Rechtsfragen im Spektrum des Öffentlichen: Mainzer Festschrift für Hubert Armbruster [1 ed.] 9783428436958, 9783428036950


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German Pages 397 Year 1976

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Rechtsfragen im Spektrum des Öffentlichen: Mainzer Festschrift für Hubert Armbruster [1 ed.]
 9783428436958, 9783428036950

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MAINZER FESTSCHRIFT FVR HUBERT ARMBRUSTER

Rechtsfragen im Spektrum des Öffentlichen Mainzer Festschrift für Hubert Armbruster

herausgegeben von Franz Burkei und Dirk-Meints Polter

DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03695 6

VORWORT Am 12. August 1976 vollendet Hubert Armbruster sein fünfundsechzigstes Lebensjahr. Die Autoren dieser Festschrift bekunden dem Jubilar ihre Verehrung, Verbundenheit und ihren Dank. Hubert Armbruster hat viele Problemkreise aus dem breiten Spektrum des Öffentlichen auf nationaler und internationaler Ebene behandelt. Nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft gehörte er dem Staatssekretariat der Regierung von Südwürttemberg an und war Delegierter der französischen Zone für den Marshall-Plan. Seit Neugründung der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz, an deren raschem Aufbau er entscheidenden Anteil hatte, lehrt er hier Öffentliches Recht. Für eine Reihe von Semestern übte er seine Lehrtätigkeit an der Universität Nizza aus. Lange Jahre gehörte er als Richter dem rheinlandpfälzischen Verfassungsgerichtshof an. Er ist Mitglied der Expertenkommission des Europarats, die die Anwendung der Europäischen Sozialcharta überwacht, und Richter am Internationalen Verwaltungsgericht in Genf. In der Fülle seiner Tätigkeiten spiegelt sich die Vielfalt seines wissenschaftlichen Interesses. Jenseits des Rechts reichen seine Neigungen von der griechischen Philosophie und der Theologie der frühen Kirche über Themen der Medizin bis hin zur Malerei; seit einigen Jahren stellt er eigene Bilder aus. Von früher Jugend an wurde Hubert Armbruster geprägt vom französischen Geistesleben; für seine Verdienste um die deutsch-französische Verständigung zeichnete die französische Regierung ihn als einen der ersten Deutschen mit dem Offizierskreuz der "Palmes academiques" aus. Im Gespräch werden seine humanistische Grundhaltung und Menschlichkeit, seine Urbanität und sein Sinn für Realitäten deutlich. Die vorliegende Festschrift, die sich auf Themen aus dem Öffentlichen Recht beschränkt, ist ein kleines Zeichen der Dankbarkeit seiner Mainzer Fachkollegen, seiner Schüler und Freunde. Die Herausgeber danken dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Senator Prof. Dr. J. Broermann, für die liebenswürdige Betreuung des Bandes. Die Herausgeber

INHALTSVERZEICHNIS Völkerrecht und Europarecht

Plasa, Wolfgang Eine unzeitgemäße Betrachtung: Integration und Institutionen. Gedanken zur Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Polter, Dirk-Meints Weltraumrecht und Informationsfreiheit

31

Rudolf, Walter Völkerrechtliche Verträge über Gegenstände der Landesgesetzgebung 59 Schweitzer, Michael Die Stellung der Luxemburger Vereinbarung im Europäischen Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

Verfassungsrecht und Verfassungsgeschichte

Burkei, Franz Friedrich Ancillon- ein Weg in die Reaktion? Anmerkungen zu Person und Werk.......................................................... 97 Fuhr, Ernst W. Das Recht des Fernsehens auf freie Berichterstattung über öffentliche Veranstaltungen .............................................. 117 Hillebrand, Christof Datenschutz und Wissenschaftsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Leist, Wolfgang Das Rheinland-Pfälzische Bildungsideal ............................ 149

Inhaltsverzeichnis

8 von Olshausen, Henning

Bundesrechtliche Teilordnung und Grundrechte nach Landesverfassungsrecht. Marginalien zum Thema "Wehrpflicht und Berlin-Aufenthalt" .............................................................. 163 Schenke, Wolf-Rüdiger Besteuerung und Eigentumsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Schneider, Peter Über die sogenannte innere Pressefreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Verwaltungsrecht Arndt, Hans-Wolfgang Ungleichheit im Unrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Ballweg, Ottmar Ein wissenschaftstheoretisches Lehrschema für den juristischen Unterricht .............................................................. 253 Kneis, Karl-Heinz Die Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung und die wichtigsten Grundsatzentscheidungen des Personalvertretungsrechts in RheinlandPfalz .............................................................. 259 Rupp, Hans Heinrich Rechtsprobleme der neuen Lehrkörperstruktur an wissenschaftlichen Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Weides, Peter Staatlicher Filmjugendschutz und Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft ........................................................ 301

Verwaltungsverfahrensrecht Falk, Theodor Die Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines nach § 52 Verwaltungsgerichtsordnung unzuständigen Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Herrmann, Günter Zur Effektivität verwaltungsgerichtlicher Eilverfahren .............. 341

Inhaltsverzeichnis

9

Auständisches Recht Hahn, Hugo J. Bundesherrschaft und Gliedstaatshoheit über das Küstenmeer der U.S.A. Der Ursprung seiner Zuordnung durch Richterspruch . . . . . . . . 357 Schröder, Heinjo Das schweizerische Vernehmlassungsverfahren. Beispiel für eine institutionalisierte Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung . . . . . . . . 381

Verzeichnis der Verfasser

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Völkerrecht und Europarecht

EINE UNZEITGEMÄSSE BETRACHTUNG: INTEGRATION UND INSTITUTIONEN GEDANKEN ZUR EUROPÄISCHEN UNION

Von Wolfgang Plasa

Vorwort Auf der Gipfelkonferenz vom Oktober 1972 haben sich die Staatsund Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft "als vornehmstes Ziel gesetzt, die Gesamtheit der Beziehungen der Mitgliedstaaten in absoluter Einhaltung der bereits geschlossenen Verträge vor Ende dieses Jahrzehnts in eine Europäische Union umzuwandeln" 1• Auf der Gipfelkonferenz vom Dezember 1974 wurde vereinbart, den belgischen Premierminister Leo Tindemans zu beauftragen, auf der Grundlage der Berichte der Organe und eigener Konsultationen mit den Regierungen und repräsentativen Kreisen der Öffentlichkeit in der Gemeinschaft den Regierungschefs bis Ende 1975 einen zusammenfassenden Bericht über die Europäische Union vorzulegen. Zweck dieses Berichtes sollte es sein, das darzulegen, was unter dem Begriff "Europäische Union" zu verstehen sei, um so die Einigung der Mitgliedstaaten auf eine Gesamtkonzeption für diese Union zu ermöglichen2 • In diesem Bericht, den Premierminister Tindemans am 29. Dezember 1975 an den Europäischen Rat gerichtet und am 7. Januar 1976 veröffentlicht hat, hat der Verfasser "bewußt auf eine Beschreibung dessen verzichtet, was man als Verfassung der Europäischen Union bezeichnen könnte" 3• Denn er geht davon aus, "daß man Unruhe und Skepsis nicht durch juristische Konstruktionen oder Absichtserklärungen ausräumen kann" 4 • Nun ist es aber nicht so, daß sich der Tindemans-Bericht jeglicher Stellungnahme zu den Fragen der institutionellen Veränderungen enthalten würde 5• Dabei waren freilich politische Rücksichten zu nehmen und von Punkt 16 des Schlußkommuniques. Wortlaut des Schreibens von Leo Tindemans an seine Kollegen im Europäischen Rat vom 29. 12. 1975. 3 Ebendort. 4 Erklärung von Leo Tindemans anläßlich der Veröffentlichung seines Berichtes am 7. 1. 1976. 1

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Wolfgang Plasa

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v-ornherein Grenzen dort gezogen, wo Vorschläge nicht mehr realisierbar erschienen. Die folgenden Überlegungen sollen nun der Frage nachgehen, welche Bedeutung den institutionellen Entscheidungen in diesem Bereich zukommt6 •

Einleitung Der Gedanke einer Europa-Union ist nicht neu, doch erst die Situation des Wiederaufbaues Europas und die Idee der Völkerverständigung und des Pazifismus in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg haben konkrete Ergebnisse möglich gemacht. So kam es im Jahre 1949 zur Gründung des Europa-Rates, der in der Tat bis zum heutigen Tag die einzige politische Organisation im Rahmen Europas isF. Schon aus der Zeit der Gründung eben dieser Organisation stammt auch der Verfahrensstreit über den besten Weg zur Integration, der, nachdem er zunächst ein Jahrzehnt lang unter den Politikern geführt worden war, sich während eines etwa gleichlangen Zeitraums als wissenschaftlicher Methodenstreit über die Fragen nach der Strategie, den Voraussetzungen, der Definition und der Meßbarkeit der Integration fortsetzte 8 • Dieser Streit betrifft im wesentlichen die Auseinandersetzung zwischen Föderalisten und Funktionalisten. Nun ist klar, daß die beiden genannten Begriffe in verschiedenem Zusammenhang verschieden gebraucht werden. Für den einen bedeuten sie unvereinbare politische Glaubensbekenntnisse, für den anderen sind sie durchaus kombinierbare Mittel zum Zweck. Interessant erscheint zumindest, daß sich hinter beiden Etiketten eine verschiedene Haltung zur Wirklichkeit und zu politischen Fragen verbirgt: während der Föderalismus eher im Lager der politisch etwas radikaler Denkenden zu Hause ist, wird der Funktionalismus im wesentlichen von denen vertreten, die eine allmähliche und harmonische Angleichung und Entwicklung der Dinge befürworten9 • Aber noch etwas ist offenkundig: daß nämlich von den einen und den anderen verschiedene Faktoren in Rechnung gestellt werden. So liegt es auf der Hand, daß der Föderalismus den Akzent vor allem auf den institutionellen Rahmen legt, wohingegen der Funktionalismus in erster 5 6

Tindemans-Bericht, V.

Etzioni, European Unification, A Strategy of Change, in: International

Political Communities (o. Jahru. Ort). 7 Sainte-Lorette, L'idee d'Union federale Europeenne, Paris 1955, S. 145. 8 Beloff, Europe and the Europeans. An international discussion with an introduction by Denis de Rougemont, London 1957, S. 172. ' Schneider, Zur politischen Theorie der Gemeinschaften, in: Integration 1969/1, s. 23; Haas, Beyond the Nation-State: Functionalism and International Organization, Stanford 1964, S. 8.

Unzeitgemäße Betrachtung: Integration und Institutionen

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Linie die im Außenfeld gelegenen politischen Kräfte zu mobilisieren gedenkt10. Diese beiden Faktoren reichen allein jedoch nicht aus, um das Feld der zwischenstaatlichen Integration abzudecken 11 • Es erscheint vielmehr am zweckmäßigsten, eine Einteilung in vier Faktorengruppen vorzunehmen: die Institutionen - die soziale Umgebung - der politische Wille - die Zielvorstellungen. Wenn man von diesen vier Faktoren ausgeht, so steht man im Grunde vor einer Gleichung mit vier Unbekannten. Eine Untersuchung der sozialen Umgebung- der Machtverhältnisse, Wünsche der Bevölkerung, des Drucks von außen usw. - würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, denn sie müßte sich der Methoden empirischer Analysen bedienen12 • Was den politischen Willen angeht, so dürfen wir diesen in bezugauf die Schaffung einer Europäischen Union als gegeben ansehen. So lange aber von deren Institutionen unklare Zielvorstellungen vorliegen, wird die Einigung auf ein Gesamtkonzept für diese Europäische Union nicht möglich sein. So lange wird es aber auch weiterhin an dieser wichtigen Voraussetzung für den Fortschritt auf dem Weg der Integration fehlen 13 • Zur Klärung dieser Vorstellungen bedarf es zunächst einer Erläuterung des Begriffes der Integration. Dieser Begriff soll allein auf das Gebiet beschränkt werden, in dem sich diese Untersuchung ansiedelt, also auf den institutionellen Bereich. I. Der Begriff der Integration

1. Integration als Prozeß Ausgangspunkt für eine institutionelle Betrachtung der regionalen politischen Integration ist die Idee, daß Souveränität synonym ist mit absoluter Integration innerhalb einer Gemeinschaft und gleichzeitig mit 10 Hoffmann, Obstinate or Obsolate? The fate of the Nation-State in the Case of Western Europe, in Daedalus, Summer 1966, S. 862- 912; Haas, The Study of Regional Integration, Reflections on the Joy and Anguish of Pre-theorizing, in Lindberg-Scheingold, Regional Integration, Theory and Research, Cambridge (Mass.) 1971. 11 Nye, jun., Comparative Regional Integration, Concepts and Measurement, in International Organization, XXII, 4, Winter 1968, S. 864. 12 Deutsch, Political Community and the North Atlantic Area, Princeton 1967; Sidjanski, Dimensions europeennes de la science politique, Questions methodologiques et programmes de recherches, Paris 1963, S. 28. u Tindemans Bericht, I B.

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Wolfgang Plasa

der totalen Desintegration zwischen verschiedenen Gemeinschaften14 • Man hat sich ausführlich mit der Frage beschäftigt, ob Integration zweckmäßigerweise als ein Prozeß oder vielmehr als ein bestimmter Zustand zu definieren ist15 • Wenn man sich vor Augen hält, daß der als solcher beschriebene Zustand in der Praxis nur schwerlich auf einen Schlag zu verwirklichen ist, darüber hinaus kaum jemals endgültig fixiert sein kann, erscheint es zutreffender, bei dem Begriff der Integration das evolutive Element in den Vordergrund zu stellen und diese somit als Prozeß zu begreifen16 • Die vollkommenste Integration ist sicherlich in der Bildung eines Zentralstaates zu sehen. Doch pflegt man nicht nur deswegen, weil dieses Endziel nicht allgemeinhin als wünschenswert betrachtet wird, von einem Integriertsein schon bei Erreichen einer niedrigeren Integrationsstufe zu sprechen. Welchen Zustand man auch immer als denjenigen der Integration bezeichnen möge, so wird es sich hierbei stets um ein Gebilde handeln, das aus institutioneller Sicht zumindest die Kriterien eines Staatenbundes erfüllt17• Integration als Prozeß wäre demnach das Verfahren, welches in Entwicklung zu diesem begriffen ist. Um einen bestimmten Integrationsfortschritt einem bestimmten Integrationsprozeß zuzurechnen, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Einerseits muß dieser Fortschritt auf einem Tätigwerden der bereits vorhandenen Institution beruhen. Zum anderen muß er sich als Ausbau eben derselben darstellen. Integrationsfortschritt im institutionellen Sinne bedeutet damit, daß sich diejenigen, die in verschiedenen Gemeinschaften die politische Macht innehaben, darüber einigen, auf der Basis 14 Jacob und Tenner, Guidelines for the Analysis of the Basis of Political Communities, in Jacob und Toscano, The Integration of Political Communities, Philadelphia 1964, S. 38; Friedrich, International Federalism in Theory and Practice, in Plischke, System of Integrating the International Community, Princeton 1964, S. 38. 15 Etzioni, Political Unification: a comparative study of leaders and forces, New York 1965, S. 4; Deutsch, S. 1; Haas,S. 6; derselbe, International Integration: The Europeen and Universal Process, in International Organization, XV, 3, 1961, S. 366- 392; derselbe, The Uniting of Europe, Political, social, and economic forces 19501957, London 1958, S.16; Jacob und Tenner, S. 7 -13; Lindberg, The political dynamics of European Economic Integration, London 1963, S. 6. 16 Diebold, The relevance of federalism to Western European Economic Integration, in MacMahon, Federalism, Mature and Emergent, Garden City 1955,S.456,Anm. 1. 17 Bindschedler, Rechtsfragen der europäischen Einigung, Basel 1954, S. 2; Haas, Consensus Formation in the Council of Europe, Berkley 1960, S. 7; Schreiben von Leo Tindemans vom 29. 12. 1975.

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eines institutionellen Rahmens und unter Benutzung desselben weitere staatliche Funktionen an diesen Rahmen zu übertragen. Dieser Prozeß ist vor allem an den Entscheidungen erkennbar, die von den einzelnen Instanzen getroffen werden. An dieser Stelle sind zunächst einmal die "rein zufällig integrierten" Entscheidungen auszuklammern, die aufgrund paralleler Ausgangslage oder auch durch einseitige, nicht institutionalisierte Information zustande kommen. Ebenso ist hier von dem Fall abzusehen, daß sich zwei Staaten gegenseitig durch einen gewöhnlichen völkerrechtlichen Vertrag zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten. Hierbei handelt es sich lediglich um eine bestimmte Art der Machtausübung, die von vornherein begrenzt ist. Von einem Integrationsfortschritt ist nur dort zu reden, wo die Übertragung neuer Kompetenzen, d. h. eine Machtverschiebung zugunsten einer bereits vorhandenen zwischenstaatlichen Institution erfolgt 18. 2. Ein Prozeß der Institutionalisierung

Eine Integration auf zwischenstaatlicher Ebene muß keineswegs stets von einer Desintegration der beteiligten Nationalstaaten begleitet sein, da die Kompetenzen beider auf ganz verschiedenen Gebieten liegen können19. Es erscheint daher äußerst schwierig, für eine Messung des spezifisch institutionellen Fortschritts eine Bezugsgröße zu finden. Juristische Kategorien eignen sich dafür kaum. Dies erhellt schon daraus, daß diese Kategorien zu sehr im Statischen verhaftet sind. Darüber hinaus stellen sie zu einseitig auf den Begriff der Souveränität und auf die Vorstellung der Kompetenz als Entscheidungsbefugnis ab. Diese Begriffe sollen jedoch hier in einem weiteren Sinne verstanden werden, der auch die Berücksichtigung von Tatbeständen erlaubt, die sich nicht zu Rechten verdichtet haben. Auch ein Vertrag zwischen Staaten, durch den sich diese nur dazu verpflichten, in bestimmten Fällen Konsultationen abzuhalten, schränkt in gewisser Weise die Unabhängigkeit dieser Staaten ein, da sie sich freiwillig dem Einfluß der Argumente der anderen aussetzen20 • Schließlich enthält eine solche Vereinbarung implizit den politischen Willen, eine gemeinsame Lösung zu finden. ts Friedrich, S. 127; Buchmann, Morphologie des relations institutionelles entre Etats, Cours de !'Institut des Hautes Etudes Internationales, Paris 1958/59, S. 66; Etzioni, S. 8; Reuter, Organisations Europeennes, Paris 1970, S. 38; Alting von Geusau, Beyond the European Communities, Leiden 1969, S. 164. 18 Hoffmann, a.a.O. 20 Deutsch, Die Analyse internationaler Beziehungen, S. 224; Buchmann, S. 59. 2 Festschrift für H. Armbruster

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Um zu erläutern, was als Ausdruck eines Integrationsfortschrittes zu werten ist, muß von einer Unterscheidung zwischen formellen Zuständigkeiten und materiellen Befugnissen ausgegangen werden. Hinsichtlich der letzteren soll gedanklich zwischen verschiedenen Stufen unterschieden werden, wobei die unterste die reine Konsultation und die oberste die absolute Entscheidungsbefugnis darstellen. Machtverschiebung würde somit in die Verlagerung einer Kompetenz auf eine höhere EbeneMachtverstärkung - oder aber die Ausweitung einer Zuständigkeit auf derselben Stufe- Machterweiterung- bedeuten. Befugnisse unterscheiden sich nun nicht nur in formeller und materieller, sondern auch in funktioneller Hinsicht, nämlich danach, ob sie konstituierend, legislativ, exekutiv, administrativ oder aber judikativer Natur sind. Ein Integrationsfortschritt kann den Ausbau einer dieser Funkionen bedeuten, er kann aber auch die Einbeziehung einer neuen, der Institution bis dahin verschlossenen Funktion darstellen 21 • Schließlich kann noch nach der "Dimension" 22 unterschieden werden, in der sich die Machtverschiebung äußert. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen -

den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, den Außenbeziehungen, der inneren Struktur der Institution, deren Mitgliederbestand. 3. Institutionalisierung als Mittel

Der Umfang, mit dem sich die Staaten in den Verhandlungen und Beschlußfassungen von ihren Interessen und ihren ursprünglichen Positionen entfernen, um eine gemeinsame Lösung zu ermöglichen, wird als Kompromißgrad bezeichnet. Bei diesem unterscheidet Haas23 drei verschiedene Abstufungen: -

den kleinsten gemeinsamen Nenner: hierbei würde es sich um die Schaffung eines Rahmens zur Feststellung einer Solidarität handeln, die schon in der Ausgangslage vorhanden ist. Es erfolgt ein Herunterschrauben der gemeinsamen Entscheidungen auf das Niveau des "slowest steamer", d. h. des am wenigsten kompromißbereiten Staates. Ebensowenig Integrationsfortschritt wird erreicht in den Fällen, in denen die zurückbleibenden Staaten "abgehängt" werden. Buchmann, S. 26 und 45. Deutsch, S. 226; Alting von Geusau, S. 223. 23 Universal Process. 21 22

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"splitting the difference" ist der nächsthöhere Kompromißgrad, der in der Regel nur durch einen Vermittler erreicht werden kann, welcher den Parteien eine gemeinsame Lösung vorschlägt. Diese Lösung läßt bestimmte Partikularinteressen bereits hinter das gemeinsame Interesse zurücktreten, wobei Vor- und Nachteile ausgeglichen werden. -

"upgrading common interests" ist die Stufe, auf der Lösungen erzielt werden, die denjenigen innerhalb einer staatlichen politischen Gemeinschaft schon recht nahe kommen. Interessen und Positionen werden auf einem höheren Niveau neu bestimmt, wobei von Anbeginn gemeinsame Interessen mit einbezogen werden. Hierbei ist die Mitwirkung eines Vermittlers Voraussetzung, er muß darüber hinaus für diese Art von Vermittlung eigene Kompetenzen haben.

Hierbei wird deutlich, daß der Grad der Integriertheit von Entscheidungen weitgehend von dem Grad der Institutionalisierung abhängig ist, mit dem diese Entscheidungen vorbereitet werden. Zwar ist es durchaus denkbar, daß eine wenig aktive integrierte politische Entscheidungsinstanz weniger integrierte Entscheidungen fällt, als mehrere autonome, nebeneinander geordnete Entscheidungsinstanzen, die in einem weiten Bereich einer Zusammenarbeit aufgeschlossen sind. Doch kann erst eine entsprechende Institutionalisierung das Ergebnis integrierter Entscheidungen gewährleisten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einerseits denjenigen Instanzen, die eigene Kompetenzen haben und die diese mit Mehrheitsbeschlüssen ausüben, und andererseits denjenigen, die nur dem Namen nach Entscheidungsträger sind und bei denen eine Einstimmigkeit unter allen beteiligten Instanzen notwendig ist, welche in Wirklichkeit die Entscheidungsbefugnis innehaben. Während im ersteren Falle eine Integrierung möglich ist, wird es im letzteren Falle nur bei einer Koordinierung bleiben. Buchmann24 unterscheidet diese beiden Stufen folgendermaßen: -

die Koordination, bei der es sich, wenn sie eine positive Form annimmt, um eine Kooperation handelt. Der Kompromißgrad, der hierbei zu erreichen ist, wird bestenfalls derjenige des "splitting the difference" sein.

-

die Integration, bei der gemeinsame Lösungen durch Verschmelzung der politischen Entscheidungsinstanzen garantiert werden. Hierbei liegt die politische Absicht zugrunde, die Beziehungen zwischen den Basisgruppen - in diesem Falle zwischen den Staaten - so intensiv

24 S. 171; in ähnlichem Sinne: Reuter, S. 36; Robertson, European Institutions: Cooperation, Integration, Uniftcation, London 1966, S. XIII und 57; Duclos, L'etre federaliste, Paris 1968, S. 68.

2•

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werden zu lassen, daß eine neue, den alten Gruppen übergeordnete Gruppe entsteht. Mit diesem Verfahren ist selbst der höchste Kompromißgrad der Entscheidungen zu erreichen. Die Bedeutung der Institutionen für die Integration darf also keineswegs unterschätzt werden. Dies gilt auch für die Wahl der Strategie, die zur Verwirklichung der Integration verfolgt wird.

II. Integrationsstrategie 1. Die Grenzen des Funktionalismus

Ausgangspunkt für die Funktionalisten ist die Hypothese, daß die Fusion bestimmter staatlicher Funktionen, die anfänglich verhältnismäßig leicht möglich ist, eine Annäherung der beteiligten Staaten auf anderen Gebieten nach sich ziehen kann, auf denen eine Integration zunächst nicht möglich gewesen wäre. Die bereits integrierten Funktionen würden die Notwendigkeit spürbar werden lassen, weitere benachbarte Funktionen ebenfalls zusammenzulegen25• Der Erfolg dieser Strategie - und darauf weisen die Funktionalisten mit Nachdruck selbst hin- hängt in erster Linie davon ab, mit welchen staatlichen Funktionen die Integration begonnen wird26 • Besonders geeignet erscheinen hier Gebiete, auf denen zwischen den beteiligten Staaten keine ideologischen Meinungsverschiedenheiten bestehen und die sich leicht technokratisch verwalten lassen. Der Beitrag, den diese Theorie für die regionale politische Integration geliefert hat, darf nicht überbewertet werden 27• Die Beispiele, auf die sich die Funktionalisten berufen, sind fast durchweg Konkretisierungen einer Solidarität, die ohnehin schon bestand. Wo ein Integrationsfortschritt festzustellen war, bestand dieser in fast allen Fällen in einer Ausweitung des Teilnehmerkreises und nur selten in einer Anhebung des kleinsten gemeinsamen Nenners unter denselben Partnern. Diese Fortschritte betreffen zudem im wesentlichen Gebiete, auf denen die Vorstellungen über das, was als politischer Fortschritt zu werten ist, ohnehin kaum strittig sind. Eine besondere Schwierigkeit, mit der das funktionalistische Modell zu kämpfen hat, ist die Tendenz vieler Gebiete, autonom zu werden, d. h. die übergreifende Wirkung zu bremsen. Um diesem Nachteil abzuhelfen, zs Deutsch, S. 236; Mitrany, The prospect of Integration: federal or functional, in Journal of Common Market Studies, 4/2, Dez. 1965, S. 126 - 141; SeweH, Functionalism and World Politics, Princeton 1965. 26 Haas, Universal Process, S. 390. 27 Deutsch, North Atlantic Area, S. 110; derselbe, Analyse, S. 281.

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haben die Funktionalisten schließlich die Notwendigkeit eines Minimums von Institutionalisierung in ihrem Modell akzeptiert. Dies war die Geburtsstunde des Supranationalismus. Dieser geht wie der Funktionalismus von der Realität aus, daß eine unmittelbare Abtretung von umfangreichen staatlichen Befugnissen nicht wahrscheinlich erschien. Als Alternative in dieser Lage bot sich eine Politik der kleinen Schritte an, um das Zögern der Staaten vor der Integration allmählich abzubauen. Die Grenzen dieser Strategien liegen nicht nur im Praktischen, d. h. dort, wo die durch die Integration geweckten Gegenkräfte stärker werden als die politische Notwendigkeit zur Vervollständigung der Integration auf den angrenzenden Gebieten. Diese Grenzen liegen vor allem schon im Ansatz begriffen, der nämlich davon ausgeht, daß die Politiker vollendete Tatsachen zu schaffen bereit sind, die sie späteren Sachzwängen unterwerfen sollen, jedoch nicht bereit sind, von Anfang an den Handlungen zuzustimmen, die aufgrund der Sachzwänge nötig werden. Ein von Anfang an begrenzter politischer Wille kann auch durch spätere Sachzwänge nicht einfach ersetzt werden. Vielmehr führte das Fehlen des politischen Willens und das Auftreten der Sachzwänge zu der politisch fast ausweglosen Situation, in der sich die Europäischen Gemeinschaften heute befinden. Die Grenzen dessen, was sich technokratisch regeln läßt, sind heute in vielen Bereichen erreicht. Eine Übertragung der supranationalen Idee, wie sie besonders im Anschluß an die ersten Erfolge innerhalb der Mon-' tan-Union von vielen Seiten gefordert wurde28 , kann heute nicht mehr ernsthaft diskutiert werden. Diese Übertragung konnte nur von denjenigen vorgeschlagen werden, die die supranationale Idee mißverstanden hatten. Denn politisch sensible Bereiche eignen sich ganz und gar nicht für technokratische Lösungen, die einen "spill-over"-Effekt hätten. Diese Bereiche sind es vielmehr, in die nach den Vorstellungen der Schöpfer der Europäischen Gemeinschaften die technokratische Integration hinübergreifen sollte. Funktionalismus und supranationale Idee haben nur in beschränktem Umfang den politischen Willen hervorrufen können, weiteren Machtverschiebungen zuzustimmen. Sie können heute nicht mehr als taugliches Mittel zum Zweck des weiteren Integrationsfortschritts an-gesehen werden.

2. Die Untauglichkeit der "abgestuften Integration" Als Leo Tindemans den Auftrag zur Erstellung eines Berichtes über die Europäische Union erhalten hatte, sagte er in einem Interview im 2s Castagne,

L'Organisation de l'Europe occidentale, Paris 1954, S. 33.

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Deutschen Fernsehen, daß vor allem eine Besinnung auf die Ideen der Schöpfer der Europäischen Gemeinschaften notwendig sei. Der von ihm gemachte Vorschlag einer abgestuften oder differenzierten Integration muß daher erstaunen. In der Tat glaubt Tindemans, daß es unmöglich ist, heute ein glaubwürdiges Aktionsprogramm zu entwickeln, wenn man von der absoluten Erforderlichkeit ausgeht, daß in allen Fällen alle Etappen von allen Staaten im gleichen Zeitpunkt zurückgelegt sein müssen 29 • Die Verwirklichung des Vorschlags einer abgestuften Integration würde die Verwässerung des Gesamtkonzepts durch den Einbau rein funktionalistischer Methoden bedeuten. Dies wäre nicht nur kurzfristig ein Rückschlag gegenüber den bisher praktizierten supranationalen Prinzipien, sondern langfristig ein Alibi, ja sogar ein Werkzeug in der Hand nicht integrationsbereiter Staaten. "Die Staaten, welche die Möglichkeit haben, Fortschritte zu machen, sollen auch die Pflicht haben, dies zu tun30." Hier wird es sich stets um die Verwirklichung des kleinsten gemeinsamen Nenners handeln, in dem Sinne, daß der in beschränktem Teilnehmerkreis kleinste gemeinsame Nenner unter gleichzeitiger "Abhängung" der dahinter zurückbleibenden Staaten verwirklicht wird. Ein Integrationsfortschritt ist hierin nicht zu sehen. Dies ist vor allem aber auch kein Fortschritt im politischen Sinne, denn es tst nicht ersichtlich, warum das, was einzelne Mitgliedstaaten gemeinsam als ihre Politik definieren, als Politik der gesamten Gemeinschaft gelten muß, die von den anderen Staaten, um aufzuholen, nachvollzogen werden müßte. Gerade auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Währungspolitik, für das der Vorschlag der abgestuften Integration gemacht wurde, weichen die Vorstellungen darüber, was als politischer Fortschritt anzusehen ist, zwischen den Mitgliedstaaten erheblich voneinander ab. Dies kann nur zur Folge haben, daß die Mitgliedstaaten, die sich zu einem Eintritt in den beschränkten Teilnehmerkreis nicht in der Lage sehen, durch eine wachsende Kluft von diesem getrennt werden. Die durch die abgestufte Integration innerhalb eines engeren Kreises der Mitgliedsstaaten ermöglichte enger integrierte Politik verhält sich sowohl zu der Politik eines nicht mit einbezogenen Mitgliedstaates als auch zur Gemeinschaftspolitik wie irgendeine einzelstaatliche Politik. Dies wird bereits deutlich in den von Tindemans angeführten Beispielen der belgisch-luxemburgischen Wirtschafts-Union sowie der BeneluxStaaten. III A 2. ao Ebendort, siehe aber:

!V

Bericht der Kommission über die Europäische Union, Nr. 7 und 8.

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Diese Gefahr scheint Tindemans gesehen zu haben, denn er schlägt vor, daß zunächst im Gemeinschaftsrahmen - also von allen Mitgliedstaaten - die Gesamtvorstellungen für den betreffenden politischen Bereich fixiert werden 31 • Eben darauf kommt es an: für alle weiteren Aktionen im voraus einen Rahmen zu skizzieren, auf den sie sich beziehen und in den sie sich einfügen. Dabei wird jedoch eine Strategie, die darauf verzichtet, neben diesen inhaltlichen Rahmen einen adäquaten institutionellen Rahmen zu stellen, wenig Aussichten auf Erfolg haben. 3. Das Konzept des Föderalismus

Auf der Suche nach einer anderen Strategie stellt man sehr bald mit Bestürzung fest, daß im Grunde nur eine Alternative besteht - der Föderalismus. Tatsächlich hat sich in dieser Hinsicht nicht viel seit den Tagen der Gründung des Europa-Rates geändert. Tatsächlich stehen sowohl gedanklich wie praktisch nur zwei Wahlmöglichkeiten offen: die Politik der kleinen Schritte oder aber die Schaffung eines großangelegten Rahmens, der nachträglich auszufüllen ist. Es ist bekannt, daß die Initiatoren des Europa-Rates noch ganz von dieser letzteren Idee beseelt waren32, während die Schöpfer der Europäischen Gemeinschaften, nachdem sie die Grenzen der Möglichkeiten des Föderalismus erkannt hatten, dessen Alternative- den Funktionalismus- in den Vordergrund stellten33 • Nachdem nun auch dessen Grenzen deutlich geworden sind, erscheint zumindest eine Besinnung auf den Föderalismus gerechtfertigt. Dieser Föderalismus ist nicht im Sinne der Allgemeinen Staatslehre, sondern als politologisches Konzept zu verstehen. Auch bei ihm handelt es sich um einen Prozeß der Fusionierung bestimmter staatlicher Funktionen34 • Im Gegensatz zum Funktionalismus, der ein induktives Verfahren ist, handelt es sich beim Prozeß der "Föderalisierung" 35 um eine deduktive Methode36 • Freilich gibt es Theorien wie diejenige des "Föderalismus a 31

III A 2.

Duclos, Le Conseil de l'Europe, Paris 1970. aa Alting von Geusau, S. 223; Haas, The Challenge of Regionalism, in International Organization, XII, 4, 32

Fall1958, S. 440- 458; Mitrany, S. 126; derselbe, Functional Federalism, in Common Cause, April 1950, neu abgedruckt in A Working Peace System, Chicago 1966. 34 Hay, Federalism and Supranational Organisation, London 1966, S. 1.

Friedrich, S. 119; Galtung, A structural Theory of Integration, in Journal of Peace Research

35

1968, s. 376; Birch, Approaches to the Study of Federalism, in Political Studies. XIV, 1, 1966, s. 15 - 33. ae Schneider, S. 30.

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la carte"37, bei denen sich die Grenzen zum Neofunktionalismus verwischen. Doch besteht begrifflich ein wesentlicher Unterschied. Beim Föderalismus sind der geographische und rechtliche Rahmen im voraus bestimmt38. Diese gilt es auszufüllen, und zwar nach den Prinzipien des Föderalismus39 • Dabei bedeutet Föderalismus im materiellen Sinne den Vorrang des Rechtes über die Macht. Im formellen Sinnne bedeutet Föderalismus die Zuteilung einer bestimmten Regelungsbefugnis an die Gebietskörperschaft, innerhalb deren örtlichen Zuständigkeitsbereich die von dieser Regelungsbefugnis umfaßten Entscheidungen einheitlich sein sollten40 • Die Verwirklichung des Föderalismus wäre die Schaffung von Institutionen, deren Befugnisse sich nach den vorstehenden Grundsätzen bestimmen. Es handelt sich also darum, daß die Macht auf adäquater Ebene ausgeübt wird. Verteilungsschlüssel für die Kompetenzen muß hierbei die Notwendigkeit der einheitlichen Beschlußfassung sein. Diese Notwendigkeit kann sich aus den Anforderungen ergeben, die von außen gestellt werden (Beispiel: Notwendigkeit einer einheitlichen bundesdeutschen auswärtigen Kulturpolitik), sie kann aber auch von innen her begründet sein (Beispiel: Notwendigkeit der Verwirklichung der "Vier großen Freiheiten" im EG-Bereich). Werden Beschlüsse, die für ein bestimmtes geographisches Gebiet einheitlich zu treffen sind, durch mehrere Instanzen getroffen, von denen jede einzelne jeweils nur einen Teil dieses Gebietes kontrolliert, und gilt bei dieser Beschlußfassung für die beteiligten Instanzen das Prinzip der Einstimmigkeit, so ist die Zuteilung der fraglichen Kompetenzen nicht adäquat. Denn sie müßte bei einem Organ liegen, dessen räumlicher Zuständigkeitsbereich mit den Grenzen dieses geographischen Gebietes zusammenfällt. Dieses Organ kann auch die Gesamtheit der beteiligten Instanzen sein, die dann jedoch mit Mehrheit entscheiden müßten, d. h. diesem Organ eigene Kompetenzen übertragen müßten. Solange dies nicht der Fall ist, werden die sogenannten gemeinsamen Beschlüsse den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen, was im Grunde die Feststellung einer Institutionalisierungslücke bedeutet. Föderalismus heißt im Gegensatz zur Dezentralisierung, daß die Macht in demselben Rahmen ihren Ursprung hat, in dem sie ausgeübt wird, a1 Duclos, L'etre federaliste,

S. 48.

38

Beloff, Federalism as a Model for International Integration, in Yearbook

40

Friedrich, S. 126;

of World Affairs, 1959, S. 201. se Sidjanski, Dimensions europeennes; De Visscher, Theorie et realite en Droit International Public, Paris 1970, S. 85. Diebold, S. 433 und 454.

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und nicht von unten oder oben delegiert ist. Nicht zutreffend erscheint das von vielen Föderalisten behauptete Subsidiaritätsprinzip, das einen von unten nach oben gerichteten Aufbau zugrunde legt. Dieses Prinzip erscheint bedenklich angesichts der Prämisse, daß alle Ebenen der Machtausübung gleichberechtigt sind. Bereits hier ergibt sich ein wesentlicher praktischer Unterschied gegenüber dem Funktionalismus: während bei diesem die Wahl eines bestimmten geographischen Rahmens für die Zuteilung von Kompetenzen auch über das Ziel hinausschießen kannn, wirken die Grundsätze des Föderalismus als Regulativ in beiden Richtungen, nämlich sowohl als Begründung wie als Begrenzung der Integration. Man hat gegen eine Anwendung des Föderalismus im Bereich der regionalen politischen Integration oft zu bedenken gegeben, daß dieses Konzept zu starr sei und nachträglich nur unter dem Risiko einer Selbstzerstörung zu ändern sei41 • Dem ist entgegenzuhalten, daß auch das, was durch föderalistische Prinzipien im institutionellen Bereich verwirklicht wird, dem Spiel eigendynamischer Kräfte ausgesetzt ist und somit Fort- und Rückschritte machen kann42 • Die Verfassungsgeschichte aller Staatenbünde und Bundesstaaten lehrt es, daß das Verhältnis zwischen den nach innen und außen wirkenden Kräften ständig wechselt. Ein Stabilitätspunkt ist praktisch nie zu erreichen. So enthält jede Verfassung innewohnende Kräfte, die sich entweder zugunsten der lokalen Autonomie oder des Gesamtstaates auswirken43. Die Mehrzahl der geschichtlichen Beispiele, die die Geburt von Nationen betreffen, zeugen von der letzteren Tendenz. Im Bundesstaat ist das Gleichgewicht der Verfassung oft nur künstlich aufrechtzuerhalten, da die Einzelstaaten ständig von der übermächtigen Intervention durch den Gesamtstaat bedroht sind. Demgegenüber ist die Schwierigkeit einer Anwendung des Föderalismus im internationalen Bereich genau in der anderen Richtung gegeben. Diese Anwendung gründet sich auf das Vorhandensein derselben dynamischen Kräfte. Doch besteht aufgrund der Tatsache, daß das letzte 41 Mitrany, The functional approach to World organisation, in International Affaires, Juli 1958, S. 351- 360; derselbe, The prospect of Integration. 42 Zum Föderalismus als Prozeß: Buchmann, 8.103; Bowie, The Process of Federating Europe, in MacMahon, S. 57; Sidjanski, S. 117; Friedrich, S. 119; derselbe, Federal Constitutional Theory and Ernerging Proposals, in MacMahon, S. 514- 523. 43 Etzioni, The dialects of supranational Uniftcation, in American Political Science Review 1962, S. 143; Hoffmann, S. 228.

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Wort nach wie vor bei souveränen Staaten liegt, die Gefahr, daß das schon Erreichte nicht vertieft oder sogar preisgegeben wird. Es liegt auf der Hand, daß es keine institutionelle Formel gibt, die die Integration mit Notwendigkeit vorantreiben könnte44 . Doch läßt sich erkennen, daß der Föderalismus eine Schwelle kennt, von der an die integrierenden Kräfte gegenläufigen Tendenzen gegenüber standhalten können45. Es erscheint schwierig, diese Schwelle genau zu bestimmen. Sie dürfte jedoch dort überschritten sein, wo Mehrheitsentscheidungen in den wichtigsten zu integrierenden Bereichen akzeptiert werden. Auf diesen Gebieten bedarf es der erwähnten Machtverschiebung, um das Erreichte unter Zuhilfenahme der Trägheit der Institutionen wirksam bewahren zu können46 • Doch diese Trägheit der Institutionen wirkt sich nur dann zugunsten der Integration aus, wenn die beschriebene Mindestschwelle überschritten ist. Damit ist jedoch noch nicht das Endziel einer adäquaten Verteilung aller Kompetenzen bewirkt. Dies wird nicht auf einen Schlag möglich sein, sondern erst allmählich vom Überschreiten der besagten Mindestschwelle an. Von diesem Punkt an kann ein Prozeß der Neuverteilung der Kompetenzen nach den dargelegten Prinzipien beginnen, den man Prozeß der Föderalisierung genannt hat47 • 111. Die Chancen der Europäischen Union

1. Die Notwendigkeit des qualitativen Sprungs Tindemans unterstreicht zu Recht in der Einleitung seines Berichtes, daß Europa auch ein Opfer seines Erfolges ist48 • Dieser Erfolg war die Voraussetzung für das Entstehen der politischen Anforderungen, denen nunmehr die bestehende Organisation nicht mehr gewachsen ist. Dieser Widerspruch wird sich verschärfen, und zwar in verschiedener Richtung. Denn das Fortschreiten der Integration in bestimmten Bereichen wird Unterschiede auf anderen Bereichen wachsen und spürbarer werden lassen. So wird eine Solidarität, die auf bestimmten Gebieten entsteht, auf anderen Gebieten gegenläufige Tendenzen hervorrufen, bei denjenigen 44

Haas, The Unitingof Europe, S. 106.

45 Sidjanski, S. 174;

Hoffmann, Vers l'etude systematique des mouvements d'integration regionale, in Revue francaise des sciences politiques, Juni 1959, S. 476; Deutsch, Analyse, S. 282; derselbe, North Atlantic Area; Etzioni, Political Uniflcation. 48 Friedrich, in MacMahon, S. 522; Sidjanski, S. 115. 47 Friedrich und Bowie wie zitiert in Fußnote 42.

48

Tindemans-Bericht, I A.

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nämlich, die das Opfer einer unzulänglich durchgeführten Integration sind, die sie nicht einzubeziehen wußte. Diese Mängel entspringen den Unzulänglichkeiten des Steuermechanismus, es sind also institutionelle Mängel. Auf der anderen Seite werden aber die Fragen zahlreicher wer· den, für die nur eine Antwort auf europäischer Ebene gefunden werden kann, zu deren befriedigender Regelung sich die Staaten innerhalb der nationalen Gr . . . nzen nicht mehr in der Lage sehen. Diese Verschärfung der Widersprüche kann mehrere Folgen haben. Entweder entschließen sich die Staaten zu einer Zerstörung des euro· päischen Einigungswerkes, um so die Krise "zu ihren Gunsten" zu ent· scheiden. Diese Lösung erscheint in jedem Falle unwahrscheinlich, da die Staaten nicht mehr in der Lage sind, im nationalen Rahmen erfolg· reich Politik zu betreiben. Der nationale Rahmen ist nicht mehr genügend nach außen abzuschirmen. Eine derartige Alternative besteht also nicht mehr. Kurz- und mittelfristig könnte durch eine Anpassung des Systems eine Entschärfung des Widerspruchs herbeigeführt werden. Es ist nicht ausgeschlossen, daß durch eine Perfektionierung des heutigen Systems sowie der Koordinierung innerhalb der europäischen politischen Zusammenarbeit und des Europäischen Rates sogar auf längere Sicht ein gerade noch funktionsfähiges System überleben kann, auch wenn es immer wie· der durch Krisen geschüttelt wird. Langfristig wird jedoch der qualitative Sprung unumgänglich sein. Ob dabei die bis zum Ende dieses Jahrzehnts gesetzte Frist einzuhalten sein wird, erscheint sehr zweifelhaft. Je früher die Regierungen ihren Lippenbekenntnissen und platonischen Beteuerungen konkrete Maßnahmen folgen lassen, je größer bleibt ihr Handlungsspielraum, d. h. die Anzahl der Alternativen bleibt. Noch sind die Sachzwänge verhältnismäßig ge· ring. Eine Entmachtung der Nationalstaaten ist nach Auffassung aller Beteiligten früher oder später unumgänglich, wäre jedoch im heutigen Stadium noch leichter zu steuern und zu planen. Die verstandesmäßige Überzeugung von der Notwendigkeit einer Machtverschiebung zugunsten übergeordneter Instanzen kann jedoch nur sehr langsam die gefühlsmäßigen Vorbehalte bei denjenigen abbauen, die dabei auf ihre Macht zu verzichten haben. Daß die Machtträger sich letzten Endes selbst entmachten müssen, läßt die Grenzen dessen erahnen, was realisierbar ist49 • Dies alles bedeutet jedoch nicht, daß die Europäische Union keine Verwirklichungschance hätte. Im Gegenteil: die Dauerkrise, in der sich 48 Der Ausbau des Europäischen Parlaments erscheint hier als besonders taugliches Mittel, da er eventuell die Möglichkeit eröffnet, Teile der etablierten Macht zu übertragen.

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die europäischen Gemeinschaften befinden, macht den dialektischen Prozeß deutlich, der - zumindest auf lange Sicht, so scheint es - zu einem qualitativen Sprung führen muß.

2. Mindestvoraussetzungen des qualitativen Sprungs Überzeugte Europäer sehen es als überflüssig an, die Notwendigkeit der europäischen Integration plausibel zu begründen. Auch Tindemans ist überzeugter Europäer. Überzeugen kann diese Idee jedoch nur dort, wo die Notwendigkeit einer Integration verstanden und gespürt wird. Diese Notwendigkeit besteht auf einer Reihe von Gebieten, doch darf deren Zahl und Umfang nicht überschätzt werden. Die Außenpolitik und Verteidigungspolitik gehören ganz sicherlich dazu50 • Ansonsten kann jedoch der Rahmen, der nunmehr zu schaffen ist und allmählich ausge~ füllt werden soll, zunächst nur recht "hohl" sein. Sobald man sich auf die Vorstellung geeignet hat, daß die Europäische Union nicht die Gestalt eines Superstaates annehmen wird, sondern auf verhältnismäßig wenige, allerdings eigene Kompetenzen beschränkt sein wird, werden die Staaten schneller bereit sein, ihrer Verwirklichung zu·zustimmen. Man darf wohl nicht annehmen, daß sich die Politiker bei der Wahl der Mittel, mit denen sie bislang internationale Organisationen ausgestattet haben, tatsächlich über deren Wirksamkeit geirrt hätten; vielmehr konnte die Unterdosierung eigentlich nur den Zweck haben, einem überstürzten Integrationsfortschritt, der sich den Staaten unkontrollierbar entgegenstellen würde, vorzubeugen. Wenn die Föderalisten früher einen Fortschritt der politischen Integration ohne Machtübertragung für unmöglich erklärten, so übersahen sie die Unmöglichkeit einer Machtübertragung, denn diese war Folge eines tieferen Grundes, nämlich des fehlenden politischen Willens zur Integration. Tatsächlich mußte es als eine Verkennung der Realitäten gelten, die Veränderungen mit institutionellen Mitteln zu betreiben, solange diese als juristische Verankerung des Bestehenden gerade eines der größten Hindernisse der Integration darstellten. Der politische Wille scheint aber heute gegeben, und es darf als sicher gelten, daß er sich konsolidiert, wenn die Vorstellungen der Ziele der Europäischen Union konkretisiert werden. Was als Grenze des Realisierbaren für klassische internationale Organisationen angesehen werden muß, kann für die Europäische Union nicht mehr gelten, wenn diese einen Sinn haben soll. Mit der Schaffung einer solchen Union steht die genaue Definierung dessen an, was mit allen vorangegangenen MaßnahTindemans-Bericht, II B; Bericht der Kommission, Nr. 59 ff. und Nr. 74 ff.

so

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men der Integration nur vorbereitet werden sollte. Es kann sich nicht mehr darum handeln, durch eine Politik der kleinen Schritte Anlauf für den großen Schritt zu nehmen: der Prozeß läuft inzwischen schnell genug, um diesen großen Schritt zu wagen. Es besteht jedoch die Gefahr, daß Europa die Absprungmarke verpaßt.

3. Die vorhandene Solidarität Traditionelle internationale Organisationen entstehen aus der Tatsache, daß auf dem sie betreffenden Gebiet die Solidarität unter den Staaten aus irgendeinem Anlaß spürbar gestiegen ist. Sie setzen diesen Zustand voraus, haben jedoch regelmäßig Mühe, ihn zu konservieren. Viel weniger noch sind sie in der Lage - und hier waren die europäischen Gemeinschaften eigentlich die erste Ausnahme - die Solidarität weiter zu vertiefen. Eigene institutionelle Schwäche der Organsiationen und übermächtige institutionelle Stärke der Staaten tragen hierfür die Hauptverantwortung. So verloren die meisten internationalen Organisationen nach einer Periode anfänglichen Erfolges ihren Elan und versanken in den Schlummer verkrusteter Routinearbeiten51 • Voraussetzung für den Erfolg einer regionalen Integration ist eine gewisse Affinität zwischen den Mitgliedstaaten und das Vorhandensein eines gewissen Interesses derselben, sich gemeinsam von der Außenwelt zu isolieren. Eine solche Isolierung kann es jedoch nicht geben, solange gewisse Länder, obwohl sie in geographischer Hinsicht und auch aufgrundkultureller Traditionen dazugehören, außerhalb der Institutionen bleiben. Die Gründe hierfür ,sind im wesentlichen wirtschaftlicher, daneben- bislang zumindest noch- ideologischer Natur. Die Isolierung nach außen existiert also nicht von vornherein52 • Was die Solidarität nach innen angeht, so ist festzustellen, daß diese nicht zwischen allen Staaten und auf allen Gebieten gleich weit entwickelt ist. Da sie es ist, die die Grenzen der Region bestimmt, und nicht anders herum durch die Grenzen der Region die Solidarität bestimmt werden kann, sind die Versuche der Europäischen Gemeinschaften, ihre geographischen Grenzen auf alle Tätigkeitsbereiche zu übertragen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ähnliches gilt für die Solidarität nach außen. Voraussetzung für den Erfolg einer regionalen Integration ist eine gewisse Affinität zwischen st Etzioni, A Strategy of Change, S. 177; Haas, The Unitingof Europe, S. 16; derselbe, Universal Process, S. 109. 52 Mitrany, The prospect of Integration, S. 54; Jenks, World Organization and European Integration, in Annuaire Euro-

peen, VoLl, S. 173. S0rensen, The Council of Europe, in Recueil des Cours de l'Academie du Droit International de La Haye, 1952 II, S. 136 und 140.

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den Mitgliedsstaaten und das Vorhandensein eines gewissen Interesses derselben, sich gemeinsam von der Außenwelt zu isolieren. Eine solche Isolierung kann es jedoch nicht geben, solange gewisse Länder, obwohl sie in geographischer Hinsicht und auch aufgrund kultureller Traditionen dazugehören, außerhalb der Institutionen bleiben. Die Gründe hierfür sind im wesentlichen wirtschaftlicher, daneben - bislang zumindest noch - ideologischer Natur. Die Isolierung nach außen existiert also nicht von vornherein 53• Diese Überlegungen machen deutlich, daß ein neuer geographischer Rahmen definiert werden muß. Dieser Rahmen kann nur enger sein als der augenblickliche Mitgliederbestand der Europäischen Gemeinschaften. Während es durchaus an der Zeit war, in den bisherigen Tätigkeitsbereichen weitere Staaten einzubeziehen, erscheint es unrealistisch, auf eine gleichzeitige Vertiefung der Gemeinschaft in ihrem vollen Umfang zu hoffen. Daher wird eine "Abstufung" im Sinne einer Begrenzung des Kreises der Teilnehmer an der Integration notwendig. Diese einzige Differenzierung erscheint unerläßlich: die Europäische Union wird bis 1980 nur im Rahmen der sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten zu verwirklichen sein. Die Solidarität innerhalb dieses "harten Kerns" der Europäischen Gemeinschaften erscheint durchaus ausreichend. Dabei wird sich jedoch mit Sicherheit eine Schwierigkeit ergeben, von der schon im Hinblick auf den Funktionalismus und auf die "abgestufte Integration" gesprochen wurde. Diese Schwierigkeit ist auch bei dem nachträglichen Eintritt Großbritanniens, Dänemarks und Irlands in die Europäischen Gemeinschaften aufgetreten. Würde die Europäische Union erst später auf alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften erweitert, so hätten die nachträglich eintretenden Staaten wiederum die vollendeten Tatsachen zu akzeptieren, die die anderen bereits geschaffen haben. Obwohl dieses Problem noch recht hypothetisch aussieht, muß seine Lösung auf ein Konzept gestellt werden, das schon jetzt in die Europäische Union einzubringen ist: nämlich eine flexiblere Auffassung des institutionellen Rahmens. Der Erfolg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beruht nicht zuletzt darauf, daß ihr Modell und ihre Strategie auf einem originellen Konzept der Verbindung funktionalistischer und föderalistischer Elemente beruht. Ähnlich müßte auch jetzt wieder vorgegangen werden, allerdings mit anderer Verteilung der Gewichte: ein funktionell angereicherter Föderalismus, ein "Neoföderalismus" vielleicht54. sa Alting von Geusau, S. 223.

54 Bericht der Kommission, Nr. 94.

WELTRAUMRECHT UND INFORMATIONSFREIHEIT Von Dirk-Meints Polter Im Weltraum kreisende Satelliten bedienen uns in einem rapide angewachsenen und sich vermutlich noch vervielfachenden Umfang mit Information. Das führt zu Rechtsfragen, deren Tragweite und Brisanz sich in dem Umstand andeuten, daß drei geostationäre Satelliten genügen, um fast die gesamte Erdkugel mit Rundfunk- und Fernsehsendungen zu bedecken oder sie mit hochempfindlichen Sensoren zu erkunden. Unbemerkt von der betroffenen Allgemeinheit und auch in Fachkreisen weithin unbeachtet bahnen sich für Fernsehsendungen und für die Fernerkundung mittels Satelliten die Vorschriften an, die künftig den internationalen Informationsfluß in beiden Bereichen bestimmen könnten. Mehrjährige Arbeiten im Weltraumausschuß der Vereinten Nationen haben zu Entwürfen geführt, deren umstrittene Regelungen jetzt reliefartig Schwierigkeiten und Gegensätze zeigen; sie gehen wesentlich darauf zurück, daß vom Weltraum aus weite Räume mit scharf unterschiedenen politischen Systemen einheitlich erfaßt werden können. Diese Aussicht berührt Empfindlichkeiten, die mit Schlagwörtern wie ,politische Verführung', ,Konsumgüterterror', ,Kulturimperialismus', ,Wirtschaftsspionage' und ,Souveränitätsverletzung' gekenzeichnet oder auch dahinter verborgen werden; im Zentrum der Kontroversen steht die Informationsfreiheit. Ausgangspunkt der Untersuchung sind einige den grenzüberschreitenden Informationsfluß betreffende Regelungsvorschläge, deren gegenwärtige veränderliche Fassungen relevant sind, soweit darin rechtspolitische Zielsetzungen zum Ausdruck kommen. Der zweite Abschnitt ist der dem Direktfernsehen und der Fernerkundung gemeinsamen völkerrechtlichen Problematik gewidmet. In einem dritten Schritt wird versucht, einige theoretische Aspekte der differierenden Auffassungen zu skizzieren. Technische und organisatorische Fragen sind einbezogen, wo es einem besseren Verständnis der rechtlichen Problematik dienen könnte. Es ist davon abgesehen, hypothetische System-Konfigurationen zu diskutieren, denn von den verschiedenen denkbaren Konfigurationen hat bislang keine hinreichend scharfe Konturen angenommen; überdies kann eine auf internationaler Zusammenarbeit basierende Konfiguration den Kon-

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flikt um den Informationsfluß zwar vielleicht entschärfen, die aktuelle völkerrechtliche Situation und auch die dem Konflikt zugrundeliegenden theoretischen Positionen werden dadurch noch nicht modifiziert.

I. Prinzipien-Entwürfe im Weltraumausschuß Zentrale Aufgabe des Weltraumausschusses (,Committee on the Peaceful Uses of Outer Space') ist es gegenwärtig, Normen für direkte Fernsehsendungen und für Fernerkundung mittels Satelliten aufzustellen. Der Ausschuß, den die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1958 als Ad hoc-Komitee und im folgenden Jahr als ständiges Gremium eingesetzt hat, ist auf 37 Mitglieder angewachsen 1• Er stützt sich auf einen Rechtsunterausschuß und einen Wissenschaftlich-Technischen Unterausschuß und kann zudem auf Arbeitsgruppen für Navigationssatelliten, für Direktfernsehen und für Fernerkundung zurückgreifen. Hauptergebnisse seiner bisherigen Tätigkeit sind der Weltraumvertrag von 1967, das Rettungsabkommen von 1968, die Haftungskonvention von 1972 und das Registrierungsabkommen von 19742 ; nahezu das ganze geltende geschriebene allgemeine Weltraumrecht3 geht auf ihn zurück. 1. Prinzipien zum Direktfernsehen

Der Ausdruck ,Direktfernsehen' hat sich für Fernsehsendungen eingebürgert, die von einem Satelliten direkt in eine Empfangsantenne -sei es eine Gemeinschafts- oder Individualantenne- eingestrahlt werden. Man verzichtet auf das bislang für die Weitergabe erforderliche terrestrische Netz. Diese Technik wird zur Zeit im Rahmen des experimentellen indisch-amerikanischen Ausbildungsprogramms SITE ver1 Es sind dies Ägypten, Albanien, Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Chile, die Deutsche Demokratische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Indien, Indonesien, Iran, Italien, Japan, Kanada, Kenya, Libanon, Marokko, Mexiko, die Mongolei, Nigeria, Österreich, Pakistan, Polen, Rumänien, Schweden, Sierra Leone, die Sowjetunion, der Sudan, der Tschad, die Tschechoslowakei, Ungarn, Venezuela, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten von Amerika. 2 Fundstellen der deutschen Texte: BGBl II, 1969, 1967 (Weltraumvertrag); BGBl II, 1971, 237 (Rettungsabkommen); BGBl II, 1975, 1209 (Haftungskonvention); ein verbindlicher deutscher Text des Registrierungsabkommens ist in Vorbereitung; die authentischen fremdsprachigen Fassungen der ,Convention on Registration of Objects Launched into Outer Space' finden sich in VNDokument A/RES/3235 (XXIX). 3 Weltraumrecht, Teil des Völkerrechts, unterscheidet sich vom Luftrecht a) funktionell, weil es andere Aktivitäten als Luftfahrt regelt und b) materiell, weil der - bislang nicht abgegrenzte - Weltraum keiner staatHellen Hoheit unterworfen ist. Wenigen positiven Regeln steht bereits ein abundantes wissenschaftliches Schrifttum gegenüber.

Weltraumrecht und Informationsfreiheit

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wendet', und man rechnet, daß bis zum Ende dieses Jahrzehnts Direktfernseh-Satelliten wenigstens Nordamerika, die Sowjetunion und Japan mit Fernsehprogrammen versorgen werden5 • Technisches Hauptkennzeichen ist ein Satellit in geostationärem Orbit, d. h. auf einer kreisförmigen Umlaufbahn in 36 000 km Höhe über dem Erdäquator. Die Bewegungen der Erde und des Satelliten sind bei einer solchen Satelliten-Position in der Weise synchron, daß der Satellit fixiert über der Erde zu stehen scheint. Er ,sieht' aus jener Höhe rund ein Drittel der Erde; die Polkappen entgehen ihm8 • Auf Betreiben der Sowjetunion, die der Vollversammlung schon 1972 einen Konventionsentwurf über die Benutzung von Direktfernseh-Satelliten vorlegte, wurde der Weltraumausschuß beauftragt, Prinzipien zu erarbeiten, die die Nutzung von Satelliten für Direktfernsehsendungen regeln 7 • In den Debatten des Weltraumausschusses und seiner Untergremien rankt sich die Hauptkontroverse um jene Prinzipien, die das Maß der Freiheit bestimmen, das bei grenzüberschreitenden Sendungen zu gewähren ist. Dieses Maß ist nicht nur unmittelbar für den Regelungsgegenstand wichtig, es könnte mittelbar auch die völkerrechtliche Zulässigkeit aller anderen grenzüberschreitenden Sendungen präjudizie4 Im SITE (Satellite Instructional TV Experiment, 1975/76) Proje~t stellt NASA einen ATS-F Satelliten mit einem Bildkanal und zwei Hörfunkkanälen bereit, während Indien für Bodensegment und Programm verantwortlich ist. Etwa die Hälfte der Fernsehgeräte (ca. 2500) ist an direktempfangenden Gemeinschaftsantennen angeschlossen, die andere Hälfte wird über eine Bodenempfangsstation und das terrestrische Netz erreicht. - Auf SITE soll als zweiter Schritt etwa 1978 ein direktsendender indischer Satellit (INSAT I) folgen, für den dann alljährlich 100 000 Gemeinschaftsgeräte aufgestellt werden sollen. Die Programme sollen in der ersten und zweiten Phase hauptsächlich der Erwachsenenbildung dienen. Eine kritische Darstellung des indischen Fernseh-Satellitenprogramms findet sich bei Alexander Melzer, The Social Use of India's Television Satellite. A Teclmology Assessment of the INSAT Proposal. Zürich 1974. 5 Das europäische Kommunikations-Satellitenprogramm, das Belgien, Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Schweden, die Schweiz und das Vereinigte Königreich im Rahmen der Europäischen Weltraumorganisation ESA durchführen, befindet sich in seiner zweiten Phase (1972- 1977), dde der technischen Entwicklung dient und im Start des OTS (Orbital Test Satellite) Mitte 1977 kulminieren soll. Ziel der dritten Phase (1976- 1980) ist ein herkömmlicher- kein direktsendender - Operationeller Satellit (vgl. ESA Bulletin 1975 Nr. 1, 26 ff.). 8 Technisch ist es möglich, die Zone, die er mit Sendungen bestrahlt, auf eine erheblich kleinere Fläche einzugrenzen. Eine knappe Darstellung der wichtigsten technischen Parameter gibt Gerard Boelle, Satellites de diffusion directe. Parametres techniques principaux, in: L'utilisation de satellites de diffusion directe. Travaux et recherches de La Faculte de Droit et des Seiences Economiques de Paris, 8erie ,Droit Public', Nr. 5, Paris 1970, 12 ff. 7 Resolution 2916 (XXVII) der VN-Vollversammlung vom 9. November 1972.

3 Festschrift für H. Armbruster

Dirk-Meints Folter

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ren8 • Der gegenwärtige Stand der Diskussion läßt sich, etwas schablonisiert, an den Fassungen der 14 Direktfernseh-Prinzipien im Arbeitsbericht des Rechtsunterausschusses für 1975 ablesen9 • a) Entwürfe im Rechtsunterausschuß Von den 14 Prinzipien sind vorläufig 3 außer Streit: die Regelung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, die Frage der friedlichen Streitbeilegung und die Regel über das Vermeiden von Störungen. Alle anderen enthalten umstrittene eingeklammerte Passagen oder alternative Fassungen; ein Prinzip ist insgesamt in Frage gestellt. Unter dem Blickwinkel der Informationsfreiheit, wo, etwas polemisch simplifiziert, viele Feinde wenigen Freunden dieser Freiheit gegenüberstehen, verdienen vor allem Aufmerksamkeit: -

das Prinzip über Ziele und Zwecke von Direktfernsehsendungen (,Purposes and Objectives')1°.

s Es hat manchen Meinungsaustausch darüber gegeben, ob DirektfernsehRegelD eine solche präjudizierende Wirkung zukommen könne. Das ist vielfach mit dem Argument verneint worden, Direktfernsehsendungen seien technisch und also auch rechtlich ein aliud gegenüber konventionellen Programmausstrahlungen. Dem ist entgegenzuhalten, (a) daß es zweifelhaft ist, ob es sich technisch um ein aliud handelt;- das wird von der herrschenden Lehre inzwischen verneint, die im Anschluß an Gabriet Lafferranderle davon ausgeht, die Telekommunikation mittels Satellit stelle eine technische Innovation dar, die die bislang vorhandenen Mittel bloß, freilich erheblich, erweitere; vgl. Le statut juridique du satellite de telecommunication, in: Les telecommunications par satellites. Paris 1968, 81 ff., 82; ferner: Marco G. Marcoff, Traite de Droit international public de l'espace. Fribourg 1973, 581 mwN;- (b) daß ein technisches aliud nicht notwendig eine rechtliche Andersbehandlung nach sich ziehen würde, (c) daß völkerrechtlich eine Vergleichbarkeit aller grenzüberschreitenden Sendungen vorliegt, weil es sich in allen Fällen um von Staat A erzeugte und in Staat B abgestrahlte Sendungen handelt. Für die Vergleichbarkeit ist es gleichgültig, ob Wellen den Umweg über den Weltraum nehmen oder nicht. 8 VN-Dokument A/AC. 105/147, Annex II. Die Texte gehen inhaltlich in erster Linie zurück auf Entwürfe der UdSSR, Schwedens und Kanadas, der USA und Argentiniens (vgl. VN-Dokumente AIAC. 105/127, A/AC. 105/134 und A/AC.105/C. 2/L.102). 10 Die Varianten lauten: 'Alternative A

Activities in the field of direct television broadcasting by satellite should serve the purpose of maintaining international peace and security, developing mutual understanding and strengthening friendly relations and co-operation among all States and peoples, assisting in the social and economk development particularly in the developing countries, facilitating and expanding the international exchange of information, promoting exchanges in the field of culture, science and economy and enhancing the educational level of peoples of various countries. To this end activities in the fteld of direct television broadcasting by satellite shall be carried out by States exclusively in a manner compatible with the above-mentioned objectives and with due regard to the provisions of the principle ...•

Weltraumrecht und Informationsfreiheit

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Alternative B nennt als erstes Ziel internationalen Informationsaustausch, in Alternative A steht er an vierter Stelle. Während nach B auch die Verfolgung anderer als der ausdrücklich genannten Zwecke zulässig ist, soll der Katalog in A ausschließlich sein 11 • Auffällig ist, daß beide Alternativen von einem Austausch der Informationen sprechen; damit könnte für grenzüberschreitende Sendungen das Erfordernis einer Gegenseitigkeit eingeführt werden. Bemerkenswert ist weiter, daß beide Alternativen nur von einem Austausch zwischen Staaten und Völkern sprechen; damit scheint beabsichtigt zu sein, das Individuum, Absender und Empfänger von Information, nicht als Rechtssubjekt in die Direktfernsehregelungen aufzunehmen. Diese Absicht zeigt sich wieder im kontroversen Teil der nachfolgenden Prinzipien über die Anwendbarkeit des Völkerrechts und über Rechte und Vorteile. - Weder A noch B visieren das schlichte Ziel an, ein Publikum zu unterhalten; nach B wäre eine entsprechende Sendung aber immerhin zulässig. -

das Prinzip über die Anwendbarkeit des Völkerrechts {,Applicability of International Law') 12• Alternative B

Activities in the field of [international] direct television broadcasting by satellite should facilitate and expand the mutual international exchange of information and ideas, promote cultural and scientific exchanges, and enhance the educational level of all peoples. Such broadcasting should encourage the development of mutual understanding, friendly relations, and co-operation among all States and peoples, and should be conducted in a manner compatible with the maintenance of international peace and security. Efforts should be made where appropriate to encourage beneficial applications of direct television broadcasting by satellite which may assist in social and economic development particularly in the developing countries. * Which relates to the applicability of international law.' 11 Im Rahmen der Europäischen Weltraumkonferenz haben sich von den Teilnehmern Belgien, Dänemark, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, Niederlande, Schweden, Schweiz und Vereinigtes Königreich die Vertreter von Belgien, Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Niederlande und Italien mit Vorbehalten für Alternative B ausgesprochen. Einige der übrigen Staaten scheinen Alternative A zuzuneigen (vgl. Dokument CSE/ONU [75] PV/1 mit add. 1 und 2). 12 '[States shall ensure that] Activities in the field of direct television broadcasting by means of artificial earth satellites [are] [should be] conducted in accordance with [generally recognized rules of] international l:aw including the Charter of the United Nations, the Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and other Celestial Bodies of 27 January 1967, the relevant provisions of the International Telecommunications Convention and its Radio Regulations and in accordance with the principles of international law relating to friendly relations and co-operation among States ,and human rights [including those contained in the Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among States and the Universal Declaration of Human Rights] [and the International Covenant on Civil and Political Rights].'

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-

Dirk-Meints Polter Umstritten sind neben Grad und Umfang der rechtlichen Bindung vor allem die Bezugnahme auf die Allgemeine Menschenrechtserklärung und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Für die Informationsfreiheit sind Pakt und Erklärung von besonderer Bedeutung, weil sie Vorschriften über Empfang und Weitergabe grenzüberschreitender Information zugunsten des Einzelnen enthalten.- Die Furcht, dem Individuum einen völkerrechtlichen Anspruch einzuräumen, findet sich auch im Prinzip über Rechte und Vorteile (,Rights und Benefits [of States]')13 ; dort besteht offenbar wenig Bereitschaft, sich dazu zu verpflichten, den Einzelnen die Vorzüge des Direktfernsehens genießen zu lassen. das Prinzip über Zustimmung und Mitwirkung (,Consent and Participation')14. Hier geht es um die wichtige Frage, ob beabsichtigte grenzüberschreitende Sendungen15 der Zustimmung des Empfangsstaats bedürfen. Sie wird in Alternative A bejaht und in Alternative B verneint16 .

13 'Every State has an equal right to conduct and to authorize [under its supervision] activities in the field of direct television broadcasting by means of artificial earth satellites. All States and peoples [and individuals] [are entitled to] [should have an appropriate opportunity for] [should enjoy) equitable sharing without discrimination in the benefl.ts derived from such activities on mutually agreed terms including, subject to nationallegislation, access to the use of this technology.' 14 Die Varianten lauten:

'Alternative A

Direct television broadcasting by means of artificial earth satellites specifically aimed at a foreign State shall require the consent of that State. The consenting State shall have the right to participate in activities which involve coverage of territory under its jurisdiction. This participation shall be governed by appropriate arrangements between theStates involved. The consent and participation referred to in Principle ... shall not apply where coverage of the territory of a foreign State results from radiation of the satellite signal within the limits considered technically unavoidable under the Radio Regulations of the International Telecommunication Union. Alternative B

Direct television broadcasting by satellite should be conducted in accordance with the principles setout herein, andin particular in accordance with principle ... * Which relates to participation and co-operation.' 1t may be subject to such restrictions imposed by the State carrying out or authorizing it as are compatible with the generally accepted rules of international law relating to freedom of expression, which includes freedom to seek, receive and impart information and ideas of all kinds, regardless of frontiers. The consent of any State in which such broadcasting is received is not required, but the State carrying it out or authorizing it should consult fully with any such receiving State which so requests concerning any restrictions tobe imposed by the former State. The foregoing is without prejudice to the restrictions which may be imposed in accordance with internationallaw on technical grounds. * Which relates to participation and Co-operation.' 16 Darunter lassen sich alle Überstrahlungen verstehen, die über eine technisch nicht vermeidbare Überstrahlung hinausgehen. In diesem Zusammen-

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A sieht darüber hinaus das Recht des Empfangsstaats vor, an Aktivitäten teilzunehmen, aus denen Sendungen auf sein Territorium resultieren. Der Umfang dieser Mitwirkungsbefugnis ist nicht bestimmt; er kann vom Anspruch auf Nutzung der Satellitenkapazität bis hin zu dem Anspruch reichen, Autoren und Schauspieler des Empfangsstaats einzusetzen und Programminhalte mitzubestimmen. -An dieser Stelle besteht eine Verbindung zum Prinzip über internationale Zusammenarbeit (,International Co-operation') 17 und dem Streit darum, ob Aktivitäten im Bereich des Direktfernsehens in internationaler Zusammenarbeit durchgeführt werden müssen oder internationale Zusammenarbeit bloß fördern sollten. Für Alternative B, der die Förderungsregel entspricht, stellt sich die Mitwirkungsbefugnis als eine zwischen den jeweils betroffenen Staaten zu regelnde Möglichkeit einer Zusammenarbeit dar. Alternative A führt mit dem Zustimmungserfordernis für gezielte grenzüberschreitende Sendungen ein generelles Zensurrecht des Empfangsstaats ein. Überdies könnte der Mitwirkungsanspruch des Empfangsstaats den Charakter einer mittelbaren Zensur annehmen. Für manche Ausschußmitglieder dürfte deshalb bei Alternative A vor der politischen Problematik die verfassungsrechtliche Frage stehen, ob es zulässig ist, eine entsprechende völkerrechtliche Bindung zu befürworten und gegebenenfalls einzugehen. das Prinzip über den Programminhalt (,Programme Content')1 8 • Es enthält in seinen drei Absätzen recht heterogene Elemente. Der erste Absatz befaßt sich mit der Zusammenarbeit im Hinblick auf bang sei erwähnt, daß ein Randproblem, die Frage technisch nicht vermeidbarer Überstrahlung, sich dadurch gelöst zu haben scheint, daß die Verfechter der Alternative A jetzt darauf verzichten, bei unvermeidbarer Grenzüberstrahlung Zustimmung zu verlangen (vgl. aber auch Fußnote 19). Dieses Randproblem war nicht unerheblich, da bei praktisch allen Sendungen unvermeidbare Überstrahlungen auftreten, (a) weil unsere Ländergrenzen nicht der nur bedingt anpaßbaren - elliptischen Grundfläche des Strahlenkegels entsprechen, (b) weil die Strahlen nicht scharf genug gebündelt werden können, um nicht mehr zu erfassen als so kleine Flächen wie z. B. die des Staates Luxemburg oder die der Stadt Berlin, (c) weil Ausriebtgenauigkeit und Stabilität eines Satelliten begrenzt sind. 18 Im Rahmen der Europäischen Weltraumkonferenz (vgl. Fußnote 11) haben sich Frankreich, Kanada und Schweden für, und Italien mit den Niederlanden gegen Alternative A ausgesprochen. Belgien und die Bundesrepublik Deutschland sind für Alternative B eingetreten. 17 'Activities in the field of direct television broadcasting by means of artificial earth satellites [shall be based on] [should encourage] international Co-operation. Such co-operation shall be the subject of appropriate arrangements between the States concerned and/or entities authorized by them.' 18 '[States or their broadcasting entities which participate in direct television broadcasting by satellite with other States should co-operate with one another in respect of programming, programme content, production and intercllange of programmes.]

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Dirk-Meints Polter Programmge:staltung, Programminhalt, Programmaustausch und Produktion. Der zweite Absatz sieht vor, daß grenzüberschreitende Werbesendungen im Rahmen geeigneter Vereinbarungen zwischen den betroffenen Ländern erfolgen sollen. Dem dritten Absatz zufolge dürfen Direktfernsehsendungen nichts enthalten, was Frieden und Sicherheit schadet, was Krieg, Militarismus oder Haß und Feindschaft zwischen den Völkern publiziert, was auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten zielt oder die Grundlagen der örtlichen Zivilisation, Kultur, Lebensform, Tradition oder Sprache untergräbt. Alle drei Absätze sind jeweils in Gänze in Frage gestellt. Die ersten beiden Absätze erscheinen vom Standpunkt der Alternative A im Prinzip über Zustimmung und Mitwirkung überflüssig19 ; mit der in Alternative B dieses Prinzips vertretenen Auffassung könnten sie vereinbar sein20 • Der dritte Absatz kann aufgrund seiner weiten, dehnbaren Fassung als Einwand gegen jedwede Direktfernsehsendung benutzt werden und stößt damit auf ähnliche rechtliche und politische Bedenken wie AlternativeAdes Prinzips über Zustimmung und Mitwirkung21 • das Prinzip über rechtswidrige/unzulässige Sendungen (,Unlawful/ lnadmissible Broadcasts')22 •

[The broadcasting of commercial advertising, direct or indirect to countries other than the country of origin, should be on the basis of appropriate agreements between the countries concerned.) [Notwithstanding the foregoing States undertaking activities in direct television broadcasting by satellites should in all cases exclude from the television programmes any material which is detrimental to the maintenance of international peace and security, which publicizes ideas of war, militarism, national and racial hatred and enmity between peoples, which is aimed at interfering in the domestic affairs of other States or which undermines the foundations of local civilization, culture, way of life, traditions or language.]' 10 In diesem Zusammenhang hat der Vertreter Schwedens, der für jene von der Mehrheit der Westeuropäer abgelehnte Alternative eintritt, im Rahmen der Europäischen Weltraumkonferenz betont, daß eine Zustimmung selbst für technisch nicht vermeidbare Überstvahlungen erforderlich sei; auch die Vorstellungen des französischen Vertreters scheinen in diese Richtung zu gehen (vgl. Fußnoten 11, 15, 16). 20 Vgl. Fußnoten 14 und 17. 21 Der Absatz bietet sich im übrigen dafür an, einen Hinweis auf die Resolution 3379 (XXX), die Zionismus-Resolution der Vollversammlung, in die Direktfernseh-Vorschriften aufzunehmen, da in ihm von Rassenhaß die Rede ist. Ein solcher Versuch könnte allerdings, wie Erfahrung aus der UNESCO lehrt, Zusammenhalt und Erfolg der Gegner der Informationsfreiheit gefährden (vgl. Le Nouvel Observateur vom 22./28. 12. 1975; Nr. 580, 28) und dürfte deshalb im Weltraumausschuß kaum gewagt werden. 22 '[States shall regard as unlawful and as giving rise to the international liability of States direct television broadcasts specifically aimed at a foreign State but carried out without the express consent of the latter, containing material which according to these principles should be excluded from programmes, or received as a result of unintentional radiation if the broadcasting

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Dieses Prinzip, das fünf kontroverse Absätze vereinigt, zerfällt in zwei Teile: Die ersten drei Absätze sehen vor, daß Sendungen, die sich ohne seine ausdrückliche Zustimmung an den Empfangsstaat wenden, rechtswidrig sind; daß der Empfangsstaat gegen solche Sendungen alle völkerrechtlich zulässigen Maßnahmen ergreifen darf und daß andere Staaten jede Unterstützung gewähren, um ihnen Einhalt zu gebieten. Nach den beiden letzten Absätzen ist eine Sendung unzulässig und sofort zu unterbrechen, wenn der Empfangsstaat den Sendestaat davon unterrichtet, daß ihm eine Sendung unerwünscht ist. Die Zielrichtung dieses Prinzips entspricht der der Alternative A im Prinzip über Zustimmung und Mitwirkung und der des dritten Absatzes im Prinzip über den Programminhalt, deren Regelungen es verstärkt. Es dürfte daher in manchen Staaten den gleichen rechtlichen und politischen Einwänden begegnen wie jene Vorschriften. -

das Prinzip über das Recht und die Pflicht zu Konsultationen (,Duty and Right to Consult') 23 • Alternative A sieht, ungeachtet vorheriger Zustimmung und Mitwirkung, einen Anspruch auf und eine Verpflichtung zu Konsultationen zwischen Empfangs- und Sendestaat vor, wenn der Empfangsstaat annimmt, in schädlicher Weise von Überstrahlungen auf sein

State has refused to hold appropriate consultations with the State in which the broadcasts are received.] [In case of the transmission to any State of television broadcasts which are unlawful, that State may take in respect of such broadcasts measures which are recognized as legal under internationallaw.] [States agree to give every assistance in stopping unlawful direct television broadcasting by satellite.] [Any broadcasts that a State does not wish to be made in its territory or among its population and in respect of which it has made known such decision to the broadcasting State are inadmissible.] [Every transmitter, State, international organization or authorized agency shall refrain from making such broadcasts or shall immadiately discontinue such broadcasts ifit has begun to transmit them.]' 23 Die Varianten lauten: 'Alternative A If a State, notwithstanding the provisions of principles ... and ...* and Alternative A under "Consent and Participation".' and the Co-ordination procedures required under the provisions of the Radio Regulations of the International Telecommunications Union, has reason to believe that as a result of activities carried out or authorized by other S tates in the field of direct television broadcasting by means of satellites, it will be prejudicially affected by radiation over its territory, it may request that consultations be held. A State receiving such arequest shall enter into such consultations without delay. Alternative B Any State requested to do so by another State should without delay enter into consultations with the latter State concerning any matter arising from activities in the field of direct television broadcasing carried out or authorized by either of them which are likely to affect the other. * Alternative A under "Consent and Participation".' 1

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Territorium betroffen zu sein. Alternative B, die mit Alternative B im Prinzip über Zustimmung und Mitwirkung korrespondiert, und weder von einem Zustimmungserfordernis, noch von unabdingbarer Mitwirkungsbefugnis des Empfangsstaats ausgeht, trifft eine SollRegelung für Konsultationen über Sendungen, die einen anderen Staat berühren könnten. Während B über bestehende Möglichkeiten nicht hinauszugehen scheint, werden durch die obligaten Konsultationen nach A die Pflichten des Sendestaats erweitert. Die Konsultationspflicht soll selbst dann gelten, wenn der Empfangsstaat den Sendungen zugestimmt hat. Das ist nach der der Alternative A im Prinzip über Zustimmung und Mitwirkung zugrundeliegenden Zielvorstellung insofern konsequent, als trotz einer Zensur unerwünschte Sendungen auftreten könnten. Vielleicht zielt die Vorschrift weiter darauf, derart die im zweiten Absatz jener Alternative ausgeklammerten unvermeidbaren Überstrahlungen doch wieder zu erfassen24 • b) Problematik der Entwürfe Die Verhandlungsergebnisse im Rechtsunterausschuß zeigen, daß unter dem Blickwinkel Informationsfreiheit die Hauptgegensätze bei den Fragen liegen, ob die Belange des Einzelnen berücksichtigt und ob grenzüberschreitende Sendungen zustimmungsbedürftig werden sollen oder nicht. Sie bergen, politisch wie rechtlich, eine beträchtliche Spannung, die sich dadurch erhöht, daß Direktfernseh-Prinzipien sinngemäß auf sämtliche grenzüberschreitenden Rundfunk- und Fernsehsendungen anwendbar sind, und weil überdies versucht werden könnte, ihren politischen Gehalt weiter auf andere Informationsträger wie Briefe, Bücher und Zeitungen zu beziehen. Auf der einen Seite steht die Auffassung, daß jede grenzüberschreitende Sendung zustimmungsbedürftig sei, und daß die Interessen der betroffenen Individuen nicht im Kontext völkerrechtlicher DirektfernsehPrinzipien zu behandeln seien. Ihr hängt eine große Mehrheit der Ausschußmitglieder an, der es primär darum zu gehen scheint, ihre heimischen Systeme gegen fremde Einflüsse abzuschirmen und ihre Bevölkerung vor unzensierter Unterhaltung aus dem Ausland zu schützen. Manche scheinen sich weiter darum zu sorgen, andere vor fremdem Einfluß zu bewahren 26 • Jenen Schirm- und Schutzgedanken entspricht es, dem Individuum ein Anrecht auf unzensierte Information verweigern zu wollen. Vgl. auch Fußnoten 15 und 19. Vgl. z. B. die Sitzungsprotokolle des Weltraumausschusses und seines Rechtsunterausschusses aus 1975, VN-Dokumente A/AC. 105/P. V. 144- 153 und A/AC. 105/C. 2/S. R. 226- 245; weiterhin unerwünscht sind kommerziP.ll~ Werbesendungen. 24

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Die andere Seite nimmt die in Artikel 19 der Menschenrechtserklärung verankerte prinzipielle Freiheit des Einzelnen zum Ausgangspunkt, Ideen und Informationen aller Art ohne Rücksicht auf Grenzen suchen, empfangen und weitergeben zu dürfen. Nach solcher Auffassung ist der Einzelne grundsätzlich selber aufgerufen und in der Lage, zu entscheiden, welche Informationen er empfangen und weitergeben will. Dementsprechend wird angestrebt, nur solche Einschränkungen für Direktfernsehaktivitäten vorzusehen, die unter Berücksichtigung der Interessen des Individuums, des Sende- und des Empfangsstaats vertretbar erscheinen. Bevor versucht wird, unter dem Blickwinkel des gekennzeichneten Gegensatzes einige völkerrechtliche Parameter aufzuzeigen, denen grenzüberschreitende Information unterliegt, sei der zweite Hauptbereich skizziert, dem die Arbeit des Weltraumausschusses zur Zeit gilt. Denn auch bei der Fernerkundung geht es an zentraler Stelle um Weitergabe von Information, und dies soll berücksichtigt werden, soweit Schnittstellen zur Direktfernseh-Problematik bestehen26 • 2. Prinzipien zur Fernerkundung

Die Fernerkundung kann in so unterschiedlichen Bereichen wie Wetterkunde, Geologie, Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Umweltschutz eingesetzt werden. Mit ihrer Hilfe etwa ließe sich die weltweite Nahrungsmittelproduktion und-verteilungerheblich verbessern. Die in sie gesetzten Erwartungen sind hoch, denn diese neue Technologie kann in Permanenz ein genaues, detailliertes Bild der physikalischen Verhältnisse unserer Erde zu Lande, im Wasser und in der Luft liefern, das allen als Informationsquelle und Entscheidungsgrundlage dienen könnte. Technisch beruht Fernerkundung auf dem Umstand, daß jedes Objekt, dessen Temperatur über dem absoluten Nullpunkt (- 273 °C) liegt, auf spezifischen, unterschiedlichen Wellenlängen elekromagnetische Energie ausstrahlt und/oder reflektiert. Die spektralen Daten, die mit aktiven oder passiven Sensoren27 gesammelt werden, erlauben präzise Aussagen über die physikalische Beschaffenheit der Objekte. Die Operationelle Erkundung aus dem Weltraum wird mit größter Wahrscheinlichkeit von Satelliten durchgeführt werden, die in sonnen28 Ich habe die Fernerkundung in einem Artikel mit dem Titel ,Remote Sensing and State Sovereignty' unter dem Aspekt staatlicher Souveränität behandelt, der 1976 im Journal of Space Law erscheinen soll. Auf einige der dort zu findenden Ausführungen wird im folgenden zurückgegriffen, im übrigen sei auf sie verwiesen. 27 Aktive Sensoren erzeugen selber Strahlung und messen die vom jeweiligen Objekt reflektierte Strahlung, während passive Sensoren nur vom Objekt selber erzeugte und/oder reflektierte Strahlung aufnehmen.

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und erdsynchronen Umlaufbahnen kreisen28 • Studien, die die Bundesrepublik Deutschland den Vereinten Nationen 1975 zur Verfügung gestellt hat, zeigen, daß ein vollständiges Fernerkundungssystem bestehen könnte aus (a) einem umlaufenden Satelliten, (b) einer Bodenkontrollstation, (c) terrestrischen Datenempfangsstationen, wenigstens eine je Region, (d) Datenverarbeitungs- und -verteilungszentren, wenigstens eins je Region, (e) Flugzeug- und Bodenmeßprogrammen und (f) einem internationalen Zentrum für Datenspeicherung und -verteilung29 • Seiner Organisation nach wäre dies ein gemischt zentralisiertes/dezentralisiertes System; es würde sich auf internationale Zusammenarbeit stützen. a) Entwürfe im Rechtsunterausschuß Im Mittelpunkt der Erörterungen über den rechtlichen Rahmen der Fernerkundung stehen gegenwärtig drei zum Teil gegensätzliche Konzeptionen, nämlich ein sog. lateinamerikanischer Entwurf der Staaten Argentinien und Brasilien, mitgetragen von Chile, Mexiko und Venezuela, ein sowjetisch-französischer und ein amerikanischer Entwurf30 • Sie unterscheiden sich einmal in ihrem Regelungsgegenstand; während der lateinamerikanische und der sowjetisch-französische Entwurf die ,natürlichen Ressourcen' der Erde betreffen, zielt der amerikanische Ent28 Dementsprechend und in Anbetracht des Mandats beschränken sich die Erörterungen im Weltraumausschuß auf diese Form der Erkundung, wenngleich ferner unbemannte und bemannte Weltraumfahrzeuge, Flugzeuge, Ballons und Höhenforschungsraketen eingesetzt werden können und eingesetzt werden. Ein sonnensynchroner Satellit erfaßt ,aus einer für viele Aufgaben günstigen Höhe von 900 km in achtzehn Tagen einmal die gesamte Erde; er zerschneidet die Erdoberfläche dabei visuell in etwa 200 km breite sich an den Polen kreuzende Streifen, die er in Einzelbilder unterteilt. Zum erdsynchronen Orbit vgl. oben I. 1. Er erscheint besonders für eine fortwährende Beobachtung regionaler Phänomene, aber auch für kontinuierliche globale Observation geeignet. Beim ersten weltweiten GARP (Global Atmospheric Research Programme) Experiment, das in den späten siebziger Jahren unter den Auspizien der World Meteorological Organization durchgeführt werden soll, sollen fünf geostationäre Wettersatelliten verwendet werden. - Genauere Angaben zur Technologie bietet u. a. John Plevin, Remote sensing of Earth resources: a European point of view, 27 ESRO/ELDO Bulletin 1975, 8 ff. Unter der Hand zeigt dieser Artikel, daß Westeuropa, soweit es zur NATO gehört, diese Technologie nicht aus militärischen Gründen zu fördern braucht, daß es spät und zögernd in diesen Bereich einsteigt und sich deshalb vermutlich mit industriellen Nebenrollen begnügen müssen wird. 29 Die drei Untersuchungen betreffen die Anforderungen, die an operationeile Systeme in den Bereichen Landwirtschaft, Wasserwirtschaft und Luftverschmutzung zu stellen sind; sie tragen keine VN-Referenznummern. 30 Vgl. VN-Dokumente A/C. 1/1047; A/AC. 105/C. 2/L. 99 und A/AC. 105/C. 2/L. 103. Eindeutig strebt nur der lateinamerikanische Entwurf völkerrechtliche Verbindlichkeit an; die amerikanischen Vorstellungen könnten eher in Richtung eines, zumindest vorläufig, unverbindlichen Verhaltenskodexes gehen.

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wurf auf die gesamte ,menschliche Umwelt' 31 ; ihr Hauptunterschiedwenigstens unter dem Blickwinkel Informationsfreiheit- liegt indessen in jenen Vorschriften, die die Verfügungsbefugnis über Fernerkundungsdaten regeln sollen. -

Der lateinamerikanische Entwurf untersagt die Fernerkundung fremder natürlicher Ressourcen einschließlich derer, die sich in maritimen Hoheitszonen befinden, wenn der betroffene ausländische Staat die Erkundung nicht genehmigt hat. Werden gleichwohl Erkundungsaktivitäten durchgeführt, soll der betroffene Staat berechtigt sein, dagegen mit allen völkerrechtlich zulässigen Mitteln vorzugehen. Auf der zweiten Ebene wird konsequent die Zulässigkeit der Weitergabe und Entgegennahme von Daten über natürliche Ressourcen fremder Staaten von der Genehmigung des betroffenen Staates abhängig gemacht32. Der sowjetisch-französische Entwurf verzichtet darauf, die Datensammlung zu reglementieren; ihm genügt es, die Datenweitergabe einem strikten Regime zu unterwerfen. Danach darf ein Staat Informationen über natürliche Ressourcen eines anderen Staates nicht veröffentlichen, sofern er nicht eine klare und ausdrückliche Genehmigung des betroffenen Staates hat33 •

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Im amerikanischen Entwurf heißt es, daß Staaten diejenigen Daten, die sie von Fernerkundungs-Satelliten empfangen, interessierten Ländern, internationalen Organisationen, Einzelnen, der wissenschaftlichen Welt und anderen ohne Diskriminierung, rechtzeitig und zu angemessenen Bedingungen zugänglich machen sollen. Dabei soll der erkundende Staat sicherstellen, daß dem erkundeten Staat die Daten nicht später als einem Drittstaat zugänglich sind34•

31 Kein Entwurf bestimmt seine Begriffe. Die Vereinten Nationen haben ,natürliche Ressourcen' einmal definiert als ,all jene Elemente der physischen Umwelt, die tatsächlich oder potentiell den Menschen nützen, die auf diesem Planeten leben', vgl. Science and Technology for Development. Report on the United Nations Conference on the Application of Science and Technology for the Benefit of the Less Developed Areas. Volume II. Natural Resources. New York 1963, 9. Es ist zweifelhaft, ob der lateinamerikanische und der sowjetisch-französische Entwurf einen so weiten Begriff zugrundelegen. Der amerikanische Terminus könnte der VN-Definition entsprechen. 32 Vgl. Artikel V, VI, IX und X. Auf eine Wiedergabe der Texte wird verzichtet, weil die Prinzipien-Entwürfe zur Fernerkundung anders als die Prinzipien-Entwürfe zum Direktfernsehen nicht schon ein nach ausgedehnten internationalen Verhandlungen gewonnenes Destillat sind. Die einzelnen Regelungen sind vorläufig nur von Interesse, soweit sie die intendierten Grundzüge anzeigen. 33 Vgl. Prinzip 5 (b). Für den Verzicht auf Einschränkungen der Datensammlungsfreiheit dürften bei beiden Staaten militärische Bedürfnisse ausschla,ggebend sein. 34 Vgl. Prinzipien V und VI.

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b) Problematik der Entwürfe Die Gegensätzlichkeit der Entwürfe ist offenkundig; der sowjetischfranzösische und der lateinamerikanische Entwurf wollen die Weitergabe von Fernerkundungsdaten von der Zustimmung des erkundeten Staates abhängig machen und räumen ihm mithin materiell eine Dispositionsbefugnis über alle ihn betreffende Information ein. Nach dem lateinamerikanischen Entwurf soll darüber hinaus schon das Datensammeln genehmigungspftichtig sein35 • Demgegenüber geht der amerikanische Entwurf davon aus, daß der erkundende Staat die Daten uneingeschränkt sammeln und jede erlangte Information grundsätzlich an jeden beliebigen Empfänger weitergeben darf und dies auf Wunsch auch zu angemessenen Bedingungen tun soll. Auf der einen Seite wird die Freiheit der Fernerkundung zum Ausgangspunkt genommen und versucht, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen berührten Interessen zu schaffen. Dem entspricht beim Direktfernsehen die Haltung, grenzüberschreitende Sendungen grundsätzlich zulassen und lediglich Korrektive gegen den Mißbrauch solcher Freiheit vorsehen zu wollen 36 • Hiermit zusammenhängend ist die Auffassung zu finden, daß dem Einzelnen ausdrücklich ein Anspruch darauf gewährt werden sollte, die mit beiden Weltraumtechnologien für ihn theoretisch gegebenen Möglichkeiten auch tatsächlich nützen zu dürfen. Die andere Seite lehnt - zugespitzt formuliert - jede Weitergabe von Informationen grundsätzlich ab; es gibt nur ausdrücklich vorgesehene Ausnahmen. Ein allgemeiner Anspruch des Individuums, Informationen empfangen und weitergeben zu dürfen, wird nicht anerkannt. Die Gründe für diese kraß gegensätzlichen Positionen liegen in ideologischen, politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen der sie vertretenden Staaten37 • Jener weite Hintergrund wird hier in35 Eine solche Genehmigungspflicht würde, selbst wenn sie administrativ durchführbar wäre, vermutlich kaum praktische Bedeutung erlangen, weil Datensammlungsaktivitäten sich weitgehend einer Kontrolle durch Dritte entziehen. Sie dürfte im Weltraumausschuß kaum Unterstützung finden und wird hier nicht näher behandelt. 36 In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß im Völkerrecht einewenig bekannte- Regelung zur Richtigstellung von Fehlinformationen existiert, die ,Convention on the International Right of Correction', VN-Resolution 630 (VII) vom 16. Dezember 1952, in Kraft getreten am 24. August 1962. Von den 37 Mitgliedern des Weltraumausschusses haben Ägypten, Argentinien, Chile, Frankreich und Sierra Leone diese Konvention unterzeichnet; Ägypten, Frankreich und Sierra Leone haben sie ratifiZJiert. Soweit erkennbar, hat der Weltraumausschuß sie bislang ignoriert. 37 Die Debatten im Weltraumausschuß und in seinen Untergremien zeigen, daß die erstgenannte Auffassung namentlich von den USA, dem Vereinigten Königreich, der Bundesrepublik Deutschland und bis zu einem gewissen Grad auch von Belgien, Italien und Japan vertreten wird, während als Wortführer für die zweite Position die Ostblockstaaten unter sowjetischer Leitung, Schwe-

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dessen außer Acht gelassen; es darf genügen, die Positionen an völkerrechtlichen Parametern zu messen und einige staatstheoretische Überlegungen anzuknüpfen.

II. Völkerrechtlicher Rahmen Wenn von Meinungs- und Informationsfreiheit gesprochen wird, dann ist, sofern aus dem Zusammenhang nichts anderes folgt, die Freiheit des Einzelnen gemeint, Informationen ungehindert empfangen und weitergeben zu dürfen. Das für Meinungs- und Informationsfreiheit mittelbar relevante Recht jedes Staates, in Ausübung der Sendefreiheit Informationen zu verbreiten, wird nicht miteinbezogen38 • Information, um deren Empfang und Weitergabe es geht, wird wie bisher als Nachricht, Mitteilung, Datenangabe in weitem Sinn verstanden; Wissensübermittlung soll ebenso darunter fallen wie Unterhaltung, Werbung und MeinungsartikeL Soziologie und Politikwissenschaft haben es fast zu Gemeinplätzen werden lassen, daß Ausschluß oder Beteiligung an Informationsprozessen maßgeblich die soziale Position des Einzelnen bestimmen; daß Informiertheit eine Voraussetzung für angemessene Mitwirkung und Mitbestimmung ist; daß unser Denken sich als ein zwischen Informationsaufnahme und Handlung- einschließlich Informationsabgabe - liegender Vorgang verstehen läßt, dessen Ergebnisse von Inhalt und Umfang der aufgenommenen Mitteilungen geformt werden.

1. Staatensouveränität und Informationshoheit Zum Teil scheint angenommen zu werden, im Bereich der Fernerkundung leite sich für den erkundeten Staat aus seiner völkerrechtlichen Souveränität eine Verfügungsbefugnis über ihn betreffende Information, eine Art Informationshoheit, ab. So spricht der sowjetisch-französische Entwurf in seinem zweiten Prinzip vom unveräußerlichen Recht, den, Kanada, Argentinien, Brasilien und Frankreich zu nennen sind. In beiden Lagern und in beiden Fachbereichen können dabei auf beiden Seiten gewisse Unterschiede in den einzelnen Positionen bemerkt werden; vgl. die Sitzungsprotokolle; in 1975 z. B. VN-Dokumente A/AC. 105/P. V. 144- 153 und A!AC. 105/C. 2/S. R. 226-245. 38 Der betreffende Rechtsbereich würde eine eigenständige Erörterung erfordern. -Ein immer wichtiger werdender Aspekt staatlicher Sendefreiheit und mittelbar der Meinungs- und Informationsfreiheit ist die Verfügbarkeit von Frequenzen. Für Satellitendienste wird von der für 1977 vorgesehenen Planungskonferenz der Internationalen Fernmeldebehörde (ITU) Aufschluß über künftige Frequenzverteilungen erwartet. Dort könnte versucht werden, durch eine Verteilung von Frequenzen, Kanälen und Satellitenpositionen und die Fixierung anderer technischer Charakteristika grenzüberschreitende Sendungen weitgehend zu unterbinden. Zum Mechanismus der Frequenzverteilung vgl. Jacques Garmier, L'U.I.T. et les telecommunications par satellites. Brüssel 1975, 48 ff.

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über natürliche Ressourcen und sie betreffende Informationen zu verfügen. Ein solches Recht wäre internationalen Vereinbarungen vorgegeben; es ist indessen nicht feststellbar. Staatensouveränität bedeutet im Völkerrecht vor allen Dingen, daß ein Staat sich nach eigenem Belieben verhalten darf, soweit nicht das Völkerrecht ihm Schranken setzt. Auf Information bezogen heißt das, daß ein Staat grundsätzlich frei ist, den Umgang mit Information innerhalb seines Hoheitsbereichs zu reglementieren; diese Gewalt ist territorial und personal begrenzt; sie endet- grob gesprochen- an den eigenen Landesgrenzen und trifft keinen Ausländer, der sich nicht im Hoheitsgebiet dieses Staates aufhält. Es ist nicht erkennbar, daß das allgemeine Völkerrecht inzwischen von dieser Grundregel abgewichen ist und eine Informationshoheit der postulierten Art geschaffen hat. Es dürfte auch kaum angenommen werden können, aus der Hoheit über Ressourcen lasse sich unmittelbar oder im Wege der Analogie eine Hoheit über Informationen ableiten, die diese Ressourcen betreffen. Denn alles Recht scheint vorläufig den Lebensbedürfnissen nahe genug zu sein, um verschiedene ontologische Bereiche auch unterschiedlichen Normen zu unterwerfen. Wollte man hiervon bei Information und Informationsobjekt in der vom sowjetischfranzösischen Entwurf vorgezeichneten Richtung abgehen, so würde man morgen seinen Nachbarn fragen müssen, ob man über sein Haus, Huhn oder Auto sprechen dürfe, denn dem Nachbarn, Eigentümer von Haus, Huhn und Auto, käme grundsätzlich die alleinige Verfügungsbefugnis über jede seine Güter betreffende Information zu. Beispiele dieser Art lassen sich in beliebiger Anzahl finden; man könnte meinen, mit einer Kette von Grotesken den sowjetisch-französischen Ansatz leichthin ad absurdum führen zu dürfen. Man liefe jedoch Gefahr, zu verkennen, daß hier vermutlich ein in seiner rechtspolitischen Zielsetzung und wegen seiner potentiellen Tragweite sehr ernst zu nehmender Versuch vorliegt, mit Hilfe eines neuen Konzepts von Informationshoheit die traditionellen völkerrechtlichen Spielregeln in einer der Informationsfreiheit zuwiderlaufenden Weise grundlegend umzugestalten. Diesen Versuch scheinen viele Mitglieder des Weltraumausschusses der klassischen Methode vorzuziehen, Freiheit durch Mißbrauchsverbote abzusichern; und es ist kein Trost, daß manchem dabei kaum klar sein mag, wofür er eintritt, und daß das, wofür er eintritt, in handgreiflichem Widerspruch zu VN-Charta, Weltraumvertrag und den Internationalen Pakten von 1966 steht. 2. Allgemeine internationale Vereinbarungen Wenngleich vereinzelt Staaten durch partikuläre Abmachungen bei ihrer Behandlung von Information festgelegt sind, werden nur Regelungen in Betracht gezogen, die wenigstens eine Anzahl der Weltraumaus-

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schuß-Mitglieder einheitlich binden. Darüber hinaus sollen Entwürfe und Resolutionen der Vereinten Nationen berücksichtigt werden. a) Charta der Vereinten Nationen Es darf davon ausgegangen werden, daß die Vollversammlung dem Weltraumausschuß sein Mandat in Ausübung der ihr in Artikel 10 ff. VN-Charta verliehenen Zuständigkeit erteilt hat; sie hat damit den Mandatsträger bei der Erfüllung seiner Aufgabe u. a. an die Zielsetzungen des Artikels 13 Absatz 1 gebunden. Nach dieser Vorschrift soll die Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten unterstützt und das Völkerrecht weiterentwickelt und einer Kodifikation zugeführt werden. Der Weltraumausschuß als Organ der Vereinten Nationen ist damit unmißverständlich aufgefordert, bei seinen Kodifikationsbemühungen zu versuchen, Menschenrechte und Grundfreiheiten weiter zu verwirklichen. Diese Aufforderung richtet sich an den Ausschuß in seiner Gesamtheit, nicht bloß an einige wenige Delegationen. Sie bedeutet für ein Organ der Vereinten Nationen: Verwirklichung der in der Vollversammlungs-Resolution 217 A (III) vom 10. Dezember 1948, der Allgemeinen Menschenrechtserklärung, niedergelegten Rechte und Freiheiten. Die Mitgliedstaaten sind aber nicht allein in ihrer Kollektivität als Ausschußmitglieder aufgefordert, der Menschenrechtserklärung zur Geltung zu verhelfen. Aus Artikel13 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 56 und 55 VN-Charta folgt für jeden einzelnen Unterzeichner der Charta die Pflicht, für eine weltweite Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu sorgen. Sie trifft jeden Mitgliedsstaat individuell; seine Tätigkeit im Weltraumausschuß ist nicht ausgenommen39. Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte spricht jedem das Recht auf Meinungsfreiheit zu und sagt, dieses Recht schließe die Freiheit ein, Information und Ideen unbeeinträchtigt von Grenzen suchen, empfangen und weitergeben zu dürfen; jedes Medium dürfe als Informationsträger dienen. Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, daß Informationsfreiheit der Meinungsfreiheit vorausgesetzt ist, weil sie eine Meinungsbildung erst ermöglicht. Für einige Teilgebiete wird die Bestimmung des Artikels 19 verstärkt durch eine Vorschrift, derzufolge jeder das Recht hat, ungehindert am 39 Auch Rene Cassin sieht die Menschenrechtserklärung durch die VNCharta in den Pflichtenkreis sowohl der Vereinten Nationen selber als auch ihrer einzelnen Mitgliedstaaten einbezogen; vgl. Declaration universelle des droits de l'homme, in: DaUoz, Repertoire de droit international, Bd. I, Paris 1968, 595 ff., 598. Mein an anderer Stelle (vgl. Fußnote 26) einer verbreiteten Ansicht nachgeredeter Hinweis auf den deklaratorischen Charakter der Menschenrechtserklärung verkürzt die Problematik.

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wissenschaftlichen Fortschritt und dem daraus erwachsenden Nutzen teilzuhaben (Artikel 27 Absatz 1)40 • Von den beiden Gruppierungen im Weltraumausschuß, die etatistisch und restriktiv und zum anderen individualistisch und liberal genannt seien, kann festgestellt werden, daß die Vorstellungen der individualistisch-liberalen Seite den geschilderten, von VN-Charta und Menschenrechtserklärung aufgestellten Forderungen tendenziell Rechnung tragen, wogegen die etatistisch-restriktive Seite sie zu ignorieren oder zu konterkarieren sucht. Letzteres hätte dann einen Grund in der Sache, wenn damit anderen von der VN-Charta gesetzten Zielen gefolgt werden sollte, die (a} mit einer Verwirklichung der Informationsfreiheit unvereinbar wären und (b} als höherwertig angesehen werden könnten. Als wichtigste Ziele sind zu nennen: Erhaltung von Frieden und Sicherheit; internationale Zusammenarbeit in allen Bereichen staatlicher Aktivitäten und gemeinsame Lösung internationaler Probleme; Förderung des wirtschaftlichen Fortschritts, des Wohlstands und der Vollbeschäftigung; freundschaftliche Beziehungen zwischen den Völkern; Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten (vgl. Artikel 1 ff. VN-Charta}. Es ist unverständlich, wie angenommen werden kann, diese Ziele würden durch einen freien Informationsfluß zwischen Individuen gefährdet oder gar vereitelt. Auch von Vertretern restriktiver etatistischer Positionen dürfte im Ernst nicht bezweifelt werden, daß eine Transparenz der Verhältnisse und allenthalben eine Meinungsbildungaufgrund möglichst umfassender Information den Bemühungen um jene Ziele der Charta nützlicher sind als Ignoranz und blinde Reaktion. Mit anderen Worten: Informations- und Meinungsfreiheit sind nicht bloß mit den anderen in der Charta niedergelegten Zielen vereinbar, sie tragen wesentlich zu ihrer Verwirklichung bei41 • Meinungs- und Informationsfreiheit können freilich, wie andere Freiheiten auch, mißbraucht werden; Beispiele sind Sendungen, die zu Krieg, Rassen- und Klassenhaß, religiöser Verfolgung oder zu Abschaffung von Sitte und Recht aufrufen; gegen solch potentiellen Mißbrauch ist in den Regelungen zum Direktfernsehen und zur Fernerkundung Vorsorge zu treffen. Der Weltraumausschuß und jedes einzelne seiner Mitglieder setzen sich aber in Widerspruch zu ihren Pflichten aus der Charta der Vereinten Nationen, wenn sie die Meinungs- und Informationsfreiheit 40 Vgl. in diesem Zusammenhang auch c:tie Artikel2, 26 Absätze 1 und 2 und Artikel 28 der Deklaration. 41 Der Frage nach den Wertigkeiten braucht deshalb nicht nachgegangen zu werden. Sie würde erst wieder auftauchen, wenn gefragt wird, welche Ziele primär gefördert werden sollen; in jenen Bereichen müßte folgerichtig eine besonders weitgehende allseitige Unterrichtung angestrebt werden.

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weiter einzuschränken suchen, als unvermeidlich ist, um schwerwiegende manifeste Gefahren abzuwehren. Sie würden der Erhaltung des Friedens, der Förderung der internationalen Zusammenarbeit, des wirtschaftlichen Fortschritts, der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Völkern und der weltweiten Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten entgegentreten. b) Weltraumvertrag Der Weltraumvertrag sieht vor, daß alle Staaten den Weltraum im Einklang mit dem Völkerrecht frei nutzen dürfen (vgl. Artikel I Absatz 2). Nutzung des Weltraums für irdische Zwecke, das ist heute Nutzung seiner Weite und Tiefe, der Schwerelosigkeit, des Hochvakuums und seines energetischen Potentials42 • Bei Informationsgewinnung und -Übertragung mit Hilfe von Satelliten werden primär Weite und Tiefe des Raumes genutzt. Der Weltraumvertrag enthält keine spezielle Regelung über die Benutzung von Kommunikationssatelliten; in seinen allgemeinen Vorschriften schränkt er die grenzüberschreitende Weitergabe von Information nicht ein. Er statuiert weder das Erfordernis einer Gegenseitigkeit des Informationsaustausches, noch will er das Individuum von den Vorteilen der Technologie ausschließen und sie auf Staaten beschränken; die Forderung, grenzüberschreitende Sendungen der Zensur des Empfangsstaats zu unterwerfen, findet im Weltraumvertrag keine Stütze, und auch internationale Zusammenarbeit ist nach seinen Vorschriften nicht obligatorisch, sie darf freiwillig erfolgen. Aus dem Weltraumvertrag lassen sich, bildlich gesprochen, keine Steine brechen, um Mauern gegen grenzüberschreitende Sendungen aufzuschichten. Für Fernerkundungsdaten ist die Vorschrift des Artikels XI unmittelbar relevant: ,Um die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Erforschung und Nutzung des Weltraums zu fördern, unterrichten die Vertragsstaaten, die im Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper tätig sind, den Generalsekretär der Vereinten Nationen sowie die Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Welt in größtmöglichem Umfang, soweit irgend tunlich, von der Art, der Durchführung, den Orten und den Ergebnissen dieser Tätigkeiten. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist gehalten, die Informationen unmittelbar nach ihrem Eingang wirksam weiterzuverbreiten43 .' 42 Eine zusammenfassende übersieht über die Entwicklung der Weltraumaktivitäten und davon berührter Völkerrechtsbereiche bietet Wulf von Kries, Weltraumrecht und Dynamik des Völkerrechts, in: Beiträge zum Luft- und Weltraumrecht. Festschrift zu Ehren von Alex Meyer, Köln 1975, 329 ff. 43 Hervorhebungen vom Verfasser.

4 Festschrift für H. Armbruster

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Zu dieser Vorschrift findet sich die Meinung, die Wendung ,in größtmöglichem Umfang, soweit irgend tunlich' beziehe sich nicht auf die Mitteilung von Ergebnissen, womit anscheinend gesagt werden soll, der erkundende Staat brauche andere nicht zu unterrichten 44 • Eine solche Interpretation läßt sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch auf den Zweck des Weltraumvertrags stützen; danach ist vielmehr die Weitergabe von Daten- im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Weltraumvertrags - obligatorisch45 • Diese Pflicht ist u. a. in Artikel XI selber durch die Wendung ,soweit irgend tunlich' eingeschränkt; bei ihrer Ausdeutung wären neben rechtlichen auch technische, finanzielle und organisatorische Aspekte des in Frage stehenden Erkundungssystems und ferner politische und ökonomische Randbedingungen zu berücksichtigen. Für unsere abstrahierende Betrachtung genügt es aber schon, festzustellen, daß der Weltraumvertrag von einer Dispositionsbefugnis des erkundenden Staates über die erlangten Daten ausgeht und im allgemeinen Interesse eine möglichst breite Streuung des Materials anstrebt. Dieser Ansatz, durch den auch der Informationsfreiheit Rechnung getragen wird, findet sich vorläufig nur im amerikanischen Entwurf; der sowjetisch-französische und der lateinamerikanische Entwurf suchen eine entgegengesetzte Position einzuführen. c) Die Internationalen Pakte von 1966 Mit dem lnkrafttreten der Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wird ein erster Schritt dahin vollendet, den Inhalt der Menschenrechtserklärung in weitem Umfang zu einem Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts werden zu lassen46 • In Artikel 19 Absatz 2 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte heißt es: ,Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel nach eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.' Das Recht wird in Absatz 3 gesetzlichen Einschränkungen unterworfen, ,die erforderlich sind a) für die Achtung der 44 Vgl. Marco G. Marcoff, The International legal regime of planetary resources, IX Il Diritto Aero 1970, 289 ff., 293; es ist nicht ersichtlich, ob Mareoff jene Meinung inzwischen aufgegeben hat, vgl. Fußnote 8, a.a.O., 568, 570. 45 Vgl. auch: Stephen Gorove, Earth Resources Survey Satellites and the Outer Space Treaty, 1 Journal of Space Law 1973, 80 ff., 85. Weniger eindeutig der Wissenschaftlich-Technische Unterausschuß des Weltraumausschusses im Ergebnisbericht für 1975 (vgl. VN-Dokument A/AC. 105/150, Ziff. 27 xii). 48 Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist am 3. Januar 1976, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte am 23. März 1976 in Kraft getreten.

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Rechte oder des Rufes anderer; b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit'. Artikel 15 Absatz (1) b) des Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte statuiert: ,Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden an, an den Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhaben.' Artikel 11 Absatz (2) a) dieses Pakts sieht vor, daß sich die Vertragsstaaten durch volle Nutzung der technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Erschließung und Nutzung der natürlichen Hilfsquellen um den Schutz eines jeden Menschen vor Hunger bemühen. Zusammengenommen zeigen die zitierten Vorschriften, daß die Vertragsstaaten von dem Recht auf Meinungsäußerung und Informationsfreiheit ausgehen und es nicht zu einer Ausnahme vom Zensurprinzip machen sollen; daß sie ihrer Bevölkerung und jedem einzelnen Bürger die Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts nicht vorenthalten dürfen, sondern verpflichtet sind, alle Bürger daran teilhaben zu lassen; daß sie dafür sorgen müssen, daß technische und wissenschaftliche Erkenntnisse ihrer Bevölkerung zum Nutzen gereichen. Es bleibt anzufügen, was inzwischen offenkundig sein dürfte: die al8 individualistisch-liberal bezeichneten Positionen stehen im Einklang, die etatistisch-restriktiven Positionen weitgehend im Widerspruch zu Sinn und Zweck jener Regelungen. d) Entwürfe der Vereinten Nationen Die Vollversammlung beschäftigt sich seit ihrer ersten Sitzung im Früh.,. jahr l'946 mit Fragen der Informationsfreiheit. In Resolution 59 (I) vom 14. Dezember 1946 erklärte sie, die Informationsfreiheit sei ein fundamentales Menschenrecht und der Berührungspunkt aller Freiheiten, denen die Vereinten Nationen dienen. Der Weg von dort bis zu den heute vorliegenden Entwürfen war lang und beschwerlich; die vorläufigen Ergebnisse gehen hinter anfängliche Positionen aus den späten vierziger Jahren zurück: die Informationsfreiheit des Einzelnen wird zusehends staatlichen Einschränkungsbefugnissen unterworfen, die sich auf alle innerhalb eines Territoriums zugänglichen Informationen beziehen sollen. Im Vordergrund stehen die ,Draft Convention on the Freedom of Information', bestehend aus 19 Artikeln, von denen der Dritte Ausschuß die ersten vier angenommen hat, und die ,Draft Declaration on Freedom oflnformation', der Vollversammlung vom Wirtschafts- undSozialrat anempfohlen, an deren lange Präambel sich fünf kurze Artikel anschlie-

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ßen47. Hier ist nicht auf die Regelungen im einzelnen einzugehen; aber wenn sich in ihnen künftige Tendenzen abzeichnen, dann muß für die etatistisch restriktiven Positionen gesagt werden, daß sie sie in einer Weise vorwegnehmen, die- in einem Teilbereich- vielleicht schon als Verwirklichung ihrer Fernziele begriffen werden kann. Die in der Menschenrechtserklärung und den Internationalen Pakten statuierten Individualrechte würden durch allseitige Überhöhung der Staatsgewalt völkerrechtlich ausgehöhlt. Die nach dem Ersten Weltkrieg eingesetzte Entwicklung, den Einzelnen durch Einräumung völkerrechtlicher Rechtspositionen auf internationaler Ebene zu schützen, die sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Angesicht des Leidens von Abermillionen Menschen noch einmal verstärkt hatte, wäre gebrochen; eine gegenläufige Bewegung zugunsten staatlicher Allmacht hätte begonnen. e) Europäische Menschenrechtskonvention Die am 3. September 1953 in Kraft getretene, von 18 Staaten ratifizierte Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sagt im ersten Absatz von Artikel10: ,Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein48 .' Die Konvention bindet die Vertragsparteien49 ; hinsichtlich der in Artikel10 niedergelegten Rechte und Freiheiten erstreckt sich die Verpflichtung auf alle ihrer Jurisdiktion unterstehenden Personen (vgl. Artikel1). In den beiden ersten Absätzen der Präambel verge-genwärtigen sich die Hohen Vertragschließenden Teile darüber hinaus, daß die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bezweckt, die allgemeine und wirksame Anerkennung und Einhaltung der darin erklärten Rechte zu gewährleisten. Es bleibe dahingestellt, ob aus dem Präambel-Hinweis auf die Menschenrechtserklärung die Intention der Unterzeichner zu lesen ist, allent47 Vgl. Annexe I, II und VI zu VN-Dokument A/8340, das auch auf die Meilensteine in der VN-Diskussion über Informationsfreiheit hinweist. Dort zeigt sich, daß die in Fußnote 36 erwähnte Convention on the International Right of Correction ursprünglich als Teil einer Gesamtregelung zur Informationsfreiheit gedacht war. In diesem Zusammenhang sei weiter hingewiesen auf Bemühungen der UNESCO (vgl. z. B. Dokument A/AC. 105/109/Corr.1) und auf Resolution 1596 (L) des Wirtschafts- und Sozialrats vom 21. Mai 1971, worin zu periodischen Länderberichten über die Handhabung der Informationsfreiheit aufgefordert wird. 48 Für ,Nachrichten' steht in den maßgeblichen englischen und französischen Fassungen der Begriff ,Information'. Der weitere Text des Artikels 10 enthält gewisse Einschränkungen des oben zitierten Grundsatzes. 4 o Von ihnen sind im Weltraumausschuß vertreten: Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Schweden und das Vereinigte Königreich.

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halben für die Menschenrechte einzutreten. Wichtig ist, daß die Europäische Menschenrechtskonvention die Vertragsparteien hindert, internationale Verpflichtungen einzugehen, die Meinungs- und Informationsfreiheit im eigenen Lande in Frage stellen. Offen ist freilich, inwieweit dieses Hindernis praktisch bedeutsam wird; im Weltraumausschuß setzen sich von den Unterzeichnerstaaten namentlich Schweden und Frankreich vorläufig mit Nachdruck für etatistisch-restriktive Regelungen ein. 3. Gewohnheitsrecht und Allgemeine Rechtsprinzipien Die Frage, ob das Völkerrecht die Meinungs- und Informationsfreiheit gewohnheitsrechtlich gewährleistet, wird an dieser Stelle ebenso offengelassen wie die Frage, ob das Völkerrecht die Meinungs- und Informationsfreiheit als ein Allgemeines Rechtsprinzip im Sinne des Artikels 38 Absatz 1c. IGH-Statut kennt 5o. Vorbehaltlich anderer Ergebnisse aus einer eingehenden Untersuchung dürfte die erste Frage zu verneinen sein, während eine Antwort auf die zweite lauten könnte, daß sich die Meinungs- und Informationsfreiheit vielleicht als ein Allgemeines Rechtsprinzip in Form einer Institutsgarantie finden läßt. Die Freiheit wäre damit als Institut gesichert, ohne daß freilich der Einzelne unmittelbar Rechte aus ihr herleiten könnte. 4. KSZE-Schlußakte

Das erste Resultat der mit der ,Bukarester Erklärung' des Politischen Beratenden Ausschusses des Warschauer Paktesam 5. Juli 1966 initiierten Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ist die am 1. August 1975 in Helsinki verabschiedete Schlußakte51 • 35 Staaten, darunter der Heilige Stuhl, haben sie unterzeichnet. Nach dem Willen der Unterzeichner ist sie kein völkerrechtlicher Vertrag, sondern ein Dokument gemeinsamer politischer Absichten52 • An vielen Stellen 50 Dabei wird mit Paul Guggenheim gegen neuere Tendenzen von der Annahme ausgegangen, daß sich derartige Allgemeine Rechtsgrundsätze im Völkerrecht find€n (Lehrbuch des Völkerrechts. Basel 1948, Band I, 139 ff.). An anderer Stelle habe ich darzutun versucht, daß z. B. das Prinzip der Gegenleistung als ein solcher Rechtsgrundsatz anzusehen ist (Auslandsenteignungen und Investitionsschutz. Berlin 1975, 49, 52 ff.). 51 Ihr deutscher Text, die Erklärung des Europäischen Rates, die Erklärung der Regierung der Bundesrepublik D€utschland, eine KSZE-Chronologie und andere Materialien find€n sich in der vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung herausgegebenen KSZE-Dokumentation ,Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa' vom August 1975. 52 In der Vorrede bekräftigen die Unterzeichner ihren Willen, diese Absichten zu verwirklichen; die politische Verbindlichkeit soll dadurch erhöht werden, daß alle Teilnehmerstaaten den Text der Schlußakte veröffentlichen und ihn so umfassend wie möglich verbreit€n und bekanntmachen.

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ist von gegenseitiger Unterrichtung in bestimmten Bereichen wie Handel und Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Umweltschutz, Verkehrswesen und Kultur die Rede; im Kapitel über ,Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen' findet sich ein eigener Abschnitt ,Information'. Dort setzen sich die Teilnehmer zum Ziel, ,die freiere und umfassendere Verbreitung von Information aller Art zu erleichtern .. .'53. Diese sehr zurückhaltende Formulierung, die vielleicht einen ersten Schritt zu einer freien und umfassenden Verbreitung von Information kennzeichnen könnte, beschreibt schon das Ziel. Die Zielvorstellung bezieht den Einzelnen nicht ein; von ihm ist auch an den vielen anderen Stellen, die von Informationsaustausch handeln, keine Rede; er wird lediglich in dem knappen Abschnitt ,Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religionsund Überzeugungsfreiheit' erwähnt. Meinungs- und Informationsfreiheit bleiben auch dort ungenannt; sie finden nur indirekt, durch Bezugnahme auf VN-Charta, Menschenrechtserklärung und andere Texte Eingang in die Schlußakte von Helsinki 54• Die Schlußakte ist für die hier behandelte Thematik aufschlußreich, weil sie das Selbstverständnis ihrer Unterzeichner spiegelt55 • Die Rechte und der Schutz des Einzelnen sind darin an den Rand gerückt, der Staat tritt als omnipotenter Regulator in den Vordergrund; das Dokument erweckt den Eindruck, als seien die Regierten für die Regierenden eine quantite negligeable. Das ist noch kein Aufgeben der 1948 proklamierten Menschenrechte und Grundfreiheiten. Es zeigt aber, daß für die heutigen Machthaber im europäischen Raum und darüber hinaus nicht der Mensch, sondern der Staat im Mittelpunkt ihrer politischen Konzeptionen steht. Die Ergebnisse der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sollten die Vertreter etatistisch-restriktiver Positionen im Weltraumausschuß ermutigen. Hervorhebungen vom Verfasser. Der Europäische Rat stellt in seiner Erklärung über die KSZE u. a. heraus, im Bereich der Freizügigkeit von Ideen und Informationen sei es nicht möglich gewesen, weiter zu gehen. Es sei aber, von großer Bedeutung, ... daß es möglich war, ... die Absicht der Staaten zum Ausdruck zu bringen, ... die Entwicklung der Zusammenarbeit, des Austausches und der Kontakte zu ermöglichen und zu fördern, wobei die Menschen eine wichtige Rolle spielen'. Wer denn sonst, möchte man fragen; der Lärm, der um so wenig gemacht wird, stört kaum noch angesichts der erschreckenden Gedankenlosigkeit oder des Zynismus, die hinter einer Wendung wie der hier kursiv gesetzten stehen. 55 Von den seinerzeit in Helsinki repräsentierten Staaten sind 16 im Weitraumausschuß vertreten. Unter den Gebieten in Wissenschaft und Technik, in denen die Konferenzteilnehmer Möglichkeiten der Zusammenarbeit sehen, wird auch die Erforschung des Weltraums und die Untersuchung der natürlichen Ressourcen der Erde und ihrer Biosphäre unter Nutzung von Fernbeobachtungen genannt. 53 54

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111. Staatstheoretische Aspekte Sieht man von Einzelheiten der Entwürfe zum Direktfernsehen und zur Fernerkundung ab, so tritt als frappierendstes Phänomen hervor, daß eine große, ihrer ideologischen Provenienz nach uneinheitliche Gruppe von Staaten versucht, die Meinungs- und Informationsfreiheit im internationalen Bereich aufzuheben. Die Befugnis, den Umgang mit Information innerhalb des eigenen Territoriums zu regeln, wird als nicht mehr ausreichend angesehen; man möchte über seine Grenzen hinausgreifen und auch allen anderen, Staaten und Individuen, Vorschriften über Weitergabe und Empfang von grenzüberschreitenden Informationen machen. Die sowjetische Völkerrechtswissenschaft würde vielleicht sagen, daß ,bürgerliche' Völkerrechtsregeln im Informationsbereich abgelöst werden sollen durch ,qualitativ neues' Recht56 • Im Zentrum jenes Bemühens steht der Versuch, dem Einzelnen nur diejenige Information zugänglich werden zu lassen, die seine jeweilige Obrigkeit für ihn geeignet hält. Die offenen und verborgenen Beweggründe für diesen Versuch sind mannigfach und erscheinen quantitativ und qualitativ so schwer faßbar, daß eine Diskussion vermutlich auf wenig mehr als eine Spiegelfechterei mit eigenen Vorurteilen hinauslaufen würde. Ergiebiger ist es vielleicht, die gegensätzlichen Positionen unter dem Aspekt der Stellung des Einzelnen im Gemeinwesen zu beleuchten, da der Gegensatz der Auffassungen in diesem Punkt von grundsätzlicher Art ist: Die eine Seite strebt ein möglichst umfangreiches, allgemein zugängliches Informationsangebot an; dabei soll es dem Einzelnen überlassen sein, ob und wie er dazu beiträgt und daraus auswählt. Die andere Seite zielt auf eine umfassende staatliche Kontrolle von Informationsempfang und -Weitergabe, um den Einzelnen vor schädlichen Einflüssen, vielleicht auch möglicher Überschwemmung, zu behüten. Einerseits soll die Entscheidung über Informationsempfang und-weitergabegrundsätzlich dem Einzelnen, andererseits grundsätzlich dem Staat vorbehalten sein; auf der einen Seite geht man davon aus, daß der Einzelne sich schon richtig verhalten werde; auf der anderen Seite wird angenommen, daß dies jedenfalls generell nicht der Fall sei und deshalb der besserwissende Staat eine Auswahl treffen müsse. um das Spektrum individuellen Fehlverhaltens einzuengen. 58 In seiner weitgreifenden Übersicht über die heuUge sowjetische Völkerrechtslehre schreibt Theodor Schweisfurth, auf dem Gebiet des allgemeinen Völkerrechts finde nach sowjetischem Verständnis der "Klassenkampf" in der gegenwärtigen "Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus" vor allem in der International Law Commission und im VI. Ausschuß der VN-Vollversammlung statt; vgl. Die Völkerrechtswissenschaft in der Sowjetunion, 34 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1975, 1 ff., 31. So gesehen wäre der Weltraumausschuß ein Nebenschauplatz jener Auseinandersetzung.

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Dirk-Meints Folter 1. Vorgegebene und aufgegebene Ordnungen

Die gegensätzlichen Haltungen treffen sich mit der prinzipiellen Scheidung gesellschaftlicher Ordnungen in solche, die dem Einzelnen vorgegeben, und solche, die ihm aufgegeben sind57 • In der ersten Kategorie präsentiert sich das System als prädeterminiert; in der zweiten ist der Einzelne aufgerufen, es zu gestalten. Ein zurückliegendes Beispiel für vorgegebene Ordnungen sind die westeuropäischen Königreiche im Mittelalter; ihr politisches Fundament war der Glaube an eine vorbestimmte absolute Ordnung. Diese das Diesseits und Jenseits umspannende Ordnung war theologisch bestimmt; ihr konkreter Inhalt wurde von der weltlichen und geistlichen Führung einheitlich festgelegt58• Ein historisches Beispiel für eine reine aufgegebene Ordnung, eine demokratische Entfaltungsgesellschaft, in der die gleiche abstrakte Entfaltungschance für alle konkretisiert, d. h. für jeden Einzelnen verwirklicht ist59, fehlt vorläufig. Der Berührungspunkt der oben gekennzeichneten Haltungen mit jenen beiden Kategorien gesellschaftlicher Ordnung liegt bei der Behandlung des Einzelnen: einmal ist er oberste Entscheidungsinstanz, das andere Mal prinzipiell bevormundet. - Es würde zu weit führen, auf die der unterschiedlichen Behandlung zugrundeliegenden Menschenbilder einzugehen; vielmehr muß es ausreichen, festzuhalten, daß sich anhand der Stellung des Einzelnen im Staat zeigt, wie Informationsfreiheit und staatliche Willensbildung zusammenhängen: Für ein Gemeinwesen, dessen Ordnung durch eine allgemeine Auseinandersetzung um das Richtige geschaffen und entwickelt wird, ist es essentiell, allen Beteiligten ein Höchstmaß an Information zugänglich zu machen, um möglichst angemessene Ergebnisse zu erzielen. Dort hingegen, wo das Richtige von wenigen vorgegeben wird, ist Information für die vielen ein bloßes 57 Diesen Unterschied hat Hans Ryffel mit großer Schärfe herausgearbeitet; vgl. Grundprobleme der Rechts- und Staatsphilosophie. Neuwied 1969, 93, 338 ff., 458 ff.; die dortige Terminologie wird teilweise übernommen. 58 Mit dem Investiturstreit in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts beginnt die Auflösung jenes geschlossenen Weltbilds; für die Naturwissenschaften leitet die gewonnene geistige Freiheit im 17. und 18. Jahrhundert die Überwindung des aristotelischen Naturverständnisses ein; vgl. Siegjried Flügge, der schreibt, den neuen methodischen Weg zu beschreiten, den die Physik seither eingeschlagen hat, habe eine geistige Kühnheit erfordert, die noch mehr Bewunderung verdiene als der Mut, mit dem die Pioniere der Wissenschaft sich zum Teil auch der Verfolgung durch die Mächtigen ihrer Zeit aussetzten (Wege und Ziele der Physik. Berlin 1974, 8). Die Frage, ob im geisteswissenschaftlichen Bereich eine ähnlich weitreichende allgemeine Befreiung von tradierten, intersubjektiv nicht mehr ausweisbaren Anschauungen stattgefunden hat, scheint trotz mancher Ansätze verneint werden zu müssen. se Vgl. Ryffel (Fußnote 57); einige heutige Demokratien können vielleicht als Übergangsformen begriffen werden, die sich auf eine solche Gesellschaftsordnung hinentwickeln könnten.

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Akzidens, das in systemkonformer Sicht nützlich oder schädlich sein kann. Innerhalb des ersten Systems ist die Bevölkerung souverän, im zweiten ist sie untertan.

2. Künftige Tendenzen Die Ausführungen zu Weltraumrecht und Informationsfreiheit sollen mit einer spekulativen Anmerkung über künftige Entwicklungen schließen. In historischer Perspektive könnte in der wechselnden Stellung des Individuums in den jeweiligen Gesellschaftssystemen, von archaischen Ordnungsformen bis hin zur modernen Demokratie, eine Entwicklung von vorgegebener zu aufgegebener Ordnung gesehen werden, in deren Verlauf der Mensch sich allmählich herauslöst aus blinder Ergebenheit in sein Schicksal und hervortritt, um nach eigener Anschauung selber Ordnung zu gestalten. Information als Grundlage jeder Reflexion wäre eine wesentliche Voraussetzung für eine angemessene Erfüllung dieser Aufgabe. Die Stellung des Individuums im Gemeinwesen wäre einer- aufs Ganze gesehen- positiven Entwicklung unterworfen, ein evolutionärer Ansatz, der marxistischem Geschichtsverständnis darin ähnelt, daß er den geschichtlichen Wandel als eine Entwicklung zum Besseren des Einzelnen, der Menschheit, begreift. Wiewohl eine solche Entwicklung aus der überschaubaren geschichtlichen Wirklichkeit gelesen und hierfür Ursachen gefunden werden könnten, erschiene es angesichts der Millionen Jahre langen Menschheitsentwicklung willkürlich, daraus schon eine dominante Konstante für die Zukunft extrapolieren zu wollen. Die geschichtliche Wirklichkeit zeigt im übrigen, daß jene Entwicklung nicht gradlinig durch Zeit und Raum läuft; einzelne Menschen, Völker, spezifische Gesellschaftssysteme erscheinen in diesem Gesamtprozeß als Zufälle, die lediglich in ihrer Gesamtheit eine gewisse Entwicklung reflektieren könnten. Für das konkrete einzelne System gibt es offenbar keine Gewähr, sich auf dem skizzierten Weg fortzuentwickeln; vielmehr ist es anscheinend ständig der Gefahr ausgesetzt, in ein vermeintlich überwundenes Stadium zurückzufallen, sich in Anarchie aufzulösen oder zu zerfallen, weil ein zu großer Anteil der Population den gestellten Aufgaben (noch) nicht gewachsen ist60 • Die heute manifeste Meinungsfreiheit in unserem Land könnte sich vielleicht morgen schon als flüchtiges Geschenk der Geschichte erweisen. eo Diese Beobachtung scheint den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Evolutionstheorie für den Menschen ebenso wie für Populationen zu entsprechen. Neuere, genetisch orientierte Überlegungen neigen dazu, die Rolle des Zufalls eher noch zu betonen, vgl. J. M. Thoday, Non-Darwinian "evolution" and biological progress, 255 Nature 1975, 675 ff.; das würde die bemerkenswerte Langsamkeit der Entwicklung weiter erklären und die Zufälligkeit unserer jeweiligen eigenen Position unterstreichen.

VÖLKERRECHTLICHE VERTRÄGE ÜBER GEGENSTÄNDE DER LANDESGESETZGEBUNG Von Walter Rudolf I. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den wenigen Bundesstaaten, die ihren Gliedstaaten die Teilnahme am völkerrechtlichen Verkehr ermöglichen. Zwar ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten gemäß Art. 32 Abs. 1 GG Sache des Bundes, doch bestimmt Art. 32 Abs. 3 GG, daß die Länder, soweit sie für die Gesetzgebung zuständig sind, mit Zustimmung der Bundesregierung mit auswärtigen Staaten Verträge abschließen können. Von dieser Möglichkeit haben freilich nicht alle Länder Gebrauch gemacht. Landesverfassungsrechtlich ist der Abschluß völkerrechtlicher Verträge in keinem Lande ausdrücklich geregelt. Auslandsbeziehungen werden expressis verbis überhaupt nur in der Verfassung der Freien und Hansestadt Harnburg angesprochen; dort ist die Vertretung gegenüber dem Ausland normiert. Im übrigen regeln die Verfassungen von Baden-Württemberg (Art. 50 Satz 2), Bayern (Art. 72 Abs. 2), Harnburg (Art. 43), Hessen (Art. 103 Abs. 3), Niedersachsen (Art. 26 Abs. 2), Nordrhein-Westfalen (Art. 66 Satz 2), Rheinland-Pfalz (Art. 101 Satz 2) und des Saarlandes (Art. 97) lediglich den Abschluß von Staatsverträgen, ohne zwischen völkerrechtlichen Verträgen und solchen der Länder untereinander oder mit dem Bund zu differenzieren. Nach der Landessatzung für Schleswig-Holstein ist überhaupt nur eine Regelung für Verträge mit der Bundesrepublik oder mit anderen Ländern vorgesehen. In den Verfassungen von Berlin (Art. 43 Abs. 1) und Bremen (Art. 118 Abs. 1 Satz 2) ist bloß die Vertretungsbefugnis nach außen geregelt. Zum Vertragsschluß befugt ist nach den Verfassungen von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein der Ministerpräsident, in Berlin der Regierende Bürgermeister und nach den Verfassungen von Bremen und Harnburg der Senat, von Nordrhein-Westfalen (Art. 57) die Landesregierung. Bei der rechtlichen Behandlung der von den Ländern geschlossenen Verträge besteht Einigkeit darüber, daß in bestimmten Fällen eine der Regelung des Bundes entsprechende parlamentarische Mitwirkung not-

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wendig ist1. Verträge, die sich auf Gegenstände beziehen, die ein Gesetz des Landes erforderlich machen, bedürfen zu ihrem Abschluß der Zustimmung des Landtages durch Beschluß oder in Form eines Gesetzes. Wie der Jubilar für die bayerische Verfassung nachgewiesen hat, ist hinsichtlich des parlamentarischen Zustimmungsverfahrens mit Vertragsabschluß die Ratifikation gemeint, d. h. die an den Vertragspartner gerichtete Verbindlichkeitserklärung2 • Dies gilt für alle Bundesländer. Den ersten Vertrag eines Landes nach dem lokrafttreten des Grundgesetzes hat Rheinland-Pfalz abgeschlossen. Es handelt sich um den Staatsvertrag mit Luxemburg über die Errichtung einer Wasserkraftanlage an der Sauer vom 25. 4. 1950 3 • Diesem Vertrag folgten bis November 1975 sechs weitere Abkommen mit Luxemburg, von denen zwei multilaterale mit dem Saarland als dritter Vertragspartei waren, von denen der letzte bisher noch nicht in Kraft getreten ist4 • Außerdem ist Rheinland-Pfalz mit Nordrhein-Westfalen und Belgien Partner eines Abkommens über die Zusammenarbeit zur Errichtung und Ausgestaltung eines Naturparks im deutsch-belgischen Grenzgebiet von 1971. Mit acht völkerrechtlichen Verträgen, von denen drei nicht veröffentlicht sind und bei denen die Zustimmung der Bundesregierung nur implizit erteilt wurde, gehört Rheinland-Pfalzbereits zu den Ländern, die eine beachtliche Vertragspraxis haben. Eine noch größere Praxis hat allein Bayern mit insgesamt 19 Abkommen vorzuweisen, von denen allerdings das letzte schon 1963 geschlossen wurde. Die beiden ersten Verträge schloß der Freistaat im Oktober 1950 mit Österreich, denen dann in der Zeit von 1951 bis 1963 die alljährlich geschlossenen bayerisch-österreichischen Übereinkommen über den Alpenweideviehverkehr folgten 5• Bis zum Jahre 1960 wurden noch drei weitere Verträge mit Österreich geschlossen, darunter zwei multilate1 Vgl. Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht (1967), S. 231 ff.; Regehr, Die völkerrechtliche Vertragspraxis in der Bundesrepublik Deutschland (1974), S.130 ff. 2 Armbruster, in: Armbruster I P. Schneider, Rechtsgutachten zum Staatsvertrag über die Errichtung der Anstalt "Zweites Deutsches Fernsehen", Schriftenreihe des ZDF, Heft 3 (1965), S. 11. a GVB11950, S. 239. 4 Vgl. die Zusammenstellung bei Seidel, Die Zustimmung der Bundesregierung zu Verträgen der Bundesländer mit auswärtigen Staaten gemäß Art. 3,2 !II GG (1975), S. 167 f. - Jüngster Vertrag ist der zwischen den Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland, der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Neuregelung der Fischereiverhältnisse in den unter gemeinsamer Hoheit dieser Staaten stehenden Grenzgewässern vom 24. 11. 1975. 5 Das Abkommen von 1955 wurde 1956 verlängert. Das Abkommen von 1963 ist seither mit dreimonatiger Kündigungsfrist zum Ende eines Kalenderjahres in Kraft. Vgl. Seidel (Anm. 4), S. 166.

Völkerrechtliche Verträge über Gegenstände der Landesgesetzgebung

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rale mit der Bundesrepublik Deutschland als drittem Vertragspartner8 • Ein weiterer Vertrag betrifft den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigungen; Vertragspartner dieses Übereinkommens vom 27. 10. 1960 sind die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Österreich und die Schweiz7• An dritter Stelle steht Baden-Württemberg, das zwei Verträge mit der Schweiz geschlossen hat, darunter das bereits erwähnte multilaterale Abkommen über den Schutz des Bodensees gegen Verunreinigung. Außerdem hat Baden-Württemberg 1954 einen Vertrag mit dem Kanton Thurgau betreffend die gemeinschaftliche Wasserjagd auf dem Untersee und dem Rhein und 1972 einen Vertrag mit dem Kanton Basel-Stadt über die Benutzung von Krankenhäusern des Kantons durch Patienten aus Baden-Württemberg geschlossen8 • Daß die Vereinbarung zwischen Baden-Württemberg und dem Departement du Bas-Rhin über den Betrieb und die Unterhaltung von drei Rheinübergängen für den Straßenverkehr von 1966 als völkerrechtlicher Vertrag i. S. von Art. 32 Abs. 3 GG zu qualifizieren ist, muß bezweifelt werden, da ein französisches Departement nicht Völkerrechtssubjekt sein kann. Der Fall liegt nicht anders als beim Kehler Hafenabkommen, das zwischen dem ehemaligen Lande Baden und dem Port Autonome de Strasbourg 1951 geschlossen wurde. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts handelte es sich nicht um einen Art. 32 Abs. 3 GG unterliegenden Vertrag9 • Im übrigen sind Vereinbarungen zwischen einem Gliedstaat eines Bundesstaates und einer Verwaltungsstelle eines Einheitsstaates nicht anders zu beurteilen als Verträge zwischen Verwaltungsuntergliederungenzweier Einheitsstaaten. Die Frage, ob solche Übereinkommen rechtlich als echte oder kaschierte Staatsverträge oder anders zu charakterisieren sind, kann hier offenbleiben. Auf jeden Fall handelt es sich nicht um ein Problem des Vertragsschließungsrechts von Gliedstaaten eines Bundesstaates. Von den übrigen Ländern10 hat das Saarland seit seiner Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland vier völkerrechtliche Verträge geschlossen, davon zwei mit Frankreich und zwei multilaterale mit Luxemburg und Rheinland-Pfalz. Harnburg hat 1971 ein Abkommen mit Liberia über die Errichtung einer medizinischen Forschungsstation in diesem afrikanischen Staate getroffen. Nordrhein-Westfalen ist Partner des bereits erwähnten multilateralen Abkommens über die Zusammenarbeit zur Errichtung und Ausgestaltung eines Naturparks mit Belgien und • Vgl. die Zusammenstellung bei Seidel (Anm. 4), S. 166. Bay. GVBl. 1961, S. 237. 8 Seidel (Anm. 4), S. 164 f. 1 BVerfGE 2, 347,372 ff. to Zum Folgenden vgl. die Zusammenstellung bei Seidel (Anm. 4), S. 166 ff.

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Rheinland-Pfalz. Die Länder Bremen, Hessen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben überhaupt noch keinen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen. Die vom Lande Berlin getroffenen Vereinbarungen mit Vertragspartnern außerhalb der Bundesrepublik Deutschland müssen hier wegen der besonderen Rechtsstellung Berlins unberücksichtigt bleiben11 • Die von den Ländern abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge betreffen fast ausschließlich nachbarrechtliche Angelegenheiten. Vor allem werden Fragen des Wasserrechts, aber auch des Natur- und Umweltschutzes geregelt. Vertragspartner sind die Nachbarstaaten. Eine Ausnahme bildet das Abkommen zwischen Harnburg und Liberia über die Errichtung einer medizinischen Forschungsstation vom 2. 12. 1971. Es ist der einzige völkerrechtliche Vertrag eines westdeutschen Landes, der nicht mit einem Nachbarstaat abgeschlossen wurde. Dieses Abkommen und der französisch-saarländische Vertrag über die Trägerschaft des Institut d'Etudes Fran