136 36 3MB
German Pages 302 [303] Year 2020
studien zur phänomenologie und praktischen philosophie
José Pedro Cornejo
Sein und „Sein“ Mit Heidegger, gegen Heidegger, über Heidegger hinaus
José Pedro Cornejo
Sein und „Sein“
STUDIEN ZUR PHÄNOMENOLOGIE UND PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE Herausgegeben von Christian Bermes, Hans-Helmuth Gander, Lore Hühn, Günter Zöller
BAND 53
ERGON VERLAG
José Pedro Cornejo
Sein und „Sein“ Mit Heidegger, gegen Heidegger, über Heidegger hinaus
ERGON VERLAG
Zugl.: Diss., Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2019
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
p
© Ergon – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes bedarf der Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für Einspeicherungen in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gesamtverantwortung für Druck und Herstellung bei der Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Umschlaggestaltung: Jan von Hugo
www.ergon-verlag.de ISSN 1866-4814 ISBN 978-3-95650-771-7 (Print) ISBN 978-3-95650-772-4 (ePDF)
Meiner Mutter
Es geht nicht darum, Philosophie zu kennen, sondern philosophieren zu können. Martin Heidegger, GA 24, S. 1
Inhaltsverzeichnis Danksagung .........................................................................................
13
Vorwort ...............................................................................................
15
§ 1. Philosophie heißt Philosophieren .........................................
15
§ 2. Klarheit und Finsternis in der Philosophie. Kurze Betrachtung über den Stil und seine Bedeutung ....................
18
Einleitung: Der Begriff der hermeneutisch phänomenologischen Fundamentalontologie .........
21
Kapitel I:
Die Methode der Heidegger’schen Untersuchung ist die Methode dieser Untersuchung ............................................
23
§ 3. Bereich und Zweck dieser Untersuchung ..............................
23
§ 4. Die Fundamentalontologie ist die wissenschaftliche Disziplin dieser Untersuchung .............................................
29
§ 5. Der Begriff der hermeneutischen Phänomenologie ................ § 5. a. Phänomen und Logos: Der vorläufige Begriff der hermeneutischen Phänomenologie ............................ § 5. b. Formale Anzeige statt ἐποχή ...................................... § 5. c. Reduktion, Konstruktion und Destruktion. Die Grundmomente der hermeneutisch phänomenologischen Forschung ............................... Kapitel II:
35 36 41
49
Der Weg der Untersuchung ................................................
57
§ 6. Die ontologische Differenz ist der Leitfaden dieser Untersuchung .....................................................................
57
§ 7. Vollzug der ontologischen Differenz als Frage nach dem Sein .................................................................................... § 7. a. Philosophie als Wissenschaft von Sein ....................... § 7. b. Phänomenologie als Fundamentalontologie ..............
62 62 68
§ 8. Die hermeneutische Phänomenologie ist Wiederholung ........
73
9
Erster Teil:
Hermeneutisch phänomenologische Destruktion der Daseinsanalytik ....................................................
81
Kapitel III: Dasein, Existenz und Transzendenz ....................................
83
§ 9. Das Dasein erkennt sich durch sein Seinsverständnis im Umgang ..............................................................................
83
§ 10. Das Seinsverständnis ist die wesenhafte Transzendenz der Existenz ..............................................................................
90
§ 11. Die Erschlossenheit ist die Seinsverfassung der seinsverstehenden Existenz ...................................................
95
§ 12. Die bidimensionale Erschlossenheit ist der Grund der ontologischen Differenz ....................................................... 101 Kapitel IV: Die horizontale Erschlossenheit der Welt ............................ 107 § 13. Das im Umgang zunächst begegnende Seiende ist kein vorhandenes Ding ............................................................... 108 § 14. Die Welt ist eine Verweisungsganzheit .................................. 113 § 15. In-der-Welt-sein ist das bidimensionale Verweisendsein des Daseins ............................................................................... 117 § 15. a. Welt ist der Horizont der bidimensionalen Erschlossenheit ........................................................ 119 § 15. b. Die ekstatische Dimension des In-Seins ist das Fundament der Welt ................................................ 124 Kapitel V:
Die ekstatische Erschlossenheit des Selbst ............................ 133
§ 16. Befindlichkeit ist die Erschlossenheit der Faktizität als ein Schon-sein .......................................................................... 133 § 17. Auslegendes Verstehen ist die Erschlossenheit des Seinkönnens als Sich-vorweg-sein ......................................... 138 § 18. Die Sorge ist die Ganzstruktur der bidimensionalen Erschlossenheit .................................................................... 143 Kapitel VI: Vorläufige Ergebnisse der Destruktion ................................ 151 § 19. Möglichkeit als Fähigkeit und Bedeutung ............................. 151
10
Zweiter Teil: Hermeneutisch phänomenologische Reduktion der Untersuchung auf das, was der Begriff Sein heißt ............................................................................ 161 Kapitel VII: Der Wahrheitscharakter des Seins ....................................... 163 § 20. Rede ist das artikulierende Wesen der Erschlossenheit ............ 164 § 20. a. Der Sinn ist der Horizont der Rede ........................... 169 § 20. b. Der fundamentalontologische Begriff der Wahrheit .... 174 § 21. Die Zeitlichkeit ist die Gründung des Da des Daseins ............ 180 § 22. Im Da des Daseins enthüllt sich das Sein des Seienden als Zeit .................................................................................... 187 Kapitel VIII: Die Endlichkeit des Daseins ............................................... 195 § 23. Notwendige Bestimmung der Endlichkeit des Daseins hinsichtlich der Radikalisierung der Seinsfrage ...................... 196 § 24. Radikalisierung der Daseinsanalyse durch den Weg der Endlichkeit des Daseins ....................................................... 199 § 24. a. Sich-ängstigendes Sein-zum-Tode ist endlicher geworfener Entwurf ................................................. 206 § 24. b. Schuldiges Gewissen ist endliche Rede. Die Eröffnung des Weges zum Grundsein des Daseins ...... 212 § 25. Im Endlichsein des Daseins meldet sich das »Sein« des Daseins als Zeitigung ........................................................... 219 Kapitel IX:
Vorläufige Ergebnisse der reduktiven Destruktion der Daseinsanalytik ................................................................. 227
§ 26. Die ontologische Differenz und das Problem der Fundamentalontologie ......................................................... 227 § 27. Enthüllung des fundamentalen Unterschieds ........................ 233
Dritter Teil: Hermeneutisch phänomenologische Konstruktion des fundamentalen Unterschieds als Lösung des Problems der Fundamentalontologie .............................................. 243 Kapitel X:
Die Frage nach dem Grunde ist die Frage nach dem fundamentalen Unterschied ............................................... 245
§ 28. Dasein als Grund ist wesenhaft eine Monade ......................... 246 11
§ 29. Der Drang ist der radikalste Begriff der Fähigkeit als innerliche Struktur der Zeitigung des Daseins ....................... 250 § 30. Die zeitigende Transzendenz des Daseins ist der Grund des Grundes .............................................................................. 256 Kapitel XI:
Der fundamentale Unterschied ist die Grundstruktur der Fundamentalontologie ....................................................... 263
§ 31. Zeitigung des Daseins ist die ontische Ermöglichung des Seinsverständnisses .............................................................. 263 § 32. Die Zeitigung der Zeitlichkeit ist das »Sein« des Seins. ........... 273 Nachwort ............................................................................................. 281 § 33. Aus der ontologischen Differenz her unterwegs zum fundamentalen Unterschied. Eine Zusammenfassung ............ 281 § 34. Schlussbetrachtung .............................................................. 285 Literaturverzeichnis .............................................................................. 293
12
Danksagung Eine Doktorarbeit zu schreiben, ist eine Erfahrung, die weiter geht als die übrigen des akademischen Lebens, besonders, wenn man dafür ins Ausland gegangen ist. Die eigentümlichen Herausforderungen der Promotion mischen sich mit denen der kulturellen Unterschiede und wirken mit ihnen zusammen. In solchem Fall ist somit die Forschung eine Exploration einer theoretischen Welt, die in der Exploration einer realen Welt geschieht. In so einer außerordentlichen und lange andauernden Situation gibt es immer Menschen, die einem helfen, einen beeinflussen und unterstützen, sodass es letztendlich unmöglich zu sagen ist, dass man allein promoviert hat. Allen diesen Menschen gilt meine Dankbarkeit. In materieller Hinsicht war diese Doktorarbeit nur dank eines Stipendiums seitens einer Zusammenarbeit der ANID (ehemaliger CONICYT) und des DAADs möglich. Ohne diese finanzielle Unterstützung wäre die vorliegende Forschung unmöglich gewesen. Ich bedanke mich sehr bei meinem Doktorvater, Herr Prof. Dr. Hans-Helmuth Gander, für die Freiheit für ein kreatives und kritisches Denken in einem überwiegend dogmatisch geprägten Forschungsbereich. Danke auch für meine Annahme als Mitarbeiter zuerst des Waldenfels-Archivs und danach des Husserl-Archivs. Besonders dankbar bin ich dafür, dass ich sein Lehrassistent beim Heidegger-Seminar SS 2018 sein konnte. Dabei mitwirken zu dürfen war für mich eine sehr wichtige Erfahrung und natürlich auch eine große Ehre. Für die Annahme meines Projekts war die Empfehlung von Prof. Dr. Francisco De Lara entscheidend, der mir schon früher bei der Redaktion eines solchen Projekts geholfen hatte. Dafür und besonders für seine Freundschaft möchte ich ihm danken. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Herrn Dr. Fausto Fraisopi, der in der ersten Etappe meiner Forschung mein Gesprächspartner war. Meiner Zuständigen im Waldenfels-Archiv Frau Dr. Regula Giuliani möchte ich dafür danken, dass sie meine ersten Texte sprachlich korrigiert hat und für mich eine wichtige Ratgeberin in dieser wichtigen Zeit war. Vielen herzlichen Dank dafür. Ich bedanke mich sehr für die haltende Freundschaft von Christopher Gutland, Sebastian Volkmann und Udo Richter, mit denen ich nicht nur am Kant-, Husserl- und Waldenfels-Lesekreis oder am Doktorandentreffen in Wiesneck teilgenommen, sondern auch lange und gute Gespräche geführt habe. Mit den ersten beiden vor allem beim guten Burger und kalten Pils. Bei den genannten Veranstaltungen und außerdem beim Phänomenologie-des-Unsichtbaren-Lehrkreis waren auch Ignacio Reichhardt, José Luis Luna, Alexandra Acevedo, Marcos Guntin, Micaela Szeftel, Natalia Rodríguez, Pavel Veraza beteiligt; eine
iberoamerikanische Gruppe, zu denen sich später auch Álvaro Ledesma und Erika Whitney hinzugesellt haben. Mit diesen Menschen bin ich nicht nur befreundet und habe unzählige philosophische Gespräche gehalten, sondern habe mit ihnen auch den Alltag miterlebt, mitgelitten und mitgenossen. Ich bedanke mich auch bei der Sekretärin des Husserl-Archivs, Aleksandra Boguth, für die ständige Unterstützung. Sie ist der Grund dafür, dass alle in unserem Büro immer ein Lächeln im Gesicht getragen haben. Ich bedanke mich bei Solveig Odelga für die immense Arbeit der sprachlichen Korrektur meiner gesamten Dissertation. Ohne ihre Bereitschaft und Solidarität hätte ich es sicher nicht rechtzeitig geschafft. Außerhalb der Uni-Freiburg habe ich die Freundschaft von Andrés Neumann, Nicolás González, Alejandra Castillo, Cristian Irarrázaval, Josefina Castex, Gerrit Oltmanns, Claudia Buhl, Max Klinkert, Joel Schlager, Anthea Storck u. A. gefunden. Ohne sie hätte mich die Forschung über kurz oder lang in den Wahnsinn getrieben. Bei meiner Familie, besonders bei meinem Bruder Tomás Cornejo und meiner Mutter Claudia Santibáñez, der dieses Buch gewidmet ist, bedanke ich mich, weil sie mich immer unterstützt haben, so wie es auch meine besten Freunde Flavio Cardemil, Daniel Thomsen, Andrés Zamora, Rodrigo Pérez getan haben. Muchas gracias a todas y todos, de corazón.
Limache, 10.08.20
14
Vorwort § 1. Philosophie heißt Philosophieren Die Philosophie Heideggers ist in Vergessenheit geraten, obwohl heutzutage unzählige Bücher über sein Denken in den Regalen aller Buchhandlungen auf der ganzen Welt zur Hand stehen. Dies gerade deshalb, weil die Philosophie Heideggers seine Art zu Philosophieren bedeutet. Die Gegenwart zeigt uns glasklar, dass das Philosophieren eines ganz anderen Wesens ist als die Rede über einen Philosophen und seine Gedanken. Die Kraft und Leidenschaft Heideggers, die viele von uns beeindruckt und begeistert hat, ist heute in der Forschung nicht mehr da: »Die geistige Faulheit der Heidegger-Dogmatik ist unübersehbar.«1 Heute liest man über die Seinsfrage, heute forscht man über sie und recherchiert all ihre Aspekte, heute kennt man all die verschiedenen Etappen und Wege des Denkens Heideggers, heute kennt man die Gesamtausgabe Heideggers vielleicht besser als Heidegger selbst; und dennoch versteht man heute nicht, dass die echte Lehre Heideggers seine Absicht, seine Leidenschaft, seine Einstellung gegenüber der Tradition ist. Heideggers Philosophie ist vielmehr ein Philosophieren bzw. ein Fragen, das seine ganze Existenz geleitet hat. Der Elan Heideggers, die Seinsfrage zu stellen und zu beantworten, muss also neu erweckt werden, damit mit ihr die heutige Philosophie einen neuen Impuls gewinnen kann. Es geht also nicht darum, die Frage journalistisch darzustellen, sondern sie wissenschaftlich bis zur letzten Konsequenz zu verfolgen. Philosophie ist Philosophieren. Der Zweck dieser Arbeit ist nicht, einen ganz »richtigen« Bericht über eine Lektüre der Fundamentalontologie zu schreiben, die nur aus anderen vorliegenden »richtigen« Lektüren stammt, sondern ein unvollkommenes Protokoll einer philosophischen Fragestellung und Problemerläuterung zu hinterlassen, weil Philosophie immer unvollkommen ist und bleiben soll, sodass sie sich mit der Geschichte bewegen und entwickeln kann. Eine endgültige Wissenschaft ist deshalb wesenhaft tot. Die Philosophie als Wissenschaft des Seins ist die Wissenschaft von dem, wie der Mensch seine Welt versteht. Was die Fundamentalontologie zu explizieren versucht, ist für alle Menschen aufgrund der einfachen Tatsache, dass sie als Menschen existieren, ersichtlich. Jede Wissenschaft ist eine Bemühung um Explizieren. Die Naturwissenschaften haben zum Zweck, die Beziehungen und Strukturen zu explizieren, die das Seiende ausmachen. Die Philosophie hat zum Zweck, die Zugangsweisen, die in den Naturwissenschaften angewendet werden, zu explizieren. Die Philosophie ist demzufolge die Dienerin der Naturwis1
Peter Trawny, Heidegger-Fragmente: Eine philosophische Biographie (Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2018), 11.
senschaften und nicht eine Königin unter allen möglichen Forschungsbereichen. Die Philosophie ist Philosophie der Wissenschaften. Das Wissen der Philosophie ist nicht wichtig, weil es einen Wert an ihm selbst habe, sondern weil es ein Wissen ist, auf dem die Wissenschaft aufbauen kann. Die Philosophie ist ein Ausgangspunkt. Das Wissen der Fundamentalontologie ist wichtig, aber nicht, weil es nicht auf das Herstellen verweist und sie deswegen einen höheren Status unter den Wissenschaften hat, sondern weil die Naturwissenschaften sie in Erwägung ziehen sollten, um in der Beschreibung der Natur vorankommen zu können. Die Philosophie wird nützlich, indem sie den Naturwissenschaften Werkzeuge gibt, damit sie uns das Nützliche geben. Es ist notwendig, mit dem Gedanken aufzuhören, dass die Ontologie einen Zweck in sich selbst hat und, dass es sich lohnt, sie aus ihrem eigenen Wert zu leisten. In einer Zeit, in der die Naturwissenschaften uns aufgrund ihres schnellen und wirksamen Voranschreitens erdrücken und die Geisteswissenschaften uns beschämen, indem sie entweder in einem undurchdringlichen Obskurantismus oder in einem unfruchtbaren Akademismus Zuflucht suchen, muss die phänomenologische Wissenschaft etwas zu sagen haben und ihre Tätigkeit und Existenz rechtfertigen können. Diese Arbeit ist ein erster Schritt in diese Richtung. Weil Philosophie Philosophieren heißt, ist die vorliegende Arbeit kein kritischer Bericht über Lektüren, kein philosophischer Journalismus, sondern ein Wagnis, ein echtes Fragen. Damit diese Untersuchung diese wissenschaftliche Absicht sichern kann, ist sie so vorgeplant und strukturiert, dass sie eine Annahme und Anwendung der hermeneutischen Phänomenologie ist. Das Vorgehen wird sich wie folgt gestalten: Durch eine kritische Abbau der Begrifflichkeit von Sein und Zeit – und der Vorlesungen dieses Zeitraums – wird die Konstruktion eines Entwurfs durchgeführt, der die Grundproblematik der ontologischen Differenz und ihren zugrunde liegenden Zusammenhang erleuchten kann; Abbau und Konstruktion können nur richtig durchgeführt werden, wenn der untersuchende Blick fortwährend auf das Sein und seine Grundstrukturen bzw. seine Bedingungen der Möglichkeit zurückgeführt wird. Die Bewegung der philosophischen Untersuchung wird also von der Methode geleitet und gefordert. Dies ist keine Arbeit über Phänomenologie, sondern eine Anwendung der hermeneutischen Phänomenologie. Die Philosophie heißt Philosophieren und Philosophieren heißt Suchen bzw. Fragen nach dem Grunde. Was für ein Grund ist aber hier in Frage? In der Fragestellung dieser Arbeit geht es um das Philosophieren Heideggers selbst. Diese Untersuchung philosophiert bzw. fragt auf der Basis der Tradition, zu der sie gehört, und sucht nach ihren Gründen, und die Fundamentalontologie Heideggers gehört zu dieser Tradition. Diese Untersuchung sucht demzufolge nach dem Fundament des Denkens Heideggers. Es ist aber unmöglich – und auch nicht wirklich sinnvoll – eine systematische Analyse der ganzen Gesamtausgabe Heideggers durchzuführen. Deswegen habe ich mich dafür entschie-
16
den, die Fundamentalontologie in Anspruch zu nehmen, weil sie auf jeden Fall die Spitze des Heidegger’schen Philosophierens darstellt,2 und das aus systematischen, methodischen, historischen und philosophischen Gründen. Obwohl diese Entscheidung vernünftig gerechtfertigt werden kann, bin ich mir dennoch darüber bewusst, dass die Wahl einer Forschungsrichtung und ihres Gebiets in hohem Maße unvernünftig ist, d. h., aufgrund irrationaler Tendenzen getroffen wird, und deswegen auch mit dem Geschmack, den Wünschen, Erlebnissen und der Weltanschauung zu tun hat. Ich könnte hier viele verschiedene Argumente anbieten, um zu behaupten, dass die Fundamentalontologie der bedeutendste Denkweg Heideggers ist, stattdessen behaupte ich: Die Fundamentalontologie ist der Denkweg Heideggers, der am besten zu meinem Philosophieren passt. Die Fundamentalontologie ist die Art zu Philosophieren, die der beste Zugang zu denjenigen Phänomenen darstellt, die mich besonders interessieren. Eine durchsichtige Ehrlichkeit wie diese ist nicht immer gewünscht, obwohl sie für die Philosophie unbedingt notwendig ist. Philosophie ist Philosophieren mit einem Philosophen, vielleicht auch gegen ihn oder sogar über ihn hinaus, aber ein echtes Philosophieren sollte nicht über einen Philosophen sein. Über einen Philosophen kann man vieles Biographisches berichten, aber das ist nicht die Aufgabe der Philosophie. Das Sagen des Philosophierens soll die Phänomene und nicht die Philosophen betreffen. Im »Über« des Philosophierens geht es nicht um die Philosophen, sondern um die Objekte ihrer Forschungen. Die Einsichten solcher Philosophen über die Natur und die Erfahrung helfen uns beim Verständnis solcher Zusammenhänge. Wir untersuchen mit den Philosophen dieselben Probleme, die sie untersucht haben. Aus dieser Perspektive entsteht eine vortheoretische Einstellung, die der Phänomenologie am meisten entspricht: Erste Quelle eines echten Philosophierens ist die Erfahrung und nur die Erfahrung; deshalb ist jede Literatur Forschungsliteratur. Heilige Texte gibt es in einer echten Philosophie nicht. Heidegger ist auf jeden Fall der wichtigste Forscher dieser Untersuchung. Er hat die Methode, die Begrifflichkeit und den Forschungsbereich ausgearbeitet. Er ist auf jeden Fall einer der bedeutendsten Philosophen in der Geschichte der abendländischen Philosophie. Er bleibt aber ein Mensch und deswegen ist die Fundamentalontologie keine Erlösungsgeschichte und Sein und Zeit keine göttliche Offenbarung. Heidegger kann kritisiert werden und muss kritisiert und ergänzt werden, wenn man nicht will, dass die hermeneutische Phänomenologie zu einem Museumsstück wird.
2
Vgl. Peter Trawny, Martin Heidegger: eine kritische Einführung (Vittorio Klostermann GmbH, 2016), 40.
17
§ 2. Klarheit und Finsternis in der Philosophie. Kurze Betrachtung über den Stil und seine Bedeutung Bis heute gehören die letzten wichtigsten Philosophen zum 20. Jahrhundert. In dieser Zeit hat sich ein Stil in der Philosophie etabliert, welcher ein echter Kult der begrifflichen Dunkelheit bedeutete. Die Philosophen, die sich klar ausdrücken, haben bis heute ein kleineres Publikum. Warum überzeugt uns die Klarheit nicht? Warum ist es so, dass für uns ein gutes Argument, von dem wir alles verstehen und nachvollziehen können, weniger überzeugend wirkt als vielmehr verdächtig? Warum kommt uns die Klarheit oberflächlich vor? Wie ungerecht sind diese Urteile gegen alle diejenigen, die sich wirklich darum bemühen zu verstehen und zu erklären! Um diese Probleme betrachten zu können, müssen einige Vorurteile in der Auseinandersetzung mit Klarheit und Finsternis in den philosophischen Argumenten erläutert werden. 1. Dass etwas klar ist, bedeutet nicht, dass es einfach ist. Ein Argument kann sehr schwierig oder sogar kontraintuitiv sein und kann dennoch sehr klar ausgedrückt und dargestellt werden. Ein Argument kann außerdem wegen seines theoretischen Kontextes und der Annahmen und Kompromisse, die es betrifft, sehr schwierig sein und trotzdem kann es sehr klar dargestellt werden, wenn alle Momente und Stücke des Arguments und Kontextes sowie ihre gegenseitigen Verhältnisse bei ihrem Namen und ohne Umschweife ausgedrückt werden, indem das, was gewusst und ignoriert wird, ehrlich geäußert wird. 2. Dass etwas klar ist, heißt nicht, dass es simpel ist. Das beste Beispiel, um diese Idee zu veranschaulichen, ist meines Erachtens nach Kants Kritik der reinen Vernunft. In diesem Buch, welches eines der schwierigsten und komplexesten innerhalb der kantischen Philosophie darstellt, bemüht sich Kant um einen klaren Ausdruck. Die Komplexität des analysierten Problems ist jedoch so hoch, dass das Ergebnis nichts anderes als eine sehr komplizierte und tiefe Darstellung sein kann, obwohl sie in jedem Moment klar bleibt. 3. Dass etwas klar ist, besagt nicht, dass es oberflächlich ist. Das Niveau der Relevanz und Treffsicherheit der Wesensbeschreibung von etwas hat mit der Darstellungsweise nichts zu tun. Ein Argument kann tief und klar sein, so wie ein anderes oberflächlich und dunkel sein kann. Auch kann es umgekehrt geschehen und ein Argument kann oberflächlich und klar oder tief und dunkel sein. All diese genannten Zusammenfügungen sind möglich. Der Fehler besteht darin, daran zu glauben, dass die Denktiefe immer von Finsternis begleitet wird oder dass die Wahrheit im Grunde Mysterium bedeutet. Der Mangel an Erklärung solcher Vorurteile, nämlich dass Klarheit Einfachheit, Simplizität und Oberflächlichkeit bedeutet, hat bewirkt, dass eine Denkströmung sich als ein Trend in der Akademie niedergelassen hat, die behauptet,
18
»dass Klarheit die Höflichkeit des Philosophen ist«.3 Aus solcher Lehre hat der Postmodernismus eine echte Kunst gemacht. Meinem Verständnis unserer philosophischen Tätigkeit nach ist solche Verteidigung der Finsternis einfach Unsinn, weil Klarheit genau das ist, was uns von den Propheten unterscheidet. Die Philosophie ist kein Orakel und der Philosoph ist keine Sibylle! Wir Philosophen sind Meister bzw. Lehrer und sollten unseren Studenten und Studentinnen verpflichtet sein. Der Gesprächspartner des Philosophen sollte nie ein imaginärer universaler Philosoph sein, der in Weisheit und Vollkommenheit nur mit dem schreibenden Philosophen zu vergleichen ist, sondern sollte immer ein Lehrling, eine Studentin, ein Schüler usw. sein. Die Klarheit ist für den Philosophen keine Höflichkeit, auf die er verzichten kann, sondern eine Pflicht! Das Problem der Finsternis in der Philosophie ist ein Problem der Arroganz oder mindestens scheint es so zu sein. Letztendlich ist es für den Philosophen auch keine schlechte Werbung, wenn gesagt wird, dass er ein arroganter Mensch sei. Nie wird derjenige fehlen, der ihn verteidigen wird, indem er sagt, dass jemand mit dieser Intelligenz und Weisheit sich erlauben kann, so arrogant zu sein. Leider wäre dieses das beste Szenario für den dunklen Philosophen, weil seine Unfähigkeit zur Erklärung für superlative Intelligenz gehalten würde. Die Finsternis ist Zuflucht. Deswegen ist es selbstverständlich, sich zu fragen, wovor dieser Philosoph denn flieht, der die Finsternis braucht? Es ist unwahrscheinlich, dass der echte Grund der Finsternis im Denken eines Philosophen nicht mehr als eine Arroganz wegen dessen Weisheit sei. Ist vielleicht die Finsternis weniger eine Bekundung der Weisheit als vielmehr eine Projektion ihrer? Es ist möglich, dass ein Philosoph weder gut, gebildet noch weise ist, aber sich dennoch dunkel ausdrücken kann. Dann gelingt es ihm nicht nur, seine Fehler zu verbergen, sondern auch so zu wirken, als ob es sich bei ihm um das Gegenteil handele. Wie nützlich ist dann die Finsternis! So ist es völlig verständlich, dass die Finsternis gerade in einer Zeit geistigen Elends zum philosophischen Trend geworden ist. Normalerweise wird die Begrifflichkeit der Fundamentalontologie so kritisiert: »Das und das könnte einfacher, d. h. durch häufiger gebrauchte Wörter erklärt werden.« Das wäre doch wünschenswert. Das Problem besteht wirklich darin, dass »einfachere Wörter« in der Tat »bekanntere Begriffe« bedeutet wie Subjekt, Realität, Kategorie usw. Das Problem ist also, dass die außergewöhnliche bzw. komische Begrifflichkeit Heideggers keine Willkür ist, sondern ein echter Versuch, eine neue und andere Beschreibung der menschlichen Erfahrung, d. h. Existenz, zu schaffen. Diese Begrifflichkeit ist keine Willkür, weil die Existenz durch den Begriff von Subjekt so unangemessen beschrieben wäre wie das 3
José Ortega y Gasset, Was ist Philosophie ?, übers. von Karl August Horst (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1962), 16.
19
Subjekt durch den Begriff der Seele. Diese neue Begrifflichkeit ist weder einfach noch bekannt, aber sie ist ernst zu nehmen, weil sie wegen einer wissenschaftlichen Notwendigkeit und durch eine strenge Methode eingeführt wurde. Die Aufgabe in diesem Fall besteht also darin, immer die neu eingeführten Begriffe so klar wie möglich zu erklären und wenn möglich auch so zu definieren und dann zu erinnern, wenn sie in einem anderen Kontext neu gebraucht werden. Demzufolge versucht diese Arbeit, sich in jeder Erklärung so klar wie möglich auszudrücken. Natürlich bedeutet dies weder, dass die Sprache dieser Arbeit vollkommen zugänglich ist, noch, dass die Erklärungen einfach oder oberflächlich sind. Diese Arbeit besitzt eine sehr komplexe Argumentation und die Zusammenhänge und Verhältnisse sowohl der Begriffe zu den Phänomenen als auch dieser Untersuchung zu der Philosophie Heideggers sind durch eine sehr tief eindringende Auseinandersetzung geprägt. Trotzdem ist aber meine Absicht, mich immer klar und so klar wie möglich zu äußern, ohne dass die Sätze ihre erklärende Kraft verlieren. Deswegen ist der Stil dieser Arbeit sehr schlicht und nüchtern. Der Ausdruck ist normalerweise sachlich und sogar trocken. Hier sind nicht so viele metaphorische Konstruktionen zu finden, obwohl doch ein paar sein mussten. Das Thema der Untersuchung ist höchst komplex und auch völlig neu, deswegen habe ich mich entschieden, mich immer so kurz und klar wie möglich zu äußern. Am Wichtigsten ist, dass der Gesprächspartner alles versteht, was er liest, damit eine echte akademische Diskussion möglich sein kann. Dieses ist das erste Mal, dass dieses Thema in einer Arbeit zum Vorschein kommt. Eine solche Eröffnung des Forschungsfeldes verpflichtet mich noch stärker, mich wirksam und klar auszudrücken, was gelegentlich ein bisschen gewaltsam erscheinen mag. Eine Arbeit, die gewaltsam wirkt und so eine Diskussion erweckt, ist mir aber lieber als eine Arbeit, die für unbedeutend gehalten und übersehen wird.
20
Einleitung: Der Begriff der hermeneutisch phänomenologischen Fundamentalontologie
Aus einem methodischen Gesichtspunkt hat die vorliegende Untersuchung vor, eine Anwendung der hermeneutischen Phänomenologie in der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie zu sein. Dafür muss sie eine Bestimmung der Momente der Methode sowie von ihren Vorgehensweisen erreichen (Kapitel I. Die Methode der Heidegger’schen Untersuchung ist die Methode dieser Untersuchung). Diese Untersuchung hat schon einen gewissen Zweck, den es noch schärfer zu bestimmen gilt. Da die Untersuchung schon ein Ziel für ihre Orientierung und »Beine« für ihr Gehen hat, braucht sie noch einen Weg, den sie durch die Methode hinsichtlich des Zwecks durchgehen kann. Dieser Weg ist die ontologische Differenz, welche eine Grundstruktur ist, die den Grundcharakter der Phänomenologie und sogar der Philosophie bestimmen kann. Die ontologische Differenz muss also als der Leitfaden dieser Untersuchung bestimmt werden (Kapitel II. Der Weg der Untersuchung).
Kapitel I: Die Methode der Heidegger’schen Untersuchung ist die Methode dieser Untersuchung Wenn die hermeneutisch phänomenologische Methode das Vorgehen dieser Untersuchung bestimmen soll, muss von Anfang an der Begriff solcher Methode festgestellt werden. Diese Untersuchung ist nicht eine Theorisierung, die sich der phänomenologischen Begrifflichkeit bedient, sondern eine echte Anwendung der Methode. Damit eine solche Anwendung richtig geschätzt werden kann, ist es notwendig, dass zuvor die Struktur und der Sinn solchen Vorgehens klargemacht werden. Heidegger expliziert nie auf einmal vollständig, was er unter hermeneutischer Phänomenologie versteht; deswegen ist eine solche Bestimmung der Methode schon die erste hermeneutische Aufgabe dieser Untersuchung. Die Untersuchung muss schon zu Beginn klar darstellen, was ihr Zweck ist. Das Philosophieren ist eine gezielte Tätigkeit, die durch das Fragen explizit wird. Deswegen muss klar sein, welche die Fragestellung der Arbeit ist sowie ihr theoretisches Forschungsfeld (§ 3. Bereich und Zweck dieser Untersuchung und § 4. Die Fundamentalontologie ist die wissenschaftliche Disziplin dieser Untersuchung). Sobald sowohl die Frage als auch der wissenschaftliche Kontext der Untersuchung festgestellt wurden, muss die Struktur des zu untersuchenden Vorgehens explizit gemacht werden. Dafür werden zuerst die Hauptbegriffe der Methode interpretiert und definiert, damit ein orientierender allgemeiner Begriff der hermeneutischen Phänomenologie gewonnen werden kann. Durch solchen Begriff wird das theoretische Werkzeug der Untersuchung bestimmt, welches die Art der Annäherung an die Phänomene gliedert. So kann letztendlich die Struktur des methodischen Vorgehens bzw. des Umgangs mit den Phänomenen dargestellt werden, mit welcher diese Arbeit ihre Untersuchung durchführen wird (§ 5. Der Begriff der hermeneutischen Phänomenologie).
§ 3. Bereich und Zweck dieser Untersuchung Es wurde schon gesagt, dass der Denkweg Heideggers, mit dem sich diese Untersuchung beschäftigen wird, um die Phänomene ihres Interesses zu analysieren, die Fundamentalontologie ist. Wie kann die Fundamentalontologie in einem Universum von 102 Bänden der Heidegger-Gesamtausgabe identifiziert werden? Es ist ausgemacht, dass der erste entscheidende Schritt für die Ausarbeitung einer Fundamentalontologie in einer Verbindung von einer Ontologie mit einer Thanatologie besteht. Das geschieht zum ersten Mal im Vortrag Der
23
Begriff der Zeit im Jahr 1924.1 Das markiert einen Anfang für diesen Denkweg, aber wie wird dann sein Ende identifiziert? Was die Kommentatoren normalerweise tun – die wenigen, die sich mit dem Hauptwerk Heideggers kritisch beschäftigen –, besteht darin, Probleme beim Verständnis der Theorie zu identifizieren, woraus sie schließen, dass die Theorie gescheitert ist. Solche Argumente basieren aber oft auf Fehlinterpretationen, die durch diese Untersuchung widerlegt werden, und in einem Fall sogar auf einem aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat.2 Die Erklärung des »Scheiterns« von Sein und Zeit bleibt also bis heute überhaupt nicht klar. Die Rede des Scheiterns von Sein und Zeit kann auch auf der Annahme basieren, dass die Umwandlung des Titels der Forschung – Metaphysik des Daseins statt Fundamentalontologie oder Daseinsanalytik – bedeutet, dass die Struktur der Analyse sowie des analysierten Phänomens sich geändert hätte. Darüber lässt sich aber auch streiten. In den Vorlesungen dieser Zeit – des sogenannten Übergangs – geht es vielmehr um eine Weiterentwicklung der Grundbegriffe der Fundamentalontologie: Welt, Wahrheit, Freiheit u. a., indem sie dieselbe Rolle in der Untersuchung einnehmen, aber natürlich bis zu einer gewissen Grenze. Eine solche Grenze sollte aber in einer bestimmten Weise gesetzt werden können, und zwar durch ein bestimmtes Kriterium: systematische Kohärenz. In der Platovorlesung wird behauptet: »Die 1 2
Martin Heidegger, Der Begriff der Zeit, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Gesamtausgabe 64 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2004). Wie Xolocotzi sehr gut herausgefunden hat (vgl. Ángel Xolocotzi, Fenomenología de la vida fáctica: Heidegger y su camino a »Ser y tiempo« (Universidad Iberoamericana, 2004), 26 f.), gründet die Fehlinterpretation des »Scheiterns« der Fundamentalontologie auf Figals Missbrauch eines Briefes von Heidegger an Kommerell, aus dem Figal schließt, dass Heidegger das Scheitern von Sein und Zeit zugegeben hat, indem er behauptet: ›Sein und Zeit‹ sei ›eine Verunglückung‹ gewesen. (Vgl. Günter Figal, Martin Heidegger zur Einführung, 7., vollständig überarb. Auflage (Junius, 2016), 50.) Die ganze exzerpierte Stelle sagt aber: »Sie haben recht, die Schrift ist ein ›Unglück‹. Auch ›Sein und Zeit‹ war eine Verunglückung. Und jede unmittelbare Darstellung meines Denkens wäre heute das größte Unglück. Vielleicht liegt darin ein erstes Zeugnis dafür, daß meine Versuche zuweilen in die Nähe eines echten Denkens kommen. Alles aufrichtige Denken ist zum Unterschied der Dichter in seinem unmittelbaren Wirken eine Verunglückung.« (Max Kommerell, Werke und Briefe aus dem Nachlaß. Briefe und Aufzeichnungen: 1919-1944/Max Kommerell. Aus d. Nachlaß hrsg. von Inge Jens, hg. von Inge Jens (Olten; Freiburg i. Br.: Walter, 1967), 405.) Die Deutung von Figal lässt sich also durch einen einfachen Syllogismus widerlegen: (P1) Alles aufrichtige Denken ist eine Verunglückung; (P2) Sein und Zeit ist ein echtes (aufrichtiges) Denken; ergo (K) Sein und Zeit ist eine Verunglückung. Im Zitat geht es also um kein naives Geständnis einer Unfähigkeit, sondern um eine arrogante Selbstbehauptung von Größe: Sein und Zeit ist nicht gescheitert, obwohl es ein echtes Denken darstellt, sondern gerade deswegen. Heidegger gibt also kein Scheitern der Fundamentalontologie zu, sondern die Unmöglichkeit der Philosophie, unmittelbar zu wirken. Diese Missdeutung Figals versucht die Kritik Gadamers zu verstärken, dass Sein und Zeit ein »schwaches« Werk sei, während die früheren Texten ein tieferes Denken darstellen. (Vgl. Xolocotzi, Fenomenología de la vida fáctica, 26 f.) Diese Untersuchung schätzt jede Kritik positiv, wenn sie durch das Denken, eine Methode und die Evidenz durchgeführt wird. Der Fall des »Scheiterns« von Sein und Zeit ist aber nur ein betrügerischer Missbrauch der Evidenz, der nie für ein akademisch wertvolles Vorgehen gehalten werden soll.
24
Wahrheit ist größer als der Mensch.«3 Dies ist nicht kompatibel mit der Wahrheitslehre der Fundamentalontologie, in der die Wahrheit ein Charakter des Wesens des Menschen ist. Eine solche Analyse gehört demzufolge zu einem anderen Projekt. Die Umwandlung der Hauptbegriffe fungiert als Änderung des Projekts; deswegen fungiert die Konsistenz der Hauptbegriffe als Identität des Projekts. Die Grenze ist so gesetzt. Dank dieser »Grenze«, die in der Platovorlesung zu erkennen ist, kann schon ein Umkreis der Untersuchung skizziert werden: Die Fundamentalontologie ist also historisch das philosophische Projekt, das Heidegger ungefähr ab 1924 bis 1931 verfolgt hat.4 Was hat sich in Heideggers Denken entwickelt, das letztendlich als diese These zum Vorschein kommt und einen Grundansatz verändert? Die Antwort auf eine solche Frage fordert eine tiefere Analyse als nur eine historische Bestätigung. Im Fall der Platovorlesung ergibt sich also etwas, was mit der Fundamentalontologie inkompatibel ist. Könnte es sein, dass solches Ergebnis das Vorkommen eines latenten Ansatzes der Fundamentalontologie ist, der aber von Heidegger nie thematisiert worden ist? Könnte es das Vorkommen eines Ansatzes sein, der Sein und Zeit zugrunde liegt, d. h. ein phänomenologisches Vorurteil? Die hermeneutisch phänomenologische Entdeckung solcher zugrunde liegenden Struktur und ihre Thematisierung ist der Beitrag dieser Untersuchung, um das Heidegger’sche Denken und die Philosophie im Allgemeinen besser zu verstehen. Warum ist dann diese Untersuchung notwendig? Was ist das Problem, das diese Untersuchung lösen will? Hat die Fundamentalontologie systematische Probleme, die einen Mangel an innerer Kohärenz darstellen? Welche sind diese systematischen Inkohärenzen? Wie sind diese Inkohärenzen zu entdecken und zu lösen? Die Aufgabe der vorliegenden Untersuchung ist, die Fundamentalontologie phänomenologisch zu destruieren bzw. abzubauen, nicht um sie zu zerstören, sondern um sie zu »retten«. Die These der Arbeit ist also, dass solche 3
4
Martin Heidegger, Vom Wesen der Wahrheit: zu Platons Höhlengleichnis und Theätet, hg. von Hermann Mörchen, 2., durchges. Aufl., Gesamtausgabe 34 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1997), 75. Die Randbemerkungen des sogenannten Hüttenexemplars entstammen nach von Herrmann »von 1929 bis in die letzten Jahre«. (Friedrich-Wilhelm von Herrmann, »Nachwort des Herausgebers«, in Sein und Zeit, von Martin Heidegger, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Gesamtausgabe 2 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1977), 580.) Was von Herrmann über die Randbemerkungen sagt, ist vollkommen richtig; wenn man aber nachvollzieht, dass das Hüttenexemplar eines der 2. Auflage war (1929), dann ist klar, dass von Herrmann sagen will, dass er wirklich nicht weiß, wann genau diese Marginalien geschrieben wurden. Heidegger hat durch sein Leben mehrmals in seiner Hütte in Todnauberg dieses Exemplar gebraucht, so kann man rechnen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er in den Jahren 1929-1931 eine große Anzahl der Bemerkungen geschrieben hätte, niedrig ist. Deswegen werden sie in dieser Arbeit nicht bearbeitet, weil sehr wahrscheinlich ist, dass die Mehrheit dieser Marginalien nicht zum Projekt der Fundamentalontologie gehört. Sie sind vielmehr das Ergebnis einer Revision von Sein und Zeit aus einer anderen Perspektive, die schon andere Zwecke und Hinsichten und Methode hatte.
25
Probleme der Fundamentalontologie gelöst werden können, wenn durch die Destruktion eine der Fundamentalontologie zugrunde liegende Struktur zurückführend konstruiert wird, welche ermöglichen kann, die Begrifflichkeit der Fundamentalontologie unter einem neuen Licht zu lesen, d. h., sie mit einer neuen Klarheit zu verstehen. Die Rede über »Probleme« in der Fundamentalontologie kann sich hier immer noch geheimnisvoll anhören. Solche Probleme ans Licht zu bringen, ist aber ein wichtiger methodischer Schritt dieser Arbeit. Der Bestand dieser Probleme muss aber von Anfang an mitgeteilt werden, und in diesem Stadium der Untersuchung ist diese offensichtliche Gewaltsamkeit unvermeidbar. Diese Untersuchung bezweckt auch durch die phänomenologische Wiederholung und Radikalisierung der Fundamentalontologie, einige Missdeutungen in der akademischen Interpretation zu überwinden. Solche Grundprobleme in Sein und Zeit wurden von Rentsch so aufgelistet: 1. Das Dasein stellt immer noch eine transzendentale Subjektivität dar (Solipsismus); 2. Jede Struktur des Daseins lässt sich auf ein einziges Prinzip zurückführen: die Zeitigung der Zeitlichkeit (Monoprinzipialismus); 3. Die Fundamentalontologie besteht in einem vertikalen Aufbau der Begrifflichkeit (Ursprungsdenken).5 Zu diesen Problemen hat diese Untersuchung ja eine klare Diagnose: 1. Ein Solipsismus lässt sich in Sein und Zeit identifizieren, nur wenn unter »Dasein« immer noch »Subjekt« verstanden wird. Das ist tatsächlich der Fall, wenn Rentsch in Sein und Zeit einen verzeitlichten Hypercartesianismus der Weltkonstitution sieht.6 2. Der Monoprinzipialismus löst sich durch die Entdeckung des fundamentalen Unterschieds sowie durch die Betrachtung der monadischen Konstitution des Daseins. 3. Das Ursprungsdenken lässt sich nur vertikal verstehen, wenn von Anfang an ein Fundierungszusammenhang mit einem Verursachungszusammenhang verwechselt wird. Wenn in der hermeneutischen Phänomenologie gesagt wird, dass etwas in etwas gründet, bedeutet es in keinem Fall, dass ein Etwas durch ein anderes Etwas verursacht wird. Dass etwas in einem anderen etwas gründet, bedeutet nicht einmal, dass sie verschiedene »Dinge« sind. Aus diesen Missdeutungen wird klar, dass die erste Aufgabe dieser Untersuchung in einer Erklärung der Fundamentalontologie bestehen muss. In der Destruktion der Fundamentalontologie wird deswegen nichts vorausgesetzt oder für selbstverständlich gehalten. Worum geht es also in dieser Untersuchung? Es geht um eine Thematisierung und Problematisierung der ontologischen Differenz als Leitfaden der Un5
6
Vgl. Thomas Rentsch, »›Sein und Zeit‹. Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 71 ff. Thomas Rentsch, »Zeitlichkeit und Alltäglichkeit. (§§ 67-71)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 213 ff. Vgl. Thomas Rentsch, Negativität und praktische Vernunft, 1. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000).
26
tersuchung, denn die hermeneutisch phänomenologische Bestimmung des Unterschieds zwischen Sein und Seiendem ist dasselbe, wie das Sein zu definieren, was der Zweck der Fundamentalontologie ist. Hier entsteht ein akademisches Problem für diese Untersuchung: Trotz des Ruhms von Sein und Zeit gibt es einen Mangel an echt kritischer Forschungsliteratur im Bereich der Fundamentalontologie, besonders über das Thema der ontologischen Differenz. Die ontologische Differenz wird fast in jedem Buch und Aufsatz erwähnt, aber nur stichwortartig, d. h., sie wird als Prinzip gebraucht. »Sein ist kein Seiendes« ist der Anfang des Arguments oder die Erklärung eines Problems. Die ontologische Differenz ist also zum philosophischen Dogma geworden.7 Demgegenüber wird die ontologische Differenz von dieser Untersuchung in Frage gestellt und ihre Struktur und Gründe durchforscht, anstatt als ein Prinzip vorausgesetzt zu werden. Das wird ermöglicht durch die Durchführung der phänomenologischen Destruktion, deren Zweck es sein soll, die Strukturen und Momente der ontologischen Differenz sowie die Verhältnisse von ihnen zu entdecken. In anderen Worten: Heidegger bestimmt die Aufgabe der Philosophie als »die Wesensbestimmung der ontologischen Erkenntnis durch Aufhellung ihres Ursprungs aus den sie ermöglichenden Keimen«.8 Wenn das Bezweckte die ermöglichenden Keime der ontologischen Erkenntnis sind, dann ist zu fragen, ob diese Keime zur ontologischen Erkenntnis gehören oder nicht, ob das Ermöglichende zum Ermöglichten gehört oder umgekehrt. Was ist der ontologische Status von diesen ›Keimen‹? Wenn sie begriffliche Bestimmungen einer Theorie, d. h., wenn sie ontologisch sind, bedeutet das, dass die Bestimmung einer Realität mit der durch sie bestimmten Existenz zu identifizieren ist? »Wie ist der ontologische Zusammenhang von Realität und Existenz zu bestimmen?«9 Ist diese Existenz, was das Seiende ist, nicht aber als ontologische Bestimmung, sondern als Geschehen des zu Bestimmenden zu fassen, dann ist sie ontologisch in einem anderen Sinne. Diese ist »ein Unterschied im Seienden, ursprünglich aber im Sein« und deswegen wird »die kritische Wissenschaft als Milieu des existenziellen Unterschieds« gedacht.10 Die kritische Wissenschaft versucht nicht, die Existenz der äußeren Welt zu beweisen, sondern aufzuweisen, wie es von uns immer schon verstanden worden ist und welches die Struktur dieses Verständnisses ist. Es geht um das Sein, um das Fundament. Es gibt aber eine Spaltung im Fundament. Was bedeutet ein ursprünglicher Unterschied im 7
8 9 10
Z. B. George Kovacs, »The Ontological Difference in Heidegger’s ›Grundbegriffe‹«, hg. von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heidegger Studies 3/4 (1987/88): 61-74. Martin Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 2. Aufl., Gesamtausgabe 3 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1991), 20. Martin Heidegger, Die Grundprobleme der Phänomenologie, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 3. Aufl., Gesamtausgabe 24 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1997), 109. Martin Heidegger, Geschichte der Philosophie von Thomas von Aquin bis Kant, hg. von Helmuth Vetter, Gesamtausgabe 23 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2006), 213.
27
Sein? Was bedeutet, dass der ursprüngliche Unterschied im Sein ein existenzieller ist? Das Problem ist also, dass dank der Destruktion der ontologischen Differenz eine Zweideutigkeit vom Begriff Sein zum Vorschein kommt.11 Diese Untersuchung geht dann das Wagnis ein – als konstruktives Moment der Methode –, eine Lösung für dieses Problem zu stellen. Durch dieser Zweideutigkeit kommt nicht nur ein klares argumentatives Problem in der Fundamentalontologie ans Licht, sondern auch eine der Fundamentalontologie zugrunde liegende Struktur, die darin besteht, dass der Begriff Sein zwei Grundbedeutungen hat, die sich aufeinander nicht zurückführen lassen. Die Behauptung des Bestands solcher zwei Bedeutungen von Sein im Grunde der Fundamentalontologie ist die These dieser Arbeit. Die Antworten auf diese Fragen sind der Hauptzweck dieser Forschung und die Freilegung des Weges zu ihnen ist das Ziel dieser Interpretation. Die Absicht dieser Untersuchung ist die Entdeckung, dass durch die ontologische Differenz eine andere und radikalere Differenz zum Vorschein gebracht werden kann und dass die Philosophie, sofern sie die Wissenschaft vom Sein ist, die Wissenschaft eines Grundes ist, der durch eine fundamentale Spaltung ausgemacht wird. Diese Spaltung im Grunde ist der fundamentale Unterschied. Obwohl solcher Unterschied der Fundamentalontologie zugrunde liegt, wurde er von Heidegger nie thematisiert. Die Entdeckung und Thematisierung des fundamentalen Unterschieds ist der Zweck dieser Untersuchung als Lösung der systematischen Probleme der Daseinsanalytik und Grundlegung der Fundamentalontologie. In dieser Untersuchung geht es aber nicht nur um einen Zweck, sondern auch um einen Weg. So sind dieser Arbeit nicht nur die Inhalte, Begriffe und Kenntnisse wichtig, sondern auch die Art und Weise, in der diese Inhalte, Begriffe und Kenntnisse behandelt werden. Deswegen geht es in dieser Untersuchung auch um eine Anwendung der hermeneutischen Phänomenologie als ihre eigene Analysemethode. Die hermeneutische Phänomenologie ist eine destruktiv zurückführende Konstruktion, deshalb ist sie die geeignetste Weise, die Fundamentalontologie zu analysieren, weil sie die Entdeckung der inneren Struktur der Voraussetzungen und Ergebnisse der Fundamentalontologie er11
28
Diese Untersuchung hat auch keine Behandlung einer Zweideutigkeit der Grundbegriffe in Sein und Zeit – besonders Sein und Seiendes – gefunden. Die einzige Behandlung von zwei Bedeutungen vom Sein in Heideggers Denken gehört zu Volpi, der einerseits die Fundamentalontologie zum seinsgeschichtlichen Denken vergleicht und andererseits das Denken von Heidegger mit dem von Aristoteles. Er identifiziert so, dass in der Fundamentalontologie das Sein als ἀλήθεια einen Vorrang hat und im seinsgeschichtlichen Denken das Sein als ἐνέργεια. (Vgl. Franco Volpi, Heidegger e Aristotele, 1. ed. (Roma [u. a.]: GLF Editori Laterza, 2010).) Diese Untersuchung findet die Einsicht von Volpi nicht nur sinnvoll, sondern bezweckt auch, diesen Unterschied innerhalb der Fundamentalontologie selbst auszuweisen. Volpi sieht diesen Unterschied wie eine geschichtliche Entwicklung des Heidegger’schen Denkens, während diese Untersuchung solchen Unterschied als eine zugrunde liegende Struktur aufweist, deren zwei Momente in der Fundamentalontologie zugleich stattfinden.
möglicht sowie die Haltung eines kritischen Abstands vor dem Denken Heideggers und die Ausarbeitung einer Interpretation, die einen Beitrag zur Fundamentalontologie und Philosophie im Allgemeinen leistet und nicht nur einen Bericht einer Lektüre mitteilt. Diese ist eine Anwendung derselben Methode, die Heidegger ausgearbeitet und angewandt hat, um die Tradition zu analysieren, diesmal aber von mir gebraucht, um Heideggers Denken zu analysieren. Die Fundamentalontologie ist das Vorbild dieser Arbeit und zugleich ihr Objekt; deswegen wendet sich diese Untersuchung mit Heidegger gegen Heidegger. Es ist aber nicht die Absicht einer solchen Anwendung der Methode, einen bloßen Kommentar oder eine philosophische Performance zu machen, um berufliche Fähigkeiten darzustellen, sondern durch die Analyse der Fundamentalontologie Heideggers einen wissenschaftlichen Beitrag zur Philosophie zu leisten. Diese Untersuchung bezweckt so, eine echte philosophische Auseinandersetzung zu sein; deshalb ist sie eine »falsche« Interpretation im Sinne einer »nicht kanonischen«. Eine entdeckende Auseinandersetzung muss strittig sein, um zu werden, was sie eigentlich sein muss. Die Fundamentalontologie ist ein unvollkommenes Werk, wie alle menschlichen Werke. Solche Unvollkommenheit stellt aber die Gelegenheit dar, die fundamentalontologische Untersuchung in Anspruch zu nehmen und durch Kritik und Weiterentwicklung zu verbessern. Diese phänomenologische Entdeckung des fundamentalen Unterschieds treibt mich also nicht nur mit Heidegger gegen Heidegger, sondern auch über ihn hinaus. Philosophie ist Philosophieren. Um Heidegger zu retten, muss seine »Lehre« destruiert werden, weil Heidegger eine Frage ist und nicht eine Antwort, die wie eine Doktrin wiederholt werden soll. Heidegger bleibt lebendig im echten Fragen bzw. im Elan eines tapferen Philosophierens.
§ 4. Die Fundamentalontologie ist die wissenschaftliche Disziplin dieser Untersuchung Heidegger ist zweifellos der einflussreichste Philosoph des 20. Jahrhunderts gewesen und besitzt bereits einen Platz unter den Klassikern der Philosophie neben Kant und Aristoteles. Die Vielfalt der Bereiche, die Heidegger beeinflusst hat, entspricht der Phänomenologie, Ontologie, Existenzphilosophie, Ästhetik, Sprachphilosophie usw. Er hat z. B. das philosophische Interesse an der Antike wiedererweckt und einen großen Denker wie Nietzsche in die akademischen Studien eingeführt. Heidegger ist ein Philosoph, der sich zur philosophischen Tradition immer kritisch verhalten hat. Diese kritische Einstellung hat ihn zum Versuch hingeleitet, die abendländische Philosophie auf einen neuen Boden zu gründen. Diese kritische Grundlegung der Metaphysik geschieht aber nicht durch eine Zerstörung der vorherigen Philosophie, sondern durch eine Radikalisierung ihrer 29
Fragestellung. Heideggers Kritik an die Tradition ist so kein neuer Anfang für die Philosophie im Sinne von einem Schritt vorwärts, sondern rückwärts. In anderen Worten: Die Frage Heideggers lautet nicht, wohin die Philosophie sich entwickeln kann, sondern woher sie möglich ist. Heidegger ist ein Erneuerer der Philosophie, weil er sie auf einem neuen Grund gestellt hat. Ohne Methode ist alles beim Überlegen erlaubt und die Grenzen zwischen dem Denken und dem Dichten werden immer unklarer. Ein erster Beitrag ist die Anwendung und Bearbeitung der phänomenologischen Methode. Ein methodisch orientiertes Denken ist die einzige Hoffnung, Philosophie als eine Wissenschaft zu betrachten. Das bedeutet, dass die Analyse sich direkt auf die geschichtliche Erfahrung richtet, ohne eine theoretische Ausschaltung der Welt durchzuführen, um dann nur mit der Fantasie zu arbeiten. Die Methode Heideggers aber hat nicht nur mit der direkten Erfahrung, sondern auch mit dem historischen Grund des Verständnisses dieser Erfahrung zu tun. Deswegen hat er sich mit der Geschichte der Philosophie in der Weise auseinandergesetzt, dass er versucht hat, solches vorausetzungsloses Verständnis der Erfahrung durch die Destruktion der Verdeckungen der Tradition zu erreichen. Diese verdeckenden Voraussetzungen sind Vorurteile, die vermieden werden sollen. Was Phänomen der Möglichkeit nach ist, ist gerade nicht als Phänomen gegeben, sondern erst zu geben. Die Phänomenologie ist gerade als Forschung die Arbeit des freilegenden Sehenlassens im Sinne des methodisch geleiteten Abbauens der Verdeckungen.12
Alles wird so durch die Methode gewonnen. Die Methode erlaubt auch, die Vorurteile über das Sein ans Licht zu bringen, welche vermeiden, die Frage nach dem Sein zu stellen. Ideen wie die Allgemeinheit, die Undefinierbarkeit und die Selbstverständlichkeit des Seins haben in der Geschichte des Abendlandes als Mechanismen fungiert, um die Stellung der Frage nach dem Sein zu vermeiden. Die Frage wurde so als unnötig und sogar sinnlos betrachtet und die Forschung hat sich deswegen auf das Seiende fokussiert. Demzufolge ist nach Heidegger die Geschichte der Metaphysik – die Denkart des Abendlandes par excellence – diejenige, der Seinsvergessenheit. Eine der Erneuerungen der Philosophie, und die größte, die Heidegger geleistet hat, ist also die Stellung der Frage nach dem Sein:13 Wenn Philosophie die Wissenschaft vom Sein ist, dann ergibt sich als Anfangs-, Endund Grundfrage der Philosophie: Was bedeutet Sein? Von wo aus ist dergleichen wie Sein überhaupt zu verstehen? Wie ist Seinsverständnis überhaupt möglich?14 12 13
14
30
Martin Heidegger, Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, hg. von Petra Jaeger, 2., durchges. Aufl., Gesamtausgabe 20 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1988), 118. Diese Frage lässt sich auch, weil sie eine Erneuerung der Metaphysik bereitet, als postmetaphysische Frage verstehen (Ingeborg Schüssler, »Philosophie und Existenz bei Martin Heidegger«, hg. von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heidegger Studies 1 (1985): 119-28.) Heidegger, Grundprobleme, 19.
Das Sein als das Phänomen der Phänomenologie ist die phänomenologische Thematisierung der Bedingungen der Möglichkeit der Phänomenalität selbst. Deswegen braucht Heidegger eine neue Definition von Phänomen als das Sichmeldende in dem Sich-zeigenden, weil die Bedingungen der Möglichkeit aller möglichen Erfahrung logischerweise nicht erfahrbar, sondern nur in der und durch die Erfahrung anzunehmen sind. Das Verständnis des Seins aus der Zeitlichkeit des Daseins impliziert, dass das Sein vom Dasein entworfen ist. Das menschliche Dasein wird so zum Grund aller möglichen Phänomenalität und Bestimmung des Seienden überhaupt.15 Diese Erneuerung der Philosophie geschieht grundsätzlich durch einen Weg des Denkens Heideggers, der als Fundamentalontologie bekannt worden ist. Was ist die Fundamentalontologie? Worum geht es in der Fundamentalontologie? In der Philosophie der Moderne ist eine theoretische Teilung der wissenschaftlichen Arbeit entstanden. Die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit verschiedenen Objekten beschäftigen, versuchen und bezwecken Erkenntnis zu generieren, d. h., ihre Objekte zu bestimmen. Die Mathematik bestimmt die Zahlen und Zahlenverhältnisse, die Physik das Bewegliche, die Biologie das Lebendige, usw. Diese Disziplinen wurden als Versuche spezifisches Seiendes zu bestimmen, metaphysica spezialis genannt. Demgegenüber wurde die Disziplin, die sich mit der allgemeinen Bestimmung des Seienden beschäftigt, metaphysica generalis genannt. Sie bestimmt das Seiende, sofern es etwas ist, das ist (τὸ ὄν). So kennen wir auch die Metaphysik als allgemeine Bestimmung aller möglichen spezifischen Bestimmungen des Seienden unter dem Begriff von Ontologie. Heidegger erneuert hier die Philosophie durch den Versuch, die Ontologie auf einem neuen und sichereren Boden zu begründen. Die Grundlegung der Ontologie geschieht durch die Thematisierung der Bedingungen der Möglichkeit jeder Ontologie, die an dem Seienden liegen, das jede Ontologie durchführt: der Mensch. Es heißt, dass es in der Grundlegung der Ontologie um die Bestimmung eines Seienden geht. So ist die Fundamentalotologie der Versuch, die metaphysica generalis auf eine metaphysica spezialis zu gründen. Das allgemeine Verständnis des Seins des Seienden wird so aus der Analyse eines Seienden begriffen, das das Sein verstehen kann: Wir das menschliche Dasein. Die Fundamentalontologie geschieht durch die Daseinsanalytik. Sie ist keine Anthropologie bzw. keine vollständige Metaphysik des menschlichen Daseins, sondern nur eine Thematisierung dieses Seienden hinsichtlich seines Seinsverständnisses als Bedingung der Möglichkeit der Ontologie. In der philosophischen Tradition wurde seit Aristoteles verstanden, dass die Zeit etwas ist, das im bewegten Seienden erkannt, d. h., das in der Bewegung des Seienden verstan15
Vgl. § 5. a. Phänomen und Logos: Der vorläufige Begriff der hermeneutischen Phänomenologie.
31
den wird. Demgegenüber betrachtet Heidegger die Zeit in der Weise, dass sie im menschlichen Dasein immer schon ihr Zuhause hat. Das menschliche Leben entfaltet sich zeitlich in Verbindung mit dem Seienden, zu dem es sich verhält. Die philosophische Neuheit des Vortrags Der Begriff der Zeit,16 mit dem Heidegger diesen Weg seines Denkens beginnt, besteht darin, dass die menschliche Existenz und der Tod zusammen begriffen werden, um aus diesem Zusammenhang schlussfolgern zu können, dass das Sein der Existenz sich aus der Zeit verstehen lässt. Dieser Zusammenhang ist der echte Anfang der Analytik des Daseins als Fundamentalontologie.17 Die Fundamentalontologie handelt also in Worten von Heidegger von einer »ursprünglichen Explikation der Zeit als Horizont des Seinsverständnisses aus der Zeitlichkeit als Sein des seinsverstehenden Daseins«.18 Nach diesen knappen Erläuterungen ist mindestens klar, dass diese wichtige Erneuerung der Philosophie in einer Umkehrung der grundsätzlichen Thesen der philosophischen Tradition des Abendlandes besteht. In der Tradition ist das Seiende nur aus dem Sein zu denken, sowie die Zeit nur aus der Bewegung des Seienden zu erfahren ist. Demgegenüber wird erstens behauptet, dass es Sein gibt, nur sofern ein Seiendes existiert, dessen Sein Seinsverständnis ist. Zweitens wird jetzt das Sein aus der Zeit verstanden, weil das seinsverstehende Seiende wesenhaft zeitlich ist. Demzufolge ist auch zu verstehen, dass drittens die Ontologie ontische Wurzeln hat. Die Grundlegung der erwähnten Thesen, die die philosophische Tradition zu erneuern versuchen, geschieht aber nicht als eine bloße Behauptung von neuen Ansätzen, sondern durch eine sehr strenge Auseinandersetzung mit der Tradition, welche in dieser Arbeit aber nur zusammengefasst dargestellt werden kann. Anhand der hermeneutisch phänomenologischen Methode beschäftigt sich Heidegger mit den Grundproblemen der Phänomenologie, die eigentlich die Grundprobleme der Ontologie sind.19 Heideggers Erachtens gemäß ist die Methode von dem Inhalt der Disziplin nicht zu unterscheiden. Die Phänomenologie ist wesenhaft ontologisch und die Ontologie kann nur phänomenologisch durchgeführt werden. So setzt sich Heidegger mit der sogenannten vier Thesen über das Sein auseinander. Diese Auseinandersetzung mit der Geschichte ist also gelichzeitig eine Kritik und eine Wiederholung der Tradition. Nur sofern man die Tradition wiederholen kann, kann man auch ihre Gründe zum Vorschein bringen. Die Thematisierung von jeder These über das Sein lässt je16 17
18
19
32
Heidegger, Der Begriff der Zeit. Vgl. Rainer Marten, »Der Begriff der Zeit. Eine Philosophie in der Nussschale«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 21. Martin Heidegger, Sein und Zeit, 19. Aufl., unveränd. Nachdr. der 15., anhand der Gesamtausg. durchges. Aufl. mit den Randbemerkungen aus dem Handex. des Autors im Anh. (Tübingen: Niemeyer, 1927), 17. Vgl. Heidegger, Grundprobleme.
weilig ein Grundproblem der Ontologie zum Vorschein kommen. Sowohl die Struktur der hermeneutisch phänomenologischen Methode als auch die Bedeutung ihrer Momente, sowie ihres Sinnes als Wiederholung werden in folgenden Paragraphen erklärt werden.20 Die traditionellen Thesen über das Sein sind vier: 1. Die These Kants behauptet, dass das Sein kein reales Prädikat ist, d. h., dass die Tatsache, dass etwas existiert, nichts hinzufügt zu dem, was ist. Was ein Seiendes ist, wird nicht erweitert dank des Vorhandenseins dieses Seienden. Aus dieser These arbeitet Heidegger das Problem der ontologischen Differenz aus, die den Unterschied zwischen dem Sein und dem Seienden meint. So ist das Sein des Seienden und das Seiende selbst immer zu unterscheiden, d. h., was bestimmt ist, muss immer unterschieden werden von dem, was es bestimmt. 2. Die mittelalterliche These der Gliederung des Seins des Seienden in essentia und existentia. Aus dieser These arbeitet Heidegger das Problem der Grundartikulation des Seins aus, nach welchem alles Seiende eine bestimmte Seinsart hat und gleichzeitig von einem Was bestimmt wird. In der Tradition wurde das Sein von jedem Seienden – Mensch, Stein, Dreieck, Pflanze usw. – immer gleich verstanden. Das Sein wurde so als existentia betrachtet und wurde so verstanden, dass zu dieser eine essentia gehört. So gehört zum Sein des Seienden ein Dass und ein Was als seine Bestimmungen. Heidegger interpretiert dieses Dass und versteht es als das Wie der Konkretion des Seienden derart, dass die existentia des Seienden sich unter verschiedenen Modi verstehen lässt. Diese Seinsarten des Wie sind das Dasein, die Vorhandenheit, die Zuhandenheit, das Leben und das Bestehen. Zu diesen Seinsmodi gehört jeweilig ein Was, das sich so bestimmt: zur Vorhandenheit gehört die Dinglichkeit, zur Zuhandenheit eine Bewandtnis, zum Leben das Tier- oder Pflanzsein, zum Bestehen das Zahloder Verhältnissein und zum Dasein eine Existenz. Aus diesem Zusammenhang behauptet Heidegger: »Das ›Wesen‹ des Daseins liegt in seiner Existenz«.21 Das bedeutet, dass die Eigentümlichkeit des Seins des Menschen darin besteht, dass das Was seines Wesens vom Wie seines Vollzugs ausgemacht wird. 3. Die These Descartes der Trennung der Idee des Seins im Sein des Geistes und dem Sein der Natur. So ist die res cogitans ihrem Sein nach wesenhaft anders als die res extensa. Dieser Unterschied vom Subjekt und Objekt ist so radikal, dass Descartes große Probleme hatte, um zu beschreiben, wie der Geist die Kontrolle des Körpers übernehmen und die Welt erkennen kann. Aus dieser These – die immer noch unsere Kultur beherrscht22 – arbeitet Heidegger das Grundproblem der Einheit der Seinsidee und ihrer regionalen Abwandlungen 20 21 22
Vgl. § 5. Der Begriff der hermeneutischen Phänomenologie und § 8. Die hermeneutische Phänomenologie ist Wiederholung. Heidegger, Sein und Zeit, 42. Die Herrschaft dieser Trennung von Subjekt und Objekt ist immer noch in den Naturwissenschaften sehr klar zu merken. Nach der Einstein’schen und Planck’schen Revoluti-
33
aus. Die Idee des Seins lässt sich auf das Verstehen des Seins zurückführen und alle verschiedenen Abwandlungen des Verstehens des Seienden lassen sich aus den verschiedenen Weisen dieses Verständnisses erklären. Anstatt von zwei Seinsarten auszugehen, die scharf zu trennen sind, gibt es für Heidegger viele verschiedene Seinsarten, die sich aus einer erklären lassen, nämlich Vorhandenheit, Zuhandenheit, Bestehen, Leben und Dasein, wobei das Dasein den Grund jedes Seins des Seienden konstituiert. 4. Die These der Logik meint, dass alles Seiende sich durch das »ist« meinen lässt, d. h. dass alles Seiende durch das verbindende Sein der Kopula einander gleich ist. Aus dieser These arbeitet Heidegger das Grundproblem des Wahrheitscharakters des Seins aus. Der Grund aller möglichen Verbindung des Seienden und seiner Bestimmungen durch die Sprache liegt an einer vorliegenden und vorsprachlichen Erschlossenheit des Seins dieses Seienden durch die Transzendenz des menschlichen Daseins. So kann man verstehen, dass die philosophische Ausarbeitung der sogenannten Grundprobleme der Phänomenologie auch als eine Erneuerung der Philosophie betrachtet werden können, weil solche Ausarbeitung eine radikal erneuende Wiederholung der Tradition darstellt: Jedes Problem ist durch eine Radikalisierung einer traditionellen These gewonnen. Die Grundprobleme der Phänomenologie – als Ontologie verstanden –, ordnen sich so ein, dass sie eine Vertiefung in der Untersuchung jedes Mal zeigen, dass der Blick von einem zum anderen fortschreitet.23 Im Ausgang vom Faktum, dass wir im Leben verschiedenes Seiendes aus verschiedenen Bereichen des Seins erfahren, erfahren wir die Natur als Raum und Zahl, Leben und das menschliche Dasein selbst, u. a. Solche Bereiche oder Regionen konstituieren sich durch verschiedene Formen und Verhältnisse der Modi existendi und essendi des Seienden, obwohl wir sagen, dass alles einfach ›ist‹. So ist das erste Grundproblem die Einheit der Seinsidee und ihrer regionalen Abwandlungen und das zweite ist der Ursprung dieser Mannigfaltigkeit durch die Gliederung von essentia und existentia, d. h. die Grundartikulation des Seins. Hier kommt die reduktive Tendenz der Untersuchung schon zum Vorschein. Solche Artikulation ist eine Spaltung von Bedeutungen des Seins des Seienden, deswegen ist der nächste Schritt eine Problematisierung des Unterschieds zwischen dem Sein, das essentia und existentia ist, und dem Seienden, das durch dieses Sein bestimmt und konstituiert wird. Solches Problem heißt ontologische Differenz. Dieser Tendenz nach ist klar, dass das folgende Problem mit der Weise zu tun hat,
23
34
on der theoretischen Physik war immer noch diese Trennung eine herrschende Stellungnahme bei der Naturforschung, obwohl die Rollen sowohl des Subjekts als auch des Objekts durch Experimente relativiert wurden. (Vgl. Carl Friedrich von Weizsäcker, »Beziehungen der theoretischen Physik zum Denken Heideggers«, in Martin Heideggers Einfluss auf die Wissenschaften (Bern: A. Franke AG., 1949), 172 ff.) Vgl. Martin Heidegger, Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz, 2., durchges. Aufl., Gesamtausgabe 26 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1990), 191 ff.
wie das Sein das Seiende bestimmt, indem Sein im Seinsverständnis existiert, welches dem Dasein auf Seiendes zuzugreifen ermöglicht. Dieses Problem ist der veritative Charakter des Seins. Diese radikale Unterscheidung zwischen Sein und Seiendem scheint etwas allzu Schlichtes zu sein, aber sie ist zu beachten, denn sie zu übersehen, ist das Fundament der Vergessenheit der Seinsfrage, was die Geschichte der Metaphysik bei Heidegger ausmacht. Deswegen ist es so wichtig, dass in der Stellung der Seinsfrage dieser Unterschied nicht vergessen wird, weil die Überwindung der Metaphysik davon abhängt. Dieses Projekt der Fundamentalontologie Heideggers, deren Gipfel Sein und Zeit darstellt, bildet den Bereich der vorliegenden Untersuchung. In diesem Kontext führt diese Untersuchung ihre Forschung durch. Die Grundprobleme der Phänomenologie sind ihr sehr wichtig, besonders die Grundartikulation des Seins, mit der die Ergebnisse dieser Untersuchung sich unterscheiden müssen, und die ontologische Differenz, die der Leitfaden bzw. der ontologisch untersuchende Kriterium par excellence in dieser Arbeit darstellt.
§ 5. Der Begriff der hermeneutischen Phänomenologie Sein und Zeit ist keine Abhandlung über die hermeneutisch phänomenologischen Methode, sondern das Protokoll ihrer Anwendung und Ergebnisse. Was das methodische Vorgehen von Heidegger orientiert, ist immer das Fragen und nicht das Antworten gewesen. Die Stellung der Frage öffnet die Möglichkeit des philosophischen Untersuchens derart, dass diese neugeöffnete Untersuchung ihrerseits die Möglichkeit öffnet, die erste und erschließende Frage neu zu verstehen und so solche erste Frage wieder auf einem neuen Boden zu stellen. Die Suche nach einer Antwort auf die Frage ermöglicht so dem Fragen selbst eine neue Radikalität. Diese Radikalität bei der Betrachtung ist von einer Bearbeitung der Methode selbst erlaubt. Deswegen ist die erste Aufgabe dieser Untersuchung eine Bestimmung der anzuwendenden Methode zu erreichen, weil sowohl die Radikalität als auch die kritische Einstellung für die Zwecke dieser Untersuchung nötig sind. Um den Begriff der hermeneutischen Phänomenologie und die Maxime ›Zu den Sachen selbst‹ zu verstehen, müssen die Termini zuvor verstanden werden, die deren Begriff zusammensetzen (§ 5. a. Phänomen und Logos: Der vorläufige Begriff der hermeneutischen Phänomenologie). So kann nicht nur ihre Bedeutung ausgelegt, sondern auch der Sinn ihres beschreibenden Vorgehens verstanden werden, denn die Methode Heideggers ist eine bearbeitete Phänomenologie, die anstatt der ἐποχή die formale Anzeige als analytisches Werkzeug besitzt (§ 5. b. Formale Anzeige statt ἐποχή). Die hermeneutische phänomenologische Beschreibung ist demzufolge einer besonderen Art, deren Momente auch zu erklären sind: Die hermeneutisch phänomenologische Reduktion ermöglicht, den Blick auf die Bedingun35
gen der Möglichkeit des thematischen Phänomens zu richten; Die hermeneutisch phänomenologische Destruktion ermöglicht eine Auseinandersetzung mit den Thesen der Tradition aus der neugewonnenen Perspektive, welche die direkte Erfahrung der Quellen solcher Thesen erlaubt; die hermeneutisch phänomenologische Konstruktion erlaubt neue Thesen zu stellen und Begriffe zu bilden, sowie die Leitfrage aus dem neugewonnenen Boden wieder zu stellen (§ 5. c. Reduktion, Konstruktion und Destruktion. Die Grundmomente der hermeneutisch phänomenologischen Forschung). § 5. a. Phänomen und Logos: Der vorläufige Begriff der hermeneutischen Phänomenologie Die Methode dieser Untersuchung ist die hermeneutische Phänomenologie. Deswegen ist die erste Aufgabe dieser Arbeit solche Methode zu erklären. In dieser Erklärung ist eine mögliche Definition ihres Begriffs an der ersten Stelle. Der Begriff »Phänomenologie« ist ein Kompositum aus zwei griechischen Vokabeln. Der erste von diesen Termini ist »Phänomen«. Die Definition, die von Phänomen in Sein und Zeit gegeben wird, lautet »das Sich-an-ihm-selbst-zeigende, das Offenbare«.24 Dieser Begriff von Phänomen ist nicht primär das Sichzeigen wie … des Seienden, das sich zeigt, als was an ihm selbst nicht ist, d. h. des Scheinens. Dieser Begriff unterscheidet sich auch von der Erscheinung, weil sie nur möglich ist, als ein Sich-nicht-zeigen »auf dem Grunde eines Sichzeigens von etwas«25 derart, dass das ermöglichende Sichzeigen nicht das Erscheinen selbst ist, sondern »das Sich-melden durch etwas, was sich zeigt«.26 Es bedeutet, die Erscheinung ist die Meldung des Sich-an-ihm-zeigenden durch das Scheinen. Diese Beziehung von Erscheinung und Scheinen könnte in der Betonung ihrer verschiedenen Momente so unterschiedlich sein, dass »Erscheinung« sogar nur bloße Erscheinung bedeuten könnte. Entscheidend ist, dass sowohl Scheinen als auch Erscheinung nur mit einem Phänomen als Grundlage möglich sind. »In der Röte erscheint das Fieber, d. h. Erscheinen von etwas = ein Sichnicht-selbst-zeigen, sondern ein Sich-melden durch etwas, was sich zeigt. Das Sich-meldende zeigt sich nicht selbst«.27 Der Heidegger’sche Gebrauch von »Phänomen« unterscheidet sich von anderen Wendungen desselben Terminus im Verlauf der abendländischen Tradition. Das beste Beispiel, um diesen Unterschied zu verstehen, ist der Vergleich von Heidegger mit Kant anhand des Gebrauchs von »Phänomen«. Kurz gesagt, wenn in Sein und Zeit der Begriff »Phänomen« kantisch verstanden wird, be-
24 25 26 27
36
Heidegger, Sein und Zeit, 28. Heidegger, 29. Heidegger, 29. Heidegger, Geschichte, 38.
deutet es eine Erscheinung, wenn aber in der Kritik der reinen Vernunft der Begriff »Phänomen« heideggerisch verstanden wird, bedeutet es die reinen Formen der Anschauung (Raum und Zeit) als apriorische Ordnungen aller möglichen Erfahrung.28 Phänomen ist nach Heidegger nicht nur, was sich zeigt, sondern auch, was sich zeigt, wenn es ein ›etwas‹ zeigt. Sein Sichzeigen ist ein Sichmit-zeigen beim Gezeigten. Wenn Phänomen das Sich-an-ihm-selbst-zeigende heißt und zugleich anders ist als, was sich zeigt (Scheinen), muss sich dann das Sich-an-sich-selbst-zeigende melden, in dem, was scheint, d. h., es muss erscheinen. Das bedeutet, dass der hermeneutisch phänomenologische Begriff von Phänomen immer mit dem vulgären verwoben ist. »Phänomen ist [aber] nichts, wohinter noch etwas wäre« als ob man nur mit Erscheinungen arbeitet, »[…] weil das, was es gibt, gerade das Etwas an ihm selbst ist. Wohl aber kann das, was an ihm selbst aufweisbar ist, und ausgewiesen werden soll, verdeckt sein«.29Das Phänomen ist also nach dieser hermeneutisch phänomenologischen Betrachtung eine Aufgabe, weil Phänomen als das Sich-an-ihm-selbst-zeigende das ist, was sich meldet, in dem, was sich zeigt und deshalb muss es verfolgt, erreicht, gesichert und ans Licht gebracht werden. So soll dieser Phänomenbegriff verstanden werden, wenn in Folgenden der Begriff der hermeneutischen Phänomenologie auch richtig verstanden werden soll. Das Phänomen bleibt in dem Sich-zeigenden verborgen aber derart, dass es sich darin meldet, als was sich mit zeigt, d. h., als das, was ›etwas‹ ausmacht.30 Phänomen ist eine Begegnisart von etwas derart, dass das im alltäglichen Leben aus sich selbst zeigende Begegnende nicht notwendig faktisch zu sein braucht.31 Das Phänomen muss immer irgendwie auch erscheinen, weil das, was sich nicht zeigt, nie ›scheinen‹ könnte. Phänomen ist, was sich durch alle möglichen Erscheinungen zunächst zeigt und meldet, die letztendlich die ›Welt‹ ausmachen. Das hermeneutisch phänomenologisch verstandene Phänomen besagt also nicht das Erscheinen, sondern das Erscheinenlassen. In anderen Worten: Dieser Begriff des Phänomens bedeutet die Phänomenalität überhaupt.32 In Sein und Zeit ist dieses im-Sichzeigen-meldende als Sich-an-ihm-selbst-zeigende »das Sein des Seienden«.33 Demzufolge ist das Sein eine ausgezeichnete Begegnisart und drückt das Phänomen der Phänomenologie aus. Diese Auffassung des Seins als Begegnisart der Ermöglichung des Erscheinens macht eines der wichtigsten Themen dieser Arbeit aus. 28 29 30 31 32
33
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 31. Heidegger, Prolegomena, 118. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 35. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 118. In anderen Worten: »[D]as Phänomen ist das Sichzeigende im Sinne des Anzeigenden, des Richtunggebenden.« Th. C. W. Oudemans, »Heideggers ›logische Untersuchungen‹«, hg. von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heidegger Studies 6 (1990): 100. Heidegger, Sein und Zeit, 35.
37
Um den Begriff der Phänomenologie zu verstehen, ist es auch notwendig zu verstehen, was Heidegger unter λόγος versteht.34 Ein Phänomen ist eine bestimmte Begegnisart, eine bestimmte Art und Weise des Sichzeigens von etwas. Ein Sichzeigen ist aber nur möglich, wenn es ein ›Wovor‹ und ein ›Wodurch‹ beinhaltet. Das Wovor und das Wodurch sind keine verschiedenen Dinge, sondern Grundmomente einer und derselben Sache, d. h. wir selbst. Dies ist die Rolle des λόγος – das Wesen des Menschen – in der Phänomenologie. Ausgezeichnete Verhalten des Seienden, das wir selbst sind, sind das Entdecken und das Verdecken. Das Erste enthüllt das Verborgene und zeigt es, das Zweite verbirgt und täuscht. »λόγος als Rede besagt vielmehr wie δηλοῦν, offenbar machen das, wovon in der Rede ›die Rede‹ ist«.35 Die Rede lässt den Redenden sehen, worüber sie reden. Das ist der Charakter des λόγος als ἀποφαίνεσθαι. »Die Rede ›lässt sehen‹ ἀπὸ … von dem selbst her, wovon, die Rede ist.«36 Die Rede – der λόγος – ist grundsätzlich ein Sehenlassen. Rede ist ἀπο-φαίνεσθαι, sie ist ein Phänomen-sehenlassen. Hier wird die Rede als ein »Präsentieren« verstanden, weil beide Momente der Struktur der ἀπόφανσις auf das Phänomen als das Sichan-ihm-selbst-zeigende verweisen. Alle anderen traditionellen Bedeutungen des λόγος – wie Vernunft u. a. – sind nach Heidegger Variationen von dieser Bedeutung der Rede als Sehenlassen und werden von ihr ermöglicht. λόγος ist ein »aufweisende[s]Sehenlassen von etwas«, deswegen »kann der λόγος die Strukturform der σύνθεσις haben«, und nur als solche ist er ein »etwas als etwas sehen lassen«.37 Nur aufgrund der σύνθεσις, d. h. des Verständnisses jedes Phänomens als ein Etwas, wird die Synonymie von φαινόμενα und τὰ ὄντα möglich. Das Seiende ist in gewisser Weise Phänomen, weil es sich in der Welt zeigt und begegnet, aber es ist nicht in dem ursprünglichsten Sinne phänomenal, in dem Heidegger den Terminus versteht. Wenn man Phänomen und Seiendes gleichsetzt, erhält man einen Widerspruch. Wenn man das Seiende als ein ›etwas als etwas‹ versteht, dann ist in gewissem Sinne jedes Seiende ein Phänomen, aber nicht jedes Phänomen ist ein Seiendes. Das hermeneutische phänomenologische Phänomen ist eine Aufgabe.
34
35 36 37
38
Es ist spannend, dass Heidegger diesen seiner Methode grundsätzlichen Terminus mit einem anderen Begriff definiert, der der Fundamentalontologie zugrunde liegt, d. h. mit dem Begriff der Rede. Anhand dessen kann genauer verstanden werden, wie eng nach Heidegger die Philosophie und ihr methodischer Charakter wesentlich aufeinander bezogen sind. Über die verschiedenen Bedeutungen vom λόγος im Frühwerk von Heidegger: Scott Campbell, »Revelation and Concealment in the Early Heidegger’s Conception of Λόγος«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 23 (2007): 47-70. Heidegger, Sein und Zeit, 32. Heidegger, 32. Heidegger, 33.
Was Phänomen der Möglichkeit nach ist, ist gerade nicht als Phänomen gegeben, sondern erst zu geben. Die Phänomenologie ist gerade als Forschung die Arbeit des freilegenden Sehenlassens im Sinne des methodisch geleiteten Abbauens der Verdeckungen.38
Die Phänomenologie, als ein Vollzug des eigenen λόγος, ist eine Untersuchung, die die eigene Struktur des λόγος als Sehenlassen überprüft, um zu entdecken, was sich genau in ihm selber und durch ihn selber sehen lassen hat, denn der λόγος »ist die Verhaltung, die auch verdecken kann«.39 Der λόγος, als die Struktur des Verhältnisses des Verhaltens, ist die Entdecktheit des Seienden in der Erschlossenheit des Daseins und er vollzieht sich derart, dass er beim Erschließen auch verschließt. Aber beim Vollzug des Abbauens der Verdeckungen, d. h. beim Vollziehen des selbst abbauenden λόγος, kann erst das durch innerweltliches Seiende verdeckte Phänomen gewonnen werden. Heidegger nennt »Analytik« diese Untersuchungsart. In der Phänomenologie geht es darum, die Wesensstrukturen der menschlichen Erfahrung ans Licht zu bringen. Sie ist eine Enthüllung des Wesens des menschlichen Daseins. »Analytik wird so zum Sehenlassen der Genesis des Wesens der endlichen reinen Vernunft aus ihrem eigenen Grunde«.40 Wenn die Phänomenologie ein ἀποφαίνεσθαι τὰ φαινόμενα ist,41 dann sollte das alltägliche Leben des Menschen ein vorurteilsloser Ausgang sein und nicht wie bei Husserl das Bewusstsein, die Intentionalität und die Subjekt-Objekt-Beziehung Ausgangspunkte sind. Solche traditionelle Begrifflichkeit drückt ein Vorurteil aus, das die Beschreibung des Phänomens denaturiert, d. h., das verursacht, dass das Phänomen beschrieben wird als, was es nicht ist. Das Subjekt ist nicht mehr als die größte und wirksamste Erfindung der Moderne. Die Maxime der Phänomenologie – »Zu den Sachen selbst« – gewinnt so eine Doppelbedeutung. Einerseits bedeutet sie die Forderung der ausweisenden Arbeit. Die Phänomenologie muss das Phänomen und das Seiende ausweisen bzw. beschreiben, so wie es sich präsentiert, und der Erfahrung dieses Seienden treu bleiben. Andererseits muss sie aber den Boden freilegen, worauf die Beschreibung durchgeführt werden kann. Durch diese Freilegung kann sich die Phänomenologie dessen versichern, eine vorurteilslose Philosophie zu sein, deshalb ist dieser zweite Sinn der Maxime der grundsätzliche, sofern die Analytik ein sehenlassender Vollzug des λόγος ist, denn Forschung ist Forschen, d. h. ein Verhalten des Daseins.42 Das Forschen muss ein Sachfeld gewinnen, sodass die Forschung sicherstellen kann, dass sie mit ›echten‹ Materialien arbeitet. Solches 38 39 40 41
42
Heidegger, Prolegomena, 118. Heidegger, Sein und Zeit, 226. Heidegger, Kantbuch, 42. Contreras behauptet, dass diese Definition der Phänomenologie in Verbindung mit dem Husserl’schen Prinzip aller Prinzipien erreicht wurde. (Vgl. Andrés Francisco Contreras, »Hermenéutica: el lógos de la fenomenología.«, Studia Heideggeriana III, Heidegger y el problema del método de la filosofía (2014): 129.) Vgl. Heidegger, Prolegomena, 104.
39
Forschen muss aber auch eine Hinsicht schaffen, sodass es klarstellen kann, was es will, welche seine Absicht ist, warum es forscht. Letztendlich muss dieses Verhalten seine Behandlungsart ausbilden, d. h., zur Methode werden.43 Der Sinn der phänomenologischen Forschung als Vollzug des λόγος ist, sich nach dem Sichmeldenden zu richten. In diesem Prinzip der Forschung »ist kein Resultat beschlossen, keine These, kein Dogma aus dem Sachverhalt der Erkenntnis dieser Forschung, sondern im Prinzip der Forschung liegt die Führung ihres Suchens«.44 Diese Suche wird aus der Erfahrung her durchgeführt. Ausgehend von dem Umgang mit dem Seienden und im Seienden muss gefunden werden, was sich darin meldet und das Ziel der philosophischen Forschung ausmacht, nicht umgekehrt. Die Postulate der Phänomenologie sind eines methodischen Charakters. Sie beziehen sich nicht auf den Inhalt oder die Konstitution ihres Untersuchungsobjekts, weil so etwas von der Untersuchung bestimmt werden sollte, die der Methode zufolge durchgeführt wird. Die Phänomenologie ist, als »erster Ansatz zur Überwindung der unkritischen Ansetzung von traditionell bestimmten Wirklichkeiten«,45 eine Behandlungsart, die bezweckt, einen Zugang zu Phänomenen bzw. den Sachen selbst zu öffnen. Die Erschließung des Zugangs zum Phänomen des Seins durch die Tätigkeit und Fähigkeit des λόγος, erlaubt zu verstehen, dass eine Ontologie hermeneutisch phänomenologischen Charakters das Vorhaben hat, das Feld des Sinnes und des bedeutsamen Artikulierens wiederzuerlangen.46 Die Phänomenologie als Zugangsart, als Suche nach dem sich-an-ihm-selbstzeigenden Sich-meldenden, ist ein ertragreicher Kampf mit den Dingen. Sie ist die Eröffnung des Weges nach dem Grund.47 Ein Weg, der fortankommt, ohne sich blind führen zu lassen. Es gibt viele Landkarten, die uns zur Verfügung stehen, aber man kann sie nachträglich nur für echt halten, wenn man das Land schon besucht und beobachtet hat. Genau wie es viele Arten und Weisen gibt, um zu bestätigen, dass eine Landkarte richtig oder falsch ist, gibt es »die« Phänomenologie nicht.48 Die Phänomenologie ist keine Technik, durch die man 43 44 45 46 47
48
40
Vgl. Heidegger, 103. Heidegger, 104. Heidegger, 63. Vgl. Vigo, Alejandro. »Afectividad, comprensión y lenguaje«, hg. von Ángel Xolocotzi. Studia Heideggeriana IV, Afectividad (2015), 62. Nach Marten, wie Heidegger »das Ursprünglichere und das Ursprünglichste handhabt, sind es vollgültigste Kategorien der Poesie«. (Rainer Marten, Radikalität des Geistes: Heidegger – Paulus – Proust, Orig.-Ausg. (Freiburg; München: Alber, 2012), 42.) Demzufolge entsteht die Frage dann von allein: Was ist dann der Sinn des Projekts einer Fundamentalontologie, d. h. der philosophischen Grundlegung aller möglichen Ontologien? Dieser Ansicht nach ist die Anforderung an der Enthüllung des Ursprungs und ihrer Stufungen überhaupt nicht poetisch und dies umso weniger, wenn sie methodisch hingeführt wird. Es ist aber typisch von Marten, sich ständig auf die ästhetischen bzw. »dramatischen« – und unessentiellen – Aspekte der Philosophie Heideggers zu fokussieren. (Vgl. Rainer Marten, Heidegger lesen (München: Fink, 1991), 35-53.) Heidegger, Grundprobleme, 467.
nach einer Folge von schon bestätigten Schritten ein erwartetes Ergebnis erreicht. Die Durchführung einer philosophisch phänomenologischen Forschung und das Backen von einem Kuchen haben miteinander nichts zu tun: Es gibt keine phänomenologischen Rezepte. In der Phänomenologie können die Absichten, gewissermaßen die Kriterien und sogar die Radikalität des Fragens jeweils anders sein. Es gibt so viele Phänomenologien wie Phänomenologen, weil Forschung Forschen ist. Forschen kann nur ein Forscher und Forscher ist nur das Dasein. Die Phänomenologie ist eine Weise, in der je ein bestimmtes Dasein das Entwerfen der Welt vollzieht.49 Die philosophische Forschung muss ein »Protokoll« hinterlassen. Das hinterlassene Register ist eine gewisse Entwicklung des λόγος, der sich als Aussage ausspricht. »Die Aussage als Aneignungsmodus der Entdecktheit und als Weise des In-der-Welt-seins gründet im Entdecken bzw. der Erschlossenheit des Daseins«.50 Die Aussage ist die Weise, in der das Dasein sich der Entdecktheit des Seienden aneignet. So kommunizieren wir beispielsweise darüber, wie uns die Sachen im Alltag und auch in der Wissenschaft begegnen, weil es keine Wissenschaft gibt ohne wissenschaftliche Aussagen und Begriffe! »Wissenschaft ist das untersuchend-bestimmende Entdecken des Seienden bzw. interpretierendes Erschließen (Aufschließen) des Seins, je um seiner selbst willen«.51 Dieser Modus der Aneignung und Bestimmung, die Aussage, ist eine Weise des In-der-Weltseins, d. h. eine Vollzugsart des Daseins. Die Aussage als Aneignungsmodus muss die Begriffe an die Phänomene anpassen und nicht umgekehrt.52 Die Phänomenologie besitzt kein dogmatisches Vorgehen, wie andere philosophische Strömungen, die sich mit einem deduktiven Vorgehen beglücken lassen. Deswegen ist die Philosophie gott-los, weil die Annahme der Existenz Gottes schon eine Verpflichtung mit der Struktur der Wirklichkeit bedeutet. Die Philosophie darf nicht von unkritisch angenommenen Voraussetzungen ausgehen. Die Gottlosigkeit der Philosophie ist ein Ausdruck der Phänomenologie als vorurteilslose Behandlungsart. § 5. b. Formale Anzeige statt ἐποχή Heidegger versteht seine Forschung als einen Beitrag zur Phänomenologie und zur Philosophie im Allgemeinen. Ein »Beitrag« versucht aber einen Mangel zu beheben, zwecks einer Verbesserung dessen, wozu solcher Beitrag geleistet wird. Der Heidegger’sche Beitrag zur Phänomenologie wird normalerweise für einen »Abbruch« von Heidegger mit Husserl gehalten, jedoch geht es wirklich um eine Vertiefung in der Fragestellung der Philosophie, welche bezüglich der 49 50 51 52
Vgl. Heidegger, Geschichte, 26. Heidegger, Sein und Zeit, 226. Heidegger, Geschichte, 17. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 227.
41
akademischen Einschätzung der Husserl’schen Phänomenologie Folgen mit sich bringt.53 Heidegger hat ein sehr ernsthaftes Problem mit der Methode, die er für die geeignetste hält, um die Fundamentalontologie zu entwickeln: der Phänomenologie. Wie gesagt, nach Heidegger geht es in der Analyse immer darum, ans Licht zu bringen, was sich darin meldet, was sich zeigt, d. h. um das Sein. Die einzige Zugangsart zum Sein ist die Analyse des Seienden und der Weise, wie es uns in der Erfahrung gegeben wird, weil Sein immer Sein eines Seienden ist. Deshalb wird das vorrangige Seiende, nämlich das Dasein, untersucht, weil in ihm das Seinsverständnis geschieht und im solchen Verständnis das Seiende auftritt, welches das ist, was ist, d. h., das, was Sein ›hat‹. Es heißt, wenn das Sein verfolgt wird, muss die Untersuchung vom Dasein ausgehen.54 Aber Dasein ist immer in Vollzug und beim Vollzug ist das Dasein immer schon in Umgang mit dem Seienden, das das Dasein selbst nicht ist, und deswegen muss solches nicht daseinsmäßige Seiende auch in die Analyse geraten als das Vorund Mitthematische einer Seinsanalyse. Das Sein meldet sich im Umgang des Daseins mit dem innerweltlichen Seienden. Deshalb muss sich die Analyse auf die Beschreibung dieses vollziehenden – »lebendigen« – Umgangs fokussieren.55 So etwas scheint nicht so problematisch zu sein, wenn man schnell beobachtet und die Details übersieht. Aber wenn man sich an den Sinn dieser Worte hält, wird verstanden, dass Heidegger sagen will, dass eine Phänomenologie, die die Seinsfrage untersucht, keine ἐποχή vollziehen kann.56 53
54 55 56
42
In dieser Arbeit geht es nicht darum, die Beziehung von Heidegger und Husserl zu analysieren, sondern das Denken von Heidegger zu beschreiben. Wenn Heidegger eine Reform der Methode aus einem Missverständnis vollzogen hätte, wie einige verstehen, trotz der Ungerechtigkeit gegenüber Husserl, bleibt solche Missdeutung als Grund und die Kritik als Ergebnis. Diese Arbeit ist keine historische oder biographische. Aufgrund des systematischen Vorgehens dieser Untersuchung ist es das Ergebnis, nämlich die neue Fassung der Methode, was in diesem Zusammenhang wichtig ist. Wie sie entstanden ist, darf in dieser Arbeit nicht dargestellt werden, sondern nur, wie sie funktioniert und warum sie in Bezug auf die Analyse des Daseins angemessen ist, wird hier beschrieben. Zu diesem Thema: Walter Biemel, »Heideggers Stellung zur Phänomenologie in der Marburger Zeit«, hg. von Ernst Wolfgang Orth, Husserl, Scheler, Heidegger in der Sicht neuer Quellen, Phänomenologische Forschungen, 6/7 (1978); Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Hermeneutik und Reflexion: der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl (Frankfurt am Main: Klostermann, 2000); Rudolf Bernet, »Die Frage nach dem Ursprung der Zeit bei Husserl und Heidegger«, hg. von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heidegger Studies 3/4 (1987/88): 89-106; Françoise Dastur, »Heidegger und die ›Logischen Untersuchungen‹«, hg. von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heidegger Studies 7 (1991): 37-52; Rudolf Bernet, Heidegger und Husserl, Orig.-Ausg. (Freiburg ; München: Alber, 2012). Vgl. § 9. Das Dasein erkennt sich durch sein Seinsverständnis im Umgang und § 10. Das Seinsverständnis ist die wesenhafte Transzendenz der Existenz. Vgl. § 13. Das im Umgang zunächst begegnende Seiende ist kein vorhandenes Ding und § 14. Die Welt ist eine Verweisungsganzheit. Der Vollzug der ἐποχή bzw. der Mangel an ihr ist ein wesentliches Zeichen des Unterschieds zwischen der Methode Heideggers und Husserls. (Vgl. Hans-Helmuth Gander,
Die Philosophie ist nach Heidegger keine theoretische Disziplin, weil sie den Charakter der Einstellung nicht hat.57 ›Einstellung‹ ist hier im Sinne von ›Aufhören‹ gewendet. Eine Wissenschaft, die einstellungsmäßig operiert, ist nicht in der Lage, die faktische Erfahrung zu betrachten, in der das Historische geschieht. Diese Faktizität des menschlichen Daseins ist ihre stetige bedeutsame Verknüpfung mit ihrer Umgebung. Sie ist die Welt und nur in ihr offenbart sich das Historische. Wenn diese Verknüpfung ausgeschaltet wird, dann verschwindet das Phänomen des Historischen bzw. der faktischen Lebenserfahrung – der menschlichen Existenz –, so wie es ist. Demzufolge kann man behaupten, dass dies eine starke Kritik an Husserl ist, obwohl Heidegger diese nicht erwähnt wird. In der Husserl’schen Phänomenologie hält die ἐποχή das Erlebnis an und die Analyse trennt sich von der materialen Thesis der transzendenten Welt. Diese Ausschaltung der Wahrnehmung und ihres Gegenstandes führt zur Erscheinung des wahrgenommenen Seienden und zum Gewinn der Aktsphäre (Wahrnehmung) in ihrer Einheit mit ihrem Gegenstand in dem Wie seines intentionalen Gemeintwerdens. Das ist bei Husserl die Phänomenologische Reduktion und sie bleibt Reduktion eines individuellen Erlebnisses. Der Gewinn ihrer allgemeinen Strukturen ist die eidetische Reduktion, durch die das »reine Feld des Bewusstseins herausgehoben« wird.58 Die phänomenologische Reduktion, die der Vollzug der ἐποχή durch die phänomenologische Einstellung ist, geschieht durch die ›Einklammerung‹ der Wirklichkeit der Welt. Dies bedeutet, dass die Welt und die Wirklichkeit der Dinge – durch eine mentale Ausübung – unter Klammer gestellt werden. Ihre Gültigkeit und Wirklichkeit werden vernachlässigt, um die Analyse auf die Weise zu fokussieren, wie uns die Objekte in der Erfahrung gegeben werden. Dieses schon in seiner Intentionalität und in seinem intentionalen Objekt isolierte Bewusstsein wird von Husserls phänomenologischer Analyse beschrieben. Die phänomenologische Reduktion ist das wichtigste methodische Werkzeug der Husserl’schen Phänomenologie. Durch die Reduktion werden die Bewusstseinsakte ihrem Was nach (essentia) und nicht ihrer Weise zu sein nach (existentia) betrachtet. So werden die Akte ihrer Struktur nach analysiert, aber ihre Vollzugsart bleibt vernachlässigt, sodass das Phänomen des menschlichen Daseins, in dem das Seiende vorkommt, d. h., in dem das Historische geschieht, denaturiert bleibt.59 Ein Vorgehen dieser Natur wäre die Zerstörung des Phänomens, das untersucht wird, um
57 58 59
Selbstverständnis und Lebenswelt : Grundzüge einer phänomenologischen Hermeneutik im Ausgang von Husserl und Heidegger, 2., unveränd. Aufl. (Frankfurt am Main: Klostermann, 2006), 182 f.) Vgl. Martin Heidegger, Phänomenologie des religiösen Lebens, hg. von Matthias Jung, Gesamtausgabe (Frankfurt am Main: Klostermann, 1995), 62. Heidegger, Prolegomena, 137. Vgl. Heidegger, 151-157.
43
die Seinsfrage zu beantworten, weil das Sein sich uns bei dieser ständigen Verknüpfung unseres Verständnisses mit dem Seienden – beim Umgang mit dem Seienden im Vollzug unseres Daseins – offenbart. Wenn, um die Weise zu analysieren, wie wir auf das Seiende ausgerichtet sind, solche Verknüpfung ausgeschaltet wird, wird das Phänomen – so Heidegger – entkräftet und deshalb unzugänglich gemacht. Eine Phänomenologie, die das Phänomen des menschlichen Lebens durch die ἐποχή zu analysieren bezweckt, macht den gleichen Fehler wie ein Kunsthistoriker, der den künstlerischen Wert einer rituellen Maske eines Stammes aus Ozeanien einschätzen will, indem er sie in einer Vitrine in einem Museum beobachtet. Der Sinn der Maske kann nur in seinem Kontext richtig verstanden werden – der Platz, den sie bei dem Ornat und dem Schmuck auf dem Körper besitzt, sowie die Rolle, die sie beim Tanzen für den Tragenden und seine rituelle Gruppe spielt; dieser ganze Kontext verschwindet in der Vitrine, in der die Maske nur ein bedeutungsloses und sogar seltsames Artefakt zu sein scheint, da sie sich dort denaturiert befindet. Das Gleiche geschieht bei einer Deskription des Lebens durch die ἐποχή: Das Leben verliert seine ganze Lebendigkeit. Deswegen soll die Methode dieses »Werkzeug« vermeiden, um den Phänomenen bzw. den Sachen selbst treu zu bleiben. Demzufolge muss der Alltag ausgelegt und nicht in Klammern gesetzt werden. Solcher Begriff der Auslegung bzw. Hermeneutik impliziert, dass die ursprüngliche Auffassung der Welt nicht theoretisch, sondern alltäglich bzw. lebendig ist.60 Aus diesen Gründen löst die Heidegger’sche hermeneutische Phänomenologie die Husserl’sche Reduktion »stillschweigend« ab.61 Was ein Phänomenologe, der das Phänomen des Historischen analysieren will, wie es sich uns im faktischen Leben offenbart – wie Heidegger –, machen muss, ist anstatt der ἐποχή die formale Anzeige anzuwenden. Nur so kann das Mögliche als Mögliches ausgewiesen werden. Die Phänomene, die Heidegger thematisiert – Leben, Geschichte, Dasein u. a. –, sind alle durch Bewegung und Entwicklung charakterisiert. Alle solche Phänomene sind primär möglich. Es geht aber nicht darum, eine Möglichkeit zu erfassen und sie versteifen zu lassen, weil das bedeutet, sie nicht mehr möglich sein zu lassen. Eine Möglichkeit festzuhalten und zu fixieren, bedeutet, ihr den Charakter der Möglichkeit zu nehmen. Es geht vielmehr darum, sie zu betrachten, wie man einen Vogel beim Fliegen beobachtet und beschreibt, indem man ihn weiter fliegen lässt, um ihn weiter beobachten und beschreiben zu können. Nie könnte das Fliegen eines Vogels beschrieben werden, wenn dem 60
61
44
Vgl. Christoph Demmerling, »Hermeneutik der Alltäglichkeit und In-der-Welt-sein (§§ 25-38)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin ; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 85. Jean Grondin, »Die Wiedererweckung der Seinsfrage auf dem Weg einer phänomenologisch-hermeneutischen Destruktion (§§ 1-8)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin ; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 24.
Vogel das Fliegen verboten werden würde, oder im Fall der Philosophie, wenn die Wirklichkeit für gleichgültig gehalten wird. Das Werkzeug solcher Beschreibung ist die formale Anzeige, die »eine Abwehr [ist], eine vorhergehende Sicherung, sodass der Vollzugscharakter noch frei bleibt«.62 Das ist genau das, was die Maxime der Phänomenologie ›Zu den Sachen selbst‹ bedeutet, nämlich die ›Sachen‹ von den unechten Verbindungen, Vorurteilen und Belastungen der Tradition zu befreien und sie frei auf sich selbst auswirken zu lassen.63 Eine formale Anzeige fungiert demzufolge als eine »strukturell aufweisende und hinweisende Rede« und hat deswegen keinen prädikativen Charakter.64 Das kann auch in diesen Worten veranschaulicht werden: Die formale Anzeige ist die begriffliche Fassung des Fingers des Kratilos.65 Die hermeneutisch phänomenologische Forschung geht vom historischen Objekt bzw. vom alltäglich begegnenden Seienden aus und analysiert, was sich in ihm meldet, indem es solches Seiendes ausmacht, weil »der Zusammenhang des Apriorischen selbst sich immer nur aus der Sache bestimmt, die auf ihre phänomenale Struktur untersucht werden soll«66. Dies derart, dass ›Zu den Sachen selbst‹ zu gehen, keinesfalls bedeutet, sich auf die Sachen auszurichten und in ihnen zu bleiben, sondern zum Dasein als Grund aller Begegnung mit den Sachen zurückzukehren. Die Analyse der Wirklichkeit des Historischen heißt also eine Rückkehr zur Möglichkeit der Faktizität des Daseins. Jede Phänomenologie, so wie die Philosophie im Allgemeinen, ist eine menschliche Tätigkeit, die irgendwie protokolliert werden muss. Die Weise, wie diese Tätigkeit sich gliedert und registriert, vollzieht sich durch die Sprache. Demzufolge gibt es in jeder Philosophie eine Hierarchisierung von verwendeten Begriffen, sowie eine Interpretation dieser Begriffe und der Phänomene, die diesen Begriffen zugrunde liegen. So fungiert die Sprache selber als »identifizierender Bezug der Namen auf eine Sache, Erfassen des Was-seins der Sache in diesem identifizierenden Bezug, Denken des Grundes der identifizierenden Beziehbarkeit«.67 Die Sprache ist demzufolge wesenhaft Anzeige, Sprechen 62 63
64 65
66 67
Heidegger, religiöses Leben, 64. Das ist nicht der Fall in der Husserl’schen Phänomenologie. Die Husserl’sche Phänomenologie operiert mit Vorurteilen: Das kartesianische Ideal der Gewissheit, das Husserl bezweckt, setzt ein wissenschaftsgläubiges Kriterium seiner Untersuchung voraus, womit erreicht wird, dass die Sachen sich nicht aus ihnen selbst zeigen, was gegen die phänomenologische Maxime ist. Sogar der Begriff der Intentionalität wird als ein theoretisches Verhalten verstanden, das die Sehweise bedingt. Außerdem wird das Analysemodell der theoretischen Einstellung nicht im Voraus gerechtfertigt. Deswegen ist es eine vorherige Entscheidung, die nicht kontrolliert wird, und deshalb ist sie ein Vorurteil. Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 55 f. Dies kann auch so verstanden werden, dass die formale Anzeige abwehrend und hinweisend ist, indem sie beim Zeigen eine Distanz wahrt. (Vgl. Oudemans, »Heideggers ›logische Untersuchungen‹«, 88.) Heidegger, Prolegomena, 121. Heidegger, Grundprobleme, 272.
45
ist etwas anzuzeigen. Die ausgesprochenen Sätze über Sein, Zeit, Dasein »indizieren Dasein und Daseins- und Zeitstrukturen, sie indizieren das mögliche Verstehen und die in solchem Verstehen zugängliche mögliche Begreifbarkeit der Daseinsstrukturen«.68 Die phänomenologische Forschung betrachtet die Sachen, wie sie uns begegnen, aber sie beschreibt sie nicht als Sachen, sondern sie beschreibt die Strukturen, die diese Begegnung ermöglichen. Das Angezeigte ist keine bloße Eigenschaft der Sache, sondern ihre Weise zu sein. Deshalb bedarf das Verstehen bei dieser Analyse »der Umstellung auf das Indizierte selbst, das wesenhaft nie Vorhandenes ist«.69 Dies ist der Vorgang der Auslegung, der sich folglich im und durch den λόγος vollzieht, zu dem der Grundcharakter des als-etwas-Sehenlassens d. h., das ἑρμηνεύειν gehört. Die Aussagen der Phänomenologie »als […] ein ἑρμηνεύειν indizierenden Sätze haben […] den Charakter der hermeneutischen Indikation«.70 Dies ist der grundliegende Sinn einer formalen Anzeige. In der formalen Anzeige geht es darum, dass das Indizierte nach seiner Struktur beschrieben, aber in seinem Inhalt nicht beschränkt wird, sodass der Leser solcher Deskription durch sich selbst das Indizierte in der Deskription erfahren muss.71 Die Ausarbeitung der formalen Anzeige ist keine bloße Begriffsbildung. Natürlich ist eine formale Anzeige ein Begriff, der gebildet worden ist, jedoch in der Charakteristik eines Begriffs ist die Bildungsart entscheidend. Die Begriffsbildung ist das »vorgängige Heraussehen des Einen, darin Mehreres soll übereinkommen können«; 72 und um dasselbe geht es in der Ausarbeitung einer formalen Anzeige, deshalb ist sie zweifellos eine Art Begriffsbildung, aber keine bloße, sondern eine systematische und methodische, mit wissenschaftlichem Vorgehen. Bei der Begriffsbildung der formalen Anzeige kommt es nicht darauf an, wie kreativ der Philosoph oder die Philosophin ist, der oder die denkt und schreibt. Und je dunkler solche kreative Begrifflichkeit sein kann, desto inteligenter könnte er oder sie in Zeiten der Geistesarmut wirken. Es ist schon klar, dass heute solche Technik ein Verkaufsschlager sein kann! Der echten Phänomenologie geht es nicht darum, Bücher zu verkaufen, sondern die Wahrheit zu suchen. Zwecks solcher Aufgabe der Wahrheitssuche ist der λόγος als Sehenlassen das, was zur Ausarbeitung der formalen Anzeige führen soll. Die Bildung dieser neuen Begriffe ist wissenschaftlich, weil sie bezweckt das anzuzeigen, was sich darin meldet, was sich zeigt. Die Bildung dieser neuen Begriffe gehört zu dem konstruktiven Moment der Methode dazu.
68 69 70 71 72
46
Martin Heidegger, Logik: die Frage nach der Wahrheit, hg. von Walter Biemel, Gesamtausgabe 21 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1976), 410. Heidegger, 410. Heidegger, 410. Vgl. Contreras, »Hermenéutica«, 150. Heidegger, Kantbuch, 52.
Das Begreifen bzw. Erfassen von Seiendem ist das, was Heidegger unter Seinsverständnis versteht. Die formale Anzeige ist ein Werkzeug, welches ermöglicht, die Verknüpfung vom Verstandenen und Verstehen selbst philosophisch auszudrücken und so die höchste Stufe der Analyse ausmacht. »Das Seinsverständnis ist indifferent, aber jederzeit differenzierbar«.73 Nach dieser Betrachtung besteht also eine dreistufige Aufweisung des menschlichen Daseins, bei der das Formale ihre begriffliche Krönung bedeutet: Erstens ist das Verstandene (ontisch), zweitens ist das Verstehen (vorontologisch) und letztendlich ist drittens das Formale (ontologisch). Die formale Anzeige ist eine Vollzugsart des Seinsverständnisses, die die Philosophie ermöglicht. Diese Untersuchung nimmt an, dass Heidegger, aus seiner eigenen Weise die mittelalterliche Philosophie zu verstehen, die formale Anzeige in seine Phänomenologie einführt. Heidegger behauptet dieses an keiner Stelle, aber sowohl die Ähnlichkeiten der Begriffe und gemeinten Strukturen, als auch sein frühes Interesse an der Bedeutungslehre von Scotus (heutiger Pseudo-Scotus), können uns dabei helfen, seine Philosophie besser zu verstehen. Dafür sollen die Existenzialien betrachtet werden. Die Existenzialien sind die Grundbegriffe, die die menschliche Existenz in der Fundamentalontologie ausweisen. Die Existenzialien haben einerseits den Charakter der formalen Anzeigen. Andererseits tragen die Paragrafen, wo die Grundexistenzialien behandelt werden, den Titel »Da-sein als Befindlichkeit« und »als Verstehen«.74 Es heißt, das durch Heidegger in Sein und Zeit untersuchte Phänomen ist zugleich genauso vollständig Befindlichkeit wie Verstehen. Daraus wird geschlossen, dass es einen Unterschied in den Begriffen gibt, der irgendwie verstanden werden muss. Der Akt des Unterscheidens, der der Vollzug des anzeigenden Verstehens ist, wurde schon von der mittelalterlichen Philosophie bearbeitet, in der Heidegger sich sehr gut ausgekannt hat. Die drei Modi des Unterschieds (distinctio), die im Mittelalter erarbeitet wurden, sind realis, modalis (formalis) und rationis. Eine distinctio realis ist eine begriffliche Unterscheidung, die mit einem sachlichen Unterschied korrespondiert. Es bedeutet, dass die Trennung in den Begriffen als eine Wiederspiegelung einer Trennung in der Sache selber fungiert, die mit ihnen gemeint wird. Eine distinctio formalis wird durchgeführt, wo es um verschiedene formale Bestimmungen einer Sache geht. In diesem Fall geht es um eine Trennung in den Begriffen, die die Wirklichkeit der Sache nicht wiederspiegelt, weil verschiedene Begriffe versuchen, dieselbe Sache hinsichtlich ihrer Form zugleich zu beschreiben, sodass hier die Trennung der Begriffe eine Einheit in ihrem Objekt meint. Eine distinctio rationis ist eine nur begriffliche Unterscheidung. Das heißt, dass die Trennung in den Begriffen auf einer analyti-
73 74
Heidegger, Grundprobleme, 250. Heidegger, Sein und Zeit, 134; 142.
47
schen und abstrakten Weise geschieht. Es gibt keine Wirklichkeit, die mit ihnen gemeint wird. Der Unterschied zwischen den Grundexistenzialien Befindlichkeit und Verstehen darf keine distintio rationis sein, weil in der Existenzialanalytik versucht wird, das faktische Leben und nicht bloße begriffliche Beziehungen zu beschreiben. Solcher Unterschied darf auch keine distinctio realis sein, da es ein hölzernes Eisen wäre, wenn gemeint wird, dass ein Ding zugleich zwei ist. Die formale Anzeige scheint vielmehr eine Übersetzung ins Deutsche oder eine Neufassung der distinctio formalis zu sein, weil in solchem Unterschied formale Bestimmungen derselben Sache angezeigt werden, die seiner Einheit und Vollständigkeit entgegen beschrieben wird. Die formalen Anzeigen, bzw. die Existenzialien, heben Grundmomente eines Phänomens hervor, das wirklich einheitlich ist. Wenn man auf die Übersetzung von ›distinctio‹ in ›Anzeige‹ achtet, dann merkt man, dass Heidegger unter ›distinctio‹ nicht ein ›bloßes Unterscheiden‹, sondern ›Zierde‹ versteht, d. h. eine Heraushebung bzw. Betonung. Anzeige bedeutet Heraushebung, in dem Sinne, dass eine Auszeichnung angegeben wird, wie, wenn ein Soldat ausgezeichnet – dekoriert – oder das Vieh mit Brandzeichen versehen wird. Anzeige ist eine Heraushebung der Phänomene von der Existenz her und ist von der »abfallenden Tendenz der faktischen Lebenserfahrung [gegeben], die stets ins Objektmäßige abzuleiten droht«.75 Im Falle des Philosophierens geht es um eine formale Heraushebung; deshalb ist dadurch keine Trennung im Phänomen gemeint. Demzufolge bedeutet ›Anzeige‹ als Neufassung von distinctio nicht primär bloß Zeigen, sondern in ihr ragt der Sinn des Heraushebens bzw. des Hervorhebens beim Zeigen über, weil das Getrennte bei der Trennung auch mitgezeigt wird. Nur, weil die Anzeige eine Hervorhebung ist, kann sie hinsichtlich des nicht Hervorgehobenen als ein Trennen bzw. ein Unterscheiden verstanden werden. So unterscheidet man, was dasselbe ist: formal. Die formale Anzeige als Vollzug des Seinsverständnisses von etwas (conceptus formalis) drückt die μορφή aus, d. h., das, was Etwas ausmacht. Deswegen ist sie nicht formal im Sinne vom inhaltlich Leer – sie ist nichts formalistisches –, sondern in dem Sinne, dass sie auf die Form, d. h. auf die ermöglichenden Strukturen des Seins eines Seienden, hinweist.76 In diesem formal-ontologischen Sinne werden die Phänomene hinsichtlich dessen betrachtet, wie sie uns im faktischen Leben gegeben werden. Das Phänomen »wird bestimmt als Erfaßtes; als das, worauf der erkenntnismäßige Bezug geht«.77 Und in diesem Sinne können wir den Begriff, der solchen Bezugssinn anzeigt, als formal bzw. eine formale Anzeige erachten.
75 76 77
48
Heidegger, religiöses Leben, 64. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 117. Heidegger, religiöses Leben, 61.
Die formale Anzeige lässt das Faktische erscheinen so – geschichtlich und bedeutsam –, wie es ist. Und macht es so, dass einerseits direkt mit dem Phänomen umgegangen wird und es andererseits im Gespräch mit der Tradition bleibt.78 Solches Gespräch mit der Tradition hat aber in der hermeneutischen Phänomenologie auch eine eigentümliche Struktur. § 5. c. Reduktion, Konstruktion und Destruktion. Die Grundmomente der hermeneutisch phänomenologischen Forschung Die Phänomenologie kümmert sich darum, zu zeigen bzw. anzuzeigen, was sich meldet in dem, was sich zeigt. Solches Anzeigen ist die Aufgabe der Phänomenologie als Methode der Philosophie. Das Sich-im-sich-Zeigenden-Meldende bzw. das, was das Seiende ausmacht und als Seiendes begegnen lässt, ist das Sein. Genau deswegen behauptet Heidegger, »das Erfassen des Seins, d. h. die ontologische Untersuchung geht zwar zunächst und notwendig je auf Seiendes zu, wird aber dann von dem Seienden in bestimmter Weise weg- und zurückgeführt auf dessen Sein«.79 Demzufolge müssen jetzt die Mittel dieses Vorgehens, nämlich die Grundstücke der hermeneutisch phänomenologischen Methode, dargestellt werden. Die hermeneutische Phänomenologie ist keine Entscheidung über die Struktur der menschlichen Erfahrung, sondern eine Behandlungsart mit den Phänomenen, d. h. ein Zugang zum Grund solcher Erfahrung durch sie selbst. Das Sein ist früher als das Seiende und als Grund gilt es als philosophisches Thema schlechthin. Das Sein hat einen aprioristischen Charakter gegenüber dem Seienden. Deshalb verlangen seine Strukturen »eine bestimmte Zugangsart und Erfassungsweise des Seins: die apriorische Erkenntnis«.80 Diese Tendenz der Untersuchung zur Entdeckung und Bestimmung der ermöglichenden Strukturen ist nach Heidegger »die Methode jeder wissenschaftlichen Philosophie, die sich selbst versteht«, welche er auch unter dem Namen »Apriorismus« kennt.81 Heidegger versteht, dass die Grundstücke der hermeneutischen Phänomenologie keine nebeneinanderliegenden Stücke einer Methode sind, wie es die Momente der empirischen Kontrastierung für die Naturwissenschaften wären. Die phänomenologische Methode der philosophischen Forschung ist keine Methodologie, die »Schritte« beibringt oder ein »Handbuch« vertritt oder die schon vom Inhalt der bezweckten Antworten bestimmt ist, sondern sie hat vielmehr einen methodischen Charakter, der einige Kriterien für die Vorgehensweise für den Versuch angibt, die Leitfrage bei der Behandlung der Phänomene zu beantworten, weil »der Zusammenhang des Apriorischen selbst sich immer 78 79 80 81
Vgl. Trawny, Martin Heidegger, 23 ff. Heidegger, Grundprobleme, 28. Heidegger, 27. Heidegger, Sein und Zeit, 50.
49
nur aus der Sache bestimmt, die auf ihre phänomenale Struktur untersucht werden soll«.82 Diese Kenntnis, die das Vorgehen der Methode strukturiert, ist im besonderen Sinne a priori. Sie weist darauf hin, wie die Forschung im Sinne des Gewinnens des Phänomens durchgeführt werden muss. Das Phänomen ist eine Aufgabe und die Kenntnis des Wie der Durchführung dieser Aufgabe hat den Charakter des Apriori. Die Phänomenologie ist in diesem Sinne eine apriorische Kenntnis, die sich um die apriorische Erkenntnis selbst – Sein und Seinsstrukturen – bemüht.83 Demzufolge ist sie eine philosophische Vorgehensart, welche den Grund dessen, was sich zeigt, zur Untersuchung hat. Eine solche Vorgehensart muss dafür aber über gewisse frühere Postulate über das Gewinnen des Untersuchten hinausgehen. Deshalb ist »die Schwierigkeit echt phänomenologischer Arbeit« genau, »sie gegen sich selbst in einem positiven Sinne kritisch zu machen«.84 Die Phänomenologie als Phänomenologie kann und muss sich ständig gegen sich wenden, nicht nur, um die Ergebnisse der Untersuchung, sondern auch die Weise, wie eine solche Untersuchung durchgeführt wird, zu kontrollieren. Die ›Sachen‹, mit denen die Phänomenologie sich beschäftigt, sind die Phänomene. Die phänomenologische Maxime ›Zu den Sachen selbst‹ bedeutet deswegen ›Zu den Phänomenen selbst‹. Es wurde schon gezeigt, dass die Phänomene nicht das sind, was sich uns im Alltag unmittelbar zeigt, sondern das, was sich an sich selbst zeigt und sich meldet in dem, was sich zeigt. Deshalb wurde das Phänomen als Aufgabe charakterisiert, weil es ›gefunden‹, ›bestimmt‹, ›erfasst‹ und ›interpretiert‹ werden muss. Der Weg zu dem Phänomen ist kein deduktives Vorgehen, wie jenes Vorgehen, das in der Logik durchgeführt wird, oder jenes Vorgehen, das im Mittelalter und der scholastischen Philosophie gewöhnlich war. Der hermeneutisch phänomenologischen Methode »geht es aber nicht um eine Deduktion von Sätzen und Satzfolgen auseinander, sondern um die Ausarbeitung des Zuganges zu den Sachen, aus denen erst Sätze geschöpft werden sollen«.85 Eine Methode, die auf einer Deduktion von Sätzen und Satzfolgen beruht, muss von gewissen Prämissen ausgehen, deren Wahrheit bereits angenommen worden sein muss. Solches Vorgehen, das der Annahme der Wahrheit von Prämissen unterliegt, hat das Problem der Aufnahme von Vorurteilen in den wissenschaftlichen Theorien. So schlussfolgert man z. B., dass die Seele nicht räumlich sein kann, weil sie sonst sterblich wäre. Dann schließt man, dass das Wesen des Menschen nicht räumlich ist, weil man schon von vornherein entschieden hat, dass der Mensch unsterblich sei. Die hermeneutische Phänomenologie behauptet, dass so ein nicht unter Frage gestelltes Vorur-
82 83 84 85
50
Heidegger, Prolegomena, 121. Vgl. S. 73 Heidegger, Prolegomena, 119. Heidegger, 198.
teil »immer verhindert, die Dinge zu sehen wie sie sind«.86 Die phänomenologische Forschung versucht sogar, sich gegenüber der Forschung anderer Wissenschaften durch die Untersuchung des Grundes der Erfahrung, auf dem jedes naturwissenschaftliche Experiment beruht, einen Vorsprung zu verschaffen. Demgegenüber bleibt die deduktive Logik der Methode der anderen Wissenschaften, die das schon Entdeckte nur bestätigt, immer nachhinkend.87 Die Momente dieses nicht deduktiven Vorgehens stellen die Grundpfeiler der phänomenologischen Methode dar. Die hermeneutisch phänomenologische Reduktion ist für Heidegger eines der Grundpfeiler der Methode, aber sie wird in Vergleich zur Husserl’schen Reduktion stark neugefasst. Bei Husserl ist die Reduktion eine Rückführung von der natürlichen zur phänomenologischen Einstellung, in der die Objekte sich als Bewusstseinskorrelate konstituieren. Sie ist also der Vollzug der ἐποχή. Bei Heidegger ist die hermeneutisch phänomenologische Reduktion dagegen »die Rückführung des untersuchenden Blicks vom naiv erfaßten Seienden zum Sein«,88 d. h., ›zu den Sachen selbst‹ gehen im Sinne von der Suche nach dem, was sich-an-ihm-selbst-zeigt beim Sich-melden in dem, was sich zeigt. Die hermeneutisch phänomenologische Reduktion ist »die Rückführung des phänomenologischen Blickes von der immer bestimmten Erfassung des Seienden auf das Verstehen des Seins (Entwerfen auf die Weise seiner Unverborgenheit) dieses Seienden«.89 Die Rückführung des Blickes führt die Forschung dazu, vom alltäglich begegnenden Seienden her zu beginnen, und von dieser Erfahrung aus sich auf dessen Sein und auszumachenden Seinsstrukturen zu richten. Ausgehend davon richtet sich die Forschung nach dem Sein überhaupt. Die hermeneutische Phänomenologie ist eine Rückkehr zur Wurzel, aus der alles ermöglicht wird, was die menschliche Erfahrung konstituiert – alles, was wir ›Leben‹ nennen. Deshalb hat die Daseinsanalytik den Charakter, »existenziell d. h. ontisch verwurzelt« zu sein,90 weil die phänomenologische Analytik bezweckt, sich zu richten auf das, woraus etwas entsteht und möglich wird. Die Auslegung von etwas als Wurzel bedeutet, die Aufhellung dessen, wie dieses etwas aus sich entwachsen lässt, und sie hält und führt von selbst in die Verwurzelung dieser Wurzel zurück.91 Die Phänomenologie bezweckt nicht nur, den Blick zu den Bedingungen der Möglichkeit zurückzuführen, sondern auch, die ganze thematische Analytik in diese Richtung zu führen. So zieht man solche Bedingungen nicht nur in Erwägung, sondern macht sie zum Objekt der philosophischen Arbeit. 86 87 88 89 90 91
Heidegger, Logik, 292. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 10. Heidegger, Grundprobleme, 29. Heidegger, 29. Heidegger, Sein und Zeit, 13. Vgl. Heidegger, Kantbuch, 196.
51
Die Rückführung des Blicks erfordert eine »Begleitung« zum Sein. Das Sein muss »jeweils in einem freien Entwurf in den Blick gebracht werden«,92 in dem das Seiende sich in seinem Sein und seinen Seinsstrukturen zeigt. Diesen Entwurf, der positiv die Forschung bewegt, nennt Heidegger hermeneutisch phänomenologische Konstruktion. Das Sein ist der Zweck der Forschung, aber solches ist nicht so zugänglich wie Seiendes. Im alltäglichen Umgang mit dem Seienden begegnet uns unmittelbar nur das Seiende, während das Sein verborgen im Sich-mit-zeigen beim Sich-melden bleibt. Wegen dieser Struktur der menschlichen Erfahrung wird es dann nötig – wenn der Blick schon zurückgeführt worden ist – ein »Entwerfen des vorgegebenen Seienden auf sein Sein und dessen Strukturen« zu vollziehen.93 Dieses Entwerfen macht den konstruktiven Moment der hermeneutischen Phänomenologie aus. Wenn die Forschung sich auf ihren Grund richtet und die ermöglichenden Strukturen des Seins des begegnenden Seienden entwirft, dann wird der Phänomenologie selbst ihre eigene Struktur als Frage nach dem Sein des Seienden durchsichtig. Wie Heidegger es auch in anderen Worten ausdrückt: Beim Durchkonstruieren des Wesens der endlichen reinen Vernunft »wird der Wesensbau der Ontologie sichtbar. Als so enthüllter bestimmt er zugleich die Konstruktion der ihm notwendigen Fundamente«.94 Die Phänomenologie kritisiert sich und wird dadurch ihrer selbst durchsichtig bei ihrem Vollzug. Die Ontologie bezieht sich auf das menschliche Dasein, deshalb ist sie geschichtlich. Daraus leitet sich ab, dass sowohl, wie das Seiende sich versteht, als auch die Zugangsarten zu ihm, variabel sind. Die Wesensstruktur der Existenz desjenigen, der forscht bzw. desjenigen, der die Phänomenologie durchführt, verlangt »ein[en] kritische[n] Abbau der überkommenen und zunächst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind«.95 Der Forscher ist menschlich und geschichtlich und erforscht das Denken anderer geschichtlichen Menschen, die ihre Gedanken in anderen Kontexten, Zeiten, Welten ausgearbeitet haben. Deshalb muss die phänomenologische Untersuchung den Vorgang der kulturellen und historischen Assimilation der Begriffe und Gedanken der Vergangenheit in seinen Ursprung zurückführen, damit diese Weltanschauung heute gewissermaßen wieder erfahren werden kann, obwohl dies in der Tat unmöglich ist. Dies ist, was Heidegger die hermeneutisch phänomenologische Destruktion nennt. In anderen Worten: »Soll für die Seinsfrage selbst die Durchsichtigkeit ihrer eigenen Geschichte gewonnen werden, dann bedarf es der Auflockerung der verhärteten Tradition und der Ablösung der durch sie gezeitigten Verdeckungen«.96 In der hermeneutisch phänomeno92 93 94 95 96
52
Heidegger, Grundprobleme, 29. Heidegger, 29. Heidegger, Kantbuch, 42. Heidegger, Grundprobleme, 31. Heidegger, Sein und Zeit, 22.
logischen Destruktion geht es nicht darum, »mit diesen zwei Jahrtausenden aufzuräumen und sich selbst an die Stelle zu setzen«,97 sondern um die Möglichkeit, dass die schlechten Sachwalter der Tradition bekämpft werden, indem man sich bemüht, den Grundproblemen der Philosophie eine Gelegenheit zur Verwandlung zu verschaffen. Durch diese Möglichkeit der Überprüfung sowohl der Tradition als auch des Ursprungs der Begriffe, die zu uns aus ihr kommen, »kann sich [erst] die Ontologie phänomenologisch der Echtheit ihrer Begriffe voll versichern«.98 Aus diesem Zusammenhang wird folglich deutlich, dass die abgebaute Tradition zugleich verstanden werden soll, deswegen wird verständlich, dass die Aufgabe der Destruktion der Auslegung bzw. Hermeneutik bedarf.99 Die phänomenologische Destruktion ist der kritische Grundmoment, der die hermeneutische Phänomenologie wesenhaft charakterisiert. Die hermeneutische Phänomenologie ist eine phänomenologische Hermeneutik.100 Die hermeneutisch phänomenologische Destruktion ist ein Merkmal, das die hermeneutische Phänomenologie von der Husserl’schen stark unterscheidet. Die Hermeneutik von Heidegger ist in diesem Sinne eine Korrektur der Phänomenologie.101 Der Ursprung dieses Unterschieds könnte nicht nur daran liegen, dass Heidegger sich in der philosophischen Tradition offensichtlich besser als Husserl auskennt, sondern auch, dass Heidegger die Philosophie als eine historische Disziplin versteht, die immer unter Kritik sein soll. Die Versäumnisse der Philosophie überhaupt und sogar der Phänomenologie im Einzelnen, welche die Destruktion zum Vorschein bringen soll, sind nicht zufällige Nachlässigkeiten der Philosophen, sondern in diesen Versäumnissen offenbart sich die Geschichte unseres Daseins selbst – Geschichte nicht als die Gesamtheit der öffentlichen Ereignisse verstanden, sondern Geschichte als die Geschehensart des Daseins selbst.102
Die phänomenologische Destruktion ist ein Versuch, einem Grundcharakter des menschlichen Daseins philosophisch entgegenzuwirken. Dieser Charakter der Geschichtlichkeit betrifft negativ den Zugang, welchen die Menschen zur »Wahrheit« haben können, sodass es keine ewigen Wahrheiten, sondern nur historisch gewonnene Wahrheiten gibt und geben kann. Und das gerade, weil 97 98 99 100 101
102
Heidegger, Anfangsgründe, 197. Heidegger, Grundprobleme, 31. Vgl. Grondin, »Wiedererweckung der Seinsfrage«, 23. Vgl. Gander, Selbstverständnis und Lebenswelt, 169-242. Vgl. Jean Grondin, »Hermeneutik. Das Gespräch in der Vorlesung ›Hermeneutik der Faktizität‹ und in folgenden Schriften«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 46. Dafür zwei Gründe: Erstens verbietet der hermeneutische Charakter des Daseins eine reine Beschreibung der »Sachen selbst«. Zweitens könnte das Phänomen verdeckt sein, deswegen ist eine Destruktion der Verdeckung nötig. Diese Untersuchung hält diese zwei Gründe für einen, weil der zweite in Wirklichkeit nur eine methodische Antwort auf den ersten ist. Heidegger, Prolegomena, 179.
53
Was Phänomen der Möglichkeit nach ist, ist gerade nicht als Phänomen gegeben, sondern erst zu geben. Die Phänomenologie ist gerade als Forschung die Arbeit des freilegenden Sehenlassens im Sinne des methodisch geleiteten Abbauens der Verdeckungen.103
Die phänomenologische Methode der Forschung hat einen methodischen Charakter, nicht einen methodologischen. Das bedeutet, dass die hermeneutisch phänomenologische Konstruktion, Destruktion und Reduktion keine aufeinander folgenden Schritte einer Forschung sind, deren Durchführung die Richtigkeit der Behandlung des Themas sowie einen Ergebnisgewinn der ontologischen Forschung garantieren würde. Die hermeneutische Phänomenologie hat die Vorgehensweise der Naturwissenschaften nicht, was dennoch nicht heißt, dass sie keine Wissenschaft ist, sondern vielmehr, dass sie eine echte Wissenschaft einer anderen »Natur« ist. Diese ausmachenden Stücke der Methode sind zu befolgende Kriterien und Vorgehensweisen, die die philosophisch-wissenschaftliche Tätigkeit im Allgemeinen charakterisieren. Die hermeneutische Phänomenologie hat keinen Schritt, sondern Momente. Kein Moment geht dem anderen voraus, sondern alle werden gegliedert mit durchgeführt. Die hermeneutisch phänomenologische Methode ist eine konstruktiv zurückführende Destruktion, um es auf eine der mehreren möglichen Weisen zu sagen. Die Grundpfeiler bzw. –momente der Methode »gehören inhaltlich zusammen und müssen in ihrer Zusammengehörigkeit begründet werden«.104 Die Konstruktion der Philosophie – als Entwurf, der die Grundphänomene ans Licht zu bringen bezweckt – ist zugleich Destruktion ihrer Geschichte – als Freigabe des Zugangs zu den durch die Missdeutungen der Tradition verdeckten Phänomenen. Diese destruktive Konstruktion kann in die richtige Richtung vorankommen, wenn sie zugleich eine Rückführung des Blicks vom Seienden zu dessen Sein ist. Erst jetzt kann verstanden werden, dass Phänomenologie bedeutet: »das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen«.105 Phänomenologie ist eine begriffliche Erklärung, die die Grundprobleme unserer abendländischen philosophischen Tradition, d. h. die Seinsstrukturen und Bedingungen der Möglichkeit des Seins, untersucht, und sie tut es, indem sie versucht, sich von jeder Voraussetzung zu befreien. Die Weise, wie Destruktion und Konstruktion ineinander greifen, ermöglicht die Rückkehr zur Tradition derart, dass die positive bzw. historische Aneignung möglich wird. Das erbringt das wesentliche Ergebnis, dass »philosophische Erkenntnis […] ihrem Wesen nach zugleich in einem bestimmten Sinne historische Erkenntnis [ist]«.106 Die hermeneutische Phänomenologie ist eine selbst kritische, echte, und tapfere Eröffnung eines Zugangs zum Grund der Phänomenalität überhaupt als Behandlungsart der Philosophie. Damit ist der Begriff der hermeneutischen Phänomenologie 103 104 105 106
54
Heidegger, 118. Heidegger, Grundprobleme, 31. Heidegger, Sein und Zeit, 34. Heidegger, Grundprobleme, 31.
erklärt worden. Ihr Vorgehen und Zugangsvermögen ist dadurch klar. Die Aufgabe der Untersuchung ist jetzt zu erklären, wie dieses Vorgehen mit der Philosophie selbst umgeht. Philosophie ist Philosophieren, und im Philosophieren geht es immer um etwas, sowie Philosophieren nur in einer gewissen Tradition möglich ist. Die nächste Aufgabe ist also die Erläuterung der Methode in Verbindung mit seinem Objekt: Die hermeneutische Phänomenologie als eine historische Ontologie.
55
Kapitel II: Der Weg der Untersuchung Jede wissenschaftliche Untersuchung muss einen Zweck haben. Diese Untersuchung hat einen doppelten Zweck: einerseits bezweckt sie eine Anwendung der hermeneutisch phänomenologischen Methode, andererseits die Entdeckung und Ausarbeitung einer verborgenen Struktur der Fundamentalontologie. Um den ersten Zweck zu erfüllen, muss diese Untersuchung ihren Weg bestimmen, welcher das Unterscheiden zwischen dem Seienden und seinem Sein ist (§ 6. Die ontologische Differenz ist der Leitfaden dieser Untersuchung). Solches Unterscheiden zeigt sich dann als der Weg der Bestimmung des Seins überhaupt (§ 7. a. Philosophie als Wissenschaft von Sein), was letztendlich die Methode selbst als Fundamentalontologie bestimmt (§ 7. b. Phänomenologie als Fundamentalontologie). Sobald ersichtlich wurde, was der Zweck und der Weg der Untersuchung ist, wird es dann notwendig zu erklären, wie diese Anwendung der hermeneutischen Phänomenologie geschieht. Besonders, wenn das Objekt solcher Anwendung die Fundamentalontologie selbst ist. Jede hermeneutische Phänomenologie ist wesenhaft eine Wiederholung, aber besonders diese. Die Erklärung des Sinnes der Phänomenologie als Wiederholung ist ebenfalls notwendig, weil in ihm sich der Sinn der Philosophie als echtes Denken ausdrückt (§ 8. Die hermeneutische Phänomenologie ist Wiederholung).
§ 6. Die ontologische Differenz ist der Leitfaden dieser Untersuchung Die ontologische Differenz wird in dieser Arbeit thematisiert, problematisiert und erklärt. Dafür muss zuvor dargestellt werden, worum es in ihr geht und welche Rolle sie in dieser Untersuchung spielt. Solche ist die jetzt zu übernehmende Aufgabe. Die sogenannte ontologische Differenz wurde von Heidegger in Sein und Zeit kaum erwähnt, obwohl sie die Grundanalytik des Daseins durch und durch geprägt hat. Wenn man die Daseinsanalytik, die Heidegger in den Prolegomena durchgeführt hat, streng betrachtet, ist es einfach zu bemerken, dass ein solcher Versuch ein Prototyp von Sein und Zeit ist, und dass es nur ein Prototyp sein kann, weil ihm noch die theoretischen Werkzeuge fehlen, die aus Sein und Zeit eine »gut funktionierende Maschine« gemacht haben.1 Diese theoretische Werkzeugpalette wurde von Heidegger ausgearbeitet, indem er die ontologische Differenz als Leitprinzip der Analytik eingeführt hat. Die typischen Hei1
Zur Beziehung von den Prolegomena zu Sein und Zeit: Theodore Kisiel, »Der Zeitbegriff beim früheren Heidegger (um 1925)«, hg. von Ernst Wolfgang Orth, Phänomenologische Forschungen, Phänomenologische Forschungen, 14, Nr. Zeit und Zeitlichkeit bei Husserl und Heidegger (1983).
57
deggerschen unterscheidenden Termini wie ›existenzial‹, ›existenziell‹, ›vorontologisch‹, ›ontologisch‹ und ›ontisch‹, deren Verständnis für das Verständnis der Fundamentalontologie grundlegend ist, wurden aufgrund der ontologischen Differenz ausgearbeitet. Heidegger bezeichnet sie sogar als das grundsätzliche Seinsproblem und als eines der Grundprobleme der Phänomenologie.2 In der Problematik der ontologischen Differenz ist die Forschung im Kern des fundamentalontologischen Problems gelandet. Die ontologische Differenz »bildet die eigentliche Grundstruktur von Heideggers Philosophie«.3 Worum geht es aber in der ontologischen Differenz? Heidegger antwortet mit der Behauptung: »›Sein‹ ist nicht so etwas wie Seiendes«,4 d. h., was das Sein ›ist‹, kann nicht Seiendes sein und was das Seiende ist, ist nicht das Sein. Kurz gesagt: die ontologische Differenz ist »die Scheidung zwischen Sein und Seiendem«.5 Dies scheint von Anfang an ein Problem zu sein: Einerseits scheint logisch, dass das Sein nicht gleich wie Seiendes ist, so wie das Singen nicht gleich wie das Singende ist. Anderseits besteht das Problem in Folgendem: Wenn man eine Theorie des Seins ausarbeiten will, dann muss man die Sprache verwenden, um eine Charakteristik des Seins zu schaffen, und in einem solchen Text wird gesagt: »Das Sein ist das und das«. Wenn es sich ergibt, dass das Sein »ist«, dann ist solches Sein ein Seiendes und deshalb wäre die ontologische Differenz Unsinn.6 Dieses Problem löst sich durch die hermeneutisch phänomenologische Methode, die eine Erklärung und Bestimmung des Seins des Daseins als Verständnis ihres eigenen Seins und des Seins des nicht daseinsmäßigen Seienden aus der Perspektive des Daseins liefert. So kann verstanden werden, dass das Sein nicht ist, sondern dass es im Dasein existiert als das Sein des Seienden derart, dass das Sein ein Nichts – eine Leere – konstituiert, das ein Etwas bestimmt.7 Bei diesem Unterscheiden, in dem »beide Unterschiedenen [Sein und Seiendes] sich gegeneinander abheben, wird das Sein dabei mögliches Thema eines Begreifens (Logos)«.8 Dieses Unterscheiden, das als der Vollzug des λόγος geschieht, der nach der Wahrheit des Sich-zeigenden strebt, d. h., der sich phänomenologisch vollzieht, ist die ontologische Differenz. Um gut verstehen zu können, was die Problematik der ontologischen Differenz bedeutet, soll zuerst verstanden werden, was die Momente solchen Unterscheidens sind und welches Verhältnis diese zueinander haben. Also sollen die Termini Sein und Seiendes irgendwie definiert werden, bevor ihr Zusammenhang verstanden werden kann. Diese Aufgabe ist von Anfang an ein Vollzug 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 94; vgl. Heidegger, Grundprobleme, 25. Trawny, Martin Heidegger, 59. Heidegger, Sein und Zeit, 4. Heidegger, Grundprobleme, 22. Vgl. Heidegger, Geschichte, 29. Vgl. S. 193. Heidegger, Grundprobleme, 454.
58
des phänomenologischen λόγος, weil die hermeneutische Phänomenologie Konstruktion ist. Weil die ontologischen Bestimmungen durch Verallgemeinerungen nicht erreicht werden können, sondern diese nur Eigenschaften nennen können,9 müssen diese ontologischen Begriffe von und aus dem λόγος aufgeworfen werden, sodass er die Form dessen anzeigen kann, was in der Rede die ›Rede‹ ist. Zwar ist das Sein immer vom Seienden zu unterscheiden, aber Sein ist immer Sein des Seienden, deswegen bedeutet es letztendlich, dass, sofern das Vorkommen des Seienden als Zur-Präsenz-kommen geschieht, solche Präsenz sich darin und dadurch meldet, was vorkommt bzw. zur Präsenz kommt. Es gibt kein Zur-Präsenz-kommen an sich. Die ontologische Differenz ist eine phänomenologische Konstruktion. Diese Disziplin des Unterscheidens vom Seienden und seinem Sein ist das, was auch »Wissenschaft vom Sein« heißt.10 Wir bewegen uns immer zunächst und zumeist in einem gewissen Verstehen vom Seienden, das wir selbst sind, aber auch das wir selbst nicht sind, was uns im alltäglichen Umgang begegnet. In diesem Sinne »[ist] Seiend […] alles, wovon wir reden, was wir meinen, wozu wir uns so und so verhalten, seiend ist auch, was und wie wir selbst sind«.11 Seiendes ist alles, wovon wir sagen können, dass es ›ist‹. Demgegenüber kann das Sein nicht als ein Seiendes vergegenständlicht werden. Das Sein ist niemals etwas Bestimmtes, das uns als Seiendes begegnet, sondern das Bestimmende, das Begegnenlassen. »Sein liegt im Daß- und Sosein, in Realität, Vorhandenheit, Bestand, Geltung, Dasein, im »es gibt««.12 Wenn man an das Sein denkt, denkt man aber an nichts. Es gibt nichts, was vorkommt, wenn man an das Sein denkt, dennoch denkt man das Sein ständig. Der Begriff des Seins ist so schlicht, dass eine Bestimmung von dem, was er bedeutet, nach der traditionellen Philosophie fast unmöglich ist.13 Bei interpretativen Texten stellt Heidegger seine Begriffe mit jenen der Tradition gleich. Das ist wichtig im Hinterkopf zu behalten, sofern hier Heidegger selbst interpretiert werden soll. Bei der Kantinterpretation erklärt er beispielsweise ›Wirklichkeit‹ und ›Existenz‹ mit dem Begriff ›Sein‹,14 um die ontologische Differenz zu erklären, sodass von ihm die Kantthese »Sein ist kein reales Prädikat« als »Sein ist kein Seiendes« interpretiert wird.15 Ist das Sein des Seienden, von dem Heidegger immer spricht, dieses Sein als Wirklichkeit, oder deutet es an, dass das Sein des Seienden und das Sein überhaupt nicht dasselbe sind? Dieses Problem, das sich anhand der ontologischen Differenz eröffnet, ist der Leitfaden dieser Untersuchung. Die ontologische Differenz ist für die Fundamentalontologie grundsätzlich, weil die Entwick9 10 11 12 13 14 15
Vgl. Heidegger, Geschichte, 214. Vgl. § 7. a. Philosophie als Wissenschaft von Sein Heidegger, Sein und Zeit, 6 f. vgl. Heidegger, Prolegomena, 195. Heidegger, Sein und Zeit, 7. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 18. Vgl. Heidegger, 58. Heidegger, 77.
59
lung ihrer Problemstellung sich mit der Untersuchung nach einer Antwort auf die Seinsfrage identifiziert. Demzufolge behauptet Heidegger: »Das Gefragte der auszuarbeitenden Frage ist das Sein, das, was Seiendes als Seiendes bestimmt, das, woraufhin Seiendes, mag es wie immer erörtert werden, je schon verstanden ist. Das Sein des Seienden ›ist‹ nicht selbst ein Seiendes«.16 Das Bestimmte (Seiendes) kann zwar nur dank des unbestimmten Bestimmenden (Sein) sein, was es ist, aber das unbestimmte Bestimmende kann auch nur in der Bestimmung des Bestimmten stattfinden, deswegen gibt es kein isoliertes Sein, sondern »Sein ist jeweils das Sein eines Seienden«.17 Aber auch, wenn das Seiende von einer Seinsverfassung charakterisiert wird, ist dieses verfassende Sein selbst nie ein Seiendes. Seinsverständnis ist das Verstehen des Seins des Seienden, durch das das Seiende sein kann, was es ist. Sein ist dem Seienden gegenüber ermöglichend, d. h. a priori.18 Der Unterschied ist also vielschichtiger als die klassische Formel »Sein ist kein Seiendes«. Die ontologische Differenz ist nicht nur ein Unterschied von Sein und Seiendem, sondern auch von ihnen beiden und dem Verstehen, in dem diese beiden existieren. In der Analytik des Daseins spielt die ontologische Differenz eine wichtige Rolle, z. B. um zu verstehen, was ein hermeneutischer Moment der phänomenologischen Deskription (eine ontologische Erklärung) ist und, was ein zu beschreibendes Phänomen (ontisch-vorontologisches Geschehnis) ist. Die Explikation des Seins des Daseins, die von der hermeneutisch phänomenologischen Methode durch die formale Anzeige durchgeführt wird, »bringt uns existenzial zu Begriff, was ontisch-existenziell schon erschlossen ist«,19 d. h. das Sein des Seienden, das immer schon ›lebendig‹ ist, geht dazu über, ›begrifflich‹ zu einer Theorie zu gehören, aber immer in Verbindung mit diesem Leben, das ausgesprochen wird. Aus dieser Perspektive trennt »dieser Unterschied […] nicht, sondern bindet gerade an das Seiende«.20 Die Strukturen, die die Seinsweise des Daseins charakterisieren, sind die Existenzialien, zu denen der Charakter der formalen Anzeige gehört. Sie gehören zum Seinsverständnis dazu. Und deswegen kann zwischen dem Verständnis und dem Verstandenen wiederum unterschieden werden. Die ontologische Differenz lässt sich demzufolge so ausdrücken: Das Verstehen ist nur am Verstehen des Verstandenen auf einen schon eröffneten Horizont hin möglich, d. h., die Erschlossenheit des Seins geschieht nur als die Entdeckung des Seienden in der Welt. Dieses so ontologisch charakterisierte Phänomen ist die Transzendenz. Das Sein liegt immer über uns hinaus, sodass das Sein eines Seienden immer als ein Überschrei16 17 18 19 20
60
Heidegger, Sein und Zeit, 6. Heidegger, 9; vgl. Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der antiken Philosophie, hg. von Franz-Karl Blust, Gesamtausgabe 22 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1993), 8-9. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 27. Heidegger, Sein und Zeit, 196. Heidegger, Geschichte, 30.
ten zu verstehen ist.21 Dieses Transzendieren des Daseins im Seinsverständnis ist der Grund der ontologischen Differenz. Zur Grundverfassung des Seienden, das je meines ist, das je ich selbst bin, gehört das In-der-Welt-sein. Selbst und Welt gehören zusammen, sie gehören zur Einheit der Verfassung des Daseins und bestimmen gleichursprünglich das ›Subjekt‹. Mit anderen Worten, das Seiende, das wir je selbst sind, das Dasein ist das Transzendente.22
Dass die menschliche Existenz von der Transzendenz wesenhaft konstituiert ist, bedeutet, dass das Dasein ontologisch-existenzial sein Da ist. Das Dasein ist nie ein isoliertes Seiendes, sondern ist immer »außerhalb« von ihm selbst. Das Dasein vollzieht sein Sein in seiner Welt, d. h., es vollzieht sein Verstehen als eine Welt. Der Grund dieses Vollzugs ist, wie Heidegger auslegt, die Zeit. »Die ekstatische Zeitlichkeit lichtet das Da ursprünglich«.23 Die Konstitution dieses zeitlichen Da der verstehend transzendenten Welt, ist die Entstehung des ermöglichenden Horizonts des Verstehens vom Sein des Seienden. »Die Welt ist weder vorhanden noch zuhanden, sondern zeitigt sich in der Zeitlichkeit. Sie ›ist‹ mit dem Außer-sich der Ekstasen ›da‹. Wenn kein Dasein existiert, ist auch keine Welt ›da‹«.24 Was als Unterschied zwischen Sein, Seiendem und Verstehen charakterisiert wurde, ist jetzt der Unterschied von Welt und innerweltlichem Seienden. Die Zusammengehörigkeit von Verstehen und Welt ist das Phänomen des Seins des Seienden. Die ontologische Differenz ist nichts, was entdeckt wird (Seiendes), sondern, was vollzogen werden muss. Solcher Vollzugscharakter offenbart den Seinscharakter der ontologischen Differenz.25 Die Philosophie – und besonders die hermeneutische Phänomenologie – wird bei ihrem Vollzug in der Weise seiner Ausübung bzw. bei der Behandlung der untersuchten Probleme geleistet, sodass die Antwort auf die Frage nicht einfach gefunden, sondern bei der Suche hermeneutisch phänomenologisch konstruiert – nicht erfunden! – wird. Das zeigt, dass ein Phänomen »erst zu geben« ist.26 Dieser Vollzugscharakter des ontologischen Unterscheidens ist, was die Philosophie als eine wesenhaft kritische Wissenschaft ausmacht. Ihre Kritik besteht darin, auf dem Wege der Differenz zu gehen und nicht darin, Feinde zu suchen. Wenn sie Feinde verdient, weil sie ihrem Weg treu bleibt, ist es eine andere Geschichte. Die theoretische Bewegung des Blicks vom Seienden her zum Sein, also durch die ontologische Differenz, ist die hermeneutisch phänomenologische Reduktion. Wenn diese Untersuchung bezweckt, durch die phänomenologische Methode den fundamentalen Unterschied im Grunde der Fundamentalon21 22 23 24 25 26
Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 10. Heidegger, Grundprobleme, 423. Heidegger, Sein und Zeit, 351. Heidegger, 365. Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 8. Heidegger, Prolegomena, 118.
61
tologie ans Licht zu bringen, dann ist eine Destruktion der Fundamentalontologie nötig. Der Leitfaden solcher Destruktion muss das Hauptgerüst der zu analysierenden Theorie sein. Deswegen ist der Leitfaden dieser Arbeit die ontologische Differenz, weil sie die Fundamentalontologie durch und durch bestimmt. Die ontologische Differenz ist der Weg der Entdeckung des fundamentalen Unterschieds.
§ 7. Vollzug der ontologischen Differenz als Frage nach dem Sein Sofern diese Untersuchung sich in der Fundamentalontologie bewegt und ihr Problembereich die Bestimmung des Seinsbegriffs ist, muss diese Untersuchung den engen Zusammenhang der Philosophie mit der ontologischen Differenz explizieren. Sofern die Philosophie sich mit dem Sein des Seienden beschäftigt, kann sie nur durch das Unterscheiden von Sein gegenüber dem Seienden durchgeführt werden (§ 7. a. Philosophie als Wissenschaft von Sein). Solches Unterscheiden hat aber eine gewisse Struktur, weil es nur als ein gewisser Vollzug in der philosophischen Analyse möglich ist. Diese Struktur des Vollzugs des Unterscheidens zwischen Sein und Seiendem ist die hermeneutisch phänomenologische Methode selbst. Deswegen ist die Fundamentalontologie nur als Phänomenologie möglich (§ 7. b. Phänomenologie als Fundamentalontologie). § 7. a. Philosophie als Wissenschaft von Sein Wenn die ontologische Differenz der Leitfaden dieser Untersuchung ist, muss diese Differenz in enger Verbindung mit der Herdegger’schen Forschung stehen. Die Aufgabe dieses Paragraphs besteht also darin, zu zeigen, wie die Stellung der Frage nach dem Sein aus dem Vollzug der ontologischen Differenz möglich wird. Bei den sogenannten Vorurteilen über das Sein, besonders durch das 1. und 2., nämlich, dass das Sein der allgemeinste und undefinierbarste Begriff ist, zeigt Heidegger, dass es eine unmittelbare Verbindung gibt zwischen dem Versäumnis der ontologischen Differenz – dem Übersehen des Unterschiedes von Seiendem und seinem Sein – und der Möglichkeit, die Seinsfrage zu stellen.27 In der Philosophie des Aristoteles beispielsweise versucht dieser begrifflich die Interpretation des Seins in der Struktur der Kategorien und ihrer Einheit durch Analogie zu erreichen. Dieser Struktur nach macht jede Kategorie Sinn, sofern diese hinsichtlich der ersten Kategorie prädiziert wird. Dieses Vorgehen erlaubt es uns demzufolge, die Seiendheit eines Seienden – den Charakter vom Seiend27
62
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 3-4.
sein (nicht das Sein!) – zu bestimmen; deshalb ist diese aristotelische Methode eine, die, im Versuch das Sein zu erklären, dieses in Wirklichkeit verdeckt. Es ist ebenso unmöglich das Sein durch die Aristoteles’sche Definitionsmetode zu definieren, denn eine solche Definition wird durch die Bestimmung der nächsten Gattung und des artbildenden Unterschieds erreicht,28 welche nur zum Seienden gemäß der Struktur der Kategorien gehören können. Diese Methode kann demzufolge das Sein nicht definieren, weil es kein Seiendes ist, das sich durch die Struktur der Kategorien verstehen lässt. Der Grund dessen liegt darin, dass die Griechen keinen Unterschied zwischen der kategorialen Aussage und der Aussage über weltlich Vorhandenes kannten und somit alle Aussagen als Weltaussagen verstanden wurden. Das hat letztendlich bedeutet, dass »das Sein selbst, sofern es in den Blick kam, als Seiendes begriffen wurde«.29 Darum ergibt sich letztendlich das Übersehen der ontologischen Differenz als das Versäumnis der Seinsfrage. Solches Versäumnis wurde von Heidegger als die sogenannte Seinsvergessenheit bekannt gemacht, welches die Metaphysik als die abendländische Geschichte der Seinsvergessenheit gründet. Die Einführung der ontologischen Differenz in die Philosophie ist demzufolge die Bedingung der Möglichkeit einer Thematisierung des Seins.30 Solche Thematisierung geschieht durch die hermeneutisch phänomenologische Methode und ihr wichtigstes Werkzeug ist die formale Anzeige. Durch die formale Anzeige kann die Philosophie das Sein thematisieren – es von Seiendem unterscheiden –, ohne es als Seiendes aufzufassen. Die Phänomenologie strebt nach den ›Sachen selbst‹ bzw. den Phänomenen. Ein Phänomen ist nicht das, was uns als etwas begegnet oder uns in der Erfahrung vorkommt, sondern das, was diese Erfahrung ausmacht, als das, was uns ein gewisses Etwas als etwas begegnen lässt. Wenn die Philosophie mit Seiendem umgeht, strebt sie demzufolge nach dem Grund des Seienden als solchem und deshalb ist das Sein das Phänomen schlechthin der Philosophie überhaupt. In anderen Worten: Thema der Philosophie ist nicht das Erhellte, sondern das Licht selbst.31 Das Sein als Aufgabe der Philosophie kann nicht erreicht werden, wenn nur zwischen verschiedenem Seienden zu unterscheiden versucht wird; deshalb ist die Philosophie als Vollzug des Daseins – weil Philosophie Philosophieren ist – die Durchführung des Unterschieds vom 28
29 30 31
»οὐδὲν γὰρ ἕτερόν ἐστιν ἐν τῷ ὁρισμῷ πλὴν τό τε πρῶτον λεγόμενον γένος καὶ αἱ διαφοραί. τὰ δ’ ἄλλα γένη ἐστὶ τὸ τε πρῶτον καὶ τούτου αἱ συλλαμβανόμεναι διαφοραί […].« (Aristoteles, Aristotelis metaphysica, hg. von Werner Jaeger, 12. [Nachdr.] (Oxonii: Clarendon, 1997), 1037b.) »Es finden sich nämlich in der Wesensdefinition nichts weiter als die erste Gattung und die Unterschiede; die anderen Gattungen bestehen aus dem ersten und den dazugenommenen Unterschieden […].« (Aristoteles, Metaphysik, übers. von Hermann Bonitz, Bd. 5, Aristoteles: Philosophische Schriften (Hamburg: Meiner, 1995), 1037b.) Dazu auch Aristoteles, Topik, übers. von Eugen Rolfes, Bd. 2, Aristoteles: Philosophische Schriften (Hamburg: Meiner, 1995), 139a-51. Heidegger, Logik, 410. Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 7. Vgl. Contreras, »Hermenéutica«, 140.
63
Seienden und dessen Sein bzw. der ontologischen Differenz. Die Philosophie muss ihr Ziel durch dieses Unterscheiden erreichen und deswegen ist sie die unterscheidende Wissenschaft. Nur eine Ontologie, die der ontologischen Differenz nach durchgeführt wird, kann wirklich zu einer Fundamentalontologie werden. Die Aufgabe der Philosophie ist sowohl die Abhebung des Seins des Seienden als auch die Explikation des Seins selbst, weil das Sein »das echte und einzige Thema der Philosophie« ist.32 Heidegger nennt aber zwei thematische »Gegenstände« der ontologischen Untersuchung, nämlich das Sein des Seienden und das Sein überhaupt,33 und zugleich behauptet er, dass das Sein immer Sein des Seienden ist. Was heißt dann dieses »Sein überhaupt«? Die Antwort auf diese letzte Frage ist die Aufgabe von Sein und Zeit und auch jene dieser Untersuchung. Es muss aber verstanden werden, dass die Gleichsetzung von Sein des Seienden und Sein überhaupt als Gegenstände der Philosophie bedeutet, dass das Unterscheiden von Sein und Seiendem dasselbe ist, wie nach dem Sein überhaupt zu fragen: Die forschende Tätigkeit bewegt sich in dieselbe Richtung und mit derselben Absicht in beiden Fällen. Die ontologische Differenz als die Durchführung des Unterschieds von Sein und Seiendem ist die zugrunde liegende Struktur der Forschung nach einer Bestimmung des Seins überhaupt. Die ontologische Differenz ist das Gerüst der Untersuchung von Sein und Zeit und von dieser Arbeit. Ohne sie bleibt der Sinn von Sein blind und der fundamentale Unterschied verborgen. Die Untersuchung der Fundamentalontologie ist der Versuch, die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten. Man kann aber nie suchen, was man überhaupt ignoriert. Wenn der Sinn von Sein forschend verfolgt wird, muss man schon ein ganz unbestimmtes Vorverständnis von ihm haben, das sich phänomenologisch fassen lässt.34 Sein kommt nie vor wie Seiendes. Dennoch haben wir ständig eine gewisse Erfahrung des Seins, weil es sich im Vorkommen des Seienden meldet. Die Erfahrung ist demzufolge eine Erfahrung des Seienden, die Forschung aber ist eine Forschung nach dem Sein, deswegen bezweckt die Forschung eine Thematisierung des Seins, das sich im Seienden meldet. Deshalb bleibt das vorkommende Seiende mitthematisch. In dieser Thematisierung wird das meldende Sein des Seienden ausgelegt. »Dies phänomenologische Auslegen ist […] kein Erkennen seiender Beschaffenheiten des Seienden, sondern ein Bestimmen der Struktur seines Seins«,35 d. h., die Thematisierung des Seins ist eine rückführende Konstruktion. Das Sein kann nicht erkannt werden, weil nur das Seiende vorkommt und nur, was vorkommt, erkannt werden kann. Das Sein ist keine ›Eigenschaft‹ im Seienden, die irgendwie wahrgenom32 33 34 35
64
Heidegger, Grundprobleme, 15. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 27. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 193. Heidegger, Sein und Zeit, 67.
men werden könnte, sondern kann nur in einer gewissen Auslegung bestimmt werden. Die Thematisierung des Seins ist eine ausdrücklich absichtliche Tätigkeit des Daseins, die grundsätzlich nach sowohl der Vorgegebenheit von Seiendem als auch dem Vorverständnis von Sein strebt.36 Der Unterschied und das Zusammenspiel dieser beiden Grundbegriffe ist der athematische Grund der Fundamentalontologie, der sich aber hermeneutisch phänomenologisch entdecken lässt. Die Aufgabe dieser Untersuchung ist dann, diesen Grund, der sich im Sinn des Vor (in Vor-gegebenheit und Vor-verständnis) als eine Spaltung im Grund selbst meldet, ans Licht zu bringen, d. h., ihn als den fundamentalen Unterschied zu interpretieren. Das Sein hat demzufolge zwei Grundbedeutungen, nach deren Bestimmung diese Untersuchung strebt. Das begegnende Seiende ist immer anders als das begegnen lassende Dasein. Seiendes geht immer über das Dasein hinaus. Das Seiende kann demzufolge nur erfahren werden, wenn zu dem Dasein ein Sich-Überschreiten gehört. Das Dasein muss Sein verstehen, damit es »an eine seiende Welt ausgeliefert sein [kann], um in ihr zu existieren«.37 Das bedeutet, dass das Dasein das Seiende erfahren kann, sofern es irgendwie Seiendes »erreicht«. Das begegnende Seiende »kommt« nicht zum Dasein – auch nicht, wenn man vom Seienden sogar geschlagen wird! Das Dasein ist immer dasjenige, das über sich hinaus beim Seienden liegt; und in diesem Über-sich-hinaus-bei transzendiert es sich selbst, indem es Seiendes konstituiert. Diese Konstitution des Seienden ist das »Sein, das selbst kein Seiendes mehr genannt werden darf, das es aber gleichwohl geben muß und auch gibt im Verstehen von Sein, im Seinsverständnis«.38 Das Sein ist demnach immer früher als das Seiende. Es ist, »was zuvor schon verstanden ist, bevor dergleichen wie Seiendes irgendwo und irgendwie auftauchen kann«.39 Das Früher des Seins ist kein Zeitliches – im traditionellen Sinne –, sondern ein Logisches – Formales (im Sinne der Form) bzw. ein Konstitutives. Deswegen bildet »das Seinsverständnis […] das Grundproblem der Metaphysik überhaupt. Was besagt ›Sein‹? ist die Grundfrage der Philosophie schlechthin.«40 Seiendes ist, was ist, weil zu ihm ein Sein gehört. Sein zeigt sich beim SichZeigen des Seienden, d. h., Sein ist dieses Sich-Zeigen selbst: die Präsenz. Sein ist, was sich beim Gezeigten mit zeigt. Was sich im Begegnen meldet, ist die Ermöglichung dieser Begegnung, der Grund des Vorkommens des Seienden: das Phänomen des Daseins als begegnen lassen. Dieses Begegnenlassen geschieht durch die Rede – λόγος –, die die Gliederung des Verständnisses ist. Demzufolge ist die Frage nach dem Sinn des Seins die Frage nach den Grundstrukturen
36 37 38 39 40
Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 254. Heidegger, Grundprobleme, 14. Heidegger, 14. Heidegger, Anfangsgründe, 16. Heidegger, 171.
65
des menschlichen Verständnisses, d. h. nach dem, was Heidegger unter Seinsverständnis versteht. Die Frage nach dem Sein lautet also: Wenn Philosophie die Wissenschaft vom Sein ist, dann ergibt sich als Anfangs-, Endund Grundfrage der Philosophie: Was bedeutet Sein? Von wo aus ist dergleichen wie Sein überhaupt zu verstehen? Wie ist Seinsverständnis überhaupt möglich?41
Aus der Art und Weise der Stellung der Seinsfrage ergibt sich eine Identifizierung der Bedeutung von Sein und des Grundes der Möglichkeit des Seinsverständnisses. Sein ist also aus einem gewissen Grund zu verstehen. Somit wäre die phänomenologische Auslegung dieses Grundes die Ausarbeitung der Antwort auf die Seinsfrage. Der Problemzusammenhang der Untersuchung wird von Heidegger so dargestellt: Sein gibt es nur, wenn Erschlossenheit ist, d.h. wenn Wahrheit ist. Wahrheit aber ist nur, wenn ein Seiendes existiert, das aufschließt, das erschließt, so zwar, daß zur Seinsart dieses Seienden das Erschließen selbst gehört. Ein solches Seienden sind wir selbst. Das Dasein existiert selbst in der Wahrheit.42
Die Frage nach dem Sein ist richtig verstanden die Frage danach, wie alles, was uns begegnet, uns begegnen kann. Deshalb wird die Untersuchung aus dem Seienden auf sein Sein zurückgeführt, weil das Begegnenlassen die Begegnung ermöglicht. Diese Begegnung geschieht in einem schon erschlossenen Horizont, der vom Dasein gestiftet wird. Die Bildung dieses Horizonts ist die Transzendenz des Daseins, die solches Dasein als die bidimensionale Erschlossenheit charakterisiert.43 Solche Erschlossenheit hat eine Struktur, die die Gliederung der Verständlichkeit ist: die Rede. Die Untersuchung strebt immer nach den Strukturen, die die Möglichkeiten entstehen lassen. Die Seinsfrage bedeutet für Heidegger demzufolge die Frage danach, wie das Entstehen der Transzendenz möglich sei. »Das Sein ist das echte und einzige Thema der Philosophie«;44 und wenn die Philosophie Seiendes betrachtet, geschieht dies, um dessen Sein bzw. dessen ausmachende Strukturen interpretieren zu können. »Philosophie ist nicht Wissenschaft vom Seienden, sondern vom Sein oder, wie der griechische Ausdruck lautet, Ontologie.«45 Die Philosophie ist die Wissenschaft vom Sein im Unterschied zu allen anderen Wissenschaften, die sich mit Seiendem beschäftigen, d. h. die positiven Wissenschaften. Die Naturwissenschaften können erklären, wie Vorhandenes kausal miteinander zusammenhängt.46 Die Aufgabe der Philosophie 41 42 43 44 45 46
66
Heidegger, Grundprobleme, 19. Heidegger, 25. Vgl. Kapitel III. Dasein, Existenz und Transzendenz. Heidegger, Grundprobleme, 15. Heidegger, 15. Über die Beziehung von Heidegger zu den Naturwissenschaften: Ewald Richter, »Heideggers Thesen zu den Fundamenten der Wissenschaften«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 26 (2010): 19-44.
als Ontologie besteht aber darin, zu verstehen bzw. auszulegen, »wie die Dinge sind, nicht [zu] erklären, wie sie arbeiten«.47Die Phänomenologie als Methode der Philosophie überhaupt ist die Methode der Wissenschaft vom Sein. Man philosophiert, wenn man sich »in der Kritik im Unterscheiden des Seins vom Seienden« bewegt.48 Die Philosophie ist demzufolge eine gewisse menschliche theoretische Tätigkeit, die sich der Struktur der ontologischen Differenz nach bewegt bzw. die von solcher Differenz gegliedert und geführt wird. Die Philosophie ist eine »strenge begriffliche Erkenntnis des Seins«,49 weil Philosophie eine menschliche Tätigkeit ist, die durch die Rede geschieht und durch die Sprache fixiert und protokolliert wird.50 Das Fragen nach dem Sein ist demzufolge eine Artikulationsweise, die irgendwie ein Verständnis seines eigenen Artikulierens zu artikulieren versucht. Die Philosophie ist eine ausdrückliche Anwendung des λόγος in das Verständnis des ὂν ἧ ὂν.51 Es bedeutet, dass Philosophie Philosophieren von einem Philosophierenden bedeutet und dass die Wahrheit der philosophischen Erkenntnis nicht beweisbar ist, wie die von den Sätzen der Naturwissenschaften, sondern dass diese Wahrheit »in der Treue des einzelnen Philosophierenden zu sich selbst« liegt.52 Diese Treue ist die Strenge der Anwendung der Methode. Darin liegt die ›Wahrheit‹ der Philosophie als Erkenntnis vom Sein des Seienden. Deswegen wird man nicht zum Philosophen, wenn man einen Berg Bücher liest, und auch nicht, wenn man alle Bücher eines guten Autors memoriert und religiös verteidigt. Gelehrte und Prediger werden in einigen Fällen zu Philosophen, aber nicht, weil sie Gelehrte oder Prediger sind. Man wird Philosoph, wenn man dem Wesentlichen im jetzigen Dasein nicht ausweicht, »das Nichtausweichen ist entscheidend«.53 Die Philosophie braucht die Strenge der Methode, aber auch die Tapferkeit des Menschen. Ein Philosoph ist also derjenige, der sich im Unterscheiden des Seins vom Seienden bewegt und in dieser Bewegung etwas seiner Gegenwart zu sagen hat und es macht. Die Philosophie ist die Wissenschaft von Sein, weil sie durch den Vollzug des Unterscheidens von Sein und Seiendem durchgeführt wird. In solchem Vollzug zeigt sich das Sein als apriorische Bedingung der Möglichkeit des Seienden bzw. als Grund. Der Vollzug des Unterscheidens ist, hermeneutisch phä47
48 49 50
51 52 53
Hubert L. Dreyfus, »In-der-Welt-sein und Weltlichkeit: Heideggers Kritik des Cartesianismus (§§ 19-24)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 81. Heidegger, Geschichte, 34. Heidegger, Anfangsgründe, 23. Vgl. Daniel Leserre und Adrián Bertorello, »Ser y Tiempo § 2: preguntar como quehacer de la filosofía«, Studia Heideggeriana III, Heidegger y el problema del método de la filosofía (2014), 115. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 16. Hedegger, 22. Heidegger, 23.
67
nomenologisch gesagt, eine destruktive Konstruktion. Die Rückführung auf den Grund bedeutet die Reduktion. Daraus zeigt sich klar, dass die Ontologie und ihre Methode in enger Verbindung stehen. § 7. b. Phänomenologie als Fundamentalontologie Die Philosophie bewegt sich durch die Seinsfrage, sie ist die Wissenschaft von Sein. Solche Frage muss aber auf einer gewissen Art und Weise gestellt werden, die einer gewissen Methode entspricht. Die Aufgabe der Untersuchung ist jetzt zu zeigen, wie die hermeneutische Phänomenologie in enger Verbindung mit dem Projekt der Fundamentalontologie steht. Wonach eine Frage fragt, d. h., was eine Frage erreichen will, ist das durch die Frage Erfragte. Erfragtes ist also das Ziel des Fragens, was man in der Antwort herausstellen will. Die ontologische Leitfrage ist die Frage nach dem Sinn von Sein, es bedeutet, dass das Erfragte der Seinsfrage der Sinn von Sein überhaupt ist. Nach dem Sinn von etwas zu fragen, bedeutet, danach zu fragen, von wo aus dieses gewisse Etwas zu verstehen ist. Es heißt, dass die Frage nach dem Sinn von Sein danach fragt, von wo aus man das Sein versteht und immer schon verstanden hat.54 Wenn man den Sinn von Sein sucht, fragt man nach dem, »was Sein bedeutet, das, als was es begriffen werden soll. Mit dem Erfragten ist sein Begriff gesucht.«55 Also wird eine Erklärung eines Begriffs gesucht, der seinerseits jede begriffliche Definition des Seienden erklärt. Beim Erfragen des Sinnes von Sein überhaupt wurde nach dem Sein des Seienden gefragt. Gefragtes ist nicht, wonach man gefragt hat – das ist Erfragtes –, sondern, was man gefragt hat. Im Fall der Seinsfrage sind also Erfragtes die Zeit und Gefragtes die Seinsfrage selbst: »was heißt ›Sein‹?«56 Das Gefragte ist das Sein des Seienden, was bedeutet, dass das Fragen selbst sich immer in der ontologischen Differenz bewegt. Um das Erfragte zu erreichen, soll die Forschung den Unterschied vom Sein und Seiendem ständig vollziehen. So ist die Seinsfrage ein »Fragen nach dem Grundcharakter des Seienden, was Seiendes als Seiendes bestimmt. Was das Seiende als Seiendes bestimmt, ist sein Sein.«57 Durch den Vollzug der ontologischen Differenz bei der Bestimmung des Gefragten kann man Erfragtes erreichen. Das konstituiert letztendlich die Philosophie als Wissenschaft von Sein, weil sie selbst von diesem Fragen ausgemacht wird. Wenn durch Gefragtes erfragt wird, dann wird etwas oder jemand angefragt. Die Forschung will eine Antwort erreichen, indem sie eine Frage stellt. Bei dieser Fragestellung wird die Frage einem Gesprächspartner gestellt. Bei der Seins54 55 56 57
68
Vgl. Heidegger, Prolegomena, 194. Heidegger, 196. Heidegger, Sein und Zeit, 26. Heidegger, Prolegomena, 195.
frage wird das Seiende angefragt nach dem, was der Sinn von Sein heißt. Das Seiende »ist befragt auf etwas hin«, d. h., »es ist im Hinblick auf sein Sein genommen«.58 Das Seiende wird also auf sein Sein hin befragt. Welches Seiende wird bei der Seinsfrage befragt? Fragen gehört zu einem Fragenden, es ist nur in ihm möglich, weil solches Fragen eine Vollzugsart eines Seienden ist, das fragen kann. Fragen ist eine Seinsmöglichkeit (Seinsmodus) des Seienden, das wir je sind. So ist das menschliche Dasein – jeder von uns – das Fragende und deshalb ist es auch Befragtes, weil Fragen eine Verstehensart ist und das Seiende befragt wird, das verstehen kann. Das ist so, weil Sein nur in einem gewissen Verstehen von Sein ausgelegt werden kann. Das Dasein wird also befragt, wie es ein solches Seiendes ist, »zu dessen Seinsart selbst es wesenhaft gehört, dergleichen wie Sein zu verstehen«. Heidegger nennt es die »Transzendenz des Daseins, die Urtranszendenz. […] Auf ihrem Grund verhält sich das Dasein zu Seiendem, ist es je schon an Seiendes im Ganzen geworfen.«59 Das menschliche Dasein wird von der ontologischen Forschung befragt, weil es vom Seinsverständnis konstituiert wird. Das forschende Seiende fragt sich selbst danach, was Sein bedeutet, danach, wie sein eigenes Sein konstituiert ist.60 Wenn das Dasein Fragendes und Befragtes ist, könnte hier ein »Zirkel im Beweis« identifiziert werden? Solche Verurteilung wäre nur richtig, wenn es sich um eine deduktive Demonstration handeln würde. Das ist aber hier nicht der Fall. In der hermeneutischen Phänomenologie geht es nicht darum, neue Sätze aus vorliegenden Sätzen zu schließen. Wenn die Phänomenologie nur aufweisen will, dann ist ein »Zirkel im Beweis« unmöglich, weil es um keinen Beweis geht. In diesem Fall geht es um ein Fragendes, das danach fragt, wie es möglich ist, dass dieses selbst fragen kann. In ganz schlichten Worten: Ich frage, wieso kann ich überhaupt fragen?61 Dasein kann nur fragen, weil es alles von vornherein irgendwie verstanden hat. Das Fragen ist also ein Versuch, das Verstandene explizit zu machen. Das ist der Ursprung jeder Ontologie.62 Eine Ontologie ist das »explizite theoretische Fragen nach dem Sein des Seienden«,63 deshalb hat Heidegger den daseinsmäßigen Ursprung der Ontologie das Ontologisch-Sein des Daseins genannt. Man muss aber unterscheiden können, wann vom einen oder vom anderem die Rede ist. Deshalb unterscheidet Heidegger zwischen ›ontologisch‹ – wenn man
58 59 60 61 62
63
Heidegger, 196. Heidegger, Anfangsgründe, 20. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 6-7. Vgl. Heidegger, 8. Nach Marten ist die Ontologie von Sein und Zeit keine Ontologie, weil sie »ganz anders« als die überlieferte Ontologie ist. (Vgl. Marten, Radikalität des Geistes, 31.) Marten versteht aber nicht, dass das, was eine Ontologie als Ontologie ausmacht, ihr Thema ist, nicht ihre Methode und noch weniger ihre Antworten. Heidegger, Sein und Zeit, 12.
69
über die Ontologie spricht – und ›vorontologisch‹ – wenn man über das Verstehen von Sein redet. Das Dasein hat als Befragtes einen Vorrang vor allem anderen Seienden. »Der erste Vorrang ist ein ontischer: dieses Seiende ist in seinem Sein durch Existenz bestimmt.« Das Dasein ist als Seiendes von einer gewissen Transzendenz konstituiert. »Der zweite Vorrang ist ein ontologischer: [...] Dem Dasein gehört nun aber gleichursprünglich – als Konstituens des Existenzverständnisses – zu: ein Verstehen des Seins alles nicht daseinsmäßigen Seienden.« Die Transzendenz, die zum Dasein ontisch gehört, konstituiert das Dasein in seiner Seinsstruktur als das Verstehen von ihm selbst und von allem anderen Seienden. Es bedeutet, dass das Dasein das vorontologische Seiende ist. »Das Dasein hat daher den dritten Vorrang als ontisch-ontologische Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien.«64 Die Ontologie bzw. das Fragen nach dem Sein ist nur möglich mit Ausgang vom vorontologischen Seienden, zu dem die Möglichkeit des Verstehens – und deshalb des Fragens – als Konstituens seines Seins gehört.65 Das fragende Seiende wird also befragt, weil die Seinsfrage »nichts anderes als die Radikalisierung [...] des vorontologischen Seinsverständnisses« ist,66 und deswegen macht die ontologische Analytik des Daseins die Fundamentalontologie aus. Das Befragte ist das Dasein, das forschende Seiende. Die Bestimmung des Befragten ist »einmal die Bestimmung des Seienden, das ursprünglich und eigentlich den Sinn von Sein hergeben soll, und zum anderen die Bestimmung der rechten Zugangsart zu diesem Seienden für die Hebung des Seinssinnes«.67 Die Bestimmung des Befragten ist also diejenige der ganzen Forschung, weil Forschung nur als Forschen eines menschlichen Daseins möglich ist. Echtes philosophisches Forschen untersucht demzufolge die Bedingungen der Möglichkeit seiner eigenen Tätigkeit, d. h. die Möglichkeit eines Menschen, zu verstehen und zu fragen. Das verbindet die Seinsfrage wesenhaft mit der hermeneutischen Phänomenologie. Die Analyse hat »in der Struktur der Frage und des Fragens zunächst ein Dreifaches herausgeholt, ganz formal: 1. Das Erfragte: Der Sinn von Sein. 2. Das Gefragte: Das Sein von Seiendem. 3. Das Befragte: Das Seiende selbst.«68 Die Aufgabe der Untersuchung ist jetzt zu zeigen, dass diese Struktur der Seinsfrage mit der Struktur der hermeneutischen Phänomenologie zu identifizieren ist, sodass klar wird, warum Heidegger behauptet, dass die Philosophie Ontologie ist und 64 65
66 67 68
70
Heidegger, 13. In anderen Worten: »Das Dasein ist identisch mit der (vorontologischen) Seinsfrage selbst«. (John Sallis, Heidegger und der Sinn von Wahrheit, übers. von Tobias Keiling (Frankfurt am Main: Klostermann, 2012), 71.) Heidegger, Sein und Zeit, 15. Heidegger, Prolegomena, 195-196. Heidegger, 195.
die Ontologie nur phänomenologisch sein kann. Diese auf den ersten Blick bloße Behauptung Heideggers hat ihren Grund in der gemeinsamen Struktur von Fragen und Forschen. Im Fragen liegt sonach das Dreifache: Erstens die originäre Vorerfahrung des primär zu Befragenden und die Bestimmung der Erfahrungsart; zweitens das im Befragten ansetzende und es selbst betreffende Hinsehen auf das Gesuchte an ihm – das Sein; und drittens die Charakteristik des Sinnes des Gefragten als solchen, seine Begrifflichkeit.69
Fragen ist also eine Vorerfahrung des Befragten (Daseins), die in einem Hinsehen auf das Gesuchte – Gefragte (Sein des Seienden) – durchgeführt wird, um eine Charakteristik des Sinnes des Gefragten als solchen – Erfragtes (Sinn von Sein) – herzustellen. Heidegger behauptet, dass »[j]e eigentlicher und reiner dieses Seiende des Fragens, Erfahrens und Begreifens in seinem Sein ausgearbeitet ist, um so radikaler wird die Antwort auf die Seinsfrage zu geben sein«.70 Diese Untersuchung hat sich schon mit dem ›Zirkel im Beweis‹ beschäftigt, der von dem Begriff eines fragenden Befragten zu vermuten ist. Der Zirkel des fragenden Befragten ist nach Heidegger aber kein Zirkel in der Demonstration, sondern ein »Zirkel des Untersuchens, des Ganges und des Seins, ein ›Seinszirkel‹«.71 Die oben genannte begriffliche Gruppe ist wichtig, weil sie zeigt, dass die Struktur des Fragens grundsätzlich die Struktur der phänomenologischen Forschung ist: 1. Die Vorerfahrung besagt die Freigabe des Befragten selbst bzw. der Phänomene. Das zu untersuchende Befragte (Dasein) gehört zum destruktiven Moment der Forschung. 2. Das Hinsehen auf das Gesuchte bedeutet die Rückführung des forschenden Blickes vom Seienden zu seinem Sein. Das zuzugreifende Gefragte (Sein des Seienden) gehört zur phänomenologischen Reduktion. 3. Eine Charakteristik des Sinnes des Gefragten als solchen heißt eine neue auszuarbeitende Begrifflichkeit. Das bezweckte Erfragte (Sinn von Sein) gehört zum konstruktiven Moment der hermeneutisch phänomenologischen Untersuchung. Wenn man versteht, dass die Phänomenologie eine destruktive rückführende Konstruktion ist, kann man auch gut verstehen, wie das Fragen und das Forschen in der Struktur übereinstimmen: Einerseits hat in der hermeneutischen Phänomenologie die Konstruktion einen Vorrang, andererseits hat im Fragen das Erfragte den Vorrang, weil nach dem Sinn von Sein gesucht wird. Solcher ist also auch der sinngebende Zweck der Forschung. Nur von ihm her sind auch Gefragtes und Befragtes verständlich. Dieser Sinn von Sein ist aber – als Phänomen – »nicht gegeben, sondern erst zu geben«,72 es bedeutet, der Sinn von 69 70 71 72
Heidegger, 197. Heidegger, 198-199. Heidegger, 198. Heidegger, 118.
71
Sein muss durch die Ausarbeitung einer neuen Begrifflichkeit freigegeben, d. h., durch eine phänomenologische Konstruktion erschlossen werden. Das Projekt einer Fundamentalontologie ist nichts anderes als dasjenige einer vorbereitenden ontologischen Analytik des Daseins. Was bedeutet dann aber, dass die Analytik des Daseins vorbereitend ist? Bedeutet es, dass die Analytik zuvor kommt und dass dann, wenn sie schon »fertig« ist, die Fundamentalontologie erst anfangen kann? Nein. Die Analytik des Daseins ist vorbereitend, weil sie zur »Aufhellung des Sinnes von Sein und des Horizontes des Seinsverständnisses erst hinleitet«.73 Die Analytik ist vorbereitend, indem sie hinleitend ist. Sie ist der Weg zur Ausarbeitung der Fundamentalontologie, aber nicht als zwei verschiedene Schritte eines Prozesses, wie bei der Anwendung eines Küchenrezepts. Die Analytik ist der Weg zur Fundamentalontologie und als Weg zu ihr ist sie selbst ihre Ausarbeitung. In diesem Fall ist der Weg das Ziel. In der Phänomenologie geht es um eine Deskription des Phänomens. Solche Deskription ist ein »heraushebendes Gliedern des an ihm selbst Angeschauten«,74 d. h., sie ist analytisch und ihre Durchführung ist eine Analytik. Das bedeutet, dass die Analytik des Daseins ein heraushebendes Gliedern des Daseins an ihm selbst, d. h. des Daseins auf sein Seinsverständnis bzw. seine Transzendenz hin, ist. Die Untersuchung hatte eine Definition ihrer Behandlungsart erreicht und nun erreicht sie eine Definition ihrer selbst aus der Perspektive ihres Zwecks: »Phänomenologische Forschung ist Interpretation des Seienden auf sein Sein hin.«75 Die Phänomenologie ist die Methode der wissenschaftlichen Philosophie, dessen Thema das Sein ist. Es bedeutet, dass die phänomenologisch wissenschaftliche Philosophie sich mit dem Sein als Hauptthema beschäftigen muss. »Es gibt keine Ontologie neben einer Phänomenologie, sondern wissenschaftliche Ontologie ist nichts anderes als Phänomenologie.«76 Die Ontologie ist die Durchführung der hermeneutischen Phänomenologie; und deswegen ist die Fundamentalontologie die Durchführung der Analytik des Daseins. Daseinsanalytik ist Fundamentalontologie: Die Ontologie des Daseins ist daher die Grundaufgabe der Philosophie.77 Die Fundamentalontologie ist ein Projekt, das versucht, die Ontologie im Allgemeinen grundzulegen.78 Sie ist eine vorherige Metaphysik, die jede weitere Metaphysik untermauert. Sie ist sozusagen eine Meta-Metaphysik. Daher ist die Fundamentalontologie die Analytik des Daseins, weil sie das heraushebende Gliedern der Bedingung der Möglichkeit jeder Philosophie bzw. der Ontologie überhaupt ist. Philosophie ist nur in einem Philosophieren möglich. Deswegen ist die 73 74 75 76 77 78
72
Heidegger, Grundprobleme, 319. Heidegger, Prolegomena, 107. Heidegger, 423. Heidegger, 98. Vgl. Grondin, »Wiedererweckung der Seinsfrage«, 13. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 196.
Analytik des philosophierenden Seienden die Grundlegung der Philosophie – als Freigabe ihrer Ermöglichung. Das Projekt der Fundamentalontologie ist eine Umkehrung der traditionellen Hierarchie der Disziplinen der Scholastik, nach der die metaphysica generalis der Grund aller anderen von ihr abgeleiteten metaphysica specialis sei. Im Fall der Fundamentalontologie geht es um eine metaphysica specialis, die die metaphysica generalis und daher jede andere metaphysica specialis begründet. Die Phänomenologie ist als die Methode der Wissenschaft von Sein von der Analytik des Daseins abhängig, sie selbst ist diese Analytik, die auf das Sein des Daseins bzw. das Seinsverständnis hin durchgeführt wird. Die Fundamentalontologie ist nichts anderes als das radikalste Selbstverständnis der Phänomenologie. Die Daseinsanalytik wird von der Methode angefordert. Die hermeneutische Phänomenologie führt sich daher als eine Daseinsanalytik durch. Die Funktion solcher Daseinsanalytik gegenüber den traditionellen Ontologien lässt die Daseinsanalytik als Fundamentalontologie verstehen.
§ 8. Die hermeneutische Phänomenologie ist Wiederholung Die vorherige Interpretation der hermeneutischen Phänomenologie Heideggers ist deshalb keine literarische Auseinandersetzung oder bloße Geschichte der Philosophie, sondern eine systematische, die letztendlich die Ausarbeitung der Methode dieser Untersuchung ausmacht. Die Methode dieser Untersuchung ist eine hermeneutische Phänomenologie und diese Arbeit ist also das Protokoll meiner Anwendung einer solchen Methode. Jetzt besteht die Aufgabe also darin zu verstehen, wie eine solche hermeneutische phänomenologische Auseinandersetzung sich strukturiert. Phänomenologie ist nicht etwas Besonderes, eine Richtung und ein System der Philosophie, sondern nur die zuweilen etwas schwer zu begreifende Selbstverständlichkeit, daß man auch in der Philosophie nicht schwätze, sondern von den Sachen her rede. So leicht das formal zu fordern ist, so schwer ist es, dem zu genügen.79
Wenn die Phänomenologie aus den Sachen her reden muss, behauptet sie auch implizit, dass die Philosophie eine Untersuchung meint, die nie eine Wahrheit für alle Ewigkeit erreichen wird. Wie gesagt: Philosophie ist das Philosophieren eines Philosophen. Das ist ja selbstverständlich, aber wird trotzdem von den Philosophen oft vergessen. Deswegen muss die Philosophie sich immer auf das Denken der Philosophen der Geschichte richten, um aus diesen Denkgängen einen neuen Zugang zu den Sachen selbst zu finden. Ein eigentlich philosophisches Denken muss sich am »Anfang« der Philosophie platzieren. Nicht am historischen Anfang, sondern am systematischen. Deswegen ist die hermeneuti79
Heidegger, Logik, 279.
73
sche Phänomenologie – die nichts anders als die Ontologie selbst ist – eine Untersuchung »auf dem Wege, daß wir das erste entscheidende Anfangen der wissenschaftlichen Philosophie mitmachen, gleichsam wiederholen«.80 Die Methode (μἐθοδος) meint das wissenschaftliche Vorgehen im Sinne des Nachgehens oder Verfolgen von etwas, das man auf dem Weg oder über diesen Weg (μετά-ὁδός) erreichen kann. Was aber die hermeneutische Phänomenologie erreichen will, ist nichts anderes als das, was jeder klassische Philosoph erreichen wollte: Die hermeneutische Phänomenologie wiederholt »den Gang der Entdeckung des Seins aus dem Seienden«,81 sie selbst ist diese Wiederholung. Die hermeneutisch phänomenologische Destruktion erlaubt Heidegger erst, die Phänomenologie als eine Wiederholung zu verstehen, die sich den Grund der Philosophie selbst aneignet. Die hermeneutische Phänomenologie fungiert daher auch als eine Lösung für das Problem der Begrifflichkeit von Husserl, welcher etwas Neues anhand von alten Begriffen sagen wollte, deren Bedeutungen bereits historisch vorbelastet waren. Die Destruktion bereitet Heidegger vor, um eine neue Begrifflichkeit auszuarbeiten, die ihm ermöglicht, diese alten Probleme der Tradition aus einer neuen methodischen Position in Angriff zu nehmen. Genauso wie die hermeneutische Phänomenologie Heideggers eine Neueröffnung des systematischen Anfangs der Philosophie ist, ist diese Arbeit als Destruktion der Fundamentalontologie keine bloß literarische oder historische Analyse von Texten, sondern eine systematische. Es geht nicht darum, den historischen Kontext darzustellen, sondern die ontologischen Voraussetzungen auszudrücken.82 Der Zweck der hermeneutischen Phänomenologie als rückführende abbauende Konstruktion besteht darin, durch eine Interpretation die Geschichte der Philosophie sprechen zu lassen oder mindestens »[z]u beweisen durch die Interpretation, ob die Geschichte spricht oder stumm bleibt«.83 In diesem Sinne will diese Interpretation der Fundamentalontologie ein Gespräch mit Heidegger halten, bei dem er nach den Ergebnissen dieses Projekts gefragt werden wird. Dann werden wir erst sehen, ob er uns etwas zu sagen hat. Es geht um ein Gespräch mit Heidegger über das Sein, nicht mit Heidegger über Heidegger. In so einem historischen Gespräch ist das Wesentliche das Thema. Die hermeneutische Phänomenologie ist deswegen zugleich Interpretation, Wiederholung und Grundlegung, da jegliche historische Orientierung nur lebendig ist, »wenn wir sehen lernen, daß wir das Wesentliche im Grunde immer der eigenen Auslegung verdanken, im freien Nachvollziehen, mit dem eine Ablösung von allem Angelernten einhergeht«.84 80 81 82 83 84
74
Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 11. Heidegger, 11. Vgl. Contreras, »Hermenéutica«, 153. Heidegger, Geschichte, 15. Heidegger, Anfangsgründe, 71.
Diese Untersuchung ist nicht der Absicht, eine Ontologie neben anderen aufzubauen ― weder eine neue regionale Ontologie noch eine radikalere neue Fundamentalontologie ―, sondern einen Beitrag zur Fundamentalontologie zu leisten. Dieser Beitrag kann nur phänomenologisch geleistet werden, wenn er die Absicht hat, die Forschung Heideggers nicht zu denaturieren. Deswegen muss diese Untersuchung das Vorgehen Heideggers annehmen, um durch seine Texte auf die durch ihn analysierten Phänomene zuzugreifen; genauso wie Heidegger die Untersuchung von anderen Philosophen wiederholt hat.85 Die Wiederholung meint in diesem Sinne eine neue Eröffnung des Zugangs zum untersuchten Phänomen.86 Das ist der Grund, nicht nur warum diese Untersuchung eine Phänomenologie – als methodischer Zugang zum Phänomen – sein muss, sondern auch warum jede Phänomenologie eine Wiederholung ist, nämlich ihr anzeigender Charakter.87 Der Unterschied zwischen der Untersuchung Heideggers und meiner liegt darin, dass Heidegger eine andere Methode als die der durch ihn untersuchten Philosophien hatte und ich nicht. Dies ist eine Anwendung der hermeneutischen Phänomenologie in der hermeneutisch phänomenologischen Fundamentalontologie. Der Zweck dieses Vorgehens ist, dasselbe neu anzeigen zu können. Es geht um eine hermeneutisch phänomenologische Analyse der Fundamentalontologie Heideggers, die ein neues, noch nicht gesagtes, noch nicht thematisiertes Ergebnis aufweist und dennoch nichts anderes ausweist, als was Heidegger sagte. Unter der Wiederholung eines Grundproblems verstehen wir die Erschließung seiner ursprünglichen, bislang verborgenen Möglichkeiten, durch deren Ausarbeitung es verwandelt und so erst in seinem Problemgehalt bewahrt wird. Ein Problem bewahren, heißt aber, es in denjenigen inneren Kräften frei und wach halten, die es als Problem im Grunde seines Wesens ermöglichen.88
Die Frage nach dem Sein ist so keine Verbreitung einer Lehre, sondern echte Suche, sodass die Analytik des Daseins, die Tradition wiederholend, sich selbst wiederholt, wenn sie an ihre Grenze stößt. Das ganze Werk Sein und Zeit ist also die Stellung der Frage nach dem Sein. Aber das bedeutet überhaupt nicht, dass es da keine Antwort auf die Frage gibt, sondern, dass die Stellung der Frage und ihre Antwort derart zusammenhängen, dass die Frage durch die Antwort wieder formuliert werden muss.89 Diese kreisförmige Struktur der hermeneutisch phänomenologischen Forschung hängt mit der Grundverfassung des Daseins als Seinsverständnis zusammen. Das Dasein ist das Seiende, das fragen 85 86
87 88 89
Vgl. z. B. Heidegger, Logik, 339. In anderen Worten: »Durch die Wiederholung wird die Überlieferung ein Zugang zu etwas, was zuerst dunkel erschien.« (Ben Vedder, »Die Faktizität der Hermeneutik: Ein Vorschlag«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 12 (1996): 104.) Vgl. Oudemans, »Heideggers ›logische Untersuchungen‹«, 89. Heidegger, Kantbuch, 204. Vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 24.
75
kann, sofern es das Sein verstehen kann. Dieser Punkt ist der methodische Anfang von Sein und Zeit. Die Daseinsanalytik beginnt mit der Einführung des Begriffs des Daseins als die Benennung des Seienden, das fragen kann. Bei der Thematisierung des Fragens wird dann auch das Fragende thematisiert, das Dasein genannt wird. Das Seinsverständnis als Ort des Fragens ist der Anfang von Sein und Zeit, weil diese Wesensverfassung des Daseins das Da des Seins ist. Die Fixierung dieses Anfangs – der Vorrang des Daseins wegen seines Seinsverständnisses – ist die Lösung des hermeneutischen Zirkels. Der Zirkel besteht zwar, jedoch wählt Heidegger explizit, wo er in die Fragestellung reingehen will. Wenn es einen Anfang in der Forschung gibt, dann wird der hermeneutische Zirkel zum hermeneutischen Weg.90 Solche Struktur des hermeneutischen Zirkels zwingt aber die Untersuchung dazu, die Frage auf ein neues Stadium der Radikalität zu stellen. Deswegen geht die Untersuchung durch jeden Kreis tiefer.91 Um diese Betrachtung anschaulicher zu machen: Wenn der Weg der Untersuchung einen Anfang hat und trotzdem Kreise dreht, die in jeder Wiederholung tiefer führen, dann kann verstanden werden, dass der Weg der hermeneutischen Phänomenologie spiralförmig ist. Solcher Weg funktioniert so wie eine Schraube, die durch methodische Analysen durchbohrt. Solcher Zweck wird erreicht, indem die Wiederholung eines Denkens darin besteht, dieses Denken gegen seine eigenen Grenzen stoßen zu lassen. Die echte philosophische Arbeit fängt dort an, wo das Denken an dessen Grenzen stößt, »Grenzen, die in jeder Arbeit der Philosophie liegen, nicht Grenzen des Auffassungsvermögens, Grenzen, die den Grad des Scharfsinnes und den Grad der Kenntnisse und den Grad der Bildung betreffen, sondern Grenzen, die mit der geschichtlichen Existenz selbst gegeben sind«.92 Dort an der Grenze seines Denkens kann der Philosoph ein echtes Problem aufwerfen. Gerade das macht den Sinn des Untersuchens aus. Diese wissenschaftlich untersuchende Einstellung ist der Grund dafür, dass Heidegger einer der größten Philosophen unserer Zeit und einer der größten aller Zeiten ist. Diese Untersuchung versucht so die Fundamentalontologie Heideggers an ihre Grenzen stoßen zu lassen, um ihre Grundprobleme ans Licht zu bringen und zugleich durch diese Wiederholung eine Begründung derselben zu leisten. An der Grenze der Fundamentalontologie werden Inkohärenzen und Mehrdeutigkeiten an ihren Grundbegriffen gefunden, nämlich Sein und Seiendem. »Wir müssen dabei das herausholen, was [Heidegger] vielleicht geahnt haben mag, was ihm aber doch unzugänglich blieb, ja was er, sofern er es ahnte, in unangemessenen Begriffen und Charakterisierungen ausdrückte und ausdrücken mußte.«93 In diesem Sinne ist für diese Untersuchung nicht das Entschei90 91 92 93
76
Vgl. Sallis, 64 ff. Vgl. Contreras, »Hermenéutica«, 139. Heidegger, Logik, 344. Heidegger, 384 f.
dendste einer philosophischen Erkenntnis, »was sie in den ausgesprochenen Sätzen sagt, sondern was sie als noch Ungesagtes durch das Gesagte vor Augen legt«.94 Die phänomenologische Fundamentalontologie ist also nicht konstruktiv in dem Sinne, dass ein System der Philosophie gebaut werden soll, sondern konstruktiv im Sinne der Wiederholung als Radikalisierung des Zugangs zum Sein. »Die Fundamentalontologie ist immer nur eine Wiederholung dieses Alten, Frühen.«95 Deswegen könnte man glauben, dass das radikale Denken durch seine Methode keinen Fortschritt erzielt.96 Das aber stimmt nur teilweise, weil die Radikalität des Fragens und die Ursprünglichkeit der Antworten bedeuten, dass durch die Wiederholung doch ein Fortschritt bezweckt und geleistet wird, der aber nicht vor-, sondern rückwärts verläuft: nicht zum Aufbau, sondern zum Grund. In diesem Sinne ist die Bedeutung der Wiederholung der Seinsfrage keine »Wiedererinnerung«,97 sondern diese Wiederholung als untersuchender Schritt rückwärts bedeutet vielmehr eine Erneuerung. Dass diese Untersuchung eine phänomenologische Destruktion der Fundamentalontologie bezweckt, bedeutet aber nicht, dass sie die ganze Forschung von Heidegger zerstören will. Ganz im Gegenteil, der Zweck dieser Arbeit ist es, einen Weg zur Vollendung und Rettung der Fundamentalontologie zu eröffnen. Diese Untersuchung bezweckt also, durch die Wiederholung die Interpretation des Seins zu ergänzen und innerhalb ihrer Möglichkeiten in der Form einer radikalen Grundlegung zur Vollendung zu bringen. Sein und Zeit ist eine fundamentalontologische Grundlegung der Metaphysik, d. h., eine Untersuchung, die durch einen ›Schritt rückwärts‹ sowohl das überlieferte Problem des Seins als auch seine Entwicklung zu erklären bezweckt. So eine Erklärung kann nur durchgeführt werden, wenn die philosophische Tradition in solcher Hinsicht verstanden und angeeignet wird. Der Zweck der Fundamentalontologie ist das Sein und ihr Weg ist die Tradition. Deswegen »muß [Sein und Zeit] sich als Wiederholung verstehen«.98 In diesem Sinne ist diese Untersuchung auch eine Wiederholung: Unser Ziel ist das Urphänomen des fundamentalen Unterschieds, unser Weg ist die Fundamentalontologie Heideggers. Da die hermeneutisch phänomenologische Methode wesenhaft destruktiv ist, ist die Verwendung der Methode Heideggers in sein eigenes Denken die beste Weise, eine gesunde Distanz mit den Ergebnissen der existenzialen Analytik zu wahren. So kann das Sagen über die Fundamentalontologie aus einem Verstehen stammen; und nicht bloß aus einem Lernen von bedeutungsschweren, aber dennoch leeren, d. h. nicht selbst verstandenen und nachvollzogenen 94 95 96 97 98
Heidegger, Kantbuch, 201. Heidegger, Anfangsgründe, 197. Vgl. Marten, Radikalität des Geistes, 40. Sallis, Sinn von Wahrheit, 55. Heidegger, Kantbuch, 234.
77
Sätzen. Folgendes ist also das leitende Prinzip dieser phänomenologischen Untersuchung: »Es geht nicht darum, Philosophie zu kennen, sondern philosophieren zu können.«99 In der Philosophie geht es darum, verstehen zu lernen. Die hermeneutisch phänomenologische Wiederholung ist der Versuch des Verstehens.100 In Worten von Heidegger zu Heidegger: Es zeugt von gleichwenig Verständnis der Philosophie, ob man sagt: [Heidegger] ist heute längst überholt, oder umgekehrt: [Heidegger] hat schon alles gesagt. Beides ebenso wahr, wie es unwahr ist, d. h. es trifft nicht die Sache. Man kann [Heidegger] nur überholen, wenn man ihn radikal wiederholt hat – und das ist nichts Geringeres, als die Probleme selbst erst sachlich verstehen.101
Was in dieser Arbeit gesucht wird, ist also nichts Neues, sondern Etwas, was »schon von Anfang an in der abendländischen Philosophie lebendig war«.102 Die Fragestellung dieser Untersuchung ist eine philosophische, die durch die vergangenen philosophischen Forschungen versucht, die Probleme der heutigen Philosophie zu durchdringen und so eine neue Perspektive in den künftigen philosophischen Forschungen hervorzubringen. Diese Untersuchung strebt nicht danach, eine »kanonische« Deutung von Sein und Zeit darzustellen, sofern darunter etwas wie »die Rettung dessen, was der Verfasser wirklich sagen wollte«, verstanden wird. Im Gegenteil ist dieses ein Versuch, die in diesen Texten untersuchten Phänomene wieder zu erfahren, weil der philosophische Text nicht mehr als ein Protokoll einer denkenden Erfahrung ist. Die hermeneutische Phänomenologie ist keine Wiederholung von bloßen Ideen oder Begriffen, sondern von einer Grunderfahrung. Sie ist Wiederholung einer Begegnung mit den Phänomenen selbst, von woher immer wieder etwas Neues geschöpft werden kann. Die Philosophie – als schönste Tochter der Freiheit – lässt sich vom echten Fragen führen und von den Phänomenen antworten.103 In diesem Sinne gibt es keinen Unterschied von primärer und sekundärer Literatur; vielmehr ist jeder philosophische Text Forschungsliteratur: Heilige Texte gibt es in der Philosophie nicht. Diese Untersuchung versucht also nicht darauf zuzugreifen, »was Heidegger wirklich sagen wollte«, sondern vielmehr beruht sie darauf zu äußern, »was ich von ihm zu verstehen fähig bin«. Die philosophische Erfahrung, einen Verfasser hinsichtlich der durch ihn analysierten Phänomene zu interpretieren, ist ein Entwurf und kann nur das sein,104 weil die eigentliche Form einer Interpretation kein scholastisch dogmatisches leeres Echo einer jeglichen Lehre sein sollte, sondern eine kritisch erneuernde Wiederholung, die 99 100
101 102 103 104
78
Heidegger, Grundprobleme, 1. Über die Interpretation des Verstehens und ihre Rolle in der Entwicklung der Hermeneutik: Celestine Uzondu, »Heideggers Versuch, das ›Verstehen‹ zu verstehen.«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 26 (2010): 209-18. Heidegger, Geschichte, 32. Heidegger, Grundprobleme, 28. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 4. Vgl. Contreras, »Hermenéutica«, 132.
sich als Wiedergewinn bzw. Wiedererlebnis versteht. Bei so einer Aufgabe kann das Vorgehen ab und zu gewaltsam erscheinen, aber diese Gewaltsamkeiten sind keine »Willkür, sondern sachgegründete Notwendigkeit«.105 Um freilich dem, was die Worte sagen, dasjenige abzuringen, was sie sagen wollen, muß jede Interpretation notwendig Gewalt brauchen. Solche Gewalt aber kann nicht schweifende Willkür sein. Die Kraft einer vorausleuchtenden Idee muß die Auslegung treiben und leiten. Nur in Kraft dieser kann eine Interpretation das jederzeit Vermessene wagen, sich der verborgenen inneren Leidenschaft eines Werkes anzuvertrauen, um durch diese in das Ungesagte hineingestellt und zum Sagen desselben gezwungen zu werden. Das aber ist ein Weg, auf dem die leitende Idee selbst in ihrer Kraft zur Durchleuchtung an den Tag kommt.106
Das Vorhaben ist, sich wiederum auf die von Heidegger analysierten »Sachen selbst« zu richten aus einer Perspektive, die jetzt nicht mehr sein kann als nur die meine. In dieser Arbeit wird also nicht versucht, bloß in die Worte zu gehen, mit denen Heidegger diese Erfahrung in Sein und Zeit protokolliert hat, so als ob etwas wie ein Zugang zu ihrem ursprünglichen, objektiven, reinen Sinn möglich wäre. Diese Untersuchung hält nicht nur keinen Text für heilig, sondern sie zweifelt sogar ernsthaft an der Möglichkeit, auf das zugreifen zu können, »was wirklich der Vertreter sagen wollte«. Deshalb wird dieser Untersuchungsweg nicht in Erwägung gezogen. Anstatt über das nachzudenken, »was er wirklich sagen wollte«, und zu versuchen, dies auszulegen, beruht diese Untersuchung darauf, »was ich in solcher Philosophie zu lesen fähig bin«. Um festzuhalten: Diese Arbeit ist eine hermeneutisch phänomenologische Destruktion der Fundamentalontologie anhand der ontologischen Differenz zwecks der Enthüllung einer athematischen Spaltung in der Bedeutung von Sein als Lösung der systematischen Probleme der existenzialen Analytik. Solche Spaltung in der Bedeutung von Sein im Bereich der Fundamentalontologie wird von dieser Untersuchung fundamentaler Unterschied genannt. Der Zweck dieser Untersuchung ist die Entdeckung und Thematisierung des fundamentalen Unterschieds und die ontologische Differenz ist ihr Leitfaden. Solche Untersuchung ist nur als eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Fundamentalontologie möglich.
105 106
Heidegger, Sein und Zeit, 327. Heidegger, Kantbuch, 202.
79
Erster Teil: Hermeneutisch phänomenologische Destruktion der Daseinsanalytik
Heidegger zeigt in Sein und Zeit – und Von Herrmann betont es ständig –,1 dass die Erschlossenheit des Daseins einen zweifach gegliederten Charakter hat. Die existenziale Analytik wird also nach solcher bidimensionalen Struktur durchgeführt. Im ersten Abschnitt von Sein und Zeit werden erstens die Welt – horizontale Dimension – und zweitens die Strukturen des In-Seins – selbsthaft-ekstatische Dimension – analysiert, damit drittens die beiden Dimensionen als ein Ganzes – zweifache Dimensioniertheit bzw. Bidimensionalität – beschrieben werden können. Im zweiten Abschnitt geht es um eine phänomenologische Wiederholung des ersten, d. h., um eine radikalere Interpretation derselben Phänomene. Im Unterschied aber zum ersten Abschnitt fokussiert sich die Analyse im zweiten Abschnitt auf die selbsthaft-ekstatische Dimension, sodass diejenige der horizontalen »fehlt«.2 Es liegt daher nahe anzunehmen, dass der dritte Abschnitt sich mit der Analyse der horizontalen Dimension beschäftigen würde, besonders, weil unter dem Sinn von Sein überhaupt der Horizont des Seinsverständnisses verstanden wird.3 Die Struktur von Sein und Zeit inspiriert die Gliederung dieses I. Teils dieser Untersuchung: Zuerst ist die Erschlossenheit des Daseins als bidimensional sowie der Zusammenhang solcher Bidimensionalität mit der ontologischen Differenz zu bestimmen (Kapitel III. Dasein, Existenz und Transzendenz). Daraufhin wird dann jede Dimension der Erschlossenheit separat analysiert (Kapitel IV. Die horizontale Erschlossenheit der Welt und Kapitel V. Die ekstatische Erschlossenheit des Selbst). Das erste und vorläufige Ergebnis dieser Untersuchung besteht darin herauszustellen, dass das Sein des Daseins durch und durch von der Möglichkeit ausgemacht ist. Das enthält aber das Problem, dass der Begriff der Möglichkeit durch die Daseinsanalytik sich zweideutig zeigt (Kapitel VI. Vorläufige Ergebnisse der Destruktion). 1
2
3
Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. »Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins«, § 9 - § 27 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2005); Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. »Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins«, § 28 - § 44 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2008). Zur Möglichkeit einer Rekonstruktion des dritten Abschnitts von Sein und Zeit: Otto Pöggeler, »Zeit und Sein bei Heidegger«, hg. von Ernst Wolfgang Orth, Phänomenologische Forschungen, Phänomenologische Forschungen, 14, Nr. Zeit und Zeitlichkeit bei Husserl und Heidegger (1983); Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heideggers »Grundprobleme der Phänomenologie«: Zur »Zweiten Hälfte« von »Sein und Zeit« (Frankfurt am Main: Klostermann, 1991). Vgl. von Herrmann, Heideggers »Grundprobleme der Phänomenologie«, 25.
Kapitel III: Dasein, Existenz und Transzendenz Der erste Schritt in der Thematisierung der ontologischen Differenz ist die Bestimmung ihres Grundes. So wird jetzt der Zusammenhang der ontologischen Differenz mit dem Dasein thematisiert. Die Analyse zeigt erstens, wie sich das Seinsverständnis im Umgang entfaltet, indem es ihn ermöglicht (§ 9. Das Dasein erkennt sich durch sein Seinsverständnis im Umgang). Zweitens wird das Seinsverständnis als die Transzendenz des Daseins charakterisiert (§ 10. Das Seinsverständnis ist die wesenhafte Transzendenz der Existenz), damit drittens die Struktur dieser Transzendenz unter dem Begriff der Erschlossenheit verstanden wird (§ 11. Die Erschlossenheit ist die Seinsverfassung der seinsverstehenden Existenz). Diese Analysen führen dann dazu, dass viertens die Erschlossenheit des Daseins als Erschlossenheit des Seins verstanden werden kann. Das bedeutet letztendlich, dass das Sein des Seienden – in deren Einheit und deren Unterschied – aus dieser Erschlossenheit verstanden werden muss (§ 12. Die bidimensionale Erschlossenheit ist der Grund der ontologischen Differenz). Die ontologische Differenz zeigt sich also nicht als bloßer Unterschied von Begriffen, sondern als ein Konstituens des Verstehens der Welt.
§ 9. Das Dasein erkennt sich durch sein Seinsverständnis im Umgang Der erste Schritt einer hermeneutisch phänomenologischen Wiederholung der Daseinsanalytik besteht darin zu zeigen, wie im menschlichen Dasein sich ein irgendwie immer sinnvoller Zugang zum Seienden vollzieht, indem das Sein solches Seienden immer von vornherein verstanden wird, weil dieses Seinsverständnis ein grundsätzliches Konstituens des menschlichen Daseins ist. Der Mensch ist wesenhaft Dasein, er ist das daseinsmäßige Seiende.1 Dennoch wurde für dieses thematische Seiende »nicht der Titel ›Mensch‹, sondern der neutrale Titel ›das Dasein‹ gewählt. Damit ist das Seiende bezeichnet, dem seine eigene Weise zu sein in einem bestimmten Sinne ungleichgültig ist«.2 Dieses Seiende, wie jedes Seiende, wird von einem gewissen Sein ausgemacht. Dasein ist das Fundament, von dem her der Mensch so ist, wie er ist.3 Das Sein des menschlichen Daseins heißt Existenz. In diesem Kontext hat »Existenz« eine andere Bedeutung als der überlieferte Begriff von »existentia«, der dem Wie des Seienden gegenüber dessen Was entspricht.4 Das Zusammenspiel von essentia und existentia wird von Heidegger die Grundartikulation des Seins genannt. 1 2 3 4
Vgl. Heidegger, Logik, 212. Heidegger, Anfangsgründe, 171. Vgl. Trawny, Martin Heidegger, 45 f. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 42.
83
Das Wie des innerweltlichen Seienden ist wesenhaft anders als das Wie des Daseins, weil das nicht daseinsmäßige Wie der existentia den Zugang zum Vorhandensein solches Seienden meint, während das daseinsmäßige Wie Existenz genannt wird, welche je eine Möglichkeit der Konkretion ihres eigenen Vollzugs meint. Solcher Zusammenhang lässt die Begriffe Dasein und Existenz in Verbindung mit dem griechischen Begriff πρᾶξις verstehen.5 Seiendes hat je ein spezifisches Sein: Tisch – zuhanden, Mond – vorhanden, Lerche und Rose leben, Zahl und Punkt bestehen. Mensch existiert. Dieses Seiende, das existiert, nennen wir das Dasein! Entdecken, Erschließen, Auslegen, Mitsehen = Weisen des Daseins, Möglichkeiten der Existenz. Und diese Verhaltungen beziehen sich auf Vorhandenes, Lebendes, Bestehendes, aber auch Daseiendes – Geschichte.6
Der Unterschied von Dasein und Vorhandensein ist keiner von gewissen Eigenschaften, sondern er ist von tieferer Bedeutung. Diesem Unterschied der Seinsart nach »ist nicht alles Seiende ein Vorhandenes, aber auch nicht alles Nichtvorhandene ist auch schon Nichtseiendes«.7 Der Unterschied vom daseinsmäßigen und nicht daseinsmäßigen Seienden ist so wichtig, dass der Hauptterminus von Sein und Zeit – In-der-Welt-sein – etwas anderes bedeutet; je nachdem, ob es mit oder ohne Bindestrich geschrieben wird. »In-der-Welt-sein« meint, dass das Sein des Daseins seine Existenz ist, d. h., wie das Dasein ist, ist In-der-Welt. Das Dasein ist durch dieses In-Sein seiner Existenz ausgemacht. Die Seinsart dieses Wie der Existenz ist ganz anders im Falle des Seienden verschiedener Art. Wie ein Stein in der Welt ist, ist völlig anders, als wie das Dasein in-der-Welt-ist. Ein Stein kann nur in der Welt sein, sofern er zum Begegnen gebracht worden ist, d. h., er in der Welt (eines Daseins) irgendwie hinzugefügt wurde. Deshalb ist sein ›Sein in der Welt‹ die Innerweltlichkeit. Seiendes solcher Art kann nie betroffen werden, ohne irgendwie »berührt« zu werden. Im Falle des Daseins hingegen ist es nicht nur möglich, dass die Dinge der Umgebung dessen Leib betreffen, sondern auch, dass sie das Dasein affizieren, ohne es einmal zu »streifen«. Ein Beispiel, um dies zu verdeutlichen: Häufig sagen wir, dass uns etwas auf dem Weg zur Universität passiert ist. Dennoch meinen wir etwas, das wir nur gesehen haben, das mit uns nichts zu tun, aber uns beeindruckt hat. Der Ausdruck ist wasserklar – ›mir ist etwas passiert‹ – und meint, dass in meiner Existenz ›etwas‹ geschehen ist. Aber ein solcher Ausdruck zeigt zugleich, dass der unter meiner Existenz fallende Bereich, in dem mir etwas passieren kann, weiter als mein Leib ist. Das Da5
6 7
Vgl. Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger (Berlin: de Gruyter, 1967), 299; 322.; Christoph Menke, »Subjekt. Zwischen Weltbemächtigung und Selbsterhaltung«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 321. Dafür basiert sich Menke in Ernst Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung: sprachanalytische Interpretationen, 1. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979). Heidegger, Geschichte, 17. Heidegger, Grundprobleme, 37.
84
sein wird affiziert, ohne berührt zu werden und nur Dasein kann eigentlich Seiendes berühren, weil Dasein das Seiende ist, »das als seiend seine Welt hat«.8 Das Dasein vollzieht sich so, dass es immer mit anderem Seienden und mit ihm selbst zu tun hat. Das Dasein kann nicht mit seinem Vollzug ›aufhören‹, um so sich in ›reiner‹ Weise zu betrachten. Es gibt auch keinen Moment, in dem das Dasein noch nicht vollzogen ist. Jeder Gedanke und jede Betrachtung über den Vollzug des Daseins ist immer nachträglich, denn beide sind Vollzugsweisen des Daseins. Dasein vollzieht sich je auf eine gewisse Weise bzw. als eine gewisse Konkretion. Was das Dasein ist, ist es, wie das Dasein je ist. Das ist die Bedeutung der berühmten Maxime: »Das ›Wesen‹ des Daseins liegt in seiner Existenz«.9 Wenn das Seiende, das wir selbst sind, in der Analytik »Dasein« benannt wird, wird nicht seinem Was als Mensch (Seiendes), sondern seinem Wie als Existenz (Sein) entsprochen.10 Die Termini der existenzialen Analytik meinen deswegen verschiedene Charaktere der Seinsweisen des Daseins, durch welche bezweckt wird, das Sein des Daseins zu begreifen, um auf die Frage nach dem Sein zu antworten. Diese Termini der Seinsweisen des Daseins sind also formale Anzeigen der möglichen Konkretionen und ermöglichenden Strukturen seines Seins. Jede Konkretion entspricht ermöglichenden Grundstrukturen, denn »alles Sosein dieses Seienden ist primär Sein«.11 Jede Möglichkeit entspricht ihrer Ermöglichung als ihrem Grund. Diese formalen Anzeigen weisen darauf hin, wie die möglichen Konkretionen des Daseins vollzogen werden können, aber sie sind nichts Konkretes, sondern meinen nur eine Struktur.12 Diese Struktur des Daseins, die in der Analytik beschrieben wird, ist deswegen neutral. »Dieses neutrale Dasein ist nie das Existierende; es existiert das Dasein je nur in seiner faktischen Konkretion. Aber das neutrale Dasein ist wohl der Urquell der inneren Möglichkeit, der in jedem Existieren quillt und die Existenz innerlich ermöglicht.«13 Die Analytik spricht von Existierendem, aber nicht vom konkreten 8 9 10 11 12
13
Heidegger, Logik, 214. Heidegger, Sein und Zeit, 42. Vgl. Heidegger, 17; 42; vgl. Heidegger, Grundprobleme, 36-37. Heidegger, Sein und Zeit, 42. Die These Heideggers – »Das ›Wesen‹ des Daseins liegt in seiner Existenz« (Heidegger, 42) – behauptet nicht, dass die Existenz vor dem Wesen in der Konstitution des Daseins liegt, sodass dieses aus ihr sich ergeben könne. Die These Heideggers behauptet hingegen, dass sich das Wesen des Daseins auf seine Existenz zurückführen lässt, d. h., dass das Was des Menschen sein Wie ist. Deswegen kann aus dieser These nicht behauptet werden, dass es im Sein des Daseins keine Bestimmtheit gebe. Ganz im Gegenteil ist das Wie des Daseins die Ganzheit der Bestimmtheiten seines Seins. Sie sind aber nicht inhaltlich, sondern formal. Deswegen lässt sich daraus kein Nichts schließen, obwohl richtig ist, dass das Sein des Daseins »leer« ist. Das Sein des Daseins ist möglich, d. h. das Wie des Daseins ist die Möglichkeit. Das bedeutet letztendlich, dass es kein Ich gibt, das einige Möglichkeiten besitzt, sondern dass es Möglichkeiten gibt, die ein Selbst ausmachen. (Vgl. Sabrina Dittus, Heidegger und das Paradox des Subjekts (Würzburg: Könighausen & Neumann, 2015), 72.) Heidegger, Anfangsgründe, 172.
85
Existierenden, sondern von der Existenz des Existierenden bzw. von dem Sein dieses konkreten existierenden Seienden. Die Suche nach den Strukturen der Konkretion der Existenz als Seinsart des Existierenden ist eine methodische Folge der hermeneutisch phänomenologischen Reduktion. Dasein lässt sich auch so verstehen: »Dasein ist das Seiende, das ich je selbst bin, an dessen Sein ich als Seiendes ›beteiligt‹ bin; ein Seiendes, das ist – je in meiner Weise – es zu sein.«14 Diese »Seinsweisen« sollen als »Seinsmodi« verstanden werden. »Modus« bedeutet hier Einschränkung bzw. Konkretion. Modus besagt also die Struktur bzw. die Weise eines Vollzugs. Dasein wird immer schon von der Faktizität konstituiert. Das bedeutet, dass das Dasein immer als »bestimmte Weisen des In-Seins« zerstreut ist.15 Daher sind diese Weisen des InSeins Konkretionen der Möglichkeiten des Daseins. Dasein ist sein eigener Vollzug, es ist seine eigene Konkretion. Dasein hat immer mit irgendwas etwas zu tun. Wir sind unser Verhalten. Das Zu-tun-Haben mit etwas als die Konkretion verschiedener Weisen des In-Seins wird als Besorgen verstanden. Das Besorgen »ist als ontologischer Terminus (Existenzial) gebraucht als Bezeichnung des Seins eines möglichen In-der-Welt-seins«.16 In dieser Definition wird »Existenzial« als ein »ontologischer Terminus«, d. h. als ein systematisch zu einer Ontologie gehöriger Begriff einer sprachlichen Erklärung eines vorsprachlichen Phänomens, erklärt. Dieser Terminus als eine »Bezeichnung des Seins eines möglichen In-der-Welt-seins« beschreibt eine Seinsstruktur solches Seienden, d. h. der Bedingungen der Möglichkeit dessen Seins und Vollzugs. In anderen Worten: Die Existenzialien sind »Grundmöglichkeiten von Seinscharakteren«,17 die der Seinsverfassung eines Wer entsprechen. Daraus wird Folgendes verstanden: Die Existenzialien sind formale Anzeigen der Modi des Daseins, d. h. seiner Konkretionen.18 Die ermöglichende Struktur und ihre Konkretion sind daher nur in der Analyse zu unterscheiden. Das Besorgen ist als Existenzial eine formale An14 15 16 17 18
86
Heidegger, Prolegomena, 205. Heidegger, Sein und Zeit, 56. Heidegger, 57. Heidegger, 45. Der Zusammenhang der formalen Anzeige und der Daseinsmodi ist durch die kantische Kategorienlehre einfacher zu verstehen: Die Kategorien der Gruppe der Modalität – zu denen die Existenz gehört (vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, hg. von Jens Timmermann (Hamburg: Meiner, 1998), 156.) – haben das Merkmal, dass sie den Begriff, zu dem sie hinzugefügt werden, nicht um das Geringste erweitern. (Vgl. Kant, 314.) So fügt die formale Anzeige als Existenzial, d. h. als Modus der Existenz, die seinerseits auch eine Modalität ist, zum Begriff des Daseins nichts hinzu. Diese Modi sind das Wie des Daseins und sind zugleich die Prädikate, die es wesenhaft bestimmen. Daraus stammt die Bestimmung des Wesens des Daseins durch seine Existenz. Deswegen kann die formale Anzeige nur einen formalen Inhalt haben, weil sie nicht die Konkretion selbst meint, sondern ihren Modus. Obwohl mit dem Material von Sein und Zeit eine umfangreiche Beschreibung des Begriffs des Existenzialen geleistet werden kann, ist unmöglich ein befriedigendes Verständnis solchen Begriffs zu erreichen, sofern er nicht unter dem Licht der formalen Anzeige aus-
zeige. Deshalb ist jedes mögliche Zu-tun-Haben mit etwas ein Besorgen. Mit was genau man zu tun hat, ist gleichgültig, weil Besorgen eine Grundstruktur beschreibt, die in jedem Vollzug grundlegend bleibt. Wie vollzieht sich also das Dasein? »Das Dasein ist als In-der-Welt-sein je besorgendes Sein bei«,19 d. h., sofern das Dasein ein ständiges Verhältnis zum Seienden ist, vollzieht sich solches Dasein immer als ein Sein beim innerweltlichen Seienden. Daher ist das Dasein zunächst und zumeist »aus dem her, was es besorgt«.20 Das Dasein ist immer zu dem Seienden im Verhältnis zu ihm. Das Dasein versteht sich selber je aus dem Seienden her, mit dem es umgeht, egal, ob innerweltlichem oder daseinsmäßigem. In anderen Worten: »Wir sind, was wir tun« bedeutet, dass unsere eigene Sicht uns beim Umgang mit dem Seienden ›sichtbar‹ wird. Dort offenbart sich uns, dass wir existieren, dass wir da sind.21 Das Dasein vollzieht sein Sein als Umgang mit dem Seienden. In solchem Umgang ist immer schon von vornherein eine räumliche Welt erschlossen, in der das Dasein zum Seienden sein kann und immer schon ist. Das Seinzu der Räumlichkeit des Daseins ist vom auf In-Sein gegründeten Sein-bei ermöglicht. »Sofern das Dasein sein Da ›ist‹, ist es in einer Welt; das Sein – im Terminus Dasein – besagt u. a., nicht einzig, in der Welt sein.«22 Das In-Sein als Aus-Sein ist nie ein Im-Nichts-Sein, sondern ist als solches In-Sein immer In(der-Welt)-Sein. Jedes In-der-Welt-Sein ist aber ein Bei-innerweltlichem-Seienden-Sein.23 Das Dasein ist-in-der-Welt von vornherein und es ist in der Weise des verstehenden Vollzugs seiner Existenz, welche die Welt erschließt, welche das Dasein selber ist. Dass das Dasein immer in-der-Welt-ist, bedeutet, dass es nie in ihm isoliert, sondern immer bei den begegnenden Dingen ist. Das ständige Verhältnis zum Seienden, das der Ausdruck In-der-Welt-sein meint, ist der Grund dafür, dass das Dasein »sich selbst [...] ontologisch zunächst von dem Seienden und dessen Sein her versteht, das es selbst nicht ist, das ihm aber ›innerhalb‹ seiner Welt begegnet«.24 Dieses Phänomen gründet auf der Grundstruktur der Existenz, die als Verfallen charakterisiert ist. Der Begriff »Verfallen« ist kein negativer, er meint keine Art zum Menschen gehörige »Dekadenz«, sondern eher den Grund jeder Dekadenz, die als Möglichkeit in der Struktur menschlichen Wesens enthalten ist. Verfallen bedeutet: »Das Dasein
19 20 21 22
23 24
gelegt wird. Ein gutes Beispiel dafür in: Cristian Ciocan, »Qu’est-ce qu’un Existenzial?«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 25 (2009): 191-218. Heidegger, Sein und Zeit, 141. Heidegger, 141. Vgl. Heidegger, 146. Heidegger, Logik, 212. Über den deiktischen Charakter der Partikeln »Da« und »In« in der Daseinsanalytik: Josef Simon, »In-der-Welt-sein«, in »Verwechselt mich vor allem nicht!«: Heidegger und Nietzsche, hg. von Hans-Helmuth Gander, Martin-Heidegger-Gesellschaft 3 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1994), 73-82. Vgl. S. 100. Heidegger, Sein und Zeit, 58.
87
ist zunächst und zumeist bei der besorgten ›Welt‹.«25 Verfallen meint die Struktur des Besorgenden Daseins beim Umgehen mit dem innerweltlichen Seienden. Wenn man merkt, dass »Welt« – mit Anführungszeichen – »das All des Seienden, das innerhalb der Welt vorhanden sein kann« bedeutet,26 dann ist es klar, dass Verfallen die Struktur meint, durch die das Dasein sich primär beim Umgang mit dem innerweltlichen Seienden und mit dem Mitdasein aus dem Seienden und den Anderen versteht. Deshalb ist Verfallen der Grund jeder Dekadenz, ohne sich mit ihr identifizieren zu lassen.27 Denn das Dasein ist »zunächst nie hier, sondern dort, aus welchem Dort es auf sein Hier zurückkommt und das wiederum nur in der Weise, daß es sein besorgendes Sein zu ... aus dem Dortzuhandenen her auslegt«.28 Das Verfallen zeigt formal an, wie jede Erschlossenheit des Daseins eine Entdeckung des Seienden besagt und wie in solcher Einheit die Erschlossenheit des Selbst sich von ihrer Entdeckung des Seienden her versteht. »Welt begegnet nicht als ein indifferentes Worin, darin Dasein sich bewegt, sondern das daseinsmäßige Sein zu ihr ist ein Angewiesensein auf sie und daher ein Je-schon-verfallensein an sie.«29 Das Dasein versteht sich selber nicht von sich selber aus, wie ein von »Welt« und Seiendem isoliertes Subjekt, sondern vom Umgang mit dem Seienden aus. Das Dasein »findet ›sich selbst‹ zunächst in dem, was es betreibt, braucht, erwartet, verhütet«.30 Deswegen versteht sich das Dasein als Ich-hier anders, als was ein Ich-hier der Naturwissenschaften bedeuten könnte, sondern es versteht sich »als In-Sein aus dem Dort der Zuhandenen Welt, bei dem Dasein als Besorgen sich aufhält«.31 Es bedeutet, dass das Hier, von dem aus das Dasein sich als Ich-hier versteht, ein Dort im Sinne von seiner Umwelt ist und nicht der geometrische Punkt, den sein Körper in einem leeren und regelmäßigen Raum besetzt. Wenn ich sage, dass ich mich hier beim Schreiben gut befinde, meine ich nicht den genauen Platz, wo ich gerade sitze, sondern, dass dieses Zimmer im Ganzen eine gute und angenehme Umgebung zum Schreiben und Arbeiten ist. Das ganze Zimmer umfasst das Hier, in dem ich schreibe. Die Welt ist nie neutral oder von einem neutralen und isolierten Dasein, sondern daseinsmäßig erschlossen. Das Dasein erschließt sich selber in eins mit seiner Welt. Deswegen lässt sich diese Idee auch so formulieren, dass das Dasein sich weltlich und Welt sich daseinsmäßig erschließen. Das ist der Grund dafür, dass das alltägliche Dasein sich zunächst und zumeist im Modus der Uneigentlichkeit vollzieht, weil Dasein sich immer aus dem versteht, was ihm in der Welt vorkommt. 25 26 27 28 29 30 31
88
Heidegger, 175. Heidegger, 64 f. Vgl. Heidegger, 175 f. Heidegger, 107. Heidegger, Logik, 213. Heidegger, Sein und Zeit, 119. Heidegger, 119.
Das Besorgen ist immer räumlich, weil das Dasein in jedem Umgang eine gewisse Nähe bei dem Seienden etabliert. In diesem Fall haben Begriffe wie »nah« und »fern« nichts mit der Distanz zu tun, die sich zwischen zwei Punkten in einem physischen oder geometrischen Raum vermessen lässt, sondern mit der Zugänglichkeit, die ein bestimmtes Seiendes dem daseinsmäßigen Umgang anbietet. So ist die Weise, in der Seiendes in der Welt begegnet, was das Seiende in der Nähe oder Ferne »platziert«. Seiendes kann in Kontakt mit meinem Körper und trotzdem unglaublich fern von mir sein und umgekehrt. Das Beispiel, das Heidegger zur Erklärung anbietet, wird klarer, wenn es auf die Spitze getrieben wird: Wenn ein Astronom das Doppelsternsystem von Alpha Centauri beobachtet, ist dieses ihm viel näher als das Teleskop, durch das er die Sterne sieht. Was fast im Kontakt mit dem Auge ist, steht zugleich für dieses Dasein ferner als ein anderes Solarsystem.32 Gleich geschieht es im Fall der Beobachtung von Kunstwerken und Landschaften im Internet oder beim Gespräch mit der Familie über einen Videoanruf durch den Bildschirm des Computers oder Handys. Das Dasein verhält sich beim Besorgen zum Seienden. Das Dasein vollzieht dieses Verhältnis als ein Umgang mit einem immer irgendwie gekannten und bestimmten Seienden. Es kommt ihm also das Seiende vor als das und das. Das bedeutet, dass das Dasein von vornherein sowohl das Sein des nicht und des daseinsmäßigen Seienden als auch sein eigenes Sein irgendwie verstanden hat. Das Seiende kommt dem Dasein immer in einer schon irgendwie vorerschlossenen Verständlichkeit vor. Diese Art »eingeborenes Wissen« über das Sein des Seienden wird durch den Begriff Seinsverständnis ausgedrückt. Der Umgang des Daseins mit dem Seienden ist zugleich der Vollzug dieses ermöglichenden und ausmachenden Seinsverständnisses. Sein verstehen ist aber etwas anders als das Sein des Seienden auszulegen. Um eine solche Interpretation schaffen zu können, braucht das Dasein nicht nur einen gewissen Umgang, sondern auch eine Methode und eine Begrifflichkeit. Die Interpretation des Seins des Seienden und des Daseins selbst, das schon im lebendigen Seinsverständnis geschieht, ist die Aufgabe der hermeneutisch phänomenologischen Analytik des Daseins. Die Philosophie als Wissenschaft vom Sein ist daher eine absichtlich bezweckte Entwicklung solches alltäglichen Seinsverständnisses. So hat das Dasein einen dreifachen Vorrang vor allem anderen Seienden: Dasein ist das existenziale Seiende; Dasein versteht das Sein alles nicht daseinsmäßigen Seienden; Dasein ist Bedingung der Möglichkeit jeder Theorie über das Sein.33 Solcher dreifache Vorrang des Daseins entsteht aber aus einer gemeinsamen Wurzel: Das Dasein ist Seiendes, das so ausgemacht ist, dass es das Sein von Hause aus versteht.
32 33
Vgl. Heidegger, 107. Vgl. Heidegger, 13.
89
Die Ausweisung des Daseins als vorrangiges Seiendes durch dessen Charakterisierung als durch Seinsverständnis ausgemachtes fungiert als Anfang der Daseinsanalytik hinsichtlich ihrer Funktion als Fundamentalontologie, indem solches Seinsverständnis die Bedingung der Möglichkeit jeder Interpretation des Seins ist, weil es den Zugang zum Sein darstellt. Das spiralförmige Vorgehen der hermeneutischen Phänomenologie bedeutet letztendlich, dass jeder weitere Schritt der Untersuchung eigentlich nichts anderes als eine wiederholende und vertiefende Beschreibung dieses grundsätzlichen Phänomens des Seinsverständnisses ist.
§ 10. Das Seinsverständnis ist die wesenhafte Transzendenz der Existenz Nachdem nun in großen Zügen dargelegt ist, was der Begriff Seinsverständnis besagt, soll die Untersuchung jetzt zeigen, dass das alltägliche Seinsverständnis kein Inhalt im Geiste, sondern die wesenhafte Struktur der Existenz ausdrückt. Die Existenz ist Seinsverständnis, indem sie transzendierend ist. Solche Struktur der Transzendenz ist im vorliegenden Paragraphen zu erläutern. Das Dasein unterscheidet sich von Vorhandenem, sofern es lebendig ist. Das Dasein ist ein Dasein, sofern es lebt, weil, nur während es lebt, es das Sein verstehen kann. Das Dasein ist also die neutrale Kennzeichnung für das seinsverstehende Leben des Menschen. Der Mensch braucht keine Ontologie, um zu verstehen, dass er existiert, dass er immer bei anderen Dingen ist, dass er mit diesen Dingen umgehen kann oder nicht und dass mit ihm immer auch andere Menschen existieren. Solches Verständnis ist keine theoretische Erkenntnis und kein deduktiv gewonnener Schluss, sondern eine Vertrautheit, die immer von vornherein im Menschen ›lebendig‹ ist. Der Mensch versteht das Seiende immer als ein gewisses Etwas, das etwas ist. Solches Verständnis ist daher ein zum menschlichen Dasein gehöriges vorontologisches Seinsverständnis. Das Seinsverständnis ist demzufolge unsere Fähigkeit, das Sein des Seienden zu verstehen. Dass das Dasein immer das Sein des Seienden verstehen kann, bedeutet aber nicht, dass das Seinsverständnis schon einen bestimmten Begriff des Seins besitzt.34 Dieses Verständnis des Seins ist eine vorontologische und vorsprachliche, wenngleich sinnvolle Erfahrung des Seienden. Jede Erfahrung des Seienden ist ein Vorkommen bzw. eine Entdeckung des Seienden und »in allem Entdecken von Seiendem, umsichtig und theoretisch, ist je schon Sein verstanden, anders wäre Seiendes als solches gar nicht zugänglich«.35 Das Dasein versteht das Seiende bzw. greift immer auf das Seiende zu. Deshalb kann jenes mit Seiendem umgehen. Im Umgang mit dem Seienden ist das Dasein immer im Verhältnis zum Seien34 35
90
Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 9. Heidegger, Geschichte, 27.
den. Solches Verhältnis geschieht aber derart, dass dem Dasein Seiendes vorkommen lässt. Der Umgang des Daseins mit dem Seienden ist also entdeckend, weil er sich als ein Vorkommenlassen vollzieht. Deshalb ist dieses Verhalten des Daseins »präsentisch«, weil »es den Sinn hat des Präsentierens, oder wie wir deutsch sagen: des Gegenwärtigens von etwas«.36 In diesem Gegenwärtigen bzw. Präsentieren bekommt das Seiende eine Gegenwart bzw. eine Präsenz, oder wie im Folgenden ausgearbeitet werden wird: ein Sein.37 Heidegger drückt diesen Zusammenhang auch so aus: »Als dieses Gegenwärtigen lässt das Verhalten Anwesendes begegnen.«38 Dieses Gegenwärtigen des daseinsmäßigen Verhaltens ist, was oben als Verhältnis des Verhaltens zum Seienden im Umgang ausgelegt und was schon unter dem Terminus Seinsverständnis erläutert wurde. Könnte behauptet werden, dass der Begriff Dasein nur ein anderer Terminus für das Subjekt ist? Ist das Dasein nur ein verkleidetes Subjekt und deshalb die Analytik des Daseins nicht mehr als eine philosophisch überflüssige »Performance«? Die Antwort auf diese Fragen muss lapidar heißen: Nein. Die Bestimmung der Seinsverfassung des Daseins als In-der-Welt-sein ist eine Wiederlegung der modernen – kartesischen – Interpretation des menschlichen Daseins angesichts der Subjekt-Objekt-Beziehung. In der Tat zielt die Heidegger’sche Kritik an dem Subjektbegriff auf alle Fassungen solcher Lehre ab: von Descartes bis zu Husserl und Scheller.39 Das Dasein ist aber auch nicht Person im Sinne des Personalismus von solchen beiden letztgenannten Autoren.40 Das Sein des Menschen, nämlich das Dasein als Existenz verstanden, ist kein Subjekt, weil die Subjekt-Objekt-Beziehung in einem Verhältnis vom innerlichen Subjekt »zu« einem äußerlichen Objekt besteht und die Existenz vielmehr das Sein des »Zu« eines solchen Verhältnisses besagt. Dasein ist als In-Sein ein Sein-zu, d. h., die Seinsverfassung des Daseins ist das Sein-zu seines Verhältnisses zum Seienden. Das Subjekt muss sich fragen, wie es in Beziehung mit den Objekten geraten kann; demgegenüber kann das Dasein nicht erfasst werden ohne seine Welt. Das Subjekt ist erstmals isoliert, das Dasein hingegen ist immer erschlossen bzw. verbunden. Das Sein des Daseins ist seine Erschlossenheit. Das Dasein ist nie in einer inneren Sphäre, die es irgendwie durch einen künstlichen »Hokuspokus« plötzlich »verlässt«, um in Beziehung mit dem Seienden zu »geraten«, sondern das Dasein ist immer schon »draußen«. Dieses Draußen bedeutet dennoch nicht, dass das Dasein auch ein Drinnen hat, als dessen logischer Gegensatz, sondern »auch in diesem ›Draußen-sein‹ beim Gegenstand ist das Dasein
36 37 38 39 40
Heidegger, Logik, 192. Vgl. S. 193. Heidegger, Logik, 192. Vgl. Menke, »Subjekt. Heidegger-Handbuch«, 321. Vgl. Andreas Luckner, »Wie es ist, selbst zu sein. Zum Begriff der Eigentlichkeit. (§§ 54-60)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 145.
91
im rechtverstandenen Sinne ›drinnen‹«.41 Die Existenz hat nur einen Platz bzw. ein Da und solcher ist dort »in-der-Welt«. Der Platz der Existenz ist die Entfaltung des Horizonts, der diese Existenz selbst ist, in dem sie als Da ist. Dasein istin-der-Welt und Welt ist keine Bestimmung des nicht daseinsmäßigen Seienden, sondern das In-der-Welt meint die Weltlichkeit des Daseins, welche ein Existenzial ist.42 Das Dasein ist eine Welt, weil es sich selber immer schon transzendiert hat. Die Weltlichkeit des Daseins meint die Art und Weise, wie das konstitutive Draußen-Sein des Daseins die Konstitution dessen einzigen möglichen »Drinnen« ist. Deshalb ist die Rede von einem »Draußen« und »Innen« des Daseins im streng phänomenologischen Sinne widersinnig,43 weil sie nur aus der Perspektive der Subjekt-Objekt-Beziehung verständlich ist. Solche Rede ist aber in einer ersten Etappe der Erklärung nützlich, um diese neue Interpretation des Seins des Menschen als In-Sein zu verstehen. Das Phänomen der Erschlossenheit ist das Phänomen der Transzendenz selbst. [D]ie Transzendenz ist nicht irgendein mögliches Verhalten (unter anderen möglichen Verhaltungen) des Daseins zu anderem Seienden, sondern die Grundverfassung seines Seins, auf deren Grunde es sich allererst zu Seiendem verhalten kann.44
Die Transzendenz ist die Struktur des Seins des Daseins, durch welche das Dasein sich selbst immer schon überschritten hat und in Bezug zu anderen Seienden geraten ist. Das menschliche Dasein selbst ist das »Zwischen« dieses Bezugs.45 Die Existenz ist die lebendige Entfaltung des Selbst als ein Zum-Seienden-Sein. Was sozusagen »innerhalb« des Daseins geschieht, passiert demzufolge »außerhalb« des Subjekts. Das Dasein ist keine geistige Substanz, die irgendwie in einem Leib platziert ist, sondern die seinsverstehende Entfaltung dieses Leibes, die eine sinnvolle Umwelt stiftet. Dasein entfaltet sich als dessen Bereich, in dem das Seiende vorkommen kann. Diese Entfaltung der Existenz ist das sogenannte Da des Daseins. Wenn Heidegger die Erschlossenheit unseres Daseins beschreibt, weist er darauf hin, dass sie selbst-ekstatisch ist, d. h., sie ist ein dem menschlichen Dasein konstitutives Außer-sich. Das menschliche Dasein läuft nie durch einen sehr komplizierten und rätselhaften Prozess aus einem ersten Moment von innerem und reinem Verständnis zu einem zweiten Moment über, in welchem es eine Umgebung mit dem da begegnenden Seienden erfahren kann, sondern die hermeneutisch phänomenologische Analyse Heideggers führt zu der Behauptung: »im Vernehmen, Bewahren und Behalten bleibt das erkennende Dasein als Da-
41 42 43 44 45
92
Heidegger, Sein und Zeit, 62. Vgl. Heidegger, 64. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 93. Heidegger, Anfangsgründe, 211. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 132.
sein draußen«.46 Unser Verständnis vollzieht sich am Transzendieren. Deshalb ist dieses Außer-sich nicht nur kein Rausgehen, sondern auch kein Außer-sich im Nichts. Stattdessen ist das Dasein ein Außer-sich in einem schon konstituierten und sinnvollen Draußen. Also ist dieses Draußen-Sein ein Dem-Draußen-Sinn-Geben, d. h. die Konstitution eines Verständnis- und Sinnhorizonts, in welchem alles Seiende zur Präsenz kommen kann. »Das Dasein ist als wesenhaft verstehendes zunächst beim Verstandenen.«47 Das Dasein ist immer im Da der Welt, in der etwas verstanden werden kann. Die Präsenz des Seienden als Zuhandenheit des Zeugs, als Vorhandenheit der Natur, als Bestehen der Zahlen, als Leben der Tiere oder als Mitdasein anderer Menschen ist nur möglich in einer von vornherein erschlossenen Welt.48 Die Welt ist »etwas, ›worin‹ das Dasein als Seiendes je schon war, worauf es in jedem irgendwie ausdrücklichen Hinkommen immer nur zurückkommen kann«.49 Dass das Dasein eine Welt hat, bedeutet nicht, dass dem Dasein eine Welt hinzugefügt wurde oder umgekehrt. Das Dasein kann seine Welt nicht wechseln, als ob über dessen Schuhe die Rede wäre. Das Dasein »hat« eine Welt, weil Dasein wesenhaft eine Welt ist. Das Dasein ist weltlich. Das Draußen-Sein des Daseins meint das Dasein als In-der-Welt-sein, es bedeutet also, dass die Welt ein Charakter des Seins des Daseins ist. Das Wie des Daseins besteht in solcher Transzendenz.50 Die Analyse der Seinsverfassung des Daseins – des In-der-Welt-seins – unterteilt sich in drei Momente: Das »in der Welt«, »[d]as Seiende, das je in der Weise des In-der-Welt-seins ist«, und »das In-Sein als solches; die ontologische Konstitution der Inheit selbst«.51 Diese drei Momente sind Grundstücke des einheitlichen und ursprünglichen Phänomens der Existenz des Daseins als In-der-Weltsein. Wenn z. B. die Welt analysiert wird, wird kein Seiendes analysiert, in dem das Dasein wohnt, so wie ein Fisch im Wasser eines Aquariums schwimmt, sondern die Welt-Analyse entspricht dem »In-der-Welt« des Daseins, d. h., der Weise, in der das Dasein immer weltlich ist. Dieselbe Perspektive ist bei der Analyse des daseinsmäßigen Seienden und des In-Seins gültig. Die Analytik des Daseins zeigt, dass das Dasein vom In-Sein wesenhaft ausgemacht ist und dass ein InSein nur in-einer-Welt möglich ist. Die Analyse von jedem Moment ist zugleich eine Analyse des ganzen Phänomens aus einer spezifischen Perspektive mit einer spezifischen Betonung, weil das Phänomen ›unteilbar‹ ist, d. h., »wenn so diese Grundverfassung nach drei Hinsichten Thema der Analyse wird, dann ist sie in jeder Sonderbetrachtung immer als sie selbst ganz da«.52 Das In-der-Welt46 47 48 49 50 51 52
Heidegger, 62. Heidegger, 164. Vgl. Heidegger, 118. Heidegger, 76. Vgl. Heidegger, 133. Heidegger, 53. Heidegger, Prolegomena, 211; vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 53.
93
sein ist kein Kompositum aus mehreren Dingen, die in eine gewisse Beziehung geraten, sondern die Seinsverfassung des Daseins selbst, die erst jede Beziehung ermöglicht, weil sie niemals bezugslos ist.53 Das Gegenwärtigen als Vorkommenlassen bzw. Präsentieren ist der Ausdruck für die Grundverfassung des Daseins, welche die Transzendenz ist. Diese Grundverfassung wird vom Existenzial des In-Seins formal angezeigt. »Das InSein ist viel mehr die Seinsverfassung des Daseins, in der jede Seinsweise dieses Seienden gründet.«54 Jede Konkretion des Vollzugs des Daseins, wie das Seinbei oder Sein-mit, gründet auf das In-Sein. Solcher Zusammenhang wird auch in der Gliederung von Sein und Zeit sehr deutlich, nämlich dort, wo die Grundexistenzialien im Fünften Kapitel behandelt werden: Das In-Sein als solches. Es heißt, dass alle Existenzialien, die dort behandelt werden – wie das Verstehen, die Befindlichkeit und die Rede u. a. –, auf das In-Sein gründen. Solcher Zusammenhang lässt sich demzufolge auch so interpretieren, dass sich jede Struktur der Erschlossenheit auf die Transzendenz des Existierenden zurückführen lässt. Das Dasein ist da bzw. in-der-Welt, denn das »Schon-haben des Raumes qua Worauf des Hinblicks gründet in einem primären In-der-Welt-sein, in einem Im-Raum-sein, das den Charakter des Seins zu ihm hat«.55 Das primäre In-der-Welt-sein ist wesenhaft In-Sein, das immer in verschiedenen Weisen zerstreut ist. Die Sorge ist die Struktur der Ganzheit und Einheit der Weisen des In-Seins. In jeder Konkretion der Sorge zeigt sich das In-Sein auf eine bestimmte Weise. Wenn die Sorge sich als Besorgen vollzieht, dann lässt sich das In-Sein als Sein-bei betrachten. Wenn sich die Sorge aber als Fürsorge vollzieht, dann ist das In-Sein ein Sein-mit. So ist es, wie Sein-bei und Sein-mit auf dem In-Sein gründen, nämlich als dessen Konkretionen, weil Sorge konkret Besorgen oder Fürsorge jeweilig ist.56 Das seinsverstehende Wesen des Menschen besteht in der lebendigen Entfaltung des Daseins. Deswegen ist er das »Wo«, in dem das Sein des Seienden zu finden ist. Das Dasein ist die Entfaltung des Da, in dem Seiendes begegnet. In diesem Sinne bedeutet Dasein: »Da [ist das] Sein.«57 Das Seinsverständnis ist das, »von wo aus« Sein erschlossen wird, weil das Sein ist, was durch Seinsverständnis »erhellt«.58 Diese ursprüngliche Transzendenz ― das In-der-Welt-sein ―, die jede intentionale Beziehung ermöglicht, und das Seinsverständnis, das jedes Verhältnis zum Ontischen gründet, sind am Ende »ein und dasselbe«.59 Das Seinsverständnis des Daseins ist die lebendige Entfaltung seiner Transzen53 54 55 56 57 58 59
94
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 57. Heidegger, Prolegomena, 214. Heidegger, Logik, 291. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 193–194. Grondin, »Wiedererweckung der Seinsfrage«, 6. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 100. Heidegger, Anfangsgründe, 170.
denz, die ihm das Seiende als etwas begegnen lässt. Nichts, womit Dasein umgeht, ist vollkommen fremd. Das Seinsverständnis als Gegenwärtigen ― also als Transzendenz ―, »in dem ich ständig lebe«,60 ist, was ich ständig bin.
§ 11. Die Erschlossenheit ist die Seinsverfassung der seinsverstehenden Existenz Die Untersuchung hat schon gezeigt, dass sich das menschliche Dasein als eine seinsverstehende transzendierende Existenz vollzieht. Das Dasein ist wesenhaft eine Existenz, die sich transzendiert, indem sie das Sein des Seienden versteht. Jetzt muss gezeigt werden, wie die Struktur des Seinsverständnisses – die Transzendenz – gegliedert und bidimensional ausgemacht ist. Jede »Wahrnehmung ist Wahrnehmen, zu dem ein Wahrgenommenes in seiner Wahrgenommenheit gehört«.61 Die Wahrnehmung hat nach Heidegger diese drei Teile: Wahrnehmen, Wahrgenommenes und Wahrgenommenheit. Also setzt die Wahrnehmung eine ermöglichende zugrunde liegende Gliederung voraus, welche diese Teile ineinandergreifen lässt. Solche Struktur wird Intentionalität genannt. Einer der grundsätzlichen Unterschiede zwischen daseinsmäßigen und nicht daseinsmäßigen Seienden ist, dass das Dasein intentional ist, d. h., dass das Dasein sich beim Verhalten auf Seiendes richtet. Damit etwas wahrgenommen werden kann, musste sich das Wahrnehmende schon auf dieses irgendwie richten. Die Wahrnehmung gründet auf das Sich-Richten-auf der Intentionalität, so dass die Wahrnehmung, das Wahrgenommene und die Wahrgenommenheit in ihrer Zusammengehörigkeit Charaktere des Sich-Richten-auf ausdrücken.62 Vorhandenes gerät deswegen in Kontakt, berührt aber nie. Die Wahrnehmung setzt die Intentionalität voraus, weil etwas nur wahrgenommen werden kann, wenn das Verständnis auf es gerichtet hat. Aber die Intentionalität ist auch nicht der letzte Grund des Verständnisses der »Welt«, weil das Verständnis sich nur richten kann, wenn das Dasein einen gewissen Spielraum schon irgendwie erschlossen hat, in welchem solches Dasein sich auf Seiendes richten kann, um es wahrnehmen zu können. Der Begriff der Erschlossenheit sollte deswegen nicht als eine Erkenntnistheorie der Moderne interpretiert werden, weil, was primär in der Erschlossenheit erschlossen wird, kein Seiendes ist, von dem wir eine Erfahrung haben können, sondern die Möglichkeit jeder Erfahrung selbst. Nach Heideggers Begrifflichkeit bedeuten »erschließen« und »Erschlossenheit« jeweils »aufschließen« und »Aufgeschlossenheit« und Heidegger fügt hinzu: »›Erschließen‹ meint demnach nie so etwas wie ›mittelbar durch einen Schluß ge60 61 62
Heidegger, Logik, 192. Heidegger, Grundprobleme, 79. Vgl. Heidegger, 79.
95
winnen‹.«63 Die Erschlossenheit ist nicht primär Wahrnehmung, sondern jede Wahrnehmung setzt die Erschlossenheit voraus. Dieser erschlossene Spielraum ist das Da des Daseins: »das Dasein ist seine Erschlossenheit«.64 Das Dasein ›hat‹ keine Erschlossenheit in dem Sinne, dass ein Mensch z. B. die Fähigkeit des Singens hat, sondern Dasein hat Erschlossenheit in dem Sinne, dass er Leben hat. Genauso wie das Dasein lebendig ist, ist solches auch erschlossen. Alles, was das Dasein ist und sein kann, d. h. jedes verstehende Verhalten zum Seienden jeglicher Art, entspringt der Erschlossenheit. Dieser eröffnete Spielraum sollte als ein grundsätzlicher Begriff der Sinnlichkeit verstanden werden: »erschließendes sich Gebenlassen, Begegnenlassen einer Welt«.65 Nur in diesem sich Gebenlassen kann etwas gegeben sein. Es gibt keine Gegebenheit des Seienden, ohne dass »etwas« es irgendwie begegnen lässt. Dieser Spielraum einer primären Sinnlichkeit, der Seiendes sich geben lässt, ist der vorläufige Begriff der Erschlossenheit. Die Erschlossenheit meint also die Struktur der Transzendenz des Daseins, d. h. des Seinsverständnisses, das das Wesen des Daseins ausmacht. In anderen Worten: Erschließen bedeutet, »›etwas‹ zu verstehen« zu geben.66 Die Transzendenz ist demzufolge die Bedingung der Möglichkeit eines Subjekts im Sinne von einem Gegenüber des Objekts. Ein Subjekt kann nicht sein, was es ist, wenn es nicht transzendiert ist, aber solches Subjekt kann nur als Dasein transzendent sein. Das Dasein ist also radikal anders als das Subjekt, weil die Existenz die ursprüngliche Verfassung der Subjektivität des Subjekts heißt. Um es in den Worten von Heidegger auszudrücken: »Existieren besagt ursprünglich Überschreiten. Das Dasein selbst ist der Überschritt.«67 Dasein ist die Eröffnung des Feldes bzw. des Horizonts, in dem das Subjekt erst in ein intentionales Verhältnis zum Objekt geraten kann, d. h. der Welt. Das Dasein lässt Seiendes begegnen, damit es erst als Objekt verstanden werden kann. So ist die Existenz des Daseins die Transzendenz, welche die Bedingung der Möglichkeit jeder Subjektivität ist. Das Dasein gerät nie in ein Verhältnis zum Seienden, weil es nicht dorthin geraten kann, worin es schon ist. Die Stiftung dieses Verhältnisses ist keine absichtliche Tätigkeit des Daseins, sondern sein ständiger Zustand. Dasein ist immer schon im Verhältnis zum Seienden, weil dies Verhältnis die Struktur seines Seins ist.68 Das Sein, welches das Dasein ist, d. h., zu welchem das Dasein sich immer verhält, ist die Existenz.69 Dieses Sein des Daseins wird vom In-Sein formal angezeigt. Das Wo dieses Seins ist niemals ein ›Hier‹ eines im Bewusstsein isolier63 64 65 66 67 68 69
96
Heidegger, Sein und Zeit, 75. Heidegger, 133. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 186. Heidegger, Sein und Zeit, 269. Heidegger, Anfangsgründe, 211. Vgl. Heidegger, 212. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 12.
ten Subjekts, sondern das ›Da‹ der Welt. Das Dasein ist da, d. h., es vollzieht sein Sein als Seinsverständnis immer in einer Welt bzw. als eine Welt, in der das Seiende begegnen kann.70 In Worten von Heidegger: »Existieren besagt dann unter anderem: sich verhaltendes Sein bei Seiendem. Es gehört zum Wesen des Daseins, so zu existieren, daß es immer schon bei anderem Seienden ist.«71 Das Dasein vollzieht sich als ein Verhältnis zum Seienden, welches dem Seienden eine gewisse Nähe gibt und sich zum besorgten Seienden ausrichtet. Dass das Dasein da ist, bedeutet, dass das Dasein durch eine verhaltende entfernendausgerichtete-besorgende Erschlossenheit ausgemacht ist. Diese Erschlossenheit, die immer ein Verhältnis des Daseins zum innerweltlichen Seienden stiftet bzw. gründet, ist das, was das In-Sein als Sein-bei konstituiert. Die Erschlossenheit des Daseins und die der Welt sind nicht verschiedene, die nur gleichzeitig geschehen, sondern sie sind eine und dieselbe. Dass das Dasein sein Da ist, heißt in anderen Worten, dass das Dasein seine Welt ist.72 Das Dasein »ist in der Weise, sein Da zu sein«.73 Das Dasein konstituiert sein Da durch ein ›Sehen‹, das sozusagen kein Licht aus der Umgebung bekommt, sondern ›gibt‹. Dasein ist Sicht im Sinne einer erhellenden Umsicht. Was aus den Perspektiven der Physik und Biologie unrichtig ist, ist phänomenologisch existenzial ein gutes Bild, um dieses vorontologische Phänomen zu deuten. So wie das Dasein nie wirklich von dem entfernt ist, wovon es umgeben ist, ist das Dasein auch nie wirklich im Dunkeln, weil alles in einer Erschlossenheit bzw. in einer gewissen Helle begegnet, welche die Weise ist, in der das Dasein sein Da ist, d. h., in der ihm alles schon präsent bzw. ›erleuchtet‹ ist. Die Dunkelheit kann sogar nur erfahren werden, wenn sie als Dunkelheit erleuchtet wird. Nur im Licht der Erschlossenheit ist Dunkelheit möglich. Dem Dasein ist es existenzial nie wirklich nachts. Das Dasein befindet sich existenzial vielmehr immer an einem ständig erleuchteten Tag.74 Diese erleuchtende Sicht, welche die Erschlossenheit als das »lichtgebende Seinsverständnis« ist,75 vollzieht sich je nach verschiedenen gleichursprünglichen Konkretionen. Solche sind die Umsicht des Besorgens, Rücksicht der Fürsorge und Sicht auf das Sein als solches, »umwillen dessen das Dasein je ist, wie es ist«.76 Umsicht, Rücksicht und Durchsichtigkeit sind Konkretionen der Erschlossenheit und nicht verschiedene ›Erschlos70
71 72 73 74 75 76
Dies ist schon von Anfang an in der Heidegger’schen Philosophie sichtbar. (Vgl. HansHelmuth Gander, »Phänomenologie der Lebenswelt: Husserl und Heidegger«, in Heidegger und Husserl: neue Perspektiven, hg. von Günter Figal und Hans-Helmuth Gander, Martin-Heidegger-Gesellschaft 9 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2009), 153 ff.) Heidegger, Grundprobleme, 224. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 132-134. Heidegger, 133. Vgl. Claudius Strube, »Die existenzial-ontologische Bestimmung des lumen naturale«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 12 (1996): 117 f. Heidegger, Geschichte, 27. Heidegger, Sein und Zeit, 146.
97
senheiten‹. Die Erschlossenheit ist immer ganz und eins, obwohl das nicht bedeutet, dass ihr Vollzug nicht modal ist. Jetzt sind deshalb die Grundmodi der Erschlossenheit in großen Zügen aufzuweisen, damit die vielfach gegliederte Struktur der Erschlossenheit klarer ans Licht kommen kann. Sie werden aber später tiefer erläutert werden. Unter den Existenzialien sind die sogenannten Grundexistenzialien hervorzuheben, welche die Befindlichkeit und das Verstehen sind. Sie heißen Grundexistenzialien, weil auf sie die zum Dasein gehörende Erschlossenheit gründet.77 1. Die Befindlichkeit. Der Seinscharakter des Daseins, der sich in seinem Woher und Wohin verhüllt und zugleich in sich selbst erschließt, ist einer der Modi, in denen das Dasein sein Da als In-der-Welt-sein erschließt. Ein solcher Charakter ist das »Dass« des Daseins: Die Befindlichkeit zeigt, »[d]aß es ist und zu sein hat«, in der Weise der Geworfenheit des Daseins in sein Da, die ein Grundcharakter seines Seins meint.78 Das Dasein befindet sich immer schon in seiner Geworfenheit und bestimmt sich so als Faktum. Das Dasein ist immer schon in das Da geworfen; es befindet sich immer schon so und so, an einem bestimmten ›Platz‹. Im Da ist das Dasein »immer schon vor es selbst gebracht«.79 Weil mein Da niemals nur der Platz ist, wo ich stehe, oder das Grundstück, das ich gerade betrete, bedeutet solches existenziale Da vielmehr die Ganzheit der schon sinnvoll-räumlich erschlossenen Welt, die ich alltäglich als Umwelt erfahre. Mein Da ist jetzt das philosophische Seminar der Universität Freiburg und nur von dieser Welt her kann ich mein ›Hier‹ verstehen.80 Ich befinde mich jetzt in Bezug auf Bücher, Blätter, Worte, Ideen, Menschen geworfen. Diese Befindlichkeit des Daseins ist eine Grundweise, in der das Dasein sein Sein ist als ins Da ausgeliefert. Sofern der Begriff der Befindlichkeit die Grundweise des Vollzugs des Seins des Daseins bzw. die Grundweise des Verhältnisses seines Verhaltens als Faktum formal anzeigt, ist die Befindlichkeit ein Existenzial.81 2. Das Verstehen. Dieses Da, in welches das Dasein immer schon geworfen ist, ist zugleich das Da, zu dem das Dasein seine Möglichkeiten als Seinkönnen ist. Das Dasein ist die »Erschlossenheit seines Da als Da eines Seinkönnens«.82 Das Dasein verhält sich immer schon zum Seienden in dem Sein-bei … des Besorgens. Das Besorgen des Umgangs mit dem Seienden ist nur möglich als Vollzug einer Möglichkeit des Seins des Daseins. Solches Möglichsein des Daseins wird als Seinkönnen beschrieben und ist die Weise, in der das Dasein sein Da als Raum des Vollzugs seiner eigenen Möglichkeiten erschließt. Das Dasein er77 78 79 80 81 82
98
Vgl. Heidegger, 184. Heidegger, 135. Heidegger, 135. Vgl. Heidegger, 368. Vgl. Heidegger, 139. Heidegger, 145.
schließt sein Da, indem es sich selbst als möglich in seinem Seinkönnen entwirft. Im Entwurf des Seinkönnens ist »Seinsverständnis vorweggenommen«.83 Das Dasein ist vom Da ausgemacht, d. h., das Dasein erschließt sein Sein als eine räumliche Welt, in der Seiendes sinnvoll vorkommen kann. Das Dasein erschließt die Welt, weil das die Seinsart des geworfenen Entwurfs ist: Dasein ist schon erschlossen als sich-erschließend. Das Dasein ist möglich in seinem Entwurf verstehend. Dieser Begriff des Verstehens, das sich im daseinsmäßigen Vollzug des entwerfenden Seinkönnens konstituiert, zeigt eine Grundweise des Seins des Daseins formal an und deshalb ist diese Verstehen ein Existenzial. Das Dasein versteht sich selbst aus seinem Umgang mit dem Zuhandenen und versteht auch die Anderen aus dem Umgang, den solche Anderen mit dem Zuhandenen besorgend haben. Die Anderen begegnen nie primär als Subjekte. Ein immaterielles Subjekt, das sich zu nichts verhält, und sich in seinem Denken rein hält, kann nie in einer Welt begegnen und noch weniger solche Welt miterschließen. Das Sein des Daseins ist Mitsein, d. h., »im Seinsverständnis […] liegt schon […] das Verständnis Anderer«.84 Das Dasein versteht die Anderen als Miteinandersein nicht aus einer vorliegenden Menge von Menschen, die als Mitsein synthetisiert wird, sondern weil das Dasein als In-der-Welt-sein durch Mitsein wesenhaft ausgemacht ist, kann es alle anderen Menschen als Miteinanderseiende verstehen.85 Dieses zum Dasein gehörige Verständnis meint, dass das Dasein in seinem Verhalten ein Verhältnis zum Seienden seiner eigenen Seinsart stiftet und immer schon gestiftet hat. Das Fundament des Miteinanderseins ist das Dasein und nicht die Anderen, weil an dessen Sein die Möglichkeit solchen Verhältnisses liegt. Solches Verhältnis des Verhaltens zu den Anderen ist ein Vollzug der Sorge als ursprüngliche Erschlossenheit jedes möglichen Bezugs. Die ursprüngliche Erschlossenheit der Anderen, in welcher die Weltlichkeit auch miterschlossen ist, ist ein Vollzug der Sorge als Besorgen und dies immer auch durch das Verstehen des je Besorgten. Demzufolge ist das Dasein der Anderen als daseinsmäßige Andere, d. h. das Sein der Anderen als Mitdaseiende im fürsorgenden Besorgen erschlossen bzw. verstanden.86 In-derWelt-sein bedeutet daher in-einer-miterschlossenen-Welt-mit-Anderen-beimSeienden-sein. Obwohl Da-sein existenzial Mitsein bedeutet, existiert das Dasein grundsätzlich aus ihm selbst und nur aus ihm selbst, als ob es das ›Zentrum des Universums‹ wäre. Es ist ihm unmöglich, sich einmal einen Schritt aus diesem Zentrum zu bewegen. Das Dasein erschließt die Welt und lässt Seiendes aus einer Perspektive begegnen, die je nur seine eigene sein kann. Die Perspektive des Daseins ist grundsätzlich von seiner Endlichkeit gegeben. Eine gewisse Möglich83 84 85 86
Heidegger, 147. Heidegger, 123. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 329-330. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 123-124.
99
keits-Ganzheit zu erschließen, bedeutet, andere Möglichkeiten zu verschließen. Sich in einer gewissen Faktizität zu befinden, bedeutet, in keiner anderen zu sein. Dass Seiendes in einem bestimmten Moment so und so begegnet, heißt, dass solches in diesem Moment auf keine andere Weise begegnet. Diese Perspektive-Struktur der Erschlossenheit der entwerfend faktisch erschlossenen Welt ist der Grund dafür, dass die Erschlossenheit immer zugleich auch Verschlossenheit ist.87 Die Erschlossenheit umgreift das Ganze der Seinsverfassung des Daseins. Der Begriff Seinsverfassung besagt ein Wesen (Was), das durch seine Existenz (Wie) ausgemacht wird. Die Seinsverfassung bedeutet also das Wesen, aber nur in diesem schon streng bestimmten Sinne. Diese Grundstruktur ist »durch das Phänomen der Sorge explizit geworden«.88 Dieses Phänomen zeigt die Ganzheit des Phänomens der Erschlossenheit als von der Geworfenheit und dem Entwurf – als Grundverhältnisse zum Seienden, d. h. als Welt – ausgemacht. Sorge ist die formale Anzeige für das Sein des Daseins als ein Ganzes. »Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schon-sein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)«.89 Die Zusammengehörigkeit des Daseins und der Entdecktheit des innerweltlichen Seienden, nämlich die Einheit der Existenzialen vom InSein und Sein-bei wird von dieser Untersuchung als die Bidimensionalität der Erschlossenheit charakterisiert.90 Dieser Charakter des Da des Daseins meint in einfachen Worten: Es gibt kein In-Sein ohne Sein-bei.91 Dies so ontologisch gänzlich charakterisierte Phänomen ist dasjenige der Transzendenz. 87 88 89 90
91
Vgl. Heidegger, 222. Heidegger, 221. Heidegger, 192. In dieser Untersuchung wird der Begriff »Bidimensionalität« angewandt, um das auszudrücken, was Heidegger unter Erschlossenheit überhaupt versteht. (Vgl. Heidegger, 221.) Dieser Begriff der Bidimensionalität hat denselben Sinn und dieselbe Bedeutung wie die zweifache Dimensioniertheit des Da bei von Herrmann: »Das Da aus dem Da-sein ist in sich zweifach dimensioniert: es ist selbsthaft-ekstatische und horizontale Erschlossenheit« (von Herrmann, Hermeneutische Phänomenologie des Daseins III, 14.; auch dazu vgl. von Herrmann, Hermeneutische Phänomenologie des Daseins II, 17.). Diese latinisierte Fassung solchen Herrmann’schen Begriffs wurde von dieser Untersuchung ausgearbeitet, weil sie einfacher zu gebrauchen ist, indem sie auch die Adjektivierung »bidimensional« und sogar die Umwandlung in ein Adverb möglich macht. Dies bringt dieser Untersuchung ein neues Ausdrucks- und deswegen Aufweisungsvermögen. Dieser Begriff von Bidimensionalität ist aber nicht mit dem Begriff der Bi-Dimensionalität von Vigo zu verwechseln. Er versteht darunter, dass die Ekstase zweistufig ist, und behauptet, dass das Dasein durch Bi-dimensionalität und Horizontalität ausgemacht ist. (Vgl. Alejandro Vigo, »Welt als Phänomen: Methodische Aspekte in Heideggers Welt-Analyse in Sein und Zeit«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 15 (1999): 50 ff.) Nach der Begrifflichkeit dieser Untersuchung ist demgegenüber die Ekstase zweistufig (z. B. Verstehen und Auslegung) und solche Ekstase mit ihrem Horizont macht erst die Bidimensionalität zusammen aus. Die Konstruktion von diesen Begriffen »In-Sein« und »Sein-bei« ist unregelmäßig und sollte eine gewisse Bedeutung haben. Warum werden die Präpositionen jeweils auf verschiedenen Seiten des Verbes platziert? Eine mögliche Antwort auf diese Frage kann in einer späteren Vorlesung gefunden werden, in welcher ein persönliches Kriterium für die
100
Zur Grundverfassung des Seienden, das je meines ist, das je ich selbst bin, gehört das In-der-Welt-sein. Selbst und Welt gehören zusammen, sie gehören zur Einheit der Verfassung des Daseins und bestimmen gleichursprünglich das ›Subjekt‹. Mit anderen Worten, das Seiende, das wir je selbst sind, das Dasein ist das Transzendente.92
Das Phänomen der Bidimensionalität der Erschlossenheit gründet das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit.93 Wahrheit gibt es für das Dasein, sofern es verfallend bzw. transzendierend ist. Sofern das Dasein existiert, ist solches in seinem wesenhaften Draußen als Sich-erschließend-weltstiftend-begegnen-Lassendes. Das bedeutet, dass, obwohl die Wahrheit das Ganze der Erfahrung des Daseins ist, diese Wahrheit weder vollständig ist noch sein kann. Das Phänomen der bidimensionalen Erschlossenheit besagt die Einheit des Seinsverständnisses, welches das Sein des menschlichen Daseins ausmacht.
§ 12. Die bidimensionale Erschlossenheit ist der Grund der ontologischen Differenz Es wurde schon gezeigt, dass das Dasein sich als eine Existenz vollzieht, die das Sein des Seienden versteht, indem sich diese immer über sich hinaus konstituiert und in solcher Transzendenz zugleich eine horizontale und sinnvolle Dimension konstituiert. Jetzt muss die Untersuchung zeigen, wie solche Bidimensionalität des Seinsverständnisses den Grund der ontologischen Differenz konstituiert, d. h., wie der Unterschied von Sein und Seiendem auf der bidimensionalen Erschlossenheit des Daseins gründet. Der Begriff der bidimensionalen Erschlossenheit bedeutet nicht, dass das Dasein in einen Zwischenraum hineingeht, um danach erst in die Welt reinzukommen, sondern, dass das Draußen-Sein des Daseins zugleich ein In-der-Weltsein ist. »In jedem Verstehen von Welt ist Existenz mitverstanden und umgekehrt.«94 Das Dasein als existierend, d. h. als erschließend-erschlossen, ist immer sein Da. Dass das Dasein sein Da ist, bedeutet: »Welt ist ›da‹; deren Da-sein ist das In-Sein.«95 So kann es verstanden werden, dass es keinen Unterschied bzw.
92 93 94 95
Einordnung von Begriffen eingeführt wird. Heidegger erklärt die Bedeutung der Ordnung der Begriffsreihe Welt – Endlichkeit – Vereinzelung so: Endlichkeit ist in der Mitte, weil sie die Wurzel der beiden anderen Begriffe ist, sie hält die anderen beiden zusammen. (Vgl. Martin Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik: Welt, Endlichkeit, Einsamkeit, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 3. Aufl., Gesamtausgabe 29/30 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2004), 253.) Man könnte vermuten, dass dieselbe Technik der Darstellung in Sein und Zeit gebraucht wurde. Deswegen hat man die Begriffe In-Sein und Sein-bei. Sein ist in der Mitte, welches die Wurzel und der Zusammenhalt der beiden Dimensionen ist, die durch das »In« und das »Bei« ausgedrückt werden. Das Phänomen der Bidimensionalität bedeutet demzufolge In-Sein-bei. Heidegger, Grundprobleme, 423. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 220-221. Heidegger, 152. Heidegger, 143.
101
keine wirkliche Trennung – distinctio realis – von Welt und In-Sein gibt, sondern eine Zusammengehörigkeit bzw. Identität.96 Solche Identität von der Erschlossenheit des Daseins und der Entdeckung des innerweltlichen Seienden wird vom Terminus der Bidimensionalität formal angezeigt. Der Unterschied gehört nur zu der Analyse: ›In-Sein‹ und ›Welt‹ verweisen auf dasselbe konstitutive Phänomen aus verschiedenen Perspektiven, um dessen Verständnis und Aufweisung zu vereinfachen. Ein solches Phänomen ist die Transzendenz des Daseins, d. h. die Erschlossenheit überhaupt. In Worten von Heidegger: »In der Entworfenheit seines Seins [des Daseins] auf das Worumwillen in eins mit der auf die Bedeutsamkeit (Welt) liegt Erschlossenheit von Sein überhaupt.«97 Die Erschlossenheit ist einerseits durch das Worumwillen des In-Seins – der selbsthaft ekstatischen Dimension – und andererseits durch die Bedeutsamkeit der Welt – der horizontalen Dimension – charakterisiert. Die selbsthaft ekstatische und die horizontale Dimension sind zusammengehörig und gleichursprünglich. Solche bidimensionale Erschlossenheit schafft nicht erst eine Verbindung vom Selbst mit der Welt, sondern vielmehr macht sie diese Verbindung von Hause aus so aus, dass Selbst und Welt jeweils nur eine Seite derselben Medaille anzeigen.98 Die Transzendenz des Daseins bzw. die Seinsverfassung der menschlichen Existenz ist durch Seinsverständnis ausgemacht. Deswegen besagt sie die bidimensionale Erschlossenheit des Seins des Seienden und des Seins überhaupt, die fortwährend Seiendes entdeckt. Deshalb ist das Draußen-sein ein Sein-bei, weil die Erschlossenheit des Selbst in eins Erschlossenheit der Welt ist und die Welt die Präsenz des Seienden ist. An der bidimensionalen Erschlossenheit liegt die Erschlossenheit des Seins überhaupt. Die menschliche Existenz und der Sinn des Seins überhaupt lassen sich nicht getrennt offenbaren. Deswegen ist der Sinn solches Seins in der Seinsverfassung der Existenz zu suchen. Das ›cogito sum‹ des kartesischen Subjekts wird durch die Bidimensionalität zum existenzialen ›sum‹, das als ›ich-bin-in-einer-Welt‹ zu verstehen ist. Wie schon erläutert: Das Hier des Daseins versteht sich immer aus einem Dort. Der existenziale Raum, in dem das Dasein sich befindet, unterscheidet sich vom physischen Raum, in dem sein Leib ist. Das Da des Daseins ist seine Umgebung, in und aus der es sich selber als Da versteht. Im Da ist das Dasein immer schon in Verhältnis zum Seienden gewesen, »denn das Dasein ist als In-der-Welt-sein je besorgendes Sein bei. Zumeist und zunächst ist das Dasein aus dem her, was es besorgt«.99 Unmöglich ist das Dasein als ein wesenhaft erschlossenes und zu96
97 98
99
»Ohne Dasein keine Weltlichkeit, aber auch: kein Dasein ohne Weltlichkeit«. (Andreas Luckner, Martin Heidegger: »Sein und Zeit« : ein einführender Kommentar, 2., korr. Aufl., [unveränd. Nachdr.] (Paderborn ; München ; Wien ; Zürich: Schöningh, 2001), 37.) Heidegger, Sein und Zeit, 147. Dittus drückt diesen Zusammenhang so aus: »Selbst- und Welterschließung [sind] nicht nur gleichursprünglich, sondern letztendlich auch gleichbedeutend«. (Dittus, Das Paradox des Subjekts, 137.) Heidegger, Sein und Zeit, 141.
102
gleich vom anderen Seienden isoliertes Seiendes zu erfassen. Das In-der-Weltsein muss immer als ein Bei-dem-Seienden-Sein betrachtet werden. Ansonsten wäre die Subjekt-Objekt-Beziehung durch solche neue Begrifflichkeit durch nichts weiter als einer gekünstelten Sprache überwunden worden, welche wirklich nichts Neues sagt.100 Das Dasein versteht bzw. erschließt seine Welt von vornherein im Umgang, sodass alles, was das Dasein erfährt, alles, womit es umgeht, immer schon einen Sinn bzw. eine Bedeutung hat. Deshalb geht das Dasein zunächst mit bestimmtem Seienden und nicht mit ›reinen‹ sinnlichen Daten um, weil Dasein vom In-Sein bzw. von einer verstehenden Transzendenz ausgemacht ist. Das Dasein »ist als wesenhaft verstehendes zunächst beim Verstandenen«.101 Zur Seinsverfassung des Daseins gehört das Seinsverhältnis, dessen widerholende Analyse es als ein die Gegenwart stiftendes Gegenwärtigen interpretiert. In diesem Sinne, weil das Gegenwärtigen und das Gegenwärtigte in einer engen Beziehung stehen, die das Dasein entstehen lässt, ist das Sein des Daseins dieses Verhältnis selbst.102 Das Sein-beim Seienden hängt mit dem »bin« des Selbst zusammen. Sofern Dasein existiert, kann es nicht sein und nicht zugleich beim Seienden sein. Wenn ich bin, bin ich in-einer-Welt, und wenn ich in-einer-Welt-bin, dann bin ich bei dem Seienden. So ist das Sein-bei des Daseins »ein im In-Sein fundiertes Existenzial«.103 Die horizontale Dimension, in der das Dasein beim Seienden ist, gründet auf die selbsthaft ekstatische Dimension der seinsverstehenden Erschlossenheit, wegen der das Dasein in-der-Welt-ist. Diese Gründungsbeziehung hat dennoch mit einer kausalen Beziehung zwischen verschiedenen Geschehnissen oder Seienden nichts zu tun, denn um eine kausale Beziehung zu identifizieren, sind mindestens zwei »Dinge« nötig, was nicht der Fall ist. Der Unterschied von beiden Dimensionen der Erschlossenheit ist keine distinctio 100
101 102 103
Ein paar Beispiele dieses Fehlers: Sallis versteht das Dasein wie ein Subjekt, obwohl er das Gegenteil behauptet. Das wird offensichtlich bei seiner These der »Verdopplung der Wahrheit«, nach der er versteht, dass das Entdecken und das Entdeckendsein des Daseins eine Gegenüberstellung ausmachen. (Vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 90 f.) Das gleiche Problem ist bei der Interpretation von Basso unter dem Begriff der »Dualität des Apriori« zu beobachten, die auch eine Lektüre der Fundamentalontologie nach der Subjekt-Objekt-Beziehung macht, als ob sie es nicht wäre. Dieser Fall aber stellt das große Problem dar, dass Sein und Zeit in solcher Interpretation der Daseinsanalytik nicht einmal erwähnt wird, sondern nur die Marburger Vorlesungen. (Vgl. Leticia Basso, »Una lectura del concepto de a priori en la versión fenomenológica de las Marburger Vorlesungen (1923-1928)«, hg. von Adrián Bertorello, Studia Heideggeriana III, Heidegger y el problema del método de la filosofía (2014): 61-92.) Ein weiteres Beispiel: Mark Okrent, »The ›I Think‹ and the For-the-Sake-of-Wish«, in Transcendental Heidegger, hg. von Steven Crowell und Jeff Malpas (Stanford, California: Stanford University Press, 2007), 151-68. Solche Missdeutung geschieht nur, weil das Dasein nicht bidimensional verstanden wird. Das Verständnis der Bidimensionalität des Daseins ist von größter Bedeutung für eine angemessene Interpretation der Fundamentalontologie. Heidegger, Sein und Zeit, 164. Vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 73. Heidegger, Sein und Zeit, 54.
103
realis, weil die Termini für diese Dimensionen formale Anzeigen sind – distinctio formalis –; deswegen heben sie nur verschiedene Aspekte aus verschiedenen Perspektiven ein und desselben Phänomens heraus, nämlich die Erschlossenheit überhaupt. »Das Dasein muß bei den Dingen sein.«104 Das Sein-bei des Daseins unterscheidet sich von jedem Sein-neben des vorhandenen Seienden, weil dem Vorhandenen kein Seiendes sich im Sein-neben zeigt, während dem Dasein das Seiende im Sein-bei erscheint, sodass das Dasein sich intentional auf solches Seiende richten kann, das im besorgenden Umgang begegnet. Sofern Dasein immer Vollzug bzw. Konkretion der Möglichkeiten seines Seins ist, muss Zweifaches festgestellt werden: »1. Zum Begriff der Existenz gehört das Inder-Welt-sein; 2. Faktisch existierendes Dasein, faktisches Inder-Welt-sein, ist immer schon Sein bei innerweltlichem Seienden.«105 Wie lässt sich also das Dasein vom Subjekt unterscheiden, wenn solches Subjekt sich auch intentional verhält? Ein Subjekt kann nicht entscheiden, ob es sich überhaupt ausrichtet, sondern nur gewissermaßen, worauf es sich ausrichten will bzw. kann, weil das Subjekt wesenhaft ausgerichtet-auf ist.106 Durch die Intentionalität transzendiert das Subjekt und erreicht das Objekt, worauf es sich ausrichtet. Es bedeutet, dass das intentionale Verhältnis vom Subjekt zum Objekt irgendwie rein ist, d. h., in keiner Welt geschieht. Ein Subjekt kann sich aber nur als ›weltlos‹ verstehen, wenn es schon im Vorhinein irgendwie eine Welt ›hat‹. Es bedeutet, dass ein solcher Begriff des Subjekts nur auf der versäumten Struktur der Existenz aufgebaut werden kann. In anderen Worten: Nur ein Dasein könnte als Subjekt missdeutet werden.107 Die Existenz ist eine Transzendenz, aber nicht eine, die sich auf ein Objekt ausrichtet, sondern eine, welche die Entdeckung bzw. Freigabe des Seienden bedeutet, aufgrund deren erst ein Sich-Richten-auf möglich ist. Deshalb konstituiert sich die Intentionalität als eine »ontische Transzendenz«, weil sie immer hinsichtlich eines schon vorliegenden Seienden geschieht, während die Transzendenz der Erschlossenheit, welche sich als Feld der Möglichkeit des Seins-
104 105 106 107
104
Heidegger, Grundprobleme, 229. Heidegger, 239. Vgl. Heidegger, 84. Die Diskussion über den hierarchischen Zusammenhang vom Dasein und Subjekt, also die Frage danach, ob das Dasein vor dem Subjekt (vgl. Simon Critchley und Peter Dews, »Introduction«, in Deconstructive Subjectivities (Albany N. Y.: SUNY Press, 1996), 5.) oder ob es nach ihm ist (vgl. Eduardo Cadava, Peter Connor, und Jean-Luc Nancy, Hrsg., Who Comes After the Subject? (New York: Routledge, 1991).) ist völlig zwecklos, weil beide Stellungsnahmen das echte Problem missverstehen! Das Dasein ist kein Seiendes, das zum Subjekt wird oder das aus dem Subjekt stammt, sondern die richtige bzw. angemessenste philosophische Deskription der Seinsart des Menschen, während das Subjekt nur eine philosophische Fiktion ist. Das Dasein ist weder vor noch nach dem Subjekt, weil es kein Subjekt gibt!
beim Seienden entfaltet, vielmehr eine vorontologische Transzendenz besdeutet.108 Das Dasein als bidimensional erschlossen ist-in-der-Welt-bei-den-Dingen. Das innerweltlich begegnende Seiende kann nur in einer schon erschlossenen Welt sein, was es ist. Aber was und wie das innerweltliche Seiende ist, zeigt sich völlig anders, als was und wie die Welt ist. Das Seiende ist ein gewisses Etwas, dessen Sein verschiedener Art sein kann, während die Welt die Präsenz des Da ausdrückt, in dessen Präsenz das Seiende eine gewisse Seinsart haben kann. Daher gehört die Wahrgenommenheit zum wahrgenommenen Vorhandenen, ohne ein Vorhandenes zu sein, aber auch gehört sie zum Dasein, ohne subjektiv zu sein.109 Dieser Unterschied von Welt und Innerweltlichem besagt den Unterschied von Sein und Seiendem bzw. die ontologische Differenz. Im Phänomen der Erschlossenheit des Daseins liegt die Erschlossenheit des Seins überhaupt, in der »Heidegger das Wesenhafte des Seins selbst« sieht.110 Die Absicht der Fundamentalontologie ist, keine Anthropologie zu leisten, sondern eine Interpretation des Seins, die allen anderen Interpretationen des Seins zugrunde liegt. Warum muss das Dasein – das Seiendes ist – untersucht werden, wenn das Bezweckte das Sein ist? Weil das Dasein seine Erschlossenheit ist, d. h: »das Sein, darum es diesem Seienden in seinem Sein geht, ist, sein ›Da‹ zu sein«.111 Die Bidimensionalität der Erschlossenheit bedeutet, dass es nicht möglich ist, dass das Sein des Daseins sich erschließt112, ohne zugleich im Verhältnis zum Seienden zu sein. Die dem Dasein einzige mögliche Innerlichkeit ist die das Sein des Seienden konstituierende Äußerlichkeit seiner begegnen lassenden Welt. In diesem Da der Existenz ist erst möglich, dass etwas ist. Deshalb ist das Dasein das Objekt der fundamentalontologischen Untersuchung, weil das Dasein als erschlossen der ›Ort‹ ist, wo alles sein kann, d. h., das Dasein ist das, »von wo aus« das Sein sich entfaltet. Im Da des Daseins entsteht das Sein des Seienden. Das Sein, das sich in der Existenz erschließt, ist immer das Sein eines Seienden. Dem Sein des Daseins geht es um sein eigenes Sein und um das des anderen Seienden. Das Dasein kann daher nicht das Sein rein erschließen und sich direkt mit seiner Betrachtung ohne das Seiende beschäftigen – auch nicht die Philosophen! Demgegenüber kann das Dasein eine Erfahrung des Seins nur über das Seiende haben, dessen Sein untersucht wird. Bei der Analytik des innerweltlichen Seienden wird jeweilig eine Regionalontologie erreicht, während 108 109 110 111 112
Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 168. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 97-98. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Subjekt und Dasein : Grundbegriffe von »Sein und Zeit«, 4., unveränd. Aufl. (Frankfurt am Main: Klostermann, 2014), 21. Heidegger, Sein und Zeit, 133. »Sich-erschließen« ist ein irreführender Ausdruck, weil das Dasein sich nicht erschließen kann, als ob es um eine Entscheidung gehen würde, aus der heraus es sich auch »verschließen« könnte. Hingegen ist das Dasein immer schon erschlossen als welt- und sich-erschließend.
105
nur durch die Daseinsanalytik eine Fundamentalontologie geschafft werden kann. Sofern sich Dasein zum Seienden verhält, entdeckt Dasein nicht nur ein bloß vorhandenes Seiendes, sondern das Dasein erschließt auch das Sein solchen Seienden. Anders gesagt: Seiendes kommt immer sinnvoll vor. Deswegen sind Erschlossenheit und Entdecktheit nur formal zu unterscheiden, weil »die Erschlossenheit (Enthülltheit) des Seins fundiert, d. h. den Grund, das Fundament gibt für die Möglichkeit der Entdecktheit des Seienden«.113 Die Erschlossenheit des Seins und die Entdecktheit des Seienden hängen zusammen und bilden eine Einheit, obwohl sie formal nicht identisch sind, weil die Erschlossenheit Fundament ist, indem sie auf das Entstehungsmoment dieses Zusammenhanges verweist. In solchem Phänomen liegt die Möglichkeit, den Unterschied zwischen dem in der Entdecktheit entdeckten Seienden und dem in der Erschlossenheit erschlossenen Sein zu fassen, d. h. die Unterscheidung zwischen Sein und Seiendem, die ontologische Differenz zu fixieren.114
Die ontologische Differenz, d. h. der Unterschied zwischen erschlossenem Sein und entdecktem Seienden, hat deswegen ihr Fundament in der bidimensionalen Transzendenz des Seinsverständnisses. In Worten von Heidegger: »Diesen Grund der ontologischen Differenz nennen wir […] die Transzendenz des Daseins.«115 Sein und Seiendes sind zu unterscheiden, weil das Sein zur Transzendenz des Daseins gehört, deren Grundstruktur durch die Bidimensionalität ausgemacht ist. Solche Bidimensionalität macht aus dem Dasein ein echt transzendentes seinsverstehendes Seiendes. Nur in solchem Seinsverständnis ist Sein möglich, deswegen ist die Bidimensionalität der Grund der ontologischen Differenz.
113 114 115
106
Heidegger, Grundprobleme, 102. Heidegger, 102. Martin Heidegger, »Vom Wesen des Grundes«, in Wegmarken, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Gesamtausgabe 9 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1976), 135. Erstaunlicherweise versteht Trawny dieses Zitat umgekehrt, sodass es für ihn bedeutet, dass die ontologische Differenz als Grund (genitivus explicativus) die Dimension der Welt bzw. Transzendenz erst gibt (vgl. Trawny, Martin Heidegger, 63.), obwohl es im Zitat klarerweise um das Gegenteil geht: Die ontologische Differenz hat einen Grund (genitivus obiectivus), nämlich die Transzendenz des Daseins.
Kapitel IV: Die horizontale Erschlossenheit der Welt Der bidimensionale Charakter des Phänomens der Erschlossenheit wurde schon in groben Zügen dargestellt. Jetzt ist die Aufgabe der Untersuchung, die horizontale Dimension abzubauen. Sie ist zuerst dran, weil sie auch die erste in der Ordnung der Erfahrung ist. Wie erschließt sich die horizontale Dimension der Erschlossenheit und wie gliedert sie sich? Was für ein Zusammenhang bildet die horizontale Dimension mit der selbsthaft ekstatischen? Im alltäglichen Verstehen, was die Umsicht ist, erschließt sich die Welt, damit das alltäglich begegnende Seiende dem Dasein zugänglich wird. Solche Zugänglichkeit bzw. solches ständige Verhältnis des Daseins zum innerweltlichen Seienden nennt Heidegger die »Vertrautheit mit Welt«.1 Diese Untersuchung wird diesen Begriff interpretieren als eine Zusammengehörigkeit vom Dasein und Welt, d. h. als Bidimensionalität. Die Vertrautheit mit Welt ermöglicht dem Dasein immer im Verhältnis zum Seienden sein zu können. Das Verhalten des Daseins ist Besorgen als Umgang mit dem innerweltlichen Seienden und gründet auf das Verhältnis, das es selbst wesenhaft ist. Um diese Interpretation leisten zu können, wird erstens das alltägliche Begegnen des Seienden thematisiert, um seine ermöglichenden Strukturen zeigen zu können (§ 13. Das im Umgang zunächst begegnende Seiende ist kein vorhandenes Ding). So wird zweitens gezeigt, dass die Welt einen Spielraum ausmacht, in dem jedes Seiende begegnen kann, dessen Struktur von einer Verweisungsganzheit konstituiert wird (§ 14. Die Welt ist eine Verweisungsganzheit). Drittens wird erklärt, warum die Welt auf keinen Fall als eine Struktur interpretiert werden darf, an die das Dasein sich irgendwie anschließen kann, sondern als eine Struktur, die das Dasein als In-Sein ist (§ 15. In-der-Welt-sein ist das bidimensionale Verweisendsein des Daseins). Dieser letzte Punkt bedarf aber weiterer Erläuterungen: So wird viertens diese existenzial räumliche Welt als Horizont interpretiert (§ 15. a. Welt ist der Horizont der bidimensionalen Erschlossenheit) und fünftens erklärt, dass diese horizontale Welt zum In-der-Welt-sein als Konkretion seines In-Seins gehört (§ 15. b. Die ekstatische Dimension des In-Seins ist das Fundament der Welt). Durch diese Struktur wird es letztendlich möglich zu verstehen, wie die Umsicht des Besorgens als Sich-fügen in die Struktur des ›Um … zu‹ möglich ist.
1
Heidegger, Sein und Zeit, 76.
107
§ 13. Das im Umgang zunächst begegnende Seiende ist kein vorhandenes Ding Die Phänomenologie als Untersuchung des Seins, wird zum eigenständigen und ausdrücklichen Vollzug des Seinsverständnisses, das in jedem Umgang mit Seiendem »lebendig« ist.2 Deswegen wird in der Fundamentalontologie Seiendes analysiert, mit dem das Dasein zunächst und zumeist umgeht, weil dieser Umgang auf dem Besorgen gründet, welches ein Konstituens der Seinsverfassung des Daseins ist: der Vollzug des Seinsverständnisses. Die Untersuchung fängt mit dem Selbstverständlichsten an und geht in die Richtung seines Grundes weiter. Die Untersuchung ist eine ontologische, deswegen hat die Analyse des begegnenden Seienden nur den Zweck, seine Seinsstruktur zu bestimmen und nicht seine seienden Beschaffenheiten zu erkennen. Das Besorgen des Umgangs mit dem Seienden zeigt sich von vornherein als Besitzer einer gewissen »Erkenntnis«, die sich im Hantieren und Gebrauchen meldet. Immer – oder mindestens fast immer –, wenn wir mit etwas umgehen, ›wissen‹ wir irgendwie, wie es – in groben Zügen – zu gebrauchen ist. Diese Erkenntnis lässt sich von diesem selbstverständlichen Gebrauch führen, deshalb hat sie die Form eines Sichversetzens ins Besorgen. Dieses Sichversetzen ist keine Tätigkeit, die das Dasein durchführt, als ob es ihm darum geht, sich für den Umgang vorzubereiten oder in einen neuen Zustand zu geraten. Nein. Das Sichversetzen ist vielmehr die Weise, in der das Dasein immer schon ist. Dasein ist immer schon ins Besorgen versetzt.3 In diesem Umgang hat das Dasein fortwährend ein Verhältnis zum Seienden. Aber zu welchem Seienden? Das Seiende, mit dem das Dasein sich zunächst verhält, sind die Dinge, aber nicht die Dinge unter seiner Dingheit oder Realität verstanden, weil diese Form nicht die zunächst begegnende ist. Das im Umgang ›zunächst gegebene‹ Seiende sind die Dinge, mit denen wir ›etwas‹ im Hantieren und Gebrauchen tun. Sofern der besorgende Umgang πρᾶξις ist, sind die zu ihm gehörigen Dinge πράγματα, was in der deutschen Sprache normalerweise »Zeug« genannt wird. In der Fundamentalontologie wird das Zeug als das »im Besorgen begegnende Seiende« verstanden.4 Das im nächsten Umkreis der menschlichen Verhaltungen zunächst und ständig Vorliegende und demgemäß ständig Verfügbare ist das Ganze der Gebrauchsdinge, mit denen wir ständig zu tun haben, das Ganze der seienden Dinge, die selbst ihrem eigenen Sinne nach aufeinander eingespielt sind, das gebrauchte Zeug und die ständig genützten Erzeugnisse der Natur: Haus und Hof, Wald und Feld, Sonne, Licht und Wärme.5
2 3 4 5
Vgl. Heidegger, 67. Vgl. Heidegger, 67. Heidegger, 68. Heidegger, Grundprobleme, 152 f.
108
Das Zeug begegnet im Besorgen des Umgangs. Das bedeutet, dass ein Zeug immer in Verhältnis zu anderem Seienden verstanden wird, weil mit einem Zeug ›etwas‹ getan wird, d. h., das Zeug ist etwas, um ›etwas‹ zu tun. Ein »Zeug ist wesenhaft ›etwas, um zu … ‹«,6 deswegen braucht solches Zeug immer ein Zeugganzes, um zu sein, was es ist, weil ein Zeug eigentlich kein Zeug ist. In anderen Worten: Sofern das Sein des alltäglich begegnenden Seienden ein verweisendes ›Um zu‹ ist, kann es nie isoliert verstanden werden. Deswegen gehört ein Zeug immer zu einem anderen Zeug. So verweist ein Zeug als Zeug immer auf viele andere Zeuge. Die Verweisungen haben Sinn als eine Ganzheit, denn eine Verweisung bekommt ihren Sinn aus ihrem Zusammenhang. Eine isolierte Verweisung hat in diesem Sinne keinen Sinn. Die Zeugganzheit ist vor: Ein Hammer ist viel weniger Hammer auf dem Altar der Messe als auf dem Werktisch in der Schreinerwerkstatt. Das Dasein verhält sich als existierendes nie je nur zu einem Objekt, und wenn, dann nur in der Weise des Absehens von zuvor und zugleich immer miterscheinenden anderen Seienden. Diese Mannigfaltigung geschieht nicht dadurch, daß es mehrere Objekte gibt, sondern umgekehrt.7
Wie Heidegger behauptet, »das phänomenologisch vorthematische Seiende, hier also das Gebrauchte, in Herstellung Befindliche, wird zugänglich in einem Sichversetzen in solches Besorgen«.8 Die Verwendbarkeit und die Weise, wie etwas uns beim Gebrauch zugänglich ist, wird beispielsweise durch eine Betrachtung, welche die Ausschaltung der Wirklichkeit der Dinge vollzieht – wie bei der Husserl’schen Phänomenologie –, völlig unzugänglich. Es geht nicht nur darum, keine Einstellungswendung durch eine Einklammerung der Welt zu vollziehen, sondern sich völlig auf eine solche Situation zu fokussieren, auf die wir uns nicht nur nicht ›einstellen‹ müssen, sondern in der wir immer schon sind.9 Das Dasein als Besorgen versetzt sich nach der Zeugganzheit ins Tun. Je angemessener der Gebrauch des Zeugs ist, desto weniger merkt das Besorgen das ›Ding‹, das im Hantieren verwendet wird. Im Umgang unterstellt sich das Besorgen dem fürs Zeug konstitutiven ›Um zu‹. Was ich jetzt z. B. mache, wenn ich auf diesem Papier schreibe, ist, meine Ideen und mein Verständnis der Heidegger’schen Philosophie auf dem Papier widerzuspiegeln. Das ist gerade, was ich tue. Die Hantierung des Bleistifts und der Bleistift selbst sind verschwunden. Die Weise, in der ich den Bleistift verstehe, solange ich mit ihm schreibe, ist nicht die von der Anwesenheit von etwas, was nach seinen Beschaffenheiten betrachtet wird, sondern er kommt in der Verwendbarkeit zu … vor: Der Bleistift ist hinter dem Schreiben zurückgezogen. »Das Eigentümliche des zunächst 6 7 8 9
Heidegger, Sein und Zeit, 68. Heidegger, Anfangsgründe, 173. Heidegger, Sein und Zeit, 67. Vgl. Heidegger, 67.
109
Zuhandenen ist es, in seiner Zuhandenheit sich gleichsam zurückzuziehen, um gerade eigentlich zuhanden zu sein.«10 Dieses ›Um zu‹ ist das, was gewissermaßen ›anwesend‹ ist und wodurch das Ding erfahren wird. Was im Gebrauch zuhanden ist, ist gerade dieses seiende ›Um zu‹. Das Seiende, das sich in der Verwendbarkeit zeigt, hat die Seinsart der Zuhandenheit. Zuhandenheit ist keine Seinsart der Anwesenheit, sondern sie ist »die ontologisch-kategoriale Bestimmung von Seiendem, wie es ›an sich‹ ist«.11 Beim Gebrauch geht das Dasein mit dem Seienden direkt um, ohne zu betrachten, was das Ding ist, sondern nur in der Weise, sein »Um-zu« zu vollziehen. Dennoch »gibt es [Zuhandenheit] nur auf dem Grunde von Vorhandenem«12 und klar ist, dass im Umgang ein gewisses Etwas gebraucht wird; ein Etwas, das vorhanden sein muss, was hinsichtlich einer Verweisungsganzheit in seinem »Um-zu« verstanden wird. Der Umgang mit dem Seienden ist kein desorientierter. Er weiß immer oder meistens, was mit dem Zeug zu tun ist, mit dem er umgeht. Der Umgang unterstellt sich der Verweisungsmannigfaltigkeit des ›Um zu‹ und so gewinnt er seine eigentümliche Orientierung. Das Seiende des Umgangs ist etwas, um … zu …, und in diesem ›Um zu‹ verweist solches Seiende immer auf anderes Seiendes bzw. auf eine Ganzheit von Zeug, welches als Verweisendes eine Verweisungsganzheit konstituiert. Das Dasein richtet sich beim Besorgen des Umgangs gemäß seiner Unterstellung solcher Verweisungsganzheit aus, d. h., solche Unterstellung macht die Sicht des daseinsmäßigen Tuns aus. Es heißt, die Verwendbarkeit oder Dienlichkeit eines Seienden lässt sich nie durch eine theoretische Betrachtung oder eine wissenschaftliche Beobachtung finden. Solche Sicht des Umgangs ist die Umsicht. Sie ist die Weise, in der das Dasein immer verstehend ist. Das Verstehen des Daseins ist also zunächst eine Unterstellung einer gewissen Gliederung. So bedeutet das »nächst alltägliche Sein bei der Welt:13 besorgender Umgang mit zuhandenem Zeug, genauer Zeugganzheit«.14 Das faktische Besorgen ist nicht der Umgang mit einem Ding, sondern mit einer gegliederten Ganzheit bzw. mit einem Verweisungszusammenhang.15
10 11 12 13
14 15
Heidegger, 69. Heidegger, 71. Heidegger, 71. »Welt« soll hier nicht im ontologisch-existenzialen Sinne verstanden werden. Der Unterschied von Welt und innerweltlichem Seienden wurde in den Jahren vor Sein und Zeit nicht endgültig ausgearbeitet. Also wenn Heidegger hier über ein »Sein bei der Welt« redet, will er wirklich sagen, was in Sein und Zeit »Sein bei innerweltlichem Seienden« bedeutet. Heidegger, Geschichte, 22. Heidegger vermeidet ständig das Wort Ding, um das Seiende zu benennen, weil diesem Terminus die ontologische Charakteristik zugrunde liegt, die eine kategorial zu bestimmende ausgedehnte Substanzialität (res extensa) meint. Heidegger will die Begrifflichkeit seiner Analyse von dieser Prägung befreien, weil dies einer abgeleiteten Interpretation der menschlichen Erfahrung entspricht. (Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 89-101.)
110
Das zuhandene Seiende ist nie durch eine isolierte Beobachtung oder einer theoretischen Betrachtung zugänglich, weil die Zuhandenheit nur zum Seienden gehört, sofern diese zur Verweisungsganzheit des Werkes gehört. Deswegen ›zieht sich‹ das Zeug in seiner Zuhandenheit ›zurück‹, weil das im Besorgen Vorkommende das ›Um zu‹ der Verwendbarkeit solches Dings ist, während das Ding als Ding verschwindet. Was vorkommt, ist das ›Um zu‹ und in diesem ›Um zu‹ das Werk. »Das Werk trägt die Verweisungsganzheit, innerhalb derer das Zeug begegnet.«16 Wenn das Zuhandene aus dem Werk ›herausgenommen‹ wird – wenn es aus seinem Zusammenhang gerissen wird –, dann verliert es sein ›Um zu‹ und deswegen auch seine Zuhandenheit, sowie es mit dem Beispiel des Hammers, der auf dem Altar der Messe liegt, gezeigt wurde, denn »[d]ie Struktur des Seins von Zuhandenem als Zeug ist durch die Verweisungen bestimmt«.17 Das Werk ist auch zuhanden, da sein Sein vom Wozu seiner Verwendbarkeit charakterisiert wird, genauso wie das vom Zeug. Und umgekehrt: Ein Zeug wird von und mit anderen Dingen hergestellt. Deswegen ist ein Zeug auch ein Werk, wie z. B. der Hammer des Schreiners, der diesen gebraucht, um ein Möbelstück herzustellen. Das Möbelstück ist das Werk des Hammers, aber das Möbelstück ist beispielweise auch dafür da, um am Tisch zu sitzen – das Werk ist zuhanden –, und der Hammer wurde mit Holz und Metall hergestellt – das Zeug ist Werk. Der Gebrauch des Holzes und des Metalls hat Sinn in der Herstellung eines Werkzeugs, um Möbelstücke aufzubauen. Metall und Holz sind also auch zuhanden und der Hammer ist auch Werk. So gibt es aus den Materialen bis zum vollständigen Werk eine Reihe von Verweisungsstufen. Metall und Holz sind z. B. dafür da, einen Hammer herzustellen, der Hammer ist, um ein Haus aufzubauen, und das Haus ist, um in ihm zu wohnen. Die Verweisungsstufen verweisen in ihrem Ursprung – im Woraus ihrer materiellen Konstitution – auf die Natur. Diese Natur ist aber nach Heidegger keine anwesende Natur, d. h., sie ist kein Ding, sondern auch Zeug. Sie ist eine Natur, um genutzt zu werden. Die Natur – als Quelle der Materialien jedes Zeugs – kommt auch im ›Um zu‹ ihrer Verwendbarkeit vor. Die Verweisungen der Verweisungsstufen sind also dreifach: Erstens verweist das Werk auf das Wozu der Verwendbarkeit, zweitens verweist das Werk auch auf die Materialen als das, woraus es besteht, und drittens verweist das Werk auf seinen Träger oder Benutzer, d. h. auf denjenigen, der solches verwenden kann, bzw. auf denjenigen, der solches ein Zeug sein lässt. Unter allem Zeug gibt es eins, das für den Zweck der Fundamentalontologie methodisch ausgezeichnet ist, denn solches Zeug entdeckt für das In-der-Weltsein eine Zeugganzheit, auf welche solches Zeug zeigt. Es heißt, solches Zeug macht die verweisende Struktur der Welt ausdrücklich. Diese ›Verweisung‹ Zei16 17
Heidegger, 70. Heidegger, 74.
111
gen ist die spezifische Dienlichkeit eines Zeugs, nämlich das Zeichen. »Zeichen begegnen uns umweltlich; Zeichen sind Umweltdinge«, also sind sie innerweltliches Seiendes, wie alles, was dem Besorgen begegnet.18 So wie der Hammer ist, um zu hämmern, ist das Zeichen, um zu zeigen. Diese Verweisung ist aber von der Verweisung der »Dienlichkeit zu« zu unterscheiden, weil diese »eine ontologisch-kategoriale Bestimmtheit des Zeugs als Zeug« ist.19 Das Zeigen des Zeichens ist eine mögliche Konkretion der Dienlichkeit eines Zeugs und bestimmt sie nicht wesenhaft. »Jede ›Zeigung‹ ist eine Verweisung, aber nicht jedes Verweisen ist ein Zeigen«.20 Das In-der-Welt-sein erfährt das Zeichen sinnvoll. Das Dasein geht mit dem Zeichen mit, welches solchem Dasein umsichtig besorgend im Umgang erscheint, und in solchem Mitgehen bringt es »das jeweilige Umhafte der Umwelt in eine ausdrückliche ›Übersicht‹«.21 Das Dasein kann sich jetzt so innerhalb der Umwelt orientieren, indem es dem Zeichen folgt, ohne das Zeichen als Zeigding zu betrachten, sondern indem das Dasein sich vom ›Um zu‹ des Zeichens dient. Ein Zeichen ist also »ein Zeug, das ein Zeugganzes ausdrücklich in die Umsicht hebt, so daß sich in eins damit die Weltmäßigkeit des Zuhandenen meldet«.22 Wenn das Zeichen dem Dasein eine Orientierung in der Umwelt gibt, bedeutet es, dass das Zeigen des Zeichens die verweisende Struktur des zunächst begegnenden Seienden ausdrücklich macht. Das Zeichen ist also ein exemplarisches Seiendes, weil in seinem Fall die Struktur der Zuhandenheit und die Dienlichkeit eines spezifischen Zuhandenen zusammenfallen. Die Dienlichkeit des Zeichens – spezifisches ›Um zu‹ des Zeigens – offenbart so die Struktur des Seins jedes Zeugs, nämlich die Verweisung des ›Um zu‹ als solches. »Zeichen ist ein ontisch Zuhandenes, das als dieses bestimmte Zeug zugleich als etwas fungiert, was die ontologische Struktur der Zuhandenheit, Verweisungsganzheit und Weltlichkeit anzeigt.«23 Hermeneutisch phänomenologisch betrachtet spielt das Zeichen eine wichtige Rolle in der Analyse, weil solches ein Seiendes ist, das eine gewisse Struktur hat, in der sich eine zugrunde liegende Struktur meldet. So wird durch die Analyse dieses Seienden die Struktur seines Seins gewonnen. Das ist ein perfektes Beispiel einer hermeneutisch phänomenologischen Analyse und der Bedeutung der ontologischen Differenz in der Daseinsanalytik bei ihrer Funktion als Fundamentalontologie.
18 19 20 21 22 23
Heidegger, Prolegomena, 279. Heidegger, Sein und Zeit, 78. Heidegger, 77. Heidegger, 79. Heidegger, 80. Heidegger, 82.
112
§ 14. Die Welt ist eine Verweisungsganzheit Das zuhandene Zeug begegnet sinnvoll und platziert, d. h. in seinem ›Um zu‹ innerhalb der Verweisungsganzheit, die zum Werk gehört. Die Verweisungsganzheit wird also vom Werk getragen.24 Das alltäglich begegnende Seiende kann deshalb nur dank der Verwendbarkeit zu … seines Seins als Zeug verstanden werden, d. h. immer auf anderes Seiendes verweisend. Die jetzige Aufgabe der Untersuchung besteht demzufolge darin zu verstehen, wie sich die Verweisungen in der Erfahrung zeigen und was sich in solcher Ganzheit meldet. Die Struktur der Verständlichkeit des zunächst begegnenden Seienden – die Verweisungsganzheit – bleibt dem Besorgen verborgen bzw. zurückgezogen, wenn beim Umgang alles richtig funktioniert. Es gibt aber ein Phänomen, durch welches die »Weltmäßigkeit des Innerweltlichen zum Vorschein kommt«. 25 Solches Phänomen besteht in einem gewissen Scheitern des Umgangs, in dem die Verweisungen sich als gestört zeigen. Die Verweisungen und der Verweisungszusammenhang, welche die Zuhandenheit des Zeugs konstituieren, werden ausdrücklich, wenn sie gerade gestört sind. Das Zeug wird ausdrücklich als Zeug für …, gerade wenn es dafür nicht funktioniert. Hermeneutisch phänomenologisch formuliert: Die Verweisung des Seins des Zuhandenen meldet sich in dem Sich-Zeigen einer Störung des Umgangs mit ihm. Die von Heidegger identifizierten Verweisungsstörungen sind drei: 1. Das Zeug zieht sich in seine Verwendbarkeit zurück. Das bedeutet, dass das, was als Seiendes vorkommt, gerade das ›Um zu‹ der Verwendbarkeit dieses Seienden ist. Wenn ich schreibe, gehe ich mit diesem Schreiben und nicht mit dem Bleistift um. Aber wenn die Spitze des Bleistifts plötzlich bricht, dann kann ich nicht mehr schreiben und der Bleistift wird für die Umsicht in seiner Unverwendbarkeit auffällig. Das Auffallen des unbrauchbaren Zeugs lässt die Umsicht seine Unverwendbarkeit entdecken und dieses »gibt [so] das zuhandene Zeug in einer gewissen Unzuhandenheit«26 bzw. in einer gewissen unvollständigen Vorhandenheit. Die Beschädigung des Zeugs ist dann nicht primär eine materielle Änderung des Seienden, sondern vielmehr eine Störung für uns Verwendende.27 2. Es kann auch passieren, dass ich schreiben will und zum Schreiben das Zeug dafür suche, aber solches ist nicht da, wo ich es gelassen habe. Das Zeug fehlt und ich vermisse es, indem es mir als unzuhanden vorfindlich ist. In solchem Vermissen wird das Zuhanden in einem gewissen Nurvorhandensein entdeckt. »Das Zuhandene kommt im Bemerken von Unzuhandenem in den Mo-
24 25 26 27
Vgl. Heidegger, 70. Heidegger, 73. Heidegger, 73. Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 84.
113
dus der Aufdringlichkeit.«28 Je mehr das Dasein ein gewisses Zuhandenes braucht, desto vorhandener kommt ihm dieses Zeug vor. 3. Ich könnte auch ein paar Randbemerkungen in meinem Exemplar von Sein und Zeit schreiben wollen und beim Schreiben dann merken, dass ich aus Versehen keinen Bleistift genommen habe, sondern einen Kuli. So kann dem Dasein auch Seiendes als nicht Passendes – als etwas, was einfach stört – vorkommen. Dies ist »Unzuhandenes in der Weise des Nichthergehörigen«.29 So wird das Seiende in seiner Aufsässigkeit sichtbar und in ihr meldet sich die Vorhandenheit des Zuhandenen als etwas, was erledigt werden soll. »Die Modi der Auffälligkeit, Aufdringlichkeit und Aufsässigkeit haben die Funktion, am Zuhandenen den Charakter der Vorhandenheit zum Vorschein zu bringen.«30 Das bedeutet, dass solche unzulänglichen Modi des Besorgens die Struktur der Verweisungsganzheit zeigen, welche das Sein des Zuhandenen konstituiert. Das Sein des Zuhandenen besteht also darin, dass es unauffällig, unaufdringlich und unaufsässig ist. Das kann aber nur auf eine negative Weise ausdrücklich werden. Wegen ihrer Störung wird die Verweisung und mit ihr die ganze verweisende Struktur des Werkes zum Vorschein gebracht. Mit dieser Verweisungsganzheit, die in die Sicht kommt, »meldet sich die Welt«.31 Was in solchem Sich-Melden dem Dasein mitgeteilt wird, ist weder Seiendes der Seinsart Zuhandenheit noch Vorhandenheit. Tatsächlich ist es kein Seiendes überhaupt, deshalb ist es »der Umsicht unzugänglich«,32 weil die Umsicht nur auf das Seiende zugreifen kann, mit dem solche Umsicht beim Besorgen oder bei der Fürsorge umgeht. Dieses ›Erfahren‹ der Welt ist auch kein Erkennen, weil das, was mitgeteilt wird, kein Objekt, sondern die Mitteilung selbst ist. Die Welt ist unzugänglich, weil sie selbst der Zugang ist. Die Welt »wird nicht thematisch wahrgenommen, nicht gedacht, nicht gewußt, und gerade darin gründet die Möglichkeit einer ursprünglichen Realität. Ihre Anwesenheit besagt Nichtgegenständlichkeit als Erfaßtes.«33 Die Welt kann nicht erkannt werden, wie Seiendes erkannt wird, und trotzdem ist sie uns nicht ganz fremd. Irgendwie hat sie sich uns mitgeteilt bzw. gezeigt. Dieser uns mitteilende Zugang hat den Charakter eines ›Erschließens‹ und er selbst ist »für die Umsicht je schon erschlossen«.34 Diese erste Beschreibung der Struktur der Welt kann ontologisch noch näher interpretiert werden. Eine solche Interpretation der Erschlossenheit der Welt liegt in der Struktur des Gebrauchs des Zeugs, welche die Erschließung des Seins des zunächst begegnenden Seienden als Zuhandenheit ermöglicht. Solche 28 29 30 31 32 33 34
Heidegger, Sein und Zeit, 73. Heidegger, 73. Heidegger, 74. Heidegger, 75. Heidegger, 75. Heidegger, Prolegomena, 236. Heidegger, Sein und Zeit, 75.
114
Struktur ist die der Verweisungsganzheit, welche durch das Phänomen der Verweisungsstörungen explizit geworden ist. Im Phänomen der Verweisungsstörung als Fehlen des zuhandenen Seienden – die Aufdringlichkeit – öffnet sich die Möglichkeit einer solchen radikaleren Interpretation der Daseinsanalytik: Die Umsicht stößt ins Leere und sieht erst jetzt, worfür und womit das Fehlende zuhanden war. Wiederum meldet sich die Umwelt. Was so aufleuchtet, ist selbst kein Zuhandenes unter anderen und erst recht nicht ein Vorhandenes, das das zuhandene Zeug etwa fundiert. Es ist im »Da« vor aller Feststellung und Betrachtung. Es ist selbst der Umsicht unzugänglich, sofern diese immer auf Seiendes geht, aber es ist für die Umsicht je schon erschlossen.35
Aus dieser Passage lässt sich verstehen: Wenn das Dasein etwas braucht und solches ihm nicht zur Verfügung steht bzw. fehlt, kommt dem Dasein solches Seiende in einer gewissen Vorhandenheit vor, obwohl da nichts Vorhandenes ist. Das Seiende ist anwesend als Fehlendes, obwohl es da nichts gibt, was dieses Seiende ist. Das Fehlen eines Zuhandenen, d. h. seine Abwesenheit, hat die ausgezeichnete Funktion zu zeigen, dass die Zuhandenheit solches fehlenden besorgten Seienden sich in der Unzuhandenheit konstituiert. Die Abwesenheit des Seienden zeigt, dass das Begegnen dieses Seienden auf das Immer-schon-anwesend-Sein der Welt gründet.36 Dies zeigt von vornherein, dass das Sein des Seienden – in diesem Falle Zuhandenheit und Vorhandenheit – von der Zugangsart des Daseins beim Umgang abhängig ist. Diese Zuhandenheit des Zeugs, die in der Welt des Daseins erschlossen wird, ist also nichts im Dinge, sondern die Art des Zugangs zu solchem Seienden. Es kommt darauf an, wie das Dasein auf das Seiende zugreift, damit das Sein eines solchen Seienden als Zu- oder Vorhandenheit bestimmt wird. Wenn hermeneutisch phänomenologisch ausgelegt wird, dass das Zuhandene das »Nächstverfügbare« und das Vorhandene das »Immer-schon-da« bedeuten,37 muss auch immer verstanden werden, dass ein solcher Zusammenhang so und so für ein jeweiliges Dasein geschieht. Das Phänomen der Störungen der Verweisungen zeigt also, dass nicht nur die Struktur des Seins des zunächst begegnenden Seienden durch die Verweisungen konstituiert ist und, dass die Welt sich in der Verweisungsganzheit meldet, sondern auch dass das Sein des Seienden durch die Weise des besorgenden Umgangs, d. h. des verhaltenden Zugangs, bestimmt wird. Daraus folgt, dass solches Sein zunächst zu keinem vorhandenen Seienden bzw. Ding gehört. Das zuhandene Zeug fundiert sich auf ein Vorhandenes, das hinter dem »Um-zu« verschwindet.38 Ohne Vorhandenes ist der Umgang unmöglich und ohne Umgang gibt es kein Zuhandenes. Deswegen kommt das Seiende beim Fehlen irgendwie weder vorhanden noch zuhanden vor. Solches Seiende ist dem Dasein in seinem »Da« gegeben. Das Da aber ist 35 36 37 38
Heidegger, 75. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 256 f. Heidegger, 263. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 75.
115
das Dasein selbst. Das Seiende ist so für die Umsicht, durch sie selber, je schon erschlossen. Das Seiende ist irgendwie innerweltlich da, obwohl in der »Welt« nichts ist. Es ist anregend, dass Heidegger gerade hier bei der Erläuterung des Fehlens den Begriff der Erschlossenheit einführt und als »Aufgeschlossenheit« definiert.39 Einer der wichtigsten Begriffe der Fundamentalontologie kommt ans Licht, gerade wenn Seiendes vor dem Dasein weder vorhanden noch zuhanden ist. Die Erschlossenheit ist die wesenhafte Struktur der Transzendenz des Seinsverständnisses, welche das Dasein ausmacht. Die Welt besteht also »nicht aus dem Zuhandenen«.40 Deswegen kann Seiendes innerweltlich in seiner Unzuhandenheit oder bloßen Vorhandenheit begegnen, obwohl nichts da ist. Beim Fehlen ist Seiendes nicht da und in diesem Fehlen erscheint es trotzdem gewissermaßen »da«. Das Da, wo etwas Fehlendes erscheinen kann, muss ein daseinsmäßiges sein, das von einem physisch vorhandenem Da scharf zu unterscheiden ist. Das ist nur möglich, wenn die Welt kein Seiendes ist und das Sein des Seienden durch die Welterschließung des Daseins dem Seienden »gegeben« wird. Das Vorhandensein eines Seienden ist also radikal anders als seine Zu- oder Vorhandenheit. Solcher Unterschied zwischen Vorhandensein und Vorhandenheit zeigt sich als ein erster Fund auf der Spur des fundamentalen Unterschieds. Hier hat diese Untersuchung eine erste Näherung auf ihre Hauptproblematik gewonnen. Die hermeneutisch phänomenologische Erläuterung dieser Frage wird aber erst in der letzten Phase dieser Untersuchung möglich sein.41 Die Verweisung ist eigentlich eine Verweisung, nur wenn sie zu einem Zusammenhang gehört. Die Verweisung verweist, sofern sie mit anderen Verweisungen einen Verweisungszusammenhang mitkonstituiert. Der Zusammenhang der Verweisungen ist ein »in der Umsicht ständig im vorhinein schon gesichtetes Ganzes«, d. h. ein im Verständnis ständig von vornherein verstandenes Ganzes, »[m]it diesem Ganzen aber meldet sich die Welt«.42 Die Bedeutung und Struktur eines solchen Vorverständnisses der Welt ist grundsätzlich das, was Heidegger unter dem Begriff Welt versteht, und deswegen auch, was den Interpretationsweg dieser Untersuchung vorbereitet. Erstens ist die Welt ›etwas‹, was sich meldet, es heißt, dass sie ein echtes Phänomen nach der Sicht der hermeneutischen Phänomenologie ist. Die Welt ist zweitens ›etwas‹, was in der Umsicht schon gesehen wird, also ›etwas‹, was zur Struktur des Verstehens gehört. Die Welt ist die Einheitsstruktur aller möglichen Verständlichkeit, weil der Grund jeder Einheit nur eine Einheit sein kann. Drittens bedeutet »im Vorhinein«, was durch die
39 40 41 42
Heidegger, 75. Heidegger, 75. Vgl. Kapitel X. Der fundamentale Unterschied ist die Grundstruktur der Fundamentalontologie. Heidegger, Sein und Zeit, 75.
116
kantische Philosophie unter dem Begriff »a priori« berühmt geworden ist. Die Welt ist also ›etwas‹ schon Gesichtetes, weil sie der Form jeder Sicht konstitutiv ist. Um solchen Zusammenhang besser verstehen zu können, muss aber auch klar sein, dass das, was Heidegger unter dem Titel »Verweisung« versteht, dem formalen Begriff des »Bedeutens« entspricht. Das Dasein gebraucht ein gewisses Etwas im Umgang und so lässt das Dasein das jeweilige Seiende auf ein anderes Seiendes verweisen, indem das Dasein dem zu gebrauchenden Seienden ein »Um-zu« gibt. Es heißt, dass das Dasein das Seiende »etwas« bedeuten lässt. Das Seiende begegnet dem Dasein also immer sinnvoll. Die Begegnisstruktur der Welt, die durch Verweisungen konstituiert ist, heißt also Bedeutsamkeit. Dieser Ausdruck ist verwirrend und Heidegger wusste es: ich gestehe offen, dieser Ausdruck [Bedeutsamkeit] ist nicht der beste, aber ich habe seither, seit Jahren, keinen anderen gefunden, vor allem keinen solchen, der einen wesentlichen Zusammenhang des Phänomens mit dem, was wir als Bedeutung im Sinne der Wortbedeutung bezeichnen, Ausdruck gibt, sofern gerade das Phänomen in inneren Zusammenhang mit Wortbedeutung, Rede steht.43
Der Ausdruck Bedeutsamkeit ist verwirrend, weil er meint, wie das Seiende etwas bedeutet, sofern das Dasein es verweisen bzw. bedeuten lässt. Die Bedeutsamkeit gehört also als Begegnisstruktur des Seienden zur Erschlossenheit des Daseins. Die Bedeutsamkeit der Welt ist Bedeutsamkeit des innerweltlichen Seienden, sofern sie das Bedeutendsein des Daseins, das mit solchem Seienden umgeht, formal anzeigt. Die Welt ist also das Vorherige im strengen Sinne: Die Welt ist »das, was vorher schon, vor allem Erfassen von diesem oder jenem Seienden in jedem existierenden Dasein enthüllt und verstanden ist, vorherig als dasjenige, was als zuvor schon immer Enthülltes her zu uns steht«.44 Welt ist vorverstanden, weil sie eine Struktur des Seinsverständnisses selbst ist: der Verweisungszusammenhang. Die Welt ist demzufolge keine Summe von Dingen, sondern eine Struktur der Erschlossenheit des Daseins. Das bedeutet letztendlich, dass die Welt kein Seiendes, sondern Sein ist. Das zeigt, dass die Untersuchung immer noch auf dem Pfad der ontologischen Differenz weitergeht. Das Verständnis dieses Phänomens der Welt muss aber noch tiefer interpretiert werden, damit alle seine Strukturen und Probleme ans Licht kommen.
§ 15. In-der-Welt-sein ist das bidimensionale Verweisendsein des Daseins Das Dasein geht mit Seiendem um, indem es dieses Seiende schon irgendwie so und so verstanden hat. In anderen Worten: Das Dasein hat das Seiende beim 43 44
Heidegger, Prolegomena, 275. Heidegger, Grundprobleme, 235.
117
Umgang so und so vorgängig sein lassen. »Vorgängig ›sein‹ lassen besagt […] je schon ›Seiendes‹ in seiner Zuhandenheit entdecken und so als das Seiende dieses Seins begegnen lassen.«45 Das Dasein erschließt die Welt, in der ihm Seiendes als Zuhandenes oder Vorhandenes begegnen kann. Das Sein des Seienden – jeweils Vorhandenheit des Vorhandenen und Zuhandenheit des Zuhandenen – gründet sich auf das Dasein, indem solches mit dem Seienden umgeht. Wenn verstanden wird, wie diese Charaktere jeweilig entstehen, dann wird so eine Antwort auf die Frage nach dem Sein des Seienden gewonnen.46 In der hermeneutisch phänomenologischen Destruktion der Daseinsanalytik anhand der ontologischen Differenz ist sehr wichtig zu erklären, was eigentlich die Ausdrücke ›Vorhandenheit des Vorhandenen‹ und ›Zuhandenheit des Zuhandenen‹ bedeuten. Die Bedeutsamkeit gehört zur Seinsverfassung des Daseins. Deswegen ist das Dasein die »ontische Bedingung der Möglichkeit der Entdeckbarkeit einer Bewandtnisganzheit«,47 d. h. der Erschließung des Seins des zuhandenen Seienden. Was Seiendes sein lässt, ist das Dasein, welchem jeweilig ein Seiendes etwas sein kann. Bei der Betrachtung des herstellenden Verhaltens wird dieses Verhältnis deutlicher. Im herstellenden Umgang wird das herzustellende Seiende nicht so verstanden, wie das Seiende im Moment ist, sondern wie solches fertig sein wird. So kommt das herzustellende Seiende vor als Material für ein Werk; deshalb wird früher verstanden, was das Werk ist, als womit das Werk hergestellt werden wird. Es heißt, dass das Sein, das im zum Verhalten gehörigen Seinsverständnis verstanden wird, anders ist als das Seiende, zu dem dieses Sein gehört, weil dieses Sein »gerade das Ansichsein des Fertigen« ist.48 Das Sein des Seienden beschränkt sich nicht auf das Vorhandensein des Vorgekommenen, weil es zum Gegenwärtigen des Daseins gehört; ein großer Stein wird z. B. transportiert und dann senkrecht gestellt, um ein Menhir zu bauen; oder ein Stein wird bei einer Wanderung zu einer guten Möglichkeit, sich zu erholen, und konstituiert so einen Sitz; oder ein solcher Stein wird an einen gewissen Ort des Landes umgestellt, um eine Grenze zu fixieren, oder der gefallene Baumstamm, beispielsweise, den meine Eltern, als ich ein Kind war, nach Hause mitgebracht haben, war für mich und meinen Bruder ein »Pferd«. Weitere Beispiele dieses Phänomens sind auch das Geld und die religiösen Symbole. Diese Fälle zeigen, dass die materielle Änderung nicht nötig ist, damit ein Seiendes ›sich ändert‹. Deshalb zeigt sich das Sein des Seienden nicht als Materialität, sondern die Materialität wird von diesem Sein bestimmt. Das Dasein erschließt seinen Entwurf und entdeckt in dieser Selbstekstase die Welt als Horizont, innerhalb dessen Seiendes etwas sein kann. Das Draußen des daseinsmäßigen Außer-sich gehört zum Dasein als sein einziges mögliches Drinnen, wel45 46 47 48
Heidegger, Sein und Zeit, 84 f. Heidegger, Grundprobleme, 438 f. Heidegger, Sein und Zeit, 87. Heidegger, Grundprobleme, 160.
118
ches das Drinnen des In-der-Welt-sein ist. In Worten von Rentsch: »Außerhalb des ›In-der-Welt-seins‹ gibt es nichts.«49 Warum das so ist, erklärt Heidegger durch die Aufweisung des folgenden Zusammenhangs: »Das Worin des sichverweisenden Verstehens als Woraufhin des Begegnenlassens von Seiendem in der Seinsart der Bewandtnis ist das Phänomen der Welt.«50 Wenn Seiendes zu Seiendem wird, d. h., ein etwas zu einem »etwas als etwas« wird, bedeutet es, dass das Seiende zur Präsenz in einer Welt kommt. ›Welt‹ ist ein Begriff, um zu zeigen, wie die Präsenz auch irgendwie ›präsent‹ ist im Modus des Zur-Präsenz-Bringens. Die Welt ist die Präsenz der Präsenz, d. h. Horizont. In Worten von Heidegger: »Die ontologische Erkenntnis ›bildet‹ die Transzendenz, welches Bilden nichts anderes ist als das Offenhalten des Horizontes, in dem das Sein des Seienden vorgängig erblickbar wird.«51 Hierunter lässt sich verstehen, dass die Welt die Konkretion der Entfaltung unseres Seinsverständnisses in seiner Transzendenz ist. Die Entfaltung der Transzendenz ist aber bidimensional ausgemacht. Jetzt ist also Doppeltes aufzuweisen. Erstens muss verstanden werden, was der Horizontcharakter der Welt eigentlich besagt (§ 15. a. Welt ist der Horizont der bidimensionalen Erschlossenheit). Und zweitens muss der Ursprung eines solchen Horizonts mindestens hermeneutisch phänomenologisch ausgewiesen werden, damit solches Verhältnis vom Horizont zu seinem Grund verstanden werden kann (§ 15. b. Die ekstatische Dimension des In-Seins ist das Fundament der Welt). § 15. a. Welt ist der Horizont der bidimensionalen Erschlossenheit Festgelegt wurde, dass die Welt ein Moment der Erschlossenheit des Daseins ist. Jetzt muss solche Behauptung erklärt werden. Heidegger bezeichnet diesen Sachverhalt mit einer ausdrucksvollen Metapher, indem er die Welt beschreibt als »etwas, ›worin‹ das Dasein als Seiendes je schon war, worauf es in jedem irgendwie ausdrücklichen Hinkommen immer nur zurückkommen kann«.52 Daraus lässt sich auch verstehen, dass die Welt die Erschließung der daseinsmäßigen Räumlichkeit darstellt. Die Welt und der Raum des Daseins sind also nicht verschieden. Diese Erschlossenheit des Daseins stellt das Dasein als Schwerpunkt, d. h. als Schwerzentrum seiner Welt und seines Raums. Solcher Zusammenhang ist ein Faktum, sodass das Dasein sich aus diesem Zentrum nicht einmal einen Millimeter bewegen kann. Das Dasein ist »ontisch durch das In-der-Welt-sein konstituiert«.53 Wie schon erklärt wurde, das Dasein hat die Seinsverfassung des In-Seins als ein Sein-zu, 49 50 51 52 53
Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 60. Heidegger, Sein und Zeit, 86. Heidegger, Kantbuch, 123. Heidegger, Sein und Zeit, 76. Heidegger, 72.
119
deswegen ist das Dasein immer in dem, wozu es selbst ist. Es heißt, dass das Dasein in seiner Transzendenz immer das Worüberhinaus seines Seins konstituiert. Das Dasein ist qua Seiendes so ausgemacht, dass es sich durch die Transzendenz bzw. das Verständnis der Umgebung vollzieht. Das Dasein ist demzufolge das Seiende, das in seinem Sein die Möglichkeit des Umgangs hat, d. h., die Möglichkeit, das Verweisen zu erschließen. Solcher verweisender Umgang legt das Seiende als »etwas um … zu …« aus. Dieses Verweisen ist die Erschließung der Bedeutung des Seienden und der Bedeutsamkeit der Welt. Das bedeutsame Begegnen des Seienden bestimmt es als Innerweltliches und deshalb bestimmt die Bedeutsamkeit der Welt die Weltmäßigkeit des Innerweltlichen. Solche Erschließung der Bedeutsamkeit geschieht also als ein Bewendenlassen, dass eine Bewandtnisganzheit entwirft, welche die Zuhandenheit des Zuhandenen konstituiert. Das Sein des im Alltag zunächst begegnenden Seienden ist die Zuhandenheit bzw. sein »Um-zu«. Das bedeutet, dass das Sein eines solchen Seienden nicht das Seiende selbst ist, sondern dass das Seiende von seinem Sein überstiegen bzw. transzendiert wird. Dieses Sein hat einen verweisenden Charakter, der Seiendes als »etwas, um … zu« bestimmt. Diese Verweisungen machen Sinn und sind eigentliche Bedeutungen, solange sie zu einer Ganzheit gehören, nämlich die Ganzheit des Umstandes dieses Seienden. Solche Ganzheit ist die Bewandtnisganzheit. Durch diesen Zusammenhang zwischen dem Seienden und seiner Ganzheit entsteht das schon oben erwähnte Problem, dass ein Seiendes verschiedene »Dinge« sein kann, ohne dass sich materiell das Geringste ändert. Das Seiende ändert sich nicht, sondern das Sein, weil die bedeutsame Bewandtnis die Struktur der Welt ist, wo Seiendes begegnen kann. Die vorontologische Bedeutung von Welt lautet: »das, ›worin‹ ein faktisches Dasein als dieses ›lebt‹«.54 Es könnte scheinen, dass diese Definition bedeutet, dass die Welt das ist, worauf das Dasein tritt, etwa so, wie die Oberfläche des Planeten Erde. So eine Interpretation wäre nicht völlig widersinnig, weil das Wort »Worin« unter Anführungszeichen und kursiv geschrieben ist. Deswegen könnte verstanden werden, dass sein Gebrauch außergewöhnlich ist. Andererseits wird im Zitat auch gezeigt, dass in dieser Welt ein faktisches Dasein lebt als dieses, d. h. als faktisches bzw. als Faktum. Hinweise wie diese können die Untersuchung zu einer materialistischen und nicht phänomenologischen Interpretation der Welt führen. Jedoch steht das Wort »lebt« unter Anführungszeichen, was bedeutet, dass es um einen schwachen Gebrauch des Wortes geht, d. h. nicht um ein Leben in materialem biologisch-organischem Sinne. Das Wort Leben ist zweifellos das wichtigste Wort im Zitat, deswegen hält diese Untersuchung die materiale Interpretation der Welt für unangemessen. Das Dasein ist nicht in-der-Welt, weil es in eine Welt »gestellt« oder »hinzugefügt« worden ist, und noch weniger, weil Dasein zum Ding Welt irgendwie »ausgehen« muss. 54
Heidegger, 65.
120
Demgegenüber ist die folgende Interpretation der Daseinsanalytik angemessener: Das »Worin« ist dasjenige, das durch das »In« im Begriff »In-der-Welt-sein« konstituiert wird – nur so macht es Sinn, die Welt als ein »Worin« zu definieren – und das »Leben« ist die menschliche Existenz. In anderen Worten: Der Begriff der Welt meint vorontologisch die fundamentalste Transzendenz der Existenz. Weil die Welt ein »Charakter des Daseins selbst« ist,55 wird mit solcher vorontologischen Definition die Einheit vom Dasein und Welt gemeint, d. h. die Identität beider. Die Welt ist der Horizont, der das Dasein selbst ist als dessen Verhältnis zum Seienden. Die Definition der Welt als das, worin ein Dasein lebt, bedeutet also, dass das Dasein sich in seinem In-Sein vollzieht, d. h., dass es sich als sein In-Sein entfaltet und dass die Welt die zum In-Sein gehörige Entfaltung bzw. der Horizont ist. Diese Interpretation kann durch eine beispielhafte Diskussion noch klarer werden. In Phänomenologie für Einsteiger versucht Zahavi eine Passage des Vorworts aus Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung zu erklären.56 In dieser Erklärung wendet er den Begriff In-der-Welt-sein an und erklärt ihn dann so: »Mit Heideggers Worten handelt es sich um ein In-der-Welt-sein – also um eine Welt […] als ein Sinnhorizont, zu dem wir je schon in Beziehung stehen.«57 Die Welt als ein Sinnhorizont sei demzufolge als ein gewisses Etwas zu verstehen, mit dem wir in Beziehung stehen. Unter diesem Etwas ist ein innerweltliches Seiendes verstanden, weil Dasein nur mit Seiendem in Beziehung sein kann. Damit das Dasein mit einem Seienden in Beziehung sein kann, muss solches Seiende in der Welt begegnen. Die Welt aber kann nicht in der Welt begegnen, deswegen ist diese Erklärung des Weltbegriffs unangemessen. Diese Zweideutigkeit der Bedeutung von Welt in der Deutung Zahavis ergibt sich wegen einer Verwechslung von zwei der vier Definitionen von Welt, die Heidegger in Sein und Zeit formuliert, also von der vorontologischen und der ontischen. Die Welt, wie Heidegger sie versteht, ist nie ein innerweltliches Seiendes. Wenn unter Welt die Menge des Seienden verstanden werden soll, dann schreibt Heidegger es unter Anführungszeichen.58 In der Heidegger’schen Begrifflichkeit ist der Unterschied klar: Einerseits ist Welt ein Horizont, andererseits ist »Welt« ein gewisses Etwas. Also bedeutet Welt nach Heidegger die Weltlichkeit der »Welt«: die Bedeutsamkeit. Die Welt ist nie das Etwas, zu dem das Dasein in Beziehung oder Verhältnis steht. Die Welt ist ja ein Sinnhorizont, aber als Sinnhorizont ist die Welt nicht etwas, mit dem wir in Beziehung sind, sondern ist die Welt selbst die Beziehung, in der das Dasein zum Innerweltlichen steht. Die einzige »Beziehung«, die das Dasein zu diesem Sinnhorizont haben kann, 55 56 57 58
Heidegger, 64. Vgl. Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, übers. von Rudolf Boehm, 6. Auflage. Photomechanischer Nachdruck 1974 (Berlin: de Gruyter, 2008), 5 ff. Dan Zahavi, Phänomenologie für Einsteiger (Paderborn: Fink, 2007), 39. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 64 f.
121
ist weder eine Verbindung noch ein Verhältnis, sondern eine Zugehörigkeit. Diese »Beziehung« besteht darin, dass der Sinnhorizont zum Verstehen des Daseins wesenhaft gehört, d. h., sie beschränkt sich darauf, dass solcher Sinnhorizont die Beziehung selbst ist, die durch das beziehende Verstehen gestiftet wird. Die Welt als Horizont ist unsere Beziehung als beziehende, solcher Horizont ist das Verhältnis unseres Verhaltens. Wegen seiner Fehlinterpretation hinsichtlich der Bedeutungen von Welt entwickelt Zahavi ein Argument gegen diesen Weltbegriff, den er selbst erfunden hat, aber so, als ob er dem Weltbegriff Heideggers entspräche. Das Argument lautet: Wenn die Welt ein Produkt unserer Konstitution und Konstruktion sei, dann solle sie voller Transparenz erscheinen, und wenn wir diejenigen seien, die ihr den Sinn geben, dann solle sie keine verborgene Seiten, keine Rätselhaftigkeit haben. 59 Die Gegenfrage stellt sich von allein: Wann »erscheint« die Welt so, wie Zahavi behauptet? Die Antwort ist lapidar: Nie. Die Welt zeigt sich immer in all ihrer Transparenz! Sie hat keine verborgenen Seiten! Die Welt ist die Transparenz selbst, gerade deswegen kann sie das Etwas der Erfahrung zeigen. Das Transparente schlechthin hat keine Seiten, die sich verbergen können. Der Fehler von Zahavi besteht wiederum in einer Verwechslung der Welt durch die »Welt«, weil nur Seiendes sich verbergen oder pauschal erscheinen kann! Nur Seiendes kann es und die Welt ist keines, sondern ein Sinnhorizont, der ermöglicht, dass Seiendes vorkommt bzw. begegnet. Dieses Vorkommen des Seienden kann matt, undurchsichtig oder pauschal sein, obwohl die Welt durchsichtig (unsichtbar) und vollständig (allgegenwärtig) ist,60 weil die Welt und das innerweltliche Seiende unterschiedlich sind. Alles, was im Innerweltlichen licht- und entdeckungsmäßig ist, hat es aus der Welt bekommen. Das menschliche Dasein ist aber wesenhaft endlich, deshalb ist das innerweltliche Seiende der sinnlichen Erfahrung wesenhaft anders als das Dasein selbst. Ich bin – wie jeder Mensch – immer schon in Verhältnis zum Seienden, das ich selbst nicht bin. Deswegen, obwohl die Welt ganz transparent ist, kommt das innerweltliche Seiende im Dämmerlicht und Perspektive. Die Welt ist eine unbegrenzte Ganzheit. Das bedeutet aber nicht, dass sie unendlich ist. Um das zu veranschaulichen, kann eine Kugel als Beispiel fungieren, deren Oberfläche keine Grenzen besitzt, obwohl sie endlich ist. Solche Beschränkung der Ganzheit der Welt liegt vielmehr an der Struktur ihres Seins und nicht an einem gewissen Limit, an dem die Sicht plötzlich stößt. Wenn die Welt nicht zur Existenz gehören würde, wäre sie ein Seiendes, das durch die Sammlung alles Seienden entsteht. Wenn es so wäre, gäbe es wirklich keine Welt und es würde diese »Welt« der Sammlung des Seienden dem Dasein unzugänglich bleiben, weil die Transzendenz des existenzialen In-Seins keine 59 60
Vgl. Zahavi, Phänomenologie für Einsteiger, 39. Vgl. Trawny, Martin Heidegger, 54.
122
Transzendenz ist, wenn sie sich nicht zugleich als eine Welt konstituiert, in der das Seiende begegnen kann. Wenn die Welt ein Seiendes wäre, könnte sie nicht innerweltlich sein und nur das Innerweltliche kann begegnen. Eine Transzendenz kann nur eigentlich transzendieren, wenn sie sich als Präsenz des Seienden konstituiert, als das Verhältnis zu ihm. Das Seinsverständnis als Transzendenz muss eine Welt sein.61 Die Welt ist die Konstitution des seinsverstehenden erschlossenen Horizonts des In-Seins. »Dieses besorgende Angewiesensein auf die Welt, das die Seinsart des Daseins bestimmt, wird von der Welt selbst nun ständig so oder so angegangen.«62 Das daseinsmäßige Verhältnis zum Seienden ist einer anderen Natur als das Seiende selbst. Eine Beschreibung der Welt als Menge von Seiendem zeigt ein Missverständnis bzw. Übersehen der ontologischen Differenz und ihrer Gründung auf die bidimensionale Erschlossenheit des Da. Die Welt nicht als ein vom Dasein unterschiedenes Seiendes zu betrachten, ist entscheidend.63 Bei der Erschließung der Möglichkeiten des Verweisens erschließt sich in eins die Bewandtnisganzheit als ein gegliederter und bedeutsamer Horizont. Die horizontale Welt ist also bedeutsam, weil sie der Weltlichkeit nach erschlossen wird, die durch Bedeutsamkeit ausgemacht ist. Die Welt, in der Seiendes begegnet, ist der Horizont, in dem Seiendes vorkommen bzw. zur Präsenz kommen 61
62 63
Von Herrmann ist der Meinung, dass, obwohl die Welt ein Existenzial sei, es trotzdem nicht möglich sei, über einer »Subjektivierung der Welt« zu reden, weil dafür Welt und Existenz identisch sein sollen. Dafür stellt er zwei Argumente: 1. Die Welt ist ein Existenzial zweiter Kategorie, weil die echt wichtigen Existenzialien nur Entwurf, Geworfenheit und Sein-bei sind. 2. Was in der Welt entdeckt wird, ist nicht (nur) die Welt selbst. (Vgl. von Herrmann, Subjekt und Dasein, 60 f.) Die Antwort dieser Untersuchung lautet: Zu 1. Was passiert denn mit der Bidimensionalität? Sie wurde einfach vergessen. Würde eine gewisse existenziale Hierarchie ein Existenzial außerhalb der Seinsverfassung der Existenz, die solches als Existenzial bestimmt, auswerfen? Nein. Zu 2. Und in welchem Existenzial passiert, dass nur das Existenzial entdeckt wird? Vielleicht nur in der Angst und im Sein zum Tode, welche eigentlich keine Existenzialien, sondern Phänomene sind, in welchen die vereinzelten Grundmodi der Existenzialien des Entwurfs und der Geworfenheit zu beobachten sind. Das allgemeine Problem solcher Herrmann’schen Interpretation der Welt besteht darin, dass es einen offensichtlichen Widerspruch darstellt: Die Behauptung, dass etwas mit einem seiner Grundcharaktere nicht identisch sei. Das passiert, weil von Hermann den echten Sinn der formalen Anzeige als distinctio formalis übersieht, und deswegen denkt er den begrifflichen Unterschied als Widerspiegelung eines Unterschieds in re. Indem die Herrmann’sche Missdeutung korrigiert wird, soll solches Argument über den Unterschied zwischen den Existenzialien völlig unnötig sein, weil eine solche Identität der Welt mit der Existenz keine Subjektivierung der Welt bereitet, weil die Existenz eine andere Struktur hat als das Subjekt. Der erste Fehler von Herrmanns ist demzufolge, das Subjekt und die Existenz zu verwechseln. Wenn diese Untersuchung behauptet, dass die Welt in der Existenz und nur in ihr möglich ist, geht es vielmehr um eine Existenzialisierung der Welt, die gegenüber einer Subjektivierung vollkommen anders ist. Wegen des Draußen-Charakters der Existenz ist diese Identifizierung ein wesenhafter Gegensatz jeder möglichen Subjektivierung. Heidegger, Prolegomena, 350. Vgl. Trawny, Martin Heidegger, 54.
123
kann. Welt ist Horizont als Präsenz. Die Begriffe der Weltlichkeit als Bedeutsamkeit und der Welt als Horizont weisen auf die Struktur der Bidimensionalität der Erschlossenheit hin, indem sie dieser Begrifflichkeit zugrunde liegt.64 § 15. b. Die ekstatische Dimension des In-Seins ist das Fundament der Welt Das Dasein ist immer in-der-Welt, d. h., es ist immer im Verhältnis zum innerweltlichen Seienden. Das primäre durch das Verhalten des Daseins gestiftete Verhältnis zum innerweltlichen Seienden ist die Entdeckung als Begegnenlassen. Es bedeutet, dass das In-der-Welt-sein ausmachende In-Sein immer zugleich ein Sein-bei innerweltlichen Seienden ist. Das alltäglich begegnende Seiende ist kein vorhandenes Ding, sondern das Wozu einer gewissen Dienlichkeit. Also ist sein Sein eine Verweisung auf etwas anderes, welche sich als eine Bewandtnisganzheit verstehen lässt. Diese Verweisungen gehören zu einem Werk, indem sie verschiedene Verweisungsstufen konstituieren. Die Reihe solcher Verweisungsstufen ist aber nicht unendlich: Die Bewandtnisganzheit selbst aber geht letztlich auf ein Wozu zurück, bei dem es keine Bewandtnis mehr hat, was selbst nicht Seiendes ist in der Seinsart des Zuhandenen innerhalb einer Welt, sondern Seiendes, dessen Sein als In-der-Welt-sein bestimmt ist, zu dessen Seinsverfassung Weltlichkeit selbst gehört. Dieses primäre Wozu ist kein Dazu als mögliches Wobei einer Bewandtnis. Das primäre »Wozu« ist ein Worum-willen. Das »Um-willen« betrifft aber immer das Sein des Daseins, dem es in seinem Sein wesenhaft um dieses Sein selbst geht.65
Das Dasein hat einen Umgang mit dem Seienden um seiner selbst willen. Aus dem Dasein her erschließt sich die Möglichkeit des Umgangs. Das aktive Prinzip dieses Verhältnisses ist das Dasein und immer nur das Dasein. Obwohl das Vorhandensein des umzugehenden Seienden notwendig für den Umgang ist, besagt es aber kein Prinzip der Bewegung solcher Tätigkeit. Zwei Steine können nebeneinander und sogar in Kontakt vorhanden sein und trotzdem gibt es da keinen Umgang. Die Seinsweise des Daseins als Worumwillen ist demzufolge notwendig, damit ein Nebeneinander zu einem Umgang wird. Zum Beispiel: Ich schreibe jetzt auf ein Papier, diese Notizen werden zu einer Doktorarbeit gehören, die von einer Sammlung von verschiedenen Tätigkeiten konstituiert wird, ich habe gelesen, geschrieben, vorgetragen, diskutiert, unterrichtet usw. Die Doktorarbeit ist das Werk, das diesem Schreiben einen Sinn gibt. Die Doktorarbeit ist aber ein Schritt in der akademischen Karriere und diese ist ein 64
65
Dieses Vorgehen Heideggers, alles Sein des Seienden auf Möglichkeiten zurückzuführen, die sich seinerseits auf die Transzendenz der Existenz zurückführen lassen, wird auch »Destruktion der Substanzialität« genannt. (Dittus, Das Paradox des Subjekts, 76.) Dies spielt eine wichtige Rolle in der Ausarbeitung des Begriffs der Bidimensionalität, weil die Umdeutung des Subjektbegriffs in eins die des Weltbegriffs ermöglicht. Heidegger, Sein und Zeit, 84.
124
Bereich meines Lebens. Also schreibe ich jetzt, weil ich mein Leben so – als ein Wissenschaftler – leben will: Ich schreibe um meiner willen.66 Das bedeutet aber letztendlich, dass das Dasein aus seiner eigentümlichen Seinsweise die Möglichkeit hat, die Bewandtnisganzheiten in all ihren Stufen zu erschließen und so die Welt selbst zu konstituieren. Worin das Dasein sich vorgängig versteht im Modus des Sichverweisens, das ist das Woraufhin des vorgängigen Begegnenlassens von Seiendem. Das Worin des sichverweisenden Verstehens als Woraufhin des Begegnenlassens von Seiendem in der Seinsart der Bewandtnis ist das Phänomen der Welt. Und die Struktur dessen, woraufhin das Dasein sich verweist, ist das, was die Weltlichkeit der Welt ausmacht.67
Die Bezüge des Um-zu, Wozu, Dazu und Um-willen gehören zum vorgängigen Entwurf des Selbst, auf welchen das Verstehen einer Bewandtnisganzheit gründet. Es bedeutet, dass die Verweisungen, welche die Welt konstituieren, um des Daseins willen »festgemacht« werden,68 weil Dasein als Worumwillen ein Verweisen und Bedeuten ist. Dasein als In-der-Welt-sein bedeutet: »das unthematische, umsichtige Aufgehen in den für die Zuhandenheit des Zeugganzen konstitutiven Verweisungen«.69 Das Dasein geht immer schon auf. Dieses Aufgehen bzw. diese Erschlossenheit ist unthematisch, d. h., sie geschieht nicht in einer wissenschaftlich philosophischen Theorisierung bzw. Betrachtung des Phänomens, sondern solche Erschlossenheit findet einfach fortwährend im menschlichen Dasein statt. Dieses erschließende Aufgehen ist immer umsichtig, d. h. verstehend. ›Das Aufgehen ist unthematisch und umsichtig‹ bedeutet primär, dass die Erschlossenheit befindlich und verstehend ist. Das daseinsmäßige Aufgehen vollzieht sich in den Verweisungen, welche die Zuhandenheit des Zeugganzen ausmachen. Das bedeutet, dass die Bewandtnisganzheit von der Erschlossenheit des Daseins konstituiert wird. Also wird die Bedeutsamkeit bzw. die Weltlichkeit der Welt vom Aufgehen in den Verweisungen konstituiert. Das ekstatische Aufgehen bzw. Erschließen bedeutet ein horizontales Verweisen. Deswegen bedeutet In-der-Welt-sein, dass die Seinsart des Daseins in der Erschlossenheit der Welt besteht. Das Dasein ist immer die Erschlossenheit eines Verweisungshorizonts als Präsenzfeld. Dasein ist Welt, d. h., das Dasein ist die Konstitution eines Bereichs, in dem Seiendes vorkommen kann. In-der-Welt-sein bedeutet, dass das Seinsverständnis ein fortwährendes Verhältnis zum Seienden ist und dass als solches dieses Verständnis sich als Ursprung eines Bereichs vollzieht, wo etwas anderes freigegeben bzw. auf etwas anderes zugegriffen wird. In-der-Welt-sein bedeutet
66
67 68 69
Leider sind nicht alle Beispiele so glücklich wie dieses: Bei solchen Beispiele stünden Formeln wie »ich muss« – bei einer unfreiwilligen Arbeit – oder »soll« – bei mehreren gesellschaftlichen Ritualen. Heidegger, Sein und Zeit, 86. Heidegger, 192. Heidegger, 76.
125
existenzieller Vollzug des Seinsverständnisses als eine Welt. Seinsverständnis ist demzufolge als Freigabe des innerweltlichen Begegnenden zu verstehen.70 Das Besorgen ist kein blindes unstrukturiertes und richtungsloses Verhältnis zum Seienden, sondern der Umgang des Daseins hat eine Sicht, d. h. eine Kenntnis- und Verständnisart, die darin besteht, dass das Dasein sich der eigentümlichen Struktur des Umgangs unterstellt. Jeder besorgende Umgang besteht in der Hantierung mit dem Seienden hinsichtlich einer gewissen Finalität. Wir hantieren mit etwas, um etwas zu machen. Daher gehört jedes Seiende zu einer Umgebung bzw. Situation, welche dem ›um … zu‹, das jeweilig den Umgang bestimmt, Sinn und Ausrichtung gibt. Die Unterstellung des Daseins zur Umgebung des ›Um … zu‹ ist die Sicht des Umgangs: die Umsicht. So hat die Umsicht den Charakter eines Sich-Fügens in das ›Um … zu‹ des Zeugs.71 Die Umsicht versteht das Seiende irgendwie immer von vornherein. Das Dasein »steigt hinüber zu einem anderen Seienden (Dasein oder Vorhandenes), so zwar, daß in diesem Transzendieren das, wozu das Dasein transzendiert, für es enthüllt ist in einem ganz weiten Sinne«.72 So ist das In-der-Welt-sein die Urtranszendenz des Daseins, die als Erschlossenheit der Welt die Ermöglichung aller Intentionalität ist. Die Intentionalität als Verhältnis zum Objekt geschieht aufgrund eines vorgängigen Verhältnisses zum Seienden, das das Verstehen des Seins des Seienden ist. »Dies Seinsverständnis gewährt aber erst die Möglichkeit, daß sich Seiendes als Seiendes bekundet. Es trägt das Licht voran, in dessen Helligkeit Seiendes sich zeigen kann.«73 Das umsichtige Verständnis ist ein Licht inmitten der Nacht der Unbestimmtheit, die uns einen ewigen Tag schenkt. Die Freigabe lässt das Seiende nicht nur hinsichtlich eines gewissen Womit und Wobei begegnen, sondern auch in einem gewissen Wo. Das Seiende wird so als »nah« oder »fern« freigegeben. »Nah« und »fern« haben mit der physischen oder geometrischen Distanz zwischen dem Punkt Dasein und dem Punkt Seiendes nichts zu tun, sondern vielmehr mit der Zugänglichkeit, die dem Dasein sich zum Seienden bei jeder Konkretion des Umgangs geben kann. Das daseinsmäßige Verhalten ist »verhältnisganzheitsstiftend« und zugleich immer solcher durch es selbst gestifteten Verhältnisganzheit unterstellt – also umsichtig. Beim solchen Verhältnis wird Seiendes zugänglich. Ein zugängliches Seiendes zeigt sich immer »nah«, deshalb ist Seiendes nie eigentlich »fern«. Irgendwelche Zugangsart, sogar eine negative, ist von allein eine Weise, in der solches Seiende »nah« liegt. »Nah« und »fern« als Weise der Zugänglichkeit sind vielmehr die Weisen, in denen uns die Unregelmäßigkeit der Verweisungsganzheit ausdrücklich wird. Wo die Verweisungsganzheit ausdrücklicher und intensiver ist, d. h., wo die Verweisungen sich konzentrieren, gibt es Nähe. Wo die Aus70 71 72 73
Vgl. Heidegger, 86. Vgl. Heidegger, 69. Heidegger, Anfangsgründe, 169. Heidegger, 170.
126
drücklichkeit nicht so stark ist, ist auch die Nähe weniger klar. Was uns als fern vorkommt, zeigt sich uns in seiner Ferne nah. Die einzige eigentliche Form der Ferne ist die Unzugänglichkeit, d. h. ein Mangel an Erfahrung. Das Dasein ist sein Da, dessen Da immer aus einem gewissen Dort verstanden wird. Das Hier des Daseins versteht sich aus einem Dort, weil das Dasein sich selber immer aus dem Umgang mit dem innerweltlichen Seienden versteht. Das zeigt die wesenhafte Räumlichkeit des Daseins. Weil der räumlichen Welt der daseinsmäßige Zugang zum Seienden entspricht, ist alles, was im Umgang begegnet, irgendwie nah.74 So ist es schon sichtbar, dass das Phänomen der Räumlichkeit sich im Da des Daseins meldet,75 weil die Welt eine Umwelt ist, deren Um sich als ein die Weltlichkeit konstituierender Raumcharakter zeigt,76 dank dem jedes Dort möglich ist. Der Zusammenhang des Um-willen des Daseins mit einem jeweiligen Umzu »ist mit seiner faktischen Existenz ›da‹«77 und konstituiert das Worin des primären Selbstverständnisses des Daseins. Solcher Zusammenhang meint in anderen Worten, was hier unter Bidimensionalität verstanden wird, denn das Dasein »ist existierend seine Welt«.78 Das In-der-Welt-sein meint die Seinsverfassung, um deren willen das Dasein immer von vornherein und bis zum Ende im ständigen Verhältnis zum innerweltlich begegnenden Seienden ist.79 Heideggers Erklärung der Beziehung von der Welt und dem Dasein lautet: Die Welt ist »etwas, ›worin‹ das Dasein als Seiendes je schon war, worauf es in jedem irgendwie ausdrücklichen Hinkommen immer nur zurückkommen kann«.80 Der Terminus Welt wird in dieser Erklärung ohne Anführungszeichen verwendet, deshalb muss es nach der dritten Definition von Welt verstanden werden, die Heidegger in Sein und Zeit gibt. In solchem Fall muss Welt in ontischem Sinne verstanden werden, aber nicht als innerweltliches Seiendes, »sondern als das, ›worin‹ ein faktisches Dasein als dieses ›lebt‹«.81 Diese Definition braucht aber eine zusätzliche Erklärung. Wenn Welt in ontischem Sinne verstanden wird, aber nicht als innerweltliches Seiendes: Inwiefern ist dieses Worin ontisch? Selbstverständlich meint das Worin weder den Boden unter unseren Füßen noch den Planeten Erde, weil solche innerweltlich Seiende sind. Heidegger ergänzt die Definition so: »Welt hat hier eine vorontologisch existen-
74 75 76
77 78 79 80 81
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 107 f. Vgl. Heidegger, 132. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 231. »Der Raum ist hier aber Strukturmoment der Weltlichkeit, d. h. Raum ist in der Weltlichkeit fundiert, nicht umgekehrt«. (Luckner, Martin Heidegger, 53.) Heidegger, Sein und Zeit, 364. Heidegger, 364. Vgl. Heidegger, 54. Heidegger, 76. Heidegger, 65.
127
zielle Bedeutung.«82 Demzufolge ist zu verstehen, dass der ontische Sinn der Welt nur einem Seienden entsprechen kann, das sich vorontologisch existenziell vollziehen kann. Es gibt nur ein Seiendes dieser Art: das Dasein. Die Definition entspricht der Seinsart des Seienden, das wir selbst sind. Das Dasein ist Welt, sofern seine Seinsweise ist, im Verhältnis mit dem Seienden zu ›leben‹. Das Dasein vollzieht sich in einem fortwährenden Verhältnis mit dem Seienden, mit dem es umgeht. Solche ständige verbindende Erschlossenheit, die das Sein des Daseins ist, ist die Welt als Worin des Lebens. Das menschliche Leben, das hermeneutisch phänomenologisch analysiert wird, ist aber »nicht das Leben des Leibes, sondern das Leben des ›Geistes‹«.83 Wenn es im faktischen Leben nicht um einen isolierten Gegenstand geht, sondern um das Leben als Welt, denn »[u]nser Leben ist unsere Welt«,84 dann versteht sich von allein, dass das geistige Leben des Menschen in seiner horizontalen Entfaltung besteht. Dies ist die eigentliche Bedeutung vom Satz ›Dasein ist In-der-Welt-sein‹: Das Dasein ist als selbsthaft-ekstatisch-verstehend in eins horizontal-weltlich.85 Die Welt ist eine Seinsart des Daseins, d. h. ein Charakter des Seins der Existenz: Die Welt ist ein Existenzial. Die Welt als Existenzial fundiert in den Entwurf der Existenz. Die Fundierung der horizontalen Dimension der Welt in der selbsthaft-ekstatischen Dimension des Worumwillen lässt sich auch durch den Zusammenhang vom Sein-bei und In-Sein erklären. Das In-Sein in dem bestimmten Sinn ist keine ›Eigenschaft‹ des Seienden genannt Dasein, keine Eigenschaft, die es hat oder nicht hat, die ihm zufällt, die es sich zulegte, ohne die es sein könnte ebenso gut wie mit ihr, so daß man das Sein des Daseins zunächst anders, gewissermaßen inseinsfrei fassen könnte.86
Der Ausdruck »Aufgehen in der Welt« wird von Heidegger auch verwendet, um das »›Sein bei‹ der Welt« zu erklären als »ein im In-Sein fundiertes Existenzial«.87 Dieses Aufgehen in der Welt, sofern es der Vollzug der Transzendenz durch ein ständiges bedeutsames Verhältnis zum Seienden meint, drückt die beste Erklärung des Begriffs In-der-Welt-sein aus. Das »In« in diesem Ausdruck ist dasselbe im In82 83 84 85
86 87
Heidegger, 65. Trawny, Martin Heidegger, 19. Martin Heidegger, Grundprobleme der Phänomenologie : (1919/20), hg. von Hans-Helmuth Gander, Gesamtausgabe 58 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1993), 33. Dieser Zusammenhang wird von Dittus sehr gut erklärt: »Wenn Heidegger demgegenüber von einem solchen Zusammenhang, das heißt einer ontologischen Zusammengehörigkeit von Ich und Welt ausgeht, muss er sämtliche Variationen der Subjektphilosophie vermeiden: So darf sich, kantisch gesprochen, weder unser Erkennen nach dem Gegenstand (Descartes’ Variante) noch umkehrt dieser nach unserer Erkenntnis richten (Kants kopernikanische Revolution), noch beides zugleich angenommen werden (die neukantianische Variante etwa Rickerts). Vielmehr müssen beide Seiten in einer solchen Offenheit oder Durchlässigkeit gehalten werden, dass sich zwischen ihnen keine Grenze mehr ziehen lässt, die es ausschließend zu überschreiten gilt.« (Dittus, Das Paradox des Subjekts, 86 f.) Heidegger, Prolegomena, 214.; Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 57. Heidegger, Sein und Zeit, 54.
128
Sein, im Worin der Welt, und im In-der-Welt-sein. Das Sein-bei gründet also auf das In-Sein und das In-Sein vollzieht sich immer als In-der-Welt-sein, indem das richtige Verständnis dieses Ausdrucks wäre: In-einer-schon-räumlich-erschlossenen-Weltsein-bei-dem-innerweltlich-entdeckten-Seienden.88 Das Dasein ist immer bei den Bedeutungs- oder Handlungszusammenhängen und aus diesem Sein-bei versteht sich das Dasein als ein gewisses Selbst, das an dieser Situation teilnimmt. Das ist der Grund der Uneigentlichkeit des Daseins, weil Dasein sich zunächst und zumeist aus dem versteht, was es selbst nicht ist.89 Die Konstitution der Situation ist die des Selbst. Das Dasein ist seinem Umstand nicht trennbar. Das Zuhandene als durch das »Um-zu« bestimmte ist immer etwas mit etwas bei etwas. In diesem Sinne ist das Zuhandene immer in einer gewissen Verweisung auf das andere Seiende, mit und bei dem es sein Bewenden hat. In Worten von Heidegger: »Der Seinscharakter des Zuhandenen ist die Bewandtnis. In Bewandtnis liegt: bewenden lassen mit etwas bei etwas.«90 Was soll hier »Bewandtnis« und »Bewendenlassen« meinen? Heidegger wendet den Begriff »Situation« als Terminus für eine eigentliche Bewandtnis an.91 Deshalb kann der zweite durch den ersten Begriff erklärt werden. Situation bedeutet auf Deutsch »Umstand«. Die Etymologie des Wortes Umstand kann sehr erhellend sein, um das Verhältnis von der Bewandtnis zum Bewendenlassen zu verstehen. Umstand ist die deutsche wörtliche Übersetzung vom lateinischen circumstantia, das die Qualität von dem, was um uns herum steht, bedeutet. Demzufolge hat circumstantia dieselbe Bedeutung wie das griechische περἰστασις92, nämlich die eines gewissen Sachverhalts oder eines solchen Szenarios, welches sowohl räumlich als auch zeitlich und sinnvoll zu verstehen ist. Die Situation, d. h., wo das Dasein sich situiert bzw. sich befindet, ist das Da, inmitten dessen das Dasein als In-der-Weltsein existiert. Also ist der Umstand das, was um das Dasein herum sinnvoll steht. Der Umstand charakterisiert sich durch das Verhältnis des Verhaltens des Daseins als ein Um-herum-Stehen des innerweltlichen Seienden. Der Umstand ist das Da selbst, welches bedeutsam gliedernd erschlossen wird. Was aber um es herum besteht, kann nur diesen Charakter haben, sofern es um ein gewisses Etwas herum steht. Dieses Etwas ist also das Zentrum des Umstehens der Situation, nicht aber weil es eine gewisse Anziehungskraft auf das Seiende ausübt, sondern weil dieses Etwas die Situation als seine eigene Situation entstehen lässt. In diesem Sinne ist der Umstand durch ein Umstehenlassen ermöglicht, das das Dasein selbst ist. Das Dasein lässt Seiendes als Seiendes dieser oder jener Seinsart um sich selber her-
88 89 90 91 92
Vgl. Heidegger, 55 f. Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 137 f. Heidegger, Sein und Zeit, 84. Heidegger, 326. Als Substantivierung des Verbs περι-ίστημι: sich herumstellen, umgeben. Deswegen bedeutet auch περίστασις sowohl die Gefahr als auch die Rüstung, weil sie z. B. um die Stadt herum stehen.
129
um stehen. So entsteht die Situation bzw. die Bewandtnis durch ein Bewendenbzw. Umstehenlassen, das zum Dasein gehört. Bewandtnis ist demzufolge als die horizontale Dimension eines ekstatischen Bewendenlassens zu verstehen. Das Bewendenlassen lässt die Bewandtnis entstehen. Das Entstehenlassen der bedeutsamen Zusammenhänge um des Daseins willen wird hier als ein Herstellen der Zusammenhänge verstanden.93 Das Bedeutet, dass das »Lassen«, das von Heidegger häufig gebraucht wird in Ausdrücken wie »Begegnenlassen«, »Bewendenlassen«, »Entstehenlassen« oder »Seinlassen«, einen aktiven Sinn hat. Das Lassen ist also nicht als ein Erlauben zu verstehen, als ob das Seiende mir begegnen will und ich erlaube bzw. »lasse« es. So etwas ist aber nur in der Fantasie möglich. Das Lassen entspricht also keiner Passivität des Daseins, die dem Dasein die Souveranität gibt, »sich zurückhalten zu können«.94 Das Dasein ist demgegenüber so aktiv, dass es nie zurückhaltend bleiben kann. Das Dasein kann nur begegnen und wieder begegnen lassen. Das Seiende kommt mir beim Bewendenlassen so und so vor, weil ich es als Dasein so und so sein lasse. In Worten von Heidegger: »Das Bewendenlassen verstehen wir existenzial als ein ›Sein‹-lassen. Auf seinem Grunde kann das Zuhandene als das Seiende, das es ist, für die Umsicht begegnen.« 95 Dieses Lassen ist also vielmehr als ein Veranlassen richtig zu verstehen, welches ein Machen, ein Tun, ein Handeln oder eine Tätigkeit des Daseins meint. Die Bedeutung von Seinlassen ist als Ermächtigung oder Aktivierung richtig zu verstehen: »Auf einer anderen Weise zu erlauben, indem man es ermöglicht«.96 Um festzustellen: Das Seiende kann um mich herum stehen bzw. sein, nur weil ich das Zentrum meines Weltentwurfs bin.97 Das Dasein als Fundament und Zentrum der Welt zeigt sich als der »Schlussstein im Gebäude der Um-zu-Verweisungen«.98 Die Analyse der horizontal sein lassenden Welt, die zum ekstatischen Entwurf des Daseins gehört, zeigt sich zugleich als eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Grundstruktur der Bidimensionalität. Der Charakter vom Grund der ontologischen Differenz, durch den die Bidimensionali93 94
95 96
97 98
Dittus versteht es auch so. (Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 88.) Romano Pocai, »Die Weltlichkeit der Welt und ihre abgedrängte Faktizität (§§ 14-18)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 59. Heidegger, Sein und Zeit, 354. John Haugeland, »Letting Be«, in Transcendental Heidegger, hg. von Steven Crowell und Jeff Malpas (Stanford, California: Stanford University Press, 2007), 94. Oder auch in anderen Worten: Seinlassen als »Sich-einlassen auf die Offenbarkeit des Seienden als Seienden«. R. J. A. van Dijk, »Grundbegriffe der Metaphysik. Zur formalanzeigenden Struktur der philosophischen Begriffe bei Heidegger.«, hg. von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heidegger Studies 7 (1991): 101. Zu demselben Zusammenhang beim frühen Heidegger: Gander, Selbstverständnis und Lebenswelt, 276-92. Ruth M. Sonderegger, »Welt. Ihre Erschlossenheit und Entzug«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 292.
130
tät geprägt wurde, zeigt sich jetzt klarer, indem die Erschlossenheit der Welt als Bewenden- bzw. Seinlassen ausgelegt wird und sich deshalb das Sein radikal anders zeigt als das, wodurch solches Sein ein Etwas ist. Dasein wird aber nie Herr der »Welt«.99 Die »Welt« ist die ontische Sammlung des innerweltlichen Begegnenden. Deshalb ist klar, dass das Dasein das Begegnende nicht beherrschen kann, ohne es zugleich irgendwie zu kreieren. Die Welt aber – ohne Anführungszeichen, also das Worin des Daseins – ist Horizont und als solcher kann er nur ein grundsätzliches Verhältnis zum Erscheinenden sein. So eine Grundstruktur lässt sich nie vom durch sie Strukturierten beherrschen; vielmehr ist das Dasein von seiner Umwelt beherrscht. Das Dasein kann also weder die »Welt« noch seine Welt beherrschen, woraus aber nicht geschlossen werden darf, dass das Dasein nicht der Grund der Welt ist.100 Der Schlüssel des Problems liegt im Unterschied von »Welt« und Welt. Das Dasein beherrscht keine von den beiden, gründet aber die zweite als das Worin seines In-Sseins, d. h. als seine eigene Art zu sein.101 Dasein ist nicht der Grund der Welt, weil es so was will, sondern Dasein ist vielmehr dazu wesenhaft verdammt.
99 100 101
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 356. Wie z. B. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 99. Vgl. Jeff Malpas, »Heidegger’s Topology of Being«, in Transcendental Heidegger, hg. von Steven Crowell und Jeff Malpas (Stanford, California: Stanford University Press, 2007), 124.
131
Kapitel V: Die ekstatische Erschlossenheit des Selbst Die Ermöglichung der Erschlossenheit der Welt muss jetzt thematisiert werden. Damit wird gezeigt, dass die Gliederung der Bedeutsamkeit der Welt ihren Grund in der eigentümlichen Struktur der selbsthaft-ekstatischen Dimension der Erschlossenheit hat. Das Sein-bei ist nicht die einzige Weise, in der das Dasein sich selbsthaft-ekstatisch erschließt, d. h., in der das Dasein inmitten eines schon erschlossenen Horizonts ist, als Grund dessen. Das Dasein ist immer über sich hinaus in-der-Welt-bei-dem-Seienden-mit-den-Anderen. Die Vielseitigkeit der horizontalen Dimension des In-Seins, welche im Sein-bei und Sein-mit zerstreut ist, weist darauf hin, dass das In-Sein selbst ein komplexes Phänomen ist. Es heißt, das Dasein erschließt sich als In-Sein vielseitig. Die Struktur der selbsthaft-ekstatischen Erschlossenheit bestimmt jede horizontale Struktur, weil die erste die zweite stiftet. Nicht als eine Ursache, sondern als ihr Grund. Der Grund von jedem Grundcharakter der Erschlossenheit enthüllt sich als ein Modus der Zeitlichkeit des Daseins. Solche Grundcharaktere sind die Befindlichkeit (§ 16. Befindlichkeit ist die Erschlossenheit der Faktizität als ein Schonsein) und das Verstehen (§ 17. Auslegendes Verstehen ist die Erschlossenheit des Seinkönnens als Sich-vorweg-sein), welche die Strukturganzheit des Seins des Daseins, d. h. der Erschlossenheit ausmachen, nämlich die Sorge (§ 18. Die Sorge ist die Ganzstruktur der bidimensionalen Erschlossenheit).
§ 16. Befindlichkeit ist die Erschlossenheit der Faktizität als ein Schonsein Die horizontale Dimension fundiert in der selbsthaft-ekstatischen, indem die Verweisungsganzheit von einem gewissen Verweisen gestiftet wird, das zur Seinsverfassung des Daseins gehört. Eine der Grundweisen, in der das Dasein immer im Verhältnis zum Innerweltlichen steht, ist die Befindlichkeit. Sie ist ein Modus der Erschlossenheit des Daseins, der ihm erlaubt, sich für sich selber in seinem Dass-Sein zu erschließen. Was soll das heißen? Das Dasein versteht sich in jedem Verhältnis zum Seienden und zu ihm selbst als immer da schon seiend. Jedes Wissen oder Verständnis über die Existenz ist der Existenz nachträglich, immer irgendwie verspätet. Das Dasein versteht sich so als das Faktum seiner eigenen Transzendenz. Die Erschlossenheit des Daseins als Faktum der Fundierung der Welt charakterisiert das Dasein in seiner Faktizität. Die Geworfenheit meint die Faktizität der Überantwortung des Daseins, welche keine »Tatsächlichkeit des factum brutum eines Vorhandenen« bedeutet.1 Das Dasein ist faktisch nicht als eine bloße Tatsache so wie ein Stein irgendwo auf dem Boden, 1
Heidegger, Sein und Zeit, 135.
133
sondern als die Tatsache des Seinsverständnisses als Erschließung der Welt: In jedem menschlichen Dasein ist die seinsverstehende Welterschließung tatsächlich schon da. Die Überantwortung des Daseins in der Geworfenheit bedeutet, dass das Dasein im Verhältnis zur Umgebung ausgemacht ist. Das Dasein steht oder liegt aber niemals bloß in einem geometrischen oder geografischen Punkt, sondern das Dasein ist immer so da im Da seiner Welt , dass es sich selber in ihr befinden kann. Nur so ein Seiendes kann faktisch sein, weil nur ein daseinsmäßiges Seiendes irgendwie »selbstbefunden« sein kann und immer schon ist. Dieses Verhältnis hängt von keiner Entscheidung des Daseins ab, sondern diese Tatsache ist für das Dasein immer schon ein Anfang. Deswegen hat sie für das Dasein den Charakter einer Last. Das Sich-Befinden macht hier einen wesenhaften Unterschied zwischen dem Seienden, das sich selber finden kann, und demjenigen, das lediglich vorhanden ist. In solchem Sinne ist sogar ein primitives einzelliges Lebewesen vom vorhandenen Ding wesentlich verschieden.2 Das Dasein befindet sich aber nicht nur tatsächlich in einem gewissen Platz im Universum, sondern auch in einer gewissen Situation in-der-Welt; deswegen muss das daseinsmäßige Faktisch-Sein verstanden werden »als existenziale Bestimmtheit des Seienden […], das in der Weise des In-der-Welt-seins ist«.3 Diese Bestimmtheit des Daseins ist keine kategoriale, sondern ein Begriff der Einschränkung des Modus, der auf das Wie der Konkretion der menschlichen Existenz hinweist. Deswegen ist die Befindlichkeit des Daseins ein Existenzial und als solche eine formale Anzeige. Die Befindlichkeit hat demzufolge den Charakter der Bestimmung, welcher uns in der Stimmung ausdrücklich wird. Die »Färbung« des Umstandes zeigt uns, wie das Dasein durch seine eigene Faktizität eingeschränkt ist. Wenn aber die Stimmung entsteht, kommt als Stimmung nichts vor: Die Stimmung ist kein Seiendes. Sie ist positiv eine Grundart, die Grundweise, wie das Dasein als Dasein ist. […] Weil die Stimmung das ursprüngliche Wie ist, in dem jedes Dasein ist, wie es ist, ist sie nicht das Unbeständigste, sondern das, was dem Dasein von Grund auf Bestand und Möglichkeit gibt.4
Die Befindlichkeit als Grundweise der Existenz des Daseins macht solches aus, indem diese die Bestimmtheit des Daseins in der Gestimmtheit der Welt erschließt. Das Dasein ist immer schon von der Welt gestimmt, und sie ist aber – wie erläutert5 – das Dasein selbst. Das ständige Verhältnis des Daseins zum Seienden hängt von keiner Entscheidung und keinem Willensakt ab. In diesem Sinne ist das Dasein als In-der-Welt-sein in das Faktum der bidimensionalen Erschlossenheit geworfen. Die Befindlichkeit »erschließt das Dasein in seiner Gewor2 3 4 5
Heidegger, Prolegomena, 352. Heidegger, Sein und Zeit, 135. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, 101. Vgl. S. 123.
134
fenheit«.6 Das Geworfen-Sein meint also die Weise des menschlichen Existierens, in welcher das Dasein sich als faktisches Versetztsein in der Erschlossenheit vollzieht.7 Eine solche Weise der Erschlossenheit spielt eine grundsätzliche Rolle in der Seinsverfassung der Existenz, weil sie die geworfene Faktizität des Daseins durch seine Gestimmtheit erschließt. Um diesen Begriff der Befindlichkeit zu veranschaulichen, stellt der chilenische Dialekt ein gutes Beispiel dar: Anstatt »wie geht es dir?« zu fragen und darauf gewöhnlich »es geht« zu antworten, wird häufig in Chile mit »wie geht es uns?« umgangssprachlich begrüßt, worauf die gewöhnliche Antwort »hier sind wir« ist.8 Diese Antwort ist aussagekräftig, weil sie implizit meint, dass die sprachliche Antwort sich erübrigt, wenn beide Gesprächspartner zusammen da sind, weil sie verstehen, wie es geht, sofern sie sich beide zusammen befinden. Das Wie des Sich-Befindens wird also durch das Wo des Gesprächs im Gespräch irgendwie selbstverständlich.9 Die Antwort »hier sind wir« heißt existenzial formuliert: In meiner Befindlichkeit geht es mir, wie du schon irgendwie verstanden hast, indem wir »hier« schon faktisch-gestimmt erschlossen mit-sind. Die Erschlossenheit des Da des Daseins ist kein intentionales Verhalten, sondern dessen Bedingung der Möglichkeit. Ein Verhalten kann nur intentional sein, wenn es sich auf ein schon irgendwie erschlossenes Objekt richtet, zu welchem solches Verhalten irgendwie schon von vornherein im Verhältnis steht. Die Befindlichkeit als Grundweise der Erschlossenheit ist Bedingung der Möglichkeit der Intentionalität, denn sie »hat je schon das In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen und macht ein Sichrichten auf … allererst möglich«.10 Die gestimmte Faktizität des Daseins ermöglicht so den Vollzug der Existenzmöglichkeit des Sich-Richtens auf … Deswegen ist sie eine Grundweise der Erschließung der Möglichkeiten der Existenz, d. h. ein fundamentales Existenzial.11 Das bedeutet, dass die Befindlichkeit ein Modus des In-Seins des Daseins ist. Ein Existenzial aber bestimmt die Existenz nicht nur in einem Aspekt dieser, sondern als Ganzes. Die Befindlichkeit als Existenzial ist kein Stück des Seins des Daseins, sondern ein Charakter bzw. eine Weise zu sein der Existenz im Ganzen. Die Befindlichkeit ist als Erschlossenheit der Faktizität des Daseins eine Grundweise des In-der-Welt-seins. Die Befindlichkeit bestimmt so das Dasein vollkommen. Deswegen erschließt sich das Dasein als Da vollkommen gestimmt.
6 7 8 9
10 11
Heidegger, Sein und Zeit, 136. Vgl. von Herrmann, Subjekt und Dasein, 31. Die Formel sind jeweils die Frage »¿cómo estamos?« und die Antwort »acá estamos«. Luckner erklärt diesen Zusammenhang auf eine sehr klare und einfache Weise: »›Sich befinden‹ hat zwei Bedeutungen: erstens eine räumliche (›Sie befinden sich in der Höhle des Löwen!‹), zweitens eine emotive (›Wie befinden Sie sich in der Höhle des Löwen?‹)«. (Luckner, Martin Heidegger, 62.) Heidegger, Sein und Zeit, 137. Vgl. Heidegger, 160.
135
Dasein ›hat‹ seine Welt nämlich als erschlossene, und Dasein befindet sich. Das sind zwei phänomenologische Aussagen, die einen und denselben einheitlichen Tatbestand meinen, nämlich die Grundstruktur des In-der-Welt-seins, die Entdecktheit. Die Befindlichkeit drückt ein Befinden aus, daß das Dasein in seinem Sein als seiend je sein Da ist, und wie es dieses Da ist.12
Weil die Befindlichkeit ein Existenzial ist, wird in ihr die Geworfenheit des Selbst, d. h. das vollständige In-der-Welt-sein als faktisch erschlossen. Deswegen offenbart sich in der Befindlichkeit des Daseins zugleich die Erschlossenheit der Welt. Es heißt, die Bestimmtheit der Gestimmtheit des Daseins bestimmt nicht nur die selbsthaft-ekstatische Erschlossenheit des Da, sondern auch die horizontale Dimension der Welt. Diese Bestimmtheit schließt die beiden Dimensionen des Da ein, was bedeutet, dass die Existenzialien als Grundbestimmungen der Erschlossenheit jeweils einen bidimensionalen Charakter haben. Dies konstituiert die Befindlichkeit als »das Apriori für Entdecktheit und Erschlossenheit«.13 Dieser Aspekt der bidimensionalen Erschlossenheit, auf welchen die formale Anzeige der Befindlichkeit hinweist, bedeutet »existenzial eine erschließende Angewiesenheit auf Welt, aus der her Angehendes begegnen kann.«14 Das Dasein ist faktisch, weil es auf seine Welt so angewiesen ist, dass es sich an sie schon verloren hat, derart, dass das Dasein als faktisch auch verfallend ist.15 Die Befindlichkeit ist »selbst die existenziale Seinsart, in der es [das Dasein] sich ständig an die ›Welt‹ ausliefert«.16 Sie ist demzufolge – als Grundweise der Erschließung der Möglichkeiten des Daseins – eine Freigabe des Seienden, die sich vom durch sie charakterisierten Seienden affizieren lässt. In anderen Worten: Das Dasein wird bei der Entdeckung von innerweltlichen Seienden gestimmt und das Innerweltliche wird vom Dasein gestimmt entdeckt. So ist die Befindlichkeit des Daseins eine »Mitentdecktheit des In-der-Welt-seins im Angegangenwerden« vom innerweltlichen Seienden.17 Das Dasein ist die Entfaltung eines Horizonts, in welchem Seiendes begegnen kann, aber in solchem Horizont begegnet nicht nur das nicht daseinsmäßige oder das mitseiende Seiende, sondern auch das Dasein selbst, das diese Welt erschlossen hat. Das Dasein findet sich selber in seiner Welt als Erschließendes ihrer, d. h., es findet sich in-derWelt als immer schon da, als derjenige, der immer schon diese Welt erschlossen hat, in der dieses befindlich ist. Die Struktur der Befindlichkeit überhaupt kommt zum Vorschein durch die Analyse der Furcht. Solche Struktur ist von den Momenten des Wovor und des Worum der Furcht sowie des Fürchtens selbst ausgemacht. Das Wovor der
12 13 14 15 16 17
Heidegger, Prolegomena, 352. Heidegger, 354. Heidegger, Sein und Zeit, 137. Vgl. Heidegger, Logik, 233. Heidegger, Sein und Zeit, 139. Heidegger, Prolegomena, 351.
136
Furcht drückt das Furchtbare bzw. ein Innerweltliches jeglicher Seinsart aus. Das Fürchten selbst ist das oben erläuterte sich-angehen-lassende Freigeben, dem es in diesem Fall um das Furchtbare geht. In einfachen Worten von Heidegger: »Die Umsicht sieht das Furchtbare, weil sie in der Befindlichkeit der Furcht ist.«18 Das Worum der Furcht ist das Dasein, das um sich selbst fürchtet. Die Befindlichkeit ist also so ausgemacht, dass sie eine Art der Freigabe hat (Fürchten), die ein gewisses Seiendes so und so vorkommen lässt (Wovor) und auf das Sein eines gewissen Seienden gründet (Worum). Als Zusammenfassung: Die Wesensbestimmungen der Befindlichkeit sind also drei. Erstens meint die Befindlichkeit das Erschließen der Geworfenheit im Sinne des Faktums der wesenhaften Angewiesenheit des Daseins auf seine Welt bzw. des Faktums der Transzendenz. Zweitens bestimmt die Befindlichkeit das vollständige In-der-Welt-sein so, dass jede andere Existenzial auch befindlich gestimmt sein muss. Drittens konstituiert die Gestimmtheit der Befindlichkeit existenzial »die Weltoffenheit des Daseins«.19 Das zeigt, dass die Befindlichkeit die bidimensionale Erschlossenheit der Einheit von Dasein und Welt bestimmt sowie die horizontale Entdeckung vom innerweltlich begegnenden Seienden. Sie hat aber seinen Grund in der selbsthaft-ekstatischen Erschlossenheit des Daseins, aus der her die Welt immer schon erschlossen wird, in der Seiendes begegnen kann, zu dem das Dasein schon im Verhältnis steht. Das Dasein ist immer in seiner Geworfenheit überantwortet. Es heißt: »Schon-in, schon sich vorweg, schon bei der Welt; nie ein Vorhandenes, sondern immer schon so oder so entschiedene Möglichkeit«.20 Dieses absichtlich hartnäckig immer wieder erwähnte »Schon« in jeder Beschreibung der befindlichen Erschlossenheit meint »eine temporale Bestimmung, die jeder Zeit und Seinsfaktizität des Daseins zukommt. Das Schon ist die Indikation des Apriori der Faktizität«.21 Das Schon als zeitlicher Charakter dieses Existenzialen der Faktizität erlaubt eine Interpretation seiner Seinsverfassung bzw. seines Grundes aus der Perspektive seiner Zeitlichkeit. Es besteht also der folgende Zusammenhang: Seiendes kommt in der Welt vor, die Welt wird aus der Befindlichkeit gestimmt erschlossen, die Befindlichkeit des Daseins charakterisiert sich wesenhaft zeitlich aus dem Schon-Sein des Daseins, somit wird das Entdecken jedes Seienden von der Zeitlichkeit des Daseins ermöglicht. So ist das Schon der Befindlichkeit bzw. Faktizität ein ganz wichtiger Gewinn der Analytik des Daseins auf dem Wege der Erfüllung des Projekts der Fundamentalontologie, d. h. die Interpretation des Seins des Seienden aus dem Horizont der Zeitlichkeit.
18 19 20 21
Heidegger, Sein und Zeit, 141. Heidegger, 137. Heidegger, Logik, 414. Heidegger, 414.
137
Die Befindlichkeit enthüllt sich als ein Modus der Erschlossenheit der Zeit und deswegen auch des Seins überhaupt, aus welchem her das Sein des Seienden in seinem Unterschied auszulegen ist.
§ 17. Auslegendes Verstehen ist die Erschlossenheit des Seinkönnens als Sich-vorweg-sein Die Befindlichkeit ist die Weise, in der das Dasein die Möglichkeiten seiner Faktizität erschließt, die sein In-der-Welt-sein stimmen, indem sie es als ein Schonda erschließen. Das Dasein ist als Faktum der Faktizität je geworfen »und als geworfenes ist das Dasein in die Seinsart des Entwerfens geworfen«.22 Die faktische Erschließung der Möglichkeiten wirft das Dasein in den Entwurf seines selbst, also in solche Möglichkeiten, aus denen das Dasein sich »immer schon und immer noch, solange es ist«, versteht.23 Diese Erschließungsweise, zu der die Befindlichkeit als Gabe von Möglichkeiten der Erschlossenheit der Welt führt – und deswegen der Entdecktheit des Innerweltlichen –, ist eine gewisse Vollzugsart des Seins des Daseins. Das Dasein entdeckt seine faktische Umgebung denselben Möglichkeiten gemäß, die solch seine Umgebung konstituieren. Solche Möglichkeiten des Entwurfs und der Geworfenheit sind aber nicht logische Möglichkeiten, die nur eine Widerspruchslosigkeit meinen, sondern existenzielle, d. h., sie sind die Seinsweise, in der das Dasein selbst möglich ist bzw. sein kann. Sofern das Dasein die Erschlossenheit der faktischen Möglichkeiten ist, ist es zugleich ein Seinkönnen als Sein-zu-diesen-Möglichkeiten. Dieser Zusammenhang hat für Heidegger eine sehr besondere Bedeutung: »Der Seinsvollzug dieser Seinsmöglichkeiten, die wir [Erschlossenheit] nennen, bezeichnen wir als Verstehen.«24 Solches Verstehen »weiß«, woraufhin es sich entwirft, aber nicht in der Art und Weise der theoretischen Erkenntnis, sondern in derjenigen 22 23 24
Heidegger, Sein und Zeit, 145. Heidegger, 145. Heidegger, Prolegomena, 355. Die Korrektur des Zitats ergibt sich aus dem Gebrauch der Termini »Entdecktheit« und »Erschlossenheit« in dieser Vorlesung, welcher noch nicht so präzise ist wie in Sein und Zeit. Im Nachwort zur Vorlesung sagt die Herausgeberin: »Im Manuskript spricht Heidegger z. B. von der ›Entdecktheit des Daseins‹ und von der Erschlossenheit der Welt‹.« (Petra Jaeger, »Nachwort des Herausgebers«, in Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, von Martin Heidegger, 2., durchges. Aufl., Gesamtausgabe 20 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1988), 444.) Das zeigt, dass die Begrifflichkeit noch nicht vollkommen ausgearbeitet ist, weil solche noch nicht an der ontologischen Differenz gut angepasst ist. Der Unterschied zwischen Erschlossenheit und Entdecktheit bedeutet nicht einen Unterschied von Dimensionen, die ein gewisses Gegenüber mit konstituieren, sondern die Erschlossenheit ist diejenige des Daseins und zugleich der Welt, weil solche die Erschlossenheit des Seins bedeutet, und deswegen ist die Entdecktheit der Begriff des Begegnen des Seienden. Sein ist immer Sein eines Seienden. Dies bedeutet in solchen Worten: Die bidimensionale Erschlossenheit des Seins entspricht einer ständigen Entdecktheit des Seienden. (Aus diesen Gründen wird diese Korrektur in den Zitaten dieser Vorlesung immer gemacht, sofern es notwendig ist.)
138
des Seins solcher Möglichkeit: Das verstehende Dasein ist sein Seinkönnen. Das bedeutet, dass es dem Dasein in seinem Sein um sein eigenes Seinkönnen geht. In anderen Worten: Das Dasein als In-der-Welt-sein existiert um seiner selbst willen. Die faktische Existenz ist also zugleich ein existenziales In-der-Welt-sein-können.25 So ist das Sein-zu der Transzendenz des Daseins primär »nicht als Verhalten zu anderem Seienden, das es nicht ist«, zu verstehen, »sondern als Sein zum Seinkönnen, das es selbst ist«.26 Solcher Zusammenhang drückt noch mal aus, dass die horizontale Dimension der Erschlossenheit ein in der selbst-ekstatischen Dimension fundiertes Phänomen ist. Das Seinkönnen macht die Seinsverfassung des Daseins so aus, dass das Mögliche und Gekonnte nichts anderes bedeutet als das Dasein selbst. Mögliches und Gekonntes besagen kein Was im Dasein, sondern das Wie seines Existierens.27 Durch das Verstehen ist immer schon die Möglichkeit erschlossen, in der Weise des Existenzvollzugs zu sein. Das entwerfende Verstehen ist demzufolge eine Bestimmtheit der »ganze[n] Grundverfassung des In-der-Welt-seins«.28 Der fundamentalontologische Begriff des Verstehens bedeutet eine Grundweise des Inder-Welt-seins und deswegen ist das Verstehen die formale Anzeige der entwerfenden Weise der bidimensionalen Erschlossenheit. Das Verstehen als Entwurf ist also mit der Befindlichkeit als Grundexistenzial zusammen zu betrachten. Verstehen ist eine Seinsart des Seienden vom Charakter des In-Seins. Es ist das Sein-bei erschlossener Besorgbarkeit und zwar ein solches befindliches Sein-bei, das sich selbst immer mitentdeckt. Verstehen als befindliches Erschließen und Erschlossenhaben von Welt ist als dieses ein erschließendes Sich-befinden.29
Das Verstehen als bidimensionale sich entdeckende Erschlossenheit muss also auch eine »[Erschlossenheit] des Woran-seins mit etwas« sein,30 d. h., im Verstehen geht es um eine gewisse Präsenz der Umwelt, des innerweltlichen Seienden und von ihm selbst am Sein mit und bei ihm. Die Seinsverfassung des Daseins ist so ausgemacht, dass es immer am Sein über sich hinaus mit dem Seienden ist. Das bedeutet, dass das verstehende Dasein auf das innerweltliche Seiende hin existiert. Solches Seiende, woraufhin das Dasein ist, ist das Womit des Umgangs, welcher aber eine Möglichkeit des Seins des Daseins ist. Das Dasein versteht also seine Welt, das in ihr begegnende Seiende und sich selbst in seinem Seinkönnen. In diesem Sinne besagt das Verstehen: »sich entwerfen auf eine Möglichkeit«.31 Das daseinsmäßige Verstehen als Entwurf meint den Möglichkeitscharakter des Daseins. 25 26 27 28 29 30 31
Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 242. Heidegger, Sein und Zeit, 192. Heidegger, 143. Heidegger, 144. Heidegger, Prolegomena, 355 f. Heidegger, 357. Heidegger, Grundprobleme, 392.
139
[D]er Entwurf ist die Art, in der ich die Möglichkeit bin, d. h. die Art, in der ich frei existiere. Das Wesentliche des Verstehens als Entwurf liegt darin, dass in ihm das Dasein sich selbst existenziell versteht.32
Das Verstehen, das sich in die faktisch erschlossenen Möglichkeiten entwirft, macht die Sicht des Daseins aus. Solche ist aber keine Sicht des Auges, das Licht aus der Umgebung bekommt, sondern sie ist vielmehr wie die Sicht, die das Licht einer Taschenlampe ermöglicht, mit welcher eine Gegend erleuchtet wird: Solche Erschlossenheit bzw. Erleuchtung kann nur pauschal sein, weil sie nur sehen kann, was sie sich selber zeigt. Die Erschlossenheit ist also im Prinzip immer zugleich eine gewisse Verschlossenheit. Als Grundweise der Erschlossenheit ist das Verstehen als Sicht in allen Wandlungen des Seins-zu zu betrachten: Demzufolge ist die Sicht des Besorgens die Umsicht, die der Fürsorge eine Rücksicht und die des Selbst eine Durchsichtigkeit. Diese Durchsichtigkeit ist aber nicht subjektiv zu betrachten, sondern sie meint den Charakter der Selbsthaftigkeit jeder verstehenden Sicht als Weise der bidimensionalen Erschlossenheit des Da. Im Verstehen wird nicht nur das Sein des Daseins entworfen, sondern auch das Sein alles nicht daseinsmäßigen Seienden freigegeben. So was zeigt, dass im Entwurf des Daseins auf die Möglichkeiten seines Seins »schon Seinsverständnis vorweggenommen« ist.33 Wie erläutert, was das zuhandene Seiende ist, bestimmt sich immer als ein für etwas, mit etwas, bei etwas. Diese Struktur des Seins des alltäglich zunächst innerweltlich begegnenden Seienden wurde unter dem Begriff Bewandtnis begriffen. Das Fundament der Erschließung der Bewandtnis ist das Dasein durch sein verweisendes Verhalten.34 Demzufolge wird jetzt verstanden, wie das Dasein die Bedeutsamkeit der Welt erschließt: Die Verweisungen bzw. Bedeutungen, die eine Bewandtnisganzheit ausmachen, sind Möglichkeiten des Umgangs und als solche werden diese im Entwurf bzw. im bedeutenden Verstehen des Daseins erschlossen. Die Entdecktheit der Bewandtnis zeigt sich so als ein Verstanden-Haben des Daseins und »Verstanden-haben besagt nichts anderes als diese jeweilige Bewandtnis sein«.35 Das Verstehen ist die Fähigkeit des Daseins, sich zu entwerfen, aus welcher Fähigkeit sowohl Zuhandenheit als auch Vorhandenheit als Zugangsweise zum Seienden sich interpretieren lassen. Sowohl Zuhandenheit als auch Vorhandenheit werden aus einer Möglichkeit des Daseins und durch sie je erschlossen.36 Wenn im Verstehen des Daseins eine Freigabe des Seins des Seienden geschieht, dann bedeutet das, dass das Verstehen kein »bloßes« Sich-Entwerfen bedeutet, sondern vielmehr ein solches, das Seiendes vorkommen lässt. Das Ver32 33 34 35 36
Heidegger, 392 f. Heidegger, Sein und Zeit, 147. Vgl. § 15. b. Die ekstatische Dimension des In-Seins ist das Fundament der Welt. Heidegger, Prolegomena, 357. Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 68.
140
stehen ermöglicht, dass Seiendes so begegnet, dass der Umgang möglich wird. Dies ist nur möglich, weil eine gewisse Ausbildung des Verstehens in ihm geschieht, welche die existenzial entworfenen Möglichkeiten auslegt. Solche Ausbildung des Verstehens ist demzufolge die Auslegung, welche die »Zueignung des Verstandenen« heißt.37 Die Auslegung weist auf eine Stufe in demselben Verstehen hin und nicht auf etwas anderes daneben: »Verstehen ist der Seinsvollzug der Entdecktheit; Auslegung ist der Vollzugsmodus dieses Seinsvollzuges der Entdecktheit. Auslegung ist die Grundform alles Erkennens«.38 Durch solchen Modus wird das Verstandene ausdrücklich bzw. neu erschlossen, indem die umsichtige Entdeckung so ermöglicht wird. Die Auslegung macht explizit das Wozu des Seienden durch die Heraushebung der Verweisung des »Um-zu«. Durch solche Heraushebung des Seienden – weil das Um-zu das Seiende des Umgangs konstituiert – ist dieses Seiende »als etwas« zu nehmen, d. h., es wird so und so verstanden. Das Explizieren39 der Verweisungsganzheit, welche das Sein eines Seienden ausmacht, lässt das Seiende selbst erst begegnen. Die Entdeckung des innerweltlich begegnenden Seienden hat zwar ein sensibles Moment, aber das Dasein nimmt nie »reine Empfindungen« wahr, sondern ein schon konstituiertes Etwas.40 Sie beobachten z. B. gerade nicht getrennte Flecken auf dem Papier, und auch lesen Sie jetzt nicht isolierte Buchstaben, sondern Wörter über das Denken von Heidegger, die Wörter, die ich geschrieben habe, Worte, die, wie Sie wissen, meine Meinung äußern. Im Alltag höre ich nicht bloßen Schall, sondern beim Trinken eines Kaffees höre ich die Stimme meiner Freunde oder im Unterricht die gute Frage einer Studentin. Jede Wahrnehmung ist also das Ausdrücklichwerden einer schon erschlossenen Verständnisganzheit. Auslegung gibt es schon in der Umsicht des Besorgens, welche den Umgang ermöglicht, die aber kein Verhalten des Daseins ist, sondern ein Grundmoment seiner Seinsverfassung und deswegen ein vorsprachliches Phänomen.41 Die Auslegung ist im daseinsmäßigen Verhalten von vornherein schon lebendig. Alles wird von Anfang an als etwas verstanden. Dieses Als macht »die Struktur der Ausdrücklichkeit eines Verstandenen«, d. h. der Auslegung, aus.42 Dieses Als lässt das Innerweltliche begegnen und ermöglicht den Umgang, weil der Umgang nur mit einem gewissen Etwas für … möglich ist, das schon irgendwie hat verstanden werden müssen. Die Auslegung setzt also das Verstehen des Entwurfs voraus, denn »[a]lle Auslegung, die Verständnis beistellen soll, muß
37 38 39
40 41 42
Heidegger, Sein und Zeit, 160. Heidegger, Prolegomena, 359. Eine ähnliche Interpretation des Begriffs der Auslegung hat Contreras gemacht, indem er solchen als eine »Explizierung« (explicitación) versteht. (Vgl. Contreras, »Hermenéutica«, 135.) Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 163 f. Vgl. Heidegger, 157. Heidegger, 149.
141
schon das Auszulegende verstanden haben«.43 Dies Schon-Verstandene macht die sogenannte dreifache Vor-Struktur der Auslegung: Das Ausgelegte wird in der vorerschlossenen Bewandtnis vorgehabt, es wird in einem vorvollzogenen Hinblick vorgesehen und vorgegriffen, weil es vor aller Begrifflichkeit schon besessen wurde. »Vorhabe«, »Vorsicht« und »Vorgriff« charakterisieren die Vorstruktur der Auslegung, welche die Entfaltung des Verstehens des Entwurfes ausmacht. Verstehen und Auslegung sind nicht verschieden, sondern der Unterschied beider liegt an einer Stufung des existenzialen Verständnisses selbst. Die Auslegung ist keine abgeleitete Stufe im Sinne von einer solchen von dem Verstehen getrennten, sondern die Auslegung meint die appräsentierende Funktion des Verstehens selbst. Das Verstehen ist auslegend. Im Sich-Entwerfen auf die Möglichkeiten hin, indem das Dasein eine dieser Möglichkeiten ist, erschließt sich die Welt und das Seiende begegnet dem Dasein. Unter diesem Seienden, das innerweltlich begegnet, wird das umgegangene Seiende als etwas herausgehoben bzw. ausgelegt.44 Der Zusammenhang von Verstehen und Auslegung kann durch eine Analogie mit der Fotografie veranschaulicht werden: Auf dem Bild sind alle Dinge des fotografierten Bereichs sichtbar, aber einige stehen im Brennpunkt und andere nicht, das Zentrum des Bildes ist normalerweise schärfer als die Ränder. Ähnlich wie solches ist das Verstehen: Alles, was in der Welt ist, wird im Entwurf verstanden, aber nur einiges wird durch die Auslegung ausdrücklich zum Etwas im Umgang. Womit umgegangen wird, d. h., was als etwas verstanden wird, steht im »Brennpunkt« der Erschlossenheit. Die Auslegung fungiert so wie der »Fokus« des Verstehens. Die oben klargestellte Unregelmäßigkeit des gestuften Verstehens entspricht der schon dargestellten Unregelmäßigkeit der Bewandtnisganzheit und zeigt so, dass diese beiden Phänomene zusammengehören, indem diese nur zwei Dimensionen von einem einheitlichen Phänomen ausdrücken, nämlich das bidimensionale Da der Existenz als In-der-Welt-sein. Hier gewinnt die Untersuchung eine neue Klarheit über den Zusammenhang der Fundierung der Welt im Sein des Daseins: Die Welt ist der seinsverstehende Horizont jeder Existenz. Es gibt aber eine dritte Stufe im Verstehen: die Aussage. Die Aussage ist eine »mitteilend bestimmende Aufzeigung«.45 Sie ist eine aus der Auslegung abgeleitete Stufe: Die Aussage hat dieselbe dreifache Vorstruktur der Auslegung, aber eine modifizierte Als-Struktur. Das hermeneutisch-existenziale Als gehört zur umsichtig verstehenden Auslegung, während das apophantische zur Aussage gehört. Das apophantische Als unterscheidet sich vom hermeneutischen, weil es sich von der verstandenen Bewandtnisganzheit trennt, die es entstehen lässt. So macht die Aussage Seiendes anwesend, indem sie zugleich das in ihm Zuhandene verdeckt. 43 44 45
Heidegger, 152. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 360. Heidegger, Sein und Zeit, 156.
142
Durch diese Erläuterungen wurde schon festgemacht, dass das Dasein als Worumwillen durch ein Seinkönnen ausgemacht wird. Das heißt, dass das Dasein durch die Möglichkeit wesenhaft charakterisiert ist. Wenn aber das Dasein wesenhaft möglich ist, bedeutet das, dass das Dasein irgendwie die Möglichkeiten seines Seins erschließt, weil es sich irgendwie vor sich selber stellen kann. Das Verstehen als Entwurf des Worumwillens charakterisiert demzufolge das Dasein wesenhaft als ein Sich-vorweg-Sein.46 So zeigt sich hinter dem Existenzialen des Entwurfs ein zeitlicher Charakter im Sein des Daseins. Der Entwurf des Verstehens zeigt sich so wie ein Charakter des Seins des Daseins, welcher durch die Erschlossenheit der Möglichkeitsganzheit aus der Erschlossenheit seines Möglichkeitsvollzugs Seiendes in seinem Sein fortwährend entdeckt. Die Analyse des Verstehens zeigt sich so im engeren Zusammenhang mit der ontologischen Differenz, weil solche sich als Moment der bidimensionalen Erschlossenheit des Da aus dem daseinsmäßigen Entwurf vollzieht.
§ 18. Die Sorge ist die Ganzstruktur der bidimensionalen Erschlossenheit Wenn schon die Existenzialien der Existenzialität und der Faktizität bestimmt sind, muss jetzt die Untersuchung seine strukturelle Einheit bezeugen können, weil die Existenzialien keine wirkliche Trennung im aufgewiesenen Phänomen ausdrücken.47 Heidegger versucht diesen Zusammenhang zu zeigen, indem er eine besondere Befindlichkeit analysiert, in der das In-der-Welt-sein sich so zeigt, dass kein Innerweltliches begegnet, obwohl die Welt erschlossen bleibt. Solches Phänomen ist die Befindlichkeit der Angst, welche wie jede Befindlichkeit durch ein Wovor, ein Worum und eine Freigabeart ausgemacht ist. Das Wovor der Angst ist das eigene In-der-Welt-sein, welches sich inhaltlich unbestimmt zeigt. Das In-der-Welt-sein bestimmt sich im Sein-beim Seienden, aber sofern solches In-der-Welt-sein irgendwie vor ihm selbst getragen wird, bleibt es ohne mögliche Bestimmung und deswegen wird die Welt »unbedeutsam«. Das Wovor der Angst ist also ein gewisses Nichts. Die Erschlossenheit der Welt ist sowohl bedeutsam als auch räumlich ausgemacht. Deswegen bedeutet solches Nichts zugleich ein Nirgends. Das Nirgends besagt die Erschlossenheit der Gegend überhaupt, sowie das Nichts die Erschlossenheit der Welt überhaupt ausdrückt. Die Erschließung des Wovor der Angst ist demzufolge die Erschlossenheit der »Welt als solche«.48 In der Angst ist die Welt erschlossen als der Umkreis, welcher das Innerweltliche zur Präsenz bringt, indem aber der Umkreis zugleich anders als solches Innerweltliches ist, indem dieses Sich-Ängsti46 47 48
Vgl. Heidegger, 191 f. Vgl. S. 48. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 186 f.
143
gen »ursprünglich und direkt die Welt als Welt« erschließt.49 Das bedeutet, dass in der Angst der Vollzug der ontologischen Differenz spontan durch ein phänomenales Begegnen-lassen-nicht-Können geschieht. Das könnte als eine epoché interpretiert werden, ist es aber keine, weil die Angst keine freiwillige theoretische Handlung ist, sondern der Grundmodus der Befindlichkeit. Zwar ist die Funktion von epoché und Angst methodisch ähnlich, weil beide die Reduktion begünstigen, sie sind aber wesenhaft anders, weil die Angst ein Phänomen ist, dessen Analyse einen Schritt in der Untersuchung darstellt, während die epoché ein Moment der Methode selbst ist. Die Angst ist ein methodischer Schritt, während die Husserl’sche Reduktion ein methodologisches Moment ist. Die Angst ist also ein Phänomen, durch dessen Analyse etwas gezeigt wird. Die epoché hingegen ist eine willkürliche Handlung, deren Vollzug von einigen Philosophen als günstig für die Analyse von Phänomenen gehalten wird. Das Worum der Angst ist das eigene In-der-Welt-sein, das sich als MöglichSein erschließt.50 Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Sein-können, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens. Die Angst bringt das Dasein vor sein Freisein für ... (propensio in ...) die Eigentlichkeit seines Seins als Möglichkeit, die es immer schon ist. Dieses Sein aber ist es zugleich, dem das Dasein als In-derWelt-sein überantwortet ist.51
Die Identität vom Wovor und Worum der Angst ist die »existenziale Selbigkeit des Erschließens mit dem Erschlossenen«. So etwas zeigt jetzt noch tiefer, was schon in dieser Untersuchung als die Zusammengehörigkeit vom Dasein und seiner Welt bzw. Bidimensionalität interpretiert wurde, sofern das Erschlossene das »In-Sein als vereinzeltes, reines, geworfenes Seinkönnen« bzw. das Erschließen selbst ist, welches zugleich das ausdrückt, was Heidegger unter dem Begriff von »Welt als Welt« versteht.52 Der Mensch hat die Seinsart des Daseins, d. h. des Seienden, dessen Essenz seine Existenz ist. Hinsichtlich des Daseins ist sein Wie, was dessen Was konstituiert. Das Wie des Wesens des Daseins ist das In-derWelt-sein, d. h., Dasein ist In-der-Welt-sein. Sofern das Dasein als In-der-Weltsein existiert, ist es wesenhaft faktisch. Dies drückt sich in der Angstbeschreibung als deren Wovor aus. Weil Dasein sowohl In-Sein als auch Faktum ist, ist es also immer Vollzug seiner Möglichkeiten. Das zeigt sich in dieser Beschreibung als das Worum der Angst. Die Angst zeigt, dass das menschliche Dasein vor ihm selbst als faktisch geworfen und zugleich um seiner selbst willen als verstehend entworfen ist. Aber wie ist das Dasein geworfen entworfen? Die Antwort lautet: Das Dasein ist in-der-Welt-beim-Seienden, d. h., das Dasein ist verfallend: 49 50 51 52
Heidegger, 187. Vgl. Heidegger, 187 f. Heidegger, 188. Heidegger, 188.
144
Die verfallende Flucht in das Zuhause der Öffentlichkeit ist Flucht vor dem Unzuhause, das heißt der Unheimlichkeit, die im Dasein als geworfenen, ihm selbst in seinem Sein überantworteten In-der-Welt-sein liegt.53
Dieser Begriff Unzuhause drückt aus, dass es für das Dasein keine Innerlichkeit gibt. Das Dasein ist nie zuhause, wenn es nicht bei dem Seienden in der Öffentlichkeit ist. Das Dasein versteht sich immer aus dem Verschiedenen und den Anderen, weil es kein Drinnen besitzt, das als Zuflucht vor allem solchem fungiert. Das Dasein selbst bestimmt sich sogar aus dem Verständnis des Anderen. Dies ist die ontische Konkretion von dem, was schon ontologisch charakterisiert wurde, dass das Draußen des Daseins sein einziges Drinnen ist.54 Das Wovor der Angst zeigt sich als »das geworfene In-der-Welt-sein«, während ihr Worum »das In-der-Welt-sein-können« besagt.55 So zeigt sich in der Angst, dass ihre Momente verschiedene Weisen des In-der-Welt-seins selbst ausdrücken – sie sind also Existenzialien. Das Wovor der Angst ist die Faktizität der Befindlichkeit und das Worum ist die Existenzialität des Verstehens. Sofern aber eine Identität vom Wovor und Worum der Angst besteht, bedeutet es, dass sich in der Angst das Phänomen einer strukturellen Einheit des Seins des Daseins meldet: die Sorge. Die Grundexistenzialien des In-Seins bzw. Worumwillens wurden schon als Verstehen, Befindlichkeit und Sein-bei bzw. -mit charakterisiert. Sie sind Existenzialien, d. h. formale Anzeige, deswegen besagen sie jeweils keinen getrennten Teil bzw. kein getrenntes Stück vom Dasein, sondern die »fundamentalen ontologischen Charaktere dieses Seienden«, nämlich »Existenzialität, Faktizität und Verfallensein«.56 Wie schon erklärt wurde, enthüllen sich diese Charaktere im Grunde jeweils als zeitlich. Das Sich-Entwerfen im eigentlichen Seinkönnen, das das Dasein möglich sein lässt, beschreibt Heidegger in folgenden Worten: »Das Sein zum eigensten Sein können besagt aber ontologisch: das Dasein ist ihm selbst in seinem Sein je schon vorweg.«57 Aber sogar als Sich-vorweg ist das Dasein immer schon so bestimmt. Das Dasein als Mögliches ist in diesem Sinne überantwortet – »das heißt: Schon-in, schon sich vorweg, schon bei der Welt; nie ein Vorhandenes, sondern immer schon so oder so entschiedene Möglichkeit«.58 Die Existenzialität ist so immer von der Faktizität bestimmt bzw. beschränkt. Die Grundstruktur des Seins des Daseins ist deswegen ein faktisches Möglich-Sein, das sich zeitlich als Sich-vorweg-schon-Sein enthüllt, aber nicht nur das: Das Sein des Daseins ist von Hause aus immer ein ständiges Verhältnis zum umgebenden Seienden aller Art. Das Dasein ist als solches tran53 54 55 56 57 58
Heidegger, 189. Vgl. S. 92. Heidegger, Sein und Zeit, 191. Heidegger, 191. Heidegger, 191. Heidegger, Logik, 414.
145
szendent. Das Phänomen der Transzendenz selbst ist das Phänomen der Erschlossenheit, welches in der Einheit ihrer Existenzialien als ›Sorge‹ charakterisiert wird, d. h., solche Transzendenz ist das Phänomen, durch welches das Dasein sich selbst immer schon überschritten hat und in Bezug mit dem anderen Seienden geraten ist. Es gibt kein In-Sein ohne Sein-bei. Das menschliche Dasein selbst ist das »Zwischen« jedes Bezugs von jeglichem Subjekt auf jegliches Objekt.59 So kann jetzt die Definition der Sorge angemessen verstanden werden, die Heidegger einführt: »Das Sein des Daseins besagt: Sich-vorweg-schonsein-in-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)«.60 Es wurde schon erklärt, dass das Sich-vorweg-Sein den zeitlichen Charakter des Verstehens meint, welcher die Zukunft ausdrückt. Die Gewesenheit des Daseins zeigt sich durch das Schon-Sein als der zeitliche Charakter der Befindlichkeit. Das Sein-bei meint aber auch einen zeitlichen Charakter, nämlich die Bewegtheit der Gegenwart, die zur Verfallenheit des Daseins gehört. In der Definition der Sorge gibt es aber noch eine wesenhafte Komponente: das Als. Heidegger hatte früher einen anderen Ausdruck gebraucht, um denselben Zusammenhang zu erklären: »Sich-selbst-vorwegsein in eins mit dem Schon-seinbei der Welt: Sich-selbstvorweg-schon-bei-seiner-Welt-sein«.61 Das Als in der Definition der Sorge bedeutet demzufolge »in eins mit«; deswegen soll daraus verstanden werden, dass solches Als kein Als der Auslegung ist – etwas als etwas –, sondern solches ist das Als des Vollzugs: Die Definition der Sorge behauptet demzufolge, dass der geworfene Entwurf als Verfallensein geschieht. Das ist der Höhepunkt der Kritik Heideggers an der Subjekt-Objekt-Beziehung. Das Als der Definition der Sorge meint in anderen Worten, dass das In-Sein als Sein-bei geschieht. Das ist, was diese Untersuchung von Anfang an durch die Formel »InSein ist Sein-bei« bei der Erklärung der Bidimensionalität des Da zu zeigen versucht hat.62 Dieses Als scheint deswegen eine wesenhafte Rolle zu spielen, weil es die Verknüpfung vom In-Sein und Sein-bei vertritt. Deswegen ist es merkwürdig, dass solches Als in der Definition der Sorge nie von den Kommentatoren thematisiert wird. Dieses Als ist aber wesenhaft, weil es zeigt, dass die zwei Dimensionen der Sorge einheitlich sind, und deswegen macht es die Bedingung der Möglichkeit und die eigentümliche Struktur der Bidimensionalität aus. Das Wesen der Bidimensionalität liegt in solchem Als. Das Strukturganze der Sorge stellt sehr klar dar, dass die Seinsverfassung des Daseins so ausgemacht wird, dass die Bidimensionalität der Grundstruktur der Entfaltung der daseinsmäßigen Zeitlichkeit entspricht. Solche Zeitlichkeit zeigt sich als der Grund der Existenzialien, d. h. als die Grundstruktur des daseinsmäßigen Lebens: Die Befindlichkeit bedeutet das sich affizierende Leben, das Verstehen 59 60 61 62
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 132. Heidegger, 192. Heidegger, Logik, 235. Vgl. S. 100.
146
besagt das sich entwerfende Leben und die Rede drückt das artikulierende Leben aus. Das Dasein bedeutet Selbst-Bewegtheit und -Vollzug. Deswegen müssen die zu ihm gehörigen Aufweisungen aktiv und reflexiv formuliert werden.63 Heidegger definiert die Befindlichkeit als eine »existenziale Grundart der gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz, weil diese selbst wesenhaft In-der-Welt-sein ist«. Solche Definition aber fungiert nicht nur als eine Definition der Befindlichkeit als Existenzial, sondern auch als eine von dem Begriff des Existenzials selbst, weil solche Definition als Art des In-derWelt-seins und das In-der-Welt-sein als gleichursprüngliche Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz, definiert werden. Demzufolge kann behauptet werden, dass ein Existenzial eine Grundart der gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz ist. Die Existenzialen sind die Modi, in denen das Dasein in ein fortwährendes Verhältnis zum Seienden gerät, geraten ist und geraten wird. Die Gleichursprünglichkeit von den Existenzialien kann so verstanden werden, dass sie ein Zusammenhang zwischen allen Existenzialien als Momente der Beschreibung zum Ausdruck bringt, welcher solche Momente als voneinander unableitbar, aufeinander irreduzibel, aus etwas anderen nicht ableitbar (selbstgegeben), wechselseitig durch einander verstehbar erklärt.64 Solche Charakteristik der Gleichursprünglichkeit betrifft aber die Existenzialien als formale Anzeige, d. h. als begrifflicher Unterschied in der Aufweisung eines einheitlichen Phänomens. In diesem Sinne ist es genauso falsch zu behaupten, dass die Befindlichkeit »der tiefere Grund« der Erschlossenheit ist sowie dass die Sprache »ihr triumphaler Abschluss« ist.65 Die Existenzialien entsprechen also verschiedenen Modi des Verhältnisses des daseinsmäßigen Verhaltens, welches letztendlich das Verhältnis überhaupt seines Seins formal anzeigt. In anderen Worten: Ein Existenzial besagt keine Eigenschaft des Lebens, sondern die Form des Lebens selbst.66 Kein Verhältnis ist möglich, wenn das verhaltende Seiende isoliert ist. Jedes Verhältnis ist nur möglich, wenn ein Verhalten sich zu etwas verhält. Nur hinsichtlich eines gewissen Etwas kann es ein Verhältnis geben. Solch ein Verhältnis ist keine Beziehung, die das Dasein mit etwas aufnimmt, was vorgekommen ist und hinsichtlich dessen das Dasein sich zu verhalten entscheidet. Das Vorkommen ist das Verhältnis selbst, das immer von vornherein aufgenommen ist. In der Sorge ist immer Welt erschlossen »als das Worin des Schon-seins«,67 d. h. als die Bewandtnis, in welcher das innerweltli63
64 65 66 67
Mit solchen aktiven und reflexiven Formulierungen wird versucht, die passiv formulierten Titel zu korrigieren, mit denen Demmerling die Existenzialien zu erklären versucht, nämlich Befindlichkeit als »das affizierte Leben«, Verstehen als »das entwerfende Leben« und die Rede als »das artikulierte Leben« (Demmerling, »Hermeneutik der Alltäglichkeit«.). Vgl. Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 63. Sonderegger, »Welt. Heidegger-Handbuch«, 293. Vgl. Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 55. Heidegger, Sein und Zeit, 194.
147
che Seiende begegnen kann, bei welchem das Dasein immer schon ist. Deswegen ist die einzige mögliche Unterscheidung zwischen den horizontalen und den selbsthaft-ekstatischen Existenzialien eines formalen Wesens – die Existenzialien sind formale Anzeigen: distinctio formalis – derart, dass es unter ihnen keinen realen Unterschied (distinctio realis) gibt. In anderen Worten: Es gibt nicht verschiedene »Dinge«, die den Existenzialien entsprechen, sondern nur der Hinweis auf verschiedene Charaktere und Dimensionen desselben Phänomens. Das Dasein hat zwar nur dank des Entwurfs eine gewisse Faktizität, aber das Dasein hat auch dank der Faktizität bestimmte Möglichkeiten für den Entwurf. Die Faktizität bestimmt den Bereich der Projektion und meint den daseinsmäßigen ständigen Zustand des Verhältnisses zum Seienden bzw. zur Situation. Eine Situation, die immer schon vorhergeht. Der Charakter des Schon-draußen-im-Verhältnis-zum-Innerweltlichen-Seins gibt dem Draußen-werfen bzw. dem Entwurf einen vorrangigen Charakter, der den Ursprung jedes möglichen Verhältnisses ausdrückt. Deswegen hat das Verstehen einen Vorrang im Phänomen der Erschlossenheit und infolgedessen in der Ganzstruktur der Sorge. Die formale Struktur der Sorge lautet »Seiendes, dem es bei seinem In-der-Weltsein um dieses Sein selbst geht«.68 Diese Definition der Sorge, die Heidegger erreicht, ist eine klare Bestätigung der Interpretation, die diese Arbeit bis hierher geschafft hat. Ganz grob gesagt: Die Sorge hat die formale Struktur des Worumwillens. In den Worten dieser Untersuchung lautet es so: Die selbsthaft-ekstatische Dimension der Erschlossenheit ist der Grund des In-der-Welt-seins. Das bedeutet in Worten von Heidegger, dass dem Dasein als Worumwillen »so etwas wie ein Aussein auf etwas liegt: das Dasein ist auf sein eigenes Sein aus, auf sein Sein selbst, um sein Sein ›zu sein‹. Sorge ist als solches Sein-um dieses Aussein auf das Sein, das dieses Aussein selbst ist.«69 Das Dasein ist ›Aus-ihm‹ ›Außer-sich‹ auf bzw. bei etwas. Das Dasein ist nie in ihm selbst isoliert oder ein reiner Zustand oder erst im Verhältnis zum Seienden, wenn es sich auf etwas ausrichtet, sondern immer schon beim Seienden, indem das Dasein sich am Konstituieren des begegnenden Seienden konstituiert. Die Bidimensionalität impliziert also, dass, obwohl die selbsthaft-ekstatische Dimension der Grund – Grund, nicht Ursache – der Erschlossenheit ist, die beiden Dimensionen einander gleichzeitig bestimmen. Die Dimensionen der Erschlossenheit sind gleichursprünglich. Heidegger erklärt die bidimensionale Struktur der Sorge in folgenden Worten: »Die Verklammerung des Verweisungsganzen, der mannigfaltigen Bezüge des ›Um-zu‹, mit dem, worum es dem Dasein geht«, bedeutet »der phänomenale Ausdruck der ursprünglich ganzen Verfassung des Daseins«.70 Solche Verklammerung meint das Aufgegangensein des Daseins in der Welt. Das bedeutet 68 69 70
Heidegger, Prolegomena, 406. Heidegger, 407. Heidegger, Sein und Zeit, 192.
148
aber nichts anderes, als, dass das Dasein eine Einheit konstituiert, von welcher die verschiedenen Existenzialien nicht mehr sein können als ein Zeichen von einem Charakter seiner Struktur, d. h., solche sind formale Anzeige. Die Welt ist auch eine formale Anzeige des Seins des Daseins, sie gehört aber zur horizontalen Dimension der Erschlossenheit an. In diesem Sinne bedeutet In-derWelt-sein, dass »Selbst und Welt […] zusammen[gehören], sie gehören zur Einheit der Verfassung des Daseins und bestimmen gleichursprünglich das ›Subjekt‹. Mit anderen Worten, das Seiende, das wir je selbst sind, das Dasein ist das Transzendente«.71 Die Einheit von Welt und Selbst durch das Seinkönnen des Daseins, d. h. die Erschlossenheit der Welt durch Möglichkeiten des Verstehens, drückt genau aus, warum es so ist, dass das Dasein kein transzendentales Subjekt ist. Die Bidimensionalität der Erschlossenheit ist die Antwort auf dieses Problem. Das Dasein ist kein schon vollständiges und inhaltvolles Subjekt, welches das Objekt bestimmt. Das Dasein bestimmt doch das Seiende, aber indem es sich selbst daran auch bestimmt.72 Das Dasein ist eine Welt.73 Es heißt, dass das Dasein sich versteht, auslegt und bestimmt, sofern es Seiendes versteht, auslegt und bestimmt. Besorgen und Fürsorge als Vollzugsarten der Sorge sind Konkretionen der wesenhaften Struktur des Verfallens. Verfallen ist gleichursprünglich mit der Erschlossenheit, es ist ein zu ihr gehöriger Charakter: Verfallen ist die formale Anzeige der Zusammengehörigkeit vom Erschließen und Entdecken, d. h., sofern das Dasein sich erschließt, entdeckt es immer ein gewisses Etwas. Solche Struktur des Verfallens, die aus der Erschlossenheit eine ständige Entdeckung macht, lässt das Dasein ein wesenhaft weltliches Seiendes sein. Nur das Dasein ›hat‹ Welt, weil nur das Dasein verfällt. Die Sorge ist die gänzliche Charakteristik des Seins des Daseins als In-Sein, d. h. als In-der-Welt-sein, und »weil zu Dasein wesenhaft das In-der-Welt-sein gehört, ist sein Sein zur Welt wesenhaft Besorgen«.74 Die Einheitsstruktur der Existenzialien des In-Seins ist die Sorge, deswegen ist das Besorgen wesenhaft die Konkretion der Sorge im Umgang mit dem innerweltlichen Seienden. Im Umgang mit dem innerweltlichen Seienden gibt es keine Sorge ohne Besorgen und es gibt Besorgen nur, weil es vom Sein des Daseins, das Sorge ist, ermöglicht wird. In anderen Worten: Das Dasein ist immer schon Existenzvollzug, deshalb ist die Sorge immer zugleich Besorgen oder Fürsorge.75 Das Dasein, indem es sein Da ist, ist immer schon in Bezug auf das, was ihm in seinem Da begegnet. Die Erschlossenheit der Welt ist immer Bezug des Daseins auf Seiendes: Das Verhalten ist immer Verhältnis. Die Struktur dieser Bezüge wird von der Verweisungsganzheit ausgemacht, welche durch das Verhalten des Daseins 71 72 73 74 75
Heidegger, Grundprobleme, 423. Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 88 f. Vgl. S. 123. Heidegger, Sein und Zeit, 57. Vgl. Heidegger, Logik, 225 f.
149
als Be-deuten erschlossen ist.76 Das Dasein ist nie wirklich allein, weil es als Inder-Welt-sein immer Mitsein ist. Das durchschnittliche alltägliche Dasein hat nie die Welt allein und isoliert von den Anderen erschlossen. In der Erschlossenheit der Welt begegnet nicht nur innerweltliches, sondern auch weltliches bzw. daseinsmäßiges Seiendes: dasjenige, das wie ich ist und das ich immer schon »wie ich seiend« erkannt habe. Bei der besorgenden Fürsorge sind erst »die Anderen« erschlossen. Sein bei dem Seienden und Mitsein mit den Anderen sind gleichursprünglich. Solches Mitdaseiende ist auch »Welt-erschließend«. Die Anderen sind auch andere Welten. Das Dasein, das im Mitsein begegnet, zeigt sich als be-deutendes Seiendes, als verweisendes im Umgang besorgendes Worumwillen. Die Anderen sind erschlossen wie ich und solche »Erschlossenheit der Anderen macht demnach auch die Bedeutsamkeit, d. h. die Weltlichkeit mit aus, als welche sie im existenzialen Worum-willen festgemacht ist.«77 Die Sorge als ein Aussein auf etwas, d. h. als ein schon Entworfensein bei etwas, ist eine Bezeichnung des Seins des menschlichen Daseins als Transzendenz. Das Dasein ist beim Seienden, indem es wesenhaft irgendwie schon über sich hinaus ist. In diesem Punkt liegt aber eine andere genauso wichtige Bestimmung des Seins des Daseins, weil in der Transzendenz implizit liegt, dass das Dasein über sich hinaus bei etwas anderem ist, das es selbst nicht ist. Wenn das Dasein nicht ist, was ihm begegnet, bedeutet es, dass das Dasein endlich ist. Diese Endlichkeit ist aber nicht ein Nebenelement des Daseins, das versäumt und daneben gelassen werden darf, sondern gerade ein Urelement seines Wesens. Das Dasein transzendiert nicht, obwohl es endlich ist, sondern gerade deswegen. Nur ein endliches Seiendes kann ein anderes Seiendes erreichen. Die Erkenntnis ist nur auf dem Grund der Endlichkeit möglich. Die Sorge ist also die »Bezeichnung für die strukturale Einheit der in sich endlichen Transzendenz des Daseins«.78 Diese zwei Grundbestimmungen der strukturalen Einheit des Seins des Daseins, nämlich Transzendenz und Endlichkeit, werden entscheidend für diese Untersuchung der Bedeutung von Sein in der Fundamentalontologie sein.
76 77 78
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 87. Vgl. § 14. Die Welt ist eine Verweisungsganzheit. Heidegger, 123. Heidegger, Kantbuch, 236.
150
Kapitel VI: Vorläufige Ergebnisse der Destruktion Die Absicht dieser Arbeit besteht grundsätzlich darin, eine systematische Erklärung der Begrifflichkeit der Fundamentalontologie zu schaffen. Wenn der Begriff Sein erklärt werden muss, dann müssen früher andere Begriffe erklärt werden, deren Erklärung für diese Untersuchung als conditio sine qua non der Bestimmung des Seins fungiert. In dieser Aufgabe steht der Begriff der Möglichkeit an der ersten Stelle, weil er in der engsten Verbindung mit dem Sein selbst steht. Sofern aber jede Erschlossenheit sich als eine Erschließung von Möglichkeiten zeigt, ermöglicht sich durch die Thematisierung der Strukturganzheit des Daseins eine Bestimmung des Begriffs der Möglichkeit im Bereich der Fundamentalontologie (§ 19. Möglichkeit als Fähigkeit und Bedeutung), welcher bei Heidegger ständig gleich wichtig wie ungreifbar bleibt. Das Ergebnis der Analyse des Begriffs der Möglichkeit ist der erste wichtige Hinweis auf dem Weg der Entdeckung des fundamentalen Unterschieds.
§ 19. Möglichkeit als Fähigkeit und Bedeutung Es wurde schon erläutert, dass die bedeutungsmäßige Verweisungsganzheit der Möglichkeit des Innerweltlichen entspricht, aber auch, dass das Dasein als Seinkönnen durch die Möglichkeit ausgemacht ist. Der Begriff der Möglichkeit ist also doppeldeutig.1 Solche Doppeldeutigkeit des Begriffs der Möglichkeit steht in enger Verbindung mit der Struktur der bidimensionalen Sorge. Auf dem Weg der Erklärung solcher Verbindung öffnet sich die Grundproblematik der vorliegenden Untersuchung. Aus einer starken Auseinandersetzung mit der Geschichte der Philosophie versteht Heidegger, »daß der unausgesprochene Sinn des griechischen Begriffs von Sein Anwesenheit bedeutet«, und aus diesem Grund kann er sich verständlich machen, dass die Griechen die scheinbar paradoxe These aufgestellt haben, dass die Wirklichkeit früher als die Möglichkeit sei.2 Aus solchem neuen Verständnis des Möglichkeits- und Seinsbegriffs, dass die Grundbedeutung von Sein nicht der Anwesenheit des Seienden entsprechen kann, behauptet Heidegger, dass »[h]öher als die Wirklichkeit […] die Möglichkeit [steht]«.3 Das ist eine sehr schöne und spannende These, aber sie ist überhaupt nicht klar, wenn der Möglichkeitsbegriff einfach intuitiv angewendet wird. 1
2 3
Vgl. Han Byung Chul und Anton Hügli, »Heideggers Todesanalyse (§§ 45-53)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 132. Vgl. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 331. Heidegger, Sein und Zeit, 38.
151
Heidegger kennt die verschiedenen Bedeutungen der Möglichkeit durch die Geschichte der Philosophie, aber irgendwie entscheidet er sich, den Begriff der Möglichkeit – unter anderen – intuitiv zu verwenden und in ihm alle traditionellen Unterscheidungen zusammenzumischen. Das kann interessant erscheinen, weil es wie eine Rückkehr in den Ursprung zu sein scheint. Das Problem besteht aber darin, dass die Ergebnisse einer Untersuchung umso ungenauer sein werden, je allgemeiner die Begriffe dieser Untersuchung sind. Ein Beispiel von einem unangemessenen und sogar leeren Gebrauch des Begriffs der Möglichkeit: Eine Möglichkeit hat eine eigene Weise des Ergriffen- und Verwahrtwerdens, sie ist nicht thematisch und betriebsmäßig aufzugreifen, sondern eine Möglichkeit ergreifen heißt: sie in ihrem Sein ergreifen und ausbilden, d. h., was in ihr an Möglichkeiten vorgezeichnet ist.4
In diesem Zitat geht es darum zu erklären, was »eine Möglichkeit ergreifen« bedeutet. In solchem Beispiel versucht Heidegger eine Erklärung, die überhaupt nichts erklärt, weil das definiendum in dem definiens schon beinhaltet ist.5 Zwar hat die Geschichte der Philosophie gezeigt, dass die philosophische Schärfe mit der logischen Gültigkeit nicht zu identifizieren ist; die philosophische Rede braucht allerdings unbedingt eine philosophische, wenn nicht gar systematische Strenge. Ist also eine bloß logische Kritik an einer phänomenologischen Untersuchung angemessen? Sind in einer echten Philosophie alle gleichgeschriebenen Termini auch einfach gleichbedeutend, wie in der Satzlehre der Logik? Oder darf hier angenommen werden, dass in solcher Definition der erste Begriff der Möglichkeit durch einen anderen Begriff der Möglichkeit erklärt wird? Das untersuchte Phänomen – das menschliche Dasein – ist aber schwierig zu begreifen. Das Dasein ist immer in Bewegung und Entwicklung: Das Dasein ist wesenhaft eine Bewegtheit. Deswegen hat die Hermeneutik des faktischen Lebens bzw. des menschlichen Daseins eine große Schwierigkeit, um ihre Absicht zu erfüllen: »Dasein ist nur in ihm selbst. Es ist, aber als das Unterwegs seiner selbst zu ihm!« Es bedeutet, dass das Dasein wesenhaft möglich ist und dass 4 5
Martin Heidegger, Ontologie, (Hermeneutik der Faktizität), hg. von Käte Bröcker-Oltmanns, 2. Aufl., Gesamtausgabe 63 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1995), 74. Die Erklärung, warum diese Definition falsch ist, lautet: Die erste Definition von »eine Möglichkeit ergreifen« heißt »sie [solche Möglichkeit] in ihrem Sein ergreifen und ausbilden«. Es bedeutet, dass das Verbum Ergreifen undefiniert bleibt. Heidegger versucht hier aber eine weitere Erklärung des Ergreifens des Seins zu schaffen, um die Definition zu sichern, macht dabei aber einen neuen großen Fehler: Das Sein der Möglichkeit, das ergriffen werden soll, ist das, was in der Möglichkeit »an Möglichkeiten vorgezeichnet ist«. Also bleiben hier die drei Hauptbegriffe der Erklärung unbestimmt bzw. leer, nämlich Möglichkeit, Sein und Ergreifen. Damit eine Definition bzw. eine Einschränkung eines Begriffs nützlich und philosophisch interessant ist, braucht sie eine begriffliche Vielfalt. Genauso wie in der Musik die Einklänge nicht für Zusammenklänge gehalten werden, sind die Identitäten bzw. Tautologien in der wissenschaftlichen Philosophie als Erklärungen nicht gültig.
152
dieser Begriff der Möglichkeit daseinsmäßig abgespaltet ist. Solche Grundabspaltung des Möglichkeitsbegriffs wirkt demzufolge letztendlich als das Grundproblem der Interpretation des Daseins und – anhand der Funktion der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie – des Seins. Die Untersuchung des Begriffs der Möglichkeit bei Heidegger ist kein Versuch, die Struktur der Bewegung der Natur zu verstehen, wie bei Aristoteles, oder die Einheit der Mannigfaltigkeit des Universums, wie bei Leibniz, sondern die Bestimmung der Grundverfassung des Menschen zu erörtern, welche als Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses fungiert. Deswegen ist das Können vorrangig ein Ich-kann. Der Zusammenhang von dem Ich-kann, der Möglichkeit und der Grundverfassung ist hier anschaulicher: »Ich kann, d. h., ich verfüge über diese Möglichkeit, und diese Möglichkeit ist eben nichts anderes als die Grundverfassung meines Daseins, meines Ich, der ich kann, daß ich nämlich in der Welt bin.«6 Dieses Können entwirft uns in unserer Welt, und nicht zufälligerweise, sondern wesenhaft, bzw. ständig und notwendig: Es meint unser Verstehen, das »den Spielraum unserer (realen) Möglichkeiten« entwirft.7 Das existenziale Verstehen als daseinsmäßiges Können bedeutet: »die Möglichkeit zu etwas selbst sein«. Die Grundverfassung des Daseins ist das Seinsverständnis bzw. das Verstehen von Sein. Das Dasein als Möglichsein kann also das Sein in einem gewissen Sinne. Dieses Verständnis des Grundzusammenhangs der Seinsverfassung des Daseins erlaubt Heidegger, eine Radikalisierung des Satzes von Descartes zu leisten. Es bedeutet einen Schritt weiter in Richtung Grund für die Entwicklung der Philosophie. Descartes sagt: »Ich denke, also bin ich«,8 und Heidegger radikalisiert es nach dem Leitfaden des Möglichkeitsbegriffs durch die Behauptung: »[I]ch bin, das heißt, ich kann.«9 Die Abspaltung des Möglichkeitsbegriffs kann nach dem Gesagten so verstanden werden: Einerseits bedeutet »Möglichkeit« eine modale Kategorie der Vorhandenheit und andererseits drückt sie ein Existenzial aus. Dem ersten Begriffe nach ist das Mögliche dem Wirklichen gegenübergestellt: Das Mögliche ist nur möglich, d. h., es ist dem Wirklichen untergeordnet, sowohl im logischen Sinne als das nicht Notwendige als auch im ontologischen Sinne als das, was noch auf dem Weg zur Wirklichkeit ist. Demgegenüber bedeutet der existenziale Begriff der Möglichkeit »die ursprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmtheit des Daseins«.10 Das Dasein ist möglich, aber je und zugleich auf verschiedene Arten und Weisen. Heidegger behauptet in der Phäno6 7 8
9 10
Heidegger, Prolegomena, 267. Luckner, Martin Heidegger, 68. René Descartes, Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung : französisch-deutsch, hg. von Lüder Gäbe, 2., verb. Aufl. (Hamburg: Meiner, 1997), 55. Heidegger, Prolegomena, 412. Heidegger, Sein und Zeit, 143 f.
153
menologie des religiösen Lebens: »Möglichkeit ist die eigentliche ›Last‹«.11 Hier muss bemerkt werden, dass später in Sein und Zeit die Befindlichkeit, sofern sie durch Geworfenheit und Faktizität ausgemacht ist, als Last charakterisiert wird.12 Das Dasein ist faktisch, weil es immer möglich ist im Sinne des mittender-Möglichkeiten-Seins. Das Dasein ist immer schon im Verhältnis zum Möglichen, sei es Seiendes, Mitdasein oder es selbst. Das Dasein ist immer schon so, d. h. »Dasein ist ihm selbst überantwortetes Möglichsein, durch und durch geworfene Möglichkeit«.13 Das bedeutet, dass der Charakter der Möglichkeit, den die Befindlichkeit als Last hat, anders ist als der vom Verstehen als Entwurf, obwohl beide als »möglich« begriffen werden. Der Charakter der Befindlichkeit lässt sich durch die Begriffe der Passivität, Rezeptivität und Leiblichkeit aufklären, während der des Verstehens durch Begriffe wie Produktivität und Spontaneität verstanden wird.14 Nach Heidegger gründet die Lehre des ὂν δυνάμει καὶ ἐνεργείᾳ des Aristoteles15 auf eine Betrachtung des Lebens, in der angenommen wird, dass »Lebendsein Eine-Möglichkeit-sein heißt«.16 Deswegen ist nach Heidegger die traditionelle Ausarbeitung des Phänomens der Möglichkeit auf die Seinsverfassung des Daseins zurückzuführen. In Heideggers Worten: »Dasein als menschliches Leben ist primär Möglichsein«,17 deswegen ist das Phänomen der Möglichkeit in der Daseinsanalytik früher zu finden als in der Physik, weil die Möglichkeit kein bloßer Begriff, sondern eine Grundweise des Existenz- und Weltvollzugs ist, aus dem etwas für möglich gehalten werden kann. Der Begriff der Möglichkeit, der hier das »Wie des Seins des Lebens« ausdrückt, bedeutet, dass einerseits das Leben »mein Leben ›ist‹«, d. h., Existenzvollzug bzw. Verwirklichung ist, und andererseits meint es das, was »die Direktion der Sinnzusammenhänge [gibt]«, d. h., Erschließung der Bedeutsamkeit ist, 18 weil die Bewandtnisganzheit sich enthüllt »als das kategoriale Ganze einer Möglichkeit des Zusammenhangs von Zuhandenem«.19 Das Leben – also das Dasein – versteht sich doppeldeutig als »die Einheit der Erstreckung in der Möglichkeit und als Möglich11 12 13 14
15
16
17 18 19
Heidegger, religiöses Leben, 249. Heidegger, Sein und Zeit, 134. Heidegger, 144. Vgl. Franco Volpi, »Der Status der Existenzialen Analytik (§§ 9-13)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin ; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 40. Über die Beziehung Heidegger-Aristoteles: Natalia Artemenko, »Zu Martin Heideggers Interpretation von Aristoteles: Der wiederaufgefundene Natorp-Bericht von 1922«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 28 (2012): 123-46. Martin Heidegger, Einführung in die phänomenologische Forschung, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, 2., unveränd. Aufl., Gesamtausgabe 17 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2006), 51. Heidegger, Der Begriff der Zeit, 116. Heidegger, religiöses Leben, 242. Heidegger, Sein und Zeit, 144.
154
keit«.20 Im ersten Sinne wird das Leben als ganzer Prozess bzw. als bedeutsame Ausdehnung in der Zeit gemeint, während im zweiten sich das Leben durch den Modus konzipiert, wie es seine Möglichkeiten trägt, indem es solche Möglichkeiten ist. In Worten von Heidegger ist das Leben »möglichkeitsgeladen und möglichkeitsbildend«.21 Es bedeutet, dass das Dasein einerseits auf seine Möglichkeiten hin ist und andererseits als seine Möglichkeiten selbst ist. Beide Bedeutungen von Möglichkeit sind aber schon im Begriff des Daseins, d. h. im Wort »Existenz« bzw. »Ek-sistenz« präfiguriert. Die Formel lautet: Das Dasein ist sein Da. Das bedeutet, dass das Dasein ist, indem es sein Da stiftet, in welchem solches Dasein ist. Das Dasein geschieht als die Stiftung des Horizonts der Präsenz. Deswegen ist das Dasein in diesem Sinne die Ermöglichung jeder Möglichkeit. Dieser Begriff der Möglichkeit hängt von den Weisen des daseinsmäßigen Könnens ab. Es scheint daher eine enge Verbindung, wenn nicht gar eine Identität, zwischen dem Können des Daseins und dem In-Sein als sein Grundmodus zu bestehen. Das In-Sein bedeutet demzufolge Möglich-Sein, deswegen gibt es so viele Modi des In-Seins – die Existenzialien –, wie es Bedeutungen des Begriffs der Möglichkeit gibt. Die Existenzialien meinen also verschiedene Weisen des daseinsmäßigen »ich kann« und aus solchem Können und seinen Verwandlungen entstehen also die verschiedenen Begriffe der Möglichkeit. Möglichkeit negativ: Widerspruchslosigkeit, überhaupt Seinkönnen. Möglichkeit positiv: es können, Eignung überhaupt. Möglichkeit: Eignung aber als, bereitet, Bereitschaft, es bedarf nur noch des Vollzugs der Überführung, Bereitschaftlichkeit.22
Der positive Begriff der Möglichkeit ist für Heidegger der entscheidende. Die Möglichkeit als Eignung bzw. Bereitschaftlichkeit fungiert als Grund von jeglichem Sinn der Möglichkeit und das ist genau das, wonach Heidegger sucht, weil, was eine Möglichkeit als Möglichkeit angeht, d. h., was ihr den Charakter des Möglich-Seins verleiht, dasjenige ist, was sie ermöglicht, d. h. das »sie Ermöglichende«.23 Das ist vollkommen kohärent mit dem Vorgehen der Daseinsanalytik: Die Untersuchung bezweckt eine Ausweisung der Grundverfassung der menschlichen Existenz als Ermöglichung des Seinsverständnisses. Solches ist die Grundweise der Existenz, und wenn nach der Möglichkeit einer Weise des Existenzvollzugs gefragt wird, dann wird nach dem Ermöglichenden dieser Möglichkeit gefragt.24 Die Untersuchung nach einer Bestimmung des Be-
20
21 22 23 24
Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung, hg. von Walter Bröcker und Käte Bröcker-Oltmanns, 2., durchges. Aufl., Gesamtausgabe 61 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1994), 84. Heidegger, 96. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 173 f. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, 215. Vgl. Heidegger, Kantbuch, 117.
155
griffs der Möglichkeit radikalisiert sich, sobald nach der phänomenalen Ermöglichung als echter Begriff der Möglichkeit gefragt wird. Was die Möglichkeiten erschließt – der primäre Entwurf –, ist, was diese Möglichkeiten ermöglicht.25 Heidegger erklärt diesen Zusammenhang so: »Wir fragen nicht nach dem, was wirklich sein muß, damit anderes sich verwirkliche, sondern was möglich sein muß, damit anderes sich ermögliche«.26 Der Begriff der Möglichkeit ist hier aber doppeldeutig. Erstens: Diese so erschlossene Möglichkeit als »das, woraufhin sich das Dasein entwirft, ist ein Seinkönnen seiner selbst«. Das Verstehen als Entwurf meint also die Erschließung eines Horizonts, d. h., der Entwurf ist einerseits eine Projektion der Möglichkeiten des Umgangs. Möglichkeit bedeutet in diesem Sinne Möglichkeit de dicto. Zweitens: »Dieser Entwurf auf etwas ist immer ein Entwerfen von …«, nämlich von ihm selber.27 Der Entwurf des Daseins ist ein Sich-Entwerfen, deswegen meint solcher nicht nur eine Projektion, sondern auch die Durchführung seines Vollzugs. In diesem Sinne meint der Möglichkeitscharakter des Daseins den eigentlichsten Sinn des Verhaltens als Selbstverwirklichung. Dieser Möglichkeitscharakter hat den Sinn der Möglichkeit de re. Dieser Unterschied kann auch so verstanden werden: Nicht alles »Dienen zu …« ist seinem Möglichkeitscharakter nach gleich; das Zeug hat und bietet die Möglichkeit, mit ihm etwas zu machen, d. h., es dient zu etwas; das Organ aber, z. B. das Auge, dient auch zu etwas, nämlich zum Sehen; hier besteht aber ein Unterschied von zwei Möglichkeitscharakteren, da das Zeug von allein nicht dienen kann, wozu es gefertigt wurde, während das Auge aus sich selber sehen kann. In Worten von Heidegger: »Das Zeug ist von einer Fertigkeit. Das Organ hat – so behaupten wir – je eine Fähigkeit.«28 Diese zweifache Bedeutung des Begriffs Möglichkeit, namlich potentia de re und de dicto, wird von Heidegger durch den Begriff der Freiheit erklärt: Diese Möglichsein als Möglichsein, Möglichkeit haben für …, ist als solche ihrem Seinssinn nach bezogen auf ein Auch-anders, ein Wider-sie: Nur aus Gegen ist das Möglichsein als Für. Und das Wogegen ist immer zugleich das Woraus des Möglichseins für …, so daß in diesem über jenes verfügt wird. Das Dasein ist als Möglichsein solches in diesem doppelten Sinne. Das Wogegen ist nicht ein anderes, sondern gerade es selbst, so zwar, daß das Möglichsein, als aus welchem heraus die ἕξις ist (ἕξις als πῶς ἔχομεν πρός), gerade das durchschnittliche und alltägliche Sein des Daseins ausmacht.29
Wenn von der Möglichkeit des Daseins die Rede ist, geht es nicht um einen noch nicht wirklichen, aber widerspruchlosen Zustand ihrer selbst. Die Mög25 26 27 28 29
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 324. Martin Heidegger, Einleitung in die Philosophie, hg. von Otto Saame und Ina Samme-Speidel, Gesamtausgabe 27 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1996), 87. Heidegger, Grundprobleme, 392. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, 323. Martin Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, hg. von Mark Michalski, Gesamtausgabe 18 (Frankfurt am Main: Klostermann, 2002), 356.
156
lichkeit des Daseins ist nicht logischer Natur, ihr geht es nicht um die Beschaffenheiten und Merkmale, die über das Dasein prädiziert werden dürfen. Die Möglichkeit des Daseins ist in ihm selbst bodenständig, weil es sie selbst ist. Diese daseinsmäßige Möglichkeit bedeutet aber auch nicht die vollkommene Verwirklichung alles Könnens des Daseins. Das Dasein ist jeweils ein »ich kann«, obwohl solches Können noch nicht in all seiner Vielfalt vollzogen worden ist. Solches Können des Daseins ist demzufolge das Dasein selbst als Möglichkeit der Verwirklichung der Möglichkeiten. Die Möglichkeit ist Möglichkeit, weil sie zur Vollkommenheit gebracht werden kann. Diese Macht liegt an der inneren Kraft der Bewegung zur Vollkommenheit. Solchen Zusammenhang erklärt Heidegger mit den folgenden Worten: »Das Möglichsein, als ›kann‹, ist ein ausgezeichnetes So-Dasein eines Seienden, d. h. ein Wie seines Da, sofern es schon ist – schon, d. h. ἐνεργείᾳ.«30 Das Möglichsein als schon seiend wird als ἐνεργείᾳ erklärt. Das Möglichsein ist die Weise zu sein eines Seienden, nach welcher solches Seiende schon etwas kann. Es heißt, ἐνεργείᾳ ist der Begriff der Möglichkeit als der Fähigkeit zu sein. Das Dasein ist in diesem Sinne möglich, weil es fähig ist. Der erste Begriff der Möglichkeit bedeutet also Fähigkeit. Was bedeutet aber denn, dass die Möglichkeit als eine ursprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmtheit definiert wurde? Solcher Begriff scheint erstaunlicherweise kein Gegensatz der Wirklichkeit zu sein. Es meint weder die Unvollkommenheit einer Wirklichkeit noch die Willkür einer Verwirklichung, sondern die Struktur selbst der Verwirklichung einer Wirklichkeit. Der existenziale Begriff der Möglichkeit als Fähigkeit drückt demzufolge die Struktur des Wirklichseins der Wirklichkeit aus. Die Möglichkeiten des Seinkönnens sind das Dasein selbst als Freisein-für. »Die Möglichkeit ist jeweils die des eigensten Seins.«31 Es bedeutet, dass einerseits der Begriff des »Eigensten« als des »Identischen« zu verstehen ist und dass andererseits der Begriff des Freiseins keine spekulative negative Freiheit als Erlaubnis des Verhaltens oder als Verbotsmangel ist, sondern eine positive Freiheit als tatsächliche Fähigkeit des Verhaltens besagt. Identität bedeutet aber nicht, dass es keinen Unterschied gibt, »sondern umgekehrt die Idee der Einstimmung des Verschiedenen«.32 Das In-Sein ist der Grundmodus des Daseins, durch den das Dasein ist, was es ist, als In-der-Welt-sein. Das »ich kann«, das den Möglichkeitscharakter des Daseins ausdrückt, ist »nichts anderes als die Grundverfassung meines Daseins, meines Ich, der ich kann, daß ich nämlich in der Welt bin«.33 Das zeigt, dass das In-Sein das Möglichsein selbst des Daseins ausdrückt.34 So wird verständlich, dass die Dimensionen der Bidimensionalität 30 31 32 33 34
Heidegger, 371. Heidegger, Grundprobleme, 391. Heidegger, Anfangsgründe, 84. Heidegger, Prolegomena, 267. Vgl. Heidegger, Der Begriff der Zeit, 44.
157
vom Begriff der Möglichkeit wesenhaft charakterisiert werden. Als möglichkeitsgeladen ist das Dasein ekstatisch und als möglichkeitsbildend ist es horizontal. Die ekstatische möglichkeitsgeladene Dimension wurde schon als der Grund bzw. als die Ermöglichung der Erschlossenheit bestimmt und wird jetzt als Fähigkeit begriffen; deswegen kann auch verstanden werden, dass die bidimensionale Existenz des Daseins im Rahmen seines Möglichseins als eine bedeutungsbildende Fähigkeit bestimmt werden kann. Der fundamentalontologische Begriff der Möglichkeit bedeutet demzufolge einerseits das Geschehen einer Fähigkeit und andererseits die Entfaltung einer Bedeutungsganzheit; zwei sind die Bedeutungen der Möglichkeit, eins ist das Seiende, das sie beschreiben. Bei Heidegger ist es möglich, den Begriff der Möglichkeit als Bedeutsamkeit (de dicto) und als Fähigkeit (de re) zu bestimmen, aber es gibt noch eine dritte Bedeutung, nach der die Möglichkeit von etwas dessen Idee darstellt. Diese Untersuchung ist sehr kritisch gegenüber dieser dritten Option, die glücklicherweise in der Fundamentalontologie nur selten vorkommt. Solcher dritte Begriff der Möglichkeit besagt »Idee« und ist tatsächlich ein Unbegriff. Demzufolge muss erklärt werden, warum die Idee von etwas nur als die Struktur seiner Fähigkeit bzw. als sein Wesen im Sinne der inneren Möglichkeit,35 d. h. als Seinsverfassung zu verstehen ist und nicht als eine freischwebende unexistierende Realität, die etwas von vornherein bestimmt. Solcher naiver Realismus in der Bestimmung der Möglichkeit muss diskutiert werden, weil diese sogar die Heidegger’sche Bestimmung der Möglichkeit widerlegt. Solche realistische bzw. platonische Fassung wird von Heidegger so formuliert: Kann das Tier sehen, weil es Augen hat, oder hat es Augen, weil es sehen kann? Weshalb hat das Tier Augen? Warum kann es solche haben? Nur weil es sehen kann. Augen besitzen und sehen können ist nicht dasselbe. Das Seinkönnen ermöglicht erst den Besitz von Augen, macht ihn in bestimmter Weise notwendig.36
Heidegger zeigt an dieser Stelle eine offensichtliche Ignoranz gegenüber der Evolutionstheorie Darwins’; es scheint sogar eine ausdrückliche Negation derselben zu sein. Obwohl diese Art Behauptung philosophisch kraftvoll, treffend und tief klingt, ist sie nicht mehr als eine Erklärung philosophischen Konservatismus, der sich gegen jeden naturwissenschaftlichen Fortschritt seit Aristoteles wendet. Die Philosophie – also die Philosophen – verhält sich oft gegenüber allen möglichen neuen Wissenschaften wie eine neidische Mutter gegenüber ihren schönen Töchtern. Die Evolutionstheorie ist aber nicht eine Meinung unter anderen. Eine naturwissenschaftliche Theorie ist nicht mit einer New-AgeTheorie zu vergleichen. Die Evolutionstheorie ist die wissenschaftliche Beschreibung der natürlichen Tatsache der Entstehung und Entwicklung der Tierarten, deren Theoriestatus vielmehr der Ausdruck wissenschaftlicher Ernsthaf35 36
Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 203. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, 319.
158
tigkeit gegenüber der Unmöglichkeit der induktiven Rechtfertigung ist, als eine Erklärung von Halbwahrheit, bloßer Meinung oder kreativer Vorstellung. Die in der Evolutionstheorie beschriebene Entstehung und Entwicklung der Tierarten geschieht durch zufällige Mutationen, die günstige oder nachteilige Wirkungen für das Leben eines Tieres haben können. Eine zufällige Mutation in einem Individuum einer Art kann zufällig derart einen Vorteil für sein Überleben bedeuten, dass sich diese Änderung des Geschlechtes durch die Generationen hindurch in der Art behauptet. Es geht um die sogenannte »natürliche Selektion« oder das »Überleben des Passendsten«.37 Ein Beispiel der Entwicklung durch natürliche Evolution: Vor ca. 150.000 Jahren gab es in einem Wurf vom Braunbär ein komisches Bärenjunges: Es war weiß. Solche zufällige Änderung der Farbe eines alten arktischen Bärs ist für solchen Bär günstig gewesen, da dieser dank der weißen Farbe beim Jagen erfolgreicher als seine Konkurrenten war und dieser deswegen mehr Nachwuchs haben konnte. Unter den Nachkommen dieses weißen Bären waren auch einige, die eine solche Mutation der Fellfarbe geerbt haben und die deswegen auch erfolgreicher gewesen sind und sich zahlreicher vermehren konnten. Aus dieser Folge von Ereignissen hat sich die Tierart Polarbär generiert. Vielleicht gab es auch einmal am Nordpol einen Bären, der rot war, aber falls es so gewesen ist, hat er sicher nicht lange überlebt. Was bedeutet es letztendlich? Das bedeutet, dass die Tiere – und Lebewesen im Allgemein – kein innerliches Können besitzen, das ein Organ entstehen lässt, sondern dass dem Tier erst zufällig ein neues Organ entsteht, und dann kann ein solches Tier etwas, das es früher nicht konnte. In ganz einfachen (und groben) Worten: Den Vögeln sind keine Flügel entstanden, um zu fliegen, sondern umgekehrt, einem Tier sind zufällig Flügel entstanden und deswegen konnte es fliegen. Demzufolge haben die Tiere keine Augen, weil sie wesenhaft sehen können, wie Heidegger behauptet, sondern sie können sehen, weil sie Augen haben. Als Interpret und Philosoph muss ich klar behaupten, dass hier Heidegger einen krassen Fehler anhand und wegen eines verborgenen Platonismus macht, welcher ihn diese Lamarck’sche Interpretation der Entstehung eines sinnlichen Organes vertreten lässt. Solche teleologische Erklärung der Entwicklung des Lebens wurde aber von Darwin überflüssig gemacht, »[i]ndem er ungerichtete, zufällige Variationen mit dem blinden Mechanismus der natürlichen Auslese verband«.38 Der Fehler von Heidegger ist verständlich, weil die Kontroverse erst in den 1930er Jahren durch die Entstehung der sogenannten »Synthetischen Evolutionstheorie« (Zusammenarbeit der Genetik und der Evolutionstheorie) gelöst wurde. Der Fehler ist aber heute unübersehbar, weil er 37 38
Vgl. Charles Darwin, Die Entstehung der Arten: kommentierte und illustrierte Ausgabe, hg. von Paul Wrede und Saskia Wrede (Weinheim: Wiley-VCH, 2013), 69-75. Uwe Hoßfeld und Lennart Olsson, »Kommentar«, in Charles Darwin: Zur Evolution der Arten und zur Entwicklung der Erde, von Charles Darwin (Berlin; Heidelberg: Springer, 2014), 99.
159
den Begriff der Möglichkeit betrifft, welcher einer der wichtigsten der ganzen Fundamentalontologie ist. Möglichkeit bedeutet nicht primär Idee, sondern Fähigkeit. Ein Seiendes kann demzufolge nichts, zudem es nicht zuvor irgendwie fähig ist. Der Begriff der Möglichkeit könnte trotzdem Idee bedeuten, aber nur als abkünftiger Modus des sekundären Sinnes der Möglichkeit als Bedeutung. Gegenüber dieser Kritik können mehrere Fragen gestellt werden: Kann das Dasein sehen oder sieht sein Auge? Wer hat Zugriff auf den Mechanismus, der ihn befähigt zu sehen? Wirkt der Mechanismus in das Dasein oder geschieht das außerhalb von ihm? Solchen Fragen liegt aber die Annahme zugrunde, dass das Dasein durch Seele und Körper ausgemacht wird. Das ist wieder eine Interpretation des Daseins als ein Subjekt. Aus einer hermeneutisch phänomenologischen Perspektive ist es aber unmöglich, das Dasein derart zu beschreiben, dass es eine Substanz ist, die schon irgendwie alle vorstellbaren Möglichkeiten besitzt. Solche Möglichkeiten können sich aber nur vollziehen, sobald sie ein Mittel dafür finden, welches das Organ ist. So eine metaphysische Voraussetzung kann von dieser Untersuchung nur für ein Vorurteil gehalten werden. Hermeneutisch phänomenologisch kann das Dasein nur so aufgewiesen werden, dass es sein Verhalten und die Strukturen solches Verhaltens ist. Dieses Verhalten des Daseins ist leiblich. Das Dasein ist organisch. Es gibt kein Dasein, das alles kann und plötzlich in einen Körper fällt und erst dann seine Möglichkeit durch Endlichkeit bestimmt wird. Das Dasein ist erst Dasein durch das organische Können seines Leibes. Das Dasein ist möglich in den Bedeutungen, weil es fähig ist, sich zu entwerfen, und es ist fähig, weil es lebendig ist, d. h. leiblich. Ein leibloses Dasein ist nur ein Begriff, nicht ein Phänomen. Der Unterschied zwischen den hier bestimmten zwei Begriffen der Möglichkeit – Fähigkeit und Bedeutung – ist mit dem Unterschied zwischen Befindlichkeit und Verstehen nicht zu identifizieren. Beide Begriffe der Möglichkeit sind schon in der innerlichen Struktur jedes Existenzialen. Jedes Existenzial wird durch Möglichkeit ausgemacht. Das Verstehen ist ein Entwurf (Fähigkeit – potentia de re), der sich als Auslegung (Bedeutungsganzheit – potentia de dicto) entfaltet. Die Befindlichkeit ist ein Faktum (Fähigkeit – potentia de re), das in die Geworfenheit (Bedeutungsganzheit – potentia de dicto) überantwortet ist. Diese Abspaltung im Begriff der Möglichkeit ist ein Konstituens des Seins des Daseins, d. h. der Erschlossenheit überhaupt. Das drückt aber aus, dass das Sein des Daseins grundsätzlich abgespaltet ist. Wenn das Dasein das Seiende ist, in dessen Sein die Antwort auf die Seinsfrage zu suchen ist, welches Sein durch eine Abspaltung ausgemacht ist, dann lässt sich annehmen, dass im Sein selbst auch eine solche Abspaltung bestehen könnte. Demzufolge ist die Bestimmung des fundamentalontologischen Begriffs der Möglichkeit die Eröffnung des Weges zur Entdeckung des fundamentalen Unterschieds.
160
Zweiter Teil: Hermeneutisch phänomenologische Reduktion der Untersuchung auf das, was der Begriff Sein heißt
Sofern die ontologische Differenz der Leitfaden dieser Untersuchung ist, wurde sie zunächst abgebaut, damit eigentlich verstanden werden kann, worum es im Folgenden der Untersuchung geht. Durch solche hermeneutisch phänomenologische Destruktion werden die verschiedenen Momente der ontologischen Differenz unterschieden und bestimmt, aber auch das Verhältnis, das sie zueinander haben, wird thematisiert. So wurde ein erstes Ergebnis gewonnen: Das Sein des Daseins ist wesenhaft möglich und das Möglichsein ist wesenhaft doppeldeutig. Wenn es Sein nur im Seinsverständnis, d. h. in einer Möglichkeit des Daseins, gibt, dann ist anzunehmen, dass die Bestimmung des Seins durch die ontologische Differenz durch solche zwei Wege der existenzialen Möglichkeit erlangt werden muss. Um den Unterschied vom Sein und Seiendem durchführen zu können, ist es notwendig, eine hermeneutisch phänomenologische Reduktion auf das Sein zu vollziehen, weil in dessen Bestimmung solcher gemeinte Unterschied zu finden ist. Das Fragen ist als Explizieren des Verstehens eine Möglichkeit des Daseins. Es bedeutet, dass die Beantwortung der Seinsfrage davon abhängt, wie die Frage gestellt wird. Die Stellung der Frage nach dem Sein hängt dann von einer vorherigen Ausarbeitung eines Seienden auf sein Sein hin ab.1 Diese Ausarbeitung, welche die Aufweisung des Daseins ist, wird von der erfragten Sache selbst verlangt, weil im Fragen selbst – im Dasein – das Erfragte – das Sein – sich meldet. Das Sein als bezwecktes Phänomen der Forschung »trägt die Aufgabe einer Explikation des Seienden in sich, das das Fragen selbst ist – das Dasein, das wir, die Fragenden selbst, sind«.2 Durch den Weg des Unterscheidens von Sein und Seiendem, der zugleich der Weg der gegenseitigen Bestimmung von beiden ist, wird entdeckt, dass in der Fundamentalontologie große systematische Probleme bestehen, die nur gelöst werden können – um die Kohärenz der Theorie zu retten –, indem eine athematisch zugrunde liegende Struktur ans Licht gebracht wird, welche die Fundamentalontologie durch und durch bestimmt. Diese Analyse ermöglicht so jeweils durch das Fragen nach der Zeitlichkeit (Möglichkeit als Bedeutung) und der Endlichkeit (Möglichkeit als Fähigkeit) des Daseins eine zweifache Bestimmung der Bedeutung von Sein, welche im Kapitel VII (Der Wahrheitscha1 2
Vgl. Heidegger, Prolegomena, 197. Heidegger, 201.
rakter des Seins) und im Kapitel VIII (Die Endlichkeit des Daseins) dargestellt wird, damit dann im Kapitel IX (Vorläufige Ergebnisse der reduktiven Destruktion der Daseinsanalytik) die formale Entdeckung dieses Unterschieds gelingen kann. Solche entdeckte Struktur ist der fundamentale Unterschied, der eine Spaltung von zwei Grundbedeutungen von Sein meint. Die Entdeckung solches Unterschiedes ist die Aufgabe dieses Abschnitts.
162
Kapitel VII: Der Wahrheitscharakter des Seins Das daseinsmäßige Selbst erschließt sich durch verschiedene Modi, die sich als Modi einer ursprünglichen Zeitlichkeit interpretieren lassen. Die zeitliche selbsthaft-ekstatische Erschlossenheit lässt also die Welt zeitlich horizontal entstehen. Der Sinn dieser Einheit wurde schon unter dem Begriff der Sorge behandelt. Deswegen wird jetzt die Verbindung von beiden Dimensionen wieder interpretiert, indem die Analyse der horizontalen Dimension unter dem Licht der ekstatischen Dimension phänomenologisch wiederholt wird. Die Untersuchung gewinnt so eine neue Perspektive über die Einheit der beiden Dimensionen bzw. über die Bidimensionalität der Erschlossenheit. Die Einheit von Ekstase und Welt wird von dem gliedernden Wesen der selbsthaft-ekstatischen Erschlossenheit generiert und ermöglicht. Die Ekstasen sind Modi des verstehenden Gliederns, welches von der Rede als Existenziales formal angezeigt wird. Deswegen ist das auslegende Verstehen ein Verweisen, welches die Verweisungen erschließt, die das Sein des innerweltlichen Seienden konstituieren. Ein solches Gliedern ermöglicht die Erschlossenheit des Sinnes als Horizont des Verstehens. Solche Einheit gehört zu einer Struktur, welche die Erschlossenheit überhaupt wesenhaft bestimmt: die Rede. Demzufolge ist die bidimensionale Erschlossenheit dank der Rede ein einheitliches Phänomen (§ 20. Rede ist das artikulierende Wesen der Erschlossenheit). Solche Rede, wie jedes Existenzial, lässt einen Horizont entstehen und so wird in ihrem Gliedern die Gliederung des Sinnes bzw. der Bedeutsamkeit konstituiert (§ 20. a. Der Sinn ist der Horizont der Rede). So entsteht die Welt als die Präsenz des Seienden, was heißt, dass die Welt der zeithafte Horizont des Seinsverständnisses ist. Eine solche Untersuchung, welche das Sein aus dem Horizont der Zeit verstehen bzw. auslegen will, muss von dem aus arbeiten, was eine solche Untersuchung dem menschlichen Dasein abgewinnen kann, weil sowohl Sein als auch Zeit aus der Erschlossenheit unserer lebendigen Entfaltung quellen. Wenn Sein im Seinsverständnis ›ist‹, dann ist Seiendes nur als Verstandenes möglich. Seiendes kann sich nur präsentieren bzw. begegnen, wenn es der Präsenz hinzugefügt wird. Solche Präsenz des Seienden in der sinnvollen Welt besagt der Wahrheitscharakter des Seins (§ 20. b. Der fundamentalontologische Begriff der Wahrheit). Damit eine solche Aufgabe der Aufweisung der Entstehung der Präsenz überhaupt gelingen kann, werden die selbst-ekstatischen Existenzialien ausgehend von ihrer Zeitlichkeit interpretiert als das Fundament der horizontalen Existenzialien. So werden die Welt und der Raum als die Entfaltung der bedeutsamen und dynamischen Nähe der Präsenz verstanden. Die räumliche Welt wird als Zeit interpretiert, welche als Horizont des Seinsverständnisses fungiert (§ 21. Die Zeitlichkeit ist die Gründung des Da des Daseins). Die räumliche Welt des Daseins als zeitliches Da zeigt sich letztendlich als die Übergabe des Seins des
163
Seienden, welche Übergabe diejenige der Zeit überhaupt ist, die sich in der bidimensionalen Zeitlichkeit erschließt. Die Zeit drückt den Horizont der ekstatischen Zeitlichkeit des Daseins aus. Genau wie Zeit nur in einer Zeitlichkeit möglich ist, ist auch Sein nur in einem Seinsverständnis möglich. Der Horizont gehört zur Ekstase; deswegen gehört Sein zum Seinsverständnis. So gelingt der Untersuchung der Zweck dieses Kapitels: Sein ist wesenhaft Verständnis (§ 22. Im Da des Daseins enthüllt sich das Sein des Seienden als Zeit). Seinsverständnis bedeutet also den zeitlichen bzw. transzendenten Entwurf des Seins als Horizont des Verständnisses.
§ 20. Rede ist das artikulierende Wesen der Erschlossenheit Das Dasein ist sich-entwerfend in seine Welt geworfen. Das ist der Sinn des bisher durch diese Untersuchung gewonnenen Begriffs des In-der-Welt-seins. Es bedeutet, dass das menschliche Leben sich als sein Da entfaltet. Das Da des Daseins entsteht von vorherein sinnvoll. Jetzt müssen also die Bedeutung und der Grund solchen Sinnvoll-Seins der da-seienden Welt erklärt werden. Das Werkzeug von dieser und jener Beschreibung ist die Sprache, deren Funktion darin besteht, die Verständlichkeit des innerweltlichen Seienden, d. h. der Dinge, Ideen, Begriffe usw., durch Verlautbarung und Wort zu deuten und auszudrücken. Die Wurzel der Sprache ist aber nicht in ihr selbst zu finden, sondern in dem, worüber sie spricht. In der Sprache bzw. in der ausgesprochenen Verständlichkeit des Innerweltlichen meldet sich eine vorherige Artikulation, welche sowohl den Weltentwurf als auch die Sprache selbst ermöglicht. Diese Artikulation ist das »Phänomen der Rede, das so der Sprache zugrunde liegt: Es gibt Sprache nur, weil es Rede gibt, nicht umgekehrt.«1 Demzufolge ist zu verstehen, dass das, was unter »Rede« verstanden wird, mit »Reden« nicht gleichbedeutend ist. Reden bedeutet Diskurs, Gespräch, Aussage, also: Sprache. Reden ist Sprechen, deswegen Verlautbarung eines schon gegliederten Verständnisses der Welt, des λὀγος. Die Rede ist hingegen das Phänomen, das sich in jedem Aussagen über etwas meldet, denn in solchem »muß sich notwendig das Seinsverständnis aussprechen, in dem das aussagende, d. h. aufweisende Dasein als solches schon existiert, sofern es sich als existierendes je schon zu Seiendem, es verstehend, verhält.«2 Die Aussage ist nicht nur im Phänomen des Verstehens nicht primär unter dem Entwurfs- und Auslegungsverständnis untergeordnet, sondern auch bei der Entstehung der Sprache. Die ontologische Wurzel bzw. der Grund der Sprache liegen am Umgang mit dem Seienden, der wesenhaft entdeckend ist, denn »[d]ie Aussage ist erst möglich auf der Basis des schon
1 2
Heidegger, 365. Heidegger, Grundprobleme, 300 f.
164
immer latenten Verhaltens zum Seienden«.3 Also noch mal: Der fundamentalontologische Begriff der Rede bedeutet weder zu reden noch die Sprache noch das sprachliche System,4 denn eine solche Interpretation setzt schon voraus, dass die verlautbaren Bedeutungen vor-liegen bzw. absolut bestehen, als ob die Dinge an sich Bedeutungen hätten. Die Annahme solcher Intepretation wäre aus einer hermeneutisch phänomenologischen Perspektive ein metaphysisches Vorurteil. Hingegen geht es hermeneutisch phänomenologisch um die Entstehung dieser Bedeutungen, um die Artikulation, die eine bedeutsame Welt entstehen und innerhalb dieser Seiendes begegnen lässt. Es geht um eine gewisse Wahrheit, die schon jeder Umgang mit Seiendem enthält, denn das ›Etwas als etwas‹ »ist nur möglich auf der Basis des Enthüllens, das schon im Umgang-mit liegt«.5 Das Etwas als etwas des Ausdrückens und Aussagens gründet auf die vorherige bidimensionale Erschlossenheit des Da, die von vornherein artikuliert ist. Die Verlautbarung oder das Schreiben sind in der Entstehung der Sprache abgeleitete Phänomene. Die Sprache wird manchmal verstanden, als ob sie ein aus der Rede abgeleitetes Phänomen wäre,6 aber die Sprache stammt in der Tat aus dem auslegenden Verstehen. Die Ausbildung der Auslegung in Sprache gründet auf die Rede als Gliederung des Verstehens, weil das ›apophantische Als‹ eine Variierung der Rede als σύνθεσις, d. h. als »etwas in seinem Beisamen mit etwas, etwas als etwas sehen lassen«, ist.7 Nur ein schon redemäßiges Verstehen könnte »sprachig« werden. Demzufolge kann sich das auslegende Verstehen als Seinsverständnis selbst über »de[n] eigentliche[n] Sinn von Sein und die Grundstrukturen seines eigenen Seins« kundgeben.8 Die phänomenologische Analytik des Daseins ist also eine Hermeneutik, weil das Dasein selbst wesenhaft hermeneutisch ist. Das Da des Daseins erschließt sich in den Weisen der Befindlichkeit und des Verstehens. Diese sind die Grundmodi, in denen das Dasein im Verhältnis zum Seienden und zu ihm selber sein kann und immer schon ist. Ein solcher gliedernder Charakter des In-Seins wurde schon als Bedeuten bzw. Erschlossenheit der Verweisungsganzheit beschrieben. Das Phänomen des Weltentwurfs konstituiert sich so, dass die Erschlossenheit primär vom Bedeuten ausgemacht ist, und nur deshalb sind die Möglichkeiten auch bedeutungsmäßig und die Welt bedeutsam. Beispielsweise zeigt die Verweisungsstörung des Fehlens,9 dass ein Seiendes irgendwie ›anwesend‹ sein kann, obwohl es nicht vorhanden ist. Dieses Gezeigtwerden, welches das vorhanden fehlende Seiende bedeutet, lässt sol3 4
5 6 7 8 9
Heidegger, Anfangsgründe, 158. Dittus vertritt diese Missdeutung, indem sie die Rede als »das, was normalerweise als sprachliches System oder schlicht Sprache bezeichnet wird«, missversteht. (Dittus, Das Paradox des Subjekts, 134.) Heidegger, Anfangsgründe, 159. Vgl. Demmerling, »Hermeneutik der Alltäglichkeit«, 100 ff. Heidegger, Sein und Zeit, 33. Heidegger, 37. Vgl. Heidegger, 75.
165
ches Seiende trotzdem irgendwie begegnen. Das zeigt, dass das Sein des Seienden – z. B. die Zuhandenheit – im Grunde durch eine gestimmte und gliedernde Projektion einer Verweisungsganzheit – das Bedeuten – entstanden ist. Die Zuhandenheit ist so auch befindlich bedeutsam gestiftet, aber das Wesen solcher Stiftung ist das Gliedern bzw. die Artikulation, die durch die Projektion des Verstehens einen Sinn entstehen lässt.10 Die Befindlichkeit und das Verstehen sind die Arten und Weisen, durch welche der Horizont der Welt entfaltet wird. Deswegen sind sie die Formen der Gliederung, welche die Bedeutsamkeit entstehen lässt. Daher schlussfolgert Heidegger: »Als existenziale Verfassung der Erschlossenheit des Daseins ist die Rede konstitutiv für dessen Existenz.«11 Das Konstitutivsein der Rede bedeutet, dass sie die Befindlichkeit und das Verstehen ausmacht, oder in anderen Worten: »Befindlichkeit und Verstehen sind gleichursprünglich bestimmt durch die Rede.«12 Jedes Verhalten ist in diesem Sinne redemäßig, obwohl das Dasein schweigt. Die Rede ist das Fundament der Sprache, weil die Sprache aus der Entfaltung der Welt stammt und die Rede »die bedeutungsmäßige Gliederung der befindlichen Verständlichkeit des Inder-Welt-seins« ist.13 Jedes Reden ist also eine Äußerung der Rede, aber nicht jede Rede äußert sich durch Reden. Kurz gesagt: »Das existenzial-ontologische Fundament der Sprache ist die Rede.«14 Die Beziehung der Rede mit der Sprache ist eine der Gründung, nicht eine der Ursache. Die Rede ist also eine formale Anzeige, die auf diesen vorontologischen Zusammenhang hinweist, der als ontologische Wurzel der Sprache beschrieben wurde. Die Interpretation der Abstammung der Sprache aus der Rede ist also nur möglich, weil die Rede die Artikulation des Verstehens ist. Die Sprache ist Zuhandenes im besorgenden Miteinandersein bzw. verstehende Mitteilung.15 Die Sorge – das Strukturganze der Existenz – ist ein geworfenes Verstehen, das sich als Sein-bei vollzieht. Das erweckt die Frage, warum die Rede nicht als Strukturmoment der Sorge benannt wird.16 Die Rede ist kein fundamentales Existenzial, wie Befindlichkeit und Verstehen, weil sie keine spezifische Weise der Erschlossenheit des Daseins ausdrückt, sondern den Gliederungscharakter 10
11 12 13 14 15
16
Aus diesem Grund hält diese Untersuchung die Interpretation der Befindlichkeit als Ermöglichung der Betroffenheit des Daseins durch die Zusammenhänge für unangemessen, weil sie die »Angänglichkeit« des Daseins für die Voraussetzung des Besorgens und deswegen für den Grund der Zuhandenheit hält. (Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 63 f.) Der Grund der Zuhandenheit ist hingegen nicht die Betroffenheit, sondern die Bedeutsamkeit. Heidegger, Sein und Zeit, 161. Heidegger, 133. Heidegger, 162. Heidegger, 160. Vgl. Dorothea Frede, »Wahrheit. Vom aufdeckenden Erschließen zur Offenheit der Lichtung«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 310. Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 142.
166
aller möglichen Weisen, sei es faktisch oder entwerfend. Die Rede ist kein Existenzial mehr unter anderen, sondern sie besagt das Gliedern als einen Grundcharakter des In-Seins als solches. Zwar ist die Rede kein Strukturmoment der Sorge, sie bestimmt aber alle ihre Momente. Die Rede »hat« also einen ausgezeichneten Vorrang bzw. sie ist »höheren Wesens«.17 Die Rede ist also kein fundamentales Existenzial, sondern das Fundament jedes Existenzialen. Sie ist keine besondere Weise des In-Seins, sondern sein wesenhaftester Charakter: Das Entstehenlassen eines sinnvollen Horizonts durch ein selbst-ekstatisches Gliedern. Dies bedeutet nichts anderes als das ursprünglich einheitliche Begreifen, als vorstellende Einigung, auf die jede vorstellbare Einheit gründet,18 d. h. die ursprüngliche Synthesis. Die Rede hat einen doppelten Vorrang unter den Existenzialien. 1. Die selbsthaft-ekstatische Erschlossenheit vollzieht sich durch die Bestimmung des redenden Gliederns bzw. der existenzialen Rede. Wegen dieses bestimmenden Charakters der Rede sind Faktizität und Entwurf, die durch die Rede bestimmt werden, Gliederungsarten, bei denen das Gliedern überhaupt Vorrang hat, obwohl alle Existenzialen gleichursprünglich sind. Der erste Vorrang der Rede hat einen selbst-ekstatischen Charakter. 2. Die Bedeutsamkeit wird durch ein verstehendes Erschließen, das sich beim umsichtigen Umgang vollzieht, erschlossen. Solches Verstehen ist immer schon redemäßig bzw. gliedernd erschlossen; deswegen wird die bedeutsame Welt nach derselben Struktur erschlossen. Die Rede hat also auch einen Vorrang in der horizontalen Dimension der Erschlossenheit. Nach diesem zweifachen Vorrang der Rede unter den Existenzialien der bidimensionalen Erschlossenheit hält diese Untersuchung sie für ein gründendes Phänomen. Wenn etwas durch einen Vorrang oder sogar das Apelativ von Fundament hermeneutisch phänomenologisch charakterisiert wird, bedeutet das aber nicht, dass dadurch gemeint wird, dass es ursprünglicher ist als das, was von ihm bestimmt wird. Die Existenzialen sind formale Anzeigen, deswegen können sie verschiedene Charaktere eines Phänomens herausheben, ohne dass damit gesagt ist, dass diese Charaktere jeweils verschiedene Phänomene sind. Das Phänomen ist die Transzendenz. Die Rede ist ein Charakter, welcher die Erschlossenheit sowie alle ihre Modi prägt; deswegen ist die Rede »mit Befindlichkeit und Verstehen existenzial gleichursprünglich«.19 Es gibt nichts Ursprünglicheres als die Erschlossenheit selbst. Die Gleichursprünglichkeit der Rede und der fundamentalen Existenzialien erlaubt keine Interpretation über eine »vorherige« Bestimmung der Rede und noch weniger eine solche über eine »nachträgliche« Stiftung ihres Artikulierens
17 18 19
Heidegger, Sein und Zeit, 112. Vgl. Heidegger, Kantbuch, 54. Heidegger, Sein und Zeit, 161.
167
durch die fundamentalen Existenzialien. Das Artikulieren bzw. Gliedern der Rede vollzieht sich in und mit dem bzw. durch den Vollzug des Sich-Befindens und -Entwerfens. Der Vollzug der fundamentalen Existenzalien des Sich-Befindens und -Entwerfens, nämlich die Erschlossenheit des Schon- und des Sich-vorweg-Seins als Entstehen-Lassen eines Verhältnisses zum Seienden, ist der Vollzug der Rede selbst, die als ursprünglich gliedernder Charakter der Erschlossenheit die Quelle jedes möglichen Verhältnisses ist. Die Erschlossenheit des geworfenen Entwurfs geschieht als die eigentümliche Artikulation der Rede, d. h., die Rede ist das Artikulieren, das im faktisch-entwerfenden Erschließen geschieht. Die Sorge wird vom Sinn bestimmt, welcher durch die Rede erschlossen wird, deshalb ist das Wesen des Menschen die Rede oder griechisch gesagt ὁ λὀγος,20 welcher eine »Aufweisung des Seienden [ist], im λόγος, ist das Seiende zugänglich und damit auch das Sein«.21 Der doppelte Vorrang der Rede zeigt, dass das Phänomen der Erschlossenheit ein bedeutsam-geworfen-entwerfendes redemäßig-gegliedertes ist. Die Rede ist eine selbsthaft-ekstatische Gliederung, die in ihrem Gliedern einen gegliederten Horizont entstehen lässt. Wenn die Rede die Befindlichkeit und das Verstehen bestimmt, welche nach der Struktur des Sinnes sich als geworfener Entwurf und zugleich als Welt erschließen, dann ist das Artikulierte in der redemäßigen Artikulation das Bedeutungsganze: das Worumwillen und die Verweisungsganzheit in ihrer Einheit. Deshalb, weil die Rede das Gliedern, das die Artikulation der sinnvollen Welt erschließt, bedeutet, ist »das Weltverstehen […] zugleich ein Sich-selbst-verstehen des Daseins«22 und umgekehrt: »Im Sichverstehen als In-der-Welt-seinkönnen ist gleichursprünglich Welt verstanden.«23 Das Verstehen vom begegnenden Seienden wird demzufolge vom »dingganzheitstiftenden« Gliedern des Sinnes ermöglicht. Jedes Erschließen ist ein Gliedern, deswegen kann das Seinkönnen ein Entwurf sein, genau weil beide Sinne der Möglichkeit (Fähigkeit und Bedeutung) in sinnvoller Verbindung stehen. Das Sich-Befinden kann deswegen faktisch sein, weil das Hier des Leibes des Daseins sich aus dem Dort der Umgebung versteht, und zwar deswegen, weil sowohl der Leib als auch die Umgebung artikuliert sind, sodass die Umgebung als das erscheint, wovon der Leib umgeben wird. Die Rede ist die formale Anzeige für das konstitutiv artikulierende Wesen der bidimensionalen Erschlossenheit des Seins überhaupt. Der λόγος ist die Zugangsart zum Seienden, in welcher das Seiende begegnet. In solchem Sehenlassen wird das Sein dieses Seienden fassbar, »so dass dieses Sein im vorhinein als das, was es ist und in jedem Seienden schon ist, verständlich wird«.24 Diese Definition von Sein und ihr eigentümlicher Bezug zur 20 21 22 23 24
Vgl. Heidegger, 32. Heidegger, Grundbegriffe der antiken Philosophie, 156. Heidegger, Grundprobleme, 250. Heidegger, 394. Heidegger, Sein und Zeit, 44.
168
Rede als Sehenlassen sind der Heidegger’schen Phänomenologie grundlegend. Das Sein des Seienden wird nach der Gliederung der Rede entworfen, welche die Erschlossenheit des Daseins bzw. das Seinsverständnis ausmacht. Das wird verständlich, weil Rede ein Sehenlassen ist, und als solche ist sie der ursprüngliche Sinn der Wahrheit als Entdecktheit des Seienden. Die Rede ist für den Wahrheitscharakter des Seins konstitutiv.25 § 20. a. Der Sinn ist der Horizont der Rede Die Rede wurde als selbsthaft-ekstatisches Gliedern bestimmt. Jedes Existenzial stiftet aber einen Horizont. Die Aufgabe besteht jetzt also in der Bestimmung der horizontalen Dimension des redemäßigen Gliederns, welches das Wesen der Erschlossenheit ausmacht. Solche horizontale Gliederung, welche die Entstehung jeder Verweisungsganzheit bzw. der Welt ermöglicht, ist der Sinn. Sowohl bei der Erläuterung des auslegenden Verstehens als auch bei solcher der Rede als auch bei der Bestimmung der Bidimensionalität wurde der Begriff des Sinnes gebraucht. Der »Sinn« und seine Beziehung auf den »Sinn von Sein« werden in Sein und Zeit behandelt als das, was in der Forschung gesucht wird.26 Solche Äußerung über den Sinn greift aber mit einer anderen Stelle über die Bedeutsamkeit ineinander.27 Das zeigt im Vorhinein, dass das Phänomen des Sinnes zu einer bidimensionalen Struktur gehört. Die eigentliche Bedeutung des Sinnbegriffs wird aber von Heidegger nicht endgültig geklärt, obwohl solcher Begriff eine entscheidende Rolle in der Fundamentalontologie spielt. Letztendlich ist die Fundamentalontologie der Versuch, die Frage nach dem Sinn von Sein zu beantworten. Deswegen bleibt auch die Untersuchung desorientiert, wenn dieser Begriff nicht erklärt worden ist. Wenn das Gesuchte nicht irgendwie bestimmt wird, bleibt die Untersuchung wie ein Schiff, das ohne Kompass gesteuert wird. Daher muss eine wissenschaftliche Untersuchung eine klar definierte Begrifflichkeit gebrauchen, sodass der jetzige Versuch darin besteht, die Klarheit und Bestimmtheit der Heidegger’schen Aufweisung zu erhöhen, damit die Grundstruktur des gemeinten Phänomens schärfer ausgewiesen werden kann. Heidegger erklärt den Begriff des Sinnes so: Was im verstehenden Erschließen artikulierbar ist, nennen wir Sinn. Der Begriff des Sinnes umfaßt das formale Gerüst dessen, was notwendig zu dem gehört, was verstehende Auslegung artikuliert. Sinn ist das durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff strukturierte Woraufhin des Entwurfs, aus dem her etwas als etwas verständlich wird.28
25 26 27 28
Vgl. Heidegger, 219. Vgl. Heidegger, 151 f. Vgl. Heidegger, 87. Heidegger, 151.
169
Der Sinn ist demzufolge im Entwurfsverständnis das Artikulierbare und das, was das Auslegungsverständnis artikuliert. Der Sinn ist das Woraufhin des Entwurfs, das die Vorstruktur – Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff – konstituiert, aus der her erst die Auslegung möglich ist. »Auslegung« ist also im vorliegenden Zitat das Objekt des Artikulierens und nicht sein Subjekt. Die Auslegung artikuliert nicht erst den Sinn, sondern wird von ihm artikuliert. Wenn es nur Sinn aufgrund der Auslegung der Vorstruktur gäbe,29 was wäre dann genau die »Struktur« einer solchen Vorstruktur der Auslegung? Wenn es nur aufgrund der Auslegung Sinn gäbe, dann wäre das Ausgelegte eine unartikulierte Vorstruktur. Das ist aber doch unmöglich. Eine unartikulierte bzw. unstrukturierte Vorstruktur ist ein Oxymoron bzw. eine contradictio in termini. Der Sinn als Artikulierbares ist im Erschließen des Verstehens erschlossen, deswegen ist der Sinn schon im Entwurfsverständnis da und konstituiert dessen Struktur – d. h., die Vorstruktur des Auslegungsverständnisses, in welchem Seiendes als etwas begegnen kann. Einige Interpretationen vertreten, dass der Sinnbegriff in einer Formel wie »Sinn der Sorge« oder »Sinn des Seins« eine zweckmäßige Bedeutung hat, d. h., dass der »Sinn der Sorge« das Wofür der Sorge30 oder der »Sinn des Seins« den Zweck des Seins31 bedeutet. So eine Interpretation ist aber problematisch, weil sie versteht, dass die Zeit – weil sie als der Horizont des Seinsverständnisses die Antwort auf die Frage nach dem Sinn von Sein ist32 – ein gewisses Ende des Daseins ist. Die Zeitlichkeit wäre also ein Etwas, was das Dasein nicht ist, sondern etwas, was solches werden muss, nämlich sein Zweck. Aber die Zeitlichkeit ist kein Etwas, das vom Dasein erreicht werden muss, sie ist hingegen ein Charakter des Daseins selbst, sofern es seiend ist. In Worten von Heidegger: »Der Seinssinn des Daseins ist nicht ein freischwebendes Anderes und ›Außerhalb‹ seiner selbst, sondern das sich verstehende Dasein selbst.«33 Wenn die Zweckbedeutung von Sinn an der fundamentalontologischen Betrachtung unangemessen 29 30 31
32 33
Z. B. Luckner vertritt diese Missdeutung. (Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 70.) Vgl. Luckner, 126. Marten behauptet, dass ein Unterschied zwischen den Ausdrücken »Sinn von Sein« und »Sinn des Seins« besteht. Er versteht, dass der Sinn von Sein die »Bedeutung des Wortes Sein« und dass der Sinn des Seins »der Zweck des Seins« jeweilig bedeuten. (Marten, Radikalität des Geistes, 39.) Diese Untersuchung hält diesen Unterschied für sinnvoll, aber die Definition vom Sinn des Seins, die Marten anbietet, ist völlig unangemessen. In der Frage nach dem Sinn von Sein geht es nicht »um den ›Sinn des Lebens‹ […] sondern um die begriffliche Herausstellung des Sinnes dessen, was unter ›Sein‹ vage und durchschnittlich verstanden wird« (Grondin, »Wiedererweckung der Seinsfrage«, 6.). Wie könnte das Sein einen Zweck haben? Ist das Sein eine intentionale Tätigkeit, eine menschliche Handlung, die sogar moralisch bewertet werden könnte? Die Antwort entsteht von allein: Nein! Wenn das Sein einen Zweck hätte, könnten die Faktizität und die Verweisungsstörungen u. a. nie sein, weil die Faktizität schon da ist und die Störungen einfach vorkommen. Der Sinn des Seins ist die Bedingung der Möglichkeit jeder Zweckfixierung, aber darüber hinaus ist seine Bedeutung viel breiter als diese. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 1. Heidegger, 325.
170
ist, wäre also eine angemessenere Interpretation zu stellen, nämlich diese, dass in Sein und Zeit nur eine Bedeutung von »Sinn« gebraucht wird. Es handelt sich um einen Fachbegriff. Solche Bedeutung vom Sinn ist »das formale Gerüst der dem Verstehen zugehörigen Erschlossenheit«.34 Es geht also um die horizontale Struktur, welche der gliedernde Charakter des Verstehens entstehen lässt. Alle Existenzialien des In-Seins haben einen gliedernden Charakter, weil die Rede das gliedernde Wesen der Erschlossenheit ist. Diese Bedeutung des Sinnes bedeutet deswegen die horizontale Dimension der redenden Artikulation. Also wenn gemeint wird, dass die Zeitlichkeit der Sinn der Sorge ist, meint solche Behauptung, dass die Sorge bidimensional ist, weil sie zeitlich ist. Die Zeitlichkeit ist in diesem Sinne das Warum der Bidimensionalität, d. h. der Entstehung eines Horizonts aus einer Ekstase her. Das gegliederte und gliedernde Verstehen entwickelt sich in der Auslegung, durch welche die Verweisungen ausdrücklich werden. Die Synthesis des hermeneutischen Als, welche die Vorstruktur expliziert, »arbeitet« auf der Basis des schon erschlossenen Sinnes. Der Sinn ist »[d]as in der Auslegung Gegliederte als solches und im Verstehen überhaupt als Gliederbares Vorgezeichnete«.35 Das Vorgezeichnete ist das formale Gerüst, das im Verstehen gliederbar und in der Auslegung gegliedert ist. Dass solches Gerüst einen formalen Charakter hat, bedeutet, dass solches Gerüst nicht etwas anderes ist als das, was sich durch seine Struktur konstituiert. Der Sinn ist im Verstehen artikulierbar, weil er durch den gliedernden Charakter des Entwurfsverständnisses erschlossen wird, dessen Gliedern die Auslegung entstehen lässt, weil die Konstitution des formalen Gerüsts des Sinnes schon Auslegung ist. Der Sinn ist in der Auslegung artikuliert, weil die Konkretion des Gliederns des Entwurfsverständnisses die Verweisungen ausdrücklich macht als ein wesenhafter Fokus der Erfahrung, sodass das Gliedern, das den Sinn entstehen lässt, zugleich ein Auslegen ist. Heidegger versteht, dass der Sinn als Gliederung des Verständnisses bidimensional sein muss, genau wie das Verstehen, das solchen Sinn gliedert. Die Bedeutung des Sinnes als »Worauf des Entwurfs« und als das, »was das Entworfene ermöglicht«, ist nicht doppeldeutig – im Sinne von zwei verschiedenen Bedeutungen36 –, sondern eindeutig, wenn auch bidimensional. Diese zwei Bestimmungen des Sinnes können besser beschrieben werden, wenn sie als Teile eines hermeneutisch phänomenologischen Entdeckungsprozesses verstanden werden, in welchem die Untersuchung durch das, was sich zuerst zeigt, das erreicht, was sich darin meldet, aber in ihm selber zeigt. Die Richtung der Untersuchung führt also aus der horizontalen Dimension in die ekstatische hin, als deren Grund. Was sich an ihm selber zeigt und das echte Phänomen ist, ist der bidimensionale Sinn als Ermöglichung jedes möglichen Entwurfs. In Worten 34 35 36
Heidegger, 151. Heidegger, 153. Wie Sallis missdeutet. (Vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 27.)
171
von Heidegger wird dieser Zusammenhang so erklärt: »Streng genommen bedeutet Sinn das Woraufhin des primären Entwurfs des Verstehens von Sein«, was bedeutet, dass das Dasein in seinem Sich-auf-hin-Entwerfen erst den Sinn »gibt«.37 Die bidimensionale Erschlossenheit des Seins überhaupt ist wesenhaft sinnvoll. Bis jetzt ist es klar geworden, dass der Sinn das Gerüst des Horizonts des Da ist, aber seine selbsthaft-ekstatische Dimension wurde noch nicht zum Vorschein gebracht. Der Sinn ist die Artikulation der Verständlichkeit, nach der jedes Seiende als etwas begegnen kann; solche Artikulation muss aber ihrerseits in einem gewissen Artikulieren erschlossen werden. Dieses Artikulieren geschieht durch das Entwurfsverständnis, auf das jede Auslegung gründet. Das Sich-Entwerfen und sein je zugehöriges Woraufhin stehen in enger Verbindung, nicht aber wie zwei Pole, die logisch zu verknüpfen sind, sondern wie zwei Dimensionen einer einheitlichen Struktur. Die Einheit dieser Struktur wird vom gliedernden Charakter jedes Entwurfs derart gegeben, dass das Dasein das Woraufhin und das Entwerfen zugleich ist, ohne damit in einen Widerspruch zu geraten, weil beide nur formal zu unterscheiden sind. Dieses Gliedern, das die Einheit der Dimensionen jedes Existenzialen garantiert, ist die wesenhafte Artikulation, welche die Erschlossenheit wesenhaft charakterisiert. Der Sinn als Artikulierbaren wird durch ein Artikulieren erschlossen, welches die Rede ist. Die Rede ist also die selbsthaft-ekstatische Dimension des Sinnes. Heidegger drückt diesen Zusammenhang mit den folgenden Worten aus: Verständlichkeit ist auch schon vor der zueignenden Auslegung immer schon gegliedert. Rede ist die Artikulation der Verständlichkeit. Sie liegt daher der Auslegung und Aussage schon zugrunde. Das in der Auslegung, ursprünglicher mithin schon in der Rede Artikulierbare nannten wir den Sinn.38
Die Rede ist die Artikulation der bidimensionalen Erschlossenheit, weil die Dimensionen der Transzendenz durch die Existenzialien des In-Seins entfaltet werden, deren Entfaltung nur dank ihres gliedernden Charakters möglich ist. Ein solcher gliedernder Charakter der Entfaltung der Transzendenz konstituiert den Sinn und deshalb bedeutet die Rede die Erschließung des Sinnes. Der Sinn ist bidimensional und die Rede drückt seine selbsthaft-ekstatische Dimension aus, deswegen ist die Suche nach dem Sinn von Sein überhaupt mit der Bestimmung der Rede eng verbunden. Das primäre Enthüllen des Seienden, das im Besorgen des Umgangs geleistet wird und aus welchem solches Seiende zum Gegenstand einer Aussage werden kann, zeigt, dass die Aussage dieses primäre Enthüllen nicht erst leistet, sondern,dass »der Aussagende schon vor der Aussage die Seinsart des Seienden,
37 38
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 324 f. Heidegger, 161.
172
worüber er spricht«, versteht.39 Die Aussage ist eine abgeleitete Form des Verstehens, die aber auch letztendlich auf der Rede gründet. Der λόγος als ἀποφαίνεσθαι bedeutet,40 dass die Rede, sofern sie die Artikulation der Verständlichkeit ist, eine Sinnesgabe leistet. Der Umgang wird von der Umsicht erhellt, die ein Verstehen des Sinnes ist, durch den die bedeutsame Welt erschlossen wird als enges und vertrautes Verhältnis zur Umgebung. Das Verstehen des Sinnes im Modus der Umsicht besteht darin, dass das Verhalten des Daseins sich dem Verhältnis unterstellt, das das Dasein bei seinem Verhalten zum Seienden erschließt. Im Entwerfen des Verstehens ist Seiendes in seiner Möglichkeit erschlossen. Der Möglichkeitscharakter entspricht jeweils der Seinsart des verstandenen Seienden. Das innerweltlich Seiende überhaupt ist auf Welt hin entworfen, das heißt auf ein Ganzes von Bedeutsamkeit, in deren Verweisungsbezügen das Besorgen als In-der-welt-sein sich im vorhinein festgemacht hat. Wenn innerweltliches Seiendes mit dem Sein des Daseins entdeckt, das heißt zu Verständnis gekommen ist, sagen wir, es hat Sinn.41
Das in jedem Verständnis Artikulierbare ist der Sinn, der noch ursprünglicher in der Rede artikulierbar ist. Jede Art Verständnis – entwerfendes, auslegendes oder aussagendes – ist zugleich immer befindlich – faktisch und gestimmt – und hat dessen Wurzel in einem Gliedern, das allem Verstandenen ein gewisses Gerüst gibt. Die Bildung eines solchen Gerüsts ist die Rede. Das bedeutet, dass »für das Sein des Da, das heißt Befindlichkeit und Verstehen, die Rede konstitutiv ist«.42 Die Rede ist die Erschließung des Sinnes, weil das Dasein nach seinem eigenen Gliedern seine Möglichkeiten geworfen-entwerfend ist. Das bedeutet, dass ich »in diesem geworfen-entwerfenden Gliedern den Sinn [bilde]«,43 weil Sinn »das Woraufhin des primären Entwurfs [bedeutet], aus dem her etwas als das, was es ist, in seiner Möglichkeit begriffen werden kann«.44 Beim primären Entwurf ist das Dasein sich vorweg in den Möglichkeiten seines Tuns. Solches Tun ist zunächst und zumeist ein Mit-etwas-etwas-Tun. Solches Tun bedeutet demzufolge die Möglichkeit des Handelns mit etwas. Solche Möglichkeit wird im Sein des Daseins als Seinkönnen erschlossen. Dieser primäre Entwurf erschließt sich als ein Sein-können-in-der-Welt, der als In-Sein das Sein-bei gründet. Die Erschlossenheit des primären Entwurfs gründet die Möglichkeit des Handelns und Tuns durch ihr gliederndes Wesen, das als Verweisen jedem Seienden eine Bedeutung gibt. Der Horizont dieses Entwerfens des gliedernden Wesens der Erschlossenheit – das Woraufhin dieses Entwerfens – ist der Sinn. Das gliedernde Wesen der Erschlossenheit wird von dem Existenzialen der Rede formal angezeigt. Der 39 40 41 42 43 44
Heidegger, Grundprobleme, 301. Heidegger, Logik, 414. Heidegger, Sein und Zeit, 151. Heidegger, 165. von Herrmann, Subjekt und Dasein, 120. Heidegger, Sein und Zeit, 324.
173
Sinn ist also die horizontale Dimension der Rede. Die Welt ist eine Struktur der Transzendenz des Daseins, nämlich die Bedeutsamkeit, die durch das Verstehen erschlossen wird. Es heißt, dass zur bedeutsamen Transzendenz bzw. zur redemäßigen Sinnesgabe ein entsprechender Sinneshorizont gehört. Nach dieser hermeneutisch phänomenologischen Beschreibung kann letztendlich durch das Verständnis des Begriffs des Sinnes eine Bestimmung des Begriffs des Horizonts gewonnen werden, da der Sinn als die Grundstruktur der Entfaltung jedes Horizonts fungiert. Eine solche Definition des Horizonts sollte nach den Heidegger’schen Analysen so lauten:45 Korrelat einer Zuwendung, d. h. Woraufhin einer sich überschreitenden Bewegtheit,46 welches eingrenzend und umschließend ist,47 indem es sich als eine Ganzheit entfaltet.48 § 20. b. Der fundamentalontologische Begriff der Wahrheit Die Untersuchung hat schon das gliedernde Wesen der Erschlossenheit als das Existenzial der Rede bestimmt, dessen eigentümlicher Horizont der Sinn ist. Solche Struktur der bidimensionalen Erschlossenheit des Sinnes ist die Bedingung der Möglichkeit des Begegnens des innerweltlichen Seienden. Solches Begegnen ist aber nicht nur möglich, weil die Artikulation das Seiende als etwas sinnvoll sein lässt, sondern auch, weil solches Sein einen gewissen Präsenzcharakter besitzt, der das Begegnen letztendlich ermöglicht. Solcher Charakter der Präsenz des Seins drückt den Grundbegriff der Wahrheit aus, der hier zu erläutern ist. Die traditionelle Wahrheitslehre, die sogenannte Übereinstimmung, wird von der hermeneutischen Phänomenologie durch die Ergebnisse der Daseinsanalytik kritisiert, indem eine solche Übereinstimmung zwischen dem Erkennen und seinem Gegenstand eine Bewährung braucht, denn was durch die Aussage über den Gegenstand erschlossen wird, muss dann durch die direkte Erfahrung des Gegenstandes bestätigt oder negiert werden. Das impliziert, dass die Bewährung der Übereinstimmung letztendlich das »sich zeigen des Seienden in Selbigkeit« bedeutet.49 Der Übereinstimmung mangelt es also an Radikalität, weil sie sich nur als Schluss auf dem Grunde einer schon erreichten Wahrheit im Sich-Zeigen des Seienden selbst konstituiert. Die Übereinstimmung ist demzufolge ein Resultat der Erfahrung; sie ist nicht das Fundament jeglicher Erfahrung als wahre Erfahrung. 45 46 47 48 49
Vgl. Roberto Rubio, »Afectividad y significaciones en la analítica del Dasein«, hg. von Ángel Xolocotzi, Studia Heideggeriana IV, Afectividad (2015): 40 f. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 365; Heidegger, Grundprobleme, 378; Heidegger, Anfangsgründe, 266. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 269. Vgl. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, 309. Heidegger, Sein und Zeit, 218.
174
Nach solcher Kritik an der traditionellen Wahrheitslehre – die vorläufigen Ergebnisse der Daseinsanalytik berücksichtigend – zeigt sich das In-der-Weltsein als Grundverfassung des Daseins als »das Fundament des ursprünglichen Phänomens der Wahrheit«.50 Wahrheit ist demzufolge der ontologische Begriff der Präsenz, die zur Grundverfassung der Bidimensionalität gehört: Das Horizontalsein jeder Ekstase lässt diese Ekstasen selbst notwendigerweise wahr sein, indem sie sich so als die Konstitution eines Begegnungsfeldes entfaltet. Das wird von Heidegger durch eine anscheinende Spaltung des Wahrheitsbegriffs erklärt: Das Entdecken ist eine Seinsweise des In-der-Welt-seins. Das umsichtige oder auch das verweilend hinsehende Besorgen entdecken innerweltliches Seiendes. Dieses wird das Entdeckte. Es ist »wahr« in einem zweiten Sinne. Primär »wahr«, das heißt entdeckend ist das Dasein. Wahrheit im zweiten Sinne besagt nicht entdeckend-sein (Entdeckung), sondern entdeckt-sein (Entdecktheit).51
Der Wahrheitsbegriff hat demzufolge einen aktiven und primären Sinn: Dasein ist entdeckend, weil es erschlossen ist. Der sekundäre Sinn hat demgegenüber einen passiven Charakter: Seiendes wird entdeckt.52 Zwischen solchen beiden Sinnen der Wahrheit besteht ein Zusammenhang, der sich als eine Fundierung charakterisieren lässt. Heidegger sagt doch, dass »der Terminus ›Wahrheit‹ eine doppelte Bedeutung« hat.53 »Doppelt« bedeutet aber nicht »zwei«, sondern »zweifach«, deswegen sollte hier verstanden werden, dass Heidegger »bidimensional« sagen wollte, aber er hatte diesen wichtigen Begriff noch nicht. Die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden bzw. sein Sich-Zeigen gründet in der Erschlossenheit des In-Seins als solches, welches als ekstatische Dimension der Erschlossenheit sich als Fundament des erwähnten Zusammenhangs zeigt, wie diese Untersuchung auch schon ausgewiesen hat.54 Solche Einheit von Erschlossenheit und Entdecktheit wird von Heidegger durch den Begriff des Enthüllens ausgedrückt, welcher eine offensichtliche Übersetzung des Aristotelischen ἀληθεύω darstellt.55 Heidegger sagt es mit diesen Worten: »Wahrsein besagt Enthüllen. Damit umfassen wir sowohl den Modus des Entdeckens wie den des Erschließens, das Enthüllen des Seienden, das nicht daseiend ist, und das des Seienden, das wir selbst sind.«56 Das Dasein als Wahres ist durch das Enthüllen ausgemacht. Solches Enthüllen hat aber eine nur begriffliche Spaltung hinsicht50 51 52 53 54 55
56
Heidegger, 219. Heidegger, 220. Vgl. Frede, »Wahrheit. Heidegger-Handbuch«, 310. Heidegger, Sein und Zeit, 256. Vgl. S. 100. Über die Etymologien von ἀλήθεια und ihre verschiedenen Bedeutungen im Ablauf der Heidegger’schen Philosophie: Holger Helting, »ἀ-λήθεια-Etymologien vor Heidegger im Vergleich mit einigen Phasen der ἀ-λήθεια-Auslegung bei Heidegger«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 13 (1997): 93-108. Heidegger, Grundprobleme, 307.
175
lich der Klarheit der philosophischen Betrachtung und Erläuterung, nämlich in der Weise, dass das Enthüllen des Seienden Entdecken heißt, während das der Existenz Erschließen genannt wird. Der Begriff des Enthüllens besagt so die Einheit des Phänomens der Wahrheit. Das Dasein als durch Enthüllen Ausgemachtes hat als In-der-Welt-sein den Charakter der Wahrheit. Heidegger drückt es so aus: »Sofern das Dasein wesenhaft seine Erschlossenheit ist, als erschlossenes erschließt und entdeckt, ist es wesenhaft ›wahr‹. Dasein ist ›in der Wahrheit‹.«57 Die ursprüngliche Wahrheit als Entdeckend-sein ist ein Charakter der Erschlossenheit des Daseins. Das bedeutet, dass die Wahrheit eine Weise ist, wie das Dasein sein Da ist, in welchem ihm Seiendes begegnen kann, denn »[d]as Dasein existiert in der Wahrheit, d. h. in der Enthülltheit seiner selbst und des Seienden, wozu es sich verhält«.58 Das Dasein ist aber Da, nur sofern solches Dasein vom In-Sein ausgemacht ist, deswegen bedeutet letztendlich dieses ›in-der-Wahrheit-Sein‹ des Daseins, dass der Grund der Wahrheit das In-Sein als solches bzw. die »Erschlossenheit seines eigensten Seins« ist.59 Diese methodische Bewegung ist typisch für das Heidegger’sche Denken: Er fängt die Analyse mit der horizontalen Dimension an und dann führt er die Analyse auf die ekstatische Dimension zurück, in welcher die Bedingungen der Möglichkeit beider Dimensionen zu finden sind. In der Tat wird ein ähnliches Vorgehen bei der Weltanalyse schon gesehen: »Existierend versteht es so etwas wie seine Welt, und mit der Erschlossenheit seiner Welt ist es zugleich ihm selbst für sich enthüllt.«60 Die Behandlung der ekstatischen Dimension als Fundament der Welt, die in dieser Arbeit geleistet wurde,61 ist also nichts Verschiedenes wie eine Behandlung dieses Phänomens der Wahrheit, die als eine grundlegende Vorbereitung dieser hermeneutisch phänomenologischen Wiederholung fungiert, um den Begriff der Wahrheit zu gewinnen. Auf diesem Weg der phänomenologischen Wiederholung der Fundierung der Welt wird klar, dass der fundamentalontologische Begriff der Wahrheit nur durch die Bidimensionalität der Erschlossenheit angemessen zu verstehen ist. Heidegger erklärt diesen Zusammenhang mit den folgenden Worten: Zur Seinsverfassung des Daseins gehört wesenhaft Erschlossenheit überhaupt. Sie umgreift das Ganze der Seinsstruktur, die durch das Phänomen der Sorge explizit geworden ist. Zu dieser gehört nicht nur In-der-Welt-sein, sondern Sein bei innerweltlichem Seienden. Mit dem Sein des Daseins und seiner Erschlossenheit ist gleichursprünglich Entdecktheit des innerweltlichen Seienden.62
57 58 59 60 61 62
Heidegger, Sein und Zeit, 221. Heidegger, Grundprobleme, 308. Heidegger, Sein und Zeit, 221. Heidegger, Grundprobleme, 308. Vgl. § 15. In-der-Welt-sein ist das bidimensionale Verweisendsein des Daseins. Heidegger, Sein und Zeit, 221.
176
Diese Arbeit hat von Anfang an die Bidimensionalität als Grundstruktur des menschlichen Daseins hervorgehoben.63 Infolgedessen müssen alle Seinsstrukturen anhand solcher Bidimensionalität verstanden und ausgelegt werden. Die Bidimensionalität bedeutet so die echte Überwindung der Subjektphilosophie und deshalb den wichtigsten Triumph gegenüber der Moderne. Alle Seinsstrukturen der Fundamentalontologie sind entweder bidimensional konstituiert oder haben mit dem Ursprung der Bidimensionalität zu tun. Die Bidimensionalität des Da ist bei der Daseinsanalytik so wichtig, dass ihr Übersehen bedeuten kann – und bedeutet es häufig –, dass die Grundbegriffe der Fundamentalontologie missverstanden werden. Sallis z. B. versteht – genauso wie beim Fall des Sinnes –, dass die Begriffe Entdeckend-Sein und Erschlossenheit in Sein und Zeit zwei Bedeutungen der Wahrheit darstellen.64 Dies führt Sallis zur Überzeugung, dass bei den erwähnten Phänomenen eine begriffliche Verdopplung bestehe. Solche Meinung entsteht aber leider nur daraus, dass Sallis die Bidimensionalität übersieht. Das Übersehen oder Missverständnis dieses konstitutiven bidimensionalen Charakters der menschlichen Existenz führt ihn zu unangemessenen Fragen wie: »Denn ist es wirklich notwendig, dass der Grund mit demselben Namen benannt wird wie dasjenige, was es begründet?«65 Eine solche Frage ist unangemessen, weil sie ausdrücklich macht, dass nicht verstanden wurde, dass das In-Sein und das Sein-bei und das Sein-mit dasselbe Phänomen sind. Das Dasein ist immer in-der-Welt als beim Seienden und mit den Anderen, wie im vorliegenden Zitat klar zu lesen ist. Sein-bei und Sein-mit gründen auf In-Sein, aber das bedeutet nicht, dass sie deswegen »verschiedene« Phänomene sind.66 Demzufolge bedeutet der ursprüngliche Sinn von Wahrheit Erschließen und Entdecken. Es geht also nicht um zwei Definitionen der Wahrheit,67 sondern um eine einzige, einheitliche, aber bidimensionale Definition. Sallis missdeutet diese Wahrheitslehre, weil er das Dasein immer noch als ein transzendentales Subjekt betrachtet. Deswegen bleiben die Entdeckung und die Erschlossenheit bei seiner Interpretation getrennt bzw. gegenübergestellt.68 Sal63 64 65 66 67
68
Vgl. S. 100. Vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 8 ff. Sallis, 103. Vgl. S. 48; 100. Vgl. Barbara Merker, »Die Sorge als Sein des Daseins (§§ 39-44)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 119 ff. Lafont stellt eine noch extremere Fassung dieses Fehlers dar, indem sie nicht nur versteht, dass es in Sein und Zeit zwei Definitionen von Wahrheit gibt, sondern auch, dass solche Definitionen zwei Erkenntnisarten entsprechen, nämlich synthetisch a priori und a posteriori. Und dadurch wird sie überzeugt, dass Heidegger den Wahrheitsbegriff relativiert. (Vgl. Cristina Lafont, »Heidegger and the Synthetic A Priori«, in Transcendental Heidegger, hg. von Steven Crowell und Jeff Malpas (Stanford, California: Stanford University Press, 2007), 112 f.) Solche Interpretation ist aber völlig unangemessen, weil sie nicht versteht, dass bei Heidegger die Wahrheit zunächst nicht im Urteil über Seiendes liegt, sondern im Präsenzcharakter des Seienden dank der Erschlossenheit des Daseins.
177
lis sollte sich schon gefragt haben, wie es möglich ist, dass er immer wieder zwei Definitionen von so wichtigen Begriffen wie Wahrheit und Sinn findet, ohne dass die Analytik zur Dialektik wird. Der Grund solchen Fehlers ist das Versäumnis und Missverständnis der grundsätzlichen Struktur der Bidimensionalität: das Dasein ist als In-der-Welt-sein erschlossen als entdeckend. Oder in anderen Worten: Horizontal ist eine Ekstase als ekstatische.69 Die Kritik an dem Subjektbegriff der modernen Epistemologie mündet so in einer neuen Interpretation der Wahrheit.70 Die Stufung des Verstehens – vom Entwurfsverständnis über die Auslegung bis zur Sprache – impliziert eine Vielfalt an Modi der Stiftung und Komplexität des Begegnens, welche die redemäßig erschlossene Bedeutungsganzheit des Sinnes ermöglicht. Das kann sehr wohl bedeuten, dass es auch eine Stufung in der Wahrheit der Erschlossenheit gibt. Sofern die Wahrheit ein Charakter der Erschlossenheit ist, erschließt sie sich nicht nur verstehend und redemäßig, sondern auch befindlich. Das zeigt sich auch dadurch, dass es verschiedene Stufen der affektiven Einfärbung dessen gibt, was begegnet.71 Aus den tiefsten Stufen der Wahrheit, beim Zuhandenen und mit ihm selbst, quellt die nicht apophantische Sprache, mit der wir uns alltäglich mitteilen und welche sich durch die Logik nicht formalisieren lässt. Dass aber das Dasein wesenhaft wahr ist, bedeutet auf keinen Fall, dass das Dasein alles weiß. Die Wahrheit des Daseins ist ein Charakter seiner Erschlossenheit, welche nicht nur befindlich, sondern auch durch diese Faktizität uneigentlich ist. So lebt das Dasein in einer Welt, in der Seiendes von ihm entdeckt und zugleich verdeckt wird. Solche Verdeckung liegt aber am Wesen des Daseins selbst. Die existenzial-ontologische Bedingung dafür, daß das In-der-Welt-sein durch »Wahrheit« und »Unwahrheit« bestimmt ist, liegt in der Seinsverfassung des Daseins, die wir als den geworfenen Entwurf kennzeichneten. Sie ist ein Konstitutivum der Struktur der Sorge.72
Mit einer Paraphrase des Aristoteles73 erklärt Heidegger diesen Zusammenhang, indem er behauptet, dass »was jedoch in der Ordnung der existenzial-on69
70 71 72 73
Vgl. Françoise Dastur, »La constitution ekstatique-horizontale de la temporalité«, hg. von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heidegger Studies 2 (1986): 102. Vgl. Menke, »Subjekt. Heidegger-Handbuch«, 321. Vigo, »Afectividad, comprensión y lenguaje«. Heidegger, Sein und Zeit, 223. Vgl. Aristoteles, Lehre vom Schluß oder Erste Analytik, übers. von Eugen Rolfes, Bd. 1, Aristoteles: Philosophische Schriften (Hamburg: Meiner, 1995), 68b; Aristoteles, Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik, übers. von Eugen Rolfes, Bd. 1, Aristoteles: Philosophische Schriften (Hamburg: Meiner, 1995), 72a; Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. von Eugen Rolfes, Bd. 3, Aristoteles: Philosophische Schriften (Hamburg: Meiner, 1995), 1095b; Aristoteles, Physik. Vorlesung über die Natur, übers. von Hans Günther Zekl, Bd. 6, Aristoteles: Philosophische Schriften (Hamburg: Meiner, 1995), 184a. »κατὰ μὲν γὰρ τὸν λόγον τὰ καθόλου πρότερα κατὰ δὲ τὴν αἴσθησιν τὰ καθ᾿ ἕκαστα« (Aristoteles, Aristotelis metaphy-
178
tologischen Fundierungszusammenhänge das Letzte ist, gilt ontisch-faktisch als das Erste und Nächste«.74 In anderen Worten: Was man zunächst und zumeist im alltäglichen Leben erfährt, ist nicht selbst der Grund dieser Erfahrung, es ist nicht, was diese Erfahrung ausmacht, und deswegen ist es auch nicht, was in der hermeneutisch phänomenologischen Ausweisung als Phänomen gesucht wird. ›Die Sachen selbst‹, zu denen es in der Phänomenologie zu gehen gilt – wenn es aristotelisch ausgedrückt werden darf –, sind κατά φύσει (dem Wesen nach) und nicht πρός ἡμᾶς (nach uns) das Frühere (πρότερον). Der Grund zeigt sich im Sich-Zeigen der Erfahrung, aber als etwas Entferntes, als etwas, was erreicht oder gewonnen werden muss. Demzufolge zeigt sich der Grund der Erfahrung – das Erste aus phänomenologischer Sicht –, sich meldend in dem, was sich im alltäglichen Leben als das Erste zeigt – die Erscheinung. Diese Entdecktheit des Innerweltlichen ist keine Eigenschaft oder Fähigkeit des innerweltlichen Seienden, sondern solche Entdecktheit gehört solchem Seienden, nur sofern es vom menschlichen Dasein entdeckt wird, deswegen geht es in dieser Wahrheitslehre um eine »dem Entdecken zugehörige Entdecktheit«.75 Dieser Zusammenhang ist die Bedingung der Möglichkeit, dass das Dasein sich aus dem innerweltlichen begegnenden Seienden versteht. Das Dasein, das ontologisch das Erste ist, versteht sich aus dem innerweltlichen Seienden, das ontologisch das Letzte ist. Deswegen versteht das Dasein den λόγος »als λόγος τινός (Aussage über …, Entdecktheit von …)«,76 weil es alles und sich selbst aus dem Umgang mit dem innerweltlichen Seienden versteht, sodass die Entdecktheit alltäglich lediglich die Entdecktheit des Seienden bedeutet, welche seinerseits als »der nächst gegebene Sinn des Wahrnehmens« verstanden wird,77 indem aber der daseinsmäßige Charakter des Entdeckens verborgen bleibt. Das ursprüngliche Phänomen der Wahrheit versteckt sich demzufolge wegen seiner eigenen Struktur. Das wichtigste Ergebnis der fundamentalontologischen Wahrheitsanalyse besagt die bidimensionale Struktur der Präsenz des Seienden, die in der Existenz selbst fundiert. Heidegger erklärt diesen Zusammenhang mit diesen Worten: »Wahrheit im ursprünglichsten Sinne ist die Erschlossenheit des Daseins, zu der die Entdecktheit des innerweltlichen Seienden gehört.«78 Demzufolge kann diese Wahrheitslehre durch den Lask’schen Begriff der Aletheiologie79 als eine er-
74 75 76 77 78 79
sica, 1018b.): »Dem Begriffe nach ist das Allgemeine früher, der sinnlichen Wahrnehmung nach das Einzelne« (Aristoteles, Metaphysik, 5:1018b). Heidegger, Sein und Zeit, 225. Heidegger, 225. Heidegger, 225. Heidegger, Prolegomena, 48. Heidegger, Sein und Zeit, 223. Emil Lask, Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre : eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form, 3. Aufl., [Reprograph. Nachdr. der 2. Aufl. 1923]/mit einem Nachw. von Friedrich Kaulbach (Tübingen: Mohr, 1993).
179
weiterte Aletheiologie charakterisiert werden, unter der verstanden wird, dass die »Wahrheit, im strengen transzendentalen Sinne genommen, gleich ausdehnbar wie die Sinnenerfahrung und die Bedeutungserschließung ist, in allen ihren möglichen Formen«.80 Der enthüllende Charakter des Daseins besagt so im Grunde genommen die Präsenz des Seienden, die zur einheitlichen Struktur der Bidimensionalität der Erschlossenheit gehört, deren Einheit durch die Rede ausgemacht ist. Die Erschließung des Sinnes bzw. die Rede ist die Bedingung der Möglichkeit des Begegnens bzw. Erscheinens des Seienden. Dass das Phänomen der Wahrheit die Entdecktheit des Seienden ausdrückt und dass solche Entdecktheit das Sich-Zeigen dieses Seienden bedeutet, zeigt, dass der fundamentalontologische Begriff Wahrheit nichts anderes meint als die Phänomenalität selbst, die das Erscheinen des Phänomens selbst ermöglicht. Die Wahrheit ist so hermeneutisch phänomenologisch sehr relevant, weil die hermeneutische Phänomenologie nach dem fragt, was sich meldet in dem, was sich zeigt, welches das Sein dieses Seienden im Sinne der Phänomenalität solches Phänomens (im klassischen Sinne) ist. Diese Phänomenalität überhaupt ist daher das echte Phänomen der hermeneutischen Phänomenologie,81 weil solche Phänomenalität nichts anderes meint als den Präsenzcharakter des Seins des Seienden, d. h., dass das Sein des Seienden die Entdecktheit bzw. Wahrheit solches Seienden besagt.
§ 21. Die Zeitlichkeit ist die Gründung des Da des Daseins Nach der Bestimmung der verschiedenen Momente der selbsthaft-ekstatischen Erschlossenheit als Grund der horizontalen Erschlossenheit wurden solche Momente hinsichtlich seines zeitlichen Charakters beschrieben. Jetzt muss ein solcher zeitlicher Charakter der Existenzialen als der echte Grund der Erschlossenheit interpretiert werden. Diesem Vorgehen nach wird die Zeitlichkeit als der Sinn des Seins des Daseins aufgewiesen.82 Es geht also um eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Gründung der Welt im In-Sein, welche die hermeneutisch phänomenologische Reduktion auf das Sein durchführt.83 Die gegliederte Strukturganzheit des Seins des Daseins ist die Sorge. Nach der Definition der Sorge ist das Sein des Daseins ein faktischer Entwurf (Sichvorweg-schon-sein), welcher das In-Sein konstituiert und der sich als Sein-bei vollzieht. Die Existenzialien, welche die Sorge ausmachen, haben einen zeitli80
81 82 83
La »verdad, tomada en sentido propiamente trascendental, es coextensiva con la experiencia de sentido y la apertura del significado, en todas sus posibles formas«. (Vigo, »Afectividad, comprensión y lenguaje«, 53.) Vgl. S. 37. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 17. Diese Widerholung ist schon auf Spanisch erschienen, aber ohne die wichtigsten ontologischen Ergebnisse des § 22. (Vgl. José Pedro Cornejo, »Sobre la constitución temporal del mundo según Heidegger«, Estudios Bolivianos 28 (2018).)
180
chen Charakter und werden aus solcher Zeitlichkeit her interpretiert: »Das Sich-vorweg gründet in der Zukunft. Das Schon-sein-in … bekundet in sich die Gewesenheit. Das Sein-bei … wird ermöglicht im Gegenwärtigen.«84 Die Zeitlichkeit des Daseins wird durch eine hermeneutisch phänomenologische Reduktion gewonnen, welche den Blick auf die Bedingungen der Möglichkeit und die ermöglichenden Strukturen zurückführt, deswegen muss die Zeitlichkeit in Bezug auf die Gliederung der Sorge verstanden werden, damit die Interpretation einen sicheren Boden gewinnt. Aus der Zukunft des Sich-vorweg des Entwurfs lässt sich die gegliederte Strukturganzheit des Daseins vorrangig als ein Seinkönnen verstehen, welches das Dasein wesenhaft als mögliches ausmacht. Genauso wie der Entwurf im Zusammenhang der Sorge einen Vorrang hat, wird dann seine zeitliche Interpretation genauso vorrangig sein. Die Zeitlichkeit ist demzufolge primär die Erschlossenheit der Künftigkeit des Daseins und so macht sie die Sorge erst eigentlich existenzial verständlich, indem sie sich als der »ursprüngliche ontologische Grund der Existenzialität des Daseins« enthüllt.85 Die Beschreibung der Zeitlichkeit ist eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung, d. h. eine erneuernde Vertiefung der Analyse in das analysierte Phänomen, deswegen gewinnt die Untersuchung mithilfe solcher Wiederholung an Verständnis, obwohl die beschriebenen Strukturen schon »bekannt« sind. Heidegger fasst diese Beschreibung in vier Thesen zusammen: 1. »Zeit ist ursprünglich als Zeitigung der Zeitlichkeit, als welche sie die Konstitution der Sorgestruktur ermöglicht.«86 Die Zeitlichkeit beschreibt die destruktiv neu gewonnene Interpretation der Strukturganzheit der Sorge. Durch diese Interpretation der Sorge wird dann die Zeitlichkeit bzw. die ursprüngliche Zeit als die »ursprüngliche Einheit der charakterisierten Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart« verstanden.87 Aus dieser Perspektive meint die Zeitlichkeit die wesenhafte Struktur des Vollzugs der menschlichen Existenz, die als das »dergestalt als gewesend-gegenwärtigende Zukunft einheitliche Phänomen« begriffen wird.88 Die Sorge gewinnt demzufolge ihre Einheit aus der Zeitlichkeit. Woran liegt aber die Einheit der Zeitlichkeit? Die Antwort lautet: Die Zeitlichkeit ist einheitlich, denn »[…] ihr Wesen ist Zeitigung in der Einheit der Ekstasen«,89 sie ist »die in ihrer Zeitigung sich selbst ursprünglich einigende Einheit von Gewärtigen, Behalten und Gegenwärtigen«.90 Die Zeit besagt
84 85 86 87 88 89 90
Heidegger, Sein und Zeit, 327. Vgl. Heidegger, 234. Heidegger, 331. Heidegger, Grundprobleme, 376. Heidegger, Sein und Zeit, 326. Heidegger, 329. Heidegger, Anfangsgründe, 264.
181
den Sinn des Seins des Daseins, weil sie die bidimensionale Verfassung des Geschehens der Transzendenz, d. h. der Zeitigung der Zeitlichkeit, formal anzeigt. 2. »Die Zeitlichkeit ist wesenhaft ekstatisch.«91 Existenzialität, Faktizität und Verfallenheit meinen die drei Grundweisen, welche die Sorge als Sein-zu konstituieren. Die Existenzialität des Daseins ist das ständige Verhältnis zum Seienden, mit dem das Dasein umgehen kann. Die Faktizität des Daseins ist das ständige Verhältnis zum Seienden, in dem das Dasein sich immer schon befindet. Die Verfallenheit des Daseins bedeutet das Begegnenlassen des Seienden, zu dem das Dasein je ist. Die dem Dasein gehörige Bidimensionalität ist die wesenhafteste Struktur der Sorge. Die Sorge wird von seinem zeitlichen Charakter ermöglicht und vollzieht sich als die Erschließung eines Spielraums »des Umkreises des nächstbesorgten Zeugganzen«.92 Die Welt des Daseins ist ekstatisch-horizontal erschlossen, sodass das Dasein faktisch ist, weil seine Zeitlichkeit die selbsthaft-ekstatische Erschließung eines Horizonts ist, was immer zugleich die Entdeckung von einem gewissen Etwas, d. h. von Sachen verschiedener Art, bedeutet. Wenn die Zeitlichkeit die Zeit selbst ist, in der immer ein gewisses Etwas vorkommt, welches wesenhaft unterschiedlich vom Dasein ist, wird dann unter Zeitlichkeit »das ursprüngliche ›Außer-sich‹ an und für sich selbst« verstanden.93 Es gibt drei Modi des Außer-sich, d. h. Entrückungen bzw. Ekstasen, des Daseins, auf welche die Gegenwart, die Zukunft und die Gewesenheit gründen: »Das Wesenhafte der Zukunft liegt in dem Auf-sich-zukommen, das Wesenhafte der Gewesenheit im Zurück-zu und das Wesenhafte der Gegenwart im Sichaufhalten bei, d. h. im Seinbei«.94 Jede Entrückung ist eine Entrückung zu …, was aber nie eine Entrückung zum Nichts bedeuten kann, sondern zu einem »zur Ekstase selbst gehörigen Horizont.«95 Die Zeitlichkeit als Ekstase ist ein bidimensionales Phänomen, denn »[i]n eins mit dieser ekstatischen Verfassung gehört zur Zeit ihr Horizontcharakter«.96 Deswegen, sofern die ursprüngliche Zeit der Horizont des Seinsverständnisses ist, bedeutet es, dass es keine reine Gegenwart, Zukunft oder Vergangenheit gibt, sondern es gehört zu ihnen immer ein gewisses Etwas. Das Jetzt des Gegenwärtigens bedeutet ›jetzt, da das und das‹, das Damals des Behaltens ist ein ›damals, als‹ und das Dann des Gewärtigens meint ein ›dann, wann‹, was letztendlich bedeutet, dass »die Zeit als Zeitlichkeit […] Seiendes als entdecktes schon begegnen lässt«.97 So spricht sich beispielsweise im »Jetzt« das Dasein aus »in der Grundart [seines] Seins zur Welt, im Gegenwärtigen«,98 nämlich so, dass ein Jetzt immer eine gewisse Prä91 92 93 94 95 96 97 98
Heidegger, Sein und Zeit, 331. Heidegger, 369. Heidegger, 329. Heidegger, Grundprobleme, 377. Heidegger, 428. Heidegger, Anfangsgründe, 256. Heidegger, Grundprobleme, 381. Heidegger, Logik, 402.
182
senz von etwas heißt. Das Gegenwärtigen ist eine Ekstase der Zeitlichkeit, d. h. ein Modus des Außer-sich des Daseins, der nach der Struktur der Bidimensionalität verstanden werden muss, deswegen muss dieses ›über sich hinaus‹ ein Woraufhin bzw. einen Horizont haben. Der Horizont des Gegenwärtigens ist die Praesenz. Heidegger erklärt diesen Begriff mit den folgenden Worten: »Praesenz ist nicht identisch mit Gegenwart, sondern als Grundbestimmung des horizontalen Schemas dieser Ekstase macht sie die volle Zeitstruktur der Gegenwart mit aus.«99 Solches horizontale Schema ist die Bedingung der Möglichkeit des Begegnens, weil es das Offensein der Entrückung zu … besagt, welche die Praesenz jedes Seienden auf sie hin stiftet. Aus diesem Zusammenhang erklärt Heidegger, dass die Zeitlichkeit »[d]er Sinn der eigentlichen Sorge« ist.100 Diese letztgenannte Charakteristik der Zeitlichkeit muss nach den bisherigen Erläuterungen des fundamentalontologischen Begriffs des Sinnes als der Horizont der Sorge verstanden werden.101 Die Zeit ist nicht der Sinn des Daseins, sondern der Sinn des Seins des Daseins, d. h., die Zeit ist die Weise, in der das Sein des Daseins immer durch die Erschlossenheit eines gliedernden Horizonts bzw. redemäßigen Sinnes entfaltet wird. Solche ursprüngliche Zeit ist die lebendige Entfaltung der bidimensionalen Existenz. 3. »Zeitlichkeit zeitigt sich ursprünglich aus der Zukunft.«102 Die Zeitigung der Zeitlichkeit wird durch eine gewisse Richtung – aus der Zukunft – charakterisiert. Die »Zeitigung ist das Urphänomen der ›Bewegung‹«,103 obwohl sie kein Vergehen oder Stehen meint. Was für eine Bewegung ist sie denn? Sie ist die Bewegung der Transzendenz selbst, d. h. des Sich-Überschreitens, welches das Seinsverständnisses wesenhaft ausmacht. Der faktische Entwurf ist die Struktur der Zeitigung des Daseins, die das Dasein als selbst-ekstatisch bzw. transzendierend ausmacht. Die eigentliche Erschlossenheit entwirft sich in ihre Möglichkeiten, indem sie schon gewesen ist. Die innere Spannung, die durch Entwurf-Zukunft und Geworfenheit-Gewesensein bewirkt wird, bringt das Dasein über sich hinaus »gegenwärtigend in die Situation«, weil die »gewesene (besser gewesende) Zukunft die Gegenwart aus sich entläßt«.104 Das Gegenwär99 100 101
102 103 104
Heidegger, Grundprobleme, 435. Heidegger, Sein und Zeit, 326. Der Begriff vom Zeithorizont kann nicht als »Frist« verstanden werden (z. B. vgl. Luckner, Martin Heidegger, 127.), weil die ursprüngliche Zeit keine Momentreihe ausdrückt, sondern einen allgemeineren Begriff. Der Zeithorizont ist vielmehr die Situation selbst in allen ihren Bedeutungen, als faktische Lage, als Bewandtnis, als Moment. Die Dauer kann die Zeit wesenhaft nicht bestimmen, weil solche Dauer aus einer existenzialen Perspektive nur unfassbar bleiben kann. Wie lange dauert ein Moment? Was ist mein Jetzt? Eine Nanosekunde der Änderung eines meiner Atome, die Stunden in der Bibliothek, die Jahreszeit des Sommers, die Lebensetappe der Promotion … Jeder von ihnen und keiner im Besonderen. Heidegger, Sein und Zeit, 331. Heidegger, Anfangsgründe, 256. Heidegger, Sein und Zeit, 326.
183
tigen bleibt demzufolge in der Zukunft (Sich-vorweg) und Gewesenheit (Schon-sein) eingeschlossen im Modus der ursprünglichen Zeitlichkeit. Die ursprüngliche und eigentliche Zeitlichkeit weckt durch solche Struktur »zukünftig gewesen allererst die Gegenwart«.105 So wird es jetzt verständlich, dass die Zeitlichkeit des Daseins eine ›gewesende‹ Zukunft ist, die als Gegenwärtigen geschieht – welche letztendlich nicht mehr als eine neue Formulierung der Definition der Sorge ist. Das Begegnenlassen, das jede Situation erzeugt, ist nur als ein Gegenwärtigen möglich, welches eine Gegenwart entstehen lässt. Die Zeitlichkeit ist der Ursprung, der entspringen lässt, denn »Zeitlichkeit zeitigt, und zwar mögliche Weisen ihrer selbst«,106 deswegen sind das »Jetzt«, »Damals« und »Dann« der Zeiterfahrung keine Weisen des Bewusstseins, sondern dessen Ursprung.107 In diesem Sinne ist beispielsweise das Gewärtigen kein »Modus des Bewußtseins von der Zeit, sondern in einem ursprünglichen und eigentlichen Sinne die Zeit selbst«.108 Das Dasein versteht alles aus einer Präsenz, die ständig die Bewegung aus seiner Bewegung zu verstehen ermöglicht. »Wo Bewegung erfahren ist, da ist Zeit enthüllt.«109 4. »Die ursprüngliche Zeit ist endlich.«110 Der Begriff der Zeit, der mit dem Terminus Zeitlichkeit gemeint wird, muss mit dem alltäglichen und vulgären Begriff der Zeit nicht verwechselt werden. Die ursprüngliche Zeit ist weder ein 105 106 107
108 109 110
184
Heidegger, 329. Heidegger, 328. Es wurde der merkwürdige Versuch gemacht, die Begriffe des Zeitwortschatzes Heideggers nach der sogenannten A-Reihe (zukünftig, vergangen, gegenwärtig) und der sogenannten B-Reihe (früher, später, gleichzeitig), die McTaggart im Feld der analytischen Philosophie ausgearbeitet hat (vgl. J. Ellis McTaggart, »The Unreality of Time«, Mind 17, Nr. 68 (1908): 457-74.), zu erklären. Vertreter dieses Versuchs sind beispielsweise Tugendhat und Sandbothe. Tugendhat versucht im Kontext der Heidegger’schen Zeitanalyse zu bestimmen, welche von beiden Reihen auf der anderen gründet, und schließt, dass die A- die B-Reihe voraussetzt. (Vgl. Ernst Tugendhat, »Heidegger und Bergson über die Zeit [1992]«, in Aufsätze 1992-2000, suhrkamp taschenbuch wissenschaft (Frankfurt am Main, 2001), 15.) Solches Ergebnis widerspricht offensichtlich den Ergebnissen der Daseinsanalytik. Hingegen geht es Sandbothe darum, die A-Reihe (mit dimensionierter Bedeutung) und die B-Reihe (mit linearer Bedeutung) mit den internen und externen Formen der Zeit jeweils zu vergleichen. (Vgl. Mike Sandbothe, »Zeit. Von der Grundverfassung des Daseins zur Vielfalt der Zeit-Sprachspiele«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 289.) Letztendlich ist hier wichtig zu behaupten, dass das Werkzeug von McTaggart nicht nur nicht funktioniert, um die Daseinsanalytik zu interpretieren, weil solches aus der analytischen Philosophie kommt und deswegen sein philosophischer Charakter und untersuchende Absicht sowie sein methodisches Vorgehen ganz anders als die der Daseinsanalytik sind. Darüber hinaus ist diese Methode ebenso inadäquat, weil bei Heidegger diese zwei Reihen auf einer dritten gründen (Sich-vorweg, schon, bei), welche auf einer vierten beruht (Auf-sich-zukommen, zurück-zu, Sich-aufhalten-bei). Diese zwei letzten Reihen werden von den erwähnten Interpreten einfach missachtet. Heidegger, Anfangsgründe, 263. Heidegger, Grundprobleme, 358. Heidegger, Sein und Zeit, 331.
Fluss von Bewegungen noch eine ewig lange Reihe von Momenten. Die Natur hat also – nach diesem Gedanken Heideggers – keine Zeit, »sofern alle Zeit wesentlich zum Dasein gehört«.111 Die Zeit ist also immer Zeitlichkeit des Daseins und deshalb, genauso wie das Dasein, muss sie endlich sein. Diese daseinsmäßige Zeit wird also e contrario der physisch zu betrachtenden Zeit »gerade dann nicht faßbar, wenn Dasein in irgendeiner theoretischen Thematisierung angesetzt ist«.112 Sie ist nur durch eine hermeneutisch phänomenologische Destruktion des faktischen Existierens enthüllbar. Aus diesen vier Thesen über die Zeitlichkeit wird verständlich, dass die Zeit mit dem Begegnen bzw. der Seinsart des Seienden eng verbunden ist und dass das Sein von einer gewissen Art der Präsenz charakterisiert ist. Das bedeutet, dass das Sein die Präsenz – nicht die Anwesenheit – des Seienden bedeutet und dass diese Präsenz die Gegenwart ist, die zu dem zeitlichen Gegenwärtigen des Daseins gehört. Deswegen hat das Besorgen »die Seinsart des Gegenwärtig-werden-Lassens«, weil das Gegenwärtigen ein Appräsentieren ist, welches »nichts anderes als die Zeit selbst ist«.113 Im Phänomen der Zeitlichkeit geht es also wesenhaft um den Wahrheitscharakter des Seins. Die Zeitlichkeit ist in sich der ursprüngliche Selbstentwurf schlechthin, so dass, wo immer und wann immer Verstehen – wir sehen von den anderen Momenten des Daseins ab – ist, dieses Verstehen nur möglich ist im Selbstentwurf der Zeitlichkeit. Diese ist als enthüllte da, weil sie das ›Da‹ und seine Enthülltheit überhaupt ermöglicht.114
Die Welt des In-der-Welt-seins ist das Da des Daseins und »[w]o überhaupt ein Da in sich selbst enthüllt ist, offenbart sich Zeitlichkeit«.115 Es ist hier sehr wichtig zu verstehen, dass diese Einheit des zeitlichen Da diejenige ist, welche die Bidimensionalität der Erschlossenheit ermöglicht. Die erschlossene Welt, die zum Dasein gehört bzw. die das Dasein ist, entsteht »auf dem Grunde der horizontalen Verfassung der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit«.116 Das bedeutet, dass die Einheit der Welt in der Einheit der horizontalen Schemata der Ekstasen besteht. Die räumliche Welt ist also das zeitlich erschlossene Worinnen bzw. Da des Seinkönnens und des Schon-Seins des Daseins so wie der Gegenwart des Besorgten.117 Das bestätigt, dass die Zeitlichkeit weder ein »Ding« ist, in dem das Dasein sich befindet, noch eine Art heimischer Kenntnis, auf die das Dasein un111 112 113 114 115 116 117
Heidegger, Grundprobleme, 370. Heidegger, Anfangsgründe, 256. Heidegger, Prolegomena, 292. Heidegger, Grundprobleme, 436 f. Heidegger, 437. Heidegger, Sein und Zeit, 365. Die Räumlichkeit des Daseins hat nicht nur mit den Ent-fernungen und den verschiedenen Modi des Zugangs zum Seienden zu tun; sie ist vielmehr ein Charakter der Erschlossenheit selbst. Die Räumlichkeit ist also nicht der Zeitlichkeit untergeordnet (wie Sallis meint; vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 32). Wenn die Zeitlichkeit als Transzendenz und die Räumlichkeit als Erschlossenheit der Präsenz betrachtet werden, dann sind bei-
185
ter gewissen Umständen zugreifen kann, sondern sie »ist« vielmehr »überhaupt kein Seiendes. Sie ist nicht, sondern zeitigt sich.«118 Die Zeitlichkeit ist die grundsätzlichste Weise des eigentümlichen Geschehens des Daseins, welches von ihm eine Welt da macht. Wenn die bidimensionale Erschlossenheit des Da die Seinsverfassung des Daseins besagt, welche zeitlich entstanden ist, dann bedeutet die Zeitlichkeit die »ursprüngliche Verfassung« des Seins des Daseins, das als Seinsverständnis aufgewiesen wurde.119 Die Interpretation des Seins des Menschen als Seinsverständnis impliziert so eine radikale Umstellung der Subjekt-Objekt-Beziehung,120 nach der die Subjektivität des Subjekts nicht mehr im Denken, Bewusstsein oder Willen besteht, sondern in der Transzendenz, welche durch die bidimensionale Erschlossenheit der Zeitlichkeit begriffen wird. Das In-derWelt-sein ist das ursprüngliche Überschreiten, das jedes mögliche intentionale Gerichtetsein auf Seiendes ermöglicht, weil das Dasein nur auf Seiendes ausgerichtet sein kann, welches es selbst schon irgendwie entdeckt hat. Die Entdeckung des Seienden gehört dem Dasein, weil Dasein vom Seinsverständnis ausgemacht ist. Die Bidimensionalität des Da des Daseins wird vom Außer-sich der Zeit ausgemacht. Sie konstituiert so von Hause aus jedes Verhältnis des Daseins zum Seienden. Die ontologische Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses ist die Zeitlichkeit selbst. Aus ihr muss daher dasjenige herauszuholen sein, von wo aus wir dergleichen wie Sein verstehen. Die Zeitlichkeit übernimmt die Ermöglichung des Seinsverständnisses und damit die Ermöglichung der thematischen Auslegung des Seins und seiner Artikulation und vielfältigen Weisen, d. h. die Ermöglichung der Ontologie.121
Wenn die Zeitlichkeit als die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses und der Ontologie thematisiert wird, so Heidegger, muss sie als Temporalität bezeichnet werden. Die hermeneutisch phänomenologische Betrachtung der Zeit als Horizont des Verstehens von Sein und deswegen des Verhältnisses des Daseins zum Seienden ist aber daher immer zugleich eine solche der Ermöglichung solchen Verständnisses. Das bedeutet, dass die Temporalität ausdrückt, wie die Zeit als Horizont des Seinsverständnisses aus der Zeitlichkeit entspringt. So ist jede Thematisierung der Zeitlichkeit eine der Temporalität, weil solche ein bidimensionales Phänomen ist.
118 119 120 121
186
de im bidimensionalen Außer-sich des Daseins ein und dasselbe. Eine hierarchische Trennung von ihnen ist in diesem Sinne nicht möglich, sondern es ist nur in ihnen, einen Fundierungszusammenhang zu identifizieren. (Vgl. Friedrich-Wilhelm von Herrmann, »Wahrheit – Zeit – Raum«, in Die Frage nach der Wahrheit, hg. von Ewald Richter (Frankfurt am Main: Klostermann, 1997), 248.) Heidegger, Sein und Zeit, 328. Heidegger, Grundprobleme, 22. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 165. Heidegger, Grundprobleme, 323.
Heidegger führt seine Forschung mit der Überzeugung durch, dass »das, von wo aus Dasein überhaupt so etwas wie Sein unausdrücklich versteht und auslegt, die Zeit ist«.122 Die Zeit entfaltet sich als Horizont des Seinsverständnisses, indem sie die Transzendenz des Daseins bildet. Die Zeit ist der Horizont der Zeitlichkeit, so wie das Sein der Horizont des Seinsverständnisses ist. Das Dasein kann sich als Entfaltung eines Horizonts nur aus solchem bestimmten Horizont verstehen, deshalb ist die Zeit der Horizont des Verstehens von Sein und die Antwort auf die Seinsfrage, weil nur aus solcher Zeit das Seinsverständnis sich als Verstehen des Seins des Seienden verstehen lässt.
§ 22. Im Da des Daseins enthüllt sich das Sein des Seienden als Zeit Wenn die Zeit ein Horizont ist, dann soll ihre Struktur selbstverständlich in der horizontalen Dimension der Erschlossenheit gesucht werden. Infolgedessen muss die Analyse der Welt insbesondere hermeneutisch phänomenologisch wiederholt werden, weil die Welt die horizontale Dimension des Seinsverständnisses ist und die Daseinsanalytik die Interpretation des Seins überhaupt aus dem Horizont der Zeit bezweckt. Der Zweck der Daseinsanalytik ist also – in anderen Worten – die Beschreibung der zeithaften Entstehung der Welt. Das bedeutet, dass der Anfang von Sein und Zeit schon sein Ende ist und dass alle anderen Abschnitte methodische Übergänge bzw. vorläufige Vorbereitungen für die Wiederholung der Weltanalyse aus der neugewonnenen Perspektive der Zeitlichkeit des Daseins darstellen; eben darum geht es im hermeneutischen Kreis, über den sich Heidegger sehr bewusst war. Dass die Analytik als ›vorläufig‹ charakterisiert wird, bedeutet aber nicht, dass sie überflüssig oder unwichtig ist, sondern dass sie wiederholungsbedürftig ist. Wenn ein Paragraf hermeneutisch phänomenologisch wiederholt werden muss, bedeutet das also nicht, dass dieser Paragraf versäumt werden darf. Das jetzt analysierte Phänomen ist nicht anders als jenes, das schon in der vorliegenden Arbeit beschrieben worden ist, aber die Radikalität der Untersuchung wird im Folgenden »tiefer«. Was sich meldet in dem, was sich zeigt, wird jetzt ausdrücklicher, bestimmter und ursprünglicher ausgewiesen. Deswegen wird anhand der Auslegung der Bidimensionalität des Da auch eine neue Klarheit auf die Auslegung der Welt geworfen. Die Welt wird nicht von einer ontischen Begrifflichkeit bestimmt und darf auch nicht so bestimmt werden, weil die Welt kein Seiendes ist, sondern Sein! Die Welt ist nicht das Wo der Präsenz des Seienden, sondern solche Präsenz selbst. Deswegen begegnet Seiendes mit der Erschlossenheit des Daseins, deswegen ist jede Erschlossenheit eine Entdeckung und deswegen ist die Bidimensionalität des Da einheitlich und deswegen ist das Dasein kein Subjekt, weil das Begegnen des Seienden zur Seinsverfas122
Heidegger, Sein und Zeit, 17.
187
sung des Daseins gehört, d. h., weil die Entdeckung des Seienden »nicht im Belieben des Daseins« steht.123 Das Dasein ist kein Subjekt, sondern eine Welt. Das ist der echte Sinn des Außer-sich der Zeit. Sofern die Daseinsstrukturen als Modi der Zeitlichkeit interpretiert werden, kann die Seinsfrage auf einem neuen Boden gestellt werden, d. h., kann sie phänomenologisch wiederholt werden. Die ekstatische Einheit von Zukunft, Gewesenheit und Gegenwart bildet die horizontale Einheit ihrer Schemata, was »den ursprünglichen Zusammenhang der Um-zu-Bezüge mit dem Um-willen« ermöglicht.124 Zeit und Welt gehören also absolut zusammen. In dieser Zusammengehörigkeit offenbart sich der horizontale Moment der Erschlossenheit. Das Dasein, das ontologisch-existenzial sein Da ist, ist niemals ein isoliertes Seiendes, sondern es ist immer außerhalb seiner selbst bei und mit dem anderen Seienden, d. h., es vollzieht sein Sein in seiner Welt bzw. vollzieht sein Verstehen als eine Welt. Der Grund dieses Vollzugs ist die ekstatische Zeit, die »das Da ursprünglich [lichtet]«.125 Die Konstitution dieses zeitlichen Da ist die Entstehung des Horizonts der Verweisungsganzheit bzw. der bedeutsamen Welt. In Worten von Heidegger: »Die Welt ist weder vorhanden noch zuhanden, sondern zeitigt sich in der Zeitlichkeit. Sie ›ist‹ mit dem Außer-sich der Ekstasen ›da‹. Wenn kein Dasein existiert, ist auch keine Welt ›da‹.«126 Das echte Problem der Fundamentalontologie lautet also: »Die existenzialzeitliche Bedingung der Möglichkeit der Welt liegt darin, daß die Zeitlichkeit als ekstatische Einheit so etwas wie einen Horizont hat.«127 Die Welt ist der Horizont der ekstatischen Zeitlichkeit, die als einheitliche Ganzheit sich horizontal entfaltet. Das Dasein ist existierend seine Welt, d. h., das Dasein hat jeweilig eine Welt. Die Welt gehört zur Zeitlichkeit, deswegen wird das Begegnen innerhalb einer Welt – die Innerweltlichkeit – als Innerzeitigkeit verstanden. Die Innerzeitigkeit heißt die »Zeitbestimmtheit des innerweltlichen Seienden«, d. h. die Weise, in der »das innerweltliche Seiende ›in der Zeit seiend‹ zugänglich« ist.128 Die Inn-
123 124 125 126 127
128
188
Heidegger, 366. Heidegger, 365. Heidegger, 351. Heidegger, 365. Heidegger, 365. Um diese Behauptung richtig zu verstehen, sind noch einige Erläuterungen notwendig. Erstens entspricht eine »existenzial-zeitliche Bedingung der Möglichkeit« einer existenzial-ontologischen im Sinne von einer existenzial-vorontologischen, d. h. diese Formel deutet auf eine solche Bedingung, die zum Seinsverständnis gehört, hin. Es heißt, dass auf eine solche Bedingung der Möglichkeit gedeutet wird, die zur Seinsverfassung des Daseins als Erschlossenheit gehört. Zweitens ist der Ausdruck »existenzialzeitlich« eine Unterscheidung, um anzuzeigen, auf welcher Stufe sich die Untersuchung jetzt befindet. In diesem Moment wird die Analytik anhand der Zeitlichkeit des Daseins interpretiert, deswegen ist es jetzt als »zeitliches« charakterisiert, was früher in der Untersuchung als »ontologisches« begriffen wurde. Eine solche Entwicklung stellt klar, dass es in ihr um die hermeneutisch phänomenologische Wiederholung geht. Heidegger, 333.
erzeitigkeit ist also die Weise, in der das Seiende primär begegnet und auf welche der traditionelle Begriff der Zeit gründet. Die Innerzeitigkeit bedeutet die Präsenz des Seienden bzw. die primäre durch die Zeitlichkeit des Daseins ermöglichte Präsenz. Solche zur daseinsmäßigen Transzendenz gehörige Präsenz wird durch die existenziale Analytik des Daseins als Zeit interpretiert. In anderen Worten: Die Zeit wird bestimmt als das, was sich in der Transzendenz meldet, in dem sie ermöglicht. In der Fundamentalontologie geht es also darum zu zeigen, wie die Innerzeitigkeit aus der Zeitlichkeit entsteht, d. h., wie die gegliederte Bewandtnisganzheit aus dem geworfenen Entwurf entspringt. Das Verstehen einer Bewandtnisganzheit, das im umsichtigen Besorgen erschlossen wird, »gründet in einem vorgängigen Verstehen der Bezüge des Um-zu, Wozu, Dazu, Um-willen«.129 Der Entwurf einer Bewandtnisganzheit, deren Einheit als Sinn bestimmt wurde, gründet auf dem Entwurf des Daseins selbst, in dem das Dasein sich bedeutsam erschließt.130 Solche zwei Dimensionen der Erschlossenheit, in denen das Dasein sich als Um-willen selbsthaft ekstatisch und als Bewandtnisganzheit horizontal erschließt, konstituieren die Welt. Heidegger expliziert diesen Zusammenhang mit den folgenden Worten: »Der ekstatische Charakter der Zeit ermöglicht den spezifischen Überschrittscharakter des Daseins, die Transzendenz und damit auch die Welt.«131 Die Zeit ist der Grund der Bidimensionalität und deshalb auch derjenige der ontologischen Differenz, aber die Zeit ist auch deswegen die Antwort auf die Seinsfrage, weil die Zeit in ihrer Transzendenz den Horizont der Welt konstituiert und so die Begegnung des Seienden ermöglicht, d. h., die Zeit ist der Grund des Verstehens vom Sein. Die gliedernde horizontale Entfaltung des menschlichen Verstehens ist der Horizont der Zeitlichkeit und konstituiert sich wesenhaft als Zeit. Solcher Horizont der Präsenz des Seienden ist also der Horizont des Seinsverständnisses. Die Zeit als Welt bzw. als Da ist das horizontale Schema der Zeitlichkeit. Die Zeit muss also fundamentalontologisch als Sinn bzw. Horizont verstanden werden. Die Untersuchung bezweckt die Aufweisung der ursprünglichen Seinsverfassung des Daseins, weil die hermeneutisch phänomenologische Reduktion den Blick auf die Seinsstrukturen und Bedingungen der Möglichkeit des Analysierten zurückführt. Demzufolge ist jedes ontologische Fragen »ein Fragen nach dem und ein Bestimmen des ›Apriori‹«.132 Wenn die Zeit der Horizont des Verstehens von Sein ist, dann liegt die Antwort auf die Seinsfrage an der Entstehung und Ermöglichung solches Horizonts. Wie das horizontale Schema der Gegenwart sich erschließt, ist für diese Untersuchung besonders interessant, weil die Formulierung, mit der Heidegger diese Struktur fixiert, sich zugleich als eine Umformulierung der Definition der 129 130 131 132
Heidegger, 364. Vgl. § 20. a. Der Sinn ist der Horizont der Rede Heidegger, Grundprobleme, 428. Heidegger, Anfangsgründe, 184.
189
Sorge zeigt: »Umwillen seiner existierend in der Überlassenheit an es selbst als geworfenes, ist das Dasein als Sein bei … zugleich gegenwärtigend«.133 Hierdurch ist verständlich, dass das »Als« in der Definition der Sorge die einheitliche Ganzheit ihres bidimensionalen Charakters bedeutet. So wird auch verständlich, was diese Untersuchung von Anfang an behauptet hat: Das Sein-bei ist der Horizont des In-Seins.134 Diese bidimensionale Einheit wird aber noch ausdrücklicher durch die Behauptung, dass das horizontale Schema der Gegenwart »durch das Um-zu« bestimmt wird,135 weil das Um-zu das Sein des zuhandenen Seienden ist. Das Um-zu des Zeugs lässt dieses Seiende inmitten einer Verweisungsganzheit etwas bedeuten bzw. sein. So beschreibt Heidegger die Weise, wie die Präsenz entsteht: Das faktische Dasein kommt vielmehr, ekstatisch sich und seine Welt in der Einheit des Da verstehend, aus diesen Horizont zurück auf das in ihnen begegnende Seiende. Das verstehende Zurückkommen auf … ist der existenziale Sinn des gegenwärtigenden Begegnenlassens von Seiendem, das deshalb innerweltliches genannt wird.136
Bild 1
Dieser Punkt der Analytik des Daseins ist derjenige, der dem Endzweck der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie am nächsten liegt, weil in ihm die Konstitution der Zeit als Horizont gezeigt wird, aus dem das Sein des Seienden verstanden wird bzw. auf den das Sein des Seienden entworfen wird, d. h. als Sinn von Sein.137 Zwar ist die Beschreibung solchen Übergangs von der Zeitlichkeit zur Zeit in Sein und Zeit unvollständig geblieben, solcher wird aber von Heidegger in den nach Sein und Zeit gehaltenen Vorlesungen beschrieben und hat die Struktur, die auf Bild 1 zu sehen ist:138 Sich-vorweg erschließt das Dasein seine Möglichkeiten in die Zukunft; die Zukunft erschließt sich als Möglichkeit des Handelns, also des Seins-zu als Gegenwärtigen; das Gegenwärtigen lässt eine Gegenwart entstehen, in der Seiendes begegnen kann, zu dem Dasein 133 134 135 136 137 138
190
Heidegger, Sein und Zeit, 365. Vgl. S. 100. Heidegger, Sein und Zeit, 365. Heidegger, 366. Vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 30. Das originale Bild, das ich hier abbilde, wurde von Heidegger selbst gezeichnet (Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 266.).
schon ist. Heidegger fasst so seine These zusammen: »diese Gewesenheit zeitigt sich nur aus und in der Zukunft«.139 Das bedeutet, dass die Faktizität des Daseins aus dem Entwurf entsteht, welcher in seinem Horizont sozusagen »widergespiegelt« wird. Solche Widerspiegelung, aus der die Faktizität entsteht, ist die Gegenwart als Horizont Präsenz des Seienden, welcher im Bild durch das Fragezeichen gezeigt wird. In Worten von Heidegger: »[E]rst in der ekstatischen Einheit von Zukunft und Gewesenheit zeitigt sich das Gegenwärtigen.«140 Die Zeitlichkeit ist die Grundstruktur des Seinsverständnisses, deswegen ist jetzt aus diesem Widerspiegelungsmodell verständlich, wie und warum das Dasein sich immer aus den Sachen her versteht. Das Dasein erschließt den Horizont der Welt aus seinem Entwurf – deswegen ist er vorrangig, weil er der Ursprung ist –; aus solchem Horizont her versteht sich das Dasein als schon gewesen. Diese schon bekannte Struktur der Uneigentlichkeit ist aber die Struktur der Zeit als Einheit der Ekstasen der Transzendenz. Es handelt sich hierbei um ein sehr gutes Beispiel der phänomenologischen Wiederholung. Der Horizont, der aus dem Entwurf erschlossen wird und der sich als Umgebung der Faktizität konstituiert, ist der Horizont der Bedeutungen bzw. des Sinnes. Solches Schema erklärt, wie das Dasein als Bedeuten (Rede) sich als bedeutsame (sinnvolle) Welt konstituiert. Solche Ganzheit der Bedeutungen des Um-zu macht die Weltlichkeit der Welt als Bedeutsamkeit aus. Wenn das Um-zu das horizontale Schema der Gegenwart ist, dann bedeutet das, in anderen Worten, dass das Sein des Seienden ein horizontales Schema der ekstatischen Erschlossenheit des Daseins ist. In Heideggers Worten: »Sein – nicht Seiendes – ›gibt es‹ nur, sofern Wahrheit ist. Und sie ist nur, sofern und solange Dasein ist. Sein und Wahrheit ›sind‹ gleichursprünglich.«141 Die redemäßige Erschlossenheit ist eine Sinnengabe, die als Freigabe des Seienden fungiert, welche das Handeln erst ermöglicht. Das Besorgen als Bewendenlassen ist je ein Entdecken. Solches Entdecken bedeutet, das Seiende auf dessen Sein freizugeben, damit es sich zeigen kann.142 Der Umgang, der von der Freigabe des innerweltlichen Seienden ermöglicht wird, offenbart, dass die Transzendenz des Seinsverständnisses nicht nur eine Sinnengabe ist, die dem Seienden eine gewisse Bedeutung und der Welt eine gewisse Bewandtnis und Bedeutsamkeit gibt, sondern auch Seiendes durch Seinsverständnis je nach einer gewissen Seinsart vorkommen lässt. Wenn das Verständnis die Helle der Präsenz besagt, dann bedeutet das Verstehen, ein gewisses etwas aus der »Finsternis« freizugeben.143 Deshalb ist das Bewendenlassen als ein so und so Seinlassen zu verstehen, weil der ekstatische Charakter des Daseins den Horizont der Präsenz erzeugt. Das bedeutet, dass die Sinnengabe der 139 140 141 142 143
Heidegger, 266. Heidegger, 267. Heidegger, Sein und Zeit, 230. Vgl. von Herrmann, Subjekt und Dasein, 57. Vgl. Haugeland, »Letting Be«, 98.
191
Erschlossenheit je zugleich als eine Seinsgabe geschieht. Das zeigt, dass das Transzendenzproblem unmittelbar »mit dem Problem des Seins überhaupt« zusammenhängt.144 Wenn die Untersuchung den Sinn von Sein überhaupt bezweckt, ist also der Grund solcher Gabe des Seins die Antwort auf die Seinsfrage. Das Seinsverständnis, das wesenhaft dem Dasein gehört, ist das Gegenwärtigen, das jeweils eine Gegenwart stiftet. Diese vom In-Sein erschlossene Gegenwart macht die Präsenz des Seienden aus. Das Seiende kommt in solcher Gegenwart vor, d. h., wird in dieser Gegenwart als Seiendes verstanden, was bedeutet, dass aus dieser Gegenwart das Sein des Seienden dem Dasein zugänglich wird. Die Zeit ist also das, von wo aus das Sein verstanden wird, d. h., woher das Zur-Präsenz-Kommen ermöglicht wird. Das bedeutet, dass die verschiedenen Horizonte, in denen die Präsenz gegeben ist, verschiedenen Zeitmodi entsprechen, die ihren Ursprung in verschiedenen Zeitlichkeiten haben.145 Wenn behauptet wird, dass es verschiedene Seinsmodi gibt, aber dass das Sein nur einen Sinn hat, dann wird die Einheit der verschiedenen Modi des durch die Zeit ermöglichten Seinsverständnisses in einer einzigen dem Menschen eigentümlichen Zeitlichkeit gesucht. Die Zeitlichkeit modifiziert ihr Verständnis, indem sie sich modifiziert. Demzufolge lässt die Zeitlichkeit Seiendes auch auf andere Weise zur Präsenz kommen, d. h. in einem anderen Horizont bzw. mit einer anderen Zeit, weil solches Sein seinen Grund in einem anderen Seienden hat, welches solches Seiende in seinem Vernehmen als etwas bestimmt. Solches vernehmende Seiende, Grund des Seins, sind wir. Das Seiende wird nur in mir von mir als etwas bestimmt, da ich sein Sein bzw. seine Bestimmtheit bin.146 Zuhandenheit des Zuhandenen, das Sein dieses Seienden, wird als Praesenz verstanden, welche Praesenz als unbegrifflich verständliche schon enthüllt ist im Selbstentwurf der Zeitlichkeit, durch deren Zeitigung so etwas möglich wird wie der existierende Umgang mit Zuhandenem und Vorhandenem.147
Sowohl Zuhandenheit als auch Vorhandenheit sind demzufolge durch Dasein erschlossene Horizonte148 und deswegen kann dasselbe Seiende einmal einen und ein andermal einen anderen Horizont haben. Solches Phänomen ermöglicht die anscheinend problematische immaterielle Änderung des Seienden.149 Heidegger erklärt diesen Zusammenhang so: »Im Entwerfen des Verstehens ist Seiendes in seiner Möglichkeit erschlossen. Der Möglichkeitscharakter entspricht jeweils der Seinsart des verstandenen Seienden.«150 Dem Seienden wird einmal eine Seinsart und ein andermal eine andere gegeben, weil das Dasein 144 145 146 147 148 149 150
192
Heidegger, Anfangsgründe, 170. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, Abs. 68. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 416 f. Vgl. Heidegger, Kantbuch, 222 f. Heidegger, Grundprobleme, 438 f. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 364.; Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 190 f. Vgl. S. 118. Heidegger, Sein und Zeit, 151.
das ist, was das Sein gibt, weil Dasein vom Seinsverständnis ausgemacht ist und dieses als die gliedernde selbsthaft-ekstatisch-horizontale Erschlossenheit der zeitlich-zeitigenden Transzendenz verstanden wird. Die Welt als zeitliches Da des Daseins ist so »die Möglichkeit von Zuhandenem überhaupt«.151 Das Sein hat also einen Wahrheitscharakter, weil es Präsenz überhaupt bedeutet und aus solcher Präsenz – und nur aus ihr – Seiendes sein kann, was es ist.152 Demzufolge bedeutet »Sein des Seienden« in der Fundamentalontologie eine je bestimmte Konkretion des Sinnes,153 der sich redemäßig durch die zeitigende Zeitlichkeit des Daseins in ihrer Transzendenz erschließt. Der Sinn des Seins bedeutet der Horizont des Seins, d. h. der Horizont Sein. Das Sein ist ein Horizont, es ist der Horizont überhaupt. Verständnis und Zeitlichkeit sind verschiedene Begriffe, um dasselbe zu nennen, indem jeweilig verschiedene Aspekte desselben Phänomens hervorgehoben werden. Was hierdurch zu zeigen versucht wird, ist eine lebendige bzw. zeitliche, sinngebende bzw. verstehende Transzendenz. Jetzt ist verständlich, dass der Satz »das Sein ist nur im Seinsverständnis möglich« wirklich bedeutet, dass das Sein nur als Verständnis möglich ist. Die Zeitlichkeit ist das Sein in der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie.154 Oder besser gesagt: Sein ist der Horizont überhaupt der Ekstase überhaupt, die die Zeitlichkeit ist. Seinsverständnis bedeutet also Entwurf des Seins. Das Sein ist die horizontale Dimension des Verständnisses schlechthin der Zeitlichkeit, was in die Behauptung führt: Sein ist Verständnis bzw. Zeit. Die Zeit ist der Sinn von Sein, weil das Sein der Präsenzcharakter des durch die Zeitlichkeit erschlossenen Horizonts ist. Die Zeitlichkeit als Ekstase erschließt einen Horizont, in dem alles verständlich wird, d. h., in dem alles begegnen kann. Dieser Horizont ist die Zeit und solche Präsenz ist das Sein. Um festzuhalten: Durch die hermeneutisch phänomenologische Destruktion der Daseinsanalytik hat sich herausgestellt, dass die Existenz – das Sein des Daseins – durch und durch vom Möglichsein ausgemacht ist. Solche Möglichkeit wurde in seiner Zweideutigkeit als Fähigkeit und Bedeutung bestimmt. Ausgehend vom Sich-Zeigen solcher Spaltung führt dann die Untersuchung den Blick zurück auf das, was sich in ihr meldet. Durch den Weg der Möglichkeit 151 152
153
154
Heidegger, 187. Eine Verteidigung dieser Stellungnahme vor der pragmatistischen Deutung: Marylou Sena, »The Phenomenal Basis of Entities and the Manifestation of Bieng According to Sections 15-17 of Bieng and Time: On the Pragmatist Misunderstanding«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 11 (1995): 11-32. Was hier »Konkretion des Sinnes« genannt wird, wurde schon »kategoriale Artikulation als solche« genannt (Bernardo Ainbinder, »Introducción. De la filosofía trascendental a la ontología fundamental«, hg. von Bernardo Ainbinder, Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 17.). Obwohl die Bedeutung von beiden Ausdrücken fast gleich ist, ist die hier angewandte Begrifflichkeit auf jeden Fall angemessener, weil sie keinen Begriff gebraucht, der auf Aristoteles oder Kant hinweist, obwohl hier gut zu verstehen ist, dass »kategorial« für Heidegger eine bestimmte Bedeutung hat, die mit der horizontalen Konstitution des Seins des Seienden zu tun hat. Vgl. Trawny, Martin Heidegger, 73.
193
als Bedeutung hat sich letztendlich gezeigt, dass die Zeit der Grund solches Begriffs der Möglichkeit ist. Die Zeit ist ein gewisses Verständnis, eine Erschlossenheit bzw. Transzendenz, die sich horizontal bzw. sinnhaft als das Sein des Seienden entfaltet. Demzufolge gehören die Zuhandenheit und die Vorhandenheit (das Sein des Seienden) zum Zuhandenen und Vorhandenen (zum Seienden), nur weil solche vom Dasein dem Seienden als Sinn bzw. Sein gegeben werden. Das sinnvolle Verstehen der Welt, das zeitlich ermöglicht wird, bedeutet letztendlich ein daseinsmäßige Seinlassen des innerweltlichen Seienden.
194
Kapitel VIII: Die Endlichkeit des Daseins Die Natur der menschlichen Wahrnehmung besteht darin, dass der Mensch das Objekt seiner Wahrnehmung durch seine solche Wahrnehmung nicht kreiert. Die Wahrnehmung des Menschen gründet auf der Transzendenz, die das Sein des Menschen bzw. das Dasein konstituiert. Der Grund dieser Transzendenz ist die Zeitlichkeit, die den Horizont der Zeit stiftet. Das Sein, das sich in der endlichen Zeitlichkeit des Daseins erschließt, enthüllt sich deswegen auch als endliches. Also gründet die Endlichkeit der Wahrnehmung auf der Endlichkeit der Zeitlichkeit, die sie ermöglicht. Die Ekstasen der Zeitlichkeit enthüllen sich demzufolge als Modi der Endlichkeit des Daseins. Diese Endlichkeit der Zeitlichkeit, welche das Sein des Seienden konstituiert, wird durch eine hermeneutisch phänomenologische Reduktion interpretiert, weil der Grund der Endlichkeit solches Horizonts sich nicht unter demselben Horizont verstehen lässt. Also lässt sich das Geschehen des Verständnisses nicht unter dem horizontal entworfenen Sein verstehen. Ausgehend davon interpretiert diese Untersuchung die Zeitigung der Zeitlichkeit als eine andere Bedeutung von Sein. Die Zeitlichkeit ist endlich, weil ihre Zeitigung endlich ist. Die Zeit lässt sich durch die Bestimmung der Möglichkeit als Bedeutung verstehen, die Zeitigung dagegen wird hermeneutisch phänomenologisch durch den Begriff der Möglichkeit als Fähigkeit bestimmt. Warum ist es nötig, die Eigentlichkeit des Daseins zu thematisieren, und warum führt diese Thematisierung zu seiner Endlichkeit? Weil die Eigentlichkeit nicht moralisch, sondern ontologisch zu verstehen ist, das heißt, dass sie eine Modalität ausdrückt, in der gewisse Grundcharaktere des Daseins sich klarer in ihrer ontologischen Struktur beobachten lassen. Solche Charaktere zeigen, dass das Dasein einzeln ist – was nicht bedeutet, dass es ein isoliertes Subjekt sei – und dass seine Verbindung mit den Sachen von solcher konstituierenden Einzelheit abhängt. Das Dasein ist seinem Wesen nach anders als das Subjekt, aber nicht deswegen ist das Dasein kein Selbst. Solches Selbst versteht sich aus dem Horizont, der es selber ist, und trotzdem bleibt es einzeln. Das Dasein ist bei den Sachen, nicht die Sachen, sowie es mit den Anderen, nicht die Anderen, ist. Der methodische Schritt über die Endlichkeit des Daseins könnte künstlich scheinen. Er lässt sich aber durch einen Anspruch an der Bestimmung des Daseins als Grund erklären. Wenn die Untersuchung der Seinsfrage diese bis zur letzten Radikalität verfolgen will, dann muss sie notwendigerweise eine hermeneutisch phänomenologische Analyse der Endlichkeit des Daseins durchführen (§ 23. Notwendige Bestimmung der Endlichkeit des Daseins hinsichtlich der Radikalisierung der Seinsfrage). Das Dasein als Grund muss einzeln sein, obwohl die Erschlossenheit das Dasein immer mit anderen mitkonstituierenden
195
daseinsmäßigen Seienden in Verbindung setzt. Der Grund des Seinsverständnisses ist die Zeitlichkeit und diese ist der Charakter der Bewegtheit eines Daseins. Das Dasein ist immer horizontal mit Anderen, aber selbsthaft ekstatisch einzeln. Die Zeitigung der Zeitlichkeit geschieht in jedem Dasein, deswegen muss ihre Charakteristik durch einen vorherigen Schritt gekennzeichnet sein, der das Dasein als endlich und vereinzelt bestimmt (§ 24. Radikalisierung der Daseinsanalyse durch den Weg der Endlichkeit des Daseins). Eine solche Bestimmung geschieht durch die Feststellung der Endlichkeit der schon analysierten Existenzialien. Zuerst werden die sogenannten Grundexistenzialien des Verstehens und der Befindlichkeit hinsichtlich ihrer Endlichkeit bestimmt (§ 24. a. Sich-ängstigendes Sein-zum-Tode ist endlicher geworfener Entwurf), damit anschließend das Existenzial der Rede, das schon als artikulierendes Wesen der Erschlossenheit begriffen wurde, in seiner Endlichkeit festgestellt wird (§ 24. b. Schuldiges Gewissen ist endliche Rede. Die Eröffnung des Weges zum Grundsein des Daseins). Solche vorherigen Analysen eröffnen die Möglichkeit der Bestimmung des Seins des Daseins als Grund. Solche Bestimmung lässt verstehen, dass das Dasein in einem neuen Sinne ist, welcher nicht durch die Entfaltung der Bedeutungen zu entdecken ist, sondern durch die Fähigkeit dazu (§ 25. Im Endlichsein des Daseins meldet sich das Sein des Daseins als Zeitigung). So stellt dieses Kapitel eine weitere Antwort auf die Seinsfrage dar – diesmal durch den Weg des Möglichseins des Daseins als Fähigkeit.
§ 23. Notwendige Bestimmung der Endlichkeit des Daseins hinsichtlich der Radikalisierung der Seinsfrage Die Absicht von Heidegger bei der Fundamentalontologie ist die Grundlegung der metafisica generalis auf eine metafisica specialis. Dies ist nur möglich, wenn alle Bestimmungen des Seins des Seienden – worauf diese metafisica generalis gründen muss – streng genug erklärt und methodisch kohärent gewonnen werden, damit die Ergebnisse der Untersuchung an der Seinsverfassung solches Seienden angemessen sind. Der Punkt ist: Die Seinsweise, in der das Dasein sich zum Seienden verhält, wird von seiner Endlichkeit bestimmt. Wir erkennen Seiendes, das anders als wir selbst ist, Seiendes, das bei unserem Erkennen von unserem Erkennen nicht geschaffen wird. Deswegen ist es wichtig, dass die Endlichkeit des Daseins aus der Analyse nicht ausfällt. Es lässt sich nicht streiten, dass der Begriff der Endlichkeit eine grundsätzliche Rolle in der Daseinsanalytik spielt. Die Heidegger’sche Bestimmung der Endlichkeit basiert aber teilweise unkritisch auf der Annahme der Kritik der reinen Vernunft, welche seinerseits auf den mittelalterlichen Erläuterungen des ens creatum gründet. So zeigt sich solche Ausarbeitung des Begriffs der Endlichkeit teilweise phänomenologisch, sofern sie sich mit der Bestimmung des Daseins als Ganzes in Sein und Zeit beschäftigt – welche die einzige systematisch herme196
neutisch phänomenologische Analyse dieses Phänomens in der Fundamentalontologie darstellt – und teilweise nicht phänomenologisch, sofern die Endlichkeit als ein Ansatz bzw. Dogma in den Analysen der traditionellen Philosophie erscheint. Das ließe vermuten, dass die Endlichkeit und ihre Bestimmungen Annahmen von metaphysischen Vorurteilen sind. Deswegen muss diese Untersuchung gegenüber solchem Vorgehen konsequent kritisch sein. Die Kritik aber sollte nicht in einer bloßen Negation der Heidegger’schen Analyse der Endlichkeit bestehen, sondern in einer phänomenologischen Wiederholung, welche diese Forderung an Radikalität so erfüllen kann, dass sich zeigen kann, was sich in diesen nicht radikalen und dogmatischen Analysen meldet. Die hermeneutisch phänomenologische Methode bezweckt ständig, einen Zugang zum Sein als Grund zu eröffnen. Der Zweck dieser Untersuchung besteht demzufolge darin, dasjenige, was sich meldet in dem, was sich zeigt, sich zeigen zu lassen.1 Die hermeneutisch phänomenologische Forschung führt ihren Blick auf »etwas« zurück, was sich nur durch eine Meldung zeigt, »etwas«, dessen Gegebenheit nur im Sich-Zeigen von etwas Anderen zu erfahren ist, »etwas«, das in seiner Meldung mitteilt, der Grund solches Sich-Zeigens bzw. die Struktur seiner eigenen Ermöglichung zu sein. Und nur sofern die Untersuchung solches etwas so betrachtet und bestimmt hat, lässt sie es sich aus ihm selbst zeigen, und zwar so, wie es ist. Diese Phänomene, die sich als Grund und Ermöglichung des Sich-Zeigens melden, sind die Struktur der Phänomenalität jedes Phänomens selbst. Das Dasein könnte nie ein Objekt als ein Objekt erkennen, wenn das Sein solchen Objekts im Verstehen des Daseins nicht vorerschlossen wäre. Diese vorgängige Erschlossenheit des Daseins, die das Objekt zugänglich macht, erlaubt dem Dasein Seiendes zu erreichen und es als das zu konstituieren, was solches Dasein selbst nicht ist. In der philosophischen und theologischen Tradition wurde gelehrt, dass das vorkommende Seiende – das Ding – oder das Seiende, das in dieser »Welt« nicht ist – Gott –, transzendent ist. Heidegger äußert sein Verständnis der Tradition mit diesen Worten: »das Transzendente seien die Dinge, die Gegenstände«.2 So könnte verstanden werden, dass Gott oder ein gewisses Jenseits ›transzendent‹ sind, obwohl solche Objekte in sich selbst bleiben und sich selbst nicht überschreiten. Diese Seienden erscheinen dem Menschen als immer über ihn selbst hinaus. Etwas kann aber als transzendent erscheinen nur für ein Seiendes, das über sich hinaus ein gewisses Etwas erreichen kann, um es als ›transzendent‹ zu bestimmen. In diesem Fall ist das, was wirklich transzendiert bzw. was eigentlich transzendent ist, das Dasein und nicht die Dinge.3 Nur einem Transzendierenden kann etwas als transzendent erscheinen. Solches Phänomen der Transzendenz wurde schon von dieser Untersuchung hermeneutisch phä1 2 3
Vgl. S. 37. Heidegger, Grundprobleme, 230. Vgl. Heidegger, 230.
197
nomenologisch thematisiert und erarbeitet, deren Grundstruktur der Zeit als Sinn von Sein und deswegen als Antwort auf die Seinsfrage bestimmt wurde.4 In einer hermeneutisch phänomenologischen bzw. fundamentalontologischen Untersuchung geht es um die Auslegung des Seins aus seinem wesenhaften Horizont. Im vorliegenden Kapitel wurde das Sein des Seienden aus dem Horizont der Zeit ausgelegt und begrifflich bestimmt.5 Solcher Horizont schwebt aber nicht im Nichts, ist aber auch kein Ding, das sich auf die anderen Dinge so legt wie ein Schleier. Der Horizont Zeit ist vielmehr die gliedernde Entfaltung des Entwurfs eines Seienden, das so geschieht. So führt die Radikalisierung der Analyse des Seins des Seienden als Zeit zu der Thematisierung des wesenhaften Charakters des Seins des Daseins, das solche zeitliche Entfaltung ermöglicht. Das Sein des Seienden entsteht also aus der Transzendenz des Daseins, welche von der Zeitigung der Zeitlichkeit ausgemacht ist, welche sich wesenhaft als endlich charakterisieren lässt. Dies führt letztendlich zu der phänomenologischen Thematisierung der Endlichkeit als Konstituens der Existenz selbst. In Sein und Zeit gibt es aber keine explizite Untersuchung der Endlichkeit, sondern nur der Ganzheit. Warum ist es dann wichtig, eine Analyse der Ganzheit des Daseins zu leisten? Was hat die Analyse der Ganzheit mit einer Bestimmung der Endlichkeit zu tun? Die Analyse der Ganzheit des Daseins ist im Kontext der Fundamentalontologie wichtig, weil durch die Bestimmung solcher Ganzheit der endliche Charakter des menschlichen Daseins entdeckt wird, welches das vorrangige Seiende der Analytik ist. Die Ganzheit führt zur Endlichkeit, weil nur das, was endlich ist, als ein Ganzes betrachtet werden kann. Die Bestimmung der Endlichkeit des Daseins ist so für die hermeneutisch phänomenologische Untersuchung von großer Bedeutung, weil durch solche Bestimmung die Charakteristik und Aufweisung der Totalität bzw. Ganzheit des Daseins erreicht wird,6 aus welcher das Sein des Seienden als Zeit entfaltet wird. In diesem Sinne besteht die jetzige Aufgabe dieser Untersuchung darin, den »Wesenszusammenhang zwischen dem Sein als solchem (nicht dem Seienden) und der Endlichkeit im Menschen« ans Licht zu heben.7 Die phänomenologische Bestimmung der Endlichkeit ist keine Bezeugung des Charakters der Mangelhaftigkeit oder der Unvollkommenheit in der menschlichen Existenz, sondern umgekehrt, die positive Bestimmung der Endlichkeit eines Wesens ist zugleich der Ausdruck seiner Ganzheit. Solche hermeneutisch phänomenologische Bestimmung bezweckt demzufolge nicht, das Nicht-Können des Daseins, weil es Endliches ist, zu bestimmen, sondern die ermöglichende Struktur solchen Könnens, weil es ein Ganzes ist, aufzuweisen. So 4 5 6 7
Vgl. § 21. Die Zeitlichkeit ist die Gründung des Da des Daseins und § 22. Im Da des Daseins enthüllt sich das Sein des Seienden als Zeit. Vgl. S. 193. Heidegger, »Vom Wesen des Grundes«, 152. Heidegger, Kantbuch, 221 f.
198
drückt die Endlichkeit die Bestimmung der wesenhaften Struktur bzw. Seinsverfassung der Transzendenz selbst aus. Die Aufgabe der Untersuchung besteht also jetzt darin, dass die Endlichkeit des Daseins hermeneutisch phänomenologisch ausgearbeitet wird, und zwar so, dass sie sich als ein echtes Phänomen zeigen kann. In anderen Worten: Das Phänomen (das, was sich meldet in dem, was sich zeigt) der Endlichkeit muss jetzt phänomenologisch (sich zeigen lassend) zum Vorschein gebracht werden.
§ 24. Radikalisierung der Daseinsanalyse durch den Weg der Endlichkeit des Daseins Wie schon erwähnt wurde, lautet die Vorgehensweise der folgenden Analyse so: Der Heidegger’sche Gebrauch des Begriffs Endlichkeit muss durch eine echte hermeneutisch phänomenologische Analyse der Endlichkeit als Charakter der Seinsverfassung des Daseins bestimmt werden. Um solchen Zweck erfüllen zu können, wird die Darstellung des Problems streng systematisch vorgehen und nicht historisch. Der Zweck dieses Kapitels besteht also darin, eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Endlichkeitsanalytik zu leisten und nicht einen Bericht über die verschiedenen Meinungen Heideggers über dieses Thema zu schreiben. Solche Meinungen werden auch auftauchen, aber nicht, um sie bloß mitzuteilen, sondern um einen Weg zeigen zu können, durch den die Untersuchung sich radikalisieren kann. Der Weg einer Radikalisierung der Untersuchung soll mit den oberflächlichsten, banalsten und dogmatischsten Behandlungen des Themas anfangen, damit dadurch das gesehen werden kann, was sich darin meldet. Besonders bestimmend in der Heidegger’schen Betrachtung der Endlichkeit sind die Erläuterungen Kants in der Kritik der reinen Vernunft, welche jetzt dargestellt werden. Die Endlichkeit als ein Grundcharakter des Daseins – so Heidegger nach Kant – »liegt keineswegs an der Unmöglichkeit einer vollkommenen Erkenntnis, sondern umgekehrt, ist diese Unvollkommenheit eine Folge der Endlichkeit des Wesens der menschlichen Existenz«.8 In der Analyse der Endlichkeit geht es also nicht um die Unfähigkeiten bzw. es geht nicht um einen epistemischen Mangel des Daseins,9 sondern um die wesenhafte Struktur der menschlichen Existenz selbst, welche sich in ihren Fähigkeiten zur Erkenntnis widerspiegelt. Nur für ein endliches Wesen gibt es Gegenstände, auf welche es sich richten kann, deren Sein die Gegenständlichkeit ist. Dies impliziert, dass solches endliche Wesen denken können muss. In anderen Worten: Das Ange8 9
Heidegger, 21. Vgl. Dieter Sturma, »›Kant und das Problem der Metaphysik‹. Die Endlichkeit menschlischer Erkenntnis«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 82.
199
schaute wird durch Trennung und Einigung solcher empfangenen Auskunft verstanden. Das Denken besteht im Verbinden, welches immer Verschiedenes ins Verhältnis setzt. In diesem Sinne kann das Denken nur endlich sein. Durch solche Endlichkeit wird aber nicht die Anzahl der möglichen Verbindungen gemeint, sondern der innerliche Charakter solchen Verbindens gegenüber seinem Verbundenen und der Verbundenen untereinander, anders zu sein. Was den Charakter des Andersseins besitzt, kann nur endlich ausgemacht sein. Deswegen ist Denken nur im menschlichen Dasein möglich, weil Dasein endlich ist und deswegen seine Anschauung auch nur endlich sein kann, welche als verbindungs- oder ordnungsbedürftig begriffen werden kann.10 Demzufolge bedeutet die Endlichkeit in diesem Kontext der menschlichen Erkenntnis die Bestimmungsbedürftigkeit der Anschauung durch das Denken.11 Solche endliche zu denkende Anschauung ist das, was der Mensch von Gott wesenhaft unterscheidet. Denken ist eine Aneignung der endlichen Anschauung, hingegen bedarf eine unendliche Anschauung keines Denkens: Gott denkt nicht. Das Verbinden des Denkens, welches in der Fundamentalontologie seinen Grund im Gliedern der Rede hat, wird also von der Endlichkeit ermöglicht. Infolgedessen werden beide Stämme der Erkenntnis bzw. Sinnlichkeit und Verstand als endlich bestimmt. Das menschliche Erkennen ist so ein Sichgebenlassen des Vorhandenen, welches nur auf der Basis der Transzendenz möglich ist. Die Transzendenz ist nur für ein endliches Seiendes möglich, welche Transzendenz nur zeitlich geschehen kann, wie diese Untersuchung schon festgestellt hat.12 Solche Untersuchungen haben die interessante Folge, dass die Zeit und die Endlichkeit in einem engen Zusammenhang stehen, welcher jetzt nur unvollkommen und unangemessen erahnt werden kann, der aber erst später in der vorliegenden Arbeit thematisiert wird, weil seine Thematisierung einer noch tieferen Vorbereitung bedarf. Solche hermeneutisch phänomenologische Konstruktion muss aber durchgeführt werden, weil sie die Vollendung dieser Untersuchung bedeutet. Trotzdem muss jetzt festgehalten werden: »Die Endlichkeit der menschlichen Erkenntnis liegt darin, daß die Subjektivität als solche zeitlich ist, ekstatisch.«13 Das bedeutet aber in anderen Worten, dass die Subjektivität als solche primär kein Subjekt, sondern ein Dasein ist, d. h. ein durch Existenz ausgemachtes Seiendes. Daraus entsteht das folgende Paradox: Ein Mensch kann sich als Subjekt erkennen, gerade weil er wesenhaft kein Subjekt ist. Als Dasein erkennt der Mensch durch Synthesis bzw. gliedernde Rede, indem sein Sein sich als ein ekstatischer Einheitshorizont entfaltet. Die Entfaltung solches Horizonts ist die Zeit. Dies wurde schon im vorherigen Kapitel erläutert. 10 11 12 13
Vgl. Heidegger, Kantbuch, 272. Vgl. Heidegger, 58. Vgl. S. 184. Martin Heidegger, Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl., Gesamtausgabe 25 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1987), 409 f.
200
Die menschliche Anschauung ist endlich, weil sie von dem Anschaubaren affiziert werden muss. Die Grundstrukturen solcher Affektion sind die apriorischen Formen der Anschauung (Raum und Zeit), welche wegen ihres apriorischen Charakters als Indizien der Endlichkeit der menschlichen Anschauung fungieren. 14 Solche Formen stellen dar, dass die Anschauung von Anfang an »gerüstet« sein muss, damit die Erfahrung geschehen kann. Die Endlichkeit der Anschauung liegt also in ihrer Rezeptivität.15 Die Anschauung ist endlich, weil sie ein gewisses Etwas »empfangen« muss, welches anders als die Anschauung selbst bzw. anders als das anschauende Seiende ist. Die endliche Erkenntnis offenbart so »das sich zeigende Seiende, d. h. Erscheinendes, Erscheinung«.16 Wenn es verstanden wird, dass die Anschauung reine Formen braucht, die als Strukturen jeder möglichen Erscheinung fungieren, dann muss auch verstanden werden, dass die Endlichkeit das Anschauen zum Hinnehmen bestimmt.17 Das Problem der Endlichkeit in diesem Sinne lautet: »Endlichkeit ist die notwendige Angewiesenheit auf Rezeptivität, d. h. die Unmöglichkeit, selbst der Urheber und Hersteller eines anderen Seienden zu sein.«18 Das Dasein muss etwas Anderes bzw. ein gewisses gegenüberliegendes Etwas zum Erkennen hinnehmen, weil das Dasein solches Seiende durch sein Erkennen nicht schaffen kann. Das Dasein als endliches ist aber nicht nur von einem Gegenüber bestimmt, sondern auch von Perspektive überhaupt. Das Dasein ist nicht nur anders als das Objekt seiner Erkenntnis, sondern das Dasein kann auch sein Objekt aus allen Seiten zugleich nicht kennen, weil seine Endlichkeit solches Objekt in einer Perspektive bzw. einem Augenpunkt beschränkt, welche, obwohl diese beweglich und veränderbar ist, eine bleibt. Das Dasein ist demzufolge endlich, indem es durch die Struktur der Perspektive, nämlich den Fluchtpunkt, ausgemacht ist. Diese Untersuchung hat diesen Zusammenhang schon früher erwähnt: Das Fundament der Unmöglichkeit des Daseins, sich aus dem Zentrum seiner Welt zu bewegen,19 liegt an seiner Endlichkeit, die zur Erschlossenheit gehört und auf seiner Zeitigung gründet. Das Können, Sollen und Dürfen der kantischen Hauptfragen sind für Heidegger auch Indexe der Endlichkeit und deswegen lassen sie sich auf eine vierte Frage zurückführen, welche nach dieser zugrunde liegenden Endlichkeit selbst fragt. Die Frage »Was ist der Mensch?« bedeutet so: »[W]orin liegt seine Endlichkeit, was ist diese Endlichkeit des Menschen selbst – als das Innerste sei-
14 15 16 17 18 19
Vgl. Heidegger, 155. Vgl. Heidegger, Kantbuch, 26. Heidegger, 31. Vgl. Heidegger, 190. Heidegger, Grundprobleme, 214. Vgl. S. 119.
201
nes Wesens? (Aber auch so noch unbestimmt. Woher fragen? Sein! Zeit!).«20 Das Dasein ist in jedem Erkennen des Seienden endlich und es ist nur im Verstehen des Seins als unendlich zu betrachten, und zwar in der Hinsicht, dass die Anzahl der möglichen Verbindungen des Denkens endlos ist. Zwar ist es so, aber jede Verbindung ist zugleich strukturell endlich. Heidegger erklärt diesen Zusammenhang mit den folgenden Worten: Sofern aber, wie Kant sagt, das ontologische Verständnis des Seins nur möglich ist in der inneren Erfahrung des Seienden, ist diese Unendlichkeit des Ontologischen wesensmäßig gebunden an die ontische Erfahrung, so daß man umgekehrt sagen muß: Diese Unendlichkeit, die in der Einbildungskraft herausbricht, ist gerade das schärfste Argument für die Endlichkeit. Denn Ontologie ist ein Index der Endlichkeit.21
Das Problem der Endlichkeit des Daseins ist grundlegend, weil solches mit seiner Transzendenz eng verbunden ist. Nur ein Seiendes, das endlich ist, kann als Transzendenz geschehen und derart ein Etwas sein lassen. Die Endlichkeit ist eine Bestimmung der Transzendenz, die sich in ihrer Struktur meldet. Heidegger bestimmt den Grund dieses Charakters so: »Die Endlichkeit der Sachen und Personen gründet in der Hergestelltheit der Dinge überhaupt. Das ens finitum ist solches, weil es ens creatum ist«.22 Seiendsein bedeutet demzufolge Hergestelltsein. Das Problem, das hier ungeachtet bleibt, besteht darin, dass die Endlichkeit nicht in der creatio gründen darf, sofern solche die Tätigkeit des unendlichen Seienden ist. Die Frage nach der Möglichkeit lässt sich so als eine Frage nach der Endlichkeit verstehen, weil nur bei einem endlichen Seienden solche Frage Sinn macht, da für das unendliche Seiende jede Möglichkeit schon Wirklichkeit ist. Das Können Gottes ist eine unmittelbare Verwirklichung des Gekonnten. Wenn aber das ens creatum, gerade weil creatum, deshalb finitum und anders als der creator ist, bedeutet es, dass der unendliche Urheber eine Grenze für ihn selbst kreiert hat und so seine eigene Unendlichkeit vernichtet hat. Aus dieser Betrachtung entsteht dann das folgende Prinzip: Ich bin endlich, also ist alles endlich. Demzufolge ist jetzt ganz klar, dass die Frage nach der Endlichkeit keine negative ist, die nach einem Mangel im Sein des Daseins fragt, denn durch eine negative Bestimmung der Endlichkeit bleibt nicht nur unbestimmt, worin diese Unendlichkeit besteht, sondern auch, wie solche Endlichkeit das Dasein als Seiendes durch und durch bestimmt.23 Solche Frage nach der Endlichkeit ist vielmehr eine positive, die nach der Bestimmung solchen Charakters sucht. In den Worten von Heidegger: »Wer […] so fragt: was
20
21 22 23
Martin Heidegger, Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart, hg. von Claudius Strube, Gesamtausgabe 28 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1997), 235. Heidegger, Kantbuch, 280. Heidegger, Grundprobleme, 215. Vgl. Heidegger, Kantbuch, 219.
202
kann ich?, bekundet damit eine Endlichkeit.«24 Der Möglichkeitscharakter des Daseins offenbart sich deswegen schon als eine Meldung des Phänomens der Endlichkeit »im Innersten seines Wesens«.25 Solcher Möglichkeitscharakter des Daseins wird in der Daseinsanalytik besonders durch zwei Begriffe ausgedrückt, nämlich Existenzialität und Faktizität. Die Existenzialität meint den Entwurf des Seinkönnens so, wie die Faktizität die Geworfenheit der Überantwortung in einer schon erschlossenen Welt bedeutet. Der Entwurf ist immer zugleich geworfen und das bedeutet, dass die Existenzialität von der Geworfenheit wesenhaft beschränkt wird. Im Möglichsein des Daseins ist nicht jede Möglichkeit so möglich wie alle anderen, sondern das Dasein kann sich nur in die Möglichkeiten seiner Geworfenheit entwerfen. So drückt die »Geworfenheit de[n] Grund der Endlichkeit des Erkennens« aus.26 Sie ist aber nicht Grund von Endlichkeit überhaupt; geworfen kann nur etwas sein, was wesenhaft endlich ist. Solche Radikalität der Analyse wird durch die Aufweisung eines besonderen Modus der Existenz deutlich: die Eigentlichkeit. Die Begriffe der Un- und Eigentlichkeit erklärt Heidegger so: Wir verstehen uns alltäglich, wie wir terminologisch fixieren können, nicht eigentlich im strengen Wortsinne, nicht ständig aus den eigensten und äußersten Möglichkeiten unserer eigenen Existenz, sondern uneigentlich, zwar uns selbst, aber so, wie wir uns nicht zu eigen, sondern wie wir uns selbst in der Alltäglichkeit des Existierens an die Dinge und Menschen verloren haben. Nicht eigentlich heißt: nicht so, wie wir uns im Grunde zu eigen sein können.27
Das Man bleibt für das erschlossene, eigentliche Selbst während des alltäglichen Lebens beherrschend.28 Aus diesem Kontext versteht diese Untersuchung, dass hinter diesem pseudoromantischen Diskurs der Eigentlichkeit sich ein rein formaler Diskurs versteckt; deswegen bedeutet die Eigentlichkeit eine tiefere Stufe des Verständnisses des Phänomens und nicht nur einen Modus, nach dem das Leben geführt werden kann, um sich vom uneigentlichen Man zu befreien. Solche Missdeutung der Eigentlichkeit könnte darauf gründen, dass sie als eine Selbstwahl beschrieben wird. Die Selbstwahl der Eigentlichkeit ist aber eine Wahl ohne Alternative, also ist sie kein Dezisionismus.29 Die Eigentlichkeit hat deswegen mit einer Lebensweise oder Lebenseinstellung nichts zu tun. Der Unterschied »uneigentlich-eigentlich« wird auch als »institutionalisiert-nicht institutionalisiert« verstanden in dem Sinne, dass die Uneigentlichkeit von der Kultur, den Regeln der Gesellschaft usw. beherrscht wird und die Eigentlichkeit
24 25 26 27 28 29
Heidegger, 216. Heidegger, 216. Heidegger, 298. Heidegger, Grundprobleme, 228. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 299. Vgl. Luckner, »Eigentlichkeit«, 149.
203
nicht.30 Die Eigentlichkeit bedeutet aber nicht den Zustand einer richtigen Durchführung des menschlichen Lebens nach einem gewissen Ideal, sondern sie besagt das, was eigentlich das Dasein ist, welches sich in dem, wie das Dasein sich entfaltet, verstehen lässt. Solche Missdeutungen können aber auch dadurch verstanden werden, dass die Uneigentlichkeit inhaltlich und die Eigentlichkeit leer jeweils sind oder, in anderen Worten, dass die Uneigentlichkeit ein Vollzug besagt, während die Eigentlichkeit die Struktur solches Vollzugs ausdrückt. In einer strengeren Begrifflichkeit: Die Uneigentlichkeit bedeutet einen existenziellen Vollzug des Daseins, während die Eigentlichkeit jeweils eine ontologisch-existenziale Struktur rein formal ausdrückt. Die Eigentlichkeit ist demzufolge das, wie das Dasein eigentlich ist, in dem hermeneutisch phänomenologisch verstanden werden muss, was solches Dasein eigentlich ist: seine Seinsverfassung. So beschreibt der Begriff der Eigentlichkeit eine hermeneutisch phänomenologische Reduktion des Seins des Daseins aus seinem Horizont her auf dessen endlichen Grund. Infolgedessen soll die Rede von der Eigentlichkeit ontologisch formal verstanden werden und nicht im Sinne eines pseudoromantischen Jargons, hinter dem eine politische Intention versteckt ist.31 Es besteht auch die Missdeutung, dass die Eigentlichkeit ein Modus ist, der sich so vollzieht, dass das In-der-Welt-sein ausgeschaltet wird, indem das eigentliche Sein des Daseins nur in der Entschlossenheit zu sich selbst kreist.32 Jedoch ist das solus ipse des vereinzelten Daseins nie als ein Subjekt zu verstehen. Das Dasein bleibt hingegen immer ein Horizont. Was bedeutet die Eigentlichkeit aber wirklich und welchen Sinn hat Eigentlichkeit, wenn es in der Beschreibung um ein Selbst geht, das gleichzeitig kein isolierter »Kern« ist, sondern ein Horizont? Die Eigentlichkeit sollte ein Modus bedeuten, in welchem sich die ermöglichenden Strukturen der Phänomene zeigen. Solche aus der Beschreibung der Eigentlichkeit entwickelte Begrifflichkeit hat einen prägnanten negativen Stil. Solche Negativität ist aber nicht willkürlich, sondern hat einen klaren methodischen Zweck, nämlich die Grenzen und die endliche Struktur der Existenz zu zeigen bzw. ausdrücklich zu machen. Dies könnte eine positive Begrifflichkeit nicht so scharf tun.33 Die eigentlichen Modi der Existenz sind infolgedessen negativ, weil durch sie die Endlichkeit der Existenz gezeigt wird. 30 31
32 33
Luckner, »Eigentlichkeit«. So eine Interpretation der Eigentlichkeit wurde schon von Adorno (vgl. Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, hg. von Rolf Tiedemann, Bd. 6, Gesammelte Schriften (Darmstadt: Wiss. Buchges., 1998)) und Bourdieu (vgl. Pierre Bourdieu, Die politische Ontologie Martin Heideggers, dt. Erstausg., 1. Aufl. (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988)) geleistet, welche von Walther seit Langem widerlegt wurde. (Vgl. Dietmar Walther, Sprachstellung im Werk Martin Heideggers und ihre Entstellung durch Theodor W. Adorno (»Jargon der Eigentlichkeit«) und Pierre Bourdieu (»Die politische Ontologie Martin Heideggers«) (Frankfurt am Main, 1983).) Marten, »Begriff der Zeit. Heidegger-Handbuch«, 25. Vgl. Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 62.
204
Deswegen ist jeder Vollzug abgeleitet und ist jeder eigentliche Modus überhaupt kein Vollzug.34 Die Eigentlichkeit besagt so nichts Moralisches o. Ä., sondern sie drückt das Moment aus, das den Vollzug ermöglicht. In diesem Sinne bedeutet die Eigentlichkeit die Struktur selbst der Ermöglichung der zeitlichen Verständlichkeit, d. h. der Zeitigung. Was durch die Eigentlichkeit gezeigt wird, ist also nicht, dass in solchem Modus das Dasein nicht mehr ein In-der-Welt-sein ist, sondern dass in diesem Modus das Dasein selbst sich als Ermöglichung seines In-der-Welt-seins meldet. Dieses Sein ist das Dasein als sich zeitigendes Seiendes. Die Eigentlichkeit ist die Offenbarung des Daseins als seinsermöglichendes Seiendes. Hieraus ist zu verstehen, dass die Eigentlichkeit die Weise zu sein bedeutet, in der die Existenz sich aus ihrer äußersten Möglichkeit versteht. In solcher Möglichkeit, welche das Dasein selbst ist, indem es kann, zeigt sich das Dasein als sich zu eigen sein. Die Eigentlichkeit ist im strengen Wortsinne die Weise des Daseins zu sein, in der es sich in seiner Grundverfassung offenbart, d. h. in seinem Möglichsein im Sinne der Eignung. Der Begriff der Eigentlichkeit bedeutet demzufolge das Sich-Melden der Eignung bzw. der Möglichkeit als Fähigkeit des Daseins. Ausgehend von diesen Aufweisungen wird verständlich, dass durch die Analyse der Charaktere der Eigentlichkeit, nämlich Angst, Tod, Gewissen und Schuld, der Entdeckungsbereich vorbereitet wird, aus dem das Sein des Daseins hinsichtlich seiner ontologischen Funktion gewonnen werden kann. Solche Funktion ist das Grundsein des zeitlichen Entwurfs des Seins. Das Sein aber ist kein Seiendes, es ist also ein Nichts, das es vermag, ein Etwas entstehen zu lassen, d. h. ein nihil originarium. So ist die Frage nach dem, warum Sein und Nichts zusammengehören, eine fundamentalontologische. In den folgenden Analysen geht es also um verschiedene positive Bestimmungen der Endlichkeit des Daseins, die solche Endlichkeit als Grund solches Nichts des Seins verstehen lassen.35 Zuerst muss die Endlichkeit des geworfenen Entwurfs aufgewiesen werden (§ 24. a. Sich-ängstigendes Sein-zum-Tode ist endlicher geworfener Entwurf), damit im Folgenden die Endlichkeit des gliedernden Charakters solcher Erschlossenheit bestimmt werden kann, um seinen Grundcharakter verste-
34
35
Als Erklärung dieser anscheinend sehr gewaltsamen Behauptung fungiert die Definition der Entschlossenheit sehr gut: »das verschwiegene, angstbereite Sichentwerfen auf das eigenste Schuldigsein«. (Heidegger, Sein und Zeit, 296 f.) »Verschwiegen« ist das Dasein als negativer Modus der Rede: Das Schweigen ist der Charakter des Rufs des Gewissens. (Vgl. Heidegger, 273.) »Angstbereit« ist das Dasein als negativer Modus der Befindlichkeit, in welchem die Welt sich unbedeutsam erschließt. (Vgl. Heidegger, 187.) Das eigentliche Sichentwerfen ist das Sein-zum-Tode, welches als Vorlaufen charakterisiert wird und als solches auch negativ als eine nie zu verwirklichende Möglichkeit zu verstehen ist. (Vgl. Heidegger, 262 f.) Das Schuldigsein ist letztendlich als das Grundsein einer Nichtigkeit zu verstehen, was auch eine negative Bedeutung hat. (Vgl. Heidegger, 283.) Vgl. Heidegger, Kantbuch, 283 f.
205
hen zu können (§ 24. b. Schuldiges Gewissen ist endliche Rede. Die Eröffnung des Weges zum Grundsein des Daseins). § 24. a. Sich-ängstigendes Sein-zum-Tode ist endlicher geworfener Entwurf Das hermeneutisch phänomenologische Sehenlassen der Endlichkeit des Daseins geschieht durch eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Analyse der Sorge, welche es erlaubt, eine Radikalisierung solcher Analyse zu leisten, die ein angemesseneres Verständnis solchen Phänomens ermöglicht. Die Sorge hat seinen Grund im geworfenen Entwurf, welcher jetzt durch den Begriff des Seins-zum-Tode neu verstanden wird, indem es den Grundcharakter seiner Endlichkeit ans Licht kommen lässt. Der Tod als philosophisches, literarisches und sogar soziales Thema war eine echte Faszination der 1920er Jahre und Heidegger war dabei keine Ausnahme.36 Um richtig verstehen zu können, was Heidegger über den Tod behauptet, was er durch die Todesanalyse erreichen will und warum diese Analyse so eine wichtige Rolle in der existenzialen Analytik spielt, muss immer klar sein, dass »Tod« bei Heidegger nicht bedeutet, »das Leben zu verlieren« oder »mit dem Existieren aufzuhören«, sondern dass der Tod einen Grundcharakter der Existenz anzeigt, und deswegen muss dieser als ein daseinsmäßiges Seinkönnen betrachtet werden. Deshalb bedeutet der Tod die Möglichkeit, das Leben zu verlieren, die Möglichkeit, mit dem Leben aufzuhören, d. h. die Möglichkeit der Unmöglichkeit. Das Möglichsein erschließt sich aus der immer möglichen Unmöglichkeit des Seins des Daseins, d. h., das Dasein ist immer möglich hinsichtlich seines Endes bzw. seines Todes. Deshalb bedeutet der Tod hermeneutisch phänomenologisch, als eine im Dasein erschlossene Möglichkeit, ein Sein zum Ende. Hier kann schon vermutet werden, welche Rolle der Tod in der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie spielt: Der Tod ist eine Bestimmung des endlichen Seins des Daseins. Der Tod bestimmt die Endlichkeit des Daseins auf eine besondere Art und Weise: Er zeigt an, dass in uns immer die Möglichkeit besteht, dass wir nicht mehr sind, d. h., dass wir sterben können. Die Möglichkeit des Todes meint, dass das menschliche Dasein sterblich ist. Demzufolge ist das Sein-zum-Tode eine hermeneutisch phänomenologisch erreichte Bestimmung der Seinsverfassung des Daseins, die formal das anzeigt, was traditionell dogmatisch unter »Sterblichkeit« verstanden wurde. Das Thema der Todesanalyse ist also nicht der Tod selbst, sondern »die Sterblichkeit des Menschen«.37 Das Wichtigste in solcher Erklärung ist, dass sie meint, dass der Modus, in dem der Tod der Seinsverfassung der Existenz des Daseins dazugehört, nichts 36
37
Hans Ulrich Gumbrecht, »Tod im Kontext. Heideggers Umgang mit einer Faszination der 1920er Jahre«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013). Byung Chul und Hügli, »Todesanalyse«, 130.
206
zu tun hat mit dem, was unter dem Begriff Tod verstanden wird als Verlassen des Lebens. Das Sein-zum-Tode ist die Erschließung der Möglichkeit unserer eigenen Unmöglichkeit, unserer Sterblichkeit, und als solche meint sie den Modus, in dem unser Sein sich vollzieht. Sterblichsein ist das absolute Gegenteil des Totseins, weil sterblich nur sein kann, was sterben kann, und nur das Lebendige sterben kann. Die Sterblichkeit ist der Modus, in dem sich das Leben vollzieht.38 Das Sein-zum-Tode wird von Heidegger als das Vorlaufen in die äußerste Seinsmöglichkeit begriffen und sie bedeutet »nicht sterben, sondern leben. In diesem und nicht im Sterben liegt die Schwere des Daseins.«39 Der daseinsmäßige Tod als Sterblichkeit ist so eine Möglichkeit, die nie zu verwirklichen ist, weil die Verwirklichung des Todes dem Dasein nichts gibt, was es sein könnte.40 Der Tod bleibt im Dasein als Möglichkeit und kann nur so bleiben. In diesem Sinne ist das Vorlaufen zum Tode nicht die Projektion irgendeiner Möglichkeit, wie die des Essens, Schlafens oder Liebens. Der Tod bleibt möglich im Sein des Daseins als ein wesenhafter Charakter des Lebens, weil endliches Leben Sterblichsein bedeutet, d. h. Sein-zum-Tode. Dieses Vorlaufen bedeutet demzufolge die Art Verhältnis, welche das Dasein zu seiner eigensten Möglichkeit hat: Sie bleibt Möglichkeit, indem das Dasein sie als Möglichkeit stehen lässt und so zu ihr ist,41 d. h., das Dasein verwirklicht diese Möglichkeit nicht, sie bleibt immer offen, indem sie auch verstehen lässt, dass das Dasein der Vollzug eines sterblichen nicht gestorbenen bzw. lebendigen Verstehens ist. Die Sterblichkeit des Daseins bedeutet den Charakter des Daseins, immer möglich zu sein, denn das Dasein »stirbt faktisch, solange es existiert«.42 Der Möglichsein-Charakter des Daseins ist so wesenhaft Vorlaufen zum Tode, weil Dasein nur zum endlichen Leben gehört. Das Ich-bin wird deswegen als sum moribundus verstanden und nicht im Sinne vom »Schwerkranker oder Verwundeter, sondern sofern ich bin, bin ich moribundus – das moribundus gibt dem sum allererst seinen Sinn«.43 Das Strukturganze des Seins des Daseins ist die Sorge. Die Grundexistenzialien der Sorge sind die Befindlichkeit und das Verstehen. Zur Befindlichkeit gehört die Grundweise der Angst und das Möglichsein des Verstehens wird vom Sein-zum-Tode ausgedrückt. So ist der Zusammenhang von der Angst und dem Sein-zum-Tode derselbe, der zwischen Befindlichkeit und Verstehen besteht. Die Faktizität des Daseins ist eine Art der Erschlossenheit der Möglichkeiten, die den Entwurf auf sie ermöglicht. Dieselbe Struktur wird jetzt nach der Modalität der Eigentlichkeit angesichts der Endlichkeit beschrieben. Es geht also hier um eine phänomenologische Wiederholung, die zeigt, dass das Sterben 38 39 40 41 42 43
Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 106. Heidegger, Der Begriff der Zeit, 56. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 262. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 439. Heidegger, Sein und Zeit, 251. Heidegger, Prolegomena, 437 f.
207
bzw. das Sein-zum-Tode »hinsichtlich seiner ontologischen Möglichkeit in der Sorge [gründet]«.44 Die Erschlossenheit der Möglichkeiten durch die endliche sich selbst zeitigende Faktizität ermöglicht das Vorlaufen zum Ende durch den endlichen Entwurf in die Möglichkeit seiner Unmöglichkeit. Solcher Zusammenhang wird durch den Begriff des Freiseins-für beschrieben.45 Der paradoxe Begriff der Möglichkeit der Unmöglichkeit bedeutet nicht ein künftiges Unmöglichsein im Sinne von einer widerspruchslosen künftigen Lage (potentia de dicto), sondern die Fähigkeit, die durch die Endlichkeit bestimmt ist. Deswegen, weil sie endlich ist, kann und muss diese Fähigkeit irgendwie und irgendwann verloren werden. Die Möglichkeit de dicto der Auslegung entsteht aus der Fähigkeit de re des Entwurfs. Solche Fähigkeit ist lebendig und deswegen sterblich und als solche enthält sie in ihr selbst ihre eigene Unfähigkeit. Durch die Gleichsetzung vom »überantwortete[n] Möglichsein« mit dem »geworfene[n] [also faktischen] Möglichsein« lässt sich das Dasein, sofern es durch die Möglichkeit für das eigenste Seinkönnen charakterisiert ist, als ursprüngliche Kraft verstehen. Das Dasein wird so durch die Angst, welche das endliche Möglichsein des Daseins hinsichtlich seiner Faktizität bedeutet, als vereinzelte bzw. individualisierte Fähigkeit begriffen. Dasein als eigenstes Seinkönnen ist die Möglichkeit des daseinsmäßigen Sterbens, d. h. der zum-Tode-seienden Fähigkeit bzw. des seinsverstehenden Lebens. Die Angst erschließt »das Dasein als Möglichsein«.46 Genau wie die Befindlichkeit, weil die Angst eine Grundbefindlichkeit ist, die das Dasein vor seinem Entwurf »stellt«, stellt die Angst das Dasein vor seinem Sein als in-der-Welt-sein, d. h. vor ihm selber als Horizont. Dieses Möglichsein des auslegenden Verstehens muss aber nicht mit dem Möglichsein des Entwurfs als Fähigkeit verwechselt werden, in dem das Dasein sich selbst als verstehendes Seiendes durch seine eigene Möglichkeit de re ermöglicht: Das Leben ist die wahre Kraft jeder möglichen Möglichkeit. Wie schon in der Enthüllung der Sorge als Strukturganzes des Seins des Daseins gesehen wurde, fungiert die Angst als Weg der hermeneutisch phänomenologischen Rückführung des forschenden Blicks auf die gründenden bzw. sie ermöglichenden Strukturen, indem dieses Phänomen der Angst einen gewissen Modus der Erschlossenheit der Welt darstellt, durch den die Welt sich zeigt, ohne Seiendes sinnvoll begegnen lassen zu können.47 Es kann aber nicht sein, dass es bei der Angst kein Sein-bei gebe.48 Es kann sein, dass Seiendes im Umgang als etwas nicht ausdrücklich begegnet, aber es kann nicht sein, dass eine Befind44 45
46 47 48
Heidegger, Sein und Zeit, 252. Die Funktion der Angst besteht »lediglich in der Erschließung der Freiheit, sich auf unterschiedliche Weise zum jemeinigen Sein verhalten zu können«. (Dittus, Das Paradox des Subjekts, 148.) Heidegger, Sein und Zeit, 188. Vgl. S. 143 ff. Wie Luckner meint. (Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 83.)
208
lichkeit keinen Horizont konstituiert. Die selbsthaft ekstatische Dimension kann nicht existieren, ohne einen Horizont zu haben. Solches Phänomen zeigt die Welt an sich, indem sich in der Befindlichkeit der Angst ihr Worum und Wovor identifizieren. Das Dasein ist durch die Angst um seiner selbst willen vor ihm selbst gebracht. In der Angst geht es nicht um eine Fusion von den befindlichen Worum und Wovor, sondern um eine ursprüngliche Identität von beiden.49 Das Wovor der Angst charakterisiert sich durch seine Aufsässigkeit.50 Ja, solche Aufsässigkeit ist dieselbe, mit welcher die Verweisungsstörung des Unerledigten charakterisiert wurde. Das lässt noch klarer verstehen, dass die Angst kein »Außer der Welt« oder »Außer des In-der-Welt-seins« bedeutet, sondern sie ist ein Phänomen, dass uns die Erschlossenheit überhaupt in seiner Struktur sehen lässt. Die Angst zeigt uns tatsächlich, dass wir der Horizont sind, indem sie ihn, differenziert von dem, was in ihm erscheint, zeigt. Deswegen muss es in der Angst ein Sein-bei geben, aber ein unzulängliches, d. h., es gibt einen daseinsmäßigen Horizont, dem es nicht gelingt, sich in der Bestimmung des Seins des Innerweltlichen zu konstituieren. Das Dasein ist demzufolge durch die Angst mit seiner Welt identifiziert und deswegen zugleich vom innerweltlichen Seienden unterschieden. Die Angst ist der Vollzug der ontologischen Differenz zwischen der Welt und dem innerweltlichen Seienden. Deswegen lässt sich die Angst als principium individuationis betrachten,51 weil sie als Hinweis der Endlichkeit des Daseins fungiert: Sie zeigt phänomenisch, dass das Dasein als Welt wesenhaft anders als das Innerweltliche ist. Die Angst stört das Verfallen des Daseins in die Uneigentlichkeit, weil durch die Angst das innerweltliche Seiende an Bedeutung verliert. Wenn das Seiende an Bedeutung verliert, sodass es nicht begegnet, dann kann sich das Dasein nicht aus dem Seienden verstehen.52 Sobald der Begriff der Angst als endliche Befindlichkeit erklärt worden ist, muss der Begriff des Todes erklärt werden, damit der Entwurfscharakter des Daseins in seiner Endlichkeit auch klar werden kann: Der volle existenzial-ontologische Begriff des Todes läßt sich jetzt in folgenden Bestimmungen umgrenzen: Der Tod als Ende des Daseins ist die eigenste, unbezügliche, gewisse und als solche unbestimmte, unüberholbare Möglichkeit des Daseins. Der Tod ist als Ende des Daseins im Sein dieses Seienden zu seinem Ende. 53
Es ist nötig, solche Definition des Begriffs des Todes zu erklären: 1. Eigenste Möglichkeit. Der existenzial betrachtete Tod bzw. das Sein-zum-Tode ist die eigenste Möglichkeit, weil es in ihm um die Existenz selbst geht, die
49 50 51 52 53
Vgl. Heidegger, Prolegomena, 405. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 186 f. Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 146. Vgl. Merker, »Sorge«, 113. Heidegger, Sein und Zeit, 258 f.
209
seiend diese Möglichkeit ist. Das Dasein identifiziert sich mit dieser Möglichkeit und diese ist darüber hinaus ein Charakter von ihm selbst. 2. Unbezügliche Möglichkeit. Der Tod ist aber auch eine unbezügliche Möglichkeit, was bedeutet, dass sie – als eigenste – das Dasein auf es selbst vereinzelt bzw. individualisiert. Solche Individualisierung des Daseins durch das Sein-zumTode bedeutet aber nicht, dass das Dasein durch ein beziehendes Verstehen nicht wesenhaft ausgemacht ist, sondern dass sich das Dasein in seiner eigensten Möglichkeit als ein Selbstbezug vollzieht. Der Selbstbezug des Seins-zumTode ist, was sich in der Angst als »Welt als Welt« schon gezeigt hat.54 3. Gewisse und als solche unbestimmte Möglichkeit. Der Tod ist als Möglichkeit auch gewiss, er ist zu jeder Sekunde möglich. Das aber zeigt nicht, dass der Tod ein gewisses Etwas ist, das irgendwann vorkommen kann, sondern vielmehr, dass der Tod als Möglichkeit vom Dasein selbst als mögliches ermöglicht bzw. frei gemacht wird.55 Dass der Tod immer möglich ist, bestimmt ihn auch als eine unbestimmte Möglichkeit. Das Sein-zum-Tode ist der Grundmodus des Verstehens. Das Verstehen ist aber immer befindlich, deswegen ist der Entwurf des Seins-zum-Tode wesenhaft ängstigend. In der Angst »befindet sich das Dasein vor dem Nichts der möglichen Unmöglichkeit seiner Existenz«.56 Die Zusammengehörigkeit von Gewissheit und Unbestimmtheit der Möglichkeit des Todes bedeutet: Ich werde doch sterben, ich weiß aber nicht, wann. Oder in anderen Worten: Ich bin sterblich, ich bin immer sterblich. 4. Unüberholbare Möglichkeit. Die Möglichkeit des Todes zeigt sich auch unüberholbar, weil die Verwirklichung dieser Möglichkeit des Todes die Vernichtung des Daseins bedeutet. Deswegen ist der Tod eine Möglichkeit, die immer offenbleibt und trotzdem nie verwirklicht wird, solange das Dasein existiert. Das Dasein ist hinsichtlich seines Todes offen für diese Möglichkeit, deshalb drückt das Sein-zum-Tode die existenziale Bestimmung des Daseins aus, als ein Ganzes möglich sein zu können. Die Möglichkeiten des Daseins sind als endlich charakterisiert, weil jede Möglichkeit hinsichtlich dessen Endes erschlossen wird.57 Es heißt, dass die Unüberholbarkeit des Todes auch bedeutet, dass solche Möglichkeit des Todes bzw. die Verwirklichung des Ablebens endgültig bzw. unendlich ist. Der Tod als Ende ist die Möglichkeit, die definitiv ist, d. h., die kein Ende hat: Das Möglichsein ist im Tode nie mehr möglich. In anderen Worten: Wenn ich einmal unmöglich werde, werde ich es für immer. So wie der Tod kein Ereignis im Leben ist, ist hingegen das Sein-zum-Tode das Ereignis des Lebens selbst. Mit dem Tode, der jeweilig nur als mein Sterben ist, steht mein eigenstes Sein, mein jeden Augenblick Seinkönnen, bevor. Das Sein, das ich im ›Zuletzt‹ meines Daseins sein 54 55 56 57
Vgl. S. 143. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 262. Heidegger, 265 f. Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 133.
210
werde, das ich jeden Augenblick sein kann, diese Möglichkeit ist die meines eigensten ›Ich bin‹, d. h. ich werde mein eigenstes Ich sein. Diese Möglichkeit – der Tod als mein Tod – bin ich selbst. Den Tod überhaupt gibt es nicht.58
Der ontologische Begriff der Zeit einigt sich so mit demjenigen des Seins und des Todes: Durch das sich entwerfende Seinkönnen, dass von der Zukunft als Sich-vorweg wesenhaft charakterisiert ist, ist das Dasein in jedem Augenblick möglich. Diese Beziehung darf auch so ausgedrückt werden: »Meine Zeit, die ich bin, ist die Zeit, die mein Sein ist.«59 Das Vorlaufen in Vorbei-sein (Seinzum-Tode) ist so irgendwie eine Zeit außerhalb der Zeit, weil sie eine in der Existenz erschlossene Zukunft zeigt, die nie gegenwärtig sein wird. Sie ist nur künftig und nur so kann diese sein, sodass die Zeit sich als Vergehen nicht erschließt, sondern als die eigene lebendige Erschließung des Selbst, als In-derWelt-sein.60 Deswegen soll dieser Zusammenhang nicht in dem Sinne interpretiert werden, dass, »[weil] es den Tod ›gibt‹ […], ›gibt‹ es für den Menschen Zeit«,61 weil das Thema nicht der Tod ist, sondern das Sein-zum-Tode. Es geht nicht um den Tod, sondern um das Sterben. Das Dasein ist sterblich und deswegen hat es Zeit, weil nur sterblich sein kann, wer lebendig ist. Dasein lebt aber nicht wie eine Pflanze, sondern es lebt, indem es sich selber endlich versteht. Die richtige Formel wäre dann: Weil der Mensch endlich verstehend lebt, gibt es für ihn Zeit, d. h., weil das Dasein sich endlich entwirft, existiert es zeitlich. Hier ist es aber nötig, den Gewissheitscharakter des Todes als eigenste Möglichkeit des Daseins hervorzuheben, denn »[d]ie Erschlossenheit der Möglichkeit [des Todes] gründet in der vorlaufenden Ermöglichung« des Daseins.62 Das Vorlaufen in den Tod erschließt die Ganzheit der vorgelagerten Möglichkeiten des Daseins nicht deswegen, weil durch die Erschließung der letzten Möglichkeit der Weg der anderen Möglichkeiten geöffnet wird – sowie Moses das Rote Meer geöffnet hat und es dann erst überquert hat –, sondern umgekehrt, die Erschließung der Möglichkeit des Todes ist die Erschließung der ersten Möglichkeit als Ermöglichung der anderen, wie ein Schiff, das auch die andere Seite des Roten Meers erreichen kann, das aber mit jeder Drehung seiner Schraube diese Zukunft möglich macht. Solche Ermöglichung ist das Leben. Nur ein lebendiges Dasein kann sterben, deswegen kann nur ein lebendiges Dasein als ein mögliches Seinkönnen existieren. Dieser Punkt ist für diese Untersuchung besonders interessant, weil in diesem Fall ein Seiendes (das Dasein) zu einer Möglichkeit (sein Tod) im engen Seinsverhältnis steht, und zwar so, dass dieses Seinsverhältnis als Möglichsein definiert wird. Heidegger definiert dies demzufolge 58 59 60 61 62
Heidegger, Prolegomena, 433. Marten, »Begriff der Zeit. Heidegger-Handbuch«, 22. Vgl. Sallis, Sinn von Wahrheit, 22 f. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 153. Heidegger, Sein und Zeit, 264.
211
so: »Möglichkeit-sein heißt wesensmäßig dieses Möglichsein-können.«63 Wenn diese Definition streng betrachtet wird, stellt sich das Folgende heraus: Möglichsein-können besagt einfach Können-können. Soll es ein Witz sein? Nein. Was sich in dieser Definition versteckt, ist keine bloße und leere Tautologie, sondern in ihr zeigen sich die zwei Bedeutungen der Möglichkeit, die in dieser Arbeit schon bearbeitet wurden.64 Das Können-können besagt so die Fähigkeit zur Projektion bzw. zum Bedeuten als Bewendenlassen. Heidegger erklärt den Ursprung von Möglichkeit überhaupt so: »Nur aus Freiheit, nur ein freies Wesen kann als transzendierendes Sein verstehen – und muß es, um als solches zu existieren, d. h. ›unter‹ und ›mit‹ Seiendem zu sein.«65 Im daseinsmäßigen Können liegt also das endliche Freisein für die Welt. In anderen Worten: Das durch Endlichkeit ausgemachte sich-ängstigende Sein-zum-Tode bedeutet, dass das Dasein die Fähigkeit dazu ist, eine Welt als Welt zu sein. Die Angst bestimmt das Dasein als endlich aus der Perspektive der Faktizität. Das Sein-zum-Tode bestimmt das Dasein als endlich aus der Perspektive der Existenzialität. Solche beiden Perspektiven enthalten einen doppelten Begriff der Möglichkeit, welcher seinerseits auch durch und durch als endlich zu bestimmen ist. § 24. b. Schuldiges Gewissen ist endliche Rede. Die Eröffnung des Weges zum Grundsein des Daseins In der hermeneutischen Phänomenologie ist das Phänomen das, was sich meldet, in dem, was sich zeigt. Das Sich-Meldende zeigt sich durch das Sich-Zeigende als das Ermöglichende. Demzufolge besteht die jetzige Aufgabe der Untersuchung darin, hermeneutisch phänomenologisch zu zeigen, wie die Endlichkeit des Daseins zugleich zeigt, dass das Dasein einen ausgezeichneten Grundcharakter besitzt. Der Weg zu diesem Ziel ist die Analyse des Gewissens, welche eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Charakterisierung der Rede als artikulierendes Wesen der Erschlossenheit ist. Der Begriff des Gewissens ist bei der Daseinsanalytik einer der schwierigsten und dunkelsten. Es ist richtig, dass die Todesanalyse als Weg zum Nichts »nur Durchgangsstation zum begriffenen ›eigentlichen Seinkönnen‹ in der Bezeugung des ›Gewissens‹« ist,66 aber was bedeutet dann diese Bezeugung, aber was dieses Nichts besagt, zu dem die Untersuchung vorankommt, ist in dieser Untersuchung noch nicht klar geworden. Eine philosophisch historische und philologisch orientierte Interpretation könnte einerseits behaupten, dass der Be-
63 64 65 66
Heidegger, Prolegomena, 435. Vgl. § 19. Möglichkeit als Fähigkeit und Bedeutung Heidegger, Anfangsgründe, 244. Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 67.
212
griff Gewissen einfach eine »Ontologisierung der Phronesis« sei.67 Eine ethisch personalistische Interpretation könnte andererseits behaupten, dass das Gewissen das Dasein dazu auffordert, »es selbst zu sein oder sich als ›Selbst‹ in der Welt zu behaupten«.68 Solche Interpretationen mangeln aber an einer allgemeineren Sicht des Problems der Heidegger’schen Analyse und an einer Anwendung der phänomenologischen Methode. Was jetzt also versucht wird, ist eine Beseitigung solchen Mangels; deswegen ist die folgende Interpretation weder ethisch noch philologisch noch personalistisch, sondern streng fundamentalontologisch, also nur auf die Bearbeitung einer möglichen Antwort auf die Seinsfrage gerichtet. Wenn das Gewissen eine innere Stimme wäre, würde es von diesem Stimmencharakter bestimmt. Solche innerliche Stimme würde zur Sprache gehören. So wäre das Gewissen nur eine Art und Weise der Beherrschung des Man auf das Dasein. Das Gewissen ist aber keine Stimme, die sich uns durch Sätze, was wir tun oder nicht tun sollen, mitteilt. Es hat vielmehr den Charakter eines Rufes. Das Gewissen ist ein Anruf, der uns aus dem Gerede herauszieht, indem solcher Anruf solches Gerede schweigend unterbricht69 und uns vor unser eigenstes Seinkönnen stellt. Das Gewissen ist so die »Bezeugung [solchen] eigensten Seinkönnens«.70 Das Gewissen hat den Charakter eines Rufes, welcher »ein Modus der Rede« ist.71 Das darf aber nicht so verstanden werden, dass das Gewissen eine Art Stimme ist. Das Gewissen ist weder eine innerliche Stimme noch ein äußerlicher durch die Anderen ausgeübter »Druck« noch eine Art Verkörperung der Gesellschaft bzw. Kultur in uns. Wie schon erläutert wurde, bedeutet die Rede streng genommen kein Reden.72 Das Reden ist eine Verlautbarung der Rede in einer gewissen Kultur mit einem gewissen Kommunikationssystem. Das Reden ist also ein Modus der Sprache, während die Rede ihrerseits die ontologische Wurzel jeder Verlautbarung und Mitteilung – Sprache – ist, indem jene Rede die Verständlichkeit gliedert. Wenn das Gewissen ein Modus der Rede ist, ist es ein Modus solcher Artikulation, nicht ein Modus der Verlautbarung. Wenn der Ruf des Gewissens alltäglich als eine Stimme ausgelegt wird, geschieht es vielmehr, weil er etwas zu-verstehen-gibt und nicht weil er etwas sagt.73 Der Ur-
67 68
69 70 71 72 73
Franco Volpi, »›Das ist das Gewissen!‹ Heidegger interpretiert die Phronesis (Ethica Nicomachea VI, 5)«, Heidegger und die Griechen, Martin-Heidegger-Gesellschaft, 8 (2007): 176. Dieter Thomä, »Sprache. Von der ›Bewandtnisganzheit‹ zum ›Haus des Seins‹«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 298. Vgl. Luckner, »Eigentlichkeit«, 152. Heidegger, Sein und Zeit, 279. Heidegger, 269. Vgl. S. 164. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 271.
213
sprung des Gewissens ist also im Artikulieren zu suchen, das der Grund der Erschlossenheit und deren Bidimensionalität ist. Der Ruf des Gewissens ist kein Gespräch oder eine »Verhandlung« einer gewissen Stimme »im Kopf« des Daseins mit solchem Dasein selbst, sondern wirklich ein Ruf, d. h. kein prädikativer Satz, sondern ein Ruf als ein Anruf, so wie das »He du!«, durch welches ein Freund unsere Aufmerksamkeit auf der Straße zu gewinnen versucht. Solcher Anruf ruft zum eigensten Selbstseinkönnen, d. h., zu seiner eigentlichen Weise, Selbst zu sein, an. In diesem Sinne ist solcher Anruf ein Vorruf in seine Möglichkeiten. Heidegger präzisiert hier, dass solches »Vor-« des Vorrufs die Bedeutung »vorne« hat, also ist dieses ein räumliches Vor und nicht ein zeitliches im klassischen Sinne. Aus diesem Zusammenhang darf also geschlossen werden, dass der Ruf des Gewissens das Dasein zu seinem eigenen Sein als Erschließung seiner Erschlossenheit anruft. Es geht um einen Ruf zum Grund oder in anderen Worten um einen »Anruf des Man-selbst in seinem Selbst«.74 Die Struktur des Rufs ist also nicht diejenige, die in einem Gespräch zu finden ist, sondern sie ist diejenige des Selbstbezugs: »Der Ruf kommt aus mir und doch über mich.«75 Das Dasein ist immer Erschlossenheit der Welt. Die Welt ist ein bedeutsamer Verweisungszusammenhang, welcher Bewandtnisganzheit genannt wird. Das Dasein ist also immer Erschlossenheit von Möglichkeiten des Charakters der Bedeutung, aber in dieser und durch diese Erschlossenheit erschließt sich das Dasein als Warum ihrer mit. Dass das Dasein der Grund seiner Welt ist, erschließt dem Dasein es selbst als das geschehende Faktum der erschließenden Bedeutsamkeit der Möglichkeiten. Der Ruf ist Rede und zeigt dem Dasein, dass es selbst die Rede ist. Das Dasein wird so ihm selbst von ihm selbst als Rufer gezeigt. Der Rufer ist das Dasein selbst als »das nackte ›Daß‹ im Nichts der Welt«.76 Was das Dasein anruft, ist also es selbst, aber nicht als Welt. Im Ruf des Gewissens geht es also um den Anruf zu dem Dass, das solches Dass in die Möglichkeiten der Welt vorruft. In anderen Worten: Einerseits wird das Faktum der Existenz durch das Gewissen zur Möglichkeit gerufen und andererseits wird durch den Ruf zur Möglichkeit die Existenz als Faktum solcher Erschlossenheit entdeckt. Wie kann so etwas möglich sein, sofern Dasein nur »weltlich« existiert? Die Entfaltung dieses Problems darf nicht sofort beantwortet werden. Ihre Antwort braucht noch eine weitere Sicherung, welche die Entdeckung des Kernproblems der Fundamentalontologie darstellt. Im Gewissen offenbart sich die Existenz als Grund, d. h. als Möglichkeit der Möglichkeit. Die Existenz ist Ermöglichung der Möglichkeit, d. h. Fähigkeit. Die Art und Weise, wie Heidegger normalerweise solche Fähigkeiten ausdrückt, ist negativ. In diesem Fall ist die Weise, in der die Rede sich als Mög74 75 76
Heidegger, 274. Heidegger, 275. Heidegger, 276 f.
214
lichkeit jedes Artikulierens zeigt, das Schweigen: »Die Gewissensrede kommt nie zur Verlautbarung.«77 Das zeigt, dass die grundlegendste Weise, in der Heidegger die Ermöglichung bzw. Fähigkeit als Grund der Möglichkeit versteht, eine strukturelle Ermöglichung ist und nicht ein so oder so gestalteter Vollzug. Die Ermöglichung ist also die Struktur der Möglichkeit; deswegen offenbart sie sich gerade, wenn es keinen Vollzug gibt. In anderen Worten: Das Sich-Zeigen der Möglichkeit als Möglichkeit geschieht so gerade, wenn im strengen Sinne nichts gekonnt wird. Das Schweigen – negativer und eigentlicher Modus der Rede – offenbart das Dasein als Selbst, nicht als Ich-Man, nicht als dieser oder jener Vollzug, sondern als die Struktur jedes Vollzugs. Also erinnert die Stimme des Gewissens das Dasein nicht daran, »nichts Seiendes zu sein«,78 sondern sie zeigt der phänomenologischen Untersuchung den Weg zur Entdeckung der Grundstruktur des Sich-Zeitigens des Selbst als Woher der Erschlossenheit bzw. Grund der Zeitlichkeit. Das Gewissen offenbart sich als Ruf der Sorge: der Rufer ist das Dasein, sich ängstigend in der Geworfenheit (Schon-sein-in ...) um sein Seinkönnen. Der Angerufene ist eben dieses Dasein, auf-gerufen zu seinem eigensten Seinkönnen (Sich-vorweg ...). Und aufgerufen ist das Dasein durch den Anruf aus dem Verfallen in das Man (Schon-sein-bei der besorgten Welt). Der Ruf des Gewissens, das heißt dieses selbst, hat seine ontologische Möglichkeit darin, daß das Dasein im Grunde seines Seins Sorge ist.79
Das Dasein enthüllt sich so durch sein gliederndes Wesen bzw. die Rede als Grund seines Seinkönnens, indem es sein eigener Rufer ist. Indem das Dasein sein eigener Grund ist, enthüllt es sich als zu seinem Seinkönnen Aufgerufenes und aus der Uneigentlichkeit Angerufenes. Das heißt, dass das Gewissen als Ruf die Sorge als Grund enthüllt. Das Schon-sein-in der befindlichen Geworfenheit, das Sich-vorweg des verstehenden Entwurfs sowie das Sein-bei des Besorgens rufen das Dasein in Richtung Grund an, weil alle diese Glieder der Sorge durch Rede ausgemacht sind. Diese Untersuchung hat schon gezeigt, dass die Rede das gliedernde Wesen der Erschlossenheit ist, und als solche ermöglicht sie die bedeutsame Erschlossenheit der horizontalen Dimension durch die transzendente Erschlossenheit der ekstatischen Dimension.80 Durch diese ermöglichende Einheit erschließt die Rede durch ihre charakterisierten Existenzialien den Sinn.81 Die Erschließung des Sinnes macht die Welt sowie den Wahrheitscharakter alles Seienden aus, das in solcher Welt begegnet.82 Aus dieser wahren Welt versteht sich das Dasein alltäglich und so lebt es zunächst und zumeist im Modus der Uneigentlichkeit. Das Verstehen ist ein Bedeuten, weil sein Wesen 77 78 79 80 81 82
Heidegger, 296. Thomä, »Sprache. Heidegger-Handbuch«, 298. Heidegger, Sein und Zeit, 277 f. Vgl. § 20. Rede ist das artikulierende Wesen der Erschlossenheit. Vgl. § 20. a. Der Sinn ist der Horizont der Rede. Vgl. § 20. b. Der fundamentalontologische Begriff der Wahrheit.
215
ein endliches Gliedern ist, und deswegen ist das In-sein ein Sein-bei, deswegen ist das Da des Daseins bidimensional. Die Rede ist das Wesen der Bidimensionalität, d. h. eine zeitlich konstitutive Struktur der Transzendenz. Nach der Einheit der bidimensionalen Erschlossenheit ist die Entstehung des Selbst nur in der Entfaltung der Welt zu erkennen. Dieser Einheit nach ist nicht nur zu verstehen, wie das Dasein sich immer aus dem anderen Seienden versteht, sondern auch, wie die Zeit sich aus der Zukunft erschließt, um auf ihre Gewesenheit zurückzukommen, indem sie ihre Gegenwart erschließt. In beiden Fällen gibt es eine Widerspiegelungsstruktur und in der Tat in beiden Fällen ist sie dieselbe.83 Solcher Weg aus der Rede zur Uneigentlichkeit wird durch den Ruf des Gewissens rückwärts durchgegangen. Der Ruf des Gewissens ist also die Rede selbst, die sich als Grund bzw. Wesen der Erschlossenheit zeigt, aber solche Rede ruft zugleich zu ihrem eigenen Grund. So enthüllt sich durch den Ruf des Gewissens einerseits die Rede als Grund des erschließenden Charakters der Transzendenz des Daseins und andererseits die Rede als durch ein gewisses Dass konstituierte, aus dem sie ihr Sein gewinnt. Der Ruf weist das Dasein vor auf sein Seinkönnen und das als Ruf aus der Unheimlichkeit. Der Rufer ist zwar unbestimmt – aber das Woher, aus dem er ruft, bleibt für das Rufen nicht gleichgültig. Dieses Woher – die Unheimlichkeit der geworfenen Vereinzelung – wird im Rufen mit-gerufen, das heißt miterschlossen. Das Woher des Rufens im Vorrufen auf... ist das Wohin des Zurückrufens. 84
Hierdurch kann gesehen werden, dass ein Unterschied zwischen dem Selbst und dem Ich besteht. Das Ich, das die Welt erschließt, ist das Man. Das bedeutet, dass die Welt eine Struktur des Daseins selbst ist, weil das Dasein zu ihm selbst nicht gehört, indem es sich selbst als Ich in der Erschließung der Welt konstituiert. Solche Erschlossenheit der Welt ist diejenige des Man. Das Dasein ist kein Subjekt, sondern das Man, weil das Dasein seine Welt ist, d. h., es ist eine Ich-Welt. Das Man impliziert, dass das Ich und die Welt phänomenisch identisch sind. Der Unterschied von beiden ist also von formaler Natur. Das Ich bzw. das Man-selbst ist demzufolge der Verweisungszusammenhang, durch den wir uns selber verstehen, also wer wir sind. Das Selbst ist hingegen unser Dasein in seinem Sein als Zentrum der Erschlossenheit jedes Verweisungszusammenhanges. Der Begriff des Subjekts drückt die Selbigkeit und Beständigkeit eines Vorhandenen und nicht die Selbstheit des Selbst aus, d. h., er entspricht der Realität eines gewissen Dings.85 Das zeigt, dass das »Ich« ein Verweisungszusammenhang ist, den das Selbst als sein eigenes Bild nimmt, und in diesem Sinne ist das Ich tatsächlich ein innerweltliches Seiendes bzw. ein Anderes. In Heideggers Worten: »Selbst seiend ist das Dasein das geworfene Seiende als Selbst. Nicht durch es selbst, sondern an es selbst entlassen aus dem Grunde, um 83 84 85
Vgl. S. 191. Heidegger, Sein und Zeit, 280. Vgl. Heidegger, 320.
216
als dieser zu sein.«86 Die Stimme des Gewissens ist also das Artikulieren selbst, welches jede Artikulation entstehen lässt. Sie ist ein Weg zurück durch die artikulierte Entdecktheit zur artikulierenden Erschlossenheit, sie ist der Weg zur Rede selbst als unser Wesen als Dasein. Solcher Weg ist eine Rückkehr in den Ursprung der Verständlichkeit. Das Dasein ist demzufolge als Woher des Nichts der Erschlossenheit des Sinnes, d. h. der Welt, durch ein Sein charakterisiert, das durch ein »Nicht« bestimmt ist. Das Dasein ist deswegen durch eine Negativität bzw. Nichtigkeit bestimmt, indem es der Grund dieser Nichtigkeit ist. In der Begrifflichkeit von Heidegger wird solche Nichtigkeit ausgedrückt, indem das Dasein als »schuldig« charakterisiert wird.87 Was meint aber genau solcher Begriff der Nichtigkeit bzw. der Schuld? Das Dasein ist durch Bewendenlassen ausgemacht, welches der Grund jeder Bewandtnisganzheit ist, in der Seiendes dem Dasein begegnen kann. Solches innerweltliche Seiende ist wesenhaft anders als das Dasein. Das Dasein lässt etwas begegnen, das sich von ihm selbst wesenhaft unterscheiden lässt. Es begegnet als anderes, d. h. nicht als jenes begegnen lassende Dasein. Das Dasein ist der Grund solcher Begegnung, deswegen ist es selbst der Grund solches Unterschiedes. Die nötige Verweisung der Wahrnehmung oder des Denkens durch die Anschauung zu dem Unbegrifflichen bzw. dem Seienden wird formal als »das Gegebene« bezeichnet. Diese Verweisung charakterisiert letztendlich das Erkennen als endlich und deshalb bezieht sie wesenhaft die Endlichkeit auf die Transzendenz.88 Das Schuldigsein des Daseins ist der Grund für diese Nichtigkeit des Seienden und als solcher Grund hat es nicht denselben Nichtcharakter »wie das in ihm gründende und aus ihm entspringende Privativum«.89 Die Art Nichtigkeit des Daseins ist wesenhaft anders als diejenige des Seienden und in solcher gründet jede andere. Grund-seiend, das heißt als geworfenes existierend, bleibt das Dasein ständig hinter seinen Möglichkeiten zurück. Es ist nie existent vor seinem Grunde, sondern je nur aus ihm und als dieser. Grundsein besagt demnach, des eigensten Seins von Grund auf nie mächtig sein. Dieses Nicht gehört zum existenzialen Sinn der Geworfenheit. Grundseiend ist es selbst eine Nichtigkeit seiner selbst. Nichtigkeit bedeutet keineswegs Nichtvorhandensein, Nichtbestehen, sondern meint ein Nicht, das dieses Sein des Daseins, seine Geworfenheit, konstituiert. 90
Der Begriff der Schuld soll demzufolge aus dem aristotelischen Begriff der ἀιτία verstanden werden. Ἀιτία ist für die Griechen ein Begriff, der zugleich Ursache
86 87 88 89 90
Heidegger, 284 f. Heidegger, 283. Vgl. José García, »Ser, percepción y presencia«, hg. von Bernardo Ainbinder, Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 122. Heidegger, Sein und Zeit, 284. Heidegger, 284.
217
und auch Verantwortung bedeutete, und das ist genau, was Heidegger unter Schuld versteht: das Verantwortlichsein im Sinne des Grundes. Die Faktizität beschränkt den Spielraum des Entwurfs, indem nicht alle Möglichkeiten de dicto zu Möglichkeiten de re werden können. Das Dasein kann nur die Möglichkeiten realisieren, die bei ihm in seiner Umgebung sind. Der Bereich dieser Umgebung wird aber nicht in Meter vermessen, sondern nach der Nähe, welche die daseinsmäßige Räumlichkeit zu den Sachen stiftet. Innerhalb der Beschränkung der Faktizität aber sind die Vollzugsmöglichkeiten noch mal beschränkt. Das Dasein kann nicht mit allem Seienden, das ihm begegnet, umgehen und kann auch nicht jede Möglichkeit vollziehen, die es könnte. Das Dasein muss wählen, es bedeutet, dass die Erschließung einiger Möglichkeiten zugleich die Verschließung anderer ist.91 Das Spiel Erschließung-Verschließung macht das Dasein wesenhaft schuldig. Die Schuld bedeutet also in diesem Sinne ein endliches Sein-bei. Es heißt letztendlich, dass der Entwurf einerseits durch die Nichtigkeit des Grundseins schon bestimmt ist, aber auch andererseits, dass er »als Entwurf selbst wesenhaft nichtig« ist.92 Die Sorge selbst als bidimensionales Phänomen, welches in seiner eigenen ekstatischen Dimension gründet, ist durch den endlichen Charakter der Nichtigkeit bestimmt und so lässt sich die Sorge als »[d]as (nichtige) Grund-sein einer Nichtigkeit« verstehen.93 Daraus lässt sich verstehen, dass die beiden Dimensionen der Erschlossenheit endlich sind, aber auch, dass die Endlichkeit des Grundes einer anderen Natur ist als diejenige der aus ihm entspringenden Welt. Die Schuld bzw. die Nichtigkeit des Daseins als Grund der Erschlossenheit des Seins und der Entdeckung des Seienden ermöglicht das Gewissen, weil die Bedeutung selbst, die durch die Rede entfaltet wird, ein Merkmal einer endlichen Sprache ist.94 Bedeutungen und Verweisungen, die eine Ganzheit der Verständlichkeit entstehen lassen können, sind nur als endlich möglich, weil sie jeweilig den Unterschied zwischen Verweisung, Verwiesenem und Verweisenden voraussetzt. Das Gewissen ist nur möglich als schuldig, 95 also die Rede als gliederndes Wesen der Erschlossenheit ist nur als endliches möglich. Und so wie die Rede jedes Existenzial als gliederndes bestimmt, wird das Dasein durch das Gewissen in jedem Existenzial als Grund entdeckt:
91 92 93 94
95
Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 119. Heidegger, Sein und Zeit, 285. Heidegger, 285. Vgl. Daniel Leserre, »Lenguaje, temporalidad y significado: de la Crítica de la razón pura a Ser y tiempo«, hg. von Bernardo Ainbinder, Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 141 f. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 286.
218
Der Anruf ist vorrufender Rückruf, vor: in die Möglichkeit, selbst das geworfene Seiende, das es ist, existierend zu übernehmen, zurück: in die Geworfenheit, um sie als den nichtigen Grund zu verstehen, den es in die Existenz aufzunehmen hat. 96
Es könnte auch so verstanden werden, dass der Rufende im Gewissen irgendwie ein Anderer ist, der aber kein ›menschliches‹ Anderes ist.97 Das bedeutet aber, dass der Ruf zur Rede gehört, weil die Rede als Artikulation der Erschlossenheit der Grund jedes Gespräches ist. Der Ruf des Gewissens ist die Weise der Rede, durch die ihre Endlichkeit ans Licht kommt. Der Ruf des Gewissens ist die Artikulation zum Anderen, die sozusagen ohne Anderen ins Gespräch gerät. Das Woher des Gewissens zeigt das Artikulieren der Rede als Grund jeder Begegnung. So entsteht hier ein Bezug auf die Todesanalyse: Wenn die Angst die Modifikation zur Eigentlichkeit bereitet und das Gewissen als freies (als Gewissen-haben-wollen) eine Bereitschaft zur Angst bzw. Überantwortung an das Nichts der erschlossenen Welt ist, bestätigt sich noch fester, dass die Rede das Wesen der Erschlossenheit ist. So zeigt sich die Analyse des Gewissens als der Weg zur Charakterisierung des Daseins als Grund der Erschlossenheit. Diese Untersuchung hatte aber diese Gründung durch die Bestimmung der ekstatischen Dimension der Erschlossenheit als Fundament der horizontalen Dimension beschrieben und sie wurde auch nochmals später bei der Bestimmung der Rede als Wesen der Erschlossenheit aufgewiesen. Solche Charakterisierungen haben hier einen neuen Status gewonnen, indem durch sie die Endlichkeit der Existenz gewonnen wurde, welche sich als ein bestimmender Grund gezeigt hat, welcher eines anderen Wesens ist als das Sein der zeitlich erschlossenen Welt. Die Gewissenanalyse ist also ein Weg zur Bestimmung einer möglichen Antwort auf die Seinsfrage.
§ 25. Im Endlichsein des Daseins meldet sich das »Sein« des Daseins als Zeitigung Diese Untersuchung hat gezeigt, dass das Todeskapitel eine entscheidende Rolle in der existenzialen Analytik spielt, weil durch dieses der eigentliche Sinn des Seins-zum-Tode als Sterblichkeit und derjenige der Sterblichkeit als Endlichkeit ans Licht gebracht worden ist. Heidegger fasst solchen Zusammenhang mit den folgenden Worten zusammen: [Das Dasein] hat nicht ein Ende, an dem es nur aufhört, sondern existiert endlich. Die eigentliche Zukunft, die primär die Zeitlichkeit zeitigt, die den Sinn der vorlaufenden Entschlossenheit ausmacht, enthüllt sich damit selbst als endliche.98
96 97 98
Heidegger, 287. Vgl. François Raffoul, Heidegger and the subject, [Repr.] (Amherst, NY: Humanity Books, 2003), 229. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 329.
219
Die Analyse des Todes lässt sich aber auf der Suche einer strengeren Bestimmung der Endlichkeit des Daseins noch vertiefen. Damit sind zwei von den Charakteren des Begriffs des Seins-zum-Tode besonders nützlich, nämlich Unbezüglichkeit und Unüberholbarkeit. 1. Unbezüglichkeit. Durch die Unbezüglichkeit des Todes ist zu bemerken, dass es eine leibliche Dimension im Möglichkeitscharakter des Daseins gibt, da der Tod sich unteilbar zeigt, weil solcher nur ›am eigenen Leib‹ erfahrbar ist.99 Der Begriff des Todes als der unbezüglichsten Möglichkeit ist so eine Radikalisierung der Charakteristik der Jemeinigkeit des Daseins, deswegen wird solcher Charakter der Selbstheit im Sein-zum-Tode entschieden.100 Die Analyse des Seins-zum-Tode ist aber eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Analyse des geworfenen Entwurfs, deshalb wird dadurch solche Analyse auf einer neuen Radikalisierungsstufe durchgeführt. 2. Unüberholbarkeit. Das Dasein ist andererseits zukünftig »existierend als die unüberholbare Möglichkeit der Nichtigkeit«.101 In welchem Sinne ist der Tod eine unüberholbare Möglichkeit? Ist der Tod eine unüberholbare Möglichkeit, weil, wenn der Tod kommt, nichts mehr dagegen zu tun ist? Besteht diese Unüberholbarkeit im Versprechen des künftigen Todes, d. h. in der Unmöglichkeit, die Verwirklichung solcher Möglichkeit des Nicht-mehr-Seins zu vermeiden? Nein. Die Unüberholbarkeit des Seins zum Tode besagt nichts über die Verwirklichung einer künftigen Möglichkeit, welche wir jetzt noch nicht sind, sondern einen Charakter unseres Modus, möglich zu sein. Die Unüberholbarkeit meint so nicht, dass das Dasein seinen Tod nicht überleben kann, sondern dass es als mögliches durch Endlichkeit ausgemachtes sich selbst nicht überholen kann. Als Mögliches bleibt so das Dasein in sich enthalten. Das Dasein ist aber auch in einem anderen Sinne möglich, nämlich als die Erschlossenheit der Bedeutsamkeit (Möglichkeiten de dicto), und dadurch kann das Dasein die Möglichkeiten, die es selbst ist (Möglichkeiten de re), überholen. Das Dasein ist in diesem Sinne als endliches »selbst geschlossen«, und als solches der Nichtigkeit ermöglichendes.102 Die Unüberholbarkeit des Todes stellt so die zeitigende Dimension der Ganzheit des Daseins dar. Der Tod – die gekonnte Unfähigkeit – ist unüberholbar, weil er eine Grenze ist, die nicht überwunden werden kann.103 Die Fähigkeit ist unfähig, sich selbst als Fähigkeit zu überholen. Dieser Zusammenhang zeigt eine wesenhafte Verbindung zwischen Zeitigung, Ganzheit und Leben auf: Die Zeitigung ist die phänomenologische Charakteristik des Lebens als Ganzheit der Möglichkeit.
99 100 101 102 103
220
Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 159. Vgl. Dittus, 167. Heidegger, Sein und Zeit, 330. Heidegger, 330. Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 159.
Die Endlichkeit im Geschehen des Daseins, die sich in der Unüberholbarkeit des Todes meldet, zeigt sich in den zwei Enden seines Seins, welche das Dasein als ein »Zwischen« charakterisieren. Das faktische Dasein existiert gebürtig, und gebürtig stirbt es auch schon im Sinne des Seins zum Tode. Beide »Enden« und ihr »Zwischen« sind, solange das Dasein faktisch existiert, und sie sind, wie es auf dem Grunde des Seins des Daseins als Sorge einzig möglich ist. In der Einheit von Geworfenheit und flüchtigem, bzw. vorlaufendem Sein zum Tode »hängen« Geburt und Tod daseinsmäßig »zusammen«. Als Sorge ist das Dasein das »Zwischen«.104
Solche zwei »Enden« im Sein des Daseins entsprechen zwei Modi, in denen die Existenz beschränkt wird. Das Geschehen des Daseins ist derart, dass die Existenz im doppelten Sinne endlich ist. Das Dasein existiert selbst als eine Erstrecktheit zwischen der Geburt und dem Tode, welche sich zugleich von diesen Enden bestimmen lässt, denn »gebürtig bin ich gewesen und als sterbend bin ich wesenhaft zukünftig«.105 Solche Beziehung der Gewesenheit bzw. Faktizität des Daseins zur Geburt ist besonders interessant, wenn betrachtet wird, dass die Existenzialien die Existenz je im Ganzen bestimmen. Das Dasein ist durch und durch gebürtig. Solche Betrachtung fungiert so als hermeneutisch phänomenologische Feststellung, dass das Sein-zum-Tode je ein Vom-Leben-her-Sein bedeutet. Solches Verhältnis sowohl zwischen der Faktizität und der Geburt – Dasein ist gewesen gebürtig – als auch dem Entwurf und dem Tode – das Dasein ist zukünftig sterbend – zeigt, dass beide Existenzialien verschiedenen Seinsweisen entsprechen, welche sich aufeinander nicht zurückführen lassen. Obwohl Existenzialität und Faktizität ekstatische Horizonte, d. h. nichts Vorhandenes, sind, verschmelzen sie nicht ineinander. Solche Irreduzibilität der Grundexistenzialien gründet in der Endlichkeit des Daseins, welche als Stoßpunkt jeder Radikalisierung der Untersuchung fungiert. »Tiefer« als die Endlichkeit oder »hinter« ihr gibt es nicht. Das menschliche Dasein wird durch seine Endlichkeit als ein Seiendes charakterisiert, das durch ein existenziales »Zu« ausgemacht ist. Durch die Befindlichkeit der Angst ist das Dasein als ein Sein-zu als solches charakterisiert. Durch den Entwurf auf den Tod ist das Dasein als Sein-zur-künftigen-Unmöglichkeit bestimmt. Durch die Schuld als Grund einer Nichtigkeit ist das Dasein als Seinzum-Seienden verstanden106 und als Sein-zu-ihm-selbst durch das Woher des Gewissens. Das Dasein ist ein endliches Zeitliches, d. h. ein Verstehendes. Die Struktur solches Verständnisses ist, wie gezeigt, wesenhaft ein Sein-zu.107 Sie ist aber weder eine logisch abstrakte noch eine rein formale Struktur, sondern sie 104 105 106 107
Heidegger, Sein und Zeit, 374. Heidegger, Geschichte, 140. In der Heidegger’schen Analyse fehlt das Sein-zum-Anderen, wie Luckner gut merkt. (Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 163.) Vgl. S. 182.
221
ist die grundsätzlichste Art und Weise des Geschehens des Daseins, d. h. des seinsverstehenden Lebens, welches die Struktur der Zeitigung der Zeitlichkeit hat. Wie diese Untersuchung die Endlichkeit des Daseins versteht, hat mit einem Todesbewusstsein, das die ursprüngliche Zeit als »ekstatisch-endliche Lebenszeit« versteht, nichts zu tun.108 Die Endlichkeit des Daseins hat in ihrem radikalsten Sinne nicht damit zu tun, dass das Ganze seiner ›Zeit auf der Erde‹ zu seinem Ende kommen muss, sondern damit, dass sein Leben in jedem Moment endlich ist, weil die Struktur des Vollzugs seiner Existenz, die sie ermöglicht, sie zugleich begrenzt. Zeit ist an dem, was dem innersten Wesen der Endlichkeit des Daseins entspringt, beteiligt (ermöglichend). Zeit ist selbst das innerste Wesen der Endlichkeit des Daseins. Zeit als Verfassung des Da-seins, seiner Endlichkeit. Als solche ist sie die Bedingung der Möglichkeit von Seinsverständnis, seiner metaphysischen Notwendigkeit.109
Die Zeit, von der an dieser Stelle die Rede ist, ist die ursprüngliche Zeit, die als Zeitigung der Zeitlichkeit zu verstehen ist. Die Endlichkeit ist also der Zeitigung eigentümlich. Das menschliche Dasein als endliches ist in diesem Sinne »vor allem von innen her begrenzt«.110 Die »tiefste« Endlichkeit der Transzendenz liegt darin, dass das Sein des Seienden nur verstehbar ist, wenn »das Dasein im Grunde seines Wesens sich in das Nichts hineinhält«.111 Solches Geschehen ist die Grundbefindlichkeit der Angst, welche auch schuldig im Sinne des Grundes einer Nichtigkeit ist, deswegen ist sie grundsätzlich für die Ausweisung der Seinsverfassung des Daseins und als solche für die Fundamentalontologie, sofern solche Seinsverfassung die Quelle der Antwort auf die Seinsfrage darstellt. Im Sein zum Tode als Sein zur Unmöglichkeit hat das Dasein »nicht ein Ende, an dem es nur aufhört, sondern existiert endlich«.112 Das Dasein als gebürtig Sterbendes existiert endlich, es heißt in anderen Worten, dass die Zukunft, die sich im daseinsmäßigen Sich-vorweg erschließt – und eigentlich in der vorlaufenden Entschlossenheit –, aus welcher die Zeitlichkeit primär gezeitigt wird, sich selbst als endlich meldet. Die ursprüngliche Zeit ist das Sich-Zeitigen aus dem Sich-vorweg, welche endlich ist. Das endliche Sich-Zeitigen des Daseins ist also der Grund der Zeit und deshalb des Seinsverständnisses. Die hermeneutisch phänomenologische Idee, an der diese Untersuchung gestoßen ist und sich festhalten will, lautet: »Das Dasein ist geworfenes, faktisches, durch seine Leiblichkeit ganz inmitten der Natur, und gerade darin, daß 108 109 110
111 112
222
Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 67. Heidegger, Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart, 46. Dieter Sturma, »Die Davoser Disputation zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger. Kontroverse Transzendenz«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 88. Heidegger, Kantbuch, 238. Heidegger, Sein und Zeit, 329.
dieses Seiende, inmitten dessen es ist und wozu es selbst gehört, von ihm überschritten wird, liegt die Transzendenz.«113 Solche Idee des Daseins inmitten seiner Transzendenz wurde schon in dieser Arbeit unter dem Begriff des Daseins als Schwerpunkt ausgearbeitet.114 Jetzt ist aber nur zusätzlich ans Licht gekommen, dass solcher Charakter der Transzendenz durch die Leiblichkeit des Daseins konstituiert wird. Heidegger ist aber in solchem Thema nicht konsistent, indem er dann andere Kriterien für die Behandlung solchen Themas einführt, welche einen versteckten Platonismus darstellen, den diese Untersuchung aus methodischen Gründen vermeiden muss. Heidegger sagt in solchen späteren Analysen, dass die Vernunft sinnlich ist, nicht weil sie an einem Leib geknüpft ist, sondern dass der Mensch einen Leib hat, »weil die Transzendenz als solche a priori sinnlich ist«.115 Solche nicht phänomenologische Idee hat sich in ihm aber mit der Zeit nur verstärkt: Dass der Mensch gerade Augen und Ohren hat, ist absolut zufällig. Absolut notwendig für das endliche Wesen ist, daß es Rezeptivität hat und mögliche Organe. Daher ist der Begriff der Sinnlichkeit nicht aus den Sinnesorganen zu bestimmen. Sinnesorgane haben wir nur, weil unser Wesen endlich ist. Diesen Sachverhalt hat Kant zum ersten mal deutlich gesehen. Man kann nicht sagen, daß das bis heute in seiner Tragweite eingesehen wäre. Endliche Anschauung ist also notwendig als Sinnlichkeit bestimmt, wobei die Art der Affektion eine sekundäre Frage ist.116
Solche Idee vertritt noch mal eine platonische Bedeutung der Möglichkeit, welche aber von dieser Untersuchung schon widerlegt wurde:117 Idee bedeutet Möglichkeit nur als Projektion der wesenhaften Struktur eines Seienden, demzufolge ist sie nur als ein abkünftiger Modus der Bedeutung zu verstehen, welche den sekundären Sinn der Möglichkeit darstellt. Möglichkeit ist primär nur aus einer und als eine Fähigkeit zu verstehen.118 Die Untersuchung steht an diesem Punkt bei der Feststellung einer inneren Endlichkeit im menschlichen Dasein. Deswegen muss sie noch dieses metaphysische Vorurteil in der Analyse der Endlichkeit widerlegen, damit ihr hermeneutisch phänomenologisches Vorgehen gesichert werden kann. Die folgende Widerlegung der Heidegger’schen Behandlung der endlichen Sinnlichkeit hinsichtlich seiner Leiblichkeit beruht auf dem Verständnis der Möglichkeit, das diese Untersuchung schon gewonnen hat. Es ist klar, dass der Mensch nur leiblich »leben« kann, indem er transzendiert und als leiblicher sich versteht, aber es ist auch klar (für Heidegger aber offensichtlich nicht so sehr), dass die Sinnlichkeit nur
113 114 115 116 117 118
Heidegger, Anfangsgründe, 212. Vgl. S. 119. Heidegger, Kantbuch, 172. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, 261. Vgl. S. 158 ff. Vgl. § 19. Möglichkeit als Fähigkeit und Bedeutung.
223
leiblich möglich ist und deswegen auch die Transzendenz.119 Wie könnte sonst möglich sein, dass jemandem die Transzendenz dadurch entzogen wird, dass er (tatsächlich) den Kopf verliert? Er bleibt in jedem Moment endlich, aber die Transzendenz ist nach dem »Kopfverlust« vorbei. Dasselbe passiert mit den Sinnesorganen (und das Gehirn ist das wichtigste Sinnesorgan!): Man verliert die Augen und mit ihnen die Sehkraft. Die Transzendenz ist also eine Fähigkeit des Leibes, das endlich und sinnlich ist. Der Leib ist kein Werkzeug bzw. Mittel einer irgendwie schon existierenden Transzendenz, sondern die Transzendenz existiert erst leiblich. Jede Sinnlichkeit ist also nur aus dem organischen Leben zu beschreiben. Die Sinnlichkeit wird so erst durch das Organ möglich. Die Rede von einer Sinnlichkeit, die ›etwas‹ bestimmt, bevor dieses etwas die jeweiligen Organe besitzt, ist einfach Widersinn. Solche Ideen offenbaren einen zugrunde liegenden Platonismus, welcher phänomenologisch nicht zu unterstützen ist. Phänomenologisch zeigt sich die Sinnlichkeit als Sinnlichkeit des Organes, d. h. als ein Charakter seines Geschehens. Die Organe sind demzufolge nicht zufällig, weil sie die Art seiner Sinnlichkeit notwendig bestimmen. Es ist wirklich nur Schwachsinn zu sagen, dass der Mensch durch Sinnlichkeit ausgemacht ist, und zugleich, dass die Organe sekundär bleiben, wenn es selbstverständlich ist, dass ohne Organe keine Sinnlichkeit bzw. Rezeptivität möglich wäre. Die sinnlichen Organe eines sinnlichen und leiblich lebendigen Organismus sind also seine Sinnlichkeit selbst, die so geschieht. Das zeigt letztendlich, dass die Endlichkeit des Daseins im Grunde auf seiner Leiblichkeit beruht. Das Dasein ist lebendige Materie und das ist auch phänomenologisch ernst zu nehmen, weil nur so die Endlichkeit des Daseins auch phänomenologisch festzuhalten und zu beschreiben ist. Eine rein begriffliche Endlichkeit des Daseins kann seine eigene Struktur nicht wirklich herausfinden, sofern das Beschriebene kein Begriff ist, sondern ein Phänomen und vielleicht das tiefste und deshalb von jedem Begriff am weitesten liegende unter allen den Phänomenen. Heidegger fragt unermüdlich immer wieder in verschiedenen Vorlesungen, was die Endlichkeit eigentlich bedeutet. Er antwortet aber nicht, was sie heißen soll, sondern wenn er schon eine mögliche Antwort gefunden hat, dann fragt er lieber weiter. Warum macht er es so? Es ist gut möglich, dass Heidegger solcher Antwort auf die Endlichkeitsfrage ausweicht, weil er sich sonst mit einem für ihn feindseligen Begriff auseinandersetzen muss: das Vorhandensein. Was sich in der leiblichen Endlichkeit der Zeitigung der Existenz meldet und letztendlich was sie eigentlich heißt, ist das Vorhandensein des Daseins. Solcher Begriff des Vorhandenseins soll aber nicht mit der Vorhandenheit des Seienden ver119
224
Dazu José Pedro Cornejo, »La existencia como diferencia ontológica: el descubrimiento del cuerpo como nuevo existenciario«. Análisis 47, Nr. 87 (Juli 2015): 407-20; und »Existencia bidimensional y corporalidad trascendente: el trato técnico a la luz de la fenomenología hermenéutica«. In Redefinir lo humano en la era de la técnica, herausgegeben von Oscar Donato, Diana Muñoz, und Ángel Rivera. Bogotá: Universidad Libre, 2020.
wechselt werden.120 Das Dasein ist vorhanden, es ist doch ein Faktum, dennoch ist seine Art und Weise, vorhanden zu sein, wesenhaft anders als das Vorhandensein eines Steines, es ist aber trotzdem gleich vorhanden im Sinne des Stattfindens eines Etwas. Heidegger erklärt es so: »Dasein ist in einem radikalen Sinn ›vorhanden‹, im Sinne der Faktizität«,121 d. h. die nackte Tatsächlichkeit des Daseins ist das Vorhandensein eines Horizonts. Das Vorhandensein des Daseins hat die Weise des Geschehens, welches aus sich selbst nur als ein Sich-Zeitigen zu verstehen ist. Die Endlichkeit des Daseins bzw. der Zeitlichkeit »besagt nicht primär ein Aufhören, sondern ist ein Charakter der Zeitigung selbst«.122 So ist das Sich-Zeitigen bzw. die Zeitigung die tiefste Bestimmung und der letzte Grund der Erschlossenheit des Seins überhaupt, indem es die Ermöglichung solchen Horizonts ist. Heidegger behauptet: »Dergleichen wie Sein gibt es nur und muß es geben, wo Endlichkeit existent geworden ist.«123 Die Endlichkeit ist die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses und deswegen auch des Seins, solche Endlichkeit ist aber immer die eines Seienden. Demzufolge wird verständlich, dass es Sein nur gibt, sofern dieses Seiende existiert. Daraus entsteht die Frage: Von wo aus ist dann solches Seiende, nämlich das Dasein, unter dem Begriff Seiendes zu nennen? Die Antwort lautet, dass das Dasein aus ihm selbst her den Titel Seiendes gewinnt, indem solches Dasein als Erschlossenes die Entfaltung des Seins überhaupt ist. Endlichkeit ist demzufolge eine »wirkende Kraft«,124 die so das Vorhandensein des Grundes ausdrückt und deshalb den Weg der phänomenologischen Entdeckung des Seins anzeigt. Das Sein bedeutet der endlich sich zeitigende Grund. Das Sein des Grundes ist die Zeitigung der Existenz selbst. Durch solche Bestimmung ist eine mögliche Antwort auf die Seinsfrage erreicht. Das Dasein ist nicht insofern selbst der Grund seines Seins, als dieser aus eigenem Entwurf erst entspringt, wohl aber ist es als Selbstsein das Sein des Grundes. Dieser ist immer nur Grund eines Seienden, dessen Sein das Grundsein zu übernehmen hat.125
Endliches Wesen bedarf der Transzendenz, d. h. des Grundvermögens einer Zuwendung-zu …, die ihren eigenen Spielraum offen halten kann.126 Das bedeutet in anderen Worten, dass nur ein endliches Seiendes transzendieren kann, und deswegen, dass die Transzendenz selbst auf der Endlichkeit gründet. Heidegger erklärt solchen Zusammenhang so: »Das Wesen der Endlichkeit des Daseins enthüllt sich aber in der Transzendenz als der Freiheit zum Grunde.«127 120 121 122 123 124 125 126 127
Vgl. S. 116. Heidegger, Prolegomena, 402. Heidegger, Sein und Zeit, 330. Heidegger, Kantbuch, 228. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, 306. Heidegger, Sein und Zeit, 285. Vgl. Heidegger, Kantbuch, 71. Heidegger, »Vom Wesen des Grundes«, 175.
225
Die Nichtigkeit im Wesen des Daseins ist »als Seinsart des Daseins selbst [zu verstehen], d. h. als Spiel, auf das der Mensch gesetzt ist«.128 Solches Spiel, nämlich solche Nichtigkeit, ist das Wesentliche der Welt, die nur als die horizontale Dimension der Existenz zu fassen ist. Die Endlichkeit ist demzufolge als die innerliche Struktur des nichtigen Grundes der Nichtigkeit zu verstehen, der durch den Ruf des Gewissens ans Licht gebracht wurde. Auf dieser Stufe der Thematisierung wird nicht mehr die Bidimensionalität der Erschlossenheit thematisiert, sondern ihr Grund enthüllt, in welchem das Sein hingegen nicht mehr ekstatisch-horizontal zu verstehen ist. Die Antwort auf die Seinsfrage ist »zuinnerst verhaftet mit der Endlichkeit des Daseins«.129 In der Endlichkeit enthüllt sich, dass das Sein des Daseins sich von seinem Sein als Erschlossenheit der Wahrheit unterscheidet. Heidegger behauptet durch den folgenden Satz, dass die Endlichkeit der Grund der Grundartikulation des Seins ist: »Grund der Spaltung [zwischen Was-Sein und Daß-Sein]: Endlichkeit«.130 Damit wird gemeint, dass solcher Begriff der Endlichkeit eine Bedeutung des Seins darstellt, die durch diese Spaltung artikuliert wird. In anderen Worten: Der Grundartikulation des Seins, welche eine Duplizität an Weisen des Begegnenlassens ausdrückt, liegt eine echte Spaltung im Sein überhaupt zugrunde, die sich in der Grundartikulation des Seins meldet. Diese jetzt durchgeführte formale Bestimmung der Endlichkeit als Eingeschränktheit131 ist aus ihrer innerlichen Struktur zu verstehen, welche sich als Drang ausdrücken lässt. Die Charakteristik des Dranges bedarf einer weiteren und tieferen Analyse, die im Folgenden durchzuführen ist.
128 129 130 131
226
Heidegger, Einleitung in die Philosophie, 336. Heidegger, Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart, 237. Heidegger, 43. Vgl. Martin Heidegger, »Aus der letzten Marburger Vorlesung«, in Wegmarken, hg. von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Gesamtausgabe 9 (Frankfurt am Main: Klostermann, 1976), 96.
Kapitel IX: Vorläufige Ergebnisse der reduktiven Destruktion der Daseinsanalytik Der Zweck der hermeneutischen Phänomenologie ist eine Auslegung von dem, was sich meldet in dem, was sich zeigt. Solche Auslegung ist aber keine literarische oder philologische, auch nicht historische oder journalistische, sondern eine methodische Ausstellung des Phänomens im Sinne einer Herausstellung des methodisch neugewonnenen Grundes jeder Erscheinung: das Sehenlassen der Phänomenalität selbst.1 Durch die hermeneutisch phänomenologische destruktive Reduktion der Untersuchung auf die Bedeutung von Sein wurden schon zwei Wege durchlaufen. Solche Wege haben sich durch die Bestimmung des Begriffs der Möglichkeit eröffnet. Durch solche Wege haben sich zwei mögliche Antworten auf die Seinsfrage ergeben. Deswegen muss jetzt die Untersuchung kundgeben, ob der Weg der ontologischen Differenz günstig für die Analyse war und welche Probleme sich herausgestellt haben, um die Fundamentalontologie verstehen zu können (§ 26. Die ontologische Differenz und das Problem der Fundamentalontologie), sowie was sich durch diesen Weg gemeldet hat, das jetzt zum Vorschein gebracht bzw. entdeckt werden muss, damit die vorgelegten Inkohärenzen der Fundamentalontologie verstanden werden können (§ 27. Enthüllung des fundamentalen Unterschieds). Die Entdeckung des fundamentalen Unterschieds ist einer der Hauptzwecke dieser Untersuchung.
§ 26. Die ontologische Differenz und das Problem der Fundamentalontologie Die ontologische Differenz gehört zu den sogenannten Grundproblemen der Phänomenologie dazu und als solche fungiert sie als Leitfaden dieser Untersuchung. Indem die ontologische Differenz eine Grundstruktur des Seins ist und alles, was in der menschlichen Erfahrung vorkommt, auf die eine oder ander Weise »ist«, zeigt sich solche Differenz als eine ausgezeichnete Struktur für eine Untersuchung über die Bedeutung von Sein und als ein gutes Kriterium für die Ausarbeitung von Begriffen, die bezwecken, solche Bedeutungen zu bestimmen. Und so ist die ontologische Differenz von dieser Untersuchung gebraucht worden: als der Pfad, den es zu durchschreiten gilt, aber auch als die Machete, die solchen Pfad öffnet, wenn der Wald keine weitere Alternative anbietet. Die Aufgabe besteht also darin, durch den einleuchtenden Charakter der ontologi-
1
Vgl. S. 37.
227
schen Differenz das »enorme Rätsel« zu lüften, das solche Differenz in sich selbst bringt.2 Die Grundprobleme der Phänomenologie, zu denen die ontologische Differenz dazugehört, lassen sich so einordnen, dass sich immer, wenn aus einem zum nächsten in der Untersuchung fortgeschritten wird, eine Vertiefung in der Untersuchung offenbar wird, durch welche sich eine neue Perspektive eröffnet.3 Es bedeutet, dass jedes Grundproblem eine Antwort gibt, welche zu einem neuen und wesentlicheren Problem führt. Deshalb muss die Analyse mehrmals wiederholt werden, jedes Mal aber in einem neuen Stadium des Verständnisses, d. h. mit einer neuen Radikalität. Ausgehend davon, dass wir im Leben Seiendes von verschiedenen Arten erfahren, welches zu verschiedenen Regionen der Erfahrung bzw. des Seins gehört, erfahren wir die Natur als Zahlen, Leben, Räume und Menschen u. a. Solche Regionen konstituieren sich aus verschiedenen Weisen und Verbindungen der Modi existendi (Wie) und essendi (Was) des Seienden, obwohl wir sagen, dass alles einfach ›ist‹. So ist das erste Problem die Einheit der Seinsidee und ihrer regionalen Abwandlungen und das zweite ist der Grund dieser Mannigfaltigkeit in der Gliederung von essentia und existentia – die Grundartikulation des Seins –, wo man schon die phänomenologisch reduktive Tendenz der Untersuchung sehen kann. Solche Artikulation ist eine Spaltung der Bedeutung des Seins des Seienden, deswegen ist der nächste Schritt eine Thematisierung des Unterschiedes zwischen dem Sein – das existentia und essentia bedeutet – und dem Seienden, das von solchem Sein bestimmt und konstituiert wird. Dieses Problem ist die sogenannte ontologische Differenz. In diesem Leitfaden ist jetzt klar, dass das nächste Problem mit der Weise zu tun hat, in der das Sein das Seiende bestimmt, sofern das Sein im Seinsverständnis existiert, welches dem Dasein ermöglicht, auf Seiendes zuzugreifen. Das ist das Problem des veritativen Charakters des Seins. Die vorliegende Darstellung der Problemkette und ihrer Entdeckungsordnung zeigt, dass die Fragestellung bei jedem neuen Problem immer radikaler und deswegen ursprünglicher als bei den vorherigen ist. Die ontologische Differenz drückt eine der wichtigsten Ideen Heideggers aus. Diese will zeigen, dass einerseits das Sein immer Sein eines Seienden ist und dass andererseits das Sein immer von Seiendem ganz unterschiedlich ist.4 Beim ersten Anblick scheint diese Definition selbstverständlich zu sein, weil Be2 3 4
Vgl. Grondin, »Wiedererweckung der Seinsfrage«, 5. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 191 ff. Aus dem hier und früher Gesagten (vgl. § 6. Die ontologische Differenz ist der Leitfaden dieser Untersuchung) ist klar, dass die Hermann’sche Definition der ontologischen Differenz unangemessen ist. Solcher Definition nach bedeutet die ontologische Differenz den Unterschied vom Einfachen des Seins und dem Mannigfachen der Seinsarten und ihren kategorialen Strukturen. (Vgl. von Herrmann, Subjekt und Dasein, 68.) Der Unterschied zwischen dem Sein und den Seinsarten ist aber nicht die ontologische Differenz, sondern das Problem der Einheit des Seins und seiner regionalen Abwandlungen. Von Hermann
228
stimmtes seine Bestimmtheit wegen der Tätigkeit oder des Einflusses eines Bestimmenden erreicht, welches als letzter Grund der Bestimmung nur unbestimmt bleiben muss, weil solches die Bestimmung nur geben und nie bekommen kann. So wird der Unterschied zwischen beiden Momenten der ontologischen Differenz klar: Das Bestimmte ist ein Seiendes und das Bestimmende ist das bzw. sein Sein. Das Verständnis solcher Differenz wird aber komplizierter, wenn herausgestellt wird – wie in der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie der Fall ist –, dass ihr Grund ein besonderes Seiendes ist. Infolgedessen handelt nun die ontologische Differenz von einem Bestimmten, das von einem bestimmenden Unbestimmten bestimmt wird, welches aber seinerseits als ein Bestimmtes geschieht. Dieses dritte Kettenglied ist das Seiende, das wir sind, nämlich das Dasein. Die Betrachtung der ontologischen Differenz steigert sich um Komplexität, wenn berücksichtigt wird, dass das Dasein als durch die Existenz konstituiertes Seiendes der Grund der ontologischen Differenz ist, wie diese Untersuchung schon früh dargestellt hat.5 Der Terminus »Dasein« wurde von Heidegger ausgewählt als ein reiner Ausdruck des Seins des zu beschreibenden Seienden, nämlich wir bzw. der Mensch.6 Wenn der Terminus Dasein von Heidegger verwendet wird, entspricht er also dem Sein des genannten Seienden sowie der Seinsart solches Seienden. Diese Untersuchung ist aber in der Behandlung dieses Themas sehr vorsichtig, weil Heidegger auch mehrmals behauptet, dass das Dasein je das Seiende ist, das wir selbst sind.7 Der Begriff Dasein meint also eine Seinsart und ein Seiendes zugleich, was offensichtlich eine Zweideutigkeit ist, welche die Klarheit und Kohärenz der Beschreibung negativ affiziert. Solche Zweideutigkeit lässt sich aber lösen, wenn der Begriff von Existenz verwendet wird, falls die bestimmte Seinsart des Daseins angesprochen wird, sodass einerseits Existenz das Sein des Daseins und andererseits Dasein das Seiende als bestimmte Konkretion eines Seins bedeuten. In dieser Weise ist diese Untersuchung von Anfang an vorgegangen.8 Der Unterschied von Existenz und Dasein offenbart schon von vornherein, dass die ontologische Differenz ein Konstituens der Seinsverfassung des Daseins ausdrückt. Das Sein des Daseins bzw. die Existenz ist aber scharf von anderen Seinsarten zu unterscheiden. Die Existenz ist wesenhaft anders als die existentia, insofern sie das Sein des Vorhandenen hinsichtlich der Grundartikulation des Seins bedeutet. Solcher Unterschied besteht darin, dass das Dasein das Seiende ist, dessen Wesen seine Existenz ist. In anderen Worten:
5 6 7 8
verwechselt solche zwei verschiedenen Grundprobleme in seinem Versuch, die ontologische Differenz zu erklären. Der Fehler von Herrmanns ist aber nicht zu übersehen, weil es in solchem Problem der regionalen Abwandlungen wirklich um keine Differenz geht, sondern um eine Einheit von jeder Seinsart in der Hauptstruktur des Seins überhaupt. Vgl. § 12. Die bidimensionale Erschlossenheit ist der Grund der ontologischen Differenz. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 12. Vgl. Heidegger, 7 f.; 11 ; 13 ff. u. v. a. (m.). Vgl. Kapitel III. Dasein, Existenz und Transzendenz.
229
Was das Dasein ist, wird bestimmt von dem, wie solches ist. Die selbstverständliche Frage lautet also: Und wie ist dann das Dasein? Die direkte und einfache Antwort würde so lauten: Das Dasein ist transzendent, möglich und faktisch, wie schon gesagt, aber auch intentional. Der intentionale Charakter der Existenz unterscheidet das Dasein von anderem Seiendem, weil das Vorhandene »sich nicht zu Vorhandenem in der Weise des intentionalen Sichrichtens darauf verhalten kann«.9 Solcher Richtungssinn, der zum intentionalen Verhalten des Daseins gehört, wird verstanden »als das zur Intentionalität gehörige Seinsverständnis«.10 Nur das Seiende, das vom Seinsverständnis ausgemacht wird, kann sich auf das andere Seiende richten, deshalb kann ein Vorhandenes nie ein anderes Seiendes berühren, obwohl es mit ihm in Kontakt steht.11 »Sein bei … ist nicht Vorhandensein neben …«, weil in diesem Vorhandensein das Seiende nicht erscheint, d. h., sich nicht zeigt.12 Das In-Sein des Daseins ist vollkommen anders als das Sein-in des Vorhandenen: Das Vorhandensein und Vorkommen innerhalb der Welt ist scharf zu scheiden von dem In-Sein in einer Welt, das zur wesenhaften Seinsart des Daseins gehört. Ein Stein oder Tisch ist innerhalb der Welt vorhanden, d. h. ein Weltding; er »ist« aber nie in einer Welt im Sinne des In-Seins und Seins-bei einer Welt. Ein Mensch dagegen ist streng genommen nie innerhalb der Welt vorhanden; er gewinnt diese scheinbar primäre Art des Seins erst, wenn er tot ist– dann ist in der Tat nur noch etwas vorhanden, gerade weil er nicht mehr da ist im explizierten Sinn des Daseins.13
Die Erschlossenheit, wegen welcher das Dasein sein Da ist und sowohl alles in solchem Da als auch sich selbst aus diesem Da her versteht – denn »›Da‹ ist das Sein selbst, das wir Dasein nennen«14 –, ist von den Existenzialien der Befindlichkeit und des Verstehens ausgemacht, deren Gliederung die Rede und deren ekstatische Struktur das Verfallen ist, indem sie in eins ihren Horizont konstituieren: die Welt. In dieser gegliederten gliedernden befindlich-verstehenden Erschlossenheit der Welt hat das Existenzial des Verstehens einen gewissen Vorrang. Das Dasein ist immer schon befindlich bei den Möglichkeiten, die es entwerfend erschlossen hat, weil der Entwurf und die Befindlichkeit gleichursprünglich sind. Der Entwurf ist immer gestimmt und das Sich-Befinden ist immer mitten in einem schon entworfenen Da. Das bedeutet, dass »[d]er Entwurf des eigensten Seinkönnens […] dem Faktum der Geworfenheit in das Da überantwortet« ist.15 Die Erschlossenheit des Daseins ist vorrangig ein Verstehen, und zwar ein solches des Seins. Die zeitlich seinsverstehende Erschlossenheit der Transzendenz der Existenz ist vorrangig die Sicht des Daseins als Lichtung 9 10 11 12 13 14 15
Heidegger, Grundprobleme, 90. Heidegger, 159. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 55. Heidegger, Anfangsgründe, 159. Heidegger, Logik, 240. Heidegger, Prolegomena, 349. Heidegger, Sein und Zeit, 148.
230
vor jedem Erkennen und jeder Wahrnehmung.16 Wenn es verstanden wird, dass das Verstehen als Entwurf einer anderen Natur als Erkennen und Wahrnehmen ist, dann lässt sich behaupten, dass die Erschlossenheit wesenhaft vor allem durch Verständnis im weiteren Sinne ausgemacht ist. Die erschließende dem In-Sein gehörige Lichtung des Daseins ist sein Verständnis »im Sinne der genuinen Zueignung von Seiendem begriffen, zu dem sich Dasein gemäß seiner wesenhaften Seinsmöglichkeiten verhalten kann«.17 Das nicht daseinsmäßige Seiende begegnet in solchem schon zeitlich erschlossenen Horizont immer nach einer gewissen und schon bestimmten Seinsart. Das Seiende kann darin vor- oder zuhanden, aber auch natürlich, bestehend oder mitseiend begegnen. Hierdurch erscheint besonders interessant für diese Untersuchung, dass das Sein des Seienden nichts Eigentümliches im Seienden, sondern etwas bedeutet, was ihm irgendwie entspricht, aber so, dass ein und dasselbe Seiende beispielsweise einmal vorhanden und ein andermal zuhanden oder sogar als verschiedene »Dinge« begegnen kann.18 Bei der Beschreibung des Seins des innerweltlichen Seienden und der Welt wurde schon auf diesen Punkt ein gewisser Akzent gesetzt, besonders bei den drei Modi der Verweisungsstörungen und darunter noch besonders bei der Aufdringlichkeit des Fehlens,19 nach der sogar Seiendes in seinem Sein begegnen kann, obwohl das entsprochene Seiende da nicht ist. Wie ist es aber möglich, dass ein Seiendes einmal von einem Modus und ein andermal von einem anderen ist? Bedeutet es, dass das Sein, das aus etwas ein Seiendes macht, irgendwie nicht zu solchem etwas gehört? Ist Sein immer eines Seienden, aber Seiendes nicht immer eines Seins? So sehen wir schon, dass die ontologische Differenz in sich nicht so einfach ist, wie die schlichte Formulierung aussieht, sondern dass das Differente, worauf die Ontologie zielt, das Sein selbst, mehr und mehr eine reichere Struktur in sich enthüllt.20
Jetzt, nach der hermeneutisch phänomenologischen Reduktion auf die möglichen Bedeutungen von Sein, über den Weg der Bestimmung des Daseins als mögliches, nämlich über die Bestimmung des Daseins als bedeutsame Zeit und über die Bestimmung des Daseins als fähige Zeitigung, ist es dieser Untersuchung klar, dass der Satz »Sein des Seienden« hinsichtlich des nicht daseinsmäßigen Seienden einen Horizont bedeutet, in welchem solches Seiende begegnen kann als das, was es ist. Aber wenn das Seinsverständnis die zeitliche Erschließung eines Horizonts ist, in welchem Seiendes begegnen und durch ihn in seinem Sein konstituiert werden kann, was bedeutet dann der Begriff Sein, wenn hinsichtlich des Daseins selbst gesagt wird, dass sein Sein Seinsverständ-
16 17 18 19 20
Vgl. Heidegger, 133. Heidegger, 170. Vgl. S. 118. Heidegger, Sein und Zeit, 73 f. Heidegger, Grundprobleme, 109.
231
nis sei?21 Demzufolge sollte dann behauptet werden, dass das Sein des Daseins nicht in einem Horizont begegnet oder dass es dies doch tut?22 Vielleicht sollte darauf umgangssprachlich mit einem »jein« geantwortet werden. Das Dasein versteht sich in und aus dem Umgang mit dem innerweltlichen Seienden. Das bedeutet einerseits, dass sich in der Entdeckung des Horizonts das meldet, woher solcher Horizont erschlossen wird, andererseits ist dennoch solches Woher der Erschlossenheit des Horizonts nicht ursprünglich horizontal. Deshalb lautet die Antwort auf solche Frage einerseits »ja« und andererseits »nein«. Wenn also versucht wird, die Interpretation des Seins des innerweltlichen Seienden auf das Dasein anzuwenden, passt es einfach nicht, weil im Horizont des Seinsverständnisses auf das Dasein zugegriffen wird, aber als etwas, das darin vorkommt, d. h. als ein menschlich begegnendes Seiendes. Das In-Sein ist die Erschlossenheit eines Horizonts, welche Seiendes derselben Seinsart des Daseins begegnen lässt – das Mitsein –, aber solches ist nicht das, von wo aus dieser Horizont sich erschließt. Solches Begegnen ist weder das Dasein noch die fundamentale Seinsweise des Daseins, sondern eine Zugangsart zu anderem ›wie ich‹ Seienden, in welchem Zugang mein eigenes Sein weder charakterisiert noch erschöpft wird. Die Durchsichtigkeit des Daseins ist andererseits eine Art und Weise, in der das Dasein verstehend auf sich zugreift und daher zum Horizont der Zeit gehört. Aber das Woher dieses Horizonts, in dem die Endlichkeit des Daseins sich meldet, zeigt, dass das Dasein als Seiendes ein Sein besitzt, das keinen Horizont braucht, sondern umgekehrt, der Horizont ist, der nur in so einem Sein sich entfalten kann bzw. der durch dieses Sein erst ermöglicht wird. Das innerweltliche Seiende ist nicht selbst-identifizierend, sondern wird vom Dasein dadurch identifiziert, dass das Dasein darüber redet, sich dazu so und so verhält, es in seinem Sein versteht als das, was ist.23 Das zeigt, dass der Ausdruck ›Sein des Seienden‹ zweideutig ist, weil er, wenn er hinsichtlich des Daseins verwendet wird, eine ursprünglich andere Bedeutung hat, als wenn er hinsichtlich des nicht daseinsmäßigen oder mitdaseienden Seienden prädiziert wird. Die ontologische Differenz stellt demzufolge den Unterschied zwischen dem innerweltlichen Seienden und der Welt dar, in welcher es begegnet, aber auch zwischen der Welt und deren ermöglichenden Strukturen. Daher stellt diese Untersuchung die These auf, dass in der Fundamentalontologie mehr als ein Unterschied besteht, also dass die ontologische Differenz nicht die einzige Differenz in der Fundamentalontologie ist. Diese Meinung wird aber nicht nur von dieser Untersuchung vertreten: Sein und Zeit fügt der Bestimmung der Identität [von Zeit und Dasein] einerseits eine ontologische Reflexion hinzu, die den Unterschied zwischen Sein und Seiendem einführt und damit den Unterschied zwischen dem Dasein und dem Sein des Daseins (der 21 22 23
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 8; 12; 15 ff. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 384. Vgl. Lafont, »Heidegger and the Synthetic A Priori«, 108.
232
Sorge). Anderseits beginnt Sein und Zeit ein bedeutsames Nachdenken, das den Unterschied zwischen einem Seiendem (oder dem Sein) und seiner Bedeutung oder, weiter, seinem Sinn, als dem Woraufhin einer Operation entwerfenden Verstehens, setzt.24
Im vorliegenden Zitat wird erstens die ontologische Differenz hinsichtlich sowohl des nicht daseinsmäßigen als auch des existierenden Seienden dargestellt. Dann wird zweitens verstanden, dass es einen anderen Unterschied im Seienden selbst als Vorgegebenem und als Bewandtnis gibt. Eine solche Interpretation der Differenzen in Sein und Zeit wird von dieser Untersuchung für angemessen gehalten, obwohl der Weg, den diese Arbeit bereits gegangen ist, eine solche Behauptung als unzureichend aufzeigt. Diese Untersuchung hat zum Ziel, solche zwei Unterschiede zu thematisieren und dadurch zu zeigen, dass das Problem eine tiefere Wurzel hat, deren Ausarbeitung vielfältige Wirkungen auf die Fundamentalontologie hat. Die Fundamentalontologie wird aber dadurch nicht zerstört, sondern erneuert. Die ontologische Differenz ist der Weg zur Eröffnung einer neuen Problematik.
§ 27. Enthüllung des fundamentalen Unterschieds An der Spitze des Projekts der Fundamentalontologie, an deren Punkt die hermeneutisch phänomenologische Daseinsanalytik schon vollzogen und wiederholt worden ist, versucht Heidegger deren wichtigste Ergebnissen in drei Thesen zusammenzufassen: 1. Seiendes ist an ihm selbst das Seiende, was es ist und wie es ist, auch wenn z. B. Dasein nicht existiert. 2. Sein ›ist‹ nicht, sondern Sein gibt es nur, sofern Dasein existiert. – Im Wesen der Existenz liegt Transzendenz, d. h. Geben von Welt vor allem und für alles Sein zu und innerweltlichem Seiendem. 3. Nur sofern das existierende Dasein sich selbst so etwas wie Sein gibt, kann sich das Seiende in seinem An-sich bekunden, d. h. kann zugleich und überhaupt die erste These verstanden und erkannt werden.25 Solche drei Thesen handeln jeweils vom Seienden, Sein und Dasein. Der Zusammenhang solcher Thesen kann also nur richtig verstanden werden, indem von ihrem Grundbegriff, nämlich von Sein, ein klarer Gebrauch gemacht wird. Sofern aber die Problematik der Bedeutungen von Sein durch diese Untersuchung eröffnet worden ist, kann der Zusammenhang solcher Thesen problematisiert werden, indem offensichtlich nicht klar ist, was gemeint ist, wenn der Begriff Sein verwandt wird. Um dieses Problem durch eine Ergänzung lösen zu können, wird ein übersehenes Ergebnis der Daseinsanalytik in Anspruch genommen und als eine vierte These vorgeschlagen: »Nur wenn Seinsverständnis 24 25
Sallis, Sinn von Wahrheit, 25. Heidegger, Anfangsgründe, 194 f.
233
ist, wird Seiendes als Seiendes zugänglich; nur wenn Seiendes ist von der Seinsart des Daseins, ist Seinsverständnis als Seiendes möglich.«26 Durch diese These soll der folgende Zusammenhang so erklärt werden: Das menschliche Dasein kann die dritte These vollziehen, sofern es ein Seiendes der Art der ersten These ist, zu dem die Fähigkeit der zweiten These gehört. In anderen Worten: Dem Dasein begegnet Seiendes, sofern solches Dasein ein Seiendes an ihm selbst ist, das transzendierend ihm selbst eine Welt bzw. das Sein geben kann. An dieser Betrachtung könnte die folgende Kritik angewandt werden: Sein gebe es nur im Verständnis oder in der Erfahrung und die Dinge als »Fakten« seien nicht mehr als Gegebenheiten, was kein Thema einer philosophischen Betrachtung wäre. Jedoch wird dieser Zusammenhang im alltäglichen Leben offensichtlich anders verstanden, indem angenommen wird, dass die Dinge etwas unabhängig von unserer Meinung seien. Das ist letztendlich der Sinn der Wahrheit als Übereinstimmung. Was meldet sich in so einer Erfassung der Wahrheit? Aus der hermeneutisch phänomenologischen Perspektive dieser Untersuchung wird ein Echo dieser alltäglichen Erfahrung durch die Äußerung der folgenden Selbstverständlichkeit geleistet: Gegebenheit ist die Charakterisierung von etwas, was »gegeben ist«. Der Begriff »Gegebensein« ist aber ein Pleonasmus, d. h. eine begrifflich leere und unnötige Wiederholung, denn was gemeint wird, wenn man sagt, dass etwas »gegeben ist«, bedeutet nichts anderes, als dass etwas »ist«. Das durchschnittliche Seinsverständnis fordert so die Bedeutung von Sein an, die sich in der vierten These gemeldet hat. Heidegger formuliert das positiv, was jetzt negativ wiedergegeben wird, um dieses Problem ans Licht zu bringen: Wenn es Dasein nicht mehr gäbe, gäbe es auch Sein nicht mehr und trotzdem gäbe es doch immer noch Seiendes. 27 Demzufolge ist dieses »Seiende« – das bleibt, obwohl es kein Sein gibt – anders als das im Umgang zunächst besorgte Seiende, worüber z. B. in den Prolegomena gehandelt wird. In solcher Beschreibung übersteigt sich das Seiende selbst in seiner Bestimmung: Was es ist, kann nie aus seiner Leibhaftigkeit geschlossen werden.28 Es ist z. B. unmöglich durch die Beobachtung des Holzes eines Tisches zu schließen, dass solcher Tisch in einer Möbelfabrik oder -werkstatt hergestellt wurde, sondern es ist nur aus der schon bedeutsam verstandenen Welt zu verstehen, in der solcher Tisch begegnet. Solcher Begriff des Seienden ist derjenige, der durch die Auslegung gewonnen wird, nämlich jener, dass Seiendes etwas als etwas ist.29 Dieses ausgelegte Seiende gehört wesenhaft zum verstehenden Entwurf der Existenz, weil die Auslegung nur auf der Basis des redemäßigen erschlossenen Sinnes möglich ist. Das ausgelegte Seiende ist deswegen nur möglich in der horizontalen Dimension der Zeit bzw. des Seins. Daraus 26 27 28 29
Heidegger, Sein und Zeit, 212. Vgl. Heidegger, 230. Vgl. Heidegger, Prolegomena, 46-63. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 149.
234
kann geschlussfolgert werden, dass das »Seiende«, das bleibt, wenn die Wahrheit verschwindet, und das Seiende der Auslegung wesenhaft anders sind, weil dieses zweite verschwindet, sobald das Dasein verschwindet. Solchem ausgelegten Seienden ist es unmöglich zu »bleiben«. Das Seiende, das bleibt, sofern es noch nicht ausgelegt worden ist, kann nicht ein »etwas als etwas« sein, sondern nur etwas.30 Solche Zweideutigkeit im Begriff für das Sein des Seienden kann auch in seinem Verständnis der griechischen Ontologie beobachtet werden: [D]der Begriff οὐσία [hat] schon in der griechischen Ontologie eine doppelte Bedeutung. οὐσία besagt einmal das hergestellte Vorhandene selbst bzw. dessen Vorhandensein. οὐσία besagt aber zugleich auch soviel wie εἶδος im Sinne des nur erst gedachten, eingebildeten Vorbildes, d. h. was das Seiende als hergestelltes eigentlich schon ist, sein Aussehen, das, was es umgrenzt, die Weise, wie es als Hergestelltes sich ausnehmen, wie es sich machen wird.31
Das εἶδος eines Seienden lässt sich nur aus dem »etwas als etwas« oder seiner abkünftigen Form als Aussage verstehen, welche Artikulierungen der Verweisungszusammenhänge bzw. Weltbezüge sind. Die Weltbezüge gründen auf das Worumwillen und das ausgelegte Seiende kann nur auf solcher Basis sein, was es ist, aber das bedeutet nicht, dass das Seiende durch das Dasein beschaffen wird.32 Der daseinsmäßige Grund der Welt bedeutet überhaupt nichts, was mit der Philosophie von Berkeley oder des deutschen Idealismus zu tun hat. Dass das Seiende durch das Dasein nicht beschaffen wird, stellt klar, dass der Begriff Seiendes zweideutig ist, weil einerseits das Zuhandene durch das Um-zu konstituiert ist, d. h. das zuhandene Seiende der Bezug bzw. die Bedeutung selbst ist, und in diesem Sinne zum Dasein als Bedeutendes gehört, aber andererseits ist das Vorhandene im Zuhandenen in seinem Sein vom Dasein nicht beschaffen. Unter Berücksichtigung des Gesagten ist es jetzt nötig, eine hermeneutisch phänomenologische Deutung eines der vorzeigbarsten Sätze von Sein und Zeit zu leisten: »diesem Seienden [bzw. dem Dasein] [geht es] in seinem Sein um dieses Sein selbst […]«.33 Nach den vorherigen Erläuterungen kann dieser Ansatz neu und vielfach interpretiert werden: 1. Das Sein des Daseins bedeutet sein Seinsverständnis, in dessen Horizont sowohl innerweltliches Seiendes als auch Dasein begegnen. Nach solcher Einsicht lässt sich der Ansatz so umformulieren: »diesem Seienden [bzw. dem Dasein] geht es im Seinsverständnis um dieses Seinsverständnis selbst«. 30
31 32 33
Dieser Zusammenhang kann auch durch einen Parallelismus zu den kantischen Begriffen des transzendentalen Idealismus und des empirischen Realismus verstanden werden, indem Heidegger für einen ontologischen Idealisten und einen ontischen Realisten gehalten wird. (Vgl. Lafont, »Heidegger and the Synthetic A Priori«, 106.) Heidegger, Grundprobleme, 215. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 418 f. Heidegger, 12.
235
2. In der Entfaltung des Horizonts des Seinsverständnisses wird solches Seinsverständnis selbst erschlossen, aber jetzt als das Woher dessen Entfaltung. Die neue Formulierung des Ansatzes nach der Einsicht des Seinsverständnisses als Grund der Ekstase lautet: »Dem Dasein geht es im Seinsverständnis um dieses Geschehen selbst des Seinsverständnisses.« 3. Wenn aber betrachtet wird, dass das Geschehen des Seinsverständnisses nur das Geschehen des Daseins selbst sein kann, dann öffnet sich eine neue Deutungsmöglichkeit: »Dem Dasein geht es in seinem Geschehen um dessen Seinsverständnis selbst.« In solcher letzten Möglichkeit offenbart sich nicht nur die ontologische Differenz, sondern anhand dieser auch ein noch fundamentaler Unterschied, der eine Duplizität des Sinnes von Sein ausdrückt. Das Sein lässt sich einerseits als das Verstehen des Daseins und andererseits als dessen Geschehen, also als die Zeit (Sein) und deren Zeitigung (Sein) jeweilig begreifen. Solche Interpretation des Daseins kann dadurch verstärkt und gesichert werden, dass die Charakteristik des Daseins als »Zwischen« in Anspruch genommen wird. Das Dasein wird zweimal als ein »Zwischen« beschrieben; es geht also um eine zweideutige Aufweisung. Einerseits bedeutet solches Zwischen, dass das Dasein sich zwischen dem Subjekt und dem Objekt konstituiert.34 Solche Bedeutung ist also die Transzendenz der Zeit. Andererseits bedeutet das Zwischen, dass das Dasein sich zwischen der Geburt und dem Tode erstreckt.35 Solche Bedeutung ist das Geschehen des Daseins durch seine Endlichkeit als Zeitigung. Die Charakteristik des Daseins als Zwischen hat also immer offensichtlich von einer Spaltung in der Seinsverfassung des Daseins kundgegeben. Der fundamentale Unterschied zwischen den Bedeutungen von Sein als Horizont der Zeit und von Sein als Endlichkeit der Zeitigung, aber auch zwischen dem ausgelegten und dem bleibenden Seienden ist die wichtigste Entdeckung dieser Untersuchung.36 Er muss aber noch grundsätzlich erläutert und ausgearbeitet werden. 34 35 36
Vgl. S. 92. Vgl. S. 221. Rentsch stellt die ontologische Differenz als die »ontisch-ontologische Differenz« dar und drückt sie dann richtig aus als den Unterschied vom Seienden und Sein. Aber erstaunlicherweise erklärt er diesen Unterschied auf eine unangemessene Weise. Er sagt, dass bei diesem Unterschied »›Sein‹ zunächst als das ›Daß‹ des Seins des Seienden, dann aber umfassend als ›Sinn von Sein‹ verstanden werden kann«. (Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 54.) Diese Erklärung ist nicht angemessen, weil sie die ontologische Differenz wirklich nicht erklärt, sondern problematisiert. Rentsch hat zwei Bedeutungen von Sein geahnt und später nicht danach gefragt, warum so was möglich sei, wenn Heidegger nach einer Bedeutung von Sein suchte. (Vgl Dorothea Frede, »Sein. Zum Sinn von Sein und Seinsverstehen.«, in Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, hg. von Dieter Thomä (Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013), 280.) Rentsch übersieht dieses Problem einfach und überlässt dann mir die Entdeckung des fundamentalen Unterschieds. Dass Rentsch dieses Problem übersieht, ist noch erstaunlicher ein paar Zeilen später, weil er erklärt zu verstehen, dass die ontisch-ontologische Differenz im Bereich der Existenzialanalytik »spezieller zu verstehen als die fundamental ontologische Differenz von Sein und Seiendem« ist. (Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 54.)
236
Solcher Unterschied stellt die These auf, dass im Sein ein Unterschied besteht, der den Grund in zwei Seinsbedeutungen spaltet. Einerseits bedeutet das Sein die Transzendenz, zu der das Verständnis und alles, was in ihm konstituiert wird, gehören. Solche Bedeutung wurde durch die Thematisierung des Begriffs der Möglichkeit als Bedeutung gewonnen, welche letztendlich zur Feststellung der Zeit als Sein geführt hat. Andererseits bedeutet das Sein die Zeitigung des Daseins oder das Vorhandensein des Seienden, zu dem das Geschehen des Verständnisses und dessen, was durch irgendwelche transzendentale Konstitution gezeigt wird, gehört. Solche Bedeutung wurde durch die Thematisierung des Begriffs der Möglichkeit als Fähigkeit gewonnen, welche zur Feststellung der Zeitigung als Sein geführt hat. Demzufolge könnte der fundamentale Unterschied mit aristotelischen Termini erklärt werden als eine »Zweiheit der ἀρχή« zwischen Sein als Werden und Vergehen und Sein als Anwesen und Aussehen.37 Heidegger ist charakterisiert durch seinen einzigartigen Gebrauch der Sprache. Die Sprache ist das wichtigste Werkzeug des Philosophen für die Protokollierung und Mitteilung seines Denkens. Deswegen ist es wichtig, diesen Gebrauch in seinem Sinne und Kontext verstehen zu können. Einige Eigentümlichkeiten des Sprachgebrauchs von Heidegger sind die alltäglichen, aber in einem ganz eigentümlichen Sinne verwandten Wörter und der Gebrauch von Anführungszeichen.38 Normalerweise werden die Anführungszeichen für die Entkräftung der Bedeutung eines Wortes, d. h. um einen nicht strengen Gebrauch zu zeigen, verwendet. Heidegger gebraucht aber auch die Kursiven mehrmals in Sein und Zeit und in den Vorlesungen der Periode der Fundamentalontologie, um der ontischen Verfassung des Daseins oder des Seienden zu entsprechen.39 So unterscheidet er häufig zwischen der Weise, wie etwas ist, und derjenigen, wie etwas ist. Das bedeutet, dass die kursive Schrift normalerweise gebraucht wird, um eine Verstärkung der Bedeutung eines Wortes zu zeigen, d. h., das Wort wird streng gebraucht, aber mit einer anderen Bedeutung. Obwohl eine Änderung in der Schriftweise des Wortes Sein in einer Theorie über das Sein sehr auffällig sein sollte, hat niemand bis heute diesen merkwürdigen Gebrauch ernst genommen und noch weniger thematisiert. Vielleicht gerade – wie Heidegger selbst sagen würde –, weil sie immer zu selbstverständlich erschienen ist. Diese Untersuchung versteht aber, dass der fundamentale Unterschied sich in dieser Schriftweise fast leise meldet, obwohl er uns solche Meldung fast ins Gesicht schreit, und deswegen übernimmt diese Untersuchung 37 38 39
Vgl. Walter Brogan, »Aristoteles’ doppelte ἀρχή: φύσις und κἰνησις«, Heidegger und die Griechen, Martin-Heidegger-Geselschaft, 8 (2007): 137 ff. Vgl. Trawny, Martin Heidegger, 14. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 17, 41, 43 f., 76, 84 f., 87, 126, 133, 141, 143, 145, 147, 170, 183, 200, 205 f., 212, 220 f., 226, 228, 230 f., 234, 236, 239, 243, 245 ff., 259, 261 f., 269, 270, 284 f., 288, 295, 300, 305, 308, 311, 314, 317, 322-25, 328, 336, 339 f., 354, 364 f., 367, 372, 374, 380, 384.
237
diesen Gebrauch der kursiven Schrift, um dem Unterschied der zwei Bedeutungen von Sein Ausdruck zu verleihen. Das kursiv geschriebene Sein bedeutet demzufolge keine Betonung des Wortes Sein, sondern es zeigt eine ganz andere Bedeutung an. Das Sein ist vom Sein begrifflich unterschiedlich. Das Da wird im Grunde genommen von zwei Existenzialen ausgemacht: Befindlichkeit und Verstehen.40 Beide drücken die Grundweisen aus, in denen das Dasein sein Da ist, in denen das Dasein sich selbst transzendiert und sich schon transzendiert hat, um im Verhältnis zum Seienden zu sein. Solcher Unterschied von Geworfenheit und Entwurf ist nicht derselbe Unterschied, den diese Untersuchung zum Vorschein bringt. Der fundamentale Unterschied ist keiner von verschiedenen Momenten (formalen Anzeigen) der Erschlossenheit (zeitliche Transzendenz), sondern ein Unterschied von der Transzendenz der Zeit als Sein und deren endlichen Sich-Zeitigen als Sein. Der fundamentale Unterschied ist ein Unterschied im Grunde und dessen Glieder sind nicht nur unterschiedlich in der phänomenologischen Deskription (distinctio formalis), sondern sie sind einer unversöhnlichen Natur (distinctio realis). Der fundamentale Unterschied ist in der innerlichen Struktur jedes Existenzialen konstitutiv. Durch den fundamentalen Unterschied wird nicht der Unterschied zwischen Faktizität und Existenzialität gemeint, aber auch nicht die Grundartikulation des Seins. Die Grundartikulation des Seins besteht in einem Unterschied in der Konstitution jedes Seienden. Alles, was ist, besteht aus einem Was und einem Wie (oder Dass). So wird das durch das Was Gemeinte essentia genannt und das, was das Wie meint, als existentia begriffen. Solche beiden Formen des Apriori, die das Seiende ermöglichen, indem sie es in seinem Was und seinem Wie jeweilig begegnen lassen, zeigen, dass die Grundartikulation des Seins eine zweifache Zugangsweise zum Seienden ausdrückt. Welche ist die Beziehung zwischen diesen zwei Unterschieden? Beschreiben beide dasselbe? Unterscheiden sie sich nur begrifflich? Die Grundartikulation des Seins und der fundamentale Unterschied sind nicht gleich und sie beschreiben nicht dasselbe; deswegen ist deren Beziehung keine der Identität. Solche Differenzen lassen sich unterscheiden, weil es in der Grundartikulation des Seins um einen Unterschied im Sein des Seienden geht, während es in dem fundamentalen Unterschied um einen Unterschied im Sein selbst geht. Die Grundartikulation des Seins zeigt sich als ein Unterschied in den Weisen des Zugangs zum Seienden, sodass im solchen Zugang das Seiende sich als »etwas als etwas« oder schlicht als »etwas« zeigt. Solche Zugangsarten des Verstehens zum Seienden sind jeweilig die essentia und existentia und das, auf was von diesen Zugangsarten zugegriffen wird, enthüllt den fundamentalen Unterschied. Die existentia greift auf das Seiende zu, indem sie zeigt, dass es ein schlichtes Etwas ist, das stattfindet, d. h., sie zeigt es als Seiendes in seiner Unabhängigkeit und Endlichkeit gegen40
Vgl. Heidegger, 160.
238
über dem Verstehen, das es zur Präsenz bringt. Hingegen zeigt die essentia Seiendes »als etwas«, d. h., sie gibt ihm einen Sinn, indem sie es mit seiner Umgebung verbindet und so es als ein Seiendes konstituiert. In der essentia wird also das Sein nicht unmittelbar enthüllt, sondern das Sein des Seienden als eine spezifische Konkretion der konstituierenden Transzendenz der Existenz. Die Zugangsart und das, auf was zugegriffen ist, sind bei diesen Fällen einerseits identisch und andererseits radikal anders. Wenn das Verstehen durch die existentia auf das Sein zugreift, offenbart sich in ihr das Verschiedene, aber wenn dem Verstehen durch die essentia das Sein gezeigt wird, dann geschieht eine Selbstzeigung von demselben, was zeigt. Die unterschiedenen Elemente der Grundartikulation des Seins sind derselben Natur, aber in verschiedenen Modi. Die unterschiedenen Elemente des fundamentalen Unterschieds sind je einer unversöhnlichen Natur. Die Beziehung zwischen der Grundartikulation des Seins und dem fundamentalen Unterschied besteht darin, wie das Sein durch das Sein gezeigt wird und wie bei solchem Zeigen das Sein transparent für sich selbst wird. Obwohl hier schon ein paar Mal von dem Begriff »Geschehen« der Gebrauch war, ist er nicht der beste, um den Charakter von Sein des Daseins auszudrücken. Die Zeitlichkeit des Daseins ist die Bedingung der Möglichkeit der Geschichtlichkeit des Daseins bzw. seines Geschehenscharakters. Das heißt, dass das Geschehen ein »Ereignis« im Sinne des Geschehens für … ist, obwohl das Wofür solches Geschehens dasselbe Dasein sein kann, das geschieht. Sofern das Dasein schon im Da der Welt und des Seienden ist, hat dessen Geschehen den Charakter eines Geschehnisses der Politik oder Historie.41 Der Begriff »Geschehen« meint deswegen kein reines Vorhandensein von etwas, d. h., er ist keine formale Anzeige dafür, dass etwas ist.42 Wenn das Bezweckte ist, das Sein des Daseins als Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses und deshalb auch des Seins des Seienden zu zeigen, dann darf die Konstitution des Horizonts des Da nicht angezeigt werden, in dem die historischen Geschehnisse vorkommen, als die Antwort auf die Seinsfrage, sondern die ontische Ermöglichung solcher Welt, in der uns solche Geschehnisse zeitlich und sinnvoll gegeben werden. Die ursprüngliche Erschlossenheit der Transzendenz, die solche Welt erzeugt, ist die Zeitlichkeit des Daseins. Die Zeitlichkeit ist also die Entstehung des Seins des Seienden und als solche darf sie selbst nicht ›sein‹, sondern nur sich zeitigen. Die Zeitigung der Zeitlichkeit ist die formale Anzeige für die Weise, in der die Zeitlichkeit nicht ›ist‹, sondern ist. Die Zeitigung ist der Begriff der Grundbedeutung vom Begriff Sein, die sich in der Entstehung des Präsenzhorizonts der Welt meldet, nämlich das Sein.
41 42
Vgl. Heidegger, 234 f. Vgl. Heidegger, 19.
239
Um diesen Begriff des Seins verstehen zu können, ist es nützlich, sich an die Weltanalyse zu erinnern, denn es gibt Zuhandenheit »nur auf dem Grunde von Vorhandenem«.43 Das Problem, das dieses Zitat einschließt, kann dabei hilfreich sein: Bedeutet es, dass es nur Zuhandenheit gibt aufgrund der Vorhandenheit und, daraus folgend, dass die Ausarbeitung der Seinsart der Zuhandenheit überflüssig bleibt? Auf keinen Fall. Dieses Zitat besagt hingegen nur, dass Vorhandenheit und Vorhandensein zu unterscheiden sind.44 Das kann auch hier gesehen werden: Mit anderen Worten: die Möglichkeit, daß es Sein im Verstehen gibt, hat zur Voraussetzung die faktische Existenz des Daseins, und diese wiederum das faktische Vorhandensein der Natur. Gerade im Horizont des radikal gestellten Seinsproblems zeigt sich, daß all das nur sichtbar ist und als Sein verstanden werden kann, wenn eine mögliche Totalität von Seiendem schon da ist.45
Dasselbe Problem wurde bei der Analyse des Fehlens des Zuhandenen gesehen, wo das Seiende in einer gewissen Vorhandenheit vorkommt, obwohl es da kein Vorhandenes gibt. Die Schwierigkeiten zu verstehen, was »Vorhandenheit« bedeutet, bestehen also darin, dass sie einerseits mit dem Zuhandenen gebunden ist und sie andererseits reine, bloße Vorhandenheit bedeutet.46 Das Problem besteht also darin, dass zwei verschiedene Substantive – Vorhandenheit und Vorhandensein – nur einem Adjektiv – vorhanden – entsprechen. Dieser Zusammenhang kann sehr gut durch das Beispiel der Aufdringlichkeit des Fehlens verstanden werden. In solcher Verweisungsstörung der Aufdringlichkeit des Fehlens begegnet das Seiende unzuhanden bzw. in einer gewissen Vorhandenheit, gerade weil das Seiende da nicht ist bzw. weil »solches« kein Vorhandensein hat. Heidegger sagt es wörtlich: »Fehlen besagt Nichtvorhandensein.«47 Aus dem Phänomen des Fehlens von Etwas lässt sich dann verstehen, dass die beiden Bedeutungen des Seins, welche diese Untersuchung schon ausgearbeitet hat, sich in einem problematischen Verhältnis befinden. Das Problem des Fehlens lässt sich so sehr einfach formulieren: Irgendwie ist Etwas, obwohl solches Etwas zugleich irgendwie nicht ist. Heidegger erklärt solches Problem der Spaltung im Sein des Seienden, indem er behauptet: »Das Nichts von Zuhandenheit gründet im ursprünglichsten ›Etwas‹, in der Welt.«48 Solches Phänomen des ursprünglichsten Etwas lässt sich nach der Thematisierung der Zeitlichkeit so verstehen:
43 44 45 46 47 48
Heidegger, 71. Vgl. S. 116. Heidegger, Anfangsgründe, 199. Vgl. Pocai, »Weltlichkeit der Welt«, 54 f. Heidegger, Sein und Zeit, 283. Heidegger, 187.
240
Wäre das um-sichtige Bewendenlassen nicht »von Hause aus« des Besorgten gewärtig und zeitigte sich das Gewärtigen nicht in der Einheit mit einem Gegenwärtigen, dann könnte das Dasein nie »finden«, daß etwas fehlt.49
Das Sein eines solchen fehlenden Seienden wird in der Erschlossenheit des Daseins erschlossen. Solches Sein ist also ein Horizont.50 Nach dieser Überlegung kann aber schon festgelegt werden, dass die Vorhandenheit ein zeitlicher Horizont bzw. eine Zugangsart (Sein) besagt, während das Vorhandensein ein Stattfinden bzw. eine Gegebenheit (Sein) bedeutet.51 Solches Sein zerstreut sich in Modi, obwohl es immer das Vorhandensein eines Seienden besagt. Das Vorhandensein als Terminus wird demzufolge nur am nicht daseinsmäßigen Seienden verwendet, während das Vorhandensein des Daseins durch den Begriff des SichZeitigens zum Ausdruck kommt, obwohl beide verschiedene Arten der Gegebenheit von etwas bedeuten. Der Begriff des Geschehens meint also die wesenhafte Verbindung von Zeitigung und Zeit. Er bedeutet den wesenhaft verstehenden Charakter des SichZeitigens des Daseins. Er besagt also, wie in der Tat die zwei Bedeutungen von Sein untrennbar sind, obwohl sie beide von einer ganz anderen Natur sind. Geschehen ist ein Begriff von der inneren Struktur der Einheit der Seinsverfassung des Daseins. Das Geschehen bedeutet in diesem Sinne die Zeitlichkeit als Freiheit. Die Erklärung dieses Begriffs ist die folgende Aufgabe dieser Untersuchung.
49 50 51
Heidegger, 355. Vgl. S. 193. Philipse unterscheidet auch zwischen verschidenen Stufen und Bedeutungen des Vorhandenen und dem Vorhandensein, wobei er sehr gut merkt, dass in der Angst die Dinge »vorhanden« bleiben, ohne die transzendentalen Schemata des Begegnens zu brauchen. (Herman Philipse, »Heidegger’s ›Scandal of Philosophy‹: The Problem of the Ding an sich in Being and Time«, in Transcendental Heidegger, hg. von Steven Crowell und Jeff Malpas (Stanford, California: Stanford University Press, 2007), 196 ff.) Das ist ein klarer Unterschied zwischen Vorhandenheit und Vorhandensein, obwohl er solchen Unterschied nicht explizert. Über die Rolle des Begriffs der Gegebenheit in der frühesten Phase des Denkens Heideggers: Jean-Luc Marion, »Remarques sur es origines de la Gegebenheit dans la pensée de Heidegger«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 24 (2008): 167-82.
241
Dritter Teil: Hermeneutisch phänomenologische Konstruktion des fundamentalen Unterschieds als Lösung des Problems der Fundamentalontologie
Die hermeneutisch phänomenologische Reduktion hat eine grundsätzliche Rolle in dieser Arbeit gespielt, weil dank ihr auf dem Weg der ontologischen Differenz ein Unterschied zwischen zwei Bedeutungen von Sein entdeckt wurde, welcher in der Fundamentalontologie Heideggers vorausgesetzt, aber nicht thematisiert geblieben ist. Solcher fundamentale Unterschied wurde bis hierhin nur entdeckt und grob begriffen. Er muss aber noch klarer ans Licht gebracht werden, damit die Daseinsanalytik vervollständigt wird. Solcher Unterschied kann sowohl im nicht daseinsmäßigen Seienden als auch in uns selbst gefunden werden und »die Reduktion selbst hat keine andere Aufgabe, als diesen fundamentalen Seinsunterschied zu fixieren und auszuweisen«.1 Weil die hermeneutisch phänomenologische Reduktion eine Rückführung des Blicks vom Vollzug des Seienden auf die es ausmachenden Seinsstrukturen ist, hat solche Reduktion dann die Aufgabe, den Unterschied von Sein und Sein zu fixieren, weil der Grund überhaupt solcher Unterschied ist. Was jetzt dieses methodisch konstruktive Unterscheiden des Seinsunterschiedes führt, ist der Sinn von Sein: Der Unterschied geschieht in uns als Zeit, d. h. als der zur Selbstekstase gehörige Horizont des Seinsverständnisses. Unsere zeitliche Weise zu sein konstituiert uns als der Unterschied selbst: Das Dasein ist das Geschehen des Verständnisses als Sein des Seins und der einzige Zugang zum Unterschied selber als Sein des Seins. Solcher Unterschied muss jetzt durch eine hermeneutisch phänomenologische Konstruktion gesichert werden. Solche Sicherung geschieht in Kapitel X (Die Frage nach dem Grunde ist die Frage nach dem fundamentalen Unterschied) durch eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung der Analyse des fundamentalontologischen Begriffs der Möglichkeit. Der erste phänomenische Hinweis einer Spaltung im Grunde wurde durch die Bestimmung des Begriffs der Möglichkeit als Bedeutung und Fähigkeit ausgewiesen. Solcher Zusammenhang zeigt sich demzufolge als das Erscheinen des Sich-Meldenden, nämlich des Grundphänomens des fundamentalen Unterschieds. Der fundamentale Unterschied ist demzufolge ein Phänomen im strengen Sinne des Wortes. Wenn die methodische Sicherung der Struktur des Ineinandergreifens von 1
Heidegger, Prolegomena, 158.
beiden Seinsbedeutungen durchgeführt worden ist, werden die gesicherten Grundbedeutungen von Sein in Kapitel XI (Der fundamentale Unterschied ist die Grundstruktur der Fundamentalontologie) als eine Struktur betrachtet, welche von einem inneren Verhältnis ausgemacht wird, welches durch eine Interpretation der in Sein und Zeit grundsätzlichen Begriffe der Zeit, Zeitigung und Zeitlichkeit zum Vorschein gebracht wird, sodass der fundamentale Unterschied als die Struktur der Ermöglichung des Seins im Seinsverständnis verstanden werden kann. Solche Struktur ist die Zeitlichkeit selbst, welche sich als die Einheit von Zeitigung und Zeit verstehen lässt.
244
Kapitel X: Die Frage nach dem Grunde ist die Frage nach dem fundamentalen Unterschied Die Untersuchung hat schon den Begriff der hermeneutischen Phänomenologie bestimmt und die Philosophie als Wissenschaft von Sein charakterisiert. Die Philosophie als Wissenschaft von Sein versteht sich als der Vollzug des Unterscheidens von Sein und Seiendem, deswegen wurde sie als kritische Wissenschaft begriffen. Nach den Überlegungen zum Fragen lässt sie sich auch »die transzendentale Wissenschaft nennen«.1 Unter Transzendenz versteht man hier nicht irgendein Jenseits, in welchem ein Gott, die Engel und die Ideen wohnen. Die Transzendenz ist das Überschreiten des Daseins. Eine Wissenschaft des Überschreitens untersucht, wie das Dasein sich selbst immer schon überschritten hat, um Seiendes zu erreichen, und wie Seiendes einen Sinn nur von diesem Überschreiten her hat. In Heideggers Worten: »Das Problem der Möglichkeit der Ontologie ist demnach die Frage nach dem Wesen und Wesensgrund der Transzendenz des vorgängigen Seinsverständnisses.«2 Daher ist die Untersuchung nach der ursprünglich daseinsmäßigen Transzendenz mit der Forschung der Seinsfrage identisch, weil die Transzendenz des Daseins der Grund der ontologischen Differenz ist und Sein sich nur in einem Unterscheiden vom Seienden begreifen lässt.3 Die Erschlossenheit, die das Sein des Daseins ausmacht, ist ihm nicht fremd, weil die Bidimensionalität des Da mit sich bringt, dass jede horizontale Erschlossenheit die erschlossene Existenz voraussetzt. Das Dasein versteht die Welt, indem es sich selbst als weltverstehendes versteht. Die Deutung der Entfaltung der Welt und ihres Grundes ist infolgedessen die zentrale Aufgabe dieser Arbeit, weil unter diesem Grundproblem der Ontologie, das Heidegger als Wahrheitscharakter des Seins bezeichnet, die Frage nach dem fundamentalen Unterschied verborgen bleibt. Die Entdeckung des fundamentalen Unterschiedes wird jetzt dadurch gesichert, dass das Dasein hinsichtlich seines Grundcharakters so interpretiert wird, dass es als eine Monade verstanden wird (§ 28. Dasein als Grund ist wesenhaft eine Monade), welche eine vorgegebene zweifache und kraftbegabte Struktur besitzt: den Drang (§ 29. Der Drang ist der radikalste Begriff der Fähigkeit als innerliche Struktur der Zeitigung des Daseins). Die zweifache Struktur solcher ursprünglichen Kraft bestimmt ihre Momente als das Faktum und das Vor-stellen. Dass die Monade faktisch vor-stellend ist, bedeutet, dass sie sich vor sich
1 2 3
Heidegger, Grundprobleme, 23. Heidegger, Kantbuch, 42. Vgl. § 7. Vollzug der ontologischen Differenz als Frage nach dem Sein.
245
selbst stellt, d. h. Sich-vorstellen bedeutet sich vorausstellen im Zukommenden. Das Sich-vorstellen ist also wesenhaft Grund für Zeitlichkeit. Der Grund ist also in zwei Gründen gespalten: das Faktum-Sein und das Vorstellung-Sein. Diese Spaltung ist das, was dem Grunde seine innere Spannung gibt, sodass er zum Anfang wird und deswegen zum echten Fundament. Das Fundament ist Anfangsgrund. Dies ist der wahre Sinn vom Begriff Ab-grund. Solche Spaltung des Grundes lässt sich in Sein und Zeit durch die Spaltung von Zeitigung (Faktum) und Zeitlichkeit (Vor-stellung) beobachten und deswegen auch in den fundamentalen Existenzialien: Die Befindlichkeit besagt das Faktum (Zeitigung) und die Faktizität (Zeitlichkeit) und das Verstehen bedeutet Entwurf (Zeitigung) und Auslegung (Zeitlichkeit). Solche zwei Gründe werden von Heidegger als die zwei Warum interpretiert, nach denen durch die Frage nach dem Grunde gefragt wird und welche diese Untersuchung als die zwei möglichen Antworten auf die Seinsfrage versteht (§ 30. Die zeitigende Transzendenz des Daseins ist der Grund des Grundes).
§ 28. Dasein als Grund ist wesenhaft eine Monade Das Dasein wurde schon als mögliches durch den Weg der Entfaltung der Bedeutungen und durch denjenigen der Ermöglichung der Fähigkeit bestimmt. Durch solche Wege wurden zwei Bedeutungen des Seins erreicht. Beide Bedeutungen bilden eine Struktur zusammen, die als fundamentaler Unterschied begriffen wurde. Solche Struktur wurde identifiziert als die Struktur des Grundes selbst. Die jetzige Aufgabe der Untersuchung besteht demzufolge in der Bestimmung solchen Grundes, der nichts anderes sein kann als die Grundstruktur der Existenz des Daseins, welche das Seinsverständnis ermöglicht. Heidegger stellt die Frage, ob die Ontologie ein ontisches Fundament braucht,4 und antwortet kurz darauf: Ja, solches Fundament ist das Dasein.5 Die hermeneutisch phänomenologische Reduktion stellt dann die Notwendigkeit dar, dass die Untersuchung der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie sich nach Sein und Zeit in Richtung Grund kehrt. Der Weg der Bestimmung des Daseins als Grund ist eine hermeneutisch phänomenologische Wiederholung, die versucht, durch den schon geöffneten Weg der hermeneutisch phänomenologischen Destruktion der Geschichte der traditionellen Ontologie eine hermeneutisch phänomenologische Reduktion auf die fundamentalsten Strukturen der menschlichen Existenz zu leisten, welche die hermeneutisch phänomenologische Konstruktion einer neuen Beschreibung seines Wesens ermöglicht. Das Sein des Daseins liegt an seiner Existenz. Die Existenz ist aber eine der kantischen Kategorien, die zur Modalität gehören. Solche modalen Kategorien 4 5
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 436. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 26; 33.
246
charakterisieren sich dadurch, dass sie das Wie des Seins ausdrücken und so solchem Sein nichts hinzufügen, indem sie das Was des Seins des Seienden durch keine neue Beschaffenheit bestimmen. Daraus stammt die berühmte Kant’sche These: »Sein ist offenbar kein reales Prädikat«,6 die Heidegger durch sein Verständnis der mittelalterlichen Philosophie so erklärt: »Die Existenz fügt zum wirklichen Was nichts hinzu.«7 Es ist klar, dass ein existentes Dasein von einem inexistenten begrifflich nicht zu unterscheiden ist. Darum geht es tatsächlich bei dieser Kant’schen These. Kann aber mit recht behauptet werden, dass ein Mensch bzw. Dasein In-der-Welt ist, obwohl es nicht existiert? Ist die Faktizität des Daseins nur eine formale Bestimmtheit bzw. eine Idee, die zu einem inexistenten Seienden gehören darf? Diese Untersuchung hält die Behauptung, dass die Faktizität zur Idee des Daseins gehört, für ein Oxymoron. Demzufolge soll behauptet werden, dass im Fall des Daseins die Existenz vielmehr alles hinzufügt. Das wird verständlicher, indem betrachtet wird, dass auch Heidegger das Dasein so konzipiert, dass es als Vorgegebenes charakterisiert ist. Das vorgegebene Seiende ist im faktischen Dasein direkt in der Zugrichtung seines existenziellen Verhaltens vorfindlich. Seiendes ist vorgegeben in dem ausgezeichneten Sinne, dass es gerade primär für das Dasein und seine Existenz im Blick liegt. Es ist das Vorliegende schlechthin, das positum, und zwar vorliegend nicht nur als Natur im weitesten Sinne, sondern auch als Dasein selbst. (GP 456)
Wie schon erklärt wurde, kann sowohl das Seiende als auch das Sein in zwei Grundbedeutungen betrachtet werden. Wenn es gesagt wird, dass das Seiende das Vorliegende schlechthin ist, dann bedeutet es, dass Seiendes schon früher als das Seinsverständnis stattfindet und gerade deswegen kann es vom Seinsverständnis zum Vorschein gebracht werden. Was zur Präsenz des Daseins im durch die Zeit gestifteten Da kommt, liegt ihr voraus. Aber nicht nur das. Das Dasein selbst als Stiftung eines solchen Da, wo das vorliegende Seiende als etwas verstanden werden kann, d. h., das Dasein als das Geschehen bzw. Faktum solcher Stiftung, liegt strukturell als Ermöglichung auch voraus. Noch bevor Seiendes etwas ist, indem Dasein zu ihm und zu sich selbst ist, sind sie beide in einem noch tieferen und zu bestimmenden Sinne. Das Dasein als Fundament der bidimensionalen Erschlossenheit ist der Grund jedes Verhältnisses zum Seienden aller Art. Deswegen hat das Vorliegen des Daseins einen Vorrang in diesem Moment der Untersuchung, weil das Wie des Seins des Daseins die Quelle einer angemessenen Beschreibung des fundmentalen Unterschieds als Antwort auf die Seinsfrage ist. Das Was des Daseins wird als seine Verfassung dargestellt. Solche Verfassung des Seins bzw. Seinsverfassung des Daseins ist sozusagen ›leer‹ an Inhalt. Sie meint eine Struktur. Solche Seinsverfassung des Daseins wird von Heidegger 6 7
Kant, Kritik der reinen Vernunft, 673. Heidegger, Grundprobleme, 136.
247
zweifach bestimmt. Das Wesen bzw. das Was des Daseins liegt einerseits »in seinem Zu-sein« und andererseits »in seiner Existenz«.8 1. Die Seinsverfassung des Daseins lässt sich erstens so verstehen, dass das Dasein zu sein hat, d. h., dass das Dasein, sofern es ist, nur so sein kann, dass es faktisch ist. 2. Zweitens wird auch damit ausgedrückt, dass die Existenz des Daseins wesenhaft darin besteht, dass solches Seiende immer zu etwas ist. Die Existenz wird so als ein »selbsthaftes Seinsverhältnis« verstanden,9 was bedeutet, dass das Zu-sein der Seinsverfassung des Daseins zugleich ein Sein-zu seines Seins besagt. Dass die Seinsverfassung des Daseins die Existenz besagt, bedeutet letztendlich, dass das, was das Dasein ist, auf das, wie es ist, zurückführen lässt. Das bedeutet in anderen Worten: Die Struktur der Durchführung des Seins des Daseins ist seine letzte ursprüngliche Bestimmtheit. Das Dasein kann als Dasein demzufolge nur strukturell (formal) definiert werden, daher kann keine inhaltliche Definition sein Sein treffen. Das Dasein als Sein-zu ist aber auch fortwährend ein ständig verstehendes Verhältnis zu ihm selbst. Das Dasein verhält sich zu seinem Sein, zu dem es zu sein hat.10 Das Dasein ist ein Horizont, wo Seiendes begegnet, zu dem es sich verhalten kann, aber das Dasein als Dasein hat wesenhaft ebenso solcher Horizont zu sein und als solcher verhält sich das Dasein zu ihm selbst als Horizont seiend. Das zeigt sich durch den Weg der hermeneutisch phänomenologischen Reduktion und so lässt sich auch verstehen, dass die Grundcharakteristik des Daseins nicht nur in der Weise ist, durch einen Horizont ausgemacht zu werden, sondern auch, dass es sich als Horizont zu ihm als Horizont verstehend verhalten kann. Aus solcher Perspektive ist das Wesensmerkmal des Daseins die Reflexion und nicht die Transzendenz, da auch die Tiere transzendent sind, obwohl jeweilig in verschiedener Stufe. Das Dasein ist ein Verständnis, dass irgendwie weiß, dass es versteht. Das Zu-sein des Daseins, d. h., dass das Dasein zu sein hat, lässt verstehen, dass der Begriff des Daseins mit dem aristotelischen Begriff der πρᾶξις eng verbunden ist.11 Das wird dadurch gezeigt, dass es dem Dasein in seinem Sein um es selbst geht, d. h., dass das Dasein um seiner selbst willen existiert. Solcher Charakter des Worumwillens zeigt, dass das Dasein eine Bewegtheit ist, die ihren Zweck in ihr selber hat, was dem aristotelischen Begriff der πρᾶξις entspricht. Das Dasein ist nach den durch diese Wiederholung der Daseinsanalytik erreichten Bestimmungen wesenhaft faktisch, einheitlich, vereinzelt, endlich und verstehend. Um solche Seinsverfassung als eine Einheit begreifen zu können, 8 9 10 11
Heidegger, Sein und Zeit, 42. Von Herrmann, Subjekt und Dasein, 30 f. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 52 f. Vgl. Volpi, »Heidegger interpretiert die Phronesis«, 170.
248
führt Heidegger eine phänomenologische Destruktion durch, die es ihm ermöglicht, eine alte Begrifflichkeit mit einem neuen Sinn zu gebrauchen. Darum geht es in der Beschäftigung von Heidegger mit dem Denken von Leibniz. Das Vorhaben solcher Beschäftigung besteht darin, durch die Leibniz’sche Begrifflichkeit das Dasein neu bestimmen zu können, damit es so erfasst werden kann, dass seine innerliche Struktur sich von allein als die Ermöglichung der Transzendenz zeigt. Solche Begrifflichkeit ist diejenige der Monadologie.12 Das Dasein wird also hinsichtlich seines Wesens als eine Monade beschrieben, indem es als Grund betrachtet wird. Der Leibniz’sche Begriff, den dieser verwendet, um die Substanzialität der Substanz zu charakterisieren, lautet Monade. Solcher Begriff stammt aus dem Griechischen μονάς, das besagt: »das Einfache, die Einheit, die Eins, aber auch: das Einzelne, das Einsame«.13 Die Bedeutung von Monade bei Leibniz fasst alle die schon erwähnten griechischen Bedeutungen, indem sie das Wesen der Substanz meint: »Das eigentlich Seiende hat den Charakter der einfachen Einheit des Einzelnen, für sich Stehenden«, was in der Heidegger’schen Interpretation bedeutet, dass die Monade »das einfach, ursprünglich, im vorhinein vereinzelnd Einigende« ist. 14 Die Monaden lassen sich auch als »die ›wahren Atome‹ der Natur« verstehen,15 weil die Materie – mindestens theoretisch – ins Unendliche geteilt werden kann, deswegen ist das Körperliche substanziell nicht wirklich. Leibniz folgend behauptet Heidegger: »Jedes für sich Seiende ist als Monade konstituiert. […] Jedes für sich Seiende ist kraftbegabt.«16 Die Monaden konstituieren alles, was es gibt. Demzufolge, wenn die Monaden durch eine ursprüngliche einigende Kraft ausgemacht sind, sodass sie das Prinzip der Möglichkeit ihrer eigenen Einheit sind, ist alles Seiende durch einen gewissen Möglichkeitscharakter konstituiert. Jedes Seiende ist durch ein Seinkönnen ausgemacht. Der Begriff der Monade ist aber nicht klar in seinem Wesen. Heidegger bemerkt scharfsinnig, dass die Monade als metaphysischer Punkt oder formales Atom kein Stück der materia bzw. »des Bestimmbaren [ist], sondern [sie] ist das Bestimmende«.17 Solche Beschreibung scheint philosophisch gültig zu sein, aber sie ist völlig unklar, wenn sie zusammen mit der Charakterisierung der Monade als »vis primitiva, force primitive, ursprünglich-einfache Kraft« betrachtet wird.18 Wie kann etwas Formales und nicht Wirkliches als eine wirkliche Kraft – Drang – sinnvoll begriffen werden? Heidegger antwortet auf dieses 12
13 14 15 16 17 18
Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie, Lehrsätze der Philosophie: letzte Wahrheiten über Gott, die Welt, die Natur der Seele, den Menschen und die Dinge, hg. von Joachim Christian Horn, Neuausg. (Darmstadt: WBG (Wiss. Buchges.), 2009). Heidegger, Anfangsgründe, 89; Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 79. Heidegger, Anfangsgründe, 90; Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 80. Heidegger, Geschichte, 176. Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 80. Heidegger, Anfangsgründe, 94. Heidegger, 95.
249
Problem nicht und bleibt von seinem Platonismus geblendet. Diese Untersuchung nimmt demgegenüber eine kritische Stellung und versucht dieses Problem durch die schon erläuterten Bedeutungen des Seins zu lösen, da beide in sich einen Grundbegriff der Möglichkeit bergen. Die Bestimmung des Daseins als eine Monade ist eine Interpretation, die versucht, die ontische Struktur des Daseins als Grund des Seins zu betrachten. Diese erste Bestimmung des Daseins als Monade eröffnet so die Möglichkeit einer weiteren Thematisierung der monadischen Struktur des Seins des Daseins. Solche Thematisierung besteht in einer hermeneutisch phänomenologischen Wiederholung der Analyse der Endlichkeit, aber diesmal nicht aus der Perspektive der Einschränkung des Seins des Daseins, sondern aus der Perspektive der inneren Struktur, welche die innere Kraft jeder ursprünglichen Fähigkeit ermöglicht.
§ 29. Der Drang ist der radikalste Begriff der Fähigkeit als innerliche Struktur der Zeitigung des Daseins Das In-der-Welt-sein ist die ontische Konstitution des Daseins derart,19 dass solche Konstitution nicht nur die Konstitution des Seins solches Seienden regelt, sondern auch diejenige jedes Seienden, welches dem Dasein begegnet. Die Folgerung solcher Betrachtung ist eine Umkehrung der gewöhnlichen Problematik der Ontologie: Die traditionelle Bestimmung des Seienden durch das Sein wird zur Bestimmung des Seins des Seienden durch die Verfassung eines vorrangigen Seienden. Durch die Daseinsanalytik kommt zum Vorschein, dass das Sein im Grunde durch ein Seiendes bestimmt wird. Das Wesen des Daseins konstituiert sich durch seine Existenz, es bedeutet, dass das Was der begrifflichen Bestimmung des Daseins sich durch die Weise konstituiert, in der das Dasein sich vollzieht. Solche Weisen des Vollzugs des Daseins bestimmen, was das Dasein ist. In diesem Sinne ist die ontische Konstitution des Daseins der Modus seines Vollzugs, was im Grunde bedeutet, dass solche Konstitution durch Zeitigung ausgemacht ist. Solche Art und Weise des daseinsmäßigen Geschehens, das als Zeitigung begriffen wurde,20 bestimmt sich als der ontologische Ausdruck des Möglichkeitscharakters des Daseins, nämlich als Ermöglichung der Möglichkeit, d. h. Fähigkeit. Zwecks solcher Bestimmung wurde das Dasein als Monade charakterisiert, damit die Struktur seines wesenhaften Könnens ans Licht gebracht werden kann. Das Können, das den Charakter der Selbsteinigung der Monade hat, wird vom Begriff der vis primitiva ausgesprochen. Heidegger übersetzt solche ursprüngliche Kraft durch den Begriff »Drang« ins Deutsche, um einen gewissen 19 20
Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 72. Vgl. S. 239.
250
Modus der Möglichkeit durch die Sprache zu betonen: Die Möglichkeit als ursprüngliche Kraft ist ein Urimpuls. Die Monade ist die wesenhafte ursprüngliche Einheit der Substanzialität der Substanz und ist durch Drang ausgemacht. Dass die Monade wesenhaft Einheit und Drang ist, stellt in sich ein Problem dar, weil die Einheit in sich stehend ist und der Drang ein Tendieren zur Änderung bzw. Bewegtheit ist. Zur Lösung dieses Problems muss die Einfachheit der Monade sich als Drang nach Einigung konstituieren. Eine Einigung lässt sich nur als eine Einigung eines Mannigfaltigen verstehen, welches schon in der Struktur des einigenden Dranges irgendwie vorgezeichnet sein muss. Das bedeutet, dass der Drang als Drängen ein »Mannigfaltiges sein« muss. 21 Solches Problem lässt sich so anschaulicher ausdrücken: Der einigende Drang ist einheitlich und zugleich mannigfaltig. Wie ist dann die Monade als ursprüngliche Einheit zu betrachten, damit sich solcher scheinbare Widerspruch lösen lässt? Die Einheit der Monade als Drang, welcher in sich einfach und mannigfaltig ist, versteht sich als das Drängen zur Einigung eines Mannigfaltigen derart, dass solche Einheit selbst in ihrer Einigung besteht. Über die innere Struktur der Monaden ist Dreifaches zu bemerken. Erstens brauchen die Monaden keine Einigung, sondern sie geben Einheit. Zweitens sind die Monaden, als ursprünglich einigend, aktiv, daher sind sie vis primitiva bzw. ursprüngliche Kraft. Drittens sind die Monaden nicht physisch zu betrachten, sondern formal im Sinne des Prinzips, das eine Form entstehen lässt, welche ihrerseits ursprünglich und unzertrennlich ist. 22 Der Drang ist von folgenden Momenten ausgemacht: 1. Vor-stellen. Der einigende Charakter des Dranges konstituiert sich als eine Einigung, welche das Mannigfaltige ursprünglich organisiert. Das lässt hermeneutisch phänomenologisch sehen, dass der Drang im gewissen Sinne voraus bzw. vorweg ist. Solcher Voraus-Charakter des einigenden Dranges als Struktur der Zeitigung des Daseins als Monade zeigt sich als Grund bzw. als das, von wo aus die Einigung des Dranges ausgreifend und umgreifend ist. Heidegger begreift es durch die Leibniz’sche Begrifflichkeit: »Leibniz drückt es so aus: Die Monade ist im Grunde ihres Wesens vor-stellend, re-präsentierend«.23 Nach Heidegger wird solcher Vorstellungscharakter der Monade durch die ontologische Einigungsfunktion des Dranges innerlich motiviert, obwohl das für Leibniz verborgen geblieben ist. Daraus sollte aber nicht verstanden werden, dass, weil zur Monade das Vorstellen gehört, jede Monade eine Seele ist. In Worten von Heidegger: »Vor-stellen ist hier nicht als ein besonderes Seelenvermögen zu nehmen, sondern ontologisch struktural.«24 Es bedeutet, dass der Unterschied 21 22 23 24
Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 91. Vgl. Heidegger, 80. Heidegger, 92; vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 112. Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 92.
251
von Seele und Monade der von Gattung und Art ist, d. h., jede Seele ist eine Monade, aber nicht jede Monade ist eine Seele. Die Seiendes konstituierenden Einheiten stellen sich am Drängen immer selbst voraus, sodass sie »vorgreifende, das Mannigfaltige sich zu-stellende Einigung im Einfachen« sind. 25 Solche Struktur konstituiert nach Leibniz wesenhaft alles, was ist, sie ist keine, die nur zum Menschen gehört. 2. Streben. Neben dem »Vorstellen« ist ein zweiter Drangmoment in der Struktur der Monade, nämlich das »Streben«.26 Das Drängende als Drängendes lässt das Mannigfaltige entstehen, indem es immer dazu tendiert, sich zu überholen. Das Mannigfaltige offenbart sich so als ein Nacheinander, das zum Sein des Drängenden selbst gehört und es selbst ausmacht. So liegt im Drang schon eine Tendenz zum Übergang von … zu … Solche Übergangstendenz des Dranges wird durch den Begriff des Strebens (appetitus) ausgedrückt. Solche beiden Drangvermögen, Vor-stellen und Streben, sind gleichursprünglich. In Worten von Heidegger: »der Drang [ist] in sich selbst vorstellendes Streben, strebendes Vorstellen«.27 Demzufolge ist die Monade fortwährend innerlich gespannt, weil sie durch die Einheit einer Mannigfaltigkeit ausgemacht ist. Die Monade ist als Einheit die Identität des Anderen und als Mannigfaltigkeit die Änderung des Gleichen. Der Drang als das ursprüngliche Einigende ist eine wesenhafte Charakterisierung der Substanz bzw. dessen, was die Einheit eines Seienden konstituiert. In anderen Worten: Sowohl das Einfache als auch das Mannigfaltige ist a priori in der Einigung selbst enthalten. So bedeutet Drang »das Mannigfaltige in sich ausbildendes Vor-stellen als Übergangstendenz«.28 3. Apperzeption. Der Drang bleibt am Drängen für sich irgendwie auf eine gewisse Weise offen. Er weiß, dass die durch ihn geleistete Einigung zu ihm gehört. So ist jede Perzeption eine Mit-Perzeption bzw. eine Apperzeption. Solche Apperzeption des Dranges geschieht durch die unvermeidbare Perspektive der Einigung. Jede Einigung wird aus einem gewissen »Augenpunkt« oder Gesichtspunkt geschaffen.29 Solche zum Drang gehörige Perspektive der Einigung gibt den Drang preis als ihren Ursprung und so wird er in ihr mitvorgestellt. Durch solche Perspektive der Einigung geschieht dann auch die Vereinzelung der Monade, weil ihre Perspektivität eine Bezeugung ihrer Endlichkeit ist.
25 26
27 28 29
Heidegger, 93. Dieser Unterschied ist nicht neu, er stammt aus dem aristotelischen Unterschied von νόησις und ὄρεξις, aus welchem dann dieser Leibniz’sche Unterschied von repaesentatio und appetitus stammt. Und dies ist nicht das Ende der Geschichte dieser wesentlichen Trennung von Grundvermögen. Später wird sich auch Kant zu dieser Tradition hinzufügen und die Trennung von Verstand und Sinnlichkeit als Grundquellen der Erkenntnis voraussetzen. Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 93. Heidegger, 96. Heidegger, Anfangsgründe, 119 ff.
252
Durch solche Bestimmung ist schon offensichtlich, dass zwischen den Aufweisungen der Monade und des Daseins ein klares Korrelat besteht.30 4. Einigung. Als Möglichkeit der perspektivisch vereinzelten Einigung des Dranges liegt in der Monade, je nach verschiedener Art, ein schon vorweg vorgestelltes Universum. Das ist der Sinn der Charakterisierung der Monade als mundus concentratus. »Der Drang ist vor-stellender Drang, der je aus einem Augenpunkt die Welt vorstellt. Jede Monade ist eine kleine Welt, ein Mikrokosmos.«31 Das Universum ist in der Monade als Möglichkeit jeder Vor-stellung, »[d]aher ist das Universum in gewisser Weise ebenso oft vervielfältigt, als es Monaden gibt, analog wie dieselbe Stadt gemäß den je verschiedenen Situationen der einzelnen Beobachter verschieden repräsentiert ist«.32 Die Monade ist ein Universum als dessen lebendiger Spiegel. Der Drang ist eine einigende Einheit, welche die Mannigfaltigkeit »in sich tragen und im Drängen in sich geboren werden lassen; das ist sein ›Welt‹-Charakter«.33 Die Monade trägt in sich alle Möglichkeiten der Einigung. Das Bild der Monade als Spiegel der Welt muss also nicht wörtlich verstanden werden. Die Monade ist kein Spiegel des Universums im Sinne einer Rück- oder Wiedergabe einer Auskunft, die von außen kommt, sondern sie ist ein Spiegel des Universums im analogen Sinne, nämlich in dem Sinne, dass die Möglichkeiten der Einigung des Dranges den Möglichkeiten der Existenz des Seienden im Allgemeinen entsprechen. Die Charakterisierung der Monade als Drang lässt verstehen, dass die Monade wesenhaft endlich ist, und demzufolge, warum sie sich immer zum Widerstand des anderen verhält. Die Monade darf also jetzt eine vollkommenere Bestimmung erreichen: »Monas ist für Leibniz das ursprünglich Einheit gebende, einigende Einfache und als einigendes Vereinzelndes«, die Monade ist demzufolge »die vorweg und einfach einigende und ineins damit vereinzelnde Einheit«.34 Der Drangcharakter der Monade offenbart sich als eine Bestimmung der Kraft, welche seinerseits ein Begriff der Möglichkeit bzw. einer bestimmten Art und Weise des Könnens bedeutet. Um zu verstehen, was Leibniz durch solche Bestimmung der monadischen Kraft als Drang meint, muss zuvor kurz erläutert werden, wie er sich zur Tradition verhält. Der Begriff der Kraft hat eine lange Geschichte in der abendländischen philosophischen Tradition, von der griechischen δύναμις über die mittelalterlichen potentia. Leibniz begreift die Monade als Kraft, aber differenziert diesen Kraftbegriff von den Fassungen, die schon in der mittelalterlichen Philosophie ausgearbeitet wurden. Der Leibniz’sche Begriff der Kraft ist die vis activa und bedeutet kein Synonym der mittelalterlichen 30 31 32 33 34
Vgl. S. 119 u. 201. Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 99. Heidegger, 99. Heidegger, Anfangsgründe, 114. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, 143.
253
potentia activa. Während die potentia activa ein Instand-Sein zum Wirken bedeutet, das aber noch nicht wirkt, nämlich »eine in einem Vorhandenen vorhandene Fähigkeit, die noch nicht ins Spiel getreten ist«, besagt die vis activa eine nicht ruhende Fähigkeit, d. h. das »wirkliche Wirkensmoment«. Solches wirkliche Wirkensmoment ist genau das, was Heidegger durch den Begriff des Dranges äußern will. 35 In anderen Worten: Die potentia activa bedeutet ein bloßes »Wirken-Können«, während die vis activa ein tatsächliches »am Wirken« besagt. Das Wirken-Können der potentia activa bedarf eines Antriebs; sie kann sich nicht von allein in Bewegung setzen. Im Drang der vis activa geht es hingegen darum, »daß er sich von sich aus ins Wirken überleitet, und zwar […] wesenhaft. […] Der Drang ist selbst der Trieb, der seinem Wesen nach von ihm selbst angetrieben wird.«36 Der Drang könnte sogar gehemmt sein, aber das bedeutet nicht, dass er durch die Hemmung nicht mehr ausgelöst und gespannt bleibt, wie die potentielle Kraft eines gespannten Bogens. Sogar während der Hemmung bleibt der Drang anders als eine ruhende Fähigkeit. Der Begriff der vis activa besagt also nach der Heidegger’schen Interpretation: »1. Vis activa bedeutet Drang. 2. Dieser Drangcharakter soll jeder Substanz qua Substanz innewohnen. 3. Diesem Drang entspringt ständig ein Vollziehen.«37 Die Möglichkeit steht früher als die Wirklichkeit und ist das Früheste schlechthin wegen dieses doppelten Charakters ihrer selbst: Die Möglichkeit bedeutet das Mögliche und das Ermöglichende, d. h., sie ist Möglichkeit und Ursprung von Möglichkeit selbst. Solche Begriffe wurden von dieser Untersuchung unter den Termini »Bedeutung« und »Fähigkeit« jeweils begriffen.38 Das Dasein als der faktische Entwurf der Sorge ist wesenhaft möglich, deswegen ist solche Bestimmung der Möglichkeit zugleich eine Bestimmung des Seins des Daseins. Wenn beide Begriffe der Möglichkeit das Sein des Daseins bestimmen – und so hat es schon diese Untersuchung durch die hermeneutisch phänomenologische Reduktion auf die Seinsbedeutungen bestätigt –, dann sollten solche Begriffe irgendwie eine Beziehung jeglicher Art haben. Nach Heidegger ist solche Beziehung eine solche der Bindung. […] [D]as im Entwurf Entworfene zwingt vor das mögliche Wirkliche, d. h. der Entwurf bindet – nicht an das Mögliche und nicht an das Wirkliche, sondern an die Ermöglichung, d. h. an das, was das mögliche Wirkliche der entworfenen Möglichkeit für sich von der Möglichkeit zu seiner Verwirklichung fordert.39
Das Dasein ist wesenhaft durch Möglichkeit ausgemacht, weil es seiner Grundverfassung nach zeitlich ist und die Zeitigung der Zeitlichkeit das ursprünglich Ermöglichende ist, wobei Ermöglichung »Vorzeichnung von Verwirklichung« 35 36 37 38 39
Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 81. Heidegger, 82. Heidegger, Anfangsgründe, 105. Vgl. § 19. Möglichkeit als Fähigkeit und Bedeutung. Heidegger, Die Grundbegriffe der Metaphysik, 528.
254
bedeutet.40 So ist das Temporale als Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses durch den Charakter des Früheren geprägt, indem solcher Charakter den fundamentalontologischen Begriff des Apriori konstituiert.41 Das ursprünglichste Phänomen, auf welches der Mensch in seinem Dasein hinweisen kann, ist seine Zeitigung, welche seine Durchführung bzw. sein eigenes lebendiges Geschehen bedeutet. Heidegger erklärt solchen Zusammenhang mit den folgenden Worten: »Die Zeitlichkeit ist als ekstatisch-horizontale Einheit der Zeitigung die Bedingung der Möglichkeit der Transzendenz und somit auch die Bedingung der Möglichkeit der in der Transzendenz fundierten Intentionalität.«42 Solches lebendige Geschehen entfaltet sich als verstehende Transzendenz, welche als Zeitlichkeit hermeneutisch phänomenologisch interpretiert wird. Solche Zeitlichkeit ist in ihrem Wesen ekstatisch (»Drang ist vor-stellend«43). In solcher Ekstase, weil es kein Draußen-Sein ohne ein Draußen gibt, konstituiert sich ihr Horizont, die Zeit, aus dem her Seiendes bedeutsam, d. h. sinnvoll zur-Präsenz-kommen kann. Solcher Charakter der Bedeutsamkeit der horizontalen Zeit, in welcher Seiendes erscheinen kann, ist die Welt und sie drückt die Präsenz als solche aus, welche das Sein des Seienden konstituiert.44 Der Drang ist ein Begriff der Möglichkeit und der ontologische Hauptbegriff der Heidegger’schen existenzialen Untersuchungen ist die Möglichkeit. Demzufolge ist es kein Zufall, dass nach Sein und Zeit und bei der Suche nach einer Letztbegründung der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie Heidegger Leibniz mit der Absicht interpretiert, einen radikalen Begriff der Möglichkeit zu gewinnen. Die menschliche Existenz hat sein Sein im Strukturganzen der Sorge, in welchem es ihm um sein Sein selbst geht. Das heißt in einfachen Worten: Die menschliche Existenz ist vom Grunde aus durch Möglichkeit ausgemacht; solche Möglichkeit aber bedeutet nicht die bloße Möglichkeit der Widerspruchslosigkeit bzw. der Bedeutung, sondern ihr starker Sinn als ursprüngliche Kraft bzw. Fähigkeit. Die Existenz ist, was und wie sie ist, weil sie sein kann. Sie ermöglicht aus ihr selbst die verschiedenen Weisen ihres eigenen Vollzugs. Heidegger drückt diesen Zusammenhang so aus: Die Existenz »existiert als Zweck ihrer selbst, d. h., sie ist selbst Zweck.«45 Die Existenz ist wesenhaft um ihrer selbst willen. Dieser schon bekannte existenziale Satz wird jetzt radikaler als Drang interpretiert und demzufolge wird das Dasein als Grundgeschehen verstanden. So ein Geschehen bzw. eine Zeitigung, welche den Ursprung von Zeit und Transzendenz konstituiert, kann deswegen nur als Freiheit für … kon40 41 42 43 44 45
Heidegger, 529. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 462 f. Heidegger, 452. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 112. Vgl. § 22. Im Da des Daseins enthüllt sich das Sein des Seienden als Zeit. Heidegger, Grundprobleme, 195.
255
zipiert werden. Solcher Begriff der Freiheit bedeutet, dass das Dasein als fähiges sich durch die ursprüngliche Kraft des Dranges als Anfang bzw. Grund konstituiert. Das Dasein wird durch sein wesenhaftes Möglichsein charakterisiert und ohne eine hermeneutisch phänomenologische bzw. formale Bestimmung des Begriffs der Möglichkeit bleibt dann das Projekt einer Phänomenologie des Daseins philosophisch oberflächlich. Deswegen ist diese Erklärung der innerlichen Struktur des zeitigenden Möglichseins des Daseins nicht nur interessant, sondern auch notwendig. Erstens ist zu sagen, dass im Unterschied zu Leibniz Heidegger den Begriff des Könnens besonders als eine Bestimmung der menschlichen Existenz untersucht.
§ 30. Die zeitigende Transzendenz des Daseins ist der Grund des Grundes Obwohl in diesem Kapitel viele Leibniz’sche Begriffe wichtig sind, handelt es sich hier nicht um die Monadenlehre von Leibniz, sondern um die Heidegger’sche Interpretation dieser und deren Folgen für die Fundamentalontologie. Obwohl die Monadenlehre von Leibniz das ganze Wesen der Natur bestimmen will, fokussiert sich Heidegger fast ausschließlich auf die Bestimmung der Monade als Drang, um demzufolge das Dasein bestimmen zu können.46 In der Tat fokussiert sich die Heidegger’sche Analyse der Bewegtheit auf den Menschen bis zum WS 1929/30.47 Der Drang als Art Kraft ist ein Begriff der Möglichkeit. Die Möglichkeit und ihr Vorrang gegenüber der Wirklichkeit sind aber darüber hinaus Leitmotive der Philosophie Heideggers. Sowohl das Interesse Heideggers an Leibniz als auch sein Fokus auf die Lehre des Dranges sind deswegen kein Zufall. Die Konstitution der Monade lässt sich so zusammenfassend ausdrücken: Die Monade, als aus ihrem Augenpunkt einigend, vereinzelt sich selbst; die Perspektive der Monade ist so der Ursprung ihrer Verschiedenheit; die einigend vereinzelnde Perspektive der Monade geschieht wegen ihres Drang-Seins; der Drang ist eine Konzentration des Universums. Die Konzentration des Universums ist eine lebendige Widerspiegelung, die aus einem einfachen Punkt Mannigfaltiges sehen lässt. Solche Charakterisierung der Monade als Drang lässt verstehen, dass die Monade wesenhaft endlich ist, und demzufolge, warum sie sich 46
47
Deswegen wird auch verstanden, dass diese Heidegger’sche Rezeption von Leibniz 1928 zugleich ein Abstand zu ihm bedeutet. (Vgl. Kiyoshi Sakai, »Zum Wandel der LeibnizRezeption im Denken Heideggers«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 9 (1993): 106-9.) Vgl. Rudolf Bernet, »Die Lehre von der Bewegung bei Aristoteles und Heideggers Verständnis von der Bewegtheit menschlichen Lebens«, hg. von Michael Steinmann, Heidegger und die Griechen, Martin-Heidegger-Gesellschaft, 8 (2007): 108.
256
immer zum Widerstand des anderen verhält.48 In solchem Strukturmoment der Passivität liegt die Möglichkeit der Verbindung von der Monade (materia prima) mit den materiellen Körpern (materia secunda). Heidegger behauptet, dass dieser Punkt wichtig ist, um zu verstehen, warum die extensio das Wesen der Substanz nicht ausmachen kann.49 Er erklärt aber nicht, warum das gerade so sein muss, und auch nicht, wie es möglich sein kann, dass die Monade durch Drang sinnvoll charakterisiert werden kann, obwohl sie kein physisches Phänomen ist. Nach den Untersuchungen der Begriffe der Möglichkeit und der Endlichkeit, in denen der Begriff einer idealen Möglichkeit und der einer nicht leiblichen Sinnlichkeit widerlegt worden sind,50 lässt sich diese Untersuchung vom versteckten Platonismus Heideggers nicht verwirren. Dort hat diese Untersuchung schon bestimmt, dass eine Möglichkeit als Idee nur abkünftig betrachtet werden kann und dass die Rede einer unleiblichen Endlichkeit des Daseins unangemessen ist. Deswegen nimmt diese Untersuchung einen anderen Weg der Interpretation, und anstatt eine künstliche Antwort zu schaffen zu versuchen, lässt sie diesen nicht phänomenologischen und naiven Realismus an der Seite und interpretiert doch das Dasein als eine Monade, aber vielmehr im Sinne einer Interpretation der Monade als Dasein. Es heißt, das monadische Wesen des Daseins wird so ausgelegt, dass alle monadischen Bestimmungen des Daseins nicht mehr als formale Anzeige sein können. Für Leibniz bedeutet μονάς »das ursprünglich Einheit gebende, einigende Einfache und als einigendes Vereinzelndes«, demzufolge interpretiert Heidegger die Monade als »die vorweg und einfach einigende und ineins damit vereinzelnde Einheit«.51 Warum sollte so ein Begriff für die Daseinsanalytik als Fundamentalontologie günstig hinsichtlich ihrer Radikalisierung sein? Die Thematisierung des Daseins bei Heidegger – wie schon gezeigt – hat immer darin bestanden, dass das Wesen des Menschen durch eine innere Spannung von Urelementen ausgemacht ist. Solche Elemente sind nie als Stücke eines Ganzen betrachtet, sondern als Momente bzw. Charaktere einer Einheit. Von solchen Elementen der Bewegtheit ist eines das Moment der Situation und das andere das Moment der Projektion. Das funktioniert genauso bei den Monaden, welche durch Vor-stellen und Streben ausgemacht sind. Deswegen macht es Sinn, dass Heidegger sich so stark auf die Bestimmung der Monaden als Drang fokussiert, weil in der Monadenlehre das Wesen des Menschen auch als Monade bestimmt wird. Solche Bestimmung des Menschen als Monade und deswegen als Drang stimmt mit der Philosophie Heideggers sehr kohärent und sinnvollgut überein wegen seines doppeldeutigen Möglichkeitsbegriffs. Die Daseinsanalytik und die Monadologie greifen so fast perfekt ineinander und die Seinsfrage wan48 49 50 51
Vgl. Heidegger, »Letzte Marburger Vorlesung«, 100 f. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 121. Vgl. Heidegger, Anfangsgründe, 122. Vgl. S. 158 ff.; vgl. S. 223 f. Heidegger, Einleitung in die Philosophie, 143.
257
delt sich so zur Frage nach dem Grunde. Die Anpassung der durch die Analytik gewonnenen Seinsstrukturen des Daseins an die Lehre der Monade als Drang hat aber nur ein Problem: Die Monaden haben keine Fenster. Das kann aber gelöst werden, indem Heidegger die Struktur der Fensterlosigkeit behält, aber die ganze Richtung der Bewegung des Dranges umkehrt. Die Verfassung des Daseins ist keine in sich isolierte, sondern eine transzendente Monade. Das Dasein hat und braucht keine Fenster, weil es wesenhaft offen ist. Das Dasein als Monade braucht keine Fenster, um allererst zu etwas außer ihm hinauszugehen, nicht deshalb, wie Leibniz meint, weil alles Seiende schon innerhalb des Gehäuses zugänglich ist und daher sehr wohl in sich verschlossen und verkapselt sein kann, sondern weil die Monade, das Dasein, seinem eigenen Sein nach (der Transzendenz nach) schon draußen ist, d. h. bei anderem Seienden, und das heißt immer bei ihm selbst. Das Dasein ist gar nicht in einem Gehäuse. Aufgrund der ursprünglichen Transzendenz erübrigt sich ein Fenster für das Dasein. Leibniz hat in seiner monadologischen Interpretation der Substanz mit der Fensterlosigkeit der Monaden zweifellos ein echtes Phänomen im Blick gehabt.52
Die Darstellung der Hedegger’schen Interpretation der Leibniz'schen Monadenlehre anhand der Interpretation des Begriffs der Möglichkeit nach Heidegger zeigt letztendlich, dass die Interpretation des Daseins als Monade und der Monade als Drang keine naive ist. Von Anfang an war diese, wie gezeigt, eine auf einen bestimmten Ausgangspunkt hin gerichtete. Heideggers Geständnis lautet: »Unsere Auslegung der Monadologie war schon von der Interpretation des Daseins als Zeitlichkeit her geleitet, vor allem vom Einblick in das Wesen der Transzendenz.«53 So kann geschlussfolgert werden, dass die Heidegger’sche Interpretation der Monadenlehre keine Verheideggerisierung der Philosophie von Leibniz, sondern vielmehr eine Verleibnizierung der Ergebnisse der Daseinsanalytik ist, welche der Heidegger’schen Untersuchung erlaubt, das Dasein als Grund zu fassen.54 Die Radikalisierung der Monadenlehre durch die Monadologisierung des Daseins oder vielmehr Daseinisierung der Monade fungiert seinerseits als Radikalisierung der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie. Die Erläuterung des Begriffs der Möglichkeit bei Heidegger steht in enger Verbindung mit der Bestimmung der Monade als Drang, nach der die Monade durch eine innere Spannung zwischen zwei Prinzipien ausgemacht wird. Wegen dieser Spannung ist die Monade ständig in einem strebenden vor-stellenden Übergang. Genau wie schon von Anfang an in der Fundamentalontologie 52 53 54
Heidegger, Grundprobleme, 427. Heidegger, Anfangsgründe, 270. Heidegger ist früher schon so vorgegangen, indem er im sogenennten Natorp-Bericht kein Aristoteliker wird, sondern die aristotelische Begrifflichkeit gebraucht, um seine Gedanken verstehen zu lassen und weiterzuentwickeln. (Vgl. Thomas Kalary, »Heidegger’s Aristotle Interpretation of 1922 and its Significanc for his Fundamental Ontology«, hg. von Parvis Emad u. a., Heidegger Studies 28 (2012): 188 f.)
258
die Prinzipien von Bevorstehen und Vorlaufen für das Sein des Daseins konstitutiv gewesen sind,55 sind jetzt die »Prinzipien der Möglichkeit und der Wirklichkeit [im Wesen der Monade] präformiert«.56 Die Termini sind jeweilig anders, aber für die Philosophie sind die Bedeutungen und nicht die Wörter am Wichtigsten. In diesen beiden Fällen wird aber dasselbe ausgedrückt, nämlich dass die Prinzipien zwei sind, welche die Beschreibung des Daseins wesenhaft bestimmt haben: Das Dasein ist ineins Faktum und Verständnis. Der Drang ist demzufolge in solchen zwei Prinzipien gespalten, die in der Struktur der Sorge in den Existenzialien des Sich-vorweg und des Schon-Seins ihr Korrelat finden. Die Monade ist Drang, aber Drang eines mundus concentratus. Das Korrelat solcher Idee lässt sich in der Daseinsanalytik wiederfinden, indem das Sein des Daseins Möglichsein ist und als solches ist das Dasein die Fähigkeit einer Bedeutsamkeit, d. h. das Geschehen eines Horizonts. Solche Prinzipien haben immer die Heidegger’sche Analyse des menschlichen Daseins als Bewegtheit angeführt. Die Strukturglieder solcher Bewegung werden dann die zwei möglichen Antworten der Frage nach dem Grunde. Solche zwei Antworten auf das Warum konstituieren das Wesen des Grundes. So kann interpretiert werden, dass die Bestimmung des Wesens des Grundes von der Bestimmung des Begriffs der Möglichkeit abhängig ist, sowie es diese für diese Untersuchung nach der Bestimmung des Seins auch grundsätzlich gewesen ist. Heidegger definiert Grund so: »Πρώτη ἀρχή, Grund, worin gründet; worin etwas seine Möglichkeit hat, was Seiendes in seinem Sein ermöglicht und als Möglichkeit das Sein selbst in seinem Wesen charakterisiert«.57 Grund ist demzufolge dasjenige, wodurch sich verstehen lässt, warum etwas ist, was ist, d. h., warum solches Etwas anders als das Andere ist.58 Nach dieser Betrachtung lässt sich also verstehen, dass der Grund ein Etwas bestimmt. Diese Untersuchung hat aber schon die Möglichkeiten solcher Bestimmung als Verständnis und Endlichkeit gefasst. Verständnis und Endlichkeit sind aber die Begriffe der zwei Grundbedeutungen des Seins, nämlich Zeit und Zeitigung. Das lässt sich letztendlich so verstehen, dass die Frage nach dem Grunde eine Umformulierung der Seinsfrage ist. In der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie wird der Begriff des Seins durch den neugewonnenen Begriff der Möglichkeit letztendlich der Wirklichkeit genommen und der Möglichkeit gegeben. Das Sein ist nach der Daseinsanalytik, sofern es Grund, d. h. »›das Erste, von woher‹«59 bedeutet, eine Möglichkeit bzw. Fähigkeit des Seienden. Die Frage nach dem Grunde lässt sich so formulieren: »Warum fragen wir, nicht etwa nur faktisch, sondern dem Wesen nach, qua Dasein, nach dem War55 56 57 58 59
Heidegger, Der Begriff der Zeit, 52. Heidegger, Geschichte, 185. Heidegger, 209. Vgl. Heidegger, 196. Heidegger, Anfangsgründe, 137.
259
um? Warum gibt es so etwas wie ein Warum und Darum?«60 Die Frage ist klar formal formuliert und gestellt. Die Antwort auf solche Frage ist ja deswegen genauso formal angeboten: »Weil Dasein existiert, d. h. weil Transzendenz sich zeitigt!«61 Solcher Charakter der Transzendenz, welcher hier als die Antwort auf die erste Warumfrage angeboten wird, ist das Um-sich-selbst-willen des Seins des Daseins. Das Dasein als Worumwillen drückt die ekstatische Dimension der Erschlossenheit aus. Das bedeutet, dass das Dasein selbst als Grund betrachtet wird, indem der Fundierungszusammenhang der horizontalen Dimension der Erschlossenheit (Welt) auf der ekstatischen (In-Sein) hermeneutisch phänomenologisch wiederholt wird. Die Transzendenz der Welt ist das Ekstema der primären Transzendenz der Ekstase, deswegen ist das »Umwillen […] das Urphänomen von Grund überhaupt«.62 Um aber sein zu können, was es ist, muss das Umwillen des Daseins faktisch stattfinden bzw. geschehen, d. h., es muss sich zeitigen. Die Art und Weise des Sich-Zeitigens des Umwillens ist die Freiheit. Heideggers Erläuterung der Freiheit in diesem Kontext lautet: »Die Freiheit als ekstatische Sich-entwerfen auf das eigene Seinkönnen versteht sich aus diesem und hält sich zugleich dieses als Verbindlichkeit vor.«63 In solcher Interpretation ist auffällig, dass die Freiheit als ein Sich-Entwerfen begriffen wird, das die Verbindlichkeit entwirft und stiftet. Solche Interpretation der Freiheit ist infolgedessen klarerweise eine Wiederholung des Möglichkeitsbegriffs und seiner innerlich doppelten Struktur, aber eine solche erneuernde Wiederholung, die jetzt den genannten getrennten Begriffen eine gewisse Fügung gibt. Das ekstatische Sich-Entwerfen drückt die Fähigkeit aus und so begreift Heidegger das Vermögen des Daseins als Freiheit. Solcher Begriff der Freiheit ist ein positiver und bedeutet deswegen ein Seinkönnen im strengen Sinne, d. h., die Freiheit besagt die Möglichkeit als Fähigkeit, aber mit der aus ihr entstandenen Bedeutung gebunden. Die Freiheit erschließt eine eigentümliche Verbindlichkeit, deren ›Vor-haltung‹ aus dem Verständnis des Sinn-Entwerfens entsteht. Solche Verbindlichkeit bedeutet nichts anderes als die Bedeutsamkeit des Daseins: die Rede als artikulierendes Wesen der Erschlossenheit.64 Solche Verbindlichkeit der Freiheit bedeutet, dass der Selbst-Entwurf sich als Bedeutsamkeit entfaltet, und so, dass die Ermöglichung Möglichkeiten sein lässt. Deswegen kann auch behauptet werden, dass die Freiheit die Möglichkeiten des Umwillens ermöglicht, und so, dass sie den »Grund des Grundes« ausmacht.65 Solche Struktur vom Grunde des Grundes kann verwirrend, zu kompliziert und sogar künstlich erscheinen, dennoch weist sie auf etwas hin, was in dieser Arbeit schon behandelt wurde: Das 60 61 62 63 64 65
Heidegger, 276. Heidegger, 276. Heidegger, 276. Heidegger, 276. Vgl. § 20. Rede ist das artikulierende Wesen der Erschlossenheit. Heidegger, Anfangsgründe, 277.
260
Dasein ist möglich, und zwar in einem doppelten Sinne, es ist nämlich Ermöglichung von Möglichkeiten, d. h. Fähigkeit der Bedeutsamkeit. Das kann aber noch klarer ausgedrückt werden: Das Sein des Daseins ist so ausgemacht, dass seine Möglichkeiten de re Möglichkeiten de dicto entstehen lassen, aus denen es sich versteht und auf die es sich entwirft. Gegenüber der Möglichkeit, noch ein drittes Mal nach einem Warum fragen zu können, antwortet Heidegger kategorisch: Nein, das ist nicht möglich, weil das erste Warum bzw. das Umwillen nach seinem Warum bzw. seiner Freiheit fragt, indem das erste Warum auf das zweite gründet, d. h., von ihm ermöglicht wird. Solche Fragen kann demzufolge nicht ad infinitum laufen, weil ›unter‹ der Freiheit keine neue Verständnisstufe stattfindet, die nach seinem Grund fragen könnte.66 Der Zusammenhang der zwei Antworten auf die Frage nach dem Grunde wird so erklärt: »das fragende Warum [ist] das zu Bestimmende, welche Bestimmung nichts anderes ist als das Wesen des erfragten Warum«.67 Das geschieht ähnlich, wie bei der Seinsfrage: Das Fragende ist das Befragte, weil es der »Ort« des Seinsverständnisses ist. Der Philosoph sucht in ihm selber die Antwort auf die Seinsfrage nicht aus Zufall, sondern notwendigerweise, weil Fragen und Verstehen Grundverhalten des Daseins sind, die nur auf Freiheit gründen können. Der Zusammenhang von Freiheit und Umwillen ist daher derselbe von Ermöglichung und Möglichkeit, was letztendlich den einheitlichen Unterschied von Zeitigung und Zeit ausdrückt. Diese Untersuchung hat aber schon herausgestellt, dass sowohl die Zeitlichkeit als auch die Zeitigung auf zwei verschiedene Bedeutungen von Sein hinweisen, deren Zusammenhang impliziert, dass die Transzendenz nur ist, indem die Freiheit ist. Das lässt verstehen, dass die Frage nach dem Grunde – nämlich Warum das Warum? – den fundamentalen Unterschied als Antwort hat: Umwillen, weil Freiheit; Zeitlichkeit, weil Zeitigung; Sein, weil Sein. Der fundamentale Unterschied zeigt so »die Verklammerung der Idee von Sein überhaupt und der von Grund überhaupt. Zu Sein gehört Grund«.68 So ist der fundamentale Unterschied als zugrunde liegende Struktur der Zeitigung der Zeitlichkeit das »Urfaktum« des Grundes selbst als des Geschehens der Transzendenz.69 Letzten Endes zeigt sich der Leitfaden bzw. die Wirbelsäule dieser Untersuchung als das Folgende: Das menschliche Dasein bestimmt sich in seiner Grundverfassung als ein Zu-sein, welches doppeldeutig ist. Einerseits bedeutet solches Zu-sein, dass das menschliche Dasein so ist, dass es immer als Dasein zu sein hat, deswegen ist das Sein des Daseins immer Vollzug seiner selbst. Ande66
67 68 69
Dieses könnte eine gute Kritik an der Grundlosigkeit und Unendlichkeit des Fragens der postmodernen Philosophie und ihr rein sprachliches bzw. nicht phänomenologisches Vorgehen sein. Heidegger, Anfangsgründe, 278. Heidegger, 138. Vgl. Heidegger, 270.
261
rerseits bedeutet solches Zu-sein, dass das menschliche Dasein immer so ist, dass es sich fortwährend zu dem Seienden verhält. Deswegen ist das Sein des Daseins immer ein Sein-zu im Sinne solches Verhältnisses. Solche Doppeldeutigkeit bestimmt das Sein des menschlichen Daseins durch und durch derart, dass, wenn es als Mögliches bestimmt wird, es auch gemäß solchen Begriffs der Möglichkeit doppeldeutig betrachtet wird. So ist einerseits das Dasein möglichkeitsgeladen im Sinne der Fähigkeit des Vollzugs des Zu-seins und andererseits ist es möglichkeitsbildend im Sinne der Erschlossenheit des Verhältnisses des Seins-zu. So wurde durch den Weg des Seins des Daseins, das zweifach als mögliches charakterisiert wurde, die Frage nach dem Sein beantwortet, weil »alle Phänomene des Daseins primär als Weisen seines ›Zu-seins‹ zu verstehen« sind.70 Wenn das Sein des Daseins den Maßstab der Antwort auf die Seinsfrage ausmacht, muss also die Antwort genau doppeldeutig sein, wie die Quelle, aus der sie stammt. So wurde die Seinsfrage einerseits auf dem Wege der Erschlossenheit des Verhältnisses des Seins-zu (Möglichkeit als Bedeutung) beantwortet, dessen letztendliche Bestimmung die zeitliche Entstehung der Welt ist: Das Sein bedeutet den zeitlichen Horizont der Präsenz des Seienden. Solche Frage wurde aber auch andererseits durch den Leitfaden des Vollzugs der Endlichkeit des Zuseins (Möglichkeit als Fähigkeit) beantwortet, was letztendlich das Dasein als ein endliches Geschehen bestimmt: Das Sein bedeutet den sich zeitigenden Grund jedes Horizonts. Aus diesem Zusammenhang lässt sich behaupten, dass das Entworfene reicher als das Entwerfende ist,71 in dem Sinne, dass die Bedeutsamkeit erst eine Präsenz als Horizont schafft. Es heißt, das Sein ist reicher als das Sein, obwohl das Sein nur aus dem Sein möglich ist. Die zweifache Antwort auf die Frage nach dem Sein hatte jetzt einen letzten Ausdruck: Der Grund ist auch gespalten, indem er sich als zwei Warum bestimmen lässt. Beide Warum sind radikalisierte Fassungen der Antworten auf die Seinsfrage, was zeigt, dass die zwei Bedeutungen von Sein eine Grundstruktur ausmachen, welche der Existenz selbst zugrunde liegt, welche diese Untersuchung schon als fundamentalen Unterschied ausgewiesen hat. Die Doppeldeutigkeit von dem Zu-sein, der Möglichkeit, des Seins und des Grundes ist kein Zufall und konstituiert den überzeugendsten Befund der Notwendigkeit der Wiederholung der Fundamentalontologie, welche diese Untersuchung geleistet hat.
70 71
Heidegger, Prolegomena, 207. Vgl. Heidegger, »Vom Wesen des Grundes«, 167.
262
Kapitel XI: Der fundamentale Unterschied ist die Grundstruktur der Fundamentalontologie Die Untersuchung hat gezeigt, dass das Sein des Daseins, d. h. des seienden Seinsverständnisses, sich als möglich doppelt bestimmen lässt. Aus methodischen Gründen wurden solche zwei Wege verfolgt und so zwei Bedeutungen von Sein erreicht. Solche Duplizität der Bedeutungen von Sein wurde anhand der gespalteten Struktur des Grundes bearbeitet. Jetzt ist deswegen die Aufgabe der Untersuchung, solche beiden Bedeutungen des Seins wieder zusammen ins Spiel zu setzen, aber jetzt wieder nach der Begrifflichkeit und Struktur der Daseinsanalytik von Sein und Zeit. Die Analyse des Wahrheitscharakters des Seins hat gezeigt, dass es nur Sein gibt, sofern Seinsverständnis ist, d. h., die Zeitlichkeit sich zeitigt. Das Dasein ist aber wesenhaft vom Seinsverständnis ausgemacht und solches Seinsverständnis ist nur als Dasein möglich, deswegen gibt es Sein, nur sofern Dasein existiert. Daraus stammt die zusammenfassende These: kein Sein ohne Dasein. Dennoch ist klar, dass Seiendes ›bleibt‹, obwohl kein Dasein da ist. Das bedeutet, dass das Vorhandene immer noch sein kann, obwohl ohne Dasein keine Zu- oder Vorhandenheit als Horizont der Präsenz möglich wäre. Solche Horizonte, wie jeder Horizont, sind zeithaft konstituiert und haben ihre Bedingung der Möglichkeit in der Zeitigung des Daseins, welche sich so als die Ermöglichung des Seinsverständnisses zeigt (§ 31. Zeitigung des Daseins ist die ontische Ermöglichung des Seinsverständnisses). Das bedeutet, dass das kursiv geschriebene »ist« nicht heißt, in irgendeinem Horizont so und so zu begegnen, sondern es bedeutet das Geschehen selbst, das im Dasein sein Sich-Zeitigen und im nicht daseinsmäßigen Seienden sein Vorhandensein konstituiert. So zeigt sich, dass sich das Phänomen des fundamentalen Unterschieds in der Struktur der Zeitigung der Zeitlichkeit als das Grundverhältnis des Seins des Seins meldet. Die Zeitigung des Daseins ist Zeitigung einer Zeit und so wird sie entweder zur Zuhandenheit oder Vorhandenheit oder zum Mitsein, weil all jene Verständnisweisen bzw. Horizontarten sind. Das Dasein ist das Seiende, in welchem dessen Sein zu Sein wird (§ 32. Die Zeitigung der Zeitlichkeit ist das Sein des Seins.).
§ 31. Zeitigung des Daseins ist die ontische Ermöglichung des Seinsverständnisses Die Frage nach dem Sein erreicht eine Antwort mit der phänomenologischen Herausstellung der Entstehung der Zeit als Horizont der Zeitigung der Zeit263
lichkeit und der Weise, wie aus solchem Horizont her jedes Seiende in einer gewissen Präsenz vorkommt. Die Zeit ist der Sinn des Seins überhaupt, weil sie der Horizont des Seinsverständnisses und in diesem Sinne seine Ermöglichung besagt. Solches so ontologisch charakterisierte Phänomen ist die Transzendenz, d. h. der Grund der ontologischen Differenz. In der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie wird also versucht, die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses zu beschreiben sowie zu verstehen, weil es Sein gibt, nur wenn es ein Verstehen von Sein ist bzw. existiert, d. h., ermöglicht wird. Die Frage nach dem Sinn von Sein führt demzufolge zur Beschreibung der Seinsverfassung des Daseins, weil nur aus ihr verständlich werden kann, »wie [im Dasein] Verständnis von Sein möglich ist«.1 Was bedeutet der Begriff »Seinsverfassung«? Das Dasein ist das Seiende, dessen Wesen in seiner Existenz liegt. Das heißt in anderen Worten, dass die Frage nach dem Was des Daseins nur durch die Antwort nach seinem Wie beantwortet werden darf. Dann lässt sich solches Was nicht weiter »Wesen« nennen: Der Begriff Seinsverfassung ist der Terminus für das durch Wie bestimmte Was des menschlichen Daseins. Also ist die Seinsverfassung eine durch Existenz bestimmte Essenz. Das In-Sein ist der Grundmodus des Daseins, durch welchen das Dasein ist, was es ist, als In-der-Welt-sein. Die Grundexistenzialien des In-Seins, welche die Transzendenz des Daseins ausmachen, sind das Verstehen und die Befindlichkeit, also die Existenzialität und die Faktizität. Die anderen Existenzialien betonen wesentliche Aspekte der Transzendenz, nämlich dessen Verhältnis- (Rede) und Horizontcharakter (Verfallenheit). Die Seinsverfassung des Daseins ist demzufolge grundsätzlich ein geworfener Entwurf. Aus solcher Struktur wird das Da des Daseins ermöglicht. Der geworfene Entwurf ist als Ausdruck des Zusammenspiels von der Existenzialität und der Faktizität als verschiedene daseinsmäßige Charaktere des Möglichseins des Daseins der fundamentalontologische Begriff der Möglichkeit. Die Transzendenz des Daseins entsteht aus solcher Möglichkeit, weil es »immer schon ›über sich hinaus‹ [ist], nicht als Verhalten zu anderem Seienden, das es nicht ist, sondern als Sein zum Seinkönnen, das es selbst ist«.2 Solche Erschlossenheit charakterisiert sich, wie gesehen, durch einen besonderen Begriff der Möglichkeit, einen besonderen Charakter des Könnens des menschlichen Daseins: der Entwurf. Das Dasein entwirft sich auf die Welt hin. Aus der Perspektive des Möglichkeitsbegriffs lässt sich aber dieser Satz so verstehen: Das Dasein entwirft einerseits sich und andererseits auf die Welt hin.3 Die Erschließung der Bedeutsamkeit geschieht als Erschlossenheit des Verständnisses, welches eine Fähigkeit ist. Das bedeutet aus der Perspektive des hermeneutisch phänomenologischen Begriffs der Möglichkeit, dass die »Erschlossenheit der Möglichkeit […] in der vorlaufenden Ermöglichung« 1 2 3
Heidegger, Grundprobleme, 106. Heidegger, Sein und Zeit, 192. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 392 f.
264
gründet.4 Das heißt, dass die projektiven Möglichkeiten der Bedeutsamkeit auf die ermöglichenden Möglichkeiten der Fähigkeit gründen. Aus solchem Zusammenhang kann schon die folgende Behauptung als ein Postulat gestellt werden: Jedes Verhalten bedarf ontologisch einer Weise und jede Weise bedarf ontisch einer Fähigkeit. Aus der Perspektive der zeitlichen Interpretation der Seinsverfassung des Daseins wird solcher Zusammenhang des zweideutigen Begriffs der Möglichkeit unter den Begriffen der Zeit und der Zeitigung innerhalb der umfassenden Struktur der Zeitlichkeit verstanden. Die bidimensionale Zeitlichkeit macht die Seinsverfassung des Daseins ontologisch möglich, d. h., sie ist die Ermöglichung des vorontologischen Seinsverständnisses, indem sie die Zeitigung der Zeit ermöglicht.5 Die Zeitlichkeit ist eine Interpretation der Seinsverfassung des Daseins: die Sorge. Das erschließt deswegen das folgende Problem für diese Untersuchung: Der Ausdruck »Sorge« meint ein existenzial-ontologisches Grundphänomen, das gleichwohl in seiner Struktur nicht einfach ist. Die ontologisch elementare Ganzheit der Sorgestruktur kann nicht auf ein ontisches »Urelement« zurückgeführt werden, so gewiß das Sein nicht aus Seiendem »erklärt« werden kann. Am Ende wird sich zeigen, daß die Idee von Sein überhaupt ebensowenig »einfach« ist wie das Sein des Daseins.6
Nach der bisherigen Untersuchung lässt sich die Einsicht relativieren, dass es kein »Urelement« geben kann, »auf das die Struktur [der Sorge] reduziert werden könnte«.7 Diese Untersuchung ist mit so einer Interpretation aus einem ontologischen Sichtpunkt einverstanden, weil alle konstitutiven Elemente der Sorge ontologisch gleichursprünglich sind. Also ist eine ontologische Ableitung einiger Elemente der Sorge aus nur einem von solchen Elementen nicht möglich. Aber ontisch ist so eine Reduktion doch möglich. Solches ontische Urelement, das sich meldet in dem, was sich zeigt, ist aber nicht ein Existenzial unter anderen, sondern die Urquelle aller möglichen Weisen des In-Seins, nämlich die Zeitigung. Die Zeitigung der Zeitlichkeit zeigt das lebendige-zeitliche Leben formal an, worauf jedes Existenzial gründet. Die Gründung der Zeitlichkeit in der Zeitigung ist die zeitliche Interpretation des Zusammenhangs der Gründung der Bedeutungen in der Fähigkeit. Mit so einer phänomenischen Basis ist es möglich, Heidegger zu widerlegen. Eine solche Widerlegung ist plausibel, sofern bei Heidegger der Begriff des Ontischen bzw. des Seienden ständig unzureichend bestimmt bleibt. Es darf nicht vergessen werden, dass die Existenzialien den Charakter der formalen Anzeige haben, und als formale Anzeige drücken sie eine distinctio formalis, d. h. einen Unterschied von Aspekten desselben »Dings«, aus. Das lässt noch 4 5 6 7
Heidegger, Sein und Zeit, 264. Vgl. Heidegger, Grundprobleme, 378. Heidegger, Sein und Zeit, 196. Luckner, Martin Heidegger, 85.
265
mal widerlegen, dass in der Sorge kein ontisches Urelement zu identifizieren sei, weil die Existenzialien keine Elemente sind, sondern Aspekte und deswegen wäre es hermeneutisch phänomenologisch angemessen, das Worumwillen selbst, indem es die ursprüngliche Fähigkeit in der Seinsverfassung des Daseins ist, als ontisches Urelement zu verstehen. Solcher Unterschied ist also keine Unterscheidung zwischen den Existenzialien, sondern zwischen dem Dasein als Sein und solchem selbst als Da. Der Begriff der Zeitigung ist aber, wie fast alle Begriffe von Sein und Zeit, doppeldeutig. Einerseits gibt es die Zeitigung der Innerzeitigkeit und andererseits gibt es eine »noch ursprünglichere Zeitigung der Zeitlichkeit«.8 Solche zwei Bedeutungen der Zeitigung sind diejenigen, die durch einen transitiven und einen reflexiven Gebrauch des Verbes ausgedrückt und unterschieden werden. Solcher Zusammenhang kann durch ein paar Beispiele veranschaulicht werden. 1. Transitiver Gebrauch mit produktiver Bedeutung: »[Z]unächst gilt es zu verstehen, daß die Zeitlichkeit als ekstatisch-horizontale so etwas wie Weltzeit zeitigt, die eine Innerzeitigkeit des Zuhandenen und Vorhandenen konstituiert.«9 2. Reflexiver Gebrauch mit sich ereignender Bedeutung: »Zeitlichkeit kann sich in verschiedenen Möglichkeiten und in verschiedener Weise zeitigen.«10 Die Zeitigung des Daseins ist demzufolge ein Sich-Zeitigen, das etwas zeitigt. Solche beiden Bedeutungen stehen jeweils an verschiedenen Seiten des fundamentalen Unterschieds und infolgedessen bedeuten sie, wie die Möglichkeiten de re durch die Seinsverfassung des Daseins zu Möglichkeiten de dicto werden. Solche Fähigkeit zur Entstehung und Entfaltung der Möglichkeiten de dicto auf dem Grunde seiner Möglichkeiten de re lässt das Dasein eigentlich da-sein. In anderen Worten: Die Horizonte der Ekstasen bzw. die Ekstemata, welche sich als Sein des Seienden, nämlich Zuhandenheit, Vorhandenheit, Natur, Bestehen, Mitdasein, entfalten, werden gezeitigt, und zwar vom Sich-Zeitigen des Daseins. Der Begriff der Zeitigung hat demzufolge eine doppelte Bedeutung: 1. Zeitigung bedeutet die Stiftung, die Einbildungskraft, die Produktion, welche aufgrund des menschlichen Existierens entsteht, als was es als Existenz ausgemacht ist: die bidimensionale Erschlossenheit. 2. Zeitigung bedeutet die lebendige Selbstdurchführung des Daseins selbst. Das Dasein ist πρᾶξις als Umwillen. Die Zeitigung ist beim Dasein in diesem Sinne ein »am Sich-Zeitigen« oder auto-poiesis,11 wenn zwecks der Erklärung ein fremder Begriff verwendet werden darf.
8 9 10 11
Heidegger, Sein und Zeit, 235. Heidegger, 420. Heidegger, 304. Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela, De maquinas y seres vivos : una teoría sobre la organización biológica (Santiago de Chile: Ed. Universitaria, 1972); Humberto R. Ma-
266
Nach der Beschreibung der Seinsverfassung des Daseins als eine durch Drang konstituierte Monade12 kann verstanden werden, dass eine solche Beschreibung eigentlich eine Erklärung von einem Zusammenhang ist, der schon in Sein und Zeit ausgearbeitet wurde, nämlich die Grundstruktur der Zeitigung. Solche Zeitigung des Umwillens wurde hinsichtlich seines Möglichseins als Fähigkeit unter dem Begriff Freiheit verstanden. Die Freiheit »ist das Urverstehen, d. h. der Urentwurf«, der durch sie selbst ermöglichten Bindung, dessen Ganzes die Welt ist.13 Was hier unter »Bindung« verstanden wird, ist das, was diese Arbeit bei der Analyse der Rede schon herausgestellt hat: Das Dasein ist die Erschließung des Sinnes, weil sein Selbstentwurf durch Bedeutung ausgemacht ist.14 Das Dasein entwirft sich verweisend bedeutsam, d. h. verbindend. Es kann also daraus verstanden werden, dass das Dasein so ausgemacht ist, dass es ein Drang ist, welcher eine Welt entstehen lässt, es bedeutet, dass das Dasein eine Fähigkeit ist, die eine Bedeutsamkeit entfaltet. In Worten von Heidegger: »Das Dasein als freies ist Weltentwurf.«15 Solcher Entwurf des Daseins ist aber so gestaltet bzw. konfiguriert, »daß das Dasein sich darin hält, und zwar derart, daß dieser freie Halt bindet, d. h., daß er das Dasein, in allen seinen Dimensionen der Transzendenz, in einen möglichen Spielraum der Wahl stellt«.16 Das bedeutet, dass solche Bindung, welche die Welt ausmacht, irgendwie von, für, aber auch vor der Freiheit gehalten wird. Die Bindung wird entworfen und als Entworfenes hält sich der Entwurf selbst entgegen. Das Dasein als freies bzw. als möglichkeitsgeladene Kraft ist ein Überschwung, welcher den Spielraum der Verbindlichkeit offen hält und so »als faktisch existierendes nichts anderes als die seiende Möglichkeit des Welteingangs von Seiendem« ist.17 Solcher Welteingang, welcher das Seiende durch Bindung etwas sein lässt, drückt die Präsenz selbst des Seienden aus, das durch sie zum Innerweltlichen wird, d. h., »das Seiende seiender wird«.18 Solche Betrachtung will nichts anderes sagen, als dass der Welteingang des Entwurfs den Wahrheitscharakter des Seins bedeutet, weil er »die Möglichkeit der Enthüllbarkeit von Seiendem« gibt.19 Solche zum Welteingang gehörige Enthüllbarkeit des Seienden ist die notwendige Bedingung der Möglichkeit jedes Verhaltens zum Seienden. Es bedeutet, dass jedes Verstehen auf ein Sich-Befinden bezogen ist, welches solches Verstehen selbst ausmacht,
12 13 14 15 16 17 18 19
turana und Francisco J. Varela, Autopoiesis and cognition: the realization of the living (Dordrecht [u. a.]: Reidel, 1980). Vgl. Kapitel X. Die Frage nach dem Grunde ist die Frage nach dem fundamentalen Unterschied. Heidegger, Anfangsgründe, 247. Vgl. § 20. a. Der Sinn ist der Horizont der Rede und § 20. b. Der fundamentalontologische Begriff der Wahrheit. Heidegger, Anfangsgründe, 247. Heidegger, 247 f. Heidegger, 249. Heidegger, 249. Heidegger, 249.
267
»[d]enn zu Seiendem kann ich mich nur verhalten, wenn das Seiende selbst in der Helle des Seinsvertändnisses begegnen kann«.20 Ein solcher Zusammenhang der Zeitigung mit der Zeitlichkeit und der Entstehung des Horizonts der Präsenz wird von Heidegger so erklärt: Wie die Gegenwart in der Einheit der Zeitigung der Zeitlichkeit aus Zukunft und Gewesenheit entspringt, so zeitigt sich gleichursprünglich mit den Horizonten der Zukunft und Gewesenheit der einer Gegenwart. Sofern Dasein sich zeitigt, ist auch eine Welt. Hinsichtlich seines Seins als Zeitlichkeit sich zeitigend, ist das Dasein auf dem Grunde der ekstatisch-horizontalen Verfassung jener wesenhaft »in einer Welt«. Die Welt ist weder vorhanden noch zuhanden, sondern zeitigt sich in der Zeitlichkeit. Sie »ist« mit dem Außer-sich der Ekstasen »da«. Wenn kein Dasein existiert, ist auch keine Welt »da«.21
Das vorliegende Zitat lässt sich hinsichtlich der Transzendenz des Daseins so zusammenfassen: »Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit hat als Entrückungseinheit einen, und zwar primär aus der Zukunft, dem Umwillen, gezeitigten Horizont: die Welt.«22 Ein Horizont wird nicht von der Ekstase erreicht, sondern mit ihr selbst gegeben, das bedeutet, durch das Aufgehen der Ekstase selbst gestiftet, aber nicht im Sinne einer creatio ex nihilo, sondern im Sinne des Verweisens als Sinnstiftung, welche als Aktivierung einer Bedeutung als Seinlassen zu verstehen ist. Die Transzendenz selbst macht die erste Bedeutung des Seins überhaupt aus, die diese Untersuchung bestimmt hat. Heidegger betont die Bedeutung der Transzendenz in der Daseinsanalytik durch die folgenden Worte: »Transzendieren […] ist das ekstatische Zu-sich-sein in der Weise des Umwillen-seiner. Das Umwillen, als primärer Charakter der Welt, d. h. der Transzendenz, ist das Urphänomen von Grund überhaupt.«23 Der Begriff der Zeitlichkeit bedeutet demzufolge die Einheit des Sich-Zeitigens mit seiner gezeitigten Zeit. Solche ermöglichende Einheit von Fähigkeit, Ekstase, Bedeutung und Horizont, welche die Zeitlichkeit terminologisch zeigt, muss also als »die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses und damit des Entwurfs des Seins auf die Zeit« verstanden werden.24 Deswegen kann das Seinsverständnis nur aus der Zeitlichkeit des Daseins verstanden werden, aber – und dies ist die These dieser Arbeit – die Zeitlichkeit seinerseits kann nur aus ihrer Zeitigung verstanden werden. Infolgedessen ist die Zeitigung solches Urelement, auf welches die Zeitlichkeit zurückgeführt werden soll. Das kann erst jetzt behauptet werden, nachdem die Untersuchung die Struktur des Grundes und seine Beziehung mit dem Begriff der Möglichkeit schon ausgelegt hat. Nach solcher Auffassung des Daseins ist das Dasein eine durch Drang charakterisierte Monade. Der Drang ist eine Zeitigung, welche »in 20 21 22 23 24
Heidegger, Grundprobleme, 397. Heidegger, Sein und Zeit, 365. Heidegger, Anfangsgründe, 275. Heidegger, 276. Heidegger, Grundprobleme, 397.
268
sich das ekstatische Geschehen des Welteinganges besagt«. Das ontologische Problem, das hier zu sehen ist, besteht darin, dass der allerletzte Grund der Ontologie in der Einheit von Zeitigung und Welt, d. h. von Sein und Da, besteht. Wenn der Drang der Monade die innerliche Struktur der Zeitigung ausdrückt, dann lassen sich die Zeitlichkeit und der Drang zusammen denken. Eine solche Struktur des Grundes lässt sich besser erklären, wenn sie durch ein Bild veranschaulich wird. Bild 2 will die Einheit von zwei Strukturen darstellen, die schon in dieser Arbeit erläutert wurden, deswegen hat es die Form einer Summe zwischen der Struktur der horizontalen Einheit der Ekstasen und dem Urimpuls der Monade. Das Ergebnis solcher Summe soll die Fügung der zwei Bedeutungen des Seins ausdrücken. Diese graphische Darstellung des fundamentalen Unterschieds lässt sich Selbstüberschwungsmodell nennen: Bild 2
Die Analogie mit einer Fahrradkette stellt mehrere Vorteile dar, um diesen zu erklärenden Zusammenhang zugänglich zu machen, obwohl nie vergessen werden soll, dass es in diesem Modell nie um eine gewisse Mechanik geht. Der Drang fungiert wie die Kraft der Pedale, er ist die sich verwirklichende Fähigkeit, welche den ganzen Zusammenhang in Bewegung setzt. In der Kette bewegt sich kein Kettenglied, ohne dass sich alle anderen Glieder bewegen, jedes Glied ist mit den anderen gleichursprünglich. Dennoch ist keine Analogie perfekt. In diesem Fall liegt der wichtigste Unterschied darin, dass der Drang keine mechanische Ursache wie die Pedale ist, sondern ein Fundament. Die Zeitigung bedeutet kein »Nacheinander« der Ekstasen, dennoch lässt durch ihre Bewegtheit eine kreisläufige Form entstehen. Wenn Heidegger sagt, dass »[d]ie Zukunft nicht später als die Gewesenheit und diese nicht früher als die Gegenwart [ist]«, will er ausdrücken, dass die Ekstasen sich zugleich zeitigen und dass sie durch diese Bewegtheit eine Einheit entstehen lassen als »gewesende-gegenwärtigende Zukunft«.25 Die Ekstasen zeitigen sich zugleich, aber aus einer gewissen Richtung: »aus der Zukunft«, wie diese Untersuchung schon bestätigt hat. Das ist ein Ausdruck des Überschwungs, welcher das Über-hinaus der Transzendenz aus einem Urimpuls verstehen lässt. Das primäre Mögliche der Seinsverfassung des Daseins wurde erstens anhand der Monadenlehre als Drang charakterisiert und jetzt wird die Interpretation in 25
Heidegger, Sein und Zeit, 350.
269
dieselbe Richtung weitergeführt, indem Heidegger die Zeitigung als freien ekstatischen Schwung begreift.26 Solcher Begriff eines freien ekstatischen Schwungs einigt die Problematik der doppeldeutigen Möglichkeit (Freisein), der Zeit (Ekstase) und der Monade (Drang). So landet die Forschung im Kern des Problems von Sein und Zeit: Die Zeitigung ist die freie Schwingung der ursprünglichen ganzen Zeitlichkeit; Zeit erschwingt und verschwingt sich selbst. (Und nur weil Schwung, deshalb Wurf, Faktizität, Geworfenheit; nur weil Schwingung, deshalb Entwurf. Vgl. das in »Sein und Zeit« angezeigte Problem von Zeit und Sein.).27
Das zeigt in anderen Worten, dass die Einheit der monadischen Struktur mit der Struktur der Entfaltung der Zeit, welche Einheit hier durch das Selbstüberschwungmodell dargestellt wurde, die echte Struktur des Freiseins-für zusammen ausdrückt: die Einheit von Fähigkeit und Bedeutung. Die Fähigkeit (Möglichkeit de re), die eigenen Fähigkeiten (Möglichkeiten de re) in Bedeutungen und Sinn (Möglichkeiten de dicto) zu wandeln, ist der fundamentalontologische Begriff der Freiheit.28 Das Freisein-für als Einheit von Fähigkeit und Bedeutung besagt in anderen Worten, dass das Dasein als freies die Elemente der kausalen Systeme als etwas bedeutsames Mögliches sein lässt, und zwar derart, dass solches Dasein als Freisein für … die Bedingung der Möglichkeit des Seins des Seienden, d. h. des Seinsverständnisses, ist. 29 Das heißt, dass jede Freigabe des Seienden ihre Ermöglichung in der Freiheit des menschlichen Daseins findet. Alles, was hier sehr abstrakt erläutert worden ist, lässt sich durch ein Beispiel veranschaulichen. Ist es tatsächlich möglich, ein Beispiel zu finden, um aufzuweisen, wie das menschliche Dasein durch einen monadischen Urimpuls ausgemacht ist, welcher sich als die Entfaltung einer sinngebenden Bedeutsamkeit vollzieht? Wo kann ein Bespiel gefunden werden, in dem der Bindungscharakter der endlichen Zeitigung des Daseins ausdrücklich wird? Der Zusammenhang des Selbstüberschwungs, welcher der Zusammenhang der Entstehung der Bedeutungen aus den Fähigkeiten ist, kann durch das Phänomen des Nicht-Erreichen-Könnens ausdrücklich gemacht werden. Ein Beispiel: In einem Spielzeugladen guckt ein Kind sein Lieblingsspielzeug an, das aber sehr hoch auf dem Regal steht, zu hoch für das Kind, welches aber trotzdem nicht aufgibt und seine Hände hochhebt und seinen ganzen Körper spannt, um das Spielzeug erreichen zu können, obwohl es ohne Hilfe eines Erwachsenen unmöglich 26 27 28
29
Heidegger, Anfangsgründe, 268. Heidegger, 268. Die Freiheitslehre von Heidegger ist demzufolge sozusagen kompatibilistisch, weil sie die kausalen Systeme nicht zu zerbrechen bezweckt, sondern zu bestimmen versucht, wie die »freie Ursache« sich in solche Systeme einmischt. (Vgl. Alejandro Vigo, »Libertad como causa. Heidegger, Kant y el problema metafísico de la libertad«, hg. von Bernardo Ainbinder, Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 223.) Vgl. Vigo, 239.
270
ist. In diesem Beispiel wird deutlich, dass ein klares Verhältnis zwischen dem sich strebenden Vor-stellen des Kindes und der Erschlossenheit des Seins des gewünschten Seienden als Spielzeug bzw. Lieblingsspielzeug besteht. Das Hochheben der Hände und die Spannung des Körpers, die streben, das Spielzeug zu erreichen, zeigen klar, dass solche ursprüngliche Kraft wesenhaft leiblich und deshalb endlich ist. Obwohl aber das Kind sein Lieblingsspielzeug mit den Händen nicht erreicht hat und nicht erreichen kann, hat es sein Spielzeug schon von Anfang an durch das Verständnis erreicht und solches Spielzeug liegt jetzt in seiner Welt von ihm so nah, dass es vielleicht im Moment des größten Wunsches sogar näher als sein eigenes Ich liegen könnte. Obwohl seine kleinen Hände sich spannen, kann das Kind sein Spielzeug nicht erreichen, aber sein Entwurf erschließt seine Welt über seine Hände hinaus und erreicht entdeckend das Spielzeug und könnte sogar die Sterne erreichen, wenn es will.30 Das Kind hat ein Sein entworfen, nämlich das Sein solches Seienden, d. h. ein Sein für solches Seiende, welches Sein aber nicht das Sein seiner eigenen Endlichkeit ist, sondern ein wesenhaft anderes. In solcher endlichen und gescheiterten Fähigkeit des Fassens und Nehmens bzw. des Nicht-erreichen-Könnens zeigt sich klar, dass aus der Fähigkeit durch eine Bindung, welche die Barriere der Leiblichen Endlichkeit überwindet, das Seiende erreicht und als das und das entdeckt wird. Solcher Zusammenhang, welcher das eigentlichste und tiefste Wesen des redemäßigen geworfenen Entwurfs zeigt, ist der Überschwung, der die Grundstruktur des fundamentalen Unterschieds begreift: das Horizontwerden der Endlichkeit. Die Zeitigung ist an sich selbst ekstatisch, deswegen ist ihre Tätigkeit bzw. ihr Schwung das, was das Selbstüberschwungmodell gehen lässt. Obwohl die Zeitigung ekstatisch ist – es kann nicht gesagt werden, dass sie die Möglichkeit eines isolierten Subjekts besagt –, darf es doch interpretiert werden, dass sie als Grund der Zeitlichkeit auch eine gewisse Grenze dieser darstellt. Die Zeitigung ist wesenhaft endlich und durch ihre Endlichkeit schränkt sie die in ihr generierte Zeitlichkeit ein. Die Grenze der Zeit liegt also nicht in Richtung Zukunft oder Vergangenheit oder ganz weiter weg, sondern ganz nah »Richtung innen«. Die Zeitlichkeit ist durch ihre Zeitigung ekstatisch, und genauso wie sie den Weltentwurf ermöglicht, verhindert sie sich selbst, in sich selbst »einzutreten«. Solche Verhinderung zeigt dann das Dasein als das drängende und schwingende »Woher« des Aufgehens seines Existierens, wie schon bei der Analyse der Endlichkeit des Daseins herausgestellt wurde.31 Das lässt das Dasein als Schwerzentrum verstehen.32 Was hierdurch hermeneutisch phänomenologisch wiederholt wird, ist nichts anderes als die Feststellung des Daseins als Fundament seiner Welt, diesmal aus der Perspektive der Zeitlichkeit als Einheit von Zeit und 30 31 32
Vgl. S. 89. Vgl. S. 215. Vgl. S. 119.
271
Zeitigung. Die Zeitigung ist so eine ursprünglich ekstatische Einheit, welche die Einheit ihres eigenen Horizonts zeitigt: die Welt. In Worten von Heidegger: »Die Welt ist das Nichts, das sich ursprünglich zeitigt, das in und mit der Zeitigung Entspringende schlechthin – wir nennen sie daher das nihil originarium.«33 Solche Zeitigung der Welt wird von Heidegger Welteingang genannt und er erklärt es mit diesen Worten: Welteingang ist kein Vorgang am Vorhandenen, in dem Sinne, daß es sich dabei veränderte und aufgrund dieser Veränderung sich eindrängte. Welteingang des Vorhandenen ist ›etwas‹, was mit ihm geschieht. Welteingang hat den Charakter des Geschehens, der Geschichte. Welteingang geschieht, wenn Transzendenz geschieht, d. h. wenn geschichtliches Dasein existiert; nur dann ist ein In-der-Welt-sein des Daseins existent. Und nur wenn dieses existent ist, ist auch schon Vorhandenes in Welt je eingegangen, d. h. Innerweltliches geworden. Und nur das Dasein qua existierendes gibt die Gelegenheit des Welteingangs.34
Bild 3
Solche Erklärung soll jetzt durch das Selbstüberschwungmodell erläutert werden. Der Welteingang bedeutet das Seinlassen des Seienden und natürlich nicht als eine vom Dasein abhängige Schöpfung des Seienden, sondern im genauen Sinne des Lassens als Aktivierung. Welteingang besagt demzufolge das Geschehen einer Transzendenz, welche dem Seienden eine Bedeutung gibt. Solches 33 34
Heidegger, Anfangsgründe, 272. Heidegger, 250 f.
272
ekstatische Geschehen des Welteingangs, welches die Zeitigung selbst ist,35 lässt sich aber von der Welt selbst unterscheiden. In anderen Worten: »Weil das Dasein existiert, bestimmt es sich als Seiendes, wie es ist, je aus einer Möglichkeit, die es selbst ist und versteht.«36 Solches »ist« gehört nicht zum Bereich des Seinsverständnisses als Horizont der Präsenz des Seienden, sondern es drückt seine Ermöglichung aus, und deswegen darf es nicht für ein Sein gehalten werden, das einen Wahrheitscharakter hat. So entsteht ein genaueres Verständnis der Struktur des fundamentalen Unterschieds: die Beziehung der Zeit mit der Endlichkeit als unterschiedene Antworten auf die Seinsfrage. Solcher Zusammenhang wird durch Bild 3 veranschaulicht: Der Drang, als Zeitigung verstanden, ist durch Sich-vorweg und Schon-sein ausgemacht, aus solchem Drang der Horizont der Zeit entsteht, deren gefügte Einheit die Zeitlichkeit ist, welche sich jetzt als die echte Freiheit des Daseins verstehen lässt.
§ 32. Die Zeitigung der Zeitlichkeit ist das »Sein« des Seins. Diese Untersuchung hat eine Suche nach dem Grunde des Seins durchgeführt. Bei der ersten Etappe solcher Suche wurde eine destruktive Analyse gemacht von dem, was Heidegger in der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie erreicht hat. Das Ergebnis solcher Analyse zeigt, dass der Begriff von Sein völlig problematisch und zweideutig zu sein scheint. Dies ist ein großes Problem für die Fundamentalontologie, weil die Zweideutigkeiten nicht erlaubt sein sollen, wenn die Absicht eine gewisse Definition eines Begriffs ist. Die Absicht dieser Untersuchung lässt sich also als eine begriffliche und systematische Erklärung sowie eine kritische Ergänzung der Fundamentalontologie verstehen. Solchen Zweck zu erreichen ist die jetzige und letzte Aufgabe dieser Untersuchung. Auf solchem Weg hat die Untersuchung zwei Grundbedeutungen vom Begriff Sein in der Daseinsanalytik als Fundamentalontologie mit der Absicht herausgefunden, solche Bedeutungen auf der Basis ihres Unterschieds neu zu gründen und zu verstehen. Solcher Unterschied zwischen den zwei Seinsbedeutungen – nicht zwischen Sein und Seiendem – ist, was diese Untersuchung fundamentaler Unterschied genannt hat.37 Der Sinn von Sein als Verständnis bzw. Zeit, der in Sein und Zeit charakterisiert und thematisiert wird, gründet auf eine andere Bedeutung des Seins als Geschehen bzw. Zeitigung, welche die Bedingung der Möglichkeit jedes Verständnisses und jeder Zeit ist. Solche zweite Bedeutung wird von Heidegger nur nebensächlich erwähnt und trotzdem können ihre Spuren überall – in verschiedenen Formen – in der Fundamentalontologie
35 36 37
Vgl. Rentsch, »Sein und Zeit. Heidegger-Handbuch«, 63. Heidegger, Sein und Zeit, 259. Vgl. § 27. Enthüllung des fundamentalen Unterschieds.
273
gefunden werden. Solche zwei Bedeutungen sind gleichursprünglich und dennoch besteht zwischen ihnen eine Beziehung der Gründung. Solche Gründungsbeziehung könnte ziemlich selbstverständlich scheinen und diese Selbstverständlichkeit kann große Schwierigkeiten und Vorurteile verstecken. Deswegen ist es der phänomenologischen Methode eine Pflicht, nie ein Argument durch ein Postulat zu verwechseln, also kein Vorurteil zu erlauben. Der Begriff einer Gründungsbeziehung könnte dadurch kritisiert werden, dass sie als eine kausale Beziehung verstanden wird, d. h., die Kritik sage, dass die Suche nach dem letzten Grunde die Suche nach einer ersten Ursache sei. Die Gründungsbeziehung ist aber im Vergleich zu einer kausalen Beziehung radikal anders. Die kausale Beziehung nimmt an, dass es unter zwei verschiedenen Phänomenen eins gibt, das als Bewegungsprinzip fungiert, und es ein anderes gibt, das als Wirkung bzw. als das Bewegte identifiziert wird. Deshalb sind bei der kausalen Lehre des Aristoteles mehrere Ursachen dafür nötig, dass ein Seiendes als solches Seiendes stattfinden kann, und keine von solchen Ursachen kann das Vorhandensein von Etwas ohne die Teilnahme von anderen Ursachen »vervollständigen«. Daraus kann bereits geschlossen werden, dass die Suche nach dem Grunde nicht mit der nach einer Ursache verglichen werden darf, weil die Ursache nie nur eine ist.38 Dagegen nimmt die Gründungsbeziehung an, dass es gewisse Strukturen gibt, welche das Vorhandensein jeglichen Phänomens ermöglichen, d. h., dass ein mögliches Phänomen Bedingungen seiner Möglichkeit hat. Solche Bedingungen sind diejenigen, ohne die ein gewisses Phänomen nie möglich wäre. Im Gegensatz zu der kausalen Beziehung sind bei der Gründungsbeziehung die ermöglichenden Strukturen eines Phänomens nicht anders als solches Phänomen selbst. Bei der kausalen Beziehung wird immer etwas gefordert, was jenseits des gewirkten Seienden selbst ist, um sein Sein zu »rechtfertigen«, während in der Gründungsbeziehung einige Momente der Seinsverfassung solches Seienden wegen seines ermöglichenden Charakters nur herausgehoben bzw. formal angezeigt werden. Deshalb ist die Unterscheidung zwischen solchen zwei Momenten – dem Gegründeten und dem Grunde – nicht mehr als rein formal. Wenn z. B. gezeigt wird, dass die Zeitlichkeit die Bedingung der Möglichkeit des Seinsverständnisses ist, wird damit nicht gemeint, dass ein »Etwas« namens Zeitlichkeit das Vorhandensein von einem »anderen Etwas« namens Seinsverständnis verursacht, sondern dass der zeitliche Charakter der menschlichen Existenz der Grundcharakter ihres verstehenden Charakters ist. Die Zeitlichkeit ist die konstitutive und ermöglichende Struktur des Seinsverständnisses, d. h., die Zeitlichkeit ist verstehend. In anderen Worten: Das Seins38
»τὰ μὲν οὖν αἴτια σχεδὸν τοσαυταχῶς λέγεται, συμβαίνει δὲ πολλαχῶς λεγομένων τῶν αἰτίων καὶ πολλὰ τοῦ αὐτοῦ αἴτια εἶναι οὐ κατὰ συμβεβηκός« (Aristoteles, Aristotelis metaphysica, 1013b.). »In so vielen Bedeutungen werden ungefähr die Ursachen genannt. Da sie in mehreren Bedeutungen vorliegen, ergibt sich, daß dasselbe Ding mehrere Ursachen [hat], und zwar nicht in akzidentiellem Sinne« (Aristoteles, Metaphysik, 5:1013b).
274
verständnis ist möglich, weil es selbst zeitlich ist. Zeitlichkeit und Verständnis sind dasselbe. Der erste Begriff ist nicht mehr als die Heraushebung der grundsätzlichsten Merkmale des zweiten. In der Gründungsbeziehung geht es darum zu unterscheiden, was doch dasselbe ist. Die Fähigkeit des Daseins, sein zu können, welche es möglich macht, ist ein Charakter der Faktizität als Faktum. Wenn das Dasein sein kann, ist es schon dazu fähig. Das bedeutet, dass die Fähigkeit den zeitlichen Charakter der Gewesenheit hat. Das ist kohärent mit den Worten von Heidegger: »Eigentlich zukünftig ist das Dasein eigentlich gewesen.«39 Solche Beziehung von Seinkönnen und Möglichsein bzw. von Faktum und Existenzialität – als Fähigkeit und Bedeutung verstanden – ist das Freisein für …, welches jetzt aus dieser fundamentalontologischen Perspektive neu verstanden wird als die Beziehung der zwei Warum der Frage nach dem Grunde. Solcher Begriff des Freiseins für … lässt sich auch so ausdrücken: In einer ursprünglichen Zeitigung der Zeitlichkeit »gründet das für das Sein des Daseins konstitutive Seinsverständnis«.40 Das bedeutet, dass die Zeit ein Horizont ist, der von der Zeitigung der Zeitlichkeit entworfen wird. In solchem Horizont wird der Sinn von Sein verstanden. Die Entfaltung des Horizonts der Zeit und »der Entwurf des Sinnes von Sein überhaupt«41 sind also identisch und deshalb ist die Zeit der Horizont des Verstehens von Sein und die Zeitigung der Zeitlichkeit ist die Ermöglichung des Seinsverständnisses. Darin liegen die zwei Antworten auf die Frage nach dem Sein, welche diese Untersuchung verfolgt: Sein als Gliederung des Horizonts jedes Verständnisses und Sein als Ermöglichung der Erschlossenheit jedes Horizonts. So zeigt sich das gliedernde Wesen des Daseins als der Weg beider Entdeckungen: Über die Rede in Richtung Entfaltung wird im Rahmen der Zeit das Sein als Verständnis bestimmt; 42 über das Gewissen (Rede) in Richtung Grund wird im Rahmen der Endlichkeit das Sein als Zeitigung (Geschehen) bestimmt.43 Die Rede zeigt sich als Weg zu beiden Bestimmungen des Seins, weil sie die Bindung der Fähigkeit mit der Bedeutung bedeutet. Die Rede ist das »Zwischen« von beiden Bedeutungen des Seins und deswegen ihrer Fügung als fundamentaler Unterschied. Wenn das Sein die Präsenz des Seienden besagt, wird auch verständlich, dass das Sein primär Verständnis bedeutet. Wenn etwas in der Welt präsent ist, ist es irgendwie schon verstanden worden. Das Sein ist möglich im Seinsverständnis, aber Verstehen bedeutet fundamentalontologisch Entwerfen. Es heißt, dass das »Seinsverständnis« der »Entwurf des Seins« bedeutet. Seinsverständnis ist also Seinsgabe, weil das Verstehen des Seienden durch solche Präsenz ermöglicht ist, 39 40 41 42 43
Heidegger, Sein und Zeit, 326. Heidegger, 235. Heidegger, 235. Vgl. Kapitel VI. Der Wahrheitscharakter des Seins. Vgl. Kapitel VII. Die Endlichkeit des Daseins.
275
welche als die Zeitgabe vollzogen wird, welche den Horizont der Zeitigung der Zeitlichkeit charakterisiert. In Worten von Heidegger: »Sein verstehen wir demnach aus dem ursprünglichen horizontalen Schema der Ekstasen der Zeitlichkeit.«44 Eine Gabe kann aber nur von einem begrenzten bzw. endlichen Seienden geleistet werden. Ich kann einem Freunden von mir ein Geschenk geben, nur weil ich und er unterschiedlich sind, und wir können doch unterschieden werden, nur weil wir beide endlich sind. Die Gabe wird also von unserer Endlichkeit ermöglicht. An der Endlichkeit der Zeitigung der Zeit liegt der Grund der Gabe des Seins des Seienden, d. h. die Ermöglichung des Seinsverständnisses. Sowohl Zeitigung wie auch Zeit drücken Begriffe der Möglichkeit aus. Aber welche? Es ist richtig, dass die Möglichkeiten des Daseins Möglichkeiten de re sind.45 Das macht Sinn, wenn betrachtet wird, dass das Dasein hauptsächlich Vollzug ist. Dennoch geht es im Dasein offensichtlich nicht nur darum. Das Seiende, das nicht in-der-Welt-ist, wie das Wetter oder die Wellen des Meeres, wird auch von Möglichkeiten de re konstituiert und nur von ihnen. Was aber unser Dasein ein menschliches Dasein sein lässt, ist gerade, dass wir Möglichkeiten de dicto aus unseren Möglichkeiten de re fortwährend erschließen. Demzufolge ist eine Charakteristik des Daseins aus nur einem Möglichkeitsbegriff nicht völlig falsch, aber doch unangemessen, weil unvollkommen. Wenn das Dasein Möglichkeiten de dicto aus seinem Existenzvollzug nicht erschließen könnte, wäre es auch unmöglich, es als In-der-Welt-sein zu bestimmen, weil solche Seinsverfassung einfach nicht stattfinden würde. Das wird viel klarer, wenn die Erschlossenheit der Bewandtnis aus dem Bewendenlassen bzw. die Grundstruktur der Bidimensionalität berücksichtigt wird. Wenn ich jetzt auf diesem Papier schreibe, erschließe ich nicht nur die Möglichkeit de re des Schreibens selbst oder des Gebrauchs des Bleistifts und des Papiers, die zum Schreiben ein direktes Verhältnis haben, sondern ich erschließe auch den ganzen Referenzrahmen bzw. Verweisungszusammenhang solcher involvierten Bedeutsamkeit. Am Schreiben erschließe ich auch alle Bedeutungen des Platzes, wo ich schreibe, des Schreibtisches, des Gebäudes und seiner Funktion. Beim Schreiben schreibe ich in einer Bibliothek, im Hörsaal oder zu Hause und jeweils ist das Schreiben anders. Das zeigt letztendlich, dass die Duplizität des Möglichkeitsbegriffs ein unmittelbares Verhältnis zur Grundstruktur der Transzendenz und so zu dem Sinne und der Bedeutung des Seins selbst hat. Wenn das Sein in der Transzendenz erschlossen wird und solche Transzendenz in einem Vollzug ermöglicht wird, dann weisen die verschiedenen Weisen der Möglichkeit auf zwei Bedeutungen von Sein hin, von welchen eine durch die andere ermöglicht wird. Es ist gerade aus solchem Zusammenhang zu verstehen, warum die Freiheit das Wesen des Menschen ist. Die Freiheit und die Selbstständigkeit, welche 44 45
Heidegger, Grundprobleme, 436. Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 66-71.
276
aus dem Freisein für … stammt, bestimmen so das Selbst des In-der-Welt-seins nicht als ein Vorhandenes Ich, sondern als Grund.46 Der Fundierungszusammenhang in der Seinsverfassung des Daseins ist aber nicht klar. Einerseits wird solches Problem so ausgedrückt, dass die Sorge als Grund der Endlichkeit oder umgekehrt47 betrachtet wird, andererseits drückt sich solches Problem aus, indem die Sorge als Grund des Selbst oder umgekehrt48 erläutert wird. Beide Begriffspaare – Sorge/Endlichkeit und Sorge/Selbst – weisen auf den fundamentalen Unterschied hin, obwohl solche beiden erwähnten Interpretationen dieses Problem übersehen. Die implizite Frage beider Fälle lautet: Was ist der letzte Grund? Es wurde schon festgelegt, dass das Sein des Seienden auf die Zeitlichkeit des Daseins gründet, welche aber endlich ist. Die Zeitlichkeit ist aber nicht primär endlich in der Richtung ihrer Entfaltung bzw. ihres Horizonts, sondern sie hat ihr Ende in der Richtung ihres Ursprungs. »Aber dieses Ende ist nichts anderes als der Anfang und Ausgang für die Möglichkeit alles Entwerfens«,49 wie Heidegger sehr gut bemerkt. Was hier gemeint wird, ist das Phänomen des Lebens als Fähigkeit bzw. der Ermöglichung der Möglichkeit. Die Zeitlichkeit gründet auf ihrer Endlichkeit, d. h. auf ihrer Zeitigung. Die Zeitigung als Sich-zeitigen ist die Grundbestimmung der Bewegtheit des Daseins, welche es als In-der-Welt-sein ausmacht, indem es sich von und aus ihm selbst ständig generiert. Es bedeutet, dass die Zeitigung als Genesis zu verstehen ist im Sinne, dass das Dasein als lebendiges In-der-Weltsein »je nach einer bestimmten Möglichkeit ihren Boden hat«.50 Solcher Sinn der Genesis ist die Grundbewegtheit des Grundes, welche solchen Grund als Abgrund konstituiert. Der echte Grund ist Ab-grund, weil aus ihm her bzw. ab ihm alles anfängt. Der Grund selbst ist in diesem Sinne Genesis. Die Antwort auf die Frage nach dem Grunde besagt also: Der letzte Grund ist die Zeitigung bzw. das Sein. Das daseinsmäßige Sein ist aber immer Sein geworden. Ohne das Sein und die innere Spannung des Unterschiedes vom Sein und Sein kann es keinen Anfang geben, der als Abgrund zu betrachten ist. Der Grund muss die Grundstruktur des fundamentalen Unterschieds bzw. des Selbstüberschwungs haben.
46 47 48 49 50
Vgl. Menke, »Subjekt. Heidegger-Handbuch«, 322. Vgl. Luckner, Martin Heidegger, 109. Vgl. Dittus, Das Paradox des Subjekts, 195-216. Heidegger, Grundprobleme, 437. Heidegger, Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie, 237.
277
Bild 4
Der Begriff des Seins wird von der Zeitigung bzw. vom Sich-Zeitigen des Daseins ausgedrückt. Heidegger drückt solchen begrifflichen Zusammenhang aus, indem er behauptet, dass »die ursprüngliche Zeit als Zeitlichkeit die Seinsverfassung des Daseins ermöglicht und dieses Seiende so ist, dass es sich zeitigt«.51 Solche spezifische Bewegtheit der Zeitigung des Daseins, deren Struktur in dieser Untersuchung schon als Drang und Schwung begriffen worden ist, wird in Sein und Zeit als das Geschehen des Daseins begriffen, dessen Struktur das erstreckte Sicherstrecken ist.52 Die vorliegende Untersuchung nach einer zweiten und athematischen Bedeutung vom Begriff Sein ist also das Ergebnis der Thematisierung des Geschehens des Daseins und dessen Grundstrukturen, welche zum Begriff der Zeitigung als solcher führen, wie Heidegger selbst behauptet hat.53 So lässt sich der Zusammenhang des Selbstüberschwungmodells aus der Perspektive des Geschehens als Ausdruck des Drangs noch mal formulieren, sofern es die innerliche Struktur solcher ermöglichenden Bewegtheit zum Vorschein kommen lässt. Heidegger formuliert es so: Geschehen der Geschichte ist Geschehen des In-der-Welt-seins. Geschichtlichkeit des Daseins ist wesenhaft Geschichtlichkeit von Welt, die auf dem Grunde der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit zu deren Zeitigung gehört.54
So wird die Leitidee dieser Untersuchung noch mal formuliert: Das Dasein ist ein Geschehen, das die Geschichte entstehen lässt, welche nur als zeitliches In-
51 52 53 54
Heidegger, Grundprobleme, 383 f. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 375. Vgl. Heidegger, 375. Heidegger, 388.
278
der-Welt-sein zu verstehen ist.55 Solche Idee lässt sich also auch in diesen Worten neu formulieren: Das Dasein ist eine Art Kraft, die einen Horizont entstehen lässt, welche Kraft und welcher Horizont zusammengehören, sich aber nicht aufeinander zurückführen lassen, indem nur aus der Kraft der Horizont möglich ist und nur durch den Horizont die Kraft zu entdecken ist, aber es zugleich unmöglich ist, beide aus derselben Bedeutung von Sein zu verstehen. Der daseinsmäßige Selbstschwung geschieht wesenhaft als Selbstüberschwung. In anderen Worten: Das SeiendesSein des Daseins bedeutet das Geschehen des Verstehens, d. h. das Sein des Seins. Im Sein des Daseins fallen Seiendes und Sein zusammen, weil die Seinsverfassung des Daseins Seinsverständnis ist, und das bedeutet, dass sein Sein Verständnis, d. h. Sein ist. In Worten von Heidegger: »Weltentwurf in der Freiheit ist nichts anderes als Zeitigung des Seinsverständnisses.«56 Dass das Sein auf das Sein gründet, bedeutet aber nicht, dass die Zeitigung ohne Zeitlichkeit sich genauso gut zeitigen kann wie mit ihr. Obwohl Zeitigung und Zeitlichkeit ihrem Wesen nach vollkommen unterschiedlich sind, wäre die Zeitigung ohne die Zeitlichkeit nicht mehr als eine bloße Bewegung eines materiellen, aber leblosen Dings, deswegen kann auch behauptet werden, dass die Zeitlichkeit irgendwie diejenige ist, die aus der Zeitigung macht, was sie ist. Zeitlichkeit gibt es nur in einer Zeitigung und Zeitigung gibt es nur als Zeitlichkeit. Im fundamentalen Unterschied von der Zeitigung und Zeitlichkeit kann gesehen werden, dass die Wirklichkeit früher als die Möglichkeit ist, aber auch zugleich muss verstanden werden, dass die Möglichkeit höher als die Wirklichkeit steht.57 Solche Bestimmungen der Wirklichkeit als das Frühere und der Möglichkeit als das Höhere zeigt Folgendes: Obwohl es das Ermöglichte ohne seinen Grund nicht gibt, ist solches Ermöglichte reicher als sein ermöglichender Grund. Solcher Zusammenhang lässt sich durch das folgende Zitat und eine weitere graphische Erklärung veranschaulichen: Die Zuhandenheit des Zuhandenen bestimmt sich aus einer Praesenz. Die Praesenz gehört als horizontales Schema zu einer Gegenwart, die sich als ekstase in der Einheit einer Zeitlichkeit zeitigt, die im vorliegenden Falle den Umgang mit dem Zuhandenen ermöglicht. Zu diesem Verhalten zum Seienden gehört ein Seinsverständnis, weil die Zeitigung der Ekstasen – hier die der Gegenwart – in sich selbst sich auf ihren Horizont (Praesenz) entworfen hat. Die Möglichkeit des Seinsverständnisses liegt darin, dass die Gegenwart als die Ermöglichung des Umgangs mit Seiendem als Gegenwart, als Ekstase, den Horizont der Praesenz hat.58
55
56 57 58
Vgl. Hans-Helmuth Gander, »Existenzialontologie und Geschichtlichkeit (§§ 72-83)«, in Martin Heidegger: Sein und Zeit, hg. von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., Klassiker auslegen 25 (Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015), 223 ff. Heidegger, Anfangsgründe, 282. Vgl. Heidegger, 280. Heidegger, Grundprobleme, 443 f.
279
Bild 5
Wenn es Sein nur gibt, sofern Seinsverständnis ist und das Dasein durch Seinsverständnis ausgemacht ist, dann gibt es nur Sein, wenn Dasein existiert. Wenn es kein Dasein gibt, gibt es kein Sein, aber Seiendes bleibt. In anderen Worten: Es gäbe ohne Dasein keine Zu- oder Vorhandenheit, weil sie Horizonte sind. Das »ist« von »nur sofern Seinsverständnis ist« kann nicht bedeuten, in einem Horizont zu begegnen, sondern solchen Horizont durch das seinsverstehende Sich-Zeitigen zu zeitigen. Die Zeitigung des Daseins ist Zeitigung der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit, welche zugleich ein Weltentwurf ist, in dem das Seiende als zu- oder vorhanden begegnen kann. Auf solche Weise wird die Zeitigung entweder zur Zuhandenheit oder zur Vorhandenheit oder zum Mitsein. Die Struktur solchen Geschehens zeigt, wie das Sein zu Sein wird. Als letztes Beispiel fungiert eine Neuformulierung eines Ansatzes der Wahrheitsanalyse anhand der zwei Bedeutungen der Zeitigung besonders gut. Das Beispiel unterscheidet die zwei Bedeutungen des Seins durch die kursive Schrift: »Sofern das Dasein wesenhaft seine Erschlossenheit ist, als erschlossenes erschließt und entdeckt, ist es wesenhaft ›wahr‹.«59 Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung lässt sich diese Formel so neu formulieren: »Sofern das Dasein sich als seine Erschlossenheit zeitigt, als erschlossenes erschließt und entdeckt, zeitigt es wesenhaft die Zeit.« So sind die zwei Bedeutungen Sein und Sein sowie der Grundcharakter des Seins des Seins ans Licht gebracht worden. Damit ist diese Untersuchung auf den Zweck seines Strebens gekommen.
59
Heidegger, Sein und Zeit, 221.
280
Nachwort § 33. Aus der ontologischen Differenz her unterwegs zum fundamentalen Unterschied. Eine Zusammenfassung Diese Untersuchung hat nicht danach gestrebt, eine kanonische Deutung von Sein und Zeit darzustellen, wenn man darunter etwas wie die Rettung »dessen, was der Vertreter wirklich sagen wollte«, versteht. Im Gegenteil ist dies ein Versuch gewesen, die Phänomene wieder zu erfahren, die in der Daseinsanalytik ausgearbeitet werden, weil der philosophische Text nicht mehr als ein Protokoll jener denkenden Erfahrung ist, welche die Philosophie ausmacht. Die hermeneutische Phänomenologie, die Methode dieser Untersuchung, ist in diesem Sinne eine Wiederholung. Aber nicht eine bloße Wiederholung von Ideen, Begriffen oder Strukturen, sondern von einer grundsätzlichen Erfahrung, d. h. eine Wiederholung einer Begegnung mit den Phänomenen, von woher immer wieder etwas Neues geschöpft werden kann. Durch einen kritischen Abbau der Begrifflichkeit von Sein und Zeit – und der Vorlesungen solchen Zeitraums – ist die Konstruktion eines Entwurfs durchgeführt worden, welcher in die Grundproblematik der ontologischen Differenz Licht hat bringen können. Abbau und Konstruktion konnten nur richtig durchgeführt werden, sofern der forschende Blick fortwährend auf das Sein und seine Grundstrukturen bzw. seine Bedingungen der Möglichkeit zurückgeführt worden ist. Es darf nicht vergessen werden, dass es nicht die Absicht gewesen ist, eine Ontologie unter anderen zu bauen, sondern einen Beitrag zur Fundamentalontologie zu leisten. Solche Momente, Destruktion, Konstruktion und Reduktion, d. h. Abbau, Entwurf und Rückführung, sind die drei Grundstücke der hermeneutisch phänomenologischen Methode. Das für die hermeneutische Phänomenologie – und deswegen auch für die Ontologie – grundsätzliche Problem der ontologischen Differenz zeigt durch die hermeneutisch phänomenologische Destruktion, dass die Erklärung ihrer Momente, nämlich Sein und Seiendes, nicht nur zu einer bloß begrifflichen Erklärung, sondern auch zu einer Beschreibung der grundsätzlichsten Phänomene der menschlichen Erfahrung, d. h. unserer Wirklichkeit selbst, führen kann. Deshalb sind die Herausarbeitung solcher Problematik und die Antwort auf die Seinsfrage nichts Verschiedenes. Die Anwendung der Methode Heideggers in seinem eigenen Werk ist meiner Sichtweise nach die beste Weise gewesen, eine gesunde Distanz zu den Ergebnissen der existenzialen Analytik zu wahren, da die hermeneutische Phänomenologie eine wesenhaft destruktive Methode ist. Wenn Heidegger die Erschlossenheit unseres Daseins beschreibt, weist er darauf hin, dass sie selbsthaft ekstatisch ist, d. h., sie ist ein Außer-sich, das für das
menschliche Dasein konstitutiv ist. Das menschliche Dasein geht nicht aus einem ersten Moment von innerem und reinem Verständnis über, durch einen sehr komplizierten und heimischen Prozess, zu einem zweiten Moment, in welchem es eine Umgebung und das da begegnende Seiende erfahren kann. Dagegen führt die phänomenologische Analyse Heidegger zu der Behauptung, dass so ein Prozess nie besteht, sondern »[…] im Vernehmen, Bewahren und Behalten bleibt das erkennende Dasein als Dasein draußen«.1 Unser Verständnis vollzieht sich am Transzendieren. Außerdem ist dieses Außer-sich nicht nur kein Rausgehen, sondern auch nicht ein Außer-sich im Nichts. Stattdessen ist es dagegen ein Außer-sich in einem schon konstituierten und sinnvollen Draußen. Und zwar ist dieses Draußen-Sein ein Dem-Draußen-Sinn-Geben, d. h. die Konstitution eines Verständnis- und Sinnhorizonts, in welchem alles Seiende zur Präsenz kommen kann. Alles, was wir sagen, dass ist und werden kann, ist es dank dieses Phänomens: Es gibt keine Erschlossenheit ohne Entdeckung. Solcher Zusammenhang ist von mir als Bidimensionalität begriffen. Durch solche Struktur wird das Begegnen des Seienden durch die Erschließung seines Seins erlaubt. Daraus ergibt sich von Anfang an, dass das Seiende und das Sein nicht dasselbe sind. In anderen Worten: Die bidimensionale Erschlossenheit des Daseins ist der Grund der ontologischen Differenz. Einer der in der Untersuchung der ontologischen Differenz wichtigsten zu erklärenden Punkte ist der Sinn des Begriffs Sein des Seienden und seine Umwandlungen »Vorhandenheit des Vorhandenen« und »Zuhandenheit des Zuhandenen«. Das im alltäglichen Umgang begegnende Seiende, das in diesem Umgang nicht thematisch ist, sondern in seiner Verwendbarkeit verschwindet, wird »Zuhandenes« genannt. Andererseits wird das in seiner Anwesenheit erfahrene Seiende als »Vorhandenes« begriffen. Das Seiende ist jeweils vor- oder zuhanden, aber ein und dasselbe Seiende kann einmal vorhanden und ein andermal zuhanden begegnen.2 Das Seiende ist an und für sich selbst nichts. Das Dasein lässt Seiendes für sich selbst sein. Wenn die Bestimmung des Seienden anders ist als die bloße Materialität, dann kann nicht behauptet werden, dass der Grund solches Seins zum Ding gehört, ohne auch behaupten zu müssen, dass das Ding eine immanente immaterielle Wirklichkeit hat. Solche Art Betrachtung ist aber der Gegensatz unseres methodischen Anspruchs. Das Sein des Seienden gründet auf der Erschlossenheit des mit Seiendem umgehenden Daseins. Das Dasein erschließt seinen Entwurf und entdeckt in solcher Selbstekstase die Welt als Horizont, in welchem Seiendes etwas sein kann. Das Draußen des daseinsmäßigen Außer-sich gehört zum Dasein als sein einziges mögliches Drinnen. Wenn Seiendes zu Seiendem wird, d. h., ein »Et1 2
Heidegger, 62. Vgl. Heidegger, 73 f.
282
was« zu einem »Etwas als etwas« wird, bedeutet es, dass das Seiende durch das daseinsmäßige Seinsverständnis zur Präsenz in einer Welt kommt. »Welt« ist ein Begriff, um zu zeigen, wie die Präsenz im Modus des zur-Präsenz-Bringens auch irgendwie »präsent« ist. Die Welt ist Präsenz der Präsenz, d. h. Horizont. Die Welt ist die Konkretion unseres Verständnisses in seiner Transzendenz. Das Dasein ist ontologisch-existenzial sein Da. Das bedeutet, dass das Dasein niemals ein isoliertes Seiendes ist, sondern dass es immer außerhalb von sich selbst ist, d. h., es vollzieht sein Sein in seiner Welt, d. h. sein Verstehen als eine Welt. Die Konstitution solches Da bzw. der verständlichen Welt, ist die Entstehung des Horizonts, der durch das Verstehen vom Sein des Seienden ermöglicht wird. Das Phänomen der Erschlossenheit, das in der Einheit seiner Existenzialen als Sorge charakterisiert wird, ist das Phänomen der Transzendenz selbst. Es bedeutet, die Erschlossenheit ist das Phänomen, durch welches das Dasein immer schon sich selbst überschreiten kann und in den Bezug mit dem anderen Seienden geraten ist. Das menschliche Dasein selbst ist das konstitutive »Zwischen« solches Bezugs. In der bidimensionalen Erschlossenheit des Da gibt es die selbsthaft ekstatische und die horizontale Dimension. Solche Erschlossenheit geschieht durch die Strukturen der Existenzialien, welche jeweils eine gewisse Möglichkeit des Daseins zeigt. Das Dasein ist so wesenhaft möglich. Das Sein des Daseins selbst ist durch Möglichkeit ausgemacht, welche einerseits ein eigenes Können des Daseins bedeutet, welches in dieser Arbeit unter dem Begriff Fähigkeit erläutert wurde, und andererseits ein Können in Sinne einer verweisenden Projektion besagt, welche von dieser Untersuchung als Bedeutung begriffen wurde. Diese Spaltung hat zwei Wege für die Durchführung dieser Untersuchung geöffnet und sie ist beide durchgegangen. 1. Zuerst wurde der Weg der Möglichkeit als Bedeutung erforscht. Das Sein des Seienden hat seinen Grund in einem anderen Seienden, welches solches Seiende in seinem Vernehmen als etwas bestimmt. Solches Seiende, welches der Grund des Seins ist, sind wir. Das Seiende wird nur in mir von mir als etwas bestimmt, da ich das Sein bzw. seine Bestimmtheit, bin. Das Dasein ist durch die Erschlossenheit der Bedeutungen ausgemacht, die das Seiende so und so begegnen lassen. Solche Bedeutungen bzw. Verweisungen konstituieren einen horizontalen Zusammenhang namens Sinn. Solche bidimensionale Rede macht den Präsenzcharakter des Seins des Seienden aus, d. h. die Wahrheit. Solche Wahrheit hat seinen Grund in der ursprünglichen Zeitlichkeit, welche die Sorge wesenhaft charakterisiert. Die Zeitlichkeit des Daseins ist das, von wo aus das Sein verstanden wird, d. h. woher das »zur-Präsenz-Kommen« Sinn gewinnt. Das bedeutet, die verschiedenen Horizonte, in denen die Präsenz gegeben ist, entsprechen verschiedenen Zeitmodi, welche ihren Ursprung in verschiedenen Zeitlichkeiten haben. Das Sein des Seienden ist die Konkretion unserer
283
Zeitlichkeit in ihrer Transzendenz. Verständnis und Zeitlichkeit sind verschiedene Begriffe, um dasselbe zu nennen, indem jeweilig verschiedene Aspekte desselben Phänomens hervorgehoben werden. Was hier zu zeigen versucht worden ist, ist eine lebendige – zeitliche – Sinn gebende – verstehende – Transzendenz. Zeit und Welt gehören absolut zusammen. In solcher Zusammengehörigkeit offenbart sich der horizontale Moment der Erschlossenheit. Das Sein zeigt sich als ein gegliederter bzw. sinnvoller und lebendiger, d. h. beweglicher Horizont. So ist schon klargestellt, dass sowohl Zuhandenheit als auch Vorhandenheit Horizonte sind, und deswegen kann dasselbe Seiende einmal einen und ein andermal einen anderen Horizont haben, da dem Seienden einmal jener und ein andermal ein anderer gegeben wird, weil das Dasein ist, was das Sein gibt. Das Sein überhaupt bedeutet demzufolge Verständnis d. h. gegliederte selbsthaft ekstatisch-horizontale Erschlossenheit der zeitlich-zeitigenden Transzendenz. 2. Folgend ist der Weg der Möglichkeit als Fähigkeit durchgegangen worden. Solche Bestimmung des Daseins wurde durch die Analyse der Endlichkeit des Daseins erreicht. Das Dasein ist demzufolge nicht endlich im Sinne eines Mangels oder eines Fehlens, sondern im Sinne einer Ganzheit. Das Dasein ist innerlich endlich als ein Ganzes, das so existieren kann. Das Dasein ist demzufolge so bestimmt worden, dass die Grundexistenzialien, die sein Sein ausmachen, als endlich bestimmt worden sind. Das Dasein ist faktisch und entwerfend endlich, aber es ist auch endlich als der Grund der Erschließung jeder Bedeutung. Das Dasein zeitigt sich als der Grund der Zeit. Das ursprünglichste Phänomen, auf das der Mensch in seinem Dasein hinweisen kann, ist demzufolge seine Zeitigung. Solches lebendige Geschehen entfaltet sich als die verstehende Transzendenz der Zeitlichkeit. In der Erschlossenheit des Horizonts meldet sich das, woher der Horizont erschlossen worden ist, aber solches Woher der Erschlossenheit des Horizonts meldet sich als nicht horizontal. Solches Geschehen ist aber wesenhaft unterschiedlich als die Transzendenz, die aus ihm entsteht. Solches Geschehen der Endlichkeit des Daseins besagt sein Vorhandensein als Sich-zeitigen und ist eine Bedeutung des Seins. Wenn betrachtet wird, dass das Geschehen des Seinsverständnisses nur das Geschehen des eigenen Daseins sein kann, dann öffnet sich eine neue Deutungsmöglichkeit für den berühmten Satz: »diesem Seienden [dem Dasein] [geht es] in seinem Sein um dieses Sein selbst […]«.3 Solche Interpretation hat so gelautet: »Dem Dasein geht es in seinem Geschehen um dieses Seinsverständnisses selbst.« In solcher Auslegung offenbart sich nicht nur die ontologische Differenz, sondern anhand ihrer auch ein fundamentaler Unterschied, der eine Duplizität der Bedeutung von Sein zeigt: Geschehen und Verstehen bzw. Zeitigung und Zeitlichkeit, nämlich Sein und Sein jeweilig.
3
Heidegger, 12.
284
Wenn es Sein nur gibt, sofern Seinsverständnis ist, und das Dasein durch Seinsverständnis ausgemacht ist, dann gibt es Sein, nur wenn das Dasein existiert. Wenn es kein Dasein gibt, gibt es also kein Sein, aber Seiendes bleibt. Es heißt, ohne Dasein gäbe es keine Zu- oder Vorhandenheit, aber das Vorhandene würde bleiben. Das kursiv geschriebene »ist« im Satz »nur sofern Seinsverständnis ist« kann demzufolge nicht das horizontale Begegnen eines Innerweltlichen bedeuten, sondern das Sich-Zeitigen des Daseins. Die Zeitigung des Daseins ist Zeitigung der ekstatisch-horizontalen Zeitlichkeit, welche zugleich ein Weltentwurf ist. Solche Zeitigung ist infolgedessen ein Begriff der Möglichkeit als Fähigkeit, deswegen lässt er sich durch die Struktur der Monade beschreiben, welche durch Drang bzw. eine ursprüngliche Kraft ausgemacht ist. Das Dasein ist ein Grund, der etwas gründet, d. h., der etwas entstehen lässt, weil seine innerliche Struktur der innerlichen Kraft bzw. des Urimpulses sich als der Grund seiner selbsthaften Ekstase zeigt. In diesem Sinne ist der Urimpuls ein Schwung, der sich als Selbstüberschwung durchführt. Solche Struktur des Selbstüberschwungs ermöglicht die zwei Begriffe der Möglichkeit, nämlich Fähigkeit und Bedeutung, wieder zu einigen und damit wird dann möglich, die zwei Bedeutungen des Seins zusammen in einer gemeinsamen Fügung zu verstehen. So ist es zu verstehen, wie im Falle des Daseins sein Seiendes-sein das Geschehen des Verstehens bedeutet, d. h., das Sein des Seins meint. In seinem Sein fallen Seiendes und Sein zusammen, weil sein Wesen Seinsverständnis ist, und das bedeutet, dass sein Sein Verständnis, d. h. Sein, ist. Beim Dasein bedeutet Sein, das Sein zu geben – aus seiner Fähigkeit Seiendes bedeuten zu lassen –, und im Falle des anderen Seienden kommt es bei der Bedeutung von Sein darauf an, wie das Sein gegeben wird. Dem Dasein ist Sein das Sich-Zeitigen als eine verstehende Zeit und dem nicht daseinsmäßigen Seienden bedeutet es ein Vorhandensein, das es nicht schafft, seine Fähigkeit in Bedeutung zu wandeln.
§ 34. Schlussbetrachtung Eine philosophische Arbeit soll durch eine Schlussbetrachtung enden, welche die Ergebnisse der Untersuchung so darstellt, dass solche sofort problematisiert werden. Das philosophische Fragen muss das Öffnen einer Tür sein, aus der her sich ein neuer Weg des Forschens zeigt. In dieser Arbeit war das zentrale Thema das Sein. Das Seiende aber, obwohl dieses immer mitthematisch gewesen ist, war nie der Leitfaden der Untersuchung. Wenn aber die Philosophie einen Beitrag zur Entwicklung der Naturwissenschaften leisten will,4 muss sie eine Thematisierung des Seienden in den verschiedenen Bereichen der Erfahrung schaffen. In solcher Thematisierung 4
Vgl. S. 16.
285
geht es aber nicht um eine Metontologie im Sinne einer philosophischen Bestimmung der Wissenschaften, welche die verschiedenen Seinsarten des Seienden erforschen, d. h. der regionalen Ontologien, sondern um eine weitere Entwicklung dieser Untersuchung aus den Prinzipien, die sie schon erreicht hat. Das bedeutet, bei der folgenden Aufgabe der Untersuchung handelt sich um eine Bestimmung der Konstitution des Seins des Seienden in den verschiedenen Möglichkeitsbereichen des Menschen aus der Perspektive des fundamentalen Unterschieds. Nur durch eine solche Bestimmung des Seienden kann die Daseinsanalytik als Fundamentalontologie vollkommen werden und nur eine derartige Ergänzung darf als Übergang der Philosophie zu den Naturwissenschaften betrachtet werden. Ein solcher Brückenbau, der echt hermeneutisch phänomenologisch und nicht begrifflich konstruktiv geschaffen wird, ist in der Philosophie heute vielleicht nötiger als je zuvor. Ein solcher Weg für eine künftige Untersuchung lässt sich heute nur vage skizzieren. Solche Skizze soll aber aus den Ergebnissen dieser Arbeit einige Ideen entwerfen können, die den Impuls des philosophischen Fragens schon heute erregen sollen. Ein angepasster Bereich, um diese Fragen zu stellen, kann die Debatte um den wissenschaftlichen Realismus sein. Das kann auch als eine Brücke zu der falsch genannten analytischen Tradition fungieren. Dafür müssen die Realität und die Konstitution des Realen problematisiert werden. Was nennen wir Realität? Was wollen wir genau meinen, wenn wir sagen, dass etwas real ist? Wenn die wissenschaftliche Erfahrung eine Umwandlung der alltäglichen Erfahrung ist: Was wollen die Naturwissenschaften sagen, wenn sie behaupten, dass es etwas gibt? Worum geht es in unseren ontologischen Verpflichtungen? Ein Ausdruck wie »Erfahrung der Realität« ist ein Pleonasmus, d. h. eine erklärende Wiederholung eines Begriffs durch seine Bestimmung. In diesem Fall wird dieser durch einen genitivus objektivus ausgedrückt, der äußern will, dass die Realität erfahren wird. Der Satz ist aber ein Pleonasmus, weil die Erfahrung immer Erfahrung der Realität bedeutet. Sonst gäbe es überhaupt keine Erfahrung. Demzufolge bedeutet der Begriff Erfahren in gewisser Weise »Realisieren«. Die Erfahrung ist in diesem Sinne von ihr selbst aus die Konstitution der Realität. Die Realität ist ohne die Erfahrung nicht möglich und ist auch nicht »tatsächlich« von ihr zu unterscheiden. Der Unterschied zwischen Erfahrung und Realität ist theoretisch, d. h., er ist eine durch das Denken durchgeführte Teilung, um ein vielschichtiges Phänomen »besser« zu verstehen, das aber einheitlich ist. »Besser« steht unter Anführungszeichen, denn was als Erklärung angewandt wird, führt in diesem Fall ins Missverständnis. Die Realität des Seienden ist die Erfahrung des Daseins selbst, weil die Entdeckung des Seienden in der Erschlossenheit der Existenz gründet. Damit wird klar, dass der Genitiv in »Erfahrung der Realität« als ein genitivus explicativus angemessener zu verstehen
286
ist, der sogar durch die erklärende Apposition »Erfahrung Realität« ersetzt werden könnte. Solche Beziehung zwischen Realität und Erfahrung (Sein als Verständnis) dient als Erklärung der Beziehung zwischen dem In-Sein und der Welt. Die Realität ist das Dingsein des Dings – das real in re –, d. h. der Horizont, welcher das Ding begegnen lässt, welcher in der und durch die Erfahrung einen Zugang zum Ding stiftet. Das Reale in der res ist das »Etwas als etwas«, das alles Seiende ausmacht. Deswegen kann verstanden werden, dass das erste Etwas in solchem Satz anders in Charakter und Natur als das zweite ist. Das »Etwas als etwas« des Seienden zeigt, dass die verstehende Auslegung eine ganz bestimmte Weise ist, in der das Sein in beide Dimensionen der Erschlossenheit zum Sein wird. Heidegger stellt diesen Zusammenhang mit den folgenden Worten dar: »Nicht das Seiende ist vom Dasein abhängig, wohl aber das Sein dieses Seienden, die Realität. Realität als Seinsweise ist nur, solange es Seinsverständnis, also Dasein gibt.«5 Wie kann etwas Seiendes sein, ohne Sein zu haben? Was bedeutet solche »Unabhängigkeit« des Seienden? Den Ergebnissen dieser Untersuchung nach besagt solche Unabhängigkeit nicht das Sein, sondern das Sein des Seienden, d. h. sein Vorhandensein als Vorgegebensein. Der fundamentale Unterschied besteht infolgedessen nicht nur in der Seinsverfassung des Daseins, sondern er ist auch ein Konstitutivum der Grundverfassung jedes Seienden. So entsteht ein Zusammenspiel zwischen dem Dasein und dem Innerweltlichen, welcher den fundamentalen Unterschied zugrunde hat: Das verstandene Seiende wird zu einem Etwas bei solchem »als etwas« und das verstehende Seiende lässt das »als etwas« solches Etwas begegnen. Die Bidimensionalität der Erschlossenheit ist der Grund solcher Beziehung und der fundamentale Unterschied ist die Struktur ihrer Möglichkeit. Diese Untersuchung hat die Unterscheidung zwischen zwei Grundbedeutungen von Sein ausgearbeitet. Deswegen besteht in ihrer weiteren Entwicklung durch die Thematisierung des Seienden immer die Gefahr, eine Zwei-WeltenLehre auszuarbeiten. Das bedeutet, dass, sofern die Seinsbedeutungen in Transzendenz und Vorhandensein unterschieden werden, die Untersuchung das Risiko eingeht, dass solcher Unterschied mit einer »Unterscheidung zwischen der Welt, wie sie uns erscheint, und der Welt, wie sie an sich ist«,6 identifiziert wird. Diese Untersuchung kann eine solche Gefahr vermeiden, indem sie zeigt, dass in einer hermeneutisch phänomenologisch ausgearbeiteten Aufweisung des In-der-Welt-seins, wie in dieser Untersuchung geschehen, solche »zwei Welten« nicht zu unterscheiden sind, denn unserem Verständnis der »Erfahrung der Realität« nach ist die Welt, »wie sie an sich ist«, dieselbe Welt, »wie sie uns erscheint«. 5 6
Luckner, Martin Heidegger, 90. Zahavi, Phänomenologie für Einsteiger, 15.
287
Das Phänomen des Erscheinens der »Welt« ist das Phänomen des Begegnens des Seienden, das uns in seinem Was und Wie begegnet bzw. ist, aber auch in eins, indem es ist. Der erste Unterschied ist die Grundartikulation des Seins und der zweite der fundamentale Unterschied. Das Seiende ist nicht anders als das Seiende und doch ist es. Das Seiende kann das Seiende bei Inhalt und Sinn weitgehend überschreiten, obwohl das Seiende sich in diesem Inhalt und Sinn identisch, aber überschritten zeigt. Dies geschieht so wegen der Weise des wesenhaft auslegenden Verständnisses des Daseins: Das »Etwas«, mit dem wir umgehen, wird immer schon »als etwas« verstanden. Das fungiert so, als ob das Verständnis Seiendes freigibt, indem solches Verständnis das Seiende in Zeichen umwandelt, sodass die Wahrnehmung eines gewissen Seienden solche Wahrnehmung zu anderem Seienden umleitet, indem das zuerst wahrgenommene Seiende in seinem eigenen Verständnis überstiegen wird. Das Seiende ist durch das Verständnis in einen Verweisungszusammenhang bzw. ein Seiendes umgewandelt. Das Seiende ist zum Seienden geworden und trotzdem bleibt es identisch. Das gliedernde Wesen der Erschlossenheit besteht darin, dass das Verstehen ein Verbinden besagt. Verstehen bedeutet, etwas zu einem Zusammenhang hinzuzufügen, d. h. Verhältnis. Verstehen ist Seinkönnen, Seinkönnen ist Verhalten und Verhalten ist Verhältnis. Wenn Dasein mit Seiendem umgeht, was im auslegenden Verstehen gegliedert wird, ist das Seiende selbst, womit umgegangen wird, nicht bloße Vorstellung von ihm. Es gibt nur eine Welt und sie ist die Welt, wie sie uns in ihrem An-sich-Sein erscheint. Das horizontale Moment, in welchem das Vorhandensein des Seienden sich enthüllt, ist der Angelpunkt aller Korrelation zwischen Sein und Sein. Innerweltliches Seiende kann nicht richtig Seiendes genannt werden ohne einen ausdrücklichen Hinweis auf die Weise, wie sein Zur-Präsenz-Kommen ein Jenseits-der-Präsenz-Sein meldet, ein Sich-verstecken-Können, ohne umzukommen. Indem ein Seiendes wahrgenommen wird, wird sein Seiend-sein »vor« seinem Vorhandensein nicht so wahrgenommen, als ob es um einen Vorhang ginge, der die ganze Wirklichkeit verdeckt und uns nur eine Kopie des Verdeckten mitteilt, als ob es um einen Menschen ginge, der eine Maske trägt, welche sein eigenes Gesicht darstellt. Dies wäre aus der Perspektive der hermeneutischen Phänomenologie Unsinn. Dagegen ist die Beziehung vom Sein und Sein und deswegen jene vom Seienden und Seienden keine Verdeckung. Das Seiende liegt nicht »hinter« dem versteckenden Seienden. Das Seiende ist das, was direkt wahrgenommen wird, d. h. das, was an ihm selbst dem Dasein begegnet. Solches Seiende ist das reine unmittelbare und mächtige Etwas, das vom redemäßigen Sinn umgeben, aber nicht versteckt wird. Die Transparenz des Sinnes, anstatt Seiendes lichtundurchlässig zu machen, erhellt alles, was sie umgibt. Die Verweisungen des Sinnes, die durch die Gliederung der Rede erschlossen sind, welche die Struktur unserer Welt und unseres Verhaltens ausmachen, sind bei der Stiftung ihrer Zusammenhänge äußerst unregelmäßig konzentriert. Der
288
Sinn ist wie ein netzartiges Gewebe, in dem sich jede Kreuzung der Verweisungen oder jeder »Sinneskern« als Seiendes zeigt. So konstituiert sich das Seiende durch die Form eines »Fluchtpunkts«, der das Seiende mit anderem Seienden verbindet und so zur Welt hinzufügt. Das Seiende liegt nicht »hinter« dem Seienden, sondern vielmehr liegt das Seiende »innerhalb« des Seienden. So wie in der Physik die Rede von einem Gravitätszentrum ist, sollte in der Phänomenologie behauptet werden, dass das Seiende ein Sinneszentrum hat: das Seiende. Eine solche Einsicht über die Konstitution des Seienden lässt sich durch eine Auseinandersetzung mit einer anderen phänomenologischen Interpretation des Zugangs zum Seienden besser verstehen, welche die abgeschattete äußere Wahrnehmung ist. Aus der hier erst skizzierten Perspektive könnte die Beschreibung der Abschattung der Rückseite in Frage gestellt werden. Solches Problem lautet, dass immer, wenn wir irgendeinen Gegenstand wahrnehmen, wir die Seite intendieren, die uns entgegensteht, aber wir intendieren auch die »versteckte« Seite des Gegenstandes, jedoch auf eine andere Weise, weil solche Seite nur vermeint wird. Deswegen kann solches Vermeinen erfüllt werden oder nicht; es könnte daraus eine Enttäuschung entstehen. Solche Wahrnehmung ist kein sofortiger Prozess. Etwas wahrzunehmen ist nicht so, wie wenn ein Foto von etwas gemacht wird, sondern vielmehr ist die Wahrnehmung so, wie wenn ein Film über etwas gedreht wird. Die Wahrnehmung ist ein Prozess und braucht Zeit für ihre Entwicklung. 7 Wenn wir aber etwas neugierig beobachten und erforschen, könnten wir doch Erwartungen haben, die unerfüllt bleiben könnten. Dabei wären wir bei einem ähnlichen Fall, wie solcher des Problems der Rückseite, aber aus der Perspektive und den Ergebnissen dieser Untersuchung lässt sich das anders und angemessener interpretieren: Falls wir etwas Neues in etwas schon Bekanntem entdecken, erwarten wir nicht immer etwas Neues, manchmal lassen wir uns einfach überraschen, insbesondere wenn wir nicht wissenschaftlich vorgehen. Wenn wir solche »versteckte« Seite erkannt haben, dann hat der Gegenstand keine versteckte Seite mehr. Es geschieht nicht, dass beim Erkennen der Rückseite die Vorderseite sich wieder versteckt. Die Vorderseite kann sich nicht verstecken, weil die Wahrnehmung sich auf die Sinnenempfindungen – wie das Licht ins Auge – nicht zurückführen lässt. Das Sehfeld zu verlassen bedeutet nicht, nicht mehr wahrgenommen zu werden. Das Problem der Abschattung ist demzufolge Schein, weil es nur in einer Theorisierung möglich ist, welche die Erfahrung denaturierend überkompliziert. 7
Vgl. Edmund Husserl, Logische Untersuchungen: Zweiter Teil. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, hg. von Ursula Panzer, 1. u. 2. Aufl., Husserliana 19 (The Hague [u. a.]: Nijhoff, 1984); Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, hg. von Karl Schuhmann, 1.-3. Aufl., Bd. 1, Husserliana 3 (Den Haag: Nijhoff, 1976); Edmund Husserl, Analysen zur passiven Synthesis: aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918 1926, hg. von Margot Fleischer, Husserliana 11 (Den Haag: Nijhoff, 1966).
289
Bei der hermeneutischen Phänomenologie besteht kein Problem der Abschattung des Seienden. In der hermeneutischen Phänomenologie gibt es keine ἐποχή bzw. keine Ausschaltung der Wirklichkeit der Welt, weil nur so die menschliche Existenz sich beschreiben lässt, so wie sie sich vollzieht, weil die menschliche Existenz keine theoretische ist, sondern nur eine alltägliche, die sich auch als wissenschaftliche vollziehen kann. Die Wissenschaft aber ist nicht mehr als eine Alltäglichkeit unter anderen. Demzufolge lässt sich die Vielfalt der Husserl’schen Intentionen methodisch nicht rechtfertigen, welche aus einem zu konstruktiven Vorgehen entstanden sind. Wir gehen nie zunächst mit Gegenständen um, die wir wahrnehmen, sondern mit Dingen, die wir gebrauchen oder gegenwärtigen. Wenn wir etwas im Alltag gegenwärtigen, nehmen wir nie nur Empfindungen wahr, sodass wir die Seite, die wir im Moment nicht empfinden, intendieren müssen. Die Seite, welche unsere Sinne nicht mehr reizt, hat deswegen nicht unsere Präsenz verlassen. Die Idee einer Seite, die sich versteckt, ist ein philosophisches Konstrukt. Was wirklich geschieht und phänomenologisch belegt werden darf, ist, dass man sich aktiv im Gebrauch und im Gegenwärtigen zum ganzen Seienden verhält, weil das Seiende sich auf seine Leiblichkeit nicht zurückführen lässt. Was das Seiende beim Gebrauch ist, ist das »Um zu« solches Gebrauchs, welches sich nie aus der physischen Komposition eines Gegenstandes oder aus dem Sinnesreiz, den das Seiende in uns bewirkt, schlussfolgern lässt. Das gegenwärtigte Seiende kann sogar nur da sein, aber es wird immer vollständig da sein. Wenn ich in diesem Heft schreibe, ist das ganze Heft in meiner Präsenz, nicht nur die zwei obersten Seiten. Wenn ich mit meinem Bruder rede, rede ich mit ihm und nicht mit seinem Gesicht oder seiner Stimme, egal ob er mir gegenüber oder auf der anderen Seite des Planeten steht und unabhängig davon, ob die Empfindungen, die ich bekomme, nicht mehr als kleine Lichter auf dem Bildschirm meines Computers sind, habe ich nicht mit meinem Computer per Skype geredet, sondern mit meinem Bruder, mit meiner Mutter, mit einem Freund, vollständig als alles, was sie sind und bedeuten. Das Seiende ist »um … zu« oder »mit« oder vielleicht nur einfach vorhanden da, aber es ist immer vollständig, weil sein Sein ihm immer vollständig gegeben wird. Was bedeutet genau, dass die Auslegung des Verstehens sich nach der Struktur des »etwas als etwas« vollzieht? Das Problem solcher Struktur wurzelt darin, dass in ihrer Schlichtheit und Selbstverständlichkeit sich eine große Dunkelheit versteckt, weil das Dunkle nicht erklärt und das Schlichte nicht auseinandergenommen wird. Was bedeutet, dass etwas als etwas verstanden wird? Was bedeutet jedes »Etwas« in solcher Formel? Warum wird solcher Prozess »Auslegung« genannt? Warum ist das Als der Auslegung ein hermeneutisches, das außerdem eine Vorstruktur benötigt? Ist solche Vorstruktur der Auslegung nur zum Als gehörig oder gehört es schon zur Konstitution des ersten Etwas dazu? Ist das erste Etwas ein Seiendes, das unabhängig vom Dasein vorhanden ist und das
290
vorkommt, verstanden wird, als ein Seiendes? Ist solche Struktur die Weise, wie das Sein sich im Sein meldet? Oder ist das erste Etwas ein Seiendes, das sich in seinem Wie (existentia) zeigt und dann in seinem Was (essentia) verstanden wird? Beim »etwas als etwas« zeigt sich doch ein Unterschied, aber welcher? Philosophieren heißt, die Differenz durchzuführen. Die Möglichkeiten solcher Durchführung der Differenz sind zwei, obwohl sich drei nennen lassen: 1. Die ontologische Differenz in der Sphäre des Verständnisses: Einerseits konstituiert sich das Sein im Verstehen als eine bidimensionale Transzendenz und andererseits wird das Seiende von dieser gliedernden Transzendenz konstituiert. Das Seiende ist demzufolge ein Sinneskern, d. h. mehr als die Materie, und deswegen gibt es auch immaterielles Seiendes, weil der Sinneskern im Falle des zuhandenen Zeugs und des vorhandenen Dings an einem Seienden »fixiert« wird; dennoch kann ein Sinneskern auch ohne eine Fixierung entstehen. Das Schweigen des Gewissens und das Fehlen des Zuhandenen sind zwei Beispiele, nach denen etwas verstanden wird, was es nicht gibt. Das bedeutet, dass solches Seiende im Verständnis ist und nicht im Vorhandensein. Solches Seiende, das verstanden wird, gehört also zum Horizont des Verständnisses. 2. Die ontologische Differenz im Verhältnis vom Sein zum Seienden ist die Fixierung des Sinneskerns an einem materiellen Ding mittels des Zugangs der Transzendenz zu solchem Vorhandenen, indem solche Transzendenz das Seiende als etwas begegnen lässt. 3. Die ontologische Differenz vom Sein und Seienden kann nicht durchgeführt werden, obwohl sie sich begreifen lässt. Der Unterschied zwischen einem materiellen Ding und seinem Vorhandensein – zwischen einem Geschehnis und seinem Geschehen – ist nicht mehr als ein sprachliches Konstrukt, das nicht einmal im Denken möglich zu vollziehen ist. Übers Geschehen zu reden ist schon eine Abstraktion oder ein Entwurf, der zum Verständnis gehört. Im Falle des Seins herrscht das Seiende vor. Diese kurz skizzierte Betrachtung der Konstitution des Seienden, nach deren verschiedenen Varianten sowohl das Seiende sich auf seine Leiblichkeit als auch seine Wahrnehmung sich auf die Sinnlichkeit nicht zurückführen lässt, kann ein grundsätzliches Prinzip sein, um die ontologische Verpflichtung der wissenschaftlichen Postulate von unbeobachtbarem Seienden, wie z. B. die Quantenfelder, in Frage zu stellen. Was wollen wir wirklich sagen, wenn wir sagen, dass es so etwas wie Quantenfelder gibt? Was für ein Sein konstituiert das wissenschaftlich postulierte Seiende, das eine grundsätzliche Funktion in einer Theorie ausübt, obwohl es unbeobachtbar ist? Mit dieser Frage wäre die Untersuchung mitten in der Debatte zwischen wissenschaftlichem Realismus und Antirealismus. Von der Antwort auf eine solche schlichte Frage unter dem Licht des fundamentalen Unterschieds könnte ein neuer Brückenbau der Philosophie zu den Naturwissenschaften möglich sein.
291
Literaturverzeichnis Adorno, Theodor W. Jargon der Eigentlichkeit. Herausgegeben von Rolf Tiedemann. Bd. 6. Gesammelte Schriften. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1998. Ainbinder, Bernardo. »Introducción. De la filosofía trascendental a la ontología fundamental«. Herausgegeben von Bernardo Ainbinder. Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 9-24. Aristoteles. Aristotelis metaphysica. Herausgegeben von Werner Jaeger. 12. [Nachdr.]. Oxonii: Clarendon, 1997. –––. Lehre vom Beweis oder Zweite Analytik. Übersetzt von Eugen Rolfes. Bd. 1. 6 Bde. Aristoteles: Philosophische Schriften. Hamburg: Meiner, 1995. –––. Lehre vom Schluß oder Erste Analytik. Übersetzt von Eugen Rolfes. Bd. 1. 6 Bde. Aristoteles: Philosophische Schriften. Hamburg: Meiner, 1995. –––. Metaphysik. Übersetzt von Hermann Bonitz. Bd. 5. 6 Bde. Aristoteles: Philosophische Schriften. Hamburg: Meiner, 1995. –––. Nikomachische Ethik. Übersetzt von Eugen Rolfes. Bd. 3. 6 Bde. Aristoteles: Philosophische Schriften. Hamburg: Meiner, 1995. –––. Physik. Vorlesung über die Natur. Übersetzt von Hans Günther Zekl. Bd. 6. 6 Bde. Aristoteles: Philosophische Schriften. Hamburg: Meiner, 1995. –––. Topik. Übersetzt von Eugen Rolfes. Bd. 2. 6 Bde. Aristoteles: Philosophische Schriften. Hamburg: Meiner, 1995. Artemenko, Natalia. »Zu Martin Heideggers Interpretation von Aristoteles: Der wiederaufgefundene Natorp-Bericht von 1922«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Pascal David, Paola-Ludovika Coriando, und Ingeborg Schüssler. Heidegger Studies 28 (2012): 123-46. Basso, Leticia. »Una lectura del concepto de a priori en la versión fenomenológica de las Marburger Vorlesungen (1923-1928)«. Herausgegeben von Adrián Bertorello. Studia Heideggeriana III, Heidegger y el problema del método de la filosofía (2014): 61-92. Bernet, Rudolf. »Die Frage nach dem Ursprung der Zeit bei Husserl und Heidegger«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly und FriedrichWilhelm von Herrmann. Heidegger Studies 3/4 (1988 1987): 89-106. –––. »Die Lehre von der Bewegung bei Aristoteles und Heideggers Verständnis von der Bewegtheit menschlichen Lebens«. Herausgegeben von Michael Steinmann. Heidegger und die Griechen, Martin-Heidegger-Gesellschaft, 8 (2007). –––. Heidegger und Husserl. Orig.-Ausg. Freiburg; München: Alber, 2012. Biemel, Walter. »Heideggers Stellung zur Phänomenologie in der Marburger Zeit«. Herausgegeben von Ernst Wolfgang Orth. Husserl, Scheler, Heidegger in der Sicht neuer Quellen, Phänomenologische Forschungen, 6/7 (1978).
Bourdieu, Pierre. Die politische Ontologie Martin Heideggers. Dt. Erstausg., 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988. Brogan, Walter. »Aristoteles’ doppelte ἀρχή: φύσις und κἰνησις«. Heidegger und die Griechen, Martin-Heidegger-Geselschaft, 8 (2007). Byung Chul, Han, und Anton Hügli. »Heideggers Todesanalyse (§§ 45-53)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 125-40. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. Cadava, Eduardo, Peter Connor, und Jean-Luc Nancy, Hrsg. Who Comes After the Subject? New York: Routledge, 1991. Campbell, Scott. »Revelation and Concealment in the Early Heidegger’s Conception of Λόγος«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, und François Fédier. Heidegger Studies 23 (2007): 47-70. Ciocan, Cristian. »Qu’est-ce qu’un Existenzial?« Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Pascal David, Paola-Ludovika Coriando, und Ingeborg Schüssler. Heidegger Studies 25 (2009): 191-218. Contreras, Andrés Francisco. »Hermenéutica: el lógos de la fenomenología.« Studia Heideggeriana III, Heidegger y el problema del método de la filosofía (2014): 127-58. Cornejo, José Pedro. »Existencia bidimensional y corporalidad trascendente: el trato técnico a la luz de la fenomenología hermenéutica«. In Redefinir lo humano en la era de la técnica, herausgegeben von Oscar Donato, Diana Muñoz, und Ángel Rivera. Bogotá: Universidad Libre, 2020. –––. »La existencia como diferencia ontológica: el descubrimiento del cuerpo como nuevo existenciario«. Análisis 47, Nr. 87 (Juli 2015): 407-20. –––. »Sobre la constitución temporal del mundo según Heidegger«. Estudios Bolivianos 28 (2018). Critchley, Simon, und Peter Dews. »Introduction«. In Deconstructive Subjectivities, 1-12; 217-18. Albany N. Y.: SUNY Press, 1996. Darwin, Charles. Die Entstehung der Arten : kommentierte und illustrierte Ausgabe. Herausgegeben von Paul Wrede und Saskia Wrede. Weinheim: Wiley-VCH, 2013. Dastur, Françoise. »Heidegger und die ›Logischen Untersuchungen‹«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Heidegger Studies 7 (1991): 37-52. –––. »La constitution ekstatique-horizontale de la temporalité«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Heidegger Studies 2 (1986): 97-110.
294
Demmerling, Christoph. »Hermeneutik der Alltäglichkeit und In-der-Welt-sein (§§ 25-38)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 83-108. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. Descartes, René. Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung: französisch-deutsch. Herausgegeben von Lüder Gäbe. 2., verb. Aufl. Hamburg: Meiner, 1997. Dijk, R. J. A. van. »Grundbegriffe der Metaphysik. Zur formalanzeigenden Struktur der philosophischen Begriffe bei Heidegger.« Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Heidegger Studies 7 (1991): 89-110. Dittus, Sabrina. Heidegger und das Paradox des Subjekts. Würzburg: Könighausen & Neumann, 2015. Dreyfus, Hubert L. »In-der-Welt-sein und Weltlichkeit: Heideggers Kritik des Cartesianismus (§§ 19-24)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 65-82. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. Figal, Günter. Martin Heidegger zur Einführung. 7., vollständig überarb. Auflage. Junius, 2016. Frede, Dorothea. »Sein. Zum Sinn von Sein und Seinsverstehen.« In HeideggerHandbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 279-85. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. –––. »Wahrheit. Vom aufdeckenden Erschließen zur Offenheit der Lichtung«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 308-15. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. Gander, Hans-Helmuth. »Existenzialontologie und Geschichtlichkeit. (§§ 72-83)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 217-37. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. –––. »Phänomenologie der Lebenswelt: Husserl und Heidegger«. In Heidegger und Husserl: neue Perspektiven, herausgegeben von Günter Figal und HansHelmuth Gander, 135-58. Martin-Heidegger-Gesellschaft 9. Frankfurt am Main: Klostermann, 2009. –––. Selbstverständnis und Lebenswelt : Grundzüge einer phänomenologischen Hermeneutik im Ausgang von Husserl und Heidegger. 2., unveränd. Aufl. Frankfurt am Main: Klostermann, 2006. García, José. »Ser, percepción y presencia«. Herausgegeben von Bernardo Ainbinder. Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 89-130. Grondin, Jean. »Die Wiedererweckung der Seinsfrage auf dem Weg einer phänomenologisch-hermeneutischen Destruktion (§§ 1-8)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 1-26. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. 295
–––. »Hermeneutik. Das Gespräch in der Vorlesung ›Hermeneutik der Faktizität‹ und in folgenden Schriften«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 44-48. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. Gumbrecht, Hans Ulrich. »Tod im Kontext. Heideggers Umgang mit einer Faszination der 1920er Jahre«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 75-80. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. Haugeland, John. »Letting Be«. In Transcendental Heidegger, herausgegeben von Steven Crowell und Jeff Malpas, 93-103. Stanford, California: Stanford University Press, 2007. Heidegger, Martin. »Aus der letzten Marburger Vorlesung«. In Wegmarken, herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Gesamtausgabe 9. Frankfurt am Main: Klostermann, 1976. –––. Der Begriff der Zeit. Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Gesamtausgabe 64. Frankfurt am Main: Klostermann, 2004. –––. Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die philosophische Problemlage der Gegenwart. Herausgegeben von Claudius Strube. Gesamtausgabe 28. Frankfurt am Main: Klostermann, 1997. –––. Die Grundbegriffe der antiken Philosophie. Herausgegeben von Franz-Karl Blust. Gesamtausgabe 22. Frankfurt am Main: Klostermann, 1993. –––. Die Grundbegriffe der Metaphysik: Welt, Endlichkeit, Einsamkeit. Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. 3. Aufl. Gesamtausgabe 29/30. Frankfurt am Main: Klostermann, 2004. –––. Die Grundprobleme der Phänomenologie. Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. 3. Aufl. Gesamtausgabe 24. Frankfurt am Main: Klostermann, 1997. –––. Einführung in die phänomenologische Forschung. Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. 2., unveränd. Aufl. Gesamtausgabe 17. Frankfurt am Main: Klostermann, 2006. –––. Einleitung in die Philosophie. Herausgegeben von Otto Saame und Ina Samme-Speidel. Gesamtausgabe 27. Frankfurt am Main: Klostermann, 1996. –––. Geschichte der Philosophie von Thomas von Aquin bis Kant. Herausgegeben von Helmuth Vetter. Gesamtausgabe 23. Frankfurt am Main: Klostermann, 2006. –––. Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie. Herausgegeben von Mark Michalski. Gesamtausgabe 18. Frankfurt am Main: Klostermann, 2002. –––. Grundprobleme der Phänomenologie : (1919/20). Herausgegeben von HansHelmuth Gander. Gesamtausgabe 58. Frankfurt am Main: Klostermann, 1993. –––. Kant und das Problem der Metaphysik. Herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. 2. Aufl. Gesamtausgabe 3. Frankfurt am Main: Klostermann, 1991. 296
–––. Logik : die Frage nach der Wahrheit. Herausgegeben von Walter Biemel. Gesamtausgabe 21. Frankfurt am Main: Klostermann, 1976. –––. Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz. 2., durchges. Aufl. Gesamtausgabe 26. Frankfurt am Main: Klostermann, 1990. –––. Ontologie, (Hermeneutik der Faktizität). Herausgegeben von Käte BröckerOltmanns. 2. Aufl. Gesamtausgabe 63. Frankfurt am Main: Klostermann, 1995. –––. Phänomenologie des religiösen Lebens. Herausgegeben von Matthias Jung. Gesamtausgabe. Frankfurt am Main: Klostermann, 1995. –––. Phänomenologische Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl. Gesamtausgabe 25. Frankfurt am Main: Klostermann, 1987. –––. Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung. Herausgegeben von Walter Bröcker und Käte BröckerOltmanns. 2., durchges. Aufl. Gesamtausgabe 61. Frankfurt am Main: Klostermann, 1994. –––. Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs. Herausgegeben von Petra Jaeger. 2., durchges. Aufl. Gesamtausgabe 20. Frankfurt am Main: Klostermann, 1988. –––. Sein und Zeit. 19. Aufl., unveränd. Nachdr. der 15., an Hand der Gesamtausg. durchges. Aufl. mit den Randbemerkungen aus dem Handex. des Autors im Anh. Tübingen: Niemeyer, 1927. –––. Vom Wesen der Wahrheit: zu Platons Höhlengleichnis und Theätet. Herausgegeben von Hermann Mörchen. 2., durchges. Aufl. Gesamtausgabe 34. Frankfurt am Main: Klostermann, 1997. –––. »Vom Wesen des Grundes«. In Wegmarken, herausgegeben von FriedrichWilhelm von Herrmann. Gesamtausgabe 9. Frankfurt am Main: Klostermann, 1976. Helting, Holger. »ἀ-λήθεια-Etymologien vor Heidegger im Vergleich mit einigen Phasen der ἀ-λήθεια-Auslegung bei Heidegger«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann und François Fédier. Heidegger Studies 13 (1997): 93-108. Herrmann, Friedrich-Wilhelm von. Heideggers »Grundprobleme der Phänomenologie«: Zur »Zweiten Hälfte« von »Sein und Zeit«. Frankfurt am Main: Klostermann, 1991. –––. Hermeneutik und Reflexion: der Begriff der Phänomenologie bei Heidegger und Husserl. Frankfurt am Main: Klostermann, 2000. –––. Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. »Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins«, § 28 - § 44. Frankfurt am Main: Klostermann, 2008. –––. Hermeneutische Phänomenologie des Daseins. »Erster Abschnitt: Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins«, § 9 - § 27. Frankfurt am Main: Klostermann, 2005. 297
–––. »Nachwort des Herausgebers«. In Sein und Zeit, von Martin Heidegger, herausgegeben von Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Gesamtausgabe 2. Frankfurt am Main: Klostermann, 1977. –––. Subjekt und Dasein : Grundbegriffe von »Sein und Zeit«. 4., unveränd. Aufl. Frankfurt am Main: Klostermann, 2014. –––. »Wahrheit – Zeit – Raum«. In Die Frage nach der Wahrheit, herausgegeben von Ewald Richter, 223-56. Frankfurt am Main: Klostermann, 1997. Hoßfeld, Uwe und Lennart Olsson. »Kommentar«. In Charles Darwin Zur Evolution der Arten und zur Entwicklung der Erde, von Charles Darwin. Berlin; Heidelberg: Springer, 2014. Husserl, Edmund. Analysen zur passiven Synthesis : aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918 - 1926. Herausgegeben von Margot Fleischer. Husserliana 11. Den Haag: Nijhoff, 1966. –––. Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie. Herausgegeben von Karl Schuhmann. 1.-3. Aufl. Bd. 1. Husserliana 3. Den Haag: Nijhoff, 1976. –––. Logische Untersuchungen: Zweiter Teil. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis. Herausgegeben von Ursula Panzer. 1. u. 2. Aufl. Husserliana 19. The Hague [u. a.]: Nijhoff, 1984. Jaeger, Petra. »Nachwort de Herausgebers«. In Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffs, von Martin Heidegger, 2., durchges. Aufl. Gesamtausgabe 20. Frankfurt am Main: Klostermann, 1988. Kalary, Thomas. »Heidegger’s Aristotle Interpretation of 1922 and its Significanc for his Fundamental Ontology«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Pascal David, Paola-Ludovika Coriando und Ingeborg Schüssler. Heidegger Studies 28 (2012): 123-46. Kant, Immanuel. Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von Jens Timmermann. Hamburg: Meiner, 1998. Kisiel, Theodore. »Der Zeitbegriff beim früheren Heidegger (um 1925)«. Herausgegeben von Ernst Wolfgang Orth. Phänomenologische Forschungen, Phänomenologische Forschungen, 14, Nr. Zeit und Zeitlichkeit bei Husserl und Heidegger (1983). Kommerell, Max. Werke und Briefe aus dem Nachlaß. Briefe und Aufzeichnungen: 1919 - 1944/Max Kommerell. Aus d. Nachlaß hrsg. von Inge Jens. Herausgegeben von Inge Jens. Olten ; Freiburg i. Br.: Walter, 1967. Kovacs, George. »The Ontological Difference in Heidegger’s ›Grundbegriffe‹«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Heidegger Studies 3/4 (1988 1987): 61-74. Lafont, Cristina. »Heidegger and the Synthetic A Priori«. In Transcendental Heidegger, herausgegeben von Steven Crowell und Jeff Malpas, 104-18. Stanford, California: Stanford University Press, 2007.
298
Lask, Emil. Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre : eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form. 3. Aufl., [Reprograph. Nachdr. der 2. Aufl. 1923]/mit einem Nachw. von Friedrich Kaulbach. Tübingen: Mohr, 1993. Leibniz, Gottfried Wilhelm. Monadologie, Lehrsätze der Philosophie: letzte Wahrheiten über Gott, die Welt, die Natur der Seele, den Menschen und die Dinge. Herausgegeben von Joachim Christian Horn. Neuausg. Darmstadt: WBG (Wiss. Buchges.), 2009. Leserre, Daniel. »Lenguaje, temporalidad y significado: de la Crítica de la razón pura a Ser y tiempo«. Herausgegeben von Bernardo Ainbinder. Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 131-64. Leserre, Daniel und Adrián Bertorello. »Ser y Tiempo § 2: preguntar como quehacer de la filosofía.« Studia Heideggeriana III, Heidegger y el problema del método de la filosofía (2014): 95-125. Luckner, Andreas. Martin Heidegger: »Sein und Zeit« : ein einführender Kommentar. 2., korr. Aufl., [Unveränd. Nachdr.]. Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, 2001. –––. »Wie es ist, selbst zu sein. Zum Begriff der Eigentlichkeit. (§§ 54-60)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 141-60. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. Malpas, Jeff. »Heidegger’s Topology of Being«. In Transcendental Heidegger, herausgegeben von Steven Crowell und Jeff Malpas, 119-34. Stanford, California: Stanford University Press, 2007. Marion, Jean-Luc. »Remarques sur es origines de la Gegebenheit dans la pensée de Heidegger«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, FriedrichWilhelm von Herrmann und François Fédier. Heidegger Studies 24 (2008): 167-82. Marten, Rainer. »Der Begriff der Zeit. Eine Philosophie in der Nussschale«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 21-25. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. –––. Heidegger lesen. München: Fink, 1991. –––. Radikalität des Geistes: Heidegger – Paulus – Proust. Orig.-Ausg. Freiburg; München: Alber, 2012. Maturana, Humberto R. und Francisco J. Varela. Autopoiesis and cognition : the realization of the living. Dordrecht [u. a.]: Reidel, 1980. –––. De maquinas y seres vivos: una teoría sobre la organización biológica. Santiago de Chile: Ed. Universitaria, 1972. McTaggart, J. Ellis. »The Unreality of Time«. Mind 17, Nr. 68 (1908): 457-74. Menke, Christoph. »Subjekt. Zwischen Weltbemächtigung und Selbsterhaltung«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 320-28. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. 299
Merker, Barbara. »Die Sorge als Sein des Daseins (§§ 39-44)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 109-24. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. Merleau-Ponty, Maurice. Phänomenologie der Wahrnehmung. Übersetzt von Rudolf Boehm. 6. Auflage. Photomechanischer Nachdruck 1974. Berlin: de Gruyter, 2008. Okrent, Mark. »The ›I Think‹ and the For-the-Sake-of-Wish«. In Transcendental Heidegger, herausgegeben von Steven Crowell und Jeff Malpas, 151-68. Stanford, California: Stanford University Press, 2007. Ortega y Gasset, José. Was ist Philosophie ? Übersetzt von Karl August Horst. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1962. Oudemans, Th. C. W. »Heideggers ›logische Untersuchungen‹«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Heidegger Studies 6 (1990): 85-106. Philipse, Herman. »Heidegger’s ›Scandal of Philosophy‹: The Problem of the Ding an sich in Being and Time«. In Transcendental Heidegger, herausgegeben von Steven Crowell und Jeff Malpas, 169-98. Stanford, California: Stanford University Press, 2007. Pocai, Romano. »Die Weltlichkeit der Welt und ihre abgedrängte Faktizität (§§ 14-18)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 49-64. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. Pöggeler, Otto. »Zeit und Sein bei Heidegger«. Herausgegeben von Ernst Wolfgang Orth. Phänomenologische Forschungen, Phänomenologische Forschungen, 14, Nr. Zeit und Zeitlichkeit bei Husserl und Heidegger (1983). Raffoul, François. Heidegger and the subject. [Repr.]. Amherst, NY: Humanity Books, 2003. Rentsch, Thomas. Negativität und praktische Vernunft. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2000. –––. »›Sein und Zeit‹. Fundamentalontologie als Hermeneutik der Endlichkeit«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 48-74. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. –––. »Zeitlichkeit und Alltäglichkeit. (§§ 67-71)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 189-216. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. Richter, Ewald. »Heideggers Thesen zu den Fundamenten der Wissenschaften«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Pascal David, Paola-Ludovika Coriando und Ingeborg Schüssler. Heidegger Studies 26 (2010): 19-44.
300
Rubio, Roberto. »Afectividad y significaciones en la analítica del Dasein«. Herausgegeben von Ángel Xolocotzi. Studia Heideggeriana IV, Afectividad (2015): 23-46. Sakai, Kiyoshi. »Zum Wandel der Leibniz-Rezeption im Denken Heideggers«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann und François Fédier. Heidegger Studies 9 (1993): 97-124. Sallis, John. Heidegger und der Sinn von Wahrheit. Übersetzt von Tobias Keiling. Frankfurt am Main: Klostermann, 2012. Sandbothe, Mike. »Zeit. Von der Grundverfassung des Daseins zur Vielfalt der Zeit-Sprachspiele«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 285-89. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. Schüssler, Ingeborg. »Philosophie und Existenz bei Martin Heidegger«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly und Friedrich-Wilhelm von Herrmann. Heidegger Studies 1 (1985): 119-28. Sena, Marylou. »The Phenomenal Basis of Entities and the Manifestation of Bieng According to Sections 15-17 of Bieng and Time: On the Pragmatist Misunderstanding«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, FriedrichWilhelm von Herrmann und François Fédier. Heidegger Studies 11 (1995): 11-32. Simon, Josef. »In-der-Welt-sein«. In »Verwechselt mich vor allem nicht!«: Heidegger und Nietzsche, herausgegeben von Hans-Helmuth Gander, 73-88. MartinHeidegger-Gesellschaft 3. Frankfurt am Main: Klostermann, 1994. Sonderegger, Ruth M. »Welt. Ihre Erschlossenheit und Entzug«. In HeideggerHandbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 290-95. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. Strube, Claudius. »Die existenzial-ontologische Bestimmung des lumen naturale«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann und François Fédier. Heidegger Studies 12 (1996): 109-22. Sturma, Dieter. »Die Davoser Disputation zwischen Ernst Cassirer und Martin Heidegger. Kontroverse Transzendenz«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 86-91. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. –––. »›Kant und das Problem der Metaphysik‹. Die Endlichkeit menschlischer Erkenntnis«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 80-86. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. Thomä, Dieter. »Sprache. Von der ›Bewandtnisganzheit‹ zum ›Haus des Seins‹«. In Heidegger-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung, herausgegeben von Dieter Thomä, 295-304. Stuttgart; Weimar: Metzler, 2013. Trawny, Peter. Heidegger-Fragmente: Eine philosophische Biographie. Frankfurt am Main: Fischer Verlag, 2018. –––. Martin Heidegger: eine kritische Einführung. Vittorio Klostermann GmbH, 2016. 301
Tugendhat, Ernst. Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger. Berlin: de Gruyter, 1967. –––. »Heidegger und Bergson über die Zeit [1992]«. In Aufsätze 1992-2000, 11-26. suhrkamp taschenbuch wissenschaft. Frankfurt am Main, 2001. –––. Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung: sprachanalytische Interpretationen. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1979. Uzondu, Celestine. »Heideggers Versuch, das ›Verstehen‹ zu verstehen.« Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Pascal David, Paola-Ludovika Coriando und Ingeborg Schüssler. Heidegger Studies 26 (2010): 209-18. Vedder, Ben. »Die Faktizität der Hermeneutik: Ein Vorschlag«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, Friedrich-Wilhelm von Herrmann und François Fédier. Heidegger Studies 12 (1996): 95-108. Vigo, Alejandro. »Afectividad, comprensión y lenguaje«. Herausgegeben von Ángel Xolocotzi. Studia Heideggeriana IV, Afectividad (2015): 47-94. –––. »Libertad como causa. Heidegger, Kant y el problema metafísico de la libertad«. Herausgegeben von Bernardo Ainbinder. Studia Heideggeriana I, Heidegger-Kant (2011): 219-42. –––. »Welt als Phänomen: Methodische Aspekte in Heideggers Welt-Analyse in Sein und Zeit«. Herausgegeben von Parvis Emad, Kenneth Maly, FriedrichWilhelm von Herrmann und François Fédier. Heidegger Studies 15 (1999): 37-66. Volpi, Franco. »›Das ist das Gewissen!‹ Heidegger interpretiert die Phronesis (Ethica Nicomachea VI, 5)«. Heidegger und die Griechen, Martin-HeideggerGesellschaft, 8 (2007). –––. »Der Status der Existenzialen Analytik (§§ 9-13)«. In Martin Heidegger: Sein und Zeit, herausgegeben von Thomas Rentsch, 3., bearb. Aufl., 27-48. Klassiker auslegen 25. Berlin; München [u. a.]: De Gruyter, 2015. –––. Heidegger e Aristotele. 1. ed. Roma [u. a.]: GLF Editori Laterza, 2010. Walther, Dietmar. Sprachstellung im Werk Martin Heideggers und ihre Entstellung durch Theodor W. Adorno (»Jargon der Eigentlichkeit«) und Pierre Bourdieu (»Die politische Ontologie Martin Heideggers«). Frankfurt am Main, 1983. Weizsäcker, Carl Friedrich von. »Beziehungen der theoretischen Physik zum Denken Heideggers«. In Martin Heideggers Einfluss auf die Wissenschaften. Bern: A. Franke AG., 1949. Xolocotzi, Ángel. Fenomenología de la vida fáctica: Heidegger y su camino a »Ser y tiempo«. Universidad Iberoamericana, 2004. Zahavi, Dan. Phänomenologie für Einsteiger. Paderborn: Fink, 2007.
302