einen Fokus auf die Erzielung von (gewünschten) Ergebnissen zu setzen, primär unterstützt durch Verbesserungsprozesse und Veränderungen. Bei der Kompetenz Delivering Results hingegen geht es vor allem darum, die Verbesserung der Geschäftsergebnisse und die Steigerung der Leistungsfähigkeit voranzutreiben. Hierbei leisten HR-Leader einen maßgeblichen Beitrag, die Organisation intelligent für deutlich verbesserte Ergebnisse zu transformieren. Collaboration & Influencing fokussiert das erfolgreiche Kooperieren mit Kollegen, Partnern und sonstigen Personen unterschiedlicher Hierarchiestufen, um die Geschäftsergebnisse positiv zu beeinflussen. Bei der Kompetenz Influencing Collaboratively hingegen geht es zunächst darum, mit Kollegen, Partnern und anderen Personen, die eben nicht in der eigenen direkten Befehlslinie stehen, effektiv zu arbeiten. Darüber hinaus agieren HR-Leader so, dass sie selbst und andere dazu bewegen, Initiativen zu unterstützen und dauerhafte Partnerschaften über Organisationen und Regionen hinweg aufzubauen.
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Building Organizational Capability bedeutet die langfristige Entwicklung der Fähigkeiten anderer und der Organisation und setzt Freude, andere zu beeinflussen und beruflich voranzubringen, voraus. Developing Talent geht jedoch deutlich darüber hinaus. Denn bei der Entwicklung von Talenten – verstanden als jedes Mitglied der Organisation – geht es darum, die langfristigen Fähigkeiten der Mitarbeiter und Führungskräfte sowie der Organisation insgesamt aufzubauen und Zufriedenheit damit zu erfahren, das berufliche Leben beziehungsweise die Karriere eines Menschen zu beeinflussen oder sogar zu transformieren. HR-Leader treiben ein konzertiertes Programm der aktiven Organisationsentwicklung und des systematischen Talentmanagements voran und etablieren es als eine Managementpriorität in der gesamten Organisation. Die Kompetenz Change Leadership meint die Neuausrichtung einer Organisation durch die Einwirkung auf deren Mitglieder, um Verbesserungen in einer neuen und he rausfordernden Richtung zu erzielen. Eine ganze Organisation muss motiviert werden, „am gleichen Strang zu ziehen“. Bei Driving Change geht es um den Aufbau einer Kultur der Veränderung, indem eine Organisation durch ihre Mitarbeiter transformiert und ausgerichtet wird, um sich in neue und herausfordernde Richtungen zu bewegen. Hierbei werden ganze Gruppen oder Organisationen voll in den grundlegenden Wandel einbezogen. Insgesamt geht es darum, eine Welle der Veränderung herbeizuführen, bei der eine einzelne Person mehr bewirken kann als sie es unter normalen Umständen alleine könnte.
13.3.1 Potenzialanalyse und Kompetenzentwicklung 13.3.1.1 Relevanz von Potenzial Wenn die Rahmenbedingungen sowie Markt- und Wettbewerbsentwicklungen – wie oben dargestellt – durch erhebliche Veränderungsdynamiken gekennzeichnet sind, dann bedeutet dies zugleich, dass die Unternehmensplanung und -entwicklung nicht im Fahrwasser einer Phase des statischen Umfeldes erfolgt (Sadowski et al. 2016). Demnach ist das, was einen Mitarbeiter oder eine Führungskraft heute erfolgreich macht, für diesen vielleicht morgen in einem sich verändernden Wettbewerbsumfeld, mit neuer Unternehmensstrategie oder auch neuem Team nicht mehr nützlich (Fernández-Aráoz 2014). In Konsequenz muss es daher darauf ankommen, dass sich Mitarbeiter und Führungskräfte durch ein stringentes und erfolgreiches Führen auf Basis spezifischer Persönlichkeitsmerkmale und eines Wertekanons, der in Übereinstimmung mit den Unternehmensleitbildern steht, auszeichnen. So können sie einer Vorbild- und Orientierungsfunktion für die Breite der Organisation gerecht werden (Lueneburger 2014). Und die mögliche Befähigung hierfür zeigt sich im Potenzial – und eben nicht allein in klassischen Kompetenzen. Damit ist nicht mehr die Beantwortung der Frage zentral, ob Mitarbeiter und Führungskräfte über die richtigen, dies bedeutet strategiekonformen und organisationsadäquaten, Fähigkeiten verfügen, sondern, ob diese das Potenzial besitzen, neue Fähigkeiten zu erlernen und anzuwenden (Fernández-Aráoz 2014). Potenzial wird hierbei als die Fähigkeit definiert, in der eigenen Rolle und deren innewohnenden Verantwortung sowie darüber hinaus in neue Rollen hineinzuwachsen.
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Für das Personalmanagement besteht die Herausforderungen heute darin, neue Mitarbeiter zu finden, die sich in sich ständig verändernde Rollen und Anforderungsprofile hi neinfinden und mit ihnen wachsen, aber zugleich auch darin, diese Fähigkeiten im vorhandenen Mitarbeiterstamm zu fördern. Es reicht nicht mehr, die Frage zu beantworten, ob ein Mitarbeiter die Fähigkeit besitzt, die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Vielmehr muss erhöhtes Augenmerk darauf liegen, wie leicht Mitarbeiter neue Fähigkeiten werden erwerben können, mit denen sie den sich verändernden Herausforderungen begegnen können (Sadowski et al. 2016).
13.3.1.2 Die vier Potenzialdimensionen Doch was ist Potenzial genau? Potenzial drückt sich in bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und/oder Führungsqualitäten aus. Diese geben Aufschluss darüber, ob jemand zukünftig mit einer höheren Verantwortung erfolgreich sein kann. Der Grad der Ausprägung bestimmt außerdem wie bald dieser Schritt möglich ist. Potenzial zeigt auf, ob eine Person die Fähigkeit besitzt zu wachsen und Aufgaben mit höherer Verantwortung und/oder mehr Komplexität zu bewältigen. Eine höhere Verantwortung könnte beispielsweise eine Tätigkeit im selben Bereich, aber mit einem größeren Budget oder mehr Mitarbeitern sein, während eine Ausweitung der Komplexität in der Übernahme eines breiter gefächerten und komplexeren Aufgabenbereichs bestehen könnte. Potenzial kann anhand von vier Potenzialdimensionen beschrieben und letztlich auch gemessen werden. Dies sind Neugier (Curiosity), Erkenntnisvermögen (Insight), Mobilisierungskraft (Engagement) und Entschlossenheit (Determination) (siehe Abb. 13.5).
Neugier …fördert Kreativität
Sucht aktiv nach neuen Erfahrungen, Informationen und Wissen. Frischt sich ständig auf intellektueller, erfahrungsmäßiger und persönlicher Ebene selbst auf. Sucht proaktiv nach Feedback und verändert das Verhalten als Reaktion darauf.
Die Facetten von Neugier sind: • Lernorientierung • Suche nach Feedback • Positive Veränderung
Mobilisierungskraft …fördert Zusammenarbeit
Kennt sich selbst, baut echte Verbindung zu anderen auf. Befindet sich im Einklang mit den Motivationen anderer und schafft hierüber einen gemeinsamen Sinn und eine gemeinsame Ausrichtung auf ein Ziel.
Die Facetten von Mobilisierungskraft sind: • Selbsteinschätzung • Soziale Verbindung • Emotionales Engagement
Erkenntnisvermögen …fördert Innovation Verarbeitet ein breites Spektrum an komplexen Informationen, entdeckt neue Facetten, die wahrscheinlich Ansichten aus der Vergangenheit verändern und/oder eine neue Richtung weisen.
Die Facetten von Erkenntnisvermögen sind: • Umgang mit Information • Kognitive Flexibilität • Geschäftsfokus
Entschlossenheit …fördert Exzellenz
Bleibt auch im Angesicht schwieriger Herausforderungen belastbar. Übt Selbstdisziplin und kanalisiert Emotionen, um durchzuhalten.
Die Facetten von Entschlossenheit sind: • Engagement • Selbstregulierung
Source: Egon Zehnder International
Abb. 13.5 Die vier Potenzialdimensionen und deren Facetten
© 2019 Egon Zehnder
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Neugier Neugierige Menschen sind begeistert, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet, zu lernen und sich zu verändern. Sie streben nach neuen Informationen, Erfahrungen und Selbsterkenntnis und hegen den Wunsch, sich auf intellektueller wie persönlicher Ebene ständig weiterzubilden und ihren Erfahrungshorizont zu erweitern. Ein wichtiges Element hierbei ist das Einholen und Umsetzen von Feedback; auch negatives Feedback nehmen diese Menschen auf und begreifen es als Chance, besser zu werden und nicht als unveränderliche Bewertung ihrer Fähigkeiten. Die Untersuchungen von Egon Zehnder weisen darauf hin, dass Neugier der stärkste Treiber von Entwicklung ist – sprichwörtlich Potenzial für Potenzial – und ihre Ausprägung Auskunft darüber gibt, wie schnell Wachstum möglich ist. Erkenntnisvermögen Menschen mit ausgeprägtem Erkenntnisvermögen haben Freude daran, komplexe Informationsstränge zu durchdringen, die aus einer Vielzahl von Quellen stammen. Es fällt ihnen leicht, hieraus neue Erkenntnisse abzuleiten, die andere so nicht ohne Weiteres wahrgenommen hätten. Dadurch geben sie häufig eine neue Richtung vor oder initiieren Veränderungsmaßnahmen. Die Fähigkeit zur Entwicklung von Konzepten, aber auch Kreativität und Energie sind hierfür erforderlich. Mobilisierungskraft Menschen, die über Mobilisierungskraft verfügen, sind aufmerksam für die Motivationen und Prioritäten anderer und verfügen über eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbstreflexion. Auf dieser Basis gelingt es ihnen leicht, Beziehungen zu anderen herzustellen. Sie gewinnen Herz und Verstand der Menschen in ihrer Umgebung und bringen sie mit ihrem Enthusiasmus, ihrer Energie und ihrer Zielstrebigkeit dazu, gemeinsam für eine Sache zu kämpfen. Sie können ganze Organisationen inspirieren. Entschlossenheit Entschlossenheit zeigt sich darin, wie hartnäckig eine Person bedeutende Ziele auch gegen Widerstände verfolgt. Dazu gehören Mut und Risikobereitschaft, aber auch der Wille, bestehende Beschränkungen nicht ohne weiteres zu akzeptieren, sondern nach einem intelligenten Weg zu suchen, sie zu überwinden. Trotz aller Zielstrebigkeit hinterfragen entschlossene Menschen immer wieder den eingeschlagenen Weg und nehmen erforderliche Richtungsänderungen vor. Sie handeln im Einklang mit ihrer wertebestimmten Grundhaltung und schöpfen daraus ihren emotionalen Antrieb. Darüber hinaus nutzen sie gezielt Taktiken, um sich immer wieder auf ihr Ziel auszurichten. So schaffen sie sich z. B. ein Umfeld, das sie unterstützt oder setzen Visualisierungstechniken ein, die ihnen helfen, sich auf ihre Ziele zu fokussieren. Potenzial als Rohstoff für persönliches Wachstum ist dabei über die Betrachtung von Charaktereigenschaften bestimmbar, die wiederum Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen beeinflussen. Charaktereigenschaften gelten als verhältnismäßig stabil im Zeitver-
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lauf und bieten sich daher an, um Vorhersagen über zukünftiges Verhalten aus ihnen abzuleiten. Da sie allerdings sowohl anerzogen als auch genetisch bedingt sind, sind sie zwar stabil aber nicht unveränderlich, d. h. was wir erlernt haben, können wir auch wieder verändern und auch genetische Einflüsse entfalten sich ein ganzes Leben lang. Dabei fallen uns Verhaltensweisen, die unseren Charaktereigenschaften entsprechen, leichter – Wachstumspotenzial kann hier einfacher gehoben werden (Sadowski et al. 2016).
13.3.1.3 H ohes Potenzial wirkt sich auf die Weiterentwicklung von Kompetenzen aus Charaktereigenschaften und Selbstbilder (Mindsets) können Lern- und Entwicklungsstrategien unterstützen oder eben auch behindern. Die vorher dargestellten Potenzialdimensionen beschreiben solche Charaktereigenschaften und Selbstbilder, die einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Kompetenzen haben können. Jedoch wirkt sich nicht jeder dieser Faktoren gleichermaßen auf die Entwicklung aller Kompetenzen aus. Analysen von Egon Zehnder zeigen, dass die vier Faktoren jeweils auf bestimmte Kompetenzen einzahlen. So wirkt die Potenzialdimension Erkenntnisvermögen (Insight) etwa besonders stark auf die Entwicklung der Kompetenz Shaping Strategy aus. Die Potenzialdimension Curiosity hingegen scheint sich auf die Entwicklung aller Kompetenzen positiv auszuwirken. Wenn auch die Potenzialdimensionen auf den ersten Blick Ähnlichkeiten mit den klassischen Kompetenzen aufweisen, z. B. Curiosity vs. Delivering Results, so haben die Potenzialdimensionen zukunftsweisenden Charakter. Sie beschränken sich in ihrer Beschreibung somit nicht auf die heute gezeigte Leistung einer Führungskraft, sondern wagen eine Prognose darüber, welche Leistung jemand unter den bestmöglichen Bedingungen zukünftig zu vollbringen vermag. Und diese Prognose ist ganz konkret auf Kompetenzen übertragbar. Welchen Unterschied und Wirkung die Analyse und darauf aufbauende Inklusion des individuellen Potenzials bei der Bewertung einer Person ausmachen kann, zeigt beispielhaft das folgende Profil (siehe Abb. 13.6). Bei der ausschließlichen Betrachtung des heutigen Kompetenzprofils dieser Person ist festzustellen, dass diese in nahezu allen Kompetenzen (mit Ausnahme der Kompetenz Leading Teams) unter den Sollanforderungen – beispielsweise für eine zukünftige Position, respektive Verantwortung, liegt. Erst durch Beachtung des individuellen Potenzials ist festzustellen, dass die evaluierte Person perspektivisch in allen betrachteten Kompetenzen über den Sollanforderungen liegen kann.
13.3.2 Was dies für das Personalmanagement bedeutet Eine Kernfrage ist hier sicherlich, wie diese Potenzialentwicklung bei allen Mitarbeitern und Führungskräften zu ermöglichen ist. Hierfür muss sich das Personalmanagement generell strategisch und organisatorisch neu aufstellen und eine integrative Rolle bei der Mitverantwortung für das gesamte Unternehmen der Zukunft spielen. Im Speziellen muss
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Competency Profile
Potential Profile Curiosity
Shaping Strategy
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Future Profile
Insight
Leading Innovation Driving Change Building Customer Value Delivering Results
Determination
Influencing Collaboratively
Engagement
Leading Teams Developing Talent
Current competency level
Current competency level
Target profile for future role
Possible future profile based on potential Target profile for future role
Source: Egon Zehnder International
© 2019 Egon Zehnder
Abb. 13.6 Einfluss von Potenzial auf die zukünftige Kompetenzentwicklung eines Beispielkandidaten
es hier ein durch die Möglichkeiten der Digitalisierung verändertes strategisches Talent Management etablieren und Personalentwicklungen gewährleisten, die auf individuelle Lerntypen eingehen und neue (digitale) Lernformate anbieten (Ritter et al. 2016; siehe Abschn. 13.2.2.3 und 13.2.2.4). Um genau diese Aufgabenstellung zu erfüllen, verändert sich der Konzeptions- und Umsetzungsrahmen von Instrumenten des strategisches Talent Management hin zu einem individuellen, Potenzialfokussierten, Branchen-/Geschäfts modell- und Jobgruppen-affineren Ansatz (Becker et al. 2011; Jochmann und Bothe- Hutschenreuter 2015). Ebenso wichtig ist es, dass in Abhängigkeit der Größe und In ternationalität des Unternehmens, diese Aktivitäten, unabhängig ob Programm- oder Projektstruktur, und die daraus abgeleiteten Entwicklungsmaßnahmen eine gesamtorganisatorische Verzahnung haben (siehe Abschn. 13.2.2.1). In Konsequenz kann dies auch bedeuten, dass zukünftige Entwicklungspfade von Mitarbeitern und Führungskräften auch außerhalb des bisher vorgezeichneten vertikalen Weges in der Organisation stattfinden sollte. Damit in Verbindung steht auch, dass es ein (neues) potenzial- und zukunftsorientiertes Performance-Measurement-System durch das Personalmanagement zu initiieren und einzuführen gilt, dass eine veränderte und flexible Anwendung von positionsspezifischen Kompetenzen zulässt, einschließlich veränderter Incentivierungen über Compensation & Benefits (siehe Abschn. 13.2.2.2). Um diese Themen insgesamt nachhaltig erfolgreich forcieren zu können, müssen HR-Professionals auch selbst über cross-funktionale Erfahrungen verfügen sowie neue Positions- und Kompetenzprofile definieren, die zu einem hohen Grad an Erfahrungen und Diversität in der HR-Funktion selbst führen.
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13.4 Fazit Der Unternehmensalltag ist mehr denn je durch Herausforderungen im Kontext der Digitalisierung von Geschäftsmodellen und Wertschöpfungsstrukturen bei großen Veränderungsdynamiken im Sinne steigender Komplexität und Volatilität gekennzeichnet. Als Konsequenz müssen HR-Leader und das Personalmanagement insgesamt dieses Tempo halten, im besten Sinne sogar einen Schritt voraus sein, um erfolgreich strategiekonform agieren zu können. Denn HR-Fähigkeiten (Capabilities) korrelieren stark mit ökonomischer Unternehmensleistung, demnach sich Unternehmen mit herausragendem Personalmanagement durch eine signifikant bessere Unternehmensleistung gegenüber Unternehmen mit schwächerem Personalmanagement auszeichnen (BCG und WFPMA 2014). Umso mehr dies gelingt, resultieren hieraus zwei Konsequenzen. Einerseits wertet das Personalmanagement seinen Anspruch, sein Selbstverständnis und seine Stellung strategisch und operativ auf und wird andererseits aufgrund der großen Bandbreite an Berufsbildern und akademischen Hintergründe zur attraktiven Herausforderung für Manager aus anderen Funktionen, respektive Geschäftsbereichen (Ritter et al. 2014). Letztlich bleibt jede Unternehmensstrategie ohne die Umsetzung durch die richtigen Mitarbeiter und Führungskräfte nur Theorie. Hier müssen und können HR-Leader eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung von organisationalen Entwicklungs- und Transformationsprozessen einnehmen. Sie sind als Taktgeber gefordert, die Unternehmensziele mit einem proaktiven und auf die Unternehmensstrategie abgestimmten Personalmanagement mit klarer Business-Relevanz maßgeblich zu unterstützen. Dies sollte und ist ihr Anspruch und Selbstverständnis.
Literatur Baier, M., Gärtner, C., Lopper, E., Ritter, J.K., Sadowski, R., & Seidenglanz, R. (2017). Personalmanagement als Beruf. Strukturen, Entwicklungen und Veränderungen der Personalfunktion. Bundesverband der Personalmanager. Berlin: Quadriga Media. BCG – The Boston Consulting Group & WEFPA – The World Federation of People Management Associations. (2014). Creating People Advantage 2014–2015. How to set up great HR functions: Connect, prioritize, impact. https://www.bcg.com/publications/2014/organization-human-resources-creating-people-advantage.aspx. Zugegriffen am 12.01.2020. Becker, N., Höft, S., Holzenkamp, M., & Spinath, F. M. (2011). The predictive validity of assessment centers in German-speaking regions. Journal of Personnel Psychology, 10(2), 61–69. Cappelli, P. (2015). Why we love to hate HR … and what HR can do about it. Harvard Business Review, 93(7/8), 54–61. Charan, R., Barton, D., & Carey, D. (2015). People before strategy: A new role for the CHRO. Harvard Business Review, 93(7/8), 63–71. Fernández-Aráoz, C. (2014). 21st-century talent spotting. Why potential now trumps brains, experience, and „competencies“. Harvard Business Review, June, 1–11. Gärtner, C., Ritter, J. K., Sadowski, R., Strack, R., & von der Linden, C. (2017). Rethinking HR: Personalarbeit neu denken. Human Resources Manager, 5, 98–101.
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Jochmann, W., & Bothe-Hutschenreuter, T. (2015). Kienbaum: Entwicklungen im Kienbaum Management Appraisal-Ansatz. Executive Assessment – Instrumente, Trends, Herausforderungen (Hrsg. S. Weinert & K. P. Stulle). Berlin/Heidelberg: Springer. Lueneburger, C. (2014). A culture of purpose: How to choose the right people and make the right people choose you. New York: Wiley. Ritter, J., Sadowski, R., & Seidenglanz, R. (2014). HR hat ein Autoritätsproblem. Human Resources Manager, 4, 74–75. Ritter, J. K., Sadowski, R., Baier, M., & von der Linden, C. (2016). Rethinking Human Resources. Human Resources Manager, 4, 68–70. Sadowski, R., Hiltner, I., & Pentz, W. (2016). Potential – Die vierte Ära des Talent Spotting. Handbuch Personalentwicklung. In M. Müller-Vorbrüggen & J. Radel (Hrsg.), Handbuch Personalentwicklung. Die Praxis der Personalbildung, Personalförderung und Arbeitsstrukturierung (S. 185–200). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Seidenglanz, R., Ritter, J., Fechner, R., & Sadowski, R. (2014). Personalmanagement als Beruf 2014 – Aktuelle Strukturen und Trends im Berufsfeld Human Resources. Bundesverband der Personalmanager. Berlin: Helios Media. Wehner, M., Kabst, R., & Meifert, M. (2017). HR im internationalen Vergleich. Personalmagazin, 2, 14–19.
Neustart für eine moderne Personalarbeit
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Fabian Huhle, Tom Gellrich, Andreas Stocker und Fabian Englert
14.1 Wendepunkt für traditionelle HR-Konzepte 14.1.1 Vom Personaldienstleister zum strategischen Partner der Führungskräfte Faktoren wie demografische Veränderungen und gesellschaftliche Trends, aber auch neue Technologien und Methoden entfalten seit einigen Jahren eine zunehmende Wirkung in Unternehmen und Organisationen und lassen neue Herausforderungen im Personalbereich entstehen. Dementsprechend hat sich auch die Erwartungshaltung an eine moderne Personalarbeit stark verändert. Im Fokus stehen dabei vor allem drei Themenfelder, deren Einfluss die Aufgaben der Human Resources-Abteilungen fundamental verändert: • Diversität: In Unternehmen treffen zunehmend diversere Belegschaftsgruppen, die nicht mehr zurückscheuen ihre Erwartungen zu äußern, aufeinander. Da auf dem Arbeitsmarkt eine hohe Nachfrage auf ein niedriges Angebot an Arbeitskräften trifft, profitieren die Unternehmen, die den Erwartungen der diverseren Belegschaft gerecht werden. Ihnen gelingt es besser sich im „War for Talents“ als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.
F. Huhle · A. Stocker · F. Englert (*) Roland Berger GmbH, München, Deutschland E-Mail: [email protected]; [email protected]; fabian.englert@ rolandberger.com T. Gellrich Roland Berger GmbH, Frankfurt, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 C. Gärtner (Hrsg.), Smart Human Resource Management, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30267-2_14
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F. Huhle et al.
• Digitalisierung: Die Digitalisierung der Geschäftswelt schreitet unaufhaltsam voran. Daraus entstehen neue Anforderungen an die Zusammenarbeit in Teams (z. B. Netzwerkstrukturen und dezentrales Arbeiten), an Mitarbeiterfähigkeiten (z. B. für „agiles Arbeiten“) und entsprechend an die Führungsmethoden in Unternehmen. • Dynamik des Wandels: Der fortschreitende und zunehmend schnellere Wandel der Welt sorgt dafür, dass Ereignisse wie Transformationen oder Reorganisationsprojekte keine seltenen Sonderfälle mehr sind, sondern als regelmäßiger und fester Bestandteil des Unternehmensalltags auch in der Personalarbeit berücksichtigt werden müssen. Aus diesen drei Themen ergibt sich insbesondere für die Führungskräfte eines Unternehmens ein hoher Anspruch: Gemäß dem Motto „Every Manager is a People Manager“ müssen sie ausnahmslos alle in der Lage sein, ihre Mitarbeiter selbstständig zu führen, zu fördern und zu fordern. Nur dann können sie ihre aus verschiedensten Generationen stammenden Mitarbeiter erfolgreich durch die digitale und sich ständig wandelnde Geschäftswelt leiten. „Every Manager is a People Manager“ (Dietmar Eidens, Chief HR Officer von Merck)
Mit diesem Anspruch an die Führungskräfte haben sich auch die Erwartungen an die HR-Abteilung stark gewandelt: Im Kern geht es um eine Weiterentwicklung der HR von der klassischen Rolle als Dienstleister für Personalangelegenheiten hin zur Rolle als „Befähiger“ der Führungskräfte. Das heißt, HR ist nicht mehr selbst People Manager, sondern wird zum Berater von Führungskräften und Vorstand, mit dem Ziel, diese zu guten People Managern für eine moderne Personalarbeit zu befähigen. Dazu ist es zum einen unabdingbar, faktenorientiert zu argumentieren, um am Entscheidungstisch ernstgenommen zu werden. Zum anderen braucht die HR-Einheit aber auch ein ausgeprägtes Verständnis für das Geschäft und seine Abläufe. Nur dann kann sie die unterschiedlichen und wechselnden Bedürfnisse ihrer unternehmensinternen „Kunden“ individuell optimiert befriedigen (von der Talente-Akquise insbesondere für wachsende Geschäftseinheiten bis hin zur Weiterbildung oder Spezialisierung von Mitarbeitern in reiferen Einheiten). Aus dem Bedarf an spezifischen und im Zeitverlauf wechselnden Lösungen ergibt sich zudem die Notwendigkeit ein Portfoliomanagement zu betreiben, die Angebote in Bezug auf Kosten und Nutzen zu analysieren und Personalmaßnahmen im zu priorisieren. Zu guter Letzt bleibt neben all diesen neuen Aufgaben noch die klassische Personaldienstleistung, die HR weiterhin fehlerfrei und kostengünstig als Standard liefern muss. Die moderne HR-Einheit braucht vier neue Fähigkeiten Eine HR, die die beschriebenen Anforderungen erfüllt und so das Unternehmen im Personalbereich zukunftsfit aufstellt, braucht also im Wesentlichen vier neue Fähigkeiten:
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• Strategischer Partner der Führungskräfte: Um die Führungskräfte der Geschäftseinheiten für die moderne Personalarbeit zu befähigen, muss HR als strategischer Partner mit diesen auf Augenhöhe agieren können. Dazu ist es notwendig, dass HR die Sprache der Führungskräfte spricht (Soft Skills) und entscheidungs- und faktenorientiert argumentiert (Hard Facts) – entsprechende Fähigkeiten fehlen heute in HR- Abteilungen oft. • Fact-Driven HR: Für eine entscheidungs- und faktenorientierte Argumentation (Hard Facts) ist es unabdingbar, dass HR die Expertise ausbaut, Daten und Fakten mit statistischen Methoden auszuwerten und für die Personalarbeit nutzbringend zu interpretieren. Insbesondere die Nutzung statistisch anspruchsvoller Methoden zur Auswertung großer Datenmengen aus verschiedenen Töpfen und Eingangskanälen gewinnt dabei immer mehr Bedeutung. • Kundenspezifische Lösungen: Um die unverzichtbare Augenhöhe mit den Führungskräften der Geschäftseinheiten zu erreichen und deren Anforderungen an HR-Lösungen beurteilen zu können, muss HR seine internen Kunden und ihre jeweiligen Aufgaben gut kennen und verstehen, insbesondere in Bezug auf die Implikationen für die Personalarbeit. Zudem erfordert der stetige Wandel, dem Unternehmen heute unterliegen, eine bedarfsgerechte Steuerung des HR-Portfolios (vergleichbar dem „Demand Management“ in der IT). Nur so lässt sich sicherstellen, dass die HR-Abteilung auch das liefern kann, was die Geschäftseinheiten benötigen. Dazu gehört auch, unterschiedlichen Unternehmensbereichen unterschiedliche HR-Lösungen anzubieten. • Operational HR Excellence: Um die klassischen Personaldienstleistungen als Standard kostengünstig unter Ausnutzung operativer Effizienten und Skalenvorteile und mit Null-Fehlertoleranz liefern zu können, empfiehlt sich die Nutzung von modernen Produktionsmethoden und neuen technologischen Möglichkeiten wie Robotic Process Automation (RPA) und künstlicher Intelligenz (KI). Entsprechende Fähigkeiten für deren Einsatz sind in der HR-Abteilung vorzuhalten.
14.1.2 Die Grenzen der etablierten HR-Modelle sind erreicht Vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen für die Personalarbeit stellt sich die Frage, ob die heute etablierten HR-Struktur- bzw. Delivery-Modelle überhaupt zu deren Bewältigung geeignet sind. Dieser Frage gehen wir anhand des Drei-Säulen-Modells, in Anlehnung an Dave Ullrich, nach, denn es hat die Praxis der Personalarbeit in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich geprägt und sich quer über alle Regionen, Branchen und Organisationsgrößen als Standard etabliert. So haben die meisten DAX-Unternehmen ihren HR-Bereich nach diesem Modell organisiert, und auch sehr viele Mittelständler sind bereits vom klassischen HR-Generalisten-/Referenten-Modell zum Drei-Säulen-Modell gewechselt. In der Theorie bringen die drei Säulen eine effiziente Rollenaufteilung innerhalb von HR und damit viele Vorteile: Die Säule HR Business Partner (HRBP) konzentriert sich als
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Partner der Führungskräfte auf die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens, vor allem im Hinblick auf personalspezifische Themen wie Kultur- und Organisationsentwicklung. Die Säule HR Service (HRS) ist als effizienter und somit kostengünstiger Dienstleister meist in Form von Shared Service Centern (SSC) organisiert und zuständig für administrative und transaktionale Themen wie Reisekostenabrechnung, Gehaltsabrechnung oder die Ausstellung von Bescheinigungen. Zudem dient HRS als Ansprechpartner für die Mitarbeiter zu sämtlichen personalwirtschaftlichen Fragestellungen. Als dritte Säule im Hintergrund kommen verschiedene Center of Excellence (CoE, auch Center of Expertise) dazu, die die HR-Lösungen kreieren, welche den Geschäftsbereichen über die Säulen HRBP und HRS zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählen zum Beispiel die CoEs Compensation & Benefits, Development & Training, Recruiting, Employee Relations (insbesondere in Deutschland), Workforce Planning und immer öfter auch HR Analytics & Measures. Theorie und Praxis klaffen auseinander In der Praxis zeigt sich allerdings, dass HR-Einheiten mit dieser Dreiteilung der Aufgaben häufig in der Umsetzung scheitern. Und vor allem schaffen sie es nicht, ihrer oben beschriebenen, neuen zentralen Aufgabe gerecht zu werden, nämlich als strategischer Berater der Führungskräfte diese zur Umsetzung einer modernen Personalarbeit zu befähigen. Die Gründe dafür liegen zum Teil in einer mangelhaften Implementierung des Konzepts in der Praxis – aber nicht nur. So bleibt die Säule HR Business Partner häufig eine Worthülle, weil der Fokus der Aufgaben nicht eng genug definiert wird: Eigentlich konzipiert als strategischer Partner des Managements, übernimmt der HRBP in der Praxis oft eine Reihe operativer Tätigkeiten und agiert als HR-Generalist. Das entspricht jedoch nicht seinem Kompetenzprofil. Dazu kommt, dass ihm häufig die tief gehende Kenntnis der einzelnen Geschäftseinheiten und deren Anforderungen an die Personalarbeit fehlt, so dass er von den Führungskräften nicht als gleichwertiger Diskussionspartner angesehen wird. Ähnliche Probleme gibt es bei den Centers of Excellence: In der Theorie sollen sie unterstützen und beraten, doch in der Praxis fehlt ihnen als Säule im Hintergrund die Nähe zu den Geschäftseinheiten genauso wie der enge Austausch mit den anderen Säulen HRBP und HRS. Das führt häufig zu dem Vorwurf, dass die CoEs Lösungen im Sinne eines „One-Size fits All“-Ansatzes entwickeln, ohne den individuellen Bedarf der Geschäftsbereiche zu berücksichtigen. Verschärfend wirkt dabei der auf HR lastende Kostendruck, der den Mehraufwand für die Entwicklung kundenspezifischer Lösungen nicht erlaubt. Die Folge ist, dass häufig über Jahre starr am einmal erarbeiteten Leistungsportfolio festgehalten und dieses allenfalls schrittweise weiterentwickelt wird. Ein agiles Portfoliomanagement ist schlicht nicht vorgesehen – dabei wäre es unverzichtbar, um auf die wechselnden Bedürfnisse der Geschäftsbereiche und deren unterschiedliche Anforderungen an HR- Lösungen einzugehen. Dazu kommt in vielen Fällen eine generelle Ineffizienz von HR und insbesondere der HR Services, die in der Realität häufig die gesteckten Betreuungsziele (Ratio HR-Mitarbeiter/Gesamtmitarbeiter im Unternehmen) sowie erhoffte Qualitätsziele (sogenannte:
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Service Levels) nicht erreichen. Der Hauptgrund dafür ist, dass HR bisher die Möglichkeiten neuer technologischer Lösungen nur ungenügend nutzt. Dies ist jedoch eine grundsätzliche Voraussetzung, um der neuen Aufgabe als Befähiger der Führungskräfte gerecht zu werden. Denn moderne Technologie ermöglicht kostengünstige, individualisierbare und fehlerfreie Personaldienstleistungen und macht so Ressourcen frei, um sich der modernen Personalarbeit widmen zu können. Fazit: Der gesellschaftliche und technologische Wandel hat die Erwartungen an die Personalarbeit so verändert, dass klassische HR-Konzepte wie das Drei-Säulen-Modell den heutigen Anforderungen nicht mehr in allen Belangen gerecht werden. Eine Weiterentwicklung und Neuinterpretation tun daher not.
14.2 HR und Personalarbeit auf neuem Niveau 14.2.1 Voraussetzungen im Unternehmen Wie wir gezeigt haben, erfordert eine Personalarbeit, die den heutigen Anforderungen an die Unternehmen gerecht wird, eine Weiterentwicklung der HR. Wenn die Leitidee „Every Manager is a People Manager“ die moderne Personalarbeit widerspiegelt, impliziert dies weniger operative Unterstützung durch HR und mehr operative Übernahme der Personalarbeit durch die Geschäftsbereiche. Hierfür ist auf beiden Seiten ein gewisser Reifegrad in HR-Dingen unverzichtbar: Mitarbeiter, Linienmanager und Führungskräfte der Geschäftsbereiche müssen im Umgang mit Manager- und Employee-Self Service- Lösungen (MSS/ESS) geschult sein; HR muss fortschrittliche Lösungen rund um das Thema Talent-Management (Leadership-Programme, Grading- und Kompetenzmodelle, Performance-Prozesse etc.) anbieten. Wichtig hierbei ist, dass die Reifegrade zueinander passen, also HR-Lösungen auf die Fähigkeiten der Mitarbeiter, Linienmanager und Führungskräfte der Geschäftsbereiche abgestimmt sind. Sonst entsteht eine Schieflage, die die Umsetzung der neuen Konzepte gefährdet (siehe Abb. 14.1).
14.2.2 Neue HR-Modelle als Weiterentwicklung des Drei-Säulen-Modells Unter den Unternehmen, die sowohl bei HR als auch bei den Personalmanagement- Fähigkeiten der Geschäftsbereiche einen hohen Reifegrad aufweisen, haben einige bereits die Konsequenzen aus den neuen Anforderungen an die Personalarbeit gezogen und ihre HR-Strukturen neu ausgerichtet. Dabei sehen wir derzeit vier erfolgversprechende Archetypen im Markt, die das Drei-Säulen-Modell weiterentwickelt und neu interpretiert haben (siehe Abb. 14.2):
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Abb. 14.1 HR-Reifegrad und Reifegrad der Geschäftsbereiche. (Quelle: Roland Berger)
Abb. 14.2 Übersicht Archetypen HR-Konzepte. (Quelle: Roland Berger)
• HR Leader: Konzentration von HRBP auf die strategische Zusammenarbeit mit den Top-Führungskräften • Run and Change: Schaffung und Integration einer Einheit, die den kontinuierlichen Change-Prozess in der (HR-)Organisation vorantreibt und einer Einheit, die den laufenden Betrieb („Run“) sicherstellt
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• Agile Organisation: Einführung von Strukturen, die agiles und interdisziplinäres Arbeiten als Norm ansehen • Business Lifecycle: Integration der HR Business Partner in die Geschäftseinheiten, Unterstützung durch CoEs, die auf einzelne Phasen der Unternehmensentwicklung spezialisiert sind („Lifecycle Hubs“) Diese Archetypen zeichnen sich jeweils durch unterschiedliche Eigenschaften aus und werden je nach Organisation und Unternehmensstruktur angewendet und angepasst. Im Folgenden beschreiben wir sie genauer, erörtern die erhofften Vorteile gegenüber dem Drei-Säulen-Modell und beschreiben die Voraussetzungen für ihre Einführung.
14.2.2.1 Archetyp HR Leader Das Konzept der HR Leader orientiert sich eng am Drei-Säulen-Modell, hebt sich aber in interessanten Details von dessen Ursprüngen ab. Hauptunterschied ist, dass das HR Leader-Modell den Fokus der HR Business Partner auf die Führungskräfte konzentriert und im Gegenzug auf die persönliche Unterstützung der Linienmanager und der Mitarbeiter verzichtet. Damit wird die Rolle von HRBP zu einer führenden und strategischeren Position erhöht – eben „Leader“ statt „Partner“. Die verstärkte Interaktion der HR Leader mit den Führungskräften ermöglicht eine bessere Integration von HR-Themen in den täglichen Geschäftsbetrieb. Insbesondere erhält die strategische Personalplanung einen höheren Stellenwert. In der Praxis übernehmen häufig ehemalige Mitarbeiter der Geschäftsbereiche die Rolle des HR Leaders – ihre fundierten Business-Kenntnisse erleichtern den Umgang mit den Führungskräften vor Ort. Die zusätzlich nötige Datengrundlage zu Personal und HR erhält der HR Leader in der Regel durch ein dediziertes HR Analytics Team (Teil der CoE-Organisation), das personalbezogene Fakten beschafft, analysiert und für die Diskussion mit den Führungskräften aufbereitet. Neben dem Übergang vom HR Business Partner zum HR Leader besteht ein weiterer wesentlicher Unterschied zum Drei-Säulen-Modell in der Definition der HR Services (HRS). Während diese Säule im klassischen Modell an transaktionalen Aufgaben arbeitet, ist der Begriff der HRS beim Modell HR Leader – und auch bei den anderen vorgestellten Archetypen – weiter gefasst. Um eine möglichst hohe Kosteneffizienz der HR-Funktion zu erreichen, bündeln Unternehmen sämtliche für Personaldienstleistungen relevanten Themen und Fähigkeiten in diesem Bereich. Neben den klassischen HRS-Einheiten des Drei-Säulen-Modells steht dabei vor allem die Umsetzung von Employee Self Service (ESS)- und Manager Self Service (MSS)-Angeboten im Fokus. Beim HR Leader-Modell wird hierfür die CoE-Organisation eng mit der HRS- Organisation verzahnt, bis hin zu einer Verschmelzung der beiden zu einer gemeinsamen Einheit. Zudem übernehmen die CoEs die Ende-zu-Ende (E2E)-Verantwortung für die Prozesse. So lassen sich Synergien in der Zusammenarbeit heben, Schnittstellen funktionaler gestalten und die Übermittlung kundenspezifischer Anforderungen an das CoE vereinfachen.
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Für diese Form der Zusammenarbeit von CoE und HRS empfiehlt sich folgendes Arbeitsmodell: Die CoEs arbeiten typischerweise auf globaler Ebene zusammen, während die ausführenden Teams auf regionaler Ebene agieren. Je nach gewünschter Involvierung bringen die CoEs sich mehr oder weniger in die alltäglichen HRS-Prozesse ein – die Spanne reicht von loser Koordination bis zur kompletten Steuerung des Betriebs. In jedem Fall werden die HRS-Teams weiterhin durch den HRS-Leiter disziplinarisch geführt (aktives Teammanagement), jedoch unter starker funktionaler Führung durch die CoE-Leiter insbesondere in Bezug auf Gewährleistung, Richtlinien, Leitfäden usw. Vorteile von HR Leader gegenüber dem Drei-Säulen-Modell • Strategischer Partner der Führungskräfte: Die Linienmanager werden durch verstärkten Einsatz von ESS/MSS (mit Unterstützung von HRS) und Führungstrainings dazu befähigt, Personalthemen eigenständig zu verantworten. Durch die Fokussierung von HR Leader auf die Top-Führungskräfte und den Verzicht auf die breite Unterstützung der Linienmanager werden Kapazitäten frei, um sich flexibler strategisch relevanten Themen zu widmen. • Fact-Driven HR: Dedizierte Analysen des HR Analytics-Teams (als neues CoE) erlauben es dem HR Leader, faktenbasiert mit den Führungskräften zu diskutieren und Entscheidungen herbeizuführen.1 • Kundenspezifische Lösungen: Die Verschmelzung der CoEs mit HRS erlaubt eine direkte Übermittlung kundenspezifischer Anforderungen an die Experten, so dass diese ihre Lösungen besser auf den Bedarf der Mitarbeiter und Geschäftsbereiche ausrichten können. • Operational HR Excellence: Die Verschmelzung der CoE-Einheit mit der HR Services-Einheit ermöglicht eine durchgängige E2E-Prozessverantwortung. Zudem erhält die HRS-Organisation Unterstützung in ihrer alltäglichen Arbeit durch die Experten in den CoEs.
Kriterien für die Einführung des HR Leader-Modells • Mittlerer oder hoher Reifegrad der HR-Einheit, vor allem der HR Business Partner, so dass diese in die Leader-Rolle schlüpfen und sich auf Strategie fokussieren können; dafür müssen sämtliche HR-Standards reibungslos (E2E) funktionieren, sonst kommen immer wieder operative Themen dazwischen. • Hoher Reifegrad der Führungskräfte: Linienmanager nutzen selbstständig die MSS- Portale, führen und verantworten personalwirtschaftliche Entscheidungen und benötigen dafür keinen persönlichen Kontakt mit HR.
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HR Analytics-Teams sind typischerweise im Drei-Säulen-Modell nicht anzutreffen.
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• Anerkennung moderner Personalarbeit: Die Funktion von HR als strategischer Partner der Top-Führungskräfte ist im Unternehmen als integraler Baustein des Geschäftserfolgs anerkannt.
14.2.2.2 Archetyp Run-and-Change Nach der Devise „Change is the only constant in management“ wandelt das Run-and- Change-Konzept das Drei-Säulen-Modell ab und integriert die wichtige Fähigkeit, den stetigen Wandel zu managen, an zentraler Stelle in die HR-Funktion. Der Fokus liegt somit auf der kontinuierlichen Weiterentwicklung von HR sowie des gesamten Unternehmens einschließlich sämtlicher Aspekte wie Kultur, Prozesse, Aktivitäten, Kompetenzen usw. Dazu wird eine übergeordnete koordinierende HR-Einheit geschaffen, die das Zusammenspiel von alltäglichem Betrieb („Run“) und kontinuierlichem Wandel („Change“) steuert. Aus diesen beiden Bereichen leitet sich die Aufgabenteilung ab: HRS ist für den alltäglichen Betrieb und das operative Geschäft zuständig („Run the Business“), kümmert sich also um standardisierte Anforderungen aller Mitarbeiter (z. B. Gehaltsabrechnung, Reisemanagement) oder operative Aufgaben (z. B. Rekrutierung, Schulungen). Auf der anderen Seite treiben speziell dafür geschaffene Teams den Wandel voran („Change the business“). Diese Change-Teams haben eng umrissene und klar voneinander abgegrenzte Aufgaben: So konzentriert sich das Team „HR-Experte“ auf die Transformation der HR-Funktion selbst, plant und gestaltet herausfordernde interne Prozesse und sucht nach Optimierungspotenzialen. „HR-Partner“ dagegen arbeitet an der Operationalisierung der HR- und Personalstrategie, berät Führungskräfte, welche Prioritäten sie in der Personalarbeit setzen sollten und welche HR-Lösungen hierzu notwendig sind (analog zum Demand Manager in der IT-Funktion). Das Team „HR-Digitalist“ wiederum widmet sich dem neuen Arbeitsbereich Digitalisierung und legt dabei einen besonderen Fokus auf ein digitales HR-Ökosystem und digitale Kollaborationswerkzeuge. „HR Consultant“ schließlich begleitet Führungskräfte in der alltäglichen Personalarbeit, zum Beispiel bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden. Somit spezialisiert sich dieses Team auf einen Teilbereich des breiter gefassten Aufgabenprofils des HRBP im Drei-Säulen-Modell. Vorteile von Run-and-Change gegenüber dem Drei-Säulen-Modell • Strategischer Partner der Führungskräfte: Der stetige Wandel als Konstante im Unternehmen ist in diesem Modell fest in HR verankert. Die spezialisierten Change-Teams HR-Partner, HR-Consultant und HR-Digitalist ermöglichen mit ihrem Expertenwissen eine fachgerechte Unterstützung von Führungskräften und Mitarbeitern. • Fact-driven HR: Optimierung der HR-Funktion durch den HR-Experten anhand von relevanten Fakten. • Kundenspezifische Lösungen: Durch die Rolle des HR-Partners als „Demand Manager“ für HR-Lösungen ist sichergestellt, dass sich kundenspezifische Anforderungen im HR-Portfolio wiederfinden.
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• Operational HR Excellence: Durch die Aufgabentrennung in „Run“ und „Change“ bleibt das Alltagsgeschäft voll funktionsfähig, auch wenn ein Change-Thema Ressourcen bindet.
Kriterien für die Einführung des Run-and-Change-Modells • Fähigkeit zu stetiger Veränderung gilt im Unternehmen als Kernelement des Geschäftserfolgs. Change-Kultur mit aktivem Change-Management wird in den Funktionseinheiten angestrebt oder ist bereits umgesetzt. • Werte und Mindset des Unternehmens passen zum Change-Management. • Unternehmen hat stabiles Kerngeschäft und strebt gleichzeitig neue Geschäftsfelder sowie die Entwicklung innovativer Geschäftsideen/Disruptionen an.
14.2.2.3 Archetyp Agile Organisation Während in vielen Unternehmen Geschäftseinheiten (insbesondere in der Produktentwicklung) aber auch Querschnittsfunktionen (z. B. IT, Marketing) schon seit langem mit agilen Methoden und Organisationsmodellen arbeiten, tut sich HR mit deren Einführung und Anwendung oft schwer. So kommt es, dass kaum ein HR-Bereich seinen eigenen Anspruch an Agilität erfüllt. Bei der Suche nach einem agilen Betriebsmodell wird als Musterbeispiel meist das sogenannte „Spotify-Modell“ genannt. Der namensgebende schwedische Musikstreaming- Dienstleister Spotify wollte trotz schnell gewachsener Strukturen und Mitarbeiterzahl seine hohe Agilität beibehalten und führte daher ein speziell darauf ausgerichtetes Organisationsmodell ein (Ramge 2015; Jerzy 2018). Im Zentrum des Modells stehen kleine autonome Teams, sogenannte „Squads“. Diese multidisziplinär besetzten Teams von bis zu acht Personen sind jeweils E2E für ein bestimmtes Produkt oder einen Bereich verantwortlich – von der Idee über die Konzeption und Entwicklung bis hin zum kommerziellen Erfolg ihrer Arbeit. Ein Squad, der zum Beispiel für die Weiterentwicklung eines HR- Produkts verantwortlich ist, könnte mit folgenden Mitgliedern besetzt sein: Produktverantwortlicher, Prozessexperte, Vertreter der Geschäftseinheit, IT-Experte, HR Business Partner, User-Experience Designer und ein Agile Coach. Ein solcher Squad entscheidet frei darüber, wie die Zusammenarbeit gestaltet wird (Ramge 2015). Die Mitglieder arbeiten auf konkrete Ziele hin, die der Unternehmensstrategie und Mission untergeordnet sind. Jedes Squad ist einer sogenannten „Tribe“ zugeordnet (HR Tribes sind z. B. HR Services, Talent Journey, HRBPs). Zusätzlich gibt es „Chapter“, in denen alle Mitarbeiter der Tribes mit gleichen fachlichen Kompetenzen zusammengefasst sind, zum Beispiel alle Recruiting- oder Personalentwicklungs-Experten. Der Chapter Lead ist auch gleichzeitig die fachliche Führungskraft des jeweiligen Mitarbeiters. Das Konzept funktioniert besonders gut, wenn es – wie bei Spotify – im ganzen Unternehmen als Organisationsmodell eingesetzt wird. Dagegen gerät es schnell an seine Grenzen, wenn es nur in einzelnen Bereichen, zum Beispiel HR, eingeführt wird, denn dann ist
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die funktionsübergreifende Zusammenarbeit behindert, die das zentrale Element des Modells darstellt. Dennoch können bestimmte Elemente des Konzepts auch in der klassischen Projektorganisation die Agilität von HR erhöhen. In der Praxis bewähren sich zum Beispiel flexible Teams, die bedarfsgerecht für Projekte oder Sonderaufgaben eingesetzt werden (z. B. für Transformationsprojekte oder für Design und Entwicklung von HR-Lösungen). Diese Teams werden je nach Anforderungen aus einem Pool von HR-Mitarbeitern zusammengestellt, der sich aus unterschiedlichen Funktionen (HR Analytics, People Development, HR Services) speist. So ist eine breite Wissens- und Erfahrungsbasis für funktionsübergreifende Aufgaben gewährleistet. Um möglichst innovative und schnelle Lösungen sicherzustellen, werden die Teams projektbezogen zusammengestellt und erhalten Autonomie über ihre Projekte. Positiver Nebeneffekt: Da die Team-Mitglieder nach Abschluss des Projekts wieder in ihre ursprüngliche Funktion zurückkehren, kommt es zu einem verstärkten Wissenstransfer. Ein weiteres für HR nutzbares Element der agilen Organisation ist die Einführung von Tools und Prozessen, die Informationen über die Prioritäten und das Portfolio von HR für alle Mitarbeiter der Einheit transparent machen. Das Wissen über die strategische Ausrichtung und die Priorisierung von Themen – einschließlich der Begründung, warum einzelne Themen nicht umgesetzt werden – ist Voraussetzung für zielorientiertes Arbeiten, stärkt die Leistungsmotivation und stellt sicher, dass Ressourcen für die richtigen und wichtigen Aktivitäten eingesetzt werden und damit zum Unternehmenserfolg beitragen. Vorteile von Agile Organisation gegenüber dem Drei-Säulen-Modell • Strategischer Partner der Führungskräfte: ähnlich Drei-Säulen-Modell • Fact-Driven HR: Transparente Informationen (v. a. Zielvorgaben) erlauben es HR, nach innen und außen faktenorientiert zu argumentieren und stärken somit die Glaubwürdigkeit. • Kundenspezifische Lösungen: Agile Methoden in der HR erhöhen die Flexibilität und erlauben es, Lösungen, die nicht funktionieren oder den Kundenanforderungen nicht genügen, schnell anzupassen oder einzustellen. Zudem sorgt die funktionsübergreifende Zusammenarbeit mit den Kunden auch für eine frühzeitige Einbindung der relevanten HR-Bereiche. Dies ist die Basis, um als strategischer Partner wahrgenommen zu werden. • Operational HR Excellence: Agile Tools erhöhen die Transparenz sowie Effektivität und Effizienz von HR Services. Mitarbeiter werden kontinuierlich in die Optimierung der Prozesse eingebunden. Der bessere Wissensaustausch innerhalb der gesamten Organisation, sowohl durch die erhöhte Transparenz als auch durch die Vernetzung in den flexiblen Teams (Mitarbeiter mit unterschiedlichen Qualifikationen) trägt zur Steigerung der Qualität der HR-Lösungen bei.
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Kriterien für die Einführung des Modells Agile Organisation • Bedarf an erhöhter Agilität und gleichzeitige Bereitschaft zur Veränderung (vor allem Unternehmen mit sehr hierarchischem Führungsstil sind ohne diese Bereitschaft nicht für agile HR geeignet). • Hoher Leadership-Reifegrad in der HR-Organisation, denn flexible Teams und E2E-Produktentwicklung erfordern eine andere Führungskultur: Agile Teams brauchen einen hohen Grad an Autonomie, dennoch müssen Zielsetzung und Rahmenbedingungen zu Beginn klar definiert werden. • Agile Organisation erfordert Mitarbeiter, die offen sind für das Arbeiten mit viel Autonomie und Freiheit sowie die damit verbundene Verantwortung tragen können.
14.2.2.4 Archetyp Business Lifecycle Das Business Lifecycle-Modell unterscheidet sich am stärksten von den klassischen HR-Modellen und gilt als innovativer Ansatz für ein modernes HR-Management. Zentral ist dabei, dass bei diesem Konzept die Unterstützung der Führungskräfte durch die HR Business Partner deutlich direkter erfolgt als in allen anderen Modellen: Statt als Teil des HR-Teams zu agieren, sind die HRBP beim Business Lifecycle-Modell in die Geschäftseinheiten eingegliedert und unabhängig von der übrigen HR-Organisation. Dadurch sind sie näher an den individuellen Bedürfnissen und spezifischen Besonderheiten der jeweiligen Division und können deren strategische Entwicklung besser fördern. Auch bei den CoEs ist das Lifecycle-Modell anders: Während diese beim Drei-Säulen- Modell breit aufgestellt sind und alle Themen ganzheitlich bearbeiten, spezialisieren sie sich beim Lifecycle-Modell auf bestimmte Phasen der Unternehmensentwicklung (Start-up, Wachstum, Effizienz, Transformation) und werden daher auch Lifecycle Hubs genannt. Diese gezielte Bündelung von einschlägigen Kompetenzen unterstützt die Entwicklung von bedarfsgerechten geschäftsspezifischen Lösungen: Wenn die HRBP in ihren Geschäftsbereichen Problemstellungen entdecken und neue Produkte benötigen, können sie diese gezielt bei demjenigen Lifecycle Hub anfragen, das am besten zum Thema und zur Lifecycle-Phase der Geschäftseinheit passt. Die Arbeit der Hubs ist somit einerseits von den Anfragen der HR Leader in den Divisionen getrieben. Andererseits erarbeiten sie auch standardisierte Produkte für die Gesamtorganisation, die für die jeweiligen Phasen oder Themenblöcke im alltäglichen Betrieb genutzt werden können. HR Services übernimmt, wie in den anderen Modellen, die traditionellen transaktionalen Aufgaben, bedient alltägliche Anfragen der Mitarbeiter und entlastet Geschäftspartner und Lifecycle Hubs von allen organisatorischen und administrativen Aufgaben. Im Business Lifecycle-Modell engagiert sich HRS zusätzlich in operativen HR-Aktivitäten wie dem Talent-Management, der Planung und Durchführung von Trainings oder dem Rekrutierungsprozess.
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Vorteile von Business Lifecycle gegenüber dem Drei-Säulen-Modell • Strategischer Partner der Führungskräfte: Die HRBP sind keine reinen Dienstleister, sondern Teil ihrer jeweiligen Geschäftseinheit und damit näher an den Problemen. Dadurch ist gezielteres Arbeiten möglich. • Fact-Driven HR: Die Ansiedlung der HRBP in den Geschäftsbereichen außerhalb von HR fördert eine faktenbasierte Zusammenarbeit bei der Erarbeitung von HR-Lösungen, denn nur so wird eine adäquate Kosten-Nutzen-Analyse geschäftsbereichsspezifischer Lösungen möglich. • Kundenspezifische Lösungen: Die HRBP sind von HR unabhängig und fungieren als Quality Gate direkt in den Geschäftsbereichen. Das fördert die Individualisierung und Anpassung der Produkte an die Bedürfnisse der Kunden. • Operational HR Excellence: HR Services übernimmt Standards und ermöglicht so die Konzentration von HRBP und Lifecycle Hubs auf deren Aufgaben.
Kriterien für die Einführung des Modells Business Lifecycle • Unternehmen mit Geschäftseinheiten in unterschiedlichen Entwicklungsphasen, deren Anforderungen an HR stark divergieren, so dass eine Standardisierung über die Gesamtorganisation hinweg wenig Mehrwert bietet. • Expansives Unternehmen mit verschiedenen Geschäftsmodellen und entsprechend unterschiedlichen Anforderungen der Geschäftseinheiten an die Personalarbeit.
14.2.3 Die Archetypen und das Drei-Säulen-Modell im quantitativen Vergleich Die vier beschriebenen Archetypen stellen HR-Modelle dar, die wir derzeit neben dem Drei-Säulen-Modell am Markt sehen. Keines davon ist ein „One-Size fits All“-Modell, vielmehr hat jedes Modell seine eigenen Stärken bei der Erfüllung der unterschiedlichen Anforderungen der modernen Personalarbeit an die HR. Das zeigt der tabellarische Vergleich deutlich (Abb. 14.3): Bei der Wahl eines geeigneten HR-Modells ist es daher entscheidend, sich frühzeitig mit den spezifischen Anforderungen des eigenen Unternehmens an die Personalarbeit und somit an HR zu befassen. Nur wenn diese in allen Details bekannt sind, lässt sich ein passendes Konzept für die eigene HR auswählen und gegebenenfalls individuell an den eigenen Bedarf anpassen.
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Abb. 14.3 Übersicht HR-Modelle und Grad der Erfüllung von Anforderungen an die moderne Personalarbeit. (Quelle: Roland Berger)
14.3 P raxisbeispiel Merck – Neuausrichtung der HR mit „Best-of-Breed“ der Archetypen In diesem Kapitel betrachten wir ein Beispiel aus unserer Projektpraxis: Merck. Das Wissenschafts- und Technologieunternehmen, das kürzlich seinen 350. Geburtstag gefeiert hat und sich noch heute mehrheitlich im Besitz der Nachkommen des Firmengründers befindet, beschäftigt weltweit rund 56.000 Mitarbeitern in 66 Ländern. Das DAX30-Unternehmen hat seine HR-Funktion in einem mehrstufigen Prozess neu ausgerichtet und sich dabei konsequent an den strategischen Prioritäten der Geschäftseinheiten sowie der Technologisierung von HR-Prozessen, -Systemen und -Tools orientiert. Gleichzeitig war es im Zielmodell eine besondere Herausforderung, einen ambitionierten finanziellen Rahmen einzuhalten.
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14.3.1 Ausgangslage und Zielsetzung Mercks Kerngeschäft besteht aus den Geschäftseinheiten Healthcare, Life Science und Performance Materials. Hinzu kommen über 20 kleinere und größere Zentralfunktionen. Jeder Bereich hat dabei eine unterschiedliche strategische Sichtweise auf die „People Dimension“ und damit eine andere Erwartungshaltung an HR: • Healthcare: Als Spezialanbieter verschreibungspflichtiger Arzneimittel, etwa für die Behandlung von Krebs und Unfruchtbarkeit, ist diese Geschäftseinheit geprägt durch medizinische Innovationen in Therapiebereichen mit großen Patientenpopulationen. Der Fokus liegt daher auf der Stärkung der F&E-Expertise sowie der Kommerzialisierung von Produkten in strategischen Märkten und Wachstumsregionen. HR soll die treibende Kraft sein, um das dazu notwendige Spezialwissen zu beschaffen und zu halten. • Das Life-Science-Geschäft stattet Wissenschaftler verschiedener Industrien mit Labormaterialien, Technologien und Dienstleistungen aus und liefert integrierte Lösungen zur Optimierung von Wertschöpfungsketten in Forschung, Produktion und Logistik. Nach zwei Akquisitionen liegt der Fokus auf organischem Wachstum und Ergebnissteigerung zum Ausbau der globalen Führungsposition in den strategischen Produktbereichen. HR soll dabei unterstützen, dieses organische Wachstum sicherzustellen. • Der Unternehmensbereich Performance Materials entwickelt Spezialchemikalien – von Flüssigkristallen und OLED-Materialien für Displays und Beleuchtung bis hin zu Hightech-Materialien für die Elektronikindustrie. Teile des Geschäfts stehen bei rückläufigem Marktwachstum unter Profitabilitätsdruck. Zusätzlich muss die Integration der jüngsten Akquisition in das Unternehmen gesteuert werden. HR ist daher strategischer Partner bei der Neuausrichtung des Unternehmensbereichs mit dem Ziel der konsequenten Performance Steigerung. Zwar war das transaktionale Service-Portfolio der Personalabteilung von Merck bereits vor der Neuausrichtung konzernweit standardisiert, doch die heterogenen Anforderungen der Geschäftseinheiten blieben weitestgehend unberücksichtigt. Das führte in vielen Fällen dazu, dass die Geschäftsbereiche für ihre jeweiligen spezifischen Probleme eigene Lösungen entwickelten (z. B. für das Recruiting, da die Standards, etwa beim Thema Kandidatenerfahrung, nicht einheitlich anwendbar waren). Diese Insellösungen führten zu erheblicher Mehrarbeit für die lokalen HR-Ansprechpartner. Dazu kam, dass manche – vor allem kleinere – Ländereinheiten nicht in die globalen Standards integriert waren, während andere die Prozesse individuell an ihre lokalen Gegebenheiten anpassten. All diese Faktoren erhöhten die Komplexität innerhalb der HR-Funktion. Ein übergreifender und kosteneffizienter Qualitätsstandard war somit trotz grundsätzlichem Standardisierungsanspruch nicht zu gewährleisten.
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Vor diesem Hintergrund entschloss sich die Geschäftsführung, Human Resources strategisch neu auszurichten und wegen der großen Bedeutung für den Unternehmenserfolg die „People Dimension“ als eine der drei Säulen der Unternehmensstrategie zu verankern. Dabei sollten drei übergreifende Ziele erreicht werden: • Empowered Leaders: Eine der obersten Prioritäten soll es sein „People Leaders“ und „Innovation Leaders“ zu entwickeln. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Bereitstellung aller erforderlichen Daten, Prozesse und Lösungen durch HR, um eine vollumfängliche Wahrnehmung der Führungsrolle durch das Business sicherzustellen. • Curious Talents: Ziel dabei ist es, die Neugierde der Mitarbeiter derart in den Vordergrund zu rücken, dass diese in der Lage sind, herausfordernde und komplexe Probleme zu lösen und eine Leidenschaft für ihr Tätigkeitsfeld entwickeln. Dabei wird eine Produktivitätssteigerung von Innovation generell sowie F&E im Speziellen angestrebt. • Results-driven Teams and Networks: Durch eine veränderte Teamarbeit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und flexible Arbeitsstrukturen sollen die Leistungsfähigkeit von Teams und Projektgruppen gestärkt und ausgebaut werden. Es war klar, dass die gesetzten Ziele nur mit einer grundlegenden Neuausrichtung der HR-Funktion erreichbar sein würden. Im Zentrum stand dabei die Frage, wie Merck als global diversifizierter Konzern seine People-Schwerpunkte und somit sein HR-Setup so gestalten kann, dass eine optimale Balance von Standardisierung (d. h. Effizienz, Automatisierung) auf der einen und Differenzierung (d. h. geschäftlich/regional maßgeschneiderten Kundenlösungen) auf der anderen Seite entsteht. Um diese Frage zu beantworten und in konkrete Maßnahmen zu überführen, wurde ein fünfstufiger Prozess absolviert.
14.3.2 Umsetzung in fünf Schritten 14.3.2.1 Schritt 1: Erfassung und Priorisierung der Kundenbedürfnisse Zunächst wurden die Bedürfnisse der drei Geschäftsbereiche und der Zentralfunktionen entlang der drei „People-Dimensionen“ Empowered Leaders, Curious Talents und Results- driven Teams and Networks erfasst und priorisiert. Daraus ergaben sich folgende Ziele: • ein grundlegend überarbeitetes HR-Portfolio mit verbesserten Möglichkeiten für Talent Sourcing und Recruiting, differenzierte Angebote für Vergütung und Incentives, um wichtige und unternehmenskritische Positionen richtig zu besetzen und Mitarbeiter zu halten (v. a. in den USA und China) sowie eine verbesserte Feedback-Kultur, • die Stärkung der Kompetenzen für die Begleitung von organisatorischen Veränderungen (Transformationen, Mergers & Acquisitions, Reorganisationen), • die Förderung der Vielfalt (z. B. Frauen in Führungspositionen) und Unternehmenskultur, • die Weiterentwicklung von Trainingsprogrammen, um Mitarbeiter zu echten Führungspersönlichkeiten weiterzuentwickeln und das Mitarbeiterengagement zu steigern,
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• benutzerfreundlichere Self-Service-Lösungen und mehr Excellence in der Ausführung von HR-Standardprozessen sowie • eine schnelle und datengestützte Entscheidungsgrundlage basierend auf statistischen Modellen und klar definierten Entscheidungsprozessen
14.3.2.2 S chritt 2: Anpassung des HR-Portfolios anhand der strategischen Handlungsfelder Auf Basis dieser Geschäftsbedürfnisse wurde das bestehende HR-Leistungsportfolio entlang von drei Fragen evaluiert und der jeweilige Anpassungsbedarf ermittelt: 1. Welche Services unterstützen HR-Handlungsfelder, welche werden neu benötigt? Anpassungsbedarf: Es braucht neue Lösungen, die für die Geschäftseinheiten einen positiven Mehrwert leisten (darunter Strategic Workforce Planning, organisatorische Transformation und People Analytics mit funktionsübergreifender flexibler HR- Beratungsexpertise). 2. Welche Basisangebote muss HR weiterhin erbringen? Anpassungsbedarf: HR muss alle wesentlichen Leistungen entlang des „Employee Lifecycles“ abdecken, vom Recruiting über die Mitarbeiterentwicklung und Vergütung bis hin zum Ausscheiden der Mitarbeiter. 3. Welche bestehenden HR-Services werden transformiert? Anpassungsbedarf: Tätigkeiten mit einem als gering eingeschätzten Mehrwert für die Geschäftseinheiten (z. B. wenig genutzte HR-Angebote wie ein virtuelles Assessment Center; lokale Incentives etc.) werden abgeschafft. Transaktionale und gut standardisierbare Tätigkeiten werden verstärkt in Shared Service-Einheiten gebündelt und konsequent einer Automatisierungs- und Digitalisierungsstrategie unterworfen (z. B. Ausbau der Self-Service-Landschaft mit Chatbots zur Beantwortung von Routinefragen).
14.3.2.3 S chritt 3: Definition von Leistungserbringungsprozess und HR Operating-Modell Basierend auf dem überarbeiteten Portfolio stellte sich die Frage nach den zukünftig notwendigen „Types of Work“ innerhalb des HR-Bereichs. Denn dies bestimmt, wie das HR Operating-Modell (Rollen, Funktionen, organisatorische Abläufe) angepasst werden muss, um optimal auf unterschiedliche und wechselnde Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Dabei wurden vier konkrete Leitplanken für die zukünftige Aufstellung von HR definiert: 1. Strategischer Partner: Die Rolle von HR als strategischer Partner für die Geschäftsbereiche muss neu definiert werden. Nach dem Motto „There is no business plan without a people plan“ soll es keine Geschäftsplanung mehr geben, die nicht auch eine fundierte Personalplanung beinhaltet. Eine strategische Begleitung der kurz und langfristigen People-Dimensionen der Geschäftsaktivitäten von Merck muss also neu
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g elernt werden. Als strategischer Partner ist HR von Anfang an bei Management- Entscheidungen eingebunden. „There is no business plan without a people plan“ (Dietmar Eidens, Chief HR Officer von Merck)
2. Agilität: Um innovative und effiziente Leistungen zu erbringen, müssen die vielfältigen Anforderungen der drei Geschäftseinheiten orchestriert und bewertet werden. Gegebenenfalls werden die unterschiedlichen Bedürfnisse durch flexible Komponenten unterstützt. Modulare Konzepte sind ebenso denkbar wie projektspezifische und temporäre Lösungen. 3. Innovation: In einem sich schnell wandelnden Unternehmen muss auch die HR- Funktion schnell, effizient und agil auf Veränderungen reagieren können. Dabei sollen Lösungen zur Verfügung gestellt werden, die einem modernen Wissenschafts- und Technologieunternehmen die bestmögliche „People“-Unterstützung bieten. 4. Effizienz: Das zukünftige Organisationsmodell soll auch weitere Effizienzsteigerungen ermöglichen, indem Technologien wie Self-Service-Administration verstärkt genutzt werden. Um als strategischer Partner wahrgenommen zu werden, soll zudem die Rolle der Shared Services-Center weiter ausgebaut und in der Bedeutung gestärkt werden (z. B. durch die zunehmende Verlagerung von komplexeren Arbeitsschritten). Die
Abb. 14.4 HR Operating-Modell von Merck. (Quelle: Merck, Roland Berger)
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Stärkung der SSCs stellt eine klare Verantwortung für transaktionale Tätigkeiten sicher und verschafft den HBBPs Raum, um sich auf ihre strategische Arbeit zu fokussieren. Anhand dieser Leitplanken wurden Einzelelemente der in Kap. 2 vorgestellten HRKonzept-Archetypen evaluiert, um daraus ein „Best-of-Breed“-Modell zu entwickeln, das die speziellen Anforderungen an die Personalarbeit im Merck-Konzern erfüllt. Als Ergebnis entstand ein neues, einzigartiges HR-Modell, das einen besonderen Fokus auf die strategischen und innovativen Fragestellungen legt und gleichzeitig eine deutliche Leistungssteigerung entlang der „Employee Lifecycle“-Prozesse ermöglicht. (Abb. 14.4). Das Modell besteht aus vier verschiedenen HR-Bereichen, die jeweils Aspekte aus den oben beschriebenen Archetypen abbilden: 1. Der Bereich Sector HR fungiert als strategischer Partner und Berater für die Geschäftsbereiche in allen Belangen der Personalarbeit und lehnt sich damit an das HR Leader- Modell sowie das Run & Change-Modell an: Die Einheit stellt „Strategic Leaders“ bereit, die auf globaler Ebene die Bedürfnisse und strategischen Prioritäten der Geschäftseinheiten erfassen und daraus Anforderungen für den HR-Leistungskatalog erstellen (HR Portfolio Management). Das Aufgabenspektrum von Sector HR umfasst die strategische Personalplanung, um zukünftige personelle Herausforderungen zu antizipieren, die Arbeit mit People Analytics, um potenzielle Risiken früh zu erkennen und Handlungsempfehlungen auszusprechen, die Begleitung organisatorischer Transformationen (z. B. M&A oder Re strukturierungen) sowie die Gestaltung des Change Managements und der Kommunikation, um den Kulturwandel effektiv zu begleiten. 2. Die Einheit Innovation HR bedient sich aus den Archetypen Business Lifecycle, Agile Organisation sowie Run & Change. Im Fokus stehen aber die strukturierte Entwicklung neuer und die Verbesserung bestehender HR-Lösungen, die Bereitstellung von Fach expertise (z. B. für die strategische Personalplanung oder People Analytics) sowie die Recherche und Analyse von Trends und Best-Practice-Beispielen. 3. Market HR lehnt sich als operativer HR-Manager an das Konzept Run & Change an: Regionale Leistungserbringer arbeiten geschäftsbereichsübergreifend und unterstützen die Geschäftsbereiche operativ über den gesamten Employee Lifecycle. Zum Aufgabenspektrum gehören dementsprechend die Implementierung und Anwendung der HR-Produkte und -Lösungen, das Abhalten von Trainings und die Befähigung der Manager, so dass diese das HR-Portfolio für ihre Teams optimal nutzen können. 4. Der Bereich Transactional HR ist die zentrale HR Services-Einheit und stellt standardisierte HR-Lösungen und Personaldienstleistungen für alle Regionen und Geschäftseinheiten bereit. Im Sinne der Effizienz werden operative Personalthemen so weit wie möglich durch Self-Service-Lösungen abgedeckt. Zudem werden sämtliche zentralisierten, transaktionalen Tätigkeiten stetig auf ihr Potenzial zur Automatisierung
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u ntersucht und RPA, KI oder Employee und Manager Self-Service (ESS/MSS)-Lösungen eingeführt. Das Aufgabenspektrum umfasst die Rolle des direkten Ansprechpartners für alle Mitarbeiter, das Optimieren der Self-Service-Angebote sowie das Ausrollen von weiteren Automatisierungslösungen.
14.3.2.4 S chritt 4: Abgleich der existierenden mit der für die neuen Rollen benötigten HR-Kapazität Im Anschluss an die Festlegung der neuen von HR zu besetzenden Positionen wurde ermittelt, welche Fähigkeiten jeweils noch gegenüber den bisherigen Rollen fehlten und neu aufgebaut werden mussten. Beispielhaft sei hier die Rolle Sector HR/Strategic HR Leaders herausgegriffen: Damit diese HR-Einheit ihr Mandat als echter strategischer Partner für die Geschäftsbereiche erfüllen kann, muss sie unter anderem über die Fähigkeit zur strategischen Personalplanung (Strategic Workforce Planning) verfügen. Denn diese übersetzt die strategischen Prioritäten der Geschäftseinheiten in zukünftige Anforderungen an die Belegschaft. Dabei werden über einen Drei- bis Fünfjahreshorizont diejenigen zukünftig geforderten Fähigkeiten prognostiziert (und regelmäßig aktualisiert), die für den Geschäftserfolg unabdingbar sind. Die strategische Personalplanung besteht aus drei zentralen Tätigkeiten: erstens die Befassung mit den strategischen Zielsetzungen der Geschäftseinheiten und die Ableitung der daraus entstehenden Implikationen für die zukünftige Belegschaft (kritische Rollen und Fähigkeiten in der Zukunft, Gap-Analyse zum Status Quo); zweitens das Übersetzen der identifizierten Anforderungen an die Belegschaft in konkrete Fähigkeiten sowie die Analyse, wie diese beschafft werden können (internes und externes Benchmarking, Abgleich mit Trends und Best Practices, Pilotprojekte); und drittens die Entwicklung einer ganzheitlichen Strategie, um die zukünftig benötigten Fähigkeiten aufzubauen und zu skalieren. Die für diese Tätigkeiten nötigen Fähigkeiten waren innerhalb von Human Resources von Merck nicht überall im erforderlichen Umfang vorhanden. Aus dem detaillierten Abgleich von zukünftigem Qualifikationsbedarf mit derzeitigem Angebot wurden daher die Lücken ermittelt, die HR schließen musste, um auch in Zukunft den maximalen Mehrwert stiften zu können. Eine systematische Weiterentwicklung und zielgerichtete Befähigung der Mitarbeiter in HR wurde angestoßen, nicht zuletzt durch den sehr erfolgreichen Einsatz von modernen Lernformaten, welche in Kombination von eLearning und persönlicher Interaktion einen schnellen Roll-out ermöglichten. 14.3.2.5 Schritt 5: Identifizierung und Realisierung von Effizienzen Nachdem das neue HR-Portfolio entworfen war, wurde es auf Kosteneffizienz evaluiert und optimiert. Dazu wurden zunächst sämtliche HR-Tätigkeiten in die Kategorien „strategisch relevant/nicht standardisierbar“ und „transaktional/administrativ“ eingeordnet. Anschließend wurden die transaktionalen/administrativen Tätigkeiten weiter analysiert, um
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Aktivitäten zu identifizieren, die entweder ganz beendet, automatisiert oder in einem Shared Business Service gebündelt werden konnten.
14.4 Fazit und Schlussfolgerungen für HR-Entscheider Das vorgestellte Beispiel zeigt deutlich, dass jedes Unternehmen seine eigenen, individuellen Anforderungen an eine moderne Personalarbeit stellt. Einen „One-Size-fits-all“-Ansatz kann es daher nicht geben. Entscheidend ist, dass sich die Rolle von HR verändern muss: vom Personaldienstleister zum Befähiger von Führungskräften, getreu dem Motto „Every Manager is a People Manager“. Hierfür muss sich HR bewegen und aus der Komfortzone herauskommen, in der es sich seit langem eingerichtet hat. Eine moderne Personalabteilung muss ihren Anspruch neu entwickeln und aktiv vertreten: Es reicht nicht, nur mit am Tisch des Managements zu sitzen. HR muss eine entscheidende Stimme an diesem Tisch haben. Um diese Rolle glaubhaft zu vertreten, sollte HR • klare Prioritäten setzen (d. h. nur noch bestimmte Funktionen übernehmen und diese dafür richtig; „no more unconditional support“), • die richtigen Soft-Skills und Hard Facts im Umgang mit den Führungskräften einbringen, um als Ansprechpartner auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, • die richtige Balance zwischen standardisierten und damit effizienten HR-Lösungen und individualisierten, auf die Geschäftsbereiche zugeschnittenen Lösungen finden, • professionalisiert aufgestellt sein (d. h. Einsatz neuester Technologien, stringentes Portfoliomanagement), • Treiber einer echten Personalplanung sein, welche nicht Anhängsel oder Resultante der Business-Strategie ist, sondern Kernelement derselben. Um HR für diese neue Rolle zu befähigen, bietet das Drei-Säulen-Modell eine gute Ausgangsbasis, das durch Elemente der vorgestellten Archetypen sinnvoll weiterentwickelt werden kann. So lässt sich das eigene Operating-Modell optimal an die unternehmensspezifischen Anforderungen anpassen und gleichzeitig die am klassischen Modell geübte Kritik der funktionalen Silobildung überwinden. Klar ist, dass HR jetzt konsequent handeln muss, um durch eine moderne Personalarbeit den Wertbeitrag zu leisten, der in einem sich immer weiter verstärkenden Wettbewerb um die besten Talente so dringend benötigt wird.
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Literatur Jerzy, N. (2018). Flink wie ein Start-up, mächtig wie ein Marktführer, Wirtschaftswoche. https:// www.wiwo.de/erfolg/management/arbeiten-in-squads-flink-wie-ein-start-up-maechtig-wie-einmarktfuehrer/22950414.html. Zugegriffen am 13.01.2020. Ramge, T. (2015). Nicht fragen, machen. brand eins. https://www.brandeins.de/magazine/brandeins-wirtschaftsmagazin/2015/fuehrung/nicht-fragen-machen. Zugegriffen am 13.01.2020.