Samuel Becketts »Crazy Inventions for Television«: Beginning to End - eine werkübergreifende Analyse 9783839462386

Die Anthologie Beginning to End ist zweifelsfrei als eigenständiges Werk dem Kanon von Samuel Beckett hinzuzufügen. Das

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German Pages 244 Year 2022

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Samuel Becketts »Crazy Inventions for Television«: Beginning to End - eine werkübergreifende Analyse
 9783839462386

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Nicola Schmidt Samuel Becketts »Crazy Inventions for Television«

Theater  | Band 151

Nicola Schmidt (Dr. phil.) ist Theaterwissenschaftlerin. Sie arbeitete u.a. beim Theatertreffen der Berliner Festspiele, als freie Dramaturgin am »Konzert Theater Bern« und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsarbeit beschäftigt sich mit den Einflüssen von Samuel Becketts Fernsehspielen auf die Bildende Kunst.

Nicola Schmidt

Samuel Becketts »Crazy Inventions for Television« Beginning to End – eine werkübergreifende Analyse

Diese Arbeit wurde als Dissertation an der Freien Universität Berlin angefertigt, eingereicht und erfolgreich verteidigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2022 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Foto © Jens Lüstraeten Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-6238-2 PDF-ISBN 978-3-8394-6238-6 https://doi.org/10.14361/9783839462386 Buchreihen-ISSN: 2700-3922 Buchreihen-eISSN: 2747-3198 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Danksagung ........................................................................ 7 Abstract (dt./engl.)................................................................. 9 1. 1.1 1.2 1.3

Einleitung..................................................................... 11 ›Den Kopf auf den Händen‹ .................................................... 11 Forschungsstand: Becketts Fernsehspiele und Deleuze ......................... 15 Medienhistorische Einordnung ................................................ 20

Teil I Samuel Becketts ›Obsessionen‹: Von der Kunstkritik zur Entwicklung eigener ästhetischer Prinzipien 2.

Beckett und die Alten Meister ............................................... 33

3. 3.1 3.2 3.3

Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien . Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929): erste ästhetische Prinzipien .................. Proust Essay (1931): Fortführung erster ästhetischer Prinzipien................. Einflüsse der Malerei am Beispiel von Bram und Geer van Velde: Die Krise der modernen Subjektivität .........................................

49 49 62 75

4.

›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹ ....................................... 87

5. 5.1 5.2 5.3

Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne ......................... 101 Sprachrhythmus – Bildrhythmus .............................................. 101 Der Raum als Blackbox .......................................................107 Blickrichtungen: Das Auge als Objektiv ........................................ 113

Teil II Becketts Fernsehspiele »crazy inventions for television« – Kunst (im) Fernsehen 6. Sonderrolle Beginning to End (1965) ......................................... 123 6.1 Forschungsstand ............................................................ 126 6.2 Varianten ................................................................... 130 Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera ....................... 151 Beginning to End (1965): Die Fernsehfassung (R: Chloe Gibson, 1966) im Vergleich mit der New Yorker Bühnenaufzeichnung (1971) ................... 151 7.2 He, Joe (1966) im Abgleich mit Techniken aus Krapp’s Last Tape (publ. 1958) und Film (1965) .................................................. 163 7.3 Not I – ›Kamera im Kopf‹ und ›Theater des Geistes‹ ......................... 182 7. 7.1

8. 8.1 8.2 8.3 8.4

ZEIT – RAUM.................................................................. 197 Quad auf dem Papier ......................................................... 197 Produktion von Quadrat ...................................................... 200 Die Schwarzblende .......................................................... 202 Mathematisches Prinzip im freien Flug oder ›das Dahinterkauernde‹.......... 206

Schluss........................................................................... 213 Abbildungsverzeichnis ........................................................... 223 Quellenverzeichnis ............................................................... 227 Verzeichnis Samuel Beckett ....................................................... 227 Briefesammlungen (alphabetische Ordnung der Hrsg.).............................. 230 Weitere Literatur .................................................................. 231 Bereits publizierter Teil der Dissertation ........................................... 242

Danksagung

Jens und Heidel Lüstraeten, deren tiefes Interesse, Motivation und Hilfe jede Kategorie von Danksagung weit übersteigt und die mir wirklich in jeder Flaute immer wieder Wind in die Segel geblasen haben. Ohne die beiden wäre diese Reise gänzlich unmöglich gewesen. Meinen Eltern für die großzügige Beteiligung an der Endphase. Meinem Bruder Alex, der sich ohne zu zögern in eine umfangreiche, gemeinsame Dantelektüre gestürzt hat. Meiner Schwester Ariane und ihrer Familie für die fröhlichen, sommerlichen Einladungen ans Meer. Prof. Helmar Schramm für seinen ansteckenden Enthusiasmus und seinen unerschütterlichen Glauben an mich. Prof. Matthias Warstat für seine sehr hilfreichen differenzierten Feedbacks, seine belastbare Unterstützung und große Geduld. Prof. Doris Kolesch für Ihre freundliche und direkte Übernahme des Zweitgutachtens. Prof. Gabriele Brandstetter für den Kontakt zu Erika Tophoven und Dr. Peter Jammerthal für seine engagierte Recherchetipps in den Theaterhistorischen Sammlungen des Institutes für Theaterwissenschaft an der FU Berlin. Gerlinde Waz für ihr herzliches Interesse und den unbürokratischen Zugang zu ihren kuratorischen Recherchen für die Ausstellung Experimentelles Fernsehen der 1960er und ’70er Jahre, die in der Deutschen Kinemathek im Museum für Film und Fernsehen Berlin vom 19.05.–24.07.2011 deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen in Berlin zu sehen war. Dem SDR Archiv für den Zugang zu allen Produktionsakten Becketts Fernsehspiele und zugehörigen Briefen. The Samuel Beckett Research Centre an der University of Reading für die hilfreichen Impulse. Der New York Public Library – Lincoln Center für die umfangreichen Materialien und Einblicke. Der IFTR Beckett Group, die mich regelrecht beflügelt hat. Dem Archive Uni Texas Austin für den dankbaren Einblick in die Briefsammlung von Jack MacGowran. Dem BBC und RTÉ Archive für ihre schnellen Rückmeldungen.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Joachim Król für seinen Rechercheauftrag zu Beginning to End, der mein Interesse für das Thema geweckt hat. Sunniva Greve für den Kontakt zu Edward Beckett. Edward Beckett für den freundlichen und ermutigenden E–Mailwechsel.

Abstract (dt./engl.)

Neben Samuel Becketts Fernsehspielen He, Joe, Not I, Quadrat I+II und Nacht und Träume steht vor allem seine bisher nicht kanonisierte Anthologie Beginning to End im Zentrum der Analyse. Diese wird nicht nur in sein Fernsehwerk (1965–1986) eingeordnet, sondern auch als seine erste Arbeit mit diesem Medium belegt. So rar und wandelbar diese Anthologie Beginning to End auch ist, umso mehr gibt sie Hinweise auf Becketts Umgang mit seinem Werk und kann beispielhaft für einen bildenden Künstler gesehen werden, der die Repräsentation seiner Werke immer wieder infrage stellte und auf der Suche nach einer Materialität des Bildes war, die seinem zentralen Thema, seiner Vorstellung vom ›Nichts‹, entgegenkam.  Er wendete sich bereits in seinen Romanen, Prosatexten genauso wie in seinen Theaterstücken im Prinzip einer ›neuen‹ Sprache zu. Eine Metasprache, die nur durch ›die richtige Form‹, den richtigen Versuchsaufbau verständlich wird. Die Experimentierfreude, die er dem Medium Fernsehen entgegenbrachte, stand der geläufigen Fernsehästhetik entgegen. Beckett produzierte Fernsehspiele, die sich den etablierten Konventionen des Mediums widersetzten und dennoch als fernsehspezifisch einzustufen sind, da die optischen und akustischen Bedingungen und Möglichkeiten des Mediums mitbedacht sind und systematisch eingesetzt werden. So entstanden untypische Fernsehproduktionen, die einen tragfähigen Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung von Theater und Fernsehen darstellten. Die in der vorliegenden Arbeit entwickelten ästhetischen Axiome seines generischen Prinzips gründen auf der analytischen Auswertung seiner kunsttheoretischen Schriften und seiner gesamten künstlerischen Arbeit. Nur im Zusammenhang und Vergleich lässt sich eine Spezifität seiner Fernseharbeit erörtern und nachvollziehen, warum Beckett bereits Mitte der 1990er Jahre

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

zum exemplarischen Vertreter eines multimedial arbeitenden Künstlers (James Monaco 1995) avancierte und weshalb Gilles Deleuze’ Erschöpfungsbegriff (Essay L‘épuisé, 1992) als ein entscheidender Interpretationsschlüssel über Becketts Fernseharbeit hinaus dienen kann.

***

Besides Samuel Beckett‘s Teleplays He, Joe, Not I, Quadrat I+II and Nacht und Träume the analysis will first and foremost focus on the anthology Beginning to End, a piece which has not yet been officially canonized. The work will not just be integrated into Beckett‘s TV–Oeuvre (1965–1986), but it will be proven to be his first play for and with the medium television. Being so rare and convertible, Beginning to End contains a lot of hints concerning Becketts artistic terms of work. It stands exemplary for an artist who constantly questioned the form of representation of his works – always in search of an image materiality that came close to his idea of ›nothing‹. Already in his early novels, prose pieces and theatre plays he turned in principle towards a ›new‹ language. A language which can only be perceived via ›the right form‹, the adequate experimental set up. The joy of discovering new fields of expression, with which he approached the work with the new medium, contradicted the common aesthetics of television at that time. Although his teleplays opposed the established conventions of that period, they can be definitely understood as TV–specific, considering that all the acoustic and visuals frames as well as possibilities of the medium are taken into account and systematically used. With that method Beckett produced unusual works, which can be perceived as a solid starting point for the development of both theater and television. This present work develops aesthetic axioms of Becketts generic principle based on the analysis of both his theoretical writings in comparison to his own artistic body of work. Content and comparison alone allow us to grasp the uniqueness of his work for television as well as why Beckett has already in the mid 1990s been titled an paradigmatic representative of a multimedia artist (James Monaco 1995) and why Gilles Deleuze‘ term of exhaustion (Essay L‘épuisé, 1992) might function as one elementary key to towards a more universal understanding of Samuel Beckett.

1. Einleitung »happier sitting than standing and lying down than sitting« Malone Dies

1.1

›Den Kopf auf den Händen‹

›Im Zwielicht – in einer Kammer – regungslos am Tisch sitzend – der Kopf auf die dort abgelegten Hände gesunken.‹

Abb. 1: Videostandbild aus Samuel Becketts Fernsehspiel Nacht und Träume (SDR 1983, Regie: Samuel Beckett).

Bildquelle: Aus: Samuel Beckett: He, Joe. Quadrat I und II. Nacht und Träume. Geister–Trio … Filme für den SDR: Filmedition Suhrkamp 2008.©2008 Suhrkamp (DVD).

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Diese Szene aus Samuel Becketts vorletztem Fernsehspiel Nacht und Träume1 (SDR 1983) verbildlicht einen Zustand der unüberwindbaren Schwerkraft, welche sich bereits zuvor im Körper manifestiert und jede Willenskraft ausgelöscht hat. Wie sich im Laufe der Gesamtdauer von 10 Minuten 47 Sekunden herausstellt, ist diese Anfangsszene das Zentrum des Fernsehspiels und wird nicht nur dreimal wiederholt, sondern auch zusätzlich in einem Traumbild gespiegelt: ›Träumer (A)‹ träumt von sich als Träumendem (›sein erträumtes Ich (B)‹).2 Schnell wird deutlich, weshalb A den Traum herbeisehnt, wie die aus dem Off singende Männerstimme mit dem ruhigen, gedehnten Satz »Oh holde Träume, kehret wieder!« aus Schuberts titelgebendem Opus D. 827 Nacht und Träume verlauten lässt. Der Grund liegt in der von A dringend benötigten Zuwendung, die B im Traum erhält: B wird sanft von einer übergroßen, körperlosen Hand (›erträumte Hand R‹) geweckt, bekommt von einer weiteren Hand (›erträumte Hand L‹) etwas zu trinken, mit dem Tuch die Stirn abgetupft und letztendlich die Hand gereicht.3 A hingegen bleibt allein in seiner zwielichtigen Kammer, unfähig aufzustehen, kaum fähig den Kopf zu heben. Er sitzt fest – ist ein Gefangener seiner selbst. Das Bild des ›auf die Hände gesunkenen Kopfes‹, welches in Nacht und Träume allein sieben Mal erscheint, zieht Gilles Deleuze als tragende Metapher für seine Definition von Erschöpfung heran, die er in seinem Essay Erschöpft (L’épuisé, 1992) als Interpretationsschlüssel für Becketts Werk entwickelt.4 Er bietet damit ein visualisiertes Sinnbild, das eine Erschöpfung auszudrücken versucht, die »viel mehr als ermüdet sein [heißt]«5 . Eine Differenz, die sich im detaillierten Abgleich der definitorisch verwandten Begriffe ›Erschöpfung‹ und ›Müdigkeit‹ erschließt. Wie beispielsweise bei dem französischen ›épuisé‹ deutlich wird, kann dieses Wort neben ›marode, ausgebrannt, vergriffen‹ auch mit ›todmüde‹ übersetzt werden. Auf 1 2

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Samuel Beckett: He, Joe. Quadrat I und II. Nacht und Träume. Geister–Trio … Filme für den SDR: Filmedition Suhrkamp: Frankfurt am Main 2008. Samuel Beckett: Nacht und Träume (engl. 1983/dt. 1986), in: Ders.: Quadrat, Geister–Trio, ...nur noch Gewölk..., Nacht und Träume. Stücke für das Fernsehen. Mit einem Essay von Gilles Deleuze, übersetzt von Erika und Elmar Tophoven, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S. 44. Beckett, Nacht und Träume (1983), Frankfurt am Main 1996, S. 44. Gilles Deleuze: »Erschöpft«, in: Samuel Beckett: Quadrat, Geister–Trio, ...nur noch Gewölk..., Nacht und Träume. Stücke für das Fernsehen. Mit einem Essay von Gilles Deleuze, übersetzt von Erika und Elmar Tophoven, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S. 58. Deleuze 1996, S. 51.

1. Einleitung

das anfängliche Bild aufbauend, beschreibt Deleuze den Zustand dann auch als »[...] schlimmste Haltung, sitzend den Tod zu erwarten, ohne aufstehen oder sich hinlegen zu können, auf den Schlag lauernd, der uns ein letztes Mal auffahren läßt und zur Strecke bringt für immer. Sitzend, man kehrt nicht davon zurück, man kann nicht einmal mehr eine Erinnerung bewegen.«6 Und so träumt A in Nacht und Träume zwar von der lebensnotwendigen Hilfe, im Prinzip von der Erlösung, erfährt jedoch nicht einmal eine Erholung durch diesen »schlaflosen Traum«7 , was sich nach dem Erwachen vor allem in seiner unveränderten, kauernden Haltung zeigt. Wie hier bildhaft deutlich wird, liegt der Unterschied zwischen Müdigkeit und Erschöpfung darin, dass der »Ermüdete nur ihre Verwirklichung [Anm. d. Verf.: die Verwirklichung der Möglichkeiten der Ermüdeten] erschöpft [hat], während der Erschöpfte alles, was möglich ist, erschöpft. Der Ermüdete kann nichts mehr verwirklichen, der Erschöpfte hingegen kann keine Möglichkeiten mehr schaffen.«8 Es geht demnach um Potenzialität, die im ermüdeten Zustand nicht mehr verwirklicht, aber in der Erschöpfung gar nicht mehr geschaffen werden kann. Für den Erschöpften ist alles gleich, alle Möglichkeiten werden aneinandergereiht zu einer unendlichen Kette, die die Wahl einer Option gänzlich unmöglich macht. Der Entschluss als solcher ist keine Option mehr. Ein elementarer Grundstein dieser Technik des Erzählens beruht demnach auf »exhaustive[n], das heißt erschöpfende[n] Serien«9 , die sich »durch Becketts ganzes Werk [ziehen].«10 Diese Idee verfolgt Deleuze an zahlreichen Beispielen aller Genres aus Becketts Werk, wobei die Untersuchung der Fernsehspiele im Zentrum seiner Analyse steht, was ihn in der Konklusion dann auch von einer »Spezifität des Fernseh–Œuvres«11 sprechen lässt, da Beckett »in seinen Werken fürs Fern-

6 7 8 9 10 11

Deleuze 1996, S. 59. Deleuze 1996, S. 95f. Deleuze 1996, S. 51. Deleuze 1996, S. 54f. Deleuze 1996, S. 54. Deleuze 1996, S. 69.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

sehen [...] zweimal den Raum und zweimal das Bild [erschöpft]«,12 was er folgendermaßen ausführt: »Es ist das Fernsehen, das Beckett erlaubt, die Unterlegenheit der Wörter zu überwinden, entweder dadurch, daß er auf gesprochene Wörter verzichtet wie in Quadrat und in Nacht und Träume oder sich ihrer bedient, um aufzuzählen, vorzustellen oder sie als Dekor zu verwenden, so daß man sie lockern und dazwischen Dinge oder Bewegungen einführen kann (Geister–Trio, ...nur noch Gewölk...); oder daß er ein paar Wörter zurückhält, die einem Intervall oder einem Takt zufolge beiseite gelassen wurden, während alles andere in einem kaum vernehmbaren Murmeln untergeht wie am Ende von He, Joe; oder daß man ein paar aus der Melodie herausgreift, die ihnen die nötigen Akzente gibt wie in Nacht und Träume. Beim Fernsehen ist es jedoch etwas anderes als Wörter, Musik und Vision, das auf diese Weise ihre Umklammerung lockert, sie voneinander trennt oder vollends beiseite schiebt.«13 Die Zusammenfassung von Deleuze’ Essay ergibt die These, dass Becketts Arbeit mit dem bewegten Bild als zwingender Entwicklungsschritt für dessen künstlerische Zielrichtung zu sehen ist, da »[für Beckett Worte] immer unerträglicher [wurden]. Und den Grund dafür, dass er sie immer schlechter ertrug, kannte er von Anfang an: es ist die besondere Schwierigkeit, ›ein loch [sic] nach dem anderen zu bohren‹ in die Sprachoberfläche, damit endlich ›die dahinterliegenden Dinge‹ sichtbar würden.«14 Die Dekonstruktion der konventionellen Sprache wurde von Beckett auf eine Ebene übertragen, auf der die dekonstruierte Sprache zu visueller Dichtung wird und ein Bild ergibt. Aber kann hier wirklich von einem künstlerisch zwingenden Entwicklungsschritt gesprochen werden? Und was macht Becketts Fernsehspiele so außergewöhnlich? Erschwerend zu diesen Fragen kommt Deleuze’ assoziative Argumentationsweise, weshalb man auch diesen Essay ganz im Sinne von Michel Foucaults

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Deleuze 1996, S. 99. Deleuze 1996, S. 99. Deleuze 1996, S. 98. Er zitiert hier sinngemäß aus Becketts Deutscher Brief von 1937. Im Original heißt es »das Dahinterkauernde«, in: Samuel Beckett: Disjecta. Miscellaneous Writings and a Dramatic Fragment. Edited by Ruby Cohn, New York: Grove Press 1984, S. 52.

1. Einleitung

Einschätzung über dessen Schriften als ›Theatrum philosophicum‹ bezeichnet könnte.15 Der Philosophiehistoriker Ulrich Johannes Schneider bringt Foucaults Erklärungsansatz zu Deleuze treffend auf den Punkt: »Theater (die Metapher Foucaults) meint also für Deleuze nicht Theatralisierung, Inszenierung der Philosophiegeschichte, sondern völliges Auseinanderfallen alles Gesagten in mehrere Stimmen, die keine feste Auftrittsordnung kennen und oft gleichzeitig reden.«16 Um ›die einzelnen Stimmen in ihrer gleichzeitigen Mehrstimmigkeit‹ in Deleuze’ Erschöpft–Essay für die hier vorliegende Untersuchung von Becketts Fernsehspielen herauszuarbeiten, bietet es sich an, Deleuze’ These an einzelnen Fallbeispielen zu überprüfen, wofür es wiederum notwendig wird, Becketts künstlerische Entwicklung hin zu Medien der Bewegtbilder nachzuvollziehen. Um die zentrale Frage nach einer Spezifität der Fernsehspiele überhaupt stellen zu können, wird sich diese Arbeit daher zuerst einmal mit Samuel Becketts Weg zum Bewegtbild befassen. So sollen ästhetische Prinzipien ausfindig gemacht werden, die dann beispielhaft an mehreren Fernsehspielen Überprüfung finden. Dabei wird auch ebenfalls den Fragen nachgegangen, warum und wie ein vorwiegend als Theatermann bekannter Künstler sich zunehmend einem zu dieser Zeit sehr jungen Medium öffnete, beziehungsweise warum dies überhaupt für seine künstlerische Arbeit von Interesse war.

1.2

Forschungsstand: Becketts Fernsehspiele und Deleuze

Insgesamt liegt der Analyse die medienanalytische, produktions– und wirkungsästhetisch geprägte Perspektive der Beckett–Forschung zugrunde.17 15

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17

Michel Foucault: »Theatrum philosophicum«, in: Ders.: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits. Band II: 1970–1975, hrsg. von Daniel Defert und François Ewald, unter Mitarbeit von Jacques Lagrange, Berlin: Suhrkamp 2002, S. 93–123. Ulrich Johannes Schneider: »Theater in den Innenräumen des Denkens. Gilles Deleuze als Philosophiehistoriker«, in: Friedrich Balke/Joseph Vogl (Hrsg.): Gilles Deleuze – Fluchtlinien der Philosophie, München: Wilhelm Fink 1996, S. 108. Hier eine Auswahl von grundlegenden Publikationen für die vorliegende Arbeit (sortiert nach Erscheinungsjahr, an betreffender inhaltlicher Stelle wird die jeweilige Quelle noch einmal vollständig gelistet.): Robert O. Lawton Distinguished Professor of English (FloridaStateUniversity/USA) Stanley E. Gontarski: The Intent of Undoing in

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Deleuze’ Ansatz erhält dort zunehmend Bedeutung und ist auf dem Weg ein tradierter Forschungsansatz der facettenreichen und internationalen Beckett–Forschung zu werden. Er wird allein aufgrund seines interdisziplinären Sujets von ganz unterschiedlichen Wissenschaftsvertretenden aller Bereiche der Philosophie und Geisteswissenschaften verfolgt. So wurde beispielsweise die bisher einzige Monographie zu Becketts Teleplays im direkten Abgleich mit Deleuze’ Beckett Interpretation mit dem Titel Beckett, Deleuze and the Televisual Event: Peephole Art 18 von Colin Gardner 2012 vorgelegt, der einen Lehrstuhl für Critical Theory and Integrative Studies an der University of California innehat und an den Departments of Art, Film & Media Studies, Comparative Literature and the History of Art & Architecture unterrichtet. Sein Begriff des televisuellen Ereignisses geht definitorisch dabei vor allem direkt auf Deleuze’ Ereignisbegriff zurück, der eine übergeordnete Stellung

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Samuel Beckett’s Dramatic Texts. Bloomington: Indiana University Press 1985.; Kenneth T. Rowe Collegiate Professor of Dramatic Literature & Professor of English and Theater (University of Michigan/USA) Enoch Brater: Beyond Minimalism. Beckett’s Late Style in the Theater, New York/Oxford: Oxford University Press 1987.; Professorin für Kunst/ Medienästhetik (Visuelle und Neue Medien) an der Universität Paderborn Inga Lempke: »Theater mit anderen Mitteln... Becketts Fernsehtheater«, in: Helmut Kreuzer/ Helmut Schanze (Hrsg.): Bausteine III. Arbeitshefte Bildschirmmedien 50 (1994).; Joachim Becker: Nicht–Ich–Identität. Ästhetische Subjektivität in Samuel Becketts Arbeiten für Theater, Radio, Film und Fernsehen, Tübingen: De Gruyter 1998.; Kulturschaffende und Kunstwissenschaftlerin Gabriele Hartel: »the eyes take over«: Samuel Becketts Weg zum »gesagten Bild«. Eine Untersuchung von »The Lost Ones«, »Ill Seen, Ill Said« und »Stirrings Still« im Kontext der visuellen Kunst, Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2004.; Medienwissenschaftler Michael Lommel: Samuel Beckett: Synästhesie als Medienspiel, München: Wilhelm Fink Verlag 2006.; Professor of English (Xavier University, Cincinnati, Ohio/USA) Graley Herren: Samuel Beckett’s Plays on Film and Television, New York: Palgrave MacMillan 2007. (Monographie basiert auf seiner Dissertation The Ghost in the Machine: A Study of Samuel Becketts Teleplays, Dissertation Florida State University, Summer 1998.); Medienwissenschaftler und Germanist Peter Seibert (Hrsg.): Samuel Beckett und die Medien. Neue Perspektiven auf einen Medienkünstler des 20. Jahrhunderts, Bielefeld: transcript 2008.; (Beide Kunstwissenschaft) Gaby Hartel/Michael Glasmeier (Hrsg.): The Eye of Prey. Essays zu Samuel Becketts Film– und Fernseharbeiten, Berlin: Suhrkamp 2011.; Associate Professor, Director of the Beckett International Foundation and the University's Beckett Fellow (University of Reading/UK) Mark Nixon: »Samuel Beckett, Video Artist«, in: Peter Fifield/David Addyman (Hrsg.): Samuel Beckett: Debts and Legacies. New Critical Essays, London/New York: Methuen Drama 2013. Colin Gardner: Beckett, Deleuze and the Televisual Event: Peephole Art, New York: Palgrave Macmillan 2012.

1. Einleitung

in dessen Werk einnimmt. Das ›Interesse am Ereignis‹ sieht Gardner auch als einen entscheidenden Überschneidungspunkt von Beckett und Deleuze.19 Wichtig anzumerken ist dabei, dass die Definition hierbei die Ereignishaftigkeit des Begriffes per se mit einzuschließen versucht. Der deutsche Literatur–, Kultur– und Medienwissenschaftler und Philosoph Joseph Vogl geht beispielsweise in seinem Aufsatz ›Was ist ein Ereignis?‹ über Deleuze’ Ereignisbegriff von einer »deleuzianischen Ereignisphilosophie«20 aus und zieht hierfür Deleuze selbst heran, der über sich folgendes geschrieben hat: »›In all meinen Büchern‹, sagt Deleuze, ›habe ich die Natur des Ereignisses gesucht‹, und an anderer Stelle: ›Es stimmt, ich habe meine Zeit damit zugebracht, über diesen Begriff des Ereignisses zu schreiben‹ [...]«21 Dies ist für den vorliegenden Beitrag wichtig, weil es einen möglichen Erklärungsansatz liefert, weshalb Deleuze sich überhaupt für Becketts Arbeit interessiert hat. So kommt Vogl in seinem sehr aufschlussreichen Aufsatz gleich zu Anfang dazu, seine Fragestellung direkt wieder aufzulösen, da »es eine Frageweise zu sein [scheint], der das Ereignishafte am Ereignis eben entgeht.«22 Vielmehr müsse »[d]ie Frage nach dem Ereignis also nicht auf Antwort und Lösung [zielen] sondern auf ihr Problematisches selbst.«23 Zieht man dies mit der hier bereits dargelegten Einschätzung Foucaults zusammen, wird deutlich, dass Deleuze immer auch über die Form seines Schreibens, und damit auch über die Aussagbarkeit der Sprache selbst nachgedacht hat und dem darin zugrundeliegenden Zweifel Ausdruck verleihen wollte. Ein grundsätzlicher Ansatz, der sich auch bei Beckett finden lässt, wie noch in vielschichtiger Weise nachgewiesen werden wird. Gardners Ansatz basiert auf der Schrift Beckett on Screen. The Television Plays24 des Professors für Fernsehen und Film Jonathan Bignell von 2009, der an der University of Reading mit Schwerpunkt auf Samuel Beckett forscht und lehrt. Ein grundlegendes Werk, das sich erstmals ganz Becketts Fernsehspielen widmet und welches seine Kollegin am Department of Film, 19 20 21 22 23 24

Gardner 2015, S. 8–12. Joseph Vogl: »Was ist ein Ereignis?«, in: Peter Gente/Peter Weibel (Hrsg.): Deleuze und die Künste, Frankfurt am Main: Suhrkamp Wissenschaft 2007, S. 67. Zit. n. Vogl 2007, S. 67. Vogl 2007, S. 67f. Vogl 2007, S. 68. Jonathan Bignell: Beckett on Screen. The Television Plays, Manchester/New York: Manchester University Press 2009.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Theatre & Television Anna McMullan – ihrerseits ebenfalls ausgewiesene Beckett Expertin (mit dem Schwerpunkt auf dessen Dramen) – völlig zu Recht beschreibt als: »a compelling argument for the significance of Beckett’s visual media works not just in the Beckett canon but for media studies.«25 Ein Ausgangspunkt, den auch Garin Dowd seiner bereits 2007 erschienenen Abhandlung Abstract Machines: Samuel Beckett and Philosophy after Deleuze and Guattari zugrunde legt, diesen dabei aber auf Becketts Gesamtwerk ausweitet. Ähnlich wie auch Stanley Gontarski, der in seinem 2015 erschienenen Buch Creative Involution: Bergson, Beckett, Deleuze26 die medienästhetische Lesweise zugunsten einer deutlich philosophischeren Auslegung nur am Rande verfolgt. Neben den Monographien gibt es zahlreiche Aufsätze oder auch Teilkapitel, die Becketts Arbeiten mit Deleuze’ Theorie lesen.27

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Anna McMullan, in: Bignell 2009, o. S. S. E. Gontarski: Creative Involution: Bergson, Beckett, Deleuze, Edinburgh: Edinburgh University Press 2015. Eine für die vorliegende Arbeit relevante Auswahl (sortiert nach Erscheinungsjahr, an betreffender inhaltlicher Stelle wird die jeweilige Quelle noch einmal vollständig gelistet.): Mary Bryden: »›The Schizoid Space‹: Beckett, Deleuze, and L’épuisé«, in: Sjef Houppermans (Hrsg.): Beckett & La Psychanalyse/ Beckett & Psychoanalysis, Schriftenreihe Samuel Beckett Today/ Beckett Aujourd'hui, Vol. 5, Amsterdam/Atlanta, GA: Brill Rodopi 1996, S. 85–94.; Michael Glasmeier: »Bewegter Stillstand. Alte Meister im Quadrat«, in: Ders./Christine Hoffmann/Kunsthalle Wien/ u.a. (Hrsg.): Samuel Beckett. Bruce Nauman, Wien: Kunsthalle Wien 2000.; Mary Bryden: »Deleuze Reading Beckett«, in: Richard Lane (Hrsg.): Beckett and Philosophy, New York: Palgrave Macmillan 2002, S. 80–92.; Manfred Pabst: Bild–Sprache–Subjekt. Traumtexte und Diskurseffekte bei Freund, Lacan, Derrida, Beckett und Deleuze/Guattari, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004, S. 107–133.; Carol Murphy: »The Long and the Short of it... Moving Images in Proust and Beckett«, in: Mary Bryden (Hrsg.): Beckett’s Proust – Deleuze’s Proust, New York: Palgrave Macmillan 2009, S. 136–154.; Isabelle Ost: »›Till ooze and on‹: Textual Desire and the Subject’s Presence (Beckett, Deleuze, Lacan)«, in: S. E. Wilmer/ Audronė Žukauskaitė (Hrsg.): Deleuze and Beckett, New York: Palgrave Macmillan 2015, S. 97–110.; David Addyman: »Different Spaces: Beckett, Deleuze, Bergson«, in: Wilmer/ Žukauskaitė 2015, S. 137–151.

1. Einleitung

Allen gemeinsam ist, dass sie Beckett als bildenden Künstler voraussetzen und nicht als Dramatiker,28 oder als Vorreiter der Postdramatik29 verorten. Eine Einordnung, die in der akademischen Debatte bereits seit Mitte der 1990er Jahre immer wieder vollzogen wird und ihn zum exemplarischen Vertreter eines multimedial arbeitenden Künstlers macht.30 Dies erklärt sich anhand von Becketts Ansatz, die technischen Spezifika der jeweiligen Gattung einzubeziehen und damit immer auch inhaltlich einzusetzen. So auch bei seinem Umgang mit dem Fernsehen, welches Mitte der 1960er Jahre noch ein neues Medium darstellte. Es ging Beckett bei seiner Arbeit mit dem Fernsehen vorrangig um die verschiedenen ›visuellen Probleme‹,31 welche die Möglichkeiten der Kameraperspektive mit sich bringen. Und so weigerte er sich von Anfang an gegen ein rein dokumentarisches Abfotografieren seiner bereits vorhandenen Bühnenwerke und entschied immer wieder neu, ob ein Stück für den Bildschirm geeignet war oder nicht. Beziehungsweise erarbeitete neue oder für das Fernsehen speziell weiterentwickelte Arbeiten. Was hier bereits anklingt, ist die stetige Verschränkung von Theater und Fernsehen. Umso dringender scheinen auch eine Aufarbeitung und Einordnung seiner Fernseharbeit von Seiten der Theaterwissenschaft.32

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Samuel Barclay Beckett (1906–1989) gewann 1969 den Nobelpreis für Literatur für sein Theaterstück Attendant en Godot, was ihn weltweit als Dramatiker bekannt machte. Hans–Thies Lehmann führt hier Becketts »radikale[...] Dramaturgie des Nullpunkts« an um »den Zerfall des Zeiterlebens« am Beispiel von That Time (1974) als »eine Art Prolog zur Beschreibung der postdramatischen Zeitästhetik im Theater« zu etablieren. Hans–Thies Lehmann: Postdramatisches Theater, Frankfurt am Main: Verlag der Autoren 1999, S. 324f. Die entsprechende Forschungsliteratur wird jeweils thematisch passend in den einzelnen Teilkapiteln angeführt. Vgl. Aufzeichnung von Vorgesprächen mit Samuel Beckett, Alan Schneider (Regie), Boris Kaufman (Kamera) und Barney Rosset (Produzent) zu Film, New York Sommer 1964, in: Stanley E. Gontarski: The Intent of Undoing in Samuel Beckett’s Dramatic Texts. Bloomington: Indiana University Press 1985, S. 188. Hier zu erwähnen ist die Theaterwissenschaftlerin Katharina Knüppel, die mit ihrer Monographie Samuel Becketts Spuren im 21. Jahrhundert Intermediale Transformationen in bildender Kunst und Choreographie einen ersten grundsätzlichen Schritt bezüglich Becketts Einordnung in die bildende Kunst des 21. Jahrhunderts macht, hierfür jedoch nur Becketts Fernsehspiel Quadrat I + II tiefergehend untersucht. Katharina Knüppel: Samuel Becketts Spuren im 21. Jahrhundert Intermediale Transformationen in bildender Kunst und Choreographie, München: epodium 2018.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

1.3

Medienhistorische Einordnung

Grundsätzlich ist es wichtig zu erwähnen, dass Beckett, der mit der Einrichtung seines Fernsehskripts He, Joe33 1966 erstmals offiziell für das Fernsehen arbeitete, nicht der einzige Künstler war, der sich zu diesem Zeitpunkt dem Fernsehen öffnete. Schließlich war das Fernsehen in den 1960er–Jahren ein neues Medium, das sich noch definieren musste, und so bestand von Seiten der europäischen Sendeanstalten der Ehrgeiz, in Anlehnung an die aktuelle Theaterszene die renommierten »Theaterregisseure im Zusammenhang mit ihren Bühneninszenierungen zur eigenständigen Arbeit mit dem Medium Fernsehen bzw. Film zu gewinnen«34 . Es handelte sich also vorwiegend um Theaterregisseure, die ihre eigenen Bühneninszenierungen als die »Autor[en] des theatralen Ereignisses«35 mit den Mitteln des Films und Fernsehens weiterentwickeln und dabei ein größeres Publikum erreichen konnten.36 Dabei wurden beide Seiten zufrieden gestellt: Den Autoren bot sich ein »größtmöglicher Einfluss auf das Endprodukt«37 und den Programmverantwortlichen waren durch die Mitarbeit der Autoren »ästhetische Neuformulierung eines Stücks mit den Mitteln des Fernsehens«38 und somit »ein Höchstmaß an Authentizität«39 garantiert. Es

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Zwar verfasste Beckett das Fernsehspiel im April 1965 auf Englisch mit dem Titel Eh Joe, für seinen Freund Jack MacGowran (Joe hieß erst Jack). Jedoch wurde die deutsche Einrichtung unter der offiziellen Regie von Samuel Beckett bereits am 13.04.1966 im SDR vor der englischen BBC–Produktion erstmals ausgestrahlt, unter dem Titel He, Joe. Aus diesem Grund wird hier durchgehend der deutsche Titel geführt. (SDR, 13.04.1966, um 22.50 Uhr, mit Deryk Mendel und Nancy Illig, s/w, 23 min; BBC Two, mit Jack MacGowran, am 04.07.1966.) Ausführlich nachzulesen bei Knowlson 1997, S. 533f. & 539f. Siegfried Kienzle: »Theater im ZDF. Eine Partnerschaft mit Widersprüchen«, in: ZDF–Jahrbuch 1987, Mainz: Kleins Druck– und Verlagsanstalt 1988, S. 87. Knut Hickethier: »Klassiker im Fernsehen. Fernsehtheater oder Theaterfernsehen?«, in: TheaterZeitSchrift, H.11/1985, Berlin (West): Selbstverlag, S. 115. Ausführlich nachzulesen bei: Renate Gompper: Theater, Film und Fernsehen: Der »Theaterfilm«, Arbeitshefte Bildschirmmedien 26, DFG–Sonderforschungsbereich 240, Siegen: Univ.–GH 1992, S. 29f. Vgl. hierzu Inga Lempke: »Theater mit anderen Mitteln... Becketts Fernsehtheater«, in: Helmut Kreuzer/Helmut Schanze (Hrsg.): Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien, Bausteine III. Arbeitshefte Bildschirmmedien 50, DFG–Sonderforschungsbereich 240, Siegen: Univ.–GH 1994, S. 69. Hickethier 1985, S. 113. Vgl. Lempke 1994, S. 69.

1. Einleitung

ging den einen um aktualisiertes Theater, um die Popularisierung eines elitären Mediums und den anderen um eine neue Möglichkeit einer theatralen Form. Theater im Fernsehen changierte zu Beginn des Fernsehspiels Anfang der 1960er–Jahre zwischen der reinen Dokumentation einer Aufführung und der fernsehadäquaten Angleichung eines Stücks. Dadurch entstand ein neuer Sendetypus, dem der deutsche Medienwissenschaftler Knut Hickethier »eine Zwischenstellung zwischen der filmischen und theatralischen Ausdrucksweise« zuordnet, indem die Macher »eine neue Form entwickeln.«40 Diese neue Form zeichnete sich Hickethier zufolge dadurch aus, dass »sie in das filmische Gefüge von Raum und Zeit theatrale Darstellungsmodi einbring[t].«41 Diese Einschätzung liegt sicherlich nicht nur in der Tatsache begründet, dass das Fernsehen schon rein formal einem Guckkasten entspricht, sondern findet sich auch in der »Eigengesetzlichkeit der elektronischen Kamera«42 . Diese zeichnete sich durch eine Aufnahmetechnik aus, bei der bestimmte dramaturgische Vorschriften, vor allem die der Gleichzeitigkeit und Kontinuität, eingehalten werden mussten. Im Gegensatz zu Filmaufnahmen, die in Teile zerstückelt und nachträglich zusammengesetzt werden können, muss bei dem so genannten Ampex–Verfahren,43 einer live–ähnlichen Aufnahmetechnik, die Form »eines pausenlosen und korrekturlosen Durchspielens, wie es sonst nur die Bühne kennt,«44 eingehalten werden. Zur Realisierung des Ampex–Verfahrens waren eine Kopfrad– und eine Bandantriebsregelschaltung des Videorekorders erforderlich. Geräte, die mit derartigen Videoaufzeichnungstechniken ausgestattet waren, wurden hauptsächlich in Fernsehstudios verwendet, auch weil die Aufnahmen, im Gegensatz zur Filmproduktion,

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Hickethier 1985, S. 117. Hickethier 1985, S. 117. Wolfgang Federman: »Skepsis gegenüber dem eigenen Tun. Autoren und Regisseure verneinen eine eigene Form ’Fernsehspiel’«, in: Kirche und Fernsehen, H.29&30/1963, heute über Frankfurt am Main: epd Medien, S. 1. Es handelte sich hierbei um ein von der Firma Ampex (USA) entwickeltes und vermarktetes Verfahren zum Speichern von Videosignalen auf einem Magnetband. Dieses Verfahren wird als Querspurverfahren bezeichnet, weil das Videosignal in senkrecht zur Bandlaufrichtung verlaufenden Videospuren gespeichert wird. Vgl. o. N.: »Die Fußball–Konserve«, in: Der Spiegel Hamburg: Spiegel–Verl. H.9/1959, vom 25.02.1959, S. 58. Federman 1963, S. 1.

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gleich abgespielt werden konnten. Auch Becketts Fernsehspiele wurden mit diesem Verfahren aufgezeichnet, weshalb zum Beispiel He, Joe aus einer einzigen 20–minütigen Einstellung besteht. Interessant daran ist, dass durch die Liveness dieser Aufnahmetechnik dem Fernsehen plötzlich eine Authentizität angerechnet wurde, die bis dahin nur dem Theater vorbehalten war. Darüber hinaus ist das Ergebnis konservierbar. Formal ist das Fernsehspiel zwischen Film und Theater einzustufen. Trotzdem hat ein Fernsehbild selbstverständlich nur noch wenig mit dem Geschehen auf der Bühne gemeinsam und selbst wenn im Fernsehspiel die Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung noch genau beachtet und die oben beschriebenen Vorgänge als theatermäßig bezeichnet werden, kann all das nichts daran ändern, dass beim »Phänomen Fernsehen niemals ein exakt begrenzter Ort, sondern stets eine Welt der Handlung vorfindlich ist. Denn wie auch immer das visuelle Geschehen gestaltet sein mag, immer ist der Raum, in dem sich das wirkliche oder fiktive Geschehen ereignet, ein Phantasieraum, aufgebaut durch eine Sequenz von Eindrücken und Aspekten.«45 Dabei ist grundsätzlich gültig, dass das Fernsehen keine ›Kulisse‹ sein will, sondern sein Publikum ganz in Anspruch nimmt, was es zu einem Medium des ›Dabei–sein‹ macht.46 Dieser ›Phantasieraum‹ wird noch durch den vorgeschriebenen Blickwinkel für die Zuschauenden verstärkt. Das heißt, indem nur ein bestimmtes Detail gezeigt wird, muss dieses in ein »nicht sichtbares räumliches Ganzes«47 eingeordnet werden. Diese Vorstellung eines ›räumlichen Ganzen‹ entsteht nur nach und nach im Bewusstsein der Zuschauenden und zeichnet sich dadurch aus, dass dieser Raum, in dem ein Fernsehspiel spielt, im Gegensatz zu einem Bühnenbild niemals fertig vor den Betrachtenden steht. Der Fernsehraum behält dadurch immer einen »Unbekanntheitshorizont,«48 der durch das für das Fernsehen typische Close–up noch verstärkt wird. Marshall McLuhan nennt das Fernsehen gar ein »Medium der

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Helmuth O. Berg: »Die Erzählfunktion des Bildes im Fernsehspiel«, in: Rundfunk und Fernsehen, Jg. 17, H.3/1969, Baden–Baden: Nomos–Verl.–Ges. 1969, S. 249. Vgl. Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understanding Media (engl. 1964/dt. 1968), herausgegeben von Gerti Fietzek und Michael Glasmeier, Dresden/Basel: Verlag der Kunst 1995 (2. Aufl.), S. 471f. Berg 1969, S. 250. Berg 1969, S. 250.

1. Einleitung

Großaufnahme.«49 Über den Effekt des Close–up schreibt der Filmhistoriker Anton Kaes: »Wann immer eine Großaufnahme in den Erzählfluß einmontiert ist, kommt die Handlung zum momentanen Stillstand, der Film wird zum reinen Objekt der Schaulust.«50 Für die Nahaufnahme in Zusammenhang mit dem Fernsehbildschirm gilt dies im Besonderen, da hier videospezifische Eigenschaften dadurch zum Tragen kommen, dass das »Bild selbst mit der Materie des Bildschirms [verschmilzt] und nicht wie im Kino darauf projiziert [wird]«51 . Was dazu führt, um Jean–Luc Nancy zu folgen, dass man »von einem Bildschirm gar nicht mehr sprechen [kann],«52 was an seinen, wie eben schon erwähnt, videospezifischen Eigenschaften liegt. Diese sind nach Nancy folgendermaßen definiert: »Video heißt ›ich sehe‹, während theato ›ich blicke‹ bedeutet (und kineo ›ich bewege mich‹). […] So gibt es im video mithin ein Aufsaugen ins Sehen, das tendenziell das Gesehene entzieht.«53 Diese hoch artifizielle Box scheint damit wie geschaffen für Becketts Ästhetik. Einer von Becketts ersten, belegbaren Kontakten mit diesem Medium fand bereits 196154 über eine Adaption seines – zu diesem Zeitpunkt längst sehr erfolgreichen – Theaterstückes Waiting for Godot (UA 1953, Paris, Théâtre de Babylone) statt. Allerdings hegte er trotz positiver Aufnahme durch 49 50

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M. McLuhan 1995, S. 481. Anton Kaes: »Das bewegte Gesicht. Zur Großaufnahme im Film«, in: Claudia Schmölders/Sander Gilman (Hrsg.): Gesichter der Weimarer Republik. Eine physiognomische Kulturgeschichte, Köln: DuMont 2000, S. 160. Jean–Luc Nancy: Am Grund der Bilder, Zürich/Berlin: Diaphanes 2006, S. 124. Nancy 2006, S. 124. Nancy 2006, S. 125. Hier ist die britische Adaption gemeint. Ausstrahlung am 26.06.1961, um 21:50 GMT, unter der Regie von Donald McWhinnie, mit Peter Woodthorpe (Vladimir) und Jack MacGowran (Estragon), u. a. Beleg für Daten, online unter: https://genome.ch.bbc.co.u k/960b8bcc4dad4380a6da7d68a71538d4; letzter Abruf am 10.03.2020. Es gab auch eine Adaption für das amerikanische Fernsehen: Ausstrahlung als ›Play of the Week‹, am 03.04.1961 auf WNTA, Regie: Alan Schneider, Burgess Meredith (Vladimir), Zero Mostel (Estragon), u. a., mit einleitendenden Worten von Becketts amerikanischem Verlegers Barney Rosset (Grove Press). Vgl. William Hutchings: Samuel Beckett’s ›Waiting for Godot‹. A Reference Guide, Westport, Conn., USA/London, UK: Praeger 2005, S. 86.

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Publikum und Presse55 gegenüber weiteren Verfilmungen von Waiting for Godot eine deutliche Abneigung.56 Er hielt sein Stück nicht fürs Fernsehen geeignet, was er folgendermaßen begründete: »My play wasn’t written for this box. My play was written for small men locked in a big space. Here you’re all too big for the place. You see, you could write a very good play for television about a woman knitting. You’d go from the face to the knitting, from the knitting to her face.«57 In diesem Zitat deutet sich bereits an, dass es Beckett zwar nicht um eine generelle Festlegung seiner Stücke für die Theaterbühne ging, dafür aber umso mehr um die Umsetzung seiner Werke in einem geeigneten wirkungsästhetischen Rahmen. Selbst die Anfrage seines engen Freundes Jack MacGowran, der ihn um die Erlaubnis für eine Verfilmung von Waiting for Godot unter der Regie von Roman Polanski bat, wies er mit folgenden Worten zurück: »I’m terribly sorry to disappoint you and Polanski but I don’t want any film of Godot. As it stands it is simply not cinema material. And adaptation would destroy it.«58 Trotz der Ablehnung in diesem konkreten Fall stand Beckett Film und Fernsehen generell aber aufgeschlossen gegenüber. Seine Wertschätzung des Bewegtbildes findet sich zum Beispiel darin bestätigt, dass er sich 1936 zu Beginn seines Aufenthalts in Paris um ein einjähriges Praktikum bei Sergej Eisenstein bewarb. In seinem Schreiben an Eisenstein bezeichnete er sich als

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»Godot well adapted for Television. […] what unifies these diverse elements in the play is a poetic imagination working at full power […] Mr. McWhinnie is afraid of the bold of effect of lightning, the extreme close–up, or the extreme long shot and much of this production was shot in tightly composed close–ups which emphasized the play’s claustrophobic intensity.« o. N.: »Shaping Spirit of Imagination. Godot Well Adapted to Television«, in: The Times, London: Times Newspaper Ltd., 27.06.1961, S. 7. So erinnerte sich Peter Woodthorpe, der 1961 den Estragon in der Fernsehadaption gespielt hatte, in einem späteren Interview (am 18.02.1994). Zit. n. James Knowlson: Damned to Fame. A Life About Samuel Beckett, London/New Delhi/New York/Sydney: Bloomsbury 1997, S. 488. Vgl. Interview mit Peter Woodthorpe, 18.02.1994, in: Knowlson 1997, S. 488. Samuel Beckett [S. B.] an Jack MacGowran, am 13.12.1967, zitiert nach Jordan R. Young: The Beckett Actor. Jack MacGowran – Beginning to End, Beverly Hills: Moonstone Press 1987, S. 120.

1. Einleitung

»serious cinéaste«.59 Dieses grundsätzliche Interesse am Bewegtbild kann vielleicht auch begründen, warum ihn seine Ablehnung nicht daran hinderte, neun Jahre später (1976) bei einer Godot Adaption für das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) selbst Regie zu führen. Hierbei entschied er sich wohlgemerkt für eine strenge dokumentarische Fernsehaufzeichnung seiner vorangegangenen Inszenierung am Schillertheater Berlin.60 Somit ist Becketts Ablehnung gegenüber weiteren Verfilmungen von Waiting for Godot vielmehr dahingehend einzustufen, dass es dem Dramatiker nicht um eine Festlegung seiner Stücke auf die Theaterbühne ging, sondern um die Umsetzung seiner Werke in einer produktions– wie rezeptionsästhetisch geeigneten Form. Seine Entscheidungen basierten also strikt auf der Eignung des Materials für das vorgeschlagene Medium. Eine Einschätzung, die sich auch in der Definition des Medienbegriffs von James Monaco in seiner Einführung in die Film– und Medienanalyse wiederfindet: »Eine der anschaulichsten Analysen der Unterschiede jener mannigfachen Kommunikations–Techniken, die mit dem Sammelbegriff ›Medien‹ benannt werden, findet sich in einer Reihe von Stücken, die Samuel Beckett in den sechziger Jahren geschrieben hat. In Play, Film, Eh Joe, Cascando und Words and Music hat der Bühnenautor/Romancier/Dichter/Kritiker, der sowohl englisch als auch französisch schrieb, das Wesen jeder einzelnen Form erfasst.«61 Monaco sieht dabei gerade über die einzelne Form eine »dramatische Spannung«62 erzeugt, die »nicht zwischen Gestalten, sondern zwischen Strukturelementen der verschiedenen Kunstgattungen«63 generiert wird, und nutzt Becketts formale Vielseitigkeit, um die Genres grundsätzlich zu charakterisieren:

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Samuel Beckett: »Brief an Sergej Eisenstein vom 2. März 1936«, in: Gaby Hartel/Michael Glasmeier (Hrsg.): The Eye of Prey. Essays zu Samuel Becketts Film– und Fernseharbeiten, Berlin: Suhrkamp 2011, S. 13. Vgl. Inga Lemke: »Dreimal Warten auf Godot im Fernsehen«, in: Dies.: Theaterbühne – Fernsehbilder. Sprech–, Musik– und Tanztheater im und für das Fernsehen, Anif/Salzburg: Verlag Müller–Speiser 1998, S. 90f. James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache und Theorie des Films und der Medien. Mit einer Einführung in Multimedia, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch 1995, S. 444. Monaco 1995, S. 446. Monaco 1995, S. 446.

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»[F]ür die Bühne Zuschauerentscheid im Widerspiel mit dem Dialog; für den Film die Kontrolle des Regisseurs und die Integrität des Objekts; für das Fernsehen die Eindringlichkeit des Tons im Widerspiel mit der psychologischen Intimität des Bildes; und für das Radio, einfacher, Wörter und Musik, Information und Hintergrund. Becketts Serie analytischer Stücke faßt die ästhetischen Unterschiede zwischen und unter den Medien elegant zusammen.«64 Aus dieser heute noch zutreffenden Analyse lässt sich schließen, dass die Besonderheit von Becketts Fernsehspielen nicht nur medienhistorisch begründet ist, sondern vielmehr die Form elementarer Teil des Inhalts ist und damit weit mehr als nur eine Angleichung an das Format. Wie noch gezeigt werden wird. Hierbei könnte sich für diese Arbeit als besonders fruchtbar erweisen, dass Marshall McLuhan gerade durch die »Kreuzung oder Hybridisierung von Medien«65 die Freisetzung von »gewaltige[n] neue[n] Kräfte[n] oder Energien [...], ähnlich wie bei der Kernspaltung oder Kernfusion«66 sah. Einen Grundsatz, den Gabriele Brandstetter in der Podiumsdiskussion »Begriffe in Bewegung. Wie können die Kunstwissenschaften den Künsten gerecht werden?« vorauszusetzen scheint, als sie davon spricht, »dass Künste sich einfach nicht darum scheren, wo ihre Grenzen sind«67 und dass es »natürlich die Disziplinen im Sinne von Grenzen«68 gebe, aber dass man »spätestens seit der Avantgarde an einem Punkt [sei], an dem genau an den Grenzen und über die Grenzen hinaus eigentlich die spannenden Dinge passieren: Prozesse, die die Begriffe und das Nicht–Begriffliche, also die Anschauungen und die Ästhetik selber in Bewegung bringen.«69 Auch Kirsten Maar, Frank Ruda und Jan Völker verfolgen in ihrer Einleitung zu dem Sammelband Generische Formen. Dynamische Konstellationen zwi64 65 66 67

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Monaco 1995, S. 446. M. McLuhan 1995, S. 108. M. McLuhan 1995, S. 108. Eine Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Graduiertenkollegs InterArt an der Freien Universität Berlin: »Begriffe in Bewegung. Wie können die Kunstwissenschaften den Künsten gerecht werden?« Eine Podiumsdiskussion mit Gabriele Brandstetter, Gertrud Koch, Dieter Mersch und Joseph Vogl, Moderation: Markus Rautzenberg, in: Erika Fischer–Lichte/Kristiane Hasselmann/Markus Rautzenberg: Ausweitung der Kunstzone: Interart Studies – Neue Perspektiven der Kunstwissenschaften, Bielefeld: transcript 2010, S. 246. Brandstetter 2010, S. 246. Brandstetter 2010, S. 246.

1. Einleitung

schen den Künsten (2017)70 ein dynamisches Analysekonzept für »Phänomene wie etwa Narrativität in der Musik oder musikalische Wiederholungen im Film«71 , in denen »sich Form und Dynamik verschränk[en]«.72 Sie installieren hierfür den Begriff der ›generischen Form‹, den sie folgendermaßen definieren: »Generische Formen bezeichnen [...] eine ,vorläufige Stufe' einer spezifischen Form. Anstelle eines äußerlichen Bezugs zwischen Form und Bewegung stellt der Begriff der generischen Form ein inneres Verhältnis der Dynamik der Form selbst vor. Überwunden werden damit auch schematische Festlegungen eines Primats entweder der Form oder der Bewegung sowie Kausalableitungen, sei es der Bewegung aus der Form oder der Form aus der Bewegung. Ein solcher Begriff der generischen Form verspricht, sowohl komplexe Dynamiken zwischen einzelnen Künsten als auch zwischen einzelnen Kunstwerken und ihren Gattungen beschreibbar zu machen.«73 Im selben Band schlägt Juliane Rebentisch in ihrer weiterführenden Begriffsdefinition »Singularität, Gattung, Form« ebenfalls eine grenzbezugnehmende Analyse vor. Sie installiert den Begriff der »generischen Form«74 , dem sie

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Ein Sammelband, hervorgegangen aus einer Tagung des Sonderforschungsbereichs 626 Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste an der Freien Universität Berlin. Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker (Hrsg.): Generische Formen. Dynamische Konstellationen zwischen den Künsten, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag. Ein Imprint der Brill Gruppe 2017. Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker 2017, S. 7. Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker 2017, S. 7. Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker 2017, S. 7f. Juliane Rebentisch: »Singularität, Gattung, Form.«, in: Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker 2017, S. 13.

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Adornos Ansatz der ›medialen Verfransung‹75 und Walter Benjamins Intermedialitäts–Theorie76 zu Grunde legt, folgendermaßen: »Generische Form wäre in diesem Verständnis ein notwendig heuristischer Begriff, der selbst generisch, im Sinne von hervorbringend, in die Dynamiken des Verhältnisses von Gattung und intermedialem Werk eingespannt bleibt und der deshalb seine Pointen nach beiden Seiten dessen, was er vermittelt, entfaltet: in die Richtung der jeweiligen intermedialen Produktionen macht er die Einschreibungen und die Vorstrukturierungen durch die medien– und gattungsspezifischen Traditionen (im Plural) deutlich, in die Richtung der alten Gattungslogiken insistiert er darauf, dass die besonderen, die einzelnen Werke ›Kraftzentren‹, wie Adorno das genannt hat, für das Allgemeine der –

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»Der Begriff der Verfransung stammt von Theodor W. Adorno. Man kann sich klarmachen, was mit diesem Begriff gemeint ist, wenn man an zwei nebeneinanderliegende Fransenteppiche denkt, deren Fransen sich so miteinander verknotet und verheddert, eben verfranst haben, dass ein Übergang zwischen den beiden Teppichen entsteht. Dennoch bleibt für Adorno entscheidend, dass die Verfransung, die an ihren Rändern entsteht, nicht gleich auch die Teppiche mit auflöst. Adorno verteidigt eine Entwicklung, die aus der Auseinandersetzung mit der medialen Spezifik der Darstellungsmittel je einer Kunst hervorgeht. [...] Adorno [geht es] keineswegs um die Verabschiedung der Gattungslogik, sondern um deren umfassenderes Verständnis. Aus einer Analyse der Interaktion zwischen den Künsten soll ein genaueres Verständnis ihrer Unterschiede gewonnen werden. [...] Es zeigt sich denn auch, dass solche konstitutiven Beziehungen zwischen den einzelnen Gattungen keineswegs beliebig sind (nicht jede Kunst übernimmt für jede andere dieselbe konstitutive Funktion).« Rebentisch 2017, S. 10f.; vgl. Theodor W. Adorno: »Die Kunst und die Künste«, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann, Bd. 10.1, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 432–453. »Gerade bei Arbeiten, bei denen die Zuordnung zu einer der angespielten Künste nicht mehr entscheidbar ist, kommt es zu einer Konfrontation der jeweiligen medialen Eigenlogiken und unterschiedlichen Traditionen, die für deren Verständnis durchaus gewinnbringend sein kann. Das alte System der Künste bleibt hier gewissermaßen als Interpretationsfolie präsent, ohne dass aber die identitäre Logik des Künstesystems noch die Kunstproduktion selbst bestimmen könnte. Insofern intermediale Arbeiten gerade aufgrund ihrer Hybridität einen neuen Blick auf die verwendeten Medien und Traditionen ermöglichen, kann sich natürlich auch der umgekehrte Effekt einstellen, dass die Folie selbst zum Gegenstand der Interpretation wird. Schließlich wird von den intermedialen Produktionen her oftmals neues Licht auf den Begriff der alten Künste geworfen.« Rebentisch 2017, S. 11; zit. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Bd. 1.2, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S. 465.

1. Einleitung

nun kunst–komparatistisch moderierten – gattungstheoretischen Begriffsbildung sein können.«77 Rebentisch schafft durch die formatübergreifende Definition der generischen Form eigentlich die Aufforderung nach einem Prozedere der Kunstrezeption, welche die Einordnung eines Kunstwerks nicht durch eine Gattungszuordnung vornimmt, sondern durch eine Fokussierung auf die Qualitäten jeder einzelnen gattungsübergreifenden Arbeit selbst. Die Gattungsspezifika dienen dabei als Folien, die zum Abgleich hilfreich sind, aber nicht hermetisch gedacht werden. Hierbei lassen ihre Beispiele darauf schließen, dass sie dabei vor allem einzelne gattungsübergreifende Kunstwerke meint, da sie keine Beispiele nennt, die Korrelationen zwischen Kunstwerken beschreiben. Es handelt sich bei der generischen Form um einen dynamischen Begriff, der in seiner offensichtlichen Grenzbereich– und Prozessorientierung auch für die Analyse von Becketts Fernsehspielen vielversprechend erscheint, da dieser in seinem Spätwerk, im Umgang mit dem 1965 noch neuen Medium, intuitiv auf seine bisherigen Erfahrungen mit anderen Genres zurückgriff, um seine künstlerische Suche nach den ›dahinterliegenden Dingen‹ beziehungsweise dem »Dahinterkauernden«78 , wie Beckett es selbst nannte, weiter zu verfolgen. Ihm ging es nicht darum, ein Genre für das andere aufzugeben, sondern er ähnelte in seiner Arbeitsweise und Haltung einem Forscher, der mit seinem Material in verschiedenen Versuchsreihen experimentiert. Diesem Gebaren war er sich nicht nur bewusst, sondern er kokettierte damit, indem er seine Fernsehspiele als »crazy inventions for television«79 bezeichnete. Dabei galt für die Arbeit an seinen ›Fernsehexperimenten‹, dass sie während des gesamten Arbeitsprozesses aus der Wechselwirkung von Bühne und Bildschirm entstanden.80 Beckett testete sein Material hin und wieder auch

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Juliane Rebentisch: »Singularität, Gattung, Form.«, in: Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker 2017, S. 13. Beckett, Deutscher Brief von 1937, New York 1984, S. 52. S. B. an Dr. [Reinhart] Müller–Freienfels, am 30.01.1980, sowie Briefkarte von Sam [Samuel Beckett] an Thomas [Reinhart Müller–Freienfels], am 14.11.1981. Beide: Historisches Archiv des SDR Stuttgart, SWR, Bestand SDR 19/1368 + 29/682. Erste Briefkarte auch nachzulesen in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 522. So wurde nicht nur Becketts Fernsehstück He, Joe mindestens zweimal für die Bühne adaptiert (1978 auf dem Beckett Festival in New York und 1981 auf dem Festival Automne du Paris). Auch Quadrat I+II wurde 1986 im New Yorker American Folk Theatre aufgeführt.

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in beiden Medien und lotete dabei gleichzeitig die Anforderungen, Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Disziplin aus. Als herausragendes Beispiel lässt sich dieses Vorgehen an seiner bisher noch nicht kanonisierten Arbeit Beginning to End veranschaulichen. Das als Monolog konzipierte Stück bietet sich an durch seine fragmentarische Stückvorlage wie auch die vielfältigen Formate (Bühnenstück, Hörspiel, Fernsehspiel, Fernsehfilm, Text) die zur Darstellung und Umsetzung der Arbeit genutzt wurden. Darüber hinaus ist Beginning to End auch Becketts eigentlich erste Fernseharbeit, wie in einem gesonderten Teilkapitel konstatiert werden wird. So ist es wohl sinnvoll, sich seinen Fernseharbeiten über das Medium selbst zu nähern und dieses erst einmal auf seine theatralischen Qualitäten hin zu untersuchen, wobei medienspezifische, historische wie auch technische Aspekte zu berücksichtigen sind. Aus diesem Grund wurde für die vorliegenden Analysen auch häufig ein Vergleich von Fernseh– und Bühnenversionen gewählt. Methodisch wird dabei generell unterschieden zwischen klassischen Aufführungsanalysen, Analysen von Liveaufzeichnungen und Fernsehspielen, sowie Filmaufnahmen. Des Weiteren wird gezeigt werden, dass sich gerade in seinen Fernseharbeiten offenbart, wie folgenreich Becketts bildnerisches Denken von den bildenden Künsten, im Besonderen der Malerei geprägt wurde. Hinzu kommt, dass seine künstlerische Arbeit von kunsttheoretischem Schreiben flankiert wurde. Denn bemerkenswerterweise sind es gerade seine theoretischen Schriften über Kunst und Literatur, die für sein eigenes künstlerisches Schaffen aufschlussreich sind. Im ersten Teil dieser Arbeit wird es deshalb darum gehen, frühe Gedankenmodelle nachzuvollziehen und hierfür überblickshaft Schlüsselstellen mit der Zielrichtung auszuleuchten, diese als gedankliches Fundament für Becketts künstlerischen Fortgang zu konstituieren. Die ästhetischen Prinzipien, die sich hieraus ergeben, werden dann in Teil II mit besonderem Fokus auf seine Fernseharbeiten überprüft.

Teil I Samuel Becketts ›Obsessionen‹: Von der Kunstkritik zur Entwicklung eigener ästhetischer Prinzipien

2. Beckett und die Alten Meister

Bevor Beckett ausschließlich künstlerisch tätig wurde, versuchte er sich unter anderem auch einige Zeit als Kunst– und Literaturkritiker. In dieser Phase initiierte er nicht nur Verbindungen zu zeitgenössischen Künstlern wie beispielsweise Bram und Geer van Velde, Jack Butler Yeats, Henri Hayden, Francis Picabia, Marcel Duchamp und Alberto Giacometti,1 sondern baute zudem systematisch seine kunsthistorischen Kenntnisse im Selbststudium aus. Seine Beobachtungen bei den zahlreichen Besuchen von Museen, Kirchen und Galerien hielt er in Form von allgemeinen Bemerkungen, fundierten Signaturzuordnungen wie auch hochdifferenzierten Vergleichen in Notizbüchern fest. Wie sich aus heutiger Sicht zeigt, resultierte daraus ein visuelles Reservoir, das neben deutlichen Einflüssen aus dem Impressionismus, Expressionismus und der modernen Malerei auch sehr konkret von Werken der Alten Meister inspiriert war. Erscheint dieser Einfluss auf Becketts minimalistisch anmutende Fernsehspiele vorerst widersprüchlich, wird dieser aber bei genauerer Betrachtung vielversprechend, wie mittels einer Spurensuche in sei-

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So verband ihn eine gute Freundschaft mit Jack Butler Yeats, von welchem er über die Jahre auch einige Bilder erwarb, wie beispielsweise das Gemälde A Morning. (The Letters of Samuel Beckett, Volume I: 1929–1940, S. 333.) Yeats schlug am 22.11.1937 seinen Roman Murphy dem Routledge Verlag vor, bei welchem es am 09.12.1937 auch angenommen wurde. (The Letters of Samuel Beckett, Volume I: 1929–1940, S. 419.) Er machte 1939 Bekanntschaften mit Henri Hayden und Francis Picabia, spielte hin und wieder Schach mit Marcel Duchamp und traf Wassily Kandinsky. (Knowlson 1997, S. 289.) 1947 begann er dauerhafte Freundschaften mit dem Kunstpublizisten Georges Duthuit, wie auch Alberto Giacometti, mit dem er sich nachts in Pariser Caféhäusern traf, wo sie Gespräche über Kunst und das Künstlersein führten, oder ganz einfach nur weitläufige Spaziergänge unternahmen. (Knowlson 1997, S. 369–371.)

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ner ab 2009 publizierten Briefsammlung2 und den sechs posthum entdeckten Notizbüchern von Becketts Deutschlandreise 1936/373 gezeigt werden soll. Gabriele Hartels Dissertationsschrift ›...the eyes take over...‹ Samuel Becketts Weg zum ›gesagten Bild‹. Eine Untersuchung von ›The Lost Ones‹, ›Ill Seen, Ill Said‹ und ›Stirrings Still‹ im Kontext der visuellen Kunst von 20044 nimmt Becketts »äußerst originellen und geradezu eigenwilligen Kunstbetrachtung[en]«5 zum Ausgangspunkt, um »seine Entwicklung vom Bild–Zitat zur Bild–Integration im poetischen Text«6 herauszuarbeiten, wofür sie Lois Oppenheims Monographie aus dem Jahr 20007 und besonders Enoch Braters Beyond Minimalism. Beckett’s Late Style in the Theater von 19878 als wissenschaftliche Bezugspunkte nennt.9 Hartel stellt die unterschiedlichen Quellen Becketts heraus, der sich genauso von »Leonardo da Vinci, Giorgione und Cézanne« wie auch »Adam Elsheimers ›spotlighting technique‹ und der Lichtregie des expressionistischen Films«10 habe inspirieren lassen. Und allein besagte Notizbücher, welche in der Dissertationsschrift von Mark Nixon Samuel Beckett’s German Diaries 1936–1937 11 eine erste wissenschaft2 3

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George Craig/Martha Dow Fehsenfeld/Dan Gunn/Lois More Overbeck (Hrsg.): The Letters of Samuel Beckett. Volume I–IV, Cambridge: University Press 2009–2016. Seine Bildungsreise führte ihn vom 29.09.1936 bis 02.04.1937 nach Hamburg (02.10–04.12.1936), Hannover (Leibniz Haus), Braunschweig, Wolfenbüttel (Lessing Museum), Hildesheim, Berlin (11.12.1936–22.01.1937), Halle, Erfurt, Weimar, Naumburg, Leipzig, Dresden (29.01.–18.02.1937), Freiberg, Bamberg, Würzburg, Nürnberg, Regensburg und München (05.03.–02.04.1937). Rekonstruiert anhand der Chronologie Tafeln, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume I: 1929–1940, S. 292f. und 417. Gabriele Hartel: »...the eyes take over...« Samuel Becketts Weg zum »gesagten Bild«. Eine Untersuchung von »The Lost Ones«, »Ill Seen, Ill Said« und »Stirrings Still« im Kontext der visuellen Kunst, Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2004. [Diss. masch., Freie Universität Berlin 1998.] Hartel 2004, S. 10. Hartel 2004, S. 10. Lois Oppenheim: The Painted Word. Samuel Beckett’s Dialog with Art, Ann Arbor: University of Michigan Press 2000. Enoch Brater: Beyond Minimalism. Beckett’s Late Style in the Theater, New York: Oxford University Press 1987. Hartel 2004, S. 10. Hartel 2004, S. 10. Mark Nixon: Samuel Beckett’s German Diaries 1936–1937, London: Continuum 2011. Die Tagebücher selbst sind nicht publiziert, aber als Teil der Samuel Beckett Collection in Reading/UK vor Ort einsehbar, unter: Samuel Beckett: German Diaries [6 notebooks], Beckett International Foundation, University of Reading. [Nur auf Anfrage.]

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liche Bearbeitung fanden, ergeben einen wahren Fundus an Quellen und Bezugspunkten zu dessen späterem künstlerischen Schaffen.12 Nixon legt plausibel dar, dass Beckett gerade über die Kunstrezeption zu seiner eigenen ästhetischen Form fand und selbige auch später immer wieder über diesen Weg erneut konstituierte: »[...] the encounter with art enabled Beckett to clarify, shape and formulate his aesthetic preoccupations, and thus to find new approaches to his writing. This can be illustrated by the sheer weight of aesthetic formulations contained in the pages of the German diaries, kept at a time when Beckett was struggling to see the way in which his writing was to proceed. It is important to remember that Beckett’s most succinct aesthetic declarations, both before and after World War II, were mainly made in context of discussion of art […]«13 Um ein Nachspüren des hier beschriebenen Prozesses und einer Skizzierung der daraus resultierenden generellen ästhetischen Tendenzen soll es auch in diesem Exkurs gehen, der in Anbetracht des Gesamtumfangs nur einzelne Exponate herausstellen wird, um gezielt einen direkten forschungsrelevanten Zusammenhang mit seinen späteren Fernsehspielen (1965–1986) herzustellen. Ein guter Einstieg findet sich über Erika Tophovens fundierten, biographisch gehaltenen Band Becketts Berlin von 2005,14 in welchem sie dessen hauptstädtische Museumsbesuche mithilfe der bereits erwähnten Reisetagebücher rekapituliert und geschickt mit dem zugehörigen Bildmaterial kombiniert. Das nationalsozialistische Vorkriegsdeutschland mit seinem politischen Einfluss auf die Kunst und den unmittelbaren, drastischen Folgen für viele Kunstschaffende und Ausstellungsorte blieben dem Reisenden, der sich 1942 aktiv dem französischen Widerstand anschloss, keineswegs verborgen. Becketts Tagebücher zeigen, wie Knowlson herausgearbeitet hat, dass er in Hamburg in Zusammenkünften mit Gretchen Wöhlwill, Karl Kluth, Willem Grimm, Karl Ballmer, Hans Ruwoldt, Paul Bollmann und Eduard Bargheer aus erster Hand erfuhr, wie mit diesen umgegangen wurde, und sehr betroffen darüber war. Aufgrund eines Erlasses vom 05. November 1936 waren die Säle für moderne Malerei im Berliner Kronprinzenpalais, der Berliner Nationalgalerie und dem Dresdner Zwinger bereits nicht mehr 12 13 14

Nixon 2011, S. 132–161. Nixon 2011, S. 132. Erika Tophoven: Becketts Berlin, Berlin: Nikolai 2005.

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zugänglich.15 Auch wenn er darüber erbittert war,16 galt sein originäres Interesse den räumlich miteinander verbundenen Gemäldesammlungen des Kaiser–Friedrich–Museums17 und Deutschen Museums18 , die er insgesamt vierzehn Mal besuchte.19 Beide Sammlungen befinden sich heute zusammengelegt in der Berliner Gemäldegalerie und ergeben in der Rekonstruktion von Becketts Notizen einen europäisch vielschichtigen und zeitlich weiten Bogen, der sich von der italienischen Renaissance (Boticelli,20 Veneziano,21 Masaccio,22 Carpaccio,23 Giorgione,24 Savoldo,25 del Sarto,26 Bronzino,27

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Sinngemäß zit. n. Knowlson 1997, S. 238f. S. B. an Mary Manning, am 13.12.1936: »[...] Trip is being a failure. Germany is horrible. Money is scarce. I am tired all the time. All the modern pictures are in the cellars. [...]«, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume I: 1929–1940, S. 397. Dem heutigen Bode Museum Berlin. Das Deutsche Museum war in einem Flügel des heutigen Pergamonmuseums und mit dem Kaiser–Friedrich–Museum verbunden. Im Zeitraum vom 12.12.1936–13.01.1937. Detailliert nachzulesen bei: Tophoven 2005, S. 43. Sandro di Mariano Filipepi, genannt: Botticelli (1445 – 1510), Thronende Maria mit dem Kind und den beiden Johannes, 1485, Staatliche Museen Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie, Kat. Nr. 106, Saal XVIII. Domenico Veneziano (1400/10–1461), Die Anbetung der Könige, 1439/41, Ebd., Kat. Nr. 95A, Kabinett 39. Tommaso die Ser Giovanni di Mone Cassai, genannt: Masaccio (1401–1428), Die Enthauptung Johannes des Täufers, 1426 (Magazin) & Wochenbett einer vornehmen Florentinerin, um 1420, Ebd., Kat. Nr. 58B, Kabinett 39. Vittore Carpaccio (1455–1526), Die Grabbereitung Christi, um 1505, Inventarnr. 106, Kat. Nr. 23A, Staatliche Museen zu Berlin (SMB): Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke der europäischen Malerei, 3., aktualisierte Auflage, Nicolai: Berlin 2010, S. 363. Hierzu empfehlenswert ist der Aufsatz von Susanne Gottlob: »Ein Zwischenblatt. Die Grabbereitung von Vittore Carpaccio.«, in: Dies.: Stimme und Blicke. Zwischen Aufschub des Todes und Zeichen der Hingabe: Hölderlin – Carpaccio – Heiner Müller – Fra Angelico, Bielefeld: transcript 2002, S. 89–106. Giorgione (1477?–1510), Bildnis eines jungen Mannes, o. J., Ebd., Kat. Nr. 12B, Kabinett 32. Giovanni Girolamo Savoldo (1508–1548), Die Venezianerin, um 1535/40, Ebd., Kat. Nr. 307, Kabinett 31. Andrea del Sarto (1486–1531), Die thronende Maria mit dem Kind und acht Heiligen, 1528 (SMB, Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie, Kat. Nr. 246, Magazin) und Bildnis einer jungen Frau, o. J., Berliner Gemäldegalerie, Kat. Nr. 240, Kabinett 30. Agnolo di Cosima di Mariano, genannt: Bronzino (1503–1572), Ugolino Martelli, 1540, Ebd., Kat. Nr. 338A, Kabinett 30.

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Correggio28 ) über die niederländische Malerei des 16. Jahrhunderts (Brueghel d. Ä.29 ) und holländische, wie auch flämische Malerei des 17. Jahrhunderts (Vermeer,30 Ter Borch,31 Rembrandt32 und Rubens,33 Brouwer34 ), bis zur deutschen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts (Multscher,35 Witz,36 Cranach d. Ä.37 und Altdorfer,38 Dürer,39 Elsheimer40 ) erstreckt.41 Trotz der deutlichen Fachkenntnisse fällt an Becketts Notizen ein stringenter subjektiver Blickwinkel auf, der viel mehr auf einen künstlerischen Zugriff als auf einen kunsttheoretisch belastbaren schließen lässt. Für Becketts allgemeine Vorgehensweise können dabei die Werke von Boticelli in Saal XVIII der heutigen Berliner Gemäldegalerie als ein Beispiel dienen: Laut Tophoven war Beckett insgesamt sehr an Boticelli interessiert und notierte sich alle betrachteten Titel mit kurzen sachlichen Bemerkungen,42 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

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Antonio da Correggio (1489–1534), Leda mit dem Schwan, um 1532, Ebd., Kat. Nr. 218, Saal XV. Pieter Brueghel d. Ä. (1472–1553), Die niederländischen Sprichwörter, 1559, Ebd., Kat. Nr. 1720, Kabinett 7. Jan Vermeer van Delft (1632–1675), Junge Dame mit Perlenhalsband, um 1662/65, Ebd., Kat. Nr. 912B, Kabinett 17. Gerard ter Borch (1617–1681), Die galante Konversation (ehemals Die väterliche Ermahnung), 1654/55, Ebd., Kat. Nr. 791, Kabinett 18. Alles von Rembrandt Harmenszoon van Rijn (1606–1669), Ebd., Kabinett 16 + Saal X. Peter Paul Rubens (1577–1640), Der heilige Sebastian, um 1618, Ebd., Kat. Nr. 798H, Saal VIII. Adriaen Brouwer (1605/06–1638), Landschaft mit Kugelspielern, o. J. & Dünenlandschaft im Mondschein, o. J., Ebd., Kat. Nr. 853J+K, beide Kabinett 9. Hans Multscher (1400–1467), Die Kreuztragung Christi, 1437, Ebd., Kat. Nr. 162G, Saal I. Konrad Witz (1400/10–1445/46), Der Ratschluss der Erlösung, nach 1444, Ebd., Kat. Nr. 1637, Saal I. Lucas Cranach der Ältere (1472–1553), Venus und Amor, um 1530, Ebd., Kat. Nr. 594, Saal III. Albrecht Altdorfer (1480–1538), Die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1510. & Der Bettel sitzt der Hoffart auf der Schleppe, 1531, Ebd., Kat. Nr. 638B & 638C, beide Raum 3. Albrecht Dürer (1480–1538), Porträts von Jacob Muffel, 1506 & Hieronymus Holzschuher, 1526, sowie Die Madonna mit dem Zeisig, 1506, Ebd., Kat. Nr. 557D & 557E & 557F, letzten beide Kabinett 2. Adam Elsheimer (1578–1610), Die heilige Familie mit Engeln und dem kleinen Johannes dem Täufer (um 1599), Ebd., Kat. Nr. 2039, Saal XIV. Die gesamten Beispiele in Tophovens Band wurden auf ihre Forschungsrelevanz hin überprüft und nur einschlägige Beispiele für Becketts Herangehensweise, sowie offensichtliche Inspirationsquellen für sein Oeuvre für die hiesige Auflistung übernommen. Sinngemäß zitiert nach Tophoven 2005, S. 50f.

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nur zu der Darstellung der Thronenden Maria mit dem Kind und den beiden Johannes (Abb. 2) fügte er noch die prosaische Bemerkung »a divinity in vegetation«43 hinzu, womit er auf den üppig und detailliert gestalteten Hintergrund des Gemäldes anspielte.

Abb. 2: Botticelli, Thronende Maria mit dem Kind und den beiden Johannes (1485), SMB, Preußischer Kulturbesitz/Gemäldegalerie.

Bildquelle: Pappelholz, 185 x 180 cm, Kat. Nr. 106, Foto von Jörg P. Anders, abgedruckt in: SMB: Gemäldegalerie Berlin 2010, S. 335.

Und auch bei Masaccios Die Enthauptung Johannes des Täufers (1426)44 wird seine fachmännische Haltung45 von einem begeisterten Interesse für etwas 43 44 45

Tophoven 2005, S. 51. SMB, Preußischer Kulturbesitz/Gemäldegalerie, Kat. Nr. 58B, Magazinbestand. »Er kennt das Mittelstück des Altars, eine Madonna mit Engeln, bereits aus der National Gallery in London. Er kehrt mehrmals zu den Tafeln zurück und sieht sogleich, dass verschiedene Hände am Werk waren: ›Julian & Nicholas episodes, clearly by another

2. Beckett und die Alten Meister

im Hintergrund abgelöst. In diesem Fall der »wonderful head of soldier in background«46 , welcher sich in der oberen Mitte der Altarpredella befindet.

Abb. 3: Masaccio, Die Enthauptung Johannes des Täufers (1426), SMB, Preußischer Kulturbesitz/Gemäldegalerie, Kat. Nr. 58B.

Bildquelle: Tempera auf Holz, 21 x 61 cm, rechter Teil der linken Tafel einer Altarpredella, Foto von Jörg P. Anders, in: Tophoven 2005, S. 61.

Das 1936/37 im selben Kabinett befindliche, auffälligere und dazu vollständige Altarbild Das Jüngste Gericht (um 1447)47 von Fra Giovanni de Fiesole Angelico zog er dabei nur im Negativvergleich mit dem »humane painting of Masaccio«48 heran. Das ›Menschliche‹ war besagter Soldat, der mit seinen niedergeschlagenen Augen und dem leicht gebeugten Kopf tief in Gedanken, möglicherweise im Gebet versunken scheint und dadurch der direkt vor ihm stattfindenden Gewalttat entrückt wirkt. Er ist eigentlich abwesend und das, obwohl er sich durchaus zentral im Bild befindet. Beide Beispiele zeigen auf unterschiedliche Weise wie speziell und subjektiv Becketts Blick ausfallen konnte. Einer Tatsache, der sich dieser durchaus

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hand‹, was der Katalogtext bestätigt: Die Tafel mit dem heiligen Julian wird Masaccios Gehilfen Andrea di Giusto zugeschrieben.« Tophoven 2005, S. 48. Tophoven 2005, S. 48. Fra Giovanni de Fiesole Angelico (1395? – 1455): Das Jüngste Gericht (um 1447), SMB, Preußischer Kulturbesitz/Gemäldegalerie, Kat. Nr. 60 A, Kabinett 39. Tophoven 2005, S. 48.

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gewahr war beziehungsweise wurde, wie die folgende Aussage 1954 in einem Brief an den Kunstpublizisten Georges Duthuit belegt: »So I am not someone to talk art with, and on that subject I am not likely to utter anything other than my own obsessive concerns.«49 Die durch seine ›Obsessionen‹ geprägten Beobachtungen dienten ihm als Inspiration oder auch Befeuerung eigener Ideen. In Masaccios Fall war es die abwesende Anwesenheit, wie ich sie nennen möchte, die Becketts Interesse auf sich zog und ihn auch Jahre später in Valletta auf Malta an Michelangelo Merisi da Caravaggios Enthauptung Johannes’ des Täufers (1608)50 erneut beschäftigte. Es ging ihm dabei um die zwei unbeteiligten Beobachter, die auf der rechten Hälfte des Gemäldes fast in der Dunkelheit verschwinden, während die Enthauptung als Hauptakt des Geschehens auf der linken Hälfte stark lichtakzentuiert hervorgehoben ist. Diese Hintergrundszenerie beeindruckte Beckett so sehr, dass sie motivisch Einfluss auf sein Stück und Fernsehspiel Not I (1976) nahm, was er selbst in einem Brief offenlegte: »Image of Not I in part suggested by Caravaggio’s Decollation of St. John in Valetta [sic] Cathedral.«51 Es ging ihm um die Beobachtenden, welche von den Rezipierenden vor dem Gemälde beobachtet werden, wie aus seinen Ausführungen in einem weiteren Brief (1986) hervorgeht: »The Caravaggio painting in Valletta shows, outside and beyond the main area, at a safe distance from it, a group of watchers intent on the happening. Before the painting, from another outsideness, I behold both the horror &

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S. B. an George Duthuit, am 02.03.1954, in: George Craig/Martha Dow Fehsenfeld/Dan Gunn/Lois More Overbeck (Hrsg.): The Letters of Samuel Beckett, Volume 2: 1941–1956. Übersetzung aus dem Französischen ins Englische von George Craig. Cambridge: University Press 2011, S. 473. Im Original: »Ce n’est donc pas avec moi qu’on puisse parler art et c’est pas là–dessus que je risque d’exprimer autre chose que mes propres hantises.« Ebenda, S. 472. Auch heute noch als Altarbild in der St. John’s Co–Cathedral in Malta zu sehen, für das es 1608 angefertigt wurde. S. B. an James Knowlson, am 28.04.1973, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 332.

2. Beckett und die Alten Meister

Abb. 4: Caravaggio, Enthauptung Johannes’ des Täufers (1608), St. John’s Co–Cathedral in Malta

Bildquelle: Öl auf Leinwand, 361 x 520 cm, abgedruckt in: Michelangelo Merisi da Caravaggio/Andrea Pomella: Caravaggio: An Artist Through Images, Rom: ATS Italia Editrice 2005, S. 90.

its being beheld. This experience had some part in the conception of the Auditor in Not I.«52 Hiernach erscheint Becketts Entscheidung für die Einrichtung des Fernsehspiels den Auditor als Figur wegzulassen und dessen stillschweigende, beobachtende Funktion damit direkt auf das Fernsehpublikum zu übertragen, geradezu als folgerichtiger nächster Schritt.53 Michael Glasmeier weitet den unbeteiligten Zustand der beiden Beobachter schlüssig auf alle Dargestellten aus, den er mit Hilfe von Jutta Helds prägnanter Caravaggio Interpretation stabilisiert, die über das Bild schreibt: »Es fehlen die eruptiven Emotionen und ausfahrenden Gesten, die perspektivischen Inkonsequenzen, die jene Gefühlsausbrüche [bei Caravaggio] ästhetisch bedingten. [...] Es scheint, daß alle Personen in ruhigem Einverständnis handeln, alle mit gesenkten Blicken oder gebeugtem Körper auf 52 53

S. B. an Edith Kern, am 15.03.1986, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 671. Siehe hierfür bitte auch Teilkapitel 7.2.2.

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den Toten konzentriert. [...] Caravaggio insistiert hier nicht auf den physischen Leiden des Opfers, und ihm geht es nicht um die Spuren der Passionen an den Körpern wie in seinen römischen Werken. Der Aufschrei des Gemarterten bleibt aus, das Subjekt ist bereits ausgelöscht, und die Handlungen betreffen lediglich den Umgang mit seinem Tod.«54 Glasmeier sieht darin »das Faszinosum für Beckett«,55 dem es nicht um einen ›bestimmten Mund‹56 gegangen sei, wodurch »das ganze Bild der Enthauptung des Johannes [...] zur Stimme der Erschöpfung«57 werde, da dort »jene Mitleidlose Automatik« zu sehen sei, die sich einstelle, »wenn die Körper in Gewohnheit agieren«.58 Das Motiv der beobachteten Beobachtenden, der abwesend Anwesenden, inspirierte Beckett nicht nur für sein Fernsehspiel Not I (1976), sondern findet sich auch bereits acht Jahre zuvor in Film (1965) wieder.59 Der beobachtende Blick von außen, der einem Scheinwerfer gleich gelenkt wird, ergibt ein gestalterisches Grundmotiv, dass sich auch in weiteren seiner Arbeiten wiederfinden wird. Machen die bisherigen Beispiele aus der italienischen Renaissance Becketts Inspiration für das inhaltliche Mitdenken der Rezeptionsebene deutlich, so zeigt sich an seinen Einschätzungen zur nordischen Malerei, dass ihn bei derselben besonders die kompositorischen Mittel in seiner eigenen späteren künstlerischen Arbeit beeinflussten, wie die Blickrichtungen und –lenkungen durch ein bestimmtes Lichtspiel oder die Raumdarstellungen. Neben Jan van Goyen, Hercules Segers, Philip Wowerman, Salomon van Ruysdael, Adriaen Brouwer, Adriaen Ostade sieht James Knowlson in seinem Aufsatz Beckett and Seventeenth–Century Dutch and Flemish Art hierbei auch besonders die Raumdarstellung in Jan Vermeer van Delfts Gemälden als Ideengeber für Becketts Raumsprache:

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Jutta Held: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper, Berlin: Dietrich Reimer 1996, S. 185. Zit. n. Michael Glasmeier: »Bewegter Stillstand. Alte Meister im Quadrat«, in: Kunsthalle Wien/Michael Glasmeier/Christine Hoffmann/u.a. (Hrsg.): Samuel Beckett/ Bruce Nauman, Wien: Kunsthalle 2000, S. 155. Glasmeier 2000, S. 155. Sinngemäß zit. nach Glasmeier 2000, S. 155. Glasmeier 2000, S. 155. Glasmeier 2000, S. 155. Wie in den Teilkapiteln 7.2 und 7.3 deutlich werden wird.

2. Beckett und die Alten Meister

»This crucial preoccupation with architectural form clearly intrigued Beckett and the debate highlighted by Wilenski suggests that a link may exist between such a way of thinking about the ›box‹ and Beckett's own later dramas for the stage and for television.«60 Knowlson spielt hier auf Vermeers karge Räume an, in denen jeder Einrichtungsgegenstand eine hervorgehobene Bedeutung erhält, was er wiederum in Becketts Räumen abstrahiert sieht: »[Beckett] disposed a door, window, desk, pallet, or lamp like late Vermeer, interested only in their dramatic necessity and their architectural Tightness within the stage or television frame. Beckett's own radical achievement was to make his objects increasingly abstract, so reducing them to a series of geometrical (mostly rectangular) shapes.«61 Die karg eingerichteten, rechteckigen, türlosen Räume, die an eine Box erinnern, werden von Beckett als zentrales Stilmittel eingesetzt, um die Einsamkeit und Isolation der Figuren hervorzuheben und dabei gar zum zusätzlichen Gegenspieler zu mutieren wie beispielsweise in den Theaterstücken Endgame oder Spiel (1963)62 und Fernsehspielen wie He, Joe (1965) und Ghost Trio (1977)63 . Neben der Raumdarstellung, geht es des Weiteren um die Inszenierung von Blickrichtungen der Abgebildeten, was Knowlson mittels eines Zitats Becketts über die Briefleserin am offenen Fenster (1657/59) deutlich werden lässt:

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James Knowlson: »Beckett and Seventeenth–Century Dutch and Flemish Art«, in: Sjef Houppermans/Angela Moorjani/Danièle de Ruyter/u.a. (Hrsg.): Where Never Before. Beckett's Poetics of Elsewhere/La poétique de l'ailleurs. (Schriftenreihe Samuel Beckett Today/Aujourd'hui, Band 21) Amsterdam/New York: Rodopi 2009, S. 37. Knowlson belegt Becketts mehrfache Bezugnahmen auf Reginald Howard Wilenskis: An Introduction on Dutch Painting, London: Faber & Gwyer 1929. Knowlson 2009, S. 37. Im englischen Play, da Beckett es jedoch 1962 auf Deutsch verfasste und es am 14.06.1963 am Ulmer Theater/Ulm–Donau Uraufführung feierte, wird hier durchgehend der deutsche Titel geführt. (Regie: Deryk Mendel; Darstellende: Nancy Illig (W1), Sigfrid Pfeiffer (W2), Gerhard Winter (M).) Hier wird der englische Titel geführt, da von Beckett 1975 auf Englisch verfasst und die Erstausstrahlung fand auf BBC Two, am 17.04.1977 statt. (Regie: Donald McWhinnie und Samuel Beckett; Produktion: BBC/Reiner Moritz Productions; Darstellende: Ronald Pickup, Billie Whitelaw.)

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»Vermeer. Lesendes Mädchen. Probably painted in mirror. His people always using their eyes, as though to emphasise the optical relation. Marvellous composition. The colours of Leucaemia«64 Becketts Beobachtung, dass Vermeers Figuren immer ihre Augen benutzen um die optische Erzählebene zusätzlich hervorzuheben, bringt Knowlson anhand von zahlreichen Beispielen wie Attendant en Godot, Happy Days, Spiel und Krapp’s Last Tape65 überzeugend mit dessen Arbeiten mit Vermeer in eine gedankliche Nähe. Dennoch kommt er zu der Schlussfolgerung, dass sich die aufgeführten Arbeiten vielleicht nicht direkt an Vermeer anlehnen, jedoch dass sich Beckett schon lang, bevor er anfing zu schreiben, mit diesen Themen beschäftigte.66 Auch Glasmeier nennt Vermeer neben Rembrandt, Adriaen Brouwer und Jan Steen als Bezugsquellen, da bei diesen »das Theater des Stillstands, der eingefrorenen Gesten zelebriert«67 werde, und kommt hierüber zu dem Schluss: »Beckett sucht in den Bildern der Alten Meister den Stillstand des Raums und der Körpersprache. Die Erzählung ist für ihn abgeschlossen. Das Bild verharrt in purer, nackter Gegenwart, die für uns vielleicht zur Möglichkeit von Kontemplation, Religion oder Anklage wird. Für Beckett ist jedoch diese Abgeschlossenheit Ausweis gnadenloser Erschöpfung.«68 Eine Erschöpfung im Deleuzeschen Sinne ist hier gemeint, den Glasmeier als Automatismus auslegt69 und den erschöpften Raum zu einem inspirierenden macht, da er von allem störenden Beiwerk entkleidet und vom versöhnlichen Realismus befreit sei.70 Der Stillstand, der hier als das Bindeglied zwischen Beckett und den nordischen Alten Meistern gesetzt wird, stellt sich dabei über 64 65

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Samuel Beckett: German Diary 4, 05.02.1937, zit. n. Knowlson 2009, S. 37. »Waiting for Godot, for instance, Vladimir seeks reassurance of his own existence by asking the Boy, ›You did see us, didn't you?‹ In Happy Days, Winnie is preoccupied with the problem of being ›seen‹: ›strange feeling that someone is looking at (S. 38): me, I am clear, then dim, then gone, then dim again, then clear again‹ (31). And, in Play, the male protagonist asks ›Am I as much as being seen‹ (1984, 157).« Krapp’s last Tape: ›The eyes she had! [...],‹ muses Krapp. ›Everything there, everything on this old muckball, all the light and dark and famine and feasting of [...] the ages!‹« Knowlson 2009, S. 37. Sinngemäß zusammengefasst n. Knowlson 2009, S. 37. Glasmeier 2000, S. 156. Glasmeier 2000, S. 156. Sinngemäß zit. n. Glasmeier 2000, S. 151. Sinngemäß zit. n. Glasmeier 2000, S. 152.

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Abb. 5: Jan Vermeer van Delft, Briefleserin am offenen Fenster, um 1657, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister.

Bildquelle: Öl auf Leinwand, 83 x 64,5 cm, abgedruckt in: Jan Vermeer van Delft: A Young Woman Reading a Letter (um 1657), Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Foto von Herbert Boswank, in: Karl Schütz: Vermeer. The Complete Works. Directed and produced by Benedict Taschen, Köln: Taschen 2017, S. 57.

rein formale Mittel her. Über den Einsatz des Lichts, die Ausgestelltheit der Figuren, die türlosen, leeren Kammern wird die Einsamkeit hervorgehoben, die alle Beckett Figuren ausstrahlen. Besonders in den Fernsehspielen, wie He,

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Joe und Ghost Trio und Quadrat I+II, in denen sich die Figuren in ›boxartigen‹, geschlossenen Räumen befinden, drängt sich eine optische Verwandtschaft zu Vermeer, Brouwer oder Ter Borch auf.

Abb. 6–8: Adriaen Brouwer, Dorfchirurg (Das Gefühl), Raucherszene (Der Geschmack) und Zwei rauchende Bauern am Kamin (auch bekannt als: der Geruch), alle zwischen 1625–1638, Alte Pinakothek München.

Bildquellen: alle 3 Öl auf Eichenholz, (23,5 cm x 20,3 cm/ 23,7 cm x 20,5 cm/ 21,4 cm x 19,1 cm), Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek München, OGKabinett 11, online abrufbar unter: https://sammlung.pinakothek.de/de/bookmark/artwork/Pdx z0gYQGw; https://www.sammlung.pinakothek.de/de/bookmark/artwork/A0GOMqo7 xd; https://www.sammlung.pinakothek.de/de/bookmark/artwork/M0xy0bjj4p; letzter Abruf am 11.12.2019.

Glasmeier geht sogar so weit, einen direkten Bezug von Brouwer zu Becketts Quadrat I+II zu ziehen, der nicht von der Hand zu weisen ist. Er sieht in Brouwers Kapuzen tragenden Figuren, in dessen ›Sinnesdarstellungen‹ Dorfchirurg (Das Gefühl), 71 Raucherszene (Der Geschmack)72 und Zwei rauchende Bauern am Kamin (auch bekannt als: der Geruch)73 die Vorreiter der Gestalten in Quadrat I+II.74 Und an dieser Stelle zeigt sich, wie möglicherweise auch mehrere Bilder aus ganz unterschiedlichen historischen Epochen und Zusammenhängen Einfluss auf Becketts Arbeit genommen haben könnten. Denn eine weitere mögliche Inspirationsquelle derselben findet sich in der Berliner 71 72 73 74

Adriaen Brouwer: Dorfchirurg (Das Gefühl), zwischen 1625–1638, München, Alte Pinakothek OG Kabinett 11, Inventarnr. 581. Ders., Raucherszene (Der Geschmack), zwischen 1625–1638, Ebd., Inventarnr. 626. Ders., Zwei rauchende Bauern am Kamin (auch bekannt als: der Geruch), zwischen 1625–1638, Ebd., Inventarnr. 2095. Glasmeier 2000, S. 156.

2. Beckett und die Alten Meister

Gemäldegalerie in Kabinett 31 mit Giovanni Girolamo Savoldos Die Venezianerin (um 1535), welche Beckett bemerkenswerterweise folgendermaßen beschrieb: »Practically a repetition of the Savoldo Magdalene in London, the same lovely pearl–yellow cloak and hastening figure, only called here Venetian Woman«75

Abb. 9–11: Giovanni Girolamo Savoldo, Die Venezianerin (um 1535), Berliner Gemäldegalerie, Mary Magdalene (um 1535/40), London National Gallery, Saint Mary Magdalene at the Sepulchre, (1530er Jahre), Getty Center, Los Angeles/USA.

Bildquelle Abb. 9: Giovanni Girolamo Savoldo: Die Venezianerin (um 1535), Öl auf Leinwand, 92 x 73 cm, SMB, Preußischer Kulturbesitz, Berliner Gemäldegalerie, Kat. Nr. 307, Foto von Jörg P. Anders, in: Tophoven 2005, S. 65. Bildquelle Abb. 10: Ders., Mary Magdalene (um 1535/40), Öl auf Leinwand, 89,1 x 82,4 cm, London National Gallery, Magazin, Inventarnr. NG 1031, online abrufbar unter: https://www.nationalgallery.org.u k/paintings/giovanni-girolamo-savoldo-mary-magdalene; letzter Abruf am 15.12.2019. Bildquelle Abb. 11: Ders., Saint Mary Magdalene at the Sepulchre, (1530iger Jahre), Öl auf Leinwand, 92,7 x 79,4 cm, Getty Center, Museum North Pavilion, Gallery N205, Los Angeles/USA, von 1928–1968 im Besitz von CharlesGuyFulkeGreville,seventhearlofWarwi ck, 1911–1984 (Warwick Castle, Warwickshire, England) [sold, Warwick sale, Christie’s, London, June 21, 1968, lot 71, to Hallesborough.], siehe hierzu: Art Treasures of Warwickshire Exhibition (Leamington, 1948), online abrufbar unter: http://www.getty.edu/ art/collection/objects/105912/giovanni-girolamo-savoldo-saint-mary-magdalene-at-thesepulchre-italian-about-1530s/; letzter Abruf am 15.12.2019.

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S. B. an Tom McGreevy, am 18.01.1937, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume I: 1929–1940, S. 429. [Becketts Herv.]

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Die Figuren für sein Fernsehspiel wünschte sich Beckett ›in leuchtenden Umhängen‹, wie er seinem Kameramann Jim Lewis in einem Brief schrieb: »[...] make do with constant neutral light on maximally luminous figures. […] The problem then would be how to get the costumes to shine. Light perhaps no longer from above but circumambient.«76 Nicht nur trägt eine der vier Figuren in Quadrat I einen gelben, leuchtenden Umhang, sondern zudem tragen in Quadrat II alle vier einen grauen, schimmernden Umhang, 77 wie ihn wiederum die Londoner Mary Magdalene von Savoldo trägt. Dass Beckett die verschiedenen Magdalenen–Darstellungen von Savoldo kannte und sehr schätzte, zeigt einmal mehr sein Tagebucheintrag: »Ein ausgezeichneter Savoldo Venezianerin, eine andere und bessere Version der Londoner Magdalena; wunderbare perlgraue Mantille, die in dem anderen Bild hier, einer Beweinung, offenbar von der Magdalena getragen wird! Eine andere Version des Londoner Bildes, früher in der Fenaroli Sammlung in Brescia, in der Giovanelli Sammlung in Venedig. Und eine Kopie des Berliner Bildes, Ladovico Carracci zugeschrieben, in Warwick Castle. Auf der Beweinung Johannes und Magdalena lovely.«78 Darüber hinaus setzt sich die Gemeinsamkeit auch in der hastenden Art der Bewegung fort, die in beiden Teilen des Fernsehspiels auffällig ist. Weniger wichtig ist hier die Frage, ob Brouwer oder Savoldo als Vorbilder dienten, sondern vielmehr, dass sie beide etwas gemeinsam zu haben scheinen, was sich erst offenbart, wenn man Becketts Spuren folgt. Weiß man um diese vielfältigen Bezüge, lädt es die Fernseharbeiten nicht nur mit einem weit in die Vergangenheit zeigenden Zeitstrahl auf, sondern verweist durch die universalen formalen Bezüge auf etwas Dahinterliegendes.

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S. B. an Jim Lewis, am 15.05.1981. Historisches Archiv des SDR Stuttgart, SWR: Bestand SDR 29/648. Auch nachzulesen, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 551. [Meine Herv.] Quadrat II wurde nicht nur schwarz–weiß gedreht, sondern es wurden zudem auch die farbigen gegen graue Umhänge ausgetauscht. Sinngemäß nach Konrad Körte: »Wie es war. Samuel Beckett inszeniert Quadrat I und Quadrat II in Stuttgart«, in: Gaby Hartel/ Michael Glasmeier (Hrsg.): The Eye of Prey: Becketts Fernseh–, Film– und Videoarbeiten, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2010, S. 299. Tophoven 2005, S. 45.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

3.1

Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929): erste ästhetische Prinzipien

Bereits der Titel Dante...Bruno.Vico..Joyce dieser Auftragsarbeit über James Joyce’ Work in Progress (später Finnegans Wake) fügt den Auftraggeber Joyce in ein zeitlich groß angelegtes literarisches Ganzes ein. Allein durch die formale Darstellung des Titels stellt Beckett hier die zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhänge – auf spielerische Weise – dar: Anhand der Geburtsjahre der angeführten Autoren Dante Alighieri (1265–1321), Giordano Bruno (1548–1600), Giambattista1 Vico (1668–1744) und James Joyce (1882–1941) wird deutlich, dass jeder Punkt einen Zeitraum von ungefähr einem Jahrhundert darstellt und sich somit insgesamt ein zeitlicher Rahmen von ungefähr 600 Jahren ergibt. Neben dem großen Zeitumfang wird durch die Auflistung der bekannten und zu ihrer Zeit zuweilen nicht unumstrittenen Namen gleich im Titel verdeutlicht, in welchem gedanklichen Zusammenhang der Verfasser den zu beschreibenden Autor sieht. Hierbei beansprucht Beckett aber für sich als Verfasser des Aufsatzes größtmögliche Freiheit, indem er gleich in seiner Einleitung feststellt: »Literary criticism is not book–keeping«2 . Um dann auf den ersten drei Seiten in ebenso zielstrebiger wie wissenschaftlich waghalsiger Weise Joyce in besagten größeren historischen Bogen einzuordnen, indem er Bezüge zwischen Bruno und Vico und dann vor allem zwischen Vico und Joyce skizziert. Erst im letzten Drittel des Essays stellt Beckett dann konkrete Bezüge zwischen Dante und Joyce her. 1 2

Beziehungsweise auch Giovanni Battista Vico. Samuel Beckett: Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), in: Ders.: Disjecta. Miscellaneous Writings and a Dramatic Fragment. Edited by Ruby Cohn, New York: Grove Press 1984, S. 19.

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Trotz der sich hier ankündigenden methodisch–großzügig angelegten Einbettung von Joyce’ Werk gleicht der Aufsatz beim Lesen des ersten Drittels mehr einer Erörterung Vicos Hauptwerk Scienza nuova3 , in welcher der Versuch unternommen wird, dieses überhaupt erst einmal analytisch zu begreifen. Wofür ihm Benedettos Croce’ La Filosofia di Giambattista Vico4 als wissenschaftlicher Bezug dient. Diese anfängliche Analysearbeit erscheint wie eine Absicherung für den Verfasser, denn Beckett ist in vielerlei Hinsicht noch Anfänger auf den Gebieten, die er sich vorgenommen hat. Vicos (und Brunos) Schriften sind für ihn thematisches Neuland,5 was sich auch in seinem Schreibstil niederschlägt, der zwischen einer sprunghaft–pointierten Argumentation6 und lehrbuchartigen Ausführungen wechselt. Daran wird zudem deutlich, dass Beckett sich noch auf der Suche nach einer eigenen Haltung zu befinden scheint und dabei nicht nur seinem Auftrag gerecht werden, sondern auch den inhaltlichen Kern der Schriften ergründen will. Neben dieser biografischen Begründung für Becketts Fokussierung auf Vico ist rezeptionsgeschichtlich ergänzend zu bemerken, dass zum Zeitpunkt der Beschäftigung Becketts mit Vicos Scienza nuova keine umfangreiche zeitgenössische Forschungsliteratur vorliegt und er tatsächlich wissenschaftliches ›Neuland‹ betritt. 7

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Giovanni Battista Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Teilbände 1 und 2. Übersetzt von Vittorio Hösle und Christoph Jermann und mit Textverweisen von Christoph Jermann. Mit einer Einleitung (im Teilband 1) von Vittorio Hösle, Hamburg: Felix Meiner 1990. Benedetto Croce: La Filosofia di Giambattista Vico. Bari 1911. Beckett zitiert auch hier aus dem italienischen Original. [The Philosophy of Giambattista Vico. Übersetzt von R. G. Collingwood, London: H. Latimer 1913.] Vgl. hierzu Gesa Schubert: Die Kunst des Scheiterns. Die Entwicklung der kunsthistorischen Ideen Samuel Becketts, Berlin: Lit Verlag 2007, S. 25. Schubert bezeichnet den Aufsatz als »teilweise polemisch–aggressiv oder pointiert witzig und die Argumentation oft sprunghaft und mit dunklen Anspielungen durchsetzt. [...] Bair bezeichnet Becketts Sprache in Dante...Bruno.Vico..Joyce als ›gekünstelt, pedantisch und schwülstig.‹ (Bair 1994: 116/117)« Schubert 2007, S. 25f. Der Philosoph Daniel Strassberg ordnet Vico in seiner 2007 erschienenen Dissertationsschrift Das poietische Subjekt. Giambattista Vicos Wissenschaft vom Singulären sogar als »marginale Figur der Philosophiegeschichte« ein und sieht erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein erwachendes wissenschaftliches Interesse an dessen Schriften von Seiten der Sprachphilosophie, politischen Philosophie und Erkenntnistheorie, wobei er die neuere Sprachphilosophie noch einmal gesondert hervorhebt. Siehe: Strassberg 2007, S. 26ff.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

Was den prinzipiellen Aufbau seines Essays anbelangt, dient Vico Beckett als argumentative Grundlage. Hierfür ist es für ihn besonders entscheidend, Vico nicht als Mystiker, wie dies Croce tut8 , sondern als »innovator«9 , also »Neuerer«10 einzuführen. Das ermöglicht ihm, Vicos Lehrsatz über die zyklische Fortentwicklung der Gesellschaft wie auch seine Theorie zu den Ursprüngen der Sprache auf dessen »unbedingte Originalität seines Geistes«11 zurückzuführen und damit zu begründen, weshalb Vicos Resultate als etwas vollständig Neues auf seine Zeitgenossen wirken mussten und deshalb insgesamt als Traditionsbruch rezipiert wurden.12 Denn gerade diese beiden Aspekte – Originalität des Geistes und Traditionsbruch – dienen Beckett dazu, einen ersten Bezug zu Joyce’ Work in Progress zu konstruieren: »[...] it is in Book 2, described by himself [Vico] as ›tutto il corpo ... la chiave maestra . . . dell' opera‹, that appears the unqualified originality of his mind; here he evolved a theory of the origins of poetry and language, the significance of myth, and the nature of barbaric civilization that must have appeared nothing less than an impertinent outrage against tradition. These two aspects of Vico have their reverberations, their reapplications – without, however, receiving the faintest explicit illustration – in Work in Progress.«13 Beckett benutzt Vico also dazu, möglicher Kritik auf Joyce’ Werk vorzugreifen und diese zu entkräften. Gesa Schubert kommt in ihrer Dissertation Die Kunst des Scheiterns. Die Entwicklung der kunsthistorischen Ideen Samuel Becketts

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Benedetto Croce: »The Semi–imaginative Form of Knowledge (Myth and Religion)«, in: Ders.: The Philosophy of Giambattista Vico. Übersetzt aus dem Italienischen von R. G. Collingwood. Originaltitel: La Filosofia di Giambattista Vico (1911), New York: The Macmillan Company 1913, S. 62–72. Vgl. hierzu: Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 20. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 20. Dt. Ausgabe: Beckett: Dante...Bruno.Vico..Joyce, in: Ders.: Disjecta. Vermischte Schriften und ein szenisches Fragment. Hrsg. von Ruby Cohn. Aus dem Englischen und Französischen von Wolfgang Held und Erika und Elmar Tophoven, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 26. Dt. Ausgabe: Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), Berlin 2010, S. 27. Im englischen Original: »unqualified originality of his mind«. In: Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 20. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 20. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 20.

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von 2007 zum selben Schluss14 und weist später noch darauf hin, dass Suzette A. Henke Becketts Essay als »locus classicus«15 in der Joyce–Forschung einordnet, da dieser »den zukünftigen Kurs der Kritik vorweggenommen habe«.16 Der über die Rezeptionsgeschichte hergestellte Brückenschlag bringt Beckett zwei Zeilen später zu seiner ersten inhaltlichen Verbindung, indem er die Bedeutung des Donners als Ursprung aller Zivilisation bei Vico17 besonders hervorhebt: »It is first necessary to condense the thesis of Vico, the scientific historian. In the beginning was the thunder: the thunder set free Religion [...] Religion produced Society. [...] the cave becomes a city. [...]«18 Dieser im Text wie eine Randbemerkung erscheinende Gedanke ist meiner Meinung nach als Schlüsselsatz zu werten, der eine tragfähige Verbindung zwischen Vicos und Joyce’ Schreiben herstellt und diese tatsächlich in einem Satz ›kondensiert‹. Dies erschließt sich allerdings nur, wenn man Absatz 447 aus Vicos Schrift heranzieht, dort heißt es: »Zufolge des bereits Gesagten begann zu derselben Zeit, da sich der göttliche Charakter Jupiter bildete, der der erste aller menschlichen Gedanken des Heidentums war, sich gleichermaßen die artikulierte Sprache zu bilden, und zwar mittels der Onomatopöie, nach der wir noch jetzt die Kinder sich glücklich ausdrücken sehen. Und Jupiter selbst wurde von den Lateinern nach dem Krachen des Donners zunächst ›Ious‹ genannt; nach dem Zischen des Blitzes hieß er bei den Griechen Ζεύς nach dem Lärm, den das Feuer macht, wenn es brennt, muß er von den Orientalen ›Ur‹ genannt worden sein, woher ›Urim‹ kam, die Kraft des Feuers; nach eben diesem Ursprung muß bei den

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Vgl. Gesa Schubert: Die Kunst des Scheiterns. Die Entwicklung der kunsthistorischen Ideen Samuel Becketts, Berlin: Lit Verlag 2007, S. 26. Suzette Henke: »Exagmining Beckett & Company«, in: Janet Egleson Dunleavy (Hrsg.): Reviewing Classics of Joyce Criticism, Urbana (IL)/ Chicago: University of Illinois Press 1991, S. 65, hier zit. n. Schubert 2007, S. 29. Schubert 2007, S. 29. Giovanni Battista Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Teilband 2, Hamburg: Felix Meiner 1990, Absatz 447, S. 223f. [Meine Herv.] Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 20. [Meine Herv.]

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

Griechen der Himmel οὐρανός genannt worden sein und bei den Lateinern das Verb ›uro‹, ›brennen‹ [...].«19 Dieser Absatz ist ein Paradebeispiel dafür, wie Vico seine Suche nach dem Ursprung der Sprache exemplarisch aufbaut. Der Philosoph Daniel Strassberg sieht Vicos Rückgriff auf den Mythos als Möglichkeit, »das Zeichen nicht in seiner repräsentativen Funktion, sondern als wirkende Kraft zu verstehen.«20 Diesem Gedanken geht voraus, dass Vico »die Herkunft der Zeichen nicht mehr aus der natürlichen Mangelhaftigkeit des Menschen, sondern die Welt selbst von den Zeichen her versteht.«21 Um dies zu verdeutlichen, zieht Strassberg eine Idee Heideggers hinzu, die er bei Vico vorformuliert sieht: »Die Welt sei ›in semata geschrieben‹, schreibt Vico (SN 432) und nimmt damit Idee Heideggers voraus: ›Mit einem Wort wird vielerlei benannt: nicht nur verschiedene Arten von Zeichen, sondern das Zeichensein für [...] kann selbst zu einer universalen Beziehungsart formalisiert werden, so dass die Zeichenstruktur selbst einen ontologischen Leitfaden abgibt für eine ’Charakteristik’ alles Seienden überhaupt.‹« (Heidegger 1977:77)22 Folgt man dieser Idee, wird die von Vico beschriebene Entstehung des Wortes ›Donner‹ dadurch mehr als nur die Entstehung des Wortes, sondern sie erzählt durch die Formbildung auch den inhaltlichen, hier den anthropologischen Teil der Geschichte: die Form erzählt den Inhalt. Dass Beckett wiederum den gesamten Abschnitt Vicos auf die These »in the beginning was the thunder«23 verdichtet, zeigt, wie fundiert er arbeitet und wie geschickt er dabei Bezüge zu Joyce herstellt. Indem er Vicos These wortgetreu ›aus dem Donner heraus‹ entstehen lässt, verweist er gleichzeitig auf die herausragendsten und ungewöhnlichsten Passagen in Joyce’ Werk – die so genannten ›Thunders‹ (oder auch ›thunder words‹).

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Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, Hamburg 1990, S. 223f. Strassberg 2007, S. 157. Strassberg 2007, S. 156f. Strassberg 2007, S. 157. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 20.

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Ein Begriff, der von Marshall McLuhan und Quentin Fiore in ihrem 1968 veröffentlichten Band War and Peace in the Global Village24 eingeführt und durch die zentrale Position, die sie diesem zuordneten, auch gleichermaßen popularisiert wurde: »There are ten thunders in the Wake. Each is a cryptogram or codified explanation of the thundering and reverberating consequences of the major technological changes in all human history.«25 Der Bezug zwischen Joyce und Vico wird von McLuhan und Fiore nicht nur ebenfalls stark gemacht, sondern sogar als die ›Umsetzung‹ Vicos Theorie in Joyce’ Finnegans Wake gesehen.26 Und auch die aktuellere Joyce–Forschung bestätigt den Bezug zwischen Vico und Joyce, so zum Beispiel Alistair Cormack, der 2008 in seiner Monographie Yeats and Joyce. Cyclical History and the Reprobate Tradition,27 diesen anhand der ›thunder words‹ nachweist: »Bearing in mind the significance of the 'thunder words' scattered through Finnegans Wake, this is less incidental than it seems. In both the Wake and The New Science, it is thunder that inculcates fear of God and thus brings about the birth of language and culture; the individual fear Joyce notes is a residue from that prehistoric moment.«28

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Marshall McLuhan/Quentin Fiore: War and Peace in the Global Village: An Inventory of some of the Current Spastic Situations that could be Eliminated by more Feedforward. Produced by Jerome Agel, San Francisco: Hardwire 1968. Bereits 1964 finden sich in seinem bekanntesten Werk Understanding Media zahlreiche Bezüge zu Joyce’ Werk. Siehe hierfür bitte: Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle. Understanding Media. Aus dem Englischen von Meinrad Amann (1968). Herausgegeben von Gerti Fietzek und Michael Glasmeier, Dresden/Basel: Verlag der Kunst 1995, S. 59, 65, 93f., 191, 198, 250, 256, 264, 282, 295, 330, 403, 422, 427, 432, 448f., 457, 473. M. McLuhan/Fiore, War and Peace in the Global Village, San Francisco 1968, S. 4. »In the eighteenth century Giambattista Vico devoted his Scienza Nuova to his recovery of what he felt had been a lost science. Literate rationalistic man had relinquished the power of vision in order to manipulate matter, as it were. Vico is entirely concerned with the invisible environments that the biologist Bertalanffy today calls symbolism. James Joyce devoted his Finnegans Wake to implementing Vico.«, in: M. McLuhan/Fiore, War and Peace in the Global Village, San Francisco 1968, S. 59f. Alistair Cormack: Yeats and Joyce. Cyclical History and the Reprobate Tradition, Burlington (USA)/Hampshire (UK): Ashgate Publishing Limited 2008. Cormack 2008, S. 23.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

Bei den insgesamt zehn ›Thunders‹29 handelt es sich um Wortneuschöpfungen, die jeweils hundert Zeichen umfassen30 und in denen Joyce seine Portmanteaux– Methode auf die Spitze treibt. Die Namensgebung basiert auf dem ersten ›Thunder‹. Dieser wurde, ausgehend von dem englischen Wort, in vierzehn Sprachen31 , mit leichten Abänderungen der Originale, zu einem lautmalerischen Donner zusammengefügt: »bababadalgharaghtakamminarronnkonnbronntonnerronntuonnthunntrov arrhounawnskawntoohoohoordenenthurnuk«32 Gesondert herauszuheben ist das Versatzstück ›bronnton‹, da es auf das lateinische Wort ›Bronton‹ zurückführbar ist, was wiederum mit ›dem Donnernden‹ übersetzt wird und ein Epitheton zu Zeus darstellt. Auf diese Weise wird der Bezug zu Vico buchstäblich: Mit künstlerischen Mitteln verarbeitet Joyce Vicos weiter oben zitierte These des Zusammenhangs von Götternamen und deren alltagssprachlicher Eingliederung in seinem eigenen Werk. Diesen ›modus operandi‹ wiederholt Beckett wiederum in seinem Aufsatz. An diesem Beispiel lässt sich neben den dargelegten inhaltlichen Bezügen der Künstler auch gut nachvollziehen, wie codiert Beckett zuweilen vorgeht und was für eine große Vorkenntnis er bei seiner Leserschaft voraussetzt beziehungsweise für gegeben annimmt. Beckett stellt hier nicht nur einen Bezug zu Joyce her, sondern er legitimiert sich zudem die Möglichkeit, zunächst ganz in die Lektüre Vicos ein29

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James Joyce: Finnegans Wake, in: Ders.: Finnegans Wehg. Übersetzt von Dieter H. Stündel, mit dem englischen Originaltext inklusive originalen Seitenzahlen auf der linken Seite, Frankfurt am Main: Zweitausendeins 2009, S. 3, 23, 44, 90, 113, 257, 314, 332, 414, 424. Ausgenommen ist hierbei nur das 10. Thunderword, welches 101 Zeichen umfasst. Aufgeführt in Leserichtung: gharag = karak (Hindi), arag = orage (Französisch), rag = raad (Arabisch), kamminaro = kaminari (Japanisch), bronnto = bronte (Griechisch), bronnton = Brontôn/ Bronton (Griechisch/Lateinisch), ton = tono (Lateinisch), tonner = tonnerre/tonare/Donner (Französisch/Lateinisch/Deutsch), tuonn = tuono (Italienisch), thunntr = thunder (Englisch), trova = trovao (Portugiesisch), awnska = äska (Schwedisch), skawn = scan (Gälisch), hoordenen = tordenen, (Dänisch), orden = torden (Dänisch/Norwegisch), thurnuk = tornach (Gälisch). Die detaillierte Zusammensetzung aller Silben lässt sich bei Eric McLuhan anhand einer 6–seitigen Tabelle nachvollziehen. Siehe hierzu: Eric McLuhan: The Role of Thunder in Finnegans Wake. (Erstausgabe 1997), Toronto: University of Toronto Press 2016, S. 49–55. Joyce, Finnegans Wake, Frankfurt am Main 2009, S. 3. [Meine Herv.]

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zusteigen, um so ganz generell über den Ursprung und die Entwicklung von Sprache und Schrift nachzudenken.33 Wobei er sich hierbei wohl stärker von Croces Schrift über Vico leiten ließ als von Vicos Schrift selbst, wie Matthew Feldman fundiert herausgearbeitet hat.34 Dieses Beispiel zeigt, dass Beckett seine einführende Bemerkung: »Literary criticism is not book–keeping«35 auch als Absicherung eingebaut hatte, um sich weniger an Zitaten aufzuhalten, als vielmehr mit für ihn neuen Ideen auseinanderzusetzen. Becketts eigentliche Faszination an Vico ist dessen Installation von Poesie als Ursprung der Sprache: »Poetry, he [Vico] says, was born of curiosity, daughter of ignorance. The first men had to create matter by the force of their imagination, and ›poet‹ means ›creator‹. Poetry was the first operation of the human mind, and without it thought could not exist. [...] Poets are the sense, philosophers the intelligence of humanity. Considering the Scholastics' axiom: › niente è nell'intelletto che prima non sia nel senso‹ it follows that poetry is a prime condition of philosophy and civilization. The primitive animistic movement was a manifestation of the ›forma poetica dello spirito‹.«36 Beckett schließt sich der These Vicos an, die Friedrich Kittler in seiner Vorlesungsabschrift über Vicos Scienza nuova als eine »grundstürzende Entdeckung«37 herausarbeitet, und beginnt so seinen zentralsten Punkt in Bezug auf Joyce’ Werk einzuleiten: die untrennbare Kopplung von Form und Inhalt. Eine Schlussfolgerung, die Beckett anhand von Vico über Joyce zwei Seiten später direkt an seine Leserschaft richtet: »Here form is content, content is form. You complain that this stuff is not written in English. It is not written at all. It is not to be read – or rather it is not only to be read. It is to be looked at and listened to. […] When the sense is sleep, the words go to sleep. When the sense is dancing, the words dance.«38

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Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 24. Matthew Feldman: »›I am not a philosopher‹ Beckett and Philosophy: A Methodological and Thematic Overview«, in: Ders./Karim Madani (Hrsg.): Beckett/Philosophy, Stuttgart: ibidem–Verlag 2015, S. 46f. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 19. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 24. Friedrich Kittler: Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, München: Fink 2000, S. 34f. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 27.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

Dass Beckett hier poetisch anklingende Worte wählt, deutet darauf hin, dass er diese Aussage auch auf sein eigenes Schaffen übertrug und Wert auf die Form legte, durch die seine Ideen transportiert werden sollten. Durch die direkte Ansprache der Leserschaft evoziert er eine Rezeptionsveränderung39 und stellt im Anschluss die für ihn zentrale Frage: »How can we qualify this general esthetic vigilance without which we cannot hope to snare the sense which is for ever rising to the surface of the form and become form itself?«40 Beckett zielt hierbei auf eine Öffnung der Rezeption, die er mit dem Begriff »apprehension«41 am besten gefasst sieht und am Beispiel von Work in Progress präzisiert: »There is one point to make clear: the Beauty [sic] of Work in Progress is not presented in space alone, since its adequate apprehension depends as much on its visibility as on its audibility. There is a temporal as well as a spatial unity to be apprehended. [...] Mr Joyce has desophisticated language. And it is worth while remarking that no language is so sophisticated as English. It is abstracted to death.«42 Es geht hier also um die Öffnung der Rezeption auf alle Sinne, in der »es gilt nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine räumliche Einheit zu erfassen«43 . Beckett stellt hier auch die Frage über die Hinlänglichkeit von Sprache und Schrift und entwickelt eine Antwort, die in einem Vergleich zwischen Dante und Joyce mündet, der zeigt, dass beide gesehen hätten, wie »worn out and threadbare«44 die konventionelle Sprache war und sich beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise, einer »synthetic language«45 zuwandten: Joyce als »biologist in words«46 und Dante durch die Schaffung einer Art neuen ›Volkssprache‹.47

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Vgl. hierzu auch Schubert 2007, S. 28f. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 27. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 28 Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 28. Dt. Ausgabe: Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), Berlin 2010, S. 39. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 30. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 31. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 31. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 30.

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Als Zwischenergebnis lässt sich hier festhalten, dass Sprache im besten Fall Sinn erzeugende Form ist und eben nicht nur aus Wörtern besteht, »die als dienstbereite Symbole behandelt werden«48 . Diese Form muss immer wieder neu erfunden werden, um ihren Sinn nicht zu verlieren. Dass Beckett sich selbst in diesen Kreis mit einschloss und er die konventionelle Sprache und Schrift in Frage stellte, wird 1937 in einem Brief an seinem damaligen Lektor Axel Kaun deutlich, in dem er schreibt, dass es ihm immer »schwieriger« und »sinnloser« werde, »ein offizielles Englisch« zu schreiben.49 Dabei erschienen ihm Grammatik und Stil so »hinfällig geworden zu sein wie ein Biedermeier Badeanzug«.50 Dies führte ihn zu dem Schluss, dass es nun umso wichtiger sei, ein »Loch nach dem andern in [die Sprache] zu bohren, bis das Dahinterkauernde, sei es etwas oder nichts, durchzusickern [beginne].«51 Aber worin lag ›das Dahinterkauernde‹ für Beckett in Joyce’ Work in Progress? Ein Werk, welches in der Literaturwissenschaft bis heute eine Diskussion entfacht, ob es überhaupt eine Geschichte erzählt oder nicht.52 Beckett umgeht diese Fragestellung gänzlich und erschließt den Inhalt, in dem er die experimentelle Struktur des Textes als Innovation zum Zentrum der Aussage werden lässt und mit Aspekten aus Dante, Brunos und Vicos Schriften auflädt und bestätigt. Die Lektüre von Giordano Brunos Werk scheint vordergründig nur eine geringfügige Rolle gespielt zu haben. Ein Punkt, der von Joyce im Nachhinein auch bemängelt wurde.53 Dabei dient Brunos Prinzip der coincidentia oppositorum – der Aufhebung der irdischen Gegensätze im Unendlichen – Beckett als elementares Bindeglied. Dieser schreibt über Bruno: »There is no difference, says Bruno, between the smallest possible chord and the smallest possible arc, no difference between the infinite circle and the straight line. The maxima and minima of particular contraries are one and indifferent. Minimal heat equals minimal cold. Consequently transmutations are circular. The principle (minimum) of one contrary takes its movement from the

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Zitiert nach der deutschen Ausgabe: Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), Berlin 2010, S. 39; im Englischen Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 28. Beckett, German Letter of 1937, New York 1984, S. 52. Beckett, German Letter of 1937, New York 1984, S. 53. Beckett, German Letter of 1937, New York 1984, S. 53. Catrin Siedenbiedel: »Metafiktion in Finnegans Wake: Das Weibliche als Prinzip selbstreflexiven Erzählens bei James Joyce«, in: Text & Theorie 4, Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. Knowlson 1996, S. 100.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

principle (maximum) of one another. Therefore not only do the minima coincide with the minima, the maxima with the maxima, but the minima with the maxima in the succession of transmutations. Maximal speed is a state of rest.«54 Beckett bleibt hier nahe an Brunos Argumentation in dessen Text mit dem deutschen Titel Über die Ursache55 und greift dessen geometrische Demonstration auf, mit welcher dieser die Einheit von Sein und Denken nachzuweisen versuchte.56 Durch das Prinzip, dass Transmutationen kreisförmig zu denken sind, sieht Beckett eine Verbindung zu Vicos Idee der Zyklizität der Gesellschaft, die er als eine Anwendung von Brunos Theorie benennt,57 und diese Entdeckung acht Seiten später selbst anwendend in seine Erklärungen über Vico einfließen lässt: »This inner elemental vitality and corruption of expression imparts a furious restlessness to the form, which is admirably suited to the purgatorial aspect of the work. There is an endless verbal germination, maturation, putrefaction, the cyclic dynamism of the intermediate.«58 Durch diese ›zyklische Dynamik des Zwischenstadiums‹ ergibt sich zum einen eine Brücke zwischen allen vier Titelgebern,59 und zudem eröffnet er sich hier einen weiteren Zugriff auf Joyce, in dem er das Purgatorium aus Dantes Divina Commedia anbringt und im letzten Drittel seines Essays einen Abgleich vornimmt, indem er resümiert: »In what sense, then, is Mr Joyce's work purgatorial? In the absolute absence of the Absolute. Hell is the static lifelessness of unrelieved viciousness. Paradise the static lifelessness of unrelieved immaculation. Purgatory a flood of

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Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 21. [Meine Herv.] Vgl. Anne Eusterschulte: Giordano Bruno. Eine Einführung, Wiesbaden: Panorama 1995, S. 29–45. Ausführlich nachzulesen bei Eusterschulte 1995, S. 45. Siehe hierzu: Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 21. Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 29. [Meine Herv.] Vgl. hierzu auch Schubert 2007, S. 29: »Joyce, so Beckett, habe seine Vorstellung des Purgatoriums in Anknüpfung an Dante und auf der Grundlage der zyklischen Geschichtsauffassung von Vico sowie dessen Vorstellung einer immanenten Vorsehung entwickelt. Er weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, daß jene wiederum auf das von Giordano Bruno formulierte Konzept des Zusammenfallens aller äußersten Gegensätze zurückgeht.«

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movement and vitality released by the conjunction of these two elements. There is a continuous purgatorial process at work, in the sense that the vicious circle of humanity is being achieved, and this achievement depends on the recurrent predomination of one of two broad qualities. No resistance, no eruption, and it is only in Hell and Paradise that there are no eruptions, that there can be none, need be none. On this earth that is Purgatory, Vice and Virtue — which you may take to mean any pair of large contrary human factors — must in turn be purged down to spirits of rebelliousness. Then the dominant crust of the Vicious or Virtuous sets, resistance is provided, the explosion duly takes place and the machine proceeds. And no more than this; neither prize nor penalty; simply a series of stimulants to enable the kitten to catch its tail. And the partially purgatorial agent? The partially purged.« 60 Beckett setzt diesen Teil als Essenz an den Schluss seines Essays und offenbart eine allgemein auf Dante bezogene Theorie, die sich der Form des »Purgatoriums als Weltmodell«61 bedient. Eine Welt, in der »die Menschheit«, wie Schubert es treffend in ihrem Kapitel zusammenfasst: »sich in einem permanenten Zwischenstadium [befindet], in einem Zustand ohne metaphysische Anbindung und Gewißheit. Läuterung wird dabei nicht von einer übergeordneten (göttlichen) Instanz bestimmt, sondern findet als partielle und flüchtige, niemals absolute und dauerhafte Läuterung statt.«62 In dieser schlüssigen Lesweise wird deutlich, dass Beckett hier elementare Aspekte, besonders die theologischen Prämissen von ›Sünde und Tugendhaftigkeit aus Dante’s Purgatorium–Modell ausschließt, was auch Daniela Caselli in ihrer Monografie Beckett‘s Dante 63 explizit herausstellt und als Bedingung hervorhebt.64 Caselli kommt zu dem Schluss, dass sich Beckett vor allem der zyklischen Struktur Dante’s bedient: 60 61 62 63

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Beckett, Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929), New York 1984, S. 33. [Meine Herv.] Schubert 2007, S. 29. Schubert 2007, S. 30. »The works of Joyce can be seen as purgatorial only if Dante's Purgatorio is purged of vice and virtue, punishment and reward, culmination, the Absolute, and unidirectional movement. In other words, only by openly abandoning the theological and teleological structure of Dante's voyage, the necessity of a linear progression and of an identity between ethical religious, and literary enterprises, can Joyce's sphere hope to fit Dante's cone.« in: Daniela Caselli: Dante and Beckett. Intertextuality in the Fiction and Criticism, New York/Manchester: Manchester University Press 2005. Caselli 2005, S. 20.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

»Joyce's and Dante's Purgatories are similar because both move; in Joyce, however, the movement has lost its redemptive guarantee, its fixed structure, its character of space–in–between. It has become a sphere, a vicious circle in which a step forward is a step back, thus collapsing in Bruno's theory of ›identified contraries‹. Joyce's Purgatory metamorphoses into ›this earth‹, through a process that makes the Danteian structure a place in which ›eruptions‹ are ›simply a series of stimulants‹ necessary for the machine to proceed.«65 Die Ähnlichkeit zwischen Dantes und Joyce’ Purgatorium liegt also vor allem in der Form, die von Brunos Theorem getragen, einen Circulus vitiosus darstellt, aus dem es kein Fortkommen, sondern nur noch die fortwährende Bewegung gibt, die das System unendlich initiiert und dadurch unendlich andauern lässt. Ein Denkmodell, das Beckett in vielerlei und sehr unterschiedlicher Weise für seine Texte adaptierte und neu gestaltete, wie Caselli für Becketts schriftstellerisches Werk feststellt,66 und welches sich auch in Becketts Arbeiten für Film und Fernsehen wiederfindet, wie besonders im Kapitel 7 ›Zeit–Raum‹ gezeigt werden wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Beckett, in dem er Joyce Work in Progress über die Form erklärt, seinen Auftrag dazu nutzte, eigene künstlerische Interessen zu offenbaren, in dem er vor allem ausschweifend über den Ursprung der Sprache und die Sinnhaftigkeit der Schrift nachdenkt. Gaby Hartel und Michael Glasmeier konstituieren den Essay in ihrem gemeinsamen Einführungstext des Sammelbandes The Eye of Prey. Becketts Film–, Fernseh–, und Videoarbeiten gar als frühe Richtungsfestlegung Becketts.67 Und auch Andrea Oppo konstatiert, dass Becketts Essay als »certainly the philosophical aesthetic starting point of all Beckett’s research«68 zu betrachten ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese frühe Schrift Becketts nicht als kunsttheoretische Schrift zu verstehen ist, in der Beckett seine künstlerische Ästhetik festlegt, sondern vielmehr als Zeugnis einer hier entstehenden künstlerischen Haltung des Verfassers.

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Caselli 2005, S. 21. Caselli 2005, S. 201–204. Hartel/Glasmeier 2011, S. 22f. Andrea Oppo: Philosophical Aesthetics and Samuel Beckett, Bern: Peter Lang 2008, S. 40.

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3.2

Proust Essay (1931): Fortführung erster ästhetischer Prinzipien

Nur vier Jahre nach der Publikation des letzten Bandes Le Temps retrouvé von Marcel Prousts À la recherche du temps perdu69 erschien 1931 Becketts zweiundsiebzig Seiten umfassender Proust – Essay 70 im Londoner Chatto and Windus Verlag71 . Der vierundzwanzigjährige Verfasser weist bereits in einem kurzen Vorwort darauf hin, dass es sich hier um ein Buch handelt, dass sich nicht mit »the legendary life and death of Marcel Proust«72 beschäftigt, »nor to the garrulous old dowager of the Letters, nor to the poet, nor to the author of the Essays, nor to the Eau de Selzian correlative of Carlyle’s ›beautiful bottle of soda–water‹.«73 Dieser kurze Abschnitt versucht, wenn auch durch sarkastische Ausgrenzungen, den sehr vagen Titel etwas zu präzisieren. Der polemische Tonfall aus seinem ersten publizierten Aufsatz Dante...Bruno.Vico..Joyce ist zwar zu einem eingestreuten sarkastischen abgeschwächt, jedoch reizt der Verfasser auch hier die a priori analytisch reduzierte Textform des Essays weit möglichst aus: So sind zum Beispiel indirekte und wörtliche Zitationen aus Primär– wie Sekundärliteratur nicht als solche ausgewiesen und mit entsprechender Quelle versehen, die insgesamt sieben Abschnitte sind nur optisch voneinander getrennt und es wird kein Unterschied zwischen dem Erzähler und dem Protagonisten Marcel, noch dem Verfasser (Marcel Proust) vorgenommen. Die intensive Beschäftigung mit Prousts Werk wird vor allem an den zahlreichen Textbeispielen deutlich, mit Hilfe derer Beckett seine Thesen und Beobachtungen zu belegen sucht. Der Aufbau des Essays wirkt anfänglich strukturiert und die im einleitenden Teil erwähnte »Proustian equation«74 69

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Von nun abgekürzt als Recherche. Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Deutsch von Eva Rechel–Mertens, 1. Auflage, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1953, 1954 (1. Auflage Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch 2000). Beckett: Proust, London: Chatto and Windus 1931. Weitere Ausgaben: Ders.: Proust, New York: Grove Press 1957; und ders.: Three Dialogues. Samuel Beckett & Georges Duthuit, London: John Calder 1963. Der Verlag Chatto and Windus publizierte 1922 die erste englische Übersetzung von Marcel Prousts Á la recherche du temps perdu. Beckett: Proust, New York: Grove Press 1978 (1. Aufl. 1957), o. S. Beckett, Proust (1931), New York 1978, o. S. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 1.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

wird anhand der zugeteilten Motive »habit«75 und »memory«76 in den zwei folgenden Abschnitten verhandelt. Die Struktur erweist sich jedoch durch unterbrochene Argumentationslinien und ausufernde Beispiele als zunehmend fragmentarisch und assoziativ. Gesa Schubert geht ausführlich auf die Inkohärenz des Essays ein,77 die für die Zielsetzung dieses Kapitels nur insofern einer Wiederholung bedarf, als dass sie Becketts Proust Lektüre zusammenfasst als eine »zum Teil sehr eigenwillige und subjektive Interpretation [...], deren Kriterien nicht immer transparent sind«78 . Bereits im einführenden ersten Abschnitt des Essays wird der subjektive Interpretationsansatz offensichtlich und damit wahrscheinlich, dass Beckett auch hier eigentlich eine eigene Agenda verfolgt, die eine analytische Ebene weit überschreitet. Die Recherche–Lektüre dient ihm dabei als Grundlage, um Gedankengänge zu entwickeln, welche in großen Teilen direkt auf Arthur Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung (1819)79 und in sinnentsprechender Weise auf Henri Bergsons Schrift Sur les données immédiates de la conscience (1889)80 zurückführbar sind. Die Bezüge sind allerdings nicht willkürlich gewählt, sondern beide Philosophen hatten mit ihren Schriften nachweislich Einfluss auf Prousts Recherche.81 Ersteren hat Beckett zur Entstehungszeit des Essays nachweislich gelesen82 und er nennt diesen mehrfach nicht nur namentlich, sondern setzt

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Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 7. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 7. Hierzu fasst sie auch Stimmen der bereits umfangreichen Forschungsliteratur zusammen, nachzulesen bei Schubert 2007, S. 44–47. Schubert 2007, S. 45. Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, in: Ders.: Sämtliche Werke I. Textkritisch bearbeitet und hrsg. von Wolfgang Frhr. von Löhneysen, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2017. Hier zitiert aus der deutschen Übersetzung: Henri Bergson: Zeit und Freiheit, Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt 2012. Beckett gilt als einer der ersten, die Schopenhauers Einfluss auf Prousts Werk erkannt haben. Bergsons Einfluss auf Proust gilt seit 1934 nachgewiesen. Siehe hierzu: Kurt Jaeckel: Bergson und Proust – eine Untersuchung über die weltanschaulichen Grundlagen von ›À la recherche du temps perdu‹, Breslau: Priebatsch 1934. S. B. an MacGreevy, 18.–25.07.1930: »I am reading Schopenhauer. Everyone laughs at that. Beaufret & Alfy etc. But I am not reading philosophy, nor caring whether he is right or wrong or a good or worthless metaphysician. An intellectual justification of unhappiness – the greatest that has ever been attempted – is worth the examination of one who is interested in Leopardi & Proust rather than in Carducci & Barrès.«, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume I: 1929–1940, S. 33.

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diesen auch in direkten Bezug zu Proust.83 Bergsons Schriften waren ihm bekannt und er war sich über dessen Wirkung auf Prousts Werk durchaus bewusst, jedoch erwähnt er diesen nicht explizit.84 Im Zusammenhang mit Schopenhauer geht Ulrich Pothast in seiner Monographie Die eigentliche metaphysische Tätigkeit. Über Schopenhauers Ästhetik und ihre Anwendung durch Samuel Beckett von 1989 soweit, dessen Einfluss direkt auf Becketts Schopenhauer Lektüre zurückzuführen und nicht als eine »von Proust selbst übernommene Kombination von Theorie–Stücken«.85 Er erläutert dessen größtenteils unmarkierte Übernahme von Schopenhauers Theorie anhand von zehn Beispielen.86 Auch in Schuberts Analyse sieht Beckett »die Welt, wie sie bei Proust normalerweise wahrgenommen wird, als Pendant zu Schopenhauers Welt als Erscheinung«.87 Laut Schubert argumentiert dieser »im Zuge eines radikaleren und umfassenderen Antirationalismus [...] weniger differenziert als Schopenhauer«.88 Des Weiteren macht sie richtigerweise darauf aufmerksam, dass Pothast (wie auch Nicholas Zurbrugg89 ) »die starke und radikale Polarisierung zwischen Lebenspraxis einerseits und Kunst andererseits zu entgehen«90 scheint.

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»The influence of Schopenhauer on this aspect of the Proustian demonstration is unquestionable. Schopenhauer rejects the Leibnitzian view of music as ' occult arithmetic,' and in his aesthetics separates it from the other arts, which can only produce the Idea with its concomitant phenomena, whereas music is the Idea itself, unaware of the world of phenomena, existing - ideally outside the universe, apprehended not in Space but in Time only, and consequently untouched by the teleological hypothesis.« Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 70f. Zudem ließ Proust sich in seiner Recherche nachweisbar von Henri Bergsons Konzeptionen zur Erinnerung und Zeitlichkeit beeinflussen. Dies wurde zur Entstehungszeit des Essays bereits diskutiert und mag Beckett zu dem Vorhaben inspiriert haben, dem Essay noch einen Vergleich zwischen Prousts und Bergsons »intuitivism« anzuhängen, was er letztlich aber wieder verwarf. S. B. an Mr. Prentice (Verleger Chatto and Windus): »I would like to develop the parallel with Dostoievski and separate Proust’s intuitivism from Bergson’s.« The Letters of Samuel Beckett, Volume I: 1929–1940, S. 52. S. B. an Mr. Prentice, am 03.12.1930: »[...] I have added nothing to Proust.«, in: Ebd., S. 57. Ulrich Pothast: Die eigentliche metaphysische Tätigkeit. Über Schopenhauers Ästhetik und ihre Anwendung durch Samuel Beckett, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 177. Pothast 1989, S. 178–183. Schubert 2007, S. 64. Schubert 2007, S. 60. Nicholas Zurbrugg: Beckett and Proust. Gerrards Cross, Bucks: Smythe 1988, S. 112. Schubert 2007, S. 60.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

An diesem wie auch vorangestellten Beispielen wird deutlich, dass Beckett vergleichbar subjektivistisch mit Schopenhauer und Proust vorging wie schon zuvor mit Vico im Zusammenhang mit Joyce.91 Die Proust Lektüre wird zur motivgebenden Quelle und im eigentlichen Zentrum steht die Beschäftigung mit in diesem Fall ästhetischen Schriften, welche er sich in Teilen zu eigen macht. Der Bezug zu Bergson hingegen ist weniger vordergründig und nach Stanley Gontarskis Einschätzung als »Bergsonian spirit«92 in Becketts Arbeit wiederzufinden. Zu einer ähnlichen Beurteilung gelangt auch Manfred Milz, der von einer »mittelbaren Begegnung mit [dem] Gedankengut Bergsons«93 spricht. Milz kommt nach Auswertung der hierzu bestehenden Sekundärliteratur zu dem überzeugenden Schluss, dass auf »eine Synthetisierung beider intuitionistischer Ansätze geschlossen werden«94 kann und dass der generelle Einfluss auf Becketts Arbeiten selten so offen zutage tritt wie im Proust Essay.95 Offensichtlich verfolgt Beckett seine in Dante...Bruno.Vico..Joyce entwickelten ästhetischen Theorieansätze zu Form und Inhalt nicht nur weiter, sondern vertieft diese anhand der hinzugezogenen Literatur. Von dieser Warte aus gesehen ist es minder überraschend, dass weniger eine grundständige Analyse des Proustschen Werkes (wie der Titel und das Vorwort des Buches vermuten lassen) im Zentrum der Überlegungen des Essays steht, als vielmehr eine Erweiterung seiner ersten ästhetischen Ansätze, die sich auf grundsätzliche Überlegungen über die Zeit konzentrieren und die von den für das Individuum hieraus resultierenden stetig wechselnden Perspektiven getragen werden. Was Beckett auch schlüssig gleich mit der

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Wie im vorherigen Kapitel 3.1 zu Dante...Bruno.Vico..Joyce beschrieben wurde. Stanley Gontarski: »›What it is to have been‹: Bergson and Beckett on Movement, Multiplicity and Representation«, in: Journal of Modern Literature, Vol. 34, No. 2 (Winter 2011), S. 65–75; online unter: http://www.jstor.org/stable/10.2979/jmodelite.34.2.65, S. 74; letzter Abruf am 25.06.2018. Er führt dort aus, dass Beckett zum Beispiel 1930 am Trinity College eine Vorlesung zur Zeitkonzeption und Sprachauffassung von Bergson, Proust und Gide gegeben habe, in der er eine Differenzierung zwischen der statischen und dynamischen Figuration vornimmt. In: Manfred Milz: Samuel Beckett und Alberto Giacometti: Das Innere als Oberfläche. Ein ästhetischer Dialog im Zeichen schöpferischer Entwicklungsprozesse, Würzburg: Königshausen und Neumann 2006, S. 258f. Milz 2006, S. 259. Milz 2006, S. 36.

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Forderung nach der Erforschung der Zeit als »double–headed monster«96 an den Anfang seiner Schrift setzt, um dann auf ein vielgeteiltes, prozesshaftes Subjekt zu schließen, welches in Relation zu »Proust’s ›perspectivism‹«97 deutlich werde. Seine Argumentation fußt dabei auf den Schlussworten des Proustschen Erzählers, die er als Standpunkt Prousts deklariert und aus welchen er folgert: »Proust’s creatures, then, are victims of this predominating condition and circumstances – Time; victims as lower organisms, conscious only of two dimensions and suddenly confronted with the mystery of height, are victims: victims and prisoners. There is no escape from the hours and the days. Neither from to–morrow [sic] nor from yesterday. There is no escape from yesterday because yesterday has deformed us, or been deformed by us. The mood is of no importance. Deformation has taken place.«98 Die ›Gefangenschaft‹ des Individuums von und in der Zeit resultiert demnach in einer fortwährenden Deformation, woraus er die These entwickelt, dass das Subjekt sich fortwährend erneuert und das ›ehemalige Subjekt‹ damit ablöst: »We are not merely weary because of yesterday, we are other, no longer what we were before the calamity of yesterday. [...] We are disappointed at the nullity of what we are pleased to call attainment. But what is attainment? The identification of the subject with the object of his desire. The subject has died – and perhaps many times – on the way.« 99 Jedes Individuum besteht damit aus vielfachen, einander ablösenden Subjekten, die fremd auf die Verlangen der ehemaligen Subjekte blicken. Den ›Tod‹ des Subjektes definiert Beckett dabei als ›Umfüllprozess‹: »The individual is the seat of a constant process of decantation, decantation from the vessel containing the fluid of future time, sluggish, pale and monochrome, to the vessel containing the fluid of past time, agitated and multicoloured by the phenomena of its hours.«100

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Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 1. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 1. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 2. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 3. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 4–5.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

Zu dieser Prämisse fügt er noch hinzu, dass das Objekt, niemals vollständig und auf einmal erfassbar ist. Ein Tatbestand, der laut Beckett besonders augenfällig in zwischenmenschlichen Beziehungen wird: »So far we have considered a mobile subject before an ideal object, immutable and incorruptible. But our vulgar perception is not concerned with other than vulgar phenomena. Exemption from intrinsic flux in a given object does not change the fact that it is the correlative of a subject that does not enjoy such immunity. The observer infects the observed with his own mobility. Moreover, when it is a case human intercourse, we are faced by the problem of an object whose mobility is not merely a function of the subject’s, but independent and personal: two separate and immanent dynamisms related by no system of synchronisation.« 101 Es geht ihm also grundsätzlich um einen dynamischen Prozess, der sich zwischen Beobachter und Beobachtetem abspielt und welchen er als eine Art ›Ansteckungsmanöver‹ beschreibt. Damit beschreibt er an zentraler Stelle seines Essays das Grundprinzip der Subjekt–Objekt–Korrelation Schopenhauers102 und verbindet dieses mit der Prozessontologie Bergsons103 , in dem er die Sukzession ebenfalls als zen-

101 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 6–7. 102 »[...] so ist dagegen das Zerfallen in Objekt und Subjekt die gemeinsame Form aller Klassen, ist diejenige Form, unter welcher allein die irgendeine Vorstellung, welcher Art sie auch sei, abstrakt oder intuitiv, rein oder empirisch, nur überhaupt möglich und denkbar ist. Keine Wahrheit ist also gewisser, von allen andern unabhängiger und eines Beweises weniger bedürftig als diese, daß alles, was für die Erkenntnis da ist, also diese ganze Welt, nur Objekt in Beziehung auf das Subjekt ist, Anschauung des Anschauenden, mit einem Wort: Vorstellung. [...]Alles was irgend zur Welt gehört und gehören kann, ist unausweichbar mit diesem Bedingtsein durch das Subjekt behaftet und ist nur für das Subjekt da. Die Welt ist Vorstellung.« Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Frankfurt am Main 2017, § 1, S. 31. 103 »Wir streben instinktiv danach, unsre [sic] Eindrücke zu verfestigen, um sie sprachlich ausdrücken zu können. Aus diesem Grund lassen wir sogar das Gefühl, das in einem beständigen Werden besteht, in seinem permanenten äußeren Gegenstand und vor allem in dem den Gegenstand ausdrückenden Worte aufgehen. Wie die flüchtige Dauer unseres Ich durch die Projektion in den homogenen Raum in den Zustand einer Fixierung gerät, ebenso umklammern unsere unablässig wechselnden Eindrücke die sie veranlassenden äußeren Objekte und nehmen auf diese Weise deren genaue Umrisse und deren Starrheit an.« Henri Bergson: Zeit und Freiheit, Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt 2012, S. 97.

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trales Motiv darstellt und eine gegenseitige Deformation zwischen Subjekt und Objekt konstatiert: »So that whatever the object, our thirst for possession is, by definition, insatiable. At the best, all that is realised in Time (all Time produce), whether in Art or Life, can only be possessed successively, by a series of partial annexations – and never integrally and at once.«104 Dass Beckett sich gerade von diesen Theoremen inspirieren lässt, ist, wie bereits angemerkt wurde, kein willkürlicher Zugriff, denn gerade die prozessuale Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Objekt ist auch in Prousts Recherche ein wiederkehrendes Thema, das dieser zum einen für den Erinnerungsprozess des Individuums (mémoire involontaire) als auch für die Entwicklung der zwischenmenschlichen Beziehungen in zahlreichen Erzählsträngen auslotet. Wie Beckett sich letzteres vorstellt, was für ihn die Deformation zwischen Subjekt und Objekt in einer zwischenmenschlichen Beziehung bedeutet,105 zeigt sich konkret erst im fünften Abschnitt, in welchem er die Liebesbeziehung zwischen Marcel und Albertine herausgreift, um anhand des Blickes des Protagonisten durchzuexerzieren, dass dieser unzählige Albertines objektiviert106 , und dabei die tatsächliche Person grundsätzlich außen vor bleibt: »Thus is established the pictorial multiplicity of Albertine that will duly evolve into a plastic and moral multiplicity, no longer a mere shifting superficies and an effect of the observer's angle of approach rather than the expression of an inward and active variety, but a multiplicity in depth, a turmoil of objective and immanent contradictions over which the subject has no control.«107 Die Deformation des Objekts findet folglich gänzlich und unkontrollierbar im Betrachtenden statt. Dies bedeutet für den bereits in Trennung lebenden Proustschen Protagonisten, dass er die Trauer über die zwischenzeitlich Verstorbene nur zu lindern vermag, wenn er in seiner Vielheit die ebenso vielen

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Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 6f. Ein Beispiel für seine sprunghafte Argumentationsweise. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 30f. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 32.

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Albertines vergisst.108 Beckett folgt hierbei Prousts Beispiel in Teilen sogar wörtlich und paraphrasiert dessen Fazit: «For any given Albertine there exists a correlative narrator, and no anachronism can put apart what Time has coupled. He must return and reenact the stations of a diminishing suffering. Thus his astonishment that Albertine, so alive within him, can be dead — the fact of her life assailed by the notion of her death — gives way to the less painful astonishment that one who is dead can continue to concern him — the fact of her death assailed by the notion of her life.« 109 Die sukzessive, dynamische Beziehung zwischen Subjekt und Objekt ist damit eine im Kern introspektive, aus welcher, in der Konklusion Becketts, eine fundamentale Fremdheit zur Welt (die als Außen zu verstehen ist) folgt: »We are alone. We cannot know and we cannot be known.«110 Dieser – aus Schopenhauers und Bergsons Philosophemen resultierende – unweigerlich eintretende Moment, den Prousts Protagonisten vielfach an sich beobachten und welcher gleichzeitig ein Augenblick von größter Klarheit sein kann, wird von Beckett vordringlich aufgegriffen. Bereits im zweiten Abschnitt wählt er im Zusammenhang mit der Gewohnheit zwei Beispiele,111 in denen das Subjekt gewohnte (wenn auch grundsätzlich eigentlich unfassbare) Gefühle und Personen in distanzierter, objektivierter Weise wahrnimmt. Gerade das zweite Beispiel erscheint für das Thema dieser Arbeit vielversprechend, da hier technische Aspekte herangezogen werden, um den introspektiven Vorgang des Protagonisten zu beschreiben. Prousts Erzähler, der erschöpft nach langer Reise und in ängstlich–nervöser Grundstimmung (unter anderem wegen eines aus technischen Gründen missglückten Telefonats112 ), erwartungsvoll den heimatlichen Salon betritt, nimmt einen Perspektivwechsel in Bezug auf die vermisste Großmutter wahr, der es ihm unmöglich macht, die gewohnte 108 Beckett zitiert hierfür direkt aus der Recherche: »'In order to be consoled I would have to forget, not one, but innumerable Albertines.' And not only 'I,' but the many 'I's«, in: Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 43f. Vgl.: Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Die Entflohene, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, Band 3, S. 3402. 109 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 43f. 110 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 49. 111 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 12 + 14. 112 Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Die Welt der Guermantes, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, Band 2, S. 1430–1433.

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Zärtlichkeit einzustellen. Er wird stattdessen von der kühlen, distanzierten Wahrnehmung gegenüber der geliebten Person überrascht.113 Beckett schreibt folgendes über diese Situation: »But he is not there because she does not know that he is there. He is present at his own absence. And, in consequence of his journey and his anxiety, his habit is in abeyance, the habit of his tenderness for his grandmother. His gaze is no longer the necromancy that sees in each precious object a mirror of the past.«114 In dem der Protagonist ebenfalls unerkannt bleibt und er durch die fehlende Wahrnehmung seines Gegenübers die eigene Abwesenheit erlebt, wird der ›Zustand der Schwebe‹ lanciert und der dynamische Prozess potenziert. Marcel wird von der Großmutter nicht gesehen, während er diese zwar sieht, aber nicht erkennt und sie dadurch ebenfalls abwesend scheint. ›Gesehen werden‹ und Dasein sind hier gleichgesetzt, wodurch das Auge zur alles dominierenden Wahrnehmungsmöglichkeit wird. Diesen komplexen Vorgang verdeutlicht Beckett mit Rückgriff auf die Technik, in dem er das Auge zur ›grausam präzisen Kamera‹ erklärt, wobei er Prousts Metapher des Fotografierens115 übernimmt: »The notion of what he should see has not had time to interfere its prism between the eye and its object. His eye functions with the cruel precision of a camera; it photographs the reality of his grandmother. And he realises with horror that his grandmother is dead, long since and many times, that the cherished familiar of his mind, mercifully composed all along the years by the solicitude of habitual memory, exists no longer.«116 Das mittels der Technik objektivierte Auge spielt eine besondere Rolle, um den aus dem ›Zustand der Schwebe‹ resultierenden kühlen, aber nach wie vor subjektiven Blick, überhaupt beschreibbar zu machen. Wie in noch folgenden Kapiteln gezeigt werden wird, machte Beckett hier eine Beobachtung, die er

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Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Frankfurt am Main 2000, Band 2, S. 1437–1439. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 15. Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Frankfurt am Main 2000, Band 2, S. 1437. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 15.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

nicht erst 1964/65 in Film künstlerisch verwirklichte,117 sondern welche auch in seinem schriftstellerischen und dramatischen Arbeiten zu finden ist.118 Weniger eindeutig als mit dem objektivierten Auge verhält es sich dies mit dem Vorgang der »involuntary memory«,119 den Beckett eine »mystic experience«120 nennt und als »Leitmotiv«121 in Prousts Werk ausmacht, was er mit einer Liste von elf Beispielen122 (die einzigen mit Quellenangabe) belegt. Die Erläuterung des Ereignisses selbst hält er kurz: »This accidental and fugitive salvation in the midst of life may supervene when the action of involuntary memory is stimulated by the negligence or agony of Habit [sic], and under no other circumstances, nor necessarily then.«123 Der kurzen Definition folgt ein auf fünf Seiten ausgeweitetes zusätzliches Beispiel, das erneut im Zusammenhang mit der Großmutter des Erzähler–Ichs steht, deren Tod dieser nur durch eine unwillentliche Erinnerung ein Jahr später plötzlich begreifen kann.124 Und welches Beckett als zentrales Beispiel125 für das Motiv der unwillentlichen Erinnerung etablieren möchte, da hier die »eratic machinery of habit and memory as conceived by Proust«126 ersichtlich werde. Die eigentliche Definition der unwillentlichen Erinnerung liefert er im vorangegangenen Abschnitt, in ex negativo zur willentlichen Erinnerung, die er folgendermaßen beschreibt: »The memory that is not memory, but the application of a concordance to the Old Testament of the individual, he calls 'voluntary memory.' This is the uniform memory of intelligence; and it can be relied on to reproduce for our 117 118 119

Siehe hierzu Kapitel 7.2.2 Siehe hierzu Kapitel 4. Beckett übernimmt hier direkt Prousts Begriff der mémoire involontaire. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 15. 120 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 22. 121 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 22. 122 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 23. 123 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 22. 124 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 25–30. Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Sodom und Gomorra, Erster Teil. Band 2, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 2256–2261. 125 Anstatt des Beispiels der »famous Madeleine, which is invariably quoted as the type of Proustian revelation« Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 25. 126 Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 25.

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gratified inspection those impressions of the past that were consciously and intelligently formed. It has no interest in the mysterious element of inattention that colours our most commonplace experiences. It presents the past in monochrome. The images it chooses are as arbitrary as those chosen by imagination, and are equally remote from reality.«127 Die willentliche Erinnerung ist hiernach als konsolidierendes Speichermedium zu verstehen, welches das Individuum zur Absicherung seines ›Selbst‹ betreibt. Die Auswahl der gespeicherten Geschehnisse werden nur in Übereinstimmung mit dem gerade bestehenden ›Selbst/Bild‹ getroffen und alle weiteren hierfür nicht zutreffenden Vorkommnisse werden im Unterbewusstsein, im »ultimate and inaccessible dungeon of our being to which Habit [sic] does not possess the key«128 gelagert. Die willentliche Erinnerung, so Beckett, sei eine »blurred and uniform projection once removed of our anxiety and opportunism«129 und ist damit als Erinnerungsquelle untauglich und diene nur zum Selbsterhalt – in Form eines »necessary, wholesome and monotonous plagiarism – the plagiarism of oneself.«130 Nur durch die ›Explosivität‹ der unwillentlichen Erinnerung kann es gelingen, diesen Zustand aufzusprengen und »the real« zu erkennen. 131 ›Das Reale‹ bleibt dabei aber im Kern auf das Subjekt begrenzt: Und so gewinnt die Hauptfigur, um obiges Beispiel aufzugreifen, im Verständnis um den Tod der Großmutter nicht »the lost reality of his grandmother«132 , sondern »the lost reality of himself, the reality of his lost self.«133 Auch hier endet sein Gedankengang beim potenzierten Subjekt, was seinen Essay als eigentlich ontologischen ausweist, und so kommt er auf dieses Phänomen auch im sechsten Abschnitt zurück, in welchem er ein erstes Fazit zieht und sich einer »Proustian solution« für seine in der Einleitung eingeführte Proustsche Gleichung annähert: »The identification of immediate with past experience, the recurrence of past action or reaction in the present, amounts to a participation between

127 128 129 130 131 132 133

Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 19. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 18. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 20. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 20. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 20. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 27. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 27.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

the ideal and the real, imagination and direct apprehension, symbol and substance. […] Reality, whether approached imaginatively or empirically, remains a surface, hermetic. Imagination, applied — a priori — to what is absent, is exercised in vacuo and cannot tolerate the limits of the real. Nor is any direct and purely experimental contact possible between subject and object, because they are automatically separated by the subject's consciousness of perception, and the object loses its purity and becomes a mere intellectual pretext or motive. But, thanks to this reduplication, the experience is at once imaginative and empirical, at once an evocation and a direct perception, real without being merely actual, ideal without being merely abstract, the ideal real, the essential, the extratemporal. […]«134 Der Schlüssel zur Lösung der Gleichung liegt also in der unwillentlichen Erinnerung. Diese ist für Beckett insofern besonders wichtig, so Pothast, als dass »der Wille als Träger und projizierende Energie der normalen Weltwahrnehmung ausgeschaltet«135 ist. Damit löst Beckett seine Gleichung sozusagen mit einer ›definierten Unbekannten‹, die er nach Schopenhauers Ideenlehre136 »ideal real«137 nennt und die sich dadurch auszeichnet, dass sie den außerzeitlichen, schwebenden Zustand hervorbringt, um den es ihm eigentlich geht. Dies führt ihn zu der Schlussfolgerung: »Consequently the Proustian solution consists, in so far as it has been examined, in the negation of Time and Death, the negation of Death because the negation of Time. Death is dead because Time is dead. […] Time is not recovered, it is obliterated.«138 Er entwirft die Zeit damit als Paradoxon, welches gleichermaßen schöpferisch und zerstörerisch wirkt. Diesen Gedanken überführt er in seinem letzten Abschnitt durch die Gleichsetzung des Proustschen Erzählers und Proust auf die Kunst, die er zuvor für Proust als »almost insane inward necessity«139 etabliert hat:

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Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 56. Pothast 1989, S. 151. Zum Ideenkonzept bei Schopenhauer im Vergleich zu Becketts Auffassung sind hierbei folgende Paragraphen zu beachten: Die Welt als Wille und Vorstellung I, §32, 33, 34; Die Welt als Wille und Vorstellung II, §29, 30. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 56. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 56. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 62.

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»In Time creative and destructive Proust discovers himself as an artist: ›I understood the meaning of death, of love and vocation, of the joys of the spirit and the utility of pain.‹«140 Hierbei grenzt er die Kunst von der Schriftstellerei ab: »The only reality is provided by the hieroglyphics traced by inspired perception (identification of subject and object). The conclusions of the intelligence are merely of arbitrary value, potentially valid. […] The artist has acquired his text: the artisan translates it. ›The duty and the task of a writer (not an artist, a writer) are those of a translator.‹«141 Schriftstellerei ist damit ein Handwerk, eine Form des Ausdrucks. Diese Überlegung nimmt er zum Anlass, um anhand von Proust und dessen Vorgehensweise wie bereits in Dante...Bruno.Vico..Joyce auch hier auf eine Form–Inhalt These zu kommen: »For Proust, as for the painter, style is more a question of vision than of technique. Proust does not share the superstition that form is nothing and content everything, [...]. For Proust the quality of language is more important than any system of ethics or aesthetics. Indeed he makes no attempt to dissociate form from content. The one is a concretion of the other, the revelation of a world.«142 Aus diesem Form–Inhalt Prinzip ergibt sich ein Künstlerbild, in welchem der Künstler die Form seines Ausdrucks entsprechend seiner Vision wählt und nicht per se auf ein Medium, eine Technik festgelegt ist. Ein Faktum, dass sich auch in Becketts eigener künstlerischen Karriere widerspiegeln wird. In diesem letzten Abschnitt zeigt sich nachdrücklich, dass der Proust Essay nicht als bereits kohärente Ästhetik Becketts zu lesen ist,143 sondern vielmehr als eine weitere Suchbewegung eines angehenden Künstlers verstanden werden sollte, der auf der Suche nach ästhetischen Prinzipien ist und sich auf

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Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 59. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 64. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 67. Hier teile ich die Einschätzung Schuberts, die dies einigen Forschungspositionen vorwirft. Sie nennt beispielsweise: James Acheson: Samuel Beckett’s Artistic Theory and Practice: Criticism, Drama and Early Fiction, Basingstoke (u. a.): Macmillan 1997, S. 14f. und John Pilling: »Beckett’s ›Proust‹«, in: Journal of Beckett Studies. 1 (Winter) 1976, S. 28f. Siehe hierzu Schubert, S. 105.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

dem Weg befindet, die Schrift als sein momentan präferiertes Medium infrage zu stellen. Seine nicht immer ganz stringenten Argumentationslinien, die hier zusammenfassend herausgearbeitet wurden, versprechen trotz allem durchaus aufschlussreich für seine künstlerischen Arbeiten zu sein, wie sich anhand der bereits erwähnten Beispiele abzeichnet. Und auch Wiederholungen von Erinnerung und über seine Figuren geradezu hereinbrechende Erinnerungsphasen sind in Becketts Œuvre auffällig häufig zu finden. Hier sind beispielsweise das Drama Krapp’s Last Tape (1958), Footfalls (1976), sowie die Fernsehspiele He, Joe (engl. Eh Joe, 1965) und ...but the clouds... (1977) zu nennen.

3.3

Einflüsse der Malerei am Beispiel von Bram und Geer van Velde: Die Krise der modernen Subjektivität

Wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits deutlich wurde, versuchte sich Beckett als Kunst– und Literaturkritiker und entwickelte hierbei erste ästhetische Prinzipien. Diese Tätigkeit versuchte er aufgrund seines großen Interesses an der Malerei144 auf die zeitgenössische bildende Kunst auszuweiten. Er pflegte wie bereits erwähnt zahlreiche Bekanntschaften145 und Freundschaften zur aktiven Kunstszene in Paris und baute diese stetig weiter aus. Für letztere Kategorie ist beispielsweise Jack Butler Yeats zu nennen,146 von welchem er über die Jahre auch einige Bilder erwarb,147 sowie der Kunstpublizist Georges Duthuit, mit dem er substantielle Gespräche über zeitgenössische Malerei führte.148 Ab 1947 entwickelte sich auch eine Freundschaft zu

144 Wie in Kapitel 2 bereits beschrieben wurde. 145 Beispielsweise mit Henri Hayden, Francis Picabia, Wassily Kandinsky (06.12.1939 »I met Kandinsky the other day. Sympathetic old Siberian.« The Letters of Samuel Beckett, Vol. I: 1929–1940, S. 670) und Marcel Duchamp – mit dem er hin und wieder Schach spielte. Nachzulesen in: Knowlson 1997, S. 164f. 146 Knowlson 1997, S. 289. 147 Beckett kaufte zum Beispiel das Gemälde A Morning von Jack B. Yeats (07.05.1936, The Letters of Samuel Beckett, Vol. I: 1929–1940, S. 333). Jack B. Yeats schlug am 22.11.1937 Becketts Roman Murphy dem Routledge Verlag vor, wo es am 09.12.1937 auch angenommen wurde. The Letters of Samuel Beckett, Vol. I: 1929–1940, S. 419. 148 Beckett und Georges Duthuit: »Three Dialogues«, in: Ders.: Disjecta. Miscellaneous Writings and a Dramatic Fragment. Edited by Ruby Cohn, New York: Grove Press 1984, S. 142–145.

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Alberto Giacometti.149 Dieser entwarf sogar das Bühnenbild für die Uraufführung von En attendant Godot.150 Die Malerbrüder Bram151 und Geer van Velde lernte er in der Vorkriegszeit kennen. Er beschäftigte sich intensiv mit ihrer bis dahin noch weitgehend unbekannten künstlerischen Arbeit und unterstützte die Brüder auch tatkräftig: Beispielsweise verhalf er Geer van Velde zu seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie von PeggyGuggenheim in der Londoner CorkStreet im April 1938.152 Wenige Monate vor Kriegsende153 verfasste er mit La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon,154 den ersten und umfangreichsten von insgesamt drei Texten über die van Veldes. Hiernach verfasste er 1948 ein Vorwort zur Ausstellung der van Veldes in der Galerie Maeght in Paris155 und führte ungefähr ein Jahr später ein publiziertes,

149 Mit dem er sich nachts in Pariser Caféhäusern traf, wo sie Gespräche über Kunst und das Künstlersein führten, oder ganz einfach nur weitläufige Spaziergänge unternahmen. Siehe: Knowlson 1997, S. 369. 150 UA 1953, ThéâtredeBabylone, Paris. 151 Abraham Gerardus van Velde (1895–1981), bekannt unter dem Namen Bram van Velde. Von Beckett als ›A. v. Velde‹, beziehungsweise ›der Ältere‹ abgekürzt. 152 Nachzulesen in: Knowlson 1997, S. 286. Und in: Peggy Guggenheim: Ich habe alles gelebt. Bekenntnisse einer Sammlerin aus Leidenschaft. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Dieter Mulch. Titel des Originals: Out of this Century – Confessions of an Art Addict, München/Bern: Scherz 1981, S. 147–149. 153 Anfang 1945. Siehe hierzu biografische Jahresübersicht 1945, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume II: 1941–1956, S. 6. Beckett steuerte hierfür zudem einen biographischen Abriss von ca. 120 Wörtern bei. Vgl.: Beckett: »Geer van Velde«, in: London Bulletin, London: London gallery bulletin, 2 (Mai 1938), S. 15. 154 Von nun ab als Le Monde et le Pantalon abgekürzt. Beckett: »La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon«, in: Cahiers d’Art, 20–21 (1945/46), S. 349–356. Mit sechs schwarz und weiß Reproduktionen von Abraham van Velde und neun von Geer van Velde, in: Dépôt légal, Vanves (Seine): Inprimerie Kapp 4e trimestre 1946. Wiederabdruck in: Ders.: Disjecta. Miscellaneous Writings and a Dramatic Fragment. Edited by Ruby Cohn, New York: Grove Press 1984, S. 117–132. Hier zitiert aus der deutschen Übersetzung: Beckett: »Die Welt und die Hose.«, in: Ders.: Disjecta. Vermischte Schriften und ein szenisches Fragment. Hrsg. von Ruby Cohn. Aus dem Englischen und Französischen von Wolfgang Held und Erika und Elmar Tophoven, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 149–172. 155 Beckett: »Peintres de l’Empêchement«, in: Derrière le Miroir (Galerie Maeght, Paris: Éditions Pierre à Feu) 11 und 12 (Juni 1948). Wiederabdruck in: Ders.: Disjecta (New York 1984), S. 133–137. Dt. Übersetzung: Beckett: »Maler der Verhinderung«, in: Ders.: Disjecta. Vermischte Schriften und ein szenisches Fragment, Berlin: Suhrkamp 2010, S. 172–179.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

dreiteiliges Gespräch mit Duthuit,156 in welchem der dritte Teil dessen Malerei gewidmet war. Die zunehmende Schwerpunktsetzung der Texte auf Bram van Velde verdeutlicht ein wachsendes Interesse an dem älteren der beiden Brüder. Becketts Passion für die Malerei ist für diese Arbeit nicht nur interessant, weil sich vermehrt konkrete Bilder in seinen Werken verarbeitet finden,157 sondern ist auch inhaltlich begründet, da er sich in der Kritik grundlegend Gedanken zur Kunst und ihrer Wirkungskraft machte. Diese Aspekte nehmen in dem Aufsatz Le Monde et le Pantalon einen sehr hohen Stellenwert ein. Ein Grund, weshalb gerade dieser Aufsatz für die vorliegende Arbeit herangezogen wird. Im ersten Drittel des Aufsatzes zeigt sich ein weiterer Kernpunkt: Die Verhandlung von Subjektivität in Rezeptionsprozessen – ein für Beckett fortwährendes Thema. Seine Beweisführung baut er dabei über das Objekt und dessen Herstellung durch die Rezeption auf: »Mit Worten erzählt man nur sich selbst. [...] Das fertige, nagelneue Bild ist so, wie es da ist, sinnlos. Denn noch ist es nur ein Bild, es lebt vorerst nur aus den Linien und Farben, hat sich allein seinem Urheber erschlossen. Man stelle sich seine Situation vor. Es wartet darauf, daß man es da herausholt. Es wartet auf die Augen, die es jahrhundertelang, denn es ist ein Bild mit Zukunft, mit Leben befrachten, es schwärzen werden mit dem einzigen Leben, das zählt, das der Zweifüßer ohne Federn. Es wird daran krepieren. Einerlei. Man wird es wieder zusammenflicken.«158 156

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»Three Dialogues: Samuel Beckett and Georges Duthuit: three conversations about art and criticism between SB and Georges Duthuit (art historian and son–in–law of Matisse) about Tal Coat, André Masson, and Bram van Velde. Published in Transition Forty–Nine 5 (December 1949): 97–103, and signed ›Samuel Beckett and Georges Duthuit‹; republished with Proust by John Calder (1965), under the cover title, ›3 dialogues with Georges Duthuit‹; […]«, in: Chris J. Ackerley, Stanley E. Gontarski: The Grove Companion to Samuel Beckett: A Reader's Guide to His Works, Life, and Thought, New York: Grove Press 2004, S. 576f. Siehe hierzu Michael Glasmeier: »Bewegter Stillstand. Alte Meister im Quadrat«, in: Kunsthalle Wien/Michael Glasmeier/Christine Hoffmann, u.a. (Hrsg.): Samuel Beckett/ Bruce Nauman. Wien: Kunsthalle 2000, S. 148–160. Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 151. Im Original: »Avec les mots on ne fait que se raconter. […] Achevé, tout neuf, le tableau est là, un non–sens. Car ce n'est encore qu'un tableau, il ne vit encore que de la vie des lignes et des couleurs, ne s'est offert qu'à son auteur. Rendez–vous compte de sa situation. Il attend, qu'on le sorte de là. Il attend les veux, les yeux qui, pendant des siècles, car c'est un tableau d'avenir, vont le charger, le noircir, de la seule vie qui compte, celle

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Auf den darauffolgenden Seiten richtet er seine objektbezogene, dekonstruierende Argumentation zunehmend auf oben erwähnte subjektive Rezeption aus, was ihn zu seiner ersten abschließenden Aussage führt: »Es gibt keine Malerei. Es gibt nur Gemälde. Und da es keine Würstchen sind, sind sie weder gut noch schlecht. Alles, was man sagen kann, ist, dass sie mit mehr oder weniger Verlusten ein absurdes, mysteriöses Drängen zum Bild wiedergeben und dass sie mehr oder weniger dunklen inneren Spannungen entsprechen. […] Denn Verlust und Gewinn wiegen gleich viel in der Ökonomie der Kunst, wo das Nichtgesagte das Licht des Gesagten und jede Präsenz zugleich Absenz ist. Alles, was Sie je von einem Bild wissen werden, ist, wie sehr Sie es lieben (und wenn es hochkommt, warum, falls Sie das interessiert.)«159 Er prädiziert der Kunst eine Spiegelfunktion, in welcher der künstlerische Gegenstand durch Reflektion der Gefühle der Betrachtenden entsteht. Die allgemeine und ironische Ausdrucksweise verfolgt das grundsätzliche Ziel der Infragestellung von vermeintlich gesichertem Wissen. Er geht über eine einfache Thematisierung seiner Rolle als Kritiker hinaus und schließt sich selbst in die Problemstellung mit ein. Die sich hier abzeichnende Entwicklung einer ästhetischen Haltung, im Kern basierend auf einem fortwährenden Zweifel, wird ihn bleibend beschäftigen, wie sich beispielsweise in einem vier Jahre später entstandenen Brief an Duthuit zeigt:

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des bipèdes sans plumes. Il finira par en crever. Peu importe. On le rafistolera. On le rabibochera. On lui cachera le sexe et on lui soutiendra la gorge.« in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 119. Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 157. Im Original: »Il n'y a pas de peinture. Il n'y a que des tableaux. Ceux–ci, n'étant pas des saucisses, ne sont ni bons ni mauvais. Tout ce qu'on peut en dire, c'est qu'ils traduisent, avec plus ou moins de pertes, d'absurdes et mystérieuses poussées vers l'image, qu'ils sont plus ou moins adéquats vis–à–vis d'obscures tensions internes. Quant à décider vous–même du degré d'adéquation, il n'en est pas question, puisque vous n'êtes pas dans la peau du tendu. Lui– même n'en sait rien la plupart du temps. C'est d'ailleurs un coefficient sans intérêt. Car pertes et profits se valent dans l'économie de l'art, où le tu est la lumière du dit, et toute présence absence. Tout ce que vous saurez jamais d'un tableau, c'est combien vous l'aimez (et à la rigueur pourquoi, si cela vous intéresse).« in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 123.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

»There, my old friend, I have made a great effort and we are no further forward. All I have done is say the same thing I have already said twice. I am no longer capable of writing in any sustained way about Bram or about anything. I am no longer capable of writing about. So, if you are not altogether sick of me, you are going to have to ask me questions. I shall try to answer. But bear in mind that I who hardly ever talk about myself talk about little else.«160 Eine Aussage, die er 1954, wie bereits im Zusammenhang mit den Alten Meistern erwähnt,161 noch zuspitzte: »So I am not someone to talk art with, and on that subject I am not likely to utter anything other than my own obsessive concerns.«162 Die sich wiederholenden Aussagen machen deutlich, wie ihn seine Gedanken über andere Künstler und deren Arbeiten dazu führten eigene Themen, respektive Obsessionen, ausfindig zu machen. Dabei spielte Bram van Veldes auf Dilettantismus basierender Ansatz, eine übergeordnete Rolle163 für Becketts künstlerische Entwicklung:

160 S. B. an George Duthuit, am 09.03.1949, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume II: 1941–1956, S. 141. Im Original: »Et Voilà, mon cher Georges, j'ai fait un gros effort et nous ne sommes pas plus avancés. Je n'ai fait que dire la même chose que par deux fois déjà. Je ne peux plus écrire de façon suivie sur Bram ni sur n'importe quoi. Je ne peux pas écrire sur. Alors il va falloir, si tu n'es pas complètement dégoûté de moi, que tu me poses des questions. J'essaierai d'y répondre. Mais sache que moi qui ne parle guère de moi ne parle guère que de ça.« Ebenda: S. 137f. [Herv. Beckett.] 161 Siehe hierzu Kapitel 2. 162 S. B. an George Duthuit, am 02.03.1954, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume II, 1941–1956, S. 473. Im Original: »Ce n’est donc pas avec moi qu’on puisse parler art et c’est pas là–dessus que je risque d’exprimer autre chose que mes propres hantises.« Ebenda, S. 472. 163 Er bezeichnete ihn beispielsweise als Seelenverwandten in einem Brief an Bram v. V. und Marthe Arnaud-Kuntz am 03.12.1951: »And if there had to be for me a soul–mate, I make bold to say that it would be his soul and no other. […] Bram is my great familiar. In work and in the impossibility of working. That's how it will always be.« Im Original: »Et s'il devait y avoir pour moi une âme soeur, je me flatte que ce serait bien la sienne et nulle autre. […] Bram est mon grand familier. Dans le travail et dans l'impossibilité de travailler, et ce sera toujours ainsi.« in: The Letters of Samuel Beckett, Volume II: 1941–1956, S. 304f.

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»And I shall tend irresistibly to pull Bram's case over towards my own, since that is the condition of being in it and talking about it. […] If I say that he paints the impossibility of painting, the lack of all relation, object, subject, it will look as if I am putting him into relation with this impossibility, this lack; in front of them. […] What interests me is what lies beyond the outside–inside where he does his striving, not the scale of the striving itself.«164 Für Bram van Veldes malerischen Dilettantismus setzte er dabei ein kategorisches Scheitern von Kunst voraus, wodurch der eigentliche künstlerische Akt im Versuch selbst liegt. Ohne es explizit auszuführen implementierte er die für seine Zeit emblematische ›Krise der modernen Subjektivität‹. Eric Bolle setzt diesen Aspekt ins Zentrum seines philosophischen Abgleichs165 um Martin Heidegger, Friedrich Hölderlin, Paul Celan und Bram van Velde. Den Begriff selbst versucht er dabei mithilfe Becketts zu definieren: »Beckett ist nach meiner Meinung der Dichter, der am besten die Krise der modernen Subjektivität durchschaut hat. [...] Kennzeichnend für unsere Tradition ist, dass das Leben nicht nur von der Ichheit her, sondern gerade als Ichheit verstanden wird. So entsteht das Paradox, dass das eigene Ich sowohl Grundlage wie Aufgabe, zugleich Ausgangspunkt und Entwurf ist. In dieser Lage kann jeder Versuch, zu werden, wer man ist, nur scheitern. Denn wenn das Ich sowohl Ausgangspunkt wie Entwurf ist, dann kann das Ich nur in die eigene Sackgasse geraten. In Anlehnung an Beckett möchte ich behaupten, dass die Subjektivität immer eine Subjektivität des Scheiterns, eine gescheiterte Subjektivität ist. Die Rede vom anderen, von der Intersubjek-

164 S. B. an G. Duthuit, am 09.03.1949, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume II: 1941–1956, S. 139–141. Im Original: »Et je tendrai irrésistiblement à ramener au mien le cas de Bram, puisque c'est là la condition de pouvoir y être et en parler, et puis pour d'autres raisons moins avouables. […] Quoi que je dise, j'aurai l'air de l'enfermer à nouveau dans une relation. Si je dis qu'il peint l'impossibilité de peindre, la privation de rapport, d'objet, de sujet, j'ai l'air de le mettre en rapport avec cette impossibilité, avec cette privation, devant elles. […] Ce qui m'intéresse c'est l'au–delà du dehors–dedans où il fait son effort, non pas la portée de l'effort même. […] J'ai toujours pensé qu'il n'avait pas la moindre idée de ce qu'il faisait et que moi non plus. Mais c'est de préférence à cette dernière appréciation que j'essaierai de m'agripper, jusqu'au jour où je n'aurai plus besoin d'une main dans la mienne dans mon tort.« Ebenda, S. 135–137. 165 Eric Bolle: Die Kunst der Differenz: philosophische Untersuchungen zur Bestimmung der Kunst bei Martin Heidegger, Friedrich Hölderlin, Paul Celan und Bram van Velde, Amsterdam: Grüner 1988, S. 108

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

tivität ergibt dabei kaum eine Lösung, denn für den anderen gilt die gleiche Ichheit.«166 Die Definitionskonstruktion funktioniert, wenn man außer Acht lässt, dass Beckett dabei entscheidend durch die Programmatik Bram van Veldes geprägt wurde und nicht umgekehrt, was Bolle beim Aspekt der gescheiterten Subjektivität wohl übersehen hat. Charles Juliet fasst diesen Sachverhalt in seinem Interviewband Conversations with Samuel Beckett and Bram van Velde treffend für den sprachkritischen Maler167 zusammen: »At each of our meetings he [Bram van Velde] insists that the artist must be without knowledge, without power, without will. That he must not intervene, not control, not seek to produce, but rather allow himself to be borne along by whatever comes to him and demands to come into the world.«168 Bram van Veldes künstlerischer Ansatz inspiriert und ermutigt Beckett, wie in dem bereits oben zitierten Brief an Duthuit offensichtlich wird: »I have always thought he had not the faintest idea about what he was doing, and neither had I. But my preference will still be to hold on to this last appreciation, until the day comes when I shall not need another hand to hold in my wrongness.«169 Becketts Rede changiert dabei zwischen kritischem Kommentar und dem Versuch einer Selbstauskunft, was sich auch in Le Monde et le Pantalon bereits abzeichnet. Noch ohne Fokus auf Bram van Velde entwickelt er ab dem zweiten Drittel einen Innen–Außen–Dualismus, für welchen er die Malerei beider Brüder in einem diametralen Verhältnis verschränkt. Durch die Eingrenzung in einen 166 Bolle 1988, S. 108. 167 Bram van Velde in einem Gespräch mit Charles Juliet, am 11.08.1972: »Words are nothing. They're just noises. You have to distrust them deeply. When I approach a canvas, I encounter silence.« In: Charles Juliet: Conversations with Samuel Beckett and Bram van Velde, Champaign/London: Dalkey Archive Press 2009, S. 87. 168 Notiz vom 03.04.1972, in: Juliet 2009, S. 87. 169 S. B. an G. Duthuit, am 09.03.1949, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume II: 1941–1956, S. 141. Im Original: »J'ai toujours pensé qu'il n'avait pas la moindre idée de ce qu'il faisait et que moi non plus. Mais c'est de préférence à cette dernière appréciation que j'essaierai de m'agripper, jusqu'au jour où je n'aurai plus besoin d'une main dans la mienne dans mon tort.« Ebenda, S. 137.

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engen zeitlichen Rahmen170 nimmt er eine Auswahl an Gemälden vor, die sich den stilistischen Kurswechseln der beiden Maler in dieser Phase widmet. Ein Beleg für seine detaillierte Kenntnis der Oeuvres beider Künstler. In Geer van Veldes Bildern beeindruckte ihn besonders die »außerordentliche Verhaltenheit«171 , die seiner Meinung nach durch »defensive Strahlungen«172 , beziehungsweise »große Fluchtgeschwindigkeit«173 entstünde, die man spüren könne. Er ordnete ihn als einen Künstler ein, der sich »ganz dem Draußen hingibt«174 und dabei »den von den Schaudern der Zeit erschütterten Makrokosmos zeigt«, in dem sich der Maler selbst realisiert »oder richtiger den Menschen in dem, was er am festesten besitzt, in seiner Gewißheit, dass es weder Gegenwart noch Ruhe gibt.«175 Im französischen Original lautet das ›Draußen‹ »en dehors«,176 was auch mit ›außerhalb von‹ übersetzt werden kann; damit wird nicht nur die expressive Ausdruckskraft der Malerei hervorgehoben, sondern auch eine Verortung möglich, die ein Außerhalb des Subjekts meint. Die Kunst, gleichgesetzt mit Naturphänomenen, wird damit zu einer Kraft, die auf das Subjekt einwirkt, der sich nicht entzogen werden

170 Bram van Velde: Arbeiten zwischen 1940 und 1941. Geer van Velde: 1938–1945. Siehe hierzu: »Je pense surtout aux dernières toiles, celles que G. van Velde vient de rapporter du Midi, celles qu'A. van Velde a faites à Paris en 40 et 41 (il n'a rien fait depuis). Le contraste se faisait moins sentir il y a dix ans. Mais il éclatait déjà.«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 124. 171 Beckett, Die Welt und die Hose, Berlin 2010, S. 159. Im Original: »excessivement réticente«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 124. 172 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 159. Im Original: »[…] irradiations que l’on sent défensives« in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 124. 173 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 159. Im Original: »une grande vitesse d’échappement.«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 124. 174 Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 128. Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 166. 175 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 166. Im Original: »C’est en se donnant entièrement au temps, qu’il se réalise, qu’il réalise l’homme si l’on préfère, dans ce qu’il a de plus inébranlable, dans sa certitude qu’il n’y a ni présent ni repos.« In: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 128. 176 Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 128. Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 166.

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

kann. Dabei geht er so weit, wenn auch ironisiert abgesichert, die Malerei Geer van Veldes mit dem Schaffensprozess von Literatur zu vergleichen: »Hier bewegt sich alles, schwimmt, flieht, kehrt zurück, löst sich auf, bildet sich neu. Alles endet, endlos. Wie ein Aufstand der Moleküle, wie das Innere eines Steins eine Tausendstel Sekunde bevor er auseinanderbricht. Das eben ist Literatur.«177 In dieser Einschätzung wird deutlich, dass Beckett durch die Kunstrezeption einen Weg fand, sein eigenes Schaffen zu reflektieren und voranzutreiben. Bram van Velde ordnet er ›das Innen‹ zu, da dieser »(ausgedehnte) Flächen«178 male, die Beckett als eine zur »mondartigen Leere«179 erstarrte Landschaft sah, aus der alle Luft entwichen ist.180 Die Frage: »Woher kommt dieser Eindruck von etwas im Leeren?«181 , die er sich daraufhin stellt, erinnert an Becketts Faszination für »den Stillstand des Raums und der Körpersprache«182 der flämischen Maler Vermeer, Rembrandt, Brouwer und des Niederländers Jan Steen. Ein Stillstand, den er bei Bram van Velde das erste Mal persönlich anspricht und inhaltlich einordnet: »Da er die Fläche, bevor er sie sehen kann, und erst recht, bevor er sie darstellen kann, zum Stillstand bringen muß, wendet ersterer [Bram van Velde] sich von den [sic] anderen, der natürlichen Fläche ab, die sich wie ein Kreisel

Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 165. Im Original: »Ici tout bouge, nage, fuit, revient, se défait, se refait. Toutcesse, sans cesse. On dirait l’insurrection des moléćules, l’itérieur d’une pierre un millième de seconde avant qu’elle ne se désagrège. C’est ça, la littérature.«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 128. 178 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 165. Und: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 128. 179 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 159. Im Original: »Tandis que celle d’A. van Velde, semble figée dans un vide lunaire. L’air l’a quittée.«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 124. 180 Sinngemäß zit. n. Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 159. 181 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 160. Im Original: »D’où vient cette impression de chose dans le vide?«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 125. 182 Glasmeier 2000, S. 156. Siehe auch Kapitel 2 in dieser Arbeit.

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unter der peitschenden Sonne dreht. Er idealisiert sie, macht aus ihr einen inneren Sinn.«183 Die Hinführung zu einem inneren Seelenbild und der Vergleich mit einer unwirtlichen, extraterrestrischen Landschaft legen einen Bezug zu Becketts Einschätzung über Cézannes Arbeit nahe, über den er ungefähr eine Dekade zuvor schrieb: »Cézanne seems to have been the first to see landscape and state it as material of a strictly peculiar order, incommensurable with all human expressions whatsoever. Atomistic landscape with no velleities of vitalism, landscape with personality à la rigueur, but personality in its own terms, not in Pelman's landscapality.«184 Der Bezug zwischen beiden bestätigt sich zusätzlich in Becketts Fazit zu Bram van Velde, in welchem er dessen Arbeit als würdige Folgeposition von Cézanne nennt, da es beiden gelungen sei, sich von allen bisherigen Vorgängern zu lösen.185 Und wie in der Analyse von Geer van Velde führt ihn der Versuch Bram van Veldes Bilder zu beschreiben dazu, das Gesehene mit dem Schreiben zu vergleichen. In diesem Fall mit einem, das sich jedem Sinn entzieht: »Wahrnehmungswille rein visueller Art zu schreiben bedeutet soviel wie einen Satz zu schreiben, der keinen Sinn hat. Denn jedes Mal, wenn man die Wörter dazu bringen will, über ihre Grenzen hinaus zu wirken, jedes Mal, wenn man erreichen will, dass sie etwas anderes ausdrücken als Wörter, reihen sie sich so aneinander, dass sie sich gegenseitig aufheben. Das verleiht dem Leben wohl gerade seinen Reiz.«186

Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 165. [meine Herv.] Im Original: »Puisque, avant de pouvoir voir l’étendue, á plus forte raison avant de pouvoir la représenter, il faut l’immobiliser, celui–là se détourne de l’étendue naturelle, celle qui tourne comme une toupie sous le fouet du soleil. Il l’idéalise, en fait un sens interne. Et c’est justement en l’idéalisant qu’il a pu la réaliser avec cette objectivité, cette netteté sans précédent.«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 128. [Meine Herv.] 184 S. B. an Tom McGreevy, am 08.09.1934, in: The Letters of Samuel Beckett, Vol. I, 1929–1940, S. 222. 185 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 164. Im Original in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 127/128. 186 Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 160–161. 183

3. Becketts kunsttheoretische Aufsätze: Entwicklung ästhetischer Prinzipien

Diesen Vergleich benutzt er als Brücke, um einen Zusammenhang von Visualität und Seelenbild herzustellen, den er als Ziel beider künstlerischer Genres formuliert. Denn nur in der Darstellung des ›inneren Gesichtsfelds‹ sieht er die Möglichkeit einer maximalen Authentizität: »Denn es geht hier nicht darum, sich etwas bewusst zu machen, sondern darum, ein inneres Bild einzufangen, um eine Innenaufnahme kurzum! Um das Erfassen einer Vision auf dem einzigen Feld, das man bisweilen ohne weiteres zu Gesicht bekommt, das sich nicht immer aufdrängt, um falsch wahrgenommen zu werden, das seinen Getreuen hin und wieder gestattet, alles andere zu ignorieren, was kein Anschein ist: das innere Gesichtsfeld.«187 Im Grunde etabliert er damit eine Art von Dualismus, der die Möglichkeit des Subjekts zwischen den Perspektiven der ersten erlebenden, teilnehmenden Person und der dritten beobachtenden Person hin und herspringen zu können prononciert und dadurch künstlerisch produktiv werden lässt. Georgina Nugent–Folan greift Becketts Argumentationskette in ihrem Aufsatz von 2015 auf, um Becketts Ansatz mit dem von Gertrude Stein im Zusammenhang mit Paul Cézanne zu vergleichen und hierbei deutliche Übereinstimmungen festzustellen: […] we can begin to appreciate that both Beckett and Stein had identified as significant, and drawn meaning from the same aesthetic; that of an atomized, deanthropomorphised landscape. […] What Cézanne is articulating visually, and what both Beckett and Stein clearly recognized and responded to, is the subjective experience of perception, the physiological act that recognizes, identifies, and classifies an image in the human brain; thus con-

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Im Original: »Écrirer aperception purement visuelle, c’est écrire une phrase dénuéé des sens. Comme de bien entendu. Car chaque fois qu’on veut faire aux mots un véritable travail de transbordement, chaque fois qu’on veut leur faire exprimer autre chose que des mots, ils s’alignent de façon à s’annuler mutuellement. C’est, sans doute, ce qui donne à la vie tout son charme.«, in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 125. Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 161. [Meine Herv.] Im Original: »Car il ne s’agit nullement d’une prise de conscience, mais d’une prise de vision, d’une prise de vue tout court. Tout court! Et d’une prise de vision au seul champ qui se laisse parfois voir sans plus, qui n’insiste pas toujours pour être mal connu, qui accorde par moments à ses fidèles d’en ignorer tout ce qui n’est pas apparence. Au champ intérieur.« , in: Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 125. [Meine Herv.]

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tributing, on a visceral cellular, or as Beckett would have it, atomistic level, to the production an reproduction of an image.«188 Durch die Verlegung der Landschaft ins Innere des Schädels stellt sie den entscheidenden Bezug zu Cézanne und Gertrude Stein her. Eine Landschaft, die erst einmal von Grund auf als fremd wahrgenommen werden muss und sich nicht auf gesichertes Wissen bezieht, kann erst in einem Prozess subjektiver Erfahrung und Wahrnehmung zu einem Bild im Kopf werden, welches dann künstlerisch reproduzierbar ist. Was alle drei verbindet, ist damit ein geradezu physischer Zweifel an der Objektivierbarkeit von Wahrnehmung, Ästhetik und künstlerischem Ausdruck. Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die Verquickung von Becketts Überlegungen zum Kunstkritikertum, der Malerei der van Veldes und dem Bogen, den er hierüber zur Schriftstellerei schlägt, auf eine sich festigende ästhetische Position schließen lässt, welche sich besonders mit besagtem ›Innen‹ und ›Außen‹, beziehungsweise dem Spannungsfeld zwischen Subjekt und Objekt beschäftigte. Eine Denkfigur, die bereits in seinen früheren Schriften programmatisch festgestellt wurde und die sich, wie in noch folgenden Kapiteln untersucht werden wird, auch in seinem eigenen künstlerischen Werk niederschlug. Hinzu kommt die hier grundgelegte Krise des modernen Subjekts, aus der eine Subjektivität des Scheiterns hervorgeht, die von einem tiefen Zweifel gegenüber der Sprache an sich getragen wird.

188 Georgina Nugent–Folan: »Personal Apperception: Samuel Beckett, Gertrude Stein, and Paul Cézannes’ La Montagne Sainte–Victoire«, in: Beckett Today/Beckett Aujourd’hui, Vol. 27: ›Beginning of the Murmur‹: Archival Pre–texts and Other Sources, Leiden: Brill/Rodopi 2015, S. 90f.

4. ›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹

Beckett wandte sich in seinem literarischen Werk zunehmend der Suche nach einer ›neuen‹ Sprache zu, die eine praktische Umsetzung seiner früheren ästhetischen Überlegungen zur Verschränkung von Form und Inhalt darstellte und ein Konzept der fortschreitenden Auflösung verfolgte. Allein die Titel seiner späteren Prosatexte geben bereits direkten Aufschluss über dieses Vorhaben: Textes pour rien deklarierte er bereits 1955 als »the very last thing I wrote [...] to get out of the attitude disintegration, but it failed«.1 Anhand der Titelwahl von From an Abandoned Work (1956) machte er die zunehmende Reproduktion aus bereits bestehenden Texten offiziell.2 Und die Titel All Strange Away (1964), Imagination morte imagination (1965), Assez (1966), Sans (1969), For to End Yet Again (1976) oder Mal vu mal dit (1981) lesen sich förmlich wie eine Programmliste des Autors.3 Auf das handschriftliche Original seiner letzten zu Lebzeiten publizierten Arbeit,4 dem Gedicht Comment dire (engl. what is the word, 1988)5 , notierte er

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Interview mit S. Beckett. Israel Shenker: »Moody Man of Letters«, in: The New York Times, New York, NY: New York Times, 06.05.1956, S. 3. Die reproduktive Methodik wird in Kapitel 6.2 der vorliegenden Arbeit am Beispiel von Beginning to End tiefergehend untersucht werden. Vgl. hierzu: Susan D. Brienza: Samuel Beckett’s New Worlds. Style in Metafiction, Norman: University of Oklahoma Press 1987. Das Gedicht ist auf den 29.10.1988 datiert und wurde vom Autor direkt ins Englische übersetzt. Es wurde am 01.06.1989 in der Libération veröffentlicht. Beckett verstarb am 22.12.1989 in Paris. Siehe hierzu die Zusatzinformation zu Comment dire/what is the word, in: Samuel Beckett/Seàn Lawlor/John Pilling (Hrsg.): The Collected Poems of Samuel Beckett. A Critical Edition, New York: Grove Press 2012, S. 474. Da sich Beckett selbst ins Englische übersetzt hat, wird hier aus der englischen Version zitiert. Beckett, Comment dire/what is the word (1988), New York 2012, S. 226–229.

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»Keep! for end«6 , was auf einen planvollen und aussagekräftigen Abschluss seines künstlerischen Werks hinweist. Das Gedicht zeichnet sich durch eine melodische Struktur aus, die mittels Wiederkehr, Abwandlung und Kombination das im Titel gesetzte Thema umsetzt. Die zweiundfünfzig Zeilen des Gedichts kommen mit insgesamt gerade einmal vierundzwanzig unterschiedlichen Wörtern aus und sind in einem stockenden und gleichzeitig atemlosen Rhythmus arrangiert. Formal hergestellt wird dieser Effekt durch sehr kurze Zeilen, vielfache Wortwiederholungen und einen Gedankenstrich am Ende jeder Zeile. Die Ankerwörter »folly, this, all, glimpse, seem, need, there«7 benennen das irrwitzige Zweifeln, Vermuten und Wähnen und versinnbildlichen die Dringlichkeit der verbalisierten gedanklichen Suche. Alle Wendungen kreisen um die immer wiederkehrende Titelzeile und Kernaussage ›what is the word‹, mit der das Gedicht schließlich auch satzzeichenlos endet. Vordergründig findet sich hierin eine Metapher für die lebenslange Schreibproblematik des Verfassers, die jedoch umfassender als generelle Suchbewegung zu verstehen ist. Das Gedicht steht emblematisch für die Suche nach der Bedeutung respektive der Unbedeutung der Sprache und der ihr innewohnenden Frage nach der Mitteilungsfähigkeit eines jeden Individuums zur Außenwelt. Eine philosophische Frage, die an der Wurzel der Erkenntnisfähigkeit des Menschen ansetzt und nach der Potentialität dieser forscht. Im Grunde die Frage eines Aporetikers, welche der junge Beckett in seinem Proust–Essay, von Schopenhauers Schriften beeinflusst, pessimistisch beantwortete: »We are alone. We cannot know and we cannot be known.«8 Den Pessimismus nahm er laut John Pilling später zurück,9 die Aporie als tragendes Strukturmodell blieb. In allen Textgattungen und Genres ist eines der immer wiederkehrenden inhaltlichen, eigentlich unbeschreiblichen Themen das ›endlose Ende‹. Seine Roman–Trilogie zeigt dies beispielhaft: In Molloy (engl. Molloy, 1951) wird 6 7 8 9

Siehe hierzu die Zusatzinformation zu Comment dire/what is the word (1988), New York 2012, S. 474. Im Französischen: »folie, ce, ceci, tout, entrevoir, croire, vouloir, quoi, là« Siehe hierzu Beckett, Comment dire/what is the word (1988), New York 2012, S. 226–229. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 49. + vgl. S. 32. Pilling zitiert Beckett in seinem Aufsatz 1976: »Perhaps I overstated Proust’s pessimism a little.« In: Ders.: »Beckett’s ›Proust‹«, Journal of Beckett Studies. 1976/1 (Winter), S. 24. Zit. n. Schubert 2007, S. 42.

4. ›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹

introspektiv der körperliche wie auch geistige Verfall der Hauptfiguren Molloy und Marone beschrieben. Der Erzähler in Malone Meurt (engl. Malone Dies, 1951) kreist wiederkehrend mit Beschreibungen um sein Ende. Und in L‘Innommable (engl. The Unnamable, 1953) ist es dem Erzähler unmöglich zu verstummen, weil er sein Ende nicht einholen kann und er den gesamten Band um das Verstummen und das damit einhergehende Schweigen herum sinniert. Dieser Wunsch zu schweigen und zu enden, wird dabei immer wieder von einem nicht abbrechen wollenden Redeschwall verhindert, der mit einem zehnseitigen Endlossatz, mit den bezeichnenden Worten endet: »it will be the silence, where I am, I don’t know, I’ll never know, in the silence you don’t know, you must go on, I can’t go on, I go on.« 10 Die Erzählung endet damit gewissermaßen endlos; sie ist nicht ›zu Ende‹, sondern vielmehr ›am Ende‹. Stilistisch werden alle drei Aporien durch Endlossätze und ein stetiges Infrage stellen, beziehungsweise Zurücknehmen von kurz zuvor gegebenen Informationen und Beschreibungen verstärkt. Beckett beschrieb das Ergebnis dieser Methode als ›kompletten Zerfall‹11 : »At the end of my work there’s nothing but dust – the nameable. In the last book – L‘Innommable – there’s complete disintegration. No ›I‹, no ›have‹, no ›being‹. No nominative, no accusative, no verb. There’s no way to go on.«12 Die Worte klingen, wie Theodor W. Adorno es weiter reichend für Becketts Drama Endgame formulierte, »wie Notbehelfe, weil das Verstummen noch nicht ganz glückte, wie Begleitstimmen zum Schweigen, das sie stören,«13 was dazu führt, dass »das Drama zum Gestus [verstummt]«14 .

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Beckett übersetzte sich selbst aus dem Französischen, deshalb wird hier aus der englischen Ausgabe zitiert. Ders.: The Unnamable, in: Ders.: Molloy, Malone Dies, The Unnamable, New York/Toronto: Everyman’s Library 1997, S. 476. Im Französischen heißt es: »[...] ça va être le silence, là où je suis, je ne sais pas, je ne le saurai jamais, dans le silence on ne sait pas, il faut continuer, je ne peux pas continuer, je vais continuer.« Ders.: L’Innommable, Paris: Lés Éditions Minuit 1953, S. 213. Beckett zit. n. Shenker 1956, S. 1. [Meine Übersetzung] Shenker 1956, S. 1. Theodor W. Adorno: »Versuch, das Endspiel zu verstehen«, in: Noten zur Literatur II, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1961, S. 215. Adorno 1961, S. 197.

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Ein Verstummen, das nur durch einen bestimmten Rhythmus15 überhaupt erst wahrnehmbar wird und welcher in allen seinen Texten zu finden ist. Dieser ist durch präzise, meist nur leicht variierende Wiederholungsschleifen angelegt und lenkt den Rezeptionsfokus bereits beim lautlosen Lesen auf den Klang und die Form des Textes. In der darstellerischen Umsetzung lässt sich dieser Effekt durch eine ansteigende Sprechgeschwindigkeit noch zusätzlich verstärken. Die Permutation der ›Lutschsteine‹ in Molloy ist hierfür ein signifikantes Beispiel: Molloy verliert sich in scheinbar endlosen Möglichkeiten, wie er die sechzehn Steine lutschen könnte, die er in seinen Hemd– und Hosentaschen ständig mit sich herumträgt. Die permutierenden, in sich verstrickten Gedankengänge des Protagonisten nehmen insgesamt neun Seiten der Erstausgabe des Romans ein. 16 Schließlich gelangt Molloy zu der Lösung, alle Steine bis auf einen wegzuwerfen, »which I kept now in one pocket, now in another, and which of course I soon lost, or threw away, or gave away, or swallowed.«17 Was Beckett hier durch Molloy kreierte, wird, besonders wenn es laut gesprochen wird,18 zu einem bewegten Bild. Der Text ist bereits in sich performativ angelegt. Erst durch den Sprechakt, beispielweise lautes Lesen, wird er zum Leben erweckt und erhält seine übergeordnete Textdimension. Beckett beschrieb dem Schauspieler und engen Freund Jack MacGowran diesen Prozess in einem Probendurchlauf: »I know my word on the printed page is difficult to read and assimilate and I know also that it gets added dimension when read and dramatized.«19

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Siehe hierzu auch Kapitel 5.1. Beckett übersetzt sich selbst aus dem Französischen, daher wird hier aus der englischen Ausgabe zitiert. Beckett, Molloy, New York/Toronto 1997, S. 75–81. Beckett, Molloy (1951), New York/Toronto 1997, S. 81. Wie zum Beispiel von Jack MacGowran 1965 in Samuel Beckett: Beginning to End: a Television Exploration of the World of Samuel Beckett, BBC 1 TV, 23.02.1965. Beginning to End (RTÉ 1966) 2006, Timecode: ab 10:32:25:22. Mehr dazu in Kapitel 6. Kathleen McGrory/John Unterdecker: »Interview with Jack MacGowran (April 20, 1971, at Western Conneticut State College; Danbury, Conn.)«, in: Dies. (Hrsg.): Yeats, Joyce and Beckett. New Light On Three Modern Irish Writers, Lewisburg: Bucknell University Press 1976, S. 176.

4. ›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹

Eine prozessuale, performative Dimension, welche die Absicht verdeutlicht, dass Text und Bild miteinander verschränkt, kurz ›geformt‹ werden sollen.20 Die literarische Sprache wird durch die Mittel der lautmalerischen Visualisierung zu einer neuen Sprache weiterentwickelt. Besagte performative Dimension eines Textes, spielt auch bei Gerda Poschmanns Konklusion ihrer Begriffsdefinition von ›Texttheatralität‹ eine entscheidende Rolle, bei der sie den Term des Theatertextes, für diese Arbeit sehr tragfähig, ausweitet: »Von der Frage nach dem Entwurf impliziter szenischer Theatralität auf die Frage nach theatralischen Potentialen in der Zeichenpraxis des Textes selbst, nach performativen Dimensionen, die als Eigenschaften nicht mehr impliziter Inszenierungen, sondern des Theatertextes selbst beschreibbar sind – als Theatralität seiner sprachlichen Gestaltung.«21 Becketts Romansprache zieht sie in diesem Zusammenhang in einem früheren Kapitel heran, um besagte letztere Kategorie zu exemplifizieren.22 Diese Definition wendet sie ebenfalls auf Becketts Dramen an, da diese »der Form nach [dramatisch sind], aber eben nur der Form nach, [da] Beckett die dramatische Form kritisch [nutzt].« 23 Poschmanns Aussage lässt sich für all seine Arbeiten generalisieren. Beckett zielt immer auch auf eine kritische Auseinandersetzung mit der jeweiligen Form, wie sich beispielweise auch noch in Teil II zeigen wird. Von elementarer Bedeutung für die Entstehung des Theatertextes, den sie mit der Entstehung eines Kunstwerks gleichsetzt, ist dabei die Erweiterung des Rezeptionsaktes auf »die Artikulation der Signifikanten«,24 woraus sie schlussfolgert: »[E]in Verständnis des Kunstwerks als Prozeß auch der Dialektik von Form und Inhalt, das die Unterscheidung in einen Zweck (Inhalt, Aussage) einer-

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Vgl. hierzu auch: Jean–Luc Nancy: Am Grund der Bilder, Zürich/Berlin: Diaphanes 2006, S. 109–131, [Insbesondere: S. 109+S. 118.] Gerda Poschmann: Der nicht mehr dramatische Theatertext: aktuelle Bühnenstücke und ihre dramaturgische Analyse, in: Hans–Peter Bayerdörfer/Dieter Borchmeyer/Andreas Höfele (Hrsg.): Theatron. Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste. Band 22, Tübingen: Niemeyer 1997, S. 321. Poschmann 1997, S. 44. Poschmann 1997, S. 49. Poschmann 1997, S. 51.

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seits und seine Mittel (Form, Gestaltung) andererseits auch und gerade angesichts der Einsicht in die Autoreflexion der ästhetischen Botschaft hinfällig macht. An die Stelle einer Form– oder Inhaltsanalyse tritt somit die Funktionsanalyse des Textes, der als Textmaschine verstehbar wird.« 25 Auch bei Becketts Arbeiten kann von einer solchen ›Textmaschine‹ gesprochen werden, in der die Lesenden nicht passiv durch die Erzählung gleiten, sondern das Geschriebene nur aktiv decodieren können.26 Die Leserschaft wird von einem konventionellen Erzählverlauf abgelenkt und ganz auf die Formation der Textstruktur eingespielt. Mit dem Resultat, das Susan Brienza folgendermaßen beschreibt: »to experience literature at its genesis, to glimpse, to discover, in his creation and our recreation of a text, the very workings of human brain, profound complexity in simple words.«27 Der Vorgang fokussiert auf den kreativen Prozess und macht diesen für die Leserschaft erfahrbar. Nur indem der Text in Bewegung gesetzt wird, gewinnt er an Form. Beckett war auf der Suche nach einer Sprache, die das Nicht–Sichtbare hervorbringen sollte. Es kann damit in seinem schriftstellerischen Spätwerk durchaus von ›Texttheatralität‹ gesprochen werden, die sich durch die textinhärente performative Dimension, zwischen Werk und Rezipierenden entfaltet. Der Transformationsverlauf der Materialität der Zeichenträger, der sich normalerweise erst durch einen Medienwechsel ändert,28 ist hierbei ohne denselben, durch den ikonischen Aufbau des Textes bereits inkludiert. Auch Brienza hebt den ikonischen Aufbau von Becketts Texten hervor und bezeichnet seine Sprache als »written in various sorts of quasi–English«29 , das alle Erwartungen an Syntax und Grammatik durch Ellipsen, Konvulsion und Fragmentierung enttäuscht. Eine ›Enttäuschung‹, die durch die erschöpfenden Wiederholungsschleifen zum sinnstiftenden Element wird.

25 26 27 28 29

Poschmann 1997, S. 51. Vgl. hierzu auch Ruby Cohn: Back to Beckett, Princeton, N. J. : Princeton University Press 1973, S. 251. Vgl. hierzu auch Susan D. Brienza: Samuel Beckett’s New Worlds. Style in Metafiction. Norman/London: University of Oklahoma Press 1987, S. 262. Siehe hierzu Petra Maria Meyer: »Theaterwissenschaft als Medienwissenschaft«, in: Forum Modernes Theater, Tübingen: Narr H.2/1997, S. 116f. Brienza 1987, S. 244.

4. ›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹

Genau dies macht Gilles Deleuze in seinem bereits in der Einleitung eingeführten Essay Erschöpft 30 über Becketts Œuvre zum Kerngedanken. Er bezeichnet Becketts besondere Sprache als Metasprache,31 welche die herkömmliche Sprache übersteigt und in drei Kategorien eingeteilt werden kann. Um die Kategorien zu platzieren, definiert er die Sprache grundlegend als Mittel, um auszusagen »was möglich ist, […] indem sie es [...] auf eine Verwirklichung [vorbereitet].«32 ›Sprache I‹ kehrt diesen Tatbestand um, indem sie aus Wörtern besteht, die »nicht mehr das Mögliche zur Verwirklichung vorschlagen, sondern selbst dem Möglichen eine ihm eigene, eben erschöpfbare Realität vermitteln.«33 Dies wird erreicht, indem »die Aufzählung die Sätze ersetzt und die kombinatorischen Relationen die syntaktischen.«34 Deleuze nennt sie auch »eine Sprache der Nomen«35 , die seiner Meinung nach ihren Höhepunkt in den Romanen findet, wobei er Watt noch einmal gesondert hervorhebt.36 Auf der ersten aufbauend geht ›Sprache II‹ noch einen deutlichen Schritt weiter: Sie ist die »Sprache der Stimmen«37 und hat zum Ziel, die Wörter selbst zu erschöpfen. Um dies zu erreichen, »muß man sie Anderen zuordnen, die sie aussprechen oder vielmehr aussenden.«38 Daraus zieht er die Konsequenz, dass es bei ›Sprache II‹ »immer ein Anderer [ist], der spricht, da die Worte nicht auf mich gewartet haben, und da die Sprache nur eine fremde sein kann«39 . Kurzum: »es ist immer ein Anderer, der ›Besitzer‹ der Objekte, die er sprechend besitzt.«40 Besonders in Becketts Arbeiten ›für den Funk kommt diese voll zum Ausdruck‹.41 ›Sprache III‹ transzendiert die Prämissen der ersten beiden Sprachen zu sprachlichen Bewegtbildern, den »Bilder–Ri-

30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41

Deleuze 1996. Deleuze 1996, S. 60. Deleuze 1996, S. 52. Deleuze 1996, S. 60. Deleuze 1996, S. 60. Deleuze 1996, S. 60. Deleuze 1996, S. 68. Deleuze 1996, S. 61. Deleuze 1996, S. 61. Deleuze 1996, S. 62. Deleuze 1996, S. 62. Sinngemäß zit. n. Deleuze 1996, S. 68.

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tornellen«42 , die sich durch ihre Prozesshaftigkeit charakterisieren43 und in allen Gattungen zu finden sind. Im Grunde ist der Begriff des Bild–Ritornells erst einmal mit der Definition der Texttheatralität vergleichbar. Jedoch mit dem entscheidenden Zusatz, dass sich besagte Bild–Ritornelle auch außerhalb eines Textes, beziehungsweise einer Verbalisierung finden lassen. Die Fernsehspiele hebt Deleuze in seiner Konklusion diesbezüglich besonders hervor, da »das Fernsehen [...] Beckett erlaubt, die Unterlegenheit der Wörter zu überwinden.«44 Wie in der Einleitung bereits hinterfragt, spricht er gar von einer »Spezifität des Fernseh–Œuvres«45 , was in Teil II dieser Arbeit noch tiefergehend untersucht wird. Beckett selbst verortete seine Arbeitsmethode, ganz in van Velde’scher Tradition, auf der Basis von Experimenten gezielten Scheiterns und ordnete sich einem Künstlertypus zu, den er als »non–knower, a non–can–er (somebody who can not)«46 beschrieb und der im Gegensatz zum Apollinischen Typ des Künstlers (S. B.: »is absolutely foreign to me«47 ) nicht »master of his material«48 sei. Seine Entscheidung für eine kombinatorische, serielle Sprache war jedoch eine sehr bewusste und er war fern davon nicht ›Herr seines Materials‹ zu sein. Er bewegte sich vielmehr in kontrollierbaren Räumen des Scheiterns und ließ seine Figuren in unterschiedlichen experimentellen Konstruktionen an ihre Grenzen stoßen. Gerade seine Prosatexte lassen sich durchaus als Experimente lesen, in denen die Möglichkeiten der Sprache soweit ausgereizt werden, dass die Sprache beginnt sich aufzulösen und mehr einer Melodie zu gleichen scheint. Melodie im Sinne von Poesie, deren Sinn fühlbar und vorstellbar, aber ebenso vielfältig assoziierbar ist. Der dreiseitige Text L‘image (1959) zeigt beispielhaft, wie Beckett sich ganz der Auflösung der Sprache widmete: L‘image verfügt über keine Satzzeichen und basiert auf der Idee, ein Bild – wohl das eines Sprachlosen, dessen Zunge mit Schlamm verklebt wird – in poetischer Form hervorzubringen. Dass es

42 43 44 45 46 47 48

Deleuze 1996, S. 66. Deleuze 1996, S. 66f. Deleuze 1996, S. 99. Deleuze 1996, S. 69. Shenker 1956, S. 3. Shenker 1956, S. 3. Shenker 1956, S. 3.

4. ›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹

hier buchstäblich um die Erschaffung eines Bildes geht, wird besonders in den letzten Sätzen klar, in denen es heißt: »I stay here way off on the right in the mud opens and closes that helps it’s going let it go I realize I’m still smiling there’s no sense in that now been none for a long time now the tongue comes out again lolls in the mud I stay like this no more thirst the tongues goes in the mouth closes it must be straight line now it’s done I’ve done the image.«49 Neben dem sprachlichen Konstrukt, wird hier fernerhin ein Verfasser evident, der sich auch visuellen Experimenten hingab, indem er nicht nur mit einer bildgewaltigen, sondern auch an einer vom Bild dominierten Sprache arbeitete. Ziel des Textes ist es auch hier ein bewegtes Bild herzustellen, »vorausgesetzt, man befreit es von den Ketten, mit denen die beiden anderen [visuelle und akustische] Sprachen es festhalten«50 , wie Deleuze einwendet. Dafür wird der Lesefluss durch den Verzicht auf eine strukturierende Grammatik beflügelt und das literarische Ich erfährt durch den so entstehenden Freiflug der Sprache eine vollständige Herauslösung aus seiner Umgebung. Das Bild entsteht durch den prozessualen Freiraum. Michael Glasmeier generalisiert das Phänomen, mit Bezug auf Deleuze: »Es ist die Stase des Nichts, das Vakuum, die unbegreifliche ruhende Anwesenheit, die Beckett in Roman, Theater, Film und Lyrik von Anfang an vorführt. Dazu braucht er paradoxerweise Bewegung. Die Stase muß zucken, atmen. Er muß die Zeit einführen, um den Raum als Nichts kenntlich zu machen. Er muß reden lassen (am besten über nichts), handeln lassen (am besten möglichst wenig), Realitäten einführen (am besten unscheinbare) und strukturieren (am besten durch Repetition).«51

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50 51

Beckett: The Image, Engl. v. Edith Fournier, in: Ders.: The Complete Short Prose. 1929–1989. Edited by Stanley Gontarski, New York: Grove 1995, S. 165 f. Im Original: »je reste là là–bas à droite dans la boue la main s' ouvre et se referme ça aide qu'elle s' en aille je me rends compte que je souris encore ce n' est plus la peine depuis longtemps ce n' est plus la peine la langue ressort va dans la boue je reste comme ça plus soif la langue rentre la bouche se referme elle doit faire une ligne droite à présent c' est fait j' ai fait l'image.« In: Beckett: L’image (1959), Paris: Les Éditions Minuit 1988, S. 17f. Deleuze 1996, S. 65. Glasmeier 2000, S. 150.

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Neben der hilfreichen Zusammenfassung deutet sich hier auch das grundlegende Paradoxon in Becketts Werk an, das sich im Sinne Zenons erklären lässt; der auf eine dringliche Frage hin, ›ob denn nichts ruhe‹, antwortete: ›Ja, der fliegende Pfeil ruht.‹ Der Mathematiker John Allen Paulos bietet für dieses Phänomen eine interessante Lösung an: »[S]o hatte ZENON insofern recht, als er glaubte, dass der Pfeil zu jedem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle ist und es eigentlich keinen Unterschied gibt zwischen einem Pfeil, der zu einem bestimmten Zeitpunkt in Ruhe ist, und einem, der zu diesem Zeitpunkt in Bewegung ist. Bewegung und Ruhe sind in der Momentaufnahme nicht voneinander zu unterscheiden. Sein Fehler war, daraus zu folgern, dass Bewegung unmöglich sei. Der Unterschied zwischen Ruhe und Bewegung kommt erst zum Vorschein, wenn man sich die Position des Pfeils zu verschiedenen Zeitpunkten ansieht. Bewegtheit ist nichts anderes, als zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten zu sein, Ruhe nichts anderes, als zu unterschiedlichen Zeiten am selben Ort zu sein.«52 Zenons Paradox ist folglich im Kern gar kein Paradox der Bewegung. Es ist vielmehr ein Paradox unserer Wahrnehmung von Unendlichkeit: Um das Ziel einer Strecke zu erreichen, muss man die unendlich vielen Teilstrecken zurücklegen, aus denen sie besteht. Man könnte also, um auf Beckett zurückzukommen, sagen, dass es diesem um die Darstellung der Grenze ging, bei der Innen und Außen zusammenfällt, also darum, einen Moment darzustellen, an dem das Individuum bereits am Ende, aber noch nicht beendet ist, einen oszillierenden Moment, in dem Geschwindigkeit ebenso Stillstand bedeutet. Dies zeigt sich beispielsweise bei Watt, wo sich der gleichnamige Beckett–Held in »rasendem Schneckentempo in gerader Linie voran bewegt«,53 was sich auf diese Art und Weise vollzieht: »Watt's way of advancing due east, for example, was to turn his bust as far as possible towards the north and at the same time to fling out his right leg as 52 53

John Allen Paulos: Von Algebra bis Zufall. Streifzüge durch die Mathematik, Frankfurt am Main/New York: Campus 1992, S. 276. Beckett: Watt (1953), Werke II.2, Romane, Vierter Band. Aus dem Englischen von Elmar Tophoven, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976, S. 235. Elmar Tophoven übersetzt es sinngemäß aus dem Englischen. Im Original heißt es: »a headlong tardigrade«, zu Deutsch: ›hechtendes Bärtierchen‹. Vgl. Beckett: Watt (1953), London: Calder Jupiter 1963, S. 28.

4. ›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹

far as possible towards the south, and then to turn his bust as far as possible towards the south and at the same time to fling out his left leg as far as possible towards the north, and then again to turn his bust as far as possible towards the north and to fling out his right leg as far as possible towards the south, and then again to turn his bust as far as possible towards the south and to fling out his left leg as far as possible towards the north, and so on, over and over again, many many times, until he reached his destination, and could sit down.«54 Diese Bewegung Watts steht beispielhaft für Becketts Verwendung von »exhaustiven, das heißt erschöpfenden Serien,«55 wie Deleuze sie nennt. Diese erschöpfenden Serien, die Becketts Protagonisten regelmäßig bis an ihre Grenzen führen, kann man auch definieren als ›unendlich viele Teilstrecken‹ im Sinne Zenons Theorems von Bewegung und Stillstand (am Bild des fliegenden Pfeils). Von solchen Serien sieht Deleuze Becketts gesamtes Werk durchzogen, was er als wichtigstes Symptom für den Sprachzerfall interpretiert. Den Grund hierfür sieht Deleuze darin, dass es sich bei Becketts Figuren um ›Erschöpfte‹ handelt. Becketts Figuren als Erschöpfte zu verstehen, bedeutet nach Deleuze, dass »Becketts Personen mit dem Möglichen [spielen], ohne etwas zu verwirklichen,« und dass »sie viel zu sehr beschäftigt [sind] mit einem immer mehr in seiner Art eingeschränkten Möglichen, als dass sie sich darum kümmerten, was sonst noch geschieht.«56 Um noch einmal auf Watt zurückzukommen, kann deshalb wohl angenommen werden, dass er sein Ziel schlichtweg durch den Akt des Hinsetzens erreicht. Dabei gilt für Beckett, um wiederum Deleuze zu folgen, was Maurice Blanchot von Robert Musil sagt: »allergrößte Genauigkeit und höchstgradige

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55 56

Beckett, Watt (1953), London 1963, S. 28. Es ist anzunehmen, dass Watts Gang Bruce Nauman zu seinem Beckett Walk (1968) inspirierte. Deleuze 1996, S. 55. Deleuze 1996, S. 54.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Auflösung«57 sowie »der endlose Austausch von mathematischen Formulierungen und die Verfolgung des Formlosen oder Unformulierten.«58 Ergänzend kann hier noch einmal Adorno angeführt werden, der in Becketts provoziertem Sprachzerfall bereits ein Vordringen ins »ästhetische Arcanum«59 sieht, indem Beckett ein »Instrument der eigenen Absurdität, nach dem Ritual der Clowns, deren Geplapper zu Unsinn wird, indem er als Sinn sich vorträgt,« 60 anwendet. Diese »zweite Sprache der Verstummenden«,61 wie er sie auch nennt, wird von Adorno als: »ein Agglomerat aus schnoddrigen Phrasen, scheinlogischen Verbindungen, galvanisierten Wörtern als Warenzeichen, das wüste Echo der Reklamewelt, […] umfunktioniert zur Sprache der Dichtung, die Sprache negiert.«62 Hierauf gründend kann man Becketts Sprachzertrümmerung als eine Konzentration auf das Abwesende bezeichnen, aus der heraus sich der Künstler einer ›visuellen Sprache‹ zuwendet, um eine Sprache für die Unsagbarkeit der Welt zu finden. Adorno und Deleuze zusammenfassend kann festgehalten werden, dass durch diese ›Arithmetik des Irrsinns‹, wie ich sie nennen möchte, »die Form bis ins sprachliche Gefüge hinein [zerrüttet]«63 wird. Becketts Suche kreiste um eine neue Form der Darstellung; eine Form, welche die Verwirrung der Wirklichkeit enthält und aufrechterhält. Das primäre künstlerische Anliegen zielte darauf, Muster und Rhythmen zu entwickeln, die seinem Schaffen Form verliehen. Seine Ziele dabei waren, die Erwartungen der Zuschauenden oder Lesenden anzugreifen, zu be– und entfremden, sowie die Stärke einer auf das Essentielle reduzierten Kunst zu entfalten, um so den traditionellen Mimesis–Begriff der Kunst zu ›durchbohren‹, um auf immer höhere Ebenen der Abstraktion zu gelangen.64 Sein Bestreben zielte dabei darauf, eine ›Dritte Dimension‹ im Sinne von Roland Bart-

57 58 59 60 61 62 63 64

Maurice Blanchot: Der Gesang der Sirenen. Essay zur modernen Literatur, München: Hanser 1962, S. 184ff. Zit. n. Deleuze 1996, S. 56. Deleuze 1996, S.56. Adorno 1961, S. 218. Adorno 1961, S. 218. Adorno 1961, S. 218. Adorno 1961, S. 218. Adorno 1961, S. 190. Vgl. Gontarski 1985, S. 12ff.

4. ›Texttheatralität‹ und ›Bild–Ritornell‹

hes,65 durch Form wahrnehmbar werden zu lassen.66 Diesbezüglich treffen Jean–Luc Nancys Prämissen für das Oszillieren zwischen Bild und Text zu: Zum einen, dass »der Horizont des Bildes der Text [ist], durch den eine unbestimmbare Vorstellungspotenz eröffnet wird,«67 und zum anderen, dass »Form und Intensität eng verschlungen sind.«68 Diese visuelle Sprache thematisiert die »Subjekt–Objekt–Krise«69 im künstlerischen Prozess nicht nur, sondern fordert die Lesenden/ Zuschauenden zudem heraus, sich ebenfalls der Krise der Wahrnehmung zu stellen.

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Vgl. Roland Barthes: »Writing Degree Zero«, Englisch von Annette Lavers/Colin Smith, Vorwort von Susan Sontag, New York: Hill and Wang 1977. Vgl. Barthes 1977. Vgl. Nancy 2006, S. 119. Vgl. Nancy 2006, S. 118. Beckett: »Sie ist noch nicht am Ende ihrer schönen Tage, die Subjekt–Objekt–Krise.« Ders.: »Henri Hayden, homme–peintre«, in: Hartmut Engelhardt (Hrsg.): Samuel Beckett, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 21.

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5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

5.1

Sprachrhythmus – Bildrhythmus

Wie im letzten Kapitel bereits deutlich wurde, ist Bewegung ein Grundpfeiler für die Entwicklung Becketts visueller Sprache. Eine rhythmische Bewegung, die der Philosoph Paul Good in seinem Aufsatz zu Becketts »Bewegungs–Prosa« – wie er sie nennt – als »sprachliche Schaukelbewegungen« beschreibt, welche »unermüdlich wiederholt« werden.1 Die rhythmische Intonation stellt auch in Becketts Theatersprache eine übergeordnete Methode dar. Was sich zum einen erneut in der Sprachzertrümmerung zeigt und zum anderen in der Hinwendung zur Pantomime. In der Theaterpraxis verdeutlichte sich dies beispielsweise, wenn Beckett zu Proben ein Metronom mit ins Theater brachte, um die Darstellenden auf strikt rhythmisiertes Sprechen einzuspielen.2 Oder er zeichnete Probenmonologe auf, um den Rhythmus gezielter mit den Darstellenden besprechen zu können. Jack MacGowran beschrieb diesen Vorgang, bezüglich des Lucky–Monologs in Waiting for Godot, als hilfreich: »When Beckett was trying to explain the rhythms to me, he said, ›I can’t explain what a rhythm is except that it’s iambic pentameter or trochaic; outside that they are just specific rhythms of my own.‹ And I said, ›Well, the only way we can do it is if I hear them‹. So he recorded Lucky’s speech for me on a tape recorder and I listened to that many, many times. That is how I got the rhythm of the speech, and from those rhythms I could actually hear what I 1

2

Paul Good: »Das Bild: Ein Ritornell. Lücken für wenn Worte vergangen bei Samuel Beckett [sic]«, in: Werner Scheel/Kunibert Bering (Hrsg.): Ästhetische Räume. Facetten der Gegenwartskunst, Oberhausen: Athena 2000, S. 132. Ausführlich nachzulesen bei Knowlson 1997, S. 500.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

was being said. It’s really one long sentence that ends with the conclusion that man ›wastes and pines wastes and pines.‹«3 Wie sich an der Probenbeschreibung bereits abzeichnet, konzentrierte sich Beckett wie in seinem schriftstellerischen Werk auch in der szenischen Umsetzung mehr auf die Art der Durchführung als auf eine etwaige Einfühlung in das Geschehen. Er nutzte dafür die dem Rhythmus innewohnende Prozessualität ebenso wie das verbindende Element, um den Fokus auf das »Wie der Bewegtheit«4 zu legen und »das Ineinandergleiten von sinnlichen und sinnhaften Momenten [zu bewirken]«5 . Und auch wenn er dabei, in ganz konventionell rhythmischem Sinne, auf das Metronom zurückgriff, wollte er eigentlich einen übergeordneten, ›eigenen‹ Rhythmus finden. Mit diesem methodischen Zugriff und der Handhabung dieses Stilmittels bewegte er sich durchaus im Rahmen seiner künstlerischen Epoche und kann als einer der ersten Theater– und Performance–Kunstschaffenden eingeordnet werden, die nach der Definition von Erika Fischer–Lichte ab den 1960er Jahren den Rhythmus als »leitendes dramaturgisches Prinzip im Sinne eines Organisationsprinzips«6 verwendeten. Fischer–Lichte stellt für diesen Ansatz drei Wirkungsprämissen fest: »a) Rhythmus kann eine Dehierarchisierung der verwendeten theatralen Mittel bewirken, was eine Fokussierung der Wahrnehmung auf die Materialität des Wahrgenommenen statt seine Zeichenhaftigkeit zur Folge hat. b) [...] der Rhythmus verhindert, dass die Aufführung in ihrem Verlauf einer Handlungs– oder Psychologik oder anderen Arten kausaler Verknüpfung folgt; er bewirkt vielmehr einen ständigen Wechsel zwischen dem Voraussagbaren und dem Unerwarteten. c) Rhythmus bringt eine Gemeinschaft von Akteuren und Zuschauern hervor

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»Jack MacGowran interviewed by Richard Toscan (Feb. 1972): MacGowran on Beckett«, Theatre Quarterly 3, no. 11, London: TQ Publ. 1973, S. 15. [Meine Herv.] Bernhard Waldenfels: Sinnesschwellen. Studien zur Phänomenologie des Fremden 3, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999, S. 40. Zit. n. Clemens Risi: »Rhythmus«, in: Erika Fischer–Lichte/Doris Kolesch/Matthias Warstat (Hrsg.): Metzler Lexikon. Theatertheorie, Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler 2005, S. 272. Zit. n. Risi, Metzler Lexikon. Theatertheorie 2005, S. 273. Erika Fischer–Lichte, zit. n. Risi, Metzler Lexikon. Theatertheorie 2005, S. 273.

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

[...] ermöglicht den Beteiligten, Gemeinschaft als geteilte Erfahrung in ihrer Dynamik leiblich zu spüren und zu erleben.«7 Besonders die ersten beiden Prämissen wurden bereits für Becketts Arbeiten festgestellt und erläutert. Die dritte Prämisse trifft, wie im letzten Kapitel ausgeführt wurde, besonders auf das Lesen von seinen Werken zu. Bei seinen Arbeiten für die Bühne kann sich die ›leibliche Beteiligung‹ in kontemplativer Form vollziehen, ist aber weniger zwingend als beim aktiven Lesen. Seinen ›eigenen Rhythmus‹ der Sprache auf der Bühne durchzusetzen, war für Beckett ein grundlegendes Anliegen, welches er nicht nur im Probenverlauf seiner eigenen Inszenierungen verwirklichen wollte, sondern auch dann, wenn er nicht selbst Regie führte. Es ging ihm, wie sich in einem Brief an Alan Schneider zeigt, vorrangig um ein vollständiges Durchkomponieren der Sprache, in diesem Fall in einem Da–capo–Rhythmus: »I still am not absolutely sure that this is right. I think it is, if the movement is fast enough. I asked Deryk to cut all the pauses. Speech reaction to light stimulus now instantaneous, i.e. all those three second pauses cancelled with sacrifice of effect of effort to speak and all the five seconds reduced to two or three. Everything for the sake of the speed if you adopt the da capo.«8 Dieser Brief, der sich über drei Seiten mit inszenatorischen ›Vorschlägen‹ für Spiel beschäftigt,9 kann daher auch als ein Inszenierungskonzept gedeutet werden, bei dem sich der Autor durch eine Erweiterung der Bühnenanweisungen erneut einschaltete. Woraus sich schließen lässt, wie auch viele weitere Anekdoten belegen,10 dass für Beckett – auch als Theaterregisseur11 – Tempo, Ton und Rhythmus wichtiger waren als Charakterdarstellung oder Gefühlstiefe.

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Erika Fischer–Lichte, zit. n. Risi, Metzler Lexikon. Theatertheorie 2005, S. 273. [Meine Herv.] Vgl. S. B. an Alan Schneider, am 26.11.1963, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume III: 1957–1965, S. 584. Samuel Beckett, Spiel, UA im Ulmer Theater, am 14.06.1963, unter der Regie von Deryk Mendel. Vgl. Knowlson 1997. »Beckett geht mit sich um wie ein erfahrener Regisseur mit einem weniger erfahrenen Autor – er hat Respekt vor ihm, doch weiß er ihn notfalls auch zu belehren.« Georg Hensel: Wie Beckett mit Beckett umging, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 108.

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Die Entwicklung einer neuen Form von Sprache setzte sich auf der Bühne weiter fort. Im Grunde ist es die Suche nach einer Sprache, die vergleichbar mit der Sprache der »tätigen Metaphysik«12 ist, die Antonin Artaud 1938 für das Theater forderte. So trafen sich beide Kunstschaffenden weniger in der Umsetzung als in der Radikalität und Intensität ihres Ansatzes. Artaud suchte wie Beckett eine Sprache, die auszudrücken vermochte, »was sie [die herkömmliche Sprache] für gewöhnlich nicht zum Ausdruck bringt: heißt, sich ihrer auf neue, ungewohnte, außerordentliche Weise bedienen, heißt, ihr die eigenen Möglichkeiten körperlicher Erregung zurückgeben, heißt, sie aktiv zu zerlegen und im Raum zu verteilen, […] heißt mit einem Wort, die Sprache als Beschwörung sehen.«13 Eine Sprachzertrümmerung, die durch Rhythmus und Intensität im Grunde einen nonverbalen Ausdruck vermittelt, da sie ihres konventionellen Sinns beraubt, eine höhere Dimension ›heraufbeschwört‹. Ein für Becketts Arbeiten bereits beschriebenes Konzept, welches er in Act Without Words I+II erneut auf die Probe stellte mit dem Ansatz, die Worte dieses Mal gänzlich auszuschließen. In Act Without Words I (1957) wird die Figur, die nur als »the man«14 bezeichnet ist, einzig und allein mit Pfiffen durch den an sich leeren Bühnenraum gelenkt. Der Theaterraum wird gleich zu Beginn des Skripts als »desert«15 bezeichnet und stellt einen leeren Raum dar, in welchem das fortlaufende Hin und Her gepfiffen werden, das in den Staub fallen und ›Überlegen‹ des namenlosen Akteurs16 durch das Herablassen von vereinzelten Gegenständen vom Schnürboden, wie beispielsweise »a tree«17 oder »a tiny carafe, to which is attached a huge label inscribed WATER«18 in rhythmisierter Weise unterbrochen wird. Das helfende Potential bleibt dabei generell ungenutzt, da die Gegenstände immer in einer knapp unerreichbaren Höhe stagnieren. 12 13 14 15 16 17 18

Antonin Artaud: Das Theater und sein Double (1938). Aus dem Französischen von Gerd Henniger, München: Matthes & Seitz 1996, S. 47. Artaud, Das Theater und sein Double (1938), München 1996, S. 47. Samuel Beckett: Act Without Words I, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 1986, S. 203. Beckett, Act Without Words I (1957), London 1986, S. 203. Im Skript heißt es: »He falls gets up immediately, dusts himself, turns aside, reflects.« Beckett, Act Without Words I (1957), London 1986, S. 203. Beckett, Act Without Words I (1957), London 1986, S. 203. Beckett, Act Without Words I (1957), London 1986, S. 204. [Herv. Beckett]

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

Die Versuchsabläufe wirken durch die immer gleichbleibenden Prämissen in einem leeren, überschaubaren Raum wie ein Experiment, in dem die Figur in allen aberwitzigen Versuchen, an die Karaffe oder den Baum, zu gelangen scheitert. Sie erinnert dabei durch die zahlreichen unglücklichen Anläufe an einen Clown im Zirkus, der immer wieder auf den Rechen tritt und den Stock gegen den Kopf geschlagen bekommt. Hierzu passend schrieb Peter Brook: »Becketts Stücke haben die Eigenart von Panzerwagen und Idioten – man kann sie beschießen, man kann sie mit Cremetorten bewerfen: sie setzen ihren Weg gelassen fort. […] Was er uns vorführt ist furchtbar. Weil es furchtbar ist, ist es auch komisch. Er zeigt, es gibt keinen Ausweg, und das ist natürlich irritierend, weil es tatsächlich keinen Ausweg gibt.«19 Zusammenfassend lässt sich zu Act Without Words I sagen, dass die Pantomime auf einer clownesken, rhythmisierten Choreografie von Abläufen des Scheiterns basiert und so eine weitere Bewegtbild–Metapher für Becketts ›Erschöpfte‹ gefunden wurde. Das richtige Timing ist dabei zwingende Voraussetzung. Eine rhythmische Temporegulierung, bei der genau wie schon zuvor bei den Wörtern, die einzelnen Bewegungen der Abläufe zu Zeichen oder vielmehr Chiffren werden, die eine gewisse Geschwindigkeit benötigen, um ein Bild zu ergeben, ganz wie beim Abspielen eines Films. Ein Vergleich, den Beckett bereits 1937 in einem Brief an Alex Kaun selbst andeutete: »[…] man kann die Aufeinanderfolge nur darstellen durch die Zustände, die aufeinander folgen, nur dadurch, dass man sie zu einem so schnellen Gleiten bringt, dass sie schließlich im Bild dieser Aufeinanderfolge miteinander verschmelzen, fast möchte ich sagen, sich stabilisieren.«20 Das ›Ineinandergleiten von Abläufen, welche nur im Zusammenhang ein Bild ergeben‹, zeigt sich auch gut in Act Without Words II (1959): Das Prinzip aus der ersten Version wird hier mit zwei gegensätzlichen Protagonisten fortgeführt. Der eine wird als ›A‹ vorgestellt und ist »slow, awkward (gags dressing

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Zit. n. Christine Hoffmann/Michael Glasmeier: »Faktische Intensitäten«, in: Kunsthalle Wien u.a. (Hrsg.): Samuel Beckett/Bruce Nauman, Wien: Kunsthalle Wien 2000, S. 12. Samuel Beckett: »Brief an Axel Kaun. (Dublin 9/7/37)«, in: Ders.: Disjecta. Miscellaneous Writings and a Dramatic Fragment by Samuel Beckett, hrsg. von Ruby Cohn, New York: Grove Press 1984, S. 38.

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and underdressing), absent«21 und der andere wird als ›B‹ bezeichnet und ist »brisk, rapid, precise«22 , hinzu kommt noch ›C‹, was als »a little pile of clothes«23 festgelegt wird und ein ›Treibstockstachel‹24 , der die Säcke, in denen A und B schlafen, immer wieder ansticht und ähnlich den Pfiffen in Act Without Words I die Figuren aktiviert. Mit einem dreiseitigen Umfang ist es eine Seite kürzer als sein Vorgänger und wirkt mit der vorangestellten siebenzeiligen Inszenierungsnotiz und der Ablaufskizze am Ende noch deutlicher wie ein Experimentaufbau. Das Skript entbehrt jeder Narrative und besteht aus rhythmisierten Aufzählungen einfacher Handlungen, die jeweils in allen Teilhandlungen aufgezählt werden, wie beispielsweise dem Essen einer Karotte: »[...] takes a large partly–eaten carrot from coat pocket, bites off a piece, chews an instant, spits it out with disgust, puts carrot back [...]«25 Durch die Aufteilung der Handlungen in einzelne Teile in Zusammenhang mit Figuren, die durch ihre Benennung als A, B und C eine Anlehnung an die klassischen Variablen der Geometrie darstellen, ergibt sich der Eindruck einer Rechenformel, die durch das Spiel praktisch überprüft werden soll. Es geht sozusagen darum, mit einer Formel eine Unbekannte abzubilden. Hierüber lässt sich ein weiterer filmischer Bildbezug finden, wenn man Knut Hickethiers Analyse des Visuellen, des Auditiven und des Narrativen folgt, der grundständig über die Bildkreation feststellt: »Dabei ging es beim Schaffen von Bildern zunächst nicht darum, das abzubilden, was ohnehin schon zu sehen war, sondern das darzustellen, was nicht da war. Das Abwesende im Bild anwesend zu machen, ist eine der frühen und wesentlichen Aufgaben des Bildes, ob beim Jagdzauber, bei der Beschwörung der Dämonen oder bei der Verehrung eines Gottes. Das Bild steht stellvertretend für etwas Anderes, das nicht anwesend ist, dessen Existenz aber durch das Bild behauptet wird.«26

21 22 23 24 25 26

Beckett, Act Without Words II (1959), London 1986, S. 209. Beckett, Act Without Words II (1959), London 1986, S. 209. Beckett, Act Without Words II (1959), London 1986, S. 209. Im englischen Original: »a goad«. Beckett, Act Without Words II (1959), London 1986, S. 209. Beckett, Act Without Words II (1959), London 1986, S. 209. Knut Hickethier: »Zur Analyse des Visuellen, des Auditiven und des Narrativen.«, in: Ders.: Film– und Fernsehanalyse, Stuttgart/Weimar: Metzler 2001, 3. überarbeitete Auflage, 1996, S. 42f.

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

Die Darstellung von etwas Abwesendem, eigentlich Undarstellbarem vermittelt sich in beiden pantomimischen Akten. Verdeutlicht wird dies noch zusätzlich durch den eigentlich leeren Raum, in dem sich alles abspielt. Er dient als Assoziationsfläche, auf der jedes Detail hervorgehoben wird, ganz im Sinne eines Versuchsraums.

5.2

Der Raum als Blackbox

Der leere Raum als Tragfläche in seiner ganzen Potentialität ist eine Gegebenheit, die in Becketts Werk entweder szenisch oder prinzipiell vorherrscht, und ist damit ein weiteres tragendes Element in seinem ästhetischen Formprinzip. Der Bühnenraum wird dabei metaphysisch überschritten, was sich beispielsweise an Becketts Bühnenanweisungen für Fin de partie/Endgame (1957)27 gut nachvollziehen lässt. Die Bühnensettings sind wie die Szenenangaben minimalistisch gehalten: »Bare interior. Grey light. Left and right back, high up, two small windows, curtains drawn. Front right, a door. Hanging near door, its face to wall, a picture. Front left, touching each other, covered with an old sheet, two ashbins, Centre, in an armchair on castors, covered with an old sheet, HAMM.«28 Durch die Pantomime Clovs gewinnt der oben beschriebene Raum gleich zu Beginn des Spiels eine übergeordnete Bedeutung. Nachdem Clov eine unbekannte Dauer lang bewegungslos Hamm angestarrt hat, versucht er, einen Blick aus den ›Fensterchen‹29 zu werfen. Dazu muss er allerdings nicht nur immer wieder auf die Leiter klettern, sondern diese auch jedes Mal durch den ganzen Bühnenraum schleppen. Er folgt dabei einer detaillierten und rhythmisierten Choreographie:

27

28 29

Beckett schrieb den Einakter auf Französisch und übersetzte sich selbst ins Englische. Die UA des Einakters erfolgte am 03.04.1957 im Royal Court Theatre in London, daher wird hier durchgehend der englische Titel angeführt und aus der englischen Ausgabe zitiert. Samuel Beckett: Endgame, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 1986, S. 92. Wie es in der deutschen Übersetzung heißt. Beckett: Endspiel, in: Ders.: Endspiel, Das letzte Band, Akt ohne Worte 1 und 2, Glückliche Tage, Spiel. Deutsch von Erika und Elmar Tophoven, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 9.

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»CLOV goes and stands under window left. Stiff, staggering walk. He looks up at window left. He turns and looks at window right. He goes and stands under window right. He looks up at window right. He turns and looks at window left. He goes out, comes back immediately with a small step–ladder, carries it over and sets it down under window left, gets up on it, draws back curtain. He gets down, takes six steps [for example] towards window right, goes back for ladder, carries it over and sets it down under window right, gets up on it, draws back curtain. He gets down, takes three steps towards window left, goes back for ladder, carries it over and sets it down under window left, gets up on it, looks out of window. Brief laugh. He gets down, takes one step towards window right, goes back for ladder, carries it over and sets it down under window right, gets up on it, looks out of window. Brief laugh.«30 Durch die sich wiederholenden, an sich banalen Handlungsabläufe wird eine Spannung aufgebaut, die den Rezeptionsfokus auf die hier implizierte, rätselhafte Außenwelt lenkt. Was – oder besser, was nicht – Clov beim Hinausblicken wahrnimmt und auflachen lässt, erschließt sich erst, als der invalide Hamm beharrlich nach dem Wetter fragt und seinen von ihm abhängigen Gefährten zur Wiederholung der Leiter– und Kletterprozedur antreibt, woraus sich ein nach–der–Aussicht–tastender Dialog entspinnt, der in folgenden Beschreibungen mündet: »CLOV: [He gets up on ladder, turns the telescope on the window.] Lets see. [He looks, moving the telescope.] Zero … [he looks] ... zero … [he looks] … and zero. […] CLOV : [Looking.] Grey. [Lowering the telescope, turning towards HAMM, louder.] Grey! [Pause. Still louder.] GRREY! [Pause. He gets down, approaches HAMM from behind, whispers in his ear.] HAMM: [Starting.] Grey! Did I hear you say grey? CLOV: Light black. From pole to pole.«31 Außerhalb des Innenraums ist nur noch ›das Nichts‹32 , was dann als ›Grau‹, im Sinne eines ›lichten Schwarz‹ bezeichnet wird. Ein Grau also, dass physikalisch die exakte Mischung aus Licht und Schatten darstellt und damit den augenscheinlichen Nullpunkt oder philosophisch ausgedrückt: die Auflösung des Dualismus. Durch diese metaphysisch ausgerichtete Feststellung ändern

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Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 92. Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 107. Wie es in der deutschen Übersetzung heißt. Beckett: Endspiel, Frankfurt am Main 1989, S. 24.

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

sich die Parameter des Raums und die hieraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten der Figuren. Das zuvor verheißungsvolle Draußen wird zum undefinierbaren ›Unort‹33 . Ein ›Unort‹, der »das Merkmal der ›raumkonstituierenden Handlung‹ mit dem Wechsel der Wahrnehmungsebenen im Sinn von Foucaults Heterotopiekonzept der Gegen–Verortung verbindet.«34 Der karge, wenig einladende Innenraum wird damit zum Schutzraum. Erst durch die Pantomime entsteht ein Draußen und wird dann »– nach [Michel] de Certeau – durch ein narratives Surplus konstituier[t]«, wodurch es »über die physikalische Voraussetzung hinauswachsen [kann]«. 35 Die Figuren werden hierdurch, um Adorno zu zitieren, zu solchen »die den eigenen Tod träumen, in einem ›Unterschlupf‹, in dem es doch ›Zeit wird, daß es endet.‹«36 Der Unterschlupf offenbart sich als Falle, aus der es kein Entkommen gibt, und Becketts Figuren sind damit Gefangene in einem nicht weiter definierten Schreckensszenario. Sie sind umfangen vom Unbekannten. Beide Protagonisten sind sich dessen wohl bewusst; Clov drückt es mehrmals vielsagend aus: »Something is taking its course«37 , wohingegen Hamm konkreter wird: »Outside of here it’s death! [...]«,38 und: »It’s the end, Clov, we’ve come to the end. [...]«.39 Auch ihr Umgang mit der endzeitlichen Situation ist unterschiedlich: Clov möchte Hamm unbedingt verlassen und artikuliert deshalb regelmäßig gehen zu wollen,40 Hamm verharrt dagegen fatalistisch in seinem Zustand,

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Im Sinne von Matthias Däumer, Annette Gerok–Reiter und Friedemann Kreuder, die diesen anhand von Michel de Certeaus ›Nicht–Orten‹, Michel Foucaults ›Heterotopien‹ und Marc Augés ›Nicht–Orten‹ (respektive Transitorten) definieren. Vgl. Matthias Däumer/Annette Gerok–Reiter/Friedemann Kreuder: »Einleitung: Das Konzept des Unorts«, in: Dies. (Hrsg.): Unorte. Spielarten einer verlorenen Verortung. Kulturwissenschaftliche Perspektiven. Unter Mitarbeit von Simone Leidinger und Sarah Wendel, Bielefeld: transcript 2010, 9–26. Däumer/Gerok–Reiter/Kreuder 2010, S. 21f. Däumer/Gerok–Reiter/Kreuder 2010, S. 21. Adorno 1961, S. 194. Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 98 + 107. Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 126. Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 98, 107 & S. 126, 131. Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 97, 110, 111, 114, 115, 125.

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der getränkt ist von einem tiefgreifenden Gefühl der Gefangenschaft, welches er zukunftsweisend auf Clov überträgt: »[Pause.] Infinite emptiness will be all around you, all the resurrected dead of all the ages wouldn't fill it, and there you'll be like a little bit of grit in the middle of the steppe. [Pause.]«41 Besonders an Hamms Beschreibung wird deutlich, dass der Raum der eigentliche Gegenspieler ist, in dem er eine undurchdringbare Membran darstellt, die die Figuren wie die Haut den Körper umschließt. Ein Zustand, der sich auch in Winnies Bemerkung in Happy Days (1961) erkennen lässt, wenn sie feststellt: »The earth is very tight today [...]«42 . Beckett hat die Theaterbühne von allem Überflüssigen befreit und die Rolle des Menschen auf das Elementare der menschlichen Existenz zugespitzt, wodurch die Bühne zum transitorischen Raum wird. Adorno beschreibt dies als »Zone der Indifferenz von innen und außen […], neutral zwischen den Stoffen, ohne die keine Subjektivität sich zu entäußern, keine auch nur zu sein vermöchte, und einer Beseeltheit, welche die Stoffe verschwimmen lässt, wie wenn sie das Glas angehaucht hätte, durch das jene erblickt werden.«43 Der Raum reicht damit weit über den physischen wie auch geometrischen Raum hinaus und erhält eine metaphysische Dimension. So wird ein Raum darstellbar, den Maurice Merleau–Ponty als »dritte Räumlichkeit«44 bezeichnet, um einen »anthropologische[n] Raum«45 aufzuzeigen, in dem die »Existenz räumlich [sei], daß sie nämlich nach innerer Notwendigkeit sich einem ›Außen‹ öffnet, und zwar so wesentlich, daß wir von einem geistigen Raum und von einer Welt der Bedeutungen und der sich in ihnen konstituierenden Denkgegenstände sprechen können.« 46

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Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 109f. Samuel Beckett: Happy Days, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 1986, S. 149. Adorno 1961, S. 201. Maurice Merleau–Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung. Aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von Rudolf Boehm, Berlin: Walter de Gruyter & Co. 1966, S. 289. Merleau–Ponty 1966, S. 341. Merleau–Ponty 1966, S. 341.

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

Dieser ›geistige Raum‹ offenbart sich unter anderem in den Phantasmen der Träume; Merleau–Ponty erklärt unsere Geistesverfassung darauf basierend zu einer Funktion unserer inneren Raumstruktur.47 Auf Becketts Konzept angewendet bedeutet es, dass der Raum zu einem Bild für den menschlichen Innenraum wird. Ein Bild, das auch als Metapher für den gefangenen Geist im Körper verstanden werden kann.48 In diesem Raum ist es den Figuren nur noch möglich, durch Erinnerungen beziehungsweise Phantasmen so etwas wie Leben zu reproduzieren. So nutzte Beckett den Raum, um das »innere Gesichtsfeld«49 darstellbar zu machen, wie er es nannte, und schuf einen theatralen Raum, der den eigentlichen Bühnenraum um ein Vielfaches an Perspektiven übersteigt. Dieser Theorie würde Martin Esslins Vorschlag entsprechen Endgame und Attendant en Godot als Monodramen zu interpretieren50 , was er folgendermaßen begründet: »Hamm, Clov, Pozzo und Lucky, Wladimir und Estragon, Nagg und Nell sind keine Individuen, sondern Verkörperungen grundsätzlicher Verhaltensweisen; [...].«51 Die Literaturwissenschaftlerin Marianne Kesting geht noch einen Schritt weiter und hat für Becketts Werk den Begriff des »solipsistischen Ichs« geprägt, welches erzählerisch dargestellt wird: »Die solipsistische Ich–Szene, die das Arsenal der Beckettschen Figuren hervorbringt, gleicht einem Prozeß des Hintereinanderschachtelns insofern, als die hervorgebrachte Figur wiederum andere Figuren hervorbringen, die Ich–Spiegelung wie bei einander gegenüberliegenden Spiegeln, sich ins Unendliche fortsetzen kann, worauf in Comment c'est die astronomischen Zahlen, die Beckett für den Prozeß aufführt, hinweisen.«52

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Vgl. Merleau–Ponty 1966, S. 340f. Vgl. hierzu auch Gontarski 1985, S. 190. Beckett, Die Welt und die Hose, Berlin 2010, S. 31. Martin Esslin: »Samuel Beckett: Die Suche nach dem Ich«, in: Ders.: Das Theater des Absurden, Frankfurt am Main/Bonn: Athenäum 1967, S. 62. Esslin 1967, S. 74. Marianne Kesting: »Solipsismus und Ich–Vervielfältigung. Aspekte der literarischen Figur bei Beckett«, in: Peter Brockmeier/Carola Veit (Hrsg.): Komik und Solipsismus im Werk Samuel Becketts, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 1997, S. 214.

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Für Kestings Lesweise spricht, dass die Figuren in sich komplexer und widersprüchlicher angelegt sind und damit weit mehr darstellen als nur grundsätzliche Verhaltensweisen. Hinzukommt, dass das Außen durch den solipsistischen Gedanken genau die kategorische und gleichzeitig paradoxe Abwesenheit erhält, wie sie von den Figuren in Endgame kommuniziert wird. Wenn man sich nun fragt, von welcher Art dieser Ort eigentlich sein müsste, in dem Becketts Figuren gefangen sind, dann drängt sich das Bild eines Schädels53 auf. Eine Annahme, die auch durch die vorgegebene Raumstruktur, mit zwei Fenstern und einer Tür, Augen und Mund anzudeuten scheint. Um diese Hypothese zu festigen, bietet sich Georges Didi–Hubermans Theorie des »Schädel Sein«54 an: Er führt aus, dass man unter einem Schädel auch eine Hirn–Schale verstehen kann, die im Französischen als ›boîte crânienne‹ bezeichnet wird, woraus er (wieder ins Deutsche zurückübersetzt) den Schädel als Hirn–Schachtel begrifflich definiert.55 Diese Festlegung führt ihn dazu, den Schädel auch als einen »Zauberkasten«56 sowie einen »Behälter von Kostbarkeiten«57 zu bezeichnen und führt zu der Schlussfolgerung: »wenn der Schädel eine Schachtel, eine Büchse ist, dann ist er eine Büchse der Pandora: Sie wirklich öffnen, heißt alle ›schönen Übel‹, die ganze Unruhe eines um sein eigenes Schicksal, seine eigenen Geheimnisse, seinen eigenen Ort kreisenden Denkens freizusetzen. Diese Schachtel öffnen, heißt das Wagnis eingehen, darin zu versinken, den Kopf zu verlieren, von ihr gleichsam von innen heraus – verschlungen zu werden.«58 Indem also der Schädel nicht als physisches Rund definiert wird, öffnet sich ein Ort, der Becketts Räumen sehr nahekommt. Der Raum wird zur Blackbox, die gerade durch ihre formale Klarheit, das heißt visuelle Kompaktheit an Intensität gewinnt. Anzudenken wäre auch, dass Becketts Raum immer mehr einem »Simulationsraum mit grenzenloser Flugbahn«59 gleicht. Eine wichtige Bedingung 53 54 55 56 57 58 59

Vgl. hierzu: James Knowlson/John Pilling: Frescoes of the Skull. The Later Prose and Drama of Samuel Beckett, London: John Calder 1979. Georges Didi–Huberman: Schädel–Sein. Ort, Kontakt, Denken, Skulptur. Aus dem Französischen von Heinz Jatho, Zürich/Berlin: Diaphanes 2008. Didi–Huberman 2008, S. 9. Didi–Huberman 2008, S. 10. Didi–Huberman 2008, S. 10. Didi–Huberman 2008, S. 11. Jean Baudrillard: Das Jahr 2000 findet nicht statt, Berlin: Merve 1990, S. 9.

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

hierfür ist, dass ein solcher Simulationsraum Energie/Licht benötigt um zu existieren. Interessanterweise wurden auch Becketts Anweisungen zum Einsatz von Scheinwerferlicht immer expliziter. Hinzukommend erinnern Becketts Anweisungen auch an den Umgang mit einem Objektiv.

5.3

Blickrichtungen: Das Auge als Objektiv

Das Auge als elementares Werkzeug der Wahrnehmung kann als eine weitere ›Obsession‹ Becketts angesehen werden und spielt in seiner gesamten Arbeit eine wiederkehrende Rolle. So auch in den Gesprächen seiner Dramenfiguren. Thematisiert wird dabei vor allem das ›Nicht–Sehen–Können‹ wie beispielsweise im Fall von Endgame, wo es ›nichts‹ mehr zu sehen gibt. Im Gegensatz zu Hamm kann Clov zwar noch sehen, verbringt jedoch seine Zeit vor allem damit, die Küchenwand anzustarren, um dort ›sein Licht sterben zu sehen‹, wie er seinem ungläubigen Patron mehrdeutig erklärt.60 Demzufolge geht es nicht darum, etwas zu betrachten, sondern vielmehr sind die Augen metaphorisch zu verstehen: Sie dienen der Wahrnehmung eines Nicht–Sichtbaren, etwas, das auch als Dasein beschrieben werden könnte. Erlischt das Augen–Licht, kommt die eigene Existenz der Bedeutungslosigkeit eines ›Staubkörnchens im leeren Raum‹ gleich, wie Hamm böswillig Clov in Aussicht stellt: »One day you’ll be blind, like me. You’ll be sitting there, a speck in the void, in the dark, for ever, like me. [...]«61 Hamm benutzt die Angst vor dem Verlust des Augenlichts, um Clov zu quälen. Denn schlimmer noch als ›nichts‹ mehr zu sehen, ist es, nicht mehr sehen zu können. Die Verbindung des ›Auges‹ mit ›Licht‹ ist dabei grundlegende Bedingung, respektive eine grundsätzliche Beckettsche Spiel–Regel, wie sich in Spiel (1963) zeigt. Hier können die Figuren W1, W2 und M nur noch zum Leben erwachen, wenn sie durch Licht aktiviert werden, respektive »wenn sie durch Scheinwerfer

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CLOV: »I see my light dying«, in: Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 98. Beckett, Endgame (1957), London 1986, S. 109.

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herausgefordert werden«62 . Ein schwarzer, beinahe komplett abgedunkelter,63 leerer Bühnenraum unterstreicht den Spielaufbau. Die Figuren sprechen aus einer zwielichtigen Düsternis und erwecken durch die Tatsache, dass ihre Köpfe aus »ein Meter hohe[n], graue[n] Urnen«64 ragen, den Eindruck sich in einer Endzeit zu befinden – gleich den Figuren in Endgame. Nur durch das Licht des Scheinwerfers können sie aus dem ›Nichts‹ reaktiviert werden und verbleiben dadurch in einem ewigen letalen Zustand. Hieraus lässt sich George Berkeleys erkenntnismetaphysisches Diktum esse est percipi65 – lateinisch für ›Sein ist Wahrgenommenwerden‹ – als Grundsatz für Becketts Arbeit ableiten, dessen Einfluss dieser selbst bestätigte;66 seine Figuren ›sind‹ nur, wenn sie wahrgenommen beziehungsweise beobachtet werden. Das Scheinwerferlicht übernimmt dabei mittels gezielter Lenkung des Zuschauendenblicks vorerst die beobachtende Rolle. Infolgedessen entsteht ein »ontologisches Vexierbild«67 , wie der Kommunikationstechnologe Joachim Becker es in seiner Monographie evident bezeichnet. Die Rezipierenden blicken auf eine ›Doppelbelichtung‹, in der die Figurenköpfe je nach Kontextualisierung »als Sprechautomaten, die mit dem Scheinwerfer in einer Rückkopplungsschleife verbunden sind«68 gesehen werden können oder als Figuren mit »personellen Eigenschaften«69 . Das ›Bild‹ beginnt so vor dem

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Samuel Beckett: Spiel, in: Ders.: Werke I.I Dramatische Werke. I. Theaterstücke. In Zusammenarbeit mit Samuel Beckett herausgegeben von Elmar Tophoven und Klaus Birkenhauer. Aus dem Englischen von Erika und Elmar Tophoven, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1976, S. 211. In den Szenenangaben heißt es: »Bühne beinahe ganz dunkel.« Beckett, Spiel (1963), Frankfurt am Main 1976, S. 211. Beckett, Spiel (1963), Frankfurt am Main 1976, S. 211. George Berkeley: A Treatise concerning the Principles of Human Knowledge. Three Dialogues between Hylas and Philonous (1949), London, UK/New York, USA: Oxford University Press 1998. Vgl. S. B. an Alan Schneider 26.11.1963, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume III: 1957–1965, S. 582ff. Sowie: S. B. an Alan Schneider am 29.09.1964 (beigelegte Notiz), nur in: Maurice Harmon (Hrsg.): No Author Better Served. The Correspondence of Samuel Beckett & Alan Schneider, Cambridge, Mass./London, UK: Harvard University Press 1998, S. 167. Joachim Becker: Nicht–Ich–Identität. Ästhetische Subjektivität in Samuel Becketts Arbeiten für Theater, Radio, Film und Fernsehen, Tübingen: De Gruyter 1998, S. 231. Becker 1998, S. 231. Becker 1998, S. 231.

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

inneren Auge der Betrachtenden zu fluktuieren. Hierbei ist gültig, was Volker Canaris 1969 feststellte: »Das was auf der Bühne zu sehen ist, ist für sich; bedeutet nicht etwas für uns. […] Das Prinzip des Spiels verwirklicht sich, indem seine Grundelemente immer wieder in ihrer Funktionalität zum Spielzusammenhang durchsichtig gemacht werden. Das Spiel mit den Elementen des Spiels stellt die konkrete Prägnanz dieses Spiels her – vice versa.«70 Es geht also um den dynamischen Prozess, der sich dabei zwischen Beobachtenden und Beobachteten abspielt. Eine Dynamik, die Beckett bereits 1931 bei der Proust–Lektüre entdeckte und als eine Art Ansteckungsmanöver beschrieb: »The observer infects the observed with his own mobility«71 . Das Auge funktioniert – wie bereits in Kapitel 3.2 ausführlich beschrieben wurde – »with the cruel precision of a camera«72 . In Spiel wird dieser Prozess genau umgedreht und die Scheinwerfer werden durch ihre Gegenspielerposition emphatisch aufgeladen. Beckett schuf damit nicht nur eines seiner Bewegt–Bilder, sondern er wendete sich zudem durch die präzise Rhythmik des Lichts einer Schnitttechnik zu, die einem Filmschnitt sehr nahekommt. Es gibt ›Einstellungen‹, in denen alle drei Gesichter angeleuchtet werden, ebenso wie solche, bei denen der Anschein von ›Bildausschnitten‹ erweckt wird, indem nur ein oder zwei Gesichter angestrahlt sind. Unterstützt wird dieser filmische Eindruck zusätzlich dadurch, dass Beckett die Technik des Close–up nachahmte, indem das Scheinwerferlicht »sich nur auf die Gesichter [richtet].«73 Durch die Herrschaft des Auges in Spiel könnte man das Bühnengeschehen wohl treffender als ein ›Schau–Spiel‹ bezeichnen oder auch, wie Becker es ausführt, als eine »Selbstreflexion über das Theater,«74 bei der angesichts der neuen Leitmedien Film und Fernsehen »die Montage– und Schnitttechniken

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Volker Canaris: »Auf die Stille haben wir gesetzt.«, in: Ders. (Hrsg.): Samuel Beckett: Das letzte Band. Regiebuch der Berliner Inszenierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979, S. 120. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 6. Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 15. Wie es in der deutschen Übersetzung heißt. Beckett, Spiel (1963), Frankfurt am Main 1976, S. 211. Becker 1998, S. 227.

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des Scheinwerfers theatrale Darstellungs– und Sehkonventionen«75 unterlaufen. Auch in Becketts rhythmischer Setzung der Bühnenanweisungen für das Licht finden sich Deleuze‘ »Bilder–Ritornelle«76 . Hier wird das Oszillieren zwischen Text und Bild noch weitergetrieben, was auch die ›exhaustiven Serien‹ ausmacht. Denn für beide gilt, dass: »das Bild sich nämlich nicht durch das Erhabene seines Inhalts definieren [lässt], sondern durch seine Form, das heißt durch seine ›innere Spannung‹, oder durch die Kraft, die es weckt, um eine Leere zu schaffen oder Löcher zu bohren, die Umklammerung der Worte zu lösen, das Hervorsickern von Stimmen zu ersticken, um sich vom Gedächtnis und der Vernunft zu befreien, ein kleines alogisches Bild, gedächtnislos, beinahe sprachlos, bald im Leeren schwebend, bald zitternd im Offenen. Das Bild ist kein Objekt, sondern ein ›Prozeß‹.«77 Beckett schuf hierdurch eine ›Poesie des Visuellen‹, bei der es grundsätzlich um die Darstellbarkeit eines ›Entsetzens‹ ging, dass ›hinter der Form‹78 zu finden ist, wie er es ausdrückte. Eine Sichtbarkeit, die nur durch die Prozesshaftigkeit des Bildes im Moment des Oszillierens erzielt werden kann. Dies ließe den Schluss zu, dass sich nur im ›Schwingen‹ des Bildes »die Seinsorte der Sprache«79 – auch der visuellen – öffnen, die Jean–Luc Nancy beschreibt als »die Stätten des Denkens, die noch nicht als Zeichen thematisiert sind, deren potentielle, alle Zeichen antreibende Luzidität aber noch vor jedem Wissen die Möglichkeit des Bedeutens begründet.«80 Dabei ist das »Entscheidende beim Bild«, mit Deleuze gesprochen, »[…] nicht sein kläglicher Inhalt, sondern die wahnsinnige Energie, die eingefangen wurde und jederzeit explodieren kann, so dass die Bilder nie lange andauern.«81 75 76 77 78 79 80 81

Becker 1998, S. 227. Deleuze 1996, S. 66. Deleuze 1996, S. 66f. [Meine Übersetzung.] Samuel Beckett: »In my work there is consternation behind the form, not in the form.« Zit. n. Shenker 1956, S. 1. Jean–Luc Nancy: Am Grund der Bilder, Zürich/Berlin: Diaphanes 2006, S. 34. Nancy 2006, S. 34. Deleuze 1996, S. 71.

5. Verwendung filmischer Mittel auf der Theaterbühne

Becketts Hinwendung zu den Medien des ›bewegten Bildes‹ ist folglich geradezu naheliegend, da diesbezüglich das Medium schon grundsätzlich das Bild in Bewegung hält. Dabei bleibt das ›Konzept der Auflösung‹, motiviert durch die Suche nach einer neuen Sprache, ein leitmotivisches Thema. Bevor er schließlich mit Film (1965) erstmals tatsächlich mit der Kamera arbeitete, baute er 1963 die Funktion des Scheinwerferlichts in Comédie82 – eine auf Spiel basierende Arbeit – noch einmal aus, indem er das Licht eindeutig als einen vierten Akteur eingesetzt sehen wollte.83 Der Spot bekommt durch die Art und Weise seines Einsatzes eine subjektiv, individuell erscheinende Eigenschaft hinzu. Die drei Gesichter wirken wie nach ›Interesse‹ beleuchtet, indem das Scheinwerferlicht ›hastig‹ von einem Gesicht auf das nächste springt und damit den sprechenden Gesichtern mehrfach das Wort abschneidet. Denn es gilt dieselbe Regelhaftigkeit, die auch bereits für Spiel konstituiert wurde; es kann nur gesprochen werden, wenn der Spot das Gesicht beleuchtet. 1966 entstand mit dem Titel Comédie auch ein 18–minütiger schwarz–weiß Film, der von Gabriele Hartel in ihrer bereits erwähnten Dissertationsschrift 2004 erstmals in den Canon eingebracht wurde.84 Neben dem Bezug zu Spiel besteht zudem auch ein direkter Zusammenhang zu Becketts letztem Fernsehspiel Was Wo, das 1986 für den Süddeutschen Rundfunk (SDR)85 entstand und in dem erneut dieselben Spielregeln greifen. Das Auge als »grausam präzise Kamera«,86 respektive die Kamera/ Scheinwerfer als emotional kaltes, objektivierendes Auge, wurde zunehmend 82

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1963 in Ulm uraufgeführt; Der Titel changiert in der Literatur zwischen Spiel und Comédie. Hier wird Comédie verwendet, um die vorgenommene Veränderung besser kennzeichnen zu können. Vgl. hierzu: Linda Ben–Zvi 1988, S. 161, zit. n.: Hartel 2004, S. 77. Hartel 2004, S. 75–81. Da das Fernsehspiel erstmals im Ersten Programm (ARD), am 13.04.1986, um 21.55 Uhr, unter diesem Titel ausgestrahlt wurde, wird es hier durchgehend mit deutschem Titel genannt. (Was Wo, Regie: Walter D. Asmus und Samuel Beckett, Produktion: Süddeutscher Rundfunk Stuttgart; Darstellende: Friedhelm Becker, Edwin Dorner, Walter Laugwitz, Alfred Querbach.) Quelle: Werner Sommer an S. B., am 16.04.1986. Historisches Archiv des SDR Stuttgart, SWR, Bestand SDR 29/701. Beckett schrieb es 1983 auf Französisch, mit dem Titel Quoi où und übersetzte es im selben Jahr ins Englische, mit dem Titel What Where. Detailliert nachzulesen bei Knowlson 1997, S. 685–688. Wie es in der deutschen Übersetzung heißt. Beckett, Proust, Zürich/Hamburg 1960, S. 24.

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als wichtigste Wahrnehmungsmöglichkeit in Becketts Arbeiten etabliert, wie sich auch in seinen anderen Film– und Fernseharbeiten verdeutlicht.

Teil II Becketts Fernsehspiele »crazy inventions for television« – Kunst (im) Fernsehen

Wie in der Einleitung bereits beschrieben, war es mit Aufkommen des Fernsehens Anfang der Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts gängige Senderpolitik das neue Medium mit Theater in Verbindung zu bringen, um es so aufzuwerten. Das Theater machte im Fernsehen zwischen 1963 und 1966 im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) »den weitaus größten Anteil am Spielplan, mit 60% Bühnendrama«1 aus. Und ebenfalls in Becketts Heimat, der Republik Irland, wurden allein innerhalb der ersten Dekade des Fernsehens beim Sender Raidió Teilifís Éireann (RTÉ) am Theater angelehnte Fernsehspiele produziert.2 Ein Großteil dieser Fernsehspiele wurde durch das Abfilmen bereits bestehender Theaterinszenierungen umgesetzt und nur eine Reihe von Dramatikern und Theaterregisseuren, ähnlich wie Beckett, waren daran interessiert ihre Stücke fernsehadäquat umzusetzen, weil sie darin die Möglichkeit einer neuen theatralen Form sahen. Beckett war demnach Teil einer progressiven Minderheit, die das neue Medium ergründen und für die vorangegangene Theaterarbeit fruchtbar machen wollten.

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Egon Netenjakob: »Weltliteratur für alle. Drei Jahre Fernsehspiel beim Zweiten Deutschen Fernsehen. Anmerkungen zu einem Spielplan und seiner Tendenz«, in: Funk–Korrespondenz 22 (1966), S. 2. Helena Sheehan: Irish Television in the 1960s. A Society and It’s Stories, Dublin: Radio Telefís Éireann 1987, S. 46. Überarbeitete Version von 2001 online unter: http://webpages. dcu.ie/%7Esheehanh/60s-itvd.htm; letzter Abruf am 21.05.2019.

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

Zwar entwickelte Beckett offiziell mit He, Joe1 1966 sein erstes Stück für das Fernsehen, jedoch fand sein erster künstlerischer Kontakt mit diesem Medium bereits im Februar 1965 statt, als er mit dem Schauspieler Jack MacGowran und Patrick Garland, der offiziell die Regie führte, Beginning to End für die BBC–Reihe Monitor einrichtete.2 Monitor war ein eigenständiges Serienformat, welches zwischen 1958 – 1965 jede zweite Woche3 für »›the small majority‹ – who were interested in the arts«4 eine Plattform für einen diskursoffenen Kulturbegriff bot. Das Programm fühlte sich dem Fernsehen (»television must be true to the subject: […] it should not distort or belittle«5 ), ebenso wie dem Fernsehpublikum verpflichtet6 und setzte dabei einen gesonderten Akzent auf das Medium selbst, 1

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Erstausstrahlung: SDR, He, Joe, am 13.04.1966, um 22.50 Uhr. Online unter: http://web. ard.de/ard-chronik/index/6789?year=1966&month=4&mediatype[]=1; letzter Abruf am 24.05.2018. Die Einrichtung fand vom 18.–21.02.1965 statt. Erstausstrahlung: Beginning to End: a Television Exploration of the World of Samuel Beckett. BBC 1 TV, 23.02.1965. Sendedatum online unter: https://genome.ch.bbc.co.uk/search/0/20?adv=0&q=Monitor%2C+Becket t&media=all&yf=1923&yt=2009&mf=1&mt=12&tf=00%3A00&tt=00%3A00#search;le tzter Abruf 09.05.2019. Siehe auch: C. J. Ackerley/S. E. Gontarski: The Grove Companion to Samuel Beckett. A Reader’s Guide to His Works, Life, and Thoughts, New York: Grove Press 2004, S. 46. + Knowlson 1997, S. 528 & 804. Jeden zweiten Sonntagabend, ab 17.11.1964 dann jeden zweiten Dienstagabend. Online unter: https://genome.ch.bbc.co.uk/search/0/20?order=rank&q=Monitor#searc h, zum Teil anzusehen auf: http://www.bbc.co.uk/archive/writers/12233.shtml; letzter Abruf am 22.05.2018. Das bedeutete zu dieser Zeit 2–3 Millionen Zuschauende bei einer erfolgreichen Sendung. John A. Walker: Arts TV. A History of Arts Television in Britain, London: University of Luton Press 1993, S. 46. Walker 1993, S. 49. Walker 1993, S. 49.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

das »constructively and creatively«7 genutzt werden sollte. Über die Jahre entstand so ein facettenreiches Programm: Popmusik wurde dabei in Form von Livekonzerten übertragen als auch theoriebezogen verhandelt und in den Zusammenhang mit Pop Art gestellt. Interviews mit beispielsweise Marshall McLuhan, Aldous Huxley oder Susan Sontag8 wechselten sich ab mit experimentell gefilmten oder halbdokumentarischen Beiträgen oder Experimentalfilmen.9 Überdies gab es Features über Künstlerpersönlichkeiten jeden Genres, wie Marie Rambert, Bela Bartok, Alberto Giacometti, Le Corbusier und Lew Nikolajewitsch Tolstoi – um nur einen kleinen Teil zu nennen.10 Beckett zu einem Beitrag einzuladen, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits als Dramatiker einen Namen gemacht hatte, musste auch aus damaliger Sicht nahegelegen haben. Er wurde entsprechend als »well–established figure in the English theatre«11 angekündigt. Die Sendung selbst wurde jedoch als Experiment beschrieben, in dem versucht werde, Becketts zentrale Themen und Ideen im Fernsehen auszudrücken: »[...]This evening's programme is an experiment in expressing on television some of Mr. Beckett's central themes and ideas as they occur not only in his plays but in his novels.«12 Ähnlich wie bei Film zog Beckett sich offiziell auf die Rolle des ›Beraters‹ zurück,13 wohl weil er immer noch der Meinung war, sich mit dem Medium des 7 8 9

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Walker 1993, S. 49. https://genome.ch.bbc.co.uk/search/40/20?q=Monitor#search, letzter Abruf am 22.05.2018. Beispielsweise: Pauline Boty’s surreale Foto–Montage, die von einer jungen Frau handelt, die sich immer mehr in einen Albtraum verstrickt und von einer alten Frau im Rollstuhl verfolgt wird. In: Walker 1993, S. 48. https://genome.ch.bbc.co.uk/search/0/20?adv=0&q=Monitor&media=all&yf=1923&yt= 2009&mf=1&mt=12&tf=00%3A00&tt=00%3A00#search; letzter Abruf am 19.05.2018. Auch in: Walker 1993, S. 47. https://genome.ch.bbc.co.uk/search/0/20?adv=0&q=Monitor%2C+beckett&media=all &yf=1923&yt=2009&mf=1&mt=12&tf=00%3A00&tt=00%3A00#search; letzter Abruf am 22.05.2018. https://genome.ch.bbc.co.uk/search/0/20?adv=0&q=Monitor%2C+beckett&media=all &yf=1923&yt=2009&mf=1&mt=12&tf=00%3A00&tt=00%3A00#search; letzter Abruf am 22.05.2018. So erklärte Alan Schneider, der offizielle Regisseur von Becketts Film, in einem Aufsatz: »With every new wavelet of contemporary cinema turning directors, in effect, into authors, it took the surprising author, of Film, playwright Samuel Beckett, to become, not

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

›bewegten Bildes‹ nicht gut genug auszukennen.14 Im Fall von Beginning to End kommt hinzu, dass er die Arbeit bis 1988 nicht offiziell signierte.15 Die verdeckte Beteiligung Becketts könnte eine Erklärung sein, weshalb sein Erstkontakt mit dem Fernsehen nie wissenschaftlich belegt wurde und die Arbeit, die für Monitor entstand bis heute nicht kanonisiert ist. Hinzu kommt die Eigenart, dass diese nur für den bereits erwähnten Schauspieler (und guten Freund von Beckett) Jack MacGowran autorisiert war16 und nach dessen Tod 1973 für Jahrzehnte nicht wieder aufgeführt wurde.17 In diesem Zusammenhang steht auch sicherlich die späte und exklusive Veröffentlichung der über die Jahre weiter entwickelten Arbeit in einer handsignierten Auflage von dreihundert Stück im New Yorker Gotham Book Mart Verlag unter dem Titel Beginning To End. A Selection from the Works of Samuel Beckett. Adapted by Samuel Beckett and Jack MacGowran18 . Beginning to End nimmt damit eine Sonderrolle in Becketts Œuvre ein, welche sich in der fragmentarischen Stückvorlage, wie auch den vielfachen Medien, in welchen die Arbeit umgesetzt wurde, manifestiert. Insgesamt sind zwischen 1962 und 1988 zwei Bühnenfassungen (1962 und 1970), drei Versionen

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too surprisingly, its real director. […] from original concept to final cut, it was the special vision and tone set by Sam which all of us were dedicated to putting on film […].« Alan Schneider: »On Directing Film«, in: Samuel Beckett: Film. Complete scenario/Illustrations/ Production shots. With an essay ›On Directing Film‹ by Alan Schneider, New York: Grove Press 1969, S. 63. Dies führte so weit, dass er selbst noch 1966 für seine erste offizielle Regie des Fernsehspiels He, Joe beim SDR das vorgeschlagene Honorar ablehnte: »When I accepted your kind invitation on your production of Eh Joe there was no thought of payment in my mind. My only concern is with helping to have the work presented as I see it. So please forgive me if I have to decline the very generous fee you propose.« Siehe hierzu S. B. an Dr. Müller–Freienfels, am 22.10.1965. Historisches Archiv des SDR Stuttgart, SWR, Bestand SDR 20/11333. Samuel Beckett: Beginning to End. A Selection from the Works of Samuel Beckett. Adapted by Samuel Beckett and Jack MacGowran, New York: Gotham Book Mart 1988. Um genau zu sein war es ein Geschenk an Jack MacGowran. Beckett verzichtete auf alle Einnahmen, wie aus einem Brief Becketts an Jack MacGowran vom 09.12.1969 hervorgeht: »I don’t want any royalties from this production and would like them to go to you. So tell your agent on that basis.« Zit. n. Young 1987, S. 128. Beispielsweise war Beginning to End, besetzt mit Dennis Conway, als Hommage für Jack MacGowran auf dem Happy Days. Enniskillen International Beckett Festival vom 23.07.–03.08.2015 zu sehen. Alleinerbe und Rechteinhaber Edward Beckett ist auch einer textgetreuen deutschen Reinszenierung nicht verschlossen. Beckett, Beginning to End 1988.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

fürs Fernsehen (BBC 1965, RTÉ 1966, KCET 1971), eine Langspielplatten–Fassung (Claddagh Records 1966) und eine Publikation (1988) entstanden. Vorderhand scheint es sich um ein volatiles Werk zu handeln, was eine grundlegende Aufarbeitung und ein Nachvollziehen der Genese sinnvoll erscheinen lässt. Auf diese Weise sollen ferner die Fragen überprüft werden, inwiefern der Werkbegriff hier zutrifft und wenn ja, ob nicht gerade die Multiplexität der Arbeit diese besonders aussagekräftig für Becketts gesamte Arbeitsweise und künstlerische Ausrichtung machen könnte. Da es bislang keine umfassende Bibliographie oder forschungsorientierte Aufarbeitung gibt und die Textzusammenstellung mindestens sieben Mal verändert wurde, liegt der Fokus in der folgenden Entwicklungsgeschichte auf den alle Versionen verbindenden Elementen und Besonderheiten, sowie vornehmlich auch auf dem Kartographieren der Beteiligung Becketts.

6.1

Forschungsstand

James Knowlson erwähnt Beginning to End und die Entwicklung der Arbeit in seiner ansonsten hochdetaillierten Beckett Biographie Damned to Fame von 1997 nur mit einigen Randnotizen.19 Und obwohl Knowlson Becketts Teilnahme an den Proben und diversen Aufzeichnungen beschreibt,20 scheint er die Arbeit nicht anzuerkennen oder diese vielleicht sogar eher MacGowran zuzuschreiben, denn er bezeichnet diese einige Male als »Jack MacGowrans one–man show«.21 De facto hat er die Arbeit nicht in seine umfangreiche Bibliographie im Anhang der Biographie22 aufgenommen. Auch Chris Ackerley und Stanley Gontarski, die 2004 einen detaillierten Reader’s Guide23 zu Beckett vorgelegt haben, listen Beginning to End nicht in der Bibliographie und erwähnen die Arbeit nur im Zusammenhang mit Jack MacGowran: »He [Samuel Beckett] helped prepare MacGowran’s ›End of Day‹, watching it develop from ›a monstrous salad with good moments‹ (Knowlson, 713) into

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Knowlson 1997, S. 501f., 528, 575f., 580, 585f. Knowlson 1997, S. 501f., 528, 539, 586. Knowlson 1997, S. 501f., 528, 575, 584. Knowlson 1997, S. 831–834. C. J. Ackerley/S. E. Gontarski: The Grove Companion to Samuel Beckett. A Reader’s Guide to His Works, Life, and Thoughts, New York: Grove Press 2004.

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

a fine ›entertainment‹, then into Beginning to End, and its audio parallel MacGowran Speaking Beckett.«24 Neben der passiven Wortwahl, mit der sie Becketts Beteiligung beschreiben, sind die unterschiedlichen Hervorhebungen der Titel augenfällig, in dem sie Beginning to End und MacGowran Speaking Beckett kursiv setzen, wie sie dies mit allen Werktiteln tun, End of Day allerdings in der Schriftform deutlich abgrenzen. Sie nehmen hier eine Differenzierung vor, die sie nicht näher erläutern, welche aber auffällig zu der auf den folgenden Seiten dargelegten Beteiligung Becketts an Beginning to End und seinem Ableger MacGowran Speaking Beckett, beziehungsweise der fehlenden Beteiligung an End of Day, passt. Am bisher umfangreichsten hat sich Jordan R. Young im Rahmen seiner 1987 erschienenen Biographie über den Schauspieler auf die Spuren von Beginning to End begeben, wie der aussagekräftige Titel The Beckett Actor: Jack MacGowran, Beginning to End25 bereits verrät. Er arbeitet darin heraus, dass Beckett für alle entstandenen Entwicklungen und Umsetzungen dieser Arbeit als federführend einzustufen ist, und belegt dies anhand von journalistischen Probenberichten, Briefen und Interviews Beteiligter. So substanziell seine Quellen sind, nimmt sich Young auch die zur Textform gehörende Freiheit, die geführten Interviews zu paraphrasieren und in sein Schreiben einzubetten. Dadurch ist nicht immer wortwörtlich nachvollziehbar, was die Interviewten gesagt haben. Dass sich die Erarbeitung einer Bühnenfassung von Beckett mit MacGowran im Frühjahr 1970 in Paris in Interviews mit MacGowrans Witwe Gloria fundiert rekonstruieren ließ, ist darauf zurückzuführen, dass sie allen Beginning to End Projekten als Assistentin zur Seite stand. Young fasst die Zusammenarbeit, hierauf basierend, folgendermaßen zusammen: »It happened first in Paris, in the spring of 1970, but it did not happen overnight. In MacGowran´s hotel suite at the Pont–Royal, in the tiny Théâtre Édouard VII, in Beckett´s cluttered apartment near the Gare Monparnasse where they had met so many times over the years, Jack and Sam spent hours and days and weeks editing, pacing, changing, arranging and rearranging the selections like so many sucking stones, until they fused them together to embody the many and varied facets of Beckett‘s vision. […]

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Ackerley/Gontarski 2004, S. 335. Jordan R. Young: The Beckett Actor. Jack MacGowran, Beginning to End, Beverly Hills: Moonstone Press 1987.

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Beckett himself directed the show, dedicating himself as wholly to the task as he had the creation of the words themselves. But he refused to take any credit for it; he had no desire to advance into MacGowran‘s spotlight, and he was too modest in any case. Credit or no credit, Beckett was wholly in charge of the show.«26 Diese Einschätzung Youngs ist im gesamten Band gut nachvollziehbar beschrieben und glaubhaft belegt. Meine nachprüfenden und weiterführenden Recherchen27 legen ebenfalls eine maßgebliche Beteiligung und Autorenschaft Becketts nahe, die dieser lange selbst verschleierte und erst kurz vor seinem Tod durch die mir vorliegende Publikation 1988 veröffentlichte. Beckett selbst bestätigte 1973 seine Beteiligung an dem Projekt in einem Brief an Christian Ludvigsen: »[...] Beginning to End is composed of extracts from my work (prose, verse, theatre) connected to form a dramatic monologue. It was devised and performed over the years (Dublin, London, Paris, Berlin, U.S.A.) by my friend Jack MacGowran, who died recently in New York. With its conception and realization I had little to do, though I worked briefly on the Paris and Berlin productions and was consulted at various times regarding additions and changes. It was originally performed on Irish T.V. and a film of this should be available. I had nothing to do with this production. It's [sic] validity depended entirely on the personality of MacGowran, his Irishness and extraordinary feeling for and affinity with my work. It was uniquely his property and objectively is quite untransmissible. With the death of MacGowran it comes to an end.«28 Der Brief macht deutlich, wie umfassend Beckett über alle Vorgänge von Beginning to End informiert war. Und auch wenn er seine Beteiligung herunterspielt, wie auch schon bei vielen anderen Arbeiten und Projekten zuvor, zeigt sich eine Involviertheit, die mehr darauf hindeutet, wie außergewöhnlich die Arbeit auch für Beckett gewesen sein muss. Was sich auch darin offenbart, dass er sein Understatement nicht nur dazu nutzt, die Genehmigungsanfrage abzulehnen, sondern um seinem kurz zuvor verstorbenen Freund mit der 26 27

28

Young 1987, S. 136f. Welche vor allem im Theatre on Film and Tape Archive der New York Public Library of Performing Arts, dem Harry Ransom Center der Universität von Texas/Austin und zahlreichen Zeitungsarchiven erfolgreich waren. Samuel Beckett an Christian Ludvigsen (Aarhus/Dänemark) am 27.09.1973, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV, 1966–1989, S. 344. [Meine Herv.]

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

gemeinsam entwickelten Arbeit ein Denkmal zu setzen. So hat James Knowlson nicht unrecht, wenn er von der »MacGowran one–man–show«29 spricht. Diese Sichtweise schließt Beckett jedoch nicht per se aus. Raymond Federman und John Fletcher listen Beginning to End regulär im anhängenden Index ihrer essayistischen Bibliographie Samuel Beckett. His Works and His Critics unter Samuel Beckett’s Works auf.30 End of Day wird in dem zugehörigen Artikel dann als Vorläufer der beiden Fernsehversionen (beide unter dem Titel Beginning to End) benannt. Zu allen drei Positionen werden die Quellen aufgelistet, aus denen sich die Versionen zusammensetzen.31 Anhand der Auflistungen der Fragmente wird einerseits deutlich, dass aus bereits bestehenden Arbeiten ausgewählt wurde, hierbei aber, trotz der verschiedenen Fassungen und Medien, stets ein gleichbleibender inhaltlicher Kern von Teilstücken Berücksichtigung fand. Die von den beiden erstmals aufgezählten Quellen sind in der Arbeit selbst nicht als solche ausgewiesen und nur die Zusatztitel wie A Television Exploration of the World of Samuel Beckett (1965) oder A Selection from the Works of Samuel Beckett (1988) geben einen Hinweis auf die Fragmentierung, die sich in Stück– und Aufführungstext nur einem sehr geschulten Publikum erschließt. Die Analyse und Verortung der Versatzstücke lässt erkennen, dass diese genreunabhängig ausgewählt wurden und dabei aus Dramen–, Prosa– und Romanfragmenten wie auch aus vollständigen Gedichten ein neuartiger Monologtext entstand – »connected to form a dramatic monologue«.32 Hieraus lässt sich schließen, dass Beckett zwar formspezifisch arbeitete, sich dabei aber für keinerlei Genregrenzen interessierte. Die Technik, aus bereits bestehenden Texten etwas Neues zu produzieren stellte für ihn kein Novum dar, wie am Beispiel von Spiel bereits gezeigt wurde, sondern verweist vielmehr auf eine gängige Praxis Becketts, die dieser verwendete, um zentrale Themen und Ideen weiterführend herauszuarbeiten. Peter Fifield bezeichnet Beckett des-

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Knowlson 1997, S. 575 & 584. Raymond Federman/John Fletcher: »Works of Samuel Beckett. Translation, Manifestos, and Miscellaneous.«, in: Dies. (Hrsg.): Samuel Beckett. His Works and His Critics. An Essay in Bibliography, Los Angeles/London: University of California Press 1970, S. 372. Federman/Fletcher 1970, S. 103. S. B. an Christian Ludvigsen (Aarhus/Dänemark), am 27.09.1973, in: The Letters from Samuel Beckett, Volume IV, 1966–1989, S. 344. [Meine Herv.]

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

halb auch als »archivist’s author«,33 was Mark Nixon in seinem Aufsatz über Beckett’s Unpublished Canon zum Ausgangspunkt nimmt, um bemerkenswerte Graubereiche in Becketts Oeuvre aufzuzeigen, die eine abschließende Katalogisierung bisher verhinderten. Eine zentrale Ursache macht Nixon in Becketts oft wechselnder Meinung, ob ein Text als publiziert oder ›abandoned‹ einzustufen sei und seinem künstlerisch generell offenem Textverständnis aus,34 woraus er folgert: »In poetic terms, Beckett deliberately destabilised the boundary between draft manuscript and final text, and what was seemingly cast off remained alive or was refracted across or incorporated in subsequent compositions. […] Indeed, within Beckett’s late works it is impossible to say where one text ends and another begins – they become, to quote ›From an Abandoned Work‹, ›all the variants of the one‹ (Beckett 2010a: 63).«35 Dass alles nur ›Varianten eines Textes‹ sind, scheint sich in Beginning to End ganz besonders zu bewahrheiten. Auch wenn es wohl die einzige Arbeit ist, die so viele ›Varianten‹ in sich vereint. Bezeichnenderweise ist From an Abandoned Work eines der zentralen Kernstücke. Der auf den folgenden Seiten spezifizierte Verlauf wird zeigen, dass die Anzahl der Quelltexte und damit die Fragmentierung sogar noch deutlich zunehmen – was den inhaltlichen Zusammenschluss jedoch sogar noch stärkt.

6.2

Varianten

Die erste Version von 1962 weist bereits neun (beziehungsweise sieben) Quellen36 und die letzte Version von 1988 vierzehn Quellen auf, aus welchen wiederum neunzehn Teilstücke entnommen wurden. Die Recherche der Provenienzen hat folgende Zusammensetzung des 1988 einzig veröffentlichten Textes ergeben: in sich zusätzlich gekürzte Abschnitte 33

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35 36

Peter Fifield: »Samuel Beckett: Out of the Archive: An Introduction«, in: Modernism/modernity, Volume 18, Number 4, November 2011, S. 673; online unter: https:/ /muse.jhu.edu/article/467469/pdf; letzter Abruf am 15.09.2018. Mark Nixon: »Beckett’s Unpublished Canon«, in: Stanley Gontarski (Hrsg.): The Edinburgh Companion to Samuel Beckett and the Arts. Edinburgh: Edinburgh University Press 2014, S. 282. Nixon 2014, S. 282. Dies wird auf folgenden Seiten präzisiert werden.

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

aus den Romanen Molloy,37 Malone Dies,38 The Unnamable39 und Watt 40 , Monologteile aus den Theaterstücken Embers,41 Waiting for Godot,42 Krapp‘s Last Tape,43 Endgame,44 das Prosafragment From an Abandoned Work45 und die ungekürzten Gedichte Cascando,46 Echo’s Bones,47 Untitled Poem ›My way is in the sand flowing‹,48 Untitled Poem ›Who may tell the tale‹,49 Untitled Poem ›Age is when a man‹ aus Words and Music50 . Die namentliche Nennung von Jack MacGowran in der Zusatzinformation der Publikation zeigt, dass diesem durchaus eine Rolle als Co–Autor zukam. Was sich fernerhin darin bestätigt findet, dass die 1988 publizierte Fassung der anfänglich beschriebenen, gemeinsam fertiggestellten Büh37 38

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Beckett, Molloy, New York/Toronto 1997, S. 14–16 und S. 74–81. Samuel Beckett: Malone Dies, in: Ders.: Molloy, Malone Dies, The Unnamable. With an Introduction by Gabriel Josipovici. New York/Toronto: Everyman’s Library 1997, S. 203f. und S. 255–257. Samuel Beckett: The Unnamable, in: Ders.: Molloy, Malone Dies, The Unnamable. With an Introduction by Gabriel Josipovici. New York/Toronto: Everyman’s Library 1997, S. 476. Samuel Beckett: Watt, London: Calder Jupiter Book 1963, S. 45f. Samuel Beckett: Embers. Aschenglut. Englisch und deutsch. Deutsche Übertragung von Erika und Elmar Tophoven. Mit einem Nachwort von Heinrich Vormweg, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1970, S. 8, 10, 14, 16. Samuel Beckett: Warten auf Godot. En attendant Godot. Waiting for Godot. Deutsche Übertragung von Elmar Tophoven. Vorwort von Joachim Kaiser, Frankfurt am Main: Suhrkamp, Taschenbuch I 1971, S. 110–117. Samuel Beckett: Krapp’s Last Tape, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 2006, S. 223 und 221 (in dieser Reihenfolge). Samuel Beckett: Endspiel. Fin de partie. Endgame. Deutsche Übertragung von Elmar Tophoven. Französische Originalfassung. Englische Übertragung von Samuel Beckett. Alle drei Fassungen wurden vom Autor und vom Übersetzer für diese Ausgabe durchgesehen und überarbeitet. Der Text folgt dem ersten Band Samuel Beckett Werke, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974, S. 96–99, S. 112–115 und S. 116. Samuel Beckett: From an Abandoned Work, in: Ders: The Complete Short Prose, 1929–1989. Edited and with an Introduction and Notes by S. E. Gontarski, New York: Grove Press 1995, S. 155–163. Samuel Beckett: Cascando, in: Ders.: The Collected Poems of Samuel Beckett. A Critical Edition Edited by Seán Lawlor and John Pilling, New York: Grove Press 2012, S. 57f. Samuel Beckett: Echo’s Bones, in: The Collected Poems of Samuel Beckett 2012, S. 23. Samuel Beckett: Untitled ›My way is in the sand flowing‹, in: The Collected Poems of Samuel Beckett 2012, S. 116. Samuel Beckett: Watt/Addenda, London: Calder Jupiter Book 1963, S. 247. Samuel Beckett: Words and Music, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 2006, S. 291.

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nenfassung von 1970 in Zusammensetzung und Auswahl der Fragmente entspricht.51 Es war auch MacGowran, der 1962 eine erste Zusammenstellung unter dem Titel End of Day, hier mit dem Zusatztitel An Entertainment from the Works of Samuel Beckett in Dublin und London zur Aufführung brachte.52 Eine Textfassung war trotz aufwendiger Recherchen nicht auffindbar. Zwei voneinander abweichende Auflistungen der beinhalteten Stücke, ein Foto und Zeitungsausschnitte geben zumindest einen Einblick in die allererste Version des späteren Beginning to End.

Abb. 12: Jack MacGowran in End of Day (1962)

Bildquelle: Young 1987, S. 79.

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Dies lässt sich anhand des Bühnenskripts von Gloria MacGowran vom 11.09.1970 belegen. Siehe hierzu: Beginning to End: An Anthology of the Works of Samuel Beckett: Typescript, 1970. Photocopy of annotated script. Inscribed by adapter Jack MacGowran. New York Public Library, Performing Arts Research Collections – Theatre: RM 2285. [Nur vor Ort.] Gaiety Theatre, Dublin Theatre Festival; New Arts Theatre London. Nachzulesen in: Federman/Fletcher 1970, S. 103.

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

Anhand des Fotos53 lässt sich rekonstruieren, dass die Figur besonders durch das Kostüm des ›Tramp‹ bestimmt war: MacGowran trug den typischen schwarzen Bowler Hut, gepaart mit einer Anzugweste mit einem übergroßen weißen Knopf. Das weiß geschminkte Gesicht, schwarz umrandete Augen, schwarze gebogene Linien als immerwährend hochgezogene Augenbrauen und ein akzentuiert geschminkter Mund, verstärkten den clownesken Eindruck. Die typische Pantomimen–Maske war hier gewollt, da MacGowran sein Sprechen mit pantomimischen Szenen abwechselte.54 Das Äußere der Figur und die herausgestellten, darstellerischen Intervalle sind für alle Versionen aufschlussreich, da sie die tragikomische, vom Stummfilm beeinflusste Zielrichtung des Textes überdeutlich veranschaulichen. Das Stück, welches am 05.Oktober 1962 im Gaiety Theatre in Dublin seine Uraufführung feierte, wurde insgesamt eher wohlwollend von der Presse aufgenommen,55 obwohl die fragmentarische Form und die pantomimischen Einlagen kontrovers besprochen wurden.56 MacGowran fand an der zweiten

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Young 1987, S. 79. Young 1987, S. 80. Alec Reid: o.T, The Irish Times, 08.10.1962, online abrufbar unter: The Irish Times, Newspaper Archive: http://url.ie/d7ek; letzter Abruf am 05.05.2018. Stark gekürzt auch in: Young 1987, S. 80. Weitere Kritiken: T.C. Worsley: »New Arts Theatre, End of Day«, in: The Financial Times, London: Times Newspaper Ltd., 18.10. 1962, S. 20. »Late–Night Show From Beckett. New Arts Theatre: End of the Day«, The Times, London: Times Newspaper Ltd., 18.10.1962, S. 18. Harold Hobson: »Man in his Loneliness«, The Sunday Times, London: Times Newspaper Ltd., 21.10.1962, S. 41. Tom Stoppard: Scene (7), London: o. N., 25.10.1962, S. 19. Alec Reid schrieb am 08.10.1962 in The Irish Times: »With great wisdom and much imagination, Mr. MacGowran did not offer us isolated readings or selections; he drew on his sources continuously, presenting a coherent, unpunctuated entertainment, and it is an interesting comment on the unity of Beckett’s vision that such a course should have been possible, let alone effective. On the other hand, certain pieces, notably the lyrical passage from ›Krapp’s Last Tape‹ describing the love scene on the river, suffered badly from being wrenched out of their context to be set in a necessarily arid framework. The mime ›Act Without Words‹ suffered too, precisely because it was interrupted by speech. [...] Mr. MacGowran demolished once and for all the caricature of Beckett as a gloomy, obscure dramatist of dustbins, deformity and despair. […] To sum up, this original and imaginative venture was a success, but its value lay as an introduction to Beckett, not an interpretation.« Online abrufbar unter The Irish Times Newspaper Archive: http://url.ie/d7ek; letzter Abruf am 05.05.2018.

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Spielstätte im New Arts Theater in London nicht immer einen vollen Publikumssaal vor, was Tom Stoppard in seiner Kritik in der Scene, am 25.Oktober 1962 zwar thematisierte, aber nicht gerechtfertigt fand: »Nothing happens. Nobody comes. Nobody goes. It’s awful. It’s so awful you have to laugh. When I saw it hardly anyone did – they had come for punishment, as a misguided tribute to Beckett. [...] There are very few things in London I would hate more to have missed. At first there is something too arbitrary about assembling what is virtually a new bastard play by channeling speeches from eight sources into one character. But it works because Beckett's view of man's estate is consistent in all of them, a look of pity and ironic amusement, the exact opposite of laughing till one cries — crying till one laughs.«57 Aus dieser vielschichtigen Kritik ergibt sich mehr als nur ein Stimmungsbild des Abends. Stoppard nennt es ein ›new bastard play‹ und schreibt von ›Becketts Sicht auf die menschliche Beschaffenheit, die alle Fragmente beinhalten‹, was über die Figur hinaus, welche alle Quellen in sich vereint, auch auf einen inhaltlichen Zusammenschluss der ausgewählten Teilstücke schließen lässt. End of Day bestand laut den beiden vorliegenden Beschreibungen in jedem Fall aus Monologen von Waiting for Godot und Endgame, der ›Bootszene‹ aus Krapp‘s Last Tape, Passagen aus dem Hörspiel All That Fall und dem Roman Molloy, dem gesamten Text des Prosafragments From an Abandoned Work, sowie der Pantomime Act Without Words I, welche den Text einrahmte.58 Ob auch Textausschnitte aus Watt und The Unnamable dabei waren, wie dies 1970 von Raymond Federman und John Fletcher bibliographiert wurde59 , kann zwar nicht überprüft werden, da Tom Stoppard aber in seiner Theaterkritik von

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Punch verglich das fragmentarische Format mit einem ›Winetasting‹ bei Freunden: »A tasting of great wines in a friendly cellar.« In: Young 1987, S. 80. The Times äußerte sich hingegen deutlich kritisch: »one tends to lose track of the mime as soon as Mr. MacGowran breaks off to speak some of Mr. Beckett’s marvellously evocative prose.«, beziehungsweise schlug als fragwürdig einzustufende Töne an, indem dort behauptet wurde, dass die Kombination nur mit einer »English–speaking person« funktionieren könnte. In: »Late–Night Show From Beckett. New Arts Theatre: End of the Day«, in: The Times, London: Times Newspaper Ltd., 18.10.1962, S. 18. Stoppard 1987, S. 80. [Meine Herv.] Nachzulesen bei Young 1987, S. 78. Auch in: Federman/Fletcher 1970, S. 103. Federman/Fletcher 1970, S. 103

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acht Sprachfragmenten schreibt und eines der Fragmente nachweislich eine Pantomime war, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Zusammensetzung aus insgesamt neun Quellen bestand. Beckett war zwar, wie ein Brief vom 22.August 196260 zeigt, von Anfang an informiert und laut Youngs Beschreibungen insgesamt erfreut über das Vorhaben,61 nahm aber keinen direkten Einfluss auf die Auswahl der Fragmente.62 Dies kann eventuell seine Ablehnung erklären, die er nach der Uraufführung in dem deutlichen Ratschlag, die pantomimischen Einlagen wegzulassen, zuerst an MacGowran formulierte,63 und welche sich in den folgenden Tagen wohl noch steigerte, wie in dem Brief an Barbara Bray vom 15.Oktober 1962 nachzulesen ist: »Thought it pretty ghastly but didn’t say so. Some good moments. Bits&scraps from all over the place within framework of mime, which first stops and then resumes after line said. Aïe!« 64 Letztlich mündete seine Aversion darin, am 03.Januar 1963 eine weitere Genehmigung des Stückes zu verweigern mit den Worten: »I cannot go on with END OF DAY. There is nothing to be done with such a piece. I should have realised this sooner. [...] It was not till I got down to trying to improve the piece that I realised what an impossible hotch–potch it was and how irretrievably wrong.«65 An diesem und vorangegangenem Zitat lässt sich neben der Kritik und der deutlichen Ablehnung zudem erkennen, dass Beckett nicht nur ›informiert‹,

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S. B. an Barbara Bray, am 22.08.1962: »Jackie’s secretary at him [Leslie Daiken] for a copy of More --> s (to put it mildly), but he doesn’t seem to playing ball.«, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume III, 1957–1965, S. 496/497. [Herv. S. B.] Young 1987, S. 78. Young 1987, S. 80. Young 1987, S. 80. S. B. an Barbara Bray, am 15.10.1962 (TCD, MS 10948/1/203.), in: The Letters of Samuel Beckett, Volume III: 1957–1965, S. 508. Beckett paraphrasiert wenige Tage später seine Meinung in einem Brief an Henri Heyden als »monstrous salad with good moments to judge from the bad rehearsal I saw«. S. B. an Henry Hayden, am 20.10.1962, in: Knowlson 1997, S. 799. S. B. an Jack MacGowrans Agentin Irina Morduch, am 03.01.1963 (GEU, MSS 1221), in: The Letters of Samuel Beckett, Volume III: 1957–1965, S. 521.

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sondern auch bei den Proben gewesen war66 und sich zu einem späteren Zeitpunkt auch mit dem Stücktext auseinandergesetzt hatte. Ein reger Briefverkehr mit Gloria MacGowran im Dezember 1963 deutet darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit demselben trotz allem noch nicht abgeschlossen war und Beckett einer weiteren überarbeiteten Textfassung nicht abgeneigt schien, wie ein Brief vom 09.Dezember 1963 vermuten lässt: »I have read Jack’s script with great interest, but find/love only the first 60 pages. Loved you would let me have the rest? Or is it not yet completed?«67 Dies erklärt womöglich auch, warum Beckett ungefähr fünfzehn Monate später für die dreitägige Einrichtung der ersten Fernsehaufnahme in London nicht nur keinen Einspruch erhob, sondern sogar seine Proben in Berlin unterbrach68 um bei der Produktion aktiv mitzuwirken.69 Dem vorangegangen war ein Treffen mit Jack MacGowran, Patrick Garland und Jonathan Miller am 31.Januar 1965 in Paris um die geplante Aufzeichnung zu besprechen.70 Diese wurde, wie anfangs bereits eingeführt, in der Sendereihe Monitor, unter dem Titel Beginning to End: A Television Exploration of the World of Samuel Beckett, am 23.Februar 1965, um 22.15 Uhr auf BBC 171 ausgestrahlt. Sie umfasste eine Spieldauer von vierzig Minuten und bestand wie End of Day aus Fragmenten von Molloy, Watt, From an Abandoned Work, Waiting for Godot und The Unnamable; Hinzu kamen Teile aus Malone Dies, Embers, How It Is und sie wurde nun durch die Gedichtreihe Cascando I–III eingefasst.72 Trotz der deutlichen Veränderungen scheint ein wesentlicher Teil der Textauswahl mit der von End of Day übereinzustimmen, weshalb diese durchaus als Gerüst des späteren Beginning to End angesehen werden kann und deshalb hier auch als erste (verschollene) Stückfassung geführt wird.

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Was er in einem Brief an Barbara Bray am 11.10.1962 ankündigt. In: The Letters of Samuel Beckett, Volume III: 1957–1965, S. 507. Samuel Beckett an Gloria MacGowran, am 09.12.1963. Samuel Beckett Collection Box 9.3. Harry Ransom Center, The University of Texas, Austin/USA. Knowlson 1997, S. 528. S. B. an Barbara [Bray], am 21.02.1965: »Got something done with Jack & Garland, but time too short. They record today. It may be all right. At least he looks marvellous.« In: The Letters of Samuel Beckett, Volume III: 1957–1965, S. 657. Siehe hierzu: The Letters of Samuel Beckett, Volume III: 1957–1965, S. 649. Siehe Quelle für Sendetermin online, unter: http://genome.ch.bbc.co.uk/schedules/bb cone/london/1965-02-23;letzter Abruf am 04.05.2018. Federman/Fletcher 1970, S. 103.

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Die erste Fernsehfassung, die ›Garland–Version‹, ist durch zahlreiche Zeitungsartikel, ausführliche Besprechungen und Briefe belegt, aber trotz allem ist laut Auskunft des BBC–Archivs keine Aufzeichnung mehr vorhanden, da die Bänder zu dieser Zeit aus Kostengründen mehrfach überspielt wurden.73 Andersherum verhält sich dies bei der zweiten Fernsehfassung für den irischen Fernsehsender Radió Telefís Éireann (RTÉ), die nur ein halbes Jahr später, im September 1965,74 unter der Regie von Chloe Gibson entstand und laut RTÉ–Archiv unter dem Titel Beginning to End. From the Works of Samuel Beckett erstmals am 28.April 1966 ausgestrahlt wurde.75 Diese achtundvierzig–minütige Fernsehaufnahme wurde zu Becketts 100–jährigem Geburtstag 2006 restauriert und auf RTÉ 2 wiederholt.76 Die Suche nach Besprechungen (im Jahr 1966) in Zeitungen, Magazinen oder Radio führte allerdings ins Leere. Becketts großer Anteil an der Entwicklung der BBC–Version, die eine beratende Stellung weit überschritt, zeigt sich anhand der Aussage Patrick Garlands: »He found our version correct in it’s content [but] he disapproved of the shape, and… set about reconstructing an entirely different one… And so what appears on tonight’s Monitor is basically under the direct supervision of the author.«77 Wie sich diese ›Supervision‹ Becketts genau gestaltete, lässt sich gut anhand eines Probenberichtes des Journalisten Michael Ratcliffe verdeutlichen, der für The Times im Februar 1965 persönlich dabei war:

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Dies war die Begründung auf meine Nachfrage. Federman/Fletcher 1970, S. 103. Diese Fernsehfassung wurde am 28.04.1966 (Uhrzeit unbekannt) und am 15.04.2006, um 22.20 Uhr auf RTÉ 2 ausgestrahlt. Zitiert wird folgend aus: Beginning to End (RTÉ 1966), Regie: Chloe Gibson. Sichtungskopie mit Timecode der restaurierten Fassung von 2006, RTÉ 2. Beginning to End. From the Works of Samuel Beckett: RTÉ 2, am 15.04.2006, um 22.20 Uhr. Quelle für Sendetermin: https://www.rte.ie/beckett100/beckettnight.html; letzter Abruf am 24.05.2018. BBC 2 zeigte diese Version am 08.08.1967, um 21.05 Uhr und am 20.03.1973, um 21.25 Uhr. Quelle für Sendetermin: https://genome.ch.bbc.co.uk/1e5b7a2920fa40de990d220 36af4dfd8 und https://genome.ch.bbc.co.uk/0c4a063dab5c4bcfbee91cc3f793ae4a, letzter Abruf am 19.05.2018. Federman/Fletcher 1970, S. 103. [Textkürzung durch die Verfasser.]

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»Within five minutes these two have brought with them a sense of unforced, utter absorption. The threefold collaboration begins. Garland is busy, tactful; his turn will come with the final recording. The true collaboration at this stage is between player and author. […] Beckett sits, following the typescript. The act of creation becomes a mime for low voices and reasoned gesticulation. Beckett demonstrates the rhythms he requires, the whispered tensions, the precise patterns of exasperation. In the elaborate inventory of the four seasons from Watt, in which the images of fruitfulness are at constant war with the disgust they engender. […] Irishly, they discuss the proper English pronunciation of the word ›ordure‹ the evocative sounds not unlike Orgia. […] Details are worked out again and again: ›Yes, yes. I’d got it completely wrong.‹ They listen to the tape, facing the stage. Wind, Brahms, a strangled human voice. Water, rather loud. Beckett looks across at Garland, eyes bright, questioning. ›What’s that?‹ Too elaborate; simplicity and understatement are best.«78 Neben Becketts dominant freundlicher Beteiligung wird auch nachvollziehbar, wie detailversessen gearbeitet wurde. Rhythmus und Präzision waren die übergeordneten Regeln. Und an der Debatte über die Aussprache von ›ordure‹ wird ersichtlich, was MacGowran in einem späteren Interview als Becketts ›Liebe zum Wort‹ bezeichnete.79 Zudem zielte Beckett darauf, durch präzises, eindringliches Flüstern der Stimme Spannung zu erzeugen, ähnlich der Stimme in He, Joe. Die zweite Fernsehfassung (Regie: Chloe Gibson80 ) variiert erneut in der Textauswahl im Vergleich zu vorherigen Fassungen, wie durch eine Mitschrift des Aufnahmetextes eruiert werden konnte: Dieses Mal durch den Verzicht 78 79

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Michael Ratcliffe: »The Collaborators«, in: The Times, London: Times Newspaper Ltd., 28.02.1965, S. 49. [Meine Herv.] Jack MacGowran: »Beckett finally became recognized, he seemed emerge as a new form of writer with a new style of writing, a new pattern, a new way of using words. Above all, he is a man who is in love with the word itself and therefore his choice of words is very carefully made.« In: Kathleen McGrory, John Unterdecker: Interview with Jack MacGowran. (20.04.1971) London 1976, S. 172. [Meine Herv.] Über die Sheehan schreibt: »RTÉ's first heads of drama, Hilton Edwards, Jim Fitzgerald and Chloe Gibson, were drawn from the world of Irish theatre, as were most of the producers, directors, writers, actors, and designers, bringing with them the styles, structures and skills that had been evolved by the theatrical profession.«, in: Sheehan 2001, online unter: http://webpages.dcu.ie/%7Esheehanh/60s-itvd.htm; letzter Abruf am 21.05.2019.

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auf die Textfragmente aus Waiting for Godot und Cascando I–III, welche durch das Gedicht Echo’s Bones und zwei Teile aus Endgame ersetzt wurden. Abermals gleich bleiben die Auswahl aus Molloy, Watt, From an Abandoned Work und The Unnamable.81 Obwohl es keine direkten Belege für die direkte Mitarbeit Becketts bei der RTÉ–Version gibt, ist diese äußerst wahrscheinlich. Ein Indiz hierfür ist die enge Zusammenarbeit mit MacGowran für die BBC–Aufnahme. Ein aussagekräftigerer Anhaltspunkt ist die Aufnahme der Langspielplatte MacGowran Speaking Beckett,82 welche im Januar 1966, und damit nur Monate vor der Fernsehaufnahme für RTÉ, für das irische Label Claddagh Records angefertigt wurde. Die Lesung wurde mit dem langsamen Satz von Schuberts Der Tod und das Mädchen, Streichquartett in d–Moll, begleitet, intoniert von Samuel Becketts Cousin John Beckett und seinem Neffen Edward Beckett.83 Beckett war bei der Aufnahme nicht nur persönlich im Studio anwesend, sondern trennte die Fragmente durch einen Gongschlag, der ebenfalls auf der Aufnahme zu hören ist.84 Edward Beckett spielte denselben Satz Schuberts erneut für die RTÉ Aufzeichnung ein,85 was verdeutlicht, wie eng, sowohl zeitlich als auch personell hier zusammengearbeitet wurde. Bekräftigt wird diese Annahme durch einen Textabgleich, der zeigt, dass die für die Langspielplatte aufgezeichnete Version in der Auswahl der Textfragmente deckungsgleich mit der RTÉ–Fassung ist. So besteht die einstündige Tonaufnahme ebenfalls aus einer Zusammenstellung von Fragmenten aus Malone Dies, Watt, From an

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Siehe Tabelle A am Ende des Teilkapitels. MacGowran Speaking Beckett. John Beckett – Harmonium, Edward Beckett – Flute, Samuel Beckett – Gong. Recorded under the direct supervision of Samuel Beckett, Dublin: Claddagh Records Limited 1966, CCT-3. »Becketts Lieblingsthema aus dem langsamen Satz von Schuberts ›der Tod und das Mädchen, Streichquartett in d–Moll‹ wurde von seinem Neffen Edward Beckett intoniert, der auf seiner Flöte die erste Geige spielte, und (der Cousin) John Beckett spielte die zweite Geige, die Viola und das Cello auf einem alten ächzenden Pedal–Harmonium [...] Es war eine höchst ungewöhnliche Kombination von Instrumenten. Beckett selbst spielte auf der Platte einen simplen Tischgong auf einem Fußsockel, als Trennzeichen zwischen den Auszügen, wobei er jedem Schlag das genau rechte Gewicht beimaß.« Zit. nach: Joan Simon: »sound problems: Beckett, Nauman«, in: Kunsthalle Wien u.a.: Beckett/Nauman, Wien: Kunsthalle 2000, S. 33. Simon 2000, S. 33. Er wird namentlich im Abspann genannt von Beginning to End (RTÉ 1966) 2006, Timecode: 10:47:16:04.

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Abandoned Work, Molloy, Endgame, The Unnamable und Echo’s Bones, und ist damit eindeutig die Vorlage für das Beginning to End der RTÉ–Version.86 Dies lässt einmal mehr auf die Teilhabe von Samuel Beckett an allen Produktionen von Beginning to End aus dieser zeitlichen Periode schließen. Becketts Engagement zeigt seinen vollen Umfang vor allem in der formalen und inhaltlichen Zielsetzung, die sich ab 1965 durch die Reduzierung des Kostüms und einer offenkundigen Motivik des Textes abzeichnet. Einmal durch das Kostüm, welches in allen End of Day nachfolgenden Produktionen auf einen übergroßen schwarzen Wintermantel und ausgetretene, knöchelhohe schwarze Lederschuhe reduziert wurde. Mit dem Effekt, dass der Fokus auf Händen und Gesicht lag und durch das Entfernen von äußerlichen Auffälligkeiten eine Gestaltlosigkeit erzielt wurde, die kaum individuelle Rückschlüsse zulässt. So wurde eine Figur erschaffen, die äußerlich einem Neutrum gleicht: Eine äußerlich leere Hülle, dazu da, mit Becketts Textfragmenten gefüllt zu werden und diese wiederzugeben. In den Augen des Autors sollte ›die Hülle‹ »feelings of a man faced with death«87 transportieren. Dass es sich hierbei um die zentrale inhaltliche Zielsetzung handelte, bestätigte MacGowran in einem Interview im April 1971 mit Kathleen McGrory und John Unterdecker einmal mehr; darüber hinaus stellte er auch die Funktion der Komik als weiteres Kriterium heraus, und sprach von einer »double vision«,88 im Sinne des Entwicklungsprinzips von Seán O’Casey und William Butler Yeats verglich: »They [O’Casey und Yeats] had a sort of double vision that saw human tragedy and comedy running side by side, and they gained power from the realization that laughter of a kind can be a release from the tensions of terrible tragedy – and, in its own way, result in a subtle catharsis at the end …the revivifying air of failure.« 89 Dass es gelang, eine Figur zu erschaffen, die sich im permanenten Spannungsfeld von Tragödie und Komödie bewegt, wird in einer zweistündigen 86 87 88

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Vgl. hierzu auch Tabelle A am Ende des Teilkapitels. S. B. an MacGowran, am 12.09.1965. Zit. n. Young 1987, S. 105. Jack MacGowran, in: McGrory/Unterdecker 1976, S. 173. [Meine Übersetzung: »Sie hatten eine Art zweiseitige Vision menschliche Tragödie und Komödie Seite an Seite zu sehen, getragen von der Macht, das Lachen Erleichterung verschaffen kann, selbst bei der furchtbarsten Tragödie, und so letzten Endes, auf eigenwilligen Weg, zu einer subtilen Katharsis zu führen … sozusagen durch die wiederbelebende Luft des Scheiterns.«] Jack MacGowran, in: McGrory/Unterdecker 1976, S. 173.

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Bühnenaufzeichnung90 der zweiten Bühnenfassung sichtbar, die am 19.Januar 1971 während des New York Shakespeare Festivals gemacht wurde: Das Publikum reagiert auf den evozierten Vorstellungskontrast mit häufigem, polyvalentem Lachen. Eine Komik, die sich vor allem durch den Inszenierungstext ergibt, auf den sich Beckett laut MacGowran besonders konzentriert hatte und für den dieser auch Teile aus seinen Originalstücken strich, um einen Sprachrhythmus zu gestalten, der vor allem die Unterhaltsamkeit des Textes erzielen sollte, wie sich in folgender Beschreibung MacGowrans zum Arbeitsprozess ablesen lässt: »Only the sense that he realized that certain passages were literary and were only dulling an audience of their literary quality rather than their dramatic quality, and he decided: ›We’d better cut this literary section out here and start from there and pick it up here where the dramatic value starts again. And let‘s lose anything that’s of a purely literary value which, to an audience, can get very dull and boring.‹« 91 Die Entscheidung der Streichung von Teilstücken zu Gunsten des Rhythmus und der Vorzug der ›dramatischen Qualität‹ als theatrales Mittel gegenüber purem ›literarischen Wert‹, führt zu einer Homogenisierung der Teilstücke, was zu einer Form führt, ähnlich einer Legierung. Diese Bühnenaufzeichnung wird im Folgekapitel noch im Vergleich zur Fernsehversion (1966) untersucht werden. Der Erfolg der Produktion am Newman Theater in New York ist hier die entscheidende Information bezüglich der Genese,92 da dieser eine US und Europa Tour93 nach sich zog sowie die 90

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New York Public Library, Performing Arts Research: MacGowran in the works of Beckett. Videotaped by The New York Public Library's Theatre on Film and Tape Archive at the New York Shakespeare Festival's Public Theater, New York, N.Y., Jan. 19, 1971, NCOV 3. Zit. n. McGrory/Unterdecker 1976, S. 176. [Meine Herv.] S. Beckett gratulierte MacGowran wärmstens: »The news of your marvellous success in N.Y. is the best for many a long day. Bravo bravissimo... I imagine you will be getting fat offers right left and centre after this and probably staying in the States for a time. After all your hard work and difficulties and disappointments I truly am delighted for you and Gloria and myself.« Brief von S. B. an Jack MacGowran, am 12.12.1970. Zit. n. Young 1987, S. 146. MacGowran erhielt die »Best–Actor–Off–Broadway«–Auszeichnung und eine Goldplakette vom Critics’ Circle für das Jahr 1970. In: Young 1987, S. 152. Die US-Tour lief unter dem Titel Jack MacGowran in the Works of Samuel Beckett und führte 1971 durch folgende Spielstätten: Kreeger Theater/Washington D.C.;

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Produktion einer weiteren, dieses Mal filmischen Adaption für den Fernsehsender KCET Hollywood Television.94 Die karge Ausstattung der Bühnenversion,95 die durch zwei nachgebildete Kalksteine akzentuiert wurde (einem großen am rechten, einen kleinen am linken Bühnenrand), erinnert an eine Wüste und diente als Inspiration für den Drehort der aufwendigsten Produktion von Beginning to End, für welchen die Mojawe Wüste in Nevada/USA ausgewählt wurde. Der Text der Filmfassung dauerte trotz längerer Sprechpausen nur 56 Minuten, da hierfür von den fünf Gedichten alle außer Cascando gestrichen wurden, sowie zwei Seiten des Fragments aus From An Abandoned Work, der Beginn von Molloy und eine Seite aus Malone Dies.96 Die Aufzeichnung wurde erstmalig in Farbe und mittels zweier Kameramänner mit Handkameras umgesetzt. Bezeichnenderweise lässt sich der

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Western Conn. State College, Danbury/Conneticut; Wellesley College/Massachusetts; Lenox Arts Centre, Lenox/ Massachusetts; Princeton University/New Jersey; University of Hartford/Conneticut; University of Conneticut, Storrs; John Carroll University/ Cleveland. 1972 wurde sie wiederholt und führte durch: Butler University/Indianapolis; Purdue University, Lafayette/Indianapolis; Trenton State College/New Jersey; Penn State University/University Park, Pa; Caldwell College/New Jersey; Annenberg Center/ Philadelphia; Harvard University/Cambridge, Massachusetts; Opera House, Waterville/Maine; Dartmouth College, Hannover/New Hampshire; University of Michigan/ Ann Arbor; Mark Taper Forum/Los Angeles; Murray Theater/Chicago. Auch in Europa wurde die One–man Show gezeigt, hier unter dem Titel Beginning to End: am 23.04.1970, Théâtre Édouard VII, Paris; 1971 im Schiller–Theater Workshop/ Berlin & Gaiety Theatre/Dublin; 1972 Funge Art Center, Gorey/County Wexford & Gaiety Theatre/Dublin. Für 1973 war bereits eine Fortsetzung geplant, die durch MacGowrans Tod nicht mehr stattfinden konnte. Zit.n.: Young 1987, S. 178 & 187f. Vgl. Programmankündigung, o. N.: »TV Highlights«, in: The Washington Post, Washington, DC: Washington Post Comp., 04.11.1971, S. 15. Ming Cho Ling entwarf 1970 das Bühnenbild für die Pariser Inszenierung (Théâtre Édouard VII, Paris am 23.04.1970) und es wurde von da an für alle folgenden Aufführungen verwendet. Analyse durch eine angefertigte Textmitschrift der Filmaufzeichnung: Beginning to End: The Works of Samuel Beckett [videorecording], produced and directed by Lewis Freedman; [produced for] Hollywood Television Theatre; a presentation of KCET–TV: Los Angeles, Calif. 1971. New York Public Library, Performing Arts Research Collections NCOX 5437. [Nur vor Ort.] Siehe Tabelle A am Ende des Teilkapitels.

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Farbfilm nur an dem ockerfarbenen Wüstengestein erkennen, ansonsten dominieren nach wie vor schwarz und weiß das Bild, was als intendierte anachronistische Entscheidung gewertet werden kann. Der Fernsehfilm wurde zur Hauptsendezeit, an einem Donnerstagabend, den 04.November 1971, um 21.00 Uhr ausgestrahlt.97 Er wurde in der Washington Post als TV–Highlight angekündigt98 und lief in Konkurrenz zu ›leichten‹, unterhaltsamen Sendeformaten, wie: The Flip Show Wilson mit Gästen wie The Jackson Five; Truth or Consequences mit Clint Eastwood; sowie dem Spielfilm Berserk mit Joan Crawford. Hieraus wird ersichtlich wie viel man der Filmvariante von Beginning to End zutraute und wie sicher man sich der Marke ›Samuel Beckett‹ war. Im Gegensatz zu den anderen Versionen ist für diese Fernsehfilmaufnahme die realistische Szenerie, die als Rahmung gewählt wurde, ausschlaggebend. Die Figur wie selbstredend auch der Schauspieler sind einer so unmöglichen wie unerträglichen Situation ausgesetzt, die zwangsläufig auf das Spiel wie auch auf spätere Rezeptionen Einfluss nehmen musste: Gedreht wurde im Death Valley bei 46° Celsius Außentemperatur, wodurch die Linie zwischen Schauspieler und Figur sichtlich verschwand:99 Eine sich dreimal wiederholende Abenddämmerung, fehlende Bildstringenz100 und nie enden wollendes Klettern, Stolpern und Kauern zwischen Felsen und Geröll, kreieren eine Atmosphäre, die völlige Orientierungslosigkeit und Einsamkeit vermitteln. Ein Eindruck, der durch die endlose Weite der Wüste noch verstärkt wird. Mit einer Figur, welche verloren durch die Wüste stolpert und gleichzeitig in ihr verhaftet zu sein scheint, war ein Bild gefunden, dass für alle Versionen von Beginning to End gilt; MacGowran fasste es in die passenden Worte: »What Beckett has done is taken man’s situation and mankind’s misfortune to the n’th degree and made men survive in conditions which normally would lead any man to commit suicide – where death would be a welcome relief. There is a kind of lust for death and yet a zest for life – a strange paradox that runs through much of his work.«101

The Washington Post, 04.11.1971, S. 15. The Washington Post, 04.11.1971, S. 15. Was sich zum Beispiel darin zeigte, dass MacGowran darauf verzichtete den schweren Wintermantel in den Pausen abzulegen. Was darauf schließen lässt, dass der Schweiß im Gesicht und auch der Schaum in den Mundwinkeln keine Make–up Effekte sind. 100 So wechselt zum Beispiel der Himmel scheinbar wahllos zwischen einem klaren, blassblauen Himmel und einer dunklen Gewitterstimmung hin und her. 101 In einem Interview mit Richard Toscan (Feb. 1972). In: Toscan 1973, S. 16.

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Durch die unlösbare Verschränkung von der ›Begierde nach dem Tod‹ und ›Lebenshunger‹ ergibt sich ein Spanungsbogen, der auf dem paradoxen Prinzip der Endlosigkeit basiert. Beginning to End lebt dramaturgisch davon, dass eine Spannung zwischen Ende und prinzipieller Endlosigkeit hergestellt wird.102 Werden anfangs noch mehrere Erinnerungsstränge wiederbelebt, steigert sich der Text, besonders durch den zunehmenden Sprachrhythmus, bis zur Auflösung, bis zu einem ›nie endenden Ende‹. Durch die von Fassung zu Fassung immer umfangreicher werdende Verschachtelung der Geschichten, Erinnerungen und Paramnesien103 nimmt gleichermaßen auch die Ununterscheidbarkeit der einzelnen Fragmente zu, welche gerade durch die gezielt ausgewählten zahlreichen Parallelismen zu einem eigenständigen, neuen Drama werden. Der Fokus bei der Auswahl der Textfragmente liegt dabei auf den Bilder–Ritornellen, welche allein in drei der vier Kernfragmente motivisch zu finden sind: Molloys ›Steine–Monolog‹104 , das ›Mother’s–Father’s‹–Ritornell105 aus Watt und das ›I can’t go on‹ Motiv106 aus The Unnamable.107 Ganz im Sinne der Intention Becketts steht inhaltlich immer ›das Ende‹ im Mittelpunkt aller Gedankenbewegungen. Und so beginnt die Figur das Spiel damit, sich ihr kurz bevorstehendes Ende auszumalen: »I shall soon be quite dead at last in spite of all,«108 und beendet den Text mit der Feststellung, dass es anstelle eines Endes nur ›die ewige Stille‹ gibt, in der es immer weitergeht:

102 Vgl. Gabriele Schwab: Samuel Becketts Endspiel mit der Subjektivität. Entwurf einer Psychoästhetik des modernen Theaters, Stuttgart: J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1981, S. 91. 103 »I remembered, I remembered, I remembered. I mean I knew more or less what she was talking about, and if I hadn’ t always taken part personally in the scenes she evoked, it was just as if I had.« Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:05:46:00; Beginning to End 1988, S. 7. 104 Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:32:30:00–10:38:30:00; Beginning to End 1988, S. 22–26. 105 Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:39:54:00–10:40:11:17; Beginning to End 1988, S. 30. 106 Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:43:40:00; Beginning to End 1988, S. 31f. 107 Vgl. hierzu auch Tabelle B am Ende des Teilkapitels. 108 Beginning to End 1988, S. 5. (Textstelle aus Beckett, Malone Dies (1951), New York/Toronto 1997, S. 203.)

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

»[…] it will be I, it will be the silence, where I am, I don’t know, in the silence you don’t know, you must go on, I can’t go on, I’ll go on. Well, there we are, there I am, that’s enough.«109 Augenscheinlich sind nicht nur die bereits erwähnten einzelnen Fragmente ritornellhaft, sondern im Grunde stellt die ganze Arbeit ein prinzipiell endloses Ritornell dar und könnte nahtlos am Ende angekommen wieder vorne anfangen. Der ganze Text ist zudem von thematischen Wiederholungen durchsetzt, und die Figur spricht geradezu zwanghaft über ihr Ende: »Yes, I shall be natural at last […] I shall die tepid. […] Just under the surface I shall be, all together at first, then separate and drift, through all the earth and perhaps in the end through a cliff into the sea, something of me. […] Good, it’ll never end, I’ll never go. (Pause.) Then one day, suddenly, it ends, it changes, I don’t understand, it dies, or it’s me, I don’t understand that either.«110 Hieran zeigt sich zudem beispielhaft, dass die Figuren Malone (Malone Dies), der Namenlose (From an Abandoned Work) sowie Clov (Endgame), von denen die letzten drei zitierten Ausschnitte ursprünglich stammen, ohne aktive Spurensuche nicht mehr ausfindig zu machen sind. Wie umfangreich die Fragmentierung tatsächlich ist und dass hier zudem über die Jahre eine zunehmende Tendenz zu beobachten ist, ließ sich nur durch eine umfangreiche und zeilengenaue Werksanalyse herausfinden.111

109 Beginning to End 1988, S. 31 (Textstelle aus The Unnamable (1953), in: New York/Toronto 1997, S. 476.) 110 »Yes I shall be natural at last […] I shall die tepid.« Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:02:52:00. (Textstelle aus Malone Dies (1951), New York/Toronto 1997, S. 203f.) »Just under the surface I shall be, all together at first, then separate and drift, through all the earth and perhaps in the end through a cliff into the sea, something of me.« Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:23:01:16. (Textstelle aus From an Abandoned Work, in: Samuel Beckett: The Complete Short Prose, 1929–1989, New York 1995, S. 160.) »Good, it’ll never end, I’ll never go. (Pause.) Then one day, suddenly, it ends, it changes, I don’t understand, it dies, or it’s me, I don’t understand that either.« Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:45:00:00. (Clov Monolog aus Endgame, London 2006, S. 132.) 111 Siehe Tabelle B am Ende des Teilkapitels.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Andrew Parkin führt für Becketts Dramen den Begriff des ›Monodrama‹112 an, welches davon gekennzeichnet ist, dass es weder einen Anfang noch ein Ende aufweist113 und zum anderen aus mehreren Versatzstücken besteht, welche als Bruchstücke einer Persönlichkeit verstanden werden können: »A monodrama is a play which dramatizes a single mind or personality either by means of one character or through the interplay of a number of characters which may be viewed as fragments of the protagonist’s personality or consciousness.«114 Die Prämisse, dass Aussagen von verschiedenen Figuren kernmotivisch zu einer Stimme verschmolzen werden, trifft auf Beginning to End voll zu. Tom Stoppards 1962 noch vage gehaltene Einschätzung des »new bastard play«115 löst sich nicht nur ein, sondern es wird deutlich, dass hier von einer eigenständigen Arbeit gesprochen werden kann, die sich im Sinne von Parkins Definition zu einem neuartigen Monodrama galvanisiert. Die Fragmente aus Molloy, Watt, From an Abandoned Work und The Unnamable haben sich dabei als fester Kern des Stückes erwiesen, wie durch den Vergleich der Zusammensetzungen aller sieben Stückvarianten herausgefunden wurde. Der fragmentarische Aufbau des Monodramas, verstärkt durch die vielen Änderungen, die über einen Zeitraum von acht Jahren an ihm vorgenommen wurden, erinnert allein schon durch seine strukturelle Entwicklung an eines der Ritornelle, die Becketts Protagonisten immer wieder durchzählen. Die Sonderrolle von Beginning to End zeigt sich also insbesondere darin, dass es sich bei diesem um einen Transitraum handelt, der sich durch die darstellerische Aktivierung des zusammengestellten Textes öffnet. Beginning to End offenbart dabei, was alle Figuren Becketts gemeinsam haben: Sie sind bis zum Äußersten getriebene Geschöpfe, welche nicht aufhören können, einen Ausweg finden zu wollen, wobei sie sich bereits dadurch erschöpfen, ihre Möglichkeiten gedanklich durchzuspielen. Der ›Tramp‹ aus Beginning to End stellt damit ein Musterbild für Becketts Erschöpfte dar. Die Skizzierung der verschiedenen Fassungen in Zusammenhang mit der Beweisführung Becketts nachhaltiger Beteiligung ist für diese Arbeit

112 113 114 115

Andrew Parkin: »Monologue into Monodrama: Aspects of Samuel Beckett’s Plays.«, in: Éire–Land 9, H.4/1971, S. 35. Parkin 1971, S. 41 Parkin 1971, S. 35. Stoppard 1962, S. 19.

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

auf mehreren Ebenen interessant: Durch die mögliche Nachvollziehbarkeit der jahrelangen Umarbeitung an einer Arbeit lassen sich seine praktische Vorgehensweise und insbesondere seine künstlerischen Zielrichtungen eruieren beziehungsweise bestätigen. Anhand der Adaptionen für verschiedene Disziplinen wird seine formspezifische Herangehensweise offenkundig, was wiederum durch den im Kern gleichbleibenden Inhalt und die feststehende Besetzung befördert wird. Darüber hinaus wird abermals deutlich, dass Beckett seine künstlerische Tätigkeit nicht nur auf das Schreiben beschränkte, sondern zunehmend in Arbeitsfelder der Regie expandierte, wie zum Beispiel Anleitung zur Darstellung, Licht, Ton und Kameraführung. Kurz, es lässt sich veranschaulichen, dass sich Becketts vielzitiertes ›Bohren von Löchern‹116 nicht nur auf sein literarisches Schaffen begrenzte.

116

Beckett, German Letter of 1937, New York 1984, S. 53.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Tabelle A: Textfragmente Beginning to End (Fragmente mit ders. Hervorhebung stimmen miteinander überein. Orange = Drama, gelb= Hörspiel, grün= Roman, blau = Gedicht.)

6. Sonderrolle Beginning to End (1965)

Tabelle B: Anordnung der Textfragmente Beginning to End (Fragmente mit ders. Hervorhebung stimmen miteinander überein. Orange = Drama, gelb= Hörspiel, grün= Roman, blau = Gedicht.)

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7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

7.1

Beginning to End (1965): Die Fernsehfassung (R: Chloe Gibson, 1966) im Vergleich mit der New Yorker Bühnenaufzeichnung (1971)

Gerade im Vergleich des Fernsehspiels Beginning to End1 (1966) mit der zweistündigen New Yorker Bühnenshowaufzeichnung 2 (1971) wird neben den Textänderungen ersichtlich, wie grundsätzlich unterschiedlich MacGowrans Spielweise für beide Formate angelegt war. Hier ist vorab kurz anzumerken, dass die New Yorker Bühnenaufzeichnung exemplarisch für alle Bühnenauftritte der One–man Show ab 1970 gelten kann, da MacGowran diese, wie in Kapitel 6.1 bereits erläutert wurde, in besagtem Jahr mit Beckett in Paris überarbeitet hatte und diese von da an als die gesetzte Theaterversion verwendet wurde . Im Gegensatz zum Fernsehspiel bewegt er sich in der New Yorker Aufzeichnung, trotz einer erkennbaren Choreographie deutlich freier auf der Bühne. Sein Spiel ist zumeist ruhelos in dem an eine Wüste angelehnten, bis auf zwei nachgebildete Kalksteine leeren Bühnenbildes. Durch die Spielflächenverkleinerung mittels eines abgestuften Farbverlaufs des Bühnenprospektes, zweier bodentief an den jeweiligen Bühnenrändern gespannter Se-

1 2

Beginning to End (RTÉ 1966), Regie: Chloe Gibson. Sichtungskopie mit Timecode des restaurierten Teleplays von 2006, Bezug über RTÉ 2. New York Public Library, Performing Arts Research: MacGowran in the Works of Beckett. Videotaped by The New York Public Library's Theatre on Film and Tape Archive at the New York Shakespeare Festival's Public Theater, New York, N. Y., Jan. 19, 1971, NCOV 3. [Nur vor Ort.]

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

geltücher und eines aufgemalten Bodenovals ergibt sich ein geschlossener, schluchtartiger Raum.

Abb. 13: Archivfoto aus Jack MacGowran in the works of Samuel Beckett (New York, 1970)3

Bildquelle: The New York Public Library, Billy Rose Theatre Division: Jack MacGowran in the works of Samuel Beckett (1970), The New York Public Library Digital Collections. Online unter: http://digitalcollecti ons.nypl.org/items/ba824afe-89ab-d89d-e040-e00a18066797; letzter Abruf am 08.03.2018.

Dabei auffällig ist MacGowrans darstellerische Öffnung der vierten Wand durch seine fortwährende Interaktion mit dem Publikum, wobei er beispielsweise scherzhafte Ausdrücke mit überdeutlicher Körpersprache unterstreicht,4 dabei direkt zu einigen Zuschauenden blickt und bei Lachern wartet. Einige Male ist er sogar zum Warten gezwungen, da sich das Lachen von schätzungsweise 500–600 Zuschauenden zu regelrechten Lachanfällen

3 4

Die Szene des Fotos ist nicht weiter spezifiziert. So zieht er beispielsweise bei »cat’s flux« das rechte Bein hoch und bleibt so wenige Sekunden im Freeze stehen. New York Public Library, Performing Arts Research: MacGowran in the Works of Beckett, 1971, Timecode unbekannt. [Nur vor Ort.]

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

entwickelt und ein Weiterspielen kurzzeitig unmöglich wird. Er selbst befeuert diese Form der Interaktion durch sein ausgestelltes, slapstickartiges Spiel: Er hüpft, springt, fügt Wiederholungen ein und flucht ausgiebig; wie etwa den zotigen Ausdruck: »vent the pent«5 , den er zehn Mal wiederholt und mit einem gedehnten »… ah shit«6 abschließt, was zu lautem Lachen im Publikumsraum führt. Hinzukommen deutliche Stimmungswechsel, die von einer starken Reduktion des vorherrschenden Tempos begleitet werden, wie bei der Aussage: »lovely creatures they were«7 , auf die eine längere Pause mit gedankenversunkenem Blick auf den Boden folgt. Trotz der Freiheiten, die er sich nimmt, wird die bereits erwähnte Choreographie deutlich und es wirkt, als würde er den Text ablaufen. Er scheint dabei sogar eine Unterscheidung der Textgattungen anzudeuten; so trägt er beispielsweise die Gedichte nicht nur in einem getragenen Singsang vor, sondern akzentuiert diese zusätzlich, indem er sie immer frontal zum Publikum, vor dem kleineren Stein stehend, vorträgt. Durch das Spiel mit dem Publikum wirkt das Geschehen mehr wie ein Happening, was diametral zu der konzentrierten Stimmung des Fernsehspiels steht. Die Bühnenfigur durchlebt in unmittelbarer Verlorenheit und Ausweglosigkeit die verschiedenen Erinnerungen in Anbetracht seines bevorstehenden Endes. MacGowran treibt die dabei durchlebten Emotionen durch unmittelbares Rufen und Klagen immer wieder auf die darstellerische Spitze. Im Vergleich zu dem zurückgenommenen Spiel fürs Fernsehen wirkt seine Darstellungsweise für die Bühne extrem überzeichnet. Eine Form der schauspielerischen Vergrößerung, die im Fernsehspiel durch vielfach eingesetzte Nahaufnahmen nicht erforderlich war. Neben den unterschiedlichen Spielarten erweist sich besonders die Kamerahandhabung als der entscheidende Unterschied zwischen beiden Formaten: Bei der Bühnenaufzeichnung kommt eine Kamera zum Einsatz, die an einem festen Standort platziert wurde; dem Bildausschnitt nach auf dem ersten Rang links, mit Blick auf eine klassische Guckkastenbühne. Als Grundein5

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7

Beginning to End 1988, S. 12. Deutsche Übersetzung von Elmar und Erika Tophoven: »Mach dir Luft.«, in: Samuel Beckett: »Aus einem aufgegebenen Werk«, in: Ders.: Dante und der Hummer. Gesammelte Prosa, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 189. Dies war im Skript eigentlich nicht vorgesehen. Vgl. hierzu: Beginning to End: An Anthology of the Works of Samuel Beckett: Typescript, 1970. Photocopy of annotated script. Inscribed by adapter Jack MacGowran, New York Public Library, Performing Arts Research Collections – Theatre: RM 2285, o. S. [nur vor Ort.] Beginning to End 1988, S. 13.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

stellung wurde eine zumeist auf die rechte Bühnenhälfte ausgerichtete Halbtotale gewählt, die nur durch wenige, dem Text durchaus angepasste Zooms unterbrochen wird. Während des Spiels gibt es keine Schnitte, nur für die Pause zwischen Teil I und Teil II wurde die Aufzeichnung eventuell unterbrochen, was sich jedoch nicht abschließend klären lässt, da sich Teil II auf einer zweiten Archiv–Disc befindet. Es lässt sich allerdings zusammenfassend feststellen, dass die Kamera grundsätzlich unbeweglich und dokumentierend verwendet wurde, auch wenn sie MacGowrans Bewegungsablauf auf der Bühne folgt. Die mit technisch geringem Aufwand realisierte Archivaufzeichnung bleibt qualitativ hinter dem technischen Standard des Fernsehspiels zurück, was sich in einer schlechteren Tonqualität8 und einem Bildrauschen zeigt. Das Prinzip eines reinen Mitschnitts wird im Teleplay weit überschritten. Beckett, der bereits im Theater die Scheinwerfer in ›beobachtender‹ Funktion eingesetzt hatte, führte diesen Weg mithilfe technischer Formate fort. Sein Verdienst bestand darin, wie Carola Veit es treffend für seine anderen Film– und Fernseharbeiten zusammenfasst: »[...] besteht Becketts darin, diesen beobachtenden Blick mit Hilfe der visuellen Medien von Film und Fernsehen zu isolieren, da ihm hier die Kamera als unleiblicher, aber konkreter Beobachter dienen kann.«9 So entstand eine bewegliche, lebendige Kameraregie, die, wie bereits erwähnt, zu Beginn des Fernsehens in nur wenigen theaterbezogenen Produktionen Verwendung fand.10 Die Gibson–Version beginnt zum Beispiel mit einer Totalen, die sich von einer gängigen Bühnenaufzeichnung bereits insofern unterscheidet, als dass die Kamera den Blick von rechts außen auf einen weitläufigen Raum öffnet, der von nicht erkennbaren Wänden abgegrenzt zu sein scheint. Der Eindruck der Weitläufigkeit wird verstärkt, indem nur ein elliptischer, diagonal durchs

8 9 10

MacGowran trägt kein Mikrofon, was besonders deutlich wird, wenn er mit dem Rücken zum Zuschauerraum spricht. Carola Veit: Ich–Konzept und Körper in Becketts dualen Konstruktionen, Berlin: Weidler 2002, S. 186. Neben Samuel Beckett ist hier beispielsweise Peter Zadek zu nennen, wie in der Ausstellung Experimentelles Fernsehen der 1960er und ‘70er Jahre in der Deutschen Kinemathek im Museum für Film und Fernsehen Berlin vom 19.05.–24.07.2011 fundiert aufgearbeitet und gezeigt wurde.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

Bild führender Streifen ausgeleuchtet ist und somit die vorderen zwei Drittel des Bildes in Dunkelheit getaucht sind. In besagtem Lichtkorridor stehen sechs schulterhohe, ungefähr zwanzig Zentimeter dicke quadratische weiße Trennwände mit ebensolchen Fußsockeln.

Abb. 14: Videostandbild aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson), Timecode: 10:00:05:04 – 10:00:34:10.

Der Kamerablick organisiert das Bild und setzt einen Rahmen der im Raum selbst nicht angelegt ist. Ganz nach Belá Balázs kann hier von einer »schöpferischen Kamera«11 gesprochen werden. Neben der blicktechnischen Rahmung gibt es auch eine aus heutiger Sicht bemerkenswerte darstellerische Anfangssequenz: MacGowran steht während der Anfangsmusik und des Vorspanns in einem 30–sekündigen, vollständigen Freeze;12 die Aufnahme beginnt mit einem Stillleben, das wie ein Standbild wirkt. Und auch wenn dies möglicherweise dem Livemitschnitt geschuldet war, wirkt diese technikimitierende Anfangsszenerie wie eine Spiegelung der subjektivierten Kamera mit verkehrten Vorzeichen. Ein buchstäbliches »Theater des Stillstands«13 . 11 12 13

Béla Balázs: Der Geist des Films, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2001, S. 77. Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:00:05:04 – 10:00:34:10. Glasmeier 2002, S. 156.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Dass es sich nicht um ein konventionelles Standbild handelt, wird für das Zuschauenden–Auge erst ersichtlich, wenn der Protagonist sich nach dreißig Sekunden langsam umdreht und an den Trennwänden entlang geht. ›The Tramp‹, wie ihn Beckett und MacGowran nannten, hat die Hände dabei locker in den Taschen seines übergroßen, dunklen Sackmantels und spricht ruhig und deutlich, mehr melodisch als resigniert, über seinen bevorstehenden Tod. Seine Bewegung scheint das Zeichen für die Kamera zu sein, ebenfalls in Aktion zu treten. Figur und Kamera bewegen sich langsam und kaum merklich aufeinander zu. In diesem Anfangsbild werden bereits, um Knut Hickethiers Gesetzmäßigkeiten des Films zu folgen, »Standpunkt, Bildrahmen und Objekt der Abbildung zueinander in ein Verhältnis [gesetzt].«14 Der Protagonist wird zum Objekt, das durch die Kamera erforscht wird; nach eingehender Betrachtung endet die erste Kamerafahrt in einer detaillierten Großaufnahme von MacGowrans Gesicht. Er steht währenddessen wieder unbewegt und nur seine Mimik unterstreicht den Rhythmus der Sprache. Die später in He, Joe in noch radikalerer Form zum Einsatz kommende Makromimik wird hier bereits als Stilmittel erprobt. Der Protagonist imaginiert dabei durch das Hin– und Zurückdrehen seines Kopfes einen Dialog mit seinem Vater, den er nur allzu gut zu erinnern scheint. Selbst das Geräusch einer zuschlagenden Tür, das den ersten Abschnitt beendet, scheint er zu erwarten. Die Kamera zieht hierfür das Close–up auf und man sieht ihn in einer halbnahen Einstellung mit Blick in die Richtung, aus der dann auch das Geräusch kommt. Dass hiernach tatsächlich zweimal ein Türschlag zu hören ist, zeigt bereits, wie sich Spielraum und Bewusstseinsraum überschneiden. Ein Geräusch, das er mit den anschließenden Worten »Slam life shut like this«15 als den metaphysischen Knall, der ein Leben beendet, beschreibt.16 Dieser in der Fernsehfassung durch minimale Mimik erzählte Dialog zeigt sich in der Bühnenfassung als einer der bereits erwähnten Gefühlsausbrüche:

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Hickethier 2001, S. 55. Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:04:36:00; Beginning to End 1988, S. 6. Für Beckett hatte dieses Knallen der Tür bereits als Beschreibung für die Malerei Bram [A.] von Veldes gedient, hier zitiert aus der deutschen Übersetzung: »Die [Malerei] von A. van Velde macht ein sehr typisches Geräusch, das einer in der Ferne zugeknallten Tür, das kurze dumpfe Geräusch einer Tür, die so heftig zugeknallt wird, dass sie fast aus den Angeln fliegt.« Beckett, Die Welt und die Hose, S. 36.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

MacGowran ruft mit weit nach oben überstreckten Armen nach seinem Vater und sinkt am Ende bei den Worten »Wish to Christ she had.«17 qualvoll in sich zusammen. Trotz der beschriebenen Verkleinerung des Bühnenraums wurde die große Geste offensichtlich als notwendig erachtet, um den Raum auszufüllen und dem Publikum begreifbar zu machen. Unzweideutig wird der Protagonist von starken Schuldgefühlen am Tod des Vaters gequält. Durch die darstellerische Vergrößerung ergibt sich damit eine für Beckett ungewöhnlich deutliche Narrative. Im Gegensatz dazu wird die Kamera im Fernsehspiel in besagter Szene erneut umfangreich genutzt, um den Raum zu definieren. Und so weitläufig er auch zu Beginn angelegt scheint, ist er doch spätestens ab dem ›Zufallen der Tür‹ ein geschlossener Raum. Einer, der die Figur einschließt, sie zum Warten zwingt. Das Leben nicht abschließen könnend und ohne eine Alternative, wohin sie überhaupt gehen könnte, ist ihre Bewegungsfähigkeit auf den Lichtkegel beschränkt und es bleibt ihr nichts außer ein unendliches Selbstgespräch. Mit einem ›vom Kurs abgewichenen Verstand‹18 treibt es sie immer weiter von einem irrlichternden Zyklus in den nächsten. Die Kamera ist in den gesamten achtundvierzig Minuten auf den Protagonisten fixiert und bewegt sich mit ihm, folgt ihm. Hierbei befindet sich zumeist das Gesicht im Bildmittelpunkt. Nur insgesamt zweimal weicht die Kamera von MacGowrans Gesicht ab: Das erste Mal geschieht dies, als er von seinen Gewaltanwandlungen berichtet, die er nur durch Davonlaufen abschwächen kann: »Now why this sudden rage I really don’t know, these sudden rages, they made my life a misery. Many other things too did this […] but the rages were the worst, like a great wind suddenly rising in me, no I can’t describe. It wasn’t the violence getting worse in any case, nothing to do with that, some days I would be feeling violent all day and never have a rage, other days quite quiet for me and have four or five. […] There was a time I tried to get relief by beating my head against something, but I gave it up. The best thing I found was to start running.« 19

17 18 19

Vgl. Beginning to End 1988, S. 6. Sinngemäße Anspielung auf folgende Textstelle: »[…] with a mind like the one I always had, always on the alert against itself«, Beginning to End 1988, S. 12. Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:16:48:07; Beginning to End 1988, S. 12.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Die Kamera folgt seiner Erzählung, indem sie im richtigen Moment auf seine Füße schwenkt, was erneut einen subjektivierenden Effekt hervorbringt, da die Kamera ›zuhörend‹ wirkt und scheinbar rezipierend auf seine großen, abgelaufenen Lederschuhe ›blickt‹.

Abb. 15: Videostandbild aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson).

Diese Einstellung wird nach ungefähr zehn Sekunden aufgelöst, als er eine seiner bis dahin unbewegt im Schoß liegenden Hände ans Gesicht hebt und die Kamera wiederum dieser Bewegung folgt.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

Besonders aufschlussreich ist das zweite Mal; es handelt sich dabei um den bereits erwähnten Steine–Monolog, in dem er sieben Minuten lang über die Reihenfolge sinniert, in der die sechzehn Steine gelutscht werden müssten, damit kein Stein doppelt gelutscht würde oder gar ungelutscht bliebe.20 Während er immer schneller spricht und sich mehr und mehr in sein absurdes Gedankenspiel vertieft, zeichnet er mithilfe seiner Zeigefinger das Erzählte nach. Die Kamera folgt dabei seinen Händen und zeichnet beinahe dreißig Sekunden nur das reine Spiel seiner Hände auf.

Abb. 16–18: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson).

Die Kamera ist dabei immer in Bewegung, zoomt bisweilen leicht auf den Protagonisten. Sie bewegt sich dabei nie ruckartig, sondern unterstreicht vielmehr das Gesagte. Erst zum Ende hin fährt sie ganz nah, bis auf die Augenpartie, heran. Zu diesem Zeitpunkt beginnt die Figur zu verstehen, dass es für sie keinen Ausweg geben wird. Sie befindet sich während der extremen Nahaufnahme in einer Situation, in der sich ihre Krise ebenfalls extrem zuspitzt: »It’s too late. Perhaps it’s too late. Perhaps it’s a dream, all a dream, that wouldn’t surprise me, I’ll wake, in the silence, and never sleep again, it will be I, or dream, dream again, dream of a silence, a dream silence, full of murmurs, I don’t know, that’s all words, never wake, they’re going to find me, they’re going to abandon me, I must go on that’s all I know it will be the silence, for a moment, a good few moments it will be mine, the lasting one,

20

Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:32:30:00–10:38:30:00; Beginning to End 1988, S. 21–26.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

that didn’t last, that still lasts, it will be I, you must go on, I can’t go on, you must go on, I can’t go on, I’ll go on.« 21 Die Figur wirkt durch den extremen Close–up eingesperrt – eingesperrt im Rechteck des Bildschirms.

Abb. 19–20: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson).

Durch das Fernsehbild wird so eine innere Haltung zum Abgebildeten veranschaulicht. Mithilfe der beweglichen Kamera ist es möglich, die Aufmerksamkeit der Zuschauenden so zu lenken, dass der Blick zum eigenständigen Akteur wird.22 Dabei wird etwas übersteigert, dass Balázs allgemein für die Kamera formulierte: »Jedes Bild zeigt nicht nur ein Stück Wirklichkeit, sondern auch einen Standpunkt. Die Einstellung der Kamera verrät auch die innere Einstellung.«23 In der Fernsehversion von 1966 wird die Kamera genutzt, um die Ausweglosigkeit zu visualisieren. Diesem Effekt kam auch das Ampex–Verfahren zu Nutze, in welchem aufgezeichnet wurde: Indem die Aufnahme ohne Schnitte durchzulaufen hatte, wurde der Eindruck verstärkt, dass die Kamera sich ungehindert und damit frei durch den Raum zu bewegen scheint. Damit gilt auch für 21

22 23

Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:43:40:00. Dies ist ein Teil der letzten Seite aus The Unnamable (New York/Toronto 1997, S. 476.) und wurde in der Publikation (1988) gestrichen. Veit 2002, S. 188. Balázs 2001, S. 77.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

die Aufzeichnung der Beckett–Anthologie, dass für dieses frühe Fernsehspiel bereits die Charakteristika des Mediums als Arbeitsmethode miteinbezogen wurden. Die häufigen Close–ups und die zurückgenommene Bewegtheit dienen dazu, das Eingesperrt–sein der Figur zu vermitteln.

Abb. 21–23: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson).

Auch direkte Blicke in die Kamera gegen Ende des Spiels (eine Verwandtschaft zu He, Joe) geschehen nicht zufällig, sondern sind ein gezieltes Mittel, um Aufmerksamkeit und Spannung zu erzeugen.

Abb. 24–27: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson).

Was auch bei dem viel zitierten Steine–Monolog zu beobachten ist, wobei die bildlich erzeugte Spannung in besonderem Kontrast zu dem irrlichternden Monolog steht,24 den, um es in Deleuze’ Worten zu sagen, nur ein ›Erschöpfter‹ führen kann, denn:

24

Wie beispielsweise bei der Aufforderung: »Watch me closely!«, Beginning to End, RTÉ (1966) 2006, Timecode: 10:36:01:08.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

»[nur] für den ›Erschöpften‹ zählt allein, in welcher Reihenfolge er tun muß, was er zu tun hat, und mit welchen Kombinationen zwei Dinge auf einmal, wenn auch das sein muß, für nichts.«25 Dass allein der Steine–Monolog sieben von achtundvierzig Minuten und damit circa ein Siebtel der Gesamtlänge ausmacht, zeigt einen wichtigen inhaltlichen Schwerpunkt des Spiels. Es geht um einen ›Erschöpften‹, der »wohl oder übel die Projekte durch sinnlose Tabellen und Programme ersetzen [muß].«26 Dieser Eindruck der Erschöpfung wird durch (für Beckett später als typisch bezeichnete) Techniken verstärkt wie: die Länge der Kamerabewegung, extreme Nahaufnahmen, fehlende Schnitte und die zurückgenommene Bewegtheit der Person. Dabei kommt in dieser frühen, nicht offiziellen Arbeit für das Fernsehen bereits zur Geltung, was Carola Veit für Becketts spätere Fernseharbeiten beobachtet hat: »Die Funktion des Sehens ist in Becketts Werken neben dem Hören der unmittelbare Ausdruck der Ich–andere–Beziehung. […] Aus der Selbstbespiegelung wird die völlige Abspaltung, der betrachtende Teil verselbständigt sich und wird zum beobachtenden Blick auf den Protagonisten.«27 Der Blick auf den Protagonisten wird durch die Kamera fragmentiert, womit die fragmentarische Beschaffenheit des Textes im Bild wiederholt wird. Die Kamera wird zum Protagonisten. Die Form wird damit ein elementarer Teil des Inhalts und ist so weit mehr als nur das Abfilmen eines Bühnenstücks. Dies entspricht dem bereits erwähnten bekannten Prinzip Marshall McLuhans ›the medium is the message‹28 , allerdings mit dem Zusatz, dass Beckett die Genrespezifika zwar für sich zu nutzen wusste, diese aber auch immer durch ein intermediales Wechselspiel zu einer ›generischen Form‹29 potenzierte: In Beginning to End ganz klar im Wechselspiel von Bühne und Bild-

25 26 27 28

29

Deleuze 1996, S. 55. Deleuze 1996, S. 55. Veit 2002, S. 174. M. McLuhan, Die magischen Kanäle. Understanding Media, 1995, besonders S. 21–43. 1967 setzte McLuhan diese These erneut ins Zentrum seines Bandes The Medium is the Massage: An Inventory of Effects. Siehe hierzu Maar/Ruda/Völker: »Einleitung«, sowie auch Juliane Rebentisch: »Singularität, Gattung, Form«, beide in: Maar/Ruda/Völker 2017, besonders S. 11ff.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

schirm, von Theater und Fernsehen, und hier sogar treffender Theater und Technik. Dies führt zu einer Erzählsituation, bei der das Erzähler–Ich in Wort und Bild in verschiedene Teile aufgespalten ist, die wiederum ineinander verschachtelt sind. Es handelt sich um »eine Geschichte, die nicht enden will«,30 wie Raymond Federman es auf Becketts gesamtes Werk bezogen ausdrückt und was sich auf Beginning to End besonders gut übertragen lässt, wenn man dem Zitat weiter folgt: » [...]– eine Geschichte, die sich weigert zu enden, ohne Anfang, ohne Schluß, eine Geschichte ohnegleichen, die allem gleicht. Oder wie es eine aus der Menschlichkeit vertriebenen Beckettschen Figur in einem Roman, den er selbst als ›horreur choseque‹ beschreibt, ausdrückt: ›Ich weiß nicht, warum ich diese Geschichte erzählt habe. Ich hätte genauso gut eine andere erzählen können. Vielleicht kann ich ein anderes Mal eine andere erzählen. Ihr wachen Geister, ihr werdet sehen, dass es das gleiche ist.‹«31 Beginning to End kann damit auch als Musterbeispiel für Becketts schwer abschließbaren Werkkomplex gesehen werden.

7.2 7.2.1

He, Joe (1966) im Abgleich mit Techniken aus Krapp’s Last Tape (publ. 1958) und Film (1965) Bild und Ton

Die strukturellen Parallelen des Fernsehspiels He, Joe (SDR, 1966) und des Bühnenstücks Krapp’s Last Tape (dokumentarische Aufführungsaufzeichnung, Werkstatt Schillertheater Berlin, 1969) verdeutlichen sich in den sich wiederholenden Abläufen, die Beckett, der bei beiden Produktionen die Regie führte, als »Echos«32 angelegt hatte. Hinzukommt die klare Ausrichtung auf die Hauptfiguren Krapp (Martin Held) und Joe (Deryk Mandel), die von ihrer 30 31 32

Raymond Federman: »Samuel Beckett oder das Glück in der Hölle«, in: Beckett/ Nauman, Kunsthalle Wien 2000, S. 60. Federman 2000, S. 60. »Beckett fixierte schriftlich wie viel Schritte zu gehen waren, wo die Echos waren, wo sich Gesten, Bewegungen, Requisiten, Kostüme usw. echoartig korrespondierten.« Volker Canaris (Hrsg.): »Auf die Stille haben wir gesetzt.«, in: Samuel Beckett: Das letzte Band. Regiebuch der Berliner Inszenierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 39.

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Vergangenheit eingeholt werden. Beide Protagonisten wirken in den kargen, fast leeren Räumen wie aus der weltlichen Realität herausgeschnitten und scheinen in der Monotonie ihrer Wiederholungen gefangen. Mit dem feinen Unterschied, dass Krapp diesen Vorgang aktiv vorantreibt und ritualisiert, indem er seine selbstbesprochenen Tonbänder aussucht und abspielt, wohingegen Joe von einer Frauenstimme (Nancy Illig) überrascht wird, die sich zudem als seine Gegenspielerin herausstellt. Beide Arbeiten beginnen mit einer proportional zur Gesamtlänge ausgedehnten Pantomime. Ein Spielprinzip, welches in Film (1965) die gesamte Spieldauer einnimmt und bezeichnenderweise mit dem Stummfilmstar Buster Keaton besetzt wurde.33 Genreübergreifend wird die pantomimische Spielkomponente hier erneut genutzt, um eine Situation zu erzeugen, die sich mit ihren sprachlosen, in Repetition verfangenen Figuren als ausweglos erweist. Die Pantomime am Anfang von Krapp’s Last Tape dokumentierte Martin Held in dem Regiebuch der Berliner Fassung von Das letzte Band (1969) dann auch folgendermaßen: »[D]as dreimalige Verharren Krapps am Rande des Lichtkegels (zweimal links, einmal rechts) rhythmisiert den Ablauf, gliedert einen winzigen Vorgang mit strengen arithmetischen Markierungen – das wird im Verlauf des Spiels immer wieder in gleicher Weise geschehen. Beckett lässt Krapp bereits zu Beginn des Spiels dreimal hinauslaufen und dreimal hereinkommen. Er etabliert damit die kurz zuvor eingeführte Dreizahl der Variation: ebenso wie Krapp dreimal verharrte und nun dreimal hinausläuft, wird er im Verlauf des Spiels noch dreimal hinauslaufen (um zu trinken, um das Lexikon zu holen, um das Mikrofon zu holen). Es gibt also in den Gängen Krapps drei dreifache Variationsketten. Solche Korrespondenzen – im gestischen oder akustischen Bereich, in den Spielab-

33

Vgl. ebenso: Volker Canaris: »Samuel Beckett als Regisseur seiner eigenen Theaterstücke«, in: Peter Seibert (Hrsg.): Samuel Beckett und die Medien. Neue Perspektiven auf einen Medienkünstler des 20 Jahrhunderts, Bielefeld: transcript 2008, S. 32. Die vorangegangenen, erfolglosen Besetzungsversuche mit Charlie Chaplin, Zero Mostel oder MacGowran verdeutlichen die tragikomische, mimische Ausrichtung. Nachzulesen bei Alan Schneider: »On Directing Film«, in: Samuel Beckett: Film. With an Essay On Directing »Film« By Alan Schneider, New York: Grove Press 1969, S. 66.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

läufen und Wort– und Sinnbezügen – sind wie ein Netz von Verweisen dem gesamten Spiel als Muster zugrunde gelegt.«34 Genau solch ein arithmetisches Muster ist auch in der Anfangspantomime von He, Joe zu beobachten. Die Zahlen drei und sieben übernehmen dabei ebenfalls eine strukturierende Funktion. Es gibt drei Fenster, die von links nach rechts der Größe nach aufsteigend angeordnet sind und den – bis auf eine Pritsche in der linken hinteren Ecke – leeren, rundeckigen Raum bestimmen. Die Szene blendet in einer Totalen ein; Joe sitzt in einem schweren Wintermantel zusammengesunken mit dem Rücken zur Kamera, als er etwas wahrzunehmen scheint, was ihn aufschrecken und sich zu den hohen, schmalen, mit blickdichten, bodentiefen Vorhängen verhängten Fenstern bewegen lässt, wobei er jedes Mal denselben Vorgang wiederholt: Nur am linken Fuß einen Pantoffel tragend, schlurft er in je sieben rhythmischen Schritten zum Fenster, bleibt abrupt vor diesem stehen, blickt hoch, reißt den Vorhang mit der linken Hand zurück, öffnet dabei gleichzeitig mit der rechten Hand ruckartig das Fenster und blickt mit hinausgebeugtem Oberkörper für drei Sekunden ins unspezifische Dunkel. Nachdem er das Fenster und den Vorhang auf die gleiche Weise wieder verschlossen hat, verharrt er für abermals drei Sekunden mit der rechten ausgestreckten Hand am Vorhang und bewegt sich dann erneut in rhythmischem Schlurfen zum mittleren und letztlich zum linken, kleinsten Fenster. Schließlich kehrt er zurück zur Liege, kniet dort nieder und wiederholt noch einmal den routinierten Suchvorgang. Als er auch hier nicht fündig wird, setzt er sich erneut auf seine Lagerstätte und verweilt so für einige Sekunden, die Fäuste verkrampft im Schoß geballt. Mit intakt bleibender vierter Wand dreht er dabei sein Gesicht kaum merklich in Richtung Kamera. Während er beginnt, den anderen Schuh auszuziehen, spricht ihn eine eindringlich flüsternde Frauenstimme mit »He, Joe« an, was ihn in der Bewegung erstarren und gebannt lauschen lässt. Da sich die Kameraperspektive bereits zuvor mitgedreht hat, befindet sich Joe nun im Bildmittelpunkt und sein angespanntes, starr blickendes Gesicht wird in diesem Moment zum ersten Mal vollständig sichtbar. Ab diesem Zeitpunkt nähert sich die Kamera in neun Episoden schrittweise und nur wenn die Stimme schweigt seinem Gesicht, bis dieses schließlich im ›Detail‹ zu se-

34

Martin Held: »o.T.«, in: Samuel Beckett: Das letzte Band. Regiebuch der Berliner Inszenierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 112f.

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hen ist. Hieran wird bereits eine Trennung von Sprache und Bewegung deutlich, die perzeptorisch auf eine Spaltung von Ton– und Bildspur abzielt.

Abb. 28–31: Videostandbilder aus Samuel Becketts He, Joe (SDR 1966, Regie: Samuel Beckett)

Bildquelle: ©Samuel Beckett, online unter: http://www.mediaartnet.org/werke/he-joe/; letzter Abruf am 30.06.2019.

Der beschriebene Vorgang nimmt ungefähr vier Minuten des insgesamt neunundzwanzigminütigen Fernsehspiels ein und erhält dadurch ein besonderes Gewicht für die gesamte Spielwirkung. Mittels der Anfangspantomimen, bei der Joe und Krapp den Raum ablaufen, sich in ihm verhalten, kurz diesen für die Rezipierenden zusätzlich veranschaulichen, wird ein übergreifender Zusammenhang zwischen »Gegenstände[n], Bewegungen, Stille, Reden, Ruhe und Lauten«35 hergestellt. Diesbezüglich gilt ebenfalls für das Fernsehstück He, Joe, was Volker Canaris über Krapp’s Last Tape resümiert: »Diese Reduktion auf Strukturen, die ohne jeglichen Verlust auf konkrete Realisierung geleistet wird, wird nur möglich durch die Spielanordnung des Stückes: durch die Spaltung in Tonband und Sprechen – und durch die Identität dieser Gegensätze in der einen Gestalt Krapp.« 36 Beispielsweise lässt sich im Spiel Martin Helds in Krapp’s Last Tape eine mehrfach wiederholte Geste der Aufmerksamkeit beobachten, bei welcher er sich etwas aufrichtet, den Kopf leicht zur Seite neigt und den Blick fixierend, ins Dunkel starrt. Dies wiederholt er als Reaktion auf die Textpassagen, in denen von seinen vergangenen Liebschaften zu hören ist, was diese in direkten Zusammenhang zueinander bringt und dadurch die Repetition als Kategorie 35

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Volker Canaris »Auf die Stelle haben wir gesetzt«, in: Samuel Beckett: Das letzte Band. Regiebuch der Berliner Inszenierung, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970, S. 122. [Meine Herv.] Canaris 1970, S. 122f.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

hervorhebt.37 Darüber hinaus verbindet diese Geste auch die auf vielfache Tonträger verteilten ›Ichs‹ des Protagonisten, woraus Canaris einleuchtend schlussfolgert: »Gerade die leicht durch Interpretation auswertbare Grundsituation des Stücks (›der Verlust der Identität aufgrund ihrer technischen Reproduzierbarkeit‹) ist Ausdruck dramaturgischer Funktionalität.«38 Interessanterweise scheint Krapp zu versuchen, die technische Reproduzierbarkeit zu nutzen, um seine Identität zu konservieren, jedoch mit dem Effekt, seine Erinnerungen und damit seine Identität auszulagern. Krapps lose durch Technik verbundene Geteiltheit steht in unmittelbarer Verwandtschaft zu Prousts multispektral erinnerter Figur Albertine und verdeutlich beispielhaft den ebenfalls in Kapitel 3.2 erwähnten »Bergsonian spirit«39 . Becketts Aussage über den Albertine erinnernden Protagonisten (»He must return and reenact the stations of a diminishing suffering.«40 ) ist nicht weniger zwanghaft und schmerzhaft, aber mittels technischer Reproduktion für Krapp kontrollierbarer. Durch die Hinzunahme der Technik macht Beckett einen hochkomplexen Vorgang darstellbar. Dass auch Krapp sich in seiner eigenen Vielheit wiederum an verlorene Lieben und Leidenschaften erinnert, ist eine weitere Proustsche Parallele. Eine, die sich auch bei He, Joe findet, wo es um die Erinnerung an eine fatal gescheiterte Liebesverbindung geht, die sich hier in Form der Stimme als abgespaltene Tonspur mahnend zu Wort meldet. Die ›Reduktion auf Strukturen‹ als ›Ausdruck dramaturgischer Funktionalität‹ finden in He, Joe eine neue Steigerung: Von dem Augenblick an, da sich Joe wieder hingesetzt hat, verharrt er bewegungs– und lautlos, wirkt wie ›ausgeschaltet‹. Die unbewegte Szenerie wird nur durch einige kurze, unspezifische Gesichtszuckungen Joes unterbrochen: Zum einen immer dann, wenn die Stimme ihn mit »He, Joe« anspricht, und zum anderen, wenn von

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Vgl. auch Canaris 1970, S. 125. Canaris 1970, S. 123. [Meine Herv.] Stanley Gontarski: »›What it is to have been‹: Bergson and Beckett on Movement, Multiplicity and Representation«, in: Journal of Modern Literature, Vol. 34, No. 2 (Winter 2011), S. 65–75; online unter: http://www.jstor.org/stable/10.2979/jmodelite.34.2.65, S. 74; letzter Abruf am 25.06. 2018. Beckett, Proust, S. 43f.

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einer jungen Frau die Rede ist, die verschiedene Selbstmordversuche unternimmt, bis es ihr schließlich gelingt. Hierzu aufschlussreich sind Becketts an Technik gekoppelte, inhaltliche Erklärungen zu He, Joe, die er in einem Brief an Alan Schneider im April 1966 erörterte: »1. He does not look directly at camera and is not aware of it. He is aware only of the voice. The eyes are turned inward, a listening look. It is however effective dramatically if at the very end, with the smile, he looks full at the objective for the first time. 2. Whisper throughout. Voice should be whispered. A dead voice in his head. Minimum of colour. Attacking. Each sentence a knife is going in, pause for withdrawal, then in again. Dramatize by lengthening certain pauses within paragraphs as e.g. before ›Imagine if you couldn’t,‹ ›Imagine what in her mind‹.«41 Diese Instruktionen Becketts bestätigen die naheliegende Vermutung, dass die scheinbar äußere Konfrontation, auf die Joe bereits im schauspielerischen Intro mit seinen Kontrollgängen zu reagieren scheint, eigentlich im Inneren der Figur verortet ist.42 Joe wird nicht beobachtet, sondern ist vielmehr in Selbstbeobachtung gefangen, oder wie der Kunsthistoriker Matthias Mühling es beschreibt: »Es ist nicht das Klaustrophobische des Zimmers, sondern der Abgrund der eigenen Innenwelt, die sein Leben zu einer Hölle gemacht hat: »Du kennst diese Drei–Groschenhölle, die du deinen Verstand nennst […].««43 Wie Krapp versucht auch Joe, in Distanz zu sich selbst zu treten und sich aus seiner Erinnerung zurückzuziehen, indem er, wie Beckett es erklärte, »seine[r] Passion [nachgeht], die Stimmen abzutöten, die er nicht abtöten kann.«44 Hier gilt, was bereits in Kapitel 5.2 festgestellt wurde: Das scheinbar Äußere wird in das Innere des Schädels verlagert. Nach Friedhelm Rathjen, der

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S. B. an Alan Schneider, 07.04.1966, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 22f. Vgl. hierzu auch Mühling 2006, S. 127. Mühling 2006, S. 127. [Zitat »Drei–Groschenhölle« ist aus He, Joe.] Gespräch Samuel Becketts mit Siegfried Melchinger, in: Theater heute: »Regie Samuel Beckett: Der Autor im Umgang mit der Technik«, Hannover: Friedrich Verlag, Ausg. Mai/1966, S. 15.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

diesen Vorgang bereits für Becketts Prosa und Drama festgestellt hat, führt dies in einen »Zirkel zwischen Sehen und Sagen«45 : »Wahrnehmung und Ausdruck fallen deckungsgleich in eins: Wahrnehmung ist Wahrnehmung des Ausdrückens (was nicht heißt: des Ausgedrückten); Ausdruck ist Ausdruck des Wahrnehmens (und nicht: des Wahrgenommenen). Beckett hat damit den äußersten Grad an metaphorischer Reflexivität und Abstraktion erreicht, der ihm möglich ist; es gibt in seiner Prosa wie in seiner Dramatik keinen anderen Raum mehr als den der Imagination.«46 Im Vergleich zu Becketts Bühnenräumen wird in He, Joe der Phantasieraum des Fernsehers durch die Eigenschaften des Mediums umso mehr zum Raum der Imagination; zur Innenansicht eines Didi–Hubermanschen ›boîte cranienne‹. Durch das Zusammenfallen von ›Innen‹ und ›Außen‹ wird der Rezeptionseffekt erzielt, dass vertraute Räume umstürzen und sozusagen »nach innen gekippt [werden]«.47 Ein Blick in das Innerste wird möglich.

7.2.2

Filmprinzip

Ein Effekt, der Beckett offensichtlich so wichtig war, dass er diesen in Film zum alleinigen Hauptmotiv machte und sich, von George Berkeleys ›esse est percipi‹ inspiriert, ganz auf alle potenziellen Varianten visueller Wahrnehmung des Protagonisten konzentrierte. Film zeigt wie ›eye‹ (E, Kamera) den Protagonisten ›object‹ (O, Buster Keaton) zweiundzwanzig Minuten mittels einer Fokussierung der Kamera auf das Objekt verfolgt. Alan Schneider, der offiziell die Regie führte, brachte den bildlichen Zusammenschluss von Innen– und Außenperspektive folgendermaßen auf den Punkt: »It’s a movie about the perceiving eye, about the perceived and the perceiver – two aspects of the same man. The perceiver desires like mad to perceive, and the perceived tries desperately to hide. Then, in the end, one wins.«48 Berkeleys Leitsatz ›esse est percipi‹ aus seinem Werk A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge (1710) ist hier nicht nur offensichtlich, sondern

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Friedhelm Rathjen: Beckett zur Einführung, Hamburg: Junius 1995, S. 123. Rathjen 1995, S. 123. Didi–Huberman 2008, S. 49. Zitat Alan Schneider, in: The New Yorker, 08.08.1964, S. 22f.

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wurde von Beckett auch im Filmskript als einleitendes Zitat kursiv vorangestellt.49 Berkeley ging davon aus, dass jeder percipi–Akt nur allein durch ein »perceiving, active being«50 stattfinden könne, welches er als »mind, spirit, soul or my self «51 definierte und folgerte: »for the existence of an idea consists in being«52 . Eine Aussage, die er im darauffolgenden Paragraphen präzisierte: »By which words I do not denote any one of my ideas, but a thing entirely distinct from them, wherein they exist, or, which is the same thing, hereby they are perceived.«53 Diese zentrale Passage Berkeleys scheint deutlich, wenn auch in leicht abgeänderter Weise, in Becketts Skript auf, wenn dieser konstatiert: »It will not be clear until the end of film that pursuing perceiver is not extraneous, but self. Until end of film O is perceived by E from behind and at an angle not exceeding 45°. Convention: O enters percipi=experiences anguish of perceivedness, only when this angle is exceeded.«54 In der Umsetzung wurden beide technischen Angaben streng eingehalten und bis zur Schlussszene ist nur O’s Rückansicht zu sehen und der vorgeschriebene Kamerawinkel wird nicht ein einziges Mal überschritten. Die tonlose Jagd

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Beckett, Film, New York 1969, S. 11. Georges Berkeley: A Treatise Concerning the Principles of Human Knowledge (Dublin, 1710). Edited by Jonathan Dancy, Oxford/New York: Oxford University Press 1998, §2, S. 103. In der deutschen Übersetzung: »wahrnehmende[s] tätige[s] Wesen«, Georges Berkeley: Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis (Dublin, 1710). Übersetzt, mit einer Einleitung von Arend Kulenkampff, Hamburg: Felix Meiner 2004, §2, S. 26. Berkeley (1710), Oxford/New York 1996, § 3, S. 103. In der deutschen Übersetzung: »Subjekt, Geist, Seele, oder mich selbst«, in: Berkeley (1710), Hamburg 2004, § 3, S. 26. Berkeley, Oxford/New York 1998, §2, S. 103. Dt. Übersetzung: »Denn das Sein einer Idee besteht im Wahrgenommenwerden.« Berkeley (1710), Hamburg 2004, § 3, S. 26. Berkeley (1710), Oxford/New York 1996, § 3, S. 103. Dt. Übersetzung: »Es scheint [...] offenkundig zu sein, daß die verschiedenen Sinnesempfindungen oder den Sinnen eingeprägten Ideen, wie sie auch miteinander vermischt oder verbunden sein, d. h. was für Gegenstände sie auch bilden mögen, nicht anders als in einem sie wahrnehmenden Geist existieren können.« Berkeley (1710), Hamburg 2004, § 3, S. 26. Beckett/Schneider, Film, New York 1969, S. 11.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

– zusätzlich hervorgehoben durch eine Szene, in der O auf eine Passantin trifft, die den Finger an den Mund legt und ihrem Partner ein ›Shhh‹ bedeutet – führt in klassischem Schwarz–weiß gefilmt von der Straße durch das Treppenhaus in ein karg möbliertes Zimmer. Man sieht daraufhin O bei dem verzweifelten Versuch, alle ›Augen‹ aus dem Zimmer zu entfernen, was geradezu exzessive Ausmaße annimmt: Er scheucht Hund und Katze aus dem Zimmer, verrammelt die Tür, wirft ein Tuch über den Vogelkäfig, deckt den Spiegel ab, reißt ein Bild von der Wand, nimmt eine Mappe (mit augenähnlichen Verschlussnieten)55 und beginnt, sämtliche daraus entnommenen Fotografien zu zerreißen. Mit diesem Akt versucht der Protagonist sich hier, wie auch in Krapps Last Tape und He, Joe, von seinen Erinnerungen zu distanzieren, beziehungsweise in diesem Fall gewaltsam zu entledigen. Daraufhin ermattet, sinkt er kurz in seinem Lehnstuhl zusammen, schreckt wieder hoch, wiederholt seine suchenden Bewegungen und blickt schließlich – nun in der Nahaufnahme – frontal, direkt in die Kamera. Das daraufhin in seinem Gesicht aufleuchtende wilde Entsetzen verdeutlicht sein Erkennen von E und damit letztendlich seiner Selbst, woraufhin er sich die Augen zuhält und die Szene langsam ausgeblendet wird.

Abb. 32–37: Videostandbilder aus Samuel Becketts Film (1965, Regie: Alan Schneider).

Bildquelle: ©Samuel Beckett. Beckett/Schneider, Film, New York 1969, S. 25, 32, 42, 43 und S. 49.

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»Along the way we hit upon some happy accidents. The rocker we were using happened to have two holes in the headrest which began to glare at us. Sam was delighted and encouraged us to include the headrest. The folder from which the photographs were taken had two eyelets, well proportioned. Another pair of ›eyes‹ for O to avoid. We wound up combing the set for more: walls, props, wherever.« Alan Schneider, in: Beckett/Ders., Film, New York 1969, S. 85.

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Für Sylvie Debevec Henning ist der zuvor beschriebene Vorgang der Entfernung aller möglichen Beobachtenden, im Zusammenhang mit Berkeleys Theorem, die Voraussetzung für O, sich von seinem Selbst zu befreien: »Tatsächlich kann O von Berkeleys Standpunkt aus überhaupt nur existieren, weil er wahrgenommen wird. Nur im Akt des Wahrgenommenwerdens ist O mit sinnlichen Qualitäten versehen und gelangt so zur Existenz. (Berkeley, Prinzipien S. 69, §78) Entginge er völlig dem Wahrgenommenwerden, würde er nicht mehr sein. Daher zeigt Beckett, indem er offensichtlich Berkeley beim Wort nimmt, daß O, um einen Zustand des Nicht–Seins zu erreichen (oder aufrechtzuerhalten, hier ist Becketts Text mehrdeutig) zuerst alle Wahrnehmung anderer, seien es Tiere oder Menschen, unterdrücken muß. Er muß entfernen oder verdunkeln, was immer ihn wahrnehmen könnte.«56 Die hier entwickelte Theorie kollidiert letztlich mit Becketts deutlicher Spielregel und Pointe, dass sich das gesamte Geschehen in O abspielt57 , was in der eben beschriebenen unangenehmen Selbsterkenntnis endet. Beckett machte aus Berkeleys Wahrnehmungsmodell – welches das Selbst nicht infrage stellt, sondern als Prämisse setzt – eines, das nach den Grenzen und auch der Begrenzbarkeit der Selbstwahrnehmung fragt. Berkeley wird also nicht ›buchstäblich‹ umgesetzt, sondern ist vielmehr als Ideengeber einzuordnen.58 Auch James Acheson sieht keinen ›Dialog zwischen Beckett und Berkeley‹,59 sondern spricht von »dramatisation of certain of Berkeley’s ideas«60 und stellt darüber hinaus einen aufschlussreichen Bezugspunkt zu Schopenhauer heraus: »Beckett does not attach any 'truth value' to these ideas, because he has no way of knowing infallibly whether they are true or not. His statements about these ideas in the prefatory notes amount to no more than a structural and dramatic convenience useful to the creation of a silent film.

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Sylvie Debevec Henning: »Film: ein Dialog zwischen Beckett und Berkeley«, in: Hartmut Engelhardt (Hrsg.): Samuel Beckett, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984, S. 199. »[T]hat pursuing perceiver is not extraneous, but self […]«, in: Beckett, Film, New York 1969, S. 11. In dem Sinne, wie dies in Kapitel 3 bereits erläutert wurde. James Acheson: »Beckett’s Film, Berkeley, and Schopenhauer«, in: Bruce Stewart (Hrsg.): Beckett and Beyond, Proceedings of the Princess Grace Irish Library in Monaco, 17–20 May 1991. Gerrards Cross: Colin Smythe 1999, S. 2. Acheson 1999, S. 2.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

[…] Schopenhauer believes (in his major work, The World as Will and ldea) that in every act of perception, the mind treats sense data as effect and tries to explain the cause of organising the data within a spatio–temporal framework. Space, time and causality are for Schopenhauer the three 'forms' of perception without which sense data would remain in undifferentiated confusion. […] The whole world is simply objectified will: will resides in all animate and inanimate objects and is responsible for their phenomenal characteristics. It exists in man as the will to live – the will to survive, propagate, seek pleasure and avoid pain. True will cannot be perceived, but it can be studied indirectly by way of introspection.«61 So geht es auch in Film vor allem um die bereits vielfach festgestellte Darstellung von Introspektion, wobei die Kamera, ähnlich wie das Scheinwerferlicht in Becketts späten Theaterstücken und vergleichbar mit Beginning to End und He, Joe, eine entscheidende inhaltliche Funktion einnimmt. Der hier eröffnete Zusammenhang zu Schopenhauers Subjektivitätsansatz, der sich dabei an Kant abarbeitet – wie Zima es hilfreich in seiner Theorie des Subjekts zusammengefasst hat62 – liefert eine mögliche Antwort nach dem Inhalt, den Beckett hier zu transportieren versuchte. Denn die Frage ist ja letztlich, wie dieses Subjekt konstituiert ist, in welchem sich besagte Introspektion abspielt. Was Zima in Bezug auf Schopenhauers Kantreferenz formuliert, triff auf Becketts Figuren voll zu: »Das Verdienst [von Kant im Sinne Schopenhauers] besteht vor allem darin, daß das menschliche Subjekt nun auf sich selbst gestellt ist, d.h. bei der Be61 62

Acheson 1999, S. 2f. [Meine Herv.] »Daß es bei Kant nicht nur um einen (von Fichte und Hegel später aufgehobenen) Begrenzungsversuch der Erkenntnis, sondern auch um eine säkularisierte Neubegründung und Stärkung menschlicher Subjektivität geht, klingt zu Beginn von Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung an, wo neben Kants Plädoyer für Begrenzung auch seine Neubegründung subjektiver Erkenntnis hervorgehoben wird. Sie besteht darin, ›daß die wesentlichen und daher allgemeinen Formen alles Objekts, welche Zeit, Raum, und Kausalität sind, auch ohne die Erkenntniß des Objekts selbst, vom Subjekt ausgehend gefunden und vollständig erkannt werden können, d.h. in Kants Sprache, a priori in unserem Bewußtseyn liegen. Dieses entdeckt zu haben, ist ein Hauptverdienst Kants und ein sehr großes‹. (A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd.I, Köln: Könemann 1977, S. 36. & Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, op. cit. (Anm. 20), S. 452, sowie S. 840f.)«).«, in: Peter V. Zima: Theorie des Subjekts: Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne, Tübingen/Basel: Francke 2010, S. 100.

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folgung rationaler Gesetzmäßigkeiten nicht mehr von einem transzendenten Auftraggeber abhängt, sondern nur noch von seinen eigenen Erkenntnissen.«63 Beckett setzte in seiner ersten Arbeit mit der Kamera geradezu voraus, dass diese Mittel sei, um etwas sichtbar zu machen, das nur schwer zu verbalisieren ist; und zwar: ein ›autonomes Subjekt‹,64 dass aber gerade dadurch eines von der Außenwelt entkoppeltes ist. Hierfür machte er sich die grundlegenden medienästhetischen Eigenschaften der Kamera zu Nutze, die Walter Benjamin in seinem Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936), folgendermaßen darlegte: »[…] es [ist] eine andere Natur, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. Anders vor allem dadurch, daß an der Stelle eines vom Menschen mit Bewußtsein durchwirkten Raums ein unbewußt durchwirkter tritt. Ist es schon üblich, daß einer vom Gang der Leute, sei es auch nur im Groben, sich Rechenschaft ablegt, so weiß er bestimmt nichts von ihrer Haltung im Sekundenbruchteil des Ausschreitens. […] Hier greift die Kamera mit ihren Hilfsmitteln, ihrem Stürzen und Steigen, ihrem Unterbrechen und Isolieren, ihrem Dehnen und Raffen des Ablaufs, ihrem Vergrößern und ihrem Verkleinern ein. Vom Optisch–Unbewußten erfahren wir erst durch sie, wie von dem Triebhaft–Unbewußten durch die Psychoanalyse.«65 Hieraus lässt sich ganz nach Walter Benjamins Beobachtung und mit Rückbezug auf Acheson feststellen, dass Beckett mithilfe der technischen Möglichkeiten einen optisch–unbewussten Raum öffnete. Wobei er sogar noch einen Schritt weiter als Benjamin ging, indem er die Kamera als eigenständigen Protagonisten via E (= Eye) einführte und sie somit als Subjekt benutzte. Beckett erzielte durch den Einsatz der Kamera als Protagonisten zusätzlich zum natürlich entstehenden ›narrativen Raum‹66 einen Meta–Kommen-

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Zima 2010, S. 100. Sinngemäß zitiert, Zima 2010, S. 100. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936), in: Ders.: Medienästhetische Schriften, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2002, S. 376. Durch das Verbinden der einzelnen Filmsequenzen bildet jede Filmregie einen eigenen, ganz filmischen Raum. In der Filmästhetik spricht man auch vom ›narrativen Raum‹, der sich wesentlich vom ›mechanischen Raum‹, den der Blick der Kamera erzeugt, unterscheidet. Vgl. Hartmut Winkler: Der filmische Raum und der Zuschauer. ›Apparatus‹ – Semantik – ›Ideology‹. Reihe Siegen 110, Heidelberg: Carl Winter 1992, S. 89.

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tar und verfolgte damit abermals sein Form–Inhalt–Leitmotiv weiter. Dafür kam ihm gelegen, dass in den technischen Formaten grundsätzlich eher die Kamera als das Wort die Handlung und Bedeutung kontrolliert. Die Kamera deckt ein breiteres Spektrum an Autorität ab, indem sie selektieren, betonen, isolieren, emphatisieren, subjektivieren ebenso wie objektivieren kann. Außerdem nutzte er, wie der amerikanische Theaterwissenschaftler Enoch Brater 1987 bereits darlegte, die Hauptvorzüge der Kamera, die in ihren ›facettenreichen Masken‹ bestehen: Nahaufnahme, Halbtotale, langsames Ausblenden, Schuss und Gegenschuss.67 Brater weiter folgend erlaubt jede Kamerahandlung der Figur: »to display a different mask which simultaneously reveals and conceals. […] In film and video the actor is always the passive receptor of a mask: it is the privilege of Beckett’s camera to convey characterization here.«68 Das Prinzip, bei dem das Auge von Prousts Helden zur unbeteiligten, nur registrierenden ›Kamera‹ wird, funktioniert in Film in umgekehrter Weise. Hier wird die Kamera zum Auge deklariert und so eine Zusammengehörigkeit zwischen E und O hergestellt. Eine Zusammengehörigkeit, die sich zudem durch O’s Einäugigkeit bestärkt, da sein rechtes Auge durch eine schwarze Augenklappe abgedeckt ist. O blickt damit wie E aus einem Objektiv, wodurch die Innen– und Außenansicht zwischen Subjekt und Objekt zu oszillieren beginnen. Auch der Raum stellt eine solche Kippfigur dar: O ist im Raum verbarrikadiert und gleichzeitig ist der Raum in ihm. Ein Raum, der vergleichbar mit dem in Endgame, nichts an seinem Schrecken verloren hat. Nur O’s Erkenntnis darüber, ›wer‹ ihn hier eigentlich beobachtet, setzt der Situation ein Ende, was an dieser Stelle gleichbedeutend mit dem Ende des Films einhergeht. Man könnte den Raum, in den sich O einschließt, durchaus als einen Ort beschreiben, der sich durch E’s Perspektive gleich einer »Schachtel«69 öffnet und einen Blick auf »die ganze Unruhe eines um sein eigenes Schicksal, seine eigenen Geheimnisse, seinen eigenen Ort kreisenden Denkens«70 offenbart. Die Kamera wird dabei zum zentralen technischen Hilfsmittel, um das theatrale Schädelmodell erzählbar und rezipierbar zu machen.

67 68 69 70

Vgl. Brater 1987, S. 112. Brater 1987, S. 112. Didi–Huberman 2008, S. 11. Didi–Huberman 2008, S. 11.

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7.2.3

›Die Großaufnahme als dramatische Bühne‹ (Béla Balázs)

Film und He, Joe enden in einer für die inhaltliche Aussage entscheidenden Nahaufnahme, die mit einem Schlussblick ihrer Protagonisten direkt in die Kamera noch zusätzlich vergrößert wird: Gegensätzlich zu O’s blankem Entsetzen in Film blickt Joe siegessicher, mit einem abgründigen, schmallippigen Lächeln durch den Bildschirm. Für Béla Balázs stellt die Großaufnahm das »eigenste Gebiet des Films«,71 was in diesem Fall auch für das Fernsehen gilt, den maßgeblichen Unterschied zur Bühne dar: »Es liegt in der Möglichkeit, das einzelne Bild aus dem Ganzen herauszuheben. Wir sehen dadurch diese kleinen Lebensatome nicht nur deutlicher als sie uns die Bühne zeigen kann, sondern der Regisseur führt mit ihnen unser Auge. Auf der Bühne sehen wir immer das totale Bild, in dem diese kleinen Momente verschwinden. Werden sie aber besonders betont, dann verlieren sie gerade die Stimmung ihrer Verborgenheit. Auf dem Film lenkt aber der Regisseur unsere Aufmerksamkeit mit den Großaufnahmen und zeigt uns nach der Totalaufnahme die verborgenen Eckchen, in denen das stumme Leben der Dinge die Stimmung ihrer Heimlichkeit nicht verliert.«72 Diese Abgrenzung zur Theaterbühne hindert Balázs jedoch in einem folgenden Kapitel (am Beispiel des dänischen Stummfilmstars Asta Nielsen) nicht daran, die Großaufnahme der menschlichen Physiognomie als »dramatische Bühne«73 zu bezeichnen, da das menschliche Gesicht durch den filmischen Close–up »aus den Fugen geht […]; zu einem Schlachtfeld [wird], auf dem sich aufregendere Kämpfe abspielen als zwischen den Komparsenmassen der Hindenburg–Regisseure.« 74 Aus theaterwissenschaftlicher Sicht ist Balázs auf Film und Fernsehen begrenzte Einsatzbereich der Kamera, im Hinblick auf Erwin Piscators Nutzung

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Béla Balázs: »Skizzen zu einer Dramaturgie des Films. Großaufnahme«, in: Ders.: Schriften zum Film. Band I. Der sichtbare Mensch Kritiken und Aufsätze 1922–1926, Berlin: Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1982, S. 83. Balázs 1982, S. 84. Balázs: »Asta Nielsen«, in: Ders. 1982, S. 160. Balázs 1982, S. 160.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

von Filmprojektoren für seine Politspektakel in den 1920ern und spätestens seit Frank Castorfs exzessiver Kameranutzung auf der Theaterbühne, obsolet. Jedoch ändert dies nichts an Balázs’ Beobachtung, dass die Großaufnahme einen multiplikatorischen Faktor darstellt und damit ermöglicht, »ein subjektives Bild der Welt zu geben und trotz der Sachlichkeit des photographischen Apparates, die Welt im Kolorit eines Temperaments, in der Beleuchtung eines Gefühls zu zeigen: eine projizierte, eine objektivierte Lyrik.«75 Und genau diese Wirkung wird in He, Joe vorrangig genutzt, um »ein optisches Statement zum im strengen Sinne ›nichtsichtbaren‹ Medium Sprache ab[zugeben],«76 wie Gabriele Hartel es schlüssig auf den Punkt bringt. Die Nahaufnahme macht Joes Makromimik überhaupt erst möglich. Dabei wird durch die Kamera und die Frauenstimme die Handlung des Spiels bestimmt: Wie bereits erwähnt, bewegt sich die Kamera nur, wenn die Stimme verstummt, und unterbricht ihre Bewegung, wenn die Stimme weiterspricht. Dadurch wird, um dem Medienwissenschaftler Michael Lommel zu folgen, ein Meta–Kommentar zum Medium selbst geschaffen, der darauf hinweist, dass »das audiovisuelle Bild kein Ganzes, sondern eine ›Fusion des Risses‹ [ist].«77 Dem legt er zu Grunde, dass »Audio–Vision […] eine paradoxe Verbindung von Bild und Ton [ist], der Versuch, mit den Augen zu hören und den Ohren zu sehen, ein variabler ›audiovisueller Vertrag‹, der immer neu ausgehandelt wird.«78 Bei He, Joe ist die Nahaufnahme in der Aushandlung dieses ›audiovisuellen Vertrages‹79 von zentraler Bedeutung, was sich in einer Art Dialog mit der Audiospur zeigt, welcher sich über die rhythmische Komposition der Bildspur vermittelt: Durch die anfängliche Totale wird der Handlungsraum bestimmbar. So werden zu Beginn alle Elemente der Szene gezeigt, die die Rezipierenden kennen und lokalisieren müssen.80 Durch die bereits ausführlich

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Balázs: »Skizzen zu einer Dramaturgie des Films. Großaufnahme«, in: Ders. 1982, S. 91. Hartel 2004, S. 83. Lommel 2006, S. 50. Lommel 2006, S. 50. Slavoj Žižek: Die Metastasen des Genießens. Sechs erotisch–politische Versuche, Wien: Passagen 1996, S. 109. Vgl. Hickethier 2001, S. 58.

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beschriebene folgende Choreografie des Protagonisten ›schleicht‹ sich die Kamera fast unmerklich für das Zuschauenden–Auge an das Gesicht Joes heran. Die Kamera folgt all seinen Aktionen, bewegt sich mit ihm, folgt ihm auf schwebende Weise und bekommt dadurch etwas Lebendiges, Beobachtendes. Dass Beckett einen solchen Effekt im Sinn hatte, wird in seinem Brief an Alan Schneider deutlich, wo er schreibt: »The feeling is of camera sneaking behind him [Joe] hugging walls.«81 Durch den Versuch, in das Gesicht des Protagonisten vorzudringen, in es einzudringen, wird durch die Kameraeinstellung nicht nur ein Bildausschnitt vorgegeben, sondern vielmehr jede winzige Regung ausgestellt, die das ansonsten emotionslose Gesicht Joes oft nur für einen Augenblick durchbricht. Dadurch, dass die Kamera anscheinend die Stimme ›hören‹ kann, bekommt sie etwas Selbstbestimmtes und tritt als Akteur in Erscheinung. Die Kamera erlangt so, wie bereits in Film, eine affizierende Funktion. Hierbei gilt, dass die Kamera filmisch versucht, »die psychische Bedrohung der eigenen Erinnerungen an den Vater oder die vergangene Liebe in eine voranschreitende Fahrt zu übersetzen, die immer näher an den Protagonisten heran, gleichsam in ihn vordringen will.«82 Im Zentrum des Fernsehspiels steht somit erneut die Wahrnehmung, die vom Auge sowohl kontrolliert als auch dominiert wird. Das kalte, gefährliche Auge, das ›Raubauge‹ – bei Beckett »the eye of prey«83 – übernimmt eine übergeordnete Funktion, was James Knowlson als »one of the key features of Beckett’s aesthetics«84 einordnet,

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S. B. an Alan Schneider, am 07.04.1966, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 22. Mühling 2006, S. 90. Samuel Beckett: Imagination Dead Imagine, in: Ders.: The Complete Short Prose 1929 –1989, New York 1995, S. 185. Vgl. thematische Ausrichtung: Michaela Giesing/Gaby Hartel/Carola Veit: Das Raubauge in der Stadt. Beckett liest Hamburg, Göttingen 2007. Gaby Hartel/Michael Glasmeier (Hrsg.): The Eye of Prey: Becketts Fernseh–, Film– und Videoarbeiten, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2010. Knowlson 1997, S. 384.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

»… that what he [Samuel Beckett] once described to me as ›the cold eye‹ had to be brought to bear on personal experience before it could be used in a work of art.«85 Wie ein Argusauge betrachtet es auch Joe. Lommel beschreibt es als einen »Körper mit hundert Augen. Argus, auch Panoptes, der Allsehende, verfügt über den panoptischen Blick. Argus ist reiner Blick. ›Ein Augapfel aus lauter Augen, eine mit Augen tätowierte Haut‹86 , eine allseits ausgerichtete Augen–Kugel, die keinen blinden Fleck und keinen toten Winkel kennt, ein Blick–Subjekt, das niemals Objekt eines Blicks wird, weil nach Sartre der angeblickte Blick auch wegschauen können muss.«87 Demzufolge hat man es in He, Joe mit einer Figur zu tun, die das panoptische Prinzip nach innen kehrt und somit ständiger Selbstkontrolle unterworfen ist. Durch die Kamera wird der panoptische Effekt zusätzlich verschärft, da das Objektiv in subjektivierter Form zwischen Rezeption und Darstellung geschaltet wird und damit selbst der unbeteiligte Blick der Fernsehzuschauenden partizipative Aufladung erfährt. Der Blick auf das Geschehen ist wesentlicher Teil des introspektiven Inhalts. Neben der Kamera kommt hierbei auch der Stimme eine übergeordnete Bedeutung zu. Beckett lenkte mit ihr den Blick erneut auf den Ursprung seiner Worte.88 Die Stimme macht sich mithilfe der Kamera, ähnlich einem Präzisionsgerät »scharf wie ein Messer an/in Joes Gesicht zu schaffen«.89 Dabei ist eine exakte Sprachtechnik signifikante Voraussetzung. Mit welch großem Nachdruck dies von Beckett verfolgt wurde, lässt sich an Siân Philips Probenerinnerungen gut nachvollziehen: »It was explained to me that every punctuation mark had a precise value and I began metronoming my way through the text, reading appallingly but gradually remembering that a full stop is not a colon is not a hyphen is not

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Knowlson 1997, S. 384. Michael Serres: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998, S. 43. Lommel 2006, S. 47. Brater 1987, S. 85. S. B. in einem Brief an Alan Schneider, Paris 07.04.1966, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 22.

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an exclamation mark is not a semi–colon. We worked like machines, beating time with our fingers and, after some hours, the relentless rhythm and the beautiful, but equally relentless, blue eyes were making me feel ill, so I suggested that I should go home and continue working on my own.«90 Einmal von den damit verbundenen deutlichen Anstrengungen der Schauspielerin abgesehen, gelang es Beckett, durch die Maschinisierung der Stimme ein ›Echo‹ zur enttechnisierten Kamera wahrnehmbar zu machen, um damit sozusagen eine poetische Brücke zwischen Kamera und Stimme herzustellen, die beide auf ihre Weise das Bild beziehungsweise Joes Gesicht, bearbeiten. Die Stimme als auch die Kamera ›schneiden‹ immer weiter in Joes Gesicht. Jack MacGowran, der ebenfalls als Joe (1966 in der BBC–Version) besetzt war, beschrieb den Kampf mit der Stimme folgendermaßen: »[T]he most gruelling 22 minutes I have ever had in my life, because as you know the figure is silent, listening to this voice in his head which he is trying to strangle the memory of. It's really photographing the mind. It's the nearest perfect play for television that you could come across, because the television camera photographs the mind better than anything else. The words are having an effect on him as he attempts to strangle the voice in his head, which he finally does. It's a little victory that he has at the end in dismissing the voice; he finally crushes it.«91 Obwohl Beckett die ›Sprachzertrümmerung‹ hier von seiner Figur selbst ausführen lässt, wurden die Wörter kein überflüssiges Beiwerk. Durch die Entscheidung für eine Arbeit mit Tonspur und mithilfe der Fokussierung auf die Besonderheiten derselben, die im Gegensatz zum Stummfilm gerade durch den »Sprechakt etwas im Bild sichtbar [machen],«92 gelang es Beckett, gewohnte Fernsehklischees aufzubrechen. Für seine Fernseharbeiten nahm er die Gesetzmäßigkeiten des Bildschirms auf, beispielsweise durch die Verschränkung des Raumes seiner Stücke mit dem »mediale[n] Format des Fernsehens, in dem er die Kastenform hinter der Mattscheibe fortsetzt[e].«93 Wie bereits in der Einleitung 90 91 92 93

Siân Philips in einem Interview mit James Knowlson am 07.04.1994. Sie war als die Frauenstimme in Eh Joe (BBC, 1966) besetzt. Nachzulesen in: Knowlson 1997, S. 538. MacGowran im Interview mit Richard Toscan, in: Ders., London 1973, S. 20. Auch nachzulesen in: Knowlson 1997, S. 538f. Gilles Deleuze: Das Zeit–Bild. Kino 2, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991, S. 291. Mühling 2006, S. 91.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

erwähnt, nutze er dabei die Tatsache, dass der Fernsehraum »überhaupt kein abgeschlossener Raum [ist], wie der durch die Gegebenheiten der Bühne festumrissene Ort der Handlung.«94 Neben der Definition des Raums gehört zum Erzählen auch die Gestaltung der Zeit. Hier nutzte Beckett den Vorteil, dass im Fernsehen ausgestrahlte Aufnahmen im Gegensatz zum Theater viel leichter ein Gefühl der Unendlichkeit schaffen. Er verstärkte diesen Eindruck, indem er durch den Einsatz exzessiver Nahaufnahmen ein Gefühl der Endlosigkeit noch intensivierte. Beckett schuf so eine »Poesie der Form und Struktur«95 , welche die klaren Identitäten der Charaktere in ihre Bestandteile zerlegt, um so einen detaillierten Blick auf das Innenleben der Figur zu erlangen. Durch die Zusammengehörigkeit von Kamera und Auge wird der ›mechanische‹ Raum in gewisser Weise emphatisch aufladbar. Die Kamera nimmt zusätzlich zu ihrer Beobachterposition des ›Optisch–Unbewussten‹ auch eine ›fühlende Position‹ ein, womit sie auch den Blick auf das Triebhaft–Unbewusste öffnet. Dadurch wird deutlich, dass Beckett, der sich früh als ›Augenmensch‹ zeigte,96 die Medien dazu benutzte, eine neue Sprache zu finden, ganz nach Helmar Schramms Definition von »Medien–Theatralität«97 : »Es geht nicht mehr nur um die technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerkes, sondern eher um die synergetische Verschmelzung von Technologien, Sprachsystemen und ästhetischen Reizen, d. h. um ein völlig verändertes Koordinatensystem heterogener Wirklichkeiten. [...] Aber die Medien dienen keineswegs nur als technische Träger von Botschaften, vielmehr verändern sie durch das ihnen innewohnende Zusammenspiel zwischen hochkomplexen Zeichensystemen und Technologie unser gesamtes Verständnis von Sprachkultur grundlegend.«98

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Berg 1969, S. 250. Brater 1987, S. 87. Vgl. Kapitel 3, im Besonderen Dante…Bruno.Vico…Joyce (1929) und Proust (1931). Den Begriff definiert Schramm im Sinne Joachim Fiebachs: »Zur Geschichtlichkeit der Dinge und der Perspektiven. Bewegungen des historisch materialistischen Blicks, in: Renate Möhrmann (Hrsg.): Theaterwissenschaft heute, Berlin 1990, S. 384. Zit. n. Helmar Schramm: »Theatralität – Theatralität und Medienkultur«, in: Karl Barck (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe: Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2000, S. 67. Schramm 2000, S. 67 & 68.

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Durch die Verschmelzung unterschiedlicher Charakteristika der diversen Formen erweiterte Beckett so seine Suche nach theatralischen Metaphern, um ein »Theater des Geistes«99 zu zeigen. Mithilfe der Aufnahme von ›dauerhaften‹ Bildern entwickelte sich hier durch den Einsatz von Technik etwas, das Brater als »truly ›concrete‹ poetry«100 bezeichnet, welche »not only imitates electricity, but also lasts forever.«101 Die Arbeit mit der Kamera bot Beckett die Gelegenheit, visuell wie auch akustisch »the iconography of a mind in dialogue with itself«102 aufzuzeichnen. Dabei ging es ihm nicht darum, ein Medium für das andere aufzugeben, sondern ›sein Material‹ mit verschiedenen Werkzeugen zu bearbeiten. Denn er wusste um die Anforderungen und Möglichkeiten einer jeden Form und versuchte sowohl ihre Grenzen auszuloten als auch sie miteinander zu verschränken.

7.3 7.3.1

Not I – ›Kamera im Kopf‹ und ›Theater des Geistes‹ ›theatre in spite of all‹?103

Die Arbeit an seinen ›Fernsehexperimenten‹ basierte auf der Wechselwirkung von Bühne und Bildschirm.104 Ein zentrales Beispiel hierfür ist seine 1972 konzipierte Arbeit Not I: Die Uraufführung fand am 07.Dezember 1972, im Repetory Theater des Lincoln Centers in New York City, unter der Regie von Alan Schneider mit Jessica Tandy als Mouth, statt. Diese Inszenierung sorgte

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Deleuze 1996, S. 94. Brater 1987, S. 74. [Meine Übersetzung: ›anschauliche Poesie‹ .] Brater 1987, S. 74. Brater 1987, S. 75. [Meine Übersetzung: Ikonographie des Geistes im Dialog mit sich selbst.] 103 S. B. an Kay Boyle, am 03.11.1972, in: Knowlson 1997, S. 591. 104 So wurde nicht nur Becketts Fernsehstück He, Joe mindestens zweimal für die Bühne adaptiert (1978 auf dem Beckett Festival in New York und 1981 auf dem Festival Automne du Paris). Auch Quadrat I+II wurde 1986 im New Yorker American Folk Theatre aufgeführt.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

aber nicht dafür, Becketts Zweifel zu zerstreuen, »if the new piece is theatre in spite of all or can be coaxed into it.« 105 Und so ließ sich dieser für die kurz darauffolgende Produktion Anfang 1973 vertraglich zusichern, dass er an der Einrichtung am Royal Court Theatre (16.Januar 1973) mitwirken durfte.106 Offiziell übernahm er die Rolle des Beraters. Allerdings einigte man sich nach vermehrten Spannungen darauf, dass Anthony Page nur noch nominell Regie führen würde.107 Erscheinen diese Informationen vielleicht auf den ersten Blick anekdotischer Natur, wird hier ein weiteres Mal die künstlerische Entwicklung Becketts deutlich und zeigt einen Künstler, der seinen im Schreiben entwickelten bildnerischen Ansatz in einem anderen Format auf seine Wirkung testen wollte. In Not I dreht sich alles darum, die Protagonistin in Form eines Mundes (Mouth) zentral und körperlos in Szene zu setzen. Ein Ziel, das Beckett bereits in der Stückvorlage verfolgte und weswegen er die, in Kapitel 2 bereits erwähnte, geschlechtslose Figur des Auditors entwickelte: In eine weite, schwarze Djeballa gehüllt, hatte diese die alleinige Aufgabe am linken vorderen Bühnenrand Mouth diagonal gegenüberzustehen und immer direkt nach Mouths energischer Weigerung ›ich‹ zu sagen (»... what? ... who? ... no! ... she! ... « 108 ), hilflos mit den Schultern zu zucken.109 Neben dem Versuch hierdurch Publikumsblicke auf den Mund zu lenken, bebilderte er damit auch die im Redefluss beschriebene Hilflosigkeit des Subjekts. Das Subjekt, von der Mouth in nur schwer verständlicher Weise berichtet, ist dabei eigentlich ›das Ich‹ von Mouth, wie anhand von einigen sehr persönlichen Informationen in den Sprachfragmenten deutlich wird. In vier Erzählschleifen wird die Geschichte einer Frau – respektive die eigene Geschichte – geschildert, die unter einem Zustand leidet, der mit dem Krankheitsbild des selektivem Mutismus‘ vergleichbar ist. Ein Zustand, der sich darin zeigt, dass sie nur in ganz seltenen und für sie selbst als überraschend erlebten Momenten den unbändigen Drang verspürt, auf die nächstbeste Person zuzulaufen und in einem unkontrollierbaren Redeschwall ihre 105 S. B. an Kay Boyle, am 03.11.1972, in: Knowlson 1997, S. 591. Sowie: »He had long ago decided that if he were well enough, he would go over for rehearsals, for it offered him the chance to get the new play [Not I] right.«, Knowlson 1997, S. 596. 106 Knowlson 1997, S. 591. 107 Knowlson 1997, S. 598. 108 Samuel Beckett: »Not I«, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 2006, S. 377, 379, 381, 382. 109 Beckett, Not I, 2006, S. 376.

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Stummheit zu unterbrechen.110 Dieser unablässige Schwall von Wörtern und Satzbruchstücken ist dabei für alle Beteiligten (sie selbst eingeschlossen)111 formal wie inhaltlich unverständlich.112 Von dem ungewohnten Vorgang dermaßen überrascht, kostet es sie in den ersten Momenten des Redeschwalls einige Mühe überhaupt, ihre eigene Stimme zu erkennen.113 Mouth berichtet also von einem entfremdeten Subjekt, das sich selbst machtlos dabei beobachtet und krampfhaft versucht, einen Sinn in alldem zu erkennen,114 dabei aber über die reine Wahrnehmung des mechanischen Vorgangs eruptiven Sprechens nicht hinauskommt.115 Ein Hergang, der sich auch im atonalen Sprachduktus von Mouth spiegelt. In den vier Erzählschleifen deutet sich ein früheres traumatisches Erlebnis der nun ins Alter gekommenen Frau an, das jedoch, zusätzlich zur allgemeinen Fragmentierung des Textes, von den stetigen Vorgangsbeschreibungen unterbrochen wird und damit verdeckt bleibt – genau wie das ›Ich‹. Die bereits konstituierte künstlerische Intention, Gesprochenes in ein Bild zu verwandeln und so einen ›Prozess‹ der Wahrnehmbarkeit sichtbar zu machen, wurde auch hier erneut verfolgt. Die literarische Sprache sollte durch die Mittel der Visualisierung in eine neue Sprache, respektive Deleuze’ ›Sprache III‹116 , weiterentwickelt werden. Die sich hierdurch eröffnende 110

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Mouth: »… sometimes sudden urge … once or twice a year … always winter some strange reason … the long evenings … hours of darkness … sudden urge to … tell … then rush out stop the first she saw … first lavatory … start pouring it out … steady stream … mad stuff … «, in: Beckett, Not I, 2006, S. 382. Mouth: »...and now this stream ... not catching half of it ... not the quarter ... no idea ... what she was saying … imagine! … no idea what she was saying! …«, in: Beckett, Not I, 2006, S. 379. Mouth: »... mad stuff ... half the vowels wrong ... no one could follow ... «, in: Beckett, Not I, 2006, S. 382. Mouth: »... words were coming ... a voice she did not recognize ... at first […] … it was not hers at all … not her voice at all …«, in: Beckett, Not I, 2006, S. 379. Mouth: »... couldn’t pause a second ... like maddened ... all that together ... straining to her ... piece it together ... and the brain ... raving away on its own ... trying to make sense of it ... or make it stop ...«, in: Beckett, Not I, 2006, S. 380. Mouth: »... gradually she felt ... her lips moving [...] lips ... cheeks ... jaws ... the whole face .. all those – ... what? ... the tongue? ... yes ... the tongue in the mouth ... all those contortions without which ... no speech possible ...«, in: Beckett, Not I, 2006, S. 379. Zur Erinnerung: »Das Bild ist ein kleines Ritornell, visuell oder akustisch, wenn die Zeit gekommen ist […] Die Bilder–Ritornelle durchlaufen Becketts Bücher. […] Das Bild lässt sich nämlich nicht durch das Erhabene seines Inhalts definieren, sondern durch seine Form, das heißt durch seine ›innere Spannung‹, oder durch die Kraft, die es weckt,

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

Assoziationsfläche wirft die Frage nach dem Vorgang einer Subjektkonstitution auf. Insofern steht hier auch die Diskussion um die Autorschaft im Sinne Michel Foucaults im Raum, die Zima, als »unleugbare Abhängigkeit des individuellen Subjekts von sozialen und sprachlichen Faktoren« resümiert, da es darum gehe, »das Subjekt (oder sein Substitut) seiner Rolle als ursprünglicher Begründer (fondement originaire) zu entledigen und es als variable und komplexe Diskursfunktion zu analysieren.«117

7.3.2

Szenische Einrichtung

Der Mund als konstituierendes Organ des Subjekts war ein elementarer Teil der oben aufgeführten künstlerischen Zielsetzung wodurch nachvollziehbar wird, weshalb es so wichtig war, alle Aufmerksamkeit aus dem Publikumsraum auf Mouth zu richten. Um dies zu erreichen, ließ Beckett den gesamten Theaterraum komplett Abdunkeln118 und richtete zwei Punktscheinwerfer auf den Mund von Billie Whitelaw (Mouth). Über die Besetzung des Auditors ist außer der Tatsache, dass es sie/ihn wohl gegeben hat, eigentlich nichts zu erfahren.119 Auf eine namentliche Nennung der Auditor–Besetzung wurde in Presse, der ansonsten sehr detaillierten Knowlson Biographie wie auch der umfangreichen Briefe Sammlung und sogar selbst auf dem Theaterposter

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um eine Leere zu schaffen oder Löcher zu bohren, die Umklammerung der Worte zu lösen, das Hervorsickern von Stimmen zu ersticken, um sich vom Gedächtnis und der Vernunft zu befreien, ein kleines alogisches Bild, gedächtnislos, beinahe sprachlos, bald im Leeren schwebend, bald zitternd im Offenen. Das Bild ist kein Objekt, sondern ein ›Prozeß‹.«, in: Deleuze 1996, S. 66f. Zima 2010, S. 81. [Michel Foucault, »Qu’est–cequ’un auteur?«, in: Ders.: Dits et écrits I (1954–1969), Paris: Gallimard 1994, S. 812 (Diskussionsteil).] Billie Whitelaw: »The atmosphere in the theatre, when it started out – was sort of – slightly sort of bum shovelling: ›oh, what – what is this?!‹. And as it went on because we killed all the lights. We broke all the rules. And took the light bulbs out of the exit lights and took the light bulbs out of the lady loo lights, because people tried to escape into the loo and get away from this relentless mouth that couldn’t let go.« In: Wake for Sam. ›Not I‹. Introduced by Billie Whitelaw, BBC2 (07.02.1990, 22.15Uhr); Online unter: ht tps://www.youtube.com/watch?v=M4LDwfKxr-M; letzter Abruf am 19.07.2019. [Meine Mitschrift.] Sendetermin online unter: https://genome.ch.bbc.co.uk/3d20f6d20084452 dacdc1b06c49314f9; letzter Abruf am 19.07.2019. Vgl. Abbildung in: Dave Walker: »Royal Court posters«, 19.03.2015; online unter: htt ps://rbkclocalstudies.wordpress.com/2015/03/19/royal-court-posters/; letzter Abruf am 19.07.2019.

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von 1973 verzichtet. Auch Whitelaw nennt 1990 bei einer Fernseheinführung in den Mitschnitt des Stücks von 1973 für die BBC2 keinen Namen, sondern beschreibt den Auditor lediglich als »a shadowy figure in the corner«.120 Sie selbst war an einem Metallröhrengestell fixiert, welches auf einem drei Meter hohen Podium, in der Mitte der Bühne platziert war.121 Durch diese ›unmenschliche‹ Positionierung des Mundes wurde sichergestellt, dass der Mund als körperlos wahrgenommen werden konnte. Whitelaws Kopf klemmte zwischen zwei Schwämmen, damit sich ihr Mund nicht aus dem Scheinwerferkegel bewegen konnte. Da der Text in großer Geschwindigkeit, ja geradezu atemlos gesprochen werden sollte,122 waren ihre Augen verbunden123 und um ihr die Konzentration auf den Text zu erleichtern, wurde ihr mittels eines Senders das Umblättern der Seiten in ein Ohr übertragen.124 Allein der Umfang der Anstrengungen zeigt, wie sehr Beckett daran interessiert war, den Körper der Schauspielerin auf der Bühne für die Augen des Publikums tatsächlich verschwinden zu lassen und damit sozusagen aufzulösen. Bereits der Titel des Stückes; ›Not I‹, oder ins Deutsche übersetzt ›Nicht ich‹ verweist auf dieses Ziel: Durch die vehemente Weigerung der Protagonistin ›ich‹ zu sagen, erhält die Tatsache, dass der Mensch in Abhängigkeit zu dem ihn umgebenden Außen steht, eine Rahmung, die dies überhaupt erst darstellbar macht. Der Mund bietet sich hier an; ist er schließlich ein Organ, dass die Innenwelt des Menschen mit der Außenwelt verbindet. Das ›Außen‹ wird im Stück mit dem ›Innen‹ gleichgesetzt. Der gesprochene Inhalt soll sich nicht von im Inneren des Schädels ablaufenden Gedanken unterscheiden. Vielmehr soll diese normalerweise im Inneren ablaufende Gedankenflut ungefiltert nach außen übertragen werden. Um diese Absicht zu verdeutlichen, bietet sich eine körperlose Darstellung an.

120 Wake for Sam. ›Not I‹. Introduced by Billie Whitelaw, BBC2 (07.02.1990, 22.15Uhr); online unter: https://www.youtube.com/watch?v=M4LDwfKxr-M; letzter Abruf am 19.07.2019. [Meine Mitschrift.] Sendetermin online unter: https://genome.ch.bbc.co.uk/3d20f6d20084452dacdc1b06c49314f9; letzter Abruf am 19.07.2019. 121 Knowlson 1997, S. 597. 122 S. B. an Alan Schneider, am 16.10.1972: »I hear it breathless, urgent, feverish, rhythmic, panting along, without undue concern with intelligibility. [...]« In: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 311. 123 Knowlson 1997, S. 597. 124 Knowlson 1997, S. 598.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

Abb. 38: Probenfoto Not I (nominelle Regie: Anthony Page, Mouth: Billie Whitelaw, Royal Court Theatre 1972, London)

Bildquelle: ©Zoe Dominic, in: Samuel Beckett: Teleplays, hrsg. v. Stan Douglas, Vancouver: Vancouver Art Gallery 1988, S. 25.

Damit sollte die starke Rhythmisierung der Sprache zusätzlich befördert werden, die auch hier ein weiteres Mal im eigentlichen Zentrum der Bestrebungen stand, was Whitelaw sehr plastisch beschrieb: »I've been practising saying words at a tenth of a second . . . No one can possibly follow the text at that speed but Beckett insists that I speak it precisely. It's like music, a piece of Schoenberg in his head.«125

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Billie Whitelaw, Sunday Times, 14.01.1973, zit. n. Knowlson 1997, S. 598.

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Die Erwähnung von Arnold Schönberg, verweist auf seine Zwölftontechnik (Dodekaphonie): eine atonale Kompositionsweise, »bei der keine tonale Gewichtung mehr besteht und alle Töne gleichberechtigt sind«126 und die zwölf Halbtöne einer Oktave dadurch ein neugeordnetes Bezugsnetz erhalten. Um den hierdurch inspirierten Rhythmus zu erreichen, hatte Beckett bereits in der Stückvorlage kompositorisch die Satzfragmente mittels dreier Punkte voneinander getrennt. Dass ihm an einer genauen Einhaltung seiner Kompositionen gelegen war, rekonstruierte Mel Gussow in einem Interview mit Billie Whitelaw, die sich folgendermaßen an Becketts Äußerungen zu Spiel erinnerte: »The first note he ever gave me was years ago when we did Play. The script is filled with one word followed by dot–dot–dot, two words, dot–dot, and he said, 'Billie, would you make these three dots, two dots?' He took a pencil and crossed out a dot. That sounds pretentious, but it makes a difference.«127 Legt man nun im Zusammenhang mit diesem ambitionierten Ansatz einmal Colin Gardners Zahlen aus seiner detaillierten Aufbauanalyse von Not I zugrunde,128 erhält man bei 726 Satzfragmenten und einer tatsächlichen Länge von 725 Sekunden (12’05’’) eine erstaunlich rhythmische Taktung von einer Sekunde pro Satzbaustein. Ein Wirkmechanismus, der eine Neuordnung von Sprache, durch die Auflösung der Syntax zugunsten eines rhythmischen Bezugsnetzes zur Folge hat. Die Rhythmisierung diente dazu, den Sinngehalt der Satzfragmente noch zusätzlich aufzulösen, wie Becketts Instruktionen an Alan Schneider in einem Brief deutlich machen: »If I made a distinction it can only have been between mind & voice, not between mouth & voice. Her speech a purely buccal phenomenon without mental control or understanding, only half heard. Function running away with organ. The only stage apprehension of text is Auditor’s. «129

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Eintrag Klassik Lexikon, o. N.: https://magazin.klassik.com/lexikon/details.cfm?DID=277 7&RecordID=1&letter=D; letzter Abruf am 22.07.2019. Mel Gussow: »How Billie Whitelaw interprets Beckett«, The New York Times, 14.02.1984, S. 13; online unter: https://www.nytimes.com/1984/02/14/theater/how-billie-whitelaw-i nterprets-beckett.html; letzter Abruf am 21.07.2019. »Within the play's 12 short minutes, roughly 2268 words are spoken, separated into 726 Units by ellipses.« In: Colin Gardner: »From ›Dialoghorrhea‹ to Mental–Image: Comédie (1966), Not I (1977) and What Where (1986)«, in: Ders. 2012, S. 85. The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 311.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

Durch das besinnungslose Herausschleudern der Wörter und Satzbausteine sollte ein »mental image«130 entstehen. Colin Gardner spricht von einem »sound image«131 , was er folgendermaßen darlegt: »This averages three words per unit, with 93 per cent of the total containing five words or less. One could argue then that the words spoken by Mouth are not just about something – they are that something itself as pure performance. Language doesn't represent, it is. This of course is Beckett's whole point. Conventional interpretation of the performance is forced to give way to a more musical understanding of language as a form of concrete rhythmic form – as a Sound–image‹ or sonsign (language II).«132 Für Deleuze’ ›Sprache II‹ spricht sicherlich die bereits mehrfach erwähnte Fremdheit von Mouth zur eigenen Stimme.133 Da sich Deleuze nicht explizit zu Not I äußert, wirkt die Arbeit wie ein Streitfall zwischen ›Sprache II und III‹. Gardner versucht eine Trennung der Kategorien und ordnet das Fernsehspiel im Gegensatz zum Bühnenstück ›Sprache III‹ zu und bezeichnet TV–Not I als »rebirth as pure image«134 . Was Gardner hier mit Deleuze’ ›Sprache II‹ im Zusammenhang mit Not I überraschenderweise unbeachtet lässt, ist die Sichtbarkeit des sprechenden Mundes auf der Bühne, gepaart mit der gezielt unpersonalisierten Intonation der Stimme. Dies ist entscheidend für Deleuze, der den Unterschied zwischen ›Sprache II und III‹ am Beispiel von He, Joe verdeutlicht: »Es war noch die Sprache II. Die Stimme hatte bestimmte Intentionen, Intonationen, sie evozierte persönliche, für den Mann unerträgliche Erinnerungen und drang in diesem Bereich der Erinnerung immer weiter vor, ohne die gespenstische Dimension eines undefinierten Unpersönlichen zu erreichen. Das gelingt nur dem Geister–Trio [...].«135

130 Ein Begriff den Billie Whitelaw mehrmals benutzt, um Not I zu beschreiben, in: Wake for Sam. ›Not I‹. Introduced by Billie Whitelaw, BBC2. 131 Gardner 2012, S. 85. 132 Gardner 2012, S. 85. 133 Zur Erinnerung: Bei Sprache II »ist [es] immer ein Anderer, der spricht[...] da die Sprache nur eine fremde sein kann; es ist immer ein Anderer, der ›Besitzer‹ der Objekte, die er sprechend besitzt.«, Deleuze 1996, S. 62. 134 Gardner 2012, S. 93. 135 Deleuze 1996, S. 84.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Zieht man diese Aussage nun für Not I heran, wird deutlich, dass Beckett hier bereits sehr viel unternommen hat, um eine »gespenstische Dimension eines undefinierten Unpersönlichen zu erreichen«136 . Hierfür entscheidend sind nach Deleuze besonders die (bereits für Not I als wichtig festgestellten) Pausen: »[Sprache III] bleibt in Verbindung mit der Sprache, aber richtet sie auf oder reckt sich in ihren Löchern, ihren Lücken oder ihren Schweigemomenten.«137 Zieht man nun Deleuze’ Äußerungen über das Fernsehspiel ...but the clouds... (1977) hinzu, dass als Paradebeispiel für ›Sprache III‹ dient, werden die Bezugspunkte zu Not I besonders deutlich: Er beschreibt ...but the clouds... als »Bild [...] mit Stimme und Gedicht,«138 bei dem es um »die vollkommene Übereinstimmung zwischen den Bedürfnissen des Körpers und den Bedürfnissen des Geistes, die doppelte Erschöpfung«139 gehe, um ein »[...] Bedürfnis des Geistes«140 , bei dem es »nicht mehr [auf] irgendein[en] Raum, sondern das geistige Bild«141 ankomme. In Not I ist eine Überlagerung von Körper und Geist entscheidende künstlerische Direktive, was durch die beschriebenen enthumanisierenden Techniken erreicht werden sollte. ›Sprache III‹ scheint demzufolge auch schon für die Bühnenversion anwendbar. Entscheidend für Not I, als besagtes ›geistiges Bild‹, ist, dass der Inhalt des Stückes sich in der Umsetzung spiegelt, beziehungsweise die Umsetzung den Inhalt ausmacht. Der Inhalt wird nicht nur klassisch beschrieben, sondern in der Form dargestellt. Kurz: auch hier greift das Form–Inhalt–Prinzip. Indem der Text gesprochen wird, also in Bewegung gesetzt wird, beginnt die Form (also der sprechende Mund) mit dem gesprochenen Inhalt zu oszillieren und dadurch entsteht etwas, das sich am besten mit einem Vexierbild vergleichen lässt. Im Sinne von: höre ich, was ich sehe, oder sehe ich, was ich höre?

136 137 138 139 140 141

Deleuze 1996, S. 84. Deleuze 1996, S. 73. Deleuze 1996, S. 74. Deleuze 1996, S. 90. Deleuze 1996, S. 91. Deleuze 1996, S. 91.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

7.3.3

›Theater des Geistes‹ (Gilles Deleuze)

Ein Vorgang, der beim Publikum laut der Rezensionen eine ›hypnotische‹ und ›dramatisch–gewaltige‹ Wirkung hervorrief142 und auch Beckett durchaus etwas von seinen Zweifeln abrücken ließ, was vor allem an Whitelaws Können lag, wie er an Horace Gregory schrieb: »Not I at the Royal Court Theatre with a marvelous actress, Billie Whitelaw. Learnt what I hoped to learn, that in some strange way it’s theatre in spite of all.«143 Trotzdem stimmte er noch im selben Jahr dem Adaptionsvorschlag von Seiten der BBC umgehend zu.144 Die Versuchsreihe mit diesem ›Stoff‹ war für ihn offensichtlich noch nicht beendet. Und bedenkt man, wie viele Überlegungen und technische Kniffe nötig gewesen waren, um Mouth visuell in den Wahrnehmungsfokus zu rücken, blieb der Mund (ungefähr 5 cm2 ) im Verhältnis zur Theaterbühne immer noch extrem klein. Ein Tatbestand, der das Stück inhaltlich gefährdete – sollte hier doch schließlich ein Prozess Bebilderung finden, der zeigt, wie Gedanken aus dem Inneren ›herausgeschleudert‹ werden. War der Mund nicht zu sehen, blieb nur die Stimme im Raum und das Gesprochene konnte leicht für einen absurden inneren Monolog der stummen, achselzuckenden Figur am Bühnenrand gehalten werden. In der BBC–Produktion von Not I (1973/ausgestrahlt 1976) füllte der übergroße Mund (erneut Billie Whitelaw) den gesamten Bildschirm und erreichte damit eine unmittelbare Präsenz, die im Theaterraum nur mit umfangreichen Schwierigkeiten, wenn überhaupt zu erreichen war.

142 »Critics spoke of the hypnotic, almost hallucinatory effects of watching Mouth and of the dramatic force of the strange, standing, listening figure.« In: Knowlson 1997, S. 598. 143 S. B. an Horace Gregory, am 21.01.1973, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 324. 144 Die Adaption, unter der Regie von Tristram Powell, wurde im Anschluss an die Spielzeit 1973 beschlossen und letztlich am 13.02.1975 aufgezeichnet. Die Fernsehfassung durfte allerdings nur mit dem Einverständnis von Beckett und Whitelaw ausgestrahlt werden. Beide waren mit der Fassung einverstanden. Unter dem Übertitel The Lively Arts ›Shades‹ (in Kombination mit Ghost Trio und … but the clouds …) fand die Ausstrahlung wegen Senderinterner Entscheidungen allerdings erst am 17.04.1976 (BBC 2) statt. Vgl. Knowlson 1997, S. 619f.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Abb. 39: Videostandbild aus Samuel Becketts Not I (BBC 2 1976, Regie: Tristram Powell)

Bildquelle: ©Samuel Beckett, in: Ders.: Teleplays, Vancouver 1988, S. 47.

Ein Bildausschnitt, der in heutigen Inszenierungen leicht durch Kamera und Leinwand auf der Bühne zu bewerkstelligen wäre, den es aber auch in dem Inszenierungsansatz von Walter Asmus nicht zu sehen gab. Asmus richtete Not I 2014 in der englischen Version mit Lisa Dwan am Londoner Royal Court Theatre und 2017 auf Deutsch mit Anne Tismer an der Volksbühne Berlin ein. Beide Male entschied er sich für Becketts Inszenierungsvorschlag, allerdings mit Verzicht auf den Auditor und positionierte den Mund übermenschlich hoch und körperlos in der Mitte der Bühne schwebend, pointiert mit zwei Punktscheinwerfern. Die Problematik des kleinen Mundes bestätigte sich: Beispielsweise war der Mund im Großen Saal der Volksbühne Berlin ab dem zweiten Drittel des Publikumsaals kaum noch wahrnehmbar.145 Allerdings erwies sich die rhyth-

145

Hier bezugnehmend auf mein Erinnerungsprotokoll vom 16.06.2018 (Volksbühne Berlin, Großer Saal, Parkett links, Reihe 16, Platz 2).

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

mische und präzise Intonierung als gleichermaßen wichtiger Teil der Rezeption. Allein die Abänderung des Rhythmus zwingt neue Lesweisen auf, wie sich an Lisa Dwans Sprechweise zeigte, die am 06.Juni 2015 nur neun Minuten und dreißig Sekunden für den Text benötigte. Dwan ließ fast durchgehend Becketts Interpunktion und Pausenangaben außer Acht, was es mehrmals unmöglich machte, überhaupt einzelne Worte zu verstehen, im Gegensatz zu Whitelaws Sprechakt in der Fernsehversion, bei dem dies tatsächlich durchgehend möglich ist. Auch wurde in der Asmus Inszenierung auf den in der Stückvorlage gewünschten fade in verzichtet und Dwan stöhnt einige Male am Anfang und am Ende des Textes. Durch den Verzicht auf die Andeutung einer Dauerschleife gepaart mit Dwans insgesamt druckvoller Intonierung, die zuweilen ins Aggressive kippt, lehnt sich diese Spielweise noch deutlicher an dem an, was erzählt wird: das Publikum erlebt damit buchstäblich eine der beschriebenen Redeschwall–Situationen. Wohingegen Becketts Endlos–Ansatz im Fernsehspiel stärker auf den nicht zu stoppenden Gedankenfluss abzielt, der sich auch in Whitelaws allgemein eindringlichen Flüsterton und einer insgesamt distanzierteren Tonlage widerspiegelt. Durch die nur im Vergleich erkennbaren Unterschiede der Versionen eröffnen sich bereits grundverschiedene Interpretationsflächen, was die künstlerische Hermeneutik dieses Theaterentwurfs offensichtlich werden lässt, der sich deutlich im Grenzbereich des Theatermöglichen bewegt. Die mentalen und akrobatischen Meisterleistungen der Schauspielerinnen machen dabei einen großen Teil des theatralischen Faszinosums aus. Das hier intendierte ›perfekte‹ Illusionstheater ergibt gerade durch seine große Störanfälligkeit ein durchaus potentes Spannungsfeld zwischen Darstellerin und Publikum. Ein Entwurf, bei dem anscheinend selbst das Publikum als potentielle Störquelle partizipatorisch ›ausgeschaltet‹ werden muss: So wurde in London, wie auch in Berlin, direkt vor Beginn jeder Aufführung eine eindringliche Aufforderung zur Stille und dem kompletten Ausschalten aller technischen Geräte ausgesprochen.146 Eine Ansprache, die bei allen drei besuchten Aufführun-

146 Im Wortlaut hieß es im Barbican – The Pit Theater: »[…] May I please ask that you check a final time, that your phones are switched off and remain off for the duration of the performance. Any leak of light or sound will disturb the performance for the rest of the audience and for the performer. The emergency lights remain off during the performance, but will come back on immediately after or in case of an emergency. […]« Aus meinem Erinnerungsprotokoll vom 06.06.2015. [Meine Herv.]

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

gen147 vom Publikum durchgehend eingehalten wurde, was eine große Konzentration und gespenstische Atmosphäre zur Folge hatte. Das Publikum in der Rolle des Auditors – ein großer, dunkler, schweigender, gebannt lauschender Körper. Das Weglassen der Figur des Auditors findet sich bereits in dem minimalistischen Ansatz des Teleplays von 1973, wobei hier durch die durchgehende Großaufnahme auf den Mund eine Blickführung generell überflüssig wurde. Ein daraus resultierender Nebeneffekt war (im Gegensatz zur Bühnenversion) eine Vereinzelung der Zuschauenden, indem jede und jeder einzelne Zusehende die Rolle des Auditors übernahm und somit zum direkten ›Körper–Teil‹ von Not I gemacht wurde. Durch diese ›Umbesetzung‹ wurde zudem die Rolle der Zusehenden als ›Begutachtende‹148 des Fernsehspiels gespiegelt. Eine Finesse, die allerdings nur durch die Vorkenntnis des Stückes erkennbar ist. Ohne Vorkenntnis erkennbar ist dagegen, dass durch die Wahl der statischen Großaufnahme eine sehr fernsehspezifische Form gewählt wurde. Marshall McLuhan nennt das Fernsehen gar ein »Medium der Großaufnahme«149 und der Filmhistoriker Anton Kaes schreibt über den Effekt des Close–up: »Wann immer eine Großaufnahme in den Erzählfluß einmontiert ist, kommt die Handlung zum momentanen Stillstand, der Film wird zum reinen Objekt der Schaulust.«150 Beide Aussagen werden für die Fernsehfassung von Not I fruchtbar gemacht: Zum einen wird die Großaufnahme, indem sie als Alleinstellungsmerkmal eingesetzt wird, besonders hervorgehoben und zum anderen wird der Mund durch den Close–up neben der Möglichkeit, als Objekt der Lust zu erscheinen, auch als Objekt der Schaulust inszeniert. Die Umsetzung der Fernseheigenschaften in Becketts Teleplays ist, wie Deleuze treffend zusammenfasst, der nächste Schritt in dessen Suche nach einer neuen visuellen Sprache:

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Barbican – The Pit, am 06.06.2015; Volksbühne Berlin, am 18.11.2017 (Großer Saal, Parkett rechts, Reihe 9 Platz 4) und 16.06.2018 (Großer Saal, Parkett links, Reihe 16, Platz 2). 148 ›Auditor‹ kann auch mit ›Begutachter‹ ins Deutsche übersetzt werden. 149 M. McLuhan 1995, S. 481. 150 Anton Kaes: »Das bewegte Gesicht. Zur Großaufnahme im Film.«, in: Claudia Schmölders/Sander Gilman (Hrsg.): Gesichter der Weimarer Republik. Eine physiognomische Kulturgeschichte, Köln: DuMont 2000, S. 160.

7. Technik als Bedeutungsträger: Subjektivierte Kamera

»Das, was man ein ›visuelles Gedicht‹ genannt hat, ein Theater des Geistes, das sich vornimmt, nicht eine Geschichte abzuspulen, sondern ein Bild aufzubauen; die Worte, die als Dekor dienen für ein Geflecht von Wegen in einem beliebigen Raum; die Exaktheit dieser Wege, gemessen und rekapituliert im Raum und in der Zeit im Verhältnis zu dem, was in dem geistigen Bild undefiniert bleiben muß; die Personen als ›Über–Marionetten‹, und die Kamera als Person mit autonomer Bewegung, flüchtig oder blitzschnell, im Widerstreit mit der Bewegung der anderen Personen; die Ablehnung künstlicher Mittel (Zeitlupe, Überblendung etc.), da sie nicht zu geistigen Bewegungen passen … Allein das Fernsehen erfüllt laut Beckett, diese Anforderungen.«151 Deleuze’ Bezeichnung der Beckettschen Figuren als ›Über–Marionette‹ trifft in der Darstellung Mouths auf ein besonders gutes Beispiel. Ganz nach Edward Gordon Craigs Forderung, die lautet: »Do away with the real tree, do away with reality of delivery, do away with reality of action, and you tend towards doing away with the actor. [...] Do away with the actor, and you do away with the means by which a debased stage–realism is produced and flourished. […] The actor must go, and in his place comes the inmate figure – the Über–marionette we may call him, until he has won for himself a better name.«152 Sie scheint hier durch das Zusammenspiel von Kamera und körperlosem Subjekt umgesetzt worden zu sein. Eine Einschätzung, die Linda Ben–Zvi bestätigt, wenn sie über ihre Zusammenarbeit mit Beckett berichtet: »Beckett was fascinated with television and with the eye of the camera … and with what is imposed upon the viewer in television … Beckett is interested in exploring what TV does … television that imposes on us a kind of vision of the world that we take as ›reality‹. Beckett was interested in the dehuminization of the individual … The material use of person as object frozen there by the television camera…«153 Die Möglichkeiten des Fernsehens stellten dafür die Grundvoraussetzung dar. Beckett war daran gelegen, mittels der Kamera »über das leben [sic] hinaus 151 152 153

Deleuze 1996, S. 94. [Meine Herv.] Edward Gordon Craig: On The Art of The Theatre (1905), London/Melbourne/Toronto: Heinemann 1957, S. 81. Linda Ben–Zvi in einer Diskussionsrunde in der Galerie Exit Art, New York, Februar 1990, Tonband–Mitschnitt von Gabriele Hartel, zit. n.: Dies. 2004, S. 82.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

zu gehen,«154 ganz wie Craig es für die Über–Marionette forderte. Nur durch die Kamera, war es möglich die ganze Wahrnehmung auf Mouth zu lenken. Hieran zeigt sich, wie notwendig die Großaufnahme war, damit das Stück die künstlerisch gewünschte Wirkung entfalten konnte: Beckett schien es bereits mit der ›Kamera im Kopf‹ geschrieben zu haben.155 Es scheint, dass er gerade durch die Verschränkung zweier Kunstformen gefunden hatte,156 was Craig für das Theater suchte und damit eine Technik »den körper dem geiste völlig [zu unterwerfen]«157 und so eine »new art«158 zu entwickeln. Auch Becketts Fernsehspiel Quadrat I+II gibt hierfür ein potentes Beispiel und führt dabei die bisher analysierten Experimente und daraus resultierenden Prämissen nicht nur zusammen, sondern mittels seines minimalistischen Ansatzes sogar noch exponentiell weiter.

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Edward Gordon Craig: Über die Kunst des Theaters. Herausgegeben von Dietrich Kreidt, Berlin: Gerhardt 1969, S. 67. Im engl. Original: »The über–marionette will not compete with life – rather will it go beyond it.« Craig 1957, S. 84. Ein weiterer Beleg, dass Beckett sich zu diesem Zeitraum intensiv mit Kameraperspektiven beschäftigte, findet sich auch darin, dass er unmittelbar nach der Fertigstellung der Stückvorlage von Not I, begann die Videoarbeit Vidéo–Cassette projet zu entwickeln. Nachzulesen bei Mark Nixon: »Samuel Beckett, Video Artist«, in: Peter Fifield/ David Addyman (Hrsg.): Samuel Beckett: Debts and Legacies. New Critical Essays, London/ New York: Methuen Drama 2013, S. 177. Craig schloss eine Vermischung der Künste explizit aus: »You cannot commingle them and cry out that you have created a new art. If you can find in Nature a new material, one which has never yet been used by man to give form to his thoughts, then you can say that you are on the high road towards creating a new art. For you have found that by which you can create it. It then only remains for you to begin. The Theatre, as I see it, has yet to find that material. And thus their conversation ends. For my part I am with the artist's last statement.«, Craig 1957, S. 73. Craig 1969, S. 57. Im engl. Original: »›No,‹ says the actor emphatically, › never, never; there never has been an actor who reached such a state of mechanical perfection that his body was absolutely the slave of his mind.‹«, Craig 1957, S. 67. Craig 1957, S. 73.

8. ZEIT – RAUM

8.1

Quad auf dem Papier

Der Aufbau des Stückes Quadrat gleicht auf den ersten Blick mehr einer mathematischen Formel als einer dramatischen Stückvorlage. Nach gerade einmal zwei Seiten Inhalt, welche aus reinen Vorgangsbeschreibungen bestehen, beginnen die Regieangaben zu den von Beckett benannten Kategorien Beleuchtung, Schlagzeug, Schritte, Kostüme, Schauspieler, Kamera, Zeit und Problem.1 Allein die Form zeigt, dass das Vorhaben eigentlich nicht in Worten zu fassen war und Beckett auf die Mathematik zurückgreifen musste (Abb. 40). Laut den Angaben ist der Spielort ein Quadrat mit einer Seitenlänge von sechs Schritten. Die vier Ecken des Quadrats werden in Z–Form A, B, C und D genannt und sind durch zwei sich im Mittelpunkt E schneidende Diagonalen verbunden. Zudem gibt es die vier »Schauspieler 1, 2, 3 und 4«2 , welche »von gleicher Statur und möglichst klein und schmächtig«3 sein sollen. Ihr Geschlecht wird als »gleichgültig«4 angegeben, geht es Beckett doch darum, die Figuren zu – wie Deleuze es ausdrückt – »beliebigen Personen in einem beliebige[n], geschlossenen global definierten Raum«5 zu machen. Unterstützt wird dies durch die bis auf den Boden hinabhängenden Kapuzenmäntel, in welche die Figuren gehüllt sind und die neben ihrem Körper auch ihre Gesichter verbergen sollen. Diese vier Gestalten (wie ich sie nennen möchte) haben die Aufgabe,

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Samuel Beckett: Quadrat (1986), in: Ders.: Quadrat. Stücke für das Fernsehen. Mit einem Essay von Gilles Deleuze, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S. 10–13. Deleuze 1996, S. 9. Deleuze 1996, S. 12. Deleuze 1996, S. 12. Deleuze 1996, S. 75.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Abb. 40: Samuel Beckett, Quadrat (1986, Stückvorlage).

Bildquelle: Deleuze 1996, S. 9.

das Quadrat in vier gleichlangen Variationen abzuschreiten, ohne dabei eine Teilstrecke doppelt zu gehen oder den Weg eines anderen zu schneiden. Der weitere Verlauf gleicht im Prinzip dem eines Kanons,6 welcher sich von vier Soli über sechs mögliche Duos auf vier mögliche Trios steigert. Ein Schritt ist dabei mit einer Sekunde bemessen. Davon ausgehend errechnete Beckett unter den Prämissen, dass es keine Unterbrechung gebe und Zeitverluste an den Ecken zu erwarten seien, eine voraussichtliche Gesamtlänge von fünfundzwanzig Minuten.7 Jeder Gestalt ist ein unterschiedlich farbiger Spot und ein bestimmtes Schlagzeug zugeordnet.8 Da die korrekte Darstellung der komplexen Bewegungsabläufe großes Rhythmusgefühl und Körperkontrolle erforderte, notierte Beckett, dass »ein wenig Ballett–Training wün6 7 8

Vergleiche hierzu auch: Deleuze 1996, S. 76. Beckett, Quadrat, Frankfurt am Main 1986, S. 13. Gestalt 1 ist weiß und wird von einer Trommel begleitet, 2 ist gelb und akustisch einem Gong zugeordnet, 3 ist blau und mit einer Triangel verbunden, 4 ist rot und bewegt sich zu den Klängen eines Holzblocks. Beckett, Quadrat, Frankfurt am Main 1986, S. 11–12.

8. ZEIT – RAUM

schenswert«9 sei. Allein anhand dieser Regieanweisung in Zusammenhang mit der kanonischen Struktur der Bewegungsabläufe zeigt sich bereits, wie zentral hier die Musikalität in Form einer Rhythmisierung der Bewegung war. Diese Annahme bestätigt sich auch in der Kategorie Problem, in der es darum geht, wie »bei E eine Rhythmusunterbrechung vermieden werden kann, wenn drei oder vier Schauspieler einander dort begegnen«10 . Die Auswahl der jeweiligen Instrumente ebenso wie die Farben für die Kostüme lässt sich nicht endgültig erklären, da diese vom Autor nicht weiter begründet wurden. Zu dem Medium, in welchem das Stück umzusetzen ist, wird in der Vorlage zwar keine explizite Angabe gemacht, jedoch lässt die Kategorie Kamera darauf schließen, dass hier eine filmische Umsetzung gewünscht wurde. Allerdings lässt gerade die Regieanweisung für die Kamera, die Möglichkeit einer Einrichtung für eine konventionelle Theaterbühne (Guckkastenbühne) zu. Diese lautet folgendermaßen: »Erhöhte Position, von vorn. Feststehend. Schauspieler und Schlagzeuger zusammen im Bild«11 . Hier wird eine Perspektive gewählt, die mit der Sitzposition aus dem mittleren Rang in einem konventionellen Zuschauerraum assoziiert werden kann: Da das Theaterpublikum aus dieser Position ebenfalls frontal, aus einer erhöhten, nicht beweglichen Position, das gesamte Geschehen auf der Bühne betrachtet. Jedoch verbirgt sich hier auch gleichermaßen die Unmöglichkeit einer »werktreuen« Einrichtung des Stückes für die Bühne, denn diese Blickachse schließt das gesamte im Parkett sitzende Publikum aus. Festzuhalten ist auf jeden Fall, dass dabei eine Perspektive gewählt wurde, die das Geschehen nicht nur überblickt, sondern auch auf dieses herabblickt. Im Film wird die Aufsicht oder auch der High Angle Shot angewandt, um neben dem Überblick auf eine Situation auch die Unterlegenheit beziehungsweise Ohnmacht der Filmfiguren zu unterstreichen. Hier scheint Beckett also Theaterspezifika mit fernsehimmanenten Mitteln neu arrangiert und vermischt zu haben, um eine Perspektive zu erschaffen, die den Zusehenden einen einerseits privilegierten, da auf den ersten Eindruck vollständigen Blick ermöglicht und dabei jedoch gleichzeitig den Gestalten ein Narrativ hinzufügt, das allein formal induziert wird. In dem auf das Geschehen herabgeblickt wird, kann allein durch die Kameraeinstellung der Zustand der Gestalten mit Ohnmacht beziehungsweise Unterlegenheit assoziiert werden. 9 10 11

Beckett, Quadrat, Frankfurt am Main 1986, S. 12. Beckett, Quadrat, Frankfurt am Main 1986, S. 13. Beckett, Quadrat, Frankfurt am Main 1986, S. 12.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Eine weitere intendierte Überschneidung von Theater und Fernsehspezifika durch die Produktionsentscheidungen des Verfassers und Regisseurs in Personalunion entsteht dadurch, dass die Takes nicht unterbrochen werden durften und auch später nicht durch Schnitte getrennt wurden. Die Ablehnung einer technisch möglichen Montage stellt die implizierte ›Liveness‹, die vor der Erfindung des Fernsehens ein Alleinstellungsmerkmal des Theaters war, zusätzlich heraus. Ob Beckett sich das Stück auch auf einer Theaterbühne vorstellen konnte, lässt sich nicht abschließend klären. Seine späteren – also bereits kurz nach der Erstausstrahlung am 08.Oktober 1981 getroffenen – Aussagen hierzu fallen entschlossen unentschlossen aus. So schrieb er Reinhart Müller–Freienfels: »No question of quad[rat] on stage«12 . Dem befreundeten Regisseur Alan Schneider wiederum schrieb er ebenso unmissverständlich, dass er ›Quad‹ für die Bühne für ungeeignet halte.13 Hier zeigt sich die vorher bereits erwähnte offene, ja experimentelle Haltung des Künstlers dem eigenen Material gegenüber.

8.2

Produktion von Quadrat

Möglicherweise rührte Becketts Unentschiedenheit auch daher, dass er als Regisseur an seinen eigenen Regieanweisungen verzweifelte. Hierauf weist, dass er das Projekt nach dem ersten Treffen in Stuttgart im April absagte, weil er eine Umsetzung seiner Arbeit in seinem Sinne für nicht realisierbar hielt.14 Laut der Erinnerungen des Toningenieurs Konrad Körte lag ein Problem darin, dass sich die von Beckett unbedingt gewünschte »fieberhafte Monotonie«15 nicht einstellen wollte. Dies lag zum einen an der falschen Into-

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14

15

S. B. an Thomas [Reinhart Müller–Freienfels], am 17.12.1981. Historisches Archiv des SDR Stuttgart; SWR, Bestand SDR Bestand 29/682. Alan Schneider wollte das Stück in einem Workshop mit Studenten auf der Bühne ohne Publikum ausprobieren. Beckett antwortete auf eine diesbezügliche Anfrage vom 06.02.1982: »Quad can’t work on stage. But no doubt interesting for students, gymnastically«. Nachzulesen nur in: Harmon 1998, S. 422. S. B. an Dr. Müller–Freienfels [Reinhart Müller–Freienfels] vom 19.04.1981. Historisches Archiv des SDR Stuttgart; SWR, Bestand SDR Bestand 29/682. Auch nachzulesen in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 547. Konrad Körte: »Wie es war. Samuel Beckett inszeniert Quadrat I und Quadrat II in Stuttgart«, in: Hartel/Glasmeier 2011, S. 288.

8. ZEIT – RAUM

nierung der Schritte, weil die ausgewählten Tänzerinnen die Schrittfolge zwar richtig und exakt, jedoch »etwas maschinell [und] ohne Ausdruck«16 ausführten, und zum anderen an dem missglückten Versuch, durch die begleitende Perkussion die erhoffte Monotonie im Bewegungsablauf zu erzeugen. Da das Werk ohne gesprochenen Inhalt auskommen musste, war der Rhythmus der Bewegungen umso wichtiger, um an das etwaige ›Dahinterkauernde‹ zu gelangen. Als größte Schwierigkeit erwies sich jedoch, Becketts Vorstellung hinsichtlich der Beleuchtung technisch umzusetzen, da sich die unterschiedlich farbigen Spots optisch vermischten, sobald mehr als eine Tänzerin auf dem Quadrat erschien. Dass die Umsetzung von Quadrat I+II schließlich doch noch gelang, ist der Arbeit des SDR–Teams zu verdanken, welches mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darum rang, die Probleme zu lösen.17 Alle Bemühungen der Projektleitung führten zu Becketts Rückkehr in das Stuttgarter Studio. Im weiteren Verlauf der Realisierung von Quadrat wurden folgende Änderungen vorgenommen: die farbigen Spots wurden gestrichen und stattdessen farbige Kostüme eingesetzt; der Holzblock gegen einen umgedrehten Papierkorb ausgetauscht, der Rhythmus insgesamt beschleunigt, und anstelle der Tänzerinnen die Pantomimen der Helfried Foron Truppe (Helfried Foron, Jörg Hummel, Claudia Knupfer und Susanne Rehe) verpflichtet. Da der Rhythmus höchste Priorität hatte, bekamen die Mimen Headsets unter den Kapuzen installiert, die links den Metronomschlag und rechts den Sound des jeweiligen Musikers übertrugen. Diese Maßnahme wurde als notwendig erachtet, weil jeder Fehltritt den besagten Rhythmus störte und folglich die Aufnahme gestoppt werden musste, sollte diese doch, wie bereits erwähnt, in einem fehlerfreien Take ohne Schnitte durchlaufen. Der doch beträchtliche technische Aufwand, der hierdurch ersichtlich wird, verweist einmal mehr auf die

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Körte 2011, S. 288. Die Anstrengungen des Teams reichten von der Aufhebung des Rauchverbots im Studio für Beckett bis zur Hinzuziehung von Lichtexperten. Dieses Engagement verdeutlicht auch, wie sehr man sich eine weitere Zusammenarbeit mit Beckett wünschte, denn neben dieser vom Fernsehteam als inspirierend empfundenen Arbeit waren bereits die Fernsehstücke He, Joe von 1966 und 1979 sowie Geister–Trio und … nur noch Gewölk … von 1977 von Publikum und Presse durchaus positiv aufgenommen worden. Nachzulesen in einem Brief von Reinhart Müller–Freienfels und Werner Sommer an S. B., am 28.04.1981. Historisches Archiv des SDR Stuttgart; SWR, Bestand SDR Bestand 29/682.

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Beginning to End – Samuel Becketts »crazy inventions for televisions«

Bedeutsamkeit des Rhythmus, welcher in der bestmöglichen Präzision dafür sorgen sollte, gewissermaßen »den Sinn zum Tanzen« zu bringen. Was jedenfalls inhaltlich begründen könnte, weshalb die E Kamera (für eine dreizehnminütige Arbeit) laut Produktionsnotizen achtundachtzig Stunden lief.18 Die besten Aufnahmen entstanden laut Körte immer erst nachmittags, wenn die Kräfte der Pantomimen etwas nachließen und die Musiker sich eingespielt hatten. Dieses Zusammenspiel von Ermüdung und Routine lieferte die rhythmisch präzisesten Ergebnisse. Die Aufzeichnung, die schließlich als Ergebnis akzeptiert wurde, kam jedoch erst in einer notwendig gewordenen Verlängerung der zuvor kalkulierten Drehzeit zustande. Im Anschluss an die Dreharbeiten von Quadrat I wurde eine weitere Version aufgezeichnet, die in Versuchsaufbau und methodischem Prinzip wenig abweicht, jedoch in den Details der Umsetzung augenfällige Unterschiede aufweist. So entstand Quadrat II, eine Arbeit, die ursprünglich gar nicht geplant war, aber für Beckett Quadrat erst vollkommen machte.19 Quadrat I ist ohne Quadrat II nicht zu denken. Dies wird auch dadurch belegt, dass beide Fassungen bei der Ersausstrahlung direkt hintereinander gezeigt wurden, mit dem Titel »Quadrat I+II« im Vorspann.20 Warum diese Annahme auch inhaltlich entscheidend zum Verständnis dieser Arbeit beträgt, zeigt sich im Vergleich und der Analyse der beiden Teile.

8.3

Die Schwarzblende

Quadrat I ist mit seinen acht Minuten dreißig Sekunden Dauer fast doppelt so lang wie Quadrat II (vier Minuten dreißig Sekunden), obwohl die Bewegungsabläufe in Quadrat II wesentlich langsamer ausgeführt werden. Beide Takes sind Live–Aufzeichnungen, und wurden abgesehen von einer leichten Regulierung des Tons (die schlurfenden Schritte wurden etwas nach vorne gezogen) technisch nicht verändert. Der augenscheinlichste Unterschied zwischen den beiden Teilen ist jedoch, dass Quadrat II im Gegensatz zu Quadrat I nicht

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Vorkalkulation Quadrat vom 15.05.1981. Historisches Archiv des SDR Stuttgart; SWR, Bestand SDR 29/682. Körte 2011, S. 298. Die Erstausstrahlung von Quadrat I+II war am Donnerstag, den 08.10.1981, in der ARD, um 23.40 Uhr. Pressespiegel zu Quadrat I+II. Historisches Archiv des SDR Stuttgart; SWR, Bestand SDR 77/499.

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in Farbe, sondern schwarzweiß auf Monochrome gedreht wurde (Abb. 41+42). Um den gleichsam entfärbten Eindruck noch weiter zu verstärken, wurden sogar die farbigen Mantillen durch graue ersetzt.21

Abb. 41–42 Samuel Beckett, Videostandbild Quadrat I und Videostandbild aus Quadrat II (beide 1981, Regie: Samuel Beckett)

Bildquelle: Samuel Beckett: He, Joe. Quadrat I und II. Nacht und Träume. Geister–Trio … Filme für den SDR. © 2008 Suhrkamp (DVD).

Aber was war nun das Ergebnis dieser aufwendigen Doppelproduktion? In diffusem, fast schon verschwindendem Licht,22 sind vier in bodenlange Umhänge gehüllte Gestalten zu erkennen, die sich auf dem hellen – scheinbar wie im ansonsten schwarzen Raum schwebenden – Quadrat bewegen und sich um einen schwarz gekennzeichneten Mittelpunkt drehen, ohne diesen je zu betreten. Jeder Gestalt ist neben einer Farbe und einem bestimmten Klang (wie bereits beschrieben) auch eine ›eigene‹ Ecke zugeordnet, welche der jeweiligen Gestalt als Ein– und Ausgang von der Spielfläche nach den jeweiligen Abläufen dient. Die Gestalten können das Quadrat also auch verlassen. Dem ganzen Geschehen liegt ein Regelwerk zu Grunde, das für die Zusehenden zwar erkennbar ist, aber trotzdem erst einmal unverständlich bleibt. So besteht neben den Regeln, dass die Gestalten die Spielfläche nach einer rätselhaft aussehenden Schrittabfolge wieder verlassen müssen und sie den Mittelpunkt nicht betreten können, eine weitere Vorgabe darin, dass sie sich nie 21 22

Körte 2011, S. 299. Vor Ausstrahlungsbeginn wurde extra darauf hingewiesen, dass der Autor und Regisseur des Stückes die Scheinwerfer mit voller Absicht so weit wie nur möglich bis zur beinahe Diffusität des Bildes, gedimmt habe. Die Bildwirkung sei gewollt und keine Fehlfunktion der Fernsehgeräte. Pressespiegel, Historisches Archiv des SDR Stuttgart; SWR, Bestand SDR 77/499.

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gegenseitig den Weg abschneiden beziehungsweise aufeinandertreffen können. Ein Prinzip, welches bei Quadrat I durch die Geschwindigkeit, mit der die Wege zurückgelegt werden, einen großen Teil der Spannung ausmacht. Und welches zuweilen gerade durch die große Präzision bei gleichzeitiger Hektik, mit welcher die Gestalten die Schrittfolgen ausführen, absurd, ja irrwitzig anmutet. So erscheint zum Beispiel ein Zusammenstoß der Gestalten im Mittelpunkt E durch die hohe Geschwindigkeit, mit der diese aus verschiedenen Ecken auf den Mittelpunkt zusteuern, sehr wahrscheinlich. Durch das Ausweichen im Uhrzeigersinn (in sozusagen letzter Sekunde) schlägt die zuvor aufgebaute Spannung dann aber in einen Erleichterungsmoment um, dem, gerade in der häufigen Wiederholung dieses ›Manövers‹, eine absurde Komik innewohnt. Die Komik entsteht also neben oder gerade durch die Formelhaftigkeit der Abläufe und den implizierten Regelbruch. Diese zwischen zwanghaft und heiter wechselnde Atmosphäre des ersten Teils weicht in Quadrat II einer sich trostlos darstellenden Situation: Das zuvor bereits diffuse Licht wirkt, als habe es noch weiter abgenommen, und gibt der Szenerie, unterstützt durch die Schwarz–Weiß–Aufnahme, einen bedrückenden, tristen Charakter. Dazu kommt, dass die Gestalten sich nicht nur deutlich langsamer bewegen, sondern auch eine gebückte Haltung angenommen haben. Sie schleppen sich förmlich auf den Teilstrecken des Quadrats entlang. Nach wie vor führen sie die immer wieder gleichen Bewegungsabläufe aus. Wodurch der Eindruck von endloser Getriebenheit entsteht, der noch dadurch verstärkt wird, dass Quadrat II wie auch zuvor Quadrat I ausgeblendet wird, bevor alle Gestalten ihren Durchlauf abgeschlossen haben. Die Schwarzblende ist damit als dramaturgisches Mittel einzustufen, welches dazu dient die Ewigkeit des Geschehens anzudeuten. Durch sie wird der Wechsel auf den zweiten, schwarzweißen, noch reduzierteren und verlangsamten Teil mit einer unbestimmten, in jedem Fall aber als lang empfundenen Zeitspanne, zusätzlich aufgeladen. Diese insgesamt nur dreizehnminütige Spieldauer erscheint dadurch wie eine Ewigkeit. Beckett meinte, Quadrat II sei wie ein Wiedereinblenden nach zehntausend beziehungsweise hunderttausend Jahren.23 Diese Großzügigkeit Becketts bei der Bezifferung

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Für beide Zahlen gibt es Belege: Körte geht basierend auf einem erinnerten Gespräch mit Beckett an Pfingsten 1981 von hunderttausend Jahren aus. Körte 2011, S. 298. Esslin gibt in seinem 1987 erschienenen Aufsatz zehntausend Jahre an. Martin Esslin: Towards the Zero of Language, in: James Acheson, Kateryna Arthur (Hrsg.): Becketts Later Fiction and Drama: Texts for Company, London 1987, S. 44. Enoch Brater wiederum geht

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der (eigentlich nicht bezifferbaren) Ewigkeit lässt sich als ein Hinweis darauf verstehen, dass sich die Gestalten an einem Ort befinden, an dem die Zeit unbedeutend ist oder ihre Bedeutung verloren hat, auch wenn paradoxerweise alles um die Zeit zu kreisen scheint. Was ist das für ein Ort und warum tun sie dort, was sie tun? Und wohin verschwinden sie, wenn sie das Quadrat verlassen und was geschieht mit ihnen, wenn sie von der umliegenden Dunkelheit verschluckt wurden? Fragen, die nicht endgültig beantwortet werden können, jedoch dazu führen, das Geschehen phantastisch aufzuladen. Eine Perzeption, die zusätzlich durch das Medium selbst Beförderung findet. Denn eine grundsätzliche Eigenschaft des Fernsehens ist, selbst wenn die Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung genau beachtet wird, und die Vorgänge sogar als theatermäßig bezeichnet werden können (wie in Quadrat I+II), dass, so Berg, beim »Phänomen Fernsehen niemals ein exakt begrenzter Ort, sondern stets eine Welt der Handlung vorfindlich ist. Denn wie auch immer das visuelle Geschehen gestaltet sein mag, immer ist der Raum, in dem sich das wirkliche oder fiktive Geschehen ereignet, ein Phantasieraum, aufgebaut durch eine Sequenz von Eindrücken und Aspekten.«24 Wenn der Phantasieraum also eine grundsätzlich formalästhetische Eigenschaft des Mediums ist, potenziert sich exponentiell dieser in Quadrat I+II. Durch das Verschwinden der Gestalten in der nicht definierten Schwärze findet der theoretische Phantasieraum des Fernsehens eine inhaltlich konkrete Darstellung; er wird in das Stück integriert – er wird visualisiert. Beckett thematisiert damit ein fundamentales Prinzip des Fernsehens, indem er Quadrat I+II so konstruiert, dass durch den Szenenaufbau die Unendlichkeit des Phantasieraumes Umsetzung findet und damit erfahrbar wird. Der Inhalt spiegelt also die Form. Zu diesen inhaltlich besetzten formalästhetischen Eigenschaften kommt hinzu, dass sich das 4:3 Format des Fernsehbildes selbst in der quadratischen Spielfläche wiederzufinden scheint und damit ein zusätzlicher formaler Bezug hergestellt wird. So trifft für Quadrat I+II das zuvor bereits beschriebene Arbeitsprinzip Becketts (Form als Inhalt – Inhalt als Form, um Dahinterkauerndes sichtbar werden zu lassen) auch hier voll zu.

24

aufgrund einer Aussage von Martin Esslin ebenfalls von hunderttausend Jahren aus. Brater 1987, S. 109. Berg 1969, S. 249. [Meine Herv.]

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8.4

Mathematisches Prinzip im freien Flug oder ›das Dahinterkauernde‹

Das bereits erwähnte Kreisen kann hier auch wörtlich genommen werden: denn die Gestalten kreisen unermüdlich, wie Getriebene um das Zentrum des Quadrats, ohne es betreten zu können. Beckett selbst gab eine Interpretationsmöglichkeit, als er dem Pantomimen Helfried Foron erklärte, dass erst durch das Entziehen der Mitte der Eindruck eines ewigen Um–den–»Abgrund« oder die »Hölle«–kreisen–Müssens entstünde.25 Beckett spielte hier in seiner Erklärung auf die Hölle in Dante Alighieris Divina Commedia an. Dies lässt sich aus den Beschreibungen Knowlsons über Quadrat I+II erschließen, der dieses eine »Dantesque about its imagery«26 nennt und auf Gustave Dorés Bebilderung der Göttlichen Komödie, insbesondere auf die Darstellung von Dante und Vergil in der Hölle verweist. Diese sind, wie später die Gestalten in Quadrat I+II, ebenfalls in bodenlange Mantillen gehüllt. Darüber hinaus gibt es auch eine inhaltliche Parallele, die einen Bezug zu Dantes Höllendichtung nahelegt. Beckett hatte sich bereits zuvor in einigen Arbeiten auf Dantes Commedia bezogen und seinem polnischen Übersetzer Antoni Libera im Hinblick auf das Prosastück Compagny erklärt: »Dante and Vergil in Hell always go to

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Guy Wagner: »Beckett 100 – Gespräch mit Helfried Foron. ›Sam war ein ungemein sensibler Beobachter und Zuhörer‹«, in: Point de mire. Kulturissimo 4, München/Konstanz: Ackermann 2006, S. 6. Knowlson 1997, S. 673.

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the left 27 (the accursed direction), and in Purgatory always to the right«28 . Die Gestalten in Quadrat I+II wenden sich ebenfalls immer nach links. Becketts Hinweisen einmal folgend, ließe sich, da die Gestalten sich also in die ›verfluchte Richtung‹ bewegen, schlussfolgern, dass sie sich in der ›Hölle‹ befinden und diese, wenn auch in minimalistischer Form (wie Dante und Vergil) durchwandern, oder besser abschreiten. Im Gegensatz zur Göttlichen Komödie befindet sich in Quadrat allerdings am tiefsten und engsten Punkt des Raumes nicht Luzifer, sondern eine leere Mitte. Hinzu kommt, dass den Gestalten der Durchgang ins Purgatorium versperrt bleibt. Wohingegen Dante und Vergil ihre Wanderung fortsetzen können, da der Protagonist Dante (oder interpretatorisch gesprochen: seine wandernde Seele) bereits die notwendige Wandlung in Richtung einer inneren Bekehrung und seelischen Heilung durchgemacht hat. Dazu verfügt er über die Hilfe Vergils, der ihn nicht nur durch die Hölle führt, sondern auch auf seinem Rücken ins Purgatorium bringt und ihn bis zum Eingangstor des Paradieses begleitet. Womit Dantes Reise letztlich mit einer richtiggehend fantastischen Erlösung endet. Eine Erlösung, die für die Gestalten in Quadrat I+II aus bereits genannten Gründen auszuschließen ist. Sind sie doch getriebene, namenlose, sprachlose, geschlechts– und gesichtslose Wesen, deren letzte Individualität, welche in ihrer spezifischen Farbe und ihrem Klang ausgedrückt wurde, überdies zusehends erloschen ist. Eigentlich sind sie am Ende, ohne durch ein solches Erlösung zu finden. Sie sind am Ende, ohne beendet zu sein. Damit gleichen

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28

Eine Behauptung Becketts, die sich, anhand des Textes der Göttlichen Komödie als größtenteils richtig herausgestellt hat: so gehen Dante und Vergil nachweislich neunmal links (10. Gesang, Vers 133; 14. Gesang, Vers 126; 18. Gesang, Vers 20; 19. Gesang, Vers 40; 21. Gesang, Vers 136; 23. Gesang, Vers 68; 26. Gesang, Vers 125; 29. Gesang, Vers 53; 31. Gesang, Vers 82) und dreimal rechts (9. Gesang, Vers 132; 17. Gesang, Vers 31; 18. Gesang, Vers 72). Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Illustriert von Gustave Doré. Mit einer kunsthistorischen Einleitung von Anja Grebe. Der Text folgt der Übersetzung von Walter Naumann (Darmstadt 2003). Darmstadt: Lambert Schneider in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) 2010, S. 56, S. 60, S. 74, S. 80, S. 82, S. 92, S. 94, S. 106, S. 112, S. 121. S. B. in einem Brief an Antoni Libera, am 11.12.1980, in: Knowlson 1997, S. 673. [Becketts Herv.] Im frz. Original: »Dante et Virgile aux Enfers prennent toujours à gauche (la direction maudite), au Purgatoire toujours à droite.«; in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 536. [Becketts Herv.]

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sie vielmehr den verlorenen Seelen in Dantes Inferno; wobei sie ganz besondere Ähnlichkeit mit den Figuren aus dem 6. Graben im 8. Höllenkreis haben (Abb. 43).

Abb. 43 Gustave Doré, Dante Alighieris Inferno, 1861 (Ganzseitiger Holzschnitt zu Dante Alighieris Inferno 23. Gesang, Vers 58–109)

Bildquelle: Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Illustriert von Gustave Doré. Mit einer kunsthistorischen Einleitung von Anja Grebe. Der Text folgt der Übersetzung von Walter Naumann, Darmstadt: WBG 2010, S. 98.

Bei diesen handelt es sich um Heuchler, die zur Strafe in vergoldeten Bleimänteln im Kreis einherschreiten müssen, ohne stehen bleiben zu können; niedergedrückt vom Blei auf ihren Schultern: »Dort trafen wir Leute, die angemalt waren; sie gingen im Kreis mit ganz langsamen Schritten, jammernd und in der Haltung müde und gebrochen. Sie trugen Kutten mit Kapuzen bis tief über die Augen herab, von dem Schnitt, wie er in Cluny für die Mönche gemacht wird. Nach außen sind sie vergoldet, so daß es blendet, aber innen ganz Blei und so schwer, daß Friedrich sie aus Stroh tragen ließ. [...] wegen dem Gewicht kamen diese müden Gestalten so langsam voran, daß wir bei jeder Bewegung der Hüfte neue Gesellschaft fanden. «29 29

Alighieri 2010, Die Göttliche Komödie: 23. Gesang, Vers 58–68, S. 94. [Meine Herv.]

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Die Ähnlichkeit findet sich hier in den bodenlangen Kapuzenmänteln und dem beschwerten, nicht zu beendigenden Gang. Die zweilagigen Mäntel sind eine weitere zu verfolgende Spur und bieten eine eigenwillige Parallele zu den vorerst farbigen, dann grauen Mänteln in Quadrat I+II (Abb. 41+42).30 Dass die vergoldete und blendende Schicht der Mäntel in der Commedia vergleichbar ist mit den farbigen Mänteln in Quadrat I, lässt sich einmal durch den Ansatz erschließen, dass die »Leute« in der Göttlichen Komödie »angemalt« sind (was in einer anderen Übersetzung auch als »gefärbte Leute«31 geführt wird) und zum anderen auch dadurch, dass Beckett mit Hilfe der Technik »maximally luminous figures«32 kreieren wollte. Bezieht man nun die doppellagigen Mäntel in der Göttlichen Komödie in die Interpretation von Quadrat I+II ein, führt dies zu dem Schluss, dass sich die Vergoldung im Sinne von Farbigkeit in der Zeit zwischen Quadrat I und Quadrat II abgerieben hat beziehungsweise abgeblättert ist; kurz: entfärbt wurde. Der anfänglichen Geschwindigkeit und den durch die Musik getriebenen und bereits ›fieberhaften‹ Schritten würde mit dieser Lesweise also von Anfang an das ›Blei der Zeit‹ (wenn auch noch von der Farbe verdeckt) innewohnen. Dieses Argument wird zusätzlich unterstützt durch die früher erwähnte Tatsache, dass Beckett die farbigen Mäntel trotz Schwarz–Weiß–Aufnahme durch graue Mäntel ersetzen ließ. So ist über den Bezug zu Dantes Hölle, welchen er selbst angedeutet hat, festzustellen, dass dieser zwar schlüssig erscheint, sich aber trotzdem nicht endgültig bestätigen lässt. Wenn man die Kenntnis der Commedia zugrunde legt, ist es schwer vorstellbar, dass diese Beckett nicht in Teilen inspiriert hätte, einen Zustand der Endlosigkeit und auch Ausweglosigkeit zu bebildern. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit für Quadrat I+II, ohne sich dabei auf Dantes Göttliche Komödie zu beziehen, entwickelt Deleuze, anhand seiner Feinjustierung der Begriffsdefinition von ›Erschöpfung‹.33 Diese Erschöp30

31 32

33

Wahrscheinliche Inspirationsquellen hierfür waren auch Adriaen Brouwers Kapuzentragenden Figuren in die ›Sinnesdarstellungen‹ (zwischen 1625–1638) und Giovanni Girolamo Savoldos ›Maria Magdalenen‹ Darstellungen (alle um 1535) in Berlin und London. Siehe hierzu Kapitel 2. Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Übersetzt von Hermann Gmelin. Anmerkungen von Rudolf Baehr. Nachwort von Manfred Hardt (1951), Stuttgart: Reclam 2013, S. 59. S. B. an Jim [Jim Lewis, Kameramann bei Quadrat I+II] vom 15.05.1981. Historisches Archiv des SDR Stuttgart; SWR, Bestand SDR 29/682. Auch nachzulesen in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 550. Zur Erinnerung: »Der Ermüdete hat nur [die] Verwirklichung [der Möglichkeiten] erschöpft, während der Erschöpfte alles, was möglich ist, erschöpft. Der Ermüdete kann

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fung hält sich nicht nur an Personen beziehungsweise Figuren auf, sondern kann sich auch auf ganze Räume erstrecken. In Quadrat I+II ist Deleuze’ Ansicht nach dabei die Voraussetzung, dass das Fernsehspiel »im Wesentlichen ein Bewegungsritornell ist, bei dem das schleppende Geräusch der Pantoffeln die Begleitmusik ist. […] Die Form des Ritornells ist die Serie, die hier nicht mehr die zu kombinierenden Objekte betrifft, sondern nur die Wege ohne Objekte. […] es geht um die Erschöpfung, die Ausschöpfung des Raums. Es besteht kein Zweifel, dass die Personen ermüden, ihre Schritte werden immer schleppender. […] Den Raum erschöpfen heißt, ihm seine Potentialität entziehen, indem man jedes Zusammentreffen unmöglich macht. Die Körper meiden einander, aber den Mittelpunkt meiden sie absolut.«34 Indem Deleuze das Fernsehspiel zum Bewegungsritornell erklärt und die Pantoffelgeräusche so zur Begleitmusik werden, macht er deutlich, wie entscheidend der Rhythmus hier ist, um neben der Erschöpfung auch so etwas wie Sinn hervorzubringen. Durch den Rhythmus werden überhaupt erst Muster und Abläufe erkennbar und dadurch eine Decodierung, ja Sinnsuche bei den Zusehenden in Gang gesetzt. Dass in Quadrat I+II nicht gesprochen wird, entzieht den Zusehenden zwar vordergründig die Möglichkeit, das Bild über einen gesprochenen Text zu entschlüsseln; jedoch kann genau diese Wortlosigkeit dazu führen, sich ganz auf den Rhythmus und so auf die Bewegung einzulassen. Dabei fällt zum einen auf, dass sich die Gestalten in dem unbezeichneten Raum – der kleinen Schwarzblende zwischen Quadrat I und II – vordergründig verändern. Und zum anderen aber auch, dass sich dabei der Mittelpunkt E zunehmend (durch den dunklen Abrieb der Schuhsohlen auf dem hellen Boden zusätzlich visualisiert) in den Wahrnehmungsmittelpunkt drängt. Folgt man Deleuze’ Aussage, steht der Mittelpunkt vor allem dafür, dass sich die Wege der Gestalten niemals kreuzen und sie sich niemals begegnen können, woraus er schlussfolgert, dass Beckett einen erschöpften Raum darstellt, da diesem Raum die Potentialität entzogen wurde. Es stellt sich hier die Frage, ob die Gestalten bereits als Erschöpfte das Quadrat betreten und somit eine Wechselwirkung bezüglich des Entzugs des Potentials zwischen Raum und Gestalten besteht oder ob tatsächlich das Abschreiten des Quadrats zur primären Erschöpfung des Raumes führt

34

nichts mehr verwirklichen, der Erschöpfte hingegen kann keine Möglichkeiten mehr schaffen.« Deleuze 1996, S. 51. Deleuze 1996, S. 75–78. [Meine Herv.]

8. ZEIT – RAUM

und somit erst in zweiter Konsequenz zur Erschöpfung der Gestalten. Die erste Annahme scheint hier deutlich plausibler, da sich im Erscheinungsbild (von der Entfärbung abgesehen) und Handlungsablauf der Gestalten nichts ändert. Es kann also angenommen werden, dass es sich bei den Gestalten per se um Erschöpfte nach Deleuze’ Definition handelt. Die zwischen Quadrat I und Quadrat II vergangene lange Zeitspanne, versinnbildlicht durch die Schwarzblende, lässt die Gestalten damit keinesfalls in Quadrat II zu Ermüdeten werden. Zwar sind die Bewegungen verlangsamt, die Farben dem Schwarz–Weiß gewichen, nichts desto trotz sind immer noch Erschöpfte zu sehen, die sozusagen einen gewissen Verschleiß oder ›Materialabrieb‹ durchlaufen mussten. Diese Festlegung ist so entscheidend, da sie die Wechselbeziehung zwischen den Gestalten und dem Raum zeigt: Die Gestalten erschaffen den Raum durch ihre Handlungen (oder auch Bewegungs–Akte) und formen diesen, indem sie ihm durch ihre Erschöpfung die Potentialität entziehen. Jedoch wirkt der Raum wiederum auf sie zurück und intensiviert deren Erschöpfung. Diese Wechselwirkung bedingt die fortgesetzte Erschöpfung von Raum und Gestalten. Durch diese Korrelation entsteht gewissermaßen ein dystopisches Perpetuum mobile. Mit dem Resultat, dass die Gestalten in diesem Raum nichts erreichen können, ganz gleich wie viel sie sich bewegen. Ihre Bewegung entspricht dem Stillstand. So gesehen sind sie nur noch die Wege – oder man könnte auch Teilstrecken sagen – die sie zurücklegen. Hierin gleichen sie fliegenden Vektorenpfeilen im Zenonschen Sinne – weshalb sich darüber nachdenken ließe, inwieweit Quadrat I+II mit der Aporie des Zenon von Elea parallelzuführen ist, der zufolge ›der fliegende Pfeil ruht‹. Zenons Paradox ist, wie in Kapitel 4 schon ausgeführt wurde, im Kern kein Paradox der Bewegung. Es ist vielmehr ein Vexierbild, um das Unendliche darzustellen, da das gesamte Denkkonstrukt auf der Prämisse basiert, dass das Ende einer Strecke nur erreicht werden kann, wenn die unendlich vielen Teilstrecken zurückgelegt werden, aus denen eine Strecke besteht. Auf Beckett bezogen ließe sich also sagen, dass er mit Quadrat I+II hierfür ein Bild gefunden hat: Seine Gestalten befinden sich zu unterschiedlichen Zeiten am selben Ort, obwohl sie sich bewegen. Sie sind dadurch sozusagen ruhend in Bewegung. Wie auch bei der Danteschen Lesweise von Quadrat I+II gilt auch für den Deleuze–Ansatz, dass die Gestalten am Ende sind, ohne beendet zu sein. Die Gestalten sind immer nur das Ereignis, welches sie im Jetzt hervorbringen. Sie sind damit nicht nur in einen performativen Prozess involviert, sondern sind auch der performative Prozess. Sie sind Form gleichergestalt wie

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Inhalt. Nur durch die Bewegung, die Abläufe, die sie vollziehen, sind sie überhaupt (noch) da. Die Teilstrecken, die sie dabei zurücklegen, gleichen den Sprachritornellen (zum Beispiel den bereits beschriebenen rotierenden Steinen bei Molloy). Die Bewegung ersetzt hier buchstäblich die Sprache und wird zu einem »performance poem«35 beziehungsweise zu ›televisueller Poesie‹. Beckett schuf mit Quadrat I+II ein Vexierbild; ein »ontologisches Vexierbild«36 , das zwischen den streng vorgegebenen Formalitäten des Spiels und dem sich gleichermaßen eröffnenden unendlichen Raum changiert. Und es wird deutlich, dass es hier darum ging, etwas erfahrbar zu machen, das sich der Wahrnehmung entzieht. In Quadrat I+II entwickelte Beckett mit Hilfe des Fernsehens eine Möglichkeit, die Unendlichkeit des Raumes, wie auch die Ewigkeit der Zeit wahrnehmbar zu machen. Die räumlich und zeitlich analysierbaren (messbaren) Spielabläufe werden zu televisueller Poesie gesteigert und ergeben ein Bild für Raum und Zeit. Das so entstehende bewegte Bild wird im Medium des Bewegtbildes in die Potenz/ins Quadrat erhoben.

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Für Quadrat I+II gilt, was Enoch Brater für Becketts Dramen beschrieb: »reduced to a piece of monologue and the play is on the verge of becoming something else, something that looks suspiciously like a performance poem. […] especially mechanical recording devices, frame the action, advance the plot, and function more like dramatic principals than incidental side effects.« Brater 1987, S. 3. [Meine Herv.] Becker 1998, S. 231.

Schluss

Becketts letzte Arbeit what is the word1 gibt den entscheidenden Hinweis darauf, dass er die von ihm tief angezweifelte, ›durchbohrte‹, bis zur Auflösung untersuchte sprachliche Ausdrucksform nie aufgegeben hat. Aber er stellte sie durchgehend in Frage, wie sich bereits treffend in der Beschreibung einer seiner ersten Romanhelden widerspiegelt: »Yes, the words I heard distinctly, having quite a sensitive ear, were heard a first time, then a second, and often even third, as pure sounds, free of all meaning, and this is probably one of the reasons why conversation was unspeakably painful to me. And the words I uttered myself, and which must nearly always have gone with an effort of the intelligence, were often to me as the buzzing of an insect. And this is perhaps one of the reasons I was so untalkative, I mean this trouble I had in understanding not only what others said to me, but also what I said to them. It is true that in the end, by dint of patience, we made ourselves understood with regard to what, I ask of you, and to what purpose?«2 Aus Molloy spricht hier der Zweifel des Verfassers an der Sinnhaftigkeit der Sprache, der Schrift und im Grunde der generellen Ausdrucksfähigkeit des menschlichen Individuums. Ein Zweifel, den er bereits in seinem Essay Dante...Bruno.Vico..Joyce (1929) erstmals formulierte. Und auch in seiner Abhandlung Proust (1931) spürte er dieser Frage weiter nach, was ihn über das Grundprinzip der Subjekt–Objekt–Korrelation Arthur Schopenhauers3 in Verbindung mit der Prozessontologie Henri Bergsons4 zu seinem ästhetischen Fundament führte: die sukzessive, dynamische Deformation von Subjekt und Ob1 2 3 4

Beckett, Comment dire/what is the word (1988), New York 2012, S. 226–229. Beckett, Molloy (1951), New York/Toronto 1997, S. 53. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Frankfurt am Main 2017, § 1, S. 31. Bergson, Zeit und Freiheit, Hamburg 2012, S. 97.

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jekt.5 Eine gegenseitige Deformation, die es dem Subjekt ermöglicht, introspektiv Ansichten distanziert zu betrachten und damit nicht nur andere(s), sondern auch sich selbst zu objektivieren. George Berkeleys Theorem ›esse est percipi‹6 klingt hier als weiteres ideengebendes Theorem bereits an. Alle drei Theorien verbindet, dass sie sich um Fragen nach der Wahrnehmung gruppieren. Das Problem der Intensität der Wahrnehmung ist dabei, wie Helmar Schramm eruierte, aufs Engste mit Dimensionen des Theatralischen verbunden,7 wie beispielsweise Sprache und Bild, Innen und Außen sowie Raum, Bewegung und Licht. Alles zentrale Komponenten in Becketts Arbeiten, die dieser besonders mittels der technischen Möglichkeiten der jeweiligen Formate umsetzte. Als wichtigste Wahrnehmungsmöglichkeit etablierte er hierfür die Film– oder Fernsehkamera, beziehungsweise auch die Bühnenscheinwerfer, welche als »grausam präzise Kamera«8 die Position des emotional kalten, objektivierenden Auges übernahmen. Um dieses daraus entstandene Gedankenmodell künstlerisch umzusetzen, griff er neben literarischen Analysen auch auf einen visuellen Fundus zurück, der sich aus einem alle Epochen umfassenden Interesse für die Malerei speiste. Mit prägenden Einflüssen einzelner Werke, die bis in sein Spätwerk Spuren hinterließen, wie beispielsweise für seine Fernsehspiele Not I (1976) und Quadrat I+II (1981) nachgewiesen werden konnte. Und so sind es im Grunde Suchbewegungen, die Beckett all die Experimente, beziehungsweise ›crazy inventions‹ durchführen ließ, um ein »inneres Bild«9 sichtbar werden zu lassen. Bereits mithilfe der Bühne entwickelte er hierfür ein eigenes ›Vokabular des Visuellen‹; ein spezifisches Konzept der Reduzierung in Verbindung mit der Rhythmisierung von Bewegung und einer zunehmenden Fokussierung auf Visualität. Ein Arbeitsmodell, das immer

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Zur Erinnerung: »So that whatever the object, our thirst for possession is, by definition, insatiable. At the best, all that is realised in Time (all Time produce), whether in Art or Life, can only be possessed successively, by a series of partial annexations – and never integrally and at once.« Beckett, Proust (1931), New York 1978, S. 6f. Berkeley, A Treatise concerning the Principles of Human Knowledge. Three Dialogues between Hylas and Philonous, London, UK/New York, USA 1998. Vgl. Helmar Schramm: Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts, Berlin: Akademie Verlag 1996, S. 31. Wie es in der deutschen Übersetzung heißt. Beckett, Proust, Zürich/Hamburg 1960, S. 24. Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 161.

Schluss

mehr Wert auf bildliche Repetition sowie zermürbende Wort–Kreisläufe legte, um die Linearität der Erzählung zu Gunsten einer ›erschöpfenden‹, visuellen Fragmentierung aufzulösen. Wie beschrieben wurde, trennte er hierfür beispielsweise in Krapp’s Last Tape (1958) Bild und Tonspur, indem er den Text von einem Gerät durch den Hauptprotagonisten Krapp abspielen ließ. Hierbei eröffnete sich allein durch die Einbindung und genaue Anwendung von bühnentechnischen Angaben die Möglichkeit eben jene Bühnentechnik explizit inhaltlich zu verwenden. Eine Methodik, die sich in dem Fernsehspiel He, Joe (1965) fortsetzte, indem dort anstatt eines Kassettenrekorders die Kamera zum Einsatz kam. Die Hinwendung zum Fernsehen mag, wie in der Einleitung als Frage aufgeworfen wurde, die zwingende künstlerische Entwicklung für Beckett gewesen sein, jedoch stellte sie nicht deren Ende dar. Vielmehr steht diese symptomatisch für einen bildenden Künstler, der seine Suche auf alle ihm zur Verfügung stehenden Formen ausweitete, um sein sich schon früh ausprägendes form–inhaltliches Konzept zu verfolgen. Hierbei fächerte er jede Form in ihre vollen Gattungsspezifika auf und verschränkte diese gleichzeitig miteinander, um dadurch seine ganz eigene ›generische Form‹ zu entwickeln. Er erzielte damit ganz nach der Definition von Maar/Ruda/Völker nicht nur einen »äußerlichen [Bezug] zwischen Form und Bewegung«10 , sondern ein »inneres Verhältnis der Dynamik der Form«11 . Eine generische Form, die besonders in der hier ausführlich beschriebenen Anthologie Beginning to End ein exzeptionelles Beispiel findet; handelt es sich bei dieser um eine Arbeit, die ihre Kraft, schillernde Volatilität und Universalität gerade auch dadurch entfaltet, dass sie sich aus allen Textgattungen zusammensetzt und dazu noch durch alle Formate hindurch dekliniert wurde. Beginning to End steht emblematisch für Becketts nicht lineare künstlerische Entwicklung, der mit ebendieser Haltung das Sinnbild des ›ewig Suchenden‹ abgab, was ihn für das generische Prinzip geradezu prädestinierte. Beginning to End kann als exemplarisches Format für einen bildenden Künstler gesehen werden, der die Repräsentation seiner Werke immer wieder infrage stellte und auf der Suche nach einer Materialität des Bildes war, die seinem zentralen Thema, seiner Vorstellung vom ›Nichts‹ entgegenkam. In Beginning to End ist bereits in der Struktur des Textes der Zerfall der Figur

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Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker 2017, S. 7f. Kirsten Maar/Frank Ruda/Jan Völker 2017, S. 7f.

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angelegt, der für alle Beckettschen Figuren besonders im Zusammenhang mit der Kamera gültig ist: »[Sie zerfallen in] ein Ich, das spricht und eines, das (sich) zuhört; sie zerfallen in ein Ich, das wahrnimmt oder sich der Welt vorstellt und eines, das sich erblickt fühlt (exemplarisch in Film und He, Joe). […] Indem sich die Verborgenheit der Beckettschen Figuren als illusionär entpuppt, wird auch der Ort des Fernsehens unheimlich.«12 Becketts Arbeit ist auch außerhalb des Theaters ein streng komponiertes ›Schau–Spiel‹, bei dem er sein Konzept der Reduktion auf die Form fortführte. Man könnte auch in Artauds Worten sagen, dass sich hier »Drama von hoher geistiger Bedeutung offenbar zusammenballt.«13 Eine Konzentration, die sich vordergründig mit dem räumlichen, zeitlichen, bezifferbaren, dem messbaren Zusammenhang des Spielablaufs beschäftigte, um so einen Prozess in Gang zu bringen, der nicht nur eine Vielzahl von Assoziationsmöglichkeiten eröffnete, sondern auch letztlich das Bild gleichermaßen wie die Sprache auflöste. Beckett setzte die Genres unter Stress,14 schöpfte aus der Reproduktion bereits existierender Arbeiten und reduzierte seine Arbeiten immer mehr. Über den Text Bing, den er am 18. August 1966 fertiggestellt hatte, schrieb er einen Tag später selbstkritisch: »The work has run aground, of course. From the wreckage I’ve rescued a thousand words in pitiable state. All the verbs have died.«15 Dieser Drang zur Reduzierung spiegelte sich auch in seinen Theaterstücken und schließlich in seinen Fernsehspielen wider. Und wie Theodor W. Adorno in seinem Aufsatz Versuch das Endspiel zu verstehen bereits feststellte und dessen Gültigkeit weit über das Endgame hinausreicht, »[werden] die drei Aristotelischen Einheiten gewahrt […], aber dem Drama selbst geht es ans Leben. Mit der Subjektivität, deren Nachspiel das End-

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Lommel 2006, S. 33 + S. 58. Artaud 1996, S. 35. Aufbauend auf Brater 1987, S. 3ff. S. B. an Annette und Jérôme Lindon, am 19.08.1966, in: The Letters of Samuel Beckett, Volume IV: 1966–1989, S. 35.

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spiel ist, wird ihm der Held entzogen; von Freiheit kennt es nur noch den ohnmächtigen und lächerlichen Reflex nichtiger Entschlüsse.«16 Seine Texte wurden immer mehr zu »beschreibenden Bildkonstruktionen«.17 Durch rhythmisiertes ›Nicht–verstummen–Können‹ wurde die Sprache zu einer visuellen Musikalität des Bildes gesteigert. Dafür lässt sich generalisieren, was Gerda Poschmann über Becketts Dramen feststellte: Beckett nutzte generell ›die Form kritisch‹18 und weitete damit den Rezeptionsakt auf »die Artikulation der Signifikanten«19 aus, womit er die ›theatralischen Potentiale in der Zeichenpraxis‹20 der jeweiligen Form beförderte, was ein grundsätzliches »Verständnis des Kunstwerks als Prozeß«21 voraussetzte. Für Becketts Fernsehspiele gilt, was Enoch Brater für dessen Theatervorstellungen beschrieb: »reduced to a piece of monologue and the play is on the verge of becoming something else, something that looks suspiciously like a performance poem. […] especially mechanical recording devices, frame the action, advance the plot, and function more like dramatic principals than incidental side effects.«22 Dass etwas zu sehen ist, steht für sich und ist nicht mit Bedeutung vorprogrammiert. Vielmehr ist das Wahrnehmbare ganz auf die Elemente des Spiels konzentriert: Auf Bewegung und Ruhe, auf Sprechen und Hören, auf Gegenstände und Gesten, auf Helligkeit und Dunkel. Die Arbeit an seinen Teleplays basierte auf der Grundlage, dass sie bis zum Schluss im Medienwechsel von Bühne und Bildschirm entstanden, wobei sich dabei sein »inneres Gesichtsfeld«23 immer mehr am Format des Bildschirms orientierte. Beckett strapazierte in dieser Entwicklung den Bühnenraum zunehmend, bis er diesen schließlich 1976 mit Not I optisch an dessen Grenzlinie führte.

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Adorno 1961, S. 214. Michael Glasmeier: »Das Hören in Becketts Filmen und Prosa«, in: Michaela Giesing/ Gaby Hartel/Carola Veit (Hrsg.): Das Raubauge in der Stadt. Beckett liest Hamburg, Göttingen: Wallstein Verlag 2007, S. 146. Aufbauend auf Poschmann 1997, S. 49. Poschmann 1997, S. 51. Aufbauend auf Poschmann 1997, S. 321. Poschmann 1997, S. 51. Brater 1987, S. 3f. [Meine Herv.] Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 161.

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Das Fernsehen stellte eine Möglichkeit dar, die Entwicklung einer neuen Sprache weiter fortzuführen und so die ersonnenen Bilder in Bewegung zu versetzen, um einen Prozess der Wahrnehmbarkeit in Gang zu bringen. Eine Sprache, die die Entwicklung selbst beinhaltet. Um diesen Prozess sichtbar werden zu lassen, entwickelte Beckett also eine visuelle Sprache; denn nur so konnte er etwas sichtbar machen, das eigentlich außerhalb der Sprache liegt. Vor diesem Hintergrund hielt er das Fernsehen insofern für ein besonders geeignetes Format, da er der Auffassung war mit seiner Hilfe sich ausschließlich über Bilder, Geräusche und Musik ausdrücken zu können, da ihn in diesem Medium die Wortlosigkeit nicht störe.24 Eine Entwicklung die 1981 mit seinem Fernsehspiel Quadrat I+II einen weiteren Höhepunkt erreichte, indem er sein schriftstellerisches Projekt schließlich ohne (akustische) Sprache fortsetzte. Demnach lässt sich durchaus annehmen, dass gerade in seinem Spätwerk die ›Box‹, das schwarze Rechteck exponentiell an Wichtigkeit gewann. Das Rechteck als Ort aller Utopien,25 wurde in Becketts Fernsehspielen zur medialen Spielfläche, wobei wie speziell bei Quadrat I+II durch das ewige Kreisen um den Nullpunkt inhaltlich ein schwarzes Loch in den Bildschirm gerissen wird, das ewige Wiederholungen erzwingt und seine Protagonisten wie auch die Zuschauenden durch seine verstärkte Sogkraft in einen imaginären Abgrund zieht. Folglich schuf Beckett im Zusammenspiel mit Kamera, Licht, Bewegung und Geräusch einen weiteren mentalen Raum, der hier durch die vier in präziser Choreografie schlurfenden Figuren, jene ›selbstbewussten Nichtexistierenden‹, definiert wird. Die Technik übernimmt eine tragende, sinnstiftende Funktion. Das Fernsehen half ihm, jenes Problem, welches er in einer auf Sinn– oder Bedeutungsproduktion ausgerichteten Sprache sah zu umgehen. Indem er das Medium als solches so zentral in seine Arbeiten einbezog, kam er der Arbeitsweise, der seit den 1960er Jahren beständig an Geltung gewinnenden Videokünstler nahe, die sich ebenfalls mit den Möglichkeiten des Fernsehens beschäftigten.

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Zitiert n. Dietmar Kammerer: »Samuel Becketts Fernseharbeiten«, in: Ders.: He, Joe, Quadrat I und II, Nacht und Träume, Geister–Trio … Filme für den SWR, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008, S. 53. Vgl. Michel Foucault: Die Heterotopien/Les hétérotopies. Der utopische Körper/Le corp utopique. Zwei Radiovorträge. Übersetzt von Michael Bischoff, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005.

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Die Reflexionsfläche Fernsehbildschirm wird bei Beckett zum schwarzen ›Quadrat‹, zum »gähnenden Loch«,26 welches Adorno bereits in Endgame »zwischen den montierten Phrasen«27 erblickt und als »das sprachgewordene Achselzucken«28 beschreibt, das es Beckett ermöglicht, den Blick frei zu geben auf »etwas wie Anthropologie«29 Adorno hält seine Formulierung dabei gekonnt in latenter Potenz. Denn würde er sich hier klar für einen anthropologischen Zugriff auf Beckett aussprechen, könnte er der Gefahr einer Unterkomplexität anheimfallen, die sich automatisch durch eine zu kategoriale Zuschreibung gegenüber Becketts Arbeiten ergäbe. Deleuze’ Ansatz in seinem Essay L’épuisé, Becketts Gesamtwerk mittels der Sprachen I–III aufzuklären, ist ein schlüssiges und hilfreiches Konstrukt, welches jedoch wie alle Kategorisierungen einer Grabenziehung zwischen denselben nicht entkommt und in Konsequenz Deleuze letztlich zentrale Arbeiten wie He, Joe marginalisieren lässt.30 Die Schwierigkeit, eine erklärende Formel für Becketts Schaffen zu finden, liegt an dem im künstlerischen Kern Latenten, nur Erahnbaren, sich der Wahrnehmung eigentlich Entziehenden, das seine Arbeiten ausmacht. Er verfolgte dabei ein von Grund auf theatralisches wie auch performatives Modell. Ihn trieb der Wunsch, das ›Dahinterkauernde, sei es etwas oder nichts‹, sichtbar werden zu lassen. Indem der Prozess so zentral ist, kann, wie Colin Gardner dies vorschlägt, von ›televisuellen Ereignissen‹ gesprochen werden, im Sinne von Deleuze’ Ereignisphilosophie, welche das Ereignis über die Ereigniserwartung definiert.31 Die poetische Sprache, die Beckett wählte, um sich von der Schrift und ihren festen Begrifflichkeiten zu befreien, setzte auf die Ereignishaftigkeit des Ereignisses selbst und zielte nicht mehr darauf, ein singuläres Geschehen zu transportieren, sondern vielmehr »eine endliche, aber nicht formalisierbare Menge von Variationen und Modulationen«.32 Beckett schuf so einen Referenzbereich des Unsagbaren, der sich in seinen Ritornell–verfangenen Figu26 27 28 29 30 31

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Adorno 1961, S. 218. Adorno 1961, S. 218. Adorno 1961, S. 218. Adorno 1961, S. 218. Deleuze 1996, S. 84. Deleuze basiert dies auf Leibniz’ Theorie ›Der besten aller möglichen Welten‹. Vgl. Gilles Deleuze: Die Falte. Leibniz und der Barock, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000, S. 30; zit. nach Vogl 2007, S. 74. Vogl 2007, S. 71.

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ren widerspiegelt. Allein nur die Möglichkeit ihres Daseins trägt sie; lässt sie bestehen in der andauernden Schwebe, in der sie sich alle befinden. Umso treffender und zielführender ist Deleuze’ Erschöpfungsbegriff, der die scheinbar sinnlosen Handlungen und Wortschwalle von Becketts Figuren in ihren kargen oder leeren oder aufgelösten Räumen in ein Bezugsfeld mit der zentralen Frage nach der Subjektkonstitution bringt. Oder wie Paul Heinemann es ohne Deleuze beschreibt: »Ihre [Anm. d. Verf.: Becketts Figuren] Körpererfahrung und ihr Erinnerungsvermögen ermöglichen den Figuren die Herausbildung einer gefährdeten Identität, die mit ihrem physischen Verfall und ihrer fortschreitenden Amnesie endgültig zerbricht, ohne daß sie durch die Selbstreflexion des Subjekts zu rekonstruieren wäre. Der in Descartes' Philosophie überwundene Zweifel steht in Becketts Werk am Ende des Entwicklungsganges seiner Anti–Helden.«33 Der einzige Weg aus diesem ›menschlichen Verlies‹ ist die sinnliche Wahrnehmung, die das Außen überhaupt erst ermöglicht, welche aber grundsätzlich störanfällig und subjektiv eingefärbt ist. Eine Befreiung, die nach Heinemann nur durch den ›Akt der künstlerischen Wahrnehmung gelingt‹, wie sich in folgendem Zitat zeigt: »Allein im Akt künstlerischer Wahrnehmung, den Schopenhauer als willenlos und rein beschreibt, gelingt es dem Subjekt, den Zustand innerer Spaltung zu überwinden und direkten Zugang zu der hinter den Erscheinungen befindlichen metaphysischen Wirklichkeit zu erlangen.«34 Es geht Beckett also eigentlich um Facetten der Wahrnehmung und die grundsätzliche Frage, wie sich diese im Individuum bilden, so etwas wie ein Ich konstituieren und wie sich dieses wiederum mit seiner Außenwelt in Verbindung setzen kann. Ein Ich, das sich durch die Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu objektivieren, also sich selbst zu beobachten oder auch unter Zuhilfenahme eigener Erinnerungen oder Erzählungen anderer bildet. Ein Ich, das sich ständig neu bildet und nie dasselbe bleibt. Und so gilt für Becketts Werk, was dieser in Le Monde et le Pantalon formulierte:

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Paul Heinemann: Potenzierte Subjekte – Potenzierte Fiktionen. Ich–Figurationen und ästhetische Konstruktion bei Jean Paul und Samuel Beckett, Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 86. Heinemann 2001, S. 88.

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»Dort gehen einem endlich die Augen auf, im Dunkeln. In dem Dunkel, das kein Hellwerden mehr fürchtet. In dem Dunkel, das Morgenlicht und Mittagstunde und Abendzeit und Nacht eines leeren Himmels, einer stillstehenden Erde ist. In dem Dunkel, das den Geist erhellt. Dort kann der Maler getrost einen Lidschlag wagen.«35 Becketts Figuren sind Erschöpfte, unverbundene Individuen mit ›gefährdeten Identitäten‹, eingeklemmt zwischen gestern und morgen, zwischen vorhin und gleich, beziehungsweise in der Schwarzblende des Jetzt. Folglich kann man abschließend sagen, dass Becketts Arbeit mit dem Fernsehen als eine kühne Metapher36 für den Mensch im Apparat gesehen werden kann. Eine Metapher für das Verschwinden eines ›Wozu‹ und ›Warum‹, hin zum Automatismus – hin zur reinen Funktion. Das Medium Fernsehen wird, indem es Beckett mit seinen erschöpften, verlorenen Gestalten füllt, zur »schwarzen Kiste des nonsense«37 , bei der es »nichts jenseits des Apparats«38 gibt »und jede über ihn hinausgehende, jede ontologische oder ethische Spekulation, das heißt jede Infragestellung der Funktion und des Funktionierens ›metaphysisch‹ geworden [ist] und ihren Sinn verloren [hat].« 39 So erhalten Becketts Teleplays ihre künstlerische Kraft, indem sie immer ihre vollständige Potentialität in der Schwebe halten, was sie im Grunde zu Beispielen für eine ›erschöpfte Form‹ macht: Bis auf Quadrat I alle bewusst in Schwarz–weiß gefilmt beziehungsweise in einer abgestuften Palette von Grautönen; das wenige im Bild Sichtbare dazu maximal gedimmt oder nur kurz aufleuchtend und schon wieder erloschen; die zumeist geschlechtlosen, geisterhaften Gestalten in scheinbar sinnlosen Abläufen und Wiederholungen

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Beckett, Die Welt und die Hose (1945/46), Berlin 2010, S. 162. Im Original: »C’est là qu’on commence enfin à voir, dans le noir. Dans le noir qui ne craint plus aucune aube. Dans le noir qui est aube et midi et soir et nuit d’un ciel vide, d’une terre fixe. Dans le noir qui éclaire l’esprit. C’est là que le peintre peut tranquillement cligner de l’oeil.« Beckett, La Peinture des van Velde ou le Monde et le Pantalon (1945/46), New York 1984, S. 126. Harald Weinrich: »Semantik der kühnen Metapher«, in: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1996, S. 316. Vilém Flusser: Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch 1994, S. 30. Flusser 1994, S. 28. Flusser 1994, S. 28.

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gefangen; die Erzählzeit zerbrochen; ein Narrativ unauffindbar und das wenig Gesprochene nur um das Aufhören und Ende kreisend; der Raum ein ungewisser Unort; stellen sie ihr Publikum bis heute mit ihren zeitlosen Rätseln auf die Probe, sich spiegelnd im Betrachteten – den Kopf auf den Händen.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1, S. 2: Videostandbild aus Samuel Becketts Fernsehspiel Nacht und Träume (1983, Regie: Samuel Beckett), aus: Ders.: He, Joe. Quadrat I und II. Nacht und Träume. Geister–Trio … Filme für den SDR. ©2008 Suhrkamp (DVD). Abb. 2, S. 27: Sandro di Mariano Filipepi, genannt: Botticelli (1445–1510), Thronende Maria mit dem Kind und den beiden Johannes (1485), Foto von Jörg P. Anders, Kat. Nr. 106, aus: Staatliche Museen zu Berlin (SMB): Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke der europäischen Malerei, 3. aktualisierte Auflage, Nicolai: Berlin 2010, S. 335. Abb. 3, S. 28: Masaccio (1401–1428), Die Enthauptung Johannes des Täufers, 1426 (Magazin), SMB, Preußischer Kulturbesitz/Gemäldegalerie, Kat. Nr. 58B, Foto von Jörg P. Anders, aus: Erika Tophoven: Becketts Berlin, Berlin: Nikolai 2005, S. 48. Abb. 4, S. 29: Caravaggios Enthauptung Johannes’ des Täufers (1608), St. John’s Co–Cathedral in Malta, aus: Michelangelo Merisi da Caravaggio/Andrea Pomella: Caravaggio: An Artist Through Images, Rom: ATS Italia Editrice 2005, S. 90. Abb. 5, S. 33: Jan Vermeer van Delft, Briefleserin am offenen Fenster, um 1657, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, aus: Jan Vermeer van Delft: A Young Woman Reading a Letter (um 1657), Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Gemäldegalerie Alte Meister, Foto von Herbert Boswank, in: Karl Schütz: Vermeer. The Complete Works, Directed and produced by Benedict Taschen, Köln: Taschen 2017, S. 57. Abb. 6, S. 35: Adriaen Brouwer, Dorfchirurg (Das Gefühl), (1625–1638), Öl auf Eichenholz, 23,5 x 20,3 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek München, OGKabinett11, Inventarnr. 581; online unter: https://www.sammlung.pinakothek.de/de/bookmark/artwork/Pdxz 0gYQGw; letzter Abruf am 11.12.2019.

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Abb. 7, S. 35: Adriaen Brouwer, Raucherszene (Der Geschmack), (1625–1638), Öl auf Eichenholz, 23,7 x 20,5 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlung, Alte Pinakothek, München Inventarnr. 626; online unter: https://www.sammlu ng.pinakothek.de/de/bookmark/artwork/A0GOMqo7xd; letzter Abruf am 11.12.2019. Abb. 8, S. 35: Adriaen Brouwer, Zwei rauchende Bauern am Kamin (auch bekannt als: der Geruch), (1625 – 1638), Öl auf Eichenholz, 21,4 x 19,1 cm, Alte Pinakothek, München Inventarnr. 2095; online unter: https://www.samml ung.pinakothek.de/de/bookmark/artwork/M0xy0bjj4p; letzter Abruf am 11.12.2019. Abb. 9, S. 36: Giovanni Girolamo Savoldo, Die Venezianerin (um 1535), Öl auf Leinwand, 92 x 73 cm, SMB, Preußischer Kulturbesitz, Berliner Gemäldegalerie, Kat. Nr. 307, Foto von Jörg P. Anders, aus: Erika Tophoven: Becketts Berlin, Berlin: Nikolai 2005, S. 65. Abb. 10, S. 36: Giovanni Girolamo Savoldo, Mary Magdalene (um 1535/40), Öl auf Leinwand, 89,1 x 82,4 cm, London National Gallery, Magazin, Inventarnr. NG 1031, online unter: https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/gio vanni-girolamo-savoldo-mary-magdalene; letzter Abruf am 15.12.2019. © Copyright The National Gallery, London 2020. Abb. 11, S. 36: Giovanni Girolamo Savoldo, Saint Mary Magdalene at the Sepulchre, (1530iger Jahre), Öl auf Leinwand, 92,7 x 79,4 cm, Getty Center, Museum North Pavilion, Gallery N205, Los Angeles/USA, von 1928–1968 im Besitz von Charles Guy Fulke Greville, seventh earl of Warwick; online unter: http://www.getty.edu/art/collection/objects/105912/giovanni-girol amo-savoldo-saint-mary-magdalene-at-the-sepulchre-italian-about-153 0s/; letzter Abruf am 15.12.2019. Abb. 12, S. 113: Jack MacGowran in End of Day 1962, aus: Jordan R. Young: The Beckett Actor. Jack MacGowran, Beginning to End, Beverly Hills: Moonstone Press 1987, S. 79. Abb. 13, S. 131: Archivfoto aus Jack MacGowran in the works of Samuel Beckett (New York, 1970), Die Szene des Fotos ist nicht weiter spezifiziert. The New York Public Library, Billy Rose Theatre Division: Jack MacGowran in the works of Samuel Beckett (1970), The New York Public Library Digital Collections; online unter: http://digitalcollections.nypl.org/items/ba824afe-89ab-d89d-e 040-e00a18066797; letzter Abruf am 08.03.2018. Abb. 14, S. 134: Videostandbild aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson), Timecode: 10:00:05:04 – 10:00:34:10.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 15, S. 137: Videostandbild aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson), Timecode: 10:16:48:07. Abb. 16–18, S. 137: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson), Timecodes: 10:34:25:23 & 10:34:27:19 & 10:34:34:17. Abb. 19–20, S. 138: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson, Timecodes: 10:43:40:00 & 10:44:02:06. Abb. 21–23, S. 139: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson), Timecodes: 10:21:21:08 & 10:22:33:03 & 10:28:56:17. Abb. 24–27, S. 139: Videostandbilder aus Samuel Becketts Beginning to End (RTÉ 1966/2006, Regie: Chloe Gibson), Timecodes: 10:36:00:11 & 10:36:12:18 & 10:36:16:08 & 10:36:59:00. Abb. 28–31, S. 144: Videostandbilder aus Samuel Becketts He, Joe (SDR 1966, Regie: Samuel Beckett), ©Samuel Beckett, online unter: http://www.med iaartnet.org/werke/he-joe/; letzter Abruf am 30.06.2019. Abb. 32–37, S. 149: Videostandbilder aus Samuel Becketts Film (1965), abgedruckt in: Ders.: Film. With an Essay On Directing »Film« By Alan Schneider, New York: Grove Press 1969, S. 25, 32, 42, 43 und S. 49. ©Samuel Beckett. Abb. 38, S. 164: Probenfoto Not I (nominelle Regie: Anthony Page, Mouth: Billie Whitelaw, Royal Court Theatre 1972, London), ©Zoe Dominic, in: Samuel Beckett: Teleplays, hrsg. v. Stan Douglas, Vancouver: Vancouver Art Gallery 1988, S. 25. Abb. 39, S. 169: Videostandbild aus Samuel Becketts Not I (BBC 2 1976, Regie: Tristram Powell), in: Samuel Beckett: Teleplays, hrsg. v. Stan Douglas, Vancouver: Vancouver Art Gallery 1988, S. 47. ©Samuel Beckett Abb. 40, S. 174: Samuel Beckett, Quadrat, 1986 (Stückvorlage), aus: Ders.: Quadrat. Stücke für das Fernsehen. Mit einem Essay von Gilles Deleuze, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S. 9. Abb. 41–42, S. 179: Samuel Beckett, Videostandbild Quadrat I und Videostandbild aus Quadrat II (beide 1981, Regie: Samuel Beckett), Beide aus: Samuel Beckett: He, Joe. Quadrat I und II. Nacht und Träume. Geister–Trio … Filme für den SDR. ©2008 Suhrkamp (DVD). Abb. 43, S. 184: Gustave Doré, Dante Alighieris Inferno, 1861 (Ganzseitiger Holzschnitt zu Dante Alighieris Inferno 23. Gesang, Vers 58–109), aus: Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Illustriert von Gustave Doré. Mit einer

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kunsthistorischen Einleitung von Anja Grebe. Der Text folgt der Übersetzung von Walter Naumann, Darmstadt: WBG 2010, S. 98.

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»Die Welt und die Hose«, in: Michael Glasmeier/Gaby Hartel (Hrsg.): Samuel Beckett. Das Gleiche noch mal anders. Texte zur Bildenden Kunst, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000. Disjecta. Miscellaneous Writings and a Dramatic Fragment. Edited by Ruby Cohn, New York: Grove Press 1984. »Echoe’s Bones«, in: Ders./Seàn Lawlor/John Pilling (Hrsg.): The Collected Poems of Samuel Beckett. A Critical Edition, New York: Grove Press 2012. »Endgame«, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 1986. Endspiel. Fin de partie. Endgame. Deutsche Übertragung von Elmar Tophoven. Französische Originalfassung. Englische Übertragung von Samuel Beckett. Alle drei Fassungen wurden vom Autor und vom Übersetzer für diese Ausgabe durchgesehen und überarbeitet. Der Text folgt dem ersten Band Samuel Beckett Werke, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1974. »Endspiel«, in: Ders.: Endspiel, Das letzte Band, Akt ohne Worte 1 und 2, Glückliche Tage, Spiel. Deutsch von Erika und Elmar Tophoven, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989. »Embers. Aschenglut«. Englisch und deutsch. Deutsche Übertragung von Erika und Elmar Tophoven. Mit einem Nachwort von Heinrich Vormweg, Stuttgart: Philipp Reclam jun. 1970. Film. With an Essay On Directing »Film« By Alan Schneider, New York: Grove Press 1969. »From an Abandoned Work«, in: Ders: The Complete Short Prose, 1929–1989. Edited and with an Introduction and Notes by S. E. Gontarski, New York: Grove Press 1995. »Geer van Velde«, in: London Bulletin, London: London gallery bulletin 2 (Mai 1938). German Diaries [6 notebooks], Beckett International Foundation, University of Reading, nur auf Anfrage vor Ort. »Happy Days«, in: Ders.: The Complete Dramatic Works, London: Faber and Faber 1986. He, Joe, Quadrat I und II, Nacht und Träume, Geister–Trio ... Filme für den SDR, Frankfurt am Main/Berlin: filmedition Suhrkamp 2008. [DVD + Booklet] »Henri Hayden, homme–peintre«, in: Hartmut Engelhardt (Hrsg.): Samuel Beckett, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1984. »Imagination Dead Imagine«, in: Ders.: The Complete Short Prose, 1929 – 1989, Edited and with an Introduction and Notes by S. E. Gontarski, New York: Grove Press 1995.

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Whitelaw, Billie: o.T., Sunday Times, 14.01.1973, zit. n. Knowlson 1997, S. 598. Wilenski, Reginald Howard: An Introduction on Dutch Painting, London: Faber & Gwyer 1929. Winkler, Hartmut: Der filmische Raum und der Zuschauer. ›Apparatus‹ – Semantik – ›Ideology‹. Reihe Siegen 110, Heidelberg: Carl Winter 1992. Worsley, T. C.: »New Arts Theatre, End of Day«, in: The Financial Times, London: Times Newspaper Ltd., 18.10. 1962. Young, Jordan R.: The Beckett Actor. Jack MacGowran, Beginning to End, Beverly Hills: Moonstone Press 1987. Žižek, Slavoj: Die Metastasen des Genießens. Sechs erotisch–politische Versuche, Wien: Passagen 1996. Zima, Peter V.: Theorie des Subjekts: Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne, Tübingen/Basel: Francke 2010. Zurbrugg, Nicholas: Beckett and Proust, Gerrards Cross/Bucks: Smythe 1988.

Bereits publizierter Teil der Dissertation »Dreizehn Minuten Ewigkeit. Samuel Becketts Fernsehspiel Quadrat I+II», in: Klaus Krüger/Christian Hammes/Matthias Weiß (Hrsg.): Kunst/Fernsehen, Paderborn: Wilhelm Fink 2016, S. 93 –112.

Theater- und Tanzwissenschaft Gabriele Klein

Pina Bausch's Dance Theater Company, Artistic Practices and Reception 2020, 440 p., pb., col. ill. 29,99 € (DE), 978-3-8376-5055-6 E-Book: PDF: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5055-0

Gabriele Klein

Pina Bausch und das Tanztheater Die Kunst des Übersetzens 2019, 448 S., Hardcover, Fadenbindung, 71 Farbabbildungen, 28 SW-Abbildungen 34,99 € (DE), 978-3-8376-4928-4 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4928-8

Benjamin Wihstutz, Benjamin Hoesch (Hg.)

Neue Methoden der Theaterwissenschaft 2020, 278 S., kart., Dispersionsbindung, 10 SW-Abbildungen, 5 Farbabbildungen 35,00 € (DE), 978-3-8376-5290-1 E-Book: PDF: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5290-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Theater- und Tanzwissenschaft Manfred Brauneck

Masken – Theater, Kult und Brauchtum Strategien des Verbergens und Zeigens 2020, 136 S., kart., Dispersionsbindung, 11 SW-Abbildungen 28,00 € (DE), 978-3-8376-4795-2 E-Book: PDF: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4795-6

Kathrin Dreckmann, Maren Butte, Elfi Vomberg (Hg.)

Technologien des Performativen Das Theater und seine Techniken 2020, 466 S., kart., Dispersionsbindung, 34 SW-Abbildungen 45,00 € (DE), 978-3-8376-5379-3 E-Book: PDF: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5379-7

Margrit Bischof, Friederike Lampert (Hg.)

Sinn und Sinne im Tanz Perspektiven aus Kunst und Wissenschaft. Jahrbuch TanzForschung 2020 2020, 332 S., kart., Dispersionsbindung, 26 SW-Abbildungen, 12 Farbabbildungen 30,00 € (DE), 978-3-8376-5340-3 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5340-7

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