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German Pages 304 Year 1999
KLAUS VEDDELER
Rechtsnorm und Rechtssystem in René Königs Normen- und Kulturtheorie
Schriften zur Rechtstheorie Heft 188
Rechtsnorm und Rechtssystem in René Königs Normen- und Kulturtheorie Von Klaus Veddeler
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Veddeler, Klaus: Rechtsnorm und Rechtssystem in René Königs Normen- und Kulturtheorie / von Klaus Veddeler. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 188) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09659-2
D6 Alle Rechte vorbehalten © 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-09659-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Für Vera
Vorwort Kein anderer Autor (einmal abgesehen von Helmut Schelsky und im Anschluß an ihn Niklas Luhmann) hat die Entwicklung der Soziologie in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts so tiefgreifend bestimmt und so nachhaltig geprägt, wie René König (1906 - 1992) dies getan hat. Zu Lebzeiten als der 'Papst der soziologischen Fliegenbeinzähler' apostrophiert - und verkannt, kann er mit Fug und Recht als Begründer einer empirisch und theoretisch fundierten Soziologie bezeichnet werden. Gleichwohl ist das theoretische Werk Königs sowohl den Soziologen als auch den 'Rechtssoziologen vom Fach' bis auf den heutigen Tag weitgehend unbekannt geblieben, obwohl König auch begrifflich präzise genug arbeitete, um auch rechtswissenschaftliche Erkenntnisinteressen in methodologischer und theoretischer Hinsicht zufriedenzustellen. Leider hat sich René König monographisch nicht zur Normen- und Handlungstheorie geäußert. Seine theoretischen Einsichten zum Verhältnis von Normen und Handeln finden sich versprengt an den unterschiedlichsten Stellen seines über siebenhundert Titel umfassenden wissenschaftlichen Werks und waren zur Rekonstruktion seiner Normen- und Handlungstheorie gleichsam ins Mosaik zu rücken. König geht es darum, das Recht als ein sozial konstituiertes, menschliches „Artefakt" zu begreifen, das im Verlaufe der geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklung im „allgemeinen Auffächerungsprozeß der Kultur" eine stetig „wachsende Autonomie" erlangt. In der zeitgenössischen Terminologie der Systemtheorie gesprochen, geht es um die „Ausdifferenzierung des Rechtssystems" der modernen Gesellschaft. Königs Anliegen ist es, seine Normen- und Handlungstheorie kulturtheoretisch zu fundieren, d. h. die Rechtsnormen, die Rechtsordnung und das gesamte Rechtssystem mit seiner bürokratischen Herrschaftsapparatur einzubetten in den Zusammenhang der jeweiligen Kultur. Der erste Abschnitt der Untersuchung behandelt aus sozialwissenschaftlicher Perspektive die vielschichtige Problematik der begrifflichen Bestimmung und Beobachtung sozialkultureller Normen und ihrer Anwendung auf das menschliche Verhalten. Dabei wird die Rechtsbetrachtung nicht wie sonst üblich auf das Verhältnis von Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit reduziert. Diese Dichotomisierung erweist sich aus der normen- und kulturtheoretischen Perspektive Königs als zu reduktionistisch und ist durch die von König vorgenommene Unterscheidung von Rechtsnorm, Rechtswirklichkeit und sozialer Wirklichkeit des Rechts zu ersetzen. Diese Differenzierung erlaubt es, zwischen dem normativ
8
Vorwort
orientierten Verhalten und den kulturellen Symbolsystemen zu unterscheiden und die modische Engführung des Rechtsdenkens durch bloße Sprachanalyse und Sprachphilosophie mit dem Ziel zu überwinden, die Eigenständigkeit sozialkultureller Normensysteme und die Autonomie des Rechts gegenüber anderen sozialkulturellen Normensystemen auszuweisen. Diese sind die kulturelle 'zweite Natur' des Menschen und machen es ihm unmöglich, sein Handeln und Erleben auf einer sozialkulturellen tabula rasa zu beginnen; und sie verbietet jedwede Selbstapriorisierung des Rechtsdenkens. Recht und Rechtswissenschaft sind und bleiben somit auf ihre eigenen juridischen Rationalitäten angewiesen. Die sozialkulturellen Normen des Rechts strukturieren die Gesellschaft, die nicht als ein Beziehungsgeflecht von Individuen oder von gruppierten oder assoziierten Individuen vorgestellt werden kann, sondern sich aus normen- und kulturtheoretischer Perspektive als soziales Handlungs- oder Kommunikationssystem darstellt. Der zweite Abschnitt der Untersuchung stellt die Rekonstruktion der Königschen Normentheorie in einen Zusammenhang mit den heute schon als klassisch zu bezeichnenden Positionen von Emile Durkheim, Max Weber und Theodor Geiger. Hier geht es um die Rekonstruktion des Rechts als eine sozialkulturelle Erwartungsstruktur. Ausgehend von den bloßen 'paper-rules' mit ihren Normsatzstrukturen, erlaubt es der Begriff der Erwartung, das gesellschaftlich fest etablierte Recht als normativen Bestandteil der Sozialstruktur auszuweisen. Dies setzt auf Seiten der Normadressaten sicherlich 'Personen' voraus, die durch Soziabilisierung und Enkulturation ihre soziale Handlungsfähigkeit erworben haben. Auf der anderen Seite ist mit König aber streng zwischen der bloß fiktiven Abstraktion eines menschlichen Individuums und der sozialkulturellen Person zu unterscheiden. Die Auszeichnung des Rechts als eine sozialkulturelle Erwartungsstruktur erlaubt darüber hinaus eine adäquate Kritik der sogenannten Zwangs- und Sanktionstheorien des Rechts, die trotz ihres soziologischen Ansatzes ganz und gar in der Neukantianischen Denktradition einer strengen Disparität von Sein und Sollen verankert sind. Sie bildet zugleich die Basis der Kritik Königs an der These Kelsens und der Wiener Schule von einer Identität von Recht und Staat. Der dritte Abschnitt dient der kulturtheoretischen Absicherung der Normentheorie Königs. Rechtsnormen, Rechtsordnung und Rechtssystem werden im Hinblick auf die durch sie regulierten menschlichen Verhaltensweisen unter dem Aspekt des laufenden sozialkulturellen Wandels von Recht und der Evolution des Rechtssystems der Gesellschaft überhaupt behandelt. Der Begriff der Rechtsquelle bei René König wird Institutionen- und systemtheoretisch vertieft. Hieran anschließend wird Königs Kritik des naturrechtlichen und positivistischen Institutionismus der Konzeption eines Neuen Institutionalismus, wie er im Anschluß an die Institutionentheorie Helmut Schelskys entwickelt wurde,
Vorwort
gegenübergestellt. Ein Vergleich der Königschen Konzeption mit derjenigen Schelskys zeigt, daß die beiden Autoren, trotz ihrer berühmt berüchtigten Kontroverse, Institutionen- und kulturtheoretisch gesehen wesentlich mehr verbindet als trennt. Diese Sicht gibt zugleich den Blick für eine realistische Darstellung des Verhältnisses von Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Rechts, die René König schon früh erkennen ließ, daß die Geltung des Rechts eine kulturelle Realität ist und die Stellung der Staaten in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft ganz offensichtlich nicht mehr im Zenit steht. Die Untersuchung wurde im Sommersemester 1998 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen und auf Vorschlag der Juristischen Fakultät mit einem Universitätspreis ausgezeichnet. Die Dissertation entstand während einer mehrjährigen wissenschaftlichen Mitarbeit am Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie meines Doktorvaters, Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Werner Krawietz, dem ich zu großem Dank verpflichtet bin. Er hat mir nicht nur die thematische und inhaltliche Anregung zur Rekonstruktion der Normentheorie René Königs gegeben, sondern die Ausarbeitung durch zahlreiche Hinweise und Hilfestellungen gefördert. Ganz besonders dankbar bin ich auch dafür, daß ich durch die Teilnahme an dem von Professor Krawietz geleiteten Doktorandenseminar die Möglichkeit hatte, diverse Probleme - auch interdisziplinärer Natur - vorzutragen und zu diskutieren. Die Arbeit wurde durch ein Stipendium der Graduiertenförderung der Konrad-Adenauer-Stifìtung e. V. unterstützt. Dort gilt mein Dank insbesondere Herrn Dr. Michael Müller und seiner Unterstützung des Wildunger Kreises e. V. (Verein zur Förderung von Wissenschaft und Forschung), der für mich ein wichtiges Forum zur Erörterung multidisziplinärer Fragestellungen war und ist. Frau Andrea Freund und Herrn Michael Grytz (M.A.) danke ich für die vielfältige Unterstützung bei der Endredaktion des Manuskripts. Herrn Professor Dr. h. c. Norbert Simon, dem Geschäftsführenden Gesellschafter des Verlags Duncker & Humblot, danke ich nicht nur für seine freundliche Bereitschaft, die Untersuchung im Rahmen der Schriften zur Rechtstheorie zu veröffentlichen, sondern auch für seine darüber weit hinausgehende hilfreiche Förderung und großzügige Unterstützung. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle auch meinen Eltern, die mir das Studium der Rechtswissenschaften ermöglicht haben.
10
Vorwort
Mein innigster Dank gilt meiner lieben Frau Vera für ihre unschätzbar wertvolle Unterstützung und Begleitung während des gesamten Verlaufs der Anfertigung der Untersuchung. Ihr widme ich dieses Buch. Münster, im November 1998 Klaus Veddeler
Inhaltsverzeichnis
Erster Abschnitt
Von der Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts § 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
17
1. Recht, Sprache und Schrift als sozialkulturelle Normensysteme
17
a) Schriftsprache als sozialkultureller 'Unterbau' des Rechts
19
b) Funktion von Sprache und Schrift im Rechtssystem
24
2. Klassifikation normativ orientierten Handelns
28
a) Typologien sozialkultureller Normorientierungen
29
b) Kritik der Typisierungsmodelle
33
3. Spezifisch juridische Rationalität als Kennzeichen des Kultursystems Recht
36
a) Abkehr vom überkommenen Rationalitätsbegriff
36
b) Kultur als Sinn
38
c) Sinn in Form von Erleben und Handeln
44
4. Praktische und theoretische Rationalität
46
a) Handlungs- und Systemrationalität
46
b) Rationalitätsstandards normativer Kultur
47
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens 1. Soziale Beziehungen
53 53
a) Direkte und indirekte Beziehungen
54
b) Behavioristische Deutung der Entstehung von Normativität
57
c) Normen- und kulturtheoretische Kritik Königs an der Beziehungssoziologie d) Doppelte Kontingenz
58 62
12
Inhaltsverzeichnis 2. Gruppe versus Gesellschaft
65
a) Emergenz als innerweltliche Transzendenz
66
b) Theorie und Praxis der Gruppe
67
c) Kritik des Gruppentheorems und seiner Bedeutung in der modernen Rechts- und Normentheorie
69
3. Sozialkulturelle Assoziationen oder soziale Systeme als soziale Referenzsysteme?
78
a) Gruppe als sozialkulturelle Assoziation
78
b) Sozialkulturelle Systeme
84
§ 3 Recht als Kultur und als Gegenstand soziologischer Forschung 1. Königs Weg zur Soziologie des Rechts
89 89
a) Soziologie des Rechts in Forschung und Lehre
89
b) Rechtssoziologie, Ideologiekritik und soziologische Aufklärung
90
2. Empirische Theorie und Soziologie des Rechts a) Empirische Sozialforschung und Rechtssoziologie
93 93
b) Theorie der Gesellschaft, soziologische Theorie des Rechts und Rechtssoziologie
95
c) Erklären und Verstehen
97
d) Rechtstatsachenforschung in soziologischer Jurisprudenz und Rechtssoziologie
100
e) Soziologie als werturteilsfreie Moralwissenschaft
101
3. Kulturtheoretische Fundierung von René Königs Normen- und Rechtstheorie
105
a) Verhältnis von Kultur und Gesellschaft
106
b) Kultur in Recht und Rechtswissenschaft
110
c) Einheit von Recht und Kultur?
116
Zweiter Abschnitt
Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen § 4 Erwartungen als normative Strukturelemente des sozialen Handlungssystems
118
Inhaltsverzeichnis 1. Dürkheims Konzept des Kollektivbewußtseins in der Kritik René Königs... a) Kritik der Hypostasierung des Kollektivbewußtseins
118 118
b) Sozialkulturelles Handeln als Konstitutionseinheit sozialer Systembildungen c) Sozialkulturelles Handeln als normative Zurechnung 2. Sozialkulturelles Handeln als normativ erwartetes Verhalten
122 129 130
a) Bedeutung des Begriffs der Erwartung im modernen Rechtsdenken
131
b) Normativität durch zeitliche Erwartungsmodalisierung
132
c) Einfaches und reflexives Erwarten
138
d) Normen als sozialkulturell generalisierte Verhaltenserwartungen
139
3. Sozialkulturelle Personen als Erwartungsadressaten a) Sozialkulturelle Person
141 142
b) „Zweite Geburt"
144
c) Motivation und Erwartungsadressierung
148
d) Enkulturation und Sozialisation durch Recht
150
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung? 1. Verhältnis von Rechtsnorm und Sanktion bei René König
155 155
a) Zum sogenannten 'soziologischen' Rechtsbegriff der Sanktions- und Zwangstheorien
155
b) Zur moralphilosophischen Tradition soziologischer Zwangs- und Sanktionstheorien
156
c) Sein und Sollen aus kulturtheoretischer Perspektive
158
d) Sanktionswirkung und Sanktionsformen
163
e) Struktur der Erlaubnisnormen und Ermächtigungen
165
2. Theodor Geigers und Max Webers 'Zwangstheorien' in der Kritik René Königs
166
a) Aktions- und Reaktionsnorm bei Theodor Geiger
167
b) Begriff der Rechtsregel
171
c) Max Webers 'Spielregelparadigma'
173
d) Normativität des Rechts durch staatliche Sanktions- und Zwangsdrohung 3. Königs Kelsen-Kritik mit Blick auf Emile Durkheim a) Königs Darstellung der Kelsenschen Dürkheim-Kritik
176 177 178
14
Inhaltsverzeichnis b) Königs Kritik des normativistischen Reduktionismus
178
c) Königs Kritik der Identitätsthese
181
Dritter Abschnitt
Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit § 6 Evolution des Rechts, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
186
1. Soziale Arbeitsteilung und Evolution als aktive Anpassung
186
a) Rechtskulturen und Globalisierung
187
b) Königs Kritik des geschichts- und sozialphilosophischen Evolutionismus
189
c) Evolution als aktive Anpassung
191
d) Ausdifferenzierung des Rechts
195
e) Segmentär differenzierte Gesellschaften
197
f) Funktional differenzierte Gesellschaften
201
2. Sozialkultureller Wandel a) Kontinuierlicher Wandel
204 -
204
b) Strukturbedingter Wandel
205
c) Zeitlichkeit von Struktur und Prozeß
207
3. Kulturtheoretischer Begriff der Rechtsquelle
211
a) Kritik soziologischer Rechtsquellentheorie
212
b) Evolutions- und kulturtheoretische Konzeption der Rechtsquelle
214
c) Kritik der Stufenbaulehren des Rechts
216
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts 1. Voraussetzungen der Königschen Institutionen- und Kulturtheorie
219 219
a) Königs Kritik rechtspositivistischer und naturrechtlicher Institutionenbegriffe
220
b) Neuer Institutionalismus
222
c) Kritik des normativen Institutionismus
224
2. Institutionen- und Kulturtheorie bei Helmut Schelsky und René König a) Divergenzen in der Fachgeschichtsschreibung der Soziologie
227 228
Inhaltsverzeichnis b) Anthropologische Voraussetzung der Institution und Kultur bei Schelsky und König
232
c) Institutioneller Wandel
235
d) Familie als sozialkulturelle Institution
236
3. Rolle, Status und Freiheit der Person bei René König
239
a) Institutionelles Muster und konkretes Rollenverhalten
240
b) Institutionalisierung des Rechts als bewußtes Zweckhandeln
242
c) Institutionelle Ordnung und Freiheit der Person
243
d) Kritik des 'homo sociologies'
244
e) Autonomie und Integrität der Person
247
§ 8 Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit des Rechts aus Institutionen- und kulturtheoretischer Perspektive
250
1. Verhältnis von Rechtswirksamkeit und Rechtsgeltung
250
a) Geltungsebenen
251
b) Normative und faktische Geltung
252
2. Anerkennung oder Zwang als Geltungsgrund des Rechts?
254
a) Akzeptanz, Anerkennung und Anerkennungswürdigkeit
254
b) Kontraktualismus
255
c) Macht und Zwang
257
3. Geltung als Produkt institutionalisierter formeller Verfahren
259
a) Funktionale Abhängigkeit von Recht und Macht
259
b) Geltung des Rechts durch Kanalisierung der Macht
261
c) Staatliches Gewaltmonopol
262
d) Gerichte als Zentrum des Rechtssystems?
264
Schrifttumsverzeichnis
268
Sachverzeichnis
293
Erster Abschnitt
Von der Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts § 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen 1. Recht, Sprache und Schrift als sozialkulturelle Normensysteme Das heterogene Erscheinungsbild der verschiedenen Richtungen rechtstheoretischer Forschungen im zeitgenössischen Rechtsdenken macht eine Orientierung nicht leicht. Ganz grob lassen sich jedoch zwei Hauptströmungen rechtstheoretischer Forschung unterscheiden. Auf der einen Seite ist dies ein primär analytischer Zugang zum Recht, ζ. B. formallogischer, sprachanalytischer oder hermeneutischer Provenienz. Auf der anderen Seite stehen rechtsrealistische Konzeptionen und soziologische Theorien des Rechts, ζ. B. Institutionen- und / oder systemtheoretischer Provenienz. Während die erstgenannten Forschungsrichtungen die Erzeugung von Normen auf bloße Sprech- und Denkakte zurückführt, erblicken die letztgenannten Ansätze darin primär ein Rechtshandeln, das vor allem aus politisch-rechtlichen und juristischen Entscheidungen besteht. Wegen der Gegensätzlichkeit dieser Ansätze wird in der modernen Theorie des Rechts auch von der grundsätzlichen Opposition der linguistischen und nicht-linguistischen Konzeption der Norm gesprochen.1 Die Unterscheidung von linguistischer und nicht-linguistischer Konzeption von Recht, Rechtsordnung und Rechtssystem dient im folgenden als Kontrastfolie, vor der das Verhältnis von Recht, Sprache und Schrift in der Normentheorie René Königs sichtbar wird. In seinen kulturtheoretisch fundierten, rechtssoziologischen Untersuchungen hebt König die Eigenschaften des Rechts als ein Kultursystem besonders her-
1
Werner Krawietz, Recht als normatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive, in: Ernesto Garzón Valdés / ders. / Georg Henrik von Wright / Ruth Zimmerling (Hrsg.), Normative Systems in Legal and Moral Theory. Festschrift for Carlos E. Alchourrón and Eugenio Bulygin, Berlin 1997, S. 369 - 390, 385.
2 Vcddclcr
18
1. Abschn. : Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
vor. 2 Demnach ist das Recht ein sozial konstituiertes Artefakt. Als sozialkulturelles Normensystem erlangt das Recht - wie alle anderen Kultursysteme - eine „wachsende Autonomie" im „allgemeinen Auffächerungsprozeß der Kultur". 3 In diesem Auffächerungsprozeß haben die Normen des Rechts nach Auffassung Königs einen prominenten Stellenwert, nämlich: „eine ganz besondere Bedeutung für das Ganze der Gesellschaft". Anders als viele Soziologen vermeidet König damit den mit Grund häufig bemängelten Fehler, das Recht aus der Gesellschaft bzw. der Soziologie auszublenden.4 Autonomie des Rechts im Sinne Königs meint aber nicht, daß das Recht gänzlich unabhängig werden könnte von anderen in der Gesellschaft nebeneinander vorkommenden sozialkulturellen Normensystemen. Für König ist es wichtig hervorzuheben, daß sich die Normen des Rechts „einbauen in einen viel weiteren Kosmos sozialer Normen". 5 Damit eröffnet König einen Zugang zu einer realistischen Beobachtung und Beschreibung des Rechts, in der die unterschiedlichsten Verknüpfungen, Abhängigkeiten und wechselseitigen Beeinflussungen Berücksichtigung finden können, wie dies von modernen realistischen, systemtheoretisch konzeptionierten Theorien des Rechts unter den Stichworten „Multireferenzialität des Rechts" und Kontextualität bzw. Polykontextualität gefordert wird. 6 Das Recht ist in normativer Hinsicht zwar ein völlig selbständiges sozialkulturelles Normensystem, es bleibt jedoch von seinem ge-
2
René König, Artikel Recht, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 253 - 261, 257. Zum Verständnis der Kultur als System vgl. § 3 Ziff. 3. 3 René König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 186 - 207, 200; vgl. auch § 6 Ziff. 1. 4 Helmut Schelsky, Die Soziologen und das Recht, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 77 - 94, 80; und im Anschluß an diesen Werner Gephart, Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Frankfurt a. M. 1993, S. 9 - 16, 10, der die These vertritt, daß die "Entfremdung gerade auf allzu großer Nähe beruht, in der die Ursprünge des soziologischen Denkens liegen und der soziologische Gehalt der juristischen Denkformen im dunkeln blieben". Zu den Ursachen dieser Distanz zwischen Soziologie und Recht vgl. Niklas Luhmann, Die soziologische Beobachtung des Rechts, Frankfurt a. M. 1986, S. 8 ff., 11. 5
König, Artikel Recht (FN 2), S. 257. Vgl. dazu Werner Krawietz, Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: ders. / Mihâly Samu / Péter Szilâgyi (Hrsg.), Verfassungsstaat, Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, Berlin 1995, S. 435 - 461, 448; dersNeue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 14 - 42, 25 f. 6
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
19
sellschaftlich-kulturellen Kontext, durch den es seine aktuelle Ausformung erhält, abhängig.7
a) Schriftsprache
als sozialkultureller
'Unterbau ' des Rechts
Sprache und Schrift sind in der kulturtheoretisch fundierten Normentheorie Königs für die Ausformung des Rechts insofern von besonderer Bedeutung, als seiner Ansicht nach von Recht überhaupt erst gesprochen werden kann, wenn „bestimmte Sitten durch sprachliche Formulierung und Systematisierung auf feste kodifizierbare Formeln abgezogen werden". 8 Außerdem sind für König „Rechtssätze immer auf eine feste sprachliche und schriftliche Form abgezogen". 9 Diese kurzen begrifflichen Bestimmungen des Rechts sind auf den ersten Blick nicht unproblematisch; die besonders hervorgehobene Schrift- und Sprachabhängigkeit des Rechts sollte nicht dazu verleiten, das Recht mit seiner sprachlichen und schriftlichen Niederlegung in eins zu setzen. Sprache und Schrift gehören zum Text und Kontext des Rechts, dem „sozialen 'Unterbau' von Regelungen", also der sozialen Wirklichkeit des Rechts, aus der die Rechtsnormen erwachsen. Der „soziale 'Unterbau' von Regelungen" im Sinne Königs meint mehr als bloße Gleichförmigkeiten des sozialen Verhaltens. Gemeint sind vielmehr normative Orientierungen und kulturelle Symbolsysteme. Dazu gehören Sprache und Schrift, die als eigenständige sozialkulturelle Normensysteme neben demjenigen des Rechts in der sozialen Wirklichkeit vorkommen. Der normative Charakter der Sprache, die König als ein „System von willkürlich verwendbaren Laut- (oder auch Ausdrucks-)zeichen beschreibt, deren Bedeutung durch die in einer geschlossenen Gesellschaft für alle identische 'Konvention' festgesetzt ist", zeigt sich darin, daß ein „einzelner nicht wahllos die Sprache verändern kann, ohne Gefahr, unverstanden zu bleiben oder lächerlich zu werden". 10 Über diese normative Wirklichkeit der Sprache kann sich auch das Recht nicht beliebig hinwegsetzen, wenngleich die verwendeten Sprachregeln mit Mitteln des Rechts nochmals normativ konditioniert und mit einem generellen Gel-
7 René König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie. Ein Beitrag zur Begründung einer objektiven Soziologie, München 1975, S. 264. 8 René König, Das Nachhinken der Kultur, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 54 - 62, 56. 9 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 197. 10 René König, Bilanz der französischen Soziologie um 1930, in: ders., Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978, S. 56 - 103,70. 2*
20
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
tungsanspruch versehen werden können. 11 Umgekehrt kann der normative Sinn des Rechts aber nicht aus den genuin sozialkulturellen Regeln richtigen Sprechens geschlossen werden, insbesondere entscheiden sie nicht darüber, was in die rechtsnormative Kommunikation eingeht, was entscheidungserheblich ist und was nicht. Die Regeln sind nur insoweit zu berücksichtigen, als die normativen, gesellschaftsstrukturierenden Informationen des Rechts auch mitgeteilt und verstanden werden sollen, worauf im folgenden noch ausführlicher einzugehen sein wird. Sprache und Recht sind zwei nebeneinander existierende Normensysteme. Das Recht hat nach König als eine Form der Kultur auch eine eigene Strukturgesetzlichkeit, wenngleich es zur Verwirklichung seiner Struktur von der Sprache Gebrauch macht. 12 Im übrigen sind die eingangs genannten Definitionen auch insoweit ergänzungsbedürftig, weil sie bestimmte Formen des Rechts älterer Gesellschaftsformen ausklammern und das Recht, selbst auf der gegenwärtigen Stufe seiner Evolution, nur teilweise zutreffend zu beschreiben vermögen. Denn auf der einen Seite finden sich rechtliche Orientierungen auch in archaischen Gesellschaftsformen, die keine Schriftsprache besitzen.13 Auf der anderen Seite sind auch in modernen Gesellschaftsformen nicht alle tatsächlich gelebten Rechtsregeln in Texten niedergelegt oder gar formalisiert, wenngleich eine Verbalisierung immer möglich ist. Es genügt jedoch, daß alle Normen des geltenden Rechts formulierbar sein müssen. Allein die Vielzahl rechtlicher Handlungsorientierungen und daraus resultierende Handlungsmöglichkeiten machen es einfach unmöglich, diese in einem System von Sätzen auch nur annähernd vollständig niederzulegen, auch wenn dieses Bestreben der Rechtswirklichkeit geradezu als ein Charakteristikum gegenwärtiger Rechtssysteme sowohl kontinentaleuropäischer als auch angelsächsischer Tradition erscheint. 14 König wendet sich deshalb ganz entschieden gegen die Fiktion des Rechtspositivismus, „daß alle denkbaren Lebensverhältnisse durch das Gesetz geregelt seien". Es handele sich vielmehr um eine „unangemessene Verallgemeinerung", die er deshalb zu Recht als ideologisch verwirft. Gleichwohl sieht sich König - durchaus mit Grund - gezwungen, daraufhinzuweisen, daß diese Position zwar theoretisch „völlig zusammengebrochen", der „Rechtspositivismus in
11 Vgl. zu diesem Problemkreis auch die Diskussion um die Rechtmäßigkeit der Rechtschreibreform: Christoph Jäkel, Zur Bewertung der Sprachreform, in: RECHTSTHEORIE 27 (1996). S. 491 - 514, und Clemens Knobloch, Zu Christoph Jäkels Beitrag über die Rechtschreibreform, in: RECHTSTHEORIE 28 (1997), S. 393 - 396. 12 René König, Artikel Sprache, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 309 - 314, 312. 11 Vgl. dazu ausführlich § 6 Ziff. I e). 14 König. Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 198.
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
21
der Praxis der Rechtsanwendung noch keineswegs überwunden" sei. 15 Die Gefahr einer Identifikation des Rechts mit seinem schriftsprachlichen bzw. rechtsschriftsprachlichen Ausdruck ist in der kulturtheoretisch fundierten Normentheorie René Königs also von vornherein ausgeschlossen. König geht mit seiner Position auch über die neue Hermeneutik und Sprechakttheorie hinaus. Letztere sieht - durchaus rechtsrealistisch - , daß die „Anwendung eines Gesetzes über das bloße Verstehen hinaus ... eine neue Realität" schafft, die den „Sinn des Gesetzes konkretisiert und fortbestimmt," 16 wie Gadamer formuliert. Gleiches gilt auch für die von John L. Austin 17 begründete Sprechakttheorie, mit der er nachweist, daß es explizit-performative Äußerungen gibt, also ein Vollziehen der Handlung durch die Äußerung des Verbs selbst. Solche Formen des Rechtshandelns in explizit-performativen Sprechakten finden sich bei den vielfältigen Verpflichtungstatbeständen des Zivilrechts wieder. Daß Sprechen in diesem Sinne immer auch ein sozialkulturelles Handeln ist und demgemäß auch die mittels Sprache und / oder Schrift symbolisierte Handlung und deren Wirkungen in der sozialen Realität zusammenfallen können, ist aus der kulturtheoretischen Sicht Königs selbstverständlich. König verweist darüber hinaus auf den „sozialen Charakter der Rechtsnorm" und die verhaltensbeeinflussenden Leistungen des Rechts in der sozialen Wirklichkeit. 18 Diese Leistung erbringt das Recht auch ohne Verbalisierung. Sie ist zwar theoretisch immer möglich, praktisch - d. h. im Handlungsvollzug - jedoch weder notwendig noch der Orientierungsleistung des Rechts unbedingt dienlich. Dies gilt insbesondere aus einer Institutionen- und kulturtheoretischen Sicht, die den Blick auf die Entlastungsfunktion des Rechts richtet. 19 König exemplifiziert den sozialen Charakter der Rechtsnorm am Gewohnheitsrecht, aus dem sich - aus der Perspektive des Soziologen - das kodifizierte Recht entfaltet. 20 Das nicht formalisierte, genuin informelle und textuell nicht niederge-
15 René König / Wolfgang Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht", in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1967, S. 356 - 372, 363 f.; so auch Werner Krawietz, Sprachphilosophie in der Jurisprudenz, in: Marcelo Dascal / Dietfried Gerhardus / Kuno Lorenz / Georg Meggle (Hrsg.), Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 2. Halbband, Berlin / New York 1996, S. 1470 - 1489, 1476 f. 16 Hans-Georg Gadamer , Hermeneutik als theoretische und praktische Aufgabe, in:
RECHTSTHEORIE 9 (1978), S. 257 - 274, 257 ff., 265 f. 17
John L. Austin, How to do Things with Words, Oxford 1962 (dt. Übers.: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972). 18 René König, Artikel Soziale Kontrolle, in: ders. (Hrsg.), Lexikon zur Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 277 - 280, 278. 19 Vgl. dazu § 7. 20 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 196; zum Erwartungsbegriff als normatives Strukturelement vgl. § 4.
22
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
legte Gewohnheitsrecht manifestiert sich ausschließlich im sozialen Handeln. 21 Soziales Handeln definiert König im Sinne Max Webers 22 als ein sinnhaft am Verhalten anderer orientiertes Verhalten. „Sinnhaft" heißt nach Ansicht Königs immer auch, daß die Jeweils Handelnden gewissen Normen des Verhaltens folgen, die den Inhalt von Erwartungen umschreiben". 23 Auf den hierbei zugrunde gelegten Sinn- und Erwartungsbegriff Königs wird an anderer Stelle noch einmal ausfuhrlich eingegangen.24 Hier kommt es zunächst einmal darauf an zu betonen, daß König die Normen des Rechts als untrennbar mit dem Handeln verwoben betrachtet, das die „soziale Wirklichkeit des Rechts" bestimmt. 25 Das Sprechhandeln ist in diesem Sinne nur ein Spezialfall, eine Möglichkeit der sinnhaften Orientierung an den Verhaltenserwartungen anderer. Anders formuliert: Sprechhandeln bedeutet immer eine sinnhafte Orientierung am Verhalten anderer, Handeln ist jedoch nicht zwangsläufig an Sprache gebunden. Deshalb ist auch zwischen Kommunikation und Sprache zu unterscheiden. Nicht alles Sprechen wird notwendig zu Kommunikation und umgekehrt erschöpft sich Kommunikation auch nicht in Sprache, sondern es gibt vielfältige andere Möglichkeiten der Kommunikation. 26 Zu diesen Möglichkeiten gehört auch die bislang in einem Atemzug mit der Sprache genannte Schrift. Sprache und Schrift sind jedoch zu unterscheiden und folgen eigenen normativen Gesetzlichkeiten. Die schriftliche Kommunikation verschiebt die Wahrnehmung von der Akustik zur Optik. Das ist der wesentliche Unterschied zu Gebärdensprachen, durch die die Beziehung von Bedeutungen auf künstliche Gegenstände erfolgt, die die Kommunikation von der zeitgleichen, gleichfalls gegenwärtigen Wahrnehmung durch andere personale Akteure unabhängig macht. 27
21 Die gegenteilige Auffassung, daß. das Rechtssystem zunächst aus sprachlichen Normierungen bestehe, selbst wenn man schriftlos tradiertes Recht mit einbeziehe, vertritt ζ. B. Manfred Bierwisch, Recht linguistisch gesehen, in: Günther Grewendorf (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur: zur forensischen Funktion der Sprachanalyse, Frankfurt a. M. 1992, S. 42 - 70, 47 f. 22 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Aufl. besorgt von Johannes Winkelmann, Tübingen 1980, S. 11. 23 René König, Artikel Soziales Handeln, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Band 3: Politische Soziologie - Zuverlässigkeit, 2. neubearbeitete und erweiterte Aufl., Frankfurt a. M. 1972, S. 754 - 757, 756. 24 Vgl. dazu § 1 Ziff. 3 b) bzw. § 4. 2 " König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 15). S. 362. 26 König. Artikel Sprache (FN 12), S. 313. 27 Ebd.. S. 310. Vgl. zum ganzen auch Niklas Luhmann, Die Form der Schrift, in: Hans Ulrich Gumbrecht / K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.), Schrift, München 1993, S. 349 366.
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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In der Kommunikationstheorie wird Kommunikation deshalb unabhängig vom Kommunikationsmedium, d. h. nicht bloß sprachabhängig definiert. Kommunikation kommt zustande durch das selektive, soziale Prozessieren der Differenz von (i) Information, (ii) Mitteilung und (iii) Verstehen. 28 Diese Operationen können und müssen analytisch-begrifflich unterschieden werden, stellen jedoch in der Praxis eine Einheit (unit) dar. Die Auswahl dieser Unterscheidungen erfolgt nicht notwendig nur durch Sprechhandlungen. Denn durch die kommunikative Bezugnahme „auf die bereits geltenden Rechtsnormen (beziehungsweise auf die rechtssprachlich symbolisierten Normsätze) eines immer schon vorausgesetzten, gewöhnlich regionalgesellschaftlichen Rechtssystems" läßt sich ein als mitgeteilte Information verstandenes Verhalten als rechtmäßiges oder unrechtmäßiges Verhalten beurteilen. 29 Dieses Urteil ist aber nicht nur eine Aussage über das Verhalten, sondern erfolgt, um damit den weiteren Verhaltensverlauf normativ zu beeinflussen. 30 Die rechtsnormative Kommunikation knüpft also in erster Linie nicht an Sprache und / oder Schrift, dem Medium der Kommunikation, sondern an das Verhalten an, in das die Normen König zufolge eingebettet sind. 31 Dieses Verhalten kann mit den Mitteln rechtsnormativer Kommunikation nochmals strukturiert werden. Damit vertritt König also eine Auffassung der Norm, die die Eigenschaften sozialkultureller Normen im allgemeinen und denen des Rechts im besonderen nicht als primär in der Sprache und deren Struktur gegeben sieht. König erhebt vielmehr die Verhaltensabhängigkeit des Rechts zum Untersuchungsgegenstand, wie dies auch von der modernen Rechtsethologie und -anthropologie vertreten wird. 32 Königs Position kann somit als eine genuin nichtlinguistische
28 Niklas Luhmann, Was ist Kommunikation? In: ders., Soziologische Aufklärung 6: Die Soziologie und der Mensch, Opladen 1995, S. 113 - 124, 115 ff. Zum Verhältnis von Kommunikation und Handlung als Konstitutionseinheit sozialer Systeme vgl. § 4 Ziff. 1. 29 Krawietz, Recht als normatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive (FN 1), S. 382. 30 Werner Krawietz, Kazimierz Opaleks Rechtstheorie - in internationaler Perspektive betrachtet, in: ders. / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. V XX, XVII. 31 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 188. 32 Vgl. dazu auch Hagen Hof, Rechtsethologie. Recht im Kontext von Verhalten und außerrechtlicher Verhaltensregelung, Heidelberg 1996. S. 526, dem es mit dem "Durchgriff auf die Verhaltensgrundlagen von Regelungen und mit deren Einbettung in den Verhaltenskontext" um eine "verhaltensvvissenschaftliche Neuorientierung von Recht und Rechtswissenschaft" geht. Sie dient auch dem Kulturenvergleich, denn die "dort gestellten Fragen nach Universalien und kulturspezifischen Ausprägungen menschlichen Verhaltens können durch die Einbeziehung der rechtlichen Verhaltensregelung wesentliche Ergänzungen erfahren" (ebd., S. 11).
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Konzeption der Norm bezeichnet werden, ganz ähnlich den von Theodor Geiger und Kazimierz Opalek formulierten Konzepten.33
b) Funktion von Sprache und Schrift im Rechtssystem Diese nichtlinguistische Auffassung der Norm erlaubt König eine realistische Deutung und Erklärung des Rechts, die jeglichen sprachphilosophischen Reduktionismus vermeidet. Allerdings verkennt er nicht die Bedeutung und Wichtigkeit der Strukturen und Funktionen von Sprache und Schrift sowohl für die Rechtspraxis als auch für das Rechtsdenken im allgemeinen, denn er weist auf die „Zusammenhänge zwischen kulturellen Normen und sprachlichen Strukturen" hin, bemerkt aber auch, daß diese nicht notwendig korrelieren. 34 Deshalb ist die Sprachwissenschaft für die Soziologie Königs zwar eine Fundamentalwissenschaft, aber „nicht nur in ihrem literarischen, historischen und ästhetischen Aspekt, sondern in ihrem soziologischen, sozialpsychologischen und wissenssoziologischen Sinne". Nach Königs Ansicht kann man die „höheren kulturellen Sphären einer Gesellschaft erst angehen, nachdem man ihre soziostrukturellen Grundlagen erfaßt hat. Wenn man anders vorgeht, heißt das, den Pflug vor den Ochsen spannen, was nur zu billigen ideologischen Spiegelfechtereien verleitet." 35 Für eine zureichende rechts- und normentheoretische Deutung und Erklärung des Rechts ist es deshalb unerläßlich, ganz strikt zwischen dem rechtssprachlichen bzw. rechtsschriftUchen Ausdruck der Norm und deren Bedeutung einerseits und der sozialen Wirklichkeit der Rechtsnorm andererseits zu unterscheiden. Diese Unterscheidungen sind im Rechtsdenken der Gegenwarttrotz einer weitgehenden Überwindung des Rechts- und Gesetzespositivismus nicht selbstverständlich 36 und soweit sie vorgenommen werden häufig nicht konsequent. So werden in der Rechtsdogmatik die Rechtsnormen gewöhnlich mit den Rechtstexten identifiziert, zumindest aber begrifflich nicht streng 33 Kazimierz Opaiek, Unterschiedliche Normbegriffe: Theodor Geiger und analytische Normentheorie, in: Siegfried Bachmann (Hrsg.), Theodor Geiger. Soziologie in einer Zeit "zwischen Pathos und Nüchternheit". Beiträge zu Leben und Werk, Berlin 1995, S. 211 - 217, 213 ff.; ders., Der Dualismus der Auffassung der Norm in der Rechtswissenschaft. Der Versuch seiner Überwindung, in: RECHTSTIIEORIE 20 (1989), S. 433 -447. 34 König, Artikel Sprache (FN 12), S. 314. 35 René König, Leben im Widerspruch. Versuch einer intellektuellen Autobiographie, München/Wien 1980, S. 59. 36 Vgl. hierzu Dieter Wyduckel, Normativität und Positivität des Rechts, in: Aulis Aarnio, Stanley L. Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / ders. (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 437 - 474, 458
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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getrennt, so daß die Ausdrücke Rechtsnorm und Gesetz häufig in unklarer Weise angewandt werden und folglich sowohl Rechtsnorm als auch Rechtstext meinen. Eine begriffliche Trennung zwischen der Rechtsnorm als der Bedeutung eines Textes und dem Rechtstext selbst wird zumeist erst auf der Ebene37 der Methodenlehre des Rechts vorgenommen. Dennoch herrscht dort wie in weiten Teilen der Rechtstheorie Unklarheit über die Beziehung zwischen der Rechtsnorm und ihrem rechtssprachlichen Ausdruck. Die Situation, daß die Normen einmal als sprachliche Gebilde und einmal als nichtsprachliche institutionelle Tatsachen aufgefaßt werden können, wird als höchst mißlich empfunden, weil sich beide Konzeptionen zu widersprechen und gegenseitig auszuschließen scheinen. So ist es nach Ansicht von A l f Ross denn auch schwierig nachzuvollziehen, wie der Normbegriff zwei so verschiedene Dinge wie sprachliche Formulierungen und soziale Tatsachenkomplexe beinhalten kann. 38 Aus der kulturtheoretischen Perspektive Königs ist das von A l f Ross aufgeworfene Problem der Doppelnatur nicht die entscheidende Frage. Sowohl Sprachen als auch Rechtssysteme sind empirisch nachweisbare, d. h. in einer Gesellschaft tatsächlich vorkommende und als solche beobachtbare sozialkulturelle Normensysteme. König bezeichnet die Sprache als die elementarste Form der Kultur, allerdings ohne daß sie deshalb dem Recht in irgendeiner Form vorgeordnet wäre. Zugleich sei hier auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem kulturellen Normensystem des Rechts einer Gesellschaft auf der einen und dem der Sprache(n) in einer Gesellschaft auf der anderen Seite hingewiesen, den auch König nicht übersieht. Dieser liegt in der unterschiedlichen Funktion und den unterschiedlichen Funktionsweisen von Recht und Sprache. König formuliert diesen Unterschied, indem er darauf verweist, daß die jeweiligen Sprachformen mit darüber entscheiden, wie die Wirklichkeit aufgenommen wird. 39 Er beruft sich dabei auf die Kulturanthropologie von Benjamin L. Whorf, dessen Forschungen die These der Sprachabhängigkeit von Weltbildern empirisch erhärtet. 40 Dennoch sind Sprache und Schrift nicht die einzigen kulturellen Mittel, in denen sich die Kommunikation erschöpft. Systemtheoretisch formuliert, lassen sich Sprache, Schrift und Recht auch dahingehend unterscheiden, daß die Sprache keinen eigenständigen zweiwertigen Code besitzt, wie ζ. B. die übrigen ausdifferenzierten Funktionssysteme Politik (Regierung / Opposition), Wissenschaft (Wahrheit / Unwahrheit), Religion (Immanenz/Transzendenz) und Recht (Recht/Unrecht), mit deren Hilfe sie sich selbst und ihre Umwelt beobachten können. Die Funktion der Sprache 37 38 39 40
1963.
Zum Multi-Level-Approach vgl. § 1 Ziff. 4. Alf Ross, Directives and Norms, London 1968, S. 82. König, Artikel Sprache (FN 12), S. 313. Ebd., S. 314; Benjamin L. Whorf Sprache - Denken - Wirklichkeit, Reinbek
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
liegt genau darin, das wichtigste Mittel für alle diese Codierungen zu sein, indem sie Negationsmöglichkeiten bereitstellt. 41 Die Schriftform ermöglicht gegenüber der verbalen Kommunikation, Inhalte festzuhalten, und erleichtert es, andere normative Inhalte, die nicht gemeint sein sollen, außer Betracht zu lassen. Schrift erleichtert damit auch das selektive Erinnern. Es gilt eben nur das, was schwarz auf weiß niedergelegt ist. Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, daß Sprache und Schrift in der Form einer Umgangssprache gleichsam das Zentrum einer Gesellschaft bilden könnten. 42 Die Sprache ist keine apriorisch gegebene Einheit und kann deshalb auch nicht als ein einheitliches Erkenntnismittel fungieren; 43 das gilt ebenso aus der kulturtheoretischen Perspektive Königs. Soweit er von Sprache spricht, handelt es sich um einen Kollektivsingular. Aus seiner Sicht lassen sich in einer Gesellschaft die unterschiedlichsten Sprach(sub)kulturen beobachten. König lehnt es ab, von einer Einheit der Sprache zu sprechen oder diese gar vorauszusetzen. Nach seiner durchaus zutreffenden, an der Erfahrung orientierten Ansicht kann die Sprache nur in einer Mannigfaltigkeit von Sprachen existieren, die der kulturellen Mannigfaltigkeit entspricht. 44 Dies hat zugleich erhebliche Konsequenzen auf allen Ebenen des Rechtsdenkens, welches immer in Rechnung zu stellen hat, daß die gesellschaftliche Verwirklichung des Rechts wesentlich durch den u. U. elaborierten Code der Sprecher und den weiteren sozialkulturellen Kontext des Rechts jenseits von Sprache und Schrift bestimmt ist. Dies gilt auch für die im Rechtssystem hinlänglich als Rechtsanwendung und Rechtssetzung bezeichneten Handlungsformen, die nur sehr unvollständig in den normativen Sprechakten reflektiert werden oder in Rechtsnormtexten niedergelegt werden können. Sowohl für die Rechtspraxis als auch die dogmatischen Rechtswissenschaften und die Methodenlehren des Rechts bedeutet dies, daß die Rechtserzeugung auf der einen Seite nicht allein und ausschließlich beim Gesetzgeber zu lokalisieren ist - auf der anderen Seite, daß Rechtsanwendung mehr ist als eine hermeneutische Praxis, mit der der Interpret einen Text zum Sprechen bringt. 45 König rückt deshalb die Funktion des juristischen Entscheiders, insbesondere die des Richters, der erst nachträglich für eine bestimmte Situation festzustellen hat, ob ein Verhalten rechtmäßig war oder nicht, in den Vordergrund seiner normentheoretischen und rechtssoziologischen Untersuchungen. König lenkt seinen Blick jedoch nicht nur auf die be-
41
Niklas Luhmann, Macht, Stuttgart 1975, S. 33, 42 ff. So aber Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, Frankfurt a. M. 1992, S. 77 ff. 43 Zu einer Auseinandersetzung darüber, ob und inwieweit Sprache auf angeborene Strukturen zurückführbar ist vgl. z. B. Noam Chomsky, Reflexionen über Sprache, übersetzt von Georg Meggle und Maria Ulkan, Frankfurt a.M. 1977, S. 22 ff., 98 ff. 44 König, Artikel Sprache (FN 12), S. 313. 45 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (FN 36), S. 250, 366, 367. 42
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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sondere Rolle des Richters, sondern auf die juristischen Berufe und das Rechtshandeln im allgemeinen.46 In diesem Kontext kommt es König zunächst auf die kulturelle Funktion der Schrift für dieses Rechtshandeln an. Diese ist aus evolutionstheoretischer Sicht zunächst eine Hilfestellung für den Entscheider, um sich an die einschlägigen Vorschriften zu erinnern, ohne auf das Miterinnern anderer angewiesen zu sein. 47 Das Recht läßt sich nicht allein durch einen linguistisch-sprachphilosophischen Zugang, der das Recht entweder als Teil eines allgemeinen Sprachsystems oder auch als eine Sondersprachform im Sinne der formalen Logik in seiner sozialkulturellen Wirklichkeit betrachtet, zureichend deuten und erklären. Sprache und Schrift sind, wie König es ausdrückt, „gewissermaßen als kulturelle Krücken" des Rechts zu verstehen, 48 indem es die schriftsprachliche Sicherung der Normen ermöglicht, den normativen Sinn für spätere Bezugnahmen symbolisch präsent zu halten. Durch die symbolische Sicherung der Rechtsnormen in den Rechtstexten isoliert sich das Kultursystem Recht in einem gewissen Grade vom gesellschaftlichen Lebensvollzug. Das bedeutet, daß es relativ unabhängig wird von sich teils schneller, teils langsamer wandelnden anderen sozialen Normen und ihren kulturellen Inhalten, die mit der Differenzierung einer komplexen Gesellschaft in verschiedenen Subkulturen entstehen. Schrift und Sprache kommen in diesem Sinne primär eine Transportfunktion zu, die im Zeitablauf in Gesellschaft wirksam wird. Die Schriftform dient gleichsam zur Aufbewahrung der normativen Inhalte bis zur nächsten rechtskommunikativen Bezugnahme, ζ. B. auf die vollstreckbare Ausfertigung eines Urteils. Sprache und Schrift sind jedoch nicht der Mechanismus, der die Auswahl dieser Inhalte ermöglicht. 49 Denn sie halten die vielfältigen Möglichkeiten menschlichen Handelns und Erlebens lediglich zur sinnhaften Wiederverwendung oder auch nur zur Rekonstruktion präsent, so daß sie nicht zugleich eine Vorschrift bereithalten können, aus dem sinnhaft präsent Gehaltenen auszuwählen.50 Sie binden die Zeit auch nicht selbst, der zeitbindende Faktor ist die Norm, nämlich
46 Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., durchgesehen und hrsg. von Manfred Rehbinder, Berlin 1987, S. 226 f., 228. Zur Funktion richterlicher Entscheidungen als Rechtsquelle und der Gerichte als Zentrum des Rechtssystems vgl. § 6 Ziff. 3 bzw. § 8. 47 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 15), Opladen 1967, S. 362. 48 René König, Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 71 - 78, 73. 49 Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 104 f. 50 Ebd., S. 105.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
die Tatsache ihrer Beibehaltung trotz der Erwartung zukünftiger Enttäuschungsfälle. 51
2. Klassifikation normativ orientierten Handelns Bislang konnte gezeigt werden, daß das Recht aus der rechtsrealistischen Perspektive Königs weder auf seinen schriftsprachlichen Ausdruck reduziert noch mit ihm identifiziert werden kann. König deutet und erklärt das Recht als ein sozialkulturelles Artefakt, dessen Normen „in einen um ein vielfach größeren Kosmos sozialer Normen" eingebaut sind. Zur Identifikation des Rechts ist es für König deshalb wichtig, das Recht in diesem Kosmos im Unterschied zu anderen sozialkulturellen Handlungsorientierungen zu bestimmen. In seiner Untersuchung „Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme" sucht René König einen solchen Standort aus einer genuin rechtssoziologischen, d. h. erfahrungswissenschaftlichen Beobachtung des Rechts zu bestimmen. ' Dazu nimmt er eine Beobachterposition ein, von der aus er zwischen (i) Rechtsnorm, (ii) der die Rechtsnorm voraussetzenden Rechtswirklichkeit und (iii) der sozialen Wirklichkeit des Rechts unterscheiden kann, wie es auch von modernen Institutionen- und systemtheoretisch fundierten Rechtstheorien gefordert wird. 53 Nur so ist die Gewähr dafür gegeben, daß die soziologische Betrachtung nicht mit der juristischen zusammenfällt und auch andere, in der sozialen Wirklichkeit des Rechts vorkommende kulturelle Orientierungen berücksichtigt werden können. Wegen der kulturellen Prägung der sozialen Wirklichkeit des Rechts, die auch die spezifische Ausformung der Rechtswirklichkeit und selbst die möglichen Rechtsinhalte einzelner Rechtsnormen mitbestimmt, wird im folgenden auch von der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts gesprochen. 54
51 52
Vgl. dazu § 4. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 201,
205. 53 Exemplarisch Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 172: "Zu einer realistischen begrifflichen Bestimmung des Rechts, die der Rechtswirklichkeit wie der sozialen Wirklichkeit des Rechts gerecht zu werden vermag, gelangt man erst dann, wenn man in der Theorie des Rechts die vermeintliche dialektische Einheit von präpositivem und positivem Recht aufzulösen und zu hinterfragen sucht, indem man sich von vornherein in der Theoriebildung zunächst einmal ausschließlich an der Faktizität und an der Positivität, das heißt an der sozialen Wirklichkeit des Rechts orientiert, wie sie sich einer erfahrungswissenschaftlich gesicherten Rechtsbetrachtung darstellt." 54 Reinhold Zippelius, Die Bedeutung kulturspezifischer Leitideen für die Staats- und Rechtsgestaltung, Wiesbaden 1987, S. 7 f., 11 ff., 22 ff., der allerdings etwas reduktionistisch lediglich auf die Ideen und Weltbilder abstellt. Vgl. § 3 Ziff. 3 und § 7.
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
29
König erstellt eine Normentypologie, deren Hauptaufgabe darin besteht, eine adäquate Lokalisierung des Rechtssystems innerhalb der verschiedenen sozialkulturellen Normensysteme zu ermöglichen und es im „Kontrast zu diesen zu definieren". 55 Darüber hinaus ist es Königs Ziel, der Rechtssoziologie ihren spezialwissenschaftlichen Gegenstandsbereich - das Recht der Gesellschaft zuzuweisen, um die Rechtssoziologie als eine Wissenschaft vom Recht von der konventionellen dogmatischen Rechtswissenschaft, letztere hier verstanden als juristische Entscheidungstechnik und Methodik, abzugrenzen und unterscheiden zu können. Dies bedeutet, daß die Wissenschaften vom Recht - insbesondere eine realistische Rechtstheorie, aber auch die Rechtsdogmatik sowie die Rechtsphilosophie - nicht ohne die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher, insbesondere rechtssoziologischer Forschung auszukommen vermögen, sofern sie an einer realistischen Deutung und Erklärung interessiert sind.
a) Typologien sozialkultureller
Normorientierungen
Klassifikationssysteme, die eine Einordnung des Rechts in die verschiedenen normativen Handlungssysteme erlauben, sind in Theorie und Praxis nicht neu und auch nicht nur von Soziologen geschaffen worden. Ein sehr umfassendes Werk, das das Verhältnis des Rechts zu anderen sozialen Normensystemen untersucht, wurde schon früh von Rudolf von Ihering 56 vorgelegt. Exemplarisch für andere Untersuchungen, die eine Klassifikation verschiedener Normentypen vornehmen, sind die Schriften von Ferdinand Tönnies, 57 Theodor Geiger 58 und nicht zuletzt auch die Untersuchungen Max Webers 59 zu nennen, auf die auch König in seiner Untersuchung rekurriert. Allen derartigen Typologien ist eigen, daß die zur Unterscheidung der Normensysteme verwandten Klassifikationsbegriffe keine eigenständigen soziologischen oder rechtlichen Fachtermini sind, sondern vielmehr der Alltagssprache entstammen. Üblicherweise wird unterschieden zwischen Brauch, Sitte, Konvention, Religion und Recht. Diese Aufzählung ist jedoch weder vollständig noch in ihrer Reihenfolge erschöpfend oder gar logisch zwingend. Hinzugedacht werden kann ζ. B. auch die Mode. Sie entspricht einem eigenen Normtyp sozialen Handelns, der sich gerade nicht unter die anderen Begriffe subsumie55
König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 196. Rudolf von Ihering, Der Zweck im Recht, 2 Bde., Leipzig 1873, insbesondere Bd. II, S. 96 ff. 57 Ferdinand Tönnies, Die Sitte, Frankfurt a. M. 1909. 58 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 46); ders., Die Gruppe und die Kategorien Gemeinschaft und Gesellschaft, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik 58 (1927), S. 338 - 374. 59 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 12 ff., 187 ff. 56
30
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
ren läßt, weil zum einen das für die Mode typische und konstituierende Merkmal der Kurzlebigkeit und zum anderen die Tatsache, daß die „Neuheit des betreffenden Verhaltens Quelle der Orientierung des Handelns daran wird", 6 0 anderen Typen gerade nicht eigen sind. Letztere sind im Gegenteil häufig darauf gerichtet, Handlungsweisen auf Dauer zu stellen, wie ζ. B. die Normen des Rechts oder aber auch diejenigen der Religion. Ferner sind die Grenzen zu anderen Typen sozialen Handelns nicht fest. Es können sich beispielsweise aus einer Mode Dauergewohnheiten, wie Bräuche, Sitten oder Konventionen, entwickeln. 61 Auch ist der Sprachgebrauch nicht immer einheitlich, 62 so daß Unterschiede, ζ. B. zwischen Brauch, Sitte und Konvention, 63 verwischen, indem sie gleichgesetzt werden oder durch andere Regelbegriffe, ζ. B. Etikette, Takt, Anstand, Höflichkeit usf., weiter aufgefächert werden, womit die Orientierungsleistung der Typen selbstverständlich abnimmt. Als Differenzierungskriterium wird deshalb häufig der unterschiedliche Grad der Normiertheit des Verhaltens eingeführt und die Entwicklung von faktischen Verhaltensgleichförmigkeiten hin zu normativen Orientierungen dargestellt. 64 König beschreitet einen anderen Weg. Er will nicht eine bloß genetische Entwicklung des Rechts aus faktischem Verhalten hin zu normierten Verhaltensweisen nachzeichnen. Eine derartige Rechtsbetrachtung liefe auf eine soziologisierende Rechtsquellenlehre hinaus, die die Entstehung und Geltungsgründe des Rechts ins Außerrechtliche verlängerte. 65 Ferner zwinge sie dazu, „in archaischen Gesellschaften 'rechtlose' Zustände anzunehmen". Zudem gebe sie auch keine Antwort auf die Frage, ob „Sitte in Gesellschaften ohne Recht etwas völlig anderes ist als in Gesellschaften mit Recht". Königs Typologie unterscheidet sich von bloß genetisch orientierten Rechtssoziologien dadurch, daß er Strukturen und Funktionen des Rechts aus einer vorauszusetzenden Faktizität und Normativität sozialkultureller Handlungsorientierungen zu erklären sucht, wobei er sich insbesondere auf die Untersuchung über die Sitte von Fer60
So Weber, ebd., S. 15, der jedoch die Mode zum Brauchtum zugehörig zählt. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 191. 62 Darauf weist auch Luhmann, Rechtssoziologie (FN 49), S. 27, hin. Zu der durch diese Art der Normentypologie angeblich verstellten Problemsicht der Funktion des "Sollens" (ebd., S. 28) und des gesellschaftlichen Rechts vgl. unten. 63 Vgl. dazu ζ. B. die verschiedenen Konzeptionen von Tönnies, Die Sitte (FN 57), und Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 12 ff., 187 ff. 64 Vgl. etwa Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 441 f., der als Ausgangspunkt für die Entstehung des Rechts die bloß faktische Handlungsregelmäßigkeit ansieht. Zur Kritik einer so gestalteten soziologischen Rechtsquellenlehre vgl. § 6 Ziff. 3. 65 Zur Kritik einer derartigen Rechtquellenlehre vgl. § 6 Ziff. 3 und Niklas Luhmann, Die juristische Rechtsquellenlehre aus soziologischer Sicht, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 308 - 325,311. 61
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
31
dinand Tönnies bezieht. Wichtig ist für König in diesem Zusammenhang nicht so sehr das Verhältnis von Recht und Sitte wie es Tönnies beschreibt. 66 Es geht König vielmehr um die für den soziologischen Normbegriff wichtige Feststellung Tönnies', daß die Sitte nicht nur faktische Verhaltensgleichförmigkeit, sondern gleichzeitig auch obligatorisch ist. 67 König exemplifiziert dies am Beispiel institutionalisierter Verkehrswege. Diese wirken „mit ihrer Faktizität für die Zukunft wie normative Gebote". 68 Damit ist zunächst das gemeint, was Georg Jellinek als „die normative Kraft des Faktischen" beschreibt. Auch Jellinek sieht die Möglichkeit der späteren Rationalisierung der bloßen Faktizität. Er begründet die normative Wirkung jedoch aus der nicht weiter ableitbaren Natur des Menschen „kraft welcher das bereits Geübte physiologisch und psychologisch leichter reproduzierbar ist als das Neue". 69 König hingegen setzt - wie schon erwähnt - die Möglichkeit einer kulturell-normativen Orientiertheit immer schon voraus. Das Verhältnis von Normativität und Faktizität ist für Jellinek aus der Perspektive der Entstehung des Rechts von wesentlicher Bedeutung. Für ihn ist alles Recht zunächst bloße Verhaltensgleichförmigkeit. Erst die „fortdauernde Übung erzeugt die Ansicht des normgemäßen". 70 Jellinek drückt also im Verhältnis von Faktizität und Normativität die Rechtsentstehung aus. Auch Weber verdeutlicht die Entstehung von Gewohnheitsrecht in drei Schritten von faktischen Verhaltensgleichförmigkeiten hin zu normativen Handlungsorientierungen, diese sind „1. faktische gemeinsame Übung, 2. gemeinsame Überzeugung von der Rechtmäßigkeit, 3. Rationabilität, an welche die gemeinrechtliche Wissenschaft seine Geltung [die des Gewohnheitsrechts, Κ. V.] zu knüpfen pflegte, Produkt des theoretischen Denkens". 71 Mit ganz anderer Intention - die nicht die Genese des Rechts aus außerrechtlichen Grundlagen zu deuten sucht - wird das Bild des Verkehrsweges von König verwandt. 72 Ihm kommt es darauf an zu zeigen, daß es sich nicht nur um ein faktisches Handeln aufgrund eines physischen Hindernisses handelt, sondern vielmehr um „soziale Gebote, die außerordentlich schwer zu überwinden sind, weil sie Bestandteil der moralischen Wirklichkeit sind" und uns dazu anhalten, dem Weg zu folgen. 73
66
Tönnies, Die Sitte (FN 57), S. 34 f. Ebd., S. 11 ff. 68 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 190. 69 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Darmstadt 1960, S. 338. 70 Ebd., S. 339. 71 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 441. 72 Vgl. dazu § 6 Ziff. 3. 73 René König, Die Regeln der soziologischen Methode, in: ders., Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978, S. 140 207, 171. 67
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In diesem Sinne geht es König um einen reflektierten, rechtssoziologischen Zugang zum Recht, den er schon in der theoretischen Soziologie Emile Dürkheims verankert sieht und als die „Überwindung einer entwicklungsgeschichtlichen Konzeption und ihrer Ersetzung durch die strukturell-funktionale Analyse ... wie sie aus der Lehre von den sozialen Typen kontinuierlich hervorwächst" 74 beschreibt. Es ist schon hier vorwegnehmend festzustellen, daß sich König lediglich gegen einen falsch verstandenen Evolutionismus wendet, der eine zielgerichtete Entwicklung von niederen zu höheren Gesellschaftstypen nachzuweisen versucht. König selbst vertritt ein modernes evolutionstheoretisches Konzept auf der Basis des sozialen Wandels durch aktive Anpas75
sung. König bedient sich der kulturanthropologischen Forschungen John Deweys 76 und stellt fest, daß das „vermeintlich reaktive Verhalten weitgehend Ausdruck einer Sedimentierung früherer normativer Gestaltung ist, die zur 'zweiten Natur' wurde" 11 Damit setzt er selbst für das vordergründig als ereignishafte, rein reaktive oder auf bloßer Nachahmung beruhende Verhalten, welches nicht mit einem angebbaren subjektiven Sinn versehen ist, d. h. im Sinne Webers nicht an der Vorstellung der Geltung einer normativen Ordnung orientiert ist, eine Normorientiertheit voraus. König unterscheidet sich damit ζ. B. von Johannes Winkelmann, der mit seiner Weber-Interpretation den umgekehrten Weg beschreitet. Winkelmann konstatiert, daß die überwiegende Mehrheit aller Regelmäßigkeiten des sozialen Handelns in der modernen Gesellschaft nicht auf der Orientierung einer als geltend vorgestellten Norm beruhe, sondern auf bloßer Gewohnheit, Nachahmung und vermeintlich situationsadäquater Orientierung an der nackten eigenen oder fremden Interessenlage.78 Er sieht darin eine entschiedene Stellungnahme Webers gegen die Grundposition Dürkheims, wenn er feststellt, daß das „soziale Handeln keineswegs nur an Normen orientiert" ist. 79 Diese Interpretation hängt ganz wesentlich von der dem Normbegriff zugrunde gelegten Struktur ab, ζ. B. auch davon, ob man die Ausübung von Zwang und Sanktion und die individuell vorgestellte Geltung einer Norm zu ih80
ren Strukturelementen bzw. Geltungsvoraussetzungen zählt. 74 René König, Einleitung, in: Emile Durkheim. Die Regeln der soziologischen Methode, 2. Aufl., hrsg. und eingeleitet von René König, Frankfurt a. M. 1991, S. 21 - 82,
26.
75
Vgl. dazu § 6 Ziff. 1. John Dewey , Human Nature and Conduct. An Introduction to Social Psychology, New York 1922. 77 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 189. 78 Johannes Winkelmann, Max Weber. Wirtschaft und Gesellschaft. Textkritische Erläuterungen, 5. Aufl., Tübingen 1976, S. 27. 79 Ebd. 80 Vgl. dazu § 6 Ziff. 2 und § 8 Ziff. 2. 76
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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b) Kritik der Typisierungsmodelle König beschreitet mit seiner Normentypologie genau den umgekehrten Weg. Voraussetzung und Ausgangspunkt seiner genuin soziologischen Betrachtung sozialkultureller Verhaltensregelmäßigkeiten und damit gleichzeitig auch die Basis seiner Normentypologie ist zunächst die tatsächliche Erfahrung des Obligatorischen' oder der 'Gesolltheit' allen sozialkulturellen Handelns. Hierzu gehören auch die Rechtsnormen, die einen Spezialfall sozialkultureller Normierung darstellen. 81 Derart verfahrende Normentypologien werden entweder wegen der Homogenität der ihnen zugrunde gelegten Normenbegriffe 82 oder wegen ihrer Kontingenz 83 kritisiert. Zwar konzediert auch Luhmann, daß ihnen „sachliche Richtigkeit und ein gewisser Orientierungswert nicht abzusprechen" seien. Letztlich gelangten sie „über eine so oder auch anders mögliche Klassifikation nicht hinaus", da sie in mehrfacher Hinsicht nicht in der Lage seien, an die „Wurzel des Rechts" zu gelangen.84 Das Recht werde im Unterschied zu Brauchtum, Sitte und moralischen Regeln lediglich durch besondere einschränkende Merkmale definiert, ζ. B. durch die Existenz besonderer Rollen, Konflikte verbindlich zu entscheiden, durch die Bereitschaft, bei Verstößen Sanktionen zu verhängen. Diese Art der Klassifikation biete aber „keinen ausreichenden Einblick in die funktionale Interdependenz und in den Entwicklungszusammenhang mit anderen kognitiven Strukturen, mit der gesellschaftlichen Differenzierung usw.". 85 Des weiteren werde das 'Sollen' als eine erfahrbare, aber nicht weiter analysierbare Erlebnisqualität, als eine „Grund'tatsache' des Rechtslebens", vorausgesetzt, womit der Zugang zu einer theoretisch fruchtbaren Fragestellung verstellt sei und eine theoretische Begründung, die nach der Funktion des Sollenssymbols fragt, nicht geliefert werden könne. Als exemplarisch für derartige kontingente Typologien und deren divergierenden Sprachund Definitionsgebrauch führt Luhmann vor allem William G. Sumner, 86 Ferdi87
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nand Tönnies, Max Weber und Theodor Geiger nig ausdrücklich bezieht, aber auch König selbst.90 81
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an, auf die sich auch Kö-
König., Artikel Recht (FN 2), S. 257. Zur Kritik eines homogenen Normbegriffs vgl. Pitirim A. Sorokin, Die Organisierte Gruppe (Institution) und Rechtsnormen, in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, 2. Aufl., Opladen 1971 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 11), S. 87 - 120, 106 ff., 110 ff. 83 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 49), S. 27 f. 84 Ebd.; zur Funktion der Zeitbindung des Sollenssymbols vgl. ders.. Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 129. 85 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 49), S. 27 f. 86 William Graham Sumner , Folkways. A Study of Sociological Importance of Usages, Manners, Customs, Mores, and Morals, Boston 1940. 87 Tönnies, Die Sitte (FN 57). 82
3 Vcddclcr
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Auch wenn König das 'Sollen' als sozialkulturelles oder institutionelles Faktum voraussetzt, ist seine Normentypologie sozialen Handelns weit davon entfernt, eine bloß kontingente oder gar arbiträre Klassifizierung sozialkultureller Handlungsorientierungen zu liefern. Es ist durchaus möglich, aus dem Vergleich der tatsächlich in einer Gesellschaft vorkommenden verschiedenen Normensysteme Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Grundstrukturen normativer Handlungsorientierungen aufzuzeigen und so das Recht von anderen normativen Handlungsorientierungen abzugrenzen. Dabei ist einschränkend zu berücksichtigen, daß die typologisierende Beobachtung nur eine mögliche Form der Beschreibung von Recht ist und sicherlich nicht alle Strukturmerkmale normativer Orientierungen aufzudecken vermag. Ob derartige Beschreibungen des Rechts innerhalb einer Normentypologie an die Wurzel des Rechts zu gelangen vermögen, muß hier dahingestellt bleiben, da Luhmann bei seiner bloß metaphorischen Redeweise von den Wurzeln des Rechts nicht näher bestimmt, was er damit meint. Auch müßte er sich selbst fragen lassen, ob er denn mit seiner Unterscheidung etwas anderes oder gar mehr bietet als eine idealtypische Charakterisierung. Dem Rechtstheoretiker, der mit Hilfe seiner Typisierung das Recht beobachten will, ist heute durchaus bewußt, daß eine Normentypologie allein eine Bestimmung des Wesens des Rechts gar nicht liefern kann und dies gewöhnlich auch gar nicht will. Das bedeutet aber nicht, daß die mit der Typologie faktisch vorausgesetzte und in der Tat erfahrbare Tatsache der Gesolltheit des Verhaltens zwangsläufig zur Folge hätte, daß diese Tatsache wissenschaftlich irreduzibel ist und deshalb als nicht weiter durchleuchtbarer Bewußtseinsinhalt und ontischer Fixpunkt fungieren müßte, wie dies Luhmann den Untersuchungen von Nicholas S. Timascheff 91 und Paul Bohannan92 unterstellt. 93 Diese Kritik trifft jedenfalls auf das Königsche Klassifikationssystem nicht zu. Struktur und Funktion sozialkultureller Normierungen im allgemeinen und des Rechts im besonderen erblickt er - wie noch ausführlich im zweiten Abschnitt der Unter-
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Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 187 ff. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 46), S. 137; dersDie Gruppe und die Kategorien der Gemeinschaft und Gesellschaft (FN 58), S. 338 - 374. 90 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 49), S. 27 FN 2; ders., Ausdifferenzierung des Rechts, Frankfurt a. M. 1981, S. 138 FN 54. 91 Nicholas S. Timascheff, An Introduction to the Sociology of Law, Cambridge / Mass. 1939, S. 68: "Ought to be' is a primary, irreducible content of consciousness." 92 Paul Bohannan. Social Anthropology, New York 1963, S. 284: "Norm here means, obviously, what people ought to be." 93 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 49), S. 27 FN 1. 89
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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suchung zu zeigen sein wird - in der Erwartung 94 und der spezifischen Ab95
wicklung von Erwartungsenttäuschuhgen. Im übrigen ist aus der Perspektive einer am Primat der Praxis orientierten realistischen Normen- und Rechtstheorie die Frage der Einordnung und Definition des Rechts mit Hermann Kantorowicz letztlich als eine Frage der Zweckmäßigkeit 96 zu beurteilen, deren wissenschaftlicher Wert an dem Erklärungsgehalt für die durch die Praxis vorgegebenen Problemstellungen zu messen ist. Wegen der unbestrittenen Vielfalt normativer Ordnungsgefüge in der Gesellschaft ist es notwendig, zunächst eine Abgrenzung vorzunehmen und diese auf ihre Brauchbarkeit und die ihr zugrundeliegenden Prämissen hin zu überprüfen. Das heißt jedoch nicht, daß diese Abgrenzung beliebig oder willkürlich gesetzt werden kann. Eine Abgrenzung hängt ganz entscheidend von den jeweiligen Erkenntnisinteressen ab und gelingt nur, wenn die verschiedenen Erkenntnisinteressen der mit dem Recht wissenschaftlich befaßten Disziplinen nicht vermengt werden. Auch König fordert in diesem Zusammenhang - durchaus im Anschluß an Georges Gurvitch - eine strikte Trennung von Rechtssoziologie und soziologisierender Rechtswissenschaft, hier verstanden im Sinne der sogenannten dogmatischen Disziplinen und ihrer Methodenlehre. 97 König charakterisiert das Recht deshalb nicht bloß durch Rekurs auf einschränkende Merkmale, die sich aus der Sicht der Rechtswirklichkeit gegenwärtiger, regelmäßig staatlich organisierter Rechtssysteme ergeben, ζ. B. durch die Verbalisierung des Rechts, indem Normen auf sprachliche Sätze abgezogen werden, oder durch das Vorhandensein eines Rechtsstabs, der über die Durchsetzung der Rechtsnormen wacht. 98 König macht vielmehr die Unterscheidung zwischen der Selbstbeschreibung des Rechts, die bloß zur Rechtswirklichkeit fuhrt, und der sozialen Wirklichkeit des Rechts, welche die eigentliche Grundlage bildet, zum Differenzierungskriterium. Er zeigt so - aus soziologischer Perspektive - den hinter diesen sekundären Erscheinungen stehenden spezifischen kulturellen Charakter des Rechts, dessen Normen „spezialistisch die Regelung des Verhaltens als solche (als Ergebnis einer bewußten, normierenden Tätigkeit) zum Inhalt haben". Das Recht zeichnet sich damit durch eine ganz eigene (Zweck-)Rationalität aus, durch die es sich von allen anderen normativen Ori-
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König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 186. Dietrich Rüschemeyer, Artikel Religion, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 261 - 266, 263. 96 Hermann Kantorowicz, Der Begriff des Rechts, Göttingen o. J., S. 19 ff. 97 Georges Gurvitch, Rechtssoziologie, Neuwied 1960, S. 45: König, Artikel Recht (FN 2), S. 261. 98 K ö n i ^ Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3). S. 197 ff. " 95
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
entierungen unterscheidet." Dies wird im folgenden noch näher zu untersuchen sein.
3. Spezifisch juridische Rationalität als Kennzeichen des Kultursystems Recht Als Maßstab zur Klassifizierung der Normensysteme wählt König „den höheren oder niederen Grad an Rationalität". 100 Die Struktur des funktionalen Kultursystems Recht zeichnet sich nach Ansicht Königs - im Gegensatz zu anderen kulturnormativen Orientierungen - durch ihre hohe Rationalität aus, wobei König seinen Begriff der Rationalität in Anlehnung an die Theorie Max Webers bestimmt. 101 Dieser ordnet die möglichen Formen sinnhaften Handelns idealtypisch. Das soziale Handeln kann bestimmt sein: „1. zweckrational·. durch Erwartungen des Verhaltens von Gegenständen der Außenwelt und von anderen Menschen und unter der Benutzung dieser Erwartungen als 'Bedingungen' oder als 'Mittel' für rational, als Erfolg, erstrebte und abgewogene eigene Zwecke, - 2. wertrational·, durch bewußten Glauben an den ... unbedingten Eigemvert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg, - 3. affektuell, insbesondere emotional·, durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen, 4. traditional·, durch eingelebte Gewohnheit". 102
a) Abkehr vom überkommenen Rationalitätsbegriff Mit dem Rückgriff auf die Webersche Begriffsbestimmung rationaler Handlungen koppelt sich König ab von der durch Konventionen bestimmten Begriffsgeschichte der Rationalität, die diese in der Natur selbst verwurzelt und deshalb nur dasjenige als rational ansieht, was die in der Natur angelegte Zwecksetzung verwirklicht, sei diese Natur nun diejenige, die den einzelnen Menschen umgibt und mit der er lebt, oder die des Menschen selbst. Seit der philosophischen Aufklärung wird Rationalität herkömmlicherweise als Qualität der Natur des menschlichen Geistes, seines Bewußtseins und seiner Denkoperationen angesehen.103 Königs Rückgriff auf Max Weber bedeutet auch, daß sich
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Ebd.. S. 199. Ebd., S. 188. 101 Ebd.. S. 196. sowie ders., Die objektiven Kulturmächte und ihre soziologischen Auswirkungen (FN 48). S. 73 ff. 102 Weber. Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 12. I0> Vgl. hierzu: Lothar Rolke, Rationalität, Rationalisierung, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.). Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 8, Basel 1992, Spalte 52 - 62. 52 - 55. 100
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für König Rationalität nicht auf mentale Zustände reduzieren läßt, d. h. Rationalität oder „ratio" meint nicht ein bloß 'vernünftiges' Denken im Kopfe. König unterscheidet vielmehr zwischen Vernunft und Rationalität. Für König ist Rationalität keine ontische, statische Größe und nicht wie die Vernunft dem Menschen gegeben, wie es auch heute noch we it verbreitete anthropologischmetaphysische Deutungsmuster insinuieren. Rationalität ist demgegenüber für König ein historischer bzw. sozialer Prozeßbegriff. Dies wird daran deutlich, daß König die Begriffe Rationalität und Rationalisierung synonym verwendet. Aus der Perspektive seiner kulturwissenschaftlichen Forschungen bedeutet Rationalität zunächst nur die wissenschaftliche Markierung einer bestimmten Stufe sozialkultureller Prozesse der Rationalisierung in einer Gesellschaft. Die Rationalität als Rationalisierungsprozeß ist also nicht einfach, sondern hat wegen ihrer Dynamik einen höchst wandelbaren Charakter. Dies gilt für die Rationalität aller sozialkulturellen Funktionssysteme unter Einschluß sowohl derjenigen des Rechts als auch derjenigen der Wissenschaften. 104 Als „schöpferischer Prozeß gesellschaftlichen Geschehens"105 wird Rationalisierung nicht allein durch individuelle Denkleistungen bewirkt, sondern meint einen in allen kulturellen Teilbereichen unterschiedlich schnell verlaufenden sozialkulturell bedingten Prozeß. König steht mit der Anschlußnahme an Max Weber in der Tradition einer allgemeinen Skepsis gegenüber der menschlichen Vernunft, die er durch seine Vorstellung von wissenschaftlicher Rationalität zu ersetzen sucht. Letztere basiert auf der Erfahrung mit und der Beobachtung von unterschiedlichsten kulturellen Rationalitäten in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen. Sie ist darüber hinaus verankert in einem kulturanthropologischen Relativismus, der die eigene wissenschaftliche Rationalität als sein eigener „Beobachter" deutet und erklärt und „einer ganz bestimmten Kultur angehört, die allererst wissenschaftliches Denken möglich macht". 106 Diese gesellschaftlich, kulturell geprägte Realität voraussetzend, geht es König deshalb auch nicht um die normative Begründung einer Theorie der Rationalität, die als Konvergenzpunkt der
104 König, Die objektiven Kulturmächte und ihre soziologischen Auswirkungen (FN 48), S. 75. Ebd. 106 René König, Die Grenzen der Soziologie, in: Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 92 - 106, 98. Zur Auflösung des Rationalitätsbegriffs selbst und der Rationalitätsskepsis bei Max Weber vgl. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1997, S. 175. Eine Aufzählung von einundzwanzig verschiedenen beobachtbaren Rationalitäten findet sich bei Hans Lenk, Typen und Systematik der Rationalität, in: ders. (Hrsg.), Zur Kritik wissenschaftlicher Rationalität, Freiburg / München 1986, S. 11 - 27; ders., Wissenschaft gegen Irrationalismus? In: Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft (Hrsg.), Wissenschaft gegen Irrationalismus? O. O. 1984, S. 15 - 30.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Philosophie fungiert, wie sie von der kritischen Philosophie angestrebt wird. 1 0 7 Ebensowenig geht es ihm um die Gewinnung und Begründung vernünftiger bzw. rationaler Normen. 108 Rationalität, Ir- oder Arationalität und die wertende Deutung und Erklärung von Normen in diesem Sinne fallen für ihn einzig und allein in den Gegenstandsbereich der Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie. 109 Die Vielzahl der tatsächlich auszumachenden Rationalitäten macht es König überhaupt möglich, innerhalb der neben dem Recht existierenden sozialkulturellen Normen- und Funktionssysteme dem Rechtssystem aufgrund der ihm eigenen Art und Weise normativer Orientierungsfunktionen und -leistungen sowie der Schaffung und Durchsetzung dieser Funktionen und Leistungen einen eigenen Platz und Stellenwert zuzuweisen. Infolgedessen wird es auch möglich, zwischen der juridischen Rationaliät der Rechtspraxis, den Wissenschaften vom Recht und dem übrigen Wissenschaftssystem deutlich zu unterscheiden. 110 Ausgangspunkt seines Rationalitätskonzepts, das König analog zu demjenigen von Helmut Schelsky entwickelt, 111 der - unbeschadet der Ra] 12
tionalisierungsleistungen des einzelnen - an soziale und institutionelle Vorgänge anknüpft, ist der Begriff des Sinns und der Sinnorientiertheit als Voraussetzung allen sozialen Handelns. 113 Jedoch stellt König - anders als Schelsky nicht den Begriff der sozialen Institutionen und Systeme, sondern denjenigen der kulturellen Orientierungen in den Vordergrund. b) Kultur als Sinn Nach der Definition Max Webers soll „'Handeln' ... menschliches Verhalten ... heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen 107
Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1981, S. 16. 108 Zur Rechtsgeltung vgl. § 8. 109 René König, Einige Überlegungen zur Werturteilsfreiheit bei Max Weber, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987. S. 204-229,213. 110 Zur Unterscheidung dieser Rationalitäten vgl. Werner Krawietz, Rationalität des Rechts versus Rationalität der Wissenschaften? In: RECHTSTHEORIE 15 (1984), S. 423 452, insbesondere S. 438 ff. 1,1 Vgl. dazu § 7 Ziff. 2. Zum Konzept der juridischen Rationalität bei Helmut Schelsky vgl. Petra Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995, S. 164 ff. 112 Hier nicht etwa verstanden im rein psychologischen Sinne der Psychoanalyse Freuds, sondern rationales Erleben und Handeln im Sinne der Sozialpsychologie Schelskys und Königs, wonach im Laufe der Soziabilisierung, Sozialisation und Enkulturation erlernt wird. vgl. dazu § 4 Ziff. 3. 1,1 König. Artikel Soziales Handeln (FN 23), S. 756. Zum Handlungsbegriff in der Normentheorie Königs vgl. auch § 4 Ziff. 2.
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subjektiven Sinn verbinden. 'Soziales' Handeln soll ein solches Handeln heißen, welches seinem ... Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist. ... 'Sinn' ist hier ... der tatsächlich ... subjektiv gemeinte Sinn. Nicht etwa irgendein objektiv 'richtiger' oder ein metaphysisch ergründeter 'wahrer' Sinn." 114 Entsprechend konstatiert König, daß Sinn immer an „wirkliches (empirisches) Handeln gebunden" bleibt und deshalb von dem Bezugsrahmen der philosophischen Analyse unterschieden werden muß. 115 König nimmt diese und die oben schon zitierten Definitionen der Sinnhaftigkeit und der Rationalität des Handelns nach Weber auf, insbesondere die der Zweckrationaliät des sozialen Handelns, erweitert sie jedoch in einem wichtigen Punkt. Nach seiner Ansicht könne - von Webers Standpunkt aus - nur dort ein rationales Handeln entdeckt werden, wo der oder die Akteure einen Handlungssinn mit ihrem Verhalten vergegenwärtigen, im übrigen könne lediglich behavioristisch von einem rein reizreaktiven Verhalten gesprochen werden. Für die Unterscheidung von faktischer Verhaltensregelmäßigkeit und normorientierter Handlung bedeute dies, daß nur dort normatives Handeln beobachtet werden könne, wo sich Akteure desselben bewußt sind. Entsprechend grenzt Max Weber ein rein reaktives, auf Nachahmung beruhendes und traditionales Verhalten aus dem Handlungsbegriff aus, weil es „ganz und gar an der Grenze und oft jenseits dessen (steht), was man 'sinnhaft' orientiertes Handeln überhaupt nennen kann". 1 1 6 König folgt dieser Klassifikation der normativen Handlungsorientierungen nicht. Auf der Grundlage der kulturanthropologischen Forschungen John Deweys kann König zufolge nämlich „selbst da, wo ein scheinbar 'mit einem subjektiven Sinn nicht verbundenes' Handeln auftritt, bei genauerem Zusehen und bei einem Zurückverfolgen dieses Verhaltens in die Vergangenheit ein solcher Sinn in Form einer einstmals wirksam gewesenen Normierung entdeckt werden". 117 König stellt mit Dewey fest, daß das „Erworbene das Ursprüngliche ist" und daß das vermeintlich reaktive Verhalten Ausdruck einer Sedimentierung früherer normativer Gestaltung ist, die zur „zweiten Natur" wurde. Der Begriff der 'zweiten Natur' findet sich auch bei Arnold Gehlen als sinnhafte Kulturwelt des Menschen, in der der Mensch lebt und aus der heraus die 'erste Natur' des Menschen gedeutet wird. 1 1 8 Damit ist zunächst gesagt, daß alles soziale Verhalten, Handeln und Erleben nicht auf einer tabula rasa be-
114 115 116 U 1
Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 1. König, Artikel Soziales Handeln (FN 23), S. 756. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 22), S. 12. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3).
S. 188. 118 Arnold Gehlen, Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 12. Aufl., Wiesbaden 1978, S. 38, 348.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
ginnt, sondern regelmäßig immer schon an bereits vorhandenem Sinn in der Form von Kultur anknüpft, ohne daß dies zwangsläufig bedeutet, daß kulturelle Neuschöpfungen in einer Gesellschaft ausgeschlossen seien. 119 Darüber hinaus verweist die Tatsache der Ursprünglichkeit der 'zweiten Natur' des Menschen in der Form von Kultur darauf, daß, sofern menschliches Verhalten sich bloß als faktisch oder als naturgegeben im Sinne eines reizreaktiven Bewegungs- oder Verhaltensablaufs darstellt, dies zum einen ein kulturgeformtes Verhalten ist, das zum anderen aus einer spezifisch kulturellen Sicht, also kulturrelativ und dementsprechend selektiv, eben als ein reizreaktives Verhalten und nicht als ein anderes beschrieben wird. Die 'zweite Natur' bestimmt kulturrelativ, was die sogenannte 'erste Natur' des Menschen ist, indem das normativ unbefragte Verhalten kultureller Selbstverständlichkeiten sinnhaft d. h. aus der Kulturwelt heraus als das sog. 'natürliche' Verhalten - gedeutet und erklärt wird. Diese Ursprünglichkeit des kulturell erworbenen Verhaltens der Gattung Mensch in ihren Vergesellschaftungsformen entspricht der - noch näher zu erläuternden - von König als „Zweite Geburt" der sozialkulturellen Person bezeichneten Enkulturation und Sozialisation, die es der Person erlaubt, sich in dem sozialkulturellen Milieu einer Gesellschaft, welches sich aus den gesellschaftstypischen Institutionen zusammensetzt,120 zurechtzufinden. 121 Die sedimentierte Kultur liefert gewissermaßen den Grundstock sozial realisierbarer Möglichkeiten des Handelns und Erlebens. Diese basale Sinnhaftigkeit ist nach König auf das engste mit der empirischen Wirklichkeit von Handeln und Erleben verknüpft. Der Sinn ist also - wie König es formuliert - zuerst „im Modus der Einhüllung" im sozialen Handeln vorhanden. 122 Hiernach bestimmen sich die Denkweisen, Sichtweisen und Deutungsmuster sowohl der natürlichen als auch der sozialkulturellen Umwelt. Aber auch die Zweiteilung der Welt in Natur und Kultur findet in der sozial verwirklichten Kultur statt. 123 Dementsprechend finden für König geographische Umweltbedingungen und andere bio-physische Faktoren keinen unmittelbaren Niederschlag in der sinnhaften Orientierung sozialen Handelns, sondern nur dann und insoweit diese
119
Vgl. dazu § 6 Ziff. 1. Vgl. dazu § 7. 121 Auf die insbesondere dem Gehlenschen Ansatz zugrundeliegenden anthropologischen Grundannahmen kann hier nicht näher eingegangen werden. Die kulturtheoretische Basis dieser auf die Ergebnisse der empirischen Kulturanthropologie zurückgehenden Erkenntnisse der Königschen Theorie wird an anderer Stelle ausführlich zu erörtern sein, vgl. § 3 Ziff. 3. Zur Person als einem sozialkulturellen Erwartungsadressaten vgl. § 4 Ziff. 3.' 122 König, Kritik der historisch-existenzialistischcn Soziologie (FN 7), S. 261 f. Vgl. § 7. Charles P. Snow , The Two Cultures: and a Second Look. An Expanded Version of the Two Cultures and the Scientific Revolution, Cambridge 1965. 120
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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„Bestandteile des äußeren sozialen Systems sind, das heißt Ergebnis kultureller und sozialer Umformung ursprünglich rein physisch-materieller Gegebenheiten". 1 2 4 Als das bedeutendste kulturelle Normensystem, das sich gleichsam im Rükken des Akteurs bewegt und den Hintergrund der vielfältigsten zu beobachtenden Handlungsregelmäßigkeiten bildet, nennt König das brauchtümliche Verhalten. Er bezeichnet den Brauch als das „fundamentalste und umfangreichste 125
Normensystem". Die Bezeichnung des Brauchs als Normensystem ist nicht unproblematisch. Der Brauch ist weder im Sinne der älteren Sprachverwendung, die darunter eine interne Ordnung von Systemteilen versteht, noch im modernen systemtheoretischen Sinne einer Selbstabgrenzung und Selbststabilisierung eines Normensystems gegenüber seiner Umwelt ein System. 126 Selbst König bezeichnet die Brauchnormen als einen „inkohärenten Teil der Kultur", 127
der häufig „sinnhaft-adäquat nicht mehr verstehbar" sei. Der Brauch erscheint in seiner Struktur bisweilen ex post betrachtet als „völlig unreflektiert und systemlos", weil die Sinnhaftigkeit dieser Kulturform nicht eben selten in der aktuellen Gegenwart verschwunden ist, 128 so daß er zumindest für den handelnden Akteur als bloß faktische Gewohnheit erscheint, der jeglicher normativer Sinn fehlt. Die Frage der Sinnhaftigkeit der durch die Brauchnorm vorgeschriebenen Handlung stellt sich dem Akteur gewöhnlich gar nicht, da die Handlungen ganz im Sinne des Brauchs geprägt erscheinen und als solche unreflektiert bleiben. In diesem speziellen Fall sozialkultureller Verhaltensorientierungen kann sehr weitgehend nicht mehr von einer Handlungswahl gesprochen werden, da eine Handlungsalternative zum brauchtümliehen Verhalten im gegenwärtigen Handeln und Erleben gewöhnlich gar nicht existiert. Sofern sie als ein kultureller Pool möglichen Erlebens und Handelns nicht zur Verfügung stehen, können 129
sie nach und nach in Vergessenheit geraten.
124
König, Artikel Soziales Handeln (FN 23), S. 756. Zur Frage, inwieweit das biophysische und psychische System des Menschen Teil des sozialen Systems ist, vgl. Niklas Luhmann, Wer kennt Wil Martens? Eine Anmerkung zum Problem der Emergenz sozialer Systeme, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 44 (1992), S. 139- 142. 125 Köni%, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 192. 126 Zum Begriff des sozialen Systems als soziale Referenzebene vgl. § 2. 127 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 189. 128 Ebd., S. 192. 129 Ebd.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Die brauchtümlich orientierte Verhaltsregelmäßigkeit im Sinne von König beschreibt damit einen Sachverhalt, der aus systemtheoretischer Perspektive einen Sonderfall der Selektivität von Sinn beschreibt, der die Selbstüberforderung des Erlebens und Handelns durch andere Möglichkeiten (in der Doppelstruktur von Komplexität und Kontingenz) betrifft. Demzufolge meint Sinn den Auswahlprozeß von Erleben und Handeln, der auf Selbstüberforderung eben dieses Erlebens und Handelns beruht. Die Selbstüberforderung ist bedingt durch eine Vielzahl so oder auch anders möglicher Handlungs- und Erlebensvarianten sowie die Tatsache, daß nicht alle Möglichkeiten gleichzeitig realisiert werden können. Die sinnhafte Auswahl ist dadurch gekennzeichnet, daß der Überschuß von Verweisungen auf nicht realisierte Möglichkeiten in der Kultur - verstanden als Gedächtnis der Gesellschaft 130 - zwar neutralisiert werden, aber gleichwohl mitgeführt und bei anderer Gelegenheit wieder gewählt werden kann. 131 Das brauchtümliche Verhalten im Sinne Königs zeichnet sich dadurch aus, daß - systemtheoretisch formuliert - die Komplexität anderer Möglichkeiten nicht nur neutralisiert, sondern weitgehend ausgemerzt und gar vernichtet wird, so daß faktisch nur eine Handlung möglich ist, die nicht mehr als Handeln zugerechnet, sondern als Erleben behandelt wird. 1 3 2 Der ursprüngliche Verweisungsüberschuß anderer Möglichkeiten des Erlebens und Handelns wird nicht mehr mitgeführt und kann nur durch einen Zufall wiederentdeckt werden, ζ. B. durch den Sozialforscher. Dieser ist dann möglicherweise auch nicht in der Lage, die ursprünglich mitgeführten Handlungsmöglichkeiten in der vergangenen normativen Bedeutung für das Handeln wieder ans Tageslicht zu befördern. Er kann diese (Re-)Konstruktion des ursprünglichen Sinns nur aus dem Komplex der von ihm zum Zwecke entsprechender Rekonstruktionen bereitgehaltenen, gegenwärtigen Handlungsmöglichkeiten leisten. In diesem Sinne bleibt, wie König es nennt, das Vergessen ein totales. Damit ist aber auch gesagt, daß ein Anknüpfen, ζ. B. an ein durch einen Akteur als sinnlos bezeichnetes Handeln, welches aus dessen Sicht dann nur noch als Verhalten erlebt werden kann, immer nur sinnhaft geschieht. Der Akteur kann tatsächlich also immer nur sinnhaft operieren: Hieran zeigt sich, daß Sinnlosigkeit im Sinne von Sinnverlust eben nicht durch die Negation von Sinnhaftigkeit gewonnen wird. 1 3 3 Mit diesem Umweg über den Extremfall der Vernichtung sinnhaften
130
Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 106), S. 44 f., 409 f. Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1987, S. 101. 132 Vgl. dazu Niklas Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: ders. / Jürgen Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt a. M. 1971, S. 25 - 100, 32 f. 133 Luhmann, Soziale Systeme (FN 131), S. 96. Eine andere Auffassung vertritt demgegenüber Alois Hahn, Sinn und Sinnlosigkeit, in: Hans Haferkamp / Michael Schmid (Hrsg.), Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung. Beiträge zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 155 - 164, 161, der davon ausgeht, 131
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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Handelns (nicht der sinnhaften Anschlußnahme), indem Sinn als Verweisungsüberschuß auf andere Möglichkeiten - zumindest für den Akteur - nicht mehr zur Verfügung steht, gelangt König zu einem ganz zentralen Punkt seiner soziologischen und normen- und rechtstheoretischen Untersuchungen. Zwar konstatiert er, daß das gesellschaftliche Leben so gut wie nie auf einer kulturellen tabula rasa beginnt und stattfindet, d. h. Sinn immer an Sinn anknüpfen kann, aber es ist dennoch möglich, daß Sinnformen verloren, d. h. untergehen und in totale Vergessenheit geraten können, ohne daß sie in ihrer ursprünglichen Sinnhaftigkeit und Bedeutung für eine Gegenwartsgesellschaft wieder erschlossen werden könnten. Die Sinnkonstitution kann deshalb nicht nur auf den Anschluß von vorangegangenem Sinn und damit auf vorausgegangenen Kulturformen beruhen,1"54 so daß es nach Ansicht Königs soziale Zusammenhänge gibt, die mit den Worten Luhmanns ausgedrückt - das „sinnkonstituierende Erleben genetisch regulieren und nicht lediglich im Ve'rweisungszusammenhang des schon konstituierten Sinns angezeigt sind". b 5 Die Konstitution von Sinn ist nach Ansicht Königs vielmehr im „schöpferischen Prozeß gesellschaftlichen Geschehens (angelegt), das niemals sich selbst gleich bleibt, sondern in jeder Sekunde seiner Existenz aus einer relativ fest umrissenen Gegenwart in eine völlig unbekannte Zukunft stürzt". 136 Die in diesem Zitat zum Ausdruck gebrachte Dynamik des sozialkulturellen Prozesses und dessen Bedeutung für das Recht sind zentraler Bestandteil der Kulturtheorie Königs und werden weiter 137
unten ausführlich zu erörtern sein. Trotz aller Dynamik und ständigen Veränderung ist es notwendig und geschieht auch tatsächlich, daß die sozialkulturelle Welt als solche immer erneut wiedererkannt werden kann. Dazu dienen auch rechtliche Orientierungen, die als rechtsnormativ in der Vergangenheit gesetzt - es berechtigterweise erlau138
ben, Prognosen in Form von Erwartungen über das Verhalten Dritter in der Zukunft anzustellen und, sofern diese sich nicht erfüllen, was wegen der Offenheit der Zukunft tatsächlich und selten eintritt, gleichwohl beizubehalten. Die spezifische Rationalität des Rechtssystems zeichnet sich somit auch dadurch aus, daß mittels Verfahren eine sinnhafte Orientierung darüber sichergestellt wird, wem das Risiko des Fehlgehens einer solchen Prognose zuzurechnen ist.
daß - soweit die Existenz als Ganzes thematisiert wird - Sinnlosigkeit zumindest möglich werde. 134 Zur kulturtheoretischen Fundierung der Königschen Foschungen vgl. § 3 Ziff. 3. 135 Luhmann, Sinn als Grundbegriff der Soziologie (FN 132), S. 49. 136 König, Die objektiven Kulturmächte und ihre soziologischen Auswirkungen (FN 48), S. 75. 137 Vgl. dazu insbesondere § 6 Ziff. 1 und § 7. 138 Vgl. dazu § 4.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
c) Sinn in Form von Erleben und Handeln Nach Ansicht Königs hängt die Sinnhaftigkeit eines Verhaltens nicht von der expressiven Kenntnis einer normativen Orientierung des Akteurs ab. König stellt klar, daß er in diesem Zusammenhang eine „mehr oder weniger ausdrückliche Normierung" meint, wie sie ursprünglich gewesen sein mag. Dies bedeutet lediglich, daß eine normative Handlungsweise eben nicht nur von der Möglichkeit einer sprachlichen Formulierung oder Formulierbarkeit durch den handelnden Akteur selbst abhängt, ohne daß deshalb eine vorsoziale Präexistenz von Normen angenommen werden müßte, die ihre eigene Daseinsweise haben. König verweist auf die Möglichkeit, daß ein Verhalten durch einen Beobachter als sinnhaft orientiert, d. h. eben auch als normativ motiviert ausgewiesen werden kann - sei es zu sozialwissenschaftlichen oder juristischen Zwekken - , ohne daß dies notwendig explizit der Form von Sprache oder Schrift bedürfte. Wenngleich dies auch häufig der Fall sein wird, ist für König Sprache nur ein kleiner Teil der sozialkulturellen Sicherungsfunktion von Normen. 139 Dennoch ist vor allem die juristische Feststellung eines gerade nicht gewählten Handlungssinns notwendig auf sprachliche Mittel angewiesen, da nur im sprachlichen Handeln auch an die nicht gewählten Handlungen Anschluß hergestellt werden kann. 140 Damit wird deutlich, daß Sprache eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für das Fällen einer juristischen Entscheidung ist. Die spezifische juridische Rationalität läßt sich nicht auf eine bestimmte Art von Sprache und Sprachverwendung zurückführen, sondern knüpft an weitere soziale und kulturelle Faktoren an (Ausdifferenzierung juristischer Verfahren, Abhängigkeit vom politischen System, Grad der Bürokratisierung, Rollen- bzw. Ämterdifferenzierung, Bedeutung und Stellung der Gerichte, des Richterpersonals und Entscheidungen der Gerichte in einer Gesellschaft usf.). Diese bestimmen auch den möglichen Umgang und Stellenwert der Sprache, hier verstanden als Fachsprache oder Logik im Recht - nicht umgekehrt. Hinsichtlich der Sinnhaftigkeit eines Verhaltens kommt es für König also nicht darauf an, ob ein Akteur sein Verhalten als Handeln erlebt. Handlung ist nicht schon deshalb unsinnig und damit irrational, weil eine gegenwärtige Handlungsregelmäßigkeit vom Standpunkt der Akteure nicht mehr mit einem normativen Handlungssinn identifiziert und deshalb auch nicht mehr als Norm formuliert werden kann. Der Akteur sieht sich also nicht mehr als einen Handelnden. Sein Verhalten fällt ihm lediglich zu; er ist damit konfrontiert, daß er sich nicht als einen normativ motiviert Handelnden, sondern als erlebenden 139 König, Die objektiven Kulturmächte und ihre soziologischen Auswirkungen (FN 48), S. 72 f. 140 Vgl. dazu auch Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 106), S. 205 ff., 223.
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
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Akteur beobachtet. Die Handlungsregelmäßigkeit wird also, wenn sie vom Akteur selbst als Gleichmäßigkeit erkannt wird, nicht auf eine in einem Satz formulierbare Norm zurückgeführt, die sie ursprünglich gewesen sein mag, sondern bloß auf das Erleben des Akteurs, daß in der bestimmten Art immer schon gehandelt wurde. Daher kann aus der Sicht des sich verhaltenden Akteurs leicht der Eindruck entstehen, daß die Gleichförmigkeiten des Verhaltens nicht im eigentlichen Sinne Handlungsregelmäßigkeiten und nicht normativ, sondern nur faktisch bedingt sind, also ζ. B. auf bloßer Nachahmung, Zufall oder psychischen Zuständen beruhen, was aus sozialwissenschaftlicher Perspektive regelmäßig nicht der Fall ist. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß der Akteur in die Lage gerät, die Handlung nachträglich durch eine vorgestellte Norm zu rationalisieren und sein Verhalten dann wiederum als Handeln zu erleben, das er sich selbst zurechnet. Daß die gegenwärtige Rationalisierung der Handlung durch den Akteur nicht möglich erscheint, bedeutet noch nicht, daß die Handlungsgleichförmigkeit als solche völlig unsinnig und deshalb als irrational zu bewerten ist. Das beobachtbare Verhalten kann durchaus als eine Verhaltensauswahl gedeutet und erklärt werden und erst dann als funktionaies oder zweckmäßiges, rechtmäßiges oder rechtswidriges Handeln zugeschrieben werden. Rational ist das Handeln - ganz im Sinne Max Webers, aber auch René Königs - dann, wenn die Orientierung am Verhalten Dritter dem Zweck / MittelSchema folgt. Das Verhältnis von Rationalität und sinnhaftem Handeln stellt sich aber für König - anders als für Weber - dar als eine spezifische Art der Orientierung am Verhalten Dritter dann und nur dann, wenn und soweit der Akteur selbst einen subjektiven Handlungssinn mit dem Verhalten verknüpft. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn der Akteur sein Verhalten nicht als Handeln erlebt, sondern nur als Erleben behandelt. Rationalität ist sinnhaftes Verhalten nur in der Sinnform des Handelns - und nicht in der des Erlebens - , und sie ist regelmäßig eine Zweck / Mittel-Orientierung. Aus der Sicht Königs wandelt sich diese Perspektive. Dies geschieht jedoch nicht dergestalt, daß er einfach die Betrachtungsweise von sogenannter Subjektivität auf sogenannte Objektivität umstellt, die auf die Perspektive eines objektiven Dritten, z. B. des Sozialforschers angewiesen ist, der über die Sinnhaftigkeit bzw. Rationalität des Erlebens und Handelns bestimmt. Für König sind Handeln und Erleben vielmehr sozialkulturell äquivalente Sinnformen, die jeweils systemrelativ - also aus der Sicht des Rechtssystems, eines Einzelhandelnden oder des Wissenschaftssystems - entweder als Erleben oder als Handeln zugeschrieben werden können. Nicht nur der von außen beobachtende Sozialwissenschaftler hat die Möglichkeit, die Sinnhaftigkeit oder Rationalität eines Handelns zu ermessen.
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Nachträgliche Rationalisierungen ihres Verhaltens können auch die Akteure selbst vornehmen, ungeachtet der Tatsache, daß diese Sinnzuschreibungen sich nicht mit denjenigen des Wissenschaftssystem decken müssen. Sie knüpfen jedoch beide an die kulturell tradierten Sinnzuschreibungsmöglichkeiten an. Gleiches gilt für rationales Handeln als ein Handeln, das am Zweck / MittelSchema ausgerichtet ist.
4. Praktische und theoretische Rationalität In seiner kulturtheoretischen Darstellung von System- und Handlungsrationalität beschreitet König einen Mittelweg zwischen der Theoriekonzeption von Talcott Parsons und derjenigen Niklas Luhmanns. Während Parsons' Interesse darauf gerichtet ist, analytisch die allgemeine Struktur des ab extra identifizierten, individuellen Handelns zu untersuchen, 141 orientiert sich Luhmann an der jeweiligen System / Umwelt-Differenz und trennt diese scharf von der Ebene der Rationalität des Einzelhandelns.142
a) Handlungs- und Systemrationalität Für König sind es in erster Linie die sozial produzierten, regelmäßig normativ wirkenden Kultursysteme einer Gesellschaft, die die Zweck / Mittel-Schemata definieren und auf dem Wege der Sozialisation und Enkulturation auch das Handeln personaler Akteure mitbestimmen. Die geschieht allerdings, ohne daß sich die Zweck / Mittel-Schemata der Akteure mit denen ihrer Vergesellschaftungsform notwendig decken müßten, um eine entsprechende Zweck / Mittel-Rationalität zu ermöglichen oder auch nur zu stützen. Das Gegenteil kann am Beispiel des Eigentums verdeutlicht werden. Auf derselben sozialkulturellen Basis, nämlich der institutionalisierten Möglichkeit, den Zugriff Dritter auf eine Sache zu kontrollieren, können höchst unterschiedliche Handlungsformen rational sein. In der institutionellen Perspektive kann das der Respekt vor diesen Möglichkeiten sein und der Schutz des Eigentumsrechts durch normative Verbote, durch die Androhung und Vollstreckung von Strafen usf. Es kann
141 Talcott Parsons , Der Begriff der Gesellschaft: Seine Elemente und Verknüpfungen, in: ders., Zur Theorie sozialer Systeme, hrsg. und eingeleitet von Stefan Jensen, Opladen 1976, S. 121 - 160, 121 ff. 142 Niklas Luhmann, Zweck - Herrschaft - System, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 90 - 112, 91 ff. Für Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 106), S. 184, ist Rationalität Systemrationalität, d. h. "eine Unterscheidung, nämlich die von System und Umwelt, der Realität auszusetzen und an ihr zu testen".
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dies aber auch die des Diebes sein, dessen Handeln nur rational ist, wenn er auf der einen Seite die Möglichkeit des Eigentums anerkennt und auf der anderen Seite sein Tun zum Bruch dieser Regel führt. Aus der Perspektive der Institution, deren normative Sinngehalte sozial verwirklicht werden sollen, kann darüber hinaus selbst das abweichende Verhalten des Diebes rational im Sinne der Erhaltung und Stabilisierung des Vergesellschaftungszwecks sein, indem die Normverstöße zu Strafaktionen Anlaß geben, die Norm zu bestätigen.143 Aus der Perspektive Königs stellen die Normverstöße nicht nur rein individuelle Abweichungen dar, sondern sie beruhen auch auf intrakulturellen Normkonflikten, d. h. die Motive des Handelns sind immer auch kulturell bedingt. 144 Weiteres Beispiel für die unterschiedliche Rationalitätsstruktur von Einzelhandeln und sozialem System ist die Tätigkeit des Behördenangestellten. Er bearbeitet die Akten in erster Linie wegen seiner Entlohnung; die Arbeit ist Mittel zum Zweck des Lebensunterhalts und nicht, um Rationalisierung und Bürokratisierung voranzutreiben. 145
b) Rationalitätsstandards
normativer Kultur
Neben den zu beobachtenden unterschiedlichen Rationalitätsstrukturen von Akteur und Gesellschaft unterscheidet König eine Vielfalt der Kulturen und Subkulturen und der daraus resultierenden Normenkonflikte. Schon aus diesem Grunde ist für König die gesellschaftliche oder kulturelle Konzeption einer Einheit der Rationalität von vornherein ausgeschlossen.146 Darüber hinaus lassen sich im Recht verschiedene Rationalitäten beobachten. Es werden unterschiedliche Zwecke verfolgt und dazu unterschiedliche Mittel bereitgestellt. 143 König, Die Regeln der soziologischen Methode (FN 73), S. 188; Emile Durkheim , Die Regeln der soziologischen Methode, Frankfurt a. M. 1984, S. 161; Luhmann, Zweck - Herrschaft - System (FN 142), S. 100. 144 René König, Artikel Anomie, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 22 - 31, 24, 29; ders., Artikel Institution, ebd., S. 142 - 148, 148; ders., Artikel Herrschaft, ebd., S. 119 - 128, 122. 145 Zur Entstehung von informellen Gruppen in hochrationalisierten Organisationen und der sog. "human-relations"-Bewegung vgl. M. Rainer Lepsius, Artikel Industrie und Betrieb, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 129 - 142, 138; Luhmann, Zweck - Herrschaft - System (FN 142), S. 100. 146 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 15), S. 359. Zum Versuch der Reformulierung einer gesellschaftlichen Rationalität vgl. Georg Kneer, Bestandserhaltung und Reflexion: Zur kritischen Reformulierung gesellschaftlicher Rationalität, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 86 - 112. Zu dessen Kritik eines solchen Versuchs: Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 106), S. 186.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Dies bedeutet jedoch nicht, daß jedwede konfligierende Interessenverfolgung nach unterschiedlichen Rationalitäten notwendig selbstzerstörerische Tendenzen nach sich ziehen und der Verlust von Einheit deshalb kulturkritisch und pessimistisch beklagt werden müßte. 147 König unterscheidet - ähnlich dem von Werner Krawietz entwickelten Multi-Level-Approach - zwischen unterschiedlichen Ebenen der Theoretisierung des Rechtsdenkens.148 Unter Rekurs auf das, was Durkheim als „ideologische Analyse" 149 bezeichnet, beschreibt König den empirisch nachweisbaren und rekonstruierbaren Übergang der unmittelbaren Lebensorientierung und ihrer Vulgärerfahrung hin zur genuin wissenschaftlichen Deutung und Erklärung, die sich im wesentlichen in vier Schichten vollzieht. 150 König entwickelt seinen Denkansatz unter Bezugnahme auf die Arbeiten Emile Dürkheims zunächst am Kultursystem Erziehung, wendet dieses Mehrschichtensystem aber ebenso für das Kultursystem Wirtschaft als auch für das des Rechts an. 151 Die erste Schicht bezeichnet die kontinuierlich geübte Erziehungspraxis, die den Transfer normativer Orientierungen auf die nächste Generation betrifft. Diese erste Schicht unterscheidet sich von der auf Level 1 von Krawietz genannten Rechtspraxis insofern, als diese nicht nur die sinnhafte Orientierung an tatsächlich wirkenden normativen Strukturen des Rechts, den subsistenten Nor-
147 So etwa Gunther Teubner, Des Königs viele Leiber. Selbstdekonstruktion der Hierarchie des Rechts, in: Soziale Systeme 2 (1996), S. 229 - 255, 252, der zwar zutreffend feststellt: "In der Tat, die neue Wirklichkeit, der sich das Recht stellen muß, ist der Mangel einer umfassenden gesellschaftlichen Rationalität", um im Hinblick auf die Wirksamkeit des Rechts kritisch fortzufahren, daß sich systemtheoretisch die Einsicht aufdränge, "daß trotz aller Dekonstruktion Subsysteme ruhelos ihren ehernen Gesetzen hochspezialisierter Rationalitäten folgen. In sich selbst hochrational, aber irrational in Bezug auf die gesamte Gesellschaft, folgen sie 'blind' ihrer eigenen Logik, sind unkoordiniert, selbstbezogen, chaotisch, expansiv und imperialistisch." Vgl. dazu auch § 6 Ziff. 3. 148 Vgl. dazu Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 53), S. 98 f., 112 ff., 116 f., 162 f.; ders., Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normenund systemtheoretischer Perspektive, in: RECHTSTHEORIE 24 (1993), S. 81 - 133, 99 ff., 107; ders., Vernunft versus Rationalität, in: Herbert Haller / Christian Kopetzki / Richard Novak / Stanley L. Paulson / Bernhard Raschauer / Georg Ress / Ewald Wiederiii (Hrsg.), Staat und Recht. Festschrift für Günther Winkler, Wien / New York 1997, S. 515 - 540, 519 ff. 149
Durkheim , Die Regeln der soziologischen Methode (FN 143), S. 115 ff., 121, 126, zur wissenschaftlichen Rationalität insbesondere S. 142 f. 150 Vgl. dazu im folgenden König, Die Regeln der soziologischen Methode (FN 73), S. 181 ff. Zum Konzept der verwissenschaftlichten Primärerfahrung nach Schelsky in der Normentheorie René Königs vgl. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 204. 151 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 7), S. 251 f., 264; ders.. Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3), S. 203 f.
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men im Sinne Theodor Geigers, betrifft, 152 sondern schon ein ausdifferenziertes Rechtssystem voraussetzt. Dieses beruht wenigstens im kontinentaleuropäischen Rechtsraum auf einer gewaltenteilig aufgebauten und organisierten Rechts- und Entscheidungspraxis und verfügt demgemäß schon über ein eigenständiges Rationalitätsniveau bei der Rechtsanwendung und der richterlichen Rechtsgewinnung im Einzelfall, das dem juristischen Praktiker auch bekannt ist, 153 obschon es auf dieser Ebene immer um eine Anwendungspraxis geht. Die zweite Schicht betrifft nach König die Erziehungskunst, in der die Erziehungspraxis bewußt und ausdrücklich geübt wird. Diese kann - wiederum unter Außerachtlassung aller Unterschiede zwischen Rechts- und Erziehungssystem - mit Level 2 des Multi-Level-Approach der praktischen Rechtswissenschaft verglichen werden. Durch die „systematische Ausgestaltung im Sinne der Erfüllung des Prinzips der inneren Widerspruchslosigkeit" tritt nach Ansicht Königs auf dieser Ebene ein „ausgesprochen wissenschaftliches Denken zutage". 154 Die Kunst besteht hier im Umgang mit dem Recht, welches durch das Bestreben gekennzeichnet ist, das geltende Recht in einem umfassenden System von Begriffen, Normsätzen und Normpropositionen darzustellen, die auch als die Standardaufgaben der dogmatischen Rechtswissenschaft bezeichnet werden können. 155 Die dritte Schicht reflektiert die Erziehungskunst weiter, so daß mit den Worten Königs von einer „praktischen Theorie" gesprochen werden kann, die ihm „wissenschaftslogisch besonders fragwürdig erscheint, weil sie weder Wissenschaft noch Kunst ist". 1 5 6 Sie bleibt völlig abhängig von den gegebenen Strukturen des Rechts, und es bleibt zu fragen, ob und inwieweit sich diese Form des wissenschaftlichen Umgangs mit dem Recht „über eine sehr pragmatische Lehre von der Rechtsanwendung, und zwar der Anwendung eines bestimmten kodifizierten Rechts erhebt". 157 Damit weist König auf ein charakteristisches Merkmal hin, das im Bereich der Rechtswissenschaften heute noch in ganz besonderem Maße für die juristische Methodenlehre gilt, die schon immer ganz und gar im Dienste der praktischen Rechtswissenschaft stand und bis auf
152 153 ] 5,4
Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 46), S. 20. Krawietz, Vernunft versus Rationalität (FN 148), S. 522. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3),
S. 203. 155 156 157
Krawietz, Vernunft versus Rationalität (FN 148), S. 520. König, Die Regeln der soziologischen Methode (FN 73), S. 182. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3),
S. 204. 4 Vcddclcr
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den heutigen Tag weit davon entfernt ist, das ihr zur Verfügung stehende Ra158
tionalitätspotential auch nur annähernd auszuschöpfen. Als vierte Schicht unterscheidet König die allgemeine Erziehungswissenschaft, die den Gesamtbereich von Erziehungspraxis, -reflexion und -kunst zum theoretischen Forschungsgegenstand macht. 159 Auf das Rechtssystem bezogen, bedeutet dies die Aufgabe der Einheit von Theorie und Praxis im Recht, die aus der Perspektive Königs noch als Forschungsdesiderat einer soziologisch aufgeklärten Wissenschaft von Recht zu formulieren war. Das wird möglich, indem die Allgemeine Rechtslehre nicht mehr alleine der Fundierung der drei anderen Schichten resp. Levels dient und auf der Grundlage des geltenden Rechts, arbeitsteilig den anderen zuarbeitend, diesem einen einheitlichen systematischen Umgang ermöglicht. War sie zuvor, wie König formuliert, immer an Einseitigkeit der Rechtswirklichkeit, die immer die Rechtsnorm voraussetzt, gebunden, geht es mit König nunmehr darum, die wissenschaftliche Bearbeitung des Rechts von dieser Praxis zu entkoppeln und sie zum Gegenstand der Rechtssoziologie oder einer anderen Disziplin zu machen, die nicht im - zumindest unmittelbaren - Dienste der Entscheidungspraxis steht. Damit führt König die Differenz zwischen praktischer und theoretischer Rationalität in das Rechtsdenken ein, die sich seit der Mitte der 60er Jahre im deutschen Rechtsdenken nur ganz allmählich durchsetzte 160 und aus seiner Sicht noch nicht für verwirklicht gehalten werden konnte. König steht der theoretischen Jurisprudenz deshalb skeptisch gegenüber, und zwar insoweit, als sie die normativen Prämissen des Rechts einbeziehen muß. 161 König orientiert sich also auch an den Selbstbeschreibungen und -definitionen des Rechtssystems in einer Gesellschaft und seinen Abgrenzungen von anderen Normen- und Funktionssystemen, die die Eigenrationalitäten des Rechts begründen und es so erlauben, das Kultursystem Recht von anderen kulturellen Normen- und Funktionssystemen abzugrenzen. Königs soziologisches Interesse liegt in einem Vergleich dieser Selbstbeschreibungen mit den Beschreibungen des Rechtssystems, die sich aus der Perspektive der Soziologie ergeben, sich aber eben wegen ihrer unterschiedlichen Erkenntnisinteressen nicht oder nur selten decken, da sie jeweils einem anderen Rationalitätskonzept folgen. Wäh158 Werner Krawietz, Welche Methode lehrt die juristische Methodenlehre? In: Juristische Schulung 10 (1970), S. 425 - 432; ders., Vernunft versus Rationalität (FN 148), S. 520. 159
König, Die Regeln der soziologischen Methode (FN 73), S. 182. Vgl. dazu Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 53), S. 98 f., 112 ff., 116 f., 162 f.; ders.. Ulrich Klugs Theorie der Philosophie des Rechts im Umriß, in: Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft (Hrsg.), Ulrich Klug (1913 - 1993) zum Gedächtnis. Reden anläßlich der Akademischen Trauerfeier am 8.12.1994, Köln 1995, S. 11 - 28, 21 ff.. 25: ders., Vernunft versus Rationalität des Rechts? (FN 148), S. 521 f. 161 König, Artikel Recht (FN 2). S. 261. 160
§ 1 Normen als sozialkulturelle Tatsachen
51
rend die Soziologie das Recht wahrheitsfähig im wissenschaftlichen Sinne zu deuten und zu erklären sucht, ist das Rationalitätskonzept des normativen Kultursystems Recht (zunächst) darauf ausgerichtet, zwar auch eine Beschreibung zu liefern, doch dient diese nicht in erster Linie wissenschaftlicher Erkenntnis, sondern einer - wenngleich auch auf wissenschaftlicher Erkenntnis basierenden - Stützung und Aufrechterhaltung des kulturellen Normensystems Recht und hat eben deshalb auch dessen normativen Prämissen zunächst einmal zu teilen und mitzuvertreten. Es sind jedoch Einschränkungen vorzunehmen. Selbstverständlich greifen nicht alle Selbstbeschreibungen des Rechtssystems derart weit an der Realität, d. h. insoweit an der sozialen Wirklichkeit des Rechts vorbei, daß sie keinen Anschluß in den Sozialwissenschaften finden könnten. Dies gilt insbesondere für diejenigen (Selbst)Beschreibungen, die im Kultursystem des Rechts angefertigt werden und den in anderen Wissenschaften geltenden Standards und Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit genügen. Dies bedeutet zum anderen nicht notwendig, daß alle im Kultursystem Recht beobachtbaren Rationalitäten (Zweckrationalität, Wertrationalität u. a. m.) unmittelbar präskriptiv beschaffen sein müßten. Auch ist damit nicht gesagt, daß unter den Prämissen der spezifischen Rationalität des Wissenschaftssystems, insbesondere der der Soziologie nicht mindere Rationalitätsstandards im Recht festzustellen sind. König verweist in diesem Sinne ζ. B. auf verschiedene Formen des Vernunft- und / oder Naturrechts, die im Rechtssystem auch heute noch nach- und fortwirken. 162 Hier kann der Rechtstheorie als theoretischer Disziplin eine Vermittlungsfunktion zukommen, indem sie der Rechtswissenschaft hilft, ihre eigene Selektivität und spezifische Rationalität wahrzunehmen und als sinnvolle Auswahl aus anderen Möglichkeiten zu begreifen. 16 ' Nach all dem müssen sich sowohl die Rechtswissenschaft als auch die Rechtspraxis darauf einstellen, daß die jeweilige Arbeit mit dem Kulturgegenstand Recht ganz unterschiedlichen Rationalitäten folgt. Hieraus folgt, daß sich alle mit dem Recht befaßten Disziplinen darauf einstellen müssen, unter Verzicht auf ein für alle Gesellschaften gültiges Rationalitätskonzept das Recht zu begründen. Es würde sich vielmehr um einen extremen und ganz unangemessenen Reduktionismus handeln, wollte man diese im Rechtssystem zu beobach-
162
König,
Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 3),
S. 199. 163 Werner Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion, Berlin 1967, S. 21 ff. Anderer Ansicht ist Luhmann, Rechtssoziologie (FN 39), S. 354 - 363, 360, der allerdings in der ersten Auflage noch für die Vermittlungsdienste einer Rechtstheorie eintrat, vgl. ders., Rechtssoziologie, Bd. 2, Reinbek 1971, S. 354 - 362, 355. Schluß: Fragen an die Rechtstheorie.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
tenden und empirisch nachweisbaren unterschiedlichen Rationalitäten mit je unterschiedlichen Funktionen auf eine Einheitsrationalität zurückführen. König geht es um die Beobachtung, Deutung und Erklärung der spezifischen Art und Weise, wie mit Mitteln des Rechts Verhalten entweder als Erleben oder Handeln einem oder mehreren Akteuren zugeschrieben wird. In der Art und Weise, wie dies geschieht und wie auch die normative Verantwortungsattribution (Zuteilung und Zuschreibung von Rechten, Pflichten u. a. m.) aus der Perspektive des Kultursystems Recht selbst erfolgt und beschrieben wird, d. h. in den hierfür institutionell auf Dauer gestellten spezifischen Verfahren des Rechts und seiner Erkenntnis, findet sich die juridische Rationalität einer bestimmten Gesellschaft und findet damit das Recht seinen Unterschied zu anderen Normensystemen und anderen Rationalitäten. In der weiteren Untersuchung ist zu klären, wie die soziale Referenz des Rechts zu bestimmen ist und mit welchen normativen Mitteln das Recht seine spezifische Rationalität verwirklicht.
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens 1. Soziale Beziehungen Die spezifische Rationalität des Rechts lokalisiert König, wie eingangs dargestellt, nicht in einer eigenen Seinssphäre oder im menschlichen Einzelbewußtsein. Normativer Sinn - und damit auch der Sinn des Rechts - ist in erster Linie sozialer Sinn. Der Prozeß der Ordnungsbildung mit Mitteln des Rechts ist fur König ein „wesentlich sozietärer Prozeß", der in erster Linie in der Gesellschaft selbst wurzelt und nicht in den unterschiedlichen, aber immer nachrangigen Organisationsformen, die sich die Gesellschaft schafft und unter denen „der Staat nur eine Organisationsform der Gesellschaften neben zahlreichen anderen ist". 1 Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt wie diese soziale Referenz in normativer Hinsicht zu bestimmen ist und welche Rolle und Funktion der bürokratischen Organisationsform Staat im Rahmen einer realistischen Beschreibung, Deutung und Erklärung des Rechts zukommt. Eine mögliche Kategorie der Beobachtung des gesellschaftlichen Geschehens liefert die Beziehungssoziologie. Diese erblickt den Ort des sozialen Lebens in dem zwischenmenschlichen Geschehen, so daß Gesellschaft überall dort existiert, wo mehrere Individuen in „Wechselwirkung" treten, wie es Georg Simmel formuliert, 2 und auf den sich alle wichtigen Vertreter der Beziehungssoziologie berufen. 3 In den Rechtswissenschaften bilden die philosophischen und soziologischen Beziehungslehren den Grundstock der sogenannten Rechtsverhältnislehren, die die Rechtsordnung als eine Rechtsverhältnisordnung verstehen.4 Für die 1 René König, Soziologische Probleme der internationalen Ordnung, in: Karl Gustav Specht (Hrsg.), Soziologische Forschung in unserer Zeit. Leopold von Wiese zum 75. Geburtstag, Köln/Opladen 1951, S. 146 - 157, 147 f., 150, 153. 2 Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Gesamtausgabe Bd. 11, hrsg. von Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M. 1992, S. 17 ff. J Stellvertretend für alle der Hauptvertreter der Beziehungssoziologie - neben Johann Plenge - in Deutschland Leopold von Wiese, Artikel Beziehungssoziologie, in: Alfred Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie, unveränderter Neudruck, Stuttgart 1959, S. 66 - 81,80. 4 Norbert Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, Berlin 1982: ders., Die Bedeutung des Rechtsverhältnisses für die Grundrechtssubjektivität von Organisationen, in: Dieter Willke / Harald Weber (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, München 1977, S. 1 - 37, 1 (FN 1 m. w. Ν. zur Bedeutung des Rechtsverhältnisses im zeitgenössischen Rechtsdenken): "Die Rechtsordnung ist eine Rechtsverhältnis-
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Rechtsverhältnislehre liegt die Bedeutung der Beziehungssoziologie zum einen in der „Typologie sozialer Prozesse begründet, die eine erste Basis für die Anschauung von der Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung abzugeben vermag; zum anderen ist sie in der organisationssoziologischen Erfassung der sozialen Gebilde zu erblicken, die als 'Prozeßkomplexe' in die Beziehungssoziologie einbezogen werden und damit eine Parallele zu dem ... Phänomen multipolarer Rechtsverhältnisse bilden". 5
a) Direkte und indirekte Beziehungen Der Begriff der sozialen Beziehung wird häufig mit dem der Interaktion gleichgesetzt. Dies ist nur insofern zutreffend, als daß Interaktionen immer soziale Beziehungen voraussetzen. Soziale Beziehungen existieren aber nicht nur in Interaktionsverhältnissen, d. h. sie finden nicht unter der Bedingung gegenseitiger psychischer Wahrnehmung statt.6 Es muß also zwischen der direkten und der indirekten sozialen Beziehung unterschieden werden. Der persönliche Kontakt ist für indirekte soziale Beziehungen nicht notwendig. Sie können auch auf anderem Wege aufgebaut und erhalten werden, und es ist möglich, daß Menschen, die sich weder je hören noch sehen und sonstweiche Kenntnis voneinander haben, soziale Beziehungen unterhalten. 7 Derartige Beziehungen Ordnung " Hierzu: Werner Hoppe, Das staats- und verwaltungsrechtiiche Werk von Norbert Achterberg, in: ders. / Werner Krawietz / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium. Münster 1988, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 5 - 12, sowie Werner Krawietz, Das rechtsphilosophische und rechtstheoretische Werk von Norbert Achterberg, in: Werner Hoppe / ders. / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium. Münster 1988, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 12 - 24, 20 f., ders., Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Diskussion, in: ebd., S. 520 - 544, 530. Zur Bedeutung der Rechtsverhältnislehre in der gegenwärtigen dogmatischen Verwaltungswissenschaft vgl. Thomas von Danwitz, Zu Funktion und Bedeutung der Rechtsverhältnislehre, in: Die Verwaltung 30 (1997), S. 339 - 363. 5 Norbert Achterberg, Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung. Prolegomena zu einer Rechtsverhältnistheorie, in: RECHTSTHEORIE 9 (1978), S. 385 410, 389 f f , 392. 6 Niklas Luhmann, Einfache Sozialsysteme, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 2: Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, 4. Aufl., Opladen 1991, S. 21 - 38, 21 ff.; ders.. Soziale Systeme, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1987, S. 560: "Mit dem Abgrenzungskriterium der Anwesenheit wird die besondere Bedeutung von Wahrnehmungsprozessen für die Konstitution von Interaktionssystemen zur Geltung gebracht. Wahrnehmung ist, im Vergleich zur Kommunikation, eine anspruchslosere Form der Informationsgewinnung." 7 Gregory P. Stone, Begriffliche Probleme der Kleingruppenforschung, in: Günther Loschen (Hrsg.), Kleingruppenforschung und Gruppe im Sport, Opladen 1966 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 10), S. 44 - 65, 63, Anm. 7.
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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gründen sich zumeist auf umfassende Assoziationen oder Organisationen. Interaktionen sind nach König dagegen als soziale Kleinstprozesse zu verstehen. In diesem Sinne bezeichnet König „Interaktionen als die eigentlichen Elemente des sozialen Verhaltens". 8 Für seine Normentheorie sind sie insofern von Bedeutung, als daß mit ihnen das kulturelle Erbe einer Gesellschaft - und somit auch ihre rechtsnormative Struktur - im personalen Handeln verwirklicht und tradiert wird. Dieser Aspekt ist auch für eine moderne normen- und kulturtheoretische Soziologie und Theorie des Rechts von wesentlicher Bedeutung, denn sie kommt nicht umhin, den einzelnen als Adressaten von Rechten und Pflichten anzusehen.9 Diese gelten nicht nur im Verhältnis des einzelnen zum formalisierten und staatlich organisierten Rechtssystem, sondern zwischen den einzelnen Trägern von Rechten und Pflichten. So sucht das Recht das zwischenmenschliche Geschehen in bestimmte Richtungen zu lenken bzw. zu strukturieren, indem es Verhalten erlaubt, gebietet, verbietet oder zum Handeln ermächtigt. Auch in der soziologischen Systemtheorie kommt cum grano salis gedeutet der sozialen Beziehung ein gewisser Stellenwert zu. Letztere bilden gleichsam das flüssige Fundament der Gesellschaft und ihrer Funktionssysteme oder, wie Niklas Luhmann unter Bezugnahme auf Georg Simmel formuliert: „Die Großformen der gesellschaftlichen Teilsysteme schwimmen auf einem Meer ständig neugebildeter und wieder aufgelöster Kleinsysteme."10 Es erscheint deshalb auch heute noch berechtigt, einen Blick auf die Beziehungssoziologie zu werfen, die in der Entwicklungsgeschichte der Soziologie eine sehr wesentliche Rolle einnahm, später jedoch „nicht so eine zentrale Stellung ..., wie es sich ursprünglich ankündigte". 11 Die sozialen Beziehungen entwickeln sich nach König in der Dreiecksbeziehung zwischen Person, Gesellschaft und Kultur. Deshalb kann die Normentheorie Königs weder allein auf der Basis interaktiven Sozialverhaltens rekonstruiert werden noch aus der Perspektive normativistischer Vorstellungen von der immateriellen Kultur, denn „Grundlage für die Aktualisierung des kulturellen Erbes" sind König zufolge die „sozialen Interaktionen". 12 Eine realistische Betrachtung des Rechts hat hier weiter zu unterscheiden: zum einen diejenigen
8 René König, Artikel Beziehung, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 42 - 48, 48. 9 Werner Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta / ders. / Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee, Berlin 1993, S. 81 - 133, 85 f. 10 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1997. S. 812. 11 König, Artikel Beziehung (FN 8), S. 42. 12 René König, Artikel Person, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 241 - 246, 244.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Beziehungen, die mit Blick auf die Selektion von Recht in einem organisierten Verfahren ablaufen. Zum anderen beeinflußt und schafft das Recht aber in einem wesentlich weiteren Sinne, also ohne Bezugnahme auf derartige Verfahren, menschliches Erleben und Handeln in Interaktionen und zwischenmenschlichen Beziehungen. Zwar wird das formale Recht regelmäßig in verfahrensmäßig organisierten Interaktionen und Sozialbeziehungen ausgewählt, vertextet und in Geltung gesetzt. Interaktionen unter Bezugnahme auf das Recht werden jedoch im Rechtsalltag gesellschaftsweit auch ohne direkte Orientierung an diesen Verfahren oder überhaupt irgendeine Bezugnahme auf diese geführt. In diesen Sozialbeziehungen wird letztlich darüber entschieden, ob es überhaupt zu einer verfahrensgeleiteten Entscheidung über strittige Rechtsfragen kommt und welche Rechtsthemen aufgegriffen werden. Es können, sollen und werden eben nicht alle strittigen Rechtsfragen vor die Gerichte getragen. Vielfach genügen Entscheidungsprognosen in der Form des fachkundigen Rats eines Spezialisten (ζ. B. des Rechtsanwalts oder Notars), deren Vermittlungstätigkeit oder auch nur die Möglichkeit einer allgemeinen Bezugnahme und Berufung auf das Recht. Es ist deshalb auch nicht zutreffend, daß das Recht als „Sonderwelt" außerhalb der „Lebenswelt" bleibt oder dies auch nur erwartet wird. Dies mag allenfalls für die Inanspruchnahme formalen Rechts und formalisierter Verfahren gelten, also in der Regel nur für genuin staatliches Recht.13 Im übrigen wird das Recht gerade in alltäglichen Interaktionen zur Strukturierung der Lebenswelt herangezogen. Kulturtheoretisch betrachtet, umfaßt das Rechtssystem somit alles mit Bezug auf das Recht ablaufende zwischenmenschliche Geschehen.14 Für König ist die soziale Beziehung als Beobachtungskategorie und Referenzsystem, in der Soziologie im allgemeinen und in der Soziologie und Theorie des Rechts im besonderen, nur dann von Bedeutung, soweit sie auch den normativen Charakter sozialer Handlungsregelmäßigkeiten der in den sozialen Beziehungen interagierenden Personen umfaßt.
lj
So Werner Gephart, Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Frankfurt a. M. 1993, S. 69. Zur formalisierten Geltungsbegründung des Rechts vgl. § 8. 14 Zu diesem Ergebnis gelangt - wenn auch in systemtheoretischer Perspektive auch Niklas Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 35 51,35.
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
b) Behavioristische
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Deutung der Entstehung von Normativität
Unter dieser Voraussetzung ist die Beziehungslehre ein möglicher Ausgangspunkt zur Deutung und Erklärung normativer Attributionsvorgänge. Sie setzt folgerichtig am zwischenmenschlichen Geschehen an und untersucht die „Wechselwirkungen" 15 oder „Prozesse", 16 die die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander konstituieren. 17 Als Ursprungsform aller formalen Soziologien begründet die Beziehungssoziologie das Soziale ohne Bezugnahme auf die Inhalte des sozialen Geschehens. Die Beziehungssoziologie konnte sich einem ihrer prominentesten deutschen Vertreter zufolge deshalb als eine Theorie des „Beziehungsgewebes als Elementarstruktur der Gesellschaft", 18 die an der Wurzel aller Unterscheidungen und Untersuchungen der eigentlichen Soziologie steht, oder als die „ganz allgemeine Soziologie" verstehen. 19 Ohne Orientierung an den Inhalten oder dem immer schon normativen Sinn menschlichen Verhaltens bestimmen sich die zwischenmenschlichen Verhältnisse allein aus dem 'Zueinander' und 'Auseinander' der Personen, aus denen sich dann aus der Perspektive der sozialen Distanznahme bestimmte 'Richtungen' oder 'Abstandsgrade' zwischen den Personen ergeben. Diese werden als 'soziale Beziehung' definiert. Eine Mehrheit von eng miteinander verbundenen sozialen Beziehungen wird 'soziales Gebilde' genannt. Verhaltensregelmäßigkeiten, die in den Interaktionen zu beobachten sind, entstehen durch die sich aus ständiger Wiederholung ergebende Häufung von sozialen Prozessen in bestimmten Lebensverhältnissen. Normativität wird erst durch diese regelmäßigen Beziehungen erzeugt. Es lassen sich verschiedene Ansatzpunkte der Beziehungssoziologie unterscheiden. Ausgangspunkt dieser Lehren ist zunächst die Dyade. Sie lassen sich grob danach einteilen, ob sie allein auf diese als soziologischen Grundtatbestand abstellen oder ob sie von vornherein eine Vielzahl von interaktiven Individuen neben dem als isoliert vorgestellten Paar in Rechnung stellen. Auch für König sind gerade die Wiederholungen und Regelmäßigkeiten, die das soziale Leben der Menschen ausweisen, Gegenstand der Soziologie. Mit ausdrücklicher Bezugnahme auf Leopold von Wiese hebt König hervor, daß das Soziale
15
Simmel, Soziologie (FN 2), S. 15, 17 ff. Von Wiese, Artikel Beziehungssoziologie (FN 3), S. 66 - 81. 17 Diese Beobachtungsmodelle, die den Forschungsgegenstand der Soziologie in der sozialen Beziehung konstituiert sehen, gehen weit zurück in die Anfange der Soziologie; vgl. König, Artikel Beziehung (FN 8), S. 42 ff. 18 Johann Plenge, Als dritter Redner im Symposion, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie 5 (1929), S. 386 - 405, 400; ders., Wie kommt die Soziologie zur Übersicht ihrer Probleme, in: Archiv für angewandte Soziologie 2 (4) (1929), S. 99 - 113, 108. 19 Von Wiese, Artikel Beziehungssoziologie (FN 3), S. 80. 16
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
„am besten als 'zwischenmenschliches Geschehen' ... begriffen" werden kann. Damit ist - wie König ganz zutreffend bemerkt - jedoch alles offen, und es bleibt zu klären, „wie in diesem Rahmen Wiederholungen und Regelmäßigkei20
ten auftreten können". Nach der Beziehungslehre von Wieses ist die Ordnungsbildung in den Beziehungen durch soziale Zwänge und Nachahmung bedingt, 21 wobei das nachzuahmende und das nachgeahmte Verhalten durch „persönliche und sachliche Gegebenheiten" bestimmt wird. 22 Voraussetzung für Verhaltensregelmäßigkeiten sind die vielfachen, kleinsten Wiederholungen einzelner zwischenmenschlicher Prozesse in einer Gesellschaft. Normorientierungen haben ihren Grund danach in einer auf Nachahmung des Verhaltens beruhenden ständigen Wiederholung. 23 König tritt Beziehungslehren wegen ihres behavioristischen Versuchs, allgemeine Handlungsregelmäßigkeiten allein auf faktische Verhaltensgleichförmigkeiten zu reduzieren und aus diesen herzuleiten, sehr skeptisch gegenüber.
c) Normen- und kulturtheoretische Kritik an der Beziehungssoziologie
Königs
König kritisiert diese Art der sozialwissenschaftlichen Forschung, da sie nicht in der Lage ist, Strukturbildungen in den Beziehungs- und Interaktionsverhältnissen zu erklären. Gleichförmiges Verhalten kann nach Ansicht Königs nämlich nicht allein aus der reinen Faktizität des Verhaltens garantiert werden, denn die „bloße 'Ballung sozialer Prozesse' oder 'Bündelung von Interaktionen', wie es die Beziehungslehren immer wieder vergeblich zu realisieren suchen, schaffen allein keine überlebensfähigen Zusammenhänge", dazu bedarf es vielmehr einer Sicherung des Kommunikationsflusses mittels „zahlloser Symbole sprachlicher und anderer Art". 2 4 Zur Stützung seiner Kritik greift König auch auf die moderne Ethologie zurück. So sind Verhaltensgleichförmigkeiten im Tierreich nicht auf Nachah20
René König, Artikel Soziale Normen, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie. Bd. 3: Politische Soziologie - Zuverlässigkeit, Frankfurt a. M. 1972, S. 734 - 739, 734. 21 Hier soll nur das Grundproblem der sozialen Beziehung dargestellt werden, das sich hieran anschließende Folgeproblem, ob die sozialkulturelle Norm im allgemeinen und die Normen des Rechts im besonderen durch ihre Zwangs- und / oder Sanktionseigenschaften bestimmt werden können, wird ausführlich unter § 5 Ziff. 1 erörtert. 22 Von Wiese, Artikel Beziehungssoziologie (FN 3), S. 80. 23 Ebd., S. 70. 24 René König, Soziologie und Ethnologie, in: Ernst Wilhelm Müller / ders. / Klaus Peter Koepping / Paul Drechsel (Hrsg.), Ethnologie als Sozialwissenschaft, Opladen 1984 (Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 26), S. 17 35, 18.
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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mung selbst zurückzuführen, sondern auf Dispositionen im Tier selbst. Außenweltreize werden durch bestimmte Verhaltensgleichförmigkeiten, die immer das gleiche Instinktverhalten auslösen, erzielt. Wesentlich komplizierter stellt sich das Nachahmungsverhalten beim Menschen dar, „weil wir beim Menschen außer dem Instinkt und den Trieben noch mit einer sozialen Kultur zu rechnen haben".25 Nachahmung funktioniert deshalb „niemals von selbst, gewissermaßen automatisch".26 Es gibt immer sozialkulturelle Faktoren, die Nachahmung fördern oder hindern. Fördernd auf das Nachahmungsverhalten wirkt sich aus, wenn der Mensch mit seinem Gegenüber in irgendeiner Weise verbunden ist, während sich Fremdheit dagegen hemmend auswirkt. Es besteht also immer schon eine soziale und kulturelle Beziehung zwischen dem Nachahmenden und dem Nachgeahmten. Ein weiterer Grund, weshalb eine allein auf Nachahmung beruhende soziale Ordnungsbildung nicht in der Lage ist, die sozialkulturellen Voraussetzungen normativer Ordnungsbildung zu erklären, liegt in dem Problem der Stabilität solcher Ordnungen, denn Nachahmung allein vermag die Regelmäßigkeit des Handelns und Erlebens in einer sozialen Ordnung in keiner Weise zu garantieren. Ferner läuft die Rückführung sozialer Ordnungsbildung allein auf Wiederholung und Nachahmung Gefahr, einen bestimmten Naturzustand vorauszusetzen, ohne ihn erklären zu können, und diesen dann mittels lediglich spekulativer Natur- oder Vernunftrechtsannahmen auszudeuten. Deshalb steht König der klassischen Beziehungssoziologie hinsichtlich ihrer Fähigkeit, das genuin Soziale des zwischenmenschlichen Geschehens mit ihrem Instrumentarium zureichend erfassen und beschreiben zu können, kritisch gegenüber 27 und untersucht dagegen die Voraussetzungen der Nachahmung, d. h. die Strukturen, die ein Nachahmungsverhalten ermöglichen. Diese erblickt König in den sich im Gruppenleben verwirklichenden kulturellen Regelungen der Gesellschaft; 28 denn Nachahmung funktioniert nach Ansicht Königs nur „im Rahmen bestimmter Vor-verbundenheiten, und sei es auch nur ein Verstehen des Nachgeahmten. Das Unbegreifliche wird nicht nachgeahmt."29 Darüber hinaus sind Beziehungslehren, die einseitig auf die abstrakte Dyade abstellen, schon deshalb nicht in der Lage, eine adäquate Darstellung der gesellschaftlichen Realität zu liefern, weil sie das soziale Geschehen in unzulässiger
25
René König, Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß, Frankfurt a. M. / Berlin 1988, S. 177. 26 Ebd., S. 177. 27 König, Artikel Beziehung (FN 8), S. 42 - 48. 28 René König, Artikel Struktur, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 314 - 323, 320. 29 René König, Artikel Masse, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 174 - 181, 177.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Art und Weise verkürzen, genauso wie die Vorstellung von einem zwar denkbaren, aber realiter nicht vorkommenden, isolierten Individuum die gesellschaftliche Realität nicht trifft, in der immer auch Mehrpersonenverhältnisse oder Gruppen von Personen vorkommen. König wendet sich damit gegen jeglichen sozialwissenschaftlichen Atomismus in der Beziehungslehre, in dem sich für ihn eine „letzte Ausgeburt des naturrechtlichen Individualismus erblicken (läßt), nur daß sie als Element des sozialen Prozesses nicht mehr das isolierte Individuum, sondern das im Grunde genauso isolierte Paar annimmt". 30 Ein Vernunft- oder naturrechtliches Mißverständnis wird durch die Beziehungslehren auch insoweit nahegelegt, als sie den Versuch unternehmen, das soziale Geschehen allein aus dem willkürlichen Handeln des einzelnen heraus zu erklären und zu verstehen, welches gleichzeitig als zur Natur des Menschen gehörend betrachtet wird. Ebensowenig ist eine nur auf Gruppenprozesse abstellende Normentheorie in der Lage, ein zutreffendes Bild sozialkultureller und damit auch rechtlicher Normbildung zu liefern. 31 Entscheidend ist deshalb sowohl für die Beziehungslehren als auch für die Gruppentheorie, ob und wie es ihnen gelingt, soziale Ordnungsbildung und deren normative Voraussetzungen und Implikationen zu erklären. Ein kulturtheoretisch realistisches Bild der sozialen Wirklichkeit können Interaktionstheorien gleichwohl nur dann liefern, wenn sie von vornherein Mehrpersonenverhältnisse in der Gesellschaft unterstellen und entsprechend berücksichtigen. Soweit König in diesem Zusammenhang die Littsche Formel der „Reziprozität der Perspektiven" verwendet, handelt es sich schon um eine kulturtheoretisch geläuterte Form. 32 Diese stellt nicht mehr auf die Perspektive des konkreten Individuums ab. Unter den Voraussetzungen des symbolischen Interaktio30 König, Artikel Beziehung (FN 8), S. 43; wobei die Beziehungslehren zum Teil noch weiter gehen und letztlich doch auf das Individuum abstellen, vgl. ζ. B. Plenge (FN 18), S. 108: "Diese Feststellung, daß die Beziehungslehre im allerweitesten Sinne, wo sie also die Lehre von den Verhaltungen einbegreift, der Lehre vom Gesellschaftskörper als Lehre vom elementaren Grundgewebe der Gesellschaft vorangeht oder gegenübergestellt werden muß, führt in einem einfachen Fortgang zu der Erkenntnis, daß die Soziologie durch die "Individuologie" (einem nach Stoltenberg durch Müller-Lyer geschaffenen, zwar keineswegs schönen, aber wissenschaftlich notwendigen Begriff!) als durch die Lehre vom Einzelmenschen als Beziehungsträger ergänzt werden muß." 31
Zur Gruppentheorie Königs vgl. § 2 Ziff. 2. René König, Artikel Allgemeine Soziologie, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 17 - 22, 21. Zur Frage, inwieweit Litt die reziproke Struktur der sozialkonstitutiven Perspektivität des Individuums in Frontstellung zu Simmeis Theorem der "Wechselwirkung" entwickelt habe, um der Gefahr eines sozialwissenschaftlichen Atomismus zu entgehen, vgl. Wolfgang Κ Schulz, Untersuchungen zur Kulturtheorie Theodor Litts. Neue Zugänge zu seinem Werk, Weinheim 1990, S. 5 f. 32
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nismus bezieht sie auch die Möglichkeit eines verallgemeinerten Dritten als Basis der Konstitution der sozialen Paarbeziehungen, hier verstanden im Sinne von George H. Mead als „generalized other" oder als „der oder das verallgemeinerte A n d e r e " , e i n , so daß König das Soziale letztlich - genausowenig wie Mead - eben nicht auf die an den verschiedenen Sozialformen teilhabenden Individuen reduziert. 34 Danach sind die Annahmen der Beziehungssoziologie umzukehren. Unter der Voraussetzung der sozialkulturellen Person 35 ist es nicht die Häufung der Beziehungen als Ergebnis von Prozessen, die den sozialkulturellen normativen Sinn aus dem Beziehungsgeflecht entstehen lassen. Die Prozesse des Abstandverhaltens setzen vielmehr schon vorhandenen normativ-kulturellen Sinn voraus. Das Beziehungsverhalten einer Person läßt sich also nicht aus den Individuen oder Prozessen selbst erklären, sondern aus den Gegebenheiten der kulturellen Struktur einer Gesellschaft, die das Verhalten bestimmen. So sind in einer Kultur immer schon geschichtlich gewachsene, generelle Normen und Werte vorhanden, die auf die sozialen Beziehungen oder Interaktionsverhältnisse strukturierend wirken, sofern auf sie Bezug genommen wird, ohne sie jedoch ausweglos zu determinieren. Die sozialen Beziehungen haben also keinen beliebigen Charakter oder sind eine in diesem Sinne bloß zufällige Zusammenfügung von Personen, wie dies die These der faktischen, auf Zwang beruhenden Nachahmung nahelegen könnte. Damit wendet sich König gegen alle Auffassungen aus dem „konstruktivistischen weltlichen Naturrecht, das den Elementen und Ursprüngen des Sozialen nachzugehen suchte, statt es aus sich selber zu erklären". 36
33 König, Artikel Person (FN 12), S. 244; Georg H. Mead , Mind, Seifand Society, Chicago 1934, dt.: Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1968, S. 194 ff. 34 Mead , Mind, Seifand Society (FN 33), dt.: Geist, Identität und Gesellschaft, S. 45: "Für die Sozialpsychologie ist das Ganze (die Gesellschaft) wichtiger als der Teil (das Individuum), nicht der Teil wichtiger als das Ganze; der Teil wird in Hinblick auf das Ganze, nicht das Ganze in Hinblick auf den Teil oder die Teile erklärt." Damit ist auch die Kritik Luhmanns, Soziale Systeme (FN 6), S. 551, am Konzept des symbolischen Interaktionismus und damit auch an der Theorie Meads hinfällig, wonach diese die Konstitutionsformen sozialer Systeme "letztlich in psychische Systeme zurückverlagert". 35 Vgl. dazu § 4 Ziff. 3. 36 René König, Artikel Ehe und Ehescheidung, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 1: Abweichendes Verhalten - Gleichgewicht, Frankfurt a. M. 1973, S. 165 - 175, 165.
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d) Doppelte Kontingenz Mit dem Rückgriff auf Kultur und damit auch auf das Recht als genuin menschliches Artefakt gelingt es König, das Problem des sozialen Faktors nicht durch die „Reduktion des 'Sozialen' auf irgend etwas Nichtsoziales" zu lösen.37 Dies bedeutet jedoch auch, daß der Rückgriff auf die Kultur allein, genausowenig wie die Beziehungslehren, durch die Annahme der bloßen Ballung sozialer Prozesse soziale Ordnungsbildung zureichend deuten und erklären kann. Denn auch Kultur setzt soziale Ordnungsbildung immer schon voraus. Die Normen der Kultur und damit auch diejenigen des Rechts, nach denen normgemäßes und abweichendes Verhalten und / oder Handeln zugerechnet und beurteilt werden, befinden sich immer schon innerhalb einer sozialkulturellen Ordnung; also formiert sich nicht nur das normkonforme, sondern auch und gerade das abweichende Verhalten diesseits und nicht jenseits der sozialkulturellen Ordnung. Der Zustand jenseits dieser Ordnung wird im Anschluß an Emile Durkheim als Anomie beschrieben. 38 Ein außerhalb dieser sozialkulturellen Ordnung liegendes Verhalten wäre nicht verstehbar und nicht anschlußfähig, d. h. nicht als sinnhaft orientiert identifizierbar und umgekehrt eine sinnhafte Orientierung daran auch nicht möglich. Abweichendes Verhalten jedoch ist gerade kommunizierbar und deshalb integrativer Bestandteil der sozialkulturellen Ordnung. 39 Insofern ist nicht problematisch, daß eine kommunikative Anknüpfung erfolgt, sondern unter welchen Voraussetzungen diese wie geschieht. Häufig läßt sich ein und derselbe Lebenssachverhalt sowohl wirtschaftlich, religiös, politisch usf. als auch rechtlich behandeln. Und im letztgenannten Fall ist noch nichts darüber gesagt, ob ein Verhalten als bloßes Erleben behandelt oder als rechtlich relevantes Handeln erlebt wird und letzteres als rechtmäßig oder unrechtmäßig zu beurteilen ist. Trotz größter kultureller Vorauswahl und Vorstrukturierung möglichen Verhaltens und der aufgrund dessen erwartbaren Reaktionen stehen sich Interaktionspartner hinsichtlich der tatsächlichen Auswahl als füreinander undurchsichtig gegenüber. Dies gilt auch und gerade wegen der Vielzahl möglicher kultureller Verhaltensmöglichkeiten, die sich in den modernen Gesellschaften beobachten lassen. Deren Grundlage besteht - wie König immer wieder zu Recht betont - nicht mehr in einer Einheitsmoral, sondern in einer Vielzahl marginaler Moralen und
37
König, Artikel Allgemeine Soziologie (FN 32), S. 18. Vgl. René König, Artikel Anomie, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 22 - 31, 22 ff.; sowie Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 128. 39 Ebd. 38
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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Subkulturen, 40 so daß ein kultureller Konsens weder real beobachtbar noch hinreichend sicher unterstellt werden kann. Kein Verhalten kann von vornherein als unmöglich ausgeschlossen oder notwendig betrachtet werden, ein Verhalten kann also so sein, wie es ist (war oder sein wird), es bleibt aber auch anders möglich und in diesem Sinne kontingent. 41 Gleichwohl ist es eben wegen der kulturellen Bedingtheit des Verhaltens nicht arbiträr, jedoch außerordentlich konfliktträchtig, 42 worin König einen Grund für den „sozialen Aufstieg der Institutionen des Rechts" mit einer besonderen Bedeutung für „das Ganze der Gesellschaft" erblickt, indem sie durch geregelte Verfahren den Konflikten „ihre gefährdende diffuse Brisanz" nehmen.43 Königs kulturtheoretische Fundierung unterscheidet sich damit nicht unerheblich von dem Theoriedesign Talcott Parsons. Dieser beschreibt doppelte Kontingenz als einen inhärenten Bestandteil von Interaktion wie folgt: „On the one hand, ego's gratifications are contingent on his selection among available alternatives. But in turn, alter's reaction will be contingent on ego's selection and will result from complementary selection on alter's part." 44 Aufgrund dieser wäre Kommunikation nicht möglich ohne eine beiderseitige generalisierende Betrachtungsweise beider Interaktionspartner „from the particularity of the specific situations (which are never identical for ego and alter) and stability of meaning which can only be assured by 'conventions' observed by both parties". 45 Diese Möglichkeit der von beiden Interaktionspartnern zu befolgenden „Conventions" genügt in der kulturtheoretisch fundierten Rechts- und Normentheorie Königs eben wegen der Vielzahl unterschiedlicher sozialkultureller Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten allein zur Begründung eines Interaktionssystems nicht. Zwar sind es auch für König „vor allem die vielen kulturellen Selbstverständlichkeiten, die zum Verständnis eines sozialen Geschehens von entscheidender Bedeutung sind". 46 Sie allein begründen jedoch keine
40 René König, Zur Frage der Marginalität der Alltags-Moral der fortgeschrittenen Industriegesellschaften, in: Bundeskriminalamt Wiesbaden (Hrsg.), Grundfragen der Wirtschaftskriminalität. Arbeitstagung im Bundeskriminalamt Wiesbaden vom 27. Mai bis 1. Juni 1963 über "Grundfragen der Wirtschaftskriminalität", Wiesbaden 1963, S. 37 - 46, 44. 41
Luhmann, Soziale Systeme (FN 6), S. 152. René König, Konfliktsituationen in der Gesellschaft, in: Bild der Wissenschaft. Zeitschrift über Naturwissenschaften und Technik in unser Zeit 7 (1970), S. 665 - 671. 43 René König / Wolfgang Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht", in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1967, S. 356 - 372, 359. Zur Strukturierung dieser Konflikte mittels normativer Erwartungen vgl. § 4 Ziff. 2. 44 Talcott Parsons, General Statement, in: ders. / Edward Shils (Hrsg.), Toward a General Theory of Action, Cambridge, Mass. 1951, S. 3 - 29, 3. 45 Ebd. 46 König, Artikel Beziehung (FN 8), S. 48. 42
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
sozialen Interaktionssysteme, denn die kulturellen Konventionen werden erst durch eine soziale Bezugnahme wirksam, 47 die über die tatsächliche kulturelle Themenauswahl erst entscheidet und die - wie dargelegt - kontingent ist. Sie kann auch nicht allein von jeweils einem Interaktionspartner bestimmt werden. Dieser hat nämlich nicht nur Rücksicht auf die Auswahl seines unmittelbaren Gegenübers zu nehmen, sondern auch auf die Themenselektionen einer unbestimmten Vielzahl Dritter in der Geschichte des betreffenden sozialen Systems. Somit stellt es auch hier eine unangemessene Reduktion dar, soweit nur auf das Paarverhältnis von alter / ego abgestellt wird und das von König ganz zu Recht kritisiert wird. 48 Erst durch eine sinnhafte Anschlußnahme an das Verhalten Dritter - und d. h. nicht nur das des konkreten Gegenübers - , die die Perspektiven der Dritten zwar nicht kennen kann, aber unter Rückgriff auf kulturell tradierte Formen zunächst einmal eine Perspektive unterstellt, um an dieser das eigene Verhalten vorläufig auszurichten, um dann an weiteres Verhalten, das, ebenfalls unter Rückgriff auf tradierte Kultur, wiederum nur zunächst einmal als eine Reaktion des Gegenübers gedeutet werden kann, um daran mit weiteren Aktionen anzuschließen, wird die Möglichkeit emergenter sozialer Systembildung auf der Basis von InteraktionsVerhältnissen geschaffen. In diesem Sinne verwendet König den von Theodor Litt geprägten Begriff der „Reziprozität der Perspektiven". 49 Danach läßt sich das Soziale nicht mehr auf die interagierenden Akteure, Agenten oder Individuen zurückrechnen, sondern stellt sich vielmehr als ein eigenes, von den personalen Systemen zu unterscheidendes soziales Interaktionssystem auf einem emergenten Ordnungsniveau dar, das sich durch eine eigene Geschichte von der der mitwirkenden Akteure unterscheidet. 50 Diese emergente Ordnung stellt sich als grundsätzlich subjektfreie Ordnung dar, in der sich die Subjekt / Objekt-Differenzierung als eine ganz spezifische kulturelle Errungenschaft darstellt. 51 Damit wird an dieser Stelle nochmals deutlich, daß Handeln
47
König, Artikel Allgemeine Soziologie (FN 32), S. 22. Zur Kritik des Modells der "einfachen doppelten Kontingenz" bei Niklas Luhmann, das alleinig auf ein Zwei-Partner-Modell aufbaut, vgl. Michael Welker, Einfache oder multiple doppelte Kontingenz? Minimalbedingungen der Beschreibung von Religion und emergenten Strukturen sozialer Systeme, in: Werner Krawietz / ders. (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 355 - 370. 49 König, Artikel Allgemeine Soziologie (FN 32), S. 21, und Artikel Person (FN 12), S. 244. 50 Zu einer entsprechenden Kritik an Theoremen, die von "Wechselwirkung", "Spiegelung" oder "Reziprozität der Perspektiven" ausgehen, vgl. Luhmann, Soziale Systeme (FN 6), S. 153 f. 51 René König, Die Grenzen der Soziologie, in: ders., Soziologische Orientierungen. 48
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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und Erleben keine der Sozietät von Individuen oder Subjekten vorausgehende und eine diesen unabhängig von ihrer Vergesellschaftungsform anhaftende Qualität ist, sondern vielmehr normativ sinnhaft zugerechnet wird und damit ein ursprünglich soziales Produkt dieser emergenten Ordnung ist.
2. Gruppe versus Gesellschaft Die zuvor beschriebenen emergenten Ordnungen sozialer (Interaktions-)Systembildungen sind für König der Gegenstand der Soziologie schlechthin. Sie sind kein theoretisch wissenschaftliches Konstrukt und auch nicht nur von analytischer Bedeutung, sie besitzen vielmehr ein empirisch greifbares Eigendasein, das König auch als den „autonomen Realitätscharakter des Sozialen" bezeichnet.52 Dieser kann „nicht aus den sie bildenden Personen abgeleitet werden". Die Gruppe bildet vielmehr ein „zusammenhängendes Ganzes", dessen unabhängiger Systemcharakter sich dadurch ausweisen läßt, daß er eine eigene Geschichte besitzt, denn „das System als solches beharrt in der Zeit" ganz unabhängig von den es „tragenden Personen". 53 Wichtig ist damit nicht nur das der Gruppe allein eigene „Zusammengehörigkeitsgefühl", das sogenannte „Wir-Geftihl" 54 oder „Gruppenbewußtsein", also die Binnenperspektive der Gruppe, sondern auch die „besonderen strukturellen Voraussetzungen", unter denen sich die Gruppen bilden. 55 Dieses Phänomen hat schon Durkheim in seiner Lehre vom soziologischen Tatbestand ausgearbeitet, an die auch König
Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 92 - 106, 98; Luhmann, Soziale Systeme (FN 6), S. 167. 52 König, Die Grenzen der Soziologie (FN 51), S. 95. 53 René König, Spontane Gruppen und marginale Gruppen der Gesellschaft, in: Ambros Lichtenhagen / Raymond Battegay / Adolf Friedmann (Hrsg.), Gruppentherapie und soziale Umwelt, Bern / Stuttgart / Wien 1974, S. 276 - 286, 276 f.; zur Entwicklung eines entsprechenden Rechtsdenkens schon in der mittelalterlichen Legistik, die aufgrund einer "vom Wechsel der Mitglieder unabhängigen Identität der Körperschaft" mit Grund von einer grundsätzlichen Unsterblichkeit der Körperschaft ausgeht, die nur aufrechterhalten werden kann, wenn man in der "körperschaftlichen Einheit etwas anderes sieht als die Summe ihrer Teile oder Mitglieder", vgl. Werner Krawietz, Artikel Körperschaft, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der Philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 4: I - K, Basel / Stuttgart 1976, Sp. 1101 - 1134, 1114. Zur Kritik des Kollektivbewußtseins ausführlich vgl. § 4 Ziff. 1. 54
René König, Artikel Gruppe, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 112 - 119, 113. 55 König, Spontane Gruppen und marginale Gruppen der Gesellschaft (FN 53), S. 276. 5 Vcddeler
66
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
ausdrücklich anknüpft, wonach die Arten des sozialen Handelns ein „von individuellen Äußerungen unabhängiges Eigenleben besitzen".56
a) Emergenz als innerweltliche
Transzendenz
Zur sozialwissenschaftlichen Beschreibung, Deutung und Erklärung führt König - unter späterer Berufung auf den von Talcott Parsons als „emergent properties" bezeichneten Tatbestand - den Begriff der „innerweltlichen Transzendenz der Gruppe" ein. 57 Die Einführung des Begriffs der Transzendenz durch König an dieser Stelle ist nicht unproblematisch: 'Innerweltliche Transzendenz' bedeutet weder, daß es sich um ein Transzendieren der empirisch wahrnehmbaren Außenwelt handelt, noch daß damit gar der Gegenstandsbereich der Soziologie verlassen werde. König versucht mit diesem Begriff genau das Gegenteil zu beschreiben, nämlich den autonomen Realitätscharakter des Sozialen als genuinen Forschungsgegenstand einer empirischen Soziologie und nicht bloß im Sinne einer „ethischen Aufforderung oder Verpflichtung" an das Subjekt 58 - und dies nicht lediglich im Sinne von empirischer Sozialforschung, sondern auch einer theoretischen, d. h. nach König allgemeinen Soziologie.59 Die Verwendung des Begriffs Transzendenz birgt gleichwohl die Gefahr, ihn in einem (neukantianischen Sinne mißzuverstehen. Dennoch kann König wegen der Verwendung des Begriffs Transzendenz selbst nicht der Vorwurf metaphysischer Spekulation gemacht werden, da er bei der Begriffsbestimmung größten Wert darauf legt, daß es sich um eine innerweltliche Transzendenz handelt.60 König stellt sich im Gegenteil gerade gegen jene „zu Recht schon längst vergessenen neukan56
René König, Die Regeln der soziologischen Methode, in: ders., Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978, S. 140 207, 159. 57 René König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie. Ein Beitrag zur Begründung einer objektiven Soziologie, München 1975, S. 14, 175, 190, 194, 208 f., 223 f., 238, 241, 244, 257; Talcott Parsons , The Structure of Social Action, 2. Aufl., Glencoe, III. 1949, S. 746 f. 58 René König, Grundlagenprobleme der soziologischen Forschungsmethoden, in: Friedrich Karrenberg / Hans Albert (Hrsg.), Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung. Festschrift für Gerd Weiser, Berlin 1963, S. 23 - 44, 25. Vgl. dazu auch Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 10), S. 1131 f. 59 König, Grundlagenprobleme der soziologischen Forschungsmethoden (FN 58), S. 40, lehnt diese Entgegensetzung von Theorie und Empirie ab: "Soziologische Theorie ist in Wahrheit immer empirisch, ohne Empirie ist überhaupt keine Wissenschaft möglich. Es gibt also keinen Gegensatz zwischen Empirie und Theorie." Vgl. ferner ders., Artikel Allgemeine Soziologie (FN 32), S. 17 - 22. 60 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 57), S. 175, 190, 194, 208 f., 223 f., 238, 241, 244, 257.
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tianischen Methodologen" und stellt fest, daß sich der Gegenstand der Soziologie „nicht erst durch den Begriff konstituiert ..., sondern daß die Begriffe umgekehrt aus lebendigen Konstellationen hervorgetrieben werden und sich dem Betrachter unausweichlich aufdrängen". 61 Diese Begriffe sind in keiner Weise vorausgesetzt, sondern ebenso veränderlich wie die gesellschaftlichen Verhältnisse selbst, die in sich auch nicht gleichartig, sondern in der modernen komplexen Gegenwartsgesellschaft sehr unterschiedlich sind. Daraus folgt, daß es keine einheitliche, einzige Methode der Soziologie geben kann: Denn dem „Pluralismus der Lebensgesetze und verschiedener gesellschaftlicher Schichten, Teilbezirke und Gruppen wie dem Pluralismus der Geschichtsfaktoren entspricht der Pluralismus der soziologischen Methoden". 62 Er spricht in diesem Zusammenhang auch von „einem 'Eigenrecht ' der Gesellschaft, das in keiner Weise dem Eigenrecht des Menschen widerspricht, sondern im Gegenteil dafür erst den Grund legt". 63
b) Theorie und Praxis der Gruppe Als Ort der Beobachtung normativen Verhaltens und als Produkt normativ orientierten Verhaltens spielt die Gruppe in der kulturtheoretisch fundierten Normentheorie Königs deshalb eine besondere Rolle. Die Grundlagen seiner Theorie der Gruppe hat König schon in seiner Zürcher Habilitationsschrift von 1937 gelegt, die er dem Untertitel nach als einen Beitrag zur Begründung einer objektiven Soziologie versteht. 64 Königs normentheoretisches Erkenntnisinteresse liegt in der Suche nach einem ordnungsverleihenden Regulativ der sozialen Welt, welches er im Anschluß an Durkheim nicht im Staat sucht und findet, sondern in der Gesellschaft selbst.65 Dabei liegt die Bedeutung der Gruppe als „Strukturmoment der Gesellschaft" in der Deutung und Erklärung der unter61 René König, Soziologie heute - Die Eschatologie des Karl Marx. Ein Fragment, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987, S. 9 0 - 121,94. 62 Ebd., S. 94. Soweit es um die 'innerweltliche Transzendenz' der Gruppe geht, ist damit nicht die Kontroverse zwischen Helmut Schelsky und René König um das Transzendieren der Soziologie und ihrer Methode selbst in einer transzendentalen Theorie der Gesellschaft gemeint. Zu dieser Kontroverse vgl. Helmut Schelsky, Die transzendentale Theorie der Gesellschaft, in: ders., Ortsbestimmungen der deutschen Soziologie, 3. Aufl., Düsseldorf / Köln 1967, S. 93 - 109, und König, Grundlagenprobleme der soziologischen Forschungsmethoden (FN 58), S. 23 - 44. Zu den insbesondere kulturellen Denkvoraussetzungen der Soziologie vgl. ders., Die Grenzen der Soziologie (FN 61). S. 92 - 106. 63 René König, Der Mensch aus der Sicht des Soziologen, in: ders.. Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 29 - 44, 30. 64 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 57). 65 Ebd., S. 175.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
schiedlichen sinnhaft-normativen Orientierungen menschlichen Verhaltens unter Einschluß derjenigen des Rechts.66 In diesem Zusammenhang weist König der Gruppe eine doppelte, nämlich sowohl praktische als auch theoretische Bedeutung zu. Zum einen bestimmt die Sozialität der Gruppe das Handeln einzelner, indem sie ganz allgemein - wie König formuliert - „in moralischer Hinsicht Obligationen begründet". In diesem Sinne ist die Gruppe von König als das „Strukturgesetz der Gesellschaft schlechthin" 67 bezeichnet worden, weshalb der Gruppe zum anderen ein bedeutender Stellenwert zur Begründung einer objektiven Soziologie zukommt als einer ihrer theoretischen Gegenstände.68 Deshalb besitzt die Gruppe auch als Beobachtungskategorie normativen Verhaltens in der kulturtheoretisch fundierten Normen- und Rechtstheorie Königs eine besondere Relevanz, da ihr die „Autorität" zukommt, „moralische Obligationen", d. h. sozialkulturelle Normen zu begründen. 69 Um jedes Mißverständnis auszuräumen, sei hier nochmals klargestellt, daß moralische Obligationen im Sinne Königs, wie er selber betont, eben nicht „Soll-Normen der Ethik" sind, die ζ. B. in einem ideellen diskursiven Prozedere entwickelt werden könnten, sondern sozialkulturelle Normen, die in das tatsächliche Verhalten der Mitglieder sozialer Gruppen unmittelbar eingebettet sind. Sie betreffen also das „durchschnittliche Moralbewußtsein" im Sinne von „Sitte" oder „subsistenter Norm" im Sinne von Ferdinand Tönnies bzw. Theodor Geiger und sind keine Anweisungen für an sich „richtiges" oder „gutes" Handeln. Damit gewinnt das Gruppentheorem einen zentralen Stellenwert in der kulturtheoretischen Normen- und Rechtstheorie Königs, indem mit ihm der Entstehungs- und Vollzugsort normativ orientierten Verhaltens erfaßt wird. Das heißt: Menschliches Handeln und Erleben vollzieht sich nach den Gruppennormen. Insofern ist die Gruppe nicht nur analytische Kategorie, sondern in ihr manifestiert sich reales soziales Verhalten. Gegenstand der Königschen Untersuchungen ist also nicht die Gesellschaft als Ganzes, sondern die in ihr vorkommenden unterschiedlichen Formen der Vergesellschaftung in Gruppen. Zum Zwecke der Vermeidung vieler Fehlverständnisse, insbesondere jene „metaphysische Übersteigerung", zu der der Begriff Gesellschaft im Laufe seiner Geschichte geführt hat, hält es König im Rahmen der allgemeinen Soziologie durchaus für möglich, „diesen Begriff auf-
66 67 68 60
Ebd.. S. 263 ff. Vgl. ebd.. S. 14 f. und 257 f. Ebd.. S. 14, 252 f. Ebd.. S. 209. 257.
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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zugeben".70 Gleichwohl bleibt er für die Normen- und Rechtstheorie von entscheidender Bedeutung. Denn gerade das Kultursystem des Rechts weist über partikulare Gruppen hinaus, ohne daß es deshalb zwingend wäre, einem „moral- und gesellschaftstheoretischen Holismus" zu verfallen. 71 Dies wird auch von König nicht verkannt. So haben die Gruppen zwar ihre eigenen sozialkulturellen normativen Ordnungen und generalisieren eigene rechtsnormative Orientierungen. Am Beispiel der Gemeinde als Lokalgruppe 72 hebt König jedoch hervor, daß diese „nur Teil eines größeren Zusammenhangs" ist. Aus der Perspektive seiner kulturtheoretisch fundierten Normentheorie kommt König also nicht um die Tatsache herum, daß Gruppen, wie ζ. B. die Lokalgruppe der Gemeinde, „Muster einer umfassenden Kultur" als „Widerschein" einer „globalen Gesellschaft höherer Ordnung" sind. 73 Er betont jedoch vor allem die Eigenheiten und Traditionen kleinerer gesellschaftlicher Einheiten, die ihre eigene „Mikrokultur" besitzen, die die primären rechtsnormativen Orientierungen für das Handeln und Erleben der Mitglieder einer Gruppe bilden und bereitstellen. Damit ist für König gleichzeitig eine sehr kritische Position gegenüber den normativen Regelungsmöglichkeiten durch das staatlich organisierte Rechtssystem verbunden. Voraussetzung einer rechtsnormativen Ordnung ist für König eine „kontinuierliche Gruppenwirkung", wohingegen er die Wirkungsweise der „politischen Gruppe des Staates" schon in seiner Habilitationsschrift als „ interinitene bezeichnet.74
c) Kritik des Gruppentheorems und seiner Bedeutung in der modernen Rechts- und Normentheorie Es bleibt jedoch zu fragen, ob mit Hilfe des Gruppentheorems als Beobachtungskategorie normativen Verhaltens ein normen- und rechtstheoretisch zu-
70 René König, Artikel Gesellschaft, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 104 - 112, 109. 71 Krawietz, Recht ohne Staat? (FN 9), S. 117. 72 René König, Artikel Gemeinde, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967. S. 81 - 92, 81. 73 Vgl. dazu René König, Einige Bemerkungen zur Soziologie der Gemeinde, in: ders. (Hrsg.), Soziologie der Gemeinde, 3. Aufl., Köln / Opladen 1966, S. 1 - 11, 1 ff. Auf die Frage, wie sich das Verhältnis von kleineren Regionalgruppen oder Regionalgesellschaften zur Gesamt- oder Globalgesellschaft darstellt und ob sich diese als realer Handlungs- und Kommunikationszusammenhang identifizieren läßt oder die Globalbzw. Gesamtgesellschaft unter Bezugnahme auf die Kultur bloß als Sinnpool allen möglichen menschlichen Handelns und Erlebens darstellt, soll hier noch nicht eingegangen werden. 74 Vgl. dazu § 6 Ziff. 3. König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 57), S. 233/
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Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
treffendes Bild der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts gezeichnet werden kann. Eine zutreffende Deutung und Erklärung der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts liefert eine gruppentheoretische Sichtweise insofern, als sie einen gesellschaftstheoretischen Holismus ebenso vermeiden hilft wie eine rechtspositivistische Verkürzung normativer Ordnungsbegründung, die diese durch das staatlich gesetzte Recht gegeben sieht. Dies darf jedoch nicht zu einem neuerlichen Rückfall in einen rechts- und moralphilosophischen Individualismus führen. 75 Eine solch reduktionistische Vorgehensweise würde im übrigen weit hinter den Deutungs- und Erklärungsgehalt des Gruppentheorems in der Soziologie und Normentheorie Königs zurückfallen. Denn für König ist der genuin soziale Charakter der Gruppe durch ihre „innerweltliche Transzendenz" charakterisiert, d. h. für ihn kommt es weder „auf das Individuum noch auf die Organisation als solche an, sondern einzig und allein auf die Begründung neuer Autorität, die etwas vom individuellen Dasein wie von der sozialökonomischen Organisation vollkommen verschiedenes ist", denn sie gibt „überhaupt das Maß her, nach dem sowohl das Handeln des einzelnen wie das Handeln der Gruppe bestimmt wird". 7 6 Diese Autorität ist also von den Bewußtseinen der als Mitglieder in einer Gruppe zusammengesetzten Individuen grundsätzlich unabhängig. Die Autoritätsstruktur gewinnt die Gruppe eben nicht aus den willkürlichen Handlungen ihrer Mitglieder, sondern in der kulturtheoretischen Perspektive Königs allein aus „ihren Normen". Diese die Autorität begründenden Normen werden von König weder positivistisch noch idealistisch, sondern funktional verstanden. Für König ist die ordnungsbegründende Autorität „eine Funktion der Gruppennormen". 77 Damit ist die Gruppentheorie Königs jenseits eines gesellschaftstheoretischen Holismus und rechts- und moralphilosophischen Individualismus angesiedelt. Königs Theorie der Gruppe beschränkt sich nicht darin, die Gruppe als die Summe der in ihr zusammengeschlossenen Individuen zu begreifen. Aus der kulturtheoretischen Perspektive richtet sich sein Blick in erster Linie auf die kulturell geprägten Gruppenstrukturen, die den Zusammenschluß der Gruppenmitglieder überhaupt erst ermöglichen. Hinter dieser Erkenntnis darf eine Normen- und Rechtstheorie, die sich auf eine Theorie der Gruppe stützt, nicht mehr zurückfallen, sofern sie die sozialkulturelle Wirklichkeit allen Rechts nicht verfehlen will und auch im modernen Rechtsdenken als Beobachtungskategorie normativen Verhaltens fungieren will. Mit der Ausarbeitung einer an der modernen Systemtheorie orientierten Theorie und Soziologie des Rechts wurde das Gruppentheorem verdrängt und
75
Vgl. dazu Krawietz, Recht ohne Staat? (FN 9), S. 117 ff. König. Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 57), S. 209. 77 René König, Artikel Herrschaft, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe. Frankfurt a. M. 1967, S. 119 - 129, 124. 76
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
71
durch die Systemtheorie ersetzt. 78 In der Rechtssoziologie spielt der Begriff der Gruppe deshalb nur eine untergeordnete Rolle, insbesondere dann, wenn es sich um systemtheoretisch fundierte Rechtssoziologien handelt.79 So kommt der Begriff der Gruppe als Sozialsystem in der Systemtheorie Niklas Luhmanns, die nur zwischen den Sozialsystemen Gesellschafit(en), Organisationen 80
und Interaktionen unterscheidet, 0" nicht mehr vor, und es wird nur ganz vereinzelt der Versuch unternommen, den Gruppenbegriff wieder in die Systemtheorie zu integrieren. 81 In der Rechtsphilosophie wird der Gruppenbegriff neuerdings wieder vereinzelt zur sozialphilosophischen Fundierung der Rechtserzeugung herangezogen. Danach sollen es die „Überzeugungen der relevanten Gruppen in einer demokratisch-organisierten Gesellschaft" 82 sein, die als politische Forderungen in rechtlich verbindliche Regelungen umgesetzt werden. 83 Vor dem Hintergrund des überaus vielschichtigen und strittigen Gruppenbegriffs wirft diese Formulierung hinsichtlich der Umsetzung von sozial-moralischen Normen und der Entstehung von Recht mehr Fragen auf, als sie erklärt. Es bleibt insbesondere ungeklärt, welche sozialen und kulturellen Wirklichkeiten mit dem Begriff der Gruppe beschrieben werden sollen, d. h. es bleibt sowohl das Verhältnis von Gruppe und Individuum als auch das Verhältnis von Recht und Gruppe klärungsbedürftig. Je nach vorausgesetztem Gruppenbegriff ergibt das oben dargestellte Verhältnis von „relevanter Gruppe" und praktizierter „rechtlich verbindlicher Regelung" einen ganz anderen Sinn und nicht immer eine zutreffende Beschreibung der sozialkulturellen Wirklichkeit des
78 Gunther Teubner, Organisationstheorie und Verbandsverfassung, Tübingen 1978, S. 63 ff.; zur Kritik der Gruppentheorie aus politikwissenschaftlicher Perspektive vgl. auch Wolf-Dieter Narr / Frieder Naschold, Theorie der Demokratie. Einführung in die moderne politische Theorie, Bd. 3, 2. Aufl., Stuttgart 1973, S. 208 ff. 79 Zur den unterschiedlichen Gruppentypen und deren Bedeutung speziell in der Rechtssoziologie vgl. die kurze Zusammenfassung bei Klaus F. Röhl, Rechtssoziologie. Ein Lehrbuch, Köln / Berlin / Bonn / München 1987, S. 327 - 334. 80 Luhmann, Soziale Systeme (FN 6), S. 16. 81 Hartmann TyrelU Zwischen Interaktion und Organisation I: Gruppe als Systemtyp, in: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, Köln / Opladen 1983 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 25), S. 75 - 88. 82 Valentin Petev, Ein spontanes Recht? In: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 301 -317,314. 83 So auch schon Hans Wüstendörfer, Zur Hermeneutik der soziologischen Rechtsfindungstheorie, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 9 (1915 / 16), S. 170 180, 289 - 320, 422 - 455, 311, der für das Urteil des Richters "das Werturteil der gegenwärtig führenden Kulturschicht des Volkes, bzw. bei Rechtsfragen von gesellschaftlichem Gehalt das Werturteil der führenden Kulturschicht innerhalb der betroffenen Volksgruppe [Hervorhebung Κ. V.]" für maßgeblich hält.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Rechts, um die sich gerade König bemüht. 84 Ob und inwieweit das Gruppentheorem unter diesen Voraussetzungen heute noch ein taugliches Instrument zur Erklärung und Deutung normativer Verhaltensweisen sein kann, hängt deshalb ganz entscheidend vom vorausgesetzten Gruppenbegriff ab. Das Spektrum sozialer Phänomene, das mit Hilfe des Gruppentheorems erfaßt und beschrieben wird, wurde im Laufe der begriffsgeschichtlichen Entwicklung außerordentlich breit. Es reicht von der Dyade über die Familie bis hin zur Gesamtgesellschaft und der Ersetzung des Gesellschaftsbegriffs durch den der Gruppe. Diese Begriffsgeschichte soll und kann hier nicht im einzelnen nachgezeichnet werden. Eine Darlegung erfolgt nur, insoweit sie für das Verständnis der Gruppentheorie als Beobachtungskategorie normativen Verhaltens in der kulturtheoretischen Normentheorie Königs notwendig ist. Neben der sozialen Beziehung kommt der Gruppe ein ganz eigener Stellenwert als Beobachtungskategorie normativen Verhaltens zu. Dabei läßt sich das Verhältnis der sozialen Beziehung zur Gruppe mit Gregory P. Stone so charakterisieren, daß „alle Gruppen zweifellos soziale Beziehungen einschließen, (aber) nicht alle sozialen Beziehungen eine Gruppe" umfassen." Es muß zu der sozialen Beziehung also noch etwas hinzukommen, damit sie als Gruppenbeziehung gekennzeichnet werden kann. Es stellt sich also die Frage, worin dieses 'Mehr' zu sehen ist, in dem sich Gruppen von den sozialen Beziehungen unterscheiden. Für Stone ist dies die Notwendigkeit des „face-to-face"-Kontakts in der Gruppe. 86 Damit ist der Begriff der Gruppe wesentlich enger gefaßt als der der sozialen Beziehung, der - wie bereits dargelegt - nicht notwendigerweise persönliche Kontakte voraussetzt. Er schließt dann unmittelbar an den Begriff der Interaktion an, allerdings mit dem Unterschied, daß die Gruppe in der Regel ein Mehrpersonenverhältnis bezeichnet. In der Regel bezieht sich der Gruppenbegriff deshalb auf sogenannte Kleingruppen, die im wesentlichen durch Interaktionsverhältnisse gekennzeichnet sind. 87 Eine derartige gruppentheoretische Konzeption ist zur Beobachtung und Beschreibung rechtsnormativ orientierten Verhaltens völlig ungeeignet, da sie zu kurz greift. Zwar werden Rechtsnormen immer auch in Interaktionen begründet und generalisiert, 88 das Recht liefert jedoch gleichzeitig immer auch 84 Zur Ersetzung des Begriffs Gruppe durch den des Verbandes in der Soziologie vgl. auch Werner Sombart, Noo-Soziologie, Berlin 1956, S. 29 - 73. 85
Stone, Begriffliche Probleme der Kleingruppenforschung (FN 7), S. 63 (Anm. 7). Ebd. 87 Exemplarisch für dieses Begriffsverständnis, das Gruppe mit Kleingruppe identifiziert, ist die Übersetzung des Buchtitels von Theodore M. Mills "The Sociology of small Groups", der in der deutschen Übersetzung nur noch "Soziologie der Gruppe" (3. Aufl., München 1971) lautet. 88 Vgl. dazu § 2 Ziff. 1 und § 6 Ziff. 3. 86
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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die normativ kulturelle Basis, mit deren Hilfe die Interaktionen selbst geregelt und strukturiert werden. Im übrigen besteht die Besonderheit rechtsnormativer Orientierungen auch darin, soziale Beziehungen zu regeln, die gerade nicht unter der Bedingung wechselseitiger Wahrnehmung stattfinden. Kleingruppentheoreme können diese charakteristischen Eigenschaften des Rechts und dessen wesentlich komplexere sozialkulturelle Wirklichkeit nicht erfassen. Auch König verkennt diesen Sachverhalt nicht. Die Gruppe als Beobachtungskategorie rechtsnormativ orientierten Verhaltens wird in seiner Theorie nicht allein aus sich selbst heraus gedeutet und erklärt. Das Recht hat seine besondere Funktion in der Integration verschiedener Gruppen. 89 Dies ist auch ein Grund, weshalb König dem Gruppentheorem und der Bedeutung, die es im Laufe der begriffsgeschichtlichen Entwicklung erfahren hat, hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Verwertbarkeit nicht ohne Skepsis gegenübersteht. Er spricht von einer „Erodierung" und „Trivialisierung" des Gruppentheorems. Er macht dies an einer Definition des Begriffs Gruppe in einem Lexikon der Soziologie „als eine im einzelnen sehr verschieden verwandte Bezeichnung für eine Mehrzahl von Individuen" fest. Diese Definition sage „in der Tat alles und gar nichts", und ihr Formalismus sei bar jeglichen greifbaren Inhalts. 90 Daran ändert sich auch nichts, wenn es in der von König zitierten Gruppendefinition weiter heißt, daß „ein oder mehr Individuen dann eine Gruppe bilden, wenn die Beziehungen zwischen diesen Individuen soweit als regelmäßig und zeitlich überdauernd betrachtet werden können, daß man von einer integrierten sozialen Struktur sprechen kann, es sich also nicht um eine bloße Menge oder Kategorie oder um eine momentane Ansammlung von Individuen handelt". 91 Denn auch diese Spezifizierung der Gruppe als „integrierte Sozialstruktur" läßt alles offen, weil sie den Gruppenbegriff nicht konkretisiert. Mit der Wendung „integrierte Sozialstruktur" werden alle wesentlichen Probleme der Soziologie tangiert und in einen Zusammenhang mit dem Gruppentheorem gestellt, was sich entsprechend in den verschiedenen Gruppenbegriffen niedergeschlagen hat. Eine Deutung und Erklärung der Voraussetzungen einer integrierten Sozialstruktur wird jedoch nicht geleistet. Auch mit dieser Definition läßt sich weder Funktion noch Struktur des Rechts erfassen, da die integrierte Sozial-
89
René König, Die analytisch-praktische Doppelbedeutung des Gruppentheorems. Ein Blick in die Hintergründe, in: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, Köln / Opladen 1983 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 25), S. 36 - 64. 90 Ebd., S. 36. 91 Rolf Klima, Artikel Gruppe, in: Werner Fuchs / Rolf Klima / Rüdiger Lautmann / Ottheim Rammstedt / Hanns Wienold (Hrsg.), Lexikon zur Soziologie, 3. völlig neubearbeitete und erweiterte Aufl., Opladen 1994, S. 255.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
struktur das Recht und seine integrativ wirkende Steuerungsfunktion gerade voraussetzt. Zu den unterschiedlichen Problemkreisen zählt zuallererst die Frage, ob es für die Gruppe auf die Zahl der in ihr zusammengefaßten Individuen ankommt. Dann stellt sich die Frage nach den Bedingungen der Mitgliedschaft, ob die Individuen willentlich einer Gruppe angehören oder in diese hineingeboren werden (sog. voluntary and unvoluntary groups). Das Problem der Sozialisation findet seinen Ausdruck in den Begriffen der Primär- und Sekundärgruppe, wobei in der ersteren die Soziabilität und erste Sozialisierung des Individuums bewirkt wird. Kennzeichnend für die Primärgruppen soll dabei die face-to-faceBeziehung sein. Damit stellt sich für die sogenannte Sekundärgruppe die Frage nach der Verbindung ihrer Mitglieder untereinander, soweit diese nicht oder nicht ausschließlich durch Interaktionen der Mitglieder sichergestellt ist. 92 Damit ist jedoch wiederum das Problem der Struktur menschlicher Gemeinschaft überhaupt angesprochen, welches gerade dann von besonderer Relevanz ist, wenn der Gruppenbegriff auch zur Beschreibung oder gar zur Ersetzung des Begriffs Gesellschaft verwandt wird. Soweit eine Strukturbildung durch Interaktionsverhältnisse, d. h. aufgrund wechselseitiger Wahrnehmung nicht möglich ist, sei es aufgrund der Mitgliederzahl und großen Dichte der Gruppe oder der ständigen Fluktuation von Mitgliedern, bedarf es einer Organisation. Als Organisationen bezeichnet König, ebenso wie Talcott Parsons,93 soziale Systeme mit einem angebbaren Mitgliederkreis, einer kollektiven Identität und Verhaltensprogrammen, die der Erreichung spezifischer Zwecke und Funktionen dienen.94 Umgekehrt bedeutet dies nicht, daß Gruppen auf Interaktionsbasis immer ohne Organisation wären. Denn soll mit dem Gruppenbegriff nicht bloß die spontane Gruppe bezeichnet werden, bedarf es auch für kleinere Gruppen einer zumindest informalen Organisationsstruktur, um unabhängig von den Mitgliedern in der Zeit bestehen zu
" Auf die Frage nach dem Zusammenhalt sogenannter Sekundär-Gruppen, die auch als Assoziationen bezeichnet werden (vgl. dazu Röhl, Rechtssoziologie (FN 79), S. 327 - 334), wird unter § 2 Ziff. 3 noch ausführlich einzugehen sein. Ferner Luhmann, Soziale Systeme (FN 6),' S. 560. 93 Talcott Parsons , Aktor, Situation und normative Muster. Ein Essay zur Theorie sozialen Handelns, hrsg. und übersetzt von Harald Wenzel, Frankfurt a. M. 1986, S. 223 ff. 94 René König, Artikel Organisation, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, Frankfurt a. M. 1958, S. 214 - 219, 218. Einen anderen Organisationsbegriff vertritt Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 3: Soziales System, Gesellschaft, Organisation, 3. Aufl., Opladen 1993, S. 335 - 389, 339 f., der auf die Entscheidungstätigkeit von Organisationen abstellt; danach sind Organisationen "soziale Systeme, die aus Entscheidungen bestehen und Entscheidungen wechselseitig miteinander verknüpfen".
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können. König nennt die organisierte Gruppe Assoziation, auf die im folgenden noch ausführlich einzugehen sein wird. 95 Unter dem Gruppenbegriff werden also verschiedene komplexe Sozialsysteme, wie Interaktionen, Organisationen und Gesellschaften, aber auch Institutionen, zusammengefaßt. 96 Es drängt sich die Frage nach dem Erklärungsgehalt eines Gruppenbegriffs auf, der so unterschiedliche Sozialsysteme wie Interaktion und Organisation in sich vereint und so eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen Formen menschlicher Vergesellschaftung nicht mehr zuläßt. 97 Aus systemtheoretischer Sicht sind die zuvor genannten Sozialsysteme 98
durch ihre Unableitbarkeit unterschieden, so daß aus dieser Perspektive für den Gruppenbegriff kein Platz mehr ist, da Gruppen sich immer durch ein Mehr oder Weniger an Interaktion und Organisation auszeichnen, je nach Größe und Dichte. Die Gruppe ist dann ein „soziales System, dessen Sinnzusammenhang durch unmittelbare und diffuse Mitgliederbeziehungen sowie durch relative Dauerhaftigkeit bestimmt ist". 99 Auffallend und hervorzuheben ist an dieser Definition zunächst, daß auf die Unmittelbarkeit der Mitgliederbeziehungen abgestellt wird. Damit fallen all jene Sozialsysteme aus dem Gruppenbegriff heraus, in denen ein unmittelbarer Kontakt der Mitglieder schon aufgrund der großen Zahl der Mitglieder nicht mehr möglich ist. Diese Definition der Gruppe kann also nicht mehr den Gesellschaftsbegriff ersetzen und gleichzeitig kann der Begriff der Gruppe damit nicht mehr auf Gesellschaft zurückgeführt werden. Die Gruppe ist per definitionem auch hinsichtlich der Kategorien von Interaktion und Organisation irreduzibel, da Interaktionen zumindest als gruppenkonstituierend vorausgesetzt werden, 100 die im weiteren strukturbildend wirken. So könnte man die Gruppe auch als komplexes Interaktionssystem bezeichnen, das durch Selbst- und / oder Fremdorganisation eine gewisse strukturelle Festigkeit erreicht. Mit
95
Vgl. § 2 Ziff. 3. Pitrim A. Sorokin, Organisierte Gruppe (Institution) und Rechtsnormen, in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, 2. Aufl., Opladen 1971 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 11), S. 87 - 120, 104 f., bezeichnet die organisierte Gruppe als Institution und betont besonders "die Diskrepanz zwischen offiziellem und inoffiziellem Recht der Gruppen". 97 Friedhelm Neidhardt, Themen und Thesen zur Gruppensoziologie, in: ders. (Hrsg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, Köln / Opladen 1983 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 25), S. 1 2 - 3 4 , 12 ff., 15. 96
98
Luhmann, Soziale Systeme (FN 6), S. 551 ff. Friedhelm Neidhardt, Das innere System sozialer Gruppen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 31 (1979), S. 639 - 660, 642. 100 TyrelL Zwischen Interaktion und Organisation I (FN 81), S. 79. 99
7 6 1 .
Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Selbst- und / oder Fremdorganisation ist die Bestimmung des Sinnzusammenhangs durch „diffuse" sowie „relative Dauerhaftigkeit" der Mitgliederbeziehungen gekennzeichnet. Organisiertheit ist dabei das Element, das die Strukturierung und damit das Überdauern der Gruppe im Zeitlauf erlaubt. Interaktionen in Gruppen sind also ausnahmslos an Strukturen gebunden, die sich in erster Linie als Organisation der Interaktionen darstellen. In der Fremd- und / oder Selbstorganisation drückt sich dann das von Friedhelm Neidhardt als 'Diffusheit' bezeichnete Kriterium der Mitgliederbeziehungen aus. Damit wird die Gruppe aber nicht unableitbar von den Interaktionssystemen definiert und beschrieben, sondern als ein in erster Linie interaktionistisches Sozialsystem. Denn mit der Diffusheit ist letztlich nichts anderes gemeint als die Kontingenz der Interaktionen im Hinblick auf eine Orientierung ihrer Organisation. 101 Diese läßt sich jedoch mit dem begrifflichen Instrumentarium einer realistischen Normentheorie, die zwischen informaler und formaler Organisation unterscheidet, wesentlich besser deuten und erklären, als dies mit dem höchst opaken Begriff der 'Diffusheit' möglich wird. 1 0 2 Der wesentliche Unterschied zwischen Interaktion und Gruppe soll darin bestehen, daß Gruppen ein anderes Verhältnis zur Zeit haben als Interaktionssysteme, die Luhmann als Episoden im Gesellschaftsvollzug bezeichnet.103 Das Überdauern in der Zeit, wenn einzelne Mitglieder einer Gruppe nicht anwesend sind, wird durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl oder ein sogenanntes 'WirGefühP gewährleistet, wodurch die „Verselbständigung des Systemzusammenhangs Gruppe gegenüber der Interaktionsebene" erreicht wird. „(D)ie Gruppe gewinnt dadurch Identität und Bestand oberhalb ihrer einzelnen Begegnungen und Treffs." 104 Mit der Irreduziabilität der Gruppe im Sinne einer ,,'Verselbständigung' des Systemzusammenhangs der Gruppe gegenüber der Interaktionsebene" 105 ist jedoch etwas anderes bezeichnet als die Unableitbarkeit der Systemtypen im Sinne von Luhmann. Für Luhmann sind alle Konstitutionsformen sozialer Systeme immer nur Kommunikation und nicht die Individualpsyche einzelner Gruppenmitglieder, die einzig ein 'Wir-GefühF hegen könnten. 106 Die Individualbewußtseine gehören vielmehr zur Umwelt der sozialen
101
Zur Kontingenz schon oben § 2 Ziff. 1. Insoweit verweist Sorokin, Organisierte Gruppe (Institution) und Rechtsnormen (FN 96), S. 87 - 120, nicht zu Unrecht auf den institutionellen Charakter der organisierten Gruppe. 103 Luhmann, Soziale Systeme (FN 6),'S. 553. 104 Tyre II, Zwischen Interaktion und Organisation I (FN 81), S. 82. 105 Ebd. 106 Luhmann, Soziale Systeme (FN 6), S. 551 f. 102
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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Systemtypen.107 Die Unableitbarkeit der einzelnen Systemtypen bezieht sich vielmehr auf die Sozialsystemtypen untereinander. Dies sieht auch König nicht anders. 108 Das bedeutet zunächst, und damit unterscheidet sich Königs Gruppentheorie grundsätzlich von den anderen Konzeptionen des Gruppentheorems, daß sich der sozialkulturelle Charakter der Gruppe nicht auf die Summierung der Individuen, die in einer Gruppe verbunden sind, zurückführen läßt und weiter, daß die Gruppe auch nicht im Sinne der „alten individualistischen Theorie des Sozialen" gedeutet und erklärt werden kann, indem nunmehr „anstelle der einzelnen Personen als soziale Atome 'kleine Gruppen' stehen". Für König ist dagegen vielmehr der systemische Charakter der Gruppe entscheidend. Das heißt für König, daß für ihn die Bedingungen, unter denen sich Gruppen in der sozialkulturellen Wirklichkeit ausbilden und kontinuieren, zu untersuchen sind. 109 Letztlich ist deshalb - auch vor dem Hintergrund der von König selbst am Gruppentheorem geleisteten Kritik - auf die Beibehaltung des Gruppenbegriffs als Beobachtungskategorie normativ orientierten Verhaltens zu verzichten. Wie in der modernen allgemeinen Systemtheorie kann die Beobachtung normorientierten Verhaltens auf die Integration von Gesellschaftstheorie, Organisationstheorie und Interaktionstheorie beschränkt werden, und zwar ganz unabhängig davon, ob die Konstruktion von nur drei Typen sozialer Systeme in der Luhmannschen Theorie Anspruch auf Vollständigkeit erhebt oder nicht. 110 Soweit die Tatsache der empirisch durchaus nachweisbaren Verselbständigung des Systemzusammenhangs der Gruppe gegenüber der Interaktionsebene eines begrifflichen Instrumentariums der Deutung und Erklärung bedarf, kann im Vorgriff auf die weiteren Untersuchungen schon hier der Begriff der Institutionalisierung für den Prozeß der Verselbständigung vorgeschlagen werden, so daß für eine sinnvolle Verwendung des Gruppentheorems in einer Institutionen- und systemtheoretisch fundierten realistischen Rechts- und Normentheorie kein Bedürfnis mehr besteht.
107
René König, Artikel Soziales Handeln, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 3: Politische Soziologie - Zuverlässigkeit, Frankfurt a. M. 1972, S. 754 - 757, 756. 108 König, Die analytisch-praktische Doppelbedeutung des Gruppentheorems (FN 89), S. 53. 109 König, Spontane Gruppen und marginale Gruppen der Gesellschaft (FN 53), S. 276 ff. 110 Luhmann, Soziale Systeme (FN 6), S. 16, 551 ff.; Werner Krawietz / Michael Welker, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 10 f. Tyrell, Zwischen Interaktion und Organisation I (FN 81), S. 77.
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1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
3. Sozialkulturelle Assoziationen oder soziale Systeme als soziale Referenzsysteme? In der kulturtheoretisch fundierten Normentheorie Königs ist die Beibehaltung des Begriffs Gruppe als Beobachtungskategorie normativen Verhaltens problematisch. Die Probleme gründen sicherlich nicht in der Ausarbeitung des Gruppentheorems der Königschen Soziologie und Normentheorie. Sie gründen vielmehr zum einen in der von König selbst hervorgehobenen und nachdrücklich beklagten „Erodierung und Trivialisierung" des Begriffs Gruppe, den er in den knapp sechzig Jahren seit seiner Habilitationsschrift in der heutigen Soziologie erfahren hat. 111 Zum anderen liegen die Probleme in der bereits dargestellten theoretischen sowie praktischen Unzulänglichkeit des Gruppenbegriffs, als soziales Referenzsystem für eine realistische Normen- und Rechtstheorie zu fungieren. Dies macht es notwendig, nach einem Ersatzbegriff zu suchen, der den Erfordernissen der Königschen Theoriebildung genügt. Es muß sich also um einen Begriff für das von König als Gruppe bezeichnete soziale Gebilde handeln, mit dem dieses insbesondere nicht als eine „'Summierung' von 'Individuen' gedeutet und erklärt wird, sondern sich als ein zusammenhängendes 'Ganzes'" 112 beschreiben läßt, das sich weder durch die „Motivations- und Bedeutungszusammenhänge" einzelner Individuen konstituiert noch auf diese zurückgerechnet werden kann, sondern - wie König es nennt - seinerseits in Aktion tritt. 113 In der Theorie Königs bieten sich hierfür sowohl der Begriff der Assoziation als auch der des sozialen Systems an. Beide Begriffe werden von König synonym als Referenzsysteme bei der Beobachtung und Beschreibung normativen Verhaltens verwandt. 114
a) Gruppe als sozialkulturelle
Assoziation
Sowohl der Begriff der Assoziation als auch der des sozialen Systems werden im Werk Königs eher beiläufig sowohl im Rahmen der Erörterung allge-
111 König, Die analytisch-praktische Doppelbedeutung des Gruppentheorems (FN 89), S. 36. 112 König, Spontane Gruppen und marginale Gruppen der Gesellschaft (FN 53), S. 276. 113 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 57), S. 41, 238 f. 114 Für die Gruppe vgl. zum Beispiel: König, Spontane Gruppen und marginale Gruppen der Gesellschaft (FN 53), S. 282; ders., Artikel Organisation (FN 94), S. 218 f.; ders., Gestaltungsprobleme der Massengesellschaft, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 461 - 478, 472. Für das soziale System vgl. zum Beispiel: René König, Artikel Sozialer Wandel, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 290-297, 292 f.
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meiner sozialwissenschaftlicher Fragestellungen 115 als auch im Rahmen genuin rechtssoziologischer Untersuchungen 116 eingeführt. Der Begriff der Assoziation ist jedoch nur dann als Ersatz des Begriffs der Gruppe adäquat, wenn und soweit mit ihm der „autonome Realitätscharakter des Sozialen", 117 den König der Gruppe gegenüber dem einzelnen zuweist, tatsächlich erfaßt werden kann; d. h. mit dem Begriff der Assoziation müßte sich das Gesellschaftliche als etwas grundsätzlich von den assoziierten Mitgliedern Verschiedenes beschreiben lassen. Dies erscheint nicht unproblematisch, da schon der lateinische Ursprung des Wortes „associare" („sich verbinden mit") zunächst nicht auf die durch die Verbindung neu entstehende Einheit, sondern nur auf die sich verbindenden Teile verweist, also in erster Linie auf die assoziierten Mitglieder und nicht auf die Assoziation selbst. In diesem Sinne wird der Begriff Assoziation auch in der Rechtssoziologie als Synonym für den der Sekundärgruppe verwandt, 118 deren Charakteristikum im allgemeinen durch einen freiwilligen Zugang und Zusammenschluß zu einer Gruppe gekennzeichnet ist, die wesentlich größer als eine Primärgruppe ist, so daß ein face-to-face-Kontakt nicht mehr stattfindet 119
und die Organisiertheit der Assoziation damit besondere Bedeutung erlangt. Mit einem derartigen Begriffsverständnis erscheint bei näherer Betrachtung jedoch nichts gewonnen, denn soweit König vom 'Sozialen', dem 'sozialen Faktor' oder der 'Sozialen Dimension' spricht, verweisen diese Begriffe auf die gesellschaftliche Ebene und nicht auf die assoziierten Individuen. Es erscheint daher kaum möglich, mit Hilfe des Begriffs Assoziation den Perspektivenwechsel in der Normentheorie Königs deutlich zu machen, der den Ausgangspunkt menschlicher Gesellschafts- und Gemeinschaftsbildung - wie schon vor ihm Durkheim - nicht mehr im einzelnen Individuum sucht, sondern in der Gesellschaft selbst, die primär erst eine Individualisierung gestattet und sekundär auch eine Assoziierung der so hervorgebrachten Individuen ermöglicht. 120
115
Zur Verwendung der Begriffe "soziales System" und "Assoziation" vgl. z. B. König, Artikel Allgemeine Soziologie und Gesellschaft (FN 32), S. 21, 22 bzw. 104 - 112, 111. Zur Identifikation der Gruppe als soziales System exemplarisch ders., Gegenstand und Methoden der Soziologie. Talcott Parsons, Georges Gurvitch, in: Kurt Fassmann (Hrsg.), Kindler Enzyclopädie. Die Großen der Weltgeschichte, Bd. 11: Einstein - King, Zürich 1978, S. 619 - 627, 623, und ders., Die Grenzen der Soziologie (FN 51), S. 104 ff. 116 Zur Verwendung des Begriffs des sozialen Systems in der Rechtssoziologie vgl. z. B. König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 43), S. 358 f. 117 König, Die Grenzen der Soziologie (FN 51), S. 95. 118 Röhl, Rechtssoziologie (FN 79), S. 327 - 334. 119 Ebd., S. 329. 120 Vgl. dazu auch Königs Kritik am Institutionismus § 7 Ziff. 1 und 2.
80
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Trotz der unbestreitbaren Tatsache, daß sich Mitglieder zu einem Verein oder Verband oder ähnlichem sicherlich auch freiwillig zusammenschließen können, bleibt die Frage nach den Strukturmerkmalen der Assoziation weiter bestehen, insbesondere ob das Kriterium der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses als ein solches gelten kann. Die Normentheorie Königs nimmt ihren Ausgangspunkt deshalb an den immer schon existierenden und normativ wirksamen, sich wandelnden Formen menschlicher Gesellschafts- und Gemeinschaftsbildung. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen damit die sozialkulturellen Bedingungen und Mechanismen, die die unterschiedlichsten konkreten Formen von Assoziationen erst ermöglichen. 121 Aus dieser Perspektive erscheint die Assoziierung freier und gleicher Individuen als eine mögliche Vorstellung von der Form, in der sich Assoziierungen vollziehen. Diese muß keinesfalls den tatsächlichen Verhältnissen der Assoziierung Rechnung tragen, wenngleich sie als Vorstellung von Wirklichkeit in der Lage ist, normative Wirkungen zu erzeugen, jedoch ohne daß diese mit den tatsächlichen realen Verhältnissen korrespondieren müßten. In diesem Zusammenhang ist es hilfreich, die Assoziation als sozialkulturelle Assoziation zu begreifen. Das bedeutet zum einen, daß es sich um reale Assoziationsverhältnisse handelt; zum anderen, daß es sozial wirksame, in der Kultur einer Gesellschaft bereitgehaltene Normvorstellungen sind, die die unterschiedlichen Assoziationsformen von Menschen möglich und nötig werden lassen. Bei König handelt es sich insoweit also nicht um eine metaphysische Auffassung der Assoziation, die die Bedingungen von Assoziationsverhältnissen allein in den assoziierten Individuen selbst sucht oder in diese zurückverlagert und sie als naturoder vernunftgegeben betrachtet. Diese Vorstellung ist für König in erster Linie Ausfluß eines literarischen Bildungshumanismus, wie er es exemplarisch am Renaissancehumanismus darstellt. 122 Eine entsprechende Vorgehensweise kritisiert König insbesondere an der sogenannten „Kritischen Theorie" der Frankfurter Schule. 123 Eine derart ideologische Vernunft- und naturrechtliche Betrachtung, die von „artifiziellen Gemeinschaften" als „Assoziationen von gleichen und freien
121
Aulis Aarnio, To the Reader / Verehrte Leserinnen und Leser, in: Associations 1 (1997), S. 3 - 9. Vgl. ferner: Vergesellschaftung - konzentriert und dezentralisiert, in: ebd., S. 161 - 162. 122 René König, Niccolo Machiavelli. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende, München / Wien 1979, S. 109 ff., 137 f. 123 René König, Die Kritische Theorie. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, in: Kindler Enzyclopädie. Die Großen der Weltgeschichte, Bd. 11, Zürich 1978, S. 653 667.
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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Rechtsgenossen" ausgeht, deren „Zusammenhalt gleichzeitig auf der Androhung äußerer Sanktionen wie auf der Unterstellung eines rational motivierten Einverständnisses beruht", wie dies neuerdings von Habermas vertreten wird, 1 2 4 verkennt die sozialkulturelle Wirklichkeit der Assoziation schon im Ansatz. Zwar sind Assoziationen immer insofern artifiziell, als es sich immer um Formen der Gesellschafts- und Gemeinschaftsbildung handelt, die von Menschen für Menschen geschaffen sind und ihm nicht von Natur aus zur Verfügung stehen, so daß jede dieser Formen immer eine kulturelle Leistung der Gattung Mensch ist. Sie vollzieht sich also in der Struktur ihrer sozial wirksam werdenden Kultur, d. h. auch ihres Rechts. 125 Sowohl das Recht als auch die Prozesse der Vergesellschaftung sind also sozialkulturelle Artefakte, allerdings mit dem Unterschied, daß das Recht es unternimmt, die sozialen Gebilde und ihre Aktivitäten seinerseits nochmals einer Normierung zu unterwerfen unter 126
Einschluß der Normen des genuin staatlichen Rechts. Es ist jedoch empirisch unhaltbar, davon auszugehen, daß sich durch das Recht gleiche und freie Rechtsgenossen zusammenschließen. Zum einen besitzt die Gruppe, wie schon oben gezeigt werden konnte, emergente Eigenschaften und ist deshalb - zwar nicht in einem kulturkritischen Sinne dem Akteur übergeordnet - kulturtheoretisch etwas anderes als die Summe, der in und durch sie vergesellschafteten und vergemeinschafteten Mitglieder. 127 Zum anderen ist die Grundannahme, daß sich insbesondere rechtliche Assoziationsverhältnisse aus grundsätzlich freien, d. h. von Natur oder Vernunft wegen ungebundenen und gleichen Individuen oder Rechtsgenossen bilden und zusammensetzen, sowohl soziologisch als auch kulturtheoretisch nicht haltbar und verkennt nicht nur die sozialkulturelle Wirklichkeit allen Rechts, sondern auch die Tatsache der Evolution von Recht und Gesellschaft. 128 So bedarf es vielmehr erst der sozialkulturellen Erfindung und einer entsprechenden normativen Regelung individueller Freiheit, um freiheitliche Assoziationsverhältnisse zu begründen. Die grundsätzlich freien 129
und gleichen Rechtsgenossen, die sich 'frei handelnd'
zusammenschließen,
124 So Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1992, S. 23. Der Begriff der freiwilligen Assoziation oder frei assoziierten Rechtsgemeinschaft erscheint mehrmals: S. 50, 63, 65, 100, 101, 107, 155, 165, 638. 125 König, Artikel Allgemeine Soziologie (FN 32), S. 21 f. 126 Vgl. dazu Werner Krawietz, Assoziationen versus Staat? Normative Strukturelemente föderaler politisch-rechtlicher Gemeinschaftsbildung, in: Giuseppe Duso / ders. / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1996 (RECHTSTHEORIE Beiheft 16), S. 321 - 339, 333 ff. 127 Vgl. dazu oben § 2 Ziff. 2. 128 Vgl. dazu ausführlich § 6. 129 Zum hier verwandten Handlungsbegriff vgl. § 4 Ziff. 2.
6 Vcddclcr
82
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
gehen dem Recht also nicht voraus, sondern werden von ihm als sozialkulturelle Artefakte produziert. Es ist deshalb auch nicht einzusehen, aus welchen Gründen das „Staatsvolk" oder die „Assoziation freier und gleicher Rechtsgenossen" als „Konstruktionen des Rechtssystems", wie Habermas meint, „unvermeidlich" wären, 130 es sei denn, man unterstellte ein Teleos in der Entwicklung von Vergesellschaftungsprozessen. Diese Aussage von Habermas läßt sich lediglich dann vertreten, wenn man mit Habermas nur einen „spezialisierten institutionalisierten Rechtsdiskurs", dem die „diffuse allgemeine Kommunikation" gegenübergestellt wird, annimmt. 131 Tatsächlich lassen sich empirisch jedoch ganz verschiedene Diskurse im Rechtssystem nachweisen, die ganz eigenen Systemrationalitäten folgen. 132 Sie lassen sich nach unterschiedlichen Theoretisierungsebenen unterscheiden. So mag es zwar für den gegenwärtigen Stand rechtspraktischer und rechtsdogmatischer Rechtsbearbeitung noch so erscheinen, als sei das Recht und die Rechtsordnung eine „Assoziation freier und gleicher Rechtsgenossen" - sowohl aus der Perspektive der Rechtssoziologie als auch aus der Sicht der Rechts- und Normentheorie stellt sich das Recht schon seit langem ganz anders dar. König spricht in diesem Zusammenhang von „Momenten minderer Rationalität" im Rechtssystem,133 diese erwachsen aus dem „historischen Ursprung und der Struktur" des Rechtssystems.134 Damit wird sofort klar, daß es König nicht darum geht, kulturkritisch, d. h. aus einer wertenden Perspektive heraus irrationale Vorstellungen im Rechtssystem auszumachen und zu brandmarken. Es handelt sich vielmehr um Vorstellungen, die aus einer soziologisch aufgeklärten Beobachterperspektive der allgemeinen Rechtslehre und der Rechtstheorie 135 als das rechtsnormativ orientierte Verhalten mitbeeinflussend beobachtet und beschrieben werden können. Sie gründen ζ. B. in naturrechtlichen Vorstellungen über Wesen, Eigenart und Ursprung des Rechts. I j 6 Keinesfalls kann aber die individuelle Lebensführung einzelner als der Keim für die Entstehung menschlicher Vergesellschaftung betrachtet werden. Und weiter bedeuten freiheitliche Assoziationsverhältnisse, wie König
130
Habermas, Faktizität und Geltung (FN 124), S. 107. So ebd., S. 75. 132 Vgl. dazu schon § 1 Ziff. 3. René König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Klaus Liiderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 186 - 207. 199. Ebd 131
!"
1.5
·
Zum Konzept von Ideologiekritik und soziologischer Aufklärung bei König vgl. § 3 Ziff. 1. 1.6 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 133), S. 199.
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ganz zutreffend betont, „nicht eine Emanzipation von sozialer Regelung", son137
dem lediglich eine „besondere Form"
der Regelung menschlicher Gemein138
schaft, d. h. der Individualismus ist ein „Regelungssystem eigener Art", welches selbstverständlich spezifische rechtsnormative Regelungen sowohl zur Voraussetzung als auch zur Folge hat. Deshalb bedeutet die „Vorstellung einer rein kontraktuellen Ordnung" für König „überhaupt keine Ordnung, sondern nur Chaos". 139 Damit gelangt aus kulturtheoretischer Perspektive zum Ausdruck, daß die Verbindung freier und gleicher Individuen keine durch die Vernunft oder Natur des Menschen vorgeschriebene rechtsnormative Konstruktion ist, 140 sondern eine kulturelle Errungenschaft des Kultursystems Recht auf einer bestimmten Stufe seiner Evolution und Entwicklung. 141 Die Konstruktionen betreffen lediglich ein bestimmtes Rechtsgebaren einer relativ konkreten gesellschaftlichen Situation. Sie können nur in „einem bestimmten Lebenssystem" bestehen, „weil sie - ihrem historisch-existentiellen Ursprung in einem bestimmten Rechtsgebaren ... entsprechend - nur einen bestimmten Gesellschaftszustand treffen". 142 Die Vorstellung, daß grundsätzlich freie und gleiche Rechtsgenossen soziale Gebilde erzeugen, ist insofern keineswegs unausweichlich durch die Entwicklungsgeschichte vorgegeben, wenngleich sie als „systematische Spekulation", wie König es nennt, nicht nur einen ideologischen Charakter annimmt, sondern selbstverständlich als eine Idee vom Handeln der Menschen als ein kulturelles und institutionalisiertes Leitbild auch in der Gesellschaft soziale Wirksamkeit erlangen kann, deren normative Wirksamkeit sich auch in modernen Verfassungstexten niederschlägt - zum Beispiel in den postulativen und normativen
137
König, Artikel Anomie (FN 38), S. 23. René König, Artikel Familie, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 69 - 81, 77. 139 König, Artikel Anomie (FN 38), S. 23. 140 Auf das hiermit eng verbundene -Problem menschlicher Freiheit wird später im Zusammenhang mit Königs Kritik am Institutionismus und der Rollentheorie noch ausführlich einzugehen sein, vgl. § 7 Ziff. 1 und 3. 141 Vgl. zu einer gesellschaftlich-geschichtlichen Untersuchung der Entstehung von Assoziationsverhältnissen auf der Basis der Institution Winfried Gebhardt, Individualisierung, Pluralisierung und institutioneller Wandel. Für eine "kritische" Theorie der Institutionen, in: Der Staat 31 (1992), S. 347 - 365, 356, der feststellt: "Die typische Institution der modernen Gesellschaft ist die Assoziation." Er führt weiter aus, daß die "Assoziation zwar grundsätzlich auf dem freien auf die Erreichung eines spezifischen Ziels gerichteten Zusammenschluß ihrer Mitglieder beruht, doch in ihrer Eigenart und ihrem Anspruch - jedenfalls in der Vergangenheit - darin nicht aufgeht". 142 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 57). S. 264. Ij 8
6*
84
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
Forderungen der Gleichsätze.143 König weist sehr zutreffend darauf hin, daß der „Egalitarismus" im wesentlichen eine „Rechtskonzeption von postulativem und regulativem Charakter" darstellt, die die „Verschiedenartigkeit der Menschen nicht nur nicht zum Verschwinden bringt, sondern im Gegenteil zur Voraussetzung hat". So stellt er fest: „Einzig wenn es soziale Unterschiede gibt, hat es Sinn, nach einer Rechtsgleichheit für alle Bürger zu rufen." 144 Um eine Rechtsideologie in Form dogmatischer Wissenschaft handelt es sich nach Ansicht Königs dann, wenn sie die Rechtskonzeptionen in ihrer historisch-existentiellen Bedingtheit verkennt und damit dem Irrtum erliegt, mit den entsprechenden Konstruktionen das Recht im allgemeinen erfassen, d. h. mit ihnen allein Geltung und Verbindlichkeit des Rechts begründen zu können. Aus den (Rechts-)Texten allein läßt sich die empirische Wirklichkeit der sozialkulturellen Ordnung jedoch nicht entnehmen. Sie allein können die normative Geltung und Verbindlichkeit der sozialkulturellen Ordnung nicht begründen. Ein derartiges Vorgehen bezeiçhnet König als literarischen Existenzialismus, „für den nur der 'Diskurs' real ist, d. h. mit anderen Worten, in dem die beliebig disponiblen, von keiner Empirie berührten Worte die Realität 'ersetzen'". 1 4 5 Eine ganz ähnliche Kritik übt Luhmann an Habermas, wenn er die These Habermas' kritisiert, „daß die Sprache selbst für angemessenen Gebrauch eine Symmetrie von Anerkennungsverhältnissen vorschreibe und damit normative Ansprüche an gesellschaftliche Rationalität begründe". 146
b) Sozialkulturelle
Systeme
Um die oben genannten natur- und vernunftrechtlichen Fehlinterpretationen, die mit dem Begriff der Assoziation einhergehen, zu vermeiden, soll hier zur Ersetzung des Begriffs Gruppe nicht der der Assoziation, sondern der des so-
l4j Vgl. ζ. B. die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Art. 3 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot, wonach nicht eine Gleichbehandlung gesollt ist, sondern die sachliche Darlegung von Ungleichbehandlungen, so das Bundesverfassungsgericht (Beschluß v. 3.1.1994 - 2 BvR 1436 / 93, in: Neue Juristische Wochenschrift 47 (1994), S. 2219), nach dessen Entscheidung der Spielraum des Gesetzgebers für Ungleichbehandlungen erst dort endet, "wo ein einleuchtender, sachlich vertretbarer Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt". 144 René König. Gestaltungsprobleme der Massengesellschaft (FN 113), S. 467. Vgl. auch René König, Rez.: Ralf Dahrendorf, Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 13 (1961), S. 497 - 499. 145 König. Soziologie und Ethnologie (FN 24), S. 21. I4 " Luhmann. Das Recht der Gesellschaft (FN 38), S. 485 FN 98.
§ 2 Beobachtungskategorien normativen Verhaltens
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zialkulturellen Systems als Referenzsystem der Beobachtung normativ orientierten Verhaltens eingeführt werden. Er ist als Forschungsgegenstand zunächst abzugrenzen von der Art und Weise soziologischer Theorie und Forschung, die König „systemwissenschaftlich" nennt. 147 Sozialkulturelle Systeme sind auch nicht nur die Konstruktionen systemwissenschaftlicher soziologischer Forschung, sondern tatsächliche, d. h. in der Umwelt real existierende, beobachtbare und damit als solche der empirischen Forschung zugängliche Systeme. Diese Feststellung ist zum einen wichtig, da sich König ausdrücklich und zu Recht gegen einen Modellplatonismus in den Sozialwissenschaften zur Wehr setzt. 148 Zum anderen ist die Bezeichnung der Soziologie als systemwissenschaftlich für König deshalb von besonderer Bedeutung, weil ihm daran gelegen ist, die Soziologie vor den „Gefahren des orientierungslosen Empirismus" zu schützen.149 Je nach Perspektive und Forschungsinteresse können sich die sozialkulturellen Systeme nämlich anders darstellen. Soziale Systeme sind für König, entsprechend seinem spezifischen Verständnis von der Gruppe, das in seiner Kritik des Gruppenbegriffs bereits oben ausführlich erörtert wurde, zum einen „komplexe Interaktionszusammenhänge", 1 5 0 zum anderen aber auch Gruppen 151 sowie Organisationen 152 als auch die Gesellschaft insgesamt.153 Obschon es - auch an Königs eigenen Maßstäben gemessen - an einer ausgearbeiteten Systemtheorie fehlt, wie diese von Talcott Parsons und später von Niklas Luhmann elaboriert wurden, kann der Sache nach durchaus nicht nur von einem systemischen Denken oder systemwissenschaftlichen Ansatz, 154 sondern von einer Systemtheorie als Basis der Allge-
147
Vgl. dazu König, Grundlagenprobleme der soziologischen Forschungsmethoden (FN 58), S. 23 - 44. 148 Ebd., S. 34. 149 René König, Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, in: ders., Praktische Sozialforschung, Bd. II: Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, 2. Aufl., Berlin / Köln 1962, S. 17 - 47, 33. 150 König, Artikel Allgemeine Soziologie (FN 32), S. 21, und Gesellschaft (FN 70), S. 111. 151 König, Artikel Gesellschaft (FN 70), S. 111. 152 Vgl. zum Beispiel René König, Die Reaktion der Verwaltung auf gesellschaftliche Veränderungen, in: Berliner Beamtentage, Berlin 1970, S. 46 - 54; ders., Vorbemerkung des Herausgebers zu Band 9, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung. Band 9: Organisation, Militär, 2. Aufl., Stuttgart 1977, S. V - VIII. 153 König, Artikel Struktur (FN 28), S. 314: "... indem Struktur 1. das innere Gefüge einer Gesellschaft oder Gruppe (d. h. eines sozialen Systems) betrifft ...". 154 König selbst betont die Interessenähnlichkeit seiner Forschung mit der Talcott Parsons', vgl. König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 57). S. 12.
86
1. Abschn.: Beobachtung sozialkultureller Normen und des Rechts
meinen Soziologie Königs gesprochen werden. 155 Da der Begriff des sozialen Systems auch den Gegenstandsbereich der Soziologie betrifft, kann mit dem theoretischen Begriff des sozialen Systems sowohl der vieldeutige und mißverständliche Begriff der Gruppe als auch der der Assoziation ersetzt werden. König unterscheidet nicht nur zwischen den drei sozialen Systemreferenzen Gesellschaft(en), 156 Organisationen und Interaktionen. Einen ganz zentralen Stellenwert hat für ihn auch das System-Umwelt-Paradigma, 157 nach dem sich die sozialen Systeme nicht nur von ihrer bio-physischen Umwelt, zu dem auch der Begriff vom menschlichen Individuum zählt, „der einzig der biologischen Sphäre zu eigen ist und der Mensch auch kein soziales Wesen ist". 1 5 8 Zum anderen unterscheiden sich soziale Systeme von anderen in der Umwelt vorkommenen Systemen mittels „Kriterien sozialer und kultureller Natur" und sichern sich so in ihrem Bestand. Ferner ist in der Königschen Soziologie und Normentheorie sowohl die Ausdifferenzierung komplexer selbsterhaltender und -herstellender, selbstregulierender Systeme, wenn auch nicht (immer) in begrifflicher Schärfe und monographischer Geschlossenheit zeitgenössischer Systemtheorien, 159 so doch der Sache nach, in den unterschiedlichsten soziologischen und normentheoretischen Untersuchungen als leitendes Forschungsparadigma nachweisbar. König stellt immer darauf ab, daß soziale Systeme sich zunächst durch eine Unterscheidung von Umwelt anderer Systeme konstituieren und später aufgrund und nach Maßgabe der eigenen normativ-kulturellen Systemgeschichte durch Selbstkontakt in ihrer Umwelt perpetuieren und damit auch diese selbst verändern. 160 Aus dem mehr als siebenhundert Titel umfassenden Gesamtwerk Königs sollen hier nur einige - für die hier allein interessierende Rekonstruktion der Normentheorie Königs - wichtige Fundstellen beigebracht werden, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß auch dort, wo die Begriffe kulturelles oder soziales System nicht wörtlich verwandt werden, sehr häufig
155 Vgl. zur Rezeption der Systemtheorie in Deutschland durch René König: Hans Haferkamp, Die Struktur elementarer sozialer Prozesse. Logik und Gehalt eines Forschungsleitfadens zur soziologischen Analyse und Erklärung, Stuttgart 1973, S. 16. 156 René König, Einige Bemerkungen·zur Soziologie der Gemeinde, in: ders. (Hrsg.), Soziologie der Gemeinde, 3. Aufl., Köln / Opladen 1966 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 1), S. 1 - 11, unterscheidet zwischen der Globalgesellschaft und kleineren Gruppen bzw. Regionalgesellschaften in deren Umwelt. 157 König. Artikel Gesellschaft (FN 70), S. 111. 158 René König, Freiheit und Selbstentfremdung in soziologischer Sicht, in: Freiheit als Problem der Wissenschaft. Abendvorträge der Freien Universität Berlin im Winter 1961 / 62. Berlin 1962, S. 25 - 41,38. |ii
So auch Pitrim A. Sorokin, Organisierte Gruppe und Rechtsnorm, in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1971, S. 87- 120, 89. I M Zum Mangel an theoretischen Leitideen in der empirischen Sozialforschung in Deutschland René König, Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, in: ders. (Hrsg.), Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung. Praktische Sozialforschung, 8. Aull., Köln / Berlin 1972, S. 17 - 47, 27 f., 29, 32. Vgl. dazu auch den Slreit über die Möglichkeiten der Knowledge and Opinion about Law (KOL-research), auf den hier nicht näher eingegangen werden muß. Vgl. Gerlinda Smaus, Theorielosigkeit und politische Botmäßigkeit der KOL-Untcrsuchungen, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 2 (1981), S. 245 - 277: Erich M. Keßler, Annotierte Bibliographie zu Knowledge and Opinion about Law (KOL-lJntersuchungen), in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 2 (1981), S. 278 - 293, Erhard Blankenburg, Die implizierten Theorien der KOLForschung und der double talk der politischen Unbotmäßigkeit, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 3 (1982), S. 291 - 296, und die Antwort von Gerlinda Smaus, Eine Erwiderung auf Blankenburg, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 3 (1982), S. 297 - 304. König, Der Mensch in der Sicht des Soziologen (FN 157), S. 4 L 166 René König, Einige Bemerkungen zur Stellung des Problems der Jugendkriminalität in der allgemeinen Soziologie, in: Peter Meilitz / ders., Soziologie der Jugendkriminalität, Opladen 1962 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsvchologie, Sonderheft 2), S. 1 - 11.
152
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
steht nicht nur die Frage zur Entscheidung an, ob die Abweichung gesollt oder nicht gesollt war, ob sie im konkreten Fall erlaubt oder verboten war und ob in einer ähnlichen zukünftigen Situation wieder abgewichen werden darf, sondern es bedarf zuallererst einer Entscheidung darüber, welches Verhalten als abweichendes Handeln zugerechnet werden soll. So bietet gerade abweichendes Verhalten eine Möglichkeit, die sozialkulturellen Erwartungen durch die Reaktion auf abweichendes Verhalten, d. h. nicht nur die regelmäßig erwarteten Reaktionen, ζ. B. Sanktion, Strafe oder Lob und Anerkennung, sondern die Beurteilung des Verhaltens als abweichendes Handeln überhaupt zu lernen. Diese Reaktionen sind somit kein faktischer Automatismus, sondern ebenso wie die primäre Verhaltenserwartung ist auch die sekundäre Verhaltenserwartung eine normative Erwartung. 167 Die sozialkulturelle Person ist insofern mehr als eine bloß mit Mitteln des Rechts gesellschaftlich konstituierte Erwartungskollage, 168 d.h. eine variable Synthese von Sozialerwartungen. 169 Als solche stellt sie sich aus der Perspektive der Gesellschaftssysteme dar, die ihr im Sozialisationsprozeß verschiedene Positionen und Rollen mit differenten, teilweise konfligierenden sozialkulturellen Norminhalten zuweist. Durch Internalisierung der sozialkulturellen Normen wird es der Person erst möglich, sich als Persönlichkeit zu reflektieren und zu identifizieren. Durch die für unterschiedliche Personen in verschiedenen Lebenszusammenhängen jeweils einzigartige Identifikation ihres Selbst erhält die Person ihre Autonomie und Integrität und damit letztlich ihre Individualität. Die ermöglichte Identitätsbildung der sozialkulturellen Person durch die Enkulturation verschafft ihr eine Verhaltensorientierung auch dort, wo Rollenerwartungen nicht eindeutig oder wenig institutionalisiert sind. Hierdurch erhält der personale Akteur eine besondere Funktion im und durch den Rollenpluralismus in differenzierten Sozialordnungen, 170 die aufgrund ihrer Schnellebigkeit nicht immer in der Lage sind, auf den gesellschaftlichen Wandlungsprozeß mit hinreichend institutionalisierten Normorientierungen zu reagieren. Entscheidungen über das Verhalten können sich deshalb nicht immer an Rollen orientieren, sondern stützen sich auch auf die eigene Persönlichkeit. Das setzt selbstverständlich die Institutionalisierung der Persönlichkeit als Entscheidungsträger voraus, die gleichzeitig einen besonderen Schutz erfordert. 171
167
Vgl. dazu auch § 5. Luhmann, Soziale Systeme (FN 80), S. 178. 169 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 122), S. 140. 170 Gerhard Wurzbacher, Sozialisation - Enkulturation - Personalisation, in: ders. (Hrsg.), Der Mensch als soziales und personales Wesen, Stuttgart 1963, S. 1 - 34. 171 Vgl. zu der Thematik insgesamt Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution, 2. Aufl., Berlin 1974, insbesondere S. 53 ff. 168
§ 4 Erwartungen als normative Strukturelemente
153
Diese ist nicht im Individuum oder seiner Individualität selbst begründet, sondern in den sozialkulturellen Normen der Gesellschaft, die die Handlungs172
einheit des Subjekts ermöglichen und garantieren. Diesem Sachverhalt trägt das formelle Recht Rechnung, indem es in verschiedensten Bestimmungen sowohl der Verfassung als auch dem einfachen Gesetzesrecht eigens die Entfaltung der sozialkulturellen Persönlichkeit unter den Schutz des staatlich organisierten Rechtssystems stellt. 173 Die kollagierten Verhaltenserwartungen in der Person werden jedoch nicht immer erfüllt. Abweichungen vom erwarteten Verhalten sind möglich, sie sind aber weder notwendig noch rein zufällig. Aufgrund der vielfältigen Rollen, die die sozialkulturelle Person auszufüllen hat, kann nie mit Sicherheit festgestellt werden, an welchen Rollenerwartungen sie sich orientiert. 174 Die Person erscheint deshalb aus der Perspektive des sozialen Systems als Black-Box, die eine Beobachtung der Orientierungsauswahl nicht zuläßt. Luhmann definiert die Person für das umgekehrte Verhältnis, nämlich den „Sicherheitsgewinn des Kennenlernens" als „Bezeichnung dafür, daß man nicht beobachten kann, wie es zustande kommt, daß Erwartungen durch Zusammenhang in einem psychischen System an Wahrscheinlichkeit gewinnen". 175 Anders als in der Systemtheorie Luhmanns räumt König - ebenso wie Schelsky - der konkreten sozialkulturellen Person sowohl in seiner Soziologie als auch in der kulturtheoretischen Normentheorie einen zentralen Stellenwert ein. Sie ist nicht nur Zurechnungsobjekt von Erwartungen des Rechts, sondern bildet an denselben Erwartungen auch ihre Identität aus, durch die sie zu einer Persönlichkeit, d. h. auch zu einem Subjekt wird, welches nicht durch einen Rollenzwang ausweglos determiniert ist. Die Person richtet sich durch „Ausdruck und Kommunikation" nach außen, deshalb ist sie, wie Schelsky feststellt, ihrem Grundbegriff nach „immer auch 'juristische Person'", „indem sie ihr Wesen als 'Recht', nämlich als Handlungsanspruch gegenüber der 'Umwelt', den anderen Personen, dem sozialen System, vertritt und vertreten muß. (Daß hier ein anderer Begriff der 'juristischen Person' gemeint ist als die zur 'natürlichen Person' analoge juristische Rechtsfiktion der 'juristischen Person', sei nur sicherheitshalber vermerkt.)" 176
172
René König, Freiheit und Selbstentfremdung in soziologischer Sicht, in: Freie Universität Berlin (Hrsg.), Freiheit als Problem der Wissenschaft. Abendvorträge der Freien Universität Berlin im Winter 1961 / 62, Berlin 1962, S. 25 - 41, 38. 173 Zur institutionentheoretischen Konzeption dieses Sachverhalts vgl. § 7. 174 Vgl. dazu § 7 Ziff. 2. 175 Luhmann, Soziale Systeme (FN 80), S. 158. 176 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 122), S. 140.
154
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
Die Möglichkeit des von den Erwartungen abweichenden Verhaltens durch die sozialkulturelle Person macht es notwendig, diese jenseits der Psychen konkreter Personen gesellschaftlich zu stabilisieren. Die Erwartungen haben zwar eine verhaltensorientierende Funktion für sozialkulturelle Personen, diese kann aber nur aufrechterhalten bleiben, wenn die Erwartungen ihrerseits stabil bleiben. Das kann aber nicht durch besonders gleichförmiges Verhalten einzelner Personen selbst geleistet werden, sondern nur dadurch, daß die Orientierungsfunktion der Erwartungen stabilisiert wird.
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung? 1. Verhältnis von Rechtsnorm und Sanktion bei René König Die Stabilisierung der verhaltensorientierenden Funktion normativer Erwartungen erfolgt regelmäßig in der Form von Sanktionen. Häufig wird die Normativität einer Erwartungshaltung erst durch eine Sanktionierung sichtbar. 1 Da sich ohne eine sanktionierende Reaktion oft nicht mit Sicherheit sagen läßt, ob Verhaltensgleichförmigkeiten bloß üblich oder auch normativ gefordert sind, wird den Verhaltensgleichförmigkeiten häufig nur dann Normcharakter zugesprochen, wenn und soweit diese sanktionsbewehrt sind."
a) Zum sogenannten 'soziologischen ' Rechtsbegrijfder Sanktions- und Zwangstheorien Die infolge der Sanktionierung - allerdings nur im Falle von abweichendem Verhalten - regelmäßig zu beobachtenden Zwangshandlungen haben insbesondere im soziologischen Rechtsdenken zu Auffassungen geführt, die das Recht nicht nur mit Hilfe der Merkmale Sanktion und Zwang definieren, sondern es durch diese konstituiert sehen. Die Sanktion und die ihr folgende, in modernen Rechtssystemen zumeist staatliche Zwangsausübung fungieren zum einen als Abgrenzungskriterium des Rechts von bloßen Moralvorschriften und zur Unterscheidung des Rechts von anderen, äußeres Verhalten vorschreibenden sozialkulturellen Normensystemen. 3 Zum anderen sollen Sanktion und Zwang sogar die Funktion der Rechtsquelle haben. Die sanktionierende Zwangsreaktion auf abweichendes Verhalten wird demgemäß als „Geburtsstunde der sozialen Norm" tituliert. 4
1
Rene König, Einleitung, in: Emilie Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode, hrsg. und eingeleitet von René König, 2. Aull., Frankfurt a. M. 1991, S. 21 - 82, 45. ~ Vgl. z. B. Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre. Ein Lehrbuch, Köln / Berlin / Bonn / München 1995, S. 203, 206. 3 Thomas W. Bechtler, Der soziologische Rechtsbegriff, Berlin 1977, S. 20.
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2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
Auch König weist auf die Bedeutung von staatlicher Gewaltandrohung 5 und die Verwirklichung des Rechts durch Zwangsmittel hin. 6 Gleichwohl ist die Sanktionierung abweichenden Verhaltens für König weder ein spezifisches Strukturelement der genuin gesellschaftlichen noch der formellen staatlichen Rechtsnormen, denn: „Die Übertretung sozialer Normen zieht genauso Sanktionen nach sich, wenn diese auch verschiedene Formen annehmen können, die nicht staatlich organisiert sind, vom Lachen bis zur Ächtung"; 7 worin sich die Funktion des Rechts als Mittel sozialer Kontrolle (social control) nur manifestiert. Das war auch den Begründern der modernen Soziologie, wie Emile Durkheim und Max Weber, bekannt, auf die sich die heutigen Sanktions- und Zwangstheoretiker berufen. Zwar hebt insbesondere Durkheim die Wirkung äußerer Zwänge hervor. Dies geschieht jedoch nicht, um so die soziale Norm zu definieren, sondern um an der Zwangsausübung, die als sanktionierende Reaktion immer nur die Folge einer schon zuvor bestehenden Norm ist, den autonomen Gegenstandsbereich des Sozialen auszuweisen.8 Demnach sind die Verhältnisse also umzukehren. Die Norm entsteht nicht mit der Sanktionierung, sondern muß vielmehr vorausgesetzt werden, um die sanktionierende Zwangshandlung überhaupt begreiflich machen zu können. Die wirkliche Existenz der Normen wird mit der sanktionierenden Reaktion auf abweichendes Verhalten also lediglich bewußt.9
b) Zur moralphilosophischen Tradition soziologischer Zwangs- und Sanktionstheorien Tatsächlich handelt es sich bei dem Rechtsbegriff der Sanktions- und Zwangstheorien gar nicht „um einen autonomen soziologischen Rechtsbe-
4 Exemplarisch hierfür Thomas Raiser , Rechtssoziologie, Frankfurt a. M. 1987, S. 97, 233, der allerdings ganz unzutreffend auch Theodor Geiger und Max Weber zu den "anderen" Vertretern der Zwangstheorie zählt. 5 René König, Artikel Soziale Kontrolle, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 277 - 280, 278. 6 René König, Artikel Institution, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweitere Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S.142 - 148, 148. 7 René König, Artikel Recht, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 253 - 261, 257. Zu den Geltungsbedingungen des Rechts vgl. § 8. 8 René König, Die Regeln der soziologischen Methode, in: ders., Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978, S. 140 207, 168 f. 9 Ebd., S. .
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
157
griff'. 1 0 Die Zwangstheorie steht vielmehr ganz und gar in der genuin rechtsund moralphilosophischen Tradition Kants. 11 Kant selbst hat Recht und Zwang identifiziert: „Recht und Befugnis zu zwingen bedeuten also einerlei." 12 Der Rekurs auf Sanktion und Zwang der sogenannten soziologischen Rechtsbegriffe steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem dichotomisierenden Rechtsdenken von Sein und Sollen, das das Fundament aller normativistischen Rechtstheorien bildet. Der durch die Sanktion vermittelte faktische, also 'seiende' Zwang fungiert in gewisser Weise zur Überbrückung der in der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts zwar so nicht auffindbaren, aber auch den soziologischen Rechtsbegriffen regelmäßig zugrunde gelegten kategorialen Disparität von Sollen und Sein.13 Die Unterscheidung dieser Gegenstandsbereiche wird allgemein auf die Philosophie Immanuel Kants zurückgeführt, 14 wo sie jedoch, wie Hans Kelsen in seinem Spätwerk hervorhebt, als ein strenger Dualismus von Sein und Sollen „nicht gefunden werden" kann. 15 Seinen absoluten Charakter im Sinne einer 'ursprünglichen Kategorie' 16 erhielt der Dualismus von Sein und Sollen erst durch die neukantianische Rechtsphilosophie.17
10
Bechtler, Der soziologische Rechtsbegriff (FN 3), S. 20. Werner Krawietz, Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 157 - 177, 161. 12 Immanuel Kant, Werkausgabe Bd. VIII, hrsg. von Wilhelm Weischedel, 9. Aufl., Frankfurt a. M. 1991, S. 340. 13 Vgl. auch Röhl, Allgemeine Rechtslehre (FN 2), S. 203, 206, 215. 14 Arthur Kaufmann, Kantianismus, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, Gruppe 2 / 260. Immanuel Kant, Werkausgabe Bd. IV, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1968, S. 203: "Denn in Betracht der Natur, gibt uns Erfahrung die Regel an die Hand und ist der Quell der Wahrheit, in Ansehung der sittlichen Gesetze aber ist Erfahrung (leider!) die Mutter des Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das was ich tun soll, von denjenigen herzunehmen oder dadurch einschränken zu wollen, was getan wird." 11
15
Zum Dualismus von Sein und Sollen allgemein vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979, S. 44 ff., zum Verhältnis von Sein und Sollen bei Kant: S. 62 ff. und zu dem in bezug auf das Verhältnis von Sein Sollen konsequenteren David Hume: S. 68 f. Zur Kritik des normativistischen Rechtsdenkens Hans Kelsens vgl. § 5 Ziff. 3. 16 Robert Walter, Sein und Sollen, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, Gruppe 2 / 540. 17 Vladimir Kubes; Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, in: Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht 31 (1980), S. 155 - 199, 180 f., 189 ff.; Günther Winkler, Sein und Sollen. Betrachtungen über das Verhältnis von Sein und Sollen im Hinblick auf das Verhältnis von sozialer Wirklichkeit und Recht, in: RECHTSTHEORIE 9 (1979), S. 257 - 280, 265 ff., 279 f.
158
2. Abschn.: N o n als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
Zwar ist die Dichotomisierung des Rechtsdenkens im Sinne einer kategorialen Trennung von Sein und Sollen mit dem modernen, schon nachpositivistischen18 Institutionen- und systemtheoretischen Rechtsrealismus überwunden, dennoch wird sie in Teilen der Allgemeinen Rechtslehre immer noch als kategoriale und logische Leitunterscheidung des Rechtsdenkens weitergeführt. Anstatt nach realistischen Wirkungs- und Geltungsbegründungen Ausschau zu halten, werden logische Widersprüche einfach nur ausgehalten. So formuliert zum Beispiel Klaus F. Röhl: „Um die normative Geltung des Rechts zu begründen, muß an einer Stelle ein Schluß vom Sein auf das Sollen eingeführt werden, auch wenn dieser Schluß nicht zwingend sein kann, vermag er doch praktisch zu überzeugen, wenn die Übergangsstelle richtig gewählt ist." 19 Die rechtssoziologische „Übergangsstelle" vom Sein zum Sollen befindet sich nach der Ansicht Röhls dort, wo der Rechtsstab Sanktion und Zwang zur Durchsetzung des Rechts anwendet. Ob dieser 'Übergang' praktisch zu 'überzeugen' vermag, weil er 'richtig gewählt' ist, ist aber keine Frage, die normativ zu beantworten ist. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob die Vorstellung einer mittels Sanktion und Zwang zu überbrückenden Kluft von Sein und Sollen einer empirischen Überprüfung standhält und der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts entspricht. Für normativistische Rechtstheorien, deren wissenschaftstheoretische Basis die strenge Orientierung am Methodendualismus ist, ist die kategoriale Trennung von Sein und Sollen unumstößlich und jeglicher 'Überbrückungsversuch' logisch nicht begründbar - und dies trotz der Tatsache, daß das Recht auch für Vertreter normativistischer Rechtskonzeptionen ein Mittel zur Verhaltensregulierung ist und insofern immer untrennbar mit dem wirklichen Verhalten der Menschen verbunden. Die Trennung von Sein und Sollen kann deshalb immer nur auf einer begrifflich-analytischen Ebene aufrechterhalten werden. Leichter haben es dagegen die Anhänger naturrechtlicher Rechtslehren, die das Recht definitionsgemäß als erzwingbare soziale Norm deuten und erklären. 20
c) Sein und Sollen aus kulturtheoretischer
Perspektive
Aus der kulturtheoretischen Perspektive Königs besteht weder die Notwendigkeit, die Norm aus bloß faktischen Sanktions- und Zwangsverhältnissen ab-
18
Brigitta Kasprizik, Ist die Rechtspositivismusdebatte beendbar? Zur Rechtstheorie Niklas Luhmanns, in: RECHTSTHEORIE 15 (1985), S. 367 - 381. 19
Vgl. z. B. Röhl, Allgemeine Rechtslehre (FN 2), S. 306. Arthur F. Utz, Der unzerstörbare Kern der Naturrechtslehre, in: RECHTSTHEORIE 11 (1980), S. 283 - 297, 284: "Recht ist definitionsgemäß erzwingbare soziale Norm. Um diese Definition kommt auch der Naturrechtler nicht herum." 20
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemnte rechtlicher Normierung?
159
zuleiten, noch bedarf es eines 'Brückenschlags' zwischen der Welt des Sollens und der des Seins. Denn der Methodendualismus selbst ist ein kulturelles Konstrukt, ein menschliches Artefakt zur Weltdeutung. Als solches erfüllt der Methodendualismus bestimmte Funktionen. Es ist das nicht unwesentliche Verdienst der rechtspositivistischen Rechtslehre Kelsens, durch einen strikten Methodendualismus „ganz erheblich zur Präzisierung des stets prekären Verhältnisses von Rechtsfrage und Tatfrage" 21 im Rechtsdenken beigetragen und eine Kritik des Naturrechtsdenkens unter Verweis auf die Positivität des Rechts geliefert zu haben, so daß durchaus von einer positiven Beeinflussung des Rechtsdenkens gesprochen werden kann. Diese reicht über bloß rechtsmethodische Probleme insofern hinaus, als daß auf der Grundlage des Methodendualismus normativistischer Rechtstheorie eine Ideologie- und Naturrechtskritik geleistet wurde und eine Orientierung der Normentheorie an der Positivität des Rechts möglich wurde, indem die hypothetische Grundnorm gleichsam als Symbol für die operativ geschlossene Selbsterzeugung des Rechts fungiert.*" Das dichotomisierte Rechtsdenken des Kelsenschen Methodendualismus ist jedoch weder eine vor aller menschlichen Erkenntnis liegende Kategorie noch ist es ein Universalismus, der für alle Rechtskulturen gilt. Zwar spielt der Prozeß der Dichotomisierung auch in anderen Rechtskulturen eine herausragende Rolle, es sind aber andere Formen denkbar, die nicht an einer reinen Zweiwertigkeit anknüpfen, sondern auch Dreiteilungen, also Trichotomien kennen. Einen Methoden-Trialismus vertritt im kontinentaleuropäischen Rechtskreis ζ. B. die Brünner Schule, deren Rechtsdenken zwischen einer (1) normenlogischen, (2) teleologischen und (3) ontologisch kausalen Betrachtungsweise unterscheidet,"' und im iberoamerikanischen Rechtskreis die „Teoria Tridemensional do Direito". 24 Der zum ideologischen Dogma mutierte Methodendualismus hat das Rechtsdenken in Dogmatik und Methodenlehre sowie in der Theorie des Rechts vor nicht unerhebliche Probleme gestellt, da sich die Rechtspraxis auch immer mit
Werner Krawietz, Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage in der Rechtsanwendung, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 517 - 550, 525. " Vgl. Werner Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? In: Ota Weinberger / ders. (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Forlsetzer und Kritiker, Wien / New York 1988, S. 315 - 369, 316. Werner Krawietz, Franz Weyr und die Brünner Schule einer normativen Theorie des Rechls, in: RECHTSTHEORIE 23 (1992), S. 147 - 148, 148. Vgl. dazu und insgesamt zur Kultur des dichotomen Rechtsdenkens José LlomparL Dichotomisicrungen in der Theorie und Philosophie des Rechts, Berlin 1993, S. 111T.. 15 f., 56 ff.
160
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts auseinanderzusetzen hat, in der sie es, wie König mit Blick auf die Funktion der Rechtsprechung konstatiert, niemals allein mit dem nackten rechtlichen Sollen noch mit bloßen Fakten zu tun hat. 23 Im Rechtsdenken wurden deshalb immer wieder Versuche unternommen, die Realitätsferne des strengen Dualismus von Sein und Sollen zu überwinden, indem das Recht als ein „seiendes Sollen" oder als Kulturwirklichkeit verstanden wurde. 26 Obwohl das Hauptanliegen derartiger kulturwissenschaftlicher Begründungsversuche gerade darin besteht, die rechtstheoretischen Unzulänglichkeiten, die sich aus der (rechts-)philosophischen Denktradition des Methodendualismus ergeben, mit Hilfe des - von Gustav Radbruch als „merkwürdiges Zwischenreich" 27 charakterisierten - Kulturbegriffs förmlich kurzzuschließen, waren sie Gegenstand heftiger Kritik. 2 8 Auf diese ist hier nur insoweit einzugehen, wie es für die Rekonstruktion der Normentheorie Königs im Vergleich zu den älteren kulturtheoretischen Rechts- und Normentheorien notwendig ist. A l f Ross nennt die Bestrebungen, das Recht als ein Kultur-Sein zu bestimmen, einen Kompromiß 29 : „ A u f der einen Seite hat man das Gefühl, daß das Recht etwas mehr ist als die bloße Natur. Es wird in der Rechtswissenschaft mit Begriffen wie Pflicht, Geltung, Schuld usw. operiert, lauter Begriffen, die zu einem normativen Denken gehören. Auf die eine oder andere Weise muß die rechtliche Betrachtungsweise deshalb mit der normativen in Verbindung stehen. Auf der anderen Seite trägt man Bedenken, das Recht in die eigentliche normative Sphäre zu überführen und damit seine Existenz in der bloßen Geltung ohne Halt in der Wirklichkeit verflüchtigt zu sehen. Da nämlich das positive Recht nach gegebenen, empirischen Verhältnissen variiert, da es in Relation zu diesen mit ganz bestimmtem Inhalt hic et nunc gilt, muß es als ein Glied der empirischen Wirklichkeit betrachtet werden. Auf Grund dieser Doppelheit sucht man das 'Wesen' des Rechtes durch einen Kompromiß zu bestimmen: das Recht ist ein Sein, aber ein Sein, das auf die eine oder andere Weise mit dem Sollen in Berührung steht, ein Sein, das mit normativen Gesichtspunkten
25 René König / Wolfgang Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht", in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1967 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 11), S. 356 - 372, 362 f. 26 Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., Einsiedeln / Köln / Zürich 1948, S. 6, 19. 27 Gustav Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 3. ganz neu bearbeitete und stark vermehrte Aufl., Leipzig 1932, S. 38. 28 Vgl. insbesondere Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen: Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf der Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen, Aalen 1989, S. 229 ff.: Das Recht als Sollen sui generis und als Kultur-Sein. 29 Ebd., S. 233 f.
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
161
behaftet ist. Als Grundlage für diese Brücke zwischen Sein und Sollen dient der Kulturbegriff." Gerade diesen Kulturbegriff hält Ross als eine „Brücke zwischen Sein und Sollen" unter der Voraussetzung des absoluten Unterschieds zwischen Sein und Sollen für „ungeeignet", weil er letztlich theoretisch widersprüchlich sei. Die scharfsinnigen kritischen Erörterungen A l f Ross' können hier nicht in Gänze wiedergegeben werden. Im Hinblick auf die kulturtheoretische Begründung der Rechts- und Normentheorie Königs sei hier die Frage dieser Widersprüchlichkeit der sogenannten Kulturwirklichkeitstheorien erörtert. Die Widersprüchlichkeit liegt für Ross darin, daß die vorgenannten Theorien den „kategorial radikalen Unterschied zwischen Sein und Sollen" nicht aufgeben, sondern in ihrer Begründung des Rechtsbegriffs als eine Kulturwirklichkeit voraussetzen, ihn gleichzeitig mit dem Begriff der Kulturwirklichkeit zu verbinden suchen und sich in theoretische Widersprüche verwickeln, die die Folge des mit dem Dualismus unlösbar verbundenen Unableitbarkeitspostulats sind. 30 Die Kulturwirklichkeitstheorie des Rechts läuft deshalb entweder auf eine naiv-positivistische oder natur- bzw. vernunftrechtliche Begründung hinaus,31 wie dies zum Beispiel bei Radbruch der Fall ist, dessen kulturwissenschaftlicher Rechtsbegriff an der Rechts idee orientiert ist. So heißt es bei Radbruch: „Der Begriff des Rechts ist ein Kulturbegriff, d. h. ein Begriff von einer wertbezogenen Wirklichkeit, einer Wirklichkeit, die den Sinn hat, einem Werte zu dienen. Recht ist die Wirklichkeit, die den Sinn hat, dem Rechtswerte, der Rechtsidee zu dienen. Der Rechtsbegriff ist also ausgerichtet an der Rechtsidee." 32 An der ideellen und vernunftrechtlichen Begründung des Rechts ändert sich auch nichts, wenn die Kulturwirklichkeit des Rechts dem Sollen und Sein begrifflich gegenübergestellt wird und Radbruch von einem „Methodentrialismus" spricht. 33 A l f Ross wendet sich deshalb gegen die Scheidung von Sein und Sollen überhaupt. 34 Aus kulturtheoretischer Perspektive wird der Dualismus von Sein sollen nicht vorausgesetzt, sondern vielmehr zum Gegenstand der rechts- und normentheoretischen Forschung, denn die Dichotomie von Sein und Sollen ist weder der Rechtswirklichkeit noch der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts vorgängig.
30 31 32 33 34
Ebd., S. 265 f. Ebd., S. 266. Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie (FN 27), S. 29. Ebd., S. 118. Ross, Theorie der Rechtsquellen (FN 28), S. 266.
11 Vcddeler
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2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
Erst durch die Möglichkeit, das Verhalten sinnhaft an erwartbaren Erwartungen anderer zu orientieren, 35 und mit der Erfahrung, daß die Erwartungshaltungen erfüllt oder enttäuscht werden können, ist aus sozialkultureller Perspektive die Kette bloßer Naturgesetzlichkeit unterbrochen. Erst vor diesem Hintergrund eröffnet sich überhaupt die Möglichkeit, in der empirischen Beobachtung sozialkultureller Verhältnisse Sein und Sollen voneinander zu scheiden. Damit kehren sich die Verhältnisse jedoch um. Aus der kulturtheoretischen Perspektive Königs ist der Dualismus von Sein und Sollen keine voraussetzungslose apriorische Denkkategorie. Er symbolisiert vielmehr eine im Verhalten empirisch beobachtbare Disjunktion von dem tatsächlich vorgestellten Verhaltensablauf und dem zeitlich nach dieser Vorstellung beobachteten konkreten Verhalten, das von generellen Erwartungen entweder abweicht oder mit ihnen übereinstimmt. Selbst diese Darstellung ist idealisiert und verkürzt, denn tatsächlich werden die normativen Vorstellungen über Verhalten erst nachträglich im Rechtssystem erarbeitet. Ein bereits vergangenes konkretes Geschehen bietet Anlaß zur Klärung der Frage, ob und wie man sich hätte anders verhalten müssen. Die Dichotomie von Sein und Sollen fungiert in der Rechtswirklichkeit als Mittel der Selbst- und Fremdbeschreibung. Das Recht beschreibt und begreift sich als sollend, d. h. durch die sich ständig verändernde Faktenlage nicht änderbar, und erzeugt damit zunächst ein anderes Verhältnis zur Zeit. 36 Die Differenz von Sein und Sollen wird in der Rechtswirklichkeit zur Selbstidentifikation des Rechts verwandt, und es muß mit entsprechenden Selbstbeschreibungsakten gerechnet werden, ganz unabhängig davon, ob sich diese mit der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts, d. h. zum Beispiel der empirischen Beobachtungen des Rechts durch die Sozial- und Handlungswissenschaften decken oder nicht, weil diese nunmehr nicht nur Sein oder Sollen, sondern auch die Verwendung dieser Unterscheidung selbst zu ihrem Erkenntnisgegenstand machen. Weder das Sollen noch das Sein haben eine voneinander unabhängige, unüberbrückbare Existenzweise, die zur Basis einer kulturtheoretischen Beobachtung und Deutung des Rechts erhoben werden könnte. Die Differenz von Sein und Sollen ist kulturelles Artefakt, insbesondere des (moral-)philosophischen Rechtsdenkens und als solche der rechts- und normentheoretischen Forschung René König, Artikel Soziale Normen, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 3: Politische Soziologie - Zuverlässigkeit, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1972, S. 734 - 739, 737; in diesem Sinne auch Heinrich Popitz, Die normative Konstruktion von Wirklichkeit, Tübingen 1980, S. 26: "Wir können gar nicht w/Yeinander handeln, ohne daß sich Interessen am Verhalten anderer bilden: und damit kommt der Bazillus des Sollens, der Sollerwartung ins Spiel." j6 Vgl. § 6 Ziff. 2. René König, Das Nachhinken der Kultur, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aull., Köln / Berlin 1973, S. 54 - 62, 55 f.
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
163
zugänglich und gehört ihrem Gegenstandsbereich an. Damit unterscheidet sich die kulturtheoretische Normentheorie Königs ganz grundsätzlich von theoretischen Vorläufern, die das Recht zwar als ein kulturelles Sein oder Kulturwirklichkeit begreifen konnten, in der theoretischen Analyse die kategoriale Trennung von Sein und Sollen jedoch voraussetzen mußten, ohne sie in den Gegenstandsbereich der theoretischen Analyse des Rechts selbst einbeziehen zu können. Aus dieser Perspektive erhalten Sanktionen und der ihnen folgende Zwang eine ganz andere Funktion. Sie dienen nicht mehr dazu, der Rechtsnorm zu ihrem Eintritt in die Welt des Tatsächlichen zu verhelfen. Die Funktion von Sanktionen, die diese aus der kulturtheoretischen Perspektive Königs hat, läßt sich leichter erschließen, wenn man den Blick auf die möglichen Sanktionsformen und ihre ursprüngliche Bedeutung richtet.
d) Sanktionswirkung
und Sanktionsformen
Entgegen dem herkömmlichen Sprachgebrauch der Sanktions- und Zwangstheorien dürfen Zwang und Sanktion nicht identifiziert werden. Die Ausübung der Sanktion oder die Vorstellung der Sanktionsandrohung kann als physischer bzw. psychischer Zwang wirken. Unzweifelhaft ist zwar, daß die Vorstellungen von der Sanktionsandrohung durch den Gesetzgeber eine Bedeutung für die konkrete Verhaltensorientierung einzelner Akteure haben und aus deren Sicht auch als Zwang empfunden werden können. 37 Umgekehrt können sozialkulturelle Normen unter Einschluß derjenigen des Rechts nicht allein unter Rekurs auf eine derart psychologisierende Betrachtungsweise zureichend gedeutet und erklärt werden. Die Struktur sozialkultureller Normen läßt sich König zufolge nicht durch die Vorstellung des einzelnen Akteurs bestimmen, denn die Art und Weise, wie bestimmte Zusammenhänge vom Handelnden erlebt werden, sagt nichts über 38
die objektiven Strukturen dieser Zusammenhänge aus. Diese läßt sich mit König wesentlich realistischer als fordernde Verhaltenserwartung, die der sozialkulturellen Person angesonnen werden und von ihr internalisiert werden (kann), beschreiben. Die individualpsychischen Vorstellungen von der Sanktion, die mit dem Rechtsnormtext für den Fall der Übertretung der Norm symbolisch präsent gehalten werden, und der dadurch eventuell ausgehende Zwang für den personalen Akteur sind nicht verallgemeinerungsfähig. Sanktion und Zwang können Normen deshalb weder als spezifisch rechtlich noch als sozial37 In diesem Sinne auch Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 134 f. " ,8 König, Die Regeln der soziologischen Methode (FN 8), S. 164. 1
164
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
kulturelle Normen überhaupt ausweisen und deshalb auch nicht zu einer realistischen Beschreibung des sozialkulturellen Normensystems Recht herangezogen werden. 39 Wesentlich häufiger als die Furcht vor Strafe ist in der Regel die 'freiwillige' Befolgung aus eigenem - aber nicht notwendig bewußtem - Antrieb der im Sozialisations- und Enkulturationsprozeß internalisierter Rechtsnormen, so daß persönliche Motivation und institutionalisierter Zwang regelmäßig eben nicht auseinanderfallen, wie König zutreffend feststellt. 40 Sanktionen haben nicht notwendig nur repressiven Charakter. 41 Dennoch werden die Begriffe Zwang und Sanktion als wichtigste Kriterien zur Bestimmung des Rechts meist in einem Atemzug genannt. Allgemein und dem urspünglichen Wortsinn nach bedeutet Sanktion (lat. sanctio) die Heiligung eines zunächst religiösen Verhaltens in Form einer bekräftigenden Reaktion mit bestimmten Maßnahmen. Diese können dem ursprünglichen Wortsinne nach auch genehmigende, ausdrücklich billigende Reaktionen sein. Wie König konstatiert, lassen sich neben den negativen, d. h. repressiv wirkenden Sanktionen auch sanktionierende Reaktionen positiver Art in Form von Belohnungen beobachten.42 Für König ist zwischen positiven und negativen Sanktionen zu unterscheiden, je nachdem ob „sie die Befriedigung fördern oder unterbinden". 43 Ein derart weitgefaßter Sanktionsbegriff ermöglicht eine wesentlich genauere und zutreffendere Beschreibung gerade der vielfältigen rechtlich normierten Reaktionsmöglichkeiten. Diese erschöpfen sich nur in einem sehr geringen Umfang in negativen Sanktionen. Gerade das moderne Recht, ζ. B. im Umweltrecht das Umweltauditverfahren, zeichnet sich in diesem Sinne durch positive Sanktionen aus. Die Funktion von Sanktionen als Reaktionen auf ein erwartetes Verhalten ist nicht die Sicherung und Durchsetzung eines konkreten Verhaltens. Dazu sind negative Sanktionen, sowohl repressive - ζ. B. die Freiheits- oder Geldstrafe als auch restitutive Sanktionen - wie der zivilrechtliche Schadensersatz - gar nicht in der Lage, denn immer dann, wenn sie greifen, ist von dem erwarteten
39 So sieht Frantisék Weyr, Der Begriff der Norm, in: Vladimir KubeS / Ota Weinberger (Hrsg.), Die Brünner rechtstheoretische Schule (Normative Theorie), Wien 1980, S. 50 - 88, 55 ff., die Wirkung der Norm als kausales Wirken der Vorstellung von der Norm im Bewußtsein des Normadressaten: "Die ganze Bedeutung einer Norm, soweit sie vom kausalen Gesichtspunkt aus betrachtet wird, erschöpft sich in ihrer Funktion eines Motivs für den menschlichen WillenGegen diese Sichtweise wendet sich Ota Weinberger, Gesetzgebung und Motivation, in: limar Tammelo / Erhard Mock (Hrsg.), Rechtstheorie und Gesetzgebung. Festschrift für Robert Weimar, Frankfurt a. M. / Bern / New York 1986, S. 117 - 145, 120 f. 40 41 42 43
König, Artikel Institution (FN 6), S. 148. So aber Popitz, Die normative Konstruktion von Gesellschaft (FN 35), S. 28. König. Artikel Recht (FN 7), S. 258. König. Artikel Institution (FN 6), S. 148.
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
165
Verhalten bereits abgewichen worden. Die Sanktionen dienen vielmehr der Stabilisierung der Erwartung eines Verhaltens, von der abgewichen wurde. Sanktionierende Reaktionen sind niemals bloß faktisch oder rein normativ. Man kann die Sanktion als die normierte, d. h. gesollte Reaktion bezeichnen und den Sanktionszwang als die faktische Komponente der Sanktion.44
e) Struktur der Erlaubnisnormen und Ermächtigungen Nur sehr umständlich und der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts wenig angemessen, lassen sich Erlaubnis- und Ermächtigungsnormen als durch Zwangsakte sanktionierte Normen beschreiben, etwa indem das gegenteilige Verhalten des Erlaubnisinhalts als verboten und damit als Bedingung einer Sanktion bestimmt wird, die einen Zwangsakt zur Folge hat. 45 Gerade für Erlaubnisse und Ermächtigungen ist es typisch, daß diese keine Sanktionen im Falle der Nichtausübung der Erlaubnis bzw. Ermächtigung nach sich ziehen. Die Erlaubnis, einen Weg zu benutzen, bedeutet keinen Nutzungszwang. Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsvorschriften zwingt nicht zum Erlaß. Es besteht keine sanktionierte Verpflichtung, einen Erlaubnis- oder Ermächtigungstatbestand zu erfüllen. Die Nichterfüllung eines Erlaubnistatbestands führt auch nicht zur Sanktionierung, sondern bedeutet lediglich, daß der Vorteil Erlaubnis nicht genutzt wird. Lediglich die Inanspruchnahme des durch die Erlaubnisnorm gewährten Vorteils, ohne gleichzeitige Erfüllung des Erlaubnistatbestands, kann eine Sanktion zur Folge haben. Entsprechendes gilt für die Ermächtigung. Aus dieser Perspektive kann selbstverständlich - allerdings nur durch eine recht umständliche Konstruktion - auch die Erlaubnis- und Ermächtigungsnorm in eine Norm umgedeutet werden, die durch eine Sanktionsandrohung gekennzeichnet ist. Aus der Perspektive der Sanktions- und Zwangstheorie sind die Erlaubnisnormen deshalb unvollständige Normen, die lediglich den Geltungsbereich einer der Erlaubnisnorm vorhergehenden Rechtsnorm einschränken, die „dieses Verhalten dadurch verbietet, daß sie an das Gegenteil eine Sanktion knüpft" 4 6 Tatsächlich gibt es jedoch Erlaubnisse, die an das gegenteilige Verhalten keine Sanktion knüpfen, sondern bei NichtVorliegen des Erlaubnistatbestands lediglich den durch die Erlaubnis normierten Vorteil nicht gewähren, aber nicht sanktionierend verbieten. Die rechtsnormierte Ver-
44 In diesem Sinne Ota Weinberger, Der Begriff der Sanktion und seine Rolle in der Normenlogik und Rechtstheorie, in: Hans Lenk (Hrsg.), Normenlogik, Pullach 1974, S. 89 - I I I , 91, der zwischen den deskriptiven und normativen Elementen des Sanktionsbegriffs unterscheidet, ohne allerdings den tatsächlichen Eintritt der Sanktion als Zwangsausübung zu bezeichnen. 45 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 35. 46 Ebd., S. 56, 142 f.
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2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
haltenserwartung und Sanktionserwartung müssen auf jeden Fall sehr preziös als Einheit dargestellt werden. 47 Soweit König davon ausgeht, daß die Rechtsordnung letztlich durch Zwangsmittel verwirklicht werde und im übrigen alle sozialen Normen bei Zuwiderhandlung negative Sanktionen· auslösen, ist damit nicht gemeint, daß es sich um einen Automatismus handelt. Ob eine sanktionierende Reaktion erfolgt ist, ist, wie König zu Recht betont, abhängig von den „Erwartungen vom Verhalten der anderen, die sich als positive oder negative Sanktionen auswirken". 48
2. Theodor Geigers und Max Webers 'Zwangstheorien' in der Kritik René Königs Ausgehend von der simplen Tatsache, daß eine Normabweichung nicht sanktioniert wird, gleichwohl aber ein bestimmtes Verhalten normativ eingefordert war und die Norm deshalb zumeist nur im Falle der Abweichungskorrektur greifbar wird, muß sich sowohl die Theorie als auch die empirische Soziologie des Rechts die Frage stellen, wie sich das Verhältnis von Norm und Sanktion aus einer rechtsrealistischen Perspektive darstellt, insbesondere ob mit dem Sichtbarwerden der Norm diese auch entsteht oder ob aus der Beobachterperspektive nicht vielmehr streng zwischen der Normidentifikation und Normkonstitution zu unterscheiden ist. König beantwortet diese Frage unter Rekurs auf die Rechtssoziologien von Theodor Geiger und Max Weber. Im Gegensatz zu anderen Interpretatoren Geigers und Webers lehnt es König ab, die Rechtsbegriffe der beiden Autoren sanktions- und / oder zwangstheoretisch zu deuten.49 Eine derartige Darstellung der soziologischen Theorie des
47 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (FN 15), S. 40 ff., 115, verkehrt zu diesem Zweck Primär- und Sekundärnorm. Die Primärnorm richtet sich nicht an den Rechtsunterworfenen, der die primäre Verhaltensvorschrift zu erfüllen hat, sondern an die rechtsanwendenden Organe, die zur Rechtsbefolgung der Sanktionsverhängung verpflichtet sind. Zur Kritik der Kelsenschen Theorie vgl. Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm (FN 22), S. 327 ff. 48
König, Artikel Institution (FN 6), S. 148. Als Sanktions- und Zwangstheoretiker werden Max Weber und Theodor Geiger zum Beispiel von Klaus F. Röhl, Rechtssoziologie. Ein Lehrbuch, Köln / Berlin / Bonn 1987. S. 213 f., 216 f.; Raiser , Rechtssoziologie (FN 4), S. 89 f., 97, genannt. Speziell zu Max Weber: Hartmann Tyrell, Gewalt, Zwang und die Institutionalisierung von Herrschaft: Versuch einer Neuinterpretation von Max Webers Herrschaftsbegriff, in: Rosemarie Pohlmann (Hrsg.), Person und Institution - Helmut Schelsky gewidmet, Würzburg 1980, S. 59 - 92, 89, und nicht zuletzt von Johannes Winkelmann, Erläuterungsband, zu: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1976. Textkritische Erläuterungen zum ersten Halbband, 5. Aufl., Tübingen 1976, S. 28. 49
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
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Rechts bei Weber, die sich in erster Linie auf den Abschnitt Rechtssoziologie50 der posthum unter dem Titel Wirtschaft und Gesellschaft von Johannes Winkelmann herausgegebenen Schriftensammlung stützt, ist schon oft geleistet worden. 51 Entsprechendes gilt für Geiger, der angeblich „für die Definition von 52
'Norm' das Sanktionskriterium" wählt.
a) Aktions- und Reaktionsnorm bei Theodor Geiger Zur Beantwortung der für die Königsche Normentheorie zentralen Fragestellung, nämlich der Beschreibung dessen, was die Soziologie unter dem Begriff der Norm versteht, rekurriert König insbesondere auf das Konzept der subsistenten Norm von Theodor Geiger, 53 für den die subsistente Norm die Norm im eigentlichen Sinne ist. Sie ist von den Normsätzen, Wortnormen oder Verbalnormen zu unterscheiden. 54 Damit allein ist jede gesetzes- oder rechtspositivistische Verkürzung des Normbegriffs auf seine schriftsprachliche Fassung, die dazu zwingen könnte, das Recht im Gesellschaftsintegrat mit faktischer Zwangs- und Sanktionsausübung zu identifizieren, ausgeschlossen. Die Norm ist unmittelbar in das Verhalten eingebettet und wirkt als Primärnorm nicht durch Sanktion und Zwang, sondern als „Gebarenserwartung", deren Normativität weder daraus folgt, daß im Falle der Abweichung mit Zwang und Sanktion reagiert wird, noch daß überhaupt reagiert wird. Die Norm wird nicht durch die Sanktionsverhängung konstituiert, sondern ist für Geiger lediglich durch die grundsätzliche Sanktionsbereitschaft gekennzeichnet, die die Norm aber ebenfalls nicht konstituiert, sondern lediglich offenbart. 55 Die Ansicht, daß die erstmalige Reaktion der Öffentlichkeit auf abweichendes Verhalten quasi die Geburtsstunde der Norm sei, findet in der Normentheorie Geigers nur scheinbar und bei allzu oberflächlicher Betrachtung Halt. So spricht Geiger zwar davon, daß die erstmalige Abweichung von einem bisher 50
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Aufl., besorgt von Johannes Winkelmann, Tübingen 1980, Kapitel VII: Rechtssoziologie. 51 Athanasios Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering. Eine Untersuchung der Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus, Berlin 1989, S. 38. 52 So Erhard Blankenburg, Nutzen und Grenzen eines graduellen Rechtsbegriffs, in: Siegfried Bachmann (Hrsg.), Theodor Geiger. Soziologie in einer Zeit "zwischen Pathos und Nüchternheit". Beiträge zu Leben und Werk, Berlin 1995, S. 147 - 157, 151. 53 René König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 186 - 207, 186, 188. 54 Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., durchgesehen und hrsg. von Manfred Rehbinder, Berlin 1987, S. 20. Ebd., S. 5 .
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rein gewohnheitsmäßig das Handeln steuernden Modells eines bestimmten situativen Gebarens „dieses Modell zum Inhalt einer Norm" macht. 56 Genauer betrachtet, fordert die soziale Interdependenz jedoch schon vor der ersten Abweichung eine normativ konditionierte Verhaltensgleichförmigkeit, die eine „Gebarens-Koordination" ermöglicht und damit eine „Orientierungssicherheit" gewährt. Geiger formuliert diesen Sachverhalt wie folgt: „Ich weiß, welche Handlungsweise die anderen von mir erwarten oder nicht erwarten, und ich weiß, welches Gebaren ich vom anderen zu gewärtigen habe oder nicht." 57 Diese Erwartungen dürfen jedoch nicht als individuell mißverstanden werden, vielmehr wirken situationsgebundene Verhaltensmuster „beim Zuschauer als Erwartung eines bestimmten Gebarens von Seiten des Handelnden".58 Wichtig ist, 59
daß derartige Erwartungen als „fordernde Erwartungen" vor einer Reaktion auf abweichendes Verhalten immer schon bestehen. Sie gehen der Reaktion voraus. Deshalb kann auch nicht von einer Geburt der Norm durch Reaktion auf abweichendes Verhalten gesprochen werden. Geiger stellt dies selbst klar, denn daß die subsistente Norm mit der erstmaligen Abweichung von einem Gebarensmodell „entstehe ..., wäre zuviel gesagt". Die Verbindlichkeit des erwarteten Verhaltens manifestiert sich lediglich in der ausgelösten Reaktion, die im übrigen nicht einmal Zwang oder Sanktion im herkömmlichen Sinne zu sein braucht, sondern sich auch in öffentlicher Entrüstung zeigen kann. 60 Im übrigen stellt Geiger klar, wenn die Rechtspflege „heute die Gewohnheit sanktioniert, ist diese nicht dadurch von nun an zur Rechtsnorm gemacht. Es ist nur nach außen hin in Erscheinung getreten, daß die Rechtspflege sie als Rechtsnorm anwendet." Ganz unmißverständlich fügt Geiger noch hinzu, daß mit der Anwendung der Norm nur gesagt ist, daß die „Gewohnheit als rechtlich bindend schon im Handlungsaugenblick, also vor der Sanktionsverhängung anzusehen sei". 61 Die Sanktionsbereitschaft der rechtspflegenden Instanz ist „nicht für sich allein konstitutiv für den Rechtsnorm-Charakter", die tatsächlich erfahrene Sanktionsverhängung macht den Rechtscharakter bloß „ein gut Teil wahrscheinlicher als er schon aufgrund anderer Symptome war", ohne daß deshalb schon feststünde, daß die fernere Gerichtspraxis dem Präjudikat folgen wird. 62 Mit diesem Konzept läßt sich sowohl der Sachverhalt berücksichtigen, daß eine Abweichung nicht nur nicht sanktioniert wird, sondern auch der Fall,
56 57 58 59 60 61 62
Ebd. Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,
S. 64. S. 11. S. 27. S. 58. S. 144. S. 146 f.
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daß mit enttäuschten, nicht durchsetzbaren normativen Erwartungen weitergelebt werden kann und muß. Die Sanktionsbereitschaft läßt sich - allerdings immer nur aus der ex postPerspektive - dann ganz leicht bestimmen, wenn bereits eine Sanktion verhängt wurde. Es muß aber auch der Fall berücksichtigt werden, daß die Abweichung unentdeckt bleibt, die sanktionierende Instanz nicht tätig wird oder sich der Handelnde durch List der sanktionierenden Reaktion entzieht.63 Damit wird zum einen klar, daß das Vorhandensein einer normativen Erwartung immer nur für die Vergangenheit konzediert werden kann. Zum anderen kann für die Zukunft nicht sicher prognostiziert werden, ob die Erwartung auch in späteren Situationen noch normativ wirkt oder nicht, da sich mit letzter Sicherheit die Existenz einer Norm erst in der Reaktion auf Abweichung manifestiert und zugleich immer in Rechnung gestellt werden muß, daß trotz Wirksamkeit der Norm nicht zwangsläufig eine sanktionierende Reaktion erfolgt. Die Unsicherheit hinsichtlich der Normativität der Erwartung wächst noch mit der Häufigkeit normkonformen Verhaltens, da der Norminhalt, das erwartete Verhalten, wegen fehlender Reaktionen auf Abweichungen nicht mehr eingefordert wird. Geiger bezeichnet den „Normcharakter der ausnahmslos befolgten Norm" deshalb als „latent". 64 Gerade dem Phänomen der Normlatenz weist Geiger rechtstheoretisch eine große Bedeutung zu, da die Orientierungsleistung der Norm mit zunehmender Latenz abnimmt. 65 König bezeichnet den Zustand der ausnahmslos befolgten Norm als äußerst prekär und macht darauf aufmerksam, daß die Norm im Falle hoher Konformität leicht in Vergessenheit geraten kann. 66 Auch die Frage, ob im Falle eines abweichenden Verhaltens eine Sanktionierung erfolgt, hängt nicht etwa von der Nichtbefolgung der primären subsistenten Norm selbst ab, sondern von weiteren sekundären Erwartungsnormen, mit deren Hilfe die Sanktionierung eingefordert wird. Eine Aktionsnorm kann mit einer Reaktionsnorm gekoppelt sein, sie muß es aber nicht. 67 Die Sanktionsnorm darf nicht im Sinne einer bloßen Strafvorschrift des Strafgesetzbuchs mißverstanden werden. Sie richtet sich an die in einer Gesellschaft mit der Befugnis zur Durchsetzung des Rechts ausgestatteten Instanzen und fordert, auf 6j Athanasios Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts. Zur Revision und Reformulierung der Normentheorie von Theodor Geiger, Berlin 1992, S. 87. 64 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 54), S. 62, 144. 65 Ebd., S. 59. 66 René König, Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen, in: Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 71 - 78, 72. 67 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 54), S. 105, 178 f., 186 f.
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ein bestimmtes abweichendes Verhalten sanktionierend zu reagieren. Dazu gehören nicht nur die (Straf-)Gerichte, sondern auch Verwaltungsbehörden. Daß nicht zwangsläufig eine sanktionierende Reaktion im Falle der Übertretung einer primären Verhaltensvorschrift erfolgt, folgt aus der normativen Koppelung von primären und sekundären Normen; sie drückt sich im Strafrecht ζ. B. in den Vorschriften, die die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens regeln, oder ganz allgemein im sogenannten Opportunitätsprinzip als eine Ausnahme zum Legalitätsprinzip aus. Immer ist eine rechtsnormative Entscheidung darüber gefordert, ob der Übertretung einer primären Handlungsnorm auch eine sanktionierende Reaktion folgen soll oder nicht. Wesentliches Kriterium der Norm ist deren Regelungswirkung. König unterscheidet mit Geiger zwischen der Regelhaftigkeit und der Regelmäßigkeit des Verhaltens. 68 Während die Regelhaftigkeit bloß faktisches Verhalten bezeichnet, ist die Regelmäßigkeit des Verhaltens an fordernden Erwartungen orientiert. 69 Da niemand wissen kann, ob eine zu beobachtende Verhaltensgleichförmigkeit nicht doch durch eine fordernde Erwartungsnorm bedingt ist, kann aus der bloßen Gleichförmigkeit bestimmter Verhaltensweisen nicht der Schluß gezogen werden, daß das Verhalten bloß faktischer Natur ist und der Regelmäßigkeit keine Norm zugrunde liegt. Im Gegenteil, es könnte eine hohe Wirksamkeit der Erwartungsnorm angenommen werden, wo Zwangs- und Sanktionstheorien keine Normorientierung wegen fehlender Reaktionen auf Abweichungen erblicken können. Da die Norm für Geiger gerade nicht mit der Reaktion auf Abweichung entsteht, sondern schon vorher als Erwartung unabhängig von der Reaktion wirksam ist, kann er im Falle konformen Verhaltens mit letzter Sicherheit nicht angeben, ob die Gleichförmigkeit normativ bedingt ist oder nicht. Die Frage, wie ein externer Beobachter latente Normen beobachten kann, hat Geiger nicht gestellt. Problematisch ist also, wie sich normative Erwartungen, deren Durchhaltebereitschaft im kommunikativen Kontext durchaus erwartbar ist, identifiziert werden können, wenn der Beobachter keine Möglichkeit hat, aufgrund einer Sanktionsverhängung auf die „potentielle Reaktivität" des sozialen Systems zu schließen.70 Sowohl die empirische Rechtssoziologie als auch die Rechtstheorie müssen sich damit abfinden, daß die Norm nicht identisch ist mit den wissenschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten ihrer
68 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 188. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 54), S. 16. 69 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 54), S. 58. 70 Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts (FN 63), S. 89; Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 54), S. 100; ders., Über Recht und Moral. Streitgespräch mit Uppsala, aus dem Dänischen übersetzt und eingeleitet von Hans-Heinrich Vogel, Berlin 1979, S. 133 ff., 136.
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Identifikation, so daß zwischen tatsächlicher Normbefolgung in einem gegebenen sozialen System und den Beschreibungsmöglichkeiten eines Beobachters unterschieden werden muß. 71 Zur sinnvollen Deutung und Erklärung menschlichen Handelns und Erlebens wird ein Beobachter regelmäßig die Orientierung an Erwartungsnormen zugrunde legen müssen, ohne die das bloß faktische Verhalten unverständlich bliebe. Das ist die Funktion der latenten subsistenten Norm im Sinne René Königs, die vorausgesetzt werden muß, um ein bestimmtes Verhalten begreiflich zu machen.72 Der Normbegriff ist also doppelsinnig, zum einen ist er eine Selektion der Handelnden, die sich an einer Norm orientieren können oder nicht, zum anderen ist er Beobachtungsschema desjenigen, der ein Verhalten als Handeln deuten und erklären will.
b) Begriff der Rechtsregel Dieses Deutungsmuster entspricht dem Regelbegriff Max Webers, auf den König rekurriert. 73 Ganz zu Recht wird von König an keiner Stelle seiner rechtssoziologischen Untersuchungen das berühmte Weber-Zitat: „Uns soll für den Begriff 'Recht' (der für andere Zwecke ganz anders abgegrenzt werden mag) die Existenz eines Erzwingungs-SVaòes entscheidend sein", 74 welches ihn angeblich als Rechtsstabs- und Zwangstheoretiker ausweist, zur Charakterisierung der Normativität des Rechts angeführt. Diese vermeintliche Definition Webers ist lediglich der Versuch einer Abgrenzung des Rechts von anderen sozialkulturellen Normensystemen wie Sitte oder Konvention. 75 Auch für Weber ist klar, daß das Recht für „andere Zwecke ganz anders abgegrenzt" werden kann. 76 Ganz im Sinne moderner realistischer Theorien und Soziologien des Rechts77 sieht König die Grundlegung Webers soziologischer Normentheorie
71 Athanasios Gromitsaris, Zur Unterscheidung von Aktions- und Reaktionsnormen, in: Urs Fazis / Jachen C. Nett (Hrsg.), Gesellschaftstheorie und Normentheorie. Theodor Geiger Symposium, Basel 1993, S. 123 - 151. 124. 72 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 188. 73 König, Artikel Recht (FN 7), S. 257. 74 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 50), S. 18. 75 So auch Krawietz, Der soziologische Begriff des Rechts (FN 11 ), S. 164. 76 Ebd. 77 Vgl. dazu Werner Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen, in: Paul Hofmann / Ulrich Meyer-Cording / Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, Köln / Berlin 1987,
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2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
nicht in dem genannten Abschnitt V I I „Rechtssoziologie" aus Wirtschaft und Gesellschaft, sondern in dessen Kritik der Rechtsphilosophie Rudolf Stammlers. 78 In diesen Aufsätzen hat sich Max Weber sich mit den Schwierigkeiten desjenigen auseinandergesetzt, der mit dem Normschema beobachtet.79 Genau wie für Weber ist der Begriff der Regel für König die zentrale Basis, von der aus er die Normativität des Rechts zu bestimmen sucht. Aus Königs Perspektive ist die Norm das, „was nach einer Regel tatsächlich geschieht".80 Mit Blick auf das Regelungssystem Recht unterscheidet er - anknüpfend an die Terminologie Theodor Geigers - (i) „zwischen der Tatsache der Regelhaftigkeit des Verhalten an sich" und (ii) „dem Geregeltsein als dem Ergebnis einer normierenden Tätigkeit". 81 In beiden Fällen ist das Verhalten geregelt, in beiden Fällen liegt dem Verhalten eine Norm zugrunde. Im ersten Fall ist die Norm jedoch zunächst lediglich eine Beobachterkategorie, sie muß vorausgesetzt werden, um das Verhalten überhaupt begreiflich zu machen. Die Norm dient als heuristisches Prinzip zur Beobachtung der Verhaltensregelmäßigkeit. Kennzeichnend für das Recht ist das „Geregeltsein" als Ergebnis einer bewußt normierenden Tätigkeit. Denn mit der Ingeltungsetzung von Recht werden regelmäßig Regelungswirkungen bezweckt.82 Weber nennt diese Ausprägung der Norm einen das empirische Verhalten des Handelnden kausal beeinflussenden Wertungsstandard, ein reales Agens des empirischen Handelns.83 Dies gilt für generelle wie für individuelle Normen. Die Steuerzahler sollen Steuern zahlen, der verurteilte Beklagte den Kaufpreis. Ob alle vorgestellten Zwecke durch die Rechtsetzung erreicht werden oder nicht, ob andere Folgen eintreten als die beabsichtigten, inwieweit durch die staatliche Rechtsetzung hinreichende Einflußmöglichkeiten auf die Veränderung konkreter lang eingelebter Verhaltensmuster überhaupt gegeben sind, wird von König sehr kritisch
S. 217 - 235, 227 f.; ders., Der soziologische Begriff des Rechts (FN 11), S. 164 ff., 165; Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering (FN 51), S. 38 ff. 78 Max Weber, R. Stammlers "Ueberwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung, und: Nachtrag zu dem Aufsatz über R. Stammlers 'Ueberwindung' der materialistischen Geschichtsauffassung, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winkelmann, 7. Aufl., Tübingen 1988, S. 291 - 359 bzw. 360 - 383. 79 Gromitsaris, Zur Unterscheidung von Aktions- und Reaktionsnormen (FN 71), S. 124 f. 80 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 187. 81 König, Artikel Recht (FN 1), S. 257 f. 82 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 187. Zu den unterschiedlichen Zwecken, die durch die Rechtsordnung verfolgt werden, vgl. Petra Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995, S. 97. 83 Weber, R. Stammlers "Ueberwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung (FN 78), S. 331.
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
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beurteilt und mag hier vorerst dahinstehen.84 Auch dem 'Geregeltsein' des Verhaltens kommt eine doppelte Bedeutung zu. Erstens ist mit ihm die faktische Regelmäßigkeit des Verhaltens gemeint. Zweitens gehört zur sozialen Regelmäßigkeit die Vorstellung von der Norm, nach der sich das Verhalten richten soll. Die Normbefolgung erzeugt die faktische Regelmäßigkeit. Geregeltes Verhalten und entsprechende Normen gehören für König zusammen.85 Nicht dagegen jedoch die Sanktion oder Repression. Unter Bezugnahme auf Bronislaw Malinowskis Untersuchungen stellt König fest, daß die Normbefolgung nicht durch „allgemeine Unterwerfung unter die Tradition erzwungen wird", 8 6 weshalb die Repression kein struktureller Bestandteil der sozialkulturellen Norm ist. Statt dessen stellt König auf die Regelmäßigkeit des Verhaltens als Ergebnis tatsächlicher Normbefolgung ab. Ebenso wie im Falle der Erwartung ist die Regelmäßigkeit des Verhaltens nicht im Sinne einer bloß statistischen Verhaltensgleichförmigkeit bestimmt. Die Regelmäßigkeiten erwachsen vielmehr aus einer sinnhaften Orientiertheit menschlichen Verhaltens. Die sinnhaften Orientierungen werden in der Form sozialkultureller Normen, insbesondere in der Form rechtlicher Normierungen in der Kultur vorgehalten. Als Recht können deshalb mit König alle diejenigen Normen, „aus denen die Regelmäßigkeiten im sozialen Handeln ... erwachsen", 87 bezeichnet werden.
c) Max Webers 'Spielregelparadigma' Max Weber verdeutlicht die Zusammengehörigkeit von Verhaltensregelmäßigkeit und Norm an den Spielregeln des Skats. Um möglichen Mißverständnissen an dieser Stelle gleich entgegenzutreten, muß deutlich hervorgehoben werden, daß es weder in der Darstellung Max Webers noch in der Rekonstruktion der Normentheorie Königs darum geht, das Recht lediglich als eine besondere Art Spiel zu deuten, und auch nicht darum, das menschliche Spiel als Ursache für die menschliche Kultur zu begreifen. Hier wird wegen der kulturtheoretischen Argumentation nicht die These vertreten, daß das Spiel der menschli-
84 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 200. 85 René König, Einige Überlegungen zur "Werturteilsfreiheit" bei Max Weber, in: Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987, S. 201 - 229, 208. 86 René König, Gesellschaft und Kultur. Bronislav Malinowski, Alfred R. RadcliffeBrown, Lucien Lévy-Bruhl, Norbert Elias, in: Die Großen der Weltgeschichte, Bd. 11: Einstein bis King, Zürich 1978, S. 640 - 651, 641. 87 René König, Artikel Beziehung, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 42 - 48, 44.
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2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
chen Kultur - und damit letztlich auch dem Recht - vorausgehe, so daß sich das Recht aus bestimmten Spielformen ableiten oder auf diese zurückführen ließe, wie ζ. B. Los, Wette und Wettkampf. 88 Spiel und Recht haben unterschiedliche Funktionen. Des weiteren haben die Regeln des Rechts eine ganz andere Tragweite. Sie beanspruchen als einziges Normensystem gesellschaftsweite Verbindlichkeit. Weder Recht noch Spiel können deshalb aufeinander zurückgeführt werden. Es macht deshalb wenig Sinn, das Spiel als Letztgröße, d. h. als vor aller Kultur gegeben zu betrachten. Ein derartiger Reduktionismus ist mit dem strukturell-funktionalen Forschungsansatz Königs auf keinen Fall vereinbar. Der Vergleich des Spiels mit dem Recht gelingt deshalb nur bedingt. Er ist aber sehr instruktiv, weil am Beispiel des Spiels eindringlich veranschaulicht werden kann, daß dem Recht ebenso wie jedem Spiel eine sozialkulturelle Wirklichkeit zukommt, in die Recht und Spiel gleichzeitig eingebettet sind. Die Normen des Rechts sind ebenso wie diejenigen eines jeden Spiels keine von der gesellschaftlichen Verwirklichung unabhängigen, immer gegebenen ideellen normativen Größen, sondern ebenso wie die Spielregeln eines Spiels nur in diesem selbst verwirklicht, außerhalb des Spiels haben sie keine Bedeutung. Die Regeln fungieren zum einen als Normen im ideellen Sinne soweit sie bestimmen, wie gespielt werden soll, wer gewinnt etc., also wie ein idealer zu erstrebender Spielverlauf auszusehen hat. 89 Das Zustandekommen eines konkreten Spiels setzt jedoch eine Befolgung der ideellen Spielregeln durch die nach denselben Regeln berechtigten Mitspieler voraus. Die Normbefolgung ist niemals ausnahmslos. Für die Normentheorie Königs ist die wirkliche Regelbefolgung im Verhalten Gegenstand seiner Rechtsanalyse und nicht allein das gesollte von den Rechtsnormen vorgeschriebene Verhalten, wie dies in der normativistischen Rechtstheorie der Fall ist. 90 Das heißt, daß nicht nur die tatsächliche Befolgung, sondern auch das abweichende Verhalten zur Bestimmung des Rechtsnormbegriffs in die Betrachtung einzugehen hat. 91 Anderenfalls würde die soziale Wirklichkeit, die die tatsächliche Ausrichtung des Spiels an den Re-
88
Vgl. zu einem derartigen Ansatz Johan Huizinga, Homoludens, o. O. 1939, S. 6, 125 - 144, der das Spiel als eine Größe vor jeder Kultur beschreibt und das Recht und Gericht als Glücksspiel, Wette und Wettkampf bezeichnet. 89 Weber, R. Stammlers "Ueberwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung (FN 78), S. 337. 90 Vgl. dazu Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 129. 91 König, Artikel Soziale Normen (FN 35), S. 736; ders., Einige Bemerkungen zur Stellung des Problems der Jugendkriminalität in der allgemeinen Soziologie, in: Peter Heintz / ders., Soziologie und Jugendkriminalität, Opladen 1962 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 2), S. 1 - 11, 6 f.; ders., Artikel Struktur, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 314- 323, 316.
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geln betrifft, nur auf die kulturelle Wirklichkeit im Sinne des ideellen Gehalts reduziert. Im Spielregelbeispiel des Skats wird dies an der Tatsache deutlich, daß durch abweichendes Verhalten von den ideellen Skatrechtsnormen das Spiel nicht automatisch beendet wird. So wird der betreffende Mitspieler den Normbruch zunächst einmal zu verhehlen suchen. Der Normbruch ist erst einmal aufzudecken und gegebenenfalls durch die Mitspieler oder ein „Skatgericht" festzustellen und zu sanktionieren. Der allgemeinere Begriff zur Regelbefolgung, der auch die Möglichkeit des abweichenden Verhaltens umfaßt, ist der der Orientierung. Ihn nimmt König ebenfalls unter ausdrücklichen Bezug auf Max Weber 92 auf. 93 Die Spieler müssen ihr Verhalten an den Regeln orientieren. Es gelingt nur unter der wechselseitigen Annahme der Mitspieler, daß der jeweils andere die gleichen Regeln als Orientierungspunkte für das gemeinsame Skatspiel wählt. Erst dann kommt überhaupt ein (Skat-)Spiel zustande. Die Skatregeln sind des94
halb auch Voraussetzung für das konkrete Spiel. Diese sind zwar kausal, determinieren den Spielverlauf jedoch nicht ausnahmslos. Nicht nur, daß möglicherweise ein Spieler die Regeln verletzt, innerhalb des konkreten Spiels ist der Verlauf offen, weil auch im korrekten Spiel verschiedenste Erwägungen und Zwecksetzungen einzelner Mitspieler, die auch außerhalb des Spielzwecks selbst (61 Punkte oder Schneider (Schwarz)) liegen können, den Spielverlauf beeinflussen. Die Spielregeln oder Regeln des Rechts fungieren als sinnhafte Orientierungen in der Form von Erwartungen sowohl des Verhaltens oder Erwartens des anderen. 95 Als normative Erwartungen erlauben die Rechtsregeln trotz der Möglichkeit abweichenden Verhaltens „mit größerer Sicherheit begründete Vermutungen" % über das Verhalten anderer personaler Akteure, deren Verhalten sich ebenfalls an normativen Erwartungen sinnhaft orientiert. Einen noch besseren Vergleich insbesondere formell rechtlich geregelter Vergesellschaftungsprozesse als das Skatspiel bietet ein Vergleich mit Mann92 Max Weber, Ueber einige Kategorien der Verstehenden Soziologie, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winkelmann, 7. Aufl., Tübingen 1988, S. 427 - 474, 443. 93 René König, Sexualdelikte und Probleme der Gestaltung des Sexuallebens in der Gegenwartsgesellschaft, in: Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 147 - 175, 149; ders., Artikel Soziale Normen (FN 35), S. 756. 94 Weber, R. Stammlers "Ueberwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung (FN 78), S. 339, 343 f., für den jedoch fraglich ist, inwieweit dies aus kulturtheoretischer Perspektive auch für die Rechtsnorm gilt. 95 König, Artikel Beziehung (FN 87), S. 44. 96 Werner Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta / ders. / Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, Berlin 1993, S. 81 - 133, 115.
176
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
schaftssportarten - wie ζ. B. dem Fußballspiel - , die der gleichzeitigen Kontrolle von Schiedsrichtern unterliegen, die in der Lage sind, auf abweichendes Verhalten mit Sanktionen und Zwangsmaßnahmen zu reagieren. Hier läßt sich das Verhältnis von Aktions- oder Primärnormen, an denen sich die Erwartungsstrukturen der Spieler ausbilden, und der Reaktions- oder Sekundärnormen, die die Orientierungspunkte der Schieds- und Linienrichter sind, studieren. 97 Ferner steht das Fußballspiel regelmäßig unter der Kontrolle einer großen Öffentlichkeit, wie es für andere sozialkulturelle Normensysteme gilt, 9 8 durch die Zuschauer. Deren Konsens muß erfolgreich unterstellt werden, weil er faktisch im Spiel und auch sonst nicht abgefragt werden kann. Anders als in der gesellschaftlichen Steuerung durch das Recht lassen sich unzutreffende Konsensunterstellungen hier jedoch am Schwund der Zuschauerzahlen messen. Sinkende Zuschauerzahlen lassen sich aber nicht mit sinkender Wahlbeteiligung vergleichen. Darüber hinaus beansprucht das staatliche Recht Geltung für alle Rechtsunterworfenen, sowohl für die Spieler als auch für die Zuschauer.
d) Normativität des Rechts durch staatliche Sanktions- und Zwangsdrohung Auch das genuin formelle staatliche Recht erhält seine Normativität nicht durch die Androhung und Ausübung staatlicher Sanktionen und Zwang, sondern dadurch, daß es in die sozialkulturelle Wirklichkeit, d. h. in das Verhalten eingebettet ist und tatsächlich verwirklicht wird. 9 9 Recht und Rechtsnorm sind für König auch in diesem Fall „erwartete und befolgte Verhalten". 100 Ausschlaggebend und für die weitere Untersuchung leitend, ist somit in erster Linie der Aspekt der gesellschaftlichen Verwirklichung sozialer Ordnung. Als bloße Reaktion auf abweichendes Verhalten von einer immer schon bestehenden Ordnung kommt der Analyse staatlicher Sanktions- und Zwangsausübung deshalb nur ein nachgeordneter, sekundärer Stellenwert zu, der sich auf die zuvor mögliche und erfolgreiche Unterstellung eines Konsenses darüber stützt, daß die Einhaltung der Rechtsordnung auch durch die Anwendung staatlich organisierter Sanktionen und Zwangsakte gestützt werden soll. Damit sind die Vorteile des staatlichen Gewaltmonopols in den modernen Gegenwartsgesellschaften keineswegs in Abrede gestellt. Ganz im Gegenteil. Der Umfang 97 Das Fußballspiel als Handlungs- und Deutungsparadigma hat Werner Krawietz, Droit et Jeu. Le point de vue de la théorie des systèmes, in: Francois Ost / Michel van de Kerchove (Hrsg.), Le jeu: un paradigme pour le droit, Paris 1992, S. 218 - 231, eingeführt. 98 König, Artikel Soziale Normen (FN 35), S. 736. 99 König, Artikel Soziale Kontrolle (FN 5), S. 278. 100 König, Artikel Struktur (FN 91), S. 315 f.
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und die Bedeutung staatlich organisierter Sanktions- und Zwangsausübung als ein wesentlicher Bestandteil sozialer Kontrolle und Steuerung in den modernen Gegenwartsgesellschaften läßt sich erst ermessen, soweit die Struktur und Funktion primärer Rechtsnormen als Voraussetzung gesellschaftlicher Ordnung in ihrem Verhältnis zu den Sekundär- oder Reaktionsnormen geklärt sind, aufgrund derer der Staat als Sanktionsinstanz überhaupt erst aktiv werden darf. 101 Das Kriterium staatlich organisierter Zwangsanwendung, der Sanktions- und Zwangstheorie, also das Vorhandensein eines Erzwingungsstabs, 102 die in Anlehnung an den von Max Weber eingeführten Begriff Rechtsstabstheorien 103 genannt werden, ist für König nur ein sekundäres Phänomen der Evolution und Entwicklung des Rechts, welches als alleiniges Kriterium zur Beschreibung und Deutung der Normativität des Rechts sowie der Rechtsordnung völlig unzureichend ist. 104
3. Königs Kelsen-Kritik mit Blick auf Emile Durkheim Die Auffassung von Emile Durkheim, daß es die Soziologie ihrem Gegenstande nach mit genormtem Geschehen zu tun habe, kommentiert Hans Kelsen in seiner Abhandlung „Der soziologische und der juristische Staatsbegriff' 105 mit der apodiktischen Feststellung, daß die Soziologie dann eben Rechtswissenschaft sei. Weiter spricht er von der „spezifisch juristischen Sphäre", in der sich die Begriffe Dürkheims bewegen. 106 König greift genau diese Kernaussage des Kelsenschen Verständnisses der Normentheorie Dürkheims auf. Er kritisiert die „Schwierigkeit, ... daß die Rechtswissenschaft, insbesondere die Rechtsphilosophie, häufig eben der Meinung ist, daß es Normen einzig in den Dimensionen des Rechts ..., nicht aber im Rahmen des sozialen Geschehens geben könne", diese Auffassung käme bei Kelsen „mit besonderer Einseitigkeit" zum Ausdruck. 107 Damit sucht König am Beispiel der Kelsenschen Kritik 101
König, Artikel Soziale Kontrolle (FN 5), S. 278. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (FN 50), S. 17 f., 29, 17: "Eine Ordnung soll heißen: ... b) Recht, wenn sie äußerlich garantiert ist durch die Chance [des] (physischen oder psychischen) Zwanges durch ein auf Erzwingung der Innehaltung oder der Ahndung der Verletzung gerichtetes Handeln eines eigens darauf eingestellten Stabes von Menschen", sowie S. 18: "Uns soll für den Begriff des 'Recht' ... die Existenz eines Erzwingungs-Sta^es entscheident sein", und S. 29 zum "Verwaltungsstab". 102
103
Röhl, Rechtssoziologie (FN 49), S. 216 ff. Vgl. dazu § 6. 105 Hans Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 2. Aufl., Tübingen 1928. 106 Ebd., S. 56. 107 Kôniç, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 200. 104
12 Veddeler
178
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
an der Normentheorie Emile Dürkheims in erster Linie zwei grundsätzliche Fehlinterpretationen des Verhältnisses von Recht, Rechtswirklichkeit und sozialer Wirklichkeit des Rechts aufzuzeigen. Das ist zum einen das von Hans Kelsen verfolgte normativistische Erkenntnisparadigma und zum anderen sein etatistisches Rechtsverständnis, welches sich auf die These der Identität von Staat und Recht stützt.
a) Königs Darstellung der Kelsenschen Dürkheim-Kritik Im folgenden soll deshalb auf die Rechtfertigung der Kritik Kelsens an Durkheim durch König - insbesondere die Frage, ob und inwieweit diese vor dem Hintergrund der Normentheorie Dürkheims gerechtfertigt ist 1 0 8 - nur kurz eingegangen werden. Sie ist insoweit zu skizzieren, als sie Königs Ausgangspunkt für seine realistische, kulturtheoretisch fundierte Normentheorie ist. König zeigt zur Rechtfertigung Dürkheims zwar auf, daß die „vermeintlich juristische Ader" Dürkheims einen „völlig anderen Sinn" hatte als Kelsen meinte, da Durkheim Gesetzestexte als Datenbasis verwandte, die ihm einen Zugang zu „tragenden sozialen Verhältnissen eröffnen" sollten. In diesem Sinne waren die schriftsprachlich festgelegten Normen „nicht nur im juristischen Sinne eine 'Rechtsquelle', sondern auch im soziologischen Sinne eine Quelle für Objektive Dated ohne daß Durkheim die „Absicht einer Abhandlung aller Normensysteme unter dem Aspekt der Rechtsnormen" gehabt habe. Im übrigen wird dieses Forschungsprinzip Dürkheims von König kritisiert, da Gesetzestexte aus den verschiedensten Gründen „nur sehr ungenügend über die in einer gegebenen Gesellschaft tatsächlich herrschende soziale Struktur Auskunft geben können". 109 Wichtiger ist für König, daß Kelsen die „Position der Soziologie ... mißverstanden" habe, so daß es König hier letztlich um die Fundierung einer realistischen Normentheorie geht.
b) Königs Kritik
des normativ istischen Reduktionismus
Kelsen kritisiert, daß Durkheim keine Soziologie betrieben, sondern tatsächlich rechtswissenschaftlich gearbeitet habe: „Dürkheims Soziologie läuft auf eine Staatsrechtslehre hinaus!" 110 Diese Kritik läuft auf das auch heute noch aus108
Zur Normentheorie Emil Dürkheims vgl. Ute Bullasch, Rechtsnorm und Rechtssystem in der Normentheorie Emile Dürkheims, Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1988. 109 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 201 f. 110 Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (FN 105), S. 58.
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
179
weisbare Mißverständnis der Rechtswissenschafte« hin, wonach eine Wissenschaft vom Recht nur als dogmatische Wissenschaft betrieben werden kann bzw. zumindest die normative Positionen des Rechtssystems mitzuvertreten habe. 111 Daß dies nicht notwendig der Fall ist, wurde schon dargelegt. 112 Hier rückt das Problem allerdings aus genau der umgekehrten Perspektive, nämlich der Kritik Königs an der genuin normativistischen Position Kelsens, nochmals in den Focus der Untersuchung. Es bleibt aber dabei, daß es für eine Wissenschaft vom Recht, die die kulturellen Objektivationen des Rechts als ihren Erkenntnisgegenstand auffaßt, nicht zwingend ist, die inhärenten normativen Prämissen des von ihr zu erforschenden Gegenstands mitzuvertreten. 113 Die Kritik dieser erkenntnistheoretischen und wissenschaftsmethodologischen Position hat König zufolge zu nicht unerheblichen Mißverständnissen zwischen der Position Dürkheims und seiner Soziologie auf der einen Seite und der mit der Rechtswirklichkeit befaßten dogmatischen Rechtswissenschaft und ihrer Methodenlehre auf der anderen Seite geführt. Sie haben den Blick fur eine an der Erfahrung orientierte realistische Betrachtungsweise versperrt. Deutlich wird dies in der Kelsenschen Kritik der These Dürkheims, daß das soziale Geschehen unabhängig sei vom Individuum und seinen Vorstellungen und eine objektive Realität sui generis besäße, die normativ wirke, einen 'Zwang' auf den einzelnen auszuüben in der Lage sei und wie ein 'Ding' einer wissenschaftlichen Erforschung zugänglich. 114 Kelsen macht gegenüber dieser Auffassung geltend, daß die Objektivität, soweit sie normativ sei und von den Vorstellungen einzelner Individuen unabhängig, nur die „ideelle Existenz einer als gültig vorausgesetzten Norm sein (kann), einer Norm, die gültig ist und verpflichtet, auch wenn der Mensch, dessen Verhalten postuliert wird, davon nichts weiß". 115 Diese Frage könne aber nicht empirisch beantwortet werden, „denn ob jemand und wozu er rechtlich verpflichtet sei, wird nicht durch eine Untersuchung des empirischen Menschen
1,1 In diesem Sinne noch heute Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (FN 37), S. 501 ff. Zutreffend dagegen Werner'Krawietz, Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem Recht, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 247 - 301.
" 2 vgl. δ 3.
113 In diesem Sinne auch Otto Brusiin, Der Mensch und sein Recht. Ausgewählte rechtstheoretische Schriften, hrsg. und eingeleitet von Urpo Kangas, Berlin 1990, S. 62 f., 146 f. 114 Emile Durkheim , Die Regeln der soziologischen Methode, hrsg. und eingeleitet von René König, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1991, S. 115 ff. 1,5 Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (FN 105), S. 56. 12*
180
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
und seines Willens, sondern durch die Interpretation eines ideellen Systems von Rechtssätzen beantwortet". 116 Letztlich sind sich sowohl Durkheim als auch Kelsen darüber einig, daß das Recht nicht in dem Willen der Individualsubjekte gesucht und gefunden werden kann. Das Recht hat aber nach Ansicht Königs in der Theorie Dürkheims keine bloß ideelle Daseinsweise, sondern ist als sozialkulturelles Artefakt real und sozial wirksam und somit einer empirischen Forschung zugänglich. Von der bloß ideellen Daseinsweise anderer Normen unterscheidet sich das Recht nach Ansicht Kelsens allerdings durch eine spezielle Eigenschaft, nämlich Statuierung von Sanktionen, d. h. Zwangsakten.117 Sie erfolgt jedoch durch Sekundärnormierungen, so daß diese keine Strukturmerkmale weder des Rechts noch anderer sozialkultureller Normierung sein können. Diese Auffassung Kelsens hat ihre Grundlage in seinem Reinheitspostulat der Rechtswissenschaft. Diese ist 'rein', „weil sie nur eine auf das Recht gerichtete Erkenntnis sicherstellen (will) und weil sie aus dieser Erkenntnis ausscheiden möchte, was nicht zu dem exakt als Recht bestimmten Gegenstande gehört". 118 Der Gegenstand des Rechts bestimmt sich nach der Reinen Rechtslehre rein normativ und ist die aus den Rechtsnormen gebildete Rechtsordnung. 119 Königs Einwände treffen den Kern aller Kritik normativistischer Positionen, die auf dem sogenannten Reinheitspostulat basieren, nämlich ihren Dogmatismus. Der Dogmatismus resultiert aus dem Anspruch, aus der rationalen Durchdringung eines in der Gegenwartsgesellschaft aufweisbaren Rechtsgebarens durch deren wissenschaftliche Analyse auf die Grundstrukturen und Wesenheiten des Rechts überhaupt schließen zu können. 120 Für das autonome dogmatische Rechtswissenschaftssystem ist kennzeichnend, daß sich dessen Analyse „aus der Rechtswirklichkeit, also der Rechtsverwirklichung und der Rechtsanwendung, nebst der rationalen Durchdringung des eigentlichen Rechtsnormensystems" entwickelt und die „Rechtsnorm immer voraussetzt". Ein Reduktionismus sowohl in methodologischer als auch gegenständlicher Hinsicht bleibt deshalb unvermeidlich, 121 da die wissenschaftlich reine Analyse „notwendig immer an die Einseitigkeiten dieser Wirklichkeit gebunden bleiben muß" 1 2 2
116
Ebd. Zu den Geltungs- und Wirksamkeitsvoraussetzungen des Rechts vgl. § 8. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (FN 105), S. 56. 1,8 Kelsen, Reine Rechtslehre (FN 45), S. 1. 119 Hans Kelsen, Was ist Reine Rechtslehre? In: Demokratie und Rechtsstaat. Festgabe für Zaccaria Giacometti, Zürich 1953, S. 143 - 162, 143 f. 120 René König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie. Ein Beitrag zur Begründung einer objektiven Soziologie, München 1975, S. 264. 121 Vgl. dazu auch Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 90), S. 85. 122 König. Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 204. 117
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
181
und auch gebunden bleiben soll, wie es von zeitgenössischen Vertretern der Rechtstheorie gefordert wird. 1 2 3 Diese Einseitigkeiten sind eng verbunden mit der zuvor behandelten kategorialen Dichotomisierung des Rechtsdenkens in die Sphären von Sein und Sollen. Der Reduktionismus läßt sich nur durch die Überwindung der normativistisch vorausgesetzten Dichotomisierung des Rechtsdenkens vermeiden, indem man das Recht mit König zum einen auf außerrechtlichen Normen aufruhend und zum anderen diese und die Normen des Rechts auch in ihrer faktischen Qualität zum Untersuchungsgegenstand erhebt. Die Normen des Rechts sind nicht nur ein Bestandteil der mehr oder weniger ideell vorgestellten Rechtswirklichkeit, sondern auch ein Teil der sozialkulturellen Wirklichkeit, d. h. sie sind in die soziale Wirklichkeit eingebettet, das bedeutet, daß es eine unzulässige Verkürzung ist, die Normen des Rechts allein aus ihrer Abhängigkeit von einem staatlichen (Zwangs-)Setzungsakt her zu begreifen. Sie wirken und gelten nicht bloß idealiter. Sie sind nicht absolut, sondern wegen ihrer Einbettung abhängig von anderen sozialkulturellen Gegebenheiten einer Gesellschaft, ζ. B. von den wirtschaftlichen, politischen oder anderen kulturellen Bedingungen. Demensprechend sind sie relativ zu ihrem sozialkulturellen Kontext und wandelbar.
c) Königs Kritik
der Identitätsthese
Mit Königs Kritik an dem reduktionistischen Methoden- und Gegenstandsverständnis der Normentheorie Hans Kelsens hängt ein weiterer Kritikpunkt eng zusammen. Er knüpft an die von Kelsen vertretene sogenannte Identitätsthese von Staat und Recht an. Die Berechtigung dieser Kritik gilt auch für das Spätwerk Kelsens. In seiner posthum veröffentlichten Monographie der „Allgemeinen Theorie der Normen" gibt Kelsen die These der Identität von Staat und Recht nicht auf und definiert das Recht als „staatliche Zwangsordnung". 124 Die These wird lediglich hinsichtlich der Bestimmung des Rechts als eine Zwangsordnung zugunsten einer Anerkennungstheorie eigener, d. h. spezifisch Kelsenscher Art modifiziert und ergänzt, auf die jedoch - soweit sie die Geltungsgrundlagen des Rechts betrifft - an dieser Stelle nicht näher einzugehen ist. 125 Kelsen geht davon aus, daß das Recht nicht nur durch Zwang verwirklicht
123
Exemplarisch: Ralf Dreier, Recht - Staat - Vernunft, Frankfurt a. M. 1991, S. 213 f f , 216 f., 218: "Eine genuin juristische Disziplin ist hier die Rechtstheorie. Sie ist allgemeine juristische Theorie des Rechts und der Rechtswissenschaft, und ihr Forschungsinteresse ist durch ihren Dogmatikbezug definiert." 124 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (FN 15), S. 18, 79. 125 Vgl. dazu § 8.
182
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
wird, sondern auch der Anerkennung durch die Sanktionsorgane bedarf, die die Sanktionen verhängen. Diese These unterläuft die Annahme der Identität von Staat und Recht jedoch nicht, sie stützt sie vielmehr, weil die Anerkennung des Rechts nach Kelsen nicht von den Bürgern oder der Gesellschaft gefordert wird, sondern von den Staatsorganen, die das Recht zu befolgen haben. 126 Entgegen dem sonst üblichen Sprachgebrauch bedeutet bei Kelsen Rechtsbefolgung das Verhalten der Staatsorgane, während er von Rechtsanwendung spricht, wenn eine generelle Norm, die einen Zwangsakt voraussetzt, „auf das Individuum angewendet (wird,) dessen Verhalten die Bedingung des Zwangsaktes" ist. Die generelle Rechtsnorm gilt nach Kelsen nur durch die Vermittlung der „Vollstreckung eines Zwangsaktes" durch die Staatsorgane. Auch in Kelsens Feststellung: „Dürkheims Soziologie läuft auf eine Staatsrechtslehre hinaus!", 127 kommt der Gedanke der Identität von Recht und Staat zum Tragen. Kelsen verkennt nicht nur, daß normative Orientierungen auch außerhalb des Rechts zu beobachten sind, sondern daß eine genuin soziologische Erforschung des Rechts nicht zwangsläufig auf eine Staatsrechtslehre hinausläuft, da die Erzeugung von Recht nicht in einer notwendigen Abhängigkeit vom Staat erfolgt. Für König liegen die Dinge genau umgekehrt. König konstatiert aber, daß in modernen staatlich organisierten Gesellschaften das Recht immer unter Beteiligung des Staates und seiner Organe verwirklicht wird, Rechtssatzung und 128
Rechtsverwirklichung geradezu zu einem staatlichen Monopol werden. Dies gilt auch in den Bereichen, die hinlänglich als Privatrecht bezeichnet werden und in denen sich die Vertragsfreiheit dergestalt äußert, daß die Vertragsparteien zumindest vordergründig die rechtsverbindlichen Vertragsregelungen unabhängig von der staatlichen Rechtsetzungsgewalt festlegen können. Bei näherem Zusehen ist jedoch leicht ersichtlich, daß die Vertragsfreiheit nicht nur durch formale staatliche Normierung garantiert wird, indem vertragliche Inhalte mit Mitteln des formalen staatlichen Rechts und Rechtsstabs durchgesetzt werden können. Vielmehr sind auch die zulässigen Inhalte von Vertragsgestaltungen durch formales staatliches Recht reglementiert, ζ. B. die Sittenwidrigkeit oder die Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. 129 Das heißt jedoch
126
Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (FN 15), S. 39 ff. Zur Kritik der Kelsenschen Anerkennungstheorie vgl. Werner Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Geltungsgrundlagen normativer Kommunikation im Bereich des Rechts, in: Werner Hoppe / ders. / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium, Köln / Berlin / Bonn / München 1996, S. 455 - 519, 507; ders., Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? (FN 22), S. 329. I -»7 Kelsen. Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (FN 105), S. 58. 128 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 198. 120 Zum Vertrag als Rechtsquelle vgl. 6 Ziff. 3 und Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 90). S. 83 f. FN 8.
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
183
keinesfalls, daß es einen notwendigen Zusammenhang von Staat und Rechtserzeugung gibt und daß Recht nur durch seine Staatsabhängigkeit gedeutet werden kann. König weist insoweit auf die spontane Entstehung informeller rechtsnormativer Strukturen hin. 1 3 0 Ein Blick auf die gegenwärtig real existierenden Rechtssysteme zeigt, daß dem Staat nur noch ein geringer Stellenwert in der fortlaufenden Reproduktion rechtsnormativer Erwartungsstrukturen zukommt. Für König haben die genuin gesellschaftlich erzeugten und tradierten rechtsnormativen Orientierungen eine primäre und deshalb zentrale Funktion für das konkrete rechtliche Handeln und Erleben der Menschen, die nicht ohne weiteres durch die bürokratischen Großorganisationen des Staates übernommen werden können. 131 Die Einflußnahme durch staatliches Recht erscheint König schon deshalb relativ gering, weil es der regelmäßig zentral istisch organisierten Bürokratie des Staates an einer „gewissen Nähe" der konkret zu regelnden Lebenszusammenhänge fehlt. 132 Dabei versteht König den Staat in erster Linie als aus „bürokratischen Großorganisationen" zusammengesetzt.133 Die Skepsis gegenüber den Möglichkeiten staatlicher Ordnungsbildung hat König in seiner Auseinandersetzung mit der Normentheorie Dürkheims entwickelt, in der er sich kritisch mit den normativen Einflußmöglichkeiten staatlich organisierter Rechtssysteme auseinandersetzt. Für König ist eine zentrale Voraussetzung für rechtsnormative Ordnungsbildung eine „kontinuierliche Gruppenwirkung", wohingegen er die Wirkungsweise der „politischen Gruppe des Staates" in seiner Habilitationsschrift als „intermittent" bezeichnet.134 Die Skepsis Königs erscheint nach dem fortgeschrittenen Zerfall großer zentralistischer Staatsorganisationen, insbesondere in den Ländern des sogenannten ehemaligen Ostblocks mehr als gerechtfertigt und wegen der zu beobachtenden Entstehung von neuen, die alten Staatsgrenzen überschreitenden, organisatorischen Großgebilden, wie zum Beispiel der Europäischen Gemeinschaft, sehr aktuell. Heute lassen sich in ein und demselben politischen System unterschiedliche Rechtskulturen nebeneinander identifizieren. 135 Auf regionaler Ebene ent-
130
König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53),
S. 198. 131
René König, Einige Bemerkungen zur Soziologie der Gemeinde, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 405 418,413. 132 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 120), S. 235. I3j König, Einige Bemerkungen zur Soziologie der Gemeinde (FN 131), S. 413. 134 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 120). S. 233. 135 Alice Erh-Soon Tay, One World? One Law? One Culture? In: RECHTSTHEORIE 19 (1988), S. 1- 10, 1 f., 3 f f , 10.
184
2. Abschn.: Normen als sozialkulturelle Verhaltenserwartungen
stehen Vergesellschaftungsformen, die sich an ähnlichen kulturellen Interessen und Bedürfnissen orientieren, die zum Beispiel in den speziellen Interessen eines regionalen Wirtschaftsraums gesehen werden, der sich sinnvoll nur durch die Überwindung nationalstaatlicher Grenzen herstellen läßt. Die Bestrebungen richten sich darauf, traditionelle kulturelle Trennlinien, wie Sprache und Staatszugehörigkeit, einschließlich der damit verbundenen nationalstaatlichen formellen Gesetzgebung mit Mitteln des Rechts zu überwinden und durch regionalgesellschaftliche Regelungen und Organisationen zu ersetzen, die die kulturellen Gemeinsamkeiten des gemeinsamen Wirtschaftsraums auch gegenüber den jeweiligen Nationalstaaten zu stärken vermögen. Aus der Perspektive einer modernen Institutionen- und systemtheoretischen Normen- und Rechtstheorie bestehen deshalb „erhebliche Zweifel" daran, „ob der Staat überhaupt noch den prominenten Stellenwert" zur Lösung der durch den Zerfall zentral strukturierter staatlicher Organisationssysteme hat, der ihm gewöhnlich beigemessen wird. 1 3 6 Damit erweist sich Königs kulturtheoretisch fundierte Blickweise, aus der die zur Begründung neuer Ordnungen notwendige autoritative Macht des Staates als eher gering beurteilt wird, da dieser seiner ganzen Struktur nach „unfähig" ist, der „ungeheuer differenzierten und konkre137
ten Ordnung des Soziallebens vorzustehen", als hochaktuelle und überaus zutreffende Deutung und Erklärung der sozialkulturellen Wirklichkeit staatlicher Rechtssetzung, ohne daß damit'die Bedeutung bürokratischer Großorganisationen in modernen Gesellschaften verkannt werden müßte. Des weiteren tritt das staatliche Recht sowohl aus der entstehungsgeschicht138
liehen als auch aus evolutionstheoretischer Perspektive hinter den sozialkulturell entstandenen rechtsnormativen Orientierungen in ihrer Wirkung nicht nur zeitweilig zurück, sondern ist ihnen nachgeordnet. Das Vorhandensein eines begrifflich systematisierten und rationalen Rechts ist für König eine Grundlage 139
der Bürokratisierung, die Voraussetzung der Ausbildung staatlicher Organisationsstrukturen. Deshalb bildet das genuin gesellschaftliche Recht, dessen nachfolgende Kodifizierung und die daraus erwachsende Möglichkeit, Rechtsnormen durch Vertextung zu sammeln und zu systematisieren, erst die Voraussetzung zur Ausbildung einer bürokratischen Organisationsstruktur staatlicher Herrschaftssysteme. Daneben kommen in den modernen staatlich organisierten Rechtssystemen auch alle diejenigen Merkmale zum Zuge, die die weitere tech-
136
Krawietz, Recht ohne Staat? (FN 96), S. 97. König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 120), S. 224. lj8 Vgl. dazu unten § 6. lj 9 René König, Artikel Bürokratisierung, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 53 - 60, 57. Ij 7
§ 5 Sanktion und Zwang als Strukturelemente rechtlicher Normierung?
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nische Überlegenheit der bürokratischen Organisationssysteme ausmachen und deren Charakteristika schon von Max Weber entwickelt worden sind. 140 Für König sind die staatlich organisierten Herrschaftssysteme deshalb sekundäre Systeme, die erst nachrangig in der Evolution des gesellschaftlichen Rechts erwachsen, jedoch nicht mit den primären Normen des genuin gesellschaftlich entstandenen Rechts identifiziert werden dürfen.
140 Vgl. dazu König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 53), S. 198.
Dritter Abschnitt
Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit § 6 Evolution des Rechts, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle 1. Soziale Arbeitsteilung und Evolution als aktive Anpassung Königs genuin soziologischen Arbeiten zeichnen sich in erster Linie durch ihren systematischen Charakter aus. Gleichwohl sind seine normen- und kulturtheoretischen Forschungen durch einen entwicklungs- und evolutionsgeschichtlichen Ansatz gekennzeichnet, der die gesellschaftliche und geschichtliche Bedingtheit von Recht und Rechtswirklichkeit besonders betont1 und zugleich die Basis für seine ideologiekritischen Auseinandersetzungen mit reduktionistischen Deutungsmodellen des Rechts ist.2 Eine kulturhistorische Betrachtungsweise hilft, Ideologisierungen als Folge von Beobachtungsfehlern zu vermeiden, die letztlich darauf beruhen, die gegenwärtigen, zum Zeitpunkt der Beobachtung vorgefundenen Eigenschaften des Rechts als unabhängig von einem geschichtlichen Entwicklungs- und Evolutionsprozeß zu verabsolutieren, entweder weil ein solcher Prozeß für das Recht überhaupt nicht in Rechnung gestellt oder weil von einer historischen Einzigartigkeit des gegenwärtig vorgefundenen Rechtsnormensystems ausgegangen wird, die einen geschichtlichen Vergleich ausschließt.3 Gerade diesen ideologievorwurf erhebt König nicht nur in seiner Auseinandersetzung mit dem
1 René König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie. Ein Beitrag zur Begründung einer objektiven Soziologie, München 1975, S. 263 ff. 2 René König / Wolf gang Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht", in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1967 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 11), S. 356 - 372. 3 Vgl. dazu die zutreffende Feststellung von Helmut Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Aufl., Berlin / New York 1984, Kapitel III: Das Recht als Kulturerscheinung, S. 131 ff., 134: "Das Recht" im Sinne einer einheitlichen Ordnung gibt es also nicht: Was die Kulturgeschichte uns zeigt, ist vielmehr eine Vielzahl von Ordnungen, die sich nebeneinander und nacheinander entwickelt haben und in den einzelnen Entwicklungen ganz verschiedene Stufen erreicht haben.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
187
Normativismus, sondern in einem wesentlich umfassenderen Sinne gegenüber dem juristischen Positivismus überhaupt. 4
a) Rechtskulturen und Globalisierung Systematischer Ausgangspunkt der Evolutions- und Entwicklungstheorie Königs sind die modernen komplexen, funktional ausdifferenzierten Gegenwartsgesellschaften, die sich durch die Verselbständigung ihrer Funktionssysteme auszeichnen und wegen der Vielfältigkeit ihrer Teilkulturen von König als pluralistische Gesellschaften bezeichnet werden. 5 Als modernste Gesellschaftsform dieses Typs, die den vorläufigen Abschluß eines umwegreichen Entwicklungs- und Evolutionsprozesses darstellt, konnte König vor dreißig Jahren noch die Industriegesellschaft beobachten. Heute stellt sich die Frage, ob der Begriff Industriegesellschaft die gegenwärtigen Vergesellschaftungsformen noch zutreffend charakterisiert. Besser lassen sich die momentanen Vergesellschaftungsformen der ehemaligen, insbesondere westlichen Industriegesellschaften nach dem großflächigen wirtschaftlichen Zusammenbruch der (Stahl-)Industrielandschaften in Europa und Nordamerika als Informations- und Kommunikationsgesellschaft deuten und erklären, was auch das Recht vor ganz neue Aufgaben gestellt hat. Die Begriffe Informations· und Kommunikationsgesellschaft werden hier in einem ganz umfassenden Sinne verstanden. Nie war der Zugang zu Information und Wissen so gefragt und ein so hoch gehandeltes wirtschaftliches Gut. Alles, was gewußt werden kann, wird erforscht, einschließlich der kompletten Analyse des menschlichen Genoms. Informationen und Informationsmitteilungen in all ihren möglichen Facetten werden zu zentralen Herausforderungen für das Recht, dies schlägt sich ζ. B. in der Einrichtung neuer Lehrstühle für Informations- und Medienrecht an den Universitäten nieder. Gleichwohl hinken die rechtlichen Regulierungsversuche dem Entwicklungsstand der Informationsgesellschaft weit hinterher, statt dessen wird beispielsweise im Bereich der Biotechnologie auf Moral und Ethik rekurriert, 6 allerdings ohne die Möglichkeiten genuin rechtsnormativer Regelungen hinreichend zu berücksichtigen. 7
4 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 362 f. 5 Ebd., 357. 6 So ζ. B. der berühmte Versuch von Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M. 1979, S. 28 f., 57 f., 171 ff. 7 Werner Krawietz, Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribution in rechtsethischer Perspektive, in: Volker Gerhardt / ders. (Hrsg.), Recht und Natur. Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach, Berlin 1992, S. 147 - 187, 174 ff.
188
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
Diese Veränderungen haben jedoch nichts an der Tatsache der funktionalen Differenzierung und dem aus der Komplexität dieser Vergesellschaftsform folgenden Selektionsdruck geändert. Mit der Möglichkeit des globalen Zugriffs auf verschiedenste Informationen, die durch die Massenmedien vermittelt werden, hat sich die Gesellschaft zwar im Hinblick auf die kulturellen Werkzeuge des Zugriffs, ζ. B. des Internets und des World-Wide-Webs, mehr und mehr vereinheitlicht, so daß aus dieser Perspektive durchaus von einer globalen Kultur gesprochen werden kann. Nicht vereinheitlicht haben sich die immer auch normativ seligierten Informationen, auf die mittels dieser Werkzeuge zugegriffen werden kann. Die Vielfalt dieser Informationen, deren gleichzeitige Aktualisierung absolut unmöglich geworden ist, zwingt wie nie zuvor zu einer hohen Selektivität. Es stellt sich immer mehr die Frage, ob und für wen die Vielzahl der Informationen bereitgestellt werden sollen, und zwar nicht nur, weil es zur Zeit schlechterdings noch unmöglich ist, für jedermann jederzeit alle Informationen bereitzuhalten, sondern auch, weil mittels der globalen Medien weltweit zu Straftaten aufgerufen wird oder diese durch die Medien verwirklicht werden. Damit sind ζ. B. unterschiedliche Auffassungen über die Grenzen der Meinungsäußerungsfreiheit bis hin zur Problematik der Kinderpornographie angesprochen. So zeigt sich aus der kulturtheoretischen Perspektive auch hier, daß dem an nationalstaatliche Organisationen gekoppelten Recht für die Zukunft nur noch eine sehr begrenzte Bedeutung beigemessen werden kann.8 Unter diesem Aspekt bleibt Königs Skepsis hinsichtlich der Integrationsmöglichkeiten mit den Mitteln genuin staatlichen Rechts im gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsprozeß auch heute noch berechtigt, so daß sich die Frage stellt, ob nicht andere Organisationsformen des Rechts in Zukunft eine weit größere Bedeutung erlangen werden. 9 Ein Beispiel für das evolutionäre Entstehen neuen Rechts jenseits der Grenzen einzelner politisch konstituierter Regionalgesellschaften und deren staatliche Organisationen ist die Positivierung der Menschenrechte. 10 Die nationalstaatliche Organisation des Rechts erscheint deshalb weder als eine notwendige Entwicklung noch als ein Endpunkt in der evolutionären Entwicklung von Recht und Gesellschaft.
8 Werner Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta / ders. / Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, Berlin 1993, S. 81 - 133, 82 ff. 9 René König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 186 - 207, 199. 10 Werner Krawietz, Evolution der Menschenrechte, in: Friedrich Kaulbach / ders. (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 319 - 341, 334.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
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König erteilt mit seiner kulturtheoretisch fundierten Normentheorie jedem metaphysischen und kulturkritischen Fortschrittsglauben eine deutliche Absage. Aus der Sicht der komplexen Gegenwartsgesellschaften ist weder der Endpunkt der Veränderungssprozesse sicher auszumachen noch kann davon ausgegangen werden, daß der in der gesellschaftlichen Evolution erreichte momentane Status quo so sicher ist, daß evolutionäre Rückschritte - soweit man diesen wertenden Begriff zur Kennzeichnung der Schutzwürdigkeit der modernen Gegenwartsgesellschaft hier zulassen will - zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen sind. 11
b) Königs Kritik des geschichtsund sozialphilosophischen Evolutionismus Königs evolutionstheoretischen Forschungen knüpfen an einer kritischen Auseinandersetzung mit einem bloß geschichts- und sozialphilosophischen Evolutionismus an. 12 Eine entstehungs- und entwicklungsgeschichtliche Betrachtung hilft zwar, einen positivistischen Reduktionismus zu überwinden. Je nachdem wie der Evolutionsbegriff Verwendung findet und was unter Evolution des Rechts verstanden wird, verbirgt sich aber auch hinter einer evolutionistischen Untersuchung des Rechts die Gefahr ideologischer Verzerrungen. Nach König besteht diese Gefahr, wenn Evolutionstheorien im Sinne einer entstehungsgeschichtlichen Forschung zur Rechtfertigung eines vermeintlichen Urtyps oder natürlichen Urzustands menschlicher Gesellschaft und Ordnung sowie des menschlichen Rechts dienen. Das gleiche gilt für Evolutionstheorien, die von einer bloß gleichförmigen Entwicklung des sozialen Lebens aus einem natürlichen Urzustand ausgehen. Das allgemeine Charakteristikum derartiger 'Evolutionstheorien' sieht König in der Annahme einer „unilinearen" Entwicklung von Gesellschaft, die zu weiteren Annahmen führt, die dahin gehen, daß „Ausgangs- und Endpunkt der Entwicklung im allgemeinen bekannt seien, was also das 'Neue' in der Entwicklung grundsätzlich ausschließt, daß der Weg vom Einfacheren zum Komplexen führe usf.". Das gedankliche Schema eines solchen Evolutionismus sieht König mit Grund sehr kritisch, da ein unilinearer Evolutionismus zu „zahlreichen gewaltsamen Konstruktionen" führt, die einen
11 Vgl. etwa Francis Fukuyama , Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München 1992. Die These ist jedoch nicht neu. Zu einer entsprechenden Hypothese vom Ende der "Ideengeschichte" und daraus resultierend einer "Post-historie", in der die Alternativen bekannt sind, so daß die Erde "in der genannten Hinsicht überraschungslos" wird, hat sich Arnold Gehlen, Über kulturelle Kristallisationen, in: ders., Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied 1963, S. 311 - 328, 323, hinreißen lassen. 12 René König, Artikel Sozialer Wandel, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 290 - 297, 291.
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„geradezu naturrechtlichen Charakter aufweisen, obwohl sie mit dem Anspruch historischer Entwicklungshypothesen auftreten". 13 Ein derartiges Evolutionsverständnis beruht zwangsläufig auf bloß spekulativ-metaphysischen Prämissen. Problematisch ist dabei nicht so sehr die Spekulation als solche, sondern die Einkleidung der Prämissen in sozialwissenschaftliche Hypothesen oder Theorien und der damit einhergehende Anspruch auf wissenschaftliche Wahrheit. Spekulative Annahmen über den Urzustand der Gesellschaft werden zum Beispiel in der Form der Sozialvertragstheorien als sozialwissenschaftliche Theorien mit Erkenntnisanspruch formuliert mit dem Ziel, die Rechtsgeltung durch die legitimierende Wirkung der Autorität wissenschaftlicher Wahrheit zu begründen. 14 Tatsächlich fehlt solchen Prämissen jedoch jeder heuristische Wert, da sie sich durch Beobachtung und Erfahrung weder verifizieren noch falsifizieren lassen und sich so jeder empirischen Überprüfung und Kontrolle entziehen. Ein weiteres Problem liegt in dem Versuch, Geltungs- und Wirksamkeitsbedingungen des Rechts durch wissenschaftliche Erkenntnis zu legitimieren. Ein solches Vorgehen verkennt die grundsätzliche funktionale Verschiedenheit und Rationalität der Kultursysteme von Wissenschaft und Recht und ihre gemeinsame Abhängigkeit und Einbettung in die sozialkulturelle Wirklichkeit, die weder durch die Wissenschaft noch durch natur- bzw. quasinaturwissenschaftliche Methoden transzendiert werden kann. Evolutionstheoretische Untersuchungen des Rechts werden deshalb mißverstanden und in ihren Erkenntnisleistungen gründlich überschätzt, wenn angenommen wird, sie seien in der Lage, Letztbegründungen und Aussagen über das Wesen des Rechts auch nur im Ursprung seiner Entwicklung zu liefern. Solche Mißverständnisse können nach Ansicht Königs durch eine funktionale Analyse weitgehend vermieden werden. Deren Forschungsinteresse ist nicht auf die Entdeckung eines vermeintlich rechtlichen Naturzustands gerichtet, sondern auf die Untersuchung der durch das Recht gelösten Probleme, d. h. derjenigen Aufgaben, die das Recht in den Gesellschaften im Hinblick auf das
13
Ebd., S. 291. Zu einer derartige Kontroverse, die sich am Begriff der Herrschaft und der Frage der Möglichkeit herrschaftsfreier Gesellschaften entzündet hat, vgl. Ralf Dahrendorf Amba und Amerikaner: Bemerkungen zur These der Universalität von Herrschaft, in: Europäisches Archiv für Soziologie 5 (1964), S. 83 - 98, und Christian Sigrist, Die Amba und die These der Universalität von Herrschaft - Eine Erwiderung auf einen Aufsatz von Ralf Dahrendorf, in: Europäisches Archiv für Soziologie 5 (1964), S. 272 - 276. Vgl. dazu § 8. 15 René König, Gesellschaft und Kultur. Bronislav Malinowski, Alfred R. RadcliffeBrown, Lucien Lévy-Bruhl, Norbert Elias, in: Kurt Fassmann (Hrsg.), Kindler Enzyclopädie. Die Großen der Weltgeschichte, Bd. 11: Einstein - King, Zürich 1978, S. 640 651,642. 14
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menschliche Verhalten erfüllt. König faßt dieses Verständnis der Erkenntnisleistung entwicklungstheoretischer Untersuchungen mit dem Merksatz, „der 'Funktionalismus' überwindet den Evolutionismus", zusammen.15 Die schlagwortartige Verkürzung bedarf jedoch einer genaueren Betrachtung. 16 Sie darf nicht in einem reduktionistischen Sinne, eines bloßen Austausches von 'Ismen' mißverstanden werden. König leugnet nicht die Möglichkeit sozialer Evolution. Er wendet sich lediglich gegen die verfehlte Annahme des Evolutionismus. Ihm geht es darum, eine theoretisch zureichende Deutung und Erklärung der empirisch leicht nachweisbaren tatsächlichen Neuerungen in Gesellschaften zu liefern.
c) Evolution als aktive Anpassung König legt zwar selbst keine klare Definition seines Evolutionsbegriffs vor, weil er die Verwechslung mit spekulativen und wertbelasteten unilinearen Evolutionismusmodellen fürchtet. Ein Evolutionsbegriff im Sinne der Königschen Theorie sozialkulturellen Wandels müßte jedoch zwischen sozialkulturellen Wandeln im Sinne von fortlaufender Entwicklung auf der einen Seite und tatsächlichen Neuerungen, also sprunghafte Veränderung in der sozialkulturellen Wirklichkeit auf der anderen Seite unterscheiden. König vermeidet den Terminus Evolution zur Titulierung der sprunghaften Veränderungen der sozialkulturellen Wirklichkeit als evolutionäre Errungenschaften. Er spricht statt dessen von „aktiver" oder „schöpferischer Anpassung". 17 Der Begriff der Anpassung bedeutet im wesentlichen immer schöpferische Anpassung (creative adjustment), indem bestimmte Umweltgegebenheiten die inneren Gruppenkräfte aktivieren, um mit den gestellten Aufgaben fertig zu werden. 18 Soziologisch gesehen, bedeutet gewissermaßen jede Anpassung eine 'Mutation'. 19 Das Merkmal der selbsterzeugten Variation - welches König nur in loser Anlehnung an die Terminologie biologischer Evolutionstheorien als
16
Vgl. dazu auch § 7. König, Artikel Sozialer Wandel (FN 12), S. 293, 295; ders., Einleitung zu einer Soziologie der sogenannten Rückständigen Gebiete, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 307 - 328, 318, 324 f., 327. 18 König, Einleitung zu einer Soziologie der sogenannten Rückständigen Gebiete (FN 17), S. 323. 19 René König, Artikel Anpassung, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 1: Abweichendes Verhalten - Gleichgewicht, 2. neubearbeitete und erweiterte Aufl., Frankfurt a. M. 1972, S. 33 - 34, 34. 17
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
'Mutation' tituliert - ist ein zentrales Kriterium für die Evolution von Recht. 20 Dabei ist die Anpassungskapazität durch komplexe Strukturen bestimmt, die Variationen begünstigen oder eher unwahrscheinlich machen. Parsons nennt diese Strukturen Evolutionäre Universalien. Er nennt insbesondere vier sozialkulturelle Merkmale als universelle Eigenschaften und entscheidende Voraussetzung für jede Höherentwicklung: (i) einfache Technologie, (ii) verwandtschaftliche Ordnungen auf der Grundlage des Endogamieverbots und Exogamiegebots, (iii) sprachliche Kommunikation und (iv) Religion. 21 Die Umweltgegebenheiten können soziale Systeme zum Beispiel durch plötzliche Umweltveränderungen zur Reaktion zwingen, aufgrund derer Strukturveränderungen in einem sozialen System notwendig werden, wenn es auch weiterhin in der veränderten Umwelt perpetuieren will. Die Reaktion findet jedoch ausschließlich im sozialen System statt oder, wie König es nennt, „durch die inneren Gruppenkräfte". Das bedeutet, daß das soziale System die Veränderung zunächst einmal selbst wahrnehmen muß, um dann auf diese Wahrnehmung im Selbstkontakt reagieren zu können oder nicht. Im Rechtssystem stellt sich dies als Inkompatibilität der bereits vorgehaltenen Handlungserwartungen und veränderten gesellschaftlichen Normprojektionen dar. Aus der Perspektive des Rechtssystems und auch eines Beobachters des Rechtssystems stellt sich dieser Vorgang zunächst als Dysfunktionalität des Rechts dar. König betont, daß nicht davon ausgegangen werden dürfe, daß alle beobachtbaren kulturellen Objektivationen in der Gesellschaft auch funktional seien. Sie können für die Gesellschaft ohne 22
Bedeutung, also a-funktional, oder sogar schädlich, d. h. dys-funktional sein. Die Möglichkeit der Afunktionalität hebt König besonders für das formale Gesetzesrecht hervor, in dem sich sehr häufig „Verhärtungserscheinungen" finden, die „einzelne Rechtsregeln oder ganze Rechtsbestandteile a-funktional machen, ohne daß sie geändert würden". 23 In den Rechtsentscheidungen wird dann auf die durch die Gesetzestexte symbolisierten Normen nicht mehr Bezug genommen, weil beispielsweise die in den Tatbeständen geregelten Sachverhalte nicht mehr konfliktträchtig sind. Ebenso können Regelungen dysfunktional werden und desintegrierend wirken, da das alte Recht die Leistung der Verhaltensregulierung durch die Bereitstellung von stabilisierten normativen Erwar20 Vgl. Niklas Luhmann, Die Evolution des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 11 35, 14 ff. 21 Talcott Parsons , Evolutionäre Universalien der Gesellschaft, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, 4. Aufl., Königstein / Ts. 1979, S. 55 - 74, 71. 22 René König, Artikel Struktur, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 314 - 323, 321. 23 König, Gesellschaft und Kultur (FN 15), S. 643.
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tungen aufgrund der von außen an das Recht herangetragenen Variation normativer Erwartungen nicht mehr zu erfüllen vermag. Die Wahrnehmung veränderter Normprojektionen zwingt zur Stellungnahme und daran anschließend zur Auswahl, der für die Zukunft geltenden Normprojektionen. Die Dysfunktionalität des Rechts wird zur Voraussetzung des Funktionierens von Evolution. Daran wird deutlich, daß eine Variation nur an einem zuvor stabilen Zustand möglich wird. Diese ist nicht unbedingt zufällig und beliebig. Gerade die Ingeltungsetzung rechtsnormativer Erwartungen ist regelmäßig intendiert und zweckorientiert, in diesem Sinne also kausal, aber nicht notwendig determinierend. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die nichtintendierten Nebenfolgen. 24 Es ist immer fraglich, ob die damit bereitgestellten normativen Strukturen auch zur Verhaltens- und Handlungsorientierung herangezogen werden, also tatsächlich wirksam werden und sich durchsetzen können. Rechtsetzung und Verhaltensorientierung und daran wiederum erneut anschließende Verhaltensorientierungen, also eine Stabilisierung der Variation, lassen sich nicht im voraus koordinieren. Zwischen Variation / Selektion und Selektion / (Re-)Stabilisierung liegt die Grenze, die als Zufall bezeichnet wird. Es kann nicht vorab berechnet oder geplant werden, ob auf eine Variation eine Selektion und wenn ja, welcher Art folgt, und man kann ebenfalls nicht wissen, ob sich die Selektion auch kulturell verfestigen wird. 25 Voraussetzung für eine kulturelle Verfestigung ist, daß die normative Struktur in das Gedächtnis einer Gesellschaft, also die Kultur eingeht, d. h. sie muß institutionalisiert werden. Das seligierte Recht muß objektiviert, für weitere Sinnverarbeitungprozesse aufbewahrt werden und zugänglich bleiben, also auch erinnert werden können. Und noch wichtiger: Alles, was nicht erinnert werden soll, muß vergessen werden, da Informationsverarbeitungskapazitäten begrenzt sind und die Erinnerung aller möglichen normativen Erwartungshaltungen zu einer Selbstblockade führen würde. 26 Wichtiges Mittel dazu ist die Formalisierung durch Vertextung. 27 Dazu gehören eine ständige Abweichungs24 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 199. Gottfried Knöpfel, Nichtdeterminierte Kausalität als Schlüssel zur Freiheitsfrage, in:
RECHTSTHEORIE 20 (1989), S. 342 - 379, 347 ff., 354 ff., 359 ff., 369 ff. 25
Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1997, S. 426. Luhmann, ebd., S. 410, 576 ff., 579, sieht im Vergessen sogar die "Hauptfunktion des Gedächtnisses". 27 René König, Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 71 - 78, 72 ff. Zur Bedeutung der Formalisierung von Recht, auch in den scheinbar "anti-formalen Rechtskulturen" des anglo-amerikanischen Rechtskreises vgl. Robert S. Summers, The Formal Character of Law III, in: RECHTSTHEORIE 25 (1994), S. 125 - 162, 161; ders., Der formale Charakter des Rechts II, in: Archiv für Rechts26
13 Vcddclcr
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
kontrolle und entsprechende Sanktionierungen, ohne die der Zustand der Norm prekär wird. 28 Es müssen bei der Evolution von Recht drei Differenzen in Rechnung gestellt werden: Variation eines relativ stabilen Zustands, Selektion und daran anschließend wieder eine Restabilisierung, die die Möglichkeit neuer Variationen eröffnet. Dabei handelt es sich nicht um eine Aufeinanderfolge von Epochen oder Phasen. Hierin liegt ein ganz wesentlicher Unterschied der genuin kulturtheoretischen und nicht kulturkritischen Perspektive vom Aufblühen, Leben und Vergehen der Kulturen. 29 Dieser Prozeß ist auch kein Phasenmodell, das in einer vorgegebenen Richtung abläuft und von Variation zur Selektion und dann zur Stabilisierung als ein - wenn auch nur vorläufiges - Ziel dieses Prozesses fortschreitet. König warnt deshalb auch vor der Annahme, „als Ziel des Anpas30
sungsprozesses ein stabiles Gleichgewicht zu sehen". Der Anpassungsprozeß läßt sich zutreffender als ein zirkulärer Prozeß beschreiben. 31 Ein System erscheint dann als besonders gut angepaßt, je weniger es auf Umweltveränderungen mit inneren Strukturveränderungen reagieren muß, um sich selbst zu erhalten. Anpassung bedeutet dann also entgegen des eigentlichen Wortsinns nicht ein besseres oder schlechteres Abbild der realen Umwelt im System, sondern ein Unabhängigwerden von der Außenwelt. Entscheidend für die Stabilität eines Systems ist nicht so sehr das Sich-anpassen-Können, sondern das Sich-abkoppeln-Können.32 In diesem Sinne spricht König von der und Sozialphilosophie 80 (1994), S. 66 - 84, 79 ff. Zur Formalisierung als Geltungsbedingung des Rechts vgl. § 8 Ziff. 2. 28 König, Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen (FN 27), S. 72. 29 Wie er zum Beispiel in der kulturpessimistischen These vom Untergang des Abendlandes durch das Entstehen von Zivilisation von Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse der Morphologie der Weltgeschichte, Erster Band: Gestalt und Wirklichkeit, München 1920, S. 43 f., vertreten wird: "Der Untergang des Abendlandes, so betrachtet bedeutet nichts Geringeres als das Problem der Zivilisation. ... Denn jede Kultur hat ihre eigene Zivilisation. Zum ersten Male werden hier die beiden Worte, die bisher einen vagen ethischen Unterschied persönlicher Art zu bezeichnen hatten, in periodischem Sinne, als Ausdrücke für ein strenges und notwendiges organisches Nacheinander gefaßt. Die Zivilisation ist das unausweichliche Schicksal einer Kultur. Zivilisation sind die äußersten und künstlichsten Zustände deren eine höhere Art Menschen fähig ist. Sie sind ein Abschluß; sie folgen dem Werden als das Gewordene, dem Leben als dem Tod, der Entwicklung als der Starrheit ... Sie sind ein Ende, unwiderruflich, aber sie sind mit innerster Notwendigkeit immer wieder erreicht worden." Zur Kritik solcher Stadientheorie vgl. auch Shmuel N. Eisenstadt, Sozialer Wandel, Differenzierung und Evolution, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, 4. Aufl., Königstein / Ts. 1979, S. 75 - 91. 75 ff. 30 König, Artikel Sozialer Wandel (FN 12), S. 295. jl So auch Petra Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995, S. 56. Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990, S. 556.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
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Autonomie der Rechtsnormen", die sie in dem „ausgedehnten gesamtgesellschaftlichen Auffacherungsprozeß" erlangen. 33 Der von König als 'Auffächerung' beschriebene Prozeß meint den in der Systemtheorie als 'Ausdifferenzierung' bezeichneten Sachverhalt, also die zunehmende Verselbständigung des Rechts gegenüber anderen sozialen Systemen, und zwar nicht in einem kontinuierlichen Prozeß, sondern in evolutionären Sprüngen. 34 Auf keinen Fall darf Autonomie des Rechts im Sinne der systemkritischen Theorie von Gunther Teubner verstanden werden, wonach mit zunehmender Autonomie eine Einflußnahme des Rechts als Instrument sozialer Kontrolle problematisch wird. 35 Autonomie des Rechts im Sinne Königs bedeutet die Unabhängigkeit des Rechts von anderen sozialkulturellen Normensystemen und Moralvorstellungen. Die Autonomie des Rechts verhindert eine wirksame soziale Kontrolle nicht, sondern ist deren Voraussetzung, wenn das Recht nicht zum Spielball ideologischer Auseinandersetzungen werden soll. 36
d) Ausdifferenzierung
des Rechts
Die Evolution von Recht und Gesellschaft hat ihren deutlichsten Ausdruck in dem fundamentalen Wechsel der allgemeinen sozialen Ordnungsstruktur von Gesellschaft oder besser regionalen Gesellschaften gefunden. Das 'Vorher' und 'Nachher' dieses Wechsels ist von den Gesellschaftstheoretikern mit den verschiedensten Begriffen belegt worden, die mehr oder weniger deutlich auf die Unterschiede der gesellschaftlichen Organisationsstruktur hinweisen. Ferdinand Tönnies prägte die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft. Deren antinomische Form und die damit verbundene kulturkritische Sicht Tönnies' ist von König - unangesehen der empirischen Nachweisbarkeit und Unterscheidbarkeit der mit den Begriffen Gemeinschaft und Gesellschaft bezeichneten Ordnungsstrukturen in der sozialkulturellen Wirklichkeit - heftig kritisiert worden. 37 König vermeidet deshalb die Begriffe Gemeinschaft und Gesell33 René König, Artikel Recht, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 253 - 261, 260. 34 Niklas Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechtssystems, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 3 5 - 5 1 . 35 Gunter Teubner, Recht als autopoietisches System, Frankfurt a. M. 1989, S. 81 ff. 36 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 359. 37 Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Neudruck der 8. verbesserten Aufl. von 1935, 3. unveränderte Aufl., Darmstadt 1991. Zur Kritik dieser Begriffe insbesondere wegen ihrer antithetischen und letztlich kulturkritischen Ausformung vgl. René König, Ferdinand Tönnies, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987. S. 122 1*
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
schaft und bedient sich statt dessen in seinen evolutionstheoretischen bzw. ethnologischen Untersuchungen der Terminologie Emile Dürkheims. 38 Durkheim unterscheidet zwischen segmentären und arbeitsteiligen Gesellschaften und gibt mit dieser Bezeichnung schon einen deutlicheren Hinweis auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen. Diese Ordnungsstrukturen selbst bezeichnet Durkheim als mechanische oder organische Solidarität. Diese Unterscheidung Dürkheims ist hier auch deshalb aufzugreifen, weil sie in der Soziologie und Theorie des Rechts häufig als Grundlage einer evolutionstheoretischen Beobachtung dient, da das Recht in seinen Untersuchungen einen exponierten Stellenwert hat. 39 König erweitert die Sichtweise, die Durkheim mit dem Titel seines berühmten Werkes „De la division du travail social" 40 vorgegeben hat, in wesentlichen Punkten durch seine kulturtheoretische Perspektive. Danach ist es nicht nur der hohe Grad erreichter sozialer Arbeitsteilung, der die modernen Gegenwartsgesellschaften auszeichnet, sie umfassen auch Schichten, Klassen und eine Vielzahl von Sub- und Sonderkulturen, z. B. die Jugend- und Alterskultur. 41 Die Vielfalt und Dichte sozialer Beziehungen, die damit möglich wird, ist für König Kennzeichen moderner Vergesellschaftungen. Er spricht deshalb von den modernen Gesellschaften nicht bloß als arbeitsteilig funktional differenzierten Gesellschaften, sondern von komplexen oder pluralistischen Gesellschaften, die aus einer Vielzahl konfligierender kultureller Orientierungen bestehen und in denen vom Recht deswegen ganz eigenartige Integrationsaufgaben erfüllt werden müssen42 und die sich von den Aufgaben des Rechts in segmentär differenzierten Gesellschaften unterscheiden.
- 189, und Theodor Geiger, Artikel Gemeinschaft, in: Alfred Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie, unveränderter Neudruck, Stuttgart 1959, S. 173 - 179, 175. 38 René König, Soziologie und Ethnologie, in: Ernst Wilhelm Müller / ders. / KlausPeter Koepping / Paul Drechsel (Hrsg.), Ethnologie als Sozialwissenschaft, Opladen 1984, S. 17 - 35, 20 f.; ders., Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 1), S. 245. 39 René König, Artikel Arbeitsteilung, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 31 - 42, 37; dies liegt wahrscheinlich nicht zuletzt daran, daß Emile Durkheim in Deutschland von Rudolf von Ihering beeinflußt wurde, vgl. dazu Werner Gephart, Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Frankfurt a. M. 1993, S. 324. Siehe dazu auch Ute Bullasch, Rechtsnorm und Rechtssystem in der Normentheorie Emile Dürkheims, Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1988. 40 Emile Durkheim , De la division du travail social, 5. Aufl., Paris 1926, dt.: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1988. 41 René König, Die pluralistische Gesellschaft und ihre Subkulturen, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 62 71. 65 ff. 42 Ebd., S. 62 ff.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
e) Segmentar differenzierte
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Gesellschaften
Die in segmentären Gesellschaften als mechanische Solidarität bezeichnete Ordnung beruht auf Ähnlichkeit. Damit ist gemeint, daß es in erster Linie verwandtschaftliche Beziehungen sind, in denen sich das gesellschaftliche Leben vollzieht und auf die sich die Ordnung der Gesellschaft stützt. Alle sozialen Funktionsbereiche haben ihre Grundlage im verwandtschaftlichen Beziehungsgeflecht. Das gilt für das mehr oder weniger subsistente Wirtschaften, für die Erziehung, Krankenpflege, Altenpflege und auch für das Recht. Alle Funktionen werden in einem gesellschaftlichen Segment erfüllt. Die Gesamtgesellschaft besteht aus ähnlichen Segmenten, die nebeneinander existieren und die oben genannten gesellschaftlichen Funktionen jeweils autonom für sich im Segment erfüllen. Das Nebeneinander der Segmente bedeutet nicht, daß diese in keiner Beziehung zueinander stünden. Die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen den Segmenten werden jedoch nicht durch die gesellschaftlichen Funktionen hergestellt, sondern durch verwandtschaftliche Verbindungen zwischen kompletten Teilsegmenten. Den Ausformungen der verwandtschaftlichen Beziehungen liegen Regeln zugrunde, die keineswegs in allen Gesellschaften gleich und unveränderlich sind. Es lassen sich Heiratsnormen und Filiationsnormen unterscheiden. 43 Die verwandtschaftlichen Verhältnisse können dann kognatisch oder agnatisch ausgeformt sein, letztere entweder patrilinear oder matrilinear. Fast universell gelten nur das Exogamiegebot und das Inzestverbot, dessen sozialkulturelle Bedeutung für die Entstehung von Gesellschaft auch von König betont wird. 44 Die Regelungen der verwandtschaftsrechtlichen Ordnung entspringen weder einer wie auch immer gearteten natürlichen Ordnung noch sind sie zwangsläufig an bestimmte Naturzustände gebunden. Inzestverbot und Exogamiegebot bilden die normative Basis der segmentären gesellschaftlichen Ordnung. Sie regeln die verwandtschaftlichen Beziehungen der Familien und Horden untereinander und halten diese stabil. 45 Da Exogamiegebot und Inzestverbot nicht durch natürliche Umstände vorgegeben sind, bedürfen sie der kulturellen Stützung. König exemplifiziert diesen Mechanismus am Inzestverbot, das mit Hilfe von Totemsymbolen, die den Verwandtschaftsgrad handgreiflich
43 René König, Die Regeln der soziologischen Methode, in: ders., Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978, S. 140 207. 44 René König, Artikel Kultur, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 159 - 164, 161; ders., Die Religionssoziologie bei Emile Durkheim, in: ders., Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978, S. 239 - 256. 246 ff. 45 König, Die Religionssoziologie bei Emile Durkheim (FN 44), S. 246 ff.; Arnold Gehlen, Urmensch und Spätkultur, 5. Aufl., Wiesbaden 1986, S. 196 ff.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
darstellen und so als „kulturelle Krücken" fungieren, gestützt wird, „mit deren Hilfe das soziale Dasein seine immer prekäre Existenz überwindet". 46 Prekäre Existenz des Sozialen bedeutet nach König, daß ohne eine entsprechende normative kulturelle Sicherung die die Ordnung aufrechterhaltenden Verhaltensregelmäßigkeiten wesentlich leichter zufälligen und beliebigen Verhaltensänderungen zum Opfer fallen können. In dieser verwandtschaftlichen Ordnung sind alle wesentlichen, die segmentären Vergesellschaftungsformen kennzeichnenden Rechtsprinzipien eingebunden. Diese sind im wesentlichen die Prinzipien der Vergeltung und der Reziprozität, die nicht mit der modernen Institution des Vertrags verwechselt werden darf. 47 Ganz sicher kann in den segmentär differenzierten Gesellschaften nicht von Recht im heutigen Sinne gesprochen werden. Es ist durchaus fraglich, ob die der segmentären Ordnung - die zweifellos Ordnung ist, wenngleich auch nicht notwendig eine Herrschaftsoxdmng* - zugrundeliegenden Regeln als Recht bezeichnet werden können. Auch König definiert die Ordnungsregeln segmentärer Gesellschaften nicht ausdrücklich als Recht. Der Ordnung liegen jedoch regelmäßig äußere Verhaltensnormen zugrunde, die generalisierte Verhaltenserwartungen zum Inhalt haben, die der Verhaltensorientierung dienen und an denen im Falle der Enttäuschung konsequent festgehalten wird. Allgemein ist Gesellschaft für König ein „Verhalten nach Normen", 49 das jedoch weder einer staatlichen Organisation 50 noch einer institutionalisierten Herrschaft überhaupt bedarf. 51 Deshalb kann trotz der Bedenken, die aus der Perspektive des modernen ausdifferenzierten Rechtssystems zum Teil gegen die Verwendung des Begriffs Recht für die Ordnungsregelungen segmentär differenzierter 52
Gesellschaften vorgetragen werden, im weiteren vom Recht segmentär differenzierter Gesellschaften gesprochen werden. 46 König, Die Religionssoziologie bei Emile Durkheim (FN 44), S. 246 ff., ders., Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen (FN 27), S. 73. 47 Zur Bedeutung der Reziprozität vgl. René König, Die Soziologie in Berlin um 1930, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987, S. 258 - 297, 279 ff. Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 155 ff. 48 Zu den endogenen und exogenen Bedingungen der Entstehung von Herrschaft vgl. René König, Artikel Herrschaft, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 119 - 129, 125 f. 49 König, Artikel Recht (FN 33), S. 255. 50 René König, Artikel Soziale Kontrolle, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 277 - 280, 278. •1 König. Artikel Herrschaft (FN 48), S. 127. 52 Vgl. Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., durchgesehen und hrsg. von Manfred Rehbinder, Berlin 1987, S. 85 ff., der eben wegen der mangelnden Differenziertheit der sozialkulturellen Normensysteme archaischer Gesellschalten dort nicht von Recht sprechen will.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
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Auch in segmentar differenzierten Gesellschaften ist die diesen zugrundeliegende verwandtschaftliche Ordnung keine 'natürliche' Ordnung, wie es etwa durch die alte Kulturphilosophie nahegelegt wurde, die zwischen Natur- und Kulturvölkern unterschied. 53 Die Organisationsformen rechtlicher Ordnung sind auch in segmentär differenzierten Gesellschaften Kulturprodukt, menschliches Artefakt. Das Ordnungsbedürfnis wandelt sich hier mit der Lebensweise. So bilden sich agnatische Gemeinschaften erst mit dem Übergang zur Seßhaftigkeit und planmäßigen Landwirtschaft. Womit nicht gesagt ist, daß die Verwandtschaftsordnungen zwingend mit der Lebensweise als Sammler und Jäger oder Ackerbauer und Hirte korrelieren. Die zu erbringende Ordnungsleistung ist nur sehr bedingt durch natürliche Bedürfnisse vorgegeben. Diese lassen verschiedene Lösungen zu, wenngleich sie mitauslösend sind für die Selektion sowohl der konkreten Teilungsregeln als auch des verwandtschaftlichen Ordnungstyps. Mehr noch sind sie von der schon vorgefundenen spezifischen kulturellen Situation einer Gesellschaft abhängig. Dem Recht wohnt also keine absolute Unverfügbarkeit inne. Weder dem Recht der segmentären Gesellschaften noch dem moderner Gesellschaften wohnt ein Moment der „Unverfügbarkeit" inne, welches - wie Habermas meint - ein „unverzichtbares Gegengewicht zur politischen Instrumentalisierung" darstellt. 54 Ebenso sind die nahezu universellen Regeln des Exogamiegebots und des Inzesttabus veränderlich. Das bedeutet, sie haben nicht nur verschiedene Ausformungen in verschiedenen Zeiten, in unterschiedlichen Gesellschaften. Sie sind auch innerhalb von Teilsegmenten bzw. zwischen den Teilsegmenten einer gegebenen segmentären kulturellen Ordnung änderbar. 55 Die Veränderlichkeit beruht dabei nicht so sehr auf der reflektierten, das bedeutet bewußt zum Zwecke der Rechtsänderung vorgenommenen autoritativen Setzung eines „Gesetzes". Gleichwohl sind hier die Veränderungen nicht nur rein faktischer Art. Die Möglichkeit der Rechtsänderung ist zwar nicht abhängig von Verfahren zur Änderung von Recht. Das Recht ist in seiner Veränderlichkeit primär abhängig von der segmentären Binnenstruktur, aus der sich die besondere Stellung und eventuell auch Autorität derjenigen Person schöpft, die die Rechtsänderung durch ihre konkrete Verhaltensänderung initiiert. 56 Von
53 Emilio Willems, Artikel Primitive Gesellschaften, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 246 253, 247. 54 In diesem Sinne aber Jürgen Habermas, Wie ist Legitimität durch Legalität möglich? In: Kritische Justiz 20 (1987), S. 1 - 16, 3 f. 55 Leopold Pospisil, Anthropologie des Rechts, in: ders., Recht und Gesellschaft in archaischen und modernen Kulturen, München 1982, S. 248 - 296, 279, der eine Rechtsänderung durch die Verkündung eines neuen, das bestehende Exogamiegebot und Inzestverbot ändernden Gesetzes bei den Kapauku Papua beschreibt. 56 Willems, Artikel Primitive Gesellschaften (FN 53). S. 251.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
Setzung und Satzungsmacht kann insofern nicht geprochen werden, weil die normative Verbindlichkeit und Wirksamkeit sich erst dann und nur insoweit entfaltet, wie die Rechtsänderung durch die anderen Gesellschaftsangehörigen tatsächlich befolgt wird. Eine solche Chance besteht in der Regel nur dann, wenn sie sich sofort bewährt. Recht wird auch in segmentären Gesellschaften zur Durchsetzung partieller Interessen geändert und damit instrumentalisiert. Die Grenzen der Instrumentalisierung werden nicht durch ein moralisches Bewußtsein, sondern durch die Generalisierungsmöglichkeit der neuen Regel in der Gemeinschaft gezogen. Sie ist dabei insbesondere von ihrer Bedürfnisadäquatheit abhängig. Ein Bedürfnis zur Verhaltensänderung ist jedoch regelmäßig nicht gegeben. Die Regeln haben sich in der Gegenwart zumeist bewährt, denn die Ordnungsnormen der Gesellschaft knüpfen an relativ invariante Gegebenheiten von Verwandtschaft, Alter etc. an. Soweit überhaupt von einer Unverfügbarkeit des Rechts gesprochen werden kann, ist sie in segmentären Gesellschaften durch die normative Anknüpfung an die invarianten Gegebenheiten und die dadurch vorgegebene strukturelle Alternativlosigkeit bestimmt. 57 Die völlige Einbettung des einzelnen in die Familie oder Sippe ist Ausdruck der hohen Selbstverständlichkeit des Verwandtschaftsverhältnisses und der damit einhergehenden Alternativlosigkeit. Ausdrücklich weist König aber darauf hin, daß es in primitiven Gesellschaften „keine Gruppen mit völliger Integration, d. h. vollständiger und eindeutiger sozialer Regelung" gibt, 58 wenngleich die „Chancen für abweichendes Verhalten in segmentären Gesellschaften noch relativ gering sind". 59 Rechtsperson ist der einzelne nur durch die Zugehörigkeit zu seiner Sippe. 60 Ein Vergehen gegen die Ordnung hat nicht die Ahndung der Tat als einzelne Handlung zur Folge, sondern erfaßt die ganze Person. Die Beurteilung ist abhängig vom Status, der durch die Verwandtschaft, durch das frühere Verhalten, durch die Aufgaben, die der Täter wahrnimmt, bestimmt wird. Die Beurteilung erfolgt eben nicht ohne Ansehen der Person. Ein derartiges Vorgehen wird ganz im Gegenteil teilweise als geradezu unmenschlich empfunden. 61 Die Person 62 wird als solche nicht im Unterschied zur Gemein57
Luhmann, Die Evolution des Rechts (FN 20), S. 28. König, Soziologie und Ethnologie (FN 38), S. 21. 59 René König, Jugendkriminalität und allgemeine Soziologie, in: Peter Heintz / ders. (Hrsg.), Soziologie der Jugendkriminalität, Köln / Opladen 1957 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 2), S. 1 - 11, 6. 60 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 47), S. 151. 61 Vgl. Rüdiger Schott, Die Funktion des Rechts in primitiven Gesellschaften, in: Rüdiger Lautmann / Werner Maihofer / Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Gütersloh 1970 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1), S. 107 - 174, 133. Umgekehrt sagt sich die Sippe von Rechtsbrechern aus ihren Reihen nicht los, Luhmann, Rechtssoziologie (FN 47), S. 150 f. 62 Zur Generalisierung von Personalität in archaischen Gesellschaften, die nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen und Naturereignisse mitumfaßt, die aus heuti58
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
201
schaft verstanden, die dieser selbständig in ihren Handlungen gegenübersteht, sondern sie ist, wie König formuliert, „direkt mit dem ganzen der Gesellschaft verbunden". 63
f) Funktional differenzierte
Gesellschaften
Demgegenüber ist es wesentliches Kennzeichen komplexer und pluralistischer Gesellschaften, daß eine solche direkte Verbundenheit von Person und Gemeinschaft nicht mehr besteht. Rechtlich entwickelt sich diese Entflechtung der Person mit der Entstehung hierarchischer Herrschaftsformen und rechtlicher Verfahren bzw. einer Herauslösung des Rechts aus der unmittelbaren Erlebniswelt in den prämodernen Gesellschaften. 64 Über das Recht kann nunmehr in Verfahren entschieden werden, die nicht auf zufälligen Ergebnissen, wie ζ. B. durch Los, Gottesurteil o. ä., beruhen. Recht zeichnet sich mehr und mehr durch die wachsende Ablösung von Glaubensbestandteilen aus.65 Die Möglichkeit der Einrichtung von Verfahren wird durch die Erfindung der Schrift und der dadurch ermöglichten besseren Erinnerungs- und Tradierungsfähigkeit des Rechts erleichtert. Durch die Kodifikation des Rechts werden Rechtsstreitigkeiten objektiviert. Das Recht wird als solches bewußt. In den Verfahren wird die Person Partei und bekommt Rollen zugewiesen, in denen sie sich selbst als Angeklagter oder Kläger darstellen muß. In den modernen funktional differenzierten Gesellschaften ist die Person vollends individualisiert, und die Einbindung in die Gesellschaft erfolgt über Institutionen bzw. intermediäre Gruppen und Organisationen, die die gesamtgesellschaftliche Verflechtung der Person ermöglichen. 66 Damit wird zugleich die Möglichkeit geschaffen, unabhängig von der Zuordnung der ganzen Person zu einem Stand67 - wie noch in den stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften 68 oder einer vertikalen Klassenschichtung69 - grundsätzlich das private Rol-
ger Sicht zur natürlichen Umwelt, aber nicht zur Gesellschaft gehören, vgl. Peter Fuchs, Die archaische Second-order Society. Paralipomena zur Konstruktion der Grenze der Gesellschaft, in: Soziale Systeme 2 (1996), S. 113 - 130, 122 ff. 63 René König, Artikel Komplexe Gesellschaften, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 155 - 159, 158. 64 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 1), S. 263 f. 65 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 197. 66 König, Artikel Komplexe Gesellschaften (FN 63), S. 158. 67 Vgl. dazu Martin Bolte, Artikel Schichtung, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 266 - 277, 272 f. 68 Vgl. dazu z. B. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 25), S. 678 ff.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
len-Management über den Zugang zu den gesellschaftlichen Teilbereichen, wie Religion, Politik, Erziehung und Wirtschaft, entscheiden zu lassen;70 allerdings mit der gleichzeitig erhöhten Chance von entsprechenden Rollenkonflikten. 71 Diese mikrodifferenzielle soziale Verflechtung der sozialkulturellen Person unterscheidet König als eine Folge der makrosozialen Differenzierung der Gesellschaft, die auch die Funktionsautonomie des Rechts umfaßt. 72 Als eine Erstbedingung für die zunehmende Differenzierung der gesellschaftlichen Funktionsbereiche nennt König das zunehmende Volumen von Gesellschaften und der daraus möglich werdenden großen Dichte der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation. Die große Dichte des Kommunikationsprozesses, die Vielzahl der Möglichkeiten von Kommunikation macht Beschränkungen der Kommunikation, gerade auch der normativen Kommunikation, notwendig. Sie zwingt zu einer Entscheidung darüber, welche normativen Erwartungen verbindlich werden und bleiben sollen. Diese Selektion übernimmt das Recht, indem es zunächst Personal und Verfahren zur Entscheidung über streitige Rechtsfragen bereitstellt. In einem weiteren Schritt werden die Gesetze selbst durch Entscheidung hergestellt. Dazu bedient sich das Recht, nunmehr von anderen Sozialsystemen relativ isoliert, so daß nicht mehr auf rechtsfremde Institutionen und außerrechtliche Autoritäten zurückgegriffen werden kann, einer eigenen, bis heute weitgehend noch nationalstaatlichen Organisation, die selbst in eigens dafür eingerichteten Verfahren rechtlich über die Rechtssetzung entscheidet.73 Die entscheidende Setzungstätigkeit als Kennzeichen der vollen Positivität des Rechts ist von bloß kodifizierenden Gesetzgebungsakten zu trennen. Die historische Stiftung von Gesetzen und ein anschließender Kodifizierungsakt ist kein Kennzeichen für ein funktionsautonomes Recht. Zwar wird das Recht gesetzt, aber es stützt sich regelmäßig auf außerrechtliche Geltungsgrundlagen, ζ. B. religiöse Offenbarung. 74 Kennzeichen für das funktionsautonome Recht der ausdifferenzierten Gesellschaften ist nach König der „dispositive Charakter" des Rechts, d. h. daß im Rechtssystem selbst aufgrund und nach Maßgabe rechtsnormativer Regelungen darüber entschieden wird, ob und welches Recht gelten soll.
69
König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 358. 70 Boite , Artikel Schichtung (FN 67), S. 276. 71 Vgl. dazu § 7 Ziff. 2. König, Artikel Komplexe Gesellschaften (FN 63), S. 158. 72 Ebd. 7j König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 198. 74 Ebd., S. 194.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
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Mit der Ausdifferenzierung von Gesellschaft wird deshalb ein normativer Regulierungsmechanismus notwendig, der nicht unmittelbar an eines der Teilsysteme angebunden ist, denn anders würden die „ideologischen Auseinandersetzungen in den Teilsystemen der Globalgesellschaft die Integration der Gesellschaft ernsthaft gefährden". 75 Dabei begeht König allerdings nicht den Fehler, die Ausdifferenzierung des Rechts allein aus dieser Funktion heraus zu erklären. Denn die konkrete Kulturform eines ausdifferenzierten Rechts läßt sich nicht als kausaler Reflex einer Ursache erklären. In diesem Sinne warnt König vor den Gefahren eines zu weit getriebenen Funktionalismus, der auf einer unzutreffenden Identifikation von Zweck und Nutzen mit Funktionen beruht. 76 Es darf nicht davon ausgegangen werden, daß Zweck, Nutzen oder Bedürfnis als Ursache für das Befriedigungshandeln kausal wirksam werden. Man gelangt dann letztlich zu einer Gleichsetzung von Ursache und Wirkung und damit in einen tautologischen Zirkel. 77 Bedürfnis, Zweck oder Nutzen können jedoch als Maßstab zur Beurteilung der Funktionalität dienen; an ihnen kann die Gleichwertigkeit verschiedener Befriedigungsmöglichkeiten sichtbar gemacht werΛ 78
den. Es muß mit König also unterschieden werden zwischen dem primären Grundproblem des Rechts als normative Struktur der Gesellschaft, die Erwartungssicherheit garantiert, welche das Recht in jeder Gesellschaft zu erfüllen hat, und den sekundären kulturellen Ausformungen der Rechtssysteme in unterschiedlichen Evolutions- und Entwicklungsstufen, ohne daß damit schon irgend etwas über die konkreten normativen Inhalte des Rechts einer gegenwärtigen Regionalgesellschaft gesagt wäre. 79 Wichtig ist, daß die Gesetzesentscheidungen des funktional ausdifferenzierten Rechts zwar gesellschaftsweite Geltung beanspruchen, mit ihnen aber nicht darüber entschieden werden kann, ob die tatsächliche gesellschaftliche Kommunikation auch Bezug auf diese nimmt. 80 Rechtssetzung sind im ausdifferenzierten Rechtssystem in ganz wesentlichen Teilen abhängig von der Staatsorganisation, die auch Entscheidungssouveränität beansprucht. In dieser Hinsicht disponiert das formale staatlich gesetzte Recht autonom über seine Inhalte. Über die tatsächliche Inanspruchnahme kann es nicht disponieren, denn es
75
König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 359. 76 König, Gesellschaft und Kultur (FN 15), S. 643. 77 Niklas Luhmann, Funktion und Kausalität, in: ders., Soziologische Aufklärung 1. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, 4. Aufl., Opladen 1974, S. 9 - 30, 11. 78 Ebd. 79 Vgl. dazu auch Wolfgang Fikentscher, Methoden des Rechts. In vergleichender Darstellung, Bd. IV. Dogmatischer Teil, Tübingen 1977, S. 11 f., 14 ff. 80 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 199.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
kann nicht vorab entscheiden, ob Gesetze zitiert oder Gerichte angerufen werden. 8 '
2. Sozialkiiltureller Wandel Unter dem Oberbegriff des sozialen Wandels unterscheidet König die zuvor behandelten sprunghaften gesamtgesellschaftlichen Strukturveränderungen im Sinne von Evolution von der Dynamik des sozialen Prozesses als eine Voraussetzung für Variationen und damit jeglicher Evolution überhaupt. Die Dynamik des sozialen Prozesses zeigt sich zum einen als dauernder, sich allmählich vollziehender sozialkultureller Wandel, der „aus zahllosen Infinitesimalen, d. h. 82
winzig kleinen Abwandlungen der allgemeinen Kulturmuster" herrührt, also denjenigen Sinn- und Bedeutungswandel betrifft, den normative Erwartungshaltungen in Interaktionen schon dadurch erfahren, daß sie nicht einfach 'übertragen' werden können, sondern als Information mitgeteilt und verstanden werden müssen. Zum anderen ist er in einem weiteren tiefgreifenden Sinne durch die strukturelle Grundverfassung der Gesellschaft mitbestimmt. 83 a) Kontinuierlicher
Wandel
Sinn und Bedeutung des regelmäßig in Satzform symbolisch präsent gehaltenen Rechts stehen nicht fest, sondern müssen in einem eigenen Verfahren für den konkret zur Entscheidung anstehenden Fall erst ermittelt werden, unterliegen also in einem weiten Sinne der Interpretation. Die Variation des geltenden Rechts entsteht dann durch die laufende konkretisierende Reproduktion des Rechts anhand der Entscheidungen über immer neue vor die Gerichte getragene Rechtsfälle. Durch diese Entscheidungstätigkeit wird das Spektrum der einem Rechtsnormtext zugeordneten Fallgruppen ständig verändert. Mit jeder Entscheidung erfolgt eine eindeutige Auswahl und Zuordnung zu dem Pool der unter die Norm subsumierbaren bzw. nicht subsumierbaren Fälle. Durch die Selektivität der Entscheidungen variiert der Pool beständig. Diese allmähliche Transformation des Rechts ist keine durch die Entscheidungsverfahren intendierte Variation, denn die Gerichtsverfahren dienen gerade nicht der Veränderung, sondern der Feststellung und Klarstellung dessen, was als Rechtens gilt. Selbst wenn neue Entscheidungsregeln durch die Gerichte gesucht werden,
81
Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechtssystems (FN 34), S. 38. René König, Das Nachhinken der Kultur, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 54 - 71, 55. 83 Ebd. 82
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
205
weil eine ältere Praxis nicht mehr zu den gewünschten Ergebnissen führt, führt dies nur zu punktuellen Veränderungen. 84 Die Variationen werden dadurch ausgelöst, daß sich das Recht den überall in der Gesellschaft auftretenden Sachproblemen nicht entziehen kann. Die Variation wird also aus der Umwelt des Rechts initiiert. Die Rechtsentscheidungen wirken jedoch auch zurück. Die Entscheidungen der Gerichte werden beobachtet und sind Anlaß für Einschätzungen darüber, wie Gerichte in ähnlichen zukünftigen Situationen entscheiden werden. Dementsprechend werden Vorkehrungen getroffen, Produktionsabläufe sicherer gestaltet, Vertragsformulare modifiziert, Versicherungen abgeschlossen u. ä., so daß das Recht durch die kontinuierliche Rechtsanwendung zum allgemeinen sozialkulturellen Wandel beiträgt. Die Selektionsleistung durch das Recht wird dadurch verstärkt, daß entschieden werden muß. Die Möglichkeit eines unentschiedenen Rechtsfalls ist ausgeschlossen. Der Bürger hat einen Anspruch auf Bescheidung und Urteil. 85 Das Justizverweigerungsverbot ist Teil eines Selektionsprozesses, der als Selektivitätsverstärkung funktioniert, 86 dessen Funktion aber erst in der Folge der funktionalen Ausdifferenzierung des Rechts in komplexen pluralistischen Gesellschaften und der Institutionalisierung subjektiver Rechte besondere Wichtigkeit erlangt. 87 Erst hier muß wegen der von König betonten Vielzahl konfligierender normativer Erwartungshaltungen, die die unterschiedlichsten Teilkulturen bereithalten und von dort an das Recht herangetragen werden, ständig seligiert 88
werden, was als Recht gelten soll.
b) Strukturbedingter
Wandel
Der Wandel aufgrund und nach Maßgabe von Selektionsverstärkungen ist nicht mehr bloß der „dynamische Aspekt der kulturellen Überlieferung", sondern betrifft die, wie König formuliert, wesentlich weiterreichenden Möglichkeiten des Wandels, die „einzig aus bestimmten Grundverfassungen der sozia-
84
Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993, S. 268. Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 115; zur Bedeutung des Justizverweigerungsverbots vgl. auch Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (FN 84), S. 305 ff., 310, 535. 86 Vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie (FN 47), S. 40. 87 Krawietz, Evolution der Menschenrechte (FN 10), S. 334 ff., und Dieter Wyduckel, lus Publicum. Grundlagen und Entwicklung des Öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1984, S. 277 f. 88 Vgl. dazu und zur Bedeutung des Justizverweigerungsverbots § 8 Ziff. 3. 85
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len Struktur verstanden werden können". 89 Die Strukturverfassungen der Gesellschaften sind ein Produkt der Evolution, und die Variation an diesen Strukturen ist wiederum Voraussetzung für weitere Evolution. Mit der Ausdifferenzierung des Rechts und der damit verbundenen vollen Positivierung des Rechts sind auch alle normativ kulturellen Inhalte des Rechts von rechtlichen Entscheidungsverfahren abhängig. Intern wird der Wandel durch das Zusammenspiel von programmierendem und programmiertem Entscheiden organisiert. 90 Deren Bedeutung, Struktur und Funktion sind im folgenden unter dem Gesichtspunkt der Rechtserzeugung und der Selbsthierarchisierung des Rechts zu präzisieren. 91 Das Zusammenspiel von programmierendem und programmiertem Entscheiden führt zu einer weiteren Selektivitätsverstärkung, denn im Entscheidungsprogramm sind die normativ relevanten Kriterien für die Entscheidung bereits ausgewählt, und nur noch diese dürfen zur Entscheidung herangezogen werden. Diese normativen Strukturen des Rechts sind dann gleichzeitig notwendig variabel und invariabel. Das betrifft nicht nur die Änderbarkeit von Gesetzen, sondern auch der Verfahrensorganisation überhaupt. Zuständigkeiten können verändert, Gerichtsorganisationen weiter aufgefächert, die Gesetzgebung vom parlamentarischen Gesetzgeber auf den Verordnungsgesetzgeber übertragen werden usf. Es handelt sich um eine sehr veränderliche dynamische Struktur. Das Recht fungiert also „zugleich als wirkliches und veränderliches Recht". 92 Entsprechend dynamisch wird der Strukturbegriff in der Normentheorie Königs gefaßt. Zwar ist nach König die Struktur das, „was der Gesellschaft ein Verharren in der Zeit erlaubt". Er führt jedoch fort: „Allerdings kann es sich hierbei um keine statische, sondern immer nur um eine dynamische Kontinuität handeln, die sich regelmäßig erneuert." 93 Diese soziale Dynamik kann einer sozialen Statik nicht gegenübergestellt werden, „weil sich auch in stationären Systemen immer soziale Prozesse abspielen, die naturgemäß dynamisch sind". 94 Die Kultur, aus der die kognitiven und normativen Strukturen der Gesellschaft geformt werden, darf nicht als statisch, also als unabhängig vom Zeitlauf bestehend betrachtet werden. Das folgt ebenfalls aus Königs Kulturkonzept, das darauf abstellt, daß die „kulturellen Errungenschaften einer Gesellschaft nicht aus 89
König,, Das Nachhinken der Kultur (FN 82), S. 55. Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 85), S. 15. 91 Vgl. dazu § 6 Ziff. 3. 92 Dieter Wyduckel, Recht und Rechtswissenschaft im nachpositivistischen Rechtsrealismus, in: Eugene Kamenka / Robert S. Summers / William L. Twining (Hrsg.), Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, Berlin 1986, S. 349 365, 359 f., 363. 93 König, Artikel Struktur (FN 22), S. 320. 94 König, Artikel Sozialer Wandel (FN 12), S. 291. 90
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
207
sich allein leben, sondern einzig aus der sozialen Struktur". 95 König ersetzt den Begriff der Struktur deshalb durch den der „Strukturierung, womit schon rein 96
verbal das Prozeßartige hervortritt". Struktur und Prozeß setzen sich also gegenseitig voraus, denn Strukturierung erscheint aus der dynamischen Betrachtungsweise Königs als Prozeß, und Prozesse haben Strukturen.
c) Zeitlichkeit
von Struktur
und Prozeß
Struktur und Prozeß lassen sich nicht dadurch erfassen, daß die Struktur Konstanz und der Prozeß Wandel meint. Struktur und Prozeß bestimmen sich vielmehr durch ihre eigene Zeitlichkeit. 97 König sucht das unterschiedliche Verhältnis von Prozeß und Struktur unter Rekurs auf die Arbeiten William 98
Fielding Ogburns und dessen These vom „cultural lag" oder, wie König die These der kulturellen Phasenverschiebung wörtlich übersetzt, dem „Nachhinken der Kultur" 9 9 zu rekonstruieren. Für König ist gerade dieses „andere Verhältnis zur Zeit" für alle anderen Charakteristika des Rechts „fundierend". 100 Königs Zeitbegriff ist sozialkulturell geprägt. Zwar nennt König die astronomische Zeit, die auf der Konstante c = 300 000 km/h aufgebaut ist, als Weltzeit, dies ist für König aber nur eine Zeit und nicht die „Zeit in der wir wirklich leben, also die Eigenzeit der menschlichen Kulturen". 101 Kultur verwirklicht sich durch soziale Bezugnahme in Handlungen. Zeit kann nicht unabhängig von sozialen Zusammenhängen gedacht werden. Zeit wird sozialkulturell produziert, indem durch die sozialen Aktivitäten auf kulturelle Inhalte Bezug genommen wird, die es erlauben, ein Verhalten als Handlungsakt im Unterschied zu anderen vorausgegangenen und nachfolgenden Anschlußhandlungen zu identifizieren. Damit sind Vergangenheit und Zukunft keine festen, von der Behandlung in ihrem sozialkulturellen Kontext unabhängigen Tempi, sondern bilden variable kulturabhängige Zeithorizonte. Zeit entsteht so als eine beobachtete Abfolge
95
König,, Artikel Struktur (FN 22), S. 319. Ebd., S. 323. 97 Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1987, S. 73. 98 Vgl. William Fielding Ogburn, Die Theorie der kulturellen Phasenverschiebung, in: ders., Kultur und sozialer Wandel. Ausgewählte Schriften, hrsg. und eingeleitet von Otis Dudley Duncan, Neuwied 1969, S. 134 - 144. 99 König, Das Nachhinken der Kultur (FN 82), S. 54 - 62. 100 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 197. 101 René König, Soziale Gruppen. Vortrag auf dem Deutschen Schulgeographentag 1968 in Kassel, in: Geographische Rundschau 21 (1969), S. 2 - 10, 4. 96
208
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
von für sich nicht wiederholbaren Geschehnissen, deren jeweilige Dauer durch die Anschlußnahme an die vorangegangenen Geschehen bestimmt wird. 1 0 2 Unterschiedliche Zeitläufe entstehen dann schon durch die Perspektivenrelativität. Jeder Beobachter einer Handlung muß diese erst einmal abwarten und dann als Handlung identifizieren. Währenddessen vergeht Zeit, und die als Handlung identifizierte Verhaltenssequenz kann nicht mehr verändert werden und hat sich zumeist schon fortgesetzt. Den Zeitbezug von Struktur und Prozeß verdeutlicht König an dem problematischen Fall des sozialen Wandels aufgrund von Neuerungen in einem kulturellen Segment, die in anderen Teilbereichen der Kultur Irritationen auslösen und Variationen der Struktur erfordern. 10j Zum Beispiel können technische Entwicklungen oder wirtschaftliche Veränderungen dazu führen, daß die symbolisch in den Rechtsnormtexten vorgehaltenen normativen Orientierungsmuster den Strukturierungsbedarf nicht mehr decken und das Recht mit entsprechenden Variationen der Muster reagieren muß. Dies erscheint aus der Sicht der anderen kulturellen Teilsegmente dann als 'Nachhinken' oder 'Verspätung' des Rechts.104 Die die Strukturierung sozialer Prozesse überhaupt erst ermöglichende Funktion, nämlich die hinlänglich mit dem Terminus Rechtssicherheit umschriebene, notwendige relative Invarianz des Rechts gegenüber dem zu strukturierenden sozialen Prozeß wird problematisch und erscheint als ein 'Nachhinken' des Rechts. Der soziale Wandel aufgrund von Irritationen aus der kulturellen Umwelt ist jedoch ein Sonderfall und relativ instabil. Nicht jeder sozialkulturelle Wandel erfordert auch eine Variation der Struktur des sozialen Prozesses selbst. Demgegenüber betont König, daß in dauerhaften stabilen sozialen Wandlungsprozessen die Normen des Rechts nicht jeder sich wandelnden Situation angepaßt werden können, da sie sonst ihre Strukturierungsfunktion verlören. Demzufolge ist die Funktion des Rechts im sozialen Wandel zunächst in der Stabilisierung und Erhaltung sozialer Verhältnisse zu sehen. Damit ist jedoch nur eine Funktion des Rechts umrissen, und es ist eine „Irrlehre" zu glauben wie Helmut Schelsky zutreffend hervorhebt - , daß das „Recht schlechthin die gesellschaftliche Funktion einer Stabilisierung des Status Quo habe". 105 Sowohl Schelsky als auch König betonen demgegenüber die Zukunftsorientiertheit des 102
Alfred North Withehead, Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie, Frankfurt a. M. 1987, S. 137, 385 ff., 434, 436. 103 A u f diese Form des sozialen Wandels verweist auch Helmut Schelsky, Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 215 - 231, 225 f., 230. Vgl. dazu Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 31), S. 57 f. 104 König, Artikel Recht (FN 33), S. 256. 105 Helmut Schelsky, Die Soziologen und das Recht, Opladen 1980, S. 165.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
209
Rechts. 106 Sie schreiben dem Recht im Prozeß des sozialen Wandels eine im wesentlichen dynamisierende und keine bloß an der Vergangenheit orientierte stabilisierende Funktion - und damit einhergehend bloß statische Struktur 107
ZU. Es sind auch nicht immer Irritationen aus den kulturellen Teilsegmenten Technik und Wirtschaft, die die sozialkulturellen Wandlungsprozesse auslösen; es „können auch die anderen Dimensionen der Kultur eine plötzliche Entwicklungsbeschleunigung im Verhältnis zu den Übrigen aufweisen". 108 Diese Möglichkeit sieht König für das Recht moderner funktional ausdifferenzierter Gesellschaften in seinem dispositiven und planenden Charakter begründet. 109 Aber auch für ältere Rechtskulturen hebt König die Funktion des Rechts als einen Auslöser für sozialkulturelle Veränderungsprozesse hervor. Aufgrund der Ausdifferenzierung des Rechts und der damit einhergehenden Entscheidungssouveränität über die Auswahl normativer Inhalte, die die Autonomie des Rechts gegenüber anderen sozialkulturellen Normensystemen begründet, kann es normative Strukturveränderungen auch selbsttätig ins Werk setzen, indem es neue Regelungen in Geltung setzt und so bewußt und zweckgerichtet planend als ein wesentliches Strukturelement sozialer Kontrollmechanismen fungiert. 110 Diese vorgreifende Anpassung der formellen normativen Strukturvorgaben durch das Recht ist wichtig, weil ohne eine zureichende Anpassung „Veränderungen des Rechts - unter Umständen auch gegen den expliziten Wortlaut der in Geltung gesetzten Rechtsvorschriften - im Wege einer stillschweigenden Transformation der sozial etablierten Verhaltenserwartungen wirksam werden". 111 Mit der Folge, daß - wie auch König betont - das formale Gesetzesrecht nicht nur nicht mehr angewandt, sondern in Widerspruch gerät 112 zu den „informalen, aber höchst wirksamen materialen Rechtsvorstellungen, die im Alltag im jeweiligen sozialen Kontext in der (gewöhnlich nur partiell formalisierten!) Rechtskommunikation längst praktiziert werden". 113 Dies wiederum kann zu einer Verspä106 Vgl. Helmut Schelsky, Planung der Zukunft. Die rationale Utopie und die Ideologie der Rationalität, in: Soziale Welt 17 (1966), S. 157 - 172, 168. 107 Zum Erfordernis einer dynamischen Rechtsbetrachtung schon Werner Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion, Berlin 1967, S. 28 ff. 108 König, Das Nachhinken der Kultur (FN 82), S. 56 ff. 109 König, Artikel Recht (FN 33), S. 259 f. 110 König, Artikel Soziale Kontrolle (FN 50), S. 278. 111 Werner Krawietz, Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: ders. / Mihâly Samu / Péter Szilâgyi (Hrsg.), Verfassungsstaat, Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, Berlin 1995, S. 435 -461,437. 112 König, Die Regeln der soziologischen Methode (FN 42), S. 195 f. m Krawietz, Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit (FN 111), S. 437. Zur Unterscheidung von formalem und informalem Recht im Verwaltungshandeln vgl. Martin Schulte, Schlichtes Verwaltungshandeln, Tübingen 1995, S. 25 ff., 66 f.
14 Vcddeler
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
tung des Rechts führen, die nur ex post bewußt wird und nur durch entsprechend tiefgreifende Veränderungen der formalen normativen Strukturvorgaben korrigiert werden kann. Die resultierende Instabilität des Rechts erzeugt Erwartungs- und Verhaltensunsicherheit. Die Suche nach funktionalen Äquivalenten kann dann Entdifferenzierungsprozesse nach sich ziehen, indem außerhalb des Rechts nach allgemein gültigen normativen Orientierungen gesucht wird, zum Beispiel in der Philosophie, der Religion oder Theologie, wie sich dies in der gegenwärtigen Diskussion um die Gentechnologie beobachten läßt. Diese wird einerseits als technischer Imperativ erlebt. 114 Andererseits wird zur Beantwortung der Frage, ob alles, was machbar ist, auch erlaubt sein soll, nicht das Recht konsultiert, sondern die Philosophie, allerdings ohne hinreichend zu berücksichtigen, daß die in der Form sogenannter Ethikkommissionen befragte Philosophie eben nur Empfehlungen aussprechen kann, jedoch keine Normen mit Rechtsgeltung setzen kann. Wenngleich König der Möglichkeit des sozialen Wandels durch genuin nationalstaatliches, d. h. formales Recht betont skeptisch gegenübersteht, kommt dem Recht aus seiner empirischen und kulturtheoretisch fundierten Perspektive als ein Teil „von sozialen Normen, die eine ganz besondere Bedeutung für das Ganze der Gesellschaft haben", 115 ein prominenter Stellenwert im gesamtgesellschaftlichen Integrationsprozeß zu. Erst durch die Bereitstellung institutionalisierter „Konfliktlösungen, die in ein geregeltes Verfahren gepreßt werden, verlieren Konflikte [zwischen den sozialkulturellen Teilsystemen einer Gesellschaft, Κ. V.] ihre gefährdende diffuse Brisanz". 116 Die durch das Recht bereitgestellten, normativen Strukturen haben also eine wesentlich weiterreichende Wirkung, als es von systemkritisch eingestellten Autoren, wie beispielsweise von Gunther Teubner, angenommen wird, wonach das Recht als bloß störender Umwelteinfluß nur mittelbar auf soziale Wandlungsprozesse einwirkt. 117 Die normative Strukturierung des sozialen Geschehens mit Mitteln des Rechts ist aber nur dann erfolgreich, wenn die rechtsnormativen Inhalte in den zu strukturierenden Prozessen nicht in Frage gestellt werden und geändert wer-
114
Vgl. dazu auch Aulis Aarnio, Technical Imperative and the Legitimacy of Law, in: Werner Krawietz / Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, Berlin 1991, S. 3 - 10. Andràs Sajó, Bargained Law: High-Risk High Tech Regulations and Its Consequences on the Structure of Contemporary Law, ebd., S. 233 - 247; Jes Bjarup , Science, Technology and Human Life. A Vital Question for Jurisprudence, ebd., S. 337 - 351. 115 König, Artikel Recht (FN 33), S. 257. 116 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 359. 117 Vgl. dazu Teubner, Recht als autopoietisches System (FN 35), S. 47, 74 und 78.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
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den können. 118 Dies gilt insbesondere für die Bereiche des gerichtlichen und behördlichen Entscheidens, die sich über die Vorgaben gesetzlicher Entscheidungsprogramme eben nicht ohne weiteres hinwegsetzen können, es aber regelmäßig dann tun, wenn sie mit dem fingierten Willen des Gesetzgebers argumentieren, der nachträglich als Zweckprogramm in das Gesetz hineininterpretiert oder unter dem Gesichtspunkt der empirischen Folgenberücksichtigung das Gesetz nicht beachtet wird. 1 1 9 In diesem Sinne kritisiert König die freirechtliche Jurisprudenz, soweit sie der Ansicht ist, ganz und gar auf formalisierte Rechtsnormen verzichten zu können. 120
3. Kulturtheoretischer Begriff der Rechtsquelle In seinen soziologischen und kulturtheoretischen Beobachtungen des Rechts hat sich König nur am Rande mit der im Rechtsdenken hinlänglich unter dem Thema Rechtsquellenlehre verhandelten Problematik befaßt. 121 Bei näherem Zusehen ist dies nicht verwunderlich und kann keineswegs als Theoriedefizit gewertet werden, da die Genese des Rechts von König zuerst ein Produkt der Evolution und des sozialen Wandels ist. 122 Aus dieser Sicht ist das Recht zu allen Zeiten seiner Evolution und Entwicklung ein von Menschen geschaffenes Kulturprodukt. Diese Einsicht hat ganz wesentliche Konsequenzen für eine kulturtheoretische Rechtsquellentheorie. Denn als kulturelles Artefakt ist das Recht in keiner Form in irgendeiner Art und Weise präexistent gegeben. Es sprudelt deshalb nicht, wie der Begriff 'Quelle' insinuiert, von außen in die menschliche Gesellschaft hinein. Es ist nicht vor ihr da und bleibt auch nicht, wenn die 'Quelle' nicht gefunden und angebohrt wird, ohne menschliches Zutun in der Welt. Als Kulturprodukt ist Recht immer an die Verwirklichung durch die menschlichen Gesellschaften gebunden, so daß es keinen Sinn macht, außerhalb dieser nach seinen Quellen zu suchen. Ausgeschlossen sind damit sowohl alle religiös-theologisch begründeten Rechtsquellenlehren, wie zum Beispiel die Legeshierarchie von lex devina, lex aeterna, lex naturalis und lex positiva des Thomas von Aquin, 1 2 3 als auch jede vernunft(natur)rechtliche Deutung 118
Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1989,
S. 146. 1,9 120 121
Vgl. dazu auch Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (FN 84), S. 378 ff. König., Artikel Recht (FN 33), S. 256. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9),
S. 201. 122
König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 1), S. 262 ff. Vgl. dazu die Nachweise bei Werner Krawietz, Artikel Gesetz, in: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 3: G - H, Basel / Stuttgart 1974, Sp. 480 - 493, 483. 123
14*
212
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
der Rechtsquelle, da das Recht eben nicht einer einheitlichen natürlichen Vernunft entspringt. Umgekehrt kann das Recht aus der kulturtheoretischen Sicht Königs nicht aus einem lediglich logischen Ableitungszusammenhang gefolgert werden, in dem eine rein idealistisch konzipierte, bloß fiktive Grundnorm 124 quasi als Rechtsquelle fungiert. 125 Aus der evolutions- und kulturtheoretischen Perspektive Königs ist deshalb nicht nach den Quellen selbst zu suchen, also den Ursachen seiner faktischen Entstehung, sondern danach Ausschau zu halten, welche Funktion die Semantik der 'Quelle' in der Selbstbeobachtung des Rechts erfüllt. Es lassen sich zunächst drei - allerdings eng miteinander verzahnte - Probleme unterscheiden, die das Recht unter Rekurs auf den Begriff der Rechtsquelle zu lösen sucht. Dies ist (i) das Problem des Inhalts rechtsnormativer Regelungen, (ii) das Problem der Rechtsgeltung und (iii) das der Rechtserkenntnis, wenn und soweit die Rechtsinhalts- und Rechtsgeltungsquellen nicht offen zutage treten. Die Rechtserkenntnisquellen können wiederum danach differenziert werden, ob damit die Methode der Rechtsgewinnung126 bezeichnet wird oder die Rechtsgewinnung ζ. B. in Form der Gerichtsentscheidung selbst. 127
a) Kritik soziologischer Rechtsquellentheorie Es ist leicht ersichtlich, daß die unter Rekurs auf den Begriff 'Quelle' beantworteten Fragen auf das engste mit der Frage nach der Geltung des Rechts verknüpft sind und sich auch als Geltungsfragen formulieren lassen. Dementsprechend hält Niklas Luhmann den Begriff der Rechtsquelle in der Rechtstheorie „schon seit langem für abgelöst" und durch das Symbol der Rechtsgeltung ersetzt. 128 Aus einer rechtsrealistischen Perspektive macht es jedoch durchaus einen Sinn, zwischen Rechtsquelle und Rechtsgeltung zu unterscheiden, insbesondere dann, wenn die Begriffe 'Quelle' und 'Rechtsgeltung' nicht lediglich als Symbole in einem bloß symbolischen Rechtsbetrieb konzipiert werden. 129
124 Werner Krawietz, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts - eine säkularisierte politische Theologie? In: ders. / Helmut Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 255 - 271, 260 ff., 263. 125 Valentin Petev, Rechtsquellenlehre und Reine Rechtslehre, in: Werner Krawietz / Helmut Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 273 - 287, 273 ff. 126 Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre. Ein Lehrbuch, Köln / Berlin / Bonn / München 1994, S. 7. 127 Alf Ross, Theorie der Rechtsquellen: Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf der Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen, Aalen 1989, S. 290 ff. 128 Luhmann. Das Recht der Gesellschaft (FN 84), S. 100 ff. 129 Vgl. dazu § 8.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
213
Gegen soziologische Konzeptionen der Rechtsinhaltsquelle wendet Luhmann insbesondere ein, daß diese eine externe Referenz suggerierten, die mit einer Theorie selbstreferenzieller, operativ geschlossener Systeme nicht vereinbar sei. Diese externe Referenz erhielten die soziologischen Rechtsquellentheorien zum Beispiel durch den Rekurs auf Konzepte wie die 'folkways' im Sinne von William Graham Sumner 130 oder das 'lebende Recht' im Sinne von Eugen Ehrl i c h . l j l Diese fungierten als „vorgegebene Erwartungsordnungen, die das geschriebene Recht nicht ändern, sondern allenfalls re-institutionalisieren können". b 2 Luhmanns Kritik dieser frühen Rechtssoziologien knüpft am Begriff der Rechtsquelle in seiner Funktion als Geltungssymbol für die Einheit des Rechts an. Das 'lebende Recht' oder die 'folkways' werden dem staatlichen formalisierten Recht gegenübergestellt, gesellschaftliches und staatliches Recht nicht als eine Einheit begriffen. Unter dem Begriff der Rechtsquelle seien Prüfund Klassifikationsregeln sowie Normentypologien entwickelt worden, die von den Soziologen ins Außerrechtliche verlängert worden seien und hauptsächlich dazu dienten, zwischen Gesetzes- und Gewohnheitsrecht zu unterscheiden mit daran anschließenden Erörterungen, ob Richterrecht, Verfahren u. ä. auch Rechtsquellen seien. Als ein Beispiel für ein derartiges Vorgehen nennt Luhmann auch die Normentypologie Königs. l j 3 Zwar rekurriert König in seinen rechtssoziologischen Untersuchungen an entscheidender Stelle auch auf die Arbeiten von William Graham Sumner und auf die von Eugen Ehrlich. 134 In der kulturtheoretischen Perspektive Königs reduziert sich die Einheit des Rechts jedoch weder auf das staatliche Satzungsrecht noch auf die 'folkways' Sumners oder das 'lebende Recht' im Sinne Ehrlichs. Letztere fungieren gegenüber dem staatlichen Recht nicht als externe, bloß faktische Rechtsinhaltsquelle und Rechtsgeltungsquelle. Die kulturtheoretische Perspektive Königs liegt hier quer zu der Differenz von Sein und Sollen, und König geht es gerade nicht darum, das Gewohnheitsrecht gegen das staatliche Recht unter Berufung auf unterschiedliche Rechtsquellen auszuspielen.135 Dem positivistischen Begriff der Rechtsquelle, der in erster Linie auf die Rechtsetzungsautonomie des Staates und die in dieser Organisation erlassenen
130 William Graham Sumner , Folkways: A Study of the Importance of Usages, Manners, Custums, Mores and Morals, New York 1960. 131 Eugen Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, München / Leipzig 1929, S. 393 ff. 132 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (FN 84), S. 101. 133 Niklas Luhmann, Die juristische Rechtsquellenlehre aus soziologischer Sicht, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981, S. 306 - 325, 311 FN 7. 134 Vgl. ζ. B. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 186 - 207, 190; ders., Artikel Recht (FN 33), S. 256 ff. 135 Ebd., S. 253 f.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
abstrakten Normsätze verweist, würde dann ein - in diesem Sinne - außerrechtlicher Begriff der Rechtsquelle gegenübergestellt und damit unterlaufen. Das bedeutet, daß die zunächst einfache Identifikation des geltenden Rechts, die die rechtspositivistische Metapher der Rechtsgeltungssquelle erlaubt, in Frage gestellt wird, indem die Frage aufgeworfen wird, was oder besser wo die Quelle der Geltung des Rechts zu suchen sei. Neben der rechtspositivistischen Antwort, die auf ein Ableitungssystem von Sollenssätzen verweist, wird eine weitere Möglichkeit aufgezeigt, die ζ. B. auf das tatsächliche Verhalten abstellt, womit ihre Funktion - die einfache Identifikation des geltenden Rechts - unmöglich gemacht ist. Dieses Problem der Rechtsgeltungsquelle stellt sich jedoch nur aus der Sicht eines Rechtsdenkens, das zum einen an dem logischen Unableitbarkeitspostulat von Sein und Sollen festhält und zum anderen als Recht nur die vom Staat und seinem bürokratisch organisierten Rechtsstab generellen und konkreten normativen Entscheidungen begreift. 136 Die 'folkways', Gewohnheit, Sitte u. ä. Konzepte gehören als ebenfalls normative Orientierungen aber zu dem großen Pool normativer Kultur. Die darin enthaltenen Erwartungshaltungen bilden keine harmonische Ordnung, sondern sind widersprüchlich und deshalb konfliktträchtig. Die daraus resultierenden Erwartungsenttäuschungen werden als Streitigkeiten vor die Gerichte getragen. Im Rechtssystem wird dann entschieden, was von Rechts wegen - und nicht gewohnheitsmäßig, religiös oder moralisch - normativ erwartet werden durfte. Es wurde oben schon ausführlich dargelegt und soll hier unter dem Aspekt der Rechtsquellentheorie nochmals kurz ins Gedächtnis gerufen werden, daß die Normentypologie Königs nicht die Fragen nach der 'Quelle' oder dem 'Ursprung' allen Rechts zu beantworten sucht. König dient die Erstellung seiner Normentypologie lediglich zur systematischen Einordnung des Rechts in die zweifellos neben dem Recht existierenden anderen sozialkulturellen Normorientierungen. 137 Spezifisches Abgrenzungskriterium des Rechts ist dessen eige138
ne, also juridische Rationalität im Sinne Helmut Schelskys.
b) Evolutions- und kulturtheoretische
Konzeption der Rechtsquelle
Die spezifisch juridische Rationalität ist eine im Wege der Evolution durch die Ausdifferenzierung von arbeitsteilig organisierten Verfahren entstandene kulturelle Eigenrationalität des Rechts, die die Entstehung von Recht selbst regelt und selbsttätig ins Werk setzt, so daß König vom „Prozeß der Autonom-
17,6 1,7
Vgl. ζ. B. Röhl, Allgemeine Rechtslehre (FN 126), S. 537, 539, 208. König. Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9),
S. 206. 138
Vgl. dazu § 1 Ziff. 2 und Ziff. 3.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
215
werdung der Rechtsnormen gegenüber den anderen Normensystemen und Kul139
turgebieten" sprechen kann. Sie ist keine Rechtserkenntnisquelle im Sinne eines Erkennens oder Entdeckens von bereits in den Rechtstexten enthaltenen Normen. Sie ist ein arbeitsteilig organisiertes Verfahren, das zu Entscheidungen über Recht führt, an die andere Entscheidungsverfahren selektiv anknüpfen können. König betont in diesem Sinne die Funktion des Richters und der Rechtsprechungsverfahren. 140 Der Richter funktioniert in diesen nicht als Subsumtionsautomat, sondern wird mit jeder Entscheidung immer auch rechtsschöpfend tätig. 1 4 1 Allerdings vertritt König nicht den extremen generellen Normskeptizismus Theodor Geigers, der lediglich von einer „rückwirkenden Kraft der Norm" spricht. 142 Geigers Ansicht nach habe das „Begriffsschema des Normsatzes" im Verhältnis zu konkreten Tatbeständen „keinen determinierten Bedeutungsumfang", sondern sei für diese lediglich ein ausdehnungsloser Bezugspunkt.143 Dementsprechend wird nach Geiger das „für den einzelnen Fall 'geltende Recht' ... immer erst gestiftet, wenn der Fall geschehen ist". 1 4 4 Demgegenüber betont König auch die Bedeutung der generellen Normen für die Rechtsentscheidung der Richter. Die Entscheidungen seien keinesfalls bloß faktischer Art und deshalb 'frei', weshalb sich König kritisch mit der Freirechtsjurisprudenz auseinandersetzt. 145 Dies gilt in doppelter Hinsicht. Denn aus seiner kulturtheoretischen Perspektive macht König ideologiekritisch darauf aufmerksam, daß das richterliche Entscheiden keineswegs nur durch die Orientierung und Anschlußnahme an Rechtsnormtexte determiert sei. In die richterliche Entscheidung fließen vielmehr auch die durch den Richter während der Sozialisation und Enkulturation - wozu selbstverständlich auch die richterliche Ausbildung während des Studiums und des juristischen Vorbereitungsdienstes gehört - erworbenen normativen Kulturmuster des Rechtssystems in die Entscheidung ein - einschließlich desjenigen Musters, wonach diese Erkenntnis tunlichst zu . . 146
ignorieren ist.
139
König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9),
S. 202. 140
König, Artikel Recht (FN 33), S. 256. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 203. Zur Funktion der Gerichte bei der Ingeltungsetzung neuen Rechts vgl. § 8 Ziff. 3. 142 Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (FN 52), S. 226. 143 Ebd., S. 221. 144 Ebd., S. 227. 145 König, Artikel Recht (FN 33), S. 256. 146 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 363 ff. Vgl. dazu Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 13, der auf den prekären Sprachgebrauch in der dogmatischen Rechtswissenschaft 141
216
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
c) Kritik der Stufenbaulehren des Rechts Darüber hinausgehend, kommt den in Normtexten niedergelegten generellen Normen - nach der ganz zutreffenden Ansicht Königs - eine wichtige Funktion in der „systematischen Ausgestaltung der Rechtsanwendung zu". 1 4 7 Diese dirigieren die Entscheidungsverfahren, indem sie den Entscheider in der Form von Konditionalsätzen von Entscheidungspunkt zu Entscheidungspunkt leiten. 148 Das Entscheidungsverfahren wird damit programmiert, ohne daß von einer ausweglosen Determination gesprochen werden könnte. Mit den generellen Rechtsnormsätzen werden bestimmte Entscheidungen durch das Konditionalprogramm vorgegeben, über deren Auswahl und Anwendung wiederum der Richter entscheidet. So entstehen Entscheidungsketten. Deren Entstehung wiederum wird programmiert durch ein, wie König es nennt, „sekundäres System von Rechtsnormen", dem Verfahrensrecht, welches die Art und Weise der Anwendung von Rechtsregeln ihrerseits einer besonderen Regelung unterwirft. Damit entscheidet das Recht über die Art und Weise seiner Anwendung selbst, wohingegen es aufgrund des bedeutungsvollen Justizverweigerungsverbots nicht grundsätzlich, sondern nur sehr indirekt über seine Inanspruchnahme und die Art der Rechtsfälle entscheiden kann, ζ. B. durch die Erhöhung von Streitwerten oder Zulassungsberufungen etc. In einem wesentlich weiteren Sinne entscheidet das Recht im staatlich organisierten Rechtssystem mit Hilfe des Verfahrensrechts nicht nur selbst über die Art und Weise der Rechtsanwendung, sondern auch über seine Entstehung sowie seine Vernichtung durch Derogation selbst. Das Recht der staatlich organisierten Rechtssysteme in modernen funktional differenzierten Gesellschaften nimmt somit in „zweierlei Hinsicht eine basale Entscheidungssouveränität in Anspruch, die (1) in der Negation jeder Fremdreferenz und (2) in einer bewußten Option für Selbstreferenz zum Ausdruck gelangt, welche sich vor allem in dem Aufbau der Entscheidungsorganisation des Rechtssystems manifestiert". 149 Die Komplexität der Rechtserzeugung aufgrund der doppelten basalen Entscheidungssouveränität des Rechts läßt sich allerdings nicht allein durch die Beschreibung der 'Entscheidungstätigkeit' von Richtern oder Verwaltungsbeamten auf der Grundlage formeller Gesetze zureichend deuten und erklären. Es reicht dazu auch nicht, allein auf die kulturellen Objektivationen der Einzelentscheidungen hinzuweisen, wie zum Beispiel das im Bundesgesetzblatt veröf-
hinweist. Begriffe wie Rechts'anwendung' und Rechts'findung' insinuieren, "daß der Richter das gegebene Recht nur zu nehmen und anzuwenden habe". 147 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 9), S. 203. 148 Vgl. dazu auch Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 85), S. 14 f. 149 Ebd., S. 139 f.
§ 6 Evolution, sozialkultureller Wandel und Rechtsquelle
217
fentlichte Gesetz, das abgesetzte Urteil, den zugestellten Verwaltungsakt oder die notarielle Vertragsurkunde. Diese markieren lediglich den vorläufigen Schlußpunkt bzw. den nächsten ersten Anschlußpunkt für weiteres Entscheidungshandeln. Die Objektivationen fungieren als künstliche Unterbrechungen eines ständigen Entscheidungsflusses, der durch die in jeder Situation eines Verfahrens immer wieder notwendigen, neu vorzunehmenden Selektionen entsteht. Unser Recht kennt vielfältige Formen der Rechtserzeugung. Von ganz besonderer Bedeutung ist hier die Institutionalisierung der Vertragsfreiheit 150 mit zum Teil weitreichender Bindungswirkung. So kommt dem Tarifvertrag materielle Gesetzeskraft zu. An der Rechtserzeugung sind keineswegs nur staatliche Entscheider beteiligt, sondern Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater, angestellte Wirtschaftsjuristen, Rechtsbeistände usf. 151 Des weiteren umfaßt die Rechtsordnung nicht nur das formale staatliche Recht, sondern bestimmt sich, wie König ganz zutreffend betont, zu einem ganz wesentlichen Teil auch durch informale Organisationen und Normen, die sich entlang den Formalstrukturen ausbilden. 152 Dies gilt auf allen Ebenen der Rechtsentscheidungen. Recht entsteht also zeitgleich an den unterschiedlichsten Orten innerhalb des Rechtssystems. Diese beinahe chaotische Komplexität der Rechtserzeugung wird im Rechtssystem durch eine Hierarchiebildung strukturiert. Die Hierarchiebildung ist zwar nicht denknotwendig, aber gleichwohl eine wirkungsvolle Strategie zur Reduktion dieser Komplexität. Die Hierarchiebildung erlaubt es, mit wenigen Selektionen auf einer höheren Entscheidungsebene (ζ. B. der Verfassungsebene) viele Selektionen auf einer nachgeordneten Ebene mitzusteu153
ern. Es läßt sich tatsächlich beobachten, daß es nicht nur Vorgaben aus dem Verfassungsrecht sind, die die Regelungen auf der nachgeordneten Ebene der einfachgesetzlichen Regelungen mitbestimmen. Das Zustandekommen eines Gesetzes wird ganz wesentlich durch einfachgesetzliche Regelungen und die einzelnen Geschäftsordnungen der gesetzgebenden Verfassungsorgane mitbestimmt. Auch diese entscheiden nicht allein, sondern es sind eine Vielzahl von Verbänden, Vereinen, Bürgerinitiativen und andere Akteure in den Gesetzgebungsprozeß involviert.
150 Ebd., S. 53 FN 17, mit weiteren Hinweisen zum Streit über die Einordnung des privatautonomen Vertrags im System der Rechtsquellen. 151 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 364 ff. 152 René König, Artikel Organisation, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, Frankfurt a. M. 1958, S. 214-219,219. 153 Krawietz, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts (FN 124), S. 260 ff., 267 ff.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
Die Selbsthierarchisierung erzeugt aber eine Rechtswirklichkeit, die dafür Sorge trägt, daß diese wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisse rechtlich weitgehend irrelevant bleiben können, ohne daß die komplexe sozialkulturelle Wirklichkeit des Rechts sich aus einer Stufenbaulehre selbst erklären ließe. 154 Diese ist deshalb auch nicht jedem Recht immanent, 155 sondern selbst eine kulturelle Errungenschaft des Rechts. Deren Bedeutungen für die Selbstorganisation des Rechts und die dogmatischen Rechtswissenschaften darf keineswegs unterschätzt werden. 156 Die Verabsolutierung der Stufenbaulehre zu einer allgemeinen Rechtsquellentheorie, die die Voraussetzungen der Genese allen Rechts zu erklären versucht, wird letztlich zu einer Ideologie der Rechtswirklichkeit, nämlich „eine unangemessene Verallgemeinerung partiell sinnvoller Aussagen zu einem holistischen System"} 51
154 Athanasios Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts. Zur Revision und Reformulierung der Normentheorie von Theodor Geiger, Berlin 1992, S. 18. 155 Vgl. zum Beispiel Adolf Merkel, Gesetztes Recht und Richterrecht, in: Hans Klecatsky / René Marcie / Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Ausgewählte Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkel, Alfred Verdross, Wien 1968, S. 1615 - 1624, 1618, mit der Auffassung, daß die Rechtsordnung sich "notwendig als eine Hierachie von Rechtserscheinungen" darstellt. 156 Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 85), S. 134. 157 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 2), S. 356. Krawietz, Recht als Regelsystem (FN 85), S. 137 f.
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts 1. Voraussetzungen der Königschen Institutionenund Kulturtheorie In der allgemeinen Soziologie Königs ist der Begriff der Institution kein kategorialer Grundbegriff. 1 Seiner Ansicht nach ist die früher herrschende Tendenz, in „bestimmten älteren Schulen der Soziologie" die „Aufmerksamkeit ganz und gar auf die sozialen Institutionen" zu lenken, „heute im wesentlichen überholt". 2 Zu diesen älteren Schulen der Soziologie gehört auch die Emile Dürkheims, der mit Maurice Hauriou 3 zu den französischen Begründern der soziologischen Institutionentheorie gezählt werden kann. König selbst, dessen Soziologie zu einem ganz beträchtlichen Teil in einer Auseinandersetzung mit dem Werk Dürkheims wurzelt, hebt die besondere Bedeutung der Institution im Werk Dürkheims, die diese zumindest seit der zweiten Auflage der „Regeln der soziologischen Methode" erfahren hat, hervor. 4 Bei Durkheim heißt es: „Tatsächlich kann man, ohne den Sinn dieses Ausdrucks zu entstellen, alle Glaubensvorstellungen und durch die Gesellschaft festgesetzten Verhaltensweisen Institutionen nennen."5 Wenngleich dem Begriff der Institution in der allgemeinen Soziologie Königs keine zentrale Bedeutung zukommt, so ist er in seiner kulturtheoretisch fundierten Normen- und Rechtstheorie zwar nicht immer explizit, aber der Sache nach von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit, denn in den Institutionen
1 René König, Artikel Institution, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 142 - 148, 142 f. 2 René König, Der Mensch aus der Sicht des Soziologen, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 29 - 44, 38. 3 Maurice Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung. Essay über den sozialen Vitalismus, in: ders., Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou. Mit Einleitung und Bibliographie, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1965, S. 27 - 66, 44, rückt gegenüber der Durkheim-Schule den subjektiven Charakter der Institution in den Vordergrund. 4 René König, Die Regeln der soziologischen Methode, in: ders., Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978, S. 140 207, 185. 5 Emile Durkheim , Die Regeln der soziologischen Methode, hrsg. und eingeleitet von René König, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1991, S. 100.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
schlägt sich die normative Kultur der Gesellschaft nieder, indem sich die „Sinnhaftigkeit des sozialen in ihnen kulturbildend objektiviert". 6 Die Möglichkeit der Institutionalisierung und die Produkte dieses Prozesses, die objektivierte Form der Institution sind fur König die zentrale Voraussetzung der Entstehung, Entwicklung und Evolution von Recht, ohne daß deshalb von einer Identität von Recht und Institution gesprochen werden kann.7 Auf der einen Seite entsteht das Recht nicht zwangsläufig aus den Institutionen. Sie sind deshalb auch nicht eine außerrechtliche Rechtsquelle. Auf der anderen Seite gibt es weit mehr als nur rechtliche Institutionen, so daß eine Identifikation der Institution mit dem Recht auf einen reduktionistischen Positivismus hinausliefe, ähnlich der Auffassung von Santi Romano, der den Begriff der Institution mit dem der Rechtsordnung gleichsetzt.8 Im folgenden wird deshalb zu untersuchen sein, wie die Institutionen als kulturbildende Objektivationen in ihrem Verhältnis zum Recht und zum Staat in der Perspektive der kulturtheoretisch fundierten Normentheorie Königs gedeutet und erklärt werden. Dabei müssen fünf wesentliche Resultate der vorangegangenen Untersuchungen, die auch wichtige Konsequenzen für den Institutionenbegriff Königs mit sich bringen, Berücksichtigung finden. Erstens ist es die Tatsache, daß die normativ wirkenden Institutionen einer deskriptiven Betrachtung zugänglich sind. Zweitens ist zu berücksichtigen, daß alle Institutionen Produkte der Evolution von Gesellschaft sind und sie sich deshalb drittens nicht eines außerhalb der Gesellschaft liegenden Ursprungs oder sonstigen Quells verdanken. Als Produkte sprunghafter sozialkultureller Veränderung lassen sich die Institutionen viertens nicht allein aus ihrer Funktion oder ihrem Nutzen heraus deuten und erklären, und sie unterliegen fünftens, da sie in die Gesellschaft eingebettet sind, d. h. erst durch die ständige soziale Bezugnahme als normative Handlungs- und Orientierungsrahmen verwirklicht werden, einem ständigen Wandel.
a) Königs Kritik rechtspositivistischer und naturrechtlicher Institutionenbegriffe Diese Überlegungen bilden zugleich die Basis der Königschen Kritik positivistischer und naturrechtlicher Darstellungen der Institution. In der kultur- und normentheoretischen Konzeption Königs wird der Institutionenbegriff in einem wissenschaftlichen Sinne verwandt, also weder zum Zwecke der Rechtferti-
6 René König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie. Ein Beitrag zur Begründung einer objektiven Soziologie, München 1975, S. 263. 7 König, Artikel Institution (FN 1), S. 143. 8 Santi Romano, Die Rechtsordnung, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1975, S. 32.
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
221
gung oder Stützung noch dem des Umsturzes einer bestehenden Ordnung. Der kulturtheoretisch fundierte Institutionenbegriff ist lediglich ein begriffliches Instrument zur Beschreibung, d. h. zur Deutung und Erklärung der immer auch normativen sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts. Aber gerade wegen seiner naturrechtlichen und gesetzespositivistischen Fehldeutungen, die der Begriff der Institution - insbesondere durch die Arbeiten von Autoren, die mit Hilfe des Institutionenbegriffs dem Nationalsozialismus als Weltanschauung eine quasiwissenschaftliche Rechtfertigung zu ermöglichen suchten - im Laufe seiner Geschichte erfahren hat, steht König der Verwendung des Begriffs Institution in der Soziologie sehr skeptisch gegenüber.9 Er verwendet ihn nicht als Kategorie seiner allgemeinen Soziologie und hält die Konzentration auf den Begriff der Institution letztlich für überholt. 10 Insbesondere wendet er sich gegen diejenigen Theorien, die ihren Ausgangspunkt in der Vorstellung von grundsätzlich freien ungebundenen Individuen haben, die erst nachträglich mit Hilfe der Institutionen verbunden werden. Wichtigster Punkt in Königs kulturtheoretischer Kritik ist deshalb die Vermeidung des Eindrucks - der seiner Ansicht nach gerade auch in der Theorie der sozialen Verbände Sombarts zu kritisieren ist - , daß „menschliche Verbundenheit kein 'Urphänomen' ist, sondern erst durch spezielle Einrichtungen (Institutionen, Verbände, Staat usw.) 'vermittelt' werden muß". 11 Diese Bemerkung darf nicht in einem naturalistischen Sinne fehl interpretiert werden. Sie setzt keinen natürlichen Urzustand menschlicher Gesellschaft voraus. Sie besagt lediglich, daß - soweit wir in die Geschichte des Menschen zurückblicken können - die Gattung Mensch immer in vergesellschafteter Form auftritt. Die Art und Weise der Vergesellschaftung ist - wie zuvor dargelegt - durchaus variabel und veränderlich. 12 Die durch die Vergesellschaftung entstehenden Probleme und Bedürfnisse können unterschiedlich gelöst bzw. befriedigt werden. Die bestimmten Formen der Bedürfnisbefriedigung werden durch die Institutionen zur Verfügung gestellt, ohne daß deshalb aus dem durch eine Institution befriedigten sozialkulturellen Bedürfnis auf ihren Ursprung oder gar auf ihre Geltung geschlossen werden kann. Es ist deshalb völlig verfehlt, König wegen der Formulierung, daß die menschliche Verbundenheit ein „Urphänomen" sei, einen Naturrechtsvorwurf machen zu wollen. König hat im Gegenteil das Recht und seine Institutionen immer als Teil der Kulturgeschichte menschlicher Vergesellschaftung begriffen.
9
René König, Soziologie in Berlin um 1930, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987, S. 258 - 297, 266 ff. 10 König, Der Mensch in der Sicht des Soziologen (FN 2), S. 38. 11 König, Soziologie in Berlin um 1930 (FN 9), S. 267. 12 Vgl. dazu schon § 6.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
b) Neuer Institutionalismus Die Skepsis Königs ist vor dem Hintergrund des Neuen Institutionalismus13 in der Bundesrepublik Deutschland, mit dem die Position des naturrechtlichen 14 und (rechts-)positivistischen Institufionalismus 15 im strengen Sinne überwunden ist, nicht mehr begründet. Der Neue Institutionalismus focussiert die sozialkulturelle Wirklichkeit jenseits eines Standpunkts von Naturrecht und Positivismus, indem er die Institutionen als objektiv festgelegtes System sozialer Handlungen deutet und erklärt. 16 Aber gerade die Begründung eines wissenschaftlichen Fundaments jenseits von Positivismus und Naturrecht zur Deutung und Erklärung des Rechts und seiner sozialkulturellen Wirklichkeit liegt im Bestreben der kulturtheoretischen Fundierung der Rechts- und Normentheorie Königs. 17 Es geht König - wie am Vergleich der Königschen mit der Institutionentheorie Helmut Schelskys noch näher zu erläutern sein wird - ebenso wie der Konzeption des Neuen Institutionalismus um eine Verbindung der normativen Muster mit den an diesen orientierten sozialen tatsächlichen Verhaltensweisen, durch die sich die Institution letztlich verwirklicht und die dadurch eine vom Staat zunächst unabhängige Verwirklichung genuin gesellschaftlicher Ordnung ist. König wendet sich zu Recht gegen jede naturrechtliche und rechtspositivistische Institutionenlehre. Er trennt jedoch nicht genügend scharf zwischen dem juristischen und soziologischen Begriff der Institution. Königs Verwendung des Begriffs der Institution ist sehr stark an die bürokratische Organisation und damit auch an den Staat angelehnt und überbetont deshalb nicht nur den normativen, sondern auch den formalen Charakter der Institution. So bezieht sich der Begriff der Institution nach Ansicht Königs „einzig auf die für die Aktivitäten 13
Vgl. dazu Werner Krawietz, Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart, in: Juristenzeitung 40 (1985), S. 706 - 714; sowie ders., Rechtssystem als Institution? Über die Grundlagen von Helmut Schelskys sinnkritischer Institutionentheorie, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger / Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, Berlin 1984, S. 209 - 243. Speziell zur Institutionentheorie Helmut Schelskys: Petra Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995. 14 Vgl. etwa die Position von Maurice Hauriou und seinem Schüler Georges Renard. 15 Einen ausdrücklich institutionalistischen Rechtspositivismus vertreten Donald Neil MacCormick / Ota Weinberger, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, Berlin 1985. 16 Werner Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Schülern und Kollegen, Stuttgart 1986, S. 114 - 148, 130. 17 René König, Vom dreifachen Ursprung der Soziologie, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987, S. 23 - 89, 25, 60.
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sozialer Systeme bezeichnenden feststehenden Formen oder Bedingungen des Verfahrens", 18 also zunächst nicht auf das verwirklichte Verhalten. Für die Institution kommt es deshalb „nur auf den Grad formeller Normierung an". 19 König betont damit das relativ enge Verhältnis der Institutionen zu Assoziationen sowie bürokratischen Organisationen und damit auch zu den staatlich organisierten Rechtssystemen,20 ohne allerdings Institution und Recht zu identifizieren. 21 Ein derartiger Begriff der Institution ist jedoch in der Tat zu eng, zu formal und zu unbeweglich zur Deutung und Erklärung der dynamischen sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts in komplexen Gegenwartsgesellschaften und wird deshalb auch von den Theoretikern des Neuen Institutionalismus im gegenwärtigen Rechtsdenken ganz zu Recht abgelehnt,22 so daß Königs Kritik, die er in diesem Sinne insbesondere an der Institutionentheorie Dürkheims übt, den Neuen Institutionalismus gerade nicht trifft. 23 Daß ein bloß normativer und damit reduktionistischer Institutionenbegriff für die Sozial- und Handlungswissenschaft letztlich unbrauchbar ist, hat auch Leopold von Wiese hervorgehoben und betont, daß Institution Handlung sei. 24 Die Rekonstruktion der Königschen Theorie der Institution wird ferner dadurch erschwert, daß König mit dem Terminus Institution sehr verschiedene sozialkulturelle Tatbestände bezeichnet und es deshalb an einer einheitlichen Begriffsverwendung fehlt. Denn mit dem Begriff Institution werden sowohl ganz allgemein Normen bzw. Normenkomplexe, ζ. B. in der Form gesellschaftlicher Einrichtungen, wie Ehe, Familie und Eigentum, als auch deren positivrechtliche Regelungen, beispielsweise in der Verfassung eines staatlich organisierten Rechtssystems,25 bezeichnet. Diese Begriffskonfusion ist jedoch für weite Teile der älteren Theorie und Soziologie des Rechts kennzeichnend, in
18
König,, Artikel Institution (FN 1), S. 143. Ebd., S. 146. 20 Ebd., S. 143. 2 ; Ebd. 22 Vgl. dazu etwa die Kritik von Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 70 f., an dem Institutionenverständnis von René König. 23 König, Die Regeln der soziologischen Methode (FN 4), S. 185. 24 Leopold von Wiese, Artikel Institution, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 5. Band, Stuttgart / Tübingen / Göttingen 1956, S. 297 - 298, sowie ders., System der allgmeinen Soziologie als Lehre von den sozialen Prozessen und sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 4. Aufl., Berlin 1966, S. 331. 25 König, Artikel Institution (FN 1), S. 145. Vgl. zur Terminologie auch Ni/clas Luhmann, Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, 2. Aufl., Berlin 1974, S. 12 f., 86. 19
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der neben der Verfassung 26 selbst der Staat27 sowie die Rechtsordnung als Ganze 28 mit dem Begriff Institution belegt werden. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß auch die Definition der Institution von Niklas Luhmann mit der des Rechts zusammenfällt: Sowohl die Institution als auch die Rechtsnorm bezeichnet Luhmann als sachlich, zeitlich und sozial generalisierte enttäuschungsfest stabilisierte Verhaltenserwartung. 29 König ist nicht um eine soziologische Fundierung der Institution bemüht, sondern löst sie mit dem Ziel einer genaueren Beschreibung der Verwirklichung und Funktion der institutionellen Muster in andere empirische Größen soziologischer Forschung auf. Nach seiner Ansicht kehren in der Analyse des Institutionenbegriffs die kategorialen Grundunterscheidungen des sozialen Daseins in der allgemeinen Form von Verhaltenserwartungen und den Rollenintegraten, d. h. in der Unterscheidung von Rollenverhalten, Status und Position wieder, 30 worauf später noch ausführlich einzugehen sein wird.
c) Kritik
des normativen Institutionismus
Genau wie für die Soziologie, Normen- und Rechtstheorie im allgemeinen gilt selbstverständlich auch für die Institutionentheorie im besonderen, daß sie die Institutionen als sozialkulturelle Normenkomplexe zwar zum Gegenstand ihrer Forschung macht, deshalb jedoch weder normbegründend oder rechtfertigend noch handlungspräskriptiv verfährt. Insoweit ist also ein Verfahren, das den sozialwissenschaftlichen Institutionenbegriff zur Begründung, Rechtfertigung oder Präskription bestimmter Handlungen benutzt, weder ein soziologisches noch ein kulturtheoretisches, sondern bestenfalls ein normativ-philosophisches, wenn nicht metaphysisch-spekulatives Vorgehen, das seinerseits zum Gegenstand soziologischer und kulturtheoretischer Forschungen wird und damit einer wissenschaftlichen Deutung und Erklärung zugänglich ist. Königs Kritik kommt derjenigen von Bernd Rüthers sehr nahe, der die institutionalistische Auslegung in der Rechtsanwendung einer scharfen Kritik unter26 So auch Helmut Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen besonders Verfassungen. Kulturanthropologische Gedanken zu einem rechtssoziologischen Thema, in: ders., Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf / Köln 1965, S. 33 - 59. 27 Georges Burdeau, Der Staat als Institution, in: Roman Schnur (Hrsg.), Institution und Recht, Darmstadt 1968, S. 294 - 311; Karl N. Llewellyn , Constitution as an Institution, in: Columbia Law Review 34 (1934), S. 1 - 40. 28 Hauriou, Die Theorie der Institution und der Gründung (FN 3), S. 28 f f , 34 f., 98 f., sowie Romano, Die Rechtsordnung (FN 8), S. 32. 29 Luhmann, Grundrechte als Institution (FN 25), S. 12 f., 86, ders., Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 94 ff. 30 König, Artikel Institution (FN 1), S. 143.
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zieht. 31 Rüthers wendet sich dabei gegen drei verschiedene Formen der institutionellen Auslegung. Dies sind (i) die faktische institutionelle Argumentat i o n / 2 (ii) die metaphysische und (iii) die normativ institutionelle Argumentation. Sowohl der faktischen als auch der metaphysischen institutionellen Argumentation sei gemein, daß sie die Institution „als ein gegenüber dem Gesetz selbständiges, also vor- oder außerpositives Gebilde verstehen", womit sich die Lehre von den Institutionen als eine Wunderwaffe der Rechtsfortbildung erweise.33 In diesem Zusammenhang kritisiert Rüthers den Institutionenbegriff von Häberle. Häberle definiert Institutionen als eine „normative (rechtliche) Daseinsweise. ... Sie leben, indem sie im Normativen und Tatsächlichen 'eingerichtet' sind." Die Institutionen bewirken einen „Brückenschlag" durch den „Begriff der von jeder Institution zu erfüllenden sozialen Funktion. Institutionen müssen rechtliche und tatsächliche Wirklichkeit ('existence social') besitzen." Dies lasse eine Besinnung auf den Rekrutierungsvorgang zahlloser einzelner durch die 'idée directrice', die Inkorporierung, Einpflanzung im milieu social, den Prozeßcharakter der Institution, der durch die normativen und faktischen Gegebenheiten sowie ihre normative Aufgegebenheit bewirkt werde, unschwer erkennen. „Die Institutionen sind relativ stabile, relativ dynamische Gestalten der Zeit. Der durch sie geforderte ständige Prozeß der Selbstverwirklichung verweist auf die Zeit als eine ihr innere Dimension. Institutionen sind geschichtlich gewordene und sich ständig erneuernde Wirklichkeiten; sie vermitteln Vergangenheit in die Zukunft , . . " 3 4 Rüthers kritisiert diese Definition als widersprüchlich, inhaltsleer, mystisch und orakelhaft. Ob und wieweit dies tatsächlich zutrifft, kann hier zunächst dahinstehen, denn die Kritik Rüthers zielt nicht in erster Linie auf den Definitionsinhalt, sondern vielmehr auf die Verwendung des Institutionenbegriffs in der Rechtspraxis. Die Institutionen würden auf diese Weise zu „uneingeschränkt manipulierbaren Leerformeln für nahezu beliebige Zwecke: Sie können bestehende soziale Sachverhalte und
31 Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1973, S. 277 ff.; ders. Wir denken uns die Rechtsbegriffe um ... Weltanschauung als Auslegungsprinzip, Osnabrück 1987, S. 33 ff. 32 Rüthers, Wir denken uns die Rechtsbegriffe um ... (FN 31), S. 61 f., zitiert als Beispiel für eine derartige Argumentation Luhmann, Grundrechte als Institution (FN 25), S. 12 FN 14, der nach Ansicht Rüthers aus der "empirisch feststellbaren Gewohnheit, die eine Vermutung ihrer Dauerhaftigkeit begründet", im Wege "institutioneller Deutung eine Rechtsnorm" wird. Mit dieser Auffassung ist die Position Luhmanns deutlich mißverstanden, der gerade in der von Rüthers zitierten Fußnote die noch von Maurice Hauriou vertretene Auffassung der Institution als Rechtsquelle kritisiert und auf die Verschiedenheit des juristischen und soziologischen Institutionenbegriffs hinweist. 33 Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung (FN 31). S. 293. j4 Peter Häberle. Allgemeine Staatlehre, Verfassungslehre oder Staatsrechtslehre? In: Zeitschrift für Politik 12 (1965), S. 381 - 395, 392 f.
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Machtstrukturen legitimieren und bekämpfen. Sie sind wirksame juristische Instrumente fast jeglicher Zweck- und Normsetzung." Rüthers resümiert: „Und solange die Hexerei mit inhaltslosen Institutionsbegriffen nicht kritisch durchschaut worden ist, vermag diese Wortbarberei offenbar beträchtliche pseudowissenschaftliche Faszination auszulösen."35 Die von Rüthers an der Definition der Institution von Peter Häberle geübte Kritik trifft unter der Prämisse einer deskriptiven Institutionentheorie nicht. Die Definition von Häberle kann nämlich ebensogut als eine mögliche und mehr oder wenige realistische Beschreibung der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts aufgefaßt werden, ohne daß ihr ein normativ präskriptiver Charakter zukäme. Es kann zwar die Frage gestellt werden, inwieweit einer beschreibenden Definition der Institution auch eine tatsächliche Rechtfertigungsfunktion bei der Entscheidungsfindung zukommen kann und soll. Aus einer kulturtheoretischen Perspektive ist bei der Beantwortung jedoch zu berücksichtigen, daß die Rechtsverwirklichung, wie immer sich diese darstellen mag, sei es in der Form der Gesetzgebung, des Verwaltungshandelns oder der Rechtsprechung, sich den Eigenarten ihres eigenen institutionellen Handelns letztlich nicht verschließen kann. Bei einer realistischen, an der Erfahrung orientierten Betrachtung des Rechtssystems ist leicht zu erkennen, daß alle Bereiche des Rechtshandelns an die in einer Gesellschaft als Handlungsmuster zur Verfügung stehenden institutionellen Formen des Handelns und Erlebens und damit auch des rechtlichen Entscheidens gebunden sind. Ein bewußtes Ignorieren dieser Einsichten bedeutet, die Regelungs- sowie Steuerungsmöglichkeiten, aber auch die entsprechenden Grenzen des Rechts in seiner sozialkulturellen Wirklichkeit für unbeachtlich zu halten. Die institutionellen Formen des menschlichen Handelns und Erlebens bilden also zuallererst die kulturelle Basis der Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit allen Rechts.36 Damit ist jedoch zu keinem Zeitpunkt, wie Rüthers meint, einer normativphilosophischen Verwendung des Institutionenbegriffs das Wort geredet, mit dem beliebig außerrechtliche Normen in positives Recht transformiert oder geltendes Recht beliebig verändert werden könnte. Die von König deutlich hervorgehobene Trennung von Rechtswissenschaft, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie bleibt erhalten, ohne daß damit fruchtbringende Wirkungen der soziologischen Beobachtung und Beschreibung des Rechts auf die Weiterentwicklung des Rechts ausgeschlossen sind. 37 Das Recht und die Institutionen zeich-
,s
Rüthers, Wir denken uns die Rechtsbegriffe um ... (FN 31), S. 77 ff. Vgl. dazu § 8. 17 René König, Artikel Recht, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 253 - 261, 261. 36
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nen sich gerade durch den Widerstand aus, den sie Veränderungsbestrebungen in Form abweichenden Verhaltens entgegensetzen. Dies gilt nicht nur für rechtsnormabweichendes Verhalten, sondern auch für Abweichungen von einer überkommenen Rechtsprechungspraxis, für die Einfuhrung einzelner neuer gesetzlicher Regelungen sowie für ganze Kodifikationen und Gesetzgebungswerke, wie König darlegen kann. So ist die Einführung einer Kodifikation „häufig mit außerordentlichen inneren Umstellungen in einer gegebenen Gesellschaft verbunden", so daß es zu „Kulturkonflikten" kommen kann. „Soziologisch gesehen erweist sich" damit, daß sich das staatlich-formale Recht „häufig - insbesondere im Moment seiner Entstehung - in Gegensatz stellt zur Tradition ..., selbst wenn es später seinerseits wieder Traditionsbestandteil wird". Aus dieser Perspektive stellt sich abweichendes Verhalten nicht als anomisches, sondern als die Befolgung traditionaler, d. h. anderer institutionalisierter Verhaltenserwartungen als der durch formelles Recht positivierten dar. Formelles (noch) nicht institutionalisiertes Recht und informelles institutionalisiertes Gewohnheitsrecht können sich widersprechen. Das formelle staatliche Recht ist aus der Sicht Königs deshalb nicht selten „ - mindestens im Moment seiner Entstehung 38
- eigentliche 'Satzung' und keine Tradition". Damit wird klar, daß Königs Ablehnung der Institution allein die ideologischen oder reduktionistischen Fehldeutungen des Institutionenbegriffs trifft, nicht jedoch den mit dem Institutionenbegriff bezeichneten soziologisch empirischen nachweisbaren Tatbestand institutionellen Handelns in der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts. Denn das mit dem Begriff Institution umschriebene normativ geregelte soziale Verhalten ist Königs eigentlicher Erkenntnisgegenstand. König schießt mit seiner Kritik, die im Hinblick auf die reduktionistischen Institutionenbegriffe durchaus berechtigt ist, über das Ziel hinaus, denn er beraubt sich in seiner Ablehnung des Institutionenbegriffs ohne Not eines wichtigen erfahrungswissenschaftlichen und realistischen Deutungs- und Erklärungskonzepts der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts.
2. Institutionen- und Kulturtheorie bei Helmut Schelsky und René König Ein Vergleich der Institutionentheorie Helmut Schelskys auf der einen und der Kulturtheorie René Königs auf der anderen Seite kann die insbesondere in den Spätwerken der beiden Autoren geäußerten Divergenzen und Animositäten nicht unberücksichtigt lassen.
38 René König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 186 - 207, 197. 1*
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a) Divergenzen in der Fachgeschichtsschreibung der Soziologie Vor diesem Hintergrund muß auch die Bedeutung, die König der Institutionentheorie Schelskys beimißt, gesehen werden. Einen exemplarischen Hinweis auf Königs Sicht der Institutionentheorie von Schelsky gibt ein Zitat, in dem sich König zu der These Schelskys äußert, daß die Soziologie in Deutschland schon vor dem Nationalsozialismus in ihrer Entwicklung zum Stillstand gelangt sei. 39 Nach Ansicht Königs trieb die Entwicklung der Soziologie in Deutschland um 1933 einen neuen Zweig, der aufwies, daß die „gesellschaftlichen Ordnungen aus den inneren Verhältnissen der Menschen zueinander erwachsen, also 'ein Phänomen der Gesellschaft und nicht des Staates ' sind'. König ist der Ansicht, daß dies ein „durchaus neuer Ansatz (war), der auch hätte Früchte tragen können, was damals die Entwicklung des Nationalsozialismus verhinderte und heute durch die Institutionenlehre ehemaliger Sympathisanten mit dem Nationalsozialismus, wie Arnold Gehlen und Helmut Schelsky verdrängt wird". 4 0 Die Ablehnung des Institutionenbegriffs durch König gründet ganz wesentlich in dessen Verwendung durch einige seiner Ansicht nach besonders mit dem Nationalsozialismus akkommodierten Autoren. Er wirft ihnen vor, mit dem Begriff der Institution staatliche Macht- und Herrschaftsansprüche anthropologisch und sozialphilosophisch zu rechtfertigen. Die Ablehnung des Institutionenbegriffs gründet also zum einen in einer nach Ansicht Königs bestehenden Identifikation der Institution mit staatlicher Organisation und zum anderen in dem prominenten Stellenwert der Institution in der Soziologie und Normentheorie Helmut Schelskys, als einem nach seiner Ansicht dem Nationalsozialismus nahestehenden Autor. Die zentrale Stellungnahme Königs zu der Institutionentheorie Schelskys soll hier lediglich als Ausgangspunkt für den Vergleich der Institutionentheorien der beiden Autoren dienen. Auf eine Bewertung, ob die Thesen der beiden Autoren die Fachgeschichte der deutschen Soziologie zutreffend beschreiben, kann es im Rahmen dieser Untersuchung nicht ankommen. Das Zitat Königs gibt allerdings noch einmal Anlaß, zum einen sein Verständnis des Verhältnisses von Institution, Gesellschaft und Staat zu betrachten. Zum anderen beinhal-
j9 Vgl. zu dieser Kontroverse Helmut Schelsky, Ortsbestimmungen der deutschen Soziologie, Köln / Düsseldorf 1959, S. 36; ders., Zur Entstehungsgeschichte der bundesdeutschen Soziologie. Ein Brief an Rainer Lepsius, in: ders., Rückblicke eines 'Anti-Soziologen'. Opladen 1981, S. 11 - 69, 15; René König, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 8 14. 14: ders.. Vom vermeintlichen Ende der deutschen Soziologie vor der Machtergreifung des Sozialismus, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter. München / Wien 1987, S. 343 - 387. 40 König. Vom vermeintlichen Ende der deutschen Soziologie vor der Machtergreifung des Sozialismus (FN 39), S. 381 f.
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tet es schon einen ersten Hinweis auf eine Gemeinsamkeit in der Theorie der beiden Autoren, die darin zu sehen ist, daß beide Autoren jedenfalls nicht von einer individualistischen Konzeption sozialer Ordnungsbildung ausgehen. Denn sowohl für Schelsky als auch für König sind es die Institutionalisierung und die sich in diesem Prozeß ausformenden Institutionen, die für das spezifische Charakteristikum des Rechts, nämlich dessen genuin juridische Rationalität entscheidend sind. 41 Wegen ihres politisch-polemischen Charakters bedarf die Stellungnahme Königs einer gründlichen Überprüfung hinsichtlich ihres sozialwissenschaftlichen und kulturtheoretischen Gehalts. Wobei sich zeigen wird - um das Ergebnis an dieser Stelle schon vorwegzunehmen - , daß trotz Königs scharfer Kritik an der Institutionentheorie Schelskys beide Autoren der Sache nach einen sehr ähnlichen und insbesondere normentheoretisch durchaus kompatiblen Standpunkt vertreten, auf dessen Rekonstruktion es hier allein ankommen kann. In der vorliegenden Untersuchung kann und muß ein vollständiger Vergleich der Institutionentheorie Schelskys mit derjenigen Königs nicht erbracht werden. 42 Ein Vergleich der beiden Autoren ist aber insoweit sinnvoll, als er für ein zutreffendes Verständnis der kulturtheoretisch fundierten Normen- und Rechtstheorie Königs sehr fruchtbringend ist. Ferner liegt ein Theorievergleich schon wegen der exponierten Positionen, die von beiden Persönlichkeiten in der Soziologie und auch der Normentheorie nach dem Zweiten Weltkrieg eingenommen wurden, nahe. Ein Theorievergleich darf zwar die in den Spätwerken von beiden Autoren mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gebrachten inhaltlichen Differenzen und persönlichen Animositäten nicht gänzlich außer acht lassen. Dieser Aspekt darf aber nicht in den Vordergrund der Betrachtung gerückt werden, denn ein solches Vorgehen verstellte eher den Blick, als daß es hinsichtlich der Rekonstruktion und dem wissenschaftlichen Verständnis der Institutionen- und normentheoretischen Konzeptionen dieser beiden bedeutenden Soziologen und Normentheoretikern dienlich sein könnte. 41 René König / Wolfgang Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht", in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1967 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 11), S. 356 - 372, 373. Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vortrage zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34 - 76, 39. 42 Insbesondere hinsichtlich der hier im Vordergrund stehenden Institutionentheorie Helmut Schelskys kann mittlerweile auf umfangreiche Sekundärliteratur zurückgegriffen werden. Vgl. Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13); Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart (FN 16), S. 114 - 148: ders., Rechtssystem als Institution (FN 13); sowie Athanasios Gromitsaris, Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering. Eine Untersuchung der Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus, Berlin 1989, §5: Institutionentheorie des Rechts Helmut Schelskys und § 6: Juridische Rationalität bei Helmut Schelsky, S. 155 - 226.
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Letztlich mögen die Divergenzen der Autoren, insbesondere hinsichtlich der Darstellung der Fachgeschichtsschreibung der Soziologie in Deutschland kurz vor der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch aus ihren ganz unterschiedlichen Biographieerfahrungen herrühren. Während Schelsky in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verblieb und den Zweiten Weltkrieg in Polen und Rußland erlebte, wo er schwer verwundet wurde, 43 emigrierte René König in die Schweiz und erlebte den Beginn des Zweiten Weltkriegs in London. 44 Markante Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen im Erkenntnisinteresse der beiden Soziologen lassen sich schnell aufdecken, sofern man nur die von beiden Soziologen zitierten Autoren und deren soziologischen und normentheoretischen Positionen vergleicht. Dabei fällt insbesondere ihre enge Verbundenheit mit dem amerikanischen Pragmatismus auf. Hinsichtlich ihrer Institutionentheorien fußen beide ganz wesentlich auf einer Auseinandersetzung mit den Arbeiten Bronislaw Malinowskis und Arnold Gehlens. Auch aus diesem Grunde erscheint es angebrachter, gerade für die zutreffende Einordnung und Bewertung der jeweiligen Institutionen- und Kulturtheorie, zunächst mögliche Gemeinsamkeiten näher zu untersuchen und in einem daran anschließenden Vergleich tatsächlich bestehende inhaltliche Unterschiede im Theoriedesign sichtbar machen zu können. 45 Die Streitpunkte sollen nur kurz aufgezeigt werden. Sie geben zugleich Anhaltspunkte dafür, daß deren Ursache eben nicht in der von beiden Autoren praktizierten soziologischen Forschung zu suchen ist. Zunächst ist hier die schon oben angesprochene Auseinandersetzung zwischen König und Schelsky über das Ende der Soziologie in Deutschland vor dem Nationalsozialismus zu nennen. Während Königs Ansicht zufolge die deutsche Soziologie „um 1933
43 Vgl. dazu Werner Krawietz, Helmut Schelsky - ein Weg zur Soziologie des Rechts, in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. X I I I - LXXVIII, XV. 44 Vgl. dazu René König, Leben im Widerspruch. Versuch einer intellektuellen Autobiographie, München / Wien 1980, S. 107 - 126. 45 Vgl. dazu auch das von Dirk Baecker mit Niklas Luhmann geführte Gespräch: Wege und Umwege Deutscher Soziologie. Interview im Deutschlandfunk am 3. Dezember 1989 von Dirk Baecker und Niklas Luhmann, Bielefeld, in: RECHTSTHEORIE 21 (1990), S. 209 - 216, 210 f., in dem Niklas Luhmann darauf aufmerksam macht, daß die Väter der deutschen Nachkriegssoziologie, zu denen neben Helmut Schelsky und René König auch Arnold Gehlen, Helmuth Plessner und Theodor W. Adorno zu zählen seien, zwar keine gemeinsame Zielsetzung, jedenfalls aber eine gemeinsame Gesprächsfahigkeit zu eigen war. Luhmann bezieht sich hier insbesondere auf Schelskys Verhältnis zur Frankfurter Schule. Hinsichtlich des Verhältnisses von Schelsky und König - aber auch dem Verhältnis von König zu Gehlen - kann jedenfalls zu Beginn der Neugründung der Soziologie von einer partiell gemeinsamen Zielsetzung gesprochen werden, beispielsweise auf dem Gebiet der Familiensoziologie als ein soziologisches Lehrfach.
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brutal zum völligen Stillstand gebracht" 46 worden sei, vertritt Schelsky die Ansicht, daß die Thematik der Soziologie „zu dieser Zeit selbst am Ende war; die Melodien waren durchgespielt, die Fronten im Erstarren, und selbst die Wissenschaft hatte kaum noch neue Entwicklungskräfte in sich selbst". 47 Die unterschiedlichen Auffassungen gründen in einer unterschiedlichen Bewertung, der Tatsache, daß insbesondere die emigrierten deutschen Soziologen die deutsche soziologische Tradition nicht weiterführten. Nach Königs Auffassung war dies trotz neuer Denkansätze48 aufgrund nationalsozialistischer Bedrohung und Gewalt und des daraus resultierenden enormen Drucks nicht möglich. Die mehr oder weniger erzwungene Emigrationen deutscher Soziologen führte deshalb zu einem abrupten Ende der Soziologie in Deutschland.49 In der Folge veränderten sich die alten Traditionen sozialwissenschaftlichen Denkens in den Asylländern unter dem Eindruck der völlig neuen Verhältnisse des Emigrantendaseins und neuer kultureller Umgebungen. Schelsky hingegen sieht gerade in dem Perspektivenwechsel, d. h. den „Wandlungen der Wissenschafitsauffassungen" und „soziologischen Grundthesen" der deutschen emigrierten Soziologen ein Indiz für seine These des Endes der Soziologie vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus.50 Damit einher gehen unterschiedliche Auffassungen über die Rollen der im Nationalsozialismus in Deutschland verbliebenen Soziologen. Mit Blick auf das schon oben erwähnte Zitat ist hier die Bewertung der sogenannten51 „Leipziger Schule", insbesondere um die Wissenschaftler Hans Freyer und Arnold Gehlen von besonderem Interesse. 52 René König bezeichnet Hans Freyer als einen mit dem Nationalsozialismus akkommodierten Quasi-Soziologen.53 Er cha-
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König, Einleitung (FN 39), S. 14, im übrigen vgl. dazu FN 1. Schelsky, Ortsbestimmungen der deutschen Soziologie (FN 39), S. 37. 48 König, Vom vermeintlichen Ende der deutschen Soziologie vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus (FN 39), S. 357, spricht von einem Paradigmawechsel, der sich seit dem Dritten Deutschen Soziologentag (1922) abzeichnete. 49 Ebd., S. 356 ff., 386 f. 50 Schelsky, Ortsbestimmungen der deutschen Soziologie (FN 39), S. 37. 51 René König, Vorwort: In eigener Sache, in: ders., Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1980, S. 9 - 20, 11, betont zwar die Bedeutung Freyers in der Soziologie um 1930, hält es jedoch für fraglich, inwieweit Freyer als das Haupt einer solchen Schule gelten kann, etwa im Vergleich zu Leopold von Wiese als das unangefochtene Haupt der Kölner Schule. 52 Zur Genealogie der Leipziger Schule unter besonderer Berücksichtigung von Arnold Gehlen und Niklas Luhmann vgl. Horst Baier, Die Geburt der Systeme aus dem Geist der Institutionen, in: Helmut Klages / Helmut Quaritsch (Hrsg.), Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens, Berlin 1994, S. 69 - 74. 53 König, Soziologie in Berlin um 1940 (FN 9), S. 267; ders.. Die Situation der emigrierten deutschen Soziologen in Europa, in: Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987, S. 298 - 320, 299; ders.. Vom vermeint47
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rakterisiert Freyer als einen Jugendbewegten, der zum Nationalsozialismus „umkippt". 54 Die Einstellung Königs gegenüber Arnold Gehlen ist hingegen nicht derartig dezidiert, dessen „Entgleisungen" im Nationalsozialismus er sich, wie er selbst sagt, nicht erklären kann und den er im übrigen wissenschaftlich ernst nimmt. Schelsky relativiert die Darstellungen Königs zur Rolle von Freyer und Gehlen während des Nationalsozialismus mit nicht unbeachtlichen Gründen. 55
b) Anthropologische Voraussetzung der Institution und Kultur bei Schelsky und König Eine gemeinsame Grundposition von König und Schelsky, die für die Institutionentheorien beider Autoren von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist, liegt in der anthropologischen Fundierung ihrer Theorien. Dazu ist ein kurzer Rückgriff auf den Vorwurf Königs, daß der Institutionismus Ordnungsbildung mit staatlicher Ordnungsbildung identifiziere, nötig. König betont, daß gesellschaftliche Ordnungsbildung auch unabhängig von staatlicher Organisation möglich sei. Dazu verweist er auf die politische Theorie von Althusius, die insofern soziologisch ist, als sie von. einem „Primat der Gesellschaft vor dem Staat" ausgeht.56 Letztlich kritisiert König die Theorie von Althusius jedoch als naturrechtlich konzipiert, was jedoch nicht dazu verleiten sollte, den Wirklichkeitsbezug der Althusischen politischen Theorie des Gemeinwesens zu ignorieren. 57 Denn die Theorie des Althusius bietet den großen Vorzug, sowohl in rechts- als auch in gesellschaftstheoretischer Perspektive durchreflektiert zu sein. Und nach dem Zusammenbruch insbesondere der osteuropäischen Staatenwelt sind heute, wie Krawietz betont, vielleicht „zum ersten Mal in der langen Wirkungsgeschichte von Althusius' Gemeinschaftsdenken die sozialen Bedingungen dafür gegeben, daß seine Theorie eines genuin gesellschaftlichen
liehen Ende der deutschen Soziologie vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus (FN 39), S. 370. 54 Ebd., S. 370. 55 Ebd., S. 348, dort FN 15, mit weiteren Nachweisen. Vgl. dazu Schelsky, Zur Entstehungsgeschichte der bundesdeutschen Soziologie (FN 39), S. 11 - 70, sowie ders., Die verschiedenen Weisen, wie man Demokrat sein kann. Erinnerungen an Hans Freyer, Helmuth Plessner und andere ..., ebd., S. 134 - 160. 56 König, Vom Dreifachen Ursprung der Soziologie (FN 17), S. 41. 57 Dieter Wyduckel, Föderalismus als rechtliches und politisches Gestaltungsprinzip bei Johannes Althusius und John C. Calhoun, in: Giuseppe Duso / Werner Krawietz / ders. (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, S. 259 - 293, 266 ff., 269.
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Rechts, das den Staat nicht notwendigerweise voraussetzt", vorurteilsfrei rezipiert werden kann. 58 Zum Beleg für ein Institutionenverständnis, das nicht anerkenne, daß die gesellschaftlichen Ordnungen aus den inneren Verhältnissen der Menschen zueinander erwachsen, also „ein Phänomen der Gesellschaft und nicht des Staates" sind, 59 zitiert König auch die Verfassungstheorie von Rudolf Smend, nach dessen Ansicht der Staat nur ist, „weil und sofern er sich dauernd integriert, in und aus den Einzelnen aufbaut - dieser dauernde Vorgang ist sein Wesen als geistig soziale Wirklichkeit". 60 Auch Schelsky beruft sich auf die Verfassungstheorie Smends und hebt an der theoretischen Leistung Smends besonders dessen Betonung der Integrationsaufgabe in seiner Verfassungslehre hervor. 61 König und Schelsky verfolgen mit dem Rekurs auf die Theorie Smends jedoch unterschiedliche Erkenntnisinteressen. Während Schelsky die Integrationsleistung des modernen, regelmäßig staatlich organisierten Rechts betont, die König im übrigen nicht bestreitet, 62 kommt es König darauf an hervorzuheben, daß gesellschaftliche Ordnung den Staat nicht voraussetzt und Recht als Kultur primär ein gesellschaftliches Produkt ist, das weder auf einem zwanghaften Zusammenschluß noch auf einem freiwilligen Vertrag unverbundener Individuen beruht, dem würde Schelsky allerdings auch nicht widersprechen. Gemeinsame Grundlage der Institutionentheorie Schelskys und der Kulturtheorie Königs ist dagegen die Abkehr von allen philosophisch begründeten Anthropologien. Beide Autoren gehen davon aus, daß der Mensch von Natur aus gerade keine spezifische biologisch organische Ausstattung mitbringt, die sein Überleben von Natur aus sichert. Umgekehrt sind damit die biologischen Bedürfnisse des Menschen sehr variabel und nicht abhängig von der Befriedigung instinktiver Bedürfnisse, weshalb der Mensch nach Ansicht Königs „als Lebewesen letztlich von seiner sozialen Kultur abhängig ist, wenn er als Säuge-
58
Werner Krawietz, Assoziationen versus Staat? Normative Strukturelemente föderaler politisch-rechtlicher Gemeinschaftsbildung, in: Giuseppe Duso / ders. / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, S. 321 - 339, 338 f. 59 König, Vom vermeintlichen Ende der deutschen Soziologie vor der Machtergreifung des Nationalsozialismus (FN 39), S. 381 f. 60 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 6), S. 39 ff., 41 FN 47; Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München / Leipzig 1928, S. 20. 61
Schelsky, Über die Stabilität von Institutionen, besonders Verfassungen (FN 26),
S. 43. 62 König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 41), S. 359.
234
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
tier überleben will". 6 3 Das entspricht der von Schelsky aufgenommenen These Gehlens, die den Menschen wegen seiner Unspezialisiertheit und seiner Instinktreduktion als „Mängelwesen" charakterisiert. 64 Damit gelangen beide Autoren zu demselben Schluß, daß mit der biologischen Funktion der Institutionen diese zwar als schlechthin notwendig beschrieben sind, eine Zurechnung bestimmter Institutionen zu bestimmten Antrieben aber unmöglich ist. 65 Tatsächlich handelt es sich also gar nicht um eine Anthropologie - jedenfalls nicht im überkommenen philosophischen Sinne - , die nach den Entstehungsgründen und Ursachen der Institutionen außerhalb der Gesellschaft sucht, sondern um eine Nicht-Anthropologie, die die Institution und deren Entstehung in der Gesellschaft selbst verankert sieht. Schelsky und König fragen nicht nach dem außergesellschaftlichen oder natürlichen Ursprung von Kultur und Institution, sondern stellen unter Rekurs auf das Konzept von Bronislaw Malinowski auf deren Funktionen ab. 66 Beide warnen jedoch vor einem vitiösen Zirkel, der entsteht, wenn Funktion und Nutzen der institutionellen Bedürfnisbefriedigung verwechselt und fälschlich identifiziert werden. Ein Fehler, der auch Malinowski unterläuft, obwohl er explizit auf das Fehlen einer „point-for-point-relation" zwischen biologischem Bedürfnis und institutioneller Reaktion hinweist. 67 Es muß vielmehr streng unterschieden werden zwischen der institutionellen Bedürfnisbefriedigung und ihren Leistungen einerseits und den biologisch anthropologischen Grundbedürfnissen andererseits. 68 Erkenntnisgewinn ist jedenfalls nicht möglich, wenn die Bedürf63 René König, Artikel Biosoziologie, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 48 - 53, 53. 64 Helmut Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz in der Rechtssoziolgie, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Planung und Institution, Opladen 1980, S. 95 146, 113 ff. Arnold Gehlen, Ein Bild vom Menschen, in: ders., Anthropologische Forschung, Reinbek 1961, S. 44 - 54, 46 f.; ders., Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 12. Aufl., Wiesbaden 1978, S. 33; ders., Über einige Kategorien des entlastenden, zumal des ästhetischen Verhaltens, und: Über die Verstehbarkeit von Magie, beide in: ders., Arnold Gehlen. Studien zur Anthropologie und Soziologie, hrsg. von Heinz Maus / Friedrich Fürstenberg, Neuwied 1963, S. 64 - 78, 67 f. und S. 79 - 92, 82 f. 65 Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz in der Rechtssoziolgie (FN 64), S. 115. 66 Bronislaw Malinowski, Die Funktionaltheorie, in: ders., Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Aufsätze, Zürich 1949, S. 20 - 44, 30. 67 Bronislaw Malinowski, Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur, in: ders., Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Aufsätze, Zürich 1949, S. 45 - 170, 122 f., 139 ff.; René König, Gesellschaft und Kultur. Bronislav Malinowski, Alfred R. Radcliffe-Brown, Lucien Lévy-Bruhl, Nobert Elias, in: Kurt Fassmann (Hrsg.), Kindler Enzyclopädie. Die Großen der Weltgeschichte, Bd. 11: Einstein - King, Zürich 1978, S. 641 - 651,643. 68 Vgl. dazu § 6 Ziff. 1 a. E.
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
235
nisse aus den Leistungen der Institutionen erschlossen werden, um diese dann als Bedürfnisse des Menschen in dessen Natur zu projizieren. 69 König und Schelsky sind sich darüber einig, daß die Kultur nicht homogen ist und nicht jeweils ein institutionelles Muster genau auf ein Bedürfnis reagiert. Das erfordert eine funktionale Betrachtungsweise, in der das Kausalschema zwar nicht fallengelassen werden kann, aber zu einem Anwendungsfall funktionaler Ordnung wird. 7 0
c) Institutioneller
Wandel
Für König und Schelsky liegen in diesem Bedürfnis-Institutionen-Aufbau der Kultur, kultur- bzw. institutionentheoretisch betrachtet, die Voraussetzungen des sozialen Wandels begründet. 71 Schelsky beschreibt diesen Wandel an einem sich selbst reproduzierenden Kreislauf von Bedürfnis und Institution auch für den Bereich der Technik und anderer Artefakte, bei denen neue technische Erfindungen auch neue kulturelle Bedürfnisse nach sich ziehen.72 Voraussetzung und Ausgangspunkt allen sozialen Wandels ist für Schelsky die institutionelle Stabilität.73 Für König liegt es „im Wesen der Institution beschlossen, daß sie nicht nur über dem Wandel Beharrungsvermögen beweist, sondern daß sie überdies innerlich nur schwer beweglich ist", ohne daß König deshalb ein statisches Institutionenverständnis zugrunde legen würde. Dieses Beharrungsvermögen begründet König insbesondere mit der Funktion der „zentralen Institutionen einer Gesellschaft". Da sich in ihnen „zentrale Bedürfnisse einer Gesellschaft niedergeschlagen (haben), besteht auch ein feststehendes und intensives Interesse, ein 'vested interest', bestehende Institutionen nicht zu verändern". 74 Daraus folgt nicht, daß die Institutionen unveränderlich seien, denn ihre Funktion der Befriedigung sozialkultureller Bedürfnisse können sie freilich nur 69
König, Gesellschaft und Kultur (FN 67), S. 643; so auch Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 47 f. 70 Niklas Luhmann, Funktion und Kausalität, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 1 : Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, 4. Aufl., Opladen 1974, S. 9 - 30, 16 ff. 71 Vgl. dazu § 6 Ziff. 1. König, Gesellschaft und Kultur (FN 67), S. 643 f. 72 Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, in: ders., A u f der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf / Köln 1965, S. 439 - 480. Die darin liegende Bedeutung Schelskys für eine Kultursoziologie des Rechts betont Michael Bock, Neues von der Kultursoziologie des Rechts? Kritische Anmerkungen zu Werner Gepharts "Kulturelle Aspekte des Rechts - Vom Klassen- zum Kulturparadigma?", In: Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 ( 1991 ), S. 147 - 151, 150. 73 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 50 f. 74 König, Der Mensch aus der Sicht des Soziologen (FN 2), S. 42.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
dann erfüllen, sofern sie in der Lage sind, sich veränderten Lebensbedingungen in einer gegebenen Gegenwartsgesellschaft anzupassen. Es besteht also die paradoxe Situation, daß die Institutionen auf der einen Seite eine hinreichende Stabilität gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen erlangen müssen, soweit sie Orientierungsgewißheit in der Vielfalt möglicher Handlungsweisen gewährleisten sollen. Auf der anderen Seite können sie diese Orientierungsgewißheit aber nur erhalten, soweit sie in der Lage sind, hinreichend rasch auf veränderte Handlungsmöglichkeiten zu reagieren und den veränderten Verhältnissen mit entsprechenden Problemlösungsmechanismen Rechnung zu tragen. Dieser paradoxe Sachverhalt entwickelt sich gleichsam zum Motor des Wandlungsprozesses trotz eines vorausgesetzten stabilen Zustands. Er gelangt in den Blick, wenn der als Verspätung kultureller Teilbereiche erscheinende Anpassungsdruck focussiert wird, der entsteht, wenn institutionelle Leistungen im Falle technischen Wandels und Fortschritts nicht mehr bedürfnisadäquat sind und angepaßt werden müssen.75 Daraus folgt auch, daß der soziale Wandel zuallererst durch Anpassungen der Institutionen an durch diese selbst erzeugte Bedürfnisse initiiert wird.
d) Familie als sozialkulturelle
Institution
All diese Eigenschaften der Institution und des institutionellen Handelns werden besonders deutlich an der Institution Familie, die sowohl ein wesentlicher Gegenstand der Forschungen Schelskys als auch derjenigen Königs ist, so daß ein Vergleich der Konzepte Übereinstimmungen und Unterschiede sichtbar macht. Ein erster Unterschied zeigt sich darin, daß König die Familie kategorial zunächst aus einer gruppentheoretischen Perspektive untersucht. Schelsky stellt sehr zutreffend fest, daß der Aspekt der Familie als Institution aus diesem Grunde zwar nicht expressis verbis, „sachlich jedoch ausführlich belegt wird". 7 6 Dieses eigentümliche Zusammengehen der Gruppentheorie Königs und der Institutionentheorie Schelskys ist bemerkenswert, wenngleich bei näherem Zusehen nicht überraschend, denn die Konzepte überschneiden sich notwendig, so daß es sich letztlich nur um eine unterschiedliche façon de parier handelt.77 In den modernen ausdifferenzierten Gesellschaften sind es nach Kö-
75
Vgl. dazu § 6 Ziff. 1. Helmut Schelsky, Die Aufgaben der Familiensoziologie in Deutschland. (Zu René König: Materialien zur Soziologie der Familie), in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1 (1949 / 50), S. 218 - 247, 237. 77 Helmut Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, 5. Aufl., Stuttgart 1967, S. 27, 29. 76
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
237
nig „intermediäre Gruppen", die die Einbindung der Person in die Gesellschaft ermöglichen. Sie erfolgt in der Gruppe durch die Orientierung an sozialkultu78
rellen Normen, die zuallererst deren Integration ermöglichen. Die Gruppe ist in der Theorie Königs, wie die Institution in der Theorie Schelskys, auf Dauer, Kontinuität und Stabilität gerichtet. Erreicht und gewährleistet werden diese Merkmale in der Königschen Konzeption durch die Einrichtung „komplexer institutionalisierter Rollenintegrate". Diese bestehen aus der Position oder dem Status und den daran anknüpfenden Rollenerwartungen und dem anschließenden tatsächlichen Rollenverhalten, 79 durch die sich die spezifisch ausdifferenzierten Institutionen politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher, religiöser und pädagogischer Art verwirklichen. 80 Am Beispiel der Familie legt König das Verhältnis zwischen sozialkultureller Institution und formeller Positivierung der Institution im und durch das staatlich organisierte Rechtssystem dar. Das betrifft zum einen das Verhältnis von Familie und Staat in entstehungsgeschichtlicher und evolutionstheoretischer Perspektive, an dem deutlich wird, daß der Staat eine späte evolutionäre Errungenschaft ist, mit dessen Hilfe sich das Recht organisiert und dessen Entstehungs- und Geltungsbedingungen deshalb nicht zureichend erfaßt werden können, soweit zu ihrer Deutung und Erklärung lediglich auf das staatliche Recht abgestellt wird. Zum anderen läßt sich am Verhältnis von Familie und Staat aber auch der Funktionswandel und die sich damit wandelnde strukturelle Bedeutung der sozialkulturellen Institution Familie sowohl in der sozialen Wirklichkeit als auch der Rechtswirklichkeit besonders gut untersuchen. In seinen umfangreichen und umfassenden Untersuchungen zur Institution Familie beschreibt König den Funktionswandel der Familie von einer allgemeinen Lebensform mit multifunktionalem Charakter hin zu einer Institution, die nur noch eine ganz spezifische sozialkulturelle Funktion erfüllt. König untersucht den Funktionswandel der Institution Familie, den diese insbesondere mit und nach der Entstehung staatlicher Organisationsstrukturen erfahren hat. In dessen Verlaufhat sich die Institution Familie zu einem reinen Soziabilisierungs- sowie Sozialisations- und Enkulturationssystem gewandelt. Dabei ist sie ganz wesentlich durch die Entstehung und Wirkung von staatlichen Organisationsstrukturen beeinflußt worden. Diese Beeinflussung manifestiert sich nach Königs Ansicht am heutigen - allerdings nur vorläufigen - Ende des Wandlungsprozesses in einer umfassenden „Fürsorgepflicht des Staates" 78 René König, Artikel Gruppe, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 112 - 119, 113. 79 König, Artikel Institution (FN 1), S. 144 f. 80 Emilio Willems, Artikel Primitive Gesellschaften, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 246 253, 248.
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für die Familie, dem durch ein umfangreiches „Gesetzgebungswerk" des direkten und indirekten Familienschutzes Rechnung getragen wird. Dabei hat der Staat die „Funktionen auf sich konzentriert ..., die früher die Familie von sich aus leisten konnte". 81 Während der Familie insbesondere in prästaatlichen aber nicht nur in solchen - Gesellschaftsformen eine Vielzahl von Aufgaben zukommt, hat sie in der modernen funktional-differenzierten die ursprüngliche Vielzahl ihrer Aufgaben verloren, wobei sie jedoch - wie König formuliert „ihre eigenste nur noch familiale Funktion fand, nämlich außer der Fortpflan82
zung den Aufbau der sozialkulturellen Person". Diese Aufgaben kann die Familie aber nur erfüllen, soweit sie von ihren ursprünglich anderen Funktionen entlastet ist. Eine besondere Rolle spielt hierbei der Schutz der Familie als primäre Soziabilisierungs- und Sozialisationseinrichtung durch das staatlich organisierte Rechtssystem, der sich in den verschiedenen Leistungs- und Schutzgesetzen (Zahlung von Kinder- und Erziehungsgeld, Regelungen des Mutterschutzes, Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rentenversicherung usf.) niederschlägt. Aber auch der an das formale staatliche Recht gebundene Institutionenschutz der Familie steht unter dem Anpassungsdruck veränderter sozialkultureller Bedingungen. Es wird mithin immer schwerer für den staatlichen Gesetzgeber, den Familienschutz an biologische Tatbestände zu knüpfen. Mit den Möglichkeiten der modernen Medizin, insbesondere der künstlichen Insemination und der Invitrofertilisation ist es eben nicht mehr, wie noch zu Zeiten der großen familiensoziologischen Untersuchungen Königs, eine „Banalität", daß es sich bei der Familie selbstverständlich auch um eine Fortpflanzungsgemeinschaft handelt. Hier wird ganz deutlich, daß die Familie keinesfalls eine Reaktion des Menschen auf nur natürlich biologische Bedingungen und Bedürfnisse ist, die mehr oder weniger zwangsläufig die normativen Inhalte der Institution bestimmen. Im Gegenteil: Die biologischen Bedingungen sind ihrerseits immer schon sozialkulturell geprägt und werden durch das Recht ihrerseits nochmals einer Normierung unterworfen. 83 König und Schelsky betonen deshalb, daß die rechtliche Regelung für den Familien-
81 René König, Staat und Familie in der Sicht des Soziologen, in: Der Schutz der Familie. Untersuchungen zu Artikel 6 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Hannover 1966, S. 53 - 70, 67, 68. 82 René König, Die Familie der Gegenwart, 3. Aufl., München 1978, S. 71; ders., Artikel Familie, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 69 - 81, 78. 83 Zur Problematik, die die Möglichkeit der heterologen Insemination im Familienrecht im Bereich der Feststellung der Ehelichkeit des Kindes, der Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes und der Unterhaltspflicht für ein auf diesem Wege gezeugtes Kind mit sich bringt, vgl. z. B. die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH), Urteile vom 3.5.1995 - X I I ZR 29 / 94 - und - X I I ZR 89 / 94 -, in: Monatsschrift für Deutsches Recht 49 (1995), S. 712-715.
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
239
verband ein entscheidenderes Kennzeichen ist als die biologische oder funktionelle Zuordnung. 84 Umgekehrt betonen beide Autoren aber die soziologisch eigengesetzliche Entwicklung der Familie, die sich zwar durch rechtliche Regelungen beeinflussen läßt, diese Beeinflussung aber nicht notwendig gemäß der irrationalen weltanschaulichen Begründung und Propaganda der staatspolitischen und staatsegoistischen Zielsetzung funktioniert. 85 Im übrigen bedeutet die Betonung der rechtlichen Formung der Familie durch Schelsky nicht, daß diesem ein naturrechtliches Denken oder rechtspositivistisches Verständnis zugrunde liegt. Zum einen ist die Familie evolutionsgeschichtlich wesentlich älter als der Staat. Zum anderen sind es nach Schelsky auch nicht die Individuen, die sich zu Institutionen verbinden, da Menschen als solche keine Institutionen bilden. 86 Dementsprechend hebt Schelsky an den familiensoziologischen Untersuchungen die Feststellung Königs, daß das subjektive persönliche Gemeinschaftsverhältnis eben nicht als Grundlage der Familie und Ehe verstanden werden kann, besonders hervor. 87 Auch nach Schelskys Auffassung ist es die „vorgegebene Existenz der Gruppenordnung und -struktur, die die Art der Intimitätsverhältnisse dieser Gemeinschaften [der Ehe und Familie, Κ. V.] prägt". 88 Gegenüber der Institutionentheorie ist Königs Naturrechtsvorwurf deshalb nicht gerechtfertigt. Soweit Königs Kritik der Institution einen normativistisch reduktionistischen Institutionenbegriff zugrunde legt, der zudem auf der naturrechtlichen Vorstellung basiert, daß durch Institutionen isoliert vorgestellte einzeln handelnde Individuen erst sekundär zu einer Gesellschaftsordnung verknüpft werden, kann festgestellt werden, daß diese Kritik den Neuen Institutionalismus Helmut 89
Schelskys jedenfalls nicht trifft.
3. Rolle, Status und Freiheit der Person bei René König Der Sache nach ähnelt Königs Kritik am Institutionenbegriff, soweit er diesen reduktionistisch als bloße normative Struktur und nicht auch als Handlungssystem begreift, derjenigen von Niklas Luhmann. Nach dessen Ansicht bestehen Institutionen im Unterschied zu sozialen Systemen nicht aus fakti84
Schelsky, Die Aufgaben der Familiensoziologie in Deutschland (FN 76), S. 238. Ebd., S. 246. 86 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 76. 87 Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart (FN 77), S. 26. 88 Ebd., S. 26. 89 Vgl. Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 72, mit dem Nachweis, daß gerade für Schelsky Institutionen auch Handlungssysteme sind. 85
240
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
sehen Handlungen und sind keine empirisch aufweisbaren Handlungszusammenhänge, sondern nur normativ vorgestellt und erst im Zusammenhang einer sozialen Rolle aktuell. Luhmann glaubt, auf den Begriff der Institution verzichten zu können. Er plädiert für eine Ersetzung des Institutionenbegriffs durch den des sozialen Systems und fordert, statt statisch von Institutionen nur noch von Institutionalisierungen zu sprechen. 90
a) Institutionelles
Muster und konkretes Rollenverhalten
Auch König ist der Ansicht, daß der Begriff der Institution keine kategoriale Qualität besitzt. Er sei deshalb weiter auflösbar, so daß in ihm die kategorialen Grundunterscheidungen der Soziologie wiederkehren müßten, das seien insbesondere die von Rolle und Status.91 Erst auf der Basis dieses Begriffsinstrumentariums sei es möglich, nicht allein nur auf den normativen Aspekt der Institution abzustellen, sondern auch den notwendigen Handlungsbezug der Institution zu focussieren. Mit dieser Auffassung steht er jedoch nicht in Widerspruch zu der Institutionentheorie Helmut Schelskys, die die faktische Wirksamkeit institutionell geprägten sozialen Handelns nicht nur in den Vordergrund der Betrachtung rückt, sondern zeigt, daß Institutionen Kommunikations- und Handlungssysteme sind. 92 Diesen Aspekt blendet König in seiner Definition der Institution zumindest begrifflich aus, wenn er sie als die „Art und Weise wie Dinge getan werden müssen" definiert. König rekurriert zur Deutung und Erklärung institutionalisierten Sozialverhaltens auf seine kategorialen Unterscheidungen von Kultur, Gesellschaft und
90 Niklas Luhmann, Institutionalisierung, Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft, in: Helmut Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, 2. Aufl., Düsseldorf 1973, S. 2 - 41, 28. Im übrigen hält Luhmann, Die Universität als organisierte Institution, in: ders., Universität als Milieu. Kleine Schriften, hrsg. von André Kieserling, Bielefeld 1992, S. 90 - 99, 98, den Organisationsbegriff für eine sozialwissenschaftliche Beschreibung für angemessener als den Institutionenbegriff, den er für vergleichsweise unzulänglich spezifiziert hält. Weiter zieht auch Luhmann eine bemerkenswerte Parallele zum Naturrecht: "Nachdem schon das Naturrecht und seine naturalen Formenkonstanten unter dem Druck der Zeitverhältnisse aufgegeben werden mußten, scheint dasselbe Schicksal auch die Ersatzvorstellung der Institution zu ereilen." Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 71 FN 23, macht dagegen darauf aufmerksam, daß dieses Institutionenverständnis nicht das von Helmut Schelsky sei, sondern auf Maurice Hauriou zurückgeht und sich bei Mary Douglas, Wie Institutionen denken, Frankfurt a. M. 1991, S. 81 f., wiederfinde, wonach jede etablierte Institution in der Lage sei, ihren Legitimitätsanspruch nötigenfalls durch eine Übereinstimmung mit der Natur der Welt zu begründen. 91 König, Artikel Institution (FN 1), S. 143. 92 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 72.
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des R e c h t s 2 4 1
Person, wobei die Kultur durch das Rollenhandeln von Personen in den sozialen Systemen der Gesellschaft verwirklicht wird. Die Begriffe Gesellschaft, Kultur und soziales System sind jedoch zu allgemein und wenig differenziert. 93 Sie allein ermöglichen sicherlich kein zureichendes Verständnis der hochkomplexen, primär funktional ausdifferenzierten Gesellschaften. Wie König sehr zutreffend feststellt, muß wegen der Vielfältigkeit der tatsächlich gelebten normativen Orientierungen von einer entsprechenden Vielzahl nicht selten konfligierender (Sub-)Kulturen ausgegangen werden. Die kulturellen Orientierungen entstehen zwar ständig neu und spontan, aber nicht auf einer tabula rasa, sondern sind regelmäßig an - zumindest als bekannt unterstellten - Mustern orientiert, d. h. institutionalisiert, ζ. B. in der Form religiöser, wirtschaftlicher, politischer und auch rechtlicher Institutionen. Die Institutionen werden zu einem nicht geringen Teil nochmals durch formales staatliches Recht konditioniert. König spricht in diesem Zusammenhang von 'Überwölbung', selbstverständlich ohne damit an die marxistische Terminologie vom Oberbau' anknüpfen zu wollen. 94 Hier könnte gerade eine kulturtheoretisch fundierte Normentheorie durch das Konzept der Institutionentheorie ergänzt werden, soweit es auf einem soziologisch fundierten Institutionenverständnis basiert, das die Institutionen „sowohl als normative Interaktionsmuster als auch als soziale Handlungssysteme, die mit eigener formaler / informaler Organisation ausgestattet sein können aber nicht müssen", begreift. 95 So formuliert, erfüllt die Institution genau die Ansprüche der Königschen Kulturtheorie, deren erste Voraussetzung die Verwirklichung der Kulturmuster im sozialen Handeln ist. Tatsächlich sucht König diese handelnde Bezugnahme mit der soziologischen Rollentheorie darzustellen und damit den Begriff der Institution aufzulösen. Dieses Vorgehen ist sicherlich nicht zureichend, wenn man - wie Röhl vorschlägt - allein die konkreten, in der Institution selbst handelnden Individuen mit Mitteln der empirischen Sozialforschung zu analysieren sucht.96 Zum einen müssen es nicht notwendig - juristisch formuliert - natürliche Personen sein, die in und durch die Institutionen als Handelnde adressiert werden; dies können auch juristische Personen, also Organisationen sein. Zum anderen können die Personen als solche der Institution nicht vorausgesetzt und gegenübergestellt gedacht werden. Ob ein Verhalten als personales Handeln ei-
93
Krawietz, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart (FN 16), S. 130 FN 96. 94 König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 6), S. 263. 95 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 171. 96 Klaus F. Röhl, Institutionentheoretische Ansätze und institutionelles Rechtsdenken, in: Gerhard Göhler / Kurt Lenk / Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, S. 357 380, 367 f. 16 Vcddcler
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
ner - natürlichen - Person bestimmt werden kann, orientiert sich nach den kulturell zulässigen Mustern der Institution und nicht umgekehrt. In diesem Sinne formuliert König eine Umkehrung des Entlastungsgedankens, der an die anthropologische Funktion der Institutionalisierungen und Institutionen anknüpft. Dieser beruht darauf, daß Institutionen als ein teilweiser Ersatz des Instinktverhaltens gedeutet und erklärt werden können. Sie bedeuten Entlastung, indem sie bestimmte Entscheidungen vorwegnehmen können und verwirrende Eindrücke ordnen helfen, weil in ihnen die möglichen Formen des Handelns und Erlebens schon vorselegiert sind. Umgekehrt läßt sich dann mit König formulieren, daß „wir Institutionen nicht 'machen' können, sondern ihnen 'folgen' müssen". In diesem Sinne kann die Person als Handelnder in einer Institution dieser nicht als Mitglied angehören, wie etwa einer Organisation, „man ist ihr vielmehr unterworfen". 97 Daraus folgt jedoch weder eine ausweglose Determination des Handelns selbst noch eine strukturelle Unfreiheit. Gerade die Institutionalisierung des Rechts ermöglicht bewußtes Zweckhandeln und 98
eine zwar an (Spiel-)Regeln Lebensgestaltung. b) Institutionalisierung
gebundene, aber nicht ausweglos determinierte
des Rechts als bewußtes Zweckhandeln
Sowohl für Schelsky als auch für König ist Recht stets bewußte Regelung und Gestaltung sozialer Beziehungen durch freies und bewußtes Zweckhandeln. Werner weist darauf hin, daß diese Definition nicht so zu verstehen sei, daß „jedes auf soziale Regulierung gerichtetes Zweckhandeln eine rechtliche Entscheidung sein muß. Vielmehr ist das Recht bloß eine, wenn auch vielleicht die exponierteste Möglichkeit sozialer Normierung." 99 Das entspricht genau der These Königs, wonach das Recht ein sozialkulturelles Normensystem neben anderen ist, dessen Normen - wie König formuliert - jedoch eine „ganz besondere Bedeutung für das Ganze der Gesellschaft haben", gleichwohl nicht völlig isoliert und enthoben von anderen betrachtet werden können. 100 Allerdings unterscheiden sich die Positionen Schelskys und Königs darin, daß Schelsky Sitte und Brauchtum als bloße Gewohnheiten nicht zum Bereich des bewußten Zweckhandelns zählt und deshalb auch nicht zu den sozialen Normen zugehörig ansieht. Dahingegen bezeichnet König Sitte und brauchtümliche Regelungen als geradezu exemplarisch für sozialkulturelle Normen außerhalb des
97
König, Artikel Institution (FN 1), S. 146. Vgl. § 5 Ziff. 3. 99 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 43. 100 König, Artikel Recht (FN 37), S. 257. 98
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
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Rechts, allerdings ohne deshalb einem Behaviorismus zu verfallen. 101 Denn durch die kulturtheoretische Fundierung seiner Normentheorie kann König auch bloße Verhaltensgewohnheiten als sinnhafte Selektion aus anderen Verhaltensmöglichkeiten ausweisen, die gegenwärtig nicht mehr als Handeln erlebt, sondern als Erleben behandelt werden und sich gerade darum vom Recht unterscheiden, ohne dadurch ihren normativen Charakter ganz und gar zu verlieren. 102 Sitte, Brauch u. ä. dürfen nach König nicht mit institutionellen Mustern identifiziert werden, denn die Institutionen entfalten sich seiner Ansicht nach in „Normen und Normenaggregaten eigener Natur, die von denen des Rechts, wie auch von denen des Brauchs, der 'folkways' und der Sitte unterschieden sind". 103
c) Institutionelle
Ordnung und Freiheit der Person
Auf den Zusammenhang von institutioneller Ordnung und Einzelhandeln, wobei letzteres im strengen Sinne als originär individualbewußt gelenktes Handeln nicht vorkommen kann, da, sofern man auf den einzelnen Menschen abstellen will, dieser immer nur als sozialkulturelle Person handeln kann, die einen umfangreichen Enkulturations- und Sozialisationsprozeß durchlaufen hat, hat König schon in seiner Habilitationsschrift hingewiesen. Dort heißt es: „In dieser objektivierten Form als Institution wirkt die ursprüngliche Offenbarkeit vom Sinn sozialen Handelns wieder zurück auf das Bewußtsein des vergesellschafteten Menschen." 104 An dieser Stelle finden sich bemerkenswerte Parallelen zum Werk Schelskys. Zum einen spricht König vom vergesellschafteten Menschen als der sozialkulturellen Person. Es geht ihm also ebenso wie Schelsky - wie noch ausfuhrlich darzulegen ist - nicht um den Menschen 'an sich'. Zum anderen geht es König mit der Konzeption der Rolle um eine Verbindung eines universalistischen mit einem individualistischen Theoriekonzept, mit dem die Nachteile aufgefangen werden können, die entstehen, wenn einseitig entweder für einen individualistischen oder einen universalistischen Ansatz optiert wird. Diese Probleme zeigen sich nach Schelsky für beide Ansätze in der Tendenz des Umschlagens in die Problematik des jeweils anderen. Die Komplementarität der Ansätze führe, je nachdem welcher Ansatz bevorzugt wird, zu antagonistischen
m König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 38), S. 192. 102 Vgl. dazu § 1 Ziff. 3. 103 König, Artikel Institution (FN 1), S. 143. 104 Vgl. dazu § 3 Ziff. 3. König, Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie (FN 6), S. 263. 16*
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
Problem- und Kategoriesystemen. 105 Universalistische Theorien neigen dazu, Probleme der Ordnung, Institution und Integration in den Vordergrund zu rücken, wohingegen individualistische Theorieansätze Probleme der Freiheit, des Konflikts und des Bewußtseins betonen. Nach Schelsky kommt es aufgrund der unterschiedlichen Systemansätze zu endlos diskussionsfähigen, aber letztlich nicht lösbaren sozialwissenschaftlichen Problemstellungen. Exemplarisch nennt er das Verhältnis von Integration und Konflikt, Individuum und Gemeinschaft oder von Freiheit und Ordnung. Insbesondere die beiden letzten antagonistischen Problemstellungen sucht König durch den Rekurs auf die Rollentheorie aufzulösen. 106
d) Kritik des 'homo sociologicus ' König geht es wie Schelsky um die Ausarbeitung eines zwischen der Institution und dem Gesellschaftssystem auf der einen und der sozialkulturellen Person auf der anderen Seite vermittelnden Standpunkts.107 Als empirische Tatbestände begriffen sind die Antinomie von Individuum und Gesellschaft für König und für Schelsky ein falsch gestelltes Problem. 108 Die Auffassungen der beiden Autoren unterscheiden sich dahingehend, daß Schelsky in Abgrenzung zur rein soziologischen Rollentheorie zwei Ebenen der Personenkonstitution unterscheidet. Ihm geht es um die „Durchleuchtung jener Fachabstraktionen durch eine reflektierende Abstraktion dessen, was vom Menschen nicht in die vergegenständlichten Strukturen der empirisch-analytischen Denkebenen eingeht". 109 Es handelt sich also um die die bloß soziologische Analyse transzen-
105 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 81 FN 12. Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie (FN 64), S. 98. 106 Allgemein zu den möglichen Konzeptionen von Rollentheorien vgl. Ursula Coburn-Staege, Der Rollenbegriff. Ein Versuch der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum, Heidelberg 1973, zum 'homo sociologicus' S. 30 ff. 107 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 76, die auch auf die unzutreffende Auffassung von Wolfgang Lipp, Institution, Reflexion und Freiheit - Wege in Widersprüche. Helmut Schelskys Institutionenlehre. in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 78 - 95. 81 f f , aufmerksam macht, der Schelskys Position insoweit als widersprüchlich bezeichnet. 108
Schelskv, Ortsbestimmungen der deutschen Soziologie (FN 39), S. 105 ff. Vgl.
§2. 100
Ebd.. S. 107.
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
245
dierende, nach der Funktion der soziologischen Fachabstraktionen fragende Richtigstellung der Antinomie von Individuum und Gemeinschaft. 110 Schelsky wirft König vor, durch seine soziologische Definition der Person als Produkt eines Enkulturations- und Sozialisationsvorgangs, durch den der Mensch zum Mitglied einer Gesellschaft und einer Kultur werde, den Menschen zur Lösung gewisser Probleme zum homo sociologicus zu reduzieren und nicht zu berücksichtigen, daß der Mensch lebenspraktisch gesehen vor der Aufgabe stehe, „hinter" der Vielzahl der Rollen die Einheit der Person zu gewinnen und zu bewahren. 111 Schelsky verkennt dabei freilich, daß es König durch seinen genuin kulturtheoretischen Zugang gerade um die Lösung dieses Problems geht. Denn der ich-los geborene Mensch 112 bekommt durch Soziabilisierung, Sozialisation und Enkulturation - wie oben bereits ausführlich dargelegt - zuallererst die Möglichkeit, ein eigenes Ich im Lebensprozeß zu entwerfen. l b Anhand der durch die Sozialisation und Enkulturation erworbenen Maßstäbe lernt er, sein Leben selbst zu führen und seine Individualität als Person durch das soziale Miteinander zu gewinnen, indem auf seine Selbstdarstellung entweder durch Konsens oder Dissens eingegangen wird 1 1 4 oder im Falle einer fehlenden Enkulturation die Selbstdarstellung als solche nicht wahrgenommen werden kann und er von der Gesellschaft ignoriert wird. Die genau umgekehrte Position vertritt Ralf Dahrendorf in seiner Schrift Homo Sociologicus, in der er den wirklichen Menschen als Träger sozialer Rollen versteht, durch die die Gesellschaft zum Ärgernis wird und die er dem „wirklichen Menschen der Alltagserfahrung" gegenüberstellt. 115 Von diesem wirklichen Menschen - verstanden im Sinne des „'ganzen Menschen' der Alltagserfahrung" - behauptet Schelsky ganz zu Recht, daß er sich überall, wo er in den Wissenschaften auftaucht, als eine Fiktion und einen modernen wissenschaftlichen Aberglauben entlarven würde. 116 König hingegen kritisiert an der Position Dahrendorfs vor allem die Unterstellung, daß „Philosophie und Ethik die Alltagserfahrung wiedergeben, während demgegenüber einzig die Soziologie künstlich sei. Das ist natürlich eine totale Verdrehung der Tatsachen; denn 110
Ebd., S. 106. Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977, S. 385. 112 Helmut Schelsky, Erfahrungen vom Menschen. Was ich von Bürger-Prinz gelernt habe, in: ders., Rückblicke eines "Anti-Soziologen", Opladen 1981, S. 109 - 126, 117. 1,3 Vgl. dazu §3. 114 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 97. 115 Ralf Dahrendorf Homo Sociologicus: Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, in: ders., Pfade aus Utopia. Zur Theorie und Methode der Soziologie, 4. Aufl., München 1986, S. 128 - 194, 133, 194. 116 Schelsky, Ortsbestimmungen der deutschen Soziologie (FN 39), S. 107. 111
246
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
vom Menschenbild aus gesehen - die Soziologie nimmt ihren Ausgang von der Alltagserfahrung im Gegensatz zu Philosophie und Ethik, die am intelligiblen Menschen und gerade nicht an der Wirklichkeit interessiert sind." 117 Im Prozeß der Sozialisation verliere sich der Mensch, so Dahrendorf, indem „Freiheit und Individualität in der Kontrolle und Allgemeinheit sozialer Rollen aufgehoben wird". Die neu entstehende einzigartige Persönlichkeit wird „am Ärgernis der Welt" durch die Ausübung von Zwang und Sanktion gestaltet. Die sozialen Rollen sind ein „Zwang, der auf den einzelnen ausgeübt wird", denn der „Charakter von Rollenerwartungen beruht darauf, daß die Gesellschaft Sanktionen zur Verfügung hat, mit deren Hilfe sie die Vorschriften zu erzwingen vermag". 118 Die Unzulänglichkeiten einer zwangs- und sanktionstheoretischen Normenund Rechtstheorie wurden schon oben ausfuhrlich dargelegt. 119 Deshalb soll auf die zwangs- und sanktionstheoretische Fundierung der Rollentheorie Dahrendorfs hier nicht näher eingangen werden. Die Charakterisierung der Rollenerwartungen als auf Zwang und Sanktion gestützt, ist jedoch symptomatisch für eine Auffassung, die - wie König zutreffend bemerkt - „einfach dekretiert, daß Rolle und Sozialisierung die Entfremdung und Entpersönlichung des Individuums bedeuten und Sanktionen der Motor der Gesellschaft sind", womit schließlich ein „neuer Gegensatz postuliert wird zwischen einer vermeintlich 'wahren' Natur des Menschen und seiner gesellschaftlichen Selbstdarstellung". Worin wie König apodiktisch formuliert - jene „alte Entgegensetzung zwischen Individuum und Gesellschaft noch ein letztes Mal zum Zuge (kommt), die früher in
117
René König, Freiheit und Selbstentfremdung in soziologischer Sicht, in: Freiheit als Problem der Wissenschaft. Abendvorträge der Freien Universität Berlin im Winter 1961 / 62, Berlin 1962, S. 25 - 41, 36. 118 Dahrendorf, Homo Sociologicus (FN 115), S. 164, 146. Ferner sei hier bemerkt, daß Dahrendorf - anhand der hier exemplarisch zusammengestellten Zitate - von seiner dargestellten These der Gegenüberstellung von autonomem Individuum und Gesellschaft abgewichen ist. Er bezeichnet sie selbst als folgenschweren Irrtum, weil sie die Bedeutung von Institutionen theoretisch wie praktisch mißverstanden hat. Es kommt im vorliegenden Zusammenhang auch nicht in erster Linie darauf an, die These Dahrendorfs einer umfassenden Kritik zu unterziehen, sondern auf die von König an der Dahrendorfschen These geübten Kritik, die für das Verständnis und die Rekonstruktion der Normentheorie von zentraler Bedeutung ist. Im übrigen lag zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung Königs mit den Thesen Dahrendorfs weder eine Korrektur noch eine Stellungnahme zu der massiv geäußerten Kritik vor, vgl. dazu René König, Rolle: Zur Rehabilitierung eines umstrittenen Begriffs, in: Meyers enzyclopädisches Lexikon, Bd. 20: Rend - Schd, 9. völlig neubearbeitete Aufl., Mannheim / Wien / Zürich 1979, S. 263 266, 266. Zu dem lediglich analytischen Modell einer Rollentheorie des Theaterspielens vgl. Erving G offmann, Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, 2. Aull., München 1973, S. 217 ff. m
Vgl. § 5 Ziff. 1.
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
247
der deutschen Soziologie so populär war". 1 2 0 Sowohl Schelsky als auch König wenden sich gegen jeden Versuch, die Abstraktion eines „ganzen Menschen" der Gesellschaft gegenüberzustellen, der vor aller Sozialisation und Enkulturation zuerst frei ist und dann durch Zwang vergesellschaftet wird.
e) Autonomie und Integrität der Person Für König und Schelsky ist es das durch rechtliche Institutionen ermöglichte Rollenhandeln, durch das der Mensch frei wird, weil es ihm erlaubt, das Leben bewußt, zweckvoll und planend zu gestalten, indem kulturelle Erwartungen mit Mitteln des Rechts sozial auf Dauer gestellt werden. Schelsky wendet sich in diesem Zusammenhang gegen den Begriff der Rolle, weil sie als Rollenspiel vorgestellt dem tatsächlichen Handeln nicht gerecht wird. Denn die institutionellen Erwartungsmuster können nicht einfach wie Theaterrollen abgelegt werden. Es ist genau diese Kritik, die König zur Rehabilitierung des umstrittenen Begriffs der Rolle gegen Dahrendorf anführt, indem auch er darauf verweist, daß die sozialkulturelle Rolle nicht mit der Rolle im Theater verwechselt werden dürfe. Die sozialen Rollen sind das, was die sozialkulturelle Person ausmacht. Erst durch Institutionen wird der Mensch zur sozialkulturellen Person. 121 Es ist zwar sicherlich richtig, daß sich die Menschen in den modernen ausdifferenzierten Gesellschaften nicht mehr als ganze Personen gegenüberstehen, sondern sich nur noch in bestimmten Rollen begegnen; im Recht zum Beispiel in der Rolle als Vertragspartei, Kläger, Beklagter, Angeklagter, Anwalt, Strafverteidiger, Richter, Staatsanwalt, Gutachter usf. Dieses Bild der „verfeinerten Rollendifferenzierung", nach dem „sich die Partner mehr und mehr in spezifischen Rollen begegnen, in denen die Rücksicht auf eigene andere Rollen und auf die anderen Rollen des Partners ausgeblendet ist", 1 2 2 bedeutet jedoch nicht, daß die Person bloß noch eine beliebig variable Synthese von sozialen Rollenerwartungen und institutioneller Steuerung wird. König und Schelsky belegen dies daran, daß dem einzelnen in der Erfüllung der vorgegebenen Rollenerwartungen ein eigener Gestaltungsspielraum bleibt. Der Abschluß eines Miet-, Kauf- oder Versicherungsvertrags sagt noch nichts über den Vertragsinhalt und mit Blick auf welche Rolle er abgeschlossen wurde, ζ. B. die Anmietung einer 120
266. 121
König, Rolle: Zur Rehabilitierung eines umstrittenen Begriffs (FN 118), S. 263 -
Vgl. dazu § 3 Ziff. 3. Niklas Luhmann, Zur Funktion der "subjektiven Rechte", in: Rüdiger Lautmann / Werner Maihofer / Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Bielefeld 1970 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1), S. 321 - 330, 336. 122
248
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
Wohnung für die studierende Tochter zur Erfüllung der Unterhaltspflicht usw. Im Zusammenspiel des institutionellen Musters der Rollenerwartung, die sich unmittelbar im jeweiligen Status und der Position niederschlägt, 123 mit dem tatsächlichen Rollenverhalten, dem dynamischen Aspekt der Rolle, ζ. B. dem Aushandeln eines Kaufvertrags, Vergleichs oder strafrechtlichen Einstellungsbeschlusses gegen Zahlung einer Geldbuße, werden neue Normen wirksam in Geltung gesetzt, die die Autopoiese des Rechts fortsetzen. 124 In und mit diesen Rollen, des Familienvaters, des Mieters, Eigentümers usf., hat die Person ihr Leben zu führen, ohne daß sie beliebig gewechselt oder aufgegeben werden könnten. Die mit ihnen verbundenen Rechte und Pflichten können nicht einfach ausgesucht werden, sondern sind normativ attribuiert mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen und Konflikten. Gleichwohl bleibt im Rollenhandeln immer die Möglichkeit des abweichenden Verhaltens eingeschlossen. Aber auch diese Freiheit des Abweichens besteht nur in der Orientierung an normativen Erwartungsbündeln der Rolle. So ist es letztlich nur die Institution, die der sozialkulturellen Person ein freies Handeln ermöglicht. 125 Die Person handelt frei in und mit oder gegen die Institution, indem sie ihr Handeln an den Normen für sich zweckvoll ausgestalten kann. Als Person handelt sie jedoch nicht frei von jeglicher Ordnung, denn „was die seltsame Vorstellung von Freiheit als Freiheit von allen sozialen Regelungen überhaupt betrifft", stellt König zutreffend fest, „ist sie entweder Ausdruck einer eklatanten Verwechselung der realen Person mit der intelligiblen Person oder aber der Ausdruck einer seltsam utopischen Wirklichkeitsferne, von der ich beim besten Wissen nicht sagen kann, wie ich sie beurteilen soll". 1 2 6 Aus institutionentheoretischer Perspektive wird damit deutlich, daß Freiheit immer nur unter Bezug auf eine sozialkulturelle Ordnung formuliert werden kann und umgekehrt die Freiheit bzw. die freie und individuelle Willensentscheidung nicht der Grund einer Institution ist, sondern Wille und Freiheit selbst kulturelle Produkte einer bereits etablierten institutionellen Ordnung sind. Die Freiheit entsteht dann als die Möglichkeit der Orientierung an den institutionalisierten Rollenerwartungen. Dies kann sowohl im positiven als auch im negativen Sinne erfolgen. 127 Freiheit entsteht also in der Folge des Versuchs der normativen steuernden Einflußnahme auf das Verhalten auf der einen und der handelnden Bezugnahme des personalen Verhaltens auf der anderen Sei-
123
König, Artikel Institution (FN 1), S. 144. Vgl. dazu § 8 und dazu Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 13), S. 98. 125 König, Artikel Institution (FN 1), S. 148. 126 König, Freiheit und Selbstentfremdung in soziologischer Sicht (FN 117), S. 29. 127 König, Artikel Institution (FN 1), S. 148. 124
§ 7 Institutionen- und kulturtheoretische Begründung des Rechts
249
t e . 1 2 8 Diese Einsicht kann auch die im folgenden aus der kultur- und institutionentheoretischen Perspektive Königs vorzunehmende Rekonstruktion des Verhältnisses von Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit des Rechts nicht außer acht lassen.
128 Noch allgemeiner formuliert Niklas Luhmann, Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral. Rede von Niklas Luhmann anläßlich der Verleihung des Hegel Preises 1989, Frankfurt a. M. 1990, S. 45 f., diesen Sachverhalt im Hinblick auf moralische Kommunikation. Er fuhrt Freiheit als Nebenprodukt der Kommunikation ein: "Denn wenn etwas bestimmtes kommuniziert wird, kann man dazu ja oder nein sagen (und wenn nicht dann nicht). Die moralische Kommunikation macht hier eine Ausnahme. Auch ihre Gebote können abgelehnt werden. Aber während es im normalen Gang der Kommunikation Routinen gibt für die Behandlung von Ablehnung und Widerspruch, versucht die Moral, die Freiheit, die sie doch voraussetzen muß und selbst reproduziert, auf die gute Seite festzulegen, also aufzuheben."
§ 8 Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit des Rechts aus Institutionen- und kulturtheoretischer Perspektive 1. Verhältnis von Rechtswirksamkeit und Rechtsgeltung König zufolge bedeutet das Gelten einer institutionalisierten Rechtsordnung mehr als die einfache Regelmäßigkeit eines Handlungsablaufs. Für König drückt sich die Geltung der normativen Ordnung in der Chance der tatsächlichen Orientierung des Handelns an Normen aus, die sowohl in positiven als auch in negativen Befolgungsakten zum Ausdruck gelangen kann. Auch der Dieb orientiert sich an der geltenden Ordnung, indem er sein Verhalten zu verhehlen sucht. Daß er dies tun muß, ist nach Ansicht Königs die Folge davon, daß „in einem gegebenen Kreise von Menschen bestimmte Normen akzeptiert worden sind". Darauf basiert seiner Ansicht nach die Legitimität einer Ordnung, die „sich letztlich durch Zwangsmittel verwirklicht, vor allem bei Institutionen des Rechts".1 König unterscheidet somit zwischen drei Kriterien, mit deren Hilfe sich die Geltung des Rechts bestimmen läßt, nämlich (i) der tatsächlichen Befolgung, (ii) der Akzeptanz und (iii) der zwangsweisen Verwirklichung des Rechts. Nachfolgend wird das Verhältnis dieser drei Kriterien näher zu untersuchen sein. Insbesondere ist zu fragen, ob eventuell einem Kriterium ein Primat zukommt oder ob alle drei zusammenwirken müssen, damit von Rechtsgeltung gesprochen werden kann. Ferner stellt sich die Frage, ob sich alle Geltungskriterien tatsächlich auf die Rechtsordnung im Ganzen beziehen oder zumindest im Hinblick auf die Kriterien der Akzeptanz und der zwangsweisen Rechtsverwirklichung nicht vielmehr eine differenziertere Betrachtungsweise notwendig ist. Schließlich bleibt zu fragen, ob der Begriff der Rechtsgeltung aus der kulturtheoretischen Perspektive Königs in der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts etwas anderes bezeichnet als in der Rechtswirklichkeit, die die geltende Rechtsnorm immer schon voraussetzt.
1
René König, Artikel Institution, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 142 - 148, 147 f.
§ 8 Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit
251
a) Geltungsebenen Die Beantwortung dieser Fragen ist abhängig von dem zugrunde gelegten Geltungsbegriff. Dieser hat zwischen drei Geltungsebenen, nämlich der Rechtsordnung als Ganzer, der generellen Rechtsnorm und der Einzelfallentscheidung zu unterscheiden.2 Die Geltung selbst ist keine (Rechts-)Norm. Normen sind kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen, die im Falle des Rechts zeitlich, sachlich und sozial generalisiert sind. Die Geltung einer Norm kann allerdings nicht kontrafaktisch erwartet werden. Wird die Erwartung der Geltung einer Rechtsnorm enttäuscht, so kann der Normadressat sich gerade nicht auf die kontrafaktische Geltung der Rechtsnorm berufen; der Enttäuschte ist vielmehr gezwungen zu lernen. Er muß lernen, daß anderes Recht gilt als er erwartet hat, und dies gilt für alle möglichen Normadressaten, für Verfassungsgesetzgeber ebenso wie für den Kläger oder Beklagten im Zivilprozeß. Ob Recht gilt oder nicht, kann immer nur anhand einer konkreten rechtsverwirklichenden sozialen Aktivität festgestellt werden. Unabhängig von einer kommunikativen oder handelnden Bezugnahme kann die Geltung des Rechts nicht bestimmt werden. In diesem Sinne ist Geltung immer Verhaltensgeltung. 3 Für den wissenschaftlichen Beobachter ist dabei unerheblich, ob die Befolgung in positiven oder in negativen Akten abweichenden Verhaltens besteht.4 Die Aktabhängigkeit der Rechtsgeltung, deren notwendig soziale Verwirklichung besteht selbst dann, wenn man unter der Geltung des Rechts, wie Luhmann, lediglich eine Selbstbeschreibung des Rechtssystems sehen will, die die Einheit des Rechts symbolisiert und „nur die Anschlußfähigkeit im System bezeichnet". 5 Geltung in diesem Sinne ist nur ein kulturelles Symbol des Rechtssystems, dem allerdings ohne soziale Bezugnahme keine Bedeutung zukommen kann. Das heißt, ohne die tatsächlich stattfindende Anschlußnahme, die mit dem Geltungssymbol als Möglichkeit bezeichnet wird, läßt sich über die Geltung des Rechts keine Aussage machen. Deshalb läßt sich die Geltung auch als eine besondere Eigenschaft bestimmter realiter ablaufender rechtsnormativer Kommunikation bestimmen.6
2 Werner Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Geltungsgrundlagen normativer Kommunikation im Bereich des Rechts, in: Werner Hoppe / ders. / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 455 - 519, 467. 3 Heinrich Popitz, Die normative Konstruktion von Gesellschaft, Tübingen 1980, S. 63. 4 Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? (FN 2), S. 468. 5 Niklas Luhmann, Die Geltung des Rechts, in: RECHTSTHEORIE 22 (1991), S. 273 286, 279. 6 Petra Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995, S. 151.
252
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtsvvirksamkeit
b) Normative und faktische Geltung Aufgrund der kulturtheoretischen Fundierung seiner Normentheorie nimmt König einen Beobachterstandpunkt jenseits der Unterscheidung zwischen juristischer und faktischer Geltung ein, wie er üblicherweise sowohl von Vertretern eines normativistisch verengten Geltungsbegriffs als auch von Vertretern eines soziologischen Positivismus eingenommen wird. Die Vertreter eines normativistischen Geltungsbegriffs gehen davon aus, daß Aussagen über die juristische Geltung des Rechts keine Aussagen über wahrnehmbare, der Beobachtung zugängliche Fakten seien.7 Die normative Geltung ist den normativen Geltungstheorien zufolge ein bloßes Erkenntnisproblem. Die normative Geltung des Rechts begründen sie durch die Ableitung der Norm aus einer vor dieser schon bestehenden nächst höheren Norm, die die Kriterien der nächst niedrigeren Norm enthält, so daß die nachgeordnete Norm nur dann gilt, wenn sie diese Merkmale erfüllt. Die Obersätze für den Deduktionsschluß ergeben sich dabei regelmäßig nicht nur aus einer, sondern auch aus mehreren Normen. Der Deduktionsschluß selbst gilt dann wieder als Kriterium bzw. ein Kriterium zur Bestimmung des Obersatzes, an der die Geltung der nächst niedrigeren Norm erkannt werden kann usf. Eine Besonderheit besteht, wenn ein konkreter Fall zur Beurteilung ansteht, insofern, als dieser neben dem Obersatz ein Tatsachenurteil als Untersatz erfordert. Gemein ist diesen theoretischen Konstruktionen, daß sie das Geltungsproblem als ein Erkenntnisproblem verstehen, das mittels logischer, deduktiver Schlußfolgerungen gelöst werden kann. Dabei wohnt den sogenannten 'Abstammungstheorien ' das Problem des unendlichen Regresses inne, d. h. des notwendig werdenden Abbruchs der Deduktionskette, ohne daß darin die einzige Funktion der Grundnorm gesehen werden kann.8 Die Geltung des Rechts wird dann jedoch nicht
7 Vgl. auch Robert Walter, Wirksamkeit und Geltung, in: Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht X I (1961), S. 531 - 541, 532. 8 Berühmtestes Beispiel Hans Kelsens, Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1960, S. 205, hypothetische Grundnorm, die jenseits der historisch ersten Verfassung liegt: "Man soll sich so verhalten, wie die Verfassung vorschreibt, das heißt: wie es dem subjektiven Sinn des verfassunggebenden Willensaktes, den Vorschriften des Verfassungsgebers entspricht." Zum Begriff der Grundnorm und der im Begriff thematisierten Problematik als "Bestandteil eines hochkomplexen rechtstheoretischen Vorstellungssyndroms" vgl. Werner Krawietz, Artikel Grundnorm, in: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 3: G - H, Basel / Stuttgart 1974, Sp. 918-922, 919 f.
§ 8 Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit
253
mehr realistisch, sondern bloß fiktiv an der Geltung einer hypothetischen Norm festgemacht. 9 Von dieser allein normativen Geltung wird die faktische Geltung unterschieden. Diese Unterscheidung knüpft an der kategorialen Disparität von Sein und Sollen an. Danach hätten sich die Sozialwissenschaften mit der faktischen Geltung zu befassen. Diese betrifft nur das, was geschieht oder geschehen wird. Die Aussagen darüber seien empirisch nachweisbar oder widerlegbar, ohne jedoch die normative Geltung zu tangieren. Vertreter eines soziologischen Positivismus sind nur an der faktischen Befolgung der Gesetze interessiert. Dabei identifizieren sie fälschlich das Gesetz, den Rechtsnormtext mit der Norm selbst und verkennen deren Einbettung in das Verhalten. 10 Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen faktischer und juristischer Geltung nicht so rein und eindeutig wie vorgegeben. Zwar steht nach Ansicht Röhls allerdings nur „in dem extremen Fall, daß eine Rechtsnorm so gut wie gar nicht mehr befolgt wird, ... auch ihre juristische Geltung in Frage". Im übrigen ist für ihn die juristische von der faktischen Geltung anhand folgenden Beispiels „leicht zu unterscheiden": „Wir wissen, daß tatsächlich längst nicht jeder Diebstahl bestraft wird. Davon bleibt aber die juristische Geltung des § 242 StGB unberührt." 11 Hier geht alles durcheinander. Röhl verkennt zunächst zweierlei: Erstens identifiziert er fälschlich den Normtext des § 242 StGB mit der Rechtsnorm. Zweitens vermengt er die Geltung der Strafrechtsordnung, die keinen Diebstahl duldet, mit den theoretisch und praktisch zu unterscheidenden Geltungsebenen (i) der generellen Norm und (ii) der Verbindlichkeit der individuellen Norm. Im übrigen ist nicht klar, die Geltung welcher Norm überhaupt in Frage steht, wenn er sagt, daß nicht jeder Diebstahl bestraft werde - die Geltung der primären Verhaltensnorm: „Du sollst nicht stehlen" oder die der sekundären Reaktionsnorm: „Der Dieb soll bestraft werden." Damit wird jedoch weder etwas über die juristischen noch über die faktischen Geltungsbedingungen gesagt, nur soviel, daß aus der Perspektive des Rechtssystems die Beibehaltung der Norm zunächst nicht von ihrer Enttäuschung abhängig sein soll. Dies betrifft aber im strengen Sinne nicht die Geltung der Norm, sondern ihre Normativität. Selbstverständlich wird die normative Erwartung nicht aufgegeben, wenn sie tatsächlich enttäuscht wird. Ihre Normativität
9
Werner Krawietz, Die Lehre vom Stufenbau des Rechts. Eine säkularisierte politische Theologie? In: ders. / Helmut Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 255 - 271, 263. 10 Vgl. ζ. B. Karl-Dieter Opp, Einige Bedingungen für die Befolgung von Gesetzen, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 214 - 243, 215. 11 Vgl. Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, Köln / Berlin / Bonn / München 1995, S. 298 f.
254
3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
gründet sich gerade in der Enttäuschungsfestigkeit als eine kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartung. Damit ist jedoch weder etwas über die Geltung des Rechts selbst noch über die Geltungsbedingungen gesagt. Dies wäre erst dann der Fall, wenn der Normbruch Anlaß gebe zur Beantwortung der Frage, ob die Strafbarkeit aufgegeben werden soll oder nicht. Ausgangspunkt für den faktischen Geltungsbegriff Königs ist seine zentrale Einsicht, daß sich der Beobachtungsgegenstand der Sozialwissenschaften nicht auf bloße Verhaltensmäßigkeiten reduzieren läßt, „da sich ihr [der Soziologie, Κ. V.] ja das soziale Geschehen nicht als reine Faktizität, sondern als ebenfalls genormtes Geschehen darstellt". 12 König belegt damit die untrennbare Verbindung von Recht, Rechtsnorm und befolgendem bzw. abweichendem Handeln, allgemeiner von Kultur und Gesellschaft oder - anders ausgedrückt - von Struktur und Prozeß. Dagegen kritisiert König den Reduktionismus, in der dogmatischen Rechtswissenschaft und der Rechtsphilosophie Normen als eigenständige Entitäten zu verstehen, die ohne Handlungsbezug „einzig in den Dimensionen des Rechts und philosophischen Ethik, nicht aber im Rahmen des sozialen Geschehens" identifizierbar wären. lj Ohne die Berücksichtigung des Handlungsbezugs wird der Blick auf das sich in ständiger Veränderung befindliche Rechtssystem jedoch verstellt, das zwar als Struktur der Gesellschaft fungiert, sich durch die Änderung und Ingeltungsetzung neuer genereller und - für König besonders wichtig! - individueller Normen und dem daran orientierten konformen und abweichenden Verhalten aber in einem ständigen Veränderungsprozeß befindet.
2. Anerkennung oder Zwang als Geltungsgrund des Rechts? a) Akzeptanz, Anerkennung und Anerkennungswürdigkeit Nach Königs Ansicht gründet die Geltung des Rechts darin, daß „in einem gegebenen Kreise von Menschen bestimmte Normen akzeptiert worden" sind. 14 Diese knappe Definition Königs bedarf vor dem Hintergrund der anhaltenden Debatte über normative Akzeptanz- oder Anerkennungstheorien des Rechts und dem Versuch, vermittels dieser Theorien die Geltung des Rechts durch
12 René König, Artikel Recht, in: ders. (Hrsg.) Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 253 - 261, 256. 13 René König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 186 - 207, 200. XA König, Artikel Institution (FN 1), S. 148; ders., Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 71 - 78, 78.
§ 8 Geltung, Wirksamkeit und Verbindlichkeit
255
dessen Anerkennungswürdigkeit oder Zustimmungsfähigkeit normativ zu begründen, einer näheren Erläuterung. Den sogenannten Akzeptanz- oder Anerkennungstheorien zufolge sollen nur die Rechtsnormen gelten, „denen alle möglicherweise betroffenen Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen könnten". 15 Es geht ihnen also „nicht um die tatsächliche Anerkennung und sei es auch nur im Sinne einer Annehmbarkeit des Rechts, sondern um eine ideale Anerkennung". 16 Präskriptiv geforderter Geltungsgrund des Rechts ist „nicht die tatsächliche Anerkennung, sondern die AnerkennungsWürdigkeit von Normen und Normensystemen". Diese „ist also kein empirisches, sondern ein normatives Merkmal". 17 Diese Auffassung von Akzeptanz oder Anerkennung als Geltungsgrund des Rechts steht derjenigen Königs aus drei ganz zentralen Gründen diametral gegenüber. Erstens geht es König nicht um eine wie auch immer geartete ideale Anerkennung oder Akzeptanz des Rechts. Sein Forschungsgegenstand ist die faktische Geltungsverwirklichung. Diese gelangt allein in den tatsächlichen Befolgungsakten zum Ausdruck. 18 Zweitens trennt König scharf zwischen den unterschiedlichen Rationalitäten des Rechts- und Wissenschaftssystems. Letzteres ist an deskriptiven, an der Erfahrung orientierten Aussagen über das Normensystem des Rechts und dessen Geltung interessiert. Daraus folgt drittens, daß das Wissenschaftssystem eben wegen dieser unterschiedlichen, im Wege der gesellschaftlichen Evolution entstandenen ausdifferenzierten Rationalitäten dem Recht ab extra normative Vorgaben hinsichtlich der Geltungsbedingungen nicht nur nicht zu machen hat, sondern gar nicht machen kann; und dies gilt ebenso für philosophische Moral- oder Vernunfttheorien. Diese verkennen regelmäßig, daß das Recht aufgrund und nach Maßgabe seiner eigenen juridischen Rationalität anhand bestimmter ausdifferenzierter Verfahren über die Geltung und Nichtgeltung von Recht selbst entscheidet.
b) Kontraktualismus Damit wendet König sich auch gegen alle Rekonstruktionen, die die Geltung des Rechts kontraktualistisch zu deuten suchen, in dem die Akzeptanz des Rechts durch einen freiwilligen, vernünftigen Konsens erzielt wird. Dabei ging die Konsenstheorie ursprünglich von einem realen Konsens aus, einer tatsächli-
15 Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1992, S. 138. 16 Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? (FN 2), S. 518. 17 Ralf Dreier, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? In Erwiderung auf Werner Krawietz, in: RECHTSTHEORIE 18 (1987), S. 368 - 385, 374. 18 Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? (FN 2), S. 479 FN 36.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
chen Anerkennung des Rechts als dessen Geltungsgrund. 19 Daß eine gemeinsame und inhaltlich übereinstimmende rechtliche Überzeugungsbildung tatsächlich nicht möglich ist, wird schnell klar, wenn man die Komplexität der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts ins Auge faßt, der eine äußerst begrenzte Aufnahmekapazität und dementsprechend geringe normative Problemverarbeitungsmöglichkeiten der einzelnen Bewußtseine gegenüberstehen. Statt dessen wird in den Verfassungsstaaten der komplexen und pluralistischen Gesellschaften mittels Konsensunterstellungen faktischer Konsens fingiert. Dabei handelt es sich aber um eine kulturelle Leistung, die sich allein aus der sozialkulturellen Evolution heraus erklärt, die es möglich macht, für bestimmte Verhaltensweisen Unterstützung zu finden. Alle anderen natur- oder vernunftrechtlichen Rekonstruktionsversuche der Rechtsgeltung als einen hypothetischen, nur in mente vorausgesetzten Vertrag bleiben, wie König formuliert, lediglich eine „Spekulation". Als solche verkennen sie sowohl ihren gesellschaftlichen und historischen Ursprung als auch den dadurch bedingten sozialkulturellen Kontext, durch den sie überhaupt als ein Deutungs- und Erklärungmodell der Geltung des Rechts möglich werden, ohne allerdings tatsächlich die Geltung und Verbindlichkeit des Rechts garantieren zu können. 20 Unter Rekurs auf die Arbeiten Dürkheims verweist König deshalb auf die extrakontraktuellen Voraussetzungen des Vertrags. 21 Die Funktion und Bedeutung des Akzeptanzbegriffs in der kulturtheoretisch fundierten Rechts- und Normentheorie Königs erschließen sich, wenn man mit Krawietz zwischen fiktiver Anerkennung oder Anerkennungswürdigkeit des Rechts und der daraus resultierenden, vernünftigen Konsequenz der Akzeptanz der Norm unterscheidet. Denn löst man dieses von den Anerkennungstheorien vorausgesetzte „interne Junktim zwischen Anerkennung und Akzeptanz, das hier als Voraussetzung und Folge verstanden wird, so eröffnet sich mit Bezug auf letztere die Möglichkeit, den Begriff der Akzeptanz nicht länger als ein normativ genötigtes Muß zu bestimmen, sondern ihn ganz im Sinne schlichter Regelbefolgung und damit vom Standpunkt einer diese beschreibenden Betrach19 Vgl. z. B. Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, 2. durchgearbeitete und erweiterte Aufl., Einsiedeln / Zürich / Köln 1948, S. 10 ff., 30; Ulfrid Neumann, Theorie der Rechtsgeltung, in: Volkmar Gessner / Winfried Hassemer (Hrsg.), Gegenkultur und Recht, Baden-Baden 1985, S. 21 - 41, 40. 20 Peter Koller, Neue Theorie des Sozialkontrakts, Berlin 1987, S. 15 f f , weist in eben diesem Sinne treffend darauf hin, daß "die fiktive Annahme eines hypothetischen Kontrakts für sich allein unmöglich ein zureichendes Argument für die Verbindlichkeit derjenigen Grundsätze liefern kann, die man unter hypothetischen Bedingungen akzeptiert hätte". 21 René König, Artikel Wirtschaft, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 340 - 352, 345; ders., Emile Durkheim. Der Soziologe als Moralist, in: Dirk Käsler, Klassiker des soziologischen Denkens. Erster Band: Von Comte bis Durkheim, München 1976, S. 321 - 364, 323.
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tungsweise als bloße Übernahme von rechtlichen Prämissen kommunikativen Handelns und Entscheidens zu deuten". 22 Genau in diesem Sinne einer bloßen Übernahme rechtsnormativer Prämissen spricht König von der Akzeptanz von Normen als Geltungsgrund des Rechts. Die Voraussetzungen für die Übernahme dieser rechtlichen Prämissen sind für König nicht in der Vernunft der Menschen oder sonst einem Wesenszug des Menschseins begründet, sondern in der empirisch nachweisbaren Tatsache der sozialen Tradierung rechtsnormativer Kultur, nämlich der fortlaufenden Bezugnahme auf das Recht im Handeln und Erleben. Daß dies überhaupt möglich wird, setzt zunächst die bereits ausführlich dargestellte erfolgreiche Soziabilisierung, Sozialisation und Enkulturation voraus. Dazu gehört das Erlernen von Kulturmustern, die es möglich machen, zwischen 'Erleben' und 'Handeln' zu unterscheiden: das Lernen, sich an Normen orientieren zu können, das Erlernen von Rollen und nicht zuletzt auch das Lernen von machtgesteuerter Kommunikation als das Zulassen von Einflußnahmen Dritter auf die eigene Handlungsmotivation.
c) Macht und Zwang In Anlehnung an Max Weber versteht König unter Macht die Chance, gewisse Ereignisverläufe beeinflussen zu können. Gemeint sind alle Sozialverhältnisse, in denen bestimmte Personen die Chance haben, bei anderen Gehorsam zu finden. 23 Macht ist von Zwang und Gewalt zu unterscheiden. Macht ist nach König an ein Gegenseitigkeitsverhältnis gekoppelt, dem ein Anerkennungsverhältnis zugrunde liegt, das von der Macht nicht abzulösen ist. 24 Ein Anerkennungsverhältnis liegt dem Machtverhältnis insoweit zugrunde, als Macht als ein Kommunikationsmedium fungiert, aufgrund dessen die Selektionsweise des Machtausübenden zur Motivationsstruktur des Machtunterworfenen wird, ohne daß es allerdings auf den tatsächlichen Willen des Machtunterworfenen ankommt. Die Kausalität der Macht existiert auch dann, wenn der Machtunterworfene im gleichen Sinne handelt wie der Machtausübende und er erst später erfährt, er mußte ohnehin. 25 Macht Verhältnisse neutralisieren den Willen, sie brechen den Willen nicht. Genau darin unterscheidet sich Macht vom Zwang. Zwang bedeutet, daß ein fertiger Willensentschluß gebrochen wird. Das kann mittels der Androhung oder Anwendung von Gewalt erfolgen,
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Krawietz, Akzeptanz von Recht und Richterspruch? (FN 2), S. 496. René König, Artikel Herrschaft, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 119 - 129, 119. 24 Ebd., S. 120. 25 Niklas Luhmann, Macht, Stuttgart 1975, S. 9. 23
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
die immer ein einseitiges Verhältnis bedeutet. Solche Verhältnisse sind Grenzfälle des Sozialen. Das Machtverhältnis als ein soziales Verhältnis endet mit dem Widerstand des Machtunterworfenen. Macht beruht darauf, daß der Machtunterworfene als jemand erlebt wird, dessen Selbstbestimmung beeinflußt werden soll und mit dessen Widerstand deshalb zu rechnen ist. Umgekehrt erscheint der Machtausübende als jemand, der im Falle der Unbeeinflußbarkeit des Machtunterworfenen andere Handlungsmöglichkeiten bereithält, die der Machtunterworfene vermieden sehen will. Ein Machtverhältnis entsteht an der gegenseitigen Orientierung dieser Handlungsmöglichkeiten. Die Machtkommunikation liegt dann in der Mitteilung, daß der Machthaber seine Handlungsalternative lieber nicht realisieren möchte, aber dazu in der Lage und die Möglichkeit dazu für den Machtunterworfenen glaubhaft ist. Läßt sich der Machtunterworfene nicht beeindrucken und entsprechend beeinflussen, ist das Machtverhältnis mit der notwendig werdenden Alternativhandlung des Machtinhabers, ζ. B. der Gewaltanwendung, beendet. Am spezifischen Kennzeichen allen sozialen Handelns, der sinnhaften Orientierung am Verhalten Dritter, fehlt es dann insoweit, als der Dritte, der zum Objekt der Zwangsmaßnahme wird, eben keine Möglichkeit der sinnhaften, d. h. selektiven Orientierung mehr hat. Zwar kann die Anwendung von Gewalt zur Schaffung und Durchsetzung von Macht dienen, indem sie für den Machtunterworfenen zur möglichst zu vermeidendenden Handlungsalternative des Machtinhabers wird. 2 6 Reine Zwangsund Gewaltverhältnisse sind auf Dauer jedoch nicht stabil und treten in der Regel nur vorübergehend auf. Soweit König in seiner Definition der Rechtsgeltung diese „letztlich durch Zwang verwirklicht" sieht, ist damit nicht gemeint, daß die Geltung des Rechts in Zwangsanwendungen gründet, etwa im Sinne einer Letzt- bzw. Erstursache. Eine solche Ordnung wäre nicht stabil. Die Anwendung von Zwang ist deshalb nur das letzte Mittel - Geltungsverwirklichung im Sinne einer ultima ratio. 27 Die primäre Funktion von Recht und Macht in modernen Gesellschaften liegt dagegen vielmehr in der Verhinderung des Einsatzes physischer Gewalt 28
als Zwangsmittel. Diese Funktion erfüllt Macht als ein zunächst völlig unspezifisches soziales Phänomen, das in allen Bereichen der Gesellschaft auftritt und - wie König mit Max Weber feststellt - „soziologisch amorph" ist, erst durch die Einbettung in institutionalisierte und formalisierte Verfahren der In-
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Ebd., S. 64. König, Artikel Institution (FN 1), S. 148. In diesem Sinne auch Niklas Luhmann, Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion von Komplexität, 2. erweiterte Aufl., Stuttgart 1973, S. 35 ff. 28 Werner Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht, in: Paul Hofmann / Ulrich Meyer-Cording / Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, Köln / Berlin / Bonn / München 1987, S. 217 - 235, 235. 27
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geltungsetzung von Recht. 29 Die Möglichkeit der Selbstbeeinflussung von Motivationslagen durch Macht, die sich auf unterschiedlichste Faktoren stützen kann, muß aber zuvor kulturell tradiert sein und in der rechtsnormativen Kommunikation voraussetzbar sein. 30
3. Geltung als Produkt institutionalisierter formeller Verfahren a) Funktionale Abhängigkeit von Recht und Macht Die spezifische Abhängigkeit von Macht und Rechtsgeltung zeigt sich vor dem Hintergund der Verhaltenssteuerung durch Recht. Wie bereits ausführlich dargelegt, wird Recht in allen mit Bezug auf das Recht ablaufenden Kommunikationen ständig neu produziert und reproduziert. Damit ist regelmäßig verbunden, daß die rechtsnormative Erwartung zumindest eines Kommunikationspartners enttäuscht wird und nicht kontrafaktisch stabilisiert werden kann. 31 Die Ingeltungsetzung neuen Rechts fordert eine normative Orientierung an der neuen Regelung und verlangt von dem 'unterlegenen' Partner, daß er sein Verhalten entsprechend ändert, er also lernt und sein zukünftiges Verhalten von der neuen Geltungslage beeinflussen läßt. Dazu bedient sich das Recht auch der symbolisch generalisierten Form des zunächst sozial amorphen kommunikativen Mediums der Macht, also der kulturell vorgehaltenen Chance, den Dritten in seiner Handlungswahl beeinflussen zu können. Die Möglichkeit der Machtausübung muß das Rechtssystem voraussetzen können, wenn Geltung nicht nur eine Selbstbeschreibung der veränderten Rechtslage sein soll, sondern die Geltungsänderung sich in einer Orientierungsänderung, d. h. tatsächlichen Befolgungsakten niederschlagen soll. Die Kulturform der Macht als ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium gehört mithin zu dem, was König den 'Unterbau' des Rechts nennt, indem es als ausdifferenziertes kulturelles Funktionssystem eingebettet ist; man kann hier auch von der „gesamtgesellschaftlichen Tiefenstruktur (deep structure) allen Rechts" sprechen. 32
29 König, Artikel Herrschaft (FN 23), S. 124 f. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl., Tübingen 1980, S. 28 f. Luhmann, Macht (FN 25), S. 78, 86. 30 König, Artikel Herrschaft (FN 23), S. 122, 124 ff. Luhmann, Macht (FN 25), S. 78 f. Peter Fuchs, Exerzitium funktionaler Differenzierung. Vorbereitende Überlegungen zu einem gewaltigen Forschungsprogramm (im Druck). 31 Vgl. dazu § 6 Ziff. 3. König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 13), S. 199. j2 Werner Krawietz, Recht als normatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive, in: Ernesto Garzón Valdéz / ders. / Georg Henrik von Wright / Ruth Zimmerling (Hrsg.), Normative Systems in Legal and Moral Theory. 17*
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Die Möglichkeit der durch Macht vermittelten Einflußnahme unterstellend, wird Macht im Recht zur Unterstützung der Lernfähigkeit des Rechtssystems institutionalisiert und die Machtausübung in formellen Verfahren kanalisiert. Die sozial amorphe und diffuse Macht wird so zur Autorität. Autorität ist keine bloß faktische Sonderform von Macht. Autorität setzt vielmehr eine normativ strukturierte, d. h. auch organisierte Vergesellschaftungsform voraus, wie König es an der Kleingruppenforschung exemplifiziert, welche über die Berechtigung der Autoritätsausübung entscheidet.33 Darüber hinaus unterscheidet König zwischen formeller und informeller Organisation. Neben dieser hierachisch an der formalen Organisation der Vergesellschaftungsform erwachsenden Autoritätsstruktur bilden sich an dieser - zwar orientiert und abhängig, aber eben nicht determinierbar - informelle Autoritätsstrukturen und informelle Organisationsstrukturen aus, die mit Mitteln formeller Normen entsprechend schwer steuerbar sind und sich im Rechtssystem gerade nicht am Schematismus rechtmäßige und unrechtmäßige Macht orientieren. 34 Geltendes Recht als Instrument sozialer Steuerung wird dann prekär, denn die soziale Steuerung setzt immer eine wirksame und beständige Einflußnahme auf Handlungsabläufe voraus. 35 Zur Verteilung der Macht dient insbesondere das von König als sekundäres System von Rechtsnormen bezeichnete Verfahrensrecht, „welches die Art und Weise der Anwendung von Rechtsregeln ihrerseits einer besonderen Regelung unterwirft". 36 In allen Bereichen des staatlich organisierten Rechtssystems werden damit Zuständigkeiten und Kompetenzen der macht- und gewaltausübenden Organe geregelt und die, wie König bewußt kritisch formuliert, „fragwürdige Ehe" von Macht und Recht insoweit entschärft. Durch die Bürokratisierung des Rechts wird die monopolistisch gehandhabte Macht an Fachleute delegiert, indem „Instanzenzüge" institutionalisiert werden und eine „sachliche Erledigung nach abstrakten Regeln" usf. erfolgt. 37 König spricht damit eine spezifische Form der Machtkettenbildung38 als Produkt einer endogenen Herrschaftsentwicklung des Staates aufgrund zunehmender sozialer Differenzierung
Festschrift for Carlos E. Alchourrón and Eugenio Bulygin, Berlin 1997, S. 369 - 390, 386 f. 33 König., Artikel Herrschaft (FN 23), S. 124. 34 Luhmann, Macht (FN 25), S. 46. 35 René König, Artikel Soziale Kontrolle, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 277 - 280, 278. ,6 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 13), S. 203. 37 Ebd.. S. 198. 38 Vgl. dazu Luhmann, Macht (FN 25), S. 39 ff.
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und einen zentralen Aspekt der Sicherung von Autonomie und Integrität der Person in modernen Gesellschaften an. 39
b) Geltung des Rechts durch Kanalisierung der Macht König nimmt Bezug auf das Webersche Geltungskonzept, das an formalisierte Verfahren der Ingeltungsetzung von Recht anknüpft. In diesen Verfahren wird arbeitsteilig, nach Rollen differenziert, in Instanzenzügen unter Bezugnahme auf vorangegangene Entscheidungen Recht in Geltung gesetzt. Mittels des Verfahrensrechts wird die operative Schließung des Rechtssystems nochmals einer Normierung unterworfen, worin die Reflexivität des Rechts ihren Ausdruck findet. Das Normieren wird durch das Recht selbst normiert. Verfahren und Verfahrensrecht dürfen aber nicht identifiziert werden. Das Verfahrensrecht ist nicht das Verfahren selbst, in dem das Recht über die Geltung und Nichtgeltung entscheidet. Das geschieht in den konkreten sich als reale Verhaltens- und Handlungssysteme ausbildenden Verfahren, in denen die Entscheidungen produziert werden, anknüpfend an die Bedingungen, die das Verfahrensrecht hierfür bereitstellt. 40 Das Verfahrensrecht ermöglicht jedoch die Institutionalisierung von Rollenkonflikten im Recht selbst. Die juridische Rationalität des Rechts, mittels derer das geltende Recht produziert wird, verwirklicht sich in dem regelgeleiteten Zusammenspiel juridischer Rollen. Schelsky sieht dieses Zusammenspiel in der für das Recht typischen Drei-Ämter-Struktur. Zum einen ist dies die traditionelle Rollenverteilung im Gerichtsverfahren, ζ. B. Richter, Staatsanwalt und Angeklagter im Strafprozeß oder Richter, Kläger und Beklagter im Zivilprozeß. Zum anderen kann sie aber in einem wesentlich weiteren Sinne auch in dem Zustandekommen von Gesetzen, dem Zusammenspiel von Regierung und Mehrheitsfraktion, der Opposition und der kontrollierenden Drittinstanz der Verfassungsgerichtsbarkeit gesehen werden. Entscheidend ist das „institutionelle Zusammen- und Entgegenwirken von Amtspersonen mit ungleichen aufeinander bezogenen Aufträgen oder Funktio-
39
König, Artikel Herrschaft (FN 23), S. 128; dersDie Gesellschaft von heute zwischen gestern und morgen, in: ders., Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973, S. 79 - 91, 88. 40 Vgl. Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1989, S. 42, 175, 180. 41 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980, S. 34 - 76, 34.
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3. Abschn.: Evolution des Rechts, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit
In diesen institutionalisierten formalen Entscheidungsprozessen entsteht und liegt die Geltung des Rechts begründet, sowohl die der generellen Normen, die mittels der Rechtsnormtexte von Gesetzen tradiert werden, als auch die Verbindlichkeit der individuellen Normen, die mittels des abgesetzten Urteils oder im Falle des Verwaltungsakts auch mündlich tradiert werden können. Darüber hinaus besteht - allerdings immer anknüpfend an diese formellen Geltungsvoraussetzungen - auch die Möglichkeit, daß Private mit oder ohne die Unterstützung institutionalisierter juridischer Berufsrollen, wie ζ. B. der des Notars, rechtsverbindliche Normen in Geltung setzen und wieder aufheben, beispielsweise durch Verträge oder auch einseitige Erklärungen, ζ. B. in Form der Testierfreiheit. An dieser Stelle wird abermals die enge Verflechtung von Rechtserzeugung und Rechtsgeltung sichtbar. Denn überall da, wo Recht erzeugt wird, geschieht es selbstverständlich mit Geltungsanspruch und unter Verweis auf die Anschlußnahme an geltendes Recht. Sofern man unter Geltung jedoch nicht nur ein selbsterzeugtes Symbol im Recht zur Bezeichnung eben dieses Erzeugungsprozesses verstehen will, mit dessen Hilfe sich das Recht selbst als eine Einheit wiedererkennt, kann man zwischen der Produktion der rechtsnormativen Struktur von Gesellschaft und deren Geltung, resp. Verbindlichkeit im Einzelfall unterscheiden. Geltung und Verbindlichkeit lassen sich nur in der tatsächlichen Bezugnahme auf das Recht beobachten und identifizieren. Über diese kann das Recht aber nicht völlig autonom durch bloß formelle, symbolische Akte selbst entscheiden. Sie bleibt abhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme des Rechts als normative Struktur der Gesellschaft. Das gilt sowohl für die Geltung der generellen Norm als auch für die Verbindlichkeit der individuellen Norm. Welche generelle Norm zu befolgen ist, hängt auch von dem zur Entscheidung an das Gericht herangetragenen Rechtsstreit ab.
c) Staatliches Gewaltmonopol In den juridischen Rollen wird Macht innerhalb und außerhalb der Staatsorganisation parzelliert und verteilt, und zwar mit Hilfe derselben normativen Struktur, deren Wirksamkeit und Geltung sie gewährleisten soll, dem Recht. Die Geltung des Rechts und der Rechtsordnung entstehen also geradewegs aus denjenigen Prozessen, die von ihnen geregelt werden. Sie sind nicht starr, und ihr Material ist variabel. 42 Diffuse und fluktuierende Machtverhältnisse werden 42 Mihâly Samu, Rechtsordnung und sozietale Gesetzlichkeit, in: Werner Krawietz / Robert S. Summers / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright (Hrsg.), The Reasonable as Rational? On Legal Argumentation and Justification. Festschrift for Aulis Aarnio (im Druck).
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durch Recht gesteuert und kanalisiert oder, wie Schelsky in Anlehnung an Rudolf von Ihering formuliert, an die Stelle des Kampfes um die Macht selbst tritt der „Kampf ums Rechts" innerhalb der Institutionen.43 Dies gelingt aber nur dann, wenn eine Einflußnahme des Rechts auf menschliches Verhalten wahrscheinlich ist. Dazu genügt allein weder eine Berufung auf das Gesetz noch auf die Geltung und die Verbindlichkeit des Rechts bzw. der Rechtsordnung als solche. Es muß vielmehr die Möglichkeit einer Durchsetzung der Ordnung mit Mitteln der Macht möglich und auch wahrscheinlich sein. Damit ist keine autoritäre Machtausübung im Sinne einer vorgegebenen Weisungshierarchie gemeint, die eine 'eins zu eins'-Übersetzung von einer höchsten Befehlsnorm bis hin zu einer Verwirklichung des Befehls als bloße Machtanwendung ist. Die Hierarchisierung im Instanzenzug ist eine Selbsthierarchisierung und Produkt sozialer Differenzierung, in der durch das Recht selbst Kompetenzen der Machtausübung geregelt werden und der tatsächlichen und normativen Möglichkeit, die Vermeidungsalternative des im Instanzenzug Machtausübenden in Kauf zu nehmen. Insoweit ist Macht vom Recht abhängig 44 Zur Durchsetzung können sich die Staatsorganisationen auch physischer Gewalt bedienen. Die Anwendung von Gewalt dient zur Durchsetzung der Schaffung von Macht. 45 Die Anwendung von Gewaltmitteln wird, wie König zutreffend bemerkt, „als staatliches Monopol angesehen [Hervorhebung Κ. V.]". 4 6 Da sich Macht tatsächlich ganz diffus und fließend überall in der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts aufweisen läßt, muß das Recht die Anwendung von Gewalt als stärkstes Mittel der Machtkonstituierung normativ für sich in Anspruch nehmen. Über die Zuweisung von formell rechtmäßiger und unrechtmäßiger Machtausübung wird auch die Anwendung von physischer Gewalt konditioniert. Sie liegt grundsätzlich bei den im Staat mit entsprechender Kompetenz ausgestatteten Organen und darf nur unter bestimmten Voraussetzungen und strengen Beschränkungen von Privaten ausgeübt werden und dann in der Regel auch nur in Vertretung der Staatsgewalt.47 Recht, Macht und staatliche Gewaltmonopole haben in diesem Sinne also immer die Funktion der Verhinderung des Einsatzes von staatlich ausgeübter, physischer Gewalt; 48 allerdings unter
43 Helmut Schelsky, Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977, S. 33. 44 Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht (FN 28), S. 235. 45 Luhmann, Macht (FN 25), S. 64 f. 46 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 13), S. 204. 47 Vgl. ζ. Β. § 127 Abs. 1 StPO. 48 Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht (FN 27), S. 235. Ludwig Siep, Recht und Gewalt, in: Aulis Aarnio / Stanley L\ Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 599 - 617.
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gleichzeitigem Vorbehalt genau dieser Möglichkeit zur Durchsetzung von normativ geforderten Verhaltensweisen.
d) Gerichte als Zentrum des Rechtssystems? Die Rolle des Richters und damit auch der Gerichte in dem Prozeß der ständigen Ingeltungsetzung neuer Normen durch die ständige Produktion neuer individuell rechtsverbindlicher Entscheidungen ist besonders sinnfällig. Erst durch die Anknüpfung des Entscheiders an die in den formalen juridischen Verfahren erlassene Wortnorm wird es möglich festzustellen, welche Normen bzw. Normsätze formal gelten, so daß die Aktabhängigkeit der Rechtsgeltung, die eben mehr als ein bloß symbolischer Betrieb ist, besonders deutlich zutage tritt. König betont deshalb die besondere Stellung und Bedeutung des Richters in den formalisierten Entscheidungsprozessen ganz zu Recht. Seine Aufgabe liegt darin, aus der „Kenntnis des gesatzten Rechts und der Rechtsprechung wie der Rechtsprinzipien ... das Gesetz auszulegen und eventuell die bestehenden 'Lücken im Gesetz' zu überwinden". 49 Das geschieht mittels der institutionalisierten Kunstregeln der Auslegung und Analogiebildung, ohne daß es sich hierbei nur um einen Erkenntnisakt in der Form eines logischen Schlusses handelte, durch den der im Rechtsnormtext bereits enthaltene normative Sinn und dessen Bedeutung für den zu beurteilenden Fall nur noch erkannt würden. 50 Sinn und Bedeutung des Gesetzes werden durch die Tätigkeit des Richters erst produziert. Und dem unter Entscheidungszwang stehenden, an das geltende Recht gebundenen Richter ist das immer möglich, so daß es keine Lücken im Recht im Sinne eines rechtsfreien Raums geben kann, der nur durch Inkorporation außerrechtlicher, vor allem moralischer Maßstäbe geschlossen werden könnte, wie dies Robert Alexy meint. 51 Eine Sonderstellung der Gerichte liegt darin begründet, daß für sie ein striktes Justizverweigerungsverbot gilt, durch das das Rechtssystem allein die Gerichte unter Entscheidungszwang setzt. Er gilt weder für den Gesetzgeber noch für private Vertragsschließende. Aus diesem Grunde sieht Luhmann in den Gerichten das Zentrum des Rechtssystems, alles andere, einschließlich der Gesetzgebung, sei Peripherie. 52 Fraglich ist jedoch, ob sich diese Selbstbeschreibung
49 König, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme (FN 13), S. 203. 50 Zur Methode der Analogie als einer juridischen Rationalität und Entscheidungspraxis vgl. Antonis Chanos, Begriff und Geltungsgrundlage der Rechtsanalogie im heutigen juristischen Methodenstreit, Köln / Weimar / Wien 1994, S. 79 ff. 51 Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, Freiburg / München 1992, S. 118 f.
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der Rechtswirklichkeit, die an der Norm des Justizverweigerungsverbots anknüpft, mit einer an der Erfahrung orientierten Deutung und Erklärung der sozialkulturellen Wirklichkeit des Rechts deckt. Aus einer realistischen Sicht erscheint dies höchst zweifelhaft. König äußert sich sehr kritisch gegenüber einer Betrachtung, die die Funktion der 'Rechtspflege' allein in der staatlichen Organisation angesiedelt sieht und die sich allein in den Rollen der Justizjuristen .verwirklicht, allenfalls noch die Rechtsanwälte 53 und Notare 54 berücksichtigt. Diese Perspektive eines „staatsgebundenen Rechtspositivismus" führt zu einer ideologischen Verzerrung. 55 Sie verkennt zum Beispiel die Bedeutung und Funktion der - neben den sogenannten typischen Berufsrollen des Richters, des Staatsanwalts, des Verwaltungsbeamten, des Rechtsanwalts und des Notars - immer mehr in den Vordergrund tretenden wirtschaftsrechtlichen Beratungstätigkeit. Selbst die Anwaltschaft ist kein so homogener Beruf, „wie die schwarze Robe suggeriert". 56 Allgemein läßt sich eine starke Binnendifferenzierung der juristischen Berufsrollen ausmachen, die in ganz unterschiedlichen Formen der Rollenausführung an der Ingeltungsetzung neuen Rechts beteiligt sind, beobachten. Diese Sicht Königs stimmt in ganz wesentlichen Punkten mit der institutionentheoretischen Perspektive Schelskys überein, der in seiner Kritik der Richter-Jurisprudenz auf die Mannigfaltigkeit und Gegensätzlichkeit der Zielsetzungen, Strategien und Taktiken hingewiesen hat, die die verschiedenen juristi-
52
Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: RECHTSTHEORIE 21 (1990), S. 459 - 473, 466 f. 53 Vgl. dazu Günter Bandisch, Zur Vermittlungstätigkeit von Rechtsanwälten, in: Erhard Blankenburg / Walther Gottwald / Dieter Strempel (Hrsg.), Alternativen in der Ziviljustiz - Berichte, Analysen, Perspektiven, Köln 1982, S. 41 - 46. Zum tatsächlichen Umfang der Möglichkeiten zur Verhinderung von gerichtlichen und damit staatlichen Entscheidungen durch anwaltliche Beratung vgl. Rainer Wasilewski, Streitverhütung durch Rechtsanwälte. Empirische Untersuchung von Umfang, Struktur und Bedingungen außergerichtlicher Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten durch Rechtsanwälte, Köln 1990. Als Ergebnis dieser Studie (S. 92) konnte festgestellt werden, daß schon 1985 ca. 70 % der Zivilrechtsfälle außergerichtlich erledigt wurden. 54 Vgl. dazu Peter Lichtenberg, Die Tätigkeit der Notare: Konfliktprophylaxe und Alternative der Konfliktregelung, in: Erhard Blankenburg / Walther Gottwald / Dieter Strempel (Hrsg.), Alternativen in der Ziviljustiz - Berichte, Analysen, Perspektiven, Köln 1982, S. 47 - 50. 55 René König / Wolfgang Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht", in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1967, S. 356 - 372, 364. 56 Vgl. dazu auch Fernando Wassener, Modernes Design für die Anwaltsrobe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.8.1989, Nr. 186, S. 9.
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sehen Berufe kennzeichnen, und sich keineswegs in der Divergenz von Strategie und Taktik der Rollen von Richter und Staatsanwalt beschränkt. 57 Die Geltungslage des Rechts verändert sich also ständig und jederzeit auch ohne Zutun der Gerichte, so daß im Recht weder ein Zentrum noch eine Spitze auszumachen sind. 58 Aus der kulturtheoretischen Perspektive Königs bedeutet die Geltung des Rechts wesentlich mehr als bloß ein im Recht selbst erzeugtes Symbol fur die Einheit des Rechts. Die Ingeltungsetzung von Recht bestimmt sich durch die Vielfältigkeit der rechtsnormativ bereitgestellten formellen Verfahren, Einflußmöglichkeiten, juristischen Strategien und der dadurch erreichbaren Veränderung der rechtlichen Geltungslage in der sich von Akt zu Akt fortschreitenden (Selbst-)Bezugnahme auf das Recht.59 Durch die ständige Bezugnahme strukturiert das Recht das gesellschaftliche Leben. Daß diese Bezugnahme erfolgt, ist allerdings vom Recht selbst nicht zu steuern und hat seine Wurzeln in der sozialkulturellen Evolution. Insofern handelt es sich um eine kulturelle Geltung des Rechts. Diese ist eine „Totalität, die sich historisch herausgebildet hat und mit keiner 'artifiziellen' Definition für eine gesonderte Betrachtung von Gegenständen losgelöst werden kann". 60 Die Geltung des Rechts ist eine kulturelle Realität. Sie ist Teil des schöpferischen Prozesses des gesellschaftlichen Geschehens, das „niemals in sich selbst gleich bleibt, sondern in jeder Stunde seiner Existenz aus einer relativ fest umrissenen Gegenwart in eine völlig unbestimmte Zukunft stürzt, über die keinerlei Prognosen gewagt werden können". 61 Einzig die geltenden Spielregeln des Rechts erlauben es, in diesem Prozeß begründete Vermutungen über das zukünftige Verhalten Dritter anzustellen. 62 So ermöglicht das Recht - aller Ungewißheit zum Trotz - eine sinnvolle,
57
Schelsky, Die juridische Rationalität (FN 41), S. 60 f. Werner Krawietz, Identität oder Einheit des Rechtssystems? Grundlagen der Rechtsordnung in rechts- und gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: Mitsukuni Yasaki / Alois Troller / José Llompart (Hrsg.), Japanisches und europäisches Rechtsdenken - Versuch einer Synthese philosophischer Grundlagen, Berlin 1985, S. 233 - 277, 269. 58
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König / Kaupen, Soziologische Anmerkungen zum Thema "Ideologie und Recht" (FN 55), S. 367. Krawietz, Identität oder Einheit des Rechtssystems? (FN 58), S. 257 ff., 259. 60 Aulis Aarnio, Die Welt des Rechts in der rechtstheoretischen Perspektive von Otto Brusiin, in: RECHTSTHEORIE 28 (1997) S: 405 - 419, 408. 61 René König, Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen (FN 14), S. 75. 62 Werner Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheretischer Perspektive, in: Danilo Basta / ders. / Dieter Müller
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d. h. zweckvolle, planende Gestaltung der Zukunft, 63 und es wird deutlich, daß der „gesellschaftliche Prozeß und der Kulturprozeß im Grunde nur zwei Seiten ein und des gleichen Phänomens darstellen, nämlich der sich geschichtlich entfaltenden Menschheit". 64
(Hrsg.), Rechtsstaat - Zukunft und Ursprung einer Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, Berlin 63 König, Das Recht im Zusammenhang der S. 199 f. 64 René König, Die objektiven Kulturmächte (FN 14), S. 78.
Idee. Symposium zum 150jährigen 1993, S. 81 - 133, 115. sozialen Normensysteme (FN 13), und ihre sozialen Auswirkungen,
Schrifttumsverzeichnis Aarnio, Aulis: Technical Imperative and the Legitimacy of Law, in: Werner Krawietz / Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, Berlin 1991 (RECHTSTHEORIE, Beiheft 11), S. 3 -10. — Die Welt des Rechts in der rechtstheoretischen Perspektive von Otto Brusiin, in: RECHTSTHEORIE 2 8 ( 1 9 9 7 ) S. 4 0 5 - 4 1 9 .
— To the Reader / Verehrte Leserinnen und Leser, in: Associations 1 (1997), S. 3 - 9. — Vergesellschaftung - konzentriert und dezentralisiert, in: ebd., S. 161 - 162. Achterberg, Norbert: Die Bedeutung des Rechtsverhältnisses für die Grundrechtssubjektivität von Organisationen, in: Dieter Willke / Harald Weber (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, München 1977, S. 1 - 37. — Rechtsverhältnisse als Strukturelemente der Rechtsordnung. Prolegomena zu einer Rechtsverhältnistheorie, in: RECHTSTHEORIE 9 (1978), S. 385 - 410. — Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, Berlin 1982. Alemann, Heine von: Leben im Werk. Stichworte zur Bibliographie René Königs, in: ders. / Gerhard Kunz (Hrsg.), René König: Gesamtverzeichnis der Schriften. In der Spiegelung von Freunden, Schülern, Kollegen, Opladen 1992, S. 17 - 25. Alemann, Heine von / Kunz, Gerhard (Hrsg.): René König. Gesamtverzeichnis der Schriften in der Spiegelung von Freunden, Schülern, Kollegen, Opladen 1992. Alexy, Robert: Begriff und Geltung des Rechts, Freiburg / München 1992. Austin, John L.: How to do Things with Words, Oxford 1962 (dt. Übers.: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972). Baecker, Dirk: Der Einwand der Kultur, in: Berliner Journal fur Soziologie 1 (1996), S. 5 - 14. Baecker, Dirk / Luhmann, Niklas: Wege und Umwege Deutscher Soziologie. Interview im Deutschlandfunk am 3. Dezember 1989, in: RECHTSTHEORIE 21 (1990), S. 209 -
216. Baier, Horst: Verkappte Sozialreligionen mit Blick auf Max Weber und Theodor Geiger, in: Urs Fazis / Jachen C. Nett (Hrsg.), Gesellschaftstheorie und Normentheorie. Symposium zum Gedenken an Theodor Geiger, Basel 1993, S. 87 - 105. — Die Geburt der Systeme aus dem Geist der Institutionen, in: Helmut Klages / Helmut Quaritsch (Hrsg.), Zur geisteswissenschaftlichen Bedeutung Arnold Gehlens, Berlin 1994, S. 6 9 - 7 4 . Bandisch, Günter: Zur Vermittlungstätigkeit von Rechtsanwälten, in: Erhard Blankenburg / Walther Gottwald / Dieter Strempel (Hrsg.), Alternativen in der Ziviljustiz Berichte, Analysen, Perspektiven, Köln 1982, S. 41 - 46. Bechtler, Thomas W.: Der soziologische Rechtsbegriff, Berlin 1977.
Schrifttumsverzeichnis
269
Bentham, Jeremy: Works, published by John Bowring, Edinburgh 1843. Berking, Helmuth: Kultur-Soziologie: Mode und Methode? In: ders. / Richard Faber (Hrsg.), Kultursoziologie - Symptom des Zeitgeistes, Würzburg 1989, S. 15 - 34. Berking , Helmuth / Faber , Richard (Hrsg.): Kultursoziologie - Symptom des Zeitgeistes, Würzburg 1989. Bierwisch, Manfred: Recht linguistisch gesehen, in: Günther Grewendorf (Hrsg.), Rechtskultur als Sprachkultur: zur forensischen Funktion der Sprachanalyse, Frankfurt a. M. 1992, S. 4 2 - 70. Bjarup, Jes: Science, Technology and Human Life. A Vital Question for Jurisprudence, in: Werner Krawietz / Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, Berlin 1991 (RECHTSTHEORIE, Beiheft 11), S. 337 - 351. Blankenburg, Erhard: Die implizierten Theorien der KOL-Forschung und der double talk der politischen Unbotmäßigkeit, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 3 (1982), S. 291 -296. — Nutzen und Grenzen eines graduellen Rechtsbegriffs, in: Siegfried Bachmann (Hrsg.), Theodor Geiger. Soziologie in einer Zeit „zwischen Pathos und Nüchternheit'4. Beiträge zu Leben und Werk, Berlin 1995, S. 147 - 157. Bock, Michael: Neues von der Kultursoziologie des Rechts? Kritische Anmerkungen zu Werner Gepharts „Kulturelle Aspekte des Rechts - Vom Klassen- zum Kulturparadigma?", in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 12 (1991), S. 147 - 151. Bohannan, Paul: Social Anthropology, New York 1963. Bolte, Martin: Artikel Schichtung, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 266 - 277. Brackert, Helmut / Wefelmeyer, Frankfurt a. M. 1990.
Fritz (Hrsg.): Kulturbestimmungen im 20. Jahrhundert,
Brusiin, Otto: Der Mensch und sein Recht. Ausgewählte rechtstheoretische Schriften, hrsg. und eingeleitet von Urpo Kangas, Berlin 1990. Bühl, Walter L.: Kultur als System, in: Friedhelm Neidhardt / M. Rainer Lepsius / Johannes Weiß (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft. René König, dem Begründer der Sonderhefte, zum 80. Geburtstag gewidmet, Opladen 1986 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 27), S. 118 - 144. Bullasch, Ute: Rechtsnorm und Rechtssystem in der Normentheorie Emile Dürkheims, Frankfurt a. M. / Bern / New York / Paris 1988. Burdeau, Georges: Der Staat als Institution, in: Roman Schnur (Hrsg.), Institution und Recht, Darmstadt 1968, S. 294 - 311. Chanos, Antonis: Erwartungsstruktur der Norm und rechtliche Modalisierung des Erwartens als Vorgabe sozialen Handelns und Entscheidens, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt ä. M. 1992, S. 230 - 246. — Begriff und Geltungsgrundlagen der Rechtsanalogie im heutigen juristischen Methodenstreit, Köln / Weimar / Wien 1994. Chomsky, Noam: Reflexionen über Sprache, übersetzt von Georg Meggle und Maria Ulkan, Frankfurt a. M. 1977.
270
Schrifttumsverzeichnis
Ciaessens, Dieter: Angst, Furcht und gesellschaftlicher Druck, Dortmund 1966. — Familie und Wertsystem, 3. Aufl., Berlin 1972. Cobum-Staege, Ursula: Der Rollenbegriff. Ein Versuch der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Individuum, Heidelberg 1973. Coing, Helmut: Der Rechtsbegriff der menschlichen Person und die Theorien der Menschenrechte, in: ders., Zur Geschichte des Privatrechts, Frankfurt a. M. 1962, S. 56 76. — Grundzüge der Rechtsphilosophie, 4. Aufl., Berlin / New York 1984. Daheim, Hansjürgen: Institute „an" der Universität: Deutung, Erinnerung, Geschichte, in: Heine von Alemann / Gerhard Kunz (Hrsg.), René König: Gesamtverzeichnis der Schriften. In der Spiegelung von Freunden, Schülern und Kollegen, Opladen 1992, S. 206-211. Dahrendorf, Ralf: Amba und Amerikaner: Bemerkungen zur These der Universalität von Herrschaft, in: Europäisches Archiv für Soziologie 5 (1964), S. 83 - 98. — Homo Sociologicus: Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, in: ders., Pfade aus Utopia. Zur Theorie und Methode der Soziologie, 4. Aufl., München 1986, S. 128 - 194. Danwitz, Thomas von: Zu Funktion und Bedeutung der Rechtsverhältnislehre, in: Die Verwaltung 30 (1997), S. 339 - 363. Dewey, John: Human Nature and Conduct. An Introduction to Social Psychology, New York 1922. Douglas, Mary: Wie Institutionen denken, Frankfurt a. M. 1991. Drechsel, Paul: Vorschläge zur Konstruktion einer „Kulturtheorie" und was man unter einer „Kulturinterpretation" verstehen könnte, in: Ernst Wilhelm Müller / René König / Klaus Peter Koepping / ders. (Hrsg.), Ethnologie als Sozialwissenschaft, Opladen 1984 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 26), S. 44 - 84. Dreier, Ralf: Neues Naturrecht oder Rechtspositivsmus? In Erwiderung auf Werner Krawietz, in: RECHTSTHEORIE 18 (1987), S. 368 - 385. — Recht - Staat - Vernunft, Frankfurt a. M. 1991. Durkheim, Emile: Die Regeln der soziologischen Methode, Frankfurt a. M. 1984. — De la division du travail social, 5. Aufl., Paris 1926, dt.: Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1988. — Die Regeln der soziologischen Methode, hrsg. und eingeleitet von René König, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1991. Ehrlich, Eugen: Grundlegung der Soziologie des Rechts, München / Leipzig 1929. Eickelpasch, Rolf: Kultur statt Gesellschaft. Zur kulturtheoretischen Wende in den Sozialwissenschaften, in: Claudia Rademacher / Gerhard Schweppenhäuser (Hrsg.), Postmoderne Kultur? Soziologische und philosophische Perspektiven, Opladen 1997, S. 10-21. Eisenstadt, Shmuel N.: Sozialer Wandel, Differenzierung und Evolution, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, 4. Aufl., Königstein / Ts. 1979, S. 75 91.
Schrifttumsverzeichnis
271
Eisler, Rudolf / Roretz, Karl: Artikel Subjekt, in: dies., Wörterbuch der philosophischen Begriffe. Historisch-quellenmäßig, Bd. 4: Sei - Z, 4. völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin 1930, S. 164- 172. Elias, Norbert: Der Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den rechtlichen Oberschichten des Abendlandes, 15. Aufl., Frankfurt a. M. 1990. Fikentscher, Wolfgang: Methoden des Rechts. In vergleichender Darstellung, Bd. IV: Dogmatischer Teil, Tübingen 1977. Frobenius, Leo: Paideuma. Umrisse einer Kultur- und Seelenlehre, München 1921. Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation. Zur Theorie des operativen Displacements, Frankfurt a. M. 1993. — Die archaische Second-order Society. Paralipomena zur Konstruktion der Grenze der Gesellschaft, in: Soziale Systeme 2 (1996), S. 113 -130. — Exerzitium funktionaler Differenzierung. Vorbereitende Überlegungen zu einem gewaltigen Forschungsprogramm (im Druck). Fuhrmann, Manfred: Artikel Person, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 4: Ρ - Q, Basel / Stuttgart 1989, Sp. 269-283. Fukuyama, Francis: Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? München 1992. Gadamer, Hans-Georg: Hermeneutik als theoretische und praktische Aufgabe, in: RECHTSTHEORIE 9 ( 1 9 7 8 ) , S. 2 5 7 - 2 7 4 .
Galtung, Johann: Expectation and Interaction Processes, in: Inquiry 2 (1959), S. 213 234. Gebhardt, Winfried: Individualisierung, Pluralisierung und institutioneller Wandel. Für eine „kritische" Theorie der Institutionen, in: Der Staat 31 (1992), S. 347 - 365. Gehlen, Arnold: Ein Bild vom Menschen, in: ders., Anthropologische Forschung, Reinbek 1961, S. 4 4 - 5 4 . — Über einige Kategorien des entlastenden, zumal des ästhetischen Verhaltens, in: ders., Studien zur Anthropologie und Soziologie, hrsg. von Heinz Maus und Friedrich Fürstenberg, Neuwied 1963, S. 64 - 78. — Über die Verstehbarkeit von Magie, in: ebd., S. 79 - 92. — Über kulturelle Kristallisationen, in: ebd., S. 311 - 328. — Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, 12. Aufl., Wiesbaden 1978. — Urmensch und Spätkultur, 5. Aufl., Wiesbaden 1986. Geiger, Theodor: Die Gruppe und die Kategorien Gemeinschaft und Gesellschaft, in: Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik 58 (1927), S. 338 - 374. — Artikel Gemeinschaft, in: Alfred Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie, unveränderter Neudruck, Stuttgart 1959, S. 173 - 179. — Über Recht und Moral. Streitgespräch mit Uppsala, aus dem Dänischen übersetzt und eingeleitet von Hans-Heinrich Vogel, Berlin 1979. — Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., durchgesehen und hrsg. von Manfred Rehbinder, Berlin 1987.
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Schrifttumsverzeichnis
Gephart, Werner: Kulturelle Aspekte des Rechts. Vom Klassen- zum Kulturparadigma, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 11 (1990), S. 177 - 187. — Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Frankfurt a. M. 1993. Gilles, Peter: Rechtstatsachenforschung und Rechtsstaat. Ein Beitrag zur gegenwärtigen „Krise des Rechtsstaats" und zum gegenwärtigen Dilemma der Rechtstatsachenforschung, in: Hanns Prütting / Helmut Rüssmann (Hrsg.), Verfahrensrecht am Ausgang des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Gerhard Lüke zum 70. Geburtstag, München 1997, S. 139- 165. Goffmann, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, 2. Aufl., München 1973. Gromitsaris, Athanasios: Theorie der Rechtsnormen bei Rudolph von Ihering. Eine Untersuchung der Grundlagen des deutschen Rechtsrealismus, Berlin 1989. — Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts. Zur Revision und Reformulierung der Normentheorie von Theodor Geiger, Berlin 1992. — Symbolische und soziale Generalisierung von Erwartungen als Strukturelemente gesellschaftlichen Sinns, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 133 - 146. — Zur Unterscheidung von Aktions- und Reaktionsnormen, in: Urs Fazis / Jachen C. Nett (Hrsg.), Gesellschaftstheorie und Normentheorie. Theodor Geiger Symposium, Basel 1993, S. 123-151. Gurvitch, Georges: Rechtssoziologie, Neuwied 1960. Häberle, Peter: Allgemeine Staatlehre, Verfassungslehre oder Staatsrechtslehre? In: Zeitschrift für Politik 12 (1965), S. 381 - 395. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1981. — Wie ist Legitimität durch Legalität möglich? In: Kritische Justiz 20 (1987), S. 1 - 16. — Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a. M. 1992. — Zwischen den Traditionen. Laudatio auf Georg Henrik von Wright, in: RECHTSTHEORIE 27 (1996), S. 135 - 143. Haferkamp, Hans: Die Struktur elementarer sozialer Prozesse. Logik und Gehalt eines Forschungsleitfadens zur soziologischen Analyse und Erklärung, Stuttgart 1973. Hahn, Alois: Sinn und Sinnlosigkeit, in: Hans Haferkamp / Michael Schmid (Hrsg.), Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung. Beiträge zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt a. M. 1987, S. 155 - 164. Hauriou, Maurice: Die Theorie der Institution und der Gründung. Essay über den sozialen Vitalismus, in: ders., Die Theorie der Institution und zwei andere Aufsätze von Maurice Hauriou. Mit Einleitung und Bibliographie, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1965, S. 2 7 - 6 6 . Hof, Hagen: Rechtsethologie. Recht im Kontext von Verhalten und außerrechtliche Verhaltensregelung, Heidelberg 1996. Hoppe, Werner: Das staats- und verwaltungsrechtliche Werk von Norbert Achterberg, in: ders. / Werner Krawietz / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites
Schrifttumsverzeichnis
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Internationales Symposium. Münster 1988, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 5 - 12. Huizinga, Johan: Homoludens, o. 0 . 1939. Ihering, Rudolf von: Der Zweck im Recht, 2 Bde., Leipzig 1873. — Über die Entstehung des Rechtsgefuhls, mit einer Vorbemerkung und einem anschließenden Interpretations- und Einordnungsversuch von Okko Behrends, Napoli 1986. Jäkel, Christoph: Zur Bewertung der Sprachreform, in: RECHTSTHEORIE 27 (1996), S. 4 9 1 - 5 1 4 . Jellinek, Georg: Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Darmstadt 1960. Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M. 1979. Kant, Immanuel: Werkausgabe Bd. IV, hrsg. von Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1968. — Einleitung in die Metaphysik der Sitten, Werkausgabe Bd. VIII, hrsg. von Wilhelm Weischedel, 9. Aufl., Frankfurt a. M. 1991. Kantorowicz,
Hermann: Der Begriff des Rechts, Göttingen o. J.
Kasprizik, Brigitta: Ist die Rechtspositivismusdebatte beendbar? Zur Rechtstheorie Niklas Luhmanns, in: RECHTSTHEORIE 15 (1985), S. 367 - 381. Kaufmann, Arthur: Kantianismus, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, Gruppe 2 / 260. Kelsen, Hans: Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 2. Aufl., Tübingen 1928. — Was ist Reine Rechtslehre? In: Demokratie und Rechtsstaat. Festgabe für Zaccaria Giacometti, Zürich 1953, S. 143 - 162. — Reine Rechtslehre. Mit einem Anhang: Das Problem der Gerechtigkeit, 2. vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Wien 1960. — Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979. Keßler, Erich M.: Annotierte Bibliographie zu Knowledge and Opinion about Law (KOL-Untersuchungen), in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 2 (1981), S. 278 - 293. Klima, Rolf: Artikel Gruppe, in: Werner Fuchs-Heinritz / Rolf Klima / Rüdiger Lautmann / Ottheim Rammstedt / Hanns Wienold (Hrsg.), Lexikon zur Soziologie, 3. völlig neu bearbeitete und erweiterte Aufl., Opladen 1994, S. 255. — Artikel Subjekt, in: ebd., S. 654. Kluckhohn, Clyde: The Concept of Culture, in: ders., Culture and Behavior, hrsg. von Richard Kluckhohn, New York 1962, S. 19 - 73. Kneer, Georg: Bestandserhaltung und Reflexion: Zur kritischen Reformulierung gesellschaftlicher Rationalität, in Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 86- 112. Knobloch, Clemens: Zu Christoph Jäkels Beitrag über die Rechtschreibreform, in: RECHTSTHEORIE 28 (1997), S. 393 - 396.
18 Vcddcler
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Schrifttumsverzeichnis
Knöpfel, Gottfried: Nichtdeterminierte Kausalität als Schlüssel zur Freiheitsfrage, in: RECHTSTHEORIE 2 0 ( 1 9 8 9 ) , S. 3 4 2 - 3 7 9 .
Kobusch, Th. / Oeing-Hanhoff, L. / Borsche, T.: Artikel Individuum, Individualität, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 4:1 - K, Basel / Stuttgart 1976, Sp. 300 - 304, 304-310 bzw. 310-323. Koller, Peter: Neue Theorie des Sozialkontrakts, Berlin 1987. König, René: Rez.: Georges Em Marica, Emile Durkheim: Soziologie und Soziologismus, hrsg. v. Fritz Karl Mann, Jena 1932 (Sozialwissenschaftliche Bausteine, Bd. 6), in: Zeitschrift fur die gesamte Staatswissenschaft 94 (1933), S. 331 - 334. — Soziologische Probleme der internationalen Ordnung, in: Karl Gustav Specht (Hrsg.), Soziologische Forschung in unserer Zeit. Leopold von Wiese zum 75. Geburtstag, Köln / Opladen 1951, S. 146 - 157. — Artikel Organisation, in: ders. (Hrsg.), Lexikon Soziologie, Frankfurt a. M. 1958, S. 214 - 219. — Rez.: Ralf Dahrendorf, Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, in: Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie 13 (1961), S. 497 - 499. — Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, in: ders., Praktische Sozialforschung, Bd. II: Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, 2. Aufl., Berl i n / K ö l n 1962, S. 17-47. — Freiheit und Selbstentfremdung in soziologischer Sicht, in: Freie Universität Berlin (Hrsg.), Freiheit als Problem der Wissenschaft. Abendvorträge der Freien Universität Berlin im Winter 1961 / 62, Berlin 1962, S. 25 - 41. — Grundlagenprobleme soziologischen Forschungsmethoden (Modelle, Theorien, Kategorien), in: Friedrich Karrenberg / Hans Albert (Hrsg.), Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgestaltung. Festschrift für Gerd Weiser, Berlin 1963, S. 23 - 44. — Zur Frage der Marginalität der Alltags-Moral der fortgeschrittenen Industriegesellschaften, in: Bundeskriminalamt Wiesbaden (Hrsg.), Grundfragen der Wirtschaftskriminalität. Arbeitstagung im Bundeskriminalamt Wiesbaden vom 27. Mai bis 1. Juni 1963 über „Grundfragen der Wirtschaftskriminalität", Wiesbaden 1963, S. 37 46. — Einige Bemerkungen zur Soziologie der Gemeinde, in: ders. (Hrsg.), Soziologie der Gemeinde, 3. Aufl., Köln / Opladen 1966 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 1), S. 1 - 11. — Soziologie der Familie, in: Arnold Gehlen / Helmut Schelsky (Hrsg.), Soziologie. Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, 6. Aufl., Düsseldorf / Köln 1966, S. 119- 156. — Staat und Familie aus der Sicht des Soziologen, in: Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung, Der Schutz der Familie. Untersuchungen zu Artikel 6 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, Hannover 1966, S. 53 - 70. — (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967. — Einleitung, in: ebd., S. 8 - 14. — Artikel Allgemeine Soziologie, in: ebd., S. 17 - 22.
Schrifttumsverzeichnis
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Artikel Anomie, in: ebd., S. 22 - 31. Artikel Arbeitsteilung, in: ebd., S. 31 - 42. Artikel Beziehung, in: ebd., S. 42 - 48. Artikel Biosoziologie, in: ebd., S. 48 - 53. Artikel Bürokratisierung, in: ebd., S. 53 - 60. Artikel Familie, in: ebd., S. 69 - 81. Artikel Gemeinde, in: ebd., S. 81 - 92. Artikel Geschichts- und Sozialphilosophie, in: ebd., S. 97 - 104. Artikel Gesellschaft, in: ebd., S. 104 - 112. Artikel Gruppe, in: ebd., S. 112 - 119. Artikel Herrschaft, in: ebd., S. 119 - 129. Artikel Institution, in: ebd., S. 142 - 148. Artikel Komplexe Gesellschaften, in: ebd., S. 155 - 159. Artikel Kultur, in: ebd., S. 159 - 164. Artikel Masse, in: ebd., S. 174 - 181. Artikel Person, in: ebd., S. 241 - 246. Artikel Recht, in: ebd., S. 253 - 261. Artikel Soziale Kontrolle, in: ebd., S. 277 - 280. Artikel Sozialer Wandel, in: ebd., S. 290 - 297. Artikel Soziologische Theorie, in: ebd., S. 305 - 309. Artikel Sprache, in: ebd., S. 309 - 314. Artikel Struktur, in: ebd., S. 314 - 323. Artikel Wirtschaft, in: ebd., S. 340 - 352. Soziale Gruppen. Vortrag auf dem Deutschen Schulgeographentag 1968 in Kassel, in: Geographische Rundschau 21 (1969), S. 2 - 10. Die Reaktion der Verwaltung auf gesellschaftliche Veränderungen, in: Berliner Beamtentage, Berlin 1970, S. 46 - 54. Konfliktsituationen in der Gesellschaft, in: Bild der Wissenschaft. Zeitschrift über die Naturwissenschaften und die Technik in unserer Zeit 7 (1970), S. 665 - 671. Artikel Anpassung, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 1 : Abweichendes Verhalten - Gleichgewicht, 2. neubearbeitete und erweiterte Aufl., Frankfurt a. M. 1972, S. 33 - 34. Artikel Ehe und Ehescheidung, in: ebd., S. 165 - 175. Artikel Soziale Normen, in: Wilhelm Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie, Bd. 3: Politische Soziologie - Zuverlässigkeit, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1972, S. 734 - 739. Artikel Soziales Handeln, in: ebd., S. 754 - 757.
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Schrifttumsverzeichnis
— Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung, in: ders. (Hrsg.), Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung. Praktische Sozialforschung, 8. Aufl., Köln / Berlin 1972, S. 17-47. — Die Beobachtung, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung. Grundlegende Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung, Erster Teil, Band 2, 3. Aufl., Stuttgart 1973, S. 1 - 65. — Soziologische Orientierungen. Vorträge und Aufsätze, 2. Aufl., Köln / Berlin 1973. — Der Mensch in der Sicht des Soziologen, in: ebd., S. 29 - 44. — Das Erlernen der Kultur, in: ebd., S. 45 - 53. — Das Nachhinken der Kultur, in: ebd., S. 54 - 62. — Die pluralistische Gesellschaft und ihre Subkulturen, in: ebd., S. 62 - 71. — Die objektiven Kulturmächte und ihre sozialen Auswirkungen, in: ebd., S. 71 - 78. — Die Gesellschaft von heute zwischen gestern und morgen, in: ebd., S. 79-91. — Die Grenzen der Soziologie, in: ebd., S. 92 - 106. — Sexualdelikte und Probleme der Gestaltung des Sexuallebens in der Gegenwartsgesellschaft, in: ebd., S. 147- 175. — Einleitung zu einer Soziologie der sogenannten Rückständigen Gebiete, in: ebd., S. 307 - 328. — Einige Bemerkungen zur Soziologie der Gemeinde, in: ebd., S. 405 - 418. — Gestaltungsprobleme der Massengesellschaft, in: ebd., S. 461 - 478. — Nachwort, in: Émile Durkheim, Der Selbstmord. Mit einer Einleitung von Klaus Dörner und einem Nachwort von René König, Neuwied / Berlin 1973, S. 471 - 502. — Einige Bemerkungen zur Stellung des Problems der Jugendkriminalität in der allgemeinen Soziologie, in: Peter Heintz / ders., Soziologie und Jugendkriminalität, 6. Aufl., Opladen 1974 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 2), S. 1 - 11. — Spontane Gruppen und marginale Gruppen der Gesellschaft, in: Ambros Lichtenhagen / Raymond Battegay / Adolf Friedmann (Hrsg.), Gruppentherapie und soziale Umwelt, Bern / Stuttgart / Wien 1974, S. 276 - 286. — Über Organisation der Familie als Gefährdung der seelischen Gesundheit, in: ders., Materialien zur Soziologie der Familie, 2. neubearbeitete und erweiterte Aufl., Köln 1974, S. 106- 119. — Kritik der historisch-existenzialistischen Soziologie. Ein Beitrag zur Begründung einer objektiven Soziologie, München 1975. — Vorwort von 1974: Warum ich dieses Buch schrieb, in: ebd., S. 9 - 19. — Émile Durkheim. Der Soziologie als Moralist, in: Dirk Käsler (Hrsg.), Klassiker des soziologischen Denkens, Bd. 1: Von Comte bis Durkheim, München 1976, S. 312 364, Anmerkungen: S. 501 - 508. — Vorbemerkung des Herausgebers zu Band 9, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, Band 9: Organisation, Militär, 2. Aufl., Stuttgart 1977, S. V VIII. — Die Familie der Gegenwart, 3. Aufl., München 1978.
Schrifttumsverzeichnis
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Die Kritische Theorie. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, in: Kurt Fassmann (Hrsg.), Kindler Enzyclopädie. Die Großen der Weltgeschichte, Bd. 11: Einstein King, Zürich 1978, S. 653 -667. Gegenstand und Methoden der Soziologie. Talcott Parsons, Georges Gurvitch, in: ebd., S. 619-627. Gesellschaft und Kultur. Bronislav Malinowski, Alfred R. Radcliffe-Brown, Lucien Levy-Bruhl, Norbert Elias, in: ebd., S. 640 - 651. Emile Durkheim zur Diskussion. Jenseits von Dogmatismus und Skepsis, München / Wien 1978. Bilanz der französischen Soziologie um 1930, in: ebd., S. 56 - 103. Emile Durkheim (1858- 1917), in: ebd., S. 107 - 135. Die Regeln der soziologischen Methode, in: ebd., S. 140 - 207. Die Religionssoziologie bei Emile Durkheim, in: ebd., S. 239 - 256. Marcel Mauss (1872 - 1972), in: ebd., S. 257 - 284. Niccolò Machiavelli. Zur Krisenanalyse einer Zeitenwende, München / Wien 1979. Rolle: Zur Rehabilitierung eines umstrittenen Begriffs, in: Meyers enzyclopädisches Lexikon, Bd. 20: Rend - Schd, 9. völlig neubearbeitete Aufl., Mannheim / Wien / Zürich 1979, S. 263 -266. Leben im Widerspruch. Versuch einer intellektuellen Autobiographie, München / Wien 1980. Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 186 - 207. Die analytisch-praktische Doppelbedeutung des Gruppentheorems. Ein Blick in die Hintergründe, in: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, Köln / Opladen 1983 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 25), S. 36 - 64. Soziologie und Ethnologie, in: Ernst Wilhelm Müller / ders. / Klaus Peter Koepping/ Paul Drechsel (Hrsg.), Ethnologie als Sozialwissenschaft, Opladen 1984 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 26), S. 17 - 35. Soziologie in Deutschland. Begründer / Verächter / Verfechter, München / Wien 1987. Vorwort: In eigener Sache, in: ebd., S. 9 - 20. Vom dreifachen Ursprung der Soziologie, in: ebd., S. 23 - 89. Soziologie heute - Die Eschatologie des Karl Marx. Ein Fragment, in: ebd., S. 90 -
121. Ferdinand Tönnies, in: ebd., S. 122 - 189. Einige Überlegungen zur „Werturteilsfreiheif bei Max Weber, in: ebd., S. 201 229. Zur Soziologie der Zwanziger Jahre oder Epilog zu zwei Revolutionen, die niemals stattgefunden haben, in: ebd., S. 230 - 257. Soziologie in Berlin um 1930, in: ebd., S. 258 - 297.
278
Schrifttumsverzeichnis
— Die Situation der emigrierten deutschen Soziologen in Europa, in: ebd., S. 298 - 320. — Vom vermeintlichen Ende der deutschen Soziologie vor der Machtergreifung des Sozialismus, in: ebd., S. 343 - 387. — Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß, Frankfurt a. M. 1988. — Einleitung, in: Emilie Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode, hrsg. und eingeleitet von René König, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1991, S. 21 - 82. König, René / Kaupen, Wolfgang: Soziologische Anmerkungen zum Thema „Ideologie und Recht", in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Opladen 1967 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 11), S. 356 - 372. Krawietz, Werner: Das positive Recht und seine Funktion. Kategoriale und methodologische Überlegungen zu einer funktionalen Rechtstheorie, Berlin 1967. — Welche Methode lehrt die juristische Methodenlehre? In: Juristische Schulung 10 (1970), S. 425 -432. — Artikel Gesetz, in: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 3: G - H, Basel / Stuttgart 1974, Sp. 480 - 493. — Artikel Grundnorm, in: ebd., Sp. 918 - 922. — Artikel Körperschaft, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der Philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 4:1 - K, Basel / Stuttgart 1976, Sp. 1101 - 1134. — Evolution der Menschenrechte, in: Friedrich Kaulbach / ders. (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 319 341. — Helmut Schelsky - ein Weg zur Soziologie des Rechts, in: Friedrich Kaulbach / ders. (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. X I I I - L X X V I I I . — Die Lehre vom Stufenbau des Rechts - eine säkularisierte politische Theologie? In: ders. / Helmut Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 255 -271. — Rationalität des Rechts versus Rationalität der Wissenschaften? In: RECHTSTHEORIE 15 (1984), S. 423 -452. — Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984. — Rechtssystem als Institution? Über die Grundlagen von Helmut Schelskys sinnkritischer Institutionentheorie, in: Dorothea Mayer-Maly / Ota Weinberger / Michaela Strasser (Hrsg.), Recht als Sinn und Institution, Berlin 1984, S. 209 - 243. — Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart, in: Juristenzeitung 40 (1985), S. 706 - 714. — Identität oder Einheit des Rechtssystems? Grundlagen der Rechtsordnung in rechtsund gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: Mitsukuni Yasaki / Alois Troller / José Llompart (Hrsg.), Japanisches und europäisches Rechtsdenken - Versuch einer Synthese philosophischer Grundlagen, Berlin 1985, S. 233 - 277.
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Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus im Rechtsdenken der Gegenwart, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Schülern und Kollegen, Stuttgart 1986, S. 114 - 148. Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage in der RechtsanWendung, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Internationales Symposium Münster 1984, Köln / Berlin / Bonn / München 1986, S. 517 - 550. Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen, in: Paul Hofmann / Ulrich Meyer-Cording / Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, Köln / Berlin 1987, S. 217 - 235. Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 157 - 177. Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm? In: Ota Weinberger / ders. (Hrsg.), Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, Wien / New York 1988, S. 315 - 369. Prinzipien öffentlicher Moral versus Recht? In: Gerd Roellecke (Hrsg.), Öffentliche Moral: Gut und Böse in der Beobachtung durch Geschichte, Religion, Wirtschaft, Verteidigung und Recht, Heidelberg 1991, S. 21 - 68. The Concept of Law Re-Visited: A New Approach to Theory and Sociology of Law, in: Vincenzo Ferrari (Hrsg.), Laws and Rights, Milano 1991, S. 155 - 170. Theorie und Forschungsprogramm menschlicher Rechtserfahrung Rechtslehre Otto Brusiins, in: RECHTSTHEORIE 22 (1991), S. 1 - 37.
Allgemeine
Brauchen wir eine neue Theorie der Verantwortung? Voraussetzungen und Folgen rechtlicher Verantwortungsattribution, in: Demokratie und Rationalität, Wien 1992 (Internationales Jahrbuch für Rechtsphilosophie und Gesetzgebung), S. 49 - 86. Das rechtsphilosophische und rechtstheoretische Werk von Norbert Achterberg, in: Werner Hoppe / ders. / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium. Münster 1988, Köln / Berlin / Bonn / München 1992, S. 13 24. Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Diskussion, ebd. S. 520 - 544. Droit et Jeu. Le point de vue de la théorie des systèmes, in: Francois Ost / Michel van de Kerchove (Hrsg.), Le jeu: un paradigme pour le droit, Paris 1992, S. 218 231. Franz Weyr und die Brünner Schule einer normativen Theorie des Rechts, in: RECHTSTHEORIE 23 (1992), S. 147 - 148.
Moral versus Legal Responsibility? Different Motives and Models for Attributing Rights and Duties, in: ders. / Georg Henrik von Wright (Hrsg.), Öffentliche oder private Moral? Vom Geltungsgrunde und der Legitimität des Rechts. Festschrift für Ernesto Garzón Valdés, Berlin 1992, S. 43 - 55. Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribution in rechtsethischer Perspektive, in: Volker Gerhardt / ders. (Hrsg.), Recht und Natur. Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach, Berlin 1992, S. 147 - 187. Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie so-
Schrifttumsverzeichnis zialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 1 4 - 4 2 .
Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem des Rechts, in: ebd., S. 247 - 301. Kazimierz Opaleks Rechtstheorie - in internationaler Perspektive betrachtet, in: ders. / Jerzy Wróblewski (Hrsg.), Sprache, Performanz und Ontologie des Rechts. Festgabe für Kazimierz Opalek zum 75. Geburtstag, Berlin 1993, S. V - XX. Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta / ders. / Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, Berlin 1993, S. 81 - 133. Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: ders. / Mihâly Samu / Péter Szilâgyi (Hrsg.), Verfassungsstaat, Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, Berlin 1995, S. 435 -461. Theorie der Verantwortung - neu oder alt? Zur normativen Verantwortungsattribution mit Mitteln des Rechts, in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Verantwortung: Prinzip oder Problem, Darmstadt 1995, S. 184 - 216. Ulrich Klugs Theorie der Philosophie des Rechts im Umriß, in: Verein zur Förderung der Rechtswissenschaft (Hrsg.), Ulrich Klug (1913 - 1993) zum Gedächtnis. Reden anläßlich der Akademischen Trauerfeier am 8.12.1994, Köln 1995, S. 11 - 28. Akzeptanz von Recht und Richterspruch? Geltungsgrundlagen normativer Kommunikation im Bereich des Rechts, in: Werner Hoppe / ders. / Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium, Köln / Berlin / Bonn / München 1996, S. 455 - 519. Assoziationen versus Staat? Normative Strukturelemente föderaler politisch-rechtlicher Gemeinschaftsbildung, in: Giuseppe Duso / ders. / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1996 (RECHTSTHEORIE, Beiheft 16), S. 321 - 339. Sprachphilosophie in der Jurisprudenz, in: Marcelo Dascal / Dietfried Gerhardus / Kuno Lorenz / Georg Meggle (Hrsg.), Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 2. Halbband, Berlin / New York 1996, S. 1470 1489. Recht als normatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive, in: Ernesto Garzón Valdés / ders. / Georg Henrik von Wright / Ruth Zimmerling (Hrsg.), Normative Systems in Legal and Moral Theory. Festschrift for Carlos E. Alchourrón and Eugenio Bulygin, Berlin 1997, S. 369 - 390. Vernunft versus Rationalität, in: Herbert Haller / Christian Kopetzki / Richard Novak / Stanley L. Paulson / Bernhard Raschauer / Georg Ress / Ewald Wiederin (Hrsg.), Staat und Recht. Festschrift für Günther Winkler, Wien / New York 1997, S. 515 - 540. Vorwort. Autokratie, Demokratie und Rechtsstaat im iberoamerikanischen Rechtssystem. in: ders. / Ernesto Garzón Valdés / Agustin Squella (Hrsg.), Neuer Konstitutionalismus und politische Herrschaftsstrukturen in vergleichender Perspektive - Iberoamerika und Europa im Dialog, Berlin 1998 (RECHTSTHEORIE, Beiheft 13) (im Druck).
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281
Krawietz, Werner / Welker, Michael: Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 9 - 13. Kubeè, Vladimir: Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, in: Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht und Völkerrecht 31 (1980), S. 155 - 199. Lamprecht, Rolf: Richter contra Richter - abweichende Meinungen und ihre Bedeutung für die Rechtskultur, Baden-Baden 1992. Lauermann, Manfred: Ist 'Kultursoziologie' institutionalisierbar? Zur Gründung der Sektion Kultursoziologie in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, in: Helmuth Berking / Richard Faber (Hrsg.), Kultursoziologie - Symptom des Zeitgeistes? Würzburg 1989, S. 286 - 307. Lenk, Hans: Wissenschaft gegen Irrationalismus? In: Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft (Hrsg.), Wissenschaft gegen Irrationalismus? O. 0. 1984, S. 15-30. — Typen und Systematik der Rationalität, in: ders. (Hrsg.), Zur Kritik wissenschaftlicher Rationalität, Freiburg / München 1986, S. 11 - 27. Lepsius, M. Rainer: Artikel Industrie und Betrieb, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 129 142. — Frische Luft durch geöffnete Fenster. René König 1951 und später, in: Heine von Alemann / Gerhard Kunz (Hrsg.), René König: Gesamtverzeichnis der Schriften. In der Spiegelung von Freunden, Schülern, Kollegen, Opladen 1992, S. 238 - 241. Lichtenberg, Peter: Die Tätigkeit der Notare: Konfliktprophylaxe und Alternative der Konfliktregelung, in: Erhard Blankenburg / Walther Gottwald / Dieter Strempel (Hrsg.), Alternativen in der Ziviljustiz - Berichte, Analysen, Perspektiven, Köln 1982, S. 4 7 - 50. Linton, Ralph: Der Begriff der Kultur, in: ders., Gesellschaft, Kultur und Individuum. Interdiziplinäre Grundbegriffe, Frankfurt a. M. 1974, S. 29 - 49. Lipp, Wolfgang: Institution, Reflexion und Freiheit - Wege in Widersprüche. Helmut Schelskys Institutionenlehre, in: Horst Baier (Hrsg.), Helmut Schelsky - ein Soziologe in der Bundesrepublik. Eine Gedächtnisschrift von Freunden, Kollegen und Schülern, Stuttgart 1986, S. 78 - 95. — Drama Kultur, Berlin 1994. — Gesellschaft als Kultur, in: ebd., S. 75 - 81. Lipp, Wolfgang / Tenbruck, Friedrich H.: Zum Neubeginn der Kultursoziologie, in: dies. (Hrsg.), Kultursoziologie, Schwerpunktheft 3 der Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie 31 (1979), S. 393 - 398. Llewellyn, Karl N.: Constitution as an Institution, in: Columbia Law Review 34 (1934), S. 1 - 40. Llompart, José: Dichotomisierungen in der Theorie und Philosophie des Rechts, Berlin 1993. Lübbe, Weyma: Legitimität kraft Legalität. Sinnverstehen und Institutionenanalyse bei Max Weber und seinen Kritikern, Tübingen 1991.
282
Schrifttumsverzeichnis
Luhmann, Niklas: Die Gewissensfreiheit und das Gewissen, in: Archiv des Öffentlichen Rechts 90 (1965), S. 257-286. — Normen in soziologischer Perspektive, in: Soziale Welt 20 (1969), S. 28 - 49. — Zur Funktion der „subjektiven Rechte", in: Rüdiger Lautmann / Werner Maihofer / Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Bielefeld 1970 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1), S. 321 330. — Rechtssoziologie, Bd. 2, Reinbeck 1971. — Sinn als Grundbegriff der Soziologie, in: ders. / Jürgen Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie - Was leistet die Systemforschung? Frankfurt a. M. 1971, S. 25 - 100. — Zweck - Herrschaft - System, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 90 - 112. — Institutionalisierung, Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft, in: Helmut Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, 2. Aufl., Düsseldorf 1973, S. 2 - 4 1 . — Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion von Komplexität, 2. erweiterte Aufl., Stuttgart 1973. — Funktion und Kausalität, in: ders., Soziologische Aufklärung 1. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, 4. Aufl., Opladen 1974, S. 9 - 30. — Soziologische Aufklärung, in: ebd., S. 66 - 91. — Grundrechte als Institution. Ein Beitrag zur politischen Soziologie, 2. Aufl., Berlin 1974. — Macht, Stuttgart 1975. — Arbeitsteilung und Moral. Dürkheims Theorie, in: Emile Durkheim, Über die Teilung der sozialen Arbeit, Frankfurt a. M. 1977, S. 17 - 35. — Soziologie der Moral, in: ders. / Stephan H. Pfurtner (Hrsg.), Theorietechnik und Moral, Frankfurt a. M. 1978, S. 8 - 116. — Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt a. M. 1981. — Die Evolution des Rechts, in: ebd., S. 11 - 35. — Ausdifferenzierung des Rechtssystems, in: ebd., S. 35 - 51. — Konflikt und Recht, in: ebd., S. 92 - 112. — Die juristische Rechtsquellenlehre aus soziologischer Sicht, in: ebd., S. 308 - 325. — Einige Probleme mit „reflexivem Recht", in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 6 (1985), S. 1 - 18. — Die soziologische Beobachtung des Rechts, Frankfurt a. M. 1986. — „Distinctions Directrices". Über Codierung von Semantiken und Systemen, in: Friedhelm Neidhardt / Rainer M. Lepsius / Johannes Weiß (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft René König, dem Begründer der Sonderhefte, zum 80. Geburtstag gewidmet, Opladen 1986 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 27), S. 145-161.
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283
Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987. Soziale Systeme, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1987. Legitimation durch Verfahren, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1989. Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: RECHTSTHEORIE 21 (1990), S. 459 473. Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1990. Ökologische Kommunikation, 3. Aufl., Opladen 1990. Pradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral. Rede von Niklas Luhmann anläßlich der Verleihung des Hegel Preises 1989, Frankfurt a. M. 1990. Die Geltung des Rechts, in: RECHTSTHEORIE 22 (1991), S. 273 - 286.
Einfache Sozialsysteme, in: ders., Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie der Gesellschaft, Bd. 2, 4. Aufl., Opladen 1991, S. 21 - 38. Soziologie des Risikos, Berlin / New York 1991. Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992. Die Universität als organisierte Institution, in: ders., Universität als Milieu. Kleine Schriften, hrsg. von André Kieserling, Bielefeld 1992, S. 90 - 99. Stellungnahme, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 371 -386. Wer kennt Wil Martens? Eine Anmerkung zum Problem der Emergenz sozialer Systeme, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 44 (1992), S. 139 - 142. Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1993. Die Form der Schrift, in: Hans Ulrich Gumbrecht / K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.) Schrift, München 1993, S. 349 - 366. Soziologische Aufklärung, Bd. 3: Soziales System, Gesellschaft, Organisation, 3. Aufl., Opladen 1993. Handlungstheorie und Systemtheorie, in: ebd., S. 50 - 80. Organisation und Entscheidung, in: ebd., S. 335 - 389. Soziologische Aufklärung, Bd. 6.: Die Soziologie und der Mensch, Opladen 1995. Was ist Kommunikation? In: ebd., S. 113 - 124. Die gesellschaftliche Differenzierung und das Individuum, in: ebd., S. 125 - 141. Die Form „Person", in: ebd., S. 142 - 154. Über Natur, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1995, S. 9 - 30. Kultur als historischer Begriff, in: ebd., S. 31 - 54. Jenseits von Barbarei, in: ebd., S. 138 - 150. Die Soziologie des Wissens: Probleme ihrer theoretischen Konstruktionen, in: ebd., S. 151 - 180. Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1997.
284
Schrifttumsverzeichnis
MacCormick, Donald Neil / Weinberger, Rechtspositivismus, Berlin 1985.
Ota: Grundlagen des Institutionalistischen
Malinowski, Bronislaw: Die Funktionaltheorie, in: ders., Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur und andere Aufsätze, Zürich 1949, S. 20 - 44. — Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur, in: ebd., S. 45 - 170. Mayntz, Renate: Soziologie der Organisation, 4. Aufl., Reinbeck 1969. Mead, Georg H.: Mind, Self and Society, Chicago 1934, deutsch: Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1968. Mender, Stephan: Schadensersatz als Enttäuschungsverarbeitung. Zur erkenntnistheoretischen Grundlegung eines modernen Schadensbegriffs, Berlin 1989. Merkel, Adolf: Gesetztes Recht und Richterrecht, in: Hans Klecatsky / René Marcie / Herbert Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule. Ausgewählte Schriften von Hans Kelsen, Adolf Merkel, Alfred Verdross, Wien 1968, S. 1615 1624. Meyer, Max Ernst: Rechtsnormen als Kulturnormen, in: Strafrechtliche Abhandlungen Heft 50, Breslau 1903, S. 1 - 1 3 0 . Mills, Theodore M.: Soziologie der Gruppe, 3. Aufl., München 1971. Münch, Ingo von: Rechtskultur. Vortrag anläßlich der Entgegennahme des Emile-v.Sauer-Preises des Hamburgerischen Anwaltsvereins, in: Neue Juristische Wochenschrift 46 (1993), S. 1673 - 1678. Münch, Richard: Theorie des Handelns. Zur Rekonstruktion der Beiträge von Talcott Parsons, Emile Durkheim und Max Weber, Frankfurt a. M. 1982. Narr, Wolf-Dieter / Naschold, Frieder: Theorie der Demokratie. Einführung in die moderne politische Theorie, Bd. 3, 2. Aufl., Stuttgart 1973. Nawiasky, Hans: Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, 2. durchgearbeitete und erweiterte Aufl., Einsiedeln / Zürich / Köln 1948. Neidhardt, Friedhelm: Das innere System sozialer Gruppen, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 31 (1979), S. 639 - 660. — Themen und Thesen zur Gruppensoziologie, in: ders. (Hrsg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, Köln / Opladen 1983 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 25), S. 12 - 34. Neidhardt, Friedhelm / Lepsius, M. Rainer / Weiß, Johannes (Hrsg.): Kultur und Gesellschaft. René König, dem Begründer der Sonderhefte, zum 80. Geburtstag gewidmet, Opladen 1986 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 27). Neumann, Ulfrid: Theorie der Rechtsgeltung, in: Volkmar Gessner / Winfried Hassemer (Hrsg.), Gegenkultur und Recht, Baden-Baden 1985, S. 21 - 41. Ogburn, William Fielding: Die Theorie der kulturellen Phasenverschiebung, in: ders., Kultur und sozialer Wandel. Ausgewählte Schriften, hrsg. und eingeleitet von Otis Dudley Duncan, Neuwied 1969, S. 134 - 144. Olivecrona, Karl: Law as Fact, 2. Aufl., London 1971. Opalek, Kazimierz: Der Dualismus der Auffassung der Norm in der Rechtswissenschaft. Der Versuch seiner Überwindung, in: RECHTSTHEORIE 20 (1989), S. 433 - 447.
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— Unterschiedliche Normbegriffe: Theodor Geiger und analytische Normentheorie, in: Siegfried Bachmann (Hrsg.), Theodor Geiger. Soziologie in einer Zeit „zwischen Pathos und Nüchternheit". Beiträge zu Leben und Werk, Berlin 1995, S. 211 - 217. Opp, Karl-Dieter: Einige Bedingungen für die Befolgung von Gesetzen, in: Klaus Lüderssen / Fritz Sack (Hrsg.), Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1982, S. 214 - 243. Parsons , Talcott: The Structure of Social Action. A Study in Social Theory with Special Reference to a Group of Recent European Writers, 2. Aufl., Glencoe, 111. 1949 (1. Aufl. 1937). — General Statement, in: ders. / Edward Shils (Hrsg.), Toward a General Theory of Action, Cambridge, Mass. 1951, S. 3 - 29. — The Social System, London 1952. — Some Problems of General Theory in Sociology, in: John C. McKinny / Edward A. Tyriakian (Hrsg.), Theoretical Sociology: Perspectives and Developments, New York 1970, S. 2 7 - 6 8 . — Culture and Social System Revisited, in: Louis Schneider / Charles Bonjean (Hrsg.), The Idea of Culture in the Social Scienes, Cambrigde 1973, S. 33 - 46. — Systematische Theorie in der Soziologie. Gegenwärtiger Stand und Ausblick (1945), in: ders., Soziologische Theorie, hrsg. und eingeleitet von Dietrich Rüschemeyer, 3. Aufl., Darmstadt / Neuwied 1973, S. 31 - 65. — Gesellschaften. Evolutionäre und komparative Perspektiven, Frankfurt a. M. 1975. — Der Begriff der Gesellschaft: Seine Elemente und ihre Verknüpfungen, in: Zur Theorie sozialer Systeme, hrsg. und eingeleitet von Stefan Jensen, Opladen 1976, S. 121 -
160. — Evolutionäre Universalien der Gesellschaft, in: Wolfgang Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, 4. Aufl., Königstein / Ts. 1979, S. 55 - 74. — Aktor, Situation und normative Muster. Ein Essay zur Theorie sozialen Handelns, hrsg. und übersetzt von Harald Wenzel, Frankfurt a. M. 1986. Petev, Valentin: Rechtsquellenlehre und Reine Rechtslehre, in: Werner Krawietz / Helmut Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 273 -287. — Ein spontanes Recht? In: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 301 317. Plenge, Johann: Als dritter Redner im Symposion, in: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Soziologie 5 (1929), S. 386 - 405. — Wie kommt die Soziologie zur Übersicht ihrer Probleme, in: Archiv für angewandte Soziologie 2 (4) (1929), S. 99 - 113. Popitz, Heinrich: Die normative Konstruktion von Gesellschaft, Tübingen 1980. Pospisil, Leopold: Anthropologie des Rechts, in: ders., Recht und Gesellschaft in archaischen und modernen Kulturen, München 1982, S. 248 - 296. Radbruch, Gustav: Grundzüge der Rechtsphilosophie, 3. ganz neu bearbeitete und stark vermehrte Aufl., Leipzig 1932.
286
Schrifttumsverzeichnis
Raiser , Thomas: Rechtssoziologie, Frankfurt a. M. 1987. Rehberg, Karl-Siegbert: Kultur versus Gesellschaft. Anmerkungen zu einer Streitfrage in der deutschen Soziologie, in: Friedhelm Neidhardt / M. Rainer Lepsius / Johannes Weiß (Hrsg.), Kultur und Gesellschaft. René König, dem Begründer der Sonderhefte, zum 80. Geburtstag gewidmet, Opladen 1986 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 27), S. 92 - 115. Rehbinder, Manfred: Die Rechtstatsachenforschung im Schnittpunkt von Rechtssoziologie und soziologischer Jurisprudenz, in: Rüdiger Lautmann / Werner Maihofer / Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktionen des Rechts in der modernen Gesellschaft, Bielefeld 1970 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1), S. 333 - 359. Röhl, Klaus F.: Das Dilemma der Rechtstatsachenforschung, Tübingen 1974. — Rechtssoziologie. Ein Lehrbuch, Köln / Berlin / Bonn / München 1987. — Institutionentheoretische Ansätze und institutionelles Rechtsdenken, in: Gerhard Göhler / Kurt Lenk / Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, S. 357 - 380. — Allgemeine Rechtslehre. Ein Lehrbuch, Köln / Berlin / Bonn / München 1994. Rolke, Lothar: Rationalität, Rationalisierung, in: Joachim Ritter / Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, völlig neubearbeitete Ausgabe des 'Wörterbuchs der Philosophischen Begriffe' von Rudolf Eisler, Bd. 8: R - Sc, Basel 1992, Spalte 5 2 - 6 2 . Romano, Santi: Die Rechtsordnung, hrsg. von Roman Schnur, Berlin 1975. Ross, Alf: Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis. Zugleich Prolegomena zu einer Kritik der Rechtswissenschaft, Kopenhagen / Leipzig 1933. — Directives and Norms, London 1968. — Theorie der Rechtsquellen: Ein Beitrag zur Theorie des positiven Rechts auf der Grundlage dogmenhistorischer Untersuchungen, Aalen 1989. Rüschemeyer, Dietrich: Artikel Religion, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 261 - 266. Rüthers, Bernd: Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1973. — Wir denken uns die Rechtsbegriffe um ... Weltanschauung als Auslegungsprinzip, Osnabrück 1987. Sack, Peter / Wellman, Carl P. / Yasaki, Mitsukuni (Hrsg.): Monismus oder Pluralismus der Rechtskulturen? Verhandlungen des 13. Weltkongresses der IVR in Kobe 1987, Berlin 1992 (RECHTSTHEORIE, Beiheft 12). Sajô, Andrâs: Bargained Law: High-Risk High Tech Regulations and Its Consequences on the Structure of Contemporary Law, in: Werner Krawietz / Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, Berlin 1991 (RECHTSTHEORIE, Beiheft 11), S. 233 - 247. Samu, Mihâly: Rechtsordnung und sozietale Gesetzlichkeit, in: Werner Krawietz / Robert S. Summers / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright (Hrsg.), The Reasonable as Rational? On Legal Argumentation and Justification. Festschrift for Aulis Aarnio (im Druck).
Schrifttumsverzeichnis
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Schäffle, Albert Eberhard Friedrich: Bau und Leben des sozialen Körpers, encyclopädischer Entwurf einer realen Anatomie, Physiologie und Psychologie der menschlichen Gesellschaft mit besonderer Rücksicht auf die Volkswirtschaft als sozialen Stoffwechsel, Bd. 1 - 4, Tübingen 1875 - 1878. Schelsky, Helmut: Die Aufgaben der Familiensoziologie in Deutschland. (Zu René König: Materialien zur Soziologie der Familie), in: Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie 1 (1949 / 50), S. 218 - 247. — Auf der Suche nach Wirklichkeit, Düsseldorf / Köln 1965. — Über die Stabilität von Institutionen besonders Verfassungen. Kulturanthropologische Gedanken zu einem rechtssoziologischen Thema, in: ebd., S. 33 - 59. — Der Realitätsverlust der modernen Gesellschaft, in: ebd., S. 391 - 404. — Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation, in: ebd., S. 439 - 480. — Planung der Zukunft. Die rationale Utopie und die Ideologie der Rationalität, in: Soziale Welt 17(1966), S. 157- 172. — Ortsbestimmungen der deutschen Soziologie, 3. Aufl., Düsseldorf / Köln 1967. — Soziologie als Wirklichkeitskontrolle, in: ebd., S. 122 - 131. — Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, 5. Aufl., Stuttgart 1967. — Die Arbeit tun die anderen. Klassenkampf und Priesterherrschaft der Intellektuellen, München 1977. — Die Soziologen und das Recht. Abhandlungen und Vorträge zur Soziologie von Recht, Institution und Planung, Opladen 1980. — Die juridische Rationalität, in: ebd., S. 34 - 76. — Die Soziologen und das Recht, in: ebd., S. 77 - 94. — Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: ebd., S. 95 - 146. — Das Jhering Modell des sozialen Wandels durch Recht, in: ebd., S. 147 - 186. — Soziologiekritische Bemerkungen zu gewissen Tendenzen von Rechtssoziologen, in: ebd., S. 192- 195. — Zur soziologischen Theorie der Institution, in: ebd., S. 215 - 231. — Rückblicke eines „Anti-Soziologen", Opladen 1981. — Zur Entstehungsgeschichte der bundesdeutschen Soziologie. Ein Brief an Rainer Lepsius, in: ebd., S. 11 - 69. — Die Erfahrungen vom Menschen. Was ich von Bürger-Prinz gelernt habe, in: ebd., S. 109- 126. — Die verschiedenen Weisen, wie man Demokrat sein kann. Erinnerungen an Hans Freyer, Helmuth Plessner und andere ..., in: ebd., S. 134 - 160. Schemann, Andreas: Strukturelle Kopplung. Zur Festlegung und normativen Bindung offener Möglichkeiten sozialen Handelns, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 215 - 229. SchnädeIbach, Herbert: Kultur, in: Ekkehard Martens / ders. (Hrsg.), Philosophie. Ein Grundkurs, Bd. 2, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 508 - 548.
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Schrifttumsverzeichnis
Schott, Rüdiger: Die Funktion des Rechts in primitiven Gesellschaften, in: Rüdiger Lautmann / Werner Maihofer / Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Gütersloh 1970 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 1), S. 107 - 174. Schröder, Rainer: Rechtsfrage und Tatfrage in der normativistischen Institutionentheorie Ota Weinbergers. Zur Kritik eines institutionalistischen Rechtspositivismus, Diss. iur. Münster 1998. Schulte, Martin: Schlichtes Verwaltungshandeln, Tübingen 1995. Schulz, Wolfgang K.: Untersuchungen zur Kulturtheorie Theodor Litts. Neue Zugänge zu seinem Werk, Weinheim 1990. — Wert - Symbol - Wissen. Anmerkungen zum Paradigmenwechsel in der Kulturtheorie der Weimarer Zeit, in: Helmut Brackert / Fritz Wefelmeyer (Hrsg.), Kulturbestimmungen im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1990, S. 132 - 155. Siep, Ludwig: Recht und Gewalt, in: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 599 -617. Sigrist, Christian: Die Amba und die These der Universalität von Herrschaft - Eine Erwiderung auf einen Aufsatz von Ralf Dahrendorf, in: Europäisches Archiv für Soziologie 5 (1964), S. 272-276. Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Gesamtausgabe Bd. 11, hrsg. von Otthein Rammstedt, Frankfurt a. M. 1992. Smaus, Gerlinda: Theorielosigkeit und politische Botmäßigkeit der KOL-Untersuchungen, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 2 (1981), S. 245 - 277. — Eine Erwiderung auf Blankenburg, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 3 (1982), S. 297 - 304. Smend, Rudolf: Verfassung und Verfassungsrecht, München / Leipzig 1928. Snow, Charles P.: The Two Cultures: and a Second Look. An Expanded Version of the Two Cultures and the Scientific Revolution, Cambridge 1965. Sombart, Werner: Noo-Soziologie, Berlin 1956. Sorokin, Pitrim Α.: Die Organisierte Gruppe (Institution) und Rechtsnormen, in: Ernst E. Hirsch / Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, 2. Aufl., Opladen 1971 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 11), S. 87 - 120. Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse der Morphologie der Weltgeschichte, Erster Band: Gestalt und Wirklichkeit, München 1920. Stichweh, Rudolf: Zur Theorie der Weltgesellschaft, in: Soziale Systeme 1 (1995), S. 29 -45. Stone, Gregory P.: Begriffliche Probleme der Kleingruppenforschung, in: Günther Lüschen (Hrsg.), Kleingruppenfoschung und Gruppe im Sport, Opladen 1966 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 10), S. 44 - 65. Summers, Robert S.: Der formale Charakter des Rechts II, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 80 (1994), S. 66 - 84. — The Formal Character o f L a w III, in: RECHTSTHEORIE 25 (1994), S. 125 - 162.
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Sumner , William Graham: Folkways. A Study of Sociological Importance of Usages, Manners, Customs, Mores, and Morals, with a special introduction by William Lyon Phelps, Boston 1940. Tay, Alice Erh-Soon: One World? One Law? One Culture? In: RECHTSTHEORIE 19 ( 1 9 8 8 ) , S. 1 - 10.
Tenbruck, Friedrich H.: Der Fortschritt der Wissenschaft als Trivialisierungprozeß, in: Nico Stehr / René König (Hrsg.), Wissenssoziologie, Opladen 1978, S. 19 - 47. — Die unbewältigten Sozialwissenschaften oder Die Abschaffung des Menschen, Graz / W i e n / K ö l n 1984. — Die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft, in: ders., Der Fall der Moderne, 2. Aufl., Opladen 1990, S. 126- 142. — Die Aufgaben der Kultursoziologie. Gesammelte Aufsätze, in: ders., Perspektiven der Kulturtheorie, hrsg. von Wilfried Dreyer / Harald Homann, Opladen 1996, S. 48 -74. Teubner, Gunther: Organisationstheorie und Verbandsverfassung, Tübingen 1978. — Reflexives Recht: Entwicklungsmodelle des Rechts in vergleichender Perspektive, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 68 (1982), S. 13 - 59. — Gesellschaftsordnung durch Gesetzgebungslärm? Autopoietische Geschlossenheit als Problem für die Rechtssetzung, in: Dieter Grimm / Werner Maihofer (Hrsg.), Gesetzgebungstheorie und Rechtspolitik. Jahrbuch für Rechtssoziologie 13 (1988), S. 45 64. — Recht als autopoietisches System, Frankfurt a. M. 1989. — Die Episteme des Rechts. Zu erkenntnistheoretischen Grundlagen des reflexiven Rechts, in: Dieter Grimm (Hrsg.) unter Mitwirkung von Evelyn Hagenah, Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, Baden-Baden 1990, S. 115-154. — Des Königs viele Leiber. Selbstdekonstruktion der Hierachie des Rechts, in: Soziale Systeme 2 (1996), S. 229 -255. Thürer, Daniel: Die Dominanz des Rechts in der Moderne. Europäische Integration Spiegelbild einer sich wandelnden Rechtskultur, in: Neue Zürcher Zeitung 181 (1996) vom 7.8.1996, S. 29. Thum, Hans-Peter: Kultursoziologie - Zur Begriffsgeschichte einer Disziplin, in: Kultursoziologie, besorgt von Wolfgang Lipp und Friedrich H. Tenbruck, Schwerpunktheft 3 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 31 (1979), S. 422 -449. Timascheff, 1939.
Nicholas S.: An Introduction to the Sociology of Law, Cambridge / Mass.
Tönnies, Ferdinand: Die Sitte, Frankfurt a. M. 1909. — Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Neudruck der 8. verbesserten Aufl. von 1935, 3. unveränderte Aufl., Darmstadt 1991. Tyrell, Hartmann: Gewalt, Zwang und die Institutionalisierung von Herrschaft: Versuch einer Neuinterpretation von Max Webers Herrschaftsbegriff, in: Rosemarie Pohlmann (Hrsg.), Person und Institution - Helmut Schelsky gewidmet, Würzburg 1980, S. 59 - 92.
19 Vcddclcr
290
Schrifttumsverzeichnis
— Zwischen Interaktion und Organisation I: Gruppe als Systemtyp, in: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.), Gruppensoziologie. Perspektiven und Materialien, Köln / Opladen 1983 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 25), S. 75 -88. Utz, Arthur F.: Der unzerstörbare Kern der Naturrechtslehre, in: RECHTSTHEORIE 11 (1980), S. 283 -297. Veddeler, Klaus: Gedächtnisprotokoll des Gesprächs mit René König vom 11. November 1991 in Köln-Widdersdorf (unveröffentlichtes Manuskript). Walter, Robert: Wirksamkeit und Geltung, in: Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht X I (1961), S. 531 - 541. — Sein und Sollen, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, Gruppe 2 / 540. Wasilewski, Rainer: Streitverhütung durch Rechtsanwälte. Empirische Untersuchung von Umfang, Struktur und Bedingungen außergerichtlicher Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten durch Rechtsanwälte, Köln 1990. Wassener, Fernando: Modernes Design für die Anwaltsrobe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.8.1989, Nr. 186, S. 9. Weber, Alfred: Artikel Kultursoziologie, in: Alfred Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie. Gekürzte Studienausgabe, Stuttgart 1982, S. 81 - 91. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, 5. revidierte Aufl., besorgt von Johannes Winkelmann, Tübingen 1980. — R. Stammlers „Ueberwindung" der materialistischen Geschichtsauffassung, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Johannes Winkelmann, 7. Aufl., Tübingen 1988, S. 291 - 359. — Nachtrag zu dem Aufsatz über R. Stammlers 'Ueberwindung' der materialistischen Geschichtsauffassung, in: ebd., S. 360 - 383. — Ueber einige Kategorien der Verstehenden Soziologie, in: ebd., S. 427 - 474. — Die drei Typen der legitimen Herrschaft, in: ebd., S. 475 - 488. Weber-Grellet, S. 8 9 - 9 1 .
Heinrich: Rechtsrealismus, in: ders., Rechtsphilosophie, Münster 1997,
Weinberger, Ota: Der Begriff der Sanktion und seine Rolle in der Normenlogik und Rechtstheorie, in: Hans Lenk (Hrsg.), Normenlogik, Pullach 1974, S. 89 - 111. — Gesetzgebung und Motivation, in: limar Tammelo / Erhard Mock (Hrsg.), Rechtstheorie und Gesetzgebung. Festschrift für Robert Weimar, Frankfurt a. M. / Bern / New York 1986, S. 117- 145. — Entwurf einer neoinstitutionalistischen Soziologie - gleichzeitig Betrachtungen über die philosophischen Grundlagen der Normentheorie, in: Urs Fazis / Jachen C. Natt (Hrsg.), Gesellschaftstheorie und Normentheorie. Symposium zum Gedenken an Theodor Geiger 9.11.1891 - 16.6.1952, Berlin 1993, S. 45 -60. — Alternative Handlungstheorie. Gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit Georg Henrik von Wrights praktischer Philosophie, Wien / Köln / Weimar 1996. Welker, Michael: Einfache oder multiple doppelte Kontingenz? Minimalbedingungen der Beschreibung von Religion und emergenten Strukturen sozialer Systeme, in: Werner Krawietz / ders. (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 355 - 370.
Schrifttumsverzeichnis
291
Werner, Petra: Soziale Systeme als Interaktion und Organisation. Zum begrifflichen Verhältnis von Institution, Norm und Handlung, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt a. M. 1992, S. 200 - 214. — Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995. Westermann, Harry: Person und Persönlichkeit, Köln / Opladen 1957. Weyr, Frantisék: Der Begriff der Norm, in: Vladimir Kube§ / Ota Weinberger (Hrsg.), Die Brünner rechtstheoretische Schule (Normative Theorie), Wien 1980, S. 50 - 88. Whorf,
Benjamin L.: Sprache - Denken - Wirklichkeit, Reinbek 1963.
Wiese, Leopold von: Artikel Institution, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 5. Band, Stuttgart / Tübingen / Göttingen 1956, S. 297 - 298. — Artikel Beziehungssoziologie, in: Alfred Vierkandt (Hrsg.), Handwörterbuch der Soziologie, unveränderter Neudruck, Stuttgart 1959, S. 66 - 81. — System der allgemeinen Soziologie als Lehre von den sozialen Prozessen und sozialen Gebilden der Menschen (Beziehungslehre), 4. Aufl., Berlin 1966. Willems, Emilio: Artikel Ethnologie, in: René König (Hrsg.), Lexikon Soziologie, umgearbeitete und erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 1967, S. 60 - 69. — Artikel Primitive Gesellschaften, in: ebd. S. 246 - 253. Winkelmann, Johannes: Erläuterungsband zu: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1976. Textkritische Erläuterungen zum ersten Halbband, 5. Aufl., Tübingen 1976. Winkler, Günther: Sein und Sollen. Betrachtungen über das Verhältnis von Sein und Sollen im Hinblick auf das Verhältnis von sozialer Wirklichkeit und Recht, in: RECHTSTHEORIE 9 (1979), S. 257 - 280.
Withehead, Alfred North: Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie, Frankfurt a. M. 1987. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, in: ders., Tractatus logico-philosophicus, Werkausgabe, Bd. 1: Tractatus logico-philosophicus, Tagebücher 1914 1916, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a. M. 1984. Wurzbacher, Gerhard: Sozialisation - Enkulturation - Personalisation, in: ders. (Hrsg.), Der Mensch als soziales und personales Wesen, Stuttgart 1963, S. 1 - 34. Wüstendörfer, Hans: Zur Hermeneutik der soziologischen Rechtsfindungstheorie, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 9 (1915 / 16), S. 170 - 180. Wyduckel, Dieter: lus Publicum. Grundlagen und Entwicklung des Öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1984. — Recht und Rechtswissenschaft im nachpositivistischen Rechtsrealismus, in: Eugene Kamenka / Robert S. Summers / William L. Twining (Hrsg.), Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, Berlin 1986, S. 349 - 365. — Normativität und Positivität des Rechts, in: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson / Ota Weinberger / Georg Henrik von Wright / ders. (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 437 474.
19*
292
Schrifttumsverzeichnis
— Föderalismus als rechtliches und politisches Gestaltungsprinzip bei Johannes Althusius und John C. Calhoun, in: Giuseppe Duso / Werner Krawietz / ders. (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997, S. 259-293. Zippelius, Reinhold: Die Bedeutung kulturspezifischer Leitideen für die Staats- und Rechtsgestaltung, Wiesbaden 1987.
Sachverzeichnis Actor-situation-system 124 Äquivalenz - funktionale 210 Aktionsnorm 167 f f - Verhältnis zur Reaktionsnorm 169 Akzeptanz 102, 250, 254 ff. Analogie 264 Anerkennung 102, 254 ff. Anerkennungstheorie 84, 181, 254 ff. Anerkennungswürdigkeit 254 ff. - durch die Sanktionsorgane 181 f. Anomie 62 Anpassung 191 ff.
- philosophische 36 - soziologische 90 ff. Ausdifferenzierung - des Rechts 18, 87, 195 ff. Auslegung - institutionalistische 224 f., 264 Autopoiese 92, 248 Autorität 68, 260 Basic needs 234 Bedürfnisbefriedigung - instinktive 234 - institutionelle 221, 234 Befolgungsmotive 148 Begriffsjurisprudenz 100 Behaviorismus 121, 146, 243 Beziehung 54 f f
- kreative 191 - selbsterzeugte 191 Anpassungskapazität 194 Anthropologie 112, 233 f. Antinomie - von Individuum und Gesellschaft 123? 142 Arbitrarität 63 Assoziation, en 55, 78 ff. - als Gruppe 75, 78 ff. - Begriff der ~ 78 f., 80 - Begriff der ~ in der Rechtssoziologie 79 - sozialkulturelle 80 - Strukturmerkmale der ~ 80 - artifizielle 81 Atomismus - sozialer 60, 77, 127
Code 26 Conditio-sine-qua-non 130 Creative adjustment 191 Cultural lag 207
- psychologistischer 120 Attribuierungsprozeß - normativer 57 Aufklärung
Denkakte 17 Derogation 216 Diskurstheorie 68. 82. 84. 255
- direkte / indirekte 54 Beziehungslehre 58 ff. - philosophische 53 f. - soziologische 53 f. Beziehungssoziologie 57, 58 ff. - behavioristische 57 - kulturtheoretische Kritik der ~ 58 Brauchtum 30, 33 Bürokratisierung 44, 184, 260
294
Sachverzeichnis -
als Handlungselement 131
Drei-Ämter-Struktur 261
-
Begriff der - 131 f.
Dyade 57, 59, 72
- Enttäuschungsabwicklung von ~ 125,
Egalitarismus 83
-
-
und Recht 82
134 ff. Gemengelage von - 135
Einheit
-
Internalisierung von - 145, 147, 163
- von Recht und Kultur 116 f.
-
kulturelle Kondensation von - 147
Einheitsmoral 62, 103
-
Stabilisierung von ~ 148, 151
Einheitsrationalität 50, 52
- und Bewußtsein 140
Emergent properties 66
Erwartungsadressaten 141 ff.
Emergenz 64 ff., 81, 128
Erwartungsadressierung 148 f.
Empirismus 85
Erwartungsbildung 92
Enkulturation 40, 111, 142 ff., 150 ff.,
-
215, 237, 243 ff.
als sozialer Prozeß 139
Erwartungsenttäuschung, en 135 f., 141
Entdifferenzierung 109, 210
- Abwicklung von ~ 136
Entfremdung 18, 246
Erwartungserwartung, en 139, 148
Entscheiden
Erwartungsgeneralisierung 135, 200
- programmierendes / programmiertes
206
Erwartungsmodalisierung 132 ff. -
faktische 134
Entscheidung
- kognitive / normative 135
-
- zeitliche 132
Selektivität der ~ 204
- streitiger Rechtsfragen 170, 202
Erwartungsnorm, en 131 f f , 140, 169 ff.
Entscheidungsprogramme 216
- Begriff der ~ 131
- gesetzliche 211
-
Entscheidungssouveränität 203, 209
Erwartungsstabilisierung 148
-
-
basale 216
Entscheidungsverfahren 204, 206, 215 -
Determination von - 2 1 6
Internalisierung von - 151 kontrafaktische 136 ff., 192, 224, 251
Erziehungssystem 49, 96 Erzwingungsstab 177,
Entwicklung
Ethik 68, 187, 245 f., 254
-
- als Lehre vom richtigen Handeln 102
unilineare 189, 191
Entwicklungstheorie 187
Ethikkommission 210
Erkenntnistheorie 94
Ethnologie 89, 109
Erklären und Verstehen 97 ff.
Ethologie 23, 58
Erlaubnisnormen 165 f.
Evolution
Ermächtigungen 165 f.
-
Erwarten 141
- als Differenz von Variation, Selektion
- einfaches 138 f.
als aktive Anpassung 32, 191 ff. und Stabilisierung 193 f.
-
Funktion des ~s 141
-
als sprunghafte Veränderung 191
-
kognitives 133
-
Begriff der - 189
-
kontrafaktisch stabilisiertes 133. 138
- und Funktionalismus 191
- reflexives 138 f. Erwartung, en 118 ff.. 192 ff.. 198. 257 - als begründete Vermutungen 266
- von Recht und Gesellschaft 20, 27, 81, 83. 115, 137, 142, 177, 184 f., 186 ff. Evolutionismus 32
Sachverzeichnis - geschichts- und sozialphilosophischer 189 ff. Existenzialismus -
Gentechnologie 210 Gerichtsorganisation 206 Gesellschaft, en 67 ff., 120, 123, 127, 142 ff.
literarischer 84 -
arbeitsteilige 196
Factum brutum 138
- Ausdifferenzierung von ~ 203
Fakten
-
-
- globale 69, 87
institutionelle 138
funktional differenzierte 196, 201,216
Familie 72, 89, 149, 197
- komplexe 27, 67, 86 f., 187 ff.
-
als sozialkulturelle Institution 236 ff.
- regionale 23, 69, 183 f.
-
Funktionswandel der ~ 237
- segmentar differenzierte 196
Folgenberücksichtigung
- stratifikatorisch differenzierte 201 f.
-
-
empirische 211
Strukturmoment der ~ 67 f.
Folkways 213 f., 243
- pluralistische 196
Freirechtsjurisprudenz 211,215
Gesellschaftsbegriff
Fremdreferenz
- metaphysischer 68
- Negation von ~ 216
Gesellschaftstheorie 95
Funktionalismus 191, 203
-
203, 234, 238 - Afunktionalität 192
Integration von Interaktions-, Organisations- und ~ 77
Funktion, en 30, 38, 52, 74, 143, 197,
Gewaltandrohung - staatliche 156
- Dysfunktionalität 91
Gewaltmonopol
-
latente 91
- staatliches 262 ff.
-
positive 91
Gewohnheitsrecht 21 f., 31, 105
-
und Leistung 21, 149
- als Rechtsquelle 213 Grundnorm
Gebarenserwartung 167
- fiktive 212
Gefährdungshaftung 130
-
Geltung 19 f., 30 ff., 56, 84, 110, 137,
Gruppe, η 59, 60, 65.ff.
190 - als kulturelle Realität 266
Funktion der ~ 159,252
- als soziales System 71 - Begriff der ~ in der Systemtheorie 71
- als Verhaltensgeltung 251
- Primär- / Sekundär- 74
- der generellen Norm 253
- rechtsphilosophischer Begriff der - 71
- der individuellen Norm 253
- voluntary / unvoluntary group 74
- der Rechtsordnung 251
Gruppenbewußtsein 65
-
faktische 252
Gruppentheorie 67 ff., 78 ff.
- gesellschaftsweite 174, 203
-
Kleingruppentheoreme 72 f.
-
-
Kritik der - 69 ff.
juristische 252
Geltungsebenen 253 Geltungsgrundlagen
- Trivialisierung und Erodierung der ~ 73,78
- außerrechtliche 202 Gemeinde 69 Generalized other 61
Handeln 103, 118 ff., 130 ff. - als normative Zurechnung 129 f.
296 -
Sachverzeichnis
institutionelles 226
- normative Anschlußnahme an das ~ 125
-
psychologistischer 120
Individuum 60 -
assoziiertes 79 ff.
-
normorientiertes ~ 103
- freies und gleiches 80 ff.
-
sinnhaftes 22
-
und Gesellschaft 79, 120
-
soziales 22
-
und Person 126, 245
-
sozialkulturelles 21, 123 ff.
Industriegesellschaft 187
-
und Intention 140
Informations- und Kommunikationsgesellschaft 187
Handlungsmotivation 102, 125 Handlungssinn 39, 125 f.
Insemination
-
normativer 44
-
-
objektiver / subjektiver 45, 126
Instinktverhalten 233, 242
künstliche 238
Handlungssystem, e
Institution 38, 40, 47, 63, 147, 219 ff.
- emergentes 125 ff.
-
-
reale 84
- als Kategorie 219
-
sozialkulturelle 84
-
Begriff der ~ 219 ff.
Handlungstheorie 123 ff.
-
Entlastungsfunktion der ~ 21, 242
-
-
Identität von Recht und ~ 220
analytische 124
als Handlung 223
- empirische 124
- juristischer Begriff der - 222
-
sozialkulturelle 124
-
-
voluntaristische 124
naturrechtliche Begründung der ~ 220 ff., 232, 239
Handlungsverantwortlichkeit 129
- Neuer Institutionalismus 222 ff.
Hermeneutik 21
-
rechtspositivistische Begründung der ~
221
- analytische 99 - juristische 26
-
Herrschaft 198
- soziologischer Begriff der - 222
Herrschaftssysteme
-
und Anthropologie 232 ff.
-
-
und Assoziation 223
staatliche 184
Holismus
-
soziologische Fundierung der ~ 224
und Bedürfnisbefriedigung 203, 221, 233 f.
- gesellschaftstheoretischer 69, 70 Homo sociologicus 244 ff.
-
und sozialer Wandel 235 f.
Humanismus 80, 109
-
und soziales System 239 f.
Hypostasierung 118 ff.
Institutionalisierung 205, 217, 229, 240 -
Begriff der ~ 77, 220
Identität
Institutionentheorie 219 ff.
-
von Recht und Staat 81, 178, 213
-
und Kulturtheorie 227 ff.
Identitätsthese
-
und Rollentheorie 240 ff.
-
Institutionismus
Kritik der ~ 181 ff.
Ideologiekritik 90 ff.
-
Individualisierung 79, 201
Interaktion 54
Kritik des normativen ~ 224 ff.
Individualismus 60
-
-
- organisierte 56
als Regelungssystem 82
- moralphilosophischer 70
Begriff der ~ 55
Interaktionssystem, e 63 f. 75 f., 138
Sachverzeichnis Internal point of view 96 f.
Kultur 18
Introspektion 98 f.
-
als außerrechtlicher Legitimationsfaktor 111
Invitrofertilisation 238 -
als Bestandteil des sozialen Geschehens 115
Jugendkriminalität 90 Jurisprudenz 50, 265
-
als Forschungsgegenstand 89 ff.
-
-
als Gedächtnis der Gesellschaft 42,
-
als Leitsystem 87
soziologische 97 f., 100 f.
134 f., 137, 193
Justizverweigerungsverbot 205, 216, 264 Kausalschema 130, 235
- als System 114, 117
Körperschaft 121 f.
- anthropologischer Begriff der - 112
Kollektivbewußtsein 118 ff.
-
Begriff der ~ 117
-
als metaphysische Entität 121
-
Begriff der ~ im Rechtsdenken 110 ff.
-
Hypostasierung des ~s 118 ff.
-
Dichotomisierung von Gesellschaft
-
Personifizierung des ~s 121
Kollektivsubjekt 121
und ~ 108 - Funktionalität der - 192
Kommunikation 20, 22
-
- als Differenz von Information, Mittei-
- Nachhinken der ~ 207
lung und Verstehen 23, 128
Mikrokultur 69
- normative 173
-
machtgesteuerte 257 f.
- Organisationsformen der ~ 112
-
rechtsnormative 23, 128, 209, 251, 259
- teleonomische Struktur der ~ 114
-
schriftliche / sprachliche 22, 25
- Trennung von der gesellschaftlichen
-
themenbezogene 117
Wirklichkeit 109 f., 111
Kommunikationsdichte 202
-
und Handlung 117
Kommunikationssystem, e 240
-
und juridische Rationalität 36 ff.
Kommunikationstheorie 23
-
und Kommunikation 117
Konsens
-
und Natur 113
-
kultureller 63, 110
-
und Struktur 206, 254
realer 255 ff.
-
und Zivilisation 109
-
Verhältnis von Gesellschaft und ~
-
Wirkung der - 55, 106
-
Konsensunterstellung 176
106 ff., 144, 254
Konstruktivismus 61, 65, 81, 83, 159 -
radikaler 92
Kontingenz 42
Kulturanthropologie 90
-
doppelte 62 ff., 138
-
-
multiple 64
Kulturgeschichte 113 f.
Kontinuität -
dynamische 206
und Sozialanthropologie 107
Kulturkreislehren 113 f. Kulturkritik
Kontraktualismus 83, 190, 255 ff.
-
Kontrolle
Kulturmuster 204, 215, 241, 257
-
soziale 156
Konvention 29 -
kulturelle 64, 119
Kritische Theorie 80
und Kulturphilosophie 107, 112
Kulturnormen 113, 117 - Tradierung der ~ 111 Kultursedimente -
normative 147
298
Sachverzeichnis
Kultursemantik 107, 113, 116
- Alltagsmoral 102 ff.
Kultursoziologie 108 ff.
-
konfligierende 87
Kultursystem
-
marginale 62
-
Moralbewußtsein
als analytischer Begriff 115
Kulturtheorie 43, 107, 114, 117
- durchschnittliches 68
-
deskriptive 112
Moralphilosophie 70, 156 ff., 264
-
und Ethnologie 112
Motivationsbegriff
Kulturvvirklichkeitstheorien 161
- objektiver 148
Legeshierarchie 211
Multireferenzialität 18
Multi-Level-Approach 48 ff., 96 Leitdifferenz von Rechtsnorm, Rechtswirklichkeit, sozialer Wirklichkeit des Rechts 19, 22, 28, 35, 51, 70 f., 91, 100, 142, 157 f., 162, 178,218, 223, 226 f., 250 Lernen 111, 135, 257, 260 -
Begriff des ~s 145 f.
-
systemtheoretischer Begriff des ~s 146 f.
Logik -
formale 27
Macht 257 ff. -
als Kommunikationsmedium 257
-
Begriff der ~ 257
-
des Staates 184,228
-
Funktion der ~ 258
Machtkettenbildung 260 Machtverhältnisse 262 f. Mensch 31, 36, 39 -
als Abstraktion 247
- a l s Gattungswesen 40 -
als Mängelwesen 234
-
ich-los geboren 245
Menschenrechte -
Positivierung der ~ 188
Methodendualismus 158 ff. Methodenlehre - juristische 25 f., 35, 49, 96 ff.
Nachahmungsverhalten -
kulturell bedingtes 59
Natur- und Vernunftrecht 51, 61, 131, 159, 161,221 f., 239 Neukantianismus 66 f., 100, 112, 157 Norm, en -
als enttäuschungsfeste Erwartung 132 ff.
- als zeitbindender Faktor 27 f. -
Funktion der - 148 f.
-
latente 169 ff.
-
linguistische / nichtlinguistische Konzeption der ~ 17, 23,24, 27
-
subsistente 48, 68, 167 ff.
-
und Enttäuschungsschutz 35, 148 f.
- und Fakten 133 f. - und Sanktion 155, 166 - und soziales Handeln 123, 131 f. Normative Kraft des Faktischen 31 Normbefolgung 171, 173 -
ausnahmslose 174
Normbegriff -
Doppelsinnigkeit des ~s 171
Normentypologie 29, 33 ff., 213 Normidentifikation 166 Normkonstitution 166 Normskeptizismus 215 Notar 56,217, 262, 265
Methodentrialismus 159 ff. Mode 29 ff. Modellplatonismus 84 f. Moral 86, 102
Obligation - sozialkulturelle 68
Sachverzeichnis Ordnung 32, 35
Rationaliät 35, 36 ff., 126, 190
- subjektfreie 64
-
Begriff der - 37
- und System 41
-
Handlungs~ 46 f.
Ordnungsbildung 53, 58, 133
- juridische 36 ff., 43, 214, 229, 255
-
sozialkulturelle 59 ff., 176
- praktische 50
- staatliche 183
-
Ordnungsstruktur, en 195 ff.
- theoretische 50
Organisation 70 ff., 112
- und Kultur 47
-
bürokratische 184, 222 f.
- formelle/informelle 217, 241,260 - staatliche 151, 184, 188, 198,223, 232, 237, 265
Systemrationalität 46 f.
- und Zweck / Mittel-Schema 39, 46 - wissenschaftliche 37 Rationalisierungsprozeß 37 Reaktionsnorm 167 ff.
Organisationsformen 53 ff.
Recht
Orientierung 30, 175,215,236
- als Erwartungsstruktur 131, 183
- kulturelle 28, 196,241
- als Instrument sozialer Kontrolle 260
- normative 19 f f , 30, 34 ff., 175, 182,
- als Kultur 89 ff., 111
208,210,214
- als normative Struktur der Gesellschaft 203
- sinnhafte 22, 173,258 - soziale 131, 140 ff., 250, 258
- als sozialkulturelles Artefakt 28 -
formales 56, 125, 182, 192.203, 209 f., 217, 227, 238, 241
-
Formulierbarkeit des ~s 20
Person 55 f f , 61,65, 77, 126
-
Funktionsautonomie des ~s 202
- als Abstraktion 143
- gesellschaftliches 105, 125, 151, 156,
-
als Erwartungskollage 152 f., 248
- Autonomie und Integrität der ~ 152,
261 - Freiheit der ~ 243 f.
183 ff. -
informales 105, 209, 217
-
Invarianz des ~s 208
- kodifiziertes 21, 49, 202
- juristische 122, 144, 153
- Orientierungsleistung des ~s 21, 169
-
-
Positivität des ~s 159, 202, 206
-
Selbstbeschreibung des ~s 35, 50 f.,
'natürliche' 122, 153
- reale 248 - sozialkulturelle 40, 61, 95, 127, 142 f f , 147
91,98, 162, 251,259, 264 - sozialkultureller Unterbau des ~s
- und Rolle 239 f f Personenbegriff
19 ff., 259 - staatliches 56, 70, 81, 125, 182 f., 210,
- antiker 143 - philosophischer 142 f.
213,241 -
Steuerungsfunktion des ~s 74, 91, 217,
266
Phasenverschiebung - kulturelle 207
- subjektives 205
Philosophie 106, 143, 157,210
-
- kritische 38
- Verbalisierung des ~s 20 f., 35
Pragmatismus
- Verhältnis von - und Moral
- amerikanischer 230
Rechtsanthropologie 23
veränderliches 206
300
Sachverzeichnis
Rechtsanwalt 56,217,262,265
Rechtspraxis 24, 26, 38, 48, 51, 98, 110,
Rechtsbegriff -
sanktions- und zwangstheoretischer
159, 225 Rechtsquelle 186 ff.
155 f.
-
Begriff der ~ 211, 214 f.
soziologischer 156
-
Funktion der ~ 212 f.
Rechtsdogmatik 24, 29, 97, 99
- sanktions- und zwangsrechtliche Deu-
Rechtserkenntnisquelle 212,215 Rechtserzeugung 26, 71, 182, 206, 216,
262
tung der ~ 155 -
und Rechtsgeltung 212
- vernunft(natur)rechtliche Deutung
- chaotische 217
der ~ 211 f.
Rechtsethologie 23
Rechtsquellentheorie
Rechtsfolgenattribution 129 f.
- soziologische 30, 212 ff.
Rechtsgeltung 30, 84, 110, 158, 172, 176,
Rechtsrealismus 158
186 ff., 190,210,212, 250 ff.
Rechtsregei 20, 150, 192, 216, 260
-
als Selbstbeschreibung des Rechts 251
-
-
als Symbol 251, 262 ff.
Rechtssicherheit 208
Begriff der ~ 171 ff.
Rechtsgeltungsquelle 212, 214
Rechtssoziologie 50, 35, 90 ff.
Rechtsgewinnung 49
-
als deskriptive Wissenschaft 96
-
-
Gegenstandsbereich der ~ 29 f.
Methode der ~ 212
Rechtsinhaltsquelle 213
- realistische 132
Rechtskultur, en 110 f., 159
-
-
Rechtsstabstheorie 171, 177
als System 116
systemtheoretische 71
- Pluralismus der ~ 116, 183
Rechtssystem 56, 82
-
und Globalisierung 187 ff.
-
-
und Unkultur 111
-
als institutionelle Tatsache 25
-
als kongruent generalisierte Erwartun-
-
-
Selbstbeschreibung des ~s 91, 98, 251, 259
gen 73, 132
- und Umwelt 192, 210
als Spezialfall sozialkultureller Nor-
- Zentrum des ~s 264 ff.
mierung 33
Rechtstatsachenforschung 100 f.
- als sprachliches Gebilde 25 -
operative Geschlossenheit des ~s 202,
261
Rechtsnorm, en -
Lernfähigkeit des - s 138, 260
sozialer Charakter der ~ 21
Rechtstexte 24 f., 27, 215 Rechtstheorie 25, 89 ff., 128, 170
- und Sanktion 155 ff.
-
-
-
und Sanktionsbereitschaft 167 f.
-
177, 226, 254
kulturtheoretische Fundierung der ~ 105 ff., 219, 229
- Lückenlosigkeit der ~ 264 Rechtsphilosophie 29, 71, 96, 99, 172,
Institutionen- und systemtheoretische 28, 184
Rechtsordnung 111, 217 - als Rechtsverhältnisordnung 53 f.
als Wissenschaft vom Recht 96 ff.
- nonkognitivistische 99 - normativistische 157 ff.
- analytisch hermeneutische 99
-
realistische 29, 35, 98
- neukantianische 157
-
Vermittlungsfunktion der ~ 50
Rechtspositivismus 20 f., 256
Rechtsverhältnislehre 53 f.
Sachverzeichnis Reduktionismus
- des Rechts 216
- normativistischer 178 ff., 254
Selektivitätsverstärkung 205 f.
Regelbefolgung 150, 174 f., 256
Sinn 21
Regionalgesellschaften 23, 184, 188, 203
- faktischer / normativer 20, 27
Reine Rechtslehre 180
- subjektiver/ objektiver 39
Reinheitspostulat
- und Kultur 38 ff.
-
Sinnformen 43
in der Rechtswissenschaft 180
Relativismus
-
- kulturanthropologischer 37, 105
Sinngrenzen 40
Erleben und Handeln 44 ff.
Reziprozität 198
Sinnkonstitution 43
- der Perspektiven 60, 64
Sinnlosigkeit 42 f.
Richterrecht
Sinnselektion 42
- als Rechtsquelle 213
Sinnverlust 42 f. Sitte 31, 68, 103, 112
Sanktion 155 f f , 193 f.
Social control 156
- als Rechtsquelle 155
Solidarität
-
- organische und mechanische 196 f.
Begriff der - 164
- negative / positive 163 f., 166.
Soziabilisierung 144 f., 237 f., 245, 257
- restitutive / repressive 163
Sozialkultureller Wandel 204 ff.
-
-
und Zwang 155 ff.
Sanktions- und Zwangsandrohung 246
Begriff des ~s 204
Sozialforschung
- staatliche 176 f.
- empirische 66, 93 ff., 151,241
Sanktions- und Zwangstheorie 80, 246
- erkenntnistheoretische Schranken
-
der - 94
und Erlaubnisnormen 165 f.
Sanktionsbereitschaft 33, 167 f f
- Grundlagenprobleme der - 94
Sanktionswirkung 163 f.
Sozialisation 40, 46, 74, 111, 144 f f , 150
Schadensersatz 129 ff. - und Restabilisierung von Erwartungen 137 f.
152, 164 Soziologie - allgemeine 126, 219
Schriftsprache 19 ff.
-
- als kulturelle Krücke 27
- Gegenstandsbereich der ~ 38, 65 f., 85
Fachgeschichtsschreibung der - 228 ff.
- als Symbolsystem 19
- historisch-existenzialistische 93
- Transportfunktion der ~ 27
-
Sein und Sollen 100, 110, 158 ff.
- objektive 67, 118
- als apriorische Denkkategorie 157, 162
-
- als kulturelles Artefakt 159 ff.
Soziologischer Tatbestand
Methodenpluralismus in der - 67 und Recht 18
Selbsthierarchisierung
Spielregelparadigma 173 ff.
- des Rechts 206, 218, 263
Sprache 17 ff., 184
Selbstidentifikation
- als Erkenntnismittel 26
- des Rechts 162
-
- der sozialkulturellen Person 147
Sprachwissenschaft 19
Umgangssprache 26
- des Systems 146
Sprechakte 19, 26, 117
Selbstreferenz 92, 213
- performative 21
302
Sachverzeichnis
Sprechakttheorie 21
Systemkritik 195, 210
Sprechhandlungen 23
Systemreferenz, en
Staat, en 53
-
-
Gesellschaft(en), Organisationen und Interaktionen 85
als bürokratische Großorganisation
134, 183 f.
Systemtheorie 114
-
als politische Gruppe 69
-
analytische 88
-
Funktion des ~s 112, 184
-
funktionale Methode der ~ 91
-
und Evolution 237
-
-
und gesellschaftliche Ordnung 222,
Organisationstheorie und Interaktions-
228, 232 f.
theorie in der ~ 77
Integration von Gesellschaftstheorie,
Staatsgewalt / ~smacht 262 ff. Strafe 46, 129, 152, 164
Tatbestand
Struktur und Prozeß
-
- Zeitlichkeit von ~ 207 ff.
Theorien mittlerer Reichweite 95
Strukturbegriff
Transzendenz
- dynamischer 206
-
soziologischer 65, 122 f., 227
innerweltliche 66 f.
Stufenbaulehre -
Kritik der ~ 216 ff.
Unableitbarkeitspostulat 161
Subjekt 122
-
-
Begriff des ~s 127
Ungewißheit 266
-
Eigenschaft als ~ 65
logisches 214
Unterstellung
Subjekt / Objekt-Differenzierung 64, 128
- von Konsens 256
Subkultur, en 27, 47, 63
Urteil 205, 217, 262
-
Entstehung von ~ 87, 103
Symbolischer Interaktionismus 60 f.
Verantwortungsattribution
System, e 38
-
normative 52, 102
-
als black box 153
-
Selektivität der ~ 130
-
empirische
Verbalnormen 167
-
personale 64
Verbindlichkeit 84, 111, 168, 253, 262
-
psychische 86
Verfahrensorganisation 206
-
reale 87 f.
Verfassungstheorie 233
-
selbstregulierende 86
Vergangenheit
-
soziale
-
-
sozialkulturelles 84
Vergeltung 198
sozialkulturelle 207 f.
- Typen 77
Verhalten
-
und Handlung 122 ff.
-
abweichendes 47, 62, 103, 150 ff.,
-
und Kultur 87 f.
-
und Umwelt 86, 114 f., 191 f., 208,
-
instinktives 59, 116, 242
210
-
Konfliktträchtigkeit des ~s 63, 150
Verhältnis von sozialem und psychi-
- Nachahmungs- 59
schem ~ 86
-
-
167 ff., 200, 227, 248, 254
sinnhaftes 22
Systembildung
Verhaltensgleichförmigkeit 170
-
-
emergente 64, 86, 126, 129
faktische 19,30,57,58, 155
Sachverzeichnis - normative 30, 155, 168
-
Verhaltenssteuerung 125, 176 f.
Wechselwirkung 53, 57
Vernunft 37, 51,80,212, 255,257
Werturteilsfreiheit 97, 104
sozialer 32, 137, 204 ff.
Vertrag
Wirklichkeitswahrnehmung
-
außervertragliche Grundlagen des ~s
-
120, 256
Wissenschaftssystem
Vertragsfreiheit 182 -
Realitätsbezug der - 92 eigene Rationalität des - 37
Institutionalisierung der - 198,217
Vertragstheorien
Zeit 27, 65, 74, 145, 206
- natur- und vernunftrechtliche 256
-
Volk
- und Recht 162
-
Staatsvolk 81
Begriff der ~ 207
Zeithorzionte
Vorstellungen
-
- kollektive 119
Zukunft 188, 193,207, 225, 266
Kulturabhängigkeit der - 207 f.
Zwang 32,61, 155 ff., 246 Wandel
Zweite Geburt 40, 144 ff.
-
Zweite Natur 40
institutioneller 235