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English Pages 608 [602] Year 2007
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flage
armin töpfer Herausgeber
Strategische PersonalSix Sigma entwicklung Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-Fehler-Qualität 4. Auflage
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Six Sigma
Armin Töpfer Herausgeber
Six Sigma Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-Fehler-Qualität Vierte, aktualisierte und erweiterte Auflage
Mit 343 Abbildungen und 5 Tabellen
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Professor Dr. Armin Töpfer TU Dresden Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmensführung Helmholtzstraße 10 01062 Dresden [email protected]
ISBN 978-3-540-48591-9 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN 978-3-540-21899-9 3. Auflage Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ¨ uber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨ utzt. Die dadurch begr¨ undeten Rechte, insbesondere die der ¨ bersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der FunkU sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨ altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨ altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨ assig. Sie ist grunds¨ atzlich verg¨ utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2003, 2004, 2007 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨ aren und daher von jedermann benutzt werden d¨ urften. Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & V¨ ockler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg SPIN 11903475
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Gedruckt auf s¨ aurefreiem Papier
Geleitwort Der Begriff Six Sigma subsummiert im Grunde genommen eine Strategie, die alle erfolgreichen Unternehmen mit einer hohen Qualitätsorientierung seit Jahren auszeichnet: Der Kunde steht im Mittelpunkt, Gewinn ist die Folge von fehlerfreien Produkten und Prozessen – die, wenn irgendwie möglich mit mathematischstatistischen Methoden überwacht werden – und Mitarbeiter haben ein großes Interesse am Wohlergehen des Unternehmens. Dabei ist entgegen dem häufig angeführten Vorurteil „Six Sigma sei alter Wein in neuen Schläuchen“ einzuwenden: Six Sigma ist praktizierte Null-Fehler-Qualität und bietet gerade für Unternehmen in wirtschaftlich schwieriger Situation ein konkretes, umsetzungsorientiertes Projektmanagement mit hoher Ergebniswirkung. Die Six Sigma Philosophie ist sicherlich nichts Neues und der konzeptionelle Anspruch „Kunden auf profitable Art und Weise vollkommen zufrieden zu stellen“ bildet den Grundsatz jedes erfolgsorientierten unternehmerischen Denkens und Handelns. Jedoch basiert Six Sigma – gegenüber vielen anderen Qualitätsmanagementkonzepten, wie z.B. Kaizen und Kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) – auf einem klar strukturierten Methodeneinsatz, der vor allem durch seine wissenschaftliche Stringenz besticht. Richtig ist es deshalb zu sagen: „Six Sigma ist besserer Wein in alten Schläuchen!“ Ergebnisorientierte Perfektion bedeutet auf der ganzen Linie perfekt beherrschte Geschäftsprozesse im gesamten Unternehmen. Diese sind mit Hilfe statistischer Prozessregelung zu überwachen, um Abweichungen frühzeitig zu erkennen und Fehler zu vermeiden. Hierzu ist Statistik notwendig, die Aussagen mit einem hohen Vertrauensbereich generiert. Für richtige Aussagen und vertrauenswürdige Prognosen werden jedoch geeignete Messwerte bzw. Daten benötigt. Denn wo die fehlen, bleibt es häufig bei mehr oder weniger vagen Vermutungen über die tatsächliche Prozessleistung. Genau hier ist der Ansatz von Six Sigma, das als „pfiffiges“ Projektmanagement dem Grundsatz folgt: „Messen geht vor Analysieren geht vor Verbessern!“ Dabei zeigen insbesondere die Erfahrungen in der Praxis, dass ein Großteil der betrieblichen Probleme mit einfachen, isolierten Methoden nicht lösbar ist. Während es i.d.R. recht einfach ist, ein eindimensionales geometrisches Problem, z.B. den berühmten Durchmesser eines Bolzens, statistisch zu erfassen und daraus die richtigen Eingriffsmaßnahmen für den Prozess abzuleiten, stellt die Ermittlung von Abweichungen, z.B. in Service- und Dienstleistungsprozessen, viele Unternehmen vor eine wesentlich größere Hürde. Investitionen in die Verbesserung von Produkten und Prozessen lohnen sich, da es wirtschaftlicher ist, Fehler zu vermeiden statt zu beseitigen. Die Wahrheit dieses Satzes begründete die TQM-Philosophie bereits lange, bevor Six Sigma „akut“ wurde. Aber Six Sigma hat dieser Feststellung allgemeine Aufmerksamkeit verschafft und konkrete Schritte in diese Richtung veranlasst. Alles in allem eine große Leistung, die für Six Sigma spricht.
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Geleitwort
In diesem Zusammenhang ist vor allem die betriebswirtschaftliche Sichtweise bei der Planung und Durchführung von Six Sigma Projekten hervorzuheben. Durch eine klare Projektbewertung in Form des Net Benefit werden Kosten und Nutzen systematisch erhoben und gegenübergestellt. Dabei wird ein rigides Bewertungsraster angelegt: Der Nutzen entspricht den vermiedenen Fehlerkosten in Euro in einem Jahr, während die Kosten die Höhe der Qualitätsinvestition nach Projektbeginn widerspiegeln. Wie man sieht, sind eine wichtige Voraussetzung für die Durchführung von Six Sigma Projekten „sich wiederholende Abläufe“. Diese sind sowohl im Produktionsbereich als auch in vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsphasen vorhanden, so dass sich schlussfolgern lässt: Six Sigma ist ein universelles Managementkonzept, das für viele Unternehmen in Frage kommt, die ihre Prozesse schnell und nachhaltig verbessern möchten. Die Entwicklung und Verbreitung von Six Sigma in der jüngsten Vergangenheit haben diese Aussage eindrucksvoll belegt. Viele Misserfolge in der betrieblichen Praxis rühren sicherlich daher, dass nicht nur die Aufgabenbearbeiter sondern auch die Entscheidungsträger elementare Fehler machen. Um sich z.B. auf dem Markt zu profilieren, muss ein Unternehmen innovative Produkte anbieten, denn das Spitzenprodukt von gestern ist das Standardprodukt von heute und wird morgen unverkäuflich sein. Neue Produkte bedingen jedoch in aller Regel neue oder zumindest stark modifizierte Prozesse. Der Entscheidungsträger steht hier vor schwierigen Entscheidungen. Mit der Einführung eines Six Sigma Projektmanagements eröffnen sich jedoch neue Handlungsspielräume, die auch bei einem Re-Design von Prozessen und Produkten positiv zum Tragen kommen können. Das vorliegende Buch enthält hierzu und zu anderen Fragestellungen eine Vielzahl von interessanten Überlegungen, die manche in der täglichen Praxis des Betriebs auftretende Erscheinungen in einem neuen Licht erscheinen lassen. So geben etwa die detaillierten Ausführungen zu den Anforderungen an die Unternehmenskultur, den Meilensteinen des Einführungsprozesses sowie der Konzeption eines Six Sigma Projektmanagements sowohl dem interessierten Neueinsteiger als auch dem anwendungserfahrenen Six Sigma Akteur wertvolle Anregungen und Hinweise für die Umsetzung im eigenen Unternehmen. Es bleibt mir nur, dem mit so viel Engagement geschriebenen und herausgegebenen Werk auf dem inzwischen schon sehr breit gewordenen Markt auch in der zweiten Auflage einen guten Erfolg zu wünschen, der die große Mühe aller Beteiligten belohnt! Erbach, im März 2004 Prof. Dr. Dr. hc. Dr. E.h. Walter Masing Ehrenvorsitzender der DGQ
Vorwort zur 4. Auflage Six Sigma ist unverändert ein Thema, das in der Unternehmenspraxis einen hohen Stellenwert besitzt. Immer mehr Unternehmen haben erkannt, dass diese Philosophie, Strategie und Konzeption nicht nur einen wirkungsvollen Hebel bietet, um Fehlerkosten zu senken. Zugleich gehen davon auch wichtige Impulse auf die Kundenzufriedenheit und -bindung aus, die sich wiederum umsatz- und ertragssteigernd niederschlagen. Nachdem die 3. Auflage noch einmal unverändert nachgedruckt worden war, legen wir jetzt die 4. Auflage vor, in der Überarbeitungen in Form von Aktualisierungen und einigen wesentlichen Ergänzungen vorgenommen wurden. Bei dieser Aufgabe haben mich wiederum Swen Günther, Aileen Pohl und Annette Etzold tatkräftig unterstützt. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle herzlich dafür danken. Dresden/Kassel, im Oktober 2006 Armin Töpfer
Vorwort zur 3. Auflage Die Nachfrage nach diesem Buch war und ist nach wie vor hoch. Bereits vier Monate nach Auslieferung der zweiten Auflage ist sie erneut vergriffen. Wir haben die dritte, jetzt vorliegende Auflage ergänzt um einen Artikel, der das Zusammenwirken von Six Sigma und KVP in der Praxis thematisiert. Außerdem hinzugekommen sind zwei Artikel, die sich mit Six Sigma in Banken und Versicherungen sowie umfassenden Trainingskonzepten auch unter Einsatz von ELearning befassen. Zusätzlich haben wir neben zwei Checklisten und einer Reihe ergänzter Inhalte einige längere Ausführungen zum Thema TRIZ als systematischen Prozess des innovativen Problemlösens aufgenommen. Dresden/Kassel, im März 2004 Armin Töpfer
Vorwort zur 2. Auflage Offensichtlich haben wir mit dem Buch eine Lücke gefüllt, obwohl es bereits eine Reihe von Anleitungen zur Umsetzung von Six Sigma mit allen statistischen An-
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Vorwort
forderungen gibt. Gefehlt hat aber bisher noch eine Anthologie mit Erfahrungsberichten der Anwender. Die erste Auflage ist dadurch bereits nach sechs Monaten am Markt „out of stock“. Wir legen hiermit die durchgesehene zweite Auflage vor, bei der wir einige formale und inhaltliche Korrekturen vorgenommen haben. Dresden/Kassel, im Oktober 2003 Armin Töpfer
Vorwort Six Sigma als praktizierte Null-Fehler-Qualität setzt voraus, dass im Unternehmen mehrere Anforderungen erfüllt sind: •
Erstens das Wissen, dass eine Qualitätssteigerung um wenige Prozent in Richtung Null-Fehler-Qualität eine erhebliche Reduzierung der Fehlerkosten und Steigerung der Kundenzufriedenheit bewirkt.
•
Zweitens die Bereitschaft, die gesamte Unternehmenskultur und damit alle Bereiche auf dieses Ziel auszurichten.
•
Drittens die Fähigkeit, diese Potenziale durch eine hohe Professionalität in der Organisation, Qualifizierung und im Projektmanagement zu aktivieren.
Eine Einsicht ist dabei besonders wichtig, nämlich dass die Umsetzung einer Six Sigma Konzeption nicht bedeutet, völlig neue Tools einzusetzen. Vielmehr kommt es darauf an, bewährte Qualitätsmanagement-Instrumente gekonnt zu kombinieren und mit Nachdruck ein professionelles Projektmanagement durchzuführen. Six Sigma ist seit einigen Jahren in Deutschland ein Thema mit wachsender Bedeutung. Dies führte dazu, dass zu dieser Zeit angebotene Seminare zunächst den großen Informationsbedarf befriedigen mussten, um danach die Anforderungen an die Konzeption und Umsetzung im Detail aufzuzeigen. In dieser Phase trennte sich bereits „die Spreu vom Weizen“. Nicht wenige Unternehmen erkannten, dass Six Sigma keine „Wunderwaffe“ ist, sondern auf der Basis statistischer Instrumente des Qualitätsmanagements in vielen Einzelprojekten eine strategische Vorgabe konsequent realisiert. Dies erfordert harte Arbeit. Zugleich sind hierbei das Messinstrumentarium zu verbessern sowie das Bewusstsein für Fehlerkosten zu schärfen und die Unternehmenskultur in Richtung Null-Fehler-Qualität zu prägen. Das Ziel des vorliegenden Buches ist es nicht nur, einen Leitfaden für die Durchführung von Six Sigma Projekten vorzulegen. Vielmehr lassen wir zahlreiche Vertreter mit Six Sigma Beispielen aus unterschiedlichen Unternehmen und Branchen zu Wort kommen.
Vorwort
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Hierdurch wird ein breites Spektrum an konkreten Umsetzungserfahrungen geboten, das alle wesentlichen Anforderungen und Probleme abdeckt. Mein besonderer Dank gilt deshalb an erster Stelle den Autoren dieser Erfahrungsberichte, die nicht nur über glänzende Erfolgsbeispiele referieren, sondern vor allem auch aus der Sicht ihres Unternehmens und vor dem Hintergrund ihrer Branche Probleme und Stolpersteine auf dem Weg zu Business Excellence durch Null-Fehler-Qualität ansprechen. Beim Zustandekommen des vorliegenden Buches über einen Zeitraum von zwei Jahren unterstützte mich meine Dresdner Mannschaft, allen voran Swen Günther, der mit unermüdlichem Engagement und viel Fachwissen die Artikel der Fremdautoren redigierte und damit in einen einheitlichen Guss brachte. Jörn Großekatthöfer arbeitete ihm dabei intensiv zu, Annette Etzold fertigte alle Abbildungen an. Ihnen allen sei an dieser Stelle sehr herzlich für ihre wertvolle Unterstützung gedankt. Was bleibt als Ergebnis festzuhalten? Six Sigma ist nicht ohne Weiteres leicht anzuwenden, obwohl es ein einfaches Instrument ist. Allen Unternehmen, die nach der Lektüre dieses Buches in ihrer Vision bestätigt werden, Six Sigma als Philosophie und Verbesserungskonzept umzusetzen, wünsche ich viel Erfolg. Dresden/Kassel, im Januar 2003 Armin Töpfer
Inhaltsverzeichnis Kapitel A: Anforderungen und Anwendungsfelder von Six Sigma Steigerung des Unternehmenswertes durch Null-Fehler-Qualität als strategisches Ziel: Überblick und Einordnung der Beiträge .............................. 3 Armin Töpfer, Swen Günther Beschleunigung der Verbreitung von Six Sigma in Europa durch den European Six Sigma Club ...............................................................................41 Otto P. van Driel, Willi Kotte, Peter Rudberg Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit und bessere Unternehmensergebnisse....................................................................45 Armin Töpfer Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma...............................100 Armin Töpfer, Swen Günther Six Sigma in Service und Dienstleistung.............................................................172 Armin Töpfer Statistische Anforderungen des Six Sigma Konzepts ..........................................196 Bernhard Schipp, Armin Töpfer
Kapitel B: Bausteine und Vernetzung von Six Sigma Der Einführungsprozess von Six Sigma ..............................................................207 Armin Töpfer Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation von GE Capital ...........................................................................................................239 Rainer von Hagen Konzeption und Umsetzung von Six Sigma Trainings in einem mehrstufigen Einführungsprozess........................................................................250 Armin Töpfer, Swen Günther, Bernd Garzinsky Das Führungskräftetraining für top+Qualität und Six Sigma bei Siemens Power Generation ..................................................................................278 Bernhard Kleemann, Nicole Seitz, Hans-Jürgen Wio
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Inhaltsverzeichnis
Anforderungen an die Unternehmenskultur bei der Einführung von Six Sigma......................................................................................................289 Armin Töpfer Europäische Implementierungsansätze für Six Sigma – Eine interkulturelle Betrachtung .......................................................................308 Steve Crom Implementierung von Six Sigma in Abstimmung mit KVP bei VA TECH ELIN, einem Unternehmen der Siemens Gruppe ..............................322 Viktor Fritsch, Martin Stössl Six Sigma im Wirkungsverbund mit ISO 9000:2000 ..........................................335 Armin Töpfer, Swen Günther Integration von Six Sigma und ISO 9000 am Beispiel von GECITS Austria...................................................................................................352 Peter Bucher Six Sigma, Balanced Score Card und EFQM-Modell im Wirkungsverbund.................................................................................................371 Armin Töpfer Six Sigma im Business Excellence Prozess – Wertorientierte Unternehmensführung mit Balanced Scorecard, EFQM und Six Sigma bei Siemens......................................................................384 Andre M. Schmutte
Kapitel C: Umsetzung und Erfolge von Six Sigma Six Sigma – The Way We Run Our Business – Umsetzungserfahrungen bei GE CompuNet.....................................................397 Günter Bulk, Norbert Faulhaber Einführung und Aufrechterhaltung von Six Sigma in der chemischen Industrie: Erfahrungen, Vergleich Amerika – Europa, Anwendungsmöglichkeiten ......................................................................................................415 Klaus Weckheuer Consumer Driven 6-Sigma bei der Ford Motor Company...................................430 Michael Schorrstedt
Inhaltsverzeichnis
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Six Sigma in Banken und Versicherungen...........................................................440 Armin Töpfer Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services als Dienstleistungsunternehmen ...................................475 Dieter Wessel Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen ......................490 Bert Leyendecker Der Projektauswahlprozess – Schlüsselfaktor des Six Sigma Programms bei Norgren-Herion ..........................................................................503 Reinhard Krauer Six Sigma in der Produktentwicklung von Motorola...........................................514 Heinrich Wallechner Positive Erfahrungen bei der Six Sigma Einführung und Projektumsetzung bei Whirlpool Europe .............................................................522 Eike Dorff, Armin Töpfer Best Practice mit Six Sigma in einem mittelständischen Unternehmen...............531 Wolfgang Kraßnitzer Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich der Siemens Power Generation............................................................................539 Erik Schwulera Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit bei Honsel durch Six Sigma ......................552 Engelbert Heimes, Johannes Messer
Tabellenanhang....................................................................................................567 Abkürzungsverzeichnis........................................................................................573 Autoren-Kurzbiographien ....................................................................................577 Stichwortverzeichnis............................................................................................585
Kapitel A Anforderungen und Anwendungsfelder von Six Sigma
Steigerung des Unternehmenswertes durch NullFehler-Qualität als strategisches Ziel: Überblick und Einordnung der Beiträge Armin Töpfer, Swen Günther
Inhalt 1 2 3 4
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Differenzierung vom Wettbewerb durch Vorteile bei Qualität, Zeit, Kosten und Innovation............................................. 3 Verbreitung und Einführungsanforderungen von Six Sigma ...................................... 18 Ziele und Konzeption des Buches............................................................................... 29 Literatur ...................................................................................................................... 39
Differenzierung vom Wettbewerb durch Vorteile bei Qualität, Zeit, Kosten und Innovation
Eine grundlegende Erkenntnis bezogen auf die Six Sigma Philosophie und Umsetzung besteht darin, dass viele Bestandteile von Six Sigma als Qualitätsmanagement-Konzept nicht vollständig neu sind. Genau das ist gut so, da dies die Realisierungschancen von Six Sigma in Unternehmen mit einem fortschrittlich entwickelten Qualitätsmanagement erhöht. Neu ist dagegen das angestrebte Qualitätsniveau als praktikable Null-Fehler-Strategie, das als Zielrichtung nur 3,4 Fehler bei einer Million Fehlermöglichkeiten bzw. Merkmalsausprägungen/-werte von Produkten oder Dienstleistungen/Serviceaktivitäten zulässt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass – unter Zugrundelegung einer Gauß´schen Normalverteilung mit Spezifikationsgrenzen auf dem 6-σ-Niveau – ein Qualitätsniveau von 99,99966 % (basierend auf einer Standardnormalverteilung) bei allen Prozess- und Produktmerkmalen sicherzustellen ist. Der Durchschnitt der deutschen Industrie liegt bei 3,8 σ, also umgerechnet bei ca. 99,0 % fehlerfreie Qualität. Dies entspricht aber immer noch einer Anzahl von 10.724 fehlerhaften Produkten oder Leistungen pro einer Million Fehlermöglichkeiten (DPMO – Defects Per Million Opportunities). Diese Zahl und Relation klingt damit deutlich weniger akzeptabel als ein Prozent Fehlerniveau und vermittelt als „sensible“ Messgröße ein größeres Potenzial für Verbesserungsmöglichkeiten. Verschärft wird dieses Qualitätsproblem dann, wenn – wie im Normalfall – ein Produkt nicht nur aus einem Teil ohne Montageschritt besteht, sondern mehrere Teile in mehreren Schritten zusammengebaut werden müssen. Legt man ein einfa-
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Steigerung des Unternehmenswertes durch Null-Fehler-Qualität
ches Produkt mit 10 Teilen und 9 Montageschritten, also 19 Komponenten, zugrunde, die jeweils auf einem Qualitätsniveau von 99 % erstellt bzw. durchgeführt werden, dann ergibt dies – wie Abbildung 1 vereinfacht veranschaulicht – lediglich eine Ausbeute von 83 % fehlerfreie Produkte. Genau dieses Problem verringert nicht nur die Qualität, sondern erhöht gleichzeitig die Kosten und verbraucht zusätzliche Zeit für die Fehlerbeseitigung. Insbesondere bei Innovationen, die i.d.R. noch keine stabilen Prozesse und Systeme am Anfang aufweisen, treten diese negativen Phänomene verstärkt auf. fast 10% Ausschuss
Output • 10 Bauteile
19 Komponenten = Bauteile in Montageschritten
1 montiertes Produkt
• 9 Montageschritte
1
• Ausbeute 83%
Input
3
6
9
Jeweils auf Q-Niveau 99%
• Ausschuss 17%
fast 10% Ausschuss
Abbildung 1: Sinkende Ausbeute bei steigender Zahl von Komponenten
Die Frage stellt sich deshalb eigentlich nicht mehr, ob dieses Qualitätsniveau von 99 % für eine einzelne Komponente ausreichend und demnach das Fehlerniveau akzeptabel ist (siehe Abbildung 2). Ein Fehler besteht immer dann, wenn die Spezifikationsgrenzen überschritten und damit verletzt werden. Die Streuung der Merkmalswerte, gemessen durch ihre Standardabweichung σ um den definierten Mittelwert als Sollwert µ, soll demzufolge möglichst gering sein. Mit anderen Worten sollen alle Merkmalswerte für gute Qualität innerhalb des Abstandes vom Mittelwert zu den Spezifikationsgrenzen von 6 σ liegen. Je höher das SigmaNiveau und damit das geforderte Qualitätsniveau, desto kleiner ist das Toleranzintervall und damit die zulässige Fehleranzahl. Die Annahme einer Normalverteilung der Merkmalswerte stellt dabei jedoch eine einschränkende Bedingung dar, die in der Unternehmenspraxis häufig nicht gegeben ist.
Armin Töpfer, Swen Günther
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10.724 DPMO
DPMO = Defects Per Million Opportunities = Fehler pro 1 Mio. Fehlermöglichkeiten, hier auch: Fehlerhafte Einheiten pro 1 Mio. produzierte Stück/ Erbrachte Dienstleistungen (PPM)
Standard in der Industrie 3,8σ
Ziel bei Business Excellence 6σ
3,4 DPMO 3,8σ 99%
6σ 99,99966%
σ
Qualität
Sind 99% Qualität = 3,8σ genug? Abbildung 2: Qualitätsniveau für Business Excellence
Unter statistischen Gesichtspunkten basiert Six Sigma also auf Erkenntnissen, die schon ca. 200 Jahre alt sind. Der Stellenwert der Erkenntnisse des Mathematikers Carl Friedrich Gauß wird daran erkennbar, dass sein Bild und die Normalverteilung auf der ehemaligen 10 DM Banknote abgebildet ist. Dieser mathematischen Funktion kommt in der statistischen Qualitätskontrolle von jeher eine hohe Bedeutung zu. In der Six Sigma Begriffswelt ausgedrückt, war Carl Friedrich Gauß demnach der erste „Six Sigma Black Belt“ (siehe Abbildung 3).
Der erste „Black Belt“ Abbildung 3: Carl Friedrich Gauß (1777-1855)
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Steigerung des Unternehmenswertes durch Null-Fehler-Qualität
Vor einiger Zeit hat General Electric, einer der großen Promotoren des Six Sigma Konzeptes mit herausragenden Umsetzungserfolgen, in einer Werbeanzeige den Kern der Six Sigma Philosophie getroffen. Wie Abbildung 4 zeigt, geht es bei Six Sigma – versinnbildlicht an der Treffgenauigkeit eines Pfeils – nicht nur darum, den Pfeil einmal ins Schwarze zu treffen. Das Ziel ist vielmehr, diesen Standard auf Dauer zu sichern, so dass bei jedem weiteren Schuss das gleiche Qualitätsniveau erreicht wird. Die Abweichung ist demnach Null, die Treffgenauigkeit hat „Robin Hood Niveau“, wenn der neue Pfeil den alten spaltet.
Quelle: WStJ, 22.06.2000, S.28
Abbildung 4: Six Sigma Qualität
Seine Durchschlagskraft erreicht Six Sigma als statistisch untermauertes Konzept dadurch, dass es bei der Steuerung von Wertschöpfungsprozessen für Produkte und Dienstleistungen die operative Umsetzung dieser geforderten Qualität mit bewährten Qualitätsmanagement-Methoden und -Instrumenten vorantreibt. Der Kernansatzpunkt ist dabei eine klare Projektorientierung aller Six Sigma Aktivitäten (vgl. Töpfer 2006a, S. 1ff.).
Armin Töpfer, Swen Günther
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Das Konzept lässt sich auf dieser Basis folgendermaßen definieren: Six Sigma ist darauf ausgerichtet, Abweichungen und Durchlaufzeiten bei Produkten, Prozessen und generell bei Transaktionen zu reduzieren, die besonders kritisch für die Kundenzufriedenheit sind, sowie zusätzlich das Nutzungsniveau bzw. den Wirkungsgrad aller Einsatzfaktoren nachhaltig zu erhöhen, um dadurch eine Wertsteigerung für das Unternehmen zu erreichen (vgl. Töpfer 2006b, S. 411ff.; Pande et al. 2001, S. 77). Six Sigma ist damit eine Projektmanagement-Methode, bei der bewährte Elemente des Qualitätsmanagements intelligent kombiniert und exzessiv eingesetzt sowie in ihren konkreten Wirkungen und Ergebnissen projektbezogen belegt werden. Das ursprüngliche Konzept, das durch die statistischen Kriterien und Anforderungen (6 σ) geprägt war, ist zu einer neuen Philosophie des Qualitätsmanagements (Six Sigma) geworden und bei fortschrittlichen Unternehmen inzwischen ein fester Bestandteil erfolgreicher Unternehmensführung zur Steigerung des Unternehmenswertes. In Abbildung 5 sind diese zwei Dimensionen von Six Sigma charakterisiert. Wenn man über Six Sigma spricht, ist es also immer wichtig, ob man die Philosophie und das Managementkonzept oder das statistische Messkonzept gerade vor Augen hat.
Six Sigma = Pfiffiges Projektmanagement mit fundierter statistischer Basis und wirksamen QM-Instrumenten
6σ = Statistisches Messkonzept
o Systematische Methodik (DMAIC, DMADV)
o Kennzahl zur Leistungsfähigkeit von Prozessen
o Projekt- und Prozessmanagement
o 3,4 Fehler bei 1 Million Fehlermöglichkeiten
o Toolbox (Prozessanalyse, Problemlösung, Statistik) o Philosophie, Kultur der Null-Fehler-Qualität „The way we work“
• Philosophie/ Managementkonzept und Messkonzept • Was man nicht messen kann, kann kann man man nicht nicht verbessern verbessern Abbildung 5: Zwei Dimensionen von Six Sigma
An den Aktienmärkten wird dieses Managementkonzept von Analysten verstanden und in seiner Wirkung – insbesondere auf rezessiven und stark kompetitiven Märkten – positiv bewertet, ohne dadurch allerdings „Wunderdinge“ zu erwarten. Der CEO von Dow Chemical, Michael Parker, die Six Sigma Projekte seit 1997 durchführen, hat die angestrebten Ziele und Ergebnisse von Six Sigma zutreffend
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Steigerung des Unternehmenswertes durch Null-Fehler-Qualität
charakterisiert: „Six Sigma will be a vehicle to transform this Company to Premier Status: in the eyes of our competitors, in the eyes of Wall Street and, at the very foundation of our Company, in the eyes of our employees. We will use it to drive increased loyality, better bottom line results and to reduce employee frustration over rework, broken process and poor quality. We are no longer on an evolutionary transformation with Six Sigma. I expect transformation at a rapid pace.” (Six Sigma Konferenz in San Diego, USA, am 22./23. Januar 2001). Der Vorwurf, dass Six Sigma lediglich „alter Wein in neuen Schläuchen“ ist, greift deshalb zu kurz. Vielmehr ist Six Sigma – um im Bild zu bleiben – „besserer Wein in alten Schläuchen“. Genau mit diesem Anspruch wurde 1987 diese neue Qualitätsoffensive von Motorola in den USA begonnen, um damit bei den produzierten Technologieprodukten die Fehlerraten und -kosten deutlich zu senken, Kundenanforderungen besser zu erfüllen und die Unternehmensergebnisse in Umsatz, Deckungsbeitrag und Gewinn hierdurch deutlich zu steigern (vgl. Töpfer/John 1996, S. 165ff.). Die hier interessierende Frage ist also, welchen Beitrag Six Sigma für die Differenzierung eines Unternehmens vom Wettbewerb und damit für die Schaffung von konkreten Wettbewerbsvorteilen leisten kann. Die zunehmende Bedeutung von Six Sigma erschließt sich aus Abbildung 6.
Reduzierung der Fertigungstiefe
Qualität der Wertschöpfungspartner?
Produkte immer ähnlicher
Noch Differenzierungspotenziale?
Umsetzung
Immer mehr Dienstleistungsgeschäfte
Qualität der weniger standardisierbaren und beherrschbaren Prozesse? (im Vergleich zu Produktion)
von Six Sigma: Vom Konzeptzum NiveauWettbewerb
Verschärfung des Wettbewerbsdrucks
Noch Potenziale für Kosteneinsparungen und Ertragssteigerungen?
Abbildung 6: Zunehmende Bedeutung von Six Sigma
Durch die Anforderung, aus Kostengründen die Fertigungstiefe zu reduzieren, stellt sich die Frage nach einer ausreichend hohen Qualität der Wertschöpfungspartner. Für das eigene Unternehmen ist gleichzeitig von zentraler Bedeutung, ob
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noch genügend Differenzierungspotenziale bei immer ähnlicher werdenden Produkten vorhanden sind. Dies ist häufig verbunden mit einer Ausweitung der Marktleistungen auf Service- und Dienstleistungsgeschäfte. Gerade bei diesem strategischen Konzept stellt sich dann wiederum die Frage, ob im Vergleich zur physischen Produktion von Produkten die Qualität der weniger standardisierbaren und beherrschbaren Prozesse im Service- und Dienstleistungsbereich ausreichend hoch und vor allem stabil genug ist, also wenig Niveauschwankungen aufweist. Alle diese Entwicklungen gehen i.d.R. mit einer Verschärfung des Wettbewerbsdrucks im Kerngeschäft eines Unternehmens einher, so dass allein dadurch weitere Potenziale für Kosteneinsparungen und Ertragssteigerungen überlebenswichtig sind. Dabei gilt generell und speziell für Six Sigma: Entscheidend ist nicht die Umsetzung eines Konzeptes, sondern das erreichbare Niveau zur Steigerung des Unternehmenswertes durch eine umfassende Erfüllung der Kundenanforderungen, weitgehende Null-Fehler-Qualität und überdurchschnittlich positive Unternehmensergebnisse. Hierdurch sollen die vier zentralen Anforderungen im Wettbewerb erfüllt werden, wie sie in Abbildung 7 skizziert sind, nämlich Qualität, Zeit und Kosten sowie zusätzlich Innovation. Die Six Sigma Philosophie, Konzeption und Umsetzung hat einen positiven Einfluss auf alle vier Ansatzpunkte zur Differenzierung vom Wettbewerb:
•
Die Ausgangsbasis für jedes Six Sigma Projekt stellen die zentralen Kundenanforderungen als Critical to Quality Merkmale (CTQs) dar.
•
Verbesserungen der Prozesse im Unternehmen sind die generelle Ausgangsbasis aller Six Sigma Projekte und bezwecken die Reduzierung von Durchlaufzeiten.
•
Das Beseitigen und zukünftige Vermeiden von Fehlerkosten führt zusätzlich zu Kosteneinsparungen.
Im Ergebnis kann ein Unternehmen auf diese Weise besser, schneller und schlanker werden als seine Hauptwettbewerber.
•
Wenn dieses „magische Dreieck“ beherrscht wird, dann lassen sich Innovationen mit einer höheren Treffsicherheit der kritischen Kundenanforderungen über effiziente Prozesse schneller und mit schlanken Unternehmensstrukturen kostengünstiger in den Markt einführen.
Wie diese Ausführungen nachvollziehbar machen, eignet sich Six Sigma nicht nur für technologieorientierte Unternehmen, die langlebige Gebrauchsgüter von hoher Qualität herstellen. Six Sigma ist vielmehr gerade auch für Service- und Dienstleistungsunternehmen in innovativen Bereichen geeignet.
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Steigerung des Unternehmenswertes durch Null-Fehler-Qualität
Kunde Qualität Besser
Innovation/ Wachstum
Wettbewerber
Unternehmen
Zeit
Kosten
Schneller
Schlanker
Six Six Sigma hat hat einen einen positiven positiven Einfluss auf Qualität Qualität –– Zeit Zeit –– Kosten Kosten –– Innovation Innovation
Abbildung 7: Vier zentrale Anforderungen im Wettbewerb
Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Six Sigma Philosophie sich danach differenzieren lässt, ob eine Verbesserung bzw. ein Null-Fehler-Niveau bei bestehenden Produkten oder bei Neuprodukten angestrebt wird (siehe Abbildung 8).
Bewerten + Verbessern der Kundenzufriedenheit DMAIC-Prozess
=
Blick durch den Rückspiegel
Six Sigma
Ermitteln + Erfüllen zukünftig wichtiger Kundenanforderungen DMADV-Prozess
=
Blick durch die Frontscheibe
Design for Six Sigma
Kundenbindung durch Umsetzen zukünftig erfolgsentscheidender Anforderungen des Kunden in den eigenen Marktleistungen Abbildung 8: Unternehmenswertsteigerung durch Kundenzufriedenheit und -bindung
Armin Töpfer, Swen Günther
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Im ersten Fall liegt der Fokus auf dem „rückwärts gerichteten“ Bewerten und Verbessern der Kundenzufriedenheit mit dem DMAIC-Prozess (Define, Measure, Analyse, Improve, Control). Im zweiten Fall, bei der Umsetzung von Six Sigma in der Entwicklung (Design for Six Sigma), steht das Ermitteln und Erfüllen zukünftig wichtiger Kundenanforderungen mit dem DMADV-Prozess (Define, Measure, Analyse, Design, Verify) im Zentrum. Was bewirken diese Verbesserungen? Legt man das einfache Modell von Treacy/Wiersema (vgl. Treacy/Wiersema 1995, S. 44ff.) mit den drei Erfolgskriterien Produktführerschaft, Operative Exzellenz und Enge Beziehung zum Kunden zugrunde (siehe Abbildung 9), dann leistet Six Sigma einen positiven Beitrag zu allen drei Wettbewerbsfaktoren. Mit anderen Worten ist dies ein Hebel, um sich vom Industriedurchschnitt in Richtung Best in Class oder sogar World Class/Best Practice zu entwickeln. Inhaltlich ist dies ein Hauptgrund für die in der Vergangenheit stark zunehmende Verbreitung von Six Sigma in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in der Triade oder sogar auf globalen Niveau. Dadurch, dass ergebnisbezogen Kosteneinsparungen, Durchlaufzeitenverkürzungen und Ertragssteigerungen durch Six Sigma Projekte zusätzlich erreichbar sind, wird der Wertsteigerungseffekt noch verstärkt.
Enge Beziehung zum Kunden
Ansatz für Six Sigma CTQ’s
Customer Relationship Management (CRM) 1
Leistungsanalyse für Benchmarking: 1 2 3 4
Weltniveau/ Best Practice Bester der Branche Industriedurchschnitt Unterdurchschnittlich
2 3
heute zukünftig
4 Ansatz für Six Sigma Prozessoptimierung
Operative Exzellence Praktizierte Null-Fehler-Qualität im Wertschöpfungsprozess
Ansatz für Six Sigma Produktqualität
Produktführerschaft FuE/ Innovation
Basis: Treacy/ Wiersema, 1995, S. 45
Abbildung 9: Leistungsversprechen und Wertsteigerungen
Abbildung 10 verdeutlicht das mit einem bestimmten Sigma-Niveau verbundene Fehlerniveau (pro einer Million Fehlermöglichkeiten) sowie vor allem die daraus resultierenden Qualitätskosten, die bei einem geringen Sigma-Niveau fast ausschließlich Fehlerkosten im Sinne von Fehlerbeseitigungs-, Fehlerfolge- und Prüf-
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Steigerung des Unternehmenswertes durch Null-Fehler-Qualität
kosten sind sowie kaum Fehlerverhütungskosten ausmachen. Die Frage, was schlechte Qualität kostet, lässt sich also vereinfacht in der folgenden Weise beantworten. Schlechte Qualität kostet:
•
Personen, die in internen Prozessen oder an extern gerichteten Marktleistungen Fehler machen
•
Personen, die diese Fehler in Prozessen und Produkten entdecken und beseitigen
•
Kulanz gegenüber Kunden, die unter diesen Fehlern und damit verbundenen negativen Auswirkungen litten, sowie
•
Kunden, die wir aufgrund des schlechten Qualitätsimages verlieren, oder Zielkunden, die deshalb erst gar nicht kommen und unsere Produkte kaufen.
Die Erkenntnis ist klar: Dies kann sich kein Unternehmen auf Dauer leisten. In einem fortschrittlichen Ansatz sind zur Analyse und Bewertung der Qualitätskosten zwei unterschiedliche Kategorien zugrunde zu legen: zum einen die Kosten der Übereinstimmung, bei denen das geforderte Qualitätsniveau durch akzeptierte Fehlerverhütungskosten als gezielte Investitionen in das Qualitätsmanagement erreicht wird, und zum anderen die Kosten der Abweichung, bei denen qualitätsbezogen die Fehlerbeseitigungs- und Fehlerfolge- und darauf bezogene Teile der Prüfkosten ermittelt werden (vgl. Töpfer 2002, S. 27ff.). Qualitäts-
Sigma- Fehler pro einer Million Möglichkeiten Qualitätskosten
Niveau in % Niveau 69,1
2
308.770 (Nicht wettbewerbsfähige U.)
Nicht akzeptabel
93,3
3
66.810
25-40% vom Umsatz
99,4
4
6.210 (Durchschnittsunternehmen)
15-25% vom Umsatz
99,98
5
233
99,99966
6
3,4 (World class)
5-15% vom Umsatz 30 % ist. In Six Sigma Projekten ist die Sicherstellung eines akzeptablen Messsystems Grundvoraussetzung, um mit den Phasen nach der Measure-Phase zu beginnen. Der Beurteilung des Messsystems anhand der relativen Messfehlervarianz Cv liegt folgende Beziehung zugrunde: Cv = TCI2 / PCI2 (siehe Abbildung 23). Wird bspw. als Cv-Wert 4 errechnet, dann resultieren 25 % der gemessenen Schwankungen aus der Ungenauigkeit des Messsystems. In diesem Fall ist eine Verbesserung oder geringfügige Verschlechterung des Prozesses mit den aktuellen Messgeräten nicht mehr erfassbar.
140,0 120,0 100,0 80,0 Cv 60,0 40,0 5,3
20,0 4,7 0,0 0,5
4,1 1,0
1,5
3,5
2,0
PCI
TCI
2,5
Sigma-Wert
PCI
TCI
Cv
1
0,33
4,00
144
Erklärte Varianz 1%
2
0,67
4,00
36
3%
3
1,00
4,00
16
6%
4
1,33
4,00
9
11%
5
1,67
4,00
6
17%
6
2,00
4,00
4
25%
Basis: Edson/Zoyhofski 1999, S. 1-5
Abbildung 23: Beurteilung des Messsystems anhand des Cv-Wertes
Liegt der Cv-Wert bei 9, dann werden 11 % der gemessenen Varianz – inklusive der Messgerätevarianz als additive Komponente – durch Ungenauigkeiten des
Armin Töpfer
71
Messsystems verursacht bzw. dadurch erklärt. Auch in diesem Fall ist eine Verbesserung des Messsystems dringend erforderlich, um im Rahmen eines Six Sigma Projektes real existierende Abweichungen zu erkennen und dann auch gezielt beseitigen zu können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Annahme einer Normalverteilung. Eine Analyse von Kaiser und Nowack, die sich auf 825 Prozesse in 11 Unternehmen bezieht, belegt, dass nur etwa 2 % dieser Prozesse dem Merkmalsverteilungsmodell der Normalverteilung folgen (vgl. Kaiser/Nowack 1999, S. 761ff.). Circa 2,5 % der Prozesse lassen sich der Betrags-, Weibull- oder Logarithmischen Normalverteilung zuordnen. Immerhin über 95 % folgen einer Mischverteilung, die durch systematische oder zufällige Mittelwertschwankungen charakterisiert ist. Diesem Problem ist bei der Beurteilung und Interpretation von prozessbezogenen Messergebnissen in Six Sigma Projekten Rechnung zu tragen. Denn in Abhängigkeit der Verteilungsfunktion können jeweils nur bestimmte Analyseinstrumente, z.B. in Bezug auf Art und Auslegung der Qualitätsregelkarte, eingesetzt werden.
3
Umsetzung von Six Sigma Projekten
Für die erfolgreiche Durchführung von Six Sigma Projekten ist eine Reihe von Anforderungen zu erfüllen. Sie beziehen sich vor allem auf die Projektauswahl, die Rollenverteilung, den standardisierten Durchführungsprozess sowie die Erfolgsbewertung der Projekte. Dabei soll eines vorab noch einmal betont werden: Alle Six Sigma Projekte beziehen sich grundsätzlich auf Prozesse, also auf bestimmte Wertschöpfungsabschnitte im Unternehmen, die materielle Leistungen in Form physischer Produkte oder Dienstleistungen als Leistungsbündel aus materiellen und immateriellen Leistungen zum Gegenstand haben. Abbildung 24 verdeutlicht diese Ursachen-Wirkungs-Beziehungen noch einmal schematisch. Der Ansatz eines Six Sigma Projektes sind Verbesserungen der Prozesse, um die Marktleistungen entsprechend den Kundenanforderungen fehlerfrei und innovativ zu gestalten. Dies führt in der Folge zu zufriedenen und treuen Kunden, verbessert die Wettbewerbsposition und steigert die finanziellen Ergebnisse des Unternehmens. Grundvoraussetzung für diese Wirkungen sind qualifizierte und engagierte Mitarbeiter in den Six Sigma Projekten.
3.1
Projektauswahl und -steuerung
In der Six Sigma Literatur gibt es unterschiedliche Meinungen hinsichtlich der Projektauswahlkriterien. Laut Harry/Schroeder sollen Projekte einerseits auf den strategischen Zielen eines Unternehmens basieren, andererseits auf der Prognose des ökonomischen Erfolgs ausgewählt werden (vgl. Harry/Schroeder 2005, S.
72
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
265f.). Eine teilweise andere Ansicht vertreten Pande/Neuman/Cavanagh, die als Kriterien „Ergebnisse oder Geschäftserfolgskriterien“, „Machbarkeitskriterien“ und „Kriterien der organisatorischen Wirkung“ anführen (vgl. Pande et al. 2001, S. 111f.). Weitere Autoren listen lediglich in einer eher unstrukturierten Weise eine Reihe von Kriterien auf, die sich teilweise sogar überschneiden. Im Folgenden werden einige wesentliche Kriterien zur Projektauswahl vorgestellt, die sich in der Praxis bewährt haben: •
Es besteht eine Erhöhung des Kundennutzens für externe und/oder interne Kunden
•
Der finanzielle Nutzen für das Unternehmen ist auf der Basis einer Net Benefit Rechnung belegbar
•
Alle relevanten Einflussvariablen/-größen sind eindeutig identifizierbar, dann auch messbar und auf dieser Basis analysierbar
•
Eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit anhand monetärer und/oder nichtmonetärer Kriterien ist gegeben
•
Eine klare und eindeutige Zielsetzung und Projektdefinition sind formulierbar
•
Eine relativ kurze Projektdauer für die Umsetzung, die als Ziel nicht mehr als 3 Monate (90 Tage) beträgt, ist realisierbar. In der Unternehmenspraxis ist zumindest in der Einführungszeit von Six Sigma Projekten die Projektdauer oft länger, nämlich eher bis zu 6 Monaten.
• Qualifiziert • Engagiert
• Entsprechend Kundenanforderungen • Fehlerfrei • Innovativ
• Kundenzufriedenheit • Kundenbindung • Image
Mitarbeiter Produkt & Service Prozesse
• Einfach • Schnell • Fehlerfrei
Kundeneinstellung & Kundenverhalten
• Wettbewerbsposition • Markenprofil
Abbildung 24: Ursachen-Wirkungs-Beziehungen
Marktpenetration & Marktanteil
Finanzielle Ergebnisse
• • • • •
Umsatz Gewinn/ DB Cash Flow (CF) EVA/ ROCE Free CF
Armin Töpfer
73
Für die Vorgehensweise zur Auswahl von Six Sigma Projekten bieten sich folgende vier Phasen als Fokusprozess an: 1) Process Mapping: Darstellung des Ablaufs und der Vernetzung verschiedener Geschäftsprozesse im Unternehmen mit Hilfe von Flussdiagrammen. (Warum gibt es bestimmte Prozesse im Unternehmen?) 2) Erheben und Sammeln von monetären/nicht-monetären Daten/Kennzahlen zur Beschreibung des Qualitätsniveaus einzelner Geschäftsprozesse (Fehlerquote/-rate vs. Fehlerkosten) 3) Benchmarking (intern/extern) von kritischen Prozessen und Herausstellen von Kernkompetenzen sowie gleichzeitig Schwach-/Problemstellen im Unternehmen 4) Portfolio-Analyse zur gezielten Auswahl erfolgversprechender und strategisch bedeutender Projekte. Eine Detailfrage im Auswahlprozess ist, ob die Auswahl von Projekten eher in Form einer zentralen oder dezentralen Priorisierung erfolgt. Im ersten Fall, bei einem Top-Down-Ansatz werden die Projekte ausgehend von der oberen Managementebene des Unternehmens priorisiert und ausgewählt. Die Vorteile liegen dabei in folgenden Punkten: •
Die Projekte sind primär auf die strategischen Ziele des Unternehmens (Kundenzufriedenheit, Kosten, Kapazitäten, Wachstum) ausgerichtet
•
Die Rahmenbedingungen (Projektziele/-definition) für einzelne sowie verbundene Projekte werden von der oberen Managementebene zentral geplant und gesteuert
•
Lokale Bedürfnisse/Anforderungen können gut auf globale Geschäftsziele ausgerichtet werden
•
Die Projektziele und -ergebnisse werden im Unternehmen zentral erfasst und kommuniziert/publiziert.
Bei der zweiten Alternative, dem Bottom-Up-Ansatz, werden die Projekte, ausgehend von der operativen Ebene im Unternehmen, priorisiert und ausgewählt. In diesem Fall sind folgende Vorteile zu verzeichnen: •
Lokale Verbesserungspotenziale werden erkannt und mit Hilfe von Six Sigma Projekten – verbunden mit eindeutig messbaren Kriterien – realisiert
•
Produktions- und Verwaltungsprobleme (Operative Ablaufprobleme) werden besser von Führungskräften vor Ort erkannt
•
Die Übereinstimmung mit unternehmensweiten Zielen ist nicht in jedem Fall gegeben, aber i.d.R. ist eine höhere Akzeptanz bei den Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten erreichbar.
74
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
Der „Königsweg“ kann darin liegen, dass – entsprechend dem aus der Unternehmensplanung bekannten Gegenstromprinzip – ein Abgleich und Ausbalancieren der beiden Analyserichtungen erfolgt. Hierdurch lassen sich die oben skizzierten Vorteile zu einem erheblichen Maße gleichzeitig erreichen. Eine Portfolio-Analyse und -Darstellung zur Projektauswahl ist z.B. anhand der beiden Dimensionen Projekterfolgswahrscheinlichkeit und Strategische Bedeutung möglich. Der Nutzen dieser Bewertung liegt insbesondere darin, dass die Projekte priorisiert werden, die wichtig für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens sind und sich zugleich erfolgreich realisieren lassen. Die Ergebniswirkung, z.B. in Form des Net Benefits, kann als dritte Dimension durch den Kreisumfang der vorgesehenen Six Sigma Projekte ausgedrückt werden. Unter Einsatz der aufgeführten Instrumente lässt sich eine Klassifikation möglicher Six Sigma Projekte erreichen. Sie ist in Abbildung 25 aufgeführt. Einfache Verbesserungen, die unter Anwendung von Logik und Intuition realisierbar sind, benötigen das z.T. aufwendige Six Sigma Instrumentarium nicht. Sie „fallen einem zu“ und bekommen deshalb die bildhafte Bezeichnung „Fallobst“. Six Sigma Projekte beginnen i.d.R. auch noch nicht auf der nächsten Ebene, den „tief hängenden Früchten“. Sie kennzeichnen vielmehr eine Lücke zwischen derzeitiger und angestrebter Prozess-Performance, die sich mit Hilfe einfacher Qualitäts- und Projektmanagement-Methoden, z.B. KVP, schließen lässt.
Süße Früchte
Redesign des Prozesses 5-6 ı-Niveau
Großteil der Früchte Charakterisierung und Verbesserung des Prozesses 4-5 ı-Niveau
Tief hängende Früchte
Sieben QM-Werkzeuge/ KVP 3-4 ı-Niveau
Fallobst
Logik und Intuition
Basis: Siemens 2000
Abbildung 25: Anwendung von Six Sigma
Armin Töpfer
75
Für Six Sigma Projekte sind sie deshalb eher weniger geeignet, da das erreichbare Niveau lediglich 3 bis 4 σ beträgt. Außerdem werden mit diesem Instrumentarium die Ursachen häufig nicht ausreichend hinterfragt und dadurch nicht erkannt. Die Lösungswege sind ferner methodisch nicht so gut strukturiert und untermauert wie bei Six Sigma Projekten. Der größte Teil der Six Sigma Projekte gehört zur nächsten Ebene, er ist also der „Großteil der Früchte“, die durch eine klare Analyse und Verbesserungen von Prozessen mit einem Niveau von 4 bis 5 σ erreichbar sind. Die „süßen Früchte“ in der „Spitze des Baumes“ machen deutlich mehr Anstrengungen erforderlich, bewirken aber Qualitätssteigerungen auf dem Niveau von 5 bis 6 σ. Dies entspricht einem Redesign als Neustrukturierung eines Prozesses, die über eine bloße Verbesserung hinausgeht. Bei der Auswahl von Six Sigma Projekten ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung, nämlich die Höhe möglicher negativer Auswirkungen, wenn bezogen auf einen Prozess oder ein Produkt kein Six Sigma Niveau erreicht wird. Mit anderen Worten bedeutet dies: Je höher der Schaden bzw. die Fehler- und Fehlerfolgekosten durch unzureichende Qualität sind, desto eher wird Null-Fehler-Qualität auf Six Sigma Niveau realisiert, um das Auftreten von Fehlern zu vermeiden. Deshalb wird Six Sigma als statistisches Maß und Ergebnis nicht überall das angestrebte Qualitätsniveau sein. Wesentlich ist vielmehr, Six Sigma mit Augenmaß, und dies bedeutet in erfolgs- und ergebnissensiblen Prozessen und Produkten, wie beispielsweise der Flugzeug- und Satellitentechnik sowie der Software für medizinische Diagnostik, anzustreben und zu erreichen. Denn dort führen Fehler bei einem niedrigeren Qualitätsniveau zur Gefährdung von Menschenleben und hohen materiellen Schäden, so dass diese hohen Anstrengungen gerechtfertigt oder sogar erforderlich sind. Bei anderen Prozessen und Produkten lassen sich bei einem Ausgangsniveau von 3 bis 4 σ – entsprechend der obigen Einteilung – auch schon erhebliche Qualitätssteigerungen und damit Kosteneinsparungen bzw. Ertragsverbesserungen erreichen, ohne das statistische Six Sigma-Niveau im Visier zu haben. Die Erkenntnis ist also klar: Das Ziel der Null-Fehler-Qualität gilt generell. Die Nachhaltigkeit der Umsetzung und Erreichung wird allerdings nach der Bedeutung des Prozesses und Produktes priorisiert. Diese Sichtweise korrespondiert in weiten Teilen damit, auf welchen Abschnitt der Wertschöpfungskette der Fokus für die Durchführung von Six Sigma Projekten zu legen ist. Zunächst wird es oft darum gehen, wie dies in Abbildung 26 dargestellt ist, als Reaktion auf Defizite bei bestimmten Ergebnissen – insbesondere Kosten und Kundenunzufriedenheit – mit Six Sigma Projekten Abhilfe zu schaffen. Nicht nur das bestehende Sigma-Niveau, sondern auch die damit verbundenen Analyse- und Umsetzungsprobleme sind dabei häufig relativ gering. Da die Marktleistung am Ende von aufeinander aufbauenden und verknüpften Wertschöpfungsprozessen steht, ist – wie oben im Beispiel gezeigt wurde (vgl.
76
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
Abbildung 20) – der erreichte Sigma-Level niedrig. Verbesserungen entsprechen damit den „low hanging fruits“.
Input Lieferanten Material Maschinen Mitarbeiter
Kundenanforderungen Kundenzufriedenheit Ermöglichen frühzeitige Verbesserung
Prozess
Ergebnisse KundenKosten Wachstum Marktanteil zufriedenheit
Ermöglichen Reaktion
Abbildung 26: Six Sigma Projekt-Fokus
Je mehr die Analysen sich auf vorgelagerte Teile der Wertschöpfungskette und über detaillierte Prozessanalysen der Wertschöpfung hinaus auch die InputFaktoren und dabei neben Mitarbeitern, Maschinen und Material auch Lieferanten-Vorleistungen berücksichtigen, desto frühzeitiger lassen sich Verbesserungen einleiten. Dies führt dazu, dass sich Kundenanforderungen bereits erkennen und umsetzen lassen, die im Ergebnis später zu Kundenzufriedenheit führen. Hierbei ist leicht nachvollziehbar, dass zugleich auch das Fähigkeits- und Erfahrungsniveau für die erfolgreiche Durchführung von Six Sigma Projekten deutlich höher sein muss. Die erreichbaren Verbesserungen weisen dann aber auch ein deutlich größeres Einsparpotenzial durch Vermeidung von Fehlerkosten auf. In der Abfolge werden also in „Feuerwehraktionen“ zunächst gravierende Probleme erkannt und deren negative Auswirkungen beseitigt. In einer zweiten Stufe folgen auf diese Six Sigma Projekte zur Beseitigung von Fehlerkosten „Brandverhütungsmaßnahmen“. Diese Six Sigma Projekte konzentrieren sich auf die Analyse von tieferliegenden Fehlerursachen sowie deren Beseitigung und die dann anschließende Stabilisierung der neuen bzw. überarbeiteten Prozesse. Dies entspricht Investitionen im Sinne von Fehlervermeidungskosten. Abschließend ist in Abbildung 27 noch einmal das Vorgehen bei der Auswahl und der Steuerung eines Six Sigma Projektes zusammengefasst.
Armin Töpfer
Vision/Strategie/Ziele Prozessanalyse ! !
! !
Definieren der kritischen Erfolgsfaktoren und Werttreiber
Bewertung Strategische Bedeutung
Portfolio-Analyse
Projekterfolgswahrscheinlichkeit
Gegenüberstellung von Strategischer Bedeutung und Erfolgswahrscheinlichkeit zur Projektauswahl
Analyse Wirtschaftlichkeit/ Finanzergebnisse
¾ Zuordnen der kritischen Erfolgsfaktoren/ Werttreiber zu den Perspektiven/ Feldern der Six Sigma Score Card
Kundenzufriedenheit/ Marktausschöpfung
¾ Prüfen und Fokussieren von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen ¾ Erarbeiten von Kennzahlen zum Messen der Umsetzung der Erfolgsfaktoren
Unternehmerische Mitarbeiter/Mitarbeiterzufriedenheit
¾ Vernetzen der Kennzahlen
Leistungsfähigkeit/ Marktleistungen
Steuerung
Kundenzufriedenheit/ Marktausschöpfung
Leistungsfähigkeit/ Marktleistungen
¾ Präzisieren der Six Sigma Score Card
Vision/ Strategie/ Ziele Verbesserung/ Innovation
¾ Ableiten der Six Sigma Projekt Charter/ Team Charter Unternehmerische Mitarbeiter/ Mitarbeiterzufriedenheit
Abbildung 27: Six Sigma Projektauswahl und -steuerung
Wirtschaftlichkeit/ Finanzergebnisse
77
78
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
Die Wirksamkeit der Projekte wird deutlich erhöht, wenn sie an den strategischen Zielen des Unternehmens angebunden sind. Durch die auf einen konkreten Wertschöpfungsprozess bezogene Analyse kritischer Erfolgsfaktoren und Werttreiber lassen sich zum einen die strategische Bedeutung und zum anderen die Erfolgswahrscheinlichkeit ermitteln. Diese Bewertung ist die Grundlage für die Projektauswahl. Auf dieser Basis können die Erfolgsfaktoren und Werttreiber in vier Perspektiven einer Six Sigma Score Card herausgearbeitet werden. Wenn wichtige UrsachenWirkungs-Beziehungen analysiert sind, lassen sich hierzu Kennzahlen erarbeiten und vernetzen. Die Steuerung erfolgt dann mit einer derartigen Six Sigma Score Card. In Abbildung 28 ist sie beispielhaft für mehrere Six Sigma Projekte und begleitende Qualifizierungsmaßnahmen wiedergegeben. Hieraus lässt sich unmittelbar für jedes Six Sigma Projekt die Team Charter ableiten, in der das Projekt, das zu lösende Problem und die erforderliche Laufzeit, die notwendigen Ressourcen, der erwartete Net Benefit und die möglichen Hindernisse bei der Umsetzung präzisiert werden. Steuerungskriterium
Messgröße
Fehlerhafte Produkte
DPMO/ PPM
Beantwortung von Kundenbeschwerden
Ist
Ziel
5.620
1.000
81
99
%
Maßnahme Six Sigma Projekt in Produktion Six Sigma Projekt in Vertrieb
Steuerungskriterium
Messgröße
CSI > 80%
%
Ist 72%
+ 3% p.a.
Kundenzufriedenheit/ Marktausschöpfung
Leistungsfähigkeit/ Marktleistungen
Ziel
Maßnahme
80% +
Beschwerdemanage(10% im ment ver1. Jahr bessern + 3% per Folgejahr)
Vision/ Strategie/ Ziele Verbesserung/ Innovation Steuerungskriterium
Messgröße
Ist
Ziel
Maßnahme
3,0
5,0
Training on the job
1,5
2,0
2,0
2,0
MATraining: - Produkte - Logistik/ Versand - Call Center Beschwerdeabwicklg.
Stunden pro MA und Monat
Unternehmerische Mitarbeiter/ Mitarbeiterzufriedenheit
Wirtschaftlichkeit/ Finanzergebnisse
Steuerungskriterium
Wert pro Projekt
Messgröße
T€
Ist
Ziel
Ø 100 T€ Ø 130 T€
Maßnahme Net Benefit Analyse vor Projektstart
Abbildung 28: Six Sigma Score Card
3.2
Six Sigma Organisation und Prozess
Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung von Six Sigma Projekten in einem Unternehmen ist, ob und wann die kritische Masse von geschulten Six Sigma Akteuren erreicht wird. Erfahrungswerte belegen, dass die Anzahl von in Six Sigma Methoden geschulten Mitarbeitern insgesamt ca. 10 % der Belegschaft (vgl. Q-
Armin Töpfer
79
DAS 2002, S. 1) betragen sollte und dabei die Gruppe der Black Belts als für die Durchführung von Six Sigma Projekten Verantwortliche ca. 2 % der Belegschaft ausmachen sollte. Es versteht sich von selbst, dass über einen bestimmten Zeitraum intensive Schulungen durchgeführt werden müssen, um möglichst schnell diesen Durchsatz und damit diese kritische Masse zu erreichen.
Unternehmenshierarchie
Wie Abbildung 29 zeigt, kommt es bereits in der ersten Phase darauf an, Mitglieder des Unternehmens in allen unterschiedlichen Rollen und Funktionen im Rahmen von Six Sigma Projekten zu schulen. Die Bezeichnungen zur Differenzierung unterschiedlicher Fähigkeitsprofile und -niveaus sind dabei zum großen Teil asiatischen Kampfsportarten entliehen und sollen so auf einfache Weise die damit verbundenen Kompetenzen kennzeichnen.
Anzahl der geschulten Mitarbeiter
Champion (Machtpromotor)
Master Black Belt (Systempromotor)
Black Belt (Prozesspromotor)
Green Belt (Mitarbeiter)
1. Phase
2. Phase
Zeit
Abbildung 29: Entwicklung der Six Sigma Organisation im Zeitverlauf
Die Anzahl von Mitarbeitern, die über ein grundlegendes methodisches Rüstzeug als Green Belt verfügt, um in Six Sigma Projekten erfolgreich mitarbeiten zu können, muss von vornherein groß genug sein. Sie müssen vor allem auch grundlegende Kenntnisse in mathematisch-statistischen Methoden aufweisen, damit sie die vorstehend skizzierten Analysen mit klaren Ergebnissen und Erkenntnissen durchführen können. Die Black Belts als Projektleiter und damit Prozesspromotoren sind zum einen die Anwendungsexperten von Six Sigma Werkzeugen und Instrumenten, zum anderen aber auch geschult in Projektmanagement, Kommunikationstechniken und Konfliktlösungsinstrumenten.
80
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
Master Black Belts haben als Systempromotoren einerseits die Aufgabe, die Koordination von Projektauswahl und Training aufgrund ihrer langjährigen Six Sigma Erfahrung durchzuführen. Andererseits kommt ihnen in ihrer Mentorenrolle auch die inhaltliche, organisatorische und „technische“ Unterstützung der Black Belts zu. Darüber hinaus sind sie im Bedarfsfall der direkte Ansprechpartner für die Champion. Diese Gruppe hat als Machtpromotoren die operative und strategische Ergebnisverantwortung von wichtigen Wertschöpfungsbereichen des Unternehmens. Sie sind es, die über die Durchführung von Six Sigma Projekten entscheiden und dann Black Belts anfordern bzw. einsetzen. Alle Six Sigma Projekte folgen einem standardisierten Ablauf, der auf dem klassischen Deming-Zyklus PDCA (Plan, Do, Check, Act) basiert. Der hieraus abgeleitete DMAIC-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Improve, Control) für die Durchführung von Six Sigma Projekten hat die in Abbildung 30 aufgeführten Phasen und Inhalte. Hauptanforderungen des Kunden als CTQ definieren
Define
Was ist das Problem?
Measure
Wie lassen sich die Auswirkungen messen?
Relevante Wirkungs- und Ergebnisgrößen in der Praxis messen
Analyse
Was sind die Ursachen für das Problem?
Wichtigste Ursachen mit Hilfe von Statistiken analysieren und priorisieren
Improve
Wie lässt sich das Problem beseitigen?
Verbesserung/ optimale Lösung erarbeiten und umsetzen
Control
Wie wird die Verbesserung in der Praxis verankert?
Hauptursachen für das Auftreten des Problems dauerhaft beseitigen
Basis: Harry/Schroeder 2000
Abbildung 30: DMAIC als Six Sigma Prozess im Projekt
Er unterscheidet sich in den letzten beiden Phasen vom DMADV-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Design, Verify), wie er in Design for Six Sigma Projekten (DFSS) für Neuprodukte eingesetzt wird. In dem entsprechenden Artikel in diesem Buch wird hierzu detailliert eingegangen. Define-Phase Nachdem das Projekt in der oben beschriebenen Weise ausgewählt wurde, erfolgt die Definition des eigentlichen Problems auf der Basis analysierter wichtiger Kundenanforderungen (CTQs). Grundlage können Produkt-, Prozess- oder Schnittstellenprobleme sein. Hierdurch bestimmen sich Art und Anzahl der notwendigen Ressourcen und die Dauer der Projektdurchführung. Die Besetzung des
Armin Töpfer
81
Projektteams mit Green Belts und die Auswahl des Projektleiters als Black Belt richtet sich nach der inhaltlichen Anforderung und dem betroffenen Unternehmensbereich. Die Präzisierung der Problemformulierung erfolgt durch eine konsequente Orientierung an den definierten internen oder externen Zielkunden und ihren wesentlichen Forderungen. Hierzu werden zwei Analyseinstrumente eingesetzt, nämlich SIPOC (Supplier, Input, Process, Output, Customer) zur Identifizierung des mehrstufigen Wertschöpfungsprozesses und die kombinierte VOC-CTQ-Analyse. Auf beide wird im Folgenden kurz eingegangen. Mit der SIPOC-Analyse wird – wie Abbildung 31 verdeutlicht – ein Wertschöpfungsprozess in seinen Input-Output-Beziehungen vom Lieferanten bis zum Kunden präzisiert. Eine derartige Beschreibung ist relativ einfach, liefert jedoch zugleich die Grundlage, konkrete Anforderungen jeder einzelnen Phase und damit den einzelnen Akteuren bzw. Adressaten zuzuordnen.
Abgeleitete Anforderungen als WT
Supplier is Be
Input
CTQs als Werttreiber (WT)
Process
VOC
Output
Customer
l pie Zulieferer Biegeteile
Gereinigte Biegeteile
Konstruktion
Zeichnungen
Arbeitsvorbereitung
Stückliste, Arbeitspläne
Tischlerei
Holz, Zwischenlagen
Reinigen, Biegen und Beschichten von AluBiegeteilen
Biegeteile
Beschichtung
Rückmeldung
Arbeitsvorbereitung
Holz, Abfall
Basis: Alstom 2002
Abbildung 31: SIPOC-Analyse
In einer retrograden Betrachtung, ausgehend vom Kunden, erfasst sie die „Originaltöne“ der Kunden als „Voice of the Customer“ (VOC). Aus ihnen werden bezogen auf den Wertschöpfungsprozess die Kriterien (CTQs) abgeleitet, die für den Kunden die höchste Priorität bei der Beurteilung der Qualität der gelieferten Marktleistungen besitzen (siehe Abbildung 32). Die Kundenanforderungen richten sich an seinen Bedürfnissen aus. Nicht selten werden beide vom Kunden nur unscharf formuliert. Um so wichtiger ist es dann,
82
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
dass die CTQ-Analyse die kritischen Erfolgsfaktoren klar herausarbeitet sowie hieran den Kundennutzen der angebotenen Marktleistung definiert und misst. Mit beiden Instrumenten sind zugleich auch bereits Inhalte der folgenden Mess-Phase erarbeitet worden.
is Be
ele pi
VOC
CTQ
– Stimme des Kunden –
– Anforderungen an die Qualität –
• Die Maschinen müssen nach einer Revision eine hohe Verfügbarkeit haben
• Kein Maschinenausfall wegen einer Störung in den ersten 6 Monaten nach einer Revision als präventiver Instandhaltung
• Bei einer Inspektion sollen in den ersten 6 Monaten nach einer Revision nur Verschleißteile gewechselt werden
• Keine außerplanmäßigen Arbeiten bei den Inspektionen in den ersten 6 Monaten nach einer Revision
• An der Maschine wird zum vorher mitgeteilten Freigabezeitpunkt noch gearbeitet
• Abgestimmte Termine für die Betriebsverfügbarkeit müssen gehalten werden
Abbildung 32: VOC-CTQ-Analyse
Für eine tiefergehende Analyse der Kundenanforderungen bietet sich die Anwendung des Kano-Modells an. Dies gilt insbesondere bei der Entwicklung von Neuprodukten, um die Erwartungen der Zielkunden bestmöglich zu treffen. Ausführlicher wird das Modell deshalb in dem folgenden Artikel „Design for Six Sigma“ behandelt. Es unterscheidet drei Gruppen, nämlich Basis-, Leistungs- und Begeisterungsanforderungen. Die Basisanforderungen sind für den Kunden selbstverständlich und werden oft nicht artikuliert; so wird beim Auto – in einem vereinfachten Beispiel – die Umschaltmöglichkeit zwischen Fern- und Abblendlicht als Standard erwartet. Je weniger die Basisanforderung erfüllt ist, desto unzufriedener ist der Kunde. Ein normal hoher Erfüllungsgrad baut nur Unzufriedenheit ab, bewirkt aber noch keine Zufriedenheit. Anders ist dies bei den Leistungsanforderungen, die häufig technisch und damit klar artikulierbar und messbar sind: Die Zufriedenheit steigt linear mit ihrem Erfüllungsgrad. Durch Halogenscheinwerfer wird so ein höheres Niveau erreicht als durch Normalscheinwerfer. Besonders wichtig sind Begeisterungsanforderungen, da hierbei die Kundenzufriedenheit stärker steigt als der Erfüllungsgrad dieser Anforderungen. Der Kunde kann sie oft nicht klar artikulieren und erwartet sie auch nicht von vornherein. In unserem Beispiel könnten dies bewegliche Scheinwerfer sein, die beim Fahren um die Kurve die Straße besser ausleuchten.
Armin Töpfer
83
Measure-Phase Hier gilt der Grundsatz, dass nur ein Unternehmen, das seine Prozesse analysiert hat, in der Lage ist, deren Qualität und die Qualität der dabei erbrachten Marktleistungen zu messen. Dies ist wiederum die Grundlage für konkrete Verbesserungen der Abläufe und Produkte, und zwar bezogen auf höhere Qualität und niedrigere Kosten. Als Ergebnis lässt sich in der oben dargestellten Weise ermitteln, auf welcher Qualitätsstufe und auf welchem Kostenniveau sich in der Status quo Phase die Prozesse und die Produkte befinden. Die Messung bezieht sich dabei auf alle relevanten Qualitätsmerkmale im Sinne der CTQs. Unter Anwendung von einschlägig bekannten QM-Werkzeugen und Kreativitätstechniken (z.B. Intensiv-Interviews, VOC, Brainstorming, Morphologischer Kasten, Bionik, Flussdiagramm, Ursachen-Wirkungs-Diagramm, Korrelationsdiagramm, Prüfformulare) ist i.d.R. die Basis für eine aussagefähige Messung der wichtigsten Kenngrößen geschaffen. Die exakte Problemdefinition und das Messen/Eingrenzen der eigentlichen Problemursachen fokussiert die wesentlichen Ansatzpunkte für die folgenden Prozessschritte im Rahmen des DMAIC-Zyklus. Dies verdeutlicht die Bedeutung und Anforderungen der Messphase, welche die Einflusskriterien und die Verbesserungsmöglichkeiten auf das Wesentliche beschränken soll, um so den Projektumfang für den Black Belt und die anderen Beteiligten überschaubar bzw. handhabbar zu halten. Umsetzungsbarrieren, wie z.B. ein zu hoher Kommunikationsaufwand, werden minimiert. Einheitliche Messkriterien bilden zugleich die Grundlage für eine Entscheidungstransparenz und unternehmensinterne oder -externe Benchmarking-Aktivitäten. Analyse-Phase In dieser Phase geht es um das Aufbereiten und Strukturieren der Messdaten/-ergebnisse. Hierzu ist eine detaillierte Problemanalyse unter Einsatz verschiedener mathematisch-statistischer Methoden (z.B. Varianzanalyse, Regressionsanalyse) durchzuführen. Dabei sind zwei Unterscheidungen vorzunehmen: zum einen eine eindeutige Differenzierung zwischen Ursachengrößen (Xs) und Wirkungsgrößen (Ys); zum anderen die Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenproblemen, die auf der Basis der erkannten Wirkungszusammenhänge (y = f(x1, ... , xn) möglich ist. Diese Analyse, die – wie in Abbildung 33 dargestellt – auf einem IshikawaDiagramm basieren kann, liefert die Grundstruktur maßgeblicher Einfluss- und Ergebnisgrößen. Im Rahmen von Detailanalysen sind dabei vor allem die Wirkungsrichtungen der unabhängigen Variablen Xs auf die abhängigen Variablen Ys zu untersuchen. Zusätzlich ist zu prüfen, ob und ggf. wie stark die Xs von Einflussgrößen auf einer tieferen Ebene abhängen, also bereits selbst Wirkungsgrößen sind. Ergänzend kann als Einflussgröße von Bedeutung sein, im Rahmen einer Autokorrelation zwischen den Ursachengrößen und vor allem über die Zeit zu erkennen, in welchem Maß ein Fertigungsprozess durch die Dauer seiner Durchführung – z.B.
84
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
durch Erwärmung der Apparaturen im Biege- und Beschichtungsprozess in Abbildung 33 – im Qualitätsniveau einbüßt. X1 Waschen X11 MA-Qualifikation
X2 Transport X21 Vorbereitung X12 Reinigungsmittel
X13 Planung
X22 MA-Qualifikation
X23 Wegstrecke
X24 Transportmittel
Produktmerkmale
Prozess Reinigen, Biegen und Beschichten von Aluminium-Biegeteilen X33 Kriterienkatalog
X43 Vorbereitung X32 Stempelform
X31 MA-Qualifikation
X3 Biegen
Y1 Durchlaufzeit Y2 Herstellkosten
X42 Parameterwahl
X41 MA-Qualifikation
X4 Beschichten
Basis: Alstom 2002
Abbildung 33: Prozessanalyse zur Bestimmung der Xs und Ys
Das Grundmuster dieser Vorgehensweise bei der Prozessanalyse schematisiert Abbildung 34. Darin enthalten sind alle fünf Phasen des DMAIC-Prozesses. Dies verdeutlicht noch einmal deren Interdependenz. Mit anderen Worten beeinträchtigen Analysedefizite oder Messprobleme/-fehler die Qualität aller folgenden Untersuchungsschritte. Improve-Phase Eine vertiefende Analyse der Ursachen von Hauptproblemen liefert – wie vorstehend bereits beschrieben – die Grundlage, um Verbesserungsmaßnahmen zu identifizieren und zu priorisieren. An dieser Stelle erfolgt noch einmal eine Überprüfung und Konkretisierung der Wirkungsprognosen, die zu Beginn des Projektes erstellt wurden. Denn jetzt ist der unbestimmte Analyseraum deutlich eingegrenzt und die Datenbasis erheblich verbessert worden. Wenn die wahrscheinlich erreichbaren Ergebnisse das Zielniveau noch nicht treffen, dann ist erneut eine Rückkopplungsschleife in die Analyse-Phase vorzunehmen. Auf der Basis dieser ermittelten und akzeptablen Ergebnisse lässt sich ein Aktionsplan zur Umsetzung zielführender Verbesserungen erstellen. Die schnelle Realisierung derartiger Verbesserungsmaßnahmen und das Erzielen von konkreten Projekterfolgen sind ein wesentliches Kennzeichen von Six Sigma Projekten.
Armin Töpfer
85
Bestimmen von PPM, DPMO, σ-Wert des verbesserten Prozesses für die Xs und Ys
Controllen
Bestimmen der Fähigkeit, den Zielwert zum Optimum zu steuern
Innovativ verbessern
Optimieren der Prozesse durch Transformation/ Veränderung
Analysieren
Messen
Entwickeln und Beurteilen von Modellen und Transformation der Funktionen mit Hilfe von z.B. o Design of Experiments (DOE) o Regressionsanalyse o Physikalische Eigenschaften
Bestimmen der relevanten Xs = Produkt- und Prozesselemente
Werkzeuge: Minitab Excel Crystal Ball
Bestimmen von PPM, DPMO, σ-Wert des jetzigen Prozesses für die Xs und Ys
Bestimmen der relevanten Ys = Critical to Quality Characteristics (CTQs) = Produkteigenschaften mit höchster Kundenpriorität
Verteilungsnetze Transformationsfunktionen Monte Carlo Simulation
Untersuchen auf Annahme der Normalverteilung: Transformation? Andere Verteilung? Multimodale Verteilung? Welche sind die Xs?
Definieren Basis: Stanard 1999, S. 12
Abbildung 34: Vorgehensweise bei der Prozessanalyse
Control-Phase In dieser Phase geht es darum, den optimierten Prozess bzw. das fehlerfreie Produkt zu stabilisieren und das angestrebte Zielniveau zu überwachen. Anders formuliert, wird überprüft, ob die Hauptursachen für das Auftreten des Problems dauerhaft beseitigt werden konnten. Damit erfolgt zugleich eine Kontrolle der Wirksamkeit von Veränderungsmaßnahmen in Bezug auf die bessere Erfüllung von Kundenanforderungen und die nachhaltige Steigerung des Qualitätsniveaus. Zusätzlich ist hier eine „Nachkalkulation“ durchzuführen, um Abweichungen zum geplanten Projektziel feststellen und bewerten zu können. Wichtige Projektdaten sind im Rahmen einer Projekt- bzw. Wissensdatenbank auszuwerten und zu dokumentieren. Wenn die Problemstellung es zulässt, dann sollten nach Abschluss des Six Sigma Projektes weiterführende Verbesserungsaktivitäten einsetzen, um so den Übergang zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) zu erreichen. Richtschnur für das generell angestrebte Zielniveau ist der identifizierte Best Practice Level, den ein Unternehmen der gleichen oder einer anderen Branche erreicht hat. Dies setzt voraus, dass Erkenntnisse aus erfolgreichen Six Sigma Projekten kommuniziert werden. Erreichte Projekterfolge werden intern nach Möglichkeit auf andere
86
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
relevante Unternehmensteile übertragen mit dem Ziel, Erfolge zu teilen und gegenseitig im Unternehmen voneinander zu lernen. Abschließend soll der DMAIC-Zyklus noch einmal zusammenhängend an einem Beispiel erläutert werden. Das Problem bildet eine Leckage an einer FrontladerWaschmaschine. Sie bewirkt, dass sich beim Waschvorgang Wassertropfen an der Frontseite unter dem horizontalen Einfüllfenster bilden, welche die Funktionsfähigkeit der Maschine nicht beeinträchtigen, aber eine optisch sichtbare und ästhetisch störende Spur hinterlassen. Dies hatte zu Kundenbeschwerden geführt. In der Define-Phase des Six Sigma Projekts wurde das Problem in der Weise eingegrenzt, dass die Kundenanforderung „Dichtes Türsystem“ (Y) durch Dichtungsmaterial, den Schließmechanismus und/oder den Wasserdruck (Xs) erreicht bzw. nicht erreicht wird. In der Measure-Phase wurden die Ist-Werte der heutigen Performance sowie die Grenzwerte der Einflussfaktoren, ab denen der Fehler auftritt, ermittelt. Die Streuung der Werte war dabei relativ groß. Auf der Basis dieser Ergebnisse wurden die jetzige Fähigkeit und die zu erwartenden Defekte berechnet. In der Analyse-Phase wurden mit einem Pareto-Chart die Hauptursachen für den Defekt ermittelt. Fast 80 % des Problems wurden durch die Türdichtung verursacht, ca. 10 % durch das Türglas, 5 % durch das Scharnier und der Rest durch die Passform des Rahmens der Tür. Mit Hilfe einer Ursachen-Wirkungs-Analyse auf der Basis des Ishikawa-Diagramms konnten die Einflussfaktoren in Beziehung gesetzt und gewichtet werden, und zwar insofern, ob die Ursachen z.B. stärker im Material, dem Fertigungsprozess oder der Qualifikation der Mitarbeiter (weitere Xs) lagen. Durchgeführt wurden hierzu Versuchsplanungen mit einem teilfaktoriellen Design of Experiment, die sich darauf konzentrierten, den Druck zu messen, wenn das System leckt. Die folgende Improve-Phase konzentrierte sich darauf, aus den zu vernachlässigenden Einflüssen die wenigen maßgeblichen herauszufiltern. So war z.B. auch untersucht worden, ob die Wassertemperatur in der Waschmaschine oder die Lufttemperatur und -feuchtigkeit außerhalb (weitere potenzielle Xs) eine ursächliche Wirkung besitzen. Die besten Parametereinstellungen wurden dann erreicht, wenn das Scharnier an der Tür verändert wurde und mit der identischen Dichtung und dem bisherigen Schließmechanismus ein gleich großer Druck an allen Stellen des Bullauges sichergestellt war. Der Umstellungsaufwand in der Produktion war minimal, da es nur um eine veränderte Bohrung und damit Führung für den Türbolzen ging. Die hierdurch zu verzeichnende negative Image-Wirkung für das Produkt konnte behoben werden. Die anschließende Control-Phase belegte, dass der Prozess des defektfreien Türschließens und leckagefreien Waschbetriebs stabil war. Die Werte des Streuungsindexes bewegten sich alle im zulässigen Intervall. Zusammenfassend werden in einem 12-Phasen-Schema die wesentlichen Aktivitäten eines Six Sigma Projektes auf der Basis des DMAIC-Prozesses in Abbildung
Abbildung 35: 12-Phasen-Schema eines Six Sigma Projektes
Control
Improve
Analyse
Measure
Define
Six Sigma Prozess
Ziel der Problemlösung
hierdurch erreicht
(CTQw )? ij
12 Welche (nicht-)finanziellen Wirkungen haben wir
und seine (ihre) Phasen auf Dauer (Pci )?
11 Wie stabilisieren wir den (die) veränderten Prozess(e)
dann besser (KZ t=2 ij )?
10 In welchem Maße erfüllen wir die CTQs
CTQs auf der Basis analysierter Ursachen-Wirkungs-Beziehungen durch (CTQvij )?
9 Welche Verbesserungen führen wir bei den
Pi P1
KZ12
v
z
c
Pi
c
P1 w
t=2 KZijt=2 KZ12
v
KZ12 CTQij CTQ12
KZijz
t=1 KZijt=1 KZ12
KZij
CTQij CTQ12
12 CTQijw CTQ12
11
10
9
8
8 Welches Zielniveau legen wir für die CTQs fest (KZzij)?
6
5
7
Wie messen wir die Erfüllung der CTQs durch Kennzahlen und Messgrößen (KZij)?
Aj
A31
P3
w
CTQ23
w
CTQ21
c
P2
t=2 KZ23
t=2 KZ21
CTQ23
v
CTQ21
v
w
CTQ31
c
P3
t=2 KZ31
v
CTQ31
KZ21 KZ31 KZ23 KZt=1 t=1 21 t=1 KZ31 KZ23 z KZ21 z KZz23 KZ31
CTQ21 CTQ31 CTQ23
A23
A21
P2
Projekt Charter 3 Prozesse Z 2 A 1 i e 4 A l 2 A12 1 uk A3 n d e " -" -" (n)"
7 Wie erfüllen wir heute die CTQs (KZt=1 ij )?
6
Critical to Quality Merkmale (CTQij)?
5 Was sind dabei die Werttreiber als
durch welche Prozesse erfüllt (Aij)?
4 Welche Kundenanforderungen werden
3 Was sind unsere kundenorientierten Prozesse (Pi)?
2 Was sind seine (ihre) Anforderungen (Aj)?
1 Wer ist (sind) unser(e) Kunde(n)?
Six Sigma Basis: Problembeschreibung
Armin Töpfer 87
35 wiedergegeben. Die meisten Inhalte sind dabei durch die vorstehenden Ausführungen selbsterklärend, so dass die Interpretation kurz gehalten werden kann.
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Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
Die Ausgangsbasis ist immer die Problembeschreibung, das Ziel der Problemlösung und die darauf basierende Projekt bzw. Team Charter. Wie erkennbar ist, werden die fünf Schritte des DMAIC-Zyklus nicht nur einmal, sondern in den 12 Phasen des gesamten Six Sigma Prozesses mehrfach inhaltlich durchlaufen. Die Ausgangsbasis in der Define-Phase ist die Analyse der Kunden (1) und ihrer wichtigsten Anforderungen (2). Hieran schließt sich die Präzisierung der kundenorientierten Prozesse im Unternehmen an (3). Dies ist in nicht wenigen Unternehmen bereits eine Hürde, und zwar erst recht, wenn es darum geht, welche Kundenanforderungen durch welche Prozesse erfüllt werden (4). Wenn die Prozessphasen im Detail analysiert und beschrieben sind, lassen sich hierauf bezogen die Werttreiber als Critical to Quality Merkmale (CTQs) ermitteln (5). Durch sie werden die Kundenanforderungen mit den Prozessen erfüllt. Deshalb ist es erforderlich, Kennzahlen und Messgrößen für die Erfüllung dieser CTQs festzulegen (6). Nun beginnen weitere Aktivitäten für die Mess- und Analysephase, nämlich wie gut erfüllen wir heute die Kundenanforderungen (7) und welches Zielniveau wollen wir in der Zukunft erreichen (8). Die Improve-Phase setzt auf dem vorstehend ausführlich beschriebenen Analyseprozess von Ursachen (Xs) und Wirkungen (Ys) auf und filtert die Verbesserungen mit der stärksten Wirkungskombination heraus (9). Hieran schließt sich die Messung in der Control-Phase an, um über die Kennzahlen (KZ) zu ermitteln, um wie viel besser jetzt die CTQs erfüllt werden (10). Die anschließende Aufgabe besteht darin, die veränderten Prozesse auf dem geforderten Niveau zu stabilisieren (11). Die abschließende Ermittlung der gesamten Wirkungen bildet die Grundlage für die Berechnung des Net Benefit (12). Der gesamte DMAIC-Zyklus soll an dieser Stelle zur Verdeutlichung des Zusammenhangs der einzelnen Phasen noch einmal an einem konkreten Beispiel in seinen Inhalten nachvollzogen werden (siehe Abbildung 36). Es handelt sich dabei um einen Flugzeugturbinen-Hersteller, bei dem generell bei seinem Produkt und allen wichtigen Vorprodukten 6σ-Qualität gefordert ist. Das Ziel ist bei diesem Six Sigma Projekt die Minimierung der Durchlaufzeiten bei der Wareneingangsprüfung. Als zu optimierende Ziel- und Messgrößen sind in der Define-Phase der Mittelwert und die Standardabweichung der Abteilungsdurchlaufzeiten definiert worden. Zur Minimierung des Datenbeschaffungsaufwands dient in der MeasurePhase ein vorhandener Datensatz aus dem Qualitätsmanagement-Bereich. Auf der Basis der ermittelten Messgrößen werden in der Analyse-Phase mit Hilfe einer Regressionsanalyse die kritischen Prozessschritte identifiziert. Die Analyse ergab, dass in dem Prozessabschnitt, der für die visuelle Beurteilung von Bauteilen zuständig ist, die höchste Streuung im Zeitverbrauch vorliegt. Dieser Bereich ist damit offensichtlich ein Engpassbereich. Die Begründung für die große Streuung ist eindeutig: Im Gegensatz zu einer zuverlässigen Prüfung durch eine Messmaschine – wie sie in anderen Prüfverfahren/-abteilungen üblich ist – besteht bei der visuellen Bauteil-Begutachtung ein relativ hoher Interpretationsspielraum seitens der verschiedenen Prüfer (vgl. Seufferlein 2003, S. 307).
Armin Töpfer
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Projektziel: Minimierung der Durchlaufzeiten Nächstes Projekt: Verringerung bei der Wareneingangs-Prüfung von Fertigungstoleranzen in der Define Prototypenphase
Control Überwachen der eingeleiteten Maßnahmen mit Hilfe von SPC
Measure
DMAIC-Zyklus
Improve
Analyse
1 Entwickeln von Hypothesen zum Prozessverhalten/ z.B. „Durchlaufzeit in der Abteilung verhält sich proportional zur Mitarbeiteranzahl“ 2 Überprüfen von Prozessverbesserungen mit Simulationssoftware CrystalBall („Monte-Carlo-Simulation“) 3
Ver-/Abgleichen von realen Datensätzen mit dem simulierten Prozessverhalten, d.h. Verifizieren des Modells
4 Optimieren des Prozesses auf Basis des statistischen Modells/ Ergebnis: Reduzieren der Standardabweichung um 30% durch verbesserte Auftragseinsteuerung 5 Umsetzen von konkreten Verbesserungsmaßnahmen/ z.B. Abteilungsleiter erhält Ist-Bedarfsvorschau mindestens 10 Tage im voraus
Ermitteln von Mittelwert und Standardabweichung der Abteilungsdurchlaufzeiten
Identifizieren von kritischen Prozessschritten mit Regressionsanalyse auf Basis Minitab: „Visuelle Beurteilung von Bauteilen“ als prozessbestimmende Unterabteilung mit höchster Streuung („Flaschenhals“)
Six Six Sigma Sigma ==
wertvolles wertvolles Tool Tool für für schnelle schnelle
+
nachvollziehbare nachvollziehbare Prozessoptimierung Prozessoptimierung
Quelle: Seufferlein, R. (2003), QZ 04/03, S. 306-309
Abbildung 36: Six Sigma Projekte im Einkauf von MTU Aero Engines
Den Verbesserungsmaßnahmen in der Praxis wurden zunächst Hypothesen zum Prozessverhalten und Simulationen für Verbesserungen zugrunde gelegt. Dabei konnte festgestellt werden, dass sich die Standardabweichungen der Input-, Prozess- und Outputmessgrößen weitestgehend linear zueinander verhalten. Bezogen auf die Prozess-Durchlaufzeit bedeutet dies: Verringert man die Standardabweichung des Teilprozesses „Einsteuerung von Prüfaufträgen“ um 20 %, dann verringert sich die Standardabweichung des Hauptprozesses „Wareneingangsprüfung“ ebenfalls um 20 %. Die konkret umgesetzten Ergebnisse in der Improve-Phase erbrachten eine verbesserte Auftragseinsteuerung mit einer um 30 % geringeren Zeitabweichung in der Wareneingangsprüfung. Zugleich wurde hierdurch eine deutlich bessere Planungsgrundlage für den Einkauf mit einer 10-Tages-Vorausschau erreicht. Aufgrund der positiven Erfahrungen wurden mit dem nächsten Six Sigma Projekt die Fertigungstoleranzen bei der Prototypenerstellung reduziert.
4
Wirkungen und Ergebnisse von Six Sigma
Auf diese Wirkungen und Ergebnisse von Six Sigma Projekten und einer gesamten Six Sigma Initiative wird zum Abschluss dieses Artikels detaillierter eingegangen. Die Kernfragen sind dabei, welche Wirkungen sich durch die Verbesserungen in einem Six Sigma Projekt nachweisen lassen und welche Ergebnisse
90
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
dann diesem einzelnen Projekt zugerechnet werden respektive zugerechnet werden können. Zwei Kriterien besitzen hierbei eine zentrale Bedeutung, nämlich die Zeitdauer der Zurechnung und die Art der Wirkungen. Bezogen auf die Zeitdauer gibt es in der Weise eine weitgehend einheitliche Regelung, dass in den Net Benefit nur die Wirkungen und Ergebnisse der ersten zwölf Monate seit dem Projektabschluss eingerechnet werden. Dies ist eine „puristische“ Nutzenermittlung, da für diese Zeitspanne unmittelbare Wirkungsbeziehungen unterstellt bzw. erwartet werden können. Bezogen auf die Art der Wirkungen ist nach dem „Härtegrad“ der durch die Verbesserungen erreichten Ergebnisse zu fragen. Dies impliziert, welche Kosteneinsparungspotenziale und welche Nutzensteigerungspotenziale in die Ergebnisberechnung einbezogen werden. Auch bei dieser Kosten-Nutzen-Analyse empfiehlt sich eine konservative Berechnung, zum einen um sich keine Scheinwirkungen zuzurechnen und zum anderen um dann berechtigte Kritik von vornherein zu vermeiden (vgl. Bruhn/Georgi 1999, S. 33ff.). Unterschieden wird zwischen harten, d.h. direkten, und weichen, d.h. indirekten, Wirkungen sowie darauf basierend zwischen vier Arten von Einsparungen und Mittelzuflüssen (Savings): •
Direkte Einsparungen auf der Kostenseite (Savings 1) sind vor allem vermiedene operative Fehlerkosten. Durch den dann nicht erzeugten Ausschuss, die nicht erforderliche Nacharbeit und/oder vermiedene zusätzliche Prüfvorgänge lassen sich unmittelbare ausgabenwirksame Effekte vermeiden, die das Betriebsergebnis schmälern.
•
Direkte Wirkungen auf der Erlösseite (Savings 2) sind vor allem durch vermiedene operative Fehlerkosten – im Sinne von Kosten von Blindleistungen – bewirkte Einnahmen- und dadurch Umsatzsteigerungen. Wenn gegenüber dem Kunden keine Kulanz in Form von Preisreduzierung oder Wandlung notwendig ist, dann führt dies aufgrund der vermiedenen Margenschmälerung zu einem operativen Geldzufluss durch erbrachte fehlerfreie Marktleistungen.
•
Indirekte Einsparungen auf der Kostenseite (Savings 3) entstehen dadurch, dass durch vermiedene operative Fehlerkosten der Aufwand an Lagerhaltung, Logistik, Disposition, Verwaltung und Technischem Service deutlich geringer gehalten werden kann. Dies entspricht vermiedenen operativen Fehlerfolgekosten, die zugleich die Kapitalbindung reduzieren. Aufgrund des Gemeinkostencharakters besteht hier allerdings das Problem, die Kosteneinsparungen bezogen auf das einzelne Six Sigma Projekt konkret zu beziffern.
•
Indirekte Wirkungen auf der Erlösseite (Savings 4) entsprechen den vermiedenen strategischen Fehlerfolgekosten. Sie sind bekanntlich dadurch gekennzeichnet, dass unzufriedene Kunden nicht mehr kaufen und abwandern sowie ihre negativen Erfahrungen anderen mitteilen, die dann ebenfalls nicht beim
Armin Töpfer
91
Unternehmen kaufen. Im gegenteiligen Fall – bei hoch zufriedenen Kunden – wäre nicht nur die „Null-Linie“ erreicht, sondern zusätzlich positive Empfehlungseffekte. Dies gipfelt in der Berechnung des direkten und potenziellen Kundenwertes im Sinne der Customer Equity, also des Kapitalwertes eines Kunden (vgl. Töpfer 1999, S. 346ff.). Der Kundenzufriedenheitsindex (CSI) und der Kundenbindungsindex (KBI) sind hierfür eine verwertbare Berechnungsbasis. Diese Ausführungen machen deutlich, dass die ersten beiden direkten Wirkungen (Savings 1 und 2) unmittelbare Liquiditätswirkungen besitzen, also direkt den Cash Flow erhöhen. Die beiden folgenden indirekten Wirkungen (Savings 3 und 4) haben demgegenüber nur auf Opportunitätskosten und -erlöse bezogene Wirkungen. Sie mehren also rechnerisch den Unternehmenserfolg, ohne bereits kurzfristig zu einem nachweisbaren Liquiditätszufluss und dadurch zu einer Ergebnissteigerung zu führen. Abbildung 37 stellt diese Zusammenhänge bildlich dar.
Qualität
Savings 1-4 Innovation
Zeit
Kosten
ng irku sw rlö ig) e / ist nste erfr sko äng Savings 4 ität kt + l n u e t por (indir Op
ng irku tig) s sw Savings 2+3 ität urzfri d i u k L iq e k t + Prozess/ r i (d
Savings 1
Unternehmenserfolg/ Unternehmensergebnisse erhöhen
Kundenzufriedenheit/ Kundennachfrage steigern
Prozessergebnis verbessern = Erträge steigern
Fehler/ Fehlerkosten reduzieren CTQ aus Unternehmenssicht CTQ aus Kundensicht
CTQ = Critical to Quality Merkmale
Abbildung 37: Six Sigma Projektwirkungen
Damit ist bereits klar, dass in die Net Benefit Analyse von Six Sigma Projekten nur die beiden ersten direkten Wirkungen (Savings 1 und 2) eingerechnet werden können. Savings 3 können innerhalb von 12 Monaten bereits anfallen, sind aber in ihrer Größenordnung nur schwer isoliert zu bestimmen. Savings 4 entwickeln ihre Wirkung i.d.R. erst längerfristig und sind dann auch nur in einem potenziellen Ausmaß berechenbar. Von den berücksichtigten Savings sind jeweils die direkten Kosten durch die Ressourcenbindung von Personal und Sachmitteln in einem Six Sigma Projekt in Abzug zu bringen. Dies ergibt den Net Benefit. Er ist also die
92
Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
Summe der direkten Einsparungen und direkten Erlöse durch ein Six Sigma Projekt abzüglich der direkten Kosten bei der Projektdurchführung. Die sich hieran anschließende Frage ist die nach der Höhe der durchschnittlichen operativen Netto-Einsparungen respektive -Einnahmen durch ein einzelnes Six Sigma Projekt. In der Unternehmenspraxis ist hierüber eine deutlich größere Auskunftsbereitschaft zu verzeichnen als zum Weg und den Methoden, wie diese positiven Effekte erzielt wurden. Die Zahlen und Angaben hierzu schwanken beträchtlich, da dies – wie eingangs ausgeführt – von der Art und dem Ansatzpunkt des Projektes sowie von der Anzahl der durchgeführten Projekte und dem Six Sigma Fähigkeitsniveau im Unternehmen abhängt. Der Standardwert in größeren Unternehmen mit einem entsprechenden Durchsatz in den Prozessen und Volumen an Produkten liegt bei ca. € 125.000 pro 3-6 Monatsprojekt. Die Untergrenze reicht bei Trainingsprojekten in der Black Belt Ausbildung bis € 25.000. Eine Obergrenze lässt sich kaum ausmachen, da sie von den oben genannten Faktoren abhängt. Die unmittelbare Folgefrage ist, ob sich durch Six Sigma Projekte weitere übergeordnete Kosteneinsparungen respektive Erlössteigerungen realisieren lassen. Generell ist davon auszugehen, dass mit steigender Anzahl von durchgeführten Six Sigma Projekten hohe Erfahrungskurveneffekte (Economies of Experience) im Unternehmen zu verzeichnen sind, auch wenn der isolierte Lerneffekt aus Six Sigma Projekten am Anfang deutlich höher ist. Eine hohe kundenorientierte Qualität, dadurch dass die CTQs gut erfüllt werden, führt aufgrund der Savings 2 und vor allem der Savings 4 zu nachvollziehbaren Umsatzsteigerungen und damit zu Skaleneffekten (Economies of Scale). Economies of Scope lassen sich als Verbundeffekte durch Six Sigma Projekte in dem Maße erzielen, in dem gemeinsame Fertigungsanlagen für mehrere Produktgruppen genutzt werden. Zusätzlich entstehen sie vor allem dadurch, wenn von den Lieferanten eines Unternehmens ebenfalls gefordert wird, dass sie das gleiche Sigma-Niveau wie ihr Abnehmer in der Wertschöpfungskette erreichen. Erfahrungswerte belegen, dass Einsparungen in produzierenden Unternehmen aufgrund des höheren betriebsnotwendigen Kapitals in größeren Ausmaß in Form von Kosteneinsparungen anfallen. In umgekehrter Sicht tritt in Dienstleistungsunternehmen eine Ergebnisverbesserung durch Six Sigma Projekte überwiegend durch Umsatzsteigerungen und weniger durch Kosteneinsparungen auf. Nachdem General Electric Mitte der 1990er Jahre mit Six Sigma Aktivitäten begonnen hatte, wurden die Zahlen der erreichten Net Benefit Summen von diesem Unternehmen pro Jahr veröffentlicht. Dies verdeutlichte zum ersten Mal in harten Zahlen, welche Ergebniswirkungen mit Six Sigma Projekten erreichbar waren. Nicht zuletzt hierdurch kam es in führenden Unternehmen von Branchen mit intensivem Wettbewerb zu der an früherer Stelle beschriebenen „Six Sigma Bewegung“. Abbildung 38 zeigt die Kosten und die Einsparungen sowie damit auch die Netto-Effekte der realisierten Six Sigma Projekte. Insgesamt waren unter
Armin Töpfer
93
Jack Welch als ehemaligem CEO über 100.000 Six Sigma Projekte in allen unterschiedlichen Sparten des Unternehmens durchgeführt worden. 1996 war der Aufwand größer als die erzielten Einsparungen. Diese stiegen in den Folgejahren überproportional an, so dass für das Jahr 1999 ein Net Benefit von ca. $ 2,0 Mrd. und für das Jahr 2000 ein Net Benefit von $ 2,9 Mrd. erreicht wurde. Wie nachvollziehbar ist, stieg ab 1997 das Verhältnis von Einsparungen zu Kosten kontinuierlich um mindestens einen Faktor, also zunächst eine Verdoppelung (1997/ 1998), im Jahre 1999 ist die Relation bereits 5 zu 1, im Jahre 2000 fast 6 zu 1. • Verbesserung der internen Prozesse interessiert den Kunden nicht
3.500
• Jedes neue Produkt ist „DFSS“ – Designed For Six Sigma
3.000
• In wenigen Jahren wird die Kultur und das Management unumkehrbar von Six Sigma geprägt sein
2.000
• Six Sigma wird dabei auf den Erfolg des Kunden fokussiert sein
3.500
In Mio. $
2.500
2.500
1.200
1.500
700
1.000 500
170 200
380
450
500
600
1997
1998
1999
2000
0
1996
Kosten
Einsparungen
„Abweichung ist der Teufel in allen Kundenkontakten“ Quelle: General Electric 1999/2001
Abbildung 38: Six Sigma bei General Electric
Unter Jeffrey Immelt, dem neuen CEO seit 2001 und ausgebildeten Black Belt, wird diese Initiative mit der gleichen Priorität und entsprechendem Nachdruck weitergeführt (vgl. Effinger/Layne 2002, S. 2f.). Das Unternehmen GE arbeitet intensiv daran, das Six Sigma Konzept in der gesamten mehrstufigen Wertschöpfungskette, also auch bei den Kunden- und Lieferanten-Unternehmen, zu etablieren (vgl. Brady 2003, S. 60ff.). Gemäß dem Motto „The more successful our customers are, the more successful we will be!“ besteht das Ziel bei GE darin, die Produktivität und Wirtschaftlichkeit des gesamten Leistungserstellungsprozesses zu optimieren. Trotz der vielfältigen Bedenken hinsichtlich eines möglichen Know-how-Abflusses in den Kunden-Unternehmen haben im Jahr 2003 bereits 40 % aller GE-Partner Interesse an der Einführung eines Six Sigma Projektmanagements bekundet. Neben der Bereitstellung von Black Belts für Projekttätigkeiten bietet GE seinen Kunden intensive Six Sigma Trainingsmaßnahmen, umfangreiche Marktforschungsstudien über gemeinsame Märkte sowie teilweisen Zugang zu wichtigen Forschungsaktivitäten und -ergebnissen an.
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Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
Nun wieder zurück zum generellen Thema der mit Six Sigma erreichbaren Verbesserungen: Externe Kunden interessiert die Verbesserung der internen Prozesse beim Lieferanten nicht unmittelbar, sondern nur indirekt in dem Maße, wie die Qualität der Marktleistungen aus Kundensicht deutlich gesteigert wird. Entsprechendes gilt für Shareholder und dabei speziell für institutionelle Anleger und Analysten. Sie sind nicht unmittelbar an einer Erhöhung des Sigma-Niveaus in führenden Unternehmen interessiert, sondern an einer Erhöhung der Rentabilität und damit der Dividende und der Marktkapitalisierung. Allerdings verstehen immer mehr Kapitalmarkt-Experten den Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang zwischen einer Steigerung des Sigma-Niveaus und einer zumindest mittelfristig dadurch erzielbaren Steigerung des Unternehmenswertes. Jedoch muss davor gewarnt werden, einen Automatismus zwischen dem Beginn und der Durchführung einer Six Sigma Initiative in einem Unternehmen sowie einer sich dann ergebenden Steigerung des Unternehmenswertes zu unterstellen. Die Entwicklung und das erreichte Niveau von General Electric sind sicherlich nicht verallgemeinerbar. Dies ist vor allem darin begründet, dass General Electric bereits vor der Six Sigma Initiative – insbesondere durch das vorherige mehrjährige Workout-Programm – bereits ein hohes Niveau der Unternehmensqualität erreicht hatte und damit gut vorbereitet war für die „Six Sigma Reise“. Dies trifft auf viele andere Unternehmen nicht zu, da sie weder ein vergleichbares Ausgangsniveau noch einen entsprechenden Reifegrad des Managements besitzen. Diese Erkenntnis sollte Unternehmen, die Six Sigma einführen wollen, eher dazu bewegen, die Messlatte der Anforderungen für eine erfolgreiche Umsetzung höher zu definieren, um so Misserfolge und Frustrationen zu vermeiden. Vergleicht man die erwirtschafteten Net Benefits unterschiedlicher Unternehmen, soweit sie veröffentlicht und damit verfügbar sind, dann zeigen sich erhebliche Unterschiede in der Höhe der im Zeitablauf erwirtschafteten Einsparungen durch Six Sigma. Ein Effekt ist dabei nachvollziehbar, nämlich das die Zuwächse in späteren Jahren deutlich höher sind als zu Beginn. Dies unterstützt die oben formulierten Thesen, dass eine Six Sigma Initiative mehrere Jahre benötigt, um im Unternehmen nach dem Roll-Out eine breite Flächenwirkung als Erfahrungskurveneffekte zu entfalten, und dass sich über die Wirkungen am Markt erst nach mehreren Jahren nachhaltige Skalen- und Verbundeffekte einstellen. Abbildung 39 gibt diese Zahlen der Unternehmen Motorola, General Electric und Allied Signal wieder. Diese Ergebnisse sprechen für sich. Die Frage ist dann generell, wie die erwirtschafteten liquiditätswirksamen Einsparungen, also effektiven Geldzuflüsse, verwendet werden. Hierzu gibt es zumindest eine plausible „Daumenregel“, die für Normalsituationen in der Unternehmenspraxis gilt: •
Ein Drittel soll den Kunden zugute kommen, und zwar direkt über Preise bzw. Rabatte oder indirekt über Investitionen in einen höheren Kundennutzen.
Armin Töpfer
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•
Ein Drittel verbleibt als Gewinn im Unternehmen und kommt damit unmittelbar den Shareholdern durch Ausschüttung zugute oder steigert den Unternehmenswert.
•
Das letzte Drittel wird aufgeteilt, und zwar zum einen in der Weise, dass die Prämien der Six Sigma Akteure und dabei insbesondere der Black Belts hieraus finanziert werden. Circa 10 % der erwirtschafteten Einsparungen sollten in Six Sigma Projekte (re-)investiert werden, um so einen ausreichenden finanziellen Rahmen für das Heben von weiteren Kostensenkungspotenzialen durch Six Sigma Projekte zu haben. Dies fördert auf Dauer Motivation und Engagement und sichert den erforderlichen Budgetrahmen in Anschubphasen. 3σ
Motorola
1,4 Mrd. $ in 8 Jahren
1987 1987
1995 3σ 1995
Allied Signal
1992
1999
16 Mrd. $ in 17 Jahren
1987
General Electric
1994
14 Mrd. $ in 13 Jahren
1,2 Mrd. $ in 4 Jahren
2003
3,5 σ 1998
6 Mrd. $ in 6 Jahren
1,5 Mrd. $ in 5 Jahren
Ziel: 6 σ
Be isp
iel
e
2000
1996
Six Sigma = Cash-Generator zur Steigerung des Unternehmenswertes Quelle: Air Academy Associates 1999; Conlin in: Forbes 26.01.98; General Electric/ Motorola University: What is Six Sigma?; 24.04.2003
Abbildung 39: Ersparnis durch Six Sigma
5
Sieben Missverständnisse zu Six Sigma
Abschließend und zusammenfassend wird auf sieben Missverständnisse über die Anwendbarkeit von Six Sigma aus Sicht der Unternehmenspraxis und aus Sicht der Statistik eingegangen. Sie sind in Abbildung 40 aufgeführt und werden im Folgenden kurz erläutert. Die Argumentation richtet sich dabei weniger an Qualitätsmanagementexperten, sondern vielmehr an das Management, um die Philoso-
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Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
phie, statistische Umsetzung und praktische Anwendung des Six Sigma Konzeptes besser zu verstehen.
1
Nur bei Prozessen mit hoher Fallzahl möglich
2
Nur absolute Fehlerzahl/Fehlerrate (PPM) berücksichtigt
3
Prozesse und Qualitätsniveaus aufgrund unterschiedlicher Komplexität nicht vergleichbar
4
Immer absolute Fehlerfreiheit gefordert
5
Ziel, Ergebnisse sind immer innerhalb definierter Toleranzen, betrachtet werden aber Abweichungen außerhalb der Toleranzgrenzen
6
Steigerung der Qualität von 99% auf Six Sigma Niveau bringt nur geringe Kosteneinsparungen
7
Wirkungen von Six Sigma Projekten „schöngerechnet“, da auch indirekter Nutzen durch z.B. Kundenbindung und Weiterempfehlung berücksichtigt
Abbildung 40: 7 Missverständnisse über die Anwendbarkeit von Six Sigma
Das erste Missverständnis geht dahin, dass die Vorstellung besteht, Six Sigma sei nur bei Prozessen mit einer hohen Fallzahl möglich. Wie ausgeführt wurde, ist die Basis von 1 Million zweckmäßig, um die Fehlerhöhe bei 6 σ nicht ausschließlich in Dezimalstellen auszudrücken. Sie sagt aber in keiner Weise etwas über die notwendige Höhe der Fallzahlen. Das zweite Missverständnis besteht darin, dass bei Six Sigma nur die absolute Fehlerzahl, also die Fehlerrate (PPM), von Produkten und Transaktionen berücksichtigt wird. Da auch die Fehlermöglichkeiten, also die Fehlerquote (DPMO), einbezogen werden, wird – bei komplexen Prozessen – eine praxisgerechtere Relation erreicht. Die unterschiedliche Komplexität wird im dritten Missverständnis als Beleg dafür genommen, dass Prozesse und deren Qualitätsniveaus nicht direkt vergleichbar sind. Durch die Berücksichtigung der Fehlermöglichkeiten (OFD) beim DPMOWert und die Berechnung des Sigma-Wertes auf der Basis einer Standardnormalverteilung ist diese Vergleichbarkeit unmittelbar gegeben. Es ist also ein Vergleich von Prozessen völlig unterschiedlicher Art und Inhalte möglich. Bei der Verwendung der Fehlerrate (PPM) als Qualitätsmaßzahl ist dies nicht möglich, da hierbei die Unterschiede in der Prozesskomplexität aufgrund der vorhandenen Bauteile und Montageschritte nicht berücksichtigt werden. Das vierte Missverständnis bezieht sich darauf, dass bei Six Sigma angeblich immer eine absolute Fehlerfreiheit gefordert ist. Dies trifft nicht zu, angestrebt wird vielmehr eine relative Fehlerfreiheit. Sie besagt, dass Fehlerfreiheit dann
Armin Töpfer
97
gegeben ist, wenn alle Werte der untersuchten Transaktion bzw. des analysierten Produktes/Bauteils innerhalb der vom Kunden definierten Toleranzgrenzen liegen und damit die CTQs erfüllt sind. Dies kann offensichtlich auch der Fall sein, wenn Fehler/Mängel vorliegen, die vom Kunden toleriert werden. Das fünfte Missverständnis hat eine statistische Fragestellung zum Gegenstand: Das Ziel ist bei einer Six Sigma Initiative, dass die Ergebniswerte immer innerhalb vom Kunden definierter Toleranzgrenzen und damit möglichst nah am definierten Mittelwert liegen. Betrachtet werden aber bei der Standardnormalverteilung die Abweichungen außerhalb der statistischen Toleranzgrenzen. Die Antwort und Auflösung ist einfach: Basis ist der Sachverhalt, dass Fehler bzw. genauer die Fehlerquote die Komplementärmenge zur Ausbeute sind. Je kleiner also die statistischen Abweichungen im Randbereich der Verteilung sind, desto eher liegen die Werte bei stabiler Streuung und Lage/Niveau innerhalb der vom Kunden definierten Toleranzgrenzen. Das sechste Missverständnis ist zugleich ein massives Vorurteil, dass nämlich die Steigerung der Qualität von 99 % auf Six Sigma Niveau nur geringe Kosteneinsparungen bringt. Wie anhand von Beispielen aufgezeigt wurde, bewirkt praktizierte Null-Fehler-Qualität im Vergleich zum Durchschnitt der Unternehmen mit 3,8 σ Kosteneinsparungen von mindestens 20 % der Gesamtkosten bzw. des Jahresumsatzes, vor allem weil die gesamte Infrastruktur für die Fehlerbeseitigung nicht mehr vorgehalten wird. Das siebte und letzte Missverständnis hat die Nutzenermittlung von Six Sigma Projekten zum Gegenstand, und zwar in der Weise, dass Wirkungen von Six Sigma Projekten „schöngerechnet“ werden, da auch der indirekte Nutzen durch z.B. Kundenbindung und Weiterempfehlung berücksichtigt werden. Hier sind die „Spielregeln“ von Six Sigma völlig klar: Nur liquiditätswirksame Kosteneinsparungen und/oder Umsatzsteigerungen innerhalb von 12 Monaten nach Beendigung eines Six Sigma Projektes fließen in die Berechnung des Net Benefit ein.
6
Literatur
Bertsche, B./Lechner, G. (2004): Zuverlässigkeit im Fahrzeug- und Maschinenbau: Ermittlung von Bauteil- und System-Zuverlässigkeiten, 3. Aufl., Heidelberg 2004. Brady, D. (2003): Will Jeff Immelt´s New Push Pay Off for GE?, in: BusinessWeek, European Ed., 13.10.2003, S. 60-63. Bruhn, M./Georgi, D. (1999): Kosten und Nutzen des Qualitätsmanagements, München/Wien 1999.
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Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma Armin Töpfer, Swen Günther
Inhalt 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
1
Gründe und Ziele von Design for Six Sigma (DFSS)................................................100 Vorgehensweise im Entwicklungsprozess – DMADV ..............................................105 Ermittlung der Kundenanforderungen – VOC...........................................................112 Umsetzung der Kundenanforderungen durch QFD ...................................................117 Integrierter Methodeneinsatz mit Conjoint Analyse und Target Costing...................123 Robuste Produkte und Fehlervorbeugung durch FMEA............................................129 Risikomanagement zur Risikobegrenzung.................................................................133 Zeit- und Kosteneinsparungen mit Hilfe von DOE....................................................138 Erfinderisches Problemlösen mit TRIZ .....................................................................149 Erzielbare Wirkungen durch Design for Six Sigma...................................................165 Literatur .....................................................................................................................169
Gründe und Ziele von Design for Six Sigma (DFSS)
In der Unternehmenspraxis hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Fehler und Versäumnisse in der Produktentwicklung ein Unternehmen in den anschließenden Wertschöpfungsphasen der Produktion und der Vermarktung einschließlich der Aktivitäten im technischen Service und in der Garantie/Kulanz teuer zu stehen kommen können. Die Beschaffung kann zusätzlich in der Weise tangiert sein, dass ein geringerer Anteil an standardisierten Vorprodukten und an Gleichteilen Fehlerkosten und insgesamt Herstellkosten erhöht. In der Produktion können durch eine „intelligente“ Entwicklung des Produktes Kosten dadurch gespart werden, dass Bauteile im Sinne von Design for Manufacturing and Assembly (DFMA) eingespart, vereinfacht und montagefreundlich gemacht werden. In der Servicephase können Defizite der Entwicklung sich dann in erhöhten Servicekosten auswirken, wenn das Produkt wenig servicefreundlich gestaltet ist, also die notwendigen Wartungs- bzw. Reparaturarbeiten aufgrund einer schlechten Konfiguration des Produktes einen zu hohen Demontage- und Montageaufwand erfordert. Dies entspricht der bekannten „Zehnerregel“ des Qualitätsmanagements, dass sich also Defizite und Versäumnisse einer vorgeschalteten Wertschöpfungsphase mit dem Faktor 10 in Fehlerkosten auf jeder nachfolgenden Wertschöpfungsphase auswirken (vgl. Pfeifer 1996, S. 11). In Abbildung 1 sind diese Zusammenhänge vereinfacht dargestellt.
Armin Töpfer, Swen Günther
101
Die Erkenntnis dieser Sachverhalte besagt, dass – entsprechend den Kosten der Übereinstimmung – in einer frühen Phase des Produktlebenszyklus alle Qualitätskosten eine Investition sind mit dem Ziel, Fehlerprävention zu betreiben und damit zukünftige Fehlerkosten zu vermeiden bzw. gering zu halten. Die umgekehrte Sichtweise führt zu dem Ergebnis, dass hohe Kosten der Abweichung dann entstehen, wenn nicht frühzeitig in die Qualität von Produkten und Prozessen investiert wurde und deshalb in späteren Wertschöpfungsphasen kumulierte Fehlerkosten in Kauf genommen werden müssen.
Möglichkeit, um Qualität zu beeinflussen
Kosten, um Qualität zu beeinflussen
Spektrum der Qualitätsbeeinflussung
Spektrum der Qualitätskosten
Idee
Planung Entwicklung Produktion Wartung - Produktentstehung und -verwendung -
Reparatur
Frühe Qualitätsorientierung senkt Kosten
Abbildung 1: Spektrum der Qualitäts- und Fehlerkosten
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie hoch die Kosten der einzelnen Wertschöpfungsphasen sind und wie groß ihr Einfluss auf die Kosten im gesamten Lebenszyklus des Produktes ist. Wenn hierbei, wie Abbildung 2 erkennen lässt, ein Missverhältnis vorliegt, dann ist dies ein gezielter Ansatzpunkt für konkrete Verbesserungen. In der Entwicklungsphase besteht demnach das größte Missverhältnis, da 5 % der effektiven, also tatsächlichen Kosten bis zu 70 % der Gesamtkosten beeinflussen respektive festschreiben können. Ein schlechtes technisches Design des Produktes und ein unzureichender Design- bzw. Entwicklungsprozess können diese hohen Auswirkungen auf die Gesamtkosten verursachen. Genau hier besteht der Ansatzpunkt für Design for Six Sigma (DFSS). Aus diesem Grund gilt es gerade bei komplexen Produkten, wie z.B. Automobilen, Computern und Handys, Qualität von Beginn an „hineinzuentwickeln“ und Maßnahmen zur Fehlervermeidung so früh wie möglich zu ergreifen. Entsprechendes gilt auch für Dienstleistungsprodukte: Wenn z.B. eine Telefongesellschaft auf der Basis unterschiedlicher Nutzungszeiten und Kundengruppen eine Vielzahl
102
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
von Tarifen anbietet, dann führt die Komplexität unweigerlich zu Problemen und Fehlern in der Erfassung und Abrechnung. Die Folge sind unzufriedene Kunden. Werden hingegen nur ein oder zwei Tarife angeboten, dann sind die Gebührenerfassung und -abrechnung deutlich einfacher zu handhaben. Einfachere Hard- und Software sowie weniger Fehlermöglichkeiten gehen einher mit einer höheren Transparenz, was insgesamt die Kundenzufriedenheit steigert. Anteil an Gesamtkosten Effektive Kosten der Phasen
30%
15%
Verwaltung
5% 5% 20%
Personal
Material
Einfluss auf die Kosten im Lebenszyklus
70%
50%
5%
Design/ Entwicklung
Bei Bei Design/ Design/ Entwicklung: Entwicklung: Geringer Geringer Kostenanteil Kostenanteil versus versus hohe hohe Kostenauswirkung Kostenauswirkung Quelle: Harry/Schroeder 2000, S. 153
Abbildung 2: Einfluss von Design/Entwicklung auf die Gesamtkosten
Analysen in der Unternehmenspraxis haben ergeben, dass die Produktzuverlässigkeit über die Lebenszeit in einer „Badewannenkurve“ verläuft. Abbildung 3 verdeutlicht diesen Sachverhalt. Am Anfang existiert eine erhöhte Fehlerrate aufgrund der „Kinderkrankheiten“ eines Produktes, also nach der Markteinführung auftretenden Problemen und Fehlerkosten, die sowohl in der Entwicklung als auch in der Produktion begründet sein können. Der „Boden der Badewanne“ wird unmittelbar durch Defizite in Form von Design- und Entwicklungsschwächen gebildet. Am Schluss des Produktlebenszyklus erhöhen sich die Produktmängel durch Abnutzungserscheinungen. Die hierbei entstehenden Kosten können nur durch die Auslegung des Produktes für eine definierte Lebenszeit bzw. durch entsprechende Wartungs- und Instandsetzungsaktivitäten beeinflusst werden. Durch die Qualität der Entwicklung werden also die Kosten und die Kundenzufriedenheit im gesamten Lebenszyklus des Produktes geprägt. Es liegt auf der Hand, dass hierdurch unmittelbar eine Förderung oder Beeinträchtigung des Unternehmens im Wettbewerb verursacht wird. Das Ziel besteht darin, die Kosten in
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103
den drei Phasen so zu reduzieren, dass – bildlich gesprochen – aus der „Badewanne“ ein „flacher Teich“ wird. Konkret bedeutet dies, dass sowohl die Fehlerrate nach der Einführung und vor dem Absterben des Produktes reduziert wird. Der wichtige Block von Kosten aufgrund der Design- und Entwicklungsschwächen in der Mitte soll ebenfalls verringert werden, und zwar oftmals mit dem Ziel, zugleich den Lebenszyklus des Produktes insgesamt zu verlängern.
Fehlerrate
I Anfangsausfall (Kinderkrankheiten)
II Weitgehend störungsfreie Nutzung (Arbeitsleben)
III Abnutzung (Alterungsprozess)
Lebenszyklus
0
Fehlerrate
Qualitätsschwächen
Ausfall durch Abnutzung Probleme durch Design-/ Entwicklungsschwächen
0
Zeit Quelle: Harry/Lawson 1992, S. 1-4
Abbildung 3: Die „Badewannenkurve“ der Produktzuverlässigkeit
Im Ergebnis laufen diese Erkenntnisse darauf hinaus, dass die Funktionsfähigkeit eines Produktes nicht automatisch die Prozessfähigkeit der Produktherstellung bedeutet und umgekehrt. Der entscheidende Ansatzpunkt für Verbesserungen in der Produktentwicklung ist ein robustes Design, das die Grundlage für robuste Produkte und gleichzeitig für robuste Prozesse bildet. „Robust“ steht dabei für eine geringe Ausfallwahrscheinlichkeit von Produkten im Produktlebenszyklus und eine hohe Zuverlässigkeit (Fehlerfreiheit) der zugrundeliegenden Unternehmensprozesse. Die Robustheit von Produkten und Prozessen lässt sich im Unternehmen indirekt, z.B. mit Hilfe von internen/externen Fehlerraten bzw. -quoten, messen. Sie spiegelt sich außerdem im Sigma-Niveau des Outputs von Geschäftsprozessen wider, das – in Abhängigkeit von Unternehmen, Branche und Six Sigma Erfahrung – zwischen 3 und 6 Sigma liegt (vgl. hierzu den Artikel von Töpfer: „Six Sigma als Projektmanagement“). Aus Abbildung 4 ist ersichtlich, dass zum Erreichen eines hohen Sigma-Niveaus der Einsatz traditioneller QM-Methoden auch in Verbindung mit Six Sigma Projekten im Allgemeinen nicht ausreicht. In Höhe eines „5-Sigma-Niveaus“ existiert die sogenannte „5-Sigma-Wand“. Six Sigma Projekte in verschiedenen Unter-
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
nehmen haben gezeigt, dass ein Sigma-Niveau zwischen 4 und 5 in einem relativ kurzen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren erreichbar ist. Im Vergleich hierzu ist es deutlich schwieriger, die „5-Sigma-Wand“ nach oben hin zu durchbrechen. Wenn die Verbesserungen in anderen Wertschöpfungsphasen bereits umgesetzt wurden, dann ist das Qualitätsniveau in Höhe von Six Sigma i.d.R. nur über Six Sigma konforme F&E-Prozesse zu realisieren und dies heißt mit DFSS. 6
Sigma-Niveau
Mit Design For Six Sigma Die 5-Sigma-Wand
5
Mit traditionellen Six-Sigma-Methoden
4
3
1
2
Zeit
3
4
Jahre
Quelle: Six Sigma Exchange Newsletter, 12/2000, S. 6
Abbildung 4: Überwindung der 5-Sigma-Wand mit Hilfe von DFSS
Ziel von Design for Six Sigma ist es, Neuprodukte so zu entwickeln bzw. zu konstruieren, dass möglichst wenige Abweichungen in Form von Fehlern und Fehlerkosten auftreten. Wie oben angesprochen, zählt zu den Fehlerkosten sowohl das Auftreten und Beseitigen von Fehlern im Unternehmen (intern) als auch das Beheben von Fehlern beim Kunden in der Nutzungsphase (extern). Design for Six Sigma steht damit für ein proaktives Qualitätsmanagement, das die Qualitätssicherungsaktivitäten in Produktion und Absatz auf ein Mindestmaß reduziert. Durch den Charakter eines längerfristigen Hebels wird gleichzeitig die Notwendigkeit und Anzahl von Six Sigma Projekten in den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen minimiert. Während in der Entwicklung mit der Design for Six Sigma Philosophie Fehler mit relativ geringem Aufwand vermieden bzw. beseitigt werden können, stellen Six Sigma Projekte in den folgenden Wertschöpfungsphasen eine i.d.R. kostenintensivere Variante der Fehlerbeseitigung dar. In Form eines reaktiven Qualitätsmanagements unterstützen sie die kurzfristige „Reparatur“ und Verbesserung von Prozessen und Abläufen im Unternehmen. Die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Design for Six Sigma und Six Sigma (Projekten) sind in Abbildung 5 wiedergegeben.
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Design for Six Sigma (DFSS) • • • •
Konzentriert auf Entwicklung und Material/Teile Optimales Design = Robustes Design als Innovation Erfüllen aller wesentlichen Kundenanforderungen Vermeiden von ungewollten Folgekosten vor allem in der Produktion
Six Sigma • • • •
Konzentriert auf Prozesse/Abläufe Optimierung von Produktion/Wertschöpfung Erfüllen der internen Unternehmensanforderungen und externen Kundenanforderungen Vermeiden von Abweichungen/Fehlerkosten
Abbildung 5: Gegenüberstellung von Design for Six Sigma und Six Sigma
2
Vorgehensweise im Entwicklungsprozess – DMADV
Für jedes Unternehmen sind Innovationen wichtig, um die zukünftige Marktposition und den Erfolg des Unternehmens durch beispielsweise technologisch und/oder in der Umsetzung der Kundenanforderungen bessere Produkte sicherzustellen. Strategisch ist diese Tatsache jeweils zutreffend, bezogen auf das Qualitätsmanagement birgt sie jedoch zugleich ein Risiko. Denn jede Innovation, die ein besseres Produkt hervorbringen will, bringt die Gefahr mit sich, dass der neue oder veränderte Wertschöpfungsprozess nicht bzw. noch nicht auf einem fehlerfreien Niveau beherrscht wird. Diese Ausgangssituation ist in Abbildung 6 unter der Ziffer (1) dargestellt. Im magischen Dreieck von Qualität – Zeit – Kosten führt dann der nicht ausreichend beherrschte Prozess dazu, dass das innovative Produkt eine hohe Fehlerund oftmals Ausschussrate aufweist (2). Durch die notwendigen Nachbesserungen werden zusätzliche Zeit verbraucht und die Kosten nach oben getrieben (3). Design for Six Sigma ist dann der Hebel, um die Innovation so zu planen und umzusetzen (4), dass die Prozessqualität von Anfang an hoch und im Weiteren auch die Produktqualität gesichert ist (5). Beides hat eine positive Auswirkung auf den Verbrauch an Zeit und die Höhe von Kosten (6). Die Frage ist jetzt, wie dieser Six Sigma Steuerungsprozess bei Neuprodukten in der Entwicklung aussieht. Im Folgenden wird auf die fünf Phasen des DMADVProzesses (Define, Measure, Analyse, Design, Verify) näher eingegangen (vgl. Abbildung 7). Wie auch der DMAIC-Prozess geht sein Ursprung auf den bekannten PDCA-Zyklus (Plan, Do, Check, Act) nach Deming zurück.
106
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Qualität
Prozess
Qualität
Produkt +
Prozess
Innovation
Produkt
2
3
1
3
Innovation
Zeit
Kosten
Zeit
Kosten
5
Qualität
6 +
Zeit
Prozess +
4
Produkt
Innovation
+
6 +
Kosten
Gefahr: o Innovation = Veränderung Abweichung o Abweichung Zeit- und Kostentreiber o Vermeidung durch DFSS
Abbildung 6: Auswirkungen einer Innovation im Produkt/Prozess
Der traditionelle Six Sigma Prozess DMAIC (Define, Measure, Analyse, Improve, Control) für die Verbesserung von bereits vorhandenen Prozessen und Produkten wird jetzt in seinem Phasenablauf insofern abgewandelt, als die Kundenanforderungen intern wie extern ermittelt werden und die Qualität der Marktleistung daran ausgerichtet wird. Design for Six Sigma zielt also auf die Neuentwicklung oder das grundlegende Re-Design von Produkten und Prozessen ab, um bereits von Anfang an Six Sigma Qualität zu ermöglichen respektive zu erreichen. In Theorie und Praxis existieren hierzu eine Reihe phasenorientierter Vorgehensmodelle (z.B. DMADV, DMEDI oder DCCDI), anhand derer sich F&E-Projekte ergebnisorientiert steuern und durchführen lassen. DMEDI wird z.B. von der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers vertreten und steht für Define, Measure, Explore, Develop and Implement (vgl. Simon 2002, S. 1f.). DCCDI ist die Abkürzung für Define, Customer, Concept, Design und Implementation. Der Einsatz und die Verbreitung verschiedener Methoden im Rahmen des Design for Six Sigma mit z.T. geringem Standardisierungsgrad lassen sich insbesondere auf die branchenund unternehmensspezifischen Anforderungen im Entwicklungsprozess zurückführen. In den folgenden Ausführungen werden die fünf Phasen der DMADV-Methodik in der Weise erläutet, wie sie u.a. bei DFSS-Projekten im „Six Sigma Vorreiterunternehmen“ General Electric Anwendung finden, um bestehende Produkt- und Prozessdesigns komplett zu überarbeiten und neu zu gestalten. Das Fünf-PhasenModell wird zudem in der einschlägigen Literatur ausführlich behandelt (vgl. u.a. Cavanagh et al. 2005; Gitlow et al. 2006) und in vielen Six Sigma Unternehmen
Armin Töpfer, Swen Günther
107
als Standard zugrunde gelegt. Sie sind auch in anderen Beiträgen dieses Buches ausgeführt. Deshalb werden die in Abbildung 7 dargestellten Schritte und Inhalte der DMADV-Methodik nur im Überblick angesprochen. • Projektteam/ Projekt Charter festlegen • Ziele und Umfang des Projektes bestimmen • Schnittstellen zu anderen Prozessen/ Bereichen definieren/ Ressourcen bereitstellen
Definieren Define
Überwachen/ Steuern
Verify
Measure
Messen
• Kunden identifizieren, seg• Pilotierung: Leistungsfähigmentieren und priorisieren keit des neuen Produktes/ • Kundenbedürfnisse sammeln Prozesses überprüfen Design Analyse und analysieren/ Kundenan• Implementierung: Überfühforderungen mit Hilfe von ren in Arbeitsvorbereitung Entwickeln Analysieren QFD in CTQs überführen und Produktion/ Übergabe • Messen und Vergleichen bean Prozesseigner • Detailliertes Design • Designkonzepte auf der stehender Produkte mit in• Ergebnisse des neuen erarbeiten mit QFD Basis der Kundenanfor- ternem/ externem BenchProzesses kontinuier• Robustes Design mit derungen bestimmen marking lich überwachen optimalem CTQ-Ziel- • High Level Design entwert/ Kosten-Nutzenwickeln unter AnwenVerhältnis entwickeln dung von QFD und TRIZ unter Einsatz von DOE • High Level Design evalu• Implementierung vorieren unter Anwendung bereiten von FMEA/ Target Costing
Abbildung 7: Die fünf Phasen des DMADV-Prozesses
Define-Phase – Definieren des Projektes und Aufstellen der Projekt Charter •
Festlegen von Verantwortlichkeiten, Zusammenstellen des Projektteams, Beschreiben des Business Case und Aufstellen der Projekt Charter
•
Bestimmen der Projektziele unter Berücksichtigung der aktuellen Marktsituation sowie Eingrenzung des Projekts, ggf. Definition von Teilprojekten
•
Definieren von Schnittstellen zu benachbarten Prozessen und angrenzenden Bereichen, Bereitstellen von benötigten Ressourcen
Measure-Phase – Ermitteln der Kundenwünsche und Messen der Prozessleistung •
Identifizieren und segmentieren von Zielgruppen bzw. potenziellen Käufergruppen durch Befragung und Marktforschung
•
Ermitteln der Kundenanforderungen und Messen der momentanen Prozessleistung/-ergebnisse (Benchmarking intern, wenn ein Vorprodukt vorhanden ist, und extern, wenn bereits eine konkurrierende Marktleistung existiert)
•
Anwenden von Quality Function Deployment (QFD) zur Transformation der durch Kundenbefragung gewonnen Anforderungen in Critical to Quality Cha-
108
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
racteristics (CTQs) – also die Übertragung der „Stimme des Kunden“ in die technische Produkt- und Prozessgestaltung Analyse-Phase – Analysieren des Designs von Produkt- und Prozessalternativen •
Bestimmen von Designkonzepten, d.h. Entwickeln und Gegenüberstellen mehrerer alternativer Konzepte, Analysieren der Designvorschläge im Hinblick auf die Erfüllung von CTQs und die wirtschaftliche Umsetzbarkeit
•
Entwickeln eines sog. High Level Designs unter Anwendung von Kreativitätstechniken und widerspruchsorientierten Problemlösungsverfahren (TRIZ)/ Bestimmen von Komplexität und Ausbeute für das neue Designs
•
Evaluieren des High Level Designs (Design-Review) durch Einholen von Kundenfeedback sowie Anwenden der Fehler-Möglichkeits und EinflussAnalyse (FMEA)-Methode zur Aufdeckung und Bewertung potenzieller System-, Konstruktions- und Prozessrisiken
Design-Phase – Festlegen und Präzisieren des Designs •
Detaillieren des Produkt- bzw. Prozessdesigns auf Basis des favorisierten Konzepts aus der Analyse-Phase mit QFD
•
Entwickeln eines robusten Designs, das als Ziel die Kundenanforderungen bestmöglich erfüllt und sich gleichzeitig wirtschaftlich erstellen lässt (Philosophie von Taguchi, vgl. Taguchi 1990). Robustes Design ist erreicht, wenn Produkt- und Prozessergebnisse einen geringen Toleranzbereich haben und relativ unempfindlich gegenüber Schwankungen der Einsatzfaktoren sind
•
Einsatz von Statistischer Versuchsplanung/Design of Experiments (DOE), um die Kombination von Einsatzfaktoren und damit die Einhaltung der CTQs zu optimieren (Statistische Tolerierung)
Verify – Implementieren und Überwachen des Designs in der Produktionsphase •
Pilotierung: Überprüfen der Leistungsfähigkeit des neuentwickelten Produkts bzw. neugestalteten Prozesses in der Vorserie
•
Implementierung: Überführen der Lösung in die Arbeitsvorbereitungs- und Produktionsphase (Tagesgeschäft)/Übergabe von Dokumentation und Reaktionsplan an den Prozesseigner
•
Kontinuierliches statistisches Überwachen der Prozessfähigkeit und -leistung bezogen auf die Erfüllung der CTQ-Faktoren durch Statistische Prozesskontrolle (SPC)
Armin Töpfer, Swen Günther
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Das Ziel eines robusten Designs wird in der Entwicklungsphase insbesondere dadurch erreicht, dass von vornherein bei allen Entwürfen und der Gestaltung auf zwei Erfolgskriterien besonders Wert gelegt wird: Zum einen ist dies eine geringe Anzahl von Bauteilen, die benötigt werden, um den gewünschten Kundennutzen zu erreichen respektive die CTQs zu realisieren. Zum anderen ist es eine hierdurch ermöglichte geringe Anzahl von Montageschritten. Wie im Artikel „Six Sigma als Projektmanagement“ gezeigt wurde, gehen hiervon erhebliche positive Wirkungen aus. Beides zusammen reduziert die Fehlermöglichkeiten beträchtlich und vergrößert die Ausbeute an fehlerfreien Produkten im Wertschöpfungsprozess überproportional. Insbesondere in der Design-Phase ist die Philosophie von Taguchi umzusetzen. Sie besagt, dass ein robustes Design nur dann erreicht wird, wenn Abweichungen von den Kundenanforderungen vermieden werden. Denn jede Abweichung von einem vorgegebenen – aus Kundensicht optimalen – Zielwert führt zu einem progressiven Anstieg der Fehlerkosten im Unternehmen, d.h. es entstehen hohe primäre und sekundäre Verluste dadurch, dass der vorgegebene Zielwert mit engem Toleranzbereich nicht eingehalten wird respektive aufgrund der Designauslegung nicht eingehalten werden kann. In Abbildung 8 ist dieser Sachverhalt skizziert. Taguchi´s GesamtVerlustfunktion
Verlusthöhe o Primär Verlust für Kunden (Nutzungsausfall)
o Primär Verlust für Unternehmen (Kosten und Nachfrage)
o Sekundär Verlust für Unternehmen (Nachbesserung/ Kundenabwanderung)
Untere Toleranzgrenze
o Sekundär Verlust für Kunden (Preis)
Zielwert
Obere Toleranzgrenze
Produktqualität
Basis: Department of Computer Engeneering, Curtin University of Technology (Hrsg.): The total Loss Function, in: http://kernow.curtin.edu.au/www/taquchi/sect5.html, 31.08.1999
Abbildung 8: Verlustfunktion von Taguchi
In dieser Verlustfunktion sind die Abweichungen vom optimalen Zielwert eingetragen, der durch die Realisierung aller wesentlichen Kundenanforderungen (CTQs) festgeschrieben wird. Unterschieden werden dabei hohe Verluste respektive Kosten beim Unterschreiten der unteren Toleranzgrenze und beim Überschreiten der oberen Toleranzgrenze. Die Toleranzgrenzen können unternehmens-
110
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
individuell festgelegt werden, üblicherweise liegen sie jedoch bei +/- 10 % Abweichung vom Zielwert. Beim Unterschreiten der unteren Toleranzgrenze ist die Qualität für den Kunden nicht mehr gesichert. Neben einer eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit kommt es dann beispielsweise direkt zu einem Ausfall des Produkts in der Nutzungsphase. Indirekt entstehen auch für das Unternehmen Verluste durch Nachbesserungen und Kundenabwanderungen. Beim Überschreiten der oberen Toleranzgrenze ist die Reihenfolge der Auswirkungen umgekehrt. Zunächst erfährt das Unternehmen Verluste durch zu hohe Kosten der Produkterstellung, i.d.R. durch OverEngineering und durch eine reduzierte Nachfrage aufgrund des hohen Preises. Für den Kunden, der das Produkt trotzdem kauft, entsteht indirekt ein Verlust im Sinne von Taguchi durch den hohen Preis, den er für den gewünschten Nutzen bzw. die geforderten CTQs bezahlen muss. Es liegt auf der Hand, dass hier der unmittelbare Ansatz für Target Costing als kundenorientiertes Zielkostenmanagement gegeben ist. Die Bedeutung einer wirkungsvollen Kombination ausgewählter Methoden wird daraus ersichtlich, wenn die Sicht der externen Kundenorientierung mit der internen Qualitätsorientierung kombiniert wird, wie dies in Abbildung 9 erfolgt. Ein Produkt, das alle wesentlichen Kundenanforderungen erfüllt und ein hohes Qualitätsniveau aufweist, ist insbesondere durch die kombinierte Anwendung der Instrumente QFD und FMEA erreichbar. Wie das vereinfachte Beispiel zeigt, führt der isolierte Methodeneinsatz leicht zu suboptimalen Produkten.
Qualitätsorientierung Hoch Nur FMEA
Das Produkt falsch entwickelt und gut produziert
QFD
Das Produkt richtig entwickelt und gut produziert
+ FMEA
Gering
Das Produkt falsch entwickelt und schlecht produziert
Gering
Das Produkt richtig entwickelt, aber schlecht produziert
Nur QFD
Hoch Kundenorientierung
Abbildung 9: Optimale Produkte durch kombinierten Methodeneinsatz
Armin Töpfer, Swen Günther
111
Die abschließende Frage ist also, wann und wie die hier angesprochenen Methoden und Instrumente in den Wertschöpfungsprozess der Neuproduktentwicklung einzubeziehen sind. In Abbildung 10 zeigt die Prozessübersicht ihren Einsatz in den einzelnen Phasen. Die bisher noch nicht angesprochenen Instrumente werden im Folgenden erläutert.
Kundenanforderungen VOC
Produktdesign
Prozessplanung/ -umsetzung
Produkteinsatz
Wertstoffrückgewinnung
Conjoint Analyse QFD/ Target Costing DFMA/AEM FMEA DOE Poka Yoke SPC
Abbildung 10: QM-Methoden im Wertschöpfungsprozess Produktentwicklung/ -einsatz
Bei der Produktentwicklung und damit auch bei einem Design for Six Sigma Prozess wird die Qualität des erarbeiteten Ergebnisses immer häufiger auch daran gemessen, wie mit dem Produkt nach der Markteinführung und dem Einsatz am Ende seines Lebenszyklus umgegangen werden kann. Dies entspricht der Anforderung an ein Reverse Engineering, allerdings mit der Erweiterung, dass nicht nur die Phase der Vermarktung und Nutzung in den Produktentwicklungsprozess einzubeziehen ist, sondern zusätzlich auch die Phase der Verwertung eines Produktes und seiner Bestandteile am Ende des Lebenszyklus. Oftmals zählt der umweltverträgliche Umgang mit dem Produkt am Ende seiner Nutzungszeit bereits zu den wichtigen Kundenanforderungen/CTQs bei Produkteinführung. Dies bedeutet mit anderen Worten, dass eine einfache Entsorgung des Produktes ausscheidet und zumindest eine ökologische Wertstoffrückgewinnung anzustreben ist, wenn keine Weiter- oder Wiederverwendung möglich ist. Beispiele lassen sich in vielen Branchen finden, so auch in der PC-Industrie bezogen auf Computerschrott mit leicht trennbaren Bauteilen. In der Automobilindustrie ist die Sachlage dadurch verschärft und anspruchsvoller, weil ab 2006 gesetzliche Recyclingquoten vorgeschrieben sind, im Rahmen derer mind. 10 Gewichtsprozent der Einsatzstoffe als Wertstoffe rückzugewinnen sind (vgl. Bundesgesetzblatt 28.06.2002, Altfahrzeuggesetz).
112
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Um diese Anforderungen zu realisieren, sind demnach bereits in der Konstruktions- und Entwicklungsphase entsprechende Überlegungen anzustellen. Hierzu bietet es sich an, geeignete ökologisch-orientierte Instrumente einzeln oder kombiniert einzusetzen. In Abbildung 11 sind sie beispielhaft aufgelistet (in Anlehnung an Töpfer 1996, S. 129). Hieraus wird ersichtlich, dass „klassische“ Instrumente des Qualitätsmanagements auf die Frage und Anforderung der Wertstoffrückgewinnung ausgerichtet und modifiziert werden. Wenn entsprechende Methodenkenntnisse bestehen, erschließt sich ihr Inhalt leicht von selbst. Deshalb wird hier auf Details nicht näher eingegangen. Design of Benefit
DtB Recycling-Möglichkeits- und Einfluss-Analyse
RMEA
Design of Experiments
DoE
BeschafBeschaffung und Entwick- fung BereitKonstruk- lung von Vorstellung tion und Proto- produkvon typenbau ten, RHBBetriebsStoffen mitteln
Gestaltung des Fertigungsprozesses
Produktion
Vermarktung
Verwendung
HoE
RFD/EFD Recycling Function Deployment/ Ecology Function Deployment
Houses of Ecology
DfD
Wertstoffrückgewinnung
RWA Recyclingwertanalyse
Design for Disassembly
Abbildung 11: Einsatz und Kombination ökologie-orientierter Instrumente
3
Ermittlung der Kundenanforderungen – VOC
Um ein Neuprodukt mit einer hohen Trefferquote an den wesentlichen Anforderungen der Zielkunden ausrichten zu können, ist es wichtig, den anvisierten Kreis der Adressaten genau zu umreißen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Pflichtenheft für das neue Produkt zu viele unterschiedliche Anforderungen berücksichtigen muss und dadurch „unscharf“ wird. Deshalb ist es zweckmäßig, von vornherein eine Segmentierung unterschiedlicher Zielgruppen vorzunehmen, um so – fokussiert auf die A-Zielkunden – ein präzises Anforderungsprofil für das Neuprodukt aufstellen zu können. Von der Logik her ist dieses Vorgehen unbestritten. Die Frage ist nur, ob im Unternehmen zu diesem Zeitpunkt bereits eine klare Vorstellung über die anvisierte Zielgruppe besteht. Auch bzw. gerade in
Armin Töpfer, Swen Günther
113
diesem Fall ist jedoch eine Beschränkung auf einige Zielgruppen vorzunehmen, welche die Kriterien Bedürfnis, Anforderungen, Kundennutzen und Kaufkraft/Preisbereitschaft erfüllen. Parallel hierzu bzw. im Anschluss hieran ist ein Abgleich dieser Anforderungen mit den spezifischen Unternehmenszielen durchzuführen. Dies dient dazu, den Fit des Neuproduktes mit der Unternehmensstrategie sicherzustellen, der sich insbesondere auf innovative Produktbestandteile, Imagewirkungen und Deckungsbeiträge/Renditegrößen erstreckt. Ziel dieser Voice of the Customer (VOC) Analyse ist es, die generellen Wünsche, Erwartungen und Anforderungen der Zielkunden bezogen auf eine beschriebene Situation und die angebotene Problemlösung zu erfahren. Dabei geht es i.d.R. noch nicht um ein konkretes Produkt, wohl aber um den spezifischen Nutzen eines neuen Konzeptes, aus dem sich dann in einem Konkretisierungsprozess Kundenanforderungen ableiten lassen. Auf dieser Basis lässt sich dann ein Produkt entwerfen, das einen möglichst großen Vorteil für den Kunden generiert und so dem Unternehmen die Chance zur Differenzierung vom Wettbewerb eröffnet. In Abbildung 12 ist ein einfaches, teilstrukturiertes Fragenschema abgebildet, mit dem eine Fokussierung auf die Erwartung, die Zufriedenheit, den Nutzen und den zukünftigen Vorteil für den Kunden erreicht wird, ohne jedoch sein Gedankenspektrum als Möglichkeitsraum zu stark einzuschränken. Dies stellt sicher, dass zum einen das Problem und seine Lösung nicht zu früh durch die „Brille des Unternehmens“ betrachtet wird und zum anderen auf dieser Basis kreative Lösungssichtweisen erhalten bleiben. 1 Woran denken Sie, wenn Sie sich die Lösung dieses Problems
durch ein Produkt oder eine Dienstleistung vorstellen?
Welche Erfahrungen, insbesondere im Hinblick auf Probleme
2 oder Schwächen, haben Sie bisher bei der Lösung dieses
Problems gemacht? An welche Eigenschaften und Kriterien denken Sie vor allem,
3 wenn Sie sich die Lösung des Problems durch ein Produkt
oder eine Dienstleistung vorstellen? Über welche neuen Eigenschaften und Funktionen muss die
4 Problemlösung bzw. das neue Produkt/ die neue Dienstleistung
verfügen, um Ihre zukünftigen Anforderungen/ Bedürfnisse zu erfüllen?
Kundenerwartung
Kundenzufriedenheit
Kundennutzen
Zukünftiger Kundenvorteil
Abbildung 12: Vier Fragen zur Spezifizierung der Kundenanforderungen an ein Neuprodukt
114
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
In dieser Hinsicht ergibt sich bei Design for Six Sigma folgender grundlegender Unterschied zu einem Six Sigma Projekt: Bei Six Sigma Projekten bezieht sich die erreichte Kundenzufriedenheit auf einen – bildlich gesprochen – generellen „Blick durch den Rückspiegel“, wie das Problem bisher gelöst wurde. Dies entspricht im Rahmen von Six Sigma Projekten dem konkreten Erfahrungswert mit einem vorhandenen Produkt. Bei Design for Six Sigma besteht jedoch der wesentliche Ansatzpunkt darin, den Kundennutzen einer neuen Problemlösung herauszuarbeiten und so den zukünftigen Kundenvorteil bestimmen zu können. Dieses Ermitteln zukünftiger wichtiger Kundenanforderungen entspricht einem „Blick durch die Frontscheibe“. Es kommt also darauf an, dass das Entwicklungsteam aus der Stimme des Kunden (Voice of the Customer) eindeutige Kundenbedürfnisse ableiten kann. In der folgenden Abbildung 13 ist in detaillierterer Form eine Beispielübersicht mit der Ableitung von Kundenanforderungen auf der Basis einer 6-W-Analyse gegeben. Hierbei wird die „konkrete“ Voice of the Customer durch die Beantwortung der Fragen Wer?, Was?, Wo?, Wann?, Warum? und Wie viel? differenziert analysiert und in entsprechende Kundenanforderungen sowie in einem weiteren Schritt in die Critical to Quality (CTQ) Merkmale übersetzt. Im Beispiel sind dies – vereinfacht dargestellt – einzelne Aussagen zu der Tür eines Küchenherds, die dann in drei Kundenanforderungen übersetzt werden. Customer Voice Table (6W) Lfd. Nr.
Kundenstimme
Wer?
Was?
Wo?
1
Leicht zu bedienende Herdtür
Käufer, Herdbenutzer
Leichtgängige Herdtür
Herdtür außen
Wann?
Warum? Wie viel?
Beim Kochen und Backen
Meist nur eine Hand frei, Angst vor Verbrennungen
Kundenanforderungen 1. Leicht von außen zu öffnende Herdtür 2. Leicht von außen zu schließende Herdtür
Max. 30ºC Wärme am Griff
3.
Geringe Temperatur am Griff
Abbildung 13: Die 6-W-Analyse zur Ableitung von eindeutigen Kundenanforderungen
Dabei sind – wie bereits oben erwähnt – alle wesentlichen Kundenanforderungen zu erkennen, zu gewichten und anschließend in Qualitätsmerkmale bzw. technische Spezifikationen umzusetzen (siehe auch den folgenden Abschnitt zu QFD). Neben der Ermittlung/Ableitung erweist sich insbesondere die richtige Gewichtung der Kundenanforderungen als wesentliche Voraussetzung für eine kundenori-
Armin Töpfer, Swen Günther
115
entierte Produktentwicklung. Diese Aufgabe wird in der Praxis häufig unterschätzt, obwohl gerade im Rahmen eines Quality Function Deployment Prozesses die Qualität der Ausgangsgrößen maßgeblich von der Qualität der Eingangsgrößen abhängt. Das heißt, fehlerhafte Eingangsgrößen können sich im Verlauf der Erstellung mehrerer Beziehungsmatrizen zu „hochgradig“ fehlerhaften Ausgangsgrößen potenzieren und damit u.U. zu schlechteren Ergebnissen führen als ohne die explizite Bestimmung/Ableitung der VOC im F&E-Prozess. Wichtige und gut geeignete Instrumente zur Differenzierung und zur Gewichtung der Kundenanforderungen sind die Modelle von Kano und Maslow. Das KanoModell teilt die Kundenanforderungen zur Analyse der Kundenzufriedenheit in die drei Gruppen Basis-, Leistungs- und Begeisterungsanforderungen ein (vgl. Mazur 1993, S. 489ff.). Wie Abbildung 14 nachvollziehbar macht, sind nicht erfüllte Basisanforderungen ein K.o.-Kriterium für das eigene Produkt. Eine Erhöhung der Leistungsanforderungen erfüllt die artikulierten Kundenbedürfnisse besser und steigert zugleich die Kundenzufriedenheit. Die eigentliche Chance liegt jedoch im Erkennen und Umsetzen der Begeisterungsanforderungen, da hierdurch die vom Kunden formulierten Anforderungen noch deutlich positiv übertroffen werden können und damit eine Differenzierung vom Wettbewerb ermöglichen. Nicht selten sind diese Kriterien auch keine Kostentreiber, so dass ihr Beitrag zu den finanziellen Unternehmenszielen besonders hoch ist, da der Kunde im Begeisterungsfall eine höhere Preisschwelle akzeptiert. Kunde zufrieden
Leistungsanforderungen - artikuliert - spezifisch - messbar Immer - technisch mehr
Begeisterungsanforderungen - nicht artikuliert - tailor-made Versteckte - begeisternd Chancen Anforderung nicht erfüllt
Anforderung erfüllt
Basisanforderungen - implizit - selbstverständlich - nicht artikuliert - offensichtlich
Kunde unzufrieden Quelle: Berger et al. 1993
Abbildung 14: Kano-Modell der Kundenzufriedenheit
K.o.Kriterien
116
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Klassifikation
Selbstverwirklichung
•
Wertschätzung/ Ich-Bedürfnis
•
Soziale Bedürfnisse
•
Sicherheitsbedürfnis
•
Grundbedürfnisse
Begeisterung
•
Beispiel
Reklamationen
Defizitmotive
Wachstumsmotive
Eine genauere Klassifikation der drei Gruppen von Anforderungen ermöglicht das Modell von Maslow. Es wurde ursprünglich für die Bildung von Motivklassen in der Mitarbeiterführung entwickelt, lässt sich aber auch gut auf die Einteilung von Kundenbedürfnissen übertragen. In Abbildung 15 wird die KundenbedürfnisDifferenzierung auf der Basis einer VOC-Analyse am Beispiel der Anforderungen an einen Kochherd gezeigt. Die beiden untersten Motive entsprechen hierbei zum einen der notwendigen Vorrichtung zum Kochen und zum anderen dem Anspruch eines sicheren Kochablaufs. Das dritte Motiv kennzeichnet die Anforderungen an die Kommunikation zwischen dem Benutzer und dem Backofen, die sich – produktbezogen – in einer entsprechend guten Bedienungsqualität, also dem leicht verständlichen und dennoch umfassenden Bedienungskomfort, als kritisches Qualitätsmerkmal (CTQ) niederschlägt. Es entspricht damit nicht mehr nur den Basisanforderungen, sondern ist ein eindeutiges Leistungskriterium des Produktes. Wenn die folgenden Motivgruppen erfüllt werden, dann verlieren diese drei Stufen allerdings an Differenzierungsstärke und damit an kaufinduzierender Kraft. Sie sind deshalb sogenannte Defizitmotive.
•
Vom Benutzer definierbarer Kochablauf
•
Markenprestige
•
Kommunikation zwischen Benutzer und Backofen
•
Bedürfnis nach sicherem Kochablauf
•
Notwendigkeit zu Kochen
Abbildung 15: Maslow-Pyramide der Kundenbedürfnis-Differenzierung
Die zwei höherwertigen Motivklassen bergen die Chance in sich, als Begeisterungsanforderungen gestaltet werden zu können. Die vierte Gruppe, die Ich-Bedürfnisse, wird unternehmensbezogen durch das Markenprestige des Produktes aktiviert. Im Vergleich hierzu fassen die Bedürfnisse der Selbstverwirklichung die letzten drei Motivklassen zusammen und fokussieren sie in diesem Wachstumsmotiv. Dies ist dann auch in der Produktgestaltung und -positionierung entsprechend zu berücksichtigen. Konkret gesprochen bedeutet dies, dass ein benutzdefinierbarer Kochablauf zur optimalen Zubereitung des Kochguts einerseits so einfach zu
Armin Töpfer, Swen Günther
117
handhaben ist, dass auch ein Laie gute Kochergebnisse erzielen kann. Andererseits muss das Einstellungs- und Differenzierungsspektrum des Kochherdes so vielschichtig sein, dass genau diese optimale Zubereitung einer Mahlzeit sichergestellt ist. Das dahinter liegende Motiv lässt sich durch das Gefühl einer hohen Professionalität des Akteurs kennzeichnen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist leicht nachvollziehbar, dass Reklamationen und Beschwerden sich in verstärktem Maße auf die unteren drei Bedürfniskategorien beziehen. Begeisterung wird – wie ausgeführt – durch die oberen Motivklassen ausgelöst. Die Klassifikation macht insgesamt deutlich, dass eine Analyse der Kundenanforderungen (VOC) am besten im Rahmen eines Simultaneous Engineering, also in der Zusammenarbeit von Ingenieuren und Kaufleuten, erfolgt. Hierdurch wird die Stimme des Kunden unverfälscht sowohl aus Sicht des Marketing als auch aus Sicht der Entwicklung gehört und verstanden. Dies kommt erfahrungsgemäß einer umfassenden Produktqualität unter gleichzeitiger Verfolgung der Unternehmensziele zugute. Entsprechend dem ursprünglichen Modell von Maslow gilt bei Kundenbedürfnissen, dass die unteren Kategorien erfüllt sein müssen, bevor höherwertige Motive durch ein Produkt erfüllt werden können. Diese Klassifizierung von Kundenbedürfnissen steht damit zugleich in direktem Bezug zu Kaufmotiven der Adressaten. Diese haben entsprechend ihrem Niveau wiederum eine Beziehung zur Preisbereitschaft der Zielkunden. Dabei gilt: Je höher die Motivklasse, desto größer ist generell die Preisbereitschaft. In der neueren Marketingforschung entspricht diese Differenzierung der Means-End-Theorie (vgl. Herrmann 1996, S. 154f.). Sie leitet aus dem physischen und funktionalen Nutzen eines Produktes dahinter liegende psychologische Beweggründe des Adressaten als Motive und Triebfedern für sein Handeln ab. Auch hier gilt, dass die Fähigkeit, diese psychologischen Motive zu erfüllen, dem Unternehmen einen Preisspielraum eröffnet. Alle diese Erkenntnisse gehen in die ersten Analyseschritte des Quality Function Deployment (QFD) ein, das im Folgenden erläutert wird.
4
Umsetzung der Kundenanforderungen durch QFD
Zunächst ist hier die Frage zu beantworten, was Quality Function Deployment (QFD) beinhaltet und welche Ziele damit verbunden sind. Nach Yoji Akao, dem „Ur-Vater“ des QFD, wird darunter die gezielte Planung und Entwicklung der Qualitätsfunktionen eines Produktes/einer Dienstleistung entsprechend der vom Kunden geforderten Qualitätsmerkmale verstanden (vgl. Akao 1992, S. 15). Das heißt mit anderen Worten, in möglichst kurzer Zeit soll eine integrierte Produktentwicklung für kundengerechte, qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen durchgeführt werden. Dabei darf für ungeübte Teams der Zeitaufwand einer vollständigen Anwendung jedoch nicht unterschätzt werden. Hierauf wird später noch näher eingegangen.
118
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Das Ziel der Anwendung von QFD besteht darin, ein bereichsübergreifendes Instrumentarium zur Priorisierung von Kundenanforderungen und zur anschließenden Umsetzung in innovative, zuverlässige, also robuste, und kostengünstige Lösungen einzusetzen. Mit dieser Methode soll also sowohl die Qualität der externen Marktleistung als Wertschöpfungsergebnis verbessert als auch die Qualität und Ausrichtung der internen Wertschöpfungsphasen gesteuert werden. Quality Function Deployment wird dadurch zu einem System, um Kundenanforderungen für jede Phase von der Forschung über die Produktentwicklung und Fertigung bis hin zum Marketing und Verkauf in entsprechende unternehmensspezifische Erfordernisse zu übersetzen (vgl. American Supplier Institute 1989). Mit einer derartigen Produkt- oder auch Dienstleistung, die nicht nur die technisch möglichen, sondern auch die vom Kunden gewünschten Merkmale aufweist, können folgende Ziele erreicht werden: •
Kundenbezogene Entwicklung zur Erreichung von Kundenzufriedenheit und sogar Kundenbegeisterung
•
Bündelung des Wissens und Können aller Mitarbeiter durch Motivation zum Mitdenken und Handeln
•
Verkürzung der Time to Market
•
Steigerung der Wirksamkeit und Effizienz
•
Denken in Prozessen
•
QFD als unternehmensinternes Kommunikations- und Informationsinstrument
•
Überwinden des nur abteilungsbezogenen Denkens
•
Intensivierung der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit
•
Klare, messbare Ziele, Verlustreduzierung in der gesamten Prozesskette durch präventive Planung der Produkte und Dienstleistungen
•
Verständliche Dokumentation durch die erarbeitete „QFD-Landkarte“.
Wie bereits angesprochen, liegt der Haupteinsatz von QFD bei der Neuentwicklung oder Verbesserung von Produkten respektive Dienstleistungen. Die Anwendung wird umso effizienter je schwieriger handhabbar und in technische Spezifikationen umsetzbar die Kundenanforderungen für das Unternehmen zunächst sind. Im Detail geht es darum, •
aus den erkannten Kundenbedürfnissen Qualitätsanforderungen an die Problemlösung abzuleiten,
•
hieraus ein Anforderungsprofil und Pflichtenheft zu erstellen,
•
die Produktkonzeption zu entwickeln,
•
anhand von Kriterien in die Produktentwicklung umzusetzen und
•
daraus die erforderlichen Produktionsverfahren zu spezifizieren.
Armin Töpfer, Swen Günther
119
Dies wird in die in Abbildung 16 wiedergegebene Abfolge und grafische Form des sogenannten „House of Quality“ gebracht. Ausgehend von den ermittelten Kundenanforderungen wird die eigene Wettbewerbsposition mit der von maßgeblichen Konkurrenten verglichen. Hieraus wird das technische Konzept abgeleitet, und zwar über die Frage, wie das Unternehmen die Forderungen der Kunden zukünftig erfüllt bzw. wie es sie konkret ausgestaltet. Dies ist die Basis für die Festlegung des Zielniveaus und die konkrete Umsetzung einzelner Kriterien.
Korrelationen der Wie‘s
Wie
Unterstützung Stimme der Kunden
Was
der Wie's zu
wollen die Kunden?
den Was's
Produkt
erfüllen wir die Forderungen?
Kunde
Benchmarking
Warum wir verbessern wollen? Vergleich mit dem Wettbewerb
Wieviel
wollen wir zu den Wie's erreichen?
Systematische Systematische Analyse des Erfüllens Erfüllens von von KundenanfordeKundenanforderungen rungen durch durch Wettbewerber Wettbewerber und das das eigene eigene Unternehmen Quelle: Saatweber 1997, S.35
Abbildung 16: Schematische Darstellung des House of Quality
Wie leicht nachvollziehbar ist, wird in diesem Haus die Sprache der Kunden bzw. des Marktes als Horizontale in die Sprache der Techniker bzw. des Produktes als Vertikale übersetzt. Genau dies ist der Fokus von QFD. Entscheidend ist dabei die Philosophie bei der Anwendung. Qualitätsmerkmale sind unter diesem Blickwinkel Eigenschaften von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen, die von dem jeweiligen Prozessverantwortlichen beeinflussbar sind und für den Kunden eine direkte Beziehung zu seinem Qualitätsempfinden haben, also über den Verkaufserfolg entscheiden. In seiner detaillierten Form, die in Abbildung 17 dargestellt ist, verläuft das House of Quality (HoQ) synchron zu den Planungsstufen der Entwicklung eines Produktes oder einer Dienstleistung. Die Reihenfolge der Ziffern kennzeichnet die Abfolge der einzelnen inhaltlichen Analyseschritte, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Die Bedeutung im Rahmen des Design for Six Sigma wird hierdurch aber offensichtlich: Die Phase 1 entspricht der Aktivität Define im
120
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Rahmen des DMADV-Zyklus. Die Phasen 2 und 3 korrespondieren mit der Aktivität Measure, da hier die CTQs in ihrer Ausprägung beim eigenen und bei Konkurrenzprodukten bewertet werden. Die Phasen 4, 5 und 6 beinhalten die Aktivität Analyse. Die Phasen 7, 8 und 9 sind die gedanklichen Vorarbeiten für die Aktivität Design. Sie werden durch die abschließende Aktivität Verify nach einer konkreten Umsetzung in ihren angestrebten Wirkungen überprüft.
Abhängigkeitsanalyse (Wie beeinflussen sich die einzelnen Konstruktionsmerkmale?) Technische Anforderungen/Konstruktionsmerkmale (Wie setzen wir die Kundenanforderungen technisch um?)
6
2 Gewichtung (Wie wichtig ist es?)
4 5
Wirtsch. Gewichtung
Techn. Gewichtung
Objektive Maßstäbe
1 Kundenanforderungen (Was verlangt der Kunde?)
Ausprägung/Beziehungsmatrix (In welchem Ausmaß können die Kundenanforderungen realisiert werden?) Maßeinheiten Eigenes Produkt/ Konkurrenzprodukt
Techn. Schwierigkeiten Technische und wirtschaftliche Bewertung Beigemessene (Wie werden die VerbesWichtigkeit serungsmöglichkeiten bewertet?) Geschätzte Kosten Zielvorgaben
Ziel/ Ziel/ Wirkung: Wirkung: •• •• •• ••
Technischer Vergleich (Wie schneiden wir technisch im Detail gegenüber Wettbewerbern ab?)
Maßnahmenpriorität (Welche Verbesserungen wollen wir zuerst realisieren?)
3
Kundenwahrnehmung/ Konkurrenzvergleich (Benchmarking) (Wie gut sind wir im Vergleich zu den Wettbewerbern?)
7 8 9
Mehr Mehr Klarheit Klarheit Erkennen Erkennen von von Informationsdefiziten Informationsdefiziten Bessere Bessere Kommunikation, Kommunikation, auch auch mit mit internen/externen internen/externen Kunden Kunden Zielgerichtetes Zielgerichtetes Handeln Handeln
Abbildung 17: Vorgehensweise beim Erstellen des 1. HoQ
Der komplexe Analyse- und Planungsprozess wird im Folgenden an einem Beispiel vereinfacht durchlaufen. Hierfür wird wiederum der Küchenherd, und zwar speziell die Herdtür, ausgewählt (vgl. Abbildung 18). Die Analyse macht deutlich, dass sich die Anwendung dieses Instrumentes bezogen auf die Komplexität der Kundenanforderungen und die Schwierigkeit der Umsetzung in technische Spezifikationen auf in dieser Hinsicht „lohnende“ Objekte beschränken muss. Andernfalls stehen Aufwand und Ertrag in einem Missverhältnis. Bei der erforderlichen differenzierten Analyse der Kundenanforderungen ist es wichtig, produktbezogen die von der Zielgruppe präferierten Kombinationen zu erkennen und vor allem mit der jeweiligen Preisbereitschaft zu verbinden. Dies läuft auf die Anwendung des Conjoint Measurement zur Bestimmung von Nutzenbündeln mit präzisen Wert bzw. Preisvorstellungen hinaus. Sie sind dann intern mit den aus der Analyse sich ergebenden Ist-Kosten für dieses Produkt zu vergleichen. Üblicherweise sind die Ist-Kosten höher als die Preisbereitschaft der Adressaten. Damit ist unmittelbar der Ansatz für Target Costing Aktivitäten gegeben. Häufig werden sie, um Fehler in der Produktauslegung und dadurch nicht erkannte
Armin Töpfer, Swen Günther
121
Risiken zu vermeiden, mit der Konstruktions-Fehler-Möglichkeits und EinflussAnalyse (FMEA) im Verbund eingesetzt. Auf die Kombination dieser Instrumente mit der QFD wird in den folgenden Abschnitten noch einmal eingegangen. Erkennbar wird hier jedoch bereits die zweckmäßige Vernetzung dieser Methoden im Rahmen von Design for Six Sigma, um sowohl die Anforderungen der Kunden als auch die Ziele des Unternehmens zu erreichen. Zusammenhang der Dimensionen:
6
Objektive Maßstäbe
Isolie- Bedienung rung
3 3
Kein Geruch in der Küche
3
Keine Wärmeabgabe Maßeinheiten (engl.)
2
7
Herdtür von B
Technische Schwierigkeiten Beigemessene Wichtigkeit (%) (;100%) Geschätzte Kosten (%) (gesamt 100%) Zielvorgaben
9
Herdtür
Türdichtung
+ Dämmung der
+ Widerstand der
zum Öffnen
...
3 Kundenwahrnehmung/ Konkurrenzvergleich (Benchmarking) SchlechBester tester 1 2 3 4 5
7 5
Leicht von außen zu öffnen ...
Unsere Herdtür Herdtür von A
stand
Kundenanforderungen Leicht von außen zu schließen Schlägt nicht zu
- Energieaufwand
1
2
beim Schließen
9
+ Türhaltewider-
1
Legende: 1 = geringste/schlechteste 10 = höchste/beste
Dichtung/ Dämmung
Öffnungs- und Schließaufwand
- Energieaufwand
Lesereihenfolge
Gewichtung
stark entgegengesetzt
Konstruktionsmerkmale
4
leicht entgegengesetzt
...
schwach positiv
...
stark positiv
8
5 ft-lb
lb
ft-lb
lb/ft
10 9
11 12
9 9
3 2
9 5
9.5
10
11
2
6
4 10
5 6
1 9
1 6
3 2
5 7.5
2 9
9 7.5
6 3
9 9
Unser Modell Modell von A Modell von B
Abbildung 18: 1. HoQ am Beispiel Herdtür
Vorab wird der Ableitungszusammenhang, der in dem Wort Deployment bei QFD angesprochen ist, präzisiert und in seiner Bedeutung für Null-Fehler-Qualität auf allen Ebenen des Wertschöpfungsprozesses mit einem Retro-EngineeringBlickwinkel bewertet. Das oben angesprochene erste House of Quality (1. HoQ) ist jetzt – ausgehend von den Kundenanforderungen – nicht nur in Produktmerkmale, sondern auch in Komponenten-, Fertigungsprozess- und Produktionsmittelmerkmale abzuleiten. Diese nahtlose Kaskadierung der Wertschöpfung, wie sie in Abbildung 19 mit vier Houses of Quality nachzuvollziehen ist, soll sicherstellen, dass keine Friktionen gegeben sind und dadurch eine hohe Fehlerfreiheit erreicht wird. Dies entspricht unmittelbar der Philosophie von DFSS. Die Anzahl der HoQs kann aufgrund der jeweiligen Aufgabenstellung und des gewünschten Detaillierungsgrad der Ergebnisse variieren. In DFSS-Projekten kommt i.d.R. dem Black Belt die Rolle des Moderators bei der QFD-Anwendung zu. Sie wird umso effizienter, je mehr sie auf der Basis eines IT-gestützten Tools durchgeführt wird. Denn hierdurch können unterschiedliche
122
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Spezifikationen in den einzelnen Analyseschritten durchgespielt werden und so relativ schnell aus Kunden- und Unternehmenssicht optimale Kombinationen herausgefiltert werden. Die oben bereits angedeuteten Vorbehalte gegen eine QFD-Anwendung lassen sich exemplarisch in folgenden Stolpersteinen und Schwierigkeiten bei der Anwendung zusammenfassen: •
Bezogen auf die Problemlösung hätten wir dies auch ohne QFD geschafft.
•
Für das erreichte Ergebnis ist dies viel zu viel Aufwand.
•
Die Einbeziehung von Marketing in Fragestellungen für Techniker ist nicht sinnvoll.
•
Wir haben viel zu wenig Kenntnisse über spezielle Kundenbedürfnisse und -anforderungen.
•
Die erforderlichen Informationen über Wettbewerbsprodukte sind uns nicht zugänglich.
•
Für einfache Projekte ist die Methode zu aufwendig. Für komplexe Problemstellungen ist sie nur schwer handhabbar.
House of Quality
Entwicklung der Einzelteile
III.
Arbeitsvorbereitung
Produktionserfordernisse
Grundlegende Betriebsabläufe
II.
Grundlegende Betriebsabläufe
Teilemerkmale
I.
Teilemerkmale Konstruktionsmerkmale
Kundenanforderungen
Konstruktionsmerkmale
IV.
Fertigungsplanung
Über einen iterativen iterativen Prozess Prozess werden werden die die Kundenanforderungen Kundenanforderungen auf Konstruktion, Prozess- und Produktionsplanung Produktionsplanung übertragen übertragen Quelle: Hauser/Clausing 1988, S. 73
Abbildung 19: Kaskadierung der Houses of Quality im QFD-Prozess
Alle diese Einwände sind grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Sie machen vielmehr noch einmal deutlich, dass der Einsatz von QFD im Rahmen von DFSS bezogen auf die Vor- und Nachteile genau abzuwägen ist. Unternehmensspezifisch sind dann die in Abbildung 20 aufgeführten Punkte zu bewerten.
Armin Töpfer, Swen Günther
123
Das häufigste Argument, der hohe Zeitaufwand, ist nicht absolut zu werten. Vielmehr muss die Relation zwischen dem Zeitaufwand für QFD auf der einen Seite sowie auf der anderen Seite der Komplexität und der Zeitdauer des gesamten Entwicklungsprozesses und den aufgedeckten oder verborgenen Risiken bei der Entwicklung, Produktion und dem Einsatz eines Produktes gebildet werden. Wenn man sich die Erfahrungswerte bezogen auf Anlaufprobleme bei der Produktion von Neuprodukten (Job No. 1) (vgl. Hauser/Clausing 1988, S. 63ff.) und bezogen auf Fehlerkosten nach der Einführung von Produkten (vgl. Töpfer 1997, S. 3f.) vor Augen hält, dann kehren sich die Wertungen schnell um. Dennoch praktizieren die meisten Unternehmen, die dieses Instrument anwenden, ein „Lean QFD“ in der Weise, dass lediglich das erste House of Quality durchgeführt wird.
-
+ • Bereichsübergreifende Kundenorientierung • Ganzheitliche Wettbewerbsorientierung • Verbesserung der Kommunikation • Reduzierung von Fehlerkosten • Kopplung mit Target Costing und FMEA • Transparenz komplexer Entwicklungsprozesse
• Hoher Zeitaufwand vor allem geeignet für technisch anspruchsvolle Produkte • Ungeeignet für Innovationen, bei denen nicht genau bestimmbare Bedürfnisse von Zielkunden erfasst werden sollen
Abbildung 20: Bewertung des QFD-Einsatzes
5
Integrierter Methodeneinsatz mit Conjoint Analyse und Target Costing
Bereits bei den vorstehenden Ausführungen wurden die einzelnen Methoden und Instrumente angesprochen. In diesem Abschnitt wird ausgeführt, in welcher Weise sie in der zeitlichen Reihenfolge zweckmäßigerweise durchzuführen sind und wie sie auf dieser Basis inhaltlich verbunden werden können. Abbildung 21 zeigt diese Abfolge exemplarisch auf. Hieraus wird ersichtlich, dass nach der Anwendung von QFD zur Übersetzung der Stimme des Kunden in die Sprache des Ingenieurs im Bedarfsfalle eine Conjoint Analyse Klarheit über Nutzenbündel und die damit verbundene Preisbereitschaft bringt. Die anschließende Anwendung von Target Costing definiert für den oben bereits angesprochenen Zusammenhang zwischen
124
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
dem erzielbaren Marktpreis und dem internen Kostenniveau mehrere Meilensteine zur Reduzierung der Kosten in Richtung Zielkosten (Allowable Costs). Der abschließende Einsatz einer FMEA liefert hierzu einen direkten Beitrag, wenn Ursachen für Fehlerkosten erkannt und beseitigt werden können. Gleichzeitig ist die Analyse von Risikopotenzialen und deren Reduzierung als ein wichtiger indirekter Beitrag zur Sicherung des Target Costing Niveaus zu werten.
Stimme des Kunden/ Sprache des Ingenieurs
Quality Function Deployment
Wie lassen sich Kundenanforderungen in technische Kriterien und Lösungen umsetzen?
Nutzenbündel/ Preisschwellen
Conjoint Analyse
Was ist der Kunde bereit, für welche Funktion zu bezahlen?
Kundenanforderungen/ Zielkosten der Systemkomponenten
Target Costing
Wie lassen sich definierte Kosten für realisierte Kundenanforderungen erreichen?
Produktqualität/ Qualitätskosten
FMEA
Was für Fehler sind zu vermeiden, um die Lebenszykluskosten gering zu halten?
Abbildung 21: Kundenanforderungen und Unternehmensziele im Einklang
Im Folgenden wird kurz auf den konzeptionellen Ansatz und die Vorgehensweise einer Conjoint Analyse, wie sie in Abbildung 22 skizziert ist, eingegangen. Der Wert dieser Methode liegt darin, dass das in Eigenschaften und hierauf basierenden Ausprägungen zerlegte Produkt „neu“ zu Nutzenbündeln zusammengesetzt wird, die von den Befragten im Hinblick auf Präferenz, ausgedrückt durch eine Rangfolge, und Preisbereitschaft bewertet werden. Für jeden Befragten werden die Teilnutzenwerte der Merkmalsausprägungen individuell so festgelegt, dass die Summe der Werte wieder die gleiche Reihenfolge wie die ursprüngliche Rangordnung der Angebote durch den Befragten ergibt. Dabei werden die metrischen Teilnutzenwerte für die einzelnen Eigenschaftsausprägungen aus den von den Befragten geäußerten ordinalen Gesamtnutzenurteilen abgeleitet (vgl. hierzu und im Folgenden Backhaus et al. 2006, S. 559). Bezogen auf das bisher bereits referierte Beispiel Kochherd bedeutet dies, dass die Merkmale Anschaffungspreis, Nutzungszeit, Reinigungsaufwand, Energieeffizienz und Leistungsfähigkeit jeweils zwei unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Sie sind mit ihren jeweiligen Ausprägungen in Abbildung 23 wiedergegeben.
Armin Töpfer, Swen Günther Ermittlung der Teilnutzenwerte pro Ausprägung
Bewertung durch die Konsumenten
Eigenschaften Produkt
Aggregation der höchsten Teilnutzenwerte kombinierbarer Ausprägungen
Nutzenbündel
Ausprägungen
3000 W
Beispiel:
Leistungsfähigkeit
Kochherd
125
Nutzenbündel 1
4000 W
... 250 – 500 €
Nutzenbündel 2
Anschaffungspreis 500 – 750 €
Conjoint Measurement zur Optimierung von Nutzenbündeln aus Kundensicht
Abbildung 22: Vorgehensweise bei Conjoint Measurement
Normierter Teilnutzenwert
Anschaffungspreis
450 €
Nutzungszeit
12 Jahre
Reinigungsaufwand
gering
Energieeffizienz
Klasse A
Leistungsfähigkeit
Leistungsmerkmal
0
4000 W
650 €
7 Jahre
mittel
Klasse B
3000 W
20
40
60
80
100
68 0 29 0 58 0 9 0 29 0
Der maximale Zusatznutzen beträgt 68 + 29 + 58 + 9 + 29 = 193
Abbildung 23: Berechnung des Zusatznutzens definierter Angebotsalternativen mit Hilfe der Teilnutzenwerte
126
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Das Untersuchungsdesign zeigt, dass jede Ausprägungskombination als potenzielles Leistungsangebot betrachtet werden kann. Das vollständige Design umfasst demnach 25 = 32 unterschiedliche Preis-Leistungs-Kombinationen. In der Praxis ist es zweckmäßig, sich im Sinne von Design of Experiments (DOE) auf ein reduziertes Design zu beschränken, also nur wenige Preis-Leistungs-Kombinationen, z.B. 8, als für den Adressaten klar unterscheidbare und für das Unternehmen generell realisierbare Produktvarianten. Die Leistungsmerkmale werden auf der Basis der zugeordneten Teilnutzenwerte gewichtet. Die Wichtigkeit der Leistungsmerkmale aus Käufersicht entspricht damit der Spannbreite der normierten Teilnutzenwerte. Letzteres stellt sicher, dass die ermittelten Nutzenwerte der Befragten auf dem gleichen „Nullpunkt“ sowie der gleichen „Skaleneinheit“ basieren. Wie sich hieraus errechnen lässt, hat der Anschaffungspreis eine relative Wichtigkeit von 35 %, der Reinigungsaufwand von 30 %, die Nutzungszeit von 15 %, die Leistungsfähigkeit ebenfalls von 15 % und die Energieeffizienz von 5 %. Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass diese Wichtigkeitswerte – auf einfachere Weise – auch über eine VOC-Analyse unter Einsatz des Maslow- oder Kano-Modells ermittelt werden können. Bei einer doppelgleisigen Analyse sollten die Ergebnisse aus den unterschiedlichen Instrumenten übereinstimmen.
Bauteile/ Komponenten Backröhre
15
35
30
5
15
Nutzungszeit
15%
15
40
30
5
10
Reinigungsaufwand
30%
15
35
30
20
5%
20
45
45
15%
60
60
40
Nutzenanteile in %
12
40
32
9
7
Drifting Costs in €
100 180
90
30
50
450
Allowable Costs in €
48
128
36
28
400
ew ht ic un g
Energieeffizienz Leistungsfähigkeit
160
Elektronik
Kochfeld
35%
Herdtür
Gehäuse
Anschaffungspreis
G
Kritische Qualitätsmerkmale (CTQs)
Vergleich zum Wettbewerb Unternehmen Wettbewerber A Wettbewerber B 1
2
3
4
5
Wettbewerbsanalyse
Be 10 isp iel
Abbildung 24: Bestimmung der Allowable Costs mit QFD
Vergleicht man nicht nur aus Kundensicht das Profil der kritischen Qualitätsmerkmale (CTQs) des eigenen Produktes mit denen der maßgeblichen Wettbe-
Armin Töpfer, Swen Günther
127
werber, sondern bewertet zusätzlich aus Unternehmenssicht die Bedeutung der einzelnen Bauteile für das jeweilige Merkmal, dann lassen sich auf der Basis dieser Gewichtung hieraus in einer QFD-Analyse die gewichteten Nutzenanteile in % für jedes Bauteil ermitteln. Ihnen sind, wie Abbildung 24 nachvollziehbar macht, die derzeit prognostizierte Kosten (Drifting Costs als Ist-Kosten) und die aus heutiger Sicht zulässigen Kosten (Allowable Costs als Zielkosten) – basiert auf den jeweiligen Nutzenanteilen – für jedes Bauteil gegenüber zu stellen. Hieraus ist dann unmittelbar der notwendige Handlungsbedarf abzulesen. Die in der Praxis entscheidende Frage ist nun, wie im Rahmen eines Six Sigma Projektes bei einem geplanten Umsatz und Zielgewinn die Schere zwischen Allowable Costs und Drifting Costs – im Beispiel € 5 Mio. (siehe Abbildung 25) – geschlossen werden kann. Eine Target Costing Analyse wird dann typischerweise in den folgenden acht Stufen durchgeführt (vgl. Buggert/Wielpütz 1995, S. 41ff.):
Geplanter Umsatz
(Preis * Menge)
-
Zielgewinn
440 € * 100.000 Stück
44 Mio. €
Allowable Costs
Drifting Costs
Zulässige Kosten
Derzeit mögliche Kosten
400 € * 100.000 Stück
450 € * 100.000 Stück
=
10 %
40 Mio. €
45 Mio. €
Kostenspaltung nach
Produktprofil (Gewichtung von Leistungsmerkmalen durch Kunden)
Leistungsmerkmalen
Produktkomponenten
Bauteile
Eventuelle Kostenlücke 5 Mio. € Solange bis Zielkosten erreicht sind
Maßnahmen zur Reduktion der Drifting Costs
Abbildung 25: Vorgehensweise bei Target Costing
1) Leistungsmerkmale des neuen Produktes (Abstimmung mit Strategie) festlegen und gewichten (Conjoint Measurement) 2) Potenziellen Marktpreis und Produktzielkosten (Allowable Costs) ermitteln (Rohentwurf des Produktes) 3) Leistungsmerkmale mit Produktkomponenten verknüpfen (Funktions-/Komponenten-Matrix) und Nutzenanteil der Produktkomponenten ermitteln 4) Zerlegung der Allowable Costs nach Produktkomponenten und evtl. Leistungsmerkmalen (Kostenspaltung – Kostenanteil der Produktkomponente als Target Costs bestimmen)
128
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
5) Vergleich mit Kosten bei momentan verfügbaren Leistungstechnologien (Drifting Costs) für jede Produktkomponente (Nutzenanteil als Allowable Costs pro Bauteil dividiert durch die Summe der Allowable Costs geteilt durch den Kostenanteil als Drifting Costs pro Bauteil dividiert durch die Summe der Drifting Costs) 6) Anpassung der Zielkosten der Produktkomponente an Nutzenbeitrag (Zielkosten-Kontrolldiagramm in Abbildung 26) 7) Kostensenkungsprogramme, z.B. Make or Buy Programme, Prozessgestaltung, Wertgestaltung, Wertzuwachskurve 8) Festlegung von Standardkosten für Kalkulation. Zielkostenindex (ZI) =
Nutzenanteil i
Kostenanteil %
Kostenanteil i
ZI = 1
„Ideallinie“; d.h. Kostenanteil = Nutzenanteil
ZI < 1
„zu aufwendig“; d.h. Kostenanteil > Nutzenanteil
ZI > 1
„zu einfach“; d.h. Kostenanteil < Nutzenanteil
Kochfeld
40
„zu aufwendig“ 30 Gehäuse Backröhre
20
Y1
Fokussierung auf Komponenten 10 Elektronik außerhalb des Zielkostenkorridors Parameter (q) Herdtür Y1 = (x2 – q2)1/2 ; Y2 = (x2 + q2)1/2 0 0 10
„zu einfach“
Y2 20
30
Basis: Deisenhofer (1993), S.104
40 Nutzenbeitrag %
Abbildung 26: Zielkosten-Kontrolldiagramm als Deployment-Ergebnis
Die vorstehend angesprochene Abbildung 26 liefert auf der Basis dieser Berechnungen eine einfache Darstellung über den Zielkosten-Korridor um die Diagonale der beiden Dimensionen Nutzenanteil und Kostenanteil. Hierdurch ist als Deployment-Ergebnis gut nachvollziehbar, ob die Kosten für ein Bauteil bereits dessen Nutzenbeitrag entsprechen und damit Zielkostenniveau erreicht haben. Der Optimierungsprozess ist damit klar bestimmt. In unserem Beispiel Kochherd ist demnach das Gehäuse in der Relation Kostenanteil zu Nutzenanteil „zu aufwendig“ (ZI < 1) und die Backröhre bei dieser Bewertungsgrundlage „zu einfach“ (ZI > 1). Insbesondere das Kochfeld trifft genau das Zielkostenniveau mit ZI = 1. Die Auswertung des Zielkostenkontroll-Diagramms und die Einleitung von Kostensenkungsprogrammen sollte jeweils bauteilspezifisch erfolgen. Das heißt, um
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Fehlinterpretationen und -entscheidungen zu vermeiden, sind die Produktkomponenten mit hohen Abweichungen von der „Ideallinie“ im Projektteam einzeln zu analysieren. Zum Beispiel lässt sich nur so feststellen, ob die Einordnung des Gehäuses als „zu aufwendig“ bereits in der Erfüllung von Begeisterungsanforderungen entsprechend des Kano-Modells begründet liegt. Zusammenfassend ist in Abbildung 27 ebenfalls eine Bewertung von Target Costing aufgeführt. Wie die vorstehenden Ausführungen deutlich machten, ist für fundierte Aussagen zum Ist- und Zielkostenniveau auf Komponentenebene vorab mit anderen Instrumenten eine aussagefähige Gewichtung von kritischen Qualitätsmerkmalen durchzuführen. Die Vorteile von Target Costing in Kombination mit anderen Instrumenten ist trotz einiger Schwächen nicht zu unterschätzen. Gerade bei der Neuproduktentwicklung mit dem Anspruch einer Null-FehlerQualität ist ein integrierter Einsatz dieser Instrumente für ein Design for Six Sigma deshalb lohnenswert.
-
+ • Bereichsübergreifende Kundenorientierung • Ganzheitliche Wettbewerbsorientierung • Kopplung mit House of Quality • Reduzierung von Fehlerkosten • Kostendruck fördert neue Ideen im Unternehmen • Durchsetzung von Kostensenkungsprogrammen
• Hoher Zeitaufwand vor allem geeignet für technisch anspruchsvolle Produkte • Keine Trennung von fixen und variablen Kosten • Bedingte Anwendung für Gemeinkosten-/ Dienstleistungsbereiche • Bestimmung der Nutzenanteile subjektiv • Kosten-/ Umsatzbewertung zeitlich instabil
Abbildung 27: Bewertung von Target Costing
6
Robuste Produkte und Fehlervorbeugung durch FMEA
FMEA als Fehler-Möglichkeits und Einfluss-Analyse ist eine präventive Qualitätsmanagement-Methode mit dem Ziel, mögliche Fehler und deren Folgen in Form von Risiken frühzeitig zu erkennen (vgl. hierzu und im Folgenden DGQ 2001, S. 9ff.). Die Methode eignet sich insbesondere im Vorfeld der Einführung neuer Produkte und Prozesse. Innerhalb weniger Jahre hat sie sich als fester Bestandteil bei der Qualitätssicherung in Technologieunternehmen etabliert. Heute können nach dem Zeitpunkt der Anwendung und dem Objekt der Untersuchung
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
drei Arten von FMEA’s unterschieden werden. So begleitet die System-FMEA die Gesamtkonzeptphase, die Konstruktions-FMEA die Produktentwurfsphase und die Prozess-FMEA die Fertigungsplanungsphase. Grundsätzlich werden – entsprechend Abbildung 28 – vier Ablaufschritte im Rahmen einer Fehler-Möglichkeitsund Einfluss-Analyse durchlaufen: •
Beschreibung potenzieller Fehler in Funktionen von Produkten, Prozessen und Bauteilen
•
Ermittlung möglicher Fehlerfolgen (Risikoanalyse)
•
Bewertung potenzieller Fehler (Risikobewertung) und
•
Beurteilung von Maßnahmenvorschlägen (Risikoverringerung/-vermeidung).
Rückkopplung zur Erfolgskontrolle
Identifizieren von Produkten/ Prozessen/ Service Festlegung der Komplexität
Funktionsbeschreibung
Beschreiben der Funktionsweise bzw. des Prozessablaufes
Fehleranalyse
Fehlerbewertung
Fehlerfolge Fehlerart Fehlerursache Analyse von Abhängigkeiten
FMEA-Vorbereitung
Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Verringerung von Fehlern
Bedeutung Umsetzung X Auftreten Dokumentation X Entdeckung = Risikoprioritätszahl
FMEA-Durchführung
Basis: Pande, P. et al., 2000, S. 371f., Magnusson, K. et al. 2001, S. 131ff.
Abbildung 28: FMEA – Überblick über Vorgehen/Ablauf
Nachdem mögliche Produkt- und Prozessfehler ermittelt wurden und deren Auswirkungen bekannt sind, lässt sich das Risiko durch die Berechnung einer Risikoprioritätszahl (RPZ) abschätzen. Dazu wird mit Hilfe von Punktzahlen zwischen 1 und 10 jeder Fehler nach Auftritts- und Entdeckungswahrscheinlichkeit sowie Bedeutung seiner Folgen bewertet. Mit der Zielsetzung, subjektive Fehlerbewertungen zu objektivieren, ergibt sich bei Multiplikation der Punktzahlen die RPZ. Die ermittelten Risikoprioritätszahlen werden anschließend der Höhe nach geordnet, um Fehlerschwerpunkte entsprechend ihrer Wichtigkeit gezielt zu beseitigen. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich zur Sicherstellung einer gewissen Systematik und Übersichtlichkeit die Benutzung eines Formblattes (siehe Abb. 29).
Armin Töpfer, Swen Günther
131
Gerade bei einer funktionsorientierten Betrachtungsweise ist eine ganzheitliche Sicht bezogen auf Produkt-, Bauteil- und Prozessebene besonders wichtig. Sie wird ebenfalls unter Leitung eines Black Belt im Rahmen eines DFSS-Projektes durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe sichergestellt. Erfahrungsgemäß fördert die mögliche Teamarbeit die Kreativität und Qualität der Ideen beim Aufdecken von Risikopotenzialen und entsprechenden Gegenmaßnahmen.
Risikoanalyse
VerantRisiko wortung Aktionen
Risikobewertung
Entdeckung
Fehler- Prüfmaßursache nahmen
Auftreten
Fehlerfolge
Neuer Zustand Bedeutung
(Teil/Funktion) Fehlerart
Entdeckung
KonstruktionsFMEA
Auftreten
Aktueller Zustand Bedeutung
Potenzielle
Risiko
Risikominimierung
Objektivierte Fehlerbewertung Fehlerbewertung im Entwicklungsprozess Entwicklungsprozess
Abbildung 29: Standardisiertes Vorgehen auf Basis eines Formblattes
An unserem Herdbeispiel soll im Folgenden kurz die Vernetzung der drei FMEAArten aufgezeigt werden. In Abbildung 30 ist dies wiedergegeben: Die SystemFMEA untersucht das funktionsgerechte Zusammenwirken der Systemkomponenten und ihrer Verbindungen. Ziel ist die Vermeidung von Fehlern bei Systemkonzept und Systemauslegung sowie die Vermeidung von Feldrisiken. Grundlage für die Untersuchung sind die System- bzw. Produktanforderungen. Die Konstruktions-FMEA untersucht die pflichtenheftgerechte Gestaltung und Auslegung der Erzeugnisse/Komponenten zur Vermeidung von Entwicklungsfehlern und konstruktiv beeinflussbaren Prozessfehlern. Die Prozess-FMEA analysiert die zeichnungsgerechte Prozessplanung und -ausführung der Erzeugnisse/Komponenten zur Vermeidung von Planungs- und Fertigungsfehlern. Auch allgemeine Prozesse wie z.B. Dienstleistungen können mit einer Prozess-FMEA analysiert werden. Die Verbindung der FMEA mit der QFD ist dann sichergestellt, wenn die aus den Kundenanforderungen abgeleiteten Funktionen des Produktes im Rahmen einer QFD sich unmittelbar in den mit einer FMEA untersuchten Funktionen des Produktes wiederfinden.
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Funktionen des Teils
Systemfunktionen SystemFMEA
Merkmale
Fehlerfolge
Fehlerart
Fehlerursache
Herdplatte ist nicht mehr betriebsfähig
Stromzufuhr unterbrochen
Elektronik/ Kabelanschluss beschädigt
Fehlerfolge
Fehlerart
Fehlerursache
Stromzufuhr unterbrochen
Elektronik/ Kabelanschluss beschädigt
Herdplattenanschluss nicht hitzebeständig
Fehlerfolge
Fehlerart
Fehlerursache
Elektronik beschädigt
Herdplattenanschluss nicht hitzebeständig
Materialauswahl/ Montage
KonstruktionsFMEA
Prozess-FMEA
Basis: DGQ, FMEA, S.26, 2001
Abbildung 30: Zusammenhang/Überlappung der FMEA-Arten
Vor diesem Hintergrund wird eine FMEA ihrem Zweck nur gerecht, wenn die Forderungen nach Vollständigkeit und Richtigkeit weitgehend erfüllt werden. Die Richtigkeit der Analyse wird z.B. durch die systematische Vorgehensweise, eindeutige Bewertungskriterien, kritische Bewertungen (worst case) und einen umfassenden Informationsaustausch innerhalb der Arbeitsgruppe sichergestellt. Die Vollständigkeit wird durch die Untersuchung aller Komponenten oder Prozesse erreicht, um damit alle möglichen Fehlerarten zu erkennen. Zur Straffung der FMEA können einzelne Komponenten begründet ausgeschlossen werden, sofern sie trotz worst-case-Betrachtung als unkritisch, d.h. aus Kundensicht unbedeutend, anzusehen sind. Die gesetzlichen Regelungen der Produkthaftung haben sich insofern verschärft, dass sich z.T. die Beweislast für den Hersteller umgekehrt hat. Er muss bei einem Produkt, durch das Personen- oder Sachschäden entstanden sind, sein NichtVerschulden nachweisen. Die Anwendung einer FMEA im Rahmen der Entwicklung und Konstruktion entspricht heute dem geforderten Stand der Wissenschaft und Technik (siehe Produktsicherheitsgesetz und Produkthaftungsgesetz). Dadurch kann sich das Unternehmen zumindest von einem Versäumnisvorwurf entlasten. In der Automobilindustrie fordert beispielsweise das Regelwerk der QS 9000 die Anwendung der FMEA in der Produktentwicklung. Der Aufwand zur Erstellung einer FMEA wird oft als Argument gegen ihren Einsatz angeführt. Während sich der Aufwand bei guter „Buchführung“ leicht ermitteln lässt, sind die Einsparungen nicht exakt darstellbar, da nicht gemachte Fehler und vermiedene Änderungen als Opportunitätskosten nur schwer berechnet wer-
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den können. In einem DFSS-Projekt wird der Aufwand beim Durchlaufen des DMADV-Zyklus durch den Wechsel der Aktivitäten in der Entwicklungsabteilung und im interdisziplinären Team bestimmt. In Abbildung 31 ist die Aufgabenteilung skizziert. Das Ergebnis ist in der Regel deutlich besser als bei einer ausschließlich abteilungs- oder bereichsbezogenen Analyse. Zunächst in Entwicklungsabteilung: Weiter im interdisziplinären Team: Dann wieder in Entwicklungsabteilung: Entwicklung Designalternativen entwickeln Define
Define Measure Analyse Design Verify
D M A D V
FMEA Designalternativen bzgl. Risikopotenzial analysieren und bewerten
Entwicklung Designalternative auswählen/ Detailliertes Design erstellen
Measure Analyse
Design Verify
Abbildung 31: FMEA-Anwendung bei Design for Six Sigma
Die Bewertung der FMEA nach den bisher angewandten Plus-Minus-Muster macht deutlich, dass gerade diese Analysen die Funktionalität des Produktes in Richtung der CTQs und die Robustheit des Designs fördern. Das Überwiegen der positiven Aspekte begründet die relativ starke Verbreitung der Methode (siehe Abbildung 32).
7
Risikomanagement zur Risikobegrenzung
Vor allem bei Design for Six Sigma kommt es darauf an, durch Fehler im Entwicklungsprozess entstehende Risiken möglichst schnell zu erkennen und bei einem Ausmaß über dem definierten kritischen Wert zu eliminieren, also ein fundiertes Risikomanagement durchzuführen (vgl. Töpfer/Mehdorn 2003). Es versteht sich von selbst, dass dieses Ziel auch bei Prozessoptimierungen im Rahmen des DMAIC-Zyklus von Six Sigma Projekten zu verfolgen ist. Der Hebel und damit die Einflussmöglichkeit zur Vermeidung von Risiken sind jedoch im DMADVZyklus bei der Neuproduktentwicklung ungleich größer.
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
+ • Fehlervermeidung • Dokumentierter Stand der Technik bezogen auf Produkthaftung • Kostenersparnis • Zusätzlich: Bewertung der Qualitätskontrollen • Höhere Funktionalität und Robustheit des Produktes • Reduzierung der Produktionsprobleme
• Zeitaufwand/ Kosten • Statistik-/ Dokumentationsaufwand • Subjektivität bei RPZErmittlung
Abbildung 32: Bewertung von FMEA
Generell lassen vier Stufen der Risikobehandlung mit absteigender Priorisierung unterscheiden (vgl. Töpfer 2002, S. 255f.): •
Eliminieren/vermeiden
•
Vermindern
•
Abwälzen
•
Händeln.
Neben den bestehenden Gesetzen für die Herstellerhaftung bei Produkten kommen als weitere gesetzliche Grundlage und europäische Richtlinie das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) sowie die Regelungen von Basel II hinzu. Das KonTraG gilt in Bezug auf die Implementierung eines Risikomanagement-Systems zwar nur für börsennotierte Kapitalgesellschaften (vgl. Kern 2003, S. 33ff.). Dennoch werden inzwischen bereits viele der Anforderungen zur Qualität der Risikoanalyse generell für praktisch alle Unternehmen, insbesondere von den Banken, eingefordert. Dies gilt um so mehr, da zugleich die Regelungen von Basel II bis Ende 2006 umfassend zu erfüllen sind. Sie fordern durch die neuen Kreditregeln für die Banken und durch die Überwachung durch die Bankenaufsicht eine deutlich größere Transparenz der Risiken bei den Banken in Form von mehr und aussagefähigeren Informationen, die zu veröffentlichen sind. Das Ziel besteht darin, dass das Kreditrisiko besser gemessen und erfasst wird und eine stärkere Prüfung durch die Bankenaufsicht vor Ort erfolgt.
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Dies gelingt nur, wenn auch die Kunden der Banken im Rahmen der Kreditvergabe an sie ihre Geschäftsrisiken analysieren, bewerten und der Bank gegenüber offen legen. Da hiervon die Höhe der Kreditzinsen abhängt, steht es außer Frage, dass die Qualität des Risikomanagements hoch und vor allem auch sehr transparent sein muss. In einem mehrstufigen Prozess werden also die Risiken bzw. das Risikomanagement – ausgehend von den Banken – über alle Stufen der Herstellerund Lieferanten-Unternehmen heruntergebrochen. Gravierende Risiken sind deshalb über den Prozess, wie ihn bspw. die FMEA vorsieht, durch die Risikoanalyse, -bewertung und -minimierung zu eliminieren und damit generell zu vermeiden. Wenn die beiden Ansätze des Eliminierens und Vermeidens sowie die anderen beiden Alternativen des Verminderns und Abwälzens nicht greifen, dann muss das Risiko gehändelt werden. Konkret bedeutet dies, dass durch ein präventives Krisenmanagement die Fehlerquellen, mögliche Fehler und ihre Auswirkungen möglichst gering gehalten werden. Eine wichtige Aktivität ist dabei die Erstellung eines Risikoportfolios, wie es in Abbildung 33 skizziert ist. Im Kern geht es darum, die Risiken eines Unternehmens nach den beiden Dimensionen „Höhe der negativen Auswirkungen“ und „Höhe der Eintrittswahrscheinlichkeit“ zu ordnen. Der dritte Quadrant zeigt dann das höchste Gefährdungspotenzial für das Unternehmen an. Zusätzlich empfiehlt es sich – wie bei der FMEA – insbesondere für diese Risiken auch die Entdeckungswahrscheinlichkeit zu analysieren und zu berücksichtigen. Eintrittswahrscheinlichkeit Hohes Gefährdungspotenzial für das Unternehmen
hoch
Legende:
mittel
Größe des Kreises = Volumen/Größe des Investments als Basis des Verlustrisikos (Value at Risk)
gering gering
mittel
hoch
Abbildung 33: Dimensionen des Risikoportfolios
Negative Auswirkungen
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Die Größe der Kreise kennzeichnet zusätzlich das Volumen des jeweiligen Investments. Es determiniert grundsätzlich das Verlustrisiko als Value at Risk. Generell können aber auch kleine Investments durch enorme Folgeschäden hohe Risiken in sich bergen. Als Beispiel aus dem Bereich Haushaltsgeräte, speziell Gas-Herde, lassen sich Risiken bezogen auf Feuergefahren oder Verpuffung anführen. Bezogen auf unser an früherer Stelle angeführten Beispiels E-Herd wurde durch ein Gerichtsurteil im Jahre 2001 bspw. ein Schmerzensgeld aufgrund eines fehlenden Warnhinweises in der Gebrauchsanleitung zugunsten des Klägers festgelegt. Der Sachverhalt war so, dass er sich beim Herausnehmen der Backofentür zur Reinigung verletzt hatte (vgl. VersR 2002, S. 384). Da die Prozesse oftmals jedoch nicht so beherrscht werden, dass das Eintreten von gravierenden Fehlern völlig ausgeschlossen ist, muss zusätzlich ein reaktives Krisenmanagement durchgeführt werden. Es hat die möglichst gute Vorbereitung auf einen eintretenden Krisenfall zum Gegenstand. Neben den Inhalten kommt es hierbei vor allem auch auf die Schnelligkeit und die Kommunikation in einer Krise an. Ein plausibles Beispiel für diese Risikobehandlung im Rahmen eines DMAIC-Prozesses ist das Verhalten von Airlines. Denn der Absturz eines Flugzeuges kann trotz aller Präventionsmaßnahmen auf dem jeweiligen Stand der Technik nicht völlig ausgeschlossen werden. Erforderlich sind deshalb präventives und reaktives Krisenmanagement. Ein Beispiel für die hier interessierende Produktentwicklung mit dem DMADVZyklus sind die Vorsorgemaßnahmen von Automobilherstellern, um kostenintensive Rückrufaktionen neuer Produkte im Markt zu vermeiden. Wie die Erfahrung zeigt, gelingt dies in der Vergangenheit – aus verschiedenen Gründen – immer weniger. Zum einen ist die Komplexität der Produkte zweifellos erheblich gestiegen, insbesondere auch durch den vermehrten Einsatz von Elektronik. Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wird (im Durchschnitt) jeden dritten Tag ein Autotyp einer bestimmten Marke zur Nachkontrolle/-besserung in deutsche Werkstätten zurückgerufen (vgl. KBA 2003, S. 6). Im Jahr 2004 ist die Anzahl der über das KBA eingeleiteten Rückrufaktionen um 50 % auf 216 gestiegen. Im Vergleich hierzu waren es im Jahr 2000 94 und im Jahre 1997 58 Rückrufaktionen. Unter der Annahme, dass die jährlichen Grundgenehmigungsverfahren als neue/ veränderte Autotypen ca. 6.000 betragen, entspricht dies einem Sigma-Wert von 3,3, also lediglich einem Qualitätsniveau von 96,4 %. Handlungsbedarf ist demnach offensichtlich angezeigt, obwohl die Fehlerrate von 3,6 % bei Neuprodukten auf den ersten Blick ein durchaus akzeptables Niveau signalisiert. Im Vergleich zum Analyse- und Bewertungsaufwand des Risikomanagements als Opportunitätskosten sind die Kosten für derartige Rückrufaktionen um ein Vielfaches höher. Es ist deshalb davon auszugehen, dass in der Praxis die Durchführung dieser Analysen nicht gescheut wird, sondern die Schwierigkeit vielmehr darin besteht, ausreichend Informationen und Transparenz über das Auftreten und die Wirkungen dieser Risiken zu erhalten.
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Das Problem des Auftretens von Fehlerkosten und das Problem der Verfügbarkeit hierauf bezogener Informationen wird an einem weiteren Beispiel deutlich (Boekhoff 2003, S. M23): Bei Volkswagen entstehen weltweit pro Minute 16,5 Beanstandungen in der Gewährleistungshaftung. Die Kosten dafür betragen pro Minute € 3.600. Täglich sind dies € 5,2 Mio. und jährlich € 1,9 Mrd. Diese Beträge lassen erkennen, dass der abstrakte Prozentsatz des Qualitätsniveau allein wenig aussagt, sondern erst durch konkrete quantitative Angaben der Fehlerkosten aussagefähig wird. Eindeutig ist, dass sich eine Investition in Design for Six Sigma in jedem Falle rechnet, ganz abgesehen von dem zusätzlichen Imageschaden und dadurch möglicherweise geringerer Nachfrage. Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass immer mehr (Automobil-)Unternehmen Six Sigma Konzepte umsetzen. Dabei gilt: Wenn ein größeres Unternehmen einer Branche Six Sigma einführt, dann sind es oftmals die unmittelbaren Wettbewerber, die relativ schnell nachfolgen, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen. Wenn seit einiger Zeit Hersteller wie Ford oder auch DaimlerChrysler und BMW Six Sigma Projekte realisieren, dann fordern sie i.d.R. ebenfalls zügig Null-FehlerQualität von ihren Lieferanten, wie z.B. Siemens Automotive Industries, Honeywell, Johnson Control, Honsel, PVT oder Bosch. In diesem Fall sichert es die Hersteller-Zulieferer-Beziehung und nicht nur ein verbessertes Ertragsniveau. Das Optimierungspotenzial ist in der Automobilindustrie z.T. beträchtlich, wenn man bedenkt, dass – nach eigenen Recherchen – selbst bei einem renommierten Hersteller •
die Garantie- und Kulanzkosten als externe Fehlerkosten bis zu € 2.500 pro Fall betragen,
•
die internen Fehlerkosten für Ausschuss und Nacharbeit i.d.R. über € 1.000 pro Fahrzeug liegen,
•
die Anzahl von Fehlern (bis zur Auslieferung an den Kunden) sich bis auf 10 pro produziertem Fahrzeug summiert,
•
die Zeiten und Kosten für die Behebung eines Fehlers in Abhängigkeit vom Komplettierungsgrad des Autos um den Faktor 10 ansteigt („Zehnerregel der Fehlerkosten“),
•
die vorgehaltenen Prüf- und Nacharbeitskapazitäten bis zu 10 % der gesamten Fertigungskapazität betragen sowie
•
die zu bewältigende Komplexität aufgrund der Anzahl von Fehlermöglichkeiten im hohen 5-stelligen Bereich liegt.
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Zeit- und Kosteneinsparungen mit Hilfe von DOE
Bei der Neuproduktentwicklung besteht ein Hauptproblem darin, in einer ausreichenden Anzahl von Experimenten die technologische Konzeption des Produktes, das Zusammenwirken der einzelnen Bestandteile/Baugruppen und insbesondere das Erreichen der kundenbezogenen Anforderungen und unternehmensbezogenen Ergebnisse auf einem weitgehend fehlerfreien Niveau sicherzustellen. Genau dies ist mit dem Design of Experiments (DOE) als statistische Versuchsplanung angestrebt. Wie bei der Conjoint Analyse in Abschnitt 5 bereits angesprochen, besteht die Zielsetzung darin, die Anzahl der notwendigen Experimente zu reduzieren und dabei gleichzeitig Entwicklungszeit und -kosten einzusparen. Die Anzahl der Versuche, die rechnerisch auf der Grundlage vorhandener Teile bzw. Prozessschritte, deren unterschiedlicher Ausprägungen und zahlenmäßiger Kombinationsmöglichkeiten möglich sind, deutlich zu verringern. Statt einer vollfaktoriellen Versuchsplanung soll also eine – statistisch abgesicherte – teilfaktorielle Versuchsplanung mit den oben angesprochenen Zeit- und Kosteneinsparungen erreicht werden. Mit teilfaktoriellen Versuchen als DOE i.e.S. ist also angestrebt, die beste Kombination von Produktkomponenten und/oder optimalen Prozessabläufen im Entwicklungsprozess zu erzielen. Die notwendige Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis der wichtigsten Anforderungen/Faktoren aus Kunden- und Unternehmenssicht. Von der Regressionsanalyse zur statistischen Versuchsplanung Einer DOE-Analyse liegt die folgende Philosophie zugrunde, die insbesondere mit dem Gedankengut von DFSS übereinstimmt. Im Weiteren werden hierzu einige leicht verständliche, grundsätzliche methodisch-statistische Aussagen gemacht, um dem hierauf nicht spezialisierten Leser den Ansatz und die Zweckmäßigkeit einer DOE zu verdeutlichen: Jede Tätigkeit ist ein Prozess, der ein Outputergebnis besitzt, dessen Qualität wiederum von unterschiedlichen Einflussfaktoren abhängt. So hängt z.B. die Qualität unseres Beispiels „Kochherd“ ceteris paribus, also ohne Variation aller anderen Einflussgrößen, sowohl von den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Unternehmen als auch von deren Qualifikationen sowie der Qualität der vorgefertigten Teile der Zulieferer ab. Allgemein lässt sich dieser Sachverhalt als Funktion beschreiben: Qualität eines Kochherds yi = f(Arbeitsbedingungen (x1i), Qualifikationen der Mitarbeiter (x2i), Qualität der Zulieferteile (x3i), ... , Zufall/Fehlerterm (xni)). i kennzeichnet dabei die Ausprägungen zu einem bestimmten Zeitpunkt der n Merkmale und der dadurch erzeugten Produktqualität. Nach der vorstehenden Gleichung wird über das Niveau der Qualität die Quantität im Sinne der Ausbeute fehlerfreier Produkte, in unserem Beispiel funktionsfähige Kochherde, durch einen sogenannten Zufalls- bzw. Fehlerterm beeinflusst, der im Allgemeinen mit der Natur (zufällige natürliche Abweichungen) gleichgesetzt
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wird. Nur durch diesen Term ist die Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung nicht ausschließlich deterministisch, sondern auch als eine Zufallszahl, also stochastische Größe, auffassbar. Wenn alle Einflussvariablen für die definierte Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung bekannt sind, was in der Praxis aufgrund der zu großen Anzahl weitgehend unmöglich ist, stellt sich die Frage, wie groß der Einfluss der einzelnen Variablen auf das Output- bzw. Gesamtergebnis ist. Ohne dieses Wissen ist eine zufriedenstellende Schätzung und nachhaltige Beeinflussung der Qualität des Outputergebnisses nicht möglich. Der Einfluss der einzelnen Faktoren bzw. Variablen variiert dabei zwischen 0 und 100 %, d.h. die Qualität eines produzierten Kochherds kann im Extremfall – entsprechend der obigen Funktion – nur von einem Faktor, z.B. den Arbeitsbedingungen im Unternehmen, abhängen. Im anderen Extremfall, der in der Praxis eher wahrscheinlich ist, haben alle beschriebenen Faktoren, z.B. Qualifikation der Mitarbeiter, Qualität der Zulieferteile, einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die Qualität des Prozessergebnisses. Die Frage ist demnach, wie sich die relevanten Einflussfaktoren für einen Produktionsprozess bestimmen und optimal miteinander kombinieren lassen. In diesem Zusammenhang ist jedoch zusätzlich zu beachten, dass die Kombinationen aller erfassten Einflussfaktoren in Summe einen Einfluss auf die Qualität zwischen 0 und 100 % besitzen. In der Unternehmenspraxis ist es aber eher selten, dass alle Variablen umfassend und eindeutig beschrieben werden können und folglich eine 100-prozentige Abhängigkeit in Form einer Qualitätsfunktion ableitbar ist. Die Differenz zu 100 % Soll- bzw. Null-Fehler-Qualität ist der ungeklärte bzw. nicht erklärbare Einfluss (Zufallsterm), der sich als Residuum (Restwert) durch das Auftreten nicht erfasster und damit in ihrer Wirkung zufälliger Einflussgrößen oder Messfehler im Produktionsprozess ergibt. Es kommt deshalb darauf an, dass ein oder mehrere Einflussfaktoren bei der Analyse im Rahmen von Design for Six Sigma nicht unterschlagen werden, vor allem wenn sie einen signifikanten Einfluss auf die Prozessqualität besitzen. Um die verschiedenen Einflussfaktoren auf ein Prozessergebnis zu identifizieren und insbesondere deren Einflussstärke zu bestimmen, wird häufig eine Analyse von Prozessdaten in Form einer linearen oder ggf. auch nicht-linearen Regressionsanalyse durchgeführt. Dabei werden die durch den Prozess angefallenen und archivierten Daten regressiert: Im einfachsten Fall, wenn der Output lediglich von einem Einflussfaktor abhängt, wird also analysiert, um wie viel sich der Output Y im Durchschnitt ändert, wenn sich der Input X als unabhängige Variable um eine Einheit erhöht. Der Vorteil der Regressionsanalyse gegenüber anderen statistischen Methoden, z.B. der statistischen Versuchsplanung, besteht insbesondere darin, dass ein laufender Prozess nicht verändert wird und nur die „nebenbei“ anfallenden Daten zur Auswertung genutzt werden. Generell können dadurch statistische Ergebnisse/Aussagen zu relativ geringen Kosten erzielt werden.
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Im allgemeinen Fall mit mehreren unabhängigen Variablen geht man in der Regel davon aus, dass die Effekte der einzelnen Variablen voneinander unabhängig sind und daher addiert werden können. Sowohl die Annahme der Linearität als auch die der Additivität werden in einer konkreten Anwendung aber häufig nicht zutreffen, so dass das Regressionsmodell entsprechend verallgemeinert werden muss (nicht-lineares Modell unter Berücksichtigung multiplikativer Effekte). Im bivariaten Fall kann z.B. mit Hilfe eines Streudiagramms (siehe Abbildung 34) entschieden werden, ob die Linearitätsannahme zumindest eine gute Näherung liefert. Im multivariaten Fall sind weitergehende diagnostische Werkzeuge notwendig (vgl. Backhaus 2006, S. 9).
Output
Aus den voranstehenden Ausführungen wird deutlich, dass mit der Anwendung der Regressionsanalyse in der Praxis zwei schwerwiegende Probleme einhergehen. So werden „Datenwolken“ häufig nur mit einem sehr geringen Bestimmtheitsmaß regressiert, wie Abbildung 34 verdeutlicht. Das heißt, die ermittelte Regressionsgerade (Tendenzgerade) erklärt die Input-Output-Beziehung nicht bzw. nur sehr begrenzt.
?
Input Abbildung 34: Beispiel für ein „nicht-regressierbares“ Streudiagramm
Das zweite wesentliche Problem der Regressionsanalyse besteht darin, dass u.U. wichtige Einflussfaktoren unberücksichtigt bleiben, wenn die normale Variabilität der Faktoren in dem zu untersuchenden Experiment aufgrund unzureichender Datenlage zu gering ist und sie unter mathematisch-statistischen Gesichtspunkten als nicht signifikant erkannt werden. Dies wird am folgenden Beispiel aus der Arbeitswelt deutlich: Es soll der Einfluss des Wetters mit der „Spitzenkennzahl“ Temperatur (als unabhängige Größe) auf den Krankenstand in einer bestimmten Region untersucht werden. Wenn für die Regression des Krankenstandes – ver-
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gangenheitsbezogen – nur Daten aus dem vorangegangenen Sommer benutzt werden, kann es leicht passieren, dass alle statistischen Tests die Temperatur als wesentlichen Einflussfaktor ablehnen, auch wenn die Temperatur in Wirklichkeit einen signifikanten Einfluss besitzt. Der für jedermann „einleuchtende“ Grund hierfür ist, dass die Temperatur während des Sommers nicht stark genug schwankt, um eine hinreichend große Veränderung des Krankenstandes zu bewirken. Werden hingegen die Temperaturwerte eines ganzen Jahres beobachtet und damit jahreszeitliche Schwankungen berücksichtigt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Temperatur im Modell als signifikante Einflussgröße identifiziert wird. Diese kurzen grundsätzlichen Ausführungen belegen die begrenzte Aussagefähigkeit von zeitreihenbasierten Regressionsanalysen und machen die Notwendigkeit eines in der Aussagefähigkeit weitergehenden Instrumentes, also der DOE, deutlich (vgl. hierzu und im Folgenden Kleppmann 2003). Paradigmenwechsel: Von der Beobachtung zum experimentellen Versuch Im Zusammenhang mit experimenteller Statistik wird oft ein Ausspruch von George Box zitiert: „Will man herausfinden, wie sich ein System verhält, wenn man es verändert, dann muss man es verändern“ und es nicht nur passiv beobachten (Breyfogle 1999, S. 409). Bezogen auf Six Sigma Projekte bedeutet dies, dass Konstruktionen und Prozesse, die verbessert werden sollen, immer auch verändert werden müssen. Um Prozesse und Abläufe zu beeinflussen bzw. zu optimieren, wird in der experimentellen Statistik dazu übergegangen, die einzelnen Einflussfaktoren „aktiv“ zu verändern. Es tritt dabei jedoch das Problem auf, dass nicht nur die Hauptfaktoren Einfluss auf das Output-Ergebnis besitzen, sondern auch zumeist die Kombinationen aus zwei oder mehr Faktoren (multiplikative Verknüpfung). Zum Beispiel besteht eine höhere Unfallwahrscheinlichkeit, wenn man unter Alkoholeinfluss mit dem Auto unverhältnismäßig schnell fährt als die Summe aus den Wahrscheinlichkeiten nur zu schnell bzw. nur alkoholisiert fahren. Infolgedessen müssen die Wechselbeziehungen zwischen den Hauptfaktoren ebenfalls berücksichtigt werden, was dazu führt, dass die Anzahl an Versuchsanordnungen für ein Experiment überproportional gegenüber der Erhöhung der Anzahl von Faktoren steigen. Der Grund hierfür ist, dass der Umfang und die Komplexität eines Experiments maßgeblich von der Anzahl an Ausprägungen eines Faktors abhängt. In diesem Zusammenhang werden drei verschiedene Ausprägungsarten bei Einflussfaktoren unterschieden: 1) Dichotome Faktorausprägungen: z.B. ja – nein/ männlich – weiblich 2) Ordinale Faktorausprägungen: z.B. viel – wenig oder differenzierter: viel – mittel – wenig/ erster – zweiter – dritter 3) Metrische Faktorausprägungen: z.B. 0 – 100 %/ -278 – 1.000 °C Neben der Art und Anzahl der Faktorausprägungen ist auch die „absolute“ Anzahl an Hauptfaktoren mitentscheidend für die „Größe“ eines Versuches. Aus der An-
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
zahl an Faktoren und deren Ausprägungen ergibt sich die Menge aller möglichen Faktorkombinationsmöglichkeiten, z.B. Ak mit A ... Anzahl an Ausprägungen und k ... Anzahl an Einflussfaktoren, wobei – vereinfachend – alle Faktoren die gleiche Anzahl an Ausprägungen besitzen. Die Anzahl von durchzuführenden Experimenten bei einer vollfaktoriellen Versuchsplanung ist Abbildung 35 zu entnehmen. Bei Faktoren mit 2 Ausprägungen sind so viele Versuche notwendig, um repräsentative Ergebnisse zu erhalten statt alle Kombinationen zu testen: Anzahl der Faktoren
DOE
3
4
Vollfaktorieller Versuch 8 25
5–7
8
8 – 15
16
28- 215 (256 - 32.768)
16 – 31
32
216- 231 (65.536 - 2.147.483.648)
32 – 63
64
232- 263 (4.294.967.296 –
-
27
(32 - 128)
9.223.372.036.854.775.808) Basis: Breyfogle 2000, S. 717
Abbildung 35: Anzahl der notwendigen Versuche mit DOE
Übertragen auf unser Beispiel Kochherd führt dies zu folgenden Wirkungsbeziehungen. Dabei wird bewusst ein vereinfachtes und exemplarisches Beispiel zugrunde gelegt, da das Erklären der Methode und nicht das Lösen dieses „Alltagsproblems“ im Vordergrund steht. Es sei das Ziel vorgegeben, das Erhitzen von Wasser mit einem Kochherd quantitativ, d.h. mit Hilfe einer metrischen Skala, zu bewerten und in der Folge zu optimieren. Im Beispiel wird vereinfacht davon ausgegangen, dass mit dem E-Herd jeweils 1 Liter Wasser in einem Standardgefäß (Durchmesser Kochtopf = Durchmesser große Herdplatte) in kürzester Zeit zum Kochen gebracht werden soll. Weiterhin wird vereinfacht angenommen, dass die Dauer zum Erhitzen (Kochzeit in Minuten) nur von zwei Einflussgrößen abhängt: zum einen, ob der Kochtopf mit Wasser auf einer kleinen oder großen Heizplatte erhitzt wird und, zum anderen, ob ein Topfdeckel aufgesetzt wird oder nicht. Es werden ceteris paribus zunächst keine weiteren Einflussfaktoren in Betracht gezogen. Außerdem werden in diesem Experiment die benannten Größen als dichotom behandelt, d.h. es wird z.B. nur berücksichtigt, ob und nicht wie der Topfdeckel auf dem Kochtopf aufliegt. Im folgenden Experiment werden die zwei Einflussfaktoren (A = Herdplatte und B = Topfdeckel) und die beschriebene Wechselwirkung aus ihnen (AB = Herdplatte x Topfdeckel) in allen möglichen Kombinationen jeweils auf + gesetzt, was
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143
bedeutet, dass der Faktor auf hohem Niveau bzw. aktiv ist (z.B. Topfdeckel liegt auf), oder auf –, der Faktor ist also auf niedrigem Niveau bzw. inaktiv (z.B. Topfdeckel ist abgenommen). Da die k = 2 Faktoren dichotom sind, haben diese A = 2 Ausprägungen. Daraus ergibt sich, dass Ak = 22 = 4 Versuchsanordnungen notwendig sind, um ein vollfaktorielles Experiment durchzuführen. Vollfaktoriell bedeutet hierbei, dass alle Faktorkombinationen der angenommen Einflussgrößen experimentell getestet werden. Für die verschiedenen Versuchsanordnungen ergibt sich jeweils ein separates Outputergebnis, was in diesem Fall der Dauer bis zum Kochen des Wassers entspricht. Für eine übersichtliche Darstellung wird der Versuchsplan – wie in Abbildung 36 zu sehen – in Matrizenform als Designmatrix abgebildet. In der Praxis werden dabei jeweils mehrere Messreihen mit Mittelwertbildung zugrunde gelegt, was einerseits das Ergebnis stabilisiert, andererseits aber zusätzlich den Aufwand erhöht. AB Ergebnis Geschätzte VersuchsA B Residuum Herdplatte* (Kochzeit Kochzeit anordnung Herdplatte Topfdeckel (Restwert) in min) (in min) Topfdeckel 1 + 15,0 14,5 -0,5 2 + 13,0 12,0 -1,0 3 + 14,0 14,5 0,5 4 + + + 11,0 12,0 1,0 Effekt -2,5 -1,5 -0,5 13,3 13,3
Abbildung 36: Designmatrix für einen vollfaktoriellen 22 Versuchsplan
Im Experiment erhalten wir beispielsweise in der dritten Versuchsanordnung, bei der sich der 1l-Wassertopf mit Deckel auf der kleinen Heizplatte befindet, eine Kochzeit von 14 Minuten. Der inaktive Einfluss der Faktorwechselwirkung zwischen Herdplatte und Topfdeckel ergibt sich aus der Multiplikation der beiden Faktorausprägungen (– = – · +). Die mittlere Kochdauer der Versuchsreihe beträgt nach Spalte 5 13,3 Minuten. Aus den in Abbildung 36 aufgeführten Messergebnissen lässt sich im Weiteren der Effekt der einzelnen Einflussfaktoren sowie deren Wechselwirkungen abschätzen. So ergibt sich z.B. der Wert für den Haupteinflussfaktor „A Herdplatte“ mit -2,5 = (13+11)/2 – (15+14)/2 und für den Einflussfaktor „B Topfdeckel“ mit -1,5 = (14+11)/2 – (15+13)/2. Dies bedeutet, dass sich die Kochzeit im Durchschnitt um zusätzlich 1,5 bis 2,5 Minuten verringert, wenn der Wasserkochtopf auf der großen Heizplatte erhitzt und mit einem Topfdeckel verschlossen wird. Nach Abbildung 36 ergibt sich bezogen auf die Verringerung der Kochzeit ein zusätzlicher positiver Effekt i.H.v. -0,5 infolge der Wechselwirkung zwischen den Faktoren A und B. Wechselwirkung bedeutet hierbei, dass Änderungen in der Wirkung des einen Faktors von der Aktivierung des anderen Faktors abhängen. Das heißt, es besteht ein grundsätzlicher Unterschied, ob man den Kochtopf auf die kleine Herdplatte stellt und mit dem Topfdeckel verschließt
144
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
oder ob man ihn mit Deckel auf der großen Heizplatte erhitzt. Dieser Sachverhalt ist in der folgenden Abbildung 37 noch einmal grafisch aufbereitet. Dabei ist linken Diagramm zu erkennen, dass sich durch das Auflegen des Topfdeckels die Kochzeit bei Nutzung der kleinen Herdplatte um 1 Minute und bei Nutzung der großen Herdplatte um 2 Minuten verringert. Nach dem rechten Diagramm verkürzt sich die Wasserkochzeit bei Nutzung der kleinen Herdplatte von 15 auf 14 Minuten, bei Nutzung der großen Herdplatte von 13 auf 11 Minuten. Auf Basis der Wirkungsanalyse der Faktoren A und B sowie der Wechselwirkung AB lässt sich in einem weiteren Schritt ein (einfaches) Vorhersagemodell ableiten. Im Beispiel wird ausgehend von dem Kochzeit-Mittelwert i.H.v. 13,3 Minuten sowie der durchschnittlichen Wirkung des Haupteinflussfaktors „A Herdplatte“ die Kochzeit wie folgt geschätzt (vgl. Spalte 6, 1. Zeile in Abbildung 36): 14,5 = 13,3 + (-1) · (-2,5)/2. Der angegebene Restwert (Residuum) ergibt sich als Differenz aus der gemessenen und geschätzten Kochzeit und dient i.d.R. zur Kontrolle/Bestätigung des Schätzmodells. Mit Hilfe des bekannten Normalverteilungsdiagramms kann geprüft werden, ob das Modell die gemessenen Ergebnisse gut abbildet und ob die gemessenen Ergebnisse aus einem vorhersagbaren/ beschreibbaren Prozess stammen (vgl. Magnusson et al. 2001, S. 146f.). 18,0
16,0
15,0
14,0
14,0
13,0
12,0
11,0
10,0 8,0
Kochzeit (in min)
Kochzeit (in min)
18,0
16,0
+2 Topfdeckel
Herdplatte -
13,0
12,0
11,0
10,0 8,0
-1
15,0 14,0
14,0
-1
+2 Herdplatte
Herdplatte +
Topfdeckel -
Topfdeckel +
Abbildung 37: Ergebnisplots zur Wirkung der Einflussfaktoren
DOE i.e.S.: Von der vollfaktoriellen zur teilfaktoriellen Versuchsplanung Wie die vorangegangenen Ausführungen deutlich machen, ist es mit Hilfe der statistischen Versuchsplanung möglich, die Ergebniswirkungen von einzelnen Faktoren gezielt zu ermitteln bzw. herauszufiltern. Damit stellt sie nicht nur einen Signifikanztest für einzelne Einflussfaktoren dar, sondern ist zugleich die Grundlage zur Entwicklung von Vorhersagemodellen für die Steuerung von Prozessergebnissen. Trotz dieser eindeutigen Vorteile gegenüber der Regressionsanalyse und anderen Verfahren können insbesondere vollfaktorielle Experimente im Rahmen der statis-
Armin Töpfer, Swen Günther
145
tischen Versuchsplanung schnell zu einer hohen und damit nicht mehr bewältigbaren Komplexität führen. Wie in Abbildung 35 bereits verdeutlicht wurde, führt eine Erhöhung der Einflussfaktoren zu einem überproportionalen Anstieg des Experimentumfangs. Dies hat wiederum direkte Auswirkungen auf die Durchführungszeit/-kosten und damit insgesamt auf die Kosten-Nutzen-Relation eines Six Sigma Projektes. Aus diesem Grund besteht bei der Anwendung von DOE die wichtigste Aufgabe darin, den Experimentumfang als Anzahl von Versuchen systematisch zu minimieren. Dabei gilt die Erkenntnis, dass es u.U. teuerer ist, effiziente Prozesse durch umfangreiche und ineffiziente Experimente/Versuchsreihen zu erreichen, als umfangreiche Statistik einzusetzen. Mit Hilfe von DOE i.e.S. wird versucht, diesen „Trade-Off“ zwischen der Verbesserung eines Prozesses bzw. einer Konstruktion und der Begrenzung der Kosten für die Experimentdurchführung zu optimieren. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu bemerken, dass es auch mit einer optimierten DOE-Vorgehensweise sehr schwierig ist, komplexe Systeme/Prozesse vollständig zu erfassen und mit Hilfe von nur „wenigen“ Faktoren zu analysieren. Oftmals kann im Unternehmen mit vielen Geschäftsprozessen bzw. bei Produkten mit vielen Bauteilen/Komponenten selbst eine heuristische Annäherung an das Optimum nicht erreicht werden. Im Folgenden sind in Abbildung 38 die wesentlichen Schritte zur Planung und Durchführung von teilfaktoriellen Versuchen aufgelistet (vgl. Breyfogle 1999, S. 430). 1. Fakten des Versuchs auflisten
Ziel: Hauptwirkungen der Faktoren ermitteln
2. Annahmen auflisten 3. Beim Versuch zu berücksichtigende Faktoren definieren 4. Ausprägungen der Faktoren bestimmen 5. Nicht zu untersuchende Faktoren auflisten 6. Faktoren mit mehreren Ausprägungen auf zwei Ausprägungen reduzieren 7. Anzahl der Versuche und Lösungsweg bestimmen 8. Einen oder mehrere Faktoren ausschalten 9. Von Intervall-Messung zu stetiger Messung wechseln 10. Hauptbestandteile des Designs für Variation der Ausprägungen vorsehen 11. Teilfaktoriellen Versuchsplan bestimmen 12. Bestimmen, welche Versuche wiederholt werden 13. Stichprobenumfang für Wiederholungen der Versuche festlegen 14. Zufallsabhängige Versuchsabfolge bestimmen 15. Möglichkeiten zur Fehlerreduzierung bei den Versuchen festlegen 16. Planen der nachfolgenden Versuchsstrategie 17. Planen der Vorgehensweise Basis: Breyfogle 2000, S. 430
Abbildung 38: Ablauf des Design of Experiments (DOE)
146
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Bei der Anwendung von teilfaktoriellen Versuchsplänen wird davon ausgegangen, dass die Wechselwirkungen zwischen drei und mehr Faktoren (z.B. ABC) kaum noch nennenswerten Einfluss auf das Outputergebnis besitzen. Aus diesem Grund werden diese Spalten aus der Designmatrix eliminiert oder durch andere wesentliche Einflussfaktoren ersetzt. Letzteres hat zur Folge, dass bei gleichem Experimentumfang mehr Einflussfaktoren beachtet werden können. In der Unternehmenspraxis hat sich gezeigt, dass der Einfluss von Einzelfaktoren den Einfluss von Wechselbeziehungen auf ein Prozessergebnis i.d.R. weit übertrifft. In der folgenden Abbildung 39 ist ein teilfaktorieller Versuchsplan für das Beispiel „Wasserkochen“ wiedergegeben. Dabei wird als weitere kontrollierte Variable der Faktor C = Leitungswasser eingeführt. C (AB) Ergebnis Geschätzte Residuum VersuchsA B Leitungs- (Kochzeit Kochzeit (Restwert) anordnung Herdplatte Topfdeckel wasser in min) (in min) 1 + 14,5 14,3 -0,3 2 + 13,0 11,8 -1,3 3 + 14,0 14,3 0,3 4 + + + 10,5 11,8 1,3 Effekt -2,5 -1,5 -1 13,0 13,0
Abbildung 39: Designmatrix für einen teilfaktoriellen 23-1 Versuchsplan
Im Beispiel wird dann die Wechselbeziehung zweiten Grades AB durch den neuen Einflussfaktor C Leitungswasser ersetzt. Dieser ist auf hohem Niveau (+), wenn zum Kochen bereits warmes Leitungswasser abgefüllt wird. In den Versuchsanordnungen, bei denen die Wechselbeziehung AB inaktiv bzw. auf niedrigem Niveau (–) war, wird der neue Faktor ebenfalls auf niedriges Niveau gesetzt; andernfalls wird C „aktiviert“. Damit bleiben die Vorzeichen in der Spalte C = AB unverändert. Die Überlagerung einer Wechselbeziehung/-wirkung mit einem weiteren Einflussfaktors wird als definierte Gleichung bezeichnet (vgl. Magnusson et al. 2001, S. 155). Auf diese Weise können die Effekte/Wirkungen der drei Faktoren A, B und C mit lediglich vier Versuchen bestimmt werden. Diesem Vorteil steht der Nachteil gegenüber, dass die Ergebniswirkungen von C und AB vermischt sind. Man kann nicht mehr genau sagen, ob der Effekt auf die Kochzeit durch das Leitungswasser allein oder in Verbindung mit der Wechselwirkung von Herdplatte und Topfdeckel hervorgerufen wird. Für den teilfaktoriellen Versuch ist in Abbildung 40 die relative Stärke der Auswirkungen der drei Einflussfaktoren Herdplatte, Topfdeckel und Leitungswasser in Form eines Kuchendiagramms dargestellt, das auf den Werten der Abbildung 39 basiert. Die Anzahl an Versuchsanordnungen bei teilfaktoriellen Experimenten lässt sich also allgemein wie folgt bestimmen: Ak-d mit A ... Anzahl an Ausprägungen, k ...
Armin Töpfer, Swen Günther
147
Anzahl an Einflussfaktoren, wobei alle Faktoren die gleiche Anzahl an Ausprägungen besitzen, und d ... Anzahl an definierten Gleichungen. C (AB) Leitungswasser 20%
A Herdplatte 50% B Topfdeckel 30%
Abbildung 40: Relative Bedeutung der Einflussfaktoren
Wichtige Schlussfolgerungen aus einer DOE-Analyse lassen sich z.B. auf der Basis der Verlustfunktion von Taguchi ziehen, die zu Beginn dieses Artikels dargestellt wurde. Aus den Ergebnissen unseres einfachen Versuchsbeispiels wird deutlich, dass die Wahl der Herdplatte einen großen Einfluss auf die Zielgröße hat, eine bestimmte Wassermenge in kürzester Zeit zu erhitzen. Dies wird durch die Erkenntnis ergänzt, dass die Nutzung der großen Herdplatte, um Wasser in kürzester Zeit zum Kochen zu bringen, bei einem kleinen Kochtopf mit einer geringeren Wassermenge zu relativ hohen Energieverlusten führt. Das Konstruktionsziel besteht also zusätzlich darin, dass der Durchmesser des Kochtopfes dK möglichst genau dem Durchmesser der Herdplatte dH entspricht, um so einen minimalen Energieverbrauch bei geringer Kochzeit zu erreichen. Entsprechend dem Kosten-Minimierungsproblem bei Taguchi besteht die Konstruktionsaufgabe darin, auf der Basis der im Handel erhältlichen KochtopfDurchmesser die optimalen Größen der drei unterschiedlichen Herdplatten zu bestimmen. Für jede Herdplatte ist also in Abhängigkeit von der hierbei am häufigsten verwendeten Kochtopfgröße das Optimum zu bestimmen, wie dies in Abbildung 41 skizziert ist. Dabei ergibt sich bei ungünstiger Kombination von Herdplatte und Kochtopf ein maximaler Verlust i.H.v. Lmax. Die jeweilige Verlustfunktion kennzeichnet beim Unterschreiten des Optimumpunkts eine zu kleine Herdplatte für die benutzten Kochtöpfe und damit einen im Durchschnitt zu großen Zeitverbrauch. Beim Überschreiten des Optimums tritt ein ineffizienter Energieverbrauch auf, da die benutzten Kochtöpfe im Durchschnitt schmaler sind als der verfügbare Herdplatten-Durchmesser. Daneben besteht zusätzlich bei einem zu kleinen Kochtopf für eine genutzte größere Herdplatte die Gefahr von Verbrennungen beim Anfassen.
148
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
f(dK)
Dichtefunktion der KochtopfDurchmesser
15 cm
25 cm
35 cm
dK
Quadratische Verlustfunktion nach Taguchi
L(dH) Lmax
15 cm
25 cm
Zielwert kleine Herdplatte
Zielwert mittlere Herdplatte
35 cm
dH
Zielwert große Herdplatte
Abbildung 41: Optimale Kombination von Kochtöpfen und Herdplatten
Abschließend soll auf der Basis dieser kurzen Erläuterungen wiederum eine Bewertung von DOE vorgenommen werden (siehe Abbildung 42). Die Haupteinschränkung der Methode liegt darin, dass keine Aussagen mit 100%-Wahrscheinlichkeit, also Sicherheit, getroffen werden können. Im Hinblick auf die erzielbare Zeit- und Kosteneinsparung sowie der noch guten Übersichtlichkeit von Versuchsreihen ist hierin allerdings zugleich ein relativer Vorteil zu sehen. Unter diesem Blickwinkel ist auch der Nachteil eines möglichen Informationsverlustes zu werten, da nicht alle Kombinationen geprüft werden. Offensichtlich sind jedoch der Statistikaufwand und damit verbundene Probleme. Bei einer großen Anzahl von Faktoren und Ausprägungen sind Versuche jedoch nur auf der Basis von DOE mit einem reduzierten Design möglich. Darüber hinaus besteht immer die Möglichkeit, auf der Basis gewonnener Erkenntnisse eine Versuchsreihe vorzeitig abzubrechen und die zweite Versuchsanordnung bereits zu beginnen. Insgesamt ist also die Wertung: Teilfaktorielle Versuche besitzen den Vorteil, eine hohe Anzahl an Faktoren durch eine moderate Anzahl an Experimenten untersuchen zu können.
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+
149
-
• Zeiteinsparung • Eventuell Informationsverlust, da nicht alle Kombinationen ge• Kosteneinsparung prüft werden • Bei vielen Faktoren ist der Ver• Statistik-Aufwand und ggf. such nur mit DOE möglich -Probleme • Übersichtlichkeit • Die Aussage ist nicht mit 100% • Möglichkeit, eine Versuchsreihe Wahrscheinlichkeit sicher auf Basis eines Untersuchungsdesigns abzubrechen, wenn ausreichende Ergebnisse vorliegen und mit der zweiten Versuchsanordnung fortzusetzen
Abbildung 42: Bewertung von DOE
9
Erfinderisches Problemlösen mit TRIZ
Design for Six Sigma hat zum Ziel, einen erkannten Bedarf durch eine möglichst neuartige Lösung mit einem hohen Kundennutzen zu befriedigen. Von daher kommt es im DMADV-Zyklus darauf an, tragfähige kreative Alternativen für die angestrebte Lösung des Kundenproblems zu finden. Hierzu kommen grundsätzlich alle Kreativitätstechniken infrage, wie z.B. als einfache Techniken Brainstorming, Methode 6-5-3, Morphologischer Kasten oder als anspruchsvollere Techniken Synektik und Bionik. Allen diesen Techniken ist gemeinsam, dass sie darauf ausgerichtet sind, möglichst viel kreatives Ideenpotenzial bei den Akteuren freizusetzen. Einige der genannten Techniken gehen dabei anhand eines mehr oder weniger festgelegten Verfahrensablaufes strukturierter vor. Allen diesen Techniken liegt aber kein systematisches Problemlösungskonzept in der Vorgehensweise zugrunde, wie dies bei TRIZ der Fall ist. Im Folgenden wird deshalb detaillierter auf die Rolle und den Beitrag von TRIZ im Rahmen von Six Sigma im Entwicklungsprozess eingegangen. Die Methode ist im Vergleich zu allen anderen Kreativitätstechniken deutlich weniger bekannt. Deshalb sind die nachstehenden Ausführungen etwas grundsätzlicher ausgerichtet und beantworten die folgenden sechs Fragen: 1.
Warum TRIZ? – Anforderungen an innovative Problemlösungen im Rahmen von Six Sigma Projekten
2.
Was ist TRIZ? – Entstehung, Philosophie und Inhalte von TRIZ
150
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
3.
Wie ist TRIZ anzuwenden? – Konzeption, Vorgehensweise und Module des „erfinderischen Problemlösens“
4.
Welche Phasen gibt es? – ARIZ als TRIZ-Innovationszyklus
5.
Wie erfolgt die Vernetzung? – TRIZ als integraler Bestandteil von DMADVProjekten
6.
Welche Wirkungen und Barrieren gibt es? – Chancen und Risiken der Anwendung von TRIZ in Six Sigma Unternehmen
9.1 Anforderungen an innovative Problemlösungen im Rahmen von Six Sigma Projekten – Warum TRIZ? Die „Theorie des erfinderischen Problemlösens“ (TRIZ) hat als Konzept für Innovationen – genauso wie Six Sigma und auch Design for Six Sigma – seit Mitte der 1990er Jahre eine starke Verbreitung in Unternehmen weltweit gefunden. Im Gegensatz zu Six Sigma ist das Konzept jedoch bereits mehr als ein halbes Jahrhundert existent und in dieser Zeit kontinuierlich erweitert worden. Das Methodenspektrum von TRIZ ist deshalb heute mindestens genauso umfangreich und komplex wie das von Six Sigma. Für die wirksame Anwendung sind folglich umfangreiche Schulungsmaßnahmen und bestimmte praktische Erfahrungen notwendig. Trotz dieser Tatsache gehen viele innovative Unternehmen sowohl den Six Sigma als auch den TRIZ „Weg“, d.h. sie trainieren im Rahmen des Black Belt Trainings oder auch im nachhinein ausgebildete Black Belts für mindestens eine Woche in der Anwendung von TRIZ als ergänzende Methode zum Einsatz in DMAIC- oder DMADV-Projekten. Welche Gründe sprechen hierfür? Zunächst gibt es eine Reihe allgemeiner Anforderungen an innovative Problemlösungen bezogen auf die Durchführung von Six Sigma Projekten (vgl. u.a. Averboukh 2004, S. 1-5): •
Der ständig steigende Wettbewerbsdruck führt auf der einen Seite bekanntlich dazu, dass die Preise von Produkten und Dienstleistungen kontinuierlich fallen. Für die Unternehmen bedeutet dies unmittelbar zurückgehende Gewinnmargen und ansteigenden Kostendruck. Auf der anderen Seite verändern sich die Kundenbedürfnisse und -anforderungen als eigentliches Zielkriterium der unternehmerischen Tätigkeit immer schneller. Die Konsequenzen sind kürzere Produktlebenszyklen und folglich kürze Amortisationszeiträume für getätigte F&E-Investitionen. Aus diesem Grund lautet gerade für DFSS-Projekte die Devise: Schnelle, innovative und fehlerfreie Entscheidungen und Lösungen finden!
•
Der vorgesehene Zeitplan von Six Sigma Projekten mit einer Dauer von 3 bis 6 Monaten kann in der Praxis häufig nicht eingehalten werden. Der Hauptgrund liegt nicht selten in zeitlich verzögerten und fehlerbehafteten Entscheidungen der Prozesseigner (Champion) und/oder der (Master) Black Belts (Projektleiter). Dies hat i.d.R. weitreichende Konsequenzen, nämlich zum einen die aufwendige Neuerfassung von bereits erhobenen Daten in der Meas-
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151
ure-Phase bei einer vorherigen ungenügenden Problemdefinition und zum anderen die umfangreiche Überarbeitung/Wiederholung von einzelnen nachgelagerten Phasen des DMAIC-/DMADV-Prozesses. •
In den einzelnen Phasen des DMAIC-/ DMADV-Prozesses können Probleme auftreten, die nicht nur zu Verspätungen beim Projektabschluss und damit zu erhöhten Projektkosten führen, sondern auch langfristig wirksame, strategische Fehlerkosten beinhalten. Letztere ergeben sich u.a. aufgrund von wenig innovativen Problemlösungen und damit geringer(er) Erfüllung von Begeisterungsanforderungen des Kunden. Neben einer geringen Wirksamkeit der Lösung und damit einem Effektivitätsdefizit kann es zusätzlich zu nichtoptimalen, d.h. nicht ausreichend effizienten Prozessabläufen kommen. Dies liegt vor allem darin begründet, dass technische und/oder physikalische Widersprüche auf der Basis des gegenwärtigen technologischen Wissens im Rahmen des Six Sigma Projektes nicht aufgelöst werden konnten.
Eine der kritischsten Aufgaben bei der Bearbeitung von Six Sigma Projekten ist erfahrungsgemäß das Auffinden und Eliminieren der möglichen Ursachen von operativen und strategischen Fehlern. Als Ergänzung zu den „klassischen“ vorstehend beschriebenen Qualitätsmanagement- und Statistik-Werkzeugen bieten hierbei die TRIZ-Tools eine wirksame Unterstützung beim Aufdecken und Lösen von Widersprüchen. Gegenüber Trial-and-Error-Verfahren und anderen Kreativitätstechniken besitzen sie insbesondere den Vorteil, den Entscheidungsfindungsprozess zu beschleunigen, die Wahrscheinlichkeit von fehlerhaften Entscheidungen, z.B. aufgrund von Subjektivität im Bewertungsprozess, zu verringern und die Lösungsqualität im Hinblick auf Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit insgesamt deutlich zu erhöhen. Wenn mit den bisher betrachteten DFSS-Methoden spezifische, auf der Basis bisheriger Denkmuster schwierig zu lösende Probleme als Anforderungen herausgearbeitet wurden, dann bietet sich der Einsatz von TRIZ als innovativer Problemlösungstechnik an, und zwar in folgender Hinsicht: •
VOC-CTQ-Analyse: TRIZ hilft dabei, die ermittelten Bedürfnisse/Wünsche als „Stimme des Kunden“ (VOC), z.B. „In meinem neuen Backofen darf niemals etwas anbrennen“, in die daraus abgeleiteten kritischen Qualitätsmerkmale (CTQs) möglichst fehlerfrei umzusetzen und voll zu erfüllen.
•
FMEA: Mit TRIZ ist es leichter, Maßnahmen und Strategien zur Vermeidung bzw. Verringerung von Fehlern und Risikopotenzialen bei neuen Produkten und Dienstleistungen zu entwickeln, z.B. „Die Herdplatte muss zum Kochen heiß sein“ versus „Die Herdplatte muss ohne Topf sofort kalt sein, damit man sich nicht daran verbrennt“.
•
QFD: Durch den Einsatz von TRIZ lassen sich technische und physikalische Widersprüche bei der Umsetzung von Kundenanforderungen in konkrete Produkt- und Prozessanforderungen leichter auflösen, z.B. „Die Herdtür muss
152
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
leicht zu verschließen sein.“ versus „Der Widerstand der Türdichtung muss hoch sein, um die Wärme gut zu isolieren.“ •
DOE: TRIZ unterstützt als „Erfinderisches Problemlösen“ bei der Aufgabenstellung, unerwünschte Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren auf das Zielkriterium zu beseitigen, z.B. „Die Wahl von HerdplattenGröße und Kochtopf-Durchmesser dürfen keinen Einfluss auf die KochzeitDauer haben.“
Wie aus Abbildung 43 zu ersehen ist, konzentriert sich die Anwendung der TRIZTools insbesondere auf die Analyse-Phase des DMADV-Prozesses. An dieser Stelle bietet sich auch eine Schulung von TRIZ im Rahmen einer speziellen DFSSSchulung für (Master) Black Belts an. Die Einführung in die TRIZ-Methodik nimmt – je nach vorhandenen Vorkenntnissen der Trainingsteilnehmer – mindestens einen Tag in Anspruch. Für eine wirkungsvolle Anwendung von TRIZ in Six Sigma Projekten sind nach unserer Erfahrung jedoch bis zu fünf Schulungstage notwendig. Genauso wie beim Quality Function Deployment (QFD) ist auch bei TRIZ der Einsatz eines Experten als Moderator in jedem Fall empfehlenswert.
Define
Verify
Business t Case jek Pro rter a Ziele und Ch Probleme
Produktkonzept Markentreue
Benchmarking
Pilotierung + Implementierung des Prozesses
Statistisches Forecasting
Marktanalyse Projektumfang Ressourcen ProjektKommunikontrolle kation Risikoma- Netzplannagement technik
Übergabe an Prozesseigner • Monitoring • Reaktionsplan • Dokumentation
Measure Kunden • identifizieren • segmentieren • priorisieren
Kundenbedürfnisse sammeln + analysieren
CTQs bestimmen Lasten-/ Pflichtenheft Risiko abschätzen
Design Detailliertes Design entwickeln • QFD • Simultaneous Engineering • Entscheidende CTQs
Detailliertes Design evaluieren • DOE • Komplexität • Statistische Tolerierung • Zuverlässigkeit
Implementierung vorbereiten • Konfigurationsmanagement • Maschinenfähigkeitsanalyse (CTQs/ QFD)
Analyse QFD + TRIZ • High Level Design entwickeln • Komplexität reduzieren • Outputsimulation durchführen
Designkonzepte bestimmen • High Level Design evaluieren • FMEA • Target Costing • Kundenfeedback © Prof. Dr. Armin Töpfer
Abbildung 43: M+M Six Sigma DMADV-Zyklus
Die Analyse-Phase umfasst im Allgemeinen drei Teilprozesse, nämlich Designkonzepte bestimmen, „High-Level-Design“ entwickeln und evaluieren sowie „Bestes Design“ auswählen. Im ersten Teilprozess „Designkonzepte bestimmen“ werden dabei zunächst die notwendigen Funktionen mit Hilfe des House of Quality (HoQ) analysiert, d.h. die Anforderungen des Kunden werden in einer Matrix an den Funktionen des Produktes/der Dienstleistung „gespiegelt“. Nachdem klar
Armin Töpfer, Swen Günther
153
ist, was das Produkt/die Dienstleistung aus Sicht des Kunden alles können bzw. erfüllen muss, erfolgt nun die kreative Phase der Entwicklung unterschiedlicher Konzeptvorschläge. Um möglichst viele Vorschläge und innovative Ansätze zu generieren, bieten sich hier einerseits auch die klassischen Kreativitätstechniken an. Anderseits ist die Theorie des erfinderischen Problemlösens (TRIZ) gerade dann hilfreich, wenn offengelegte Konflikte und Widersprüche in einer Dimension, z.B. zwischen unterschiedlichen Produktfunktionen (im „Dach“ des HoQ), und/oder in mehreren Dimensionen, z.B. zwischen Kundenanforderungen und Produktfunktionen (in der „Matrix“ des HoQ), zu lösen sind. 9.2 Entstehung, Philosophie und Inhalte von TRIZ – Was ist TRIZ? Das Akronym TRIZ (Theorija Reshenija Izobretatjelskich Zadacz) stammt aus dem Russischen und steht im Deutschen für die „Theorie des erfinderischen Problemlösens“. Im englischsprachigen Raum ist hierfür auch die Bezeichnung TIPS für „Theory of Inventive Problem Solving“ geläufig. Die Theorie wurde maßgeblich in der früheren UdSSR von Genrich S. Altschuller (1926-1998) und seinen Kollegen entwickelt. Auf der Basis der Analyse unzähliger Patente, kam Altschuller et al. zu der Erkenntnis, dass erfolgreiche Erfindungen auf sehr ähnlichen bzw. gleichen Denkstrategien beruhen. Er formulierte deshalb die Hypothese, dass jeder Idee und jeder Erfindung ein systematischer Prozess vorangeht, welcher durch universelle Grundregeln zu erklären ist. Durch die Kenntnis und Anwendung dieser Regeln ist es dann möglich, den Erfindungsprozess gezielt zu steuern und damit „wirkliche“ Innovationen systematisch zu erzeugen. Zwischen 1946 und 1996 wurden zur Erforschung dieser Zusammenhänge mehr als 2,5 Millionen Patente analysiert (allein 40.000 durch Genrich S. Altschuller). Im Mittelpunkt der Untersuchung standen u.a. folgende drei Fragen, die durch Altschuller und seine Kollegen dreimal mit „Ja“ beantwortet werden konnten: (1) Gibt es eine allgemeingültige, systematische Vorgehensweise für das Auffinden innovativer Lösungen? Æ Ja: Problemstellungen und -lösungen in abstrahierter Form wiederholen/gleichen sich fachübergreifend über alle Wissenschaftszweige und Unternehmensbranchen. (2) Gibt es empirische Grundgesetze bezüglich der technologischen Evolution von technischen Systemen und Verfahren? Æ Ja: Die Evolution technischer Systeme und Verfahren verläuft in allen Wissenschafts- und Industriebereichen nach ähnlichen/vergleichbaren Mustern. (3) Gibt es Innovationen und Produktverbesserungen, deren Entwicklung/ Erfindung disziplinübergreifende Gemeinsamkeiten aufweist? Æ Ja: „Wirkliche“ Innovationen und Verbesserungen bedienen sich wissenschaftlicher Effekte und Erkenntnisse außerhalb der unmittelbaren Problemstellung und damit außerhalb des eigenen Tätigkeitsfeldes (vgl. Teufelsdorfer/Conrad 1998, S. 9).
154
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Die Antworten zu den drei Fragen ließ für Altschuller et al. nur eine Schlussfolgerung zu: Innovation ist kein Zufall. Dabei ist die grundlegende Voraussetzung für eine innovative Lösungsfindung das Vorhandensein eines Widerspruchs. Das heißt, bei TRIZ geht es immer um das „Aufdecken, Verschärfen und Überwinden“ von technisch-physikalischen Widersprüchen, wobei die vorhanden Systemressourcen bestmöglich auszunutzen und das Wissen über evolutionäre Prozesse bei technischen Systemen zu berücksichtigen sind. Als zentrale Kenn- bzw. Optimierungsgröße wird der Idealitätsgrad definiert, der sich – bezogen auf ein System – als Quotient aus der Summe „nützlicher“ Effekte (Nutzen) geteilt durch die Summe „schädlicher“ Effekte (Kosten) ergibt. Das Ziel besteht nun darin, den Idealitätsgrad entsprechend dem generellen Extremumprinzip durch Minimierung der Kosten und Maximierung des Nutzens zu optimieren. Anhand der Änderung des Idealitätsgrades durch eine Neuerung im System lässt sich der Innovationsgrad einer bestimmten Entwicklung/Erfindung ableiten. Je größer die Änderung des Idealitätsgrades ist, desto höher ist also auch der Innovationsgrad einer neuen Lösung. Bei seinen Patentrecherchen stellte Altschuller u.a. fest, dass nur etwa 1 % aller Erfindungen einen hohen Innovationsgrad aufweisen und damit als wirkliche Innovationen gelten. Hingegen handelt es sich bei ca. drei Viertel aller sogenannten Innovationen um „einfache“ Problemlösungen, die i.d.R. mit keinem besonderen Methoden- und Wissenshintergrund verbunden sind (vgl. Mazur 1995, S. 5f.). In Abbildung 44 sind die gebräuchlichsten Erfindungsmethoden und -verfahren in drei Gruppen eingeordnet. Die ersten beiden Gruppen enthalten die bisher gebräuchlichen und z.T. weit verbreiteten Kreativitäts- und Problemlösungstechniken. Die dritte Gruppe der widerspruchsorientierten Methoden ist auf TRIZ und alle damit im Zusammenhang entwickelten Instrumente konzentriert. Während die erste Gruppe der intuitiven Methoden mehrheitlich durch subjektive, spontane und wenig systematische Aktivitäten gekennzeichnet ist, finden sich in der zweiten Gruppe systematische Methoden, die durch objektivierte, planmäßig durchlaufene und jederzeit wiederholbare Denk- und Handlungszyklen gekennzeichnet sind. Die Methoden der dritten Gruppe verlangen neben einer systematischen Arbeitsweise das Ableiten und Lösen von Widersprüchen. TRIZ unterscheidet sich von den klassischen Kreativitätstechniken zum einen durch seine technisch-naturwissenschaftliche Basis, d.h. sie nimmt gezielt Anlehnung aus der Thermodynamik, Mechanik, Elektrotechnik und Chemie, um durch das Erkennen synergetischer Effekte innovative Produktlösungen zu generieren. Zum anderen führt sie auf direktem Wege zur sog. wahren, idealen Lösung eines Problems, weil widersprüchliche Anforderungen des Ausgangsproblems gezielt aufgelöst und „psychologische Denkbarrieren“ der Beteiligten überwunden werden. Dadurch sollen Kompromisse als Ergebnis, wie sie bei anderen intuitiven und systematischen Methoden eher die Regel als die Ausnahme sind, vermieden werden.
Armin Töpfer, Swen Günther
Intuitive Methoden
Systematische Methoden
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Widerspruchsorientierte Methoden • Erfindungskunst ab 1760 (Wirkungsverbund/ Konfliktanalyse)
• Trial-and-Error-Verfahren
• Synektik
• Technische Improvisation
• Bionik
• Brainstorming/ -writing
• Morphologischer Kasten
• TRIZ-klassisch (Altschuller´s Widerspruchstabelle etc.)
• 6-3-5 – Methode
• Heuristiken
• ARIZ 56ff./ Meta-ARIZ
• N/3 – Methode
• Konstruktionsmethodiken
• Delphi-Methode
• Paarweiser Vergleich
• Graphische Verfahren
• Kriterienbasierte Auswahl (Nutzwertanalyse)
• PROHAL (Programm zum Herausarbeiten von Erfindungsaufgaben u. Lösungsansätzen)
• Simulationen (Monte-CarloSimulationen)
• WOIS (Widerspruchsorientierte Innovationsstrategie) • TRIZ-modern (mit Softwareunterstützung) • I-TRIZ (Verbindung von TRIZ und Six Sigma)
Abbildung 44: Drei Gruppen von Erfindungsmethoden und -verfahren
Aufgrund der Verbindung von Kreativität und Systematik mit Widerspruchsorientierung hilft TRIZ technisch-wissenschaftliche Aufgabenstellungen methodisch und systematisch zu entwickeln und ohne Kompromisse in „robuste“ Lösungen zu überführen (vgl. Günther 2004, S. 1). Nach Jantschgi/Shub (2004) besteht das Ziel der TRIZ-Methodik – per definitionem – darin, •
technische und/oder physikalische Widersprüche zu entdecken,
•
diese kreativ und ohne Kompromisse mit vorhandenen Ressourcen (Wissen)
•
einer präzisen, strukturierten Problemanalyse zu unterziehen und danach
•
zielorientiert in Richtung Erhöhung des Idealitätsgrades zu verbessern.
Altschuller, der bereits im Jahr 1946 eine Stiftung für TRIZ gründete, erkannte, dass sich alle möglichen technischen Anforderungen mit Hilfe von 39 (allgemeingültigen) Parametern beschreiben lassen. Des Weiteren fand er heraus, dass alle denkbaren Widersprüche (max. 1.482) zwischen zwei technischen Anforderungen mit Hilfe von „nur“ 40 (allgemeingültigen) Innovations-Prinzipien gelöst werden können. Die 40 Prinzipien technischer Konfliktlösung zusammen mit den 39 Parametern technischer Systembeschreibung sind in Altschuller´s Widerspruchstabelle bzw. Effekte-Datenbank zusammengefasst dargestellt (vgl. z.B. Orloff 2002, S. 313-330). Dabei wird der TRIZ-Anwender zielgerichtet von seinem speziellen technischen Problem über die allgemeinen Parameter auf die geeigneten innovativen Prinzipien geleitet, die zu seiner Aufgabenstellung passen. Hierzu gibt es eine Reihe von Software-Lösungen, die von unterschiedlichen Unternehmen angeboten werden, wie z.B. Invention Machine, Ideation, Creax international und Trisolver. In Abbildung 45 ist die Anwendung der Widerspruchstabelle/ -matrix am Beispiel der Erfindung des „Spreizdübels“ aus Kunststoff durch Artur Fischer, dem wohl
156
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
berühmtesten Erfinder Deutschlands, dargestellt. An dieser Stelle ist bereits darauf hinzuweisen, dass von ihm die Prinzipien der Widerspruchsmatrix nicht explizit angewendet wurden. Vielmehr geht es darum, die Philosophie und Inhalte von TRIZ an einem einfachen historischen Beispiel zu verdeutlichen. Was ist das Problem bei Verwendung von „normalen“ Dübeln? „Obwohl der Dübel genau in das vorgebohrte Loch passt, dreht er sich beim Festziehen der Schraube mit. Wenn ich aber ein Loch mit etwas kleinerem Durchmesser bohre, habe ich Schwierigkeiten den Dübel zerstörungsfrei in die Wand zu bekommen.“
Was verschlechtert sich? Parameter (9): Fertigungsfreundlichkeit
Was verbessert sich?
Welche Innovations-Prinzipien gibt es?
Parameter (6): Genauigkeit der Maße
Lösungsansatz (20): Universalität Lösungsansatz (29): Selbstbedienung
Abbildung 45: Anwendung der Widerspruchsmatrix am Beispiel „Spreizdübel“
Die innovativen Grundprinzipien, welche der Erfindung des „Spreizdübels“ zugrunde liegen, sind die Lösungsansätze •
(20) Universalität, d.h. das Objekt erfüllt gleichzeitig mehrere verschiedene Funktionen (Das Hineindrehen der Schraube ist sowieso erforderlich, wobei gleichzeitig ohne zusätzlichen Arbeitsschritt die Spreizung des Dübels bewirkt wird) und
•
(29) Selbstbedienung, d.h. das Objekt soll sich selbst bedienen, indem es gleichzeitig Hilfsfunktionen ausführt und dabei „überschüssige“ Energie/ Stoffe verwertet (Der Spreizdübel wird von dem Element, also der Schraube, die er während des Hineindrehens in die Wand fixiert, zugleich selbst fixiert und verkeilt).
Die beiden Lösungsansätze als Innovations-Prinzipien sind das Ergebnis des Abstraktionsprozesses der realen Problemstellung, dass sich nämlich ein „normaler“ Dübel i.d.R. schlecht fixieren und verkeilen lässt, auf die abstrakte Problemstellung. Letztere wird – im übertragenen Sinn – beschrieben durch die zwei technischen Parametern (6) Genauigkeit der Maße und (9) Fertigungsfreundlichkeit, d.h. wenn ich den Loch- und Dübeldurchmesser genau auf Presspassung ausrichte, verkeilt sich der Dübel zwar gut in der Wand, lässt sich jedoch nur mit erhöhtem Aufwand in die Wand schlagen.
Armin Töpfer, Swen Günther
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Wie anhand der Erfindungen nachvollziehbar ist, haben „geniale Erfinder“ wie Artur Fischer (1919-) oder Thomas Alva Edison (1847-1931) stets die Grundprinzipien des innovativen Problemlösens – zumindest implizit – bei ihren Erfindungen berücksichtigt. Auch wenn sie keine (explizite) Kenntnis der standardisierten technischen Parameter von Altschuller hatten, waren sie ihrer Zeit immer dahingehend voraus, dass sie Probleme und Widersprüche eindeutig erfassen und abstrahieren konnten. Denn nur durch die Fähigkeit der Abstraktion und Spezifikation war es ihnen möglich, wirklich innovative Produktlösungen in einer großen Anzahl zu generieren. 9.3 Konzeption, Vorgehensweise und Module des „erfinderischen Problemlösens“ – Wie ist TRIZ anzuwenden? Nach den einführenden Darlegungen zur Entstehung und Philosophie von TRIZ wird im Weiteren – an einem konkreten Beispiel – auf die einzelnen Schritte der Methode eingegangen. Die Konzeption und allgemeine Vorgehensweise zur Lösung eines Problems mit TRIZ umfasst die folgenden vier Schritte: 1.
Das konkrete Problem definieren.
2.
Dieses in eine abstrakte Problemstellung transformieren.
3.
Auf der Abstraktionsebene eine abstrakte Lösung suchen.
4.
Die abstrakte Lösung in die Realitätsebene zurück transformieren und in ein konkretes Lösungskonzept überführen.
Wie leicht nachvollziehbar ist, ähnelt die Philosophie und Vorgehensweise von TRIZ damit sehr stark der grundsätzlichen „Denkweise von Six Sigma“: In beiden Konzepten werden mit der Realitäts- und der Abstraktionsebene zwei Ebenen der Problemlösung unterschieden. Bei Six Sigma wird das reale Problem in ein statistisches transformiert und gelöst; bei TRIZ führt eine konkrete Problemstellung zu einer abstrakten Lösungssuche. Erst wenn eine zufriedenstellende Lösung auf der Abstraktionsebene gefunden worden ist, erfolgt die Rück-Transformation in die Realitätsebene, d.h. die Umsetzung der statistischen (abstrakten) Lösung in ein reales Lösungskonzept. In Abbildung 46 ist der Algorithmus zur Lösungsfindung mit TRIZ am Beispiel „Milchkochen“ mit dem Kochtopf auf einem E-Herd dargestellt. Hier wird das konkrete Problem, dass Milch zum Erhitzen regelmäßig überkocht und verbrennt, wenn nicht ständig per Hand umgerührt wird, abstrahiert auf die zwei technischen Parameter (3) und (29). Durch das Umrühren mit einem Löffel wird die Stabilität des Objektbestands sichergestellt (d.h. die Milch „geht“ nicht hoch), was einer Verbesserung entspricht. Gleichzeitig kommt es hierdurch aber zu einer Verschlechterung des Niveaus der Automatisierung (d.h. jemand muss ständig daneben stehen und rühren). Zur Lösungsfindung auf der Abstraktionsebene ist nun in die Widerspruchsmatrix von Altschuller zu gehen. Hier stehen folgende
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
innovative Grundprinzipien als Lösungsansätze zur Auswahl (vgl. Orloff 2002, S. 321f.): (3) Zerteilen – Ein Objekt in unabhängige Teile zerlegen/ Ein Objekt zerlegbar machen und den Grad der Zerkleinerung erhöhen (6) Nutzung mechanischer Schwingungen – Ein Objekt in Schwingungen versetzen/ Wenn eine solche Bewegung bereits abläuft, ihre Frequenz erhöhen. (3) Niveau der Automatisierung ↓ (29) Stabilität des Objektbestands ↑ • Widerspruch auf Basis der 39 technischen Parameter
Realitätsebene
1
Konkrete Problemstellung • Problem/ Konflikt umgangssprachlich beschreiben
Beim Kochen von Milch muss ich ständig umrühren, damit sie nicht überkocht und verbrennt!
Lösungssuche
3
Abstrakte Problemlösung Spezifikation
Abstraktionsebene
Abstraktion
Abstrakte Problemstellung
• Lösungsansätze auf Basis der 40 innovativen Prinzipien
Barriere
2
(6) Nutzung mechanischer Schwingungen
Konkrete Problemlösung
4
• Lösungsansatz auswählen und konkret umsetzen Ein Keramikobjekt beim Milchkochen in Kochtopf legen
Abbildung 46: Vorgehensweise zur Lösungsfindung mit TRIZ am Beispiel „Milchkochen“
Die Spezifikation der abstrakten Problemlösung und die Überführung in ein konkretes Lösungskonzept sieht in der Praxis wie folgt aus: Zum Erhitzen von Milch wird in den Kochtopf eine (nicht plane und nicht symmetrische) Keramikscheibe mit einem Durchmesser von ca. 10 cm und einer Höhe von ca. 1 cm gelegt. Wird der Topf mit Milch warm, bildet sich unter der Scheibe, die auf dem Boden liegt, ein Luftpolster. Entsprechend dem „Dampfkessel-Prinzip“ wird die Keramikscheibe von Zeit zu Zeit angehoben und die erhitzte Luft kann entweichen. Durch diesen Effekt kommt es zur Vibration des Keramikkörpers im Topf mit der Folge, dass die Milch in Bewegung bleibt und nicht (sofort) am Topfboden anbrennt und „überkocht“. Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten: Bei der Lösung von (technischen) Widersprüchen – auf der Abstraktionsebene – kommt insbesondere die Widerspruchstabelle von Altschuller zur Anwendung. Konkret bedeutet dies, dass zunächst der bestehende (reale) Widerspruch auf der Grundlage der 39 technischen Parameter
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spezifiziert wird. Erst im Anschluss werden Lösungsansätze aus dem Repertoire der 40 innovativen Grundprinzipen generiert und einer abstrakten Lösung zugeführt. Hieraus wird ersichtlich, dass unter Anwendung der TRIZ-Methodik Widersprüche „attraktiv“ werden, da sie aufgrund der Suche nach Analogien Gelegenheit für Verbesserung und Innovation bieten (vgl. Herb 2003, S. 11). Neben dem Vorhandensein technisch-technologischer Widersprüche besteht eine weitere Anforderung zur Anwendung des TRIZ-Lösungsalgorithmus darin, dass ein ideales Endresultat als Wunsch- bzw. Zielvorstellung existiert. So ist beispielsweise die „beste“ Maschine nicht eine „schöne“ oder „starke“ Maschine, sondern eine auf das rein Funktionelle beschränkte, die „von selbst“ arbeitet und im besten Fall „gar nicht mehr da ist“ und trotzdem ihre Funktion erfüllt (vgl. Zobel 2004, S. 2ff.). Das Ziel von TRIZ liegt nun darin, sich durch die Lösungssuche auf der Abstraktionsebene bestmöglich dem Leitbild bzw. der Vision des Idealitätsgrades anzunähern. Deshalb steht nach der Transformation des realen in das abstrakte Problem die rein rational-funktionelle Betrachtungsweise bei der Lösungssuche im Vordergrund. Hier ergibt sich jedoch der Widerspruch im Widerspruch, wobei uns letzterer daran hindert, das ideale Endresultat wenigstens annähernd zu erreichen. Ein solcher Widerspruch lautet im einfachsten Fall: „Du musst was am System ändern, damit es besser läuft. – Wenn Du aber was am System änderst, arbeitet es schlechter als zuvor.“ 9.4 ARIZ als TRIZ-Innovationszyklus – Welche Phasen gibt es? Während es mit „herkömmlichen“ Mitteln, also z.B. einfachen Kreativitätstechniken, i.d.R. nicht möglich ist, solche Widersprüche aufzulösen, führt die Anwendung der innovativen Prinzipien von Altschuller in den meisten Fällen zu wirklich „erfinderischen Problemlösungen“. Dazu entwickelte Altschuller u.a. ARIZ 68 (russ. Akronym für: Algoritm Reshenije Izobretatjelskich Zadacz), einen „klassischen“ Handlungsleitfaden (Algorithmus) mit fünf Phasen zum Lösen erfinderischer Aufgaben. Durch ihn werden die oben genannten vier Schritte wie folgt konkretisiert und mit Fragen hinterlegt (vgl. u.a. Zobel 2004, S. 3f.): 1.
Wahl der Aufgabe (Zielsuche & Problemformulierung) Welches Ziel soll erreicht werden? und Wie lautet das „ideale Endresultat“?/ Wie ist die aktuelle Situation? und Was muss verbessert werden?/ Wo liegen administrative (d.h. offensichtlich erkennbare) Widersprüche?/ Gibt es Umgehungsmöglichkeiten? Wenn ja, ist dies günstiger als die Originalaufgabe?/ Und ist ggf. eine Umkehrung der Aufgabenstellung möglich?/ Wie lautet der Kern der weiteren Aufgabenstellung?
2.
Präzisieren der Aufgabe (Zielvorgabe & Problemtransformation) Wie werden bzw. wurden in der Literatur ähnliche Aufgaben gelöst? (Hinweis: Vergleich des eigenen Problems mit bereits gelösten Problemen aus eigenem und fremden Fachbereich(en) mittels Zugriff auf Datenbanken oder in-
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
terdisziplinäre Gruppendiskussionen)/ Gibt es vergleichbare (analoge) Patente und Problemlösungen?/ Was wäre unter Nicht-Beachtung von Zeit und Kosten möglich?/ Wie kann die Aufgabe ohne gängige Fachtermini beschrieben werden? (Hinweis: Fachtermini „kanalisieren“ das Denken in Richtung konventioneller Lösungen. Besser sind deshalb abstrakte Modellformulierungen, z.B. „von Ort A nach Ort B kommen“.) 3.
Analytisches Stadium (System-/ Modellanalyse) Was soll eigentlich erreicht werden?/ Warum versagten bisherige Optimierungsversuche? (Hinweis: Wenn bereits erfolgte Problemlösungen unbefriedigend oder nicht ausreichend sind, wird bei TRIZ das Verfahren „Physical Effects and Phenomena“ angewendet.)/ Wie lautet der technische bzw. physikalische Kernkonflikt? (Hinweis: Zunächst administrative in technische Widersprüche umwandeln. Anschließend prüfen, ob technische in physikalische Widersprüche umgewandelt werden können, da diese im Allgemeinen leichter zu lösen sind, z.B. eine Anforderung mit den Ausprägungen „heiß“ und „kalt“ wird „umdefiniert“ in „flüssig“ und „fest“. TRIZ bietet insgesamt vier Ansätze, um physikalische Widersprüche zu lösen.)/ Weshalb wirkt die Störung?/ Und wie lautet der wahrscheinliche Widerspruch zur Lösungsfindung?/ Gibt es Möglichkeiten, das Hindernis zu beseitigen oder anderweitig zu umgehen?/ Gibt es Rückwirkungen auf das zu verbessernde/ neu zu erstellende Verfahren?
4.
Operatives Stadium (Lösungssuche/ -eingrenzung) Löst sich der Widerspruch auf, wenn ich die (40) innovativen Grundprinzipien auf das Problem anwende?/ Gibt es Lösungsstandards in Bezug auf physikalische Effekte?/ Ist eine Variation des Arbeitsmediums, der Umgebung und/ oder der mit dem Objekt zusammenwirkenden Verfahren zielführend?/ Gibt es Umkehrmöglichkeiten, z.B. etwas Schädliches in etwas Nützliches oder etwas Gefährliches in etwas Harmloses verwandeln?/ Wie werden in der Natur entsprechende Aufgabenstellungen gelöst? (Bionische Betrachtungsweise)/ Gibt es naturnahe, -ferne und/ oder fremde Analogien? (Je weiter entfernt, desto besser!)/ (Hinweis: Wenn die Zielstellung die Frage nach zukünftigen Entwicklungen aufwirft, bietet TRIZ acht „Grundmuster der Evolution“ zur Lösung des Problems an.)
5.
Synthetisches Stadium (Ideales Resultat & Lösungsrealisierung) Welche weiteren Veränderungen/ Optimierungen empfehlen sich?/ Gibt es für das grundlegend veränderte System/ Objekt möglicherweise ganz neue Anwendungsmöglichkeiten? Bzw. ist die neue (oder die ihr entgegengesetzte) Idee zur Lösung ganz anderer Aufgabenstellungen verwendbar?/ Welche Risiken bestehen bei der Umsetzung der Lösung?/ Bei mehreren Lösungsansätzen: Gibt es eine „beste“ Lösung mit höchstem Zielerfüllungsgrad?/ Was sollte bei der Implementierung der Lösung beachtet werden?
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9.5 TRIZ als integraler Bestandteil von DMADV-Projekten – Wie erfolgt die Vernetzung? Wie aus den vorstehenden Ausführungen ersichtlich wird, hat der TRIZ-Innovationszyklus – in Form der fünf Phasen des Algorithmus zum Lösen erfinderischer Aufgaben (ARIZ) – ebenfalls große Ähnlichkeiten mit den fünf-phasigen Six Sigma Projektzyklen DMAIC und DMADV. Im übertragenen Sinne bedeutet dies, dass es sich bei der Konfliktlösung mit TRIZ, z.B. in der Analyse-Phase des DMADV-Prozesses, immer um ein Projekt im Projekt handelt. Aufgrund der ähnlichen Denk- und Verfahrensstruktur ist eine Kombination von Six Sigma und TRIZ nicht nur grundsätzlich möglich, sondern gerade in DFSS-Projekten effektiv und zielführend und deshalb wünschenswert. Dabei ist zu bemerken, dass neben den innovativen Prinzipien nach Altschuller und dem 5-Phasen-Schema ARIZ als Kernelemente heute eine Reihe weiterer Methoden und Verfahren der „Theorie des erfinderischen Problemlösens“ (TRIZ) zugeordnet werden. Sie sollen den Anwender zum einen bei der systematischen Bearbeitung und der Lösung von Problemen – auf der Abstraktionsebene – unterstützen. Zum anderen geben sie Hilfestellungen beim Auffinden und Definieren von Problemen/Konflikten sowie der Umsetzung/Übertragung von (abstrakten) Lösungen in die Realitätsebene. Die einzelnen Werkzeuge und Methoden lassen sich jedoch nur bedingt einer bestimmten ARIZ-Phase zuordnen. Deshalb hat sich in der Vergangenheit eine Einteilung der Methoden in die vier Gruppen „Systematik“, „Wissen“, „Analogie“ und „Vision“ – vor allem im deutschsprachigen Raum – durchgesetzt und etabliert (siehe Abbildung 47). Diese vier Gruppen werden auch als die 4 TRIZ-Säulen bezeichnet, da sie die elementaren Eigenschaften, die einen „guten“ Forscher und Entwickler auszeichnen, kennzeichnen. Auf die Beschreibung der einzelnen Methoden soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Stattdessen wird hier auf die einschlägige Literatur zum Thema „TRIZ-Methoden“ verwiesen (siehe z.B. Orloff 2002; Herb et al. 2000; Teufelsdorfer/Conrad 1998). Beim Einsatz von TRIZ im Rahmen von Six Sigma Projekten richtet sich die Anwendungsreihenfolge der vier Gruppen nach der Art der Problemstellung: (1) Handelt es sich um prozessbezogenes Six Sigma, also ein DMAIC-Projekt, werden die Gruppen von links nach rechts durchlaufen, d.h. es wird mit den Werkzeugen aus der Gruppe „Systematik“ begonnen. (2) Handelt es sich hingegen um entwicklungsbezogenes Six Sigma, also ein DMADV-Projekt, wird mit den Werkzeugen der Gruppe „Vision“ begonnen und danach die Gruppen von rechts nach links durchlaufen. Bei beiden Anwendungsformen ist zu bedenken, dass die Methoden nicht starr vorgegeben und in jedem Fall umfassend einzusetzen sind. Vielmehr obliegt die Wahl der einzelnen Methoden den „Vorlieben“ und Erfahrungen des zuständigen (Master) Black Belts (vgl. Jantschgi/Shub 2004, S. 1). Für eine innovative Problemlösung sollten jedoch, wie in Abbildung 47 angedeutet, Methoden aus allen vier Gruppen zur Anwendung kommen, da sonst der Fokus entweder zu
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
stark auf eine antizipierende Fehlererkennung oder eine zu starke direkte Entwicklung gerichtet wird.
TRIZ Systematik
Wissen
Analogie
Vision
Strukturierung von Problemen
Problemorientierte Prinzipien
Erkenntnisse aus Weiterentwicklung anderen Bereichen des Systems
• Innovations-
• Effekte-Lexikon
• Konfliktanalyse
• S-Kurve
checkliste
• Internetrecherche
• Ressourcencheckliste
• Patentrecherchen
• Widerspruchsanalyse
• Evolutionsgesetze
• Stoff-Feld-Modell
• Innovationsebenen
• Idealität • Operator MZK • ZwergeModellierung • Problemformulierung • Objektmodellierung
Antizipierende Fehlererkennung Basis: Herb/ Kohnhauser 2000, S. 50f.
Direkte Entwicklung
Innovative Problemlösung
Abbildung 47: Die vier Gruppen von TRIZ und ihre Werkzeuge
9.6 Chancen und Risiken der Anwendung von TRIZ in Six Sigma Unternehmen – Welche Wirkungen und Barrieren gibt es? Aufgrund der ähnlichen Philosophie und Konzeption von Six Sigma und TRIZ bestehen eine Reihe von Synergieeffekten. Deshalb ist es wenig verwunderlich, dass viele bekannte Six Sigma Unternehmen – wie z.B. IBM, Siemens, 3M, Motorola, Electrolux, BMW, Ford, Boeing und Bosch – auch zu den führenden TRIZAnwendern zählen. Dabei beziehen sich die Wirkungen einer Integration von TRIZ und Six Sigma im Rahmen von DMADV-Projekten auf folgende Aspekte (vgl. Averboukh 2004, S. 4): •
Erhöhte Effektivität, also höhere Kundenzufriedenheit, und erhöhte Effizienz, also höherer Return on Investment (ROI), in der Umsetzung entwicklungsbezogener Six Sigma Projekte, insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs)
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163
•
Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit der neu entwickelten Produkte und Dienstleistungen, ausgedrückt in erhöhter Nutzungsdauer/ Zuverlässigkeit und verringertem Ressourcenverbrauch während des Produktlebenszyklus
•
Beschleunigte Projektabwicklung und verbesserte Prozessdurchlaufergebnisse in DMADV-Projekten, insbesondere in der Designphase aufgrund eines höheren Anteils innovativer und gehaltvoller Lösungsideen
•
Verringerte Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine bestimmte Neu-Produktentwicklung und damit verringerte bzw. vermiedene strategische Fehlerfolgekosten aufgrund nicht-innovativer Produkte.
Als konkrete Beispiele für den erfolgreichen Einsatz der TRIZ-Methodik können die Unternehmen Ilford Imaging (UK), LG Chem (Südkorea) und Geberit (CH) angeführt werden (vgl. Schweitzer 2003, S. 3f.). Im erstgenannten Unternehmen wurde infolge eines TRIZ-Workshops eine Zusatzeinrichtung entwickelt, durch die im Bereich der Filmproduktion – bei einmalig anfallenden Investitionskosten von ǧ 90 – monatlich wiederkehrende Einsparungen von ǧ 50.000 erzielt werden können. Bei LG Chem in Südkorea ließen sich durch den verstärkten Einsatz von TRIZ Ideen generieren, die zu jährlichen Einsparungen in Höhe von $ 6 Mio. im Bereich der PVC-Produktion führten. Moderierte TRIZ-Kreativitätsworkshops werden vor allem bei Projekten im Unternehmen Geberit (CH) durchgeführt. Die Erfahrungen sind durchweg positiv, da nicht zuletzt die Effizienz in Bezug auf die Anzahl der gefundenen Lösungsansätze gegenüber „herkömmlichen“ Methoden, wie z.B. Brainstorming und Delphi-Methode, deutlich gesteigert werden kann. Mit Hilfe von TRIZ wird also die Fähigkeit des kreativen Denkens im Unternehmen gezielt gefördert und im Rahmen von Workshops und/oder Six Sigma Projekten nachdrücklich kanalisiert. Im Gegensatz zu anderen Kreativitätstechniken werden bei der Anwendung der TRIZ-Methodik neue Ideen abstrahiert, selektiert und spezifiziert. Dadurch wird die Qualität der Ergebnisse, d.h. die Generierung von Lösungsansätzen und ihre Realisierung, deutlich erhöht. Laut einer Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) werden durch TRIZ bis zu 70 % höherwertige Lösungsansätze erzeugt als mit anderen Innovations-Methoden (vgl. Teufelsdorfer/Conrad 1998, S. 56). Weiterhin wird durch das methodische Vorgehen und die systematische Anwendung der von TRIZ zur Verfügung gestellten Werkzeuge der Zeitaufwand für F&E-Prozesse im Allgemeinen und DFSSProjekte im Besonderen signifikant reduziert. Dies liegt z.T. darin begründet, dass die in TRIZ geschulten Mitarbeiter durch die strukturierte Vorgehensweise von ARIZ relativ schnell Erfolge vorweisen können. Die Motivation der Akteure im Unternehmen für die Anwendung von TRIZ in Verbindung mit Six Sigma steigt dadurch ungemein. In Abbildung 48 sind die Vor- und Nachteile der Anwendung von TRIZ zusammengefasst dargestellt. Dabei zeigt sich ein recht „ausgewogenes“ Bild von Chancen und Risiken, d.h. neben der Vielzahl von Vorzügen/Möglichkeiten, die TRIZ in Bezug auf erfinderisches Problemlösen und innovatives Produktdesign bietet,
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Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
gibt es eine Reihe von Anwendungsanforderungen und Umsetzungsbarrieren. So setzt z.B. die effektive Anwendung von TRIZ ein umfangreiches Wissen der Akteure über den neuesten/aktuellsten „Stand der Technik“ voraus. Dies ist keineswegs einfach, wenn man bedenkt, dass heutzutage weltweit alle 22 sec. eine neue Patentanmeldung erfolgt und alle 5 sec. ein neuer Fachartikel erscheint (vgl. Schweitzer 2003, S. 2). Täglich steht damit eine Vielzahl an neuen Daten zur Verfügung, die im Rahmen eines DMADV-Projektes problem- und disziplinspezifisch auf ihre Relevanz hin geprüft werden müssen.
+ • Auflösung von technischen/ physikalischen Widersprüchen aufgrund von Abstraktion und Spezifikation • Generierung von innovativen Problemlösungsansätzen mit Hilfe von ARIZ • Einsparung von Zeit und Kosten im Produktentstehungsprozess/ in DFSS-Projekten durch hohe Synergieeffekte mit Six Sigma Methoden • Erhöhte Motivation der Akteure durch methodengestützte Fokussierung des kreativen Denkens
• Zur Beherrschung sind umfangreiche Schulungen mit vielen praktischen Beispielen notwendig • Ohne Softwareunterstützung und Moderator als Experten kaum wirkungsvoll realisierbar • Hoher Recherche- und Aktualisierungsaufwand von Daten und Wissen • TRIZ benötigt kreative Mitarbeiter mit einem hohen Abstraktionsvermögen
Abbildung 48: Bewertung von TRIZ
Die daraus resultierende Recherchearbeit kann jedoch den eigentlichen Innovationsprozess erheblich verzögern. Deshalb ist zur Unterstützung geeignete, oben bereits angesprochene Software auszuwählen und einzusetzen, welche die konkrete Suche nach relevanten Daten/Stellen – auch innerhalb von umfangreichen Dokumenten – ermöglicht. Aus diesem und weiteren Gründen (z.B. Methodenvielfalt) ist die „richtige“ Anwendung von TRIZ ohne die Verwendung geeigneter Software nahezu unmöglich. Es existieren eine Vielzahl komplexer Softwarelösungen am Markt, deren Funktionalität, Benutzerfreundlichkeit, Implementierungs- und Schulungsaufwand usw. zum Teil erheblich variiert. Der Einsatz von TRIZ-Software und die Anwendung von Methoden erfordern umfangreiche Kenntnisse der Anwender im Entwicklungsprozess. Sowohl zum tiefgründigen Erlernen der Konzeption und Werkzeuge als auch zur sicheren Beherrschung der Software sind zeitintensive Schulungen bis zu einer Woche notwendig. Im Rahmen eines vierwöchigen Six Sigma Black Belt Kurs bleibt i.d.R.
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zu wenig Zeit, um den Trainingsteilnehmern über die Grundlagen von TRIZ hinaus weiterführendes anwendungsbezogenes Wissen zu vermitteln. Deshalb empfiehlt es sich, auf der Basis eines erfolgreich abgeschlossenen Black Belt Trainings besonders fähige und kreative Six Sigma Projektleiter zu TRIZ-Moderatoren auszubilden. Denn die wirkungsvolle Anwendung von TRIZ verlangt sowohl logisch-analytisches als auch intuitiv-kreatives Denkvermögen, um Widersprüche aufzulösen und in innovative Lösungen zu überführen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich TRIZ und sein 5-Phasen-Zyklus ARIZ nicht für Optimierungsaufgaben im Sinne eines Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) eignen. Die Begründung lautet wie folgt: Jede Technologie folgt bei ihrer Entwicklung evolutionären Prinzipien, d.h. mit fortschreitender Verbreitung und Evolution entwickeln sich Technologien von einer Schrittmacher- über eine Schlüssel- zu einer Basistechnologie. Am Ende des Lebenszyklus stoßen sie – entsprechend dem typischen S-Kurven-Verlauf – an ihre technischphysikalischen Grenzen und verlaufen asymptotisch gegen einen Grenznutzenwert. In diesem Stadium ist die Verbesserung von Basistechnologien nur noch marginal möglich – auch der Einsatz von TRIZ führt zu keinen neuen Entwicklungsimpulsen. Die Aufgabe des „erfinderischen Problemlösens“ liegt vielmehr darin, durch das Lösen von technischen und/oder physikalischen Widersprüchen „Grenzen zu überschreiten“, die bisher als unüberwindbar galten. Dadurch kommen i.d.R. völlig neue Wirkprinzipien zum Vorschein, die dann als Schrittmachertechnologien einen komplett neuen Technologie- und Entwicklungszyklus in Gang setzen.
10 Erzielbare Wirkungen durch Design for Six Sigma Nachdem bei den einzelnen Methoden bereits jeweils abschließend eine Vorteils-/ Nachteils-Bewertung durchgeführt wurde, können die Ausführungen zu den erzielbaren Wirkungen durch Design for Six Sigma relativ kurz gehalten werden. Sie lassen sich – eingeordnet in den Gesamtprozess von Six Sigma – anhand des Phasenablaufs in Abbildung 49 nachvollziehen. Im Vordergrund steht das Erfüllen der Kundenanforderungen, um über eine hohe Kundenzufriedenheit auch die Unternehmensziele zu realisieren. Mit den ausgeführten Methoden können unterschiedliche Wirkungskategorien erreicht und verbessert werden. Im Einzelnen sind dies (vgl. Theden 2002): Auf der Arbeitsplatzebene •
Höheres Qualitätsbewusstsein
•
Höhere Motivation und Kreativität
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Konstant hohe Performance
Prozessfähigkeit Materialeignung
Robustes Design
Eignung der Teile
Bestimmbare Herstellung
Überlegene Zuverlässigkeit
Höhere Ausbeute
Kurze Durchlaufzeiten
Hohe Qualität Pünktliche Lieferung Niedrigere/r Kosten/Preis
Geringer Lagerbestand
Basis: Harry/Lawson 1992, S. 1-6
Abbildung 49:
Umsetzung von Kundenanforderungen in Kundenzufriedenheit durch Six Sigma
Auf der Abteilungs-/Bereichsebene •
Bessere abteilungsübergreifende Zusammenarbeit
•
Bessere Lösung von Schnittstellenproblemen
•
Bessere Informationsaufbereitung und -dokumentation
•
Schnellere Kommunikation
•
Wenigere Änderungen im Entwicklungs- und Markteinführungsprozess
Auf der Unternehmensebene: •
Kürzere Entwicklungszeiten/Time to Market
•
Kostenreduzierung bei Entwicklung und Herstellung
•
Geringere Qualitäts-/Fehlerkosten
•
Optimierte Produkte und Prozesse
•
Weniger/ Keine Probleme in der Serienproduktion
•
Kürzere Durchlaufzeiten
•
Geringerer Lagerbestand
•
Höhere Deckungsbeiträge/Margen
Auf der Marktebene •
Weniger Reklamationen/Rückrufaktionen
•
Flexiblere Reaktion auf Kundenwünsche
•
Attraktivere Marktpreise
•
Zufriedenere Kunden
Kundenzufriedenheit
Kundenanforderungen
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Armin Töpfer, Swen Günther
•
Besseres Unternehmensimage/Mehr Weiterempfehlung
•
Steigerung von Umsatz und Marktanteil
•
Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit/-vorteile
•
Ziel: Best in Class als Benchmark für Wettbewerber
167
Die auf die Qualitätskosten bezogenen Wirkungen durch den Einsatz von Design for Six Sigma führen – entsprechend der vorstehenden Auflistung – insbesondere dazu, dass die Kosten für die Fehlerbeseitigung drastisch abnehmen, Prüfkosten ebenfalls sinken, gegebenenfalls aber Kosten der Fehlervermeidung zumindest in den ersten Perioden nach der Einführung von DFSS steigen. Erfahrungsgemäß ist jedoch insgesamt das Niveau der Qualitätskosten um bis zu einem Drittel geringer als ohne DFSS. Wie Abbildung 50 verdeutlicht, lässt sich die sogenannte 5-Sigma-Wand auch mit dem DMAIC-Zyklus „überspringen“. Der Preis dafür ist allerdings sehr hoch, denn das höhere Sigma-Niveau wird durch deutlich ansteigende qualitätsbezogene Kosten „erkauft“. Sie sind in Six Sigma Projekten zwar keine Fehlerkosten, aber zu hohe Kosten für die damit erreichbaren Wirkungen. Im Gegensatz hierzu lassen sich durch den Einsatz von DFSS/DMADV diese qualitätsbezogenen Kosten noch reduzieren. Der Grund liegt darin, dass ein höheres Sigma-Niveau durch neue Lösungskonzepte für das definierte Problem erreicht wird. Qualitätsbezogene Kosten (normiert)
Eine Eine Qualitätssteigerung Qualitätssteigerung über über 55Sigma Sigma bei bei gleichzeitiger gleichzeitiger ReduzieReduzierung rung der der qualitätsbezogenen qualitätsbezogenen Kosten Kosten ist ist nur nur mit mit DFSS DFSS möglich möglich
100 90 80
5-Sigma-Wand
70 60
Six Sigma DMAIC
50 40 30 20
DFSS/ DMADV
10 1σ
2σ
3σ
4σ
5σ
6σ
Basis: Kiemele, M.J. (2003): Using the DFSS Approach, Air Academy Associates NDIA Test and Evaluation Summit, B.C. 2003
Abbildung 50: Qualitätskostenverlauf mit/ohne DFSS
7σ
SigmaNiveau
168
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
Ob Design for Six Sigma eingeführt wird, ist eine strategische Entscheidung, die auf der Ebene der Unternehmensleitung gefällt werden muss. Hierzu ist zunächst einmal erforderlich, dass das obere Management die Philosophie, die Inhalte und die Wirkungen von DFSS kennt und im Detail nachvollziehen kann. Ist dies der Fall, dann ist die Entscheidung insbesondere bei technologisch anspruchsvollen Produkten prädeterminiert. Dies gilt vor allem dann, wenn sich das Unternehmen Marktanforderungen gegenüber sieht, die qualitativ hochwertige Produkte, ein effizientes Kostenmanagement mit dem Ziel einer überdurchschnittlichen PreisLeistungs-Relation sowie eine exzellente Wertschöpfung und Vermarktung erforderlich machen. Design for Six Sigma mit den ausgeführten Instrumenten ist dann ein Hebel mit großer Wirkungskraft, um – wie in Abbildung 51 dargestellt – die internen Werttreiber zu erkennen und zu gestalten, darauf basierend die externen Erfolgsfaktoren abzuleiten und zur Geltung zu bringen sowie insgesamt Wertgeneratoren, in Form von Umsatz- und Renditesteigerung, für einen positiven Geschäftswertbeitrag (EVA) zur Steigerung des Unternehmenswertes freizusetzen. Dies ist zugleich ein Erfolgsmuster, das bei zunehmend internationalisierten oder globalen Unternehmen auf unterschiedliche Weltmarktregionen und Märkte übertragbar ist.
Werttreiber
Erfolgsfaktoren
- intern -
- extern -
Gestaltungsmethoden VOC/ Conjoint Analyse QFD/ FMEA/ DOE Target Costing TRIZ
Wertgeneratoren - intern/extern -
Positiver Geschäftswertbeitrag Economic Value Added (EVA)
Erfolgskonzepte auf neue Märkte übertragen
Abbildung 51: Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele
Armin Töpfer, Swen Günther
169
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170
Six Sigma im Entwicklungsprozess – Design for Six Sigma
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Six Sigma in Service und Dienstleistung Armin Töpfer
Inhalt 1 2 3 4 5
1
Besonderheiten von Service und Dienstleistung........................................................172 Anforderungen an Six Sigma in Service und Dienstleistung .....................................176 Beispiele für Six Sigma in Service und Dienstleistung..............................................181 Six Sigma Projektbeispiele aus der Krankenhauspraxis ............................................189 Literatur .....................................................................................................................195
Besonderheiten von Service und Dienstleistung
Der klassische Satz von Edward Deming „Wer die Prozesse im Unternehmen nicht beherrscht, beherrscht das ganze Unternehmen nicht.“ gilt nicht nur für Produktionsunternehmen, sondern auch für Service- und Dienstleistungsunternehmen. Im Rahmen von Six Sigma Prozessen sind also Verbesserungen von Produktions- und Serviceprozessen zu erreichen. In Produktionsprozessen, wie der Herstellung von Bauteilen und der Montage des Produktes, ist die Wertschöpfung – im Vergleich zu Service- und Dienstleistungsprozessen – jedoch leichter in einzelnen Phasen und Teilschritten zu definieren und zu quantifizieren. Auf dieser Basis ist sie zugleich leichter zu standardisieren sowie mit statistischen Instrumenten zu steuern. In Service- und Dienstleistungsprozessen, wie z.B. in der Buchhaltung, in einem Call Center, dem Beschwerdemanagement oder dem Technischen Service, ist dies aus mehreren Gründen schwieriger. Dabei wird im deutschsprachigen Raum zwischen Service und Dienstleistung in der Weise unterschieden, dass eine Serviceleistung in direkter Verbindung mit dem physischen Produkt erbracht wird. Als Dienstleistung hat dieses Leistungsbündel aus Kundensicht einen eigenständigen Wert und damit einen direkten Marktpreis. Hinzu kommt, dass in Service und Dienstleistung der Prozentsatz an Gemeinkosten deutlich höher ist als bei der Produktion von physischen Produkten. Der Grund liegt darin, dass eine verursachungsgerechte Zuordnung auf Einzelkosten kaum möglich ist bzw. eine prozessbezogene Kostenaufspaltung erfordert. Kostenreduzierungen sind hierdurch nicht weniger wichtig, Ansatzpunkte und Potenzial sind aber deutlich schwieriger zu erkennen. Kostensenkungen und Leistungssteigerungen lassen sich dabei in drei Stufen erreichen: Zum Ersten durch die Einführung
Armin Töpfer
173
einer Prozesskostenrechnung, zum Zweiten durch die darauf basierende Prozessoptimierung und zum Dritten durch die Durchführung von Six Sigma Projekten. Service und Dienstleistungen sind insbesondere durch folgende Kriterien gekennzeichnet: •
Sie sind immateriell, auch wenn sie ein physisches Produkt in das Leistungsbündel mit einbeziehen. Da dadurch Dienstleistungen intangibel sind, kann ihre Qualität im Vergleich zu physischen Produkten vor dem Kauf vom Kunden nur bedingt wahrgenommen werden, z.T. nicht einmal während oder nach dem Dienstleistungsprozess (z.B. Diagnose eines Arztes). Individualität und Ortsgebundenheit können weitere wichtige Kennzeichen von Dienstleistungen darstellen.
•
Sie sind nicht speicherbar und damit immer erst beim Auftreten der Nachfrage produzierbar. Im Gegensatz zu Sachgütern wird im Rahmen von Service und Dienstleistungen kein lagerfähiges „Zwischengut“ erzeugt, so dass eine nachträgliche Fehlerkorrektur nicht möglich bzw. ausgeschlossen ist. Sie werden nach dem uno actu Prinzip unmittelbar in Anspruch genommen, also konsumiert. Aus diesem Grunde kommt dem Vorhalten von Infrastruktur als Service- bzw. Dienstleistungspotenzial eine hohe Bedeutung im Rahmen von Prozessen zu, um das angestrebte Ergebnis zu erreichen. Das geforderte Qualitätsniveau muss demnach jedes Mal neu erarbeitet und damit „verdient“ werden.
•
Der dritte und entscheidende Punkt ist der, dass bei der Erstellung von Service und Dienstleistungen der Adressat und damit der Kunde, respektive das Kundenobjekt, als externer Faktor mit einbezogen ist und somit für das Zustandekommen des Ergebnisses eine wichtige Rolle spielt (vgl. Bruhn/Stauss 1995, S. 245).
Diese Kennzeichen von Service und Dienstleistungen waren maßgeblich dafür, dass Six Sigma Projekte zunächst auf die Verbesserung von Produktionsprozessen ausgerichtet waren, die im Hinblick auf ihre Qualität i.d.R. einfacher zu messen und zu steuern sind. Erst in einer zweiten „Ausbaustufe“ werden die Service- und Dienstleistungsbereiche einbezogen. Im Folgenden wird gezeigt, dass dieses Vorgehen zur Implementierung von Six Sigma aus Kundensicht zu kurz greift und deshalb nur für eine kurzfristige Einführungsphase gelten darf. Robert W. Galvin, ehemaliger CEO von Motorola, stellte bereits in den 1990er Jahren fest, dass das Fehlen einer anfänglichen Six Sigma Initiative im Verwaltungs- und Servicebereich ein Fehler war, der das Unternehmen Motorola mehr als $ 5 Mio. innerhalb von vier Jahren „kostete“ (vgl. Harry/Schroeder 2005, S. 230). Aufgrund der Wechselwirkung zwischen der Service- bzw. Dienstleistung und dem externen Faktor im Leistungserstellungsprozess wird das Leistungsergebnis regelmäßig Unterschiede im Leistungsniveau aufweisen, also streuen. Dadurch ist die Standardisierbarkeit und Reproduzierbarkeit des Leistungsprozesses und -er-
174
Six Sigma in Service und Dienstleistung
gebnisses nur in geringerem Maße möglich als bei Sachleistungen (vgl. Töpfer/Duchmann 2000, S. 208f.). Die auf diese Weise entstehenden Fehlerkosten rechtfertigen Six Sigma Projekte um so mehr, wenn man davon ausgeht, dass durch ein erreichbares Maß an Standardisierung und Prozessoptimierung, Fehlerkosten beseitigt bzw. minimiert werden können. Hinzu kommt ferner folgende Entwicklung: Die Bedeutung von Service und Dienstleistung nimmt in Deutschland und weltweit gegenüber der Produktion physischer Produkte ständig zu. Durch die Kombination von Sach- und Dienstleistungen zu Systemleistungen soll in erster Linie eine stärkere Differenzierung vom Wettbewerb erreicht werden. Dies führt in vielen Unternehmen zu einer grundlegenden Veränderung der Kostenstruktur, d.h. Gemeinkosten nehmen zu und Einzelkosten ab. Gleichzeitig steigt die Bedeutung und damit der Anteil von Fehlerbeseitigungs- und Fehlerfolgekosten im Service- und Dienstleistungsbereich immer stärker. So kosten Softwareprobleme beispielsweise deutsche Unternehmen jährlich ca. € 80 Mrd., wie Abbildung 1 zeigt. Dabei sind ca. € 14 Mrd. anteilig für die Beseitigung der Programmfehler als direkte Fehlerbeseitigungskosten zu veranschlagen. Die restlichen 83 %, das sind ca. € 66 Mrd., summieren sich durch Fehlerfolgekosten in Form von Produktivitätseinbußen auf.
17% € 14 Mrd.
Kosten durch Produktivitätseinbußen
Ausgaben, um Programmfehler zu beseitigen
83% € 66 Mrd.
Softwareprobleme kosten deutsche Unternehmen jährlich 80 Milliarden Euro Quelle: H B v. 26.02.2001, S. N6
Abbildung 1: Teure Fehler bei Softwareprodukten
Diese Fehlerkosten sind offensichtlich nicht untypisch: Nach einer Schätzung des amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST) kosteten allein die größten Softwarefehler, die zu Ausfällen in der Fertigung und zu Ein-
Armin Töpfer
175
brüchen in der Produktivität führten, Unternehmen in den USA im Jahr 2001 rund $ 60 Mrd. (vgl. Biskamp 2002, S. 1). Dies ist nicht zuletzt der Grund dafür, dass Europas größter Softwarekonzern SAP sein Kernprodukt völlig verändert, um die Komplexität der Software zu verringern. Damit wird also eine zentrale Anforderung der Six Sigma Philosophie erfüllt. Die neue Softwaregeneration soll sowohl den eigenen Entwicklungsaufwand als auch die laufenden Kosten bei den Kunden drastisch reduzieren. Die mit den Jahren unübersichtlich gewordene heutige Software lässt sich nur noch schwer um neue Funktionen erweitern. Außerdem steigt dadurch die Fehleranfälligkeit beträchtlich. Die teure Konsequenz besteht darin, dass Änderungen an einem Teil der Software häufig Anpassungen an anderen Stellen des Programmpaketes nötig machen. Die neuen Software-Komponenten von SAP werden nicht mehr so eng aneinander gekoppelt sein. Diese einzelnen Komponenten können getrennt voneinander erneuert werden. Die Zeit- und Kosteneinsparungen sind dabei erheblich (vgl. Ottomeier 2004, S. 4). Derartige Wirkungen von Fehlern in Service und Dienstleistungen sind mit denen in physischen Produktionsprozessen grundsätzlich vergleichbar. Wenn bei physischen Produkten Fehler der Produktion anschließend nicht erkannt und beseitigt werden, bevor das Produkt den Kunden erreicht, dann führen in beiden Fällen Fehler zu unzufriedenen Kunden und zu negativer Mund-zu-Mund-Kommunikation. Im Ergebnis bewirkt dies eine Abwanderung von Kunden und den Rückgang von Neukunden. Abbildung 2 verdeutlicht den Stellenwert des Service – bei Maschinenbauunternehmen – im Hinblick auf die Abwanderungsbereitschaft bei Servicemängeln.
68,0% Unzufriedenheit mit Service
4,0% Sonstiges
(z.B. Produktauslauf)
5,0% Geschäftsbeziehung zu befreundeten Unternehmen Unzufriedenheit mit Produkt 14,0%
9,0% Besseres Konkurrenzprodukt
Service als Determinante der Kundenzufriedenheit und -bindung Quelle: Canadian Management Association
Abbildung 2: Gründe für die Abwanderung von Kunden
176
Six Sigma in Service und Dienstleistung
Aus den bisherigen Ausführungen lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: Zum einen führen die Immaterialität und die schwierige Qualitätsbeurteilung durch den Kunden vor Inanspruchnahme der Leistung in besonderem Maße dazu, dass die Grundvoraussetzung für jeden Service und jede Dienstleistung Vertrauen ist, und zwar in den Anbieter und seine Leistungsfähigkeit (vgl. Töpfer/Duchmann 2000, S. 209f.). Zum anderen setzt ein Vertrauensgut, das die Erwartungen erfüllt, voraus, dass klare Standards definiert, gesteuert und eingehalten werden, auch wenn dies schwieriger ist als in Produktionsprozessen. Hierzu ist es erforderlich, die Anforderungen der Kunden als Critical to Quality Characteristics (CTQs) zu kennen und den Wertschöpfungsprozess daran auszurichten respektive daran ausrichten zu können.
2
Anforderungen an Six Sigma in Service und Dienstleistung
Aufgrund der dargestellten Besonderheiten von Service und Dienstleistung stellt sich die Frage, ob ein Six Sigma Niveau für Null-Fehler-Qualität angestrebt werden soll oder ob ein 99 % Qualitätsniveau ausreicht. Diese Frage stellte sich vor geraumer Zeit auch Federal Express (FedEx). Um sie zu beantworten, wurde eine einfache Rechnung angestellt. Im Jahr 1995 beförderte Federal Express täglich 1,6 Mio. Paket- und Briefsendungen. Bei einem Qualitätsstandard von 99 % erreichen folglich – bezogen auf das 1 % Fehlerniveau – 16.000 Sendungen den Empfänger zu spät, beschädigt oder überhaupt nicht. Da jede Sendung einen Auftraggeber und einen Empfänger besitzt, wären demzufolge täglich 32.000 Kunden unzufrieden. Wenn jeder Kunde seine Unzufriedenheit jedes Mal 10 weiteren Personen mitteilt, ergibt dies 320.000 negative Informationen pro Tag. In einem Jahr gäbe es folglich über 100 Mio. Personen, die über FedEx negativ informiert wurden. Es versteht sich von allein, dass dieses Ergebnis nicht akzeptiert werden konnte und eine Null-Fehler-Qualität angestrebt wurde. Bei 3,3 Mio. Sendungen im Jahr 2005 wären es nach dieser Rechnung bereits doppelt so viele enttäuschte Kunden bzw. negativ informierte Kunden gewesen. Ohne eine Null-Fehler-Qualitäts-Strategie wären viele Kunden mit Sicherheit abgewandert und die neue, deutlich höhere Zahl an Sendungen wäre überhaupt nicht zustande gekommen. Die Schlussfolgerung war für Federal Express klar: 100 % Qualität bzw. Six Sigma Qualität ist notwendig. Für die Umsetzung einer solchen Strategie formulierte FedEx eine Service-Philosophie, die vollständig zufriedene Kunden anstrebt: Um 100 % Kundenzufriedenheit zu erreichen, ist es demnach erforderlich, die aus Kundensicht formulierten Qualitätsstandards zu 100 % zu erfüllen. Hierzu soll ständig die Qualität im Unternehmen gesteigert werden, um gleichzeitig die Produktivität zu erhöhen und die Kosten zu reduzieren.
Armin Töpfer
177
Warum Six Sigma Qualität bei Service und Dienstleistung generell wichtig ist, macht die in der Abbildung 3 wiedergegebene Gegenüberstellung ersichtlich. Die Fehlergrößen sind hier als Fehlerraten in Parts Per Million (PPM) angegeben und kennzeichnen die Anzahl der Fehler pro Anzahl der Fälle. Wie hieraus leicht nachvollziehbar ist, sind die Unterschiede zwischen 99 % Qualität, also 1 % Fehlerrate, und 6σ-Qualität, also praktizierter Null-Fehler-Qualität, gewaltig. Die Zahlen für eine Fehlerrate von 1 % lassen erkennen, wie hoch dann auch die hierdurch verursachten Fehlerkosten sind, nämlich durchweg im zweistelligen Bereich der Gesamtkosten oder des Jahresumsatzes. In vielen Fällen wäre ein geringeres Qualitätsniveau nicht akzeptabel. Hohe Servicequalität fordert also Null-FehlerQualität. Generell gilt, dass bei Dienstleistung und Service im Vergleich zur Herstellung von physischen Produkten die Qualität überwiegend von den in den Prozess integrierten Menschen abhängig ist. Dies macht das in Abbildung 4 wiedergegebene Ergebnis der SERVQUAL-Studie deutlich. Wie ersichtlich ist, werden nur maximal 11 % der Servicequalität nicht unmittelbar durch den Menschen bestimmt. Zugleich lassen sich hierdurch die Felder für wichtige Messgrößen bestimmen (vgl. Zeithaml/Parasuraman/Berry 1992).
3,8 Sigma = 10.000 PPM 1,00% Fehler
99,00% Qualität
o 20.000 verlorene Postsendungen stündlich o 15 Minuten unsauberes Trinkwasser täglich o 5.000 falsche chirurgische Eingriffe in der Woche o 2 zu kurze oder zu lange Landungen auf den größten Flughäfen täglich
6 Sigma = 3,4 PPM 0,00034% Fehler
99,99966% Qualität
o 163,2 verlorene Postsendungen am Tag o 1,8 Minuten unsauberes Trinkwasser im Jahr o 7,2 falsche chirurgische Eingriffe im Monat o 1,241 zu kurze oder zu lange Landungen auf den größten Flughäfen in 5 Jahren
Hohe Servicequalität fordert Null-Fehler-Qualität Abbildung 3: Vergleich von 3,8 Sigma und 6 Sigma Niveau
Hierdurch erhöht sich die Anforderung an eine klar definierte und eindeutig instrumentierte Prozesssteuerung. Sie läuft – unter dem Einschluss von Six Sigma Aktivitäten – in folgenden fünf Phasen ab: 1) Aus der Unternehmensstrategie sind zunächst die angestrebten Standards abzuleiten. Sie kennzeichnen das geforderte Niveau der Prozessqualität als
178
Six Sigma in Service und Dienstleistung
Zielgröße, also z.B. zur Realisierung der Serviceziele das Abheben des Telefons spätestens nach dreimal Klingeln. 2) Diese internen Standards sind mit den externen Kundenanforderungen abzugleichen, die im Rahmen der Voice of the Customer (als CTQs) zu ermitteln sind. Dadurch kann sichergestellt werden, dass das intern festgelegte Serviceniveau nicht geringer ist als die vom Kunden formulierten Anforderungen. 3) Auf dieser Basis lassen sich dann Messgrößen zu den einzelnen Prozessphasen und -inhalten ableiten, um die Einhaltung der formulierten Servicestandards zu überprüfen. Hierzu sind zum einen klare Kriterien zu entwickeln und eindeutige Messpunkte an den Kundenschnittstellen zu definieren. Zum anderen sind aussagefähige Messinhalte festzulegen 4) Wenn erhebliche Abweichungen und damit Qualitätsdefizite vorliegen, dann setzen hier Six Sigma Projekte mit dem DMAIC-Zyklus an. Grundsätzlich verlaufen die Projekte gleich der Prozessoptimierung physischer Produkte. 5) Der Schwerpunkt der Verbesserungsmaßnahmen liegt üblicherweise in einer Vereinheitlichung und Standardisierung von Prozessen. Durch die gleiche Abfolge der Prozessphasen und durch die gleichen Inhalte, soll der Grad an Abweichung deutlich reduziert werden. Verläßlichkeit (32%) Zuverlässigkeit Sorgfalt Kontinuität
Souveränität (19%) Ehrlichkeit Höflichkeit Kompetenz
Entgegenkommen (22%) Schnelligkeit Gewilltheit Flexibilität
Einfühlungsvermögen (16%) Verständnis Kommunikation Erreichbarkeit
Servicequalität
Kundenzufriedenheit
Materielles Umfeld (11%) Erscheinungsbild von Gebäuden Geschäftsräumen Technischen Hilfsmitteln Personen
Quelle: Zeithaml/Parasuraman/Berry 1992
Abbildung 4: Die fünf Bewertungsfaktoren von Servicequalität aus Kundensicht
Die Inhalte dieser einzelnen Prozessschritte sollen im Folgenden an einigen Beispielen verdeutlicht werden.
Armin Töpfer
179
Während die Frage nach der Definition von Standards eindeutig von der Unternehmensstrategie bestimmt wird, kann die Frage nach den Kundenanforderungen (CTQs) durch intensive Marktforschung beantwortet werden. Die Qualität der Wertschöpfung im Unternehmen hängt von der Analyse und Optimierung der Geschäftsprozesse ab. Insbesondere die CTQs müssen dabei unter Wirtschaftlichkeitsaspekten betrachtet werden. Das erklärte Ziel eines Six Sigma Projektes ist es, die Kundenanforderungen möglichst umfassend, aber dabei mit einer hohen Wirtschaftlichkeit zu erfüllen. Hierdurch werden Kostenfallen vermieden. Dies setzt voraus, dass die CTQs auf die wesentlichsten beschränkt werden und sie – vor allem wenn ihre Erfüllung mit hohen Kosten verbunden ist – immer auf dem niedrigsten geforderten Niveau realisiert werden. In Abbildung 5 ist ein Beispiel aus der Unternehmenspraxis wiedergegeben, das sich auf die Zufriedenheit von Kunden mit dem Technischen Kundendienst bezieht. Dadurch dass nicht nur die Zufriedenheit, sondern zugleich auch die Wichtigkeit gemessen wurde, lassen sich direkte Rückschlüsse auf die Höhe der Servicedefizite und damit auf die „dringlichsten” CTQs ziehen. Wesentliche Befragungsergebnisse: Stärken und Ansatzpunkte für Verbesserungen E.3 Technischer Kundendienst
HighTech AG W
Z
Mw-Differenz
89%
69%
-20
90%
69%
-21
Kompetenz (E.3.4)
92%
77%
-15
Freundlichkeit, Engagement, Hilfsbereitschaft (E.3.5)
81%
78%
-3
Schnelligkeit in der iel Bearbeitung von Anfragen isp e (E.3.1) isb ax r P Pünktlichkeit und Termineinhaltung (E.3.2)
Abbildung 5: Ermittlung der CTQs des Technischen Kundendienstes
In Abbildung 6 ist ein Beispiel aufgeführt, welches das Leistungsversprechen als generelles Ziel, die Servicestandards als „Leitplanken“ sowie die Messgrößen als operationalisierte Leistungsstandards aufzeigt.
180
Six Sigma in Service und Dienstleistung
Service-Versprechen
Service-Standards
Service-Messgrößen und Ziele
Was wollen wir für den Kunden leisten?
Was müssen wir dafür tun?
Wie können wir unsere Leistung steuern?
o Sie brauchen nicht lange zu warten
Steuerungskriterium: Kurze Wartezeit
o Wartezeit an Kasse maximal 5 Minuten o 50% der Mitarbeiter für Tätigkeit an ScannerKasse ausgebildet o Zusätzlich 3 ScannerKassen einsetzbar
Kennzahlen: Zeit-, Qualifikations- und Infrastrukturbezogen
o Maximal 5 wartende Kunden pro Kasse o In Stoßzeiten mindestens 2 Mitarbeiter als „Springer“ verfügbar o Hohe Kundenzufriedenheit mit Schnelligkeit an der Kasse (CSI > 75)
Messgrössen: Prozess-, Personalund Kundenbezogen
Voraussetzungen Voraussetzungen bei bei Prozessen, Prozessen, Personal Personal und und Infrastruktur Infrastruktur schaffen schaffen
Abbildung 6: Beispiel zur Umsetzung und Messung der Service-Philosophie
Die Minimierung der Wartezeit kann im Rahmen eines Six Sigma Projekts erfolgen. Auf Basis des DMAIC-Zyklus wird zunächst das Problem (Wartezeit) definiert, wichtige Einflussgrößen gemessen und analysiert (z.B. Anzahl von Scannerkassen) sowie anschließend Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet und kontrolliert. Für ein aussagekräftiges Projekt-Controlling sollten neben der Analyse der Wartezeiten auch die mit der Prozessverbesserung einhergehenden Opportunitätserlöse betrachtet werden. Letztere können sowohl als Überzeugungsgrundlage für die Projektbeteiligten als auch als Argumentationsgrundlage für das Management dienen. Das Ziel erfüllter Serviceversprechen besteht darin, die Kundenzufriedenheit und -loyalität zu erhöhen, um dadurch die Kundenbindung zu steigern. Hierzu sind die entsprechenden Werttreiber herauszuarbeiten und aktiv über Steuerungs- und Messgrößen in den einzelnen Prozessphasen zu gestalten. Abbildung 7 gibt dieses Schema in vereinfachter Form wieder. Im Rahmen von Six Sigma Projekten geht es darum, das in Abbildung 6 aufgeführte Leistungsversprechen sowie die Standards und Messgrößen zu definieren, um dann die Faktoren, also die Werttreiber und die Prozessbausteine der Abbildung 7, zu präzisieren und zu steuern (vgl. Kamber 2001). Generell sind hierfür die Voraussetzungen bei Prozessen, Personal und Infrastruktur zu schaffen.
Armin Töpfer
Wert für den Kunden (und das Unternehmen) Differenzierung
Kundenzufriedenheit und -loyalität
Beziehung zwischen Mitarbeitern und Kunden Einfühlungsvermögen
Erreichbarkeit und Ausführung Kundennähe
Ergebnisse: Ergebnisse: Erfolgsfaktoren Erfolgsfaktoren
Werttreiber Werttreiber
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Bewertung des Kunden-Feedback Definition der Kundenbedürfnisse Produktentwicklung Innovation Preisniveau Risiko Verkaufs-/Vertriebsmanagement Markenmanagement Beziehungsmanagement Rekrutierung und Anstellung Personalentwicklung Mitarbeiter-Feedback Kontoeröffnung Kreditentscheidung/-auszahlung Überweisungsausführung Umfassende Kundeninformation Nachforschungsauftrag Zugangsmöglichkeit Kundenwartezeit
Prozesse Prozesse
Basis: Kamber 2001
Abbildung 7: Zusammenhang zwischen Prozesstreibern und Dienstleistungen bei Banken und Sparkassen
3
Beispiele für Six Sigma in Service und Dienstleistung
Die folgenden Beispiele zeigen exemplarisch Ansatzpunkte für Six Sigma Projekte in Dienstleistungs- und Serviceunternehmen. Der gesamte Bereich Banken und Versicherungen ist im Kapitel C dieses Buches in einem gesonderten Artikel mit zahlreichen Ansatzpunkten für Six Sigma Projekte dargestellt. 1. Beispiel: Servicequalität bei Kopierern Eine Analyse bei Minolta Deutschland erbrachte vor einigen Jahren das Ergebnis, dass die Kunden mit der angebotenen Hotline und dem dadurch abrufbaren Service nicht in ausreichendem Maße zufrieden waren. Dabei zeigte sich, dass das Problem zwar primär in der „Fehleranfälligkeit“ des Kopierers im laufenden Betrieb begründet war, die Unzufriedenheit der Kunden aber vor allem durch die unzureichende Reaktionszeit des Kundenzentrums zustande kam. Die detaillierte Analyse der eingehenden Anrufe bei Minolta (vgl. Miyabayashi 1996, S. 223), und zwar bezogen auf die Verteilung über die Tageszeit und die Wochentage, zeigte, dass die Infrastruktur für die große Anzahl von Anrufen am Vormittag und zum Teil auch am späteren Nachmittag insbesondere an Montagen nicht ausreichte (siehe Abbildung 8). Dies führte zu einer hohen Anzahl von sog. Lost Calls.
Anrufe
182
Six Sigma in Service und Dienstleistung
450 400
Händler
Endabnehmer
Andere
300 200
4.12
1.12
Montag
30.11
29.11
28.11
Montag 27.11
24.11
Händler
30
Datum/ Wochentag
Endabnehmer
Andere
20
Tageszeit
17.30
17.00
16.30
16.00
15.30
15.00
14.30
14.00
13.30
13.00
12.30
12.00
11.30
11.00
10.30
10.00
9.30
9.00
0
8.30
10 8.00
Anrufe
23.11
22.11
21.11
17.11
Montag 20.11
16.11
15.11
14.11
Montag 13.11
9.11
10.11
8.11
7.11
Montag
0
6.11
100
o Infrastruktur/ Springer für Frequenz-Spitzen o Möglichst wenige Lost Calls Quelle: Miyabayashi 1996, S. 223
Abbildung 8: Analyse der eingehenden Anrufe bei Minolta
Steuerungskriterien/ Messgrößen für Dienstleistungs-/ Servicequalität
Kundenbedürfnisse
Kundenanforderungen
Empfundenes Problem/Defizit
CTQ = Anforderungen mit hoher Wichtigkeit
Standards bezogen auf Durchlaufzeiten
Instandhaltung/ Wartung dauert zu lange
Beginn sofort, wenn Fax/E-mail beim Kunden raus/ Anruf getätigt, dass Wartung nötig
Messung von Fax-Eingang bis zur wiederhergestellten Funktionsfähigkeit des Kopierers
Abbildung 9: Beispiel für die Bestimmung von CTQs im Servicebereich
Der anschließende Verbesserungsprozess setzte direkt beim Kunden an und analysierte die Kundenbedürfnisse und -anforderungen sowie die Steuerungskriterien. Abbildung 9 verdeutlicht die Bestimmung der CTQs im Servicebereich.
Armin Töpfer
183
Das Ergebnis der Analyse brachte mehrere Defizite zu Tage. Zum einen war die Stimme des Kunden (VOC) nicht richtig „eingefangen“. Nach seinem subjektiven Empfinden dauerte die Instandhaltung/Wartung der Kopierer zu lange. Die detaillierte Betrachtung der Kundenanforderungen legte nicht nur die Prioritäten offen, sondern zeigte, dass aus Kundensicht die „Laufzeit“ der Problembeseitigung in dem Moment begann, wenn er den Wartungsbedarf an das Unternehmen mitteilte. Um möglichst wenige Lost Calls und auch anschließend unzufriedene Kunden hinnehmen zu müssen, wurde die Infrastruktur durch „Springer“ für die erkannten Frequenzspitzen erhöht und an diesen Tagen immer die volle bzw. ausreichend große Servicemannschaft vorgehalten. In der Folge wurden die Messgrößen für die Dienstleistungs-/Servicequalität so festgelegt, dass die formulierten Standards für die gesamte Durchlaufzeit überprüfbar waren. 2. Beispiel: Six Sigma und Business Excellence am Beispiel von Ritz-Carlton Die Ritz-Carlton Hotelkette hat sich als langfristige Qualitätsziele nicht nur die 100%-ige Kundenzufriedenheit, sondern eine 100%-ige Kundenbindung vorgenommen. In der Umsetzung dieses Ziels sollte u.a. eine 50%-ige Senkung der Durchlaufzeiten erfolgen und eine unternehmensweite Six Sigma Initiative durchgeführt werden. Als Ergebnis dieser ehrgeizigen Qualitätsziele hat das Unternehmen als einzige Hotelkette den amerikanischen Excellence Preis (MBNQA) gewinnen können, und dies gleich zweimal. Der Preisverleihung wird nicht nur eine hohe Servicequalität, sondern zugleich auch eine überdurchschnittliche Performance und erwirtschaftete Rendite zugrunde gelegt (vgl. Schulze 2002, S. 199ff.). Abbildung 10 zeigt die drei Schritte beim Service, die eine innovative, schnelle und persönliche Kundenbetreuung bei Ritz-Carlton sicherstellen soll. 3. Beispiel: Unzufriedenheit mit Gehaltsabrechnungen bei GE-Mobilienleasing Bei der deutschen Niederlassung dieser GE-Tochter bestand eine hohe Fluktuation, im Jahr kündigten bis zu 43 % der Mitarbeiter. Ein Grund dafür war die Unzufriedenheit mit der Gehaltsabrechnung (vgl. Garthe 2002, S. 348 ff.). Dies war der Ansatzpunkt für ein Six Sigma Projekt. Die Ergebnisse des DMAIC-Prozesses zeigten u.a. unklare Verantwortungsbereiche in der Verwaltung und damit im Abrechnungsprozess, was zu Verzögerungen und Fehlern führte. Die Maßnahmen zielten darauf ab, den Prozess der Gehaltsabrechnungen zu vereinfachen und die Software zu optimieren. In der Konsequenz sank die Fluktuationsrate auf unter 10 %. Dadurch entfielen Werbungs- und Trainingskosten für neue Mitarbeiter, die das Unternehmen zuvor ca. € 125.000 pro Jahr gekostet hatten. Das Qualitätsniveau von 4,1 σ vor Beginn des Verbesserungsprozesses konnte nach der ersten Verbesserungsrunde auf 4,65 σ gesteigert werden (siehe Abbildung 11). Die Reduzierung der Beschwerden durch die Mitarbeiter belief sich auf
184
Six Sigma in Service und Dienstleistung
Die drei Schritte beim Service
84 %. Die weitere Zielsetzung bestand darin, das Six Sigma Niveau auf über fünf zu erhöhen und damit die Beschwerdeanzahl deutlich unter 10 pro Jahr zu senken.
1 Herzliche Begrüßung
2
Erahnen und Erfüllen von wicht. Gäste-Bedürfnissen
Mitarbeiter versteht u. akzeptiert Kundenwunsch oder -bedürfnis
Mitarbeiter unterbricht seine Routinetätigkeit
Mitarbeiter führt sofort eine positive Aktion aus
Feststellen der Reaktion des Gastes
Falls zufrieden
3 Freundliche Verabschiedung Dokumentieren des Zwischenfalls
Mitarbeiter kehrt zur Routinetätigkeit zurück
Falls unzufrieden
Beschwerde eskaliert
Eintrag in GästeDatenbank Basis: Schulze 2002, S. 205
Abbildung 10: Drei Schritte beim Service
Bei Produkten oder Dienstleistungen:
1 – Fehlerquote = 1 –
D NxO
= %Qualität ≥ Sigma-Wert (laut Tabelle)
Beispiel: Vor dem Six Sigma Projekt: • Es gibt 9 mögliche Fehlerquellen bei monatlichen Gehaltsabrechnungen • Für 107 Beschäftigte des Außendienstes werden jährlich 1.284 Gehaltsabrechnungen erstellt ¾ 61 Klagen wurden registriert
1−
61 = 1− 1.284 x 9
61 11.556
=
Nach der ersten Verbesserungsrunde: ¾ Noch 10 Klagen wurden registriert
1−
10 11.556
=
99,9135% ≥ 4,65 σ
Basis: Garthe 2002, S. 349 f.
Abbildung 11: Berechnung des Six Sigma Wertes
99,4721% ≥ 4,1σ
Armin Töpfer
185
4. Beispiel: Six Sigma im Facility Management Ein ähnlicher und relativ neuer Anwendungsbereich von Six Sigma ist das Facility Management. In Deutschland sind es noch relativ wenige Unternehmen dieser Branche, die Six Sigma systematisch eingeführt und umgesetzt haben. Hierzu gehört bspw. Viterra Energy Services; ihr Erfahrungsbericht ist ebenfalls in Kapitel C abgedruckt. Das Ziel des Facility Management besteht darin, bei Immobilien die Produktivität des Wertschöpfungs- und Werterhaltungsprozesses qualitativ zu erhöhen und quantitativ Kostenreduzierungen zu erreichen. Zusätzlich soll eine flexible Anpassung an die Marktbedürfnisse realisiert werden, die sich in einer klaren und starken Kundenorientierung widerspiegelt. Bereits auf den ersten Blick gehen also die Ziele des Facility Managements und die Philosophie von Six Sigma gut zusammen. Dies gilt immer dann, wenn es sich um standardisierte Dienstleistungsprozesse handelt. Facility Management strebt die Analyse und Optimierung aller kostenrelevanten Vorgänge rund um ein Gebäude oder damit zusammenhängende Dienstleistungen an. Im Detail geht es darum, alle auf die Bewirtschaftung von Gebäuden bezogenen Prozesse, wie das Betreiben der Gebäudetechnik, die Instandhaltung, Störungsbehebung, Sanierung und Modernisierung sowie die Erhaltung der Bausubstanz, möglichst schlank und wirkungsvoll, also effizient und effektiv, zu gestalten. Insbesondere die Instandhaltung will durch geeignete Maßnahmen die Abnutzung verzögern. Verschleißteile werden nicht nur reaktiv, sondern auch präventiv ausgetauscht, um die Funktion der Bauelemente über die Zeit zu sichern. Gemessen werden die Leistungen und Wirkungen der Instandhaltung mit Indikatoren, wie z.B. Verfügbarkeit, Ausfallzeiten pro Zeiteinheit, Reaktionszeiten oder auch die Anzahl von Störungen innerhalb einer Zeiteinheit. Aber auch Finanzierungsprozesse, wie z.B. Kostenverrechnung im Facility Management, Nebenkosten- und insbesondere Heizkostenabrechnungen und Vertragsmanagement, sind für eine Analyse und Verbesserung mit Six Sigma geeignet. Auch hier geht es um die Qualitätssteigerung in Richtung Null-Fehler-Qualität, bei der erhebliche Einsparungen realisiert werden können, wie das Beispiel Viterra belegt. Typisch im Facility Management ist also die Optimierung bestehender Prozesse mit Six Sigma Projekten unter Anwendung des DMAIC-Zyklus. Die Frage ist, ob und wie sich auch Design for Six Sigma (DFSS) durchführen lässt, bei dem der DMADV-Zyklus eingesetzt wird. Die Antwort ist relativ einfach und eindeutig. Analysen belegen, dass bereits in der Planungsphase eines Bauobjektes 70 % der späteren Betriebskosten festgelegt werden. Und zusätzlich wird hier im Rahmen des Gebäudelebenszyklus ebenfalls über die Kosten einer leichten Demontage bei Sanierung oder Abriss nach der Nutzungszeit entschieden. Das Ziel ist entweder Wertstoffrückgewinnung oder Vermeidung einer Umweltbelastung.
186
Six Sigma in Service und Dienstleistung
In der Projektentwicklung ist dieser Ansatz von Six Sigma also noch tragfähiger. Denn hier geht es darum, Prozessfehler in der Planung und Abwicklung im vorhinein zu erkennen, um so die Gestehungskosten besser zu beherrschen. Die Chance besteht dann, unter Kosten-, Umwelt- und Kundenaspekten ein noch besseres Qualitätsniveau in Richtung Null-Fehler-Qualität zu erreichen. Der Hauptansatzpunkt geht dahin, Komplexität zu reduzieren und ein sogenanntes „Robustes Design“ zu entwerfen. Im Fokus stehen dabei die Zusammenarbeit mit Architekten und Baufirmen, die Auswahl der Partner, die Steuerung der vereinbarten Qualität, die Einhaltung des Budgets und des Fertigstellungstermins sowie die schwierige Aufgabe, Nachforderungen durch gute Verträge und Steuerung zu vermeiden. Wie leicht nachvollziehbar ist, geht es bei derartigen Aktivitäten nicht um Prozesse mit einer hohen Anzahl von Transaktionen, sondern um einzelne Immobilienprojekte. Dies entspricht genau der Situation, DFSS in der Forschung und Entwicklung eines Unternehmens für die Entwicklung eines Produktes anzuwenden. Der „Prozess“ hat immer nur die Lösgröße 1, alle aus einer schlechten Planung und Durchführung dieses Entwicklungsprozesses entstandene Probleme werden sich jedoch für die gesamte Produktions- bzw. Erstellungszeit und vor allem die anschließende oftmals lange Nutzungszeit bei allen Einheiten/Produkten und bei allen darauf bezogenen Aktivitäten immer wiederholen und damit in ihren negativen Konsequenzen auf Zeit und Kosten auswirken. Diese monetären Probleme sind die eine Seite. Die andere Seite ist aber die periodische Unzufriedenheit des Nutzers, wenn er das in dieser Weise schlecht entwickelte Auto oder Immobilienobjekt über längere Zeit in Gebrauch hat. Die Vorteile und Chancen des Six Sigma Einsatzes in diesem Bereich liegen also auf der Hand. 5. Beispiel: Six Sigma Anwendung bei der Entwicklung von E-Learning Einheiten Erst seit einigen Jahren existiert das technische Know-how, um Lerneinheiten für den Einsatz über das Internet zu entwickeln. Vorerfahrungen mit diesem neuen Medium und den spezifischen Anforderungen bei der Anwendung dieses Mediums lagen also nicht vor. In der Konsequenz haben viele Unternehmen, die der Euphorie des E-Learning früh gefolgt sind, den Content der Lerneinheiten und den Einsatz des Mediums nicht so geplant, entwickelt und umgesetzt, dass effiziente und effektive Ergebnisse erreicht wurden. Im Gegenteil: Erhebliche Nacharbeiten waren erforderlich, so dass die Zeit und die Kosten aus dem Ruder liefen. Genau dies war das Problem bei der Depository Trust & Clearing Corporation (DTCC), der weltgrößten Financial Services Post-Trade Infrastruktur (vgl. Islam 2003). Das Problem wurde mit einem DFSS-Projekt unter Einsatz des DMADVund DMAIC-Zyklus angegangen. Die Ausgangssituation stellte sich wie folgt dar: 1) Nach zwei Jahren intensiver Entwicklungsarbeit waren nur ein Drittel der ursprünglich geplanten Lerneinheiten fertiggestellt. 2) Das veranschlagte Budget für die Content-Entwicklung und -Umsetzung ist in dieser Zeit vollständig aufgebraucht worden.
Armin Töpfer
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3) Die Mitarbeiter der Trainingsabteilung beschwerten sich mehrfach über die hohen Entwicklungskosten, die ständige Nacharbeitszeit sowie die geringe Qualität der Online-Kurse. 4) Die Bereitstellung zusätzlicher Mittel, die Implementierung von Projektmanagement-Methoden und die Schulung des Entwicklerteams führten zu keiner wesentlichen Verbesserung der Situation. In der Define- und Measure-Phase des Six Sigma Projekts wurde zunächst ermittelt, dass die Nacharbeit bei der Content-Erstellung von einer einstündigen ELearning Einheit bis 60 % der gesamten Entwicklungszeit in Anspruch nahm. Die Entwicklungszeit lag damit bis zu 75 % über dem gültigen Branchenstandard ASTD (American Society for Training and Development) von ca. 200 Stunden. Die Entwicklungskosten wurden durch diese Nacharbeit und den zusätzlichen Zeitbedarf nach oben getrieben. Insgesamt kam es so immer zu erheblichen zeitlichen Verzögerungen beim Einsatz der fertiggestellten E-Learning Einheiten. Zur Präzisierung des Problems wurden die Prozesse zunächst mit einer SIPOCAnalyse differenziert und im Hinblick auf die wesentlichen Kundenanforderungen (CTQs) untersucht. Kunde war die entsprechende Fachabteilung (Customer Training Department) der DTCC, die zur Qualifizierung der Mitarbeiter von KundenUnternehmen, also der Nutzer, ein entsprechendes Learning Management System (LMS) einsetzen wollte. Von daher wurden bei der VOC-CTQ-Analyse die „Stimmen“ beider Gruppen erfasst. Auf dieser Grundlage erfolgten dann im Weiteren detaillierte qualitative und quantitative Tiefenanalysen des gesamten „Customer Training Development Process“. Hierbei konnte u.a. festgestellt werden, dass im Ist-Prozess der Content-Erstellung eine hohe Anzahl von nichtwertschöpfen-den Aktivitäten vorlag. Ihre unmittelbare Beseitigung führte zu den ersten „Quick Wins“ im Rahmen des Six Sigma Projekts. Wie oft bei einer derartigen Buying-Center Struktur waren die Anforderungen der Nutzer zum großen Teil anders als die der Fachabteilung. Beim Anwender standen die Klarheit der Benutzerführung sowie die Verständlichkeit und Eingängigkeit der vermittelten Inhalte einschließlich der Lernpfade und Lernkontrollen im Vordergrund. Das Customer Training Department hatte hingegen eine kostengünstige Qualifizierung mit einem hohen Wirkungsgrad beim Einsatz der gelernten Inhalte im Fokus. Abbildung 12 zeigt beispielhaft diese zweiseitige Analyse der Anforderungen, die sich in den Ouput-Indikatoren (CTQs und CTPs) bezogen auf die Anforderungen der Customer (Nutzer) an die E-Learning Einheiten (CCRs) und bezogen auf die Anforderungen des Business (Fachabteilung) an den Entwicklungs- und Qualifizierungsprozess (CBRs) treffen müssen. Verbesserungen haben also beide Zielgruppen und Zielrichtungen zum Gegenstand. Für eine vertiefende Analyse bietet sich hier Quality Function Deployment (QFD) an, die in diesem Projekt damit aber nicht durchgeführt wurde.
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Six Sigma in Service und Dienstleistung
CRM
Output Indicators
CTQs (Critical to Quality)
VOB (Voice of the Business)
Business Issues
CBRs (Critical Business Requirements)
CCRs (Critical Customer Requirements)
Customer Issues
VOC (Voice of the Customer)
CTPs (Critical to Process)
Six Sigma Wesentliche Kundenanforderungen Basis: Islam 2003, S. 6
Abbildung 12: Die Stimme des Customer und die Stimme des Business
In der Measure- und Analyse-Phase wurden die Prozessdaten bezogen auf den Output, die einzelnen Wertschöpfungsschritte und den Input erhoben sowie im Hinblick auf ihre Fehlerträchtigkeit und Prozessfähigkeit untersucht. UrsachenWirkungsanalysen wurden mit dem Ishikawa-Diagramm (qualitativ) durchgeführt sowie mit Pareto-Diagrammen (quantitativ) unterlegt. Hierdurch konnten die größten Fehler- und Kostentreiber ermittelt werden: •
Unklare Definition von Rollen und Verantwortlichkeiten
•
Zu unpräzise und zu späte Managemententscheidungen
•
Geringe Kommunikation unter den Beteiligten
•
Keine Prozessdokumentation und -standards
•
Zu viele Mitarbeiter/Beteiligte im Entwicklungsprozess.
Mit Hilfe der Regressionsanalyse konnte z.B. ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Anzahl der am Entwicklungsprozess beteiligten Mitarbeiter und dem Anteil von Nacharbeitszeit bezogen auf die Gesamtentwicklungszeit pro Lerneinheit nachgewiesen werden.
Armin Töpfer
189
Die Improve-Phase wurde unter Einsatz der FMEA durchgeführt und konzentrierte sich auf Prozessverbesserungen in Bezug auf die oben angesprochenen Defizite. Eingeführt wurden klare Entscheidungspunkte im Entwicklungsprozess sowie Reviews und formale Bestätigungen, also nicht mehr oder weniger als Quality Gates. Der ursprüngliche Prozessplan im Umfang von 19 Seiten konnte auf 6 Seiten reduziert werden. Im Ergebnis wurde die Entwicklungsnacharbeit um 81 % reduziert, die jährlichen Entwicklungskosten für E-Learning Einheiten konnten um 30 % gesenkt werden und brachten dem Unternehmen Einsparungen von $ 282.000. Abbildung 13 verdeutlicht graphisch die bewirkten Verbesserungen. Die Vorgaben an die Entwicklungszeit konnten jetzt zu 84 % erfüllt werden. Die Standardabweichung, um mit dieser Statistik-Kennzahl der Six Sigma Methode zu sprechen, betrug jetzt 18 Stunden gegenüber 145 Stunden zuvor. In der ControlPhase wurde und wird der Prozess regelmäßig qualitätsgesichert.
300
Vor Six Sigma
Nach Six Sigma
Zeit in Stunden
250
200
150
100
50
0 Durchschnittliche Entwicklungszeit für 1 Stunde E-Learning (Mittelwert)
Durchschnittliche Abweichung bei der Entwicklungszeit (Standardabweichung)
Durchschnittliche Nacharbeitszeit für 1 Stunde E-Learning
Basis: Islam 2003, S. 14
Abbildung 13: Bewirkte Verbesserungen durch das Six Sigma Projekt
4
Six Sigma Projektbeispiele aus der Krankenhauspraxis
Im Vergleich zur Anwendung des Six Sigma Konzeptes in anderen Branchen steht der Einsatz im Gesundheitswesen und speziell im Krankenhausbereich noch eindeutig am Anfang (vgl. hierzu und im Folgenden Töpfer/Großekatthöfer 2006, S. 460ff.). Bei den Herstellern von medizinischen Großgeräten ist Six Sigma heute schon seit einigen Jahren fester Bestandteil einer auf Null-Fehler ausgerichteten
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Six Sigma in Service und Dienstleistung
Qualitätssteuerung. In Deutschland ist bisher keine Six Sigma Anwendung im Krankenhaus veröffentlicht. Anders sieht dies in den USA aus. Eine erste Projektveröffentlichung liegt auch aus einem niederländischen Krankenhaus vor. Im Folgenden werden, um die Breite und Vielfalt der Six Sigma Projekte im Klinikbereich zu dokumentieren, in Abbildung 14a-g insgesamt 7 Six Sigma Initiativen mit zeitlich und inhaltlich unterschiedlichen Projektskizzen vorgestellt. Da die Darstellungen weitgehend selbsterklärend sind, werden kommentierende Texte auf ein Minimum beschränkt. Das Gesundheitszentrum Commonwealth Health Corporation hat von allen dokumentierten Anwendungsbeispielen am frühesten mit der Six Sigma Einführung begonnen (siehe Abbildung 14a).
• Gesundheitszentrum mit Sitz in Bowling Green, Kentucky • Mehr als 2.000 Angestellte • Mehr als 100.000 Behandlungsvorgänge jährlich in der Radiologie
Six Sigma: •
Beginn:
Anfang 1998 in der Radiologie – anschließend Ausweitung
•
Ziele:
- Gestiegene Patientenanforderungen befriedigen - Wandel der Unternehmenskultur und Teamwork verstärken - Kosteneinsparungen
•
Ergebnis: - Einsparungen von $1,65 Mio. jährlich - Verkürzung der Wartezeiten für Patienten - Erhöhte Produktivität (mehr behandelte Fälle) → 25% höhere Durchsatzleistung - Senkung der Fehlerquote im Beschaffungsprozess um 90%
Quelle: Using Statistics to Reduce Process Variability and Costs in Radiology
Abb. 14a: Six Sigma bei Commonwealth Health Corporation
Der Krankenhausverbund Virtua Health hat Six Sigma strategisch eingebunden in die STAR-Initiative der Krankenhäuser. Ziel der Initiative war es, vom bisher nur erreichten Mittelmaß zu einer dokumentierbaren Excellence zu gelangen. Six Sigma ist als Konzept und Instrument eingesetzt worden, um dieses Ziel zu erreichen. Das beschriebene Beispielprojekt ist in einem der Krankenhäuser des Krankenhausverbundes durchgeführt worden. Die Ergebnisse konnten nach einem Roll-out auf die Kliniken der anderen 3 Einrichtungen übertragen werden. Hierdurch konnte mit relativ geringem Aufwand ein vierfacher Nutzen gezogen werden (siehe Abbildung 14b).
Armin Töpfer
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• Krankenhausverbund bestehend aus 4 Einrichtungen mit Sitz in Marlton, New Jersey • 7.200 Angestellte und 1.700 Ärzte • Eines der ersten Unternehmen im Gesundheitswesen, das Six Sigma umsetzt
Six Sigma: • • •
• •
Beginn: Juli 2000 Kosteneinsparungen: - Mehr als $ 1 Mio. jährlich - Mehr als $ 5 Mio. bis 2005 Personal: 2 Master Black Belts 6 Black Belts (Vollzeit) 29 Green Belts (Teilzeit) → Ziel: Mehr als 150 ausgebildete Green Belts Ergebnis: Positiver Einfluss auf Mitarbeitermotivation und Qualität der Patientenversorgung Im Moment läuft die siebte Six Sigma Projektwelle
Beispielprojekt: Congestive Heart Failure (CHF) Length Of Stay Project Problem: Überdurchschnittliche Aufenthaltsdauer von Patienten mit kongestiver Herzinsuffizienz (6,5 statt 4,2 Tage im Landesdurchschnitt) Ablauf:
•
Identifikation kritischer Bereiche - Große Streuung gegen Ende des Behandlungsprozesses und bei Entlassung - Verspätetes Vorliegen wichtiger Laborbefunde beim Arzt - Variation in der erwarteten Aufenthaltsdauer seitens der Patienten
•
Maßnahmen: - Schaffung standardisierter Betriebsabläufe - Informationsbroschüre für Patienten zur Beschreibung des gewöhnlichen Behandlungsprozesses - Modifikation des Durchlaufes der Befunde Ergebnisse:
- Verringerung der Aufenthaltsdauer auf 4 Tage - Jährliche Kosteneinsparungen von $116.000 bei Personal- und Raumkosten - Erhöhung der Patientensicherheit - Zunahme der Mitarbeiterproduktivität
Quelle: H arnessing the Power of Six Sigma to Improve Patient Care and Reduce Costs
Abb. 14b: Six Sigma bei Virtua Health
Das Froedtert Hospital in Milwaukee (USA) ist bei der Anwendung von Six Sigma im Krankenhauswesen so vorgegangen, dass in einem interdisziplinären Team Ärzte, Krankenpfleger, Pharmazeuten und Manager des Krankenhauses ein Rahmenkonzept zur Evaluierung der Medikation erarbeiteten. Neben der Standardisierung von Behandlungsschritten war ein zweiter wichtiger Anwendungsbereich von Six Sigma die Optimierung der Durchlaufprozesse in dem Labor einer Intensivstation. Bereits nach wenigen Monaten waren so im Froedtert Hospital die ersten Erfolge von Six Sigma für Angestellte und Patienten gleichermaßen sichtbar (siehe Abbildung 14c).
192
Six Sigma in Service und Dienstleistung
• Krankenhaus mit Sitz in Milwaukee, Wiscounsin (USA) • 655 Betten
Six Sigma: • Beginn:
Im Jahr 2001 Schulung von zwei Black Belts
1. Projekt: • Problem: Fehlerhafte Medikation von Patienten → Mangelhafte Standardisierung der intravenösen Transfusionsbehandlung • Ziel:
Reduzierung der Prozessabweichungen bei Medikamentenbereitstellung
• Ergebnis: Deutliche Reduzierung der Wahrscheinlichkeit einer Fehlbehandlung 2. Projekt: • Ziel:
Optimierung der Durchlaufprozesse im Labor der Intensivstation
• Ergebnis: Reduzierung der Durchlaufzeit von 52 auf 23 Minuten Basis: Töpfer 2005 a;Arndt 2002
Abb. 14c: Six Sigma im Froedtert Hospital
Im Decatur Memorial Hospital ist Six Sigma auf die Vermeidung von Behandlungsfehlern und Infektionen konzentriert worden (siehe Abbildung 14d). • Kommunales Krankenhaus mit Sitz in Illinois (USA) • 2.500 Angestellte • Mehr als 300 Betten • 13.000 Patienten jährlich • Zahlreiche ambulante Pflegeeinrichtungen
Six Sigma: • Beginn: 2001 • Konzentration auf Vermeidung von Behandlungsfehlern und Infektionen •
Beispielprojekte: - Verringerung nosokomialer Infektionen (Ende 2003) - Reduktion von „Surgical Site Infections“ bei chirurgischen Eingriffen (August 2004)
•
Heute: - Mehr als 50 ausgebildete Green Belts - Monatliche Prüfung und Bewertung der Projekte - Integration der Ärzte als Berater - Entwicklung eines „Yellow Belt Team“-Konzeptes (grundlegendes Training) Ergebnisse: - Höhere Patienten- und Mitarbeiterzufriedenheit - Bessere Servicequalität und höhere Prozesseffizienz
•
Quelle: Decatur Memorial: Better Than Could Be „Imagined“
Abb. 14d: Six Sigma im Decatur Memorial Hospital
Armin Töpfer
193
Im Yale New Haven Hospital erstreckten sich die ersten Six Sigma Projekte auf den Verwaltungs- und den medizinischen Bereich (siehe Abbildung 14h). • Ausbildung von 15 Green Belts in Zusammenarbeit mit GE Medical Systems • Durchführung von Pilotprojekten im Verwaltungs- und im medizinischen Bereich Erfolgreiche Pilotprojekte:
1.
Anrufe an den Koordinator zur Planung der radiologischen Untersuchungsbzw. Behandlungsabläufe Problem: Mangelnde Erreichbarkeit Ziel: Entgegennahme eingehender Anrufe innerhalb von 30 Sekunden Ergebnis: Rate der nicht entgegengenommenen Anrufe ging von 60 - 80 % auf unter 30 % zurück
2.
Anzahl der im Krankenhaus verursachten Infektionen auf der Intensivstation Problem: Ursachenforschung über Ishikawa-Diagramm Hauptursache: Starke Variation beim Legen und Auswechseln von Kathetern Ziel: Entwicklung eines neuen Standards Ergebnis: Infektionsrate deutlich unter dem nationalen Durchschnitt
• Ausbildung von 35 weiteren Mitarbeitern zu Green Belts bzw. Black Belts • Flächendeckende Einführung von Six Sigma Quelle: Six Sigma effort paying dividends for CT hospital
Abb. 14h: Six Sigma im Yale New Haven Hospital
Im Heritage Valley Health System wurden bei der Six Sigma Einführung zwei Projekte durchgeführt, die sich auf die Optimierung von Prozessen bezogen (siehe Abbildung 14f). Six Sigma Einführung: •
1. Projekt: Analyse und Verbesserung des Aufnahmeprozesses → Fehler bei der Zuordnung der Patienten während der Aufnahme → Insgesamt Einnahmeerhöhungen von über $1 Mio. und Verbesserung interner Prozesse
•
2. Projekt: Nutzung der Operationsräume → Verlagerung kleinerer Operationen in ambulantes Operationszentrum → Zusätzliche Kapazitäten für stationäre Patienten
•
Anschließend Ausweitung der Initiative → Intensives Training der Führungskräfte zu Champions (insb. FMEA) → Vollzeit-Beschäftigung der Black Belts mit Projekten → Priorisierung potentieller Six Sigma Projekte → Integration der Fachärzte und Vorstandsmitglieder → Intensive Kommunikation der Projektergebnisse → Direkte Kosten für Six Sigma Training im 1. Jahr: $123.000 Ziel: Six Sigma als „Pull“-Prozess etablieren → Freiwillige Mitwirkung durch Information über Projekte erhöhen
•
Quelle: Six Sigma Success in H ealth Care
Abb. 14f: Six Sigma im Heritage Valley Health System
194
Six Sigma in Service und Dienstleistung
Die erste in Europa dokumentierte erfolgreiche Anwendung von Six Sigma im Krankenhaus ist im Red Cross Hospital in den Niederlanden vorgenommen worden. Belegt sind der Anlass und die Gründe für Six Sigma sowie 2 Beispielprojekte und die erreichten Wirkungen (siehe Abbildung 14g). • Krankenhaus in Beverijk (NL) • 930 Angestellte • 11.632 aufgenommene Patienten im Jahr 2002 Six Sigma: • Beginn: Ende 2001 • Anlass: - Unzureichende Ergebnisse bisheriger Projekte zur Qualitätsverbesserung - Mangelnde Verknüpfung der Projektziele mit der Strategie • Personal für 1. Six Sigma Projektwelle (6 Projekte): 1 Black Belt (füllt Rolle des MBB aus) 16 Green Belts → Später: Externer Master Black Belt und weitere vier Gruppen mit je 13-17 Green Belts Ergebnisse:
- Kosteneinsparungen von mindestens 22.500 € pro Projekt - Keine nennenswerten Probleme bei der Umsetzung - Hohes Commitment der Mitarbeiter
Gründe für Six Sigma ¾ Philosophie • Wissenschaftlicher Hintergrund und faktenbasierte Projektbewertung ¾ Projektmanagement • Strikte Anwendung des DMAIC-Zyklus und Definition von Meilensteinen ¾ Klare Rollen und Verantwortlichkeiten • Champion, Master Black Belt, Black Belt, Green Belt ¾ Tools und Methoden • Vielzahl statistischer Methoden und Unterstützung durch Software-Tools ¾ Wohldefinierte Organisationsschnittstellen • Einfache Einbindung in die bestehende Organisation
Beispielprojekte Verringerung der Anzahl der intravenös mit Antibiotika behandelten Patienten - Frühzeitigerer Wechsel auf orale Medikation ermöglicht Einsparungen - Einführen von krankenhausweiter Standard Operating Procedure (SOP) - Einsparungen von ca. 22.500 € Reduktion der Fehler bei der Rechnungserstellung - 9% der Rechnungen fehlerhaft (jährlich 250.000 Rechnungen) - Senkung der Fehlerquote auf 1% - Einsparungen von mehr als 180.000 € Quelle: Dutch H ospital Implements Six Sigma
Abb. 14g: Six Sigma im Red Cross Hospital
Armin Töpfer
195
Es steht außer Frage, dass diese nachvollziehbaren Beispiele von durchgeführten Six Sigma Projekten nicht nur das Anwendungsspektrum, sondern vor allem auch die mit dieser fortschrittlichen Qualitätskonzeption erreichbaren Wirkungen überzeugend vermitteln. Vergleicht man sie mit der Anzahl der durchgeführten Projekte und den erzielten Erfolgen in anderen Branchen, dann ist dies dennoch ein relativ bescheidener Anfang.
5
Literatur
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Statistische Anforderungen des Six Sigma Konzepts Bernhard Schipp, Armin Töpfer
Inhalt 1 2 3 4 5 5.1 5.2 6 7
Einleitung ..................................................................................................................196 Grundgesamtheit und Stichprobe...............................................................................197 Six Sigma und Statistik..............................................................................................198 Das Verteilungsmodell der Normalverteilung ...........................................................198 Prozessfähigkeitsindizes ............................................................................................199 Definition von Cp, Cpk und Cpm..............................................................................199 Schätzung von Cp, Cpk und Cpm..............................................................................201 Anwendungsbeispiel..................................................................................................202 Literatur .....................................................................................................................204
Six Sigma is a gauge of quality efficiency, and a measure of excellence. It is a process quality goal that comes out of statistical probability measurement and process capability technique (Patricia O’Rourke).
1
Einleitung
Das Ziel dieses Artikels besteht darin, die zum Verständnis der Six Sigma Initiative in der Qualitätssicherung notwendigen mathematisch-statistischen Grundlagen problemorientiert darzustellen. Dabei wird besonderer Wert auf die Zusammenhänge zwischen dem Six Sigma Ansatz und diversen Varianten der Prozessfähigkeitsindizes gelegt. Ein Anwendungsbeispiel zeigt Einsatzmöglichkeiten und Grenzen der Methodik. Seit den enormen Erfolgen, bislang vor allem nordamerikanischer Unternehmen, bei der Umsetzung des Six Sigma Konzepts hat diese Thematik auch in Europa an Relevanz für eine qualitätsorientierte Unternehmensführung gewonnen. Statistische Kernaussage der Six Sigma Qualität ist dabei, dass bei einer Million Fehlermöglichkeiten nicht mehr als 3,4 tatsächliche Fehler auftreten dürfen. In der aktuellen Diskussion sind zwei wesentliche Betrachtungsweisen der Problematik erkennbar. Zum einen wird die Auffassung vertreten, dass die Six Sigma Philosophie lediglich ein Maßnahmenbündel zur Mitarbeitermotivation mit dem Ziel einer Null-Fehler-Qualität in sämtlichen Betriebsabläufen umfasst (vgl. O’Rourke 1999). Zum anderen sieht man in Six Sigma ein visionäres Paradigma, welches eine grundsätzliche Neuorientierung der gesamten unternehmerischen
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197
Tätigkeit beinhaltet. Letztgenannter Ansatz ist dabei dezidiert quantitativ ausgerichtet und basiert auf der konsequenten Anwendung statistischer Modelle und Verfahren (vgl. Hahn/Hill/Hoerl/Zinkgraf 1999, S. 208ff.). Dies erfordert zwangsläufig Grundlagenkenntnisse aus dem Bereich der beschreibenden und schließenden Statistik. Ohne dieses Hintergrundwissen sind Anwendungsunsicherheiten vorprogrammiert, die wiederum eine sachgerechte und breite Umsetzung des Konzepts in den einzelnen Unternehmensbereichen verzögern oder gar verhindern können. Im Zentrum dieses Beitrags steht daher die praxisorientierte Darstellung der zum Verständnis von Six Sigma notwendigen statistischen Grundlagen. Denn es zeigt sich, dass eine unkritische und stereotype Anwendung der Verfahren, vor allem der Prozessfähigkeitsindizes, mit vielen Fallstricken verbunden ist.
2
Grundgesamtheit und Stichprobe
In vielen Wissensgebieten ist man daran interessiert, auf Basis einer (repräsentativen) Stichprobe qualifizierte Aussagen über die zugrunde liegende Grundgesamtheit zu treffen. Bei Produktionsprozessen besteht beispielsweise die Grundgesamtheit aus allen Werkstücken, die von einer Maschine in einem bestimmten Monat gefertigt worden sind (Los, Charge). An diesen Werkstücken (z.B. Autoreifen) werde ein bestimmtes Qualitätsmerkmal (z.B. Profildicke) gemessen. Falls die Stichprobenentnahme sorgfältig geplant und durchgeführt wurde, besteht berechtigte Aussicht, aus den Profildicken der Reifen in der Stichprobe verlässliche Rückschlüsse auf die Charakteristika der Grundgesamtheit zu erhalten. Letztgenannte sind typischerweise die Verteilung ƒ der Profildicken sowie Kenngrößen dieser Verteilung, wie etwa der Erwartungswert ȝ (mittlere Profildicke) und die Varianz ı² (Streuung um den Erwartungswert). Da die Grundgesamtheit nicht vollständig bekannt ist, sind auch diese Größen letztendlich unbekannt, können aber durch die entsprechenden Kenngrößen aus den Daten der Stichprobe (deren Umfang sei n) geschätzt werden. Eindrücke über die Verteilung erhält man dabei oft durch grafische Verfahren, wie z.B. Histogramm oder Kernschätzungen. Durch das arithmetische Mittel (2.1.1)
x = 1 ⋅ n
n
¦
i=1
xi
versucht man µ zu approximieren. Die Varianz wird üblicherweise durch (2.1.2)
n
s 2 = 1 ⋅ ¦ (xi − x ) 2 n −1
i =1
geschätzt. Da s² aber nicht der ursprünglichen Dimension der Daten entspricht (im Beispiel: Profildicke in Quadrat-Millimeter) und damit nicht interpretierbar ist, verwendet man üblicherweise die Wurzel aus s², die als Standardabweichung s
198
Statistische Anforderungen des Six Sigma Konzepts
bekannt ist. Da x und s² aus den Daten der Stichprobe berechnet wurden, ist zu erwarten, dass sie nicht exakt mit den korrespondierenden Werten aus der Grundgesamtheit übereinstimmen. Bei systematischen Unregelmäßigkeiten im Produktionsprozess, die z.B. durch Rohstoffe minderer Qualität hervorgerufen werden können, besteht sogar die Gefahr, dass die Werte der Stichprobe deutlich von den eigentlich zu schätzenden Größen µ und ı abweichen. Für die quantitativ ausgerichtete Qualitätssicherung bedeutet dies, dass eine sorgfältige Analyse der Stichprobenqualität unerlässlich ist.
3
Six Sigma und Statistik
Der statistische Ausgangspunkt des Six Sigma Konzepts besteht in einer Eigenschaft von normalverteilten Zufallsprozessen, die unter dem Namen 3-SigmaRegel bekannt ist. Bei derartigen Prozessen ist zu erwarten, dass im Intervall µ ± ı etwa 66,7 % aller Werte liegen. Im Intervall µ ± 2ı liegen dann etwa 95 % und im Intervall µ ± 3ı bereits 99,73 %. Erweitert man diese Überlegung auf das Intervall µ ± 6 ı, so ist zu erwarten, dass es nur etwa 0,00000001 % der Werte nicht enthält. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass diese Anteile unter der Voraussetzung eines konstanten Prozessmittelwertes µ berechnet wurden. In vielen Prozessen sind allerdings mehr oder minder gravierende Verschiebungen des Prozessmittels im Zeitverlauf zu beobachten. Mögliche Ursachen hierfür können z.B. Materialermüdung, Maschinenverschleiß oder auch veränderte Umgebungsbedingungen wie etwa Temperatur sein. Motorola stellte fest, dass diese Verschiebungen des Mittelwertes typischerweise im Bereich von 1,4 ı bis 1,8 ı liegen. Daraus wurde dann als Faustregel eine zu erwartende Verschiebung von 1,5 ı abgeleitet. Der Flächenanteil unter der um diesen Wert nach rechts verschobenen Dichtefunktion der Normalverteilung rechts vom Wert 6 ı ist dann natürlich größer und liegt bei ca. 0,0000034. Dies wiederum entspricht einem tolerierten Ausschussanteil von 3,4 Stück bei einer Million Fehlermöglichkeiten (DPMO – Defects Per Million Opportunities). Aus statistischer Sicht verbirgt sich damit hinter 6-Sigma eigentlich ein 4,5-Sigma Konzept.
4
Das Verteilungsmodell der Normalverteilung
Wie in vielen anderen Wissensgebieten spielt die Normalverteilung auch in der Statistischen Qualitätssicherung eine herausragende Rolle. Die Normalverteilung dient dabei konkret zur Charakterisierung der Prozessvariablen in der Grundgesamtheit. Bei vielen Prozessen treten Ergebnisse auf, die symmetrisch um einen Mittelwert µ konzentriert sind. Gleichzeitig sind Ergebnisse umso unwahrscheinlicher, je weiter sie von µ entfernt sind. Die Gültigkeit der Normalverteilungsan-
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nahme muss dabei anhand der vorliegenden Stichprobendaten mittels statistischer Testverfahren (z.B. Anderson-Darling, Kolmogorov-Smirnov, Shapiro-Wilks, Chi-Quadrat) und grafischer Methoden (Histogramm, Normal-Plot) für jede Variable überprüft werden. Abweichungen von Schiefe und Wölbung können ebenfalls auf Signifikanz untersucht werden. Die besondere Bedeutung der Normalverteilung für das Six Sigma Konzept ergibt sich dabei vor allem aus der Tatsache, dass die Prozessbewertung durch Berechnung des aktuellen Sigma-Niveaus standardmäßig auf Basis der Normalverteilung durchgeführt wird. (vgl. z.B www.isixsigma.com). Dabei wird der erhobene Ausschussanteil als Fläche unter der Dichtefunktion der Standardnormalverteilung interpretiert. Das zugehörige Quantil gibt dann das Prozess-Sigma an. (Beispiel: Ausschussanteil: 0,1 % = 0,001 , Quantil: || z || = 3,09). Durch Addition der Langfrist-Adjustierung von 1,5 (genannt „Basic Mode“ bei www.isixsigma.com) ergibt sich eine Prozessbewertung von 4,59 σ. Im „Advanced Mode“ kann die Langfrist-Adjustierung anwenderspezifisch eingestellt werden.
5
Prozessfähigkeitsindizes
Durch Prozessfähigkeitsindizes wird angestrebt, die Konformität des durch die Daten der Stichprobe repräsentierten Produktionsprozesses mit den Spezifikationsvorgaben zu überprüfen. Als Spezifikationen bezeichnet man den Soll- oder Nominalwert des Prozesses (z.B. Profildicke µ0 = 4 mm) sowie eine untere und obere Spezifikationsgrenze (LSL – Lower Specification Limit bzw. USL – Upper Specification Limit).
5.1
Definition von Cp, Cpk und Cpm
Der gebräuchlichste (Process Capability) Index ist der Cp-Index (vgl. Rinne/Mittag 1995, S. 414). Er ist definiert durch (5.1.1)
USL − LSL . 6σ
Der Index ist dimensionslos und beschreibt die potenzielle Eignung des Prozesses, die Spezifikationen einzuhalten. Werte von Cp größer als 1 deuten an, dass die Spezifikationsspannweite das µ ± 3ı Intervall, welches auch als natürliche Prozesstoleranz bezeichnet wird, übersteigt. Falls µ in der Mitte des Spezifikationsintervalls liegt, kann bei einem um µ normalverteilten Merkmal gemäß der 3-SigmaRegel davon ausgegangen werden, dass etwa 99,73 % der Messwerte spezifikationskonform sind. Im Kontext von Six Sigma ist ein Cp-Wert von mindestens 2 als notwendige (aber nicht hinreichende) Bedingung für einen Six Sigma Prozess anzusehen. Lässt man darüber hinaus eine 1,5 ı Verschiebung von µ zu, so besteht
200
Statistische Anforderungen des Six Sigma Konzepts
die notwendige Bedingung immerhin noch in Cp > 1,5 (siehe hierzu auch Abbildung im Artikel von Töpfer: „Six Sigma als Projektmanagement“.) Als Nachteil ist zu nennen, dass der Cp-Index das Prozessniveau µ nicht berücksichtigt. Es kann daher Prozesse geben, die hohe Cp-Werte aufweisen, aber dennoch nicht spezifikationskonform sind. Ein Index, der das Prozessniveau einbezieht, ist der Cpk-Index. Er ist durch (5.1.2)
µ − 12 ( LSL + USL) ½° min(USL − µ , µ − LSL ) ° = ®1 − ¾⋅Cp 3σ d ° ° ¿ ¯
definiert. Dabei wird mit d die halbe Länge des Spezifikationsintervalls bezeichnet, d.h. d = 0,5⋅(USL – LSL). Das wesentliche Ziel von Cpk besteht darin, Informationen über das Ausmaß zu geben, mit welchem der Prozess innerhalb der Spezifikationsgrenzen liegt. Cpk nimmt i.d.R. Werte zwischen 0 und Cp an und ist positiv, falls LSL < ȝ < USL. Es gilt Gleichheit von Cp und Cpk, falls ȝ = 0,5 ⋅ (USL + LSL). Der Mittelpunkt des Spezifikationsintervalls kann auch durch einen Sollwert ȝ0 ersetzt werden (vgl. Kane 1986, S. 41ff.). Probleme treten beim CpkIndex auf, falls die Differenz zwischen dem eingestellten Sollwert ȝ0 und dem Prozess-mittelwert ȝ ansteigt. Der Prozess gerät dann zunehmend außer Kontrolle, ohne dass Cpk reagiert. Dieser Nachteil wird beim nachstehenden Cpm-Index vermieden. Cpm basiert auf der Streuung um den Sollwert ȝ0 und ist definiert durch
USL − LSL
(5.1.3)
3σ m
.
Mit σ m2 wird die Streuung des Qualitätsmerkmals um den Sollwert ȝ0 (z.B. die Mitte des Spezifikationsintervalls) bezeichnet, d.h. ı 2m = E ( X − ȝ 0 ) 2 ist. Da σ 2 = E ( X − µ ) 2 ist σ m2 = σ 2 + ( µ − µ 0 ) 2 . Cpm ist damit nie größer als Cp und kann – im Gegensatz zu Cpk – nie negativ werden. Die Größe σ m2 kann im Sinne der Qualitätsphilosophie Taguchi´s, in der eine typische Verlustfunktion als proportional zu ( X − µ 0 ) 2 angenommen wird, auch als eine Kenngröße des durchschnittlichen Verlusts aufgefasst werden (vgl. Kackar 1989 o. Kotz/Johnson 1993, S. 89; eine Übersicht des Konzepts geben Toutenburg/Gössl/Kunert 1998, S. 79ff.). Für den Index Cpm findet man gelegentlich noch eine modifizierte Version, die für den Fall µ0 0,5 ⋅ (USL + LSL) empfohlen wird: (5.1.4)
*
C pm =
min(USL − ȝ0 , ȝ0 − LSL ) 2
3 ı + ( ȝ − ȝ0 )
2
.
Bernhard Schipp, Armin Töpfer
201
Im folgenden Beispiel wird verdeutlicht, welchen Effekt ein sich veränderndes Prozessmittel µ auf die bisher vorgestellten Prozessfähigkeitsindizes hat (vgl. Boyles 1991). Der Sollwert sei µ0 = 4 (vgl. hierzu Abbildung 1); die Spezifikationsgrenzen seien durch LSL = 3,7 und USL = 4,3 gegeben. Prozess
µ
ı
Cp
C pk
C pm
A B C
4,0 3,9 3,8
0,100 0,067 0,033
1,0 1,5 3,0
1,0 1,0 1,0
1,000 0,794 0,493
Abbildung 1: Tabelle mit Beispielen für prozessabhängige Cp-, Cpk- und Cpm-Werte
Während der Index Cp eine ständig wachsende Prozessfähigkeit anzeigt (da ı fällt), wird der Cpm-Index immer kleiner und zeigt damit die mangelnde Konformität an. Der Cpk-Index ist indifferent gegenüber den drei Situationen, da die Verschiebung des Prozessmittels durch die sich gleichzeitig verringernde Streuung kompensiert wird. Die in diesem Beispiel angedeutete Vorteilhaftigkeit von Cpm gilt allerdings nur für den Fall, dass der Sollwert µ0 mit dem Mittelpunkt des Spezifikaktionsintervalls übereinstimmt. Falls dies nicht der Fall ist, kann durch den Cpm-Index keine sinnvolle Prozessbewertung vorgenommen werden. Sei in obigem Beispiel µ0 = 3,9, dann ist bei einem Wert µ = µ0 – 0,1 = 3,8 Cpm = 0,707. Dieser Wert ergibt sich aber auch im Fall µ = µ0 + 0,1 = 4, obwohl der zu erwartende Ausschussanteil in dieser Situation offenbar sehr viel kleiner ist.
5.2
Schätzung von Cp, Cpk und Cpm
Im vorhergehenden Abschnitt wurden die am häufigsten verwendeten Prozessfähigkeitsindizes in ihrer Konzeption dargestellt. Dabei war auffällig, dass bei den Indizes die unbekannten Kenngrößen aus der Grundgesamtheit (ȝ, ı, ım) verwendet wurden. In der Praxis der Statistischen Qualitätssicherung müssen diese Größen durch geeignete Schätzungen ersetzt werden. In diesem Abschnitt werden einige Varianten vorgestellt und vergleichend diskutiert. Eine detaillierte Übersicht der verschiedenen Schätzer und ihrer statistischen Eigenschaften ist Kotz/ Johnson 1993 zu entnehmen. Im Cp kann die unbekannte Prozessstreuung ı durch die Standardschätzung (5.2.1)
s=
1 n ¦ ( xi − x ) n − 1 i =1
ersetzt werden. Hierbei sollte allerdings beachtet werden, dass sich s aus den Komponenten ı und der Streuung des Messfehlers zusammensetzt. Fallstudien
202
Statistische Anforderungen des Six Sigma Konzepts
(vgl. Kotz/Johnson 1993, S. 50ff.) haben gezeigt, dass der Einsatz von s für ı in Cp zu einer Überschätzung des Indexes führt. Diese Überschätzung – die den Prozess als fähiger ausweist, als er tatsächlich ist – ist umso größer, je kleiner der Stichprobenumfang ist. Verlässliche Schätzwerte ergeben sich erst ab einem Datenumfang von ca. n = 50 und dies auch nur unter der Voraussetzung, dass die Daten annähernd normalverteilt sind. Für die Praxis bedeutet dies, dass Cp bei kleinem Stichprobenumfang mit Vorsicht zu betrachten ist und damit bei kleinen bis moderat hohen Werten (Ƙp < 1,3) eher von einem instabilen Prozess ausgegangen werden sollte. Ein möglicher Schätzer für Cpk ist gegeben durch (5.2.2)
Cˆ pk = ®1 −
¯
x − 0,5 ⋅ ( LSL + USL) ½ d
¾ ⋅ Cˆ p ¿
Bei unterstellter Normalverteilung von X ist X normalverteilt mit Erwartungswert ȝ und Streuung ı n . Ferner sind x und ıˆ stochastisch unabhängig. Es lässt sich zeigen (vgl. Kotz/Johnson 1993, S. 57f.), dass Ƙpk ein verzerrter Schätzer von Cpk ist. Dabei ist die Verzerrung positiv (Cpk wird überschätzt) falls ȝ 0,5 ⋅ (USL + LSL). Im Falle der Gleichheit ist die Verzerrung zunächst (bis ca. n = 10) positiv, wird aber mit zunehmendem Stichprobenumfang negativ. Bei größer werdendem Stichprobenumfang wird dann die Verzerrung immer geringer. Auch hier gilt für die Praxis die Empfehlung, eine Ƙpk-Berechnung nur bei großem Datenumfang (n > 60) vorzunehmen. Die Untersuchung der geschätzten Version von Cpm bzw. C*pm führt wieder zu dem Ergebnis einer grundsätzlich positiven Verzerrung, die aber mit wachsendem Stichprobenumfang verschwindet. Ein weiterer wesentlicher Punkt betrifft die Bewertung der Streuung des Messverfahrens. Da unscharfe Messmethoden zu einer Erhöhung der Streuung in den Daten führen, sind regelmäßige Kalibrierungsverfahren dringend erforderlich. Prozesse, die fälschlicherweise als „außer Kontrolle“ identifiziert wurden, verursachen vermeidbare Kosten.
6
Anwendungsbeispiel
Im Rahmen eines zusammenfassenden Beispiels sollen die wesentlichen Elemente und Methoden des Six Sigma Ansatzes noch einmal verdeutlicht werden. Die Datenbasis besteht aus 100 Werten. Der Nominalwert (Sollwert) ist 4 mm, untere und obere Spezifikationsgrenzen sind LSL = 3,9 mm bzw. USL = 4,1 mm. In der nachfolgenden Abbildung 2 sind ein Histogramm der Daten mit angepasster Normalverteilung sowie die Prozessfähigkeitsindizes dargestellt.
Bernhard Schipp, Armin Töpfer
203
Man erkennt, dass die Normalverteilung eine eher mäßige Anpassungsqualität hat. Offensichtlich handelt es sich um eine Mischverteilung mit drei Komponenten, wobei die erste für den Ausschussanteil unterhalb von LSL, die zweite für den Bereich innerhalb der Spezifikationsgrenzen und die dritte für den Ausschussanteil oberhalb von USL verantwortlich ist. Der Prozess befindet sich damit deutlich außer Kontrolle, was auch durch die Prozessfähigkeitsindizes verdeutlicht wird. So liegt der Cp-Index gerade einmal bei 0,419 und der Cpk-Index nur bei 0,338. Aufgrund des hohen (geschätzten) Ausschussanteils von 221.759 DPMO (22,18 %) ergibt sich ein Prozess-Sigma von 0,766. Die Addition von 1,5 ergibt ein „Langfrist-Sigma“ von 2,266. Es zeigt sich weiterhin, welch hoher Anspruch für bestimmte Prozesse mit dem Six Sigma Paradigma verbunden ist, besteht doch im vorliegenden Beispiel das Kriterium für Six Sigma in der Forderung, dass der Prozess eine solch kleine Streuung um den Sollwert aufweisen muss, dass die ±4,5σ Schranken innerhalb der Spezifikationsgrenzen liegen müssen (vgl. Abbildung 2).
20 LSL=3,9 Nominal=4,0 USL=4,1
18
C p = 0,419 C pk = 0,338 C pm = 0,407
16
Häufigkeit
14 12 10
- 4,5ı
+ 4,5ı
8 6 4 2 0 3,6
3,7
3,8
3,9
4,0
4,1
4,2
4,3
4,4
Profildicke (mm)
Abbildung 2: Histogramm mit Prozessfähigkeitsanalyse
Die Abbildung 3 dient zur optischen Überprüfung der Normalverteilungsannahme. Bei Gültigkeit der Normalverteilung sollten die Punkte annähernd auf der Gerade liegen. Es ist zu erkennen, dass die Daten deutlich nicht-normalverteilt sind. In bezug auf Schiefe und Wölbung zeigen sich allerdings keine auffälligen Unterschiede. Ferner kann aufgrund der drei Schichten in der Stichprobe auch keine alternative Verteilung angepasst werden. An dieser Stelle bleibt dem Anwender also nur die Ursachenforschung für die Prozessunregelmäßigkeiten voranzutreiben
204
Statistische Anforderungen des Six Sigma Konzepts
Erwartete Profildicke (mm)
und als grobe Annäherung die Normalverteilung zu verwenden. In Hahn/Hill/ Hoerl 1999 werden mögliche Auswirkungen von Six Sigma auf die zukünftige Rolle statistischer Analysen in der Industrie diskutiert. 4,3 4,2 4,1 4 3,9 3,8 3,7 3,7
3,8
3,9
4
4,1
4,2
4,3
Tatsächliche Profildicke (mm)
Abbildung 3: Normal-Probability Plot für Profildicke
7
Literatur
Boyles, R.A. (1991): The Taguchi capability index, Journal of Quality Technology 232, 1991. Hahn, G.J./Hill, W.J./Hoerl, R.W./Zinkgraf, S.A. (1999): The Impact of Six Sigma Improvement – A Glimpse into the Future of Statistics, The American Statistician 53, 1999, S. 208–215. Kackar, R.N. (1989): Taguchi’s quality philosophy: Analysis and Commentary, in: Dehnad, K. (ed.): Quality Control, Robust Design and the Taguchi Method, Wadsworth and Brooks 1989. Kane, V.E. (1986): Process capability indices, Journal of Quality Technology 18, 1986, S. 41-52. Kotz, N./Johnson, N.L. (1993): Process Capability Indices, Chapman & Hall 1993. O’Rourke, P. (1999): Using Six Sigma in Safety Metrics, HRfocus Newsletter July 1999. Rinne, H./Mittag, H.J. (1995): Statistische Methoden der Qualitätssicherung, 3. Aufl., Hanser 1995. Toutenburg, H./Gössl, R./Kunert, J. (1998): Quality Engeneering, Prentice Hall 1998.
Kapitel B Bausteine und Vernetzung von Six Sigma
Der Einführungsprozess von Six Sigma Armin Töpfer
Inhalt 1 2 3 4 5 6 7 8
1
Sieben Schritte zur Einführung von Six Sigma..........................................................207 Einbindung der Unternehmensleitung und Commitment der Führungskräfte............209 Aufbau der Six Sigma Organisation und die Rekrutierung/ Auswahl von Akteuren .211 Auswahl von geeigneten Six Sigma Projekten ..........................................................215 Qualifizierung von Six Sigma Akteuren....................................................................220 Projektsteuerung und Aufbau eines Wissensmanagements .......................................224 Analyse der direkten und indirekten Ergebniswirkungen ..........................................230 Literatur .....................................................................................................................237
Sieben Schritte zur Einführung von Six Sigma
Wenn ein Unternehmen sich entschlossen hat, aufgrund der positiven Erfahrungen anderer und der Erwartungen im eigenen Unternehmen, Six Sigma zu implementieren, dann beginnt der in seiner Komplexität und Entscheidungsträchtigkeit nicht zu unterschätzende Prozess der Einführung. Die Komplexität ist dadurch gegeben, dass große Teile des Unternehmens von Six Sigma bereits bei der Einführung, auf jeden Fall aber bei dem sich anschließenden Roll-Out einbezogen oder zumindest tangiert werden. Der Entscheidungsbedarf entsteht vor allem dadurch, dass im Einführungsprozess zunächst selektiv vorgegangen werden muss. Mit anderen Worten muss explizit festgelegt werden, was im Rahmen der Six Sigma Implementierung bewusst von wem, wo, wann und wie gemacht respektive nicht gemacht wird. Abbildung 1 zeigt im Überblick sieben wesentliche Prozessphasen, die bei der Einführung von Six Sigma durchlaufen werden müssen. Dabei ist es gerade zu Beginn wichtig, die starke Projektorientierung von Six Sigma unter Einsatz bekannter Methoden des Qualitätsmanagements richtig zu verstehen und die mit einer konsequenten und systematischen Umsetzung erreichbaren Wirkungen zutreffend einzuschätzen. Bereits in diesem Stadium ist für den Erfolg des gesamten Vorhabens von Bedeutung, dass sich der Einsatz des Methodenspektrums beim DMAIC-Prozess im Rahmen von Six Sigma Pilotprojekten zunächst nur auf physische Wertschöpfungsprozesse bezieht und erst in einem zweiten Lern- und Anwendungsschritt auch Service- und Dienstleistungsprozesse berücksichtigt werden. Erst danach ist es zweckmäßig und empfehlenswert, die Forschung und Entwicklung einzubezie-
208
Der Einführungsprozess von Six Sigma
hen und Design for Six Sigma mit dem DMADV-Prozess zu betreiben. Der Grund liegt in den steigenden Anforderungen an den Methodeneinsatz sowie die dann hierdurch erreichbaren und belegbaren Wirkungen. Dies gilt zusätzlich auch für Six Sigma Projekte, die sich auf die Optimierung von Schnittstellen zwischen Wertschöpfungsprozessen beziehen. ProzessProzessbezogenes bezogenes SixSix Sigma Sigma
Aufbau der Six Sigma Organisation
DMAIC DMAIC
4 Verständnis der projektorientierten spezifischen Ausrichtung 1 Anforderungen/ Leistungsfähigkeit von Six Sigma
EntwicklungsEntwicklungsbezogenes bezogenes SixSix Sigma Sigma DMADV DMADV
2
Einbindung Einbindung der derUnterUnternehmensnehmensleitung/ leitung/ Commitment 3 der der FührungsFührungskräfte kräfte
Rekrutierung und Auswahl von Six Sigma Akteuren
6
Auswahl der Six Sigma Projekte
5
Qualifizierung von Six Sigma Spezialisten (GB/ BB/ MBB/ Champions)
Steuerung der Projekte und Aufbau eines Wissensmanagement
7
Analyse der monetären Wirkungen
- Pilot - Roll-Out -
- Produktion - Service - Lieferanten - Kunden -
Abbildung 1: Der Einführungsprozess im Überblick
Auf dieser Basis und mit diesem Verständnis ist von den „Treibern“ des Six Sigma Vorhabens die Unternehmensleitung aktiv einzubinden und das Commitment der Führungskräfte zu erreichen sowie vor allem auf Dauer sicherzustellen. Die nächsten Schritte des Einführungsprozesses beziehen sich auf den Aufbau der Six Sigma Organisation und die Rekrutierung/Auswahl von Six Sigma Akteuren. Der zweite Aspekt ist deutlich schwieriger als der erste, denn insbesondere die Festlegung, wer im Unternehmen zum Black Belt ausgebildet wird, läuft im Endeffekt auf ein Management-Assessment dieser Personen hinaus und setzt aussagefähige Ergebnisse zur Einschätzung der Persönlichkeitsprofile vor den weiteren Einführungsschritten voraus. Die sich hieran anschließende Qualifizierung von Six Sigma Spezialisten, nämlich der Black Belts, Master Black Belts, Green Belts und Champions, ist in direktem Zusammenhang mit der im Vorfeld vorgenommenen Auswahl von geeigneten Six Sigma Projekten zu sehen. Dies ist insbesondere dadurch gegeben, dass die Schulung zumindest der Black Belts direkt an konkreten Projekten erfolgt, die wiederum von einem Champion gesteuert werden müssen. Da die Projekte i.d.R. aus dem Erfahrungs- und Tätigkeitsbereich der Black Belts stammen, ist hierdurch eine Vorauswahl vollzogen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass in der Einführungsphase die Auswahl von Pilotprojekten mit nur kontinuierlich steigendem Schwierigkeitsgrad erfolgt.
Armin Töpfer
209
Der sechste Schritt des Einführungsprozesses, nämlich die Projektsteuerung und der Aufbau eines Wissensmanagements, erhalten dadurch einen hohen Stellenwert, dass erarbeitetes Wissen, in standardisierter Form eingesetzte Instrumente, gemachte Erfahrungen sowie vor allem auch Stolpersteine und Irrwege systematisch festgehalten werden. Der Einführungsprozess schließt mit einer Analyse der projekt- sowie unternehmensbezogenen Wirkungen ab. Letztere umfassen sowohl direkte/indirekte als auch monetäre/nicht-monetäre Gesichtspunkte. Die Erfahrung in der Unternehmenspraxis zeigt, dass die Zeitdauer für die vollständige Einführung von Six Sigma im Unternehmen etwa 24 Monate beträgt, unter der Voraussetzung, dass das gesamte Vorhaben mit einem hohen Engagement und Willen zum Erfolg durchgeführt wird. Darin enthalten sind eine fünfmonatige Trainingsphase für Green und Black Belts sowie die strategische Analyse und Durchführung von Pilotprojekten, die i.d.R. ebenfalls fünf Monate dauert. Die Ausfächerung bzw. der unternehmensweite Roll-Out von Six Sigma nimmt erfahrungsgemäß weitere 12 bis 14 Monate in Anspruch.
2
Einbindung der Unternehmensleitung und Commitment der Führungskräfte
Die zu klärenden Fragen bei der Six Sigma Implementierung ist nicht, ob, sondern welche aktive Rolle die Unternehmensleitung bei der Einführung zu spielen hat. Dies impliziert zugleich die Frage, wann sie sich wo und wie in den Roll-Out Prozess einbringt. Wenn die Entscheidung für die generelle Einführung von Six Sigma gefallen ist, dann sollte die Unternehmensleitung bereits den ersten Workshop mit Entscheidern und Prozesseignern zur Klärung folgender Fragen steuern und prägen: •
Welche strategischen Analysen sind im Vorfeld durchzuführen und wo soll die Andockung von Six Sigma erfolgen?
•
Welche aktive Rolle kommt der Unternehmensleitung bei der Six Sigma Einführung und Umsetzung zu, um das Vorhaben zu beschleunigen und in die richtige Richtung zu lenken?
•
Wie soll der Aufbau einer professionellen Six Sigma Organisation aussehen?
•
Für welchen Personenkreis, in welchem Zeitraum und mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten sollen die Qualifizierungs- und Kommunikationskonzepte im Unternehmen durchgeführt werden?
•
Wie soll die Gestaltung des Six Sigma Roll-Out bzw. die Ausfächerung auf die einzelnen Unternehmensteile und -ebenen konkret aussehen?
210
Der Einführungsprozess von Six Sigma
•
Wie wird im Unternehmen ein professionelles Projektmanagement und -controlling sichergestellt?
•
Was sind die entscheidenden und damit wirkungsvollen Anreize, um den anvisierten Kreis von Führungskräften an das Vorhaben zu binden und eine „durchgängige“ Six Sigma Kultur zu schaffen?
•
Wie hoch sind insgesamt die Zeitdauer und die Kosten für die Einführung von Six Sigma im Unternehmen anzusetzen?
Für die Rolle der Unternehmensleitung und der Führungskräfte bei der Six Sigma Einführung sowie Umsetzung im gesamten Unternehmen gelten die folgenden Grundsätze. Sie kennzeichnen die für den Erfolg notwendige Management Attention: •
Das Management ist entsprechend seiner jeweiligen Aufgabenstellung und Führungsverantwortung immer umfassend informiert und in den Six Sigma Prozess eingebunden.
•
Das Management wirkt mit seiner Einstellung und Verhaltensweise als Vorbild für die Six Sigma Aktivitäten.
•
Das Management steuert und kontrolliert die Six Sigma Prozesse und Ergebnisse.
•
Das Management beseitigt Hürden und Barrieren bei der Six Sigma Umsetzung.
•
Das Management honoriert Erfolge durch immaterielle und materielle Belohnung der beteiligten Mitarbeiter.
Damit bei den Führungskräften ein derartiges Commitment entsteht, sind mehrere Voraussetzungen im Unternehmen zu erfüllen. So sind z.B. auch für das Management genügend Anreize zu schaffen. Ein nicht zu unterschätzender Vorbehalt ist die Angstkultur, die dadurch entstehen kann, dass Six Sigma mit einer deutlich höheren Transparenz von Prozessen und dabei aufgedeckten Problemen verbunden ist als ursprünglich „geplant“. Erforderlich ist also eine Fehlerkultur im Unternehmen, die diese Offenheit mit einer hohen Fehlertransparenz positiv in Verbesserungen umsetzt. Die Konsequenz hieraus ist dann, dass die Führungskräfte detaillierte Informationen über Vorhaben, Projekte, einbezogene Bereiche, Veränderungen und erreichte Ergebnisse zur Verfügung stellen und auch bekommen. Ein darauf aufbauendes Prämiensystem als materieller Anreiz für das Erreichen von Projektzielen/-ergebnissen ist dann eine sinnhafte Folge, die im Unternehmen auch Akzeptanz findet. Ein wichtiger Bestandteil der Six Sigma Kultur sind die Anreize für die Mitarbeiter und den Führungskräftenachwuchs, die durch Karriere- und Beförderungschancen für Green Belts, Black Belts und Master Black Belts entstehen. Die Six Sigma Qualifikation wird so – umgesetzt in Projekterfolgen – zur Voraussetzung für den Karrieresprung. Im Ergebnis führt dies, wie z.B. bei
Armin Töpfer
211
General Electric, zu einem „Durchsatz“ des gesamten Unternehmens mit Six Sigma Experten.
3
Aufbau der Six Sigma Organisation und die Rekrutierung/ Auswahl von Akteuren
Das oberste Lenkungsgremium einer professionellen Six Sigma Organisation ist der Quality Council als Steuerungsgruppe mit direkter Anbindung an die Unternehmensleitung. Von ihm werden die vorstehend aufgelisteten Führungsaufgaben erfüllt. Auf den Führungsebenen unterhalb der Unternehmensleitung haben die Champions eine wichtige Funktion bei der Auswahl und Durchführung von Six Sigma Projekten. Sie sind für die Prozesse und Ergebnisse eines bestimmten Wertschöpfungsbereiches im Unternehmen verantwortlich. Als Manager definieren sie ein Problem, das im Rahmen eines Six Sigma Projekts unter Beteiligung von Master Black Belts und Black Belts zu lösen ist. Six Sigma Projekte, die dort aufgesetzt werden, werden von ihnen also als Machtpromotor mit gesteuert und auf diese Weise zum Erfolg befördert. Die Bereitschaft hierzu ist dann sehr groß, wenn der Champion zugleich auch der Prozesseigner ist und damit die „Früchte des Projektes“ direkt ernten kann. Die Auswahl von Champions ist im Hinblick auf die Durchsetzungsfähigkeit vor Ort erfolgsentscheidend für die gesamte Six Sigma Initiative. Damit vertreten die Champions das Six Sigma Vorhaben im Unternehmen und bestimmen die Art und Weise, wie es zum Erfolg oder auch zum Misserfolg geführt wird. Auf diese Weise unterstützen und kontrollieren sie die Projekttätigkeit der Black Belts, verteilen Ressourcen und beseitigen Umsetzungsbarrieren. Im Vorfeld sind sie bereits in die Auswahl der Six Sigma Projekte mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit und einem hohen Erfolgspotenzial eingebunden. In manchen Unternehmen wird zusätzlich zwischen der Funktion des Champions und des Sponsors unterschieden. Der Sponsor ist eine Führungskraft, die im übergeordneten Verantwortungsbereich eines Champions tätig ist und einen bestimmten Wertschöpfungsabschnitt verantwortet, in dem ein Six Sigma Projekt durchgeführt werden soll. Von daher ist der Sponsor immer der Prozesseigner im Rahmen eines Projektes, das von einem Black Belt oder auch Green Belt als Projekteigner ergebnisverantwortlich durchgeführt wird. Der Champion ist – wie oben beschrieben – nur im Ausnahmefall zugleich auch der Prozesseigner. Die Differenzierung der Funktionen geht also dahin, dass der Champion und/oder Sponsor für den Erfolg eines Six Sigma Verbesserungsteams verantwortlich sind. Der Black Belt ist als Projektleiter verantwortlich für die Teamergebnisse, und er ist dabei üblicherweise dem Champion/Sponsor unterstellt.
212
Der Einführungsprozess von Six Sigma
Der Quality Leader ist Mitglied oder sogar Leiter des Quality Council, falls diese Funktion nicht direkt von einem Vorstandsmitglied/Geschäftsführer wahrgenommen wird. Der Quality Leader verfügt als Mitglied der oberen Führungsebene über eine klare strategische Ausrichtung, ein gutes Netzwerk und Durchsetzungsmacht, was insgesamt dem Six Sigma Vorhaben zugute kommt. Er ist zugleich der Vorgesetzte aller Black Belts und Master Black Belts, wobei sich die Frage stellt, über welche Six Sigma Qualifikation er verfügt bzw. verfügen sollte. Bei der Einführung von Six Sigma in das Unternehmen wird diese Funktion häufig von einer Führungskraft wahrgenommen, die nur über eine begrenzte Ausbildung und Erfahrung verfügt. Im Laufe der Zeit kann diese Aufgabe von einem Black Belt oder Master Black Belt übernommen werden, die im Unternehmen Karriere bis auf die oberste Führungsebene in einer Fachfunktion gemacht haben. Der fachliche Counterpart eines Champions oder auch eines Sponsors ist der Master Black Belt. Er ist deshalb der Partner der Champions im Unternehmen, weil er diesen bei der Projektauswahl und -bewertung sowie bei der Umsetzung von Six Sigma Trainings für Mitarbeiter assistiert. Master Black Belts rekrutieren sich aufgrund von Führungs- und konstruktiv-kommunikativen Durchsetzungsfähigkeiten aus der Gruppe erfahrener Black Belts. Dabei ist die Ausprägung von Soft Skills u.U. wichtiger als die Ausprägung von Hard Skills. Im Rahmen ihrer Führungsarbeit in Vollzeit unterstützen und coachen sie die Black Belts. Sie treten zudem als Projektleiter bei strategisch wichtigen Six Sigma Projekten in Erscheinung. Die tragende Rolle in jedem Six Sigma Projekt kommt dem Black Belt zu. In einem mit Six Sigma Projekten „durchsetzten“ Unternehmen gilt die Grundregel, dass mindestens 1, besser 2 % der Mitarbeiter als aktive Black Belts bzw. Master Black Belts die kritische Masse für den Six Sigma Erfolg bilden, die durch mindestens 10 % aller Unternehmensmitglieder als geschulte Six Sigma Akteure ergänzt werden sollten. Als Projektleiter in Vollzeit-Tätigkeit setzen die Black Belts die „Durchbruchsstrategie“ Six Sigma im Unternehmen operativ um. Neben dem Führen und Betreuen von Projektteams zählen zu ihren Aufgaben das Identifizieren von Umsetzungsbarrieren, das Durchführen von Projekt-Reportings und -Reviews, das Erstellen einer detaillierten Projektbewertung sowie damit die Übernahme der Verantwortung für die Zielerreichung. Dieses Aufgabenspektrum ist der Grund für die zumindest in großen Unternehmen übliche Freistellung der Black Belts und entsprechend auch der Master Black Belts für Six Sigma Aktivitäten. Zur Auswahl als Black Belt kommen herausragende Nachwuchsführungskräfte in Frage, die auf diese Weise eine zusätzliche Qualifizierungs- und Aufstiegschance erhalten. Die Aufgabe des Quality Leaders und zum Teil auch der Champions ist die Rekrutierung geeigneter Black Belt Kandidaten. Dabei kommt es darauf an, den richtigen Mix aus „alt eingesessenen“ Führungskräften und „jungen motivierten“ Newcomern zu finden (vgl. Harry/Schroeder 2005, S. 197f.). Black Belts sollten mindestens zwei bis drei Jahre in
Armin Töpfer
213
ihrer Position verweilen, um maximale Verbesserungserfolge zu erzielen sowie nachhaltige kulturelle Veränderungen voranzutreiben. Für die Auswahl von Black Belts im Unternehmen sind vorab die Anforderungen an die Persönlichkeitskriterien klar zu definieren. Dabei ist zwischen den „harten“ Qualifikationen im Hinblick auf Fachkompetenz, Analytisches Denkvermögen, mathematisch-statistische Begabung, Hartnäckigkeit im Verfolgen eines Zieles sowie Durchsetzungsfähigkeit auf der einen Seite und „weichen“ Qualifikationen wie Kommunikationsfähigkeit, Teamintegrationsfähigkeit als Mitglied sowie Teamführungsfähigkeit als Projektleiter auf der anderen Seite klar zu unterscheiden. Ein guter und damit in Zukunft erfolgreicher Black Belt sollte beide Qualifikationskategorien in ausreichendem Maße besitzen. Hierdurch wird bereits deutlich, wie schwierig und manchmal nur zum Teil erfolgreich die Suche und Auswahl dieses Typs Mitarbeiter bzw. Nachwuchsführungskraft ist. Der Auswahlprozess entspricht einem Management-Assessment-Verfahren. Auf der Basis eines klaren Kriterienkatalogs sowie einiger für Six Sigma Projekte spezifischer Anforderungen und Situationen ist dann von Champions, ggf. dem Quality Leader und Master Black Belts die Bewertung und Auswahl durchzuführen. Wie die Erfahrung zeigt, „rächen“ sich Kompromisse, die man im Hinblick auf das Persönlichkeitsprofil von Kandidaten macht, oftmals sehr schnell in der Weise, dass sie die an sie gestellten Anforderungen in Six Sigma Projekten nicht oder nicht ausreichend gut genug erfüllen. Dabei wiegen Defizite bei den weichen Kriterien häufig schwerer als bei den harten Kriterien. Zumindest im fachlichen und statistischen Bereich können Letztere leichter durch zusätzliche Qualifikationen geschlossen werden. Der Anforderungskatalog zeigt, dass erfolgreiche Black Belts zugleich ein geeignetes Persönlichkeitsprofil für eine Führungstätigkeit aufweisen. Green Belts sind Führungskräfte oder Mitarbeiter, die über ein geringeres Training und damit auch Fachwissen als Black Belts verfügen. Sie arbeiten in Teilzeit an den Six Sigma Projekten mit und werden bevorzugt aus den Reihen des mittleren Managements oder spezialisierter Mitarbeiter rekrutiert. Sie unterstützen die Black Belts besonders in prozess- oder produktspezifischen Fragen. Die weiteren Akteure einer Six Sigma Organisation sind Yellow Belts und White Belts, die als Mitglieder einer Projektgruppe mit Grundkenntnissen in Six Sigma Instrumenten und Verfahren ebenfalls Fach- und Unterstützungsaufgaben übernehmen. Hier gilt: Ihre Anzahl im Unternehmen kann eigentlich nie groß genug sein. Die differenzierte Rollenverteilung in Six Sigma Organisationen mit den unterschiedlichen Profilen ist in Abbildung 2 noch einmal als Übersicht dargestellt. Auf Details des Trainings wird im folgenden Abschnitt genauer eingegangen. Insgesamt wird aus dieser Analyse ersichtlich, dass eine Six Sigma Organisation immer zugleich eine mehrstufige Hierarchie beinhaltet. Auf diese Weise werden
214
Der Einführungsprozess von Six Sigma
auf der einen Seite die zentrale Planung der Struktur von Projekten und Verbesserungsaktivitäten sowie auf der anderen Seite die dezentrale Durchführung von konkreten Six Sigma Projekten organisatorisch umgesetzt. Im Vergleich zu einer „normalen“ Qualitätsmanagement-Organisation zeichnen sich deutliche Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten ab.
Champion / ggf. Sponsor
Profil
Rolle
Training Anzahl
Quality Leader
Master Black Belt
• Führungskraft • Starker Unterstützer von Six Sigma • Prozesseigner
• Obere Führungsebene • Strategisch ausgerichtet • Gutes „Networking“
• Führungsebene • Vertiefte Kenntnis in Methoden und Werkzeugen • Projekterfahrung
• „Herr des Verfahrens“ im Verbesserungsprojekt • Erteilt dem Team den Auftrag • Steuert das Team (control) • Vertritt Ergebnisse im Quality Council
• Leiter der Six Sigma Initiative • Strategische Umsetzung • Disziplinarvorgesetzter der BBs/MBBs • Fachvorgesetzter
• Strategische Umsetzung wichtiger Projekte • Mentor und Coach der BB • Interner Berater und Trainer • Weiterentwicklung der Initiative und Know-how-Transfer • Vollzeit
• In der Regel relativ kurz
• Häufig ehemaliger BB oder MBB
• 4 Wochen (incl. DFSS) • Ständige Fortbildung (Konferenzen)
• 1 je Organisationseinheit • Möglichst jeder Prozesseigner
• Einer pro Unternehmen oder Business Unit
• 1 je 5 BB • Verweildauer mehrere Jahre
Green Belt
Yellow Belt
Profil
• Hohe Fachkompetenz • High Potential/ Führungsnachwuchs • Sicher in Methoden und Werkzeugen
• Fachlich versiert • Akzeptanz bei Kollegen • Bewandert in Methoden und Werkzeugen
• Fachleute/Experten • Erkennen Verbesserungspotentiale • Grundkenntnisse in Six Sigma Projektarbeit
Rolle
• Leitet Verbesserungsprojekte • Trainings und Präsentationen • Vollzeit (für mindestens 2 Jahre)
• Leitet kleine Verbesserungsprojekte • Unterstützt die Initiative • Unterstützt Black Belts • Teilzeit (ca. 25%)
• Mitarbeit in Verbesserungsprojekten • Nutzen einzelner Instrumente • Nach Bedarf freigestellt
• 3-4 Wochen • Eigenes Projekt • Coaching durch MBB
• Zwei Wochen • Eigenes Projekt • Coaching durch BB
• Zwei Tage
• Ca. 1-2% der Mitarbeiter • Zu Beginn zentral
• 1 je NL oder Abteilung • Ca. 2% - max. 5% der Mitarbeiter
• Soviel wie möglich (15%)
Black Belt
Training Anzahl
In Anlehnung an: Wessel, 2002
Abbildung 2: Rollenverteilung in einer Six Sigma Organisation
Armin Töpfer
4
215
Auswahl von geeigneten Six Sigma Projekten
Um ein direktes Andocken von Six Sigma an die Strategie und die Unternehmensziele zu erreichen, ist im Rahmen einer Outside-in Betrachtung zunächst zu klären, was für die Kunden(-gruppen) heute und in Zukunft besonders wichtig ist. Diese Critical to Quality Inhalte (CTQs) kennzeichnen die zukünftigen Erfolgsfaktoren und damit die wesentlichen Inhalte und Ziele der Unternehmensstrategie. In umgekehrter Richtung ist in einer Inside-out Betrachtung daran zu spiegeln, an welchen Geschäftsprozessen angesetzt wird und welche Werttreiber hierbei vor allem zu fokussieren sind. Dies beantwortet zugleich die Frage, welche Problemstellungen in welcher Reihenfolge für Six Sigma Projekte ausgewählt werden. Abbildung 3 skizziert diese zweiseitige Blickrichtung.
Inside-out
+
Outside-in
1 Lieferant
Wertschöpfungsphasen
3 Kunde
Werttreiber
Was sind unsere erfolgsentscheidenden Kernkompetenzen?
Interner Prozess
2
1
Schnittstelle zum Kunden
Wert für Kunden
CTQs als Erfolgsfaktoren Wie erfüllen wir zentrale Kundenanforderungen?
Abbildung 3: Zweiseitiger Fokus bei Six Sigma
Die Auswahl geeigneter Six Sigma Projekte erfolgt in zweierlei Hinsicht: Zum einen im Hinblick auf das Wie, also die zugrunde zu legenden Kriterien; zum anderen im Hinblick auf das Wo, also die Phase des Wertschöpfungsprozesses bzw. der Bereich im Unternehmen. Zunächst wird auf die wesentlichen Kriterien für die Auswahl eingegangen. Trotz der primären Outside-in Betrachtung dominiert bei der Auswahl geeigneter Projekte, welche Wirkungen an Kosteneinsparungen und/oder Umsatzsteigerungen erreichbar sind. Ihnen kommt damit die Funktion eines K.o.-Kriteriums zu. Wie Abbildung 4 zeigt, ist der externe und/oder interne Fokus die Grundlage zur Ein-
216
Der Einführungsprozess von Six Sigma
grenzung von Projekten, die für die Anwendung der Six Sigma Methode geeignet sind. Wesentlich bei den Auswahlkriterien ist jedoch der Wertbeitrag für das Unternehmen, der vor dem Nutzenbeitrag für den Kunden und dem Prozessbeitrag für die Mitglieder der Organisation steht.
Interner Fokus:
Priorisierung/ Kriterien/ Quellen
Externer Fokus: • Voice of the Customer
Interner/ Externer Fokus:
•
Voice of the Process
• Voice of the Market
•
•
Voice of the Employee
• Wettbewerbervergleich
Herausforderungen beim Erreichen der markt- und kundenbezogenen Ziele
Perspektiven • Shareholder: Wertbeitrag • Kunden: Nutzenbeitrag • Management/ Mitarbeiter: Prozessbeitrag Projekt Projekt
Abbildung 4: Beispiel für zweistufigen Projektauswahlprozess
Typischerweise werden folgende fünf Punkte zur strategischen Priorisierung von Six Sigma Projekten bewertet: 1) Erzielbare finanzielle Ergebnisse 2) Positive Wirkungen beim Kunden 3) Erreichbarer Prozessnutzen, und zwar intern im Sinne von Vereinfachung und Beschleunigung, die auch – zumindest indirekt – dem Kunden zugute kommen 4) Anforderungen an Mitarbeiter, insbesondere im Hinblick auf erhöhte Qualifikationen, und last, but not least 5) Change Management, also veränderte Anforderungen bezogen auf notwendige Qualifikationen, verändertes Verhalten, andere Abläufe und organisatorische Umgruppierungen. Da in der Regel die Bewertungen zu den einzelnen Punkten unterschiedlich ausfallen, kommt es darauf an, die Gesamtbewertung so zu interpretieren, dass die Durchführbarkeit des Projektes, die erzielbaren Wirkungen und Ergebnisse sowie
Armin Töpfer
217
damit auch die erreichbare Akzeptanz von Six Sigma und Motivation für weitere Projekte gesichert sind bzw. erhöht werden. Generell empfiehlt es sich auf der einen Seite nicht mit Projekten anzufangen, die so umfassend und schwierig sind, dass sie bisher noch niemand in Angriff genommen hat. Allein vom Zeitaufwand und der Ressourcenbindung sind sie als Einstiegsprojekte in Six Sigma nicht geeignet. Auf der anderen Seite sollten aber auch keine Projekte mit Six Sigma bearbeitet werden, deren Ergebnisse einem als „low hanging fruits“ mehr oder weniger in den Schoß fallen. Hier lohnt der methodische und statistische Aufwand dieser Projektmanagement-Methode nicht und bringt Six Sigma ebenfalls eher in Misskredit. Diese Vorgehensweise für die Auswahl von Projekten soll am Beispiel General Electric illustriert werden (vgl. Garthe 2002, S. 343ff.): Zunächst erfolgte hier die Auswahl von Prozessen mit dem schlechtesten Performance-Niveau, aber mit dem geringsten Ertragsniveau respektive größten Gewinnpotenzial. Durch Six Sigma Projekte sollten Verbesserungen der Prozess-Performance von 1 auf mindestens 3 Sigma, z.B. bei der Kühlschrankproduktion auf den Level von 3,2 Sigma und mehr, erreicht werden. Hieran schloss sich dann die Auswahl und Durchführung von Projekten an, mit denen Prozesse auf einem Sigma-Niveau von 4 auf 5 verbessert werden sollten. In der dritten Stufe erfolgte die Auswahl und Durchführung von Six Sigma Projekten, um Prozesse mit einem Sigma-Niveau von 6 oder mehr zu optimieren, z.B. bei der Herstellung von Flugzeugturbinen oder lebenserhaltenden medizinischen Instrumenten. Die Reihenfolge dreht sich nur um, wenn die letzte Gruppe ein deutlich geringeres Sigma-Niveau aufweisen sollte. Nun zum zweiten Aspekt für die Auswahlentscheidung, nämlich zur Phase des Wertschöpfungsprozesses bzw. dem Organisationsbereich. Die ersten Six Sigma Projekte, z.T. auch Trainingsprojekte, sollten zunächst in der Produktion ansetzen, da hier Qualität i.d.R. einfacher zu messen und zu steuern ist als in F&E oder Absatz/Vertrieb. Nach und nach werden dann alle Unternehmensbereiche in die Six Sigma Aktivitäten einbezogen, d.h. Design for Six Sigma (DFSS) in Forschung und Entwicklung, und DMAIC-Verbesserungsprozesse in Service und Dienstleistungen. Wie aus Abbildung 5 ersichtlich ist, können für Six Sigma Projekte drei Umsetzungsbereiche entsprechend den Stufen der Wertschöpfungskette unterschieden werden. Die ersten Projekte werden immer im eigenen Unternehmen durchgeführt, wie vorstehend beschrieben wurde. Hieran schließen sich Six Sigma Projekte bei Lieferanten an. Dies ist in der Regel mit einer Schulung der Führungskräfte und Mitarbeiter in dem betreffenden Unternehmen verbunden. Die durch Six Sigma Projekte bei einem Lieferanten gestiegene Qualität kommt dem eigenen Unternehmen unmittelbar zugute. Aus diesem Grund ist mit dieser Qualifizierung in Richtung Null-Fehler-Qualität ein direkter Eigennutzen verbunden. Die Six Sigma Qualität beim Lieferanten erleichtert es, im eigenen Unternehmen ein Six Sigma Niveau zu erreichen. Deshalb werden – wie im Fall General Electric – Six Sigma Schulungen für Lieferanten zu einem minimalen Kostenbeitrag angeboten. Die
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Der Einführungsprozess von Six Sigma
erreichten Kosteneinsparungen durch Six Sigma Projekte, die dann aufgeteilt werden, rechtfertigen dies. VA TECH ist beispielsweise ein derartiges Unternehmen, das als GE-Lieferant ein nachgewiesenes Six Sigma/ 6σ-Niveau erreichen musste. Der entsprechende Erfahrungsbericht ist im Kapitel B abgedruckt.
2. Umsetzungsbereich
1. Umsetzungsbereich
3. Umsetzungsbereich
Das eigene Unternehmen F&E
LieferantenUnternehmen
Beschaffung
Produktion
Absatz/ Vertrieb
Logistik Dokumentation
Kunden/ Unternehmen
Organisation Personal/Personalentwicklung
Prozesse beginnen und enden nicht im eigenen Unternehmen, sondern beim Lieferanten-Unternehmen/Kunden Abbildung 5: Drei Umsetzungsbereiche für Six Sigma Projekte
Unter einem anderen Blickwinkel hat dies zur Folge, dass die klassische Lieferantenbeurteilung in Zukunft nicht mehr ausreicht. Ein gefordertes Qualitätsniveau von beispielsweise 98,5 oder 99 % ist bei einer Six Sigma Strategie des Abnehmers – wie an früherer Stelle gezeigt wurde – deutlich zu niedrig. Wenn aufgrund des Technologievorsprungs eines Lieferanten ein Wechsel nicht in Frage kommt, bleibt dem Kunden-Unternehmen nur der Ausweg einer gezielten Six Sigma Qualifizierung des Lieferanten. Für die Lieferanten speziell der Automobilindustrie verschärfen sich die Anforderungen in der Weise, dass der OEM als Abnehmer einen erheblichen Teil des Preis- und Wettbewerbsdrucks auf den Absatzmärkten als Kostendruck auf seine Lieferanten der Beschaffungsmärkte weitergibt. Durch die vom Hersteller geforderten regelmäßigen Preisnachlässe von den Lieferanten verstärkt sich der Handlungsdruck auf dieser Wertschöpfungsebene. So hat beispielsweise DaimlerChrysler von dem Scheinwerferspezialisten Hella als Lieferanten für die nächsten drei Jahre je 6 % Preisnachlass – trotz bestehender langfristiger Verträge – gefordert. Sollten die Rabattforderungen so realisiert werden, dann würde dies Hella – nach internen Berechnungen – ca. € 45 Mio. an Gewinn kosten, fast ein Drittel des Jahresergebnisses 2003. In der Konsequenz wird dieser Systemlieferant versuchen, diesen geforderten Preisnachlass an seine eigenen Lieferanten „weiter zu
Armin Töpfer
219
verteilen“ (vgl. Brors/Freitag 2004, S. 12). Die Notwendigkeit von Six Sigma Projekten wird dadurch offenkundig. Sind sie erfolgreich und bringen erhebliche Kosteneinsparungen, dann sichert dies zugleich Arbeitsplätze am Standort Deutschland. Andernfalls werden viele dieser nicht mehr zu finanzierenden Arbeitsplätze in die neuen osteuropäischen Staaten der Europäischen Union verlagert, und zwar nicht nur vom OEM-Unternehmen, sondern vor allem auch von den Lieferanten. Dramatisch würde sich die Situation dann verschärfen, wenn die Unternehmen in den osteuropäischen Ländern früher und intensiver als in deutschen (Zuliefer-) Unternehmen eine Six Sigma Kompetenz aufbauen und entsprechende Projekte durchführen. Erste Anzeichen hierfür sind bereits deutlich auszumachen, wie aus eigener Erfahrung die Aktivitäten der M+M Six Sigma Akademie belegen. Das Prinzip des Train the Trainer Konzeptes wird bereits in Anfängen umgesetzt. Wie leicht nachvollziehbar, wird sich die Ausfächerung bei einem Roll-Out erheblich steigern lassen. Im dritten Umsetzungsbereich der Abbildung 5 werden Six Sigma Projekte bei (industriellen) Kunden durchgeführt. Ein unmittelbarer Nutzen und Vorteil für das eigene Unternehmen als Lieferant ist dabei nicht gegeben. Indirekt besteht er aber sehr wohl, und zwar in der Weise dass diese Kundenqualifizierung eine nicht zu unterschätzende Maßnahme zur Kundenbindung ist. Zum einen geschieht dies dadurch, dass der Kunde durch das Methoden- und Projekt-Know-how des eigenen Unternehmens beeindruckt werden kann. Zum anderen erhalten die Experten bzw. Six Sigma Trainer des eigenen Unternehmens einen so tiefgehenden Einblick in die Prozesse des Kunden-Unternehmens, dass eine bessere Ausrichtung der eigenen Marktleistungen auf die Kundenanforderungen die direkte Konsequenz ist. Unter diesen Blickwinkeln kommt der Six Sigma Kompetenz des eigenen Unternehmens eine strategische Bedeutung am Markt zu. Speziell General Electric (GE) hat auf der Basis seiner langjährigen und intensiven Six Sigma Vergangenheit eine Initiative entwickelt, um eigenen Kunden mit kostengünstigen, inhaltlich anspruchsvollen und im Ergebnis wirkungsvollen Six Sigma Schulungen eine spezielle Dienstleistung und Unterstützung anzubieten. Für die Kunden-Unternehmen ist dies – insbesondere in der Anfangsphase einer Six Sigma Initiative – eine Garantie, dass nicht nur Statistik und Prozesswissen vermittelt werden, sondern insgesamt eine in sich stimmige und im eigenen Unternehmen umsetzbare neue Unternehmenskultur. 40 % der GE-Kunden wollen diese Qualitäts- und Produktivitätssteigerungs-Initiativen für das eigene Unternehmen in Anspruch nehmen (vgl. Brady 2003, S. 61). Für GE ist dies zugleich eine Chance, viel mehr über die Probleme und Prozesse in den Kunden-Unternehmen zu erfahren und so die eigenen Marktleistungen spezifisch darauf ausrichten zu können. Für die Kunden-Unternehmen würde dies in jedem Fall einen nicht in jeder Hinsicht kontrollierbaren Wissensabfluss bedeuten. Vielleicht ist dies, neben dem zweifellos gültigen Sachverhalt, dass viele
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Der Einführungsprozess von Six Sigma
Kunden-Unternehmen von ihrer Struktur, ihren Prozessen, ihrem Management und ihren Instrumenten noch nicht „Six Sigma reif“ sind, ein Grund dafür, dass 60 % der GE-Kunden dieses Angebot (noch) nicht annehmen.
5
Qualifizierung von Six Sigma Akteuren
Die grundsätzliche Philosophie der Qualifizierung für Six Sigma Projekte geht dahin, dass möglichst viele Mitarbeiter im Unternehmen mit dem Gedankengut dieser Projektmanagement-Methode für Null-Fehler-Qualität vertraut gemacht werden. Entsprechend ihrer Aufgabe und Rolle sowie ihrem Lern- und Erfahrungsfortschritt sind die Qualifizierungsmaßnahmen im Hinblick auf Inhalt und Zeitdauer abgestuft vorzunehmen. Ein zentraler Grundsatz besteht darin, möglichst immer praxisorientiertes Lernen am konkreten Projekt und damit am konkreten Problem zu ermöglichen. Dies sichert einen direkten Transfer der gelernten Methoden und Instrumente in die eigene Unternehmenswelt und fördert insbesondere das Verständnis bezogen auf das vielen Mitarbeitern anfangs wenig vertraute statistische Instrumentarium. Die Zielsetzung, wirkungsvolle und praxisnahe Trainings im Rahmen eines Six Sigma Qualifizierungskonzepts auf breiter Basis durchzuführen, geht dahin, das gesamte Unternehmen möglichst schnell mit Six Sigma Denken und Handeln auf allen Ebenen und in allen Bereichen zu durchsetzen. Im Unternehmen sind dazu vorab folgende Fragen zu klären: •
Welche Qualifizierungsgrade benötigen wir? Dies bezieht sich auf alle Mitarbeiter als Projektbeteiligte, Führungskräfte als Green Belts, Projektumsetzer als Black Belts, Projektcoachs als Master Black Belts sowie Auftraggeber als Champions.
•
In welchen Abteilungen setzen wir wann mit welchen (Trainings-)Projekten an?
•
Wie viel qualifizierte Six Sigma Akteure, insbesondere Green und Black Belts, benötigen wir?
Abbildung 6 zeigt in einer Gesamtschau Beispiele für typische Six Sigma Trainingsinhalte, wie sie von den verschiedenen Akteuren in unterschiedlichem Maße erlernt werden (vgl. Magnussen et al. 2004; Walmsley 1997). Dabei ist leicht nachvollziehbar, dass die Eingangsqualifikation bei der Einführung von Six Sigma in einem Unternehmen deutlich niedriger liegt als in einem späteren Stadium, wenn bereits zahlreiche Six Sigma Projekte durchgeführt wurden, mehrere Wellen an ergänzender und vertiefender Qualifizierung stattgefunden haben und vor allem die Kultur des gesamten Unternehmens durch Six Sigma Wissen geprägt ist.
Armin Töpfer
Inhalt
Manager/ White Champion Belt
Yellow Belt
221
Green Black Master Belt Belt Black Belt
Qualität
x
x
x
x
x
x
Fehlerkosten
x
x
x
x
x
x
Statistische Grundlagen: Normalverteilung, z-Transformation, Fehler pro eine Million Fehlermöglichkeiten (DPMO)
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Hypothesentests, Varianzanalyse
x
x
x
Regressions- und Korrelationsanalyse
x
x
x
Six Sigma Statistik, Sigma, lang- und kurzfristig, Yield Benchmarking Hypothesen
Qualitätsmessung, Progression
x
x
x
x
x
x
Streuung
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Prozessmanagement Design of Experiments (DOE), Quality Function Deployment (QFD)
x
Vollfaktorielle Versuchspläne
x
x
Teilfaktorielle Versuchspläne Fallstudie: Voll- und teilfaktorielle Versuchspläne
x
x
x
Multivariate Analyse, Varianzanalyse, Nicht-Lineare Regression, Taguchi-Methode Fallstudie: Nicht-Lineare Regression
x
x
x
x
x
Fallstudie: Untersuchung, Optimierung, Verifizierung von Variablen
x
x
x
x
x
Statistische Prozesslenkung (SPC)
x
x
x
x
Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA)
x
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Prozessfähigkeit x
Screening experiments, Auswertung, Analyse Was hat ein Black Belt zu tun? Was kann man von einem Black Belt erwarten?
x
Six Sigma global
x
Nicht-Herstellungsprozesse, Regressionsanalyse Statistische Toleranz, Chi2 - Test Weiterführende faktorielle Versuche: Block Design, Reponse Surface Design
isp Be
e iel
x
Einführung in die Six Sigma Anwendung
x
x
x
x
x
x
x
x
x
Rhetorik Teamfähigkeit
x
Kommunikationsfähigkeit
x
Konfliktlösungsfähigkeit
x
Führungsfähigkeit
x
Design for Six Sigma
x x
Taguchi Methode Robust Design
x
Design for Manufacturing
x
Design- und Prozessfähigkeit
Dauer in Tagen
x 2
0,5
2
ca. 10
ca. 20
Mindestens 20
Quelle: Magnusson et al. S. 41;Walmsley S. 3-4
Abbildung 6: Beispiele für Six Sigma Trainingselemente
Unterscheiden lässt sich dabei grundsätzlich das Training von Hard Skills auf der Basis von Qualitätsmanagement-Instrumenten und Statistik-Tools auf der einen Seite sowie von Soft Skills für individuelles Verhalten sowie Team- und Konfliktlösungsfähigkeit auf der anderen Seite. Wie in Abbildung 6 ersichtlich, steigt entsprechend der Rolle und Aufgabenstellung die Qualifizierungsdauer und -tiefe. Im Vergleich zum Kurztraining von
222
Der Einführungsprozess von Six Sigma
Führungskräften/Champions sowie White und Yellow Belts ist die Schulung der Green, Black und Master Black Belts deutlich intensiver. Die typische Black Belt Schulung zum Six Sigma Experten dauert i.d.R. vier Wochen und verteilt sich üblicherweise auf vier Monate. Das Training findet immer an einem konkreten Problem als Six Sigma Schulungsprojekt für jeden Teilnehmer statt. Dies bedeutet, dass jeweils eine Schulungs- und drei Projektwochen in jedem Monat durchlaufen werden. Die Basis und das Gedankengerüst bildet dabei der DMAIC-Zyklus. Das konkrete Problem wird also sowohl in der Schulung als auch in der Projektarbeit in die Phasen Design, Measure, Analyse, Improve und Control zerlegt sowie Stück für Stück der Lösung näher geführt. Neben der Schulung von Qualitätsmanagement- und Statistik-Tools durchläuft jeder Black Belt vor der Zertifizierung ein mindestens dreitägiges Teamführungstraining, das – wie oben angesprochen – vor allem auch seinen persönlichen Präsentations- und Kommunikationsfähigkeiten im Normal- sowie im Konfliktfall dient. Abbildung 7 zeigt ein solches typisches Konzept beispielhaft. Neben der Erklärung der Six Sigma Methodik mit ihren Instrumenten und Werkzeugen geht es also um die Darstellung des Projektvorgehens auf der Basis von DMAIC. Gegebenenfalls wird für Entwickler bzw. Entwicklungsprojekte auch Design for Six Sigma in Verbindung mit dem DMADV-Zyklus trainiert. Auch hier erfolgt das Training anhand von konkreten Projektbeispielen und Problemstellungen des eigenen Unternehmens. Diese Auflistung macht deutlich, dass ein Unternehmen in der Einführungsphase von Six Sigma die umfassende Aufgabenstellung und insbesondere die umfangreichen Trainings nicht ohne externe Unterstützung durchführen und bewältigen kann. Hierfür ist deshalb ein ausgewiesener Partner zu suchen, der entweder als Trainings-/Beratungsgesellschaft oder als Kunde des eigenen Unternehmens über eine hohe Six Sigma Kompetenz verfügt. Letzterer möchte i.d.R. auf diese Weise „seinen“ Lieferanten qualifizieren und unterstützen. Die Kosten für die Six Sigma Qualifizierung im Rahmen des Einführungsprozesses sind nicht zu unterschätzen. Durch die anschließend erzielbaren Wirkungen, die sich im übrigen bereits bei den Schulungsprojekten in einem, wenn auch manchmal bescheidenen erwirtschafteten Net Benefit niederschlagen, rechnet sich jedoch diese Investition in die Qualifizierung der Mitarbeiter und die Veränderungsfähigkeit des Unternehmens. Aus moderner betriebswirtschaftlicher Sicht wird dieses umfassende und ganzheitliche Qualitätsmanagement in seiner KostenNutzen-Relation also nach den Kosten der Übereinstimmung bezogen auf die angestrebte Wertsteigerung beurteilt. Eine Black Belt Ausbildung kostet insgesamt ohne Nebenkosten beispielsweise € 15-25.000 pro Training. Die Kosten für einen Six Sigma Consultant sind ebenfalls beträchtlich und belaufen sich je nach Qualifikation und Erfahrung auf € 2.500 – 7.500 pro Tag. Die Teilnahmegebühr für Fachkonferenzen zu Six Sigma betragen in Europa beispielsweise € 1.000 – 1.500 pro Person und Tag. Die Kosten für ein
Armin Töpfer
223
Management-Training erstrecken sich von € 1.000 – 1.500 pro Person und Tag. GE hat beispielsweise im Jahr 2000 im Gesamtkonzern ca. $ 600 Mio. an Kosten insgesamt für Six Sigma Projekte aufgewendet, dafür aber Einsparungen von $ 3,5 Mrd. erzielt und somit einen Net Benefit von $ 2,9 Mrd. erwirtschaftet. Woche 1
Woche 2
• Six Sigma Einführung • Projekt-Vorstellung • Variation verstehen • Projektstrategie entwickeln • Process Mapping • Ursachen-Wirkungs-Beziehungen • Grafische Methoden • Statistische Methoden • FMEA (verschiedene Methoden) • Messmittelfähigkeit • Prozessfähigkeit • Statistische Prozesskontrolle
• Six Sigma Scorecard • Attributive Messmittel • “Projekt Fortschritt”-Feedback • Hypothesenprüfung • Statistische Testmethoden • Multivariate Analysen • Quality Function Deployment • 5S-Methode • Mistake Proofing • Finanzielle Integration • Mustergröße
Woche 3 • Vertrauensbereiche
Woche 4 • Auto- und Kreuzkorrelation
• Korrelation & Regression • Einführung DOE • Teilfaktorielle Versuche • 2k Faktorielle Versuche • Robuste Designs und Blockbildung • Mittelpunkte • Vollfaktorielle Versuche • Strategien bei der Versuchsplanung • Kontrollpläne • “Projekt Fortschritt”-Feedback
• • • • • • • • • • • • •
Multiple Regression EVOP Analyse mit Ko-Variablen Lean Werkzeuge Die Taguchi Methode “Projekt Fortschritt”-Feedback Solver Six Sigma Toleranzen Monte Carlo Simulation Zusammenfassende DMAIC-Übung Teamführung Konfliktlösung Kommunikation/ Präsentationstechnik
Abbildung 7: Trainingsinhalte für ein 4-wöchiges Black Belt Training auf der Basis des DMAIC-Zyklus
Abschließend soll das Beispiel für die Six Sigma Einführung in einem mittelständischen Industrieunternehmen mit ca. 2.000 Beschäftigen angeführt werden. Das Unternehmen verfügte nach 3 bis 5 Jahren nach der Einführung von Six Sigma über insgesamt •
400-600 Green Belts mit ca. 2.800 Trainingstagen,
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Der Einführungsprozess von Six Sigma
•
60-70 Black Belts mit ca. 1.200 Trainingstagen sowie
•
6 Master Black Belts mit ca. 300 Trainingstagen.
Außerdem haben alle Mitarbeiter eine Einführung in Six Sigma und die Teamarbeit erhalten, die sich auf insgesamt ca. 2.600 Trainingstage belief. Es versteht sich von allein, dass sich diese hohe Investition nur rechnet, wenn deutliche, messbare Verbesserungen erzielt werden. Wie ausgeführt wurde, bedeutet eine Six Sigma Qualifizierung eine konsequente Form von Führungskräftenachwuchstraining. Die Berufs- und Karrierechancen von Black Belts steigen dadurch auch in anderen Unternehmen z.T. erheblich. Dies führt dazu, dass ein erheblicher Fluktuationsgrad bei Black Belts besteht, zumal die Position häufig durch die Ausrichtung am erwirtschafteten Net Benefit gut dotiert ist. Für Unternehmen in der Einführungsphase rechnet es sich deshalb, Black Belts anderer Unternehmen abzuwerben, um damit Kompetenz und Erfahrung zu einem kalkulierbaren Preis zu erhalten und so kurzfristig mit der konkreten Umsetzung von Verbesserungsprojekten beginnen zu können. Dies alles spricht dafür, erfolgreiche Six Sigma Akteure durch Maßnahmen der Mitarbeiterbindung im eigenen Unternehmen zu halten. Dies beinhaltet z.B. Prämienregelungen und Karrierepläne. Im Ergebnis werden so, wie bereits angesprochen, Führungspositionen mit in dieser Weise qualifizierten Mitarbeitern besetzt.
6
Projektsteuerung und Aufbau eines Wissensmanagements
Der erste Schritt für die Steuerung eines Six Sigma Projektes ist eine klare und eindeutige Definition der Projekt Charter bzw. Team Charter. Sie umfasst neben den üblichen Kennzeichnungen und Daten eines Projektes insbesondere folgende Details, wie sie in Abbildung 8 wiedergegeben sind. Projektbezeichnung und inhaltlicher Ansatzpunkt An erster Stelle wird jeweils der Prozess bzw. Wertschöpfungsabschnitt beschrieben, auf den sich das Projekt konzentrieren soll. Hierzu gehört auch eine Kennzeichnung, wie wichtig dieser Wertschöpfungsteil im Rahmen der Geschäftsprozesse des Unternehmens und bezogen auf seine Marktstellung ist. Aufgabenbeschreibung und Projektumfang Auf dieser Basis wird detailliert und aussagefähig beschrieben, welche Problemstellung Anlass für das Projekt ist. Wesentlich hierbei ist, nicht nur zu präzisieren, was im Rahmen dieses Projektes behandelt und gelöst werden soll, sondern – entsprechend der Kepner/Tregoe-Philosophie (1967, S. 211ff.) – vor allem auch,
Armin Töpfer
225
was nicht im Rahmen des Projektes angegangen und gelöst werden soll. Diese zweiseitige Darstellung hilft zum einen, überzogene und damit falsche Erwartungen zu vermeiden. Zum anderen verhindert sie, dass ein Projekt in seiner Laufzeit kontinuierlich „anschwillt“, da weitere damit verwandte Probleme einfach hinzuaddiert werden. Betroffenes Produkt/ Dienstleistung: Black Belt: Champion/Sponsor:
Angestrebte Projekteinsparungen Telefon/Fax: Geschäftsabteilung:
Beginn:
Voraus. Projektabschluss:
Element
Beschreibung
1. Prozess
Um welche Geschäftsprozesse handelt es sich?
2. Projektbeschreibung
Was sind Zweck und Inhalte des Projektes?
3. Ziele
Welche Ziele werden mit dem Projekt verfolgt?
4. Einsparungen in € 5. Teammitglieder 6. Projektumfang 7. Nutzen für Kunden 8. Zeitplan
9. Unterstützung 10. Potenzielle Hindernisse
Projektziele
Einheiten Ausbeute Ausschuss Kapazität
Ausgangssituation
Zielsetzung % PPM
Wie hoch sind die antizipierten Einsparungen? Wie setzt sich das Team zusammen? Welcher Teil des Prozesses wird untersucht? Was sind die Endkunden, was sind ihre Bedürfnisse und welchen Nutzen werden sie sehen? Schlüssel-Meilensteine angeben: Projekt-Beginn: M-Messphase abgeschlossen: A-Analysephase abgeschlossen: V-Verbesserungsphase abgeschlossen: K-Kontrollphase abgeschlossen: Projektabschluss: Wird das Team spezielle Fähigkeiten, Hardware, Proben etc. benötigen? Welche Umsetzungsbarrieren/Stolpersteine sind möglich?
Abbildung 8: Beispiel für eine Projekt Charter/Team Charter
Mit der Problemlösung zu erreichende Ziele Basierend auf den Kundenanforderungen und den abgeleiteten CTQs, einem Benchmarking mit maßgeblichen Wettbewerbern und den Vorgaben der Unternehmensstrategie werden jetzt die konkreten operativen Ziele, aber auch die strategische Relevanz ausformuliert. Hierbei wird deutlich, dass die Qualität der Aufgabenbeschreibung und die Klarheit des definierten Projektumfangs eine wesentliche Grundlage für diese Zielformulierungen sind. Wichtig ist dabei, dass Allgemeinplätze vermieden werden und auch qualitative Zielgrößen über Indikatoren quantifiziert und damit zumindest mittelbar messbar gemacht werden. Mitwirkende und erforderliche Ressourcen Wesentlich ist im Folgenden, dass die unterschiedlichen Ressourcen für die Projektdurchführung und Erarbeitung der Problemlösung abgeschätzt werden. Hierzu gehört zum einen, welche und wie viele Mitwirkende mit welcher Rollenverteilung und Ergebnisbeiträgen erforderlich sind. Zum anderen sind auch Sachressourcen und finanzielle Mittel für das Projekt zu präzisieren. Zusätzlich ist in diesem Teil der Projekt Charter wichtig, auch über Support-Leistungen anderer
226
Der Einführungsprozess von Six Sigma
Organisationseinheiten respektive Experten nachzudenken, sie abzuschätzen und vor allem das Einverständnis der Betroffen frühzeitig einzuholen. Zeitdauer und Meilensteine Eng damit in Zusammenhang steht die Zeitabschätzung und die Angabe wichtiger Etappenziele als Meilensteine. Klar festzulegen ist der offizielle Start- und Endtermin. Dabei ist vor Beginn des Projektes die in amerikanischen Unternehmen üblicherweise gültige Projektdauer von 90 Tagen kritisch zu hinterfragen. Der Grund liegt darin, dass Six Sigma Projekte oft auch den Personalbereich berühren und deshalb in deutschen Unternehmen mit einer höheren Sensibilität hinsichtlich Informationsbehandlung und -weitergabe sowie ggf. Einbeziehung des Betriebsrats vorgegangen werden muss. Das Ziel ist nicht, die Projektdauer unnötig aufzublähen, wohl aber erforderliche Abstimmungsprozesse zeitlich abzuschätzen, um so den definierten Zeitrahmen präziser einhalten zu können. Meilensteine lassen sich an bereits absehbaren inhaltlichen Teilergebnissen festmachen, oder aber an den einzelnen Phasen des DMAIC- bzw. DMADV-Prozesses. Zu erwartende Umsetzungsprobleme Dieser Analyse kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie den prognostizierten inhaltlichen Idealverlauf des Projektes von vornherein hinterfragt und mögliche respektive wahrscheinliche Barrieren bei der Projektdurchführung sowie Umsetzungsprobleme bei der Realisierung der angestrebten Ziele und finanziellen Wirkungen analysiert. Durch diese „Kopfstandtechnik“ ist es möglich, erkannten Schwierigkeiten frühzeitig durch geeignete Maßnahmen entgegen zu wirken. Dem Zeitplan und den gebundenen Ressourcen kommt dies immer entgegen. Zu realisierende Netto-Einsparungen Als finanzielles Ergebnis eines Six Sigma Projektes wird jeweils der zu erreichende Net Benefit innerhalb von 12 Monaten direkt quantifiziert. Diese Berechnung berücksichtigt neben Kosteneinsparungen und den Wirkungen von Umsatz- sowie Gewinnsteigerungen die erforderlichen Ressourcen – dies sind auch die Personalkosten einbezogener Mitarbeiter – und Investitionen für eine erfolgreiche Projektdurchführung. Wird das Erreichen der Ziele eines Six Sigma Projektes durch finanzielle Anreize im Unternehmen gefördert, z.B. durch die Einführung eines Quality-Bonus für Führungskräfte, der sich an den Zielkriterien, wie Kosteneinsparungen, Umsatz- und Renditesteigerung, orientiert, dann sind dies wiederum Kostengrößen, die in das Projektergebnis einzubeziehen sind. Die Zielgröße ist der sich hieraus insgesamt ergebende Saldo. Hierdurch wird zugleich eine klare Aussage über erzielbare Wirkungen eingefordert, die erst ein wirkungsvolles Projektcontrolling mit Messgrößen möglich macht.
Armin Töpfer
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Projektcontrolling Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass hiermit eine gute Grundlage für die Projektsteuerung geschaffen wurde. Jetzt kommt es noch darauf an, aus der Projekt Charter wesentliche Steuerungskriterien und Inhaltsniveaus abzuleiten, diese mit Messgrößen zu „unterfüttern“ und durch ein festgeschriebenes periodisches Reporting zu überprüfen. Um das Controlling zu vereinfachen, kann diese Steuerung mit einer Ampel-Analyse unterlegt werden. Wird sie zugleich ITgestützt durchgeführt, dann sind diese Statusanalysen für alle Projektbeteiligten mit der entsprechenden Zugriffsberechtigung unmittelbar nachvollziehbar. Das Projektcontrolling wird hierdurch effizienter und wirkungsvoller. Abbildung 9 zeigt ein Steuerungschart mit einem einfachen Beispiel, in dem vor allem auch die Abweichungen offengelegt werden.
Projekt Name: Projekt Verantwortlicher: Projekt Beschreibung: Projektziele: Maßnahmen
Green Belt Schulung
Black Belt-Auswahl
Kosteneinsparungen im Produktionsprozess
Erweitertes Qualifizierte Gründe/ Ergebnis/ZielZielwirkung Bemerkung erreichung
Umsetzungsstand
Bewertung
Länge/ im Plan
grün
E: 64 Z: 80
grün
20% Verzögerung
gelb
E: 15 Z: 20
grün
1 Monat Rückstand
gelb
E: 0,6 Mio. t Z: 1,4 Mio. t
rot
Legende:
IT-gestützte Steuerung und Breakthrough-Mentalität
(grün) im Plan (gelb) erfordert zusätzliche Anstrengungen (rot)
Ergebnis gefährdet
E = Erreichtes Ergebnis in Periode Z = Zielgröße für Periode
Abbildung 9: Beispielblatt für IT-gestützte Six Sigma Projektsteuerung mit Ampel-Analyse
Eine generelle Frage in jedem Controlling-Prozess ist die nach der Datenqualität. Sie bezieht sich neben der Richtigkeit der Daten, also ob die Daten die Realität so abbilden, wie sie ist, auf die Vollständigkeit und Aktualität der Daten. Die Daten müssen also die Realität so vollständig wiedergeben, wie die gestellte Aufgabe bzw. das konkrete Six Sigma Projekt und die formulierten Ziele in der Projekt Charter es erfordern. Eine ausreichende Aktualität der Daten ist dann gegeben, wenn Veränderungen der Realität möglichst schnell und umfassend in ihnen gespiegelt wird. Zusätzlich müssen die Daten in sich konsistent sein und – auch in abgeleiteten und verdichteten Daten – keine Widersprüche aufweisen. Ferner
228
Der Einführungsprozess von Six Sigma
müssen sie – im Sinne der Aufgabenadäquanz – in ihrem Inhalt und ihrer Darstellung den Anforderungen an die damit zu bewältigenden betrieblichen Aufgaben im Rahmen des Six Sigma Projektes entsprechen (vgl. Heinrich 1996). Es liegt auf der Hand, dass gerade bei Six Sigma Projekten, die oftmals in der konkreten Situation zum ersten Mal in dieser Weise durchgeführt werden, der Datenqualität eine herausragende Bedeutung zukommt. Dies um so mehr, da auf dieser Grundlage nicht nur der erwirtschaftete Net Benefit des Projektes ermittelt wird, sondern zusätzlich häufig auch finanzielle Anreize an die maßgeblichen Projekt-Akteure bezahlt werden. Das der geforderten Datenqualität vorgelagerte Problem ist dabei nicht selten die Datenverfügbarkeit. Um das Niveau der Datenqualität abzusichern, kommt es darauf an, zum einen die Häufigkeit und Art der Messung zu definieren und zum anderen vor allem auch die personenbezogene Verantwortung festzulegen. Dies hat spätestens in der Measure-Phase eines Six Sigma Projektes zu erfolgen, weil hierdurch der „Härtegrad“ der gesamten verwendeten Daten und damit die Qualität und Transparenz bestimmt werden. Damit soll zugleich vermieden werden, dass im Controlling eines Six Sigma Projektes mehr der Wunsch statt die Wirklichkeit gemessen und kommuniziert wird. Fehler in den Daten müssen dabei nicht bewusst oder fahrlässig entstehen, sondern sie können das Ergebnis einer fehlerhaften Erhebung sowohl der nicht-monetären als auch der monetären Daten sein, oder aber Fehler kommen bei der Aufbereitung des Materials oder der Interpretation durch den Black Belt bzw. der Auslegung durch den Champion zustande. In allen Fällen ist das Ergebnis fatal, da hieraus die falschen Bewertungen und Schlussfolgerungen gezogen werden. Abbildung 10 gibt diese Wirkungsketten wieder. Das ist also, sich ausschließlich in der ersten Spalte der Abbildung zu bewegen und Daten transparent zu dokumentieren, auch wenn sie im Ergebnis nachteilig bezogen auf das angestrebte Projektziel sind. Fehlerhafte Analysen und Fehlinterpretationen – wie in der zweiten Spalte der Abbildung dargestellt – lassen sich insbesondere im Rahmen der statistischen Analysen durch unerfahrene Six Sigma Akteure nicht vollständig vermeiden. Hier kommt dem betreuenden Master Black Belt oder auch Black Belt eine wichtige Funktion zu. Zusätzlich ist dies ein wichtiger Bereich in der Six Sigma Schulung, um derartige ungewollte Datenprobleme zu vermeiden. Es steht außer Frage, dass alle Formen der Täuschung und des Datenmissbrauchs nicht akzeptabel sind. Die Frage ist in jedem Unternehmen und im konkreten Einzelfall, wie hierauf reagiert wird, wenn derartige „geschönte“ Daten entdeckt werden. Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von fehlerhaften Daten – gewollt oder ungewollt – ist nicht von der Hand zu weisen. Im ungewollten Fall hilft nur eine bessere Qualifizierung. Im gewollten Fall des Missbrauchs bis zur vorsätzlichen Fälschung und Lüge wird man dies – auch bei den graduellen Unterschieden – nicht mit dem Satz von Churchill abtun können „Ich traue nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe“. In diesem Falle liegt kein Kavaliersdelikt mehr vor.
Armin Töpfer
Erhebung (Urmaterial)
Daten richtig
Daten fehlerhaft
Aufbereitung des Materials
Richtig
Fahrlässig fehlerhaft
Vorsätzlich gefälscht
Interpretation durch Black Belt
Richtig
Irrig
Bewusst irreführend
Auslegung durch Champion
Richtig
Statistische Arbeit falsch
Statistik missbraucht
Konsequenz
Transparenz erreicht
Ergebnis
Information richtig
Basis: W. Masing 2003
229
Daten gefälscht
Irrig
Lüge
Information falsch
Abbildung 10: Fehlerquellen und Täuschungsmöglichkeiten bei der statistischen Arbeit
Auf der Basis der Principal-Agent-Theorie entspricht diese Situation der Wissensasymmetrie zwischen dem Principal (Champion/Geschäftsleitung), der das Projekt in Auftrag gibt und an den berichtet wird, sowie dem Agent (Black Belt/ Projektmitarbeiter), der das konkrete Projekt und die Datenaufnahme/-analyse durchführt. Das Ziel sollte in jedem Fall sein, eine Misstrauenskultur zu vermeiden. Dennoch sind allerdings Anreize zu schaffen, dass die Daten- und Informationsqualität zutreffend erhoben und reportet wird. Eine allgemeine positive Fehlerkultur im Unternehmen reicht allein nicht aus, denn sie ist die Grundlage, dass Six Sigma Initiativen überhaupt in Gang gesetzt werden. Hier geht es jetzt aber um die Bewertung der erreichten oder nicht erreichten Ergebnisse von Six Sigma Projekten. Kontrollmechanismen mit Plausibilitätsanalysen der Daten und Ergebnisse auf der Ebene des Champions bzw. der Geschäftsleitung als Principal werden unerlässlich sein. Dies sollte auch in entsprechender Weise im Vorfeld im Unternehmen kommuniziert werden. Erfahrungsgemäß kommt es gerade darauf an, bereits in den ersten Projekten eine fehlerfreie Datenerhebung, -aufbereitung und -analyse durchzuführen, die dann als internes Benchmark sowohl in der Schulung als auch in der Projektdurchführung dient. Wissensmanagement Eine wichtige Frage bei der Durchführung von mehreren Six Sigma Projekten parallel und über die Zeit ist, wie die gemachten Projekterfahrungen für zukünftige Vorhaben dokumentiert und damit genutzt werden können. Der Aufbau einer
230
Der Einführungsprozess von Six Sigma
Wissens- bzw. Projekt-Datenbank mit unterschiedlichen Zugriffsrechten ist also eine mehr oder weniger logische Konsequenz jeder Six Sigma Initiative. Dokumentiert werden hierin nicht nur Informationen über einsetzbare Six Sigma Methoden und Erfahrungen als Lessons Learned aus Projekten, sondern insbesondere auch die erarbeiteten Projektlösungen und erkannten Widerstände bzw. Barrieren. Wichtig ist dabei eine einfache und leicht nachvollziehbare Strukturierung, z.B. nach Problembereichen (Gab es ein vergleichbares Problem?), der Bereitstellung von Lösungsansätzen (Sind gute Lösungen entwickelt worden?), der Dokumentation von Ergebnissen (Welche Ergebnisse sind erreicht worden?) und dem Festhalten von Problemen bei der Projektumsetzung (Welche Probleme sind aufgetreten?). In internationalen Unternehmen lassen sich so über eine Web-basiertes Wissensmanagement spezielle Communities of Practice schaffen, auf die vor allem die Green und Black Belts bei ihrer Projektarbeit zurückgreifen können. Die Idealvorstellung ist bestechend, dass nämlich auf diese Weise tacit knowledge zu explicit knowledge wird (vgl. North 2005, S. 43f.). Die Realität sieht in vielen Unternehmen jedoch anders aus. Maßgeblich sind hierfür mehrere Gründe: Zum einen kann ein verdeckter Widerstand der Black Belts bestehen, ihr Wissen in eine derartige Datenbank einzupflegen und damit allen anderen zugänglich zu machen. Karrierechancen und interne Wettbewerbsvorteile können hierdurch beeinträchtigt werden. Zum anderen kann – auch wenn der erste Grund aufgrund der Unternehmenskultur und griffiger Anreize nicht gegeben ist – die Trägheit des Systems und der in ihr handelnden Personen dazu führen, dass die gewünschten Erfahrungswerte nicht in die Wissensdatenbank eingespeist werden. Diese kurzen Ausführungen lassen erkennen, dass gerade auch hierfür klare und wirkungsvolle Anreizkonzepte notwendig sind.
7
Analyse der direkten und indirekten Ergebniswirkungen
Die Schwierigkeit dieser Aufgabenstellung lässt sich aus den bisherigen Ausführungen bereits erahnen. Aus diesem Grunde ist es von zentraler Bedeutung, klare Grundsätze für die Berechnung des Net Benefit festzuschreiben. Dies gilt nicht nur innerhalb eines Unternehmens, sondern vielmehr zwischen den Unternehmen. Denn andernfalls ist ein Benchmarking als Erfahrungsaustausch der Six Sigma Wirkungen in unterschiedlichen Unternehmen und Branchen nicht aussagefähig. Zunächst ist dabei festzulegen, auf welche Zielkategorien sich die nachgewiesenen Wirkungen im Rahmen eines Six Sigma Projektes beziehen sollen. Dies sind zweckmäßigerweise die drei Kategorien Produkt, Liquidität und Erfolg, wie sie in Abbildung 11 wiedergegeben sind. Das Kernziel der Prozessoptimierung ist für die laufende Produktion mit dem DMAIC-Zyklus zu erreichen. Es trifft aber grundsätzlich auch für die Neuproduktentwicklung auf der Basis des DMADV-
Armin Töpfer
231
Zyklus zu, da hierdurch der zukünftige Wertschöpfungsprozess bereits optimal gestaltet wird. 3
Erfolg • Steigerung der Kundenzufriedenheit • Umsatz-/ Gewinnsteigerung • Unternehmenswertsteigerung
1
Prozessoptimierung
Produkt
2
Liquidität
• Reduzierung der Varianten/ der Komplexität
• Verkürzung der Durchlaufzeit/ Time to Market
• Fehlerreduzierung/ Qualitätssteigerung
• Fehlerkostensenkung
• Produktivitätserhöhung
• Erhöhung der Gewinnmarge pro Einheit
Abbildung 11: Ziele von Six Sigma Projekten
Die drei Zielkategorien analysieren bezogen auf das Produkt (1) zunächst die nicht monetären Verbesserungsansätze des Qualitätsmanagements. Bezogen auf die Liquidität (2) werden hierdurch bewirkte monetäre Effekte in ihrer unmittelbaren Wirkung auf eine Verminderung von Auszahlungsströmen und eine Erhöhung von Einzahlungsströmen ermittelt. Die dritte Kategorie, der Erfolg (3), misst sowohl nicht monetäre als auch monetäre Wirkungen, die aber nicht alle in die konkrete Erfolgsmessung und -bestimmung eines Six Sigma Projektes einfließen. Die Basis für die Ermittlung des Net Benefit ist zunächst eine umfassende Analyse aller direkten und indirekten Ergebniswirkungen eines Six Sigma Projekts. Sie sind in Abbildung 12 in ihren wesentlichen Kategorien aufgelistet. Wie hieraus ersichtlich ist, kann die Zuordnung nicht immer einheitlich und eindeutig vorgenommen werden. Dies liegt zum einen daran, dass unmittelbare Kosten entstehen, z.B. für die Six Sigma Qualifizierung von Mitarbeitern. Zum anderen sind jedoch auch mittelbare Kosten im Sinne von Opportunitätskosten zu berücksichtigen, da diese Mitarbeiter während ihrer Trainingszeit ihren originären Aufgaben nicht nachgehen können und beispielsweise als Vertriebsmitarbeiter keine Produkte des Unternehmens verkaufen können. Dies kennzeichnet den quantifizierbaren entgangenen Umsatz und Gewinn.
232
Der Einführungsprozess von Six Sigma
Noch schwieriger wird das Zurechnungsproblem, wenn sich die Aktivität auf eine Kundenbetreuung bezieht und damit der quantifizierbare Nutzen, z.B. in Form vermiedener Abwanderung, deutlich unschärfer ist. In gleicher Weise gilt dies, wenn die Schulung zu einem früheren Zeitpunkt durchgeführt wurde und damals dem entsprechenden Six Sigma Projekt zugerechnet wurde, der qualifizierte Mitarbeiter aber im Weiteren mit deutlich höherem Erfahrungswissen jetzt wirkungsvoller arbeitet. Diese Qualifizierungs- und Wissensinvestition wird demnach nicht über mehrere Jahre und auf unterschiedliche Projekte „abgeschrieben“.
Nutzen
Direkt
o Prozessbeschleunigung/ -vereinfachung o Absatzsteigerung durch bessere Qualität Kapazitätserhöhung = Ausbeute
Erhöhung
Indirekt
o der Kundenzufriedenheit o der Kundenbindung o der Weiterempfehlung o des Images Wiederkauf, Cross Selling, Neukunden Steigerung des Unternehmenswertes
monetärer
Durchführungskosten:
o Weniger Fehlerkosten (intern: Ausschuss) = Qualitätssteigerung o Weniger Gewährleistungskosten (extern: Garantie) o Kosteneinsparung durch bessere Qualität
o Direkte Mitarbeiter-Kosten BB/ MBB/ GB und andere o Sach-/ Umsetzungskosten für Umstrukturierung o Personalkosten o Sachkosten
Verminderung o der Kundenbeschwerden o der Kundenabwanderung
Net Benefit – für 12 Monate
nicht monetärer o Fehlerreduzierung = Qualität steigern
Kosten
Schulungskosten für Six Sigma Qualifikation Kosten der einbezogenen Mitarbeiter betroffener Fachabteilungen = Arbeitszeit/ Personentage als Opportunitätskosten
Abbildung 12: Direkte und indirekte Ergebniswirkungen von Six Sigma
Die beispielhaft benannten Zurechnungsprobleme machen also die oben geforderten klaren „Spielregeln“ unumgänglich. •
Der erste Grundsatz für die Net Benefit Berechnung besteht darin, dass lediglich die Nutzen-Kosten-Komponenten der ersten 12 Monate seit Beginn eines Six Sigma Projektes bzw. der vollen Wirkungsentfaltung berücksichtigt werden. Dabei muss also bereits die eindeutige Regelung getroffen werden, dass der Beginn des Projektes der Stichtag ist. Alle Kosten der Projektdurchführung fließen dann in den Net Benefit in vollem Maße ein. Je länger das Projekt dauert, desto kürzer ist die Restzeit für das „Abernten“ der Projekterfolge. Der Net Benefit würde also deutlich kleiner sein. Vor diesem Hintergrund ist folglich eine differenzierte Zeitschiene sinnvoll: Die Kostenseite wird ab den Projektbeginn berücksichtigt, während die Ergebniswirkungen auf der Nutzenseite erst nach Abschluss des Projekts, wenn also alle Verbesserungsmaßnahmen Wirkung zeigen können, für 12 Monate als Ergebniswirkungen aktiviert werden. Dies ist spätestens der formelle Abschluss des Projektes, es
Armin Töpfer
233
kann aber auch ein früherer Zeitpunkt sein, nämlich dann, wenn zum Ende des Projektes die Verbesserungsmaßnahmen in einer Pilotanwendung bereits umgesetzt wurden und Wirkung zeigen. Erfahrungsgemäß treten hier in der Unternehmenspraxis nicht selten Unschärfen auf, die aber im Interesse eines aussagefähigen Projektcontrollings eindeutig zu klären sind. Die soeben diskutierten Sachverhalte sind in Abbildung 13 graphisch dargestellt. Von unten her beschrieben, ist der gesamte Analysezeitraum für den Net Benefit unterteilt in die Time-lag Dauer, also die Zeitperiode, bei der durch das sechsmonatige Six Sigma Projekt bereits Kosten, aber noch keine Erlöse anfallen. Setzen sie ein (Zeitpunkt t1 oder spätestens t2), dann beginnt die Wirkungsdauer und damit die Periode der 12 Monate Erfolgszurechnung. Dies kann frühestens zum Ende der Improve-Phase des DMAIC-Zyklus sein. Auf diese Weise lassen sich der Kostenentstehungszeitraum klar vom Nutzenentstehungszeitraum des Six Sigma Projektes trennen. T€ 150
100
50
Net Benefit
75
Kumulierte Ausgaben = Liquiditätswirksame Kosten = Projektdurchführungs- und Implementierungskosten
25
Green Dollars
Kumulierte Einnahmen = Liquiditätswirksamer Nutzen = Direkte Kosteneinsparungen und Umsatzsteigerungen
125
0 1
2
3
4
5
6
7
-25
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Monate
Break-Even-Point
-50
Projektbeginn
Erster Termin für Erfolgszuweisung
Projektende
Letzter Termin für Erfolgszuweisung
Erfolgsmesszeitraum Max. 14 Monate
Kostenentstehungszeitraum
Nutzenentstehungszeitraum des Six Sigma Projekts
Max. 6 Monate
Define
12 Monate
Measure Analyse Improve Control
Time-lag-Dauer t0
Wirkungsdauer t1
t2
Net Benefit Analysezeitraum
Abbildung 13: Kosten-Nutzen-Analyse für die Net Benefit Berechnung im Zeitablauf
t3
234
Der Einführungsprozess von Six Sigma
Wie nachvollziehbar ist, setzen nach den kumulierten Ausgaben ab dem fünften Monat die kumulierten Einnahmen ein. Im Einzelfall kann dies auch anders verlaufen, nämlich entsprechend der gestrichelten Linie. Die Ausgaben bzw. liquiditätswirksamen Kosten fallen bis zum Projektende im sechsten Monat an. Die Einnahmenkurve verschiebt sich dann nach unten, so dass der Break-Even-Point des Projektes erst später erreicht wird. Im Extremfall – in der Abbildung aus Vereinfachungsgründen nicht dargestellt – kann die Umsetzung der Verbesserungsmaßnahmen auch mit weiteren Kosten über die gesamte Wirkungsdauer verbunden sein. Die Einnahmenkurve würde ab dem Projektende entsprechend flacher verlaufen. •
Der zweite Grundsatz präzisiert diese inhaltlichen Ausführungen. Er besagt, dass lediglich direkte Kosten und direkte Einsparungen und Ergebnissteigerungen in Umsatz und Gewinn als Nutzen berücksichtigt werden (Savings 1 und 2). In der Abbildung 12 ist dies demnach nur der obere Teil. Die indirekten Ergebniswirkungen im unteren Teil bleiben i.d.R. unberücksichtigt, vor allem weil sie in ihrer Entstehung und Höhe erheblich ungenauer und damit schlechter quantifizierbar sind (Savings 3 und 4). Dies würde einer Manipulation von Projektergebnissen Vorschub leisten, durch die sich jedes Projekt nach Belieben „schönrechnen“ lässt. Entsprechend bleiben also, wie oben angesprochen, Schulungskosten zu einem späteren Zeitpunkt unberücksichtigt. Gleiches gilt oftmals auch für die Kosten der einbezogenen Mitarbeiter von Abteilungen, in denen Six Sigma Projekte durchgeführt werden. Gerade diese Kosten könnten jedoch dem Projekt relativ einfach zugerechnet werden.
Eine teilweise andere Unterteilungsform des monetären Nutzens von Six Sigma Projekten besteht darin, zwischen einer Liquiditätskomponente (Green Dollars) und einer Opportunitätskomponente (Blue Dollars) zu unterscheiden (vgl. Bruhn 1999, S. 75). Während die Green Dollars die direkten Kosteneinsparungen und Ertragssteigerungen bezeichnen (z.B. durch erhöhten Absatz und geringere Fehlerrate), stehen die Blue Dollars für Opportunitätserlöse z.B. aufgrund vermiedener Nacharbeit und geringerer Kundenabwanderung. Dies entspricht grundsätzlich der oben getroffenen Unterscheidung. Abbildung 14 zeigt diese Ermittlung des Net Benefit im Überblick. Einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität der ermittelten Höhe des Net Benefit hat eine verursachungsgerechte Kostenzurechnung bei allen angefallenen Green Dollars. Auf der Einnahmenseite ist dieses Problem z.T. weniger gegeben, da diese Wirkungen über liquiditätswirksame externe Umsätze als Ertragssteigerungen besser zuordenbar sind. Anders sieht es allerdings bereits bei den durch das Six Sigma Projekt bewirkten Kosteneinsparungen aus. Auch vermiedene Kosten erfordern eine verursachungsgerechte Zurechnung. In beiden Fällen besteht – abgesehen von den eindeutig zurechenbaren Einzelkosten – die Lösung nur darin, durch eine Prozesskostenrechnung den Anteil an einzelnen Wertschöpfungsphasen und -aktivitäten zurechenbaren Gemeinkosten deutlich zu reduzieren. Dies ist zugleich ein wesentlicher Beitrag zur Steigerung der Datenqualität, oder anders
Armin Töpfer
235
formuliert, eine nicht vorhandene Prozesskostenrechnung eröffnet die Möglichkeit, im Six Sigma Projekt angefallene Kosten in Gemeinkosten-Blöcken „zu verstecken“. Green Dollars:
Wirkliche
Blue Dollars:
Opportunitätskosten o Vermiedene Fehler-/Fehlerfolgekosten Bsp.: o Kürzere Kapitalbindung o Weniger Kundenabwanderung
Kosten:
o Kosteneinsparungen o Ertragssteigerungen Bsp.: o Weniger Kosten durch Produktfehler o Reduzierte Durchlaufzeit o Erhöhte Verkaufszahlen o Eingespartes Personal
o Projektdurchführung o Personal o Infrastruktur o Zuarbeit von Unternehmen
Berücksichtigung Berücksichtigung der gemessenen Ergebnisse Ergebnisse für für 12 12 Monate Monate als als Projekterfolg Projekterfolg Abbildung 14: Ermittlung des Net Benefit
Im Detail geht es also darum, Strukturkosten der handelnden Personen im Rahmen von Stellen und Abteilungen über die Analyse und Zurechnung einzelner Aktivitäten und Leistungen im Wertschöpfungsprozess verursachungsgerecht aufzuteilen. Die einzelnen Aktivitäten werden auf ihren Wertschöpfungsbeitrag geprüft und dann in Teilprozessen zusammengefasst. Diese werden anschließend zu Hauptprozessen aggregiert. Zu jedem Hauptprozess, noch besser auch zu jedem Teilprozess muss dann ein Kostentreiber ermittelt und zugeordnet werden, um so die Kostenwirkungen unmittelbar über eine Bezugsgröße erfassen und steuern zu können. Hilfreich ist auch in Six Sigma Projekten unter diesem Blickwinkel die Aufteilung der Prozesskosten in leistungsmengeninduzierte Kosten und in leistungsmengenneutrale Kosten. Im ersten Fall ist eine direkte Zurechnung möglich, die den Teilbzw. Grenzkosten zugeordnet werden. Im zweiten Fall ist i.d.R. eine Schlüsselung notwendig, so dass sich die Datenqualität im Vergleich zu einem hohen Anteil geschlüsselter Gemeinkosten nur teilweise verbessert (vgl. Töpfer/Effenberger 1996, S. 179ff.). In der Fortführung dieses Gedankens lassen sich auch die Fehlerkosten, die in Prozessen entstehen, dieser Zweiteilung unterziehen. Man kann dann also fehlermengeninduzierte Kosten und fehlermengenneutrale Kosten unterscheiden. Im ersten Fall besteht eine direkte Abhängigkeit zwischen dem ange-
236
Der Einführungsprozess von Six Sigma
strebten Qualitätsniveau und den erforderlichen Kosten zur Fehlerbeseitigung. Dies ist der typische Ansatz für Six Sigma Projekte. Im zweiten Fall verändern sich die Kosten nicht bzw. kaum in Abhängigkeit von der Anzahl auftretender Fehler. Auf der Basis einer Tätigkeitsanalyse kann durch die anschließende Prozessanalyse eine Prozesskostenrechnung direkt aufgesetzt werden. Die Prozesskostenrechnung ist damit ein unmittelbarer, wichtiger Baustein einer Six Sigma Initiative. Zugleich erlaubt sie aber wiederum die oben beschriebene Verbesserung der Datenqualität, um so die in Six Sigma Projekten vollzogene Prozessoptimierung in ihrer Wirkung besser ermitteln und nachweisen zu können. Das Ergebnis ist, dass immer mehr Wertschöpfung und immer weniger Blindleistung im Unternehmen existiert. Eine wesentliche und bisher noch nicht beantwortete Frage ist die, wie groß der Net Benefit eines Six Sigma Projektes, also die Ergebniswirkungen innerhalb von 12 Monaten abzüglich der Kosten, als absoluter Betrag in Euro sein soll bzw. in der Praxis ist. Da das Ziel darin besteht, schnelle nachhaltige Projektergebnisse sicherzustellen, wird die durchschnittliche Ersparnis pro Projekt von ca. 6 Monaten in größeren Unternehmen – wie bereits an früherer Stelle angesprochen – mit ca. € 125.000 beziffert. Dies gilt allerdings nicht für die Trainings- und Einführungsphase. In diesem Zeitraum bringen Projekte oftmals nicht mehr als € 25.000 Netto-Erlöse. Auch hier ist generell so vorzugehen, dass die Verbesserungsprojekte mit dem höchsten Nutzen (Kosteneinsparungen und Umsatzsteigerungen) und einem mittleren Schwierigkeitsgrad zuerst umzusetzen sind. Die Trainingskosten lassen sich so zu einem nicht unerheblichen Teil bereits decken. Unabhängig von allen diesen Problemen der Ermittlung und Zurechnung von Ergebniswirkungen darf das grundsätzliche Ziel von Six Sigma Projekten nicht aus dem Auge verloren werden. Es besteht darin, aufgrund einer höheren Qualität und einer besseren Erfüllung der Kundenanforderungen den Kundennutzen zu steigern mit der Folge höherer Kundenzufriedenheit, die sich dann über mehrere Wirkungsschleifen in Umsatzsteigerungen und Kosteneinsparungen niederschlagen. Erst dies alles führt zu einer nachhaltigen Erhöhung des Unternehmenswertes als oberstem Ziel. Dabei ist eines offensichtlich: Der Shareholder will keine Erhöhung des Sigma-Niveaus, sondern eine Erhöhung der Rentabilität. Dies setzt aber zugleich folgende Erkenntnis voraus: Anteilseigner und Investoren verstehen den Zusammenhang in einem Unternehmen, dass nämlich ein höheres Sigma-Niveau die Rentabilität des Unternehmens steigert. Im Zeitablauf sind diese Wirkungen allerdings nicht gleich groß. Am Anfang besteht die Chance zu großen Net Benefits, da ein hohes Verbesserungspotenzial im Sinne der bereits angesprochenen low hanging fruits existiert. Oftmals sind diese aufgrund fehlender Methoden und Projekterfahrung jedoch nicht ohne Weiteres „aberntbar”. Dadurch wird das Anfangsniveau der realisierbaren Net Benefit Größen wieder reduziert.
Armin Töpfer
237
Hinzu kommt als weiteres Phänomen der abnehmende relative Nutzen von Six Sigma Projekten. Das Potenzial an Restrukturierungs- und Rationalisierungsreserven wird mit zunehmender Anwendung von Six Sigma kleiner. Je länger also die Durchführungsdauer ist, desto geringer werden aufgrund dieser Überlegungen die realisierbaren Net Benefit Beträge. Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen und alle seine Mitglieder in der Lage sind, kontinuierlich zu lernen. Zugleich bedeutet dies, Qualitätsprobleme nicht nur wirkungsvoller zu lösen, sondern in zunehmendem Maße von vornherein zu vermeiden. Denkt man diesen Gedanken zu Ende, dann führen intensive Six Sigma Aktivitäten dazu, dass dieses forcierte Qualitätsmanagement sich mit der Zeit selbst überflüssig macht. Wenn allerdings – wofür in der betrieblichen Praxis einiges spricht – aufgrund wechselnder Akteure, neuer Mitarbeiter, veränderter Organisationen und Prozesse sowie innovativer Technologien und neuer Produkte ein bestimmtes Fehlerniveau in konstanter Regelmäßigkeit auftritt, dann hat Six Sigma seine längerfristige Aufgabe und Berechtigung.
8
Literatur
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Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation von GE Capital Rainer von Hagen
Inhalt 1 2 3 4 5 6
1
Vorstellung der Six Sigma Organisation bei GE Capital ...........................................239 Besonderheiten eines Six Sigma Programms.............................................................240 Aufgabenbereiche ausgewählter Funktionsträger ......................................................241 Six Sigma Anforderungen an die Quality Teams ......................................................242 Chancen und Risiken der Six Sigma Organisation ....................................................245 Rollenverteilung als Erfolgsfaktor von Six Sigma.....................................................248
Vorstellung der Six Sigma Organisation bei GE Capital
Die Ausführungen in diesem Artikel beziehen sich in erster Linie auf die Organisation, die GE Capital für die Durchführung seines Six Sigma Programms gewählt hat. Die hier vorgestellte Organisation verfügt sicherlich über eine der umfassendsten Six Sigma Strukturen, die für die Umsetzung einer solchen Initiative jemals gebildet wurde. Aus diesem Grund scheint sie sehr gut geeignet, die unterschiedlichen Aspekte hinsichtlich Rollen- und Aufgabenverteilung in „Six Sigma Unternehmen“ zu analysieren und zu bewerten. Die Gestaltung einer adäquaten Unternehmensorganisation, in der Six Sigma Aufgaben uneingeschränkt wahrgenommen werden können, stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die Ein- und Durchführung von Six Sigma dar. Unabhängig von der spezifischen Ausprägung der Aufbauorganisation eines Unternehmens ist es erforderlich, die Aufgaben folgender Funktionsträger eindeutig festzulegen: Steuerungsgruppe (Lenkungsgremium), Top-Management (Führungskräfte), Quality Team und Mitarbeiter (vgl. auch Abbildung 1). Auf Basis der in Abbildung 1 dargestellten Organisationsstruktur von GE Capital werden im Folgenden die Grundzüge einer funktionierenden Six Sigma Organisation herausgearbeitet. Ziel ist es, dem Leser bzw. Entscheidungsträger eines Unternehmens zu verdeutlichen, welche spezifischen Strukturen und organisatorischen Anforderungen Voraussetzung für die Durchführung eines Six Sigma Programms sind. Gleichzeitig wird dargelegt, welche Erfolgsfaktoren für eine Six Sigma Organisation sprechen und wo ggf. Unterschiede zu anderen Qualitätsinitiativen bestehen.
240
Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation von GE Capital
Steuerungsgruppe auf Vorstandsebene Business Quality Council
Top-Management o Visionär o Six Sigma Vorstand o Champion
Quality Team o o o o o
Quality Leader Master Black Belts Black Belts Green Belts Quality Analyst
Mitarbeiter o Team-Mitglieder
Abbildung 1: Grundstruktur der Six Sigma Organisation von GE Capital
2
Besonderheiten eines Six Sigma Programms
Eine der Besonderheiten von Six Sigma im Vergleich zu anderen Qualitäts- bzw. Veränderungsinitiativen ist sicherlich der rigorose Projekt- bzw. Maßnahmenbezug. Dies zeigt sich vor allem an der Struktur sowie Aufgabenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation. Während die konkrete Arbeit an Verbesserungsprojekten die unterschiedlichen Funktionsträger in der Projektorganisation vereint, macht gerade die Mischung aus Teil- und Vollzeitbeschäftigten die Durchschlagskraft eines Six Sigma Programms aus. Entsprechend der Funktionsstruktur üblicher Qualitäts- bzw. Projektorganisationen sind die Six Sigma Rollen wie folgt verteilt: Zum einen werden die Black und Green Belts im Rahmen des Quality Teams als Projekt- bzw. Teilprojektleiter in Voll- und Teilzeitbeschäftigung geführt. Zum anderen entspricht die Funktion des Quality Leaders der des klassischen Qualitätsbeauftragten, der – full time – neben der Betreuung von Six Sigma Projekten auch andere Aufgaben im Unternehmen wahrnimmt (vgl. Abbildung 2). Mit dem Visionär soll schließlich noch eine Position der Six Sigma Organisation hervorgehoben werden, die in der Person von Jack Welch (ehem. CEO von GE) einen einzigartigen Repräsentanten hatte. Während viele Qualitäts- bzw. Veränderungsinitiativen daran leiden, dass häufig die strategische Ausrichtung und damit die Akzeptanz beim Top-Management fehlt, stellte sich der GE-Konzernlenker von Beginn an an die Spitze der Bewegung. Er machte unmissverständlich deutlich, was Six Sigma für das Unternehmen und damit jeden einzelnen Mitarbeiter bedeutet:
Rainer von Hagen
241
„Die Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen soll so einzigartig und so wertvoll für unsere Kunden und deren Geschäftserfolg sein, dass die Entscheidung für General Electric die einzig logische ist.” (J. Welch) Analog dem Vorgehen bei GE sollten die Aufgaben des Lenkungsgremiums einer Six Sigma Initiative unmittelbar auf Vorstands- und Geschäftsführungsebene wahrgenommen werden. Sie dürfen nicht delegiert werden, um insbesondere die nachfolgend aufgeführten Zielsetzungen einer Six Sigma Organisation nicht zu gefährden: •
Durchdringung der gesamten Unternehmensorganisation mit Six Sigma
•
Einleitung kontinuierlicher Veränderungsprozesse auf operativer Ebene
•
Verbindung des Top-Down- und Bottom-Up-Ansatzes zur zielgerichteten Steuerung des Verbesserungsprozesses
•
Konsequente und einheitliche Ausrichtung auf die Prozesse und Kunden.
3
Aufgabenbereiche ausgewählter Funktionsträger
Um die Rollen der einzelnen Funktionsträger einer Six Sigma Organisation zu spezifizieren, werden nachfolgend ausgewählte Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungsbereiche bei GE dargelegt. Dabei werden unabhängig von der konkreten Aufgabenverteilung, dem Umfang des Programms, der Unternehmensgröße und -organisation folgende Hauptaufgaben an die Entscheidungsträger gestellt: •
Konzeption und Steuerung des Six Sigma Programms
•
Training und Anwendung von Six Sigma Methoden
•
Definition und Durchführung von Six Sigma Projekten
•
Prozessspezifische und fachliche Projektunterstützung
•
Umsetzung von Six Sigma Projektergebnissen.
In verschiedenen Unternehmen werden die oben genannten „Hauptaufgaben“ in unterschiedlicher Intensität und Komplexität wahrgenommen bzw. erfüllt. Jedoch hat sich in diesem Zusammenhang gezeigt, dass die Einhaltung der Steuerungs-, Trainings- und Projektaufgaben zum Erfolg von Six Sigma maßgeblich beitragen. Die Zuordnung von Aufgabenbereichen zu Funktionsträgern lässt sich mit Hilfe einer sog. Aufgaben-Kompetenz-Matrix darstellen. Eine solche Matrix ist in der folgenden Abbildung 2 für die Six Sigma Organisation bei GE Capital zu sehen. Die Zuordnung der Aufgaben ist nicht „starr“ und kann von Projekt zu Projekt sowie von Unternehmen zu Unternehmen variieren. Zum Beispiel hängt die Abgrenzung der Aufgaben- bzw. Kompetenzbereiche der Master Black Belts und Black Belts von den zugrundeliegenden Unternehmensstrukturen ab. Entscheidend
242
Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation von GE Capital
ist hierbei die Priorisierung der einzelnen Bereiche (Prozesse), in denen Verbesserungen erzielt werden sollen. Dabei kann die Zuordnung der Six Sigma Funktionsträger sowohl prozessorientiert und bereichsübergreifend als auch standortgebunden und regional begrenzt erfolgen. Die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche von Master Black Belts und Black Belts bei GE Capital sind in Abbildung 3 detailliert aufgelistet.
Rolle Aufgabe
Black Belt (full time)
Konzeption/ Steuerung v. Six Sigma
Six Sigma Methodik u. Training
D
Master Black Belt (full time)
Champion (part time)
Quality Analyst (full time)
Quality Leader (full time)
M
(M)
M
D
D, M
M
Durchführung von Six Sigma Projekten
D
D, M
(M)
Prozessspezifische Unterstützung
M
D, M
D
Ergebnisumsetzung
D, M
D, M
(M)
Legende: D = Durchführung (Hauptverantwortung) M = Mitwirkung (Teilverantwortung für best. Inhalte)
M
M
(M) = Unterstützung (politisch / strategisch)
Abbildung 2: Aufgaben-Kompetenz-Matrix von GE Capital
Für die Umsetzung von Six Sigma Projekten ist das horizontale und vertikale Zusammenwirken der einzelnen Funktionsebenen entscheidend. Ausgehend von einem Lenkungsgremium (Business Quality Council) werden die Verantwortungsbereiche entsprechend dem Top-Down-Prinzip verteilt und koordiniert. In Anlehnung an Abbildung 1 ergeben sich dabei insgesamt fünf Entscheidungsebenen, die am Beispiel einer komplexen Teilinitiative dargestellt werden sollen (vgl. Abbildung 4).
4
Six Sigma Anforderungen an die Quality Teams
Die Voraussetzungen für die Übernahme einer Six Sigma Aufgabe sind zum einen durch das Unternehmen selbst zu schaffen. Dazu sind sowohl strategische als auch strukturelle Anforderungen zu erfüllen. Strategische Voraussetzungen sind z.B. die Bestimmung einer „Projektvision“, die Abgrenzung der Maßnahmenumfänge sowie die Festlegung eines Zeithorizonts.
Umsetzung der Projektergebnisse: • Unterstützung des Projektteams bei der Überwindung von Widerständen (fachl., methodische u. politische) • Information des Top-Managements und des Lenkungsgremiums (Vorstand)
Prozessspezifische und fachliche Unterstützung: • Anforderungen an die Prozesse ermitteln u. erkennen • Prozessschritte hinterfragen u. „Gemeinsame Sprache“ entwickeln (Best Practice Sharing)
Durchführung von Six Sigma Projekten: • Projektdefinition und Kalkulation der Ergebnisse • Mitwirkung bei Black Belt- u. Teammitglieder-Auswahl • Ermittlung notwendiger Ressourcen • Bestimmung der strategischen Projektausrichtung
Anwendung der Six Sigma Methodik: • Fortschritt-Reviews und Beratung des Projektteams • Durchführung von Trainings • Anwendung statistischer Verfahren
Konzeption u. Steuerung des Six Sigma Programms: • Leitung komplexer (Teil-)Initiativen (10-15 Projekte) • Abstimmung mit anderen Unternehmensaktivitäten
Master Black Belt
Umsetzung der Projektergebnisse: • (Mit-)Entwicklung des Implementierungskonzepts • Unterstützung beim „Roll-Out“ der Projektergebnisse • Durchführung von mitarbeiterorientierten Trainings
Prozessspezifische und fachliche Unterstützung: • Anforderungen an die Prozesse ermitteln • Einbindung von Kunden und Lieferanten • Prozessteilschritte hinterfragen
Durchführung von Six Sigma Projekten: • Mitwirkung bei der Projektdefinition und Teamauswahl • Ermittlung notwendiger Ressourcen für ein Projekt • Leitung des Projektteams/Durchführung der Projekte • Methodische und fachliche Mitwirkung • Sicherstellung des Projektfortschritts • Information des Champions und Master Black Belts
Anwendung der Six Sigma Methodik: • Durchführung von Trainings • Anwendung der Six Sigma Methodik • Einsatz statistischer Verfahren
Black Belt
Rainer von Hagen
Abbildung 3: Aufgabenbereiche von Master Black Belts und Black Belts
243
244
Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation von GE Capital
Six Sigma Projekte
Lenkungsgremium
Optimierung administrativer Prozesse
Champion
Master Black Belt
Black Belt
Prozessoptimierung Finanz- und Rechnungswesen
Optimierung Forderungen
Optimierung Rechnungsstellung
Zentrale DebitorenBuchhaltung
Optimierung KreditorenBuchhaltung
Green Belt Team-Mitglied
Abbildung 4: Leitungsstruktur am Beispiel einer komplexen Six Sigma Initiative
Hingegen betreffen strukturelle Projektvoraussetzungen die Integration in das Zielsystem des Unternehmens und das Personalentwicklungskonzept sowie die Schaffung von Akzeptanz und Anreizmechanismen. Darüber hinaus sind die Fähigkeiten und Erfahrungen der potenziellen Six Sigma Führungskräfte zu berücksichtigen. Sie sind ggf. durch zielgerichtetes Training bzw. Coaching im Vorfeld zu erweitern. Die organisatorischen Voraussetzungen, die ein Unternehmen schaffen muss, sind deshalb so wichtig, weil sich daraus die Bedeutung der Six Sigma Initiative direkt ablesen lässt. Nur wenn die enge Verzahnung mit den Unternehmenszielen gegeben ist, kann das Gesamtvorhaben erfolgversprechend sein. Für potenzielle Kandidaten stellt es gleichzeitig einen Anreiz dar, eine Aufgabe im Six Sigma Programm, insbesondere im Quality Team, zu übernehmen. GE hat beispielsweise die Übernahme einer Funktion in der Six Sigma Organisation zur Voraussetzung für die weitere Karriereentwicklung von Managern gemacht. Außerdem wurden variable Gehaltsbestandteile an die erfolgreiche Mitarbeit bzw. Unterstützung bei Six Sigma Projekten gekoppelt. Um geeignete Kandidaten für die Mitarbeit in einem Quality Team zu gewinnen, sollten zunächst die Anforderungen an das Team eindeutig formuliert werden. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um unternehmensinterne oder -externe Kandidaten handelt. Je nach Größe des Unternehmens und Verfügbarkeit von Kandidaten kann die „gesunde Mischung“ aus Internen und Externen entscheidend für den
Rainer von Hagen
245
Erfolg von Six Sigma sein. Die folgende Abbildung 5 zeigt die vier Anforderungsfelder, die ein Quality Team bei GE Capital zu erfüllen hat.
Führungfähigkeiten/ Beratungskenntnisse o o o o o o
o o o o o
Strategische Kenntnisse
Führungsverantwortung o Identifizierung von Chancen zur Management/Motivation von Teams Geschäftserweiterung und UmsatzErgebnisorientierung entwicklung Analytische Methoden und Werkzeuge o Auf- und Ausbau von KundenbeUmsetzung von Konzepten ziehungen Kommunikation und o Entwicklung von Märkten und Beziehungsmanagement Marktpositionen
Projekt(leiter-)kenntnisse
Fachkenntnisse
Projektmanagement Qualitätsmanagement Mitarbeit in Projekten Flexibilität und Anpassungsfähigkeit Ergebnisorientierte Steuerung
o Fachwissen - Ingenieur- u./o. betriebswirtschaftliches Spezialwissen - Produktion, Service, Administration - Vertrieb, Finanz- und Rechnungswesen - Personal-/Organisationsentwicklung
Abbildung 5: Anforderungsprofil an ein Six Sigma Quality Team
Auf Basis des in Abbildung 5 dargestellten Anforderungsprofils sind die Fähigkeiten bzw. Kenntnisse der einzelnen Mitglieder des Quality Teams näher zu spezifizieren. In Abbildung 6 sind im Rahmen einer sog. Anforderungen-Rollen-Matrix die Einzelanforderungen den Six Sigma spezifischen Führungsrollen gegenübergestellt. Dabei können die Anforderungen an die Teammitglieder projektspezifisch variieren, insbesondere wenn Funktionen wegfallen oder in Personalunion wahrgenommen werden.
5
Chancen und Risiken der Six Sigma Organisation
Mit der Einführung von Six Sigma und der Neustrukturierung von Organisationen sind sowohl Chancen als auch Risiken für das Unternehmen verbunden (vgl. Abbildung 7). Um nicht Gefahr zu laufen, mit der Frage nach dem Geheimnis von Six Sigma ins „Mystische“ abzugleiten, sollen im Folgenden positive wie negative Aspekte systematisch untersucht werden. Als Teil der Einführung eines Six Sigma Programms können mit der Implementierung einer eigenständigen Six Sigma Organisation gleich mehrere Chancen verbunden sein.
246
Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation von GE Capital
Rolle Anforderung
Quality Analyst
Green Belt
Black Belt
Strategische Kenntnisse (U.-entwickl.)
Master Black Belt
Quality Leader
(9)
9
Führungsfähigkeiten
(9)
9
9
Beratungskenntnisse
(9)
9
9 Legende:
Projekt(leiter-)kenntnisse
(9)
(9)
9
9
9
Fachkenntnisse (Prozess)
9
9
9
9
9
9 ... verbindlich (9) ... projektspezifisch
Abbildung 6: Anforderungen-Rollen-Matrix für ein Quality Team
a)
Eine Six Sigma Organisation ist durch die projekt- und aktionsspezifischen Kapazitäten originär auf die Erzielung von (finanziellen) Ergebnissen ausgerichtet. Es werden Ressourcen „freigestellt“, um Verbesserungen zu erzielen, die, vorsichtig geschätzt, mindestens € 100.000 pro Black Belt Projekt betragen.
b) Das Commitment und die Einbindung des Managements gelten als wichtige Voraussetzung für die Durchführung einer Six Sigma Initiative. Sie sind eine der Triebfedern für die rigorose Implementierung von Verbesserungsmaßnahmen. Dabei ist Six Sigma keine rein „akademische Übung“, sondern vielmehr eine durch den Praxisbezug allgemein anerkannte Qualitätsinitiative. c)
Für die Optimierung der Kundenbindung eines Unternehmens wird mit Hilfe der Definition und Messung von Kundenanforderungen ein breites Potenzial geschaffen. Durch unternehmensexterne Projekte und eine „Outside-In“ Sichtweise werden alle Unternehmensprozesse auf die Erfüllung von Kundenanforderungen ausgerichtet.
d) Ergebnisorientierung der Projekte sowie konsequentes Controlling der erzielten Verbesserungen sind gute Voraussetzungen für die Etablierung einer unternehmensweiten Six Sigma Philosophie. Durch den Einsatz spezieller Funktionsträger in der Projektorganisation, z.B. Quality Analyst oder Champion, wird gewährleistet, dass Verbesserungen nicht nur erarbeitet, sondern auch wirklich „gelebt“ werden.
Rainer von Hagen
Chancen
247
Risiken
a)
Erzielung von messbaren Ergebnisverbesserungen
a)
Ausbildungs- und Rekrutierungskosten
b)
Akzeptanz und Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen
b)
Unternehmensspezifische Rollendefinition und -zuordnung
c)
Optimierung von Kundenbindungen
c)
Effiziente Zusammensetzung des Quality Teams
d)
Nachhaltigkeit des Verbesserungsprozesses
d)
Integration des Six Sigma Teams im Unternehmen
Abbildung 7: Überblick über Chancen und Risiken der Six Sigma Organisationen
In der Konsequenz und Rigorosität einer Six Sigma Initiative, die sich z.T. in massiven organisatorischen Veränderungen äußert, liegt eine Reihe von Risiken begründet, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. a)
Die Investitionen in die Rekrutierung und Ausbildung der Mitglieder einer Six Sigma Organisation sind oftmals erheblich. Zum Beispiel betrugen die Six Sigma Investition bei GE im Jahr 1999 550 Mio. US-$. Diesem Betrag steht jedoch im gleichen Zeitraum ein projektorientierter Ertrag i.H.v. 2 Mrd. US-$ gegenüber. Weiterhin sind mit einer Six Sigma Initiative im Allgemeinen hohe laufende Kosten verbunden, wie z.B. Personalkosten für hochqualifizierte Führungskräfte. Nur mit der Bereitstellung notwendiger zeitlicher Ressourcen für einen Champion, Master Black Belt, Quality Leader etc. lassen sich die erwarteten Ergebnisse des Programms realisieren.
b) Die unternehmensspezifische Definition und Zuordnung der Mitglieder des Quality Teams ist ein wesentlicher Faktor für das Gelingen einer Six Sigma Initiative. Die Anlehnung an die regionale Unternehmensstruktur und/oder der direkte Bezug zu den Geschäftsprozessen sind in diesem Zusammenhang wünschenswert. Auch ist die effektive Nutzung der fachlichen Kompetenzen von Master Black Belts und Black Belts essentiell für den Erfolg von Six Sigma. Nicht zuletzt wird durch eine unternehmensspezifische Rollenverteilung die effiziente Projektdurchführung und konsequente Implementierung von Verbesserungsvorschlägen sichergestellt. c)
Hinsichtlich der Größe und rollenspezifischen Zusammensetzung von Six Sigma Teams lassen sich unterschiedliche Maßstäbe bzw. Kennzahlen finden. Für die Größe eines Quality Teams werden in der Regel 1,5 bis 2,5 % der Mitarbeiterzahl des entsprechenden Unternehmens veranschlagt. Die Zusam-
248
Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation von GE Capital
mensetzung und Rollenverteilung im Team sollte mit unternehmensspezifischen Aufgabendefinitionen hinterlegt werden. Dabei gilt es, den Grat zwischen interner Rekrutierung und externer Unterstützung auszuloten, um insbesondere den Faktor „Betriebsblindheit“ zu minimieren. Für kleine und mittlere Unternehmen bietet es sich an, Schlüsselpositionen in einem Six Sigma Team mit externen Beratern zu besetzen. d) Das Quality Team hat in einem Six Sigma Unternehmen die wichtige Funktion des „Bindeglieds“ zwischen verschiedenen Hierarchieebenen. Wichtig ist hierbei, dass das Quality Team von den verschiedenen Unternehmensebenen als Projektorgan akzeptiert wird. Dazu sind nicht nur die fachlichen und sozialen Kompetenzen der einzelnen Teammitglieder relevant. Vielmehr ist für die Erzielung positiver Projektergebnisse die Erfüllung strategischer und struktureller Anforderungen seitens des Unternehmens entscheidend. In diesem Zusammenhang steht u.a. die Forderung nach einem Personalentwicklungsplan, um den Teammitgliedern eine Karriereperspektive nach ihrer „Six Sigma Zeit“ zu geben. Damit wird nicht zuletzt das latente Risiko der Mitarbeiterfluktuation innerhalb des Quality Teams minimiert.
6
Rollenverteilung als Erfolgsfaktor von Six Sigma
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in der Rollenverteilung einer Six Sigma Organisation ein wichtiger Erfolgsfaktor liegt. Im Mittelpunkt des Six Sigma Programms von GE Capital steht das Quality Team, das mit den wichtigen Führungsrollen Quality Leader, Master Black Belts, Black Belts und Quality Analyst besetzt ist. Damit die unterschiedlichen Funktionsträger ihre zugedachte Rolle mit Erfolg ausfüllen können, ist das Quality Team entsprechend Abbildung 8 in die Unternehmensstruktur einzubinden. Die erfolgreiche Integration bedeutet für das gesamte Unternehmen, dass es nicht ein Quality Team gibt, das „Six Sigma macht“, sondern dass mit Hilfe des Quality Teams alle „Six Sigma machen“. Der Erfolg einer Six Sigma Initiative wird sich erst dann einstellen, wenn das gesamte Unternehmen auf das gemeinsame Ziel „Vollständige Beherrschung der Geschäftsprozesse“ ausgerichtet ist. Im Rahmen der Six Sigma Organisation sind dazu geeignete Strukturen zu schaffen sowie folgende Aufgaben und Funktionen zu institutionalisieren: •
Einbeziehung des Top-Managements mittels Lenkungsgremium
•
Aktive Einbindung des Managements auf Basis von Champions
•
Bereitstellung von Projektressourcen für Projektleiter und Black Belts
•
Einsatz von Master Black Belts für Coaching und Best Practice Sharing
Rainer von Hagen
•
Einbindung der Mitarbeiter entsprechend dem Gegenstromverfahren.
„Top-down“: Commitment des Managements Visionär
Business Quality Council
Q
Team-Mitglieder
y lit ua
Te
am
Champion
o Quality Leader o Master Black Belts o Black u. Green Belts o Quality Analyst Team-Mitglieder
Team-Mitglieder
„Bottom-up“: Bewusstsein, Initiative, Innovation der Mitarbeiter
Abbildung 8: Quality Team als „Bindeglied” zwischen den Hierarchieebenen
249
Konzeption und Umsetzung von Six Sigma Trainings in einem mehrstufigen Einführungsprozess Armin Töpfer, Swen Günther, Bernd Garzinsky
Inhalt 1 2 3 4 5
1
Rollenspezifische Anforderungen an Six Sigma Trainings und Projekte ..................250 Modular-integriertes Schulungskonzept auf Basis des DMAIC-Zyklus ....................258 Analysemodell zur Bewertung von Six Sigma Trainings und Projekten ...................265 Steigerung der Effizienz und Verkürzung des Einführungsprozesses durch E-Learning.......................................................................................271 Literatur .....................................................................................................................276
Rollenspezifische Anforderungen an Six Sigma Trainings und Projekte
Das Six Sigma Konzept basiert auf einer eigenständigen Philosophie, die über das Zusammenspiel von Kundenanforderungen, Prozessgestaltung und Qualitätssteigerung eine umfassende Optimierung anstrebt. Ein derartiges Vorhaben erfordert deshalb Lernen in drei Richtungen: •
Erstens ein vertieftes Verständnis für ein stringentes Projektmanagement, getrieben aus Kundensicht und umgesetzt in Prozessen
•
Zweitens die Fähigkeit, ein reales Problem auf ein statistisches Problem zu übertragen, das statistische Problem auf seine Ursachen hin zu analysieren, die gefundene statistische Problemlösung auf ihre Wirkungsstabilität hin abzutesten, die optimale Problemlösung dann auf die Realität zu übertragen und anschließend so qualitätzusichern, dass sie auf hohem Niveau stabilisiert wird
•
Drittens den Aufbau einer „schlagkräftigen“ Six Sigma Organisation, einer ausdifferenzierten Trainingsstruktur und einer spezifischen Lernkultur.
Nicht wenige Unternehmen werden von diesen Anforderungen an eine wirkungsvolle Six Sigma Einführung bereits abgeschreckt. Der Grund liegt vor allem darin, dass neben dem Projektmanagement und der Lernorganisation vertieftes statistisches Wissen über Methoden des Qualitätsmanagements isoliert und auch vernetzt notwendig ist. Dabei wird jedoch oftmals übersehen, dass viele der eingesetzten Tools nicht neu sind, wohl aber in ihrer jetzt geforderten Kombination und Stringenz bisher nicht verwendet wurden.
Armin Töpfer, Swen Günther, Bernd Garzinsky
251
Im Vergleich zu anderen Managementkonzepten ist bei Six Sigma die Anforderung deutlich stärker ausgeprägt, dass neue bzw. veränderte Kompetenz- und Fähigkeitsbausteine zum Einsatz kommen. Dies bedeutet, dass einerseits der Grad des selbstständigen und ergebnisverantwortlichen Handelns zunimmt und andererseits spezielles, Six Sigma spezifisches Wissen und Können erworben werden müssen. Diese veränderten inhaltlichen, prozessualen und organisatorischen Anforderungen waren ein wesentlicher Grund dafür, dass in einigen Unternehmen spezielle Six Sigma Weiterbildungsinstitutionen geschaffen bzw. in bestehende Corporate Universities eingebettet wurden, so z.B. die Motorola University in Schaumburg/ USA oder die GE Training and Leadership Development Academy in Crotonville/ USA. Zusätzlich wurden auch unternehmensübergreifende Qualifizierungsinstitute ins Leben gerufen, wie z.B. die von Harry und Schroeder gegründete Six Sigma Academy in Scottsdale/ USA oder die M+M Six Sigma Akademie® in Kassel/ Deutschland. Das Ziel besteht immer darin, nicht nur zu qualifizieren, sondern die Einstellung für eine Six Sigma Initiative im Unternehmen in allen ihren Facetten positiv zu prägen. Dies bedeutet konkret, dass alle Bausteine, die für den Aufbau und die Einführung eines Six Sigma Projektmanagements wichtig sind, daraufhin geprüft werden müssen, in wieweit nicht nur die Inhalte, sondern auch die Prozesse und die Organisation sowie die Unternehmenskultur entsprechend zu analysieren und zu beeinflussen oder zu gestalten sind. Abbildung 1 zeigt diese Felder im Überblick. Basisschulung für das Six SigmaKernteam
Durchführung von Pilotprojekten
Kommunikation erreichter Ergebnisse und Roll-Out des Six Sigma-Projektmanagements
Aufbau einer mehrstufigen Six Sigma-Organisation
Definition und Umsetzung dezentraler Six Sigma-Projekte
Integration aller Mitarbeiter und Schulung von Champions, Black Belts & Green Belts
Incentive-Konzept für die Durchführung von Six SigmaProjekten
Verankern des Six Sigma-Projektmanagements in persönlichen Zielvereinbarungen
Prägen der Six SigmaManagementkultur zur Sicherstellung nachhaltiger Verbesserungen
Abbildung 1: Aufbau und Einführung eines Six Sigma Projektmanagements
252
Konzeption und Umsetzung von Six Sigma Trainings
Im Folgenden wird schwerpunktmäßig auf die Anforderungen und Inhalte der Six Sigma Qualifizierungsmaßnahmen eingegangen. Dies kann aber nicht losgelöst vom gesamten Einführungsprozess erfolgen, da hierbei zahlreiche Querverbindungen bestehen. Auf die Implementierung des Six Sigma Projektmanagements geht ein gesonderter Beitrag vertieft ein (siehe Beitrag von Töpfer „Six Sigma als Projektmanagement für höhere Kundenzufriedenheit und bessere Unternehmensergebnisse“ in Kapitel A). Die erste Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die, wer den Anstoß für eine Six Sigma Initiative im Unternehmen gibt. Je nachdem, ob dies die Unternehmensspitze oder eine Führungskraft z.B. der Unternehmensentwicklung, der Produktion oder des Qualitätsmanagements ist, wird nicht nur der Einführungs-, sondern auch der Schulungsprozess unterschiedlich verlaufen. Wenn die Unternehmensleitung – als Variante 1 – Six Sigma umsetzten will, dann hat ein Klärungs- und Entscheidungsprozess bereits stattgefunden, so dass der Projektbeginn und auch die Schulung eher mit einem breiten Roll-Out starten. Im anderen Fall, der – als Variante 2 – in der Praxis eher häufiger auftritt, hat die Unternehmensleitung wenig Vorkenntnisse über Six Sigma und das Vorhaben wird von Führungskräften z.B. der oben genannten Bereiche begonnen. Nicht nur die Einführung, sondern auch die Schulung werden dann zeitlich deutlich gestreckt und in mehreren stufenweisen Zyklen durchgeführt. Der Einstieg, um einen ersten vertieften Überblick über das Six Sigma Konzept zu erhalten, ist bei der Variante 2 dann beispielsweise ein ein- bis zweitägiges Seminar für die initiierenden Führungskräfte unter der Überschrift „Six Sigma Essentials für Manager“. Hierbei werden nicht nur die einzelnen Bausteine vermittelt und diskutiert, sondern zugleich auch der Transfer im Hinblick auf die Anforderungen und die Umsetzung im eigenen Unternehmen vollzogen. Da diese Führungskräfte in der Regel auch Mitglieder eines Six Sigma Kernteams sind oder sein werden, lässt sich dies in die Basisschulung für das Six Sigma Kernteam einordnen. Ist die Entscheidung auf dieser Basis für einen Six Sigma Start im eigenen Unternehmen gefallen, dann setzt die eigentliche Basisschulung des Kernteams ein. Da die Entscheidung der Unternehmensleitung für eine umfassende Six Sigma Initiative noch nicht vorbereitet und getroffen wurde, finden die folgenden Six Sigma Aktivitäten also – bildlich gesprochen – „under cover“ statt. Ausgewählt und geschult wird eine kleine Gruppe von Mitarbeitern bzw. Führungskräften, und zwar in der Weise, dass sie Six Sigma auf ein praktisches Problem des Unternehmens übertragen. Der Zweck besteht darin, die Konzeption und die Tool-Box von Six Sigma kennen zu lernen. Aus zeitlichen, inhaltlichen und kostenmäßigen Gründen empfiehlt sich in dieser Pilotphase lediglich ein Green Belt Training und keine Black Belt Ausbildung. Denn zum einen ist noch nicht gesichert, dass die Unternehmensleitung dem Vorhaben zustimmt, und zum anderen geht es zunächst um die Durchführung von ersten Projekten. Ihre Auswahl ist besonders sorgfältig vorzunehmen, weil sie das
Armin Töpfer, Swen Günther, Bernd Garzinsky
253
wichtige Ziel haben, eine große Wirksamkeit von Six Sigma durch hohe erwirtschaftete Net Benefits in den Pilotprojekten zu belegen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es unbedingt erforderlich, auf erfahrene externe Black Belts oder besser Master Black Belts zurückzugreifen. Dies verhindert, dass in der Anfangsphase Six Sigma Projekte ausschließlich eigenständig in Angriff genommen werden und aufgrund fehlender Erfahrungen – salopp formuliert – nach dem Prinzip „Jugend forscht“ eher dilettiert statt reüssiert wird. Wenn bei der Variante 2 diese erste Phase erfolgreich verläuft und die Unternehmensleitung vom Nutzen einer Six Sigma Initiative überzeugt werden kann, dann entspricht der weitere Ablauf der Variante 1, allerdings mit der Besonderheit, dass jetzt schon konkrete Projekterfahrungen und Ergebnisse bzw. Erfolge im eigenen Unternehmen vorliegen. Nach dem Motto „Nichts überzeugt mehr als Erfolg“ erfolgen auf dieser Basis eine breite Kommunikation und der Roll-Out des Six Sigma Projektmanagements im Unternehmen. Festzulegen sind jetzt die auf unterschiedlichem Niveau zu schulenden Akteure, der Aufbau der mehrstufigen Six Sigma Organisation und vor allem die Auswahl und Umsetzung der Six Sigma Projekte, die von da an eher dezentral durchgeführt werden. Bereits für die Schulung und damit für die Bereitschaft und Motivation der Mitarbeiter, sich einem derartigen aufwendigen Training zu unterziehen, ist einerseits die Umsetzung im Rahmen der Organisation und Projekte wichtig. Mindestens genauso wesentlich sind andererseits aber auch die Konsequenzen für die personenbezogene Führung im Unternehmen. Unter dem Strich wird hierdurch bei den zukünftigen Six Sigma Akteuren der größte Beitrag zum Engagement bewirkt. Ein attraktives Incentive-Konzept und die Verankerung von Six Sigma in persönlichen Zielvereinbarungen sind dabei die wichtigsten Eckpfeiler. Durch alle diese Maßnahmen gelingt es über die Zeit, eine Six Sigma Managementkultur im Unternehmen zu prägen und nachhaltige Verbesserungen zu erreichen. Im Folgenden wird auf die hierfür erforderlichen Schulungskonzepte näher eingegangen. Abbildung 2 zeigt die rollenspezifischen Anforderungen und Schulungsziele der vier Six Sigma Hauptakteure, nämlich Champions, Master Black Belts, Black Belts und Green Belts im Überblick. Wenn ein Unternehmen mit einer Six Sigma Initiative beginnt, dann ist es nach dem Prinzip „Führen durch Vormachen“ wichtig, dass die Führungskräfte selbst ein ausreichendes Wissen über Six Sigma erhalten, um die Anforderungen, aber auch die erreichbaren Ergebnisse von Six Sigma Projekten beurteilen zu können. Dies gilt vor allem für Prozesseigner in der Wertschöpfungskette, da sie als Machtpromotoren später entscheiden, ob und welche Six Sigma Projekte in ihrem Verantwortungsbereich durchgeführt werden. Dies entspricht der Rolle des Champions. Die Schulung dauert in der Regel zwei Tage, in manchen Unternehmen aber auch bis zu vier Tagen und vermittelt die Grundzusammenhänge, um diese strategisch-operative Aufgabe wahrnehmen zu können. In jedem Unternehmensbereich sollte deshalb jeweils mindestens ein Champion verfügbar sein.
254
Konzeption und Umsetzung von Six Sigma Trainings
Rollendefinition
Champion
Master Black Belt
Black Belt
Green Belt
Machtpromotor
Systempromotor
Prozesspromotor
Projektmitarbeiter
Mitarbeiterprofil Prozesseigner/ Führungskraft
Ziele der Schulung
Schulungstage
Interner Berater und Six Sigma Projektleiter/ Six Sigma Coach Führungsnachwuchs
• Überwachen von • Auswahl geSix Sigma eigneter Projekte Projekten in seinem Verantwortungs• Interner bereich Koordinator, Berater und • Kann Six Sigma Trainer Projekte nachvollziehen • Zusammenarbeit mit Champion auf g „ leicher Augenhöhe“ 2
Trainingsprojekt
nein
Mitarbeiteranteil
20 ja (als BB) 1 Mio. Kontoeröffnungen p.a. (netto)
•
176.000 Mitarbeiter weltweit
•
16,5 % Return on average common shareholders’ Equity (ROE)
•
2 Mrd. US $ Benefit durch Six Sigma p.a.
Der Zeitverlauf und die Art der Einführung von Six Sigma sowie die dabei erreichten Ergebnisse und Erfolge sind in Abbildung 18 im Überblick dargestellt. Der Prozess begann, nachdem Kenneth D. Lewis im Jahre 2001 als CEO die Verantwortung und Steuerung der Bank übernommen hat. Seine Zielsetzung bestand von Anfang an darin, bei allem, was die Bank tut, höhere Standards für die Kunden und Shareholder als der Wettbewerb zu erreichen und damit die zukünftige positive Entwicklung des Unternehmens zu sichern (vgl. Lewis 2004, S. 1-4). In der Vergangenheit gab es einige Re-Engineering- und Qualitätsinitiativen, die darauf ausgerichtet waren, ineffiziente und fehleranfällige Prozesse zu verbessern. Da die entsprechende Unterstützung der oberen Führungskräfte fehlte, zeigten sie keine nachhaltige Wirkung und wurden von den Mitarbeitern als „Modeinitiativen“ abqualifiziert. Die Ausgangslage für die Einführung von Six Sigma war also keineswegs positiv. Ab dem Jahre 2001 hat Lewis den strategischen Schwerpunkt auf das organische Wachstum des Unternehmens gelegt und dabei auf profitable Kundenbeziehungen sowie die Steigerung der Kundenzufriedenheit gesetzt. Der neu rekrutierte Quality and Productivity Executive, der dem CEO unmittelbar unterstellt war, hat in ca. 40 Six Sigma Projekten eine Reduzierung von Systemfehlern in elektronischen Transaktionsprozessen angestrebt. Von den oberen Führungskräften der Bank wurde die direkte Führung und Verantwortung für Six Sigma Projekte übernommen. Um dem Verbesserungsprozess eine hohe Dynamik zu verleihen, wurden fast 40 erfahrene Master Black Belts extern rekrutiert. In den Transaktionsprozessen konnte die Fehlerrate um 88 % gesenkt werden. Six Sigma Ziele wurden in die strategische Planung aufgenommen und in die Executive-Ziele integriert. Der „Voice of the Customer“-Prozess wurde für die systematische Erfassung der Kundenbedürfnisse etabliert. Unternehmensweit wurde ein einheitliches System für die Messung der Kundenzufriedenheit eingeführt. Als Ziel war vorgegeben, dass bei 90 % aller Kunden ein Scoring-Wert von 9 bei 10 möglichen Punkten erreicht wird. Das Jahr 2002 brachte die ersten nachhaltigen Erfolge dieser Six Sigma Initiative. Der Schwerpunkt der Six Sigma Projekte lag auf angestrebten Produktivitätsstei-
464
Six Sigma in Banken und Versicherungen
gerungen. Dabei wurden insbesondere fehlerhafte Kreditantragsformulare eliminiert, verspätete Kundenzahlungen reduziert und die Verfügbarkeit der Geldautomaten auf 100 % erhöht. Zusätzlich ist die Response-Zeit bei Kundenanfragen für Hypotheken deutlich reduziert worden. Insgesamt konnten Verbesserungen von 47 % erreicht werden. Die Kundenzufriedenheit stieg um 25 %. Der Projektnutzen lag bei ca. 1,5 Mrd. US $ Einsparungen als Net Benefit. Zeit 2000
Entwicklungen • Ineffiziente, fehleranfällige Prozesse führen zu einer hohen Kundenunzufriedenheit
Ergebnisse ¾ Mitarbeiter entwickeln einen hohen Grad an Zynismus gegenüber diesen „Modeinitiativen“
• Verschiedene Prozess-Reengineeringund Qualitätsinitiativen werden gestartet • Initiativen erfolgen isoliert, ohne ExecutiveSupport und verpuffen ohne Nachhaltigkeit
2001
• Neuer CEO, Kenneth D. Lewis, übernimmt die Verantwortung/ Steuerung • Strategie: Vom Wachstum durch M&A hin zu organischem Wachstum • Quality & Productivity Executive wird rekrutiert und direkt dem CEO unterstellt • Der CEO sowie die Top-10 Executives der Bank übernehmen direkte Führung/ Verantwortung für Six Sigma Projekte • Ca. 30-40 erfahrene Master Black Belts (MBB) werden extern rekrutiert • „Voice of the Customer“-Prozess wird etabliert für die systematische Erfassung der Kundenbedürfnisse
2002
2003
2004
¾ Fokus auf die Akquisition, Pflege und Vertiefung von profitablen Kundenbeziehungen sowie auf die Verbesserung der Kundenzufriedenheit ¾ Ca. 40 Six Sigma Projekte zur Reduzierung von Systemfehlern in elektronischen Transaktionsprozessen Æ Senkung der Fehlerrate um 88% ¾ Unternehmensweit wird ein einheitliches System für die Messung der Kundenzufriedenheit etabliert Æ Scoring-Zielwert: 9 von 10 Punkten für 90% aller Kunden ¾ Six Sigma Ziele werden in die strategische Planung aufgenommen und in die Executive-Ziele integriert SIX449-2_3.PPT
¾ Projektnutzen: ca. 1,5 Mrd. US $ • Umsetzung von Six Sigma Projekten mit dem Kundenzufriedenheit: + 25% Fokus auf Produktivitätssteigerung: - Eliminierung von fehlerhaften Kreditantragsformularen - Reduktion von verspäteten Kundenzahlungen ¾ Verbesserung um 47% - Gewährleistung von 100% Verfügbarkeit der Geldautomaten - Reduktion der Response-Zeit bei Kundenanfragen für Hypotheken ¾ Projektnutzen: > 2,0 Mrd. US $ • Umsetzung von Six Sigma Projekten mit dem Æ 50% davon stammen aus Fokus auf Ertragswachstum: Ertragssteigerungen - Reduktion der Administrationszeit für Kundenberater - Verbesserung des Screening-Prozesses für ¾ Kern-Kundenprozesse: ≈ 6σKundenpotenziale Niveau - Systematische Einbindung von Lieferanten in Six Sigma Projekte • Die erste Welle von ausgebildeten Black Belts kehrt in die Linienposition zurück
¾ Six Sigma ist Schlüsselqualifikation für eine Managementkarriere
• Bei der Bank of America sind ca. 2.000 Black Belts (BB) aktiv (= 1,2% aller Mitarbeiter)
¾ Six Sigma ist ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur von BoA
Basis: Jones 2004, BoA
Abbildung 18: Einführung von Six Sigma bei der Bank of America
© Prof. Dr. Armin Töpfer
Armin Töpfer
465
Im Jahr 2003 wurde die Six Sigma Initiative fortgesetzt. Der Schwerpunkt der Six Sigma Projekte lag jetzt allerdings auf dem Ertragswachstum. Als Ziel wurden eine Reduzierung der Administrationszeit von Kundenberatern, eine Verbesserung des Screening-Prozesses für Kundenpotenziale sowie eine systematische Einbindung von Lieferanten in Six Sigma Projekte angestrebt. Die Kern-Kundenprozesse konnten so auf ein 6σ-Niveau angehoben werden. Der Projektnutzen als erwirtschafteter Net Benefit stieg auf über 2 Mrd. US $. 50 % davon stammten aus Ertragssteigerungen. Bereits im Jahr 2003 kehrte die erste Welle von ausgebildeten Black Belts in Linienpositionen zurück. Inzwischen ist Six Sigma eine Schlüsselqualifikation für eine Managementkarriere bei der Bank of America. Im Jahr 2004 sind im Unternehmen bereits ca. 2.000 Black Belts aktiv. Dies sind 1,2 % aller Mitarbeiter. Six Sigma ist damit bereits ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur der Bank of America geworden.
6
Anwendungsvoraussetzungen für Six Sigma
Die mit Six Sigma Projekten erreichten Ergebnisse sind nicht selten beeindruckend. Die entscheidenden Fragen sind jedoch, ob sich die Six Sigma Methodik generell bei Banken und Versicherungen anwenden lässt und wie sie dann im Einzelfall in jedem Unternehmen zielführend einzusetzen ist. Im Folgenden werden anhand von 15 Punkten, die in Abbildung 19 als Checkliste zusammengefasst sind, beide Fragen beantwortet. 1.
Prozesse/Transaktionen in hoher Stückzahl
Die entscheidende Frage zu Anfang ist, ob die Grundvoraussetzung für die Anwendung der Six Sigma Methode gegeben ist, nämlich ob die Wertschöpfung in Prozessen erbracht wird, bei denen relativ standardisierte Aktivitäten in einer hohen Stückzahl durchgeführt werden. Sicherlich ist Six Sigma nicht in allen Wertschöpfungsprozessen einer Bank anwendbar. Bei allen standardisierten Transaktionen in hoher Stückzahl ist diese Basisvoraussetzung allerdings gegeben. Dies geht inzwischen soweit, dass Erfahrungswissen aus der prozessorientierten industriellen Fertigung genutzt wird und von einer Industrialisierung von Bankleistungen durch eine IT-gestützte Automatisierung gesprochen wird (vgl. Pöhler 2004, S. 126). Six Sigma ist damit beispielsweise anwendbar bei allen auf ein Konto bezogenen Aktivitäten, also dem Zahlungsverkehr, bei der Nutzung von Geldautomaten, aber auch bei der Beantragung und Vergabe von Krediten sowie der Depotverwaltung oder der Abwicklung von Wertpapiergeschäften. In den Bereichen einer Bank, die diese Aufgaben zu erfüllen haben, können Six Sigma Projekte zu erheblichen Kosteneinsparungen und vermiedenen Kundenbeschwerden führen. Dies gilt in besonderem Maße für Transaktionsbanken, deren Wertschöpfung genau hierauf konzentriert ist.
466
Six Sigma in Banken und Versicherungen
1
Prozesse/ Transaktionen mit hoher Stückzahl
2
Mission/ Vision/ Strategie auf Null-Fehler-Qualität ausgerichtet
3
Veränderte Ausrichtung des praktizierten Qualitätsmanagements (QM)
4
Prozessorientierte Qualitätssteuerung
5
Qualitätskennzahlen und Managementkennzahlen
6
Projektmanagement Know-how
7
Unternehmenskultur für Transparenz sowie konsequente Steuerung und Umsetzung
8
Commitment der Führungskräfte und Mitarbeiter
9
Personalentwicklungs-Konzepte für konsequentes Lernen
10
Top-down Einführung mit Pilotprojekten
11
Auswahl von für die Six Sigma Methode geeigneten Projekten
12
Mitarbeiter und Fähigkeitsprofil für Projektmanager
13
Ermittlung des Net Benefit
14
Verknüpfung mit personenbezogenen Zielvereinbarungen und Anreizen
15
Harmonisierung mit anderen (Qualitäts-)Managementkonzepten
Abbildung 19: 15 Punkte Checkliste für die Anwendung von Six Sigma in Banken und Versicherungen
2.
Mission/Vision/Strategie auf Null-Fehler-Qualität ausgerichtet
Wenn also die grundsätzliche Anwendbarkeit der Six Sigma Methode gegeben ist, dann stellt sich die Frage, welchen Stellenwert im Marktauftrag einer Bank sowie in der ausformulierten Strategie die Faktoren Null-Fehler-Qualität, Kostensenkung und Zufriedenheit der externen und internen Kunden einnehmen. Sind hierzu eindeutige und herausfordernde Aussagen formuliert, dann ist der Weg für die Anwendung der Six Sigma Methode frei. Nicht selten gibt es in Unternehmen im Hinblick auf die Vision und Strategie aber deutliche „weiße Flecken“. 3.
Veränderte Ausrichtung des praktizierten Qualitätsmanagements (QM)
Die Qualitätsvision soll auf diese Weise im Geschäftsmodell und in allen wichtigen Prozessen verankert werden. Das Ziel ist, besser, schneller und schlanker in Richtung Business Excellence zu werden. Kundenorientierung wird dann in den Kundenanforderungen als Ausgangspunkt des Handelns umgesetzt, und zwar mit dem Ziel, die wesentlichen und erfolgskritischen Anforderungen der Kunden, also die CTQs, umfassend zu erfüllen. Das Niveau des vorhandenen QM-Systems ist durch den Einsatz von QM-Instrumenten und -Werkzeugen, die für die Durchführung von Six Sigma Projekten geeignet sind, erheblich zu steigern. Unter diesem Blickwinkel ist also zunächst zu analysieren, ob das bisher praktizierte Qualitäts-
Armin Töpfer
467
management inhaltlich, instrumentell und personell für diese strategisch ausgerichteten Aufgaben gewappnet ist. 4.
Prozessorientierte Qualitätssteuerung
Der eindeutige Hebel für Null-Fehler-Qualität ist eine Verbesserung der Prozesse. Die Prozessorientierung wird bei einer Verschärfung des Wettbewerbs zu einem wesentlichen Werttreiber in Banken. Die Umsetzung der Six Sigma Philosophie und die Durchführung von entsprechenden Projekten kann beispielsweise dazu führen, dass für optimierte Teilprozesse die Verantwortung eindeutiger festgelegt und das im Detail geforderte Qualitätsniveau klar definiert wird. Im Ergebnis läuft dies auf die Einführung von Quality Gates hinaus, also von Übergabepunkten als Schnittstellen zwischen zwei (Teil-)Prozessen, wie sie in der industriellen Fertigung seit geraumer Zeit gebräuchlich sind. Nur wenn die Prozesslandschaft eindeutig in ihrer Architektur festgelegt und im Detail beschrieben ist, besteht überhaupt die erforderliche Grundlage für die Durchführung von Six Sigma Projekten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Eine Six Sigma Initiative kann auch eingeführt werden, wenn die Prozesslandschaft noch nicht analysiert und festgeschrieben ist. Der Aufwand und der notwendige Antritt sind dann jedoch ungleich höher. Nicht wenige Banken sehen eine erste Anwendungshürde bei Six Sigma darin, dass die Prozesse noch nicht ausreichend analysiert und beschrieben sind sowie vor allem auch noch nicht mit einer aussagefähigen Prozesskostenrechnung hinterlegt sind. Denn sie erlaubt es erst, Fehlerkosten zu quantifizieren und damit auch das Optimierungspotential zu bestimmen, das in der Six Sigma Projekt Charter festzuschreiben ist. Ein zweites Umsetzungsproblem von Six Sigma wird darin gesehen, dass auch die Datenverfügbarkeit und Datenqualität bezogen auf die einzelnen Prozesse hierfür noch nicht ausreichend sind, so dass gesicherte Werte über die Output-, Prozess- und Inputmessgrößen nicht im erforderlichen Maße vorliegen. 5.
Qualitätskennzahlen und Managementkennzahlen
Ein Hauptkriterium der Six Sigma Philosophie ist, dass alle im Rahmen von Projekten erreichbaren Ergebnisse bereits vorab quantifiziert und danach konsequent gesteuert werden. Dies setzt ein eindeutiges Messsystem für alle Qualitätskennzahlen voraus, die durch die auf Wirtschaftlichkeit und Finanzergebnisse bezogenen Managementkennzahlen ergänzt werden. Grundsätzlich ist auf den bisher verwendeten Steuerungsgrößen eines Unternehmens aufzusetzen, allerdings unter der Voraussetzung, dass hiermit bereits eine inhaltlich und prozessbezogen substanzielle Steuerung möglich war.
468
6.
Six Sigma in Banken und Versicherungen
Projektmanagement-Know-how
Durch die eindeutige und kompromisslose Ausrichtung auf Projekte erhält die Six Sigma Methode und der damit verbundene Verbesserungsprozess ein hohes Maß an Stringenz und Verbindlichkeit. Aus der Six Sigma Toolbox werden Methoden des Qualitätsmanagements angewandt, die in fortschrittlichen Unternehmen zu einem großen Teil bereits genutzt werden. Hinzu kommt jetzt ein klar definiertes, methodisches Vorgehen, das je nach Problemstellung inhaltlich flexibel, aber in der Abfolge der einzelnen Phasen standardisiert ist. In jedem Projekt wird der DMAIC-Prozess durchlaufen. Dadurch werden Verbesserungen nicht nur „angedacht“, sondern im Hinblick auf die Ursachen von Problemen eindeutig analysiert, in ihrer Umsetzung ergebnisorientiert gesteuert und auf ein stabiles Niveau gebracht. Von Vorteil ist deshalb, wenn in einem Unternehmen bereits in der Vergangenheit fundiertes Projektmanagement-Know-how aufgebaut wurde. 7.
Unternehmenskultur für Transparenz sowie konsequente Steuerung und Umsetzung
Die Konsequenz der Vorgehensweise sowie der Analyse und Steuerung von Verbesserungen ist für nicht wenige Unternehmen neu, zumindest aber ungewohnt. Daher kommt einer weiter entwickelten Unternehmenskultur bei der Einführung und Umsetzung einer Six Sigma Initiative eine hohe, oftmals sogar eine erfolgsentscheidende Bedeutung zu. Bei neuen Initiativen als Verbesserungsprogramme im Unternehmen werden die Auswirkungen auf die Unternehmenskultur meistens nur als Konsequenz gesehen und deshalb im Konzept am Schluss angeführt. Bei Six Sigma würde dies nicht ausreichen und eher kontraproduktiv sein. Die Veränderung auf breiter Front ist zentraler Bestandteil des Vorhabens und muss deshalb im Vorfeld und parallel zur Umsetzung geplant und gesteuert werden. Andernfalls „versandet“ eine Six Sigma Initiative und erbringt in zu wenigen erfolgreichen Projekten kaum Wirkung. Diese Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit muss von vornherein benannt und eingefordert werden. Hierzu gehört auch die Bereitschaft und Fähigkeit, mit der Transparenz durch erkannte Fehler und Probleme umzugehen. Gesucht wird nicht der Schuldige, sondern die beste Lösung des Problems. Die Überzeugungsarbeit der Unternehmensleitung und der Six Sigma Beauftragten in diese Richtung ist in ihrem Ausmaß und Aufwand nicht zu unterschätzen. Erst hierdurch entsteht ein positiver und freiwilliger Veränderungsdruck als zentraler Bestandteil eines Change-Management-Prozesses. Eine Veränderung der Mitarbeiterzahl aufgrund erfolgreich durchgeführter Six Sigma Projekte resultiert aus der gestiegenen Produktivität und Wirtschaftlichkeit. Denn ohne die Fehler sind weniger bzw. kaum Mitarbeiter erforderlich, um sie zu beseitigen. Das verbessert die Ertragssituation eines Unternehmens erheblich. Genau dies ist dem Betriebsrat so zu vermitteln, damit eine Six Sigma Initiative nicht mit dem Etikett eines „scharfen Rationalisierungsinstruments“ versehen wird. Anderenfalls kämen die Einführung und die Wirkungen durch den Widerstand des Betriebsrates und der Mitarbeiter schnell in Schieflage. Die Argumenta-
Armin Töpfer
469
tion muss deshalb darauf abzielen, dass die Bank oder Versicherung auf diese Weise nicht nur wirtschaftlicher arbeitet, sondern wettbewerbsfähiger wird und dadurch Arbeitsplätze längerfristig gesichert werden. Gestiegene Performance, günstigere Kosten- und Preisstrukturen sowie zufriedenere Kunden sind zugleich die Hebel für mehr Umsatz, Wachstum und Markterfolg. Und hierfür braucht jeder Finanzdienstleister engagierte und qualifizierte zusätzliche Mitarbeiter. 8.
Commitment der Führungskräfte und Mitarbeiter
Auf dieser Basis (Punkt 7) ist das für den Erfolg einer Six Sigma Initiative im Unternehmen unerlässliche Commitment der davon betroffenen bzw. darin einbezogenen Führungskräfte und Mitarbeiter einzuholen respektive einzufordern. Selbstverpflichtung setzt immer ausreichende inhaltliche Information voraus. Mit dieser Zielsetzung ist deshalb eine breite und offene Kommunikation über das Vorhaben durchzuführen. Sie erstreckt sich auch auf den Betriebsrat, der keine tragende Rolle in Six Sigma Projekten, aber auf jeden Fall ein wachsames Auge hat. Die Unternehmensleitung und das Management müssen sich an die „Spitze der Bewegung“ stellen, andernfalls werden Glaubwürdigkeit und Schlagkraft eingebüßt. Denn die Führungskräfte in ihrer Linienverantwortung sind als so genannte Champions Auftraggeber für Verbesserungsprojekte nach der Six-SigmaMethode. 9.
Personalentwicklungskonzepte für konsequentes Lernen
Die beste Grundlage für das Verstehen und Akzeptieren sind über die Information hinaus konsequentes Lernen und Anwenden. Unternehmensweite Schulungen in gestaffelter Form mit unterschiedlicher Tiefe sind der beste Ansatz für die Vermittlung von Six Sigma Wissen. Durch diese Qualifizierung soll eine Sensibilisierung der Mitarbeiter einschließlich des Betriebsrats für Six Sigma erreicht werden. Six Sigma Qualifizierungsniveaus sind nicht festgeschrieben und zertifiziert, sondern durch Konvention und „gute Praxis“ entstanden. Folgende Abstufungen sind gebräuchlich: • Halbtägige Informationsveranstaltungen für White Belts darüber, was Six Sigma ist und bezweckt. • Zweitägige Schulungen für Yellow Belts, die in ihrem Bereich Six Sigma Projekte zumindest mit Daten und Analysen unterstützen. • Bis zu vier Tagen Schulung für Champions, die Six Sigma Projekte in ihrem Verantwortungsbereich in Auftrag geben. • 10 bis 12 Tage Training für Green Belts, die kleinere Six Sigma Projekte selbstständig durchführen können und dies bereits am konkreten Projekt im Training lernen.
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Six Sigma in Banken und Versicherungen
• 20 Tage Training für Black Belts in Zeitintervallen, verbunden mit einem konkreten Six-Sigma-Projekt, das sie unter Aufsicht und mit Coaching durch den Master Black Belt selbstständig bearbeiten. Dieser breitflächige Qualifizierungsbedarf erfordert über die Zeit eine spezifische Lernkultur im Unternehmen. Zwei Dinge sind hierbei wesentlich: Zum einen, dass diese an asiatische Kampfsportarten angelehnte Nomenklatur der Qualifikationsniveaus auf Akzeptanz und nicht auf generelle Ablehnung im Unternehmen trifft. Andernfalls kann eine Six Sigma Initiative nicht am Ziel und Inhalt, sondern bereits an Namen und Titeln scheitern. Grundvoraussetzung ist zum anderen eine klare Aufgaben- und Rollenverteilung im Rahmen der Six Sigma Organisation sowie die frühzeitige Festlegung, in welchen Bereichen die ersten Six Sigma Projekte durchgeführt werden sollen. Dies verhindert eine Qualifizierung auf Vorrat und garantiert eine zeitnahe Umsetzung des Gelernten. 10. Top-down-Einführung mit Pilotprojekten Die Einführung von Six Sigma ist in zwei unterschiedlichen Formen möglich, die beide ihre Vorzüge haben. Alternative 1 ist die „Undercover“-Implementierung, Alternative 2 entspricht einer breit angelegten und offen kommunizierten Initiative durch die Unternehmensleitung. Bei einer „Undercover“-Implementierung liegen i.d.R. keinerlei Erfahrungen mit Six Sigma im Unternehmen vor. Die Initiative zum Handeln geht meistens von der zweiten oder dritten Führungsebene aus. Das Ziel dieser Vorgehensweise besteht darin, erste „Gehversuche“ mit Six Sigma zu machen sowie Erfahrungen zu gewinnen und Erfolge einzufahren. Deshalb werden – ohne eine breite Kommunikation im Unternehmen und mit der geringstmöglichen Absicherung nach oben, beispielsweise durch eine für Qualität oder einen Geschäftsbereich zuständige obere Führungskraft – wenige Pilotprojekte durchgeführt, um die Methodik besser zu verstehen und in ihrer Anwendungsfähigkeit im Unternehmen zu prüfen. Nur wenn die realisierten Ergebnisse die angestrebten hohen Ziele erreichen, wird dieser Erfolg im Unternehmen und dabei speziell der Unternehmensspitze gegenüber kommuniziert. Nach dem Motto „Nichts überzeugt mehr als Erfolg“ sind zu diesem Zeitpunkt also bereits die Machbarkeit und Effektivität von Six Sigma im eigenen Unternehmen geprüft worden. Erst danach kommt es zu einer offiziellen Entscheidung durch die Unternehmensleitung, ob und wie Six Sigma umgesetzt wird. Wenn Six Sigma ernsthaft eingeführt werden soll, erfolgt dann häufig der Übergang zur Alternative 2. Der Einführungsprozess der Alternative 2, wie sie z.B. von der Bank of America gewählt wurde, beginnt gleich mit einer breit angelegten Six Sigma Initiative, die von der Unternehmensleitung ausgeht und mit den vollzogenen Trainings relativ schnell in Pilotprojekte mündet. Diese Alternative ist also nur empfehlenswert, wenn das Unternehmen und vor allem die Akteure bereits eine ausreichend große Handling-Sicherheit mit Six Sigma besitzen. Six Sigma wird damit im Zeitablauf
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zu einem Vorhaben des gesamten Unternehmens. Die breitflächige Umsetzung von Six Sigma Wissen im Unternehmen dauert erfahrungsgemäß ca. zwei Jahre. 11. Auswahl von geeigneten Projekten Die Auswahl von geeigneten Six Sigma Projekten ist immer eng verzahnt mit der Auswahl von geeigneten Akteuren als Black Belts und Green Belts. Die – nicht nur für die Trainings der Green Belts und vor allem Black Belts – zentrale Frage ist also, welche Probleme für Six Sigma Projekte geeignet sind. Dabei gibt es einen Grundsatz: Ausgewählte Projekte sollen zunächst erfolgskritische Prozesse verbessern, da hiermit der größte Nutzen erreicht wird, was zugleich die Akzeptanz des Gesamtvorhabens fördert. Ausgewählt werden immer Problemstellungen, die in 3 bis 6 Monaten fundiert zu lösen sind. Es sollen dabei keine Projekte sein, die auf der einen Seite zu einfach und mit dem gesunden Sachverstand bereits zum Erfolg zu führen sind, aber auf der Seite auch keine so genannten „Welthungerhilfe-Projekte“, die in ihrem Ausmaß und ihrer Zeitdauer mehr als deutlich über ein normales Six Sigma Projekt hinausgehen und oftmals auch nicht umfassend zu bearbeiten sind. 12. Mitarbeiter mit Fähigkeitsprofil für Projektmanager Eine in ihrer Tragweite nicht zu unterschätzende Aufgabe ist dann die Auswahl und Bestimmung der Hauptakteure von Six Sigma Projekten, also der Green Belts, Black Belts und später der Master Black Belts. Neben dem fachlichen Wissen kommt es insbesondere auf analytische Fähigkeiten, aber auch auf ein hohes Niveau an Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft an. Hiermit werden zugleich Entscheidungen für zukünftige Führungskräfte getroffen. Denn erstrebenswert ist, dass nach einigen Jahren intensiver Six Sigma Projektmanagementarbeit diese Mitarbeiter mit einer Führungsposition für ihren Einsatz und Erfolg nicht nur belohnt werden, sondern zugleich ihr Methoden- und Projektwissen in eine Linientätigkeit einbringen. Dies fördert im Zeitablauf den Durchsatz von Six Sigma Akteuren in allen Bereichen und auf allen Ebenen des Unternehmens. Wenn eine Six-Sigma-Initiative im Unternehmen begonnen wird, dann müssen gerade die letzten Punkte dieser Checkliste den Entscheidern bewusst sein. Hierdurch eröffnen sich Chancen für ein neues Managementniveau im Unternehmen. Bei einer halbherzigen und nicht konsequenten Vorgehensweise liegt hierin jedoch auch ein erhebliches Frustrationspotenzial. 13. Ermittlung des Net Benefit In der Projekt-Charter, die vor Beginn eines jeden Six Sigma Projekts erstellt wird, ist bereits eine Zielformulierung über die Höhe der unmittelbar erreichbaren Kosteneinsparungen bzw. Umsatzsteigerungen enthalten. Nach Abschluss des Projekts wird der Netto-Nutzen konkret ermittelt. Dabei gilt die Konvention von zwei „Spielregeln“: Erstens werden lediglich die Kosteneinsparungen und/ oder
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Six Sigma in Banken und Versicherungen
Umsatzsteigerungen in der Projekterfolgsrechnung berücksichtigt, die unmittelbar liquiditätswirksam werden bzw. geworden sind. Zweitens werden diese Ergebnisse nur für 12 Monate nach dem Projektende ermittelt und dem Projekterfolg zugerechnet. Dies verhindert, dass ein Projekt über weiche und längerfristige Erfolgsgrößen „schön gerechnet“ wird. Six Sigma Initiativen sind im Hinblick auf die Dokumentation von Verbesserungsergebnissen also relativ konservativ. 14. Verknüpfung mit personenbezogenen Zielvereinbarungen Es liegt auf der Hand, dass die konkrete Zielvorgabe und Ergebnisberechnung eine gute Ausgangslage ist, um hierauf basierend personenbezogene Zielvereinbarungen (Management by Objectives, MbO) vorzunehmen. Das Anreizsystem für das Erreichen der geplanten Ziele sieht in der Regel materielle als auch immaterielle Belohnungen vor. Materielle Belohnungen sind Erfolgsprämien; immaterielle Belohnungen sind beispielsweise Karrierechancen im Rahmen eines Management Development Systems. 15. Harmonisierung mit anderen (Qualitäts-)Managementkonzepten Eine bereits zu Beginn eines Six Sigma Vorhabens häufig gestellte Frage ist, wie sich diese Methode mit anderen Qualitäts- und Managementkonzepten im Unternehmen vereinbaren, vielleicht sogar integrieren lässt. Eine klare und an Beispielen aufgezeigte Information macht dann deutlich, dass die projektbezogene Umsetzungsorientierung von Six Sigma gut kombinierbar ist mit KVP-Aktivitäten im Unternehmen. Eine ISO 9000:2000-Zertifizierung schafft die prozessorientierte Grundlage im Qualitätsmanagement; das EFQM-Modell erlaubt in Ergänzung zu Six Sigma Aktivitäten eine ganzheitliche und auch auf qualitative Erfolgskriterien bezogene Bewertung des praktizierten Excellence-Niveaus. In Kombination mit der Balanced Score Card (BSC) können die vielfältigen Projektaktivitäten deutlich besser gesteuert werden (vgl. z.B. Messer/Töpfer 2002, S. 1268ff.; Töpfer 2001, S. 1023ff.). Nicht zuletzt bieten Six Sigma Projekte die Chance, erarbeitetes Wissen für weitere Akteure und Projekte zu dokumentieren und zu kommunizieren. Von daher ist Wissensmanagement bei Six Sigma Projekten die zentrale Anforderung und Folge, um Erfahrungen und Lösungen auch für die Zukunft nutzbar zu machen. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass auch in Banken und Versicherungen Six Sigma nicht nur eine echte Anwendungschance hat, sondern in den bereits vollzogenen Anwendungen deutliche Erfolge vor allem in Form von Kosteneinsparungen erbracht hat. Diese sind dann gut realisierbar, wenn sich Six Sigma Projekte auf standardisierte Prozesse mit einer hohen Stückzahl von Transaktionen beziehen. Die Antwort auf die Frage nach detaillierten Erfahrungswerten und Erfolgsbelegen der Six Sigma Anwendung im Bankenbereich kann zumindest in Deutschland bisher noch nicht auf breiter Basis gegeben werden. Dies liegt daran, dass deutsche Banken im Vergleich zu ihren großen ausländischen Mitbewerbern mit der
Armin Töpfer
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Six Sigma Umsetzung noch nicht soweit sind. Es wird in der Zukunft zunächst auf weitere „Six Sigma Pioniere“ im Bankenbereich ankommen, die sich auf diese Weise Wettbewerbsvorteile verschaffen wollen. Eine hohe Ergebniswirkung wird allerdings nur erreicht, wenn die Six Sigma Methode in Trainings praxisorientiert geschult und anschließend professionell in (Pilot-)Projekten umgesetzt wird. Im Gegensatz zu bisherigen Projekten der Geschäftsprozessoptimierung kommen also nicht primär externe Berater zum Einsatz, sondern die in der Six Sigma Methode geschulten eigenen Mitarbeiter. Sie führen diese Projekte in einer klar definierten Six Sigma Organisation durch. Dies setzt Anstrengung und Fleiß voraus. Manchen Unternehmen ist dies auf Dauer zu viel, so dass sie Six Sigma gar nicht erst anwenden oder nach einer „Schnupperphase“ gleich wieder beenden. In Anlehnung an eine andere große Projektleistung gilt: Six Sigma ist ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für jedes Unternehmen.
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services als Dienstleistungsunternehmen Dieter Wessel
Inhalt 1 2 3 4 5
1
Ausgangssituation des Dienstleistungsunternehmens ................................................475 Implementierungsprozess in fünf Phasen ..................................................................476 Kritische Betrachtung von Schlüsselfaktoren ............................................................481 Fazit und Ausblick.....................................................................................................488 Literatur .....................................................................................................................489
Ausgangssituation des Dienstleistungsunternehmens
Viterra Energy Services (VES) ist Marktführer auf dem Gebiet der Heiz- und Hausnebenkostenabrechnungen. Weltweit werden weit über 500.000 Kunden mit knapp 10 Mio. Wohneinheiten betreut, in denen mehr als 40 Mio. Geräte der Hausmesstechnik zum Einsatz kommen (Stand: Dezember 2001). Die Aktivitäten der insgesamt 3.680 beschäftigten Mitarbeiter verteilen sich auf 8 Regionalgesellschaften, die heute in 28 Ländern sowie an 65 Standorten präsent sind. Die Situation des Unternehmens war Mitte der 1990er Jahre durch ein starkes und stetiges Wachstum gekennzeichnet. In Verbindung mit den stets anspruchsvollen wirtschaftlichen Zielsetzungen, konnten zu dieser Zeit zwei unterschiedliche Entwicklungen beobachtet werden. Zum einen sah sich VES in den gesättigten Märkten mit einer stagnierenden oder sogar abnehmenden Servicequalität und Kundenzufriedenheit konfrontiert. Zum anderen registrierte das Unternehmen in den schnell wachsenden Auslandsmärkten eine Reihe von instabilen Geschäftsprozessen. Um dem steigenden Handlungsbedarf Rechnung tragen zu können, wurde die Einführung einer weltweiten Qualitätsverbesserungsinitiative vorbereitet. Im Rahmen einer breit angelegten Qualitätsoffensive sollte insbesondere ein „kultureller Wandel“ im Unternehmen eingeleitet und vorangetrieben werden, um •
die Servicequalität und Kundenzufriedenheit zu steigern,
•
die Kultur durch allgemeine Qualitätsstandards zu vereinheitlichen,
•
das vorhandene Fachwissen unternehmensweit zu nutzen.
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services
Weiterhin sollte ein deutlich nachweisbarer Ergebniseffekt bei schnellen nachhaltigen Erfolgen und schneller Amortisation der getätigten Investitionen (z.B. Trainings- und Schulungskosten der Mitarbeiter) sichergestellt sein. Nach der Prüfung verschiedener Qualitätsverbesserungsansätze rückten vor allem die Initiativen von führenden US-amerikanischen Unternehmen des vergangenen Jahrzehnts in den Mittelpunkte der Betrachtung. Am Ende fiel eine übereinstimmende Entscheidung im Vorstand von VES: We use Six Sigma!
2
Implementierungsprozess in fünf Phasen
Die Entwicklung des Six Sigma Programms bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann in fünf Phasen unterteilt werden: Zielfindungsphase, Projektauswahlphase, Regionale Ausweitungsphase, Inhaltliche Ausweitungsphase und Systematisierungsphase. Im Folgenden wird auf jede genannte Phase kurz eingegangen. Zielfindungsphase Nach den ersten Kontakten mit dem Thema „Six Sigma“ im Jahr 1998 wurde der Diskussions- und Entscheidungsprozess im Mai 1999 mit einem endgültigen Beschluss zu Six Sigma verabschiedet. Die Ziele der Initiative wurden darin wie folgt festgelegt: •
Signifikante und nachhaltige Verbesserung der VES-Servicequalität
•
Deutliche und messbare Ergebnisverbesserung durch Six Sigma.
Gleichzeitig machte der Vorstand unmissverständlich deutlich, dass Six Sigma zu den wichtigsten Initiativen des Unternehmens in den folgenden Jahren gehört. In diesem Zusammenhang gab es zum einen ein klares Commitment des TopManagements zur Bereitstellung der notwendigen Ressourcen und zur nachhaltigen Unterstützung des Programms. Zum anderen bestand die Verpflichtung, Six Sigma durch weiterführende, den angestrebten Kulturwandel fördernde Aktivitäten zu unterstützen. So wurde z.B. ein neues Bewertungssystem für Führungskräfte auf der Basis von sogenannten „360-Grad-Beurteilungen“ eingeführt. Weiterhin bestand das Ziel, durch die Einführung von Six Sigma tiefgreifende Veränderungen auf der Mitarbeiterebene zu erreichen. Das Qualitätsverständnis, die Kommunikation und die Arbeitsweise der Mitarbeiter sollten sich grundlegend verändern und nach Möglichkeit vereinheitlichen. Außerdem sollte jeder Beschäftigte des Unternehmens erkennen, dass ausschließlich der Kunde definiert, was „Qualität“ ist. Das Ziel aller Aktivitäten von VES lautete von nun an, Kundenanforderungen vollständig und wirtschaftlich erfüllen, um langfristige Kosteneinsparungen sowie Ertragssteigerungen zu erzielen.
Dieter Wessel
477
Als langfristige Zielsetzungen standen u.a. die Vereinheitlichung der Sprache und der Arbeitsweisen an allen Unternehmensstandorten, die Minimierung der Reibungsverluste in Prozessen sowie die Standardisierung der Vorgehensweisen im Hinblick auf ein weltweit „durchgängiges“ Systemgeschäft im Vordergrund. Der Einsatz bewährter Six Sigma Methoden in Prozessverbesserungsprojekten sollte dabei helfen, die Einstellung und das Verhaltens der operativ tätigen Mitarbeiter positiv zu beeinflussen. Kurz gesagt: Six Sigma, the way we work! Bereits im Juni 1999 begann die Vorauswahl von Beratern und Trainern sowie der ersten fünf Black Belts (BB). Als Pilotregionen wurden die Landesgesellschaften Kopenhagen (Dänemark) und Münster (Deutschland) ausgewählt. Die Gründe hierfür waren eindeutig: Einerseits versprach Deutschland, als größter Regionalmarkt von VES, den größten Verbesserungshebel mit Six Sigma zu generieren. Andererseits galt die dänische Landesgesellschaft als sehr veränderungsoffen mit der Erwartung, dass ein ganzheitlicher Verbesserungsansatz hier auf besonders „fruchtbaren Boden“ fällt. Entsprechend dem Leitsatz Completely satisfying customer needs profitably fand am 1. September 1999 die Kickoff-Veranstaltung für Six Sigma statt. Projektauswahlphase Zu Beginn des Six Sigma Programms wurden das Top-Management und die Black Belts geschult und trainiert. Entsprechend dem „GE Capital Standard“ umfasste das Black Belt Training eine dreiwöchige projektbezogene Ausbildung. Mit der Durchführung der Schulung wurde ein externes Beratungsunternehmen beauftragt, das schon einschlägige Erfahrungen bei anderen Unternehmen, z.B. GE CompuNet, vorweisen konnte. Gleichzeitig wurde die Einführung von Six Sigma VES von fünf Beratern und Trainern des Unternehmens GE CompuNet unterstützt. In der ersten Umsetzungsphase konzentrierte sich VES auf Qualitätsverbesserungsprojekte, die mit Hilfe des DMAIC-Zyklus und entsprechend der bewährten „GE-Vorgehensweise“ durchführbar waren. An dieser Stelle sei jedoch vermerkt, dass der Problemlösungszyklus DMAIC i.d.R. unternehmensabhängig variiert bzw. angepasst werden muss. Zum Beispiel wird bei einem Weltkonzern wie GE, der stärker produktionsorientiert ist, ein Großteil der Aufgaben aus der DefinePhase vor dem eigentlichen Projektstart von Beratern abgearbeitet. In Abstimmung mit den externen Beratern entschied sich VES dafür, parallel zum Training der Black Belts, die ersten Verbesserungsprojekte unverzüglich in Angriff zu nehmen. Dadurch sollten sowohl der Praxisbezug als auch die finanzielle Wirksamkeit der Methodik frühzeitig unter Beweis gestellt werden. Anhand einer von den Führungskräften ausgearbeiteten Vorschlagsliste mit insgesamt 80 Projektideen erfolgte die Auswahl der ersten Six Sigma Projekte. In Abbildung 1 ist ein Auszug der zur Projektauswahl genutzten Bewertungsmatrix dargestellt. Der Start der Projektarbeit erfolgte schließlich einen Monat nach der KickoffVeranstaltung und zwar mit einem Projekt in Dänemark und zwei weiteren in
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services
Ergebnisse bei geringem Risiko
Wahrscheinlicher Net Benefit
Ressourcenverfügbarkeit
Berücksichtigung von CSI/PSI
Projektkomplexität
Nutzen für MA und Entscheider
Vereinbarkeit mit Zielwerten
Vermeidung von Konfrontation
Akzeptanz bei Entscheider
Gesamtbewertung
Deutschland. Die ausgewählten Problemstellungen waren mit Hilfe des DMAICZyklus innerhalb von 90 Tagen zu lösen, so dass alle drei „Erstprojekte“ noch planmäßig und mit Erfolg im Jahr 1999 abgeschlossen werden konnten. Eines der drei Projekte übertraf die ursprünglichen Erwartungen bei Weitem. Hierdurch wurde eine wichtige Basis zur Kommunikation des Wertes von Six Sigma gelegt. Demgegenüber verfehlte ein anderes Projekt aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen (z.B. mangelnde Messbarkeit und keine klare Kausalität zwischen Projektthema und -nutzen) die gesetzten Ziele bzw. Erwartungen knapp. Im Nachhinein betrachtet, war die Themenstellung nicht geeignet, um mit der damals bei VES vorhandenen „Six Sigma Erfahrung“ erfolgreich bearbeitet werden zu können. Trotzdem konnten aus diesem Projekt wertvolle Erfahrungen („Lessons learned“) für die weitere Projektauswahl und -durchführung gesammelt werden.
Generierung von Neugeschäften aus aktuellem Bestand
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Optimierung von Neumontagen
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Qualitätssicherung bei Subunternehmen
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Bewertungskriterien
Projektvorschlagsliste
... Legende: 0 = gering
1 = mittel
2 = hoch
Abbildung 1: Bewertungsmatrix zur Projektbestimmung bei VES
Regionale Ausweitungsphase Nachdem im 4. Quartal 1999 die ersten Black Belts trainiert sowie die ersten drei Projekte durchgeführt waren, stand das 1. Halbjahr 2000 unter dem Zeichen der regionalen Ausweitung der Initiative. Neben Dänemark und Deutschland wurden weitere drei Regionalgesellschaften in die Six Sigma Aktivitäten einbezogen und insgesamt 23 Projekte schrittweise gestartet. Zudem standen sowohl die Ausbildung weiterer 12 Black Belts und 18 Green Belts als auch intensive Trainings auf allen Hierarchieebenen auf der Tagesordnung. Die Durchführung der Black und Green Belt Trainings erfolgte weiterhin unter aktivem Einbezug von externen Trainern. Außerdem wurden im Rahmen von zweitägigen „Yellow Belt Trainings“ die Mitarbeiter mit Leitungs- oder Spezialis-
Dieter Wessel
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tenfunktionen (z.B. Teamsprecher, Vertriebsleiter, technische Spezialisten und ausgewählte Vertriebsmitarbeiter) geschult. Auf diese Weise waren am Ende der Ausbildungsmaßnahmen etwa 10 bis 15 % der Gesamtbelegschaft in den Six Sigma Methoden geschult oder zumindest mit ihnen vertraut. Die Führungskräfte aller Regionalgesellschaften (Geschäftsführer und Niederlassungsleiter) wurden ebenfalls in einem zweitägigen Six Sigma Training auf ihre Rolle als ProjektChampion vorbereitet. Mit zunehmender regionaler Ausweitung des Programms, konnten die externen Berater nach und nach durch unternehmenseigene Black Belts und Master Black Belts ersetzt werden. Wie in anderen Unternehmen auch, sind die Black Belts bei VES in Vollzeit beschäftigt und verbleiben für etwa 1,5 bis 2 Jahre im Six Sigma Programm. Green Belts hingegen stehen nur zu 25 bis 50 % ihrer Arbeitszeit für Six Sigma Aktivitäten zur Verfügung. Ihre Aufgaben bestehen vor allem darin, den Six Sigma RollOut sowie kleinere lokale Projekte zu unterstützen. Yellow Belts sind zum einen als Verbesserungsteammitglieder prädestiniert, zum anderen sollen sie als Experten oder Vorgesetzte von Teammitgliedern die Projekte besonders unterstützen. Inhaltliche Ausweitungsphase Das 2. Halbjahr 2000 stand vor allem unter der Devise der inhaltlichen Ausweitung von Six Sigma. Unter Berücksichtigung der gesammelten Erfahrungen fand eine Flexibilisierung der Aktivitäten statt. Bei stärkerer Fokussierung auf lokale Problemstellungen wurde das Projektauswahlverfahren modifiziert, um insbesondere die Erfordernisse einzelner Niederlassungen und Standorte sowie saisonale Schwankungen besser zu berücksichtigen. Die „Roll-Outs“ der erarbeiteten Lösungen wurden gebündelt und unter Berücksichtigung der Arbeitsbelastung in der Organisation als Prozessänderungen eingetaktet. Als einen speziellen Weg für die Umsetzung von Six Sigma gründete VES eine Task Force aus vier erfahrenen internen „Service-Coaches“ und zwei Black Belts, die unter Verwendung der Six Sigma Methodik schwerpunktmäßig in einzelnen Niederlassungen eingesetzt wurden. Die Task Force bildete sozusagen ein ständiges Verbesserungsteam, das man je nach Bedarf um Mitarbeiter aus den betroffenen und Experten aus anderen Bereichen ergänzte. In der inhaltlichen Ausweitungsphase wurden auch erste Schritte in Richtung auf ein unternehmensweites Prozessmanagement unternommen. Für die Nachhaltigkeit der erarbeiteten Erfolge war es unerlässlich, Verantwortlichkeiten für Prozesse (Prozesseigner) festzulegen und außerdem geeignete Controllingmaßnahmen hierfür zu entwickeln. Im Ergebnis wurden bei VES Prozesseigner auf allen Ebenen, d.h. von der Systemzentrale bis hinunter auf die Abteilungsebene in Niederlassungen und zentralen Bereichen, etabliert (vgl. auch Abbildung 2).
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services
Im zweiten Halbjahr 2000 wurden die Ausbildungsaktivitäten konsequent weitergeführt. Insbesondere fanden Trainingsmaßnahmen für weitere zwei Black und Green Belt Gruppen statt. Am Jahresende konnte VES bereits 30 trainierte und im Projekteinsatz befindliche Black Belts aufweisen. Zusammen mit den Green Belts bildeten sie die Basis des Erfolgs. Je nach Standort und Regionalgesellschaft entsprach der „Belt-Bestand“ 1 bis 1,5 % der Gesamtbelegschaft.
Hier anfangen!
Ziele, Rückblick Prozesseigner
CTQ (extern)
Schritt 1
szes Pro trolln o k n pla
Schritt 2
Schritt 3
Schritt 4
Prozessoutput
Ziele, Rückblick szes Pro trollkon n pla
CTQ (intern)
Schritt 2a
Schritt 2b
Schritt 2c
Schritt 2d
Output
Messgrößen zur Prozesskontrolle Projekt
Abbildung 2: Hierarchisches Prozessmanagement bei VES
Systematisierungsphase Das Jahr 2001 stand im Zeichen der Weiterentwicklung und Systematisierung der Six Sigma Aktivitäten. Obwohl die bisherigen Projektergebnisse den Nutzen des Programms für die Organisation deutlich widerspiegelten, zeigte sich an manchen Stellen noch erheblicher Verbesserungs- bzw. Handlungsbedarf. Insbesondere bei der Projektauswahl und Lösungsimplementierung war eine nicht immer ausreichende Systematik zu beobachten. Hierbei galt es zum einen, die jeweils dringlichsten und wichtigsten Themenbereiche zu identifizieren. Zum anderen mussten jedoch die Projektergebnisse vollständig und nachhaltig in der Organisation „verankert“ werden. Getrieben von Six Sigma, wird deshalb gegenwärtig intensiv daran gearbeitet, ein ganzheitliches Prozessmanagement im Unternehmen zu etablieren. Die Schaffung durchgehender Prozessverantwortlichkeiten auf allen Ebenen sowie projektunabhängiger Messungen von wichtigen Prozessparametern stehen dabei im Fokus der Arbeit. In der Abbildung 2 sind die Ansatzpunkte des Prozessmanagements bei VES dargestellt.
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Kritische Betrachtung von Schlüsselfaktoren
Nach einem Überblick über den Einführungsprozess sollen im Folgenden ausgewählte Faktoren, die im Allgemeinen zum Erfolg von Six Sigma beitragen, kritisch beurteilt werden. Aus den Erfahrungen von VES zählen zu diesen vor allem die Top-Down-Einführungsstrategie, das Rollenverständnis in der Projektorganisation, die Projekt bzw. Team Charter zur Projektdetaillierung, die unternehmensweite Kommunikation, der Nachweis des Projektnutzens und die Sensibilisierung der Mitarbeiter. Top-Down-Einführungsstrategie Six Sigma wird in Unternehmen stark vom Vorstand „getrieben“ und unterstützt. Nicht nur bei VES gehört dies zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren beim Implementierungsprozess. Die Unterstützung äußert sich in konstanter Aufmerksamkeit des Vorstands für alle Six Sigma Aktivitäten sowie im Einsatz eines konkreten Steuerungsinstrumentariums, z.B. monatlich stattfindende Business Quality Councils. Von Beginn an wurde Six Sigma in das „Management-Reporting und IncentiveSystem“ integriert. Bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter ist Six Sigma heute fester Bestandteil der Schulungsmaßnahmen. Damit werden einerseits die Bedeutung und Dauerhaftigkeit des Six Sigma Programms dokumentiert und andererseits die Befürchtungen von Mitarbeitern abgebaut, die Six Sigma als eine „vorrübergehende Initiative“ des Unternehmens sehen. Die starke Top-Down-Ausrichtung des Einführungsprozesses brachte nicht nur Zustimmung im Unternehmen. Insbesondere bauten sich beim Management in den Regionalgesellschaften erhebliche Widerstände auf, da die Geschäftsleitungen in Six Sigma ein Instrument zur direkten Einflussnahme des Vorstands auf regionale Verantwortlichkeiten sahen. Um diesen Eindruck von Vornherein zu minimieren, wurde Six Sigma als „Werkzeug zur Erreichung der Unternehmensziele“ sowie als „Dienstleister für die gesamte Organisation“ deklariert. Mit der ersten Aussage wurde die Konsistenz zwischen Veränderungs- und Unternehmenszielen sichergestellt und allen Beteiligten die Möglichkeit gegeben, dies auch einzufordern. Die zweite Aussage stellte sicher, dass das mittlere Management ausreichende Steuerungsmöglichkeiten zur Durch- und Umsetzung von Six Sigma erhielt. Im Zuge der Umsetzung von Six Sigma wurden vom Vorstand immer anspruchsvollere Ziele sowohl für den Organisationsaufbau als auch den finanziellen Nutzen der einzelnen Standorte gesetzt. Die konkrete Auswahl von Projekten lag jedoch weiterhin voll in der Hand der Regionalgesellschaften, die zu diesem Zweck sog. Regional Quality Councils bildeten. Diese waren je nach Region unterschiedlich besetzt, so dass dem Gremium teilweise das gesamte lokale Management angehörte, teilweise aber auch nur die regionale Geschäftsführung (vgl. Abbildung 3).
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services
BQC RQC QL (M)BB BQA
BQC
Business Quality Council Regional Quality Council Quality Leader (Master) Black Belt Business Quality Analyst
Quality Leader VES BQA MBB´s (BB´s) RQC Große Regionalgesellschaft > 500 MA regionaler QL: 1 MBB: >2 BB: >10
RQC Mittlere Regionalgesellschaft 200 - 500 MA regionaler QL: 0 MBB: 1 BB: 5-9
RQC Kleine Regionalgesellschaft < 200 MA regionaler QL: 0 MBB: 0 BB: 1-5
RG Münster
RG Kobenhavn
übrige RG´s
Abbildung 3: Six Sigma Organisation bei VES
Die Black Belts wurden disziplinarisch den Regionen und nicht der Zentrale untergeordnet. Für die Aus- und Weiterbildung der Black Belts und des lokalen Managements sowie deren Koordination und Einhaltung von Methoden sorgte lediglich eine zentrale Stabsabteilung, die sich aus mehreren Master Black Belts zusammensetzte. Dieser dezentrale Ansatz führte dazu, dass die Black Belts in den Regionen als die „eigenen Leute“ wahrgenommen wurden und dementsprechend wenig Akzeptanzprobleme hatten. In den Regionen, in denen die vom Vorstand favorisierte Top-Down-Strategie nicht voll umgesetzt wurde, war ein deutlich erschwerter Six Sigma Einführungsprozess zu verzeichnen. Zum Beispiel verfolgte die größte Regionalgesellschaft des Unternehmens einen sehr zentralistischen Ansatz. Das heißt, statt den Einzelstandorten mit 50 bis 100 Mitarbeitern je einen Black Belt zuzuordnen, wurden diese zentral bestimmt und mit Projekten „betraut“. Bei den Standortleitern erzeugte dieses Vorgehen erheblichen Widerstand, der die Six Sigma Einführung am Ende deutlich erschwerte. Mit der nach und nach einsetzenden Dezentralisierung wurden sowohl die Methodenakzeptanz als auch die Projekteffekte deutlich verbessert. Heute ist an jedem Standort zumindest ein Green Belt aktiv. Einzelnen Standorten sind auch bereits Black Belts zugeordnet. Grundsätzlich ist bei der von VES gewählten Top-Down-Strategie zu beachten, dass die Trainingsdurchführung und -geschwindigkeit sowie die Projektauswahl und -umsetzung den regionalen Gegebenheiten angepasst werden. Die konkreten Einführungspläne sollten in jedem Fall auf die jeweilige Landeskultur und die
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Standortgegebenheiten zugeschnitten werden. Dem lokalen Management sind dabei ausreichend Spielräume bei der unternehmensbezogenen Implementierung und Umsetzung zu gewähren. Rollenverständnis in der Projektorganisation Die Six Sigma Projektorganisation setzt sich bei VES zum einen aus projektbezogenen Verbesserungsteams unter Führung von Black und/oder Green Belts zusammen. Zum anderen stehen für die Projektplanung und -steuerung bereichsübergreifende Master Black Belts und Champions sowie ein übergeordnetes Quality Council zur Verfügung. Im Verbesserungsteam bringt der Projektleiter (BB) in erster Linie die Methodenkompetenz ein. Seine Aufgabe ist es, das Team planmäßig zum Erfolg zu führen und dabei die Projektorganisation und -dokumentation zu übernehmen. Die übrigen Teammitglieder (GB) steuern wichtiges Fachwissen zum Projekterfolg bei. Der Champion hat für den Projekterfolg die zentrale Rolle. Er ist Auftraggeber des Projekts und sollte selber Prozesseigner sein, um seiner Rolle mit dem nötigen Engagement gerecht zu werden. Er muss weiterhin mit der nötigen Autorität ausgestattet sein, um die erforderlichen Ressourcen für das Projekt „frei zu bekommen“. Als „Herr des Verfahrens“ ist er derjenige, der sowohl für den Gesamterfolg des Projekts verantwortlich ist, als auch das Team regelmäßig nachsteuert. Bei den erforderlichen Reviews unterstützt ihn – soweit erforderlich – der zuständige Master Black Belt (siehe Abbildung 4).
Quality Council Champion
MBB BB Team
Abbildung 4: Das Rollenverständnis in der Projektorganisation
Im Zuge der bisher durchgeführten Projekte ist festzustellen, dass die richtige Auswahl des Champions und ein klares Rollenverständnis seinerseits wichtige Vorbedingungen für den generellen Projekterfolg sind. Insbesondere sollte dem
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services
Champion das anzugehende Problem ausreichend wichtig erscheinen, um die Lösung effektiv und in kurzer Zeit vorantreiben zu können. Team Charter zur Projektdetaillierung Der Projektauftrag wird bei VES durch eine sog. Team Charter erteilt und entspricht gleichzeitig der „Gründungsurkunde“ eines Projekts. In Form eines einseitigen Formulars enthält die Team Charter alle Schlüsselinformationen zu einem Projekt, z.B. Probleme, Ziele, Verantwortlichkeiten, Meilensteine und Projektumfang. Die gewählte Darstellungsweise trägt dabei maßgeblich zur Übersichtlichkeit und Präzisierung der Projektinhalte bei (vgl. Abbildung 5). Bereits bei der Projektrecherche und Ausarbeitung der Team Charter erlangen die Beteiligten oftmals neue Einsichten in den Problem- bzw. Projektumfang. Als schwierigste Aufgabe bei der Erstellung einer Team Charter erweist sich nach wie vor die Problemformulierung. Unter dem Punkt Probleme und Ziele sollte in quantifizierbarer und verifizierbarer Weise der Sachverhalt dargestellt werden, •
der Anstoß zu dem Projekt gibt und bei dem die Ursachen noch nicht oder nur unzulänglich bekannt sind und
•
für den derzeit Lösungen gesucht werden und diese noch nicht oder unzureichend erkennbar sind. Projektsteckbrief „Kaffee kochen“ Geschäftssituation • Kaffee ist ein wichtiges Bewirtungsprodukt • Wir verbrauchen ca. 30 kg Kaffee pro Monat zur Bewirtung von ca. 2000 Gästen • Verschiedene Personen nutzen den Prozeß des Kaffeekochens
Probleme und Ziele Problem: Die Anzahl der servierten Kaffeetassen hat sich in den zurückliegenden 12 Monaten von 2600 auf 2000 pro Monat reduziert. Der gesamte Umsatzrückgang betrug im gleichen Zeitraum 14 %.
Projektumfang und -fokus Untersucht wird der Prozess „Kaffee kochen“ von der Entscheidung, Kaffee zu kochen, bis zum Vorliegen des gekochten Kaffees in der Thermoskanne. Out of Scope: • Prozess der Kaffee-Beschaffung • Prozess der Bewirtung
Rollen und Meilensteine Champion: Geschäftsführer unseres Kaffeehauses Black Belt: ... Teammitglieder: ... Aufwand je Teammitglied (MT, ohne Reiseaufwand):
Projektziele:
Starttermin: Endtermin:
Steigerung des Kaffeeabsatzes auf 2400 Tassen bis 30.6. Steigerung des Gesamtumsatzes um 10 % bis 30.9.
Methodik: DMAIC, 90 Tage-Projekt
Net Benefit: 12 T€
Abbildung 5: Formblatt zur Projektdetaillierung (Team Charter)
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Ist das Problem in der beschriebenen Weise aussagefähig formuliert, lassen sich daraus unmittelbar die zu erreichenden Ziele ableiten sowie der Net Benefit berechnen. Nach den Erfahrungen bei VES sollte man sich bei der Projektauswahl zunächst auf klar definierte Kernprozessschritte konzentrieren. Außerdem sollten zu Beginn der Initiative nicht die umfassendsten Themenstellungen, entsprechend dem Motto „Biggest Problem first“, in Angriff genommen werden. Vielmehr befördern Themen, die unmittelbar der Vermeidung von Ertragsverlusten dienen, das Ziel der schnellen Amortisation von Trainings- und Projektkosten. Ohne die Six Sigma Aktivitäten frühzeitig in Frage zu stellen, sollten gerade in der Einführungsphase „personalfreisetzende“ Projekte, die dem traditionellen „Cost Cutting Prinzip“ sehr nahe kommen, strikt vermieden werden. Unternehmensweite Kommunikation Einen wichtigen Erfolgsfaktor bei der Implementierung von Six Sigma stellt ohne Zweifel die bereichsübergreifende Kommunikation dar. Ziel war es deshalb, schon bei Beginn der Initiative klare Botschaften an Mitarbeiter und Führungskräfte auszusenden. Wie bereits erwähnt, wurde zunächst der gesamte VES-Vorstand trainiert, um in der Folgezeit als Steuermann und Treiber des Six Sigma Programms zu agieren. Auch heute finden in regelmäßigen Abständen Business Quality Councils statt, auf denen alle wesentlichen Entwicklungen und Ergebnisse besprochen bzw. koordiniert werden. Durch ein „Awareness Training“ für alle Mitarbeiter sowie weitere zweitägige Yellow Belt Trainings für 15 % der Belegschaft wurde Six Sigma in allen Unternehmensbereichen etabliert. Six Sigma gilt heute als „lebendiger Bestandteil“ der Unternehmenskultur. Allgemeine Information zur laufenden Projektbearbeitung und -entwicklung finden sich in verschiedenen Medien wieder. Zum Beispiel erfolgt die regelmäßige Herausgabe (in deutscher und englischer Sprache) von Six Sigma Info-Briefen, Artikeln in hauseigenen Publikationen sowie sog. Story Boards. Zur internen Kommunikation sind außerdem alle schriftlichen Informationsträger auf einem eigenen „Six Sigma Laufwerk“ bzw. im Intranet abgelegt und damit für alle Mitarbeiter verfügbar. Jedoch mussten mit der Einführung einer unternehmensweiten Kommunikation ebenfalls zu hohe Erwartungen und Euphorie einzelner Mitarbeiter gedämpft werden. Insbesondere waren Auffassungen, die Six Sigma als eine Art Wunderwaffe zur Lösung aller Probleme hinstellten, von vornherein einzudämmen. Damit Six Sigma zu einem durchschlagenden Erfolg im Unternehmen wird, reicht jedoch die bloße Kommunikation und Information der Mitarbeiter nicht aus. Vielmehr muss Six Sigma im Unternehmen „gelebt“ werden, d.h. Six Sigma muss in die Köpfe der Mitarbeiter gelangen und zum festen Bestandteil ihres täglichen Arbeitsprozesses werden. Dem dabei mitunter erhobenen Vorwurf, Six Sigma sei ein „Sektenkonzept“, ist vonseiten des Managements entschieden entgegenzutreten.
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services
Zweifellos bedeutet die konsequente Umsetzung von Six Sigma einen tiefgreifenden kulturellen Wandel im Unternehmen. Dennoch handelt es sich bei Six Sigma in erster Linie um einen intelligent zusammengesetzten Methodenzyklus, bei dem bewährte Instrumente aus bewährten Qualitätskonzepten „exzessiv“ zur Anwendung kommen. Durch die Neugestaltung der Arbeits- und Denkweise im Unternehmen sowie den primären Fokus auf den wirtschaftlichen Erfolg profitieren von Six Sigma vor allem die Unternehmensbeteiligten und die Kunden. Diese Botschaft gilt es heute und in Zukunft in „Six Sigma Unternehmen“ zu vermitteln. Nachweis des Projektnutzens In der Six Sigma Systematik gibt es zwei zentrale Größen zum Nachweis des Projekterfolgs: den Sigma-Wert und den Net Benefit. Der Sigma-Wert stellt die Größe dar, die etwas über die Leistungsfähigkeit und die Verbesserung der Geschäftsprozesse aussagt. Mit dem Net Benefit kann demgegenüber der wirtschaftliche Erfolg der Projektarbeit nachgewiesen werden. Mit der Einführung von Six Sigma bei VES erfolgte eine klare Festlegung auf den Net Benefit als Kenn- und Steuerungsgröße für Projekte. Er wird nach gängigen Regeln für jedes Six Sigma Projekt einzeln berechnet und vom Controlling regelmäßig überprüft. Nach der Umsetzung des Projektergebnisses wird 12 Monate lang der Effekt der Lösung „nachgehalten“. Dass heißt, als Net Benefit wird konsequent nur das akzeptiert, was während dieser Zeit auch nachweisbar ist, und nicht etwa die am Projektende prognostizierten Werte. Neben eindeutigen Berechnungsregeln tragen vor allem unabhängige Kontrollen zur Glaubwürdigkeit des Six Sigma Konzepts beim Management und in der gesamten Organisation bei. Gleichzeitig können damit gelegentliche Vorwürfe hinsichtlich des „Schönrechnens“ von Projekten von der Hand gewiesen werden. Grundlage der Net Benefit Berechnung ist eine nachweisbare, d.h. positive Wirkung auf das Betriebsergebnis. Liegt diese nicht vor, wird das Projekt von vornherein nicht akzeptiert bzw. mit reduziertem Benefit-Wert, im Extremfall Null, bewertet. Tritt letzteres ein, dann steht die Projektdurchführung den lokalen Entscheidern trotzdem frei, solange die Gesamtziele der Region erreichbar bleiben. Die Kehrseite der generellen Konzentration auf den Net Benefit ist es, dass nichtmonetäre Nutzenarten nicht ausreichend berücksichtigt bzw. kommuniziert werden. Dies führte bei VES dazu, dass einige Projekte in der Organisation als übereinstimmend „erfolgreich“ wahrgenommen wurden, obwohl ihr Net Benefit Null betrug. Diese Diskrepanz erschwerte häufig die Kommunikation mit den Mitarbeitern und führte nicht selten auch zu Missverständnissen. Selbst wenn die Ergebnisse von Six Sigma Projekten grundsätzlich monetär messbar sind, findet sich der Projekterfolg nicht ausschließlich im Net Benefit wieder. Heute werden deshalb nicht-monetäre Projektergebnisse deutlicher herausgestellt und kommuniziert. Nach hinreichenden Projekterfahrungen stellen aus heutiger Sicht die Steigerung des Sigma-Wertes und die des Net Benefit zwei Ausprägungen desselben Sach-
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verhalts von Six Sigma dar. Auf der Grundlage von Prozessoptimierungen werden die wertschöpfenden Bestandteile von Prozessen erhöht und gleichzeitig die wertneutralen bzw. wertvernichtenden Aktivitäten reduziert. Als wertschöpfende Aktivitäten gelten bei VES alle Prozessschritte, die die Erfüllung von Kundenanforderungen gewährleisten und deren Zahlungsbereitschaft für die gesamte Prozessleistung auslösen und ggf. erhöhen. Der Net Benefit von Projekten ergibt sich folglich aus den durch den Anstieg der Prozessleistung generierten finanziellen Nutzen abzüglich den Projektkosten – er ist die Sprache des Managements. Gleichzeitig fokussieren die Prozessverbesserungen im Rahmen von Six Sigma darauf, Kundenanforderungen (CTQ) möglichst vollständig und fehlerfrei zu erfüllen. Wird eine Kundenanforderung nicht erfüllt, dann handelt es sich entsprechend der Six Sigma Philosophie um einen Fehler. Die Anzahl der Fehler in einem Prozess bezogen auf die Fehlermöglichkeiten der gesamten Prozessleistung bestimmt den Sigma-Wert. So bedeutet Six Sigma bekanntlich 3,4 Fehler pro eine Million Fehlermöglichkeiten. Die Steigerung des Sigma-Wertes ist damit ebenfalls eine Darstellung des Projekterfolgs. Sie verdeutlicht die Erhöhung der Leistungsfähigkeit in der Sprache des Prozesses. Im Zuge der Analyse wird offensichtlich, dass Qualitäts- und Ertragssteigerungen unmittelbar einhergehen und nicht im Gegensatz zueinander stehen. Durch den Six Sigma Ansatz wird in besonderer Weise deutlich, dass Qualität keine Kosten verursacht, sondern im Gegenteil, einen wichtigen Ergebnisbeitrag leistet. In diesem Zusammenhang ist auch die Ermittlung des finanziellen Nutzens von Projekten zu sehen. Führt die Berechnung des Net Benefit zu einem negativen Ergebnis, obwohl sich die Qualitätsrate nachweislich erhöht, dann sind die Kosten mangelhafter Qualität häufig nicht bekannt bzw. unzureichend berücksichtigt. Auch kann eine falsche Problemdarstellung dazu führen, dass sich ein negativer Net Benefit ergibt. Sensibilisierung der Mitarbeiter Durch die umfassenden Trainings und die Vielzahl der durchgeführten Projekte ist eine weitgehende „Durchdringung“ der Organisation mit Six Sigma erreicht worden. Die Methoden und Instrumente sowie die begrenzte Laufzeit der Six Sigma Projekte werden mittlerweile durchweg positiv aufgenommen. Insbesondere projekterfahrene Mitarbeiter, die eine Reihe von sich endlos hinziehenden Projekten durchlaufen haben, schätzen den klar definierten Rahmen und die kurzfristig erarbeiteten Lösungen. An dieser Stelle soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass das Gefühl, permanent unter dem Druck und der Beobachtung des Managements zu stehen, von vielen Mitarbeitern als bedrängend empfunden wird. Gleichzeitig wird Six Sigma von einigen Beteiligten nach wie vor als reines Kostensenkungsprogramm gesehen. Hier gilt es, kontinuierliche Überzeugungsarbeit zu leisten. Zum Beispiel ist immer wieder zu verdeutlichen, wie mit Hilfe von Six Sigma Projekten, die Arbeits-
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Fünf-Phasen-Prozess zur Einführung von Six Sigma bei Viterra Energy Services
bedingungen jedes einzelnen Mitarbeiters verbessert und gleichzeitig die Ziele der Initiative nachhaltig verfolgt werden können. Dabei wirken ohne Zweifel solche Projekte am überzeugendsten, deren Nutzen für jeden Mitarbeiter unmittelbar wahrnehmbar ist. Aus Kommunikationsgesichtspunkten sind diese im Rahmen von Six Sigma besonders zu fördern. Wie bereits oben erwähnt, bestand mit der Einführung von Six Sigma bei VES das Ziel, eine gemeinsame Sprache in einem international ausgerichteten Unternehmen zu schaffen. Im Zuge der Ausbreitung von Six Sigma in der Organisation entwickelte sich schnell eine eigene „Fachsprache“. Unter dem Aspekt des Jargons stieß diese jedoch bei vielen Beteiligten zunächst auf Misstrauen und wurde teilweise sogar als unangenehm empfunden. Aus Gründen der Präzision und der internen Kommunikation ist die Entwicklung einer solchen Sprache nicht vermeidbar – teilweise ist sie sogar unerlässlich. Nach den Erfahrungen bei VES entwickelt sie sich jedoch dann zum unangenehm empfundenen „Fachjargon“, wenn sie eine bereichsübergreifende Kommunikation verhindert und, im Gegenteil, zur Ausgrenzung von Beteiligten führt. In diesem Fall schöpft nur der Sender einer Botschaft einen Teil seines Selbstverständnisses aus der von ihm gewählten Sprache. Dieses Defizit kann nur behoben werden, indem alle Begriffe umfassend und ausgiebig erläutert sowie Un- bzw. Missverständnisse unmittelbar beseitigt werden. Da Six Sigma ursprünglich von USamerikanischen Unternehmen stammt und von diesen lange Zeit geprägt wurde, sollte insbesondere eine Sensibilisierung der Mitarbeiter im Hinblick auf die Nutzung englischsprachiger Begriffe erfolgen.
4
Fazit und Ausblick
Aus heutiger Sicht gilt der Projektmanagementansatz Six Sigma im Dienstleistungsunternehmen Viterra Energy Services als „eingeführt“. In allen Bereichen des Unternehmens finden entsprechende Aktivitäten in Form von Projekten statt. Alle Mitarbeiter der Organisation sind inzwischen mit der Six Sigma Philosophie und dem ganzheitlichen Verbesserungsansatz vertraut. Dies liegt vor allem in den intensiven Trainingsmaßnahmen sowie der regelmäßigen Berührung mit Six Sigma in den zahlreichen Projekten begründet. Auf der anderen Seite ist der „Durchdringungsprozess“ der Organisation mit Six Sigma noch immer nicht vollständig abgeschlossen. Insbesondere fehlt an manchen Stellen die Durchgängigkeit von Prozessverantwortlichkeiten, die Konsistenz eines kundenorientierten Prozessdesigns und/oder die Systematisierung und projektunabhängige Messung wichtiger Prozesskenngrößen. Der Aufbau geeigneter Strukturen und Komponenten ist daher auf absehbare Zeit die wichtigste „Six Sigma Baustelle“ im Unternehmen.
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Der Einführungsprozess wurde bei VES bewusst auf der Ebene von effektiven Einzelprojekten begonnen. Damit sollten unter anderem schnelle Anfangserfolge erzielt, Erfolgspotenziale nachgewiesen sowie Grundlagen für eine breite Akzeptanz der Six Sigma Methoden im Unternehmen geschaffen werden. Die genannten Faktoren waren letztendlich die Voraussetzung dafür, dass Six Sigma in der Organisation „gelebt" und weiterentwickelt sowie von den einzelnen Bereichen „nachgefragt“ und umgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang ist es nicht unbedingt notwendig, die Einführung eines Prozessmanagements nach dem Top-DownPrinzip zentral zu verordnen. Vielmehr wird der Systematisierungsbedarf von den Bereichen selbst erkannt und in Projektideen festgehalten. In der praktischen Umsetzung von Six Sigma besteht bei VES auch heute noch ein ständiger Bedarf an effektiver Projektunterstützung und Zielkommunikation seitens des Managements. Hier gilt es insbesondere, die Anforderungen der Organisation auf operativer Ebene („Pull-Ebene“) mit den Zielsetzungen des TopManagements auf strategischer Ebene („Push-Ebene“) in Einklang zu bringen. Nur durch eine nachhaltige Verbindung von Pull- und Push-Ebene besteht die Voraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Weiterentwicklung von Six Sigma.
5
Literatur
Breyfogle, F.W. (2003): Implementing Six Sigma: Smarter Solutions Using Statistical Methods, 2nd ed., New York 2003. Eckes, G. (2001): The Six Sigma Revolution, New York 2001. Harry, M./Schroeder, R. (2005): Six Sigma – Prozesse optimieren, Null-FehlerQualität schaffen, Rendite radikal steigern, 3. Aufl., Frankfurt/M. 2005. Pande, P.S./Neumann, R.P./Cavanagh, R.R. (2000): The Six Sigma Way, How GE, Motorola and Other Companies Are Honing Their Performance, McGrawHill 2000.
Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen Bert Leyendecker
Inhalt 1 2 3 4 5 6
1
Entwicklung des Projektauswahlprozesses................................................................490 Ableitung von Six Sigma Projekten...........................................................................491 Bewertung potenzieller Projekte................................................................................493 Priorisierung von Projekten .......................................................................................497 Detaillierung der Projektaufträge...............................................................................499 Durchführung von Projekt-Reviews ..........................................................................501
Entwicklung des Projektauswahlprozesses
Zu Beginn der Six Sigma Aktivitäten im Werk Wuppertal der Johnson & Johnson GmbH spielte die Projektauswahl eine vergleichsweise geringe Rolle. Jeder Beteiligte konnte auf Anhieb mehrere geeignete und ihm wichtig erscheinende Projekte benennen. Ein genaues Definieren und Auswählen von relevanten Projekten erschien zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig. Die ersten Schwierigkeiten bei der Durchführung verschiedener Projekte ergaben sich bereits nach einigen Monaten. Dass die Auswahl der „richtigen“ Six Sigma Projekte ein Schlüssel zum Erfolg ist, wurde spätestens jetzt allen Beteiligten klar. Häufig stellt die Projektauswahl eine nicht zu unterschätzende Herausforderung an das gesamte Unternehmen dar. So sind z.B. konkurrierende Ziele gegeneinander abzuwägen, absolute und relative Vorteile einzeln zu bestimmen sowie mögliche Erfolgspotentiale frühzeitig aufzuzeigen. Aus den Erfahrungen bei der Umsetzung von Six Sigma Projekten ist weiterhin als typisch festzuhalten, dass •
Problembereiche in den Unternehmensprozessen oft unzureichend bekannt sind bzw. unterschiedlich eingeschätzt werden,
•
Problemfelder, die zunächst als „leicht bearbeitbar“ gelten, u.U. eine unerwartet hohe Komplexität erreichen können,
•
Projekte, die anfangs als „schwer bearbeitbar“ gelten, in manchen Fällen sehr schnell umgesetzt und bearbeitet werden können,
•
Datengrundlagen, die als Basis zur Projektfindung dienen, sich nachträglich als falsch bzw. nicht relevant erweisen,
•
Projekte im administrativen Bereich nur bei Beseitigung des „Denkens in Funktionen“ erfolgversprechend sind,
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•
Denken in Messgrößen und Prozessfähigkeit als wichtigste Grundlage zur Beurteilung von Prozessen und deren Qualität dient,
•
Projekte mit großer Wichtigkeit nicht im Rahmen von Six Sigma bearbeitet werden können, wenn sie keinen Prozess zum Inhalt haben.
Die oben genannten Punkte zeigen einen Ausschnitt von Problemen, die mit der Umsetzung von Six Sigma im Unternehmen einhergehen können. Um diese Störgrößen möglichst frühzeitig herauszufiltern, sollte ein systematischer Projektauswahlprozess stattfinden. Dieser verursacht zwar einen relativ hohen Aufwand zu Beginn, ermöglicht jedoch anschließend eine vergleichsweise unproblematische Projektbearbeitung. Außerdem fokussiert ein Projektauswahlprozess auf die wirklichen Probleme und wichtigen Prozesse im Unternehmen. Der bei Johnson & Johnson im Werk Wuppertal eingeführte Projektauswahlprozess beinhaltet fünf Schritte: 1) Six Sigma Projekte aus den strategischen Unternehmenszielen ableiten 2) Potenzielle Projekte anhand definierter Auswahlkriterien bewerten 3) Projekte priorisieren und auswählen 4) Projekte mit einem Projektauftrag detaillieren 5) Projekte starten und über Reviews kontinuierlich an den Unternehmenszielen, den Auswahlkriterien und ihrer Priorität messen und überprüfen. Dieses Fünf-Schritte-Modell ist keine Garantie für eine auf Anhieb korrekte Projektauswahl. So besteht beispielsweise die Option, Projekte, die sich trotz sorgfältiger Auswahl als ungeeignet herausstellen, wieder zu stoppen. Die Rate der falsch ausgewählten Projekte wird jedoch mit einem solchen Auswahlverfahren i.d.R. deutlich reduziert. In den folgenden Abschnitten werden die fünf genannten Schritte näher erläutert.
2
Ableitung von Six Sigma Projekten
Um die Six Sigma Projekte systematisch an die Unternehmensentwicklung sowie zielplanung zu koppeln, werden ausgehend von einer langfristigen Unternehmensvision operative Ziele und Aufgaben abgeleitet und in einer Übersicht zusammengefasst dargestellt (vgl. Abbildung 1). Die in Abbildung 1 gezeigte Zielplanung wird für einen Zeitraum von 3 Jahren erstellt und enthält die Unternehmensvision, die Hauptziele für das laufende Geschäftsjahr sowie die wichtigsten Ziele für den mittelfristigen (2 Jahre) und langfristigen Zeitraum (3 Jahre). Daraus leiten sich die Hauptfokusbereiche, wie z.B. Mitarbeiter und Kunden, ab. Die „Strategien“ beschreiben schließlich die Punkte, die es für die Erreichung der Unternehmensziele und -vision zu realisieren gilt. In diesem Zusammenhang sollten mittel- und langfristige Zielplanungen (ZP) auf
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Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen
allen Funktionsebenen erstellt und aufeinander abgestimmt werden. Entsprechend dem Top-Down-Prinzip sind die einzelnen Zielplanungen von der obersten zur untersten Hierarchieebene miteinander verknüpft (vgl. Abbildung 2). Langfristige Unternehmensvision Der am meisten geachtete Lieferant für xy Produkte zu sein mit den zufriedensten Kunden, besten Produkten und stetig wachsendem Gewinn und Marktanteil.
Hauptziele
2002
2003
2004
Marktanteil Kundenzufriedenheit Qualität Kosten Gewinn ...
60% 2,4 2% pnrft 1,7 $/Stück 250 K$
70% 2,1 1,5% pnrft 1,6 $/Stück 290 K$
80% 1,7 0,9% pnrft 1,55 $/Stück 310 K$
Fokus
Strategien 2002
2003
2004
Mitarbeiter
4 BB ausbilden MA Befragung Management Training Bonussystem überarbeiten Trainingskonzept überarbeiten ...
4 GB ausbilden Neues Lohnsystem Teamleiter Training Telefontraining ...
MBB ausbilden MA Befragung ...
Arbeitsabläufe
Aufbau Maschine 317+318 Alternative Materialien Taktrate > 200 Umbau 17 Werk S ...
Umstellung auf S8 Alternative Materialien ...
Neue VP aufbauen Eröffnung Werk F ...
Kunde
Abbildung 1: Übersicht zum Aufbau der Unternehmenszielplanung
ZP Gesamtkonzern
ZP Amerika
ZP Europa
ZP Vertrieb
ZP Asien
ZP Produktion
ZP Werk Köln
ZP Werk Mannheim
Abbildung 2: Zusammenspiel der Zielplanungen verschiedener Funktionsebenen
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493
Die „Strategien“ der Zielplanungen enthalten die erforderlichen Projekte und Initiativen, die es ermöglichen, die im Vordergrund stehenden Zielsetzungen zu erreichen. Erst im Anschluss werden aus der Gesamtmenge der Projekte diejenigen herausgesucht, die für Six Sigma in Frage kommen. Eine Verselbständigung von Six Sigma zum Selbstzweck wird damit verhindert. Gleichzeitig ist die Verwirklichung von Unternehmenszielen für verschiedene Methoden offen.
3
Bewertung potenzieller Projekte
Nach der Definition der Unternehmensziele und der zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Initiativen und Projekte werden die Projekte herausgesucht, die auf den ersten Blick für Six Sigma geeignet erscheinen. Anschließend erfolgt eine eingehende Prüfung der Projekte und eine Beurteilung einzelner Projektvorschläge, z.B. in Teamarbeit oder durch Befragung von Personen mit unterschiedlicher Sichtweise. Die Beurteilung sollte auf der Basis eines einheitlichen Verständnisses für das Projekt erfolgen. In einem ersten Schritt ist das Projekt deshalb grob zu definieren und hinsichtlich folgender Punkte (schriftlich) zu fixieren: •
Der Projekttitel beschreibt das Projekt möglichst konkret und unmissverständlich in einem Satz.
•
Das Projektziel beschreibt die zu erreichenden Ergebnisse und den dafür vorgesehen Zeitrahmen.
•
Der Projektumfang ist ein entscheidender Punkt im Rahmen der Projektdefinition. Durch die Festlegung des Projektumfangs werden zahlreiche Projektparameter beeinflusst, z.B. Durchführbarkeit, Teamgröße, Budget und erzielbarer Nutzen. Nicht selten kommt es hier zu Missverständnissen aufgrund falscher Erwartungen bzgl. der Ergebnisse. In diesem Zusammenhang sollten die Grenzen des Projekts, die beteiligten Geschäftsbereiche sowie die zu bearbeitenden Aufgaben unmittelbar aufgezeigt werden. In der Regel hilft die Definition des Projektumfangs, Überschneidungen und Lücken zwischen einzelnen Projekten zu schließen und die Bearbeitung gezielt zu beginnen.
•
Das Budget gibt Auskunft, mit welchen Mitteln und in welcher Höhe das Projekt zu finanzieren ist.
•
Der Projektnutzen beinhaltet sowohl monetäre als auch nicht-monetäre Gesichtspunkte. Während sich der nicht-monetäre Nutzen z.B. im reibungslosen Ablauf eines internen Prozesses äußert, lässt sich der finanzielle Nutzen in die drei Kategorien Kostenreduzierung, Kostenvermeidung und Umsatzsteigerung unterteilen.
Nachdem die Rahmenbedingungen der einzelnen Projektvorschläge definiert sind, kann in einem zweiten Schritt die Bewertung der Projekte anhand von Six Sigma Kriterien erfolgen. Die Beurteilungskriterien für potenzielle Projekte können in die drei Kategorien Strategie, Organisation und Prozesse eingeteilt werden.
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Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen
Strategiebezogene Beurteilungskriterien Im Rahmen der Bestimmung strategiebezogener Kriterien erfolgt zunächst ein Abgleich zwischen projekt- und unternehmensbezogenen Zielen. Darüber hinaus sind ggf. weitere strategische Fragestellungen zu klären, die sich nicht direkt aus den Unternehmenszielen ableiten lassen. Die strategiebezogenen Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte sind in Abbildung 3 zusammengefasst dargestellt. Strategiebezogene Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte Kriterium
nein schwer
ja leicht
Das Projekt steht in direkter Relation zu einer Schlüsselherausforderung des Unternehmens
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Der zu betrachtende Prozess ist für die Kunden relevant
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Man kann die internen oder externen Kunden identifizieren, die den Output des zu bearbeitenden Prozesses empfangen oder nutzen
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Man weiß oder kann herausfinden, wie die Kunden den Prozess nutzen
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Man weiß oder kann herausfinden, was für den Kunden an diesem Output wichtig ist
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Das zu untersuchende Problem ist als Ziel oder Bedürfnis formuliert und nicht als fertige Lösung
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Man kann die finanziellen Vorteile durch die Bearbeitung dieses Projektes berechnen
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Der zu betrachtende Prozess wird nicht in absehbarer Zeit durch eine andere Initiative verändert
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Das Projekt passt in das momentane Projekt-Portfolio (Zeit, Ressourcen, Prioritäten)
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Punktsumme Gesamtpunkte
Abbildung 3: Liste mit strategiebezogenen Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte
Eine entscheidende Frage ist zunächst, ob das Projekt in Relation zu einer der Schlüsselherausforderungen des Unternehmens steht. Damit soll sichergestellt werden, dass die strategischen Zielsetzungen des Unternehmens mit den Projektzielen wirklich harmonieren. Wird diese Frage bereits negativ beantwortet, ist der strategische Rahmen des Projekts noch einmal zu überdenken. Die nachfolgenden Kriterien beschäftigen sich mit dem Projektbezug zum Kunden. Dabei wird zunächst die Frage gestellt, inwieweit der durch das Projekt zu gestaltende Prozess für einen internen oder externen Kunden relevant ist. Ein Prozess, der für den Kunden nicht von Bedeutung ist, kann dies auch nicht für das Unternehmen sein. Weitere wichtige Fragestellungen betreffen die Identifizierung von „Prozess-Kunden“ und deren Produktnutzung. Können z.B. in der DefinePhase keine Kundenbedürfnisse (Voice of the Customer) bestimmt werden, ergeben sich oftmals erhebliche Schwierigkeiten bei der späteren Messung von Verbesserungen. Ein weiteres strategiebezogenes Kriterium ist die Frage, ob das Projekt tatsächlich ein explizit formulierbares Ziel bzw. Bedürfnis verfolgt. In manchen Fällen ist die
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Lösung des Problems bereits bekannt oder in der Projektdefinition enthalten. Für das Umsetzen bekannter Lösungen reicht i.d.R. ein gutes Projektmanagement (ohne Six Sigma Aktivitäten) aus. Der Start eines Six Sigma Projektes sollte erst dann erfolgen, wenn es keine anderen Vorhaben gibt, den relevanten Prozess in absehbarer Zeit zu optimieren. Des Weiteren ist eine detaillierte Auflistung der finanziellen Vorteile hinsichtlich der Bearbeitung des Projekts wünschenswert. Schließlich sollten Six Sigma Projekte in den allgemeinen übergeordneten Organisationsrahmen (Projekt-Portfolio) „passen“ und die strategischen Faktoren Zeit, Ressourcen und Prioritäten unmittelbar berücksichtigen. Organisationsbezogene Beurteilungskriterien Beim Hinterfragen der organisationsbezogenen Kriterien geht es in erster Linie um die Sicherstellung der „Tragfähigkeit“ der Organisation. Dabei sollte zunächst geprüft werden, ob es im Unternehmen die erforderliche Unterstützung für das Projekt gibt. Die organisationsbezogenen Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte sind in Abbildung 4 zusammengefasst dargestellt.
Organisationsbezogene Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte Kriterium
nein schwer
ja leicht
Es gibt die erforderliche Unterstützung in der Organisation
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Der Vorgesetzte des Belt steht hinter dem Projekt und hat ein Interesse an dem Ergebnis
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Der Projekt-Sponsor steht hinter dem Projekt und hat ein Interesse an dem Ergebnis
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Die Vorgesetzten der potenziellen Teammitglieder stehen hinter dem Projekt und haben ein Interesse an dem Ergebnis
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Der Projekt-Sponsor hat die Kompetenz, Ressourcen auf dieses Projekt zu setzen
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Ein Prozesseigner ist identifiziert
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Der Prozesseigner steht hinter dem Projekt und hat ein starkes Interesse am Ergebnis
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Belt und Sponsor haben die Freiheit, den zu bearbeitenden Prozess zu verändern
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Es kann ein Projektteam zur Verfügung gestellt werden (Zeit!)
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In der Organisation und besonders im Projektteam ist Verständnis für die Dringlichkeit des Projektes vorhanden
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Punktsumme Gesamtpunkte
Abbildung 4: Liste der organisationsbezogenen Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte
Nach vorhergehender Abbildung ist zunächst die Unterstützung der am stärksten vom Projekt betroffenen Personen entscheidend. Hier sind vor allem die Vorgesetzten gefragt, welche die Black und Green Belts bestmöglich unterstützen sollten. Verbleiben die Belts in ihrer angestammten Linienposition oder arbeiten sie
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Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen
nur „in Teilzeit“ an den Six Sigma Projekten, dann ist dieser Punkt von besonderer Relevanz. Ein aktives Interesse am Projektergebnis seitens des Sponsors ist nicht nur für Six Sigma Projekte ein entscheidendes Erfolgskriterium. Allein das Interesse an dem Projektergebnis reicht dabei nicht aus, um ein Projekt erfolgreich zu unterstützen. Ein Sponsor sollte vielmehr die Autorisation besitzen, die benötigten Ressourcen für das Projekt jederzeit bereitstellen zu können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang die Bestimmung eines Prozesseigners, der ein ernsthaftes Interesse am Projekt und dem Ergebnis zeigt. Im Idealfall ist der Prozesseigner gleichzeitig Sponsor des Projekts. Schließlich sollten Belts und Sponsoren die Freiheit besitzen, die relevanten Prozesse nachhaltig zu gestalten. Falls dabei Prozesse beim Lieferanten betroffen sind, ist dies häufig mit Schwierigkeiten verbunden. Aus diesem Grund muss die Möglichkeit bestehen, für die Projektbearbeitung ein qualifiziertes Team abzustellen. Dieses sollte, neben der Beachtung der Dringlichkeit des Projekts auch ein Verständnis für bestehende Abläufe in der Organisation haben. Prozessbezogene Beurteilungskriterien Die prozessbezogenen Kriterien bzgl. der Bewertung potenzieller Six Sigma Projekte hinterfragen die allgemeine „Projekt-Tauglichkeit“ von Prozessen. Die entsprechenden Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte sind in der folgenden Abbildung 5 aufgeführt. Six Sigma ist eine Methode zur Optimierung von Prozessen. Eine wichtige Voraussetzung ist folglich, dass es sich beim Projektinhalt um einen definierten Prozess handelt. Insbesondere muss es möglich sein, den Anfangs- und Endpunkt eines Prozesses eindeutig zu bestimmen. Ist dies nicht der Fall, gestaltet sich die Anwendung der DMAIC-Vorgehensweise in vielen Punkten schwierig. Um das Sigma-Niveau des Prozesses zu berechnen, den Prozess zu verbessern und die Optimierung im Ergebnis zu bewerten, ist es erforderlich, Prozessdefekte eindeutig zu definieren. Kann man die Defekte nicht klar messen bzw. zählen oder erweist sich die Datenaufnahme als unverhältnismäßig schwierig, dann wird es kaum gelingen, den Prozess zu verbessern. Die im Team auftretenden Schwierigkeiten können dabei vielfältig sein, z.B.: •
Unterschiedliches Verständnis über die Güte des Prozesses bei Beteiligten
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Unverhältnismäßig lange Dauer der Projekte und kein klarer Fokus möglich
Bert Leyendecker
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Unzufriedenheit beim Projektteam wegen des großen Messaufwands im Verhältnis zur Aussagekraft der Ergebnisse. Prozessbezogene Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte Kriterium
nein schwer
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Das Projekt beinhaltet die Bearbeitung eines klar definierten Prozesses
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Es ist leicht, den Anfangs- und Endpunkt des zu betrachtenden Prozesses zu definieren
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Man kann klar definieren, was in diesem Prozess ein Defekt ist
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Das Auftreten eines Defektes kann gezählt werden
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Daten über diesen Prozess zu sammeln, ist relativ einfach
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Der Prozess absolviert zumindest einmal am Tag einen kompletten Zyklus
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Der Belt ist geeignet, diesen Prozess zu bearbeiten
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Der Projektumfang erscheint vernünftig gewählt
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7
Punktsumme Gesamtpunkte
Abbildung 5: Liste der prozessbezogenen Auswahlkriterien für Six Sigma Projekte
Weiterhin sollte der Prozess mindestens einmal am Tag einen Datenpunkt liefern. Ansonsten gestaltet sich die Bearbeitung mit Six Sigma schwierig, da durch die nicht in Relation stehende, langandauernde Datenaufnahme keine fokussierte Projektbearbeitung möglich ist. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist, ob es einen für die Projektbearbeitung geeigneten Belt gibt. Nicht alle Belts und Projektmanager haben die gleichen Schwerpunkte und Fähigkeiten zur Projektdurchführung. Schließlich stellt sich die Frage nach dem Projektumfang. Dieser sollte tendenziell klein gehalten werden, da es leichter und zugleich motivierender ist, das Projekt nach erfolgreicher Teiloptimierung auf andere Bereiche auszudehnen.
4
Priorisierung von Projekten
Nachdem die Projekte aus der Zielplanung abgeleitet und mit Hilfe der Six Sigma Kriterien überprüft wurden, ist der nächste Schritt im Auswahlprozess die Projektpriorisierung. Die Erfahrungen bei Johnson & Johnson im Werk Wuppertal haben gezeigt, dass für kleine, überschaubare Unternehmensbereiche mit mittelständischer Struktur die oben genannten Beurteilungskriterien durchaus ausreichend sein können. Ohne weitere Werkzeuge zur Priorisierung zu nutzen, kann sich anhand der ausgefüllten Kriterienlisten ein „kleiner Kreis“ (z.B. Werksleiter,
498
Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen
Produktionsleiter, technischer Leiter und Leiter Six Sigma) auf die durchzuführenden Projekte verständigen. Die Voraussetzungen für ein solches „vereinfachtes“ Verfahren sind im Folgenden benannt: •
Der Kreis der Entscheider kann klein gehalten werden, ohne von den Projekten betroffene Vorgesetzte auszuschließen.
•
Man entscheidet über eine vergleichsweise kleine Organisationsstruktur.
•
Die Entscheider kennen die zu bearbeitenden Prozesse genau und können den Projektumfang daher gut einschätzen.
•
Die Entscheider kennen die Six Sigma Methode aus eigener Erfahrung und haben eine realistische Vorstellung über Potenzial und Grenzen der Methode.
Sind obige Voraussetzungen nicht erfüllt, weil z.B. über Standortgrenzen hinweg entschieden werden muss, ist der Einsatz weiterführender Werkzeuge sinnvoll. Um zu einem Konsens über die Prioritäten zu gelangen, kann ein Auswahldiagramm, wie es beispielhaft in Abbildung 6 zu sehen ist, zum Einsatz kommen. In dieser Darstellung wird der finanzielle Nutzen der einzelnen Projekte den zuvor ermittelten Gesamtpunktzahlen für nicht-monetäre Kriterien (vgl. Abbildung 3 bis 5) gegenübergestellt. In Abbildung 6 sind zehn mögliche Projekte nach ihrem finanziellen Vorteil sowie ihrer strategischen Relevanz bzw. Eignung gemeinsam in einem Auswahldiagramm klassifiziert. 40 C
Punktzahl Strategie
35
A
30 J
25
K B
20 F
15 10 5
nicht ausgewählt
ausgewählt
0 0
100
200
300
400
500
600
Finanzieller Vorteil [TEUR]
Abbildung 6: „Strategie“-Auswahldiagramm zur Projektpriorisierung
Die in Abbildung 6 eingezeichnete Iso-Präferenzlinie (Diagonale) trennt den Bereich der auszuwählenden von dem der nicht auszuwählenden Projekte (Punkte
Bert Leyendecker
499
zwischen Ursprung und Diagonale). Die Lage der Iso-Präferenzlinie ergibt sich in Abhängigkeit von den vorhandenen Ressourcen und dem insgesamt bestehenden Einsparpotenzial im Unternehmen. Sie unterliegt damit z.T. einer subjektiven Einschätzung der verschiedenen Teammitglieder. Die Projekte mit geringer Punktzahl, also geringer Eignung für Six Sigma und gleichzeitig geringem finanziellen Vorteil, werden grundsätzlich nicht berücksichtigt. Schließlich sollten im Rahmen des Auswahlverfahrens sogenannte K.o.-Kriterien definiert werden, deren Nichterfüllung zum sofortigen Ausscheiden des Projekts führt, z.B. der Prozesseigner steht nicht hinter dem Projekt.
5
Detaillierung der Projektaufträge
Nachdem die Projekte ausgewählt und priorisiert sind, werden die Projektaufträge in vollem Umfang geschrieben und ausgegeben. Die zentralen Bestandteile des Projektauftrags (Team Charter) sind der Projekttitel, das Projektziel, der Projektumfang, das Budget und der Projektnutzen (vgl. Abschnitt 3). Die Erfahrungen haben gezeigt, dass für diese Punkte in der aktuellen Phase noch einmal eine Überarbeitung stattfinden muss. Darüber hinaus sollten in den Projektauftrag noch weitere Projektdetails aufgenommen werden, so dass eine möglichst umfassende sowie realistische Planung für die Projektarbeit möglich ist. Dies bedeutet zwar einen erhöhten Aufwand zu Projektbeginn, jedoch können die Projekte i.d.R. viel reibungsloser und zielstrebiger in der Durchführungsphase bearbeitet werden. Abbildung 7 zeigt ein Formblatt für einen Projektauftrag. Unter dem Punkt Anbindung an Unternehmenszielplanung wird definiert, zu welcher Geschäftsstrategie das Projekt gehört und in welchem Projekt-Portfolio das Projekt „angesiedelt“ ist (vgl. hier und im Folgenden Abbildung 7). Dazu wird auch beschrieben, welcher Zusammenhang bzw. welche Hintergründe zu dem Projekt geführt haben (z.B. Aktivitäten des Wettbewerbs, KundenzufriedenheitsAnalysen, finanzielle Gründe). Der Abschnitt Zeitplan enthält den Start- und Endzeitpunkt des Projekts sowie die Termine für wichtige Meilensteine. In diesem Zusammenhang hat es sich als sinnvoll erwiesen, die Beendigung der fünf Projektphasen (Define, Measure, Analyse, Improve, Control) als Mindestanforderung für Meilensteintermine zu definieren. Der Abschnitt Projektnutzen und geplante Projektergebnisse enthält neben der Beschreibung der monetären Nutzenarten (Kostenreduzierung, Kostenvermeidung, Umsatzsteigerung) den Punkt Sonstige Projektergebnisse. Dieser benennt die Ergebnisse, die von den Beteiligten als (direkte oder indirekte) Veränderungen nach Projektbeendigung wahrnehmbar sein sollten. Dies können z.B. Prozessbeschreibungen, Trainingsunterlagen, modifizierte Maschinen, Handbücher oder Zeichnungen sein. Wichtig ist hierbei, dass im Projektauftrag keine fertigen Lösungen enthalten sind. Auch sollten der Projektnutzen und die geplanten Ergebnisse quantifizierbar sein, damit der Projekterfolg nicht an Gefühlen, sondern an Fakten und Messgrößen festgemacht werden kann.
500
Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen
Six Sigma Projektauftrag
Budget und Ressourcen
Projektitel
Anbindung an Unternehmenszielplanung Projektteam und Projektumfeld Funktion
Projektziel
Name
Zeit
Prozesseigner Projektsponsor Projektmanager
Projektumfang
Kernteam Zeitplan
Beginn
Ende
Bemerkungen
Define Measure Analyse Improve Control Projektnutzen und geplante Projektergebnisse Kostenreduzierung
Kostenvermeidung Umsatzsteigerung Sonstige Projektergebnisse
Weitere Mitglieder Betroffene Personen Potenzielle Problembereiche Kritische Erfolgsfaktoren Risiken
Projektabhängigkeiten
Abbildung 7: Beispielblatt für einen Six Sigma Projektauftrag
Im Abschnitt Projektteam und Projektumfeld werden zunächst der Prozesseigner, der Projektsponsor und der Projektmanager festgelegt. Nach Möglichkeit sollte der Prozesseigner gleichzeitig auch Sponsor des Projekts sein, denn andere Konstellationen führen häufig zu Zielkonflikten. In der Spalte „Zeit“ erfolgt eine Schätzung bzgl. des einzuplanenden Zeitaufwands für die einzelnen Teammitglieder. Dieses erleichtert zum einen die Überschaubarkeit innerhalb des Projekts und zum anderen die Einordnung in das „Projekt-Gesamtbild“. Unter den Punkten Kernteam und Weitere Teammitglieder wird festgelegt, welche Funktionen bzw. Abteilungen im Projektteam vertreten sein müssen. Nach Möglichkeit sollten hier schon konkrete Namen von Teammitgliedern genannt werden. Im Unterabschnitt Betroffene Personen wird schließlich festgelegt, welche Personen ein Interesse am Projektergebnis und an der Art und Weise haben, wie das Projekt durchgeführt wird. Die Einstellung dieser Personen zum Projekt kann erfolgsentscheidend sein, daher sind sie so früh wie möglich in das Projekt einzubeziehen. Im Abschnitt Potenzielle Problembereiche werden kritische Erfolgsfaktoren, Risiken und Projektabhängigkeiten definiert. Kritische Erfolgsfaktoren sind Merkmale, die im Projektumfeld vorhanden sein müssen, damit das Projekt erfolgreich sein kann. Es können durchaus Faktoren sein, die nicht im Einflussbereich des Projektleiters liegen, sondern vom erfolgreichen Abschluss anderer Geschäftsaktivitäten oder Projekte abhängen. Ist ein kritischer Erfolgsfaktor nicht gegeben, kann das Projekt u.U. nicht weiter durchgeführt werden, oder es sind weitere Ressourcen und mehr Zeit erforderlich, um das Projektziel zu erreichen.
Bert Leyendecker
501
Unter dem Punkt Risiken werden prinzipiell zwei Risikoarten unterschieden. Zum einen werden Risiken beschrieben, die bei Nichtdurchführung des Projekts entstehen würden, z.B. Verlust von Marktanteilen, sinkende Konkurrenzfähigkeit etc. Zum anderen werden Gefahren aufgezeigt, die im Rahmen der Projektdurchführung auftreten könnten. In der Regel sind die Risiken eines Projektes um so beträchtlicher, je größer die damit verbundenen Veränderungen sind. Werden in einem Projekt potenzielle Risiken nicht von Beginn an benannt, kann sich das Bild bezüglich Potenzial, Umsetzbarkeit und Erfolgswahrscheinlichkeit nachträglich verschlechtern. Im letzten Punkt werden die Projektabhängigkeiten beschrieben, die das Projekt mit anderen Projekten oder Aktivitäten im Unternehmen in Beziehung setzen. Unmittelbar zu beantwortende Fragen sind z.B.: „Gibt es Folgeprojekte, die auf diesem Projekt aufbauen?“ oder „Sind Daten aus anderen Projekten erforderlich?“. Ist der Projektauftrag mit allen Details beschrieben und vom Sponsor und Projektmanager als realistisch eingeschätzt, kann das Six Sigma Projekt beginnen.
6
Durchführung von Projekt-Reviews
Nach dem Start der Projekte ist es sinnvoll, im Rahmen des DMAIC-Prozesses, drei „formal reviews“ durchzuführen. Entsprechend Abschnitt 5 sollten diese jeweils nach den Projektphasen „Define“, „Analyse“ und „Control“ erfolgen (vgl. Abbildung 8). Als letzter Schritt der Projektauswahl werden die Reviews vom lokalen Six Sigma Leader oder Master Black Belt durchgeführt. Neben der Überprüfung der Vorgehensweise und der bei der Projektbearbeitung erreichten Ergebnisse haben sie zum Ziel, die Validität der Entscheidungsgrundlage bei Projektbeginn zu hinterfragen. Die Notwendigkeit nachträglicher Projektveränderungen ergibt sich insbesondere bei Reviews in den Phasen „Define“ und „Analyse“. Aus den Erfahrungen können nach dem Projektstart z.B. folgende Situationen eingetreten sein: •
In der Define-Phase wird der Projektumfang vom Projektmanager und Sponsor noch einmal deutlich verändert.
•
Nach Aufnahme der ersten Daten wird deutlich, dass die Auswirkungen des Projekts über- bzw. unterschätzt wurden.
•
Die aufgenommenen Daten zeigen, dass die Bearbeitung anderer Projekte ein wesentlich höheres Nutzenpotenzial beinhaltet.
•
Die ermittelten Daten deuten darauf hin, dass das ursprünglich vermutete Problem in Wirklichkeit gar keins ist.
•
Nach Bearbeitung der ersten Projektphase zeichnet sich ein komplexer Prozess ab, der mehr Ressourcen bzw. ein höheres Budget benötigt.
502
Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen
Reviews sind ein unerlässliches Instrument für ein effizientes Projektmanagement. In Verbindung mit dem Projekt-Portfolio stellen sie sicher, dass die aus Unternehmenssicht bedeutendsten Projekte immer an erster Stelle stehen. In der folgenden Abbildung ist ein Review-System für Six Sigma Projekte dargestellt. In der Regel kann eine Fehleinschätzung im Rahmen des Prozessauswahlprozesses nicht vollständig ausgeschlossen werden. Daher kann sich nach dem ersten oder zweiten Review zeigen, dass ein Projekt, entgegen der ursprünglichen Annahme, nicht für Six Sigma geeignet ist. Ist dies der Fall, sollte das Projekt unverzüglich gestoppt und statt dessen ein erfolgversprechenderes Projekt in Angriff genommen werden. Erst wenn beide Reviews erfolgreich durchlaufen wurden, ist von einem insgesamt erfolgreichen Projekt, inkl. Auswahlprozess, auszugehen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in jeder Phase des Auswahlprozesses die Betroffenen angemessen einzubinden sind. Vor allem die Belts, die Projektsponsoren und deren Vorgesetzte sowie die Prozesseigner sind dabei zu berücksichtigen. Um unnötige Diskussionen im Zuge der Projektauswahl zu vermeiden, sollte Six Sigma als breit angelegte Teaminitiative in die Organisation eingebracht werden. Gerade in der Anfangszeit, wenn es noch Probleme bei der Auswahl und Anwendung verschiedener Six Sigma Tools gibt, ist ein motiviertes und vom eigenen Projekt überzeugtes Team von größter Bedeutung für den Erfolg.
Define
1. Review Vorgehensweise korrekt? Projektauswahl korrekt? Neue Erkenntnisse?
Measure
Analyse
2. Review Vorgehensweise korrekt? Projektauswahl korrekt? Neue Erkenntnisse?
Abbildung 8: Das Review-System für Six Sigma Projekte
Improve
Control
3. Review Vorgehensweise korrekt? Ergebnisse? Neue Erkenntnisse?
Der Projektauswahlprozess – Schlüsselfaktor des Six Sigma Programms bei Norgren-Herion Reinhard Krauer
Inhalt 1 2 3 4
1
Vorbereitung der Six Sigma Initiative bei Norgren-Herion.......................................503 Pragmatische Projektauswahl in der Einführungsphase.............................................505 Projektebenenmodell zur Klassifizierung von Projekten ...........................................509 Projektmanagement und Top-Down-Auswahlprozess...............................................511
Vorbereitung der Six Sigma Initiative bei Norgren-Herion
Am Beispiel von Norgren-Herion soll in diesem Beitrag gezeigt werden, warum gerade die Projektauswahl einen entscheidenden Erfolgsfaktor für ein Six Sigma Programm darstellt. Die Norgren Group ist ein weltweit führendes Unternehmen im Bereich Pneumatik- und Industrieautomatisation und wurde im Wesentlichen durch die Akquisition von Herion (Deutschland) Ende 1997 begründet. Sie ist heute eine von vier Geschäftsbereichen der britischen IMI-Gruppe, die über einen Gesamtjahresumsatz von € 2,5 Mrd. und ein Verkaufs- und Servicenetzwerk in über 70 Ländern verfügt. Die Norgren Group beschäftigt derzeit rund 6.000 Mitarbeiter weltweit (Stand: Juli 2002). In der Six Sigma Vorbereitungsphase stellt sich für jedes Unternehmen zunächst eine Reihe von Fragen hinsichtlich der Bedeutung bestimmter Einfluss- bzw. Erfolgsfaktoren. Zu diesen gehören neben der Projektauswahl vor allem die Mitarbeitermotivation, die Black Belt Auswahl, die Ressourcenbereitstellung und die Trainingsdurchführung. Darüber hinaus begründet nur die konsequente Verfolgung der Projektarbeit und -ergebnisse durch das Management die Anfangserfolge von Six Sigma. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu und wird in allen „Executive and Management Awareness Trainings“ von den Trainern eindringlich betont. Nicht selten verhallen jedoch die Appelle bei den auszubildenden Führungskräften ungehört. Schon unmittelbar nach der Bereitstellung des Schulungsbudgets und der Ausbildung der ersten Black Belts wird gegen das Prinzip des Management Commitments verstoßen. Oftmals lassen „Tagesaktualitäten“ die permanente und konsequente Beschäftigung des Top-Managements mit der Six Sigma Initiative in den Hintergrund treten. Sie lösen damit eine schleichende „Erosion“ der Wirkungen der Six Sigma Initiative im und für das Unternehmen aus.
504
Der Projektauswahlprozess – Schlüsselfaktor des Six Sigma Programms bei Norgren
Einsatz einer Vorbereitungs-Task Force Die genannten „Stolpersteine“ waren auch in der Norgren Group vor Implementierung des Six Sigma Programms bekannt. Aus diesem Grund wurde ein Planungsteam (Vorbereitungs-Task Force) zur gründlichen Vorbereitung der Initiative bestellt. Während seiner 15-monatigen Tätigkeit war das Team fest davon überzeugt, die einschlägig bekannten Einführungsprobleme vollständig umgehen zu können. In diesem Bewusstsein wurden die Planungen im November 1999 abgeschlossen und unverzüglich dem Norgren Board (Lenkungsausschuss) vorgestellt. Trotz der unerwartet hohen Aufwendungen an Personal- und Schulungskosten für die Black Belts stimmte das Board dem Projektvorschlag der Vorbereitungs-Task Force zu. Dieser sah u.a. ein Executive Training für die Mitglieder des Lenkungsausschusses Ende Februar 2000 bei der Six Sigma Academy in Arizona (USA) vor. Bis zu diesem Zeitpunkt schien alles noch „nach Plan zu laufen“. So waren der Schulungsbeginn für die Black Belts und der Start der Projektarbeiten nach der Sommerpause, im September 2000, vorgesehen. Die Mitglieder der Vorbereitungs-Task Force hatten jedoch bei ihrer Planung die Wirkungen der Six Sigma Academy – ausgehend von deren CEO´s Michael Harry und Richard Schroeder – auf die Teilnehmer des Lenkungsausschusses unterschätzt. Berufung zweier Senior Project Champions Unmittelbar nach der Rückkehr des Norgren Boards vom „Executive Training“ wurden zwei Senior Project Champions für die Regionen USA/Amerika und Europa/Asien zur Führung bzw. Betreuung der Projekt-Champions und deren Black Belts ernannt. Die Senior Project Champions hatten zunächst 18 Projekt-Champions aus den jeweiligen Regionalgesellschaften zu benennen. Diese reisten Mitte März 2000 zu einem gemeinsamen einwöchigen Champion Training nach Birmingham, England. Auf diesem Training sollten den Teilnehmern die Six Sigma Methoden und Werkzeuge, die Breakthrough Strategy entsprechend der Six Sigma Academy sowie die Zielsetzungen des Norgren-Managements erläutert werden. Die Aufgabe der Projekt-Champions bestand darin, die Grundzüge der Six Sigma Initiative bis zum Beginn der Schulungen, Mitte April 2000, in den regionalen Gesellschaften der Norgren Group publik zu machen. Dazu waren das lokale Management, die Betriebsräte und die Mitarbeiter der jeweiligen Standorte über die Ziele der Norgren Six Sigma Initiative ausführlich und detailliert zu informieren. Neben der Information und Einbeziehung von Führungskräften mussten weltweit insgesamt 80 potenzielle Black Belt Kandidaten gefunden werden, die es in persönlichen Gesprächen von der Wichtigkeit des Six Sigma Programms zu überzeugen galt. Gleichzeitig waren den ausgewählten Black Belts geeignete Projekte zuzuordnen, die sie im Rahmen der ersten schulungsbegleiteten „Projektwelle“ bearbeiten konnten. Es ist leicht vorstellbar, dass bei diesem konzentrierten Einführungszeitplan und den vielfältigen Aufgaben der Projekt-Champions und des lokalen Managements
Reinhard Krauer
505
viele Vorgaben des Planungsteams unberücksichtigt blieben. Insbesondere fanden in der Six Sigma Einführungsphase die von der Vorbereitungs-Task Force erarbeiteten Regeln zur systematischen Identifikation und Auswahl geeigneter Black Belts und ertragskräftiger Projekte kaum Anwendung.
2
Pragmatische Projektauswahl in der Einführungsphase
Sowohl bei der Auswahl von Black Belts als auch bei der Ermittlung von Projektideen wurde in der Einführungsphase recht „pragmatisch“ vorgegangen. Dies bedeutete, dass die Nominierung der ersten Black Belts durch ein Managementteam erfolgte, welches die Kandidaten hinsichtlich folgender Kriterien beurteilte: •
Fachliche Qualifikation und soziale Kompetenz
•
Fachkenntnisse und Führungspotenzial.
Die Beurteilung beruhte zum einen auf dem vorhandenen Wissen über die Kandidaten und zum anderen auf Informationen, die aus diversen Assessment-Centern stammten. Bei der Auswahl war lediglich die Vorgabe zu berücksichtigen, dass es keine Ersatzeinstellungen für die einmal nominierten Black Belts geben durfte. Bei der Projektauswahl und -bestimmung wurde zunächst ebenfalls pragmatisch vorgegangen, d.h. vom Managementteam erging die Aufforderung an alle Prozesseigner, Projektvorschläge aus ihren Verantwortungsbereichen zu benennen und sie hinsichtlich Inhalt, Umfang und Einsparungspotenzial zu präzisieren. Wie in Abbildung 1 zu sehen, wurde den Prozesseignern dazu ein Kriterienkatalog mit insgesamt sechs Punkten vorgelegt.
o Projekteinsparung von jährlich mindestens € 250.000 o Fehler-Reduzierungspotenzial von mindestens 78 % gegenüber Ausgangsniveau o Priorisierung der Maßnahmen nach erzielbarem Einsparpotenzial o Projektbearbeitungszeit bis maximal 4 Monate o Amortisationsdauer von Investitionen maximal 1 Jahr o Projektziele entsprechend der Unternehmensstrategie
Abbildung 1: Kriterienkatalog zur Projektauswahl
506
Der Projektauswahlprozess – Schlüsselfaktor des Six Sigma Programms bei Norgren
Die erste Projektwelle Obwohl die obigen Kriterien die Projektauswahl gezielt eingrenzen sollten, entsprachen die ersten Vorschläge der Prozesseigner überwiegend dem Motto „was ich eigentlich schon längst hätte tun sollen, um meinen Prozess zu optimieren, wozu ich aber nie die erforderliche Zeit hatte.“ Nachdem die Prozesseigner dem lokalen Management eine Reihe von Projektvorschlägen unterbreitet hatten, wurden die zuvor ausgewählten Black Belt Kandidaten mit der Projektdurchführung beauftragt. Vor Aufnahme der Projektarbeit stimmten diese den genauen Fokus und Umfang des Projekts mit dem jeweiligen Prozesseigner ab. Die „pragmatische Methode“ zur Projektfindung, -auswahl und -zuweisung ist in Abbildung 2 zusammenfassend dargestellt.
Lokales Management fragt nach Projektvorschlägen
meldet Projektvorschläge
Prozesseigner
beauftragt Black Belt
Black Belt stimmt Projektfokus und Teammitglieder mit Prozesseigner ab
informiert und leitet Projektteam
Teammitglieder
Abbildung 2: Pragmatische Projektauswahl und -zuweisung
Aufgrund des speziellen Charakters von Trainingsprojekten galt das Ergebnis der Projektauswahl vor Beginn der Black Belt Schulungsmaßnahmen grundsätzlich als akzeptabel. Parallel zum Methodentraining dienten die Projekte in erster Linie zu Übungszwecken, d.h. zur breiten Anwendung von Six Sigma Methoden und Werkzeugen in realen Prozessen. Nach einem durchweg erfolgreichen Abschluss der Projekte stieg die Motivation bei allen auszubildenden Black Belts. Die jährlichen Einsparungen betrugen in der ersten Projektwelle durchschnittlich € 80.000 pro Projekt. Trotz dieses sehr positiven Ergebnisses erfüllten sie nicht annähernd die Erwartungen des Top-Managements, die von jährlichen Einsparungen i.H.v. € 250.000 pro Projekt ausgegangen waren (vgl. Abbildung 1). Die erzielten Ergebnisse wurden jedoch vom Board unter der Maßgabe des Trainings-
Reinhard Krauer
507
charakters zunächst akzeptiert. Die Prozesseigner in den Regionalgesellschaften bekamen in der Folge den Auftrag, die prognostizierten Einsparungen bis Ende September 2001 tatsächlich zu realisieren. Mit der Präsentation der Projektergebnisse durch die beteiligten Black Belts wurde auf einer gemeinsamen Veranstaltung mit den Prozesseignern und dem lokalen Management die erste „Projektphase“ Mitte September 2000 offiziell abgeschlossen. Infolge der ersten „Six Sigma Erfahrungen“ sollten die projektbezogenen Einsparungen von den Prozesseignern fortan in regelmäßigen Abständen, d.h. in Form monatlicher Prozessmetriken, berichtet und dokumentiert werden. Dadurch versuchte man, Ergebnisabweichungen, die sich gegenüber den vereinbarten Zielen bei Projektübergabe eingestellt hatten, rechtzeitig zu erkennen. Entstanden trotz der projektbezogenen Kontrollpläne negative Abweichungen, war der Prozess vom Projektteam, unter Leitung des Black Belts, erneut zu analysieren und mit Hilfe geeigneter Maßnahmen zu korrigieren. Zielabweichungen, die aufgrund der Nichteinhaltung von vorgegebenen Maßnahmen in den Kontrollplänen entstanden, waren vom Prozesseigner gegenüber dem zuständigen Projekt-Champion bzw. lokalen Management umgehend zu begründen und ggf. zu beheben. Die konsequente Anwendung dieser Regeln sollte sicherstellen, dass die vom Projektteam zu Beginn berechneten Einsparungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch erreicht werden können. Die zweite Projektwelle Die zweite Projektwelle startete bei Norgren-Herion Ende Oktober 2000 und wurde innerhalb von fünf Monaten erfolgreich abgeschlossen. Dazu wurden bereits im Juli 2000, lange vor Abschluss der ersten Projektwelle, die Themen im Managementteam für die weiterführenden Projekte diskutiert und festgelegt. Die Bewertung der Projektideen erfolgte auf der Grundlage des in Abbildung 3 dargestellten Schemas. Das primäre Ziel bestand darin, eine objektivierte Rangfolge der Einsparpotenziale von allen relevanten Projekten zu erhalten. In Anlehnung an die ursprünglich festgelegten Projektauswahlkriterien (vgl. Abbildung 1) waren die potenziellen Projekte in der zweiten Auswahlrunde hinsichtlich sieben Erfolgsmerkmalen zu charakterisieren. Zur detaillierten Bewertung wurden die Kriterien mit eindeutigen Handhabungsregeln sowie Gewichtungsfaktoren hinterlegt. Außerdem sollten die Auswahlkriterien anhand einer Punkteskala von 1 bis 9 bzw. 1 bis 3 für jedes Projekt einzeln bewertet werden. Zur Ermittlung konkreter Projektthemen flossen sowohl eine Reihe von Projektvorschlägen der Prozesseigner als auch mehrere Projektideen, die in der ersten Auswahlrunde unberücksichtigt geblieben waren, ein. Infolge des umfangreichen Bewertungsschemas ist allen Beteiligten deutlich geworden, dass die Fortführung der „pragmatischen Projektauswahlmethode“ (vgl. Abbildung 2) zu keinem signifikanten Anstieg der Projekterträge führen wird. Vielmehr musste mit dem Gegenteil gerechnet werden, d.h. die prognostizierten jährlichen Einsparungen der einzelnen Projekte sanken im Rahmen der zweiten Projektwelle um 25 % auf durch-
Abbildung 3: Punktbewertungsschema zur Projektauswahl
Punkte
9 => 1.000.000 8 => 500.000 7 => 250.000 5 => 200.000 2 => 100.000 1 =< 100.000
Hoch = 3 Mittel = 2 Niedrig = 1
(falls dies nicht zutrifft, nur lokale Nettoeinsparung berücksichtigen)
9 =< 4 7 =< 6 5 =< 9 3 =< 12 1 => 12
9 => 98 % 8 => 78 % 5 => 58 % 3 => 50 % 1 =< 50 %
Hoch = 1 Mittel = 2 Niedrig = 3
Verfügbarkeit bzw Schwierigkeitsgrad bei Ermittlung erforderlicher Daten.
Projektteamgröße/ Projektwirksamkeit (bereichsweise /-übergreifend)/
Einschätzung des Schwierigkeitsgrads für den erfolgreichen Abschluss des Projekts auf lokaler Ebene unter Einbezug von:
Aufstellung der Zielvorgabe zur Reduzierung der aktuellen Fehlerrate (in DPMO) bis zum Abschluss des Projekts
Abschätzung der Projektdauer zum Abschluss des Projekts auf der lokalen Ebene
Beurteilung der lokalen Einsparungen und des Einsparunspotenzials in anderen Bereichen bzw. Standorten
Beurteilung der Übertragbarkeit der Projektergebnisse auf andere Bereiche/ Standorte bzw. welchen Vorteil haben diese
Abschätzung der Gesamteinsparungen sowie evtl. geringerer laufender Kosten bzw. Budgets
Regeln
9 =< 1 8 =< 5 7 =< 10 5 =< 15 3 =< 20 1 => 20
Nettoeinsparung
• 100
0,10
0,10
0,15
0,25
–
0,10
0,30
Gewichtung Investition
Projektbez. Investitions-/ Ertragsverhältnis
Komplexität des Projektes
Fehler-Reduzierungspotenzial > 78 %
Projektbearbeitungszeit < 4 Monate
Geschätzte jährliche Gesamteinsparungen
Übertragbarkeit auf andere Bereiche bzw. Standorte
€ 250.000 netto lokale Einsparung bzw. zusätzliche Deckungsbeiträge
508 Der Projektauswahlprozess – Schlüsselfaktor des Six Sigma Programms bei Norgren
schnittlich € 60.000 pro Projekt. Mit einer Fortsetzung dieser Abwärtstendenz wurde auch für die folgenden Auswahlrunden gerechnet, so dass ein Scheitern der Norgren Six Sigma Initiative unmittelbar bevorstand. Das lokale Managementteam war spätestens jetzt zum Handeln und Gegensteuern aufgefordert.
Reinhard Krauer
3
509
Projektebenenmodell zur Klassifizierung von Projekten
Auf einer Strategietagung im November 2000 wurden im Managementteam eine Reihe von Grundsatzbeschlüssen gefasst, die im Ergebnis zu neuen, wesentlich ertragreicheren Projekten führen sollten. Die Eckpunkte der Beschlüsse stammen aus einer offenen Statusanalyse der ersten Projekte bzw. Projektwelle und beruhen dabei auf folgenden grundlegenden Erkenntnissen: •
Die Six Sigma Projekte laufen parallel zu allen anderen Projekttätigkeiten im Unternehmen Norgren-Herion.
•
„Nicht Six Sigma Projekte“ werden im Unternehmen häufig aus Tagesaktualitäten abgeleitet und erhalten deshalb die höchste Priorität.
•
Die Auswirkungen eines neuen Projekts werden häufig nicht im Zusammenhang mit den bereits laufenden Projekten gesehen.
•
Die meisten Six Sigma Projekte werden ohne ausreichende Beurteilung der Kosten-Nutzen-Situation gestartet.
•
Fast alle Projekte greifen auf die gleichen „Engpass-Ressourcen“ des Unternehmens zu (z.B. Operative Leistungsträger und EDV-Spezialisten).
Beim Managementteam entstand insgesamt der Eindruck, dass zu viele Projekte gleichzeitig bearbeitet werden, ohne ausreichende strategische Ausrichtung und zielgerichtete Koordination der Themen sowie Bereitstellung der erforderlichen Kapazitäten und finanziellen Mittel. Im Ergebnis wurde deshalb die Forderung nach einer besseren Transparenz und Kontrolle der durchzuführenden Projekte, einschließlich des damit verbundenen Ressourceneinsatzes, laut. Eine Klassifikation der Projekte erschien ebenso dringend erforderlich wie ein ControllingInstrumentarium zum „Managen“ der Projektinhalte, -umfänge und -prioritäten. Auf Basis dieser Erkenntnis wurde bei Norgren ein Managementkonzept entwickelt und eingeführt, welches im Wesentlichen auf drei Projektebenen bzw. -plattformen beruht: Strategische Ebene, Operative Ebene, Ebene der Kontinuierlichen Verbesserung (vgl. Abbildung 4). Strategische Projektebene Auf der obersten, der strategischen Projektebene werden die 10 bis 15 strategisch wichtigsten und aufwendigsten Projekte des Unternehmens geplant, koordiniert und durchgeführt. In diesem Zusammenhang sollen die Six Sigma Projekte zu einem integralen Bestandteil der umfangreichen „Projektlandschaft“ des Unternehmens werden. Um die strategische Zielsetzung mit Nachdruck zu verfolgen, wurde ein Management-Instrumentarium zur Koordination der Projektinhalte und Beurteilung der Art und Anzahl der parallel laufenden Projekte etabliert. Die Ergebnisse der Projektarbeit unterliegen einem ständigen Fortschritts- und Erfolgscontrolling und werden vom Managementteam regelmäßig abgefragt.
510
Der Projektauswahlprozess – Schlüsselfaktor des Six Sigma Programms bei Norgren
Lokale Six Sigma Champions
Lokale Geschäftsleitung/-führung
Ansprechpartner für Prozesseigner, Black Belts sowie Green Belts
Definition, Koordination und Controlling der Six Sigma Projekte
Strategische Projektebene unter Leitung des Black Belts
Operative Projektebene unter Leitung und Verantwortung der Prozesseigner
Ebene der Kontinuierlichen Verbesserung Eigenverantwortung der Arbeitsgruppen in den administrativen und produktiven Bereichen zur Einbindung aller Mitarbeiter des Unternehmens
Abbildung 4: Das Projektebenenmodell der Norgren Group
Operative Projektebene Im Hinblick auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung erhält die operative Projektebene ihre Bedeutung bzw. Wertigkeit erst in Verbindung mit der strategischen Ebene. Beide Projektebenen sind im Unternehmen optimal aufeinander abzustimmen, da sich die Kapazitätsanforderungen z.T. stark überschneiden. Nicht selten entstehen Konfliktpunkte, wenn Black Belts sowohl als Projektleiter auf operativer Ebene als auch als Berater für strategische Projekte in Frage kommen. Bei der Projektbearbeitung auf operativer Ebene sind im Einzelnen folgende drei Punkte zu berücksichtigen: •
Unter Leitung der Prozesseigner sind vor allem operative Prozessschwächen mit Hilfe der Six Sigma Projekte zu beseitigen.
•
Im Rahmen eines Zielvereinbarungssystems ist die Beauftragung der Prozesseigner durch das obere Management vorzunehmen.
•
Die Black Belts sind bei Bedarf den Prozesseignern zur Unterstützung, d.h. bei der Projektleitung und dem Einsatz statistisch basierter Analyse- und Problemlösungstechniken, zur Seite zu stellen.
Ebene der Kontinuierlichen Verbesserung Die Ebene der Kontinuierlichen Verbesserung „rundet“ das Plattformkonzept nach unten hin ab und bezieht dabei alle Mitarbeiter, die nicht explizit in einem operativen bzw. strategischen Projekte integriert sind, ein. Auf dieser Projektebene sollen die Mitglieder von Arbeitsgruppen im administrativen und/oder produktiven Be-
Reinhard Krauer
511
reich Probleme aus ihrem direkten Arbeitsumfeld selbständig bearbeiten und lösen. Entsprechend eines „trade-off Prinzips“ werden damit dem mittleren Management die Zeitanteile zurückgegeben, die sie zur Beseitigung von grundlegenden Prozessproblemen und Schwachstellen in ihrem Bereich benötigen. Zur Realisierung des Konzepts der Projektplattformen sind in erster Linie die Black Belts beauftragt worden, die Grundlagen eines bereichsübergreifenden Projekt-Managementsystems für Veränderungsprojekte im Unternehmen zu erarbeiten. Auf Basis der ersten Projekterfahrungen waren von den Beteiligten zunächst die organisatorischen „Spielregeln“ hinsichtlich Systemaufbau und -ablauf zu beschreiben. Bei Norgren-Herion sollte damit die Implementierung und Aufrechterhaltung einer langfristig erfolgreichen „Projektarbeit“ ermöglicht werden.
4
Projektmanagement und Top-Down-Auswahlprozess
Unter Projektmanagement wird bei Norgren-Herion die Gesamtheit aller Führungs- und Projektorganisationsaufgaben verstanden, die unter Einsatz von geeigneten Management- und Kommunikationstechniken die Durchführung von bereichsübergreifenden Veränderungsprojekten sicherstellen. Die mit der Einführung eines Projekt-Managementsystem verbundenen Spielregeln wurden für das Management, die Projektleiter (Black Belts und Prozesseigner) sowie die Mitarbeiter in einem Projektmanagement-Handbuch ausführlich dargelegt. Letzteres ist heute für alle Projektbeteiligten auf allen Projektebenen gleichermaßen gültig wie verpflichtend. Das von den Black Belts erarbeitete Projektmanagement-Handbuch wurde im Januar 2001 einstimmig verabschiedet und in Kraft gesetzt. Vorausgegangen war eine eingehende Diskussion mit den Mitgliedern des Managementteams hinsichtlich des geforderten Management Commitments und des grundlegenden Engagements im Projekt-Lenkungsausschuss. Mit der Implementierung eines Projekt-Managementsystems sind bei Norgren eine Reihe von Zielen verfolgt worden. Zu den Wichtigsten gehören: •
Hervorhebung der Managementverantwortung bei der Projektauswahl, -koordination und -überwachung
•
Ableitung von Projektvorschlägen und Herstellung des Bezugs zur Erfüllung der Unternehmensstrategie
•
Abschätzung von Projekterträgen sowie erforderlichen Ressourcen, insb. Projektkosten und -zeit
•
Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Gesamtorganisation durch überschaubare Projektanzahl und termingerechte Abschlüsse.
Auf Basis der Grundsatzbeschlüsse des Managementteams sowie der Richtlinien des Projektmanagement-Handbuchs wurde eine dritte Projektauswahlrunde einge-
512
Der Projektauswahlprozess – Schlüsselfaktor des Six Sigma Programms bei Norgren
leitet. Dabei sollten die drei Managementebenen Geschäftsführung, Bereichsleiter und Projektchampion ,mit den an ihn berichtenden Black Belts, explizit berücksichtigt werden. Auf allen drei Ebenen fanden separate Workshops statt, die eine umfangreiche Problemsammlung und -klassifizierung sowie eine Bewertung der Projektideen bezüglich Ertragspotenzial, Aufwendungen, Wichtigkeit, zeitlicher Dringlichkeit und Marktwirkung zum Inhalt hatten. Das modifizierte Vorgehen zur schrittweisen Ableitung und Zuweisung von Projekten (vgl. Abbildung 2) verdeutlicht die nachfolgende Abbildung 5.
Strategische Ziele der Norgren Group leitet Projekte und Maßnahmen aus Unternehmensstrategie ab
Lokales Management fragt nach Projektvorschlägen
meldet Projektvorschläge
Prozesseigner
beauftragt Black Belt
Black Belt stimmt Projektfokus und Teammitglieder mit Prozesseigner ab
informiert und leitet Projektteam
Teammitglieder
Abbildung 5: Top-Down-Projektauswahl und -zuweisung
Die Problemkreise, die unabhängig voneinander auf allen drei „Strategie-Workshops“ benannt wurden, erhielten unmittelbar die höchste Priorität. Gleichzeitig setzte der Projekt-Lenkungsausschuss die in den Workshops abgeleiteten Projektideen an erste Stelle des Problemlösungsprozesses. In einer abschließenden Sitzung des Ausschusses wurden eine Reihe von Projekten zur Bearbeitung freigegeben sowie geeignete Projektleiter aus dem Kreis der Black Belts und Prozesseigner benannt. In den Projekten, denen ein Bereichsleiter oder Prozesseigner vorstand, wurde zur Unterstützung zumindest ein „erfahrener“ Black Belt eingegliedert. Vor der endgültigen Fixierung der Projektaufträge durch den Lenkungsausschuss hatten die Projektleiter u.a. folgende Aufgaben zu lösen:
Reinhard Krauer
•
Beschreibung der Projektaufgaben und -erträge
•
Erstellung eines Projektstruktur- und Aufwandsplans
•
Benennung von erforderlichen Teammitgliedern.
513
Aufgrund eines umfassenden Projektmanagements sowie eines systematischen Projektauswahlprozesses entspricht das durchschnittliche Einsparvolumen der Six Sigma Projekte heute annähernd der Zielvorstellung des Top-Managements i.H.v. € 250.000 pro Projekt. Mit den erarbeiteten und im Einsatz befindlichen Werkzeugen zur Projektfindung, -bewertung, -auswahl und -kontrolle wird die Institutionalisierung der Six Sigma Initiative im Unternehmen kontinuierlich vorangetrieben. Das mittel- und langfristige Ziel der Norgren Group besteht darin, eine nachhaltige Verbesserung der Wettbewerbsposition durch ein effektives und effizientes Projekt- bzw. Prozessmanagement zu erreichen.
Six Sigma in der Produktentwicklung von Motorola Heinrich Wallechner
Inhalt 1 2 3 4 5
1
Qualitätsmanagement im Unternehmen.....................................................................514 Zusammenhang zwischen Fertigungsfehler und Kundenzufriedenheit......................515 Management des Qualitätsverbesserungsprozesses in der Entwicklung ....................516 Praxisbeispiel für die Anwendung von M-Gates .......................................................517 Zusammenfassung .....................................................................................................520
Qualitätsmanagement im Unternehmen
In einem weltweit tätigen Elektronikunternehmen wie Motorola spielt Qualitätsmanagement eine herausragende Rolle. Unter der Prämisse „Vollständige Erfüllung von Kundenwünschen“ und gezielter Qualitätssicherung im gesamten Unternehmen konnte der Konzern eine führende Position in der mobilen Kommunikationstechnik, bei elektronischen Bauelementen sowie in der Computer- und Datenübertragungstechnik erreichen. Qualitätssicherung setzt ein umfangreiches Wissen über alle Prozesse im Unternehmen voraus. Die Aufgabe der Qualitätssicherung besteht heute vor allem im „Coaching“ von Aktivitäten, um den Qualitätsverbesserungsprozess auf operativer Ebene zu gestalten. Vor diesem Hintergrund strebt Motorola das Ziel des Klassenbesten in Bezug auf Mitarbeiter, Technologie, Fertigungsprozesse, Produkte, Marketing und Dienstleistung an. Darüber hinaus bestehen für das Unternehmen die Ziele, den weltweit größten Marktanteil sowie ständig finanzielle Spitzenergebnisse zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird Six Sigma als wichtige Qualitätsinitiative erachtet, um die übergeordneten Ziele schnellstmöglich zu erreichen. Die allgemeinen Grundsätze bzgl. Qualität und Kundenzufriedenheit sind i.d.R. für alle Beteiligten einleuchtend und verständlich. Jedoch gestaltet sich die Einund Umsetzung von Qualitätsverbesserungsmaßnahmen im Unternehmen nicht immer einfach. Dies soll im Folgenden anhand eines Beispiels aus der Fertigung für elektronische Produkte verdeutlicht werden. Zunächst wird jedoch der Fragestellung nachgegangen, wie die Kundenzufriedenheit mit den Fehlern im Fertigungsprozess korreliert.
Heinrich Wallechner
2
515
Zusammenhang zwischen Fertigungsfehler und Kundenzufriedenheit
In erster Linie entscheidet sich ein Kunde für den Kauf eines Produkts, weil ihm die Produkteigenschaften zusagen und er von einem angemessenes Preis-Leistungsverhältnis ausgeht. Gleichzeitig erwartet der Kunde bei Produktkauf, dass das Produkt •
zum vereinbarten Termin geliefert wird,
•
keine Mängel bei Inbetriebnahme aufweist,
•
eine geringe Anfangsausfallhäufigkeit besitzt,
•
während des täglichen Gebrauchs zuverlässig arbeitet.
Die oben genannten Punkte korrelieren sehr stark mit dem zugrunde liegenden Fertigungsprozess. So ist die mittlere Durchlaufzeit proportional zur Fehleranzahl im gesamten Fertigungsprozess. Das heißt, jeder auftretende Fehler verursacht erhöhte Lieferzeit aufgrund zusätzlicher Analysen, Reparatur und Wiederholtests. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Fehleranzahl im Fertigungsprozess um so höher liegt, je mehr Fehler vom Kunden bei Inbetriebnahme entdeckt werden. Fehler, die der Kunde bei Anlieferung und Erstbetrieb feststellt, gelten als „nicht entdeckte Fehler“ des Fertigungsprozesses. Zur Zeit sind keine Test- und Inspektionsmethoden so effektiv, dass alle Fehler vor Auslieferung erkannt werden können. Die Anfangsausfallhäufigkeit wird im Wesentlichen durch das Auftreten latenter Defekte bestimmt. Letztere sind „Abnormitäten“, welche durch den normalen Gebrauchsstress ausgelöst werden und zu Produktausfällen führen. Auch für latente Defekte gilt, dass sie proportional zu allen Fehlern im Fertigungsprozess sind. Schließlich ist für den Betrieb beim Kunden die Zuverlässigkeit von elektronischen Produkten entscheidend. Dabei gilt, je größer die Designsicherheit (tatsächlich hineinentwickelte Eigenschaften in Relation zu den vom Kunden benötigten Spezifikationen) ist, desto geringer ist die zu erwartende Fehlerhäufigkeit. Bei voll elektronischen Produkten mit besten Designtoleranzen, welche innerhalb der Gerätespezifikationen betrieben werden, geht die Zuverlässigkeit gegen 100 %. Im Ergebnis führt eine Reduzierung der Fehler pro Einheit im Fertigungsprozess zu einer Reduzierung der Durchlaufzeiten, der Lieferverzögerungen und der Ausfallhäufigkeiten. Gleichzeitig erhöht sich die Kundenzufriedenheit durch höhere Produktzuverlässigkeit. Die Wirtschaftlichkeit im Unternehmen steigt aufgrund abnehmender Herstellkosten pro Geräteeinheit. Um die Fertigungsfehler unmittelbar nach Produkteinführung auf Six Sigma Niveau zu reduzieren, setzt Motorola auf ein umfassendes Qualitätsmanagement in der Entwicklungsphase.
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3
Six Sigma in der Produktentwicklung von Motorola
Management des Qualitätsverbesserungsprozesses in der Entwicklung
Mit Six Sigma geht ein ständiges Messen und Beobachten von Verbesserungsprozessen im Unternehmen einher. Die Ein- und Umsetzung von Six Sigma Tools ist dabei Chefsache und in keinem Fall delegierbar. Entsprechend dem Top-Down Prinzip sind alle Organisationsebenen in den Kontrollprozess der Verbesserungsaktivitäten einzubeziehen. Ein gemeinsames Qualitätsmeßsystem ermöglicht hier die Zusammenfassung der auf verschiedenen Hierarchieebenen erhobenen Daten. Im Rahmen von Six Sigma ergab sich für Motorola die Notwendigkeit, weltweit einheitliche Prozessstandards zu definieren. So existiert für das Controlling des Produktlebenszyklus die sogenannte „M-Gate Richtlinie“. In dieser sind alle geschäftsrelevanten Kontroll- bzw. Entscheidungspunkte verankert, die eine durchgängige Produktüberwachung von der Entwicklung über die Produktion bis zur Wartung erlauben (vgl. Abbildung 1). Marktuntersuchung und -analyse Business Planentwicklung Gate 15 Idee akzeptiert Gate 14 Konzept akzeptiert Gate 13 Lösung ausgewählt
Portfolio Planung
Projekt Definition
Produktion Beginn
Markteinführung und -ende
Gate 12 Portfolio akzeptiert
Gate 10 Projekt beginnt
Gate 6 Entwicklung abgeschlossen
Gate 2 Massenproduktion und Lieferung
Gate 11 Lösung festgelegt
Gate 9 System Anforderungen definiert
Gate 5 System Test abgeschlossen
Gate 1 Produktankündigung akzeptiert
Gate 8 System Anforderungen zugeordnet Gate 7 Pflichtenheft genehmigt
Gate 4 Feldversuche durchgeführt
Gate 0 Ende der Lebenszeit
Gate 3 Fertig zur kontrollierten Einführung
Abbildung 1: M-Gates als Rahmen für Geschäftsentscheidungen bei Motorola
An jedem der in Abbildung 1 eingetragenen „Gates“ wird entschieden, ob die definierten Anforderungen hinreichend erfüllt wurden. Indem sie die Voraussagefähigkeit von Produkt- bzw. Prozessrisiken deutlich erhöhen, bilden die 16 Kontrollpunkte (M-Gates) den Rahmen für Geschäftsentscheidungen. Gleichzeitig ermöglichen M-Gate Messungen, die Verantwortung für die Erfüllung von Prozessschritten zu institutionalisieren. Neben der Feststellung von Erfüllungsgraden sind für den Abschluss eines „Gates“ folgende Regeln zu beachten:
Heinrich Wallechner
517
•
Ein Gate kann nur beendet werden, wenn alle bestehenden Anforderungen erfüllt bzw. alle vorhergehenden Gates vollständig abgeschlossen sind.
•
Die einzelnen Aktivitäten müssen nicht immer in der dargestellten Reihenfolge bearbeitet werden. Die Arbeit an einem bestimmten Gate kann schon vor Abschluss eines vorausgehenden Gates erfolgen.
•
Das Projektteam hat das Risiko zu bewerten bzw. zu tragen, falls Aktivitäten begonnen werden, ohne vorangegangene Gates vollständig abzuschließen.
Das Projekt wird neben den M-Gates auch von einem regelmäßigen Projekt Business Review (PBR) begleitet. Dieser gibt die Bestätigung, dass das Projekt bei jedem Teilschritt die kritischen Erfolgskriterien erfüllt und dem vorgegebenen Eskalationsprozess entspricht. Letzterer stellt sicher, dass bei Abweichungen vom Plan (Ressourcen, Zeit, Kosten, technische Änderungen) das Management unverzüglich informiert wird, um notwendige Entscheidungen zu treffen. Neben dem PBR findet bei Motorola ein entsprechend ISO 9000 gestalteter Reviewprozess statt. Die Ergebnisse dieses „parallelen“ Reviews werden im Rahmen von PBR ausgewertet, um ggf. Aktionspläne zur Produktoptimierung zu erstellen.
4
Praxisbeispiel für die Anwendung von M-Gates
Bei der Entwicklung eines mobilen Funkgeräts (Jeston Type 4) wurde die „MGate Richtlinie“ von Motorola erfolgreich angewendet. Die konsequente Ausrichtung an Planvorgaben, Meilensteinen und Performance-Kennzahlen, insbesondere während der Produktentwicklung, führte zu einem durchschlagenden Erfolg des Geräts am Markt. Zur Projektverfolgung wird ein unternehmensspezifisches Projektmessblatt eingesetzt. Dieses besteht aus den vier Hauptblöcken Allgemeine Projektdaten, Plan-/Ist-Zeitvergleich und -umsetzung, M-Gate Prozessfortschritt sowie Produktmanagementplan mit Produktanforderungen und Projektmeilensteinen (vgl. Abbildung 2). Im ersten Block sind neben dem Projektnamen, der Projektleiter und das Berichtsdatum benannt. Der zweite Block stellt im Hinblick auf den M-Gate Status die geplante der tatsächlich aufgewendeten Zeit gegenüber. Der X factor gibt in diesem Zusammenhang den Effizienzwert zu vergleichbaren Projekten an. Var und Var% sind die absoluten und relativen Abweichungen vom kumulierten Planwert. Die „Planumsetzung” zeigt die entsprechende Abweichung (in Tagen und %) vom letzten M-Gate an.
9 9 100%
2 2 100%
Anzahl der Anforderungen am Gate
Erfüllte Anforderungen
Abbildung 2: Projektmessblatt für Produktentwicklung „Jeston Type 4“ 25 230
Produktrahmen (Meilensteine) 20
5
Planumsetzung
M-4
M-3
M-2
0 8 8 100%
-5 10 10 100%
0
3
8
8
17%
1
6
-13
9
-17
-31 9
-21 10
Umsetzung der Meilensteine Geplant (insgesamt) 105 MPI 0.83 Geplant (bis heute) 43% 54 Fertigstellung (%) Ist 45 Vorhersage (insg.) 250
83%
5
6
-6
7-Jan-00 28-Mar-00 6-Sep-00
1-Nov-00 17-Dec-00 26-Jan-01
M-5
-9 -4%
Wert
8-Dec-99
M-6
Abweichung (Tage) Abweichung (%)
08. Aug 00
7-Jan-00 22-Mar-00 24-Aug-00 15-Oct-00 26-Nov-00 26-Dec-00
M-7
Var % 0.0% -8.8% -5.2%
Erstellungsdatum:
3-Dec-99
M-8
Var 0 -31 -0.082
Elroy George
@ M7 Hinzugefügt(+) Gelöscht(-) Änderungen
Produktrahmen (Charakteristika)
Produktmanagementplan
Vollständigkeit des Prozesses (%)
6
20-Oct-99
1-Oct-99 0
Abschluss des Gates: Ist
M-9 26-Oct-99
M-10
Ist 98 385 1.505
1-Oct-99
Plan 98 354 1.636
Projekt Manager:
Abschl. d. Gates: Abweichung(Tage)
365 1.587
Ziel
Jeston Type 4
Abschluss des Gates: Plan
M Gate-Prozess
Zeit Zeit: M10-M7 (Tage) Zeit: M7-M2 (Tage) X-Faktor (M7-M2)
Bezeichnung:
518 Six Sigma in der Produktentwicklung von Motorola
Heinrich Wallechner
519
Der dritte Block stellt die Termine (Plan, Ist) und Terminabweichungen der einzelnen Gates dar. Außerdem werden für jedes M-Gate die Anzahl der bestehenden Anforderungen sowie deren Erfüllungsgrad angegeben. Der vierte Block zeigt schließlich die Anzahl der Produktcharakteristika und der Projektmeilensteine zusammen mit den positiven bzw. negativen Veränderungen. Die Ein- und Umsetzung der im Produktmanagementplan definierten Meilensteine wird im rechten Teil des Blocks verfolgt. Im Rahmen eines Ist-/Soll- bzw. Ist-/Plan-Vergleichs werden als Hauptkennzahlen der Milestone Perfomance Index (MPI) sowie die relative Fertigstellung ermittelt. Die beiden Kurvenverläufe für den Soll- /IstProjektfortschritt sind in Abbildung 3 exemplarisch dargestellt.
120
Abweichung vorhergesagt
Soll Ist
Kumulierte Fertigstellung (%)
100 IstAbweichung
80
60
40
20 M2 De c00 Ja n01 Fe b01
-0 0 Se p00 Oc t-0 0 No v00
-0 0
Au g
Ju l
Ap r-0 0 Ma i-0 0 Ju n00
De c99 Ja n00 Fe b00
M3 Ma r-0 0
M7 0
Abbildung 3: Meilensteinverfolgung im Projekt „Jeston Type 4”
Neben der Verfolgung des Produktentwicklungsprozesses mit Hilfe von M-Gates, besteht bereits bei der Produktdefinition die Anforderung, ein Six Sigma „konformes“ Pflichtenheft herauszugeben. In diesem werden neben den terminlichen und finanziellen Rahmenbedingungen insbesondere die personellen Zuständigkeiten, die technischen Daten sowie die Qualitätsanforderungen geklärt. Darüber hinaus enthält die Hardware-Beschreibung des Funkgeräts Jeston Type 4 detaillierte technische Parameter sowie genaue Anforderungen bezüglich Umweltspezifikationen, Gesetzliche Vorschriften, Lieferfreigabe, Entwicklungsverifizierung und Qualitätsplan. Im Ergebnis konnten die angestrebten Produktspezifikationen vollständig erfüllt werden (vgl. Abbildung 4).
520
Six Sigma in der Produktentwicklung von Motorola
Die nachfolgende Abbildung 4 zeigt die Verifizierung der erreichten (Empfänger-) Daten des Funkgeräts in einem Pilotversuch. Die gemessenen Werte der einzelnen Geräte (Serial No) werden gelistet und dem Sollwert sowie dem oberen und unteren Grenzwert (Limit hi / Limit lo) gegenübergestellt. Dies ist notwendig, da in einigen Fällen technisch nur einseitige Verteilungen möglich sind. Aus dem Mittelwert (X_av) und den Grenzwerten errechnet sich der Cpk-Wert. Da ein Wert von 1,5 dem 6σ-Ziel entspricht, kann für jede Produktcharakteristika das Erreichen von Six Sigma einzeln überprüft werden. Auf dieser Basis können anschließend kontinuierliche Verbesserungsprozesse gezielt einsetzen. Mobile VHF 1-25W Pilot Run RX Analysis 136,425 MHz 25 kHz at 25°C P os S e r ia l N o
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
C2399 C2403 C2359 C2337 C2400 C2391 C2389 C2341 C2368 C2342
X _a v S TD Li m it h i Li m it lo Cp h i C p lo CPK
12 d B S ina d
IM p os. (ETS )
IM ne g . ( ET S )
H a lf IF
Im a ge
uV
dB
dB
dB
IF Re je ct.
Adj. Cha n. A dj.C ha n . Co lo w hig h C h a nn e l dB
dB
dB
Blo ckin g @ 1M Hz
dB
dB
0,22 0,21 0,22 0,22 0,22 0,22 0,23 0,23 0,22 0,22
72,70 73,50 73,00 73,60 72,90 73,10 73,30 75,00 73,30 73,20
74,50 73,50 74,20 73,50 73,10 72,90 73,60 70,60 74,90 74,50
91,50 90,50 89,90 90,20 88,40 87,20 86,60 89,30 88,70 97,20
96, 70 98, 40 99, 70 96, 20 95, 60 96, 80 96, 20 96, 80 100, 80 100, 00
105,50 101,20 102,20 103,70 103,60 105,00 103,70 103,60 103,00 101,80
85,00 85,20 85,40 85,00 84,80 84,80 84,80 84,60 85,10 84,90
86,00 86,00 85,50 85,90 85,60 85,30 85,20 85,10 85,70 85,60
-2, 40 -1, 90 -1, 90 -2, 20 -2, 70 -2, 70 -2, 60 -2, 80 -2, 00 -2, 60
102,00 102,40 102,00 102,20 102,10 102,10 102,00 101,90 102,20 102,20
dB
0,22 0,00 0,30 -999,00 5,78 72.953,32 5,78
73,36 0,64 999,00 65,00 484,90 4,38 4,38
73,53 1,22 999,00 65,00 253,00 2,33 2,33
89,95 2,95 999,00 70,00 102,60 2,25 2,25
97, 72 1, 85 999, 00 70, 00 162, 09 4, 99 4, 99
103,33 1,34 999,00 70,00 222,66 8,29 8,29
84,96 0,23 999,00 70,00 1.313,84 21,50 21,50
85,59 0,32 999,00 70,00 947,67 16,17 16,17
-2, 38 0, 35 999, 00 -8, 00 947, 91 5, 32 5, 32
102,11 0,14 999,00 84,00 2.063,04 41,66 41,66
Abbildung 4: Pilotversuch mit RX-Analyse (136,425 MHz) für Empfängerdaten
5
Zusammenfassung
Das Streben nach Perfektion setzt den Willen zur ständigen Verbesserung von der Entwicklung bis zur Produktion voraus. Nur die Top-Down Verpflichtung des Managements und aller Beteiligten führt ein Unternehmen zur nachhaltigen Qualitätssteigerung. Um Kundenerwartungen zu erfüllen und ggf. zu übertreffen, sind geeignete Qualitätssicherungsmechanismen frühzeitig zu ergreifen. Diese umfassen sowohl die Anwendung von Six Sigma Werkzeugen als auch den Einsatz von Audit-Mechanismen im Rahmen von Meilenstein-Konzepten. Neben der Optimierung des Pflichtenhefts erfolgt bei Motorola die Definition sogenannter M-Gates, um den Qualitätsverbesserungsprozess bereits zu Beginn
Heinrich Wallechner
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des Produktlebenszyklus sicherzustellen. M-Gate Messungen ermöglichen es insbesondere, die Verantwortung für die Erfüllung von Kundenanforderungen zu institutionalisieren. Weiterhin stellen sie sicher, dass die geforderten Produkt- und Prozessspezifikationen bereits im Entwicklungsprozess eingehalten werden. Die konsequente Entwicklungsverifizierung und -validierung von geforderten Parametern stellt eine erfolgreiche Einführung sowie kostengünstige Wartung des Produktes über den gesamten Produktlebenszyklus sicher.
Positive Erfahrungen bei der Six Sigma Einführung und Projektumsetzung bei Whirlpool Europe Eike Dorff, Armin Töpfer
Inhalt 1 2 3 4
1
Fünfjährige Six Sigma Aktivitäten bei Whirlpool Europe.........................................522 Auswahl und Training von Six Sigma Kandidaten....................................................524 Schlüsselfaktoren für den Six Sigma Projekterfolg ...................................................526 Projektbeispiel zur erfolgreichen Anwendung von DMAIC......................................528
Fünfjährige Six Sigma Aktivitäten bei Whirlpool Europe
Whirlpool Europe ist eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Whirlpool Corporation in Benton Harbor, Michigan (USA). Die Whirlpool Corporation ist der weltweit größte Hersteller von Haushaltsgeräten und beschäftigt derzeit rund 60.000 Mitarbeiter. Das Tochterunternehmen Whirlpool Europe ist mit einem Jahresumsatz von über € 2 Mrd. und ca. 12.000 Beschäftigten hauptsächlich in Deutschland und Italien vertreten. Das Kerngeschäft der 11 Standorte in sechs europäischen Ländern umfasst die Entwicklung, die Herstellung und den Vertrieb von Haushaltsgeräten in Europa. Die Produkte werden unter den Markennamen Bauknecht, Whirlpool und Ignis geführt und vertrieben (Stand: Dezember 2001). Die Six Sigma Initiative wurde im Jahr 1996 bei der Whirlpool Corporation in den USA ins Leben gerufen. Wie auch in anderen Unternehmen bestand das Ziel der Initiative in einer deutlichen Verbesserung der Produktqualität bei gleichzeitiger Reduzierung der Herstellkosten. Um insbesondere im internationalen Wettbewerb langfristig erfolgreich zu bestehen, sollten alle Produkte und Prozesse systematisch optimiert werden. Nach den ersten Six Sigma Erfahrungen im Mutterkonzern 1996 führte Whirlpool im Jahr 1997 die ersten Management-Workshops in Europa durch. An den sogenannten „Start-Up-Trainings“ nahmen alle Vice Presidents und Direktoren des technischen Bereichs (Entwicklung, Produktion und Einkauf) teil. Wie in Abbildung 1 zu sehen, starteten im gleichen Zeitraum die ersten Black Belts Trainings in Deutschland und Italien. Nach einjähriger Ausbildungszeit war die erste Gruppe von Black Belts im April 1998 für die selbstständige Durchführung von Six Sigma Projekten zertifiziert. Nach weiteren 10 Monaten nahmen die ersten Master Black Belts ihre Zertifizierung bei Whirlpool Europe entgegen.
Eike Dorff, Armin Töpfer
523
Gesamte Einführungsdauer ca. 2 Jahre Startphase ca. 1 Jahr
1997
1998
1999
J FMAM J J A S ON D J F MAM J J A S ON D J F MAM J J A S OND Erste MBB-Zertifizierung Start der Six Sigma Initiative Start von Management-Workshops Start des Black Belt Trainings
Start des Green Belt Trainings Autarke Durchführung von BB Trainings Erste Gruppe ist BB-zertifiziert
Abbildung 1: Meilensteine der Six Sigma Einführung bei Whirlpool Europe
Six Sigma Schulungen (insbesondere die „Greenbelt“ Trainings) finden seit Oktober 1998 hauptsächlich in den Bereichen Einkauf, Produktentwicklung und Fertigung sowie in zentralen Zulieferbetrieben statt. Die Einleitung von Schulungsmaßnahmen sowie die Gesamtführung des Six Sigma Programms unterliegt dem Vice President für „Produktion & Technologie“. Neben diesem Executive Sponsorship an oberster Stelle existieren in der Six Sigma Organisation von Whirlpool Europe eine Reihe von Verantwortlichkeiten und Hierarchieebenen. Den Kern der Organisation bilden zweifellos die Black Belts, die als Leiter von Projektteams in verschiedenen Unternehmensbereichen Six Sigma Projekte durchführen und Maßnahmen umsetzen. Sie bekommen dabei aktive Unterstützung von den Projektbzw. Prozesseignern (Champions) sowie den Master Black Belts. Die primäre Aufgabe der Champions besteht darin, unter Berücksichtigung der bestehenden Ressourcen (z.B. personelle und finanzielle Mittel) geeignete Projekte zu bestimmen. Im Rahmen der Organisationsentwicklung gilt es, insbesondere „Ressourcenkonflikte“ in Verbindung mit bereits laufenden Six Sigma Projekten zu vermeiden. Die Master Black Belts fungieren in erster Linie als Lehrer und Mentor und unterstützen dabei die Projektteams in der optimalen Anwendung von Six Sigma Werkzeuge. Außerdem leiten sie strategische Projekte auf europäischer, meist Standort übergreifender Ebene. Bei Whirlpool Europe wird zwischen den sogenannten „Site Coordinators“ und den Mitgliedern des „Core Teams“ unterschieden (vgl. Abbildung 2). Während der Aufgabenschwerpunkt des Core Teams in der Trainingsdurchführung und dem praxisorientierten Ausbau der Schulungsinhalte liegt, besteht die Funktion der Site Coordinators in der standortbezogenen Betreuung der Black und Green Belts. Außerdem werden die Mitglieder dieses Teams als bereichsspezifische Projektleiter sowie als Trainer von Green Belt Gruppen vor Ort eingesetzt.
524
Positive Erfahrungen bei der Six Sigma Einführung und Projektumsetzung
BB BB
GB
Trento Schorndorf
Norrkoeping
BB
MBB
BB
Neunkirchen BB Cassinetta
BB
MBB Core Team 4 people
Poprad
Amiens Siena Lieferanten
Naples
MBB Site Coordinator
Abbildung 2: Verteilung der Master Black Belts bei Whirlpool Europe
2
Auswahl und Training von Six Sigma Kandidaten
Die Rekrutierung und Schulung geeigneter Mitarbeiter bildet in jedem Unternehmen einen zentralen Aspekt bei der Umsetzung von Six Sigma. Im Folgenden sollen die wesentlichen Kriterien bei der Auswahl und dem Training von Champions, Master Black Belts, Black Belts und Green Belts bei Whirlpool Europe erläutert werden. Mit der Funktion eines Champions werden meist Führungskräfte mit einer fundierten und langjährigen Erfahrung im Projektmanagement betraut. Zu den Auswahlkriterien gehört u.a. der Nachweis über das erfolgreiche Absolvieren eines Six Sigma Managementtrainings, in dessen Rahmen den zukünftigen Champions ein Überblick über die Six Sigma Methoden und Werkzeuge vermittelt wird. Neben der praktischen Anwendung einzelner Werkzeuge wird in dem 3,5-tägigen Managementtraining besonderer Wert auf die Führung und Motivation von Projektmitarbeitern, insb. Black und Green Belts, gelegt. Bis Ende 2001 sind bei Whirlpool Europe bereits über 350 Führungskräfte ausgebildet worden. Außerdem wurden etwa 40 Champions in wichtigen Zulieferbetrieben ausgebildet, um die wichtige Schnittstelle der Zulieferteile zu optimieren. Die Master Black Belt Kandidaten werden vom Core Team aus der Gruppe bereits zertifizierter Black Belts ausgesucht. Sie zeichnen sich durch besondere Führungsqualitäten, insbesondere in Bezug auf Kommunikations- und Teamfähigkeit, aus und werden deshalb bei Whirlpool als sogenannte „High Potentials“ geführt.
Eike Dorff, Armin Töpfer
525
Die Ausbildung zum Master Black Belt ist kein „Standardpaket“, sondern umfasst eine auf die jeweiligen Kandidaten zugeschnittene Weiterbildung. Die Ausbildung kann frühestens nach der Black Belt Zertifizierung beginnen und dauert etwa 12 bis 18 Monate. Die Schulungen beinhalten eine ausführliche Wissensvermittlung auf den Gebieten Projektmanagement, Controlling, Personalführung und Statistik. Als Voraussetzungen für die Zertifizierung zum Master Black Belt zählen sowohl der erfolgreiche Abschluss des Black Belt Trainings als auch die erfolgreiche Durchführung mindestens eines strategischen Projekts. In den Reihen von Whirlpool Europe befinden sich mittlerweile mehr als zehn Master Black Belts. Wichtig ist auch die Rolle des Master Blackbelts für Lieferanten, die es ermöglicht, dass Lieferanten einen zentralen Ansprechpartner in Sachen Six Sigma Projekten haben. Die wichtigsten Voraussetzungen für die Tätigkeit als Black Belt sind „Teamfähigkeit“ und „Eigeninitiative“, d.h. Black Belts müssen sich selbst und alle Teammitglieder zur Erreichung der vom Management erwarteten Ergebnisse motivieren können. Gleichzeitig gelten Six Sigma spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten, z.B. in Mathematik und Statistik, nicht als k.o.-Kriterien bei der Auswahl geeigneter Black Belt Kandidaten. Die Black Belt Trainings werden von den Master Black Belts aus dem Core Team vorbereitet und durchgeführt. Der Zeitraum der Ausbildung beträgt vier Monate und umfasst monatlich eine Woche Schulung sowie drei Wochen Projektarbeit. In den insgesamt vier Schulungswochen werden den Teilnehmern die Grundzüge des DMAIC-Zyklus und verschiedene Projektmanagement- und Statistikwerkzeuge nahe gebracht. Zwischen den Schulungswochen arbeiten die Black Belt Kandidaten in ausgewählten Six Sigma Projekten, deren Ergebnisse während der Schulungszeit regelmäßig zu präsentieren sind. Die Ausbildung endet nach 9 bis 12 Monaten mit der Black Belt Zertifizierung, die dem Kandidaten umfangreiche Six Sigma Kenntnisse und Fähigkeiten bescheinigt. Whirlpool Europe beschäftigt derzeit über 200 Black Belts. Außerdem wurden 20 Black Belts bei Lieferanten ausgebildet, die an Projekten mit Whirlpool Europe arbeiten. Wie in anderen Unternehmen bildet eine steigende Anzahl von Green Belts das eigentliche Rückgrad der Six Sigma Organisation bei Whirlpool Europe. Die Green Belts beschäftigen sich im Rahmen von kontinuierlichen Qualitätsverbesserungsprozessen mit der praktischen Anwendung von Six Sigma Werkzeugen im Unternehmen. Als aktive Mitarbeiter in Six Sigma Projekten unterstehen sie der Anleitung zertifizierter Black Belts. Die Green Belt Ausbildung in den Entwicklungs- und Produktionsbereichen dauert drei Tage. Die Kernpunkte des Trainings sind das Erlernen einer gemeinsamen „Six Sigma Sprache“ sowie das allgemeine Verständnis für Projektmanagement-Methoden. Die Vermittlung von mathematisch-statistischen Kenntnissen beschränkt sich hingegen auf den praxisbezogenen Einsatz von einfacheren Statistik-Werkzeugen. Grundsätzlich steht beim Green Belt Training von Whirlpool die Frage nach dem „Warum?“ statt nach
526
Positive Erfahrungen bei der Six Sigma Einführung und Projektumsetzung
dem „Wie?“ im Vordergrund. Allein in Europa befanden sich im Jahr 2001 ca. 300 Green Belts (davon 25 in Zulieferunternehmen) im Einsatz.
3
Schlüsselfaktoren für den Six Sigma Projekterfolg
In diesem Abschnitt sollen die wichtigsten Faktoren für den Erfolg der Six Sigma Initiative bei Whirlpool Europe reflektiert werden. Neben der Auswahl geeigneter Projekte gehören dazu u.a. die Unterstützung des Top-Managements und der Einsatz von Six Sigma Methoden in der gesamten Wertschöpfungskette. In Abbildung 3 sind die generellen Erfolgsfaktoren bei der Einführung von Six Sigma in Unternehmen in absteigender Reihenfolge dargestellt. Die Ergebnisse einer Befragung der Champions stimmen grundsätzlich mit den Six Sigma Erfahrungen bei Whirlpool überein.
93%
Unterstützung durch das Top-Management 76%
Eindeutige Messbarkeit der Ergebnisse Verknüpfung mit den strategischen Gesamtzielen des Unternehmens Umfassende Six Sigma Trainings in allen Unternehmensbereichen
70% 48%
Eindeutige Festlegung von Umfang und Zielen der Initiative Einsatz von Six Sigma Methoden in der gesamten Wertschöpfungskette
37% 26% 22%
Change-Management Erfahrungen Internes Marketing und Kommunikation der Six Sigma Initiative
17%
Unterstützung durch externe Berater
7%
Rekrutierung von erfahrenen Six Sigma Spezialisten
7%
Quelle: Studie zur Einführung von Six Sigma, Cambridge Management Consulting, Mai 2000
Abbildung 3: Wichtigkeit von Faktoren bei der Einführung von Six Sigma
Die Six Sigma Projekte werden bei Whirlpool Europe auf oberster Unternehmensebene geplant, um sie anschließend sukzessive in Teilprojekten auf operativer Ebene umzusetzen. Um Probleme einzeln definieren und Lösungsansätze gezielt erarbeiten zu können, werden die strategischen Unternehmensziele bis auf Prozessebene „heruntergebrochen“. Wichtige Voraussetzung für den Start von Six Sigma Projekten ist der Nachweis eines großen Verbesserungspotenzials in Bezug auf Qualität, Produktivität und Net Benefit. Gleichzeitig sollte ein möglichst hoher Nutzen für interne und externe Kunden in Aussicht stehen. Zu Beginn fokussierten die meisten Six Sigma Projekte im Unternehmen auf ständig wiederkehrende,
Eike Dorff, Armin Töpfer
527
chronische Probleme, die mit Hilfe „traditioneller“ Verbesserungsmaßnahmen bisher nicht zufriedenstellend gelöst werden konnten. Zunehmend fließen Erfahrungen mit Kunden in die Auswahl der möglichen Projekte ein. Die aktive Einbindung von Führungskräften (Management Commitment) stellte sich als weitere wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung von Six Sigma Aktivitäten heraus. Whirlpool Europe legte von Anfang an besonderen Wert auf die Einbindung aller Managementebenen und platzierte deshalb die Management-Workshops bzw. -Trainings in der entsprechenden zeitlichen Reihenfolge. Auch erwies sich die Unterstützung durch einen externen Berater im Einführungszeitraum bis zur Berufung der ersten Master Black Belts als vorteilhaft. Trotz einiger Anfangsschwierigkeiten konnte das Ziel, eine funktionsfähige Six Sigma Organisation innerhalb von zwei Jahren zu etablieren, bis Anfang 1999 erreicht werden. Um einen kurzfristig hohen Verbreitungs- und Wirkungsgrad zu erzielen, ist es aus Sicht von Whirlpool Europe unausweichlich, die rechtzeitige Information aller Mitarbeiter des Unternehmens sicherzustellen. Gleichzeitig sollte auf eine schnelle Umsetzung und Wirksamkeit der ersten Six Sigma Projekte geachtet werden („Quick-Wins“), da hiermit eine nachhaltige Motivation der Mitarbeiter und des Managements einhergeht. Nach mehrjähriger Durchführung von Six Sigma Projekten liegt der Schwerpunkt der Six Sigma Aktivitäten im Unternehmen heute auf der Erhöhung der Kundenzufriedenheit anstelle der Frage nach der Höhe der Kostenreduzierung. Das vornehmliche Ziel von Whirlpool Europe ist es, dass die Kundenanforderungen bereits im Entwicklungsprozess bestmöglich berücksichtigt werden. Aus diesem Grund müssen alle Mitarbeiter, die an strategischen Entwicklungsprojekten beteiligt sind, mit den Prinzipien und Elementen des Design for Six Sigma (DFSS) umfassend vertraut sein. Diese Methodik hat das Ziel, Produkte so zu entwickeln, dass in der Produktion praktisch keine Fehler mehr auftreten können. Dabei hat sich nicht nur im Entwicklungsbereich das Denken und Handeln der Mitarbeiter nachhaltig verändert. Vor allem durch die zunehmende Anwendung der Six Sigma Methoden im „täglichen Arbeitsleben“, außerhalb der Projekte, fand eine Six Sigma orientierte Ausrichtung der gesamten Organisation statt. In diesem Zusammenhang ist jedoch zu beachten, dass eine stetige Sensibilisierung der Mitarbeiter erfolgen sollte. So finden bei Whirlpool in regelmäßigen Abständen sogenannte „Update-Trainings“ für Mitarbeiter statt, die nur selten in Six Sigma Projekten eingebunden sind. Ein weiterer positiver Aspekt, der sich vor allem im Zusammenhang mit den Mitarbeiterschulungen ergeben hat, ist die zunehmende faktenbezogene Problemlösung im Unternehmen. Das heißt, die emotionale Betrachtung von Problem- und Schwachstellen tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Der Problemlösungsprozess hat sich von der Mitarbeiterdebatte über das Auffinden Schuldiger und deren Fehler zu einer „Lösungsfindungsrunde“ auf Basis von zuvor ermittelten (Prozess)Daten gewandelt. Durch die intensive Einbindung der Lieferanten in die Six Sigma Projektarbeit und Ausbildung hat sich zudem die Zusammenarbeit auf der
528
Positive Erfahrungen bei der Six Sigma Einführung und Projektumsetzung
Ebene „Entwicklung & Produktion“ deutlich verbessert. Im Hinblick auf diese und andere Schnittstellenoptimierungen hat Whirlpool Europe Ende 1999 seine Six Sigma Organisation noch einmal erweitert. Zum Beispiel wurden zur Unterstützung, Betreuung und Schulung von standortgebundenen Projektteams die bereits erwähnten Site Coordinators etabliert. In den vergangenen fünf Jahren gelang es Whirlpool Europe, mit Hilfe von Six Sigma hohe finanzielle Ergebnisse zu erzielen. Das überschlägige Kosten-NutzenVerhältnis bei Six Sigma Projekten beträgt heute 1 zu 4, d.h. für jeden investierten Euro bekommt das Unternehmen vier Euro zurück. Der Nutzen von Six Sigma Projekten äußert sich sowohl in Kosteneinsparungen als auch Umsatzsteigerungen. Beide liegen im Vergleich zu anderen Six Sigma Unternehmen in dem zu erwartenden „normalen“ Bereich.
4
Projektbeispiel zur erfolgreichen Anwendung von DMAIC
Whirlpool Europe kann heute auf eine Reihe erfolgreich durchgeführter Six Sigma Projekte in verschiedenen Unternehmensbereichen zurückblicken. In Abbildung 4 ist eine typische Problemstellung aus der zentralen Produktentwicklung bei Whirlpool Italien dargestellt. Die Abbildung zeigt das Prinzip der Brennerzündung in Gasherden, das im Rahmen einer Kundenbefragung und Reklamationsstatistik als kritisches Qualitätsmerkmal eingestuft wurde. Im Hinblick auf die Optimierung des Zündverhaltens von Brenneraufsätzen ergab sich bei internen Qualitätsuntersuchungen folgender Schwachpunkt bzw. folgendes Fehlverhalten: Bei „Starlight Gasherden“ wird das einströmende Gas nicht immer zuverlässig gezündet, sondern erst nach mehrmaligen Betätigen des Startknopfes. 1. Brenneraufsatz
2. Brennkörper
kritischer Funkenspalt 4. Zündkerze
Gas + Luft
5. Befestigung 3. Brennerkelch
Abbildung 4: Prinzip der Gaszündung in Brenneraufsätzen bei Herden
Eike Dorff, Armin Töpfer
529
Zur Behebung des Problems wurde ein Six Sigma Projekt gestartet und dabei entsprechend dem einschlägig bekannten DMAIC-Zyklus vorgegangen. Zunächst wurden mit Hilfe eines Ishikawa-Diagramms die wichtigsten Faktoren zum Auslösen des elektrischen Zündfunkens bestimmt. In diesem Zusammenhang ließen sich zwei Arten von Einflussfaktoren differenzieren. Unterschieden werden Stellgrößen, welche die Entwicklung direkt beeinflussen kann (z.B. Frequenz der Zündbox), sowie Störgrößen, die sich in Verbindung mit den Arbeitsbedingungen beim Kunden ergeben (z.B. Topf auf Herd). Im Rahmen einer ersten Untersuchungsreihe konnte festgestellt werden, dass das Problem speziell bei guss-eisernen Gasbrennern in der kleinsten Bauart auftrat. Deshalb wurde das Verbesserungsprojekt für diese Bauform weiter konkretisiert. Insbesondere wurde mit Hilfe eines Design of Experiments (DOE) der Einfluss bestimmter Designgrößen (hier: Funkenspalt des Brenners, Kapazität und Frequenz des Zünders) und Störgrößen (Gasgruppe und -konzentration sowie Brennertemperatur und Topf/Gefäß) systematisch untersucht (vgl. auch Abbildung 5). Da jeder Versuch zehnmal wiederholt werden musste, betrug der Testumfang 1.280 Experimente. Als zu optimierende Zielgröße wurde die Anzahl der Zündversuche, bis das Gas brennt, definiert. Es musste eine robuste Kombination von Arbeitsbedingungen geschaffen werden, damit der Einfluss der Störgrößen minimiert wird. Das heißt, es wurde eine Kombination der Stellgrößen gesucht, die die Einflüsse der Störgrößen aus dem System „nimmt“. Zum Beispiel ist es dann unerheblich, ob der Brenner kalt oder warm ist bzw. ob ein Topf auf dem Herd steht oder nicht. Test-Bedingungen (Designgrößen) Faktoren
Stufen
o Brennertyp
Gusseisen
o Brennergröße
Groß
Aluminium Mittel
Klein
Groß
o Brennerspalt
Groß
Klein
o Zünderkapazität o Zündfrequenz
Hoch Hoch
Gering Gering
Mittel
Klein
Test-Bedingungen (Störgrößen) Faktor
Stufen
o Gasgruppe
G20
G25
o Gaskonzentration
Normal
Maximal
o Brennertemperatur
Kalt
Heiß
o Gefäß/Topf
Ohne
Mit
Designgrößen Störgrößen
Design = 2*2*2 * 2*2*2*2*10 = 1280 Tests
Abbildung 5: Design- und Störgrößen beim Design of Experiments (DOE)
530
Positive Erfahrungen bei der Six Sigma Einführung und Projektumsetzung
Diese Untersuchung wurde zum Modell einer Reihe von Experimenten, die sicherstellen, dass „normales“ Kundenverhalten das Resultat nicht beeinflusst. Das ist mit vollständiger Kundenzufriedenheit gemeint. Interessant ist an diesem Projekt außerdem, dass die Motivation zur Durchführung keine Kosteneinsparung war, sondern die Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Im Ergebnis konnte den beiden Einflussfaktoren, Brennerspalt und Zündfrequenz, das höchste Optimierungspotenzial zugeordnet werden. Um ein konstant gutes Zündverhalten sicherzustellen, wurden die Erkenntnisse in der Starlight-Serie zügig umgesetzt. Bis zum jetzigen Zeitpunkt sind keine weiteren Kundenreklamationen bei Whirlpool bezüglich des Zündsystems von Gasherden eingegangen. Dieses Projekt steht exemplarisch für die Vielzahl von Six Sigma Projekten, die mit Hilfe der DMAIC-Methodik erfolgreich durchgeführt wurden.
Best Practice mit Six Sigma in einem mittelständischen Unternehmen Wolfgang Kraßnitzer
Inhalt 1
2 3
4 5 6
1
Six Sigma Verständnis bei PVT ................................................................................531 Vorgehensweise zur Implementierung ......................................................................532 Ausbildung von Green und Black Belts.....................................................................533 Organisation und Ablauf der Six Sigma Projekte ......................................................534 Projektbeispiel – Optimierung der Lackieranlage......................................................535 Ergebnisse und Ausblick ...........................................................................................537
Six Sigma Verständnis bei PVT
Als ein mittelständisches Unternehmen zur Kunststoffbearbeitung hat sich die Plastverarbeitung Thüringen GmbH (PVT) im Jahr 2000 entschieden, Six Sigma als eine ganzheitliche Geschäftsphilosophie und -strategie einzuführen. Die Gründe hierfür lagen insbesondere in den vielfältigen Six Sigma Werkzeugen und Methoden, die eine strukturierte Vorgehensweise zur sachlich-objektiven Entscheidungsfindung erlauben. Six Sigma unterstützt darüber hinaus die kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse im Unternehmen, d.h. angefangen von Produktionsüber Logistik- bis hin zu Verwaltungsprozessen. In diesem Zusammenhang werden die Prozessfähigkeit anhand statistischer Maßzahlen kontinuierlich überwacht sowie die mitarbeiterbezogenen Stärken und Schwächen sichtbar gemacht. „Six Sigma bedeutet, 99 % Gutteile sind nicht gut genug.“ Vielmehr lautet das Ziel von Six Sigma, eine langfristige Fehlerquote von nur 3,4 Fehler pro Million Fehlermöglichkeiten bzw. 99,9997 % Gutteile zu erreichen. Vor diesem Hintergrund ist das gesamte Unternehmen kundenbezogen auszurichten, um dem enormen Qualitätsanspruch von der Entwicklung bis zum Absatz umfassend gerecht zu werden. Neben der genauen Spezifikation von Kundenanforderungen sowie der Gewährleistung der Prozessfähigkeit gilt es weiterhin die Komplexität der Produkte zu reduzieren bzw. zu optimieren. Im Rahmen des Six Sigma Ansatzes wurden die drei Steuerungsgrößen – Prozessfähigkeit, Komplexität und Kundenanforderung – in Form eines magischen Dreiecks zusammengeführt (vgl. Abbildung 1).
532
Best Practice mit Six Sigma in einem mittelständischen Unternehmen
Komplexität
Proaktiver Ansatz bei PVT für neue Produkte und Prozesse Fokus der meisten Anwendungs- und Trainingsprogramme
Prozessfähigkeit
Kundenanforderung
Abbildung 1: 3-dimensionaler Six Sigma Ansatz bei PVT
2
Vorgehensweise zur Implementierung
Als neu gegründetes Unternehmen im Automobilzulieferbereich (Innenausstattung) hatte die PVT im Jahr 2000 zunächst die Start-Up Phase erfolgreich zu bewältigen. In diesem Zusammenhang standen vor allem Aktivitäten zur Qualifizierung als Lieferant nach ISO 9000 (später TS 16949) im Vordergrund. Aus diesem Grund wurde gemeinsam mit der Geschäftsführung entschieden, eine Unternehmensberatung mit der Schulung von Six Sigma Arbeitsweisen und -methoden in der Führungsmannschaft zu beauftragen. Neben dem Erlernen und dem Anwenden von Basiswerkzeugen, standen als wichtige Anforderungspunkte das Erlangen von Kosteneffizienz, Prozessfähigkeit, Flexibilität, Kundenzufriedenheit sowie Mitarbeiterentwicklung und -zufriedenheit im Mittelpunkt. Die Geschäftsleitung entschied dabei bewusst, dass die Führungskräfte während der Arbeitszeit die Ausbildung erhalten und gleichzeitig mit der Projektarbeit beginnen. In einem ersten Schritt wurden zunächst 10 % der Belegschaft als Black Belts und Green Belts ausgebildet. Die Führungskräfte brachten sich dabei nicht nur als Vorbild und Vorreiter, sondern auch als Coach, Motivator und Trainer für die Green Belts ein. In einem zweiten Schritt erhielten dann über eine Zeitdauer von
Wolfgang Kraßnitzer
533
zwei Jahren insgesamt 30 % der Mitarbeiter eine Six Sigma Ausbildung. Die ausdrückliche Empfehlung der Unternehmensberatung sah für die gemeinsame Sprache und Arbeitsweise von Six Sigma eine sehr „breite Basis“ als Schlüssel zum Erfolg. Aus diesem Grund spaltet sich die Implementierung in zwei Blöcke: a)
Ausbildung, Training und Coaching
b) Projektarbeit.
3
Ausbildung von Green und Black Belts
Die Festlegung der Projekte und Auswahl der Black und Green Belt Kandidaten erfolgte anhand des von Hoshin geprägten Auswahlprozesses. Dabei wurden die strategisch wichtigsten Umsetzungslinien und -potenziale („Business Needs“) zuerst definiert und umgesetzt. Weiterhin sind Mitarbeiter mit operativer Verantwortung und hohem Entwicklungspotenzial bevorzugt auszuwählen. Nach der Aufnahme des Six Sigma Programms bei PVT wurde im ersten halben Jahr mit der Ausbildung von Black Belts begonnen. Die Ziele der Schulungen und damit Anforderungen der Black Belts lauteten wie folgt: •
Bearbeitung von Projekten mit hoher Komplexität und hohem Potenzial
•
Durchführung bereichsübergreifender Projekte mit Kundenbezug
•
Projektbearbeitung mit Hilfe weiterführender Six Sigma Tools.
Während des ersten halben Jahres begannen die Black Belts bereits mit der Ausbildung von Green Belts. Damit waren innerhalb eines Jahres ca. 50 Mitarbeiter (20 % der Belegschaft) mit den Methoden und der Philosophie von Six Sigma vertraut. Die Green Belts sollten nach ihrem Training u.a. folgende Problemstellungen selbstständig lösen können: •
Bearbeitung von überschaubaren Projekten mittleren Potenzials
•
Durchführung von Projekten mit geringer Komplexität
•
Projektbearbeitung mit Hilfe von Six Sigma Basistools.
Ein typisches Projektbeispiel für die Bearbeitung durch Green Belts ist die Verbrauchsoptimierung von Eingangsstoffen wie z.B. Kleber, Lacke oder Verpackung. Demgegenüber gelten z.B. der Einsatz von Recyclingstoffen für hochwertige Produkte oder die Materialänderung anhand spezifischer Kundenanforderungen als anspruchsvolle Projekte unter Führung von Black Belts. In der folgenden Abbildung sind die Anforderungen bzw. Kennzeichen der Green Belts, Black Belts und Champions als tragende Säulen der Six Sigma Kultur aufgeführt.
534
Best Practice mit Six Sigma in einem mittelständischen Unternehmen
Six Sigma Kultur Green Belts  Systematische Problemlösung  DMAIC  Statistische Grundlagen  SPC  Quality First  Shainin Grundlagen  Six Sigma Grundlagen  Grundlagen/ Auswertung
Black Belts
Champion
 Green Belt Wissen
 Black Belt Wissen
 Statistische Expertise
 Programm-Management
 DOE/ Shainin
 Ressourcenmanagement
 Methodische Expertise
 Entscheider
 Trainerkompetenz  Projektmanagment  DFSS Expertise  HP Work Organisation  Treiber für Change  Minitab-Kenntnisse
Six Sigma Bewusstsein bei allen Mitarbeitern
Abbildung 2: Die drei tragenden Säulen der Six Sigma Kultur
4
Organisation und Ablauf der Six Sigma Projekte
Im Rahmen des Six Sigma Programms wurde jeder Führungskraft und jedem Mitarbeiter ein bestimmtes Six Sigma Projekt zugeordnet. Ein Projektorganigramm stellte dazu die Aufgaben und Aktivitäten der einzelnen Green und Black Belts in Zusammenhang. Mit dem Organisationscontrolling und der Durchführung der Six Sigma Projekte wurde jeweils ein Champion beauftragt. Dieser stellt die Zielerreichung und die Verbesserungsaktivitäten projektbezogen sicher. Zur Messung des Projektfortschritts fanden entsprechend dem SRP (Saving Realisation Plan) und dem SIS (System Installation Status) wöchentliche Reviews statt. Damit war der qualitative und quantitative Projektfortschritt im Unternehmensnetzwerk transparent nachvollziehbar. Weiterhin konnten Defizite in der Effektivität der Projektarbeit durch gezielte Nachschulungen und Coachings schnell beseitigt werden. Zum Beispiel zeigte sich ein erheblicher Nachschulungsbedarf bei der Anwendung von statistischen Methoden. Als Voraussetzung zur konsequenten Anwendung von Six Sigma Werkzeugen ist vor allem eine hohe Disziplin sowie die engagierte Mitarbeit aller Beteiligten gefragt. Zur einheitlichen Umsetzung der Six
Wolfgang Kraßnitzer
535
Sigma Philosophie im Unternehmen wurde deshalb ein 6-Stufen Ablaufplan – getrennt nach den Bereichen Entwicklung/Produktion und Administrative Prozesse – festgelegt (vgl. Abbildung 3). Entwicklung/ Produktion 1 Identifizieren Sie physische und funktionale Anforderungen des Kunden. 2 Bestimmen Sie die kritischen Produktmerkmale. 3 Bestimmen Sie für jede Charakteristik, ob diese durch das Material, den Herstellungsprozess oder beides bestimmt wird. 4 Bestimmen Sie die maximale Bandbreite (obere und untere Spezifikationsgrenze) jeden dieser Merkmale. 5 Bestimmen Sie die Prozessvariation jedes Merkmals. 6 Wenn der Sigma Level < 6σ beträgt, dann verändern Sie das Material, das Produkt oder den Prozess.
Administrative Prozesse 1 Identifizieren Sie die von Ihnen geleistete Arbeit. 2 Identifizieren Sie Ihre Kunden und stellen Sie fest, welcher Leistung es bedarf, sie zufrieden zu stellen. 3 Was benötigen Sie, um Ihre Arbeit ausführen zu können und von wem (Ihren Lieferanten). 4 Identifizieren und bewerten Sie Ihre Werkzeuge und Verfahren, die Sie bei Ihrer Arbeit anwenden. 5 Sichern Sie das Verfahren gegen Fehler ab und stellen Sie Verzögerungen ab. 6 Richten Sie Qualitäts- und Durchlaufzeit-Messungen sowie Verbesserungsziele ein.
Abbildung 3: 6 Schritte zur Anwendung von Six Sigma Tools
5
Projektbeispiel – Optimierung der Lackieranlage
Im Rahmen der Neuinstallation einer Lackieranlage wurde zur deutlichen Steigerung der Overall Equipment Efficency (OEE) ein Six Sigma Projekt gestartet. Der OEE-Faktor spiegelt die Kapazität der Lackiererei wider und ergibt sich als Produkt aus der Anlagenverfügbarkeit V, dem Leistungsgrad L und der Qualitätsrate Q. Als Vorgehensweise zur Optimierung wurde die DMAIC-Methode gewählt: •
Definition aller kapazitätsrelevanten Kennzahlen
•
Messung potentieller Ursachen (Ishikawa-Diagramm)
•
Analyse der Messdaten (Pareto- und Varianzanalyse)
•
Implementierung ermittelter Lösungsansätze
•
Kontrolle der Verbesserungsmaßnahmen (Statusanalyse).
536
Best Practice mit Six Sigma in einem mittelständischen Unternehmen
Nach der Definition zentraler Kenngrößen (OEE = V ⋅ L ⋅ Q) wurden mittels der Ishikawa-Methode die potentiellen Ursachen differenziert analysiert (vgl. Abb. 4). Dabei konnten den vier Haupteinflussfaktoren Maschine, Mensch, Methode und Material i.d.R. vier bis fünf Nebeneinflussfaktoren zugeordnet werden. Mensch
Maschine
Spülen Ordnung und Sauberkeit
Stückzahl Nebenzeiten
Pausenzeiten
Störung Schichtbeginn
Umschalten 1-2 Kabinen
FIFO
Handling MA.
OEE Lackieranlage Düsen Pistolen
Kapazität
Spritzlinge Lack n.i.O.
Transport
Kundenforderung
Belegung Anlage
Primern
Methode
Material
Abbildung 4: Ursachen-Wirkungs-Analyse bzgl. OEE Lackieranlage
Anschließend wurden die Anlagenausfallzeit (Pareto-Analyse) sowie die schichtabhängige OEE (Varianzanalyse) näher untersucht und graphisch aufbereitet (siehe Abbildung 5). Anhand der eingezeichneten Box-Plots ist ersichtlich, dass aufgrund von Störungen, insb. in der Nachtschicht, ein großer Streuungsbereich der OEE-Werte auftrat. Auf dieser Basis wurden Aktionslisten erstellt, in denen durchzuführende Maßnahmen, Verantwortlichkeiten sowie Termine genau festgehalten waren. Im Ergebnis konnten zur Erhöhung des OEE folgende fünf Maßnahmen erfolgreich implementiert werden: • Einsatz von 2 Robotern zur Einsparung von 0,5 MA pro Schicht (€ 90.000) • Reduzierung der Ausfallzeit um ca. drei Stunden pro Tag (€ 150.000) • Durchführung der Instandhaltung durch eigenes Personal (€ 25.000) • Einsparung von Reinigungskosten durch Einsatz eigener MA (€ 15.000) • Reduzierung des Koagulierungsmittels um ca. 20 % (€ 15.000).
Wolfgang Kraßnitzer
537
Zur Kostenreduzierung bei PVT tragen die genannten Maßnahmen in einer Höhe von rund € 300.000 pro Jahr bei.
Varianzanalyse
OEE
1,0
0,5
Nachtschicht
5:00
4:00
3:00
2:00
1:00
0:00
23:00
22:00
21:00
20:00
19:00
18:00
17:00
16:00
15:00
14:00
13:00
12:00
11:00
9:00
10:00
8:00
7:00
Stunde
6:00
0,0
Uhrzeit
Abbildung 5: Varianzanalyse (Box-Plots) bzgl. schichtabhängiger OEEs
6
Ergebnisse und Ausblick
Nach Abschluss der Green und Black Belt Ausbildung konnte das Six Sigma Programm erfolgreich in den Zielvereinbarungsprozess des Unternehmens einfließen. Insbesondere nach dem Verankern der Potenziale im sogenannten ManagementPlanungs-Steuerungs-Programm (MPSP) war ein Quantensprung hinsichtlich einer qualifizierten und zielorientierten Arbeitsweise feststellbar. Durch die Transparenz im Rahmen des SRP-Plans (vgl. Abschnitt 4) gelang es, das Verhalten der Mitarbeiter nachhaltig zu verändern. In diesem Zusammenhang stellen sich an eine teamorientierte Unternehmenskultur und -führung folgende Anforderungen für den Erfolg von Six Sigma: •
Formulierung klarer Ziele
•
Entwicklung gemeinsamer Sprache
•
Transparente Entscheidungsfindung
•
Harmonisierung der Zielsetzungen.
538
Best Practice mit Six Sigma in einem mittelständischen Unternehmen
In Zukunft gilt es, die Disziplin hinsichtlich der konsequenten Anwendung von Six Sigma Tools aufrecht zu erhalten. Weiterhin sind sowohl eine strukturierte Arbeitsweise als auch eine kontinuierliche Motivation der Mitarbeiter sicherzustellen und zu fördern. Dazu werden in regelmäßigen Abständen Trainings unter Nutzung des „Fulltime Coachings“ einer Unternehmensberatung durchgeführt. Die Verbindung zwischen konkreter Projektarbeit und definierten Trainingseinheiten führt dazu, dass Six Sigma bei PVT zu einem wahren Action Learning wird.
Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich der Siemens Power Generation Erik Schwulera
Inhalt 1 2 3 4 5 6
Problemstellung und Projektvorstrukturierung im Bereich After Sales Service ........539 SIPOC-, VOC/CTQ- und Ursachen-Wirkungs-Analyse in der Define-Phase ...........540 Ein-/Ausgangsgrößenbestimmung sowie Datenerhebung in der Measure-Phase ......542 Eingangsgrößenreduktion und Risikopotenzialanalyse in der Analyse-Phase ...........546 Qualitätscontrolling und Entscheidungsbaumanalyse in der Improve-Phase.............548 Statistische Prozesskontrolle und Ablaufüberwachung in der Control-Phase............550
1
Problemstellung und Projektvorstrukturierung im Bereich After Sales Service
Der Geschäftszweig IT Power Solutions von Siemens Power Generation bietet softwarebasierte Lösungen im Bereich Energieerzeugung an. Die IT-Lösungen beziehen sich auf unterschiedliche Bereiche im Unternehmen, insb. Prozess- und Betriebsführung, und basieren hauptsächlich auf Standard Hardware- und Software-Plattformen wie z.B. Intel-Computer mit Microsoft Windows NT. Der Bereich After Sales Service stellt für die beschriebenen Leistungen den sogenannten „First- and Second-Level Support“ bereit. In einem Serviceteam sind insgesamt sieben Mitarbeiter beschäftigt, die die Fehlermeldungen von Kunden und Anfragen bezüglich der Handhabung und Anwendung von Produkten entgegennehmen. Jede Meldung wird von einem Servicemitarbeiter aufgenommen und bearbeitet. Da Art und Inhalt der Meldungen nur bedingt vergleichbar sind, ergeben sich in dem betreffenden Bereich relativ geringe Wiederholungsraten. Die Zusammenarbeit mit den Kunden läuft auf Basis von Serviceverträgen, wobei i.d.R. nicht alle im Service erbrachten Leistungen pauschal abgedeckt sind. Das heißt, während die Bereitstellung von Updates bzw. Upgrades kostenlos erfolgt, muss ein Teil der Beratungsleistungen von den Kunden extra bezahlt werden. Der After Sales Service hatte im Geschäftsjahr 2001 mit Verlust gearbeitet, da den Kunden bestimmte Leistungen nicht in Rechnung gestellt wurden. Hierbei wurden insbesondere nicht verrechnete Leistungen als Kostentreiber identifiziert, die aufgrund der Vertragslage eigentlich verrechenbar gewesen wären. Zu diesem Zeitpunkt existierte jedoch noch kein Messsystem für die Kostenverfolgung pro Kunden- bzw. Fehlermeldung, so dass die Annahme auf einer qualifizierten Schätzung durch Experten beruhte.
540
Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich von Siemens
Um die fehlerhafte bzw. unzureichende Kostenverrechnung im Bereich After Sales Service zu senken, wurde ein Six Sigma Projekt unter dem Namen COSIMA gestartet. In Rücksprache mit dem zuständigen Sponsor, Black Belt und kaufmännischen Mitarbeiter wurde vereinbart, dass im Rahmen des Projekts nur der Serviceprozess mit dem Teilprozess „Kundenmeldungen“ näher zu untersuchen ist. Als Projektziel wurde die Steigerung des Verhältnisses von verrechneten zu verrechenbaren Leistungen definiert. Damit ließen sich einerseits die Geschäftsziele abbilden und andererseits die Prozessleistung normieren, d.h. der Prozess kann zukünftig unabhängig von der Anzahl der Kundenmeldungen und dem Gesamtvolumen der Serviceleistungen gemessen und verglichen werden. Um den Projekterfolg von vornherein abzusichern, wurde ein Projektteam gegründet, das von Anfang an eine breite Unterstützung durch das Management erfuhr. Die Rollenverteilung entsprach der standardisierten Projektorganisation bei Siemens Power Generation, deren Aufgaben und Funktionen sich wie folgt gliedern: •
Der Champion verantwortet den Projekterfolg innerhalb seiner Zuständigkeit
•
Der Master Black Belt unterstützt die Black Belts durch intensives Coaching
•
Der Black Belt ist Projektleiter und trainierter Experte in Six Sigma Tools
•
Der Sponsor stellt die Ressourcen bereit und beseitigt alle internen Barrieren
•
Der Prozesseigner stellt die Kommunikation zwischen Black Belt und allen Prozessbeteiligten sicher und leitet die Verbesserungsmaßnahmen ein.
Die Bearbeitung des Projekts war über einen Zeitraum von acht Monaten vorgesehen. Der zeitliche Aufwand für die drei Mitglieder des Kernteams (Prozesseigner, Vertriebskaufmann und Produktmanager) sollte etwa vier Stunden pro Woche betragen. Nachdem alle Voraussetzungen für das Six Sigma Projekt geprüft und erfüllt waren, wurde die Bearbeitung entsprechend des DMAIC-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Improve, Control) freigegeben.
2
SIPOC-, VOC/CTQ- und Ursachen-Wirkungs-Analyse in der Define-Phase
Die Define Phase diente dazu, das Projektthema, seine Implikationen und die Auswirkungen im Unternehmen richtig einzuordnen. Um ein erstes Verständnis über den zugrundeliegenden Prozess und die verbundenen Kundenanforderungen zu bekommen, hat sich vor allem SIPOC (Supplier, Input, Process, Output, Customer) als geeignetes Analyseinstrument bewährt. Unter Einsatz von SIPOC ließen sich sehr schnell die internen und externen Kunden identifizieren sowie die Hauptprozessschritte zusammen mit den Ein- und Ausgangsgrößen bestimmen (vgl. im Folgenden Abbildung 1). Durch die relativ abstrakte Beschreibungsebene
Erik Schwulera
541
wird bei Six Sigma Projekten die Gefahr gebannt, dass die Teammitglieder sich zu sehr in Detaildiskussionen verlieren. SIPOC-Analyse Der zu untersuchende bzw. zu optimierende Prozess im Bereich After Sales Service beginnt beim Eingang der Kundenmeldung im Servicebereich. Er endet mit der Auslieferung der Lösung (Fehlerbehebung) inklusive Rechnungsstellung. Der Serviceprozess gliedert sich dabei in die vier Hauptschritte: 1.
Meldungserfassung und -analyse
2.
Ergebnisabstimmung mit Endkunde
3.
Lösungsumsetzung und Fehlerbehebung
4.
Auslieferung inkl. Rechnungsstellung.
Lieferant
Eingang
S
I
Endkunde
Meldung
Servicebearbeiter
Korrekt klassifizierte Problembeschreibung
Kaufmann
Servicevertrag
Endkunde
Auftrag
Servicebearbeiter
Korrekt klassifizierte Problembeschreibung
Kaufmann
Freigabe
Service
Lösung
Service
Liste der Aufwendungen
Prozess
Ausgang
Kunde
P
O
C
Meldungserfassung und -analyse
Korrekt klassifizierte Problembeschreibung
Servicebearbeiter
Freigabe zur Umsetzung
Kaufmann
Lösung
Service
Lieferung
Endkunde
Rechnung
Kaufmann
Ergebnisabstimmung mit Endkunde
Lösungsumsetzung und Fehlerbehebung
Auslieferung inkl. Rechnungsstellung
START: Eingang der Meldung im Service ENDE: Auslieferung der Lösung inkl. Rechnungsstellung
Abbildung 1: SIPOC-Analyse zur Prozessstrukturierung
Wie in Abbildung 1 ersichtlich, beinhaltet der relevante Prozess die „Lieferung“ und „Rechnung“ als Ausgangsgrößen. Der Endkunde ist mit der gelieferten Leistung insofern zufrieden, da er im Fehlerfall, d.h. bei der Nichtberücksichtigung von Servicekosten in der Rechnungslegung, die Lösung kostenlos bekommt. Für das Six Sigma Projekt war infolgedessen die „Rechnung“ als kritische Ausgangsgröße betrachtet worden. Als primäres Problem stand in diesem Zusammenhang die ungenügende Dokumentation der Aufwendungen und Kosten bei der Leis-
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Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich von Siemens
tungserstellung. Dies war u.a. auf die nicht verfügbare bzw. unvollständige Übersicht von verrechenbaren Leistungen im Servicebereich zurückzuführen. CTQ-Bestimmung Auf Basis der SIPOC-Analyse wurden in einem zweiten Schritt die Anforderungen der Kunden (VOC - Voice of the Customer) eingehend analysiert. Um den Serviceprozess kundenorientiert auszurichten, war es notwendig, die wichtigsten Kundenkriterien hinsichtlich Leistung und Qualität zu bewerten. Die kritischen Qualitätskriterien (CTQ - Critical to Quality) wurden nur anhand einer Befragung der internen Kunden ermittelt. (Das Team war der Meinung, dass eine externe Kundenbefragung keine weiterführenden Erkenntnisse bringen würde.) Mit der Durchführung von Interviews wurden die CTQs bzw. die „Stimme des Kunden“ proaktiv, d.h. direkt, ermittelt. Im Ergebnis lag eine 5-Punkte-Kriterienliste mit den zu berücksichtigenden Qualitätsanforderungen in der Rechnungslegung vor: •
Liste der Aufwendungen ist vollständig
•
Bezug zum Kundenauftrag ist vorhanden
•
Kosten pro Kundenmeldung sind bekannt
•
Aufwandsliste ist rechtzeitig verfügbar
•
Tätigkeitsdokumentation ist nachvollziehbar.
Ishikawa-Diagramm Bereits in der ersten Teambesprechung gab es eine lebhafte Diskussion über mögliche Ursachen und Lösungen des Problems. Da die „wirklichen“ Ursachen aber noch nicht bekannt waren und die Ansätze nur auf Meinungen und nicht auf Fakten beruhten, wurde zunächst eine Liste mit möglichen Ursachen erstellt. Die Intention war, ein gemeinsames Verständnis über die Komplexität der Ursachen und deren Abhängigkeiten im Team zu entwickeln. Im Zuge eines Brainstormings wurde ein Ishikawa-Diagramm entworfen, welches in Abbildung 2 zu sehen ist.
3
Ein-/Ausgangsgrößenbestimmung sowie Datenerhebung in der Measure-Phase
In der Measure-Phase wurde zunächst die Prozessfähigkeit des Serviceprozesses „Kundenmeldung“ bestimmt. Sie diente als Grundlage für die weitere Datenanalyse und als Beleg für die potenzielle Prozessverbesserung im Projektverlauf. Außerdem wurde die in der Define-Phase ermittelte Ursachenliste (IshikawaDiagramm) hinsichtlich der wesentlichen Eingangsgrößen verdichtet.
Erik Schwulera
Messung
Material
Aufwand pro Meldung
543
Mensch
Hantierungsfehler
Stundenschreibung „Produktoptimierung“
Service-/FuE-Budget
Customizing-Aufwand Kostenbewusstsein
Kulanzleistungserfassung
Serviceressourcen
Kundenorientierter Service
Kulanz
Verlust aufgrund nichtverrechneter Leistungen
Service- und FuE-Leistungserfassung
Meldungserfassungstool
Freigabeprozedur Kaufmannsinformationsprozess
Umwelt
Methode
Abbildung 2: Ishikawa-Diagramm zur Ursacheneingrenzung
Definition der Ausgangsgröße Bevor mit der eigentlichen Datenerhebung begonnen werden konnte, musste zunächst die Ausgangsgröße Y, das kritische Qualitätsmerkmal des zu verbessernden Prozesses, definiert werden. Um den Prozess allgemein bewerten zu können, wurde die Ausgangsgröße Y wie folgt normiert: Y=
verrechnete Leistungen verrechenbare Leistungen
Das kritische Qualitätsmerkmal (CTQ) ergab sich insbesondere anhand der Auswertung der internen Kundenbefragungen. Danach sollten alle verrechenbaren Leistungen auch wirklich verrechnet werden, so dass sich auf Basis obiger Ausgangsgrößen-Definition folgende Spezifikationsgrenzen ergaben: Untere Spezifikationsgrenze:
LSL = 100 %
Obere Spezifikationsgrenze:
USL = ∞
Jede nicht verrechnete Leistung ist folglich als Prozessfehler zu bewerten. Dabei ist sowohl theoretisch als auch praktisch möglich, dass mehr Leistungen verrechnet werden als tatsächlich angefallen sind. Obwohl dies aus Sicht der externen Kunden sicherlich unerwünscht ist, sollte die „Mehrverrechnung“ im Rahmen der Projektarbeit zunächst unberücksichtigt bleiben. Aus den zur Verfügung stehenden „historischen Daten“ ergab sich eine Prozessausbeute (Ausgangsgröße) von 16,7 %, welches einem Sigma-Wert von 0,53 entspricht.
544
Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich von Siemens
Process Mapping Im Rahmen einer detaillierten Prozessanalyse (Process Mapping) wurden ausgehend von der SIPOC-Analyse Flussdiagramme für die Hauptprozessschritte 1 bis 4 abgeleitet (vgl. Abbildung 3). Für das Team waren bereits an dieser Stelle eine Reihe von Schwachstellen im Prozessablauf offensichtlich. Individuelle Bewertung durch Servicebearbeiter
Korrekt klassifizierte Problembeschreibung
1 Lösung
Kein durchgängiges Controlling definiert !
2
Erstellen der Lieferung
3
Erstellen der Lieferpapiere
Kostenlose Behebung?
nein
Erstellen der Rechnung
4
Kostenlose Behebung ?
nein
Angebot für Problemlösung erstellen
Kunde erteilt Auftrag ?
ja
ja
Automatische Freigabe
nein
Erteilen der Freigabe
Freigabe
Abbruch
ja Auslieferung der Lösung ohne Rechnung
Auslieferung der Lösung mit Rechnung
Abbildung 3: Flussdiagramm für die Hauptprozessschritte 2 und 4 nach SIPOC
Die Entscheidung, ob Serviceleistungen für den Kunden kostenlos sind oder nicht, fällt der jeweils zuständige Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang hatte bis zur Projektdurchführung jeder Servicebearbeiter seine eigenen Bewertungskriterien nach bestem Wissen und Gewissen festgelegt. Der Kaufmann wurde nur über Leistungen informiert, die aus Sicht des After Sales Mitarbeiters an den Kunden verrechnet werden sollten. Dies erschwerte natürlich die Überprüfung, ob die Entscheidung des betreffenden Mitarbeiters in jedem Fall korrekt war. Bestimmung wichtiger Eingangsgrößen Der nächste Schritt der Measure-Phase bestand darin, die Liste der Eingangsgrößen zu verdichten und die Wichtigsten näher zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurde auf Basis der SIPOC-Analyse eine Cause and Effect Matrix erstellt. Die Gewichtung der einzelnen Faktoren erfolgte anhand einer Befragung der internen Kunden. Die Intention war hier nicht, Maßnahmen für eventuelle Lösungen zu generieren, sondern diejenigen Eingangsgrößen mit den größten Auswirkungen auf die Ausgangsgröße zu identifizieren. Die folgenden fünf Punkte (Eingangsgrößen) wurden entsprechend der Analyse als wichtig erkannt:
Erik Schwulera
1.
Verrechenbarkeit korrekt entschieden
2.
Vertragskonditionen eindeutig bekannt
3.
Inhalt der Serviceverträge vorhanden
4.
Kosten pro Kundenmeldung verfügbar
5.
Rechnungserstellung erfolgt.
545
Datenerfassungsplan Um die Datenerfassung zu systematisieren, wurde ein Datenerfassungsplan (vgl. Abbildung 4) erstellt. Während die Werkzeuge zur elektronischen Datenerfassung bereits zur Verfügung standen, erfolgte die Messung der Daten bisher weitestgehend manuell. Die Kosten pro Fehler- bzw. Kundenmeldung ergaben sich grundsätzlich aus den monatlichen Stundenerfassungen der Servicemitarbeiter. Datenerfassungsplan
Projekt: COSIMA
Daten
Operative Definition
Was wollen wir messen?
Datenart
Messart
Bedingungen
Kosten pro Fehlermeldung
kontinuierlich
manuell, Erfassung
Kunde, Bearbeiter
Kunde, der den Fehler gemeldet hat
attributiv
manuell
keine
Bearbeiter der Meldung
attributiv
manuell
keine
Meldungstyp
attributiv
manuell
keine
Kosten verrechnet
kontinuierlich
manuell
Kosten verrechnen
Anzahl der Meldungen
kontinuierlich
automatisch
keine
Durchlaufzeit
kontinuierlich
automatisch
keine
Abbildung 4: Datenerfassungsplan für Six Sigma Projekt Cosima
Bei Überprüfung des Messsystems auf Wiederhol- und Reproduzierbarkeit der Daten ergab sich folgendes Problem: Jede Kundenmeldung kommt i.d.R. nur ein einziges Mal vor und die Bearbeitungszeit hängt daher von den individuellen Fähigkeiten des Servicebearbeiters ab. Durch die Befragungen einzelner Mitarbeiter konnte festgestellt werden, dass die monatlichen Stundenerfassungen die tatsächlichen Prozessdaten stark verfälschen, d.h. die ermittelten Kosten pro Fehlermeldung weichen im Einzelfall von den „wirklichen“ Kosten ab. Gleichzeitig stimmten jedoch die monatlichen Mittelwerte pro Kunde und Mitarbeiter weitestgehend überein und waren somit verwendbar. Die Güte des bestehenden Messsystems wurde mit dem Prozesseigner intensiv diskutiert. Dabei schien eine weitere Differenzierung des unternehmensweiten, einheitlichen Verfahrens zur Stundener-
546
Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich von Siemens
fassung nicht möglich. Es wurde deshalb entschieden, die Datenanalyse auf Basis der monatlichen Mittelwerte bzw. durchschnittlichen Fehlerkosten zu beginnen.
4
Eingangsgrößenreduktion und Risikopotenzialanalyse in der Analyse-Phase
Um die „richtigen“ Hebel für Verbesserungsmaßnahmen zu finden, kamen in der Analyse-Phase verschiedene statistische Werkzeuge (z.B. T-Test) zum Einsatz. Aufgrund der gestiegenen Management Attention und der Motivation der Mitarbeiter im Bereich After Sales Service war bereits zu Beginn des Six Sigma Projekts eine deutliche Erhöhung der Ausgangsgröße Y zu verzeichnen. So ergab eine erste Datenanalyse im Projekt, dass sich die Ausbeute des Serviceprozesses in kürzester Zeit auf über 80 % erhöht hatte (vgl. Abbildung 5).
1,0
Target 100%
Ausgangsgröße Y
0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4
Start des Projekts
0,3 0,2 0,1 02.00
07.00
12.00
05.01
Messzeitpunkt (mm.jj)
Abbildung 5: Entwicklung der Prozessausbeute (Ausgangsgröße Y)
Mit Hilfe von Hypothesentests konnte statistisch nachgewiesen werden, dass das Six Sigma Projekt eine tatsächliche Verbesserung des Prozesses bewirkt hatte. Gleichzeitig war aber offensichtlich, dass der Prozess eine relativ geringe Stabilität aufwies, da die Ausgangsgröße fortwährend hohen Schwankungen unterlag (vgl. rechte Diagrammhälfte in Abbildung 5). Eingangsgrößenreduktion Infolge einer genaueren Analyse der Daten blieben nur noch zwei Eingangsgrößen übrig, denen eine signifikante Auswirkung auf den Prozessoutput zugeschrieben
Erik Schwulera
547
werden konnte. Entsprechend der Eingangsgrößenanalyse in der Measure-Phase schienen im weiteren Projektverlauf die Punkte „Verrechenbarkeit korrekt entschieden“ und „Rechnungserstellung erfolgt“ besonders relevant zu sein. Alle anderen Punkte (vgl. Abschnitt 3) konnten aufgrund der Datenanalyse nachträglich ausgeschlossen werden. Neben der Bestimmung wichtiger Eingangsgrößen gestaltete sich das Erkennen von Prozessfehlern nach wie vor problematisch. In diesem Zusammenhang stellte sich für das Projektteam als letzte zu beantwortende Frage „Wie gut ist der Prozess wirklich?“. Prozess-FMEA zur Risikoabschätzung Zur Lösung des Problems der Fehlererkennung im After Sales Bereich wurde im Folgenden eine Prozess-FMEA durchgeführt. Dabei waren die Hauptprozessschritte, die in der Measure-Phase als kritisch eingestuft wurden, von besonderer Relevanz. Es musste davon ausgegangen werden, dass zurzeit keine geeigneten Werkzeuge vorhanden waren, um die Fehler frühzeitig zu erkennen. Zur effektiven Verbesserung wurden zwei Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die Fehler der mittleren und höchsten Priorität minimiert werden sollten. Die im Rahmen der Prozess-FMEA ermittelten Risikoprioritätszahlen (RPZ) der einzelnen Fehlerarten sind zusammen mit den geplanten Abstellmaßnahmen Controlling und Entscheidungsbaum in der folgenden Abbildung 6 dargestellt. RPZ
100 % 80
1500
60
1000
40 Controlling
500
Entscheidungsbaum
20
0
0 16 19 21
8
12
4
5
13 17
14
2
9
7
11
3
15 Andere
Fehlerart
Abbildung 6: Ermittlung von Risikoprioritätszahlen im Rahmen der Prozess-FMEA
548
5
Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich von Siemens
Qualitätscontrolling und Entscheidungsbaumanalyse in der Improve-Phase
Qualitätscontrolling Wie in Abbildung 6 zu sehen ist, beziehen sich die Controllingmaßnahmen auf die Fehlerarten mit dem höchsten Risikopotenzial. Im Rahmen einer Teambesprechung wurden für diese einzelne Lösungen diskutiert und mit Hilfe einer Entscheidungsmatrix bewertet. Der Kriterienkatalog wurde zudem nach Wunsch- und Pflichteigenschaften unterteilt, so dass auch feste Rahmenbedingungen erfasst werden konnten. Durch die Verwendung der Entscheidungsmatrix war es möglich, eine Risikoanalyse hinsichtlich der Implementierung von ausgewählten Lösungsalternativen durchzuführen. Entscheidungsbaumanalyse Neben den Controllingmaßnahmen wurde gemeinsam mit den Servicemitarbeitern ein Entscheidungsbaum zur objektiven Leistungsverrechnung erarbeitet (vgl. Abbildung 7). Dadurch konnten das Fachwissen, die Erfahrung und das Einführungstraining aller Beteiligten zu einer effektiven Einheit kombiniert werden. Die Mitarbeiter hatten zu diesem Zeitpunkt bereits ein sehr gutes Verständnis für die Verrechenbarkeit von Serviceleistungen erlangt. Im Ergebnis konnte den Beteiligten eine leicht nachvollziehbare bzw. anwendbare Entscheidungsgrundlage vorgelegt werden.
Eingang der Fehlermeldung
Fehlermeldung
Fehler im Produkt- oder Lösungs-Standard?
nein
ja
nicht verrechenbar
Customizing
Fehler durch bzw. nach Hochrüstung?
nein
verrechenbar
ja
verrechenbar
ja
Wurde der Kunde im Vorfeld darüber informiert? nein
nicht verrechenbar
Abbildung 7: Entscheidungsbaum zur Leistungsverrechnung
Erik Schwulera
Ablauf
Prüfen
549
Aktionen
Kundenmeldung
Sichten der Meldung
Problemstellung klar?
nein
Rücksprache mit Kunden
Hat der Kunden einen vertraglichen Anspruch auf Serviceleistungen?
Keine weiteren Leistungen falls kein vertraglicher Anspruch bekannt ist. SV verständigen.
Ist das notwendige Knowhow zum Nachvollziehen und zur Problemanalyse vorhanden?
Serviceprojektleiter für die Kundenlösung (Link auf Datei) oder CoC für Produkt/Lösung ansprechen
Entscheidung mit Hilfe d. Entscheidungsbaumes
Falls verrechenbar: Angebot gemeinsam mit dem Kaufmann an den Kunden erstellen, Verrechnung nach Aufwand
ja Nachvollziehen der Meldung
Problemanalyse
Kostenlose Behebung?
nein
ja
Kundenangebot erstellen
Auftrag
ja nein Freigabe zur Bearbeitung
Problem innerhalb Serviceteam lösbar?
Abbruch
nein
Übergabe an CoC
Voraussichtliche Aufwendungen abschätzen
Voraussichtliche Aufwendungen > € 2.000 -> SV verständigen, um weitere Vorgehensweise abzusprechen
Überprüfung: - Leistungen dokumentiert - Kosten erfasst
CoC zur Erbringung anmahnen, ggf. SV verständigen
Überprüfung: - Liefer- und Leistungsumfang vollständig - Verrechenbarkeit - Exportprüfung durchgeführt
Bei Unklarheiten Serviceprojektleiter, SV oder Kaufmann ansprechen
ja Erzeugen der Lösung im Serviceteam
Erzeugen der Lösung im CoC Übergabe an Service
Erstellung d. Lieferung
Erfassen des LuL in SAP unter dem jeweiligen Kundenauftrag
Auslieferung der Lösung
Abbildung 8: Prozessablaufdiagramm mit Prüf- und Aktionshinweisen
Der sogenannte Beta-Test wurde im Oktober 2001 erfolgreich durchgeführt. Der neue Prozess, der sich um eine integrierte Regelschleife zur Klassifizierung von Meldungen erweitert hatte, wurde erfolgreich implementiert und durch eine Verfahrensanweisung dokumentiert (vgl. Abbildung 8). Die Anwendung konnte schließlich auf sämtliche Kundenmeldungen im gesamten Servicebereich übertragen werden.
550
6
Erfolgreiche Anwendung der DMAIC-Methodik im IT-Bereich von Siemens
Statistische Prozesskontrolle und Ablaufüberwachung in der Control-Phase
Statistical Process Control
Individual Value
In der Control-Phase war abschließend zu beweisen, dass die eingeleiteten Maßnahmen das Risiko von Prozessfehlern nachhaltig reduziert haben. Wie bereits in Abschnitt 3 erwähnt, basierte die Datenerhebung und -auswertung auf monatlichen Mittelwerten bzw. Durchschnittskosten. Um den Prozess statistisch zu überwachen, wurde in der Folgezeit eine I-MR Regelkarte verwendet. Wie in Abbildung 9 ersichtlich ist, kann der zu optimierende Serviceprozess mittlerweile als statistisch betrachtet werden. Der aktuelle Mittelwert (Prozessausbeute) liegt bei 86,16 %, was einem Sigma-Wert von 2,6 entspricht. 0,95
UCL=0,9477
Mean=0,8616
0,85
LCL=0,7756 0,75
Moving Range
5
Time
10
0,10
UCL=0,1057
0,05 R=0,03235 0,00
LCL=0
Abbildung 9: Statistische Prozesskontrolle mittels I-MR Regelkarte
Prozessablaufüberwachung Neben der statistischen Prozesskontrolle wurde die Einhaltung des optimierten Prozessablaufs entsprechend Abbildung 8 regelmäßig überprüft. Das eingezeichnete Flussdiagramm beschreibt den im Projekt erarbeiteten und inzwischen standardisierten Prozessablauf. An besonders kritischen Punkten sind Prüfungen vorgesehen bzw. Maßnahmen definiert, um Probleme und Fehler schnellstmöglich zu erkennen und zu eliminieren. Das monatliche Controlling ist ebenfalls in einer Verfahrensanweisung beschrieben.
Erik Schwulera
551
Insgesamt konnte das COSIMA-Projekt durch das Vorgehen nach dem DMAICZyklus und den Einsatz verschiedener Six Sigma Methoden erfolgreich abgeschlossen werden. Obwohl anfangs nicht sehr viele Daten zur Verfügung standen, wurden durch den Einsatz verschiedener Analyseinstrumente wichtige Erkenntnisse zur Reduzierung des Fehlerpotenzials gewonnen. Durch die gute Kommunikation zwischen den Prozessbeteiligten, die zielgerichtete Arbeit des Projektteams und die umfassende Unterstützung des Prozesseigners konnten am Ende folgende drei Ergebnisse verbucht werden: •
Detaillierte Prozessbeschreibung und -dokumentation
•
Verbesserung des gesamten Serviceprozesses
•
Implementierung eines Prozessmesssystems.
Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit bei Honsel durch Six Sigma Engelbert Heimes, Johannes Messer
Inhalt 1 2 2.1 2.2 2.3 3
1
Ausgangssituation des Unternehmens ......................................................................... 552 Beispiele für die Umsetzung von Six Sigma............................................................... 555 Optimierung des Rüstprozesses................................................................................... 558 Minimierung von Maschinenstörungen....................................................................... 559 Verbesserungen im gesamten Wertschöpfungsprozess............................................... 561 Operatives versus Strategisches Performance Measurement...................................... 563
Ausgangssituation des Unternehmens
Das Unternehmen Honsel ist ein etablierter Zulieferer der Automobilindustrie, der sich mit der Verarbeitung von Leichtmetallen, insbesondere Aluminium, beschäftigt. Die Ursprünge des Unternehmens reichen in das frühe 20. Jahrhundert zurück. Nach erheblicher Ausweitung seiner Geschäftsfelder ist Honsel heute der weltweit größte unabhängige Produzent von Aluminium-Gussprodukten. Die HIT (Honsel International Technologies) besitzt Fertigungsstätten in Nord- und Südamerika, England, Frankreich und Deutschland. Der Umsatz betrug im Jahr 2001 € 902 Mio. bei einer Aluminium-Produktion von 136,8 Tonnen. Im Betrachtungszeitraum waren im Unternehmen ca. 5.300 Mitarbeiter beschäftigt. Die Planungen für die nächsten Jahre sehen eine deutliche Umsatzsteigerung vor. Honsel ist überwiegend im Automotive-Bereich tätig mit den Schwerpunkten Zylinderköpfe, Fahrwerksteile, Motorblöcke, Getriebe-Gehäuse für PKW und LKW. Wie viele andere Unternehmen der Automobilzulieferindustrie war Honsel noch zu Beginn der 1990er Jahre in erster Linie technologieorientiert ausgerichtet. Die einsetzende Krise der Automobilwirtschaft (1992/93) sowie damit einhergehende Veränderungsprozesse machten eine umfassende Neuausrichtung des Unternehmens notwendig (vgl. Abbildung 1). Vor dem Hintergrund eines veränderten Anforderungsprofils hinsichtlich einer engeren partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Zulieferbetrieben war spätestens ab Mitte der 1990er ein viel breiteres Wissen über Kunden-, Produkt- sowie Prozessanforderungen erforderlich. Um mit diesen deutlich gestiegenen Anforderungen Schritt halten zu können, hat sich Honsel sehr früh mit der Weiterentwicklung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) im Unternehmen auseinander gesetzt.
Engelbert Heimes, Johannes Messer
553
Tendenz Outsourcing und Beschränkung auf Kernkompetenzen
Single Sourcing
Lieferantenreduzierung
ZIEL
Konsequenz
Langfristige Partnerschaften Partnerschaften mit Technologie-, Kosten- und und Qualitätsführern Qualitätsführern
Umfassende QM-Konzepte mit dem Ziel Null-FehlerProduktion
Just in Time - Konzepte
Internationalisierung
Abbildung 1: Neue Anforderungen des Marktes aus Sicht von Honsel
Ausgangspunkt für diese Entwicklung war zunächst die Schaffung eines einheitlichen und verständlichen Kommunikationsstandards. Im Jahr 1992 wurden alle Mitarbeiter des Unternehmens im Rahmen eines Qualitätsverbesserungsprozesses (QVP) nach dem Top-Down-Prinzip in den grundlegenden Qualitätstechniken wie z.B. Problemslösungs-, Moderations- und Kommunikationstechniken geschult (vgl. hierzu und im Folgenden Abbildung 2) Auf der Grundlage einer gemeinsamen Sprache entwickelte sich ein unternehmensweiter Konsens über die bestehenden Qualitäts- und Kundenanforderungen. In den folgenden Jahren beschäftigten sich bei Honsel das Management und die Mitarbeiter intensiv mit der Verbesserung der Produktivität am Arbeitsplatz. Unter Nutzung der Kaizen-Methodik konnten in vielen kleinen Schritten wichtige Verbesserungen erzielt werden. Die Einbindung der Mitarbeiter in die Veränderungsprozesse wurde in dieser Zeit durch die Einführung von Gruppenarbeit weiter gefördert. Ein anderer wichtiger Meilenstein war die Ausrichtung des Unternehmens nach VDA 6.1 bzw. QS 9000. Im Rahmen der Zertifizierung orientierte sich das Unternehmen erstmals an Prozessen statt an Produkten, wobei gerade dieser Punkt enormer Anstrengungen bedurfte und sicher bis zum heutigen Tage noch nicht zu 100 % abgeschlossen ist. 1999 wurde die sogenannte UPL – Umsetzung der Unternehmensplanung – in Form einer Balanced Scorecard (BSC) implementiert. Dabei führte die konsequente Zielvereinbarung und -verfolgung zu einer deutlichen Erhöhung der Verbesserungserfolge und der darauf bezogenen Transparenz. Durch die eingeführten Techniken konnten erheblich mehr Mitarbeiter als bisher in den Verbesserungsprozess organisiert einbezogen werden. Durch das
554
Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit bei Honsel durch Six Sigma
Herunterbrechen der einzelnen Verbesserungsansätze in Projekt- und Teamarbeit wurden „alle“ Mitarbeiter im Unternehmen erreicht und somit eingebunden.
Kaizen
Gruppenarbeit
UPL (BSC)
Verbesserungen Verbesserungen der der ProProduktivität duktivität am am Arbeitsplatz Arbeitsplatz
Einführung Einführung von von Prämienlohn Prämienlohn
Projektarbeit Projektarbeit im Sinne Sinne ZielZielvereinbarung/-verfolgung vereinbarung/-verfolgung
Einzelne Einzelne KosteneinKosteneinsparungen sparungen ’92
‘93
‘94
Hohe Hohe Transparenz Transparenz und und Kosteneinsparungen Kosteneinsparungen
Übernahme Übernahme von von Verantwortung Verantwortung ‘95
‘96
‘97
‘98
‘99
‘00
‘01
‘02
QVP
VDA 6.1 / QS 9000 9000
Six Sigma
Schulung Schulung der der GrundGrundtechniken techniken und und EinEinbindung bindung aller aller MitMitarbeiter arbeiter
Zertifizierung Zertifizierung nach nach den den Regelwerken Regelwerken
Erhöhung Erhöhung der der Rentabilität Rentabilität des des Gesamtunternehmens Gesamtunternehmens
Gemeinsame Gemeinsame Sprache Sprache
Zertifizierung Zertifizierung und und stärkere stärkere ProzessProzessorientierung orientierung
Große Große Erfolge Erfolge in in bisbisherigen herigen Projekten Projekten
Abbildung 2: Meilensteine des ständigen Verbesserungsprozesses
Mit Hilfe der genannten Verbesserungsprojekte entwickelte sich das Unternehmen vom reinen Technologiepartner zum anerkannten Qualitätslieferant der Automobilindustrie. Die dabei erzielten Ergebnisse waren in einem Benchmarking zu anderen europäischen Unternehmen durchaus konkurrenzfähig. In den folgenden Jahren (1999/2000) musste das Unternehmen jedoch feststellen, dass es immer schwerer wurde, mit den bekannten und angewandten Verbesserungstechniken weitere Erfolge zu erzielen. Bei den sich ständig weiterentwickelnden Anforderungen des Marktes entsprachen die im Prinzip stagnierenden Ergebnisse einem langsamen, aber stetigen Rückschritt. Vor diesem Hintergrund stellte sich für das Unternehmen die Frage nach neuen Konzepten, um den Verbesserungsprozess weiter voranzutreiben. Das Management suchte Werkzeuge, die, aufbauend auf dem bestehenden Niveau, die anspruchsvollen Zielsetzungen zukünftig erreichbar machen. Hierbei war vor allem wichtig, dass das bestehende Niveau tatsächlich angehoben wird, und nicht dem Vorhaben nur ein neuer Name gegeben wird. Im Zuge dieser Überlegungen stieß man auf die aktuellen Qualitäts- und Ergebnisentwicklungen, die vor allem in amerikanischen Unternehmen mit Six Sigma Projekten erreicht wurden. Aus diesem Grund beschloss die Geschäftsleitung, sich intensiver mit diesem umfassenden Ansatz zu beschäftigen. In Zusammenarbeit mit einer Unternehmensberatung wurde in einzelnen Bereichen des Unternehmens eine Analyse einzelner Prozesse durchgeführt. Der dabei ermittelte „Sigma-Level“ betrug rund drei Sigma, d.h. eine Fehlerrate von durchschnittlich 7 %. Erste größe-
Engelbert Heimes, Johannes Messer
555
re Potenziale für mittel- und langfristige Verbesserungen wurden in den Bereichen Anlagennutzung, Qualität sowie Planungs- und Steuerungssystem gesehen (vgl. Abbildung 3). Um die angestrebten Verbesserungen zu erreichen, waren im Weiteren geeignete Six Sigma Werkzeuge auszuwählen und zu implementieren.
Kosteneffizienz Flexibilität Prozessfähigkeit (Six Sigma) Gesamtanlagennutzung (GAN)
Qualität
ManagementPlanungsSteuerungsund Berichtssystem
Gesamtzeitnutzung (GZN)
Training Managementsupport Abbildung 3: Grobkonzept der angestrebten Verbesserungen
2
Beispiele für die Umsetzung von Six Sigma
Nach Beendigung der Analysephase und der Identifikation erster Bereiche mit Verbesserungspotenzial wurden konkrete Ziele definiert. Die angestrebten Verbesserungen, z.B. Erhöhung der Gesamtanlagennutzung (GAN) um 7 %, waren zu diesem Zeitpunkt für fast alle Beteiligten kaum vorstellbar. In den einzelnen Bereichen wurden zunächst Projektteams aufgestellt, die sich aus Mitarbeitern unterschiedlicher Abteilungen zusammensetzten. Unter Einbezug nicht direkt Betroffener bot sich die Möglichkeit, unter Einsatz von beispielsweise Brainstorming, ganz neue Problemlösungsansätze zu finden. Die ausgewählten ca. 50 Mitarbeiter wurden entsprechend ihrer gestellten Aufgaben in verschiedenen Six Sigma Tools geschult – vergleichbar mit einer Green Belt Ausbildung. Als Basis der Projektarbeit dienten die ersten Ergebnisse der Analysephase. Anhand des gewonnenen Datenmaterials war es möglich, verschiedene Teilprojekte weiter „herunterzubrechen“ (siehe Abbildung 4). Auf dieser Grundlage erfolgte dann eine detaillier-
556
Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit bei Honsel durch Six Sigma
tere Formulierung der einzelnen Projektaufgaben mit entsprechenden Teilprojektzielen. Stillstände
Ursachen
Maßnahmen
Ziele
100% Sonstige 1.5 %
Planungssysteme
Reduktion um 10%
Automation 2%
IH-Systeme
Reduktion um 75%
70%
Formstörung I 3,7 %
IH-Systeme
Reduktion um 15%
60%
Maschinenstörung 4,2 %
IH-Systeme
Reduktion um 20%
50%
Rüsten 6,1 %
Rüstplanung und SMED
Reduktion um 20%
90% 80%
40%
Stillstände 24,5%
GZN 75,5%
30% 20%
Formstörungen II 7,1 %
IH- und WerkzeugbauSysteme
Reduktion um 10%
10% 0%
Abbildung 4: Ursachen für Maschinenstillstände
Als ein wichtiges Ziel wurde die Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit in der Produktion herausgestellt. Eine detaillierte Analyse ergab hier eine Gesamtzeitnutzung (GZN) – Anteil der zur Produktion genutzten Zeit an der Gesamtzeit – von 75,5 %. Als wichtige Hebel zur Erhöhung der GZN wurden unter anderem die Bereiche Rüsten und Maschinenstörungen sowie damit verbundene organisatorische Prozesse erkannt. Die Verbesserungsarbeit beschränkte sich im Folgenden zunächst auf eine detaillierte Untersuchung dieser zwei Bereiche. Wie in anderen Unternehmen erfolgte bei Honsel die weitere Implementierung von Six Sigma anhand des DMAIC-Prozesses (vgl. Abbildung 5). Nach einer Prozess- und Projektdefinition („Define“) begann die Durchführung der ersten beiden Teilprojekte zur Reduzierung der Rüstzeiten und Maschinenstörungen parallel. Im Zuge der Projektarbeit erfolgte eine Überprüfung und z.T. Anpassung der vorhandenen organisatorischen Abläufe. Die Entwicklung und Installation eines geeigneten Softwarepaketes war dabei eine wichtige Vorraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung von Six Sigma, gemäß der Aussage „Man kann nur das verbessern, was man auch messen kann.“
Abbildung 5: Der DMAIC-Prozess bei Honsel
Cambridge Management Consulting
Komplexität
Prozessfähigkeit
12.07.2000
Aktion
P: Jedes, dem Prozeßschritt zugefügte „Teil“, wird jeweils als P=1 gezählt:
6ı
Daten
Automationseinheit und Teile
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
9,00
9,25
(T=1 für alle zusammen) (T=1 für alle zusammen) (T=1 für alle zusammen)
Hydraulikzylinder: C=2 (Vor- und Rücklauf)
Metall: P=1 Kolbenschmiermittel: P=1
Analyse
T: Jede Zylinderbewegung wird als T=1 gezählt Ventile: T=1 Pumpen: T=1 Endschalter: T=1
C: Je Schieber: C=1, Je Formhälfte: C=1 Jede Verbindung EingußteilForm: C=1 Je Kühl-/ Heizkreislauf: C=1 Je Hydraulikanschluß des Zylinders: C=1 Rinne: C=1 Stickstoff: C=1 Druckluft: C=1
Entscheidung
FORMBLATT
T: Jede Bewegung von einer Pos. A Î Pos. B wird als T=1 gezählt N: Hauptprozeßschritt Î N=1
Meetingstruktur implementiert Team Prozessfähigkeit Arbeitsteams (Prozessparameter, HP 500)
AKTIONSLISTEN
Sigma Level ~
Prozessfähigkeit Prozessfähigkeit
Defekte pro Einheit Defekte pro Einheit
Komplexität Komplexität
Fehlermöglichkeiten Fehlermöglichkeiten
Die Berechnung des Sigma Levels
Six-SigmaÜberblick
Aufnahme der „Defekte” im Sinne von Six Sigma Gießen
V6: 6 Buchsen Î P=6
Messpunkte
9,50
9, 75
10,00
10,25
10,50
10,75
11,00
11,25
Analysedaten des Labors in der Gießerei „online“ verfügbar
9,000
9,500
10,000
10,500
11,000
11,500
Zeitliche Entwicklung produkt- und prozessrelevanter Parameter
Messsystem für KomplexitätOFD-Zählstandards definiert
C: Jedes Aufnehmen und Abgeben des Roboters bzw. der Einlegevorrichtung wird als jeweils C=1 gezählt
P: Jedes Eingußteil und jedes Losteil wird als jeweils P=1 gezählt
Anzahl
Gehalt (%)
Eingußteilen/ Losteilen
Erläuterungen/ Beispiele
OFD-Zählstandards
Teilbereich „Gießen“ Hauptprozessschritt Festlegung N: Hauptprozeßschritt Î N=1 Einlegen von
Engelbert Heimes, Johannes Messer 557
558
Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit bei Honsel durch Six Sigma
Die Einführung von Six Sigma erforderte eine generelle Überarbeitung der bestehenden IT-Lösungen im Unternehmen. In Zusammenarbeit mit der internen EDVAbteilung wurde ein Softwarekonzept entwickelt, das die Erfassung und Auswertung des umfangreichen Datenmaterials für Six Sigma ermöglichte. Durch die Implementierung der neuen Software konnten insbesondere Informationen auf niedriger Aggregationsebene, z.B. über einzelne Maschinenzustände, gewonnen und ausgewertet werden. Parallel hierzu musste die Ermittlung der Daten weiter optimiert werden. Dazu war es erforderlich, alle Mitarbeiter in den Prozess der Datenerhebung weiter einzubinden und neue Formen der Datensammlung zu entwickeln. Nicht zuletzt wurde damit eine umfangreiche Analyse der produktionsbezogenen Fehl- und Stillstandzeiten erst möglich. Mit Hilfe der eingesetzten Software bestand weiterhin die Möglichkeit, den Projektfortschritt kontinuierlich zu überwachen und zu steuern. 2.1
Optimierung des Rüstprozesses
Zur Optimierung des Rüstprozesses wurden bei Honsel zunächst die einzelnen Prozessschritte und deren prozentualer Anteil an der durch den Rüstvorgang insgesamt in Anspruch genommenen Zeit analysiert (vgl. Abbildung 6). Im Weiteren wurden Projektteams eingesetzt, deren Ziel es war, bestimmte Rüstschritte als Ansatzpunkte für Verbesserungsprojekte zu identifizieren. Ausgehend von der relativen Häufigkeit einzelner Produktionsunterbrechungen wurden sogenannte Hauptrüststörungen, z.B. „Einrichten Form“, ermittelt. GZN 100%
Sonstige 5%
90%
Anwärmen Form 12%
80%
Einrichten Roboter 16%
70% 60%
Einrichten Form 23%
50% 40%
Rüsten 25%
30% 20% 10% 0%
Abbildung 6: Teilschritte des Rüstens
Einrichten Maschine Giesser 44%
Engelbert Heimes, Johannes Messer
559
Zu einem frühen Zeitpunkt wurde deutlich, dass eine Neustrukturierung bzw. Reorganisation des Rüstens nicht zu umgehen war. Aus diesem Grund erfolgte in einer der – inzwischen regelmäßig stattfindenden – Projekt-Sitzungen der Entwurf eines Leitfadens zum Rüstprozess (Rüsthandbuch). Zeitgleich wurden von den zuständigen Fertigungsleitern Mitarbeiterschulungen zu diesem Thema durchgeführt. Im gesamten Projekt wurde immer wieder festgestellt, dass Ausmaß und Inhalt der Kommunikation von großer Wichtigkeit sind. Anfänglich wurde die Visualisierung von Information und Daten von dem ein oder anderen noch kritisch gesehen. Mit weiterem Projektfortschritt erwies sich jedoch gerade dieser Punkt als ein Erfolgskriterium. Mit dem Einsatz von Six Sigma Instrumenten entstand eine „breite Basis“ des statistischen Messens und Analysierens im Unternehmen. Bereits nach kurzer Zeit konnten Möglichkeiten zur Verbesserung des Rüstprozesses aufgezeigt werden. Diese betrafen hauptsächlich Veränderungen im Zusammenhang mit der Komplexität des Rüstvorgangs, wodurch auf der einen Seite die Prozesszeit reduziert und auf der anderen Seite die Prozessfähigkeit erhöht wurden. Durch die Einleitung gezielter Maßnahmen, z.B. Parallelisierung von Rüstschritten, wurden weitere Verbesserungspotenziale realisiert. Im Ergebnis konnte eine deutliche Reduzierung der Gesamtrüstzeit und fähigere Prozesse erzielt werden. 2.2
Minimierung von Maschinenstörungen
Die Untersuchung der Maschinenstörungen erfolgte zeitgleich zur Analyse der Rüstprozesse. An erster Stelle erfolgte dabei die Erfassung und Auswertung bestimmter Störursachen und deren Unterteilung in spezifische Gruppen (vgl. Abbildung 7). Bei dieser Analyse wurde deutlich, dass für die Senkung der GZN unter anderem Probleme in der Instandhaltung der Anlagen verantwortlich waren. In der Folge setzte bei Honsel sowohl eine umfassende Prüfung des Instandhaltungssystems als auch eine Untersuchung spezifischer Ausfallursachen ein. Bereits nach der Auswertung der ersten Datenreihen wurde das Hauptproblem des Instandhaltungssystems deutlich. Ausgerichtet auf die Reaktion beim Auftreten von Fehlern, bot das bestehende System nur unzureichende Unterstützung bei der Fehlerprävention. Nach einer umfangreichen Analyse aller aufgetretenen Fehler erstellte das Profit Center Druckguss zunächst Wartungspläne zur besseren zeitlichen Koordination von Wartungsmaßnahmen. Dadurch wurden u.a. Möglichkeiten aufgezeigt, produktionsfreie Zeiten, z.B. während Rüstvorgängen zur Wartung, zu nutzen. Weiterhin ergaben sich zeitliche Vorteile durch die verbesserte Nutzung der Wartungsmöglichkeiten der Mitarbeiter vor Ort. Zum Beispiel wurden defektanfällige Kleinteile direkt an der Maschine gelagert, um diese bei Ausfall vom Maschinenbediener sofort wechseln zu lassen. Zur Optimierung zeitaufwendigerer Reparaturprozesse erfolgte darüber hinaus die Einrichtung einer internen Instandhaltungs-Rufbereitschaft.
560
Erhöhung der Anlagenverfügbarkeit bei Honsel durch Six Sigma
GZN 100% 90%
Regeleinrichtung 6%
80%
Entnahme mech. 7%
70% 60%
Sprühprogramm 8%
Maschinenstörungen 17%
Maschine mech. 9%
50%
Maschine elektr. 13%
40% 30%
Sprühgeräte 17%
20% Maschine hydraulisch 20%
10% 0%
Abbildung 7: Ursachen für Maschinenstörungen
In Abbildung 8 ist der Ist-Zustand des Instandhaltungssystems bei Honsel dargestellt. Dabei wird deutlich, dass die Anpassung und Optimierung des Systems zum jetzigen Zeitpunkt keineswegs abgeschlossen ist. Vielmehr sind zur langfristigen Gewährleistung eines „Total Productive Maintenance“ geeignete Werkzeuge zur gezielten Identifikation und Beseitigung von Fehlerursachen einzusetzen.
Weltklasse Instandhaltung Bereichsarbeitsteam Multieinsatzfähigkeit
Stückliste
Ersatzteilstrategie & Management Anlagencodes
Element installiert [>80%]
Optimierung Überholung
Rollende IH IH-Routinen Mittel-/ Lang- & Wartungsfristplanung pläne
Standards und Spezifikationen
Kritische Anlagen
Prozessorientierte Arbeitsteams
MaschinenGeschichte
Arbeitsauftragssystem
Computerunterstütztes IH-System FMEA/ RCM
Wochenplan
Tagesplan
Risk based Maintenance (RbM)
Installation teilweise [zwischen 40% und 80%]
Autonome Instandhaltung MTBF MTTR MTBCF
Wöchentlicher IH-Bericht
Instandhaltungs Kennzahlen
Integriertes Prozeßleit/IHSystem Geschäftsplan
Vorausschauende & Zustandsabhängige IH
IH-Kosten Bericht
Täglicher IH-Bericht
Abbildung 8: Ist-Instandhaltungs-Pyramide von Honsel
Einsatzfähigkeitsmatrix
IH-Kostenstruktur
Installation teilweise [