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German Pages [409] Year 2018
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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte
Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke Reihe B: Darstellungen Band 68
Vandenhoeck & Ruprecht
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Birge-Dorothea Pelz
Revolution auf der Kanzel Politischer Gehalt und theologische Geschichtsdeutung in evangelischen Predigten während der deutschen Vereinigung 1989/90
Vandenhoeck & Ruprecht
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Philipp Pelz
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-0874 ISBN 978-3-666-55793–4
Inhalt Geleitwort
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Vorwort
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Einführung
13
1 2 3 4 5
Vorspann . . . . . . . . Forschungsstand . . . . Quellen und Methoden Begriffsklärung . . . . . Aufbau der Studie . . .
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A Historischer Teil 22 1 Der Weg zur deutschen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.1 Der Weg zur deutschen Einheit mit besonderem Blick auf die Nordbezirke der Deutschen Demokratischen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.2 Die deutsche Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2 Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.1 Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs 68 2.2 Die Pommersche Evangelische Landeskirche (ehemals Greifswalder Evangelische Kirche) . . . . . . . . . . . . 75 2.3 Die Wiedereinweihung des Greifswalder Doms St. Nikolai und die kirchenpolitischen Folgen . . . . . . . . . 82 3 Die kirchliche Situation in der Mecklenburgischen und Greifswalder Landeskirche 1989/90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.1 Die staatliche Kirchenpolitik in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs . . . . . . . . . . . 91 3.2 Die staatliche Kirchenpolitik in der Greifswalder Evangelischen Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3 Das Engagement kirchlicher Mitarbeiter und Laien während der friedlichen Revolution in der Mecklenburgischen und Greifswalder Landeskirche . . . . . . . . . 94 4 Die friedliche Revolution als protestantische Revolution? . . . . 97 5 Die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland nach 1990 . . . . 104
6
Inhalt
B Die Predigten 1 Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten . . . . . . . . . 2.1 Die Adressaten und Prediger . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Evangelische Pfarrer und Politik aus staatlicher Sicht . . 2.3 Die Perikopen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Thematische Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 (Tages-)politische Themen . . . . . . . . . . . 2.4.3 Sozialethische Themen . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Theologische Themen . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung und Vergleich . . . . . . . . . . . . . 3 Auswertung der Friedensgebete . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Liturgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die Fürbitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Adressaten und Prediger . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Perikopen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Thematische Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 (Tages-)politische Themen . . . . . . . . . . . 3.5.3 Sozialethische Themen . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Theologische Themen . . . . . . . . . . . . . 3.6 Zusammenfassender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Vergleich der Ergebnisse zwischen Gemeindegottesdienst- und Friedensgebetspredigten . . . . . . . . . . . 4 1989/90 als befreiendes Sprach- und Heilsereignis . . . . . . . . 4.1 Wozu wurde politisch aufgerufen? . . . . . . . . . . . . 4.2 Wie wurden die politischen Ereignisse theologisch gedeutet? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Gott will die Wende . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Interpretationen der lutherischen ZweiReiche-Lehre in den Predigten . . . . . . . . 4.3 Die Theologie Dietrich Bonhoeffers in Predigten 1989/90 4.4 Befreiung durch Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Wie landeskirchlich geprägt war die friedliche Revolution im Norden der Deutsche Demokratische Republik (DDR) anhand dieser Ergebnisse? . . . . . . . . . .
108 108 112 112 119 121 121 121 125 158 163 180 182 182 183 183 188 190 194 194 194 201 212 216 221 222 223 223 227 227 229 232 235 239
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Inhalt
7
C Gott – Geschichte – Predigt 1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Geschichtlicher Überblick: Heilsgeschichtliche Interpretationen im deutschen Protestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 30-jähriger Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Zeit des deutschen Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Deutsch-Französischer Krieg und Reichsgründung 1870/71 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Erster Weltkrieg: 1914–1918 . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 NS-Zeit: 1933–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Zusammenfassung und Vergleich mit 1989/90 . . . . . . 3 1989/90 in der Retrospektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Erinnerungen an 1989/90 in Predigten und Andachten im Bereich der Nordkirche . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Auswertung der bischöflichen Predigten . . . 3.2.3 Auswertung der Predigten von Gemeindepastoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Auswertung norddeutscher Radioandachten . 3.3 Erinnerungen an 1989/90 in mecklenburgischen und pommerschen Kirchenzeitungen bis 2010 . . . . . . . . 3.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 DDR und friedliche Revolution retrospektiv . 3.3.3 Auswertung von biblischen Auslegungstexten 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D Schlussbetrachtungen 1 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Kirchengeschichte aus Sicht von Pastoren . . . . . . . . 1.2 Eine DDR-Theologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Einheit oder dritter Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 1989: Eine Gebets- und Kerzenrevolution . . . . . . . . 1.5 Erinnerung zugunsten der Täter . . . . . . . . . . . . . 2 Desiderata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Impulse für kirchliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Solidarität mit den Opfern: Kirche bietet Orte zum Reden 3.2 Solidarität mit Andersdenkenden: Kirche mit Anderen . 3.3 Kritische Solidarität: Politik und Kirche . . . . . . . . . 3.4 Solidarische Kirche: Ort der Freiheit, weil Christus befreit
311 311 311 311 312 313 315 316 317 317 317 318 318
248 248 248 249 251 255 262 266 266 267 267 269 280 288 292 292 293 301 308
8
Inhalt
Anhang 1 2
3
4 5 6
7
320 Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen . . . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Wendearchiv der Universität Rostock . . . . . . . . . . 2.2 Privatarchiv Birge-Dorothea Pelz . . . . . . . . . . . . . 2.3 Privatarchiv Irmfried Garbe . . . . . . . . . . . . . . . . Veröffentlichte Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Veröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Veröffentlichte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister / Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Altes Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dokumentenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Fragebogen zur Doktorarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Dietrich Nath: Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis in St.-Marien zu Rostock zu Mk 8,22-26. Rostock, 13.8.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Hinrich Küssner: Ansprache bei der Andacht in der Johanna-Odebrecht-Stiftung in Greifswald zu Mt 25,40. Greifswald, 23.8.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Joachim Puttkammer: Wort zum Alltag im Greifswalder Dom. Greifswald, 24.8.1989 . . . . . . . . . . . . . 7.5 Gottfried Timm: Predigt zu Jes 57,14-19. Röbel, 1.9.1989 7.6 Hans-Georg Haberecht: Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis in St. Nikolai Pasewalk über Mk 2, 23-28. Pasewalk, 8.10.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Joachim Puttkammer: Wort zum Alltag im Greifswalder Dom. Greifswald, 9.10.1989 . . . . . . . . . . . . . 7.8 Joachim Puttkammer: Wort zum Alltag im Greifswalder Dom St. Nikolai. Greifswald, 18.10.1989 . . . . . . . 7.9 Karl-Heinz Sadewasser: Predigt zu Jes 62,6+7.10-12. Penkun, 29./31.10.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.10 Klaus-Dieter Wolter: Predigt am 24. Sonntag nach Trinitatis. Rostock-Biestow, 5.11.1989 . . . . . . . . . . . . 7.11 Roland Springborn: Predigt zu Pred 3,1-14 am 24. Stg. n. Tr. in St. Jakobi Greifswald. Greifswald, 5.11.1989 . . 7.12 Matthias Burkhardt: Lukas 18, 1-8. St.-Johanniskirche Kühlungsborn, 12.11.1989 . . . . . . . . . . . . . . . .
320 322 322 323 329 330 330 340 354 369 373 373 373 374 374
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380 381 382 383 384 385 387
Inhalt 7.13
7.14 7.15 7.16 7.17
7.18 7.19 7.20 7.21 7.22 7.23 7.24 7.25
Dietrich Nath: Predigt am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres in St.-Marien zu Rostock zu Jer 8,4-7. Rostock, 19.11.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traugott Ohse: Predigt am 2. Advent 1989 zu Offb 3,713. Buchholz, 10.12.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . Traugott Ohse: Predigt am 3. Advent 1989 zu Offb 3,16. Petschow, 17.12.1989 . . . . . . . . . . . . . . . . . Winfried Wegener: Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis zu 1. Mose 8,1-12. Neustrelitz, 21.1.1990 . . . . . Carl-Christian Schmidt: Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias 1990 zu 2. Petr. 1,16-19. Bad Doberan, 25.2.1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . P/L/51-65/W: Predigt zu Jak 1,12-18. N.N., 4.3.1990 . Roland Springborn: Predigt zu Jak 1,12-18. St. Jacobi Greifswald, 4.3.1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albrecht von Maltzahn: Predigt zu Joh 13,35 in St. Johannis. Rostock, 4.3.1990 . . . . . . . . . . . . . . . . Albrecht von Maltzahn: Predigt zu Hebräer 13, 12-14 in St. Johannis. Rostock, 1.4.1990 . . . . . . . . . . . . Albrecht von Maltzahn: Predigt zu Jes 40,26-31 in St. Johannis. Rostock, 22.4.1990 . . . . . . . . . . . . . . Winfried Wegener: Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis. Neustrelitz, 1.7.1990 . . . . . . . . . . . . . . . . Carl-Christian Schmidt: Predigt zu Röm 6,14-23. Heiligendamm und Bad Doberan, 5.8.1990 . . . . . . . . Carl-Christian Schmidt: Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis zu 1. Petr. 5,14-24. Kröpelin, 16.9.1990 . . .
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Geleitwort Es liegt mehr als ein Vierteljahrhundert zurück, was Birge-Dorothea Pelz zum Gegenstand ihrer Dissertation gemacht hat und nun einer breiteren Öffentlichkeit mit diesem Buch vorgelegt wird. Mir persönlich allerdings erscheint die Zeitenwende von 1989/90 so nah und von existentieller Bedeutung, daß ich dieses Buch, so wie viele der ernsthaften Arbeiten über die damalige Zeit für ein Element von Sinnstiftung halte, insbesondere für die jüngere Generation. Es ist also nicht nur die Verbundenheit mit meiner Heimatregion, die mich veranlasst, ein Geleitwort für dieses Buch zu schreiben, es ist auch ein Gefühl der Dankbarkeit für die Mühen der Autorin aus dem Quellenfundus so etwas wie ein Gesamtbild entstehen zu lassen. Dabei zeigt sich, dass auch an der mecklenburgisch-pommerschen Peripherie exemplarisch die Widerspruchs-und Debattenlagen zu erheben sind, die damals das ganze Land prägten. Als einer der damaligen Akteure, der seinerzeit jeder Dokumentation abhold war, freue ich mich zudem über die Erschließung bisher nicht bekannter Quellen. Außerdem hat mir die Autorin dabei geholfen, zu verstehen, warum die große Rolle und die Bedeutung der Kirchen im Herbst und Winter 1989/90 nicht zu einer größeren und bleibenden Bedeutung in der Folgezeit geführt hat: als der Sturz des DDR-Regimes erfolgreich beendet war, waren die darauf zentrierten Andachten nicht mehr erforderlich. Die dann offenkundig werdende Vielfalt der Ansichten in einer zunehmend freieren Gesellschaft erlaubte keine weitere, eine Handlungsgemeinschaft evozierende oder sie fördernde Gottesdienstform. Ab 1990 ist es eine neue, von einzelnen Akteuren oder Gruppen geprägte Verkündigung, die die Vielfalt von Meinungen und Kontroversen bei der Errichtung der Demokratie widerspiegelt - ein Weg in demokratische Normalität, der damals jedoch von Manchen als Verlust empfunden wurde. Das aus einem Hauptthema erwachsene aktivierende und beglückende Gemeinschaftsgefühl hatte sich zunehmend verflüchtigt. Für Viele war damit auch vergangen, was Ihnen ein völlig neues Lebensgefühl verschafft hatte, wichtig zu sein, Subjekt zu werden in einer Phase notwendigen Wandels. Mit dem gemeinsamen errungenen Erfolg der Demokratie kommt eine Phase über das Land, in der trotz neu gewonnener Freiheit Etliche wieder von dem ergriffen werden, was sie vor dem Rausch der Befreiung so lange und nachhaltig geprägt hatte: Furcht und Sorge, Gefühle von Kleinheit und Bedeutungslosigkeit. Viele der Freiheitswilligen werden einen langen Weg (die „40 Jahre“?) vor sich haben, weg vom verinnerlichten Habitus der Ohnmächtigen hin zu selbstbewußtem Ja, zu Autonomie und den positiven Möglichkeiten der offenen Gesellschaft. Aber das ist ja schon die Zeit „danach“ Davor ist jene geistig-politisch- geistliche Großwetterlage, die jedem Menschen, der damals aktiv war, unvergeßlich bleiben wird. Der allgegenwärtige Überdruß an der eigenen Ohnmacht braucht neben den wenigen Gruppen erfahrener Dissidenten allüberall Kristallisationspunkte und Zentren für politische Aktionen.
Geleitwort
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Von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren das die christlichen (besonders die evangelischen) Gemeinden, bzw. Gruppen von Christen, um die herum sich breite antidiktatorische Bündnisse bildeten. Es war die ganz und gar erstaunliche Zeit, als aus der staatlich marginalisierten Christenheit das entscheidende movens im Prozeß der Delegitimierung des Systems und der Aktivierung der lange Ohnmächtigen Erwuchs – auch jener, die sich selber nicht im engeren Sinne als Christen sahen. Die hier vorgelegte Arbeit von Birge-Dorothea Pelz erlaubt dem heutigen Leser einen Zugang zu Gedanken-, Gefühls- und Glaubenswelt einer Generation, die in einer kompakten Umbruchsituation um Orientierung ringt. Die dokumentierten Quellen aus den mecklenburgischen und pommerschen Gemeinden werden eingeordnet und bewertet, theologischepolitische und geschichtstheologische Grundeinstellungen werden exemplarisch dargestellt. So entsteht neben dem Erkenntnisgewinn für die Leser so etwas wie ein Erinnerungsmal, das nachfolgenden Generationen in den christlichen Gemeinden wie in der Gesamtgesellschaft von Nutzen sein kann. Joachim Gauck, im September 2017
Vorwort Die vorliegende Studie über Predigten von 1989/1990 aus den drei Nordbezirken der DDR ist eine überarbeitete Fassung meiner im Oktober 2015 von der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommenen Dissertation im Fach Kirchengeschichte. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Harry Oelke für eine Betreuung, die mir viele Gestaltungsfreiräume ließ und die Erstkorrektur der Arbeit. Herrn Prof. Dr. Ulrich Schwab danke ich für die Zweitkorrektur aus praktisch-theologischer Sicht. Herrn Prof. Dr. Klaus Fitschen sei gedankt für wichtige Impulse und das Drittgutachten. Ebenso gab mir Prof. Dr. Andreas Kubik wichtige Anregungen bezüglich einer ostdeutschen Predigtkultur. In langen Gesprächen mit Prof. Dr. Tim Lorentzen, PD Dr. Stefan Dienstbeck, Benedikt Brunner und Dr. Alma Brodersen wurden Ideen entwickelt und verworfen. Den Herausgebern der Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte, insbesondere Prof. Dr. Harry Oelke und Prof. Dr. Siegfried Hermle, danke ich für die Aufnahme des Bandes in die Reihe. Herrn Spill vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht danke ich für seine freundlichen Erinnerungsmails und Hilfe. Ein großer Dank geht an all die fleißigen und kritischen Korrekturleser meiner Dissertation: An Dr. Alma Brodersen und Benedikt Brunner, Katja Huth, Julia Kaltenhäuser, Christiane Pelz und Florentine Grünewald. Ohne meinen Mann Philipp Pelz wäre das ganze Projekt nicht möglich gewesen. Du hast mir bei allen Computerfragen geholfen, meine Dissertation und die Druckfassung gelayoutet und alle Texte gegengelesen. Und vor allem hast du während des Endspurts der Arbeit viele Stunden und Tage auf unsere beiden Kinder aufgepasst. Danke! Sehr dankbar bin ich für die finanzielle Unterstützung durch ein Promotionsstipendium der Nordkirche und ein Stipendium der Wolde-Stiftung München, die es mir erlaubten, die Arbeit zügig fertigzustellen. Schließlich ist das vorliegende Buch nicht nur Ergebnis vieler Stunden Arbeit, sondern im Druck auch kostenintensiv. Der VELKD und der Nordkirche sei für Druckkostenzuschüsse gedankt. Ohne die Pastorinnen und Pastoren der mecklenburgischen und der pommerschen Landeskirchen wäre diese Dissertation nur eine vage Idee geblieben. Ihnen verdanke ich all meine Predigtquellen. Für ihre Hilfe, ihr Vertrauen und ihre Unterstützung möchte ich ihnen danken. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Ihre Predigten und ihr gesellschaftliches Engagement haben mich bewegt und beeindruckt und mich in meinem eigenen Wunsch bestärkt, Pastorin zu werden. Hamburg, im Frühjahr 2017
Einführung 1. Vorspann „Wir bleiben hier. Schliesst euch an.“ Mit diesen Sätzen beschriftete die Künstlerin Elisabeth „Tisa“ von der Schulenburg ihren Anfang Oktober 1989 angefertigten Holzschnitt.1 Dargestellt ist in groben Umrissen eine Menschenmenge, die nach einer Gebetsandacht aus der Rostocker Marienkirche strömt. Damit fasste die Künstlerin schon im Oktober 1989 die grundlegende Aussage der Predigten evangelischer Pastoren in der DDR 1989/1990 treffend zusammen. Die Menschen wurden in den Kirchen aufgerufen, vor Ort zu bleiben und etwas zu bewegen. Gleichzeitig schien der Künstlerin schon zu Beginn der friedlichen Revolution klar gewesen zu sein, in welche Richtung die Bewegung steuerte: Die Menschen gingen in die Kirchen hinein, um gestärkt wieder herauszukommen – und dort draußen, außerhalb der Kirchen, auch zu bleiben.
2. Forschungsstand Das gewählte Thema „Politischer Gehalt und theologische Geschichtsdeutung in evangelischen Predigten während der deutschen Vereinigung 1989/90“ war erstaunlich unbearbeitet. Bisher traten vor allem die als politisch besonders relevant eingestuften Fürbittandachten und Predigten wichtiger Persönlichkeiten aus allen Teilen der DDR2 in den Blick der Forschung.3 Diese Arbeit basiert daher auf einer breit angelegten Quellensammlung mecklenburgischer und pommerscher Predigten von 1989/90 und deren detaillierter inhaltlicher Auswertung samt historischer Einordnung. Gerade weil die meisten Predigten der Öffentlichkeit nicht frei zugänglich sind, liegt der Fokus auf den systematisiert dargestellten Inhalten der Predigten und dem darin nachzuvollziehenden politischen Meinungsbildungsprozess der Prediger. Lediglich Hermann Kandler nutzte eine ähnlich breite Auswahl an Predigten, jedoch unter anderen Gesichtspunkten und als damals selbst agierender Pfarrer.4 Er untersuchte sächsische Predigten von 1989/1990 (sowohl Sonntags-, als auch 1 2 3
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Von der Schulenburg, Holzschnitt. Herrn Pastor i.R. Jens Langer gilt mein herzlicher Dank für die Überlassung dieses Abdrucks. Vgl. Ebert / Haberer / Kraft, Steine mit Beiträgen von Friedrich Schorlemmer und Christian Führer. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung; Bronk, Flug; beschränkte sich auf Gebetsandachten in Wittenberg und untersuchte lediglich den Zeitraum vom 10.10. bis 5.12.1989. Geyer, Nikolaikirche analysierte die Leipziger Friedensgebete aus ritologischer Perspektive. Zudem gibt es zahlreiche Dokumentationen von Fürbittandachten z.B. in Leipzig (Dietrich / Schwabe, Freunde; und Hanisch, Dona); Dresden (Czok, Nikolaikirche); Magdeburg (Dom, Anstiftung). Vgl. Kandler, Rolle.
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Einführung
Fürbittandachtpredigten) unter der Fragestellung, ob das Evangelium verkündet und die Chance zur Mission genutzt wurde. Aus diesem Grund stützt sich meine Arbeit im zweiten Teil vor allem auf Predigten als Primärquellen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Rolle der Kirchen auf dem Weg zur deutschen Einheit. Gemäß dem Grundsatz: „Wer jedoch angemessen von der Kirche in der DDR reden will, darf nicht pauschal reden“5 , geschieht dies im Zuge einer komparativen Lokalstudie für die Evangelische Landeskirche Greifswald (ELKG) und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs (ELLM) im Bereich der ehemaligen drei Nordbezirke der DDR. Denn: „Welchen Anteil die Kirche oder eine christliche Motivation am politischen Protest hatte, ist schwer zu ermitteln und müsste eigentlich für einzelne Ereigniskomplexe, Städte und Gemeinden auch eigens untersucht werden.“6 Dies geschieht im Folgenden bewusst nicht an prominenten Beispielen aus den „Zentren“ der Revolution 1989, Leipzig oder Berlin. Ausgewählt wurden zwei Landeskirchen aus den Bezirken der DDR, die in den Augen der restlichen Republik am längsten „schliefen“.7 Abgesehen von einzelnen revolutionären, christlichen Kreisen, die schon früher und direkter die staatliche Politik kritisierten, gilt generell: Was hier 1989/90 gepredigt wurde, steht stellvertretend für die Predigtkultur in der gesamten DDR. In einer exemplarischen Studie wird eine historische, im wahrsten Sinne des Wortes liminale Ausnahmesituation mittels bisher unerschlossener, weil nicht zugänglicher Quellen untersucht. In einem, seinem Selbstanspruch nach, pseudoreligiösen „belief system“ wie dem Sozialismus in der DDR, verfällt die staatliche Deutungsmacht Ende der 1980er Jahre zusehends. Für kurze Zeit spricht das in den Jahren zuvor oftmals nur müde belächelte Wort Gottes direkt in die aktuelle Zeit hinein und wird von tausenden Menschen gehört. Eine religiöse Erweckung? Nach wenigen Monaten waren die Kirchen wieder so leer wie zuvor, das befreiende, Mauern niederreißende Wort Gottes kehrte in seine binnenkirchliche Nische zurück. Ziel der Dissertation ist es, an Beispielen von Sonntags- und Fürbittandachtspredigten zu zeigen, welche Rolle die evangelische Kirche hier konkret während der friedlichen Revolution 1989/90 einnahm. Inwiefern können kirchenpolitisch bedingte Unterschiede zwischen den Landeskirchen festgestellt werden? Wie wird Gottes Macht in der unmittelbar erlebten Geschichte gedeutet? In welchem Verhältnis standen Alltagsbezüge und biblisches Wort in der Verkündigung? Wofür wurde gebetet? Wer sprach mit welchem theologiepolitischen Anspruch wie von Gottes Wirken? Wie wurden politische Ereignisse theologisch interpretiert? Welche politischen Schlussforderungen wurden daraus gezogen? Zu welchem ethischen Handeln aufgerufen? Was für einer Sprache bedienten sich die Prediger? Und wie wurden die rasanten Ereignisse retrospektiv beurteilt und dem eigenen Glauben inhäriert? 5 6 7
Meckel, Aufbrüche, 44. Fitschen, Kerzen, 106f. Vgl. den Buchtitel von Probst, Norden.
Forschungsstand
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Die Arbeit bleibt jedoch nicht im rein historischen Betrachten stehen. Ziel ist es, das Ereignis der friedlichen Revolution auf seine Bedeutung hin für die evangelische Kirche heute zu untersuchen. Welche kirchliche politische Macht wird dank der vollen Kirchen 1989/90 bis heute postuliert? Welche Rolle spielt das Wendejahr in der Identität der evangelischen Kirchen in Norddeutschland seit 1990? Dies wird anhand von Predigten, norddeutschen Radioandachten und geistlichen Impulsen in den Kirchenzeitungen der beiden Landeskirchen im Zeitraum 1990 bis 2010 analysiert unter folgenden Aspekten: Welche Rolle nehmen die Ereignisse von 1989/90 in den Predigten ein? Kann von einer identitätsstiftenden Funktion gesprochen werden? Wird die Nachwendegeschichte ebenfalls heilsgeschichtlich interpretiert? Mit Blick auf die Pfingsten 2012 neu gegründete Evangelische Kirche im Norden verfolgt die Arbeit das Anliegen, zum gegenseitigen Verständnis der nun zusammenwachsenden Kirchen samt ihren Traditionen beizutragen mit besonderem Blick auf die jüngste Vergangenheit. Dies kann dabei helfen, die gegenwärtige Situation in den Gemeinden und damit die Herausforderungen einer Ost und West verbindenden Landeskirche besser zu verstehen, etwa im Blick auf die Frage, wie die friedliche Revolution bis heute in kirchlichen Texten nachwirkt. Als Forschung an der Schnittstelle zwischen Zeitgeschichte und Praktischer Theologie leistet die Arbeit daher wichtige Beiträge in mehrfacher Hinsicht bei eindeutiger Vorrangstellung des historischen Zuganges. Die Predigten werden somit nicht unter dem Anspruch homiletischer Theorien oder systematischer Kriterien und der Frage der Zulässigkeit und Wirkung politischer und sozialethischer Inhalte untersucht.8 Anhand eines intensiven Eindruckes der Predigtpraxis im Norden der DDR 1989/90 entsteht pars pro toto ein Bild von der Predigtlandschaft dieser Zeit in der DDR: Von den Hoffnungen, Träumen und Ängsten der Predigerinnen und Prediger und ihrem theologisch-verantworteten Umgang damit. Damit nimmt diese Arbeit einen innerhalb der zeitgeschichtlichen Forschung ungewöhnlichen Blick auf die Vergangenheit ein. Kirchengeschichte wird hier primär quellenbasiert aus der Sicht jener geschrieben, die für Gemeinde und Bevölkerung wie niemand sonst „Kirche“ repräsentieren: Die Pastorinnen und Pastoren. So werden zum einen bisher unbekannte, wertvolle zeitgeschichtliche Quellen erschlossen. Dadurch ist es möglich, den performativen Akt damaliger Predigten nachzuvollziehen, mitunter auch mit Hilfe der damaligen Akteure und ihrer heutigen Erinnerungen. Zum zweiten wird das Verhältnis von Geschichte und Heilsgeschichte in Predigten untersucht, in historischen Bezug zu Beispielen aus der protestantischen Predigtgeschichte gesetzt und schließlich auf seine aktuelle Wirkmächtigkeit hin befragt. Abschließend verspricht die Arbeit Impulse zur Debatte über die Berechtigung politischer Predigt heute. 8
Vgl. als Homiletikstudie zur „Politischen Predigt“ in der BRD (Burbach, Argumentation) und zum systematisch-theologischen Zugang zu einzelnen Predigtbeispielen aus dem Herbst 1989 (Fritz, Ethos).
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Einführung
3. Quellen und Methoden Im Zentrum der Dissertation steht die umfangreiche Auswertung von 346 Sonntagspredigten von 35 Pastoren (19 Pommern und 16 Mecklenburgern) aus den Jahren 1989/90 in den beiden nordostdeutschen Landeskirchen ELLM und ELKG (später PEK). Daneben wurden 48 in Friedensgottesdiensten in den mecklenburgischen Städten Rostock, Bad Doberan und Neubrandenburg, sowie aus den pommerschen Städten Greifswald und Anklam gehaltene Kanzelreden zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1990 untersucht.9 Aufgrund fehlender Predigtsammlungen aus beiden Landeskirchen kam der Quellensuche eine besondere Bedeutung zu. Für beide Landeskirchen gibt es keine größeren Publikationen der Predigten von 1989/90. Aus Pommern veröffentlichten die Pastoren Reinhard Glöckner10 und Wilfried Engemann11 ausgewählte Kanzelreden aus der Wendezeit, aus Mecklenburg Paul-Friedrich Martins12 . Der Nachlass von Pfarrer Reinhard Glöckner befindet sich im Stadtarchiv Greifswald und wurde dort durchgesehen, er enthält neun Predigten und Fürbittgebete zwischen 1982 und 1990. Die Rostocker Gebetsandachten sind im Wendearchiv der Universität Rostock zu finden. Da also kaum Predigten in veröffentlichter Form vorlagen, war die freiwillige Kooperation der Pastoren vonnöten. Entsprechend aufwendig gestaltete sich die Suche nach Sonntagspredigten. Viele Pastoren fürchteten, in so kleinen Landeskirchen wie der ELLM und der PEK seien anonyme Auswertungen von Predigten gar nicht möglich, andere meinten, Nachgeborene könnten die Situation und die Predigten von 1989/90 nicht richtig nachvollziehen. Ein von Zeitzeugen gegenüber Zeithistorikern häufig vorgebrachter Einwand, der jedoch methodisch nicht stand hält.13 Viele Absagen wurden mit fehlendem Material begründet: Vor allem ältere Pastoren haben ihre Predigten oftmals vor dem Umzug ins Altenheim weggeworfen. Andere erklärten, nur mit Stichpunkten frei gepredigt zu haben. Dieses Phänomen gilt vor allem für die extrem schnelllebige Zeit des Herbstes 1989, da vielen Pastoren angesichts ihrer gesellschaftlichen Aufgaben schlicht die Zeit für eine ausformulierte Predigt fehlte. Vereinzelt wurde theologisch argumentiert, eine Predigt habe ihren konkreten Ort im Gottesdienst, jegliche spätere Lektüre entreiße sie somit ihres Zusammenhanges, „alte Gäule“ solle man nicht mehr hervorholen. Insgesamt kamen knapp ein Viertel der angefragten Pastoren der Bitte nach Predigten nach. Eine Einschränkung stellt diese erwähnte Auswahl der Predigten dar. Die hier untersuchten 394 Predigten bilden keineswegs das gesamte Spektrum der Predigtkultur in Mecklenburg und Vorpommern 1989/90 ab, sondern sind vor allem 9
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Staatliche Akten bzw. Unterlagen des MfS wurden nicht eigenständig bearbeitet, da die vorhandenen Forschungsarbeiten (siehe die ersten Fußnoten Abschnitt 1.1 zu den drei Nordbezirken der DDR) diese für den kirchlichen Bereich und die oppositionellen Bewegungen relevanten Quellen größtenteils aufgearbeitet haben. Vgl. Glöckner, Vertrauen. Vgl. Engemann, Verdummung. Vgl. Martins, Texte. Vgl. Möller, Erinnerung, 10.
Quellen und Methoden
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ein Spiegel der politisch aktiven Prediger. Methodisch lässt sich dieses Problem nicht gänzlich auflösen. Bei der Bitte um Predigten wurde aber ausdrücklich betont, dass alle Predigten anonym ausgewertet werden. Nachdem alle Pastoren, die Predigten beisteuerten, meine Dissertation gelesen haben, erklärten sich viele damit einverstanden, im vorliegenden Buch namentlich genannt zu werden. Die Predigten aus den Friedensgebeten wurden hingegen nicht anonymisiert. Dies liegt zum einen an der Freizugänglichkeit der Rostocker Andachten für die Öffentlichkeit im Wendearchiv Rostock und der veröffentlichten Neubrandenburger Predigten14 . Zum anderen richteten sich diese Predigten 1989/90 ganz explizit an eine größere, kirchenübergreifende Zuhörerschaft und schufen damit eine neue Dimension der Öffentlichkeit von Andachten. Sie wurden nicht nur von vielen Menschen gehört, sondern waren auch Gegenstand der medialen Berichterstattung in Lokalzeitungen.15 Anhand zeitlich (1989–1990) und lokal (ELLM und ELKG) eingegrenzter Beispiele werden die mannigfachen Beziehungen zwischen DDR-Staat, Kirche und Predigt exemplarisch aufgezeigt. Solch eine lokale Begrenzung erlaubt es, auf die spezifischen örtlichen Eigentümlichkeiten und Details einzugehen und das je eigene „Tempo“ der Revolution an einigen Orten zu berücksichtigen. Ebenso ist jedoch zu beachten, dass grundsätzlich im untersuchten Zeitraum in der gesamten DDR ähnlich gepredigt wurde. Letzteres ist einerseits den 394 untersuchten Predigten zu entnehmen, die zwar quantitativ nur etwa 1% der gehaltenen Predigten 1989/90 in ELLM und ELKG (PEK) entsprechen16 , qualitativ aber aufgrund der sich wiederholenden Aussagen in den Predigten, sowie im Vergleich mit früheren Forschungsarbeiten über Predigten zur Wendezeit17 und mit veröffentlichten Kanzelreden18 große Gemeinsamkeiten aufweisen. Es ist daher begründet, davon auszugehen, dass die ausgewerteten Texte die Art und Weise politischer Zeitpredigt 1989/90 repräsentativ widerspiegeln. Zwischen der Greifswalder und Mecklenburgischen Landeskirche gab es im Umgang von Staat und Kirche kirchenpolitisch gewichtige Unterschiede, die differenziert betrachtet wurden.19 Dies geschah unter der Primärannahme, dass die Auseinandersetzung mit den politischen Fragestellungen der Zeit vornehmlich in lokal organisierten, oft kirchennahen Kreisen stattfand, deren Ergebnisse sich wiederum in den „normalen“ Predigten niederschlagen, da viele Pastoren, andere kirchliche Mitarbeiter und christlich geprägte Laien auch in den Bürgerbewegungen aktiv waren. Im Ergebnis ergab die Predigtanalyse jedoch, dass die Kirchenpolitik der je eigenen Theologie und Lebenserfahrung des Predigers nachgeordnet ist und sich kaum in Predigten verifizieren lässt. 14 15 16 17 18 19
Vgl. Heydenreich, Geschichte. Vgl. z.B. Schmidt, Friedensgebet am 25.10.1989, 3; Schumacher, Hälse; Gauck, Friedensgebet am 1.11.1989. Diese Zahl ergibt sich, wenn man davon ausgeht, dass jeder der rund 400 Pastoren der beiden Landeskirchen an mindestens 50 Sonntagen im Jahr predigte. Kandler, Rolle; Bronk, Flug; Geyer, Nikolaikirche. Z.B. Hanisch, Dona; Schorlemmer, Umsonst; Ebert / Haberer / Kraft, Steine. Vgl. Abschnitt A.2.
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Predigten als Quellen bieten besondere Möglichkeiten. Sie benennen zum Einen, indem sie die Lebenswirklichkeit der Hörer zum Thema machen, tagespolitisch aktuelle Probleme. Zum Anderen rücken sie diese Ereignisse immer ins Licht der christlichen Verkündigung, benennen also nicht nur, sondern versprachlichen die Lage der Hörer religiös und bieten somit eine „kulturhermeneutische Interpretation des situativen Elements“20 . Damit erleichtern sie Kirchenhistorikern das Verständnis dafür, wie die damalige Situation erlebt wurde, weil mindestens eine zeitgenössische Deutung, nämlich die des Predigers bzw. der Vorbereitungsgruppe, immer schon mitgeliefert wird. Neben den Predigten wurden Zeitzeugeninterviews aus der Literatur21 und eigens erstellte Fragebögen22 für die Pastoren hinzugezogen. Fünf Pastoren erklärten sich zu ausführlichen Interviews (1-4 Zeitstunden) bereit. Diese Zeitzeugnisse können zwar nicht den Blick in Geschichtsbücher und Chroniken ersetzen, da sie Erlebnisse und mitnichten Gesamtzusammenhänge schildern, sind aber als Teil des geschichtlichen Begreifens nützlich, um die Predigten heute, nach über 25 Jahren, besser verstehen zu können. Sie leisten aus der Sicht der Protagonisten dasselbe wie der Forscher: Sie interpretieren die Geschichte nachträglich aus dem gegenwärtigen Bewusstsein heraus. Für die abschließende Wirkungsgeschichte der Deutungen von 1989/90 im letzten Kapitel wurden die Jahrgänge 1989-2010 der mecklenburgischen und pommerschen Kirchenzeitungen gesichtet und über 300 Artikel ausgewertet, darunter 74 biblische Impulse. Daneben konnten zwölf Radioandachten von NDR Radio Kultur, N-Joy-Radio und NDR 2 und 30 im Internet frei zugängliche Predigten der Nordkirchen-Bischöfinnen und Bischöfe und von Gemeindepastoren aus dem Bereich der Nordkirche analysiert werden.
4. Begriffsklärung Die vorliegende Arbeit ist voll klärungsbedürftiger Begriffe: Dies ist eine nicht zu vermeidende Tatsache, kann doch von einem Konsens in der Bewertung der jüngsten deutschen Vergangenheit, der deutschen Einheit, noch keine Rede sein. Der Begriff „Wiedervereinigung“ wird in der Arbeit vermieden, da der 1990 entstandene deutsche Staat in diesen Grenzen nie zuvor als Nationalstaat bestand. Stattdessen wird von „deutscher Einheit“ oder „Vereinigung“ gesprochen. Schon die Frage nach einem treffenden Namen für die der deutschen Einheit vorangegangenen Ereignisse zwischen Frühjahr 1989 und November 1990 wirft Probleme auf. Begriffe wie „Wende“, „Umbruch“ oder „Zusammenbruch“ werden oftmals synonym verwendet. Sie alle haben ihre Berechtigung, da jedes der Worte einen bestimmten Aspekt hervorhebt, ohne der gesamten Kette von Ursa20 21 22
Kubik, Situation, 107. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung; Probst, Norden; Rosbach / Baerens, Land; Mellies / Möller, Greifswald; Findeis / Pollack, Selbstbewahrung; Finger, Opposition. Vgl. deren Auswertung Abschnitt 2.1. Eine Fragebogenvorlage ist in Abb. F.1 abgedruckt.
Begriffsklärung
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chen Rechnung tragen zu können. Das Wort „Wende“ bietet sich als offener Begriff für den Gesamtvorgang durchaus an, wurde aber von Egon Krenz mit DDRsystemimmanenter Absicht (Korrektur der Politik als Hinwendung zum Bürgerdialog statt grundlegender Erneuerung) geprägt23 und ist zudem durch den Regierungswechsel in der Bundesrepublik 1982 historisch belegt.24 Vom „Umbruch“ zu sprechen wird den großen Veränderungen nicht gerecht, „Zusammenbruch“ betont besonders das in sich marode System der DDR, blendet jedoch den wichtigen Anstoß durch die Bürgerbewegungen einerseits und die sich verändernden Machtkonstellationen im Ostblock aus. Auch das im Folgenden häufig verwendete Wort „Revolution“ ist zunächst tendenziös, lenkt es doch das Augenmerk auf die Bedeutung der Opposition und Bürgerbewegungen und verleitet dazu, die Schwäche des DDR-Regimes und den vorangehenden Zerfall der Sowjetunion auszublenden. Peter Maser lehnt es ab, im Zusammenhang mit 1989 von einer Revolution zu sprechen, weil der Umbruch nicht „revolutionär [...] gemeint“25 war. Spricht man jedoch von Revolution wertfrei als „fundamentaler Veränderung der bestehenden politischen und sozialen Ordnung […], als Umwälzung“26 , bei der nicht unbedingt „Blut geflossen sein muss“27 , die aber langfristig „zu einem Wechsel von Verfassung, politischem System und gesellschaftlichen Strukturen führt“28 , unabhängig davon, ob dies ursprünglich intendiert war, dann gilt dies uneingeschränkt für das Ende der DDR, das in der deutschen Einheit mündete. Und sogar im leninschen Sinne ist der Begriff zutreffend: „Wenn die Beherrschten nicht mehr wollen und die Herrschenden nicht mehr können, dann, so Lenin, ist eine revolutionäre Situation da. Genau das aber war die Lage in der DDR in diesem Spätherbst des Jahres 1989“29 . Es darf also durchaus von einer zwar nicht gänzlich gewaltfreien Revolution gesprochen werden, weil bis zum 9. Oktober 1989 Polizisten brutal gegen Demonstranten vorgingen. Als „friedlich“ gilt sie in zweierlei Hinsicht: Die Bürger wendeten keine physische Gewalt an.30 Und es waren keine Todesopfer im Zuge von Demonstrationen und Stasibesetzungen31 zu beklagen. Dies riss Detlef Pollack 1990 zu der Bewertung hin, nicht die Kirchen zeichneten für den friedlichen Charakter der Revolution verantwortlich, sondern die staatliche, auf Gewalt verzichtende Seite. Erst infolgedessen konnte Kirche „mit den ihr eigenen Mitteln, dem Wort, öffentlich wirksam werden.“32 Damit stellt Pollack die Ereignisse auf den Kopf. Er 23 24 25 26 27 28 29 30
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Vgl. Buchsteiner, Wende, 33. Vgl. Rödder, Deutschland, 116. Maser, Protestanten, 74. Rödder, Deutschland, 117. Schröder, Irrtümer, 82. Rödder, Deutschland, 117. Thörmer, Staat, 186. Gegen Sascha Kowalczuks Kritik an der Rede von der „friedlichen Revolution“ betont Manfred Agethen die würdigende Funktion des Begriffs als „Respekt vor der großartigen Leistung der DDR-Bürger“ (Agethen, Jahre, 270). Im deutschen Sprachgebrauch hat sich „Stasi“ gegenüber der offiziellen Bezeichnung MfS durchgesetzt. In dieser Arbeit werden beide Begriffe synonym verwendet. Pollack, Religion, 241.
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sucht die Ursachen für die relative Gewaltlosigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte ausschließlich in der außenpolitischen Großwetterlage. Dass die erste friedlich verlaufende Großdemonstration der 70.000 Bürger in Leipzig ohne Zusammenstöße verlief, muss stattdessen als Kapitulation des Staates vor den Woche um Woche, ungeachtet aller vorherigen Polizeigewalt samt „Zuführungen“, mehr werdenden Demonstranten gesehen werden. Die Menschen ließen sich nicht mehr einschüchtern. Dass der friedliche Verlauf allein den Kirchen zu verdanken ist, ist jedoch ebenfalls eine fromme und gern gehegte Legende,33 da oft ein Zehnfaches an Friedensgebetsbesuchern nach den Gottesdiensten demonstrierte. Nur ein Bruchteil der Demonstranten hatte demnach zuvor die beschwichtigenden Formeln in Predigt und Gebet vernommen. Für eine Revolution ist die absolute Gewaltfreiheit ihrer Revolutionäre ein solchermaßen ungewöhnliches Ergebnis in der deutschen Geschichte, dass das Adjektiv „friedlich“ die ostdeutsche Revolution in ihrer Besonderheit treffend kennzeichnet. Und auch die zeitweilige Überschätzung der eigenen Leistung motivierte. Wenn beispielsweise der Rücktritt Honeckers als Folge der Massendemonstrationen interpretiert wurde, entwickelte sich eine Eigendynamik, die das Selbstvertrauen der Protestierenden stärkte und den Druck auf die Regierung erhöhte.34 Bis heute überwiegt in kirchlichen Kreisen daher die Überzeugung, es handele sich um eine protestantische, gar göttlich gewirkte Revolution. Diesen Überlegungen trägt der gewählte Titel „Revolution auf der Kanzel. Politischer Gehalt und theologische Geschichtsdeutung in evangelischen Predigten während der deutschen Vereinigung 1989/90“ Rechnung. Die ostdeutsche Revolution 1989 war friedlich, ihre Ziele wurden zunächst in kirchlichen Räumen und von Kanzeln aus verkündet. Und sie mündete in einem Prozess der nationalen Vereinigung, die formal am 3. Oktober 1990 ihren Abschluss fand, mental jedoch weiterhin gesellschaftlicher Auftrag bleibt.35
5. Aufbau der Studie Die vorliegende Arbeit besteht im Hauptkorpus aus drei Teilen, umrahmt von einem einleitenden Methodenkapitel und thesenartigen Schlaglichtern am Schluss. Zunächst erfolgt eine historische Verortung des untersuchten Zeitraumes unter besonderer Berücksichtigung der für die drei DDR-Nordbezirke relevanten Ereignisse. Neben der staatlichen Kirchenpolitik kommt vor allem die Geschichte der ELLM und ELKG (PEK) in den Blick mit einem Schwerpunkt auf der Zeit zwischen 1945 und 1990. Kurz wird zudem auf die Situation der evangelischen Kirchen in Ostdeutschland nach Mauerfall und deutscher Einheit eingegangen als Hintergrundinformation für die im dritten Komplex dargestellte Wirkungsgeschichte des Herbstes 1989. Der Sinn des ausführlichen historischen Überblicks 33 34 35
Vgl. den Rückblick auf 1989 Abschnitt C.3. Vgl. Pollack, Umbruch, 68. Vgl. Abschnitt C.3.
Aufbau der Studie
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besteht zum einen darin, die wichtigsten Erkenntnisse aus Sekundärliteratur und Quellen übersichtlich zu bündeln und dabei die Verquickung von weltpolitischen, DDR-weiten, lokalen und individuellen Entscheidungen in den beiden nordostdeutschen Landeskirchen zu demonstrieren. Zum anderen bietet dieses Kapitel den lokalgeschichtlichen Hintergrund für die im zweiten großen Hauptteil folgende Predigtanalyse. Die umfangreiche Auswertung der 346 Sonntagspredigten und 48 in Friedensgottesdiensten gehaltenen Kanzelreden bildet das Herzstück der Dissertation. Sonntags- und Friedensgottesdienstpredigten werden aus formal-äußerlichen Gründen zunächst getrennt voneinander untersucht und abschließend einem formalen und inhaltlichen Vergleich unterzogen. Die Gesamtauswertung erfolgt gemeinsam mit Hinblick auf drei zentrale Fragen: Was wurde politisch gepredigt? Wie wurden die Ereignisse theologisch gedeutet? Wie kirchlich war die friedliche Revolution im Norden der DDR? Gegen den gern vorgebrachten Vorwurf, Zeitpredigten seien theologisch meist schwach fundiert, werden die Predigten anhand des Einflusses von Dietrich Bonhoeffers Theologie und der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre theologisch verortet. Der dritte Hauptteil widmet sich der großen Aufgabe einer historischen Einordnung des Hauptergebnisses der untersuchten Predigten. Gott lenkt die Weltgeschichte und benutzt dazu Menschen, lautete der Grundimpetus 1989/90. Um dieses durchaus ambivalente theologische Deutungsmuster nicht gründlich fehlzuinterpretieren, bedarf es des Blickes in zwei Richtungen. Rückwärts, um zu verstehen, in welcher Weise Protestanten vor 1989 vom geschichtswirksamen Gott sprachen. Und vorwärts, um die Wirkungsgeschichte der 1989 als Heilsgeschichte erlebten Ereignisse nachzuvollziehen. Nur so wird deutlich, dass nicht jede Rede von Gottes weltlichem Handeln „nach Auschwitz“ unverantwortlich sein muss und eine solche sich dennoch stets kritische Rückfragen gefallen lassen muss. Die wichtigsten Ergebnisse werden schließlich in Thesen gebündelt. Sie präsentieren Arbeitserkenntnisse und regen zum weiteren Nachdenken an, um damit das Wichtigste im Umgang mit Geschichte zu fördern: Den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs.
A. Historischer Teil 1. Der Weg zur deutschen Einheit 1.1 Der Weg zur deutschen Einheit mit besonderem Blick auf die Nordbezirke der Deutschen Demokratischen Republik Ein detailliertes Wissen über den Verlauf der Revolution im Herbst 1989 in den drei Nordbezirken der DDR ist nicht allgemein vorauszusetzen. Da ein solches für die historische Einordnung und das Verständnis der analysierten Predigten notwendig ist, werden an dieser Stelle die wichtigsten Forschungsergebnisse überblicksartig zusammengetragen und bewertet. Ergänzt wurden die Informationen aus der einschlägigen Literatur1 durch unveröffentlichtes Quellenmaterial.2 Das Selbstverständnis der DDR „Wenn der Tag kommt an dem die Arbeiterklasse mit der sozialistischen Umgestaltung der Bundesrepublik beginnt, dann wird sich die Frage der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in einem völlig neuen Licht zeigen. Es sollte in unseren Köpfen keinen Zweifel geben, […] wie unsere Entscheidung dann aussehen wird.“3 So sprach Erich Honecker, Staatsratsvorsitzender der DDR und Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) 1982 im Interview mit dem britischen Verleger Robert Maxwell. Aus damaliger Perspektive war nicht abzusehen, was sich im Rückblick dennoch schon anbahnte: Der Zusammenbruch eines der beiden großen Systeme in Europa, des sowjetischen Imperiums und seiner Satellitenstaaten. So gilt die friedliche Revolution 1989/90 als
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Vgl. hierzu v.a. die übergreifenden Studien: (Wielepp, Mecklenburg; Probst, Rolle; Langer, Vorgeschichte; ders., Norden; und aktuell Halbrock, Freiheit); die Rostocker Lokalstudien: (Lohse / Schnauer, Rostock; Ammer / Memmler, Staatssicherheit; Probst, Norden; ders., Bürgerbewegungen; Schmidtbauer, Prinzip; Vormelker, Bericht; Lohse, Rolle; Wiebering, Dach; Frank, Norden); Forschungen zu Neubrandenburg: (Heydenreich, Geschichte; Niemann, Volk; Herbstritt, Studie; Wunnicke, Neubrandenburg; ders., Belagerung); Kühlungsborn: (Heinz, Kampf), Schwerin: (Busch, Treffen; Klähn, Bürgerkomitee); und Greifswald: (Glöckner, Wende; ders., Tisch; Mellies / Möller, Greifswald; Baumann, Greifswald; Conrad et al., Zerfall). Gemeindevertretung M., Bekanntmachung; P/L/31-40/E, Leben; ders., Bericht; Lohse, Wetterlagen; Ohse, Gnaden; ders., Widerstand; Kuessner, Greifswald. BPB, Informationen, 12. Die folgenden Abschnitte die Entwicklungen in der gesamten DDR betreffend beruhen auf dieser Publikation, weil sie die großen für diese Arbeit relevant erscheinenden Linien des politischen Umbruchs in Deutschland in komprimierter und übersichtlicher Weise darstellt. Im Speziellen beschreibt dieses Kapitel nur die Ereignisse 1989/1990, allgemeine historische Kenntnisse über die DDR werden vorausgesetzt. Ausführlichere Informationen finden sich u.a. bei Bahrmann, Chronik; Lindner, Revolution; Schuller, Revolution; Weber, DDR; Rödder, Deutschland.
Der Weg zur deutschen Einheit
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das große „Prognosedebakel“4 . Den Sturz der SED-Diktatur sah niemand voraus. „Deutschlands doppelte Zukunft“5 war ein Konsens in Ost und West. Um der besseren Übersichtlichkeit willen sind im Folgenden die die Entwicklungen in der gesamten DDR betreffenden Abschnitte eingerückt, jene sich speziell auf die Nordbezirke beziehenden Absätze sind regulär gesetzt. Bei der Darstellung der friedlichen Revolution im Norden der DDR bilden die Ereignisse in den Städten Rostock, Neubrandenburg und Greifswald die Bezugspunkte. Diese werden durch besondere Vorkommnisse in anderen Städten und Dörfern ergänzt. Welchen Wert die Regierung der DDR auf den ideologischen Unterschied legte, der ihr wichtiger war als die gemeinsame Geschichte und Kultur, wird am offiziellen neuen Namen der DDR in der Verfassung von 1974 sichtbar. Nannte sich der Staat seit 1968 im Zusatz „Sozialistischer Staat deutscher Nation“, hieß er nun „Sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ – eine Entwicklung, die sich schon 1971 bei einer Rede Honeckers auf dem VIII. Parteitag der SED abzeichnete. Hier sprach er davon, dass sich in Deutschland zwei Nationen entwickelten: Eine sozialistische und eine kapitalistische.6 Alle Gedanken an eine eventuelle Einheit wurden verdrängt. Dies ging soweit, dass der von Johannes R. Becher stammende Text der DDR-Nationalhymne nicht mehr gesungen werden durfte. Die erste Strophe „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt, lass uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland […]“7 erregte Anstoß. Fortan wurde die Hymne konsequenterweise nur noch instrumental aufgeführt. Wie stark aufeinander bezogen Innen- und Außenpolitik der DDR waren, zeigt das Beispiel des MfS. In Zeiten innerdeutscher Spannungen betrug der Etat 1968 5,8 Milliarden Mark bei ca. 17.400 Mitarbeitern. Bis 1989 wuchs das Budget um gute 300% auf 22,4 Milliarden Mark bei 91.000 offiziellen und 173.000 inoffiziellen Mitarbeitern. Allein in den „Jahren der Entspannung“ zwischen 1972 und 1989 verdoppelte sich die Zahl der Mitarbeiter.8 Außenpolitische Öffnung und innenpolitische Überwachung gingen Hand in Hand.
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Hüttmann, DDR, 223. Ebd., 224. Vgl. BPB, Informationen, 12. Rödder, Deutschland, 120. Vgl. BPB, Informationen, 13.
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Historischer Teil
Friedens- und Umweltgruppen in der DDR seit 1980 Trotz großer personeller Anstrengungen und Einschüchterungen seitens des Staates begannen sich Anfang der 1980er Jahre kritische Geister in Friedensund Umweltbewegungen in oftmals kirchlicher Anbindung9 zu organisieren. 1989 bestanden in der DDR mindestens 171 solcher Gruppen, da sich deren Vertreter 1989 in Greifswald trafen.10 Im Norden der DDR waren es laut Heiko Lietz „ca. 25 unabhängige(n) Friedens-, Umwelt-, Frauen-, ‚2/3-Welt‘- und Menschenrechtsgruppen ab 1985.“11 Die SED zählte 1989 in der gesamten DDR 160 kirchliche Basisgruppen, darunter 35 Friedenskreise und 39 Ökologiegruppen. Insgesamt ging man von gut 2500 mobilisierbaren Leuten aus.12 Christian Halbrocks neueste Zahlen müssten ebenso wie die von Pollack nochmals überprüft werden. Er spricht von insgesamt 147 gezählten „Basisgruppen“ mit 2133 Mitgliedern, wovon sich lediglich 15 Gruppen (10,2%) mit 174 Mitgliedern (entspricht 8,1% der Gesamtzahl) im Bereich der drei Nordbezirke und Frankfurt/Oder und damit im Einzugsgebiet von Mecklenburgischer und Greifswalder Landeskirche befanden.13 Das MfS zählte jedoch allein für den Bezirk Neubrandenburg im Oktober 1989 „17 Personen als Zentren oppositioneller Aktivitäten“14 . Jene Gruppen verträten, „selbst bei unklarer kirchlicher Identität [...] Anliegen, die eine Konvergenz zur biblischen Botschaft zeigen und dem christlichen Weltauftrag entsprechen, so daß sie im Raum der Kirche über die Synoden vermittelbar werden“, beschreibt Theo Mechtenberg das Phänomen im Mai 1989 treffend. Verstärkt nähmen die Kirchen in der DDR eine „Stellvertreterrolle“15 ein mithilfe dieser Gruppen, „von der sie nur unter der Voraussetzung größerer Dialog- und Reformbereitschaft des Staates entlastet werden können.“ Ansonsten würden die Kirchen auf Dauer überfordert, weil für die „spektakulären und schlagzeilenreifen Aktionen einzelner Gruppen“ die kirchliche Massenbasis fehle. Gleichzeitig werde eine „Destabilisierung des Systems“ mit anhaltender staatlicher „Reformunwilligkeit“16 immer wahrscheinlicher, formuliert Mechentenberg in weiser Voraussicht. Die Gruppen, so Neubert auf derselben Tagung im Mai 1989, bestünden „vorwiegend aus marginalisierten Persönlichkeiten“17 , die sich den institutionell angebotenen Lebensläufen widersetzten. Viele der Mitglieder seien „ursprünglich kirchlich sozialisiert“, sodass es zu keinem kirchlichen „Kulturabbruch“18 kom9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Vgl. dazu die Überlegungen zu Gruppen „unter dem Dach der Kirche“ Abschnitt A.4. Vgl. von Saß, Weg, 177–180. Vgl. Lietz, Arbeitsgruppe, 123. Vgl. Pollack, Protest, 137. Vgl. Halbrock, Freiheit, 61. Wunnicke, Neubrandenburg, 13, der ansonsten jedoch Pollacks Zahlen übernimmt. Mechtenberg, Staat, 170. Ebd., 171. Neubert, Kommunikation, 49. Ebd., 50.
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me. Damit stellten sie einen wichtigen „Wachstumsbereich“ von Kirchen und Gemeinden dar, denn ein „beträchtlicher Teil des Nachwuchses und Personalbestandes kommt aus den Gruppen.“19 In ihnen sammle sich ein „kritisches Potential“ mit einer zunehmenden „Kompetenz in sozial-ethischen Fragen.“20 Die meisten politischen Diskussionen würden „innerhalb des Sinnhorizontes ‚Sozialimus‘“ geführt, nach „Fortschreibung des Sozialismusmodells auf der Grundlage einer politischen Ökologie“ strebend. Weil die Gruppen gesellschaftliche und kirchliche Veränderung wünschen, während Gemeinden und Landeskirchen „ein markantes Loyalitätsinteresse dem Staat gegenüber haben“, handle es sich bei den entstehenden Konflikten einerseits um innerkirchliche Interessengegensätze, andererseits seien diese durchaus „politisch aufgeladen“21 . So auch in Rostock, wo es ab 1982 den Rostocker Friedenskreis gab. Als dieser am 11. November 1983 seinen „Rostocker Appell“ gegen die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen in Deutschland veröffentlichte, wurde er von der evangelischen Kirchengemeinde Warnemünde der Räume verwiesen. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sollten nicht unnötig gefährdet werden. Die Gruppe blieb bis 1989 unter dem Namen „Schalomgemeinschaft“ bestehen – und fand Unterschlupf in der katholischen Christusgemeinde.22 Der zeitgleich bestehende Kessiner Friedenskreis, ebenfalls um Heiko Lietz, zusammen mit Dieter Nath und dem Jugendwart und Liedermacher Ingo Barz stand unter dem kirchlichen Schutz von Landessuperintendent Traugott Ohse.23 Barz’ kritische Lieder wurden im Herbst 1989 gern in Friedensgebeten gesungen.24 Im kleinen mecklenburgischen Dorf Vipperow bildete sich ebenfalls 1982 um Pastor Markus Meckel und Martin Gutzeit ein Friedenskreis, der bis zu Meckels Wechsel in die brandenburgische Landeskirche 1988 kontinuierlich arbeitete25 , danach in Röbel durch die Pastoren Gottfried Timm und Roland Schäper fortgeführt wurde und schließlich im Herbst 1989 zum „Motor des regionalen Neuen Forums“26 wurde. Im Rückblick schreibt der Greifswalder Pfarrer Reinhard Glöckner, für ihn habe die Wende am 17. Februar 1981 bei einem Gesprächskreis begonnen, denn mitten „in der weltweiten Hochrüstung übten wir den aufrechten Gang.“27 . Damals berichtete jemand vom Friedensgottesdienst in Dresden im Gedenken an die Bombennacht vom 13. Februar 1943. Man beschloss, solch einen Gottesdienst auch in Greifswald in Erinnerung an die kampflose Übergabe am 29./30. April
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Ebd., 51. Ebd., 49. Ebd., 52. Vgl. Probst, Norden, 16. Er spricht lediglich von „einer Kirchengemeinde“, Heiko Lietz teilte mir am 29.2.2012 per E-Mail mit, dass es sich um die Warnemünder Gemeinde und Christusgemeinde handelte. Vgl. Heinz, Kampf, 22. So z.B. am 11.10.1989 in Neubrandenburg und am 2.11.1989 in Kühlungsborn. Vgl. Neubert, Geschichte, 468. Wunnicke, Neubrandenburg, 78. Glöckner, Wende, 4.
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1945 zu feiern. Seitdem gab es jedes Jahr um diesen Tag herum einen Friedensgottesdienst in der Jakobikirche Greifswald.28 Auch überregional versuchte man, sich zu organisieren bei den „mobilen Friedensseminaren“, die seit 1981 jährlich in Mecklenburg stattfanden. Gemeinsam mit Gästen aus Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wanderte eine kleine Gruppe junger Leute unter Leitung von Heiko Lietz im Sommer eine Woche lang durch Mecklenburg, diskutierte miteinander und kam ins Gespräch mit Bewohnern der Gemeinden.29 1983 trennte sich das mobile Friedensseminar im Osten Mecklenburgs von der Gruppe um Lietz ab und wurde fortan von Markus Meckel geleitet. Es hatte einen stärkeren Seminarcharakter und wirkte über die landeskirchlichen Grenzen hinaus vernetzend. Trotz der zwei Leitungen kooperierten beide Ausprägungen des Friedensseminars. Im August 1989 trafen sich verschiedene Lokalgruppen nach ihren Wanderungen zum gemeinsamen Abschluss in Waren/ Müritz unter der kirchlichen Verantwortung von Landessuperintendent Winkelmann.30 DDR-weite Bedeutung hatten die seit 1983 jährlich stattfindenden Seminare „Konkret für den Frieden“. 1985 fand die Tagung in Schwerin statt, nun erstmals unter der Beteiligung von Frauen-, Ökologie- und Dritte-Welt-Gruppen. Politisch waren schon die Treffen 1987 in Leipzig und 1988 in Cottbus brisant. Unter dem Titel „Umgang mit staatlichem Zwang und persönlicher Ohnmachtserfahrung“ stellte eine Arbeitsgruppe 1988 fest, die DDR sei eine Diktatur.31 Entsprechend besorgt reagierten die staatlichen Stellen in Vorbereitung des Treffens im Februar 1989 in Greifswald und drängten die Kirchenführung der ELKG dazu, für einen reibungs- und provokationslosen Ablauf zu sorgen. Gleichzeitig wollte sich die ELKG aus ihrer Außenseiterposition im Bund Evangelischer Kirchen (BEK) herausarbeiten. Die gruppenfeindliche Kirchenpolitik der Greifswalder Kirchenleitung war landesweit bekannt, das Friedensseminar sollte das schlechte Image als „staatshörige Kirche“32 korrigieren. 171 Gruppen wurden durch 200 Teilnehmer vertreten. Trotz einer merklichen thematischen Verschiebung zugunsten von gesellschaftspolitischen Fragen wurden keine brisanten Beschlüsse gefasst. Inwiefern dies an der Vorauswahl der Teilnehmer u.a. durch kirchliche IMs lag33 oder daran, dass fast ein Drittel der Teilnehmer erstmals an einem solchen Friedensseminar partizipierten34 , müsste eigens untersucht werden. Staat und ELKG waren mit den Ergebnissen zufrieden: Es hatte keine Störungen gegeben und die Landeskirche hatte dank der guten Organisation ihren Ruf gegenüber den Basisgruppen verbessert.35 28 29 30 31 32 33 34 35
Vgl. Matthiesen, Greifswald, 648. Vgl. Probst, Norden, 18f. Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 68–70. Vgl. von Saß, Weg, 175. Ebd., 178. Vgl. ebd., 180. Vgl. Neubert, Geschichte, 799. Vgl. von Saß, Weg, 184.
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Für die Gemeindepartnerschaften zwischen DDR und BRD spielten die in allen Landeskirchen Deutschlands jeweils vom drittletzten Sonntag im Kirchenjahr bis zum Buß- und Bettag stattfindenden Friedensdekaden seit 1980 eine große Rolle. Zum Teil wurden in den ost- und westdeutschen Partnergemeinden am selben Sonntag gleichlautende Texte verlesen, z.B. am 12. November 198936 und 11. November 199037 in Rostock und Nürnberg. Auch der seit 1983 weltweite „Konziliare Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ wurde von den Gemeinden intensiv begleitet. In Rostock fand dazu seit Anfang 1989 jeden Mittwoch ein Treffen in der methodistischen Michaeliskirche statt.38 Das 1983 von kirchlicher und staatlicher Seite begangene Lutherjubiläum, bezeichnenderweise im kurz zuvor ausgerufenen Karl-Marx-Jahr, rückte die Kirchen national stärker in den Mittelpunkt und verhalf ihnen zu medialer und lokaler Präsenz. Der Staat verfolgte mit dieser Ehrung drei große Ziele: Kirchenpolitisch sollten die „progressiven“ und „realistischen“39 Kräfte in der Kirche gestärkt werden. Nach innen galt es, die Identifikation der Bürger mit der DDR zu erhöhen und nach außen wollte man das internationale Prestige verbessern. Deshalb übte sich die SED in einer freundlichen Kirchenpolitik. So konnten in der DDR sieben regionale Kirchentage stattfinden, die Kirchen bekamen „in der Öffentlichkeit eine Stimme verliehen“40 . Doch die Rechnung der SED ging nicht auf: Statt sich den Zielen der SED unterzuordnen, nutzten die Kirchen den Freiraum für öffentlichkeitswirksame Proteste. Prominentes Beispiel ist das symbolische Umschmieden eines Schwertes zur Pflugschar durch den Schmied Stefan Nau auf dem Kirchentag 198341 in Wittenberg. Damit bezog er sich biblisch auf Micha 4.3 und politisch auf eine Bronzeskulptur des russischen Künstlers Jewgeni Wutschetitsch, die die Sowjetunion 1950 den USA schenkte und die seitdem im Garten des UNO-Hauptgebäudes in New York steht. Und auch der 1983 beginnende konziliare Prozess stärkte die Friedensgruppen innerhalb der Kirchen.42 Kirchliches und christliches Selbstbewusstsein wuchs vor allem unter jungen Christen mit Beginn der 1980er, die konsequent trotz erheblicher Anfeindungen die 1981 für die Friedensdeka36 37 38 39
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Vgl. von Maltzahn, Predigt am 12.11.1989. Vgl. ders., Predigt am 11.11.1990. Vgl. Probst, Norden, 23. Vgl. Frank, DDR, 95. Vgl. auch ebd. 286: Die Pastoren wurden eingeteilt in die Kategorien „politisch-realistisch“, „loyal“, „schwankend“ und „feindlich-negativ“, je nach politischer Überzeugung. Die Bischöfe Albrecht Schönherr (Berlin) und Horst Gienke (Greifswald) beispielsweise galten als „progressiv“. Vgl. O-Ton Track 8, Arvid Schnauer. Reischke, Länderreport. Eventuell kann das Jahr 1983 als erstes Anzeichen für den wachsenden gesellschaftlichen Einfluss der Kirchen und Gruppen betrachtet werden u.a. mit dem Beginn des konziliaren Prozesses, der einer der Gründe für die Revolution 1989 war. Die Überprüfung dieser These geht über den Rahmen dieser Arbeit hinaus, zur Literatur siehe u.a. Flügel, Konkurrenz; Fleischauer, „Enkel“. Vgl. Eppelmann / Meckel, Begegnungen, 51.
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Historischer Teil de gedruckten Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ trugen.43 Das erkannte auch die SED. Noch vor dem großen Festakt am 9. November 1983 beschloss das Zentralkomitee (ZK) eine Kurskorrektur seiner Kirchenpolitik, um „die Kirchen wieder auf den rein religiösen innerkirchlichen Bereich zurückzudrängen“44 mit „konsequentem Einsatz juristischer und administrativer Einschränkungsmechanismen“45 . Von einer Neubewertung des Christentums in der DDR, wie es Olof Klohr, bis 1990 Professor für „Dialektischen und Historischen Materialismus“ in Warnemünde, 1993 darstellte46 kann keine Rede sein. Er verharmlost noch 1993 die DDR-Wirklichkeit: „Ich habe zahlreiche Pfarrer und Theologen und andere Christen erlebt, die bei aller Kritik für den Sozialismus waren. […] Andere wurden benachteiligt, einige verfolgt. Wir sind oft dagegen aufgetreten, manchmal mit Erfolg, manchmal ohne.“47 1987 begann die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR mit der Vorbereitung der „Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR“, die ihren Abschluss in der Vollversammlung in Dresden im April 1989 fand und sich schon 1987 mit dem Aufruf „Eine Hoffnung lernt gehen“48 an die Gemeinden wandte. Der Abschlusstext der Arbeitsgruppe 3 „Mehr Gerechtigkeit in der DDR – unsere Aufgabe, unserer Erwartung“ äußerte deutliche Kritik an fehlender Rechtssicherheit, Zwängen zur Mitgliedschaft in staatstreuen Organisationen und mangelnder Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit in der Gesellschaft.49 Besonders für die nachwendisch politisch aktiven Pastoren waren die basisdemokratischen Erfahrungen und intensiven Diskussionen prägend.50 Daher könne behauptet werden, „dass die Diskussionen in der Arbeitsgruppe 3 spätere Konflikte und Abgrenzungen in der ostdeutschen protestantischen Opposition, bei der Entstehung der ostdeutschen Parteien und Bürgerrechtsbewegungen als auch in den politischen Kontroversen in der Volkskammer sowie den nach 1990 einsetzenden öffentlichen Debatten um die Zukunft Ostdeutschlands vorweg nahmen.“51
Schon Anfang 1989, als die Alternative einer deutschen Einheit noch gar nicht in Betracht gezogen wurde, wurde schnell deutlich: Die Ungerechtigkeiten des real existierenden Sozialismus konnten übereinstimmend und präzise benannt werden. Bei der Frage nach zukünftigen gesellschaftlichen Alternativen 43 44 45 46 47 48 49 50 51
Vgl. Bretschneider, Schwerter, 45. Vgl. zur Geschichte des Konfliktes um den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ den übersichtlichen und prägnanten Aufsatz Silomon, Sprache. Flügel, Konkurrenz, 160. Dohle / Hartweg, SED, 407. Klohr, Atheismus, 288 Ebd., 291. Vgl. die Losung der ersten großen Demonstration im Norden der DDR am 16.10.1989 in Waren/ Müritz: „Eine Hoffnung lernt laufen“. Vgl. Judt, DDR-Geschichte, 419. Vgl. Kunter, Hoffnungen, 136–138. Ebd., 190.
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wurde keine Einigung erzielt. Gemäß dem Kompromissvorschlag des mecklenburgischen Theologen Heiko Lietz benannte man die umstrittenen Fragen am Ende des Textes ohne Lösungsvorschläge.52 Im Herbst 1989 spiegelte sich die unterschiedliche Haltung der Protagonisten von Arbeitsgruppe 3 in den Gruppen- und Parteimitgliedschaften wider: Hans-Jürgen Fischbeck, sozialismusfreundlicher Mahner der Gruppe, ging zu „Demokratie Jetzt“, Heiko Lietz ins „Neue Forum“, die beiden antikommunistischen Streiter der Gruppe, Richard Schröder und Reinhard Höppner, traten der Sozialdemokratische Partei (SDP) bei.53 Damit konnten sich letztlich schon bei der Ökumenischen Versammlung nicht die einen stark utopischen Gerechtigkeitsbegriff vertretenden Teilnehmer wie Heino Falcke, Friedrich Schorlemmer oder die Westdeutschen Ulrich Duchrow und Konrad Raiser durchsetzen. In ihrer Gleichsetzung von „gesellschaftspolitischer Gerechtigkeit und der Verwirklichung des Reich Gottes“ vertraten und vertreten sie bis heute die sozialistische Idee als „Fixpunkt einer gerechten Gesellschaft.“54 Mit dieser Position waren und sind sie im „kirchlichen Leben Deutschlands [...] gleichwohl Außenseiter geblieben.“55 , wenn auch stimmgewaltige. Welche Wirkung die „Ökumenische Versammlung“ auf den Verlauf der friedlichen Revolution hatte, wird in der Literatur denn auch unterschiedlich bewertet. Katharina Kunter kommt zu dem Schluss, die Versammlung habe den Wechsel vom Sozialismus zur Demokratie befördert und viele der ostdeutschen Politiker nach 1990 bleibend geprägt. Kunter wertete u.a. 10.000 Antworten auf die Postkartenaktion „Eine Hoffnung lernt gehen“ im Vorfeld der ersten ökumenischen Versammlung in Dresden 1988 aus. Hauptforderungen der Menschen waren demnach Demokratisierung, Rechtssicherheit und Grund- und Freiheitsrechte, allen voran Reisefreiheit.56 Daraus schlussfolgert Kunter: „Die Mehrheit der protestantischen Basis wollte die Wiedervereinigung; sie wollte die individuellen Menschenrechte, Rechtssicherheit, also den Rechtsstaat, Demokratie und so schnell wie möglich Bundesbürger werden.“57 Für diese „Mehrheit der evangelischen Christen im Osten Deutschlands erfüllten sich also die Hoffnungen auf Befreiung aus einem unfreien Land, die sie 1988/89 mit ihren Forderungen nach Demokratie, der Verwirklichung der individuellen Menschenrechte und dem Rechtsstaat, im konziliaren Prozess artikuliert hatten.“
Lediglich eine protestantische Minderheit aus DDR und Bundesrepublik, die im konziliaren Prozess „eine Möglichkeit zur Realisierung eines demokrati52 53 54 55 56 57
Vgl. ebd., 202. Vgl. ebd., 204. Ebd., 275. Dies., Protestanten, 116. Vgl. ebd., 110–113. Ebd., 115.
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Historischer Teil schen Sozialismus“58 gesehen hatte, erlebte das Ende der DDR als das Ende eines gesellschaftspolitischen Traumes. Diese Minderheit ist unter den unter 50-jährigen Pastoren, die Predigten zu dieser Arbeit beisteuerten, allerdings überdurchschnittlich vertreten. Meine These: Die Pastorenschaft in der DDR dachte sehr viel sozialismusaffiner, als ihre Gemeindeglieder. Ilko-Sascha Kowalczuk reduziert die Wirkung dagegen vor allem auf den 1989 weit verbreiteten Flyer „Eine Hoffnung lernt gehen“ von 1987.59 Heino Falcke, führender Theologe der Ökumenischen Versammlung, betont die „wegbereitende Bedeutung (der ökumenischen Versammlung) für die Rolle der Kirche in der Herbstrevolution“60 . Es habe 1989 einen unbeabsichtigten und paradoxen Synergieeffekt zwischen Ausreisern und Dableibern gegeben, der in der DDR-Opposition zu kritischem Nachdenken führte. Rückgreifend auf Albert Hirschman spricht Charles S. Maier von der Wechselwirkung zwischen den beiden Protestformen.61 „Exit“ ermöglichte die Option „Voice“. Diese wiederum erweiterte die Möglichkeit des „Exit“ bis hin zum Mauerfall.62 Konkret habe die ökumenische Versammlung die interkonfessionelle Ökumene gefördert, die Kirchenleitung und kirchlichen Gruppen miteinander auf Augenhöhe ins Gespräch gebracht63 und einer politischen Kirche den Weg bereitet, die sich der gesellschaftlichen Realität stellte.64 Zur selben Einschätzung kommt der 1977 aus der DDR ausgereiste Kirchenhistoriker Peter Maser 2009. Der innerkirchliche Dialog wurde im Laufe des konziliaren Prozesses „von einem neuen realistischen Wirklichkeitsbezug geprägt“65 , der die Kirchen dazu befähigte, das Gespräch mit der „Welt“ wieder aufzunehmen.
Zu erwähnen sind vor allem Umweltgruppen, die eine wichtige Säule kirchlicher Basisbewegung waren. Sie organisierten z.B. „Baumpflanzaktionen“, um auf die bedenkenlose Umweltzerstörung in der DDR aufmerksam zu machen. Im Norden der DDR ging der Impuls dazu von Schwerin aus. 1979 pflanzten 50 Jugendliche gemeinsam mit dem späteren Pastor und Stasiunterlagenbeauftragten des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Jörn Mothes, ein Wochenende lang 5000 Bäume. 1980 beteiligten sich an der Aktion schon 100 junge Menschen.66 In Aufnahme der bundessynodalen Impulse vom Herbst 1984 in Greifswald, die von Christen ein größeres Engagement in Umweltfragen forderten, gründete die Greifswalder Landessynode eine landeskirchliche Arbeitsgruppe zu Umweltfragen und beschloss, im März 1985 eine Umweltwoche abzuhalten. So wollte man 58 59 60 61 62 63 64 65 66
Kunter, Hoffnungen, 276. Vgl. Kowalczuk, Endspiel, 213f. Falcke, Bedeutung, 90. Vgl. Maier, Essay, 557–573. Diese Meinung wird auch in vielen analysierten Predigten vertreten. 25% der Delegierten kamen aus kirchlichen Gruppen. Die politischen, gesellschaftlichen und theologischen Diskussionen basierten stets auf „Zeugnissen der Betroffenheit“. Vgl. Falcke, Bedeutung, 90–92 Maser, Wende, 136. Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 48.
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den Wünschen der Gemeindeglieder Rechnung tragen und zugleich innerkirchliche Kontrolle über die Umweltaktivitäten behalten. 1987 bildete sich in Greifswald ein davon unabhängiger Ökologiekreis.67 In der ELLM nahm sich auch Landesbischof Heinrich Rathke der Basisaktivitäten an und suchte sie zu fördern. Zu diesem Zwecke bildete die Synode 1981 die „Arbeitsgruppe Frieden“. Ihr Aufgabenfeld umfasste die Vernetzung der Basisgruppen (mittels Koordinierung der Öko-, Friedens- und anderer Basisgruppen) und die Beratung junger Wehrpflichtiger.68 Für die Weitergabe von Informationen gab der Oberkirchenrat (OKR) der ELLM das „Friedensnetz“ heraus, welches Informationsmaterial für Friedensgruppen, Kirchengemeinden und Interessierte bereitstellte und bis November 1989 erschien. Ähnlich agierte die ELKG und gründete ebenfalls 1981 einen landessynodalen Friedensausschuss. Dessen Funktion wird allerdings von Kai Langer und Rahel von Saß als von der mecklenburgischen „Arbeitsgruppe Frieden“ abweichend bewertet. Der Ausschuss sei vor allem ein „Instrument der Greifswalder Kirchenführung zur Kontrolle der Friedensarbeit“ gewesen.69 Nach 1985 kam es allerdings in den drei Nordbezirken wie auch in der gesamten DDR zu einer „gewisse(n) Ermüdungsphase“70 der kirchlichen Friedensarbeit. Anfang 1988 änderte sich dies und Anfang 1989 zählte die SED in der gesamten DDR 160 kirchliche Basisgruppen, darunter 35 Friedenskreise und 39 Ökologiegruppen. Insgesamt ging man von gut 2500 mobilisierbaren Leuten aus.71 In Rostock entwickelten sich um einen Kreis junger Theologiestudierender neue Initiativen. Als Reaktion auf die Verhaftung von Oppositionellen wie Bärbel Bohley und Wolfgang Templin in Berlin beschlossen sie im Frühjahr gemeinsam mit den Pastoren Henry Lohse (St. Petri) und Hartmut Dietrich (Pastor der Evangelischen Studentengemeinde ESG, für die Verhafteten über zwei Monate lang in der Petrikirche Fürbittandachten zu halten – eine Tradition, die eineinhalb Jahre später wieder aufleben sollte. Aus den Fürbittandachten entwickelte sich schließlich der „Arbeitskreis Umwelt“.72 Von ihm ging Ende September 1989 die Initiative für die erste am 5. Oktober 1989 gehaltene Fürbittandacht in Rostock aus. Ähnlich entwickelten sich die Aktivitäten in Neubrandenburg und Stralsund. In Stralsund etablierte sich schon im Herbst 1987 ein Friedenskreis. Dieser ging aus dem Katechetenkonvent der Stadt hervor, der sich in der Zeit thematisch vor allem mit Friedens- statt Wehrerziehung beschäftigte. Nach den Verhaftungen im Zuge der Rosa-Luxemburg-Demonstration in Berlin am 17. Januar 1988 hielt der Konvent einen Gottesdienst in der Heilig-Geist-Kirche ab mit 250 Besuchern.73 In Neubrandenburg trafen sich ab 1988 etwa zwölf Personen regelmäßig mit den 67 68 69 70 71 72 73
Vgl. von Saß, Weg, 189f. Vgl. Probst, Norden, 14. Von Saß, Weg, 169, siehe auch Langer, Norden, 42. Probst, Norden, 22. Vgl. Pollack, Protest, 137. Probst, Norden, 22f. Vgl. Grossmann, Gefühl, 1.
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Pastoren Ulrich von Saß und Klaus Müller zu offenen Gemeindeabenden. Die Diskussionen mündeten teilweise in Eingaben, z.B. nach dem Verbot der russischen Zeitschrift „Sputnik“ im November 1988. Ein kleiner Kreis von sechs Leuten diskutierte in Neustrelitz regelmäßig über Papiere der „Ökumenischen Versammlung“.74 Der organisatorischen Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. In Kühlungsborn traf man sich beispielsweise wöchentlich zum informellen Gesprächskreis in der Sauna der Villa Baltic, aus dem am 17. Oktober 1989 eine Ortsgruppe des Neuen Forums um den methodistischen Pastor Steinbacher hervorging.75 Überall bildeten sich kleine Gruppen, die spürten, dass sich etwas ändern musste. Den massenwirksamen Aktionen gingen unzählige leise Gespräche in kleinen Kreisen voran. Auch außerhalb der Kirchen gab es Basisbewegungen in Rostock und Umgebung. Durch die Gründung der „Gesellschaft für Natur und Umwelt“ (GNU) versuchte die SED Anfang der 1980er Jahre, „die aufkeimende ökologische Bewegung von Anfang an in staatskonforme Bahnen zu lenken“76 . Obwohl diese kaum Kontakt zu den kirchlichen Gruppen pflegten, gab es doch einen gewissen Austausch im Zuge der von der GNU veranstalteten „Landschaftstage“, bei denen konkrete Umweltforderungen für Rostock ausgearbeitet wurden. Eine Flut von Protesten und Eingaben an den Rat der Stadt Rostock verhinderte z.B. den Bau einer Autotrasse durch den Rostocker Lindenpark. Es gab also „schon vor dem Herbst 1989 erste Ansätze einer zum Teil erfolgreichen basisdemokratischen Mobilisierung […] im Umweltbereich“77 . Dem Problem der Kritik suchte sich die Regierung durch deutlich mehr erteilte Ausreisebewilligungen zu entledigen. Ein erster Hinweis auf die „spezifische deutsch-deutsche Dimension“78 . Anfang 1984 durften 31.000 Menschen in die BRD ausreisen, 1973 waren es nur 7.729.79 Allerdings war der Erfolg gering. Viele kritische Denker wollten gar nicht ihr Land verlassen, sondern vor Ort Probleme benennen und ändern.
74 75 76 77 78 79
Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 17. Vgl. Heinz, Kampf, 30. Probst, Norden, 24. Ebd., 29. Zachhuber, Freiheit, 98. Vgl. BPB, Informationen, 14.
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Michail Gorbatschows Reformen ab 1985 Erheblichen Aufschwung erhielten diese Bestrebungen mit der Wahl Michail Gorbatschows zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) am 11. März 1985. Mittels der Schlagworte „Glasnost“ (Transparenz) und „Perestroika“ (Neugestaltung) leitete er in der Sowjetunion ab 1985 wirtschaftliche und politische Reformen ein. Es war der Versuch, das Land unter Beibehaltung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung und weiterer Führung der KPdSU zu modernisieren.80 Dabei ging es auch um den ehrlichen Umgang mit der eigenen Geschichte, was kurioserweise in der DDR zum Verbot einer Ausgabe des aus dem Russischen ins Deutsche übersetzten Magazins „Sputnik“ führte, das im November 1988 einen Artikel zur Geschichte der KP Deutschlands gedruckt hatte. Auch sowjetische Filme wurden zensiert. Der „kleine Bruder“ DDR war plötzlich linientreuer als der große. Die DDR-Regierung nahm die politischen Lockerungen mit Besorgnis zur Kenntnis. Besonders die neue Pressefreiheit und die Aufhebung der Verbannung des Menschenrechtlers Andrej Sacharow im Dezember 1986 bereiteten der SED Sorgen, gaben sie doch eigenen kritischen Kräften Aufschwung. Was die Staats- und Parteichefs der sowjetischen „Bruderländer“ nicht wussten: Schon am 3. Juli 1986 hatte Gorbatschow im Zentralkomitee (ZK) der KPdSU streng vertraulich gesagt: „Uns allen ist bewusst, dass unsere Beziehungen zu den sozialistischen Ländern in eine neue Etappe eingetreten sind. [...] Die Methoden, die wir gegenüber der Tschechoslowakei und Ungarn anwendeten, sind unannehmbar. [...] Im Grunde brauchen wir diese Führung über sie gar nicht. Das bedeutet nämlich, dass wir sie uns auf den Hals laden.“81
Dabei ging es Gorbatschow in der Konsequenz seiner Politik keineswegs um die Zerschlagung der Sowjetunion. Er wollte das Land vor dem politischen und wirtschaftlichen Kollaps retten und versuchte daher, die Wirtschaft durch neue Technologien aus dem Westen anzukurbeln und politische Spannungen durch lokale demokratische Selbstverwaltungen zu lösen. Gleichzeitig lockerte er, „die Bindungen zu den Ostblockländern“82 , um die Sowjetunion von wirtschaftlichen und politischen Verpflichtungen zu entlasten. Dies alles geschah in der Grundannahme, der Sozialismus sei so fest verankert, dass ein „neues System des ‚demokratischen Sozialismus‘“83 möglich sei. In der DDR war bis zu diesem Zeitpunkt staatlicherseits noch nichts von Reformen zu spüren. Der Handlungsdruck erhöhte sich jedoch rasant, als Ungarn am 2. Mai 1989 die Grenze zu Österreich öffnete. Der „Eiserne Vorhang“ war durchlässig geworden. Das Politbüro der DDR erstarrte in Selbstberuhigung, doch die Flüchtlingszahlen von DDR-Bürgern stiegen. 80 81 82 83
Vgl. Süß, Ohnmacht, 443–448. Dalos, Vorhang, 30. Ebd., 27. Süß, Ohnmacht, 455.
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Wenige Tage später, am 7. Mai 1989, fanden in der DDR die Kommunalwahlen statt. Das offizielle und wie auch in den Jahren zuvor manipulierte Ergebnis bestätigte die „Nationale Front“, den Zusammenschluss von Massenorganisationen und Parteien in der DDR, mit 98,85%84 . Doch diesmal regte sich Widerstand. Bürger legten amtlichen Einspruch ein und Oppositionsgruppen versuchten, die Manipulationen aufzudecken. Auch die ESG Rostock beteiligte sich an Auszählungskontrollen und protestierte gegen Wahlfälschungen.85 In Greifswald legte Pfarrer Glöckner Widerspruch gegen das Wahlergebnis ein86 , in Kühlungsborn überwachten kirchliche Mitarbeiter die Wahlen.87 Dennoch glaubte die SED-Führung, weiterhin jegliche Reform verweigern zu können und setzte klare Zeichen im Umgang mit eigenen Kritikern, als sie nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz in Peking am 4. Juni 1989 der chinesischen Regierung demonstrativ verbale Unterstützung erwies. Dies und insbesondere die Besuche der ZK-Mitglieder Hans Modrow (Juni) und Egon Krenz (September) in China lösten Proteste und Ängste in der DDRBevölkerung aus, die DDR-Regierung könnte die Proteste ähnlich brutal bekämpfen.88 Trotz eines amtlichen Verbotes hielt die ESG Rostock am 18. Juni 1989 eine Fürbittandacht für die Opfer in Peking.89 Pastor Mahlburg betete damals: „Wir leben in diesem Land, das seit Jahrzehnten versucht, einen sozialistischen Weg zu gehen. Auch China ist ein solches Land. Wir sind mit dem sozialistischen Weg verbunden in der Hoffnung, daß er offen bleibt und in eine gute menschliche Zukunft führt.“90 Ausreise, Massenflucht und Demonstrationen 1989 Während die Regierung der DDR alle Chancen der Erneuerung und Reformen von oben ungenutzt ließ, versuchten immer mehr DDR-Bürger, ihr Land zu verlassen. Im Sommer 1989 wurden 120.000 Ausreiseanträge gestellt, hunderte Menschen, vor allem junge Erwachsene, versuchten im Juli und August mittels der Besetzung bundesdeutscher Vertretungen in Budapest, Warschau, Ostberlin und Prag ihre Ausreise zu erzwingen. Die Flüchtlinge in Warschau und Prag durften schließlich nach Verhandlungen mit dem Außenminister der BRD, Hans-Dietrich Genscher, Anfang September 1989 in die BRD ausreisen, weil die DDR Unruhen um ihren 40. Jahrestag verhindern wollte. Eine Rechnung, die nicht aufging, drängten doch sofort wieder Menschen in die 84 85 86 87 88 89 90
Vgl. das Faksimile vom Neuen Deutschland am 8.5.1989, in: Rein / Böhme, Opposition, 137. Lohse / Schnauer, Rostock, 1. Vgl. Glöckner, Wende, 35. Vgl. Heinz, Kampf. Weber et al., Bilanz, 107. Vgl. Lohse / Schnauer, Rostock, 1. Mahlburg, Gebet am 18.6.1989.
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Botschaften und wurden erneut aus der DDR entlassen. Der Autoritätsverfall der DDR wurde deutlich auch nach außen hin sichtbar.91 Die evangelischen Kirchen plädierten stets für ein Bleiben in der DDR, „wohin uns Gott gestellt hat“92 . Kirchlichen Mitarbeitern, insbesondere Pfarrern, wurde die Ausreise „auch administrativ [...] schwer gemacht“93 , sie durften in der BRD zudem erst mit Zustimmung ihrer ehemaligen Landeskirchen im kirchlichen Dienst weiterarbeiten. Faktisch hatten sie damit Berufsverbot in der DDR. Konkret wurden im Bezirk Neubrandenburg zwischen Januar und September 1989 1529 Ausreiseanträge gestellt94 . Seit Juli 1989 waren 223 durchschnittlich 25 Jahre alte Bürger geflohen, darunter 15 SED-Mitglieder.95 Nicht wenige SED-Anhänger litten unter einer „kognitive(n) Dissonanz“96 - wem sollten sie folgen - SED oder KPdSU und deren Reformen? Aus dem kleinen Kreis BadDoberan flohen zwischen Mitte August und Mitte Oktober 1989 immerhin 85 Menschen. Der Sekretär für Wirtschaft, Friedrich Dethloff, kam auf einer Kreisleitung am 19. September 1989 zu der bitteren Erkenntnis: „Der Kampf um die Hirne und Herzen der Menschen tobt und die Schlacht wogt hin und her.“97 Angesichts dieser dramatischen Fluchtwelle ließ Egon Krenz eine Studie zu den Motiven der Ausreisenden anfertigen, die ihm am 9. September 1989 vorgelegt wurde. Die Hauptmotive waren demnach vor allem die Lebensqualität (schlechte Versorgungslage, unzureichende Dienstleistungen, mangelnde medizinische Betreuung, Unzufriedenheit über Löhne, Bürokratie, Wohnungsmangel), Einschränkungen der persönlichen Freiheit und Entwicklung (eingeschränkte Reisemöglichkeiten, unbefriedigende Arbeitsbedingungen, Inkonsequenz in der Anwendung des Leistungsprinzips, Medienpolitik) und Zweifel „an der Perspektive und Sieghaftigkeit des Sozialismus überhaupt“98 , weshalb viele glaubten, dass eine „spürbare, schnelle und dauerhafte Veränderung ihrer Lebensbedingungen […] nur in der BRD oder Westberlin realisierbar“99 seien. Da Krenz die Studie genau einen Tag vor seinem vierwöchigen Sommerurlaub bekam, blieben die Ergebnisse vorerst unbeachtet. Derweil reisten täglich 100–200 Ostdeutsche über Ungarn in die BRD. Ab 11. September 1989 konnte die Grenze nach Österreich legal überschritten werden, mit der Folge, dass bis Ende September 32.000 Menschen von dieser Möglichkeit Gebrauch machten. Es entstand eine paradoxer Synergie-Effekt zwischen Ausreisern 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Vgl. Seiters, Ausreise, 241–244. Vgl. den Buchtitel des Zeitzeugensammelbandes Höppner, Zeitzeugen. Harder / Harder-Sdzuj, Kirche, 90. Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 85. Vgl. ebd., 40. Süß, Ohnmacht, 464. Heinz, Kampf, 22. Mitter / Wolle, Befehle, 147. Ebd., 142.
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und Dableibern, „Exit“ und „Voice“, denn „die Ausreisebewegung trug dazu bei, die Protestbewegung zu mobilisieren und die Staatsmacht zu lähmen“100 . Doch nicht nur die „Abstimmung mit den Füßen“ gab klare Signale, auch im Land formierte sich die Opposition. Seit den Kommunalwahlen gab es in verschiedenen Städten jeweils am 7. des Monats Protestaktionen. Friedensgebete zogen Menschen verstärkt in die Kirchen und am 4. September 1989 kam es in Leipzig nach dem traditionellen montäglichen Friedensgebet zur ersten Montagsdemonstration. Etwa 1.200 Teilnehmer forderten Reise- und Versammlungsfreiheit. Von Woche zu Woche stieg die Zahl beständig an, am 25. September 1989 waren es 5.000, am 2. Oktober 1989 schon 20.000, am 9. Oktober 1989 schließlich die berühmten 70.000. Damit „begannen die Eroberung des öffentlichen Raums und die Herstellung einer freien Kommunikation“101 . Etwas pathetischer formulierte es Heino Falcke: Das Volk machte sich „in einem großen Akt der Selbstbefreiung zum Subjekt des politischen Geschehens“102 . Es brauchte einige Zeit, bis die Protestwelle auch in den Norden der DDR geschwappt war. Erste Impulse gab es früh. Schon am 19. August 1989 plakatierte Pastor Ulrich von Saß seinen Neubrandenburger Schaukasten unter dem Thema: „Suchet der Stadt Bestes! Deshalb Veränderung vor Ort statt Ortsveränderung!“103 Am 20. August 1989 hängte Pastor Timm in Röbel ein nicht minder provokantes Plakat in den kirchlichen Schaukasten mit dem Titel: „Bleibet im Land und wehret euch täglich“104 . Sechs Wochen später wurde ein fast wortgetreuer Aushang auch im Schaukasten der Kühlungsborner Kirche gesichtet. Und auch außerhalb kirchlicher Schaukästen fanden sich nun Protestsprüche: Der Röbeler Kaufmann Heinz Meyer hängte in sein Geschäft das Bibelzitat Joh 8,32 „Die Wahrheit wird euch befreien“. Im selben Örtchen plakatierte der Bäcker Peter Ahrens: „Wenn ihr schweigt, werden die Steine schreien“ in Abwandlung von Lk 19,40b. Beide mussten ihre Plakate auf Drängen der Kreisleitung entfernen.105 Ermutigend wirkte in diese Situation hinein die Bundessynode in Eisenach von 15.-19. September 1989, die nun stärker gesellschaftsverändernde Impulse gab106 , womit sie den politischen Protest im Land zu legitimieren suchte.107 Ihre Devise lautete: „Wir wollen mithelfen, daß Menschen auch in unserem Land gerne leben.“108 , in einer eigenständigen DDR, denn „Wiederver100 101 102 103 104
105 106 107 108
Falcke, Bedeutung, 89. Vollnhals, Nikolai, 261. Falcke, Bedeutung, 95. Heydenreich, Geschichte, 3. Neues Forum, Wahrheit, 4. Der Spruch war eine aktuelle Interpretation von Ps 37,3 „Bleibe im Lande und nähre dich redlich.“ und hing schon 1988 innerhalb kirchlicher Räume beim Kirchentag in Halle. Vgl. Noack, Parteien, 133. Schuller, Revolution, 144f. Vgl. Besier, Höhenflug, 426. Vgl. Vollnhals, Nikolai, 260. Rein / Böhme, Opposition, 216.
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einigungswünsche wecken Ängste bei anderen Völkern“109 . Das mobilisierte auch die politisch bis dato eher zurückhaltenden Pastoren der Nordbezirke. Nun wachte auch der Norden richtig auf.110 In der Oktoberausgabe des „Friedensnetzes“ erschien ein Erlebnisbericht der Ereignisse in Dresden (Massendemonstrationen, Verhaftungen) mit dem Vorwurf des Verfassers: „Warum ich das erzähle? — Weil der Norden schläft, weil das nicht sein kann!“111 „Im Norden reift vieles in der Stille, ehe es nach außen drängt, während der temperamentvolle Süden auch die halbfertigen Dinge ausspricht oder in Bewegung setzt.“112 , so der damalige Rostocker Pastor Christoph Kleemann. Am 22. September 1989 wurde bei einem Konzert der „Jonathan-Blues-Band“ in Rostock unter großer Zustimmung der Gründungsaufruf der Bürgerinitiative „Neues Forum“ verlesen, vier Tage später forderte der Rostocker Verband bildender Künstler den offenen politischen Dialog.113 Ebenfalls am 22. September 1989 sprachen sich auch die Neubrandenburger Pastoren Müller und von Saß für ein Friedensgebet nach Leipziger Vorbild aus und hängten in den Schaukästen folgendes Gebet aus: „Herr, gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“114 Bis zum ersten Friedensgebet am 11. Oktober 1989 dauerte es zwar noch, aber der Stein war ins Rollen gekommen. Anstoß konnten ganz unterschiedliche Erlebnisse der Bürger sein. In Schwerin brachten Theaterbesucher bei der ersten Aufführung von Schillers Wilhelm Tell am 13. September 1989 im Mecklenburgischen Staatstheater zum Ausdruck, „daß der szenisch dargestellte Kampf gegen den Tyrannen tagesaktuell ist“115 . In einem kleinen pommerschen Dörfchen begann das Umdenken bei einer Einwohnerversammlung im Sommer 1988. Der Kraftfahrer und Genosse Pietsch beschwerte sich über Misswirtschaft und Ersatzteilmangel und erzählte, „man habe in einem Kfz-Stützpunkt für Landtechnik in Neubrandenburg 30 nagelneue Traktoren zerlegt - zur Ersatzteilgewinnung!“116 . Wie unterschiedlich die Lage in der DDR wahrgenommen wurde, lässt sich unschwer erkennen: Während am 16. September 1989 noch Vertreter verschiedener Organisationen „ihre feste Verbundenheit, ihren Stolz und ihre aktive 109 110
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116
Vollnhals, Nikolai, 261. Vgl. den Buchtitel von Probst, Norden. Darauf bezieht sich auch Wolfgang Schullers chronologische Darstellung der ersten Friedensgebete und Demonstrationen im Norden (Schuller, Revolution, 135–147). Vgl. Arbeitsgruppe Frieden der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs, Friedensnetz, 40. Probst, Norden, 12. Vgl. Langer, Norden, 273. Heydenreich, Geschichte, 6. Das Gebet wird sowohl Franz von Assisi als auch Friedrich Christoph Oetinger zugeschrieben. Der Landesbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Aufbruch, 229. P/L/31-40/E, Leben, 70.
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Historischer Teil Bereitschaft zur weiteren Stärkung der DDR“ in einem „Bekenntnis der Intelligenz“117 zum Ausdruck brachten, begannen zwei Tage später in Stralsund die wöchentlichen Friedensgebete.
Beginn der Friedensgebete/Fürbittandachten und Demonstrationen im Norden: Oktober 1989 Der erste in Sekundärliteratur und Quellen gefundene Friedensgottesdienst im Norden der DDR fand am 18. September 1989 in der Nikolaikirche Stralsund statt. Bezeichnenderweise noch ohne Pastor, initiiert durch den Katechetinnenkonvent der Stadt, aus Solidarität mit dem Leipziger Montagsgebet. Am Ende wurde der Gründungsaufruf des Neuen Forums verteilt. Drei Montage in Folge trafen sich 20–30 Leute zum Gebet. Ab dem 9. Oktober 1989 wurde das Format größer, etwa 400 Menschen kamen, von nun an durch Pastor Jax geleitet und Superintendent Torkler begleitet. Bis zu den Volkskammerwahlen im März 1990 wurden die Fürbittandachten fortgeführt, zeitweilig mit der Beteiligung von 10.000 Bürgern, 1/7 der Stralsunder Bevölkerung.118 Zu dieser Zeit trat auch in Rostock die Gruppe „Arbeitskreis Umwelt“ für Friedensgebete ein, als nach der ersten großen Demonstration in Leipzig massenhaft Leute verhaftet worden waren. Gemeinsam mit Pastor Lohse wollten sie an die Friedensgebete von 1988 anknüpfen und für die Verhafteten und Betroffenen beten. Nach Rücksprache mit Landessuperintendent Joachim Wiebering wurde diese Andacht in den Rostocker Kirchen abgekündigt und fand am Donnerstag, den 5. Oktober 1989 statt. Der Donnerstag wurde aus ganz pragmatischen Gründen gewählt, wie sich Lohse erinnert: „Weil der Donnerstag der Tag war mit dem unattraktivsten Fernsehprogramm sowohl in Ost als auch in West, und wir haben gesagt: Dann nehmen wir den Donnerstag, da haben wir die größten Chancen, Leute zu mobilisieren.“119 Die Einladung zur Andacht war relativ weit gefasst: Für die Inhaftierten sollte gebetet werden, „aber auch für einen Prozeß der Öffnung und Entwicklung in unserem Land. Zudem wird es Informationen zur aktuellen Situation geben“120 . Diese wenigen Sätze fassen zusammen, was die Andachten in den kommenden Monaten ausmachte und in dieser ersten Andacht am 5. Oktober 1989 deutlich benannt wurde: „Gebet und Information gehören zusammen.“121 . Es kamen 500–700 Menschen in die Petrikirche, weit mehr als erwartet. Im Anschluss wurde für den kommenden Donnerstag erneut eingeladen, eine Regelmäßigkeit setzte ein. Bis zum 8. Februar 1990122 fanden von nun an bis auf eine
117 118 119 120 121 122
Langer, Norden, 271. So am 30.10. und 6.11.1989. Vgl. Kaden, Erinnerungen. Vgl. Reischke, Länderreport 2. O-Ton Track 1, Lohse. Höser / Scherer, Hoffnung, 31. Lohse, Andacht am 5.10.1989, 3. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 88.
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kleine Weihnachtspause123 jeden Donnerstag Fürbittandachten statt, ab 12. Oktober 1989 in „Gottesdienste zur gesellschaftlichen Erneuerung“ umbenannt.124 Dass am 8. Februar 1990 die letzte Andacht stattfand, geht vermutlich auf eine Entscheidung von Joachim Gauck zurück, denn am 5. Februar 1990 war in der Vollversammlung der Vorbereitungsgruppen noch geplant worden, die Donnerstagsandachten bis zum 15. März 1990 und damit bis zu der Volkskammerwahl, fortzusetzen.125 Ganz ähnlich verlief die Entwicklung im gesamten Norden der DDR. In Neubrandenburg begannen die Friedensgebete auf Initiative des Friedenskreises und auf Beschluss des Propsteikonventes am Mittwoch, den 11. Oktober 1989, gemeinsam mit der katholischen Gemeinde, ab dem 13. November 1989 dann immer montags. Hier fanden die Friedensgottesdienste über den längsten Zeitraum am häufigsten im Norden statt, insgesamt 27 Mal. Auf Bitten der Koalition fand vor der konstituierenden Sitzung der ersten freigewählten Stadtverordnetenversammlung am 5. Juni 1990 ein gemeinsames Friedensgebet in der Johanniskirche statt, auch in Anwesenheit der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)Abgeordneten.126 Folgte die friedliche Revolution zumeist der Reihenfolge: Kleiner Friedenskreis - Fürbittgottesdienst - Demonstration - Dialogbereitschaft seitens der SED, wichen kleinere Orte durchaus davon ab. In Röbel z.B. fand am 15. Oktober 1989 ein Friedensgebet statt, vier Tage später dann eine „Versammlung zur demokratischen Erneuerung“, ebenfalls in der Nikolaikirche unter Leitung von Pastor Timm. Diese Versammlung fand danach wöchentlich statt, die Friedensgebete wurden hingegen eingestellt.127 Auch im vorpommerschen Dorf Stolpe wurde der Kirchenraum am 2. November 1989 für eine Bürgerdiskussion genutzt, wobei der Pfarrer zwar nicht Veranstalter war, aber doch die „Rolle des Hausherren, Gastgebers und Moderators“128 übernahm. In Loitz wurde am 26. Oktober 1989 erst demonstriert und danach Gottesdienst gefeiert129 und in Kühlungsborn fand sogar die erste Dialogveranstaltung zwischen Staatsvertretern und Bürgern am 24. Oktober 1989 statt, einen Tag vor dem ersten dortigen Friedensgottesdienst mit anschließender Demonstration. Die Predigt von Pastor Schmidt wurde am 27. Oktober 1989 gar im Lokalteil der Ostsee-Zeitung (OZ) durch das Sekretariat der Kreisleitung ungekürzt veröffentlicht.130 123
124 125 126 127 128 129 130
Die letzte Dezemberandacht war am 21.12.1989, die erste offizielle Andacht im neuen Jahr am 8.1.1990. Am 6.1.1990 lud die Gruppe, die auch den Gottesdienst am 7.10.1990 vorbereitet hatte, zu einem Gottesdienst unter dem Motto „Mein Herz muss barfuß gehen in dieser Welt“ ein. Lohse, Wetterlagen, 130. Anders Höser / Scherer, Hoffnung, 5: Hier wird erst ab dem 23. November 1989 von „Gottesdiensten zur gesellschaftlichen Erneuerung“ gesprochen. Vgl. ebd., 88. Vgl. Heydenreich, Geschichte, 6–43. Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 87f. P/L/31-40/E, Leben, 26. Vgl. Gienke / Winter, Anfang, 149f. Vgl. Heinz, Kampf, 35–38.
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Historischer Teil Inmitten dieser wachsenden gesellschaftlichen Unruhe vertraute die DDRFührung auf altbewährte Mittel – der 40. Jahrestag der DDR sollte am 7. Oktober 1989 pompös gefeiert werden und Stärke markieren. Doch schon am 4. Oktober 1989 war klar, dass dies unmöglich funktionieren würde. An diesem Tag kam es in Dresden zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und Polizei während der Durchfahrt eines Zuges mit DDR-Flüchtlingen aus Prag auf dem Weg in die BRD. Menschen versuchten, auf die Züge aufzusteigen. Vor allem im Süden der DDR kam es zu Protesten und etlichen Verhaftungen. Und doch, auch die Bürger der DDR setzten Hoffnungen in den 40. Parteitag und dessen hohen Staatsgast Gorbatschow, im Volk liebevoll „Gorbi“ genannt. Am Vorabend des Staatsfeiertages wurde er beim Fackelzug durch die Straßen von Berlin mit Ovationen begrüßt. Honecker hingegen missachtete die kritische Lage der DDR und erwähnte diese erst gar nicht in seiner Festrede. Im Gespräch mit den Mitgliedern des Politbüros mahnte Gorbatschow daher: „Ich halte es für sehr wichtig, den Zeitpunkt nicht zu verpassen und keine Chance zu vertun [...]. Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort [...].“131 Als Honecker überhaupt nicht darauf einging und weiterhin den real existierenden Sozialismus pries, beendete Gorbatschow das Gespräch abrupt. Währenddessen hatten sich auf dem Alexanderplatz in Berlin 15.000–20.000 Menschen versammelt, alles schien ruhig. Erst als sich die Menge zerstreute, erschallen „Gorbi, Gorbi“- und „Wir sind das Volk“-Rufe, abseits vom Rampenlicht der Westmedien wurden Demonstranten verhaftet.
Zwei Tage nach der ersten Fürbittandacht in Rostock fand am Nationalfeiertag der DDR eine „Andacht der Betroffenheit“ in Rostock statt, die ihrer Form nach eher einem Gottesdienst glich. Die Vorbereitung lag diesmal in den Händen der Pastoren Fred Mahlburg, Jochen Schmachtel, Hartmut Dietrich und Landessuperintendent Joachim Wiebering sowie der Pastorin Gudrun Günther. Betroffenheit über die Massenflucht von DDR-Bürgern wurde geäußert und Mut zu Veränderungen vor Ort gemacht. Am Ende wurde eine Erklärung zur politischen Situation verlesen, die etwa 500132 der 600–700 Teilnehmer unterschrieben. Darin hieß es: „Wir wollen in der DDR leben in einer sozialistischen Gesellschaft, die endlich das Potential für eine demokratische Erneuerung erschließt und nutzt.“133 Es sei aber nötig, Probleme öffentlich zu benennen und zu bearbeiten. Schon im Juni 1989 hatten kirchliche Mitarbeiter einen Brief an die Volkskammer der DDR verfasst und in Kopie an die Stadtverordnetenversammlung Rostocks gesandt134 , darauf aber keine Antwort erhalten. Die Stadt in Person des Oberbürgermeisters 131 132
133 134
BPB, Informationen, 25. Laut Erinnerung von Fred Mahlburg per E-Mail vom 16.3.2011 an mich. Anders Höser / Scherer, Hoffnung, 34 und Halbrock, Freiheit, 159: Beide sprechen von ca. 600 Unterschriften, was bei einer Teilnehmerzahl von 600–700 aber unrealistisch erscheint. Mahlburg, Predigt am 7.10.1989. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 35. Die Abgeordneten hatten den Brief nie gelesen, sondern erfuhren erst am 6.11.1989 durch Landessuperintendent Wiebering davon.
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Dr. Henning Schleiff reagierte empört auf die Erklärung und wies sie im Gespräch am 10. Oktober 1989 in Verkennung der Gesamtsituation als überflüssig zurück, weil „Gesprächsbereitschaft auf allen Ebenen bestand und besteht“ und die Forderungen „längst realisiert“ seien. Die kirchlichen Mitarbeiter wurden angewiesen, sich um „Ruhe und Ordnung“ zu kümmern und alles Weitere dem Staat zu überlassen. Einziges Ergebnis des Gesprächs für die Pastoren war die Erkenntnis, dass der Oberbürgermeister „kein effektiver Gesprächspartner für künftige Gespräche über politische Probleme der Gesellschaft“135 sei. Ebenfalls am 7. Oktober 1989 gab es den ersten Demonstrationsversuch in Rostock.136 Ca. 50 junge Menschen liefen schweigend von der Petrikirche zum Universitätsplatz und weiter zum Rathaus. Joachim Langer, einer der Beteiligten, schrieb 1991 im Rückblick: „Die Polizei [...] konnte nicht eingreifen. Denn da standen mehrere Gruppen mit brennenden Kerzen und unterhielten sich; irgendwie war uns nichts anzuhängen.“137 Gleiches spielte sich eine Woche darauf mit etwa 60 Teilnehmern ab. Mithilfe solcher Symbolhandlungen, wie öffentlich getragener brennender Kerzen, konnte zu DDR-Zeiten mit einfachen Mitteln eine kritische Öffentlichkeit hergestellt werden. Solche hatten stets zwei Adressaten: Gleichgesinnte, um sie zu ähnlichen Taten zu motivieren, und den Staat, um ihm den Unmut zu zeigen. Dank ihrer zwar zu dechiffrierenden, dann aber eindeutigen Botschaft, waren solche „kleinen, öffentlichkeitswirksamen Aktionen [...] sehr wirkungsvoll.“138 Wenige Tage zuvor hatte es in der Schweriner Paulskirche ein erstes Treffen des Neuen Forums im Norden mit 800–1000 Leuten gegeben139 , am 11. Oktober 1989 gründete sich auch in Rostock eine solche Gruppe.140 , am 20. Oktober 1989 in Greifswald141 , am 24. Oktober 1989 auch in Neubrandenburg142 . Egon Krenz hatte zwar den Ernst der Lage keineswegs durchschaut, aber erkannt, dass Honecker abgesetzt werden musste. Mit Hilfe von Günter Schabowski schrieb er ein ansatzweise kritisches Papier, das von Honecker am 8. Oktober 1989 allerdings abgelehnt wurde. Einen Tag später stellte Krenz das Papier schließlich im Politbüro vor, was es zur Veröffentlichung im „Neuen Deutschland“ am 12. Oktober 1989 freigab als „Erklärung des Politbüros des 135 136
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Ebd., 35. Insgesamt gab es zwischen August 1989 und April 1990 in Mecklenburg 394 Demonstrationen (z.T. mit Kundgebungen) an 79 Orten, 114 davon waren kirchliche Veranstaltungen. Im Bezirk Rostock fanden davon 171 Demonstrationen an 28 verschiedenen Orten statt, wovon 50 kirchlich organisiert waren. Vgl. Schwabe, Herbst, 721f. Höser / Scherer, Hoffnung, 37. Subklew-Jeutner, Mandat, 443. Vgl. Der Landesbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Aufbruch, 229–232. Vgl. Probst, Bürgerbewegungen. Er stellt die Entwicklungen am Beispiel des Neuen Forums in Rostock ausführlich dar. In Berlin wurde das Neue Forum schon am 10.9.1989 gegründet. Vgl. Kuessner, Greifswald, 4–6. Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 89.
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Historischer Teil Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“. Sie ist u.a. eine Reaktion auf einen Zeitungsartikel im Neuen Deutschland vom 2. Oktober 1989, worin es hieß, man sollte den Flüchtlingen „keine Träne nachweinen“143 . Er hatte empörte Reaktionen in der Bevölkerung hervorgerufen und wurde auch in den Predigten wütend zitiert.144 Stattdessen formulierte Krenz nun: „Der Sozialismus braucht jeden [...], deshalb lässt es uns nicht gleichgültig, wenn sich Menschen [...] von unserer Deutschen Demokratischen Republik losgesagt haben. [...] Die Ursachen für ihren Schritt mögen vielfältig sein. [...] Viele von denen, die unserer Republik in den letzten Monaten den Rücken gekehrt haben, wurden Opfer einer groß angelegten Provokation.“ Hauptschuldiger sei „der Westen“. Der „Imperialismus der BRD“ breche Verträge, missachte das Völkerrecht und versuche, „mit hasserfüllter Kampagne ihrer Massenmedien Zweifel am Sozialismus und seiner Perspektive zu verbreiten. [...] Die Probleme der weiteren Entwicklung des Sozialismus in der DDR lösen wir selbst – im sachlichen Dialog und im vertrauensvollen politischen Miteinander. [...] Es geht um den Beitrag unserer Republik für die Sicherung des Friedens in der Welt.“145 Gemessen an der angespannten Lage war die Reaktion enttäuschend: Zu spät kam zu wenig. Das Schlagwort „Dialog“ sollte die Macht der SED retten, ein Demokratiebekenntnis die Herrschaft der führenden Partei sichern.146
Derweil spitzte sich die Lage im Land weiter zu. Schon am 12. Oktober 1989 war die Teilnehmerzahl der zweiten Rostocker Donnerstagsandacht auf 3.000–3.500 gestiegen. Dr. Manfred Manteuffel (Referent für Kirchenfragen) und Dr. Manfred Bölkow (Stellvertreter des Oberbürgermeisters und Stadtrat für Inneres) wurden schon im Vorfeld unruhig und kündigten an, „es werde aber nicht geduldet werden, daß vor der Petrikirche am Alten Markt ein Auflauf von Menschen entsteht“147 . Daraufhin wurde die Andacht, wie auch am 5. Oktober 1989 noch ohne Predigt, in die Marienkirche verlegt. Zu einer Demonstration kam es an diesem Donnerstag noch nicht, wohl aber signalisierten viele junge, auch kirchenferne Menschen die Bereitschaft zur Mitarbeit bei den Andachten. Nachdem die Nachricht von der Freilassung der Leipziger Inhaftierten die Rostocker erreichte, wurde beschlossen, die Andachten auch weiterhin wöchentlich durchzuführen unter der Bezeichnung „Gottesdienste für gesellschaftliche Veränderungen“ mit dem Schwerpunkt der Informationsvermittlung.148 Am darauffolgenden Montag, den 16. Oktober 1989, kam es auch im Norden der DDR zur ersten größeren Demonstration, und zwar in Waren/Müritz. Die 143 144 145 146 147 148
O.A.d.V., Honecker. „Wir sagen, dass wir keinem aus dem Politbüro eine Träne nachweinen würden. Alle anderen aber fehlen uns überall, jeder und jede von ihnen.“ Wolter, Predigt am 5.11.1989, 1. O.A.d.V., Politbüro, 1. Müller, DDR, 48. Höser / Scherer, Hoffnung, 36. Nach einer Aktennotiz von Landessuperintendent Wiebering. Vgl. Lohse, Wetterlagen, 130.
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Einschätzung Christoph Wunnickes, dies sei die allererste Demonstration im Norden der DDR gewesen, ist jedoch so nicht richtig.149 Allerdings war der Warener Schweigemarsch wohl die erste durch einen kirchlichen Mitarbeiter, nämlich Pastor Harder, initiierte Demonstration in der beträchtlichen Größe von 450 Menschen,150 die nach dem Fürbittgottesdienst stumm durch die Stadt liefen unter dem Motto der ökumenischen Versammlung 1988: „Eine Hoffnung lernt laufen“. Zwei Tage später ergriff die Demonstrationswelle den gesamten Norden. Am 18. Oktober 1989 demonstrierten in Neubrandenburg 5000 Menschen, noch immer schweigend.151 Am gleichen Tag marschierten ebenso viele Leute nach dem ersten Friedensgebet im Dom St. Nikolai spontan durch Greifswald.152 Nach Absprache mit Egon Krenz, Günter Schabowski und Harry Tisch vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) forderte Ministerpräsident Willy Stoph am 17. Oktober 1989 Erich Honecker zum Rücktritt auf.153 Krenz wurde neuer Generalsekretär – ein schlechter Schachzug, war sein Image in der Bevölkerung doch wegen der Wahlmanipulationen und seiner Chinareise nach dem 4. Juni 1989 beträchtlich lädiert. Aus der Not heraus machte er eilig Versprechungen: Demonstrationen sollten künftig toleriert werden, neue Reisegesetze wurden angekündigt, die Medienberichterstattung verbesserte sich. Am 27. Oktober 1989 erließ er zudem eine Amnestie für Ausgereiste, Flüchtlinge und verhaftete Demonstranten. In einem offenen Brief, der am 9. November 1989 in der Gebetsandacht verlesen wurde, reagierte der Rostocker Theologiestudent Dietrich Herrmann wütend hierauf: „Amnestie heißt Gnadenakt, Begnadigung! Menschen, die Unrecht und Ignoranz nicht länger ertragen wollten oder konnten, wurden, nachdem ihnen schlimme körperliche und seelische Schmerzen zugefügt worden waren, dafür begnadigt. Ich denke, diese ungeheuerliche Anmaßung dürfen wir nicht durchgehen lassen.“154 Nach außen war diese Taktik dennoch erfolgreich. Bei Krenz‘ Besuch in Moskau am 1. November 1989 war Gorbatschow von der Stabilität der DDR überzeugt. Im Inneren brodelte es weiter, u.a. mit Anti-Krenz-Parolen wie „Sozialismus krenzenlos!“. In Rostock fand am 19. Oktober 1989 die dritte Gebetsandacht statt, diesmal gleichzeitig und gleichlautend in St. Marien und St. Petri.155 Dennoch reichte der 149 150 151 152 153 154 155
Vgl. die Demonstrationen am 7. und 14.10.1989 in Rostock. Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 87. Vgl. Langer, Norden, 278. Vgl. Glöckner, Wende, 10f. Von den Demonstranten wurde dies als Ergebnis ihres Protestes interpretiert, infolgedessen nahmen die konkreten Forderungen an den Staat zu. Vgl. Pollack, Umbruch, 68. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, Offener Brief, am 9.11.1989 im Informationsteil der Andacht verlesen. Das darf als Rostocker Besonderheit gelten. In Neubrandenburg und Greifswald fanden zwar auch Andachten gleichzeitig in mehreren Kirchen statt, allerdings mit unterschiedlichen Predigten.
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Platz lange nicht für alle. Mittels Lautsprechern wurde die Andacht nach draußen übertragen, sodass ca. 7.000–9.000 Menschen teilnehmen konnten. Erstmals wurde eine Predigt gehalten. Vom Aufbau her kann die Form der Andacht als Muster für alle weiteren betrachtet werden. Es gab drei Schwerpunkte: Textauslegung, Information und Gebet.156 Im Informationsteil lud OB Schleiff zu drei abendlichen Dialogveranstaltungen in der kommenden Woche ein. Solche waren von der „SED ursprünglich als taktische Manöver zur Verhinderung weiterer Demonstrationen geplant“157 . In Greifswald fand eine solche Veranstaltung unter dem Titel „Mensagespräche“ am selben Tag statt. Es war der „Start für die öffentlichen Diskussionen außerhalb kirchlicher Räume“158 . Eine Möglichkeit, von der viele Bürger Gebrauch machten und häufig enttäuscht wurden angesichts der „Hinhaltetaktik“, Beschwichtigungsversuche und „Inkompetenz der Regierenden“159 . Sie spürten, dass dieser Dialog zur „vermeintliche(n) Rettungsformel“160 der SED werden sollte. Nach der Rostocker Andacht am 19. Oktober 1989 begann auf Initiative des Arbeitskreises „Umwelt“ das einwöchige „ständige Gebet für die Inhaftierten und den Prozeß der Erneuerung in unserem Land“161 . Rund um die Uhr beteten Christen, später auch interessierte Nichtchristen in der Petrikirche.162 Im Anschluss an die Andacht am 19. Oktober 1989 formierte sich auch in Rostock ein gewaltfreier Demonstrationszug durch die Innenstadt. Pastor Lohse erzählt: „Das war ne rein spontane Geschichte, und wir, die wir in den Kirchen waren, wir haben das eigentlich gar nicht mitbekommen, weil wir noch mit Aufräumen und mit Nachgesprächen zu tun hatten, ich habe es erst am nächsten Tag erfahren [...].“163 Anführer der Demonstration war der Tischler Stefan Mahlburg (Sohn von Pastor Mahlburg und später Pastor der PEK), der einen bunten Schmetterling vorantrug – dieser wurde zum „Symbol für den Herbst 1989/Winter 1990 in Rostock“164 . Am selben Tag riefen Rostocker Jugendliche und junge Erwachsene (u.a. die Gruppe vom 7. und 14. Oktober 1989) zu einer Demonstration am Samstag, den 21. Oktober 1989 auf. Dabei ging es den Organisatoren nicht um eine Spaltung der Demonstranten. Sie wollten zeigen, dass „die Menschen sich gleich auf der Straße versammeln sollten, und nicht wie ‚ganz normal‘ erst in die Kirche gehen sollten“165 . 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165
Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 38. Hollitzer, Jahre, 5. Kuessner, Greifswald, 4. Höser / Scherer, Hoffnung, 44. Wunnicke, Neubrandenburg, 116. Lohse et al., Einladung. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 40. Vgl. Reischke, Länderreport O-Ton Track 5, Lohse. Lohse, Wetterlagen, 131. Höser / Scherer, Hoffnung, 40.
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Und die Menschen kamen. Für den 21. Oktober 1989 gibt es keine Zahlen, für den 28. Oktober 1989 variieren die Angaben zwischen mehreren tausend166 und 25.000 Teilnehmern167 . Am Ende fand ein Gespräch mit OB Schleiff vor dem Rathaus statt. Die OZ berichtete am 30. Oktober 1989: „Eine Frau, die die Demonstranten aufforderte, endlich nach Hause zu gehen und anfragte, ob sie wirklich der Meinung seien, das Volk zu sein, wurde ausgebuht [...].“ Dass die Gebetsandachten keine Einzelaktion weniger Pastoren und Gemeinden waren, bestätigte der am 24./25. Oktober 1989 stattfindende Kirchenkreiskonvent Rostock in Anwesenheit von Landesbischof Christoph Stier in Bad Doberan. Breite Solidarität wurde bekundet und Mithilfe angeboten. Pastor Gauck wurde weitgehend von der Gemeindearbeit freigestellt, um Zeit und Kraft für die Vorbereitung der Donnerstagsandachten zu haben.168 Zudem sollte in Anbetracht der voraussichtlich steigenden Teilnehmerzahlen die Andacht am 26. Oktober 1989 in fünf Rostocker Kirchen zeit- und inhaltsgleich angeboten werden und die Zusammenarbeit mit der evangelisch methodistischen Michaelisgemeinde und der katholischen Kirche fortgeführt und intensiviert werden. Die für die kommenden Monate wichtige gute Vernetzung war geschaffen. In einer Erklärung machte der Konvent seine Strategie deutlich und befürwortete klar die Demonstrationen: „Wir sollten die Dialogangebote auf allen Ebenen wahrnehmen. Aber wir sollten nicht auf gewaltfreie Demonstrationen verzichten. Sie haben vor allem die Dialogbereitschaft von Staat und Partei erreicht. [...] Sie sind schließlich eine Möglichkeit für jene, denen noch die Worte fehlen, ihre Unzufriedenheit auch auszudrücken.“169 Auch die Greifswalder Kirchenleitung ermutigte am 16. Oktober 1989 ihre Gemeindeglieder in einem Brief dazu, „auf allen ihnen zugänglichen Ebenen ihre Stimme offen und ehrlich, ohne Angst und Überheblichkeit zu erheben, das Gespräch mit anderen zu suchen und so zu einer guten Entwicklung in unserer Gesellschaft beizutragen. [...] Ohne Verantwortungsbereitschaft wird eine Erneuerung der Gesellschaft nicht gelingen [...] In der Nachfolge Jesu lernen wir, [...] den Weg der Gewalt und des Hasses bewußt zu meiden.“170 Und in seinem Bischofsbericht auf der Landessynode im November 1989 formulierte Horst Gienke folgende Leitlinie: „Als Kirche werden wir unsere Gemeindeglieder dazu ermutigen, [...] als mündige Staatsbürger mitzuarbeiten. Wo kirchliche Mitarbeiter ihr staatsbürgerliches Recht der politischen Mitarbeit auf politischer Ebene in Anspruch nehmen, werden wir das gerade in dieser Aufbruchphase als persönliche Entscheidung achten [...].“ Einschränkend fügt er jedoch hinzu: „Allerdings weist der Auf166 167 168
169 170
Vgl. Langer, Norden, 279. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 40. Sie zitieren Joachim Langer mit 25.000 Teilnehmern. Vgl. Lohse, Wetterlagen, 131. Vgl. auch einen von Gauck am 26.10.1989 verfassten Brief an seine Kinder, dem die innere Bewegtheit ob des neuen Auftrags anzuhören ist: „Meine Kollegen haben mir sozusagen ein Mandat für diese Arbeit der politischen Predigt erteilt. Ich muss einfach mit allem, was ich bin und kann, das sagen, wofür ich mein ganzes Leben in diesem Land gearbeitet, gekämpft und auch gelitten haben. Und es ist gut und richtig so!“, in: Gauck, Winter, 212. Höser / Scherer, Hoffnung, 41. Brief teilweise abgedruckt, in: Gienke / Winter, Anfang, 149.
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trag der Kirche jeden Mitarbeiter an alle Menschen. [...] Politische Tätigkeit sollte den kirchlichen Dienst nicht eingrenzen [...].“171 Die SED allerdings gab nicht auf. Bereits am 23. Oktober 1989 hatte sie in Schwerin zeitgleich mit der Demonstration nach der Fürbittandacht eine Gegendemonstration inszeniert; eine Konfrontation konnte nur knapp verhindert werden.172 Ähnliches schien in Rostock für den 26. Oktober 1989 beabsichtigt: Parteisekretäre versuchten, „Genossen zu verpflichten, am Abend in die Kirchen zu gehen und die Stimmung zu beeinflussen“173 . Alarmiert suchten die Organisatoren der Andacht das Gespräch mit dem Stadtrat, der die Pläne bestritt. Obwohl niemand eine Demonstration organisiert hatte, einigte man sich auf gegenseitige Gewaltfreiheit im Falle einer höchstwahrscheinlich stattfindenden Demonstration. Zudem wollte man weiterhin im Gespräch bleiben und vereinbarte ein Treffen für den 30. Oktober 1989. Bei diesem kamen Vertreter des Neuen Forums, der evangelischen Kirche und der SED zusammen, einigten sich auf weitere Gewaltlosigkeit und beschlossen, als Ansprechpartner für die Polizei ein Bürgerkomitee unter der Leitung von Pastor Mahlburg zu bilden.174 Dieses sollte im Gottesdienst Empfehlungen für den Demonstrationsverlauf geben und beruhigend auf die Menschen einwirken. Am 26. Oktober 1989 hieß es am Ende der Andacht im pragmatischen Tonfall: „Die Vertreter des Staatsapparates einschließlich der Volkspolizei erklärten, daß keine Gewalt von den Organen des Staates ausgeübt werde. [...] Wir möchten euch jetzt sagen: verzichtet auf jede Art Gewalt gegen Personen oder Sachen! Auch die anwesenden Gäste aus den SED-Betriebsparteiorganisationen sowie den Kampfgruppeneinheiten bitten wir, dieser Aufforderung zu folgen. [...] Im Einvernehmen mit den Vertretern des Staates, obwohl wir nicht die Veranstalter der Demonstration sind, schlagen wir den Ablauf der Demonstration vor: [...] Wenn wir dann wieder am Kröpeliner Tor sind, bitten wir euch, die Demonstration zu beenden und nach Hause zu gehen. Bitte halten sie sich dort, wo Wohnhäuser stehen, bei Sprechchören zurück! Wir wollen die, die schlafen, nicht aufwecken. An der Spitze des Zuges ist ein Schmetterlingstransparent.“175
171 172
173 174
175
Greifswald, Amtsblatt, 65. Vgl. Der Landesbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Aufbruch, 229–232. Lohse, Wetterlagen, 131. Vgl. Lohse / Schnauer, Rostock, 2; und Höser / Scherer, Hoffnung, 51. Anders Lohse, Wetterlagen, 132. Er spricht schon ab dem 26.10.1989 vom Bürgerkomitee. Schuller, Revolution, 226 hingegen nennt den 9. November 1989 als Gründungsdatum. Damit bezieht er sich vermutlich auf den Titel des Abdruckes von Mahlburg: Information für Andachten am 9. November 1989, in: Schmidtbauer, Tage, 36. Darin heißt es ohne genaue Datumsangabe: „In dieser Woche hat sich ein unabhängiges Bürgerkomitee konstituiert [...].“ Ab dem 9. November 1989 war dieses für die Donnerstagsdemonstrationen organisatorisch zuständig. Gauck / Heldt / Leefhelm, Predigt am 26.10.1989, Demonstrationsinformationen.
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Die erste geplante Route der Demonstration führte auf einem etwa 3 km langen Weg durch die Rostocker Innenstadt, vorbei an MfS und Rathaus, die Auflösung erfolgte jedoch relativ weit entfernt von beiden Orten. Dass es nicht ganz reibungsfrei verlief, zeigt der Aufruf eine Woche später, bei der Stasi nicht zu lange stehen zu bleiben, damit „der Zug nicht so zerreißt wie beim letzten Mal“176 . Ab dem 9. November 1989 empfahl das Bürgerkomitee eine Route, die die Innenstadt umkreiste, an der Stasi vorbei lief und direkt vor dem Rathaus endete.177 Dieser Weg wurde die feste Route an jedem Donnerstag, bis am 25. Januar 1990 eine kleinere, nur noch gut 1,5 km lange Runde gewählt wurde mitten durch die Innenstadt, wobei das Hauptaugenmerk darauf lag, Kerzen vor dem Rat des Bezirkes, dem Haus der Nationalen Volksarmee (NVA) und dem Rathaus abzustellen.178 Am 1. und 8. Februar 1990 wurde schließlich zu einem „Demonstrations-Ring“ um das Rathaus aufgefordert unter dem Thema: „Rat der Stadt – tritt zurück – regier nur kommissarisch!“179 . Im Anschluss daran hielten Vertreter des Neuen Forums und von „Demokratie Jetzt“ Reden. Der Kreis der Demonstrationen hatte sich auch symbolisch verdichtet hin auf das Zentrum der Macht. Der Marxismus-Leninismus sah sich „mit seiner eigenen geschichtstheoretischen Prognose konfrontiert – freilich mit negativem Vorzeichen -, wonach die Idee zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift.“180 „Wandte sich hier“, fragte 2014 auch Gisa Bauer, „die millionenfach indoktrinierte verschwommene Vision einer besseren Zukunft, sei sie kommunistisch oder mit einem ‚menschlicheren Antlitz‘ ausgestattet, gegen die Doktrinäre des historischen Materialismus?“181 Der Mauerfall: November 1989 Nachdem zum 1. November 1989 die Reisebeschränkungen Richtung Tschechoslowakei aufgehoben wurden, überquerten binnen weniger Stunden über 8.000 DDR-Bürger die Grenze. Vor Tagesende befanden sich erneut 1.200 Ostdeutsche in der Bonner Botschaft in Prag. Zudem ließ die DDR-Regierung verlautbaren, dass DDR-Bürger von der Tschechoslowakei in die BRD reisen dürften. Die Chance nutzten innerhalb einer Woche 48.177 Menschen. Bis zum Ende der ersten Novemberwoche waren somit allein im Jahr 1989 über 225.000 Bürger ausgereist. Nicht nur für die DDR, sondern auch für die BRD ein Problem. Wohin mit den vielen Menschen, zu denen noch ca. 300.000 deutschstämmige Immigranten aus Osteuropa kamen? Bundeskanzler Kohl erklärte ergo am 8. November 1989 im „Bericht zur Lage der Nation“, man wolle der neuen DDR-Führung vor Ort bei der Umsetzung von Reformen helfen. So etwas hörte die DDR-Regierung sicher gern, aber viele Bürger wollten darauf 176 177 178 179 180 181
Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, Demonstrationsinformationen. Ebd., Demonstrationsinformationen. Lohse et al., Predigt am 25.1.1990, Demonstrationsinformationen. Gauck et al., Predigt am 1.2.1990, Demonstrationsinformationen. Agethen, Jahre, 277. Bauer, Transformationen, 9.
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Historischer Teil nicht vertrauen. Vom 8. zum 9. November 1989 flohen weitere 11.000 Menschen über die Tschechoslowakei.
In Rostock räumte der Bezirkstag derweil ein, seine Aufgabe ungenügend erledigt zu haben und bekannte sich zu einer „neuen Qualität der sozialistischen Demokratie“182 . Unterdessen organisierte sich das Neue Forum lokal besser. Nachdem es am 11. Oktober 1989 in Rostock Hauskreise gebildet hatte, gründete sich am 2. November 1989 ein vorläufiger Koordinierungskreis, zwei Tage später fand die erste Gruppensprechervollversammlung statt183 und am 8. November 1989 wurde das Neue Forum offiziell vom Innenministerium der DDR bestätigt. Die Schlussfolgerungen aus den inzwischen 15 Dialogveranstaltungen zwische Stadtrat und Bürgern wurden am 6. November 1989 durch die Stadtverordnetenversammlung gezogen und vom Sender Rostock live übertragen. Am selben Tag wurde von OB Schleiff auch ein Gerechtigkeitsausschuss einberufen, der sich am 23. November 1989 erstmals mit Vertretern von Kirche und Neuem Forum traf. Die Botschaft war angekommen: Macht würde nur noch über Dialogbereitschaft durchzusetzen sein. Gerade am Beispiel des Gerechtigkeitsausschusses wird deutlich, wie schwer die Verstrickungen Einzelner aufzudecken waren mangels glaubwürdiger Informationen. Schon am 9. November 1989 gab es im Informationsteil der Gebetsandacht Proteste von Mitarbeitern des VEB Starkstromanlagenbau Rostock gegen die Wahl ihrer Kollegin Fähndrich in den Ausschuss. Dies käme einer Verhöhnung der Betroffenen gleich, da sie Kaderleiterin und „Verbindungsperson zur ‚Stasi‘“184 sei. Am 30. November 1989 wurden die Gottesdienstbesucher der Gebetsandacht darüber informiert, dass es anonyme telefonische Drohungen gegen den Vorsitzenden des Gerechtigkeitsausschusses, Helmut Wassatsch (Mitglied der SED) gegeben habe, „die ihn und das Leben seiner Frau betrafen“185 . Daraufhin habe er seine Mitarbeit aufgegeben. Eine Woche später musste dies richtig gestellt werden. Der wahre Grund des Rücktrittes war, dass „das Kollektiv H. Wassatsch in einer geheimen Abstimmung das Mandat entzog. Von dieser Abstimmung wußte H. Wassatsch bereits vor Bekanntgabe der Informationen in den Kirchen am vergangenen Donnerstag.“186 Um den Austausch von Informationen sicher zu stellen, wurde in der methodistischen Michaelskirche eine Informationszentrale eingerichtet, eine weitere war die Teestube in der Gerberkapelle der Nikolaikirche. Hier konnten Menschen ihre Eindrücke und Geschichten erzählen oder schriftlich hinterlassen. Ein Team wertete diese aus und las ausgewählte Beispiele in den Gebetsandachten vor. Auch die Demonstrationsbewegung fand ihren Höhepunkt in der ersten Novemberwoche: 500.000 Menschen kamen jeweils in Berlin und Leipzig zusammen, 60.000 in Halle, 25.000–30.000 am 1. und 8. November 1989 nach 182 183 184 185 186
Langer, Norden, 283. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 45–47. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, Informationen. Gauck, Predigt am 30.11.1989, Informationen. Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, Informationen.
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dem Friedensgebet in Neubrandenburg, 40.000 in Rostock nach der Andacht am 2. November 1989, 10.000 am 6. November 1989 in Stralsund. In der Konsequenz traten am 7. November 1989 die Regierung der DDR und am 8. November 1989 das Politbüro zurück. Die neue Führung war eine Gruppe von Anti-Honecker-Leuten, u.a. mit Egon Krenz und Schabowski. Hans Modrow wurde am 13. November 1989 neuer Ministerpräsident, am selben Tag riefen Demonstranten in Leipzig erstmals in Wiederaufnahme der DDRNationalhymne „Deutschland, einig Vaterland“187 . Am 9. November 1989 hatte die SED-Kreisleitung in Rostock ein letztes Mal versucht, um 17 Uhr zu einer „Manifestation für die Erneuerung des Sozialismus in der DDR“ aufzurufen, doch die Veranstaltung wurde durch parteiinterne Reformkräfte in eine Demonstration für die Erneuerung von Staat und Partei umfunktioniert.188 Um geteilten Kräften vorzubeugen, empfahl das Bürgerkomitee im Gottesdienst am 9. November 1989, von nun an auf die Demonstrationen am Sonnabend zu verzichten: „Demonstrationen sollten eine demokratische Form politischer Willensbekundung bleiben. Wir wollen unsere Kräfte auf den Donnerstag konzentrieren und einen langen Atem behalten.“189 Dennoch rief es dazu auf, das Volkstheater Rostock am Sonntag bei dessen Demonstration mit anschließendem Forum zur Pressefreiheit zu unterstützen. Im Wettlauf um die Macht und gegen die Zeit versuchte die DDR-Regierung, die Fluchtbewegung durch neue Reisebestimmungen einzugrenzen. Schon am 24. Oktober 1989 ließ sie verlautbaren, dass in Zukunft alle Bürger ungehindert würden reisen können und legte am 30. Oktober 1989 einen Entwurf vor, der am 6. November 1989 veröffentlicht wurde. Dieser sah vor, dass jeder Bürger das Recht habe, mit Reisepass und Visum, aber ohne harte Währung, pro Jahr einen Monat im Ausland zu verbringen. Die Reaktionen waren eindeutig: „Wir brauchen keine Gesetze – die Mauer muss weg!“, riefen Demonstranten in Leipzig. Auch die Tschechoslowakei forderte die DDR zu schnellem Handeln auf. Aus Angst vor Protesten in der eigenen Bevölkerung wollte sie die flüchtenden Ostdeutschen nicht mehr bei sich dulden und drohte, die Grenze zur DDR zu schließen. Unter diesem innen- und außenpolitischen Druck beschloss Krenz am 9. November 1989, die uneingeschränkte Reisefreiheit zu verkünden und diese erst hinterher vom Parlament bestätigen zu lassen in der Hoffnung, damit die Bevölkerung zu beruhigen und der SED die Macht zu erhalten. In der abendlichen Pressekonferenz sprach Günter Schabowski auf eine Frage des Journalisten Riccardo Ehrmann die legendären Sätze: „Privatreisen nach dem 187 188
189
Rödder, Deutschland, 120. Vgl. das Manuskript für die Abkündigung in den Andachten: Mahlburg. Informationen; in: Schmidtbauer, Tage, 37. Dies wurde am Abend auch in den Gebetsandachten bekannt gegeben. Vgl. Langer, Norden, 285. Mahlburg, Information für Andachten am 9. November 1989; in: Schmidtbauer, Tage, 36.
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Historischer Teil Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen [...] beantragt werden. [...] Das trifft nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“190 Die Mauer war durchlässig geworden! Das Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF) in der BRD meldete es gleich 19.17 Uhr, die Arbeitsgemeinschaft der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten der BRD (ARD) brachte es 20 Uhr als Spitzenmeldung. An der Grenze war die Verwirrung groß, um 21 Uhr gab Krenz Weisung, die Menschen durchzulassen. Bei aller Euphorie waren die Folgen der Grenzöffnung zunächst unklar: Sollten alle Kritiker der DDR herausgelassen werden, um danach die Grenze wieder zu schließen? War danach eine Stabilisierung des SED-Regimes möglich? Blutete die DDR ökonomisch aus? Solche Sorgen hatten auch viele Rostocker, die erst verzögert gegen 22 Uhr und meist über Mundpropaganda während der Donnerstagsdemonstration vom Gerücht der Grenzöffnung hörten.191 In Greifswald wurde die Nachricht von der Grenzöffnung durch Pfarrer Glöckner in den Mensadialog gebracht. Zunächst hieß es, nur die ständige Ausreise sei nun möglich, was Empörung hinterließ. Wenige Minuten später wurde dies korrigiert, Besuchsreisen seien nun möglich.192 Freude herrschte unter den 800 Teilnehmern, dennoch wurde der Dialog wie geplant zu Ende geführt.193 Bei den europäischen Nachbarn verursachte die Grenzöffnung nicht nur Freude. Alte Ängste gegenüber einer möglichen Hegemonie Deutschlands in Europa kehrten zurück. Eine deutsche Einheit war daher offiziell zunächst kein Thema. Seitens der BRD wurde man jedoch hellhörig, als Gorbatschow am 15. November 1989 in Moskau vor Studenten von einer Vereinigung Deutschlands sprach mit dem Hinweis, dies sei eine interne Angelegenheit. Diese Haltung bekräftigte der Berater des ZK der KPdSU gegenüber Kohl am 19. November 1989 mit der Andeutung, die Sowjetunion würde „grünes Licht“ geben für die deutsche Einheit.194 Derweil drängten die Entscheidungen. Die ostdeutsche Wirtschaft war mit einem Haushaltsdefizit von 120 Milliarden DDR-Mark und einer Auslandsverschuldung von 20 Milliarden Dollar bankrott, die Produktivität der Betriebe in der DDR seit 1980 um ca. 50% gesunken, etwa 2.000 Menschen verließen täglich das Land. Modrow unterbreitete daher am 17. November 1989 den Vorschlag, mit der BRD eine Vertragsgemeinschaft mit der Möglichkeit einer Konföderation zu bilden.
Nach dem Mauerfall gingen die Teilnehmerzahlen der Fürbittandachten und Demonstrationen in allen Orten im Norden um die Hälfte zurück.195 Viele fuhren 190 191 192 193 194 195
BPB, Informationen, 30. Vgl. Jaeger, Tagebucheinträge, Tagebucheintrag vom 9. November 1989. Vgl. Kuessner, Mensagespräch am 9.11.1989. Vgl. ders., Greifswald, 9. Vgl. BPB, Informationen, 33. Vgl. Lohse, Wetterlagen, 132.
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erstmal auf „Stippvisite“ in den Westen.196 Die Zahl der Reisenden war immens. Aus den Lageberichten der Volkspolizei Neubrandenburg geht hervor, dass im Bezirk allein in den ersten drei Tagen nach Öffnung der Grenze 84.862 Visa für Privatreisen sowie 192 Visa zur ständigen Ausreise erteilt wurden.197 Zum Nachteil gereichte die Maueröffnung vorerst der Neubrandenburger Michaelisgemeinde: Ihr Pastor Klaus Müller reiste tags darauf samt Familie (seine Frau war die Gemeindekatechetin) in die BRD aus.198 Am 10. November 1989 trat die SED-Kreisleitung Rostocks zurück und Ulrich Peck wurde neuer 1. Sekretär. Am selben Tag gründete sich in Rostock die SDP (Sozialdemokratische Partei), ab 8. Dezember 1989 umbenannt in SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands), vier Tage später DJ („Demokratie Jetzt“). Und am 26. November 1989 gründeten Marxisten und Christen in Rostock gemeinsam die „Vereinigte Bürgerinitiative für einen neuen Sozialismus“199 . Den Gründungsaufruf verfassten u.a. die Theologen Mahlburg, Dietrich und Jens Langer.200 Schließlich folgten am 1. Dezember 1989 die Gründung der bürgerlichen FDU (Freie Demokratische Union) und am 13. Dezember 1989 die Gründung der Rostocker Lokalgruppe des im September in Bonn gegründeten DA (Demokratischer Aufbruch) – das Parteienspektrum war binnen weniger Wochen recht plural. Den Vorsitz des DA übernahm der christliche Rostocker Rechtsanwalt und Synodale der ELLM, Wolfgang Schnur. Wie sich kurz vor den Volkskammerwahlen im März herausstellte, war er seit über 20 Jahren IM, der zwischen 1965 und 1989 Zuwendungen im Wert von 40.000 Mark seitens des MfS erhalten hatte.201 Am 15. März 1990 wurde er daraufhin aus dem DA ausgeschlossen. Die SED gründete zwar keine neue Partei, benannte sich aber auf ihrem Parteitag am 16./17. Dezember 1990 um in SED-PDS (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – Partei des Demokratischen Sozialismus). Im ganzen Land richtete sich die Wut der Bürger besonders gegen das MfS. In einem letzten Versuch, einer Auflösung vorzubeugen, benannte die DDRRegierung das Amt am 18. November 1989 um in AfNS, im Volksmund nur 196 197 198 199 200
201
Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 57. Vgl. Herbstritt, Lageberichte, 171; 175; 178. Vgl. Heydenreich, Geschichte, 18. Anfang 1990 umbenannt in „Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft“. Vgl. Lohse / Schnauer, Rostock, 4. Aufruf zur vereinigten Bürgerinitiativen für einen neuen Sozialismus, in: Schmidtbauer, Tage, 45–48. Ihre Hoffnungen auf eine gerechte, sozialistische Gesellschaftsform lassen sich mit Heino Falckes theologischem Rückblick auf das Konzept eines „verbesserlichen Sozialismus“ zusammenfassen: „Von einem im Grunde befreiungstheologischen Ansatz aus interpretierten wir die sozialistische Bewegung als Befreiungsbewegung, von Karl Marx formuliert als der Protest gegen das Elend des Menschen unter knechtenden Verhältnissen und als Anspruch, alle Selbstentfremdung und Knechtschaft abzuschaffen und das Reich der Freiheit zu bringen. Wir bezogen diesen emanzipatorischen Anspruch zurück auf die biblischen Befreiungstraditionen, deren Erbe und Säkularisationsform der Marxismus ist.“ Falcke, Kirche, 277. Vgl. hierzu die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus in den analysierten Predigten Kapitel B. Vgl. Frank, DDR, 510.
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Historischer Teil „Nasi“ genannt. Schon zehn Tage später durften Rostocker Journalisten das Bezirks-AfNS besichtigen; die Tage der Einrichtung waren gezählt.
Ein neuer politischer Kurs machte sich langsam auch in der Lokalpresse bemerkbar. So berichtete die Norddeutsche Zeitung schon am 4. November 1989 ausführlich und bemüht unverfälscht über die Gebetsandacht vom 2. November 1989202 und am 21. November 1989 veröffentlichte die OZ bis dato unter Verschluss gehaltene Emissionsdaten für Schwefeldioxid- und Stickoxidbelastung der Luft im Küstenbereich.203 Dennoch gab es in der Gebetsandacht am 30. November 1989 erneut Klagen über das bewusste Zurückhalten von Berichten durch die OZ, die beispielsweise nicht über die Demonstration am 23. November 1989 informierte: „Von daher macht es sich auch notwendig, heute einige Informationen weiterzugeben, die eigentlich in die Presse gehören.“204 Die Auflösung der Stasi: Dezember 1989 Während im europäischen Kontext die Verhandlungen begannen, Bundeskanzler Kohl seinen Zehn-Punkte-Plan am 28. November 1989 im Bundestag präsentierte, und erste Überlegungen zur deutschen Einheit starteten, überschlugen sich in Rostock die Ereignisse. Schon im November erhärtete sich der Verdacht gegen die Internationale Messtechnik GmbH IMES in Kavelstorf bei Rostock, illegale Waffenlager zu besitzen. Am 2. Dezember 1989 schließlich erzwangen Bürger Zugang zu den Lagerhallen – und fanden die Vermutungen bestätigt. Der Bericht von Dr. Mehlan in der Donnerstagsandacht am 7. Dezember 1989 zeigt, wie erschütternd diese Funde für viele Menschen waren: „Für jeden, der am Sonnabend d. 2. Dezember 1989 um 13.30 Uhr das hermetisch und elektronisch abgeriegelte und stacheldrahtbezäunte Gelände der IMES-GmbH verließ, war wohl die Vision eines humanen sozialistischen Staates, wenn überhaupt noch vorhanden, ausgeträumt. Die IMES-GmbH betreibt eines der schmutzigsten Geschäfte im Auftrag der DDR – das Waffengeschäft [...] vorwiegend in Entwicklungsländer und Krisengebiete [...]. Dann die erzwungene Besichtigung der Lagerhalle. Junge Menschen verließen weinend und erschüttert die riesige Halle, andere liefen schreiend heraus. Zu grauenhaft war der Anblick dieses gewaltigen Munitions- und Waffenarsenals in der Leichtbauhalle.“205
Im Auftrag des Neuen Forums Rostock wurde Anzeige erstattet und gemeinsam mit Volkspolizisten das Gelände bewacht bis zur Sicherstellung der Bestände. Die Aufarbeitung zog sich über Wochen hin. Am 25. Januar 1990 informierte die Bürgerinitiative Kavelstorf in der Rostocker Gebetsandacht: „Wir fanden in Kavelstorf am 2. Dezember 1989 53.117.440 Schuß Munition für Schützenwaffen und 2.806 Kisten mit Waffen vor, deren Gesamtwert 28 202 203 204 205
Vgl. Frank, DDR, 51. Vgl. Langer, Norden, 288. Gauck, Predigt am 30.11.1989, Informationen. Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, Bericht über IMES von Dr. Jürgen Mehlan.
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Millionen Valutamark betrug. [...] Nach den Ermittlungen des Staatsanwaltes wurde der Betrieb 1982 auf Veranlassung von Honecker und Günter Mittag gegründet und war von Anfang an für den Waffenhandel vorgesehen. [...] 590 Mio Valutamark soll der Betriebsteil Kavelstorf seit 1985 [...] erwirtschaftet haben, die angeblich in den Staatshaushalt flossen. Das Geschäftsziel hieß: Valutaerwirtschaftung um jeden Preis [...]. Deshalb gingen Waffen unter anderem auch in den Iran, den Irak, und in den NATO-Staat Türkei. Mit Betroffenheit vernahmen wir vom Staatsanwalt am 17.1.1990 [...]: In der DDR gibt es kein Gesetz gegen kommerziellen Handel mit Militärtechnik.“206
Ebenfalls am 2. Dezember 1989 fand in Rostock eine Kundgebung der Rostocker Oppositionsgruppen statt unter dem Motto „Rostocker bleibt wach!“. Während der Menschen-Lichterkette „Ein Licht für unser Land“ durch die gesamte DDR am Sonntag, den 3. Dezember 1989, standen tausende Bürger entlang der Landstraßen. „Das Gefühl der Gemeinsamkeit und der gemeinsamen Ziele ist noch wach.“207 . Einen Tag später stellten Vertreter der „Vereinigten Bürgerinitiative für einen neuen Sozialismus“ dem Rat der Stadt ein Fünf-Punkte-Ultimatum. Sie verlangten u.a. das Mitspracherecht eines Bürgerrates neben der Volksvertretung.208 OB Schleiff reagierte positiv darauf und am 13. Dezember 1989 konstituierte sich ein Bürgerrat mit ca. 100 Mitgliedern, die in 17 Arbeitsgruppen den bestehenden 16 Kommissionen des Rates der Stadt zugeordnet wurden. Sprecher wurde Pastor Hartmut Dietrich.209 Die SED-Bezirksleitung Rostock war unterdessen am 6. Dezember 1989 zurückgetreten. Eine führende Rolle nahm der Bürgerrat gemeinsam mit dem „Runden Tisch“ (RT) in der Auseinandersetzung um den SEDStadtschulrat Bendlin ein, in dessen Folge erst der RT am 16. März 1990 und dann OB Schleiff am 26. März 1990 zurücktraten.210 Auch eine erste unabhängige Zeitung, der „Bürgerrat – Rostocker Initiativen für die Erneuerung der Gesellschaft“, wurde am 7. Dezember 1989 genehmigt, ab dem 22. Dezember 1989 erschien daneben die Zeitschrift „plattForm – Unabhängiges Blatt für mündige Bürger“211 . Ähnlich plural wie die Gruppen- und Parteienlandschaft war innerhalb weniger Wochen die der Presse. Ab dem 31. Dezember 1989 kam der „Mecklenburger Aufbruch“ als „Stimme unabhängiger demokratischer Gruppen in Mecklenburg“ heraus, zum 9. Januar 1990 erschien erstmals die „Rostocker Universitätszeitung“ unter neuem Namen (vorher „Die neue Universität“ als Organ der SED-Parteileitung) und ab dem 15. Februar 1990 gab es eine neue Tageszeitung, die „Mecklenburgische Volks-Zeitung. Stimme der neu206 207 208 209 210 211
Bürgerinitiative Kavelstorf, Informationsbrief, in: Schmidtbauer, Tage, 104–105; Vgl. auch Bürgerinitiative Kavelstorf, Offener Brief an die Volkskammer, in: Ebd., 105. Höser / Scherer, Hoffnung, 73. Vgl. Bölkow: Aktennotiz über ein Gespräch zwischen Vertretern der „Vereinigten Bürgerinitiative für einen erneuerten Sozialismus“ und dem Rat der Stadt, in: Schmidtbauer, Tage, 59–60. Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 72. Vgl. Lohse / Schnauer, Rostock, 4. Ab dem 13.7.1990 erschienen beide gemeinsam als „Bürgerrat/plattForm“, letzte Ausgabe am 5.10.1990.
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en Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern“. Bis auf den „Mecklenburgischen Aufbruch“, der bis 1993 erschien, war den neuen Zeitungen keine lange Lebensdauer beschieden. Die meisten stellten die Arbeit im September/Oktober 1990 wieder ein.212 Inzwischen häuften sich Hinweise auf die Vernichtung von Beweismaterialien durch das AfNS. Am Nachmittag des 4. Dezember 1989 begannen daher in Rostock und Greifswald213 Vertreter des Neuen Forums und weitere Bürger mit einer Mahnwache vor der Bezirksverwaltung des AfNS. Sie konnten am Abend die Räumung und Versiegelung des Gebäudes erreichen und gingen eine „Sicherheitspartnerschaft“ mit der Volkspolizei ein, um alles weiterhin bewachen zu können. Auch in Waldeck, Parchim, Stralsund, Templin, im Kernkraftwerk Lubmin bei Greifswald214 , Malchin215 und Bad Doberan216 wurden die Gebäude des AfNS besetzt und versiegelt.217 In den darauffolgenden Tagen geschah selbiges in der ganzen DDR, z.B. am 5. Dezember in Röbel218 . Im Bericht über die Rostocker Besetzung am 7. Dezember 1989 in der Gebetsandacht in Rostock hieß es: „In nur 14 Stunden haben Moral und Kraft des Volkes über scheinbar allmächtige Tyrannen triumphiert. Der uns von Gandhi, von M.L. King, von Jesus Christus vorgegebene Weg völliger Gewaltlosigkeit hat sich wieder einmal wie so oft in den letzten Wochen als der stärkere erwiesen. [...] Das ist Rostocker Geschichte, auf die wir stolz sein können.“219
Im Informationsteil derselben Andacht kam erstmals auch die Volkspolizei selbst zu Wort mit einer Erklärung vom 6. Dezember 1989: „Wir sind Polizei fuer das Volk – nicht gegen! Sicherheitspartnerschaft mit allen Bewegungen, die die Demokratische Erneuerung und eine sozialistische Deutsche Demokratische Republik wollen [...] Engste Zusammenarbeit mit den Gerechtigkeitsausschuessen und Buergerkomitees zur Verhinderung der Verschleierung von volksfeindlichen Praktiken und Vernichtung von Beweismaterial! [...] Lassen sie keine Selbstjustiz zu [...]! Deshalb Sicherheitspartnerschaft ausbauen; gemeinsam streiten, einheitlich handeln!“220
Am 17. Dezember 1989 beschloss die Regierung Modrow die endgültige Auflösung des AfNS. Um den verantworteten Umgang mit den gesicherten Akten zu gewährleisten, konstituierte sich z.B. in Rostock am 6. Dezember 1989 der „Unabhängige Untersuchungsausschuss zur Sicherstellung und Überprüfung der Unterlagen des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit“,221 dessen zunächst 13 Mitglieder 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221
Vgl. Lohse / Schnauer, Rostock, 6f. Vgl. Thümmel, Greifswald, 253. Vgl. Kuessner, Greifswald, 12–14. Vgl. Kreismuseum Prinzeßhof, Gang, 5. Vgl. Heinz, Kampf, 66. Vgl. Langer, Vorgeschichte, 116. Vgl. Neues Forum, Wahrheit, 18. Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, Bericht über die Stasi-Besetzung. Ebd., Informationen. Vgl. Rogge/ Langer: Erklärung des unabhängigen Untersuchungsausschusses, in: Schmidtbauer, Tage, 66.
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keiner Partei, Bewegung oder Organisation angehören sollten. Viele unter ihnen waren engagierte evangelische Christen.222 Solche Untersuchungsausschüsse arbeiteten u.a. auch in Greifswald223 und in Neubrandenburg ab dem 7. Dezember 1989.224 Am 1. Dezember 1989 strich die DDR-Regierung die Führungsrolle der SED aus der Verfassung. Nach polnischem Vorbild wurde am 7. Dezember 1989 ein DDR-weiter RT gebildet, der nun eine Art Nebenregierung oder Ersatzparlament darstellte. Der Runde Tisch als politisches Mittel: Dezember 1989 – Mai 1990 Mit den RT begann, so urteilt Wolf Krötke schon 1990, der „Prozess des Herauslösens der Kirche aus den direkten politischen Verantwortlichkeiten im Umgestaltungsprozeß der Gesellschaft.“225 In Rostock tagte der RT am 9. Dezember 1989 das erste Mal mit Vertretern von 15 Parteien und Vereinigungen unter der Leitung von Landessuperintendent Wiebering; Pressesprecher wurde Pastor Kleemann.226 Der Greifswalder OB Wellner lud zwei Tage später ebenfalls zu einem paritätisch aus Staatsvertretern und engagierten Bürgern bestehenden RT. Auch hier übernahmen die Pastoren Heinrich Wackwitz und Reinhard Glöckner die Moderation.227 Eine „qualitativ neue Stufe der demokratischen Kontrolle der alten Machtstrukturen“228 war erreicht. Sollte der RT zunächst als Kontrollorgan die Arbeit der Stadtverordnetenversammlung und des Rates begleiten, wurde aus der anfänglichen Beraterrolle bald ein Richtlinien- und Entscheidungsgremium, das zunehmend an Stelle des Rates Beschlüsse fasste und geradezu gesetzgebende Funktion hatte. Die Beratungen und Beschlüsse des RT seien zwar formal ohne gesetzliche Kraft, der Greifswalder OB erklärte sich aber daran gebunden.229 Obschon der RT damit weitreichende Befugnisse hatte, blieb bei den Rostocker Mitgliedern der Eindruck, „daß die wirklichen politischen und wirtschaftlichen Weichenstellungen nicht am ‚Runden Tisch‘, sondern neben ihm vollzogen werden.“230 Daher wählte der RT Rostock am 16. Februar 1990 sechs Ratsmitglieder ohne Geschäftsbereich, die jederzeit berechtigt waren, die Arbeit des Rates der Stadt zu kontrollieren.231 222 223 224 225 226 227 228 229 230 231
Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 79. Der Ausschuss agierte vom 6.12.1989 bis 28.2.1990, danach legte er einen Abschlussbericht vor. Vgl. Stadt Greifswald, Abschlußbericht. Die Ergebnisse der Arbeit wurden am 13.2.1990 in der Johanniskirche Neubrandenburg vorgestellt und später veröffentlicht in von Saß / von Suchodoletz, Stasi. Krötke, Kirche, 526. Vgl. Festlegungsprotokoll des 1. „Runden Tisches“ der Stadt Rostock am 9.12.1989, in: Schmidtbauer, Tage, 73–75. Vgl. Glöckner, Tisch, 134. Probst, Norden, 53. Vgl. Glöckner, Tisch, 135. Probst, Norden, 54. Zitiert nach dem Festlegungsprotokoll des RT Rostock vom 13.1.1990. Vgl. Beschluß des Runden Tisches Rostock zur Wahl von Ratsmitgliedern ohne Geschäftsbereich, in: Schmidtbauer, Tage, 118.
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Doch der Stadtrat versuchte weiterhin, am RT vorbei zu handeln. Als sich herausstellte, dass der SED-Stadtschulrat Bendlin 27232 ehemalige MfS-Mitarbeiter in den Schuldienst eingestellt hatte, kam es zum Eklat. Der RT sprach Bendlin sein Misstrauen aus, forderte ihn am 26. Februar 1990 zum Rücktritt auf und bat auch die Stadtverordnetenversammlung, ihn von seiner Funktion als Stadtschulrat abzuwählen. Doch auf eine geheime Absprache hin votierte die außerordentliche Stadtverordnetenversammlung am 15. März 1990, drei Tage vor der Volkskammerwahl, mehrheitlich für den Verbleib Bendlins im Amt. Aus Protest stellte der Rostocker RT am nächsten Tag seine Arbeit ein.233 Diese Abstimmung zeigte den Bürgerrechtlern, wer wirklich als Drahtzieher fungierte. Nun ging es nicht mehr nur um Bendlin, sondern auch um OB Schleiff. Noch einmal musste die Demokratie von der Straße aus erkämpft werden. Für den 22. März 1990 organisierte der RT eine Protestdemonstration vor dem Rostocker Rathaus,234 über 10.000 Bürger folgten dem Aufruf mit Plakaten wie „Rostock wurde lang genug geschleifft“ oder „Hier schleifft was ein!“ Nachdem OB Schleiff unbeeindruckt im Amt blieb, begann das Neue Forum am 26. März 1990 ein Sit-in im Rathaus mit der Drohung, nicht eher zu gehen, bevor Schleiff zurücktrete. Dieser flüchtete schließlich durch einen Seitenausgang und ließ seinen ersten Stellvertreter, Manfred Neumann, seine Rücktrittserklärung verlesen.235 Am selben Tag entzog der RT den Vertretern des Rates in einer Sondersitzung das Stimmrecht und schrieb in einer Presseerklärung: „Wir werden mit einer erweiterten Kommission die Arbeit des ‚Runden Tisches‘ auch im Rathaus wieder aufnehmen und dafür Sorge tragen, daß die Kommune bis zu den Neuwahlen unter demokratischer Kontrolle weiterarbeiten kann.“236 Bis zur Kommunalwahl am 6. Mai 1990 setzte der RT Pastor Christoph Kleemann als amtierenden OB ein.237 Daneben agierten 18 Stadträte ohne Geschäftsbereich, ebenfalls aus den Reihen des RT. Nach zehn Wochen Amtszeit resümierte Kleemann: „In dieser kurzen Zeit [...] fühlte ich mich getragen von einer Woge der Sympathie, die in erster Linie der Bürgerbewegung galt.“238 Einigermaßen hitzig ging es auch beim RT vom Kreis Rostock-Land zu, ebenfalls ab dem 22. Dezember 1989 vom evangelischen Propst, Carl-Christian Schmidt, und seinem katholischen Kollegen, Ulrich Karsten, moderiert. Am 23. März 1990 scheiterte der Versuch eines Misstrauensausspruches gegen den Vorsitzenden des Rates des Kreises, Rolf Dietze. Daraufhin setzte ein außerordentlich 232
233
234 235 236 237 238
Diese Zahl erhöhte sich bis zum 15.3.1989 auf 44. Vgl. Erklärung der Ständigen Kommission des Runden Tisches und der Arbeitsgruppe Bildungswesen des Bürgerrates der Stadt Rostock, in: Schmidtbauer, Tage, 126. Vgl. Erklärung des Runden Tisches der Stadt Rostock zur Beendigung seiner Arbeit am 16.3.1990, in: Ebd., 131. Und das Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Runden Tisches Rostock, in: Ebd., 133. Vgl. Aufruf des Runden Tisches der Stadt Rostock zur Großdemonstration am 22.3.1990, in: Ebd., 132. Vgl. Schleiff: Erklärung vom 26.3.1990, in: Ebd., 145f. Probst, Norden, 58. Vgl. Festlegungsprotokoll der Sondersitzung des Runden Tisches der Stadt Rostock vom 26.3.1990, in: Schmidtbauer, Tage, 150–152. Probst, Norden, 62.
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einberufener RT am 29. März 1990 ein Rücktrittultimatum. Sonst, so die Drohung, werde die Bevölkerung zum Protest aufgerufen und das Gebäude des Rates des Kreises besetzt. Daraufhin trat Dietze zurück. Demokratische Entscheidung und gefühltes Recht prallten aufeinander. Diese nicht sonderlich demokratische Form der Machtdurchsetzung verärgerte Schmidt denn auch derart, dass er seine Mitarbeit beim RT aufkündigte.239 Daneben gründete sich nach Rostocker Vorbild in Bad Doberan ein Bürgerrat. Gründungsmitglied war u.a. Pastor Thomas Juergensohn. Dieser Bürgerrat platzte am 11. April 1990 mit 40 Leuten in eine Sitzung des RT, um gegen die unrechtmäßige Vergabe von Wohneigentum zu protestieren.240 In Neubrandenburg wiederum ging ein erster Impuls für einen RT am 6. Dezember 1989 vom Propsteikonvent aus, der Pastor von Saß beauftragte, zum 8. Dezember 1989 zu einem RT in der Johanniskirche einzuladen. Zeitgleich lud der Vorsitzende des Bezirkes das Neue Forum und die SDP, nicht aber kirchliche Vertreter, zu einem RT. Die beiden geladenen Gruppierungen verweigerten daraufhin ihre Mitarbeit, wenn nicht auch kirchliche Vertreter hinzugezogen würden. Daraufhin erhielten die Pastoren von Saß und Winkelmann, sowie Prälat Winfried Schiemann Einladungen. Der angedachte RT in St. Johannis wurde überflüssig. Vereinzelt arbeiteten den RT verwandte Gremien unter anderen Namen, so ein gewähltes Bürgerkomitee in Loitz241 oder in Stralsund die „Stralsunder 20“242 . Hier trafen sich schon seit dem 7. November 1989 je zehn Bürger und Stadtverordnete zum wöchentlichen Dialog, moderiert von Pfarrer Jax. Ab dem 20. Dezember 1989 konstituierte sich die Gruppe als RT neu und zwei Wochen später, ab dem 3. Januar 1990, erfolgte die Ernennung zu „ordentlichen Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung“243 . Was Bernd-Ulrich Gienke und Johannes Winter für den Kreis Demmin festhielten, kann auf den gesamten Norden der DDR übertragen werden: „Überall wo Pfarrer(innen) im Dienst waren, fanden auch RT statt.“244 1.2 Die deutsche Frage Die Wahlen 1990: Votum für die deutsche Einheit Angesichts dieser lokalen Entwicklungen waren die Volkskammerwahlen am 18. März 1990 für das Neue Forum und andere Bürgerinitiativen eine herbe Enttäuschung. Die Allianz für Deutschland, bestehend aus CDU, DA und DSU
239 240 241 242 243 244
Vgl. Heinz, Kampf, 75. Vgl. ebd., 74. Vgl. Heydenreich, Geschichte, 26. Vgl. Käppeler, Sozialismus. Langer, Vorgeschichte, 122. Gienke / Winter, Anfang, 135.
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Historischer Teil (Deutsche Sozialistische Union), siegte klar mit 48%245 , während das Bündnis 90 (Neues Forum, DJ, Initiative für Frieden und Menschenrechte) lediglich 2,9% erhielt. Aus Rostock schaffte es nur ihr Kandidat Gauck in die Volkskammer. Martin Klähn vom Neuen Forum resümierte 1994: „SED und Neues Forum waren aufeinander fixiert, hatten aber im Grunde genommen keinen Blick für die gesellschaftlichen Realitäten.“246 Dies war insgesamt ein klares Votum für die schnelle deutsche Einheit und gegen die Minderheitenpositionen der Bürgerbewegungen.247 „Die Demokratie des Volkes entpuppte sich als eine Herrschaft der Bevölkerung und ihrer Interessengegensätze.“248 Dennoch lohnt ein gesonderter Blick in die Wahlergebnisse der drei Nordbezirke. So siegte die CDU zwar auch hier, allerdings mit knapp 5% weniger als in der gesamten DDR. Dagegen erhielt die PDS 22,4%, in Neubrandenburg sogar 37,9%, DDR-weit lediglich 16,4%.249 Die PDS, in Vorpommern nach der CDU stärkste Kraft, konnte also „in Gegenden, wo der West-TV-Empfang besonders schlecht war, Stimmenanteile um die 30% verbuchen“250 . Dagegen wählten die Arbeiter in der DDR „weit überproportional die CDU“251 , der „Arbeiter- und Bauernstaat“ hatte sie trotz der jahrelang verfolgten Kompensationsstrategie (Sozialleistungen und Konsum statt Demokratisierung)252 nicht dauerhaft an sich binden können. In einigen Städten gab es nach diesem historischen Wahltag nochmals ein Friedensgebet. Der katholische Pfarrer Räuber dankte in Neubrandenburg am 19. März 1990 für die neue Freiheit.253
Am 22. März 1990, dem Donnerstag nach den ersten freien Wahlen, gab es in der Rostocker Petrikirche noch einmal eine Gebetsandacht samt Rückblick und Fazit, wobei der 18. März 1990 vom Prediger Lohse als deutliche Zäsur empfunden wurde, als „Lichtung in diesem Wald, durch den wir uns hindurchgearbeitet haben“254 . Die Bürger der DDR hatten nun erstmals in ihrer Geschichte eine demokratisch und frei gewählte Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maiziè245
246
247 248 249 250 251 252 253 254
Vgl. BPB, Informationen, 46: Bundeskanzler Helmut Kohl hatte am 6.2.1990 die Wirtschaftsund Währungsunion mit der DDR versprochen, SPD-Vorsitzender Hans-Jochen Vogel war am 15.2.1990 dagegen, was vermutlich den Stimmungsumschwung zugunsten der CDU hervorrief. Auch versprach Kohl den 1:1-Währungsumtausch. Der Landesbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Aufbruch, 57. Winters, Wahlen, 497. Glöckner, Wende, 15. Vgl. Langer, Vorgeschichte, 141–142. Ebd., 142. Ritter, DDR, 196. Vgl. Krüger, Rätsel, 278. Vgl. Heydenreich, Geschichte, 39. Lohse, Predigt am 22.3.1990, 3.
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re,255 deren Ziel dieser in der ersten Kabinettssitzung am 12. April 1990 so zusammenfasst: „Meine Herren, wir dürfen [...] nicht vergessen, dass wir eine Aufgabe haben, die lautet, wir müssen uns selber überfällig machen, wir müssen uns abschaffen!“256 Nahziel sollte eine gemeinsame deutsche Olympiamannschaft bei den Sommerspielen in Barcelona 1992 sein. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Unterzeichnung des ersten Staatsvertrages in Bonn am 18. Mai 1990: Ab 1. Juli 1990 bildeten DDR und BRD eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. Streitpunkt war lange die Frage des Umtauschsatzes. Schließlich einigte man sich darauf, alle laufenden Zahlungen (Löhne, Gehälter, Renten...) und einige Ersparnisse (Erwachsene 4.000 Mark, Kinder 2.000, Rentner 6.000) 1:1 (Mark der DDR:D-Mark der BRD) zu tauschen, alles weitere 2:1. Für die Kirchen in der DDR bedeutete dies ebenfalls die Halbierung von Bankguthaben und Geldreserven.257 Die zügige Einführung der D-Mark in der DDR sollte das kurz vor dem finanziellen Zusammenbruch stehende Land etwas stabilisieren und vor allem die noch immer bei 2000 Menschen pro Tag liegende Zahl an Übersiedlern verringern. Allein aus Rostock (Stand 31. Dezember 1989: 252.956 Einwohner) zogen 1990 knapp 5.000 Menschen weg, bis zum Tiefstand 2002 sollten es 54.697 werden.258 Die Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 verliefen für das Bündnis 90 in Rostock (hier ohne die „Initiative für Frieden und Menschenrechte“) weitaus erfreulicher. Mit 10,2% der Stimmen erzielten sie DDR-weit das beste Wahlergebnis und bekamen 13 Mandate.259 In der nun regierenden großen Koalition aus SPD, CDU, Bündnis 90 und den Freien Demokraten wurde Pastor Christoph Kleemann Präsident der Bürgerschaft. Am 22. Mai 1990 mahnte er: „Kommunalpolitik darf nicht zu Parteipolitik degenerieren, weil da, wo Parteien ihr Programm durchsetzen, meist das Einzelschicksal der Bürger zu kurz kommt.“260 Im Zuge der politischen Neuordnung tagte der RT am 9. Juni 1990 zum letzten Mal und übergab die Geschäfte an Bürgerschaft und Senat.261 Schwieriger gestaltete sich das Regieren nach der Kommunalwahl in Greifswald. Zwar war die CDU vor PDS und SPD stärkste Kraft und stellte mit Pfarrer Glöckner den Bürgermeister, dennoch bildete sich bald ein Bündnis aus PDS, SPD und Neuem Forum gegen die CDU, sodass die Beschlussfähigkeit der Bür255
256 257 258 259 260 261
Vgl. O.A.d.H., Artikel, 660. 21 der 400 Abgeordneten waren Theologen (davon 19 ordinierte Pfarrer), hinzu kamen „zahlreiche nicht-theologische haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter aus Kirchen verschiedener Konfessionen“. Im Kabinett der Regierung waren vier evangelische Pfarrer (Eppelmann, Ebeling, Meckel, Müller), der Vorsitzende der Laienorganisation „Gemeinsamer Aktionsausschuss katholische Christen“, Hans Joachim Mayer und ein Abteilungsleiter der SiebenTage-Adventisten, Matthias Gehler. Stuhler, Monate, 22. Vgl. O.A.d.V., Zeitschrift für deutsche Einheit 8, 1184. Vgl. Stadt Rostock, Bevölkerungsentwicklung. Vgl. Stuhler, Monate, 99. Ebd., 64. Vgl. ebd., 100.
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gerschaft fast eineinhalb Jahre lang bis zum Rücktritt Glöckners „paralysiert“262 war. Besonders schwer war diese Zeit für die Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirche in Greifswald, so ein Pfarrer der PEK im Gespräch mit mir am 14. Dezember 2013. Denn in der Bürgerschaft hätten sich nicht nur Parteien und Fraktionen bekämpft, sondern ganz konkret Pfarrer der PEK. Studentenpfarrer Arndt Noack vertrat z.B. die SPD, Christoph Pollack die Grünen. Einige Akteure der Bürgerbewegungen hegten weiterhin den Wunsch nach einer Art basisdemokratischem RT. Eine Gruppe um Pastor Mahlburg rief daher am 20. September 1990 den „Rostocker Bürgertisch“ ins Leben. Ziel war es, auch künftig den Austausch zwischen Stadtregierung und den als Minderheit oder gar nicht vertretenen Organisationen zu sichern. In den kommenden Monaten organisierte der „Rostocker Bürgertisch“ Diskussionen zu wichtigen kommunalpolitischen Themen und verfasste Empfehlungen und Forderungen an den Senat, allerdings ohne „nennenswerten Einfluß auf die Kommunalpolitik zu nehmen“263 . Neben den deutsch-deutschen Verhandlungen zur Einheit fanden ab Mai 1990 auch die Zwei-plus-Vier-Gespräche mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges statt. Besonders die Gespräche mit Moskau erwiesen sich als schwierig, steckte das Land doch selbst tief in der Krise. Die BRD musste daher viele Direkthilfen- und Kreditzugeständnisse machen sowie den Abzug der sowjetischen Truppen aus dem DDR-Gebiet finanzieren, insgesamt in zweistelliger Milliardenhöhe.264 Am 12. September 1990 war es so weit, der „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ wurde von allen sechs Verhandlungspartnern unterzeichnet und war damit der endgültige Friedensvertrag zwischen Deutschland und den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges. Unterdessen verhandelten die beiden deutschen Staaten miteinander über den zweiten Staatsvertrag, den Einigungsvertrag. Dieser geschah nach Artikel 23 GG als Beitritt der DDR zur BRD und nicht, wie anfangs seitens der DDR erhofft, nach Artikel 146 als Bildung eines neuen Staates mit neuer Verfassung.265 Zentral war die Frage des Eigentums: „Entschädigung vor Rückgabe“ wollte die ostdeutsche Seite, „Rückgabe vor Entschädigung“ die westdeutsche, letztere setzte sich durch. De Maizière nannte dies den „genetischen Geburtsfehler“266 der deutschen Einheit, denn damit begannen oftmals jahrelange Erbschaftsstreitigkeiten, meist einhergehend mit dem Verfall der umstrittenen Bausubstanz. Nach einer turbulenten Sitzung beschloss die Volkskammer der DDR am 23. August 1990 mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit „den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 mit Wirkung vom 3. Oktober 1990“267 . Am 262 263 264 265 266 267
Glöckner, Wende, 37. Stuhler, Monate, 67. Vgl. BPB, Informationen, 55–59. Vgl. Stuhler, Monate, 118–119. Ebd., 115. Ebd., 247.
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31. August 1990 wurde der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag“ in Ostberlin unterschrieben, am 18. September 1989 wurde er durch Volkskammer und Bundestag ratifiziert und trat am 3. Oktober 1990 in Kraft.268 Die DDR hatte aufgehört, als Staat zu existieren. Oktober 1990: Reaktionen auf die deutsche Einheit Lediglich der Greifswalder Pfarrer Jürgen Sundhaußen veranstaltete in der Hansestadt einen Dankgottesdienst.269 Schmidt hielt in Bad Doberan ein von Dank geprägtes Friedensgebet.270 Ein Ereignis, das auch nachdenklich stimmte. In Rostock veranstaltete die „Vereinigte Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft“ am 2. Oktober 1990 einen kritisch-besinnlichen Gottesdienst unter dem Motto: „Einigkeit und Recht und Freiheit und der Zukunft zugewandt. Nachdenken über Deutschland.“271 Welch identifizierende Kraft schon ein Jahr danach vom Herbst ’89 ausging, belegt die Einladung zum Gottesdienst am 11. Oktober 1990: „Ein Jahr danach laden wir ein zur Donnerstags-Andacht ‚Gemeinsam unterwegs‘ am 11. Oktober “ Die intensive Umbruchzeit sollte noch einmal nachempfunden werden, wie es in der Presseankündigung hieß: „In dieser rasanten Zeit wollen wir uns an den Herbst ’89 erinnern und Kraft für die nächsten Schritte suchen. Die Eingangshalle der Marienkirche soll mit Plakaten, Transparenten und Fotos der Herbstes ’89 ausgestaltet werden. [...] Nach der Andacht wollen wir noch einmal den Demonstrationsweg des Herbstes gehen.“272 Der aufregende Herbst 1989 war damit endgültig der Gegenwart entwichen und wurde gänzlich der erinnerten Geschichte zugeordnet. Und auch die Kirchen kehrten zurück in die gesellschaftliche Nische. 1989 wurde trotz der vielen politischen Gottesdienste nicht zum kollektiven, religiösen Erweckungserlebnis. „Die DDR-Bevölkerung ist aus dieser ‚Revolution‘ genauso ‚säkular‘ herausgekommen, wie sie hineingegangen ist.“273 Im Unterschied zu DDR-Zeiten interessierten sich nach 1990 nicht einmal mehr die staatlichen Stellen besonders für die kleinen evangelischen Kirchen. „Zu DDRZeiten brauchten wir nur zu husten, und dann wurden wir schon wahrgenommen, also jedenfalls von staatlichen Stellen, [...] die haben oft die Kraft der Kirche total überschätzt.“274 Was Jan Hermelink für die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg feststellte, ist daher auch in den Predigten nach dem Ende 268 269 270 271 272 273 274
Vgl. BPB, Informationen, 61. Vgl. Thümmel, Greifswald, 255. Vgl. Schmidt, Predigt am 2./3.10.1990. Vgl. Vereinigte Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft, Gottesdienst am 2.10.1990. Gauck et al., Gottesdienst am 11.10.1990, 1. Krötke, Kirche, 527. Reischke, Länderreport O-Ton Track 3, Dietlind Glüer.
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Historischer Teil der DDR zu finden: Eine „geheime Trauer um den Verlust der – scheinbar per se Relevanz verbürgenden – homiletischen Situation des Kirchenkampfes“275 , als das Beschwören einer Zeit, „in der die Predigt der Kirche [...] etwas galt“276 .
Ziele, Hoffnungen und Enttäuschungen Dass 1990 die deutsche Einheit nach 55 Jahren der Trennung wieder hergestellt werden würde, ahnte noch 1989 bis in den Herbst hinein niemand. Daher lohnt ein gesonderter Blick auf die wechselnden Ziele im Laufe der friedlichen Revolution, da sie auch als Schablone für die Positionen der Prediger in der ELLM und der ELKG/PEK 1989/90 gelten können.277 Im folgenden wird der Unterscheidung Andreas Apelts in drei Phasen der Revolution gefolgt. Nach den Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 beginnt seiner Einteilung nach die vorrevolutionäre Phase, gekennzeichnet durch vereinzelte Protestaktionen ohne Massenwirksamkeit. Mit den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen der DDR am 7. Oktober 1989 startet die demokratische Phase mit riesigen Demonstrationen, Fürbittandachten und Dialogveranstaltungen, die schließlich in der Maueröffnung am 9. November 1989 eines ihrer Hauptziele, die Reisefreiheit, erfüllt sieht. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand keinerlei Unterschied zwischen den Zielen der oppositionellen Bürgerrechtsbewegungen und der Volks- und Bürgerbewegung auf der Straße.278 Die Frage einer deutschen Einheit war bis dato aus verschiedenen Gründen in DDR und BRD kein Thema mehr279 . In der weltweiten Machtkonstellation zwischen Ost und West erschienen nur Veränderungen innerhalb der anerkannten Realitäten machbar, zudem waren in der DDR 1989 rund 400.000 sowjetische Soldaten und Offiziere stationiert,280 sodass eine einseitige Loslösung der DDR von der utopisch erschien - nicht zuletzt aus der Erfahrung des 17. Juni 1953 heraus. „Die Angst davor, einen Anlass zu blutiger Repression zu geben, war das beherrschende Motiv für die Gewaltlosigkeit des Aufstands von 1989.“281 Viele Oppositionelle hegten zudem den „Wunsch, in der DDR ein alternatives demokratisches Modell jenseits des westlichen Musters zu schaffen“282 , den sogenannten „dritten Weg“ zu gehen. Eine Idee, die einer275 276 277 278 279
280 281 282
Kubik, Situation, 103. Iwand, Hans Joachim zitiert nach: Hermelink, Situation, 35. Vgl. die Aussagen zur deutschen Frage in den untersuchten Predigten von 1989/90 Abschnitt 2.4.2 und Abschnitt 3.5.2. Vgl. Apelt, Opposition, 153–154. Vgl. am 24.2.1989 in der Berliner Zeitung: „Die ‚deutsche Frage‘ steht nach Ansicht des SPDBundestagsabgeordneten Jürgen Schmude heute nicht mehr auf der Tagesordnung der Weltpolitik. Das habe die Nachkriegsgeschichte gezeigt.“ Eine Diskussion um eine etwaige offene deutsche Frage sei, da stimme er Willy Brandt zu, eine „hochmütige Verliebtheit in das Unerreichbare“, die Beschwörung der Wiedervereinigung die „Lebenslüge der zweiten deutschen Republik“. Vgl. ADN, SPD. Vgl. Süß, Ohnmacht, 471. Ebd., 477. Apelt, Opposition, 155.
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seits auf antikapitalistischen Ansichten fußte, andererseits auch an der Zweistaatlichkeit festhalten wollte, um keinen Revisionismus deutscher Schuld zu betreiben und eine freiheitliche Demokratie mit sozialistischer Ökonomie verbinden wollte.283 So ludt die SDP in Greifswald Anfang November noch mit dem Aufruf „Beweist, daß Ihr für einen wahrhaft demokratischen Sozialismus kämpfen wollt!“284 zur Mittwochsdemonstration. Die Maueröffnung bildete eine Zäsur. Die „deutsche Frage als Freiheitsfrage“285 war gelöst und gleichzeitig Voraussetzung für Überlegungen zur deutschen Einheit, die schnell im „zunächst als Appell an die Solidarität der Mitarbeiter der DDR-Sicherheitskräfte“286 gerichteten Ruf „Wir sind ein Volk“ kulminierten. Damit begann die nationale Phase der Revolution und mit ihr das Aufbrechen unterschiedlicher Wünsche und Ziele, was in einer zum Teil gegensätzlichen Ausdifferenzierung der Opposition mündete.287 Plötzlich bestand der „status quo“, die Teilung Deutschlands, faktisch nur noch pro forma. Die Freude über die Reisemöglichkeiten wurde von der Angst getrübt, dies sei nur ein „Trick der DDR-Führung“288 , um die Opposition durch Abwanderung zu schwächen. Zwar kehrten die meisten DDR-Bürger von ihren Westreisen wieder heim, indirekt wurden die Befürchtungen von Teilen der Opposition, Einfluss zu verlieren, dennoch wahr, wie z.B. die schlechten Wahlergebnisse vom Neuen Forum im März 1990 zeigten. Paradigmatisch für eine kritische Haltung gegenüber Reisemöglichkeit und BRD war der Aufruf „Für unser Land!“ vom 26. November 1989 z.B. unter der Mitarbeit vom Ost-Berliner Generalsuperintendent Günter Krusche und von Christa Wolf. Innerhalb einer Woche unterschrieben eine Million Menschen den Text, unter ihnen auch Krenz und Modrow.289 Am selben Tag veröffentlichte auch die „Vereinigte Bürgerinitiative für einen neuen Sozialismus“ ihren Gründungsaufruf mit ähnlichem Impetus. Erstunterzeichner waren u.a. Mahlburg gemeinsam mit seinen Amtskollegen Dietrich, Langer290 , Günther, Schnell und Schmachtel, die Referentin für evangelische Erwachsenenarbeit Dietlind Glüer und Kirchenmusiker Hartwig Eschenburg.291 Paradoxerweise fanden sich hier nun christliche Visionäre des dritten Weges mit Reformkom283 284 285 286 287 288 289 290
291
Vgl ebd., 208. SDP, Flugblatt, 1. Hüttmann, DDR, 228. Maser, Wende, 16. Vgl. Apelt, Opposition, 196. Ebd., 190. Vgl. ebd., 228. In diesem Sinne ist auch das Vorwort seiner Habilitationsschrift vom 20.11.1989 positiv zu verstehen. Es sei eine Besonderheit des aktuellen Aufbruchs, dass Christen trotz ihrer bitteren Erfahrungen, weiterhin die Verwirklichung sozialistischer Ideale fordern: „Dabei wird dieser Idealismus noch hart geprüft werden, wenn die Wirklichkeit die sozialistische Realutopie schon rein wirtschaftlich mehr und mehr an den Rand des Möglichen drängen wird.“ Langer, Kultur, 6. Aufruf zu vereinigten Bürgerinitiativen für einen neuen Sozialismus, in: Schmidtbauer, Tage, 47.
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munisten zusammen. Sie wandten sich gegen einen breiten Bürgerprotest auf der Straße, der für eine schnelle deutsche Einheit stimmte.292 Zwei Tage später stellte Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Rede vor dem deutschen Bundestag am 28. November 1989 sein Zehn-Punkte-Programm vor, das über Wirtschaftshilfe und Vertragsgemeinschaft schließlich in dem politischen Ziel einer deutschen Einheit münden sollte. Damit traf Kohl den Nerv der DDR-Bevölkerung, die zu diesem Zeitpunkt laut einer ForsaUmfrage vom 25. November 1989 schon zu 61% für eine Wiedervereinigung war. Im Februar 1990 lag die Zahl der Befürworter bei 80%.293 Die Opposition spaltete sich in einen „vielstimmigen Chor“294 . Bis zu den Volkskammerwahlen im März 1990 traten zwar fast alle Parteien in ihrem Programm für eine deutsche Einheit ein (bis auf die Grünen, den Unabhängigen Frauenverband, die Vereinigte Linke und die Nelken),295 das lange Zögern auf dem Weg dahin aber kostete die größte Gruppierung der Anfangsstunde, das Neue Forum, beträchtliche Stimmen. Wie sich die Stimmung auch unter den Demonstranten im Herbst 1989 veränderte, lässt sich gut an den mitgetragenen Plakaten ablesen. Eine schwarz-rotgoldene Fahne mit dem Ruf nach Deutschland wurde erstmals am 7. Oktober 1989 im sächsischen Plauen gesichtet und am 30. Oktober 1989 stand auf einem Transparent in Leipzig „Für ein vereintes Deutschland!“.296 Einen Tag nach dem Fall der Mauer konnte man auf einem Transparent im mecklenburgischen Güstrow lesen: „Von der Oder bis zum Rhein - ein ganzes Deutschland soll es sein“297 . Bei den Demonstrationen am Donnerstag veränderten sich derweil auch in Rostock von Woche zu Woche die Slogans. Am 26. Oktober 1989 wurden Reformen und „Unbekrenzte Wahlen“ gefordert, am 2. November 1989 schon „Nur mit Power fällt die Mauer“ und „Schluß mit dem SED-Absolutismus“. Der 9. November 1989 stand in der Hansestadt ganz im Zeichen von Reformen. „Wer nicht mehr mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ und „Dableiben, Demokratie, Reformen“ war z.B. zu lesen oder auch: „Die SED-Führungsmacht? treibt die Massen in die Flucht“. Und am 16. November 1989 war die führende Rolle der SED Hauptangriffspunkt mit Sprüchen wie „Artikel 1 muß weg - sonst hat es keinen Zweck“; „Scheiden tut weh - auch vom Führungsanspruch der SED“ und „Die Führungsrolle der SED tut uns seit 40 Jahren weh“.298 Am 30. November 1989 gab es erste Anflüge von Ausländerfeindlichkeit, als in der Rostocker Marienkirche ein Transparent zu sehen war mit der Aufschrift: 292 293 294 295 296 297 298
Vgl. Vollnhals, Nikolai, 266f. Vgl. Förster / Roski, DDR, 53. Apelt, Opposition, 307. Vgl. ebd., 239. Vgl. ebd., 199. Ebd., 200. Vgl. Ammer / Memmler, Staatssicherheit, 40f.
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„Polen ja – aber in Polen“. Daraufhin erklärte das Bürgerkomitee zur Koordinierung der Demonstrationen am 7. Dezember 1989 in der Gebetsandacht: „Bisher trug bei unseren Demonstrationen einer den Schmetterling. Heute werden ihn viele tragen, und möglichst links, wo das Herz ist.“299 Einer der Mitverantwortlichen für die Donnerstagsandachten, der damalige Theologiestudent und spätere Landtagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen Johann-Georg Jaeger schrieb am selben Abend in sein Tagebuch: „Und die Demonstration verlief echt gut – nicht mehr die Wiedervereinigungshysterie.“300 Unter den Demonstranten wurden erstmals unterschiedliche Ziele laut, die Wiedervereinigung war ebenso Thema wie der Wunsch nach Veränderung der DDR.301 Am 9. Dezember 1989 beispielsweise fand in Rostock eine Demonstration „gegen Wiedervereinigung, Ausländerhaß und Neofaschismus sowie für eine eigenständige Entwicklung der DDR“302 statt. „Galten zunächst die Wiedervereinigungsbefürworter als Schwärmer und die Reformer als Realisten, so galten jetzt die Reformer als Schwärmer. […] Die neuen Realisten unterschieden sich nur noch in ihrer Befürwortung eines schnellen oder behutsamen Beitritts.“303 Interessant ist das Ergebnis einer Umfrage unter Schülern und Schülerinnen in Rostock zur Frage der deutschen Einheit, abgehalten zwischen dem 15. und 22. Dezember 1989.304 In den befragten Schulklassen waren 55% gegen eine Einheit. Die restlichen 45% spalteten sich in drei Gruppen: 7% waren uneingeschränkt dafür, 17% wünschten eine langsame Annäherung und 21% sprachen sich für eine Konföderation der beiden deutschen Staaten aus. Dieselbe Umfrage wurde auch unter Mitgliedern der Jungen Gemeinden in Rostock gemacht. Hier waren zwar nur 15% gegen eine deutsche Einheit, dafür votierte aber auch niemand für die sofortige Vereinigung. 60% hofften auf eine schrittweise Annäherung, ein Viertel der Befragten sprach sich für eine Konföderation aus. Dieses Meinungsspektrum ist deckungsgleich mit der Meinung der unter 50-Jährigen Pastoren in ELLM und ELKG.305 Grundsätzlich kann von einem Auseinanderfallen des Protestes in verschieden Gruppen und Grüppchen zu Beginn des Dezembers 1989 gesprochen werden. Dies spiegelte sich auch in den Rostocker Gebetsandachten wider. Am 7. Dezember 1989 wurde vor der Predigt ein Text der Vorbereitungsgruppe verlesen, in dem die unterschiedlichen Positionen und Gefühle der einzelnen Mitglieder die deutsche Einheit betreffend beschrieben wurden. Sehnsucht nach einem ungeteilten Land und Freude über erfahrene Gastfreundschaft und die vielen neuen Möglichkeiten standen neben Ängsten vor „negativen Dingen, die es in der Bundesrepublik offener gibt als bei uns (Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit, 299 300 301 302 303 304 305
Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, Demonstrationsinformationen. Jaeger, Tagebucheinträge, Tagebucheintrag vom 7.12.1989. In Leipzig hatten sich Vereinigungsbefürworter und -gegner schon auf der Demonstration am 4.12.1989 gegenseitig als „Rote“ bzw. „Nazis“ beschimpft. Vgl. Rödder, Deutschland, 124. Langer, Norden, 293. Kleßmann, Relikte, 833. Vgl. LILABLICK, Umfrage, 20. Vgl. Abschnitt 3.7.
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Arbeitslosigkeit, Aids, Prostitution...)“ und der Trauer um das missbrauchte Wort Sozialismus. Da gab es die Hoffnungsvollen, aber auch Menschen, die sich „völlig am Boden“ fühlten, einige, die noch nicht so weit sind und wieder andere, die „hin- und hergerissen“ seien zwischen Hoffnung und Trostlosigkeit.306 Am 14. Februar 1990 informierte der Bürgerrat Rostock, dass die Donnerstagsdemonstrationen bis auf weiteres eingestellt werden, da „keine klaren gemeinsamen Anliegen“307 mehr bei den Teilnehmern zu erkennen sind. Denn „wer die Abwahl auf der Straße vollzieht, der muß sich noch längst nicht einig sein mit der Neuwahl dessen, was kommen soll.“308 Besonders deutlich wurde dieser Umstand bei den mecklenburg-vorpommerschen Landtagswahlen am 14. Oktober 1990. Das Neue Forum trat nicht mehr im Verbund mit Bündnis 90 an, sodass eine Konkurrenzsituation von der Grünen Partei, dem Neuen Forum und Bündnis 90 entstand. Obwohl sie insgesamt 9,30% der Wähler gewannen, überwand keine Gruppe die 5%-Hürde.309 Auch BEK und Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ließen den Gedanken an eine deutsche Einheit nur zurückhaltend zu. Zeittypisch plädierte die Bundessynode des BEK im September 1989 für eine eigenständige DDR. Auf der EKD-Synode Anfang November 1989 äußerte man sich zwar betroffen über die Massenflucht und plädierte für eine freundliche Aufnahme der DDRBürger in der BRD, bat aber grundsätzlich darum, in der DDR zu bleiben.310 Und einen Tag nach der Maueröffnung herrschte auf der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) des BEK „mehr Ratlosigkeit als Freude“311 , es wurden wirtschaftliche Reformen angemahnt. Knapp einen Monat nach dem Mauerfall warnte eine gemeinsame Konsultationsgruppe von BEK und EKD am 7. Dezember 1989 noch vor der nationalen Einheit.312 Mitte Januar hingegen verabschiedeten Vertreter beider Kirchenbünde auf ihrer gemeinsamen Klausurtagung die sogenannte Loccumer Erklärung. Darin sprachen sie sich ausdrücklich sowohl für eine staatliche als auch kirchliche gesamtdeutsche Einheit aus, denn die besondere Gemeinschaft der evangelischen Christen in Ost und West sei stets eine „kräftige Klammer“313 beider Staaten gewesen. Auf der Ende Februar stattfindenden Synode des BEK fielen die Reaktionen auf diesen Text sehr unterschiedlich aus. Kritiker einer überstürzten deutschen Einheit verfassten als Antwort die Berliner Erklärung, in der sie für einen dritten Weg einer eigenständigen DDR warben.314 „Das 306 307 308 309 310 311 312 313 314
Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, Text vor der Predigt. Langer, Norden, 304. Probst, Norden, 124. Interview mit Christoph Kleemann am 16.11.1990. Vgl. ebd., 101. Vgl. Vollnhals, Nikolai, 265. Ebd., 265f. Vgl. ebd., 267. Kremser, Rechtsstatus, 85. Vgl. ebd., 86f.
Der Weg zur deutschen Einheit
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Gespenst einer reaktionären Wiedervereinigung bedrohte die Vision eines demokratisch erneuerten Sozialismus.“315 Ebenso taten sich die jungen Parteien in der DDR mit Einheitsbefürwortungen schwer. Der DA und die CDU nahmen nach Bundeskanzler Kohls Vorstoß die deutsche Einheit schon Mitte Dezember in ihre Parteiprogramme auf.316 Die SPD öffnete sich erst nach und nach einer möglichen deutschen Einheit. In der Vorlage vom 24. Juli 1989 zur Bildung einer Initiativgruppe mit dem Ziel, eine sozialdemokratische Partei in der DDR zu gründen, lautete die politische Vision der Erstunterzeichner Gutzeit, Meckel, Noack (allesamt Pfarrer) und Manfred (Ibrahim) Böhme „ökologisch orientierte soziale Demokratie“ unter „Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands als Folge der schuldhaften Vergangenheit. Mögliche Veränderungen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung sollen damit nicht ausgeschlossen sein.“317 . Dabei sollte an politische Traditionen angeknüpft werden, „an wichtiger Stelle die des Sozialismus.“318 Noch am 7. Oktober 1989 befürwortete Meckel in einem Interview „durchaus so etwas wie Sozialismus [...]. Ein zweiter, auch nur kapitalistisch funktionierender deutscher Staat neben der Bundesrepublik ist wirklich sinnlos.“319 Gut vier Monate später bekannte sich der Vorstand der SDP am 3. Oktober 1989 „zur E I N H E I T der deutschen Nation!“ - unter Vorbehalt. Diese müsse aber von beiden deutschen Staaten gestaltet werden, denn eine „schnelle Wiedervereinigung gefährdet die einzigartige Möglichkeit der Selbstbestimmung nach 40 Jahren SED-Diktatur!“320 Wiederum zwei Monate später wurde Ende Januar im SPD-Bezirksvorstand Rostock schon über einen Beitritt der DDR zur BRD diskutiert.321 Dem neuen Kurs in der Haltung zur Frage der deutschen Einheit konnte sich das Neue Forum ebenfalls nicht verschließen.322 Auf einer Mitgliederversammlung in Rostock am 13. Dezember 1989 stand die Frage unter dem Thema „Wiedervereinigung oder Wider Vereinigung?“ zur Diskussion. Hierbei trat vor allem Gauck für die Einheit ein. Da ein großer Teil des Volkes Elemente von deutscher Einheit schon praktiziere, frage er sich „ob es angebracht ist, diesen Einheitswillen zu diskreditieren oder zu zensieren. [...] Wenn wir die Einheit bejahen, übersehen wir nicht, daß sie jetzt gleich und total nicht zu haben ist. Wir bejahen also einen Wachstumsprozess.“ Und ge315 316 317 318 319 320 321 322
Vollnhals, Nikolai, 260. Vgl. Apelt, Opposition, 313. Kuessner, Greifswald, 24. Vorlage komplett abgedruckt auf den Seiten 22–24. Ebd., 23. Meckel, Interview, 95. 39. Aufruf abgedruckt in Kuessner, Greifswald. Vgl. ebd., 20. Vgl. Diskussionspapier des Neuen Forum Rostock „Was ist und was will das Neue Forum?“, in: Schmidtbauer, Tage, 21. Darin steht unter Punkt II: „Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands als Folge der schuldhaften Vergangenheit“. Der Programmentwurf des Neuen Forums Rostock vom 13. November 1989 benennt als Ziel „Aufbau einer humanistischen Gesellschaftsordnung“ samt sozialistischer Marktwirtschaft. Vgl. Probst, Norden, 73.
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Historischer Teil gen die Befürworter eines erneuerten Sozialismus gerichtet sprach er: „Ganz fraglich ist, wie der ‚neue‘ Sozialismus wirtschaftlich fundiert sein soll. Was wir jetzt brauchen, sind aber nicht ungewisse Versuche, sondern realistische Wirtschaftskonzepte, die die neue Gesellschaft auf ein wirtschaftlich stabiles Fundament stellen.“323 Nach Diskussionen wurde diese Meinung von der Mehrheit angenommen, so dass Gauck auch beauftragt wurde, diese Haltung auf der offiziellen Gründungsversammlung des Neuen Forums im Januar 1990 zu vertreten. Er stellte dort den Antrag, jene Festlegung auf Zweistaatlichkeit aus dem Programm zu entfernen und stattdessen eine positivere Bewertung des Gedankens der deutschen Einheit festzuschreiben. Der Sozialismus hätte sich zwar gut angehört, wie eine „Reich-Gottes-Vision mit Gerechtigkeit, [...] bei näherem Hinsehen fehlte in jeder der Bürgerrechtsgruppen ein tragfähiges Konzept einer nichtkapitalistischen Ordnung mit einer funktionierenden Wirtschaft.“324 Für die Volkskammerwahlen warb das Neue Forum schon mit dem Engagement für „die Einheit Deutschlands in den Grenzen von 1989“325 . Dem Urteil Pollacks, die Opposition habe bis zu den Volkskammerwahlen an einer Zweistaatlichkeit festgehalten326 , ist somit zu widersprechen. Richtig bleibt, dass sie dem Willen des Volkes hinterherhinkte und an politischem Einfluss verlor.
2. Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen (ehemals Greifswalder) Landeskirchen 2.1 Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs Mit dem Rostocker Reformator Joachim Slüter (1491/92 – 1532) begann die Geschichte der mecklenburgischen evangelischen Landeskirche, unter dessen Führung sich 1531 die Reformation in Rostock und Umgebung durchsetzte.327 Es folgte eine kurze Zeit der Bikonfessionalität, in der der Herzog zu Mecklenburg-Schwerin, Heinrich V., als Förderer der Reformation auftrat gegen den katholischen Herzog zu Mecklenburg-Strelitz, Albrecht VII. Nach dessen Tod 1547 einigten sich beide Herzogtümer 1549 auf dem Landtag zu Sternberg auf die allgemeine Einführung des reformatorischen Glaubens und lehnten damit das von Kaiser Karl V. verlangte Interim unter Vermeidung der Verwerfung von Gegenlehren ab.328 Schon drei Jahre später wurde in beiden Großherzogtümern eine lutherische Kirchenordnung eingeführt. Erst 1934 wurden diese zwei Gebiete zum Land 323 324 325 326 327
328
Gauck: Diskussionsbeitrag zum Thema „Einheit“, in: Schmidtbauer, Tage, 84. Gauck, Entscheidung, 245. Probst, Bürgerbewegungen, 115. Vgl. Pollack, Protest, 230. Vgl. zur Kirchengeschichte Mecklenburgs: Schmaltz, Kirchengeschichte; Beste, Kirchenkampf; Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, Jahre; Wolgast, Reformation; Frank, DDR, 36–48. Wolgast, Reformation, 22–24.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 69 Mecklenburg vereinigt und es beiden Kirchen staatlicherseits nahegelegt, zu fusionieren. Am 1. Juli 1934 erfolgte die Gründung der ELLM in ihren bis zur Nordkirchenfusion zu Pfingsten 2012 geltenden Grenzen.329 Nachdem der dreißigjährige Krieg den Katholizismus in Mecklenburg zeitweilig gestärkt hatte, wurde dieser Rekatholisierung durch das Eingreifen des Schwedenkönigs Gustav II. Adolfs 1631 ein Ende bereitet. Als der Herzog Christian Ludwig von Mecklenburg-Schwerin 1663 zum Katholizismus übertrat, kam es in Folge dessen zur Zuwanderung katholischer Geistlicher. 1811 erfolgte unter Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin die Gleichstellung von katholischer und lutherischer Konfession. Die politischen Neuordnungen nach dem Ersten Weltkrieg samt dem Inkrafttreten einer republikanischen Verfassung (1919/1920) führten in Mecklenburg zu einer synodalen Kirchenordnung. 1922 wurde Heinrich Behm erster lutherischer Bischof in Mecklenburg und bekleidete dieses Amt bis zu seinem Tod 1930. Nachfolger wurde Heinrich Rendtorff, der jedoch schon drei Jahre später auf Druck des NS-Staates zurücktrat, obgleich er noch im Juli 1932 auf einer Pfarrerfreizeit in Ansbach im Hauptreferat für einen Anschluss an die NSDAP warb330 . Ihn ersetzte der dem Staat genehmere „Landeskirchenführer“ Walther Schultz. Neben der deutschnationalen, landeskirchlichen Leitung bestand eine aktive „Bekennende Kirche“ (BK), die vor allem durch Niklot Beste als Leiter des Landesbruderrates bestimmt wurde.331 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs internierte die britische Besatzungsmacht „Landeskirchenführer“ Schultz, 1948 entließ ihn die ELLM unter ihrem neuen Bischof Beste aus dem Dienst. Beste leitete „die mecklenburgische Kirche auf lutherischem Fundament in volkskirchlicher Orientierung“332 und war 1968/1969 an der Gründung der „Vereinigten Lutherischen Kirchen in der DDR“ (VELK-DDR) und des BEK beteiligt. Obwohl die ELLM in ihrer heutigen Gestalt erst das Produkt der Zusammenlegung getrennter kirchlicher Strukturen im Jahre 1934 ist, gaben ihr „zwei traditionelle Eigenheiten eine gewisse Stabilität“333 . Zum Einen ein geopolitischer Faktor, der sich in der mecklenburgischen Familiengeschichte widerspiegelt: Alteingesessene Familien waren oft kontinuierlich seit dem Mittelalter in Mecklenburg wohnhaft und übernahmen staats- und kirchenleitende Funktionen. 1984 schrieb ein Absolvent der Hochschule des MfS in seiner Diplomarbeit, von den derzeitigen Theologiestudenten kämen 82% aus Familien, deren Eltern oder Großeltern im landeskirchlichen Dienst beschäftigt gewesen seien. Solche Zahlen sind auch im DDR-Vergleich hoch. Zwar griffen Kirchen überall in der SBZ (Sowjetischen Besatzungszone) auf eine hohe Selbstrekrutierung zurück, u.a. weil sie kaum ent-
329 330 331 332 333
Vgl. zur Geschichte der mecklenburgischen und pommerschen landeskirchlichen Verfassungen Dittmers, Entstehung, 25. Kittel, Provinz, 625. Vgl. dazu seine eigenen Ausführungen: Beste, Kirchenkampf. Hamburger, Landeskirche. Frank, DDR, 36.
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nazifiziert worden waren, dennoch waren 1950 DDR-weit rund 25% der Theologiestudenten aus Pfarrhäusern.334 Stabilisierend wirkte auch die fest etablierte Verwaltungsstruktur der ELLM. Während in der PEK das Bischofsamt beispielsweise erst nach 1945 eingeführt wurde, gab es das Bischofsamt, den Oberkirchenrat, die Landessynode, den Synodalausschuss und das Amt des Präses in Mecklenburg schon seit 1921, de facto existierte eine kirchliche Verwaltungsbehörde ab 1850.335 Die acht Landessuperintendenturen bestanden seit 1549, die Propsteien seit 1671. Nach 1945 konnte sich die ELLM somit auf eine eigenständig verwaltete Geschichte besinnen und stand wegen der antikirchlichen SED-Propaganda und der bruderrätlichen Tradition ihres Bischofs Beste bald geschlossen dem SED-Staat ablehnend gegenüber. Besonders die Erfahrungen des Kirchenkampfes zu NS-Zeiten hatten die neuen Kirchenführer stark geprägt. Entsprechend aufmerksam wurde die Politik beobachtet und kritisiert. Ein „direktes Erbe des Kirchenkampfes“336 war u.a. die öffentliche Fürbitte für notleidende Menschen – eine Strategie des Umgangs mit dem Staat, die die Kirche bis zum Ende der DDR beibehielt und die 1989 in den öffentlichkeitswirksamen Friedensgottesdiensten ihre politische Wirkung entfalteten. Infolge der Auflösung der Länder mittels einer umfassenden Gebietsreform wurden 1952 aus Mecklenburg und Vorpommern die drei Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg. Offizieller Ansprechpartner der ELLM war der Rat des Bezirkes Schwerin. Dass die Kirchen weiterhin einen Landesbischof hatten, ohne dass Länder bestanden, war dem Staat bis 1989 ein Dorn im Auge. Dagegen tun konnte er nichts. In den siebziger und achtziger Jahren gab es in den acht Kirchenkreisen durchschnittlich 320 Pfarrstellen. Diese überschaubare Größe der Landeskirche förderte den Zusammenhalt unter Pastoren und Mitarbeitern, man kannte sich. Da sich die ELLM zu großen Teilen im Grenzgebiet der DDR befand, sah sie sich zugleich einer scharfen atheistischen Propaganda ausgesetzt. Rostock galt als sozialistischer „Vorzeigebezirk“, hier war die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR zuerst abgeschlossen. Seit 1958 fanden die „Ostseewochen“ jährlich statt mit viel Publikum aus dem „nichtsozialistischen Ausland“. Auch der Religionsunterricht wurde hier zuerst aus den Schulen der DDR verdrängt.337 Traditionell gab es in Mecklenburg immer ein wirtschaftliches und kulturelles West-Ost-Gefälle: Während im Osten die Landwirtschaft von Gutsdörfern bestimmt war, gab es im Westen viele freie und reiche Bauerndörfer, die in größerer Nähe zur Kirche standen. Dies spiegelt sich auch im Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der DDR wider. Wesentliche Auseinandersetzungen spielten sich im nordwestlichen Mecklenburg ab, wobei besonders die sozialistisch geplanten Neubaugebiete u.a. in Rostock in den Blick rückten. Wollte der sozialistische Staat dort eine neue Gesellschaft ohne jeden Einfluss von Religion fördern, kämpfte die 334 335 336 337
Vgl. Kleßmann, Relikte, 262–266. Vgl. Frank, DDR, 37. Ebd., 39. Vgl. ebd., 41f.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 71 Kirche dagegen an. Heinrich Rathke, von 1972–1984 Bischof der ELLM, baute z.B. als junger Pastor in Rostock-Südstadt eine Gemeinde auf, mangels kirchlicher Räume zunächst in einem ausrangierten Zirkuswagen. Auch sein Nachfolger Stier war Gemeindepastor in der Südstadt, bevor er das Bischofsamt antrat. Trotz aller Bemühungen setzte in Mecklenburg, wie in der gesamten DDR, bald eine drastische Minorisierung der Christen ein. 1945 hatte die ELLM noch 1.145.000 Mitglieder, bis 1989 schrumpfte diese Zahl um 65% auf unter 250.000 Gemeindeglieder.338 Dies entsprach grundsätzlich der DDR-weiten Entwicklung. Zählten sich 1949 noch 91,5% der Bevölkerung zu einer der beiden großen Konfessionen (80,5% evangelisch, 11% katholisch), schrumpfte diese Zahl bis 1964 auf 68% und bis 1989 auf ca. 30%. Die Zahl der Konfessionslosen war in 40 Jahren von 7% auf 70% gestiegen, hatte sich innerhalb von zwei Generationen verzehnfacht.339 In den ersten Nachkriegsjahren war diese Entwicklung noch nicht absehbar. Zumindest juristisch bemühte man sich, kirchliche Rechte in der Verfassung des Landes Mecklenburg, Artikel 87, vom 16. Januar 1947 festzuhalten, dem gemäß staatsbürgerliche Rechte und Pflichten durch die Religionsausübung weder bedingt noch beschränkt werden durften.340 Die Kirchen waren Körperschaften des öffentlichen Rechts inklusive dem Recht der Steuererhebung von ihren Mitgliedern. Bald änderte sich die Situation. Die Kirchen wurden als „Handlanger des Imperialismus“ diskreditiert. Insbesondere die Auseinandersetzungen um die „Jungen Gemeinden“ 1952/53 und die Einführung der Jugendweihe 1955 prägten eine ganze Generation von Pastoren und vergrößerten deren ideologischen Abstand zum sozialistischen Staat. Gleichzeitig entfernte sich die Bevölkerung von der Kirche: „Mit dem Ende der Konfirmation als volkskirchlichem Ritus kündigte sich langfristig auch das Ende der Volkskirche an.“341 Wie Sigrid Schütz überzeugend zeigte, ging mit der Verdrängung der Konfirmation auch die „Prägekraft des bürgerlich-protestantischen, gesamtdeutsch-nationalstaatlichen Gesellschaftsmodells“342 verloren. Um über den Einfluss der Kirchen auf die Menschen im Lande möglichst umfassend informiert zu sein, gründete die Regierung der DDR 1957 das Staatssekretariat für Kirchenfragen, welches dem Ministerrat der DDR unterstellt war und stark durch das MfS kontrolliert wurde. Daneben existierte die Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim ZK der SED, die formal zwar keinen Einfluss ausübte, tatsächlich aber den parallel handelnden staatlichen Strukturen gegenüber weisungsbe338
339 340 341 342
Ebd., 43 nennt ca. 500.000 Mitglieder als offizielle kirchliche Zahl für 1989. Eine Studie von 1989 geht von lediglich 240.000 Christen in der ELLM aus. Vgl. Judt, DDR-Geschichte, 407. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine vom SED-Staat in Auftrag gegebene Studie, vermutlich dieselbe, auf die sich Judt bezieht. Kaul, Kirchen, 23: Aufgrund der ca. 185.000 Zensiten (Kirchensteuerzahler) nimmt er eine Gesamtmitgliedschaft von 240.000 für die ELLM an, erwähnt aber auch die offizielle kirchliche Zahl von 450.000 Mitglieder. Vgl. Pollack, Volkskirche, 271. Vgl. Frank, DDR, 43. Pollack, Volkskirche, 279. Schütz, Alternative, 434.
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rechtigt war. So entstand die merkwürdige Situation, dass die Gespräche mit Kirchenvertretern seitens des Staatssekretariats geführt wurden, das eigentliche Zentrum der Kirchenpolitik hingegen die Arbeitsgruppe für Kirchenfragen bildete. Dies war ein Zeichen für eine „große kirchenpolitische Konzeptlosigkeit“343 gepaart mit dem Phänomen, dass die zuständigen Stellen „stets nur das Ziel, nie die Methoden“344 im Umgang mit Kirchenfragen erfuhren. Die Loslösung von der EKD und Gründung des BEK 1969 lagen nur teilweise im staatlichen Interesse.345 Zwar bewertete man die Trennung von der EKD positiv, missbilligte aber die neue Zentralisierung der Landeskirchen durch den BEK. Zwischen EKD und BEK blieb stets das besondere Bewusstsein von Zusammengehörigkeit, gemeinsame Beratergruppen tagten regelmäßig.346 Obgleich der BEK 1971 seitens des Staates offiziell anerkannt wurde, verfolgte die Regierung der DDR vor allem das Ziel, die Eigenständigkeit der Landeskirchen zu fördern mittels einer „Differenzierungspolitik“, im Bemühen, die Landeskirchen gegeneinander auszuspielen.347 Bevor es zu dem bedeutenden Gespräch zwischen Honecker und dem Vorstand des BEK am 6. März 1978 kam, gab es zwei Jahre früher ein für Mecklenburg noch wichtigeres Treffen. Am 8. Dezember 1976 traf sich die mecklenburgische Kirchenleitung in Güstrow mit Vertretern der Räte der in ihr Gebiet fallenden Bezirke Schwerin, Rostock und Neubrandenburg; dazu kamen der Vorsitzende des Bezirksausschusses der Nationalen Front und des Bezirksverbandes der CDU in Schwerin sowie der Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser. Geplant war eine freundliche Begegnung, aus staatlicher Sicht endete sie in einem „Fiasko“348 . Bischof Rathke und die anderen Pastoren beschrieben die Lage ihrer Kirche im sozialistischen Staat der DDR realistisch und dunkel, kritisierten offen die fehlende Bewegungsfreiheit, die alles beherrschende marxistisch-leninistische Ideologie, die ideologische Drangsalierung von Kindern und die Missachtung von Glaubens- und Religionsfreiheit. OKR Siebrand Siegert wies deutlich darauf hin, dass die Existenz der Kirche nicht von der Verfassung oder vom Willen der Partei abhänge. Bischof Rathke prangerte falsche Versprechungen an, die die DDR auf internationalem Parkett wie in Helsinki349 zwar mache, zu Hause jedoch nicht einhalte.350 Nach diesem Gespräch waren die Fronten geklärt: Bischof Rathke und seine Kirchenleitung hatten sich als mutige Kritiker präsentiert, die sich vorbehaltlos vor ihre Mitarbeiter und die Gläubigen stellten und sie dazu aufforderten, „frei343 344 345 346 347 348 349 350
Frank, DDR, 48. Ebd., 61. Vgl. Lepp, Kirche, 81–84. Vgl. Graf, Ordnungsmacht, 295–298. Vgl. Frank, DDR, 93. Z.B. wurde der Greifswalder Bischof Gienke gegenüber Bischof Rathke gern als Vorbild hingestellt seitens der SED. Ebd., 54. Weber, DDR, 89. 1975 unterzeichnete die DDR die KSZE-Akte (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Helsinki. Vgl. Frank, DDR, 54f.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 73 mütig in der sozialistischen Gesellschaft zu leben, mit zuzupacken, aber auch ihre Bedenken anzumelden und auf die Beseitigung von Missständen zu drängen.“351 Vom Rat des Bezirkes Neubrandenburg wurde Bischof Rathke daher 1977 bescheinigt, eine „negative politische Position“ zu beziehen.352 Bischof Rathke prägte die ELLM auch theologisch. Noch bevor er zum Bischof ernannt wurde, stellte er auf der Bundessynode in Eisenach im Juli 1971, auf der der Begriff „Kirche im Sozialismus“ mehrheitsfähig wurde, sein Konzept von einer „Kirche für andere“ in Anlehnung an Bonhoeffer353 vor.354 Dies sei gerade keine „Kirche ohne die anderen“, „wie die anderen“ oder gar „gegen die anderen“. Stattdessen setze sich eine „Kirche für andere“ „ganz und gar [...] für den anderen ein, der es nötig hat“355 . Nach zwei Amtszeiten, insgesamt zwölf Jahren,356 folgte auf Rathke 1984 Stier als Bischof. Bezüglich der Gesprächskultur mit staatlichen Stellen veränderte er die Taktik. Ab 1985 führte nicht mehr er Gespräche mit den Bezirken, sondern Mitglieder des OKR mit der Begründung, dass Stier sein Amt primär geistlich verstehe. Dadurch weitete er den Gesprächskreis auf eine Größe aus, die schwer zu instrumentalisieren war und wirkte jeglichen Versuchen allzu privater Gespräche entgegen. Zudem reduzierte er die Anzahl der Gespräche, lehnte viele ab und brach 1989 als einziger Bischof in der DDR bewusst die Kontakte zu staatlichen Stellen ab.357 Fanden dennoch Gespräche statt, galten für die kirchlichen Teilnehmer seit einem Schreiben des OKR an die Landessuperintendenten 1959 klare Leitlinien: Ob ein Treffen angebracht ist, liegt im Ermessen des Landessuperintendenten. Er wählt die Amtsträger aus und lädt diese ein. Vor dem Treffen wird der OKR benachrichtigt, der seinerseits einen Vertreter schicken kann. Dann legen die kirchlichen Vertreter fest, welche Punkte besprochen werden und wer was sagt, wobei grundsätzlich Einmütigkeit erwartet wird. Bewirtung durch die staatlichen Stellen wird abgelehnt. Im Anschluss an das Gespräch erhält der OKR einen Bericht.358 Konspirativen Treffen war damit weitestgehend vorgebeugt. Ließen sich Pastoren dennoch auf vertrauliche Gespräche mit dem MfS ein, widersetzten sie sich ausdrücklich den landeskirchlichen Vorgaben. Rathke und Stier bestimmten auch wesentlich die offene Position ihrer Landeskirche zu den Friedens- und Umweltgruppen. Dies lag zum Einen an guten persönlichen Kontakten Rathkes zu Protagonisten der Gruppen, zum Anderen verschärfte sich durch die Gruppen das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in 351 352 353 354 355 356 357 358
Vgl. ebd., 88. So sinngemäß Rathke 1971 vor der Landessynode. Vgl. ebd., 95; 286. Vgl. Bonhoeffer, Widerstand, 415f. 1970 sprach der mecklenburgische Pastor Martin Kuske in seinem 1973 veröffentlichten Aufsatz davon, dass das „Stichwort ‚Kirche für andere‘ [...] heute in der Luft“ liege. Kuske, Kirche, 84. Rathke, Kirche, 181. Vgl. Mecklenburgs, Leitungsgesetz III. Abschnitt, §16, Punkt 2: Die Begrenzung der Amtszeit auf zwei Amtsperioden wurde 1972 auf Antrag Rathkes eingeführt. Vgl. Frank, DDR, 110–113. Ebd., 534.
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Mecklenburg nicht wesentlich, denn Konfrontationen gab es schon vorher zur Genüge.359 In seinem letzten Bischofsbericht 1984 sagte Rathke: „Aufregend wird es am Rande, in den lockeren Gruppen. Ganz weit draußen in der zufälligen Begegnung am Wege, da ist mit Jesus zu rechnen, der Gemeinde ganz neu anfangen läßt.“360 Stier setzte diesen Weg fort und sprach von einer produktiven Spannung zwischen Basisgruppen und Landeskirche.361 Gerade die Gruppen könnten gesellschaftspolitische Probleme mutig benennen, denn es gebe „letztendlich kein Anliegen und kein[en] Bereich des persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens [...], zu dem die christliche Botschaft nichts beizutragen hätte“.362 Dies gelte gerade in einer eher konservativ ausgerichteten Landeskirche wie der ELLM. Auf der Frühjahrssynode im März 1989 präzisierte er das Verhältnis von Staat und Kirche. Das Prinzip der Trennung könne „von der Kirche niemals so ausgelegt werden, daß sich die Kirche von der Gesellschaft, in der sie lebt [...] trennt oder trennen läßt.“363 Konkret bedeute dies, die von der Gesellschaft Übersehenen zu achten, 1989 im Speziellen die Ausreiseantragsteller. „In unseren Räumen und Kirchen dürfen und können alle Fragen des wirklichen Lebens aufrichtig und wahrhaftig angesprochen werden [...].“364 In seinem Bericht zur Lage vom Oktober 1989 bekräftigte er dies: „Die Kirche wird, solange der Staat diesen Gruppen auf ihre Bitten hin keine Unterstützung zuteil werden läßt und ihnen gesellschaftliche Räume zur Verfügung stellt, ihre Räume weiterhin öffnen.“365 Dass dies eine wichtige, temporäre Notwendigkeit war, erklärte Stier auf der Synode im März 1990: „Wir müssen nun auch nicht weiterhin die Sachverwalter politischer und gesellschaftlicher Sachverhalte sein.“366 Neben den strukturellen Umstellungen der ELLM im Zuge der deutschen Einheit und erneuerten Gemeinschaft mit der EKD beschäftigte die Kirche 1990 vor allem das Problem Inoffizieller Stasi-Mitarbeiter (IMs) in den eigenen Reihen. Nach einigen anschuldigenden Medienberichten waren viele Pastoren und Gemeindeglieder verunsichert ob der Integrität ihrer Landeskirche. Am 25. November 1990 schrieb Stier daher einen Brief an alle Mitarbeitenden, der sich grundsätzlich mit der Stasi-Thematik auseinandersetzte, und rief zum offenen Gespräch miteinander auf. Wer dies scheue, bleibe „im Gefängnis seiner Angst“367 vor einer eventuellen Aufdeckung und sei damit erpressbar. Schon auf der Landessynode im November 1990 war die Gründung eines Vertrauensrates um Altbischof Rath359 360 361
362 363 364 365 366 367
Vgl. Frank, DDR, 426. Ebd., 427. Wagner, Staat, Vgl. 114. Er spricht sogar davon, dass die Kirchen ohne die Gruppen ein rein stabilisierender Faktor in der DDR gewesen wären, durch die kirchlichen Gruppen aber zugleich befreiend wirken konnte. Vgl. Graf, Ordnungsmacht, 302, schreibt, die Konflikte zwischen den Gruppen und wertkonservativen Pfarrern hätten für eine „innere Pluralisierung des DDR-Protestantismus“ gesorgt. Frank, DDR, 429 Nach Stiers Bischofsbericht vom März 1986 vor der Landessynode. Stier, Bericht 16.-19.3.1989, 18. Ebd., 18. Ders., Bericht 26.-29.10.1989, 6. Ders., Bericht 15.-17.3.1990, 7. Ders., Brief 25.11.1990, 4.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 75 ke beschlossen worden, verbunden mit dem Aufruf, dass sich ehemalige IMs einem Menschen ihres Vertrauens im seelsorgerlichen Gespräch zu erkennen geben mögen. Schonungslose Offenlegungen oder Disziplinarmaßnahmen widersprächen demgegenüber dem seelsorgerlichen Anliegen.368 Alle Synodalen wurden aufgefordert, eine schriftliche Erklärung über eventuelle Verstrickungen mit der Stasi abzugeben. Inwiefern die zersetzenden Maßnahmen der Stasi erfolgreich waren, ist schwer nachvollziehbar. Rahel Frank369 kam 2008 zu dem Ergebnis, dass das MfS zwar viele Informationen über die ELLM und auch aus ihr hatte, aber mangels IMs in führenden Positionen nur geringen Einfluss nehmen konnte auf die Entscheidungen der Kirche.370 Wenngleich Bischof Stier 1990 mit Recht vor einer rückblickenden Glorifizierung seiner Kirche warnte371 , kann Rahel Frank zugestimmt werden: „Die mecklenburgische Landeskirche ist mehrheitlich einen Weg gegangen, dessen Ergebnisstand und Erfahrungen zu bewahren sich lohnen würde.“372 2.2 Die Pommersche Evangelische Landeskirche (ehemals Greifswalder Evangelische Kirche) Wenngleich es auch in Pommern schon Mitte der 1520er Jahre zu reformatorischen Auseinandersetzungen in den Städten kam, entschlossen sich die Herzöge erst im Sommer 1534 dazu, die Reformation vermittelst eines Landtages einzuführen.373 Theologisch wurde dieser durch Johannes Bugenhagen („Doktor Pomeranus“) geprägt, der auch eine 1535 erschienene Kirchenordnung verfasste. Die Kirche wird zur Landeskirche, die sich in ihrem Gebiet mit dem des Herzogtums deckt. Infolge der Reformation werden die Klöster säkularisiert, Mönche und Nonnen vertrieben. Der Dreißigjährige Krieg bedeutete für Pommern eine akute Gefahr der Rekatholisierung. Auch zum Schutz der protestantischen Länder marschierte Gustav II. Adolf von Schweden 1630 in Pommern ein – die lange schwedisch-pommersche Geschichte begann. Nach dem Dreißigjährigen Krieg erhielt Brandenburg im Westfälischen Frieden 1648 Hinterpommern und das Bistum Cammin. Schweden bekam Vorpommern mit Stettin, Rügen und einen Landstreifen östlich der Oder. Bis 1815 blieb Pommern geteilt. 368
369 370 371 372 373
Vgl. ders., Bericht 1.-4.11.1990, 8f. 1991 kam der Abschlussbericht der Überprüfung zu folgendem Ergebnis für die ELLM: Zehn Pastoren waren IMs, einer von ihnen wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, ein anderer vom Dienst suspendiert. Letzteres wurde durch eine Kirchengerichtsentscheidung der EKD aufgehoben und durch eine Wartezeit von fünf Jahren ersetzt. Vgl. Frank, DDR, 297f. Geborene von Saß, vgl. ihr Buch zur ELKG: Von Saß, Weg. Vgl. Frank, DDR, 527. Vgl. Stier, Bericht 1.-4.11.1990, 10. Frank, DDR, 542. Vgl. zur Kirchengeschichte Pommerns: Buske, Kirchengeschichte; ders., Pommern; Schmidt, Jahre; Buske, Kirchenordnung; ders., Mecklenburg; Matthiesen, Greifswald; Heyden, Kirchengeschichte; Evangelische Landeskirche Greifswald, Kirchengeschichte; Blumrodt, Geschichte.
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Im preußischen Königreich bildete sich 1701 eine preußische Landeskirche, womit die Kirchen der einzelnen Landesteile zu Provinzialkirchen mit dem Recht auf eigene Kirchenordnungen wurden. Im Zuge der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806 wurde Schwedisch-Pommern nun auch offiziell Teil des schwedischen Staates, was jedoch staatsrechtlich ohne Folgen blieb. Schon neun Jahre später fiel Schwedisch-Pommern als ein Ergebnis der Befreiungskriege 1815 unter preußische Herrschaft und wurde so mit den übrigen Teilen Pommerns vereint. Als Teil Preußens wurde auch in Pommern die Union von Lutheranern mit Reformierten 1817 durch König Friedrich Wilhelm III. aus Anlass des 300. Jahrestags der Reformation durchgeführt. Die Zustimmung hierzu ist in Vorpommern rein formeller Natur, gibt es doch keine reformierten Kirchenkreise in der Region. Dennoch wirkte diese politische Entscheidung bis in die Gegenwart nach in der Zugehörigkeit der PEK sowohl zur Evangelischen Kirche der Union (EKU) als auch seit 1956 zum Lutherischen Weltbund (LWB).374 Bekräftigt wurde dies ausdrücklich durch den Entschluss der Provinzialsynode der PEK im November 1947. Damals einigte man sich darauf, „daß seit der von Johann Bugenhagen 1535 verfaßten Pommerschen Kirchenordnung hierzulande die Kirche lutherischen Bekenntnisses gewesen ist, in welcher im Leben der Gemeinden Luthers Kleiner Katechismus Glauben und Leben bestimmte. Doch sei die pommersche Kirche durch geschichtliche Führung mit der Kirche der altpreußischen Union und durch die Gemeinschaft des Glaubens und der brüderlichen Dienstes mit der EKD verbunden. Sie sei entschlossen, mit beiden als Gliedkirche lutherischen Bekenntnisses mit eigener Verantwortung verbunden zu bleiben.“375
Nach 1933 bildeten sich auch in Pommern nach dem Sieg der Deutschen Christen (DC) unter ihrem Bischof Karl Thom ein Provinzialbruderrat der BK und eine Bekenntnissynode unter deren Präses Dr. Reinhold von Thadden-Trieglaff. Mitglied dieses Bruderrates war unter anderem der designierte mecklenburgische Bischof Heinrich Rendtorff, seit 1934 Pfarrer in Stettin. In Ostpommern zählten sich etwa 3% der Gemeinden zur BK, in Vorpommern hingegen gab es lediglich bekennende Pfarrer ohne Gemeinden.376 Bonhoeffer richtete 1935 in Zingst ein Predigerseminar ein, welches wenige Monate später nach Stettin-Finkenwalde verlegt wurde, und leitete dieses auch. Die meisten teilnehmenden Vikare kamen jedoch nicht aus Pommern.377 Mit Ende des zweiten Weltkriegs wurde Pommern erneut geteilt. Ein Großteil gehörte nun zu Polen, die vorpommerschen Kreise wurden im neuen Land Mecklenburg-Vorpommern verwaltet. Das Stettiner Konsistorium siedelte in das nicht bombardierte und schließlich kampflos übergebene Greifswald um und nahm 374 375 376 377
Vgl. Buske, Pommern, 90–93. Eine Besonderheit, die auch die seit Pfingsten 2012 bestehende Nordkirche fortführt als Gastmitglied in der EKU. Heyden, Kirchengeschichte, 255. Vgl. Klän, Beharrung, 428. Vgl. ebd., 429.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 77 unter dem Greifswalder Stadtsuperintendenten Karl von Scheven seine Arbeit auf. Alle evangelischen kirchlichen Besitzungen auf polnischem Gebiet wurden im September 1946 enteignet, die übrigen evangelischen Gemeinden in die altpreußische Union der Evangelisch-Augsburgischen Kirche Polens eingegliedert. Folgerichtig wählte die pommersche Provinzialsynode wenige Monate später von Scheven zum Bischof einer nun sehr kleinen, selbständigen Landeskirche, die mit ihrem Namen ausdrücklich an die landschaftliche Eigenart und heimatliche Tradition erinnerte. In Vorpommern, das schon in Folge der sich nach dem ersten Weltkrieg verstärkenden Säkularisierungsbewegung im Vergleich zum östlichen Teil Pommerns „als notorisch unkirchlich“378 galt, profitierte das kirchliche Leben nach dem zweiten Weltkrieg von den zumeist stark kirchengebundenen Flüchtlingen aus Hinterpommern. Am 5. Januar 1947 wurde von Scheven durch Otto Dibelius, Bischof von Berlin und Vorsitzender der EKD, in der St. Nikolaikirche Greifswald eingeführt. 1947 wurde der Staat Preußen aufgelöst und infolgedessen auch die preußische Kirche. Nun entstand die EKU als Verbund selbständiger, unierter Landeskirchen, unter anderem der pommerschen. Die im Sommer darauf gebildeten drei Propsteien Pasewalk, Stralsund und Greifswald-Stadt bestehen bis heute. Ab Oktober 1950 galt eine neue Kirchenordnung, die besonders das synodale Laienelement stärkte und das Bischofsamt ganz lutherisch als geistliches Hirtenamt auffasste.379 Im Zuge der strikten Trennung von Staat und Kirche bzw. Kirche und Gesellschaft wurde die Kirche schnell zum „Auffangbecken oppositioneller Stimmungen und Strömungen. Religion wurde politischer, als sie jemals zuvor gewesen war, politischer, als die Kirche selbst wollte, und sie wurde demokratisch.“380 Allein die Präsenz der Kirche als selbständiger Organisationsform war schon politisch, weil nonkonform. 1950 gab es erstmals Versuche einer staatlichen Differenzierungspolitik gegenüber der PEK vor den Landtagswahlen am 15. Oktober 1950. Von Scheven reagierte mit klaren bischöflichen Anweisungen bezüglich Gesprächen mit staatlichen Stellen und ordnete „strikte Neutralität und Ablehnung jeder politischen Vereinnahmung“381 an. Eine Leitlinie, die so auch unter von Schevens Nachfolger Friedrich-Wilhelm Krummacher galt. 1954 starb Bischof von Scheven, sein Nachfolger wurde der Berliner Generalsuperintendent Krummacher, wiederum eingeführt durch Dibelius, diesmal im Dom zu Greifswald. Im Konflikt um die staatlicherseits forcierte Jugendweihe verfolgte er zunächst einen Kurs der Abgrenzung und erließ im Dezember 1954 einen Unvereinbarkeitsbeschluss ganz in der „Tradition der selbstbewussten Staatskirche“382 . Wer an der Jugendweihe teilnimmt, darf nicht konfirmiert werden.383 378 379 380 381 382 383
Ebd., 422. Vgl. Kirche, Kirchenordnung. Matthiesen, Greifswald, 608f. Ebd., 610. Ebd., 658. Vgl. ebd., 615.
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Doch die staatliche antikirchliche Politik war schon bald erfolgreich und der zunächst seitens der Kirche als ebenbürtiger Kampf aufgefasste Streit um den ideologischen Einfluss in der Bevölkerung wurde zum Überlebenskampf der Kirchen. Zwischen 1949 und 1964 verlor die PEK ca. 25% ihrer Mitglieder384 , der Religionsunterricht wurde aus den Schulen in die Kirchen gedrängt und als Christenlehre fortgeführt. Jugendfahrten und Bibelrüsten wurden verboten und 1956 musste die Bahnhofsmission in Greifswald schließen. 1958 wurde auch in Greifswald zum Jahr des Umbruchs. Dank der großangelegten staatlichen Werbeaktion wurde die Jugendweihe zur verbindlichen Norm. Innerhalb von zwei Wochen wurden 43% der Schüler geworben, bis zum Ende des Jahres waren es in der Stadt 82%, auf dem Land immerhin 60%. 1962 nahmen in Greifswald rund 97% der Jugendlichen an der Jugendweihe teil – eine bis 1990 stabil bleibende Zahl. „Die defensive Gemeinschaftsbildung der Kirche gegen die SED war gescheitert.“385 Das Ergebnis der auf ihre Religionsausübung beschränkten Kirche war ein „kleines belagertes kirchlichchristliches Milieu“386 . Bischof Krummacher reagierte darauf. Schon 1957 hob er das Umgangsverbot mit der SED auf, ab 1958 führte er Gespräche mit dem SEDBezirkschef Harry Tisch. Deshalb von einem „gebrochenen Rückgrat“387 zu sprechen, wie Gerhard Besier, erscheint jedoch zu harsch und entspricht der Besier typischen extremen Vereinfachung von Sachzusammenhängen.388 Matthiesen bewertet dies hingegen als einen „Zuwachs an Realitätssinn“389 , um nicht noch mehr Gläubige zu verlieren. Nachdem 1952 alle Länder im Bereich der DDR aufgelöst und in Bezirke aufgegliedert wurden, ist die PEK als Teil der Bezirke Rostock, Neubrandenburg und Frankfurt a. d. Oder gemeinsam mit dem vorpommerschen Dekanat der katholischen Kirche die einzige Institution, die sowohl in ihrem Namen als auch in ihrem Gebietsbestand die „Erinnerung an Pommern in Vorpommern wachhält“390 . Allein schon der Name stört die Regierung. 1968 beugte sich die Landeskirche dem staatlichen Druck und nannte sich fortan Evangelische Landeskirche Greifswald (ELKG). Dass dies staatlichem Druck geschuldet war, wird daran deutlich, dass sich die Landeskirche bei erstbester Gelegenheit 1990 zurück in PEK benannte. Aus kirchlichen Kreisen kam 1990 auch eine Initiative, den Bereich Vorpommerns politisch mit Berlin statt Schwerin zu verbinden. Der Greifswalder Pfarrer Glöckner verbreitete z.B. mit Pfarrer Jax aus Stralsund ein Flugblatt unter dem Titel: „Wir sind Vorpommern, wir sind nicht der Hinterhof von Mecklenburg“391 . Diese Abgrenzung ist nur aus der Geschichte heraus zu verstehen. War Mecklenburg von jeher eine eigene Kulturlandschaft, so war Vorpommern ein Teil Preußens und die Provinz Pommern ursprünglich doppelt so groß wie Mecklenburg. Schon zu Zei384 385 386 387 388 389 390 391
Vgl. Matthiesen, Greifswald, 618. Ebd., 621. Ebd. Besier, SED, 9. Pollack, Rolle, 87. Vgl. seine Kritik an Besiers reduktivem Ansatz. Matthiesen, Greifswald, 628. Evangelische Landeskirche Greifswald, Kirchengeschichte, 14. Glöckner, Flugblatt.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 79 ten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gehörten Mecklenburg und Pommern zu unterschiedlichen Kreisen - dem niedersächsischen und obersächsischen.392 1972 trat Bischof Krummacher aus Altersgründen zurück393 , gleichzeitig erlebte die Kirche einen Generationenwechsel und mit ihm neue Meinungsvielfalt. Die jungen Pfarrer der Nachkriegsgeneration waren allesamt in der DDR sozialisiert. Viele sahen sich nicht mehr in der Feindrolle zur Gesellschaft, während die SED ihr Feindbild beibehielt und erste Erfolge in der Differenzierungspolitik vorweisen konnte. Krummachers Nachfolger Gienke, ein gebürtiger Mecklenburger, schlug denn auch einen neuen Kurs ein, eine „Politik des Lavierens [...] und des konzilianten Entgegenkommens“394 . Er führte nach eigenen Angaben in 17 Dienstjahren als Bischof 37 (informelle) Gespräche mit Staatsvertretern. Dabei standen für ihn sowohl die seelsorgerliche Aufgabe gegenüber allen Menschen und die Hoffnung, „tief eingewurzelte Vorurteile abzubauen und Brücken des gegenseitigen Verstehens und des Vertrauens aufzubauen“395 im Vordergrund, als auch positive Wirkungen für die Arbeit der Kirche und das Wohl der Gemeindeglieder. Folgerichtig erließ Gienke auch keine Leitlinie im Umgang mit den staatlichen Stellen für kirchliche Mitarbeiter, wie Bischof Rathke für die ELLM. Er vertrat die „Auffassung, das Führen derartiger Gespräche liege im Ermessen des einzelnen.“396 Dass dies eine naive Unterschätzung der staatlichen Seite war, wie ihm z.B. von OKR Wolfgang Nixdorf vorgeworfen wird, scheint unbestritten. Für die ELKG waren die finanziellen Ergebnisse dieses Staats-Kirche-Verhältnisses beachtenswert, gemäß dem Prinzip „Auskünfte gegen Staatsleistungen“397 . Sichtbar wurde dies medienwirksam in der Wiedereinweihung des Greifswalder Doms im Juni 1989. Im Gesamtkontext des BEK in der DDR führte dieser „Sonderweg“ allerdings zu einer Differenzierung zwischen den Landeskirchen.398 Doch auch innerhalb der Greifswalder Landeskirche war dieser Weg mehr als umstritten; die Kirchenleitung erlebte einen „rapiden Machtverfall“399 . Um die Greifswalder Pfarrer Noack, Roland Springborn, Glöckner und den Diakon Bernd Schröder bildeten sich in Greifswald informelle Gesprächszirkel. Neben den allgemeinen politischen und ökologischen Themen gab es hier drei spezielle Reizthemen: Zum einen den Flächenabriss der Greifswalder Altstadt ab 1970. 392 393
394 395 396 397 398 399
Buske, Mecklenburg, 121–123. Das Bischofsamt war damals in der ELKG noch ein Amt auf Lebenszeit. Erst 1979 wurde das Bischofswahlgesetz dahingehend geändert, dass neben einem Rücktritt auch eine Abwahl des Bischofs durch die Synode möglich ist. Vgl. Matthiesen, Greifswald, 659. Ebd., 658. Gienke, Dome, 375. Von Saß, Weg, 72. Dies wurde mir auch im persönlichen Gespräch von Pfarrern der ELKG bestätigt. Richter, Rechtsunsicherheit, 81. Siehe dazu die Ausführungen zur Wiedereinweihung des Greifswalder Doms im nachfolgenden Kapitel. Matthiesen, Greifswald, 675.
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Das von Kriegsbomben verschonte Greifswald „zerfiel nun im Frieden“400 als Teil eines staatlichen Pilotprojekts zur Umgestaltung der historischen Innenstädte im Stile industriellen Plattenbaus.401 Zum anderen die umstrittene Renovierung und Wiedereinweihung des Greifswalder Doms. Und zum dritten die damit zusammenhängenden Forderungen nach einem Rücktritt Bischof Gienkes, denen er nach Monaten des innerkirchlichen Machtkampfes am 14. November 1989 nachkam. Glöckner interpretierte diesen Schritt so: „In diesem lebensgefährlichen Klima des sozialistischen Friedens nahm die Pommersche Evangelische Kirche Abschied vom Kurs der Anpassung und Anbiederung.“402 Der Greifswalder Professor Thümmel hingegen bewertet Gienkes Kirchenpolitik im Nachhinein positiv als „Kurs des Friedens und der Verständigung mit der Regierung, fand dafür aber wenig Verständnis“403 . Formal bestand die ELKG aus 15 Kirchenkreisen mit zwei Pröpsten, 425 Kirchengemeinden und rund 250 Pfarrstellen.404 Nur der Kirchenkreis Greifswald unterstand direkt dem Bischof und hatte damit eine gewisse Sonderposition. Die ELKG wurde von zwei Leitungsgremien geführt, der Kirchenleitung und der Landessynode. Die Kirchenleitung hatte Ende der 1980er Jahre 15 Mitglieder, davon sieben sogenannte „geborene“405 , sowie acht von der Landessynode gewählte406 . Ohne Stimmrecht nahmen auch die weiteren sechs Mitglieder des Konsistorialkollegiums teil.407 Das Konsistorium war die kirchliche Verwaltungsbehörde mit 4550 Mitarbeitern.408 Dabei profilierte sich das ständig im selben Haus arbeitende Konsistorium immer stärker gegenüber der Kirchenleitung, die sich lediglich alle vier Wochen traf. Gienke verlagerte wichtige Fragen gern ins engste Leitungsgremium und warf der Kirchenleitung vor, „das Gewicht bischöflicher Entscheidungen nicht zu beachten“409 . In seinen Memoiren bestätigt Gienke sein schwieriges Verhältnis zu demokratischen Strukturen innerhalb der Kirche. Eine „breite synodale Mitverantwortung“ sei zwar gut, aber immer unter der Voraussetzung des Vertrauens zu denjenigen, „die durch ihre hauptamtliche Arbeit im Konsistorium [...] einen starken Informationsvorlauf haben.“410 . Die Landessynode ist neben dem Bischof formal das höchste Organ. Sie hatte zwischen 65 und 70 Mitglieder und tagte einmal jährlich im November, wodurch sie praktisch kaum kirchenpolitischen Einfluss nehmen konnte. 400 401 402 403 404 405
406 407 408 409 410
Baumann, Greifswald, 13. Vgl. Lichtnau, Greifswalder, 5. Glöckner, Wende, 9. Thümmel, Greifswald, 247. Vgl. Maser, Glauben, 14f. Bischof Gienke, der Präses der Landessynode Dietrich Affeld, die zwei Pröpste Hans-Georg Haberecht und Friedrich Harder, Oberkonsistorialrat Hans-Martin Harder als leitender Jurist und Oberkonsistorialrat Siegfried Plath als leitender Theologe. U.a. Superintendent Reinhold Garbe, Landespfarrer für Diakonie Siegfried Hildebrand und Pfarrer Glöckner. Vgl. Nixdorf, Korrektur, 107. Der Autor war als OKR ein solches Mitglied ohne Stimmrecht. Vgl. von Saß, Weg, 44. Ebd., 57. Gienke, Dome, 300.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 81 Es gab auch andere Versuche, politisch Einfluss zu nehmen seitens kirchlicher Mitarbeiter. Besonders die CDU-Ost hatte in Greifswald viele Mitglieder aus dem Umfeld der Kirche.411 Etwa 20% der Landessynodalen waren in der CDU. Glöckner war schon vor 1989 zwei Perioden lang Abgeordneter in der Greifswalder Stadtverordnetenversammlung und hielt in dieser Funktion angesichts des allgemein herrschenden politischen Konformismus teilweise sehr kritische Reden. So z.B. am 19. März 1987 in der Stadtverordnetenversammlung zum Thema Wehrerziehung. Ganz offen kritisierte er an dieser Stelle die Werbung Jugendlicher für die Offizierslaufbahn und zeichnete die Konsequenzen einer „Militarisierung des Denkens“ im Gegensatz zu einer „Erziehung zum Frieden“. Ersteres verlange unbedingten Gehorsam, Anpassung, Geheimhaltung und vermittele Feindbilder und Hass. Zweiteres fördere die persönliche Verantwortlichkeit, das Verständnis des anderen, Offenheit und persönliche Risikobereitschaft.412 Unmissverständlich fasste er zusammen: „Erziehung zur Zukunft aber muss eine Erziehung zum Frieden sein.“413 Da überrascht es nicht, dass Glöckner nach den Kommunalwahlen im Mai 1990 zum Oberbürgermeister von Greifswald ernannt wurde. Welch immensen territorialen und humanen Schwund die pommersche Landeskirche zwischen dem Ende des zweiten Weltkriegs und dem Ende der DDR hinnehmen musste, soll eine kurze Statistik illustrieren. Zum Vergleich: 1939 waren etwa 95% der 2.394.000 Pommern, also gut 2,2 Millionen Bürger, evangelisch. Die Kirche bestand aus 53 Kirchenkreisen und beschäftigte rund 785 Pfarrer.414 Bis 1953 hatten sich die Zahlen drastisch verringert: Rund 700.000 Evangelische lebten in 18 Kirchenkreisen mit 240 Pfarrern.415 1989 waren es noch um die 148.000 Mitglieder und 180 Pastoren,416 1997 nur noch 140.000 Gemeindeglieder begleitet von rund 140 Pfarrern.417 Nach der friedlichen Revolution waren auch in der sich nun wieder PEK nennenden Landeskirche die Stasiverstrickungen von kirchlichen Mitarbeitern ein brisantes Thema. 1991 beschloss die Landessynode daher eine Befragung aller Synodalen, hauptamtlichen kirchlichen Mitarbeiter und Mitglieder der Kirchenleitung bezüglich einer MfS-Tätigkeit. 1992 erfolgte eine von der PEK in Auftrag gegebene Überprüfung all jener Personen durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Von den 23 registrierten IM mussten sich sieben Pfarrer vor einem innerkirchlichen Ausschuss verantworten – für vier von ihnen mit Folgen: Superintendent Bohl und Oberkonsistorialrat Plath traten in den Ruhestand, Pfarrer Gunnar Fischer wurde in den Wartestand geschickt 411
412 413 414 415 416 417
Vgl. Matthiesen, Greifswald, 660–663. Z.B. das Kirchenmusikerehepaar Pflugbeil, die Theologieprofessoren Hans-Günter Leder (Mitglied des Bezirkstags) und Hans-Jürgen Zobel, Präses Dietrich Affeld, Pfarrer Norbert Buske (Mitglied im Kreistag) samt Frau und Pfarrer Glöckner. Vgl. Glöckner, Interview, 141–143. Ebd., 145. Vgl. Heyden, Kirchengeschichte, 256. Dagegen spricht Matthiesen, Greifswald, 600 von 51 Kirchenkreisen. Vgl. Heyden, Kirchengeschichte, 256. Vgl. Kaul, Kirchen, 21. Vgl. Evangelische Landeskirche Greifswald, Kirchengeschichte, 16.
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und war seit 1998 wieder Gemeindepfarrer der PEK. Nur in einem Fall kam es zum strafrechlichen Verfahren, in dessen Folge der Jarmener Pfarrer Werner Lucas, bis 1990 auch Abgeordneter des Bezirkstages Neubrandenburg418 , aller seiner pfarramtlichen Rechte und Pensionsansprüche enthoben wurde. Die Oberkonsistorialräte Hans-Martin Harder und Ehricht hingegen wurden von der Kirchenleitung trotz des Wissens um ihre IM-Registrierung im Amt bestätigt. Ob Gienke als IM arbeitete, ist schwer nachzuvollziehen, da die entsprechenden Unterlagen nicht mehr auffindbar sind.419 Dass er Gespräche mit Offizieren des MfS führte, bestätigte er aber selbst.420 2.3 Die Wiedereinweihung des Greifswalder Doms St. Nikolai und die kirchenpolitischen Folgen Der Greifswalder Dom St. Nikolai, Wahrzeichen der Stadt und Bischofskirche, bedurfte zu DDR-Zeiten dringender Renovierungen. 1980 war die Außensanierung nach vierjähriger Bauzeit weitgehend abgeschlossen. Die Kosten, etwa 3 Millionen Mark, wurden größtenteils finanziert aus Sachmitteln der nordelbischen Partnerkirche. Nun sollte die Innenrenovierung folgen. Gienke wollte diese zunächst bis zum Reformations-Jubiläumsjahr 1985 fertigstellen und plante ein Budget von 2 Millionen Mark (bis 1989 wurden 2,8 Millionen Mark verbaut).421 Da dies die Finanzen der Domgemeinde überstieg, war die Gemeinde auf Schenkungen aus der BRD, Gelder der Landeskirche und des Staates angewiesen. Nach Abschluss der Bauarbeiten hatte die Domgemeinde 165.000 Mark Schulden.422 Summen, die aus heutiger Sicht gering erscheinen. Damals geschah die verhältnismäßig kostspielige Renovierung stets unter dem Eindruck von Verfall und Abriss der Greifswalder Altstadt als auch im Bewusstsein der knappen Finanzmittel einer kleinen Landeskirche. So hielt es der Arbeitskreis „Solidarische Kirche“ der Hoyerswerderaner Regionalgruppe in einem Schreiben an die Greifswalder Kirchenleitung am Tag nach der Domeinweihung schlicht für „unangebracht, so viel Geld für einen pompösen Bau auszugeben, während Heimbewohner diakonischer Einrichtungen in Betten-Sälen wohnen, niedrige Gehälter [...] kirchlicher Mitarbeiter kaum noch zu vertreten sind“423 . In seinem Antwortschreiben betonte Gienke hingegen, dass „kein Pfennig, der für diakonische Arbeit hätte genutzt werden können, in den Bau geflossen“424 sei. An diesem Austausch lässt sich vor allem eines ablesen: Die fehlende Kommunikation innerhalb der Greifswalder Landeskirche. Schon zuvor hatte es deutliche Kritik gegeben. Die ESG Greifswald und der Stadtjugendkreis organisierten am 6. Mai 1989 eine Veranstaltung unter dem Motto „Nachdenken über den Weg unserer Kirche“. Hier wurde die Finanzierung aus 418 419 420 421 422 423 424
Bieritz, Schalom, 293, Autorenverzeichnis. Vgl. von Saß, Weg, 266f. Vgl. Gienke, Dome, 375. Vgl. Garbe, Finanzierung, 37–40. Vgl. ebd., 67–70. Ebd., 45. Ebd., 44.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 83 Fremdmitteln kritisiert, die eine Identifikation der Gemeindeglieder mit ihrer Kirche erschwere und gleichzeitig deren Passivität fördere. Die Kirche lebe über ihre Verhältnisse.425 Welches Bild werde da von der Kirche vermittelt? Welchen Wert haben solche Großbauten für das Gemeindeleben? Pfarrer Joachim Puttkammer sowie OKR Plath und Gienke hingegen verteidigten den Bau als „Kirche für alle“426 . Die Domeinweihung selbst war eingebettet in eine Festwoche zwischen dem 9. und 15. Juni 1989 unter anderem mit Feierstunden für die Spender und Handwerker.427 Auch erhielt jeder Spender ein Original-Stahlstichreprint mit historischen Ansichten des Doms. Eine heute übliche Praxis des Dankes im Fundraising, damals erregte dies als ein unnötig erscheinender Kostenpunkt die Gemüter. Zeitgleich mit dem Festgottesdienst hielt Glöckner in der vom Dom nur 200 m entfernten Marienkirche einen regulären Sonntagsgottesdienst in Form eines Friedensgottesdienstes. Darin kritisierte er das „Spektakel“ der Einweihung.428 Über 2000 Gemeindeglieder und Gäste nahmen am 11. Juni 1989 am Festgottesdienst teil, der per Lautsprecher auf den Domplatz, sowie live im Staatsfernsehen übertragen wurde. Größtes Aufsehen erregte die Anwesenheit des Staatsratsvorsitzenden Honecker, der auf Einladung Gienkes teilnahm. Das Greifswalder Konsistorium wollte damit, so OKR und Jurist Harder 2007, die Gespräche zwischen Staat und Kirchen „wieder in Gang“ bringen. Das sei „ein erheblicher Fehler“429 gewesen. Die liturgische Verantwortung trugen der Dompfarrer Puttkammer und Superintendent Wackwitz, Begrüßung und Predigt erfolgten durch Gienke. Während der Predigt verließen einige Mitglieder der Jungen Gemeinde den Gottesdienst aus Protest gegen die Restaurierung. Andere zu erwartende „Störer“ hatte das MfS im Vorfeld gezielt eingeschüchtert. Einzig Dompfarrer Puttkammer, sonst nicht im Verdacht, staatskritisch zu agieren430 , „torpedierte [...] den wirklichkeitsfremden ‚Burgfrieden‘‚ und betete ‘für eine Entspannung“431 in China. Die Predigt selbst war in Anbetracht der beginnenden brodelnden innenpolitischen Lage und der generell schwierigen Beziehungen zwischen Staat und Kirche unpolitisch und staatskonform. Gienke verzichtete auf jedwede generelle Kritik, nicht einmal Zwischentöne lassen sich finden. Es war eine Predigt, in der sich die christliche Botschaft ganz aufs Religiöse beschränkte, und damit vollends staatlichen Erwartungen entsprach.432 Im Anschluss an den Gottesdienst fand ein ca. 30-minütiges Rathausgespräch mit Honecker statt. Dort dankte Gienke Honecker für sein Kommen und sprach offen über seine kirchenpolitischen Ziele, die er mit der Teilnahme Honeckers 425 426 427 428 429 430 431 432
Vgl. ebd., 50f. Nixdorf, Korrektur, 115. Vgl. zum Verlauf der Festwoche Wolf, Domeinweihung, 187–232. Vgl. Halbrock, Freiheit, 156. Harder / Harder-Sdzuj, Kirche, 90. Vgl. u.a. seinen Dankesbrief an Honecker. Wolf, Domeinweihung, 229. Abdruck des Briefes. Halbrock, Freiheit, 156. Gienke, Dome, 343–348. Abdruck der Festpredigt über Kol 1,12–20.
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am Festakt verband. Dessen Kommen mache im Rekurs auf den 6. März 1978 „für alle im Bund der evangelischen Kirchen vereinten Landeskirchen und für alle christlichen Kirchen in unserem Lande deutlich, wie wir gemeinsam aus Abgrenzung und Polemik zueinander unterwegs sind in Achtung vor der Überzeugung und dem Auftrag des anderen“433 . Er dankte Honecker „für alles, was in diesen Jahren an Bereitschaft zum Miteinander von Marxisten und Christen in der gemeinsamen Verantwortung für Frieden und Menschlichkeit gewachsen ist“ und stilisierte den Dom zum „Zeuge(n) einer neuen Wegmarke des Miteinanders in unserem Land. [...] Wir sind gewiß, Herr Staatsratsvorsitzender, daß Sie mit aller Kraft daran arbeiten, Altes und Neues in guter Weise zueinander zu bringen.“434 Die Wiedereinweihung des Greifswalder Domes fiel in eine Zeit der Anspannung im Verhältnis von Staat und Kirche. Ereignisse, wie der Zugriff auf die Umweltbibliothek der Zionskirche im Herbst 1987 oder die staatlichen Behinderungen beim Druck von Kirchenzeitungen 1988 mit 17 generellen Auslieferungsverboten, ließen die Beziehungen abkühlen. Aufsehen erregte zudem ein Interview mit Konsistorialrat Manfred Stolpe über die Reiseverordnung, die Stolpe als noch nicht ideal bezeichnet hatte. Das Neue Deutschland schrieb daraufhin am 11. Januar 1989 lakonisch, Stolpe solle sich stärker um religiöse Belange kümmern, da ja „gerade in der letzten Zeit seitens der Evangelischen Kirche mangelnder Besuch der Gottesdienste festgestellt“ würde, statt Interviews zu geben unter dem Motto: „Hauptsache, es bleibt dabei etwas Schlechtes an der DDR hängen.“ Die volle Religionsfreiheit in der DDR zu übersehen „und sich stattdessen mit staatlichen Fragen zu beschäftigen, ist selbstverständlich kein Dienst an der freien Religionsausübung“.435 Gegen solcherlei staatliche Kritik verfasste die Konferenz der Kirchenleitung (KKL), zusammen mit der Synode des Bundes oberstes Leitungsorgan des BEK, bei ihrem Treffen am 13./14. 1.1989 eine scharfe, verteidigende Stellungnahme und stellte sich hinter Stolpe mit der gleichen „Auffassung, daß die Kirche von ihrem Auftrag her zu gesellschaftlichen Problemen Stellung nehmen muß“436 . Unter diesen Vorzeichen musste es die Mitglieder der KKL irritieren, bis Mai 1989 laut Protokoll keine Hinweise auf eine geplante Einladung Honeckers zur Domeinweihung erhalten zu haben. Erst am 6. Mai 1989 informierte OKR Harder über die Vorbereitungen zum 11. Juni 1989 und eine angedachte Beteiligung Honeckers. Die Greifswalder Kirchenleitung selbst wurde noch später, am 26. Mai 1989, über den möglichen hohen Besuch benachrichtigt.437 Wenige Tage später teilte Staatssekretär Löffler dem Vorsitzenden des BEK Bischof Werner Leich mit, dass Honecker wirklich an der Einweihung teilnehme. Sofort wurde in der KKL scharfe Kritik am Alleingang Gienkes laut. Er gefährde damit den Zusammenhalt des BEK und nehme die Gefahr in Kauf, „daß 433 434 435 436 437
Wolf, Domeinweihung, 206. Ebd., 208. O.A.d.V., Stolpe, 1. Nixdorf, Auseinandersetzungen, 77. Vgl. ders., Korrektur, 109.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 85 in Greifswald eine heile Welt vorgegaukelt“438 wird. Da Leich eine Teilnahme am Festakt ablehnte, votierte der BEK wenigstens für Einladungen an die Nachbarbischöfe Gottfried Forck (Berlin-Brandenburg) und Stier (ELLM). Letzterer erhielt nie eine Einladung, ersterer nahm zwar am Gottesdienst teil, wurde aber seitens des Staates nicht zum Rathausgespräch geladen – ein Affront gegen den BEK und weiterer Zündstoff bei der Frage eines Alleinganges des Greifswalder Bischofs.439 Entsprechend kritisch verlief eine Nachbesprechung der Domeinweihung mit Vertretern des BEK und der EKD am 22. Juni 1989 in Berlin. Eine „unterschiedliche Behandlung einzelner Gliedkirchen von staatlicher Seite [könne] kein Weg der Verbesserung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche sein“440 . Dennoch will die KKL „den in Greifswald erneut deutlich gewordenen Willen zum Gespräch bewußt aufnehmen“441 . In diese Phase der landeskirchlichen Versöhnungen schlug ein erneuter Alleingang Gienkes ein. Am 3. Juli 1989 schrieb er eigenmächtig einen persönlichen Dankesbrief an Honecker. Dessen Antwort folgte am 18. Juli 1989 mit der Bitte um Erlaubnis zur Veröffentlichung beider Briefe. Gienke stimmte zu und am darauffolgenden Tag erschienen beide Briefe auf Seite eins im Neuen Deutschland.442 Aus einem zunächst persönlichen Schreiben Gienkes war eine kirchenpolitisch brisante Stellungnahme geworden, da sich die Briefe nun faktisch an alle Leser im Land richteten. Zudem verfügten nun die staatlich gelenkten Medien über die Interpretationshoheit und konnten Gienkes Kritik an den Kirchenzeitungen als dessen offizielle Distanzierung von der kirchlichen Presse werten. In seinem Brief dankte Gienke Honecker für den Besuch im Gottesdienst, wo dieser „vor aller Augen den Willen unseres Staates und seiner führenden Partei zu einem ehrlichen und vertrauensvollen Miteinander mit den Christen und Kirchen unseres Landes unmißverständlich sichtbar gemacht“ habe, ganz in Fortführung des Weges vom 6. März 1978. Denn „nur im Miteinander von Marxisten und Christen in unserer Gesellschaft gibt es einen guten Weg in die gemeinsame Zukunft“. Schon diese Schönfärberei des Staats-Kirche-Verhältnisses erstaunte viele Christen. Wahre Empörung rief Gienkes Kritik an den Kirchenzeitungsberichten über die Domeinweihung hervor, die nicht wie die DDR-Medien „außerordenlich korrekt, sachgemäß und breit“ Bericht erstattet hätten. Honecker antwortete stilistisch ähnlich. Auch er betonte das „Miteinander von Marxisten und Christen“ und interpretierte den 11. Juni 1989 als „zeichenhaften Schritt“, der jedoch „nicht immer gleich von allen verstanden“ werde. Nun müssten die Gespräche zwischen Staat und Kirche im „Geist und Buchstaben der Begegnung vom 6. März 1978“ fortgeführt werden, „damit alle Bürger gleichgeachtet, gleichberechtigt, gleichverpflichtet unsere sozialistische Heimat gestalten“.443 438 439 440 441 442 443
Ders., Auseinandersetzungen, 83. Vgl. ebd., 87. Ebd., 91. Ebd., 92. O.A.d.V., Verbunden, 1. Ebd., 1.
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Die KKL reagierte wütend. Sie kritisierte zum einen formal das erneute Handeln Gienkes ohne vorherige Rücksprache mit der Leitung des BEK. Zum anderen stieß ihr der Inhalt des Briefes negativ auf.444 Ähnlich wie Honecker selbst schätzte Gienke im Sommer 1989 die Situation in der DDR vollkommen falsch ein unter Ausblendung akuter, aktueller Probleme. Für den BEK bestand das Hauptproblem nun darin, einem Auseinanderfallen des Bundes entgegenzuwirken und eine Isolation der ELKG zu verhindern. So berichtete Bischof Leich der KKL Anfang September von einer Sitzung des LWB in Genf einen Monat zuvor, bei dem der Haupteindruck gewesen sei: Die „Kirche in der DDR ist nicht einig“445 . Die in Eisenach vom 15. – 19. September 1989 tagende Bundessynode brachte schließlich ein Ende der Auseinandersetzungen zwischen KKL und ELKG. Man einigte sich auf eine bessere zukünftige Kommunikation, die gegenseitige Informationen und Beratung beinhalte und würdigte die briefliche Antwort Honeckers „als eine wichtige Aussage über die Fortsetzung des mit dem 6. März 1978 bezeichneten kirchenpolitischen Weges“446 . So harmonisch sich die Problemlösung im Nachhinein liest, bildeten die „Vorgänge um die Wiedereinweihung des Greifswalder Domes und die Einladung Honeckers eine der gefährlichsten Krisen“447 in der Geschichte des BEK. Insgesamt fand die Domeinweihung DDR-weite Reaktionen. Bis zur Veröffentlichung des Briefwechsels erhielt Gienke 29 Briefe aus dem gesamten Land, darunter 17 kritische und zwölf zustimmend-dankende. Zehn der 29 Briefe stammten aus der ELKG, unter ihnen lediglich zwei positive Rückmeldungen. Gienke reagierte darauf mit persönlichen Antwortschreiben und Einzel- bzw. kleineren Gruppengesprächen, vermied aber große Gesprächsrunden.448 Nach dem 19. Juli 1989 brach eine regelrechte Flut der Meinungen über Gienke herein. In einer Art „Misstrauensvotum per Post“449 empfing Gienke weitere 134 Schreiben, rund 26% davon enthalten Zustimmung, aus der ELKG sind es sogar knapp 30%. Daneben gingen bis Oktober 1989 23 Eingaben an die Greifswalder Kirchenleitung, fünf davon aus der eigenen Landeskirche.450 Die staatlich gelenkte Presse reagierte durchweg positiv, so u.a. die Theologieprofessoren Gert Wendelborn und Ernst-Rüdiger Kiesow aus Rostock und ihre Berliner Kollegen Hans-Hinrich Jenssen und Hanfried Müller, die den realistischen Kurs Gienkes für die Zukunft der Kirche begrüßen.451 Die kirchliche Leitungsebene anderer Landeskirchen war durchweg empört über Gienkes unabgesprochenes Handeln und äußerten ihre Betroffenheit in persönlichen Briefen an Gienke. Dabei herrschte die Sorge über einen Greifswalder 444 445 446 447 448 449 450 451
Nixdorf, Auseinandersetzungen, 96. Ebd., 98. Ebd., 100. Ebd., 105. Vgl. Holz, Briefwechsel, 292–299. Ebd., 349. Vgl. ebd., 341–348. Vgl. ebd., 305–311.
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 87 Sonderweg vor, der eine „Zerreißprobe“452 für den BEK bedeutete. Auch könnte dies die Isolation Stiers und der ELLM seitens des Staates noch verstärken.453 Auch und besonders innerhalb der ELKG schlugen die Wellen um den 11. Juni 1989 hoch. Schon Anfang Juni kam es zu ersten geheimen Treffen der Kirchenleitungsmehrheit ohne den Bischof, die Mitglieder des Konsistoriums und Präses Affeld. Das hier beschlossene Vorgehen prägte den gesamten Verlauf des Konfliktes bis zum Rücktritt Gienkes am 14. November 1989. Nachdem schon am 27. Juni 1989 der Superintendentenkonvent Gienkes Alleingang kritisierte, meldete sich in diese Diskussionen hinein am 28. Juni 1989 auch der Konvent des Kirchenkreises Greifswald-Stadt in einem Schreiben an die Kirchenleitung zu Wort. Er äußerte Bedenken gegenüber der korrekten Ausübung des Bischofsdienstes, bemängelte zerstörtes Vertrauen und bat die Kirchenleitung, §13 des Bischofswahlgesetzes anzuwenden. Dieses regelt alle Schritte zur Beendigung des Bischofsdienstes: Erst nach einer brüderlichen Aussprache zwischen Bischof und Kirchenleitung kann die Kirchenleitung dem Bischof einen Rücktritt nahelegen.454 Gienke aber war sich seiner Sache weiterhin gewiss und betonte beim Superintendentenkonvent, die Einladung des Staatsratsvorsitzenden sei das Recht eines Bischofs.455 Die Fronten verhärteten sich. Strukturell wurde folgendermaßen argumentiert. Die Kirchenleitung fühlte sich nicht mehr sachgemäß durch die leitenden Brüder (Gienke, Plath und Harder) vertreten und wünschte sich die Gemeinschaft, die jene drei ihrerseits aufgekündigt haben, zurück. Das dafür beste Mittel sei das brüderliche Gespräch nach §13. Der Bischof müsse seinen Leitungsstil ändern, da er Entscheidungen zumeist ohne Absprache treffe, nur dann könne er weiter Bischof sein. Dies sei grundsätzlich möglich und erwünscht.456 In einer weiteren geheimen Sondersitzung am 21. Juli 1989 wurde festgehalten: „Die Kirchenleitung verpflichtet den Bischof, sie über Gespräche, die der Staat mit ihm sucht, zu informieren. Sie fordert, daß bei allen Gesprächen mit staatlichen Instanzen einer der Pröpste bzw. der Superintendent des Kirchenkreises Greifswald anwesend ist.“457 OKR Harder verweist in seiner Antwort auf ein klärendes direktes Gespräch zwischen Bischof und Konvent. Dennoch wurde in der Sitzung der Kirchenleitung am 21. Juli 1989 ein Antrag angenommen, dementsprechend in der Sitzung am 21. September 1989 das vertrauensvolle Gespräch über bischofsdienstliche Fragen gemäß §13 geführt werden sollte. „Lachender Dritter“458 , so kommentiert es Matthias Hartmann in „Kirche im Sozialismus“ war dabei die SED. In die angespannte Situation hinein kam ein erneuter Briefaustausch, diesmal zwischen Dompfarrer Puttkammer und Honecker. Auf Aufforderung Gienkes 452 453 454 455 456 457 458
Ebd., 316: Brief von Bischof Demke an Gienke vom 19. Juli 1989, abgedruckt in Auszügen. Vgl. ebd., 311–316. Vgl. Greifswald, Kirchengesetz, 3. Vgl. Nixdorf, Korrektur, 126f. Vgl. ebd., 132f. nach Notizen von Propst Harder. Ebd., 134 nach Notizen von Propst Harder. Hartmann, Auflösungserscheinungen, 132.
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dankte Puttkammer Honecker am 19. Juli 1989 für dessen Kommen, das gegenseitige Vertrauen und „herzliche und freundschaftliche Beziehungen“ zwischen kirchlichen und staatlichen Stellen in der Schlussphase der Domrenovierung. Geradezu anbiedernd wurde Puttkammer am Ende: „Von Ihnen habe ich gelernt, daß es um ein Miteinander aller guten Kräfte geht.“459 Im August und September mehrten sich die kritischen Stimmen aus der eigenen Landeskirche gegen den Bischof. Mehrere Pfarrkonvente (Bergen, Pasewalk und Wolgast), die landeskirchliche Jugendarbeit und der Mitarbeiterkonvent des Kirchenkreises Usedom forderten Gienkes Rücktritt.460 Beim brüderlichen Gespräch mit der Kirchenleitung am 21. September 1989 versprach Gienke denn auch persönliche Veränderungen. Pfarrer Glöckner hingegen forderte ihn zum Rücktritt nach §12 auf.461 In Abwesenheit des Bischofs wurde nach längerer Diskussion schließlich über Gienkes Rücktritt abgestimmt. Noch wurde ein solcher mit zehn Gegenstimmen, drei Befürwortern und einer Enthaltung abgelehnt.462 Ein kurzer Weg der Entspannung begann. Gienke suchte nun stärker das Gespräch mit den benachbarten Landeskirchen. Am 20. Oktober 1989 kam es zu einem ersten Treffen mit der mecklenburgischen Kirchenleitung seit 1985 mit der Vereinbarung, sich regelmäßig auszutauschen und über Einladungen zu staatlichen Veranstaltungen abzusprechen. Eine Woche später traf Gienke auch die berlin-brandenburgische Kirchenleitung und gestand ein, dass die HoneckerEinladung nicht den gewünschten Erfolg einer Annäherung von Staat und Kirche brachte.463 Aber die Ruhe war nur oberflächlich. Auf der 6. Tagung der VIII. Greifswalder Landessynode vom 2. – 5. November 1989 wurde deutlich, dass die ernsthaften Bedenken von Pfarr- und Mitarbeiterkonventen bezüglich Gienkes Amtsführung weiterhin bestanden.464 Dabei wurden ganz unterschiedliche Kritikpunkte laut: Fehlender Dialog innerhalb der Landeskirche bzw. zwischen Leitung und Gemeinden, der undurchsichtige Umgang mit Geldern bei der Domsanierung, eigenmächtige Gespräche mit Staatsvertretern und Privilegien. Aber auch die akzeptierte Nichteinladung Bischof Forcks zum Rathausgespräch am 11. Juni 1989 war ein Stein des Anstoßes.465 Anschließend wurden die Vertrauensfragen gestellt. Kirchenleitung, OKR Harder und Plath wurden im Amt bestätigt, Gienke wurde das Vertrauen am 5. November 1989 mit 32 zu 30 Stimmen bei einer 459
460 461 462 463 464 465
Wolf, Domeinweihung, 229. Abdruck des Briefes. Auch Puttkammer hatte allein agiert und seine Gemeinde nicht informiert, zudem einer Veröffentlichung des Briefwechsels unverbindlich zugestimmt. Die Kirchenleitung lehnte diese nach Bekanntwerden am 2.8.1989 ab, Puttkammer zog seine Zustimmung zurück und die Sache verlief für die ELKG glimpflich. Vgl. Nixdorf, Korrektur, 135. Vgl. Greifswald, Kirchengesetz, 3. Vgl. Nixdorf, Korrektur, 135–138. Ebd., 142. Vgl. zum gesamten Abschnitt ebd., 146–165. Vgl. ebd., 155f. Beitrag von Pfarrer Oswald Wutzke aus Gartz/ Oder: „Sie, Herr Bischof, haben ihren Bischofsbruder [Forck] vor der Tür stehen lassen.“
Die Geschichte der Mecklenburgischen und Pommerschen Landeskirchen 89 Enthaltung knapp entzogen.466 Nun musste Gienke sich entscheiden, auf welche Weise er zurücktreten wollte. Drei Möglichkeiten standen ihm zur Verfügung: Freiwillig nach §12, auf Vorschlag der Kirchenleitung hin nach §13 oder mit der Bitte um Versetzung in den Ruhestand. Gienke plädierte auf der Sondersitzung der Kirchenleitung am 13. November 1989 wiederum in fataler Fehleinschätzung der Situation für einen vierten Weg: „Ich trete nicht zurück, die Kirchenleitung bestätigt ihren Beschluß vom 21. September 1989. Ist das aber durchhaltbar? Ich bin bereit.“467 Doch die Kirchenleitung folgte der landessynodalen Entscheidung und veröffentlichte am 14. November 1989, die Rücktrittserklärung Gienkes entgegengenommen zu haben. Mit Wirkung vom 30. November 1989 wurde Gienke im Alter von 59 Jahren in den Ruhestand versetzt.468 Wie konnte es soweit kommen? Gienke beanspruchte für sich eine Entscheidungskompetenz, die weit über seine eigentlichen Rechte hinausging. Möglich wurde dies aus seiner gemeinsam mit den beiden leitenden Oberkonsistorialräten starken Stellung, die mit der relativen Schwäche von Kirchenleitung und Landessynode korrespondierte. Gleichzeitig war sich Gienke keinerlei größerer Schuld bewusst, was er auch auf der Landessynode Anfang November 1989 bestätigte: „Was habe ich Schlimmes getan? Ich habe die politische Situation falsch eingeschätzt, und ich habe den Rat der Brüder nicht ernst genommen und gesucht, wie es sachgemäß gewesen wäre. Das verstehe ich als meine Schuld! [...] Ich bin bereit zu neuem Anfang.“469 Dass seine durchaus guten Intentionen, das Verhältnis von Staat und Kirche zum Gewinn der Christen in der DDR zu verbessern, in naiver Fehleinschätzung des Staates und Überschätzung der eigenen Person geschahen und die realpolitischen Gegebenheiten aus dem Blick verloren, sah er nicht. Die Differenzierungspolitik des Staates missdeutete er als „vertrauensvolles Miteinander“. Er glaubte, den Weg des BEK auf eigenmächtige Weise beeinflussen zu können und vergaß darüber, wer seine Freunde und Partner waren und wer ihm gegenüber letztlich nur seine eigenen Machtziele verfolgte im Sinne des altbewährten „teile und herrsche“. Wie stark die Domeinweihung innerhalb der PEK bis in die Gegenwart hinein polarisiert, zeigt ein Blick in die Kirchenzeitungen. 1993 verglich Chefredakteur Gerhard Thomas in „Die Kirche“ (DK) den Prunk der Berliner Domeinweihung mit der von Greifswald 1989. Wieder einmal sei ein falsches Signal an die Gesellschaft gesendet worden: Kirche geht „Arm in Arm mit den Mächtigen in Politik und Gesellschaft“470 . Ein Jahr später bewertete Marianne Subklew den 11. Juni 1989 als wichtiges „Datum für die Beurteilung der ostdeutschen Kirchenpolitik“. Diese war u.a. durch Fehleinschätzungen gekennzeichnet, wie die Annahme, Honecker sei 1989 noch ein „potenter Staatsmann“471 . Zehn Jahre danach erklär466 467 468 469 470 471
Vgl. ebd., 163f. Ebd., 166. Vgl. ebd., 167; 184. Ebd., 160. Thomas, Signal, 1. Subklew, Gardinen, 3.
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te die pommersche Synode Domeinweihung und Briefwechsel zum Vertrauensverrat innerhalb des BEK und der Gemeinden, der „bis heute“ nachwirkt. „Die Spannungen, die daraus entstanden, sind mit dem Mißtrauensvotum der Synode und dem Rücktritt von Bischof Gienke 1989 nicht bewältigt worden. [...] Bisher ist es auch nicht gelungen, zwischen den wertvollen, bleibenden Motiven des Handelnden und den belastenden Wirkungen hilfreich zu unterscheiden.“472 Ergebnis dieser Bestandsaufnahme waren ein Ausschuss für Anhörungen und die Forderung, die kirchenpolitische Entwicklung der PEK seit Gienkes Amtsantritt 1972 zu dokumentieren.473 Zwischen Februar und Juli 2000 fanden fünf Anhörungen zum Weg der pommerschen Kirche zwischen 1976-1990 statt. Diese boten die Möglichkeit, im Gespräch „Verletzungen wahrzunehmen, auch wenn sie nicht geheilt werden können. [...] Auch neue Verletzungen habe es gegeben.“, so das Urteil des Kirchenhistorikers Martin Onnasch im Oktober 2000. Der Konflikt schwele auch zwischen den Generationen: „Je jünger und engagierter Christen waren, desto schwieriger war es für sie, sowohl mit der Gesellschaft als auch mit der Kirche zurecht zu kommen.“474 Auch die Synode überhöre nicht, dass „bis heute Verletzungen bestehen, die in unserer Kirche weiter lebendig sind“475 . Wiederum neun Jahre später titelt die „Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung“ (MPKZ): „Zwischen Anpassung und Abgrenzung. Die Einweihung des Greifswalder Doms vor 20 Jahren mit Staats- und Parteichef Honecker ist bis heute ein Politikum“. Vor allem die Einladung Honeckers sei für viele bis heute „Sinnbild eines umstrittenen Schmusekurses zwischen Staat und Kirche in der DDR“476 . Gab es also einen Greifswalder Weg vergleichbar mit dem der isolierten Thüringer Landeskirche unter Bischof Mitzenheim? Rahel von Saß bestätigt dies in ihrem gleichnamigen Buch ausdrücklich. Zum einen rückte sich die Greifswalder Landeskirche in eine besondere Staatsnähe durch die ausdrückliche Gesprächsbereitschaft innerhalb der Kirchenleitung mit MfS und SED-Bezirksleitung, die Vereinnahmung leitender Amtsträger des Konsistoriums durch MfS und Staat und alleinige kirchenpolitische Entscheidungen. Zum anderen entfernte sie sich damit vom gemeinsamen Kurs des BEK.477 Einen ganz anderen Blickwinkel nimmt der 1989 selbst Mitglied der Kirchenleitung gewesene Nixdorf ein. Er widerspricht von Saß zwar nicht bezüglich der Fakten, hebt jedoch die andere Seite der kirchenleitenden Politik hervor. So bestehe der Greifswalder Weg nachgerade darin, „zwischen Korrektur und Verweigerung Missstände und Fehler in der eigenen Landeskirche klar zu benennen und so lange dagegen anzugehen, bis sie behoben sind“478 . Um einer durchaus drohen472 473 474 475 476 477 478
Kirche, Erklärung. Vgl. Garbe / Nixdorf, Dom. Eine Einschätzung, die Katharina Kunter 2007 dem gesamten ostdeutschen Protestantismus bescheinigt. Vgl. Kunter, Erbe, 117. Jeutner, Verletzungen, 7. Kiesewetter, Anpassung, 5. Von Saß, Weg, 263. Nixdorf, Korrektur, 184.
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den Loslösung vom BEK zu entgehen, wurden „falsche Weichenstellungen der Führungsspitze durch die Landeskirche und ihre synodalen Leitungsorgane“ korrigiert, „auch wenn Gienke – der ohne Frage ehrlich gemeint hatte, im Interesse der Kirche zu handeln – dafür einen hohen Preis zahlen musste“479 . Nixdorf differenziert ausdrücklich zwischen dem Handeln von Gienke und den beiden Leitern des Konsistoriums und dem Rest der Kirchenleitung und Landessynode. Dies ist grundsätzlich legitim und entspricht auch in groben Zügen den zwei großen Kontrahenten bei den Auseinandersetzungen um Vertrauensfrage und Rücktritt Gienkes. Dennoch verleitet diese Sicht dazu, einige wenige zu Sündenböcken zu stilisieren und alle anderen von ihrer Verantwortung für den Weg der ELKG bis 1989 freizusprechen. Stark vereinfacht erscheint dies vor allem ob des knappen Ausganges der Vertrauensfrage gegenüber Gienke. Die beiden anderen, laut Nixdorf, „Hauptschuldigen“ wurden hingegen im Amt bestätigt. Sicher wurde Gienkes starke Bischofsposition strukturell durch den Aufbau d er L andeskirche begünstigt. Kirchenleitung und Landessynode ließen sich aber auch in eine schwache Rolle drängen, schließlich überwogen lange Zeit die positiven Effekte wie staatliche Begünstigungen bei kirchlichen Großveranstaltungen wie dem Kirchentag 1985. Daher ist von Saß in ihrer Analyse eines Greifswalder Sonderweges grundsätzlich zuzustimmen. Die ELKG ließ sich vom Staat lange für dessen gegen den BEK gerichtete Differenzierungspolitik vereinnahmen und schadete damit indirekt anderen Landeskirchen. Damit soll der mutige Schritt, inmitten einer politisch revolutionären und unsicheren Zeit den eigenen Bischof zum Rücktritt aufzufordern, nicht gemindert werden. Auch dieser ist Teil des Greifswalder Weges.
3. Die kirchliche Situation in der Mecklenburgischen und Greifswalder Landeskirche 1989/90 3.1 Die staatliche Kirchenpolitik in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs Grundsätzlich basierte die Politik der SED in Kirchenfragen auf einem Zusammenspiel von SED, MfS, administrativen Organen und Massenorganisationen, war also entsprechend abhängig von den regionalen Gegebenheiten und Personen.480 Die ELLM befand sich nach Auflösung der Länder 1952 in den drei Nordbezirken, sogenannter Leitbezirk im Umgang mit der ELLM war Schwerin. Einzig legitime Anlaufstellen der ELLM waren auf Bezirksebene die Kirchenreferenten, in Schwerin von 1970 bis 1989 besetzt durch Rudolf Franze. Er galt als höflich und freundlich, ganz im Gegensatz zu seinem Kollegen Roland Macht in Rostock, bekannt als Hardliner und Choleriker. Unklar blieb, wer von beiden der Gefährlichere war, für das MfS berichteten beide.481 Daneben waren die Stellvertreter für 479 480 481
Ebd., 185. Vgl. zum gesamten Kapitel Frank, DDR, 63–67. Vgl. ebd., 68.
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Inneres beim Rat des Bezirkes zuständig für kirchenpolitische Belange, in Schwerin ab 1980 der ehemalige Offizier der NVA (Nationale Volksarmee) Fred Schwoerke. Wenngleich Rostock eigentlich der Leitbezirk für die ELKG war und also formal keine Leitungsbefugnisse gegenüber der ELLM hatte, fand ein reger kirchenpolitischer Austausch zwischen Rostock und Schwerin statt. Für die Zusammenarbeit der beiden Bezirke galten klare Richtlinien. Kirchliche Großveranstaltungen wie Kirchentage wurden von beiden „abgesichert“482 , auch erarbeitete man gemeinsame Konzeptionen. Das größte Problem DDR-weit war, dass die Kirchenreferenten ihren kirchlichen Gesprächspartnern intellektuell selten gewachsen waren.483 In den siebziger und achtziger Jahren entwickelte sich Rostock zu einem Zentrum kirchlicher Aktivitäten mit der landeskirchenweit größten ESG und den 1983 und 1988 stattfindenden gemeinsamen Kirchentagen der ELKG und ELLM. Das kirchliche Leben wurde in der ELLM durch zwei große Strömungen bestimmt: Zum Einen existierten viele Friedens-, Umwelt-, und Frauengruppen sowie Antragsteller auf Übersiedlung, zum Anderen suchten viele Christen ein „Auskommen mit dem Staat“484 und wollten Konfrontationen vermeiden. Für das MfS besonders interessant waren neben einzelnen Pastoren und kirchlichen Mitarbeitern die ESG in Rostock und Greifswald und andere Jugendkreise. Zu ihrer Überwachung wurden eigens Leute angeworben, IM „Gisela“ begann sogar auf Wunsch des MfS mit dem Theologiestudium und ließ sich taufen.485 Internen Zählungen zufolge führte das MfS im Oktober 1988 für den Bereich „Kirche“ 53 IMs, davon beispielsweise 19 in Greifswald, 17 in Rostock und zehn in Bad Doberan.486 Insgesamt gilt für die gesamte DDR: Die Kirchenpolitik schwankte zwischen „ideologischem Dogmatismus und politischem Pragmatismus, zwischen Konfrontation und Kooperation, zwischen Aufbruch und Beharrung.“487
482 483 484 485 486 487
Frank, DDR, 72. Vgl. ebd., 71. 1987 hatten im Kreis Rostock-Land von 14 Mitarbeitern im Rat des Kreises nur fünf einen Hochschulabschluss, lediglich vier waren angemessen qualifiziert für die Aufgaben. Ebd., 72. Vgl. ebd., 392–396. Vgl. Ammer / Memmler, Staatssicherheit, 141. Heise, Kirchenpolitik, 89.
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3.2 Die staatliche Kirchenpolitik in der Greifswalder Evangelischen Kirche Auch die ELKG befand sich seit 1952 in drei Bezirken: Rostock, Neubrandenburg und Frankfurt a.d. Oder, sogenannter Leitbezirk und damit erster Ansprechpartner war Rostock mit dem Kirchenreferenten Roland Macht. Wie überall in der DDR hatte der Staat gegenüber der ELKG ein großes Interesse an internen Informationen. Aufgrund der strukturellen Doppelmitgliedschaft vom Bischof, dem leitenden Juristen und Theologen in Konsistorium und Kirchenleitung, waren diese drei Personen besonders relevant, um langfristig Kontrolle über die Kirche zu erlangen. Wie erfolgreich dieses Ziel umgesetzt werden konnte, lässt sich daran erkennen, dass sowohl OKR Plath, OKR Harder und Gienke als IMs geführt wurden und Präses Affeld, der allerdings die Zusammenarbeit im Februar 1985 von sich aus aufkündigte.488 Innerhalb der Landessynode notierte das MfS 1986 drei weitere IMs, u.a. Superintendent Bohl. Dank dieser erstaunlich hohen Durchsetzung der landeskirchlichen Führungsriege hatte das MfS keinen großen Bedarf an landessynodalen IMs. Auch innerhalb der Pfarrerschaft bestand seitens des MfS „kein Interesse an einer flächendeckenden Unterwanderung der Pfarrerschaft in der ELKG, da alle wichtigen kirchenpolitischen Aktionen über das Konsistorium geregelt werden konnten.“489 . 1986 arbeitete lediglich Pfarrer Werner Lucas als IM. Für Greifswald erfasste der Stasi-Untersuchungsausschuss 1990 13 IMs in kirchlichen Jugendkreisen.490 Aufschlussreich ist auch der Terminkalender des Greifswalder MfS von 1989: 38 von 45 Terminen waren religiöser Natur491 , die Kirche bot somit für die Stasi das Hauptarbeitsgebiet. Aufgrund der relativen Staatsloyalität der ELKG nutzte der Staat die ELKG als eine Art Vorzeigelandeskirche und profilierte diese gegenüber der ELLM. Nicht zuletzt die medial wirksame Domeinweihung 1989 sollte ein Zeichen dafür sein, was in der DDR möglich ist, wenn eine Kirche durch „realistische“ Kräfte gelenkt wird. So wie in der ELLM wurde das kirchliche Leben auch in der ELKG durch einige Friedens-, Umwelt-, und Frauengruppen sowie Antragsteller auf Übersiedlung einerseits bestimmt, während viele Christen andererseits im Alltag Konfrontationen vermeiden wollten und damit dem Kurs Gienkes entsprachen. Der Bischof konnte sich, wie er auch im Nachhinein im Interview bestätigte,492 nicht mit den Anliegen der Gruppen identifizieren. Schon 1981 befürwortete er daher die Gründung eines synodalen Ausschusses für Frieden als „Instrument der Greifswalder Kirchenführung zur Kontrolle der Friedensarbeit“493 . 488 489 490 491 492
493
Vgl. von Saß, Weg, 46f. Ebd., 70. Vgl. Stadt Greifswald, Abschlußbericht, 13f. Ebd., 13. Gienke / Winter, Anfang, 483: „Diejenigen, die Zank gemacht haben, das waren alles keine Pommern. [...] die Pommern waren die Ruhigen. Es gab zwar einige Mitarbeiter, einige Pastoren, die kritisch dachten, aber die waren oft seit Jahren prinzipiell gegen die DDR eingestellt. Von daher habe ich das [...] immer weniger ernst genommen.“ Von Saß, Weg, 169.
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3.3 Das Engagement kirchlicher Mitarbeiter und Laien während der friedlichen Revolution in der Mecklenburgischen und Greifswalder Landeskirche Wie auch im Rest der DDR494 kamen viele Protagonisten der friedlichen Revolution in den drei Nordbezirken aus kirchlichen Kreisen, u.a. weil Theologie und Kirche „systembedingte Ausweichorte“495 für nicht anpassungswillige Menschen boten. Es existierten in der Kirche demokratische Strukturen, letztlich funktionierte „auch jeder Kirchgemeinderat [...] wie ein kleines Parlament“496 . Bemerkenswert ist dabei ein Brief der Greifswalder Initiative „Gewaltloser Dialog“ an die Landessynodalen der ELKG vom 18. Oktober 1989. Darin forderten die 16 Unterzeichner die Kirchenleitung explizit zum gesellschaftlichen Handeln auf und von der Synode „ein deutliches Wort zum notwendigen Dialog in unserer Gesellschaft.“ Es dürfe nicht länger tatenlos zugesehen werden, wie Zehntausende die DDR verließen. Stattdessen solle sich die Kirche für Dialogangebote einsetzen, damit Menschen „in unserm Staat miteinander ins Gespräch kommen. Wir wollen mitentscheiden, wie wir leben. Dabei darf Widerspruch nicht als Widerstand interpretiert werden. [...] Wir brauchen das angstfreie Recht auf Meinungsäußerung, auch in Form von Demonstrationen. Wir sind für einen gewaltlosen Dialog und werden dafür eintreten. Wir haben Angst, daß dies bald zu spät ist.“ Relativ allgemein wird die Synode um Initiativen gebeten: „Die Gemeindeglieder sollten ermutigt werden zum freimütigen und gewaltlosen Dialog.“497 Für die ELLM nannte Landesbischof Stier auf der Herbstsynode im November 1990 folgende Zahlen: Fünf Pastoren und drei Vikare der Landeskirche seien im vergangenen Jahr aus dem Pfarramt ausgeschieden und in die Politik gewechselt, 77 kirchliche Mitarbeiter übernahmen eine gesellschaftlich-politische Tätigkeit, unter ihnen 61 Pastoren.498 Im Blick auf die größte Stadt der ELLM, Rostock, kann dieses Bild bestätigt werden.499 So wurde das Neue Forum Rostock maßgeblich durch die Pastoren Kleemann und Gauck sowie die Referentin für evangelische Erwachsenenarbeit, Dietlind Glüer, geprägt, auch der an den Donnerstagsandachten beteiligte Theologiestudent Johann-Georg Jaeger war aktives Mitglied. Der RT tagte unter der gewählten Leitung von Landessuperintendent Joachim Wiebering und unter Mithilfe der Pastoren Horst Vogt und Dietrich, Pressesprecher war Pastor Kleemann, der nach dem Rücktritt des OB Schleiff bis zu den Kommunalwahlen OB von Rostock war und danach Bürgerschaftspräsident wurde. Für den Kreis Rostock-Land leitete Pastor Klaus-Dieter Wolter den RT und war in dieser Funktion auch im Gremium für die Stasi-Überprüfung. Im „Unabhängigen Untersuchungsausschuss für 494
495 496 497 498 499
Vgl. Henkys, Kirche, 177: Den Runden Tisch der DDR moderierten der evangelische Theologe Martin Ziegler, Monsignore Karl-Heinz Ducke und der methodistische Pfarrer Martin Lange von der ACK. Kowalczuk, Endspiel, 201. Reischke, Länderreport O-Ton Track 4, Christoph Kleemann. Initiative „Gewaltloser Dialog“, Landessynodalen, 1. Vgl. Stier, Bericht 1.-4.11.1990, 18. Vgl. Lohse / Schnauer, Rostock, 2–5.
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die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes“ arbeitete der Theologe Langer mit, das für den Ablauf der Demonstrationen verantwortliche Bürgerkomitee leiteten u.a. Glüer und Pastor Mahlburg.500 Im Rostocker Gerechtigkeitsausschuss hatte Pastor Arvid Schnauer eine führende Rolle.501 Pastor Lohse, Mitinitiator der Rostocker Donnerstagsandachten, war kurzzeitig Mitglied von „Demokratie Jetzt“. In Kühlungsborn agierte sogar der Kirchgemeinderat eindeutig politisch. Er schickte am 14. Oktober 1989 einen Brief an den Innenminister der DDR mit der Forderung nach Zulassung des Neuen Forums. Georg Herbstritt resümiert: „Die Kirche bot nicht nur Schutz, sie wurde auch zum Akteur. Im Zeitraum 1989/90 wurde jeder fünfte Pastor in [...] Mecklenburg und Vorpommern zum Vollzeitpolitiker.“502 Der RT des Kreises Rostock-Land wurde von Propst Schmidt und dem katholischen Pfarrer Ulrich Karsten moderiert.503 Nach dem Rostocker Vorbild gründete sich in Bad Doberan Anfang Januar 1990 ebenfalls ein Bürgerrat als „unabhängige, basisdemokratische Vertretung der Einwohner der Stadt“504 , Gründungsmitglied war u.a. Pastor Juergensohn. Auch in Neubrandenburg übernahmen Pastoren wichtige Funktionen beim RT. Pastor von Saß, der auch einer der Mitinitiatoren des Neuen Forums in Neubrandenburg war, leitete die Arbeitsgruppe, welche die „nach innen gerichtete Tätigkeit des MfS“505 untersuchen sollte und veröffentlichte dazu 1990 gemeinsam mit Harriet von Suchodoletz sein Buch.506 Die Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinderäte der Stadt entsandten die Fotografin Ulrike Rosemüller und Pastor Fridolf Heydenreich zum RT. Voraussetzung dafür war eine Entscheidung des Sonderkonvents evangelisch-lutherischer Mitarbeiter Neubrandenburgs am 3. Januar 1990. Der beschloss: „Wenn einer um Mitarbeit irgendwo gebeten wird, entscheidet er dies für sich und informiert die anderen darüber bei der nächsten Zusammenkunft. [...] Sind Vertreter der Kirche gefragt, sollte eine Delegierung erfolgen. Die Einhaltung des Arbeitsvertrages muß gewährleistet bleiben.“507 Ganz konkret setzte sich z.B. Pastor Andreas Timm aus Ballwitz für die Eigenverantwortung der Bauern ein auf einer Bauerndemonstration am 20. Januar 1990 in Neubrandenburg.508 Wie auch von Saß gehörte Gottfried Timm zu den vom MfS 1989 als „Zentren oppositioneller Aktivitäten“509 registrierten Personen. Weitere Pastoren waren Klaus Müller (Neubrandenburg), Andreas Greve (Stavenhagen), Roland Schäper (Röbel), Hans-Henning Harder (Waren) und Eckhard Hübener (Rambow). 500 501 502 503 504 505 506 507 508 509
Mahlburg, Information für Andachten am 9.11.1989; in: Schmidtbauer, Tage, 36. Vgl. Schnauer, Gerechtigkeitsausschuss. Herbstritt, Rolle, 259. Vgl. Heinz, Kampf, 71. Ebd., 74. Wunnicke, Neubrandenburg, 22. Vgl. von Saß / von Suchodoletz, Stasi. Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 24. Ebd., 27. Ebd., 13.
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Pastor Gottfried Timm aus Röbel wurde Spitzenkandidat der SPD im Bezirk Neubrandenburg510 und wechselte 1990 ganz in die Politik. Ab 1990 war er Mitglied des Landtags, 1998–2006 Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns.511 Für den Kreis Demmin galt gar: „Überall wo Pfarrer(innen) im Dienst waren, fanden auch RT statt.“512 im „Bestreben, Umkehr und Versöhnung und einen Neuanfang voranzutreiben“513 . Ähnliches gilt für die Stadt Greifswald. Am 16. Oktober 1989 gründete Noack, Mitbegründer der SDP in der DDR, gemeinsam mit den beiden ehemaligen Mecklenburger Pastoren Meckel und Gutzeit, sowie dem später als IM enttarnten Böhme auch in Greifswald eine SDP-Ortsgruppe mit rund 40 Mitstreitern in seiner Wohnung.514 Unter dem Antrag zur Anmeldung des Neuen Forums bei der Stadt Greifswald am 28. Oktober 1989 hatten 157 Personen unterschrieben, darunter 26 kirchliche Mitarbeiter und vier Theologiestudenten.515 Der Sprecherrat des Neuen Forums bestand zu 25% aus Theologen (Christoph Poldrack von der theologischen Sektion, später Mitglied der Grünen, Ursula Wegmann und Hinrich Kuessner). Und auch unter den 15 Ansprechpartnern der verschiedenen Arbeitsbereiche des Neuen Forums befanden sich sechs kirchlich gebundene Personen. Ein IM berichtete: „Der Gesamteindruck von mir da ist, daß dort vielleicht zwei Drittel von der Kirche her, zumindest vom Inneren her beeinflußt sein, sozusagen der organisatorische Ausgangspunkt in Leuten liegt, die in der Kirche fest verankert sind.“516 Der Stasi-Untersuchungsausschuss Greifswald wurde vom Pfarrer und Leiter der Johanna-Odebrecht-Stiftung, Kuessner, geleitet517 , der an just diesem Tag (6. Dezember 1989) in die SDP eintrat, um zu zeigen, „daß wir nicht nur kritisieren, sondern bereit waren, auch die Macht zu übernehmen.“518 . Auch er war Mitglied des RT bis zu den Volkskammerwahlen, danach Mitglied der Volkskammer, später Mitglied im Bundestag, im Landtag und schließlich 1998 Landtagspräsident von Mecklenburg-Vorpommern.519 Prominent hervorzuheben ist Pfarrer Glöckner, schon vor 1989 für zwei Perioden Mitglied der Stadtverordnetenversammlung für die CDU520 , 1990–1992 dann OB von Greifswald. Gemeinsam mit Superintendent Wackwitz leitete und moderierte er den am 11. Dezember 1989 konstituierten Greifswalder RT.521
510 511 512 513 514 515 516 517 518 519 520 521
Vgl. Wunnicke, Neubrandenburg, 35. Vgl. Kuessner, Greifswald, 19. Gienke / Winter, Anfang, 153. Greschat, Zeitgeschichte, 142. Vgl. Kuessner, Greifswald, 8. Vgl. Rostock, Auswertung, 1. Kuessner, Greifswald, 28f. Vgl. ebd., 14f. Ebd., 14. Vgl. Matthiesen, Greifswald, 680. Ebd., 665. Vgl. Glöckner, Tisch, 134.
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In kleineren Gemeinden und Dörfern übernahmen Pastoren teilweise ehrenamtlich das Bürgermeisteramt nach den Kommunalwahlen im Mai 1990. Die Pfarrer stießen jedoch schon bald an die Grenzen dieser Ämterdoppelung. So trat eine Frau, der durch den Bürgermeister gekündigt worden war, mit ihrer gesamten Familie aus der Kirche aus und beschwerte sich überdies beim pommerschen Bischof Eduard Berger über das Verhalten des Bürgermeister-Pfarrers.522 Der Autor dieses Berichtes selbst hält kritisch Rückblick auf diese seine Personalunion. Innerlich würden die „beiden Grundsätze für Bürgermeister und Pfarrer einander auf Dauer ausschliessen“. Während für den Bürgermeister gälte: „Er ist für ALLE da, primär aber für die Mehrheit, die ihn wählt und deren Interessen er - demokratisch - zu vertreten hat.“, ist zwar auch der Pfarrer „grundsätzlich FÜR ALLE und jeden da; zuerst und besonders aber für die Minderheiten!“523 . Er plädiert daraufhin sogar dafür, dass die „Kirchenordnung [...] ausschliesst, dass Pastoren Mitglieder politischer Parteien sind“524 . Für einen landeskirchlichen Vergleich zwischen der ELLM und der ELKG ist eine Notiz des MfS Neubrandenburg von Mitte September 1989 aufschlussreich, da im Bezirk sowohl die ELLM als auch die ELKG Gemeinden hatten. Man stellte fest, „daß die kirchlichen Amtsträger der ELLM im Gegensatz zu Pastoren der Landeskirche Greifswald gesellschaftliche Fragen offener, fordernder und teilweise aggressiv ansprechen. [...] Damit kann erneut operativ unterlegt werden, daß die ELLM sowohl von der personellen Basis her als auch von den entwickelten operativ-relevanten Aktivitäten den operativen Schwerpunkt im Verantwortungsbereich darstellt.“525
4. Die friedliche Revolution als protestantische Revolution? „Wenn sie mich fragen, wer hat das Verdienst an diesen Vorgängen eines Eintritts der DDR in die Freiheit, dann würde ich zwei Antworten geben: Erstens Gorbatschow... Und zweitens: die evangelische Kirche in der DDR.“526 Eine Sicht, die 1989 wohl die meisten Menschen in Ost- und Westdeutschland teilten. So dankte die erste freigewählte Regierung der DDR um Ministerpräsident de Maizière am 19. April 1990 ausdrücklich den Kirchen. Sie seien Schutzraum für Andersdenkende und Anwalt für Rechtlose gewesen und hätten der Revolution ihre Friedfertigkeit bewahrt.527 Erhart Neubert prägte schließlich in seinem Aufsatz von 1990 den Begriff „Protestantische Revolution“.528 Doch schon 1992 lud Trutz Rendtorff zu 522 523 524 525 526 527 528
Vgl. P/L/31-40/E, Leben, 76. Großbuchstaben und Unterstreichungen im Original, ebd., 80. Im Original fettgedruckt. ebd., 81. MfS BV Neubrandenburg, Informationen am 20.9.1989. Carl Friedrich von Weizsäcker im Interview mit „Die Welt“ vom 20.12.1989, zitiert in: Krusche, Solidarität, 2. Vgl. Jansen de Graaf, Revolution, 264. Neubert, Revolution.
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einem Kolloquium ein, das genau diese scheint’s unbestreitbare Tatsache diskutieren sollte. Wegen der in Stasiakten entdeckten komplexen Beziehungen zwischen Staat und evangelischen Kirchen in der DDR wurden Fragen laut: Hat die evangelische Kirche wirklich so viel zur Revolution beigetragen? Oder hat sie den Staat nicht vielmehr jahrelang stabilisiert?529 Was bedeutet in diesem Zusammenhang überhaupt Kirche?530 Unbestreitbar wurden evangelische Kirche und Theologie in der DDR durch eine „kritisch bleibende Sozialismusaffinität“531 geprägt. Fehlberg spricht vom „Talarsozialismus“532 , ohne dass dies innerhalb der Gemeinden konsensfähig war.533 In den 20 Thesen zur Erneuerung und Umgestaltung der DDR vom Kirchentag in Halle, im Juni 1988, wurden deutlich Missstände angeprangert. „Bürokratismus und Amtsmißbrauch, Konformismus und Dogmatismus, Behördenwillkür und Obrigkeitsfurcht [...] (schaden) dem Sozialismus in seinem Wesen“534 . Nicht der Sozialismus als Idee und System sei schlecht, sondern die realpolitische Ausgestaltung desselben. Offiziell setzte sich der BEK auf seiner Synode im September 1989 für Reformen und friedliche Demonstrationen in der DDR ein: „Vierzig Jahre DDR sind auch ein Lernweg unserer Kirchen, Christsein in seinem sozialistischen Staat zu bewähren. [...] Wir wollen mithelfen, daß Menschen auch in unserem Land gerne leben.“535 Kleinster gemeinsamer Nenner mit den Marxisten war der „Humanismus“.536 Dabei vertraten viele Christen die Meinung, der Sozialismus sei „im Kern eine gute Sache. [...] Das hört sich gut an: so eine ReichGottes-Vision mit Gerechtigkeit.“537 Nur sei er in der DDR bisher nicht verwirklicht worden. 1989 schien dies möglich zu werden als „Neugeburt aus dem Volk“, denn nur so könne „der Sozialismus von oben und außen zum Sozialismus von unten und zum eigenen Sozialismus werden, und das heißt: Nun allererst kann er Sozialismus werden, denn Sozialismus von oben ist ein Widerspruch in sich.“ Allerdings, so Heino Falcke im November 1989, überfordere dies „wahrscheinlich uns alle, denn wir alle haben praktische, demokratische politische Arbeit nicht gelernt.“538
529 530 531
532 533 534 535 536 537 538
Vgl. Rendtorff, Einführung, 9. Wenn im Folgenden von Kirche bzw. evangelischen Kirchen die Rede ist, sind damit alle Aktivitäten kirchlicher Mitarbeiter und Mitglieder in kirchlichen Räumen gemeint. Murrmann-Kahl, Prophet, 165165. Den Begriff brachte erstmals Friedrich-Wilhelm Graf 1992 beim Münchener Kolloquium „Protestantische Revolution?“ ins Spiel. Graf, Traditionsbewahrung, 269. Der gegen ihn gern vorgebrachte Vorwurf, einen schillernden, undefinierten Sozialismusbegriff zu verwenden, ist ob Grafs ausführlicher Bestimmung desselben im ersten Teil des Aufsatzes (259–270), unverständlich. Fehlberg, Protestantismus, 478. Murrmann-Kahl, Prophet, 165. Rein / Böhme, Opposition, 199. Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, Ausreiseproblematik, 393. Vgl. Krüger, Rätsel, 272. Gauck, Entscheidung, 245. Falcke, Kirchen, 221.
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Jener theologischen Nähe zum Sozialismus war die Ablehnung der „kapitalistischen Überflußgesellschaften“539 inhärent, die in einem Systemzusammenhang Menschen in der dritten Welt das Leben kosteten.540 Genauso wie andere Bürgerrechtler und Oppositionelle trat auch die evangelische Kirche zunächst für einen reformierten Sozialismus im Rahmen einer eigenständigen DDR ein. Eine Revolution als vollständige Umwälzung der Verhältnisse konnte und wollte sich in christlichen Kreisen anfangs niemand vorstellen. Zudem war die kapitalistische Alternative BRD für viele gar nicht das angestrebte Ziel, sondern eine „Fortsetzung des sozialistischen Modells in der DDR unter geänderten Rahmenbedingungen“541 . Dennoch wurden die evangelischen Kirchen dank ihrer „vermittelnden, kritisch-protestativen Funktion“542 zum Akteur in dieser Revolution. Sie waren „die einzigen nicht gleichgeschalteten Insitutionen mit eigenen [...] Entscheidungsmechanismen“543 , boten Räume und hatten sich dank der Arbeit von Kirchgemeinderäten und Synoden stets „quasi-parlamentarische Formen von Verständigung und diskursivem Konfliktaustrag“544 erhalten, die ein „Diskussionsforum für soziale Konflikte der DDR-Gesellschaft (boten), die nirgendwo sonst in der DDR vergleichbar intensiv und offen verhandelt wurden“545 . Die zwar minoritären, aber noch immer volkskirchlichen Strukturen boten schließlich das „Gerüst“ für die „gesellschaftliche Bedeutung“546 , die sie dann bis hin in den Herbst 1989 gewann. So konnte die Kirche als „Träger einer nicht direkt staatlich kontrollierten Öffentlichkeit“547 oppositionellen Gruppen einen gewissen institutionellen Schutz bieten, auch wenn sie „nur ganz mühsam gelernt (hat), sich politischer Fragen anzunehmen.“548 Inhaltlich prägte vor allem das Neue Forum die revolutionären Anfänge im Sommer/ Herbst 1989.549 Allerdings ist eine Gegenüberstellung von Christen und Mitgliedern des Neuen Forums nicht zielführend, da sich beide Gruppen personell stark überschnitten und Gründungstreffen des Neuen Forums (oftmals von Pastoren initiiert) in kirchlichen Räumen stattfanden.550 Was zu Beginn der Revolution kaum jemandem klar war, kristallisierte sich im Verlauf mehr und mehr heraus: Fragen von Freiheit und Demokratie waren unwei539 540 541 542 543 544 545 546 547 548
549 550
Ebd., 227. Vgl. dazu die Aussagen zu Sozialismus und kapitalistischer BRD in der Predigtanalyse Abschnitt 2.4.2 und Abschnitt 3.5.2. Meckel, Rolle, 17. Pollack, Umbruch, 69. Meckel, Aufbrüche, 44. Graf, Ordnungsmacht, 303. Ebd., 304. Meckel, Rolle, 38: Beitrag von Wolf Krötke zur Kirche in der DDR. Lepsius, Institutionenordnung, 19. Der Landesbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Aufbruch, 22: Aussage vom Landessuperintendenten der ELLM Friedrich-Karl Sagert. Vgl. Süß, Ohnmacht, 467f. Vgl. z.B. die ersten Treffen des Neuen Forums in Rostock und Kühlungsborn in den methodistischen Kirchen, in Greifswald im Lutherhof, in Schwerin in der Paulskirche.
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gerlich mit nationalen Themen verknüpft. Wahrscheinlich „hätte jede echte demokratische Selbstbestimmung notwendig zur deutschen Vereinigung geführt.“551 Wann immer eine unbegrenzte Abwanderung möglich geworden wäre, wäre das in sich starre und abgekapselte System der DDR wohl zusammengebrochen.552 Die Forderung nach deutscher Einheit kam daher zwar für viele Bürgerrechtler und Pfarrer, die einen dritten Weg wünschten, überraschend, war aber im Rückblick notwendige Folge der Selbstbestimmung. Auf den demokratischen Ruf „Wir sind das Volk“, folgte im Rückblick zwangsweise die nationale Forderung „Wir sind ein Volk“.553 Sie trug in ihrem Kern eine „ausgeprägte soziale Komponente im Hinblick auf die erwartete Hilfe“554 Zum Verlauf der friedlichen Revolution trugen die evangelischen Kirchen also einen wichtigen Teil bei. War es deshalb auch eine „protestantische Revolution“? In der Diskussion tritt die Diskrepanz zwischen erlebter und erforschter Geschichte zu Tage: Nahmen die Protagonisten der Revolution, unter ihnen viele kirchliche Mitarbeiter, ihre Rolle als Motor, wenn nicht gar Ursache der Revolution wahr, muss ihr Engagement im Rückblick sowohl gewürdigt als auch in den welthistorischen Kontext eingebettet werden. Die politische Wende in der DDR war kein monokausales Wunder, sondern konnte durch eine Konstellation mehrerer Umstände stattfinden. Dazu gehörten neben der wichtigen Rolle der Bürgerbewegungen auch das völlige Versagen der DDR-Regierung und die Aufkündigung der Breschnew-Doktrin seitens der Sowjetunion, was dem Entzug einer Bestandsgarantie für die DDR gleichkam. Zudem mangelte es dem DDR-Regime an Legitimation und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sank, was zu einer ökonomischen Krise führte, während die Bürger dank eines regen Kontakts mit der Bundesrepublik sahen, was „drüben“ an persönlicher Freiheit und begehrenswertem Konsum möglich war. Dennoch darf die Berücksichtigung der komplexen politischen und wirtschaftlichen Faktoren in der Forschung nicht dazu verleiten, die Bedeutung der politisch alternativen Gruppen, der Bürgerbewegungen und evangelischen Kirchen zu relativieren. Sie „waren die Kraft, welche die Bevölkerung zur Befreiung motivierte – dabei die Impulse der Perestroika in der Sowjetunion nutzend“555 . Der Religionssoziologe Detlef Pollack fasste die Funktion der Kirchen prägnant zusammen: Sie leisteten einen Beitrag zur Aufweichung der Systemverfestigungen, waren „Kristallisierungspunkte“ des Protestes und vermittelten als Moderatoren (ganz buchstäblich an den RT) zwischen den Fronten.556 Diese Funktion kam den Kirchen aus gesellschaftlicher Sicht zwangsläufig zu. Die evangelische Kirche war zwar eine marginale, dennoch eigenständige Institution und als solche durchaus im allgemeinen Bewusstsein der DDR-Bürger prä551 552 553 554 555 556
Ritter, DDR, 172. Pollack, Umbruch, 77: Dies vertraten in der Diskussion Pollack und Rendtorff. Vgl. Ebach, Rede, 200. Kleßmann, Kirchen, 445. Wagner, Staat, 114. Vgl. Pollack, Umbruch, 69.
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sent. Für Umwelt-, Friedens- und andere Gruppen gab es kaum eine andere Möglichkeit, als sich im Schutz der Kirche zu einer vom Staat unabhängigen Friedensarbeit557 zu treffen. Eine unter DDR-Bedingungen hoch politische Angelegenheit, „weil sie den Monopolanspruch der SED auf Inhalt und Deutung des Begriffs Frieden unterlief und dezidiert gewaltkritische Positionen unterstützte und förderte.“558 Aus kirchlicher Sicht hingegen bestand solch eine Notwendigkeit keineswegs und das politische Engagement von Kirchgemeinden, Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern wurde entsprechend kontrovers diskutiert. Da nicht wenige Pfarrer und Theologen selbst Teil dieser Gruppen waren, fällt es teilweise „schwer, zwischen Opposition und Kirche zu unterscheiden“559 . Wo die „Kirchen, [...] die ihnen zugewachsene Rolle angenommen haben“, geschah dies dann aber „durchaus bewusst“ in reflektierten Entscheidungen.560 Zachhuber widerspricht damit der verbreiteten These, die Kirchenleitungen hätten z.T. gegen ihren Willen die Vertretung von Bürgerbelangen übernommen.561 Nicht nur das gesellschaftliche Umfeld führte zur besonderen Rolle der evangelischen Kirche im Demokratisierungsprozess in der DDR, sondern auch theologische Überlegungen. Durch die starke Rezeption der Ergebnisse von konziliarem Prozess und Ökumenischer Versammlung, die in der DDR Kirchenleitungen und Gruppen einander annäherten,562 wurde aus der „Einsicht, dass der christliche Glaube gesellschaftliche und politische Verantwortung einschließt“ eine „Brücke zwischen kirchlichem und evangeliumsgemäßem Handeln einerseits und politischem Engagement andererseits“ geschlagen. Dies führte schließlich für viele Theologen dazu, „christliches und politisches Handeln in dieser Situation nicht als ein Entweder-oder zu betrachten, sondern die Herbstereignisse in ihrer politischen Dimension [...] als genuinen Gegenstand kirchlicher Verantwortung zu begreifen“, als einen „Akt politischer Diakonie“.563 Jenes diakonische Handeln fand seinen Ausdruck schließlich in einer anderen genuin christlichen Form gesellschaftlichen Agierens: in Friedensgebeten. Aus ritualtheoretischer Perspektive leisteten diese, „indem sie als Gottesdienst den Glauben an den transzendenten Gott inszenierten, in der symbolischen ‚Begrenzung‘ des Politischen als eines Vorläufigen ihren Beitrag zu dessen [...] demokratischer Neukonstitution.“564 , so Geyer. Im osteuropäischen Vergleich hat die Bezeichnung „protestantische Revolution“ für die DDR durchaus eine komparatistisch-abgrenzende Berechtigung, auch wenn in einzelnen Städten, wie z.B. Neubrandenburg, katholische Geistliche und Laien ebenfalls an den Friedensgebeten 1989/90 beteiligt waren. „Abgesehen von 557 558 559 560 561 562 563 564
Vgl. Garstecki, Friedensarbeit, 374. Ebd., 373. Kowalczuk, Endspiel, 234f. Zachhuber, Freiheit, 99f. So beurteilen es Greschat, Staat, 641–643; und Jansen de Graaf, Revolution, 270. Vgl. Falcke, Bedeutung, 92. Zachhuber, Freiheit, 101. Vgl. dieses Verständnis in der Predigtanalyse Abschnitt 2.4.2, Abschnitt 3.5.2 und in der Debatte um die Zwei-Reiche-Lehre Abschnitt 4.2.3. Geyer, Nikolaikirche, 353.
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der polnischen katholischen Kirche hat keine andere Kirche im Bereich des sogenannten sozialistischen Lagers sich in dieser Weise öffentlich kritisch mit der eigenen gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinandergesetzt - und konnte dies tun, ohne daß ihr der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre.“565 , gibt Meckel zu bedenken. Bis sich demokratische und plurale Parteienstrukturen in der DDR etabliert hatten, übernahmen vor allem evangelische Christen und kirchliche Mitarbeiter politische Verantwortung auf Zeit.566 Wie schwer es ist, eine exakte Umschreibung für den Beitrag der evangelischen Kirche zu finden, verdeutlicht ein kurzer Blick auf das weite Feld der hierfür benutzten Metaphern und Bilder. Ein gern verwendetes Motiv ist das des Katalysators: Der frühere thüringische Landesbischof Christoph Kähler führt dazu aus: „Wir haben dem Prozeß nicht die Energie zugeführt, die es für diese Revolution brauchte. [...] Aber wir haben die Auseinandersetzungen 1989/90 so moderiert, dass sie friedlich und demokratisch verlaufen konnten. [...] Unsere evangelischen Synoden haben dem demokratischen Prozess in der DDR die - die Konflikte begrenzende - demokratische Geschäftsordnung verschafft.“567 Als „bloße Katalysatoren“568 bezeichnet Jankowski die evangelischen Geistlichen, während die eigentlichen Akteure der Revolution andere gewesen seien. Vollnhals hingegen widerspricht dem Bild des Katalysators ganz und gar und reduziert den Beitrag der Kirchen auf ein kurzfristiges, außerordentliches Ansehen. Die Kirchen seien keineswegs Motor der Revolution gewesen.569 Zum selben Urteil kommt auch Beatrice Jansen de Graaf. So habe die Kirche zwar nicht „als Motor des gesellschaftlichen Umbruchs gewirkt“570 , allerdings Bedingungen für den Umbruch geschaffen und auch bei der demokratischen Umwandlung geholfen. Nicht Motor des Umbruchs, sondern Gehilfin der Umwandlung - eine wortverspielte Argumentation, die hervorragend zeigt, wie schwer sich Historiker mit einer Bewertung der Rolle der Kirchen tun. Warum das so ist, bringt Klaus Fitschen auf den Punkt: „Kirche ist mehr als Kirchenleitung.“571 . Diese scheinbar banale Wahrheit wird in der Diskussion um die Rolle der Kirchen 1989/90 gern vergessen. In der Folge wird kirchliches Handeln im Herbst 1989 entweder unterbewertet als „Bremse“ oder überhöht als alleiniger „Motor“ der Revolution. Dennoch bildeten die Kirchen bis zum Beginn der Dialogangebote seitens der SED die einzige nicht staatlich kontrollierte Gegenöffentlichkeit572 und stellten damit „Orte der gesellschaftlichen Auseinandersetzung“573 . Allerdings boten die 565 566 567 568 569 570 571 572 573
Meckel, Aufbrüche, 47. Vgl. in diesem Kapitel 3.3 und die Verhältnisbestimmung von Politik und Kirche in den Predigten Kapitel Abschnitt 2.4.2 und Abschnitt 3.5.2. Kähler, Kaiser, 9. Jankowski, Revolution, 73. Vgl. Vollnhals, Nikolai, 268. Jansen de Graaf, Revolution, 269f. Fitschen, Kerzen, 100. So Neubert, Revolution, 38–42; Jansen de Graaf, Revolution, 266; und Haspel, Protestantismus, 204. Jankowski, Revolution, 74.
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Kirchen kritischen Bürgern keineswegs nur ein „Dach“ über dem Kopf, sondern gaben vielfach inhaltliche Impulse574 durch die ökumenischen Versammlungen und ihre Rezeption in Kirchenzeitungen und Gemeinden und die kontinuierliche kirchliche Friedensarbeit. Grundlage hierfür war Bonhoeffers Ekklesiologie einer „Kirche für andere“.575 „Vieles, was sich nach der Wende alsbald und immer mehr außerhalb der Kirche abspielte, war doch innerhalb der Institution Kirche oder von derselben verbreitet worden.“576 Vollends konterkariert wird die vielbeschworene Rede vom „Dach der Kirchen“ von Yves Bizeul und Nikolaus Werz in einem Beitrag von 2013. Die Kirchen hätten, so ihre Meinung, „von der Tatsache profitiert, dass sie Schutzräume für Ausreisewillige und Oppositionelle boten.“577 Es wird der Eindruck erweckt, die Kirchen wären Nutznießer eines objektiv nicht anders verlaufen könnenden Geschichtsherganges geworden. Ihr ureigener Anteil an der kirchlichen Anbindung der Gruppen in personeller Hinsicht und ihre über Jahre hinweg intensiv diskutierte gesellschaftliche Öffnung wird völlig ausgespart. Denn dieses „Schutzdach“ war keineswegs rechtlich verankert in der DDR, sondern „wurde der in dieser Frage langfristig überforderten SED abgetrotzt“578 . Über Jahrzehnte hatten Pfarrer und Gemeinden die strengen Veranstaltungsverordnungen in ihrer Restriktion auf die rein religiöse Funktion von Kirche weit ausgelegt, umgangen oder ignoriert und dafür Bußgelder und „Zuführungen“ in Kauf genommen. „Der schmale freie Raum der Kirche wurde eigentlich erst von den Gruppen ausgeweitet.“579 , schrieb Neubert im Mai 1989. Ein Grund dafür, weshalb der Kirche Fernstehende in den 1980ern zum Teil meinten, „dass in der Kirche so gut wie alles möglich sei.“580 Aribert Rothe schrieb in Aufnahme von Dieter Rink581 1997 in der pommerschen Kirchenzeitung „Die Kirche“: „Allerdings wurde hier keineswegs nur taktisch kirchlicher Freiraum genutzt. Die innere Nähe zu Kirche und christlichem Glauben beruhte bei vielen auf dem praktizierten Zusammenhang ihres Christseins und ihres gesellschaftlichen Engagements.“582 Gerade in größeren Städten sei der „protestantische Rest des früheren bildungsbürgerlichen Milieus“583 zum Träger eines progressiven Protestpotentials innerhalb der DDR geworden. Politisches Engagement habe sich sehr stark aus christlichen Motiven gespeist in der gemeinsamen Überzeugung von asketischer Sozialmoral und ökologischer Verantwortung. In der Gruppe sollte gelebt werden, was in der Gesellschaft angestrebt wurde: „ein kooperatives, solidarisches, offenes und nicht-hierarchisches Klima“584 Zugleich 574 575 576 577 578 579 580 581 582 583 584
Vgl. Neubert, Kirchen, 31. Weingardt, Friedenspotential, 316. Hervorhebung im Original. ebd., 318. Vgl. Bizeul / Werz, Kirchen, 190. Halbrock, Freiheit, 237. Neubert, Kommunikation, 51. Halbrock, Freiheit, 240. Vgl. Rink, Alternativmilieu. Rothe, Bildungsbürger, 3. Rink, Alternativmilieu, 199. Ebd., 205.
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boten die Gruppen den Ort für „Generationenkonflikte zwischen den konventionell orientierten bildungsbürgerlichen Eltern und den alternativ orientierten Kindern“585 , die Rink als „alternative Protestanten“586 bezeichnet. Wenn die Rede vom reinen „Dach“ mit Sicht auf die drei Nordbezirke der DDR eine Berechtigung hat, dann für die kurze Phase, in denen gesellschaftliche Dialoge nicht mehr in Privatwohnungen und noch nicht in Stadthallen, Schulen oder Mensen stattfanden. Selbst in diesen Veranstaltungen sprachen immer auch die gastgebenden, oft mit organisierenden Pastoren einige geistliche Worte. Zudem wurden viele Pfarrer durch die Demonstrationen im Anschluss an die Friedensgebete „unausweichlich zu Mitorganisatoren der politischen Proteste“587 . Auch damit nahmen sie „humanisierenden Einfluß“588 auf die Revolution. Ihre spezifische Prägung erhielt die friedliche, „ostdeutsche“589 , besser noch „deutsche“590 Revolution in der DDR somit auf lokaler Ebene durch christliche Bürger und kirchliche Mitarbeiter, in der Mehrzahl Protestanten.
5. Die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland nach 1990 „Der Weg der Kirche in Ostdeutschland nach dem Herbst 1989 war ein Weg der Ernüchterung.“ Derart programmatisch beginnt Ulrich Kühn 1995 seine Überlegungen „Zum Weg der Kirche in Ostdeutschland seit 1989“. Und weiter schreibt er: „Wir kamen her von einer hohen gesellschaftlichen Akzeptanz der Kirche als Alternative zum herrschenden Regime“ und erlebten „die Bedeutung einer Minderheit für das Ganze.“591 Volle Kirchen im Herbst 1989 und hohe Glaubwürdigkeit der evangelischen Pastorenschaft weckten innerhalb der evangelischen Kirchen Hoffnungen auf steigende Mitgliedszahlen nach der friedlichen Revolution. Noch 1990 gingen 78% der Ostdeutschen davon aus, dass „der Einfluß der Kirchen in den nächsten Jahren größer wird“592 wegen ihrer herausragenden Rolle im Herbst 1989. Eine solche Kirche der Zukunft konnte sich die Bevölkerung vor allem als karitativen Dienstleister vorstellen.593 „Eine religionsferne Gesellschaft wünscht sich eine religionsferne Kirche, reduziert auf ihre sozialen Dienste.“594 Einige Pastoren fürchteten gar, nun von einer engagierten „Gemeindekirche“ zur säkularen Volkskirche nach bundesdeutschem Muster zu verfallen. Entspre585
586 587 588 589 590 591 592 593 594
Diese Beobachtung erklärt u.a. das Ringen um eine Positionsfindung der Gruppen innerhalb der Landeskirchen und die teilweise deutliche Distanz älterer Pastoren und Gemeindeglieder ihnen gegenüber. Rink, Alternativmilieu, 206. Zachhuber, Freiheit, 99. Lepp, Entwicklungsetappen, 89. Siehe den Titel von Maier, Essay. Siehe den Titel von Schuller: Die deutsche Revolution 1989. Kühn, Weg, 247. Köcher, Gottlos, 297. Vgl. ebd., 298. Ebd., 293.
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chend formulierte ein Pfarrer 1991 in seinem Bericht zur Gemeindesituation die Angst, „daß mangels gebotener Alternativen (Jugendweihe) in Zukunft mehr von der Konfirmation Gebrauch gemacht wird - in einer ihrem Anliegen und Inhalt zuwiderlaufenden bekenntnislosen Weise. Diese Art Pubertätsfeier wünsche ich mir auch in Zukunft lieber nicht in der Kirche.“595 Doch diese Annahme und die „von vielen DDR-Theologen gern verkündete Botschaft, in der DDR habe sich die alte Volkskirche zu einer wahrhaft bekennenden, von hoch engagierten Gesinnungstreuen geprägten ‚Gemeindekirche‘, ‚gesundgeschrumpft‘, stellt eine theologiepolitisch motivierte Selbsttäuschung dar.“596 Stattdessen lag und liegt der Anteil der Gottesdienstbesucher weiterhin unter westdeutschem Niveau und die Partizipationsbereitschaft war und ist geringer als in Westdeutschland. Ein auf die Situation der Minderheitskirche zurückzuführender „Gewinn an geistlichem Engagement“597 war nicht zu verzeichnen. „Die evangelischen Kirchen in der DDR waren Volkskirchen auf minoritärer Basis.“598 , urteilt Graf. So konstatierte schon Anfang April 1990 ein mecklenburgischer Pastor, der Alltag sei in die Gemeinden wieder eingekehrt: „Längst sind die Massen vom November und Dezember des letzten Jahres wieder zuhause, draußen, außerhalb des Raumes der Kirche.“599 Für Ostdeutschland gilt Kühns Feststellung: „Die christliche Erweckung blieb aus und die Diasporasituation voll erhalten.“600 In den analysierten Predigten gab es im Herbst 1989 durchaus Hoffnungen auf ein Wiederaufleben volkskirchlicher Zustände, aber auch Sorgen, die Konfirmation könne zur reinen Jugendfeier ohne Bekenntnis verkommen. Friedrich Magirius’ rückblickende Einschätzung, die Kirchen in der DDR hätten im Zuge der Herbstrevolution weder eine „missionarische Welle“, noch sich erneuernde „volkskirchliche Verhältnisse“601 erwartet, muss als eine die Zukunft schon kennende Aussage von 1992 genommen werden und spiegelt nicht die Hoffnungen von 1989 wider. Gleiches gilt für Lohses und Wieberings Erinnerungen, die damalige Missionshoffnungen verneinen.602 Für alle anderen Länder des sowjetischen Ostblocks bewahrheitete sich die Vorhersage kirchlicher Erstarkung. Lediglich in Polen stieg die ohnehin schon hohe Kirchlichkeit der Bevölkerung nicht an - und in Ostdeutschland.603 Schon mit Öffnung der Mauer ließen die wöchentlichen Gottesdienstbesucherzahlen nach
595 596
597 598 599 600 601 602 603
P/L/31-40/E, Bericht, 5. Graf, Ordnungsmacht, 301. Vgl. auch die Aussagen in den Predigten von 1989/90, in denen das Leben der Christen in der DDR mit urchristlichen Gemeindeformen verglichen wird (Abschnitt 2.6). Pollack, Volkskirche, 281. Graf, Ordnungsmacht, 301. Wegener, Predigt am 8.4.1990, 1. Kühn, Weg, 247. Magirius, Leipzig, 47. Lohse, Rolle; Wiebering, Dach. Vgl. Pollack, Wandel, 18.
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Historischer Teil
und fielen nach der Volkskammerwahl zurück auf 4,1% der evangelischen Bevölkerung.604 Warum führte das hohe Maß an Vertrauen in die Kirchen und kirchlichen Mitarbeiter 1989 nicht zur langfristigen erneuerten Bindung an die Kirchen? Mit dem Ende der DDR löste sich auch das vielschichtige Gesellschaftsgefüge auf, innerhalb dessen die Kirchen „kritische Alternativinstitutionen“605 darstellten. Stattdessen galten sie nun, wie schon in der DDR-Propaganda, als westliche Organisationen im Sinne einer mit dem Staat verbundenen „Herrschaftskirche“606 , deren integeres Ansehen nicht wenig unter der Stasi-Debatte um ihre Verstrickungen mit dem MfS Anfang der 1990er Jahre litt. Pollack urteilt, dass zwar zu DDR-Zeiten viele die Kirche aufgrund des ausgeübten politischen Drucks statt wegen Glaubenszweifeln verließen. Im Laufe der Jahre aber wuchs die Distanz und damit die Barriere für einen Wiedereintritt.607 Die DDR hinterließ den Kirchen ein schwieriges Erbe. Zwischen 1949 und 1989 hatte sich der Anteil der Konfessionslosen von 7% auf 70% verzehnfacht, während er sich in derselben Zeit in der BRD lediglich verdreifachte von 4% auf knapp 15%.608 Dieser Trend wurde durch die Auflösung der DDR nicht etwa umgekehrt. Vielmehr war 1992 die höchste Austrittsrate seit 1950 zu verzeichnen. So traten beispielsweise 1989 510 Menschen aus der ELLM aus und 481 ein, 1992 gab es 504 Eintritte, dagegen kündigten 16.062 Menschen ihre Kirchenmitgliedschaft auf. Noch drastischer werden diese Zahlen im Blick auf eine kleine Gemeinde in Vorpommern, in der 1980 rund 40% der Bevölkerung evangelisch war, veranschaulicht. Dort gab es zwischen 1980 und 1989 lediglich 28 Kirchenaustritte, 1990 allein 67.609 Als Hauptgrund gaben viele die zu erwartende hohe finanzielle Belastung durch die Kirchensteuer an.610 Da in Ostdeutschland nach 1990 kein nennenswertes Aufblühen außerkirchlicher Religiosität zu beobachten ist, sind die Gründe für die sich fortsetzende Entkirchlichung in DDR-spezifischen Nachwirkungen zu suchen. Es sei der SED gelungen, die Religion an zwei entscheidenden Stellen anzugreifen und zu schwächen, analysiert Jagodzinski. „Zum einen wurde durch das umfassende staatliche Erziehungsprogramm die familiäre Sozialisation zurückgedrängt. [...] Zum anderen gelang es der SED auch, die religiöse Kommunikation in intermediären Gruppen und in der Öffentlichkeit weitgehend zu unterbinden.“611 Religion wurde gesellschaftlich so gut wie unsichtbar. Dadurch wurden große Teile der Jugend für religiöse Fragen desensibilisiert und auf diesseitige Ziele und Bedürfnisse fixiert.612 604 605 606 607 608 609 610 611 612
Vgl. Pollack, Wandel, 20. Ebd., 43. Ebd., 44. Vgl. ebd., 43. Vgl. ebd., 19. Vgl. P/L/31-40/E, Bericht, 1. Vgl. Pollack, Wandel, 25–29. Jagodzinski, Stagnation, 55f. Vgl. ebd., 56.
Die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland nach 1990
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Aus Sicht der „Politik-Rezipienten“613 , der DDR-Bürger selbst, analysierte Monika Wohlrab-Sahr die subjektive Aneignung dieser „forcierte(n) Säkularisierung“614 . „Areligiosität“ erscheine dabei „geradezu als ‚Wesensmerkmal‘ ostdeutscher Identität“, als „dritte Konfession“615 . Langfristiger Erfolg war der SED-Kirchenpolitik nur deshalb beschert, weil sie Eingang ins „eigenständige Handeln und Deuten“616 der Menschen fand. Die von der SED entfaltete Plausibilität sei bis heute anschlussfähig, weil sie sich auf ganz unterschiedliche Pfeiler stützte: Desillusionierende Erfahrungen im zweiten Weltkrieg und der Drang vieler, sich nach der NS-Zeit in der neuen Gesellschaft eine eigene, neue Biografie aufzubauen. Auch die Laufbahn der Kinder sollte nicht behindert werden. Besonders nachhaltig wirken bis heute617 die Traditionen von Religionskritik und Szientismus in der Überzeugung vieler Ostdeutscher von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit von Religion und Wissenschaft.618 Aktiver Kirchenaustritt wurde durch SED-„Mitgliedschaftslogik“ beschleunigt, derzufolge ein Christ nicht Parteimitglied sein konnte. Und auch die Kirchen, so Wohlrab-Sahr, gerieten in diese „Falle“ dank ihrer Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Konfessionslosigkeit ist im Osten Deutschlands heute selten eine Frage der individuellen Entscheidung, sondern seit zwei bis drei Generationen „Familientradition“619 , wie Studien zum Teilnahmeverhalten an der Jugendweihe nach 1990 belegen. Distanz zu Religion und Kirche wird genauso selbstverständlich tradiert, wie in anderen Familien religiöse Bekenntnisse.620 Der Entfremdungsprozess gegenüber allem Christlichen ist so stark, dass auch alle davon abweichenden „religiösen Ideen und Vorstellungen suspekt und abseitig“621 erscheinen. Zudem erkennten viele Menschen in religiösen Fragen keine „Relevanz für den Alltag“622 mehr. Das Ziel der SED-Kirchenpolitik, die Kirche auf religiöse Kultausübung ohne gesellschaftliche Bedeutung zurückzudrängen, ist somit in Ostdeutschland langfristig gelungen. Nur eine „überraschende Erweckungsbewegung“623 könnte eine Rechristianisierung bewirken. Eine solche aber steht bekanntlich nicht in menschlicher Macht.
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Wohlrab-Sahr / Karstein / Schmidt-Lux, Säkularität, 16. Ebd., 14. Ebd., 15. Ebd., 16. Vgl. Baier, Vertrauen. Vgl. Wohlrab-Sahr / Karstein / Schmidt-Lux, Säkularität, 349f. Döhnert, Jugendweihe, 250. Vgl. Wohlrab-Sahr / Karstein / Schmidt-Lux, Säkularität, 350. Pollack, Wandel, 44. Pickel, Konfessionslose, 234. Wohlrab-Sahr / Karstein / Schmidt-Lux, Säkularität, 350.
B. Die Predigten 1. Vorüberlegungen Wenn es im Folgenden auch um die Frage geht, wie politisch die untersuchten Predigten waren, soll kurz der Begriff „politische Predigt“ erläutert werden. Als Rede im öffentlichen Raum und aus der öffentlichen Intention von Evangelium1 und dessen Verkündigung im Sinne von Confessio Augustana (CA) XIV heraus ist jede Predigt potentiell politisch, wie auch jeder Gottesdienst der christlichen Mitverantwortung für die Gesellschaft in Form der Fürbitte für die weltliche Obrigkeit Rechnung trägt.2 Der Begriff „politische Predigt“ wäre, sofern jede Predigt allein aufgrund ihrer äußeren Umstände politisches Potential birgt, dann eine Tautologie.3 „Politik“ steht dabei nicht für einen parteipolitisch verengten Begriff, sondern wird im Sinne Hannah Arendts und in Anlehnung an Aristoteles verstanden: Politik umfasst alle Handlungen, die sich auf das öffentliche Leben und Gemeinwohl beziehen, also „alle Vorgänge kollektiver Willensbildung und Entscheidungen […], deren Ergebnis für ein Kollektiv, seine Mitglieder und seine Umwelt verbindlich und wirksam sind.“4 Im engeren Sinne können nach Karl-Fritz Daiber drei Funktionstypen von politischer Predigt unterschieden werden: Die „epideiktische“, die „urteilsbildende“ und die „handlungsanweisende politische Predigt“5 . Während erstere anlassbezogene Betroffenheit formuliert (z.B. Dank, Klage), versucht die zweite Form, kritische Wahrnehmung und politische Urteilsbildung zu schärfen „im Deutungszusammenhang der christlichen Überlieferung“6 . Die dritte Art schließlich fordert auf zu konkretem Verhalten und Tun, z.B. die Verpflichtung auf Gewaltfreiheit 1989. Jürgen Ziemer ordnet die Predigten der Wende 1989/90 letzterem Typus zu,7 doch scheint dies zu eng eingegrenzt und für die mecklenburgischen und pommerschen Predigten zudem selten zutreffend, da konkrete Aufforderungen zu politischem Handeln meist im Informationsteil oder in den Fürbitten vorkommen. Allgemein politische Handlungsaufrufe finden sich vielfach z.B. zu Ehrlichkeit, die Warnung davor, auf gesellschaftliche Verlockungen wie die deutsche Einheit oder eine gestärkte SED hereinzufallen oder die Aufforderung, zur Wahl zu gehen. Vor allem die epideiktische und urteilsbildende Predigt tauchen häufig und oft miteinander verbunden auf. Die Klage zieht eine eingehende Analyse der Wirk1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Zeddies, Predigt, 210. Vgl. Daiber, Predigt, 174. Vgl. Burbach, Argumentation, 19. Herms, Politik I, 1449. Daiber, Predigt, 176. Ebd., 177: Z.B. im konziliaren Prozess. Vgl. Ziemer, Predigt, 1469.
Vorüberlegungen
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lichkeit nach sich und deutet diese als Situation, in die Gott den Menschen stellt und ihn zur Verantwortung ruft z.B. in Form von Schuldbekenntnis, Umkehr oder Neuanfang. Konkrete parteipolitische Forderungen kommen vereinzelt vor, so die Aufforderung, 1990 nicht die PDS zu wählen. Für die Einordnung der Predigten von 1989/90 scheint mir deshalb die Einteilung Kroegers in drei Arten von politischer Theologie eine wichtige Ergänzung zu sein. Er unterschied 19878 zwischen einer politischen Theologie ersten Grades, die unter der Annahme predigt, dass sich Gottes Wille in der Bewegung des Politischen kundtut;9 einer politischen Theologie zweiten Grades, die versucht, aus der christlichen Tradition Orientierung und Kriterien für politisches Handeln abzuleiten;10 und einer politischen Theologie dritten Grades, in der Traditionen und Vollzüge kirchlichen Lebens ohne politischen Anspruch durchaus eine solche Relevanz erfahren können, so sie sich äußeren Gegebenheiten mittels unverändertem tradierten Handeln entgegensetzen.11 Dank dieser Systematisierung lassen sich die Predigten der Sonntagsgottesdienste und Gebetsandachten von 1989/90 besser einordnen und auf die Frage hin abklopfen, wie und in welcher Form politische Aussagen getroffen wurden und inwiefern speziell bei den Gebetsandachten die liturgische Form den politischen Charakter unterstrich. Vor allem die künstlich anmutende Trennung Daibers in urteilsbildende und auffordernde Predigt wird überwunden, da zwar unterschieden werden kann zwischen direktem Appell und hermeneutischem Situationsverständnis, letztlich aber jede Erkenntnis immer schon einen handlungsorientierten Ansatz in sich birgt in der politisch hochbrisanten Zeit 1989/90. Daher möchte ich mir die Definition Thomas Beyers von politischer Predigt zu eigen machen als Predigt, „die bewußt vom Glauben an Jesus Christus in der Bindung an den vorgegebenen Text und in prophetischer Erkenntnis der Situation der Hörer, in ihren weltlichen Bezügen die Gemeinde auf ihre politische Verantwortung und ihr politisches Handeln anspricht.“12 Ein solches politisches Handeln wird in der Predigtanalyse einer weiteren Differenzierung zugeführt in Aufrufe zu konkretem (partei-)politischem Verhalten und Forderungen sozialethischen Handelns. Letzteres umfasst „alles Handeln in der Gesellschaft, das auf Willensbildung und wirksame Entscheidung“13 von Gruppen auf etwas Gutes hin abzielt. Wie das sittliche Urteil in Predigten 1989
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Unveröffentlichter Vortrag, auf den sich Bronk, Flug, 25f. in seinem Buch bezieht. War das politische Geschehen rein weltlicher Art, fragt der Rostocker Pastor Albrecht von Maltzahn z.B. im April 1990. (von Maltzahn, Predigt am 22.4.1990, 1). So geschehen in allen untersuchten Predigten. Vgl. Bronk, Flug, 26: Z.B. die feste Liturgie der Gottesdienste, traditionelle Symbole wie Kerzen. Bronk nennt hierfür das liturgische Handeln in einer Diktatur als Beispiel einer „Enklave des Anderen, des Nichtintegrierbaren“. Beyer, Predigt, 48. Herms, Politik, 1451.
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Die Predigten
kommuniziert wird und seinen Ausdruck im sittlichen Handeln findet, stellte zuletzt Regina Fritz für Predigten im Kontext von 1989 dar.14 Im Zuge meines Dissertationsprojektes wurden 346 Predigten aus „normalen“ Gemeindegottesdiensten, zumeist am Sonntag, von 35 Pastoren (19 Pommern und 16 Mecklenburgern) gesammelt und ausgewertet, darunter 138 aus der PEK und 208 aus der ELLM. Aus den beiden größten Städten der jeweiligen Landeskirchen, Greifswald und Rostock, konnten Predigten von mehr als 50% der damals tätigen Pastoren gewonnen werden. 312 dieser Predigten wurden zwischen dem 1. Januar 1989 und dem 31. Dezember 1990 gehalten, 15 Predigten sind von 1988, eine stammt von 1982, eine von 1985 und zwei von 1987. 15 Predigten wurden 1991 gehalten. Die den Forschungszeitraum 1989/90 übergreifenden Predigten kommen allesamt von Pastoren, die mindestens drei Predigten beisteuerten, sodass das größere Zeitfenster die Möglichkeit bietet, die „Entwicklung“ des jeweiligen Predigers bezüglich seiner politischen und theologischen Ansichten nachzuvollziehen. Die Anzahl der Predigten je Pastor variiert stark: 16 Pastoren gaben mir bis zu fünf Predigten, weitere sieben Pastoren bis zu zehn Texte. Sechs Prediger schickten bis zu 20 Predigten, zwei bis zu 35 und einer sogar seine komplette Predigtsammlung von 1989/90, bestehend aus 77 Predigten. Abgesehen von den veröffentlichten Predigten einiger Pastoren15 befinden sich alle anderen Predigten in Kopie im Privatarchiv Pelz. Da viele Pastoren nachträglich mit der namentlichen Nennung einverstanden waren, werden nur einige Prediger anonymisiert zitiert. Anhand des Kurzbelegs lassen sich die relevanten Daten für die Fragebögen und Predigten entnehmen. Der erste Buchstabe steht für Mecklenburg (M) bzw. Pommern (P). Dann folgt die Einteilung Stadt (S) oder Land (L). Die folgenden Zahlen geben den Altersbereich zum Predigtzeitpunkt an: 17–30, 31–40, 41–50 und 51–65 Jahre. Abschließend steht ein Identifizierungsbuchstabe (nicht der Anfangsbuchstabe des Nachnamens). Datum und zugrundeliegender Predigttext finden sich im Titel. Anders als die normalen Sonntagspredigten fanden die Fürbittandachten16 lediglich in einem begrenzten, politisch hoch brisanten Zeitraum zwischen Oktober 1989 und Februar 1990 regelmäßig statt. Wechselnde Prediger richteten sich an
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Fritz, Ethos. Vgl. v.a. die Einleitung (insbesondere 8–13), das Fazit der empirischen Konkretionen (insbesondere 225–227) und die Schlussreflexionen (insbesondere 248–251). Glöckner, Vertrauen; Gienke, Dome, 343–348; Seyfarth, Umkehr; Wegmann, Licht; Riemann, Predigt am 12. 11.1989; Engemann, Verdummung; Martins, Texte; Niemann, Machtmenschen; ders., Kraft; ders., Verbot. Im Folgenden werden für diese besondere Gottesdienstform unterschiedliche Begriffe verwendet, da die Gottesdienste in den verschiedenen Städten keinen einheitlichen Namen trugen. Fürbittandacht, Fürbittgottesdienst, Friedensgebet, Gebetsgottesdienst und Gottesdienst zur politischen Erneuerung sind die Bezeichnungen, die jedoch stets dieselbe Form der am Leipziger Montagsgebet orientierten Gottesdienste benennen.
Vorüberlegungen
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Christen und Nichtchristen. Aus Rostock17 , Neubrandenburg18 , Bad Doberan19 und Greifswald20 konnten insgesamt 47 Predigten und damit jeweils die Mehrzahl der in den Fürbittandachten gehaltenen Predigten gesammelt werden. Im Folgenden werden die in „normalen“ Gemeindegottesdiensten und die in Fürbittgottesdiensten gehaltenen Predigten zunächst aus ganz formalen Gründen getrennt voneinander untersucht. Für beide Predigtformen werden die Adressaten und Prediger vorgestellt und die Themen und Perikopen im Überblick behandelt. Dann erst erfolgt die detaillierte thematische Auswertung, aufgeteilt in politische, sozial-ethische und theologische Themen. Am Ende der beiden Auswertungen folgt eine vergleichende Gesamtschau. Auf die Rezeption der Predigten durch die Hörer kann nicht eingegangen werden, da kaum zeithistorisches Material vorliegt21 und eine Befragung damaliger Gemeindeglieder 25 Jahre später wenig ertragreich erscheint. Die nachfolgende Predigtauswertung orientiert sich stark an den Quellen und stellt zu jedem Thema die wichtigsten Zitate in Auswahl vor. Dieser quellenlastige Ansatz wurde gewählt, da die allermeisten analysierten Predigten nicht frei zugänglich sind und somit dem Leser eine umfassende Eigenlektüre der Texte unmöglich ist. Zudem benutzten die Prediger eine wortgewaltige, wirkmächtige Sprache, die sich durch knappe Zusammenfassungen nicht illustrieren lässt. Um nachzuvollziehen, unter welchen historischen Eindrücken Prediger und Hörer standen, eignet sich das Lesen der Originalstimmen am besten. Die Auswahl der Zitate belegt repräsentativ die am gesamten Textkorpous gewonnenen Ergebnisse gemäß dem Prinzip der thematisch orientierten, chronologisch dargestellten Sachanalyse. Daneben werden extreme Meinungen in Auswahl demonstriert, um das breite Spektrum der Ansichten zu veranschaulichen.
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Vgl. 17 Predigten im Rostocker Wendearchiv unter RA 1,30. Vgl. acht (teil-)veröffentliche Ansprachen in: Heydenreich, Geschichte, 50–83. 14 Predigten im Privatarchiv Pelz, eine Predigt abgedruckt in der OZ: Schmidt, Friedensgebet am 25.10.1989. Drei Predigten im Privatarchiv Irmfried Garbe (in Kopie im Privatarchiv Pelz); ein Zeitungsbericht über die Andacht am 8.11.1989: Schumacher, Hälse; drei Predigten im Privatarchiv Pelz und Wegmann, Licht. Eine Ausnahme ist der Bericht der Atheistin Kathrin Wolter, die am 26. Oktober 1989 in der OZ positiv über ihr Erlebnis beim Bad Doberaner Friedensgebet schrieb. Wolter, Friedensgebet.
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Die Predigten
2. Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten 2.1 Die Adressaten und Prediger Die 346 untersuchten Gemeindepredigten wurden von 35 Pastoren1 gehalten: 19 Pommern und 16 Mecklenburger, darunter eine Frau. 208 Predigten stammen aus der ELLM, 138 aus der ELKG/ PEK. Lediglich ein Pastor war 1989 unter 30 Jahre alt. Sieben Pfarrer waren 31–40 Jahre alt, zehn 41–50. Die in der Auswertung der Predigten des häufigeren erwähnte Gruppe der „unter 50-jährigen“2 umfasst gut die Hälfte der 35 Prediger, weitere 16 sind 51–65 Jahre alt. Aus dieser zweiten Gruppe der älteren Pastoren studierten sechs in Westdeutschland und kehrten erst in den späten 1950-er Jahren in die DDR zurück.3 Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf die von mir erstellten und durch 16 Pfarrer (zehn Mecklenburger, sechs Pommern) beantworteten Fragebögen, darunter 13 Gemeindepastoren, ein Studentenpastor, ein Landessuperintendent und zwei übergemeindliche Pastoren. Da es hierbei kaum Unterschiede zwischen den beiden Landeskirchen gibt, werden beide zusammen bearbeitet. Die Auswertung der Fragebögen erfolgt anonymisiert anhand des zuvor eingeführten Kurzbelegs. Ein Pastor war damals unter 30 Jahre alt, zwei unter 40. Vier gehörten 1989 zur Gruppe der 41–50-Jährigen, neun waren älter. Ihnen gemein ist, dass sie alle, bis auf zwei ältere Pastoren, während des Herbstes 1989 in politische Gremien und/ oder Bürgerbewegungen eingebunden waren. Die Hörerinnen und Hörer in den Städten waren kirchlich sozialisierte Gemeindeglieder aus allen Generationen und verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, „vom Arbeiter auf der Werft bis zum Ingenieur, von der Hausfrau bis zum Dozenten der Universität, von der Krankenschwester bis zum selbständigen Gewerbetreibenden’“4 . Lehrer waren wegen der meist staatstreuen Gesinnung kaum vertreten, Polizisten und Offiziere aus ebendiesen Gründen gar nicht. Vor allem jüngere Menschen und Familien, die ihre Kinder „alternativ zu der vom DDRStaat geförderten Kinderbetreuung“5 erziehen wollten, waren 1989/90 „aus einer Protesthaltung heraus“6 kirchlich ansprechbar. Daneben bildeten die „Antragsteller“7 auf Ausreise aus der DDR eine größere Interessengemeinschaft. Für 1989/90 1
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Die Berufsbezeichnungen Pfarrer und Pastor werden in Abschnitten, die ELKG und ELLM betreffen, synonym verwendet. Ansonsten werden die Pommern ihrer Selbstbezeichnung nach als Pfarrer tituliert, die Mecklenburger als Pastoren. Aufgrund der männlichen Dominanz und aus stilistischen Gründen wird in der Dissertation stets die maskuline Bezeichnung gewählt. Auch bei Predigten der einen Pfarrerin wird so verfahren, um keinerlei Rückschlüsse in einer so kleinen Landeskirche wie der ELKG zuzulassen und die Anonymisierung zu wahren. Damit ist die Nachkriegsgeneration in Abgrenzung von der sogenannten Budeschen „Flakgeneration“ gemeint. Die Einteilung ergibt sich aus generationenspezifischen, politischen Ansichten und wird noch näher erläutert, sowie in der Predigtauswertung aufgegriffen. Vgl. zum Phänomen der West-Ost-Übersiedlung im kirchlichen Rahmen. Lepp, Wege. Lohse, Fragebogen, 1. Ebd., 1. Wolter, Fragebogen, 1. M/S/41-50/E, Fragebogen, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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ist jedoch grundsätzlich kein Anstieg der Gottesdienstbesucher an Sonntagen zu verzeichnen. Die Gemeinden auf dem Land wurden durch große Landwirtschaftsbetriebe, die Volkswerften8 und die Nähe zu militärischen Einrichtungen geprägt, was gerade 1989 zu hitzigen Diskussionen über die Ziele einer Veränderung in der DDR führte.9 Gleichzeitig herrschten hier teilweise noch „volkskirchliche Verhältnisse: D.h. z.B. nichtkirchlich beerdigt werden gilt als Schande und ist sozial nicht akzeptiert.“10 Dabei ist zwischen Bauerndörfern, vor allem mit Einheimischen, zu unterscheiden, die weithin kirchlich (40 bis 90 % Gemeindeglieder) blieben, während ehemalige Gutsdörfer schon stark der Kirche entfremdet waren.11 Flächenmäßig große Gemeinden erforderten ein hohes Maß an überörtlicher Vernetzung, sodass vielfach gemeindeübergreifende Rüstzeiten für Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren angeboten wurden.12 „Kirche im Sozialismus“ interpretierten die meisten Pastoren „ohne Wertung (als) den Ort der evg. Kirchen in einer atheistischen Gesellschaft“13 , aber auch als positive Möglichkeit, kirchliche Identität soweit wie möglich unter den gegebenen Verhältnissen zu wahren14 gemäß dem „Auftrag: ‚Gehet hin in alle Welt!‘ Alle Welt hieß dabei auch ‚in die Welt des Sozialismus hinein‘.“15 Aus der Ortsbestimmung heraus erwuchs den Kirchen eine „kritische Rolle gegenüber sozialistischer Diktatur und militärischer Politik“16 . Einige, besonders ältere Pastoren betonten jedoch, den Begriff „Kirche im Sozialismus“ bewusst nicht benutzt zu haben17 , weil „unscharf und bedenklich“18 . Unter dieser Formel sei versucht worden, „Christen und besonders kirchliche Mitarbeiter für den ‚Sozialismus in den Farben der DDR‘ einzubeziehen. Diese Instrumentalisierung war abzulehnen.“19 „Nach unserem Herzen war der – wohl ursprünglich von Bonhoeffer stammende – von unserem Landesbischof Rathke ins Spiel gebrachte (Begriff) Kirche für andere“.20 Ein Pfarrer, sicher nicht zufällig der Jüngste aller Befragten,21 verstand die Formel in der ihr staatlicherseits angedachten Funktion als „Versuch, die Kirche im 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Vgl. P/L/51-65/W, Fragebogen, 1. Vgl. Kuessner, Greifswald, 8f. P/L/31-40/E, Fragebogen, 1. Vgl. ebd., 1. Vgl. P/L/51-65/G, Fragebogen, 1. Wiebering, Fragebogen, 1. Vgl. Nath, Fragebogen, 1. M/L/51-65/V, Fragebogen. Von Maltzahn, Fragebogen, 1. Vgl. Herbert Heineckes Ergebnis, dass der Begriff „Kirche im Sozialismus“ auf Gemeindeebene ohne Belang gewesen ist. Vgl. Heinecke, Konfession, 347–351. M/L/51-65/S, Fragebogen, 1. P/L/31-40/E, Fragebogen, 1. von Maltzahn, Fragebogen, 1. Vgl. Heinrich Rathkes Vortrag auf der Bundessynode 1971: Rathke, Kirche. Vgl. zum Einfluss des Alters eines Pastor auf sein Kirchen- und Theologieverständnis Abschnitt 4.1.
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Die Predigten
Land zu halten und sich nicht herausdrängen zu lassen, das Positive an diesem System zu sehen, dem aus dem Weg zu gehen, sich immer das Schlechte anhängen zu lassen, es den Menschen zu erleichtern, bei der Kirche zu bleiben, wenn sie ja nicht grundsätzlich gegen die DDR waren.“22 Kirche als Teil der Gesellschaft am äußersten Rand konnte Chance und Gefahr sein. Einerseits war es „heilsam für unsere Kirche, dass wir gezwungen waren, uns auf das Eigentliche zu konzentrieren, [...] was nur wir anzubieten haben.“23 Andererseits entsprach gerade dieser Rückzug auf „das Eigentliche“ den Erwartungen staatlicher Kirchenpolitik, „Kirche auf reine Kulthandlungen zu beschränken. Gegen solche Ghettoisierung mussten wir uns zur Wehr setzen“24 . „Potentiell galt der Pastor in der DDR als Außenseiter der Gesellschaft25 , als westlich infiltriert und beeinflusst – er ‚gehörte nicht dazu!‘“26 Der Auftrag, in einem „sich sozialistisch nennenden Land, Kirche zu bauen“27 führte zwangsläufig zu Konfrontationen mit staatlichen Stellen. Neben der Verkündigung des Evangeliums mussten die Pastoren für Gemeindeglieder „auch bei Behörden [...] intervenieren“28 . Gerade den älteren Pastoren lagen Kampf und Stärkung „gegen die Atheismuspropaganda“29 am Herzen, denn „Gott hatte einen Teil des deutschen Volkes Leuten in die Hand gegeben, deren erster Glaubenssatz der war: Wir sind erklärte Feinde Gottes, stehen gegen jeden religiösen Glauben und werden ihn schwächen, wo wir nur können – leider haben sie ja auch viel geschafft.“30 Dafür waren sechs der 16 Pastoren 1953 nach Abschluss des Theologiestudiums eigens aus dem Westen Deutschlands in die DDR zurückgekehrt, „um Gemeiden zu sammeln, vom Ev. zu ermutigen“31 . Ein Gleichaltriger pflichtet ihm bei: „Wir haben unser Bestes gegeben, um Kirche Jesu Christi in einem gottfeindlichen Sozialismus zu stärken.“3233 Für diese zwischen 1925 und Ende der 1930er geborene Generation waren die prägenden politischen Ereignisse der 17. Juni 1953, der Ungarnaufstand 1956, der staatliche Kampf gegen Kirchen und Junge Gemeinde und der lebendig erinnerte und schmerzhaft empfundene Mauerbau 1961 als endgültiges Zeichen für Unfreiheit.34 Alle weiteren Einschränkungen der staatsbürgerlichen Rechte 22 23 24 25
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P/L/17-30/T, Fragebogen, 1. Wolter, Fragebogen, 1. Von Maltzahn, Fragebogen, 1f. Dasselbe Wort verwendete 1978 Erhart Neubert: „Der Pfarrer ist als potentieller Außenseiter zugleich auch ein Magnet für andere Außenseiter, die Anpassung nicht wollen oder nicht können.“ Das erkläre die „Verschmelzung von protestantisch-kirchlichem Milieu und Dissidentenszene“, zitiert bei Kleßmann, Pfarrer, 193f. P/L/31-40/E, Fragebogen, 1. Wolter, Fragebogen, 1. Nath, Fragebogen, 1. Von Maltzahn, Fragebogen, 1. M/L/51-65/V, Fragebogen, 1. M/L/51-65/S, Fragebogen, 1. M/L/51-65/V, Fragebogen, 2. Vgl. Lepp, Wege. Vgl. Kunter, Hoffnungen, 142.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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und Freiheiten waren Folgen dieser Entwicklung in der Anfangszeit der DDR. Obwohl sie sich auf ein dauerhaftes Leben in der DDR eingestellt hatte, konnten sie in diesem Land doch nur eine Diktatur und einen Unrechtsstaat sehen. Gleichzeitig erlebte diese Generation der 1989 „über 50-Jährigen“, wie sich viele ihrer intellektuellen Altersgenossen wie Erwin Strittmatter, Christa Wolf oder Franz Fühmann „freiwillig, gläubig und affirmativ an das neue antifaschistisch-sozialistische Staatswesen“ banden,35 aus Scham über das eigene Mitläufertum zu NS-Zeiten. Antifaschismus, „das großzügig bereitgestellte Identifikationsangebot“36 und Sozialismus promovierten „zum Humanum schlechthin“37 . Jüngere Pastoren, Teil der ersten Nachkriegsgeneration und damit der „am weitesten säkularisierte(n)“38 , erlebten die staatlich repressive Macht gegenüber Demokratiebewegungen bewusst beim Prager Frühling 1968, der jede Hoffnung auf Demokratisierung und gesellschaftliche Öffnung innerhalb eines sozialistischen Staates zunichte machte.39 Nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker 1971 und der Unterdrückung der polnischen Solidarnosc-Bewegung Anfang der 1980er stellte sich diese gänzlich in der DDR sozialisierte Generation in „widerwillige(r) Loyalität“40 verständlicherweise auf ein dauerhaftes Leben in den Grenzen der DDR ein. Jene 1989 unter 50-Jährigen betonten daher ihre zwar durchaus „gesellschafts- und staatskritisch(e) [...], aber nicht DDR-feindlich(e)“41 Einstellung und ihre politische Funktion, als „Mund der Stummen“42 auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Diese Ergebnisse der von mir ausgewerteten Fragebögen decken sich mit den Erkenntnissen von Hans-Martin Krusche. Er befragte 13 ostdeutsche, berlin-brandenburgische Pfarrer aus zwei Generationen in der „begründeten Vermutung, daß diesem Kriterium der unterschiedlichen Generationszugehörigkeit ein nicht geringer Stellenwert zukommt im Prozeß der politischen und weniger der religiösen Sozialisation der künftigen Pfarrer.“43 Im Nachwort zieht Horst Dähn das Fazit: „Nicht nur die den jungen Christen, Jugendlichen und Theologiestudenten im politischen und religiösen Sozialisationsprozeß vermittelten Werte, Normen und Orientierungen haben ihre Einstellungen als Pfarrer zu Politik, Staat und Gesellschaft in der DDR mehr oder weniger stark geprägt, sondern auch die Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Generationen. So lassen beispielsweise die Einstellungen der Mehrheit der älteren Pfarrer eine insgesamt distanzierte, bisweilen ablehnende Haltung zur DDR, zum ‚realen Sozialismus‘ erkennen als die 35
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Die Erkenntnis, dass „das beste Mittel gegen den Faschismus nicht Antifaschismus, sondern Demokratie ist“, kam bei dem Chefredakteur des FDJ-Organs „Junge Welt“ beispielsweise erst 1990. Schütt, Interview, 93. Emmerich, Intelligenz, 78. Ebd., 77. Wohlrab-Sahr / Karstein / Schmidt-Lux, Säkularität, 20f. Kunter, Hoffnungen, 142. Ohse, Jugend, 379. M/S/41-50/N, Fragebogen, 1. Lohse, Fragebogen, 1. Krusche, Pfarrer, 461f.
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Die Predigten
jüngeren Geistlichen.“44 Die untersuchten Predigten von 1989/90 untermauern diese These, wie in der thematischen Auswertung zu sehen sein wird. Dieser unterschiedliche politische Hintergrund der Pastoren, der sich in den Fragebögen tendenziell abzeichnet, war für den Zusammenhalt der Kirchen äußerst problematisch. So gab es einige „rote Pastoren“, die den anderen Pastoren „schlimmer zugesetzt haben als alle Kommunisten zusammen“, da jene im Zuge der staatlichen Differenzierungspolitik gern gegen kritische Geister ins Feld geführt wurden. Dies führte zu erheblichen „Diskussionsschwierigkeiten, wenn wir uns zu sehr gegen unsere ‚Roten Brüder‘ abgrenzen mussten“45 , erinnert sich ein älterer Pastor. Keiner der Prediger würde sich wohl selbst als „roten“ Pastor betiteln, dennoch zeichnen sich auch bei der vorliegenden Predigtanalyse durchaus politische Tendenzen bis hin zu staatsloyalen Inhalten ab.46 Bezüglich der Entwicklung der friedlichen Revolution können ganz grob zwei Richtungen unterschieden werden, die sich auch in den Predigten widerspiegeln. Gab es anfangs das gemeinsame Bestreben nach einer demokratisierten und wirklich sozialen DDR, wurde die sich bald abzeichnende schnelle deutsche Einheit unterschiedlich bewertet. Die über 50-jährigen Pastoren begrüßten diese bis auf einen (von sieben) alle. „Im Gegensatz zu vielen Freunden habe ich durch die vierzig Jahre DDR und erst recht ab 1989 die Einheit gewünscht.“47 Bei den Jüngeren gab es zwei Gruppen: Die einen erkannten die Unmöglichkeit des Traumes von einer reformierten DDR, „der Sozialismus hatte jedenfalls keine Chance, einen dritten Weg konnte ich aus Realitätsgründen (Eigendynamik der Wirtschaft) schnell nicht mehr sehen“48 . Neue Experimente wurden entschieden abgelehnt.49 Andere hätten sich eine demokratische DDR als Vorstufe zur langsamen deutschen Einheit gewünscht im Sinne einer Annäherung beider Staaten „mit deutlich mehr sozialer Gerechtigkeit und Friedensdienlichkeit (als unter den kapitalistischen Bedingungen der ‚ehemaligen‘ Bundesrepublik)“50 . Eine solche DDR hätte sich auf eine Einheit Deutschlands besser vorbereiten können auf der Grundlage einer neuen gesamtdeutschen Verfassung. Stattdessen kam die Vereinigung für manche viel zu schnell. „Als Ergebnis der friedlichen Revolution hätte zunächst ein ‚modus vivendi‘ gefunden werden müssen, um die beiden, politisch und sozial so sehr unterschiedlichen Teile Deutschlands Schritt für Schritt einander näher kommen zu lassen.“51 Einig sind sich alle Pastoren darin, dass die Einheit die Chance barg, mehr als nur Beitritt52 zu sein mittels Reformen der BRD: „z.B. eine neue Verfassung, erst 44 45 46 47 48 49 50 51 52
Krusche, Pfarrer, 463. M/L/51-65/V, Fragebogen, 2. Vgl. die Zusammenfassung der Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten in diesem Kapitel Abschnitt 2.5. M/L/51-65/V, Fragebogen, 3. P/L/17-30/T, Fragebogen, 1. Vgl. P/L/31-40/E, Fragebogen, 2. M/S/41-50/N, Fragebogen, 2. Nath, Fragebogen, 1. Vgl. M/L/51-65/S, Fragebogen, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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ein eigenes Pommernland, später die Überwindung und Auflösung des Partikularismus der Länderstruktur in Deutschland [...].“53 . Leider sei diese „Gelegenheit aus zwei ein gutes Neues zu machen“54 nicht genutzt worden. Ähnlich wird von allen die Rolle der Kirche während der friedlichen Revolution bewertet. Konsens herrscht darüber, dass sie als einzige Institution über die Möglichkeiten eines organisierten Protestes verfügte: einen „relativ“55 geschützten Raum, für Versammlungen und offene Meinungsaussprache. Beruhigend wirkten wohl auch die „großen gotischen Backsteinkirche(n)“ auf die Menschen während der Andachten, sodass diese „äußerlich und wohl auch innerlich zur Ruhe kamen.“56 Daneben bot sie eine DDR-weite Vernetzung wie sonst keine andere nichtstaatliche Organisation und konnte darüber unabhängig von staatlichen Stellen Informationen verbreiten. Dass die Revolution friedlich verlief, wird ebenfalls den „vielen Christen, die die anderen immer wieder besänftigten“57 zugeschrieben. So habe die Kirche „sehr konkret [...] Waffengewalt verhindert“58 . Das politische Engagement kirchlicher Mitarbeiter wird während der Wende als notwendig oder „schwer vermeidbar“59 bewertet, da in der Kirche Gesprächsfähigkeiten und -kultur in Kirchgemeinderäten, Synoden, Gremien usw. existierten, die die Kirche schließlich zur „Geburtshelferin der Demokratie“60 bzw. „Impulsgeber[in]“61 machten. Dabei nahm sie eine „stellvertretende62 politische Rolle auf Zeit“63 wahr u.a. durch „die engagierte Leitung und Mitarbeit von Christen“64 an den Runden Tischen RTRunder Tisch, tat sich aber als Institution Kirche auch „schwer mit ihrer überraschenden Bedeutung“65 . In manchen Kreisstädten übernahm z.B. „das Theater weithin die Funktion und Rolle, die woanders (z.B. Leipzig) die Kirche einnahm [...]. Die Kirche hinkte hinterher.“66 Dennoch sind sich alle einig: „Ohne kirchliches Engagement wäre es wohl sehr viel schwerer in Gang gekommen.“67 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
63 64 65 66 67
P/L/31-40/E, Fragebogen, 2. Wolter, Fragebogen, 2. Nath, Fragebogen, 2. Lohse, Fragebogen, 3. M/L/51-65/V, Fragebogen, 4. M/L/51-65/S, Fragebogen, 1. M/S/41-50/N, Fragebogen, 2. Lohse, Fragebogen, 3. M/S/41-50/E, Fragebogen, 1. Vgl. die Ansprache des thüringischen Landesbischofs Werner Leich anlässlich des zehnjährigen Jubiläums vom 6. März 1978 am 6. März 1988 bei der Begegnung mit Honecker. Darin betont er, dass die meisten die evangelischen Kirchen z.Z. bewegenden Fragen „aus dem gesellschaftspolitischen Bereich“ kämen und „keinen Ursprung im Dienst unserer Kirchen“ hätten. Diese müssten die Auseinandersetzungen jedoch „stellvertretend für Staat und Gesellschaft wahrnehmen.“ Leich, Ansprache, 229. M/S/41-50/E, Fragebogen, 1. Von Maltzahn, Fragebogen, 3. M/S/41-50/N, Fragebogen, 2. P/L/31-40/E, Fragebogen, 2. M/L/51-65/V, Fragebogen, 2.
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Die Predigten
Das teilweise aus dem Herbst 1989 resultierende, langfristige politische Engagement kirchlicher Mitarbeiter wird hingegen kontrovers beurteilt. Während jüngere Pastoren dies eher kritisch sehen als „spürbaren Verlust“68 , freut sich ein älterer Amtsbruder „sehr, dass ein ehemaliger mecklenburgischer Pastor heute Präsident der Bundesrepublik Deutschland ist“ und sieht dies durchaus als „Folge unseres damaligen Tuns“69 . Begründet wird das allgemeine, parteilose politische Engagement von Christen damit, dass diese als „Vollmitglieder unserer Gesellschaft“70 wie auch alle anderen Bürger stets Recht und Pflicht haben gemäß Jer 29,7 „der Stadt Bestes“ zu suchen.71 Sie sollten sich „einmischen, wo Menschen bedrückt und bedrängt, entrechtet und unfrei gemacht werden [...] unabhängig vom jeweiligen Gesellschaftssystem“72 als „Sprachrohr für die Benachteiligten“73 , den Staat also kritisch begleiten, damit entsprechend 1. Tim 2,4 „allen Menschen geholfen wird“74 . Alle warnen aber davor, zu „Hilfspolitiker(n)“75 zu werden oder sich zu sehr in „politische Angelegenheiten“76 einzumischen, da die Kirche eine „so dominierende Rolle wie 1989/90 nur in dieser besonderen Situation“ haben sollte. In einer „funktionierenden Demokratie“77 , so Landessuperintendent Joachim Wiebering, ist dies nicht notwendig. Stattdessen solle Kirche, so Karl-Heinz Sadewasser, ein „Wächteramt“78 ausüben, den Weg weisen79 und „zu allen Zeiten bereit sein [...] auch in politische Verirrungen hinein Christi Botschaft zu sagen“80 und sich nicht „zum Sklaven der Obrigkeit“81 machen lassen. „Kirche ist politisch; aber nicht parteipolitisch.“82 , bringt es ein Pfarrer auf den Punkt. Kirche müsse sich wieder auf „den christlichen Glauben als ‚Kernkompetenz‘ besinnen [...]: Nicht Menschenrechts- oder Umweltgruppe, nicht Friedensbewegung [...]“83 sei sie. Grundsätzlich stimmen alle darin überein, dass Christ-, ebenso wie Menschsein politisch ist, so wie „alles Handeln direkt oder indirekt politisches Handeln“ ist im aristotelischen Sinne, denn „wir sind als Menschen gemeinschaftliche Wesen und eingebunden in ein politisches Gemeinwesen“84 . „Christen sollen politische Menschen sein.“85 Daher seien „politische Stellungnahmen in der Verkün68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85
M/S/41-50/N, Fragebogen, 2. M/L/51-65/V, Fragebogen, 4. Von Maltzahn, Fragebogen, 2. Vgl. Wolter, Fragebogen, 2. Lohse, Fragebogen, 3. P/L/51-65/W, Fragebogen, 1. M/S/41-50/E, Fragebogen, 1. Von Maltzahn, Fragebogen, 2. Nath, Fragebogen, 2. Wiebering, Fragebogen, 2. Sadewasser, Predigt am 29.10./31.10.1989, 4. Vgl. M/L/51-65/V, Fragebogen, 5. Ebd., 4. Ebd. P/L/31-40/E, Fragebogen, 3. Ebd., 3. Lohse, Fragebogen, 3. P/L/31-40/E, Fragebogen, 3.
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digung nicht zu vermeiden“, sollten aber „zur Sachlichkeit in der Politik und im politischen Urteil beitragen“86 , erklärt Wiebering. Einig sind sich aber alle befragten Pastoren darin, dass ein parteipolitisches Engagement im Pfarrdienst nicht wünschenswert sei. Seine Erfahrung in der Zeit 1989/90 habe ihn darin bestätigt, keine politische Funktion in einem Gremium zu übernehmen, konstatiert Wiebering.87 Dietrich Nath pflichtet ihm bei, „als Gemeindepastor [...] unabhängig ‚für alle da sein‘!“88 zu wollen. Ein weiterer, selbst 1989/90 politisch aktiver Pfarrer geht gar so weit, „kirchenrechtlich die Mitgliedschaft (und Ämter erst recht!) von Pfarrerinnern und Pfarrern in politischen Parteien ausschließen“89 zu wollen, da sich das Engagement eines Seelsorgers für alle mit der Vertretung der Wähler einer Partei nicht vertrage. Zwei Richtungen können mittels einer direkten Gegenüberstellung unterschieden werden. So schrieb ein junger Pastor: „Ja, Christsein ist politisch. Und kirchliche ‚Ämter‘ sollten sich ihre politische Verantwortung und Wirkung immer bewusst halten“90 , während sein älterer Kollege Nath meinte, dass er zwar ungerechte Dinge in den Predigten benannte, „aber im Wortsinn ‚politisch‘ habe ich mein Amt nicht verstanden“91 . 2.2 Evangelische Pfarrer und Politik aus staatlicher Sicht Die Frage des politischen Engagements kirchlicher Mitarbeiter stellte sich nicht nur aus Sicht der Kirchen, sondern auch aus staatlicher Perspektive. Sozialstatistische Erhebungen gehen auf die Volkszählung 1946, parteiinterne Angaben 1951 und Zahlen des BEK 1986 zurück. Demnach ist die Anzahl der Pfarrer in der DDR in den ersten fünf Nachkriegsjahren von 5380 auf 5434 leicht gestiegen und ging dann bis 1986 um gut 26% auf 3983 zurück.92 Verglichen mit dem Rückgang der Kirchenmitgliedszahlen um ca. 75% im selben Zeitraum ist dies eine relativ hohe Pfarrerdichte. In seiner philosophischen Dissertation „Der evangelische Pfarrer in der DDR - historische Voraussetzungen und gegenwärtige Situation“ von 1988 beleuchtet Rainer Okunowski in einem eigenen Kapitel die Beziehungen evangelischer Pfarrer zur Politik der DDR. Dabei geht er von der aus christlicher Sicht richtigen Annahme aus, Religion habe eine weltanschauliche Funktion und müsse also „zu Fragen des gesellschaftlichen (und damit politischen) Verhaltens der Christen Stellung nehmen“93 . Positiv beschreibt er die wachsende Zahl „gesellschaftlich engagierte(r) Pfarrer[n]“94 , die ihre Ideen z.B. im Papier „Als Christ leben in der 86 87 88 89 90 91 92 93 94
Wiebering, Fragebogen, 2. Ebd., 2. Nath, Fragebogen, 2. P/L/31-40/E, Fragebogen, 3. M/S/41-50/N, Fragebogen, 2. Nath, Fragebogen, 2. Vgl. Kleßmann, Sozialgeschichte, 31. Okunowski, Pfarrer, 117. Ebd.
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Die Predigten
sozialistischen Gesellschaft“, verfasst von einer kleinen Gruppe von Pfarrern der ELLM95 , zum Ausdruck brachten. Sie hätten eingesehen, dass eine unpolitische Kirche an Einfluss in der Gesellschaft verliere.96 Auch bejahten viele Pfarrer die „Errungenschaften des Sozialismus“ (Sozial-, Abrüstungspolitik). Leider fänden diese „realistischen“ Pfarrer kaum Unterstützung bei der Kirchenleitung. Dank der beharrlichen Kirchenpolitik der SED sei zwar die Mehrheit der Pfarrer nicht mehr, wie noch 1945, antikommunistisch eingestellt, dennoch sei die offizielle Linie staatsdistanziert, da sie nach westlichem Muster Sozialismus und Atheismus gleichsetzten, was zu einer Form von „klerikale(m) Antikommunismus“ führe.97 Problematisch seien aber die oftmals vorherrschenden „bürgeliche(n) Denkmuster“, die zur „Unfähigkeit, Allgemeines und Einzelnes dialektisch in Beziehung zu setzen“ führten und beispielsweise ein „Wächteramt der Kirche“ beschwören würden.98 „In diesem Sinne kann politische Stellungnahme anmaßend und elitär werden.“99 Diese Wahrnehmung trifft, wenngleich natürlich tendenziös formuliert, durchaus die Realität der politischen Einstellungen unter Pastoren Ende der 1980er Jahre. Allerdings unterschätzt Okunowski die positive Einstellung der meisten unter 50-jährigen Pastoren zur sozialistischen Idee, die jene jedoch nicht im DDR-Staatssozialismus verwirklicht sahen. Illusorisch erscheinen dagegen die Schlussfolgerungen, die von der falschen Annahme ausgehen, Pfarrer seien nicht genügend „mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit vertraut“100 und nur deshalb noch nicht davon überzeugt, „daß diese Gesellschaftsordnung letztlich auch seinen Interessen entspricht“ und die „Existenz und Wirkungsmöglichkeit der Kirche im Sozialismus gewährleistet“101 ist. Das Gegenteil war der Fall. Weil Pastoren aus eigener Erfahrung nur zu gut wussten, welche Repressalien Andersdenkende erleiden mussten, widerstanden viele der völligen staatlichen Vereinnahmung. Der Pfarrer erscheint bei Okunowski letztlich als ein Sonderfall des zum guten Staatsbürger zu erziehenden Menschen, der sich mangels Wissens, Fachkenntnis und gesellschaftlicher Lebenserfahrung noch nicht gänzlich im Sinne der SED entfalten konnte: Ein naiver, zeitdokumentarischer Blick auf die Kirchen in der DDR, der paradigmatisch den Realitätsverlust der SED und vieler ihrer Genossen demonstriert. 95
96 97 98 99 100 101
1987 wurde dieses Papier von einer synodalen Arbeitsgruppe der ELLM verfasst, 1988 veröffentlicht. Darin wird die Bereitschaft zur Mitarbeit in der Gesellschaft betont. „Deshalb kann unsere Position in der DDR weder in Opportunismus noch in Opposition bestehen.“ Arbeitsgruppe, Christ, 19. Zugleich bedauern die Verfasser, dass „leitende Positionen nahezu ausschließlich an Mitglieder der SED vergeben werden.“ (ebd., 17.) Das schränke die gesellschaftlichen Einsatzmöglichkeiten von Christen drastisch ein. Um diese Spannungen zu überwinden, bedürfe es eines fruchtbaren christlich-marxistischen Dialogs, der gegenseitige Verunsicherungen und Fehlinformationen richtig stelle. Vgl. Okunowski, Pfarrer, 20. Vgl. ebd., 118f.; 123f. Ebd., 123f. Ebd., 124. Ebd., 127. Ebd., 129.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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2.3 Die Perikopen 229 Predigten hatten einen neutestamentlichen Bibeltext zur Grundlage, 101 einen alttestamentlichen, was bis auf geringe Abweichungen der geltenden Perikopenordnung entsprach. Ein solcher, von der Wahl des Predigers unabhängiger Text konnte somit eine „noch höhere Autorität bezüglich seiner Orientierungsleistung“ haben, weil die „anscheinend objektive Vorgabe eines Textes [...] diesen bei entsprechend religiöser Deutung als durch göttliche Fügung für die aktuelle Situation vorgesehen erscheinen“102 lässt. 16 Predigten nutzten keinen Predigttext im herkömmlichen Sinne, unter anderem Gottesdienste zu besonderen Anlässen wie beispielsweise einer Kapellenwiedereinweihung oder ein Gedenkgottesdienst am 2. Oktober 1990 zur deutschen Einheit. Direkte Vergleiche zwischen der aktuellen politischen Lage und der biblischen Geschichte wurden sowohl mit alttestamentlichen als auch neutestamentlichen Texten gezogen. Dazu Altbischof Stier: „In der Wendezeit hatten die biblischen Texte plötzlich eine große Brisanz. Wenn wir vom Exodus Israels, von der 40jährigen Wüstenwanderung lasen, hatten wir das Gefühl: Das sind wir. Die biblischen Texte waren für uns ganz aktuell.“103 Und Ohse, ehemaliger Landessuperintendent der ELLM, erinnert sich 2008 in einem Vortrag an die Jahreslosung Apg 17,27 1989, die den Ton für alles angab, was geschah: „Keinem von uns ist Gott fern.“104 . Und weiter erzählt er: „Die Bibelworte haben uns Tag für Tag durch alle Aufregungen begleitet.“105 Sie deuteten die Geschichte und gaben zugleich Weisung für die Zukunft. Die hier schon anklingende Geschichtstheologie wird in der Auswertung der Predigten eigens thematisiert. 2.4 Thematische Auswertung 2.4.1 Überblick Drei große thematische Blöcke finden sich in den Predigten: Erstens geht es um tagespolitische Themen wie die Lage in der DDR und in der BRD, den je aktuellen oder rückblickenden Verlauf der friedlichen Revolution und gesellschaftliche Probleme, zweitens werden sozialethische Themen wie gesellschaftliche Werte, innerliche Veränderungen und Gefühle genannt und drittens biblische Analogien und theologische Deutekategorien für die Geschehnisse gesucht. Grundsätzlich reagieren die Predigten sehr stark auf tages- und weltpolitische Ereignisse. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil der Rostocker Theologiestudent Beyer 1988 in seiner Diplomarbeit über politische Predigt als Thema der Homiletik in der DDR konstatierte, in der DDR herrsche der, nicht wissen102 103 104 105
Fritz, Ethos, 225. Eindruck von Altbischof Stier, telefonisch freigegeben zur Veröffentlichung am 10.3.2011. Ohse, Gnaden, 1. Ebd., 15.
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Die Predigten
schaftlich begründete Grundtenor, „politische Prediger mißbrauchen ihr Amt“106 , politische Predigten seien daher selten. Ein Eindruck, der für die Jahre 1989/90 nicht mehr zutrifft. Die nun folgende thematische Auswertung der in Gemeindegottesdiensten gehaltenen Predigten erfolgt in zwei Schritten. Zuerst werden die Predigten chronologisch vorgestellt hinsichtlich ihrer gesellschaftlich relevanten Hauptthemen. Danach werden einzelne Punkte aus den drei Komplexen (1) politische Themen, (2) sozialethische Themen und (3) theologische Deutekategorien betrachtet und auf Veränderungen hin untersucht. Schon in der ersten untersuchten Predigt vom 12. Dezember 1982 votiert der Prediger Matthias Burkhardt eindringlich dafür, dass Christen sich einmischen und Unrecht beim Namen nennen sollen, wo Gottes Ordnung zerstört wird.107 Die sieben Predigten vom Dezember 1988 beschäftigen sich allesamt mit den Schwierigkeiten, als Christ die DDR als Heimat zu sehen und klagen über Kriegsspielzeug für Kinder108 , materielles Denken und die vielfach verbreitete Ansicht, Christen seien rückständig und unmodern.109 Das Jahr 1989 beginnt entsprechend der Jahreslosung Apg 17,12 mit Betrachtungen über Gottes Weg mit allen Menschen, also auch mit Marxisten oder Atheisten.110 Beispiele dafür seien Gorbatschows Reformen und der voranschreitende Konziliare Prozess.111 Nun setzten sich Menschen langsam für Veränderungen ein.112 In Lohses Predigt am 30. März 1989 steht der Umgang mit Ausreiseantragstellern im Vordergrund.113 Diese Frage nach Weggehen aus oder Bleiben in der DDR wird bis zum Mauerfall sehr oft angesprochen. Dabei votieren alle Prediger für das Bleiben, um vor Ort im Auftrag des Herrn zu agieren114 , im Vertrauen darauf, dass Gott auch Ungläubigen das rechte Sehen schenkt115 und überraschende Wendungen bewirkt116 . Mit dieser Gewissheit könne sich jeder einzelne für Veränderungen des politischen Klimas einsetzen.117 Ab Juni 1989, verstärkt ab August 1989 bis zum Fall der Mauer wird die massenhafte Flucht junger Menschen immer wieder thematisiert118 . 106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118
Beyer, Predigt, 13. Vgl. Burkhardt, Predigt am 12.12.1982, 2. Vgl. Timm, Predigt am 11.12.1988. Vgl. ders., Predigt am 25.12.1988. Vgl. Wegener, Predigt am 1.1.1989, 2. Vgl. Burkhardt, Predigt am 1.1.1989. Vgl. Timm, Predigt am 8.1.1989, 2. Vgl. Lohse, Predigt am 30.3.1989. Vgl. Wiebering, Predigt am 15.10.1989, 3. Vgl. M/S/41-50/N, Predigt am 13.8.1989, 1; Vgl. Nath, Predigt am 13.8.1989, 1; Vgl. Haberecht, Predigt am 2.7.1989, 1; Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 17.9.1989, 1. Vgl. Lohse, Predigt am 30.3.1989, 3. Vgl. Wiebering, Predigt am 15.10.1989, 3. Vgl. Wegener, Predigt am 4.6.1989; Vgl. Timm, Predigt am 6.8.1989; Vgl. Nath, Predigt am 13.8.1989; Vgl. Timm, Predigt am 20.8.1989; Vgl. Puttkammer, Predigt am 22.8.1989, 1; Vgl. Kuessner, Predigt am 23.8.1989, 1; Vgl. Wegener, Predigt am 27.8.1989; Vgl. P/L/17-30/T,
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Vor der „heißen Phase“ in den drei Nordbezirken der DDR ab Oktober 1989 wird in allen Predigten zu politischer Erneuerung der DDR ermuntert. Gerade angesichts der Ereignisse in Peking müsse der Geist der Vergebung betont werden, der „vor Resignation und Fluchtgedanken“ bewahrt und „Mut machen (kann) zum nächsten Schritt“119 . Für einen solchen seien die neuen Gruppen in und außerhalb der Kirche wichtig120 , daher sollten sie auch in Kirchenräumen toleriert werden121 . Drei große Themen durchziehen die Predigten ab Herbst 1989 bis in den darauffolgenden Sommer/ Herbst 1990: Die Verhältnisbestimmung von Kirche und Politik; die Aufforderung zu politischer Verantwortung und der Wunsch nach einem gesellschaftlich-politischen Aufbruch verbunden mit Erneuerung und Freiheit. Zehn Tage nach der ersten Rostocker Fürbittandacht reflektiert Lohse am 15. Oktober 1989, inwieweit es legitim sei, sich als Kirche in die politische Diskussion einzumischen. Mit Jer 29,7 argumentiert er dafür, der Stadt Bestes zu suchen.122 Außerdem erfasse die Nächstenliebe alle Bereiche. Dieses Argument findet sich in abgewandelter Form auch bei anderen Predigern. Gott gefalle es, wenn sich Menschen für die Unfreien einsetzten123 , so Wiebering. Auch Jesus Christus habe sich den Menschen in ihrer Gesamtheit zugewendet124 . Weder dürfe man, so von Maltzahn, Politisches und Geistliches unverantwortlich vermischen, noch das Christund Bürgersein säuberlich trennen.125 Dass die Machthaber der DDR Verantwortung für ihre politischen Fehler übernehmen mögen, wird vor allem im November in den Predigten gefordert.126 . In den Wochen um Volkskammer- und Kommunalwahl wird dann besonders die Verantwortung jedes einzelnen Bürgers betont. „Wendehälse“127 und „Gewissenlose“128 , die sich nicht ihren Fehlern stellen, werden kritisiert. Der unerwartete Fall der Mauer am 9. November 1989 wird am darauffolgenden Sonntag unterschiedlich bewertet. Dankbarkeit für die neuen Reisemöglichkeiten findet sich in allen drei untersuchten Predigten. Andreas Riemann und
119 120 121 122 123 124 125 126 127 128
Predigt am 27.8.1989, 1; Vgl. Timm, Predigt am 1.9.1989; Vgl. Wegener, Predigt am 10.9.1989; Vgl. ders., Predigt am 17.9.1989; Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 17.9.1989, 1; Vgl. Wegener, Predigt am 24.9.1989; Vgl. Burkhardt, Predigt am 24.9.1989; Vgl. Timm, Predigt am 8.10.1989; Vgl. Wegener, Predigt am 8.10.1989; Vgl. Springborn, Predigt am 8.10.1989, 1; Vgl. Haberecht, Predigt am 8.10.1989, 1; Vgl. Wiebering, Predigt am 15.10.1989; Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 15.10.1989, 1; Vgl. ders., Predigt am 15.10.1989, 1; Vgl. Wegener, Predigt am 29.10.1989; Vgl. von Maltzahn, Predigt am 29.10.1989. Lohse, Predigt am 18.6.1989, 3. Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 20.9.1989, 5. Vgl. Wiebering, Predigt am 20.8.1989, 2. Vgl. Lohse, Predigt am 15.10.1989, 1. Vgl. Wiebering, Predigt am 25.2.1990, 2. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 1.4.1990, 1. Vgl. ders., Predigt am 6.5.1990, 1. Z.B. Vgl. Wolter, Predigt am 5.11.1989; Vgl. Ohse, Predigt am 5.11.1989; Vgl. Kuessner, Predigt am 8.11.1989; Vgl. ders., Predigt am 23.11.1989. M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 8. Wolter, Predigt am 1.4.1990, 1.
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Burkhardt warnen davor, im Mauerfall selbst schon eine Wende zu sehen129 . Burkhardt fürchtet, es handele sich lediglich um Geschenke zur Beruhigung der Bürger130 , was der pommersche Pfarrer Ludwig Seyfarth eine Woche so zusammenfasst: „die vielen Trabis und Wartburgs auf den Straßen der Bundesrepublik verdrängen fast alle anderen Themen und anscheinend auch das weitere Denken“131 . Riemann äußert schon Sorge vor einer Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten132 , während ein älterer Amtsbruder, Winfried Wegener, in wahrer Hochstimmung über die Grenzöffnung predigt.133 Auch der gleichaltrige pommerscher Pfarrer Springborn erzählt euphorisch, wie er „in den Nachtstunden des 9. November ’89 fassungslos“134 dastand und kaum glauben konnte, was er im Fernsehen sah. Nach dem Streichen des Führungsanspruches der SED aus der DDR-Verfassung und mit Beginn der Stasi-Aufarbeitung Anfang Dezember votieren alle Prediger für Versöhnung statt Rache135 , ohne geschehenes Unrecht zu vergessen136 und sehen diesbezüglich die Christen in der DDR in der Verantwortung, entsprechend in die Gesellschaft hinein zu wirken137 . Mit Beginn des Jahres 1990 bestimmen zwei Themen die Predigten: Der Wahlkampf und die Frage nach der deutschen Einheit. Ende Januar wird erste Kritik laut an der BRD und an der D-Mark, die am Wahltag in der Spitzenaussage eines sozialismusaffinen Pastors gipfelt, die Basisdemokratie habe keine Chance mehr gegenüber der D-Mark.138 Eine schnelle deutsche Einheit wurde zunächst von fast allen skeptisch betrachtet, nach dem überraschend eindeutigen Wahlergebnis aber akzeptiert. Nun bedürfe es eines langen Atems für die bevorstehenden Herausforderungen, so von Maltzahn.139 Als die gemeinsame Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion von BRD und DDR eingeführt wurde, sah Lohse darin, 45 Jahre nach der durch den zweiten Weltkrieg verursachten deutschen Teilung, einen „entscheidende(n) Schritt“140 Richtung Einheit. Die im weitesten Sinne politischen Forderungen der Predigten blieben sich inhaltlich über den gesamten Zeitraum gleich: Immer wurde aufgerufen zum Bleiben, zu Wahrheit in Wort und Tat, politischem und persönlichem Schuldeingeständnis und anschließender Erneuerung. Ab Januar 1990 baten alle um einen echten und fairen Wahlkampf in einer lebendigen Demokratie und machten den 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140
Vgl. Riemann, Predigt am 12. 11.1989, 61; Vgl. Burkhardt, Predigt am 12.11.1989, 1. Vgl. ebd., 1. Seyfarth, Umkehr, 86. Vgl. Riemann, Predigt am 12. 11.1989, 61. Vgl. Wegener, Predigt am 12.11.1989, 1. Springborn, Predigt am 12.11.1989, 2. Z.B. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 10.12.1989, 1. Vgl. Wolter, Predigt am 24.12.1989, 3. Vgl. Ohse, Predigt am 17.12.1989, 2. Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 3. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 22.4.1990, 3. Lohse, Predigt am 1.7.1990, 1.
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langsam ermüdeten Menschen Mut zum Aufbruch, statt sich in die inzwischen von Einigen verklärte „gute alte Zeit“141 zurückzuziehen. Nach diesem kurzen Überblick werden nun einzelne Themen näher beleuchtet. Die mecklenburgischen und pommerschen Predigten werden dabei, soweit ein Themenkomplex in beiden vorkommt, nacheinander vorgestellt. Eine kausalchronologische Anordnung der Themen wird angestrebt. 2.4.2 (Tages-)politische Themen Beherrscht werden die Predigten von tagespolitischen Ereignissen, die jedoch stets in die christliche Verkündigung eingebunden werden. Ein solcher Bezug auf die historischen Rahmenbedingungen darf 1989/90 als für die Kanzelreden typisch gelten.142 Leben und Christsein in der DDR Leben und Christsein in der DDR beschäftigten viele Prediger im gesamten Untersuchungszeitraum. Vielfach werden Indoktrinierung und Benachteiligung von Christen kritisiert, zugleich aber auch der Beitrag der Kirchen gegen das System unter die Lupe genommen. „Jede Zeit hat ihre ganz spezifische Trostlosigkeit“, klagt 1982 Burkhardt. Die Kirche schaue zu, „wie unsere Schulkinder im Fach Wehrunterricht Feindbilder künstlich eingetrichtert bekommen“143 und tue nicht mehr, aber auch nicht weniger, als Friedensdekaden zu halten, zu diskutieren und für den Frieden zu beten. In den Predigten von 1988 klingt es bei dem noch jüngeren Pastor Gottfried Timm in Röbel ganz ähnlich. Er leide unter der „Not der Heimatlosigkeit“144 , kann sich nicht mit Staat und Gesellschaftsform der DDR identifizieren.145 Besonders junge Christen leiden darunter, so Timm zwei Wochen später, dass Lehrer über die Schüler lästern, die zu Christenlehre oder Konfirmandenunterricht gehen146 . Viele Menschen sprächen über Christen „ein Armutszeugnis aus. Wir sind rückständig, unmodern – bestenfalls noch anständige Leute.“147 Anfang 1989 beklagt Wegener „die Ablehnung, die dem Worte Gottes entgegengebracht wird“148 . Dagegen brauche es, so Timm, „mutige, tatkräftige Christen“149 . Zwei Monate später fordert er seine Gemeinde auf, mit der Ausrede aufzuhören, „wir können doch sowieso nichts machen und ihm unsere Hände zur Verfügung (zu) stellen.“150 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150
Von Maltzahn, Predigt am 11.2.1990, 1. Vgl. Fritz, Ethos, 224. Burkhardt, Predigt am 12.12.1982, 2. Timm, Predigt am 11.12.1988, 5. Vgl. ebd., 2. Vgl. ders., Predigt am 25.12.1988, 4. Ebd., 4. Wegener, Predigt am 19.2.1989, 2. Timm, Predigt am 14.5.1989, 5. Ders., Predigt am 16.7.1989, 4.
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Die Predigten
Ab Juni 1989 wird die Kritik an Staat und Erziehungswesen eindringlicher und konkreter in den Predigten. Während Margot Honecker noch davon rede, dass die Jugend „den Sozialismus mit der Waffe“ gegen den Imperialismus verteidigen müsse, würden ebendieser Jugend „die Ideale des gemeinsamen eruopäischen Zuhauses, [...] der Gewaltlosigkeit und Abrüstung“151 sträflicherweise vorenthalten. Leider finde sich solch ein Feinddenken nicht nur im Großen. Auch auf dem mecklenburgischen Land gebe es dies in Form von „Urlauberfeindlichkeit“. Aber, „was können die Urlauber dafür, daß es nichts zu kaufen gibt?“152 Der Keim der „in der DDR [...] tief verwurzelte(n) Ausländerfeindlichkeit“ liege im klar zu verurteilenden „Klassismus“ der DDR, „die BRD, als Gegner zu bezeichnen“153 , so Timm. Nach dem Mauerfall werden die Anklagen noch lauter und drastischer. Viele Menschen seien, so Wegener, zum zweiten Mal in ihrem Leben missbraucht worden und sagen wie schon 1945: „Wie konnte so etwas geschehen [...]!“154 Die jahrzehntelange „Gefangennahme von Millionen Menschen durch ein, die Menschenwürde verlästerndes und damit gotteslästerliches System“155 , sei nun endlich beendet, so Propst Schmidt am selben heiligen Abend. 1990 blicken vor allem zwei Pastoren in ihren Predigten häufig kritisch zurück auf 40 Jahre DDR. Schmidt, von Beginn an Verfechter der deutschen Einheit156 , beklagt im Januar, wie viele Menschen „durch die Machenschaften in Schule und Betrieb ihre geistliche Heimat verloren“157 hätten, weil, so spricht er einen Monat später, durch die Mächte der Finsternis „seit mehr als 40 Jahren systematisch versucht worden ist, das prophetische Wort wie ein Licht auszulöschen“158 . Nun müsse die „Zeche für die letzten 40 Jahre“ bezahlt werden. Wegener, in seiner politischen Einstellung ebenfalls national-konservativ, beschreibt die vergangene DDR im Januar 1990 ausgesprochen negativ als „Geschichte von willkürlichen Verhaftungen, politischen Morden, Überwachungen und Verbreitung von Schrecken und Angst“159 . Positiv betrachtet habe gerade diese „gemeinsame Not“160 die Menschen verbunden. Das Thema Kindererziehung in der DDR kommt bei unterschiedlichen mecklenburgischen Predigern immer wieder vor. Ganz allgemein bemängelt Timm die fehlende Zeit von arbeitenden Eltern für ihre Kinder.161 Der sehr viel ältere Superintendent Ohse fragt Ende 1989 klagend: „Wer hat die zwei, die drei jüngsten Generationen verführt, eingekerkert in Zwang und Angst, abgedrängt von Gott, 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161
Timm, Predigt am 18.6.1989, 7. Ebd., 8. Ders., Predigt am 1.9.1989, 6. Wegener, Predigt am 3.12.1989, 2. Schmidt, Predigt am 24.12.1989, 2. Schmidt war 1989 46 Jahre alt, seine Frau stammte jedoch aus der BRD. Unter der deutschen Teilung litt die Familie besonders seit dem Mauerbau. Schmidt, Predigt am 14.1.1990, 1. Ders., Predigt am 25.2.1990, 2. Wegener, Predigt am 21.1.1990, 1. Ders., Predigt am 28.10.1990, 2. Vgl. Timm, Predigt am 23.7.1989, 4f.
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eingezwängt in die Zwangsjacke der Gottlosigkeit?“162 Am selben Sonntag fordert der gleichaltrige Wegener neue Lehrpläne für die Schulen mit der Aufgabe, „die Kinder und die Jugend bekannt zu machen mit der Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen“163 . Dabei müsse, so Ohse, das für Christen faktisch geltende Berufsverbot für das Lehramt endlich aufgehoben werden.164 Christen waren eben in der DDR, fasst es Schmidt zusammen, keine gänzlich freien Menschen.165 Auch in den pommerschen Predigten geht es vielfach um das Verhältnis der Bürger und besonders der Christen zur DDR. Eine Eigenheit gegenüber den mecklenburgischen Predigten stellt dabei die Auseinandersetzung mit Honeckers Teilnahme an der Wiedereinweihung des Greifswalder Domes dar. Während lediglich ein mecklenburgischer Pastor, Gottfried Timm, dies überhaupt in seiner Predigt erwähnt und als „herausragendes Ereignis, das ein Zeichen der Hoffnung setzt“166 wertet, sprechen immerhin drei jüngere pommersche Pfarrer darüber, allerdings nur negativ. Die für viele ob Honeckers Anwesenheit beeindruckende Domeinweihung sei „bei aller guten Absicht“ eben doch „ein Alleingang des Bischofs“167 gewesen, beklagt ein junger Pfarrer nach der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Honecker und Bischof Gienke im Neuen Deutschland. Hoffnungen hätten beide Seiten, Staat und Kirche, in die Domeinweihung gesetzt, urteilt der Greifswalder Dompfarrer Puttkammer: „Sie haben sich nicht erfüllt.“168 Und ein dritter Pfarrer bringt den Festgottesdienst als Beispiel dafür, das auch Christen „stolz und ein wenig eitel“169 sein können. Allgemein sei das Leben in der DDR ein restriktives. „Wie verkrüppelt ist unsere Sprache, mit der wir seit Jahrzehnten und vom Kindergarten an das Zwiedenken pflegen?!“170 , beklagt Pfarrer Glöckner Ende April 1988. Daher sei „Glasnost“ in dieser „Welt der Verlogenheit, des Selbstbetruges und der Lüge [...] eine große Befreiung.“171 , predigt er in der Christvesper desselben Jahres. Als Bürger der DDR fühle man sich „wie ein unmündiges Kind behandelt“172 , beklagt Hinrich Kuessner Ende August 1989. Ein Bild, das auch andere Prediger aufgreifen. „ Sind wir nun mündige Bürger dieses Landes, oder sind wir kleine Kinder, die man an die Hand nehmen und vor allen eventuellen Gefahren behüten muß“, wundert sich Puttkammer einen Tag später. Wir alle seien doch „durch diese Schulen gegangen, lesen regelmäßig die Zeitungen dieses Landes, in Greifswald und Dresden kann man nur die DDR-Kanäle im Fernsehen empfangen – warum also traut 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172
Ohse, Predigt am 10.12.1989, 2. Wegener, Predigt am 10.12.1989, 3. Vgl. Ohse, Predigt am 8.10.1989, 3. Vgl. Schmidt, Predigt am 5.8.1990, 2. Timm, Predigt am 18.6.1989, 5. P/L/17-30/T, Predigt am 27.8.1989, 1. Puttkammer, Predigt am 18.10.1989, 1. P/L/31-40/E, Predigt am 30.9.1990, 6. Glöckner, Predigt im Friedensgottesdienst am 29.4.1988, 150. Ders., Christvesper 1988, 172. Kuessner, Predigt am 23.8.1989, 1.
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Die Predigten
man uns nicht zu, Fakten richtig einzuordnen?“173 Jetzt seien die Kinder, die Bürger „erwachsen geworden und haben selbst erkannt, was gut ist und was nicht. [...] Hier Freiraum zu gewähren, wäre jetzt wohl an der Zeit [...].“174 , fordert Springborn Anfang Oktober 1989. Dabei ist die Sprache interessant, zeigt sie doch im Bild der Kindererziehung, dass das vollwertige Bürgersein nicht etwa erkämpft, sondern gewährt werden muss. Die staatliche Abhängigkeit kommt, wohl ungewollt, noch im Akt der Befreiung zum Ausdruck. Die Proteste um die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR herum werden in zwei pommerschen Predigten diametral entgegengesetzt bewertet. Während Hans-Georg Haberecht bedauernd feststellt, dass der Staat die dadurch zutage tretenden Spannungen in der Gesellschaft einfach ignoriere175 , kritisiert Puttkammer die Demonstrationen und Proteste scharf. Geburtstagsfeiern seien Höhepunkte im Leben, die einfach schön sein sollten. „Wenn da jemand käme und uns vor unseren Gästen madig machte, wäre wahrscheinlich jeder von uns böse und traurig. [...] Da feiert ein Land seinen 40. Geburtstag und dieses Land hat es auch im Urteil der westlichen Medien schwerer gehabt als der andere deutsche Staat. Da war kein Marshallplan hier. [...] Da musste ein Land wieder bei Null anfangen. Und es hat es geschafft [...] Und die Geburtstagsfeier sollte man dem Land lassen.“176
Als Christ zu leben in der DDR, das bedeute, Bürger zweiter Klasse zu sein. Zwar sei „wiederholt versichert und garantiert worden, dass Christen gleichberechtigte Bürger im Sozialismus sind.“ Mehr als gleichberechtigt aber seien die Mitglieder der SED. „Wenn wir zu ihnen gehören wollten, müssten wir aus der Kirche austreten.“177 , moniert Glöckner Ende April 1988. Wegen seines Glaubens sei man „belächelt oder angefeindet“178 worden, hält ein Pfarrer Rückblick. Doch gerade diese Christen seien entgegen der Prognosen nicht verschwunden, sondern bildeten eine „gefährliche Masse“, die sich „seit knapp 2000 Jahren [...] nicht unterkriegen (lässt), das Evangelium weiterzuerzählen und versuchsweise vorzuleben“179 . Gerade dies, so ein älterer Kollege, sei eine der wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen Jahre, „daß christl(iche) Existenz in jeder Gesellschaftsord(nung) möglich ist.“180
173 174 175 176 177 178 179 180
Puttkammer, Predigt am 24.8.1989, 1. Springborn, Predigt am 8.10.1989, 6. Vgl. Haberecht, Predigt am 8.10.1989, 1. Puttkammer, Predigt am 9.10.1989, 1. Glöckner, Predigt im Friedensgottesdienst am 29.4.1988, 152. P/L/51-65/W, Predigt am 13.5.1990, 3. P/L/17-30/T, Predigt am 2.7.1989, 2. P/L/51-65/S, Predigt am 29.4.1990.
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Atheismus Die „anderen sogenannten Weltanschauungen und Erlösungsangebote[n]“ böten keinerlei Vorteil oder gar überzeugenden „Grund, es nicht lieber mit dem Gott der Bibel, dem Menschen Jesus von Nazareth zu versuchen“181 , predigt ein junger pommerscher Pfarrer im Dezember 1988. Konkret kritisiert Haberecht im Juli 1989 die marxistische Grundannahme, die Verhältnisse bestimmten das Bewusstsein. Dabei läge die Ursache für die Unzufriedenheit der Menschen in ihrer seelischen Armut.182 Stattdessen, so ein jüngerer Kollege, hätten die Leute falschen Götzen gedient, der Stasi, der Partei oder dem „wissenschaftlichen Sozialismus“ und würden sich auch nun schon wieder neuen Göttern wie „Macht und Geld im Kapitalismus, Westlern nur an (die) Brust werfen.“183 Arm sei die DDR, weil „nur noch die Macht“184 zählte, ergänzt ein älterer Amtsbruder. Sehr positiv predigt Puttkammer über seine Erfahrungen in der Zusammenarbeit von staatlichen und kirchlichen Stellen. Darüber sei man „zu Partnern, ja zu Freunden geworden.“ Statt, wie manche Pfarrer, alles negativ sehen zu wollen, solle man wie Jesus ohne Vorurteile auf die Menschen zugehen: „Mancher Nichtchrist kann uns da ein Vorbild sein. Der bisherige OB der Stadt Greifswald erzählte uns einmal, er habe noch gelernt, die Christen seien Gegner dieses Staates [...]. Erst nach und nach habe er begriffen, daß Christen Partner sein könnten. Sollte uns solch Umdenken nicht dazu bringen, ohne Vorurteile mit unseren staatlichen Partnern umzugehen, ihnen Gutes ohne Hintergedanken zuzutrauen [...]? Sie mit den Augen Christi sehen?“185 Bei der positiven Blickrichtung scheint er jedoch die Vorzeichen der Geschichte zu übersehen: Dass nämlich der OB in der sozialistischen Schule lernte, Christen als Staatsfeinde zu betrachten. Mit der atheistischen Weltanschauung der DDR wird sich auch in den mecklenburgischen Predigten oft auseinandergesetzt. Die Gründung des „Verbandes der Freidenker“ im Juni 1989 wird zwar mit einer gewissen Genugtuung darüber empfunden, dass „auch in einer vom wissenschaftlichen Materialismus geprägten Gesellschaft, [...], das Suchen nach einem letzten Halt neuerdings vorkommen darf “186 . Dennoch könne man die Suche nach Lebenssinn, so Ohse, eben gerade nicht gesellschaftlich oder parteilich reglementieren.187 . Dies sei, predigt er drei Monate später, nachgerade „die große Anfrage an den Atheismus und jede Weltanschauung: Lebt ihr nicht in der Illusion, daß Menschsein sich nur zwischen Mensch und Mensch abspielt? [...] Und so wird der Mensch sich selbst zum AbGott!“188 Diese Weltanschauung habe sich als unmenschlich erwiesen.189 Das sei 181 182 183 184 185 186 187 188 189
P/L/31-40/E, Predigt am 18.12.1988, 5. Vgl. Haberecht, Predigt am 16.7.1989, 1. P/S/41-50/O, Predigt Februar 1990, 1. P/L/51-65/W, Predigt am 4.3.1990, 2. Puttkammer, Predigt am 26.8.1989, 1. Burkhardt, Predigt am 11.6.1989, 1. Vgl. Ohse, Predigt am 9.7.1989, 3. Ders., Predigt am 8.10.1989, 3. Vgl. ders., Predigt am 10.12.1989, 3.
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Die Predigten
allerdings keine falsche Interpretation des Kommunismus, sondern dem System inhärent, erklärt Ohse Silvester 1989: „Die kommunistische Idee hat sich doch in einem Punkt geirrt: Im Menschen selbst!“190 Diese, schon im Begriff Atheismus festgeschriebene Gottfeindlichkeit des Kommunismus habe die Menschen ähnlich wie schon unter den Nazis irregeführt.191 Unter dem Deckmantel einer Ideologie herrschte, so Wegener, in Deutschland seit 1933 „die Religion der Macht. Sie wurde verkörpert und geschützt von (der) Gestapo im Dritten Reich und von der Staatssicherheit in den Jahren nach 1949!“192 Die Erleichterung über ein Ende von Diskriminierung und Ausgrenzung von Christen in der DDR ist in allen Predigten, vor allem denen von über 50-jährigen Pastoren, deutlich zu spüren. Bleiben oder Gehen Doch wie sollte der Einzelne auf die Lage im Land reagieren? Massenflucht193 und die Frage „Warum bleibe ich?“194 durchziehen die mecklenburgischen Predigten zwischen Juni 1989 und Mauerfall, allerdings mit unterschiedlicher Bewertung. Zwar plädieren alle Prediger dafür, in der DDR zu bleiben, aber hinsichtlich der Beurteilung der Weggegangenen driften die Meinungen auseinander. Auf der einen Seite herrschen vor allem Trauer195 ob des menschlichen Verlustes und Wut über die Unfähigkeit der eigenen Regierung. Bischof Stier erkennt in der Flucht Zehntausender das „erschreckende Ausmaß von Hoffnungslosigkeit“196 , Wegener versteht diejenigen, die einen neuen Anfang in der BRD versuchen wollen und widerspricht gängigen Klischees: „Es sind die wenigsten, die ihr Land verlassen haben, nur weil sie in dem anderen Land bessere Autos, mehr Bananen und bessere Reisemöglichkeiten vorfinden [...]. Die meisten derer, die unser Land verlassen haben und es noch immer tun, sind enttäuscht.“197 Einige Prediger drücken deutlich ihre Ablehnung aus, ohne jedoch die Weggehenden zu verurteilen: „Abhauen, alles einfach stehen und liegen lassen! Das ist auch keine wirklich gute Lösung, wenn auch keiner uns das Recht gibt, alle, die in den letzten Tagen und Wochen durch die halbwegs offenen Grenzen hindurchschlüpften, zu verurteilen.“198 Wenig Verständnis hingegen bringt Nath am 13. August 1989, dem 28. Jahrestag des Mauerbaus, für die Weggegangenen auf: „Sind es wirklich die Weitsichti-
190 191 192 193 194 195 196 197 198
Ohse, Predigt am 31.12.1989, 1. Vgl. Wegener, Predigt am 4.2.1990, 3. Ders., Predigt am 29.4.1990, 4. „Zehntausende suchen Zuflucht in der Flucht aus unserem Land.“ Timm, Predigt am 8.10.1989, 7. Wiebering, Predigt am 15.10.1989, 3. „Wir sagen, dass wir keinem aus dem Politbüro eine Träne nachweinen würden. Alle anderen aber fehlen uns überall, jeder und jede von ihnen.“ Wolter, Predigt am 5.11.1989, 1 Stier, Brief 11.10.1989, 1. Wegener, Predigt am 15.10.1989, 1. Burkhardt, Predigt am 24.9.1989, 2.
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gen, die da gehen? [...] Die soviel davon reden, was sich hier alles ändern müßte, die uns dann aber im Stich lassen [...].“199 Nach der Maueröffnung schwindet auch bei den übrigen Pastoren das Verständnis für das Verlassen der DDR. „Bleibt doch hier!“, ruft Pastor Riemann seiner Gemeinde am 12. November 1989 zu. Stattdessen ließen viele alles stehen und liegen, „ohne an die Kinder zu denken, die mitgeschleppt werden – oder die man hier im Stich läßt!“200 Echtes Glück seien doch Familie, Freunde und Heimat, nicht Reichtum.201 Traurig und selbstkritisch fragt von Maltzahn zum Jahresende 1990 sich und seine Rostocker St. Johannisgemeinde „was sie schuldig geblieben sind, damit alle es aushalten konnten“202 . Gehen oder Bleiben, die pommerschen Prediger plädieren ebenfalls alle für Veränderungen vor Ort statt einer Ausreise. Diese wird allerdings extrem unterschiedlich bewertet. Schon 1988 prangert Glöckner die an die Stelle von Zivilcourage getretene „Privatcourage“ an.203 Es sei „Mode geworden, der Stadt und dem Sozialismus den Rücken zu kehren [...].“204 Denselben Ton schlägt auch ein Kollege im gleichen Jahr deutlich an. Statt in den komfortablen Zug gen Westen zu steigen, solle Kirche sich mit den einfachen Menschen solidarisieren und sich in den „Personenzug mit Holzbänken“205 setzen. Denn: „Was nützt der schönste Komfortzug wenn er in die falsche Richtung fährt? [...], wenn es darin keine Geschwisterlichkeit mehr gibt.“206 Drei Monate später predigt derselbe Pfarrer über das Ausweichen vor Schwierigkeiten. Menschen nähmen Tabletten, „wechseln die Arbeit, die Freundschaft, die Ehe, das Land.“207 Stattdessen wäre es besser, standzuhalten und zu widerstehen, um auf Gott hin zu wachsen.208 Wiederum einen Monat später verwehrt er sich gegen die schnelle Aburteilung der Ausreiser. Weil viele selbst verunsichert seien, verurteilen sie die Gehenden vorschnell moralisch und behaupten, diese gingen aus rein materiellen Gründen. Aber: „Ist ihr Weggehen nicht ein Protest gegen das Sich-Abfinden mit der inneren Emigration [...] im schnuggelichen Einfamilienhaus? [...] Ist das nicht eine Unbescheidenheit, die wir bejahen müssen?“209 Dennoch stelle sich die Frage danach, was Heimat sei, umso dringlicher. Schließlich gebe es „zwei Staaten, die sich dt. nennen u. für dt. halten: Also: wir gehören zwei Teilen eines Ganzen an, […] von denen jeder leugnet, Teil 199 200
201 202 203
204 205 206 207 208 209
Nath, Predigt am 13.8.1989, 1. Riemann, Predigt am 12. 11.1989, 61; Vgl. auch das Lied von Gerhard Schöne „Die zurückgelassenen Kinder“, das diese „krumm (G)ehen(den) nach Gold“ und ihre vernachlässigten Kinder beschreibt. Vgl. Wiebering, Predigt am 25.2.1990, 3. Von Maltzahn, Predigt am 9.12.1990, 4. Biografische Anmerkung zu Glöckner: Er hat sein Theologiestudium in Hamburg beendet und ist danach freiwillig zurück in die DDR gegangen, um im atheistischen Staat das Evangelium zu verkünden. Glöckner, Predigt im Friedensgottesdienst am 29.4.1988, 149. P/S/41-50/O, Predigt Juni 1988, 1. Ebd., 3. Ders., Predigt am 26.9.1988, 3. Vgl. ebd., 8. Ders., Predigt Oktober 1988, 2.
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zu sein [...]. Das Ganze, nicht mehr vorhanden, ist somit zugleich halbiert und gedoppelt. [...] Der Zustand gilt als Provisorium, ist zugleich definitiv.“210 Voll Unverständnis spricht Puttkammer Ende August 1989 über die „ausreißenden DDR-Bürger von Ungarn nach Österreich“. Deren Davonlaufen vor den Schwierigkeiten im eigenen Land sei typisch für den heutigen Menschen, der schnell aufgebe. Entsprechend werde in der DDR auch jede zweite Ehe geschieden, der Beruf oder die politische Überzeugung oft gewechselt. Dabei sorgt sich der Prediger, „daß irgendwann die Grenze nach Ungarn geschlossen wird.“ Aus diesem Grunde wäre es „Rücksichtnahme auf andere – die hier bleiben und weiter nach Ungarn fahren wollen“211 , nicht illegal das Land zu verlassen. Für kleine Annehmlichkeiten sollte also auf größere Umstürze verzichtet werden, predigt er und redet damit der Abschreckungsmethode der SED nach dem Mund. Alle anderen pommerschen Pfarrer sind zwar traurig über die Flucht vieler Menschen, können aber auch Verständnis aufbringen. Wo man lebt und arbeitet gebe es für Christen eine Verantwortung. „Das heißt nicht, daß man nicht umziehen darf.“ Aber man müsse selbstkritisch prüfen, inwiefern die Gründe dafür „egoistische seien und ob es unaufgebbare Aufgaben“212 gebe, die einen an seinem Platz halten. Schuld an der Ausreise so vieler habe die DDR selbst, Politiker schweigen.213 Wut klingt bei demselben Pfarrer drei Wochen später an. Die Lage in der DDR sei ein „Paradebeispiel dafür [...], wie blind vermeintlich Sehende sind – ob es nun die Politiker sind, oder die, die aus unserem Land abhauen.“214 Einen Monat später sucht er die Ursache dafür, dass die Jugend „plötzlich massenweise aus der DDR verschwand“. Es liege an der Saat, „die wir Eltern gesät haben“, indem wir „die Erziehung anderen“215 überließen. Interessanterweise lehnt ein älterer pommerscher Pfarrer dennoch eine Wiedereinführung des schulischen Religionsunterrichts ab.216 Glauben könne man nicht „durch ein paar Lehrsätze“217 lernen. Die oftmals kleine Christenlehregruppe solle nicht ersetzt werden.218 „Hin und her gerissen“ sei er, gibt Springborn am 8. Oktober 1989 zu. Die einen sähen in den Ausreisern Flüchtlinge, die anderen sprächen „von Vaterlandsverrätern“. „ND“ stände nun nicht mehr für „Neues Deutschland“, sondern für 210 211 212 213 214 215 216
217 218
P/S/41-50/O, Predigt Oktober 1988, 4. Puttkammer, Predigt am 22.8.1989. Kuessner, Predigt am 23.8.1989, 1. Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 27.8.1989, 2. Ders., Predigt am 17.9.1989, 2. Ders., Predigt am 15.10.1989, 2. Am 13. Juli 1990 sprach sich die Leitung der ELLM für das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf Religionsunterricht an öffentlichen Schulen aus, betonte aber gleichzeitig, „derzeit nicht in der Lage“ zu sein, einen solchen „in eigener Verantwortung zu leisten.“ (O.A.d.H., Chronik, 170) Am 17.9.1990 plante die mecklenburgische Kirchenleitung die Einführung desselben ab Herbst 1991. (Vgl. ders., Chronik, 211) Ab 1992 war Religionsunterricht ordentliches Schulfach in Mecklenburg-Vorpommern, wurde aber nicht einmal ansatzweise flächendeckend angeboten. (Vgl. Bizeul / Werz, Kirchen, 197). P/L/51-65/W, Predigt am 17.6.1990, 2. Vgl. ebd., 3.
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„Na du, noch da?“, laute ein Witz. Auf der einen Seite solle man „die Menschen ziehen (lassen), die sind innerlich sowieso schon längst ausgereist. Und andererseits überfällt mich eine große Traurigkeit über den Verlust […].“219 Einen Monat später hofft er auf die Erfüllung des Traumes: „Stell dir vor: es ist Sozialismus und keiner geht weg.“220 Entsprechend der politischen Linie des BEK und der Landeskirchen plädieren also alle mecklenburgischen und pommerschen Pastoren unabhängig ihres Alters dafür, in der DDR zu bleiben. Regina Fritz bewertet dies treffend: „Damit richten sich die Predigten womöglich gegen einen Teil der Hörerschaft und konterkarieren deren Ethos.“221 Sozialismus Entsprechend der generellen protestantischen Sozialismusaffinität im Deutschland der 1980er Jahre222 ist das Verhältnis zum „real existierenden Sozialismus“ in pommerschen Predigten ambivalent. In Glöckners Predigt vom April 1988 wird dies deutlich. So spricht er, selbst Abgeordneter der CDU im Stadtparlament, einerseits davon, dass die Stadt Greifswald zwar nicht vom Krieg zerstört wurde, „heute aber ist sie äußerst schwer angeschlagen und in vielen Teilen verloren in der Zeit des Sozialismus.“ Dennoch sei es eine zu würdigende Leistung, „im Sozialismus die neue Stadt Greifswald“223 aufzubauen. Entsprechend der offiziellen Losung zum ersten Mai „Unser sozialistisches Vaterland – Heimstadt für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“224 könnten auch Christen „den Sozialismus und seine vielen guten Ansätze unterstützen und stärken und gegen die neuen Ungerechtigkeiten streiten.“225 Ausschließlich kritisch hingegen beurteilt Kuessner den Sozialismus im August 1989. In der Schule werde dieser zwar „oft als das Himmelreich auf Erden dargestellt“, im Alltag könne man davon aber nichts spüren: „Überall wird man bevormundet [...].“226 Ein jüngerer Kollege kritisiert den existierenden Sozialismus in der DDR und fordert: „wir müssen endlich Sozialismus machen.“227 Positiv benutzen auch einige, meist jüngere mecklenburgische Pastoren den Begriff „Sozialismus“. Eine Ursache dafür, weshalb viele junge Menschen einen Ausreiseantrag stellten, sei deren „völlig falsche(r) Begriff vom Sozialismus“ bemerkt im August 1989 Prediger Timm.228 219 220 221 222 223 224 225 226 227 228
Springborn, Predigt am 8.10.1989, 2. Ders., Predigt am 5.11.1989, 3. Fritz, Ethos, 234. Vgl. die Ausführungen hierzu in den Abschnitten dieses Kapitels Abschnitt 2.4.2 und Abschnitt 3.5.2. Glöckner, Predigt im Friedensgottesdienst am 29.4.1988, 148. Ebd., 160. Ebd., 154. Kuessner, Predigt am 23.8.1989, 1. P/S/31-40/U, Predigt am 29.10.1989, 23. Vgl. Timm, Predigt am 6.8.1989, 3.
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Die Predigten
Vor allem die dem linken Spektrum zuzuordnenden Pastoren, alle unter 50 Jahre alt, benutzen den Begriff „Sozialismus“ wertschätzend. Am Tag des Mauerbaus formuliert ein Prediger Kritik an Ost und West gleichermaßen: „Wenn wir gegenwärtig – vielleicht auch schmerzlich – empfinden, daß die sozialistische Gesellschaft nicht oder noch nicht die nötige Alternative geworden ist zu den Weltungerechtigkeiten; […] dann ist das nicht nur das fragwürdige Ergebnis östlicher Politik, sondern auch der ebenso fragliche ‚Erfolg‘ einer westlichen.“229 Nach dem Mauerfall äußert ein anderer Pastor die Sorge, dass die vielen in die BRD reisenden DDR-Bürger nur „als Zeugen eines abgewirtschafteten Sozialismus, also einer Gesellschaftsform, deren Karikatur wir nur erlebt haben“230 auftreten, statt aus einem sich erneuernden Land. Diese Karikatur war in seinen Augen kein Sozialismus, sondern eine „Zeit der stalinistischen Diktatur“231 . Stattdessen wirbt er weiterhin für den Begriff des (Sozialismus) als „Substantiv von ‚sozial‘: die ganze menschliche Gesellschaft soll menschenwürdig leben können!“232 . Dagegen verwenden ältere Pastoren den Begriff ausschließlich negativ 233 und im Nachhinein bekennt einer, bei der Bitte um Erlösung vom Bösen „in Gedanken dorbi 234 an den Sozialismus“235 gedacht zu haben. Stasi und SED/ PDS Die Bespitzelung durch die Staatssicherheit wird vor dem 4. Dezember 1989 in mecklenburgischen Predigten nur vereinzelt thematisiert. Am 11. Juni 1989, dem Tag der Greifswalder Domeinweihung, vergleicht Burkhardt den Zöllner Zachäus mit „einem stadtbekannten geheimen Mitarbeiter der Staatssicherheit“236 . Würde Jesus heute dort einkehren, statt in der evangelischen, katholischen oder methodistischen Kirche des Ortes, wäre die Empörung unter den Christen wohl nicht minder groß. Nach der Stasi-Versiegelung Anfang Dezember plädieren viele Prediger für Versöhnung zwischen Opfern und Tätern. Mit irdischen Maßstäben gemessen, fühle es sich zwar ungerecht an, „daß so mancher Funktionär und Angehöriger der Stasi davon gekommen ist.“237 Aber, so Wegener acht Monate später: „Ob uns damit geholfen wäre, daß wir Rache üben?“ Als höchst problematisch wird ange-
229 230 231 232 233
234 235 236 237
M/S/41-50/N, Predigt am 13.8.1989, 3f. M/S/41-50/E, Predigt am 19.11.1989, 1. Ders., Predigt am 28.1.1990, 1. Ebd., 3. „Das Kartenhaus des in der DDR real existierenden Sozialismus ist zusammengebrochen, weil es aus Lüge, Gewalt, Unrecht, Heuchelei, Speichelleckerei und Angst errichtet war.“ Nath, Predigt am 19.11.1989, 4. Das Wort „dorbi“ ist plattdeutsch und bedeutet „dabei“. Nath, Predigt am 27.5.1990, 2. Burkhardt, Predigt am 11.6.1989, 2. Wegener, Predigt am 11.2.1990, 4.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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sehen, dass weiterhin alte Stasi-Leute und Parteifunktionäre als Lehrer238 beschäftigt werden.239 Doch warum wurden Menschen zu Spitzeln? Schmidt sieht dafür rein egoistische Gründe der IMs. „Aus Furcht, im Leben etwas zu verpassen“, hätten diese Menschen sich und andere zu „geistigen Gewalttätern deformiert“240 . Von Vergebung oder gar Verständnis ist hier nichts zu spüren. Weihnachten 1989 beklagt er weiter, dass die SED noch immer um Vertrauen werbe. Dies zeige, dass sie trotz Verfassungsänderung weiterhin ihrem „alleinseligmachenden Absolutheitsanspruch“241 folge. Und auch im Sommer 1990 würden die gestürzten Funktionäre nicht sehen, dass sie selbst sich zwar frei fühlten in der DDR, anderen aber Unfreiheit brachten, klagt Schmidt.242 Damit bringt er SED und Stasi in einen unauflösbaren Zusammenhang. Pommersche Pfarrer sehen die Rolle von SED und Stasi ähnlich. SED-Mitglieder seien, so Glöckner im April 1988, „mehr als gleichberechtigt“243 in der DDR. Eine Mitgliedschaft für Christen sei unmöglich. Besonders vehement setzt sich Springborn für einen fairen Umgang mit den Genossen ein. Schon Ende Oktober 1989 mutmaßt er, ob Christen vielleicht schon bald für ausgegrenzte und diskriminierte SED-Mitglieder eintreten müssten.244 Und Heiligabend 1989 warnt er vor blindem und blind machendem Hass. Dabei nennt er in einem Atemzug Mitarbeiter der Stasi, Funktionäre der SED und Volkspolizisten - die drei das Böse vertretenden Gruppen aus Sicht vieler DDR-Bürger.245 Unter diesen drei fungiert die Stasi als das schlimmste Übel des SED-Staates. Dessen alter Machtapparat gehöre nun zerschlagen, nicht aber die Menschen. Kuessner nennt sowohl die Bespitzelten als auch die IMs erpresste Menschen, „die unter der Stasi gelitten haben [...]. “246 Nun dürfe kein Volksgerichtshof eröffnet werden. Weihnachten kritisiert ein anderer die vielen gerüchteweise gestreuten Anschuldigungen über IMs.247 Ein ganzes Jahr später sind jene „Stasi-Vorwürfe und Verdächtigungen gegen Politiker und Nachbarn“248 noch immer ein Thema. Für die Zukunft aber wünscht Superintendent Wackwitz sich und dem Stadtparlament Greifswald eine neue Stadt, ohne „Ruinen, ohne Furcht vor der Stasi“249 , sprich: Ohne baulichen und menschlichen Verfall.
238 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248 249
Vgl. die Vorgänge um den Rücktritt des Rostocker OB Schleiff Abschnitt 1.1. Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 8. Schmidt, Predigt am 12.4.1990, 2. Ders., Predigt am 24.12.1989, 2. Ders., Predigt am 5.8.1990, 1. Glöckner, Predigt im Friedensgottesdienst am 29.4.1988, 152. Springborn, Predigt am 22.10.1989, 5. Vgl. ders., Predigt am 24.12.1989, 2. Kuessner, Predigt am 23.11.1989, 34. Vgl. P/L/51-65/C, Predigt am 24.12.1989, 3. P/L/31-40/E, Predigt am 31.12.1990, 1b. Wackwitz, Geist, 194.
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Die Predigten
Die Mauer Die Mauer, der Grund, warum viele Menschen fliehen mussten, statt einfach umziehen zu können, wird in den Predigten bis zum Mauerfall vereinzelt thematisiert. Am 28. Jahrestag des Mauerbaus spricht ein linksliberaler Pastor von einem „schmerzlichen Anachronismus“. So habe die Mauer der DDR „zeitweilig zu einer gewissen wirtschaftlichen Stabilität verholfen, dann hat sie doch auch das Bewußtsein vieler verkrüppelt“. Schuld an der unüberwindlichen Grenze hätten jedoch beide deutschen Staaten: „Wir werden nüchtern erkennen können, daß zwar nur die eine Seite den Beton zu dem Bauwerk geliefert hat, aber beide Seiten den Stoff zu dem politischen Boden, auf dem es steht.“250 Auch metaphorisch wird das Bild der Mauer von Wolter, für die Zuhörer damals nur allzu gut verständlich, verwendet. Man habe die Erfahrung gemacht, dass man „von Mauern eingeschlossen sein kann und gerade innerhalb von Mauern ein Ausgeschlossener ist“251 . Nach dem Mauerfall, dieser „Generalamnestie für 17 Millionen DDR Bürger“252 , äußert Burkhardt Sorge darüber, ob die neue Reisefreiheit nur als Beruhigungsmittel dient, „damit das Volk den Mund hält [...], weil Ruhe ja angeblich die erste Bürgerpflicht ist.“253 Die Mauer wird gleichzeitig bei Nath zum Symbol für das Vergangene und Erreichte: „Un as verleden Johr dei Muer upmaakt würd, dun wier dat för uns jüst so, as wenn dat’n Droom wier.“254 Die Demonstrationen Das Hauptmittel der politischen Wende, die Demonstrationen, erhielt weder seitens der Kirchenleitungen255 und Pastoren, noch bei allen Gemeindegliedern von Anfang an Unterstützung. Die Kirchenzeitung „Die Kirche“ (DK) veröffentlichte Anfang Oktober 1989 die von Bischof Gottfried Forck in einer Fürbittandacht in der Berliner Gethsemanekirche vorgetragen Bitten. Superintendent Wackwitz verlas diese in seiner Predigt am 15. Oktober 1989. Darin heißt es bezüglich der Demonstrationen: „Die beunruhigten Menschen unseres Landes bitten wir dringend, jetzt von nicht genehmigten Demonstrationen auf den Straßen abzusehen [...].“256 Vorsicht lautet die Devise von der Kanzel, während sich in weiten Teilen 250 251 252 253 254 255
256
M/S/41-50/N, Predigt am 13.8.1989, 3. Wolter, Predigt am 1.4.1990, 1. Springborn, Predigt am 24.12.1989, 1. Burkhardt, Predigt am 12.11.1989, 1. Nath, Predigt am 27.5.1990, 2. Übersetzung ins Hochdeutsche: Und als letztes Jahr die Mauer geöffnet wurde, da war das für uns fast so, als ob es ein Traum wäre. Anfang Juni 1989 äußerte sich die KKL zum Unmut in der Bevölkerung über aufgedeckte Unregelmäßigkeiten bei den Volkskammerwahlen am 7.5.1989. Die KKL brachte der Bevölkerung zwar Verständnis entgegen, betonte aber zugleich: „Übertriebene Aktionen und Demonstrationen sind kein Mittel der Kirche. Auch der Einsatz für Wahrheit und Wahrhaftigkeit muß in der Liebe geschehen.“ Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Meinungsbildung, 388. Dagegen wandte sich Falcke. Demonstrationen könnten sehr wohl Mittel der Kirche sei, sofern sie gewaltfrei verliefen. Zitiert in: Rein, Revolution, 144. Vgl. Wackwitz, Predigt am 15.10.1989, 6f.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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der DDR schon Demonstrationszüge im Anschluss an Friedensgebete bildeten, in größerem Umfang im Norden der DDR einen Tag später, am 16. Oktober 1989 in Waren. Und auch in Greifswald begannen die wöchentlichen Demonstrationen spontan ab dem 18. Oktober 1989 nach dem ersten Greifswalder Friedensgebet im Dom St. Nikolai. Drei Tage nach der zweiten Demonstration, am 26. Oktober 1989 in Rostock im Anschluss an eine Donnerstagsandacht, wirbt von Maltzahn in seiner bürgerlich geprägten Gemeinde für Verständnis: „Selbst die Demonstrationen wird man verstehen müssen – nicht als umstürzlerische Bosheit, sondern als eine Form, sich auszudrücken. Es wäre gut, wenn manches gestandene Gemeindeglied dabei wäre, wenn die Unbesonnenen Besonnene an der Seite haben.“257 Am selben Tag erklärt Wegener, alles bisher Erreichte sei durch die Ausreiser und Demonstranten gemeinsam bewirkt worden.258 Welchen Stellenwert die Demonstrationen im allgemeinen Bewusstsein einnehmen, zeigen zwei Weihnachtspredigten 1989: Jetzt sei die Zeit, so Wolter, um sich von Demonstrationen und Menschenketten aufzuwärmen259 , ja, für manche, so Lohse, sei die Frage nach der nächsten Demonstration wichtiger als Weihnachten260 .Im Rückblick sind sich die Prediger einig, dass unter den friedlichen Massendemonstrationen „Berge von Macht, […] Angst und Zurückhaltung“261 abgetragen wurden. Dasselbe Meinungsspektrum zeigt sich in den pommerschen Predigten. Nach der Berliner Rosa-Luxemburg-Demonstration am 17. Januar 1988 fand ein junger Pfarrer Anfang Februar 1988 klare Worte in Anlehnung an Bertolt Brechts „Flüchtlingsgespräche“. Er fragt: „Kalle, Kalle, was sollen wir armen Menschen machen? […] Die Leistungen des gemeinen Mannes werden immer gigantischer: Um an einer öffentlichen Demonstration teilzunehmen, braucht es die Selbstentsagung eines Buddhas […] Um Probleme in unserem Land zu benennen und nicht als Feind verdächtigt zu werden, ist eine Intelligenz nötig, mit der man zu anderen Zeiten ein unsterbliches Werk hätte schaffen können. […] Wer wagt jetzt noch den Mund aufzumachen, ohne ein Held oder Antragsteller zu sein? [...] Wer hat nur ein Interesse an der Entmutigung der Verantwortungsbereiten? […] Mensch, Kalle, ich bin kein Held oder Märtyrer! [...] Ich möchte nicht nur in vorbereitete Initiativen einstimmen, sondern mit anderen überlegen, wie es besser gehen kann in unserem Land und auf dieser Welt. Mensch, Kalle, wo soll ich da bloß hin?“262
Anfang Oktober 1989 gesteht Springborn seine Unsicherheit, was er antworten solle, „wenn junge Menschen auf der Straße mich ansprechen und sagen: am liebsten 257 258 259 260 261 262
Von Maltzahn, Predigt am 29.10.1989, 3. Vgl. Wegener, Predigt am 29.10.1989, 1. Wolter, Predigt am 24.12.1989, 1. Lohse, Predigt am 24.12.1989, 2. Ders., Predigt am 25.3.1990, 3. P/S/41-50/O, Predigt am 1.2.1988, 1f.
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Die Predigten
würde ich mit einem Plakat losgehen und meinen Zorn herausschreien“263 . Einen Monat später beschreibt er die Riesendemonstration am 4. November 1989 in Berlin als derart einmaliges Ereignis in der Geschichte der DDR, „daß viele den Atem angehalten haben werden und sich fragten: wie ist das möglich? [...] und alles wird original übertragen von Rundfunk und Fernsehen.“264 Schon eine Woche zuvor fordert ein junger Pfarrer seine Gemeinde implizit zum Demonstrieren auf: „Ich glaube an Gott“ und „wir können doch nichts tun“ paßt nicht zusammen!265 Die Revolution Schon im Juli 1989 spricht der vielfach christozentrisch predigende, mecklenburgische Pastor Ohse, von der „stillen Revolution“ Jesu Christi, von einer „sanfte(n) Revolution“266 . Und im Dezember 1989 zieht er das Fazit: „Haben wir nicht alle in diesen letzten Wochen mit Staunen erlebt, welch eine hohe Verantwortung uns als Kirche zugemutet und getraut wird, damit die Revolution im Geist Jesu Christi läuft?“267 Am Sonntag vor dem Reformationstag 1989 zieht Sadewasser historische Parallelen zwischen der Reformation und der aktuellen Situation. Auch damals sei das Volk in die Kirchen geströmt, „hörte auf die Predigten der evangelischen Pastoren und sang die neuen reformatorischen Lieder.“268 Besonders betont er das (in der DDR gegenüber Luther bevorzugte) reformatorische Wirken Thomas Müntzers, der sich der sozialen Fragen gestellt habe. Das Wirken der Kirchen im Herbst 1989 bekommt damit in ihrer kirchengeschichtlichen Verortung eine neue, theologische Qualität. Es sei geradezu unglaublich, „in Jesus Christus die stille Revolution Gottes zu erkennen“269 im vergangenen Herbst, lautet die Weihnachtsbotschaft Schmidts 1989. Dass diese Revolution maßgeblich in evangelischen Kirchen ihren Ausgangspunkt fand, ist für einen gleichaltrigen Amtsbruder logisches Erbe der Reformation. Der Herbst 1989 sei, stimmt ihm Wegener am Reformationstag 1990 zu, „nichts anderes [... ], als der Fortgang der wechselvollen Geschichte der Reformation, die J(esus) C(hristus) in Jerusalem begonnen hat.“270 Dies sei auch nicht einfach eine Wende. „Wende ist gar kein Wort für das, was Gott will! Er will die Abkehr von aller Ungerechtigkeit und Gewalt [...].“271 Wegener spielt in vielen seiner Predigten mit dem Wort „Wende“. Eine „Wende vom Alten zum Neuen“272 sei in Gang gekommen. Dennoch sei „die eigentliche Wende 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272
Springborn, Predigt am 8.10.1989, 2. Ders., Predigt am 5.11.1989, 1. Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 29.10.1989, 2f. Ohse, Predigt am 16.7.1989, 2. Ders., Predigt am 17.12.1989, 2. Sadewasser, Predigt am 29.10./31.10.1989, 2. Schmidt, Predigt am 24.12.1989, 1. Wegener, Predigt am 31.10.1990, 2. Ebd., 2. Ders., Predigt am 11.3.1990, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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[...] Gottes Hinwendung zu uns!“273 Gott wolle „nicht allein die Wende des Halses, sd. die Wende des Herzens“274 , also gerade „nicht die Rückkehr zum Alten, sd. die Hinwendung zum Neuen!“275 Äußere Änderungen müssten innerliche Folgen zeitigen im Sinne einer „Wende der prophetischen Predigt [...]: ‚Laßt ab vom Bösen!‘“276 Ende Oktober taucht das Thema „Wende“ auch in pommerschen Predigten auf. „Dieselben Leute, die gestern noch gutgeheißen haben, daß so etwas277 geschehen konnte, werden uns nun als die verkauft, die die ‚große Wende‘ vollziehen“278 , beklagt ein junger Pfarrer. Positiv reformatorisch verwendet Sadewasser das Wort am selben Tag. Wie auch zur Zeit Luthers wolle Gott heute erneut eine Wende bewirken.279 Jetzt, so ein junger Kollege am selben Sonntag, herrsche „Oktoberfrühling in unserem Land“280 , gekennzeichnet durch eine „gewaltige Sehnsucht nach Freiheit [...], nach Demokratie, nach Erlösung.“281 Nicht die SED habe, wie sie behauptet, die Wende eingeleitet, sondern die „Hunderttausend DDR Bürger, die mit den Füßen gegen ihren Staat abgestimmt haben […].“282 Zwei Pfarrer formulieren ihre Kritik am Wendebegriff in Bildern. Springborn sieht in dem Wort „eher eine Pendeltür“283 , fest in den Angeln hängend. Seyfarth hört dabei „immer noch eine gewisse Kontinuität zum Alten: der Anzug bleibt der gleiche, er ist nur gewendet.“284 Daher nutzen die pommerschen Pfarrer wie auch ihre mecklenburgischen Kollegen lieber den biblischen Begriff „Umkehr“ als Gegenstück zu einer rein äußerlich vollzogenen Wende. Man müsse, betont Wackwitz am 1. Juli 1990, „unterscheiden zwischen einer echten Umkehr und ganz normalen ‚Wendehälsen‘.“285 Diese Umkehr aber, beklagt ein junger Dorfpfarrer zu Silvester 1990, stehe uns allen noch bevor. Lediglich die Verhältnisse hätten sich geändert, die Menschen kaum. So betet er: „Herr Gott, beschere uns noch einen zweiten Herbst ’89“286 .
273 274 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285 286
Ders., Predigt am 3.6.1990, 2. Ders., Predigt am 1.7.1990, 3. Ebd., 4. Ders., Predigt am 21.11.1990, 4. Gewalt gegen Demonstranten in Berlin. P/L/17-30/T, Predigt am 29.10.1989, 1f. Sadewasser, Predigt am 29.10./31.10.1989, 2f. P/S/31-40/U, Predigt am 29.10.1989, 22. Ebd., 23. Springborn, Predigt am 5.11.1989, 1f. Ebd., 2. Seyfarth, Umkehr, 84. Wackwitz, Predigt am 1.7.1990, 2f. P/L/31-40/E, Predigt am 31.12.1990, 2b.
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Die Predigten
Der Blick in die Welt Bei aller Freude über die revolutionären Veränderungen in Deutschland dürfe jedoch der Rest der Welt nicht vergessen werden. Diesen Blick auf die Armen der Welt werfen alle Prediger, mecklenburgische wie pommersche.287 So sehr die Tagespolitik auch die Predigten beherrscht, vergessen die Pastoren nicht die Entrechteten anderer Nationen. Ihre Freude über die eigene Freiheit wird Weihnachten 1989 getrübt durch die Leiden des rumänischen Volkes, „die durchaus auch die unseren hätten sein können“288 . Stark rückt ein jüngerer mecklenburgischer Pastor die Lage ärmerer Völker in den Mittelpunkt seiner Predigten. Dabei bindet er die Not stets zurück an ihre „objektiv [...] unbestreitbar“ wirtschaftliche Ursache: „daß die Länder Ost- und Westeuropas hineinverstrickt sind in das globale Unrechtsgeschehen, das jährlich zig Millionen Hungertote fordert!“289 . Radikal predigt er daher gegen das „brutale Konzept der sogenannten freien Marktwirtschaft“290 , die weltweit das Unglück der Armen mit sich bringe. Geradezu appellativ zitiert er einen Christen aus Zaire/ Afrika: „Wenn ihr den Sozialismus aufgebt, verratet ihr uns!“291 . Die Menschen in der „dritten Welt“ hoffen auf eine Alternative zur freien Marktwirtschaft und sehen sie in der DDR verwirklicht. Ihnen seien die Bürger der DDR bei den anstehenden Wahlen verpflichtet. Freie Wahlen Freie Wahlen waren eine der Hauptforderungen der Bürger, so auch in den mecklenburgischen und pommerschen Predigten. Da es solche in der DDR nicht gibt, ruft Timm im April 1989 ganz konkret zum Wahlboykott auf, zur Wahl „zwischen Teilnahme und Nichtteilnahme.“ Nicht das unabänderliche Wahlergebnis in einer Diktatur sei wichtig, „sondern die Haltung, in der ich etwas tue“.292 Nach dem Fall der Mauer wächst die Hoffnung auf freie Wahlen. „Sollte das wirklich möglich sein [...]?“293 , fragt Burkhardt schon drei Tage nach der Grenzöffnung. „Nur freie Wahlen können […] echte Erneuerung bewirken.“294 , erklärt
287
288 289 290 291 292 293 294
Dass besonders der Hunger in der „Dritten Welt“ auch in westdeutschen Predigten oft angesprochen wurde, arbeitete Christiane Burbach in ihrer 1989 eingereichten Dissertation heraus. Darin untersuchte sie 200 Predigten aus der BRD, gehalten zwischen 1949 und 1987. Dabei stellte sie fest: „Diese gesellschaftlichen Probleme werden so thematisiert, daß sie in kontradiktorischer, konträrer und antithetischer Opposition zu der religiösen und biblischen Wahrheit stehen.“ Politik sei der Kontrapart zur Religion. Aufgrund einer fehlenden geschichtstheologischen Perspektive, überwiege die Tendenz, „das Verhältnis von Politik und Religion [...] im Ansatz als dualistisch darzustellen.“Burbach, Argumentation, 78. Wolter, Predigt am 24.12.1989, 2. M/S/41-50/E, Predigt am 21.1.1990, 12. Ders., Predigt am 28.1.1990, 11. Ebd., 16f. Timm, Predigt am 9.4.1989, 9. Burkhardt, Predigt am 12.11.1989, 1. Nath, Predigt am 19.11.1989, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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Nath eine Woche später, weshalb der Druck auf die Regierung nicht zurückgehen dürfe. Gleichzeitig mit der Vorfreude auf demokratische Rechte kommt die Sorge vor einem ideologischen Wahlkampf. Wenn dieser erst richtig beginnt, werden sich die „verschiedenen Ideologien auch noch gegenseitig verteufeln, wie das jetzt schon im Ansatz zu spüren ist.“295 , befürchtet Burkhardt am Heiligabend 1989. Mit Einsetzen des Wahlkampfes ab Januar 1990 kommt das Thema bei von Maltzahn prominent in acht von zwölf Predigten vor. Zum Jahresbeginn wirbt er für einen würdigen Wahlkampf frei von Verunglimpfungen.296 . Ein Wunsch, den Wieberung teilt, in der Hoffnung, dass durch den hohen Anteil an Christen im Wahlkampf jener nicht in Verleumdungen und gegenseitige Schuldzuweisungen ausarte.297 Stattdessen solle sich jeder vor Ort aktiv gegen Pauschalurteile und Verurteilungen wehren und die Wahlkämpfe wachen Gewissens verfolgen.298 Am Tag der Volkskammerwahl sieht Wegener „allen Grund, heute am Wahltag 18. März 1990 einen Dankgottesdienst zu feiern“299 . Von Maltzahn spricht von einem „Tag schicksalhafter Bedeutung“, der zeigen wird, „ob die Bürger dieses Landes wieder Vertrauen in die Zukunft hier fassen“300 . Er warnt vor Enttäuschungen durch Wahlergebnisse oder Enthüllungen, wie die IM-Tätigkeit des Rostocker Anwalts Schnur vier Tage zuvor. Einen anderen Ton schlägt ein Kollege am selben Sonntag an, die Wahl relativierend: Sie sei zwar eine wichtige Entscheidung, aber entscheide nicht über die Sache Gottes.301 Mit einem außergewöhnlichen rhetorischen Mittel dämpft ein junger pommerscher Pfarrer die Euphorie ob der freien Wahl am selben Sonntag. Er hält dieselbe Predigt wie am 7. Mai 1989, der letzten Volkskammerwahl, um deutlich zu machen, dass die Leute damals wie heute der Meinung seien: wir „können ja doch nichts machen“302 und wünschten sich eine starke Führungspartei. Nach der Wahl interpretiert von Maltzahn die Wahl ganz im Sinne der meisten seiner wegen der Ergebnisse enttäuschten Kollegen: „[…] viele werden bei ihrer Wahl vor allem an Sicherheiten gedacht haben.“303 Auch die neuen Schwierigkeiten in einer Demokratie werden früh thematisiert. Parteien seien auf der Suche nach geeigneten Kandidaten für die Kommunalwahlen, „aber wer ist bereit?“304 Zugleich ständen „manche, die vor einem Jahr nebeneinander auf der Kirchenbank gesessen, heute auf verschiedenen Listen“305 . Bei aller Parteipolitik müssten die gewählten Gruppen aufeinander hören, einan295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305
Burkhardt, Predigt am 24.12.1989, 2. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 1.1.1990, 2. Vgl. Wiebering, Predigt am 25.2.1990, 2. Von Maltzahn, Predigt am 4.3.1990, 1. Wegener, Predigt am 18.3.1990, 1. Von Maltzahn, Predigt am 18.3.1990, 1. Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 15. P/L/17-30/T, Predigt am 18.3.1990, 2. Von Maltzahn, Predigt am 1.4.1990, 2. Wegener, Predigt am 8.4.1990, 2. Lohse, Predigt am 14.10.1990, 3.
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Die Predigten
der ernst nehmen, „damit Frieden und Gerechtigkeit wachsen können“306 . Dass die Wahlbeteiligung Bürgerpflicht ist, darin sind sich alle Prediger einig. Auch die Frage, wen man wählen solle, klingt vereinzelt an. Meist wird sie allgemein damit beantwortet, seinem Gewissen zu folgen.307 „Seht zu, dass euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus.“308 , rät ein anderer mit Kol 2,8. Wegener aber gibt klare negative Wahlempfehlungen. Schon Ende Januar 1990 setzt er sich dafür ein, „daß die Partei und die Personen, die unser Volk in das Chaos gebracht haben, endgültig abgelöst werden müssen.“309 Und Ende April ruft er Eltern und Großeltern dazu auf, Einfluss zu nehmen, „welcher Präambel ihre Kinder und Enkel folgen sollten.“310 So groß die Freude über freie Wahlen ist, eine gewisse Wahlmüdigkeit zeigt sich im Laufe des Jahres 1990, denn „vier Wahlen311 in einem Jahr sind vielleicht wirklich etwas zu viel des Guten“312 . Vor allem müsse über dem politischen Meinungsstreit die Einigkeit im Geiste gewahrt bleiben.313 Der Wahlkampf hatte leider doch einige Christen entzweit auf dem Weg zur deutschen Einheit. Die Deutsche Einheit Dieser Weg zur deutschen Einheit wird von den mecklenburgischen Predigern in unterschiedlichem Tempo mitgegangen und spiegelt ihren Annäherungsprozess an die Idee der deutschen Einheit wider. In den 40 Jahren DDR waren so gut wie alle Hoffnungen auf solch eine Entwicklung erstorben314 , nun scheint sie anfangs gar nicht erstrebenswert. Besonders die unter 50-Jährigen sind zunächst allesamt Anhänger eines „dritten Weges“, einer „besseren DDR“315 . Sie fordern bis in die Anfänge des Jahres 1990 die Transformation der DDR, statt deren Destruktion. Kurz nach der Maueröffnung sorgt sich Pastor Riemann „davor, daß die Politiker ‚drüben‘ uns manches wieder schnell verderben können in ihrem [...] krankhaften Geschwätz von der Wieder-Vereinigung“316 .Viele treibt die Sorge vor ei306 307 308 309 310 311
312 313 314
315 316
Wegener, Predigt am 14.10.1990, 4. Vgl. Burkhardt, Predigt am 24.12.1989, 2. Schmidt, Predigt am 24.12.1989, 2. Wegener, Predigt am 21.1.1990, 2. Ders., Predigt am 29.4.1990, 4. 18.3.1990 Volkskammerwahl in der DDR, 6.5.1990 Kommunalwahl in der DDR, 14.10.1990 Landtagswahlen in den neuen Bundesländern und Bayern, 2.12.1990 erste gesamtdeutsche Bundestagswahl. Von Maltzahn, Predigt am 7.10.1990, 4. Vgl. ebd., 4. Nath hatte in den 1960ern im Gottesdienst immer um die Einheit gebetet, in den 1970ern ab und an, ab den 1980ern nicht mehr. Vielleicht, weil „ik fäuhlt, dat dei Minschen dar nich miehr hebben mitbäden wullt. Villicht heff ik sülben dor nich mierh an glööwt [...].“ Hochdeutsche Übersetzung: „Ich fühlte, dass die Menschen das nicht mehr mitbeten wollten. Vielleicht habe ich selbst nicht mehr daran geglaubt [...].“ Nath, Predigt am 27.5.1990, 2. Fritz, Ethos, 247. Riemann, Predigt am 12. 11.1989, 61.
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nem neuen deutschen Größenwahn um. Daher ist ein mecklenburgischer Prediger eine Woche später erschrocken über die Erklärung von EKD und BEK, die Freude über das Zusammenwachsen beider deutscher Teilstaaten äußert, statt die globalen Probleme zuerst lösen zu wollen.317 Zum Jahresanfang 1990 fragt von Maltzahn, ob das Thema der Einheit wirklich schon dran sei. Dies ist insofern erstaunlich, als die deutsche Einheit schon seit Ende November 1989 auf den Demonstrationen gefordert wird. Besorgt erinnert er die Gemeinde: „Eure Nachbarn haben doch böse Erfahrungen gemacht mit einem zu mächtigen deutschen Reich. Laßt das alles in guter Weise wachsen und sich harmonisch entwickeln.“318 Drei Monate später, nach der Volkskammerwahl und dem mehrheitlichen Bekenntnis zur Einheit, versteht er das Wahlergebnis als Suche nach „Sicherheit für einen schnellen Weg zu einem Deutschland, das Schlimmem, das hinter uns liegt, keine Chance mehr gibt.“319 Und am ehemaligen Nationalfeiertag der DDR befürwortet er nachträglich die Idee eines Sondergottesdienstes zur deutschen Einheit aus Dankbarkeit für die friedlichen Entwicklungen des vergangenen Jahres.320 Ganz vergleichbar ist der Weg des sehr viel jüngeren Pastors Lohse. Prangert er im März 1990 noch das krasse Besitzdenken und die Abwanderung um der D-Mark willen an,321 spricht er am 1. Juli 1990 von einem wichtigen Schritt in Richtung Einheit322 und plädiert am 7. Oktober 1990, wie auch sein Amtsbruder, nachträglich für den 3. Oktober als neuen Nationalfeiertag323 . Von Anfang an für die Einheit ist Wegener und sagt dies in vielen Predigten deutlich. Er zweifelt schon Ende Januar 1990 nicht an einer baldigen deutschen Einheit.324 Zwei Wochen später freut er sich: „Wenn ich an unser Land denke, dann scheint die Entwicklung in eine gute Bahn gekommen zu sein. [...] Die Politiker rechnen mit einer baldigen Vereinigung beider dtsch. Staaten und eine gemeinsame Währung wird angestrebt.“325 Die eindeutige Zustimmung zur schnellen deutschen Einheit bei der Volkskammerwahl am 18. März 1989 kommt für ihn daher nicht überraschend. Vielmehr konstatiert er schon eine Woche vorher: „Wir werden am kommenden Sonntag wählen. [...] Deutschland wird ein vereintes Deutschland sein [...].“326 Am Tag der Wahl selbst prophezeit er: „Die Währungsund Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik sind neue Möglichkeiten, [...] aber das Paradies bringen sie nicht.“327 Und am 7. Oktober 1990 freut er sich über die zurückgewonnene Souveränität Deutschlands, die von Millionen Menschen am 3. 317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327
Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 28.1.1990, 12. Von Maltzahn, Predigt am 1.1.1990, 3. Ders., Predigt am 1.4.1990, 2. Vgl. ders., Predigt am 7.10.1990. Vgl. Lohse, Predigt am 4.3.1990, 2. Vgl. ders., Predigt am 1.7.1990, 1. Vgl. ders., Predigt am 7.10.1990, 1. Vgl. Wegener, Predigt am 21.1.1990, 4. Ders., Predigt am 4.2.1990, 2. Ders., Predigt am 11.3.1990, 4. Ders., Predigt am 18.3.1990, 2.
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Die Predigten
Oktober 1990 gefeiert wurde. Leider sei aber auch schon zu merken, „daß Einheit noch nicht Einigkeit bedeutet“328 . Solche Arbeit an einer echten Einigkeit gehe einher mit der Aufgabe, Vergangenes zu bewältigen.329 In den pommerschen Predigten ist eine vergleichbare Entwicklung zu beobachten. Zwischen Oktober und Dezember 1989 ist in den Predigten die Hoffnung auf eine reformierte DDR zu spüren. Nun sei die Chance da, für eine grundlegend bessere DDR zu arbeiten, „aus der man nicht mehr ausreißen möchte, eine DDR, die nicht die Errungenschaften des Sozialismus einfach preisgibt, aber mit der Mündigkeit freier Bürger rechnet“330 . Eine Woche später, am 22. Oktober 1989, fragt ein viel jüngerer Kollege, wie es nun weitergehe mit der DDR und findet abgrenzende, negative Antworten: „Nicht wie in China mit brutaler Gewalt. Nicht wie in Rumänien. Auch nicht zurück in den Kapitalismus.“331 Positiv formuliert Springborn das Ziel Weihnachten 1989: „eine gerechte, demokratische, umweltfreundliche, friedliche Gesellschaft.“332 Insbesondere Sadewasser drückt in seinen Predigten immer wieder Freude über die Einheit Deutschlands aus. Im Sommer 1990 spricht er davon, „historische Tage“333 zu erleben. Am 3. Oktober 1990 vergleicht er die Einheit mit einer Ehe. Nach der Hochzeitsfeier kämen die Probleme im Alltag, „das Zusammenwachsen und Verstehenlernen“334 . Vier Tage später, am ehemaligen Nationalfeiertag der DDR, fordert er seine Gemeinde dazu auf, „dankbar (zu) sein für das Geschenk der Einheit und Freiheit für unser Volk“335 . Die Medien und Kritik an der DDR Eine solche Öffnung der DDR gegenüber der restlichen Welt spiegelt sich auch in den Medien wider. Pressefreiheit war eine der Hauptforderungen der Demonstranten und ist es auch in den Predigten. Mecklenburgische Pastoren nehmen dabei im Herbst 1989 ausschließlich kritisch zur Presse Stellung. Im Oktober fordert Ohse ein Ende der „Lügen persönlich und in der Presse, privat und staatlich!“336 und Bischof Stier benennt Mitte Oktober in seinem Bischofsbrief den unerträglichen Gegensatz zwischen Berichterstattung und Wirklichkeit.337 Als doppelzüngig entlarvt ein Prediger Mitte November 1989 einen Journalisten der CDU-nahen Zeitung „Demokrat“. Dieser habe am 16. November 1989 bittere Anklage gegen den Staat erhoben. Ebenjener aber habe noch am 6. Oktober 1989 anlässlich des Republikgeburtstages begeistert geschrieben: „Wir CDU-Mitglieder haben diesen 328 329 330 331 332 333 334 335 336 337
Wegener, Predigt am 7.10.1990, 1. Vgl. ders., Predigt am 11.11.1990, 2. Wackwitz, Predigt am 15.10.1989, 5. P/S/31-40/U, Predigt am 22.10.1989, 21. Springborn, Predigt am 24.12.1989, 17. Sadewasser, Predigt im Sommer 1990, 1. Ders., Predigt am 3.10.1990, 1. Ders., Predigt am 7.10.1990, 6. Ohse, Predigt am 8.10.1989, 6. Vgl. Stier, Brief 11.10.1989, 1.
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Staat jederzeit mitgestaltet und mitverantwortet.“ Und zwar gegen alle „Feinde, die diesen Staat gehasst, geschmäht, verleumdet und seine Existenz in Frage gestellt hätten!“338 , also gegen alle Kritiker aus Kirche und Gesellschaft. In den pommerschen Predigten zeichnet sich ein bunteres Bild in der Beurteilung der Medien ab. Vor allem zwei Pfarrer scheinen indirekt miteinander zu streiten, stehen sie doch für zwei verschiedene Facetten der Pfarrerschaft in der Greifswalder Landeskirche. Der eine beklagt Ende August 1989, dass die Zeitungen den Menschen etwas vorgaukeln mit übererfüllten Plänen339 und kritisiert Ende Oktober 1989 scharf seine Amtskollegen, die so tun, „als wäre nichts geschehen, […] als würden unsere sog. Medien die Wahrheit und nichts als die Wahrheit berichten.“340 Damit scheint er auf Prediger wie seinen Amtsbruder Puttkammer anzuspielen, der im Oktober 1989 lobt: „In den Zeitungen – nicht nur den kirchlichen – stehen Texte, die noch vor ein paar Jahren undenkbar waren.“341 und es als „hoffnungsvolles Zeichen“ sieht, „daß in der letzten Zeit die Presse der DDR eindeutig realistischer (und damit interessanter) geworden ist.“342 . Diesem Eindruck wiederum widerspricht Kuessner am selben Tag aufs Deutlichste: „Die Zeitungen berichten von Erfolgen, die keine sind.“343 Westkritik Bei aller Kritik am eigenen Land wird auch die BRD durchaus ambivalent beurteilt. In den pommerschen Predigten ist die Metapher des Lichts ein beliebtes Motiv: „1989 war ein Jahr der Lichter!“, in dem die Rücklichter wehtaten und tausende Kerzen Hoffnungslicht verströmten, wie „Positionslichter: hier stehe ich, hier ist mein Platz, hier soll es hell werden.“344 Zur „Waffe“ und zum Symbol des gewaltlosen Widerstandes wurde die Kerze. „Ein Volk hat Licht gemacht“345 und brachte damit „Licht in das Dunkel [...], das durch Korruption und Ausverkauf über unser Land hereingebrochen“ war. Da allerdings die Kerzen in der DDR durchweg von miserabler Qualität seien, „brauchten wir, wenn wir sie auf der Straße trugen, beide Hände, eine zum Halten der Kerze und eine zum Schützen der Flamme. Wir hatten gar keine Hand frei zum Steinewerfen […].“346 Auch das „Jahr 1990 war ein Jahr besonderer Lichter.“347 , zieht ein Prediger Ende 1990 Fazit und wünscht sich für 1991 „viel Licht. [...] der Letzte soll nicht das
338 339 340 341 342 343 344 345 346 347
M/S/41-50/E, Predigt am 19.11.1989, 2. Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 27.8.1989, 1. Ders., Predigt am 29.10.1989, 1. Puttkammer, Predigt am 9.10.1989, 1. Ders., Predigt am 18.10.1989, 1. Kuessner, Predigt am 18.10.1989, 1. Springborn, Predigt am 1.1.1990, 1. Wegmann, Licht, 183. Springborn, Predigt am 1.1.1990, 2. P/L/31-40/E, Predigt am 31.12.1990, 1a.
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Die Predigten
Licht ausmachen348 , sondern der erste sein, der umkehrt und die anderen zurückruft.“349 Gern wird stereotyp vor dem „blendende(n) Licht von Supermärkten und Discounts, [...] von starken Scheinwerferlampen und besseren Motoren“350 . Das echte Licht der Welt und damit der Zukunft sei Christus.351 Dass in der BRD keine paradiesischen Zustände herrschen, sondern auch diese „neue, freie, demokratische Gesellschaft alles andere als vollkommen ist“352 , betonen alle Pfarrer. Gewarnt wird vor „Wegen, [...] möglichst schnell an das gute Geld (zu) kommen“353 Allerdings sei dies keine westdeutsche Eigenheit, sondern, so derselbe Pfarrer, ebenso typisch für die DDR, in der „nur noch die Macht“ zählte. Die Jagd auf das Begrüßungsgeld, die durch westreisende DDR-Bürger leergeplünderten Geschäfte, das treibe ihm die Scham ins Gesicht, predigt ein Pfarrer schon im Dezember 1989 und komme doch nicht überraschend, denn schon in den Einwohnerversammlungen fiel auf: „Die Diskussionen drehten sich vorwiegend um Fleischpakete, Versorgung, Bananen, Wohnraum [...].“354 Derselbe Pfarrer äußert Ende Februar 1990 Ängste davor, die Menschen könnten über die Deutsche Mark (DM) ihr Menschsein vergessen.355 Statt „alle Dummheiten aus dem Westen“ zu übernehmen, solle nicht vergessen werden, „daß nicht alles böse war, was wir im Osten gelernt haben“356 , predigt Wackwitz am Tag der Wirtschafts- und Währungsunion. Im rasanten politischen Wandel herrschten, wie diese Beispiele eindrucksvoll zeigen, konfuse Ängste. Darunter sind auch Sätze zu subsumieren, die „typisch“ westliche Probleme zu schildern meinen. Am ersten Weihnachtstag 1989 predigt ein älterer pommerscher Pfarrer gegen den „Ausverkauf “ der DDR. Die potentiellen Folgen seien schon jetzt sichtbar als da wären „Drogen, Gewalt, Verlockungen“357 . Einen Monat später warnt er vor einer ganzen Reihe westdeutscher Schwierigkeiten, die im Zuge einer Währungsunion oder gar Einheit auch die DDR-Bürger treffen würden. Die Liste liest sich wie eine moderne Version der sieben Todsünden: Arbeitslosigkeit, Werteverfall, Angriffe linker und rechter Radikaler, Leistungsgesellschaft, Armut und Drogensucht.358 Ein jüngerer Dorfpfarrer stößt Ende September 1990 in dasselbe Horn. Es bereite ihm große Sorgen, dass die Menschen in der DDR so wenig auf die neuen Versuchungen 348
349 350 351 352 353 354 355 356 357 358
Ende der 1970er begann in öffentlichen Einrichtungen und Betrieben der DDR eine kräftig propagierte Energiesparaktion: In allen noch so kurzen Pausen wurde überall das Licht ausgeschaltet, mit Ausnahme der Flure. Beim Verlassen eines Raumes galt ultimativ: „Der Letzte macht das Licht aus.“ Daraus wurde ein beliebter Witz: „Wenn alle ausgereist sind, bleibt nur noch Honecker übrig als Letzter, der das Licht ausmacht.“ P/L/31-40/E, Predigt am 31.12.1990, 2b. Wegmann, Licht, 184. Vgl. P/L/31-40/E, Predigt am 31.12.1990, 2b. Ders., Predigt am 3.10.1990, 3. P/L/51-65/W, Predigt am 4.3.1990, 1. P/L/51-65/S, Predigt zu Mt 4,3-5, 1. Vgl. ders., Predigt am 25.2.1990, 4. Wackwitz, Predigt am 1.7.1990, 3. Springborn, Predigt am 25./26.12.1989, 17. Vgl. ders., Predigt am 28.1.1990, 2.
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des Westens vorbereitet seien. Auf „Gewalt und Sex im Fernsehen, Drogen und Geschäftemacher auf der Straße.“359 Das sei, so Puttkammer, der „Preis der Freiheit“.360 Sowenig die vorbeifliegende Realität erfasst werden kann, so diffus und damit für den heutigen Leser schwer nachvollziehbar werden die Sorgen in Worte gefasst. Interessant ist das völlige Ausblenden der Tatsache durch die meisten Pfarrer, dass es in der DDR verdeckt und verschwiegen dieselben „westlichen“ Probleme gab.361 Darauf verweist als einziger Wolter Anfang April 1990 und enttarnt die pauschale Westkritik als Kind einer erfolgreichen, antikapitalistischen DDRPropaganda. Auch in der DDR habe es Außenseiter gegeben, „die es nach dem sozial(istischen) Menschenbild eigentlich nur in kapitalistischen Freibeuterstaaten geben soll: Alkoholkranke, Asoziale, Kriminelle.“362 Bei allen Unsicherheiten und Sorgen ist der Grundtenor der Predigten generell optimistisch, denn nun herrsche immerhin „das verhältnismäßig Bessere“363 . Lange bevor eine Revolution im Ostblock auch nur erahnt werden kann, kritisiert Burkhardt 1987 den Götzendienst des Wohlstandes. Aber auch der sozialistische Staat selbst „macht dieses Treiben voll mit: Alles ist auf Wirtschaftswachstum eingestellt.“364 Mitte 1989 predigt er gegen Wohlstandsdenken und Ellenbogenmentalität an: „Viel Geld, viel Macht, viel Einfluss machen noch lange nicht den tiefen Sinn eines Menschenlebens aus.“365 Timm thematisiert in seinen Predigten häufig das materielle Denken der Menschen in Ost und West. Statt sich „die Augen durch das Westfernsehen [...] verblenden“ zu lassen, solle man lieber „eine warme und menschliche Atmosphäre“366 schaffen. Im Westen, im Kapitalismus gebe es das „Aufblühen solcher am 359 360 361
362 363 364 365 366
P/L/31-40/E, Predigt am 23.9.1990, 2. Puttkammer, Predigt am 21.6.1990, 1. Vgl. hierzu Falcke, Umgang, 204f. Er beantwortet die Frage, ob die DDR antifaschistisch war, auf zwei Ebenen. Der per definitionem antifaschistische Staat trug aus seinem Selbstverständnis heraus keinerlei Verantwortung für die Naziverbrechen. Neonazistische Gewalttaten wurden daher tabuisiert, weil nicht sein darf, was nicht sein kann. Konrad Weiß habe auf dem Berliner Kirchentag vom 7.-11.6.1989 dieses Tabu gebrochen und den „Neonazismus“ (Ausländer werden zusammengeschlagen, jüdische Friedhöfe geschändet, Hitlers Geburtstag wird gefeiert, Opfer sind v.a. Punks und Farbige) öffentlich angeprangert. Das Hakenkreuz, so auch Halbrock, Freiheit, 508– 509 in seiner Analyse des Widerstands im Bezirk Rostock in der DDR, sei als Protestsymbol beliebt gewesen, weil es sich schnell zeichnen ließ und den Staat garantiert herausforderte. Halbrock führt dies auf eine „fehlende demokratische Werteverankerung“ einzelner Bevölkerungsteile zurück. In direkter zeitlicher Nachfolge zur NS-Diktatur und mit offensichtlichen „Analogien in der Herrschaftsausübung“, konnte die SED der Bevölkerung die fehlenden demokratischen Partizipationsrechte zu NS-Zeiten nur schwer vermitteln. Vergangenheitsaufarbeitung war daher meist gleichzusetzen mit Berichten über die Verfolgung kommunistischen Widerstands. Verkürzt: Die Nazis verfolgten die Kommunisten - und wer in der DDR gegen den Kommunismus protestieren wollte, griff teilweise unbedacht, aber auch gezielt auf nationalsozialistische Symbole zurück. Wolter, Predigt am 1.4.1990, 1. P/L/31-40/E, Predigt am 3.10.1990, 4. Burkhardt, Predigt am 29.3.1987, 1. Ders., Predigt am 11.6.1989, 1. Timm, Predigt am 20.8.1989, 4.
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Krieg beteiligten Konzerne wie IG Farben und Krupp“367 . Ende Oktober benennt er klar, was er „nicht möchte: den materiellen Überfluß“. Stattdessen möchte er sein Leben vor „hungernden Menschen vertreten können. Und natürlich auch vor Gott.“ Ein evangelischer Dienst an der Gesellschaft bedeute daher in Zukunft, „vor überzogenen Erwartungen im Konsumverhalten zu warnen“368 . Unwillentlich übernimmt Timm damit die DDR-Propaganda samt ihrem Gegensatz vom guten, friedlichen, solidarischen und sozialistischen Osten und dem rein materiell denkenden, ausbeuterischen, kriegerisch-aggressiven, kapitalistischen Westen. Auch bei einem weiteren, ebenfalls jungen mecklenburgischen Pastor ist Wohlstandskritik ein zentrales Thema, ohne jedoch zu einer Idealisierung der gegebenen Umstände zu verflachen. Enttäuscht stellt er Ende Januar 1990 fest, dass „die Masse“ nur noch zwei Forderungen kennt: „Nieder mit der SED“ und „Deutschland – einig Vaterland“. Dies könne doch nicht „ernsthaft die Meinung von Christen sein, die für sich beanspruchen möchten, den Weg der Nachfolge Jesu zu gehen?“369 Wenngleich die bundesdeutsche freie Marktwirtschaft „den meisten unter uns“ wirtschaftliche Fortschritte brächte, hätte sie „weltweit das Unglück der Armen und Verhungernden im Gefolge“370 . Deshalb sei „Wohlstand durch Wiedervereinigung“371 keineswegs wichtiger als Weltverantwortung. Interessanterweise betont er an dieser Stelle, dass er eine Wiedervereinigung nicht ablehnt, sondern lediglich für ein „klares und eindeutiges Votum für Weltgerechtigkeit, für eine Wirtschaftsform, die Gerechtigkeit produziert und nicht von vornherein teilhat am wachsenden Unrecht!“372 eintritt. Dies mag zum einen daran liegen, dass er an jenem Sonntag zu Gast in einer bürgerlich geprägten Gemeinde ist. Zum anderen hat sich die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung gegenüber dem November 1989 geändert. Noch einmal ganz radikal predigt er am Volkskammerwahltag. Enttäuscht stellt er fest, dass das Bemühen um Basisdemokratie keine Chance mehr habe gegenüber der D-Mark. Werde nun die Diktatur der SED „durch die Diktatur des Geldes“373 abgelöst, bezahlt mit dem Leben der Menschen in der dritten Welt? „Hat die Verlockung der Freiheit und des Geldes in unserer Revolution gesiegt – und eben nicht das Volk, das die Revolution begonnen hatte? – nicht die Christenheit, die doch aufzuwachen schien?“374 Unglaublich harsch ist die Westkritik bei Pastor Riemann. Er ist drei Tage nach dem Mauerfall darüber besorgt, „daß die Politiker ‚drüben‘ [...], in ihrer eigenen unglaublichen Arroganz der Reichen, in ihrer eingebildeten Besserwisserei, ihren wirtschaftlichen Erpressungsversuchen“ die Errungenschaften der Revolution zer367 368 369 370 371 372 373 374
Timm, Predigt am 1.9.1989, 3. Ders., Predigt am 29.10.1989, 6. M/S/41-50/E, Predigt am 28.1.1990, 10. Ebd., 11. Ebd., 14. Ebd., 15. Ders., Predigt am 18.3.1990, 3a. Ebd., 8f.
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stören, weil sie sich weder einfühlen wollten noch könnten in das Leben ihrer ostdeutschen „Schwestern und Brüder“375 . Weniger konkret, dennoch deutlich tadeln auch andere Pastoren den deutschen Nachbarn, meist verbunden mit einer gen DDR gerichteten Kritik. Es sei ja in der Konsequenz egal, ob jemand, um nicht zum Außenseiter zu werden, in der bisherigen DDR sein Gewissen ausgeschaltet habe, „oder ob ich in Zukunft mein Gewissen abschalten werde, um mit Ellenbogen und Gewalt die Schwächeren beiseite zu schieben.“376 Solch ein „Ungeist des Haben-Wollens“ mache „uns kaputt“377 , nun dürfe nicht der Nächste aus dem Blick verloren werden. Die Tendenz zur Nostalgie aus Enttäuschung über die aktuelle Situation schimmert durch, wenn Nath über die Fähigkeit des Teilens predigt. „Das haben wir DDR-Bürger doch schon ganz gut gekonnt. […] Aber nun, wo der Tanz um das goldene Kalb begonnen hat, sieht jeder nur noch sich selbst“378 . Nachdem die Tore zu den „Glitzergeschäften des Westens“379 offen ständen, seien die Bürger der DDR drauf und dran, ihre Würde und Disziplin zu verlieren, Ladendiebstähle und Währungsbetrug kämen immer häufiger vor. Hier ist Enttäuschung über die materiellen Werte der Mehrheit zu spüren, die allerdings auch für ein Leben mit gerade diesen Gütern auf die Straße gegangen war. Regina Fritz ist in ihrer Analyse daher zuzustimmen, dass „sich also die Massenbewegung stark mit den genannten Gütern identifizierte“, hingegen „von Seiten oppositioneller Gruppen schon früh Skepsis gegenüber einer Verblendung durch die Konsummöglichkeiten laut geworden (waren), die den Blick auf die nötigen Reformen verstellten.“380 Spätestens seit der Währungsreform am 1. Juli 1990 wird diese antiwestliche Haltung zur generellen antikapitalistischen Kritik an den eigenen Leuten, die ihre Bauern vergessen und vor allem Westprodukte kaufen. Zusätzlich zur allgemeinen Güter- und Konsumkritik gibt es auch Seitenhiebe auf die Kirche: „In der DDR konnte Kirche ‚schlecht und recht‘ Kirche Jesu Christi sein, bisweilen mehr ‚recht‘ als die Kirche in der BRD.“381 Was genau damit gemeint ist, wird nicht ausgeführt. Vermutlich steht im Hintergrund Günter Jacobs in der DDR stark rezipierte Rede vom „Ende des konstantinischen Zeitalters“ von 1956. Sie schuf das Fundament für die Überzeugung, eine vom Staat in keiner Weise privilegierte Minderheitenkirche sei per se die bessere Christengemeinschaft. Eine Trennung von Staat und Kirche, wie sie in der DDR herrschte, legte Jacob als Befreiung und Rückkehr zu den urchristlichen Wurzeln aus. Die Lage in der DDR könne entsprechend mit den Bedingungen von Kirche im Römischen Reich verglichen werden.382 Daher müsse aus Jacobs Sicht alles getan werden, um die Verflechtungen zwischen Kirche und Staat, Volk und Gesellschaft 375 376 377 378 379 380 381 382
Riemann, Predigt am 12. 11.1989, 61f. Wolter, Predigt am 1.4.1990, 1. Wegener, Predigt am 3.6.1990, 2. Nath, Predigt am 29.7.1990, 3. Ebd., 3. Fritz, Ethos, 218. M/S/41-50/N, Predigt am 16.9.1990, 4. Vgl. Onnasch, Vergangenheit, 64f.
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zu zerschlagen. Nur so könne die Kirche frei, klar und also besser als zuvor ihren Dienst in der Welt wahrnehmen.383 Die Rolle der Kirche während der friedlichen Revolution Neben all den von außen herangetragenen politischen Problemen reflektieren die Pastoren auch das Verhältnis von Politik und Kirche, sowie die Rolle der Kirche im Prozess der friedlichen Revolution. Ganz im Sinne des Priesters, der dem verfolgten David von den Altarbroten zu essen gegeben habe, müsse sich auch die Kirche auf die Seite der Verfolgten stellen, ihnen Raum und Schutz bieten.384 Das ungebrochene Beten einer kleinen Kirche in der DDR sei im Herbst 1989 endlich von Gott erhört worden385 , predigt Ohse Mitte November 1989. Am selben Tag fasst Riemann zusammen: „Ich glaube: Unsere Gebete haben dies alles mitbewirkt!“386 Gerade dass diese Revolution ohne Blutvergießen verlief, schreiben alle Pastoren dem „Beitrag der Kirche mit Gebetsandachten, Predigten und synodalen Erklärungen“387 zu. Jesus Christus habe, so Ohse weiter, seine schwache, kranke Kirche zu „Krankenträgern“388 gemacht. Und Schmidt geht gar so weit, die friedliche Revolution allein der Macht der Christen zuzuschreiben: „Kann man sagen, wir, die Gemeinden und die Kirchen, haben es geschafft?“389 Demgegenüber warnen zwei pommersche Prediger vor kirchlicher „Selbstgefälligkeit“ oder gar „Triumphialismus“390 angesichts des Erreichten. Kirche dürfe sich nun nicht stolz auf die Schulter klopfen und damit einer „teuflischen Selbstgerechtigkeit“ verfallen. „Die Kirche hat nichts durchgesetzt, sie hätte sich stärker machen sollen – und hat es oft nicht getan. [...] Christen haben die kommunistische Vorherrschaft abgelehnt – und womöglich heimlich gehofft, stattdessen sel383
384 385 386 387 388 389
390
Vgl. Kahle, Begriff, 208–211. Interessant ist die Reaktion auf Jacob durch Kahle im Jahr 1965. Aus kirchenhistorischer Sicht schlüsselt er den Begriff des „konstantinischen Zeitalters“ auf und entlarvt ihn als programmatische und Gegenformel zur (kirchen-)politischen Vision Jakobs. (Vgl. ebd., 208) Dies führe „zu einer Politisierung theologischer und kirchlicher Phänomene und damit zu einer verengenden und unscharfen Betrachtung.“ (ebd., 233) Die Figur des Konstantin fungiere darin als Symbolgestalt des Bösen. In dieser Deutung befinde sich Jacob in der Gefolgschaft Gottfried Arnolds. (Vgl. ebd., 211–214) Das sogenannte nachkonstantinische knüpft dagegen an das vorkonstantinische Zeitalter an. Wieder einmal wandere „die Gemeinde der Frommen aus der Welt aus“ und es komme zu einer „Verkürzung und Rücknahme auf ein kirchliches Reduit“. (ebd., 230) Zugleich stehe eine solche Minderheitskirche in einem totalitären System wie der DDR in der dringenden Gefahr, sich zu nah an den Staat zu binden. Kahles Fazit: „Der Begriff ist [...] keine brauchbare Bestimmung für den Gang der Kirchengeschichte und den zukünftigen Weg der Kirche.“ (ebd., 234). Timm, Predigt am 8.10.1989, 2. Vgl. Ohse, Predigt am 12.11.1989, 3. Riemann, Predigt am 12. 11.1989, 62. Wiebering, Predigt am 25.2.1990, 2. Ohse, Predigt am 17.12.1989, 4. Schmidt, Predigt am 25.2.1990, 1. Das hier schon anklingende Wirken Gottes durch die Christen in der friedlichen Revolution wird unter den theologischen Themen Abschnitt 2.4.4 eingehender untersucht. Springborn, Predigt am 12.11.1989, 6.
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ber einst die Herrschenden sein zu können und es den anderen mal zu zeigen...“391 Doch auch in der pommerschen Landeskirche sind sich die Pfarrer darin einig, dass die revolutionäre Bewegung „ein Ergebnis der wachen Haltung vieler Christen“ war, weil Christus selbst seiner Kirche gebietet, „das Wächteramt wahrzunehmen.“392 So hätten die Friedensgebete auch in Greifswald den „politischen Advent“393 mit eingeleitet. Auf diese Weise werden Friedensgebete und Demonstrationen nicht nur in einen chronologischen, sondern auch kausalen Zusammenhang gebracht. Religiöse Überzeugungen mahnten somit als „Fundament“ zu sittlichem Handeln, aus Beten sollte ebensolches Agieren resultieren.394 Politik und Kirche In welcher Beziehung stehen Politik und Kirche, Staat und Kirche? Glöckner, selbst Abgeordneter der Stadt Greifswald, predigt im April 1988 über „Kirche im Sozialismus“. Es sei für ihn selbstverständlich, nicht abseits der Gesellschaft zu stehen, sondern gegen Ungerechtigkeiten zu streiten, ohne dabei als Kirche staatliche Macht zu beanspruchen. „Damit stellen wir uns dieser Stadt nicht gleich, doch stellen uns mitten hinein in die sozialistische Stadt Greifswald im Sinne Jesu Christi“395 . Diese Argumentationsfigur, Christen setzen sich für ihre Gesellschaft ein, taucht häufig in den pommerschen Predigten auf. „Kirche im Sozialismus“ heiße nicht, „daß wir den Staat bevormunden wollen. Aber wir wissen uns von unserem Glauben her mitverantwortlich für das Leben der Menschen in unserem Land.“396 , argumentiert Haberecht Anfang Oktober 1989. Zwei Extreme gebe es für den Glaubenden „in dieser bewegenden Zeit“, sagt Springborn Ende Oktober 1989: Völliger Rückzug oder politische Vereinnahmung. „Ich frage mich: ist das eine nicht zu eng und das andere nicht zu weit?“397 Er plädiert daher drei Wochen später für eine politische Rolle der Kirche auf Zeit. Sie müsse stellvertretend für andere „Dinge sagen, die vielleicht mehr in das Gebiet Gesellschaft und Politik gehören.“, nach erfolgreicher Arbeit aber schnell wieder zum „eigentlichen Auftrag“398 zurückfinden. Jener eigentliche Auftrag und echte Reformen, predigt sein jüngerer Kollege im Oktober 1989, ergänzen einander zwangsweise. Zuerst müsse der Glauben reformiert werden, müssten die Menschen zu Gott zurückkehren und sich von den falschen Götzen lossagen. Jeder müsse sich eingestehen: „Ich hatte im Grunde andere Götter als Dich Gott […] Ich habe dem göttlich-absoluten Anspruch menschl. Geschichts- und Gesellschaftstheorien nicht widersprochen.“399 Die Be391 392 393 394 395 396 397 398 399
Seyfarth, Umkehr, 85. P/S/31-40/U, Predigt am 26.11.1989, 28. Springborn, Predigt am 3.12.1989, 13. Vgl. Fritz, Ethos, 227. Glöckner, Predigt im Friedensgottesdienst am 29.4.1988, 154f. Haberecht, Predigt am 8.10.1989, 1f. Springborn, Predigt am 22.10.1989, 2f. Ders., Predigt am 12.11.1989, 6. P/S/41-50/O, Predigt Oktober 1989, 2.
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Die Predigten
sinnung auf den einen Gott führe dagegen zu echter Befreiung und Rechtfertigung.400 Dann ist Recht nicht mehr „Machtinstrument der herrschenden Klasse, die ihren Herrschaftsanspruch ge(schichts)-metaphysisch begründet [...]. […] Der Rechtsgedanke ist dagegen einer, der eher mit der Geschöpflichkeit, der Bestechlichkeit, dem Egoismus, und Halbherzigkeit rechnet, der bezweifelt, das moralische Kategorien, nur oft genug wiederholt, das Zusammenleben schon regeln werden.“401
Deshalb, so das Fazit der Predigt, ist gottesdienstliche Gemeinde im unpolitisch scheinenden Gotteslob am politischsten, denn sie bewahrt „vor der Vergöttlichung des Politischen“ und weist ihm stattdessen „den Raum des jetzt Möglichen und Machbaren“402 zu. Dabei bleiben Glaube und Evangelium Zentrum des Lebens und strahlen in alle Bereiche desselben aus. Dass in den neugewählten Parlamenten viele Christen sitzen, wird positiv bewertet. Superintendent Wackwitz hält eine Andacht vor der Konstituierung des neugewählten Stadtparlaments Greifswald am 29. Mai 1990. Er habe nicht gleich zugesagt, diese Andacht zu gestalten, aus Sorge, es entstehe der Eindruck, die Trennung von Staat und Kirche zu unterlaufen. Dennoch wollte er dem Wunsch, „Ermutigung, Orientierung und Kraft“403 aus biblischen Texten zu gewinnen, nachkommen. Auch die Parlamentsabgeordneten der Volkskammer halten jeden Donnerstag ökumenischen Gottesdienst, erzählt ein junger Pfarrer. Leider führe dies aber nicht dazu, die Parlamentssitzungen im Geiste Christi zu führen. Vielmehr „möchte man denken, in den Andachten geht es um die Erlösung von den verkehrten, argen Menschen/ Abgeordneten“404 , stichelt er. Diese Andachten dürften nicht nur, pflichtet ihm ein Kollege bei, „äußerlicher, neuer Anstrich sein.“405 Vielmehr sollte christlicher Einsatz anderen Menschen zeigen, „wie gut es Gott mit seiner Welt und auch mit unserem Land meint.“406 Weniger einmütig wird die Beziehung von Politik und Kirche in den mecklenburgischen Predigten bestimmt. Bis zu einer frei gewählten Vertretung aller Bürger auf Republik- und Kommunalebene beurteilen alle Pastoren das politische Engagement kirchlicher Mitarbeiter positiv. Begründet wird dies in den Predigten dezidiert theologisch. Viele Jüngere argumentieren im Sinne einer reformierten Verantwortungsethik. „Wenn Lebensräume zerstört werden [...], dann ist unser christlicher Glaube schon angefragt.“407 , erklärt BurkhardtAnfang der 1980er Jahre. Konkret fordert er die Gemeinde auf, Eingaben zu schreiben. „Sag es laut, was du denkst! […] Wenn 1 Million Christen in der DDR laut gegen die Einführung des Wehrunter400 401 402 403 404 405 406 407
Vgl. P/S/41-50/O, Predigt Oktober 1989, 3. Ebd., 4. Ebd., 5. Wackwitz, Geist, 193. P/L/17-30/T, Predigt am 15.7.1990, 1. P/L/31-40/E, Predigt am 3.10.1990, 6f. Ebd., 8. Burkhardt, Predigt am 12.12.1982, 2.
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richts in den Schulen protestiert hätten, gäbe es ihn nicht.“408 Nicht nur aus der Gemeinde, auch von Seiten des Staates gibt es Einwände gegen ein solches politisches Verhalten von Pastoren, erzählt der Prediger 1987 im März. „Es ist nicht wahr, dass das Thema ‚Ökologie‘ uns Christen nichts anginge. Wenn wir uns damit beschäftigen, ist das kein Eingriff in innerstaatliche Angelegenheiten, wie es mir in diesen Tagen von verantwortlichen Leuten im Rat des Kreises vorgehalten wurde [...].“ Vielmehr umfasse der christliche Glaube alle Lebensbereiche.409 Ganz ähnlich begründet auch Timm notwendiges Gesellschaftsengagement Ende 1988. Auch Jesus habe nicht alles hingenommen, sondern „sich eingesetzt für eine bessere Welt“410 . Die Freude des Evangeliums befreie und ermutige Menschen, „offen zu sagen, was sie bedrückt. Ich sehe, daß wir hier einen diakonischen Dienst leisten411 an unserer kranken Gesellschaft“412 . Über 50-jährige Pastoren argumentieren stärker mit traditionellen Kategorien. So betont Ohse den öffentlichen Charakter der Verkündigung. Entsprechend sei jeder Gottesdienst, in dem Gott allein angebetet werde, eine „hochpolitische Aktion [...] gegen allen Götzendienst [...], wider alle Idole und Ideologien.“413 Wegener entgegnet dem Vorwurf, Massenversammlungen in der Kirche machten aus einem Bethaus eine Räuberhöhle. Es könne dieses „Beten aber auch ein lautes Rufen und Klagen sein; das AT ist davon voll.“414 Als „Aufgabe der Wachsamkeit gegenüber den Kräften der Zerstörung“415 betrachtet der etwas jüngere Schmidt die gesellschaftliche Einmischung von Christen. Die Kirche könne sich im Nachhinein genauso wenig wie jeder andere beklagen, wenn sie, als die Zeit reif war, nichts „für die Veränderung tut. Und jetzt ist die Zeit dafür reif.“416 Weil es Gott gefalle, wenn sich Menschen für diejenigen einsetzten, die unfrei sind, sei es „nicht nebensächlich, wenn Christen sich in Befreiungsprozesse einmischen“417 . Aus diesem Grund hätten sich so viele Christen an der friedlichen Revolution im Herbst beteiligt und arbeiteten in den neuen Parteien und Bürgerbewegungen „motiviert auch aus ihrem christlichen Glauben“ mit. Zwar sei es für die Kirche ein Verlust, Mitarbeiter für die Politik beurlauben zu müssen: „Aber einen politischen Einsatz für Befreiung und neue Gerechtigkeit im Lande kann die evangelische Kirche nicht bremsen, sie wäre sonst dem prophetischen Wort ungehorsam.“418 408 409 410 411
412 413 414 415 416 417 418
Ebd., 2. Vgl. ders., Predigt am 29.3.1987, 3. Timm, Predigt am 22.1.1989, 7. Vgl. Subklew-Jeutner, Mandat, 435, die darauf hinweist, dass das „politische Mandat“ von Kirche auch mit den Bezeichnungen „politische oder gesellschaftliche Diakonie“, „politisches Wächteramt“ und „gesellschaftlichter Auftrag“ bezeichnet wurde zu DDR-Zeiten. Timm, Predigt am 29.10.1989, 3. Ohse, Predigt am 8.10.1989, 5. Wegener, Predigt am 29.10.1989, 4. Schmidt, Predigt am 26.11.1989, 2. Wolter, Predigt am 5.11.1989, 2. Wiebering, Predigt am 25.2.1990, 2. Ebd., 2.
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Mit der Volkskammerwahl bricht die Einmütigkeit der Pastorenschaft auf. Vor allem ein junger Prediger greift das Ausscheiden einiger Pastoren aus dem landeskirchlichen Dienst, um sich hauptamtlich der Politik zu widmen, scharf als Trennung der „Geister an: Daß die einen ihren Pastoren-Beruf (und vielleicht ihren Glauben an die weltverändernde Kraft der Güte und der Liebe) an den Nagel hängen; daß sie aufhören, dem armen Mann von Nazareth nachzufolgen und sich einzusetzen für die Mühseligen und Beladenen dieser Erde, um endlich Wohlstand und Einfluß zu genießen – während die anderen sich ganz neu und bewußt besinnen auf das, was eigentlich ihre (der Christen) Sache ist“419 .
Nicht minder hart ist sein Urteil im Juli 1990. Inzwischen werde die DDR schon ironisch „Deutsche Pastoren Republik“420 genannt. In allen Parteien tummelten sich Geistliche, viele seien Moderatoren von RT, Minister, Bürgermeister oder Bürgerschaftspräsidenten. Wie solle man damit umgehen? Die Reaktionen in der Öffentlichkeit deckten ein Spektrum von Respekt und Hoffnung über Skepsis ob der Befähigung bis zu radikaler Ablehnung ab. Auch gebe es verschiedene Erklärungsversuche, wie die psychologische (40 Jahre lang hat sie niemand gefragt), ideologische („hätten sie gekonnt, hätten sie ja sicher anderes studiert“421 ) und materielle (statt 800 Mark pro Monat, verdienten sie nun bis zu 16.000 D-Mark). Nach all diesen aus der Öffentlichkeit aufgenommenen Anschuldigungen betont der Prediger, dass es keine einfache Antwort gebe. Der Aufbruch brauche fähige Leute mit besonderem Charisma, was manche Pastoren eben hätten. Dennoch bittet er die Pastoren, bei den alleingelassenen Gemeinden zu bleiben und mahnt: „Was tun wir, daß unsere Pastoren uns nicht verlassen, sondern dem Dienst in der Gemeinde treu bleiben??“422 Auch jetzt sei nichts anderes wichtiger als der Glaube423 , auch keine Politik. Weniger drastisch, inhaltlich ähnlich, positioniert sich Lohse im Herbst 1990. Zu Beginn der Revolution hatte er eine politische Einmischung der Kirche in die gesellschaftliche Diskussion gefordert und mittels Fürbittandachten auch aktiv gestaltet. Doch mit der Herstellung eines Rechtsstaates ist das Mandat in seinen Augen beendet. „Wo Kirche eine staatstragende Rolle spielt, ist sie zur kritischen Begleitung nicht mehr in der Lage.“424 Sein Amtsbruder Burkhardt sieht es genauso. „Mancher Christ und Pastor hat im letzten Jahr aus lauter Treue zu seinem Herrn einen politischen Auftrag übernommen. Ganz sicher wird sich manch einer aus Treue zu eben diesem Herrn nunmehr, wo fähigere Leute da sind, auch wieder aus der Politik zurückziehen, um sich zuerst um die Seelsorge an der Gemeinde und die heute verstehbare Verkündigung des Evangeliums zu kümmern.“425 419 420 421 422 423 424 425
M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 10f. Ders., Predigt am 8.7.1990, 1. Ebd., 2. Ebd., 4f. Ebd., 11. Lohse, Predigt am 7.10.1990, 2. Burkhardt, Predigt am 2.9.1990, 2.
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Extrem nimmt sich die Haltung des konservativen Lutheraners Schmidt gegenüber kirchlichen Mitarbeitern in der Politik heraus. Das sei „eine äußerst versuchliche Situation!“. Sie verwechselten den Gehorsam unter Gott mit gesellschaftlichen Vorteilen. „Kaum, daß wir einen widerwärtigen Weltanschauungsstaat abgeschüttelt haben, erhebt die Sünde in Gestalt klerikaler Ansprüche schon wieder ihr Haupt, um uns erneut in Banden zu schlagen. Gott hat wohl nicht den Sturz der Parteisekretäre herbeigeführt, damit ein paar ganz schlaue Weltkinder unter dem Mäntelchen des Christlichen nach der eben verwaisten Macht ungeniert greifen können.“426
Demgegenüber stehen zwei andere Pastoren, die kirchliches Engagement auch im parteipolitischen Rahmen explizit gutheißen. Kurz nach der Volkskammerwahl votiert von Maltzahn für das Einmischen von Kirche in die Politik. Dafür zieht er einen Monat später ein provokantes Beispiel heran: „So hätten es alle Politiker gern, wie es Hitler einmal den englischen Bischöfen gesagt hat: ‚Kümmern Sie sich um den Himmel, das deutsche Volk überlassen Sie gefälligst mir!‘.“427 Politiker sähen Kirche als Störfaktor, aber, so wie sich Jesus Christus dem ganzen Leben zuwandte, müsse es auch Kirche tun. „Und wir erleben gerade, wie verheerend es sich ausgewirkt hat, dass auch nach Hitler diese fein säuberliche Trennung vollzogen wurde zwischen denen, die für Politik zuständig sind, und denen, die sie nichts angeht, es sei denn, sie klatschten Beifall.“428 Zwei Wochen später, am Ostermontag, verteidigt er explizit das politische Handeln kirchlicher Mitarbeiter. Pastoren als Minister seien für DDR-Bürger neu, in der BRD aber nicht unüblich.429 . Wiederum drei Wochen später, am 6. Mai 1990, dem Tag der Kommunalwahlen, thematisiert von Maltzahn die Beziehung zwischen Christ- und Bürgersein. „Bei aller Behutsamkeit, das Politische und das Geistliche nicht in unverantwortlicher Weise zu vermischen, wir können andererseits doch auch nicht das Christsein und das Bürgersein in uns so säuberlich voneinander trennen, als hätten beide nichts miteinander zu tun.“430 Vergleichbar positiv, wenngleich völlig anders begründend, bewertet auch ein jüngerer Amtsbruder eine enge Bindung zwischen Kirche und Politik. Weil Gott die Menschen in ihrer Zerrissenheit annimmt, können sie „auch im Politischen furchtlos aufstehen“431 . Auf einer Akademietagung zur „Sozialistischen Marktwirtschaft“ votiert er im September 1990 gegen eine klare Abgrenzung von Ökonomie und Theologie, da sonst das Evangelium vom Leben ferngehalten würde und der Ökonomie der kritische Gesprächspartner fehle.432 Auch dürfe man prophetische Rede auf Politik beziehen, weil sich Gottes Wille auf die gesamte Ge426 427 428 429 430 431 432
Schmidt, Predigt am 5.8.1990, 2. Von Maltzahn, Predigt am 1.4.1990, 1. Ebd., 1. Vgl. ders., Predigt am 16.4.1990, 4. Ders., Predigt am 6.5.1990, 1. M/S/41-50/N, Predigt am 15.4.1990, 5. Vgl. ders., Predigt am 16.9.1990, 1.
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schichte der Menschheit und Schöpfung richte.433 Inwiefern er die Amtskirche in politische Geschicke einbinden möchte oder lediglich vom einzelnen Christen in seiner gesellschaftlichen Verantwortung spricht, bleibt offen. Bei solch einer bürgerlichen Verantwortung aller Menschen sind sich alle Pastoren einig. Am Sonntag nach der ersten großen Donnerstagsdemonstration am 19. Oktober 1989 in Rostock erinnert Lohse seine Gemeinde daran, dass jeder am Tage Christi die Frage beantworten muss: „Was hast du mit deinem Leben gemacht?“. Und wie die jüngere Generation wissen wolle, was ihre Verwandten in der Zeit des Faschismus machten, so werde „Christus uns vielleicht auch einmal durch einen jüngeren Menschen“ fragen. „Wie unsere Antwort dann ausfällt, haben wir heute in der Hand.“434 Politische Verantwortung zeige, so formuliert es Wolter zwei Wochen später, wer „für seine Fehler einstehen“435 und Konsequenzen ziehen kann. Jetzt sei die Zeit reif zum Handeln: „Keiner von uns kann sich im Rückblick […] beklagen, wenn er nicht da, als die Zeit dafür da war, etwas getan hat.“436 Weil es überall an prägenden Persönlichkeiten mangele, komme es umso mehr „auf die vielen kleinen Leute wie uns an“437 , damit sie sich „für diejenigen einsetzen, die unfrei sind“438 , statt sich auf der Einsatzbereitschaft anderer auszuruhen439 Denn: „Kirche und Welt lassen sich nicht trennen. - Es ist gut, wenn Staat und Kirche in ihrer Gesetzgebung voneinander getrennt sind, aber leben tun wir in der Gemeinschaft des einen Leibes J(esu) C(hristi), der viele Glieder hat […].“440 Rückblick auf die friedliche Revolution Im Rückblick waren die sich überstürzenden Ereignisse im Herbst 1989 „unglaublich“. Dieses Wort fällt häufig in Predigten nach dem Mauerfall.441 Ende 1989 prognostiziert Ohse, das vergangene Jahr werde sich „als Markstein der Weltgeschichte einprägen wie 1789“442 . Möge auch 1990 „ein Gnadenjahr“443 werden, so hofft er. Etwas ist geschehen, was noch kurz vorher niemand für möglich hielt, predigt ein Pommer am ersten Tag der Deutschen Einheit: „Nun ist es mit der DDR vorbei.“444
433 434 435 436 437 438 439 440 441 442 443 444
Vgl. M/S/41-50/N, Predigt am 16.9.1990, 5. Lohse, Predigt am 22.10.1989, 4. Wolter, Predigt am 5.11.1989, 1. Ebd., 2. Von Maltzahn, Predigt am 1.1.1990, 1. Wiebering, Predigt am 25.2.1990, 2. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 16.4.1990, 5. Wegener, Predigt am 4.11.1990, 4. Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 19.11.1989, 1; Vgl. Schmidt, Predigt am 24.12.1989, 1; Vgl. Wolter, Predigt am 24.12.1989, 1; Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 21.1.1990, 1. Ohse, Predigt am 31.12.1989, 1. Ebd., 6. P/L/31-40/E, Predigt am 3.10.1990, 1.
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Zur Volkskammerwahl mischt sich erstes Bedauern in den Rückblick. Alles habe doch so hoffnungsvoll begonnen, resümmiert ein Pastor, nun seien plötzlich alle kirchlichen und politischen Visionen begraben.445 Neue Unsicherheiten herrschten nun nach dem zuversichtlichen Herbst, stimmt ein gleichaltriger, politisch ebenfalls linker Kollege zu.446 Kraft zu schöpfen aus der Erfahrung des Herbstes 1989, dazu ermutigen viele Pastoren ab Mai 1990. Den städtischen Abgeordneten gibt Wackwitz mit auf den Weg: „Bewahren Sie sich […] das Gefühl der Solidarität vom vergangenen Herbst.“447 Und deutlicher in eine christliche Richtung gehend: „Halten Sie für sich persönlich die wichtigen Erfahrungen, die wir im vergangenen Herbst mit dem Gebet gemacht haben, lebendig.“448 Gegen Resignation und Angst hilft die Erinnerung, predigt sein mecklenburgischer Kollege Wegener: „Wir sollten nicht vergessen, daß die kritischen Tage der ‚friedlichen Revolution‘ von den Friedensgebeten begleitet worden sind. [...] Nicht darum, daß wir uns damit beweihräuchern, sd. darum, daß wir uns dieser Erfahrung bewußt sind auch in diesen Tagen der unüberschaubaren Unsicherheiten [...].“449
Solche Bewegung in und aus der Kirche komme höchst selten vor, „daß solch ein Traum soviel Kraft freisetzt, daß ein Volk sich befreit, einer veralteten Zeit entflieht“450 , das dürfe nicht einfach vergessen werden über Alltagssorgen. „Welch ein Jahr!“451 , sind sich Ende Dezember 1990 die Pastoren einig. Schon seien Freiheit und Einheit für viele ein selbstverständliches Gut, gleichzeitig machten sich Enttäuschung und Resignation breit in dieser Stimmung, „die nur vom Heute geprägt ist – ohne die Einbindung in das Gestern und Morgen zu beachten“452 . Wendehälse, „ungewendete[n] Menschen“ gebe es zuhauf, sodass ein Prediger Ende 1990 gar um einen zweiten Herbst ’89 betet: „daß wir nicht dabei bleiben müssen, wie es jetzt ist.“453 Die Revolution 1989 ist damit endgültig Teil der Geschichte und historisches Synonym für die Möglichkeit zu echtem Wandel. In den Predigten wurde folglich vor allem das gesellschaftliche Engagement in einem zu errichtenden freien Staat gestärkt. Aufforderungen zu konkretem politischen Verhalten im positiven Sinne (z.B. Wahl einer bestimmten Partei) kamen nicht vor. Lediglich eine Wiederwahl von SED-PDS wurde durch Wegener in seinen Predigten explizit abgelehnt.454
445 446 447 448 449 450 451 452 453 454
Vgl. M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 2–9. Vgl. M/S/41-50/N, Predigt am 15.4.1990, 4. Wackwitz, Geist, 194. Ebd., 195. Wegener, Predigt am 12.8.1990, 2. P/L/17-30/T, Predigt am 29.7.1990, 1. Von Maltzahn, Predigt am 31.12.1990, 3. Wegener, Predigt am 31.12.1990, 1. P/L/31-40/E, Predigt am 31.12.1990, 2b. Vgl. Wegener, Predigt am 21.1.1990; Vgl. ders., Predigt am 29.4.1990.
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2.4.3 Sozialethische Themen Mangels konkreter parteipolitischer Forderungen rückten vor allem bestimmte ethische Werte in den Vordergrund der Predigten. Detailliert schildert Regina Fritz dieses Phänomen anhand einer qualitativen Studie von 14 Predigten zwischen August und Ende November 1989.455 Gerechtigkeit, Schuldbekenntnis und Versöhnung tauchten als erstrebenswerte Ziele häufig auf und wurden von ihren Licht- und Schattenseiten beleuchtet. Gerechtigkeit Gerechtigkeit dürfe, so Lohse im März 1989, nicht zu ausgleichender Gerechtigkeit degradiert werden, sonst würden aus Partnern Gegner.456 Ein Jahr später unterstreicht er diese Gefahr anhand aktueller Beispiele: Die Abrechnung mit alten Funktionären dürfe sich nicht dem Wunsch nach Ausgleich anheim geben, „mit alten Methoden (wird) keine neue Gesellschaft“457 gebaut. Stattdessen müsse Gerechtigkeit, so von Maltzahn, immer Hand in Hand mit Versöhnung458 gehen, mit Schuldeingeständnis statt Selbstgerechtigkeit459 . Umgang mit der Vergangenheit: Schuld bekennen Sich der eigenen Schuld bewusst zu werden, sie offen zu bekennen, das ist ein alle mecklenburgischen Predigten durchziehender Topos bis weit ins Jahr 1990. Jeder habe schon das Vertrauen anderer verletzt, habe geredet, statt zu schweigen, und geschwiegen, statt zu reden.460 Was über 25 Jahre nach der friedlichen Revolution recht banal klingt, hatte im Schatten von DDR und Stasi einen konkreten, von allen verstandenen Unterton. Im Oktober 1989 wird das Thema der Mitschuld am System wichtig in den Predigten. Wegener ruft Mitte des Monats dazu auf, Fehler zuerst bei sich selbst zu suchen.461 Statt eines Sündenbockes ständen nun die Christen vor Gott auf dem Prüfstand und hätten über ihren Anteil an der Misere nachzudenken462 , predigt Schmidt eine Woche später. Am selben Sonntag fordert Timm, Christen müssten ihre „Schuld am Zustandekommen der gegenwärtigen Krise unserer Gesellschaft bekennen. Uns wurde eine Lüge abverlangt und wir haben gelogen. Wir haben vor Gott gesündigt.“463 Nach dem Fall von Mauer und Stasi wird Lohse an Weihnachten 1989 präzise: Alle, die jetzt nach Rache und Vergeltung riefen, müssten sich der unbequemen 455 456 457 458 459 460 461 462 463
Fritz, Ethos. Vgl. Lohse, Predigt am 30.3.1989, 3. Ders., Predigt am 4.3.1990, 3. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 10.12.1989, 2. Vgl. Lohse, Predigt am 30.3.1989, 3. Vgl. ders., Predigt am 18.6.1989, 2. Vgl. Wegener, Predigt am 15.10.1989, 2. Vgl. Schmidt, Predigt am 22.10.1989, 1. Timm, Predigt am 22.10.1989, 4f.
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Frage „Warum habt ihr so lange geschwiegen“464 stellen. Sieben Monate später wird sein Ruf noch umfassender, auf alle Bürger, ausgeweitet: „Wer da meint, ihn treffe keine Schuld, der hat (den) Neuanfang schon verspielt“465 , denn, so predigt er im Oktober 1990, der Weg des Schuldbekenntnisses sei der Weg Jesu Christi. Auch Kirche und Christen müssten ihr Versagen eingestehen.466 Deutliche Worte findet auch Wegener kurz vor Weihnachten 1989. Im alljährlichen Beichtgottesdienst fordert er weniger Richtermentalität und mehr Selbstkritik: „Je größer die Entrüstung, desto selbstverständlicher ist uns das Gefühl, selbst eine reine Weste zu haben.[…] Wir verstehen nicht, wie andere so wenig selbstkritisch sich gegenüber sein konnten. Aber wie kritisch sind wir uns gegenüber?“467 Im Umgang mit Mitarbeitern der Staatssicherheit mahnt er, nicht nur zu verurteilen, sondern eventuelle Mitschuld zu bedenken, denn „gerade weil wir ihre Methoden kennen, sollten wir uns doch vielleicht denken können, wie mancher dort hineingeraten ist. […] Vielleicht weil er keinen hatte, dem er sich anvertrauen könnte.“ Gerade jetzt müssten Gewalttätigkeiten der Zunge, wie Pauschalverurteilungen und böse Gerüchte, vermieden werden. „Und vergessen wir nicht, wie vieles von dem, was wir am bisherigen System als belastend und zerstörerisch empfunden haben, ‚nur‘ Gewalttätigkeit der Zunge war.“468 Statt dieselben Methoden zu nutzen, bedürfe es, so von Maltzahn, tiefer Erneuerung, angefangen bei jedem Einzelnen.469 . Eine kollektive Mitschuld am Unrechtssystem formulieren alle Prediger.470 Schulderkenntnis und –bekenntnis seien die Voraussetzung für eine echte Wende. Die „notwendige Kausalkette Schuld – Erkenntnis – Bekenntnis – Vergebung“471 dürfe nicht unterbrochen werden. Zwischen Oktober 1989 und März 1990 thematisieren auch die pommerschen Pfarrer die Notwendigkeit, Mitschuld am Zustand der Gesellschaft einzugestehen. Wider Willen, doch „um der eigenen kleinen oder großen Vorteile willen haben wir Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit geopfert.“472 Und „uns [...] in manchen Nischen unserer Gesellschaft gut eingerichtet“473 . In Anlehnung an die Stuttgarter Schulderklärung von 1945 fragt Seyfarth Mitte November 1989: „Haben wir nicht zu oft – fast immer? - geschwiegen, mitgemacht, es gewußt, uns fadenscheinige Entschuldigungen gesucht bei all dem Unfug der vergangenen Jahre? Haben wir 464 465 466 467 468 469 470
471 472 473
Lohse, Predigt am 24.12.1989, 3. Ders., Predigt am 1.7.1990, 2. Vgl. ders., Predigt am 14.10.1990, 1. Wegener, Predigt am 10.12.1989, 1. Ebd., 2. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 6.5.1990, 4. Darin stimmen sie mit einer Erklärung der KKL vom 8.12.1989 überein. Hier heiß es mit Anklängen an die Stuttgarter Schulderklärung von 1945: „Niemand, auch wir nicht, können unsere Hände in Unschuld waschen. Wir haben schon vor Jahren öffentlich geredet, als viele noch schwiegen. Aber wir haben auch oft geschwiegen, wo wir hätten reden sollen.“ Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Lage, 400. M/S/41-50/E, Predigt am 19.11.1989, 3. Kuessner, Predigt am 18.10.1989, 1. Springborn, Predigt am 12.11.1989, 5.
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nicht wegen der guten Seite der Ulbricht- und Honecker-Ära (stabile Preise, keine Arbeitslosen) den ganzen Wahlunsinn mitgemacht, ihn gar gerechtfertigt?“474 Innerhalb von zehn Tagen fordern daher die beiden Pfarrer Springborn und Sadewasser im November 1989 ihre Gemeinde auf, in das Schuldbekenntnis Israels einzustimmen: „Herr, wir erkennen unser gottloses Leben: wir haben gesündigt wider dich.“475 Aus dem eigenen Schuldbewusstsein heraus kann sich der Einzelne gegenüber anderen barmherzig erweisen und sich mit ihnen dank eines verantworteten Umgangs mit der Vergangenheit versöhnen. Natürlich müssten Straftaten, wie bei jedem anderen Bürger auch476 , geahndet werden477 , doch sei es keine Lösung, „Sündenböcke in Wandlitz einzusperren“. Wichtiger ist „unser aller Buße“478 . Auch SED-Genossen seien „Menschen, die weiterhin unsere Nachbarn sein können. [...] Rache und Vergeltung ist nicht unser Programm.“479 Jetzt hätten gerade Christen die Chance, „mehr Toleranz und Einsicht (zu) beweisen, als eben jene Andersdenkenden in der Vergangenheit zukommen ließen.“480 Ganz ähnliche Fragen seien dies wie „schon einmal nach 1945, als es um die Folgen der Naziherrschaft ging“, erinnert sich Wackwitz. Bei der Beurteilung der Motivation von Stasi-Mitarbeitern sei eine Bewertung von Schuld kaum möglich, denn: „Wo ist die Grenze zwischen gebotenen, erlaubten und unerlaubten Kompromissen?“481 Statt Häme solle Dialog gesucht werden,482 betonen auch die mecklenburgischen Pastoren, statt des Sieges über das alte System echte Versöhnung.483 Nun hieße es für Christen, das, was sie über Jahre predigten, umzusetzen, nämlich, dass „Hass keine Möglichkeit des Lebens ist“484 . Für das Gemeinwohl solle der Einzelne „auf billige Rache verzichten – (die) Gesellschaft wird nicht verändert, wenn Oberstes nach unten und Unterstes nach oben gelangt“. Solches versuchte ja gerade der Kommunismus, aber die „Umkehrung der Machtverhältnisse bedeutet noch lange keine Erneuerung“485 . Schuldbewusstsein setzt den verantworteten Umgang mit der eigenen Vergangenheit voraus gemäß dem Motto „Erinnern heißt Leben.“486 Leider seien die Deutschen in der DDR „noch weit entfernt von einem Leben, das sich erinnert an das Geschehene und zugleich auf Vergebung vertraut.“487 Nun dürfe nicht 474 475 476 477 478 479 480 481 482 483 484 485 486 487
Seyfarth, Umkehr, 85. Springborn, Predigt am 12.11.1989, 5; Sadewasser, Predigt am 22.11.1989, 4. Vgl. Kuessner, Predigt am 8.11.1989, 1. Seyfarth, Umkehr, 85. Springborn, Predigt am 24.12.1989, 3. Kuessner, Predigt am 8.11.1989, 1. Seyfarth, Umkehr, 85. Wackwitz, Predigt am 1.7.1990, 2. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 29.10.1989, 3. Vgl. ders., Predigt am 10.12.1989, 2. Wolter, Predigt am 24.12.1989, 2. Lohse, Predigt am 7.10.1990, 2. Timm, Predigt am 9.11.1988, 2. Ders., Predigt am 1.9.1989, 6.
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die „Zeit der Schuldlosen“488 anbrechen. Nicht die Verirrung selbst sei tragisch, sondern wenn der Irrtum selbst im Nachhinein nicht erkannt werde, warnt von Maltzahn eindringlich im November 1989. Jetzt, nach dem Ende der DDR, hätten viele Menschen das Bedürfnis, sich aus ihrer eigenen Geschichte zu stehlen: „‚Das waren nicht wir!!‘ – Waren das wirklich nur Honecker, Mielke und Harry Tisch und eine kleine Handvoll mehr? Und alle anderen standen nur auf der Brücke und sahen der Strömung zu? So nötig, wie das 3. Reich der Aufarbeitung bedurfte (und bedarf), bedarf auch die Zeit der DDR der Aufarbeitung.“489 Zwar müssten „Unrecht, Betrug und Partei-Skandale“ benannt werden. „Das ist die Aufgabe der Verantwortlichen.“ Aufgabe von Christen aber sind „Frieden und Versöhnung“490 . Gemessen an irdischen Maßstäben „mag es ungerecht sein, daß so mancher Funktionär und Angehöriger der Stasi davon gekommen ist, doch einen Neuanfang kann es nur aufbauend auf Erbarmen geben“491 . Die hierfür „wirklich übermenschliche Kraft“492 empfingen Christen von Gott. Ebenfalls gegen das Vergessen, doch aus anderen Beweggründen, predigen zwei weitere Pastoren. Zukunftssorgen scheinen durch. Es gehe doch nicht, dass die letzten 40 Jahre jetzt „up’n Müllbarg von dei Weltgeschicht“493 geworfen werden, klagt Nath. Vorsichtig hofft er, dass „dit Tausamenhüüren nu ok ahn all dat Leed bestahn künn“494 . Und bei einem Kollegen klingen Identitätsängste an495 , wenn er sagt: „Ich bin unter den Bedingungen der DDR bekennender Christ, Theologe und Pastor geworden. Soll ich diese meine Identität […] jetzt vergessen, oder darf ich nach dem 3. Oktober zu mir stehen als zu dem, der ich in der DDR geworden bin; darf ich mich annehmen und mich mitbringen? Ich möchte es.“496 Solche Sorgen plagen viele Bürger 1989/90, aber auch ganz konkrete materielle Ängste um Arbeitsplätze, Mieten und Löhne.497 Dem entgegnet Ohse am Altjahresabend 1989 hoffnungsvoll: „Was uns erwartet, weiß keiner. Wir wissen aber, wer uns erwartet.“498 Diese extrem demütige Betonung der eigenen Schuld am Unrechtscharakter der DDR mutet im Nachhinein anachronistisch an. Unbeabsichtigt entsteht so der 488 489 490 491 492 493 494 495
496 497 498
M/S/41-50/E, Predigt am 19.11.1989, 2. Von Maltzahn, Predigt am 31.12.1990, 4. Wegener, Predigt am 28.10.1990, 1. Ders., Predigt am 11.2.1990, 4. Ohse, Predigt am 24.12.1989, 6. Hochdeutsche Übersetzung: „auf den Müllberg der Weltgeschichte.“ Hochdeutsche Übersetzung: „dass das Zusammengehören nun auch ohne all das Leid bestehen könnte.“ Nath, Predigt am 27.5.1990, 3. Vgl. dazu Pollacks Feststellung, es sei typisch für viele DDR-Christen, darauf zu bestehen, dass sich ein Leben in der DDR gelohnt habe, „daß nicht alles schlecht an der DDR gewesen sei und daß man auch unter diktatorischen Bedingungen ein vollgültiges Leben geführt habe. Die relativ bald nach 1989 einsetzende Abgrenzung vom westlichen System war in starkem Maße eine Reaktion auf die Abwertung des Lebens in der DDR und der ostdeutschen Biographien.“ Pollack, Funktion, 87f. M/S/41-50/N, Predigt am 16.9.1990, 4. Wegener, Predigt am 11.3.1990, 1. Ohse, Predigt am 31.12.1989, 5.
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Die Predigten
Eindruck, Kirche und Christen trügen gleichermaßen Schuld an der gesellschaftlichen Misere, wie die staatlichen Institutionen und deren Funktionäre, weil sie nicht genügend gegen das System protestiert hätten. Die Täter werden mit psychologischen Erklärungen in Schutz genommen und das eigene Versagen, diese Menschen vor ihren Taten zu bewahren, in den Vordergrund gerückt. Ja, es scheint gar, als könne gar nicht recht zwischen echten Opfern und Tätern unterschieden werden, weil sich zuletzt jeder immer nach seiner (auch stillschweigenden) Mittat fragen muss. Opfer wurden damit implizit zu Mittätern, Täter ihrerseits zu hilflosen Opfern einer Diktatur. In der Intention, eine Hetzjagd auf IMs zu verhindern, war diese Wahrnehmungsverschiebung 1989/90 hilfreich. Allerdings wurde diese Diktion auch nach 1990 ungebrochen im kirchlichen Erinnerungsdiskurs fortgeschrieben.499 Die Opfer staatlicher „Zersetzung“ mussten dabei zwangsweise in den Hintergrund geraten. Aufbruch statt Resignation Nach dem Mauerfall, „am Anbruch einer neuen Zeit“500 , herrscht vor allem Angst vor den „alten Genossen“. „Wachsamkeit“501 lautet die Devise der Stunde gegenüber jeglichem Restaurationsversuch der alten Mächte. Doch die geforderte Aufbruchsstimmung will sich nicht recht halten in den Gemeinden. Sowohl im Februar, als auch im April 1990 predigt von Maltzahn daher gegen eine aus Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit hochtreibende Verklärung der Vergangenheit an. Statt der Angstmache vor sozialem Abbau, müsse man sehen, dass der „Punkt, wo es eigentlich nur besser kommen kann“502 , längst erreicht sei. Der Weg solle nicht übermäßig dramatisiert werden, auch, wenn das Ziel noch nicht erreicht ist, „aber im Ernst wollen wir doch nicht lieber das, was hinter uns liegt“503 . Dass mit der Einheit nicht auf Anhieb alle Probleme gelöst werden können, spricht auch Schmidt Ende Juli 1990 an. Es sei wie bei einer Geburt, der eben auch die Kinderkrankheiten folgen, ein langer Lernprozess beginne nun. Dennoch gebe es keinen Grund zu trauriger Nostalgie, so Wegener.504 Allzu schnell, bemängelt Schmidt, „vergißt der Mensch seine alten Unterdrücker und mag dumm genug sein, sich ihre vertraute Herrschaft zurückzuwünschen“505 .
499 500 501 502 503 504 505
Vgl. dazu Abschnitt 3.3.2 und Engert, Diagnose. Nath, Predigt am 19.11.1989, 3. Ebd., 4. Von Maltzahn, Predigt am 11.2.1990, 3. Ders., Predigt am 22.4.1990, 3. Vgl. Wegener, Predigt am 22.7.1990, 1. Schmidt, Predigt am 22.4.1990, 2.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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Dankbarkeit Trotz aller Ängste danken die mecklenburgischen Pastoren in ihren Predigten immer wieder für friedliche Revolution samt Aufbruch in eine neue Zukunft. Wie eine Melodie durchzieht „Dank! Großer Dank, demütiger Dank, jubelnder Dank!“506 die letzten Tage des Jahres 1989. Ohse jubelt Weihnachten 1989. Nicht die Kirche habe diese Revolution vollbracht, nein, Jesus Christus „selbst hat uns aus dem Dreck gezogen. Dank, Dank, Dank!“507 Ein Jahr später scheint die Euphorie in der Gemeinde verflogen zu sein, Ohse erinnert fast wehmütig an das „Gefühl einer großen, großen Dankbarkeit“508 im letzten Jahr. Schmidt sieht die Befreiung aus einem „ausgeklügelten Unrechtssystem“ als „wichtigste Erfahrung des Jahrhunderts“509 . Knapp einen Monat später, am Erntedankfest und ehemaligen Nationalfeiertag der DDR, stellt er fest: „Wir ernten, was wir nicht gesät haben: die Freiheit, den Rechtsstaat und das ohne Blutvergießen.“510 Demgegenüber sieht ein jüngerer Pastor das viele Danken für die deutsche Einheit kritisch. Stattdessen möchte er eben auch dankbar sein in seiner „Geradenoch-DDR-Existenz“. Wenn er nun Dankgottesdienste zur Einheit feiern solle, dann schließe dies für ihn „den Dank für alles, was mir in 40 Jahren DDR widerfahren ist“511 ein, weil Gott seine Kirche auch in einer gottlosen Umwelt nicht losgelassen habe. Schon 1990 wird in den Predigten deutlich; der angemessene Umgang mit der jüngsten, eigenen Vergangenheit liegt eingebettet zwischen klärender Aufarbeitung, kritischer Selbstreflexion und mild verzeihendem Rückblick. Wie auch immer die Deutung ausfällt, sie betrifft direkt Selbstverständnis und Identität des jeweiligen Predigers. 2.4.4 Theologische Themen Bei den theologischen Themen erwies sich eine getrennte Betrachtung der mecklenburgischen und pommerschen Predigten zumeist als nicht durchführbar, da nicht alle Themen in beiden Landeskirchen angeschnitten wurden. Der Aufbau folgt sowohl inhaltlichen als auch chronologischen Kriterien. Den Anfang der Untersuchung bilden Fragen nach Gottes Geschichtswirksamkeit als zentraler Topos in den Predigten 1989/90. Im zweiten Teil wird die Identifikation mit der Geschichte Israels durch Prediger und Gemeinden in der DDR illustriert. Dies leitet zu Beispielen über, als wie aktuell biblische Geschichten 1989/90 empfunden und interpretiert wurden.
506 507 508 509 510 511
Ohse, Predigt am 10.12.1989, 1. Ders., Predigt am 24.12.1989, 4. Ders., Predigt am 24.12.1990, 5. Schmidt, Predigt am 16.9.1990, 2. Ders., Predigt am 7.10.1990, 2. M/S/41-50/N, Predigt am 16.9.1990, 4.
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Die Predigten
Gottes Weg mit den Heiden In einer überwiegend atheistischen Umwelt stellt sich die Frage nach Gottes Weg mit Nichtchristen besonders brennend. Passend dazu lautete die Jahreslosung 1989 „Keinem von uns ist Gott fern“ (Apg 17,27). Am Neujahrstag nennt Burkhardt Gorbatschows Reformen als Beispiel dafür, dass auch Ungläubige gottgefällige Entscheidungen treffen können.512 Gott wirke „überall dort, wo in reiner, selbstloser Weise für Menschenwürde und Freiheit gekämpft wird“513 , predigt er zwei Wochen später. Die Heilung des Blinden (Mk 8,22-26) nehmen zwei Pastoren am Jahrestag des Mauerbaus 1989 zum Anlass, ihrer Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass auch die „Heiden“ zu Jesus Christus kommen werden.514 Der eine schlussfolgert aus diesem Gleichnis: „Gott ist so souverän, daß er auch Atheisten gute Gedanken eingeben kann.“515 Aktuelle Beispiele dafür seien Gorbatschows Reformwerk516 , die Entwicklungen in Ungarn und die ob der Umweltzerstörung Alarm schlagenden Wissenschaftler. Zwar seien die Worte von Politikern, so der zweite Prediger, „keine Gottesworte, aber vielleicht verbirgt sich in dem einen oder anderen doch ein prophetisches Wort.“ Das, so Wegener, lehrten schon die Propheten, „auf den Zusammenhang von Gottes- und Menschengeschichte, von Schuld und Strafe“517 verweisend. Den Predigttext Hebr 13,12–14 verstehen Wolter und Wackwitz im April 1990 als Aufforderung an die Christen, aus den „dicken Kirchenmauern“ hinauszutreten. Dort säßen sie zwar trocken, seien „aber als die Eingeschlossenen eben auch die von allen Ausgeschlossenen“. Statt, wie in der DDR erwünscht, sich nur auf den kirchlichen Bereich samt Feiertagen und religiösen Themen zu beschränken, müssten die Christen dorthin gehen, wo Gott schon ist, erklärt Wolter.518 Gottes Zusage, so ermutigt Superintendent Wackwitz das Greifswalder Stadtparlament, gelte „jedem angefochtenen, verantwortlich handelnden und denkenden Menschen. Und da ist es dann gar nicht einmal so wichtig, ob er sich als guter Christ versteht.“519 Der missionarische Ansatz der Pastoren ist unverkennbar. Befreit von der restriktiven Kirchenpolitik der SED und nach dem politischen Einsatz der Kirche im Herbst 1989 rückt Mission verstärkt ins Blickfeld. Christen müssten ihren Arbeitskollegen und Bekannten jetzt Rede und Antwort stehen.520 Für viele Menschen sei nun ein Vakuum entstanden: „Werden wir eine Sprache sprechen, die sie erreicht?“521 Besonders drei mecklenburgische Pastoren rufen verstärkt zum 512 513 514 515 516 517 518 519 520 521
Vgl. Burkhardt, Predigt am 1.1.1989, 1f. Ders., Predigt am 15.1.1989, 1. M/S/41-50/N, Predigt am 13.8.1989, 1. Nath, Predigt am 13.8.1989, 3. Vgl. ebd., 2. Wegener, Predigt am 1.7.1990, 1. Vgl. Wolter, Predigt am 1.4.1990, 2. Wackwitz, Geist, 194. Vgl. Lohse, Predigt am 4.3.1990, 1. Von Maltzahn, Predigt am 16.4.1990, 2.
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missionarischen Einsatz auf. Der Missionsbefehl gelte auch heute noch unverändert, so Ohse: „Unser Mecklenburg, ja die ganze Republik, kann ein frohes Land werden, wenn die Taufe im Namen Gottes über allen und für alle gilt.“522 Nach den Gebetsandachten und vollen Kirchen vom Herbst 1989 hofft er, dass sich einige Menschen bekehrt hätten: „Vielleicht sagt der eine oder der andere unter uns: Ab heute Nacht sage ich einfach Du zu ihm. Nicht der Gott, sondern Du Gott!“523 Sein Kollege Schmidt geht grundsätzlich davon aus, dass jeder Mensch nach Gott sucht.524 Gott habe sich in den Monaten der Revolution so deutlich offenbart, dass dem, der „in diesen Monaten nicht begriffen hat, daß es einen Gott gibt“525 , wirklich nicht zu helfen sei. Die Revolution wird hier zur Theophanieerfahrung. Ganz anders der Impuls Wegeners. Er ruft zwar ebenfalls dazu auf, zu den Menschen zu gehen, ihnen „in Wort und Tat den Auferstandenen“526 zu verkünden. Im April 1990 freut er sich darüber, dass kirchliche Mitarbeiter in Schulen gehen, um Kindern und Lehrern etwas von Ostern zu erzählen. „Und wer war nicht erstaunt, als in den Räumen der Volkskammer die Minister vereidigt wurden mit den Worten ‚So wahr mir Gott helfe.‘ Gott wird angerufen in einem Gebäude, das solange einer gottfeindlichen Ideologie und Politik gedient hat.“527 Hoffnungen auf eine neue Volkskirche in den ersten Monaten nach dem Mauerfall dämpft Wegener dennoch. Kritisch fragt er an, ob die Teilnahme an Abendgesprächen und Friedensgebeten „schon Umkehr und Gehorsam und Glaube ist?“528 Vermutet er am Tag der Volkskammerwahl noch, dass es vielleicht einen Aufbruch in der Kirche geben werde mit mehr Taufen, Trauungen und Konfirmationen529 , stellt er zwei Wochen später ernüchtert fest: „Längst sind die Massen vom November und Dezember des letzten Jahres wieder zuhause, draußen, außerhalb des Raumes der Kirche.“530 Ab Mai 1990 steigen gar die Kirchenaustritte an, meist begründet mit der ab 1. Januar 1991 auch in Ostdeutschland in Kraft tretenden Kirchensteuer. Aus „Angst um ihr bißchen Geld“ würden nun „Menschen, die gar nicht in der Kirche gelebt haben, sich eigentlich gar nicht zur Gemeinde gezählt haben“531 aus der Kirche auch formal austreten. Genauso interpretieren auch Ohse und Schmidt die sinkenden Kirchenmitgliedszahlen und unterscheiden überraschend klar zwischen gläubigen und lediglich getauften Christen. Die Austrittswelle habe daher, so Ohse, die Gemeinde selbst noch nicht betroffen, denn „fast alle waren gar nicht Glieder der Kirche, entweder nicht getauft oder hatten schon seit Jahren der Gemeinde 522 523 524 525 526 527 528 529 530 531
Ohse, Predigt am 9.7.1989, 6. Ders., Predigt am 24.12.1989, 1f. Vgl. Schmidt, Predigt am 8.4.1990, 1. Ders., Predigt am 16.9.1990, 2. Wegener, Predigt am 26.3.1989, 4. Ders., Predigt am 13.4.1990, 1. Ders., Predigt am 11.3.1990, 3. Vgl. ders., Predigt am 18.3.1990, 3. Ders., Predigt am 8.4.1990, 1. Ders., Predigt am 28.10.1990, 2f.
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Die Predigten
den Rücken gekehrt und ihr die schuldige Kirchensteuer versagt.“532 Somit werde hier, schlussfolgert Schmidt, „formal etwas nachgeholt, was sich bei den meisten schon vor 38 Jahren ereignet hat – der Verlust des Hl. Geistes!“533 Ähnlich bewertet ein pommerscher Pfarrer die Situation. Leute, die sich von der Kirche „nicht wunsch- und termingerecht bedient“534 fühlten, träten nun aus. Viele seien damit „bloß offiziell dorthin getreten, wo sie schon lange waren: nämlich draußen“. Allerdings, gesteht er merklich wütend ein, waren auch einige Leute darunter, die regelmäßig in den Gottesdienst kamen: „öffentlich fromme Lieder singen und hinterrücks die Gemeinde verlassen - was soll’s...“535 Die DDR als Strafe Gottes Ein Land ohne Gott: Für fünf mecklenburgische Pastoren und zwei pommersche Pfarrer, allesamt über 50 Jahre alt, waren die Teilung Deutschlands und die daraus resultierende Existenz der DDR ohne Frage eine Strafe Gottes für die Gottlosigkeit seiner Bewohner. In seinen Erinnerungen schreibt der mecklenburgische Landessuperintendent i.R. Traugott Ohse: „Was wir als Unglück, als Teilung, als Schicksal zu bezeichnen gewohnt waren, - es war nichts anderes als das harte Gerichtsurteil des Herrn aller Geschichte.“536 Deutlich benennt ein Pastor kurz nach dem Mauerfall die Ursache für die vergangenen schweren Jahre: „Wir hatten vor der Staatssicherheit mehr Angst, als vor Gottes Gericht. […] Treue Gemeindeglieder haben gesagt: Unser Volk hat Gott den Rücken gekehrt. Deshalb sind wir in diese Krise geraten.“537 Am 1. Oktober 1989 predigt Ohse über den „Fluch der Deutschen“, dem ersten Gebot untreu gewesen zu sein und immer wieder „andere Götter angebetet“ zu haben.538 Dabei sei es in der Folge egal, ob sich Menschen vom Nationalsozialismus oder Kommunismus verführen ließen, von diesen „zwei Irrlehren, die sich so feindlich sind und doch so beängstigend ähnlich und die beide unser Volk von Gott abgedrängt haben? Und darum uns in den Abgrund gestürzt haben?“539 Diese Vergötterung des Menschen führte zur „Gefangennahme von Millionen Menschen durch ein die Menschenwürde verlästerndes und damit gotteslästerliches System“540 , predigt Schmidt Weihnachten 1989. Gegenwärtiges Leid sei stets Frucht von Vergangenem.541 , mahnt er im März 1990. Ein Mensch, der Gott und seinen Nächsten vergesse, sei nur noch „Karikatur seiner selbst, umrahmt von einer tollwütigen Politik“542 . Nicht Gott bringe das Unheil über die Menschen, 532 533 534 535 536 537 538 539 540 541 542
Ohse, Predigt am 24.12.1990, 1. Schmidt, Predigt am 4.11.1990, 1. P/L/31-40/E, Predigt am 25.12.1990, 3. Ders., Predigt am 31.12.1990, 1b. Ohse, Gnaden, 15. Nath, Predigt am 19.11.1989, 4. Vgl. Ohse, Predigt am 8.10.1989, 5. Ders., Predigt am 31.12.1989, 5f. Schmidt, Predigt am 24.12.1989, 2. Vgl. ders., Predigt am 25.3.1990, 1. Ders., Predigt am 17.6.1990, 2.
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sondern der Mensch selbst, wenn und weil er „Gottes Wort nicht beachtet“543 . Bei allen Schwierigkeiten der letzten 40 Jahre, so Schmidt, „müssen wir Gott auch noch dankbar sein, daß er uns nicht härter hat prüfen lassen und die Versuchung schnell ihr Ende gefunden hat“544 . Vom klassischen Tun-Ergehenszusammenhang spricht auch Wegener am Tag der Wirtschafts- und Währungsunion. Die alttestamentlichen Propheten lehrten den „Zusammenhang von Gottes- und Menschengeschichte, von Schuld und Strafe […]. Politisches Glück oder Unglück, 40 Jahre Grenze und Mauer zwischen Ost und West [...] sind nicht Zufall oder unabänderliches Schicksal, sd. Gottes Antwort auf Gottlosigkeit oder Gottesfurcht der Menschen. [...] Unsere Väter haben den Krieg angefangen mit den Nazis und wir mußten den Sozialismus nach dem Kriege ausbaden. Unsere Väter haben geschwiegen und mitgemacht in der sozialistischen Diktatur und wir haben jetzt den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Unsere Väter und Mütter sind aus der Kirche ausgetreten, haben nicht mehr an Gott geglaubt, nichts mehr von Gott erzählt und wir sollen dafür büßen, daß wir von Gott nichts gelernt haben.“545
Aber Gott sei zum Glück barmherzig und habe keinen Gefallen am Tod des Sünders. Aus reiner Gnade hat er den Menschen in der DDR die Chance zum Neuanfang geschenkt. Strafe und Neuanfang liegen beide in Gottes Hand.546 Jene 40 Jahre DDR, beschreibt Springborn die Ursachen für das Unrecht, waren „eine Herrschaft ohne Gott, ohne Evangelium, ohne Glaube“, in der sich Menschen „selbst zu Göttern gemacht haben, [...] alles Christliche ausrotten wollten“547 . Das sei gleichermaßen im Faschismus als auch unter der SED-Alleinherrschaft geschehen. „Die eigentliche Wurzel aller Schuld“, predigt Sadewasser am Buß- und Bettag 1989, „ist die Gottlosigkeit“548 . Nun aber, stimmt ihm Ohse bei, „hat Gott dreifach Gnade ausgesprochen, jetzt leben wir im Frieden und in Freiheit und in Einheit. […] Gott hat das Gericht abgebrochen!“549 Die deutsche Geschichte nach 1945 war damit nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Sühne für die deutsche Schuld davor. 1989 ist die Zeit reif für einen Neubeginn. Sein jüngerer Kollege Burkhardt versteht die DDR-Zeit als „Heimsuchung“. Dabei habe dieses Wort „auch einen rettenden Klang. Heimsuchungen können ein Volk dahin bringen, dass es neue Sehnsucht bekommt nach Freiheit, Frieden und Glück.“550 Neben die Aspekte einer 40-jährigen Strafe und Sühne tritt damit ein erzieherisches Motiv. 543 544 545 546 547 548 549 550
Ders., Predigt am 24.6.1990, 2. Ders., Predigt am 5.8.1990, 2. Wegener, Predigt am 1.7.1990, 1f. Vgl. ebd., 4. Springborn, Predigt am 1.1.1990, 5. Sadewasser, Predigt am 22.11.1989, 4. Ohse, Gnaden, 15. Burkhardt, Predigt am 21.10.1990, 2.
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Die Predigten
Gott, Lenker der Geschichte Der Aufbruch aus der 40-jährigen Gottlosigkeit mittels der revolutionären Ereignisse wird schon zum Zeitpunkt des Geschehens, besonders aber rückblickend, von mehr als der Hälfte der mecklenburgischen Pastoren explizit als konkretes Wirken Gottes in der Geschichte verstanden. Sechs der zehn Prediger waren damals älter als 50, sodass sich ein latenter Generationenunterschied abzuzeichnen scheint. Vier Pastoren benutzten keine heilsgeschichtlichen Kategorien, zwei davon unter 50 Jahre alt und dem linken Spektrum der Pfarrerschaft zuzuordnen.551 Noch ganz allgemein formuliert Lohse im Juni 1989 die Zuversicht, dass Gott „auch heute überraschende Wendungen bewirken kann“552 und Wolter fragt Anfang November 1989: „Ist das, was geschieht, eben Zufall oder etwas, was mir zufällt, von Gott zufällt?“. Allerdings werde oft erst im Rückblick erkannt „Ja, es war Gottes Güte, da war Gott am Werk.“ Niemand müsse resignieren, „weil in allem Geschehen […] Gott das Uhrwerk ist“553 . Der Rückblick auf die Ereignisse im Lichte göttlich gewirkter Geschichte beginnt bei den Predigern Ende 1989. Jesus Christus, „dieser sanftmütigste und doch starkmütigste Herr“ war selbst am Werk „und sein Schlüssel paßt und faßt und dreht den Riegel zurück und wir sind frei!“554 , jubelt Ohse und unterstreicht diese Deutung Weihnachten 1989 noch einmal. „Das Kind [...] selbst hat uns aus dem Dreck gezogen.“555 Was niemand plante oder ahnte ist, „wie so oft in der Geschichte Gottes mit uns Menschen, wie über Nacht über uns gekommen“556 , fasst Wegener Gottes Aktivität am Altjahresabend 1989 zusammen. Besonders häufig thematisiert Schmidt Gottes Handeln in der Geschichte. Dass die Kirche 1989/90 „solch eine Autorität besitzt. […] das hat Gott in harten Kämpfen um unsre Seelen in den letzten 40 Jahren selbst vorbereitet.“557 , erklärt er Neujahr 1990. „Stehen wir vor einer neuen Epoche der Geschichte? Nicht nur europäisch, sondern weltweit?“558 , vergleichbar mit solch einschneidenden Ereignissen wie der Geburt Jesu Christi Anfang des ersten und der Blütezeit des christlichen Abendlandes Anfang des zweiten Jahrtausends? Jetzt, 1989/90, ist ein Kairos: „Wir werden einmal sagen können, wir sind mit Christus auf dem ‚heiligen Berg‘ gewesen.“559 „Wir sehen“, predigt Schmidt Anfang April 1990, „daß Gott ein größerer Meister der Geschichte ist, als Menschen es waren.“560 Geschichte ist für ihn Heilsgeschichte Gottes. Daraus müsse die Lehre gezogen werden, „mit 551 552 553 554 555 556 557 558 559 560
Die anderen beiden steuerten jeweils nur bis zu drei Predigten bei, sodass eine Aussage über ihre grundsätzliche theologische Haltung nicht möglich ist. Lohse, Predigt am 18.6.1989, 3. Wolter, Predigt am 5.11.1989, 2. Ohse, Predigt am 10.12.1989, 2. Ders., Predigt am 24.12.1989, 4. Wegener, Predigt am 31.12.1989, 2. Schmidt, Predigt am 1.1.1990, 1. Ebd., 2. Ders., Predigt am 25.2.1990, 1. Ders., Predigt am 8.4.1990, 2.
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Gottes Walten zu rechnen“561 , erinnert er die Gemeinde eine Woche nach Ostern 1990. Ein „Zurück“ ins Gestern „wäre Sünde, weil ein Akt des Mißtrauens gegen Gott selbst“562 , findet er Ende Mai starke Worte gegen jeden Anflug von Nostalgie. Und im September 1990 betont Schmidt, dass diese wohl „wichtigste Erfahrung des Jahrhunderts“, die Befreiung der Menschen aus dem Unrechtsystem DDR „kein Selbstzweck“ sei. Denn die Geschichte Gottes mit den Menschen geht weiter, „Gott hat mit uns etwas vor.“563 . Deshalb hat „Gott uns zu diesem Erntedank die Freiheit geschenkt“564 , predigt er am 7. Oktober 1990. Dass seiner Meinung nach Gottes Geist im Herbst 1989 am Werk war, bekennt auch Nath: „Un Gott sien Geist – dor bün ik fast von oewertüügt – wier dor, as wi in’n Oktober, November un Dezember vörrig Johr in uns' Karken tauhoop kemen un mit eins Gotts Wuurt ganz anners hüürt hebben, as vördem.“565 Heils- und Menschengeschichte werden von vielen demnach als eng miteinander verknüpft, teilweise sogar identisch empfunden. Und zwar von denjenigen, die entweder von Anfang an für die deutsche Einheit plädierten oder aber sich der Idee schnell annäherten. Diejenigen, die bis Mitte 1990 einem Gesamtdeutschland kritisch gegenüber standen, interpretierten die Ereignisse auch nicht heilsgeschichtlich. In den pommerschen Predigten zeichnet sich eine vergleichbare Tendenz ab. Zehn Prediger, darunter sechs über 50-Jährige, sehen im Herbst 1989 ein direktes Eingreifen Gottes in die Geschichte. Von fünf Predigern, die keine heilsgeschichtlichen Bezüge herstellen, sind drei dem linken Spektrum zuzuordnen.566 Schon im Juli 1989 predigt Haberecht über Gottes Führung, die zwar nicht immer an Gefahren vorbeiginge, doch „hinein und hindurch“567 . Exakt diesem Bild von der „Führung Gottes“ widerspricht ein Amtsbruder Ende März 1990 vehement. So zu sprechen, seien „bereits im Grunde verdorbene, befleckte Worte“. Selbstbestimmt und von Gott unmanipuliert gehe der Mensch seinen Weg und Gott „straft nicht einmal die Abweichler“568 . Im Reigen der analysierten Predigten ist diese, jede Geschichtstheologie vehement ablehnende Sicht, einmalig. Ab Oktober 1989 nehmen die pommerschen Pfarrer in ihren geschichtstheologischen Aussagen stärker Bezug auf aktuelle Entwicklungen. „Gott, der Herr der Ge(schichte)“569 habe die Menschen auf den Weg des Heils berufen. Konkret formuliert Sadewasser: „Gott will die Wende - er gestaltet Geschichte durch alles 561 562 563 564 565
566 567 568 569
Ders., Predigt am 22.4.1990, 2. Ders., Predigt am 20.5.1990, 2. Ders., Predigt am 16.9.1990, 2. Ders., Predigt am 7.10.1990, 2. Hochdeutsche Übersetzung: „Und Gottes Geist - davon bin ich fest überzeugt - war da als wir im Oktober, November und Dezember letztes Jahr zuhauf in unsere Kirchen kamen und auf einmal Gottes Wort ganz anders hörten als vorher.“ Nath, Predigt am 27.5.1990, 2. Allerdings ist ob der Quellenlage (sie steuerten alle nur bis zu drei Predigten bei) kein Rückschluss auf ihre theologische Haltung außerhalb der wenigen Predigten möglich. Haberecht, Predigt am 2.7.1989, 4. P/L/31-40/E, Predigt am 31.3.1990, 4. P/S/41-50/O, Predigt Oktober 1989, 3.
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Die Predigten
Leiden und alle Irrtümer hindurch zum Heil der Menschen und Völker.“570 Dieser Gott habe „unseren Kleinglauben“571 beschämt, so Springborn Weihnachten 1989. Dem stimmt ein Kollege im Juli 1990 zu: „Gott kann Wunder tun, wo keiner es mehr für möglich hält“572 . Nach dem Mauerfall erkennt Wackwitz in den Ereignissen vom Herbst 1989 Gottes planvolles Wirken: „Die Kette von überfüllten Gebetsgottesdiensten an den letzten Mittwochen zeigt neben allen andern soziologischen gesellschaftlichen Gründen, die hierbei eine Rolle spielen, daß Gott auch heute viel vorhat mit seinen Menschen und zwar weit über die klein gewordene Zahl der Kirchensteuerzahler hinaus.“573 Im Rückblick war genau dies die wichtigste Erfahrung der jüngsten Vergangenheit, predigt Sadewasser am 1. Juli 1990: „Die Stimme Gottes [...] hat endlich Gehör gefunden und wir haben Gottes Kommen erlebt im Weggehen und Überwinden eines 40 jährigen Systems“574 . Nun müsse dieses Erlebnis in Gegenwart und Zukunft fruchtbar gemacht werden.575 Schließlich sähen Christen „in allen Veränderungen auch Gottes Wirken in der Geschichte“576 , dankt er Gott am Tag der deutschen Einheit 1990. Allerdings sei das Ziel von Gottes Weg oft nicht erkennbar für die Menschen, wendet ein Pfarrer im Mai 1990577 gegen zu viel geschichtstheologischen Optimismus ein. Gottes Wirken erschließe sich oft erst in der Rückschau, wenn Christen aus der Distanz „erkennen, daß Gott auf unerklärliche Weise mit ihnen war und sie auf ihrem Weg begleitet hat [...].“578 Daher brauche es wohl auch noch einige Zeit, bis die Menschen „sagen können: Gott hat uns auch über diese Wüstenzeit geholfen.“, vermutet Puttkammer Ende Juni 1990. Ohne Zweifel aber habe „ Gott [...] geholfen, daß es zu dieser Wende gekommen ist. Er hat sie vor allem weitgehend so friedlich kommen lassen. Gott hat bewirkt, daß der Wunsch der meisten Menschen unseres Landes Wirklichkeit“579 wurde.
570 571 572 573 574 575 576 577 578 579
Sadewasser, Predigt am 29.10./31.10.1989, 3. Springborn, Predigt am 24.12.1989. P/S/41-50/O, Predigt Juli 1990, 5. Wackwitz, Predigt am 19.11.1989, 2. Sadewasser, Predigt am 1.7.1990, 4. Vgl. ebd., 5. Ders., Predigt am 3.10.1990, 3. Vgl. P/L/51-65/W, Predigt am 13.5.1990, 2. Ders., Predigt am 24.6.1990, 3. Puttkammer, Predigt am 22.6.1990, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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Der Mensch als Werkzeug Gottes Der Mensch als Werkzeug Gottes, dieses Bild taucht in verschiedenen Varianten in den pommerschen Predigten durch dieselben heilsgeschichtlich predigenden Pfarrer auf. Der Pfarrer, der die Rede von einer „Führung Gottes“ ablehnte, spricht lieber davon, wie Gott „unserer kleinen Kraft seine große Kraft hinzugeben“580 will. Die Initiative zum Wandel aber kommt vom Menschen selbst. Damit nimmt er eine Sonderstellung gegenüber den anderen Predigern ein, welche „die Kraft der kleinen Leute“ betonen, „die aus einem Leben mit Christus erwachsen kann“581 . Nur das ist wirkliche Kraft, „die Gott verleiht und die auf Gott vertraut und das ist dann eine zupackende, die Geschichte verändernde Kraft.“582 Der vergangene Herbst habe gelehrt, „mit Gottes Möglichkeiten zu rechnen“583 . Dieser „Gott wird uns nicht verlassen, sowie er uns in den vergangenen Jahren nicht verlassen hat.“584 , ermutigt Sadewasser seine Gemeinde am 1. Juli 1990. Mecklenburgische Pastoren predigen ähnlich. Dieses Verständnis vom Zusammenwirken der Kräfte, vom Menschen als Instrument Gottes, taucht insgesamt bei acht Predigern immer wieder auf. Zwei von ihnen, beide unter 50, nutzten nur diese theologische Kategorie: „Gott handelt an dem und durch den Menschen“, sechs sprechen abwechselnd vom Menschen als Werkzeug Gottes und von Gott als „Meister der Geschichte“. Elf von 16 Pastoren haben also 1989/90 dezidiert geschichtstheologisch gepredigt, lediglich drei Prediger stellten einen solchen direkten Zusammenhang zwischen friedlicher Revolution und Gottes Willen nicht explizit her, zwei unter ihnen sind laut eigener Aussage585 dem linken Spektrum der Pfarrerschaft zuzuordnen. Jesus Christus brauche die Menschen als Apostel, dafür müssten sie aber zuerst „aufhören mit der Ausrede, wir können doch sowieso nichts machen und ihm unsere Hände zur Verfügung stellen“586 . Gott gibt seiner Kirche einen Auftrag, erinnert Ohse seine Gemeinde. In der aufregenden Zeit des politischen Umbruchs hat „die schwache, zusammengeschmolzene Kirche in der DDR [...] plötzlich diesen Auftrag gehört: Jetzt bist du für dieses ganze Volk da!“587 Veränderungen in Kirche und Politik, neue Parteien und Wahlen wolle Gott und begleite die dabei aktiven Menschen, „sein Segen ist denen verheißen, die vertrauensvoll aufbrechen und durchhalten“588 . Dennoch gab es innerhalb der Kirche 1990 offensichtlich durchaus unterschiedliche Interpretationen vom Herbst 1989. Zwei Prediger können sich auf anerkannte, entgegengesetzte Interpretative in ihren Predigten stützen und diese 580 581 582 583 584 585 586 587 588
P/L/31-40/E, Predigt am 9.9.1989, 2b. P/L/51-65/W, Predigt am 4.3.1990, 3. P/S/41-50/O, Predigt am 20.2.1990, 3. Wackwitz, Geist, 195. Sadewasser, Predigt am 1.7.1990, 6. Vgl. die Interviews mit M/S/41-50/N; und mit M/S/41-50/E. Timm, Predigt am 16.7.1989, 4. Ohse, Predigt am 17.12.1989, 4. Wegener, Predigt am 11.3.1990, 4.
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Die Predigten
als vorherrschende Meinung darstellen. So erinnert Lohse daran, dass viele den Machtwechsel „als ein Zeichen von Gottes Gnade und Barmherzigkeit verstanden – durch Gottes Zuwendung wurde möglich, was unmöglich erschien“589 . Einen Monat später warnt von Maltzahn jedoch davor, „das Geschehen der letzten Monate nur als politisches Geschehen zu verstehen. […] Ich frage mich, war es nur Zufall, dass Menschen, die jahre- und jahrzehntelang nicht mehr in eine Kirche gekommen waren, zu Tausenden die Kirchen aufsuchten und hörten und mehr und mehr auch mit beteten und sangen, bevor sie zur Demonstration auf die Straße gingen?“590 Bis zum Ende des Jahres 1990 betont von Maltzahn immer wieder das geschehene Wirken Gottes während der friedlichen Revolution, welches gegenüber dem „Werk mutiger Menschen“ nicht in den Hintergrund geraten dürfe: „Gewiss, auch ein Werk von Menschen, aber in vielen dieser Menschen kam der Geist zum Zuge, von dem es heißt: “Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.„ […] Gottes Handeln und das Tun der Menschen. Das eine ist oft untrennbar mit dem anderen verbunden.“591 Oder, wie es Schmidt geschichtstheologisch zusammenfasst: „Gott hat für uns die Wende herbeigeführt. Er gibt unserem Volk eine neue Chance, wie er es auch mit Israel einst getan hat.“592
Die Aktualität biblischer Texte Alte biblische Geschichten werden plötzlich brandaktuell, Vergleiche mit Gottes Handeln am alttestamentlichen Israel drängen sich nach 40 Jahren DDR geradezu auf. Führen wird der Gott, der schon Israel aus Ägypten leitete. In den Predigten werden gern Vergleiche zwischen Israel und der DDR gezogen (Israel in Wüste und Exil). „Es ist immer wieder faszinierend und ich beobachte das nun schon seit Wochen, wie die jeweiligen Predigttexte des Sonntags hineinreden in unsere Zeit.“593 , konstatiert ein Pfarrer Mitte Oktober 1989. „Haben Sie gesehen und gehört, wie seit dem vorigen Jahr ausnahmslos die ausgewählten Predigttexte in unsere Situation hineinsprachen.“594 , fragt Schmidt seine Gemeinde Ende Februar 1990 und ergänzt im September: „Lange Jahre haben solche Bibelworte, wie dieses (1. Thess 5,14–24), geschwiegen. Jetzt sprechen sie.“595 Eine Erfahrung, die auch andere Pastoren verbalisieren. Die jeweiligen Perikopen des Tages sprächen, so Wackwitz Ende Oktober 1989, direkt hinein „in unsere Fragen in diesen Tagen und Wochen. Sie sind bewegend aktuell.“596 . Auf diese Weise wurden biblische Geschichten, neu- und alttestamentliche Texte gleichermaßen, zu Verständnishilfen für die Gegenwart. 589 590 591 592 593 594 595 596
Lohse, Predigt am 25.3.1990, 3. Von Maltzahn, Predigt am 22.4.1990, 2. Ders., Predigt am 9.12.1990, 2. Schmidt, Predigt am 24.6.1990, 2. P/S/31-40/U, Predigt am 22.10.1989, 19. Schmidt, Predigt am 25.2.1990, 1. Ders., Predigt am 16.9.1990, 1. Wackwitz, Predigt am 22.10.1989, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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Diese Gegenwart wurde von einigen Pfarrern als „Kairos“ erlebt. Schmidt spricht Ende November 1989 davon, in einem „gnadenreichen Augenblick der Zeitgeschichte“ zu leben, „in dem das Wort Jesu Christi in den Taten der Christen für einen friedlichen Wandel wirksam ist.“597 Und Ende Februar 1990 jubelt er: „Wir werden einmal sagen können, wir sind mit Christus auf dem ‚heiligen Berg‘ gewesen.“598 Den Predigttext am ersten Weihnachtstag 1989, Gal 4,4–7, nehmen zwei pommersche Pfarrer zum Anlass für gegensätzliche Aussagen. Ein jüngerer Pfarrer predigt über die Gegenwart als erfüllte Zeit, gekennzeichnet durch eine Fülle an Ereignissen, Wahrheit und Mündigkeit „nach den langen Dürrejahren des Stalinistischen Zentralismus“. Nun endlich seien die Menschen in der DDR erlöst von der Vergangenheit. „Und so werden wir wohl sagen dürfen: Wir leben in einer erfüllten Zeit.“599 Dem widerspricht Springborn vehement. „Ich muß gestehen, daß ich noch sehr weit davon entfernt bin, zur Zeit unsere Zeit so zu sehen. Denn Erfüllung haben wir in vielen Dingen überhaupt noch nicht.“ Stattdessen charakterisiert er die Zeit als historisch, als Aufbruch, als „gefährliche Zeit“. Erfüllte Zeit könne nur ein Ereignis genannt werden: „Gott wird Mensch.“600 Vergleich mit Israel 40 Jahre DDR, eine biblische Zahl. „Schon merkwürdig“ sei dies, bemerkt ein pommerscher Pfarrer Anfang März 1990, „immer genau 40 Jahre, eine Generation, bis (die) alte Welt untergeht, (die) geistige Substanz aufgezehrt ist.“601 1991 predigte ein Amtsbruder über ebendiese symbolträchtige Zahl 40, u.a. ein Bild für die „Zeitspanne zwischen Erwartung und Erfüllung“. Im Oktober ’89 sei Psalm 95,10 gern zitiert worden: „Vierzig Jahre war dies Volk mir zuwider, daß ich sprach: Es sind Leute, deren Herz immer den Irrweg will und die meine Wege nicht lernen wollen.“602 Ohse erinnert sich 2008: „Und ich denke: 40 Jahre – geht denn keinem auf, daß die Wüstenwanderung des Volkes Israel nach 40 Jahren ein Ende fand? Biblische Dimensionen!“603 Entsprechend oft taucht das Motiv der Wüstenwanderung in Predigten auf. Ägypten steht bei drei Predigern für das unfreie, aber materiell abgesicherte Leben unter Fremdherrschaft. Nun „ist alles so ungewiß“604 , die Freiheit „verwirrend“605 neu. Das führe teilweise zu unreflektierter Nostalgie, so „mitten in der Wüste“606 . Dieser Deutung widerspricht ein junger Pfarrer, die Sorgen und Wün597 598 599 600 601 602 603 604 605 606
Schmidt, Predigt am 26.11.1989, 1. Ders., Predigt am 25.2.1990, 1. P/S/31-40/U, Predigt am 25.12.1989, 32. Springborn, Predigt am 24.12.1989, 17. P/S/41-50/O, Predigt am 6.3.1990, 1. P/L/31-40/E, Predigt am 7.4.1991, 1b. Ohse, Gnaden, 5. P/L/51-65/W, Predigt am 20.5.1990, 1. Ders., Predigt am 17.6.1990, 1. Puttkammer, Predigt am 22.6.1990, 1.
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Die Predigten
sche der Menschen ernst nehmend. Ein „Sehnen nach den Fleischtöpfen“ sei „gar nicht unbedingt eine Vergoldung der Vergangenheit“607 , sondern konkrete Zukunftsangst. Je ein mecklenburgischer und ein pommerscher Prediger vergleichen die 40 Jahre DDR selbst mit einer 40-jährigen Wüstenwanderung. Die Revolution ist der „Ausbruch“ aus der Wüste, präzisiert ein anderer. Die ganze Zeit über ging es dabei laut Ohse „um die Herrschaft des einen Gottes gegen all die Götter!“608 . Es war eine „Durststrecke der Selbstbestimmung“. Nun aber sei das Ende eines langes Weges erreicht, das Ende der Wüstenwanderung. Schon wurden „Boten in das von vielen gelobte Land, wo Milch und Honig (fließen), ausgeschickt.“609 Dennoch scheine das Ziel noch nicht erreicht, Unruhe und Unsicherheit beherrsche die Menschen. Auch diese fortdauernde Durststrecke sei wichtig, um der Erinnerung an das Sklavenhaus willen. Und um weiterhin mit Gottes Wundern zu rechnen. Vier Monate später benutzt derselbe Prediger das Wüstenmotiv im biblischen Sinne für den Auszug aus der Sklaverei, für die Gegenwart. Wie Israel unverdient das Manna empfangen habe, so hätten die DDR-Bürger „in den ersten Monaten nach der Wende unverdient große Sympathie von euch hier im Westen erfahren.“610 Doch die neue Freiheit verleite zum Murren, „Freiheit begegnet zuerst als Wüste: keine Grenzen sind da (man kann aufatmen), aber auch noch keine Wege.“611 Deshalb würden alte Sicherheiten der Sklaverei nostalgisch verklärt, diese Zeit der materiellen Absicherung, aber des „satten Todes. Der Tod am Brot allein.“612 Geschichte wird zum göttlichen Kampfplatz um die Seele des Menschen. Der Alltag nach der Revolution, nach dem Fest, kann vielen wie eine „Wüstenwanderung“, eine „elende Durststrecke“ vorkommen, nun bräuchte es einen Rufer zur Vernunft: „Waren das noch Zeiten, als ein einzelner Mensch ein ganzes Volk zur Besinnung rufen konnte...“613 , klagt Burkhardt Ende 1990. Das Volk der DDR als unzufriedenes Israel in der Wüste – dieses Bild zeichnet auch Nath im Juli 1990. Biblische Geschichte und aktueller Bezug werden dabei ganz dicht miteinander verwoben. Der mecklenburgische Pastor erzählt zu 75% seiner Predigt die alttestamentliche Geschichte derart nach, dass die Parallelen nicht zu überhören sind. Jetzt, wo das Essen knapp und teuer werde, seien alle unzufrieden mit der Regierung. „Hättet ihr uns nur da gelassen, wo wir waren! Da gab es Lebensmittel, genug für jeden. Da gab es Arbeit und Lohn, da hatte jeder seine Wohnung und lebte in gewissen, rechtlich gesicherten Verhältnissen. Was machte es da, daß man keine Freiheit hatte, daß die Geheimagenten des Pharao hinter jeder Ecke lauerten und alles meldeten, was man tat oder sagte. Was machte es da schon, 607 608 609 610 611 612 613
P/L/17-30/T, Predigt am 29.7.1990, 2. Ohse, Predigt am 31.12.1989, 2. P/S/41-50/O, Predigt am 6.3.1990, 1. Ders., Predigt Juli 1990, 2. Ebd., 3. Ebd., 4. Burkhardt, Predigt am 21.10.1990, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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daß man die Früchte seiner Arbeit nicht genießen durfte, daß man unfrei war, wie ein Gefangener eingesperrt leben mußte.“614
Beide Prediger interpretieren nicht die 40 Jahre DDR als Wüstenzeit, sondern die Gegenwart. Was war, wird mit dem Bild von Ägypten umschrieben, was ist, als Wüste mit allem, was sie bietet: Entbehrungen, aber auch Freiheit und Fürsorge Gottes. Das Sehnen nach alten Sicherheiten verurteilt auch Schmidt zweimal aufs Schärfste. Zurück an „die alten Fleischtöpfe der ägyptischen Sklavenhalter [...]? - statt Freiheit? Natürlich wollen wir das nicht.“615 , liefert er die in seinen Augen einzig richtige Antwort im April 1990 gleich mit. Nur die „Kleinmütigen“ wollen wieder „an die Fleischtöpfe des Stasistaates“, präzisiert er fünf Monate später. Alle anderen aber müssen, „wie einst die Trümmerfrauen, durch den Trümmerberg einer verfehlten Politik hindurch“616 . Viel Arbeit bedeute dies, aber vor allem eine neue Chance, wie Gott sie auch Israel einst gab. Das Motiv kann auch von ein und demselben Prediger ganz unterschiedlich auf die aktuelle Situation hin gedeutet werden. Im Februar 1990 vergleicht von Maltzahn die Bürger der DDR mit den Israeliten in der Wüste, die ihre Zeit in Ägypten im Nachhinein verklärten. Statt über aktuelle Missstände zu klagen, sollte man bedenken: „Die kritische Situation haben nicht die neuen Gruppierungen heraufbeschworen. Die kritische Situation ist vom alten System erzeugt worden“617 . Der schlimmste Teil der Wüste liege schon hinter ihnen, vor ihnen befinde sich Neuland. Einen Monat später, am Tag der ersten freien Wahl, fragt er im Hinblick auf den weiten Weg zu einer echten politischen „Wende“, wo sich die DDR gerade befände: Am Eingang zum Paradies oder noch am Rand der Wüste?618 In seiner Bildsprache hat sich die DDR eindeutig vorwärts bewegt. Und nach einem weiteren Monat bittet er die Gemeinde, ihre Lage nicht zu dramatisieren. Der Weg heute sei nicht der Weg durch die Wüste, auch wenn das Ziel noch nicht erreicht sei.619 Damit ist die Analogie zum Volk Israel überschritten, denn die Wüste ist zwar überwunden, das gelobte Land aber noch nicht erreicht. Die DDR-Zeit als Pendant zum israelischen Exil, auch dieses Motiv verwenden mehrere Pastoren. Auf zweierlei Art setzt Timm Israels Leiden unter Fremdherrschaft in Bezug zum aktuellen Geschehen. Ende März 1989 predigt er, die Israeliten würden „von den Ägyptern behandelt, wie Ausländer leider so oft behandelt werden“620 . Einen Monat später predigt er, unmissverständlich auf die Krise im eigenen Land anspielend, über Israel im babylonischen Exil. Es habe dort gelitten „unter einer Regierung, die stark die Menschenrechte beschnitt. Ihre Hoffnung auf eine Besserung der innen- und außenpolitischen Verhältnisse war groß. 614 615 616 617 618 619 620
Nath, Predigt am 29.7.1990, 1. Schmidt, Predigt am 8.4.1990, 1. Ders., Predigt am 16.9.1990, 1. Von Maltzahn, Predigt am 11.2.1990, 2. Vgl. ders., Predigt am 18.3.1990, 3. Vgl. ders., Predigt am 22.4.1990, 3. Timm, Predigt am 23.3.1989, 3.
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Die Predigten
Die Menschen spürten, daß sich etwas ändern muß.“ Kinder „wurden verlacht wegen ihres anderen Glaubens“.621 Und bei alledem spürten die Menschen beim Singen, wie heute im Gottesdienst: „Gott ist an unserer Seite“622 . Befänden sich die DDR-Bürger nun in einer ähnlichen Situation, wie die Israeliten in der babylonischen Gefangenschaft, fragt auch Ohse im Juli 1989. Der neue Götzendienst sei ein „handfester praktischer Materialismus“623 gegen Gott. Weihnachten Weihnachten 1989 ziehen alle Prediger Parallelen zwischen der Zeit um die Geburt des fleischgewordenen Wortes Gottes und der Wirkung von Gottes Wort in der Gegenwart. Ein pommerscher Pfarrer formuliert den bekannten lukanischen Text (Lk 2) aktuell um: „Und es begab sich aber zu der Zeit – zum letzten Mal in jenen ersten Oktobertagen des Jahres ’89, daß ein Gebot ausging von dem Kaiser Erich H., daß die Konterrevolution in den deutschen demokratischen Landen verhindert werden sollte. Und dieses Gebot war das allerletzte dieses Kaisers und geschah zur Zeit, da Erich M. Staatssicherheitschef u. damit Vizekaiser […] war. Und es waren noch nicht viele, die dieses Gebot nicht befolgten.“624
Hoffentlich sei dies auch das allerletzte Mal gewesen, dass alle „wie Bücklinge“625 einem Gebot folgen. So wie sich auch zur Zeit des Kaisers Augustus die Menschen aufmachen mussten, predigt Wegener, so ist auch heute „Bewegung in unser Land gekommen. [...] Das verbindet uns mit Menschen über 2000 Jahre hinweg: Sie hatten ein Wort gehört: die Botschaft Gottes! […] Da sind sie losgegangen.“626 Der Aufbruch aus den alten Schranken der DDR ist hier hörbar auf den Ruf Gottes zurückzuführen. Dass die „Macht der Mächtigen“ friedlich zerbrochen wurde ist genauso unglaublich, wie „in Jesus Christus die stille Revolution Gottes zu erkennen“627 , predigt Schmidt. Ganz ähnlich sieht es Amtskollege Ohse und spricht von Jesus als „Symbol für die friedliche Verwandlung der Herzen und damit der Welt.“ Dieser habe „gerade in seiner Gewaltlosigkeit“ den Widerstand gegen den „Meuchelmörder Herodes“ und sein „Spitzelsystem“628 aufgenommen. So wie mit Jesus Christus ein kleines Kind zum Herrscher der Welt wurde, so stellt Gott auch heute die Machthaber infrage, „die Gleichgültigen, die Mitläufer, die Ja-Sager, die Schmeichler, die Speichellecker, die Leisetreter“. Diejenigen, die jetzt nach Rache und Vergeltung rufen, „die es immer schon gewußt haben – warum habt ihr so lange geschwie621 622 623 624 625 626 627 628
Timm, Predigt am 23.4.1989, 1f. Vgl. ebd., 3. Ohse, Predigt am 9.7.1989, 2. P/L/17-30/T, Predigt am 24.12.1989, 1. Ebd., 2. Wegener, Predigt am 24.12.1989, 2. Schmidt, Predigt am 24.12.1989, 1. Ohse, Predigt am 24.12.1989, 3f.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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gen?“629 Diesen Fragen müssten sich nun alle stellen, fordert Burkhardt. Unbequemes müsse nun ausgesprochen werden, pflichtet ihm Wolter bei, weil Jesus Christus für alle Menschen geboren und gestorben ist.630 Einen anderen Akzent setzt Ohse ein Jahr später am Heiligabend 1990, Zukunftsängste der Menschen aufnehmend und relativierend. Auf dem Weg zur Volkszählung, auf dem Weg in ein neues Land war Josef „wochenlang arbeitslos und ohne Arbeitslosenunterstützung“. Sein Berufsleben wird „Opfer der Umstände“631 . Er gibt alles auf und geht ins Ungewisse. „Diese Geschichte von Jesu Geburt fragt uns: Was gilt dem Menschen seine Macht, was gilt ihm sein Geld, was gilt ihm sein Ich? […] siehst du, wie beschämend du wirkst gegenüber dem Leid dieser drei?“632 Die Weihnachtsgeschichte eignet sich offensichtlich für Interpretationen mit unterschiedlichster Funktion. Zum einen soll sie ermutigen: Menschen machen sich auf ein Gebot hin auf den Weg, Gottes Botschaft sucht sich menschliche Boten und bewegt. Ein kleines Kind bringt plötzlich die weltlichen Machtgefüge zum Wanken, gibt unbequeme Denkanstöße. Zum anderen sollen die Schwierigkeiten von Maria und Josef damals die heutigen Probleme relativieren. Biblische Vergleiche mit der Gegenwart Die „rechtlose Witwe“ als Symbol für Kirche und Menschen in der DDR: Am 12. November 1989 predigten vier von fünf Pastoren zur vorgegebenen Perikope Lk 18,1–8. Drei von ihnen übertrugen das Bild der Witwe auf die Gegenwart, jeder mit einem anderen gesellschaftspolitischen Schwerpunkt. Eins zu eins überträgt Burkhardt die Geschichte, „als hätte sie Jesus extra für die gegenwärtige Lage in unserem Lande erzählt: Der korrupte Richter steht für die Vertreter dieses Unrechtsstaates, denen wir seit 40 Jahren ausgeliefert sind. […] Wir haben es lange genug in unserem Land so erlebt, und neuerdings wird das von verantwortlichen Leuten sogar zugegeben. Warum? Weil die arme Witwe, sie steht in dem Gleichnis für das einfache Volk, sich nicht zufrieden gab mit dem Schlamassel“.
So wie sich die Witwe mehrfach um ihr Recht bemühte, tat dies auch das Volk der DDR, „ging auf die Straße und schlug ziemlich laut Alarm. Und das nicht nur einmal, sondern in schöner Regelmäßigkeit“. Aus Angst vor Gewalt durch die Massen „gibt die korrupte Regierung auf und tritt ab“. Um das aufgebrachte Volk zu beruhigen, werden die Bürger nun „fast täglich reich beschenkt [...], vor allem mit solchen Geschenken, die den Westen was kosten, wie etwa die neuen Reisemöglichkeiten.“633
629 630 631 632 633
Burkhardt, Predigt am 24.12.1989, 3. Wolter, Predigt am 24.12.1989, 2. Ohse, Predigt am 24.12.1990, 2. Ebd., 3. Burkhardt, Predigt am 12.11.1989, 1.
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Die Predigten
Eine kleinere Personengruppe symbolisiert die biblische Witwe für Wegener am selben Tag. Sie steht nicht für das gesamte, einfache Volk der DDR (ohne Funktionäre), sondern ist ein „Gleichnis der Demonstranten oder der Besuchsreisenden in die BRD“. Jene haben mit ihrem Einsatz und Mut die Volksbewegung initiiert: „Und unsere Staatsführung mußte dem Willen und den Forderungen des Volkes nach und nach stattgeben bis hin zu der Öffnung der Mauer und der Grenzen. – Das meint Jesus: diese Entschlossenheit, diesen Einsatz und Mut, diese Ausdauer.“634 Lediglich die „Tag für Tag“ demonstrierenden Menschen im Land verkörpert die Witwe in der Predigt eines jungen pommerschen Pfarrers. Aus dem Gleichnis lasse sich Hoffnung schöpfen, denn „wozu sogar ein ungerechter Staat in der Lage ist, das ist bei Gott normal: Recht ist Gerechtigkeit.“635 Nicht das Volk, nicht die Reisenden und Demonstranten, sondern die christliche Gemeinde in der DDR verkörpert für Ohse die rechtlose Witwe: „Wir führten ein Witwendasein ohne Recht. […] Wenn wir etwas erfahren haben in all diesen Jahren, dann dieses: Wir sind eine Gemeinde ohne Machtmittel.“636 Wie eine „wehrlose Witwe“ lebten die Christen in der DDR, waren zwar am Ende ihrer Möglichkeiten, aber „haben überlebt! [...] Und welch Wunder: Wir sind noch da, sind gefragt, haben einen ungeahnten Auftrag, sind in völlig neuer Art ‚Volkskirche‘: Die wichtige Witwe! Rechtlos, machtlos, wehrlos – aber wie wichtig!“637 Beispielhaft werden im Folgenden einige Einzelbeispiele für besonders starke Vergleiche mit christlichen Geschichten chronologisch vorgestellt. Karfreitag 1989 predigt Timm zwischen den Zeilen, aber unüberhörbar, gleichzeitig über die Hinrichtung Jesu Christi und die Lage in der DDR. „In aller Öffentlichkeit geschah“ diese Kreuzigung. „Niemand stand auf und klagte die Menschenrechte ein. […] Die Menschen schauten zu [...].“ In diese Situation hinein „unternahmen die Politiker Erklärungsversuche, um die Menschen zu beschwichtigen; dann gaben sie Durchhalteparolen aus. Aber es nützte alles nicht viel. Angst und eine starke Unsicherheit regierte.“638 Der aktuelle Bezug dürfte der Gemeinde vor Augen stehen, falls nicht, wird der Prediger deutlich: „Unsere Zeit ist voller Zeichen der Endzeit, die alle die Abartigkeit unseres Lebens demonstrieren [...]. Apokalyptische Ängste sind bei vielen Menschen da. Wie damals!“ Wenige Tage nach der gewaltvollen Auflösung der Demonstrationen in Berlin und einen Tag vor der ersten friedlichen Massendemonstration in Leipzig zieht Timm unmissverständliche Parallelen zwischen der Geschichte von Saul und David und der politischen Situation in der DDR. Saul wusste, dass das Volk David als neuen König wollte, weil es „ihm in der letzten Zeit nicht mehr (gelang), seine Politik so zu gestalten, daß die Menschen Vertrauen zu ihm hatten.“ Gleichzeitig 634 635 636 637 638
Wegener, Predigt am 12.11.1989, 2f. P/L/17-30/T, Predigt am 12.11.1989, 1. Ohse, Predigt am 12.11.1989, 2. Ebd., 3. Timm, Predigt am 24.3.1989, 1f.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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vermochte Saul es nicht, „David in seine Politik zu integrieren“ und wollte „den oppositionellen David“ töten. In seiner Not liefen David und seine Begleiter zum Priester und der „stellte sich vor die Verfolgten“639 . Damit steckt der Prediger die Rolle der Kirche in der gegenwärtigen politischen Krise deutlich ab und begründet sie biblisch. Am Reformationstag 1989 drängt sich Sadewasser der Vergleich zwischen damals und heute förmlich auf. Auch zur Zeit Luthers sei das Volk in die Kirchen geströmt, habe evangelische Predigten gehört und reformatorische Lieder gesungen. Besonders die Bauern hätten „mehr Freiheit und Gerechtigkeit“ gefordert unter Führung von Thomas Müntzer.640 Auch heute bedürfe es der „Umgestaltung und Wende mit notwendigen Reformen unserer Gesellschaft“641 . Ein völlig neues Verständnis davon, was des Menschen Erlösung durch Christi Tod und Auferstehung bedeutet, bekam ein junger pommerscher Pfarrer beim Anblick der Massendemonstration am 4. November 1989 in Berlin. Plötzlich werden „30 Jahre Leben – mein Leben, [...] umgekrempelt“642 . Der Unterschied zwischen dem Leben von gestern und heute sei als „tiefe persönliche Erfahrung“ mindestens so groß, wie der „Unterschied zwischen unserem doch durch Tod gekennzeichneten und dem von Gott bestimmten Leben“. Freiheit wird von dem Prediger stark empfunden als „Erlösung vom Knechtsein, Auferstehung vom Tod“643 . Über nationale Grenzen hinaus fragt ein mecklenburgischer Pastor Ende Januar 1990, was die Deutschen aus Ost und West verbinde neben Sprache, Kultur und gemeinsamer Geschichte bis 1945. Mit der Berliner Mauer seien noch nicht die sozialen und rassistischen Mauern gefallen. Wichtiger als die deutsche Einheit sei das Zueinanderfinden unterschiedlicher Traditionen, wie schon der Judenund Heidenchristen im Urchristentum. Ein „gemeinsames Handeln nach gleicher Motivation“644 könne stärker sein als nationale Grenzen und helfen, traditionelle Differenzen überwinden. Zwei Monate später, am Tag der Volkskammerwahl, spürt man die Enttäuschung desselben Pastors über den Verlauf der Revolution deutlich in seiner Predigt über den ebenfalls enttäuschten Elia (1. Kön 19,1–8(9–13a)). „Es hatte doch alles so hoffnungsvoll begonnen.“645 , nun scheint das „Bemühen um Basisdemokratie“646 keine Chance mehr zu haben gegenüber D-Mark und Wohlstand. Viele Christen seien ernüchtert, noch vor wenigen Monaten waren die Kirchen voll: „1000e kamen. [...] 1000 beteten […] Doch: Wo sind jetzt die vielen?“647 Sollten 639 640
641 642 643 644 645 646 647
Ders., Predigt am 8.10.1989, 1f. Mit diesem Rekurs auf die Rolle der Bauern steht der Pfarrer, vermutlich unbewusst, in der Tradition einer offiziellen DDR-Interpretation der Reformation als Vorläufer einer „frühbürgerlichen Revolution“ (Roy, Luther, 183), die sich vornehmlich auf Thomas Müntzer berief. Sadewasser, Predigt am 29.10./31.10.1989, 2. P/L/17-30/T, Predigt am 5.11.1989, 2. Ebd., 3. M/S/41-50/E, Predigt am 21.1.1990, 6. Ders., Predigt am 18.3.1990, 2. Ebd., 3. Ebd., 7.
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Die Predigten
jetzt doch „die Verlockung der Freiheit und des Geldes in unserer Revolution gesiegt (haben) [...] – nicht die Christenheit, die doch aufzuwachen schien?“648 So wie Elia seien auch viele Christen in der DDR am Ende. Werden sie, wie Elia, neue Kraft von Gott bekommen? Ganz anders geht Wegener eine Woche zuvor an die Situation im Land heran. Auch er betont, dass Gott „mit uns (ist) wie er mit dem Volke Gottes unterwegs war“649 , allerdings ohne eine Spur von Ernüchterung. Vielmehr präsentiert er Abraham als gutes Beispiel für die Bürger der DDR. Auch Abraham sei in eine ungewisse Zukunft gegangen und lebte in Zelten ein unstetes Leben, aber er vertraute dabei Gott und verzweifelte deshalb nie. Insgesamt zeigt sich, dass die Prediger Tagespolitik und Weltgeschehen im Lichte der biblischen Texte interpretierten. Gerade in Umbruchszeiten, die wohl dem Sitz im Leben der biblischen Texte oftmals am nächsten kommen, gewinnen die Perikopen ganz neue Aktualität. 2.5 Zusammenfassung und Vergleich Grundsätzlich sind sich die Prediger in ihren theologischen und politischen Meinungen treu geblieben über die friedliche Revolution hinaus. Viele entwickelten ihre eigenen Ansichten in Auseinandersetzung mit den tagespolitischen Ereignissen, sodass im Sommer 1990 keiner mehr genauso predigte wie noch ein Jahr zuvor, aber die Grundtendenz blieb.650 Lediglich bei dem pommerschen Pfarrer Puttkammer ist ein erstaunlicher Sinneswandel zu lesen. Im August 1989 predigte er noch verächtlich über die „Ausreißer“ nach Ungarn und in die BRD651 , betonte die positive Zusammenarbeit staatlicher und kirchlicher Stellen in Fragen des Kirchbaus gegenüber Vorurteilen vieler Pastoren652 und beklagte die Proteste zum 40. Jahrestag der DDR. Nachdem auch im Norden der DDR erste Friedensgebete stattgefunden hatten, lobte er Mitte Oktober den Mut von Demonstranten und Kritikern.653 Im Sommer 1990 schließlich stellte er die wesentliche Rolle der Kirche im Vollzug der Wende heraus, sowie die neuen Aufgaben einer Kirche in der BRD. Diese müsse nun deutlich machen, „daß man nicht nur die D-Mark kassieren kann, sondern auch entsprechend zu arbeiten hat“654 . Kirchliche Verkündigung stellte er somit in den Dienst einer sozialen Marktwirtschaft und bewies damit erneut Staatsloyalität unter geänderten politischen Vorzeichen. Einige Themen tauchen nur in pommerschen oder mecklenburgischen Predigten auf. Die Wiedereinweihung des Greifswalder Domes wird in mecklenbur648 649 650 651 652 653 654
M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 8f. Wegener, Predigt am 11.3.1990, 4. Eine thematische Gesamtauswertung zu den drei Ausgangsfragen erfolgt in diesem Kapitel Abschnitt B.4. Vgl. Puttkammer, Predigt am 22.8.1989, 1. Vgl. ders., Predigt am 26.8.1989, 1. Vgl. ders., Predigt am 18.10.1989, 1. Ders., Predigt am 21.6.1990, 1.
Auswertung der Gemeindegottesdienstpredigten
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gischen Predigten bis auf eine Ausnahme nicht angesprochen, während sie in Pommern gänzlich negativ beurteilt wird. Gar nicht nutzen pommersche Prediger die Motive der Mauer oder der Revolution Jesu Christi, welche in Mecklenburg häufig und teilweise metaphorisch Verwendung finden. Während die mecklenburgischen Pastoren die mediale Berichterstattung allesamt kritisieren, variiert das Spektrum in Pommern zwischen Lob für den Wandel und Kritik. Aufschlussreich ist in beiden Landeskirchen der Altersfaktor, aus dem sich politische Einstellungen ableiten lassen: Die Ältesten unter den Pastoren, 1989 schon über 50-jährig, wuchsen in der Zeit des Nationalsozialismus auf und wurden durch ihre oftmals der BK nahestehenden, aber gleichzeitig deutsch-national denkenden Eltern geprägt. Sie haben die deutsche Einheit vor 1945 noch erlebt und sehnten sich während der gesamten DDR-Zeit nach ihr. Sechs der Pastoren studierten sogar noch in der BRD und kehrten erst in den 1950ern aufgrund des Pfarrermangels zurück in die DDR. Die 1989 unter 50-Jährigen hingegen kannten ein vereinigtes Deutschland gar nicht mehr aus eigenem Erleben, hatten oftmals selbst noch nie eine Westreise genehmigt bekommen und wurden sowohl durch die Schule als auch das Studium vom sozialistischen System geprägt. Dies spiegelt sich im Sprachgebrauch wider, aber auch in der teils krassen Kapitalismus- und Konsumkritik gegenüber dem Westen. Dabei gilt Folgendes: Je älter ein Pastor, desto stärker lehnt er in der Regel DDR und Sozialismus ab und desto schneller plädiert er für eine baldige deutsche Einheit. Revolution und Vereinigung werden von dieser Gruppe im Lichte der Geschichte Gottes mit den Menschen als Heilsgeschichte durch direktes göttliches Eingreifen bewertet. Gleichzeitig ist festzuhalten: Je jünger ein Pastor, desto länger hält er an der Idee vom „verbesserlichen Sozialismus“ und „Dritten Weg“ fest. Mutet die Idee von der Verbesserung des Sozialismus in der DDR 1989 utopisch oder gar rückwärtsgewandt an aus heutiger Sicht, darf nicht vergessen werden, welche Sprengkraft die auf der Bundessynode des BEK 1972 von Falcke eingebrachte Rede vom „verbesserlichen Sozialismus“ besaß: der Staatssozialismus war reformbedürftig, das dementierte eo ipso „den Anspruch des ‚real existierenden‘“655 Sozialismus. Aussagen über das aktive Handeln Gottes in der deutschen Geschichte sind daher selten, weil das Erlebte nicht ausschließlich positiv beurteilt wird. Ob ein Prediger zur ELLM oder ELKG gehörte, auf dem Land oder in der Stadt verkündigte, wirkt nicht auf seine politischen Ansichten. Insgesamt stehen die meisten unter 50-Jährigen dem Sozialismus weniger kritisch gegenüber als ihre älteren Kollegen, unabhängig von der landeskirchlichen Zugehörigkeit. Dies widerspricht der von Volker Höffer, Leiter der Außenstelle Rostock des Bundesbeauftragter für Stasiunterlagen (BStU), auf der Greifswalder Tagung am 4. Dezember 2014 in seinem Vortrag aufgestellten These, im Vergleich zwischen Rostock und Greifswald habe es unter den Rostocker Kirchenleuten deutlich
655
Murrmann-Kahl, Prophet, 166.
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Die Predigten
mehr Anhänger für einen dritten Weg gegeben.656 Auf Basis der Predigten ist solch ein landeskirchlicher Unterschied nicht zu verifizieren.
3. Auswertung der Friedensgebete 3.1 Überblick In diesem Kapitel werden Predigten aus Friedensgebeten in den mecklenburgischen Städten Rostock, Bad Doberan und Neubrandenburg, sowie aus den pommerschen Städten Greifswald und Anklam vergleichend ausgewertet. Die im Wendearchiv Rostock archivierten Donnerstagsandachten stellen dabei die größte Zahl mit 17 erhaltenen Predigten zwischen dem 5. Oktober 1989 und 8. Februar 1990, sowie die auf die Ereignisse zurückblickenden Andachten vom 22. März 1990 und 2. Oktober 1990 (ohne Predigt, aber mit zahlreichen Voten von Pastoren und Laien) und eine im Privatarchiv Pelz befindliche Andacht vom 6. Januar 1990. Regelmäßig gepredigt wurde erst ab dem 19. Oktober 1989, die Andacht vom 21. Dezember 1989 fehlt in den Unterlagen, fand aber sicher statt, da am 11. Januar 1990 die Höhe der damaligen Kollekte erwähnt wurde.1 Aus Bad Doberan sind 15 von 19 Predigten erhalten im Privatarchiv Pelz sowie ein Bericht über Gaucks Predigt vom 1. November 1989 im „Demokrat“ am 3. November 1989. Vom 25. Oktober 19892 bis zum 14. März 1990 wurden immer mittwochs Friedensgebete im Doberaner Münster abgehalten. In der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober 1990 fand ein Dankgottesdienst zur „Deutschen Einheit“ statt. Für Neubrandenburg hat Pastor i.R. Heydenreich3 Begrüßungen, Ansprachen und biblische Besinnungen aus den Friedensgebeten zwischen dem 11. Oktober 1989 und dem 19. März 1990 gesammelt. Acht Predigten sind enthalten. Die Andachten zwischen Ende November 1989 und Anfang März 1990 fehlen gänzlich. Aus Greifswalder Friedensgebeten konnten acht Predigten4 und drei Fürbit5 ten ausfindig gemacht werden. Über die Andacht von Pfarrer Springborn am 8. November 1989 im Greifswalder Dom wurde eine Woche später recht ausführlich im CDU-nahen „Demokrat“ berichtet, sodass eine inhaltliche Rekonstruktion möglich ist.6 Dabei wurden, im Unterschied zu Rostock, in den parallel im Dom St. Nikolai und St. Jakobi stattfindenden Gottesdiensten unterschiedliche 656 1 2
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Vgl. Höffer, Greifswald, 8. Vgl. Lohse, Predigt am 11.1.1990, Informationen. Dass Schmidts Predigt des ersten Friedensgebetes am darauffolgenden Wochenende im Bad Doberaner Lokalteil der OZ abgedruckt wurde, darf als lokaler Sonderfall gelten: Schmidt, Friedensgebet am 25.10.1989. Vgl. Heydenreich, Geschichte. Drei davon befinden sich im Privatarchiv Pelz, zwei sind abgedruckt: Vgl. Göbel, Weg, 185–188; Vgl. Wegmann, Licht, 185–188. Eine befindet sich im Pfarrbüro des Greifswalder Doms und zwei sind im Privatarchiv von Irmfried Garbe. Eine befindet sich im Privatarchiv Pelz, eine im Privatarchiv Irmfried Garbe, eine ist abgedruckt: Vgl. Glöckner / Wackwitz, Fürbitte am 8.11.1989, 179–182. Vgl. Schumacher, Hälse.
Auswertung der Friedensgebete
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Predigten gehalten, wie der Vergleich der Texte von Wackwitz und Springborn am 8. November 1989 zeigt. Für Anklam gibt es lediglich eine Erinnerung an die Gebete7 und eine Fürbitte im Privatarchiv Pelz8 . Insgesamt liegen dieser Teilstudie also 48 Predigten und 21 Fürbitten zu Grunde. Ein Vergleich zwischen den beiden Landeskirchen ist angesichts der höchst unterschiedlichen Quellenlage kaum möglich. Interessant ist aber ein Blick auf die unterschiedlichen Prediger unabhängig von der Landeskirche. Dies erscheint auch inhaltlich lohnender, da die Predigten vor allem von Theologie, Erfahrungen und Alter des einzelnen Predigers abhängig waren und weitaus weniger als erwartet durch die landeskirchliche Zugehörigkeit geprägt wurden. 3.2 Die Liturgie 3.2.1 Überblick Die Gebetsandachten im Herbst/ Winter 1989/90 in Rostock folgten ab der dritten Andacht am 19. Oktober 1989 einem festen liturgischen Schema.9 Angesichts der Tatsache, dass viele Besucher der Gottesdienste keine kirchliche Bildung und Bindung hatten, war es umso wichtiger, eine verbindliche Form zu schaffen, die die anfängliche Fremdheit nahm. Pate standen hierfür die ersten Andachten vom 5. und 7. Oktober 1989. Erstere verband „mehrere Aspekte von Öffentlichkeit“10 , indem Erlebtes offen ausgesprochen wurde, man sich mit Gleichgesinnten solidarisierte und für den gesamtgesellschaftlichen Dialog warb. Gleichzeitig wurde das politische Geschehen mittels der Einladung zur Gebetskette vom 19. – 26. Oktober 1989 in den Verantwortungsbereich der Kirchen einbezogen.11 Formal bestand die Andacht am 5. Oktober 1989 aus Gebet und Information gemäß dem hier geprägten, für alle kommenden Andachten und Gottesdienste geltenden Leitsatz: „Gebet und Information gehören zusammen.“12 Die Andacht am 7. Oktober 1989 unter anderem Trägerkreis um den Rostocker Pastor Mahlburg hatte eine stärker einem Gottesdienst entsprechende Form: Auf die Begrüßung folgten ein Gebet, dann die Predigt und schließlich die hochpolitischen Fürbitten mit dem jeweiligen Antwortruf der Gemeinde: „Lass Heimat werden das Land, in dem wir wohnen, durch die wahrhaftige Mühe vieler 7 8 9 10 11 12
Vgl. Moderow, Friedensgebet. Vgl. ders., Fürbitte am 6.11.1989. Der genaue Ablauf ist nur noch für Rostock und Bad Doberan zu rekonstruieren, da für Neubrandenburg und Greifswald Archivgut dafür fehlt. Höser / Scherer, Hoffnung, 32. Vgl. Arbeitskreis „Umwelt“, Einladung zum ständigen Gebet für die Inhaftierten und für Erneuerung in unserem Land, in: Schmidtbauer, Tage, 14. Fürbittandacht am 5.10.1989 für die Betroffenen der Leipziger Ereignisse, in: Ebd., 12. Vgl. denselben Satz im zweiten Greifswalder Friedensgebet am 25.10.1989: „Gebet und Information gehören zusammen, denn nur so kann ich ernsthaft nachdenken, wie es anderen geht und was sie brauchen.“ Collatz, Predigt am 25.10.1989, 1.
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Die Predigten
und durch den Segen deiner Barmherzigkeit.“13 Am Ende wurde eine Erklärung14 verlesen und von ca. 500 Teilnehmern unterschrieben. Aus beiden Andachtsformen wurde „ein Instrument geschaffen, welches den gesellschaftlichen Aufbruch in Rostock begleitet, ihm Stimme verleiht und diesen Prozess reflektiert und vorantreibt.“15 Mit der Andacht am 19. Oktober 1989 war schließlich die verbindliche Liturgie gefunden mit den drei Schwerpunkten: Textauslegung – Information – Gebet.16 Nach einer musikalischen Begrüßung wurde über einen biblischen Text gepredigt.17 Die nachfolgenden, oftmals ausführlichen Informationen und Erklärungen wurden mit dem Lied „Sonne der Gerechtigkeit“ eingeleitet und mit dem Lied „Komm, Herr, segne uns“ abgeschlossen. Nun wurden die Fürbitten verlesen, die in einen Segen mündeten. Zum Abschluss sangen alle entweder „Dona nobis pacem“ oder „We shall overcome“.18 Ab dem 26. Oktober 1989, eine Woche nach der ersten spontanen Donnerstagsdemonstration in Rostock, wurden vor den Fürbitten stets Hinweise zum Demonstrationsverlauf gegeben, sowie zu Gewaltfreiheit aufgerufen.19 Neben diesen Anleitungen zum Handeln gab es am Ende der Andachten mehrfach Aufrufe, Unterschriftensammlungen zu unterstützen. Teilweise lagen die Listen direkt in den Kirchen aus20 , manchmal wurde die Aktion lediglich angekündigt21 . Ein Rahmen 13 14 15 16 17
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Mahlburg, Predigt am 7.10.1989, Fürbitte. Dieser Gemeinderuf wurde auch am 6.1.1990 zwischen den Fürbitten gesprochen. Ebd., Fürbitte, Kernsatz: „Wir wollen in der DDR leben in einer sozialistischen Gesellschaft, die endlich das Potential für eine demokratische Erneuerung erschließt und nutzt.“ Höser / Scherer, Hoffnung, 36. Vgl. den in seiner Hauptstruktur ähnlichen Aufbau der Leipziger Montagsgebete bei Fix, Stimme, 47. Eine Ausnahme waren der 30.11.1989 und der 7.12.1989: Am 30.11.1989 wurde zuerst ein Text „Zur Situation“ verlesen, der die Gegenwart kritisch beschrieb und Probleme benannte. Stilistisch ist er den Predigten der Donnerstagsandachten ähnlich, vermeidet allerdings christliche Interpretationen. Erst am Ende wird mit der Bemerkung, dass beim Nachdenken „für uns Christen unser Glauben immer eine Rolle“ spiele und sich in der Bibel Parallelen zu heute fänden, zur Predigt übergeleitet. Am 7.12.1989 wurde vor der Predigt ein Text mit Gedanken zur Wiedervereinigung verlesen, der die verschiedenen Meinungen innerhalb der Vorbereitungsgruppe offenlegte. Der sächsische Pfarrer i.R. Theo Lehmann weist darauf hin, dass den Bürgern eine gemeinsame Hymne, abgesehen von „We shall overcome“, fehlte. (Vgl. Lehmann, Kultur, 156). Vgl. Information über die zweite Donnerstagsdemonstration in Rostock, verlesen in der vierten Fürbittandacht; in: Schmidtbauer, Tage, 19. So am 7.10.1989 eine Erklärung aus der Gebetsandacht, am 23.11.1989 ein Brief an die Botschaft der Sozialistischen Republik Rumäniens, am 25.1.1990 bat die Bürgerinitiative Kavelstorf um Unterschriften unter ihren offenen Brief an die Volkskammer: „Konsequente, ehrliche Friedenspolitik und skrupelloser Waffenhandel sind nicht miteinander zu vereinbaren. Wir fordern bis zum 6. Mai die Schaffung moralisch sauberer Gesetze und Entscheidungen dazu, die dem wahren Willen des Volkes entsprechen.“ Am 16.11.1989 plädierte die Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“ für einen Volksentscheid 1990: „Wir fragen: […] Gibt es für den Führungsanspruch der SED […] einen klaren Auftrag der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes? […] Wir fordern: Demokratische Willensbildung ohne festgeschriebene Führungsrolle der SED“. Im Verlauf der Demonstration gab es eine Unterschriftensammlung auf dem Thälmann-Platz am Rathaus. Am 23.11.1989 wurde für das Ende der Demonstration eine Unterschriftensammlung „Neues Wahlgesetz durch Volksentscheid!“ angekündigt.
Auswertung der Friedensgebete
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war geschaffen, „in dem gemeindenahe und gemeindeferne Teilnehmer der Andachten sich sicher fühlten und damit an der Andacht beteiligen konnten“22 . Im Doberaner Münster lag der Schwerpunkt der ab dem 25. Oktober 1989 wöchentlich gehaltenen Friedensgebete etwas stärker auf Gebet und Predigt als in Rostock.23 Unter der Leitung von Pastor Juergensohn, der alle Texte außerhalb der Predigt verfasste, gab es von Anfang an einen festen Ablauf24 , der sich relativ nah am Gottesdienstablauf orientierte. Auf Geläut und Orgelvorspiel folgten Begrüßung und einleitende Worte durch Juergensohn. Dem schloss sich ein Gebetsteil an mit Informationen und Fürbittgebeten, umrahmt von zwei Liedern. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes stand die Predigt. Danach kamen ab dem 1. November 1989 Ansagen zur Demonstration, ein weiteres Lied, noch mehr Ansagen, Vaterunser, Sendung und Segen. Zum Abschluss sang die Gemeinde ein Lied und ging unter Orgelnachspiel und Geläut aus der Kirche. Ähnlich theologisch war vermutlich25 das Friedensgebet in der Marienkirche Anklam, abgehalten immer montags zwischen dem 24. Oktober 1989 und Ostern 1990.26 Laut der Erinnerung des damaligen Pastors Moderow enthielt der Gottesdienst die drei Elemente Bußgebet, Auslegung und Fürbittgebet und orientierte sich damit an dem Anklamer Fürbittgottesdienst am Buß- und Bettag. Im vorangestellten Bußgebet kam zunächst jeder Einzelne als Sünder vor Gott, sowohl in seiner Mitschuld am System der DDR, als auch in seiner Ratlosigkeit während der friedlichen Revolution in deutlicher Aufnahme des Stuttgarter Schuldbekenntnisses von 1945: „Wir haben geschwiegen, wo wir hätten reden sollen. [...] Wir fordern Gerechtigkeit und meinen zu oft nur Rache. […] Wir bekennen vor Gott, daß es uns schwerfällt, mit den jüngsten Entwicklungen innerlich Schritt zu halten […]. Daß wir nur schwer begreifen, daß der Ruf nach Veränderung zuallererst uns selbst meint […].“27 Unter diesen selbstkritischen Vorzeichen hörte die Gemeinde die Predigt von Pfarrer Moderow. In Greifswald fand das erste Fürbittgebet am 18. Oktober 1989 unter der Leitung der Pfarrer Wackwitz und Gerhard Dallmann statt, nachdem man sich entsprechend in der außerordentlichen Pfarrerbesprechung abgesprochen hatte. In seinen Erinnerungen betont Wackwitz seinen Versuch, einen „rein religiösen Gebetsgottesdienst“ abzuhalten, wie er es zuvor dem Stellvertreter des OB für Inneres, Dr. Schulz, zugesichert hatte. Dies führte zu „einem geradzu ängstlichen
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Am 11.10.1990 sollten während der Demonstration Unterschriften gesammelt werden, gerichtet an Verteidigungsminister Stoltenberg in Bonn für mehr Wohnraum, gegen die große Militärpräsenz an der Ostsee: „Wir brauchen in Rostock Wohnungen und keine Kasernen.“ Höser / Scherer, Hoffnung, 39. Dieser Eindruck wird nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gestützt durch die im Vergleich zu anderen Friedensgebeten sehr wenig tagespolitischen Predigten. Vgl. die Auswertung Abschnitt 3.6. Schmidt, Ablauf, 1. Das Quellenmaterial ist leider sehr spärlich. Vgl. Moderow, Friedensgebet, 180. Ebd., 181f.
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Die Predigten
Festhalten an biblischen Zitaten“28 , wie auch die Predigt selbst beweist.29 Einen mutigeren Beitrag Dallmanns in Form einer Situationsschilderung lehnte Wackwitz ab. Entsprechend unangenehm war ihm daher die unangekündigte Verlesung des Gründungsaufrufes des Neuen Forums durch Poldrack.30 Dass der Ablauf auch in Greifswald schon ab der nächsten Woche verschiedene Wortbeiträge zuließ, in denen zu aktuellen Themen informiert wurde, zeigt ein Artikel der OZ vom 26. Oktober 1989. Darin werden angesprochene Topoi wie Ausreise, Erziehung, Medienpolitik und Reiseproblematik erwähnt.31 Aus den Stasiunterlagen lassen sich die Teilnehmerzahlen für Greifswald eruieren. So hätten am 1. November 1989 ca. 2200 Menschen im Dom teilgenommen, während es am 25. Oktober 1989 noch rund 2700 gewesen seien.32 Die Predigten machten also in Rostock und Neubrandenburg lediglich einen kleinen Teil des gesprochenen Wortes während der Andachten aus. Bei einer Länge von durchschnittlich eineinhalb Stunden dauerte die Predigt zwischen zehn und 20 Minuten, das Verlesen der Informationen konnte im Vergleich dazu 30 bis 50 Minuten in Anspruch nehmen. Hier wurden die politischen und gesellschaftlichen Probleme klar benannt mit dem Ziel, in einer medienzensierten Gesellschaft zu informieren. Der Schwerpunkt lag auf Lokalereignissen, Briefe von Bürgern wurden verlesen, aber auch Appelle der neu gegründeten Parteien und Bürgerinitiativen. Theologisch aufgenommen wurden die Informationen in den Fürbitten. Michael Coors’ Bewertung der Friedensgebete 1989/90 in ihrer „(post-)politischen Dimension“33 ist daher zwar grundsätzlich zuzustimmen. Gerade weil der „genuine(n) Charakter als Gebet“ beibehalten wurde, konnten sie ihre „eigentümliche politische Dimension entfalten“34 , argumentiert Coors. Dabei sei ein Gebet um Frieden noch nicht unmittelbar politische Aktivität, führe aber dazu, die Gegenwart im Lichte der Friedenshoffnung wahrzunehmen und zu bewerten.35 So richtig diese Feststellungen im Allgemeinen sind, die untersuchten Texte aus den mecklenburgischen und pommerschen Friedensgebeten legen nahe, dass die Friedensgebete nicht nur politische Wirkung erzielten, sondern diese auch durchaus intendierten. Sie waren keine dezidiert politischen Veranstaltungen, aber auch keine reinen Gebete. Es waren politische Friedensgebete, die ausdrücklich Raum für politische Informationen und Gebet gaben.
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Wackwitz, Friedensgebete, 1. Vgl. ders., Ansprache am 18.10.1989. Vgl. ders., Friedensgebete, 2. Vgl. Pressemitteilung, Demonstration. Vgl. Rostock, Information, 1f. Vgl. den Titel des Aufsatzes Coors, Glaube. Ebd., 32. Vgl. ebd., 33.
Auswertung der Friedensgebete
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Die im Folgenden analysierten Predigten müssen folglich in diesem Kontext eingebettet verstanden werden, da der politisch konkrete Bezug zum Teil erst durch die Informationen „nachgeliefert“ wurde.36 Gerade die zentrale Bedeutung der Informationen im gottesdienstlichen Geschehen drängt den Vergleich mit den 20 Jahre zuvor begründeten „Kölner Nachtgebeten“ um Fulbert Steffensky und Dorothee Sölle auf. Auch strukturell sind die Gemeinsamkeiten groß, denn bei den Kölner Gebeten handelte es sich, „um politische Information, um ihre Konfrontation mit biblischen Texten, eine kurze Ansprache, Aufrufe zur Aktion und schließlich die Diskussion mit der Gemeinde“37 . Darüber darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich 1989, anders als 1968, nicht „die Unversehrten mit den Opfern der Geschichte, sondern die Opfer der Geschichte“38 untereinander solidarisierten. Die Fürbittenden waren gleichzeitig die existenziell Bedrohten. Homiletisch kann auch darüber nachgedacht werden, die Fürbittandachten von 1989/90 als eine Art Kasualandacht, einen kirchlichen Dienst zu bestimmten Anlässen, zu beschreiben.39 Friedrich Niebergall definierte Kasualien 1904 als „symbolische Akte, die an besonderen Höhepunkten des Einzel- oder Gemeindelebens das Göttliche mit seinem Segen und seiner verpflichtenden Macht an das Menschliche heranbringen und das Menschliche hinwiederum mit Fürbitte, Dank und Gelöbnis vor Gottes Antlitz stellen“40 , der Situationsbezug ist also eindeutig vorgegeben. In diesem Sinne kann der politische Umbruchprozess von 1989/90 als Höhepunkt im kirchlichen und weltlichen Gemeindeleben gelten. In den Fürbittandachten wurden die „ungewöhnlichen Überschneidungen von Glaubenswirklichkeit und politischer Wirklichkeit“41 in Beziehung zueinander gesetzt, Gottes Handeln an der Welt als erfahrbare und gerade erfahrene Größe im eigenen Leben konstatiert. Entsprechend erfolgte im Stile einer Kasualpredigt die Auslegung des Predigttextes ausgehend von der Situation und den konkreten menschlichen Schicksalen, die dann mit biblischen Aussagen verknüpft wurden. Mit der wachsenden politischen Vielfalt fanden die Mitglieder der Rostocker Andachtsvorbereitungsgruppe im Februar 1990 keine einheitliche Sicht mehr auf die Dinge. Folgerichtig wurden die Andachten eingestellt. In den anderen untersuchten Städten zeichnete immer nur einer für die Predigt verantwortlich. Daher 36
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In der Nachstellung der Informationen hinter die Predigt liegt ein wesentlicher Unterschied zu H.E. Bahrs Predigtmodell (Bahr, Verkündigung). In Anlehnung an das Kansas-City-Modell wollte er erst politische Informationen weitergeben und diese dann theologisch kommentierten, wie dies in Bad Doberan beispielsweise auch geschah. Die Intention von Bahr ist der der Donnerstagsandachten vergleichbar: Politische Informationen sollen öffentlich gemacht und aus christlicher Sicht beurteilt werden. Auf Basis des gut dokumentierten und interessanten Informationsmaterials der Gebetsandachten in Rostock wären systematische Überlegungen zum Verhältnis zwischen Predigt, Informationen und Fürbitten weiterführend. Sölle, Gegenwind, 71f. Bronk, Flug, 33, erklärt die Gemeinsamkeiten logisch als „deutschdeutschen Theologietransfer mit Spätfolgen“. Ebd., 42. Vgl. Winkler, Kasualien, 843–845. Niebergall, Kasualrede, 20f. Bronk, Flug, 19.
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Die Predigten
fanden die Gebetsandachten hier erst mit der Volkskammerwahl ihren Abschluss. Die Kasualie „Sturz des DDR-Regimes“ war erfolgreich beendet, auf den Neuaufbau konnte dagegen keine einheitliche Sicht unter den vielen Predigern mehr gefunden werden. 3.2.2 Die Fürbitten Fester Bestandteil jedes Gottesdienstes ist das Gebet für die Welt und ihre Menschen. Dies wird in Form von Fürbitten vorgetragen. Als „Primäraufgabe von Kirche und Gemeinde“42 sind Fürbitten zu allen Zeiten der Ort von Wahrnehmung gesamtgesellschaftlicher Verantwortung durch die gottesdienstliche Gemeinde. So kam diesem liturgischen Element aus seiner genuinen Aufgabe heraus im Herbst 1989 eine besondere Stellung zu. Die KKL stellte dazu am 11. November 1989 fest: „Gebete und Fürbitten sind der uns Christen zuerst gebotene gesellschaftliche Einsatz. [...] Unsere Gebete gründen in der Verheißung, daß Gott die Beter erhört.“43 Die untersuchten Fürbitten nehmen 1989/90 inhaltlich stets Bezug auf Predigt und Informationen und enthalten teilweise weitere konkrete, politische Forderungen. Zwei der drei erhaltenen Greifswalder Fürbitten vereinen Elemente des Bußgebetes44 und konkrete Bitten, die auch Seitenhiebe und politische Forderungen enthalten. So heißt es am 18. Oktober 1989 kritisch: „Für viele ist es der einzige Lebenszweck geworden, dem Lebensstandard ihrer westlichen Verwandten zu entsprechen.“ Dagegen sollte die Kirche „den Aufgaben und den Menschen hier treu bleiben!“ und unermüdlich „auf eine neue DDR in einer friedlichen Welt“45 hoffen. Und am 8. November 1989 wird kaum weniger scharf urteilend für alle diejenigen um ein Aufwachen gebeten, „welche ihre Ruhe und Ordnung nicht aufgeben wollen. Für die alten Menschen, für die Spießbürger, für die Fernsehsportler und Stammtischpolitiker, für alle, die nur für ihre Wohnung, ihr Geld und ihr Auto Interesse haben. Vielleicht sind das die meisten unserer Mitbürger und Mitchristen.“46 Die Fürbitten setzen die politischen Predigtforderungen fort. Stilistisch hebt sich die Fürbitte vom 1. November 1989 davon ab. Springborn formuliert vordergründig ein Dankgebet für die geschehenen gesellschaftlichen Veränderungen. Daran anschließend formuliert er Bitten um Fortführung des hoffnungsvollen Anfanges auf dem „Weg zu Demokratie und Recht, Freiheit und Gerechtigkeit“. Dabei schlägt er einen versöhnlicheren Tonfall an als Wackwitz und Glöckner. 42 43 44
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Wiggermann, Fürbitte, 439. Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, Veränderungen, 395. „Wir bekennen dir, daß wir es nicht geschafft haben durch das Zeugnis unseres Glaubens, Hoffnung wachzuhalten. Wir haben uns anstecken lassen von dem Schielen nach Wohlstand.“ (Wackwitz, Fürbitte am 18.10.1989, 1). „Lass uns alle spüren, in welch hohem Maße wir selbst durch Schweigen und Anpassung schuldig geworden sind.“ Glöckner / Wackwitz, Fürbitte am 8.11.1989, 180. Wackwitz, Fürbitte am 18.10.1989, 1. Glöckner / Wackwitz, Fürbitte am 8.11.1989, 180.
Auswertung der Friedensgebete
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Leider liegt lediglich eine Anklamer Fürbitte vom 6. November 1989 vor. In dieser wird relativ allgemein für Frieden in der Welt gebeten, für Arme, Hungernde und Umwelt, für Land und Menschen, für „Entscheidungen, die unserem Land einen guten Weg in die Zukunft eröffnen“. Konkret wird es zum Ende hin bei der Bitte, „daß wir unsere Aufgaben in unserer Stadt erkennen und nicht der Versuchung erliegen, in den Westen auszureisen“47 . Am besten dokumentiert sind die Rostocker Fürbittandachten inklusive Informationsteil und Fürbitten im Wendearchiv der Universität Rostock. Ebenso wie die Predigten sind auch die Fürbitten stark vom jeweiligen verantwortlichen Pastor geprägt. Der Vorbereitungskreis um Lohse bittet stets für das eigene Land und immer auch für weltweite Belange. Demgegenüber sind die Fürbitten von Gauck sehr viel persönlicher formuliert aus eigener Betroffenheit heraus, sodass bis auf den 2. und 23. November 1989 nur für DDR-weite Themen gebetet wird. Inhaltlich korrespondieren die Fürbitten eng mit den Predigtthemen. Zum Predigtmotto „Die DDR ist eine kranke, eingesperrte Gesellschaft“ hält Gauck am 26. Oktober 1989 Fürbitte für die leidenden Regimekritiker in der DDR. Die Fürbitten sind immer auch ein Spiegel der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung gepaart mit der politischen Überzeugung des Predigers. Lohse formuliert am 16. November 1989 auch im Gebet die schon in der Predigt geäußerten Ängste vor einem „totalen Ausverkauf “ der DDR. Seine politische Intention wird deutlich, wenn er nicht die „Hoffnung auf eine wirkliche demokratische Republik aufgeben“48 will. Anders der Duktus in Gaucks Gebet eine Woche später: Hier überwiegen Dank und Freude über das mauerlose „neue Lebensgefühl“ und die „Erfolge, die wir bis heute erreicht haben.“49 Jedoch wird auch sein Ton ernster ab Ende November 1989. Viele Sorgen und Ängste werden ausgesprochen. Der Aufbruch verbrauche viele Kräfte, viele seien müde. Auch würden einige Menschen ob der enthüllten Privilegien und Vergehen resignieren. Gleichzeitig brächen wieder Vorurteile gegen Ausländer und nationalistische Kräfte auf, beklagt Gauck am 30. November 1989.50 Noch deutlicher rückt der Einzelne eine Woche später in den Blick. Hier wird für diejenigen gebetet, die „vor den Trümmern ihres Lebens stehen“, die von der „Angst vor Chaos und Perspektivlosigkeit überschwemmt werden“51 , die sich über ihre Kräfte abarbeiten und für die Einsamen, Kranken und Alleingelassenen. Alle diese Menschen bedürften nun Gottes Trost und Zuspruch. Mitte Dezember 1989 dominiert in den Fürbitten die Frage danach, wem noch vertraut werden kann. Überall herrsche Misstrauen: Volk und Stasi hätten voreinander ebenso Angst wie SED und Bürgerbewegung.52
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Moderow, Fürbitte am 6.11.1989, 1. Lohse, Predigt am 16.11.1989, 1, Fürbitte. Gauck, Predigt am 23.11.1989, 1, Fürbitte. Vgl. ders., Predigt am 30.11.1989, 1, Fürbitte. Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, 1, Fürbitte. Vgl. ders., Predigt am 14.12.1989, 1, Fürbitte.
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Die Predigten
Anfang 1990 bittet Lohse relativ weitgefasst für Mut zum „Aufbau einer gerechten Gesellschaft“53 . Nach der Predigt weiß der Hörer, dass damit nicht die deutsche Einheit, der „vermeintlich glattere [...]“54 Weg, gemeint ist. Genau die Frage nach der Zukunft Deutschlands droht Bevölkerung und Gemeinde zu spalten. Ende Januar spricht Lohse das Problem sowohl in der Predigt an, als auch in den Fürbitten. Die verschiedenen Glieder der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Ansichten und Hoffnungen müssen einander akzeptieren lernen.55 In den beiden von Gauck gehaltenen Andachten im Februar 1990 könnte der Tonfall der Fürbitten keinen größeren Gegensatz bilden. Am 1. Februar 1990 werden vor allem hoffnungs- und zukunftsweisende Bitten formuliert für Verantwortung vor Ort, nun nicht erschöpft aufzugeben, sondern auch die „anstrengende Kleinarbeit“ zu meistern „für eine Veränderung zum Guten“56 . In der letzten großen Donnerstagsandacht am 8. Februar 1990 werden vor allem Sorgen ausgesprochen: Um Arbeitsplätze, Ersparnisse, alle bisherigen Sicherheiten.57 Von der Euphorie des Herbstes ist nichts mehr zu spüren. 3.3 Die Adressaten und Prediger Wie hoch der Anteil der Christen und Nichtchristen bei den Andachten war, kann nur vermutet werden. Fakt ist, dass die Zahl der Kirchenfernen58 weit über jener der teilnehmenden Christen lag. Beispielhaft für den Besuch einer ungetauften jungen Frau ist der Bericht der 19-jährigen Kathrin Wolter im Bad Doberaner Lokalteil der OZ am 28./29. Oktober 1989. Darin berichtet sie, aus purer Neugier zum Gebet im Doberaner Münster gegangen zu sein. Während der Predigt sei ihr bewusst geworden, dass die Veränderung bei jedem individuell beginnt. „Ich selbst muß mich verändern, verbessern. Für diese Erkenntnis möchte ich der Kirche danken. [...] Abschließend möchte ich sagen, daß dieses erste Friedensgebet im Münster mir einiges gegeben hat. Ich hoffe, daß weitere Friedensgebete in ähnlicher Weise einen Zweck erfüllen.“59 Sprachlich versuchten viele Prediger, dieser Situation gerecht zu werden. Die Verkündigung blieb eindeutig christlich. Genuin christliches Vokabular wurde zwar nicht gänzlich vermieden, doch bemühten sich die Prediger um eine allgemein verständliche Übersetzung beispielsweise solch geprägter Begriffe wie Ge-
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Lohse, Predigt am 11.1.1990, 1, Fürbitte. Ebd., 1. Lohse et al., Predigt am 25.1.1990, 1, Fürbitte. Gauck et al., Predigt am 1.2.1990, 1, Fürbitte. Ders., Predigt am 8.2.1990, 1, Fürbitte. Für den Bereich der DDR gilt bis heute: Wer kein Kirchenmitglied ist, hält sich auch selbst nicht für einen Christen. „Nichtchristen“ und „Kirchenferne“ sind Synonyme. In den alten Bundesländern ist eine solche Trennung weniger eindeutig, da es durchaus Menschen gibt, die sich als christlich bezeichnen, aber der Institution Kirchen ablehnend gegenüber stehen. Wolter, Friedensgebet, 3.
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richt Gottes, ewiges Leben und Sünde60 , Gott als unser unsichtbares Gegenüber61 oder Segen62 . Zu beobachten ist auch die Methode, die Predigten mittels Zitate allgemein bekannter, z.T. kommunistischer Persönlichkeiten63 , anschlussfähig zu machen. So wurde der Prophet Amos und sein Versuch, dem kollektiven Unrechtsempfinden seine Stimme zu leihen, mit Kassandra, Jan Hus, Marx, Martin Luther King64 , Sacharow und Luxemburg verglichen. Von letzterer kam ein „geradezu prophetisch(er)“65 Text zu Gehör, auch Vaclav Havel wurde zitiert: „Im Namen der Arbeiterklasse wird die Arbeiterklasse unterdrückt“66 . In Neubrandenburg wurde am 20. November 1989 ein Gedicht von Bertolt Brecht anstelle eines Psalms verlesen.67 Nach dem Mauerfall wurde Marx nur noch zur Negativabgrenzung herangezogen.68 In der Predigt am 30. November 1989 wurde dazu aufgerufen, die bestehenden und „von einigen Christen vielleicht praktizierten Vorurteile über Bord“69 zu werfen, da das Christentum eben nicht im Marxschen Sinne Opium fürs Volk sei. Auch Texte berühmter humanistischer Gedankenträger wie Immanuel Kant, Carl Friedrich von Weizsäcker und Erich Kästner kamen in Rostock zu Gehör.70 In manchen Predigten wurden die Nichtgläubigen oder gar SED-Mitglieder ganz konkret angesprochen und ermutigt. So hieß es am 2. November 1989 in Rostock, dass es auch in den kritisierten Einrichtungen Menschen mit tiefer Sehnsucht nach Wandel und Neubeginn gebe. „Diese Menschen leiden mit uns unter den ungerechten Strukturen, in denen sie Dienst tun müssen. Oft ehrliche Menschen mit gläubigen Herzen.“71 Anfang November fragte Matthias Burkhardt zu Beginn seiner Predigt im Doberaner Münster, warum gerade jetzt so viele Menschen, die mit dem christlichen Glauben sonst nur wenig verbindet, in die Kirchen strömten. „Ist es das stolze Gefühl der hautnahen Masse? [...] Hier bin auch ich 60
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Das Gericht ist die Gefahr, die Lebensmitte zu verlieren. Das ewige Leben ist eine erneuerte Art zu leben. Die Sünde ist der „Zustand des Menschen, der in sich selbst gefangen ist, der sein Gegenüber verloren hat.“Gauck, Predigt am 23.11.1989, 1f. „Aber auch für alle Menschen, die so nicht sprechen können, enthält dieses Jesajawort eine Botschaft. […] du bist nicht nur das, was du aktuell erlebst. Erinnere dich deiner früheren Leiden und entdecke, was dir Kraft gab zum Überleben!“Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, 2. „Segen – ein altes Wort. Es beschreibt den Zuspruch von Leben in seiner Fülle.“Schmachtel et al., Predigt am 18.1.1990, 6. In Rostock: Karl Marx am 19.10.1989, 30.11.1989, 11.1.1990, Rosa Luxemburg und Andrej Sacharow am 19. Oktober 1989, Friedrich Engels am 2.11.1989 und Alexander Solshenizin am 9.11.1989. Vgl. Charles S. Maiers Überlegungen zu einer „osteutschen Revolution“, die den Mustern gewaltfreier Umwälzungen des 20. Jahrhunderts im außereuropäischen Raum folgte, beispielsweise den Massenmärschen M.L. Kings. Maier, Essay, 554. Gauck, Predigt am 19.10.1989, 1. Ebd., 2. Vgl. von Saß, Einleitung, 69. Vgl. die Rostocker Predigten am 30.11.1989 und 11.1.1990. Gauck, Predigt am 30.11.1989, 2. Carl Friedrich von Weizsäcker und Kant am 9.11.1989, Kästner am 8.2.1990. Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 5.
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Die Predigten
stark. Oder ist es die Erwartung deutlicher Worte, die hier ausgesprochen werden?“72 Deutlich benennt er schon einen Tag vor dem Mauerfall die Vergänglichkeit dieses Phänomens. „Auch die Zeit des überfüllten Doberaner Münsters wird vorübergehen. Es kommt wieder die Zeit der kleinen Schar.“73 Grundsätzlich wurde in den Predigten der Versuch unternommen, alle Menschen ohne Gleichmacherei anzusprechen. Zwischen Christen und Nichtchristen wurde unterschieden, allerdings nur im Horizont der Erfahrungen, nicht etwa qualitativ. Dies zeigt ein Beispiel aus einer Rostocker Predigt vom 11. Januar 1990, worin es zunächst heißt: „Wir Christen glauben, daß diese Kraft von Gott kommt.“ Danach folgt die neutrale Feststellung, dass nicht jeder in diesem Gottesdienst an diesen Gott glaubt, aber „jeder von uns hat diese Erfahrung, diese beeindruckende Erfahrung gemacht: Wir hatten die Kraft, mit friedlichen und gewaltlosen Mitteln das Machtgefüge im Innersten zu erschüttern.“74 Das Erinnern von Erreichtem gebe Kraft. Missionarisch anmutenden Charakters ist am 9. November 1989 der Redebeitrag über Mitprediger Ralf Baumann. Zum Ende der Predigt hin wird betont, dass dieser nicht als Christ geboren wurde, sondern erst auf der Suche nach Wahrheit und Sinn zum Evangelium kam: „Ist das nicht auch eine Form von Auferweckung zum Leben?“75 Die Predigten waren in Rostock das „Ergebnis eines kollektiven Bemühens, das aktuelle Wort der Wahrheit zu finden“76 . Entsprechend zeichnete jeweils eine ca. sechsköpfige Vorbereitungsgruppe für Predigttext und -inhalt verantwortlich, immer geleitet von mindestens einem Pastor.77 Zum Teil gab es bis zu sieben Sprecher während einer Predigt. Die Gruppe „Umwelt“, auf deren Initiative hin die erste Andacht am 5. Oktober 1989 gehalten wurde, bestand „vorwiegend aus Theologie- und Medizinstudentinnen und -studenten“78 . Aufgrund der großen Resonanz konnte nach dem 12. Oktober 1989 der Trägerkreis der Andachten erweitert werden, am 3. November 1989 fand die erste Vollversammlung der Beteiligten zur Vorbereitung der Andachten statt. Von nun an übernahm stets je eine Gruppe die inhaltliche Gestaltung mit Auswahl von Thema und dazu passendem Bibeltext79 , Auswahl und Aufbereitung der Informationen und Formulierung von Gebeten. In der zweiten Vollversammlung am 18. November 1989 wurde beschlossen, dass „immer die72 73 74 75 76 77 78 79
Burkhardt, Predigt am 8.11.1989, 1. Ebd., 2. Lohse, Predigt am 11.1.1990, 3. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 5. Ebd., 1. In neun Fällen von Gauck, viermal von Lohse, beteiligt waren auch die Rostocker Pastoren Dietrich, Mahlburg und Jochen Schmachtel und die Pastorin Gudrun Günther. Lohse, Wetterlagen, 128. Wichtig ist die Reihenfolge: Erst wurde das politisch/ gesellschaftlich relevante Thema gesuchte, danach der Predigttext ausgewählt. Benannt wurde dieses Verfahren in der Predigt vom 2.11.1989, 1: Auf der Suche nach einer Antwort für „Auf was und auf wen kann ich wirklich hoffen?“ fand die Gruppe Mt 7,15–17.
Auswertung der Friedensgebete
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selben Leute in der jeweiligen Kirche die Gottesdienste“80 abhalten sollten, um eine gewisse personelle Kontinuität zu wahren. Insgesamt arbeiteten mindestens 27 Laien im Laufe der Zeit an den Andachten mit. Dieser Umstand wurde z.T. in der Predigt extra hervorgehoben. Beispielsweise am 9. November 1989 wurde zu Beginn der Predigt bemerkt, dass Textauswahl, thematische Ausrichtung und inhaltliche Hauptaussagen nicht von „Geistlichen“, sondern von „normalen“81 Berufstätigen getroffen worden seien. Und im Verlauf der Predigt kam der Pastor als einer von zwei Sprechern am Ende des ersten Teils noch einmal darauf zurück: „Worte und Bilder der Bibel benötigen nicht unbedingt einen Pastor […], um unser Herz zu erreichen.“, denn das „eigentliche geschieht […] dort, wo sich ein Wort des Lebens in unsere Seele schleicht und […] anfängt zu wirken.“82 Sehr viel pfarrerzentrierter waren die Friedensgebete in Neubrandenburg und Bad Doberan. So kamen in Neubrandenburg bis auf den katholischen Laien Burkhard Räuber83 lediglich die drei Pastoren Heydenreich, von Saß und Riemann zu Wort sowie der evangelische Diakon Martin Fritz. Dass hier die Gebete nicht nur parallel in evangelischen und katholischen Kirchen abgehalten wurden, sondern auch die Prediger beiden Konfessionen entstammten, darf als Neubrandenburger Besonderheit gelten. In Bad Doberan wiederum herrschte eine hohe personelle Beständigkeit. Propst Schmidt hielt 14 der 19 Friedensgebetspredigten. Zweimal predigte sein Kühlungsborner Kollege Burkhardt84 , einmal der Rostocker Pastor Gottfried Frahm85 und einmal Gauck86 . Wieviele verschiedene Personen in Greifswald und Anklam predigten ist nicht bekannt, die gesichteten Texte stammen aber allesamt von Theologen. In Greifwald predigten die Pfarrer Wackwitz, Holm Collatz, Matthias Tuve, Glöckner und Springborn, die Pastorinnen Christa Göbel und Ursula Wegmann sowie der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Sektion Theologie der Universität Greifswald Friedrich Krause.
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Vgl. Höser / Scherer, Hoffnung, 53f. Fußnote 57. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 1. Ebd., 5. Vgl. Räuber, Ansprache. Am 8.11.1989 und 31.1.1990 (fehlt). Am 29.11.1989 (fehlt). Am 1.11.1989 (fehlt), aber detaillierter Bericht darüber im „Demokrat“ am 3.11.1989.
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Die Predigten 3.4 Die Perikopen
Wie auch die Gesamtgestaltung der Andachten lag die Auswahl des Predigttextes in Rostock immer in den Händen einer Vorbereitungsgruppe. Gezielt wurde nach einem Bibelwort gesucht, das in die Situation passte, Lösungsmöglichkeiten anbot oder die Wirklichkeit beschrieb. Entsprechend wurde über zehn alttestamentliche und acht neutestamentliche Texte gepredigt, besonders Jesaja und Jeremia erfreuten sich großer Beliebtheit und standen je dreimal Pate. Aus dem Neuen Testament wurde über das Lukasevangelium am häufigsten gepredigt, insgesamt vier Mal. Die durch die Pastoren Schmidt und Burkhardt in Bad Doberan ausgewählten Predigttexte entstammten achtmal dem Alten und siebenmal dem Neuen Testament. Dreimal wurde über das Lukasevangelium gepredigt, zweimal zu Jesaja und zweimal zu Texten aus dem Buch des Predigers. Drei der acht aus Neubrandenburg erhaltenen Reden haben überhaupt einen Bibeltext zur Grundlage, zweimal Texte aus dem Matthäusevangelium und einmal den Auszug aus Ägypten. Die sechs Ansprachen aus Greifswald haben viermal einen neutestamentlichen, zweimal einen alttestamentlichen Bibeltext zur Grundlage. Zwischen den ausgewählten Predigttexten gibt es erstaunlich wenige Überschneidungen, suchten doch alle Prediger stets die politische Situation spiegelnde Texte aus. Über Mt 7,15–17 wurde am 2. November 1989 in Rostock und am 19. März 1989 in Neubrandenburg gepredigt. Und der Vergleich zwischen Israels Auszug aus Ägypten und der Situation der DDR drängte sich in drei Städten 1990 auf. In Rostock wurde dazu am 1. Februar 1990 gepredigt, in Bad Doberan am 14. Februar 1990 und in Neubrandenburg am 12. März 1990. Lediglich im Doberaner Münster wurden am 8. November 1989 (Pred 3,1–14) und am 13. Dezember 1989 (Offb 3,7f.) über die Predigttexte des vorangegangenen Sonntags gepredigt. Ansonsten waren die ausgewählten Perikopen und die vorgegebene Predigtreihe nie identisch, sodass schlusszufolgern ist: Die Prediger wählten die Predigttexte nach eigenem Ermessen passend zur Situation aus. 3.5 Thematische Auswertung 3.5.1 Überblick Wie schon bei den Sonntagspredigten werden die in den Gebetsandachten gehaltenen Predigten in zwei Schritten analysiert. Zuerst werden die politischen Themen und ihre politischen und geistlichen Antworten chronologisch betrachtet, danach einzelne Themen auf Veränderungen hin untersucht. Was alle Predigten prägt, ist ihr sehr auf die aktuelle Situation bezogener Inhalt. Es wird versucht, für die politische Lage geistliche und gesellschaftsverändernde Anstöße zu geben. Immer wurden direkte Vergleiche zwischen der Situation Israels bzw. dem Inhalt der biblischen Texte und der Gegenwart gezogen.
Auswertung der Friedensgebete
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Dies ist auch bei der Rostocker Predigt vom 7. Oktober 1989 aus Anlass des 40. Jahrestages der DDR höchst evident. Statt diesen als Freudenfest zu feiern, fordert Pastor Mahlburg einen gesellschaftlichen Neuanfang in der DDR, die gegenwärtige Krise als Gericht Gottes verstehend. Dieselbe Vorbereitungsgruppe gestaltete im Laufe des untersuchten Zeitraumes noch zwei weitere Andachten. Da diese Gruppe deutlich andere Schwerpunkte setzte als in den anderen Gebetsandachten und vornehmlich aus Mitgliedern der „Bürgerinitiative für einen neuen Sozialismus“ bestand, werden die drei Andachten im Folgenden en bloc besprochen. Am 6. Januar 1990 setzten die drei Prediger Langer, Mahlburg und Dietrich drei Akzente in ihrer Predigt im Gottesdienst „‚Mein Herz muß barfuß gehen in dieser Welt‘ – Atemholen für die Zukunft“.87 Zum einen müssten die Menschen lernen, mit Leuten anderer Nationalität, Kultur, Religion oder Weltanschauung zusammenzuleben Langer. Zum zweiten solle die Vision vom Reich Gottes ernst genommen werden (Mahlburg). Man wolle keine bürgerliche Demokratie oder Volksdemokratie, sondern eine „barmherzige Gesellschaft“88 . Im Anschluss an diese biblische Betrachtung zu Jer 9,22f. konkretisiert Dietrich drittens die Gedanken bezüglich einer Gesellschaftsordnung. Man brauche eine Demokratie, deren Maßstab Jesus Christus sei, „sein Wort, sein Wille, seine Gebote, sein Weg“89 . Was dies genau bedeutet, wird nur negativ abgegrenzt: Weder die BRD noch die DDR, Volksdemokratien in Asien und Afrika oder bürgerliche Demokratien in Nordamerika seien „gelebte Demokratie“, denn hier wie dort gebe es Opfer: „die Opfer der Stasi“ werden in einem Atemzug genannt mit den „Drogentoten der Bundesrepublik“, dem „Arbeitslosenheer“, „Ausländer(n), die kein Asyl erhalten“. Nur einer Demokratie könne zugestimmt werden, „die alle Menschen in ihre Herrschaft einbezieht. Die weltweite Gerechtigkeit zum Ziele hat.“90 Einen Tag vor den Feierlichkeiten zur deutschen Einheit 1990 gestaltete dieselbe Gruppe einen explizit von Christen und Nichtchristen vorbereiteten Gottesdienst unter dem die zwei Nationalhymen zusammenführenden Motto: „Einigkeit und Recht und Freiheit und der Zukunft zugewandt. Nachdenken über Deutschland.“ Die Gruppe verzichtete auf eine Predigt, stattdessen wurden Gedanken in Form von Voten vorgebracht. Gegenüber dem Gottesdienst vom Januar hieß es relativ versöhnlich: „Morgen ist ein Ziel erreicht. Dafür sind wir dankbar und froh. Aber wir werden noch viele Ziele ins Auge fassen müssen.“91 Die Teilung Deutschlands werde nicht durch einen Rechtsakt und indem sich das Recht des Stärkeren
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Entgegen der Annahme von (Höser / Scherer, Hoffnung, 80–82), die von einem Prediger (Mahlburg) ausgehen, waren drei Prediger beteiligt. Langer veröffentlichte seinen Predigtbeitrag am 26.1.1990 im Bürgerrat, Dietrich bestätigte mir am 26.1.2012 telefonisch seine Autorenschaft des dritten Predigtteils. Mahlburg / Langer et al., Friedensgebet am 6.1.1990, 6. Ebd., 8. Ebd., 7f. Vereinigte Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft, Gottesdienst am 2.10.1990, 2.
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Die Predigten
durchsetzt „an einem bestimmen Tag im Kalender überwunden“, sondern „die Teilung wird durch Teilen überwunden“92 Bei den Donnerstagsandachten in Rostock beherrscht bis zum 30. November 1989 die Forderung eines gesellschaftlichen und politischen Neuanfangs die Predigten, unterstützt durch verschiedene theologische Antworten wie die Warnung vor Selbstgerechtigkeit am 19. Oktober 1989, den Aufruf zur Umkehr am 26. Oktober 1989 und den Vergleich zwischen der Auferweckung von den Toten und dem Aufbegehren der DDR-Bevölkerung am 9. November 1989. „In den Predigten des Oktobers ist vor allem das Pathos großer, geschichtsträchtiger Worte wie Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, Menschenrechte zu vernehmen. Nun wird es konkreter.“93 Unmissverständlich wird am 2. November 1989 zu echter Umkehr aufgefordert und zur Unterscheidung von wahren und falschen Propheten.94 Nach dem Mauerfall vollzieht sich ein kleiner thematischer Bruch. Die Reisefreiheit wird erfreut wahrgenommen, gleichzeitig warnen die Prediger vor Illusionen und betonen, dass es sich nur um ein erreichtes Teilziel handelt. Reisefreiheit sei, beginnt die Predigt am 30. November 1989, eine „Freiheit, die es in vielen anderen Diktaturen gab und gibt“95 und keine Garantie für Freiheit und Demokratie. Wer glaube, nun würde sich alles von selbst zum Guten wenden, rede wie der falsche Prophet Hananja. Stattdessen müsse man, so der Prediger am 16. November 1989, auf Jeremia hören, der den weiten, harten und schweren Weg nicht schön redet. Deutlich werden Ängste vor einem „Ausverkauf “ der DDR benannt. In den kommenden zwei Wochen durchzieht die Frage nach der Verantwortung für die Misere der letzten 40 Jahre die Predigten. Unter dem Motto „Wirkliche Umkehr schafft wirkliches Leben“ werden die Mächtigen am 23. November 1989 aufgefordert, wahrhaft umzukehren, statt „übermäßige[r] Wende- bereitschaft“96 zu demonstrieren, die lediglich neue Ängste schüre. Ungleich selbstkritischer geht die Predigt vom 30. November 1989 mit dem Thema um. Schonungslos wird betont, dass nicht nur Honecker und Mielke die Diktatur erhalten hätten, sondern dafür viele Menschen von Nöten waren, die mitmachten und stillhielten.97 Nachdem die SED ihren Führungsanspruch am 1. Dezember 1989 aus der Verfassung gestrichen hat und ein Systemwechsel immer wahrscheinlicher wird, ändern sich auch die Themen der Predigten. Der Einzelne mit seinen Ängsten und Nöten tritt stärker in den Vordergrund. Gleichzeitig nimmt der Schwung der revolutionären Bewegung ab, entsprechend ermutigen die Prediger verstärkt zur Mitgestaltung der Gesellschaft, zum Weitergehen und Einlassen auf das Neue. Am 7. Dezember 1989 werden die Hörer unter dem Motto „Fürchte dich nicht, du 92
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Vereinigte Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft, Gottesdienst am 2.10.1990, 6. Vgl. dazu auch Richard von von Weizsäcker, Ansprache zum 3.10.1990, in der er hinsichtlich der zu erwartenden Kosten für die deutsche Einheit klarstellte: „Sich zu vereinen, heißt teilen lernen.“ Höser / Scherer, Hoffnung, 54. Vgl. Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 4. Gauck, Predigt am 30.11.1989, 1. Ders., Predigt am 23.11.1989, 2. Vgl. ders., Predigt am 30.11.1989, 1.
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bist nicht allein!“ ermutigt, ihre Ideale nicht aus Enttäuschung, Übereifer oder Wut aufzugeben. Aus den Erfahrungen der letzten Wochen könne Selbstachtung gewonnen werden, heißt es eine Woche später: „Ich spüre Neues, wenn meine Mitarbeit und Mitverantwortung gewollt ist; ich werde wertvoller.“98 Die Predigten im neuen Jahr stehen weiterhin ganz im Zeichen des individuellen Zuspruchs. Manche verbräuchten ihre ganzen Kräfte für Westreisen, andere sind erschöpft von ihren gesellschaftlichen Aufgaben. Aber im Vertrauen auf Gott, der den Müden Kraft und Stärke gibt, möge man sich gegenseitig ermutigen, weiterzugehen, so der Impetus am 11. Januar 1990. Den Spannungen zwischen Menschen und den eigenen Ängsten müsse man sich stellen und um Gottes Segen kämpfen, heißt es sieben Tage später. In die gleiche Richtung geht die Predigt vom 25. Januar 1990. Sie thematisiert die verschiedenen Meinungen zur Wende und die vorschnellen Verurteilungen untereinander. Jeder müsse überlegen: Könnten eventuell auch andere sagen, einen nicht zu brauchen, weil manches getan oder unterlassen wurde? Die gesamte Gesellschaft bedürfe einer grundlegenden Erneuerung an Haupt und Gliedern für ein funktionierendes Zusammenspiel der Einzelteile.99 Anfang Februar versuchen die Prediger, einer sich verbreitenden Resignation und Ermüdung zu entgegnen. „Bedrückt sein – und sich nicht erdrücken lassen. (Von Schwierigkeiten, die Freiheit zu gestalten.)“ lautet das Thema. Auf die Frage, was der einzelne in einer Gesellschaft ändern könne, wird Mose als Exempel vorgestellt, der aus vertrauensvoller Hoffnung heraus handeln konnte.100 Die letzte Predigt dieser bis dahin regelmäßig stattfindenden Gebetsandachten am 8. Februar 1990 „unterscheidet sich deutlich von den Predigten am Beginn des Herbstes.“101 Mit pragmatischem Ton werden die Träume der Anfangszeit als schön, aber unrealistisch weggeschoben, nun werde man sich den realen Gegebenheiten zuwenden und „tun müssen, was zu tun ist – und Wachstum wird sein!!“102 . Gauck plädiert zudem zwar indirekt, dennoch deutlich für eine deutsche Einheit. Ein Kurs, den nicht alle in der Vorbereitungsgruppe mittrugen.103 Die Entscheidung für das Aufbrechen sei jetzt wichtig, auch Jesus will hören „Ja, ich bin dabei!“104 Zwar hätten alle Bürger Verantwortung für die neue Staatsform und Gesellschaft, doch müssten nicht alle das gleiche tun, gepflügt wurde schon, nun muss einer säen, einer ernten. Dadurch werde „indirekt auf die kommende neue Hierarchie vorbereitet, das Gefälle zwischen denen, die diese Macht über-
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Gauck et al., Predigt am 14.12.1989, 5. Vgl. Lohse et al., Predigt am 25.1.1990, 2. Vgl. Gauck et al., Predigt am 1.2.1990, 4. Höser / Scherer, Hoffnung, 89. Gauck et al., Predigt am 8.2.1990, 2. Höser / Scherer, Hoffnung, 90. Gauck et al., Predigt am 8.2.1990, 1.
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nehmen, zwischen denen, die den Pflug ziehen und säen, und denen, die ernten werden“105 , urteilt Susanne Höser106 . Nach der ersten Wahl des Jahres, der Volkskammerwahl am 18. März 1990, hält Pastor Lohse vier Tage später noch einmal eine Gebetsandacht. Nun befinde man sich auf einer Lichtung im dunklen Wald der Ereignisse, einer Zwischenstation, von der aus wachsame Weiterarbeit nötig sei. Dabei sollte dem Licht Jesus Christus vertraut werden: „Dem Licht, das uns bis hierher geführt und geleitet hat.“ So gelinge die Konzentration auf den nächsten Schritt und man könne weitergehen „mit der Sehnsucht nach dem Ziel im Herzen“107 und der Gewissheit, dass das Licht ans Ziel führe. Den Herbst 1989 historisierenden Charakter trägt die Gebetsandacht am 11. Oktober 1990 in der Rostocker Marienkirche: „Ein Jahr danach laden wir ein zur Donnerstags-Andacht ‚Gemeinsam unterwegs‘ als ‚Gottesdienst zur Erinnerung und Ermutigung‘“108 . Die von Pastor Gauck gehaltene Predigt ist leider nicht archiviert, doch ist die Presseerklärung der Vorbereitungsgruppe aussagekräftig: „In dieser rasanten Zeit wollen wir uns an den Herbst 89 erinnern und Kraft für die nächsten Schritte suchen.“ Im Sinne des fast nostalgisch anmutenden Kraftschöpfens aus den erhebenden Erinnerungen ist auch der Rest des Textes zu verstehen: „Die Eingangshalle der Marienkirche soll mit Plakaten, Transparenten und Fotos der Herbstes 89 ausgestaltet werden. […] Nach der Andacht wollen wir noch einmal den Demonstrationsweg des Herbstes gehen. […] Bitte Kerzen dazu mitbringen.“109 Damit waren die Donnerstagsandachten endgültig nicht mehr Teil der gegenwärtigen, sondern der erinnerten Rostocker Geschichte. Insgesamt ist für die Rostocker Gebetsandachten eine politische Entwicklung zu beobachten: Nahm die thematische Ausrichtung ihren Ausgang bei der Hoffnung auf eine demokratisierte DDR, endete sie im Februar 1990 mit Gaucks Predigt in einem klaren „Ja“ zur deutschen Einheit. Aufgrund der hohen personellen Kontinuität in Bad Doberan kann für die Gebete im Münster die inhaltliche Entwicklung des Predigers detailliert nachgezeichnet werden. Eine Besonderheit stellt dabei dessen von Anfang an positives Bekenntnis zur deutschen Einheit dar.110 Bis zum Mauerfall wird in den Bad Doberaner Predigten von einer erneuerten DDR geträumt, die ihre Bürger ernst nimmt. Nach der Grenzöffnung gen Westen steht der Umgang mit vergangener Schuld im Mittelpunkt. Im ersten Gebet nach der Maueröffnung verkündet Schmidt, nun „nicht mehr von BRD + DDR, son105 106
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Höser / Scherer, Hoffnung, 90. In ihrer Mail vom 28.12.2011 schrieb mir Frau Höser, dass in ihrem gemeinsam mit Richard Scherer verfassten Buch sie selbst die Seiten 29–292 schrieb (historische Aufarbeitung und Interviews), Richard Scherer für die einleitenden Analysen und abschließenden Anmerkungen verantwortlich zeichnete. Lohse, Predigt am 22.3.1990, 6. So der Wortlaut des einladenden Plakates. Gauck et al., Gottesdienst am 11.10.1990. Dies entspricht der Beobachtung bei den Sonntagspredigten, dass die über 50-jährigen Pastoren als erste eine solche Idee begrüßten.
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dern von Deutschland“111 zu reden. Ab Februar macht er der Gemeinde Mut, nun nicht aus Angst vor dem Neuen nach Altem zurückzublicken. Gott unterstütze die Menschen beim Aufbruch zu neuen Ufern, denn er selbst handele nun in der Geschichte am deutschen Volk, dem er die Einheit schenke. Folgerichtig schlussfolgert derselbe Prediger am ersten Tag der Deutschen Einheit im Dankgottesdienst, dass Gott dem deutschen Volk „aus dem Grab der Todesmächte“ herausgeholfen habe mit einer bleibenden Aufgabe für die Freiheit anderer Völker: „Es ist kaum zu erwarten, daß Gott unser Volk zur Einheit hat entstehen lassen, damit wir sanft dahinleben.“112 Den Quellen nach standen in Neubrandenburg vor allem politische Informationen und Forderungen im Vordergrund der Gottesdienste. So forderte Pastor von Saß am 18. Oktober 1989 die Institutionalisierung des Dialogs und Pastor Riemann wies eine Woche später auf die räumlichen und technischen, aber auch verantwortbaren Grenzen von Kirche in ihrer politischen Rolle hin. Nun müsse der Rat der Stadt die Verantwortung für den Dialog mit seinen Bürgern übernehmen. Am 1. November 1989 warnte Riemann vor zwei Extremen: sich überschlagenden Ereignissen samt gewaltsamem Ende oder aber vor einer einfachen Rückkehr zum Alten. Damit beides nicht einträte, bedürfe es einer „Gratwanderung zwischen notwendiger Ungeduld und erforderlicher Geduld“113 . In den beiden Ansprachen vom November 1989 werden das Eingeständnis von Fehlern und Mitverantwortung von Regierten und Regierenden gefordert, damit die Deutschen nie wieder in einer Diktatur leben müssten. Die beiden Märzpredigten vom jeweiligen Montag vor und nach der Volkskammerwahl reflektieren das Wunder der neu erlangten Freiheit und die Rolle der Kirche dabei. Im ersten Greifswalder Friedensgebet am 18. Oktober 1989 weist Superintendent Wackwitz auf die orientierende Kraft des Evangeliums als „Weg der Feindesliebe“114 hin, das die Menschen mit den göttlichen Waffen, Wahrheit und Gerechtigkeit, rüste. Eine Woche später setzt sich Collatz mit der Bedeutung des Betens auseinander und erklärt, warum ein ernstgemeintes Gebet immer tatkräftig in die Gesellschaft wirken muss. So definiert er Beten in vier Schritten als nachdenken, was der andere gerade braucht; fragen, was Gott will; überlegen, was wir tun können und schließlich Gott darum bitten, dass dies auch gelingt.115 Damit liefert er für Greifswald die theologische Erklärung für die absolute Notwendigkeit von Friedensgebeten in solchen Zeiten des Wandels. Kernsatz ist auch hier, wie schon in Rostock, „Gebet und Information gehören zusammen [...].“116
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Schmidt, Predigt am 15.11.1989, 1. Ders., Predigt am 2./3.10.1990, 2. Riemann, Begüßung, 61. Wackwitz, Ansprache am 18.10.1989, 1. Vgl. Collatz, Predigt am 25.10.1989, 1f. Ebd., 1.
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Am 1. November 1989 halten die Pfarrer Tuve und Göbel eine Dialogpredigt im Greifswalder Dom. Gott schenke den Menschen „durch sein klares Wort“117 Mut und Halt, Position zu beziehen. Es sei an der Zeit, dass sich Land und Leute grundlegend änderten, um nicht zugrunde zu gehen. Dafür sei eine konsequente Aufklärung von Schuld samt Rücktritten nötig. Von Bischof Gienke fordert Tuve ein öffentliches Eingeständnis seiner Schuld im Zusammenhang mit den Alleingängen rund um die Wiedereinweihung des Greifswalder Doms. Einen Tag vor dem Mauerfall fragt Superintendent Wackwitz in St. Jacobi, wie es nun weitergehen solle mit der DDR und ermutigt die Hörer, sich nicht zu fürchten, denn: „Gott sitzt im Regimente.“118 . Am selben Tag predigt Springborn im Dom St. Nikolai über den neu angebrochenen Tag in der DDR. Die Demonstrationen seien der Beweis dafür, dass das Volk noch lebe und wieder den „aufrechten Gang“ einübe. Jetzt sei die Zeit für Versöhnung, „ohne damit Gleichmacherei zu betreiben, denn Lüge und Unaufrichtigkeit müssen beim Namen genannt werden“119 . Am Buß- und Bettag mahnt Superintendent Wackwitz, in allen Umbrüchen „nicht (zu) vergessen, was es heißt, ein Mensch zu sein“120 , nämlich nicht Amboss oder Hammer, sondern mal das eine, mal das andere, ganz menschlich eben. Mitte Dezember betonen Friedrich Krause und Göbel in ihrer Dialogpredigt die Notwendigkeit von ehrlicher Aufarbeitung, rechtlicher Bestrafung und mitmenschlicher Vergebung von Schuld. Unterm Kreuz könne das Faustrecht begraben, die Faust zur versöhnenden Hand geöffnet werden.121 Im vermutlich ersten Friedensgebet 1990 spricht Pfarrerin Ursula Wegmann über die Jahreslosung 1990, Joh 8,12: „Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt.“ Dieses Licht wünscht sie sich und der Gemeinde für die Zukunft im krassen Gegensatz zum „blendende(n) Licht von Supermärkten und Discounts, [...] von starken Scheinwerferlampen und besseren Motoren“122 . Eine westkritische Sicht ist nicht zu verkennen. Ebenfalls Anfang 1990123 predigt Göbel ganz ähnlich unter dem Motto „Mach’ dich auf den Weg 1990“124 . Nach dem Zusammenbruch von Staat und Wirtschaft helfe nun nur noch die Wahrheit. Doch nicht als verurteilende, sondern als aufrichtende Worte, die den Menschen im Sinne Jesu eine neue Chance gäben. Diese neue Chance ist für sie jedoch nicht in einer deutschen Einheit zu finden, sondern im „dritten Weg“: „Wiedervereinigung – das ist doch wohl auch eine Illusi-
117 118 119 120 121 122 123 124
Tuve / Göbel, Dialogpredigt am 1.11.1989, 25. Wackwitz, Ansprache am 8.11.1989, 1. Schumacher, Hälse. Wackwitz, Ansprache am 22.11.1989, 2. Vgl. Krause / Göbel, Dialogpredigt am 13.12.1989. Wegmann, Licht, 184. Das genaue Datum ist leider nicht zu ermitteln, liegt aber sicher nach Wegmanns Predigt und vor der Volkskammerwahl am 18. März 1990. Vgl. Göbel, Weg, 185.
Auswertung der Friedensgebete
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on! Wenn wir denn jetzt als Deutsche zusammenleben wollen, brauchen wir da nicht auch einen neuen Weg?“125 Nach diesem kurzen Überblick sollen nun besonders markante Themen einer näheren Betrachtung zugeführt werden. Wie schon zuvor bei den Sonntagspredigten werden drei Komplexe ((tages-)politische, sozial-ethische und theologische Themen) untersucht. Eine kausal-chronologische Anordnung der Themen wird angestrebt. 3.5.2 (Tages-)politische Themen Bleiben oder Gehen? Bis zum 30. November 1989 tauchen immer wieder die Topoi Ausreise und Flucht, Grenze und Mauer auf, danach geht es vor allem um die Frage des Bleibens in der DDR. Insbesondere die Massenflucht und die Forderung nach offenen Grenzen herrschen bis einschließlich 9. November 1989 vor. Die Menschen befänden sich in einer widersprüchlichen Situation heißt es in der Rostocker Andacht am 7. Oktober 1989. Sie könnten einerseits nicht bleiben „wo es keine grundlegende Veränderung gibt“ und auch nicht dorthin „ausziehen [...], wo es auch keine grundlegende Veränderung gibt“. In diesem Dilemma bleibe nur die Möglichkeit, „einander ermutigen zu bleiben und auf Veränderung weiter zu drängen!“126 . Es sei der „Ungeist der Resignation“, so Wackwitz in Greifswald am 18. Oktober 1989, „der Unzählige dazu bringt, ihre Koffer zu packen“127 . Am gleichen Tag bemerkt von Saß in Neubrandenburg froh, dass endlich täglich „die Zahl der Menschen, die hierbleiben und auf überfällige Veränderungen hindrängen, gewichtiger (wird) als der Strom fliehender und wegdrängender“128 Leute. Dass beide, die „Weggeher und wir kritischen Hierbleiber“129 dasselbe wollen, formuliert Gauck am 26. Oktober 1989 in der Rostocker Marienkirche. Erst nachdem und weil viele Menschen es nicht mehr in der DDR aushielten, „geschah das Wunder“130 und die Dagebliebenen brachten den Mut zu Demonstrationen auf, bringt die Predigergruppe um Gauck beide Bewegungen am 9. November 1989 in einen chronologischen Zusammenhang. Nach der Maueröffnung wird der Freude darüber allerorts Ausdruck verliehen, verbunden mit der Warnung, sich nicht von weiteren Zielen wie Verfassungsänderung, freien Wahlen oder Parteienpluralismus ablenken zu lassen. Mit den Reisemöglichkeiten kommt die Frage nach dem Bleiben in der DDR ganz neu. So fragt sich ab Dezember 1989 der Einzelne nach seinen persönlichen Chancen in der DDR. Ein Prediger drückt dies am 14. Dezember 1989 in Rostock so aus: „Im Westen geht vielleicht ohne mich die Post ab. […] Bin ich der doofe 125 126 127 128 129 130
Ebd., 188. Mahlburg, Erklärung am 7.10.1989, 2. Wackwitz, Ansprache am 18.10.1989, 1. Von Saß, Ansprache, 53. Gauck / Heldt / Leefhelm, Predigt am 26.10.1989, 2. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 2.
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Die Predigten
Rest? Aber eigentlich will ich doch gar nicht weg.“131 Und ganz ähnlich formuliert es eine Rostocker Ärztin am 1. Februar 1990: „Meine Freundinnen sind schon im Westen. Ich möchte aber immer noch hier bleiben.“132 Grundsätzlich plädieren alle Predigten für das Bleiben und Mitarbeiten an einer erneuerten Gesellschaft, ohne jedoch das Fortgehen zu verurteilen. Absolut negativ werden die Ausreisenden nur am 6. November 1989 in einer Anklamer Fürbitte bewertet in der Bitte, die Aufgaben vor Ort zu erkennen, statt „der Versuchung (zu) erliegen, in den Westen auszureisen.“133 Politische Zukunftsvisionen Bis einschließlich 9. November 1989 kann sich niemand eine baldige deutsche Einheit vorstellen, selbst ein erneuerter Sozialismus scheint ein kaum erreichbares Ziel. In Neubrandenburg prangert Diakon Fritz am 11. Oktober 1989 die polizeistaatlichen Methoden gegen Demonstranten als unsozialistisch an.134 Pastor Schmidt benennt 14 Tage später in Bad Doberan die „Bereitschaft zum brüderlichen Teilen“135 als Zukunftsaufgabe des Sozialismus. Vage wird am 26. Oktober 1989 in Rostock davon gesprochen, dass unter den gegebenen Verhältnissen „das menschliche Gesicht des Sozialismus noch nicht klar genug zu erkennen“136 sei und am 9. November 1989 wird die Möglichkeit erwogen, „einen humanistischen Sozialismus aufzubauen“137 , wenn nicht weiterhin die krankhaften Strukturen durch Lügen gestärkt werden. Kritischer klingt es Anfang November in Greifswald. Pfarrer Tuve analysiert im ersten Teil der Dialogpredigt die verräterische Sprache in der DDR: „Wer heute sagt: Wir müssen den Sozialismus noch besser machen, dem glaubt kein Mensch mehr.“ Pfarrerin Göbel überführt diese Kritik in ihrer Antwort in eine positive Forderung. Nun solle man nicht einfach den Feigenbaum ohne Frucht, die DDR, abhauen, sondern ihr noch ein Jahr zur Entwicklung geben. Veränderung ist nötig, aber aus der Gesellschaft selbst heraus, alles andere wäre „jammerschade, um all die vielen Menschen, um so viel Mühe und Arbeit, um verschüttetes Leben und um die Idee einer wahrhaft sozialistischen Gesellschaft! Noch ist Zeit für die liebevolle Hoffnung, sagt Jesus.“138 Nach dem Mauerfall predigen vor allem die über 50-Jährigen gegen herrschende und utopische sozialistische Gesellschaftsformen. Superintendent Wackwitz in Greifswald kritisiert die sozialistische Unterscheidung von Amboß und Hammer, Ausgebeutetem und Ausbeuter, Unterdrücktem und Unterdrücker - biblisch gesprochen von Kain und Abel. „Welch schlimmes Entweder – Oder, auch wenn man uns weismachen wollte, daß wir im entwickelten Sozialismus nicht mehr Am131 132 133 134 135 136 137 138
Gauck et al., Predigt am 14.12.1989, 2. Ders., Predigt am 1.2.1990, 2. Moderow, Fürbitte am 6.11.1989, 1. Vgl. Fritz, Ansprache: Friedensgebet am 11.10.1989, 51. Schmidt, Predigt am 25.10.1989, 1. Gauck / Heldt / Leefhelm, Predigt am 26.10.1989, 2. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 4. Tuve / Göbel, Dialogpredigt am 1.11.1989, 26.
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boß, sondern Hammer seien. […] ich will weder zuschlagen, noch geschlagen werden. Ich will ein Mensch sein.“139 Vor allem Pastor Schmidt in Doberan geht hart ins Gericht mit Idee und Begriff des Sozialismus. Ebenfalls am 22. November 1989 kritisiert er, den marxistisch-leninistischen Sprachgebrauch aufnehmend, die weitere Benutzung des Begriffs Sozialismus, der „wie ein Götze geküßt“ werde, als ob es „den real existierenden Sozialismus nie gegeben (habe): die Entfremdung der Arbeiter von ihren Produktionsmitteln; die Entmachtung der Werktätigen im Arbeiter- und Bauernstaat, [...] die Pervertierung der Staatsbürgerschaft zur unverhüllten Leibeigenschaft durch das Grenzregime.“140 Schon der Begriff, „Sozial in Verbindung mit ismus“141 , sei dem Klang nach Unfreiheit, erklärt Schmidt im Januar 1990. Der in der DDR erlebte Sozialismus sei eine der „zum Teil grotesken Folgen“142 der französischen Revolution und ihrer verheerend irrtümlichen Annahme, alle Menschen seien gleich. Dies widerspräche dem biblischen Gerechtigkeitsbegriff, der die Menschen nach ihren Gaben und Fähigkeiten abwäge, zeichnet Schmidt große historische Linien. Auseinandersetzung mit dem Atheismus Auch der materialistischen, atheistischen Weltanschauung der DDR kann Schmidt nichts abgewinnen und predigt dies deutlich. Mit der „vollen Düngerhand“ wollte der Mensch sich selbst zum Gott aufschwingen und die Erde beherrschen. Dabei sei verkannt worden, dass „der Ausschaltung des lieben Gottes logischerweise auch die Ausschaltung des Einzelnen folgen mußte“143 und der Einzelne im Kollektiv unterging. Hinter dieser „Auslöschung jeglichen Gedankens an Gott“ standen politische Überzeugungstäter und „ein menschlicher Vernichtungswille, um dann über Leib und Seele des Menschen uneingeschränkt herrschen zu können.“144 Damit nimmt Schmidt im Vergleich zu den anderen Gebetsandachten eine Sonderstellung ein. Aus Rücksicht auf die unterschiedlich geprägten Hörer wurden solcherlei Verurteilungen des Marxismus-Leninismus in anderen Gebetsandachten vermieden.
139 140 141 142 143 144
Wackwitz, Ansprache am 22.11.1989, 1. Schmidt, Predigt am 22.11.1989, 1. Ders., Predigt am 17.1.1990, 1. Ders., Predigt am 21.2.1990, 2. Ebd., 2. Ders., Predigt am 14.3.1990, 1.
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Die Predigten
Die Frage der Deutschen Einheit Da überrascht es kaum, dass sich Pastor Schmidt als erster sofort nach dem Mauerfall vehement für die rasche deutsche Einheit einsetzt. In dem auf den Mauerfall folgenden Friedensgebet verkündet er seinen Hörern einleitend, von nun an nicht mehr von zwei deutschen Staaten zu sprechen, „sondern nur noch von Deutschland.“145 , während in Rostock einen Tag später noch davor gewarnt wird, die DDR werde „12. Bundesland“ und stehe in der Gefahr, den „Weg der eigenen Entwicklung (zu) verfehlen“146 . Anfang Dezember beobachtet Schmidt glücklich: „Wir Bürger können es noch nicht fassen, daß auf menschlicher Ebene die Einheit der deutschen Nation faktisch hergestellt ist.“147 Nun sei endlich „die Tür zur Einheit unseres Volkes in den Grenzen von 1945 geöffnet. Alles andere ist Unrecht vor Gott.“148 Immer wieder wird dagegen in Rostock und Greifswald für eine eigenständige Entwicklung der DDR oder wenigstens eine langsame Annäherung der zwei Staaten plädiert, wobei klar die Handschrift des jeweilig verantwortlichen Pastors zu erkennen ist. Während Lohse am 16. November 1989 und 11. Januar 1990 vor der großen Versuchung warnt, auf den „vermeintlich glatteren“149 Weg des Westens zu wechseln, endet Gauck schon am 30. November 1989 mit einem hinsichtlich einer konkreten Staatsform interpretationsoffenen Aufruf: „baut eine freie, solidarische und humane Gesellschaft auf. Macht den Traum aller Humanisten wahr und zerschlagt den Alptraum der Macht.“150 Und am 8. Februar 1990 rechnet er harsch ab mit dem herbstlichen Traum von einer freien, friedlichen und gerechten Gesellschaft, die nicht Überfluss und Ungleichheit wollte. Denn „dieser Traum war unrealistisch151 . Wir können nicht frei sein, wenn wir wirtschaftlich abhängig sind.“152 Obwohl er es nicht explizit benennt, ist doch eindeutig, dass Gauck hier für die deutsche Einheit Stellung bezieht als in seinen Augen einzig realistische neue Staatsform. Zum selben Zeitpunkt predigt Göbel in Greifswald noch von einem erstrebenswerten dritten Weg, und erklärt eine Wiedervereinigung zur Illusion.153 Und sechs Tage vor der Volkskammerwahl hofft Heydenreich in Neubrandenburg noch auf eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung am 17. Juni 1990, „40 Tage154 nach der 2. Wahl im Mai“155 , also auf ein neues Ganzes, anstelle eines bloßen Beitritts der DDR zur BRD. 145 146 147 148 149 150 151
152 153 154 155
Vgl. Schmidt, Predigt am 15.11.1989, 1. Lohse, Predigt am 16.11.1989, 4. Schmidt, Predigt am 6.12.1989, 1. Ders., Predigt am 13.12.1989, 1. Lohse, Predigt am 11.1.1990, 3. Gauck, Predigt am 30.11.1989, 3. Der Gebrauch des Wortes „unrealistisch“ ist hier insofern interessant, als dass im Oktober 1989 noch jegliche Veränderung, geschweige denn Öffnung der DDR oder gar deutsche Einheit vollkommen unrealistisch waren. Gauck et al., Predigt am 8.2.1990, 2. Vgl. Göbel, Weg, 188. Vgl. den Rekurs auf die biblische Zahl 40 in diesem Kapitel Abschnitt 2.4.4 und Abschnitt 4.2.1. Heydenreich, Besinnung, 79.
Auswertung der Friedensgebete
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Die innergesellschaftliche Ausdifferenzierung der Ansichten zur weiteren Entwicklung der DDR wird am 25. Januar 1990 in Rostock eigens thematisiert. Den Ungeduldigen ginge es zu langsam, die Vorsichtigen möchten erst alles prüfen, die Verunsicherten bangten um ihre Ersparnisse. Zwischen diesen Gliedern der Gesellschaft herrsche gerade seit Beginn des Wahlkampfes Streit. Gegenseitig mache man sich Vorwürfe: Wer für eine schnelle Vereinigung sei, wäre „unbrauchbar“; wer eine eigenständige Entwicklung der DDR wünsche, ein „unverbesserlicher Stalinist“. Andere möchten nichts zu tun haben mit ehemaligen Stasi-Leuten oder alten Blockparteien. Ganz im Sinne eines fairen Wahlkampfes spricht sich Pastor Lohse dafür aus, jedem das Recht auf seine Meinung zu gewähren.156 Konsumkritik Unabhängig von der Stellung des Predigers zur deutschen Einheit wird vor dem Rausch durch Konsum und Reisefreiheit, vor einer „Welt des Habens“ gewarnt und zu „Geben und Teilen statt Horten und Ausbeutung“157 aufgerufen. Diese Kritik ist zwar meist allgemeiner Natur und richtet sich nicht allein gegen die BRD, dennoch entsteht beim Lesen der Predigten der Eindruck, dass wahrgenommene Fehlentwicklungen des Westens gemeint sind. Konkret wird das in einer Fürbitte Mitte Oktober 1989 in Greifswald zum Ausdruck gebracht. Auch die Bürger der DDR hätten sich „anstecken lassen von dem Schielen nach Wohlstand. Für viele ist es der einzige Lebenszweck geworden, dem Lebensstandard ihrer westlichen Verwandten zu entsprechen.“158 Man könne, heißt es Anfang Dezember in Rostock, verbrennen in Übereifer und Wut. Oder aber in „Glanzlichtern“ und „Reklamegeilheit“159 aufgehen, wenn das Heil im Überfluss gesucht werde und Träume und Ideale verraten würden. Diktatur und Verantwortung Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Diktatur kann ein Tendenzwechsel nach dem 9. November 1989 festgestellt werden. Anfangs wird die „Diktatur einer Handvoll Politiker“160 verurteilt, die „im Namen der Arbeiterklasse […] die Arbeiterklasse“161 unterdrücken. Die ideologische Frage klären, über Geist und Gewissen herrschen und die Wahrheit besitzen zu wollen sei „Gotteslästerung“162 , so Propst Schmidt am 25. Oktober 1989 in Bad Doberan. Anklagend heißt es am 2. November 1989 in Rostock: „Was habt ihr aus uns gemacht, als Eure Ideolo-
156 157 158 159 160 161 162
Vgl. Lohse et al., Predigt am 25.1.1990, 2. Gauck, Predigt am 30.11.1989, 1. Wackwitz, Fürbitte am 18.10.1989, 1. Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, 2. Gauck, Predigt am 19.10.1989, 1. Ebd., 2. Schmidt, Predigt am 25.10.1989, 1.
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Die Predigten
gie uns mit Feindbildern wie mit einer Krankheit infiziert hat?“163 und das Volk erniedrigt wurde durch die Medien, indem diese „Schein für Sein“164 ausgaben. Aus dieser Schuldzuweisung wird am 20. November 1989 das Eingeständnis von Mitverantwortung für die fallende Diktatur durch Pastor von Saß in Neubrandenburg. Es gebe schließlich „immer auch eine Verantwortung der Regierten für die Regierenden“165 . Die Diktatur habe nur deshalb Bestand gehabt, weil ihre Bürger sich einschüchtern ließen und unterschieden „zwischen dem, was wir wirklich dachten, dem, was wir öffentlich gesagt, und dem, was wir getan haben“166 . Statt Rechte einzufordern, haben sich die Bürger ihre „Menschenrechte als Gnade gewähren lassen“167 . Dem stimmen auch die Rostocker Prediger am 30. November 1989 zu: „So hart die Wahrheit ist: Auch die Diktatur braucht Menschen, die an ihr teilnehmen.“168 Eine Sonderstellung nimmt Tuves Predigt vom 1. November 1989 in Greifswald ein. Er fordert ein „Ja zu persönlichen Konsequenzen“169 . Dies gelte nicht nur für den Staat, sondern ebenso innerkirchlich, denn auch die Greifswalder Landeskirche trage Mitschuld an dem verzerrten Bild einer harmonischen DDRGesellschaft: Honecker im Greifswalder Dom, ein Gespräch mit ihm und ohne den brandenburgischen Bischof Forck, „der schändliche Brief im Neuen Deutschland.“ Deshalb fordert Tuve „von unserem Bischof ein klares, öffentliches Bekenntnis der eigenen Schuld: ‚Ich habe mich mit dem Greifswalder Sonderweg total geirrt. Anders ist Erneuerung nicht möglich.‘“170 In den analysierten Predigten spricht dies auch sonntags niemand anderes so deutlich aus. Die Trias vom verantwortlichen Umgang mit Schuld machen Krause und Göbel in ihrer Dialogpredigt am 13. Dezember 1989 im Greifswalder Dom zum Thema: Schuldige benennen, Mitschuld bekennen, Schuld verzeihen. Die Kraft dazu wachse unter dem Kreuz.171 Krause insistiert darauf, Unrecht aufzudecken und durch „Vergangenheit Belastete [...] zu benennen – dazu gehört MUT. Falsche Rücksichtnahme ist hier nicht geboten.“172 Göbel gibt zu bedenken, dass sowohl Verzeihen als auch Hass menschlich seien, die im Lande herrschende Wut sei durchaus nachvollziehbar nach Jahren des Betrugs. „Demos werden aggressiver – Genossenkinder bespuckt – Funktionäre gemieden – wir hören von Selbstmorden.“ Mahnend fragt sie: „Ist es wirklich das, was wir wollten? […] NEIN, damit muß Schluß sein, schnell, wir beantworten nur Unrecht mit Unrecht und gehen miteinander zugrunde.“173 Das Gefühl vieler Menschen beschreibt sie mit dem 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173
Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 4. Ebd., 5. Von Saß, Einleitung, 69. Ebd., 70. Ebd., 71. Gauck, Predigt am 30.11.1989, 1. Tuve / Göbel, Dialogpredigt am 1.11.1989, 26. Ebd., 26. Vgl. Krause / Göbel, Dialogpredigt am 13.12.1989, 1. Ebd., 1. Ebd., 4.
Auswertung der Friedensgebete
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Bild der vor Empörung über all die Enthüllungen geballten Faust. Diese müsse wieder geöffnet werden, um dem Nächsten die Hand zu reichen: „So sollten wir hier anfangen, hier in der Kirche – unter dem Kreuz – das Faustrecht begraben.“174 Fast schon gewöhnt hätten sich die Menschen an „hohle Parolen und an scheinheilige Paraden“ und wussten auch, in diesem System zu überleben: „zwiegesichtig, verbogen, angepaßt, ohnmächtig, wütend und dann gleichgültig“175 bis zum Krankwerden an der Gesellschaft, resümiert Göbel Anfang 1990 in Greifswald. Nun heißt es: „Stell dich [zu] deiner Vergangenheit, deinem Versagen“176 . Anklagen, berechtigte wie ambivalente, sind einer Betroffenheitsrhetorik gewichen, die eine differenzierte Unterscheidung von Tätern und Opfern erschwert. Der Umgang mit der SED-PDS Nicht ganz so eindeutig ist der Umgang mit der SED-PDS und ihren Genossen. Zwar herrscht grundsätzlich ein Feindbild dieser Partei, doch bemühen sich die Prediger vor allem gegenüber einzelnen SED-Mitgliedern, Pauschalurteile zu vermeiden. Es gebe, so heißt es am 2. November 1989 in Rostock, auch in den kritisierten Einrichtungen (Staats-, Partei- und Staatssicherheitsapparat) „Menschen mit einer tiefen Sehnsucht nach Wandel und Neubeginn.“ Jedoch sei es nicht einfach, zu erkennen, „wer sich ernsthaft auf die Wende einläßt und wer sich nur windet. […] Wenn sie sich wenden würden, wüchse Frucht.“177 Unter ihnen gebe es durchaus „enttäuschte[n], ehrliche[n] Menschen“178 . Einige hätten „ganz naiv an die Dinge der Ideologie geglaubt“ heißt es am 1. Februar 1990, nun wollen diese Menschen verstanden, nicht abgewiesen werden, „aber alles durchgehen lassen will ich ihnen auch nicht.“179 Allerdings wird am 25. Januar 1990 auch die Vermutung geäußert, dass Mitläufer, die früher mit dem Strom der SED schwammen, nun um des persönlichen Vorteils willen bei Demonstrationen mitgehen. Dennoch dürften nun nicht wieder einzelne Glieder der Gesellschaft ausgegrenzt werden, Gott will gerade keine Spaltung in „gute und schlechte, wichtige und unwichtige Teile“. Gesellschaftliche Vielfalt werde erst dadurch möglich, dass „einer den anderen erträgt“180 . Gegenüber der Partei als Gesamtorganisation besteht fortwährendes Misstrauen, die Hörerinnen und Hörer der Predigten werden unermüdlich vor Verschleierungs- und Verzögerungstaktiken und falschen Versprechungen seitens der SEDPDS gewarnt. Die Dialogangebote seien zwar gut, aber wenig glaubhaft nach all den Jahren.181 Inkonsequenz wird in Rostock angeprangert am 23. November 174 175 176 177 178 179 180 181
Ebd., 5. Göbel, Weg, 185. Ebd., 187. Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 5. Ders., Predigt am 7.12.1989, 2. Ders., Predigt am 1.2.1990, 3. Lohse et al., Predigt am 25.1.1990, 3. Vgl. Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 4.
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Die Predigten
1989, wenn zwar die Bezirksparteileitung erneuert werde, der Rat des Bezirkes aber bleibe oder in den Ausschüssen der Volkskammer weiterhin die SED dominiere.182 Man dürfe sich nicht täuschen lassen von der SED, die plötzlich „eine der demokratischsten Parteien“183 sei, wird am 30. November 1989 in Rostock gewarnt. Die DDR brauche keine „demokratische Erneuerung“ von Partei und Staat, sondern echte Demokratie, sprich: „eine andere Republik!“184 , fordert Schmidt am Nikolaustag im Doberaner Münster. Ein besonders eindrückliches Bild malt der Rostocker Pastor Lohse in seiner Predigt am 11. Januar 1990. Die von den Veränderungen ermüdeten Menschen sähen zu Beginn des Jahres 1990 am Wegesrand das kürzlich gegen den Baum gefahrene Fahrzeug „SED-PDS“, das zum Einsteigen einlade zum Schutz der Menschen. Denn es sei viel zu gefährlich, allein weiterzugehen. „Räuber und Wegelagerer – die Neonazis – sie wollen über euch herfallen.“, rufen die Insassen. Stattdessen dürfte das Volk nun beobachtend auf dem Beifahrerplatz sitzen und dem ausgewechselten Fahrer beim Lenken zuschauen. Doch man reise mit leerem Tank: „Es kommt nur gut voran, wenn es abwärts geht. Wenn es aufwärts gehen soll, müssen die Insassen aussteigen und schieben, während die Führung bequem hinter dem Steuer sitzen bleiben möchte.“185 Einen Tag nach der Volkskammerwahl bescheinigt Räuber in Neubrandenburg186 vielen SED-Mitgliedern, ihren Mantel gut nach dem Wind gedreht zu haben. Nun verständen sich die, „die noch vor einigen Monaten im Machtapparat der SED“ saßen als diejenigen, „die schon immer diese Revolution wollten.“187 Rückblickend stellt Lohse am 22. März 1990 fest, dass die SED zum Jahreswechsel erfolgreich „das braune Gespenst aus der Trickkiste“188 geholt habe, um die Menschen zu verunsichern und damit neu für die alten Scheinsicherheiten zu gewinnen. Die Stasi Eng mit der SED-PDS ist die Stasi verbunden, die jedoch durchweg als Feindbild fungiert. „Als die Kommunisten noch ihren Träumen und Hoffnungen verpflichtet waren, waren sie mit dem Herzen beim Volk.“ Nun aber stände u.a. die Stasi zwischen den Mächtigen und dem Volk und verhindere das „menschliche Gesicht des Sozialismus“189 , heißt es am 26. Oktober 1989 in Rostock. Der gute Kommunismus wird zum durch die Stasi korrumpierten real existierenden Sozialismus.
182 183 184 185 186 187 188 189
Gauck, Predigt am 23.11.1989, 5. Ders., Predigt am 30.11.1989, 2. Schmidt, Predigt am 6.12.1989, 1. Lohse, Predigt am 11.1.1990, 2. Langer, Vorgeschichte, 142. Hier gewann die PDS DDR-weit den höchsten Stimmenanteil mit 37,9%. Räuber, Ansprache, 82. Lohse, Predigt am 22.3.1990, 3. Gauck / Heldt / Leefhelm, Predigt am 26.10.1989, 2.
Auswertung der Friedensgebete
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Bis zu den landesweiten Stasibesetzungen Anfang Dezember 1989 ist die Stasi das Hauptargument gegen die Regierung und für weitergehende Veränderungen im eigenen Land. Schon am 25. Oktober 1989 fordert Ohse in einer der Predigt Schmidts nachgestellten kurzen Rede alle IMs auf, sich den Seelsorgern anzuvertrauen, „um von dem Gewesenen freizukommen“190 . Auch die Opfer mögen sich nicht wahllos rächen, sondern sich aussprechen. Der plötzlichen Dialogbereitschaft der Politik wird am 9. November 1989 misstraut, weil es die Staatssicherheit immer noch gebe. Beim öffentlichen Forum am 21. November 1989 in der Doberaner Turnhalle richtet sich Ohse direkt an die Mitarbeiter der Stasi: „Wie werden Sie damit fertig, daß viele dieses schöne Land verlassen, weil sie nicht das Trauma verlieren können: Staat = Stasi + Stacheldraht?“ Und weiter fragt er: „Wem dienen Sie eigentlich?“191 Und am 30. November 1989 wird in Rostock vor der Vereinsamung durch Konsum gewarnt, in deren Folge die Menschen weiterhin Angst vor der Stasi hätten. „Aber gegen ein souveränes und waches Volk können diese Sicherheitsnadeln nichts ausrichten.“192 Dass in Rostock die Revolution ihren Höhepunkt mit der Stasibesetzung am 4. Dezember 1989 fand, spiegelt sich auch in den nachfolgenden Predigten wider. Am 14. Dezember 1989 wird als Beispiel für die Errungenschaften der letzten Monate die „unglaubliche, obwohl wahre“ Besetzung der „Festung der Stasi“193 genannt und am 22. März 1990 wird die Stasibesetzung als „großer Brocken“194 auf dem Weg zur Wiedervereinigung bezeichnet. Auch in diesen Predigten wurde so letztlich der Stasi und ihren Mitarbeitern die Hauptverantwortung am diktatorischen Gesicht der DDR gegeben. Die SED selbst galt zwar als unwählbar, eine Mitgliedschaft disqualifizierte aber letztlich gesellschaftlich nicht. Die Demonstrationen Dieser Weg zur Einheit wurde aus Sicht der Prediger vor allem durch die Demonstrationen beschritten. Ein optimistischer Anfang sei nun auch in Rostock gemacht, heißt es am 2. November 1989195 und in Greifswald predigt Wackwitz am 8. November 1989 darüber in St. Jacobi, wie „wir und viele andere ihren Willen zur Erneuerung der Gesellschaft“196 mittels Demonstrationen bezeugen. Hans-Jürgen Schumacher fasst Springborns zeitgleiche Andachtsausführungen am 8. November 1989 im Greifswalder Dom zusammen: „Zum Handeln gehöre auch das Demonstrieren. Es sei der beste Beweis dafür, daß das Volk noch lebe und keine ‚Friedhofsruhe‘ - wie in China - herrsche, oder eine Beton- und Nischendenkwei190 191 192 193 194 195 196
Ohse, Rede am 25.10.1989, 1. Ders., Gnaden, Anhang 2. Gauck, Predigt am 30.11.1989, 2. Gauck et al., Predigt am 14.12.1989, 4. Lohse, Predigt am 22.3.1990, 3. Vgl. Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 1. Wackwitz, Ansprache am 8.11.1989, 1.
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Die Predigten
se, wie wir sie in den letzten Jahren vorfanden.“197 Als die Leute auf die Straße gingen, erwachte das ganze Volk zum Leben, jubelt ein Rostocker Prediger am 9. November 1989, nun werde das Volk weiter Wunder bewirken.198 Nachdem mit dem Mauerfall ein Zwischenziel erreicht war, wird am 16. November 1989 sogleich betont, dass weiterhin viele Demonstrationen und Kundgebungen notwendig seien. Der „Druck von unten nach oben muß bleiben“199 , damit weitere Ängste abgebaut werden. Demonstrationen seien „die Sprache, die in den Parteibüros aller gesellschaftlichen Kräfte wohl verstanden wird.“200 , erklärte Pastor Schmidt einen Tag zuvor in Bad Doberan. Nach der Stasibesetzung werden die Demonstrationen „fröhliche Feste der Befreiung“ genannt, an denen Leute aller Altersgruppen beteiligt seien. „Durch Klatschen versichern wir uns, daß wir viele sind“201 , wenn ungeschützt mit Kerzen durch die Straßen gezogen wird. Freie Wahlen Die Forderung nach freien Wahlen ist eines der politischen Hauptthemen in den ersten Andachten. Bis zum 16. November 1989 werden diese in jeder Predigt in allen untersuchten Gottesdiensten gefordert. Nachdem Ende Januar der Wahltermin vom 6. Mai 1990 auf den 18. März 1990 vorverlegt wurde, machen sich Sorgen breit. Nun wittere die SED ihre Chance, denn die „kurze Zeit reicht der Opposition bestimmt nicht aus“ zur Vorbereitung. Zudem stellt sich die Frage, wen man wählen soll: „Die Neuen sind oft noch so undeutlich zu erkennen. Viele Leute wollen gar nicht wählen, können sich nicht entscheiden, das wäre ja das Schlimmste!“202 Grundsätzlich fordern alle Prediger dazu auf, zur Wahl zu gehen. Zum Teil werden sogar klare negative Wahlempfehlungen abgegeben. So warnt Pastor Schmidt in Bad Doberan immer wieder davor, die SED/ PDS zu wählen: „Wir brauchen keine politischen Überväter. Unser Vater ist Gott.“203 , erinnert er am 17. Januar 1990. In derselben Predigt berichtet er von der Wahlempfehlung des Kollektives der Reriker Kaufhalle: Alles sei möglich, außer der SED-PDS. Das Papier musste auf Druck der Kreisdirektion entfernt werden. Schmidts demokratischer Vorschlag zur Güte: „Die Genossen erweisen die moralische und politische Erneuerung ihrer Partei dadurch, daß sie das Kollektiv gewähren lassen und selbst eine Wahlempfehlung daneben hängen, warum sie ihre Partei für wählbar halten.“204 Ende Februar ruft er dazu auf, „die befreiende Tat Gottes zu unterscheiden [...] von den goldenen Kälbern, die uns Siegelbewahrer des Sozialismus“205 197 198 199 200 201 202 203 204 205
Schumacher, Hälse, 1. Vgl. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 2. Lohse, Predigt am 16.11.1989, 5. Schmidt, Predigt am 15.11.1989, 1. Gauck et al., Predigt am 14.12.1989, 4. Ders., Predigt am 1.2.1990, 3. Schmidt, Predigt am 17.1.1990, 1. Ebd., 2. Ders., Predigt am 28.2.1990, 1.
Auswertung der Friedensgebete
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versprechen. Konkret predigt er: „Jeder von uns hat am 18. März mit dem Wahlschein die Möglichkeit abzuwählen, was in der Vergangenheit zum Bösen führte: nämlich die politische Unkultur, auf Leute unser Vertrauen zu setzen, die uns einreden wollen, was für uns gut ist.“206 Vier Tage vor der Wahl erinnert er noch einmal daran, dass es Deutsche „weder einem ‚Führer‘ noch einer ‚führenden Partei‘ [...] gestatten (dürfen), für uns zu entscheiden, was gut ist. Solchen Kräften aus den deutschen Abgründen sollten wir am 18. März eine Abfuhr erteilen.“207 Ebenfalls unmissverständlich und als einziger mit konkreten Wahlhinweisen äußert sich Pastor Heydenreich in seinen „Gedanken zur Wahl“208 im Neubrandenburger Friedensgebet am 12. März 1990 für „die noch Unentschiedenen“ unter den Wählern. Die PDS werde wieder attraktiver für viele Menschen, speziell in Neubrandenburg mit Spitzenkandidat Modrow. Vieles habe sich erneuert in der PDS, aber bisher nur oberflächlich. Weil „diese Partei eine Gesundung bis in die Tiefe braucht, halte ich sie für nicht wählbar.“ Über die CDU bemerkt er lediglich, keine christlichere Ausrichtung als andere Parteien festzustellen zu können, schließlich seien, „abgesehen von der Vereinigten Linken [...] in unserem Bezirk in fast jeder Partei, die sich zur Wahl stellt auch Christen.“ Belohnt werden sollte hingegen das unermüdliche Engagement von Neuem Forum und SPD „bei der Wende im Herbst unter Aufopferung ihrer Kräfte. Deshalb werde ich persönlich bei dieser ersten Volkskammerwahl eine dieser beiden Gruppen wählen […].“ Rückblickend auf die erste freie Wahl, den „heiß ersehnte(n) Tag“, dankt Räuber in Neubrandenburg Gott dafür, dass dieser „Tag möglich war und wir unsere Freiheit so unblutig erlangen konnten“. Nun müsse der Mehrheitswille, die „Einheit unserer Nation“209 respektiert werden. Und in Rostock heißt es am 22. März 1990 dankbar, dass man sich nun endlich auf einer Lichtung im Wald der Ereignisse befinde. Die friedliche Revolution ist zu einem demokratischen Ergebnis gekommen. Politik und Kirche Hiermit klingt die Frage nach der Aufgabe von Christen und Kirche samt ihrer Beziehung zur Politik an. Im Greifswalder Fürbittgebet heißt es Mitte Oktober 1989 recht allgemein, Kirche habe ihre Aufgabe als „Anwalt der Stummen und Sprachlosen und Zeuge für dein Evangelium der Gewaltlosigkeit.“210 Einen Tag später, am 19. Oktober 1989, wird die Frage nach der Legitimität von Politik in der Kirche in Rostock explizit gestellt. Gauck antwortet darauf mit dem Langeschen Predigtverständnis vom homiletischen Dreieck.211 Hochpolitisch ist demnach im Herbst 1989 die „konkrete Situation der Menschen, die angeredet sind“212 , wes206 207 208 209 210 211 212
Ebd., 2. Ders., Predigt am 14.3.1990, 1. Alle nachfolgenden Zitate. Heydenreich, Gedanken, 80. Räuber, Ansprache, 82. Wackwitz, Fürbitte am 18.10.1989, 1. Lange, Funktion. Gauck, Predigt am 19.10.1989, 1.
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Die Predigten
halb politische Antworten geradezu gefordert seien. Allerdings sind die „Grenzen dieses Raumes (Kirche), der Technik, der Verantwortbarkeit“213 in Neubrandenburg Ende Oktober 1989 erreicht, weshalb es im Anschluss an das Friedensgebet eine Kundgebung durch Bürger und Rat der Stadt gebe. Damit wird politische Verantwortung seitens der Kirche in die Hände der eigentlichen staatstragenden Akteure zurückgegeben. Am selben Tag fragt Schmidt in Bad Doberan nach der Aufgabe von Christen in diesen unruhigen Zeiten. Weil christliches Leben „unausweichliche Teilhabe an der Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ sei, sollten die Menschen „den Politikern, die sich in den Dienst von Wandel und Umbau stellen, öffentlich Beistand leisten“214 . Doch Kirche müsse auch politisch Position beziehen, denn „Gott hat uns in der DDR offensichtlich im Augenblick die Hauptverantwortung vor der deutschen Geschichte in die Hände gelegt.“215 Dabei solle sie, predigt er Mitte Dezember 1989, „den Menschen einen Dienst erweisen, aber nicht sich selbst bedienen.“216 Vielmehr müsse sich Kirche für die Menschen einsetzen gegen einen Staat, der seine ihm von Gott gesetzten Grenzen missachtet. Sofern dies der Fall ist, argumentiert Schmidt kurz vor Weihnachten gut lutherisch, hat „jeder Mensch ein Recht, Machtverhältnisse zu ändern“217 . Kurz vor der Volkskammerwahl erzählt Schmidt, dass sich viele „inzwischen bei den Mitarbeitern (der Kirche) bedankt (haben) für den Hebammendienst zur Freiheit. [...] Ich hoffe aber, daß daraus nun nicht ein politischer Anspruch der Kirche erwächst oder ihr angetragen wird.“ Die genuin politische Aufgabe der Kirche sei mit dem Wahltag abgeschlossen, nun müsse sie wieder das ihr anbefohlene prophetische Amt wahrnehmen in der Pflicht, „aus ihrer Sicht zu sagen, was Worte und Taten auch in der Politik an Folgen zeitigen werden [...], daß der Mensch erntet, was er sät.“218 3.5.3 Sozialethische Themen Neuanfang, Erneuerung und Aufbruch Unabhängig von politischen Programmen oder Zielsetzungen durchziehen die Predigten die Schlagworte „Neuanfang“, „Erneuerung“ und „Aufbruch“. Der Neuanfang könne „mit allen anderen (geschehen), die Recht und Gerechtigkeit wollen, weil dies Gottes und der Menschen Wille ist“219 . Daher brauche das Land neue Männer und Frauen „und hier und überall stehen sie“220 . Mit einem frühen Tag vergleicht Pfarrer Schönborn die gesellschaftliche Situation am 8. November 1989 im Greifswalder Dom. Nun sei ein „neuer Tag“ angebrochen, noch herrsche zwar 213 214 215 216 217 218 219 220
Riemann, Begrüßung, 56. Schmidt, Predigt am 25.10.1989, 2. Ders., Predigt am 6.12.1989, 2. Ders., Predigt am 13.12.1989, 1. Ders., Predigt am 21.2.1990, 1. Ders., Predigt am 14.3.1990, 2. Gauck, Predigt am 19.10.1989, 2. Gauck / Heldt / Leefhelm, Predigt am 26.10.1989, 5.
Auswertung der Friedensgebete
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Dunkelheit und viele Menschen schliefen noch, aber viele sind auch „schon wach und erwarten mit brennenden Kerzen in den Händen den Morgen.“221 Das Heute erleben, so heißt es am 9. November 1989 in Rostock, viele als „Zeit des Umbruchs und des Neubeginns“, als Aufstand „gegen die Strukturen des Todes in unserem Land, […] aus dem Leichenzug der Gleichgültigkeit und Resigniertheit“222 . Für einen wirklichen Neuanfang müsse jeder sein Gewissen und die „Fähigkeit zu eigener Verantwortung“ neu entdecken im Vertrauen „auf die menschliche Fähigkeit zu Umkehr und Neubeginn“223 , heißt es zwei Wochen darauf. Ende November besteht die Hoffnung, nun eine neue Gesellschaft aufzubauen mit Millionen aktiver Menschen, die für die Erneuerung kämpfen.224 Im Prozess dieses Neuanfangs spürten die Leute Mitte Dezember zwei widersprüchlich erscheinende Wirklichkeiten: „Wir haben es nicht, das Neue, wir sind im Schatten.“ und „Ich gewinne Selbstachtung und Vertrauen, ich spüre Neues, wenn meine Mitarbeit und Mitverantwortung gewollt ist; ich werde wertvoller. Und… beides ist wahr!“225 Endlich sei ein klarer Wille für das Neue vonnöten, denn: „Nicht das Verharren schafft Neues, sondern eine Entscheidung.“226 Der allgemeine Wunsch nach gesellschaftlichem Neubeginn wird so am 8. Februar 1990 in Rostock von Gauck auf die deutsche Einheit hin einggeführt. Wachsamkeit Stets wird aufgerufen zu Wachsamkeit gegenüber den staatlichen Entwicklungen und sich selbst, „damit die falschen Propheten keine Chance haben“ und sich der Einzelne nicht Vergeltungs- und Rachegedanken hingebe. Für Demokratie und Freiheit gebe es nur eine einzige Garantie, ein „waches Volk, das durch solidarisches Handeln seine unbeugsame Macht zeigt“227 und nicht etwa auf Verlockungen gleich welcher Natur hereinfällt. Auch nach den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 fordert Pastor Lohse dazu auf, weiter wachsam zu sein und „nicht alles anderen (zu) überlassen“228 .
221 222 223 224 225 226 227 228
Schumacher, Hälse, 1. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 6. Gauck, Predigt am 23.11.1989, 6. Vgl. ders., Predigt am 30.11.1989, 1. Gauck et al., Predigt am 14.12.1989, 5. Ders., Predigt am 8.2.1990, 1. Gauck, Predigt am 30.11.1989, 1. Lohse, Predigt am 22.3.1990, 6.
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Die Predigten
Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft Von Anfang an wird in diesem Sinne auf die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft hingewiesen. Man dürfe nicht nur schimpfen, sondern müsse als Teil der Gesellschaft eine klare Persönlichkeit sein, damit die anderen „in dem Spiegel, den ich ihnen entgegenhalte, ein neues Bild sehen von sich selbst“. Auch, „wenn sich dadurch nichts ändert, werde ich doch wenigstens der Verantwortung für mich selbst gerecht“229 . Nun, heißt es Mitte Januar in Rostock, müssten die Menschen politische und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, da die „1. Reihe der Aufrechten“230 unter den Hauptlasten zusammenzubrechen drohe. Diese Verantwortung sei „die andere Seite der Medaille der Freiheit“, predigt Pastor Schmidt im Doberaner Münster Mitte Januar 1990. „Wir haben für unsere Freiheit nur den Preis persönlicher Verantwortung zu entrichten.“231 , die dürfe sich niemand nehmen lassen. Viele trauen sich zu wenig zu und stellen fest: „Wir haben es nicht gelernt, Dinge selbst zu machen.“ Die Menschen würden zwar „meckern“, aber „wer will denn schon wirklich einen Posten übernehmen?“232 . Dennoch dürfe man sich jetzt nicht zurückziehen aus der Verantwortung, mahnt Gauck Anfang Februar 1990 in Rostock, denn jeder werde gebraucht, um „das Neue zu gestalten und mehr Gerechtigkeit, Freiheit und Wahrheit zu schaffen“233 . Das sei die genuin menschliche Aufgabe als „Verwalter und Erforscher der Gaben Gottes“ im Verbund sozialer Beziehungen. Der Mensch müsse die Verhältnisse verantwortlich gestalten. „Wir kommen aus sozialen Verhältnissen, die uns lehren, was es nicht sein kann.“234 , erinnert Pastor Schmidt Ende Februar nachdrücklich. Hoffnung und Vertrauen Für all diese Schritte, für eine grundlegende Erneuerung der Gesellschaft, sind Hoffnung und Vertrauen vonnöten, denn: „Die Qualität unserer Hoffnungen bestimmt unser Handeln.“235 Für Christen kommt diese Hoffnung aus der Erinnerung und Erfahrung, dass Gott die Menschen in schlechten Zeiten bewahrt. Aber auf der Suche „nach dem, was den Menschen zum Menschen macht“ gibt es auch für alle, die so nicht sprechen und glauben können, eine Botschaft: „Du bist nicht nur das, was du aktuell erlebst. Erinnere dich deiner früheren Leiden und entdecke, was dir Kraft gab zum Überleben!“236 Dieses Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wächst mit Verlauf und Erfolg der friedlichen Revolution: „Wir hatten die Kraft, mit friedlichen und gewaltlosen Mitteln das Machtgefüge im Innersten zu erschüttern.“237 229 230 231 232 233 234 235 236 237
Gauck / Heldt / Leefhelm, Predigt am 26.10.1989, 4. Lohse, Predigt am 11.1.1990, 1. Schmidt, Predigt am 17.1.1990, 1. Gauck et al., Predigt am 1.2.1990, 2. Ders., Predigt am 8.2.1990, 2. Schmidt, Predigt am 21.2.1990, 2. Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, 1. Ebd., 2. Lohse, Predigt am 11.1.1990, 3.
Auswertung der Friedensgebete
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Umgang mit der Vergangenheit Der Blick in die Zukunft muss jedoch einhergehen mit dem kritischen Umgang mit der Vergangenheit, mahnt insbesondere Pastor Schmidt in Bad Doberan. Damit die Wende nicht nur schöner Schein bleibt, müsse die Schuldenlast der letzten 40 Jahre aufgearbeitet werden: Die Verfolgung der Kleinkapitalisten, der Kampf gegen Junge Gemeinde und Bahnhofsmission, die Kollektivierung von Landwirtschaft und Handwerk und „der jeder politischen und humanistischen Vernunft widersprechende 13. August 1961: ich frage, wozu die unmenschliche Teilung, die ermordeten Soldaten und getöteten Zivilisten […].“238 Reisemöglichkeiten seien noch kein ernsthafter Umgang mit der „Geschichte des Unrechts“239 , so Schmidt am Nikolaustag. Aus den Wunden müsse der Schmutz ausgewaschen werden, danach aber „gewinnen wir nichts, wenn wir die Wunden kuenstlich offenhalten, wir gewinnen unsere Zukunft nur, wenn wir sie heilen lassen.“240 Dies bedeute keineswegs Vergessen, nein, Kirche werde das Volk nicht verraten und „mit dem Mantel der Nächstenliebe die Taten der gestürzten Machthaber“ zudecken. Aber sie ist auch nicht Richter zwischen Volk und Funktionären. Darum verteidigt Schmidt das Kirchenasyl der Honeckers in Lobetal Anfang Februar 1990. „Es nicht zu tun, würde bedeuten, Gott in den Arm zu fallen. Oder kann einer glauben, daß diese Unterbringung in der Pfarrwohnung von Lobetal für Honeckers keine tiefe Demütigung ist?“, argumentiert Schmidt. Den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden „irgendwelchen Rächern auszuliefern, hieße, unsere Revolution zu beschmutzen: auf die einmalige Chance, die Gott uns Deutschen gegeben hat, zu spucken. Soll das einige Deutschland mit dem Makel eines ganz gewöhnlichen Unrechts beginnen?“ Deshalb sei dieses Asyl, „eine Tat, um unser aller Demokratie vor Unrecht zu bewahren. Dazu verpflichtet uns Vorbild, Rede und Tat von Jesus Christus.“241
238 239 240 241
Schmidt, Predigt am 15.11.1989, 1. Ders., Predigt am 6.12.1989, 1. Ders., Predigt am 17.1.1990, 1. Ders., Predigt am 7.2.1990, 2.
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Die Predigten
3.5.4 Theologische Themen Damit klingt schon der dritte Themenkomplex an. Heilsgeschichtliche Deutungen finden sich in allen untersuchten Fürbittandachten und werden exemplarisch vorgestellt. Danach werden Beispiele für die enge Beziehung zwischen Bibeltext und Situationsbezug kausal-chronologisch vorgestellt und gedeutet. Ein geschichtswirksamer Gott Die Gewissheit, dass der dreieine Gott als Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist in diesen historischen Tagen handelt, wohnt vielen Predigten explizit inne. Fünf Motive finden sich mehrfach: Gott ist mit den Menschen, handelt an und lässt ihnen Kraft zukommen. Er gibt ihnen einen Auftrag und greift direkt in die Geschichte ein. So wie Gott früher, bezeugt in Altem und Neuem Testament, wirksam war, wird er es auch wieder sein. Als unsichtbares Gegenüber hält und leitet er die Menschen: „Fürchte dich nicht, du bist nicht allein.“242 Gott ruft den Menschen ermutigend zu: „Ich will mit dir sein.“243 Am Beispiel von Maria zeigt Gauck am 14. Dezember 1989 die ermutigende Tatsache, wie Gott „an und mit ‚ganz normalen‘ Menschen“ handelt und Gerechtigkeit will. „Einfache Menschen werden Stätten seiner Gegenwart. Er lehrt sie lieben und hoffen und das dürfen wir glauben: Wir bleiben wichtig.“244 Der Herbst zeigte, dass die Macht der Schwachen mehr ist als eine Illusion, dass Kerzen gegen Gummiknüppel, Wasserwerfer, Schilde und Hundestaffeln gewinnen können, wenn der Geist Gottes den Menschen Kräfte zuwachsen lässt. „Wir Christen glauben, daß diese Kraft von Gott kommt.“245 Dieser Glaube wird immer wieder biblisch-historisch begründet damit, dass Gott ein Gott ist, „der auch schon dem Volk Israel vor 2500 Jahren beigestanden hat“246 . Die Logik lautet: „Gott war früher wirksam und wird es wieder sein.“247 Diese Kraft lässt auch mit dem Verlust des ersten Elans nicht nach. Wie Mose von Gott die Kraft erhielt, sein Volk aus Ägypten zu führen, so gebe Gott auch heute Menschen die Fähigkeit, das Notwendige zu tun.248 Dafür rufe die Bibel, präzisiert Wackwitz Mitte Oktober in Greifswald, unter die „Waffenrüstung Gottes“, die da
242 243 244 245 246 247 248
Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, 2. Ders., Predigt am 1.2.1990, 4. Ders., Predigt am 14.12.1989, 3. Ders., Predigt am 2.11.1989, 5. Lohse, Predigt am 11.1.1990, 3. Gauck et al., Predigt am 7.12.1989, 1. Vgl. ders., Predigt am 1.2.1990, 4.
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ist „Wahrheit und Gerechtigkeit“, zugeeignet vom „Geist Gottes, der dem Geist von Bequemlichkeit, Schlamperei und Bestechlichkeit entgegen steht.“249 „Wir Christen haben danach gefragt: Was erwartet Gott jetzt von uns? Welche Schritte […]?“250 Auf der Suche nach Antworten habe man in der Bibel gelesen und Gottes Auftrag neu gehört, für die Bedrückten und Schwachen da zu sein und auf Gottes Nähe zu vertrauen. Gemäß der Jahreslosung für 1990, Joh 8,12,251 haben sich die Menschen am Licht Jesu Christi orientiert, sind „aus den Kirchen auf die Straßen gegangen“252 . Nun solle auch weiterhin „dem Licht, das uns bis hierher geführt und geleitet hat“253 vertraut werden. Ebenso wisse der Mensch, der pflügt und sät, dass nicht er das Wachsen bewirkt, sondern er kann mit „Grundtatsachen rechnen, die er nicht schaffen muss“254 , weil Gott handele, predigt Gauck Anfang Februar in Rostock. Besonders häufig tauchen derart geschichtstheologische Aussagen in den Predigten im Doberaner Münster auf. Einen Tag vor der Maueröffnung ermuntert Burkhardt die Gemeinde, sich „weder von eurer Freude, noch von eurer Angst“ verrückt machen zu lassen, denn: „Gott sitzt im Regimente.“255 Auch in den restlichen, von Schmidt gehaltenen Predigten kommt das Thema ungleich häufig vor.256 Mitte November vergleicht er die DDR mit Babel, dem „Werkzeug Gottes, um den Hochmut der Frommen zu dämpfen“. Beides, Babel und der steinige „Weg der Kirche in den letzten 40 Jahren“ waren für die Gläubigen eine „bittere Zeit: geschichtliche Schulden waren zu bezahlen“. Dabei spricht Schmidt das Urteil über Babel, meint aber unmissverständlich die DDR: „Babel – das ist die politische Macht, die an sich selbst zerbricht, weil sie nicht Dienerin, sondern Herrin sein wollte […]. Babel – das ist eine Gesellschaft, die mit Zaubereien und Beschwörungen sich durch das Leben mogelt und Realitäten wegfälscht.“257 Mitte Dezember spricht Schmidt davon, dass der Herr „unserm ganzen deutschen Volk eine Tür zur Geschichte geöffnet“ hat. An ihr gilt es jetzt, „nicht vorüber zu hasten. Wir können ganz neu wieder einen Sinn dafür bekommen, daß es Gott wirklich gibt.“258 Selbst in „eindeutig verfahrenen Situationen“259 eröffne Gott neue Perspektiven. Eine Erfahrung, die Deutsche nach 1945 immer wieder gemacht hätten, gibt er Mitte Januar 1990 zu bedenken. Dass „Gott in diesen Monaten und Tagen der Kirche eine geschichtliche Aufgabe hat zuwachsen lassen“, daran könne, so Schmidt Anfang Februar, „für den aufmerksamen Bibelleser wohl 249 250 251 252 253 254 255 256 257 258 259
Wackwitz, Ansprache am 18.10.1989, 1. Lohse, Predigt am 22.3.1990, 1. „Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln.“ Lohse, Predigt am 22.3.1990, 3. Ebd., 6. Gauck et al., Predigt am 8.2.1990, 2. Burkhardt, Predigt am 8.11.1989, 1. Schmidt predigte in neun von 14 Predigten explizit geschichtstheologisch. Schmidt, Predigt am 15.11.1989, 1. Ders., Predigt am 13.12.1989, 1. Ders., Predigt am 17.1.1990, 1.
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Die Predigten
kaum noch ein Zweifel bestehen.“ Spätere Generationen werden sich dieser Tage wehmütig erinnern, „wenn sie der Alltag plagt. Die Kirche steht zur Zeit auf dem Berge.“ Und auch die letzten 40 Jahre deutscher Geschichte können nun „als geheimnisvolle Wege Gottes durch die Landschaft der Zeit“260 erkannt werden. Eine Woche später predigt Schmidt ausführlich zum Handeln Gottes in der Geschichte. Es sei Gott selbst, der den Menschen ihre Freiheit nicht nur lasse, sondern sie ihnen „durch den Fortgang der Geschichte“ selbst schaffe. „Es ist ein Wunder vor unseren Augen, was sich hierzulande abgespielt hat. Wir werden uns als Teilhaber dieses Wunders nur darin erweisen, wenn wir mutig, klarsichtig, illusionslos das Ufer der Zukunft betreten.“261 Gott bewerte das Handeln der Menschen, predigt er eine Woche später, wägt ihre Entscheidungen ab und gibt „ihnen die passende historische Antwort [...], so wie er es gerade tut.“262 Jetzt, in diesem historischen Augenblick, „haben wir alle eine Stimme und damit sind wir in Gottes Stellwerk der Geschichte eingeladen.“263 , bezieht er sich Ende Februar 1990 auf die anstehende Volkskammerwahl. Wie sich der Mensch auch verhält, „irgendwann spricht die Geschichte, spricht Gott das Urteil.“264 , setzt er vier Tage vor der Wahl Gott und Geschichte gleich. „Heute dürfen wir auf einem Berggipfel stehen und in dies dunkle Tal zurücksehen und erkennen: Gott war da.“, jubelt Schmidt im Dankgottesdienst zur Deutschen Einheit. Im Rückblick ordnet er die friedliche Revolution in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang ein: In Stauffenbergs Ausruf vor seiner Hinrichtung („Es lebe unser heiliges Deutschland!“) oder als die überlebenden Ostflüchtlinge in Bad Doberan ansässig wurden, da „war bereits Gott am Werk.“265 So habe „Gott uns aus dem Grab der Todesmächte herausgeholfen“ und von „nationale(r) Überhebung, Rassenwahn und [...] ideologische(r) Verbohrtheit“ befreit. Nun gebe es neue Aufgaben für das deutsche Volk, den Einsatz für die Freiheit anderer Völker, denn: „Es ist kaum zu erwarten, daß Gott unser Volk zur Einheit hat entstehen lassen, damit wir sanft dahinleben.“266
260 261 262 263 264 265 266
Schmidt, Predigt am 7.2.1990, 1. Ders., Predigt am 14.2.1990, 2. Ders., Predigt am 21.2.1990, 2. Ders., Predigt am 28.2.1990, 1. Ders., Predigt am 14.3.1990, 2. Ders., Predigt am 2./3.10.1990, 1. Ebd., 2.
Auswertung der Friedensgebete
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Gute und schlechte Früchte Anfang November 1989, noch vor Reisefreiheit und anderen Errungenschaften der Revolution, warnt die Predigergruppe um Gauck vor falschen Propheten als Wölfen im Schafspelz. Um auf diese nicht hereinzufallen, bedürfe es sicherer Kriterien für Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit. Gemäß Mt 7,16 müsse man auf die Früchte achten, die der Menschen Reden und Tun hervorbringen. Wie Kinder solle ein jeder genau hinsehen, die Wirklichkeit wahrnehmen, einfache Fragen stellen und die Früchte suchen. „Und was, wenn man keine findet, oder zu wenig Frucht für soviel Mühe und Arbeit?“267 Einen Tag nach der Volkskammerwahl und dem damit beschlossenen Übergang der Revolution in eine demokratisch legitimierte Regierung predigt Burkhard Räuber in Neubrandenburg ebenfalls über die Unterscheidung von guten und schlechten Früchten. Auch nach der Wahl sei weiterhin Wachsamkeit gefordert: Bei vielen müsse angenommen werden, „daß sie die innere Wende echt vollzogen haben! Doch kann das bei allen zutreffen?“268 Werden Versprechen eingelöst? Sind Umkehr und Buße, die Voraussetzungen für jede echte innere Wende, zu erkennen? Die Anpassung der Menschen an die neuen Verhältnisse, ihre Herzenswandlung rahmt somit die friedliche Revolution und bleibt über den Herbst 1989 hinaus Thema und Aufgabe der Gesellschaft. Der Exodus Am 1. Februar 1990 predigt eine Gruppe um Gauck in Rostock über Ex 3,7–14. Damit legte die Gruppe den Schwerpunkt nicht auf den Auszug aus der ägyptischen Gefangenschaft selbst, sondern blickte einen Schritt zurück auf Israels Befähigung dazu. So wie sich Mose bei Gott erkundigte: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe…“, so fragten sich dies auch die Predigtvorbereiter und decken dabei auf, dass schon diese zweifelnde Frage ein verhängnisvoller Spruch aus der Unfreiheit ist, „einer von den bösen Zaubersprüchen“269 , die langsam vom alten System in die Seelen eingepflanzt wurden und fortwirken. Diesen Bann durchbricht Gott, indem er den Menschen heute wie damals Kraft zum Denken, Reden und Handeln, zum selbstbestimmten Auszug aus der Unfreiheit schenkt. Wenngleich Göbel Anfang 1990 über die Heilung des Kranken am Teich Bethesda (Joh 5,1-9) predigt, taucht bei ihr die Aufforderung zum Aktivwerden fast wortgleich auf. „Was können wir schon tun? […] Die alte Lüge – da ist sie wieder! Sie sagt uns immer: Du kannst ja doch nichts ändern.“270 Dagegen helfe nur eine andere, unverfälschte Wahrheit, die den Menschen seines eigenen Wertes vergewissere - mit anderen Worten sagt sie dasselbe wie Gauck. 267 268 269 270
Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 4. Räuber, Ansprache, 82. Gauck et al., Predigt am 1.2.1990, 4. Göbel, Weg, 186.
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Diese Wertschätzung des Individuums ist auch das Thema der Donnerstagsandacht am 7. Dezember 1989 in Rostock. Niemand müsse sich fürchten, weil niemand von Gott allein gelassen werde. Er ruft jeden Einzelnen beim Namen, niemand ist ein „Abfallprodukt der Geschichte“, jeder „wichtig und wertvoll“. Damit wird ein direkter Kontrast zur Staatsideologie der DDR gesetzt, die das Kollektiv vor den Einzelnen stellte. Zwei Wochen nach der Rostocker Andacht zum Exodus stand das Thema auch in Bad Doberan im Mittelpunkt, hier wählte Schmidt die Perikope Ex 14,10-15. Es sind jene die Flucht retardierenden Verse, in denen es dem Volk plötzlich, kurz vor seiner Rettung, Angst und Bange wird vor der unbekannten Zukunft fern der zur Heimat gewordenen Gefangenschaft. Das Alte kannten sie, hatten sich „daran gewöhnt, die ungeliebte Staatsbürgerschaft wie eine Leibeigenschaft zu ertragen“ und es resigniert hingenommen, dass das „Verlassen des Landes ohne Genehmigung des königlichen Schreibers nicht möglich“ war. Die neue, zum Greifen nahe Freiheit ist ihnen unheimlich, noch haben die alten Mächte Einfluss auf ihr Denken. „So etwas kann nur passieren, wenn wir keinen klaren und festen Standpunkt zum Ablauf der geschichtlichen Ereignisse haben. [...] Als Menschen bewähren wir uns nur, wenn wir uns den Veränderungen stellen, indem wir den Gefahren fest ins Gesicht sehen und unsere Chancen ergreifen.“271 Dieser „Bann des alten“ kann nur durchbrochen werden im grenzenlosen Vertrauen „in Gott und sein Walten“272 . Noch weiter in der Exodusgeschichte ging Pastor Heydenreich in Neubrandenburg am 12. März 1990 in seiner biblischen Besinnung zum Auszug aus Ägypten. Nachdem das israelitische Volk endlich die „Genehmigung zur Auswanderung und Übersiedlung in das Land ihrer Väter“ erhalten habe, wurde es durch die Ebbe im Schilfmeer gerettet. „Genau so ein Wunder ist im Oktober bei unserer Demo in Neubrandenburg geschehen“ beim friedlichen Schweigemarsch, habe ein Kirchenältester zu Heydenreich gesagt. „Dieser friedliche Verlauf der Demos und Kundgebungen im Oktober ist wie die Rettung für das Volk Israel am Schilfmeer, wie ein Wunder und ein Grund, um Gott dafür zu danken.“273 Im Bild des Auszugs von Ägypten sind die Bürger der DDR damit auf der anderen Seite des Schilfmeeres, in der neuen Freiheit, angekommen.
271 272 273
Schmidt, Predigt am 14.2.1990, 1. Ebd., 2. Heydenreich, Besinnung, 79.
Auswertung der Friedensgebete
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3.6 Zusammenfassender Vergleich Ausschlaggebend für die theologische und politische Ausrichtung der Texte in den untersuchten Friedensgebeten waren weder die landeskirchliche Zugehörigkeit der Gemeinden, noch die Größe der Stadt, sondern die Erfahrungen und Ansichten des einzelnen Predigers. Dies lässt sich an Standorten wie Rostock und Neubrandenburg, an denen häufig unterschiedliche Personen predigten, deutlich nachvollziehen.274 Dennoch hatte jede Stadt ein eigenes Profil. Für die untersuchten Städte bilden Bad Doberan und Neubrandenburg wohl die beiden Extreme. In Bad Doberan predigte Schmidt ausgesprochen christuszentriert und geschichtstheologisch, tagespolitische Ereignisse untermalten eher die generellen Ausführungen. Auch bezüglich der gemischten, aus Christen und Kirchenfernen bestehenden Zuhörerschaft, wurden unterschiedliche Zugänge gewählt. Schmidt unternimmt in seinen Predigten keinerlei erklärende Anschlussversuche für Nichtchristen. Ebendies geschieht hingegen explizit sowohl in Rostock als auch in Neubrandenburg. Ebenfalls eine Sonderstellung bezieht Schmidt in Bad Doberan in der Frage der politischen Zielstellungen. Er plädiert sofort nach dem Mauerfall unermüdlich für die schnelle deutsche Einheit. In Neubrandenburg und Greifswald wird eine solche nur zaghaft nach den diesbezüglich eindeutigen Ergebnissen der Volkskammerwahl im März 1990 begrüßt. Die Rostocker Prediger finden keine einstimmige Meinung zu dem Thema und beenden die Andachten daraufhin. Dagegen waren die Ansprachen in Neubrandenburg höchst tagespolitisch geprägt mit kurzen theologischen Einwürfen, bis auf einen Prediger waren hier alle unter 50 Jahre alt. Die Rostocker Fürbittandachten bilden die Mitte. Hier wurden oftmals biblische Texte so eng mit dem Zeitgeschehen verknüpft, dass sich gesellschaftliche Situation und biblische Geschichte gegenseitig als Interpretationshilfe anboten. Das Altersspektrum der Prediger lag hier zwischen 20 und 49 Jahren. Wie schon in den Predigten aus Gemeindegottesdiensten lässt sich auch hier festhalten: Wichtigstes Kriterium für die theologische und politische Einstellung eines Pastors ist sein Alter.275
274 275
Vgl. z.B. die Frage der deutschen Einheit in den Rostocker Fürbittandachten, die letztlich zum Ende der „Gottesdienste zur Erneuerung“ Anfang Februar 1990 führte. Dass dies generell zutrifft, bestätigte die 2011 erschienene Studie „Pastorin und Pastor im Norden“. Auf die Frage hin, woran sich Pastoren im Berufsalltag am ehesten orientieren, gaben 62,51% ihre bisherigen Berufserfahrungen an, gefolgt von theologischen Überzeugungen (58,62%) und ihrem Gewissen (58,37%). Vgl. Magaard / Nethöfel, Pastorin, 11.
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Die Predigten 3.7 Vergleich der Ergebnisse zwischen Gemeindegottesdienst- und Friedensgebetspredigten
Vergleicht man die Sonntags- und Gebetsandachtspredigten thematisch, fällt zunächst auf: Sie unterscheiden sich auf den ersten Blick inhaltlich kaum. Auch wenn sich erstere stets am Predigttext der Perikopenreihe orientierten und letztere den Bibeltext passend zur Situation wählten, inhaltlich ändert dies hinsichtlich der gesellschaftskritischen Ansätze wenig. Auffällig ist aber, dass gewisse Topoi, die donnerstags eine große Rolle spielen, in den Sonntagspredigten nur am Rande vorkommen; und auch andersherum ist selbiges zu beobachten. So tauchen Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit SED-PDS und Stasi in den Gebetsandachten häufig als eigene große Themen auf, sonntags nur in Nebensätzen. Dafür setzen sich die Pastoren in ihren Gemeinden stark mit der Verhältnisbestimmung von Kirche und Politik auseinander, vor allem, nachdem die Gebetsandachten aufhörten und ein Rechtsstaat mittels freier Wahlen geschaffen worden war. In den unmittelbaren Zeiten des Umbruchs wird die kirchliche Berechtigung, sich in politische Belange einzumischen, sowohl in den Friedensgebeten als auch Sonntagsgottesdiensten vorausgesetzt. Bei näherer Betrachtung merkt man den Sonntagspredigten an, dass sie von den Pastoren zumeist in ihren eigenen Gemeinden gehalten wurden. Entsprechend konkret und zum Teil radikal benannten sie Probleme, denn ihre politische Meinung war den meisten Gemeindegliedern sowieso bekannt. Rücksichten auf eventuelle Befindlichkeiten oder andere Meinungen wurden kaum genommen. Bei den Gebetsandachten zeichnete seltener ein Pastor allein für die Predigt verantwortlich. Es musste allein schon ob der gruppeninternen Meinungsdivergenz stärker versucht werden, verschiedenen Ansichten Raum zu geben oder interpretationsoffen zu reden. Wo aber, wie in Bad Doberan, eine hohe personelle Kontinuität bei den Predigern der Friedensgebete herrschte, hielt sich der Prediger nicht mit seiner politischen Meinung zurück. Propst Schmidt ist dafür ein gutes Beispiel. Grundsätzlich lag der Schwerpunkt der Friedensgebete auf zuverlässigen Informationen und deren Deutung. Hörten sonntags kirchlich geprägte Menschen, die zum erbaulichen Gottesdienst kamen, die Predigten, bestand die Friedensgebetsgemeinde vor allem aus kirchenfernen oder nicht-christlichen Menschen, deren erstes Anliegen ein Informationsgewinn war.276 Die unter diesen Bedingungen stattfindende Verkündigung musste sich, um gehört zu werden, einer alltagstauglichen, allgemein verständlichen Sprache bedienen und auch nicht-gläubigen Hörerinnen und Hörern Möglichkeiten zur Identifikation bieten. Inhaltlich gibt es somit zwar keine großen Unterschiede, in den Untertönen stecken aber feine Nuancen. Das Weggehen aus der DDR wird in den Sonntagspredigten durchweg kritisch gesehen, wenngleich einige Pastoren Verständnis formulieren. Auch in den Friedensgebeten votieren die Prediger für das Engagement 276
Vgl. Reischke, Länderreport O-Ton Track 1, Lohse: „Die Leute erwarteten einfach, dass sie da verlässliche Informationen bekamen und deshalb kamen sie in die Kirche.“
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vor Ort, verstehen aber die Ausreisebewegung von Anfang an durchaus als Wegbereiter für die plötzliche Reformbereitschaft der SED. Sensibilisierung für gesellschaftliche Probleme und Hoffnung im Lichte christlicher Verkündigung verbreiteten aber beide Formen der Predigt auf ihre je eigene Weise.
4. 1989/90 als befreiendes Sprach- und Heilsereignis 4.1 Wozu wurde politisch aufgerufen? Konkrete parteipolitische Forderungen waren in allen untersuchten Predigten selten. Als solche könnten im weitesten Sinne die Äußerungen gegen eine schnelle deutsche Einheit gelten, da sich die Prediger damit indirekt gegen CDU und Allianz für Deutschland positionierten. Vereinzelt und ausschließlich durch zwei ältere mecklenburgische Pastoren in Fürbittgottesdiensten wurden positive Wahlempfehlungen für die SPD oder das Neue Forum abgegeben, häufiger jedoch Wahlhinweise ex negativo, alles außer der SED-PDS bei der Volkskammerwahl am 18. März 1990 anzukreuzen. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse im Kurzüberblick zusammengefasst. Die Demonstrationen wurden im Verlauf des Herbstes deutlich apologetisch in den Predigten thematisiert. Ein älterer mecklenburgischer Pastor warb im Oktober 1989 um Verständnis für diese Art, politischen Protest auszudrücken und forderte die Gemeindeglieder dazu auf, besonnen auf die Menschen einzuwirken. Der jüngste unter den Pastoren erklärte sogar, nun nicht zu demonstrieren, sei unchristlich. Bei aller Freude über die neuen Reisemöglichkeiten wurden nach dem Mauerfall auch Ängste laut. Man befürchtete, die SED wolle ihre Macht stabilisieren, indem sie alle Kritiker der DDR herausließ und die Grenze danach wieder schloss. Wer diese Sorge für unbegründet hielt, sah dagegen die nicht minder große Gefahr einer ökonomischen Ausblutung. Vor allem bei den unter 50-jährigen Predigern dominierte eine generelle westund kapitalismuskritische Haltung, in welcher der Systemgegensatz des Kalten Krieges „Gerechter Sozialismus gegen ausbeuterischen Kapitalismus“ klar durchscheint. Dabei wird die BRD klischeehaft mit Arbeitslosigkeit, Ausländerfeindlichkeit, „grellem Lichterglanz“, Drogen und Konsumüberfluss verbunden im Gegensatz zur propagierten Wirklichkeit in der DDR. Die Enttäuschung nach dem 18. März 1990 „über das Gefühl, die bessere Moral und doch die kleinere Anhängerschaft zu haben, schlug sich in der Kirche - wie in den Bürgerbewegungen - in der trotzigen Anklage nieder, die Mehrheit habe sich von den Verlockungen der kapitalistischen Warenwelt blenden lassen.“1 Dass es auch im Osten versteckte Arbeitslosigkeit und Drogenabhängige, sowie offene Ausländerfeindlichkeit gab, 1
Fitschen, Protestantismus, 41f.
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Die Predigten
dringt erst im Laufe des Jahres 1990 ins Bewusstsein vieler Prediger. Diese eindeutig links-sozialistische Richtung der meisten jüngeren Pastoren darf nicht zwangsweise mit ostdeutscher Nostalgie verwechselt werden. Zwar schimmert die Trauer um Verlorengeglaubtes bei einigen hindurch, insgesamt waren die „linken“ Pastoren aber politische Idealisten, die dem Traum einer gerechten, sozialistischen Gesellschaft anhingen, im Gegensatz zur erlebten DDR. Die bei allen Predigern auftauchende Kritik am Westen zeigt auch, wie sehr die antikapitalistische Propaganda selbst in kritischen kirchlichen Kreisen gefruchtet und teilweise abstruse Angstfrüchte getragen hat. Auffällig sind dabei sich wiederholende Wendungen wie „Ellenbogengesellschaft“, „Wohlstandsgier“, „Macht/ Druck des Geldes“ und „materieller Überfluss“, offensichtlich fest geprägte Begriffe für die negative Beschreibung der kapitalistischen Bundesrepublik. Dieses absolut güterkritische, dem traditionell-christlichen Ethos entsprungene Denken der Prediger ist dem Ethos der meisten Hörer und der Mehrheit der DDR-Bürger 1989/90 „diametral entgegengesetzt“2 , urteilt Regina Fritz in ihrer Studie. Entsprechend schwierig war die Annäherung der Prediger an eine deutsche Einheit. Wie auch viele Bürgerrechtler träumten die meisten Pastoren dieser Untersuchung von einem „dritten Weg“. Drei Hauptgründe gegen eine deutsche Einheit tauchen häufig auf. Unter 50-jährige Pastoren befürchteten den Verlust einer eigenständigen Entwicklung der DDR und den Verrat am Sozialismus. Eine plötzliche Einheit könne nur auf Kosten der dritten Welt entstehen. Die ältere Generation dachte stärker in historischen Bezügen, großdeutsche Fantasien werden mit Rücksicht auf die Nachbarn Deutschlands vehement abgelehnt. Mit einem Deutschland in den Grenzen von 1945 können sich diese über 50-Jährigen dann aber schnell identifizieren. Die untersuchten Predigten erwecken den Eindruck, der junge, ostdeutsche Protestantismus habe einer deutschen Einheit mehrheitlich kritisch gegenübergestanden. Im Herbst 1989 sind alle unter 50-jährigen und sogar die meisten älteren Pastoren, die Predigten beisteuerten, für eine zweistaatliche Lösung. Ab 1990 ändert sich das. Die über 50-Jährigen votieren sehr bald für eine Einheit, die Jüngeren kritisieren eine solche zum Teil auch noch nach dem Volkskammerwahlergebnis und seinem Bekenntnis zur Einheit. Sie üben daran deutlich Kritik, offensichtlich in der Annahme, die Gottesdienstbesucher stimmten mit ihnen überein. Ob dies im konkreten Einzelfall so war, lässt sich nicht mehr nachprüfen. Fakt ist, dass das ostdeutsche Volk schon Ende November 1989 begann, die schnelle Einheit herbeizusehnen. Laut einer Forsa-Umfrage vom 25. November 1989 waren 61% für eine Wiedervereinigung. Im Februar 1990 lag die Zahl der Befürworter bei 80%.3 Dabei ergab eine konfessionell aufgeschlüsselte Meinungsumfrage Ende Juni 1990, dass Kirchenmitglieder sogar überdurchschnittlich oft für eine baldige deutsche Einheit votierten.4 Zwar lag die generelle Zustimmung zum deutschen Eini2 3 4
Fritz, Ethos, 235. Vgl. Förster / Roski, DDR, 53. Vgl. Hannemann / Francke, Kirchenmitglieder, 139–143.
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gungsprozess unter Protestanten und Konfessionslosen bei 94%. Während aber im Landesdurchschnitt 37% der Bürger für eine schnelle und 19% für eine sofortige Einheit gemäß Artikel 23 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG) stimmten, waren unter evangelischen Christen sogar 43% für eine schnelle und 25% für eine sofortige Vereinigung. Dies entsprach am ehesten der Antwortverteilung unter CDU-Wählern. DDR-weit lehnten 4% eine deutsche Einheit rundherum ab, vor allem Wähler der PDS (15%), im protestantischen Milieu lediglich 2%. Von diesen vier bzw. 2% wünschten sich wiederum nur 16% einen „dritten Weg“, was einem Bevölkerungsanteil von 0,04% entspricht. Gleichzeitig war die Verunsicherung unter den Protestanten am höchsten: 4% gaben an, nicht zu wissen, was sie sich wünschen sollten, unter den Konfessionslosen antworteten dies nur 1%. Das eindeutige Wahlergebnis pro CDU und Einheit bei der Volkskammerwahl im März 1990 kam vor allem für die Bürgerbewegungen, zu denen sich viele Pastoren hielten, überraschend, weniger für die Bürger selbst. In ihrem Kampf für eine eigenständige DDR befanden sich die Pastoren erstens in der absoluten Minderheit und zweitens in einer Nische mit Bürgerrechtlern und ehemaligen SED-Leuten. Eine merkwürdige Allianz, deren Ursprünge interessanterweise im marxistisch-christlichen Dialog der später 1980er Jahre zu suchen sind. Klaus Fitschen ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „Gemeinsam mit den marginalisierten Bürgerbewegungen pflegen Teile des ostdeutschen Protestantismus, zumal in der Pfarrerschaft, [...], bis heute das Bild einer verpassten Chance, eines Neuanfangs, der auch die alte Bundesrepublik und ebenso die Kirchen dort hätte ergreifen können.“5 Er gibt zu bedenken, dass der „Traum von einer besseren Welt – eher einer besseren DDR – weder vor noch nach 1989 eine Hoffnung des gesamten ostdeutschen Protestantismus“6 war. Die Dominanz der Vertreter einer solchen Haltung im Erinnerungsdiskurs darf über die faktisch kleine Gruppe der DDR-Verbesserer nicht hinwegtäuschen. Auch nach 1989 scheint zu gelten: Der Verlierer verschafft sich am lautesten Gehör. Diese Beobachtungen stellen auch Anfragen an die Hörerzentriertheit der Pastoren. Angesichts der Wahlergebnisse und Umfragen von 1990 kann auch die Mehrheit der mecklenburgischen und pommerschen Gottesdienstbesucher nicht für die Alternativprogramme von Bündnis 90/ Die Grünen gestimmt haben. Nach dem Mauerfall ist daher von einer graduellen politischen Entfremdung zwischen Pastoren und Gemeindegliedern auszugehen, die aber von den Predigern selbst kaum wahrgenommen wurde. Eine explizite Ausnahme bilden die Rostocker Donnerstagsandachten samt Gaucks positiver Einstellung zur deutschen Einheit und die Friedensgebete in Bad Doberan. Parteipolitisch predigten die allermeisten Pastoren in puncto politische Zukunft entgegen den Erwartungen der meisten Christen, ohne sich dieser Differenz bewusst zu sein oder sie gar zu thematisieren.
5 6
Fitschen, Protestantismus, 42. Ebd.
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Die Predigten
Pastoren leisteten mit der politischen Sensibilisierung ihrer Hörer dem eigenen Selbstverständnis nach zivile Bildungsarbeit. So wichtig dies generell ist, stellt sich die Frage nach dem Ort und der Qualifikation der Prediger gegenüber der Gemeinde. Pastoren sind universitär gebildete Bürger, die oftmals mehr Westkontakte hatten als andere DDR-Bürger und eine in der Regel kritische Distanz zum Staat pflegten. Was die politische und wirtschaftliche Lage der DDR anging, bewiesen sie aber keinen größeren Über- oder Weitblick als andere vergleichbar gebildete DDR-Bürger. Im Bezug auf das Verhältnis Pastor - Gemeinde ist dies wichtig, da sich der Protestantismus Ende der 1980er Jahre in Ostdeutschland weitestgehend aus dem bildungsbürgerlichen Milieu speiste.7 Das wird besonders in der finanziell utopischen Idee vom „dritten Weg“ deutlich. So drängt sich ein fast patriarchales Selbstverständnis der Pastoren auf. Die Rollen des politischen Aufklärers, Mahners, Moralisten und Geschichtsdeuters wurden entsprechend oft in den Predigten eingenommen. Die Pastoren wollten die politische und gesellschaftliche Wirklichkeit deutend beeinflussen und beanspruchten, besser einschätzen zu können als die Gemeinde, was gut für die Zukunft der DDR ist. Das politische Engagement kirchlicher Mitarbeiter wurde bis zu den ersten freien Wahlen am 18. März 1990 einstimmig als aktive Anwendung des Wächteramtes in einer zerfallenen Diktatur gutgeheißen. Nachdem jedoch demokratische Strukturen geschaffen worden waren, teilte sich die Pfarrerschaft auf: Einige jüngere Pastoren und Glöckner wechselten ganz in die Politik, andere blieben in ihren Gemeinden und übernahmen zugleich ehrenamtlich politische Aufgaben. Wieder andere, ältere Pfarrer begrüßten die hohe Zahl der Christen in der Politik und eine weitere Gruppe lehnte jegliches parteipolitisches Wirken von Kirchenleuten dezidiert ab. Deren Grundtenor lautete: Kirche hatte eine politische Aufgabe auf Zeit übernommen, nun sollte sie sich wieder ihren genuin eigenen Themen zuwenden. Im Hinblick auf gesellschaftspolitische Erneuerung appellierten alle Prediger ans bürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Menschen, die Chance zur Mitgestaltung zu nutzen und nicht einige wenige Vorreiter die notwendige Arbeit allein verrichten zu lassen. Dies geschieht unter der kirchenpolitischen Grundannahme, dass es besser sei, vor Ort zu bleiben und Neues zu gestalten, als in den Westen zu fliehen bzw. nach dem Mauerfall rechtmäßig zu ziehen. Bis auf wenige Ausnahmen werden die Ausreise bzw. der Umzug in die BRD von den meisten Predigern verständnisvoll aufgenommen und auch selbstkritisch reflektiert: Was hätten Kirche und Gemeinden tun können, um die Menschen im Land zu halten? Tagespolitische Themen bildeten in fast allen Predigten eindeutig den Referenzrahmen. Zum Handeln forderten die Prediger ihre Hörer aber vermittels sozialethischer Werte wie Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit, Toleranz und Solidarität auf. Dabei stand bei allen Pastoren ein verantwortlicher Umgang mit der Vergangenheit im Zentrum: Anstatt einander zu richten, wurde in fast jeder Predigt zu Versöhnungsbereitschaft und Selbstkritik aufgerufen.
7
Vgl. Matthiesen, Greifswald, 647.
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4.2 Wie wurden die politischen Ereignisse theologisch gedeutet? 4.2.1 Überblick Die Predigten zeigen: Alle Pastoren rechneten grundsätzlich mit dem geschichtlichen Wirken Gottes im Dienste der Freiheit. Zunächst kam dies im Juni 1989 in allgemein klingenden, angesichts der Situation im gesamten Ostblock jedoch schon brisanten Worten zum Ausdruck, wenn die Prediger davon ausgingen, dass Gott auch in diesen Tagen überraschende Wendungen bewirke. Konkret nannten mehrere Prediger im August 1989 Gorbatschow und seine Reformen als Beispiel dafür, dass Gott sogar Ungläubigen rechtes Sehen schenke. Dies kann einerseits als Versuch der Integration verstanden werden, indem die „guten Taten“ Ungläubiger oder das „humanistische Erbe“ des Marxismus-Leninismus im Rahmen von Gottes erhaltendem Schöpfungshandeln interpretiert wurden. Die Grenzen zur vereinnahmenden Instrumentalisierung atheistischer Ideen in den Dienst einer christlichen Weltsicht sind dabei fließend. Ob atheistische Hörer „Gottes Weg mit den Heiden“ auf die eine oder andere Art wahrnahmen, muss offen bleiben. 40 Jahre DDR, die Interpretation dieser „biblischen“ Zahl drängte sich den Predigern geradezu auf. Entsprechend oft wird die Geschichte vom Auszug Israels aus Ägypten samt 40-jähriger Wüstenwanderung in den Predigten erzählt. Sonntags wird das Thema von zehn Pastoren insgesamt 14 Mal aufgegriffen und ganz unterschiedlich gedeutet. Die DDR wird sowohl mit Ägypten als auch mit der Wüstenwanderung gleichgesetzt. Die Gegenwart kann ebenfalls als Wüste gesehen werden. Diese biblische Exodusgeschichte taucht zudem in den Friedensgebeten in Rostock, Bad Doberan und Neubrandenburg auf. Hier wird sie aber deutungsoffener interpretiert mit besonderem Verweis auf den Mut der Israeliten/ DDR-Bürger und den Beistand Gottes im Aufbruch. In den Predigten der Friedensandachten wurde die Zusage, Gott handle an und mit den Menschen, immer wichtiger. Je stärker der Elan der revolutionären Bewegung abnahm, desto mehr betonten die Pastoren Gottes Eingreifen in die Geschichte. Einhergehend mit dem verstärkt individuellen Zuspruch ab Dezember 1989, den Aufbruch mutig weiter zu verfolgen, statt den Blick ermüdet rückwärts zu wenden, wurde an biblischen Personen beispielhaft Gottes Hilfe für jedermann dargestellt. Niemand müsse sich fürchten, denn Gott sei immer bei ihm. Auch kleine Menschen könnten wichtig werden mit Gottes Hilfe. So rief z.B. die Erfolgsgeschichte von Moses Berufung Anfang 1990 in Rostock zur verantwortlichen Mitarbeit auf dem Weg in eine erneuerte Gesellschaft auf. Anhand zahlreicher biblischer Bilder und Analogien zwischen dem exilierten Volk Israel und der gegenwärtigen DDR wurden die rasanten Ereignisse in einen schon tausende Jahre währenden Weg Gottes mit seinem Volk hineingenommen, dessen Ausgang nicht mehr verängstigend unbestimmt auf die Bürger der DDR lauerte, sondern längst in Gottes Plan aufgehoben war. Die Parolen „Du bist nicht allein“ oder Gott „will mit dir sein“ konnten gleichzeitig beschwichtigen und ermutigen, Hoffnung verbreiten und zu Wachsamkeit aufrufen.
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Die Predigten
In den Augen der Prediger bestätigte der Verlauf des Herbstes 1989 die biblischen Erzählungen, wie Gott Menschen aufrichtet und zu ungeahnten Aktionen befähigt. In der ersten Rostocker Donnerstagsandacht am 11. Januar 1990 wurde als Beleg dafür, dass der christliche Glaube mehr als ein frommer Wunsch sei, der zurückliegende Herbst angeführt. Wenn Kerzen gegen Gummiknüppel, Wasserwerfer und Hundestaffeln siegten, wenn die Machtlosen gewannen, dann habe der christliche Glaube bewiesen, dass er nicht einer Illusion anhänge. In den Friedensgebeten war Gottes Eingreifen in die Geschichte ein ständiger Topos in Verbindung mit Handlungsaufforderungen an die Hörer. Regina Fritz’ Einschätzung, die Predigten hätten sich vor allem „auf die Bürgerinnen und Bürger als Motoren der historischen Veränderungen“ fokussiert, während das „göttliche Subjekt [...] meist ganz im biblischen Kontext belassen und nicht etwa als Faktor aktueller gesellschaftlicher Transformationsprozesse mitgeführt“8 wurde, kann aber anhand der analysierten Predigten nicht bestätigt werden. Im Hören „zwischen den Zeilen“ waren DDR-Bürger so hervorragend geschult, dass sie die zahlreichen Analogien zwischen Gottes Eingreifen zu Zeiten Israels bzw. Jesu und der aktuellen Situation sicher verstanden und in die Gegenwart übertrugen. Das Geschichtsverständnis der Prediger – das damals handelnde Subjekt Gott, bzw. der die Menschen zum Handeln befähigende Gott, ist derselbe Gott, der auch 1989/90 den Menschen Kraft gibt – stand den Hörern sicher vor Augen. Ob sie dieser Interpretation zustimmten, lässt sich hingegen nicht rekonstruieren. Warum Fritz selbst so eindeutige Bezüge in der von ihr detailliert analysierten Predigt von Alma Berger wie „Gott sei Dank – wir haben das Wunder erlebt, daß aus Menschen, die taub und stumm waren, Menschen wurden, die ihren Mund und ihre Ohren gebrauchen können. Gott schenke es uns, daß wir jetzt auch hören, wo Menschen leiden und daß wir unseren Mund auftun für die Stummen.“9 nicht geschichtstheologisch interpretieren will, ist nicht nachvollziehbar. In Verbindung mit der in der Predigt erzählten Geschichte der Heilung eines Taubstummen durch Jesus lässt Berger keinen Zweifel mehr daran, wer der Urheber des Wunders von 1989 ist und wer auch weiterhin wirken möge. Sonntags wurde das Eingreifen Gottes in die Geschichte bei den unter 50-jährigen Predigern vor allem im Rückblick hervorgehoben, bei den älteren von Anfang an. Besonders nach den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 und mit dem erneuten Einflussverlust von Kirche in der Gesellschaft thematisierten viele Gottes Wirken in Geschichte und Gegenwart. Dank über die unblutige Revolution wurde geäußert, verbunden mit der Zuversicht: Gott wird auch in (die) Zukunft führen. Viele Pastoren, die 1989 älter als 50 Jahre waren, tendierten schon während der friedlichen Revolution zu heilsgeschichtlichen Interpretationen der Ereignisse, einhergehend mit großer Euphorie für ein geeintes Deutschland. Für
8 9
Fritz, Ethos, 238. Ebd., 262: Vgl. hier die Schlusssätze der Predigt Alma Bergers am 13.11.1989 im Friedensgebet in der Gethsemanekirche Berlin.
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den theologischen Standpunkt des Einzelnen scheint dabei das Alter besonders ausschlaggebend zu sein.10 Wenngleich das Thema „Atheismus“ in der detaillierten Auswertung unter den politischen Fragestellungen behandelt wurde, ist ihm auch eine religiöse Dimension inhärent. Bis auf drei jüngere Ausnahmen, von denen einer die generelle Kritik an Staat und Gesellschaft vehement ablehnt, setzen sich vornehmlich über 50-jährige, lutherisch-konservative, christozentrisch predigende Pastoren explizit mit der atheistischen Weltanschauung in ihren Predigten kritisch auseinander. Gemäß dem „solus christus“ verdammen sie die kommunistische, unmenschliche Abgötterei des Menschen und die „Religion der Macht“11 . Ein Leben ohne Gott sei es nicht wert, Leben genannt zu werden, erklärt Ohse.12 Die „anderen sogenannten Weltanschauungen und Erlösungsangebote[n]“ böten ja gerade keinerlei Vorteil oder gar überzeugenden „Grund, es nicht lieber mit dem Gott der Bibel, dem Menschen Jesus von Nazareth zu versuchen“13 , predigt auch ein junger pommerscher Pfarrer schon im Dezember 1988, Bezug auf den religiösen Anspruch der kommunistischen Idee nehmend. Diese sah im Ziel einer klassenlosen kommunistischen Gesellschaft das innerweltliche, aber die Geschichte hinter sich lassende Heil und Ziel der Menschheit. Der real-existierende Sozialismus diente dabei als Erklärungsmodell – vergleichbar mit der christlichen Parusieverzögerung für alle politischen Unvollkommenheiten im Hier und Jetzt.14 4.2.2 Gott will die Wende Erlebte Geschichte wurde 1989/90 in den untersuchten Predigten von vielen, vor allem älteren Pastoren als Heilsgeschichte, als Gottes Weg mit seiner Gemeinde in dieser Welt, empfunden und formuliert. Dabei ist ein klarer Zusammenhang zu beobachten zwischen dem Alter der Pastoren und heilsgeschichtlicher Deutung. Die 1989 über 50-jährigen Pastoren, welche noch zu Zeiten eines geeinten Deutschlands bzw. lange vor der endgültig trennenden Mauer aufgewachsen waren, waren teils von Anfang an, spätestens jedoch ab Januar/ Februar 1990 für eine schnelle deutsche Einheit und predigten dies auch. Der in diese Einheit führende Herbst 1989 konnte von ihnen daher als Gottes direkter Eingriff in die Geschichte gewertet werden, da sie mit dem Ergebnis voll und ganz einverstanden waren. Der Gefahr, lediglich den Erfolg der Überwindung einer deutschen Teilung als Gottes Lenkung zu sehen, entgingen die Pastoren geschickt. Denn, dass Gottes Handeln auch eine strafende Seite hat, kam ebenfalls deutlich zur Sprache. Die gesellschaft10 11 12 13 14
Für eine detaillierte Sicht auf die heilsgeschichtlichen Deutungen in den Predigten vgl. Abschnitt 4.2.2 und den Abschnitt Abschnitt 2.6. Wegener, Predigt am 29.4.1990, 4. Vgl. Ohse, Predigt am 10.12.1989, 3. P/L/31-40/E, Predigt am 18.12.1988, 5. Vgl. zur Frage des heilsgeschichtlichen Gehalts der historisch-materialistischen Geschichtsschreibung in der DDR ausführlich: Bauer, Gehalt; Ders., Transformationen. Die Autorin geht von der Annahme aus, die marxistisch-leninistische Weltanschauung müsse als Religion verstanden werden. Vgl. auch die Ausführungen dazu Abschnitt 4.4.
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liche Krise werde man im Sommer 1989 auch als Gericht Gottes über die DDR und die gesamte Erde verstehen müssen. Weil die Menschen Gottes Wort verachteten, sei die DDR nun in der Krise. Der Gott, der die Menschen ihrem Schicksal nicht anheim gibt, lässt sich eben auch nicht alles bieten. Strafe und Erbarmen sind somit für viele Prediger 1989/90 deutlich zwei Seiten des geschichtswirksamen Gottes. Damit vertraten diese Pastoren jenes klassische, jüdisch-christliche Geschichtsbild einer Einheit von Universal- und Heilsgeschichte, das bis 1945 im Protestantismus vorherrschte, durch eine „Theologie nach Auschwitz“ aber obsolet erschien. Umso erstaunlicher sind die eindeutig heilsgeschichtlichen Interpretationen der Jahre 1989/90. Ab Juni 1989, als die Zahl der aus der DDR Flüchtenden rapide zunahm und sich im Land selbst Resignation angesichts der sturen SED-Linie und Hoffnungen auf Veränderungen die Waage hielten, begannen die Pastoren mit Hinweisen auf Gottes innerweltliche Handlungsmöglichkeiten. Das könne konkret „vor Resignation und Fluchtgedanken bewahren.“15 Als das Unmögliche eintrat, das, was in 40 Jahren niemand mehr für möglich hielt, empfanden dies auch Atheisten als Wunder im säkularen Sinne eines völlig unvorhersehbaren Ereignisses. Heilsgeschichtliche Deutungen waren derart naheliegend, dass sie für kurze Zeit ganz von selbst als adäquate Beschreibung der ansonsten unfassbaren Wirklichkeit akzeptiert wurden. Revolution im Geiste Jesu und Luthers Reformation werden von zwei älteren Pastoren 1989 auf die aktuellen Ereignisse übertragen. Lange bevor sich die Wendung „friedliche Revolution“ im Dezember 1989 für den Umbruch durchsetzte, predigt Ohse über die noch unverwirklichten Versprechen der französischen Revolution von 1789, als da sind Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Nicht eine laute, sondern nur eine „stille Revolution“ im Geiste Jesu Christi könne gelingen. Er träumt von einer „sanfte(n) Revolution, und Menschen sind frei, sind gleich, sind wirklich wie Geschwister!“16 Mitte Dezember ordnet er das Erlebte in das Ideal ein: Der Kirche sei eine hohe Verantwortung zugekommen, „damit die Revolution im Geist Jesu Christi“17 verlaufen konnte. Im Vergleich zu 1789 ist in dieser Logik mit 1989 eine qualitativ höhere Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung erreicht worden. Jene schon anklingende heilsgeschichtliche Einordnung des Herbstes 1989 wird ekklesiologisch vermittels des biblischen Gleichnisses von der rechtlosen Witwe (Lk 18,1–8), Predigttext laut Perikopenordnung am 12. November 1989, von demselben Pastor unterstützt. Kirche in der DDR habe ein entrechtetes Witwendasein ohne Machtmittel geführt. Aber sie habe überlebt und könne nun ihrem Auftrag, Volkskirche zu sein, völlig neu gerecht werden. Kirche stehe da als machtlose, wehrlose, aber wichtige Witwe.18 15 16 17 18
Lohse, Predigt am 18.6.1989, 3. Ohse, Predigt am 16.7.1989, 2. Ders., Predigt am 17.12.1989, 2. Vgl. ders., Predigt am 12.11.1989, 2f.
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Im Lichte einer reformatorischen Kontinuität zieht Sadewasser am Sonntag vor dem Reformationstag 1989 historische Parallelen zwischen Reformation und aktueller Situation. Wie damals ströme das Volk heute in die Kirchen, höre Predigten und singe christliche Lieder. Denn Gott selbst wolle die Wende und gestalte „Geschichte durch alles Leid und alle Irrtümer hindurch zum Heil der Menschen und Völker“. Beispiel dafür sei das wiedererrichtete Lutherdenkmal in Berlin mit der Bibel in der Hand.19 Das Wirken der Kirchen im Herbst 1989 wird von beiden Pastoren kirchengeschichtlich heilvoll verortet. Die friedliche Revolution ist in ihren Augen nicht mehr nur Chance zu politischem, sondern auch zu geistlichem Aufbruch und Neuanfang. Während der persönlichen Begegnungen mit den Pastoren verstärkte sich der schon durch die Predigten gewonnene Eindruck, die Prediger hätten den Herbst 1989 als „Kairos“ erlebt. Beim Erzählen von der friedlichen Revolution zitterte besonders den 1989 über 50-Jährigen oftmals die Stimme, einige hatten Tränen in den Augen. Dabei erzählten sie nicht von persönlichen Erfolgen oder der wichtigen Rolle der Kirchen. Allein das Faktum, dass die auf Dauer angelegte Spaltung Deutschlands ein plötzliches und unblutiges Ende nehmen konnte und sie dies miterleben durften, empfanden viele als historisch greifbare Gnade Gottes und wichtigste Zeit in ihrem Leben. Die jüngeren, unter 50-jährigen Pastoren, die in der DDR durch Schule und Studium sozialisiert waren, hofften dagegen länger auf eine eigenständige, demokratische, sozialistische DDR. Sie wollten eine freie und gerechte Alternative zur kapitalistischen BRD. Das Erwachen der Menschen zu mündigen Bürgern interpretierten auch sie als Gottes Fügung. Mit dem Ergebnis der deutschen Einheit hatten sie (und haben manche noch immer) Schwierigkeiten. Daher ist in den Predigten jüngerer Pastoren eher das Motiv „Menschen als Werkzeuge Gottes“ zu finden. Es gesteht den agierenden Individuen einen größeren Handlungsfreiraum zu und muss als Fehlentwicklung empfundene Ergebnisse wie die rasche deutsche Einheit und den verpassten „dritten Weg“ nicht direkt dem göttlichen Willen zuschreiben. Heilsgeschichtliche Interpretationen blieben somit auch 1989/90 das Privileg der Sieger: Den Befürwortern einer deutschen Einheit.
19
Vgl. Sadewasser, Predigt am 29.10./31.10.1989, 2.
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4.2.3 Interpretationen der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre in den Predigten In den analysierten Predigten finden sich Begründungen für oder gegen politisches Engagement, die stark an die lutherische Zwei-Reiche-Lehre erinnern und diese oftmals implizit vorauszusetzen scheinen.20 Das Gefühl der Auserwählung und besonderen Aufgabe in einer atheistischen Umwelt prägt besonders die über 50-jährigen Pastoren und ihre Predigten, aber auch die offizielle kirchliche Haltung zum Leben in der DDR. Sechs der 35 Pastoren kehrten nach dem Studium in Westdeutschland in die DDR zurück, um ebendort das Evangelium zu verkünden. Das offizielle Motto des BEK, aber auch der Aufruf aller analysierten Predigten lautete: „Wir bleiben hier.“ Im sozialistischen, kirchenfeindlichen Umfeld, um weiterhin „Mund der Stummen“ zu sein. In den für diese Studie erarbeiteten Fragebögen wird die Aufgabe der Kirche in der DDR dennoch unterschiedlich akzentuiert. Unter 50-jährige Pastoren betonen die heilsame, dem äußeren Druck geschuldete Erfahrung von Kirche, sich „auf das Eigentliche zu konzentrieren“21 . Ältere Pfarrer hingegen empfanden genau dies als ein den Erwartungen staatlicher Kirchenpolitik angepasstes Verhalten, „Kirche auf reine Kulthandlungen zu beschränken. Gegen solche Ghettoisierung mussten wir uns zur Wehr setzen.“22 Dieser Altersgruppe lagen vor allem Kampf und Stärkung „gegen die Atheismuspropaganda“23 am Herzen. Besonders in der Frage, wie weit und in welcher Form sich Kirche und Christen politisch engagieren dürfen oder gar sollen, wird auf die Zwei-Reiche-Lehre zurückgegriffen. Mit dieser Lehre wird gegen die von der SED erwünschte Privatisierung von Religion gepredigt. Sie wehrt damit totalen Herrschaftsansprüchen, seien sie staatlicher, religiöser oder ideologischer Natur.24 Jüngere Pastoren wie Lohse und Timm tendierten zum immer gültigen, sozialdiakonischen, gesellschaftlichen Einsatz. Wo Menschen unterdrückt würden, müssten sich Christen und Kirche einmischen, „unabhängig vom jeweiligen Gesellschaftssystem“25 . Das Evangelium habe die Kraft, Menschen von Angst zu befreien und offen zu sprechen. Damit leiste predigende Kirche einen Dienst „an unserer kranken Gesellschaft, die sich langsam auf den Weg der Genesung begeben will.“26
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Für genauere Ausführungen hierzu: Pelz, Kirche; und Albrecht-Birkner, Reiche. Wolter, Fragebogen, 1. Von Maltzahn, Fragebogen, 1f. Ebd., 1. Vgl. dazu den Aufsatz von Falcke, Bemerkungen, 67-76, in dem er gleichzeitig auf die drohende Gefahr der Eigengesetzlichkeit und kirchlichen Nischen hinwies. Kritisch entlarvte er Hanfried Müllers Position einer politisch neutralisierten Verkündigung als „konfliktverdrängende Anpassungsideologie“. Eine Spielart der Zwei-Reiche-Lehre, die sich in den analysierten Predigten so nicht findet. Lohse, Fragebogen, 3. Timm, Predigt am 29.10.1989, 3.
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Ein älterer mecklenburgischer Pastor argumentiert hingegen explizit mit dem staatlicherseits abgelehnten,27 prophetischen „Wächteramt“ der Kirche. So sei es zwar für die Kirche ein Verlust, Mitarbeiter für politische Ämter beurlauben zu müssen, doch könne die evangelische Kirche „einen politischen Einsatz für Befreiung [...] nicht bremsen, sie wäre sonst dem prophetischen Wort ungehorsam.“28 Zugleich verbindet er mit dem Anteil der Christen am Wahlkampf die Hoffnung, dass dieser nicht in Verleumdungen und Schuldzuweisungen ausarte.29 Vor einem falschen Verständnis der Zwei-Reiche-Lehre, vor zwei Extremen, warnt ein älterer pommerscher Pfarrer Ende Oktober 1990. Sowohl eine gänzliche Trennung der zwei Bereiche, ein Rückzug ins Private, als auch eine Vermischung beider Reiche samt politischer Vereinnahmung seien keine Lösung. Stattdessen plädiert er, wie 1989 die meisten Pastoren, für eine politische Rolle der Kirche auf Zeit. Sie könne und müsse nun Dinge benennen, die „vielleicht mehr in das Gebiet Gesellschaft und Politik gehören.“ Unter Heranziehung der Lehre von der Königsherrschaft Christi erklärt er: „Das tun wir dann, weil es um den ganzen Menschen geht [...]. Aber wir werden auch immer wieder schnell zu unserem eigentlichen Auftrag zurückfinden müssen [...].“30 Der viel beschworene eigentliche kirchliche Auftrag, so ein junger pommerscher Pfarrer Ende Oktober 1989, ergänze sich mit echten Reformen zwangsweise. Zuerst müssten sich die Menschen von ihren falschen Götzen, von vermeintlichen Tatsachen und einem „göttlich-absoluten Anspruch menschl. Geschichts- und Gesellschaftstheorien“ lossagen. Christlicher Glaube hat hier eine ideologiekritische Funktion. Wer sich auf den einen Gott besinnt, erlebt wahre Befreiung, weil Rechtfertigung. Diese relativiere den „Optimismus des Machbaren“ und schütze vor einer „billigen Totalkritik“ den Staat betreffend. Das Leben im Reich Gottes bewahrt die Christen vor einer „Vergöttlichung des Politischen“ und weist ihm stattdessen „den Raum des jetzt Möglichen und Machbaren“ zu. Dabei bleiben Glaube und Evangelium Zentrum des Lebens und strahlen in alle Bereiche desselben aus. Die zwei Reiche bestehen also unvermischt, zugleich ungetrennt fort und ermöglichen so einen kritisch-distanzierten Umgang mit allem Weltlichen, ohne es zu degradieren. Weder einem Rückzug ins Private noch aus der Verantwortung wird hier gepredigt, sondern gegen politische Allmachtsansprüche auf der einen und eine völlige Ablehnung des Staates auf der anderen Seite.31
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Vgl. den Bericht von Krohl / Naumann, Christen, 453; über eine christlich-marxistische Tagung im September 1988 in Güstrow, auf welcher man einhellig ein solches Wächteramt verwarf, Christen aber ein Recht auf „konkret unterscheidende Mitarbeit“ zugestand. Vgl. auch die sieben Weißenseer Sätze vom 25.11.1963 Arbeitskreis, Freiheit, in denen ein kirchliches Wächteramt auch seitens kirchlicher Vertreter mit theologischer Begründung durch Barmer Theologische Erklärung und Zwei-Reiche-Lehre abgelehnt wurde. Falcke kommentierte dies 2014: „Aus Barmen wurde eine Anpassungsideologie.“ Falcke, Erbe, 21. Wiebering, Predigt am 25.2.1990, 2. Vgl. ebd., 2. Springborn, Predigt am 12.11.1989, 6. Vgl. P/S/41-50/O, Predigt Oktober 1989, 1–5.
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Nach der Volkskammerwahl am 18. März 1990 ergeben sich aus der Lehre, dass der Christ Bürger zweier Reiche sei, gegensätzliche Folgerungen in den Predigten. Schmidt nutzt dieses als Argument gegen jegliche klerikale Machtansprüche. Kirchliche Mitarbeiter in der Regierung, das sei „Sünde in Gestalt klerikaler Ansprüche“. Ziel christlicher Bestrebungen sei das Reich Gottes, „christliche Mitarbeit an der Welt hat eine andere Blickrichtung.“32 Zur entgegengesetzten Schlussfolgerung kommen die beiden mecklenburgischen Pastoren Burkhardt und von Maltzahn. Jesus, so Burkhardt, habe seine Jünger in die Welt gesandt, und so habe 1989 „mancher Christ, auch Pastor, [...] im letzten Jahr aus lauter Treue zu seinem Herrn einen politischen Auftrag übernommen.“33 Jetzt aber seien zum Teil fähigere Politiker zur Stelle, sodass sich die meisten wohl wieder aus der Politik zurückzögen, um sich ganz ihrer Gemeinde zu widmen. Dem stimmt von Maltzahn grundsätzlich zu, doch will er auch zukünftigen parteipolitischen Einsatz von Christen und Pfarrern nicht ausschließen. Schließlich seien Christ- und Bürgersein nicht so zu trennen, als beständen sie unabhängig voneinander, denn Christen sind „Vollmitglieder unser Gesellschaft“34 . Drei der Pastoren (Gauck, Glöckner und Timm) wechselten 1990 hauptberuflich in die Politik; Glöckner arbeitete ab 1992 wieder als Pastor. Bei der Frage, ob sich Kirche als Institution politisch engagieren sollte, sprechen sich die meisten Pastoren also lediglich für eine Rolle auf Zeit in einer gesellschaftlichen Notsituation aus. Begründet wird dies sowohl mit dem kirchlichen, prophetischen Wächteramt als auch mit dem in den Augen des jeweiligen Predigers rechten Verständnis der Zwei-Reiche-Lehre. So wird sowohl vor dem Rückzug ins Private als auch vor kirchlicher Vereinnahmung gewarnt und die politische Funktion des unpolitisch scheinenden Gottesdienstes betont, der der Welt ihre eigenen Aufgaben zugesteht, sie dabei kritisch begleitet und auf ihre Fehlbarkeit hinweist. Das kirchliche „Wächteramt“ und ihre Funktion, den Benachteiligten eine Stimme zu verleihen, bleiben in jeder politischen Lage aktuell und erfordern daher von der Kirche eine gewisse Distanz zur Parteipolitik. Die verschiedenen Interpretationen der Zwei-Reiche-Lehre hängen individuell von der Theologie des einzelnen Pastors ab. Sie können nur teilweise Altersgruppen, gar nicht hingegen landeskirchlich, zugeordnet werden. Von sozialen, diakonischen und ideologiekritischen Implikationen der ZweiReiche-Lehre, einer Trennung der beiden Bereiche bis zum gesellschaftspolitisch aktiven Leben des Christen in der Welt reicht das Verständnis der Zwei-ReicheLehre in den analysierten Predigten. Sie demonstrieren eindrucksvoll die Bandbreite der Interpretationen dieser lutherischen Lehre im 20. Jahrhundert – und das, obwohl der revolutionäre Geschichtsrahmen für alle Pastoren 1989/90 derselbe war.
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Schmidt, Predigt am 5.8.1990, 2. Burkhardt, Predigt am 2.9.1990, 2. Von Maltzahn, Fragebogen, 2.
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4.3 Die Theologie Dietrich Bonhoeffers in Predigten 1989/90 Wenn von einer kirchengeschichtlichen Verortung die Rede sein kann, geschieht eine solche indirekt. Neben Luther und Thomas Müntzer (jeweils einmal) wird als einziger weiterer Theologe Bonhoeffer dreimal zitiert durch zwei ältere Pastoren und einen jüngeren.35 Mitte Oktober wird seine Aufgabenbestimmung eines Christen angeführt mit „Beten und Tun des Gerechten“36 . Ohne Bonhoeffer zu erwähnen, nutzt auch ein jüngerer Pastor am Tag der Volkskammerwahl 1990 ebendiese Formel, erweitert um den Akt des Bekennens. Statt politisch zu agieren, sollten sich Christen ganz bewusst auf das Ihrige besinnen: „Das Beten und das Bekennen und das Tun des Gerechten unter den Leuten.“37 Und am 1. April 1990 liest von Maltzahn Bonhoeffers Gedicht „Christen und Heiden“ vom Juli 1944 vor. Programmatisch für eine christliche Sicht auf eine atheistische Umwelt heißt es in der dritten Strophe: „Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not […] und vergibt ihnen beiden.“38 Besonders jene über 50-jährigen Pastoren waren stark geprägt durch die Bonhoefferrezeption solch wichtiger Kirchenführer wie Albrecht Schönherr39 und Rathke40 und sahen sich selbst in Tradition und Nachfolge der Bekennende Kirche (BK) unter nunmehr kommunistischen statt nationalsozialistischen Vorzeichen. Auch sie hatten, wie die Pfarrer der BK, einen Kirchenkampf ausgefochten (und rein statistisch betrachtet verloren) als junge Vikare und Pastoren in der Auseinandersetzung um Junge Gemeinde und Konfirmation.41 35
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Seitens des Staates galt Bonhoeffer als antifaschistischer Widerstandskämpfer und wurde durch Kranzniederlegungen an seinem Grab oder Straßenbenennungen geehrt. Für die Kirchen in der DDR stellte Bonhoeffer damit zunächst einen unverdächtigen Ausgangspunkt dar. Vgl. Krötke, Bonhoeffer, 163–166. Wackwitz, Predigt am 15.10.1989, 1. Vgl. auch den Beitrag von 1970 von Schönherr, Christsein, 23. Darin exegetisiert er diesen Zentralsatz Bonhoeffers in seiner Bedeutung für das Leben in einer säkularen Welt: „Es geht um die Ethik des Wortes. Das Wort ist so sehr mit seinem Träger verbunden, daß die Korruption des Trägers notwendig zugleich sein Wort korrumpiert, daß mit der Heilung des Trägers zugleich sein Wort heil wird.“ Das Gebet bewahre das Tun davor, der Welt zu verfallen, sie zu vergöttlichen oder zu verteufeln. Das Tun hingegen bewahre das „Gebet vor Heuchelei, vor Flucht in die Innerlichkeit oder in das Ghetto selbstgenügsamer Kirchlichkeit.“ (ebd., 26). M/S/41-50/E, Predigt am 18.3.1990, 10f. Von Maltzahn, Predigt am 1.4.1990, 4. Feil, Impulse. Vgl. auch den Rückblick von Schönherr, Bedeutung. Vgl. Rathkes Vortrag vor der Bundessynode in Eisenach 1971: Rathke, Kirche. Dass Rathkes Ekklesiologie und dessen Weiterentwicklung durch Martin Kuske zu „Kirche mit anderen“ (Schlenker, Kirche) das Selbstverständnis der ELLM bis heute prägt, zeigen zwei aktuelle Veröffentlichungen. 2010 gab die ELLM im Zuge der Auseinandersetzung um das EKD-Papier „Kirche der Freiheit“ eine Broschüre unter dem Titel „Kirche mit anderen - weite Horizonte in Mecklenburg“ heraus. Darin verweist Bischof Andreas von Maltzahn auf die beiden einander ergänzenden Formeln „Kirche für Andere“ und „Kirche mit Anderen“, die „unser Selbstverständnis als Kirche in vielen Jahrzehnten in guter Weise geprägt“ haben (von Maltzahn, Vorwort, 3). 2014 erschien anlässlich des 85. Geburtstages von Altbischof Rathke eine Festschrift, die ebenfalls beide Formeln im Titel verknüpfte und die theologischen Grundlagen des kirchlichen Selbstverständnisses in Mecklenburg von Bonhoeffer über Rathke und Kuske demonstrierte. Vgl. Altenburg / Siegert, Kirche.
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Theologische Impulse der DDR-spezifischen Bonhoefferrezeption finden sich in den analysierten Predigten von 1989/90 auch um den Begriffskomplex „(Un)mündigkeit“. Säkularisation, so Bonhoeffer, habe ihre begründete Legitimität in der Emanzipation der Menschen und damit in der „Befreiung von der Herrschaft einer pervertierten, nämlich religiösen Gestalt des Christentums.“ Dieses ist gekennzeichnet durch religiöse Bedürfnisbefriedigung samt privatisierter Gottesbeziehung in einer gesellschaftlichen Nische. Gott fungiert darin als Nothelfer und erkenntnistheoretischer Lückenbüßer, der irgendwann als Arbeitshypothese entbehrlich werden wird. Eine solchermaßen „religiöse“ Gestalt des Christentums müsse überwunden werden mit dem Ziel einer religionslosen, mündigen Welt.42 Da die DDR sich selbst als säkularisierten Staat verstand, war die Kategorie der säkularen, mündigen Welt hochgradig anschlussfähig an die in der DDR herrschende Semantik. Säkularisierung konnte mit Bonhoeffer theologisch legitimiert werden im Sinne eines Emanzipationsprozesses, in welchem sich die Welt von jeglicher klerikaler Vormundschaft befreit und schließlich zur „mündigen Welt“ wird. Diese Rede von der „mündigen Welt“ wurde von Schönherr denn auch dezidiert auf die sozialistische Gesellschaft bezogen. In einem 1955 erschienenen Aufsatz schrieb er: „Die ‚mündige‘ Welt tritt uns in der DDR, die von einer marxistisch-leninistischen Partei geführt wird, in der Form des bewußten Atheismus, also der militanten Mündigkeitserklärung durch sich selbst, entgegen.“43 Atheisten konnten somit als religionslose, mündige Menschen gelten. Die „Kirche im Sozialismus“ anerkenne als „Kirche in einer säkularen Welt [...] die Mündigkeit dieser Welt.“44 Dabei wird die Welt selbst zum „überhistorische(n)“ Subjekt des Säkularisierungsprozesses, „schüttelt fremde Vorherrschaft ab, erkämpft sich ihre Autonomie“45 . So ist auch der theologische Beitrag Mahlburgs (Mitbegründer der „Vereinigten Bürgerinitiative für einen erneuerten Sozialismus“) auf einer Akademietagung im Juni 1989 zu „Religion und Sozialismus“ über Karl Barth, Paul Tillich und Bonhoeffer zu verstehen. Letzterer habe ein „weltliches Christentum mit seiner Verantwortung in der Gesellschaft vorausgesehen.“46 und ein solches nicht als Ende des Christentums betrachtet. Und auch bei Tillich findet sich laut Mahlburg kein Gegensatz zwischen Religion, Christentum und Sozialismus. Eine derart unkritische Übertragung von Bonhoeffers Konzept einer „mündigen Welt“ auf die Unmündigkeit fordernde und fördernde DDR kritisierte Wolf Krötke 1994 im Nachhinein scharf.47 Jener pauschal auf den modernen Menschen in der modernen Welt angewandte Mündigkeitsbegriff entbehrte, so auch Wolfgang Thumser 1996, jeglicher Verankerung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. 42 43 44 45 46 47
Vgl. Thumser, Sozialismus, 398f. Vgl. zu der Frage, ob das Ende von Religion zugleich das Ende des Christentums bedeute auch Wiebering, Frage. Schönherr, Predigt, 240. Thumser, Sozialismus, 401. Ebd., 403. KIZ, Religion, 2. Vgl. Krötke, Bonhoeffer, 170–175.
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Stattdessen basierten die Überlegungen auf dem ideologischen Selbstverständnis des Marxismus-Leninismus (ML). Thumsers Fazit: „Bedeutet Säkularisierung Entideologisierung der politischen Kultur, so ist Ideologisierung nichts anderes als Entsäkularisierung und die Rückkehr in vorsäkulare Strukturen.“48 Um solchen Fehldeutungen zu entgehen, schlug Wilhelm Dantine schon 1970 in seinem in der DDR veröffentlichten Beitrag vor, zwischen „Säkularismus“ und „Säkularisation“ zu unterscheiden. Ersterer charakterisiere eine weltanschauliche Ideologie, die unbedingt geglaubt werden muss, unabhängig von der eigenen Überzeugung. Ob religiös oder antichristlich spielt dabei keine Rolle. „Säkularisation“ hingegen ist durch den Verzicht auf Gott als die Welt erklärenden Lückenbüßer und Sicherheitsbefriedigung gekennzeichnet, wenn dieser „auf der Grundlage bewußten Glaubens in Christus“49 erfolge. Eberhard Bethge, Schüler und Freund Bonhoeffers, fasste im Bonhoeffer-Gedenkjahr 1970 dessen Mündigkeitsverständnis zusammen. Es sei ein jedem zuzuerkennendes Menschenrecht, das im Akt der menschlichen Begegnung erkannt und vollzogen werde und damit kein individualistisches, sondern ein soziales Phänomen.50 Für Christen sei Mündigkeit immer „christusbestimmte Mündigkeit“, gekennzeichnet durch „Beten und Tun des Gerechten“.51 Erst Christus setze die Mündigkeit „recht in Geltung und bringt sie zu vollem Rang.“ Dass „ein Ausfall des Glaubens mündige Vernunft und Menschlichkeit“52 zur Folge habe, sei bisher nicht bewiesen worden. Dass auch keineswegs alle Theologen in der DDR Schönherrs Deutung folgten, zeigt sich im Bethge verwandten, dezidiert theologischen Freiheitsbegriff Falckes. In seinem schon mehrfach erwähnten Vortrag „Christus befreit - darum Kirche für andere“ von 1972 verankerte er Mündigkeit christologisch. Jeder aus sich selbst heraus lebende Mensch, unabhängig davon, ob seinem Selbstverständnis nach religiös oder nicht, lebe getrieben aus der Angst um Sicherheiten und schaffe sich entsprechende Götzen. Allein „Christus befreit“ daraus „zur Mündigkeit“53 und führt Menschen auf diese Weise zu mündiger Weltverantwortung. Mündigkeit ist nachgerade „kein Prädikat der Religionslosigkeit“54 , sondern der in Christus gründenden Freiheit. Deshalb kann sich zuerst Kirche selbst als mündig begreifen und ihre erfahrene Freiheit allen Menschen bezeugen. Hierauf fußt ihr Gesellschaftsengagement als „Anwalt“ mündiger Menschen und ihrer Verhältnisse in einer ideologisch begrenzten, somit unmündigen Gesellschaft.55 In den analysierten Predigten von 1989/90 benutzten zehn Prediger vornehmlich zwischen Oktober und Dezember 1989 „unmündig/mündig“, meist in der re48 49 50 51 52 53 54 55
Thumser, Sozialismus, 404. Dantine, Bonhoeffer, 76. Vgl. Bethge, Mündigkeit, 62f. Ebd., 67. Ebd., 68. Falcke, Christus, 17. Thumser, Sozialismus, 408. Vgl. ebd., 409.
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lativ allgemeinen Wendung „mündige Bürger“56 bzw. ihrer Negativfolie „entmündigte Bürger“, „unmündiges Kind“57 . Insbesondere, wenn der Begriff in Friedensgottesdiensten Verwendung fand, ist ob der zahlreichen nicht-christlichen Hörer davon auszugehen, dass die Prediger neben der Bonhoefferschen Formel auch die Kantsche Definition von Mündigkeit als Interpretationsfolie der Gemeinde im Hinterkopf hatten: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“58 Bonhoeffer formte diesen Satz derart um, dass er wie ein Vorgriff auf 1989 wirken konnte: „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines eigenen Mundes zu bedienen.“59 Inhaltlich ähnelt sich die Verwendung des Begriffspaares in allen Predigten: Zur Mündigkeit waren die Bürger in der DDR endlich gelangt, keine kleinen unmündigen Kinder mehr. Nun müssten die Menschen, die sich solange entmündigen ließen, ernst genommen und mit Verantwortung betraut werden. Nach den „langen Dürrejahren des Stalinistischen Zentralismus“ gebe es jetzt eine „Fülle von Mündigkeit.“60 Der spezifisch theologische Gebrauch ist hier nur noch zu erahnen und durchaus kompatibel mit dem Kantschen Verständnis, dennoch wirkt in den Predigten das jahrzehntelange theologische Nachdenken über eine sozialistische und atheistische Gesellschaft und ihren Selbstanspruch auf „Mündigkeit“ nach. „Mündig“ wurde zum allgemein verständlichen Synonym für selbstbestimmt;61 „unmündig“ zur Charakterisierung der nun abgeschüttelten Verhältnisse. Solch einen Gebrauch ließen sowohl Schönherrs als auch Falckes Interpretation zu. Der gesamte hier dargestellte Befund widerspricht zumindest in Ansätzen Krötkes Feststellung, Name und Theologie Bonhoeffers hätten 1989 „keine nennenswerte Rolle“62 gespielt.
56
57 58 59 60 61 62
Vgl. Puttkammer, Predigt am 24.8.1989, 1; Vgl. Haberecht, Predigt am 8.10.1989, 3; Vgl. Wiebering, Predigt am 15.10.1989, 1; Vgl. Springborn, Predigt am 15.10.1989, 5; Gauck, Friedensgebet am 1.11.1989; Vgl. P/S/31-40/U, Predigt am 25.12.1989, 32. Kuessner, Greifswald, 21; Vgl. Wegener, Predigt am 15.10.1989, 2; Vgl. Heydenreich, Geschichte, 71; Vgl. Schmidt, Predigt am 17.1.1990, 1; Vgl. ders., Predigt am 2./3.10.1990, 2. Kant, Aufklärung. Bethge, Mündigkeit, 58. P/S/31-40/U, Predigt am 25.12.1989, 32. Vgl. dazu: „‚Mündig‘ heißt erwachsen, selbstverantwortlich.“ Schönherr, Christsein, 31. Krötke, Bedeutung, 526.
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4.4 Befreiung durch Sprache Das u.a. von Wolf Krötke, Michael Beintker und zuletzt Gisa Bauer63 analysierte heilsgeschichtliche Denken der DDR-Geschichtsschreibung hatte auf die Predigten höchstens einen negativ-abgrenzenden Einfluss. Explizit wird dies erst im Nachhinein formuliert. Nach dem Ende der DDR rufen manche Pfarrer zu Mitgefühl gegenüber denjenigen DDR-Bürgern auf, die wirklich und „ehrlich“ an die propagierte Ideologie glaubten. Zehn Tage nach dem Mauerfall predigt ein mecklenburgischer Pastor vom Zusammenbruch des real existierenden SozialismusKartenhauses. Nun seien „viele Menschen, die es ehrlich meinten“64 , bitter enttäuscht. Bischof Stier schreibt in seinem Jahresrückblick auf 1989 in der Mecklenburgischen Kirchenzeitung MKZ: „Manche haben ehrlichen Herzens an die großen Lichter und ihre Worte geglaubt. Für sie ist eine Welt zusammengebrochen, die aus Schein und Täuschung aufgebaut war.“65 und warnt vor der Gefahr, neuen Irrlichtern und Kometen nachzulaufen. Beintker spricht von 1989 als einem „Lehrstück für politischen Parusieverlust. Der kollektive Traum eines plan- und gestaltbaren Zielzustands der Menschheitsgeschichte war geplatzt.“66 Und damit ein Traum, den auch viele in der DDR aufgewachsene Theologen in modifizierter, „besserer“ Form als irdisches Gegenstück zum Reich Gottes verwirklicht sehen wollten: Der sogenannte „dritte Weg“. Unter dieser Prämisse nimmt es nicht Wunder, wenn Ende Juni 1989 auf einer Akademietagung in Güstrow dazu aufgerufen wurde, den „alte(n) Gegensatz“ von Christen und Nichtchristen zu überwinden. An seine Stelle sollte beider „Engagement in einer Verantwortungsgesellschaft“ treten, im Gegensatz zur Teilnahmslosigkeit der vielen, die den Vorteil suchen.67 So lässt sich der für viele überraschende Schulterschluss von Christen und Marxisten ab November 1989 besser verstehen, wie er seinen Ausdruck am 26. November 1989 im DDR-weiten Appell „Für unser Land“ und in der Rostocker „Vereinigten Bürgerinitiative für einen neuen Sozialismus“ fand. Ob das marxistisch-leninistische geschlossene Geschichtsbild den nicht-kirchlichen Hörern eine heilsgeschichtliche Predigt erleichterte, könnte spekuliert werden. Schließlich trat der Kommunismus in „weltanschaulicher Hinsicht [...] als eine säkulare Heilslehre, ja als ein radikal verdiesseitigter Messianismus“68 auf. Er enthielt alle Charakteristika heilsgeschichtlicher Konzepte: Das Wirken einer allumfassend-unsichtbaren Kraft in der Geschichte, im ML das „sozio-ökonomische ‚Gesetz‘ der Geschichte“. Die Überzeugung von einer „sinnstiftende(n) Zielrichtung des Geschichtsprozesses“69 hin zum „Heil“ der klassenlosen Gesellschaft, das selbst außerhalb der Geschichte liegt. Und schließlich galt eine solche Heilsgeschichte als Offenbarungslehre. Bis zur Entdeckung durch Marx und Engels 63 64 65 66 67 68 69
Vgl. ders., Kirche, 537–539; Vgl. Beintker, Erbe, 384–390; Vgl. Bauer, Gehalt. Nath, Predigt am 19.11.1989, 4. Stier, Weg, 1. Beintker, Erbe, 390. KIZ, Religion, 2. Beintker, Erbe, 384. Ebd., 389.
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blieb das sozio-ökonomische Gesetz „verborgen“.70 Sogar zehn Gebote kannte die SED. 1958 verkündete Ulbricht die „Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik“, auch „10 Gebote für den neuen sozialistischen Menschen“ genannt, die 1963 ins Parteiprogramm der SED Eingang fanden und dort bis 1976 standen. In ihrer streng apodiktischen und damit moralisch verpflichtenden Wortwahl erinnerten sie bewusst an den Aufbau des biblischen Dekalogs.71 Wie die meisten Sekten liebten auch die DDR-Ideologen schlichte Bilder vom Weltgericht, schreibt Tilman Baier 1996 rückblickend in der MKZ: „Da galt es, auf der Seite der Sieger der Geschichte zu stehen.“72 Krötke zieht daher das überzeugende Fazit, der ML habe „gezeigt, wie ‚Religion‘ den Weg zum Gottesglauben geradezu verbaut.“73 Religion und Glauben müssen fürderhin im Bonhoefferschen Sinne stets einer kritischen Unterscheidung zugeführt werden. Für die Frage, wie sehr sich ML-Ideologie auch in Predigten niederschlug, eignen sich Thumsers Überlegungen zur Zivilreligion in der DDR. Als solche bezeichnet er die Überzeugung, eine Gesellschaft definiere sich ausschließlich über gemeinsame Werte und Überzeugungen, statt geografisch oder historisch konstituiert zu sein. Der Zivilreligion legitimiert und erhält die Ordnung aufrecht mittels einer transzendenten Wahrheit. Dadurch gewährt sie soziale und personale Identität.74 Die Nähe zu Krötkes, Beintkers und Bauers obigen Ausführungen über die religiöse Funktion des ML ist unübersehbar. Bis zum Staat-Kirche-Gespräch am 6. März 1978 habe eine exklusive und intolerante Zivilreligion geherrscht, danach sei diese in eine bedingt tolerante, inklusive Zivilreligion überführt worden. Gegenüber anderen Religionen verhielt sie sich solange tolerant, wie diese dem „grundlegenden weltanschaulich-ethischen Konsens“75 der Zivilreligion zustimmten und ihr auch ansonsten nicht widersprachen. Voraussetzung hierfür waren konsensfähige Formulierungen mit wenig und unspezifischem Inhalt, wie sie die Leerformeln „Humanismus“ und „Frieden“ hergaben. Ansätze dafür gab es allerdings schon seit Ulbrichts programmatischer Erklärung vom 4. Oktober 1960 vor der Volkskammer, in der er konstatierte: „Das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus sind keine Gegensätze. Nur ist das Christentum, einst als Religion der Armen und des Friedens begründet, seit Jahrhunderten von den herrschenden Klassen mißbraucht worden.“76 Schließlich kommt er zu dem Schluss, der bis zum Ende der DDR einerseits Grundlage der marxistisch-leninistischen „Erbe-Theorie“ war und andererseits von kirchlicher Seite zur Legitimation des „Friedensstaates“ DDR herangezogen wurde: „Die alte Sehnsucht der christlich gesinnten Bevölkerung, die sich in der Botschaft: ‚Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen‘ äußert, 70 71 72 73 74 75 76
Vgl. Bauer, Transformationen. Vgl. Köckert, Gebote, 10. Vgl. Baier, Urteile, 1. Krötke, Kirche, 539. Vgl. Thumser, Kirche, 173. Ebd., 175. Im Dokumentenanhang des Buches ebd., 347.
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kann ihre Erfüllung nur durch die Verwirklichung der hohen Ideen des Humanismus und Sozialismus finden.“77 Exakt dies ist beispielsweise der Grundtenor einer Meditation über Jes 22,1– 8.12–14 vom Rostocker Theologieprofessor für Praktische Theologie Ernst-Rüdiger Kiesow Ende der 1980er.78 Die „gerade von Atheisten entworfen(e)“, verantwortungsbewusste „Vision einer atomfreien Welt“ würden Christen „heute als eine Fügung Gottes“ erfahren. „Es gäbe für die Christenheit auf Erden kein schöneres Geschenk zum 2000. Geburtstag Jesu als die Beendigung der nuklearen Bedrohung.“79 Typische Propagandaformeln wie „Zusammenarbeit“, „Mitwirkung“, „konstruktives Zusammenwirken“, „gemeinsame humanistische Verantwortung“ und „politisch-moralische Einheit der sozialistischen Menschengemeinschaft“ finden sich in den analysierten Predigten von 1989/90 kaum und wenn doch, dann kritisch gebraucht. Den sogenannten „sozialistischen Komparativ“80 (Dinge müssen noch besser/ schöner... werden) entlarvt Pfarrer Tuve im Greifswalder Friedensgebet am 1. November 1989 als „Seuche des Nochismus“81 . Wer heute noch sage, der Sozialismus müsse „noch besser“ werden, dem glaube keiner mehr. Den Begriff „Menschengemeinschaft“ beispielsweise nutzt Wolter Anfang April 1990, um die Diskriminierung Andersdenkender in der DDR zu beschreiben. Wer eigenständig dachte und handelte, wurde zwangsläufig zum „Außenseiter der sozialistischen Menschengemeinschaft“82 . Wegener verwendet dasselbe Wort ebenfalls negativ konnotiert im Zusammenhang mit Fidel Castros abzulehnender ideologischen Ordnung.83 Anschlussfähiger, weil inhaltlich kaum gefüllt, waren Begriffe wie „Humanismus“ und „Dialog“. Ersterer wird ausschließlich in Friedensgottesdiensten 1989/90, dort jedoch durchweg positiv, verwendet. Der Mauerbau habe „jeder politischen und humanistischen Vernunft“84 widersprochen, predigt Schmidt in Bad Doberan. In zwei Rostocker Friedensandachten wird „humanistisch“ im Zusammenhang mit „Sozialismus“ verwendet. Am Tag des Mauerfalls predigt eine Gruppe um Gauck von der nun erreichbaren Möglichkeit, „einen humanistischen Sozialismus aufzubauen.“85 Drei Wochen später fordert Gauck seine Hörer, nun schon deutlich interpretationsoffener hinsichtlich der Staats- und Gesellschaftsform, auf, „eine freie, solidarische und humane Gesellschaft“ aufzubauen. Fulminant schließt er die Predigt mit dem Assoziationen an Schlachtrufe
77 78 79 80 81 82 83 84 85
Im Dokumentenanhang des Buches ebd., 348. Vgl. zu Kiesow: Handler, Kiesow. Kiesow, Nachkriegszeit, 89. Hellmann, Sprache, 110. Tuve / Göbel, Dialogpredigt am 1.11.1989, 26. Wolter, Predigt am 1.4.1990, 1. Vgl. Wegener, Predigt am 29.4.1990, 4. Schmidt, Predigt am 15.11.1989, 1. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 4.
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weckenden Satz: „Macht den Traum aller Humanisten wahr und zerschlagt den Alptraum der Macht.“86 Von „Dialog“ ist in 16 Predigten die Rede, darunter elfmal im Rahmen von Friedensgottesdiensten. Auch dieser Begriff ist grundsätzlich positiv besetzt. Unterschieden wird allerdings einerseits zwischen einem „echten“87 , „offenen“88 , vom Volk erzwungenen89 „Dialog in die Tiefe und in die Breite“90 . Andererseits wird in Neubrandenburg am 18. Oktober 1989 vor der Gefahr gewarnt, dass sich das „Dialogangebot“ der Partei „totläuft“91 , ohne Veränderungen zu bewirken. Eine Woche später wird daher beim Friedensgebet verkündet, der Rat der Stadt habe Vertreter christlicher Gemeinden um Übernahme der Verantwortung „für den Dialog dieses Tages draußen“92 gebeten. Skepsis gegenüber staatlicher Dialogbereitschaft sei angebracht, wenn Politiker einen solchen plötzlich forderten, die ihn zuvor nie gesucht hatten.93 Wie solle man da vertrauen, solange sich die SED an die Macht klammere?94 Gegen solcherlei Bedenken predigt Göbel am 1. November 1989 im Greifswalder Friedensgebet: „Sind das wirklich nur Scheindialoge, im Rathaus und anderswo, oder sind diese stolpernden Schritte nicht doch ernstgemeint?“95 Nicht als „Konzession an das Volk“ dürfe der Dialog nun geführt werden, sondern als „Begegnung zwischen Menschen zur Benennung der tatsächlichen Realität. Das wäre die Grundvoraussetzung einer wahren Demokratisierung.“96 , konstatiert Fritz am selben Tag in Neubrandenburg. Gauck benennt ebenfalls am 1. November 1989 in Bad Doberan denselben Gegensatz „echte Dialogbereitschaft“ kontra „vertuschtes Gehabe“97 . Häufig kommen in den Predigten Wendeneologismen vor wie „Montagsdemo“ und „Wendehals“.98 Insgesamt herrschte in den Gottesdiensten eine vollkommen andere Sprache als die der bis dato regierenden Partei und ihrer Ideologie. Deren Floskeln wurden insgesamt wenig und dann in kritischer Auseinandersetzung in den analysierten Predigten gebraucht. Stattdessen wurden neue Formeln eingeführt. Die prominenteste unter ihnen war neben der Attestierung der „Mündigkeit“99 die Ernst Blochsche Rede vom „aufrechten Gang“. Insgesamt 16 Mal taucht dieses Bild ab dem 19. Oktober 1989 auf in zehn Sonntagspredigten und sechs Friedensgottesdiensten. Ganz un86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99
Gauck, Predigt am 30.11.1989, 3. Heydenreich, Geschichte, 54. Wackwitz, Fürbitte am 18.10.1989; Vgl. ders., Ansprache am 8.11.1989, 1. Vgl. Gauck et al., Predigt am 9.11.1989, 4. Wackwitz, Predigt am 15.10.1989, 5. Heydenreich, Geschichte, 54. Ebd., 56. Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 29.10.1989, 2; Vgl. Gauck et al., Predigt am 2.11.1989, 1. Vgl. ders., Predigt am 9.11.1989, 3. Tuve / Göbel, Dialogpredigt am 1.11.1989, 26. Heydenreich, Geschichte, 62. Gauck, Friedensgebet am 1.11.1989. Vgl. Hellmann, Sprache, 110; 112f. Vgl. dazu den vorherigen Abschnitt zur Theologie Bonhoeffers Abschnitt 4.3.
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terschiedliche Erfahrungen werden damit beschrieben: „Und obwohl das Leben uns gebeugt hat oder in die Knie zwingen will, sind wir aufrecht geblieben!“100 , bestätigt Riemann den Neubrandenburger Christen am 12. November 1989. Dagegen beklagt ein mecklenburgischer Pastor eine Woche später, dass man den Kindern mit dem Verzicht auf die Konfirmation „das Beste“ genommen habe: „Das gute Gewissen, den aufrechten Gang, die ehrliche Meinung!“101 Insbesondere der Lernprozess des Herbstes 1989 wird zwischen dem 19. Oktober 1989 und 24. Dezember 1989 mit dem „aufrechten Gang“ identifiziert. Dieser sei das den Menschen bestimmende Merkmal und müsse nun gelernt werden.102 Oder der Erfolg wird festgestellt: „Aufrecht gehen wir.“103 Im Januar 1990 predigt Lohse in der Rostocker Donnerstagandacht darüber, wie schwer das aufrechte Gehen manchem noch immer falle, sodass eine „1. Reihe der Aufrechten“104 die Hauptlast zu tragen habe. Ab Februar 1990 symbolisiert der „aufrechte Gang“ die Haltung der Bürger während der friedlichen Revolution: „Wir haben oft von aufrechtem Gang und vom Ende der Sprachlosigkeit geredet.“105 , erinnert Lohse Ende März 1990. Und Propst Schmidt fragt in Bad Doberan am 28. Februar 1990, ob „wir uns den aufrechten Gang als die glückliche Erfahrung dieser Tage bewahren“106 werden. Grundsätzlich steht der „aufrechte Gang“ für menschliche „Würde“107 , eine „offen(e)“108 und „ehrliche Meinung“109 . Er ist das Gegenteil vom „Krümmen und Bücken, [...] Kriechen und Speichellecken“110 , vom „Gang des Gehorsams“111 . Neuberts Feststellung konnte somit exemplarisch in den analysierten Predigten bestätigt werden: Die Menschen entlarvten politische Leerformeln und fanden zu einer eigenen Sprache. Sie warfen die „verlogene, ideologisch-verquaste, steriluniformierte Sprache der SED-Diktatur ab“ und machten sich „mündig in einem und mit einem eigenen Sprechen“112 .
100 101 102
103 104 105 106 107 108 109 110 111 112
Riemann, Predigt am 12. 11.1989, 64. Nath, Predigt am 19.11.1989, 3. Vgl. Gauck, Predigt am 19.10.1989, 2; Vgl. Gauck / Heldt / Leefhelm, Predigt am 26.10.1989, 3; Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 5.11.1989, 1; Vgl. Wolter, Predigt am 5.11.1989, 1; Schumacher, Hälse; pl5165t9.12.1989; Vgl. Wolter, Predigt am 24.12.1989, 1; Vgl. P/L/17-30/T, Predigt am 24.12.1989, 3. Springborn, Predigt am 24.12.1989, 1. Lohse, Predigt am 11.1.1990, 1. Ders., Predigt am 22.3.1990, 5. Schmidt, Predigt am 28.2.1990, 1. P/L/17-30/T, Predigt am 5.11.1989, 1. pl5165t9.12.1989. Nath, Predigt am 19.11.1989, 3. Springborn, Predigt am 24.12.1989, 1. P/L/17-30/T, Predigt am 24.12.1989, 3. Neubert, Revolution, 18.
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Die Predigten
4.5 Wie landeskirchlich geprägt war die friedliche Revolution im Norden der DDR anhand dieser Ergebnisse? Bei einem vergleichenden Ansatz zwischen zwei kirchenpolitisch unterschiedlich geführten und bewerteten Landeskirchen wie der ELLM und der ELKG wird zunächst vielleicht ein möglichst spektakuläres Ergebnis erhofft à la „Gut gegen Böse“. Die vorliegende Studie kann mit solch wirkungsvollen Kontrasten jedoch nicht aufwarten. Vielmehr zeigen die Predigten, welch geringen Einfluss die Landeskirchenpolitik auf Verkündigungsinhalte hat(te). Zwischen mecklenburgischen und pommerschen Predigten ist kein landeskirchlich zu begründender Unterschied festzuhalten, vielmehr hängen die theologischen und politischen Meinungen vom individuellen Pastor und in ganz besonderem Maße von seinem Alter ab. Zwischen den über und unter 50-Jährigen herrscht zu allererst ein Generationenunterschied aufgrund einer völlig neuen Sozialisierung der jüngeren Generation in der DDR. Dies spielt, wie sich in den Predigten zeigen ließ, eine weitaus größere Rolle als theologische Konzeptionen, die, am Beispiel der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre illustriert, durch die Generationen hindurch ganz unterschiedlich interpretiert werden konnten. Theologische Selbstautorisierung bleibt in diesem Fall ein seitens der Kirchenleitung vielleicht erwünschtes, aber einflussloses Konstrukt. Ganz praktisch lässt sich an den Predigten die viel beschworene, notwendige Differenzierung zwischen kirchenleitendem Agieren und Gemeindeleben ablesen. Der offizielle Staatskurs der ELKG und ihres Bischofs Gienke spiegelt sich bis auf eine Ausnahme nicht in den pommerschen Predigten wider. Bei aller Berechtigung des Urteils von Rahel von Saß, die ELKG sei einen „Greifswalder Weg“ gegangen, kann dies für die predigenden Pastoren nur im übertragenden Sinne gelten: Zum „Greifswalder Weg“ gehörte es für viele Pfarrer eben auch, kritisch gegen Staat und eigene Landeskirche zu predigen und sich in ihrer Meinung keinen Maulkorb durch das Konsistorium umbinden zu lassen. Kritische Äußerungen erforderten in der DDR immer Mut, in einer von kirchenleitender Seite eher staatsloyalen Landeskirche sogar noch etwas mehr, weil der bischöfliche Rückhalt nicht bedingungslos gegeben war. Daher wird das abschließende Fazit über die landeskirchlichen Grenzen hinaus für ELLM und ELKG gemeinsam formuliert: Den jüngeren Pastoren erging es größtenteils so, wie den übrigen Bürgerrechtlern in der gesamten DDR. Diejenigen, welche die Revolution begonnen hatten, wurden schließlich vom erst durch sie mobilisierten Volk überstimmt. Wolf Krötkes Einschätzung gilt daher für die jüngeren Pastoren der ELLM und ELKG uneingeschränkt: „Die Christen und die Kirche haben sich durch die Jahre hindurch für einen ‚besseren Sozialismus‘ eingesetzt. Zuerst wollte ihn die SED nicht, und am Schluß wollte ihn das Volk nicht mehr. Es gibt deshalb auch unter Christen bis heute so etwas wie Enttäuschung über das ‚Volk‘. Die Leitidee eines humanen Sozialismus, die in der Opposition eine so wichtige Rolle gespielt hatte, prägte nur wenige Menschen.“113 113
Krötke, Kirche, 535.
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Bis zum Sturz des Regimes und der Versiegelung der Stasi am 4. Dezember 1989 in Rostock und Greifswald nahmen kirchliche Mitarbeiter und engagierte Christen eine Vorreiterrolle ein. In christlichen Kreisen und Räumen wurden Informationen verbreitet, Forderungen verschiedenster Gruppen und Bewegungen verlesen. Setzten sich zunächst alle für eine demokratische DDR ein, wurde diese Idee nach dem Mauerfall konkretisiert. Eine eigenständige Entwicklung, einen „dritten Weg“ neben den Alternativen des real existierenden Sozialismus und dem Kapitalismus wollte man gehen. Gemeinsam mit dem Volk auf der Straße sollte eine demokratisierte, erneuerte, aber weiterhin sozialistische DDR geschaffen werden. Mit der sichtbar näher rückenden Auflösung des alten Regimes schwenkte die Stimmung vieler Menschen um. Statt neuerlicher Experimente wollten sie Anteil haben am westlichen Leben und Wohlstand. Gleichzeitig erwies sich die wirtschaftliche Lage der DDR als katastrophal – die Forderungen nach einer deutschen Einheit wurden nun auch politisch als einzig denkbares Szenario verhandelt. Als das Volk begann, diese zu fordern, stieß das bei den meisten Predigern zunächst auf Ablehnung. In den ersten Monaten Anfang 1990 kämpften viele Pastoren, besonders die unter 50-Jährigen, noch dagegen an und versuchten, die Menschen umzustimmen. Schon im Februar nahmen die Bedenken der Prediger peu à peu ab. Allmählich versuchten sie, das in Richtung Bundesrepublik vorgepreschte Volk wieder einzuholen. Nach den Volkskammerwahlen waren sie zwar ob des schlechten Abschneidens der Bürgerbewegungen enttäuscht, begrüßten aber die Schritte zur deutschen Einheit im Nachhinein. Bei den über 50-Jährigen ergibt sich ein anderes Bild: Sie plädierten zumeist spätestens ab Anfang 1990 für eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten und waren tendenziell sozialismuskritisch. Am Untergang des real existierenden Sozialismus im Herbst 1989 hatten die evangelische Kirchen im Norden der DDR wie auch im Rest des Landes in Form ihrer Mitarbeiter und Gemeindeglieder einen maßgeblichen Anteil. Den weiteren Weg rezipierten die meisten Prediger nur noch. Damit erging es ihnen ähnlich wie Vertretern einer kritischen DDR-Literatur, die sich ebenfalls „spätestens seit dem Frühjahr 1990 in einer Nachtrabsituation“114 wiederfanden.
114
Emmerich, Intelligenz, 79.
C. Gott – Geschichte – Predigt 1. Vorbemerkungen Das Kapitel hat dreierlei Funktion. Erstens erfolgt eine kurze Klärung der geschichtstheologisch relevanten Begriffe „Heilsgeschichte“ und „Wunder“. Zweitens werden die heilsgeschichtlichen Interpretationen in den untersuchten Predigten in einen historischen Zusammenhang gestellt und im Spiegel dessen auf theologische Muster hin untersucht. Drittens wird anhand von norddeutschen Predigten, Radioandachten und kirchlichen Zeitungsartikeln zwischen 1990 und 2010 nachgezeichnet, wie sich der Blick auf die friedliche Revolution veränderte und welche Motive den innerkirchlichen Erinnerungsdiskurs an 1989/90 bestimmen. „Heilsgeschichte“ wird im Folgenden verwendet für den Versuch, „die Gesamtwirklichkeit als Gottes Heilshandeln in der Geschichte zu erfassen.“1 Auch wenn Friedrich Mildenberger zuzustimmen ist, dass dies ein „keineswegs selbstverständliches Wirklichkeitsverständnis“2 widerspiegelt, so findet sich die Idee der sich zum Höchsten entwickelnden Geschichte in allen historischen Rahmenbedingungen der in dieser Arbeit betrachtetem Zeiten. Der theologiegeschichtlich relativ junge Begriff der Heilsgeschichte aus dem 19. Jahrhundert setzt die Verwendung des Geschichtsbegriffs im Kollektivsingular voraus. Entstanden im Zuge der Aufklärung, vermittelt er die Vorstellung von „Geschichte als einem im ganzen fortschreitenden sinnvollen Prozeß“3 , gekennzeichnet durch stete Entwicklung zum Höheren. „Geschichte“ übernimmt damit die Rolle des Vorsehungsbegriffs, wird selbst zum Subjekt der gubernatio mundi und bekommt göttliche Epitheta wie allmächtig und allweise zugeschrieben. Sie „richtet“ und „vollstreckt“ oder erteilt die „Gnade der späten Geburt“.4 Geschichte verkörpert im Sprachgebrauch damit teilweise eine quasi göttliche Macht. Besser greifbar als der Begriff der Heilsgeschichte ist der Wunderbegriff, der als Explikation von Gottes Heilshandeln verstanden wird und im 20. Jahrhundert Konjunktur hatte.5 Obgleich er im Alltag meist in seiner profanen Konnotation als „herausragendes, überraschendes Ereignis“ verwendet wird, haftet ihm häufig eine transzendente Dimension an. Für ein religiöses Wunderverständnis ist es, unabhängig von der Auslegung des eigentlichen Wunders (ob augustinisch „gegen die Natur, so wie sie uns bekannt ist“ oder mit Schleiermacher als „Frage der Anschauung, nicht objektivierbarer Ereignisse“6 , notwendig, einen klaren 1 2 3 4 5 6
Mildenberger, Heilsgeschichte, 1585. Ebd., 1586. Ebd., 1584. Vgl. Beintker, Frage, 445. Vgl. den Bericht von Fix, Jahrhundert über die den Wunderbegriff erhellende Tagung 2006. Fitschen, Deutung, 90f.
Vorbemerkungen
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Gottesbezug herzustellen.7 Um ein Wunder als religiös gedeutet zu interpretieren, muss Gott als Urheber desselben gelten. Daher mache ich mir Dirk Evers’ Definition zu eigen: „Als Wunder im eigentlichen Sinne sind diejenigen Unterbrechungen geschichtlicher menschlicher Zusammenhänge zu bezeichnen, die der Glaube als heilvolle, befreiende Ereignisse in Gottes Zusammensein mit dem Menschen bekennt, ohne dass dadurch notwendigerweise der Zusammenhang natürlicher Gesetzmäßigkeit als aufgehoben angesehen werden muss.“8 Für den Wundergebrauch innerhalb von Predigten wird ein solcher Gottesbezug, sofern er nicht explizit genannt wird, implizit vorausgesetzt als zu erwartender christlicher Deutehorizont. Der folgende Abschnitt steht unter dem Anspruch, heilsgeschichtliches Predigen in der deutsch-protestantischen Geschichte in groben Zügen zu umreißen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit den theologischen Geschichtsinterpretationen 1989/90 aufzuzeigen und Forschungsdefizite zu benennen. Leider gibt es zu diesem wichtigen Thema noch keine Gesamtdarstellung,9 sondern lediglich Arbeiten zu Predigten und Publizistik im Kontext geschichtlich wichtiger Ereignisse wie beispielsweise dem dreißigjährigen Krieg, der Revolution von 1848, der Gründung eines deutschen Nationalstaates 1871 und zu den beiden Weltkriegen. Hinzugezogen wurden auch mangels ausführlicher Predigtstudien aus den Jahren 1933–1945 veröffentlichte Predigten aus Kreisen der „Deutschen Christen“ (DC), der Deutsche Evangelische Kirche (DEK) und der „Bekennenden Kirche“ (BK). An dieser Stelle kann lediglich ein keine Vollständigkeit beanspruchender Überblick in Form eines kurzen Literaturspiegels gegeben werden mit Hinblick auf heilsgeschichtliche Deutungen in Predigten. Die gewonnenen Erkenntnisse werden sodann erkenntnisorientiert mit den Analyseergebnissen der Predigten von 1989/90 verglichen. In einem zweiten Schritt werden retrospektive Deutungen der friedlichen Revolution mit Hilfe von norddeutschen Predigten, Radioandachten und geistlichen Impulsen in den Kirchenzeitungen der beiden Landeskirchen im Zeitraum 1990 bis 2010 analysiert unter folgenden Aspekten: Welche Rolle nehmen die Ereignisse von 1989/90 in Predigten ein? Kann von einer identitätsstiftenden Funktion gesprochen werden? Wird die Nachwendegeschichte ebenfalls heilsgeschichtlich interpretiert?
7 8 9
Vgl. Lehmann, Reden, 101. Evers, Wunder, 28. Heinecke, Konfession bietet zwar einen Überblick über politische Erfahrungen und Traditionen innerhalb des deutschen Protestantismus seit 1871, thematisiert allerdings kaum geschichtstheologische Implikationen.
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2. Geschichtlicher Überblick: Heilsgeschichtliche Interpretationen im deutschen Protestantismus 2.1 30-jähriger Krieg Silvia Serena Tschopp analysierte 1991 heilsgeschichtliche Deutungsmuster in der Publizistik des 30-jährigen Krieges. Dabei kam sie zu dem Schluss, dass damals seitens der protestantischen Theologen konservative und konventionelle Geschichtsbilder verwendet wurden, die von „Zeitgenossen als adäquate Form der Wahrnehmung von Wirklichkeit anerkannt“10 waren. Geschichte wurde grundsätzlich als universales Weltgeschehen im Sinne einer „göttlich determinierten Ordnung“11 interpretiert, Geschichte also gleichgesetzt mit Heilsgeschichte. Der irdische Ablauf der Dinge erhält seinen religiösen Sinn durch das die Geschichte transzendierende Heil. Not und Leiden sind dann keineswegs zufälliger Natur, sondern können entweder als Strafe Gottes innerhalb eines Tun-Ergehens-Zusammenhanges oder als Überhandnehmen des Bösen in der Welt interpretiert werden. Frieden und Fortschritt sind in diesem dualistischen Verständnis identisch mit göttlicher Segenshandlung. 2.2 Zeit des deutschen Vormärz Zur Geschichtsdeutung innerhalb der protestantischen Erweckungsbewegung arbeitete Jan Carsten Schnurr ausführlich.12 In der Zeit des deutschen Vormärz (1830–1848) sahen viele Erweckte die Weltgeschichte als komplexe Kirchengeschichte und diese wiederum als „eine große Missionsgeschichte“13 . Der Mensch ist in dieser Weltsicht kein passiver Zuschauer, sondern zeichnet mit verantwortlich für die missionarischen Erfolge in der Welt. Ethische Fehltritte werden durch entsprechendes Gerichtshandeln Gottes geahndet, rechtes Verhalten belohnt. Geschichte vollzieht sich entsprechend eines organischen Entwicklungsgedanken linear und ist Schauplatz der planenden „Hand Gottes“. Mit Gottes Vorsehung sei stets zu rechnen, auch wenn sie häufig nicht zu entschlüsseln sei. Ansatz und Klammer der Weltgeschichte sind das Reich Gottes, „die im Alten Bund vorbereitete, mit Christus angebrochene und zugleich noch zukünftige Königsherrschaft Gottes“14 , ihr Schlüssel ist Jesus Christus.
10 11 12 13 14
Tschopp, Deutungsmuster, 300. Ebd., 277. Vgl. Schnurr, Weltreiche; Schnurr / Breul, Geschichtsbewusstsein; Schnurr, Geschichtsdeutung. Ebd., 361. Ebd., 365.
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2.3 Deutsch-Französischer Krieg und Reichsgründung 1870/71 Die deutsche Kaiserkrönung in Versailles am 18. Januar 1871 in Form einer militärkirchlichen Andachtsfeier bedeutete nicht nur den Beginn eines deutschen Nationalstaates. Für den evangelischen Hofprediger Bernhard Rogge war sie auch Zeichen für den Sieg des Protestantismus über den Katholizismus in Deutschland, für alle sichtbar im preußischen, protestantischen Kaisertum.15 Damit sprach er der Mehrheit des deutschen kirchlichen Protestantismus aus der Seele.16 Der der Kaiserproklamation vorausgehende deutsch-französische Krieg wird in Kriegspredigten als „bellum iustum“ oder „Notkrieg“ im lutherischen Sinne gerechtfertigt, den Frankreich dem schuldlosen Deutschland aufzwang.17 Zunächst habe zwar noch eine Deutung des Krieges als Strafe Gottes überwogen, doch im Verlauf der kriegerischen Auseinandersetzungen wurde die politische Semantik der Erbfeindschaft theologisch überhöht.18 Frankreichs Niederlage gilt den Predigern als „Barmherzigkeit des Herrn“19 , der die deutsche Opferbereitschaft und Hingebung gnädiglich ansieht. Zugleich wird der Sieg über die Franzosen auch als der „nun endgültige Sieg des Protestantismus über den Katholizismus gefeiert“, der in protestantischen Augen gerade vermittels der päpstlichen Infallibilitätserklärung des ersten Vatikanums „seine geistige Rückständigkeit und theologische Verwilderung“20 demonstrierte. Der Krieg war damit Gottes Antwort auf die menschliche Selbstüberhebung des Papstes und der katholischen Bischöfe. Aus deutscher Sicht steht Frankreich wie kein anderes Land für den Katholizismus des 19. Jahrhunderts. Autokratischer Papalismus und ebensolches Kaisertum sind für deutsche Protestanten „realgeschichtliche Ausdrucksformen des antichristlichen Prinzips.“21 Paris ist gleich Babel.22 Das mit „französischem Geist“ verbundene Konglomerat an Begriffen ist genauso unbestimmt wie umfangreich und symbolisiert eine diffuse Angst vor dem Fremden. Aufklärung, Rationalismus, Atheismus, aber auch Natur- und Menschenrechte finden sich darunter, Religionskritik, Christusfeindschaft und Kirchenhass ebenso wie Absolutismus und Imperialismus und deren Gegenteile Parlamentarismus, Demokratismus, sogar Sozialismus und Kommunismus. Zusammengefasst sind es „Emanationen der einen großen Ursünde“23 von 1789. Kaiser Gottfried Friedrich Wilhelm I wird in Antithese dazu ”zum Urbild eines frommen Christen, [...] demütigen Herrschers und [...] Beschützers der Kirche”24 stilisiert. Kirche und Staat bekämpften folglich denselben Gegner in Gestalt des atheistischen Sozialismus.25 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Vgl. E.P.D., Predigt, 55. Vgl. Brakelmann, Protestantismus, 37. Vgl. ebd., 15. Vgl. Wischmeyer, Inszenierungen, 24f. Ebd., 27. Brakelmann, Protestantismus, 21. Ebd., 23. Vgl. ebd., 31. Ebd., 26. Ebd., 36. Vgl. ebd., 40.
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Rogges Predigt bietet Geschichtstheologie, „doch unaufgeregt und mit theologisch-ethischen Kautelen.“26 Der preußische und deutsche König sei ein Werkzeug Gottes, somit erkenne das gläubige Auge „die preußische Geschichte als ein zielgerichtetes göttliches Handeln.“27 , kulminierend in der Kaiserproklamation. Damit bot Rogges Ansprache das Grundgerüst für eine „teleologische Erzählung der preußisch-hohenzollerschen Geschichte“28 So sei Versailles zugleich Gottes Gnade für die rechtgläubigen Deutschen und „Strafgericht über jene [...], die einst das Schloß von Versailles zum“ Götzentempel der irdischen Majestät „machten und ihrer eigenen Kraft vertrauten.“29 Gott selbst habe den Deutschen gegen die verirrten Franzosen den Sieg errungen. Die Gegenwart fasst Rogge mit Ps 126,3 zusammen: „Der Herr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich!“30 „Gott mit uns“ war Realitäts- und Wunschaussage zugleich”31 und bedeutete realpolitisch „Gott gegen Frankreich“. Die gut 40 Jahre später populäre Schlussfolgerung eines auserwählten deutschen Volkes findet sich allerdings noch selten in den Predigten um 1870/71, so Wischmeyer.32 In seiner Lokalstudie zu politischen Mentalitäten in Deutschland und Frankreich am Beispiel Westmittelfrankens und der Corrèze beschreibt Manfred Kittel auch die Reaktionen der fränkischen Lutheraner auf die innere Reichsgründung unter Preußens Führung. Wilhelm Löhe habe z.B. in Neuendettelsau ein prachtvolles Sieges- und Friedensfest veranstaltet. Insgesamt seien die Pastoren vom „Sieg Wittenbergs über das Babel Paris“ und von Gottes Spur ”von 1517– 1871„ überzeugt gewesen. Das Leitbild Thron und Altar wurde zur Trias von “Thron, Nation und Altar”.33 Wenige Monate später forderte Friedrich von Bodelschwingh in einem Flugblatt vom 27. Juni 1871 einen „Sedantag“ am 2. September, dem Jahrestag des Sieges von Sedan 1870. Damals habe „die Hand des lebendigen Gottes so sichtbar und kräftig in die Geschichte eingegriffen, daß es dem Volke gerade bei diesem Gedenktag am leichtesten in Erinnerung zu bringen sein wird, wie Großes der Herr an uns gethan hat.“34 Langfristig setzte sich der Sedantag als inoffizieller Nationalfeiertag durch.35 Predigten an diesem Tag erinnerten ihre Hörer an die Großtaten deutscher Geschichte mit der Absicht, die „Dekadenz der Friedenszeit“ zu überwinden und das Volk zurück zum „christlichen und patriotischen Denken im Sinne der Kriegszeit“36 zu bringen.
26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36
Wischmeyer, Inszenierungen, 18f. E.P.D., Predigt, 55. Wischmeyer, Inszenierungen, 18. E.P.D., Predigt, 55. Wischmeyer, Inszenierungen, 18. Brakelmann, Protestantismus, 17. Vgl. Wischmeyer, Inszenierungen, 25. Kittel, Provinz, 74. Abgedruckt bei Michel, Wirken, 89. Vgl. Wischmeyer, Inszenierungen, 35f. Brakelmann, Protestantismus, 38.
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2.4 Erster Weltkrieg: 1914–1918 Während des Krieges, im Jahr 1915, wertete der Pfarrer Franz Koehler 800 protestantische Kriegspredigten seit Kriegsbeginn aus. In fünf Kapiteln untersuchte er 38 thematische Fragestellungen37 : Weil Gott allgegenwärtiger und allwirksamer Weltenlenker ist, entspricht auch der Krieg Gottes unhinterfragbarem politischen Geschichtswillen und ist „opus proprium Gottes“38 . Daher ist er Instrument Gottes zur Durchsetzung seiner irdischen Heilsabsichten. Fragen nach der Verantwortung und den Kriegsmitteln erübrigen sich. Relevant ist nicht die erlebte Wirklichkeit der Soldaten, sondern Gottes Wille, den alle Prediger zu kennen meinten. Deutschland muss sich als friedlichstes, frömmstes Volk ”auf der höchsten Geistes- und Kulturstufe”39 gegen seine und damit Gottes Feinde wehren. Der Krieg ist Gottes Weltgericht mithilfe der dazu auserwählten Deutschen. Er ist nach außen und innen Erzieher zu tiefer Gläubigkeit und unverbrüchlichem Gemeinschaftsgeist statt störendem Individualismus. Von Christus ist in den Predigten 1914/15 selten die Rede; wenn überhaupt, dann als Heerführer und Krieger. Im Mittelpunkt steht zumeist der allmächtige Gott im Himmel. An Bedeutung gewinnt die Rede vom Volk als Teil der Schöpfungsordnung, „interpretiert als eine natürliche und geschichtliche Größe besonderen Ranges und Wertes.“40 , kulminierend in einer „großen Synthese von Deutschtum und Christentum“41 . 1964 verfasste Wolf-Dieter Marsch einen Aufsatz über politische Predigten zum Kriegsbeginn 1914/15.42 Darin analysierte er prägnant das heilsgeschichtliche Verständnis des Krieges als „große Stunde der schon zerbröckelnden evangelischen Volkskirche“43 . Die neue Aufgabe der Kirche habe nun darin bestanden, die Menschen in ihrer neu erwachenden patriotischen Gesinnung zu bestärken, rückgreifend auf eine Tradition, „wie sie dem deutschen Protestantismus seit Pietismus und Erweckungsbewegung nahe gelegen hat und wie sie in der nationalen Stunde der deutschen Befreiungskriege ihre Triumphe feierte: In dem geschichtlich-kontingenten Schicksal der Gemeinschaft des Volkes, der Nation, des Vaterlandes erlebte man Gottes Führung, die Hingabe, Dienst, religiös verklärtes Opfer forderte.“44
In der Mehrheit entsprechend einmütig lautete der kirchliche Aufruf zum Kriegsdienst als praktischem Gottesdienst.45 Gott, so erschien es 1914/15 in den Predigten, rede eine Sprache der Tatsachen und wirke durch Persönlichkeiten wie den deutschen Kaiser.46 Eine solche Identifikation des Bestehenden mit Gottes Taten 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46
Vgl. ebd., 142–162. Ebd., 143. Ebd., 146. Ebd., 158. Ebd., 159. Marsch begann sein Theologiestudium 1946 in Greifswald, siedelte dann aber in die BRD um. Marsch, Predigt, 521. Ebd., 522. Vgl. ebd., 523. Vgl. ebd., 528f.
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Gott – Geschichte – Predigt
befremde heute, so Marsch 50 Jahre nach Beginn des ersten Weltkrieges. „Die andere Möglichkeit politischer Aussage - Verunsicherung des Bestehenden, politische Kritik [...] – kam als Aussagemöglichkeit der Kirche gar nicht ins Blickfeld.“47 Marsch forderte daher zukünftig eine „größtmögliche Zurückhaltung gegenüber allen heilsgeschichtlichen Analogien, gegenüber aller unmittelbaren Erinnerung daran, daß es Gottes Stunde sei, was man gegenwärtig erlebt.“48 Denn das hieße, die trennende Distanz zwischen Gottes Wort und Taten und dem Erfahren politischer Geschichte fälschlicherweise zu ignorieren. Drei Jahre später veröffentlichte Wilhelm Pressel 1967 seine Dissertation zu deutschen Kriegspredigten zwischen 1914 und 1918. Gott, so glaubte es 1914 die Mehrheit der Deutschen in Fortführung national-protestantischen Denkens, redet durch die Geschichte zu seinem deutschen, erwählten Volk. „In der Übertragung des biblischen Erwählungsgedankens auf das deutsche Volk“49 erfolgte eine totale Vermischung von Geschichte und Heilsgeschichte. Wieder wurden einem friedlichen Herrscher und seinem Volk ein Krieg von außen vollkommen unverschuldet aufoktroyiert, überzeugte Kaiser Friedrich Wilhelm II die Deutschen. Hauptschuld trügen das hinterlistige England, das dekadente Frankreich und das kulturlose Russland.50 Mit gutem Gewissen könnten sie deshalb in den vor Gott gerechten Verteidigungskrieg ziehen und sich ihres Sieges gewiss sein. Denn die Feinde der Deutschen sind auch Gottes Feinde, Gott selbst ist der „himmlische Führer der Schlachten“. Daher hat Gott den Deutschen die Führungsrolle in der Welt zugedacht. Der vielbeschworene „Geist von 1914“ erschien folgerichtig als Wirkung des heiligen Geistes, durch den alle innenpolitischen Spannungen ständischer und konfessioneller Natur mit Kriegsbeginn „wie durch ein Wunder“ aufgehoben wurden.51 Der nur kurz währende „Burgfrieden“ zwischen den politischen Parteien im Kaiserreich wurde ebenso darauf zurückgeführt, wie die Entstehung einer neuen deutschen, inklusiven „Volksgemeinschaftsidee“, die plötzlich als realistische Utopie gehandelt wurde. Nicht mehr Individualinteressen, sondern der Gesamtwille des einheitlichen Volksorganismus sollte politisch verpflichtend sein. Entsprechend, so erhofften es sich die meisten Intellektuellen, sollte eine überparteiliche Regierung aus Fachbeamten und Experten gebildet werden.52 Jene „Ideen von 1914“ bedeuteten, wie schon 1870/71, die ”Überwindung der „Ideen von 1789“”53 : Individualismus, Kapitalismus und Materialismus. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit standen die deutschen Gegenwerte „Deutsche Freiheit“ samt überindividueller Bindung an die Nation, „Kameradschaft“ statt „Gleichmacherei“ und „nationaler Sozialismus“ gegenüber.54 47 48 49 50 51 52 53 54
Marsch, Predigt, 525. Ebd., 534. Pressel, Kriegspredigt, 347. Brakelmann, Protestantismus, 145. Vgl. Pressel, Kriegspredigt, 11–15. Vgl. Bruendel, Solidaritätsformel, 44–47. Ebd., 39. Vgl. ebd., 41f.
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Die anfängliche Euphorie 1914 war somit weniger Kriegs- als „‚Selbstbegeisterung‘ über die Einheit des Volkes in der Stunde der Gefahr.“55 In dieser Mystifizierung des Krieges durch die „Augustlegende“, lag letztlich, so beschreibt es Boris Barth überzeugend, schon der Keim für die „Dolchstoßlegende“.56 Sie war die einzig logische, systemimmanente Antwort: Was mit religiöser und moralischer Erhebung begonnen hatte und deshalb garantiert einen Sieg zur Folge hätte haben müssen,57 konnte nur wiederum aus religiösen und moralischen Ursachen scheitern. Dabei wurde die „Selbstoffenbarung Gottes unter Berufung auf das AT weitgehend mit dem Geschichtsprozeß als solchem gleichgesetzt [...].“58 Über konfessionelle und religiöse Grenzen hinweg wurde ähnlich gepredigt, sodass Pressel von einer „Weltkriegstheologie“ spricht, die nur noch aufnahm, „was gleichsam in der Luft lag.“59 Alttestamentliche Bibeltexte erschienen als zeitgemäße Predigttexte: „Man glaubte, den geschichtspantheistischen und militaristischen Gottesgedanken der Kriegstheologie im AT wiederzufinden.“60 Neutestamentlich wurden vor allem paränetische Texte ausgewählt, während Wundergeschichten und eschatologische Abschnitte kaum Verwendung fanden. Insgesamt herrschte in den Predigten zwischen 1914 und 1918 ein „Primat der Ethik“61 , das besonders die sittliche Bedeutung Jesu hervorhob. Die religiössittliche Erneuerung und der Glaube des Einzelnen galten als Voraussetzung für eine nationale Wiedergeburt und den Sieg im Krieg.62 Natürliche Kehrseite dieses Denkens war die „Herabsetzung und Verteufelung der Gegner“63 . Geschichtstheologische Aussagen bildeten fortan das Zentrum der Predigten und Gebete.64 Ein Endsieg stand nie zur Debatte, an ihn glaubten die meisten Prediger und ihre Hörer bis 1918.65 Jener christlich national-konservativen, konsequent antidemokratischen und antisozialistischen Gruppe der Siegfriedenbefürworter, in deren Fahrwasser sich auch die offiziellen Kirchenorgane bewegten, stand eine kleine national- und sozialliberal denkende Gruppe von Protestanten gegenüber, die sich ab 1917 für Friedensverhandlungen sowie soziale und politische Reformen einsetzten.66 Von der Mehrheit der protestantischen Prediger hingegen wurde die Niederlage ganz im Modus der Kriegstheologie interpretiert: Gott wollte den Sieg, die Deutschen erwiesen sich jedoch als unwürdig und fielen der ungeschlagenen Armee an der Heimatfront in den Rücken. Die „Dolch55 56 57 58 59 60 61 62 63 64 65 66
Ebd., 38. Vgl. Barth, Dolchstosslegenden, 340. Vgl. Bruendel, Solidaritätsformel, 38. Pressel, Kriegspredigt, 16. Ebd., 20f. Ebd., 41. Ebd., 202. Vgl. ebd., 205–216. Ebd., 348. Vgl. Brakelmann, Protestantismus, 79–92. Vgl. ebd., 103. Vgl. ebd., 196–199.
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stoßlegende“ war als konsequente Folge der während des Krieges gepredigten Geschichtstheologie geboren.67 Neben dem Offizierskorps hat „keine Institution derart selbstverständlich und offen eine eigenständige Version der ‚Dolchstoßlegende‘ entwickelt und fortwährend propagiert.“, wie die katholischen und evangelischen Kirchen. Ein theologischer Transzendenzverlust führte dazu, die propagierten höheren Werte innerweltlich normativ verwirklichen zu wollen. Hierdurch standen viele Nationalprotestanten in permanenter Gefahr, „in einen Kult des Nationalen abzugleiten“68 . Den ideologischen Nährboden bildete hierfür das „Geschichtsbild des deutschen Bürgertums zur Zeit des zweiten Kaiserreichs“, dessen geistige Ahnen Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt und Georg Wilhelm Friedrich Hegel waren. In Anlehnung an die Philosophie des deutschen Idealismus und in Aufnahme des Gottesverständnisses von Albrecht Ritschl wurde von Gott als „Lenker der Geschichte gepredigt, der die Entwicklung der Menschheit planmäßig ihren sittlichen Endzweck zuführt“69 . Geschichte galt als ein Mittel Gottes zur Erziehung der Menschheit und zur Verwirklichung des Reiches Gottes, zu dessen Durchführung er sich ausgewählter Menschen bediente. Das Zeitgeschehen konnte gleichgesetzt werden mit Gottes Wollen und Wirken.70 Geschichte war demnach selbst eine Offenbarungsform des göttlichen Geistes. Der lutherische Protestantismus galt „als dem deutschen Wesen gemäßeste Form des Christentums“, gemeinsam mit der Überzeugung, dass „der ständisch gegliederte, preußisch-deutsche Machtstaat die deutsch-protestantischem Denken adäquateste Staatsform sei, sowie der Glaube an die kulturelle und religiöse, gelegentlich auch an die rassische Überlegenheit des deutschen ‚Volksgeistes‘.“71 Nach Herder hatte die Reformation als eigentlicher Beginn der deutschen Geschichte zu gelten. Die Vorstellung einer historischen Ideenkette „von Luther zu Otto von Bismarck“ wurde zum grundlegenden deutschen Geschichtsbild im ausgehenden 19. Jahrhundert.72 Mit der Reformation begann in den Augen Herders und, ihm folgend, des deutschen Bürgertums eine Art „nationaler Heilsgeschichte“, deren vorläufiger Höhepunkt in der Reichsgründung 1871 gesehen wurde. Nun aber überstrahlte der Weltkrieg alle bisherigen heilvollen Ereignisse.73 Der Krieg bekam somit eine innerprotestantische Funktion, galt es doch, den deutschen Nationalhelden Luther zu verteidigen. Es war ein Kampf der „guten“ deutschen Weltanschauung gegen die verfallenen Ideen des Westens, die nicht mehr Gott gehorchten, sondern rein rational argumentierten.74 Die Weltgeschichte wurde selbst zum Weltgericht.75 Ein solcherart geschichtspositivistisches Verständnis vom Reden 67 68 69 70 71 72 73 74 75
Brakelmann, Protestantismus, 162f. Barth, Dolchstosslegenden, 358. Pressel, Kriegspredigt, 177. Vgl. ebd., 184. Ebd., 75. Vgl. Lehmann, Deutsche. Pressel, Kriegspredigt, 80–82. Vgl. ebd., 144. Vgl. ebd., 351.
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und Handeln Gottes wurde, nationalistisch verengt, auf Deutschland angewendet: „Dieser Gott war nur insofern frei, gnädig und zornig zu sein, als sich sein gnädiges und zorniges Wollen und Wirken mit dem nationalen Wollen der Deutschen deckte.“76 Pressel kommt zu dem Schluss: Die Kriegspredigt ist „im ganzen ihrem Auftrag als christliche Verkündigung nicht gerecht geworden. [...] Ihr Geist- und Offenbarungsverständnis, ihre Gottesvorstellung, ihre christologischen Aussagen, ihr Verständnis von Wort und Sakrament, ihre Vorstellungen von der Kirche, vom Reiche Gottes, von den letzten Dingen sowie ihr politisches Pathos waren in der Regel weit mehr Ausdruck einer eigenmächtigen Geschichtsdeutung und eines säkularen Heilsverlangens als legitime Formen christlicher Theologie und Verkündigung.“77
2.5 NS-Zeit: 1933–1945 Jene während des ersten Weltkriegs beobachtete mentale Einheit von deutschem Patriotismus und evangelischem Bekenntnis bescheinigt Günther van Norden der evangelischen Kirche über ihre Spaltung in DEK u.a. mit Mitgliedern der DC und in BK hinaus. Demnach habe der Dissens vorrangig das Bekenntnis betroffen, während im Patriotismus auch in BK-Kreisen weitestgehend Konsens geherrscht habe. Diese „Verhaltensdisposition“ zeigte sich in dem „geschichtstheologischen Wertemuster“: Deutschtum und evangelisches Christentum gehören zusammen, „und mit der theologischen Lehre vom ‚Volksnomos‘, in dem und durch den Gott zu den Menschen spricht und dem der einzelne im Gehorsam verpflichtet ist.“ Prominente Vertreter einer solchen „Theologie der Ordnungen“ waren Emanuel Hirsch und Paul Althaus. Gott als „Herr der Geschichte“ offenbare sich als Handelnder in „großen Ereignissen der vaterländischen Geschichte“ und so müsse auch die Kirche „Gottes Wirken in Volk und Nation wahrnehmen“78 und verkünden. Das Prinzip der völkischen Bewegung konnte dadurch als christlich legitimiert gelten. Das Leitbild „Thron und Altar“ wurde zu „Gott und Volk“.79 Daneben gab es im pluralistischen deutschen Protestantismus auch andere Strömungen, die aber keine „auch nur annähernd gleiche Breitenwirkung“80 entfalteten. Eine Ausnahme bildete Karl Barths christologisch fundierte Radikalkritik „jedweder religiösen Verklärung historischer Gegebenheiten und natürlicher Ordnungen“, die für die BK und ihre Barmer Theologische Erklärung (BTE) prägend wurde. Am 21. März 1933 wurde in der Potsdamer Garnisonskirche, symbolisch hoch aufgeladen, die „symbiotische Verbindung zwischen preußischer Militärmonarchie, machtstaatlicher Repräsentanz und protestantischem Gottesgnadentum“ 76 77 78 79 80
Ebd., 187. Ebd., 360. van Norden, Patriotismus, 65. Kittel, Provinz, 243. van Norden, Patriotismus, 68.
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vollzogen. Ein nationaler Gott, so Bernhard Kroener, schloss mit seinem deutschen Volk einen Gnadenbund, demonstriert durch Adolf Hitlers Verkündigung seiner Regierungserklärung vom Lektorenpult der Kirche aus. Gesungen wurde inbrünstig: „Nun danket alle Gott“, der sogenannte „Choral von Leuthen“ in Erinnerung an den dortigen Sieg Friedrichs des Großen.81 In diesem Abschnitt werden daher aufgrund der unterschiedlichen theologischen Prädispositionen sowohl Verlautbarungen und Predigten aus dem Umfeld der DEK als auch der BK vorgestellt. Da es hier um Formen heilsgeschichtlichen theologischen Redens und nicht um eine Geschichte der evangelischen Kirche im dritten Reich geht, werden Texte aus DEK und BK gleichwertig und unabhängig von ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Wirkung berücksichtigt. Grundlage des folgenden Abschnittes ist die kritisch edierte Sammlung kirchlicher Quellen zwischen 1937 und Mai 1940.82 Darin stellt Günter Brakelmann nicht nur Originaltexte zusammen, jeder thematischen Zusammenstellung sind auch historisch einordnende Worte vorangestellt und eine Bewertung hintan. Eigene Erkenntnisse nach Lesen der Quellen und der Herausgeber Urteil werden hier hinsichtlich der Frage heilsgeschichtlicher Deutungen in Kürze dargestellt. Einstimmig urteilt die Kirchengeschichtsforschung über die protestantische Begeisterung für den nationalen Aufbruch unter Hitlers Führung 1933.83 Im Reformationsjubiläumsjahr 1932 lag ein Vergleich zwischen reformatorischer und gegenwärtiger Zeit nahe: Damals wie heute habe sich Altes als überlebt erwiesen und wurde vom deutschen Nationalbewusstsein samt völkischem und nationalem Gedanken abgelöst. Entsprechend betitelte die mittelfränkische Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) eine Veranstaltung mit „Hitler als Reformator“, damit ”ihre christlich-evangelische Selbststilisierung”84 auf die Spitze treibend. Hitler wurde 1933 von protestantischen Pfarrern als christlicher Staatsmann, Geschenk und Werkzeug Gottes, Bollwerk gegen den teuflischen Bolschewismus in seiner russischen Ausprägung, den Pastoren „in Gestalt der deutschen radikalen Linken vor Augen“ und Retter der Deutschen gesehen: „Man erwartet den frommen Landesfürsten Luthers und erkannte nicht, daß mit Hitler ein tyrannischer Diktator am Werke war.“85 Zugleich hoffte man auf eine christliche Remissionierung der Bevölkerung in Form eines kirchlichen Aufschwunges. Ob Geschichtstheologie in Predigten zulässig sei, wird um 1939 vermehrt theoretisch erörtert, nachdem sich die Pfarrerstimmen à la „Hitler ist von Gott gesandt.“ zu mehren begannen, wie Kittel am Beispiel Westmittelfrankens herausarbeitete.86 Gleichzeitig nahmen nicht wenige Pfarrer seit 1934 Entwicklungen des NS-Staates hin zum Unrecht- und Überwachungsstaat, antichristlichen und 81 82 83 84 85 86
Vgl. Kroener, Choral, 129f. Vgl. Brakelmann, Kirche. Vgl. Oelke, Begeisterung, 283. Kittel, Provinz, 632. Oelke, Begeisterung, 291. Kittel, Provinz, 626.
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totalen Staat kritisch wahr, wie Harry Oelke anhand der Briefkorrespondenz von zwölf lutherischen, reformierten und unierten Theologen zwischen 1933 und 1942 demonstrierte.87 Der Kriegsbeginn 1939 löste keine vergleichbaren religiösen „Begeisterungswellen“ aus wie 1914, offizielle Gottesdienste zum Kriegsbeginn fanden nicht statt. Und auch der Staat selbst übertrug den Kirchen nicht die „Stabilisierung der ‚Heimatfront‘“88 , sondern übernahm diese Aufgabe dank ausgefeilter Propaganda selbst. Die Desillusionen über den anfangs bejubelten NS-Staat wurden mit dessen zunehmender Säkularisierung erklärt.89 Grundsätzlich blieben die Schreiber Hitler und seinem Staat gegenüber allerdings ungeachtet ihrer Kritik loyal.90 Martin Doerne, lutherischer Leipziger Professor, darf hier als am ehesten DEK-konform in traditionell lutherischer Ausprägung gelten.91 Mithilfe der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre vermied er es, ideologischen Begriffen wie Volk und Rasse einen „theologischen Rang von absoluten Werten zuzuschreiben.“92 Am 20. Oktober 1939 suchte er Antworten auf die Frage „Was sollen wir heute predigen?“ Gegen die Kriegspredigt gebe es viele pauschale Vorbehalte aufgrund der 1914-1918 gehaltenen Kanzelreden. „Sie war(en) weithin besser als ihr Ruf.“ Die meisten Anklagen seien „nicht christlichen, sondern pazifistischen Ursprungs.“, 1939 ein Gegensatz. Wahr sei, „daß die Kirche […] in ihr wohlbegründetes Ja zum Kriege zu viel christlich-politische Geschichtsphilosophie hat einfließen lassen.“ Doerne fordert eine seelsorgerliche, „evangeliumsgemäße Kriegspredigt“, die stets zugleich Christuspredigt sein müsse, ohne in eine „zeitlos-allgemeine Evangeliumspredigt“93 zu verfallen. Verhindert werden könne dies durch aktuelle Veranschaulichungen der Gottesbotschaft. Die Gegenwart biete nämlich unendlich viele Beispiele für die christliche Lehre, dass es keine verlässlichen Sicherheiten im Leben gibt. Geschichtstheologie sollte jedoch nur im Rückblick erfolgen als „Zeugnis von der christlich-deutschen Vergangenheit unseres Volkes“. Denn die deutsche Geschichte sei „das Werk großer deutscher Männer“ und „ohne den christlichen Glauben nicht denkbar“94 . Auf einen konkreten Bezug zu Hitler verzichtet Doerne an dieser Stelle. Diese Hochschätzung einer Person entsprach, so Brakelmanns Einschätzung, der damaligen „gemeinprotestantischen Geschichtsauffassung“95 . Sie steht in einer geistigen Traditionslinie des bildungsbürgerlichen Protestantismus und dessen religiös-nationalem Geschichtsbild.96 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96
Vgl. Oelke, Begeisterung, 286. Ders., Hurra, 6. Vgl. ders., Begeisterung, 298. Vgl. ebd., 302. Vgl. dazu auch die im weiteren Abschnittsverlauf besprochene Predigt von Erich Stange am 3.9.1939. Oelke, Hurra, 6. Doerne, Verkündigung, 274. Ders. ebd., 276. Brakelmann, Kirche, 111. Vgl. hierzu die Ausführungen zum heilsgeschichtlichen Denken 1871 und 1914–1918.
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Illustration solcher Gedanken sind Glückwünsche zu Hitlers 50. Geburtstag 1939. Die DEK schickte einen Brief, in welchem sie Hitler als von Gott geschenkten „wahren Wundermann“ preist. Der Führer sei einer der Großen, die „Gott nach seinem freien Rat und Willen je und dann aussendet“97 , heißt es im Brief unter Berufung auf Luther. Von gleicher Couleur ist das Grußwort der Deutschen Pfarrvereine. Sie empfinden ein „Gefühl demütigen Dankes vor dem lebendigen Gott, daß er uns zur rechten Stunde den Führer geschenkt“98 hat. Eine beliebte und in der Situation plausible Geschichtsfrömmigkeit, war es doch, so Brakelmann, naheliegend, „den Sieger als dem vom Schicksal oder von Gott oder vom Herrgott ausgewählten und besonders geliebten zu interpretieren.“99 Sieg wurde mit Segen gleichgesetzt. Gegen jede Form der theologischen Geschichtsdeutung stehen drei Texte: Die bayrischen „Richtlinien für die evangelische Verkündigung im Krieg“ vom 1. Dezember 1939, die von Karl-Gerhard Steck, Teil des bruderrätlichen Flügels der BK, 1939 anonym verfassten „Grundlinien unserer gegenwärtigen Verkündigung“ und Günter Jacobs im Oktober 1939 gehaltener Vortrag „Die Verkündigung der Kirche im Kriege“. Bischof Hans Meisers Richtlinien für seine bayrische Landeskirche verbieten im Rückgriff auf Gott als deus absconditus jegliche Art „vorwitziger Geschichtstheologie“. Persönliche Erlebnisse und „vaterländische Erfolge nehmen wir mit Dank aus Gottes Hand“100 , demütig und wissend, „daß wir oft erst hernach erfahren, was Gott zum Segen und was er zum Fluche gesetzt hat.“101 Steck zieht aus den Negativerfahrungen von 1914 den Schluss, AT-Texte müssten besonders sorgfältig als Predigttexte ausgewählt werden. Es gebe zwar durchaus eine christliche Geschichtsdeutung, aber nicht in Form einer Gleichlese von biblischer und gegenwärtiger Situation. Dem Predigthörer müsse die „unüberbrückbare Ferne der biblischen Texte vom Zeitgeschehen“ aufgezeigt werden, die zugleich „Erkenntnis der Gottesferne des Zeitgeschehens“102 ist. Die Gemeinden beteten „weithin ‚alttestamentlich‘“. Für Steck ist diese Qualifikation negativ konnotiert und gleichzusetzen mit „heidnischem Verstand.“103 Besonders problematisch seien die öffentlichen Kirchengebete, für die Steck aber keinen „wirklichen Ausweg“104 sieht. Auch Jacob thematisiert das Problem der Fürbitte und greift zunächst auf eine formale Unterscheidung von individuellem und gemeinschaftlichem Gebet zurück. Der Einzelne dürfe und solle im persönlichen Gebet „unreflektiert alle seine natürlichen Bitten herausschütten.“ Im Gottesdienst hingegen müsse das Gebet solcher Natur sein, dass alle Mitglieder der versammelten christlichen Gemeinde 97 98 99 100 101 102 103 104
DEK, Zum 50. Geburtstag des Führers; in: Brakelmann, Kirche, 100. Deutsche Pfarrervereine, Grußwort; in: Ebd., 104. Ebd., 138. Meiser, Hans, Richtlinien für die evangelische Verkündigung im Krieg; in: Ebd., 279. Ebd. Steck, Karl-Gerhard, Grundlinien unserer gegenwärtigen Verkündigung; in: Ebd., 288. Vgl. dazu auch die Predigt Gollwitzers am 3.9.1939 weiter unten. Brakelmann, Kirche, 289.
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„unbeschadet ihrer unterschiedlichen politischen Sicht und ihrer sich möglicherweise widersprechenden Deutung der gegenwärtigen Weltstunde“105 mitsprechen könnten. Ein „Situationsgebet“ verbietet sich somit. Generell fordert er Zurückhaltung in „politische(n) Urteile(n) und Geschichtsdeutungen“. Wenn sie „nicht aus letzter Vollmacht kommen, haben (sie) keinen Raum im öffentlichen und gottesdienstlichen Gebet der Christenheit.“106 Jacobs dramatische Konsequenz besteht, so Brakelmann, im „Schweigen als Antwort auf die theologische und geistliche Verwirrung und Zerrissenheit der Gemeinden.“107 Nicht Rückzug, sondern Besinnung, lautet seine Forderung 1939. Drei Predigten vom ersten Kriegssonntag, dem 3. September 1939, stehen exemplarisch für drei verschiedene Richtungen theologisch-verantworteter Predigt im Krieg: Eine lutherisch geprägte, eine Predigt in der Tradition der dialektischen Theologie Barths und eine, die beide Linien miteinander ethisch zu verbinden suchte.108 Die Gottesdienste an diesem Tag seien gut besucht gewesen, doch nicht vergleichbar mit dem Andrang vom Kriegsbeginn 1914. In der Regel, so die Herausgeber um Brakelmann, handelte es sich nicht um „religiös-patriotische[n] Feierstunden“, bei denen sich das Volk „des Segens des geschichts- und schlachtenlenkenden Gottes vergewissert hätte.“ Vielmehr waren es „sehr ernste und würdige Stunden der Besinnung“.109 Erich Stange, lutherischer Pfarrer in Kassel und Herausgeber der Pastoralblätter, predigte zu Jes 7,9. Helmut Gollwitzer (dahlemitischer Flügel der BK), Nachfolger in Martin Niemöllers Gemeinde in Berlin-Dahlem, sprach über Mt 14,31. Und Schönherr (studentischer Kreis um Bonhoeffer) predigte in der Dorfkirche Brüssow zu Joh 16,33. Alle drei lehnen das politische Predigen im engeren Sinne ab. Ebenso wenig könne aber das aktuelle Geschehen völlig vernachlässigt werden, so Stange.110 Von den Kriegspredigten des ersten Weltkrieges grenzen sich ebenfalls alle drei Pfarrer ab. Mit Erschrecken denkt Stange zurück daran, „wie allzu rasch und oberflächlich unsere Kirche damals weithin Verheißungen des Alten Testamentes für unser Volk in Anspruch nahm.“ Das hält ihn jedoch nicht von einer Geschichtstheologie ab. Die Niederlage 1918, „das Diktat von Versailles und der ganze Weg unseres Volkes durch die Tiefe“ interpretiert Stange als „ernste Lektion Gottes“. Die vergangenen 25 Jahre hätten gezeigt, dass „Gott mit unserem Volke über Niederlage und Zerstörung hinaus seine besonderen Gedanken hat“111 . Gollwitzer, ein Lutheraner, der sich im Laufe seines Lebens immer mehr Barth annäherte, konzentriert sich in seiner Predigt auf die Frage des rechten Betens. Ein solches müsse stets Gott, den Vater anrufen, der das menschliche Schicksal im 105 106 107 108 109 110 111
Jacob, Verkündigung, 271. Ebd., 302. Ebd., 325. Die drei Richtungen sind theologischen, aber nicht zwingend politischen Überzeugungen zuzuordnen. Brakelmann, Kirche, 245. Vgl. Stange, Predigt, 261. Ders., ebd., 264.
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Voraus kennt. Und es müsse ein Gebet der Buße und somit der Umkehr sein. Dem stellt er das „heidnische Beten“ gegenüber: „Gott da, wo der Mensch nicht weiterweiß, zu Hilfe rufen für die eigenen menschlichen Pläne und Wünsche […].“112 Laut Brakelmann eine deutliche Anspielung auf DEK-Verlautbarungen und Gebetsvorlagen. Jene erbaten „ziemlich unbekümmert von Gott“113 die seitens der nationalen Führung proklamierten Zukunftsziele. Brakelmann charakterisiert Gollwitzers Ausführungen daher als „Predigt mit starken kritischen Implikationen, die ins Politische hinüberreichen.“114 Obgleich die politischen Andeutungen subtil gewesen seien, hätten sie die Hörer damals sicher verstanden. Weder bei Gollwitzer noch bei Schönherr finden sich geschichtstheologische Aussagen. Letzterer vertritt in dem Reigen die christuszentrierte Predigt, die „in übergangsloser Radikalität der Angst, die Mensch und Welt regiert, den alleinigen Befreier von dieser Angst“115 entgegensetzt. Sie war unter Anhängern Barths stark vertreten,116 , galt doch eine strikte Konzentration auf Christus als ”konsequenteste(r) Schutz gegen jede völkische Überhöhung.”117 Menschenhass, predigte Schönherr, habe die „gefährlichste Maschine in Gang gesetzt.“ Bis die Vernichtung vollendet ist, werde sie nicht zum Stillstand kommen. Christen stehen wie Kassandra ohnmächtig vor den Schrecken des Krieges: „Dieses furchtbare Sehenmüssen, - ist das nicht auch unser Los als Christen?“118 Trotzdem müssten Christen nun nicht verzagen. Gott selbst ist die Antwort auf ihre anthropologische Grundbefindlichkeit. Solange der Vater durch die Dunkelheit mitgeht, ist „alles gut“. Denn Jesus Christus „hat den Tod besiegt! Können wir uns da noch fürchten?“119 Diese Rede von der Angst sei, so Jürgen Henkys 1993, „geradezu landesverräterisch“ gewesen damals, ergo „ein Politikum“120 . Für Brakelmann und seine Mitherausgeber ist die theologische Lehre aus der NS-Zeit eindeutig zugunsten der dialektischen Theologie beantwortet: „Die Kirche, die bei ihrer ureigenen Sache bleibt, dient letztlich der Welt und ihren Menschen dadurch am besten. Sie kann deren selbstgeschaffene Götter als das entlarven, was sie sind: menschengefährliche Götzen. Und sie kann mit ihrer Existenz jedem Staat seine Grenzen signalisieren: Glauben und Gewissen der Menschen kann er nicht binden.“121
Auf die Frage nach der eigenen historischen und heilsgeschichtlichen Verortung kommt Rebecca Scherf zu anderen Ergebnissen. Sie analysierte 13 Predigten inhaftierter evangelischer BK-Geistlicher122 aus dem Sammelband „Das Aufgebro112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
Gollwitzer, Predigt, 266. Brakelmann, Kirche, 316. Ebd., 309. Ebd. Vgl. z.B. die Predigtsammlung mit Predigten zwischen 1938 und 1945 des Kölner BK-Pfarrers Ernst Dietrich (Dietrich, Land). Oelke, Hurra, 6. Schönherr, Predigt, 268. Ebd., 268. Henkys, Schönherr, 147f. Brakelmann, Kirche, 157. Vgl. Scherf, Lagerpredigten.
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chene Tor“.123 In diesen zwischen 1941 und 1945 in der Lagerkapelle gehaltenen Kanzelreden wurden sowohl das Lagerleben als auch gesellschafts- und kirchenpolitische Ereignisse benannt und theologisch gedeutet. Zwei zentrale Deutungsmuster arbeitet Scherf heraus: Die im KZ intensiv erlebte Leidens- und Kreuzesnachfolge Jesu Christi und deren heilsgeschichtliche Verortung im Leben seiner durch die Jahrhunderte kleinen, treuen Gemeinde. Damit „griffen die Prediger – bewusst oder unbewusst – den altchristlichen Märtyrergedanken der imitatio Christi auf.“124 Die Glaubensgewissheit, dass alles Irdische nur vorläufigen Charakter trägt, machte die ständige Todesbedrohung erträglicher. Im Lagerleid brach sich in den Augen der Geistlichen die Gottesgegenwart Bahn und machte die gläubigen Christen über das KZ-Leben erhaben. Ziel der Predigten war es, unter widrigen KZ-Bedingungen vermittels geistlicher Zurüstung „ein positives Selbstbild und eine Gemeinschaft“ zu bewahren. Als Mitglieder der BK stellten sich Prediger und Hörer in eine historische Linie mit verfolgten Christen zu früheren Zeiten. Bekenntnistreue Minderheiten, wie die im antiken Rom verfolgten Christen oder Luther samt seiner Anhängerschar, mussten sich seit Anbeginn des Christentums gegen mächtige Feinde behaupten. Stärkend wirkt auf die Inhaftierten die Gewissheit, dass jene Vorbilder „der Vergangenheit als Sieger aus ihren Kämpfen hervor (gingen) und so wird auch die aktuelle bedrängte Christenschar ihren Kampf siegreich bestehen.“125 Die erlebte Situation wird nicht nur formal mit der Zeit der alten Kirche parallelisiert (kirchliche Minderheit gegen staatliche Übermacht). Auch inhaltlich erfolgt eine Gleichsetzung damaliger und aktueller Feinde. So wird eine Art ekklesiologischer Heilsgeschichte entworfen, an der die Dachauer Pfarrer und ihre Hörer Anteil haben. In der Tendenz ähnlich, inhaltlich radikaler, predigte der Kölner BK-Pfarrer Ernst Dietrich. Zwar erteilt er in seinem Erntedankrundbrief 1938 grundsätzlich jeglicher Form von Geschichtstheologie eine Absage, weil sie Gottes endgültiger Offenbarung in Jesus Christus widerspräche. Dennoch verzichtet er in den Predigten nicht ganz darauf, Gottes Handeln in der Welt zu konkretisieren. Weihnachten 1943 predigt er vom bald erfolgenden „Zusammenbruch der menschlichen Selbstvergötterung“. Der Irrsinn des Weltkrieges wird zum erzieherischen Moment in Gottes Weltenlenkung. „Gott selbst hat sich in die Dinge hier auf Erden eingeschaltet und das Toben und Treiben der Tollkühnen zu einem Austoben und Austreiben, d.h. zu solchen menschlichen Worten und Handlungen werden lassen, mit denen es einmal aus sein und ein unwiderrufliches Ende haben muß.“126 Am 6. Mai 1945, wenige Tage vor der endgültigen deutschen Kapitulation, stimmt er seine Gemeinde mental auf dieses Ereignis ein. Jenen nicht mehr fernen Tag „möchten wir Christen in Deutschland, sofern wir die Allgegenwart Gottes begriffen haben“. Sprich: Die Mitglieder der BK gemeinsam mit den vereinten Nationen 123 124 125 126
Vgl. O.A.d.V, Tor. Scherf, Lagerpredigten, 11. Ebd., 13. Dietrich, Land, 43f.
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feierlich unter Glockengeläut in stiller Dankbarkeit und mit gemäßigter Freude [zu] begehen und die Herzen zu Gott [zu] erheben„127 . Vor den Menschen könnten die Christen “sofern wir in der Bekennenden Kirche Deutschlands keine Mühe und kein Opfer scheuten, den ehrlichen Kampf gegen alle Überheblichkeit aufzunehmen, [...] ein reines Gewissen.„128 haben. Vor Gott aber ist die Schuld eines jeden Deutschen übergroß. Not und Elend infolge des Krieges bewertet Dietrich am Altjahresabend 1945 als Strafe dafür, den “Herrn zu wenig beachtet„ zu haben. Im Anklang an die Stuttgarter Schulderklärung formuliert er die Schuld der Christen, “zu wenig ehrlich zu ihm gebetet, zu wenig wahrhaftig an ihn geglaubt und zu wenig entschlossen ihm Gehorsam dargebracht haben.”129 Geschichtstheologische Vergewisserungen nutzten sowohl Anhänger als auch Gegner des NS-Staates. Erstere orientierten sich dabei an den in ihren Augen göttlich gewirkten, großen nationalen Errungenschaften, stellten Hitler in eine Linie mit Luther, von Bismarck und den deutschen Kaisern. Sie durften sich damit, so die Logik, zu den Siegern der Geschichte zählen. Letztere rekurrierten ebenfalls auf Luther, der „ad fontes“ in der Tradition der alten Kirche die Reinheit der Lehre verfocht. Jene Anhänger der BK beanspruchten damit auch für sich den schlussendlichen Sieg in der Geschichte, der jedoch noch in Gottes geheimem Ratschluss verborgen war. 2.6 Zusammenfassung und Vergleich mit 1989/90 Wie wurden historische Ereignisse in der Vergangenheit in deutschen, evangelischen Texten interpretiert? Grundsätzlich galt in Predigten bis 1918 die Annahme, Geschichte sei gleichzusetzen mit göttlicher Heilsgeschichte. In pietistischen Kreisen des deutschen Vormärz wurde dies gar konkretisiert als Missionsgeschichte, die linear auf die Königsherrschaft Jesu Christi zulaufe. Theologische Prämisse war stets ein Tun-Ergehens-Zusammenhang, dem gemäß die Menschen Einfluss auf den Geschichtsverlauf ausüben konnten, im Guten wie im Schlechten. Glaube und Moral waren entsprechend eng miteinander verknüpft. Sieg und Frieden galten als Segenshandlung Gottes. Geschichte wurde zu einer fortlaufenden Abfolge von Bestrafung oder Belohnung: Bestrafung 1806, Belohnung 1813, Bestrafung 1848, Belohnung 1870/71...130 Seine Heilsabsichten verwirklichte Gott „im Medium politischer Kriegsgeschichte“131 . Dieses Denken in relativ allgemein-christlichen Kategorien erhielt eine stark national-protestantische Färbung im 19. Jahrhundert und dessen europaweiten Nationalbewegungen. In der die deutsche Reichsgründung symbolisierenden Kaiserkrönung in Versailles 1871 sahen deutsche Protestanten ihren Sieg über das 127 128 129 130 131
Dietrich, Land, 77. Ebd., 78. Ebd., 84. Vgl. Lehmann, Reden, 102. Brakelmann, Protestantismus, 34.
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atheistische bzw. in Teilen katholische Frankreich. Für die Deutschen war der Beweis erbracht: Gott ist mit den Deutschen gegen die Franzosen. Gott ist nun nicht mehr der Herr, der mittels Wort und Sakrament, Natur und Geschichte alle Menschen und Völker zum Heil ruft, sondern er will zuallererst das deutsche Heil. Jenes Denkmodell setzte sich im 20. Jahrhundert fort und entfaltete sich auf dem ideologischen Nährboden des bürgerlichen Geschichtsverständnisses. Unter Berufung auf Herder, Fichte, Arndt und Hegel und nicht zuletzte Ritschls Gott als „Lenker der Geschichte“ war die Geschichte Offenbarung des göttlichen Geistes und Gottes Erziehungsmittel der Menschheit auf dem Weg zum Reich Gottes. Der in den Augen der Deutschen unverschuldete Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 galt als national-christliche Aufgabe. Das deutsche Volk, das „verkannt und verraten“, „christusgleich im Völkerkreis“132 lebte, sollte als göttliches Werkzeug dem atheistischen/ katholischen Westen Gottes Willen demonstrieren, denn: Wer an Gott glaubt, dem schenkt er Macht über alle anderen. 1914 erfolgte endgültig die vollkommene Vermischung von Geschichte und Heilsgeschichte. „Dieser Gottesglaube dürfte Blasphemie in Permanenz sein“133 , diese Kriegstheologie des ersten Weltkriegs „Ausdruck einer nationalen Religiosität im Dienst nationaler Ziele.“134 Die Niederlage 1918 entlarvte bei den meisten Predigern nicht etwa Fehler im theologischen Denken, sondern führte zur maßgeblich durch protestantische Kreise unterstützten „Dolchstoßlegende“. Demokratische und republikanische Kräfte hatten sich der göttlichen Aufgabe der Erziehung der Menschheit nicht würdig erwiesen, deshalb hatte Gott sein auserwähltes, deutsches Volk bestraft. Auserwählt aber blieb es. Jenes Denken bereitete den Nährboden für einen weiteren Versuch, die deutsche Geschichte mit weltweitem Heilsbringertum gleichzusetzen. Allerdings führten die als dem Evangelium unsachgemäß empfundenen Kriegspredigten des ersten Weltkrieges zu universitätstheologischem Nachdenken über Geschichtsphilosophie und -theologie. Sowohl konservative Lutheraner als auch Anhänger einer dialektischen Theologie grenzten sich von Geschichtsdeutungen mit der Begründung vom deus absconditus ab. So kam es während der NS-Zeit zu einem inhaltlich gegensätzlichen Nebeneinander von Hitler überhöhenden Bekundungen durch DC und DEK und christuszentrierten bzw. biblisch orthodoxen Predigten. Letztere vermieden zumeist jede Form aktueller geschichtlicher Deutungen. In den Dachauer Gefängnispredigten und bei Ernst Dietrich konnte eine historisierende heilsgeschichtliche Deutung der Gegenwart beobachtet werden: Die verfolgten Christen als Teil einer die Geschichte durchziehenden, rechtgläubigen Minderheit. Grundsätzlich ist in den Kriegs- und Krisenzeiten ein ansteigendes Interesse an Kirche und Gottesdiensten zu verzeichnen, treu der Weisheit „Not lehrt beten“. Dass dies mit einer langfristigen Glaubenserneuerung einherging, kann zu keiner 132 133 134
Marsch, Predigt, 524. Brakelmann, Protestantismus, 145. Ebd., 161.
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der untersuchten Zeiten festgestellt werden, da die Gottesdienstbesucherzahlen in den Friedenszeiten immer wieder auf ihren niedrigen Stand zurückfielen. Wenngleich 1989/90 in den Predigten keine vollständigen Geschichtstheologien entwickelt wurden135 , lassen sich Gemeinsamkeiten mit den historischen, herausgearbeiteten Interpretationen erkennen. Das traditionell alttestamentliche Modell, in dem Geschichte Ort des göttlichen Wirkens ist, kommt grundsätzlich auch 1989/90 zum Tragen. Segen und Strafe sind dabei die Reaktionen auf menschliches (Fehl-)Verhalten gemäß einem Tun-Ergehens-Zusammenhang, z.B. wenn die DDR als Strafe Gottes für den zweiten Weltkrieg verstanden wird. Der Einzelne kann die Geschichte in begrenztem Maße dadurch mit beeinflussen. Die Gegenwart wird 1989/90 zwar durchaus als heilvoll erlebt, aber nicht zur heilsgeschichtlich höheren Stufe auf dem Weg zur Vollendung der Schöpfung stilisiert, wie dies 1628-1635 oder auch 1870/71, 1914-1918 und 1933/39 durch königs-, kaiser- und führertreue Christen der Fall war. Alle die Geschichte deutenden Predigten eint der Wunsch nach gezielter Sinnstiftung. Aus religiöser Tradition soll der „Eindruck von Professionalität und Zielrichtung des Handelns erweckt (werden), hinter dem das tatsächliche Deutungsgeschehen zurückbleibt.“136 Wischmeyers Beobachtung zur deutschen Reichsgründung gilt ungebrochen für alle geschichtstheologischen Predigten. Im Vergleich mit dem deutschnational-protestantischen Gottesbild des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts werden die Unterschiede zu 1989/90 deutlich. Während und nach der friedlichen Revolution wurde kein Nationalgott der Deutschen stilisiert. Stattdessen stellten die Prediger Gottes Handeln stets in einen friedenstiftenden, europaweiten, ja weltumfassenden Zusammenhang. Die Sorge vor der Neuauflage eines deutschen Großreiches veranlasste besonders ältere Pastoren 1989/90 dazu, vor einer schnellen deutschen Einheit zu warnen. Jüngere Pfarrer plädierten auch aus diesem Grund für einen „dritten Weg“. Anders als 1871 oder 1914 wurde 1989 gerade nicht die gesellschaftliche Mehrheitsmeinung „schnelle deutsche Einheit“ von den Kanzeln vertreten. Sowohl 1870/71 und 1914–1918 als auch 1989 erhielten alttestamentliche Texte eine besondere Relevanz. Allerdings wurden 1870/71 und im ersten Weltkrieg besonders gern die kämpferischen Passagen und einzelne aus dem Zusammenhang gerissene Psalmworte gewählt. 1989 standen dagegen die Geschichten von Gottes rettendem Handeln an Israel im Vordergrund. 1933–1945 predigten dagegen DC-treue Pfarrer selten über das als judaistisch geltende AT. BK-Pastoren hatten aufgrund der während des ersten Weltkrieges aus dem AT abgeleiteten Kriegstheologie teilweise Bedenken gegenüber diesem Buch der Bibel. Neutestamentlich wurden 1914–1918 häufig paränetische Texte ausgelegt, Wundergeschichten dagegen kaum. 1989/90 ist das Gegenteil zu beobachten. Zu beiden untersuchten Zeiträumen ist ein „Primat der Ethik“ zu beobachten in den Predigtaussagen. Für 1989/90 gilt dies vornehmlich für die in Friedensgot135 136
Vgl. hierzu die Beobachtungen Abschnitt 4.2.2. Wischmeyer, Inszenierungen, 36.
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tesdiensten gehaltenen Predigten. Für kirchenferne Predigtrezipienten, wie sie in großer Zahl 1914 und 1989 in die Kirchen kamen, sind ethische Erklärungen und Aufrufe naturgemäß näher an der eigenen Sicht auf die Wirklichkeit als dogmatische Erläuterungen. Wenn sich Prediger und Hörer Anfang des 20. Jahrhunderts vornehmlich mit starken, biblischen Personen identifizierten, denen ein Sieg sicher sein konnte, fanden sich die Christen am Ende der DDR innerbiblisch in ganz anderen Zusammenhängen wieder. Das bedrängte Israel im Exil, dem Gott in letzter Sekunde doch noch einen Ausweg zeigte, bot ihnen Hoffnung. Oder auch die lukanische arme Witwe, der, trotz mangelnder gesellschaftlicher Anerkennung, am Ende Gerechtigkeit widerfährt. Mit diesem Gleichnis stellten sich die Prediger 1989 indirekt in eine kirchengeschichtliche Tradition mit den verfolgten Urchristen, ganz im Sinne von Günter Jacobs Hoffnungen auf ein nachkonstantinisches Zeitalter, das an das vorkonstantanische anknüpfen solle.137 Dies kann als ekklesiologische Heilsgeschichte gewertet werden, vergleichbar der Situationsbeschreibung der inhaftierten Dachauer Pfarrer. Ein entscheidender Unterschied besteht im Zeitpunkt der Predigten. Den Dachauern war der Rückgriff auf historische Minderheitenbeispiele und deren spätere siegreiche, theologische Position Anreiz zum Durchhalten in der Gefangenschaft. Die Predigten über die arme Witwe von 1989 wurden drei Tage nach dem Mauerfall und damit der faktischen Öffnung des DDR-Gefängnisses gehalten. Der Sieg über das unterdrückende System ist da schon greifbar. Besonders beim Lesen der Predigten Gollwitzers und Schönherrs von 1939 drängen sich Gemeinsamkeiten zu Predigten über 50-jähriger Pastoren von 1989 auf.138 Es begegnet dieselbe christuszentrierte Kritik am Totalanspruch des Staates. Ein Eindruck, der durch die ausdrückliche Berufung auf Traditionen der BK seitens des BEK bestätigt wird. In Anknüpfung an die BK nahm auch der BEK seine Lage in der DDR „als Situation einer bekennenden Kirche im kritischen Gegenüber zum Staat“139 an. Gleichzeitig „erbte“ diese Generation der 1989 über 50-Jährigen auch das Trauma allzu angepasster Zeitpredigten durch politisch unkritische Pastoren vor 1945. Predigten im Sinne des Zeitgeistes und Geschichtstheologie sollten vermieden werden. Dass die friedliche Revolution selbst die kerygmatischsten Prediger zu heilstheologischen Aussagen hinriss, wurde bereits hinreichend demonstriert. Die politische Ausgangslage schuf 1989 einen fruchtbaren Boden für heilsgeschichtliche Deutungen. Gewaltlose politische Umstürze hatte es bis dato auf deutschem Boden noch nicht gegeben, sodass die Gefahr historisch unerfreulicher Assoziationen relativ gering war, wenn von Gottes Wirken während der Demonstrationen gesprochen wurde. Und dass Gottes Geist im Gebet wehen sollte, ist 137 138
139
Vgl. dazu Abschnitt 2.4.2: Westkritik. Interessant ist an dieser Stelle die Beobachtung, dass die über 50-Jährigen vornehmlich von (Jesus) Christus sprechen, während die unter 50-Jährigen die Bezeichnung Jesus bevorzugen und ein persönlicheres Beziehungsbild entwerfen. Falcke, Kirche, 261.
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Glaubensvoraussetzung für ein solches. Die Übertragung von Gottes Handeln in und durch die Friedensgebete 1989 war also naheliegend. Die explizit heilsgeschichtlichen Deutungen von 1989 sind gerade nicht als Renaissance einer totgeglaubten triumphialistischen „Sieger-der-Geschichte-Theologie“ zu interpretieren. Vereinzelt wurde die friedliche Revolution als Sieg über den Atheismus gefeiert, in den meisten Fällen aber als reine Gnade gegenüber dem schuldig gewordenen deutschen Volk. Gott wurde nie zum deutschen Gott stilisiert, sondern stets als der gütige Gott aller Völker verkündet. Über die friedliche Revolution nicht das Elend der Menschen in anderen Ländern zu vergessen, war den allermeisten Predigten ein Anliegen. Die welthistorischen Ereignisse rissen die Menschen so abrupt aus ihrer Lebensrealität heraus und eröffneten von einem Tag auf den anderen Möglichkeiten, von denen nicht einmal mehr geträumt worden war, so dass man dies für ein absolutes Wunder halten musste. Profaner und theologischer Wunderbegriff gingen dabei in den Predigten ineinander über. Träger der geschichtstheologischen Hoffnungen, Werkzeug Gottes, waren keine einzelnen, herausragenden, verehrten Helden, sondern „das Volk“, die Bürger der DDR. Feindesliebe bestimmte den Umgang mit den Gegnern SED und MfS. Es kann gleichsam von einer Demokratisierung des heilsgeschichtlichen Gedankenguts gesprochen werden.
3. 1989/90 in der Retrospektive 3.1 Vorbemerkungen Ziel dieses Abschnittes ist es, verschiedene Deutungen von 1989/90 vorzustellen und auf ihr heilsgeschichtliches Verständnis hin zu analysieren. Zunächst geschieht dies, der Art der Quellen treu bleibend, anhand von 13 im Internet veröffentlichten Predigten der Nordkirchen-Bischöfe Gerhard Ulrich, Andreas von Maltzahn, Hans-Jürgen Abromeit und Gothart Magaard, sowie der Bischöfin Kirsten Fehrs und einer Predigt von Altbischof Rathke (im Privatarchiv Pelz). Zum Vergleich werden 16 im Internet öffentlich zugängliche, sowie zwei mir zugesandte Predigten ost- und westdeutscher Nordkirchenpastoren zwischen 1991 und 2015 hinzugezogen. Auf diese Weise werden die Wirkungsgeschichte der friedlichen Revolution im erweiterten Rahmen einer ost-west-deutschen Landeskirche beleuchtet und innerdeutsche Unterschiede beobachtet. Die für die ELLM und PEK wichtigen Kirchenzeitungen Mecklenburgische (und pommersche) Kirchenzeitung (MKZ/MPKZ) sowie „Die Kirche“ (DK) wurden für die Jahre 1990 bis 2010 durchgesehen mit Blick auf die Frage, wie der Herbst 1989 in den nachfolgenden Jahren interpretiert wurde. Die Ergebnisse werden überblicksartig mit einzelnen Vertiefungen präsentiert und zeigen, dass heilsgeschichtliche Deutungen von 1989/90 im landeskirchlichen Rahmen anerkannt bleiben.
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Zwölf norddeutsche, im Internet verfügbare Radioandachten, die einen höheren Empfängerkreis als kirchliche Zeitungen aufweisen, wurden ebenfalls analysiert und stimmen mit den vorherigen Beobachtungen überein. Dass sich die heilsgeschichtlichen Interpretationen auch in sachlich anderen Medien wie kirchengeschichtlicher Fach- und Erinnerungsliteratur finden, wird abschließend in Form eines Literaturspiegels demonstriert. Ein Fazit rundet das Kapitel ab. 3.2 Erinnerungen an 1989/90 in Predigten und Andachten im Bereich der Nordkirche 3.2.1 Einleitung Bei der Pfingsten 2012 neugegründeten Evangelisch-Lutherischen Kirche im Norden (Nordkirche) vereinigten sich drei eigenständige Landeskirchen ganz unterschiedlicher historischer Prägung: Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, die ELLM und die PEK. Dass hier drei zwar geografisch nah beieinander liegende, doch historisch unterschiedlich geprägte Kirchen zusammenwachsen, ließ schon der lange und teilweise beschwerliche Fusionsweg erahnen.140 Wie bedeutend dabei die jüngste Vergangenheit für die drei Landeskirchen ist, artikulierten auf je eigene Weise die Bischöfe Ulrich (Nordelbische Landeskirche) und von Maltzahn (ELLM) in ihren Predigten zum Gründungsfest der Nordkirche am Pfingstsonntag 2012 im Ratzeburger Dom. Beide erinnerten in ihren Kurzpredigten an das Freiheit stiftende Handeln Gottes, das 1989/90 konkret geworden sei. Interessanterweise deutet aber nur Ulrich eine heilstheologische Perspektive der friedlichen Revolution an: „Dies heute, die Gründung der Nordkirche, ist auch eine Folge der friedlichen Revolution, die die Zäune niedergebrochen hat und die Mauer. […] Wir lernten die Schwestern und Brüder neu sehen. Das waren die, die in der Fremde, vor oft verschlossenen Türen, der Verheißung Gottes glaubten und sich auf die Beine bringen ließen!“141 von Maltzahn hingegen hebt den zivilgesellschaftlichen Aspekt kirchlichen Handelns hervor: „In meiner Kindheit und Jugend in Mecklenburg war Kirche eine befreiende Gegenwelt zum herrschenden System. […] Menschen sollen auch heute bei uns finden, was sie 1989 in den Kirchen suchten und fanden: die versammelte Erinnerung an ein aufrechtes Leben in Würde, Geschwisterlichkeit, Freude an Verschiedenheit und Hoffnung auf Veränderung ohne Gewalt. […] Seitdem wissen wir: Die Verhältnisse müssen nicht bleiben, wie sie sind.“142
Dass die friedliche Revolution 1989 auch 25 Jahre danach noch ein starkes Motiv für die Gegenwart bietet, wird schon in diesem kleinen Ausschnitt deutlich.
140 141 142
Vgl. Dittmers, Entstehung. Ulrich, Predigt am 27.5.2012, 1f. Von Maltzahn, Predigt am 27.5.2012, 1f.
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Im Folgenden werden 14 bischöfliche Predigten, die sich mit der friedlichen Revolution auseinandersetzen143 , thematisch geordnet und kausal-chronologisch analysiert. Dabei werden vier große Themenkomplexe untersucht: 1. Beschreibungen des Lebens in der DDR 2. Ereignisse der friedlichen Revolution inklusive der Rolle der Kirchen, deren Deutungen und Folgen 3. Fragen des Verhältnisses von Politik und Kirche samt aktueller kirchlicher Aufgaben 4. Theologische Fragen nach Gottes Geschichtshandeln und der Wirkung vom biblischen Wort Gottes Vergleichend dazu werden danach 16 Kanzelreden (teilweise ehemaliger) Gemeindepastoren im Bereich der Nordkirche auf dieselben Themenkomplexe hin untersucht.144 Abschließend werden zwölf Radioandachten evangelischer Pastorinnen und Pastoren analysiert, gehalten zwischen 2011 und 2015 im NDR 2, NDR 3 und NJoy (im NDR 2 und N-Joy werden dieselben Texte am selben Tag gesprochen), gefunden in den jeweiligen Mediatheken und Archiven. Alle verfügbaren Andachtstexte wurden durchsucht zu den Stichworten „DDR“ und „89“. Aufgrund der öffentlichen Bereitstellung der Predigten im Internet wird auf ein Anonymisieren verzichtet. Nur eine Predigt im Privatarchiv Pelz wird unter der aus Kapitel C bekannten Signatur zitiert. Da sowohl die fünf amtierenden Bischöfe als auch zehn der elf „Gemeindeprediger“ und vier von sechs Radioautoren derselben Generation, den 1989 unter 50-Jährigen angehören (geboren zwischen 1948 und 1968, nur Susanne Richter und Julia Heyde de Lopéz sind in den 1970ern geboren), können keine altersbedingten Unterschiede festgestellt werden. Lediglich Altbischof Rathke und Paul-Friedrich Martins waren 1989 schon 61-jährige DDR-Bürger und hatten beide in der BRD studiert. Ein besonderes Augenmerk liegt also nicht auf dem Altersfaktor, sondern auf den Unterschieden zwischen östlicher und westlicher Sichtweise.
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Die Predigten wurden in der Predigtdatenbank der jeweiligen Bischöfe auf der Homepage der Nordkirche gefunden. Für die genaue Quellenangabe siehe die jeweiligen Predigten im Quellenverzeichnis. Die Predigten wurden zum Teil per Stichwortsuche „Friedliche Revolution 1989 Predigt“ gegoogelt, zum anderen über die Stichwortsuche „1989“ auf www.predigtpreis.de gefunden. Für die genaue Quellenangabe siehe die jeweiligen Predigten im Quellenverzeichnis.
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3.2.2 Auswertung der bischöflichen Predigten Bei den 14 bischöflichen Predigten aus dem Bereich der Nordkirche fällt die Abgrenzung zwischen Ost und West nicht ganz leicht. Altbischof Rathke und Bischof von Maltzahn vertreten eindeutig die Sichtweise ostdeutscher Christen aufgrund ihrer Sozialisation und als Vertreter der ELLM. Auch die Zuordnung der Bischöfe Ulrich und Magaard, sowie der Bischöfin Fehrs zur westlichen Perspektive fällt leicht. Ein Grenzfall hingegen ist der Bischof des pommerschen Sprengels, Abromeit. Der geborene Westfale wurde im September 2001 Bischof der PEK. Bezüglich historischer Rückblicke auf die friedliche Revolution wird er im Folgenden daher der westlichen Sicht zugeordnet. Daraus ergibt sich ein deutliches, jedoch unauflösbares Ungleichgewicht der Prediger zugunsten der westlichen Perspektive. Zehn der 14 untersuchten Predigten wurden um den 9. November herum gehalten (8./9./11. November ), elf Predigten in den Gedenkjahren 2004, 2009 und 2014, acht davon im Rahmen des „Kanzeltausches“ zwischen Nordelbien, ELLM und PEK am 8. November 2009145 und am 9. November 2014. Dies ist insofern relevant, als dass stets die eigene Perspektive des Predigers auf die jeweils andere deutsch-deutsche Sicht in der Gemeinde stieß, sich also alle Prediger besonders um die Verständigung zwischen Ost- und Westperspektive bemühten. Die weiteren drei Kanzelreden wurden Pfingsten 2012 im Zusammenhang mit der Gründung der Nordkirche gehalten, deren Entstehung von Ulrich, von Maltzahn und Abromeit einstimmig im weitesten Sinne als Folge der Revolution 1989 verstanden wurde. Die auf der Website der Nordkirche veröffentlichten bischöflichen Predigten um den 9. November herum aus anderen Jahren enthalten keine Hinweise auf die friedliche Revolution. Ein Ergebnis, das veranschaulicht, wie wichtig Gedenktage und -jahre für das kollektive Gedächtnis sind. Den Predigten lagen sechsmal alttestamentliche und achtmal neutestamentliche Texte zugrunde, zudem nahmen fünf Prediger in ihren Reden Bezug auf „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4,3). Mit Ausnahme Bischof Abromeits am 25. Mai 2012, der über die Tageslosungen predigte, wählten alle anderen Prediger ihre Predigttexte frei und passend zur jeweiligen Situation aus. Besonders beliebt waren dabei Texte, die auch 1989 eine Rolle spielten. Vier Kanzelreden nahmen die Seligpreisung „Selig sind die Friedfertigen“ (Mt 5,5) zur Grundlage, zwei bezogen sich auf Ps 18 („Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“)146 und auch über das in der DDR beliebte Motto „Suchet der Stadt Bestes“ wurde zum Stadtjubiläum Anklams gepredigt. Alle Prediger betonen die den Menschen zum Handeln befähigende Kraft Gottes.
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Vgl. dazu die ausführlichen Berichte in der MPKZ: KIZ, Nordbischöfe, 2. Hierin wird ersichtlich, dass auch Bischöfin Maria Jepsen am 8.11.2009 zum Mauerfallgedenken in Schlutup predigte. Vgl. EPD, Mauerfall-Gedenken, 2. Welch Konsens in dieser zeitgeschichtlichen Psalmdeutung im Nachhinein herrscht, demonstriert das ostdeutsche Biografien vorstellende Buch Rosenbaum, Gott.
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Die Predigt von Maltzahns vom 9. November 2014 stimmt in weiten Teilen wörtlich mit seiner Predigt vom 9. November 2009 überein, dasselbe ist bei Abromeits Predigten vom 8. November 2009 und 9. November 2014 der Fall. Bei Zitaten aus den wortgleichen Predigtabschnitten werden immer beide Daten angegeben. Leben in der DDR Das Leben in der DDR wird in Predigten östlicher als auch westlicher Provenienz nachgezeichnet. Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven des Betroffenen und des Beobachters unterscheiden sich die Schilderungen formal stark voneinander. Rathke und von Maltzahn beschreiben eindringlich erlebte Bedrängnisse und erlittenes Unrecht, ohne dabei ihre eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Beide erinnern an lebensgefährliche Fluchtversuche. 2009 und 2014 zählt von Maltzahn die fünf für ihn schlimmsten Schikanen innerhalb der DDR-Gesellschaft auf, die durch die Revolution 1989 überwunden wurden: Das Verlachtwerden aufgrund des christlichen Glaubens, die schizophrene Erziehung, die unmögliche echte Wehrdienstverweigerung, die Schäden an Leib und Seele aufgrund von Haft und Verfolgung und die Bespitzelung der Bevölkerung. Auf emotionale Weise schildert er seine Gefühle am Morgen des 10. November 1989: „Meine Tränen flossen an diesem Morgen, denn mir war, als würde ein unsichtbares, bleiernes Kleid von mir genommen, eine Last, die ich wohl oft nicht bewusst wahrgenommen, aber ein Leben lang mitgeschleppt hatte.“147 Kirche erlebte er gegenüber der „Einheitsschablone“ von Schule und Gesellschaft als „befreiende Gegenwelt“148 , in der Konfirmanden frei zu denken lernten und gegen staatliche Maßnahmen wie die Wehrkunde protestiert wurde. Die Leiden von Christen in der DDR nennen auch Ulrich und Abromeit in ihren Predigten, besonders Ulrich hält nicht zurück mit seiner Bewunderung. Er bekennt, immer auf die Christen in der DDR geschaut zu haben, wissend: „Was da geschah, geschah aus der Kraft des Glaubens.“149 Zwar hätte auch er sich als junger Pastor in der Friedensbewegung in der BRD engagiert, auch den Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ getragen, aber doch stets im Wissen, dafür nicht belangt werden zu können. Den Mut der Christen in der DDR habe er, so Ulrich fünf Jahre später, als „Stärkung meines Glaubens erfahren, ich sehe mit Hochachtung auf jene, die aufgestanden sind gegen Unrecht und Gewalt und Unfreiheit.“150 In seiner Predigt zur Gründung der Nordkirche spricht Ulrich auch Ost-WestStereotype an, die sich bei näherem Kennenlernen als „untauglich“ herausstellten:
147 148 149 150
Von Maltzahn, Kurzansprache am 9.11.2009, 2; und ders., Predigt am 9.11.2014, 2. Ders., Predigt am 27.5.2012, 1. Ulrich, Predigt am 8.11.2009, 3. Ders., Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 3.
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Rein materiell ausgerichtete Kirchenpartnerschaften ebenso wie „manche Vorurteile über satte, unbewegliche West-Christenmenschen“.151 Die Revolution 1989 und ihre Folgen Die Ereignisse im Herbst 1989 nennen alle Prediger „Revolution“. Von der „friedlichen Revolution“ wird selbstverständlich gesprochen, teilweise in erweiterter Form als durch Gott gewirkte. Ulrich nennt 2009 in Rostock den Herbst 1989 explizit die „friedliche Revolution Gottes – für die Freiheit der Kinder Gottes“152 und führt diesen Gedanken auch 2014 aus. Die Diktatur habe ihre Macht abgeben müssen, „auch weil nicht einzumauern war das subversive Quellwasser des Wortes Gottes“153 , ohne das für ihn die friedliche Revolution nicht erklärbar ist. Eine solche „Wunderdeutung“ vertreten alle fünf Bischöfe, Abromeit allerdings sehr allgemein und ohne den Begriff „Wunder“. Er betont 2009 in seiner Predigt lediglich zweimal das „Unglaubliche“ der Geschehnisse 1989.154 Auf Nachfragen der MPKZ bekräftigt er dann aber: „Für mich ist die friedliche Revolution 1989 ein Wunder, dem ich zugeschaut habe.“155 Von Maltzahn führt diese Kategorie 2009 und 2014 vorsichtig mit Ps 118,3 ein: „Vom Herrn ist’s geschehen und ein Wunder vor unseren Augen.“ und spricht gegenüber der MPKZ 2009 von einer „Gipfelerfahrung“156 . Magaard schränkt den Wunderbegriff durch das Wörtchen „irgendwie“ ein: „Irgendwie war es wie ein Wunder, irgendwie unfassbar, unwirklich wie ein Traum.“157 Maria Jepsen sprach laut MPKZ in ihrer Predigt am 8. November 2009 davon, dass im Herbst 1989 „Gottes Friede und sein Himmelreich spürbar“ waren. Die Menschen „seien vom Glauben und von der Sehnsucht erfüllt gewesen, dass Gott eingreifen würde“158 . Indem sie Gottes Handeln in Kategorien von Gefühl und Hoffnung bettet, umgeht sie die Geschichtstheologie und überlässt solche Interpretationen den Hörern selbst. Auch Fehrs formuliert vorsichtig fragend: „Ja, und, liebe Gemeinde – war es nicht auch ein Wunder?! Unfassbar, wie jedes Wunder.“159 , konkretisiert dann aber die Rolle Gottes während der Demonstrationen 1989: „Ich war und bin überzeugt: Gott war mitten unter ihnen.“160 Am deutlichsten konstatiert 2014 Ulrich: „Und dann bei der Friedlichen Revolution 1989: Ein Wunder vor unseren Augen.“161 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161
Ders., Predigt am 27.5.2012, 1-2. Ders., Predigt am 8.11.2009, 3. Ders., Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 4. Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 2. KIZ, Nordbischöfe, 2. Ebd., 2. Magaard, Predigt am 8.11.2009, 2. EPD, Mauerfall-Gedenken, 2. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 2. Ebd., 3. Ulrich, Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 2.
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Einig sind sich die Bischöfe auch bei der Bedeutung der Kerzen für den Herbst 1989. Altbischof Rathke spricht 2004 von der „Revolution der Kerzen“162 .163 Wie eine Kerze sei auch Jesus seinen Weg gegangen. Kerzen und Gebete werden stets in einem Atemzug genannt und stehen bei Magaard, Fehrs und Ulrich symbolisch gegen graue „Anpassung und Resignation“164 . Sie machen Mut165 , verbreiten Gewissheit und stürzten schließlich die Staatsmacht.166 Ulrich interpretiert die Kerzen 2009 poetisch als „Leuchten Gottes“ und „Widerschein des Glanzes Gottes – ein Gottesleuchten gegen Unfreiheit und Unterdrückung. Das Gottesleuchten brannte und brennt, damals und heute. Der Glanz Gottes mitten unter den Menschen; in ihrer Hand die Kerzen, in ihrem Mund die Gebete.“ Erich Loests Roman „Nikolaikirche“ zitierend sagt er: „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.“ Gegen dieses Gottesleuchten seien Stasi und Regierung nicht gewappnet gewesen. „Und auch wir im Westen nicht immer und nicht alle.“167 Ob solch ein Satz, den Loest einen Stasioffizier sagen lässt, jemals realiter gesprochen wurde, ist historisch unwahrscheinlich,168 innerhalb der kirchlichen Erinnerungskultur nimmt er aber eine Vorrangstellung ein. Dies spiegelt sich auch in den untersuchten Predigten wider: Magaard spielt am 9. November 2009 auf den Satz an: „Auf alles waren wir vorbereitet, aber doch nicht darauf.“169 und zitiert den Satz zwei Tage später.170 Und auch von Maltzahn bringt den Satz sinngemäß 2009 und 2014: „Auf alles war der Staatsapparat mit Lagern und Repressalien vorbereitet gewesen, aber nicht auf Kerzen und Gebete.“171 Auf Nachfragen der MPKZ antwortet von Maltzahn 2009 vor dem zentralen Gedenkgottesdienst am 9. November 2009 in Zarrentin: „Auf Kerzen und Gebete hatten die Regierenden keine Antwort.“ und Abromeit pflichtet ihm bei: „Die friedliche Revolution in der DDR hatte mit Gebet und Kerzen ein wichtiges Ziel erreicht.“172 Ulrich zitierte bei der Begrüßungsansprache in Zarrentin Auszüge aus seiner Predigt vom vorherigen Tag in Rostock und sprach ebenfalls über die Kraft der Kerzen und Gebete, während Jepsen am 8. November 2009 von den Pro162 163 164 165 166 167 168
169 170 171 172
Rathke, Predigt am 9.11.1989, 3. Vgl. dazu auch den Titel von Rathkes Erinnerungen 2014, in denen er seine persönliche Sicht auf 1989/90 zu Papier brachte: Ders., Wende. Magaard, Predigt am 11.11.2009, 1. Vgl. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 2. Ulrich, Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 2. Ders., Predigt am 8.11.2009, 3. Dass Kerzen und Gebete die Stasi überraschten, ist insofern unwahrscheinlich, als dass die Stasi schon seit Jahren die kirchlichen Friedenskreise samt ihren Symbolen, den Kerzen und Gebeten, beobachteten und für den Sozialismus gefährlich erachteten. Nichts hätte ihm (dem Chef der Leipziger Stasi) mehr Freude bereitet, als dass es zu einem Steinwurf gekommen wäre anstelle des jahrelangen Kerzenanzündens. Man hätte endlich einen Grund zu hartem Einschreiten gegen die angeblichen „Rowdies“ von St. Nikolai gehabt.”(Jankowski, Revolution, 73) Überrascht wurde die Stasi dagegen am 9. Oktober 1989 von der ”unerwarteten Übermacht der 70.000 Demonstranten”(ebd., 80). Magaard, Predigt am 8.11.2009, 2. Ders., Predigt am 11.11.2009, 1. Von Maltzahn, Kurzansprache am 9.11.2009, 1; und ders., Predigt am 9.11.2014, 1. KIZ, Nordbischöfe, 2.
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testen qualifizierend als „Montagsgebete(n)“ und „Kerzen-Demonstrationen“173 predigte. Aus ostdeutscher Sicht erlebte das Volk 1989 „den Traum der Befreiung“, so von Maltzahn 2009 und 2014. Es sei auch die „Zeit aufblühender Träume“ gewesen „jenseits der ausgetretenen Pfade von Sozialismus und Kapitalismus“174 . Diese unverkennbare Anspielung auf Hoffnungen eines „dritten Weges“, denen offenbar auch von Maltzahn anhing, wird unterstützt durch seine Feststellung 2014, dass „Enttäuschungen nicht ausgeblieben sind. Damit meine ich nicht die ‚blühenden Landschaften‘, sondern das Unvollendete dieser Revolution [...].“175 Rathke und von Maltzahn verleihen aber beide ihrer Dankbarkeit für den Lauf der Dinge samt deutscher Einheit Ausdruck. In westdeutschen Predigten werden in Erinnerung an den Herbst 1989 zumeist medial vermittelte, stereotyp wirkende Bilder wachgerufen und zugleich die Anteilnahme am damaligen Geschehen betont. Abromeit berichtet, wie er vor dem Fernsehen kaum glauben konnte, was er am 9. November 1989 sah.176 Ulrich weckt Erinnerungen an die „Kolonnen der Trabbis und Wartburgs durch ein Spalier staunender Wessis.“177 und erinnert 2014 im Dom zu Schwerin an die Großdemonstration der 70.000178 in Leipzig am 9. Oktober 1989, ohne jedoch auf die Lokalereignisse einzugehen. Auch Fehrs beschreibt in Greifswald 2014 diese Leipziger Demonstration, dabei eine typisch ostdeutsche Diktion verwendend, indem sie die unterschiedlichen gesellschaftlichen Hintergründe der Demonstranten aufzählt: „Christen und Nichtchristen, Akademiker[n] und Arbeiter[n], Alte[n] und Junge[n].“179 Allerdings schlägt sie danach den Bogen in die PEK und nennt die für Greifswald wichtigsten Ereignisse 1989: Der Betrug bei den Kommunalwahlen, Honeckers Dombesuch, das erste Friedensgebet am 18. Oktober 1989, die Sicherung der Stasiakten und die Volkskammerwahl am 18. März 1990. Sie nutzt die Gelegenheit, von ihrer persönlichen Begegnung mit dem sich anbahnenden Umbruch auf ihrer Prag-Reise im August 1989 zu erzählen, als sie Zeugin wird, wie Genscher die Ausreise der Botschaftsflüchtlinge verkündet: „Ein historischer Moment, wir spürten es sofort. Freiheit ist die einzige, die zählt.“180
173 174 175
176 177 178
179 180
EPD, Mauerfall-Gedenken, 2. Von Maltzahn, Kurzansprache am 9.11.2009, 1; und ders., Predigt am 9.11.2014, 1. Ebd., 2. Vgl. dazu die Ergebnisse der Predigtauswertung Abschnitt 4.1, in denen aufgezeigt wurde, dass vor allem unter 50-jährige Theologen für dieses Modell eintraten. Von Maltzahn war 1989 28 Jahre alt. Vgl. Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 1. Ulrich, Predigt am 8.11.2009, 1. Jene Zahl der 70.000 Demonstranten in Leipzig scheint wie ein Code für die mündig gewordene DDR-Gesellschaft zu funktionieren. Auch von Maltzahn nennt sie 2009 und 2014 als Initiationsbewegung für das gesamte Land. In den Predigten von 1989/90 hingegen war die Großdemonstration am 4. November 1989 in Berlin wichtiger für das Gefühl der Befreiung. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 2. Ebd., 4, damit spielt sie unmissverständlich auf Marius Müller-Westernhagens Hit von 1989 „Freiheit“, der er schon 1987 komponiert hatte. Kringiel, Wiedervereinigungs-Songs.
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Stolz sei sie auf die demonstrierenden Menschen am 9. November 1989 gewesen, berichtet Fehrs.181 Abromeit bezieht dieses Gefühl stärker auf das Handeln der Kirche 1989, das ihn „mit besonderer Freude“182 erfülle. In Heide predigt er 2009 vor den nordelbischen Gemeindegliedern: „Die Nordelbier haben durchweg gesagt: ‚Wir sind tief beeindruckt von dem Beitrag der ev. Kirche zur friedlichen Revolution‘.“183 Und auch Ulrich empfindet Freude und „Stolz darüber, dass die Kirchen bei der friedlichen Revolution im Jahre 1989 eine zentrale und führende Rolle gespielt haben“, derer sie sich „in keiner Weise zu schämen brauchen“ trotz der „Verstrickungen, in die sich eine Kirche verfängt, die sich auf den Marktplatz der politischen Auseinandersetzung stellt.“184 Die schon anklingende Rolle der Kirchen 1989 wird durchweg positiv beurteilt. Schutz haben sie geboten, laut Fehrs. Sie stellt zudem, wie auch von Maltzahn und Ulrich, einen eindeutigen Zusammenhang her zwischen Friedensgebeten und Demonstrationen. Kerzen wurden aus den „Friedensgebeten, aus den Kirchen in Leipzig, in Schwerin, in Stralsund und hier in Greifswald“185 von Tausenden auf die Straße getragen. Bildlich fasst von Maltzahn dies 2009 und 2014 so zusammen: „Der Geist der Bergpredigt war übergesprungen auf eine Bewegung“186 . In der Gemeinschaft der Kirchen hätten viele „Kraft und Mut gewonnen, den Mund aufzutun und friedlich zu streiten für Recht und Würde.“187 , erinnert Ulrich 2014. Die Kirche sei, so Ulrich 2009, „bei all´ dem bei Ihrer Sache geblieben.“ Sie tat, „wofür sie da ist, wozu der Herr der Kirche sie sendet: zu verkündigen das Wort denen, die in Ängsten und in der Finsternis sitzen. Erzählen vom Frieden. Erzählen von der Gerechtigkeit Gottes, die fließt wie ein Bach. Stimme geben, denen es die Sprache verschlägt. Raum geben denen, die nicht wissen wohin. Segnen die, die weg wollen.“
Diese Deutung umschließt die unterschiedlichen Funktionen, die den evangelischen Kirchen in ihrem Engagement 1989 zugeschrieben werden: Ermutigung der Bürger zur Mündigkeit, Eintreten für Gewaltlosigkeit und Vergebung statt Rache, ihre gesellschaftspolitische Stellvertreterfunktion, die Öffnung kirchlicher Räume für kritische Veranstaltungen und der Einsatz für Ausreiseantragsteller. Kirche sei schließlich, so Ulrich weiter, „immer politische Kirche, das Evangelium ist immer ein in die Öffentlichkeit gerichtetes Wort.“188 Kritischer beurteilt Abromeit den Einsatz der evangelischen Kirchen 1989. Die friedliche Revolution sei für sie ein „schwieriges Lernfeld“ gewesen nach einer jahrhundertelangen „unglücklichen(n) Verbindung von Thron und Altar. Im Herbst 1989 hat die evangelische Kirche gelernt – zum Teil auch hervorgerufen von Gruppen, die nicht aus dem Innenraum der Kirche kamen, - dass alle 181 182 183 184 185 186 187 188
Vgl. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 1. Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 2. Ebd., 1. Ulrich, Predigt am 8.11.2009, 4. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 2. Von Maltzahn, Kurzansprache am 9.11.2009, 1; und ders., Predigt am 9.11.2014, 1 Ulrich, Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 3. Ders., Predigt am 8.11.2009, 3.
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geistlichen und theologischen Aussagen eine politische Wirkung entfalten.“189 Bezüglich des zögerlichen Beginns der Friedensgebete im Norden der DDR kann Abromeit in seiner Einschätzung zugestimmt werden. Allerdings ist dies, wie die vorherigen Kapitel der Dissertation zeigen konnten, gerade nicht auf eine Verkennung der politischen Wirkung theologischer Aussagen zurückzuführen. Auch die Qualifizierung der Gruppen als „nicht aus dem Innenraum der Kirche“ ist missverständlich. Den Hörern wird eine Kirchenferne suggeriert, die es so nur in den wenigsten Fällen gab. Und der Vorwurf, die evangelische Kirche hätte erst 1989 gelernt, welch politische Macht biblische Worte entfalten konnten, ist unhaltbar. Das Gegenteil ist der Fall: Weil Staat und Kirche wussten, welche Sprengkraft in biblischen Aussagen wie „Schwerter zu Pflugscharen“ steckt, nutzten Christen in der DDR diese, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Und deshalb wurden sie ebenso rigoros verfolgt und aus der Öffentlichkeit verbannt. Abromeit sieht das Problem der theologischen Urteilsfindung 1989 in einer falsch verstandenen lutherischen Zwei-Reiche-Lehre. Neuprotestantisch hätten manche Christen den jeweiligen „Reichen“ eine unangemessene Eigengesetzlichkeit zugestanden und die „Obrigkeit als von Gott eingesetzt nicht mehr hinterfragt [...]. Damit hat die Kirche ihr prophetisches Amt in dieser Welt aufgegeben.“190 Ein Vorwurf, der den untersuchten Predigten von 1989/90 nicht standhält, wie das eigene Kapitel zur Zwei-Reiche-Lehre demonstrierte. Zudem zeigen gerade die Lehrgespräche zur Zwei-Reiche-Lehre und Königsherrschaft Christi von 1979, deren Ergebnisse 1980 in der DDR veröffentlicht wurden191 , dass einer solchen Eigengesetzlichkeit mit Hilfe der Lehre von der Königsherrschaft entgegengewirkt wurde. Auf ihr Wächteramt pochten Bischöfe wie Leich in der DDR bis zuletzt, sehr zum Ärger des Staates. Im Blick auf die Gegenwart zieht Abromeit die vermutlich immer gültige „Lehre aus der friedlichen Revolution von 1989 für uns als Kirchen, den Mut aufzubringen, von Gottes Wort her eine prophetische Stimme auch in den Bereich der Politik erschallen zu lassen.“192 Politik und Kirche Welche Folgen ergeben sich aus der Erinnerung an 1989 für aktuelles Agieren neben einem prophetischen Wächteramt der Kirchen gegenüber dem Staat? Wie kann die Erinnerung an 1989 Orientierung für die Gegenwart bieten? Dies thematisiert von Maltzahn in allen seinen drei untersuchten Predigten. 2009, 2012 und 2014 wiederholt er am Ende seiner Predigt seine persönliche Lehre aus der friedlichen Revolution: „Die Verhältnisse müssen nicht bleiben, wie sie sind.“193 Aufgabe der Kirche sei es, „Platzhalter solcher Hoffnung“ zu sein. Zugleich solle die Kirche ein Ort der Freiheit sein: „Menschen sollen auch heute bei uns finden, 189 190 191 192 193
Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 2. Ebd., 3. Vgl. Rogge / Zeddies, Kirchengemeinschaft. Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 4. Von Maltzahn, Kurzansprache am 9.11.2009, 2; ders., Predigt am 27.5.2012, 2; und ders., Predigt am 9.11.2014, 4.
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was sie 1989 in den Kirchen suchten und fanden: die versammelte Erinnerung an ein aufrechtes Leben in Würde, Geschwisterlichkeit, Freude an Verschiedenheit und Hoffnung auf Veränderung ohne Gewalt.“194 Neben diesen sozialethischen Implikationen werden auch konkrete Einsatzbereiche gesellschaftlichen Handelns von Kirche genannt. Rathke mahnt offene Türen für Flüchtlinge an bis hin zum Kirchenasyl.195 Von Maltzahn versteht aus eigener Erfahrung die Sehnsucht nach „einem lebenswerten Leben“ und weiß, dass sie sich nicht „durch Stacheldraht und Mauern“196 aufhalten lässt. Fehrs träumt von einem „Weltenhaus“, von einer Gesellschaft „die dem Flüchtling mit Freundschaft entgegen kommt“197 , von einem „Haus Europa“ ohne schmerzhafte, stattdessen mit schützenden Mauern. Beim Aufbau der einen „Heimat [...], ohne Ossis und Wessis“ sei die Kirche in ihrem Einsatz gefragt, denn sie könne „ davon erzählen, dass Wunder geschehen! Mit Kerzen und Gebeten für eine menschlichere Welt.“198 In Fragen der Demokratieerziehung habe Kirche ihren Beitrag zu leisten. Ulrich sieht angesichts des 9. November 1938 eine kirchliche Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Demokratie.199 Von Maltzahn vertritt dieselbe Meinung und konkretisiert Demokratie als Form des Dialogs, auch mit Atheisten, die als Partner ernst genommen werden sollten.200 Gerade der 9. November zeige innerhalb der deutschen Geschichte, wozu Menschen fähig seien, „zum Guten, wie zum Furchtbaren“201 . Auch die 2012 gegründete Nordkirche ist „Ergebnis und ein Zeugnis jener friedlichen Revolution vor 25 Jahren.“202 , erinnert Ulrich 2014 im Schweriner Dom. Schon während des Konsolidierungsprozesses betonten Magaard und Ulrich die Bedeutung einer Nordkirche und bedienten sich dabei symbolisch aufgeladener Bilder aus dem Herbst 1989. So predigt Ulrich 2009 in Rostock, die Nordkirche sei ein „Zeichen, dass Mauern überwunden sind“203 zwischen Geschwistern. Magaard hebt die „große Chance“ hervor, in einer Nordkirche „Kräfte zu bündeln, von unseren Erfahrungen gegenseitig zu profitieren und die Lasten gemeinsam zu tragen.“204 Besonders der „Gewohnheitsatheismus“ sei eine norddeutschlandweite Herausforderung für die evangelischen Gemeinden, dem mit vereinten Kräften wirkungsvoller getrotzt werden könne. Dafür brauche es „einen langen Atem“205 . Ein Bild, das die Hörer in Greifswald sicher an die Predigten und 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205
Von Maltzahn, Predigt am 27.5.2012, 2. Vgl. Rathke, Predigt am 9.11.1989, 2. Von Maltzahn, Predigt am 9.11.2014, 3. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 3. Ebd., 5. Vgl. Ulrich, Predigt am 8.11.2009, 4. Vgl. von Maltzahn, Predigt am 27.5.2012, 2. Ders., Predigt am 9.11.2014, 1. Ulrich, Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 3. Ders., Predigt am 8.11.2009, 4. Magaard, Predigt am 8.11.2009, 2. Ebd., 3.
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Reden von 1989/90 erinnerte. Hier klingen neben Ulrichs rein idealistischer Sicht, einer Kirche aus Geschwistern, verhalten einige Sachzwänge an, die zur Bildung der Nordkirche führten. Dass dieser Weg nicht gänzlich komplikationslos verlief, darauf spielt Abromeit 2009 an, eine deutliche Geschichtstheologie vertretend: „Auch in einer Nordkirche sind wir nicht immer alle einer Meinung. Am Ende wird sich durchsetzen, was vor Gott Bestand hat.“206 Deutlicher wird er zwei Tage vor der Nordkirchenfusion. Es dürfe nicht vergessen werden, dass auch die Nordkirche in den „Folgen des 2. Weltkriegs im Wesentlichen ihre Ursachen hat.“ Und zwar in der „Teilung Deutschlands in zwei Staaten“207 . Zwischen den Zeilen konstruiert Abromeit einen Schuld-Strafe-Komplex. Die Nordkirche ist also Folge der 40-jährigen deutschen Teilung und damit Folge von Gottes strafendem Handeln aufgrund der deutschen Kriegsschuld. Keinen Hehl macht er daraus, dass die Entscheidung für eine Nordkirche von pommerscher Seite aus rein ökonomischen Gründen fiel. Hochrechnungen prognostizieren langfristig ca. 60.000 Mitglieder in Vorpommern: „Eine Kirche dieser Größenordnung ist keine Landeskirche mehr.“208 Ähnlich wie 1990 werde das gegenseitige Kennenlernen mit der Gründung der Nordkirche erst beginnen. Nun müssten Menschen aus Ost und West einander begegnen und sich ihre Geschichten erzählen, „von dem Leben, das uns geprägt hat in so unterschiedlichen Verhältnissen, nicht zu meinen, wir kennten die anderen schon.“209 Nur so können die Zweifler, die zuvor meinten „Wir passen nicht zusammen“ widerlegt werden und sich das norddeutsche Pfingstwunder ereignen: „Es verstehen sich die aus aller Welt und Norddeutschlands Enden.“ In Abwandlung von Eph 4,5 formuliert Ulrich credogleich das Fundament der Nordkirche: „Eine Sprache, ein Glaube, ein Geist, ein Gott.“210 Gott in der Geschichte und die Macht der Bibel Dieser Gott ist ein geschichtswirksamer Gott, betonen vor allem Abromeit, Fehrs und Ulrich. Mauerfall und Freiheit sind laut Ulrich „Gott zu danken: Er schafft Heil mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm – dazu hat er sich gezeigt, dazu hat er uns gebraucht und dazu wird er uns weiter brauchen.“ Gott nutzt Menschen für sein Werk: „Wir als Christenmenschen sollen Gott da nicht im Wege stehen – und darum bleibt als Aufgabe vor uns, dass Mauern überwunden werden sollen.“211 Abromeit und Fehrs nutzen die Ereignisse der Herbstes von 1989 gar als Beispiel für einen innerweltlich erlebten Gottesbeweis. So wurde Gottes „sanfte und geschichtsumwälzende Kraft sowohl damals in Babylon, wie auch 1989 hier 206 207 208 209 210 211
Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 4. Ders., Predigt am 25.5.2012, 3. Ebd., 6. Von Maltzahn, Predigt am 9.11.2014, 3. Ulrich, Predigt am 27.5.2012, 1. Ders., Predigt am 8.11.2009, 4.
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in Deutschland in der friedlichen Revolution erfahren“212 , ist Abromeit überzeugt. Fehrs wird noch deutlicher und erklärt das Geschehen in diesen Wochen zum objektiven Gottesbeweis: „Denn bei allem Respekt vor religiöser Distanz: jeder Mensch war doch im Innersten berührt und hat gefühlt, dass hier eine Macht am Wirken war, die das Menschliche sprengt. Göttliche Gnade lebensnah, so empfand ich es.“213 Das Jahr 1989 wird zum Kairos stilisiert, wenn Fehrs von ihrem Besuch in Prag im August 1989 berichtet. Genschers Ankündigung, die Botschaftsflüchtlinge ausreisen zu lassen und der folgende „Freudenschrei Tausender hat die ganze Stadt innehalten lassen. Es war, als wäre für eine kleine Zeit die Welt aus den Angeln gehoben. Ein historischer Moment, wir spürten es sofort.“214 Und auch von Maltzahn interpretiert seine Erfahrungen von 1989 im Lichte seines Glaubens als kurze Schau der Gotteswirklichkeit. Für „einen geschichtlichen Moment lang“ hätten die Menschen „verstanden, wie Gott uns gemeint hat.“215 Eine ganz eigene Geschichtstheologie entwirft Abromeit im abschließenden Dankgottesdienst für die PEK, zwei Tage vor der Gründung der Nordkirche. In seiner Predigt bietet er einen Abriss pommerscher Kirchen- und Mentalitätsgeschichte. Beides ist für ihn eng mit der Christianisierung durch Otto von Bamberg 1128 verbunden. Die slawischen Pommern wurden erst dank des christlichen Glaubens Teil der deutschen Kultur und Zivilisation. „So hat Jesus Christus, der Glaube an ihn, eine neue Einheit und eine neue Kultur geschaffen, an der wir bis heute teilhaben. Dadurch wurde auch das Selbstbewusstsein der Pommern und ihre Identität an den christlichen Glauben gebunden. Ich könnte auch sagen: Jesus Christus gab Pommern seine Gestalt.“216 Die Beschäftigung mit der wechselvollen pommerschen Geschichte zeige bei allen Schicksalsschlägen: „Gott geht mit seinen Leuten einen einmaligen Weg durch die Geschichte.“217 Das Bild vom erwählten Volk Gottes dränge sich unwillkürlich auf. Die erlebte Freiheit heute sei nicht selbstverständlich, so Abromeit weiter. Dies demonstriere der Blick auf die meisten Menschen in der Welt. Im Vergleich dazu seien die Menschen in Vorpommern gesegnet, hätten sie doch alles zum Leben Notwendige in „Folge des Rettungshandelns Gottes, es ist Ausdruck seiner Gnade.“ Schaue man sich ärmere Kirchenbeispiele wie Tansania, Südafrika oder Polen an, hätten es die Vorpommern im Vergleich „trotz allem in vieler Hinsicht gut“218 . Der vergleichende Blick auf die Armen in der Welt wirft unwillkürlich die Frage auf, warum Gott an den noch ärmeren Menschen offensichtlich weniger gnädig handelt. Ebenso gehöre es zu den „Führungen Gottes“219 , dass die Tageslosungen am Tag des Dankgottesdienstes für die PEK so treffend passten, erklärt Abromeit. 212 213 214 215 216 217 218 219
Abromeit, Predigt am 9.11.2014, 2. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 2. Ebd., 4. Von Maltzahn, Predigt am 27.5.2012, 2. Abromeit, Predigt am 25.5.2012, 2. Ebd., 3. Ebd., 4. Ebd., 1.
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Biblische Worte entfalten ihre Wirkung in der Gegenwart, da sind sich alle Bischöfe einig. 2009 erinnert von Maltzahn daran, welchen „neuen Klang“220 Ps 18,30b „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ für die Christen 1989 bekommen habe. Ein Wort, über das nach dem 13. August 1961 gepredigt hätte werden sollen, so Rathke. Er erinnert an das Erleben zu DDR-Zeiten, „wie Worte der Bibel unheimlich wirken“221 , zum Beispiel „Schwerter zu Pflugscharen“ (Micha 4,3) im Protest gegen den Wehrkundeunterricht ab 1980. Die Erinnerung an Spruch und Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ fungiert in den Predigten als allgemein bekannt vorausgesetztes Beispiel für christlich subversives Potential in der DDR. Ulrich erzählt in seiner Predigt 2009 ausführlich von dem von jungen Christen in der DDR auf Parkas getragenen Logo und ihrer Verfolgung durch den Staat. Der Rostocker Gemeinde dürfte dies, auch aus eigener Erfahrung, bekannt gewesen sein. Neu war für viele aber sicher, dass auch Christen in der BRD das Symbol aus Solidarität mit den Christen in der DDR trugen.222 Nach dem Verbot in der DDR sei das Logo entweder herausgeschnitten worden, sodass das entstandene Loch die Botschaft symbolisierte oder es wurde durch ein neues Emblem „Schwert-Fische zu Flug-Enten“223 humoristisch ersetzt, erzählt von Maltzahn. Auch weil Michas prophetische Vision in den Kirchen der DDR wachgehalten worden sei als „kreativer Bazillus der Hoffnung“224 , musste die Diktatur ihre Macht friedlich abgeben, ist sich Ulrich 2014 in Schwerin sicher. Eine Vision, die „ungebrochen auch heute zu Widerstand befreien“225 möchte, so Fehrs am selben Tag. Eine ähnlich exponierte Stellung nimmt die Bergpredigt in den Kanzelreden ein. „Vor dem Fall der Mauer - da war sie lebendig und scharf - die Sprengkraft der Bergpredigt Jesu“, erinnert Ulrich 2014. Sie provozierte den Staat und motivierte die Friedensbewegten. Die Bibel wurde so „Quelle der Inspiration und des Mutes“226 , erinnert sich von Maltzahn 2012. Höhepunkt ihrer Wirkung war für Ulrich die friedliche Revolution: „ohne die heilsame Sprengkraft der Seligpreisungen ist für mich jedenfalls die Friedliche Revolution in der damaligen DDR nicht zu erklären [...].“227 Kann und sollte man mit der Bergpredigt regieren? Abromeit und Ulrich sprechen am 8. November 2009 und 9. November 2014 unter anderem über Mt 5,5 und das Verhältnis der Bergpredigt zur Politik. Beide führen Helmut Schmidt an, der gesagt habe, man könne mit der Bergpredigt nicht die Welt regieren.228 Dagegen zitiert Abromeit als Kronzeugen einer christlichen Politik den Physiker Carl Fried220 221 222 223 224 225 226 227 228
Von Maltzahn, Kurzansprache am 9.11.2009, 2. Rathke, Predigt am 9.11.1989, 1. Vgl. Ulrich, Predigt am 8.11.2009, 2. Von Maltzahn, Predigt am 27.5.2012, 1. Ulrich, Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 4f. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 5. Von Maltzahn, Predigt am 27.5.2012, 1. Ulrich, Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 5. Ders., Predigt am 8.11.2009, 2; ders., Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 4; Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 3; ders., Predigt am 17.8.2014, 3.
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rich von Weizsäcker und dessen Bruder, Altbundeskanzler Richard von Weizsäcker, sowie Reinhard Höppner, ehemaliger Ministerpräsident Sachsen-Anhalts. Sie alle plädieren für eine humane Politik im Sinne von Bergpredigt und Jesu Feindesliebe. Von einem Besuch beim palästinensischen Ministerpräsidenten Salaam Fayyad berichtet Abromeit sogar wortgleich 2009 und 2014. Dieser habe die wichtige Rolle von Christen im Friedensprozess zwischen Israel und Palästina auf die Bergpredigt zurückgeführt.229 Mithilfe prominenter Beispiele plädiert Abromeit also für eine christlich-politische Ethik im Sinne der Bergpredigt. Und auch Ulrich votiert 2009 und 2014 dafür, „dass die, die die Welt regierten, sich regieren ließen von den Worten Jesu“230 , weil die „Bergpredigt Jesu Herzen regieren kann.“231 3.2.3 Auswertung der Predigten von Gemeindepastoren Die 16 untersuchten Predigten wurden zwischen 1991 und 2015 von 15 Theologen, zumeist Gemeindepastoren, gehalten. Fünf unter ihnen sind oder waren Pastoren im nordelbischen, also westdeutschen Sprengel der Nordkirche (Johannes Ahrens, Tobias Götting, Frank Lotichius, Matthias Neumann, Carsten Sauerberg), sechs sind bzw. waren Pastoren in der PEK (Rudolf Dibbern, Petra Huse, BerndDietrich Krummacher, Noack, Marianne Subklew-Jeutner, P/L/31-40/E), drei in der ELLM (Martins, Timm und Langer). Eckart Reinmuth lehrt seit 1995 Neues Testament an der theologischen Fakultät in Rostock. Allerdings ist die Trennung zwischen Ost- und Westsicht nicht ganz eindeutig, weil Neumann selbst aus der DDR stammt und erst seit 1978 in Hamburg lebt.232 Entsprechend persönlich und emotional gefärbt sind seine Bezüge zu 1989. Auch Lotichius betont in seiner Predigt seinen besonderen Bezug zur DDR aufgrund familiärer Verbindungen und nach Russland als ehemaliger Auslandspfarrer in St. Petersburg. Eine rein westdeutsche Außensicht vom „Hören-Sagen“ bringen also nur die drei Pastoren Ahrens, Götting und Sauerberg ein. Von Götting stammen als Einzigem zwei Predigten. Obgleich zehn ostdeutsche Pastoren predigten, fanden nur sechs der Gottesdienste in Mecklenburg-Vorpommern statt und Krummachers Predigt wurde im Amtsblatt Süderholz veröffentlicht. Der ostdeutschen Predigermehrheit steht in diesem Falle eine westdeutsche Hörermajorität gegenüber. Elf der 16 Predigten wurden in den Gedenkjahren 1994, 1999, 2009 und 2014 gehalten, sechs Predigten im Oktober in Erinnerung an die ersten Großdemonstrationen und vier weitere Predigten zwischen dem 2. und 9. November zum Ge-
229 230 231 232
Abromeit, Predigt am 8.11.2009, 3f. und ders., Predigt am 17.8.2014, 3f. Ulrich, Predigt am 8.11.2009, 2. Ders., Gedenkgottesdienst am 9.11.2014, 4. Vgl. Neumann, Gottesdienst am 2.11.2014.
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denken des Mauerfalls. Drei Predigten wurden von (ehemaligen233 ) Pastoren der ELLM und PEK in Hamburg gehalten. Eine erste inhaltliche Orientierung sei vorangestellt. Die zwei häufigsten Überthemen der Kanzelreden sind „Befreiung“ (fünfmal) und „Gottes Wirken heute“ (dreimal). Alle schreiben Gott befreiende Macht zu. Im Folgenden werden die untersuchten Predigten thematisch geordnet kausalchronologisch vorgestellt in drei großen Themenblöcken. Ein erster Abschnitt beschäftigt sich mit dem in den Predigten dargestellten Leben in der DDR. Danach werden die friedliche Revolution und ihre Folgen samt Formen der Erinnerung aufgezeigt. Zuletzt geht es um theologisches Nachdenken über die Aktualität von Gottes Wort und Handeln in der Geschichte. Leben in der DDR Das Leben in der DDR wird als ein unterdrücktes Dasein in einer Diktatur geschildert. Diese habe, predigt Reinmuth 1995 in der Rostocker Universitätskirche, den „Mensch zum Maß des Menschen erklärt“ und alles „zum Wohl des Menschen“ tun wollen. Solch eine „Absolutsetzung des Menschen“, so die bittere Lehre, führe jedoch ”weg vom Menschen [...], zu Unmenschlichkeit und unfaßlichem Leid.”234 Denn: Nicht der Mensch ist gut, sondern Gott. Dennoch gaben die Menschen ihre Hoffnung auf Veränderung nicht auf. Potemkinsche Dörfer seien die Errungenschaften des Sozialismus gewesen, erinnert ein junger pommerscher Pastor 1991. Ziel war die „Selbstverwirklichung“ des Menschen. Am Ende aber, das zeige nun die Geschichte nach 1989, stehe „sozusagen über allem - eben doch nicht der Mensch!“235 Der Hamburger Pastor Neumann zeichnet das Bild einer Diktatur. So bekam er, aus lauter Willkür und Schikane, keine Einreiseerlaubnis in die DDR, als sein Vater 1984 im Sterben lag, sondern erst nach dessen Tod, zur Beerdigung. Zudem berichtet er eindrücklich von Günther Schabowskis Verhörmethoden: Die Befragten machten sich vor Angst in die Hosen. Selbst seine Genossen fürchteten ihn.236 Selbst als es mit der DDR zu Ende ging, gab die Staatsmacht nicht auf, wie Pastor Timm erzählt. In Röbel seien noch am 9. November 1989 während der allwöchentlich stattfindenden Donnerstagsdemonstration „große und hell erleuchtete Reisebusse, scheinbar leer“237 ständig am Marktplatz vorbeigefahren. Das Gerücht, in diesen Bussen liege die Bereitschaftspolizei bewaffnet und verschanzt, habe sich später als wahr erwiesen.238 233
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Dazu zählen Gottfried Timm, Pastor der ELLM bis 1990, danach SPD-Politiker und 1998–2006 Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und Subklew-Jeutner, Greifswalder Pastorin 1995– 2000, jetzt Mitarbeiterin der brandenburgischen Stiftung „Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur“ sowie der Greifswalder Pastor i.R. Dibbern. Reinmuth, Predigt am 15.10.1995, 41. P/L/31-40/E, Predigt am 7.4.1991, 3b. Vgl. Neumann, Gottesdienst am 2.11.2014, 2. Timm, Predigt am 9.11.2014, 1. Dieselbe Szene beschreibt auch der ehemalige Synodale der ELLM, Berndt Seite, 1992–1998 Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern und 1989 Mitbegründer des Neuen Forums in Röbel: Seite, Anders, 189.
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Subklew-Jeutner erzählt von der nicht zu erstickenden Hoffnung auf Freiheit, ganz im Sinne eines „dritten Weges“ betonend, dies sei „nicht zuerst die Sehnsucht nach einem geeinten Deutschland“ gewesen, sondern „nach Büchern und nach Internationalität, nach einer Schulbildung ohne Ideologie, und nach Demokratie.“239 Dibbern hingegen zeichnet das Bild einer erstarrten Gesellschaft, in der „zunächst nicht für möglich gehalten wurde, dass noch mal Bewegung und Änderung passiert.“240 Dieser allmachtsphantasierende Staat habe selbst der Kirche in der DDR vorschreiben wollen, „was Kirche zu sein und zu sagen und zu tun hat“241 , kritisiert bereits 1991 ein junger pommerscher Prediger. Doch Christen in der DDR ließen sich nicht kleinmachen, betont Subklew-Jeutner, wenngleich Neumann daran erinnert, wie weit die Stasiverstrickungen der Kirche bis in höchste Ämter hinein reichten.242 Rückblick auf Sein und Wirken der ELLM zwischen 1945 und 2012 hält Jens Langer in seiner Predigt am 25. Mai 2012, zwei Tage vor Gründung der Nordkirche, vor der mecklenburgischen Pastorenschaft in Güstrow „zum Abschied von der Mecklenburgischen Landeskirche“. In deutlicher Aufnahme der kritischen Einheitsdiktion von 1989/90 kommentiert er eingangs, nun „nicht im Sauseschritt zu imaginären Fleischtöpfen Nordelbiens“ eilen zu wollen. Kein Glaubens-, sondern ein Verwaltungsakt sei die neue Nordkirche: ”Ich will ihn mit Gottvertrauen begleiten, meinetwegen: feiern, und das so kritisch wie nötig.„243 Euphorie ob der Vereinigung dreier Landeskirchen ist hier nicht zu hören. Die Mecklenburger könnten sich einbringen als “Zukunftsagenten beim Improvisieren„ und damit eine “dringende Ergänzung zu Professionalisierung und Perfektionismus”244 darstellen.245 Der anschließende historische Kurzüberblick über fast 70 Jahre Kirchengeschichte vereint zum einen sowohl positive Erlebnisse wie die landeskirchliche Unterstützung der Jungen Gemeinden , der LPG-Bauern und der Jugendlichen in Auseinandersetzung um das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“. „1989 standen wir mit unseren ‚Gottesdiensten zur Veränderung der Gesellschaft‘ bereit, nicht alle, aber viele.“ Zum anderen wird von Langer auch die „Geschichte der Schatten“246 nicht verschwiegen, z.B. die Nutzung der Daten aus dem Kirchenbuchamt bei der Verfolgung der Juden während der NS-Zeit. Trotz der kommenden Veränderungen würden die wichtigsten Dinge im Bereich der ELLM 239 240 241 242 243 244 245
246
Subklew, Predigt am 27.5.2009. Dibbern, Gottesdienst am 8.11.2009, 1. P/L/31-40/E, Predigt am 7.4.1991, 3b. Vgl. Neumann, Gottesdienst am 2.11.2014, 2. Langer, Abschied, 136. Ebd., 137. Dieser Einstieg lässt Erinnerungen an den deutsch-deutschen Einigungsprozess aufkommen, den Langer ebenfalls sehr kritisch als Mitbegründer der Rostocker „Vereinigten Bürgerinitiative für einen erneuerten Sozialismus“ begleitete. Im von dieser Bürgerinitiative vorbereiteten Gottesdienst am 2.10.1990 hieß es damals, man wolle „Dank und Bitten, Klagen und Hoffnungen artikulieren.“ (Vereinigte Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft, Gottesdienst am 2.10.1990, 6). Langer, Abschied, 138.
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gleich bleiben: Evangelium, Landschaft, Dörfer und Städte, Mecklenburger und die MPKZ, für deren Erhalt sich Langer einsetzt. „Bei alledem will uns Gottes Gnade leiten. Wir sind klein und stark zugleich, wenn wir auf sie setzen.“247 Vergleicht man diese Predigt mit Bischof Abromeits zeitgleich gehaltener Kanzelrede in Greifswald zum Abschied der PEK248 , fällt deren nüchterner Duktus auf. Abromeit zeichnete dagegen eine Heilsgeschichte der PEK und erklärte die Nordkirche zum unumgänglichen Übel aus der finanziellen Not heraus. Dagegen bietet Langers Predigt dankende und selbstkritische Rückschau, ohne die Vergangenheit zu überhöhen oder die Zukunft zu verteufeln. Die friedliche Revolution, ihre Folgen und Formen der Erinnerung Aus westdeutscher Sicht wird beim Versuch, den Herbst 1989 in Erinnerung zu rufen, auf Leipzig und die Großdemonstration der 70.000 am 9. Oktober 1989 verwiesen. Am 11. Oktober 2009 erzählt Götting ausführlich davon und zitiert in großen Teilen einen Bericht Christian Führers.249 Fünf Jahre später wählt Neumann, in Göttings Kirchengemeinde als Gastprediger eingeladen, einen nicht minder bekannten Aufhänger: Die Bemerkung Schabowskis, die Mauer sei offen: „Auch ein grammatisch verunglückter Satz kann Weltkarriere machen.“250 Sauerberg wählt ebenfalls Leipzig 1989 als Ausgangspunkt seiner märchenhaft anmutenden Erinnerung an 1989.251 In knappen Worten zeichnet 2014 auch Lotichius diesen Tag nach.252 Dagegen stützt sich Timm bei seiner Predigt in Erinnerung an 25 Jahre Mauerfall auf seine eigenen Erlebnisse am 9. November 1989 in Röbel. Als Pastor hatte er die dortigen Donnerstagdemonstrationen mit organisiert. An diesem Abend demonstrierten ca. 3000 Röbeler, „Kinder, Familien, Ältere, Christen und viele Nichtchristen [...], etliche hatten Kerzen in ihren Händen.“253 Die Aufzählung der Teilnehmer samt Kerzen in den Händen unterstreicht für die Hörer die Friedfertigkeit des Ganzen. Nur langsam sei die Nachricht von der Berliner Maueröffnung durchgesickert, keiner konnte es anfangs glauben. Als die Kunde schließlich bestätigt wurde, wusste trotzdem niemand, was dies langfristig bewirken könne. Würden morgen Panzer rollen? „Eine Fragilität lag in der Luft.“254 Was machte diese Revolution einzigartig? Wie wird sie im Nachhinein qualifiziert? 1994 predigt Martins im Gedenken an das erste Neubrandenburger Friedensgebet am 10. Oktober 1989 über die eigentliche Befreiung des Herbstes 1989. Nicht die Auflösung der Stasi sei es gewesen, sondern, dass die Menschen frei und
247 248 249 250 251 252 253 254
Ebd., 140. Vgl. Abromeit, Predigt am 25.5.2012. Vgl. Götting, Ansprache am 11.10.2009, 1. Neumann, Gottesdienst am 2.11.2014, 2. Sauerberg, Predigt am 3.10.2010. Vgl. Lotichius, Widerstehen, 2. Timm, Predigt am 9.11.2014, 1. Ebd., 2.
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offen zu reden begannen.255 Damit schiebt er den Friedensgebeten und Dialogveranstaltungen die entscheidende Rolle zu. Ganz unterschiedliche Adjektive werden zur Charakterisierung der Revolution 1989 genutzt. Das weitaus häufigste ist das von allen Pastoren genutzte Wörtchen „friedlich“. Götting spricht 2009 von der „humane(n) Revolution“, weil die Demonstranten nicht die Verhaftung von Stasimitarbeitern, sondern deren Arbeit in der Produktion forderten. Im folgenden Abschnitt bezeichnet er die Revolution als „im Kern auch eine protestantische“256 und nennt sie Ostern 2015 ein „Wunder“257 . Noch weiter gehen Dibbern, Subklew-Jeutner und Sauerberg. Durch „den Geist und die Kraft Gottes“ geschahen vor 20 Jahren, so Dibbern 2009, „wunderbare[n] Verwandlungen und Veränderungen“. Die Menschen in der DDR erlebten eine „Befreiungsgeschichte“, ein „Wunder vor unseren Augen.“258 Sauerberg, Pastor in Heiligenhafen/ Schleswig-Holstein, erzählt die Ereignisse der friedlichen Revolution am Tag der deutschen Einheit 2010 als Theophaniegeschichte. Gott selbst war unter den Demonstranten und in der Nikolaikirche, säte Mut unter den protestierenden Menschen und „Zweifel in die Herzen von Uniformträgern und alten Parteisoldaten.“259 Und auch Subklew-Jeutner glaubt fest: „Gott war auch mit uns auf den Straßen in Berlin oder Leipzig, in Anklam oder Gotha.“260 In dieser „protestantischen“, ja fast „göttlichen“ Revolution spielte die Kirche in den Augen der Prediger naturgemäß eine wichtige Rolle. Diese Revolution war, so Noack, „einer der hellsten Momente deutscher Geschichte“, bei dem „die evangelische Kirche des Wortes“ ganz „entscheidend“261 dabei war. Es sei sicher kein Zufall, dass die Angst als erstes in Kirchen überwunden wurde, so Martins 1994 in Neubrandenburg, denn: „gegenseitige Ermutigung und das Gebet – das gehörte zusammen.“262 Ganz ähnlich zitiert Götting 2009 Führer, der damals verstanden habe, dass Gebet und Demo zusammengehörten.263 Lotichius ermahnt 2014 seine Gemeinde, niemals zu vergessen, „welch überragenden, ja entscheidenden Anteil die Christen in der DDR, vor allem in den evangelischen Kirchen, an dieser Revolution hatten, vor allem daran, dass es zu keiner Zeit ein Blutvergießen gab.“264 Mit verschiedenen Mitteln nahmen die Kirchen an der Revolution teil, laut Subklew-Jeutner: „Die Demonstrationen begannen in den Kirchen. Und die Kerzen, die die Menschen trugen, wurden an denen des Altars angezündet.“ Neben dieser sakramentalen Deutung der Kerzen, entzündet an den Altarkerzen, betont Subklew den gesamtgesellschaftlich relevanten Diskurs in kirchlichen Räumen. 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264
Martins, Texte, 100. Götting, Ansprache am 11.10.2009, 3. Ders., Predigt am 5.4.2015. Dibbern, Gottesdienst am 8.11.2009, 2. Sauerberg, Predigt am 3.10.2010. Subklew, Predigt am 27.5.2009. Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai, Greifswald, Friedensgebet am 18.10.2009. Martins, Texte, 100. Vgl. Götting, Ansprache am 11.10.2009, 3. Lotichius, Widerstehen, 2.
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„Die Kirchen, die Gemeinden sind Orte, an denen politisch wach und theologisch durchdacht um Würde und Wahrheit gerungen und zivilgesellschaftliche Kräfte zusammengeführt werden können.“265 Auch Timm verweist auf die „starke Linie von den Kerzen und Kirchen über den Ruf ‚Keine Gewalt‘ zu den Runden Tischen“266 . Wie in eine „Waffenkammer“ seien die Menschen 1989 zu den Friedensgebeten in die Kirchen gegangen, erzählt Noack 2009 im Greifswalder Dom. „Beistand und Zurüstung“ suchten sie und „fanden dort so verstaubte und altmodische Dinge wie Wahrheit und Gerechtigkeit, die Botschaft vom Frieden [...] und ein verrostetes geistiges Schwert, das Wort Gottes.“267 Die Sicht westlicher Pastoren ist vergleichbar. Götting bezeichnet 2009 die Kirchen als „Basislager der Demonstrationen“268 , auch wenn es anfangs nur eine mutige Minderheit innerhalb der Gemeinden war. Diese aber, predigt sein Kollege Neumann fünf Jahre später in Göttings Gemeinde, habe mit zwei Hoffnungen gelebt: „Dass Gott wirksam ist und Menschen sich ändern können.“269 Äußerlich-räumlich boten die Kirchen „Allen Herberge“, auch Nichtchristen. Inhaltlich-sprachlich waren auch jene, die „nicht die Absicht hatten“, Christen zu werden „zu Gast in den Worten der Bibel und den Chorälen“270 . Die Kerzen in den Händen der Demonstranten trugen symbolisch die Friedensbotschaft am eindrücklichsten auf die Straße, sind sich alle Prediger einig. Für Timm und Götting sind sie das, „was als das Besondere des Herbstes 1989 gelten kann“271 . Das Halten der Kerzen mit beiden Händen ist dabei „für jedermann sichtbares Zeichen der gewollten und praktizierten Gewaltlosigkeit.“272 Auf diese Weise „wurde es eine Revolution, bei der Kerzenwachs und kein Blut floss“273 . Und Götting geht noch einen Schritt weiter in seiner Interpretation der Kerzen von 1989. Sie seien in der DDR genormt gewesen, sodass jeder, „Hausfrau oder Lehrerin, Professor oder Schichtarbeiter“, das gleiche Licht getragen habe: „jedes Licht gleich hell und wichtig.“274 Die gewählten Berufsbezeichnungen veranschaulichen die gesamte DDR-Bevölkerung und verhindern das Bild einer rein „intellektuellen“ Revolution bzw. eines „Arbeiteraufstandes“. Ausnahmslos alle gesellschaftlichen Gruppen waren 1989 für einen Wandel, will Götting damit sagen. Wie sehr sich das Romanzitat Erich Loests schon ins kollektive Gedächtnis gebrannt hat, beweisen Subklew-Jeutner und Timm. Beide zitieren den wohl berühmtesten Satz des Buches „Auf alles waren wir vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.“ und verorten ihn historisch anhand realer Personen. Subklew265 266 267 268 269 270 271 272 273 274
Subklew, Predigt am 27.5.2009. Timm, Predigt am 9.11.2014, 2. Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai, Greifswald, Friedensgebet am 18.10.2009. Götting, Ansprache am 11.10.2009, 3. Neumann, Gottesdienst am 2.11.2014, 2. Götting, Predigt am 5.4.2015. Timm, Predigt am 9.11.2014, 2. Götting, Ansprache am 11.10.2009, 2. Ebd., 3. Ebd., 4.
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Jeutner schreibt ihn einem „Mitglied des Zentralkomitee der SED“275 zu, Timm gar Horst Sindermann, 1989 Vorsitzender des DDR-Ministerrates.276 Die Kirchen stellten also in den Augen damaliger Akteure wie Martins, Subklew-Jeutner und Timm, aber auch aus westlicher Außenperspektive, nicht nur Räume zur Verfügung, sondern beeinflussten den Verlauf der Revolution inhaltlich ganz wesentlich. Sowohl als zivilgesellschaftliche Akteure als auch durch ihre Angebote an sprachlichen und symbolischen Mitteln. Menschliches und göttliches Wirken gingen dabei aus Sicht der Prediger Hand in Hand.277 Welchen Zweck verfolgt die innerkirchliche Erinnerung an 1989? Drei Richtungen können unterschieden werden. Zum einen dient die Vergegenwärtigung von 1989 der Ermutigung des Einzelnen278 zum zivilgesellschaftlichen Handeln. Ein Tropfen kann „das Fass zum Überlaufen bringen“ und „entscheidendes auslösen“279 . Zweitens hilft Erinnerung dabei, die Menschen heute zu verstehen. Für den Rest ihres endlich befreiten Lebens tragen, manchmal „schleppen“280 die Menschen an den in der DDR und während der Wende gemachten Erfahrungen. Nicht nur der positiven, auch der negativen Folgen müsse gedacht werden. Neumann zitiert 2014 eine Rügener Verkäuferin mit den Worten: „Der Mauerfall war für mich der Anfang einer Katastrophe. [...] Seitdem schlage ich mich mehr schlecht als recht durch. [...] Im Winter bin ich mindestens drei Monate arbeitslos. Jedes Jahr. Seit 25 Jahren. Ich kann mich über den Fall der Mauer nicht freuen.“281 Timm erzählt eine Woche später in Hamburg vom Versagen des bundesdeutschen Rechtssystems. „SED- und Stasiopfer“282 widerfahre bis heute keine sie erfüllende Gerechtigkeit. Damit thematisiert er die bis heute unzureichende Entschädigung der Opfer durch die BRD. Auch die erst im wiedervereinten Deutschland erwachsen gewordenen Ostdeutschen leben weiterhin „mit dem Schatten einer Vergangenheit“, predigt Huse 2009 in Greifswald. Sie wuchsen auf „mit dem Mythos der Revolution und der Ahnung einer anderen Welt, die Geschichte ist.“283 Heute misstrauen sie der Politik und hoffen zugleich auf den Staat, sehnen sich danach, in der Masse zu verschwinden und gleichzeitig nach Freiheit. Äußerlich sei dieses DDR-Erbe kaum mehr sichtbar, innerlich prägen die tradierten Erinnerungen ganze Generationen bis heute. Schließlich zeigten Kirche und Wort Gottes 1989 drittens ihr gesellschaftsveränderndes Potential. Auf Straßen und Plätze gehöre „die Botschaft aus der Kir275 276 277 278 279 280 281 282 283
Subklew, Predigt am 27.5.2009. Vgl. Timm, Predigt am 9.11.2014, 2. Vgl. die nachfolgenden Ausführungen zu Gottes Handeln in der Geschichte Abschnitt 3.2.3 und Abschnitt 4.2. Vgl. Martins, Texte, 99. Götting, Ansprache am 11.10.2009, 3. Dibbern, Gottesdienst am 8.11.2009, 2. Neumann, Gottesdienst am 2.11.2014, 1. Timm, Predigt am 9.11.2014, 3. Diese von Bürgerrechtlern immer wieder angemahnte Gleichsetzung kommt selten in Reden vor. Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai, Greifswald, Friedensgebet am 18.10.2009.
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che“284 . Des „überragenden, ja entscheidenden Anteil[s]“ der Christen und evangelischen Kirchen an der friedlichen Revolution müsse besonders von der Kanzel aus erinnert werden, um der Gegenwart willen, so Lotichius 2014 in Hamburg. Denn damals habe sich in den Kirchen der DDR etwas allgemein Gültiges ereignet: „Gottes Wort wirkt!“285 Für jede Diktatur sei der christliche Glaube eine Bedrohung, erinnert Subklew-Jeutner 2009: „Weil in ihm deutlich wird, dass es größeres gibt, als irdische Machthaber [...].“ Dabei könnten Christen eine prophetische Rolle einnehmen, indem sie aufgrund ihrer Träume und Hoffnungen darauf hinweisen: „Was noch nicht politikfähig ist, muss politisch nicht unvernünftig sein. Und politisch vernünftig kann auch sein, was politisch unbequem ist.“ Dafür wiederum bedürfe es Geduld, „eine der christlichen Grundtugenden“286 . Theologische Deutungen Anno 1989 als zeitgeschichtlicher Gottesbeweis, soweit geht der westdeutsche Pastor Sauerberg. Er fragt im Anschluss an Schilderungen des Herbstes 1989: „Also ist der liebe Gott doch nicht tot? [...] Muss man mit ihm rechnen?“ Und gibt im nächsten Satz selbst die Antwort: „Muss man wohl.“287 Gott zeigt sich auch heute und handelt in der Geschichte, darin sind sich die Prediger einig, auch wenn Sauerbergs Gottesbeweis eine Extremstellung unter den geschichtstheologischen Aussagen einnimmt. Es war, zitiert Götting 2009 Führer in seiner Predigt, „eine humorvolle Regieführung Gottes“288 , die SED-Genossen in das Leipziger Friedensgebet am 9. Oktober 1989 zu schicken.289 Auf diese Weise hätten einige von ihnen begriffen, dass die Partei sie belüge. Statt die Menschen zum Straßenkampf aufzuhetzen, predigte Führer Bibelworte des Friedens. Solch eine Sprache kannten sie nicht, die machte sie „sprachlos“290 , erzählt 2014 auch Lotichius dieselbe Geschichte als Beweis für die Wirkmächtigkeit des Wortes Gottes. Dass biblische Worte auch im internationalen Kontext direkt in die eigene Situation sprechen, veranschaulicht Subklew-Jeutner in ihrer Predigt zur Gebetswoche der Einheit Koreas 2009. Südkoreanische Christen wählten dafür den Predigttext Ez 37,17.19.22 aus, einen Sehnsuchts- und Hoffnungstext auf ein geeintes Reich, damals und heute. Von besonderer Brisanz, predigt Neumann 2014, waren zu DDR-Zeiten Texte wie das Magnifikat (Lk 1,46–55).291 Ein „herrlich“ subversiver Hoffnungstext, neben Bergpredigt und erstem Gebot einer der „Mutmacher, das Korrektiv auch gegenüber unerklärlich milden und leisetreterischen Kirchenoberen.“ Dass dies nicht nur einer Selbstwahrnehmung entsprach, sondern auch von staatlicher Seite kritisch beobachtet wurde, belegt Neumann 284 285 286 287 288 289 290 291
Götting, Ansprache am 11.10.2009, 3. Lotichius, Widerstehen, 3. Subklew, Predigt am 27.5.2009. Sauerberg, Predigt am 3.10.2010. Götting, Ansprache am 11.10.2009, 1. Vgl. Führer, Revolution, 53. Lotichius, Widerstehen, 2. Insbesondere Vers 52: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“
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mit einem Brief Schabowskis aus dem Dezember 1999. Er hatte damals in einer Predigt Schabowski erwähnt und sie ihm dann ins Gefängnis gefaxt. Dieser antwortet: „Das Magnificat haben wir unterschätzt, obwohl wir seine Brisanz immer ahnten.“292 Jener sich in Bibel und Geschichte Israels offenbarende Gott ist derselbe damals und heute. So wie er die Teilung Israels in ein Nord- und Südreich und die Teilung Deutschlands überwinden half, wird er auch in Gegenwart und Zukunft „zusammenbringen, was durch menschliches Versagen und schlechte Politik getrennt wurde.“293 , vertraut Subklew-Jeutner. Eine zentrale Stellung im Vergleich zwischen Israel und Deutschland nehmen die Exodustexte ein. Israels Auszug aus ägyptischer Sklaverei habe 1989 „unmittelbar verständlich in die damalige Situation gesprochen“, erinnert sich Krummacher zehn Jahre später. Doch auch 1999 können sich die Ostdeutschen mit den Israeliten in der Wüste identifizieren. 40 Jahre Wüstenwanderung machten Israel so mürbe wie die Ostdeutschen zehn Jahre nach der Wende: „Also sagt uns Israel, anders als wir dachten, doch das Entsprechende auch für unsere Situation.“294 1989 war nicht einfach eine moderne Wiederholung des Auszugs aus Ägypten, sondern eine „Gegenerzählung“, predigt Götting Ostern 2015. Statt für die Freiheit den Preis der Feindesvernichtung zu zahlen, ereignete sich nach dem Mauerfall ein zweites Wunder: „Der Gedanke an Rache, an vernichtende Gewalt, blieb aus.“295 1989 wird zur die Exoduserfahrung Israels erweiternden Rettungsgeschichte Gottes. 3.2.4 Auswertung norddeutscher Radioandachten Sechs Autorinnen und Autoren verfassten die untersuchten zwölf Radioandachten. Fünf stammen aus dem Jahr 2013, vier von 2014, und jeweils eine von 2011, 2012 und 2015. Insgesamt sechs Andachten wurden am 8./9. November gehalten, zwei am 3. Oktober. Auffällig ist die große Zahl der die friedliche Revolution thematisierenden Andachten 2013. Diese Texte beschäftigen sich zwar zum Teil mit ausgewählten Bibelworten, ihnen liegt aber immer ein Motto zugrunde, das im NDR Kultur eine Woche lang behandelt wird, im NDR 2 und N-Joy nur an einem Tag. Vier Autoren stammen nicht aus der Nordkirche (Ellen Ueberschär, Ulrike Budke-Grüneklee, Heyde de Lopéz und Marco Müller). Da der Sendebereich vom NDR aber die Nordkirche umfasst, wurden ihre Texte berücksichtigt. Zwei der Autoren dürfen als ostdeutsche Stimme gelten. Pastorin Karen Siegert aus Rerik und Ueberschär, die zwar heute für den „Deutschen Evangelischen Kirchentag“ arbeitet, aber 1967 in der DDR geboren und aufgewachsen ist. Am häufigsten beschäftigt sich Heyde de Lopéz in ihren NDR 2 Andachten (insgesamt viermal) mit der friedlichen Revolution.
292 293 294 295
Neumann, Gottesdienst am 2.11.2014, 2. Subklew, Predigt am 27.5.2009. Krummacher, Wirklichkeit, 1. Götting, Predigt am 5.4.2015.
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Die inhaltliche Auswertung erfolgt erneut kausal-chronologisch. Auf Schilderungen des Lebens als Christ in der DDR folgen Berichte über die friedliche Revolution und ihre Folgen. Schließlich wird der Frage nachgegangen, welche Aufgabe Christen heute haben in Erinnerung an 1989 und wie Gottes Wort wirkt. Christsein in der DDR Widrigkeiten des christlichen Lebens in der DDR werden in drei Beiträgen aus der Eigenperspektive Betroffener erzählt. De Lopéz interviewte hierfür 2014 die 1989 15-jährige Claudia. In zwei Sendungen, am 9. Oktober und 9. November 2014, lässt sie Claudia von ihren Erfahrungen in der DDR berichten. In Erinnerung an die große Leipziger Demonstration vom 9. Oktober 1989 erzählt Claudia, wie anrührend für sie ein Plakat war, auf dem für alle sichtbar zu lesen stand: „Jesus, der Weg, die Wahrheit und das Leben“, vor allem „wo doch vorher ich immer das Gefühl hatte, dass man als Christ sich im Verborgenen eher aufhalten muss und dass das nicht so offenkundig gelebt werden konnte, das Christsein.“296 Bei den Demonstrationen 1989 war daher für Claudia besonders das Erlebnis der Menge bedeutend, berichtet sie einen Monat später. Bis 1989 habe sie immer wieder Schwierigkeiten mit der Schule gehabt. Weil sie aus einer christlichen Familie kam und sich selbst zum Glauben bekannte, wurde ihr kein Abiturplatz gewährt.297 Von erlittenen Demütigungen in der Schule erzählt Ende Juni 2015 auch Siegert. So habe die Lehrerin alle christlichen Schüler, die Christenlehre und Kirche besuchten, zum Aufstehen aufgefordert: „Ich stand auf und dieses Aufstehen war erniedrigend.“298 , erinnert sie sich. Die friedliche Revolution und ihre Folgen Allgemeine Situationsbeschreibungen von 1989 finden sich in den Texten nicht. Drei Andachten thematisieren die Akteure des Herbstes 1989. Zunächst geschieht dies indirekt am 28. September 2014. Richter stellt kurz und knapp die Autobiografie Marianne Birthlers vor und zitiert daraus: „Ich verstand diejenigen nicht, die gingen. Ausgerechnet jetzt, da sich alles veränderte, jetzt, da die Menschen in der DDR endlich begannen, ihre Kraft zu spüren und sich für Veränderungen einzusetzen.“299 Die Ausreisebewegung des Sommers und Herbstes 1989 wird stark kritisiert gegenüber den vor Ort aktiv Mitgestaltenden. De Lopéz hebt im Oktober und November 2014 die Bedeutung der Leipziger Demonstrationen hervor. Sie waren der „Anfang vom Ende der DDR“300 . Am Tag der deutschen Einheit 2014 handelt Heyde de Lopéz’ Beitrag von der Rolle der Kirchen und ihrer Friedensgebete am prominenten Beispiel der Leipziger Nikolaikirche. Im Gespräch mit Nikolaipfarrer Bernhard Stief eruiert sie die 296 297 298 299 300
Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 9.10.2014, 1. Vgl. dies., Morgenandacht am 9.11.2014, 1. Siegert, Morgenandacht am 23.6.2015, 3. Richter, Morgenandacht am 28.9.2014. Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 9.10.2014.
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Funktion des Gotteshauses im Herbst 1989, in dem laut Stief die friedliche Revolution begann.301 Als dann plötzlich die Mauer tatsächlich geöffnet wurde, löste dies neben unbändiger Freude auch gemischte Gefühle bei manchen aus. Am 8. November 2011 wurde auf N-Joy die Geschichte von Hans-Joachim Maaz erzählt, wie sie sich in Wolfgang Hubers Buch „Die Mauer ist weg“ findet.302 Nach jahrelangem Warten war er endlich Reisekader geworden und durfte am 9. November 1989 an einem westdeutschen Kongress teilnehmen. Dieser Reisewunsch hatte für ihn eine existentielle Bedeutung gewonnen, die durch den Mauerfall samt freier Fahrt für alle plötzlich irrelevant erschien. „Das war zu viel für meine Seele“, wird er zitiert. Stellvertretend stehe er damit für viele andere kurz vor dem Ende der DDR Ausgereiste, die zunächst ob ihrer eigenen Anstrengungen kaum Freude über die durchlässige Mauer empfinden konnten.303 Ganz anders waren die spontanen Regungen der West-Berlinerin BudkeGrüneklees ob der Nachricht vom Mauerfall am Morgen des 10. November 1989. Sie befand sich gerade auf einer Studienreise in Budapest, um „mehr über den Aufbruch in Osteuropa (zu) erfahren“, als eben jener in der Bemerkung Schabowskis und seiner Folgen kulminierte. „Wir waren einen Augenblick sprachlos. Manche haben mit den Tränen gekämpft.“ Dann reisten sie zurück nach Hause und von dort sofort in den östlichen Teil der Stadt. Auf ihrem Rückweg gen Wohnung wartete sie „zusammen mit Tausenden von Ostdeutschen am Grenzübergang Friedrichstraße“, um „in den Westen zu kommen“304 . Was waren die Folgen des Mauerfalls und der deutschen Öffnung? Pastor Paul Oppenheim verweist auf die besondere Friedensverantwortung Deutschlands. Über 40 Jahre lang hätten Deutsche auf beiden Seiten der Mauer „Solidarität und Freundschaft vieler Länder erfahren [...], die Verständnis hatten für unsere Situation [...].“ Konkret heiße das, für Korea zu beten, „wie unsere Gebete dann erfüllt werden. Das liegt in Gottes Hand.“305 Einer solchen gesellschaftlichen Verantwortung von Kirche stimmt auch Nikolaipfarrer Stief zu. Neben Verkündigung und Gebet müsse Kirche „das Ohr auch am Volk“ haben. Auffallend distanziert spricht er vom „Volk“, der Eindruck verstärkt sich noch im nächsten Satz: „Was ist denen jetzt wichtig, ja?“ Auch heute sei das offene und öffentliche Wort der Kirchen gefragt im „Bewusstsein, dass diese Welt unser Gebet braucht“306 . Kirche und Volk, Kirche und Welt erscheinen unwillkürlich als Gegensätze. Welchen Sinn die Erinnerung an 1989 erfüllt, fragen einige Beiträge explizit. Müller beantwortet es mit allgemeingültigen Sätzen zur Notwendigkeit von Gedenktagen, denn „wir sind heute immer nur die, die wir gestern und vorgestern geworden sind.“ Ein Schlussstrich verbiete sich daher von selbst: „Leben kann 301 302 303 304 305 306
Vgl. Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 3.10.2014, 1. Vgl. Huber, Mauer. O.A.d.V., Morgenandacht. Budke-Grüneklee, Morgenandacht am 30.5.2013, 4. Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 3.10.2013, 1. Dies., Morgenandacht am 3.10.2014, 1.
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man nur vorwärts. Mit dem Gepäck, das wir von gestern mitbringen.“307 Stief bezieht die Erinnerung stärker auf die kirchliche Wirkung im Herbst 1989 und verweist auf die den Nikolaikirchensäulen 1:1 nachempfundene Säule vor der Leipziger Nikolaikirche. Diese symbolisiere, „dass in dieser Gemeinde Kirche nicht in den Mauern geblieben ist, sondern hinausgegangen ist auf die Straße, hinein in die Stadt“308 . Für Stief ist das die eigentliche Aufgabe von Kirche, damals wie heute. Und das ehemals Rostocker Ehepaar Martina und Rüdiger Schmidt, das 1986 aus der DDR ausreiste, veröffentlichte sein Buch „Mauerbruch, eine Heimatgeschichte“309 gegen das Vergessen und für Mut und Zivilcourage in Gegenwart und Zukunft.310 Deutlich wird, dass Erinnerung hier immer einen die Gegenwart verbessernden Zweck verfolgt. Gottes Wort wirkt Wunder Auf ganz persönlich spirituelle Weise begeht Budke-Grüneklee bis heute jeden 9. November und liest Ps 18 „Mit dir, mein Gott, kann ich Kriegsvolk zerschlagen, mit dir kann ich über Mauern springen“. Ein Text, der ihr am 10. November 1989 am Grenzübergang in den Sinn gekommen war als die Situation unmittelbar beschreibend.311 Mit ihrer Erfahrung, dass Bibelworte im Alltag relevant werden, steht sie nicht allein, aber im Kreise der Autoren als einzige Westdeutsche. Vier weitere Andachten berichten von vergleichbaren Erfahrungen. Ueberschär, gebürtige Ostdeutsche, weist in ihrem Beitrag auf die Frieden schaffende Wirkung des göttlichen Wortes: „Unter uns leben durchaus Menschen, die genau diese Erfahrung in der friedlichen Revolution 1989 gemacht haben: Menschen veränderten sich, trauten dem Wort Gottes etwas zu.“312 Stief bestätigt dies, wenn er den wesentlichen Einfluss der Kirchen auf die in Form von Bibelgeschichten vermittelte Gewaltfreiheit zurückführt.313 Welche Kraft Bibelworte wie Gal 5,1 für Christen in der DDR entfalteten, erzählt Siegert aus persönlicher Erfahrung: „Diese Worte über die Freiheit haben wir damals in der DDR immer wieder gelesen, in meiner Heimat, in der es mir oft zu eng war. Es brauchte eine lange Zeit, [...] aber dann 89 haben sie uns getragen und wir haben erfahren: Worte gehen nicht nur unter die Haut, nein sie haben Kraft. Verhältnisse können sich ändern.“314 Und im Juni 2015 fasst sie diese Erfahrung in einem Satz zusammen: „Biblische Worte ermutigen zum Widerstand mit Gottes Hilfe und in seinem Namen.“315
307 308 309 310 311 312 313 314 315
Müller, Morgenandacht am 8.11.2013, 1. Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 3.10.2014, 1. Vgl. Schmidt / Schmidt, Mauerbruch. O.A.d.V., Morgenandacht am 9.11.2012. Vgl. Budke-Grüneklee, Morgenandacht am 30.5.2013. Überschär, Morgenandacht am 16.3.2013. Vgl. Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 3.10.2014, 1. Siegert, Morgenandacht am 8.11.2013. Dies., Morgenandacht am 23.6.2015.
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Da liegt eine Deutung der friedlichen Revolution als „Wunder“ nahe, dennoch wird diese nur zweimal in Beiträgen von Heyde de Lopéz geboten. So wie sich in Deutschland bis 1989 niemand eine Wiedervereinigung habe vorstellen können und diese dann plötzlich geschah, „in der Form praktisch eines Wunders“, so könne wohl auch in Korea nur auf ein solches gewartet werden.316 Dezidiert christlich verwendet die Protagonistin Claudia den Wunderbegriff in Heyde de Lopéz Beitrag am 9. Oktober 2014. Für Claudia bleibe die friedliche Revolution „ein Wunder“. Sie erzählt im Interview: „Ich hab gedacht, Gott ist jetzt hier mittenbei, er tut was, er ist da und er hat das in der Hand, er beschützt uns und uns kann gar nichts passieren.“317 3.3 Erinnerungen an 1989/90 in mecklenburgischen und pommerschen Kirchenzeitungen bis 2010 3.3.1 Einleitung Die Mecklenburgische Kirchenzeitung (MKZ), herausgegeben vom OKR der ELLM, erscheint seit dem 21. April 1946 wöchentlich.318 Im Bereich der ELKG und späteren PEK wurde seit 1950 die Regionalausgabe für das Greifswalder Kirchengebiet der Kirchenzeitung „Die Kirche“ (DK) gelesen. Sie erschien in regionaler Abwandlung in allen fünf EKU-Kirchen in der DDR. Ab 1995 erfolgte die Zusammenlegung mit dem „Berlin-Brandenburgischen Sonntagsblatt“ unter Beibehaltung des Namens „Die Kirche“.319 Beginnend mit dem 4. Januar 1998 gab es für ELLM und PEK ein „Evangelisches Wochenblatt für Mecklenburg-Vorpommern“ in gemeinsamer Verantwortung der Redaktionen in Greifswald und Schwerin.320 Im Bereich der ELLM hieß diese Zeitung weiterhin „Mecklenburgische Kirchenzeitung“, in der PEK „Pommersche Kirchenzeitung“. Dass dies eine um pommersche Sichtweisen erweiterte Fortsetzung der MKZ ist, demonstrieren die die MKZ weiter zählenden Jahrgänge, sowie die unangefochtene Stellung des mecklenburgischen Chefredakteurs Tilman Baier in Schwerin. Seit dem 31. März 2002 trägt diese Zeitung einen in ELLM und PEK einheitlichen Namen, der beiden Landeskirchen Rechnung trägt: „Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung. Evangelisches Wochenblatt für Mecklenburg-Vorpommern“ (MPKZ).321 Grundlage des folgenden Kapitels ist die Analyse von insgesamt 312 Artikeln aus den Jahrgängen: 1989–1997 von DK, 1989–2002 der MKZ und 2002–2010 der MPKZ.
316 317 318 319 320 321
Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 3.10.2013. Heyde de Lopéz, Morgenandacht am 9.10.2014. Vgl. Beste, Kirchenzeitung. Vgl. KIZ, Chronik. Vgl. Nixdorf / Thomas, Abschied. Für einen Kurzüberblick über die evangelische Presselandschaft in der DDR und ihre Bedingungen: Vgl. Bulisch, Presse, 11–36.
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Zunächst werden überblicksartig Hauptthemen im Rückblick auf die DDR, ihr Ende und die Rolle der evangelischen Kirchen in diesem Prozess vorgestellt. In einem zweiten Abschnitt werden 74 biblische Auslegungen auf die im Nachhinein entworfenen Bilder vom Leben in der DDR und von der friedlichen Revolution hin untersucht und deren theologische Deutungen. Die Rückblicke auf DDR und 1989 häufen sich sowohl in den Gedenkjahren 1994 (25x), 1999 (34x), 2004 (31x) und 2009 (45x) als auch um die Gedenktage 3. und 9. Oktober (69x) und 9. November (24x). Dabei lässt schon die Verteilung erahnen, dass die erste ungestörte Großdemonstration in Leipzig am 9. Oktober 1989 nach dem montäglichen Friedensgebet in der kirchlichen Erinnerung priorisiert wird gegenüber dem Mauerfall. Unabhängig von Gedenkjahren wurde vermehrt 1995 (29x), 1996 (33x), 1997 (25x) und 2000 (33x) über DDRVergangenheit geschrieben, zumeist im Zusammenhang mit dem Umgang mit ehemaligen IMs und der eigenen Vergangenheitsbewältigung. 3.3.2 DDR und friedliche Revolution retrospektiv Rückblick auf 1989/90 Der Rückblick auf den Herbst 1989 beginnt bereits im Winter desselben Jahres und demonstriert noch einmal, wie zuvor schon die analysierten Predigten von 1989/90, die extrem kurze, gefühlte Dauer der friedlichen Revolution. Schon am 10. Dezember 1989 berichtet die MKZ unter dem Titel „Das Symbol der Wende: die brennenden Kerzen“ über einen Gastkommentar des Ostberliner Schriftstellers Rolf Schneider in der Wiener Wochenzeitung „Wochenpresse“. Hierin stellt Schneider eine deutliche Verbindung her zwischen Evangeliumsverkündigung und Revolution: „Die Bergpredigt hat im Rathaus obsiegt und zuletzt hat sie das Rathaus selber besiegt: sanft, friedlich, im Gestus der Verzeihung. Wenn es nach mir ginge, würde dem Bund der evangelischen Kirchen in der DDR der Friedensnobelpreis 1990 verliehen.“322 Zwei Wochen später wird in der MKZ über die Erklärung der bayrischen Landessynode informiert und den Kirchen attestiert, „‚entscheidenden Anteil‘ am friedlichen Wandel“323 gehabt zu haben. Zugleich betont Bischof Hanselmann, welch „volksmissionarische Chance“ sich nun auch in Bayern böte angesichts der tausenden, oft konfessionslosen Aus- und Übersiedler.324 In den folgenden Jahren, verstärkt in den Gedenkjahren, wird stets von Oktober bis Dezember in beiden Kirchenzeitungen an Ereignisse der friedlichen Revolution erinnert. Das Jahr 2009 steht in der MPKZ wie auch in der EKD325 ganz 322 323 324 325
KIZ, Symbol. Ders., Anteil. Vgl. dazu die in den analysierten Predigten anfängliche Hoffnung auf steigende Kirchenmitgliedszahlen. Vgl. das EKD Material zur Wende www.ekd.de/\ac{EKD}-Texte/20jahre_friedliche_revolution. html samt Hintergründen und Gottesdienstentwurf unter Mitarbeit von Führer. Der Fokus liegt entsprechend auf Leipzig.
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im Zeichen der Erinnerung an 20 Jahre friedliche Revolution. Jeden Monat veröffentlicht sie eine Monatschronik von 1989, im Oktober und November besonders detailliert in mehreren Ausgaben. Zudem ruft sie zur Leseraktion „Mein Herbst ’89“ auf und bittet Leser, ihre persönlichen Wendegeschichten zu erzählen.326 Dabei geht es nicht um rein historisches Gedenken, sondern um für die Gegenwart fruchtbares Erinnern. Einfacher, unreflektierter Nostalgie müsse ein begründetes Selbstbewusstsein entgegengesetzt werden, berichtet DK vom „Oktoberfest“ am 9. Oktober 1994 in Berlin.327 Ab 1994328 beginnt gleichzeitig die Verteidigung gegenüber einem unausgesprochenen Vorwurf der Nostalgie, schlimmstenfalls gar der „Ostalgie“, sobald etwas Positives über DDR-Zeiten verfasst wird. Die Aufarbeitung der Stasiakten sei ein gutes „Heilmittel gegen DDR-Nostalgie“329 , so Gauck Ende Oktober 1994. Anfang Januar 1996 plädiert Lutz Borgmann dafür, DDR-Erfahrungen nicht pauschal als Ostalgie abzuqualifizieren.330 Der Vorwurf der (N)ostalgie scheint allgegenwärtig zu sein. Die Erfahrungen von 1989 für die Gegenwart fruchtbar zu machen, hieße, zu zeigen, dass „Veränderung von unten möglich ist“331 , heißt es am 6. November 1994 in DK. Annette Bohley, Pfarrerin und Schwester der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, möchte insbesondere Jugendliche mit Blick auf den 9. November 1989 „ermutigen: nachzufragen, sich in ungerechte gesellschaftliche Vorgänge einzumischen, sich nicht vereinzeln zu lassen, sondern auf andere zuzugehen […], sich nicht von falschen Versprechungen und vom Glanz des Geldes verführen zu lassen, ihre demokratischen Rechte zu nutzen, damit diese nicht verkümmern [...].“332 Im Herbst 1989 hat laut von Saß, 1989 Pastor in Neubrandenburg, „eine Art Epidemie der Aufrichtigkeit, des aufrechten Ganges und des offenen Wortes“333 die Gesellschaft beherrscht. Der mit dem Gedenken verbundene bildungspolitische Auftrag ist allen Voten inhärent. Viele Artikel schildern die euphorischen Gefühle ihrer Autoren im Herbst 1989 und verdeutlichen ihre bis heute anhaltende emotionale Ergriffenheit bei diesem Thema. Die Nacht des 9. November 1989 werde allen Beteiligten „unauslöschlich“334 in Erinnerung bleiben, schreibt Annette Bohley an dessen Jahrestag 1997. Vollkommen unerwartet sei dies eingetreten, „wunderbar, unfaßlich und beglückend erschien uns, was da geschah.“335 erinnert sich der pommersche Bischof Eduard Berger 1999. 2001 schreibt der mecklenburgische Pastor Christoph Strube seine Gefühle nach dem 9. November 1989 nieder: „Es war wie das Erwachen aus 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335
Vgl. KIZ, Herbst. Vgl. Thomas, Befreiung. 1993 war Ostalgie Wort des Jahres, seit 1999 ist es im deutschen Duden zu finden. Vgl. Banchelli, Ostalgie, 57. Baier, Nostalgie. Vgl. Borgmann, Zeugnis. Röder, Volk. Bohley, November. Von Saß, Mut. Bohley, November. Berger, Jahre.
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einem Alptraum. Gut 24 Stunden hat es dann noch gebraucht, bis es bei mir innen drin angekommen war. Dann hab ich erst mal Rotz und Wasser geheult.“336 Der Tag der deutschen Einheit wird in fast jedem Jahr eigens kommentiert. Trotz aller Probleme mit Datum und Folgen der Einheit für Einzelne, plädieren die meisten Autoren dafür, dankbar zu sein für das einige Deutschland und wünschen sich für die Zukunft, der äußeren endlich auch die innere Einheit folgen zu lassen. 1995 kommentiert Georg Meusel bissig den 3. Oktober 1995. Es werde nun der „fünfte Jahrestag des Zusammenschlusses begangen, der ein Anschluß337 war und für die Nachbarn ein Ausschluß.“338 Eine Sicht, die selbst der langjährige epd-Chefredakteur Hans-Jürgen Röder ein Jahr später teilt. Der Einigungsprozess erinnere eher an einen im „Beitrittsgebiet“ zu leistenden „Anpassungsprozeß“339 , bemängelt er. Auch fünf Jahre später scheint sich in dieser Hinsicht nichts geändert zu haben. Thomas Jeutner merkt am 1. Oktober 2000 an: „Zehn Jahre danach empfinden sich viele Ostdeutsche immer noch eher als Bewohner des ‚Beitrittgebietes‘ denn als Bundesbürger.“ Das sei insofern verständlich, als die 45-jährige Entfremdung der beiden deutschen Staaten anhaltende Spuren hinterlassen habe. Leider aber werde die Aufgabe des Zusammenwachsens „oft nur den Ostdeutschen zugedacht, die sich die Spielregeln des Westens aneignen sollen. Zusammenwachsen […] setzt aber das Ernstnehmen der je verschiedenen Erfahrungen voraus. Davon sind wir, auch nach zehn Jahren, noch weit entfernt.“340 Drei Jahre später plädiert Hollitzer in der MPKZ erneut für eine „mentale Wiedervereinigung“341 . Gelungen ist sie offensichtlich trotz unermüdlicher Mahnungen seitens der Journalisten bis dato nicht. Obgleich das wichtigere Datum der 9. November mit der „friedliche(n) Unterwanderung der Mauer“ sei, böte sich gerade am emotional unaufgeladenen 3. Oktober die „Chance, in aller Nüchternheit Bilanz zu ziehen“342 in der deutsch-deutschen Vernunftehe, kommentiert 1997 Jeutner. Auch die Frage nach der Qualifikation der Revolution 1989 wird in den Kirchenzeitungen diskutiert. So tritt Roland Schein 1991 gegen die Rede von einer protestantischen Revolution ein. Man möge besser „von einer sozialen Erhebung der Leipziger Bürger sprechen zur Durchsetzung demokratischer Grundrechte.“343 Dabei dürfe die kirchliche Rolle in ökumenischer Perspektive nicht aus dem Blick geraten. In ihrer Rede zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1997 erinnert die langjährige DK-Redakteurin Bettina Röder vor allem an die 1989 erlebte „Kraft der Schwachen“, der „Menschen in ganz normalen Lebensbe336 337
338 339 340 341 342 343
Strube, Mauer. Den Begriff „Anschluss“ verwenden laut Peter Weiss vor allem „old, disempowered elites and functionaries of the regime and with people advocating a ‚third way‘ for the GDR.“ Weiss, Revolution, 226. Meusel, Schlüsselfrage. Röder, Schritte. Jeutner, Zusammenwachsen. Hollitzer, DDR. Jeutner, Jahr. Schein, Ermutigung.
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zügen“344 . Ihr Ehemann Hans-Jürgen Röder gibt 2009 einen Kurzüberblick über die handelnden Akteure 1989. So sei vieles im Rückblick zwar nachvollziehbar, ohne daraus aber ein „einhelliges Gesamtbild“ zeichnen zu können. „Auch darum mag das Geschehen vom Herbst 1989 für manchen noch heute als Wunder erscheinen.“345 Dass diese Revolution überhaupt beendet wurde, bezweifeln dagegen einige prominente Autoren der links-protestantischen Szene. Unter ihnen Konrad Weiss, einer der Erstunterzeichner von „Demokratie Jetzt“ und des Aufrufs „Für unser Land“ 1994 in DK. Natürlich seien die Deutschen in Ost und West ein Volk und waren es immer, „wenn auch zeitweise in zwei Staaten.“ 1989 kam dann die „revolutionäre Erfahrung [...]: Wir sind nicht länger Untertanen, wir sind der Souverän. […] Doch diese Revolution blieb unvollendet und oft denke ich, sie ist gescheitert. […] Man lieferte sich blind neuen Autoritäten aus.“346 Neun Jahre später bemängelt selbst der mecklenburg-vorpommersche SPD-Landesvorsitzende Till Backhaus auf einer Podiumsdiskussion in Schwerin: „Die Revolution haben wir uns abkaufen lassen.“ Vor allem im gesellschaftlichen Bereich habe die Wende viele „verletzte Seelen“347 hinterlassen, alte Kommunisten und Menschen, die 1989 für Veränderungen kämpften und nun arbeitslos seien. Die Freude über die errungene Freiheit 1989 samt deutscher Einheit wird in den Jahren danach mehr und mehr gedämpft durch konkrete Alltagsprobleme der Menschen in Ostdeutschland. Gerade für diese „Verlierer“ der Einheit wird in den Kirchenzeitungen die Stimme erhoben. Die Rolle der Kirche in der DDR und 1989/90 Der Grundtenor in den beiden Kirchenzeitungen lautet: Die evangelischen Kirchen waren Motor und Akteur der friedlichen Revolution. Dem kann auch die Debatte über Stasiverstrickungen keinen nennenswerten Abbruch tun. Die daraus erwachsene Verteidigungsposition ist jedoch in den Artikeln deutlich zu spüren. In Reaktion auf Gerhard Besiers 1991 erschienenes Buch „Pfarrer, Christen und Katholiken“, kommentiert Röder Anfang 1992, dass die Kirchen entgegen aller Diffamierungen „unumstritten“348 in der DDR Freiräume boten. Für eine „Legende“ hält sie die Rede davon, „daß gesellschaftskritische, unruhige und politisch denkende Menschen lediglich unter dem ‚Dach der Kirche‘ zusammenkamen.“ Dagegen hält sie: „Die wichtigsten Impulse kamen zuerst aus den Reihen von Christen, die dies aus ihrem Selbstverständnis als Protestanten taten.“349 Unterstützt wird diese Sicht durch Michael Vesters Buch „Soziale Milieus in Ostdeutschland“350 , 344 345 346 347 348 349 350
Röder, Helden. Röder, Revolution. Weiss, Volk, 3. Heinemann, Revolution. Röder, Kommentar. Ders., Helden. Vgl. Vester / Hofmann / Zierke, Milieus.
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rezensiert im Oktober 1997 in DK. Darin kommt Dieter Rink351 zu dem Schluss, dass die meisten Gruppen den kirchlichen Freiraum keineswegs aus rein taktischen Gründen nutzten, sondern aufgrund des „praktizierten Zusammenhanges ihres Christseins und ihres gesellschaftlichen Engagements.“ So habe sich das politische Engagement „stark aus christlichen Motiven“352 gespeist. Ohne die Kirchen, so die einhellige Meinung, hätte es erstens keine Revolution und zweitens keine friedliche gegeben. Dissens zu dieser Meinung wird selten in den Kirchenzeitungen geäußert. Eine Ausnahme bildet 1994 der Schweriner Dompastor Karl-Friedrich Sagert. Er bemängelt an einem „Abend der Begegnung“ in der Schweriner Paulskirche, in Erinnerung an die erste Montagsdemonstration 1989 die ständige Rede davon, „daß die Kirche Träger der Wende gewesen sei“. Aber: „Es ist an der Zeit zu sagen, daß es so nicht war.“ Denn auch in den Betrieben sei die Bereitschaft, auf die Straße zu gehen, gewachsen. Daher müsse man eindeutiger und gesellschaftsübergreifender von den „Tapferen der Friedensbewegung“353 reden. Sagert wird 2009 noch einmal explizit als Gegenstimme zum Chor der Kerzenrevolutionärsanhänger erwähnt. Die Revolution sei nicht den Kerzen und Gebeten zu verdanken, sondern „als reife Pflaume vom Baum der Geschichte“ gefallen, zitiert ihn Baier. Allerdings dient Sagert hier als reine Negativfolie, geht doch der Bericht über den Hauptvortrag von EKBO-Generalsuperintendent Martin-Michael Passauer auf einer Tagung in die entgegengesetzte Richtung. Sein Fazit: Wenn Kirche „bei ihrer Sache bleibt, mischt sie sich ein, ergreift Partei [...] und erhebt öffentlich ihre Stimme. Die DDR hat Zeit ihres Lebens genau diese Stimme gefürchtet. Sie hat alles versucht, um diese Stimme zum Verstummen zu bringen.“354 Insgesamt überwiegt in den beiden Kirchenzeitungen eindeutig ein positives Bild von der Kirche in der DDR und ihrer ungemein wichtigen Rolle im Herbst 1989. Dieses Bild wird über die Jahre unverändert tradiert und reagiert höchstens brüsk abwehrend auf gegenteilige Meinungen. Dabei fällt auf, dass persönliche Erlebnisse zumeist im Mittelpunkt stehen, wissenschaftliche Forschungsergebnisse hingegen kaum wahrgenommen bzw. rezipiert werden. Das in den Kirchenzeitungen vermittelte Bild von Kirche in DDR und Wendezeit entspricht dem des in den analysierten Predigten von 1989/90 entworfenen. Aus den Erfahrungen von 1989 heraus verwehren sich verschiedene Autoren gegen Forderungen, Kirche müsse unpolitisch sein. So schreibt Baier von der für ihn befremdlichen Erfahrung, die er während einer Podiumsdiskussion im Schweriner Dom auf die Frage „Was erwartet die Öffentlichkeit von der Kirche?“ machte. Dort sei der Vorwurf erhoben worden, Kirche mische sich zu sehr in Politik ein. Viel Applaus habe die rein geistliche Aufgabenbeschreibung von kirchlichem Handeln erhalten: „Kirche soll wie ein wärmendes Feuer sein, Gottes Wort verkündigen und missionieren [...].“ Es irritiere, wenn der Ministerpräsident, zu DDR351 352 353 354
Vgl. Rink, Alternativmilieu. Rothe, Bildungsbürger, 3. Wulf, Jahre. Baier, Glaube.
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Zeiten als Synodaler „an brisanten politischen Erklärungen der Kirche beteiligt“, nun Kirche „auf das Feld der persönlichen Seelsorge verweist.“ Selbst an der Gemeindebasis werde dies aber mehrheitlich gewünscht, so Baiers ernüchterter Eindruck nach dem Abend. Dabei sei Kirche ihrem Auftrag nach „zur Sorge um die Gesellschaft – weltweit“355 aufgerufen, erinnert er die MKZ-Leser. Als zwei Jahre später der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Christoph Bergner die Kirchen zu mehr Zurückhaltung in politischen Fragen aufruft356 , reagieren Leser der MKZ empört. Eine solche „Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt und sich nirgends einmischt, haben sich übrigens Ulbricht und Honecker auch schon gewünscht.“357 , kommentiert ein Leser aus Pasewalk. Im Zuge der Stasiermittlungen wandelt sich zwar das öffentliche Bild von einer widerständigen Kirche in der DDR. Ab 1991 beherrscht das Thema „Stasi und Kirche“ staatliche und kirchliche Medien, 1991 unter anderem ausgelöst durch Besiers Publikation „Pfarrer, Christen und Katholiken“ und sein zwischen 1993 und 1995 erschienenes dreibändiges Werk „Der SED-Staat und die Kirche“. Die glorifizierte Erinnerung an Kirche in der DDR nimmt daran aber im innerkirchlichen Bereich keinen Schaden. Dies ist insofern beachtlich, als sowohl DK als auch die MKZ von IM-Enthüllungen ihrer Chefredakteure betroffen sind. Die Chefredakteure Werner Schnoor (MKZ 1963–1977), Gerhard Thomas (MKZ 1977–1986, ab 1986–1999 bei DK) und Jürgen Kapiske (MKZ 1991–1992) wurden über Jahre hinweg als IM geführt. Während Kapiske eindeutig kirchenschädigende Intentionen nachgewiesen werden konnten, stellte sich das Redaktionskollegium von DK hinter Thomas nach Bekanntwerden der Vorwürfe: „Es ist jedoch für uns nicht erkennbar, daß dadurch der Zeitung oder einzelnen Mitarbeitern Schaden entstand. Allerdings bedauern wir, daß Thomas darüber nicht eher redete.“ Er wird zwar im Oktober 1992 beurlaubt, bis die Überprüfung durch die Gauck-Behörde abgeschlossen ist. Doch für DK ist klar: „Wir rechnen damit, daß Thomas danach wieder unser Chefredakteur ist.“358 , was dann auch geschieht. Dass gerade Thomas noch im November 1991 unter dem Titel „Überprüfung“ darauf verweist, dass eine IM-Überprüfung durch die Gauck-Behörde nicht ausreiche, da dabei keine „eindeutige Sortierung in Täter und Opfer“ herauskäme, bekommt so eine sehr persönliche Note. Die Kirche dürfe sich nicht vom öffentlichen Vorwurf verunsichern lassen, durch ihre rigorose IM-Einzelfallbetrachtung „Dinge unter den Tisch kehren“ zu wollen. Denn dagegen „wird sie sich ebenso wenig wehren können, wie Jesus sich gegen den Vorwurf wehren konnte, ein ‚Freund der Zöllner und Sünder‘ zu sein.“359 Im Nachhinein mutet das wie ein vorweggenommenes Geständnis seiner eigenen IM-Tätigkeit an. In beiden Zeitungen wird die Aufarbeitung der innerkirchlichen Stasivergangenheit v.a. zwischen 1991 und 1997 kritisch begleitet. 1997 scheint ein Aufat355 356 357 358 359
Baier, Kirche. Vgl. Bergner, Kirchen. Götz, Lauheit. Redaktionskollegium DK in Berlin, Magdeburg, Greifswald und Görlitz, Sache. Thomas, Licht.
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men durch die Kirchen zu gehen. Der vorläufige Abschluss der kirchlichen StasiÜberprüfungen widerspräche allen Alarmmeldungen. Mit einem durchschnittlichen Anteil von 1–2% IMs innerhalb der Pfarrerschaft war die Kirche nicht stärker als andere gesellschaftliche Institutionen durchdrungen .360 Insgesamt wehrt man sich vehement gegen den Vorwurf einer „Stasi-Kirche“. In der Frage nach dem Umgang mit enttarnten IMs herrscht in den unterschiedlichen Artikeln kein Konsens. In ihrer Erklärung zur Stasi-Problematik vom September 1992 betont die PEK, Stasikontakte könnten nicht pauschal mit Mitarbeit gleichgesetzt werden. Ebensolche dienten vielmehr als geradezu notwendiges Mittel einer „Kirche für andere“, die so ihrer „Schutz- und Asylfunktion“361 nachkam. Einmütig sind alle bei der Frage der Notwendigkeit von Erinnern. 1994 warnt Gauck eindringlich vor der Schließung der Stasi-Akten, wie es sein „verirrter Freund Schorlemmer“362 fordere. Drei Monate später kommentiert Bettina Röder die Diskussion um eine Amnestie für „kleine IMs“. Eine solche sei ja gar nicht möglich, da bisher kaum einer der Hauptamtlichen, geschweige denn der IMs verurteilt wurde. Stattdessen säßen „Verantwortliche aus DDR-Zeiten – nicht nur Stasi-Belastete – längst wieder in einflußreichen Positionen“363 . Die Akten zu schließen, so der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in MecklenburgVorpommern, Jörn Mothes, im Oktober 1998, wäre ein „Beitrag zur Verdrängung und nicht zur Vergebung.“364 Geradezu höhnisch klingt die Aufforderung des mecklenburg-vorpommerschen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff in seiner Regierungserklärung 1998, wenn er die Opfer der SED-Herrschaft auffordert, sich selbst aus „der lähmenden Vergangenheit zu befreien“. Nun sei ihnen die „schmerzliche Einsicht“ zumutbar, dass Unrecht nicht rückgängig zu machen ist. In Jeutners Augen eine der rotroten Koalition geschuldete „Kapitulation vor dem alten, aufarbeitungsfeindlichen Geist in der PDS“365 . Der in den Predigten 1990 begonnene Kampf gegen die Wahl der PDS wird auch ein Jahrzehnt später im kirchlichen Milieu unbeirrt fortgesetzt.
360 361 362 363 364 365
Vgl. EPD, Studie. DK, Stasi-Problematik. Baier, Nostalgie. Röder, Amnestie. Wulf, Umkehr. Jeutner, Rätselhaft.
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Der Umgang mit Vergangenheit und Schuld Immer wieder wird die Erinnerungsschieflage zugunsten der Täter kritisiert. Während die Geschichten der Opfer in Vergessenheit zu geraten drohen366 , wird in kirchlichen Kreisen gern die Frage nach der Mitschuld an den DDR-Verhältnissen aufgeworfen367 und eine „seelsorgerliche Verantwortung für die Täter“368 gefordert. Entsprechend lautet der Schlusssatz der Erklärung „Kirche – Gesellschaft – Staatssicherheit“ des Rates der EKD: „Die notwendige Aufarbeitung der Zeit darf das Unheil nicht verschlimmern. Sie muß der Heilung dienen.“369 Gauck mahnt 1994 auf dem mecklenburgischen Pastorentag vor zu schnellem Vergessen: „Unser tragischster Fehler war, als wir Diktatoren nicht mehr Diktatoren nannten, nur weil sie nicht mehr offen folterten. Wir müßen uns fragen, wie wir zu dieser selektiven Wahrnehmung gekommen sind; daß Menschen wie wir uns haben benutzen lassen. Daß wir, statt hinzuschauen, lieber die kritischen westlich-linken Philosophen lasen, die es uns ermöglichten, es hier auszuhalten und hier zu leben.“370
Ein kräftiger Hieb in Richtung der linksliberalen Pastoren von 1989, die 1994 allesamt in ihren „besten Jahren“ in der ELLM tätig waren. Fünf Jahre später fordert Gauck erneut die Kirchen auf, sich ihrer Vergangenheit verantwortlich zu stellen und den Opfern des SED-Regimes Aufmerksamkeit und Fürsorge entgegenzubringen. Dabei spricht er ein in kirchlichen Kreisen bis in die Gegenwart hinein heikles Thema an, den Umgang mit kirchlichen Mitarbeitern, die einen Ausreiseantrag aus der DDR stellten. Damit hätten diese „früh ihre Selbstbestimmung wahrgenommen“. Nun sei es an der Zeit, ihnen „ein Wort des Respektes zu sagen: Es ist nach wie vor nicht unser Weg, aber wir haben erkannt, wie wichtig Freiheit für jeden Einzelnen ist.“ Statt eines förmlichen Schuldbekenntnisses wünscht sich Gauck die individuelle Würdigung des Leidens „der Eingesperrten und Zersetzten“371 . Gerade dies aber geschehe viel zu wenig und leise, beklagt 2000 Altbischof Rathke. Es herrsche nachgerade ein „Erinnerungsnotstand“372 . Viele Opfer würden noch immer aus Scham über das Erlebte schweigen. Zugleich seien sie gesellschaftlich häufig benachteiligt gegenüber früheren Parteifunktionären und würden kaum finanziell entschädigt. Auf einer Tagung zur Wirkungsgeschichte kirchlichen Handelns in der DDR am 26. Februar 2005 wurden dieselben Klagen erhoben. Mothes rückte dabei die durch das MfS zersetzten, kirchlichen Mitarbeiter aus der Jugendarbeit in den Blick: „Bis heute werde 366 367 368 369 370 371 372
Vgl. die Kritik daran bei: Röder, Kommentar; ders., Zeitzeugen; ders., Jahrestage; Wulf, Umkehr; Jeutner, Rätselhaft; KIZ, Erinnerungsnotstand; Hoffgaard, Wunden. Vgl. u.a. Rabe, Friedensengel; Baier, Nostalgie. Röder, Kommentar. DK, Erklärung, 2. Baier, Nostalgie. Jeutner, Ohnmacht. KIZ, Erinnerungsnotstand.
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oft gesagt, die Betroffenen hätten ja auch einen Ansatzpunkt geliefert“, lautet seine Kritik. Auf diese Weise wirke das „späte Gift der Stasi“373 bis in die Gegenwart hinein. Auf derselben Tagung wies Altbischof Beste hingegen den Vorwurf, nicht genügend für die Opfer getan zu haben, zurück. Es habe ausreichend kirchliche Angebote gegeben, die allerdings selten zu innerer Heilung geführt hätten. Oftmals sei eine weiterführende, ständige Begleitung vonnöten. Diese vielleicht unauflösbare Spannung zwischen kirchlichem Handeln und durch die Opfer empfundene Wiedergutmachung hält bis heute an. Stefan Engert kam in seiner groß angelegten Studie zum Umgang mit DDR-Unrecht zu einem vergleichbaren Ergebnis: Technisch sei die Aufarbeitung gut abgelaufen. Doch aus „holistischer Perspektive“ blieb sie „unvollständig“, allein schon, weil es bis heute „keine Reuebekundung in Form einer öffentlichen Entschuldigung“374 durch politische Hauptverantwortliche (mit Ausnahme Schabowskis) gegeben habe. 3.3.3 Auswertung von biblischen Auslegungstexten Beide untersuchten Kirchenzeitungen bieten ihren Lesern wöchentlich auf der ersten Seite eine kurze biblische Betrachtung zum Predigttext bzw. zu einem Ausschnitt desselben vom bevorstehenden Sonntag. In DK stand diese stets unter der Überschrift „Wort zur Woche“. In der MKZ/ MPKZ befinden sich diese Texte in der Regel im unteren Bereich auf Seite 1. Daneben gibt es vereinzelt ausführlichere biblische Betrachtungen zu besonderen Anlässen wie Weihnachten oder die bischöflichen Gedanken zur Jahreslosung am Anfang eines Jahres. In den Jahrgängen 1989–2010 wurden 74 Texte von 24 Autoren gefunden, die zurückblicken auf das Christsein in der DDR sowie die friedliche Revolution und ihre Folgen. Die Chefredakteure Beste (4) und Baier (17) (beide MKZ), Thomas (13) und Wolfgang Nixdorf (6) (beide DK), sowie Friedrich Wilhelm Rabe (auch Fritz (W.) Rabe, 4) lieferten die meisten Beiträge. Alle anderen Theologen verfassten 1–3 für diese Untersuchung interessante Texte. In den für die friedliche Revolution besonders relevanten Monaten häufen sich die Rückblenden. 48, fast zwei Drittel der 74 untersuchten Texte, erschienen zwischen August und Dezember. Bis auf Martina Gehlhaar stammen alle Verfasser aus Ostdeutschland und waren 1989 aktiv beteiligt. Da also sowohl Verfasser als auch Leser zum allergrößten Teil ihre gemeinsame DDR-Vergangenheit teilen, reichen schon kurze Andeutungen, um die Leser zurück in die Vergangenheit zu versetzen. In Anlehnung an die Predigtauswertung im dritten Kapitel werden diese Texte unter drei thematischen Gesichtspunkten kausal-chronologisch analysiert. Zunächst wird untersucht, wie das Leben in der DDR im Nachhinein dargestellt und bewertet wird. Zum Zweiten wird das von der Revolution 1989 gezeichnete Bild betrachtet samt der Rolle der evangelischen Kirchen und dem Umgang mit der Vergangenheit. In einem dritten Schritt werden die theologischen, zumeist geschichtstheologischen Deutungen dargestellt. 373 374
Hoffgaard, Wunden. Engert, Diagnose, 360.
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Leben in der DDR Hauptthema in der Auseinandersetzung mit dem Leben in der DDR ist die Unterdrückung der Christen. Mit ihrer Geduld waren die Menschen in der DDR spätestens 1989 am Ende. „Wir waren es leid, noch länger gegängelt und unterdrückt zu werden.“375 , erinnert Eckhart Ohse am zweiten Advent 1991. Dabei hatten auch Christen nach 1945 zunächst scheinbar berechtigte Hoffnungen auf ein „besseres Deutschland“. Doch irgendwann gaben sie das Hoffen auf. Baier sieht in dieser nach 1945 enttäuschten „Naherwartung eines kommendes Reiches, das die Erfüllung vieler, wenn nicht gar aller Träume bringen sollte“376 , Parallelen zum Herbst und Winter 1989. Die klaren Fronten in der DDR zwischen Staat und Kirche hatten für Thomas als Jugendlichen hingegen auch etwas Positives. 1952 habe er in der 12. Klasse während der erbitterten Auseinandersetzungen um die „Junge Gemeinde“ stolz und trotzig sein Kugelkreuz in der Schule getragen.377 Wie Petrus sich im Gefängnis fühlte, könnten ehemalige DDR-Bürger wohl bis heute gut nachvollziehen, so Nixdorf 2000, selbst „wenn wir seit über zehn Jahren keine Angst mehr vor plötzlicher Verhaftung und der Einweisung in ein Stasi-Gefängnis haben müssen.“378 Lebendig ist ihm noch die Woche nach dem Mauerbau am 13. August 1961. „Wir konnten es alle nicht fassen – auf einmal waren wir eingemauert.“379 Umso mehr bewunderte Baier jene „Pastoren und ihre Familien, die in den 50er Jahren aus dem Westen Deutschlands in die DDR umgesiedelt waren“380 . Deren lebendiges Zeugnis habe ihm Mut gegeben, sein Christsein ebenfalls nicht zu verschweigen in Schule und Lehre. Sich mit Röm 1,16 nicht des Evangeliums zu schämen war zu DDR-Zeiten nicht nur Zeichen des Glaubens, sondern in erster Linie des Mutes. Es kostete so manchen „das Abitur, die Karriere oder die persönliche Freiheit“381 , erinnert Petra Bockentin 2004. Hinzu kam die für christliche Schüler typische Erfahrung, vor der Klasse für ihren Glauben bloßgestellt zu werden. Anknüpfungspunkt war zumeist der seitens des Staates hochstilisierte Gegensatz von Wissenschaft und Religion, Wissen und Glauben. „Weißt du es oder glaubst du es nur?“, wurde Baier von seiner Lehrerin gefragt und dabei empfindlich getroffen.382 Eine idealistische Verklärung der Solidarität in der DDR, die deren Ursache außer Acht lässt, wird kritisiert. Baier stimmt zwar den Menschen darin zu, dass die Zeiten nach 1989 rauer seien. Gemeinsamer Mangel habe die Menschen verbunden.383 „Nicht alles war schlecht in der DDR“ sei eine „Binsenweisheit“. Diese
375 376 377 378 379 380 381 382 383
Ohse, Menschen. Baier, Chance. Vgl. Thomas, Ritterrüstung. Nixdorf, Ketten. Ders., Johannes. Baier, Mauerspringer. Bockentin, Scham. Baier, Vertrauen. Vgl. ders., Klimawechsel.
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dürfe aber, so Albani 1997, nicht benutzt werden, um „die menschenverachtenden Züge der DDR-Wirklichkeit zu verklären.“384 Alle Autoren sind sich einig, dass der Atheismus eine, wenn auch vollkommen degenerierte, Religion darstellt. Zur Jahreslosung Apg 17,27 von 1989 schreibt Bischof Stier: „Der Mensch, der sich selber zum Maßstab setzt und sich vergöttern läßt, wird zum Tyrannen und Unmenschen.“385 Hermann Beste, mecklenburgischer Landesbischof von 1996 bis 2007, konstatiert Anfang Dezember 1989, „daß sich hier kein Paradies bauen läßt und auch der ‚beste Sozialismus‘ sich als sehr unvollkommen herausstellen wird.“386 Verstehen kann Stier die Enttäuschung derjenigen, die „ehrlichen Herzens an die großen Lichter und ihre Worte“ glaubten. Eine ganze Welt ist für jene „zusammengebrochen“, aufgebaut aus „Schein und Täuschung“387 . Das Volk, so Ohse 1992, wurde von den Nazis zur Religion stilisiert. In der DDR hingegen sollte es als „Antireligion“ dienen, um so „die Religion mit Gegenreligion, mit Atheismus niederzuzwingen.“388 Sein Bruder Eckert Ohse vergleicht zu Pfingsten 1993 den Aufbau des Sozialismus mit dem Turmbau zu Babel. Erstrebtes Ziel war eine „klassenlose Gesellschaft“ und mit ihr „der Himmel auf Erden“. Doch solch menschlicher Größenwahn müsse misslingen, weil Gott selbst ihn verwehrt als „Titanismus“, der „nur Unglück über die Welt bringt“389 . Einen weiteren Vergleich zwischen biblischer Geschichte und DDR-Staatsdoktrin führt Baier 1996 an. Auch die DDR-Ideologen hätten schlichte Bilder vom Weltgericht geliebt. „Da galt es, auf der Seite der Sieger der Geschichte zu stehen.“390 Selbst die sozialen Forderungen von Karl Marx seien keineswegs originell, so Baier. Schon in der Exodusgeschichte werde das Manna gerecht ohne Gleichmacherei verteilt. Am Ende hatte jeder soviel er brauchte, ohne zwingend genauso viel wie sein Nachbar gesammelt zu haben: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen wirklichen Bedürfnissen – das ist nicht nur Karl Marx. Das ist die Bibel.“391 Der marxistisch-leninistische Atheismus in der DDR sei eine Weltanschauung mit sektiererisch-religiösen Zügen gewesen, eine Antireligion und genau darum selbst eine Religion, daran kommt bei den Autoren kein Zweifel auf.
384 385 386 387 388 389 390 391
Albani, Worte. Stier, Jahreslosung. Beste, Wünsche. Stier, Weg. Ohse, Volk. Ohse, Gott. Baier, Urteile. Ders., Mensch.
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Rückblick auf 1989/90 Ab 1991 wird die Frage der Vergangenheitsbewältigung aufgeworfen. Knapp ein Jahr vor seiner eigenen Enttarnung als IM im Oktober 1992 plädiert Thomas im November 1991 für intensive innerkirchliche Gespräche über die „Kirche im Sozialismus“. Auch hier lägen Licht und Schatten nah beieinander.392 Vier Jahre später äußert er sich erneut zum Thema. „Bewältigung“ versteht er nicht als „Erledigung“ oder gar Vergessen, sondern als Aufforderung, „möglichst genau und konkret zu erinnern“. Gut sei es, auf die Geschichte Gottes zu vertrauen, „die ihr als Barmherzigkeit erfahrt“. Kein „Freibrief für Geschichtsvergessenheit“ werde dadurch ausgestellt. „Aber beides miteinander anzunehmen, die Last persönlicher wie kollektiver Geschichte und die Entlastung durch Barmherzigkeit, ist schon der Beginn einer neuen Geschichte.“393 Es ist zu lesen als das ganz persönliche Zeugnis eines Menschen, der sich - trotz seines den Lesern bekannten Fehlverhaltens als IM - von Gott angenommen weiß. Zwei Jahre später prangert er mit Röm 14,10 die herrschende Richtermentalität in der Gesellschaft an. Der rechtliche Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ sei auf moralischer Ebene „unter uns leider weithin nicht die Praxis.“394 Dagegen merkt man Baier 1996 die Verärgerung über Memoiren von in der DDR mächtigen Männern im Allgemeinen und Bischof Gienke im Besonderen an. Sie versuchten nun, sich als Menschen „wie wir“ zu inszenieren. Einziger Unterschied war ihre „Mission: Ein Reich voll Gerechtigkeit und Frieden – und Freiheit, ja auch das irgendwann [...].“395 Dass selbst 16 Jahre nach dem Ende der DDR Verletzungen noch tief sitzen, demonstriert Nixdorf 2005. Er schildert eine in ostdeutschen Kirchgemeinden alltägliche Situation. Zitiert wird eine Frau mit den Worten: „Ich kann nicht zum Abendmahl gehen, wenn auch Frau Meier geht [...]. Diese rote Socke!“ Vergebung wird hier zum schier unmöglichen Kraftakt, Gerechtigkeit Gottes als nach menschlichen Maßstäben zutiefst ungerecht empfunden.396 Mit wachsendem zeitlichen Abstand werden Bilder und Erfahrungen vom Herbst 1989 durch Stichworte bei den Lesern wachgerufen. 1999 schreibt Baier vom laufenden „Erinnerungsmarathon“ im Gedenkjahr. Er weckt Erinnerungen an die „Klarheit der wenigen Worte beim Friedensgebet“, an die in der Menge überwundene Angst und ihr Symbol, die Kerzen. Für Baier ist dies kein Schwelgen in längst Vergangenem, sondern Handlungsaufforderung, „sich wieder des eigenen Mutes zu erinnern“397 . Den Tag der deutschen Einheit 2004 nimmt Nixdorf zum Anlass, um an „Wunder, die wir erlebt haben“ zu erinnern. Unvergessen
392 393 394 395 396 397
Thomas, Licht. Ders., Geschichte. Ders., Diktatoren. Baier, Chance. Nixdorf, Regeln. Baier, Mut.
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seien die Bilder von damals: „Überfüllte Kirchen, in denen auch Nichtchristen begeistert mitsingen: ‚Herr erbarme dich!‘ Jubelnde Menschen [...].“398 Von einer unvollendeten Revolution 1989 spricht 1992 Ohse. Allerdings liegen hier keine enttäuschte Phantasien eines „dritten Weges“ zu Grunde. Er bemängelt den fehlenden geistlichen Aufbruch 1989, die ausgebliebene Rechristianisierung Ostdeutschlands. Zwei Schritte habe die „Kerzenrevolution“ vollbracht: „Wir sind das Volk, wir sind ein Volk! Aber nicht den dritten Schritt: Wir sind sein Volk!“399 Die wichtige Rolle der evangelischen Kirchen für die Revolution 1989 wird noch während dieser selbst von Beste konstatiert. So schreibt er drei Tage nach dem Mauerfall: „Eine Wurzel der ‚Wende‘ in unseren Tagen sind die Friedensgebete in den vielen großen und kleinen Kirchen.“ Wer „dona nobis pacem“ sänge, könne „nachher auch seinen politischen Gegner nicht mit brutaler Gewalt, sondern nur mit der Macht der besseren Argumente überwinden.“400 Einen Monat später weitet Beste die Bedeutung der evangelischen Kirchen für die „Novemberrevolution des Jahres 1989“ zeitlich aus. Gerade auch „Menschen außerhalb der Kirche“ würden die „Haltung der evangelischen Kirche in den letzten Jahren und Monaten“ nun anerkennend beurteilen. So groß der Wert eines politischen Auftrags der Kirche auch sei, das wichtigste ist die „geistliche Kraft“. Wenn nun Kirchenleute öffentlichkeitswirksam aufträten, so dürfe dabei nicht vergessen werden, wer die kirchliche Arbeit letztlich trage: Die müde Katechetin, der Kirchenälteste, die oftmals belächelten, „paar alten Frauen“401 . Die hier schon anklingende kritische Sicht auf politisches Engagement kirchlicher Mitarbeiter wird bei Beste zwei Wochen später noch deutlicher. Am Altjahresabend 1989 beschreibt er die hart aufeinanderprallenden Meinungen innerhalb der Gemeinden. „Die einen sagen: Wie kann sich die Kirche so ins politische Feld hineinbegeben, das hat mit Evangeliumsverkündigung nichts mehr zu tun! Andere halten dagegen: Hier erst entspricht die Kirche ihrem Auftrag.“ Er positioniert sich in dem Artikel indirekt, indem er einen Maßstab für die Bewertung kirchlichen politischen Handelns formuliert: „Wenn die Gemeinde und die Christen in ihr in den aufregenden Ereignissen dieses Jahres es ermöglicht haben, daß der gnädig wirkende Gott durch sein Wort und ihren Dienst die Herzen mancher Menschen fest und die Gewissen freier hat werden lassen, dann, nur dann, standen sie im rechten Dienst.“402 In den Texten wird immer wieder ein bestimmtes Bild der Revolution gezeichnet: Die Menschen haben sich in den Kirchen versammelt, gebetet und gesungen. Danach zogen sie gestärkt auf die Straße zum Demonstrieren. Die gesellschaftsverändernde Wirkung der Friedensgebete nimmt Thomas 1996 zum Anlass, für mehr
398 399 400 401 402
Nixdorf, Brücke. Ohse, Volk. Beste, Friedensdekade. Ders., Schatten. Ders., Schwelle.
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Gott – Geschichte – Predigt
und bessere Gottesdienste zu plädieren, immerhin die „wertbeständigste kirchliche Veranstaltung“403 . Theologische Deutungen Den Mächtigen in der DDR war die Sprengkraft biblischer Texte durchaus bewusst. Baier nennt als Beispiel eine im Nachhinein fast lächerlich anmutende Episode, welche die irrationale Panik des Staates widerspiegelt. So habe die Pressezensur Einspruch erhoben gegen einen Beitrag auf der „Kinderecken“-Seite der MKZ, in welchem vom Aufbruch Abrahams erzählt wurde: „Hier werde zur Republikflucht oder gar zum Sturz der DDR aufgerufen“404 , befürchteten die Zensoren. Weil Wahrheit in der DDR kriminalisiert wurde, bekam das in Predigten und kirchlichen Dokumenten ausgesprochene, offene Wort eine „geradezu subversive Kraft“405 , erinnert Albani. Dem stimmt Thomas zu. Eph 6,11 sei für ihn in Zeiten des Kampfes gegen die „Junge Gemeinde“ geradezu ein „Manifest“ gewesen, erinnert er sich 1997.406 Geschichten wie die vom Auszug aus Ägypten waren „jedem Christenlehrekind wohlvertraut“. Einer großen Auslegung durch die Prediger bedurfte es kaum, „nur zu gern bezogen viele Hörer, darunter auch ich, ihn auf sich und unsere Situation in der DDR. Und wie selbstverständlich sahen wir uns als Gottes Volk, das widerrechtlich bedrückt wurde.“407 , erinnert sich Baier 1999. Dieser Geschichtenkomplex um den Auszug aus Ägypten und die Wüstenwanderung ist es auch, der, wie schon in den analysierten Predigten von 1989/90, am häufigsten vorkommt bei Vergleichen zwischen den in der DDR gemachten Erfahrungen und biblischen Geschichten. 1993 erzählt Baier, wie die Exodusgeschichte von Christen in den letzten Jahren der DDR für sich entdeckt wurde. „Kam in ihr nicht alles vor, was uns begegnete? Der Aufstand gegen die Bedrücker. Die Vision vom gelobten Land. Das Verzweifeln angesichts des langen Weges voller Steine.“408 Ein halbes Jahr später fragt Axel Walter nach dem Nutzen alter Lebenserfahrungen für die Gegenwart und setzt die letzten Jahre (ob nur die DDR-Zeit und/ oder die Jahre nach 1989 ist nicht erkennbar) indirekt mit der Wüstenwanderung gleich. Bei aller Unsicherheit dürfe darauf vertraut werden: „Gott sorgt für seine Gemeinde“. Explizit stellt er sich und die Leser in einen geschichtlichen Zusammenhang mit Bibellesern vergangener Zeiten. „Wir sind nicht die ersten gewesen, die in Situationen der Bedrängnis die alten biblischen Geschichten persönlich auf sich bezogen haben.“409 , rechtfertigt er solch diachrone Interpretation. 403 404 405 406 407 408 409
Thomas, Türhüter. Baier, Ziel. Albani, Worte. Vgl. Thomas, Ritterrüstung. Baier, Auftrag. Ders., Entdeckungen. Walter, Führung.
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Noch persönlicher wird der Vergleich, den Baier 1996 zwischen den „Bürgerrechtler(n) von einst“ und Moses zieht. Beide setzten viel aufs Spiel, verzichteten auf Privilegien, aus Sorge um das Wohl des Volkes. „Doch was tat ‚das Volk‘, für das sie es taten? Kaum frei von den alten Machtstrukturen, unterwarf es sich freiwillig anderen falschen Göttern… Mit dieser Enttäuschung müssen wohl alle leben, die sich für andere engagieren, die dann doch ihre eigenen Wege gehen.“410 Im Gegensatz zu den verbitterten Bürgerrechtlern habe Moses die Größe und Menschenliebe besessen, trotz der Interessengegensätze für das Volk vor Gott einzutreten. Zwei Monate später vergleicht Baier die laut einer Studie besonders „anpassungs- und leidensfähige(n)“ Ostdeutschen mit den Israeliten in der Wüste. Obwohl er vordergründig die Israeliten zu beschreiben scheint, ist den Lesern die Parallele zur eigenen Situation einleuchtend. Dazu tragen nicht zuletzt solch geprägte Formulierungen wie „blühende Landschaften“, „leidens- und anpassungsfähig“ oder „Gemeinsinn“ bei.411 Anhand von Jes 58,7 erzählt Baier 1993 gleichzeitig zwei Geschichten: Die vom in ein Nord- und Südreich geteilten Israel und die vom Deutschland im 20. Jahrhundert: „Vor Jahrzehnten hatten die Sieger das Urteil über das Volk nach dem verlorenen, großen Krieg gesprochen: Das Land wurde zerteilt [...].“ Interessant ist hierbei die externe Begründung für die neugewonnene Einheit: „Solange, bis sich im Großreich des ehemaligen Siegers ein politischer Wandel vollzog und ein neuer Herrscher beschloß: Sie sollen wieder ein Volk sein.“ Wenngleich die Bibel nicht von Deutschland berichte, mache die Parallele betroffen, „gerade weil sie nicht bewußt herausgesucht worden ist für diesen Erntedank- und Nationalfeiertag“412 . Weihnachten desselben Jahres bildet erneut ein Jesajatext die Grundlage für die biblische Betrachtung Baiers. Letztmals sei Jes 9,1 vor sieben Jahren, Heiligabend 1986, laut Perikopenordnung vorgesehen gewesen. Damals sei „Ungeheuerliches“ von der Kanzel zu hören gewesen: „Ein ganzes Volk tappt im Dunkeln. [...] Der Prediger brauchte keine kunstvolle Übersetzung ins Heute. Er wurde verstanden [...].“ Für Baier war damals eindeutig: „Ja, wir waren dieses Volk. Ja, solchen Herrscher wollten wifddfr; eine Friedensfürst, in dessen Reich Recht und Gerechtigkeit kein Ende nehmen werden.“ 1993 sei eine solche Identifizierung mit dem „Volk, das im Finstern lebt“, nicht mehr kollektiv möglich. Der eine lebe nun freier als damals, der andere wurde so bitter enttäuscht, dass er nichts mehr von verheißenem Licht hören möchte. „Das, was uns einst einte, unsere Situation, unsere Hoffnungen, trennt uns nun.“413 Geschichtstheologische Deutungen der friedlichen Revolution haben in den Kirchenzeitungen einen festen Platz. Sie werden mit einer Selbstverständlichkeit verfasst, die darauf schließen lässt, dass sich die Autoren der Zustimmung ihrer Le410 411 412 413
Baier, Gerade. Ders., Mensch. Ders., Wahrheit. Ders., Volk.
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Gott – Geschichte – Predigt
ser sicher sind. Apologetische Verteidigungen der Kirchen in der DDR gegenüber Stasivorwürfen lassen ab Ende der 1990er rapide nach. Das Bild einer mutigen, standhaften, von Gott geführten kleinen Bekenntniskirche bestimmt die binnenkirchlichen Erinnerungen und wird theologisch in der Nachfolge von Gottes Rettungshandeln an Israel interpretiert. Als Christ in der DDR zu leben, bedeutete sowohl die Erfahrung von Gottes Ferne (Atheismus) als auch Nähe (Bewahrung trotz atheistischen Umfelds). Letzteres kennzeichnete Gottes Walten im Herbst 1989, an welches die Autoren ihre Leser beständig in Form von Glaubenssätzen erinnern. So wie Israels Gottesbeziehung bis heute durch den Auszug aus Ägypten bestimmt wird, stilisieren viele Autoren die friedliche Revolution 1989 zur Selbstoffenbarung Gottes des Befreiers. Damit nehmen die damals unter 50-Jährigen heute Deutemuster ihrer 1989 älteren Kollegen auf. Je ferner die Revolution und je älter die Autoren, desto stärker die heilsgeschichtlichen Zuschreibungen. 3.4 Zusammenfassung Das in den norddeutschen Predigten, Radioandachten, kirchlichen Andachtstexten und Kirchenzeitungsartikeln entworfene Geschichtsbild von der Revolution 1989, ist im Rückblick erstaunlich einheitlich. Im innerkirchlichen Erinnerungsdiskurs wird die friedliche Revolution als „protestantische“ oder gar „göttliche“ Revolution erinnert, wenngleich der Begriff selbst selten fällt. Die Komplexität der Ursachen für die politische Wende 1989 wird stark reduziert auf zwei Handlungssubjekte: Die DDR-Bürger (zumeist Christen) und die evangelischen Kirchen. Deren Handeln wird überdurchschnittlich oft am Beispiel Leipzig und der Nikolaikirche samt ihrem Pfarrer Führer veranschaulicht. Westdeutsche Rückblicke nutzen fast ausschließlich dieses prominente Beispiel, ostdeutsche Autoren greifen naturgemäß auch auf eigene Erfahrungen 1989/90 zurück. Das persönliche Erleben des Herbstes 1989 steht in vielen Erinnerungen im Mittelpunkt und wird häufig pathetisch ausgeschmückt. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die deutsche Einheit das einschneidenste Ereignis aller damals über 15-jähriger Ostdeutscher war. Westdeutsche Autoren tragen ihre eigenen Geschichten bei, die den ostdeutschen teilweise in Emotionalität nicht nachstehen. Nicht nur die Bedeutung von Christen und Kirche 1989, auch das Wirken Gottes im revolutionären Herbst ist Konsens unter den Predigern und Journalisten in der Kirchenpresse. Dies wird allerdings in den analysierten Texten keinesfalls systematisch-theologisch entfaltet, sondern entspringt dem persönlichen Gefühl der Verfasser. Wem die heilstheologischen Implikationen zu stark erscheinen, spricht geschichtstheologische Deutungen gern mit Hilfe von Bibelzitaten aus. Erinnerung soll Auswirkungen auf die Gegenwart haben, darin sind sich alle Autoren einig. Entsprechend gern wird der Herbst 1989 als Beispiel für politisch erfolgreiches Bürgerengagement genutzt. Damals sei die wertvolle Erfahrung gemacht worden, dass sich scheinbar starre Systeme durch die Macht des Volkes ändern lassen. In etwas naiver Ausblendung der innen- und außenpolitischen Kon-
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stellationen wird 1989 zur Mutter aller zivilgesellschaftlichen Aktivitäten stilisiert. Was damals möglich war, so lautet die mantramäßig wiederholte Lehre, kann immer wieder wahr werden. Dass es Jahrzehnte dauerte, bis die kritische Masse der Unzufriedenen groß genug war, wird ebenfalls vernachlässigt. Zugleich fungiert der 1989 als herausragend erlebte Einfluss kirchlichen Handelns als Beleg für einen gesellschaftspolitischen Auftrag der Kirchen. Aufforderungen seitens der Politiker oder der Gemeindebasis, sich auf geistliche Bereiche zu konzentrieren, werden entsprechend als Zurückdrängung der Kirchen aus dem öffentlichen Raum gewertet und mit den Zielen der SED-Kirchenpolitik gleichgesetzt. Drei westdeutsche Theologen und der ostdeutsche Journalist Schacht bemühen 1989 gar für einen innerweltlichen Gottesbeweis. Pastor Sauerberg versteht 1989 plakativ als Gegenbeweis einer „Gott-ist-tot-Theologie“. Man müsse auch weiterhin mit Gottes Handeln in der Welt rechnen.414 Bischöfin Fehrs stilisiert die friedliche Revolution zum Gottesbeweis für religiös Distanzierte. Sie kann es sich nicht anders vorstellen, als dass jeder damals „im Innersten berührt“ war und fühlte, „dass hier eine Macht am Wirken war, die das Menschliche sprengt.“415 SPD-Politiker und MdB i.R. Haack erkennt im Agieren Gorbatschows einen Beweis für Gottes die Weltgeschichte lenkende Hand.416 Für einen Beweis von Gottes heilsökonomischen Handeln, der allein dem Glaubenden zugänglich ist, hält der ostdeutsche Theologe und Journalist Schacht die „christliche“417 Revolution 1989. Wegen des Ausbleibens einer dem Herbst 1989 folgenden christlichen Erneuerungsbewegung im Osten Deutschlands muss wohl davon ausgegangen werden, dass – wenn überhaupt – nur Christen dieses Gefühl teilten. Denn die Erkenntnis eines solchen Offenbarungswunders wird schon im NT allein durch den Glauben vermittelt. „Durch ihre Bindung an den Glaubensbegriff bleiben Ambivalenz und Unverfügbarkeit der Wunder gewahrt, durch die sie sich von allen Formen der Magie unterscheiden.“418 Wenn gilt, um bei der Definition Dirk Evers zu bleiben: „Ein Wunder ist ein Verwunderung hervorrufendes, außergewöhnliches Ereignis, das eine überraschende Wende zum Heil heraufführt und darin auf Gott als den Grund der Wirklichkeit verweist.“419 , kann das Geschehen des Jahres 1989 als ein solches interpretiert werden. Und auch die Funktion eines Gottesbeweises ist innerhalb des Glaubens zulässig, weil jedes Wunder dem Glaubenden Gottes Macht demonstrieren kann. Ein objektivierbarer Nachweis von Gottes Existenz kann damit nicht erbracht werden, weil die Anerkennung Gottes als Herrscher über Himmel und Erde zunächst den Glauben daran voraussetzt. Sogenannte „Beweise“ Gottes können damit im Einzelfall auf den vorhandenen Glauben stärkend wir-
414 415 416 417 418 419
Vgl. Sauerberg, Predigt am 3.10.2010. Fehrs, Gottesdienst am 9.11.2014, 2. Vgl. Haack, Wiedervereinigung, 211. Schacht, Wunder, 290. Evers, Wunder, 23. Ebd., 24.
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Gott – Geschichte – Predigt
ken, einen solchen jedoch nicht aufbauen. Dafür ist die Bandbreite der säkularen Erklärungsmuster für unvorhergesehene Ereignisse zu divers. Ob die friedliche Revolution, wie Michael Beleites es formuliert, „das wichtigste identitätsstiftende Ereignis in der jüngeren Geschichte Ostdeutschlands und im Grunde auch für ganz Deutschland.“420 ist, muss hier offen bleiben. Für die evangelischen Pastoren und Kirchenzeitungsjournalisten in MecklenburgVorpommern (und vermutlich in allen anderen ostdeutschen Landeskirchen, wie die Auswertung der Memorialliteratur zeigte) gilt dies allemal. Insgesamt wird die ostdeutsche, christliche Erinnerungskultur an kirchliches Wirken 1989 und Gottes Anteil daran stark geschichtstheologisch aufgeladen tradiert. Bedenken an dieser Deutung sind in der klaren Minderheit und tun der heilsgeschichtlichen Verkündigung auf Kanzeln, in Kirchenzeitungen, Radioandachten und in der Memorialliteratur keinerlei Abbruch. Damit zeigt sich die binnenkirchliche Erinnerung an 1989 in Verkündigung und kirchlicher Presse weithin immun gegen zeitgeschichtliche, die Rolle der Kirchen in den weltweiten Kontext einordnenden Forschungen. Anderslautenden Erkenntnissen wird die individuelle Erfahrung entgegengesetzt. Falsch ist diese freilich nicht, nur bietet sie oftmals lediglich einen lokal stark begrenzten Blickwinkel. Somit gelten die Ereignisse des Jahres 1989 ungebrochen in Ost und West als göttlich gewirkte, vornehmlich „protestantische“ Kerzen- und Gebetsrevolution.
420
Beleites, Vorwort, 7.
D. Schlussbetrachtungen 1. Thesen 1.1 Kirchengeschichte aus Sicht von Pastoren DDR-Kirchengeschichte wird meist basierend auf kirchlichen und staatlichen Akten geschrieben, der Nachwelt dank der fleißigen Arbeit des MfS übermittelt. Das hat durchaus seine Berechtigung; es analysiert die Geschichte jedoch aus einer Außen- und Fremdperspektive. Denn auch offizielle kirchliche Stellungnahmen, Bischofsbriefe und Synodalbeschlüsse sind immer auch Ausdruck einer Kirchenpolitik, die zu DDR-Zeiten zuerst in Richtung Staat zielte. Die vorliegende Arbeit hat dagegen bewusst einen binnenkirchlichen Quellenzugang gewählt. Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung des Wortes Gottes wurde aus der Perspektive derjenigen kritisch rekonstruiert, die aus Sicht der Gesellschaft wie kein anderer für „Kirche“ und ihre Inhalte stehen: Die Pastoren und ihre Predigten. So wurde auf die prinzipiell sehr gut erforschte „friedliche Revolution“ ein neuer Blick geworfen, der erstaunliche Ergebnisse bezüglich der Erinnerungen an 1989/90, der theologischen Interpretationen und ihrer fortdauernden Wirkung ans Tageslicht brachte. Theologie als verkündende Rede von Gott wurde in einer liminalen Ausnahmesituation im „Brennglas“ der Predigt dargestellt. Das Ergebnis ist ein tiefer Eindruck davon, was Pastoren 1989/90 politisch dachten und fromm glaubten und wie diese Überzeugungen bis in die Gegenwart hinein transportiert und transformiert wurden. Diese Perspektive auf die Verkündigungsinhalte aus Sicht der Pastoren führte zu einer wichtigen Erkenntnis: Was ein Pastor politisch und theologisch verkündigt, hängt zu allererst von seinem Alter und damit von seiner Lebenserfahrung ab. Es darf von Pastorengenerationen gesprochen werden, die in vielerlei Hinsicht erstaunlich einheitlich predigten. 1.2 Eine DDR-Theologie? Gern wird heute gefragt: Gab es eine spezifische DDR-Theologie? Die Frage ist so schillernd wie schlicht. Was kann gemeint sein? Die Lehre an den theologischen Sektionen oder die an den kirchlichen Hochschulen? Verlautbarungen der KKL, des BEK, der Bischöfe und Synoden? Anhand der analysierten Predigten konnte gezeigt werden, dass für 1989/90 grundsätzlich gilt: Die gepredigte Theologie der Bischöfe, Kirchenleitungen und Pastoren prägte ihr weltliches Handeln. Und das Handeln der Menschen wirkte zurück auf die Theologie in den Predigten. Theologie und Aktion, Kirche und
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Schlussbetrachtungen
Welt standen 1989/90 in einer spannungsgeladenen, wechselseitigen Beziehung, meist im Ungleichgewicht zugunsten eines Pols. Worüber in der DDR verstärkt theologisch nachgedacht wurde, kam auch 1989/90 zur Sprache: Überlegungen zur Mündigkeit einer säkularen Welt in Aufnahme theologischer Impulse Bonhoeffers. Gedanken zur lutherischen ZweiReiche-Lehre und ihren Implikationen für das Verhältnis von Staat und Kirche, Politik und Pastor. Und schließlich Jacobs Rede vom „Ende des konstantinischen Zeitalters“ und dessen kirchenpolitische Folgerungen angesichts einer „drohenden“ Wiedervereinigung von BEK und EKD. Modifiziert und geprüft wurden diese theoretischen Zugänge anhand der sich rasant wandelnden Wirklichkeit. In ihr wurde die Realität von Träumen bürgerlicher Selbstbestimmung und einer verloren geglaubten deutschen Einheit überholt. Zugleich mussten sich Menschen von der Utopie einer gerechten, sozialistischen Alternative verabschieden. Binnen weniger Wochen war der Graben zwischen beiden Parteien so tief, dass z.T. sogar gemeinsam verantwortete Gottesdienste unmöglich wurden. Jacobs Idee, eine vom Staat vollkommen unabhängige Minderheitenkirche käme den urchristlichen Ursprüngen in ihrer äußeren Gestalt am nächsten, mündete in der Überzeugung, aus der äußerlichen Not heraus auch nach innen die bessere Kirche mit den besseren Christen zu sein. Omnipräsentes Gegen- und Leitbild der DDR bzw. des BEK waren die BRD bzw. die EKD. Dies entsprach sowohl der Selbstwahrnehmung von DDR-Christen als auch der Außenperspektive durch christliche Bundesbürger und hält zum Teil bis heute an. Evangelische Kirchen in Ostdeutschland gelten bezüglich ihres Nischendaseins als Avantgarde in der säkularisierten Welt mit Vorbild- und Lernfeldcharakter für die „alten“ Bundesländer, in denen sich das religiöse Feld tendenziell in dieselbe Richtung verschiebt. Diese schleichende Minorisierung von Christen wird zwar mit Bedauern festgestellt, inzwischen aber verstärkt als Chance wahrgenommen, christliche Existenz in überschaubaren Gruppen zu leben. Jacobs Anregungen scheinen bis heute, unbeachtet ihrer kirchengeschichtlich grob vereinfachten Sicht, ihre Wirkungen zu entfalten. Es kann von einer ekklesiologischen Heilsgeschichte der Minderheiten gesprochen werden. 1.3 Einheit oder dritter Weg In den Predigten von 1989/90 standen sich zwei realpolitische Träume unversöhnlich gegenüber: Hoffnungen auf eine demokratisierte, sozialistische und eigenständige DDR konkurrierten sprachgewaltig mit dem Wunsch nach deutscher Einheit samt bundesdeutschem System. Die Art und Weise, wie beide Modelle verkündet werden, vermittelt den freilich fehlerhaften Eindruck, beide Wege hätten erstens gleich viele Anhänger und zweitens eine echte Chance auf Verwirklichung gehabt. Dass dies zugunsten der deutschen Einheit zu verneinen ist, lassen die Predigten nur ansatzweise erahnen. Hier zeigt sich exemplarisch, wie notwendig eine historisch-kritische Quellenanalyse ist. Sowohl die Predigtzeitzeugnisse als auch die Erinnerungen ihrer
Thesen
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Protagonisten geben den Ideen vom „dritten Weg“ ein weitaus höheres Gewicht, als diese jemals in der Gesamtbevölkerung der DDR besaßen. Die Prediger waren in ihren politischen Überzeugungen weder ein Spiegel der Gesellschaft, noch der evangelischen Christen in der DDR. Stattdessen ereilte die 1989 unter 50-jährigen Pastoren dasselbe Geschick wie die meisten Bürgerrechtler und Intellektuellen: Aus den Vorreitern wurde die Nachhut. 1.4 1989: Eine Gebets- und Kerzenrevolution Auf den nordostdeutschen, protestantischen Kanzeln wurden die revolutionären Ereignisse 1989/90 in traditionellen, geschichtstheologischen Kategorien gedeutet, scheinbar bestätigt durch die überfüllten Friedensgebete allerorts und die vermittelnden und moderierenden Rollen vieler Pastoren im politischen Geschehen. In kirchlichen Räumen fanden politische Gottesdienste, Foren und Dialoge zwischen dem Staat und seinen Bürgern statt, wurden Parteien gegründet und wahlkämpferische Parolen in Predigten ausgegeben. Dies alles geschah „unter dem Dach“ der Kirchen, häufig durch christlich motivierte Protagonisten, die sich bewusst einer nonkonformen, oftmals christlich geprägten Sprache bedienten. Kirche wurde zur Gegen-, dann Teilöffentlichkeit - bis sich die Bürger den öffentlichen Raum erobert hatten. In dieser Ausnahmesituation erfüllten die Pastoren Rollen, die sowohl ihrem bildungsbürgerlichen Selbstverständnis, als auch den an sie gestellten Erwartungen entsprachen. Gesellschaftlich nicht marginalisiert und dennoch Außenseiter in der DDR, genossen sie während der Revolution seitens der Bevölkerung und des Staates ein hohes Maß an Vertrauen. Da nimmt es nicht wunder, dass in vielen Predigten paternalistische Züge durchschimmerten: Sie ermahnten die Hörer zu ethisch vertretbarem Handeln, betrieben politische Meinungsbildung und verkörperten nicht selten den „Erzieher“ gegenüber dem „Volk“. Ein vielen protestantischen Predigten inhärenter Sprachduktus, der 1989/90 „im Strudel der Weltgeschichte“ eine besonders prägnante Ausformung erhielt. Öffentlichkeitswirksam und damit sichtbar wurde die Rolle der evangelischen Kirchen 1989/90 in den landesweit zahlreichen Fürbittandachten/ Friedensgebeten/ Gottesdiensten zur Erneuerung. Wenngleich sich viele Pastoren darüber im Klaren waren, dass die meisten Leute der Informationen wegen kamen, wurde versucht, die Chance zur Mission zu ergreifen. Die meisten Predigten waren nah am aktuellen Geschehen und verknüpften die biblische Botschaft mit dem historischen Moment. Im Nachhinein die nach 1990 weiter sinkenden Kirchenmitgliedszahlen in Ostdeutschland auf schlechtes Predigen während der „friedlichen“ Revolution zurückzuführen, entbehrt, basierend auf den analysierten Predigten, jeglicher Grundlage. Die von Bonhoeffer aufgegriffene und weiterentwickelte Rede von der Mündigkeit als Wesensmerkmal aufgeklärter Menschen, wurde in den Fürbittandachten Realität. Man bediente sich nicht nur seines Verstandes, sondern auch seines Mundes: Ganz unterschiedliche Stimmen kamen zu Gehör, Texte zur Situation, Briefe
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Schlussbetrachtungen
und biblische Auslegungen wurden verlesen, gesellschaftlich relevante Informationen verbreitet und auf Basis des Gehörten gebetet. Durch die an Gott gerichteten Fürbitten bekamen die Gottesdienstbesucher eine Ahnung davon, dass Gottes Gegenwart und sein Wirken von Christen vorausgesetzt werden. Diese Gebete und ihre konkrete „Erhörung“ in Form von politischem Wandel ließen eine totgeglaubte Geschichtstheologie wieder entstehen. 40 Jahre DDR - 40 Jahre Wüstenwanderung Israels, die Parallelen waren zu schön, um sie unausgesprochen zu lassen. Wäre ein Zusammenbruch der DDR einige Jahre früher oder später aus heilsgeschichtlicher Sicht weniger wert gewesen? Gott, da waren sich alle Prediger 1989/90 einig, wirkt in der Geschichte. Konservativ-lutherische Pastoren stilisierten Gott zum traditionellen Weltenlenker, der die Wende genauso wollte wie sie kam. Andere sprachen vom Handeln Gottes an und mit den Menschen, er benutze sie als Werkzeuge für seine Zwecke. Ein Auserwählungsgedanke brach sich Bahn, ohne eine völkische Überlegenheit zu propagieren. Nicht ein von Gott erwählter Held, wie zuvor die Kaiser, Bismarck, Hindenburg oder Hitler, propagierte den Willen Gottes, sondern das ganze Volk. Christen und Atheisten waren von Gott gemeinsam zum befreienden Handeln ermächtigt. Es entstand eine moderne, demokratische Heilsgeschichte, die bis heute von Kanzeln in der gesamten Bundesrepublik verkündigt wird. Dabei hat sich rückblickend ein erstaunlich einheitliches Geschichtsbild von 1989 festgesetzt, in denen die 1989/90 gepredigten, unterschiedlichen Nuancen kaum mehr zum Tragen kommen. Der Einheitlichkeit der damaligen Akteure kann dies nicht geschuldet sein, dafür waren ihre politischen und theologischen Ansichten 1989/90 zu ausdifferenziert. Interessanterweise vertreten besonders die 1989 unter 50-jährigen, westdeutschen Pastoren heute theologische Ansichten der 1989 über 50-Jährigen. Für Interpretationen in den Jahren 1989/90 gilt: Je älter die Pastoren, desto stärker der Wunsch nach deutscher Einheit und desto heilsgeschichtlicher die Predigten. Retrospektiv gilt: Je größer der Zeit- und Erfahrungsabstand, desto vereinfachter die Sicht, desto heilsgeschichtlicher die Deutungen. Das generierte Geschichtsbild einer göttlich bewirkten Gebets- und Kerzenrevolution ist aus christlicher Sicht so wunderschön wie Weihnachten. Genauso wie Heiligabend in Predigten gern der „armselige, Stall mit dem hilflosen Kind in der Krippe“ der „bösen Welt um Herodes“ gegenübergestellt wird, so wird die Macht von SED und MfS im Nachhinein immer bedrohlicher und wirkungsvoller mit den zunächst machtlosen Kerzen und Gebeten konfrontiert. Und wie das Jesuskind alle Herrscher der Welt samt Tod besiegte, stürzten auch die stillen Gebete die mächtigen DDR-Diktatoren vom Thron, respektive aus der Wandlitz-Villa. Entsprechend codiert ist die erinnernde Sprache. Da ist die Rede von den „70.000“ Leipziger Demonstranten. Dass die Stasi mit allem gerechnet hätte, nur nicht „mit Kerzen und Gebeten“. So wird ein Bild von 1989 gezeichnet, auf dem alle Menschen gemeinsam, friedlich und christlich gesinnt, dem einen, antichristlichen Feind mit Gottes Hilfe trotzten. Es ist der unwiderstehliche Charme romantisierter Machtlosigkeit, die zuletzt eben doch nicht nur im Märchen das Böse besiegt.
Thesen
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1.5 Erinnerung zugunsten der Täter Eine der Hauptforderungen der Pastoren bestand 1989/90 darin, die Täter der jüngsten Vergangenheit gesellschaftlich nicht zu verurteilen. Zwar sprachen sich viele für eine strafrechtliche Verfolgung aus, plädierten aber zugleich für eine Reintegration der vielen SED-Mitglieder und hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter in die Gesellschaft. Aus dem Wissen heraus, durch stillschweigendes Mitmachen heimliche Mitschuld am Systemerhalt der DDR zu tragen, sollte mit den offen schuldig Gewordenen barmherzig umgegangen werden. In den Predigten und offiziellen kirchlichen Verlautbarungen wurde für Verständnis dafür geworben, z.B. als IM Fehltritte gemacht zu haben und das seelsorgerlich-vertrauliche Gespräch in dem Fall angeboten. Im „heißen“ Herbst sollte auf diese Weise einerseits einer selbständigen Lynchjustiz gewehrt werden, um den christlich-friedlichen Charakter der Revolution zu wahren. Andererseits sollte die unglaubwürdige Rhetorik vermeintlicher Opfer entlarvt werden. Unglaublich großmütig musste es klingen, wenn Christen mit unterschiedlich stark gebrochenen Biografien, deren Lebenswege oftmals unfreiwillig kreuz und quer durch das DDR-Bildungssystem verlaufen waren, nun Vergebung predigten. Jene überall zu hörende Verkündigung christlicher Nächsten- und Feindesliebe ließ die echten Opfer des SED-Systems schon früh und sicher ungewollt in den Hintergrund treten und wurde damit implizit zur „billigen Gnade“. Es entstand eine Erinnerungsschieflage zugunsten der Täter. Wenn, dann war allgemein von den Nachteilen die Rede, die Christen in der DDR in Kauf nahmen: Fehlende Bildungschancen, mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten, kaum Karriereaussichten. Oder es wurde an persönliche Demütigungen durch Lehrer oder Mitschüler erinnert, jedoch zumeist im Duktus des siegreichen „Wir haben es überstanden“. Der beobachtete Umgang mit der DDR-Vergangenheit durch die evangelischen Kirchen entspricht weitestgehend der Strategie staatlicher Geschichtsbewältigung. Nur wenige hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter des MfS wurden strafrechtlich belangt, die meisten fanden sich dank ungebrochen guter Netzwerke schnell im neuen Staat zurecht. Das steht ganz im Gegensatz zu vielen vom MfS „Zersetzten“, die durchaus bis heute unter den Folgen leiden. Für diesen „leisen“ Terror findet sich jedoch selten eine Grundlage zur Verurteilung der Täter im Strafrecht, sodass kaum Entschädigungszahlungen oder auch nur die offizielle Anerkennung als Opfer erfolgten. Ein bis in die Gegenwart hinein heikles Thema ist der innerkirchliche Umgang mit Ausreiseantragstellern aus den eigenen Reihen. Kirchliche Mitarbeiter erwartete in der BRD, sofern sie gegen den Willen ihrer Landeskirchen die DDR verlassen hatten, ein vorläufiges Berufsverbot von bis zu zwei Jahren. Damit wurde ein Akt der freiheitlichen Selbstbestimmung de facto kriminalisiert. Bis heute bringen die Gebliebenen den Gegangenen wenig Verständnis oder gar Respekt entgegen. Gegen das Credo „Gott hat uns in der DDR unseren Platz als Christen
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Schlussbetrachtungen
zugewiesen, hier müssen wir uns bewähren“ ließ und lässt man keine Argumente persönlicher Freiheitsrechte gelten. Christen seien schließlich überall befreit durch Christus und bedürften daher nicht notwendig äußerer, freiheitlicher Rahmenbedingungen. Opferbereitschaft wurde und wird so in den Rang eines unabdingbaren Wesensmerkmales christlicher Existenz erhoben.
2. Desiderata Eine exemplarische Studie wie die vorliegende betrachtet stets nur einen winzigen Ausschnitt der Geschichte. Um die These stichfest zu überprüfen, dass die analysierten Predigten von 1989/90 repräsentativ für Predigten in der DDR in diesem Zeitraum seien, bedürfte es weiterer Forschungen zu anderen Landeskirchen auf vergleichbar breiter Quellenbasis. Spannend wäre auch ein Blick über die deutschen Grenzen hinaus in andere Ostblock-Staaten, in denen die Revolution 1988/89 weitestgehend friedlich verlief. Welche Symbole gewannen dort an Wirkmächtigkeit? In Tschechien z.B. wurde ebenfalls mit Kerzen und Menschenketten demonstriert, ohne dass kirchliche Vertreter eine leitende Rolle einnahmen. Mit welchen Begriffen und Bildern wird an die Revolution dort bis heute erinnert? Welchen Stellenwert nimmt sie in der Identität des jeweiligen Landes ein? Ein solcher Vergleich wäre nicht nur generell historisch interessant, sondern könnte auch die Debatte um den kirchlichen Beitrag an der ostdeutschen Revolution befruchten. Weiterführend wären sprachwissenschaftliche Analysen der behandelten Predigten. Erste eigene Analysen dieser Art zeigten, dass in den Kanzelreden eine vollkommen andere Sprache als die der offiziellen Politik und ihrer medialen Organe herrschte. Dennoch konnten vereinzelt Einflüsse auf das Denken in bestimmten Kategorien herausgearbeitet werden, wie im Bild der DDR-Bürger als Kinder vom Vater Staat. Diese Einflüsse, Abgrenzungen und gezielten Verfremdungen linguistisch zu vertiefen, brächte nicht nur historische Erkenntnisse zur Sprache in der DDR, sondern würde auch helfen, bis heute gängige Sprachmotive in ostdeutschem Gebrauch besser zu verstehen. Für die Frage, ob sich der Marxismus-Leninismus in seiner ostdeutschen Ausformung als religiöses Phänomen beschreiben lässt, wäre eine genaue Analyse der erhaltenen Dokumente vom christlich-marxistischen Dialog aufschlussreich. Rein formal gibt es Anhaltspunkte in der, beide Strömungen gleichsetzenden Rede von „Christen“ und „Marxisten“, dass sich die Gesprächspartner jeweils als Anhänger einer Weltanschauung mit religiöser Komponente wahrnahmen. Inhaltlich müsste diese Beobachtung vertieft werden. Die beobachteten Generationenunterschiede zwischen den Predigern und ihre direkten Auswirkungen auf die Inhalte der Predigten bieten Anlass für weitere soziologische Forschungen in diesem Bereich. So reizvoll zeitlich und lokal eng umgrenzte Forschungen ob ihrer Genauigkeit sind, müssen solche doch immer in den größeren historischen und zeitge-
Impulse für kirchliches Handeln
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schichtlichen Rahmen eingeordnet werden. In dieser Arbeit wurde dem abrissartig Rechnung getragen, mit einem Kurzüberblick über heilsgeschichtliches Predigen zwischen der Reformation des 16. Jahrhunderts und der Revolution 1989 sowie einem Ausblick bis in die Gegenwart. Sowohl aus kirchengeschichtlicher als auch praktisch-theologischer Sicht wäre eine systematische Gesamtdarstellung geschichtstheologischen Predigens seit der Reformation aufschlussreich für heutiges Nachdenken über eine theologisch verantwortete Rede von Gottes Wirken in der Welt.
3. Impulse für kirchliches Handeln 3.1 Solidarität mit den Opfern: Kirche bietet Orte zum Reden Opfer des Unrechtsstaates DDR brauchen einen Ort zum Reden. Sie müssen und wollen gehört werden, damit ihr Leid gesellschaftlich anerkannt wird. Damit ihre Geschichten in der Öffentlichkeit Gehör finden, können und sollen kirchliche Mitarbeiter zum „Mund der Verstummten“ werden. Erst, wenn sich die geschädigten Menschen als Opfer wahr und ernst genommen fühlen, können sie, das zeigt die Aufarbeitungs- und Versöhnungsforschung eindrücklich, ihr Leben positiv gestalten. Die evangelischen Kirchen und ihre Mitarbeiter können dafür Räume zur Verfügung stellen, zu entsprechenden Zeitzeugengesprächen einladen und diese moderieren. So würde die Predigt von der versöhnenden Liebe Christi konkrete Gestalt im barmherzigen Dienst am Nächsten annehmen. Damit dies glaubwürdig geschehen kann, müssten sich die evangelischen Landeskirchen erneut mit ihrer eigenen Rolle zu DDR-Zeiten auseinandersetzen und Fehler im Umgang mit Opfern oder auch ausgereisten Mitarbeitern eingestehen. Kein förmliches Schuldbekenntnis ist nötig, wohl aber die je individuelle Würdigung des Leidens Einzelner unter staatlichen Schikanen und manchmal auch kirchlichen Beschlüssen. 3.2 Solidarität mit Andersdenkenden: Kirche mit Anderen In der DDR suchten Christen zunächst notgedrungen, in den 1980ern zunehmend freiwillig aus eigener Überzeugung, interessiert das Gespräch mit der andersdenkenden, atheistischen Mehrheit. Dabei befanden sie sich häufig in der Defensive. Vereinzelt gab es aber auch Diskurse auf Augenhöhe zwischen Christen und Marxisten. An diese Praxis des Gedankenaustausches mit Andersdenkenden und -glaubenden kann in einer pluralen Gesellschaft angeknüpft werden. Hilfreich ist die in der DDR gewonnene Erkenntnis, den anderen so gut wie nie missionieren zu können, sondern ein von Respekt und gegenseitiger Anerkennung geprägtes Gespräch zu führen, einzig mit dem Ziel, den anderen besser zu verstehen. Selbst offene Feindseligkeit des Gesprächspartners muss da nicht entmutigen.
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Schlussbetrachtungen 3.3 Kritische Solidarität: Politik und Kirche
Staat und Kirche in der DDR waren wechselseitig kritisch bis ablehnend aufeinander bezogen. Ist der kritische Standpunkt der evangelischen Kirchen gegenüber dem SED-Staat als theologische Anpassungsleistung zu bewerten? Sind gewonnene Erkenntnisse unter diktatorischen Rahmenbedingungen irrelevant für das kirchliche Leben in einer Demokratie? Während der „friedlichen“ Revolution und in den darauffolgenden Monaten und Jahren bewältigten nicht wenige Pastoren Doppelaufgaben in Politik und Kirche. Sie amtierten z.T. zeitgleich als Gemeindepastor und Bürgermeister und erlebten dies oft als nicht zu bewältigende Belastung; zugleich als Pastor für alle da zu sein und als Politiker für seine Wählerschaft. Die Folgerung: Christen können sich parteipolitisch engagieren, Pastoren nicht, es sei denn, sie werden von ihren Ordinationsrechten entbunden. Die Intentionen der Zwei-Reiche-Lehre gelten auch in einem demokratischen Staat wie der BRD. Sie fordert weder eine Trennung der Bereiche, noch ihre Vermischung. Evangelische Kirchen, verkörpert durch ihre Pastoren, sollten den Staat in kritischer Solidarität begleiten und weder politisieren noch depolitisieren. Ihre Aufgabe besteht in der gesellschaftlich relevanten Verkündigung des Evangeliums. Daraus müssen sozialethische und können auch politische Konsequenzen gezogen werden. Rassismus unter Berufung auf Werte des „christlichen Abendlandes“ kann z.B. gerade von Kanzeln aus als vollkommen unchristlicher Fremdenhass enttarnt werden. Der Versuchung, Politiker auf der Kanzel zu sein, sollte der Prediger jedoch tunlichst widerstehen. 3.4 Solidarische Kirche: Ort der Freiheit, weil Christus befreit Um 1989 erlebten viele Christen in der DDR evangelische Kirche als „Ort der Freiheit“. Hier konnten sie frei und offen denken, sprechen und kontrovers diskutieren. Unter demokratischen Bedingungen ist der öffentliche Raum selbst von Meinungs- und Pressefreiheit bestimmt. Es bleibt zu überlegen: Was kann „Freiheit“ in einem freien Land für den Einzelnen bedeuten? Theoretisch hat jeder die Freiheit, sein Leben selbstbestimmt zu führen. Praktisch ist Freiheit besonders im heutigen Deutschland an Herkunft und Vermögen geknüpft. Die evangelischen und katholischen Kirchen als die größten nichtstaatlichen Organisationen haben die Möglichkeit, Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, finanziellen und sozialen Situation miteinander in Kontakt zu bringen. Auf diese Weise wirken sie der sich verstärkenden gesellschaftlichen Auffächerung in Parallelmilieus entgegen. Kirche wäre dann ein „Hort der Freiheit“, an dem jeder, unabhängig von seinen Fähigkeiten, gleich viel wert ist. Das kann Kirche, das können Christen, weil sie sich durch Christus zur Freiheit befreit wissen. Menschen, egal ob Christen oder nicht, erlebten sich in evangelischen Kirchen um 1989 vorbehaltlos an- und aufgenommen. Sie konnten gestärkt an Körper und
Impulse für kirchliches Handeln
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Seele aus den Kirchen hinaus gehen, ermutigt zu einem befreiten und freiheitlichen Leben. Das kann und soll uns heute zum Vorbild gereichen.
Anhang 1. Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen ACK
Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen
AfNS
Amt für nationale Sicherheit
ARD
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der BRD
AT
Altes Testament
BEK
Bund Evangelischer Kirchen
BK
Bekennende Kirche
BRD
Bundesrepublik Deutschland
BStU
Bundesbeauftragter für Stasiunterlagen
BTE
Barmer Theologische Erklärung
CA
Confessio Augustana
CDU
Christlich Demokratische Union Deutschlands
CVJM
Christlicher Verein Junger Männer
DA
Demokratischer Aufbruch
DC
Deutsche Christen
DEK
Deutsche Evangelische Kirche
DJ
Demokratie Jetzt
DK
Die Kirche, Kirchenzeitung, Greifswalder Ausgabe, 1995-1997 pommersche Kirchenzeitung
DM
Deutsche Mark
DDR
Deutsche Demokratische Republik
DSU
Deutsche Sozialistische Union
EKBO
Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
ELLM
Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs
ELKG
Evangelische Landeskirche Greifswald
EKD
Evangelische Kirche in Deutschland
EKU
Evangelische Kirche der Union
ESG
Evangelische Studentengemeinde
FDGB
Freier Deutscher Gewerkschaftsbund
FDU
Freie Demokratische Union
GDR
German Democratic Republic
GG
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
GNU
Gesellschaft für Natur und Umwelt
Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen IM
Inoffizieller Mitarbeiter des MfS
IMES
Internationale Messtechnik GmbH
KKL
Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen
KPdSU
Kommunistische Partei der Sowjetunion
KZ
Konzentrationslager
LPG
Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft
LWB
Lutherischer Weltbund
MdB
Mitglied des Bundestages
ML
Marxismus-Leninismus
MfS
Ministerium für Staatssicherheit
MKZ
Mecklenburgische Kirchenzeitung
MPKZ
Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung
NATO
North Atlantic Treaty Organization
ND
Neues Deutschland
NS
Nationalsozialismus
NF
Neues Forum
NSDAP
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
NT
Neues Testament
NVA
Nationale Volksarmee
OB
Oberbürgermeister
OKR
Oberkirchenrat
OZ
Ostsee-Zeitung
PDS
Partei des Demokratischen Sozialismus
PEK
Pommersche Evangelische Kirche
RT
Runder Tisch
SBZ
Sowjetische Besatzungszone
SED
Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
SPD
Sozialdemokratische Partei Deutschlands
SDP
Sozialdemokratische Partei
Stasi
Staatssicherheit
SU
Sowjetunion
UNO
United Nations Organization
USA
United States of America
VEB
Volkseigener Betrieb
VELKD
Vereinigte Lutherische Kirchen in Deutschland
VELK-DDR Vereinigte Lutherische Kirchen in der DDR ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen
ZK
Zentralkomitee
321
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Anhang
Alle bibliographischen Abkürzungen entsprechen dem Standard von Schwertner, Siegfried M., Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG3), Göttingen 2014.
2. Unveröffentlichte Quellen 2.1 Wendearchiv der Universität Rostock Gauck, Joachim: — Predigt in der Donnerstagsandacht am 19.10.1989 zu Amos 5,21-24. RA 1,30 Blatt 3, Rostock. — Predigt in der Donnerstagsandacht am 23.11.1989 zu Jer 8,4-7, RA 1,30 Blatt 8 und 11.1, Rostock. — Predigt in der Donnerstagsandacht am 30.11.1989 zu Lk 21,34-36, RA 1,30 Blatt 9, Rostock. Gauck, Joachim et al.: — Predigt in der Donnerstagsandacht am 2.11.1989 zu Mt 7,15-17. RA 1,30 Blatt 3.3 und 5 (Ablauf), Rostock. — Predigt in der Donnerstagsandacht am 9.11.1989 zu Lk 7,11-16; 1. Joh 3,18f. RA 1,30 Blatt 6, Rostock. — Predigt in der Donnerstagsandacht am 7.12.1989 zu Jes 43,1-3a. RA 1,30 Blatt 10, Rostock. — Predigt am 14.12.1989 zu Lk 1,46-56, RA 1,30 Blatt 11, Rostock. — Predigt am 1.2.1990 zu Ex 3,7.10-14. RA 1,30 Blatt 16, Rostock. — Predigt in der Donnerstagsandacht am 8.2.1990 zu Lk 9,61.62 und Mt 13,31f. RA 1,30 Blatt 17, Rostock. — Gottesdienst am 11.10.1990 in Rostock, St. Marien: Plakat und Presseerklärung. RA 1,30 Blatt 20 (ohne Predigt), Rostock. Gauck, Joachim / Heldt, Thomas / Leefhelm, Kirsten: — Predigt in der Donnerstagsandacht am 26.10.1989 zu Mt 5,44-47a. RA 1,30 Blatt 4, Rostock. LILABLICK: — Umfrage unter Jugendlichen: Wie stehst du zur ”deutschen Einheit”? vom 15.22.12.1989. Rostock. Lohse, Henry: — Donnerstagsandacht am 5.10.1989, RA 1,30 Blatt 1, Rostock. — Predigt am 16.11.1989 zu Jer 28,7-17, RA 1,30 Blatt 7, Blatt 3.3 (Informationen), Blatt 22, Rostock. — Predigt am 11.1.1990 zu Jes 40,29f. RA 1,30 Blatt 13, Rostock. — Predigt in der Donnerstagsandacht am 22.3.1990 zu Joh 8,12 (Jahreslosung 1990), RA 1,30 Blatt 18, Rostock. Lohse, Henry et al.: — Einladung zum ständigen Gebet, RA 1,29 Blatt 42. — Predigt in der Donnerstagsandacht am 25.1.1990 zu 1. Kor 12,12.16f.21.25f. RA 1,30 Blatt 15, Rostock. Mahlburg, Fred: — Erklärung aus der Gebetsandacht in der Petrikirche am 7.10.89, RA 1,30 Blatt 2, Rostock. — Predigt am 7.10.1989 in der Andacht der Betroffenheit in Rostock zu Jes 26f. RA 1,30 Blatt 2, Rostock. Schmachtel, Jochen et al.:
Privatarchiv Birge-Dorothea Pelz
323
— Predigt in der Donnerstagsandacht am 18.1.1990 zu Gen 32,23-32. RA 1,30 Blatt 3.4 und 14 (Ablauf), Rostock. Vereinigte Bürgerinitiative für eine solidarische Gesellschaft: — Gottesdienst am 2.10.1990 in der Universitätskirche: ”Einigkeit und Recht und Freiheit und der Zukunft zugewandtNachdenken über Deutschland zu Ps 46, RA 1,30 Blatt 19 und RA 1,31 Blatt 41 (identisch), Rostock.
2.2 Privatarchiv Birge-Dorothea Pelz Arbeitsgruppe Frieden der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs: — Friedensnetz 4/89. Burkhardt, Matthias: — Predigt am 12.12.1982. — Predigt am 29.3.1987. — Predigt am 1.1.1989. — Predigt am 15.1.1989. — Predigt am 11.6.1989. — Predigt am 24.9.1989. — Predigt am 12.11.1989. — Predigt im Friedensgebet am 8.11.1989 im Doberaner Münster zu Pred 3,1-14. — Predigt am 24.12.1989. — Predigt am 2.9.1990. — Predigt am 21.10.1990. Von der Schulenburg, Elisabeth Tisa: — Holzschnitt 1/50 mit dem Titel ”Wir bleiben hier. Schliesst euch an. Rostock. Oktober 89.” Rostock. Evangelische Kirchengemeinde St. Nikolai, Greifswald: — Friedensgebet am 18.10.2009, 17.00h, Dom St. Nikolai, Greifswald. Gemeindevertretung M.: — Bekanntmachung der Verantwortungsbereiche der neu gewählten Gemeindevertretung am 11.6.1990. Glöckner, Reinhard: — Flugblatt pro Vorpommern, Greifswald. Haberecht, Hans-Georg: — Predigt am 2.7.1989. — Predigt am 16.7.1989. — Predigt am 8.10.1989. Höffer, Volker: — Greifswald als Teil der Bewegung im Herbst 1989 in der DDR: unveröffentlichter Vortrag auf der Tagung ”25 Jahre Friedliche Revolution in Greifswald”; Greifswald, 4.12.2014. Jaeger, Johann-Georg: — Tagebucheinträge und Erinnerungen vom 5.10.1989; 12.10.1989; 18.10.1989; 19.10.1989; 20.10.1989; 9.11.1989; 3.12.1989; 4.12.1989 und 7.12.1989, url: http : //1989.gruene-rostock.de (aufgerufen am 15.3.2011). Krause, Friedrich / Göbel, Christa: — Dialogpredigt im Friedensgebet im Dom St. Nikolai Greifswald am 13.12.1989, Greifswald. Kuessner, Hinrich: — Greifswald im Herbst 1989. Zeitzeugenbericht und Quellenauswertung: Herbst 1999, ergänzt 12/2001 und 5/2009. — Predigt am 23.8.1989.
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Anhang
Kuessner, Hinrich: — Predigt am 18.10.1989. — Predigt am 8.11.1989. — Predigt am 23.11.1989. Lohse, Henry: — Predigt am 30.3.1989. — Predigt am 18.6.1989. — Predigt am 15.10.1989. — Predigt am 22.10.1989. — Predigt am 24.12.1989. — Predigt am 4.3.1990. — Predigt am 25.3.1990. — Predigt am 1.7.1990. — Predigt am 7.10.1990. — Predigt am 14.10.1990. — Fragebogen vom 1.11.2011, 1–4. M/L/51-65/S: — Fragebogen vom 24.3.2014. M/L/51-65/V: — Fragebogen vom 9.3.2014. M/S/41-50/E: — Predigt am 20.9.1989. — Predigt am 19.11.1989. — Predigt am 21.1.1990. — Predigt am 28.1.1990. — Predigt am 18.3.1990. — Predigt am 8.7.1990. — Fragebogen vom 10.12.2011. M/S/41-50/N: — Fragebogen vom 21.11.2011. — Predigt am 13.8.1989. — Predigt am 15.4.1990. — Predigt am 16.9.1990. Mahlburg, Fred: — Gebet am 18.6.1989 in Rostock, Rostock. Mahlburg, Fred / Langer, Jens et al.: — Friedensgebet am 6.1.1990 in Rostock zu Jer 9,22f. MfS BV Neubrandenburg: — 20.9.1989: Informationen zur aktuellen Situation im Bereich der evangelischen Kirche, Neubrandenburg. Moderow, Hans-Martin: — Fürbitte am 6.11.1989 in Anklam. Nath, Dietrich: — Predigt am 13.8.1989. — Predigt am 19.11.1989. — Predigt am 27.5.1990. — Predigt am 29.7.1990. — Fragebogen vom 3.11.2011. Ohse, Traugott: — Predigt am 9.7.1989. — Predigt am 16.7.1989. — Predigt am 8.10.1989.
Privatarchiv Birge-Dorothea Pelz — — — — — — — — —
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Predigt am 5.11.1989. Predigt am 12.11.1989. Predigt am 10.12.1989. Predigt am 17.12.1989. Predigt am 24.12.1989. Predigt am 31.12.1989. Predigt am 24.12.1990. Rede im Friedensgebet am 25.10.1989 im Doberaner Münster. Widerstand und Verantwortung: Vortrag gehalten im Kloster Amelungsborn am 23.9.2000. — Die drei Gnaden: Rückblick vom 2.10.2008 auf 1989, Bad Doberan. P/L/17-30/T: — Predigt am 2.7.1989. — Predigt am 27.8.1989. — Predigt am 17.9.1989. — Predigt am 15.10.1989. — Predigt am 15.10.1989. — Predigt am 29.10.1989. — Predigt am 5.11.1989. — Predigt am 12.11.1989. — Predigt am 24.12.1989. — Predigt am 18.3.1990. — Predigt am 15.7.1990. — Predigt am 29.7.1990. — Fragebogen vom 25.2.2014. P/L/31-40/E: — Predigt am 18.12.1988. — Predigt am 9.9.1989. — Predigt am 31.3.1990. — Predigt am 23.9.1990. — Predigt am 30.9.1990. — Predigt am 3.10.1990. — Predigt am 25.12.1990. — Predigt am 31.12.1990. — Predigt am 7.4.1991. — Bericht zur Situation in der Gemeinde M. - Vorbereitung auf die Kreissynode vom 7.10.1991. — Das Leben in der Kirchgemeinde M.: Ein Bericht aus den Jahren 1982–1992. — Fragebogen vom 30.12.2013. P/L/51-65/C: — Predigt am 24.12.1989. P/L/51-65/G: — Fragebogen vom 13.3.2014. P/L/51-65/S: — Predigt im Dezember 1989 zu Mt 4,3-5. — Predigt am 25.2.1990. — Predigt am 29.4.1990. P/L/51-65/W: — Predigt am 4.3.1990. — Predigt am 13.5.1990. — Predigt am 20.5.1990. — Predigt am 17.6.1990.
326
Anhang
P/L/51-65/W: — Predigt am 24.6.1990. — Fragebogen vom 1.4.2014. P/S/41-50/O: — Predigt am 1.2.1988. — Predigt im Juni 1988 zu 1. Petr. 3,8-15. — Predigt am 26.9.1988. — Predigt im Oktober 1988 zu Lk 24,13-35. — Predigt im Oktober 1989 zu Dt 12,13-15; 16,18-20. — Predigt im Februar 1990 zu Ri 6,25-32. — Predigt am 20.2.1990. — Predigt am 6.3.1990. — Predigt Ende Juli 1990 zu Ex 16,2-3.11-18. Puttkammer, Joachim: — Predigt am 22.8.1989. — Predigt am 24.8.1989. — Predigt am 26.8.1989. — Predigt am 9.10.1989. — Predigt am 18.10.1989. — Predigt am 21.6.1990. — Predigt am 22.6.1990. Rathke, Heinrich: — Andacht am 9.11.1989 in der Stadtkirche Crivitz zu 15 Jahren Fall der Mauer zu Ps 18,30.29.37.20.47, Crivitz. Reischke, Martin: — DLF Länderreport vom 25.6.2010: „Es geschah... in und mit der Kirche - vor 20 Jahren“, 2010. Sadewasser, Karl-Heinz: — Predigt am 29.10./31.10.1989 zu Jes 62,6f.10-12. — Predigt am 22.11.1989. — Predigt am 1.7.1990. — Predigt im Sommer 1990 zu 1. Thess 5,16-18. — Predigt am 3.10.1990. — Predigt am 7.10.1990. Scherf, Rebecca: — Evangelische Lagerpredigten und deren Widerstandscharakter: Vortrag auf der Tagung: „Widerstand im Konzentrationslager-Formen, Voraussetzungen, Möglichkeiten und Verarbeitung aus literaturwissenschaftlicher und sozialpsychologischer Perspektive“, 2015. Schmidt, Carl-Christian: — Predigt am 22.10.1989. — Predigt im Friedensgebet am 25.10.1989 im Doberaner Münster zu Röm 13,1-7f.11f. — Predigt im Friedensgebet am 15.11.1989 im Doberaner Münster zu Jes 47,1.7.9-13a. — Predigt im Friedensgebet am 22.11.1989 im Doberaner Münster zu Spr 14,34. — Predigt am 26.11.1989. — Ablauf der Friedensgebete in Bad Doberan vom 25.10.1989. — Predigt im Friedensgebet am 6.12.1989 im Doberaner Münster zu Jes 44,18-20. — Predigt im Friedensgebet am 13.12.1989 im Doberaner Münster zu Offb 3,7-8. — Predigt am 24.12.1989. — Predigt am 1.1.1990. — Predigt im Friedensgebet am 17.1.1990 im Doberaner Münster zu Gal 5,1. — Predigt am 14.1.1990.
Privatarchiv Birge-Dorothea Pelz
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— Predigt im Friedensgebet am 21.2.1990 im Doberaner Münster zu Ps 8. — Predigt im Friedensgebet am 7.2.1990 im Doberaner Münster zu 2. Petr 1. — Predigt im Friedensgebet am 14.2.1990 im Doberaner Münster zu Ex 14,10-15. — Predigt am 25.2.1990. — Predigt im Friedensgebet am 28.2.1990 im Doberaner Münster zu Pred 7,10.13f. — Predigt im Friedensgebet am 14.3.1990 im Doberaner Münster zu Lk 17,7-10. — Predigt am 25.3.1990. — Predigt am 8.4.1990. — Predigt am 12.4.1990. — Predigt am 22.4.1990. — Predigt am 20.5.1990. — Predigt am 17.6.1990. — Predigt am 24.6.1990. — Predigt am 5.8.1990. — Predigt am 16.9.1990. — Predigt im Friedensgebet am 2./3.10.1990 im Doberaner Münster zu Ez 37,11f. — Predigt am 7.10.1990. — Predigt am 4.11.1990. Springborn, Roland: — Predigt am 8.10.1989. — Predigt am 22.10.1989. — Predigt am 5.11.1989. — Predigt am 12.11.1989. — Predigt am 24.12.1989. — Predigt am 1.1.1990. — Predigt am 28.1.1990. Stier, Christoph: — Bericht des Landesbischofs (Drucksache Nr. 30) auf der XI. Landessynode, 3. Tagung vom 16.-19.3.1989. — Brief des Landesbischofs Stier an die Gemeinden und ihre Mitarbeiter vom 11.10.1989. — Bericht des Landesbischofs (Drucksache Nr. 60) auf der XI. Landessynode, 4. Tagung vom 26.-29.10.1989. — Bericht des Landesbischofs (Drucksache Nr. 60) auf der XI. Landessynode, 5. Tagung vom 15.-17.3.1990. — Bericht des Landesbischofs (Drucksache Nr. 87), auf der XI. Landessynode, 6. Tagung vom 1.-4.11.1990. — Brief des Landesbischofs Stier an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kirchgemeinden, Einrichtungen und Dienststellen der Evangelisch- Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs vom 25.11.1990. Timm, Gottfried: — Predigt am 9.11.1988. — Predigt am 11.12.1988. — Predigt am 25.12.1988. — Predigt am 8.1.1989. — Predigt am 22.1.1989. — Predigt am 23.3.1989. — Predigt am 24.3.1989. — Predigt am 9.4.1989. — Predigt am 23.4.1989. — Predigt am 14.5.1989. — Predigt am 18.6.1989. — Predigt am 16.7.1989.
328
Anhang
Timm, Gottfried: — Predigt am 23.7.1989. — Predigt am 6.8.1989. — Predigt am 20.8.1989. — Predigt am 1.9.1989. — Predigt am 8.10.1989. — Predigt am 22.10.1989. — Predigt am 29.10.1989. Von Maltzahn, Albrecht: — Predigt am 29.10.1989. — Predigt am 12.11.1989. — Predigt am 10.12.1989. — Predigt am 1.1.1990. — Predigt am 11.2.1990. — Predigt am 4.3.1990. — Predigt am 18.3.1990. — Predigt am 1.4.1990. — Predigt am 16.4.1990. — Predigt am 22.4.1990. — Predigt am 6.5.1990. — Predigt am 7.10.1990. — Predigt am 11.11.1990. — Predigt am 9.12.1990. — Predigt am 31.12.1990. — Fragebogen vom 30.10.2011. Wackwitz, Heinrich: — Predigt am 15.10.1989. — Ansprache im Friedensgebet am 18.10.1989 im Dom St. Nikolai Greifswald zu Eph 6,10-17. — Fürbitte am 18.10.1989 im Dom St. Nikolai Greifswald. — Predigt am 22.10.1989. — Ansprache im Friedensgebet am 8.11.1989 in St Jacobi in Greifswald zu Sach 8,15b-16. — Predigt am 19.11.1989. — Ansprache im Friedensgebet am 22.11.1989 im Dom St. Nikolai Greifswald zu Gen 4. — Predigt am 1.7.1990. Wegener, Winfried: — Predigt am 1.1.1989. — Predigt am 19.2.1989. — Predigt am 26.3.1989. — Predigt am 4.6.1989. — Predigt am 27.8.1989. — Predigt am 10.9.1989. — Predigt am 17.9.1989. — Predigt am 24.9.1989. — Predigt am 8.10.1989. — Predigt am 15.10.1989. — Predigt am 29.10.1989. — Predigt am 12.11.1989. — Predigt am 3.12.1989. — Predigt am 10.12.1989. — Predigt am 24.12.1989. — Predigt am 31.12.1989.
Privatarchiv Irmfried Garbe
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— Predigt am 21.1.1990. — Predigt am 4.2.1990. — Predigt am 11.2.1990. — Predigt am 11.3.1990. — Predigt am 18.3.1990. — Predigt am 8.4.1990. — Predigt am 13.4.1990. — Predigt am 29.4.1990. — Predigt am 3.6.1990. — Predigt am 1.7.1990. — Predigt am 22.7.1990. — Predigt am 12.8.1990. — Predigt am 7.10.1990. — Predigt am 14.10.1990. — Predigt am 28.10.1990. — Predigt am 31.10.1990. — Predigt am 4.11.1990. — Predigt am 11.11.1990. — Predigt am 21.11.1990. — Predigt am 31.12.1990. Wiebering, Joachim: — Predigt am 20.8.1989. — Predigt am 15.10.1989. — Predigt am 25.2.1990. — Fragebogen vom 10.11.2011. Wolter, Dietrich: — Predigt am 5.11.1989. — Predigt am 24.12.1989. — Predigt am 1.4.1990. — Fragebogen am 27.10.2011.
2.3 Privatarchiv Irmfried Garbe Collatz, Holm: — Predigt am 25.10.1989 im Friedensgebet in St. Nikolai Greifswald, Greifswald. P/S/31-40/U: — Predigt am 22.10.1989 zu Mi 6,6-8. — Predigt am 29.10.1989 zu Mt 5,33-37. — Predigt am 26.11.1989 zu Mk 13,31-37. — Predigt am 25.12.1989 zu Gal 4,4-7. Springborn, Roland: — Predigt am 15.10.1989 zu Joh 15,9-12. — Predigt am 3.12.1989 zu Hebr 10,23-25 und Lk 18,16. — Predigt am 25./26.12.1989 zu Gal 4,4-7. Tuve, Matthias / Göbel, Christa: — Dialogpredigt im Friedensgebet im Greifswalder Dom am 1.11.1989 zu Mt 5,33-37, Greifswald.
330
Anhang
3. Veröffentlichte Quellen und Literatur 3.1 Veröffentlichte Quellen Abromeit, Hans-Jürgen: Predigt im Dankgottesdienst für die Pommersche Evangelische Kirche: Dom St. Nikolai zu Greifswald 25. Mai 2012 von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit, Mai 2012, url: http://pix.kirche-mv.de/fileadmin/AAA_Relaunch/Abromeit/ 120525 _ DankGD _ %5Cbeg % 7BPEK % 7D % 7BPommersche % 20Evangelische % 20Kirche%7D_Greifswald_Dom.pdf (aufgerufen am 23.6.2015). — Predigt zu Mt 5,5 in Heide/ Holstein: zum Kanzeltausch Ost – West, Nov. 2009, url: http://www.nordkirche.de/nordkirche/bischofsrat/bischoefinnen- und- bischoefeim-sprengel/bischof-dr-hans-juergen-abromeit/predigten/detail/nachricht/predigtzum-kanzeltausch-ost-west-in-heide-holstein-am-8112009-von-bischof-dr-hansjuergen.html (aufgerufen am 23.6.2015). — „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.“ Matthäus 5,5: Predigt zum 9. November 2014 – 25 Jahre Mauerfall im Dom zu Lübeck von Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald), Nov. 2014, url: http : / / pix . kirche - mv . de / fileadmin/AAA_Relaunch/Abromeit/141109_Mt_55_Predigt_Abromeit_25_Jahre_ Mauerfall_Dom_Luebeck.pdf (aufgerufen am 23.6.2014). — „Suchet der Stadt Bestes!“: 17. August 2014 – St. Marien zu Anklam – Predigt im Festgottesdienst zum 750jährigen Jubiläum der Hansestadt Anklam über Jeremia 29,7. 1114, Aug. 2014, url: http://pix.kirche- mv.de/fileadmin/AAA_Relaunch/Abromeit/ 140817_Predigt_Jer_29_7_11-14_Anklam_750_Jahre.pdf (aufgerufen am 23.6.2015). ADN: SPD-Politiker Schmude warnt vor Fata Morgana: „Deutsche Frage“ nicht mehr auf der Tagesordnung, Berlin, 1989, url: http : / / greifswald - 1989 - 90 . de / wp - content / uploads/2014/05/Zeitungen.jpg (aufgerufen am 8.12.2014). Albani, Bernd: Kraftlose Worte: Wort zur Woche zu Röm 10,10.16. In: DK 3.38 (Sep. 1997), 1. Arbeitsgruppe, Synodale: Als Christ leben in der sozialistischen Gesellschaft der DDR: Eine Einladung zum Gespräch. In: Studienhefte zur mecklenburgischen Kirchengeschichte 1988, 14–21. Arbeitskreis, Weißenseer: Von der Freiheit der Kirche zum Dienen: Theologische Sätze des Weißenseer Arbeitskreises. In: Schröter / Zeddies, Nachdenken, 123–129. Baier, Tilman: Auftrag: zu Ex 3,10. In: MKZ 54.4 (Jan. 1999), 1. — Das Ziel nicht verlieren: zu Gen 12,1. In: MKZ 49.27 (Juli 1994), 1. — Einfache Wahrheit: zu Jes 58,7. In: MKZ 48.40 (Okt. 1993), 1. — Entdeckungen: zu Dtn 6,7.8. In: MKZ 48.29 (Juli 1993), 1. — Fünf Jahre danach –(k)ein Grund zur Nostalgie? Joachim Gauck sprach auf dem mecklenburgischen Pastorentag in Waren. In: MKZ 49.43 (Okt. 1994), 1. — Gerade für die: zu Ex 32,11. In: MKZ 51.19 (Mai 1996), 1. — Klimawechsel? zu Apg 2,44. In: MKZ 47.31 (Aug. 1992), 1. — Mauerspringer: zu Jer 1,7. In: MPKZ 61.22 (Aug. 2006), 1. — Mut: zu Mt 10,27. In: MKZ 54.44 (Okt. 1999), 1. — Urteile: zu 2. Kor 5,10. In: MKZ 51.46 (Nov. 1996), 1. — Verlängerte Chance: zu 2. Petr 3,9. In: MKZ 51.47 (Nov. 1996), 1. — Vertrauen: zu Joh 20,19-29. In: MPKZ 64.16 (Apr. 2009), 1. — Was braucht der Mensch? zu Ex 16,12. In: MKZ 51.29 (Juli 1996), 1. — Wie revolutionär ist der Glaube? Die Rolle der Kirchen als Wegbereiter der friedlichen Revolution. In: MPKZ 64.18 (Mai 2009), 5. — Wir sind sein Volk: zu Jes 9,1. In: MKZ 48.52 (Dez. 1993), 1. — „Wozu Kirche?“: Kommentar. In: MKZ 51.37 (Sep. 1996), 1.
Veröffentlichte Quellen
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Berger, Eduard: Zehn Jahre nach der Wende: Wir stehen vor der Aufgabe, uns selbst zu ändern. In: MKZ 54.14 (Apr. 1999), 7. Bergner, Christoph: „Kirchen zu engagiert“: Meinungen. In: MKZ 53.4 (Jan. 1998), 2. Beste, Hermann: 60 Jahre Mecklenburgische Kirchenzeitung – eine „Stimme der Kirche“: Vortrag zum 60jährigen Jubiläum der Kirchenzeitung am 20. April 2006, Apr. 2006, url: http://www.kirche-mv.de/fileadmin/ELLM-Downloadtexte/Beste-60JahreMKZ. pdf (aufgerufen am 28.7.2015). — An der Schwelle: zu Hebr 13,9. In: MKZ 44.53 (Dez. 1989), 1. — Friedensdekade 1989: zu Lk 18,1. In: MKZ 44.46 (Nov. 1989), 1. — Im Schatten: zu Offb 3,1-2. In: MKZ 44.51 (Dez. 1989), 1. — Wünsche in der Adventszeit: zu Hebr 10,23. In: MKZ 44.49 (Dez. 1989), 1. Bieritz, Karl-Heinrich (Hg.): Schalom: Gedanken zum Frieden aus biblischer Sicht. Berlin 1989. Bockentin, Petra: Ohne Scham: zu Röm 1,16. In: MPKZ 59.4 (Jan. 2004), 1. Bodenstein, Roswitha / Schönherr, Albrecht (Hg.): Kirche als Lerngemeinschaft: Dokumente aus der Arbeit Bunde der Evangelischen Kirchen in der DDR; [Bischof D. Albrecht Schoenherr zum 70. Geburtstag]. Berlin 1 1981. Bohley, Annette: Zum 9. November. In: DK 3.45 (Nov. 1997), 3. Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Berlin 3 1972. Borgmann, Lutz: „Das Zeugnis des einzelnen“: Kommentar. In: DK 2.1 (Jan. 1996), 1. Budke-Grüneklee, Ulrike: Morgenandacht „Schlüsselworte – über die Psalmen“, Mai 2013, url: www.ndr.de/kirche (aufgerufen am 10.2.2014). Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR: Zur Ausreiseproblematik und anderen gesellschaftlichen Problemen: Beschluß der 5. Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in Eisenach [...] vom 19.9.1989. In: Demke / Falkenau / Zeddies, Anpassung, 391–395. Buske, Norbert: Die pommersche Kirchenordnung von Johannes Bugenhagen 1535: Text mit Übersetzung, Erläuterungen und Einleitung. Berlin 1985. Demke, Christoph / Falkenau, Manfred / Zeddies, Helmut (Hg.): Zwischen Anpassung und Verweigerung: Dokumente aus der Arbeit Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Leipzig 1994. Der Landesbeauftragte Mecklenburg-Vorpommerns für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Hg.): Aufbruch ’89: Über den Beginn der Wende in Schwerin. Dokumentation. Schwerin 1994. Dibbern, Rudolf: Gottesdienst am 8. November 2009 in der Ansgarkirche Kiel: Predigt zu Joh 5,2-9, url: http : / / www . heiligengeist - kiel . de / aktuelles / predigt - dibbern . php (aufgerufen am 31.7.2017). Dietrich, Ernst: O Land, Land höre des Herrn Wort: Gedenkjahr 1988. Klagenfurt 1988. DK: IM WORTLAUT: Kirche – Gesellschaft – Staatssicherheit: Eine Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. In: DK 47.5 (Feb. 1992), 2. — IM WORTLAUT: Pommersche Kirche zur Stasi-Problematik. In: DK 47.13 (März 1992), 2. Dohle, Horst / Hartweg, Frédéric (Hg.): SED und Kirche: Eine Dokumentation ihrer Beziehungen (Historisch-theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert (Quellen) 2,2). Neukirchen-Vluyn 1995. Dom, Beratergruppe: Anstiftung zur Gewaltlosigkeit: Herbst ’89 in Magdeburg: Gebete um gesellschaftliche Erneuerung, Demonstrationen, Dokumente, Erinnerungen. Magdeburg 1 1991. E.P.D.: Politische Predigt bei der Reichsgründung: Hofprediger Rogge am 18. Januar 1871 in Versailles. In: Neue Wege 65.2 (1971), 55–56.
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Veröffentlichte Quellen
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Anhang 3.2 Veröffentlichte Literatur
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352
Anhang
Schröter, Ulrich / Zeddies, Helmut: Nach-Denken: Zum Weg des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR im Auftrag des Kirchenamtes der EKD für die Arbeitsgemeinschaft zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Frankfurt am Main 1 1995. Schuller, Wolfgang: Die deutsche Revolution 1989. Berlin 2009. Schütz, Sigrid: Die sozialistische Alternative: Jugendweihe, Religion und Nation in der DDR. In: Geyer / Lehmann, Religion, 409–434. Schwabe, Uwe: Der Herbst ’89 in Zahlen – Demonstrationen und Kundgebungen vom August 1989 bis zum April 1990. In: Kuhrt, Opposition, 719–735. Seite, Berndt: „Es hätte auch anders kommen können“. In: Brummer, Gebet, 186–194. Seiters, Rudolf: Die Ausreise der Botschaftsflüchtlinge aus Prag und Warschau. In: Historisch-Politische Mitteilungen 17.1 (Jan. 2010), 239–246. Silomon, Anke: Mit der Sprache der Bibel: Zur Semantik und den politischen Zielen der kirchlichen Friedensbewegug in der DDR in den achtziger Jahren. In: Stadtland, Friede, 255–274. Sölle, Dorothee: Gegenwind: Erinnerungen. Hamburg 2 1995. Sparn, Walter (Hg.): Wieviel Religion braucht der deutsche Staat? Politisches Christentum zwischen Reaktion und Revolution. Gütersloh 1991. Spittmann-Rühle, Ilse / Helwig, Gisela (Hg.): Die DDR im vierzigsten Jahr: Geschichte Situation Perspektiven; Zweiundzwanzigste Tagung zum Stand der DDR-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 16. bis 19. Mai 1989. Köln 1989. Stadelmann, Helge (Hg.): Glaube und Geschichte: Heilsgeschichte als Thema der Theologie (Monographien und Studienbücher 322). Giessen / Wuppertal 1986. Stadtland, Helge (Hg.): „Friede auf Erden“: Religiöse Semantiken und Konzepte des Friedens im 20. Jahrhundert. Essen 2009. Stuhler, Ed: Die letzten Monate der DDR: Die Regierung de Maizière und ihr Weg zur deutschen Einheit. Berlin 2010. Subklew-Jeutner, Marianne: Zum politischen Mandat der Kirche: Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten der DDR. In: Garbe, Kirche, 431–444. Süß, Walter: Von der Ohnmacht des Volkes zur Resignation der Mächtigen: Ein Vergleich des Aufstandes in der DDR 1953 mit der Revolution von 1989. In: VjhZG 52.3 (2004), 441–477. Swoboda, Jörg (Hg.): Die Revolution der Kerzen: Christen in den Umwälzungen der DDR (ABCteam 460). Wuppertal 1990. Thörmer, Heinz: Wie ein Staat zerbröselte. Die Treffen in Greifswald Dezember 1989/1999. In: Jüttner et al., Leitlinien, 185–195. Thümmel, Hans Georg: Greifswald – Geschichte und Geschichten: Die Stadt, ihre Kirchen und ihre Universität. Paderborn 2011. Thumser, Wolfgang: „Kirche im Sozialismus“ als Kirche in einer „mündigen Welt“? In: Timmermann, Diktaturen, 397–409. — Kirche im Sozialismus: Geschichte, Bedeutung und Funktion einer ekklesiologischen Formel (BHTh 95). Tübingen 1996. Timmermann, Heiner: Diktaturen in Europa im 20. Jahrhundert-der Fall DDR. Berlin 1996. Tschopp, Silvia Serena: Heilsgeschichtliche Deutungsmuster in der Publizistik des Dreissigjährigen Krieges: Pro- und antischwedische Propaganda in Deutschland 1628 bis 1635. Frankfurt am Main, New York 1991. van Norden, Günther: Der deutsche Protestantismus: Zwischen Patriotismus und Bekenntnis. In: Heydemann / Kettenacker, Kirchen, 88–108. Veen, Hans-Joachim / März, Peter / Schlichting, Franz-Josef (Hg.): Kirche und Revolution: Das Christentum in Ostmitteleuropa vor und nach 1989. Köln 2009. Vester, Michael / Hofmann, Michael / Zierke, Irene (Hg.): Soziale Milieus in Ostdeutschland: Gesellschaftliche Strukturen zwischen Zerfall und Neubildung. Köln 1995.
Veröffentlichte Literatur
353
Vollnhals, Clemens: „Nikolai ist Schicksalsstelle, aber nicht die ganze Kirche“: Die evangelische Kirche im Revolutionsjahr 1989. In: Henke, Revolution, 245–268. Von Maltzahn, Andreas: Vorwort. In: Altenburg / Siegert, Kirche, 3. Von Saß, Rahel: Der „Greifswalder Weg“: Die DDR-Kirchenpolitik und die Evangelische Landeskirche Greifswald, 1980 bis 1989. Schwerin 1998. Von Saß, Ulrich / von Suchodoletz, Harriet: Feindlich-negativ: Zur politischoperativen Arbeit einer Stasi-Zentrale. Berlin 1 1990. Vormelker, Hans-Joachim: Bericht: 4. Dezember 1989, Rostock, August-Bebel-Straße. In: Der Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Vergessen, 87–97. Wagner, Harald: Staat und politisch alternative Gruppen. In: Dähn, Rolle, 104–114. Weber, Hermann: Die DDR 1945-1986 (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 20). München 1988. Weber, Hermann et al. (Hg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung. Paderborn 1 2003. Weingardt, Markus A.: Das Friedenspotential von Religionen in politische Konflikten: Beispiele erfolgreicher erligionsbasierter Konfliktinterventionen. In: Brocker, Religionen, 299–327. Weiss, Peter Ulrich: Revolution without revolutionaries? On the debate about this nature of the upheaval in 1989-90 in the GDR and its protagonists... In: History of Communism in Europe 2010, 225–243. Wiebering, Joachim: Die Frage nach dem Christentum in der modernen Welt: Bonhoeffers theologische Entwicklung nach 1939. In: Pabst, Kirche, 39–53. — Unter dem Dach der Kirche – Erinnerungen an den Herbst 1989 in Rostock. In: Richter / Müller / Grahl, Herbst, 141–144. Wielepp, Martin: Mecklenburg ist aufgewacht! In: Swoboda, Kerzen, 1–5. Wiggermann, Karl-Friedrich: Fürbitte: Grundsätzlich. In: RGG 4, Bd. 3 2000, 439–440. Winkler, Eberhard: Kasualien und Kasualpredigt. In: RGG 4, Bd. 4. Winter, Friedrich (Hg.): Die Moderatoren der Runden Tische: Evangelische Kirche und Politik 1989/90. Berlin 1999. Winters, Peter Jochen: Zum ersten Mal frei. Die Wahlen zur Volkskammer. In: Zeitschrift für Fragen der DDR und der Deutschlandpolitik, Apr. 1990, 497–501. Wischmeyer, Johannes: Buße, Andacht, patriotische Erhebung: Protestantische Inszenierungen der Reichsgründung 1871. In: Fischer / Senkel / Tanner, Reichsgründung, 15– 37. Wohlrab-Sahr, Monika / Karstein, Uta / Schmidt-Lux, Thomas: Forcierte Säkularität: Religiöser Wandel und Generationendynamik im Osten Deutschlands. Frankfurt am Main / New York 2009. Wolf, Christel: Domeinweihung und Festwoche – ein Verlaufsbericht. In: Garbe / Nixdorf, Dom, 187–232. Wolgast, Eike: Die Reformation in Mecklenburg. In: Bei der Wieden, Helge, Veröffentlichungen, 1–36. Wunnicke, Christoph: Der Bezirk Neubrandenburg im Jahr 1989. Schwerin 2010. — Ohne Belagerung und Gewalt: Die Auflösung der Staatssicherheit im Bezirk Neubrandenburg. In: Frank / Klähn / Wunnicke, Auflösung, 123–153. Zachhuber, Johannes: Zur Freiheit befreit. Theologische Erinnerung an den Herbst 1989 im Licht gegenwärtiger Herausforderungen. In: EvTh 70.2 (2010), 96–105. Zeddies, Helmut (Hg.): Immer noch Predigt? Theologische Beiträge zur Predigt im Gottesdienst. Berlin 1975. Ziemer, Jürgen: Politische Predigt. In: RGG, 4, Studienausgabe, Bd. 6, 1469–1470.
354
Anhang
4. Personenregister / Biogramme Abromeit, Hans-Jürgen, Bischof 266, 269–275, 277–280, 354 geb. 13.10.1954 Gevelsberg (Westfalen), seit 2001 Bischof der PEK, seit Pfingsten 2012 Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern. Affeld, Dietrich, Lehrer geb. 1928, gest. 2007, 1974 – 1992 Synodal-Präses der Landessynode der ELKG.
93, 354
Ahrens, Johannes, Pastor geb. 1967 Lübeck, seit 2014 Pastor in Flensburg.
280, 354
Albrecht VII., Herzog zu Mecklenburg-Strelitz geb. 25.7.1486, gest. 7.1.1547, regierte ab 1503.
68, 354
Althaus, Paul, Theologieprofessor geb. 4.2.1888 Obershagen bei Celle, gest. 18.5.1966 Erlangen, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 20f.
255, 354
Arendt, Hannah, Philosophin geb. 14.10.1906 Linden (Hannover), gest. 4.12.1975 New York City, deutsch-amerikanische politische Theoretikerin und Publizistin.
108, 354
Arndt, Ernst Moritz, Schriftsteller geb. 26.12.1769 Groß Schoritz (Rügen), gest. 29.1.1860 Bonn.
254, 263, 354
Backhaus, Till, Politiker 296, 354 geb. 13.3.1959 Neuhaus (Elbe), SPD-Politiker, seit 1998 Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz von M / V Barth, Karl, Theologieprofessor geb. 10.5.1886 Basel, gest. 10.12.1968 Basel, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 27.
236, 255, 259f., 354
Behm, Heinrich, Bischof 69, 354 geb. 30.3.1853 Thelkow (Mecklenburg-Schwerin), gest. 11.3.1930 Schwerin, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 32. Berger, Eduard, Bischof geb. 22.6.1944 Posen, 1990 – 2001 Bischof der PEK.
97, 354
Beste, Niklot, Bischof geb. 30.6.1901 Ilow Kr. Wismar, gest. 24.5.1987 Gießen, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 36.
69f., 354
Bohley, Annette, Pastorin Pfarrerin in Magdeburg, Schwester der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley.
294, 354
Personenregister
355
Bonhoeffer, Dietrich, Pastor 21, 73, 76, 113, 235f., 238, 240, 242, 312, 355 geb. 4.2.1906 Breslau, gest. 9.4.1945 KZ Flossenbürg, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 41. Brecht, Bertolt, Schriftsteller geb. 10.2.1898 Augsburg, gest. 14.8.1956 Ostberlin.
137, 191, 355
Budke-Grüneklee, Ulrike, Pastorin geb. 1968, Pastorin in Hemmingen.
288, 291, 355
Bugenhagen, Johannes, Reformator geb. 24.6.1485 Wollin, gest. 20.4.1558 Wittenberg. Burkhardt, Matthias, Pastor geb. 1944 Erzgebirge, 1989 Pastor in Kühlungsborn.
75, 355
122, 124, 134, 177, 191, 193f., 217, 234, 355
Böhme, Manfred (Ibrahim), Politiker 67, 96, 355 geb. 18.11.1944 Bad Dürrenberg, gest. 22.11.1999 Neustrelitz, Mitbegründer und Vorsitzender der SPD (Ost), basisdemokratische Mitarbeit in Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen, 1990 Enttarnung als IM, 1992 Ausschluss aus der SPD. Bölkow, Manfred, Politiker 1989 Stellv. des OB und Stadtrat für Inneres in Rostock
42, 355
Collatz, Holm, Pastor 1989 Pastor in Greifswald.
193, 199, 355
Coors, Michael, Pastor 186, 355 seit 2011 Theologischer Referent am Zentrum für Gesundheitsethik und Pastor der Evangelisch - Lutherischen Landeskirche Hannovers. Dallmann, Gerhard, Pastor geb. 18.6.1926 Stettin, 1965 – 1991 Pfarrer in Greifswald-Wieck.
185f., 355
de Maizière, Lothar, Politiker 58, 97, 355 geb. 2.3.1940 Nordhausen (Harz), 1985 Mitgl. der Synode des BEK, 1987 Mitgl. der AG Kirchenfragen beim Hauptvorstand der CDU(Ost), 1989 Vorsitzender der CDU (Ost), 1990 Ministerpräsident der DDR, 1990 Bundesminister für bes. Aufg., 1991 Rücktritt von allen Ämtern, vom MfS als IM geführt. Dibbern, Rudolf, Pastor 1989 / 1990 Pfarrer in der PEK.
280ff., 284, 355
Dibelius, Otto, Pastor geb. 15.5.1880 Berlin, gest. 31.1.1967 Berlin, 1945 – 1966 Bischof der EKiBB, 1949 – 1961 Ratsvorsitzender der EKD siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 85. Dietrich, Hartmut, Pastor 1986 – 1992 Studentenpastor in Rostock.
77, 355
31, 40, 51, 53, 63, 94, 192, 195, 355
356
Anhang
Doerne, Martin, Theologieprofessor 257, 356 geb. 20.3.1900 Schönbach, gest. 2.9.1970 Göttingen, 1934 Theologieprof. in Leipzig, 1947 in Rostock, 1952 in Halle-Wittenberg, 1954 in Göttingen. Engemann, Wilfried, Theologieprofessor 16, 356 geb. 1959 Dresden, 1989 – 1990 Vikariat in der ELKG, 1990 – 1994 Privatdozent für PT an der ErnstMoritz - Arndt - Universität Greifswald und Pfarrer an der Marienkirche Greifswald. Eschenburg, Hartwig, Kirchenmusiker geb. 22.1.1934 Rostock-Warnemünde, 1960 – 2000 Kantor an der St.-Johannis-Kirche Rostock.
63, 356
Falcke, Heino, Pastor 29f., 36, 51, 98, 136, 181, 233, 237, 356 geb. 12.5.1929 Riesenburg (Westpreußen), Theologiestudium in West-Berlin, Göttingen und Basel, 1973 – 1994 Propst in Erfurt, 1963 – 1973 Rektor des Predigerseminars der EKU Gnadau, 1975 – 1987 Vors. des Ausschusses Kirche und Gesellschaft des BEK, 1988 / 1989 stellv. Vors. der Ökum. Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Fehrs, Kirsten, Bischöfin 266, 269, 271–274, 276–279, 309, 356 geb. 12.9.1961 Wesselburen, seit 2011 Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck. Fichte, Johann Gottlieb, Philosoph 254, 263, 356 geb. 19.5.1762 Rammenau, Kurfürstentum Sachsen, gest. 29.1.1814 Berlin. Forck, Gottfried, Bischof 85, 88, 136, 206, 356 geb. 6.10.1923 Ilmenau, gest. 24.12.1996 Rheinsberg, 1981 – 1991 Bischof der EKiBB (Ost) und KKL-Mitgl., 1984 – 1987 Vors. des Rates der EKU (DDR), 1991 Ruhestand. Frahm, Gottfried, Pastor 1989 Pastor in Rostock.
193, 356
Friedrich Wilhelm I, Gottfried, König 249, 356 geb. 14.8.1688 Berlin, gest. 31.5.1740 Potsdam, 1713 – 1740 König in Preußen, Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer und Kurfürst des Hl. Röm. Reichs dt. Nation. Friedrich Wilhelm II, Gottfried, König 252, 356 geb. 25.9.1744 in Berlin, gest. 16.11.1797 Potsdam, 1786 – 1797 König in Preußen, Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer und Kurfürst des Hl. Röm. Reichs dt. Nation. Fritz, Martin, Diakon 1989 Diakon in Neubrandenburg.
193, 356
Führer, Christian, Pastor 13, 283f., 287, 293, 308, 356 geb. 1943, seit 1980 Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche, 1986 Aktion „Nikolaikirche – offen für alle“, 1988 Moderation von Fürbittandachten im Rahmen der LiebknechtLuxemburg-Demonstration, 1989 Mitinitiator der Leipziger Montagsdemonstrationen.
Personenregister
357
Gauck, Joachim, Bundespräsident 39, 45, 58, 67f., 94, 182, 189, 192f., 197f., 201, 216, 219, 234, 357 geb. 24.1.1940 Rostock, 1967 – 1990 Pastor der ELLM, 1989 Mitbegründer des NF in Rostock, 1990 für Bündnis 90 in den meckl. Landtag gewählt.1990 - 2000 Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes in der DDR, 2012 – 2017 Bundespräsident der BRD. Gienke, Bernd-Ulrich, Pastor geb. 1958 Rostock, Pfarrer der PEK / Nordkirche, Sohn vom Bischof der ELKG Horst Gienke.
57, 357
Gienke, Horst, Bischof 27, 45, 72, 79f., 82–91, 93, 127, 200, 244, 304, 357 geb. 18.4.1930 Schwerin, 1954 – 1964 Pastor der ELLM, 1964 – 1971 Rektor des Predigerseminars in Schwerin, bis 1972 Mitglied der Landessynode der ELLM, 1969 – 1989 Mitglied der Bundessynode, Vors. des Theol. Arbeitsausschusses des BEK, Mitglied der KL der VELK-DDR, 1972 – 1989 Bischof der ELKG, 1980 – 1985 Vors. des Nationalkomitees des LWB in der DDR, 1984 – 1989 Mitgl. des Exekutivkomitees des LWB, 1989 Rücktritt als Bischof nach Vertrauensentzug durch Synode und Ruhestand, 1990 Umzug nach Lübeck, vom MfS als IM „Orion“ geführt. Glöckner, Reinhard, Pastor 16, 25, 34, 50, 55, 59f., 78–81, 83, 88, 96, 127f., 131, 133, 135, 151, 188, 193, 226, 234, 357 geb. 27.10.1933 Lübeck, 1974 – 1990 Pfarrer an der Greifswalder St.-Marien-Kirche, 1989 Mitorganisation von Friedensgebeten und Montagsdemonstrationen in Greifswald, Mitgl. des RT Greifswald, April 1990 – 1992 Greifswalder Oberbürgermeister. Glüer, Dietlind, Gemeindepädagogin 61, 63, 94f., 357 geb. 1937 Osterode in Ostpreußen, Mitbegründerin des NF in Rostock, 1989 Gemeindepädagogin in Rostock. Gollwitzer, Helmut, Theologieprofessor geb. 29.12.1908 Pappenheim, gest. 17.10.1993 Berlin, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 90.
259f., 265, 357
Gorbatschow, Michail, Politiker 33, 40, 43, 50, 97, 122, 164, 227, 357 geb. 2.3.1931 Priwolnoje, UdSSR, 1985 – 91 Generalsekretär des ZK der KPdSU, 1990 – 91 Präsident der SU, 1990 Friedensnobelpreis. Gustav II. Adolf, König von Schweden geb. 9.12.1594 Stockholm, gest. 6.11.1632 bei Lützen, 1611 – 1632 König von Schweden.
75, 357
Gutzeit, Martin, Pastor 25, 67, 96, 357 geb. 30.4.1952 Cottbus, 1982 – 1986 Pastor der ELLM, 1983 – 1987 Teilnehmer der mobilen Friedensseminare Mecklenburg, 1989 Verfasser des Initiativaufrufes zur Gründung der SDP und Mitbegründer, 1990 MdB, seit 1993 Landesbeauftragter für die Aufarbeitung der Stasi - Unterlagen in Berlin. Göbel, Christa, Pastorin 193, 200, 202, 204, 206f., 219, 242, 357 geb. 1945, 1989 Pfarrerin in Greifswald, bis 2010 Pfarrerin der PEK.
358
Anhang
Götting, Tobias, Pastor 280, 283ff., 287f., 358 geb. 19.12.1968 Hamburg, seit 2001 Pastor der Ev. Luth.Kirchengemeinde Ansgar in Hamburg Langenhorn. Günther, Gudrun, Pastorin 1989 Pastorin in Rostock.
40, 63, 192, 358
Harder, Hans-Martin, Jurist 80, 82ff., 358 geb. 4.9.1942 Langenfeld, Landkreis Oststernberg, 1967 – 2004 Kirchenjurist und (Ober -) Konsistorialpräsident der ELKG / PEK. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Philosoph geb. 27.8.1770 Stuttgart, gest. 14.11.1831 Berlin.
254, 263, 358
Heinrich V., , Herzog zu Mecklenburg-Schwerin geb. 3.5.1479, gest. 6.2.1552, 1503 – 1552 regierender Herzog zu Mecklenburg-Schwerin.
68, 358
Herder, Johann Gottfried, Philosoph geb. 25.8.1744 Mohrungen, gest. 18.12.1803 Weimar.
254, 263, 358
Heyde de Lopéz, Julia, Journalistin Redakteurin bei der Ev. Kirche im NDR. Heydenreich, Fridolf, Pastor geb. 29.8.1944 Uelitz bei Schwerin, 1989 Pastor der ELLM in Neubrandenburg.
268, 288f., 292, 358 95, 182, 193, 204, 211, 220, 358
Hirsch, Emanuel, Theologieprofessor geb. 14.6.1888 Bentwisch / Westprignitz, gest. 17.7.1972 Göttingen, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 113f. Hitler, Adolf, Politiker geb. 20.4.1889 Braunau am Inn, gest. 30.4.1945 Berlin, dt. Diktator.
255, 358
256ff., 262f., 358
Honecker, Erich, Politiker 22, 41, 43, 53, 72, 83–87, 89f., 115, 117, 127, 160f., 196, 206, 215, 273, 298, 358 geb. 25.8.1912 Neunkirchen (Saar), gest. 29.5.1994 Santiago de Chile, seit 1949 Mitglied des ZK der SED, ab 1976 Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzender des Staatsrates, 18.10.1989 Rücktritt von allen Ämtern, 3.12.1989 Ausschluss aus der SED, 1993 Haftverschonung nach Prozess in Berlin, 1993 / 1994 Aufenthalt in Santiago de Chile. Honecker, Margot, Politikerin 126, 358 geb. 17.4.1927 Halle, gest 6.5.2016 Santiago de Chile, seit 1953 verheiratet mit E. Honecker, 1945 / 1946 Eintritt in KPD / SED, 1947 Leiterin der Abt. Kultur und Erziehung, 1949 – 1953 Sekr. des ZR der FDJ und Vors. der Pionierorganisation, 1950 – 1954 und 1967 – März 1990 Abg. der Volkskammer, ab 1963 Mitglied des ZK der SED und Ministerin für Volksbildung, Nov. / Dez. Rücktritt mit der Regierung W. Stoph und dem ZK der SED, 4.2.1990 Austritt aus der SED / PDS, seit 1993 Aufenthalt in Santiago de Chile.
Personenregister Hus, Jan, Reformator geb. um 1369, gest. 6.7.1415 Konstanz, böhmischer Reformator. Huse, Petra, Pastorin Pastorin in Anklam.
359 191, 359
280, 286, 359
Höppner, Reinhard, Politiker 280, 359 geb. 2.12.1948 Haldensleben, gest. 9.6.2014 Magdeburg, SPD-Politiker und Mathematiker, 1980 – 1994 Präsident der Synode der KPS, 1989 Mitglied der SDP, 1990 Abg. und Vizepräs. der Volkskammer, 1990 – 1994 MdL Sachsen-Anhalt, 1994 – 2002 Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Jacob, Günter, Pastor geb. 8.2.1906 Berlin, gest. 29.9.1993 Berlin, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 122.
149, 312, 359
Jepsen, Maria, Bischöfin 269, 271f., 359 geb. 19.1.1945 Bad Segeberg, seit 1992 Bischöfin des Sprengels Hamburg, seit 2008 des Sprengels Hamburg-Lübeck, Rücktritt 2010. Jeutner, Thomas, Journalist 295, 359 geb. 1960 Prenzlau, 1989 Pressevikar bei der evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“, danach 9 Jahre Redakteur der pommerschen Kirchenzeitung. Juergensohn, Thomas, Pastor geb. 1949, 1989 Pastor in Bad Doberan.
57, 95, 185, 359
Kant, Immanuel, Philosoph geb. 22.4.1724 Königsberg, Preußen, gest. 12.2.1804 Königsberg.
191, 359
Kapiske, Jürgen, Journalist 1991 / 1992 Chefredakteur der MKZ, 1992 enttarnt als IM „Walter“.
298, 359
Karl V., , Kaiser 68, 359 geb. 24.2.1500 Gent, gest. 21.9.1558 Kloster San Jerónimo de Yuste, seit 1516 König von Spanien, seit 1519 röm.- dt.König, 1530 zum Kaiser gekrönt durch Papst Clemens VII., verzichtete 1556 auf die Kaiserwürde. Karsten, Ulrich, Priester 56, 95, 359 1989 Pfarrer der katholischen Christusgemeinde und der Thomas-Morus - Gemeinde Rostock. King, Martin Luther, Pastor geb. 15.1.1929 Atlanta, Georgia, gest. 4.4.1968 Memphis, Tennessee, amerikanischer Bürgerrechtler und Baptistenpastor.
191, 359
360
Anhang
Kleemann, Christoph, Pastor 94, 360 geb. 17.4.1944 Meißen, gest. 28.10.2015 Rostock, 1986 – 1989 Pastor in Dobbertin, 1989 Sprecher des NF und Mitglied am RT Rostock, 1990 nach dem Rücktritt des SED - OB Henning Schleiff bis zur Kommunalwahl amtierender Rostocker OB, 1990 – 1994 Rostocker Bürgerschaftspräsident. Kohl, Helmut, Bundeskanzler 58, 64, 67, 360 geb. 3.4.1930 Ludwigshafen am Rhein, gest. 16.6.2017 Ludwigshafen am Rhein, 1982 – 1998 Bundeskanzler der BRD. Krause, Friedrich, Theologe 193, 200, 206, 360 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Sektion Theologie der Ernst - MoritzArndt-Universität Greifswald. Krenz, Egon, Politiker 19, 34f., 41, 43, 49f., 63, 360 geb. 19.3.1937 Kolberg (Pommern), 1973 – 1989 Mitglied des ZK der SED, 1971 – Januar 1990 Abg. der Volkskammer, 1981 – 1984 Mitgl. des Staatsrates und 1984 – 1989 stellv. Vors. des Staatsrates, 18.10. – 3.12.1989 Generalsekr. des ZK der SED, 24.10. – 6.12.1989 Vors. des Staatsrates und Vors. des Nat. Verteidigungsrates, 21.1.1990 Ausschluss aus der SED / PDS. Krummacher, Bernd-Dietrich, Pastor geb. 1944, 1989 Pfarrer der ELKG / PEK.
280, 288, 360
Krummacher, Friedrich-Wilhelm, Bischof geb. 3.8.1901 Berlin, gest. 19.6.1974 Altefähr (Rügen), siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 146f.
77ff., 360
Krusche, Günter, Pastor geb. 25.2.1931 Dresden, gest. 5.7.2016 Berlin, 1983 – 1993 Generalsuperintendent der EKiBB (Ost).
63, 360
Krötke, Wolf, Theologieprofessor 55, 99, 236, 238ff., 244, 360 geb. 5.10.1938 Berlinchen (Neumark), 1973 – 1991 Dozent für Syst. Theol. in Naumburg, 1991 – 2004 Prof. an der HU Berlin. Kuessner, Hinrich, Pastor 96, 360 geb. 29.4.1943 Gerdauen (Ostpreußen), 1979 – 1988 Geschäftsführer des Diakonischen Werks der ELKG, leitete 1989 – 1990 den Untersuchungsausschuss von Greifswald, 1990 für die SPD in der Volkskammer, bis 1994 MdB. Kuske, Martin, Pastor geb. 5.2.1940 Zoppot, gest. 9.2.1995 Schwerin, Pastor der ELLM, ab 1978 Pastor in Teterow. Kästner, Erich, Schriftsteller geb. 23.2.1899 Dresden, gest. 29.7.1974 München.
73, 235, 360
191, 360
Langer, Jens, Pastor 13, 51, 63, 95, 195, 280, 360 geb. 29.6.1939 Rostock, seit 1966 Pastor der ELLM, 1989 – 1992 Hochschuldozent für PT in Rostock, 1992 – 2003 Pastor an St.-Marien Rostock.
Personenregister
361
Leich, Werner, Bischof 84ff., 117, 275, 361 geb. 31.1.1927 Mühlhausen (Thüringen), ab 1954 Pfarrer in Thüringen, 1977 – 1990 Landesbischof der thüringischen Landeskirche, 1980 – 1983 Vors. des kirchl. Lutherkomitees, 1986 – 1990 KKL-Vors., 1990 Mitverfasser der Loccumer Erklärung. Lohse, Henry, Pastor 31, 38, 44, 58, 95, 105, 122, 189f., 192, 204, 208, 222, 243, 361 geb. 1947, 1985 – 2012 Pastor an St. Petri Rostock. Lotichius, Frank, Pastor 280, 283f., 287, 361 geb. 1958, 1989 – 1994 Propst in St. Petersburg, 1995 – 2011 Pastor in Lübeck, seit 2011 in Breitenfelde. Luther, Martin, Reformator 230, 235, 258, 261f., 361 geb. 10.11.1483 Eisleben (Grafschaft Mansfeld), gest. 18.2.1546 Eisleben. Löhe, Wilhelm, Pastor geb. 21.2.1808 Fürth, gest. 2.1.1872 Neuendettelsau.
250, 361
Magaard, Gothart, Bischof 266, 269, 271f., 276, 361 geb. 01.11.1955 Flensburg, 1.10.2009 – 31.05.2013 Bischofsbevollmächtigter im Sprengel Schleswig und Holstein, 1.06.2013 – 11.4.2014 Bischofsvertreter im Sprengel Schleswig und Holstein, seit 1.5.2014 Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein. Mahlburg, Fred, Pastor 40, 44, 46, 51, 60, 63, 95, 183, 192, 195, 236, 361 geb. 1940, 1975 – 1985 Pastor der ELKG, 1985 – 1993 Pastor für Weiterbildung und Akademiearbeit der ELLM, 1993 – 2003 Leiter der Ev. Akademie M / V. Manteuffel, Manfred, Kapitän geb. 1934, Kapitän der Volksmarine, 1989 Referent für Kirchenfragen in Rostock.
42, 361
Martins, Paul-Friedrich, Pastor 16, 268, 280, 283f., 286, 361 geb. 28.12.1928 Rostock, gest. 10.5.2015 Neubrandenburg, 1968 – 1991 Pastor der St.- Johanniskirche Neubrandenburg. Marx, Karl, Philosoph geb. 5.5.1818 Trier, gest. 14.3.1883 London.
303, 361
Meckel, Markus, Politiker 25f., 67, 96, 102, 361 geb. 18.8.1952 Müncheberg (Brandenburg), 1982 – 1988 Pastor in Vipperow / ELLM, 1988 – 1990 Leiter einer ökum. Begegnungsund Bildungsstätte der Ev. Kirche in Niederndodeleben / Sachsen-Anhalt, Mitarb. im Arbeitskreis Theol. und Phil. beim BEK, Verf. des Initiativaufrufs zur Gründung der SDP vom 24.7.1989 (mit Martin Gutzeit), 7.10.1989 Mitbegründer der SDP, April bis Juni 1990 Vors. der DDR-SPD, März bis Okt. 1990 Abg. der Volkskammer, April bis Aug. 1990 Min. für Auswärtige Angelegenheiten, Mai 1990 Vertreter der DDR bei den „2+4“- Gesprächen, ab Okt. 1990 MdB, SPD-Sprecher in der Enquete-Kommission des Dt. Bundestages zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR.
362
Anhang
Meiser, Hans, Bischof geb. 16.2.1881 Nürnberg, gest. 8.6.1956 München, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 169f.
258, 362
Mielke, Erich, Politiker 161, 196, 362 geb. 28.12.1907 Berlin, gest. 21.5.2000 Berlin, 1957 – 1989 Minister für Staatssicherheit, Nov. 1989 aus allen Ämtern ausgeschlossen, ab Dez. 1989 in U-Haft, Entlassung wegen Haftunfähigkeit. Mittag, Günter, Politiker 53, 362 geb. 8.10.1926 Stettin, gest. 18.3.1994 Berlin, ab 1962 Mitgl. des ZK der SED, 1963 – 1989 Abg. der Volkskammer, 1963 – 1971 und 1979 – 1989 Mitgl. des Staatsrates der DDR, 1984 – 1989 stellv. Vors. des Staatsrates der DDR, 1966 – 1989 Mitgl. des Politbüros, 1982 – 1989 Mitgl. des Nat. Verteidigungsrates, 18.10.1989 Entbindung von leitenden Funktionen, 11. / 12.11.1989 aus ZK entlassen, 23.11.1989 Ausschluss aus SED, 3.12.1989 – 2.8.1990 U-Haft (Entlassung aus gesundheitlichen Gründen). Moderow, Hans-Martin, Pastor 1989 Pastor in Anklam.
185, 362
Modrow, Hans, Politiker 34, 49, 63, 211, 362 geb. 27.1.1928 in Jasenitz (Kreis Randow), 1958 – Okt. 1990 Abg. der Volkskammer, 1967 – 1989 Mitgl. des ZK der SED, 1973 – 1989 1. Sekr. der SED-BL Dresden, Okt. 1989 Mitinitiator des Dresdner Dialogs mit der oppositionellen Gruppe der 20, 8.11. – 3.12.1989 Mitgl. des Politbüros, 13.11.1989 – März 1990 Vors. des Ministerrates, Dez 1989 stellv. Vors. der SED / PDS, bildete am 5.2.1990 mit Vertretern vom RT die „Regierung für nationale Verantwortung“, ab Okt. 1990 MdB, 27.5.1993 vom Landgericht für schuldig befunden, Weisung zur Wahlmanipulation gegeben zu haben (Verwarnung und Geldstrafe), Febr. 1994 Aufhebung der Immunität, März 1994 Anklageerhebung. Mothes, Jörn, Politiker 30, 362 geb. 1962 Stralsund, 1989 Vikar der ELLM, ehem. DDR-Bürgerrechtler und Umweltschützer, 1990 am RT der Volkskammer, 1998 – 2008 mecklenburg-vorpommerischer Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Müller, Klaus, Pastor 1989 Pastor der ELLM in Neubrandenburg. Müller, Marco, Pastor Seit 2013 Studieninspektor im Predigerseminar Loccum. Müntzer, Thomas, Reformator geb. um 1489 Stolberg, gest. 27.5.1525 bei Mühlhausen. Neumann, Matthias, Pastor Geb. in Thüringen, lebt seit 1976 in Hamburg, bis 2012 nordelbischer Pastor. Niemöller, Martin, Kirchenpräsident geb. 14.1.1892 Lippstadt, gest. 6.3.1984 Wiesbaden, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 185.
32, 37, 51, 362 288, 290, 362 235, 362
280f., 283, 285ff., 362
259, 362
Personenregister Nixdorf, Wolfgang, Oberkonsistorialrat geb. 1935 Breslau, 1981 – 2000 Oberkonsistorialrat in Greifswald.
363 79, 90, 302, 363
Noack, Arndt, Pastor 60, 67, 79, 96, 280, 285, 363 geb. 1944, 1989 Studentenpfarrer in Greifswald, Mitbegründer der SDP. Oetinger, Friedrich Christoph, Theologe geb. 2.5.1702 Göppingen, gest. 10.2.1782 Murrhardt. Ohse, Eckert, Pastor Pastor der ELLM, Bruder von Landessuperintendent Traugott Ohse.
37, 363 303, 363
Ohse, Traugott, Pastor 25, 121, 173, 209, 303, 305, 363 geb. 1928, 1970 – 1993 Landessuperintendent des Kirchenkreises Rostock-Land und 1. Prediger am Münster in Bad Doberan. Okunowski, Rainer, Philosoph 119f., 363 Marxistisch-leninistischer Philosoph, der 1988 seine Dissertation vorlegte mit dem Titel : „Der evangelische Pfarrer in der DDR“. Plath, Siegfried, Pastor 80, 363 geb. 1931 Geiblershof (Kreis Greifenhagen), gest. 27.11.2010 Koserow, ab 1973 Theologischer Dezernent im Greifswalder Konsistorium, ab 1975 Oberkonsistorialrat und Leiter des Konsistoriums (Personaldezernat, Bereich Ökumene, Sonderbauprogramm, Beziehungen von Kirche und Staat), 1993 Rücktritt aufgrund von Stasikontakten. Poldrack, Christoph, Pastor 96, 186, 363 1989 Mitarb. der Sektion Theologie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald, Mitbegründer des NF in Greifswald, Pastor in Leegebruch. Puttkammer, Joachim, Pastor 83, 87f., 363 geb. 24.1.1942 Eventin / Stettin, 1945 Flucht der Familie nach Mecklenburg, Pastor in Ballwitz, Prillwitz, 1979 – 1990 Pfarrer am Dom St. Nikolai in Greifswald, 1990 – 1993 Redakteur beim „Demokrat“ (später Greifswalder Tageblatt), 1993 – 2004 Pastor in Graal-Müritz. Rathke, Heinrich, Bischof 71–74, 79, 113, 235, 266, 268ff., 272f., 276, 279, 300, 363 geb. 12.12.1928 Mölln (Mecklenburg), Theologiestudium in Kiel, Erlangen, Tübingen, ab 1952 Pastor der ELLM, ab 1970 Landespastor für Gemeindedienst in Güstrow, 1971 – 1983 Bischof der ELLM, 1977 – 1981 leitender Bischof der VELK-DDR, 1984 – 1991 Pastor in Crivitz / Schwerin, 1989 Mitbegr. des NF in Crivitz und Vertrauensperson bei der Auflösung von MfSEinrichtungen im Landkreis, seit 1991 im Ruhestand. Rendtorff, Heinrich, Bischof geb. 9.4.1888 Westerland auf Sylt, gest. 18.4.1960 Kiel, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 205. Riemann, Andreas, Pastor 1989 Pastor in Neubrandenburg.
69, 76, 363
123f., 131, 142, 148, 150, 193, 199, 363
364
Anhang
Ringstorff, Harald, Politiker 299, 364 geb. 25.9.1939 Wittenburg, 1989 Gründungsmitglied der SDP, 1990 – 2003 Landesvorsitzender der SPD in M / V, 1998 – 2008 Ministerpräsident von M / V. Ritschl, Albrecht, Theologieprofessor geb. 25.3.1822 Berlin, gest. 20.3.1889 Göttingen.
254, 263, 364
Rogge, Bernhard, Pastor geb. 22.10.1831 Groß Tinz, gest. 9.8.1919 Scharbeutz, 1862 – 1906 Potsdamer Hof- und Gardekorps-Divisionsprediger.
249f., 364
Röder, Bettina, Journalistin 295f., 299, 364 geb. 1954, seit 1987 Mitarbeiterin der ev. Wochenzeitung „Die Kirche“, verheiratet mit HansJürgen Röder. Röder, Hans-Jürgen, Journalist 295f., 364 geb. 1946, ab 1975 Redakteur von „Kirche im Sozialismus“, ab 1979 epd-Korrespondent in der DDR, 1990 – 2011 Chefredakteur des epd-Landesdienstes Ost in Berlin. Sagert, Karl-Friedrich, Pastor 297, 364 geb. 1935 Deutsch Krone (Westpommern), seit 1962 Pastor der ELLM, 1986 – 1996 Domprediger in Schwerin. Sauerberg, Carsten, Pastor Pastor der Nordkirche in Heiligenhafen.
280, 283f., 287, 309, 364
Schabowski, Günter, Politiker geb. 4.1.1929 Anklam, gest. 1.11.2015 Berlin, SED-Politiker. Schmachtel, Jochen, Pastor geb. 1952, 1989 Pastor in Rostock, bis 2015 Pastor der ELLM / Nordkirche.
41, 43, 49, 364
40, 63, 192, 364
Schmidt, Carl-Christian, Pastor 56f., 61, 95, 126f., 135, 138, 150, 153, 155, 158, 162f., 165–169, 172f., 175f., 182, 193f., 198, 202ff., 210, 214f., 217f., 220ff., 364 geb. 1943, 1989 Propst in Bad Doberan. Schmidt, Helmut, Bundeskanzler geb. 23.12.1918 Hamburg, gest. 10.11.2015 Hamburg, SPD-Politiker, 1974 – 1982 Bundeskanzler der BRD. Schnell, Uwe, Pastor 1989 Pastor der ELLM.
279, 364
63, 364
Schnur, Wolfgang, Rechtsanwalt 51, 141, 364 geb. 8.6.1944 Stettin, gest. 16.1.2016 Wien, Rechtsanwalt in Binz, später in Rostock, Rechtsbeistand für Oppositionelle, Mitgl. der Landessynode der ELLM, Vizepräses der EKU-Synode (DDR), 1988 Mitgl. der BEKSynode, 29.10.1989 Mitbegr. des DA, Dez. 1989 bis März 1990 Vors. des DA und Teiln.
Personenregister
365
am Zentralen RT, Febr. 1990 Mitbegr. der „Allianz für Deutschland“, März 1990 Rücktritt und Ausschluss aus DA nach Bekanntwerden seiner IM-Tätigkeit, 1993 Entzug der Anwaltslizenz. Schorlemmer, Friedrich, Pastor 13, 29, 365 geb. 16.5.1944 Wittenberge, ab 1978 Dozent am Predigerseminar Wittenberg und Prediger an der dortigen Schlosskirche, 1983 Umschmiedeaktion von Schwertern zu Pflugscharen, 1988 Mitverfasser der 20 Wittenberger Thesen, 1989 Mitbegr. des DA, 1990 Eintritt in SDP, 1992 – 2007 Studienleiter der Ev. Akademie Wittenberg. Schröder, Bernd, Diakon 1989 Diakon in Greifswald.
79, 365
Schultz, Walther, Bischof 69, 365 geb. 20.8.1900 Hof Tressow bei Grevesmühlen, gest. 26.6.1957 Schnakenburg / Elbe, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 231. Schäper, Roland, Pastor 1989 Pastor der ELLM in Röbel.
25, 365
Schönherr, Albrecht, Bischof 27, 235ff., 259f., 265, 365 geb. 11.9.1911 Katscher (Kreis Leobschütz), gest. 9.3.2009 Potsdam, 1958 Mitbegr. des Weißenseer Arbeitskreises, ab 1967 Verwalter des Bischofsamtes der EKiBB (Ost), 1969 Mitbegr. des BEK und Vors. der KKL, 1972 – 1981 Bischof der EKiBB (Ost), 6.3.1978 Ltg. der BEK-Delegation beim Gespräch mit E. Honecker, 1981 Ruhestand. Seigewasser, Hans, Politiker geb. 12.8.1905 Berlin, gest. 18.10.1979 Rom, 1960 – 1979 Staatssekretär für Kirchenfragen.
72, 365
Siegert, Karen, Pastorin geb. 1954, bis 2017 Pastorin der ELLM / Nordkirche in Rerik.
288f., 291, 365
Siegert, Siebrand, Pastor 1989 Pastor der ELLM.
72, 365
Slüter, Joachim, Reformator geb. um 1490 Dömitz, gest. 19.5.1532 Rostock.
68, 365
Springborn, Roland, Pastor 1989 Pfarrer der ELKG / PEK in Greifswald.
79, 124, 182, 188, 193, 200, 209, 365
Stange, Erich, Reichswart geb. 23.3.1888 Schwepnitz, gest. 12.3.1972 Kassel, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 244f.
259, 365
Steffensky, Fulbert, Theologe geb. 7.7.1933 in Rehlingen.
187, 365
Stier, Christoph, Bischof 45, 71, 73ff., 85, 87, 94, 121, 130, 144, 239, 303, 365 geb. 7.1.1941 Magdeburg, 1981 – 1991 Mitgl. der KKL, 1984 – 1996 Landesbischof der ELLM, 1986 – 1988 leitender Bischof der VELK-DDR, 1997 – 2006 Landessuperintendent des KK Stargard.
366
Anhang
Stolpe, Manfred, Ministerpräsident 84, 366 geb. 16.5.1936 Stettin, 1970 Dezernent des Konsistoriums für Seelsorge an Wehrpflichtigen, Jugendarbeit und Friedenszeugnis, 1982 – 1990 Konsistorialpräs. der EKiBB (Ost), 1990 – 2002 Ministerpräsident von Brandenburg, vom MfS als IM geführt. Stoph, Willy, Politiker 43, 366 geb. 9.7.1914 Berlin, gest. 13.4.1999 Berlin, 1953 – 1989 Mitglied des Politbüros, 1950 – 1989 Abg. der Volkskammer, 1956 – 1960 Minister für Nat. Verteidigung, 1964 – 1973 und 1976 – 1989 stellv. Vors., 1973 – 1976 Vors. des Staatsrates, 7.11.1989 Rücktritt mit seiner Regierung, 17.11.1989 als Mitgl. des Staatsrates abberufen und aus der Volkskammer ausgeschieden, 3.12.1989 Parteiausschluss durch das ZK der SED. Strube, Christoph, Pastor 1999 – 2016 Pastor der ELKM / Nordkirche in Ribnitz.
294, 366
Subklew-Jeutner, Marianne, Pastorin 280ff., 284–288, 366 geb. 1963 Greifswald, 1992 Korrespondentin des evangelischen Pressedienstes (epd), 1995 – 2000 Pfarrerin in Greifswald. Sölle, Dorothee, Theologin 187, 366 geb. 30.9.1929 Köln, gest. 27.4.2003 Göppingen, 1969 – 1972 Mitveranstalterin der Kölner „Politischen Nachtgebete“, bekannte Vertreterin der politischen und feministischen Theologie. Thom, Karl, Bischof geb. 20.3.1900 Dt.-Eylau, gest. 2.2.1935 Greifswald, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 257. Thomas, Gerhard, Journalist geb. 1934, 1977 – 1992 Chefredakteur von „Die Kirche“. Tillich, Paul, Theologieprofessor geb. 20.8.1886 Starzeddel bei Guben, gest. 22.10.1965 Chicago Illinois, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 259.
76, 366
298, 301, 366
236, 366
Timm, Andreas, Pastor 95, 366 geb. 1956, 1993 – 2005 Pastor am Doberaner Münster, bis 2015 Pastor in Graal-Müritz, seit 2015 Gefängnisseelsorger in der JVA Bützow. Timm, Gottfried, Politiker 25, 36, 39, 95f., 234, 280f., 283, 285f., 366 geb. 26.5.1956 Hohenkirchen, SPD-Politiker, 1986 – 1990 Pastor in Röbel / Müritz, 1998 – 2006 Innenminister von M / V. Tisch, Harry, Politiker 43, 78, 161, 366 geb. 28.3.1927 Heinrichswalde (Vorpommern), gest. 18.6.1995 Berlin, 1961 – 1975 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock, 1963 – 1989 Mitglied des ZK der SED.
Personenregister
367
Tuve, Matthias, Pastor 193, 200, 202, 206, 367 geb. 1958 Nordhausen, 1983 ordiniert in Greifswald, dort Pfarrer bis 1996, 2009 – 2013 Studentenpfarrer in Greifswald, seit 2013 Leiter der Ök. Arbeitsstelle des Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises. Ueberschär, Ellen, Pastorin 288, 291, 367 geb. 1967 Berlin-Pankow, 2004 – 2006 Studienleiterin für Theologie, Ethik und Recht in der Ev. Akademie Loccum, seit 2006 Generalsekretärin des DEK. Ulbricht, Walter, Politiker 115, 240, 298, 367 geb. 30.6.1893 Leipzig, gest. 1.8.1973 Berlin, 1952 – 1971 1. Sekretär des ZK der SED, danach SED-Vors., 1960 – 1971 Vors. des Nationalen Verteidigungsrates und bis 1973 Vors. des Staatsrates der DDR. Ulrich, Gerhard, Bischof 266f., 269–274, 276f., 279f., 367 geb. 9.3.1951 Hamburg, 2008 – 2013 Bischof des Sprengels Schleswig und Holstein, seit 2009 Vors. der KL der Nordelbischen Kirche und Vors. der gem. KL der drei evangelischen Landeskirchen Nordelbien, Mecklenburg und Pommern, seit 21.2.2013 1. Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. von Assisi, Franz, Mönch geb. 1180 / 81 Assisi, gest. 3.10.1226 Assisi.
37, 367
von Bismarck, Otto, Reichskanzler 254, 262, 367 geb. 1.4.1815 Schönhausen (Elbe), gest. 30.7.1898 Friedrichsruh (Hamburg), 1871 – 1890 1. Reichskanzler des dt.Reiches. von Bodelschwingh, Friedrich, Pastor geb. 14.8.1877 Bethel, gest. 4.1.1946 Bethel, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 39.
250, 367
von Maltzahn, Albrecht, Pastor geb. 1934, 1964 – 1999 Pastor in St. Johannis Rostock.
109, 367
von Maltzahn, Andreas, Bischof 235, 266f., 269–276, 278f., 367 geb. 5.8.1961 Hagenow (Mecklenburg), seit 1992 Pastor der ELLM, seit 30.3.2007 Landesbischof der ELLM, seit Gründung der Nordkirche 2012 Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern. von Saß, Ulrich, Pastor 32, 36f., 57, 95, 193, 199, 201, 206, 244, 294, 367 1989 Pastor in Neubrandenburg, heute Pastor in Rostock-Dierkow. von Scheven, Karl, Bischof geb. 16.2.1882 Leopoldshagen (Anklam), gest. 7.10.1954 Bad Wiessee, siehe Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 216. von Weizsäcker, Carl Friedrich, Physiker geb. 28.6.1912 Kiel, gest. 28.4.2007 Söcking am Starnberger See.
77, 367
97, 191, 279, 367
Sachregister
369
5. Sachregister Amt für nationale Sicherheit, 51f., 54 Andersdenkende, 97, 120, 160 Antifaschismus, 115 Antikommunismus, 120 Arbeiter- und Bauernstaat, 58, 203 Arbeitsgruppe für Kirchenfragen, 72 Arbeitslosigkeit, 66, 146, 223 Artikel 23 GG, 60 Atheismus, 114, 120, 129f., 229, 232, 266, 303 Aufbruch, 45, 51, 53f., 92, 123, 125, 154, 162f., 165, 168, 173, 176, 184, 189, 199, 212, 227, 231, 290, 305 Ausländerfeindlichkeit, 64f., 126, 223 Ausreiseantrag, 74, 122, 133, 274, 300 Bad Doberan, 45, 54, 57, 61, 92, 95, 111, 182, 183, 187, 190, 193f., 198, 202, 205, 210, 212, 215, 218, 220ff., 225, 227, 241ff. Basisdemokratie, 124, 148, 179 Bergpredigt, 274, 279f., 287, 293 Buddha, 137 Bundestag, 52, 61f., 64, 96 Buße, 160, 219, 260, 353, 389 Bürgerbewegung, 17, 19, 22, 41, 56, 58, 60, 62, 68, 100, 112, 153, 184, 189, 223, 225, 245, 350, 351, 393 Christen, 29, 51, 55, 59, 71, 76, 78, 84, 85, 89, 92f., 98f., 102, 117, 134, 160f., 211f., 232f., 239, 247, 264, 270f., 273, 275, 277, 279, 280, 282 Christenlehre, 125, 132, 289, 306 Dankbarkeit, 10, 123, 143, 163, 262, 273, 403 Dankgottesdienst,61, 141, 163, 182, 199, 218, 278 Demokratie, 29, 42, 47f., 51, 54, 56, 58, 63f., 67, 95, 99, 115, 117f., 124, 133, 139, 141, 184, 188, 195f., 208, 213, 215, 276, 282, 296 Demonstration, 28, 31, 38, 39, 41ff., 52, 62, 64f., 94f., 98, 104, 128, 136f., 143, 151, 172, 178, 184f., 198, 200f., 207, 209f., 223, 265, 271, 273f., 284f., 289
deutsch-französischer Krieg, 249 deutsche Einheit, 50, 58, 62, 64ff., 108, 116, 124, 142f., 163, 179, 181, 190, 197, 202, 204, 213, 218, 221, 223f., 229, 231, 264, 308, 312 deutscher Vormärz, 248 deutsches Reich, 143 Differenzierungspolitik, 72, 77, 79, 89, 91, 116 Diktatur, 23, 26, 67, 109, 113, 115, 134, 140, 148, 167, 196, 199, 205f., 226, 271, 279, 281, 287 Doberaner Münster,182, 185, 191f., 194, 208, 214, 217 Dolchstoßlegende, 263 Dom St. Nikolai, 79, 80, 82, 84, 86, 90, 127, 134, 137, 180, 182, 200, 206, 209, 212, 329, 334, 339, 343, 379 dona nobis pacem, 305 Donnerstagsandacht, 39, 42, 52, 65, 94, 137, 182, 184, 187, 190, 196, 198, 220, 225, 228 Donnerstagsdemonstration, 50, 66, 156, 184, 281 Einreiseerlaubnis, 281 Erneuerung, 19, 34, 39, 40, 44f., 49, 53f., 98, 123f., 140, 159, 160, 184, 197, 206, 209f., 212ff., 226, 253, 309 Erster Weltkrieg, 69 Evangelium, 14, 108, 114, 128, 131, 152ff., 167, 192, 199, 211, 232f., 257, 263, 274, 293, 302, 305 Flüchtlinge, 34, 40, 43, 77, 132, 276 Frankreich, 263 freie Marktwirtschaft, 140 Friedensgebet,13, 17, 25, 36ff., 43, 49, 58, 101, 104, 111, 137, 151, 157, 165, 180, 182f., 185f., 190, 193, 199f., 204, 211, 212, 221f., 227, 228, 241, 266, 273ff., 283ff., 287, 289, 293, 304, 305, 313 Friedensgottesdienst, 16, 21, 25f., 38f., 70, 83, 127f., 131, 133, 135, 151, 238, 241f., 265, 332 Friedensgruppen, 27, 31, 388 friedliche Revolution, 21, 39, 265, 308 Fürbittandacht, 13, 14, 31f., 38ff., 46, 50, 62, 110f., 123, 136, 154, 187, 216, 221, 313
370 Gedenkgottesdienst, 121, 272 Gedenktag, 269, 290, 293 Gericht Gottes, 191, 195, 230 Geschichtsdeutung, 248, 258, 259, 263 Geschichtsphilosophie, 263 Geschichtstheologie, 121, 250, 256ff., 264, 271, 277, 278 Glasnost, 33, 127 Gottesbeweis, 277f., 287, 309 Greifswald, 16, 17, 23, 25ff., 30f., 34, 41, 43ff., 50, 54, 55, 59ff., 63, 72, 76ff., 84ff., 90ff., 96, 97, 99, 110, 127, 129, 133, 135, 137, 145, 151f., 164, 181ff., 185f., 188, 193f., 199, 201f., 204ff., 209, 211, 216, 221, 244f., 251, 273f., 276, 281, 283, 285f., 292 Greifswalder Landeskirche, 16f., 20, 26, 31, 62, 65, 75, 78ff., 86ff., 91ff., 97, 112, 181, 206, 244, 292, 354, 356ff., 360f., 365, 368 Grundrechte, 295 Handlungsaufforderung, 228, 304 Heilsgeschichte, 15, 21, 168, 181, 229, 230, 239, 246, 248, 252, 254, 261ff., 265, 283, 312, 314, 340, 349, 352 Ideologie, 72, 130, 141, 153, 165, 206, 207, 239, 282 Indoktrinierung, 125 Israel, 121, 160, 163, 172ff., 194, 216, 219f., 227, 228, 264f., 280, 288, 307 Jahreslosung, 121, 301, 303 Jugendweihe, 71, 77, 78, 105, 107 Junge Gemeinde, 65, 71, 83, 114, 215, 235, 282, 302, 306 Kaiserkrönung, 249, 262 Kapitalismus, 129, 144, 147, 181, 223, 245, 273 Kassandra, 191 Katholizismus, 69, 249 Kerzen, 41, 109, 216, 228, 272ff., 276, 283ff., 293, 297, 304f., 310 Kindererziehung, 126, 128 Kirche für andere, 73, 103, 113, 237 Kirche im Sozialismus, 87, 113 Kirchenzeitung, 15, 18, 84f., 136, 247, 266, 292, 293, 295ff., 301, 308 Kollektiv, 48, 70, 108, 203, 210, 215, 220, 246
Anhang Kommunalwahlen, 34, 36, 59, 62, 81, 94, 97, 141, 273 Kommunismus, 130, 160, 166, 239 Kommunisten, 296 Konfirmation, 71, 105, 235 konziliarer Prozess, 27 Korruption, 145 Kriegspredigt, 249, 251, 259, 263 Landessynode, 30, 45, 70, 73f., 80f., 88f., 91, 93, 293 Machtapparat, 135, 208 Marienkirche, 13, 42, 64, 185, 198, 201 128 Marshallplan, Marxismus, 47, 51, 203, 227, 316 Massenflucht, 40, 66, 130, 201 Mauerbau, 114, 130, 134, 302 Mauerfall, 50, 66, 122, 124, 126, 130, 134, 136, 148, 156, 162, 165, 166, 170, 191, 192, 196, 198, 200, 202, 204, 210, 221, 223, 225, 226, 239, 245, 265, 269, 277, 281, 283, 286, 288, 290, 293, 305 Menschenrechte, 29, 58, 59, 133, 175, 178, 196, 206 16, 19, 23, 24, MfS, 47, 51, 56, 69, 71, 73, 75, 81ff., 90ff., 95, 97, 106, 266, 300f., 314f., 335, 337, 349, 355, 357, 363, 366 Moral, 262 Nachkriegsjahre, 71 Nationalsozialismus, 166, 181 Neuanfang, 96, 109, 159, 161, 167, 195, 196, 212f., 225, 231 Neubrandenburg, 16f., 23, 25, 31, 35ff., 39, 41, 43, 49, 51, 55, 57f., 70, 72f., 78, 93, 95ff., 101, 111, 182f., 186, 191, 193f., 199, 201f., 204, 206, 208, 211f., 219ff., 227, 242, 243, 283f., 294 Neues Forum, 37, 58, 186, 223, 281, 357, 360, 363 Nächstenliebe, 123, 215 Offenbarung, Ostalgie,
263, 309 294
Paulskirche, 297 Petrikirche, 31, 38, 41f., 44, 58 Pietismus, 251 Podiumsdiskussion, 296, 297 politischer Mord, 126 Pommersche Evangelische Kirche, 16f., 20, 44, 60, 62, 70, 76ff., 81f., 89, 90,
Sachregister 110, 112, 266, 267, 269, 273, 278, 280f., 283, 292, 299, 354, 355, 357, 358, 360, 365, 368 Prager Frühling, 115 Predigerseminar, 76 Pressefreiheit, 33, 49, 144 preußische Landeskirche, 76 Propaganda, 70, 147, 224 Protestantismus, 74, 90, 98, 102, 223ff., 230, 247, 249ff., 257, 262f., 341, 343, 344, 347, 349, 352 Radioandacht, 15, 246f., 267f., 288, 308 Realutopie, 63 Reformation,68, 75f., 82, 138, 179, 230f., 254 Reformationstag, 179 Reich Gottes, 29, 195, 233f., 239, 248, 263, 373, 392, 402 Reisefreiheit, 29, 49, 62, 136, 196, 205, 219 Religionsunterricht, 70, 78, 132 Revolution, 13ff., 17, 19, 22f., 27, 29, 62f., 81, 94, 97ff., 104, 116f., 121, 138, 147f., 150, 153f., 157f., 163, 165, 171f., 174, 176, 179ff., 185, 191, 203, 208, 209, 211, 214f., 218f., 228, 230f., 244, 246f., 264, 266ff., 278f., 281, 283ff., 301, 305, 308ff. Rolle der Kirche, 14, 30, 102, 117, 150f., 179f., 199, 231, 233, 268, 274, 289, 310 Rosa-Luxemburg-Demonstration, 137 Rostock, 13, 16, 17, 110f., 121, 123, 135, 137, 141, 147, 156, 181ff., 189, 191ff., 198f., 201f., 204ff., 213f., 217, 219ff., 225, 227f., 239, 241, 243, 245 Rostocker Bürgertisch, 60 RT, 117 Runder Tisch, 53, 55f., 94, 100, 154, 331, 344, 357, 360, 362, 365 Schwerter zu Pflugscharen, 269, 270, 275, 279 Sozialismus, 14, 28ff., 33, 35, 40, 42f., 49, 51, 53, 63, 66ff., 73, 98, 99, 113ff., 120, 126, 128, 129, 131, 133f., 140, 144, 151, 167, 181, 195, 202f., 208, 210, 223f., 229, 236, 239, 245, 249, 273, 281, 303, 304 Spitzelsystem, 176 Staatsapparat, 46, 272
371
Staatssekretariat für Kirchenfragen, 71 Stadtjugendkreis, 82 Stadtverordnetenversammlung, 81 Stasi, 19, 22, 30, 47, 48, 52, 55, 64, 74, 75, 81, 92ff., 98, 106, 124, 129f., 134f., 158ff., 166, 175f., 186, 189, 195, 205, 207ff., 222, 245, 272, 273, 282ff., 286, 294, 296, 298ff., 308, 314, 331ff., 337ff., 342, 345, 353, 357, 362f., 387, 401, 403 Stralsund, 38, 57 Studentenpastor, 60, 112, 363, 367 Säkularisierung, 107, 236, 237, 257 Tun-Ergehens-Zusammenhang, 264
262,
Umkehr,96, 109, 139, 165, 196, 213, 219, 260 Ungarnaufstand, 114 Unrechtsstaat, 115, 177 Unterschriftensammlung, 184 Vaterlandsverräter, 132 Verantwortungsethik, 152 Verfassungsänderung, 135, 201 Versailles, 249, 259, 262 Versöhnung, 85, 96, 124, 134, 158, 160f., 200, 226 Volksabstimmung, 204 Volkskammerwahl, 38, 51, 57, 64, 68, 96, 106, 141, 143, 148, 154, 155, 157, 165, 179, 188, 199, 204, 208, 211ff., 218, 219, 221, 223, 225, 228, 234, 245, 273 Volkspolizei, 46, 51, 54 Waffengewalt, 117 Wahlbeteiligung, 142 Wahlboykott, 140 Wahlempfehlung, 142, 210, 223 Wahlergebnis, 34, 58f., 63, 124, 140, 141, 143, 225 Wahlkampf, 124, 141, 142, 205, 233 Wehrunterricht, 125, 153 Weltanschauung,127, 129, 155, 195, 203, 229, 254, 303 West-Ost-Gefälle, 70 Wiedervereinigung, 18, 37, 64f., 67, 124, 148, 184, 200, 209, 224, 292, 295, 312 Wirken Gottes, 150, 168, 172, 227, 308 Wirklichkeitsverständnis, 246
Bibelstellenregister
373
6. Bibelstellenregister 6.1 Altes Testament
Kol 2,8,
1. Kön 19,1–8(9–13a), 1. Mose 8,1-12,
179 392
Ex 14,10-15, Ex 3,7–14, Ez 37,17.19.22,
220 219 287
Jer 29,7, Jer 8,4-7, Jer 9,22f., Jes 22,1–8.12–14, Jes 40,26-31, Jes 57,14-19, Jes 58,7, Jes 62,6+7.10-12, Jes 7,9, Jes 9,1,
118, 123 389 195 241 401 378 307 383 259 307
Micha 4,3,
269, 279
6.2 Neues Testament 1. Petr. 5,14-24, 1. Thess 5,14–24, 1. Tim 2,4, 2. Petr. 1,16-19, Apg 17,12, Apg 17,27,
406 172 118 394 122 121, 164, 303
Eph 4,5, Eph 6,11,
277 306
Gal 4,4–7, Gal 5,1,
173 291
Hebr 13, 12-14, Hebr 13,12–14,
399 164
Jak 1,12-18, Joh 13,35, Joh 16,33, Joh 5,1-9, Joh 8,12, Joh 8,32, Kol 1,12–20,
395, 396 397 259 219 200, 217 36 83
142
Lk 1,46–55, Lk 18, 1-8, Lk 18,1–8, Lk 19,40b, Lk 2,
287 387 177, 230 36 176
Mk 2, 23-28, Mk 8,22-26, Mt 14,31, Mt 25,40, Mt 5,5, Mt 7,15–17, Mt 7,16,
380 164, 375 259 376 269, 279 194 219
Offb 3,1-6, Offb 3,7-13, Offb 3,7f.,
392 391 194
Pred 3,1–14, Pred 3,1-14, Ps 118,3, Ps 126,3, Ps 18, 269, Ps 18,30b, Ps 37,3, Psalm 95,10,
194 385 271 250 291 279 36 173
Röm 1,16, Röm 14,10, Röm 6,14-23,
302 304 405
374
Anhang
7. Dokumentenanhang 7.1 Fragebogen zur Doktorarbeit
Abbildung F.1: Fragebogenvorlage
Dokumentenanhang
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7.2 Dietrich Nath: Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis in St.-Marien zu Rostock zu Mk 8,22-26. Rostock, 13.8.1989 Liebe Gemeinde, Als vor etwa zwanzig Jahren ein bekannter Rostocker Augenarzt von einer Reise in den Wesen nicht zurückgekehrt war, wurde in der Stadt erzählt, an seiner Praxistür habe man folgende Mitteilung gefunden: „Die kurzsichtigen Patienten bitte ich, zu meinem Kollegen Sowieso zu gehen. Die weitsichtigen Patienten bitte ich, mir zu folgen!“ Damals konnte man noch darüber lachen. Heute, wo Hunderttausende von DDR-Bürgern unser Land verlassen wollen, ja sogar unter Gefahr für Leib und Leben alles unternehmen, um nur herauszukommen, bekommt diese Anekdote einen makabren Beigeschmack. Sind es wirklich die Weitsichtigen, die da gehen? Sind es die Klugen, die alles, was sie sich erarbeitet haben, ihre Heimat, ihre Freunde und Bekannten, ihre Verwandtschaft, ihre Arbeitskollegen, ihre Kirchgemeinden im Stich lassen… Sind das wirklich die Klugen? Sind das diejenigen, die tiefer sehen? Die soviel davon reden, was sich hier alles ändern müßte, die uns dann aber im Stich lassen und nicht mehr mithelfen wollen, daß sich etwas ändert. Sind das die Klugen, die Weitsichtigen? Vom rechten Sehen, von der rechten Einsicht ist in unserem Bibelwort die Rede: Da bringen Menschen einen Blinden zu Jesus. Sie bitten für ihn um Heilung. Der Blinde – so scheint es – ist ganz passiv. […] Solche Freunde sind wichtig. Solche Freunde finden wir nicht immer! – Ein Soldat fand solch einen Freund bei der Armee. Der hatte eine Bibel bei sich und sie lasen gemeinsam darin und sprachen über das, was sie gelesen hatten. Der Soldat ist heute Diakon. Er selbst hat es mir erzählt. Er hatte einen Freund, der ihn zu Jesus gebracht hat. Haben die Kinder, die wir Jahr für Jahr hier in dieser Kirche taufen, in ihren Eltern und Paten auch solche Freunde, die sie zu Jesus führen? Wir wünschen es ihnen! Merkwürdig ist es, wie Jesus reagiert. Er fragt den Blinden nicht nach seinem Glauben, wie er es sonst fast immer tat. Auch der Schlußsatz dieser Geschichte heißt nicht: „Gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen!“ Der Glaube des Blinden spielt hier offenbar gar keine Rolle, was wohl heißen soll: Gott schenkt auch Ungläubigen das rechte Sehen. Beispiele dafür gibt es genug: Da sieht ein Staatsmann der Sowjetunion (Gorbatschow), daß es so wie bisher in diesem Riesenreich nicht weitergehen kann, daß endlich Schluß sein muß mit der Korruption, mit der zentralisierten Mißwirtschaft, mit der Verlogenheit und Heuchelei. Daß man das Volk auf Dauer nicht mit Angst vor der Geheimpolizei regieren kann und daß die Fehler der Geschichte offen aufgedeckt werden müssen. Und er beginnt ein ungeheures Reformwerk, das den gesamten Ostblock erschüttert. Da sieht in Ungarn eine Regierung, daß man auf Dauer nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung regieren kann, daß Scheinwahlen auch nur Scheinloyalität zur Folge haben, und zieht daraus Konsequenzen. Da sehen Menschen, Wissenschaftler zuerst, aber dann auch zunehmend Laien, wie wir langsam aber todsicher die Welt in der wir leben, zerstören. Sie schlagen Alarm und rufen uns auf, verantwortlich mit den Schätzen der Natur und den Produkten der Industrie umzugehen. Einsichten, Erkenntnisse überall auf der Erde. Und das sind keineswegs alles Menschen, die auf Grund ihres Glaubens zu diesen Erkenntnissen gekommen sind. Ich denke, Gott ist so souverän, daß er auch Atheisten gute Gedanken eingeben kann und ihnen sehende Augen schenkt. Von diesem Blinden hier jedenfalls wissen wir nicht, ob er an Jesus geglaubt hat oder nicht. Auch daß er nach seiner Heilung an Jesus glaubte, ist nicht überliefert. Wie es scheint, ging er einfach mit seinen Freunden mit und ließ an sich geschehen, was Jesus an ihm tat. Vielleicht nach dem Motto: Wenn es nicht hilft, so wird es auch nicht schaden. Rätselhaft bleibt, warum Jesus ihm sagt, er solle nach Hause gehen, aber nicht in das Dorf zurück. Sollte er seine Heilung vor anderen Menschen geheimhalten? Das ging doch gar nicht. Dann hätte er ja für den Rest seines Lebens sein Haus nicht mehr verlassen dürfen. Was also sollte diese Aufforderung bedeuten? Ich denke, so, wie die ganze Geschichte für uns ein Zeichen, ein Bild sein soll, so ist auch dieser letzte Satz gemeint. Der Mensch ist
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geheilt worden. Das ist Grund zur Freude. Diese Freude soll er mit allen teilen, die zu seiner Familie gehören. Aber er soll mit seiner Heilung keine Propaganda machen. Für Jesus schon gar nicht. Denn, wenn wir voraussetzen, daß er kein gläubiger Mensch war, dann kann er dieses Geschehen auch nicht richtig, d.h. im Sinne Jesu deuten. Darauf aber kommt es Jesus an. Er will nicht falsch verstanden werden! Dieser Blinde hätte ihn ganz bestimmt als Wundertäter, als Heilkundiger, als Magier oder als sonst was bekanntgemacht. Aber gerade das wollte Jesus ja eben nicht sein. Er wollte das Reich Gottes verkündigen und deshalb ist es ihm wichtiger, daß diejenigen, die bei ihm waren, dieses Zeichen verstanden haben. Eben als ein Zeichen Gottes, als einen Hinweis darauf, daß mit ihm das Reich Gottes auf diese Erde gekommen ist und das, was krank und gebrechlich ist, wieder gesund und heil werden soll. Daß die Finsternis von den Menschen genommen wird, daß Gerechtigkeit wiederkehrt und daß die Menschen, die sich von Gott abgewandt haben, wieder zu ihm finden und erkennen, daß er der wahre Herr ist. Nicht nur über diese Erde, sondern über sein gesamtes Schöpfungswerk. Jesus will unseren Blick weiten, daß wir über unsere kleinen Sorgen und Freuden hinausschauen können auf die großen Zusammenhänge seines Wirkens. Und da kann manch einer, dem das leibliche Augenlicht fehlt, viel heller und klarer sehen, als viele, die zwei gesunde Augen haben, aber mit Blindheit geschlagen sind. Denn, wie der Dichter sagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut!“ Amen.
7.3 Hinrich Küssner: Ansprache bei der Andacht in der Johanna-Odebrecht-Stiftung in Greifswald zu Mt 25,40. Greifswald, 23.8.1989 Christus spricht: „Was ihr getan habt einem von meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Dieser Vers stammt aus einem Gleichnis. Dort wird erzählt, daß Schafe von den Böcken, Gerechte von den Verfluchten getrennt werden. Als gerecht werden bezeichnet: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mich getränkt; ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt; ich war nackt, und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.“ Die Gerechten werden in das ewige Leben gehen; die anderen, die sich nicht um den anderen Menschen neben sich kümmern, in die ewige Strafe. Hier wird es ganz deutlich: Christlicher Glaube ist keine Sache, die sich nur in der eigenen Seele abspielt. Fromm im biblischen Sinne bin ich noch nicht, wenn ich mich in das Wort Gottes vertiefe und darüber meditiere und zu Gott bete. Als Christ kann ich mich nicht in meiner Wohnung zurückziehen und alles um mich herum kann mir gleichgültig sein. Im anderen Menschen begegnet mir Gott. Was ich einem anderen tue oder was ihm nicht tue, das gilt Gott. Immer wieder haben Christen auch aus diesem Wort das Verbot herausgehört, andere Menschen zu töten. Sie verweigern z.B. jeden Militärdienst. Auch im Menschen eines anderen Volkes begegnet mir Gott. Wie kann ich mich auf seine Tötung vorbereiten? Ich bin dazu da, Leben zu erhalten, Kranken und Bedürftigen zu helfen. So stärke ich den Gottesglauben. Im Augenblick wird unser Wochenspruch in unserem Land noch in einem anderen Zusammenhang diskutiert. Viele Menschen verlassen unser Land. Besonders die Nachrichten aus Ungarn beschäftigen uns. Es sind inzwischen Tausende, die einfach versuchen, über die grüne Grenze zu gehen. Sie lassen alles zurück: ihre Sachen, ihr Eigentum, Freunde, manche auch ihre Familie, Menschen, die ihnen anvertraut sind. Auch in manchen evangelischen Heimen unseres Landes ergeben sich daraus große Probleme. Mitarbeiter kommen nicht aus dem Urlaub zurück oder sie erhalten plötzlichen von den staatlichen Stellen die Ausreisegenehmigung und sind weg. Ihr Platz kann oft nicht so schnell besetzt werden. Er bleibt leer. Die medizinische Behandlung und Betreuung von Kranken ist auf einmal nicht mehr gesichert.
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Gilt unser Wort auch in diesem Fall? Sagt uns Gott: Hier laßt ihr mich allein? Sicher, diese Sache hat auch eine andere Seite. Im Augenblick gehen über Ungarn viele junge Menschen weg. Sie fühlen sich von den Herrschenden betrogen. In der Schule wird der Sozialismus oft als das Himmelreich auf Erden dargestellt. Das Leben sieht anders aus. In den Zeitungen liest man immer von sozialistischen Erfolgen. In Wirklichkeit spürt man davon nichts. Die versprochenen Freiheiten im Sozialismus bleiben aus. Überall wird man bevormundet und wie ein unmündiges Kind behandelt. Unsere Gesellschaft bedarf dringend Reformen, Veränderungen, damit der Staat wieder ein Staat seiner Bürger wird. Obwohl unsere gesellschaftlichen Verhältnisse in manchem so sind, daß man verstehen kann, daß viele nichts mehr davon wissen wollen und weglaufen, gilt für uns als Christen das Gleichnis von der Trennung der Guten und der Bösen im Endgericht. Für Christen gibt es eine Verantwortung dort, wo man lebt und arbeitet. Das heißt nicht, daß man nicht umziehen darf. Aber bei Veränderungen muß ich auch prüfen, ob es nur egoistische Gründe sind, die mich zur Veränderung treiben und ob ich unaufgebbare Aufgaben habe, die mich an meinem Platz halten.
7.4 Joachim Puttkammer: Wort zum Alltag im Greifswalder Dom. Greifswald, 24.8.1989 Bis gestern Mittag stand im Dom eine Ausstellung zum Thema Atom-Energie. Fachleute haben sich diese Ausstellung angesehen und festgestellt, daß jeder Fakt stimmt; lediglich die komprimierte Zusammenstellung sei deprimierend. Nun bin ich der Meinung, daß wir in unserer Situation auf Kernkraft nicht verzichten können. Die Braunkohle wird alle. Windenergie und Solartechnik kommt auch in der BRD z.B. nicht zu einem befriedigenden Ergebnis. Und Frankreich, die BRD oder Schweden haben selbstverständlich ihre Kernkraftwerke. Dänemark hat kein Werk dieser Art, aber bezieht seinen Strom aus Schweden, und dieser Strom wird aus der Kernenergie gewonnen. Die Umweltschützer, die sich gegen Kernenergie in unserem Land wehren, können auch nicht sagen, woher sonst die Energie kommen soll. Und niemand ist bereit, auf die Wärme im Neubaugebiet und auf die vielen Maschinen im Haushalt zu verzichten. Aber etwas Anderes ist mir heute wichtig. Ich bin aufgefordert worden, diese Ausstellung abzubauen. Sie sei unerträglich. Ich wurde gefragt: „Worauf haben Sie sich da nur eingelassen?“ Leute meinten, man hätte staatlicherseits diese Ausstellung verbieten sollen. Und da sind wir beim Thema, das uns in der DDR beschäftigt: Sind wir nun mündige Bürger dieses Landes, oder sind wir kleine Kinder, die man an die Hand nehmen und vor allen eventuellen Gefahren behüten muß. Wenn wir mündige Bürger sind, kann man uns zutrauen, die Fakten richtig zu sehen und einzuordnen und uns dann ein Urteil zu bilden. Wir sind alle durch die Schulen gegangen, lesen regelmäßig die Zeitungen dieses Landes, in Greifswald und Dresden kann man nur die DDR-Kanäle im Fernsehen empfangen – warum also traut man uns nicht zu, Fakten richtig einzuordnen? Jesus nahm die Menschen ernst. Er hörte ihre Argumente. Mit Martha sprach er über die Auferstehung. Mit der kanaanäischen Frau über das, was für das Volk Israel und was für die anderen gut ist. Mit der Samariterin sprach er über die neue Menschwerdung. Und auf dem Hintergrund des damaligen Denkens – die Frau ist dumm – das Weib schweige in der Gemeinde – ist es besonders wichtig zu wissen, daß Jesus die Argumente der Frauen ernst nahm und sie verarbeitete. Der Mensch kann irren. Eine Partei kann irren. Eine Regierung kann irren. Es muß aber die Freiheit bestehen, sich zu informieren und die Informationen zu verarbeiten. Das gilt in besonderer Weise für ein so wichtiges Thema wie die Kernenergie in dieser Stadt.
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Anhang 7.5 Gottfried Timm: Predigt zu Jes 57,14-19. Röbel, 1.9.1989
Liebe Freunde, ich muß in diesen Tagen oft an ein Erlebnis denken, das ich vor paar Jahren in einem Schwarzmeerort in Bulgarien hatte. Da sah ich abends fünf Männer untergehakt eine lange Allee entlangtorkeln. Sie hielten Bierflaschen in der Hand, grölten Unanständigkeiten durch die Gegenden und warfen die leeren Flaschen rücksichtslos in das Gebüsch. Beim Näherkommen sah ich, daß diese schwierigen Jugendlichen aus der DDR kommen. Passanten, die entgegenkamen, waren stark eingeschüchtert und drückten sich eng an den Rand der Straße. Die Fünf hatten sichtlich Freude daran, großspurig andere Menschen zu demütigen. Sie sangen das Horst-Wessel-Lied. Ich habe mich tief geschämt. Was hat dieses Erlebnis mit dem 1. September 1939, dem Beginn des 2. Weltkrieges, zu tun? [Verlesung des Bibeltextes] Liebe Freunde, als ich diesen Bibeltext in Beziehung setzte mit dem, was wir heute erleben. Da stieß ich auf den Satz: „Jetzt richte ich sie wieder auf und führe sie.“ Jetzt, das heißt heute, 50 Jahre nach dem Ausbruch des 2. Weltkriegs. Jetzt richtet Gott uns wieder auf. Kaum eine Familie hat den Krieg spurlos überstanden. Mein Vater war im Krieg (17), mein Großvater ebenfalls, zwei Brüder meines Vaters sind gefallen. Bei vielen Beerdigungsgesprächen, die ich hier in Röbel führe, spielt der Krieg eine wichtige Rolle. Wir alle haben Gespräche geführt mit Beteiligten. Einige von uns waren selbst beteiligt. Zaghafte vielleicht, Gespräche, die zeigen: vieles läßt sich kaum aussprechen. Einige haben aber auch Gespräche geführt, in denen Erlebnisse in der Wehrmacht und an der Front mit Begeisterung erzählt wurden, in denen es uns vorkam, als sei der Einsatz an der Front ein großes Abenteuer gewesen. Stoßen wir in solchen Gesprächen auf das unsagbare Leid, das in den Konzentrationslagern geschehen ist, dann erwidern viele: Auch unter Stalin floß viel Blut, und überhaupt: diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Wer eigentlich ist Schuld am Leid, das über alle Menschen gekommen ist? Hitler? Hitler-Stalin? Alle Deutschen? Alle, die am Krieg beteiligt waren? Heute leben wir in einem geteilten deutschen Volk, wir erleben eine bis in das Mark uns erschütternde Ausreisewelle vor allem junger Menschen aus der DDR, wir haben hier den Sozialismus und dort den Kapitalismus, hier nach offizieller Ideologie die Tradition des antifaschistischen Widerstandskampfes und dort haben wir das Aufblühen solcher am Krieg beteiligten Konzerne, wie IG Farben und Krupp in der Nachkriegszeit gesehen. Was hat unsere spezielle, geteilte deutsche Geschichte mit dem 1. September zu tun? In Gesprächen höre ich oft, daß Deutschland den Krieg verloren hat und eben nun den Preis zu bezahlen habe dafür: die Toten und Verwundeten, das zerstörte Dresden, die verlorenen Gebiete, Besatzung durch die Siegermächte und die Teilung. Nein, liebe Freunde, nicht, daß Deutschland den Krieg verloren hat, ist die Ursache hierfür, sondern daß Deutschland den Krieg begonnen hat. Am 1. September 1939 um 5.45 Uhr mit dem Durchbrechen des deutsch-polnischen Schlagbaumes hat Deutschland sich selbst den Todesstoß versetzt. Angesichts der Zerstörung Danzigs und Warschaus, der Konzentrationslager, der 20 Millionen getöteten Sowjetbürger, der mißhandelten Kriegsgefangenen, liebe Freunde, danke ich Gott, daß es mich und euch überhaupt noch gibt, oder, wie es vorhin hieß: die Güte des Herrn ist, daß wir nicht gar aus sind. Die Ursachen des Krieges sind mit dem 1. Sept. verbunden, mit dem Tag, als unser Volk den Krieg begann. Hier liegen auch die Ursachen für das deutsche Leid und für die gegenwärtig noch spürbaren Folgen. Liebe Freunde, wir dürfen nicht so tun, als sei Hitler und das deutsch-faschistische Finanzkapital für den Krieg allein schuldig. Das ganze deutsche Volk stand ihm willig zur Verfügung. Die Masse rief ihm begeistert „Heil Hitler“ zu, und wer das leugnet, verstellt sich den Blick auf die Schuld der Deutschen am Kriegsausbruch. Gewiß gab es auch den organisierten Widerstand, aber er wurde vom deutschen Volk nicht getragen, um das Unheil zu verhindern.
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Wir, die wir nicht beteiligt waren, haben nicht das Recht, über unsere Väter und Großväter den Stab zu brechen. Ich selber bekomme Angst bei der Frage, wo ich wohl damals gestanden hätte. Aber wir sind Deutsche und haben das Erbe zu tragen, das die Geschichte uns auferlegt. Als Christen dürfen wir die Schuld benennen, die dieses Erbe so schwer ertragen läßt. Das ist in der DDR deshalb wichtig, weil unser Staat dieses Erbe zu tragen nicht bereit ist. Aber es lastet auf unserem Volk, auf den Menschen von heute nicht minder als auf der vorhergehenden Generation. Als Christen wissen wir aber auch, daß wir das Erbe dieser Schuld nicht allein zu tragen haben. Auf der Suche nach Hoffnung und Zukunft sind wir verloren, wenn wir sie in der Geschichte der letzten 50 Jahre finden wollen. Können wir sicher sein, daß wir im entscheidenden Moment konsequent „nein“ sagen zum Unrecht in unserer Gesellschaft? Wir wollen heute auf einen Bibeltext hören, der uns eine Dimension aufschließt, die uns Vertrauen und Zuversicht schenkt, die nicht in der Geschichte ihren Grund hat. Wir, die wir nicht in diese Kriegsschuld verstrickt sind, haben nicht das Recht, über unsere Väter und Großväter den Stab zu brechen. Aber wir stehen als Nachgeborene in der Geschichte dieser Schuld und haben uns zu fragen, was wir lernen müssen aus dem klaren Blick auf unsere Vergangenheit. Wir stehen erst am Anfang mit dem, was es heißt, aus der Geschichte zu lernen. „Jetzt aber richte ich sie wieder auf und führe sie.“ Liebe Freunde, die fünf jungen Männer in Bulgarien zeigen mir, wie wenig… Liebe Freunde, Gott hat nicht vergessen, was Deutsche über andere Völker und über das eigene Volk für Leid gebracht haben, aber er hat vergeben. Denn noch wirklicher als der Tod ist für Gott die Auferstehung, das Aufrichten aus dem Staub einer qualvollen Geschichte. Auch wir dürfen nicht vergessen, aber wir dürfen aus der Vergebung Gottes leben. Die fünf Männer im Bulgarischen Schwarzmeerort zeigen mir, daß wir Deutschen in der DDR noch weit entfernt von einem Leben sind, das sich erinnert an das Geschehene und zugleich auf Vergebung vertraut. Wie kann es passieren, daß wieder Deutsche in dieser Selbstherrlichkeit und Geringschätzung anderer im Ausland auftreten? National gesinnt, in der Gruppe stark, als Einzelner aber ohne Rückgrat? Wie kann es geschehen, daß es in der DDR eine tief verwurzelte Ausländerfeindlichkeit gibt? Geringschätzung der polnischen Nachbarn? Heute tragen die Jüngeren die Mitverantwortung dafür, daß sich etwas ändern muß in unserer Haltung. Wir müssen heute vehement dafür eintreten, daß von deutschen Menschen Frieden ausgeht. Ich sage dies bewußt, denn ich möchte die Formel „von deutschem Boden nie wieder Krieg“ positiv umformulieren. Das ist mehr. Von uns muß Frieden ausgehen. Ein Blick auf die letzten 50 Jahre gibt zur Hoffnung nicht viel Anlaß. Der Glaube holt sich sein Friedensengagement von Gott. Das zeigen uns die Worte des Bibeltextes. Das hat dann aber auch politische Konsequenzen. Wir müssen unseren Staat drängen aufzuhören, seinen Bruder, die BRD, als Gegner zu bezeichnen. Ich trete dafür ein, neben dem Rassismus und dem Faschismus auch den Klassismus zu verurteilen, das heißt die Herabwürdigung einer bestimmten Klasse oder Klassengesellschaft aus vermeintlich gesellschaftswissenschaftlichen Gründen. Hier ist der Keim einer Feindschaft gelegt, der übrigens von vielen sozialistischen/ kommunistischen Parteien außerhalb der DDR schon aufgegeben ist. Was können wir tun? Aktiv an der Versöhnung, über die Grenzen hinweg arbeiten. Kontakte mit Polen, Sowjetbürgern, Tschechen, Holländern und Menschen aus anderen Völkern suchen, die von Deutschen überfallen wurden. […] Die Aufteilung Europas in 2 Machtblöcke. Die mutigste Friedenspolitik macht Ungarn heute. Was können wir tun? In der Schule, in Gesprächen mit staatlichen Funktionären, auch mit Freunden darauf zuweisen, daß auch unser Volk, die Menschen in der DDR, nicht frei sind vom Erbe der Schuld. Was dabei herauskommt, ist keine Arme-Sünderin-Mentalität, sondern es ist die spürbare Erfahrung, daß Gott uns aufrichtet aus dem Staub unserer Geschichte. Es ist aufregend zu sehen, wie aus dem Erkennen der eigenen Geschichte und aus dem Hören auf Gottes Verheißungen Kräfte wachsen, um Schritte zu gehen auf dem Wege des Friedens.
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Dabei gibt es Schwierigkeiten mit der staatlichen Obrigkeit. Darum schenke uns Gott die Kraft, konsequent, aber barmherzig und gütig zu bleiben und uns vom Weg des Friedens nicht abzubringen. „Aber jetzt richte ich sie wieder auf und führe sie. Sie sollen meine Hilfe erfahren, statt zu klagen, werden sie jubeln. Allen schenke ich Glück und Frieden. Ich, der Herr, sage es.“ Amen.
7.6 Hans-Georg Haberecht: Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis in St. Nikolai Pasewalk über Mk 2, 23-28. Pasewalk, 8.10.1989 Liebe Gemeinde, die Ereignisse in der vergangenen Woche haben die Spannungen in unserer Gesellschaft wieder deutlich werden lassen. Da waren gestern und an den Tagen vorher die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR. Das sind wir, eine leistungsstarke und erfolgreiche Gesellschaft. Das war das Thema der Feierlichkeiten: Was wir zeigen, kann sich sehen lassen. Aber das offizielle Bild – das ist nicht das ganze Bild von der DDR. Zum Bild der DDR gehören jedenfalls auch die vielen Menschen, die unser Land verlassen. Und das waren in der vergangenen Woche wieder mehrere tausend. Überwiegend junge Menschen und Familien mit kleinen Kindern. Das ist ja ein deutliches Signal, dass viele Menschen in der DDR sich nicht mehr wohlfühlen. Viele sehen keine Zukunft mehr für sich und ihre Kinder hier in unserem Land. Und zum Bild der DDR gehören auch jene Menschen, die sagen: wir bleiben hier, aber wir wollen Reformen. Wie geht der Staat um mit diesen Spannungen in der Gesellschaft? Nicht die Tatsache, dass es Spannungen gibt, ist beunruhigend. In jeder Gesellschaft gibt es unterschiedliche Kräfte. Aber es ist beunruhigend, wenn bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR nicht offen und klar gesagt wird: „Wir haben die Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllen können. Wir wollen uns weiter darum bemühen mit allen zusammen, die in unserem Land bleiben. Wir bitten euch: bleibt hier! Sagt, was anders werden muss, damit ihr euch in der sozialistischen Gesellschaft zu Hause fühlt. Heft mit bei den Veränderungen, die nötig sind.“ Solche Töne waren leider bei den offiziellen Feierlichkeiten nicht zuhören. Das bedauern wir zutiefst. Denn das wären befreiende Sätze gewesen. Aber sie fehlten. Wie gehen wir in der Kirche mit den Spannungen in unserer Gesellschaft um? Staat und Kirche sind getrennt in der DDR. Aber wir Christen leben in dieser Gesellschaft. Wir sprechen von „Kirche im Sozialismus“. Das heißt nicht, dass wir den Staat bevormunden wollen. Aber wir wissen uns von unserem Glauben her mitverantwortlich für das Leben der Menschen in unserem Land. Bischof Leich hat einmal gesagt: „Kirche ist für alle da, aber nicht für alles.“ Das heißt: Kirche ist da für Christen und Nichtchristen, aber wir können nicht alles zu unserer Sache machen. Wir haben auch in der gegenwärtigen Situation bei unserer Sache zu bleiben, bei der Botschaft, die uns anvertraut ist, in der Nachfolge Jesu, im Gebet, im Dienst der Liebe an den Menschen. Von daher sind die Bitten zu verstehen, die in den letzten Wochen von kirchlicher Seite an den Staat gerichtet worden sind und an die Adresse der Menschen in unserem Land. Da ist der Brief, den die Konferenz der Kirchenleitungen an den Staatsratsvorsitzenden gerichtet hat zur Ausreiseproblematik. Sie kennen den Brief. Er ist auch in der Kirchenzeitung vom 17. September abgedruckt. Ich zitiere daraus einige Sätze. Ich erwähne auch die Äußerungen der Synode des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR. Sie hat vom 15.-19. September dieses Jahres in Eisenach getagt. Die Kirchenzeitungen haben auch darüber berichtet. In unseren Gemeinden sollten wir jetzt das Gespräch über diese kirchlichen Stellungnahmen zu den bedrängenden Problemen unseres Landes führen, damit wir beitragen können zur Aufarbeitung dieser Probleme. Wenn wir uns diesen Problemen stellen, dann hören wir auch Fragen an uns selbst. Auch davon ist im Beschluss der Bundessynode zur aktuellen Situation die Rede. Wir sind auf einem Lernweg in unserer Kirche. Und wir wollen immer wieder neu hören auf die Botschaft der Bibel in diesem Lernprozess.
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Wir fragen nun: Was sagt uns die biblische Botschaft am heutigen Sonntag zu den bedrängenden Problemen in unserem Land? Sicher haben wir zunächst den Eindruck: das ist ja eine ganz andere Welt als die unsrige. Hier geht es um eine Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern um die Einhaltung des Sabbatgebotes. Das war den Juden damals wichtig: Gottes Gebot gilt. Es muss exakt eingehalten werden. In diesem Bemühen hatten die jüdischen Theologen noch viele Ausführungsbestimmungen entwickelt, die besagten, was man darf und was nicht, was erlaubt ist und was nicht. Und so waren Gottes Gebote den Menschen immer mehr zur Last geworden. Jesus setzt Gottes Geboten nicht außer Kraft. An anderer Stelle sagt er: Ich bin nicht gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzulösen, sondern ich bin gekommen, Gottes Willen zu erfüllen. Jesus bestätigt: Gottes Gebot gilt, aber es soll eine Hilfe sein für unser Leben, keine Last. Gottes Gebot will ein Weg zum Leben sein, aber es soll nicht menschliches Leben behindern. Darum sagt Jesus: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats Willen. Was heißt das übertragen auf die bedrängenden Probleme in unserer Gesellschaft? Im Blick auf die Gesellschaftsordnung heißt das: die Gesellschaftsordnung sei so gestaltet, dass Menschen sich in ihr wohlfühlen, dass sie im Raum einer Gesellschaftsordnung menschlich leben können. Es heißt, dass Menschen sich da, wo sie sind, entfalten können, dass die Würde, das Recht und die Freiheit des Menschen geachtet und geschützt wird. Es heißt, dass Menschen ernst genommen werden als mündige Bürger. Die Gesellschaft darf das Leben der Menschen nicht behindern. Das Wort Jesu in der Auseinandersetzung mit den Pharisäern zum Sabbatgebot heißt für uns heute in der Auseinandersetzung mit der sozialistischen Gesellschaft so: Der Mensch ist nicht für die Gesellschaftsordnung da, sondern die Gesellschaftsordnung für den Menschen. Darum werden wir immer wieder eintreten für die Menschen in unserem Land. Darum wollen wir Kirche Jesu Christi für die Menschen sein. Wir möchten Menschen beistehen und ihnen helfen. Wir möchten Menschen aber auch ermutigen, den Platz einzunehmen, an den sie gestellt sind. Wir bleiben auch selber hier in dem Vertrauen, dass Gott uns an diesem Platz gestellt hat. Und wir möchten die Menschen in unserem Land einladen, mit uns zusammen den Weg des Glaubens zu gehen im Hören auf die Botschaft der Bibel, im Gebet, und in der Nachfolge Jesu. Im Beschluss der Bundessynode vom September zur gegenwärtigen Lage in unserer Gesellschaft heißt es so: „In der Nachfolge Jesu Christi erfüllt sich das Leben nicht in dem, was ich für mich selbst habe, sondern in dem, was ich für andere bin.“ In der Nachfolge Jesu Christi gibt es erfülltes und befreites menschliches Leben. Mögen wir das immer wieder für uns selbst entdecken und anderen Menschen glaubhaft bezeugen können. Amen.
7.7 Joachim Puttkammer: Wort zum Alltag im Greifswalder Dom. Greifswald, 9.10.1989 Geburtstagsfeiern gehören zu den Höhepunkten im Leben vieler Menschen. Da kommen die Verwandten und Freunde. Da sitzt man zusammen, sagt freundliche Worte. Da soll es einfach schön werden. Da will man sich gern dran erinnern. Wenn da jemand käme und uns vor unseren Gästen madig machte, wäre wahrscheinlich jeder von uns böse und traurig. Natürlich ist es effektvoller, schön laut zu sagen, was man vom Geburtstagskind denkt, welche Fehler es hat und wo es sich gefälligst unserer Meinung nach bessern soll. Aber menschlich ist es mies, damit aufzutrumpfen, wenn sich der andere nur sehr begrenzt wehren kann. Jeder von uns würde dann böse. Genau das ist in den letzten Tagen geschehen. Da feiert ein Land seinen 40. Geburtstag und das Land hat es auch im Licht der westlichen Medien schwerer gehabt als der andere deutsche Staat. Da war kein Marshallplan hier. Da waren die wenigen guten Betriebe und die Bahngleise demontiert. Da musste ein Land wieder bei Null anfangen. Und es hat es geschafft, zu den bedeutendsten Industrieländern zu gehören. Wenn wir von Ungarn absehen – wirtschaftlich wäre das noch zu untersuchen
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– hat dieses Land einen bemerkenswerten Lebensstandard und allen Grund, stolz zu sein. Und die Geburtstagsfeier sollte man dem Land lassen. Natürlich gibt es viel zu verbessern. Jeder von uns könnte da Dinge aufzählen. Die Bundessynode in Eisenach hat da alle wesentlichen Punkte benannt. […] Wer an den Wehrdienst denkt, wird, wenn er ehrlich ist, bemerkenswerte Fortschritte feststellen können. In der Zeitung – nicht nur den kirchlichen – stehen Texte, die noch vor ein paar Jahren undenkbar waren. Zivilcourage wird erwartet, solange sie konfliktfrei ist. Vielleicht sollten wir von der Seite der Organe auch sehen, was in den letzten Tagen geschah. Die Geburtstagsfreude wurde ihnen verdorben, und sie haben reagiert, wie jeder andere Mensch reagiert, dem man eine Freude verdirbt. Als Jesus auf der Hochzeit zu Kana war, verwandelte er nicht den Wein in Wasser, sondern das Wasser in Wein. Vielleicht sollten wir um des Ganzen willen auch so handeln wie er.
7.8 Joachim Puttkammer: Wort zum Alltag im Greifswalder Dom. Greifswald, 18.10.1989 Spruch zum 18. Oktober: Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes sagen, Heil verkündigen. Jes. 52,7 Hoffnung ist eins der wichtigsten Dinge im Menschsein. Wir hoffen – auf ein glückliches Leben für uns, unsere Kinder und Enkel. Wir hoffen auf eine gute Zukunft für die Welt ohne Krieg und Kriegsgeschrei. Wir hoffen – für unser Land und die Menschen, die in ihm leben. Ein Jahr der Hoffnungen. Als der bisherige Staatsratsvorsitzende am 11. Juni dieses Jahres in den Dom kam, verbanden sich damit Hoffnungen auf beiden Seiten. Sie haben sich nicht erfüllt. Viele Demonstranten, viele Kritiker des Systems (z.B. Neues Forum oder SDP) riskieren viel in der Hoffnung, daß sie die Gesellschaft zum Guten verändern können. Die Umweltgruppen wollen auch für unsere Nachkommen die Welt am Leben halten; diese Hoffnung läßt sie ihre oft aufopferungsvolle Arbeit tun. Mit großen Hoffnungen haben viele Menschen in unserem Land auf eine neue Regierung gewartet. Werden sich diese Hoffnungen erfüllen? Da hat Egon Krenz viel gesagt und viel versprochen. Aber er hat auch viel zurückgenommen und erklärt, allein die SED könne die Veränderungen in unserem Land bewirken. Das widerspricht dem, was z.B. Manfred Gerlach im Namen der LDPD sagte. Menschen, die oft enttäuscht wurden, haben es immer schwerer zu glauben und zu hoffen. Sie brauchen aber Hoffnung, wollen sie Kräfte für die zukünftigen Aufgaben bekommen. Woher nehmen wir die Hoffnung? Als wir gestern abend zum erstenmal das Friedensgebet im Dom hielten, waren auf Anhieb gleich 2000 Menschen erschienen. Ein Teil von ihnen demonstrierte anschließend durch die Stadt. Ist das nicht Hoffnung, mit anderen zusammenzustehen und zu wirken? Und es ist nicht ein gutes Zeichen, daß da keine Polizeiaufgebote standen? Wir haben es ja aus anderen Städten anders gehört. Ist es nicht ein hoffnungsvolles Zeichen, daß in der letzten Zeit die Presse in der DDR eindeutig realistischer (und damit interessanter) geworden ist? Es liegt an uns, daß die Hoffnung nicht ermüdet. Helfen wir uns gegenseitig! Und ich meine, daß Christus bei uns bleibt. Hoffnung ist eins der wichtigsten Worte in der Bibel. Nun aber bleibt Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, schreibt Paulus. Und Römer 12,12: Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.
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7.9 Karl-Heinz Sadewasser: Predigt zu Jes 62,6+7.10-12. Penkun, 29./31.10.1989 In diesem Jahr feiern wir das Reformationsfest in einer sehr bewegten und gespannten Situation unserer Gesellschaft: Einzelne mutige Männer und Frauen meldeten sich zu Wort und forderten eine offene und ehrliche Aussprache über den Weg unserer Gesellschaft. Tausende und abertausende Menschen gehen in Leipzig, Plauen, Greifswald und Neubrandenburg auf die Straßen und rufen: „Wir sind das Volk“, „Demokratie jetzt oder nie“. Sie fordern mit vielen Visionären oder Künstlern, Schriftstellern und Journalisten Reformen für unser Land. Perestroika endlich auch in der DDR. Ich kann mir nun nach diesem Erleben einer richtigen Volksbewegung besser vorstellen, wie vor 470 Jahren die Reformation das dt. Volk erfaßt hatte. […] Aber da wurden dem Professor plötzlich im Erleben dieser Mißstände und im Hören auf Gottes Wort die Augen und der Verstand aufgetan und er brachte im Vertrauen auf die feste Burg Gottes den Mut auf, am 31.10.1517 öffentlich anzuprangern und darüber zu diskutieren, was im Argen lag und was nun verändert und neugestaltet werden sollte. Da meldeten sich andere zu Wort, die ebenso an den Mißständen der alten Kirche litten und nach Wittenberg reisten, um mit Luther zu lernen und zu verändern. Und das Volk strömte auch in die Kirchen und hörte auf die Predigten der evangelischen Pastoren und sang die neuen reformatorischen Lieder. Sicher waren damals andere Fragen aktuell und andere Inhalte der Gespräche als heute. Nicht Forderungen nach Reisefreiheit und einem neuen Wahlgesetz, sondern das Verhältnis Gottes und des Menschen zueinander stand zur Debatte und die Frage: „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“ Aber da waren auch die Bauern, die nach mehr Freiheit und Gerechtigkeit fragten und neben Martin Luther stand Thomas Müntzer (in diesem Jahr [wurde] sein 500. Geburtstag vielfältig begangen), der sich vom Wort Gottes aus der sozialen Fragen im Besonderen annahm. Reformation zur Zeit Luthers – Umgestaltung und Wende in unserer Gesellschaft heute – welchen Platz hat die Gemeinde Gottes heute und was dürfen wir hoffen – und was sollen wir tun? Wir schlagen die Bibel auf und finden im Buch des Propheten Jesaja eine Zeit, in der Menschen wie heute und in der Reformation eine Wende erhofften und auch erlebten: Niederlage durch die Babylonier-Deportation und die Wende – Perser – Heimkehr der ersten – 1. Schritte in der Wende – vieles noch im Argen – Stadt und Tempel in Ruinen – Armut und Resignation – Warum – welche Hoffnung? [Verlesung Bibeltext] Die Hoffnung auf Gott und sein Wort festhalten. (V. 11a) Verheißung Gottes: Siehe, dein Heil kommt“. Gott will die Wende, er gestaltet Geschichte durch alles Leiden und alle Irrtümer hindurch zum Heil der Menschen und Völker. Gott unsere Hoffnung auch heute! Das Lutherdenkmal nun wieder mitten in Berlin mit Bibel in der Hand. Gott unermüdlich um die Erfüllung seiner Zusagen bitten. Auf den Trümmerresten der Mauern Wächter bestellen, die das lähmende Schweigen brechen – die reden, die vor Gefahr warnen und bewahren. Und die Gott erinnern. Auch die Kirche heute: Wächter sein, Fürbitte halten mit Gott und zu Hause. So bereit werden für Gottes Weg nach vorn, für Gottes Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit füreinander. Wer betet, stellt sich nicht abseits, sondern mischt sich ein und läßt sich von Hoffnung bestimmen. Zeichen der Hoffnung aufrichten (V. 10). Weg der Wende und Veränderung macht bereit, Steine auf dem Weg der Wende aus dem Weg zu räumen. Schuld aussprechen vergeben. Den Heimkehrenden (Berliner Polizeipräsident entschuldigt sich öffentlich) entgegengehen und aufeinander zugehen und miteinander sprechen. Zeichen der Hoffnung heute: verschrottete Panzer, Kerzen im Fenster, friedliche Demonstrationen ohne Gewalt durch Polizei. Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen, die davon berichten. Neue Gesetze für Reisefreiheit und Wahlrecht. Gemeinde Gottes mit Wort und Fürbitte ein Zeichen der Hoffnung.
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Anhang 7.10 Klaus-Dieter Wolter: Predigt am 24. Sonntag nach Trinitatis . Rostock-Biestow, 5.11.1989
Liebe Gemeinde, wer am Donnerstag beim Friedensgebet in einer unserer fünf Kirchen der Innenstadt war, wird festgestellt haben: es sind lange nicht alle Anwesenden Christen. Es geht also um Probleme, die alle betreffen. Bei der anschließenden Demonstration der 40.000 wurde an den mitgeführten Losungen dann auch deutlich, dass es um Belange der gesamten Bevölkerung unserer Stadt und der DDR geht und dazu gehören wir Christen. Es wurden freie Wahlen gefordert und Gleichberechtigung aller Parteien. Es wurde die nachdenkenswerte Frage gestellt, wieso eigentlich genau die, die die DDR in diesen offensichtlichen Schlamassel geführt haben, nun meinen, gerade sie seien die am meisten geeigneten, die DDR aus allen Schwierigkeiten wieder herauszuführen. Politische Verantwortung jedenfalls heißt eigentlich, dass man für seine Fehler einstehen und daraus Konsequenzen ziehen muss. Wenn die aktuelle Kamera, um nur ein Beispiel zu nennen, Freitagabend berichtet, dass die Kumpel im Mansfelder Kombinat auf einem völlig vergifteten Arbeitsplatz mit einer Technik arbeiten müssen, die seit Jahrzehnten schrottreif ist, dann ist es lobenswert, dass darüber endlich berichtet wird, sicher, aber ob ausgerechnet die Leute, die vor drei Wochen noch wider besseren Wissen behaupteten, mit moderner Technik die Weltspitze zu bestimmen, wirklich die geeigneten Leute sind, hier weiter mitreden zu dürfen, muss man doch mal ernsthaft anfragen. Es muss jedenfalls alles wenig glaubhaft und überzeugend sein, sonst hätten nicht in den beiden ersten Tagen der offenen Grenze zur CSSR wieder 5000 Menschen unser Land verlassen. Und wenn das Politbüro auch verkündet, dass keinem eine Träne nachgeweint wird, dann können wir nur sagen, dass wir keinem aus dem Politbüro eine Träne nachweinen würden. Alle anderen aber fehlen uns überall, jede und jeder von ihnen. Aussprachen und Dialoge werden jetzt von der Stadt angeboten, aber das sind auch nur aus der Angst geborene Scheinangebote, denn auf sachgerechte kritische Fragen antworten völlig inkompetente Genossen und man hat den fatalen Eindruck: die Zeichen der Zeit werden von diesen Genossen jedenfalls nicht erkannt. Das ist die Situation, in der wir jetzt leben. Und dazu den Predigttext aus dem Prediger Salomo 3,1-14 [Textverlesung] Alles hat seine Zeit. Jetzt ist nicht mehr die Zeit, nur viel zu reden, sondern endlich auch zum Handeln. Dialoge dürfen nötige Taten nicht ersetzen. Gemessen wird man – eine Erkenntnis der Bibel – an seinen Früchten. Auch für uns Christen ist es an der Zeit, Farbe zu bekennen. Pastor Gauck sagte am Donnerstag: wir Menschen der DDR müssen endlich wieder den aufrechten Gang lernen. Das gilt auch für uns Christen. Was mir den Prediger Salomo so sympathisch macht: aufgrund ganz nüchterner Betrachtung des Lebens, auch des eigenen Lebens, bezeugt er seine Lebenserkenntnis. Aber er verfällt dabei nicht in Resignation. Der letzte Grund des Lebens und Voraussetzung für alles Denken bleibt in Gott. Und er hat die Erfahrung gemacht, Gott gibt alles zu seiner Zeit. Das soll auf keinen Fall heißen, die Hände in den Schoß zu legen und geduldig zu warten, bis Gott etwas gibt. Ganz gewiss nicht. Aber er hat eben die Erfahrung gemacht, die jeder Mensch irgendwann einmal machen muss, dass es Grenzen gibt, die dem menschlichen Leben gesetzt sind. Das, was der Mensch tut, ist nicht zu allen Zeiten sinnvoll und erfolgreich. Und da stellt sich natürlich die Frage: wann ist etwas gut und sinnvoll? Ist das, was geschieht, eben Zufall oder etwas, was mir zufällt, von Gott zufällt. So durchdenkt der Prediger sein Leben und genauso können auch wir unser Leben durchdenken, in seinen Widersprüchen, seinem Leid, seiner Freude, seiner Verantwortung. Das können wir auch nicht in bestimmte Gesetzmäßigkeiten pressen, denn alles hat seine Zeit. Wichtig dabei aber ist: in allem, was in unserem Leben geschieht, müssen wir Gott auf der Spur bleiben. Das heißt: wenn es in unserem Leben zu Zerreißproben kommt, müssen wir uns fragen, was kann Gott mir in dieser Zeit der Schwierigkeiten an Hilfe geben. Was bei jedem von uns im persönlichen Leben dran ist, das muss sich jede und jeder von uns selbst
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fragen. Was in unserer Gemeinde dran ist, darüber dürfen wir nie aufhören, nachzudenken. Was für unsere Gesellschaft dran ist in dieser Zeit, darüber wird zum Beispiel donnerstags bei den Friedensgebeten, aber auch bei vielen Gelegenheiten, die von der Kirche, Neues Forum, staatlichen Stellen zu Gesprächen angeboten werden, nachgedacht. Da ist jetzt wirklich die Zeit, aus der schweigenden und abwartenden Beobachtung herauszukommen. Keiner von uns kann sich im Rückblick auf sein persönliches Leben beklagen, wenn er nicht da, als die Zeit dafür da war, etwas getan hat. Die Kirche kann sich nicht über Probleme beklagen, wenn Sie da, als die Zeit dafür da war, nicht gehandelt hat. Und: niemand darf sich über die Gesellschaft beschweren, wenn sie oder er nicht dann, wenn die Zeit dafür reif ist, etwas für die Veränderung tut. Und jetzt ist die Zeit dafür reif. Nun noch zu der Frage, welche Konsequenzen der Prediger aus dieser realistischen Betrachtung von Welt und Mensch zieht. Gewiss, vieles bleibt im Leben undurchschaubar, voller Rätsel und Widersprüche, zugleich aber auch – hin und wieder, zaghaft, verwundert, oft auch erst im Rückblick – die Erkenntnis: ja, es war Gottes Güte, da war Gott am Werk. Weil in allem Geschehen, auch, wenn es uns manchmal verborgen bleibt, Gott das Uhrwerk ist, darum muss keine Resignation um sich greifen, vielmehr gibt es Freude, gibt es das „Ja“ zum Leben – und zwar zum Leben mit ewiger Hoffnung. Ich merke, dass alles was Gott tut, das besteht für ewig. Ewig heißt: ich, ich Mensch, muss über den Augenblick hinaus fragen, nach Vergangenheit und Zukunft. Hier liegt oft meine Anfechtung. Zwischen einem Plan, den ich für mein Leben mache und seine Verwirklichung liegt ja immer das nicht Einplanbare. Aber: mein Leben ist eben nicht irgendein Schicksal, dass sich austobt, sondern in jedem Fall eine Gabe, eine Gabe Gottes. Das sollte mir Mut machen, in meinem Leben immer wieder das zu tun, wofür die Zeit reif ist. Wir werden immer wieder merken, dass wir Menschen in unseren Grenzen bleiben müssen. Aber wir dürfen dann Gott bitten, dass er sie übersteigt und uns aus dem Weg räumt, alle Tage von Neuem und am letzten Tag für immer. Amen.
7.11 Roland Springborn: Predigt zu Pred 3,1-14 am 24. Stg. n. Tr. in St. Jakobi Greifswald. Greifswald, 5.11.1989 Liebe Gemeinde! Das, was gestern in unserem Land in Berlin geschah, war so einmalig bisher in der 40jährigen Geschichte unseres Landes, daß viele den Atem angehalten haben werden und sich fragten: wie ist das möglich? Hunderttausende von Menschen, freiwillig, ohne Gewalt auf der Straße; die unterschiedlichsten Redner kommen zu Wort, und alles wird original übertragen von Rundfunk und Fernsehen. Das alles ist so erstaunlich, daß man es gar nicht glauben könnte, wenn wir es nicht mit eigenen Augen und mit eigenen Ohren gesehen und gehört hätten. Vor vier Wochen noch eine ganz andere DDR, verbrauchte Nischengesellschaft, die Zeitungen kalter Kaffee, Schnitzler badete im Schwarzen Kanal, überall Beton, sowohl in den Neubauten wie auch in den Köpfen. Ich denke, deutlicher kann ja die Wahrheit der Bibel gar nicht erlebbarer werden, wenn der Prediger hier im AT schreibt: alles hat seine Zeit. Eine Ära Honecker hat ihre Zeit und auch eine Ära Krenz hat ihre Zeit. Denn die Skepsis gegenüber den Versprechungen der Partei ist doch sehr, sehr groß. Zu tief sind die Verwundungen, die uns in 40 Jahren DDR zugefügt wurden. Und schon wieder oder noch immer werden wir belogen, wenn die Partei sagt: sie hätte die Wende eingeleitet. Die Hunderttausend DDR-Bürger, die mit den Füßen gegen ihren Staat abgestimmt haben und über Ungarn, CSSR und Polen davongelaufen sind, die haben die Wende eingeleitet, die Hunderttausenden auf den Straßen und die Partei, nun mit dem Rücken an der Wand, mußte mitziehen, wenn sie überhaupt überleben wollte. Das Mißtrauen ist auch deswegen groß, weil jetzt auf einmal um ein Vertrauen geworben wird, das es nie gegeben hat bei dem Volk. Denn wer das eigene Volk 40 Jahre lang bespitzeln und abhören läßt, hat nie Vertrauen zu diesem Volk gehabt.
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Und das Mißtrauen ist groß, weil dieselben Leute, die vor gar nicht langer Zeit Verbote und Verodnungen erließen, sie jetzt wieder aufheben. Da werde ich kritisch gegen das Wort Wende, sondern sehe darin eher eine Pendeltür, die mal hierhin aufgeht und dorthin zugeht, und ansonsten fest in ihren Angeln hängt. [...] Ja, alles hat seine Zeit: Sputnik verbieten hat seine Zeit und Sputnik erlauben hat seine Zeit. Sicher, auch Demonstrationen haben ihre Zeit und auch Gebete für den Frieden haben ihre Zeit. Aber, daß wir die Zeit auch nutzen, daß wir sie auskaufen mit allen uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Gewiß, der Prediger sieht das alles weiter, oder wie soll ich es sagen: schlichter, normaler. Mit dem französischen Wort können wir sagen: [c’est] la vive(?), so ist das Leben. Geburt und Tod, bauen und zerstören, weinen und lachen, klagen und tanzen, streiten und Frieden schaffen, alles hat seine Zeit. Das wissen wir alle aus eigenem Erleben. Wie freuen wir uns über das Glück und können es doch nicht festhalten; über das glückliche Ereignis der Geburt und wissen doch, auch Kinder gehen eines Tages aus dem Haus. Aber auch ebenso bei der Trauer. Wie tief schmerzt uns der Verlust eines lieben Menschen; aber wie barmherzig ist doch auch die Zeit mit uns, daß sie diese Wunde, wenn auch nicht heilt, so doch mindestens vernarben läßt. Und daß das Bauen und das Abbrechen seine Zeit hat, erleben wir in unserer Stadt hautnah und unmittekbar mit. Alle Häuser der Kapaunenstr., Rotgeberberstr., Loefflerstr., Teile der Str. d. Freundschaft, sie sind bis auf wenige Ausnahmen alle verschwunden. Manchen waren wohl wirklich nicht mehr zu erhalten, andere wären, hätte man früher sich um sie gekümmert, zu erhalten gewesen. Aber nun sind sie verschwunden. Baugruben gähnen uns an, neue Häuser stehen bereits und sind bezogen. Für viele wurden sicher auch bessere Wohnverhältnisse geschaffen. Aber schmerzen tut es immer, zu sehen, daß die Zeit des alten abgelaufen ist und eine neue Zeit beginnt. Wir hoffen, daß auch das Weggehen vieler DDR-Bürger seine Zeit hat und der Flüchtlingsstrom eines Tages wieder versiegt, weil der Traum von dem gestern auch in Berlin gesprochen wurde, sich erfüllt: stell dir vor: es ist Sozialismus und keiner geht weg. Und sicher hat auch die Kirche ihre Zeit. Wenn wir jedes Jahr hier das Kirchweihfest feiern, wird uns das deutlich vor Augen gestellt. Auch die Ämter der in der Kirche haben ihre Zeit. Und je eher die Amtsinhaber das erkennen, umso segensreicher kann es für die Kirche werden. Nun können wir dieses, daß alles seine Zeit hat, mit sehr unterschiedlichen Ohren hören. Der eine meint: wenn alles nur seine Zeit hat, wenn alles vergänglich ist, dann hat auch alles keinen Zweck. Laß fahren dahin. Ein anderer sagt: wenn Gott allem seine Zeit gegeben hat, dann hat er auch mir Zeit gegeben und ich bin gefragt: wie ich damit umgehe? Halte ich sie krampfhaft fest, will ich sie nur für mich ausnutzen. Oder kann ich sie ausfüllen zum Wohl meiner Mitmenschen und zur Ehre Gottes? Ein dritter mag sagen: Jetzt, der Augenblick ist entscheidend. Alles andere, was später kommt, ist jetzt unwichtig. Wir sehen in die Bibel und fragen uns, welche Schlußfolgerung zieht der Prediger aus seiner Erkenntnis: alles hat seine Zeit. Es sind drei: die erste: Alle Mühe ist umsonst. Man hat keinen Gewinn davon. Und auch das ist das Leben: wenn’s ans Sterben geht, hat das letzte Hemd keine Taschen. Ich bringe nichts mit in diese Welt. Ich nehme auch nichts mit heraus. Und wie oft haben wir selber es schmerzlich oder verbittert erleben müssen: wir haben uns abgemüht bis zum Umfallen und es war für die Katz. Es hat einem nicht einmal einer dafür gedankt. Ich denke an manche Mutter und an manchen Vater, die für ihre Kinder alles gegeben haben und es wirklich nur gut mit ihnen meinten und die von ihren Kindern nicht einmal das letzte Geleit auf dem Friedhof bekamen. Ja, da könnte mancher von uns manches erzählen von vergeblicher Liebesmüh. Aber Gott sei Dank, ist das nicht die einzigste Schlußfolgerung des Predigers. Eine zweite kommt hinzu: und die mag uns verwundern: die Lebensfreude! „Da merkte ich, daß es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. Denn ein Mensch, der da ißt und trinkt und hat guten Mut bei all seinem
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Mühen, das ist eine Gabe Gottes.“ Das ist kein Galgenhumor, sondern es ist die Kunst zu leben aus der Gemeinschaft mit Gott und aus seiner Fülle. Den Tag sich nicht vermiesen zu lassen; den Menschen nicht immer gleich mit Verdächtigungen begegnen, die Fröhlichkeit sich nicht antrinken müssen, das ist eine Lebenshaltung, die ich leider oft nicht schaffe und die auch nur bei wenigen Menschen finde. Die meisten haben das Klagelied auf den Lippen. Sich seines Lebens zu freuen, zu staunen über die Wunder des Lebens in der Natur, in der Schöpfung, dankbar zu sein für alles bis hin zum Kleinsten, das ist schon sehr, sehr schön, wenn das einer kann. Und die dritte Schlußfolgerung, die der Prediger aus der Erkenntnis zieht, daß alles seine Zeit hat, ist die: das alles tut Gott, daß man sich vor ihm fürchten soll. Die Gottesfurcht ist vielen Menschen, vielleicht uns auch oft, abhandengekommen, weil die Menschenfurcht, die Furcht vor Menschen überhandgenommen hatte. Wenn der Prediger hier von der Gottesfurcht spricht, dann will er uns auf das 1. Gebot hinführen, das Luther ja so erklärte: wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Und Furcht meint hier ja nicht, daß Gott mit dem Knüppel hinter der Tür steht und uns eins überzieht, wenn wir nicht parieren. Sondern die Gottesfurcht meint die Ehrfurcht, die Kinder ihrem Vater entgegenbringen in dem Vertrauen, daß er es gut mit ihnen meint, daß er sie mit allem versorgt, was sie zum Leben brauchen, daß er ihnen die Tür offenhält, sodaß sie jederzeit zu ihm kommen können, daß sie sich darauf verlassen können, was der Beter des Psalms aussagt: Meine Zeit steht in Gottes Händen. Wie aktuell dieser heutige Predigttext aus dem Predigerbuch ist, wird uns deutlich in dem Hirtenbrief, den der katholische Bischof von Dresden an seine Gemeinde geschrieben hat. Er zitiert: schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit. Und er benennt in seinem Hirtenbrief all die Dinge, die heute nötig sind in der DDR: freie Wahlen, Mediengesetz, Erziehung der Jugend usw. Und er sagt: jetzt gehören nicht Bananen, sondern die Karten auf den Tisch. Die Menschen wollen wissen, was Sache ist. Er fordert den Dialog, sagt aber am Schluß seines Briefes: wichtiger als der Dialog mit den Menschen ist der Dialog mit Gott. Wenn wir den führen im Gebet, dann sind wir ganz nahe am Menschen. Amen.
7.12 Matthias Burkhardt: Lk 18, 1-8. St.-Johanniskirche Kühlungsborn, 12.11.1989, drittletzter Sonntag im Kirchenjahr, drei Tage nach der Maueröffnung, erster Besuch einer Gruppe aus Tiel/NL Das ist eine ziemlich haarsträubende Geschichte, die Jesus als Gleichnis weitererzählt: Eine Witwe wird, vermutlich in Geldangelegenheiten, übers Ohr gehauen. Sie geht mit ihrem Fall vor Gericht. Ihr Prozessgegner ist nicht irgendwer, sondern irgendein Prominenter, der vielleicht am Abend zuvor mit dem Herrn Gerichtsdirektor zusammen am Stammtisch saß. Ein Anruf genügt: „Aber natürlich, wir werden schon sehen, was sich da machen lässt.“ Eine Hand wäscht bekanntlich die andere. So wird der Fall gar nicht erst vor Gericht verhandelt. Und wer hat dann den Mut, seine Beschwerde zum zweiten Mal vorzubringen? Die Witwe in unserer Geschichte tut es. Nicht nur zweimal sondern immer und immer wieder. Sie macht ein derartiges Spektakel, dass es sogar dem korrupten Gerichtsdirektor zu viel wird. Er wählt das geringere Übel, indem er die Kumpanei mit dem Prominenten aufgibt. Diese Witwe ist ja tatsächlich im Stande, gegen ihn tätlich zu werden. Also bekommt sie ihr Recht und zwar im vollen Umfang. Damit hätte diese haarsträubende Geschichte doch noch ein brauchbares Ende gefunden. Finden Sie nicht auch, dass diese Geschichte von fast brennender Aktualität ist, als hätte sie Jesus extra für die gegenwärtige Lage in unserem Lande erzählt: Der korrupte Richter steht für die Vertreter dieses Unrechtsstaates, denen wir seit 40 Jahren ausgeliefert sind. Ich lese noch einmal die Worte, mit denen der Richter charakterisiert wird: „Er fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.“
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Wo aber weder Gottesfurcht noch Achtung vor Menschen vorhanden sind, dort machen sich Willkür, Korruption und Gesetzlosigkeit breit. Wir haben es lange genug in unserem Land so erlebt, und neuerdings wird das von verantwortlichen Leuten sogar zugegeben. Warum? Weil die arme Witwe, sie steht in dem Gleichnis für das einfache Volk, sich nicht zufrieden gab mit dem Schlamassel von Ungerechtigkeit und Selbstgefälligkeit. Das Volk ging auf die Straße und schlug ziemlich laut Alarm. Und das nicht nur einmal, sondern in schöner Regelmäßigkeit und mit steigender Tendenz. Aus lauter Angst, das Volk könnte noch handgreiflich werden, zum Beispiel durch einen Generalstreik, gibt die korrupte Regierung auf und tritt ab. Die neuen Machthaber, die aus dem alten System nachrutschen, überschütten nun die Massen mit einer Fülle von „Gerechtigkeiten“, dass man das gar nicht so schnell verdauen kann. Sollte das wirklich möglich sein, dass man sich einen Stempel in den Pass geben lässt, um damit alle hoch befestigten Grenzen und Mauern hinter sich zu lassen? Selbst die Funktionäre des alten Staates können das nicht so schnell glauben. Sollte das wirklich möglich sein, dass wir schon bald richtig frei und demokratisch wählen dürfen? Sollten wirklich so schnell alle möglichen Gesetze neu formuliert werden? Man gewinnt den Eindruck, dass das Volk wie aus einem großen Füllhorn fast täglich reich beschenkt wird, vor allem mit solchen Geschenken, die den Westen was kosten, wie etwa die neuen Reisemöglichkeiten. Und das alles, damit das Volk den Mund hält, von der Straße runtergeht und möglichst schnell wieder ganz ruhig wird, weil Ruhe ja angeblich die erste Bürgerpflicht ist. Das einfache Volk hat sich sein Recht verschafft, in unserer Geschichte die arme Witwe. Die Frage, ob die Witwe gut beraten ist, dem einst so korrupten Richter zu trauen, oder die Forderung, den ungerechten Richter für seine jahrelangen Versäumnisse angemessen zu bestrafen, davon wird leider in dem Gleichnis nichts gesagt. So wollen auch wir einen Moment diese Fragen auf sich beruhen lassen, um noch genauer auf den Bibeltext zu hören. Warum erzählt Jesus dieses Gleichnis? Wichtig ist ihm die Feststellung: Gott ist es, der Recht schafft. Wenn bereits dieser verkommene Kadi in der Lage ist, die Rechtslage schließlich wiederherzustellen, um wie viel mehr können wir davon ausgehen: Gott schafft Recht! Menschen neigen dazu, das Recht zu beugen und zu verbiegen. Die Geschichte der Menschheit ist eine fortlaufende Kette von Belegen für die Zerstörung des Rechtes durch Menschen. Nicht einmal den Nachfolgern Jesu, der Gemeinde der Christen, die wir Kirche nennen, ist es gelungen, das göttliche Recht rein und unverfälscht zu bewahren. Was ist aus dem Christentum geworden, etwa in der Zeit, als Thron und Altar noch eng miteinander verbunden waren? Noch weniger ist es den Jüngern von Marx und Lenin, obgleich die noch keine 100 Jahre am Wirken sind, gelungen, das Rechte zu tun, geschweige denn eine wirkliche Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Es kann nicht bestritten werden, dass sich immer wieder Menschen aufmachen, um ein Leben in Gerechtigkeit zu begründen und durchzusetzen. Die Wirkungen solcher löblichen Bemühungen dauerten meist nicht allzu lange. Gott ist es, der allein auf Dauer Gerechtigkeit zum Zuge kommen lässt. Er kann sich für sein Werk der Gerechtigkeit mitunter bestimmter Menschen und Regierungen bedienen. Man kann sagen: Überall dort, wo wirklich und wahrhaftig Recht geschaffen wird, und sei es auch nur vorübergehend, dort ist Gott am Wirken. Gott ist es, der Gerechtigkeit durchsetzt, schon hier in unserer Welt, letztendlich aber, wenn er die Völker und die einzelnen Menschen beurteilen wird nach den Maßstäben seiner ewigen Gerechtigkeit. Um eine zweite Feststellung geht es Jesus, wenn er diese Geschichte erzählt: Das Gebet fördert die Gerechtigkeit unter uns Menschen. „Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen?“ (Vers 7) Und folgerichtig heißt der Einleitungssatz zu unserem Gleichnis: „Jesus sagte seinen Jüngern ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten.“ (Vers 1)
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Nur aus einer neuen geistlichen Grundlage heraus kann die Menschheit neue Gerechtigkeit bewirken. Und ein Weg zu dieser neuen geistlichen Grundhaltung führt durch das Gebet. Es ist in der Lage, den Menschen, ja die ganze Menschheit grundlegend zu verändern. Vielleicht hält jemand das für fromme Illusion. Ich möchte sagen, das Gebet um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung hat ungeheuer viel bewirkt, weil es Menschen vieler Länder und Konfessionen miteinander verbindet. Diese Gebete dürfen nicht abreißen. Das ist auch der gute Sinn von Friedensgebeten und „Friedensdekaden“ mit ihren abendlichen Gebetsandachten, zu denen wir die Gemeinde in dieser Woche herzlich einladen. Das anhaltende Gebet schafft auf der ganzen Welt eine Gesinnung der Gerechtigkeit, mit dem Ziel, den Frieden zu erhalten und die Schöpfung zu bewahren. Das Gebet fördert und entwickelt in unserer egoistischen, technisierten, materialistischen und oft kalten Welt die guten und hilfreichen Kräfte, die gegen alle noch immer herrschenden Ängste das Gefühl von Geborgenheit und Frieden vermitteln. Nur solches Beten gibt Kraft zu wirklich notwendigen und guten Veränderungen in unserer Welt. Jochen Klepper hat es in einem seiner Lieder so gedichtet: Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat. (Jochen Klepper, 1938, Evang. Gesangbuch 457,11)
7.13 Dietrich Nath: Predigt am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres in St.-Marien zu Rostock zu Jer 8,4-7. Rostock, 19.11.1989 Liebe Gemeinde, Wie soll es mit uns weitergehen? So fragen sich in diesen Tagen Millionen Menschen unseres Landes. Wie bisher, kann es nicht weitergehen! Darin sind sich – gottseidank – alle einig. Aber – wer weiß den richtigen, guten Weg in die Zukunft? Es gibt Lichtblicke, die uns hoffen lassen. Wir sind nicht mehr ein eingemauertes Volk. Durch die Lücken in der Mauer und im Zaun ergießen sich seit vorigem Wochenende wahre Sturzfluten von Millionen Menschen in den anderen Teil Deutschlands. Es war wie ein Dammbruch, ein Dammbruch der Gefühle und Emotionen. Tränen der Freude und des Glücks flossen reichlich. In Zukunft soll das nun zum Alltag gehören, daß man ohne lange Formalitäten seine Verwandten und Freunde im anderen Teil Deutschland mal eben schnell besuchen kann. Andere Fragen aber stehen weiterhin auf der Tagesordnung. Noch herrscht der alte Apparat, noch sind zuviele im Geschäft, die an der Krise unseres Landes schuldig sind. Nur freue Wahlen können auch hier echte Erneuerung bewirken. Aber – kehren wir zurück zu unserer Ausgangsfrage und überlegen: Wie konnte es dahin kommen? Ich habe selber zwei Drittel meines Lebens als DDR-Bürger gelebt und weiß, wovon ich spreche! Als der 2. Weltkrieg zuende war, begannen wir, die wir überlebt hatten, mit dem Aufbau. Wir bauten unsere Häuser, Dörfer und Städte aus den Trümmern neu wieder auf. Wir bauten aber auch ein neues Leben auf. Es sollte ein schönes, friedliches, glückliches Leben werden. Unser Bibelwort stellt die Frage: „Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstünde?“ Ja! – Ganz genauso war es. Wir lagen am Boden, unser ganzes Volk lag am Boden. Wir wollten wieder aufstehen, ein neues Leben beginnen. Aber bald wurde unser Elan gestoppt. Immer mehr Menschen wurden aus den Betrieben, von den Baustellen, aus der Landwirtschaft abgezogen. Ein ungeheurer Verwaltungsapparat wurde aufgebaut. Behörden schossen wie Pilze aus dem Boden und für jeden, der etwas Verantwortung zu tragen hatte, gab es zwei bis drei Aufpasser, die ihn – oder sie – auf Schritt und Tritt beobachten mußten. Ein undurchsichtiges Spitzelsystem wurde nach Stalin’schem Vorbild aufgebaut und arbeitet noch heute mit den gleichen Methoden. Die Angst ging um in unserem Land und Angst lähmt die Menschen. Es ging nicht mehr voran. Die Erfolgsmeldungen in den Medien verkleisterten die Wirklichkeit. Jeder
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wußte es, aber niemand sagte es, jedenfalls nicht laut. Die Stasi war allmächtig und allgegenwärtig. Mit ihren feinen Geräten konnten sie sogar über große Entfernungen hinweg Gespräche im Zimmer belauschen. Nirgendwo war man vor ungebetenen Ohren sicher. Eine Partei herrschte und ließ keine Konkurrenz, geschweige denn eine Opposition aufkommen. Alle Versuche einzelner, gegen dieses Unrechtssystem anzugehen, wurden schon im Keim erstickt. Aber dann war die Zeit reif! „Wo ist jemand, der, wenn er in die Irre geht, nicht wieder auf den rechten Weg kommen möchte?“ – heißt es in unserem Bibelwort weiter. Das Volk erhob sich. Hunderttausende gingen auf die Straße. Friedlich und freiwillig. Zum ersten Mal demonstrierten sie mit eigenen Losungen. Allen Einschüchterungen zum Trotze sagten die Menschen, was sie sagen wollten und mußten. Was sie jahrzehntelang bedrückt, geängstigt und in ihrer Menschenwürde beleidigt hatte. Die Zeit war reif. Die Uhr eines Unrechtssystems war abgelaufen. Zwar versuchten und versuchen einige wendige Funktionäre noch schnell vom sinkenden Kahn in das Rettungsboot des Dialogs zu springen. Aber für viele war und ist es zu spät. Heute stehen wir am Anbruch einer neuen Zeit. Wir wissen noch nicht, wo und wie der neue Weg gehen wird. Aber eines wissen wir ganz genau: Es wird nicht wieder der alte Weg sein. Und wir sind alle aufgerufen, hellwach zu sein, damit uns niemand je wieder in die Irre führt. Wir fragen nach der Ursache für all das Schlimme, das nun Stück für Stück abgeworfen wird. Wir Christen sagen es so: Wir hatten Gottes Wort verachtet, seinen Willen nicht mehr gelten lassen. Das 1. Gebot war für uns außer Kraft gesetzt. Wir hatten vor der Staatssicherheit mehr Angst, als vor Gottes Gericht. Wir haben mitgelogen, mitgeheuchelt, so wie sie es alle taten. Die Kinder durften nicht die Christenlehre besuchen, weil es ja vielleicht Nachteile hätte bringen können. Die atheistische Jugendweihe wurde auch für christliche Familien fast so etwas wie Normalität: „Man wollte ja das Beste für die Kinder!“ Ja – Das Beste hat man ihnen genommen: Das gute Gewissen, den aufrechten Gang, die ehrliche Meinung! Die Angst hatte nun alle, ein ganzes Volk, fest im Griff. Wir wollen auch nicht anfangen, gegeneinander aufzurechnen, wer vielleicht mehr Mut, mehr Zivilcourage, mehr Glaubenstreue aufgebracht hat. Aber die Ursachen müssen wir klar benennen, damit wir in Zukunft gewarnt sind. Ich rechne nicht damit, daß nun plötzlich alle jemals getauften Menschen wieder fleißige Gemeindeglieder werden. Aber wir, die wir uns zu unserer Kirche halten, sollten die Zeichen der Zeit erkennen. Das Kartenhaus des in der DDR real existierenden Sozialismus ist zusammengebrochen, weil es aus Lüge, Gewalt, Unrecht, Heuchelei, Speichelleckerei und Angst errichtet war. Viele Menschen, die es ehrlich meinten, sehen sich heute bitter getäuscht. Gott aber hat noch nie jemanden getäuscht. Sein Wort ist die Wahrheit und daran allein sollten wir uns orientieren. Wenigstens wir Christen sollten es. Nicht als die, die es schon immer besser wußten, aber als solche, die etwas von Vergebung und Neuanfang wissen. Treue Gemeindeglieder haben gesagt: Unser Volk hat Gott den Rücken gekehrt. Deshalb sind wir in diese Krise geraten. Viele in unserem Volk kennen Gott nicht. Mancher von ihnen hat in diesen vergangenen Wochen vielleicht zum ersten Male in seinem Leben eine Kirche von innen gesehen. Nicht etwa, weil er Gott kennenlernen wollte, sondern weil man sich hier traf, weil man sich hier informieren konnte und weil man von hier aus zur Demonstration ging. Vielleicht hat der eine oder andere von diesen Menschen nun Fragen. Seien wir offen! – Halten wir uns mit unserem Bekenntnis nicht länger zurück. Gerade jetzt in diesen Tagen und Wochen wollen viele Menschen von uns wissen, was es mit unserem Glauben auf sich hat. Sagen wir es ihnen, schlicht und einfach, offen und ehrlich. In unserem Bibelwort heißt es: „Jedes Tier weiß seine Zeit. Die Zugvögel sind beizeiten nach Süden gezogen, Igel und Hamster beginnen ihren Winterschlaf. Eine innere Uhr lenkt sie und sie fügen sich.“ Aber – so fährt der Bibeltext fort: „Gottes Volk erkennt nicht, wann
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seine Zeit gekommen ist!“ Ich denke, jetzt ist die Zeit gekommen. Wenn wir nicht wieder schuldig werden wollen an unserem Volk und an den kommenden Generationen, dann dürfen wir uns jetzt nicht mit Wohltätigkeitsbrocken abspeisen lassen. Die alten Genossen blasen schon wieder zum Sammeln. Seien wir wachsam! Amen!.
7.14 Traugott Ohse: Predigt am 2. Advent 1989 zu Offb 3,7-13. Buchholz, 10.12.1989 In diesen Wochen Weihnachtsbriefe schreiben, - was schreibt man da? Wir möchten viele Seiten lang erzählen, was in unserem Land, in unseren Dörfern, in dieser Kirchgemeinde vor sich geht. Aber wer kann das alles in Worte fassen? Unheimlich, ja apokalyptisch die Hintergründe! Götter stürzen, der Teufel des Atheismus bricht zusammen. Lug und Trug wird entlarvt. Wieder bewahrheitet sich das 1. Gebot: „Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“ Und was sollen wir von uns selber schreiben? Wie haben Sie, liebe Familie [...], diese gemeinsamen 25 jahre erlebt, damals von ihrer Trauung in Neubrandenburg an, zuerst in der Gemeinde Zarrentin, seit 1973 hier in Buchholz? Welche kleinen Ereignisse und großen Erfahrungen, welche Fügungen und Führungen, hohe Freuden und heimlichen Kummer? – Was wir schildern und schreiben könnten im Blick auf unseren Lebensweg und nun besonders an dieser Jahreswende, auf uns als Volk und als Familie, - Die eine Melodie wird alles durchziehen: Dank! Großer Dank, demütiger Dank, jubelnder Dank! […] Der mir Freiheit verschafft: „Der da hat den Schlüssel Davids, der aufschließt und niemand schließt zu.“ Wenn wir an die vielen verriegelten Pforten denken! Auch das ist ein erschütterndes Stück Wahrheit in unserer Zeit: Verschlossene Herzen! Wir wollen gar nicht die Schuldigen suchen. Wer hat die zwei, die drei jüngsten Generationen verführt, eingekerkert in Zwang und Angst, abgedrängt von Gott, eingezwängt in die Zwangsjacke der Gottlosigkeit? Sind es denn nur andere gewesen, die uns eingesperrt haben hinter die Gitter einer Weltanschauung, die sich jetzt als unmenschlich erweist? Da kommt dieser sanftmütigste und doch starkmütigste Herr, und sein Schlüssel paßt und faßt und dreht den Riegel zurück und wir sind frei! Und niemand hat das Recht und die Macht, nach diesem Schlüssel zu greifen und uns wieder einzusperren in ein Leben ohne Gott, das nicht wert ist, daß man es Leben nennt, - und umgekehrt. […] Der den Frieden verwahrt, - das ist dieser Jesus Christus. Was er zuschließt, kann keiner mehr öffnen. Das ist doch unsere Angst. Nun endlich entdecken viele Mitbürger, wie Jesu Geist zur Freiheit verhilft, - werden sie diese Freiheit mißbrauchen? Wie war es 1945? Wir waren befreit, aber schon bald hatten viele vergessen, Gott zu danken! Freiheit ja, aber sie kann nur Freiheit bleiben, wenn wir an Gott gebunden bleiben. Nicht schrankenlose Freiheit, sondern friedliche! Unser Herr sagt uns zu, daß er sichert, was er schenkt. Denn das ist so großzügig von ihm: Er weiß, mit wem er es zu tun hat! […] Wir sind Gemeinden mit kleiner Kraft. Was sind wir schon? Wenn wir in den Nächten sehen, wie seit Wochen Tausende in die Kirchen kommen und sozusagen unter Glocken und Gesang, Gebet und Segen zu friedlichen Demonstrationen hinausziehen, keine Fensterscheiben werden zertrümmert, keine Geschäfte geplündert, wahrlich, mit ihrer Macht ist nichts getan. Die Kirche hat keinerlei Machtmittel in der Hand. Aber da waren all die Jahre die alten, stillen Beter in den Gottesdiensten; die jüngeren Christen, die für „Schwerter zu Flugscharen“ viel Schimpf erlitten haben; einzelne Konfirmanden, die Jugendweihe für sich abgelehnt haben, weil sie in der Taufe Gott geweiht sind; da sind Umwelt- und Friedensgruppen, die sich für die Schöpfung eingesetzt haben, obwohl sie beargwöhnt wurden; und andere haben ein offenes, klares Wort gesagt – Menschen mit kleiner Kraft! „Ihr habt mein Wort bewahrt und habt meinen Namen nicht verleugnet.“ Dieser wunderbare Herr benutzt uns, um verschlossene Türen aufzuschließen. […]
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Er weiß doch, mit wem er es zu tun hat, - du Mensch, du Familie, du Gemeinde mit der kleinen Kraft und dem großen Schatz!
7.15 Traugott Ohse: Predigt am 3. Advent 1989 zu Offb 3,1-6. Petschow, 17.12.1989 Am Weg auf Weihnachten zu steht jedes Jahr der Wegweiser: Johannes der Täufer. Der Prophet, der mehr ist als alle Propheten, weil unmittelbar nach ihm der kommt, den sie alle geahnt haben, Jesus. Der letzte Wegweiser für die letzte Strecke kurz vor dem Ziel. […] Höchste Zeit, sich vorzubereiten! Wir hier wollen uns eben nicht ins Fest stürzen. Wir finden uns hier zum Adventsgottesdienst zusammen, um sozusagen am Wegweiser Halt zu machen, hinzusehen, hinzuhorchen, und wenn es harte Worte wären. Jesus, der Herr, wendet sich an alle Verantwortlichen. Haben wir nicht alle in diesen letzten Wochen mit Staunen erlebt, welch eine hohe Verantwortung uns als Kirche zugemutet und getraut wird, damit die Revolution im Geist Jesu Christi läuft? Sind wir nur dem Namen nach Christen? Hören wir. […] Halten wir noch einmal genau fest: „Ich kenne deine Werke!“ Wer sagt das? Nicht irgendwer, sondern „der die sieben Geister Gottes hat und die sieben Sterne.“ Vor seinem Geistesauge, vor seiner hellichten Sternenpracht kann niemand und nichts sich verstecken. Er leuchtet in die letzten Schlupfwinkel. Er kennt unser heimliches Tun und Trachten. […] Selbst wir, wir leblose, leichenhafte Gemeinde, wir werden wachgerüttelt, zum Leben erweckt, um anderen die Kraft zu geben, aus ihrem Todesschlaf aufzubrechen. Haltet euch an die, die Halt suchen! Haben wir nicht gerade das in dieser letzten Zeit erlebt? Wir, die schwache, zusammengeschmolzene Kirche in der DDR, wir haben plötzlich diesen Auftrag gehört: Jetzt bist du für dieses ganze Volk da! Wir haben lange darunter gelitten, daß unsere Volkskirche zerbrochen ist, daß nicht jeder ganz natürlich dazugehört. Der Generalangriff des atheistischen Staates hat uns an der schwächsten Stelle getroffen: an der Konfirmation. Die zuerst mit Drohung und Gewalt angesetzte, dann fast selbstverständliche Jugendweihe hat uns tiefe Wunden geschlagen. Wir, ausgerechnet wir sollen andere stärken, die allen Halt verloren haben! Welch ein Herr, der Kranke zu Krankenträgern macht! […] Das ist jetzt Buße: Mit dem Licht der Bibelworte die Dunkelheit und finsteren Herzen auszuleuchten! […] Wichtig ist doch dieses: Daß wir zu Jesus Christus stehen und er unseren Namen kennt und behält – für immer.
7.16 Winfried Wegener: Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis zu 1. Mose 8,1-12. Neustrelitz, 21.1.1990 Liebe Schwestern, liebe Brüder! Wir haben keine Sintflut erlebt, aber viele von uns haben einen Krieg erlebt, Bombennächte und Flüchtlingstrecks auf den Landstraßen eines wahnsinnigen Krieges. Und wir alle haben 40 Jahre erlebt, an die wir uns beinahe schon gewöhnt hatten, die aber doch eine Geschichte von willkürlichen Verhaftungen, politischen Morden, Überwachungen und Verbreitung von Schrecken und Angst waren. Ein Spitzelsystem überzog unser ganzes Land. Es sollte uns zittern lassen vor der scheinbaren Allmacht eines von Hass und SED regierten Staates. – Eine Sintflut haben wir nicht erlebt, aber das Chaos haben wir gesehen! Es sind nicht nur die Menschen, die mißbraucht wurden, es ist das ganze Land samt Wasser, Luft und Erde du sie können sich vor dem Angriff des Menschen nicht anders wehren, als daß die verdorbene und verschmutzte Natur den Menschen, den Ursacher der Verschmutzung, selbst mit hineinzieht! Experten sagen, wenn nicht sofort etwas geschieht, hat unsere Erde nur noch eine begrenzte Zeit der Lebensdauer! Sollte das alles keine Sintflut sein? Kein Chaos, vom Menschen selbst hervorgerufen – „um seiner Verderbtheit willen“?! – Liebe Schwestern und Brüder, die Sintflutgeschichte der Bibel ist
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nicht geschrieben, um ein furchtbares Naturgeschehen festzuhalten. Sie will predigen! Predigen, wie der Geist Gottes die gute Schöpfung unserer Erde samt Mensch und Tier, Fauna und Flora, Wasser, Luft und Erde mitten im Chaos neu macht! „Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier und an alles Vieh, das mit ihm in der Arche war.“ „Da gedachte Gott!“ Wie gut, daß es das gibt: Gott gedenkt unser! Ein Patient im Krankenhaus oder im […] freut sich über einen Besuch, er weiß: sie denken an mich; ich bin nicht allein. Weh tut es, wenn einer auf einen Besuch wartet, vielleicht zu einem Geburtstag, und keiner kommt. Da fühlt man sich allein, sie haben mich vergessen! – Aber nun heißt es: „Da gedachte Gott“! Mitten in die Sintflut unserer Welt, unseres Landes und auch unseres Lebens sagt Gott, daß es vorbei ist. Mensch und Tier erhalten ihren Lebensraum zurück. Die Taube, die zunächst nur hin- und herfliegt, noch keinen Raum gefunden hat, bringt dann einen frischen Ölzweig und bleibt zuletzt in der neu geschenkten Welt! Das sagt Gott: Es ist alles neu geworden: Mensch und Tier, Wasser, Luft und Erde. Sie erhalten ihren Platz zurück und es soll nicht aufhören Sommer und Winter, Frost und Hitze, Saat und Ernte! Ich habe versucht, die Sintflutgeschichte durchsichtig zu machen. Sie ist für uns erzählt – auch für uns, wie für unsere Väter und ebenso für unsere Kinder und Enkel. Aber ein schlimmes Mißverständnis wäre es, wenn wir den Umbruch dieser Zeit für die neue Zeit hielten! Wir wollen am 6. Mai die neue Regierung haben; und ich meine schon, daß die Partei und die Personen, die unser Volk in das Chaos gebracht haben, endgültig abgelöst werden müssen. Aber das Heil ist nicht die Bundesrepublik, und nicht die neue Regierung. Das Heil ist die Zusage Gottes, die er nach jener gewaltigen Naturkatastrophe dem Noah gegeben und die sich letztlich in Jesus Christus erfüllt hat und sich nur in ihm erfüllen konnte! „Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen.“ Noah ist einen Schritt hinter Gott. Gott befiehlt, Noah gehorcht: Er baut die Arche. Er nimmt die Bewahrung in der Katastrophe nicht nur für sich, sondern teilt den Schutz mit allen Tieren und Geschöpfen wie Gott es gesagt hat. – Gott läßt regnen, Tag und Nacht, 40 Tage und 40 Nächte; und Noah hält durch; bricht nicht zusammen, klagt nicht und tobt nicht; er bleibt bei Gott und Gott bei ihm. Aber Noah läßt die Taufe fliegen ein Mal, ein zweites Mal und erst beim dritten Mal kommt sie nicht zurück. Da weiß Noah: Wir sind gerettet; Gott hat uns gerettet nach 40 langen Tagen und Nächten, er gibt wieder, was er uns Menschen in der Schöpfung anvertraut hat: Lebensraum! Die Frage ist nur, wie gehen wir damit um. Wie wird der Mensch auf Gottes Angebot reagieren und antworten. Aus unseren wenigen Versen, die ich gelesen habe, wird es noch nicht deutlich. Aber am Ende der Geschichte steht es: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Lebens ist böse von Jugend auf.“ Darum auch die christliche Taufe: der Mensch wird aufs Neue geboren, weil sein von Mutter und Vater geborenes Leben noch keinen Anteil hat an der neuen Schöpfung nach der Sintflut! Die alte Gemeinde taufte mit Wasser, die Gemeinde Jesu aber tauft mit Wasser und Geist. Und das ist dasselbe Wort wie im Bericht von der ersten Schöpfung: Der Geist Gottes schwebte, lag über dem Wasser und in der zweiten Schöpfung nach der Sintflut steht da: „Und Gott ließ Wind auf Erden kommen, daß die Wasser fielen.“ In der Sprache der Bibel ist es das Wort „ruach“, das Martin Luther einmal mit Geist und einmal mit Wind übersetzt. Es ist das aber auch derselbe Geist Gottes, der in der Taufe über Jesus kommt und in dem Wunder an Pfingsten über die Jünger. Daran erinnert uns unsere Taufe und in der Konfirmation bekennen wir uns dazu, daß wir aus dem Wasser des Verderbens gerettet sind durch den Geist Gottes. – Die Frage bleibt: wie gehen wir mit dieser Gabe um? Wie reagieren wir? – Unser ganz persönliches Leben und Erleben, aber auch das Erleben der letzten 40 Jahre werden uns davor bewahren, zu denken, als wären wir nach der Taufe, nach der Wiedergeburt aus dem Chaos einer Sintflut schon hier auf Erden im Himmelreich! Die Welt bleibt, was sie ist. Sie ist der Schauplatz von Gut und Böse, Licht und Dunkel, Leben und Tod! Und keiner ist da ausgenommen: nicht Noah und nicht Abraham und auch nicht der menschgeborene Jesus Christus und
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erst recht nicht wir Menschen aus Fleisch und Blut in unserem Jahrhundert. Aber das ist die frohe Botschaft des Alten und des Neuen Testamentes von Jesus Christus: „Gott gedenkt unser!“ Der Geist Gottes ist mitten unter uns, mitten in der Welt, die angeschlagen ist um der Verderbnis des Menschen willen. Seit unserer Taufe ist der Geist Gottes in uns wach! Noch sind die übermächtigen Gewalten der Wassermassen nicht weg, aber solange der Geist Gottes in uns ist und wir in ihm, können sie uns nicht schaden. Das sagt die Urgeschichte der Sintflut für uns heute mit diesen Worten: „Und Gott ließ Wind auf Erden kommen, und die Wasser fielen!“ Wir leben in einer bewegten Zeit, stürmisch und rasant wird sie genannt. Das wird auch nach der Vereinigung von zwei deutschen Staaten nicht anders sein. Aber wir haben die Zusage Gottes, daß er unser gedenkt und wir nicht vergessen sind und nicht allein gelassen werden. Weil sein guter Geist mit uns ist, konnten wir in den vergangenen Tagen und Jahren durchhalten und können wir auch morgen und übermorgen an unserem Platz bleiben, daß wir unsere Verantwortung wahrnehmen an den Menschen und der Welt. „Immer mehr nahmen die Wasser ab“, „und nach vierzig Tagen tat Nach an der Arche die Fenster auf.“ Jesus Christus sprach: „Gehet hin in alle Welt und tut, wie ich euch befohlen habe!“ Amen.
7.17 Carl-Christian Schmidt: Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias 1990 zu 2. Petr. 1,16-19. Bad Doberan, 25.2.1990 Sehen und Hören – so teilt sich Jesus Christus mit. Haben sie gesehen und gehört, wie seit dem vorigen Jahr ausnahmslos die ausgewählten Predigttexte in unsere Situation hineinsprachen? Kluge Fabeln – das meinten die Mächtigen bis die Zeit ihnen den Hals verdrehte. Kann man sagen, plötzlich war das Volk sich einig und stürzte das Regime? Kann man sagen, wir die Gemeinden und die Kirchen haben es geschafft? Es war doch wohl so: plötzlich war vor unseren Augen eine Tat, vor unseren Ohren ein Ruf, vor unserer Seele ein Mut. Und das alles quoll aus den Kirchenportalen und aus den Häusern zu einem mächtigen Strom. In diesem allen spüren und glauben wir die befreiende Tat Christi, seine Kraft. Aber spüren wir auch sein Vorbild? Es gibt offenbar Augenblicke, in denen Sehen und Hören zu einem Höhepunkt führen. Da stehen wir für kurze Zeit auf dem „heiligen Berge“ und überblicken gläubig das Land. Deutlich sehen wir die Wege Gottes markiert. Da steht Christus vor uns und in unseren Lebensalltag hinein tönt die Stimme Gottes. Auf den sollen wir hören. – Diese Zeiten mit diesen Erfahrungen zu verinnerlichen macht uns zu Boten wie den Petrusbrief. Wir werden einmal sagen können, wir sind mit Christus auf dem „heiligen Berg“ gewesen. Und uns geht es bereits, wie den Jüngern. „Hier ist es gut sein“, wir würden uns am liebsten hier häuslich niederlassen. Aber darauf kommt es nicht an. Es kommt allein darauf an, daß Licht und Wahrheit Christi in die Dunkelheit am Fuße des Berges hineingetragen wird. Denn die Realität ist, daß wir umgeben sind von den Mächten der Finsternis. Unser eigenes Herz hat mit ihnen zu kämpfen, weil seit mehr als 40 Jahren systematisch versucht worden ist, das prophetische Wort wie ein Licht auszulöschen. Aber nun sehen wir die Herrlichkeit Jesu Christi selbst und wollen umso fester zum prophetischen Wort stehen, weil es das einzige Wort ist, das den verwirrten Seelen den Weg zu weisen vermag. Das wird am jüngsten Beispiel der Honeckers deutlich. Es gibt Unmut darüber, daß ein kirchliches Heim Aufnahme gewährt. Aber es nicht zu tun, würde bedeuten, Gott in den Arm fallen zu wollen. Oder kann einer glauben, daß es für Honeckers keine riesige Demütigung ist? Sich hier Gott in den Weg zu stellen und beide der Obdachlosigkeit auszuliefern und damit irgendwelchen Räubern, hieße unsere Demokratie zu beschmutzen, auf diese einmalige Chance, die Gott uns Deutschen gegeben hat, zu spucken. Soll das neue Deutschland mit dem Makel eines ganz gewöhnlichen Unrechts beginnen? […] Gott will uns Kraft für die künftigen Glaubensproben geben. Amen.
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7.18 P/L/51-65/W: Predigt zu Jak 1,12-18. N.N., 4.3.1990 Liebe Gemeinde! „Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt“ – diese Verse haben wir am vergangenen Freitag mehrmals in einem Gebetsgottesdienst gesungen. Er durchzog diesen Gottesdienst, den nach einer Ordnung, die tschechoslowakische Frauen zum Weltgebetstag der Frauen zusammengestellt hatten. „Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt“ – ich meine, daß man diese Verse auch über den Abschnitt setzen könnte, der uns heute in diesem Gottesdienst beschäftigen soll. Er stammt aus einem Brief an eine Gemeinde. Längst ist der Alltag eingekehrt. Die Zeit der großen Erlebnisse, die Menschen aufhorchen ließen ist vorbei. Da haben die Väter oder Großväter miterlebt, daß ein Mann wie Paulus auftrat und von Jesus erzählte oder daß jemand sagen konnte: Ich selbst bin Jesus begegnet. Er hat auch mein Leben geändert. […] Wir verstehen in unseren Tagen sehr gut, was es heißt, nach einem Weg zu suchen, der gangbar ist. Viele Menschen tun es. Da sind solche darunter, die es in großem Verantwortungsgefühl, auch für die anderen tun, damit das erhalten wird, was wirklich wertvoll ist. „Andere suchen nach Wegen, wie sie möglichst schnell an das gute Geld kommen und sie sind stolz darauf, wenn es ihnen gelingt, oft genug auf Kosten der anderen, recht viel herauszuschlagen. Und da kommen wir nun heute am ersten Sonntag in der Passionszeit mit dem altmodischen Wort Versuchung, sogar Anfechtung, wie es in den Worten aus dem Jakobusbrief heißt. Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt. Das Bild vom Menschen, der satt und zufrieden sich seines Daseins freut hat im Menschenbild der Bibel keinen Platz. Der Mensch, der nur seine eigenen Wünsche und Sehnsüchte zum Maß aller Dinge macht, wird sich hier nicht bestätigt finden. Das wird auch in Zukunft so sein. Nicht, dass Wünsche und Hoffnungen uns von vornherein versagt wären. Nicht, dass die Wunschträume aus unserem Leben gestrichen werden sollen. Aber da, wo wir nur um uns selbst kreisen, da werden wir Gottes Reich nicht finden. Wir zerstören uns selbst mit ihnen. Wir gefährden das Leben. Wir Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts verstehen das ganz praktisch. Wo wir nur an uns denken und an die Erfüllung unserer Wünsche, da zerstören wir den Raum, in dem wir leben und da leben wir auf Kosten anderer, weil wir nicht bereit sind zu teilen und abzugeben an die, die weniger haben als wir. […] Rechnen wir damit, daß wir dieses Reich Gottes mitten in unserem Alltag entdecken können? […] Wir finden es da, wo nicht die materiellen Dinge unser Leben bestimmen. Jemand hat gesagt, wir sind ein armes Land, nicht deshalb, weil wir ärmer sind als die Bundesrepublik, sondern weil wir arm geworden sind an den Dingen, die bleiben, die dem Menschen Kraft und Hoffnung geben und ihm mitten in allen Ängsten und Hoffnungen helfen, den richtigen Weg zu finden. Es zählte nur noch die Macht, die einzelne hatten und die sie bedenkenlos gegen andere einsetzten. Mancher ist darüber alt und krank geworden und ist gestorben. Aber wenn er Christ war, hat er vielleicht trotzdem ein Stück vom Reich Gottes erlebt und erfahren, weil er Hilfe erfahren hat im Vertrauen zu Gott. Es ist die Kraft der kleinen Leute, denen in den Worten des Jakobusbriefes zum Wort verholfen wird. Dem Einzelnen wird viel zugetraut und von ihm wird viel erwartet. Wir hatten lange Zeit vergessen, daß es die Kraft der kleinen Leute gibt, die etwas bewirken können, wenn sie beharrlich sind und sagen: Wir geben uns nicht zufrieden mit den Dingen, so wie sie sind. Wir werden auch in Zukunft diese Kraft brauchen, die aus einem Leben mit Christus erwachsen kann, wenn Menschen versuchen mit ihm ihren Alltag zu bewältigen. Heute, am ersten Sonntag in der Passionszeit steht uns die Geschichte von der Versuchung Jesu vor Augen. Macht, Ansehen und Reichtum werden ihm vom Bösen angeboten, wenn er bereit ist, den dafür geforderten Preis zu zahlen und sich von Gott loszusagen. Wenn er bereit ist, sich den Maßstäben dieser Welt unterordnen würde, in der Sattsein und Reichtum
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das Höchste zu sein scheint. Aber Jesus unterwirft sich dem nicht. Er sagt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. […] Gott schenke es uns, daß wir uns in den nächsten Wochen mitten in allem Fragen und Suchen Zeit nehmen daran zu denken, wem unser Leben gehört und wem wir es verdanken und daß wir es für uns ganz persönlich als eine gültige Aufforderung nehmen, was das Lied uns sagt: Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt. Amen.
7.19 Roland Springborn: Predigt zu Jak 1,12-18. St. Jacobi Greifswald, 4.3.1990 Liebe Gemeinde! Beim ersten Hören dieses Textes wird uns vieles sehr unverständlich geblieben sein, kaum griffig, mühsam zu erfassen. […] Dabei möchte ich bei dem Wort Versuchung erstmal einen positiven Klang hören: Versuch. Ein Versuch ist etwas Wichtiges auf dem Weg zur Erkenntnis […]. Und wenn ich unsere augenblickliche Zeit bedenke, dann erlebe ich, wie sehr viele Versuche gestartet werden. Etwa in der Wirtschaft mit der Zusammenarbeit von Betrieben; etwa in der Gründung von Parteien, Verbänden und Bürgerbewegungen, um sich in Formen der Demokratie einzuüben; etwa in der Kirche im Austausch von Praktikanten und Studenten […]. Ich denke, das ist etwas Gutes. Die Sache kippt aber um, wo der Versuch zur Versuchung wird und ich dann nicht mehr entscheide, wie es weitergeht, sondern der Versuch sich verselbstständigt und ich nur noch mit meinen Entscheidungen hinterherhinke. Dann betimme ich nicht mehr, wo es langgeht, sondern das Geld oder die Marktlage oder die Rentabilität. Dann wird die Habgier, ihre Reize und ihre Verlockungen für mich übermächtig und ich ohnmächtig. Dann hat die Kettenreaktion eingesetzt, von der hier die Rede ist: Begierde, Sünde, Tod. […] Wenn ich die Zeit der Ereignisse vom Herbst 1989 bis jetzt bedenke, dann habe ich den Eindruck, daß aus vielen Versuchen Versuchungen geworden sind und auch viele Opfer bereits zu beklagen sind. Nehmen wir nur einmal die Losung: Wir sind das Volk. Da kommt es ja sehr auf die Betonung an. Am Anfang lag für mich die Betonung auf dem WIR. Und das hieß: nicht die SED entscheidet, sondern das Volk entscheidet. Dann wurde eine kleine Veränderung vorgenommen: das Wort „das“ wurde durch „ein“ ersetzt. Wir sind ein Volk. Das ist sicher richtig. Nur die Versuchung darin ist ja, diese Einheit über Nacht herzustellen und dabei die zu vergessen, auf deren Kosten sie geht. Und die Versuchung ging für mich weiter, wenn die Betonung heute für viele auf dem Wort „das“ liegt. Wir sind das Volk. Und unsere Nachbarn, die Polen, die Franzosen und die vielen Ausländer, die bei uns leben, kriegen es dann mit der Angst zu tun. […] Auch auf anderen Gebieten beobachte ich dieses: bei Lehrern, bei Studenten, bei Arbeitern und Angestellten im KKW oder NEG, bei Rentnern und Behinderten, daß sie von mancherlei Ängsten umgetrieben werden um ihren Arbeitsplatz, ihr Geld, um Krankenversicherung, um ihren würdigen Platz in der Gesellschaft, um ihre Zukunft und die unseres Landes. Viele haben bei den Veränderungen tatkräftig mitgeholfen, waren wirklich Täter und fühlen sich jetzt als Opfer. Gerade an ihrer Seite aber ist der Platz der Kirche, an der Seite der Opfer der Versuchungen. Was aber können wir sagen? Was trägt uns durch die Versuchungen, denen wir ja auch immer wieder erliegen können, hindurch? Wo finde ich meinen persönlichen Halt? Unser heutiger Predigttext gibt uns darauf Antwort in mehrfacher Weise. Die 1. Irrt euch nicht. Und das will doch sagen: täuscht euch nicht, haltet die Augen offen; laßt euch nicht irre machen von all dem, was jetzt auf euch eindringt. Behaltet einen klaren Kopf und das feste Vertrauen zu Gott. Laßt euch nicht das Blaue vom Himmel erzählen, während sich überall die schwarzen Gewitterwolken zusammenziehen. Fallt auf die flotten Sprüche nicht herein. Prüft alles und das Beste behaltet. Das 2.: Alle gute Gabe
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kommt von Gott. Und Gott hat uns viele gute Gaben gegeben. Wir müssen nicht ständig nach dem schielen, was wir nicht haben. Das bringt nur Stielaugen und steifes Genick. Erliegt nicht der Versuchung, wie wir sie in der Evangeliumslesung gehört haben; der Versuchung des Konsums, aus Steinen Brot zu machen; der Versuchung der Selbstüberschätzung, vom Kirchturm zu springen; er Versuchung der Macht, den Teufel anzubeten. Du kannst mit dem Guten, das dir Gott gibt, verantwortlich leben. Das 3.: „Gott ist kein Wendehals, der mal das Licht in unserem Leben anmacht und dann wieder ausknipst. Er ist treu in seiner gnädigen und guten Zuwendung zu uns. Er steht nicht mit dem Knüppel hinter der Tür, um eins überzuziehen; er stellt uns keine Fallen, um uns fallen zu lassen; er will nicht unseren Tod, diese totale Beziehungslosigkeit. Er will wie wir das im Psalm zu Anfang gehört haben, unser Schirm und Schaffen, unsere Zuversicht, feste Burg und Hoffnung sein. Darauf können wir uns verlassen; das kann uns festen Halt geben; das kann uns durch die Versuchungen hindurch tragen. Und selbst wenn wir durch die dunkle Straße der Ängste, Sünde und Tod gehen müssen, entdecken wir, daß bei Gott noch Licht ist, Gott ist noch auf, wir können anklopfen und zu ihm kommen, mit ihm reden, uns Trost und Hilfe geben lassen. Und sollten wir nicht den Mut haben anzuklopfen, dann wird das Licht, was aus seinem Fenster fällt, uns unseren Weg erhellen, damit wir sehen, wo es langgeht. Der 4. Halt, den uns das Bibelwort gibt, ist unser Leben in dem Wort der Wahrheit und das begegnet uns in Jesus Christus. […] Der 5. Halt, den uns dieses Bibelwort heute gibt, ist die wunderbare Zukunftserwartung für die, die sich in der Versuchung bewährt haben: die Krone des Lebens. Es ist nicht sinnlos, Gott die Treue zu halten, sondern sinnvoll und lebenserfüllend; nicht umsonst, sondern lohnend; nicht auf Grund von Berechnung und Spekulation, sondern auf Grund der Verheißung und der Gnade Gottes: er ist mit uns auf dem Weg; er steht uns in der Versuchung bei, er führt unser Leben zu einem sinnvollen Ziel.
7.20 Albrecht von Maltzahn: Predigt zu Joh 13,35 in St. Johannis. Rostock, 4.3.1990 Monatsspruch März: Jesus Christus spricht: Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt. 1. Erkennbar Jünger sein! 2. Sich zu Christus bekennen? - ! 3. Erkennungszeichen Liebe! Bei Besuchen, die ich in der vergangenen Woche gemacht habe, bin ich nicht nur einmal gefragt worden: Was sollen wir bloß wählen?! Das ist nicht etwa nur die Frage der Hilflosen. Wer sich in diesen Tagen ernsthaft und verantwortlich zu orientieren sucht, was er denn am 18. März wählen soll, macht eine Beobachtung: Die Programme klingen alle gar nicht schlecht. Alle sind für Demokratie, alle geben sich sozial, alle haben plötzlich die Ökologie entdeckt und alle sind für die Gesundung der Wirtschaft. Da sind fleißig Schularbeiten gemacht worden und schöne Programme sind dabei herausgekommen. Aber Papier ist geduldig! Was all diese Programme wirklich wert sind, wird sich erst in den Monaten nach der Wahl zeigen. Ein schwacher Trost ist, wir müssen ja nach knapp zwei Monaten bereits wieder wählen. Vielleicht sind wir dann schon klüger. Keine Angst, ich will keine politische Predigt halten. Aber was uns für unsere Weltverantwortung zu schaffen macht, gilt ganz genauso für unser Christsein. Worte allein genügen nicht. Entscheidend ist: wieviel Lebenshaltung, wieviel Lebenspraxis steht hinter unseren Worten? Jesus beginnt seinen Satz: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid…“ – also erkennbar Jünger sein – das ist mehr als ein schönes christliches Programm. Wenn in diesem Gottesdienst eine Taufe und zwei Konfirmationen vollzogen werden sollen, dann geht es ja um mehr als den Beitritt zu einem Verein, weil einem das Programm des „Vereins“ Kirche sympathisch erschienen ist. Wenn Christus sagt „Ich bin der Weg“,
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dann bedeutet Christsein, sich auf einen Weg einzulassen. Und wenn unser Christsein in dieser Welt nicht mehr zum Guten verändert hat, dann hängt das vielleicht damit zusammen, dass viele zwar getauft und vielleicht auch noch konfirmiert sind – aber das war es dann auch schon. Da sind die stillen Sympathisanten von Kirche, aber Kirche ist so etwas, dem man gegenübersitzt, das man mit kritischer Anteilnahme beobachtet – und doch immer schön auf Distanz. Aber wir sind die Kirche. Und die Kirche ist so gut oder schlecht, wie wir alle sie sein lassen. Noch drastischer spricht Paulus dies aus, wo er uns als den Leib Christi bezeichnet. Christus also nicht nur ein Gegenstand unseres Glaubens, sondern er in uns und wir in ihm, ganz eins bis in unsere Lebenshaltung und unser Handeln hinein. […] Dass wir unseren Glauben in jedem Gottesdienst bekennen, mag uns aber auch daran erinnern, das Bekennen gehört zum Christsein dazu. Ich meine nicht das „Aufsagen“ unseres Glaubensbekenntnisses. Wenn ich wirklich Christ bin, sollte jederzeit deutlich werde: Ich stehe zu meinem Glauben. Warum sollte ich auch mein Christsein verstecken? Ist es eine so schlimme Sache? Sicher doch nicht. Was uns zu schaffen macht, ist vielleicht mehr das Gefühl, es ist gar nicht so einfach, jedem Kritiker oder gar Gegner in überzeugender Weise Rede und Antwort zu stehen. Gewiss, aller Anfang ist schwer. Aber wer nicht anfängt, kommt über sein Anfängerdasein nie hinaus. Wer will mir übelnehmen, wenn ich auf eine schwierige Frage nicht wie ein Weiser reagiere. Doch wenn ich mich dem Fragen stellen, zwingt mich das zum Nachdenken, zum Antwort suchen, und ich komme weiter Schritt für Schritt. […] Gott will keine Schönredner, aber Christen, die zu ihrem Glauben stehen. Dass wir zu unserem Glauben stehen, ist aber letztlich nie nur eine Sache der Worte, sondern immer eine Frage unserer ganzen Existenz. Jesus deutet das so an: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger sied, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ […] Wir alle sind doch in der Gefahr, viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt zu sein. In Umbruchzeiten, wie wir sie jetzt erleben, lässt sich die Zukunft schwer übersehen. Da gibt es schon Unsicherheiten und Fragen – und schon konzentrieren wir viel zu viel Kraft unseres Herzens auf uns selbst und vergessen darüber die Fernen – die Hungernden der Welt, die in ganz anderen Nöten Befindlichen in Rumänien. […] Nicht nur einmal habe ich gehört: Es kommen schlechte Zeiten für die Kirche. Nun braucht man die Kirche nicht mehr als Schutzmantel für die Andersdenkenden. Auch die Zeit der vollen Kirchen zu den Bittgottesdiensten für die Erneuerung ist vorbei. Kirche wird wieder ins Abseits geraten. Ich selber sehe das anders. Wir haben uns das ja nicht gewünscht, für Dinge in Anspruch genommen zu werden, die unter normalen Bedingungen auch ohne Kirche laufen müssten. Aber wenn Kirche in der Vergangenheit ihren Beitrag zu gewaltlosem Vorgehen geleistet hat, dann ist das gut. Und ganz sicher wird Kirche auch in Zukunft darin gefordert bleiben, dass wir Gewaltlosigkeit durchhalten, dass wir Geduld lernen und langen Atem behalten. Und wenn wir uns wieder auf die ureigensten Dinge der Kirche konzentrieren können, soll es uns nur recht sein. Schlechte Zeiten für die Kirche? Ich sehe sie nicht. Wie viele haben in den letzten Jahrzehnten an der Kirche vorbeigelebt – ich kann mir vorstellen, dass viele sehr aufgeschlossen auf die Kirche warten und auf sie zugehen. Und vor allem, wenn Gott ist, dann hängt die Kirche doch nicht nur ab vom Auf und Ab der Tagespolitik. Solange Menschen leben, fragen sie nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält. Solange es Kummer unter uns gibt, solange wir mit Trauer fertig werden müssen, solange es Krisen in unserem Leben zu bewältigen gilt, sind wir offener für Gott, als wir ahnen. […] Schlechte Zeiten für die Kirche? O nein, Gott hat für jeden von uns Aufgaben genug, wenn wir es nur ernst meinen, seinen Weg mitzugehen.
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7.21 Albrecht von Maltzahn: Predigt am Sonntag Judika zu Hebr 13, 12-14 in St. Johannis. Rostock, 1.4.1990 „Jesus hat, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ 1. Gelitten draußen vor dem Tor 2. Hinausgehen aus dem Lager 3. Ohne bleibende Stadt die zukünftige suchen So hätten es alle Politiker gern, wie es Hitler einmal den englischen Bischöfen gesagt hat: „Kümmern sie sich um den Himmel, das deutsche Volk überlassen Sie gefälligst mir!“ Politiker empfinden die Kirche im politischen Fragen eher als einen Störfaktor. Haltet euch da heraus! Ihr versteht nichts davon! Das geht euch ohnehin gar nichts an! – Es ist ein wenig unfair, mit einem Hitler Zitat jeden in diese fragwürdige Gesellschaft zu rücken, der sich heute redlich mit der Frage herumschlägt: Ist es wirklich Aufgabe der Kirche, wo sie doch wenig genug Mitarbeiter hat sich so stark im politischen Bereich zu betätigen? Die Politik ist nun einmal das Geschäft mit den harten Bandagen, das ist doch nicht das Arbeitsfeld der Kirche!? – Für uns kann diese Frage nicht an einem Hitlerzitat geklärt werden. Für Christen wird klärender sein, wie wir die Haltung von Jesus zu deuten haben. Das wird man nicht an dieser oder jener Aussage von ihm allein festmachen können. Aber wer das ganze Wirken und Lehren von Jesus bedenkt, wird kaum den Eindruck gewinnen, Jesus wollte nur mit einem Teil unseres Lebens zu tun haben. Ich empfinde Jesus immer als den, der sich den ganzen Menschen und dem ganzen Leben zuwendet. Hitler ist das klassische Beispiel, was dabei herauskommt, wenn die Herrschenden sich mit Erfolg verbieten, dass sich auch andere Gedanken um den rechten Gang der Politik machen. Und wir erleben gerade, wie verheerend es sich ausgewirkt hat, dass auch nach Hitler diese fein säuberliche Trennung vollzogen wurde zwischen denen, die für Politik zuständig sind, und denen, die sie nichts angeht, es sei denn, sie klatschen Beifall. Meinen wir wirklich, dass Jesus von uns jene Zurückhaltung erwartet, dass uns nichts angeht, ob Recht gebeugt wird, ob Raubbau betrieben und Umwelt zerstört wird? Wir sehen in Jesus den, der aus der Geborgenheit Gottes herausgetreten ist, um unser Leben zu teilen, mit seiner ganzen Existenz, und um sich in unser Leben einzubringen, dass es geheiligt werde, das heißt doch, dass es Gott nähergebracht werde – nicht nur mit irgendeinem kleinen Ausschnitt, sondern im ganzen Gott gemäßer werde. Diesen Weg ist Jesus mit letzter Konsequenz gegangen bis zum Erleiden menschlicher Feindschaft und schließlich des Todes – draußen vor dem Tor. „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.“ Maßstab für Recht und Unrecht unserer Entscheidungen und Wege können also nicht nur die Maßstäbe derer sein, die es mit den harten Bandagen halten. Lasst uns hinaus gehen zu ihm aus dem Lager, das ist eine Aufforderung zum Aufbruch. Wie oft ist Gottes Volk in seiner Geschichte aufgefordert worden zum Aufbruch. Es gibt eine Unbeweglichkeit, ein Festhalten am Überholten, ein sich Abfinden mit dem Unguten, das nicht in Gottes Sinn ist. Aufbruch kann etwas sehr Beunruhigendes haben. Das Gewohnte kann trotz mancher Schatten das Vertraute geworden sein. Aus ihm aufzubrechen, bedeutet Ungewissheit, die Ungewissheit des Wohin. Welche Richtung sollen wir einschlagen? Und was wird die Zukunft uns bringen? Wir hatten zu wählen; und viele werden bei Ihrer Wahl vor allem an Sicherheiten gedacht haben. Sicherheit von Erspartem. Sicherheit von wirtschaftlicher Gesundung. Sicherheit für einen schnellen Weg zu einem Deutschland, das Schlimmem, dass hinter uns liegt, keine Chance mehr gibt. Sicherheit in sozialen Bereichen. Aber bedenken wir auch bei dem Aufbruch, den wir vollziehen, dass er in dem rechten Geist geschieht? Dass es ein Aufbruch mit ihm, mit Jesus ist? Das bedeutet nicht, dass oberstes Gesetz der Erfolg im Sinne von Karriere ist. Oberstes Gesetz ist das konsequente Leben aus dem rechten Geist bis dahin, dass es nach den üblichen Maßstäben eher als ein
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erfolgloses Leben gedeutet werden kann. War Jesus erfolgreich? Wenn, dann doch in einem seiner Art sehr eigenen Sinn. Was das konkret für uns bedeuten kann, fand ich in einem Wort Immanuel Kants: „Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß, und es könnte sein, dass die Menschheit reicher wird, indem sie ärmer wird, und gewinnt, indem sie verliert.“ Spiele mit Worten eines Philosophen? Wer sich im Neuen Testament ein wenig auskennt, wird erinnert an Paulus, der vom Haben als hätte man nicht spricht, aber auch der Gabe, sich im Mangel genügen zu lassen. Oder denken wir an den Narrheit des reichen Kornbauern, der sich innerlich zur Ruhe setzen will auf dem Reichtum, den ihm eine große Ernte gebracht hat, und das alles ist doch nichts wert, weil in dieser Nacht seine Seele von ihm gefordert wird. Noch näher kommt Kants Gedanken das Jesuswort: „Wer sein Leben gewinnen will, der wird es verlieren.“ Oder denken wir an jene tiefe Gelassenheit, die uns die Bergpredigt nahelegt mit jenem schönen Abschnitt über das Sorgen, oder besser das Nicht-Sorgen. „Reich ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß.“ Nein, wer das sagt, spielt nicht mit Worten, er ist von der Oberfläche des Lebens zu seinen Wesentlichkeiten vorgestoßen. Der Nachdenkliche spürt doch sehr deutlich, wie groß die Gefahr ist, dass wir heute würdelos einem lockenden Lebensstandard nachlaufen. Wir sollten wenigstens den Übergang zu neuen Möglichkeiten in Würde und Geduld bewältigen. Und als solche, die lange genug entbehren lernen mussten, ob wir wollten oder nicht, sollten wir über den eigenen neuen Möglichkeiten nicht die aus dem Blick verlieren, die auf Zeit oder auf Dauer an den Rand geraten; ganz zu schweigen von der inneren Verpflichtung, über unseren Hoffnungen nicht die zu vergessen, die in der 2/3-Welt ohne alle Hoffnung leben. Ich wünsche uns allen von Herzen eine gesundere Wirtschaft und ein gutes Geld in der Hand, aber ich wünsche uns auch, dass die vergangenen Jahre uns eine gute Schule waren, unser Leben zu teilen mit denen, die uns brauchen, wie Jesus sein Leben geteilt hat mit uns. Jesus selbst mag uns oft ein zu erhabenes Beispiel sein, um an ihm uns zu messen und von seinem Handeln unser Handeln bestimmen zu lassen. Umso mehr sollten wir achten auf das Beispiel ganz gewöhnlicher Menschen, die im Augenblick, in dem es darauf ankam, das Rechte taten. Ich denke an Oskar Schindler, der ist nicht ertragen konnte, wie die polnischen Juden zunächst ins Ghetto kamen und dann in ein Todeslager. Schindler, der das sah, ging mit hinaus, ließ seine Fabrik zum Konzentrationslager machen, zahlte an die SS, ließ über sich spotten und lachen, begab sich mehr und mehr in die Gefahr, litt die Schmach mehrmaliger Verhaftung – aber er brachte am Schluss seine 1200 Juden durch. Oder ich denke an den oft hohen persönlichen Einsatz, mit dem Menschen sich für eine Ihnen wichtige Sache stark machen, die in den Augen anderer diesen Einsatz nicht verdient. Wie viele persönliche Angriffe haben Ärzte riskiert, die sich klar zu der Ärzteinitiative zur Verhütung des Atomkrieges bekannten. Oder wie viel Widerstand erfuhren und erfahren zum Teil noch solche, die sich klar gegen die Umweltsünden einsetzen. Eine erschütternde Szene erinnere ich aus dem großen Gandhi-Film. Gewaltlos wollen die Freiheitskämpfer ein Salzgewinnungswerk besetzen, denn durch das Salzmonopol demonstriert England seine Macht über Indien. Vor dem Werktor stehen Soldaten, bewaffnet mit schweren Knüppeln. Die Gewaltlosen treten in ihren weißen Gewändern vor. Reihe um Reihe werden die Wehrlosen mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. Eine schaurige Szene, die aber letztlich die Schwäche der scheinbaren Sieger und die Überlegenheit der scheinbar Unterlegenen offenbart. Dietrich Bonhoeffer wusste, warum er nach Indien reisen wollte. Er spürte, dass im Leben Gandhis eine Saat aufgegangen war, die vielleicht sehr stark von Jesus herkam, aber unter Christen selten so klar aufgegangen war wie bei Gandhi. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Geht es nun doch, wie Hitler es gern haben wollte? „Kümmern sie sich um den Himmel, das deutsche Volk überlassen Sie gefälligst mir!“ Gott hat seinem Volk immer Bilder der Hoffnung
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gegeben. Den Regenbogen. So auch das himmlische Jerusalem. Ein Volk, das aus der Ungesichertheit der normalen Existenz herkam, empfand eine Stadt mit Mauern, einer Burg und einem Tempel als Inbegriff der äußeren Sicherheit und inneren Geborgenheit. Darum war das himmlische Jerusalem für die verfolgten Christen das Symbol aller Zukunftshoffnungen auf Gott. Wir sehen es falsch, wenn wir solche Hoffnungsbilder nur als ein vertrösten aus diesem Leben hinaus verstehen. Im Gegenteil: Wer ohne Hoffnung lebt, lässt die Arme kraftlos herunterhängen. Wer voller Hoffnung ausgerichtet ist, lässt aus solcher Hoffnung dieses Leben nicht laufen, sondern macht sich stark, dieses Leben zu gestalten nach dem Bild, dass er hoffend in sich trägt. Wie Jesus sich hier Krankheit, Hunger und Not stellte, so soll unser Suchen nach der zukünftigen Stadt uns schon hier immer wieder der Stadt Bestes suchen lassen. Konrad Lorenz hat einmal die modernen Stadtplanbilder dem histologischen Bild eines bösartigen Tumors verglichen. Ist also die zukünftige Stadt kein positives Bild mehr? Lassen wir uns durch solche Sicht nicht beirren. Jeder gute Arzt wird sich mit seinen Möglichkeiten einen bösartigen Tumor entgegenstellen. Warum sollten wir es aufgeben, der Stadt Bestes zu suchen?! Wichtig wird dabei nur sein, dass wir begreifen, im äußeren Gelingen allein gelingt bestenfalls die Hälfte. Das ganze Gelingen bedarf mehr, bedarf auch des inneren Gelingens. Etwas davon deutet Dietrich Bonhoeffer in seinem Gedicht „Christen und Heiden“ vom Juli 1944 aus dem Gefängnis an. Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, Flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun Sie alle, alle, Christen und Heiden. Menschen gehen zu Gott in seiner Not, finden ihn arm, ohne Obdach und Brot, sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod, Christen stehen bei Gott in seinem Leiden. Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt dem Leib und die Seele mit seinem Brot, stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod und vergibt Ihnen beiden.
7.22 Albrecht von Maltzahn: Predigt zu Jes 40,26-31 in St. Johannis. Rostock, 22.4.1990 1. Von Gott verlassen? 2. Kirche als Lerngemeinschaft 3. Hoffnung zieht „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!“ Wir kennen diesen Verzweiflungsschrei aus dem Mund von Jesus am Kreuz. Wer wollte ihn in solcher Situation nicht verstehen? Immerhin war jener Augenblick durch und durch ein Augenblick einer doppelten Qual. Da war der unerträgliche körperliche Schmerz. Dazu kam die quälende Hoffnungslosigkeit. Denn der ans Kreuz Genagelte konnte nicht mehr hoffen, vom Kreuz herabsteigend seine Freiheit wiederzugewinnen, seine Perspektive war ohne Aussicht, war nur, schließlich unter Qualen zu verlöschen. Kennen auch wir das Gefühl, von Gott verlassen zu sein? […] Viele werden sich von Gott nicht verlassen fühlen, weil er in ihrem Leben ohnehin nicht mehr vorkam. Denn Gott, an den ich nicht glaube, den kann ich nicht vermissen. Ganz anders ging es darin den Juden im babylonischen Exil. Sie waren tief gläubige Menschen gewesen. Sie hatten sich als Gottes auserwähltes Volk seinem Herzen besonders nahe gefühlt. Und nun drohte, dass es dieses Volk einfach nicht mehr geben würde. Der Kampf zwischen zwei Völkern wurde damals zugleich als eine Auseinandersetzung zwischen den Göttern dieser Völker empfunden. Gott hatte also gegen die babylonischen Götter verloren. Und offensichtlich hatte er sich von dieser Schlappe nicht erholt. Jahrzehnte waren sie nun schon hier in Babylonien im Herrschaftsbereich fremder Gottheiten. War
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ihr Gott zu schwach, etwas für sie zu tun? Oder hatte er sie einfach vergessen oder wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben? Jener Prophet, der unter ihnen lebt, hat es nicht leicht, dieses tief sitzende Gefühl der Gottverlassenheit auszuräumen. Er spürt, Worte allein sind zu wenig. So führt er sie nachts unter den freien Himmel […]. Dem Propheten geht es dabei nicht um ein Naturschauspiel. Sondern die Gestirne dort am Himmel sind die Gottheiten der Babylonier – so glauben diese es jedenfalls. Er aber weiß: Die Gestirne sind nur Geschöpfe des Schöpfers. Damit fegt er mit ein, zwei Sätzen diesen Götterhimmel leer und überlässt ihn dem, dem er zukommt. Gott hat sie geschaffen. […] Damit wird aber nicht nur am Himmel etwas zurechtgerückt. Sondern der Gott, für den dieser gewaltige Sternenhimmel nur ein Teil seiner Schöpfung ist, der Gott ist nicht am Ende, der ist so voller Macht und Kraft wie eh und je. Nicht Gott ist abwesend, nicht Gott ist kraftlos und müde geworden. Sondern sie, das Volk Gottes, müssen Acht geben, dass sie sich nicht der Müdigkeit hingeben, dass sich nicht selbst aufgeben. Gemeinde heute hat das Recht zu fragen: Womit meint dieser Text uns? Ist unsere Situation der des Exils vergleichbar? So unmittelbar ganz gewiss nicht. Wir sind eher in der Situation des Aufbruchs. Viele der „Sterne“ – der Stars, die Macht über uns hatten, haben ihren Glanz verloren. Ihnen wird nicht mehr die Ehrfurcht von einst entgegengebracht. Allerdings neigen wir dazu, das Geschehen der letzten Monate nur als politisches Geschehen zu verstehen. Gewiss, für uns kämpfen bei politischen Auseinandersetzungen nicht mehr Götter miteinander. Und doch sollten wir uns fragen: Gerät da nicht wieder etwas zu flach und oberflächlich, wenn wir die Wende nur als ein welchtliches Geschäft betrachten und behandeln? Ich frage mich, war es nur Zufall, dass Menschen, die jahre- und jahrzehntelang nicht mehr in eine Kirche gekommen waren, zu Tausenden die Kirchen aufsuchten und hörten und mehr und mehr auch mit beteten und sangen, bevor sie zur Demonstration auf die Straße gingen? Kam da nicht doch vielleicht ein tief menschliches Gespür zum Tragen, wichtige Dinge in unserem Leben brauchen dieses: „Hebet eure Augen in die Höhe und seht!“ (So hat der Prophet es damals gesagt.) Robinson – jener englische Bischof unseres Jahrhunderts – hätte nach Gott nicht so sehr in der Höhe gesucht, sondern in der Tiefe als dem Urgrund unseres Seins. Wie dem auch sei – Gott in der Höhe, Gott in der Tiefe – Gott bewahre uns vor Flachheit und Oberflächlichkeit, vor Routine und leerer Geschäftigkeit, wenn es um Wichtiges in unserem Leben geht – und das geht es in unseren Tagen ohne Frage! Immer! Ich empfinde es als ein gutes Zeichen, dass fast die ganze Volkskammer vor ihrer konstituierenden Sitzung an einem Gottesdienst teilnahm. Mancher vielleicht mit sehr gemischten Gefühle: Wohin sind wir geraten? Was ist aus uns geworden? Hans Modrow hat seine Teilnahme begründet mit der Notwendigkeit, in der DDR zu neuen ethischen Werten zu kommen, wozu die Kirchen maßgeblich beitragen könnten. […] Ob wir in der Kirche die ethischen Werte so haben, dass sie bei uns nur abgeholt zu werden brauchen, das ist mir allerdings fraglich. […] Es wäre schlimm, wenn wir in eine Haltung hineingerieten, als hätten wir ja immer schon gewusst und gesagt, worauf es ankommt, aber man hat ja nicht auf uns gehört! Nun aber haben wir doch recht behalten! Es hat in vergangenen Jahren einen guten Begriff gegeben, der Kirche als „Lerngemeinschaft“ bezeichnet hat. Das haben wir heute nötiger denn je, ganz bewusst nicht Besserwisser zu sein, sondern Lerngemeinschaft. Dabei kommt als eine ganz neue Herausforderung auf uns zu, dass Menschen von uns oder mit uns zusammen lernen wollen, die bisher in deutlicher Distanz zu uns standen. Werden wir lernen, offen für sie zu sein? Lehrer, politisch anders Denkende, Ungläubige? Werden wir lernen, eine Sprache zu sprechen, über die wir uns miteinander verständigen können? Und werden wir vor allem lernen, miteinander Hand anzulegen, wo Worte allein nicht genügen, sondern gehandelt werden muss? Aber was sollen wir denn noch alles tun? […] Wir sind gerade erst aufgebrochen. Dramatisieren wir doch nicht die Länge und die Mühsal eines Weges. Gewiss, noch sind wir nicht am Ziel, aber im Ernst wollen wir doch nicht lieber das, was hinter uns liegt.
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Ich denke, müde zu werden ist nichts Tragisches, sondern etwas ganz Normales. Jeder Tag lässt uns müde werden, aber wir müssen nicht müde bleiben. Nacht für Nacht erleben wir dieses Wunder der Erneuerung: „Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden.“ Doch es geht nicht nur um das, was der Schlaf in der Nacht zu leisten vermag. Es geht auch um jene Kraft, die uns zuwächst aus der Hoffnung, aus dem Ziel, das wir vor Augen haben. „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Im Hebräischen ist das Wort „hoffen“ verwandt mit dem Wort für „Seil“. Hoffnung zieht. Schlaf lässt in uns etwas physiologisch geschehen, das unsere Kraft erneuert. Hoffnung ist eine zusätzliche Zugkraft, eine zusätzliche Energie, eine Motivation, und das heißt doch, etwas, das uns bewegt. Das erleben wir in unseren Tagen sehr deutlich: Von einem falschen Geist geht etwas Lähmendes, Hemmendes aus. Stehen wir uns gegenseitig bei aus dem guten Geist Gottes, der uns beflügeln möchte zu gutem Tun. Ermuntern wir uns, unsere Müdigkeit nicht wichtiger zu nehmen, als sie es verdient. Wer aus dem Exil aufbrach, konnte nicht auf halber Strecke Schluss machen. Dort war Wüste. Das war kein Lebensraum. Man musste schon durchhalten bis ans Ziel. Auch für uns sind Ziele nicht ohne Wege erreichbar. Aber dramatisieren wir doch nicht: Unsere Wege sind nicht Wege durch die Wüste. Uns haben sich schon Möglichkeiten eröffnet, die wir nicht mehr missen möchten. Und mit jeder Wegstrecke, die wir weiterkommen, werden wir nicht tiefer in die Wüste gerade, sondern werden Schritt für Schritt vorankommen. Ich denke, es gibt vieles, was nur besser werden kann. Und wo Probleme bleiben, oder sich neu auftun, sind wir alle mit unserer menschlichen Kraft gefordert, Lösungen zu suchen. Wir dürfen dabei rechnen mit dem Beistand Gottes, der uns nicht nur den Schlaf geschenkt hat, um Kraft zu erneuern, sondern uns auch beflügeln will mit Hoffnung.
7.23 Winfried Wegener: Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis. Neustrelitz, 1.7.1990 Liebe Schwestern, liebe Brüder! Der 1. Juli 1990 wird ein Datum sein, das in die Geschichte der deutschen Einheit nach 1945 eingehen wird. So sagen die Politiker beider deutscher Staaten, alle, auch die Politiker der Welt. All die Worte, von de Maiziere oder Kohl oder Genscher, von Gorbatschow oder Busch, Schewadnaze oder Baker sind sicher keine Gottes Worte, aber vielleicht verbirgt sich in dem einen oder anderen doch ein prophetisches Wort. Das lehren uns die alttestamentlichen Propheten: sie verweisen auf den Zusammenhang von Gottes und Menschen Geschichte, von Schuld und Strafe, von menschlicher Ungerechtigkeit und göttlicher Gerechtigkeit. Die Propheten des AT hatten die Gabe, Geschichte zu deuten. So hören wir den Propheten Hesekiel am heutigen Sonntag: politisches Glück oder Unglück, 40 Jahre Grenze und Mauer zwischen Ost und West, Flüchtlinge und Auswanderer, Leben und Tod sind nicht Zufall oder unabänderliches Schicksal, sondern Gottes Antwort auf Gottlosigkeit oder Gottesfurcht der Menschen. Die Menschen sagen: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.“ Dem Prophet gefällt dies Wort nicht. Mir auch nicht! Und wollte es schon gefallen, es ist entstanden aus der negativen Erfahrung des Lebens. Es klingt zu sehr nach Resignation! Unsere Väter haben den Krieg angefangen mit den Nazis und wir mussten den Sozialismus nach dem Kriege ausbaden. Unsere Väter haben geschwiegen und mitgemacht in der sozialistischen Diktatur und wir haben jetzt den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Unsere Väter und Mütter sind aus der Kirche ausgetreten, haben nicht mehr an Gott geglaubt, nichts mehr von Gott erzählt und wir sollen dafür büßen, dass wir von Gott nichts gelernt haben. Der Prophet sagt: „So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in
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Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir: die Väter gehören mir so gut wie die Söhne, jeder, der sündigt, soll sterben!“ Wohl heißt es im Gesetz des AT: Ich will heimsuchen die Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied, aber hier bahnt sich ein neues Gesetz an, Gott bereitet es vor durch die Propheten des Alten Bundes und vollendet es in Jesus Christus: „gnädig und barmherzig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.“ Oder wie es Jesus Christus dann sagt: „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe!“ Das wird klar: Gott hat keinen Gefallen an der Strafe, am Unglück oder am Tode des Sünders, er will, dass wir Leben haben und Frieden, Gerechtigkeit und eine gesunde Natur! So räumt schon das AT das Missverständnis aus dem Wege, als wäre unser ganzes Leben nur Vorherbestimmung und als könnten wir gar nichts tun, weil wir ja doch den unumstößlichen Willen Gottes ausgeliefert seien. Der Prophet darf sagen: „Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben.“ Ich denke noch einmal an den früheren Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Noch immer wird der Kirche von einigen vorgeworfen, dass er in einem Pfarrhaus Asyl bekommen habe. Er hätte es nicht verdient, sagen viele. Ob er es verdient hat oder nicht, ob es ihm zum Nutzen oder Verderben, zum Segen oder zum Fluch geworden ist, wer von uns will das beurteilen? Mich hat es erschüttert, dass er im Rückblick auf die Zeit im Hause der Familie Holmer in Lobetal gesagt haben soll: So primitiv wie dort habe er zuvor noch niemals gelebt – vielleicht hat er es in einem anderen Zusammenhang gesagt, aber das steht fest, dieser Honecker steht für viele andere Parteigenossen der SED und für viele andere Funktionäre des Stasi-Regimes der vergangenen Jahre. Gott klagt nicht gut an einem Menschen, was er verbrochen hat, aber Gott sagt: Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er nun tut. Das ist der Schlüssel Gottes für unser Leben: nicht das gestern und das morgen, sondern das heute. Der Prophet Amos sagt es: heute so ihr seine Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht – heute – und nicht morgen. – Gott hat keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern vielmehr daran, dass er sich bekehre von seinen Wegen und am Leben bleibe! Die Umkehr ist das Entscheidende, die Wende! Aber nicht allein die Wende des Halses, sondern die Wende des Herzens! „So ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, will ich mich von euch finden lassen! Spricht der Herr!“ Das ist die Mitte des Textes heute, das ist das Evangelium des AT: „Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Ich habe keinen Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der Herr. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben!“ Gott ruft zur Umkehr, zur Wende! Nicht allein zur neuen Währung, zur neuen Wirtschaft und zu einem anderen Lebensgefühl in einer Ellbogengesellschaft. Gott ruft uns und lädt uns ein, dass wir uns besinnen auf das, was dem Leben dient und was unser gemeinsames Leben ermöglicht und fördert. Seine Gebote sind dabei keine Gesetze, die nach den Buchstaben erfüllt werden müssen, sondern sie sind Wegweiser zu einem Leben, dass Liebe, Gerechtigkeit und Frieden schafft. Und Gottes Wort und Willen trennt dann nicht zwischen öffentlichem Leben und privatem, zwischen Beruf und zu Hause, er will, dass der Geist Jesu ebenso in unserem persönlichen Leben zum Tragen kommt wie im politischen und gesellschaftlichen Leben. Sicher kennt eine Wirtschaft ihre eigenen Regeln, sonst klappt es nicht. Und wir werden in den kommenden Tagen noch manche Enttäuschung hören über die nicht mehr gestützten Preise der Grundnahrungsmittel. Aber Umkehr ruft zur Einsicht. Und so hören wir dieses Prophetenwort heute in doppelter Hinsicht: das, was hinter uns liegt ist nicht Zufall und Schicksal, es ist das die Ernte eines Volkes, dass nach 1945 einen verkehrten Weg eingeschlagen hat – und was wir heute erleben, ist eine Chance, wieder einen neuen Weg zu beginnen. Der Begriff Wende, den wir seit den Oktobertagen geprägt haben, beinhaltet nicht die Rückkehr zum Alten, sondern die Hinwendung zum Neuen! Aber in wessen Kraft und Dienst? Und das ist das andere, was uns dieses Prophetenwort heute sagt: wir hören den Ruf zur Umkehr nur recht, wenn wir mit Gott im Gespräch blei-
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ben und seinen guten Geist mit hineinnehmen in alle Gespräche und Überlegungen der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Politik. Wir können uns nicht allein nur als Deutsche sehen, wir stehen in einer Völkergemeinschaft und in einer Weltgemeinschaft. Gott will, dass wir alle leben, nicht nur die Menschen, sondern seine ganze Schöpfung. Dass wir Sünder und fehlsame Menschen sind, ist nichts Neues, aber Gottes Angebot, uns Sünder anzunehmen, sollte uns immer wieder neu sein und uns ermutigen, die wahre Umkehr, den wahren Frieden, Gottes Liebe und Gerechtigkeit in die Welt hineinstrahlen zu lassen. Amen.
7.24 Carl-Christian Schmidt: Predigt am 8. Sonntag nach Trinitatis zu Röm 6,14-23. Heiligendamm und Bad Doberan, 5.8.1990 Seine ganze Wirksamkeit als Apostel hat Paulus (sich) von dem Glauben getragen gewußt, daß Christus die Menschen zur Freiheit befreit hat. Gottes Güte zu seinem Geschöpf sah Paulus in unserer Befreiung aus den Stricken des Todes und doch weiß Paulus davon, die Freiheit ist von außen wie von innen bedroht. Dagegen gibt es nur eine wirkliche Hilfe, die freiwillige Bindung an den Befreier. Ohne Bindung an Gott gibt es keine Freiheit. Entweder Knecht Gottes oder Knecht einer fremden Macht. Bindung an Gott bedeutet, nicht in jeder Frage frei zu sein, aber bringt Freiheit vom absoluten Anspruch des Todes. Der Tod ist Durchgangs- nicht Endstation für den Knecht Gottes. Bindung an die eigenen Interessen mag zwar persönlichen Nutzen bringen, aber auch fremde Herren. Die Bindung an das eigene vergängliche Wesen ist die Bindung an die Endstation Tod, denn es gab ja für ihn Gott nicht, nach dem er gefragt hätte. So klar ist das für Paulus. Wir hörten schon, die Freiheit des Einzelnen hat viele Feinde. Listig fragten die Funktionäre der kürzlich gestürzten Macht, „Freiheit wozu?“ Sie selbst fühlten sich frei. Natürlich, denn sie hatten sich und ihr Leben an die Herrschaft der Partei gebunden. Noch heute wollen sie nicht sehen, daß sie anderen die Unfreiheit gebracht haben. Ihre Verblendung ist so groß, daß sie noch heute mit Hilfe der Straßennamen unsere Stadt zum Leichenschauhaus ihrer angebeteten Götzen behalten möchten. Zur gleichen Zeit haben Christen die Bindung an Christus als persönliche Freiheit erfahren. Zugleich aber mußten sie ganz praktisch erfahren, daß sie nicht in jeder Frage frei waren. Es gab Aufstiegsmöglichkeiten, die waren ihnen trotz Eignung versperrt! Es gab auch die größeren und kleineren Kompromisse… Und nun müssen wir Gott auch noch dankbar sein, daß er uns nicht härter hat prüfen lassen und die Versuchung schnell ihr Ende gefunden hat. Trotzdem sind die Probleme nicht zu Ende und rechte Nachfolger Jesu Christi werden auch in Zukunft nicht zu allem frei sein. Die Gestaltung des Lebens in christlicher Freiheit wird Aufgabe bleiben. Auch jetzt lauern erhebliche Gefahren, den Gehorsam unter Gott mit gesellschaftlichen Vorteilen zu verwechseln. In allen Regierungsebenen kirchliche Mitarbeiter, eine äußerst versuchliche Situation. Kaum, daß wir einen widerwärtigen Weltanschauungsstaat abgeschüttelt haben, erhebt die Sünde in Gestalt klerikaler Ansprüche schon wieder ihr Haupt um uns erneut in Banden zu schlagen. Gott hat wohl nicht den Sturz der Parteisekretäre herbeigeführt, damit ein paar ganz schlaue Weltkinder unter dem Mäntelchen des Christlichen nach der eben verwaisten Macht ungeniert greifen können. Christliche Mitarbeit an der Welt hat eine andere Blickrichtung. Wir schauen nicht zurück, sondern pflügen auf das Ziel des Reiches Gottes zu. Jesus selbst hat uns ins Stammbuch geschrieben: „Gehe du aber hin und verkündige das Reich Gottes!“ Er, der Herr dieses Reiches war es, der uns nicht an den vielen kleinen faulen Kompromissen der letzten 40 Jahre hat ersticken lassen. Unsere Freiheit war es immer, auf ihn in unserer Ohnmacht zu hoffen. Das wollen wir auch künftig nicht vergessen. Amen.
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7.25 Carl-Christian Schmidt: Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis zu 1. Petr. 5,14-24. Kröpelin, 16.9.1990 Das Ende einer Zeit ist angesagt. Lange Jahre haben solche Bibelworte, wie dieses, geschwiegen. Jetzt sprechen sie. Nun lehrt uns die Heilige Schrift, daß sie keine leeren Worte macht. Dieser Abschnitt liest sich geradezu wie eine Anleitung zu den Ereignissen unserer Tage. Das Ende einer Zeit ist angesagt, aber offenbar nicht das Ende der Zeiten. Der Untergang eines Staates ist nicht der Jüngste Tag. Gefordert ist, in allem Handeln Gott die Ehre zu geben. Es gilt in Verantwortung vor Gott, die Fragen der Zeit zu meistern. Andere mögen die Schwachheit staatlicher Ordnung ausnutzen. Für Christen gehört sich, für das öffentliche Wohl einzutreten, […], freiwilligen Einsatz zu zeigen. Die Kleinmütigen müssen wir fragen, ob sie lieber an die Fleischtöpfe des Stasistaates zurückwollen. Wenn nicht, dann müssen wir, wie einst die Trümmerfrauen, durch den Trümmerberg einer verfehlten Politik hindurch. Und die wirklich Schwachen dürfen wir nicht vergessen, jeder soll das andere Ufer erreichen. Damit tun wir Christen in der Nachfolge Jesu Christi etwas, was Jesus Christus auch getan hat. Fröhlichkeit, frommes Gebet und Dankbarkeit sind für den Apostel und angesichts des erwarteten Weltendes keine Selbstzweifel. Er hat durch den Glauben eine Befreiung erlebt. Wenn wir nur der Zeit ins Gesicht blicken, dann mögen die Politiker hier ihre Rolle spielen. Aber davor hat Gott unübersehbar gewarnt. Was wir erlebt haben, gibt Anlaß zur Dankbarkeit, nämlich die Befreiung aus einem ausgeklügelten Unrechtsystem. Das ist die wichtigste Erfahrung des Jahrhunderts. Das ist kein Selbstzweck, Gott hat mit uns etwas vor. Darum gibt es die Kleinarbeit des Abwägens weiterer Schritte. Dazu brauchen wir das Bekenntnis des Glaubens. […] sehen, daß sie Streiter des Guten hat, Hoffnungsträger, die nicht nur reden, sondern auch handeln. Was jetzt zu Ende geht, ist nur eine Episode, was bleibt, ist die Hoffnung auf die Zukunft mit Gott. Ihm sind und bleiben wir verantwortlich. Wer in diesen Monaten nicht begriffen hat, daß es einen Gott gibt; daß sein Ratschluß unausforschlich ist, daß kein noch so schön gefülltes Lügengebäude vor ihm Bestand haben wird – dem ist nicht zu helfen. Hier triumphiert nicht der Glaubende über den Zweifelnden und Nichtgläubigen – den nimmt Gott sehr ernst, wie wir von Jesus wissen. Das ist der Triumph Gottes und das Gericht über diesen babylonischen Turm von Leute, die sich selbst für Götter hielten. Halten wir also einen Augenblick den Atem an, gedenken wir der Irrhäuser der Vergangenheit, auch unserer eigenen und lassen wir uns und unser Leben von ihm kündigen Amen.