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German Pages 199 [200] Year 1840
Reform der
Wissenschafteil, zur
Herstellung der
Einheil zwischen Theorie und Praxis.
Von
Leopold Freiherr
von der Decken,
Doctor der Medizin, practischeoi Arzte, Operateur und Geburl5helf»r.
Erster
Thell.
Berlin, 1840. V e r l a g
v o n
G.
R e i m e r .
Dem
Herrn Wilhelm Wagner, Doctor derMedizin und Philosophie, ordentl. öffentl.Professor ander Universität zu Berlin, Königl. Preuss. Geheimen Medizinal -Rathe, Ritter des rothen Adler-Ordens III. Classe mit der Schleife,
g e w i d m e t
Verfasser.
Ich
habe nie erfahren,
dass Sie
das Herzählen von
Symptomen für Pathologie gehalten; ick hörte Sie behaupten, dass Kunstfertigkeit
nie
uns einen anderen Rang
als den eines Mechanikers anweise; ich hörte Sie nie den schon einen Physiologen nennen, der das Mikroskop geschickt zu handhaben weiss; ebenso nicht den einen Philosophen, der vermöge seiner Philosophie nicht auch ein lebensfroher und durchaus praclischer Mensch zu werden im Stande ist; —. dagegen hatte ich oft Gelegenheit zu sehen, wie Sie einen Krankheitsfall naturgetreu und plastisch aufzufassen
und diesem gemäss ihn mit Glück zu
behandeln/ wussten: Desshalb widme ich Ihnen
diese Schrift als einen Beweis
meiner Achtung.
Der
Verfasser.
Vorrede.
E s
mag vielen sonderbar dünken, dass gerade j e t z t , wo
die Wissenschaften
anscheinend
so
herrlich blühen, ein
W e r k unter dem Titel „ Reform der W i s s e n s c h a f t e n " erscheint, — ist denn das Voranschreiten derselben nicht Roform genug? Ich beabsichtigte auch früher, jedoch nicht aus obigem Grunde, diese Schrift unter einem anderen Titel zu veröffentlichen, und zwar sollte er lauten:
„Deutung des
Seins aus seinem Erscheinen, — ein System unseres gesammten W i s s e n s ; " allein den nicht ungerechten
Wider-
willen des Publikums gegen die Tageserzeugnissc auf dem Gebiete der Speculation erwägend musste ich befürchten, dass meine Schrift ihres Titels wegen für ein Product von gleicher
Tendenz
gehalten
rücksichtigt gelassen würde.
und so dann mit Recht unbeDass ich jcdoch ihr nun den
VIII Namen „Reform der Wissenschaften" beilegte, beruht einfach darauf, dass eine Deutung des Seins, die nicht eine Missdeutung desselben ist, direct reformirend zurückwirken muss, weil es bis jetzt nur als durch unser Wissen missdeutet und sogar misshandelt dasteht; — und da ich glaube, ihm in vorliegender Schrift eine richtige Deutung gegeben zu haben, so würde es nur eine verstellte Bescheidenheit und eine Ziererei von mir sein, wollte ich der Sache nicht auch vor der Welt den Namen geben, den sie in meinem Inneren trägt. Jedoch ist das Sein nicht zu allen Zeiten so missdeutet worden, wie es jetzt der Fall ist, wo es fast bedeutungslos dasteht.
Nein, nicht immer war es so, es war
eine Zeit, wo sich der höhere Aufschwung, den alles zeigte, auch auf unser Wissen ausdehnte, und wo es ein lebendiges zu werden schien, wie das Sein es ist.
Doch es war
nur eine scheinbare Bliithc, denn als vorzeitig, und auch mit zu viel Falschem durch webt, konnte sie keine Frucht bringen; die höhere Auflassung der Natur trat zu sehr als Poesie hervor, — und verlor so die Basis, wodurch sie auch \ or unserem Verstände ihre Rechtfertigung gefunden. Sehr bald »erhallten daher die Stimmen des geistreichen Schelling, des jugendlich feurigen Görres und des im Ganzen so lebenswahr denkenden Wilbrand, — und nun ward das Wissen nieder entwürdigt durch eine alles aushungernde Nüchternheit, und die man rationelles Denken nennt, als ob d e r Verstand noch Verstand genannt werden dürfte, bei dem
IX das Herz sich verblutet.
Wo er nicht auch mit uoserem
G e f ü h l sich versöhnt, so dass alles, was dieses als erhaben und poetisch empfindet, so auch von ihm verstanden wird, da wird auch nie die Natur richtig erfasst und verstanden werden, da in ihr das Verständige mit dem Poetischen auch nur in inniger Verschwisterung dasteht. Ich weiss sehr wohl, wie man es mir zur grossen Sünde anrechnen wird, jener Männer in obiger Weise erwähnt zu haben, da es jetzt zum guten Ton gehört, über deren Art und W e i s e , die Natur zu betrachten, die Nase zu rümpfen; aber eben so lebendig fühl« ich es auch, wie es mir nur zur Ehre gereichen kann, denen zu missfallen, die heutzutage den Ton angeben.
So kenne ich jemanden,
der draussen in der herrlich schönen Natur dieselbe mürrische Miene beibehält, die er sonst zu zeigen pflegt, — vor sich
hinstierend
Blüthen, die duftend
gewahrt
er nicht
die
zahllosen
ihren Kelch erschliessen, er hört
nicht den schmetternden Gesang, mit welchem des Waldes befiederte Schaaren Flur und Hain durchtönen, — athmet nicht mit tiefster Brust die Lebcnsfrische, die sonst doch alles durchdringt: denn was soll dies ihm auch zur Erkenntniss
der Natur, — er hat ja kein
Mikroskop zur
Hand, er befindet sich ja nicht in seiner Leichenkammer, wo Moderduft und Grabesstille ihn umgiebt.
Und doch
nennt die Welt ihn einen grossen Physiologen und erwartet Heil und Segen aus seinen Händen; — seine Schüler, grösstenteils in Treibhausnianier entwickelt, hangen mit stummer Verehrung an seinen Lippen, um die Orakel-
spräche der Natur dnrch sie zu vernehmen, und mit hohem Selbstgefühl ziehen sie dann nach Haus, sie haben ja mit eignen Augen die schlagenden E x p e r i m e n t e
gese-
hen, durch welche die tiefsten Tiefen des Lebens ihnen erschlossen wurden. Darum wiederhole ich es nochmals, es ist mein Streben, den Tadel dieser Leute mir zu verdienen, — ihr Lob könnte mich an meinem Werthe zweifeln machen, ähnlich wie e s ein schlechtes Licht auf jemanden werfen
inuss,
wenn- er in den Gesellschaften, dio man heutzutage ausschliesslich wohl „ f e i n e " nennt, sehr gefallt, denn,
um
dieses zu können, wie fein, d. b. modern, verschroben und blasirt muss der nicht selbst sein. Ich habe meine Schrift „Reform der Wissenschaften" genannt, — nicht wahr,
ein recht unbescheidener Titel!
Mir will er jedoch fast noch zu boscheiden bedünken,
da
wir ja eigentlich noch gar keine Wissenschaft haben. Freilich, wenn Hypothesen und durchaus unverständliche Tiraden unserem historischen und pragmatischen Wissen den Stempel der Wissenschaftlichkeit aufzudrücken im Stande wären, so besässen wir wohl Wissenschaft, — aber glücklicherweise ist dem nicht so, und es behalten daher die Worte: „geheimnissvolles
Dunkel," oder „ins Innere der
Natur" etc., vorläufig noch die volle salbungsreiche Geltung, um der langen Rede schliossen.
kurzen Sinn
recht würdig zu IJP-
XI Nein, wir haben noch keine Wissenschaft; die Praxis «war, die immer der Theorie weit voran war, ist auch in der neueren Zeit nicht stehen geblieben, sondern wacker vorangeschritten
und befindet sich theilweise in den HSn-
den höchst achtbarcr Männer; — aber mit der Theorie sieht es dafür um so schlimmer aus, sie ist direct rückwärts gegangen und jetzt schlcchter als je.
Doch
es
schadet nicht, — soll's besser werden, muss es immer ja erst recht schlecht werden; denn dann giebt's Reaction, dann tritt Gährung ein, in der sich das Falsche selbst vernichtet, wie das Büse nur gegen sich selbst wüthet, — und das Wahre tritt nun um so herrlicher aus den Schlacken, denen es umhüllt war, hervor.
mit
Nicht eher, als die Theorie
der Praxis ebenbürtig geworden, kann unser Wissen auch Wissenschaft genannt werden, und es ist weiter nichts als eine arge Selbstraystification, wenn man sich auf seine wissenschaftliche Bildung etwas zu Gute thun will.
Denn
das Resultat, welches man sich aus den Erfahrungssätzen gewonnen, worauf läuft es wohl anders hinaus,
als auf
Redensarten und Phrasen, mit denen man um so mehr um sich wirft, je mehr es sich darum handelt, auf die Erfahrung eine Theorie zu begründen.
J a , Phrasen sind die
allgemeingeltende Scheidemünze des Geistes geworden, und es fällt fast schon niemanden mehr auf, Worte ohne directe Bedeutung zu vernehmen.
In der acsthetischen Lite-
ratur sind es Wörter wie ..Weltenschmerz," die so vielsagend die Gedankenleere vertreten, — oder man spricht von wahrer und falscher Liebe,
von wahrer und falscher
XII Ehre, von Freundschaft, von Gut und Böse, ohne sie selbst näher bezeichnen zu können; einem Jeden diloken diese Wörter zwar verständlich zu sein, aber nichts desto weniger sind sie doch nur als A n d e u t u n g e n von bis jetzt noch durchaus unklaren Verhältnissen zu betrachten.
In
der Physik und Astronomie sind es die Rechenformeln, denen man wissenschaftliche Bedeutung vindicirt; die Chemie laborirt, wo sie speeulativ wird, an nicht unterzubringenden Kräften, und ist daher genöthigt, neue zu erfinden, welche zur geeigneten Zeit sieh ins Mittel legen, — das Wort „Kraft" ist überhaupt von jeher das gangbarste Auskunftmittel für das Nichtwissen gewesen; in der Medizin sind es Wörter, wie z. B. nervös, asthenisch, vital, animaler Lebensprozess, psychisch, somatisch etc., deren rhetorische Handhabung jede klare Erkenntniss
überflüssig
macht, wesshalb die Herren auch die feste Ueberzeugang haben, dass sie damit etwas gesagt hätten.
Wo
die
Sachen aber so stehen, darf man die Angst der Aerzte, dass Homöopathen und Wasserdoctoren (letztere mögen es mir verzeihen, dass ich sie mit jenen zusammenstelle, ich werde es später schon wieder gut machen) ihnen das Brod wegnehmen,
keinesweges als grundlos betrachten. —• Die
Psysiologen, um weniger zu Phrasen ihre Zuflucht nehmen zu brauchen, haben sich vorläufig von allem, was lebendig ist, losgesagt, —• das ist ihnen zu beweglich, um nicht davon verwirrt zu weiden, wesshalb sie es vorziehen, sich mit Thier- und Pflanzenleichen abzugeben, und erwarten von dem Zerfetzen derselben allein Heil für sich, obgleich doch die
XIII einzelnen Theile ihre in Rede stehende Bedeutung nur der Beziehung verdanken, in welcher sie ein lebendiges Ganze ausmachen; — gerade als ob ein Rad aus einer Uhr für d e n eine richtige Bedeutung haben könne,
der von der
Uhr überhaupt, ihrer Bestimmung etc. keine Vorstellung hat; er wird mit gleicher Wahrscheinlichkeit das Ding für nen Theil einer Windmühle ansehen, als er ihm auch eine andere Bestimmung zuschreiben kann. denn auch
im Entferntesten nicht ein,
So fallt es ihnen dass z. B. die
menschliche Stimme noch eine andere Bedeutung haben könne, als die eines Flötenwerks, oder einer Maultrommel, und nennen es daher Physiologie der Sprache, wenn sie die Experimente beschreiben, die sie mit einem herausgeschnittenen Kehlkopfe angestellt. Hiermit will ich jedoch diese Art und Weise, das Feld der Physiologie zu bearbeiten, nicht von der Hand weisen, im Gegenthcil, so sehr dieses Verfahren auch, wo es jetzt so ausschliesslich gilt, ein Beleg mehr ist für die Gedankenlosigkeit unserer Zeit überhaupt, so wird es doch seinen bestimmten Nutzen haben für jeden, der durch ein tieferes Eindringen in die Natur sich diejenigen zu seinen Handlangern zu machen weiss, welche jetzt fiir die Coryphaeen der Wissenschaft gelten. Die traurigen Folgen dieser unserer geistigen Zustände manifestiren sich, abgesehen von ihrer Rückwirkung auf unser literarisches Leben, auch noch in anderer Weise, —
XIV namentlich haben sie über die sogenannt gebildete Welt zum Theil eine Gehaltlosigkeit ergossen, die alles vernichten muss, was Schönes und Edles das Leben bietet.
Die
Form ist das Band der Menschen geworden, sie allein hat Bedeutung und weiter nichts, — der Schnitt des Rockes entscheidet über Anständig oder Unanständig, und die Bestrebungen der Zeit, dem Leben wieder Tiefe zu geben und den Menschen von der Sucht, in jener Weise zu scheinen, abzulenken, sie führten nur eine schlimmere Art von Schein herbei, nämlich die Scheinheiligkeit, den sogenannten Pietismus mit seiner Werkheiligkeit; denn hier ist keine Bessrung mehr zu hoffen. Aus all' den angegebenen Mängeln nun, welche sich in all' unseren Lebensverhältnissen kund geben, erhellt es wohl klar, wie allein d i e Reform uns noth thue, welche Einheit zwischen Theorie und Praxis bedingt; ohne> diese Einheit ist erstere weiter nichts, als ein nutzloses Wortgeklingel, und letztere bleibt nach wie vor nur eine bjiud umhertappende Empirie, die zwar nicht verhindert,
dass jemand
durch einen gewissen Takt das Richtige treffen könne, — ein klares, rationelles Erkennen wird ihm aber darum eben so mangeln, als ob er jenen Takt nicht besässe.
Und so
lange wir keine Einheit haben in unserm Erkennen und Empfinden, zwischen Verstand und Gefühl, zwischen Theorie und Praxis, so lange wird die Harmonie fehlen, vermöge welcher wir allem ein Gleichgewicht sowohl in Beziehung auf uns selbst als auch nach aussen behaupten können.
XV Und dieser Mangel an innerer Harmonie und innerem Gleichgewicht, er treibt uns einseitig bald nach dieser bald nach jener Richtung, und verhindert uns, gleichmässig uns zu entfalten; und da sind es denn zwei Richtungen, in denen wir uns vorzugsweise verlieren, nämlich eine einseitige Verstandes- und eine einseitige Gefiihlsrichtung, — erstere macht uns zu Skeptikern und letztere uns zu Schwärmern. Und 80 geht dann die Freudigkeit des Lebens
verloren,
weil wir durch jene Einseitigkeiten unwahr werden, unsere Thätigkeit ist nicht mehr segenbringend für uns, so wie für andere, sondern greift störend in alles ein, weil sie aus Disharmonie entspringt, — unser guter Engel ist aus unserem Leben gewichen, und Leidenschaften, niedere Selbstsucht und Streben nach Ehre vor den Menschen sind an seine Stelle getreten.
Jene Einseitigkeiten nun aus den Wissenschaften, aus unserem Denken und Empfinden, aus, unserem Leben in all seinen Beziehungen zu verbannen, ist die Aufgabe, deren Lösung ich mir zum Ziele gesteckt.
In wie fern es mir
gelungen, diese Aufgabe zu lösen, darüber stelle ich die Zeit als Richter, —• doch sie allein auch nur kann darüber entscheiden.
Sollte ich jedoch mein Ziel nicht erreicht ha-
ben, was ich nicht glaube, so werde ich doch den Trost haben, dass mir das Verkehrte nicht genügende Wahrheit war, dass ich empört mich von ihm abgewandt, wo fast alles sieh ihm zuwendet, und dass ich meine Stimme frei
XVI dagegen erhoben und nicht mit eingestimmt, die Verderb->niss noch grösser zu machen. Berlin, im Juni 1840.
v. d. Decken.
E ü n l e i t u n g .
ielit den Ratioualisten, noch den Supranaturalisten widme ich (liose Schrift, von wclclien ich vermöge der Einseitigkeit ihrer Denkweise keine Gerechtigkeit erwarte!» darf; — ich weihe sie denen, die frei von aller nur eine Extremrichtung verfolgenden Systematik sich bemühen, "die Wahrheit nicht so fern zu suchen, da diese als der Einheitspunkt alles Seins nicht nach e i n e r R i c h t u n g hin gesucht werden darf, — und, wie sie alle verschiedenen Richtungen in sich vereinigt, auch nur in der Mitte liegend gefunden werden kann, indem man das Sein richtig zu deuten glaubte, wenn man es, wie es sich nach einer Richtung hin offenbart, auffasste und hiernach nun die anderen Richtungsweisen ebenfalls deuten wollte, so mussto man nothwendig in den Fehler verfallen, dass man eine blosse Richtungsweise zur Einheit für das Ganze erhob, wodurch dann die ärgsten Widersprüche erzeugt wurden, und der wahre Einheitspunkt wegfiel. Von allen Seiten beengt suchte man nun durch eine auf die Spitze gestellt« Dialektik sich aus dem Handel zu ziehen, und leider fanden solche Systemmacher Anhänger genug, die ihren armseli1
o gen Rückzug lílr cinc glorrciclic Beendigung der Sache hielten, und ihnen die unverdienten Lorbeeren des Sieges ertheiltcn. Dass die Welt der Erscheinung in irgend einer Beziehung ciuen Einheitspunkt finden miis.se, wurde wohl nie verkannt; — allein dieses führte zu dem für die Wissenschaft so verderblichen »a priori Construirá]« und zum Aufstellen von Principien, bei deren consequenter Durchführung um so mehr Scharfsinn verschwendet wurde, je unwichtiger und unwahrer «las Fundament des zu drechselnden Systems war, — und bestochen von der Consequenz und verwirrt von dem Bombast einer abstracten Verstandcsdialektik, oder auch getäuscht von dem Schein von Wahrheit oder dem Wahren selbst, was am Ende selbst die unsinnigste Sache enthält: — waren ganze Generationen dazu verdammt, einem solchen Systeme zu huldigen und wurden zuletzt seinem verderblichen Einflüsse nur entzogen, um durch ein anderes, dessen einziges Verdienst die grössere Neuheit war, nur noch irrer geführt zu werden. Doch wie es für uns Menschen der naturgemässe Weg zu sein scheint, dass wir erst, nachdem wir irre gegangen, auf den richtigen Pfad gelangen können, und dass wir, nachdem wir nach allen Extremrichtungen hin abgeschweift, das »medio tutissimus ibis- erst gehörig würdigen lernen und auch wirklich befähigt werden, diese allein richtige Mittclstrassc einzuschlagen: — so haben doch alle diese vielfältigen Irrthüincr in der Aufstellung der Grundwahrheit vom Sein immer das nicht zu verkennende Verdienst, uns dieser Wahrheit, wenn auch nur negativ, näher gebracht zu haben, — und können uns in sofern als Wegweiser dienen, als sie statt ihrer bisher gebräuchlichen und mitunter sehr hochtrabenden Aushängeschilder die Inschrift führen müssten: » H i e r g e h t m a n i r r ! ' Hierdurch gewarnt hält es denn nun am Ende nicht so schwer, den richtigen Weg einzuschlagen, wenn man die Hülfsmittcl, dio uns zu Gebote stehen, richtig anwen-
3 det. Frei und offen liegt das Buch der Natur unseren Blicken vor, und wohl ist uuserm Verstände die Gabe verliehen, es zu entziffern , wenn er nicht in eitler Verblendung nur die Gesetze seines so leicht irregeleiteten Denkens in demselben erblicken will, — wenn er nicht unbescheiden, sich selbst als das Höchste zu erkennen, j e d e s Höhere lieber leugnet, als dass er vermöge Analogien, die ihm die Deutung dessen giebt, was seiner Anschauung offen vorliegt, 6ich einen W e g selbst über die Grenzen seines strengen D e n k e n s hinausbahne, ohne desshalb den Vorwurf zu verdienen, dass er, sich seines eignen W e r t h e s entäussernd, sich hirnlosen Speculationen hingebe, welche Wirklichkeit nur in den Träumen der Phantasie besitzen. D i e Aufgabe, welche gelös't werden soll, erfordert bloss ein n a t u r g e m ä s s e s Denken (welchcs man nicht mit dem sogenannten r e i n e n Denken verwechseln möge, da dieses nur eine von Hegei erfundene Grösse ist), um zu Resultaten zu gelangen, wodurch eine Einheit in unsrem W i s s e n bedingt w e i d e , und es uns möglich sei, selbst über die Grenzen des strengen W i s s e n s hinaus einen leitenden Faden zu besitzen, wodurch der Zwiespalt aufliüre, der mit den seitherigen Begriffen des Natürlichen und Ucbernatiirlichen, Sinnlichen und Uebersinnlichen, des Realen und Idealen etc. verbunden gewesen ist. Zwar müssen die Realund Idealphilosophen sich vor der Aufhebung dieses Zwiespalts fürchten, da in ihm allein i h r e Wesenheit besteht, die um so bestimmter sich herausstellt, j e einseitiger sie den einen oder anderen Namen tragen; allein könnten sie sich dazu verstehen, sich auf halbem W e g e entgegen zu kommen, was, fiir so unmöglich sie es auch halten mögen, doch sehr gut angeht, so würden sie von selbst zur Erkenntniss der Wahrheit gelangen, die sie auf ganz entgegengesetztem W e g e gesucht, indem sie sich bemühten, sich immer weiter von einander zu entfernen. In der Philosophie aber ist jede Extrennichtung als einseitig schon durch sich selbst falsch, und so \iol W a h r e s auch solchen ExtremI*
4 richtungcn zum Grunde liegt, so tragen sie die Wahrheit doch nicht in s i c h , sondern nur in Bezug d e s Punktes, der auch der entgegengesetzten Extremrichtung ihr W a h r e s giebt. Die W a h r h e i t selbst liegt als Eiuheitspunkt in der Mitte, wie der Mittelpunkt eines Kreises auch entgegengesetzten Radien doch einen Einheitspunkt giebt. Hütte mau sich bemüht, bei den verschiedenen philosophischen Systcmen weniger das Divergiren ihrer entgegengesetzten Richtungsweisen aufzufassen, und dafür mehr ihr Convcrgireu im Auge gehabt, so würde man mit Vermeidung aller der Feindseligkeiten, wie sie Partheigeist und Intoleranz stets hervorbringen, sich viel besser verständigt h a b e n , als es möglich geschienen. Seltei} oder nie verirrt der menschliche Geist sich so, dass sein Irrthum nicht auf eine Wahrheit zurückgeführt werden könnte, und wie in dieser jeder Zwiespalt aufhört, so liegt auch in entgegengesetzten Systemen die Möglichkeit der Aussöhnung vor, wenn auch eine nie zu billigende Intoleranz es nicht dazu kommen lässl. So bricht der Allöopath den Stab über den Homöopathen, der Rationalist über den Supranaturalisten etc., und sio sprechen doch nur ihr eignes Urtheil, indem der Irrthum beider derselbe ist: — ihre Einseitigkeit. Die Wahrheit an sich kann nur einfach sein, und wird dadurch zum Begriffe einer Einheit, die keine nähere Thcilung mehr zulässt, so dass sie als etwas Heterogenes in den Besitz verschiedener Sectcn kommen könnte. iNur in so fern sich von diesem Einhcitspuuktc nach allen Richtungen hin ausgehende Radien denken lassen, gestaltet sio in ihrer peripherischen Begrenzung sieh als niiinmchfalfig. nnd lässt hier das Nebeneinander- und Gegenüberstehen verschiedener W i s s e n s c h a f t e n zu, ohsclion für alle eine und dieselbe Wahrheit als Grundwahrheit bleibt. Dcsslialb mups die Grundwahrheit, die sich der Mediziner aufstellt, identisch sein mit der für den Theologen, den Nnturpliilosophcn, Physiker, Chemiker, den Physiologen, Anthropologen etc., solbf.t die höhere Ae>thctik kann hiervon nicht ausgenommen sein.
5 W e n n ea also meine Absicht i s t , dorn S t in hier auf Erden aus seinem Erscheinen eine Deutung abzugewinnen, tu müssen, soll sich eine Grundwahrheit für das Mannichfaltige in der Gestaltung all und j e d e s Seins herausstellen, — eine Wahrheit der Idee des Ganzen gemäss, — so müssen alle obengenannten F ä c h e r hierin ihre wissenschaftliche und einheitliche Begründung linden, müssen aufhören, als ganz heterogene Sachen sich einander a u s s c h l i e s s e n d gegenüberzustehen, und es inuss die F e h d e aufhören, die geführt mit der Engherzigkeit eines Kastengeistes sich so höchst unwürdig ins Gebiet der W i s s e n s c h a f t gedrängt hat.
Umgeben von dem bunten W e c h s e l einer viclbcwcglcn Aussenwelt stand von j e h e r der denkende Mensch in ihrer ¡Mitte — räthselhaft sich selbst, so wie j e n e es ihm war. Doch wie das harmlose Kind sich ergötzt in dem heitern Lichte eines sonnigen Tages, ohne sich zu kümmern, woher j e n e s komme, so freute sich auch der Mensch in seiner Kindheit dieser schönen E r d e , ohne sich die L u s t daran durch ein vorwitziges Zergliedern seiner F r e u d e zu vergällen. D a reifte die Zeit auch das Menschengeschlecht, und nun begnügte er sich nicht mehr damit zu g e m e s s e n , er wollto auch das W T arum, den Grund der Dingo w i s s e n , — der Mensch erwachtc aus seinen goldenen T r ä u m e n , in denen er so glücklich war, um vergebens in der Wirklichkeit das zu finden, was früher ihm der Traum gewährt. E r hatte vom Baume der Erkenntniss gegessen, sein Paradies dafür opfernd. Doch dies Streben einmal in ihm erwacht sollte sein Erbtheil bleiben für alle künftigen Zeiten. Und dio Worte „esset, ihr werdet Gott gleich werden ' tönen Unheil bringend durch alle J a h r h u n d e r t e , den Menschen zu der thörichten Hoffnung verleitend, auch das Unendliche, das ewig Unbegrenzte durch sein W i s s e n zu begrenzen. Dieses Streben ist nun die Gründerin der Philosophie. Weltweishcit, welche immer mehr an Umfang gewann, jo
6 weiter der Mensch seine Forschungen ausdehnte, bis sie zuletzt sogar diese überflügelte, mit kühner Apodixis behauptend, — „so muss es sein!" Wenn die erlangten Resultate anfänglich nur mehr aphoristisch neben eiuander standen, so bildeten sich nach und nach ans ihnen immer mehr zusammenhängende Systeme, denen man ein Princip, eine Grundwahrheit unterzulegen sich bemühte. Als Schöpfer solcher Systeme nennt die Geschichto eine grosse Zahl von Männorn jeder Zeiten, welche auf Naturbeobachtung fussend oder auch mehr sich ihrer ursprünglich innern Logik anvertrauend, doch immer nur in subjectiver Denkweise ihr eignes Ich egoistisch in die Schöpfung hinaustrugen, um diese ihrem eigenen Zerrbild« unterzuordnen. Das Non plus ultra hiervon leisteto iu neuerer Zeit Hegel durch seine Lehre vom reinen Denken, wo er seiu Ich als einen Spiritus familiaris handhabt, um damit alles zu besiegen. Wenn der Sündcnfiill Adams, als er mit Eva vom Baume der Erkenutuiss naschte, bis jetzt nur das S t r e b e n nach absolutem Wissen zur Folge hatte, so hat dieses Streben in Hegel seinen Culniinationspunkt erreicht und muss hiermit aufhören und erlöschen, da vor seiner abstracten Vcrstandesphilosophio nichts verborgen blieb(!), und wir dürfen hofl'ori, dass von nun an die Folgeu der Erbsünde immer mehr verschwinden werden, wo dann fiir Hegel allerdings das grosso Verdienst bleibt, als Sündenbock den Fluch der Menschheit auf sich genommen zu haben. Werfen wir einen kurzen prüfenden Blick auf die W e r k e unsorer Philosophen, so gelangen wir bei allen zu der Ueberzeugung, wie sie zur Begründung eines Systems einen festen Punkt zu gewinnen suchten, der als unveränderliche Basis, als Princip ihnen zum Stützpunkt eines Hebels dienen sollte, durchweichen sie nun im Stande, wären, eine W e l t w a g e zu etabliren, worauf sie alles nach dem specilischeii Gewichte der Dinge abzuwägen sich vermessen könnten. Kühn angelegt ist die Sache, das kann man nicht läugnen.
• nurSchatlc, dass der Erfolg so wenig ihre Kühnheit belohnte. Aber es konnte nicht gut anders ausfallen, da die Wage mit zu geringer Kenntniss der Physik (Natur) construirt war. Zum Hypomochlion war das liebe Ich genommen, zu den Hebelarmen der Wage detto das liebe Ich, und der Calculator bei dem Experimenluni cructs war wieder der Herr in eigener Person, ja nach Fichte waren die Gewichtstücke in der einen Schale ebenfalls nur das liebe Ich, — und so ichtc man die ganze W e l t , dass es einen Stein hätte erbarmen müssen, wäre er nicht zu einer blossen Negation, zu einem Nicht—icli (nichtig) gemacht (zu nichts gemacht). — Aber trotz dem wäre noch alles gut gegangen, wäre das Ich richtig aufgefasst worden. Doch als ob sich dio Herren Philosophen das Paradoxon des Archimcdes: „Gieb mir einen festen Punkt ausserhalb der Erde, und ich werdo diese aus ihren Angeln heben", zum Ziele ihrer Kräfte gestellt hätten, schwingen sie sich mit einem wahren Salto mortale in die blauen Lüfte hinein, und fangen von hieraus ihren Operationsplan mlithig an, uud wahrlich, wenn Himmel und Erde ihren Systemen sich hätten fügen müssen, wäro sicher kein Stück mehr von allem vorhandeu. Glücklicher Weise ist es bis jetzt bloss bei dieser Selbst-Apotheose geblieben, und es hat weiter Niemand Schaden genommen, als vielleicht die armen Schüler, denen ihr Herr und Meister durch ein endliches pelcre fundum doch etwas zu gewichtvoll für ihre Köpfe wurde. Um die Natur zu begreifen, die in ewig geschäftigem Thun voll üppiger Fülle übersprudelt,. welche nur denkt, indem sie schafft, und schaffend uns ihre Gedanken verräth, Gedanken, denen jede starre Unbiegsamkeit fremd ist, und welche Verstand und Poesie zugleich sind, — schuf man ein Gerippe und nannte es den reinen Gedanken, sagend: Seht, das ist der Gedanke der Schöpfung! — und mit diesem Gespcnste kosend und liebäugelnd, es in toller Verzückung au die eigne lebcusarme Brust drückend lilaulilc man die
s Natur zu umarmen, fühlte sich angehaucht van ihrem lebendigen Odem, und doch war es nur der Todesseufzer de» gewaltsam vernichteten Lebens. Obgleich nun die Natur nur praktisch erscheint, wir nirgend sehen, dass die Idee sich vom Geschaffnen trenne,, sondern nur in ihm sich erst verwirkliche, so stellte nichts desto weniger schon Kant dieser praktischen Natur das Uebersinnliche gegenüber; aber bescheidener als spätere Philosophen unterwarf er dieses nicht der Erkenntniss; die theoretische Vernunft ( a priori) könne es nicht beweisen, obgleich die praktische Vernunft, welche kategorisch das Handeln gebietet, uns davon überzeuge. Wenn Kant sich noch mehr an die Wahrnehmungsgegenstände hielt, ohne jedoch einer Subjectivitätslehro direet entgegen zu sein, so dehnte Fichte die bescheidenen Grenzen, welche Kant sich gezogen, zum vollkommenen Idealismus aus. ein absolutes Princip festsetzend, um aus ihm das ganze Wissen zu deduciren. Er nahm dazu das Ich, als Subject des Selbstbewusstseins, und liess durch dessen Thäfigkeit die Sinnenwelt entstehen, die also nach ihm nur i d e a l dem Ich als dem r e a l e n Principe gegenüberstehen soll. Nun trat Schelling auf, ein strenger Antipode von Fichtc, indem er als Gründer einer eigentlichen Naturphilosophie das Ich aus der Natur construirte und den subjectiven Idealismus des Fichte zu einem objectiven umwandelte. Indem er später beide zu vereinigen suchte, entstand seine Identitätslehre, das Absolute (Gott) als die Identität des Denkens und Seins, und die intellectueile Anschauung als Mittel zur Erkenntniss dieser Identität setzend. Schöllings System, von dem man glauben sollte, dass es durch dio Extremrichtung Fichtes zunächst hervorgerufen sei, beruht nichtsdestoweniger mehr auf den damaligen Zeitverhältnissen, indem die Fortschritte, welche man in den einzelnen Zweigen der Naturkunde machte, das Bediirfniss hervorriefen, aueh ihnen den Stempel der Wissenschaftlichkeit zu geben.
9 So wenig auch Schölling sein Ziel erreichte. so kam er ihm doch von allen Philosophen am nächsten, indem seino Ideen noch am meisten der Natur, also dem wirklichen Sein entsprechen. Wenn ich hier Schölling das Wort rede, so glaube man nicht, dass ich mich zu seinem Anhänger erklären will; dadurch würde ich mich selbst zu Irrthümern bekennen, welche zu widerlegen gerade die Tendenz dieser Schrift ist. Denn so weit hat die Zeit schon unsere vers c h i e d e n e n Philosophen gerichtet, das sihr Schüler im strengeren Sinne des Wortes zu sein so viel heisst, als am Endedoch aller gesunden Philosophie und Naturanschauung entsagen. Durch Hegel verbessert erlitt Schöllings System eine zweite Auflage, die leider aber schlechter als die ersto war. W a s noch gut und naturgetreu von Schölling aufgefasst war, musste jetzt dem reinsten, unmittelbaren, einfachsten Begriffe weichen, welchen Hegel im Gegensatz zum Mittelbaren aufstellte. Sein Zweck war, die Idee der Erkenntniss allseitig zu bestimmen und dieser Bestimmung gemäss allseitig zu entwickeln, und er glaubte dies zu erreichen, wenn er die Idee des Gegebenen nicht nur in ihrem Sein, auch nicht allein in der Natur, sondern auch in ihrer absoluten und relativen Form in Bezug auf sich seihst (den Geist) entwirrte. So verlockend ein solches Vorhaben schon an sich für den menschlichen Geist ist, so wusste Hegel der Sache noch mehr Eclat zu geben durch eine consequente und mit dialektischer Schärfe streng logisch durchgeführte Darstellungsweise (worin Hegel wohl einzig und unübertreffbar genannt werden kann), so dass er unbedingt Recht haben würde, wenn nicht sein Postulat, sein a priori so jeder Natur und Wirklichkeit hohnsprechend gewesen wäre. Diese kühn scheinende Behauptung will ich hier nicht näher erörtern, indem ich im Verlaufe der Schrift noch oft gerade hierauf zurückkommen werde, und ich es andererseits auch vorziehe, dadurch, dass ich zeige, w i e e s i s t , den Gegenbeweis z.u liefern; und billig sollte jeder Tadel nur eine Zurcehlweisiiiig sein; wer dieses zu thun
10 nicht im Stande ist, sollte lieber des Tadels sich enthalten,—1 denn dann hut er keiuen Werth. Doch wie ein Fehler den anderen zur Folge hat, so war auch Hegel genöthigt, um das Umvahrc als wahr hinzustellen, ein besonderes Denken zu erfinden. Das Denken, welchcs bisher in der Natur gegolten, musste, damit diese zur Uunatur gemacht werden konnte, von einem Vorstellungsdenken zu einem reinen Begrifisdenken umgewandelt werden. Dieses Kind des Nichts wurde nun wchrbar gemacht durch eine alles besiegende Dialektik, und welche ich in der That nicht genug rühmen kann, will mau sich aus irgend einem Dilemma herauswinden oder irgend ein philosophisches Quid pro quo ausführen, d. h. zu deutsch, jemanden übertölpeln. E s gewährt wirklich einen komischen Anblick, wenn man jemanden, dem die Hegclsche Sprachform fremd ist, auf gut hcgclsch zu Leibe geht und man nun nach und nach bemerkt, wie dessen Gesicht mit jeder Minute ausdrucksloser wird, bis dann zuletzt ein ängstlicher Zug den kläglichen Zustand seines Innern, die trostlose Verlassenheit seiner selbst nur zu deutlich bekundet, — „ihm wird dann von alle dem so dumm, als ging ihm ein Mühlrad im Kopfe herum/' Nein, glücklicherweise ist der Begriff der Natur ein anderer, als dass wir, um ihn auszudrücken, einer Begrifissprache bedürften, welchc uns zum Gcsichterschneidcn nöthigt. Da es unmöglich Aufgabe der Philosophie sein kann, den Drang nach Wissen in uns durch Aufstellung nichtssagender Principien zu befriedigen, sondern der Wahrheit die Ehre zu geben, d e m S e i e n d e n a u c h in u n s e r e m E r k e n n e n die S t e l l e zu l a s s e n , w e l c h e e s w i r k lich e i n n i m m t , a l s o d a s W e s e n der D i n g e zu e r g r ü n d e n : so ist es sicher ein ganz falscher W o g , den wir, dieses zu erreichen, einschlagen, wenn wir die Ausscuwclt unserem Denken anpassen wollen, da wir durch zu viele Erfahrungen darauf hingeführt werden, dass wir nicht
11 misstrauisch genug gegen dasselbe sein künticu, selbst wenn es uns auch noch so rein erscheint. Wie könnten wir Menschen auch wähnen, dass, Wo alle unsere geistige» Functionen so offenbar den körperlichen Einflüssen erliegen, es einen Augenblich gebe, wo unser Denken in unbedingter Freiheit dastände; dieses zu glauben, zeigt das nicht schon hinlänglich, wie gering die Kluft zwischen uns und den Tollhäuslern sei. Hegel glaubte es, doch je höher der Flug seines Denkens, um so näher war er auch dem Sturze, wie überall Gegensätze sich berühren. Nein, schon die Natur zeigt uns bestimmt den andern Weg, nämlich unser Denken der Ausscnwelt anzupassen, und den Schelling zwar oinschlug, jedoch nur weniges leistete. Wie das Kind heranwächst, lernt es deuken, wio seine Umgebung denkt, und wie es seinen Körper nährt von Aussen her, so nährt sich auch sein Geist von der Wahrheit, die die Aussenwelt besitzt, um immer mehr zur eiguen innern Logik zu werden. Doch das Veränderliche der Dinge, das Mannichfaltige ihrer Wechselbeziehungen vcrrUckt uns leicht und unvermerkt die gewonnenen Gesichtspunkte, und Täuschung gilt uns nun für richtiges Sellen. So gelangen mit den» Wahren zugleich auch Irrthümer, Vorurtheilo in unser Inneres, ohne uns für solche zu gelten, und wollen wir nun später sclbstdcnkcnd unsere Subjectivität geltend machen, so tragen wir das ganze Heer von IrrthUmcrn in die Ausscnwelt über und wundern uns hinterher über das Widersprechende, Unlogische, was wir in der Natur zu finden glauben, und machen diese so zu einein Zerrbilde, zur Unnatur, deren Widersinnigkeit jedoch lediglich in uns selbst liegt, und die wir nichts desto weniger nun durch Sophistereien zu beseitigen trachten. Un» nun diesem Uebclstanilc zu entgehen, lasse man, was mir sehr einfach zusein scheint, die Natur selbstredend auftreten, enthalte sich alles a priori Construirens und mache bloss den Protokollführer. Freilich erfordert es ein oflencs Auge, die Mimik, in welcher die Natur zu uns
12 spricht, zu verstellen, —
freilich darf man nicht erzogen
sein, wie unsere heutige moderne Jugend, die unter der Hand einer alles hofmeisteruden Gouvernante schon in ihren ersten
Lebensjahren
geistig
wie
körperlich
verkrüppelt.
A b e r dieser ersten Erziehung entsprichtauch ganz ihre spätere Thätigkeit.
A l s vertrocknete Gestalten findet man sie spä-
ter wieder, wie sie unter Bücherhaufen in dichtverschlossneo Räumen beim Scheine einer diistern Lampe nach Weisheit wühlen.
Sic suchen
den Klängen der Aussenwelt jeden
W e g zu versperren, um ganz ungestört zu sein, und ganz ihrer eigenen T i e f e (!) leben zu können.
O , ihr Thoren!
die kleinste Pflanzcnbliithe, wie sie sich
im Lichte
des
T a g e s erschliesst, ist im Stande, euch mehr Weisheit
zu
verkünden, als all eure Pergamente sanunt eurem blüthenarmen Gehirn, und während der Duft von jener euch laben würde, da fühlt ihr euch ermattet von dem Dunste, in den ihr euch versenkt, und so welkt ihr hin zu dürren Gestalten, dürr und dürftig, wie eure Weisheit es ist. — Drum wohl dem Knaben, erlogen
der
eher
ein Stück
Wild
lernt, als das a b c hersagen; —• denn die erste
freie Entwicklung seines Körpers ist ihm gesichert und sie sichert, ihm .auch eine Freiheit des Innern, die in kurzer Zeit selbstsfändig genug wird, um zu verhindern, dass das Irrthümlichc, was von Aussen auf ihn eindringt, mit den innersten Fasern seines Fühlcris und Denkens verwächst. Im schlimmsten Falle v e r k l e b t es nur und zwar stets als etwas Aeusserlichcs mit ihnen, und so wird er im Stande sein, dieses jeden Augenblick gleich einem fremden Joche wieder von sich
abzustreifen.
Sohn des Waldes
so
schwer
Darum aber auch ist der zum Knechte
zu
machen,
Freiheit ist ihm das Höchste! Eine andere Klippe, woran fast die meisten scheitert cn, welche
das W e s e n
der Natur durchdringen wollten, war,
ilass sie zu hochmüthig waren, um eine Selbstverleugnung zu zeigen, welche nothwendig ist, um nicht doch am Ende unser Ich der Natur zum Gesetzgeber
aufzubürden.
Die
13 Klagen, welche man ausserdem hört, wes.shalb es so schwierig s e i , fiir unser gesammtes W i s s e n einen Brennpunkt zu findet), dass nämlich dieses sich bereits zu sehr erweitert habe, um e s ganz zu übersehen, sind ungegründet;—'denn wahrlich, nicht ist es nöthig, j e d e einzelne Pflanze zu kennen, um Botanik zu verstehen. —• Aber freilich dürfen die Kenntnisse in keinem F a c h e der Naturkunde oberflächlich sein, P h y s i k , so wie Astronomie, Geognosie wie Zoologie, Medizin etc., in allen diesen Fächern m u s s genügende Sachkenntniss vorhanden sein, um nicht am E n d e durch Unkenntniss gegen alle Erfahrung sich zu versündigen. Erfüllt man diese genannten Bedingungen, so kann es nicht fehlen, endlich das Problem zu lösen, welches bis jetzt der Philosophie zu schwer w a r , nämlich ein System zu begründen, dass so naturgetreu ist, dass man aus ihm wieder umgekehrt die Natur construiren könnte. Hegel hat zwar Recht, wenn er sagt, dass es nicht Zweck der Philosophie sei, eine Lehre zu begründen, wonach der Astronom seine Berechnungen, der Chemiker seine Analysen und der Mediziner seine Cur anstellen könne, — sondern die Einheit zu erkennen, welche überall dem Sein zum Grundo liegt; — aber nichts desto weniger m u s s es doch die n o t wendige Folge einer richtigen Plilosophie sein, aus ihr die Grundsätze für die Praxis entwickeln zu k ö n n e n ; — gelingt dies nicht, so ist die Philosophie falsch; denn wie könnte K'IC das treue Abbild einer durch die ganze Natur sich hinziehenden Grundidee sein, wenn sie nicht, so wie diese j a nur praktisch sich darstellt, es nicht auch w ä r e , und wenu nicht in ihr, so wie in jener Alles seine Erklärung fände. D a Hegel aber die Natur nie richtig erfasst hat, sie durch ein Absolutes, welches er in sie hinein trug, ihrer ganzen Wahrheit beraubte, so darf es uns nicht w u n d e m , wenn er zu der Behauptung genöthigt ist, dass der Grund der Unmöglichkeit, durch Delinition die einzelnen Organisationsstufen und ihre Gruppen von einander zu scheiden, in der O h n m ä c h t e ! ) der Natur liege, den Begriffsbestimmungen treu
14 zu bleiben und ihnen gemäss ihre Gebilde zu bestimmen uud zu erhalten. Offenbar bekennt er hier selbst, nur mit anderen W o r t e n , dass die Natur jeden Augenblick seinen Begriff des Unmittelbaren Lügen strafe, durch welchen er s i e zu einer Lüge hat machen wollen, und dass jeDer Begriff nur in seiner Einbildung existire, nicht aber iu der Wirklichkeit.
15
I.
AI)soliniü.
Sein im Allgemeinen.
an hat Immer viel von Kraft und Materie gesprochen, welche dem Sein zum Grunde liegen sollen, ohne sich doch j e genaue Rechenschaft geben zu können, was es denn so eigentlich für eine Bewandniss mit diesen beiden habe, — wesshalb man um so weniger Anstand nahm, willkürlich damit zu schalten und zu walten, ungeachtet sehr oft die Natur ob solcher barbarischen Behandlung bittere Klage erhob, — und jetzt fallt es schon niemand mehr ein, sie anders zu tractiren, da diese Ungerechtigkeit durch Verjährung Recht geworden ist. Unsere Philosophen gleichen jenc.n Koche, der, als er lebendigen Aalen das Fell über die Ohren zog und dieserhalb von einem mitleidigen Fremden zur Rede gestellt wurde, höchst beleidigt über den Eingriff in seine Rechte zur Antwort gab: Ei was, das sind hier zu Lande die Aale schon seit 50 Jahren so gewohnt! — Schade, dass diese Gewohnheit doch noch nicht alt genug ist, um zu bewirken, dass die Aale gleich ohne Haut g e b o r e n werden. Fragen wir darum nicht die Herren Philosophen, wollen wir Aufschluss haben ¡¡her den Begriff von Kraft und Materie. — sondern wenden »vir uns lieber an die Natur selbst.
16 Blickcn wir unbefangen um uns, so werden wir gewahr, wie wir umgeben sind von einer Menge verschiedenartig gestalteter Einzelwescu, von denen es uns nicht zweifelhart ist, dass sie s i n d (existiren). Dieses ist uns ein Axiom, da dessen Beweis eben in der Sache selbst, nicht ausser ihr liegt, und worüber hinauszugehen Uusinn wäre, da wir gerade dadurch das zerstörten, was wir beweisen wollten, nämlich das Sein. Fragen wir iiiiu weiter, was bemerken wir als Allem gemeinschaftlich, — worin kommt alle« überein? —• so ist die Antwort: E i n g e w i s s e s r ä u m l i c h e s V e r h a l t e n ; — nichts tritt uns entgegen, von dem wir mit B e s t i m m t h e i t sagen könnten „ e s i s t " , welches nicht einen R a u m einnähme. Giebt es denn gar kein Sein, welches sich räumlich n i c h t ausspricht? Wollte ich vorgreifen, würde ich mit „Nein" antworten, — doch hier muss ich, um den Gang der Deduction nicht zu stören, mich begnügen zu sagen: „Das wissen wir vorläufig noch nicht." Kann sein, — auch nicht; —• sind wir später zu seiner Annahme gezwungen, nun so wäre es Unsinn, es zu läugnen; kommen wir jedocli dahin, dass das räumliche Sein, r i c h t i g e r f a s s t , a u s r e i c h t , ja sogar s e i n e Wahrheit die M ö g l i c h k e i t e i n e s in k e i n e r W e i s e r ä u m l i c h e n S e i n s v e r n i c h t e t , — dann werden wir uns für j e n e s entscheiden, da es thöricht wäre, für das Gewisse das Ungewisse zu opfern. Räumliches Verhalten? — Worauf beruht dieses? Raum wird dadurch bedingt, dass im Sein zwei entgegengesetzte Richtungsweisen vorhanden sind, nämlich eine, welche wir mit Ausdehnung, und die andere, welche wir mit Zusammenhang bezeichnen. Doch nur auf dem g l e i c h z e i t i g e n Vorhandensein beider beruht der Raum. Denn ein Etwas, das b l o s s A u s d e h u u n g besässe, würde sich ebenso in N i c h t s v e r f l ü c h t i g e n , also auch r ä u m l i c h aufhören, wie b l o s s e r Z u s a m m e n h a n g ein C o n c e n t r i r e n in N i c h t s bedingen würde.
17 Hier nun ist der Pnukt, woran zunächst die Unterscheidung einer Kraft und Materie ¡11 der Natur geknüpft wurden ist, durch vvelchc man die Grundmomente für das Sein gefunden zu haben glaubte, — und nach Belieben entweder der Kraft oder der Wateric den Vorzug gebend bestimmte Systeme bildete, die zum Range einer Philosophie erhoben diesen Kamen eben so wenig verdienen, wie ein Dummkopf den Namen eines Genies. Indem man nämlich den Zusammenhang (Cohaes'ton) und Ausdehnung (Expansion) auf Rechnung einer Kraft (Selbsttätigkeit, Wirksamkeit) brachte, stellte man ihr gegenüber eine Materie hiu als leidendes, passives Princip, welches der Kraft untergeordnet von dieser ausgedehnt oder zusammengehalten würde. Hier entstand nun gleich anfangs schon die Verlegenheit, die g l e i c h z e i t i g e Cohäsion und Expansion zu erklären; sie von ei n e r Kraft herzuleiten, erschien widersinnig,— z w e i Kräfte anzunehmen, eine Cohaesions- und eine Expansionskraft, machte es wieder unbegreiflich, wie es käme, dass beide sich nicht annulierten. Doch untersuchen wir nicht weiter, was mau alles darüber gefabelt, sondern wenden wir uns lieber an die Natur selbst, — wer s i e nicht verlassen, der ist auch von ihr noch nio verlassen worden. So wie es nicht zu verkennen ist, dass im Sein eine gewisse Selbsttätigkeit (sei es Cohaesion oder Expansion oder beide zugleich) sich ausspricht, und dieses „sich Aussprechen" auf der andern Seite wieder ein „dieses Vermitteln" Toraussetzt, so ist damit noch nicht gesagt, dass von einem Unmittelbaren und Mittelbaren als von zwei für sich bestehenden Principien geredet werden müsse, — sondern wie z. B. die Anziehung den Krystall bedingt und der Krystall die Anziehung, oder wie die Ernährung die Pflanze erhält und die Pflanze die Ernährung, so vermitteln sie sich gegenseitig, also Vermitteltes und Vermittelndes zugleich seiend. Doch ich geralhe da wider Willen in Dialektik, — drum schnell die Sache von einer audern Seile befruchtet.
18 Wollen wir d a s in der Natur, wodurch sie sich als eine selbstthätigc, lebendige o f f e n b a r t , Materie nennen, diese also als das Organ einer bildenden Kraft betrachten, so frage ich, ist Materie denkbar, ohne das Gepräge von Kraft überhaupt 7U t r a g e n , also unbedingt zu sein, z. B. unabhängig \on Zusammenhang oder Ausdehnung? Nein, sie müsste r a u m l o s untergehen, oder überhaupt aufhören zu Unding s e i n . Materie ohne Kraft ist also ein Non-Ens, Kraft dagegen als das Bedingende, Selbstthätigc, überhaupt Wirksame in der Natur betrachtet würde ebenso ihre 'Wesenheit verlieren, welche sie durch ihr Wirken hat, wollte ich ihr das Object, um wirken zu können, nehmen: — objectlos müsste sie als absolut unwirksam ebenso untergehen, wie Materie ohne Kraft; denn eine absolut unwirksame Kraft ist gar keine Kraft, — eine unwirksame Wirksamkeit ist ein Widerspruch in sich. Kraft und Materie sind also ohne einander nicht denkbar. Jede für sich ist gar nichts, wesshalb es denn Unsinn ist, will man ^on der einen oder andern als von einem „an sich schon etwas S e i e n d e n " sprechen, — die eine setzt stets die andere voraus. D a s s dies so ist, giebt dem Sein seine allgemeinste Bedeutung, oder fallt mit dem Begriff von S e i n ü b e r h a u p t zusammen. S e i n i s t a l s o d i e E i n h e i t v o n K r a f t und M a t e r i e , ein a n d e r e s S e i n g i e b t es n i c h t . Kraft und Materie aber treten im Seiu nur als zwei polare Gegensätze, als zwei R i c h t u n g s w e i s e n hervor, von denen wir die eine füglich mit dem Namen der m a t e r i e l l e n , die andere aber als die d y n a m i s c h e bezeichnen können; — aber wie ein polarer Gegensatz es voraussetzt, dass eine ununterbrochene Verbindungslinie beide Pole verbinde, und dass der eine nur durch den anderen ist, also nur seiner Extremrichtung seine Wesenheit verdankt, so auch Kraft und Materie. Nur in ihrem polaren Gegenüberstehn treten sie als verschieden hervor, und um so bestimmter, j e grösser die polare Spannung, — welches aber nicht verhindert, dass sie jeden Augenblick in ihr
11) früheres g l e i c h m ü t i g e r e s Verhalten zurücksinken können (Sterben), ohne ilass desshulb also das Sein seine W e s e n heit verliert. Auch noch in anderer Art lässt sich ein Beweis für Obiges fuhren. Betrachtet man nämlich Kraft und Materie nicht als polare Gegensätze, sondern als heterogene, — wo liegt dann die Möglichkeit, für einander t a n g e n t zu sein, da sie j a in keinem Punkte sich ebenbürtig, beriihrungsfahig sind? als heterogen müssen sie sich j a stets ausschliesscn, und doch sehen wir das innige Wechselverhältniss zwischen beiden so drutlich, — sich gegenseitig ganz durchdringend büsst j e d e s im anderen jede Persönlichkeit ein. Um sich die Sache zu versinnlichcn (ich wähle um so lieber diese Darstellungsweise, als Hegel uns mit Begriffen hat füttern wollen, die ohne Begriff sind, zu Gunsten seines von ihm erfundenen reinen Denkens, da es doch nur ein Vorstellungsdenkcn giebt, wie ich später zeigen werde, und welches auch bei Hegel der Fall gewesen, denn hätte er keine Vorstellung vom P a p s t e gehabt, es wäre ihm vielleicht nie eingefallen, sich auf den infallibelen Standpunkt zu erheben, von welchem er eben so die Geister unterjochte, wie oinst der P a p s t ) , also um es zu versinillichen, wie das Wechselverhältniss von Kraft und Materio ungefähr statt finde, so denke man sich einen Klumpen E i s . Dieser tritt in jeder Beziehung sehr materiell in die Erscheinung, weniger schon das W a s s e r , und verwandle ich es in die G a s f o r m , so entzieht es sich fast ganz meiner Wahrnehmung als Materie, dafür aber um so mehr d a s Gepräge der Kraft a n r i e h tragend, Diesen Vergleich nun auf das Sein überhaupt angewandt, so gilt für dieses derselbe Grundsatz, dass nämlich, j e mehr die materielle Richtungsweise in den Hintergrund tritt, um so mehr die dynamische den Vordergrund einnimmt, — sie sind wie dre Armo einer W a g e . — o•
20 E h e ich weiter gehe, bitte ich j a die Begriffe so fest zu halten, wie ich sie bestimmt habe, damit ich später oicht missverstanden werde, wenn ich die Wörter „Kraft und Materie" als Gegensätze brauchc. Die Verschiedenheit bezieht sich nur auf das graduelle Hervortreten und den Gegensatz, der sich auch in jeder Linie als zwei Endpunkte habend aussprechen muss, und ohne welche selbst sie nicht gedacht werden kann. Ueberhaupt, was einmal erörtert ist, wird für das Folgende wohl als Stützpunkt benutzt; ich komme aber nicht wieder darauf zurück, um nicht unnöthiger W e i s e weitschweifig zu werden, was ich um so weniger zu sein hoffe, da das, was klar gedacht ist, auch klar gesagt werden kann, es der Worte also nur wenige bekarf. Desshalb übersehe man j a nicht die Wich tigkeit von manchen Grundsätzen, weil sie nur durch einige Zeilen eine Erörterung gefunden, die aber vielleicht gerade um so klarer und logischer sind, j e weniger Worte es bedurfte. Kommen wir jetzt auf das Sein wieder zurück, so entsteht die F r a g e , wie sind mit der Einheit des Seins die zwei entgegengesetzten Richtungsweisen in ihm, nämlich der Zusammenhang und die Ausdehnung vereinbar? — Strafen sie jene Einheit nicht gleichsam Lügen? Obgleich nach dem Vorhergehenden es schon wohl klar vorliegt, wie die Annahme eines geistigen oder göttlichen Princips, eines absolut Kraftigen etc. den Begriff j e des Seins vernichtet; so verlange ich doch von niemandem, mir dies jetzt schon zuzugestehen, da ich weiss, wie schwer es hält, von vorgefassten Meinungen sich- loszureissen. Doch dann, wenn ich gezeigt, wie der Grund aller Dinge In ihnen selbst liegt, wie in Folge meiner, Darstellungsweise alles sich gleichsam wie von selbst erklärt, und durch diese Anschauungsweise in uns eine Versöhnung mit uns selbst hervorgerufen wird, —• dass wir nämlich unser G e fü h 1 auch v e r s t e h e n lernen, und unser V e r s t a n d zum F ü h l e n wird, dieses also 6ich mit dem atheistischen S t r e -
21 ben des Verstandes aussöhnt, — w e n n icli also anstatt unsere Gefühlswelt, Liehe, Glaube, Hoffnung hinweg zu philosophiren, sie im Gegentheil in Einklang bringe mit unserem angeborenen Skepticismus: dann hoffe ich, wird man nicht länger Anstand n e h m e n , mir Recht zu geben, da ich j a keine Blüthe zertreten, weil sie mir im W e g e gestanden, und da ich das geleistet, was bisher trotz aller unserer Philosophen ein ungelöstes Problem blieb; — nämlich uns in Einklang mit der Natur und diese mit sich selbst zu bringen, d. b. in unserem Denken und Fühlen. Nach dem oben bereits Gesagten sind wir vorläufig nicht berechtigt, ein anderes wie ein räumliches Seiu anzunehmen. E i n allgemeines, absolut gleichförmiges Sein, worin j e d e r Begriff von Raum untergegangen, ist nicht allein für Ulis durchaus unverständlich, sondern widerspricht auch diiect dem Begriff von S e i n , wie wir es haben kennen gelernt, wesshalb jenes uns mit „Nichts"' gleichbedeutend ist. Gäbe es im Weltenall ein Einziges, von dem man sagen könnte, es allein zieht an, alles andere aber w i r d angezogen, ohne s e l b s t a n z u z i e h e n , so müsstc die W e l t auch sich auf diesen einen Punkt concentriren, und hiermit j e d e s Sein so wie jeder Raum vernichtet werden. D a s s dies nun nicht der Fall ist, beruht darauf, dass der Begriff des Räumlichseins den des N e b e u e i n a n d e r s c i n s als nothwendig bedingt, und indem nun dieses Ncbeneinandersein das Gegenüberstehen von Einzelnheiten voraussetzt, so erlangt auch der Begriff von A n z i e h e n den des A n g e z o g e n w e r d e n s und vernichtet die Möglichkeit, dass Anziehung sich bloss nach e i n e r Richtung hin geltend mache. Indem nämli