"Holt"s den Viechdoktor!": Die abenteuerliche Welt der alten Landtierärzte 9783205790303, 9783205783688


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"Holt"s den Viechdoktor!": Die abenteuerliche Welt der alten Landtierärzte
 9783205790303, 9783205783688

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Roland Girtler

„Holt’s den Viechdoktor!“ Die abenteuerliche Welt der alten Landtierärzte

Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar

Mit freundlicher Unterstützung der Boehringer Ingelheim RCV GmbH. & Co. KG.

Coverabbildung: Johann Michael Neder, Die Heimkehr der Herde, 1844 © Belvedere, Wien Die Abbildungen in diesem Buch wurden Roland Girtler von freundlichen Tierärzten oder ihren Verwandten zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Dafür sei ihnen gedankt.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3­-205­-78368-8 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Über­setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf ­fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, ­vorbehalten. © 2009 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http://www.boehlau.at http://www.boehlau.de Druck: Freiburger Graphische Betriebe GmbH & Co.KG., 79121 Freiburg

Dieses Buch sei herzlich meiner Frau Birgitt gewidmet, die es mit einem Feldforscher, der sich immer wieder auf Abenteuer begibt, ähnlich schwer hat wie die Frauen der früheren Landtierärzte mit ihren Männern.

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, 2010 ist ein bedeutsames Jahr für den internationalen Unternehmensverband Boehringer Ingelheim, begeht er doch sein 125-jähriges Gründungsjubiläum. Im selben Jahr feiert die Abteilung Tiergesundheit in Österreich ihr 10-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass freuen wir uns, mit „Holt’s den Viechdoktor“ ein Buch zu präsentieren, das uns in die aufregende Welt ehemaliger Landtierärzte entführt. Es ist uns eine ganz besondere Ehre, dass sich der renommierte Ethnologe, Soziologe und Forscher Universitätsprofessor Dr. Roland Girtler dieses Themas angenommen hat. Die zahlreichen Publikationen des unkonventionellen Wissenschafters beschäftigen sich vorzugsweise mit den bunten Vögeln am Rande unserer Gesellschaft – mit Kleinkriminellen, Wilderern und Schmugglern –, aber auch mit „feinen Leuten“, indischen Bauerndörfern und Slums. Für uns hat sich Prof. Girtler jetzt in die Vergangenheit begeben und die ereignisreiche Welt früherer Landtierärzte erforscht. Im Rahmen dieser Arbeit führte er Gespräche mit langjährigen Tierärzten sowie deren Angehörigen und entdeckte spannende und abenteuerliche Lebensgeschichten. Diese reichen von Erfahrungen bei Bergbauern bis zum Alltag von Militärtierärzten. Mit diesem Buch wurde ein wertvolles Zeitdokument geschaffen, das hoffentlich auch Ihr Interesse wecken wird. In diesem Sinne wollen wir uns für Ihr bisheriges Vertrauen und die gute Zusammenarbeit bedanken und wünschen Ihnen eine spannende Lektüre! Dipl.-Ing. Herman Stokkers Boehringer Ingelheim RCV GmbH & Co KG Tiergesundheit Österreich 7

Inhalt Vorbemerkung und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Der Tierarzt und die Bauern – Überlegungen zu Beginn Der Autor als Sohn eines Landarztehepaares 19 / „Weibersterben kann den Bauern nicht verderben, aber Viechverrecken kann den Bauern erschrecken“ 21 / Die Prinzipien und die Würde der alten Bäuerinnen und Bauern 22 / Methode und Zugänge 27

Aus dem Leben von Tierärzten . . . . . . . . . 31 Der Tierarzt mit der durchlöcherten Feldflasche – der Freund von Wildschützen . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

Dr. Hubert Obwexer aus Matrei in Osttirol Veterinärassistent bei der berittenen Gebirgsartillerie im Ersten Weltkrieg 34 / Tierarzt in Osttirol – die Wildschützen 35

Der Tierarzt im Gebirge – als Universitätsprofessor unter Bauern . . . . . . . . . . . . . 38

Dr. Franz Krawarik in Vorderstoder Tierarzt in der Veterinärkompanie der 44. Infanteriedivision 39 / Die Besamungsstation in Pettenbach 40 / Bei den Bauern in Vorderstoder 41 / Die Nikolofrau, die Haberngeiß und die Wildschützen 46 / Abschied vom Gebirgsdorf 49

Der Tierarzt, der aus dem Krieg kam . . . . . . . . . . . . . . 52

Dr. Walter Hetzer in Windischgarsten Krieg und Nachkriegszeit 54 / Im Gasthof Kemmetmüller in Win9

inhalt

dischgarsten 55 / Die Gebirgsjägermütze 56 / Krankenbesuche und die „Milka-Kuh“ 57

Der Tierarzt, der einem Bauern eine Ohrfeige gab . . . . . . . 59

Dr. Erich Sommerer in Laakirchen Als Sohn des Tierarztes von Laakirchen bei Gmunden 59 / Die Frechheit des Bauern 62 / Der gute Ruf als Geburtshelfer 65

Der Tierarzt, der das Besamen im Ennstal eingeführt hat . . . 67

Dr. Hanns Uray in Irdning Als Tierarzt in Irdning im Ennstal 68 / Im Krieg bei den Haflingern 69 / Die Zeit nach dem Krieg – Besamungen und tägliche Ordinationen 70 / Die „Erziehung“ der Bauern und das Ansehen des Tierarztes 71

Der Tierarzt und die zwei Löwen . . . . . . . . . . . . . . . 73

Dr. Günther Orator in Windischgarsten Als Assistent in der Schweiz – die Pferdeeisenbahn 74 / Die Löwen 76 / Nach Oberösterreich 78

Der Tierarzt, der zum Zirkus wollte . . . . . . . . . . . . . . 80

Dr. Peter Staudinger Glück im Krieg – tausend Kilometer zu Fuß 81 / Der Zirkus Medrano 83 / Bauerntierarzt – der erste Kaiserschnitt 83 / Grundbesitzer in Paraguay 84

Der Tierarzt in Viehdorf und seine musizierende Familie . . . 86

Dr. Franz Zehetner in Viehdorf bei Amstetten Leutnant bei der Luftwaffe und Studium 87 / Die kongeniale Frau Gemahlin 89 / Internationaler Auftritt der Familie des Tierarztes von Viehdorf 91 / Mit der Frau auf dem Motorrad 93 10

inhalt

Der Tierarzt im oberen Mühlviertel . . . . . . . . . . . . . . 95

Dr. Peter Csaicsich, Weitersfelden Russische Besatzer 98 / Holzfäller, Köhler und Kleinbauern 99 / Die harte Arbeit des Tierarztes 101 / Das Ansehen des Tierarztes 103

Der Tierarzt, der zum Historiker wurde . . . . . . . . . . . 105

Dr. Herwig Forster in Grossreifling an der Enns Freude am Sezieren einer Maus 105 / Überleben im Krieg und schönes Leben als Gefangener in den USA 107 / Als Student in tierärztlichem Auftrag 110 / Gelungene Operationen und Freuden 111 / Der Historiker der Eisenwurzen 114

Der Tierarzt im Alpenvorland und seine große Praxis . . . . . 115

Dr. Volker Werner-Tutschku in Sattledt Der Hund des Sigmund Freud 116 / Der Großvater als Bauer 118 / Das Studium 120 / Der schwierige Vorgänger 122 / Der Aufbau der Praxis 122

Der Tierarzt als Abenteurer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

Dr. Willi Lechner in Molln Als Flüchtling nach Oberösterreich 126 / Nachfolger des Vaters – Hausbau und Fahrten zu den Bauern 129 / Verwegene Fahrten mit der Materialseilbahn und mit dem Auto 130 / Tierarzt mit Leib und Seele 131 / Sympathie mit den Kleinbauern 133

Der Tierarzt, der nach Kremsmünster zurückkehrte . . . . . . 135

Dr. Wolfgang Oberhuber in Kremsmünster Das frühe Interesse an den Bauern und ihren Tieren 136 / Klassische Landtierärzte 137 / Beim Sohn eines k. u. k. Militärtierarztes in Tirol 11

inhalt

140 / Die Ställe im Kloster Kremsmünster 142 / Der Wandel der Landwirtschaft und das Klagen der Tierärzte 144

Der Tierarzt und die Koalabären . . . . . . . . . . . . . . . 146

Dr. Hans Langgartner in Windischgarsten Feldhasen 146 / Arbeit in einer Großtierpraxis 148 / Gebärmutterdrehung und Kaiserschnitt 148 / Tierarzt in Australien und Rückkehr nach Oberösterreich 149 / Kater Rambo 150

Der Tierarzt im Waldviertel . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

Dr. Othmar Faffelberger in Pöggstall Das Mirakel von Pöggstall 155 / Der junge Tierarzt und seine Gefährtin 156 / Das Auto und die Kinderschar 158 / Bescheidenes Leben der Bauern 159 / Hausbau, Pferde und der Traktor 161 / Musizieren, Schifahren und Wandern 163

jjjj

Das Studium an der alten Tierärztlichen Hochschule – der Vorläuferin der Veterinärmedizinischen Universität . . . 165 Die alten Professoren, ihre Kunst der Lehre und ihr Witz 166 / Der „Numerus clausus“ und die Damen 176

Der Beginn der Praxis – Verwandte, Freunde und Kollegen . . . . . 179 Die alten Landtierärzte auf Tour Zu Fuß, auf Schiern, mit Pferden und mit dem Fahrrad 191 / Philosophie des Fußmarsches und des Schifahrens 193 / Der Vorteil des Pfer12

inhalt

des 196 / Mit Motorrad und Auto 197 / Aufwärmen bei der Kuh – Motorradfahrten im Winter 200 / Wilde Fahrten – Kübelwägen, Jeeps und geländegängige Autos 201 / Unterwegs mit der Materialseilbahn 212

Das Wirken der Tierärzte Die umfassende Arbeit der alten Landtierärzte 217 / Bei Rössern, die später nur mehr Pferde genannt werden 220 / Blähungen der Kuh 223 / Harte Arbeit und tägliche Ordination 224 / Antibiotika 227 / Die Praktikanten 229 / Die Fleischbeschau 229 / Geburtshilfe 234 / Der Kaiserschnitt 238 / Kastrieren und Enthornen 242 / Krankenbesuche 246 / Operation von Fremdkörpern bei der Kuh 252 / Andere Operationen 258 / „Betrunkene“ Schweine und Flucht des Stieres 259 / Die Besamung – das „erotische Stierpulver“ – der Stier hat „ausgespielt“ 260

Das Honorar für den alten Landtierarzt . . 273 Abenteuer und Erlebnisse . . . . . . . . . . . . . 283 Der Tierarzt als Menschenarzt . . . . . . . . . 289 Der Tierarzt als Geburtshelfer bei Mensch und Kuh, als Hautarzt und als Augenarzt 289 / Der Tierarzt als Seelentröster und Berater 294 / Der Tierarzt als Unfallhelfer, Pharmazeut und Heiler von Muskelbeschwerden 296 / Die Kuh als Bollwerk gegen Keime 301

Der Menschenarzt als Tierarzt – Der Neurochirurg als Geburtshelfer . . . . . 303 Die Frau des Landtierarztes . . . . . . . . . . . 306

13

inhalt

Die Kleintierpraxis auf dem Land . . . . . . . . 310 Alte Heilmethoden und frühe Heiler . . . . . . 315 Alter Pferdezauber und bäuerliches Heilen von Pferden 315 / Forschung bei den Landlern in Rumänien 317 / Heilende Kräuter 318 / Die alten Bauernärzte – die Viechdoktoren 323 / Wasenmeister und Henker als frühe Vorläufer der Tierärzte – der Dichter von „Stille Nacht, heilige Nacht“ 325 / Die alten Beineinrichter 328 / Das Gewerbe der Sauschneider – Joseph Haydn und die „Acht Sauschneider“ 329 / Das Anbrauchen – Zaubersprüche 332 / Die Medikamente nach dem Krieg 338 / Die Renaissance der alten Heilmittel 339

Die alte Bauernsprache und ihr Verlust . . . 341 Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Landtierarzt und Bauern – Die Jause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Der Tierarzt und die alte Kultur der Bauern – Schwalben, gutes Heu und keine Förderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Der oft fehlende Respekt vor den Nutztieren – Skizzen eines alten Landtierarztes . . . . . . . 362 Die junge Landtierärztin und der alte Landtierarzt – Kritik und Lichtblick . 364

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 14

Vorbemerkung und Dank Als glückliche Fügung empfand ich es, als mich vor einiger Zeit die liebenswürdige Frau Dr. Eva Reinhold-Weisz vom Böhlau Verlag anrief und mich fragte, ob ich nicht auch ein Buch über alte Landtierärzte schreiben wolle, da ja schon ein Buch zu einem ähnlichen Thema, nämlich eines über die alten Landärzte, aus meiner Feder stammt. Sie fügte noch hinzu, Herr Dipl.-Ing. Herman Stokkers von der Firma Boehringer Ingelheim hätte Interesse an einem solchen Buch. Ich sagte sofort zu, da mich dieses Thema seit Langem interessiert. Einige Tage später traf ich Herrn Stokkers im Wiener Café Landtmann. Zwischen uns beiden entwickelte sich nach mehrmaligen Treffen ein freundschaftlicher Kontakt. Herrn Stokkers gefiel es, dass ich mich mit Begeisterung daranmachte, über das Leben der alten Landtierärzte und ihr Wirken zu forschen. Ihm sei ebenso gedankt wie Frau Dr. Eva Reinhold-Weisz; ohne die beiden wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Es war übrigens Herr Stokkers, der die schöne Bezeichnung „Viechdoktor“ im Titel des Buches vorgeschlagen hat. Mit diesem Begriff ist im Sinne des Buches der akademisch ausgebildete Tierarzt gemeint und nicht der alte Laientierarzt, der auch als „Viechdoktor“ bezeichnet wurde. Der alte „Viechdoktor“ war meist selbst Bauer und behandelte aufgrund seiner Erfahrung und des von seinen Vorfahren weitergegebenen Wissens die Tiere. Im Kapitel über alte Heilmethoden werde ich zu diesen alten „Viechdoktoren“, die keine akademische Ausbildung hatten, einiges erzählen. Vorab sei auch meinem lieben Bruder, Herrn Univ.-Prof. Dr. Dietrich Girtler von der Veterinärmedizinischen Universität in Wien, gedankt. Er gab mir einige anregende Hinweise, die meinem Forschen förderlich waren. Auch meiner Schwester Erika, unserer „kleinen Schwester“, möchte ich 15

Vorbemerkung und dank

für ihre Gewogenheit meiner Person gegenüber danken. Uns drei Geschwister verbindet sehr viel. Durch unsere Eltern, die beide Ärzte im Gebirgsdorf Spital am Pyhrn waren, hatten wir schöne Kontakte zu den Bauern und ihren Tieren. Wir sahen, welch große Bedeutung damals in den fünfziger Jahren für die Bauersleute ihre Rösser und Kühe hatten. Unsere Aufgabe als Kinder war, täglich die Milch von einem Bauern zu holen, entweder vom Bacher am Fuße des sogenannten Grundnerkogels oder vom Schmeissl am Haberskogel. Die beiden Kinder vom Schmeissl, Peperl und Traudi, waren unsere Spielkameraden. Wir spielten mit ihnen im Heu und auf den Wiesen des Haberskogels. Ich danke meinen Geschwistern für ihre stete Freundschaft sehr. Zuvor sei auch der Tierärztin Mag. Ulli Gissing und all jenen Tierärzten sowie deren Angehörigen gedankt, die sich auf das Abenteuer eines Gespräches mit mir einließen und die mich mitunter auch auf eine gute Jause einluden. Ihre Namen werden im Text besonders gewürdigt werden. Großer Dank gebührt meiner freundlichen Studentin Frau Nadine Fragner, deren Gespräch mit der Frau eines alten Tierarztes im Waldviertel ich hier einarbeiten konnte. Einen ebensolchen Dank möchte ich Herrn Mag. Florian Spendlingwimmer und Herrn Dr. Gert Andrieu ausdrücken, beide waren dereinst meine Studenten, jeder dieser Herren hat für mich mit je einem Tierarzt gesprochen. Auf ihre Ergebnisse verweise ich in diesem Buch. Ebenso sei meinem Studenten Herrn Christian Hirst für sein spannendes Gespräch mit einem früheren rumänischen Landtierarzt gedankt, woraus ich Aufregendes für dieses Buch übernehmen konnte. Danken möchte ich jenen lieben Leuten, die mir Kontakte zu alten Tierärzten verschafften oder mit mir über diese sprachen. Zu ihnen gehören Herr Diplomtierarzt Mag. Peter Rippel aus Wien, der unsere Dackeline Hera Xanthippe Walburga wunderbar betreut, Herr Alois Almer 16

Vorbemerkung und dank

aus Anger in der Oststeiermark, Frau Eva Bodingbauer aus Molln, Frau Theresia Brugger und ihr Gemahl Meinrad aus Matrei in Osttirol sowie deren Schwiegersohn Herr Diplomtierarzt Mag. Bernd Hradecky, Herr Wolfgang Lehmann aus dem Mühlviertel, Herr Erwin Degelsegger aus Spital am Pyhrn, Herr Dipl.-Ing. Harald Hetzer aus Windischgarsten, Herr Univ.-Doz. Dr. Hans Krawarik, Herr Dipl.-Ing. Otto Obwexer aus Matrei in Osttirol, Herr Prof. Mag. Gottfried Uray aus Irdning und schließlich Frau Edith und Herr Hermann Walder, meine lieben Freunde aus Sillian in Osttirol. Andere Damen und Herren, denen ich einiges im Hinblick auf dieses Buch zu verdanken habe, werden im Text genannt. Besonders sei Herr Dr. Wolfgang Oberhuber aus Kremsmünster bedankt, der sich immerhin die Mühe gemacht hat, das Manuskript durchzusehen und mich auf Unklarheiten aufmerksam zu machen. Ein freundlicher Dank ist außerdem dem Prokuristen Herrn Herbert Wiesbauer auszusprechen, der als Mitarbeiter der Welser Medikamentenfirma Richter viel mit alten Landtierärzten zu tun hatte. Die Firma Richter habe ich seit meiner Kindheit in guter Erinnerung, denn diese Firma belieferte auch meine Eltern, die alten Landärzte, mit Medikamenten. Herbert Wiesbauer erzählte mir Spannendes, er selbst kommt aus einer Familie der Wasenmeister. Danken will ich auch meinem Freund Mag. Christian Dolezel, mit dem mich Forschungserlebnisse in Siebenbürgen verbinden, für Ratschläge, die mir bei der Abfassung dieses Manuskriptes behilflich waren. Der allergrößte Dank gebührt meiner lieben Frau Birgitt, die mir bei der Forschung und bei der Abfassung des Manuskriptes mit guten Ratschlägen zur Seite stand. Sie hat sich viel Mühe gemacht, die ganze Arbeit durchzusehen und mich auf Unstimmigkeiten aufmerksam zu machen. Ich fühle mich ihr sehr verbunden und küsse ihre Hand. 17

Abb. 1: Die Kinder des Landarztes Dr. Roland Girtler und Kutscher bei einem Krankenbesuch 1951

Der Tierarzt und die Bauern – Überlegungen zu Beginn

Der Autor als Sohn eines Landarztehepaares Mit der Tätigkeit von Landtierärzten bin ich seit meiner Kindheit verbunden, schließlich bin ich als Sohn einer Landärztin und eines Landarztes in dem kleinen Gebirgsdorf Spital am Pyhrn im südlichen Oberösterreich inmitten von Kleinbauern, Holzknechten und Wildschützen aufgewachsen. Bauernkinder waren meine Spielgefährten. Spielend lernte ich, wo Hühner im Heu ihre Eier verstecken, wie gutes Heu riecht, wie frisch gepresster Most schmeckt, wie Rösser angeschirrt werden und wie Kühe zu hüten sind. Mir machte es große Freude, auf Wunsch von Herrn Schmeissl, dem Bauern am Haberskogel in Spital am Pyhrn, mich als Kuhhirte zu betätigen. In unserer Gasse gab es in den fünfziger Jahren noch ungefähr sechs Kleinbauern, deren Kühe täglich auf eine Weide getrieben wurden. Ich erlebte also eine alte Bauernkultur in all ihrer Buntheit und auch Härte, die sich ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts allmählich wandelte und die es heute so nicht mehr gibt. Zur Welt der Bauern gehörte auch der Tierarzt. Meine Eltern unterhielten als Ärzte von Spital am Pyhrn guten Kontakt zum Tierarzt Dr. Hetzer aus dem Nachbarort Windischgarsten. Mein Vater hatte allen Respekt vor diesem Tierarzt, der ebenso wie er selbst zu jeder Tages- und Nachtzeit von den Bauern geholt werden konnte, wenn er gebraucht wurde. Beide, der Tierarzt und mein Vater, machten bei den Bauern ihre Krankenbesuche. Bei solchen 19

Der Tierarzt und seine Bauern

begegneten sie sich mitunter. Meine Schwester, mein Bruder und ich begleiteten meinen Vater oft bei seinen Krankenbesuchen zu den hoch gelegenen Bauernhöfen um Spital am Pyhrn. Wir waren noch mit Pferdeschlitten unterwegs. Einmal fiel dieser, der Weg war durch Schnee verweht, um. Dabei verloren wir einen Hustensaft, den mein Vater einer Bäuerin bringen wollte. Das Ross – damals sprach man noch nicht vom Pferd – lief mit dem umgedrehten Schlitten weiter. Wir drei, mein Vater, mein Bruder und ich, steckten im Schnee. Ich war der Erste, der sich befreien konnte, ich lief dem Ross nach und fing es samt Schlitten wieder ein. Ich erinnere mich auch, dass mein Vater einmal von einem Bauern gebeten wurde, ihm beim Kastrieren von jungen Schweinen zu helfen. Mein Vater hängte eine Schürze um und betätigte sich als Sauschneider, wie man früher jene Männer nannte, die Schweine kastrierten. Mein Vater, der Landarzt, hatte also manchmal auch mit Tieren zu tun. Einmal brachte unser Nachbar, der Schmied Willi Lindermayr, der neben der Schmiede auch eine Landwirtschaft besaß, meinem Vater ein kleines Schwein zur Behandlung (dazu siehe Näheres im Kapitel über „Der Menschenarzt als Tierarzt“). Die Schweine unseres Nachbarn führten übrigens ein schönes Leben, sie durften im Freien unweit des Misthaufens umherlaufen. Heute existiert die Schmiede nicht mehr und der dazugehörige Bauernhof mit Stall und Heustadel steht leer.

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Überlegungen zu Beginn

„Weibersterben kann den Bauern nicht verderben, aber Viechverrecken kann den Bauern erschrecken“ Meine Eltern, die als Ärzte bei den Bergbauern hohes Ansehen genossen haben, meinten sogar, dass der Tierarzt für den Bauern oft wichtiger als der Menschenarzt gewesen sei (darüber habe ich in meinem Buch „Landärzte – als Krankenbesuche noch Abenteuer waren“ geschrieben). Meine Mutter, die Ärztin, zitierte dabei gerne lächelnd den Spruch: „Weibersterben kann den Bauern nicht verderben, aber Viechverrecken kann den Bauern erschrecken.“ Danach sei für den Bauern oft die Kuh oder das Pferd von größerer Bedeutung als die Bäuerin, denn Kuh oder Pferd kosteten Geld, aber eine neue Ehefrau würde man billiger erhalten. Tatsächlich ist eine gute Bäuerin Gold wert, denn ohne sie wäre ein gut geführter Bauernhof nicht vorstellbar. Ich habe in meiner Kindheit großartige Bäuerinnen kennengelernt, die sich tüchtig nicht nur um die Kinder kümmerten, sondern auch um die Hühner, die Kühe, den Bauerngarten und die Küche. Die Tiere bei den alten Bauern gehörten zum Hof und zum Leben des Bauern. Die Kühe hatten noch Namen. Wenn der Bauer starb, war es bei manchen Bauern üblich, dass jemand aus der bäuerlichen Familie in den Stall ging, bevor der Tote weggetragen wurde, und den Tod den Tieren mitteilte, die zunächst aufgescheucht wurden und stehend diese Nachricht in Empfang nahmen. Die alten Landtierärzte, auf die sich dieses Buch im Wesentlichen bezieht und mit denen ich gesprochen habe, gehören zu dieser alten bäuerlichen Kultur. Daher, denke ich, ist es angebracht, den Ausführungen ein paar Gedanken zu dieser Kultur voranzustellen. 21

Der Tierarzt und seine Bauern

Die Prinzipien und die Würde der alten Bäuerinnen und Bauern Ganz Europa und vielleicht auch die ganze Welt befinden sich in einem geschichtlich höchst bemerkenswerten Wandel. Ich wage zu behaupten, dass seit der Jungsteinzeit, also seit über 5.000 Jahren, als der Mensch sesshaft und zum Bauern wurde, sich nicht soviel in unseren Breiten verändert hat wie seit dem letzten Weltkrieg. Es waren vor allem die fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in denen bei uns die alte bäuerliche Kultur allmählich zu Ende ging. Die alten Bäuerinnen und Bauern waren Menschen, die hart zu arbeiten wussten, die sich mit der Natur auseinandersetzen mussten, die im Wesentlichen autark waren und die auch ihre besondere Würde hatten. Typisch für diese Bauernkultur, wie ich sie noch erlebt habe, waren drei Prinzipien: Arbeit, Disziplin und Bescheidenheit. Der Untergang der alten bäuerlichen Kultur wird heute bisweilen als schmerzlich empfunden. Schließlich ist mit ihrem Verschwinden auch das Untergehen alten Wissens und einer alten Sprache (!) verbunden. Die früheren, „echten“ Bauern kämpften über tausend Jahre rebellisch für ihre Rechte gegenüber einer sie ausbeutenden Aristokratie, mit Erfolg. Der heutige Bauer orientiert sich am Bürger, wenn er danach strebt, durch Maschinen eine noble Distanz zur körperlichen Arbeit zu bekommen. Ich befinde mich bei dieser Überlegung in Übereinstimmung mit Peter Rosegger, der im Vorwort zu seinem Buch „Jakob der Letzte“ meint, es werde sich zeigen, dass der Weg des Bauern vom Pflug zum Hammer, weiter zum Doktorhut und schließlich zum niederen Adel führe. 22

Überlegungen zu Beginn

Abb. 2: Heuwagen

Der heutige Bauer ist zum Spezialisten und Manager geworden. Dadurch unterscheidet er sich wesentlich von dem alten, dem echten Bauern, der über ein weites Wissen über viele Arten von Vieh und vielerlei Arten von Getreideanbau verfügte und bestmöglich mit der Natur zu leben wusste. Durch die Jahre hindurch kam ich immer wieder mit bäuerlichem Leben in Berührung, so bei meiner Forschung 1969 bei einer bäuerlichen Großfamilie in Kroatien und dann später bei meinen Forschungen in Indien 1972 und 1973, als ich mich in Bauerndörfern Gujarats aufhielt. Schließlich erarbeitete ich in meinen Büchern „Aschenlauge“ und „Sommergetreide“ das bäuerliche Leben, wie es in Österreich bis in die sechziger Jahre hinein existierte. Seit einigen Jahren forsche ich mit liebenswürdigen Studentinnen und Studenten der Wiener Universität bei den sogenannten „Landlern“ in Siebenbürgen, den unter Maria Theresia aus Österreich verbannten evangelischen Bauern. In Siebenbürgen fanden wir noch 23

Der Tierarzt und seine Bauern

echtes Bauerntum. Darüber schrieben wir das Buch „Das letzte Lied vor Hermannstadt – Das Verklingen einer deutschen Bauernkultur in Rumänien“ (Wien 2007). Der moderne Bauer wird gefördert durch den Staat und die EU. Er, der seine Produkte verkaufen will, unterscheidet sich wesentlich vom echten Bauern, wie ich ihn z. B. in Siebenbürgen kennenlernte. Auch der sogenannte Bio-Bauer, der hoch zu loben ist, hat mit den alten Bauern nur wenig zu tun. Schließlich ist er vorrangig auf den Markt hin orientiert und grundsätzlich auch ein Spezialist, wie es der alte Bauer nie war. Die alten Tierärzte spüren diesen Wandel der bäuerlichen Kultur, wie noch zu sehen sein wird, gerade in ihren Beziehungen zu den Bauern. Der frühere, fast autarke Bauer ist zum Fleischlieferanten, zum Biobauern oder zum hoch achtbaren Landschaftspfleger geworden. Er ist dabei in Abhängigkeit großer Verbände geraten und diese Abhängigkeit wird immer schmerzlicher. Heute hat es der Bauer schwer zu überleben. Viele alte Bauern gaben die Landwirtschaft auf, weil sie mit dem Schritt in eine Zukunft des Spezialistentums nicht mehr mithalten konnten oder auch nicht wollten. Das schmerzt auch den Tierarzt, denn damit ging auch die Tierhaltung zurück. Der heutige Bauer ist auf den Markt hin orientiert. Es geht ihm nicht um die Autarkie, um die Selbstversorgung, sondern um den Gewinn. Im Rahmen der EU entstand etwas vollkommen Widersinniges zur alten bäuerlichen Kultur. Der Bauer wurde zum Empfänger von Förderungen, um überhaupt existieren und im Wettbewerb bestehen zu können. Gäbe es diverse Stützungen und Förderungen nicht, so wäre es günstiger und billiger, z. B. die Milch aus Holland zu beziehen, als sie selbst zu erzeugen. 24

Überlegungen zu Beginn

Die neue bäuerliche Kultur brachte wohl Geld und Bequemlichkeiten, aber auch große Probleme. Mit ihr ist eine besondere Tragik des Viehs verbunden, die sich u. a. dadurch zeigt, dass heute Kälber, zusammengepfercht in Lastwägen, in ferne Länder gebracht werden, weil dort eventuell das Schlachten billiger ist. Eine ehemalige Bäuerin meinte dazu: „Diese Viehtransporte kann man sich nicht anschauen. Diese Viecher sind wirklich arm. Das ist Tierquälerei. Was die Tiere mitmachen, bis sie zum Beispiel nach Spanien gelangen, ist furchtbar. Früher waren die Tiere besser dran.“ Auch alte Tierärzte leiden unter der Missachtung des Tieres. Eine Missachtung der Kühe erblicken sie auch darin, dass diese zu reinen Milch- und Kälberproduzentinnen wurden. Die heutige sogenannte Rationalität bäuerlichen Wirtschaftens nimmt dem Tier die Würde. Dies zeigt sich schon darin, dass der Mutterkuh, nach dem Willen der Molkerei, das Kalb direkt nach der Geburt weggenommen wird, um von nun an auf mehr oder weniger engem Platz mit Milch und speziellen künstlichen Flüssigkeiten gefüttert zu werden. Besonders traurig sieht es mit der massenhaften Züchtung von Schweinen und Hühnern aus. Der heutige, auf den Markt ausgerichtete Bauer unterscheidet sich damit wesentlich von dem früheren autarken Bauern, dessen Arbeit zwar hart war, auf dessen Hof aber Hühner, ein paar Schweine und Kühe gehalten wurden, und der sich mit der Erntearbeit auskannte. Ein Bauer dieser Art kann auch in Krisenzeiten überleben, ähnlich wie die Bauern in Siebenbürgen, die es bald auch nicht mehr geben wird. In meinen Büchern „Aschenlauge“ und „Sommergetreide“ habe ich versucht zu zeigen, wie die alte bäuerliche Kultur aussah, durch welche Härten sie geprägt war, wie die Menschen lebten, wie ihre Beziehung zur Natur war und wie sie in Krisenzeiten zu überleben 25

Der Tierarzt und seine Bauern

wussten. Die alte bäuerliche Welt war eine höchst bunte. Die alten Bäuerinnen und Bauern, wie ich sie noch kennengelernt habe, waren Menschen, die hart arbeiteten, sich nicht so leicht irgendwelchen Zwängen unterordneten, sich mit den Unbilden der Natur auseinandersetzten und die schließlich ihre besondere Würde hatten. Diese Würde zeigte sich darin, dass Bäuerin und Bauer eine gewisse stolze Selbständigkeit hatten und sich nicht scheuten, dort anzupacken, wo es notwendig war. Vor allem beugten sich die alten Bäuerinnen und Bauern nicht ohne Weiteres der politischen Macht. Davon zeugen die Bauernkriege des 16. und 17. Jahrhunderts, als die Bauern gegen die Demütigung und Erniedrigung durch die katholischen Regierenden kämpften. Man hat die Bauern furchtbar behandelt und sie sogar vertrieben. Die Bauern in Mitteleuropa hatten also lange ihre Kultur bewahrt und vieles überstanden. Nicht überstanden haben sie jedoch die sogenannte Modernisierung und Globalisierung. Der Bauer war gezwungen, Manager, Unternehmer und Spezialist zu werden. Im Netz der Globalisierung kann es den Bauern im alten Sinn nicht mehr geben. Durch die internationalen Vernetzungen ist der Bauer krisenanfällig geworden. Kommt es zum Beispiel hinsichtlich einer Tierkrankheit zu Problemen, so sind weite Teile der sogenannten Bauernschaft betroffen, wie es die sogenannte BSE-Krise zeigte, als Tiere zu Tausenden verbrannt wurden. Die Massentierhaltung ist ein Symbol dieser Entwicklung. Durch die moderne Entwicklung hat der kleine Bauer aufgehört zu existieren. All dies nimmt der klassische Tierarzt mit Bedauern wahr.

26

Überlegungen zu Beginn

Abb. 3: Die beiden Tierärzte Gernot und Volker Werner-Tutschku und ich bei meiner Forschung

Methode und Zugänge Methodisch bediente ich mich bei meiner Forschung für dieses Buch des freien Gesprächs, das ich als ero-episches bezeichnet habe, womit ich ausdrücken will, dass beide, Forscher und „Gewährsperson“, sich in das Gespräch einbringen. Auch der Forscher erzählt von sich. Er zwingt sich also dem Gesprächspartner nicht auf. Der Forscher hat keinen festen Fragenkatalog, nach dem er vorgeht. Die Fragen ergeben sich aus dem Gespräch (siehe dazu: Roland Girtler: Methoden der Feldforschung. Wien 2001). Es sind die Prinzipien des gegenseitigen Lernens: Beide bringen sich ein und lernen von einander, und der Offenheit, wonach so lange geforscht wird, bis der Forscher zur Überzeugung gelangt, dass er über die betreffende Welt genug weiß und die Ergebnisse sich wie27

Der Tierarzt und seine Bauern

derholen. So war es auch bei der vorliegenden Studie. Ich verstehe meine Gespräche im Sinne Rousseaus, der in seinen „Bekenntnissen“ dies schreibt: „Sobald man einen Menschen ausfragt, beginnt er schon auf seiner Hut zu sein, und wenn er gar glaubt, man wolle ihn zum Schwatzen bringen, ohne wirklich Teilnahme für ihn zu empfinden, so lügt er oder schweigt oder verdoppelt seine Vorsicht und will lieber für einen Dummkopf gelten, als zum Narren fremder Neugierde werden. „Jedenfalls gibt es keinen schlechteren Weg, in den Herzen anderer zu lesen, als den Versuch, das seine dabei verschlossen zu halten.“ (Jean Jacques Rosseau: Bekenntnisse. Übers. v. Ernst Hardt. Mit einer Einführung von Werner Krauss. 8. Aufl. Frankfurt a. M. 2007.) Im Wort Methode stecken übrigens die beiden griechischen Wörter meta und hodos, meta für dorthin und hodos für Weg. Die Methode ist also der Weg, um zu einem Ziel zu gelangen. Meine Methode ist also das freie Gespräch und auch die Beobachtung. Der Weg bedeutet auch, dass ich den Großteil der Gespräche mir erwandert oder erradelt habe. Ich suchte die meisten meiner Gesprächspartner zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf, zu den anderen fuhr ich mit dem Zug. Den Kontakt zu alten Landtierärzten, von denen ich hoffte, dass sie mir aus ihrem Leben und von ihrer Arbeit erzählen, erhielt ich, wie einleitend schon erwähnt, durch Bekannte und Freunde. Einige der Tierärzte traf ich dann zum Gespräch in einem Kaffeehaus oder in einem Gasthaus. Zu ihnen gehören Herr Tierarzt Forster, Herr Dr. Sommerer und der Bauerntierarzt Herr Staudinger. Im Kaffeehaus Kemetmüller von Spital am Pyhrn traf ich meinen Freund Mag. Gottfried Uray, von dem ich einiges über seinen Vater, den Tierarzt von Irdning, erfuhr. 28

Überlegungen zu Beginn

Abb. 4: Bauer mit Prachtkuh, um 1950

Zu Herrn Dr. Langgartner marschierte ich zu Fuß ca. sieben Kilometer von Spital am Pyhrn nach Windischgarsten und mit dem Fahrrad suchte ich Herrn Dr. Orator auf, der ebenfalls in Windischgarsten wohnt. Ein schönes Gespräch führte ich am 5. 12. 2008 mit Herrn Meinrad Brugger, dem Ehemann der Seniorwirtin des Hotels Hinteregger in Matrei in Osttirol. Über dieses Gespräch hielt ich in meinem Forschungstagebuch fest: „Es ist der 5. Dezember 2008, ich sitze im Hotel Hinteregger in Matrei und spreche mit Meinrad Brugger, dem Mann Theresias, der alten Wirtin. Heute am Abend geht es bereits wegen der Klaubaufs, wie man hier die Krampusse nennt, wild zu. Noch ist es ruhig. Wir sitzen beim Tisch im Vorraum, in der Nähe der Küche und direkt beim Stiegenaufgang zu den alten Zimmern des Hotels. Bei uns sitzt auch Bernd Hradecky, 29

Der Tierarzt und seine Bauern

der junge Tierarzt und Ehemann der jungen Wirtin Katharina, der in Lienz eine Kleintierpraxis hat, die sich eines guten Zulaufs erfreut. Er hat aber auch mit Großtieren zu tun. Meinrad Brugger, auch er ist im Jahr 1941 zur Welt gekommen, war bis jetzt Bauer, der sich um das Vieh und das Gemüse für das Hotel kümmerte. Er kennt die alte Bauernkultur von Kindheit an. Meinrad erzählt zum Teil Heiteres aus dem Leben der alten Bergbauern und über ihre Kontakte zu den alten Landtierärzten. Zwei Tage später treffe ich im Gasthaus zur Post meine alten Freunde Edith und Hermann Walder aus Sillian, die mich besuchen kamen, um mich über alte Heilmethoden bei den Tieren zu unterrichten. Auch von den beiden erfahre ich Wichtiges über die alten Landtierärzte und dem Umgang mit dem Vieh.“

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Aus dem Leben von Tierärzten

Die Lebensläufe, die ich nun behandeln will, erscheinen mir charakteristisch für das bunte Leben der alten Tierärzte. Der Darstellung der Lebensläufe geht jeweils ein Bericht voran, wie ich mit diesen Herren in Kontakt gekommen bin und wie sich der Besuch für das jeweilige Gespräch abspielte. Dadurch soll im Leser Verständnis für meine Art des Forschens und für die Welt, in der die alten Tierärzte eingebunden waren, erweckt werden. Allen diesen Tierärzten scheint gemeinsam zu sein, dass sie in ihrer Jugend oder auch schon in der Kindheit Interesse zum Tier entwickelten. Die hier dargelegten Lebensläufe beruhen auf Gesprächen, die ich mit den betreffenden Tierärzten oder ihren Verwandten geführt habe. In diesen Lebensläufen sind jene Bereiche, die sich auf spezielle Kapitel, wie Geburten, Besamung, Operationen und Ähnliches beziehen, nicht enthalten. Sie sind, darum bitte ich, in den betreffenden Kapiteln nachzulesen.

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aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Der Tierarzt mit der durchlöcherten Feldflasche – der Freund von Wildschützen Dr. Hubert Obwexer aus Matrei in Osttirol Während der sogenannten „Matreier Gespräche“ im Dezember 2008, an denen ich seit einigen Jahren im Hotel Hinteregger in Matrei in Osttirol jeweils teilnehme, erzählte ich der lieben Frau Theresia Brugger, der Seniorchefin des Hotels, von meinem Interesse an den alten Landtierärzten. Ich fragte, ob sie hier einen solchen Tierarzt kenne. Sie machte mich auf Herrn Dipl.-Ing. Otto Obwexer aufmerksam, der zwar kein Tierarzt sei, aber dessen Vater hier vor dem letzten Krieg bis in die fünfziger Jahre Tierarzt gewesen sei. Der Sohn könne mir sicher Interessantes aus dessen Leben erzählen. Die nette Frau Brugger, der ich zu großem Dank verpflichtet bin, rief nun Herrn Obwexer an und fragte ihn, ob er Zeit für ein solches Gespräch mit mir hätte. Herr Obwexer ließ mir mitteilen, er werde am Nachmittag des 6. Dezember 2008 in seinem Haus in Matrei auf mich warten. Es ist ein schöner Wintertag, als ich vor dem Haus des Herrn Dipl.-Ing. Obwexer stehe. Ein älterer Mann und eine ältere Frau kommen auch gerade zum Haus. Ich stelle mich ihnen vor, sie wissen bereits von mir. Die Dame ist die Schwester von Herrn Obwexer. Dieser wartet auf uns in der schönen Stube des Hauses, deren Wände mit Zirbenholz getäfelt sind. An den Wänden fallen mir alte Bilder auf und die gerahmte Promotionsurkunde der Wiener Tierärztlichen Hochschule des Vaters von Herrn Obwexer. Ein prachtvoller, alter Schreibtisch gibt dem Raum eine besondere Würde. Ein Gewehrschrank mit einigen Gewehren deutet an, dass der Hausherr ein aktiver 32

der Tierarzt mit der durchlöcherten feldflasche

Abb. 5: Die durchlöcherte Feldflasche des Tierarztes aus dem Ersten Weltkrieg

Jäger war. Ich werde zu einem Tee eingeladen. Der „junge“ Herr Obwexer ist auch nicht mehr der Jüngste, er ist achtundachtzig Jahre alt. Er hat Forstwirtschaft in Wien studiert. Seine Frau, seine Schwester und ihr Mann sitzen beim Gespräch dabei. Ich weise auf den Gewehrschrank und meine lächelnd, dass Herr Dipl.-Ing. Obwexer wohl ein guter Jäger und vielleicht sogar einmal ein fescher Wildschütz gewesen sei. Die Damen lächeln über diese Bemerkung. Ich füge noch hinzu, dass ich Sympathien für die echten alten Wildschützen habe, schließlich habe ich ein ganzes Buch über sie geschrieben. Herr Obwexer meint scherzend: „Gott sei Dank haben Sie noch nichts von mir gewusst.“ Dann erzählt er: „Ich bin jetzt im 89. Lebensjahr. Ich war bei der Landesforstinspektion. Mein Vater, der Tierarzt, hat Doktor Hubert Obwexer geheißen. Geboren wurde er am 30. Jänner 1889 in Brixen, in Wien hat er 33

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

studiert. Der Vater meines Vaters war der Besitzer vom Gasthof Obwexer hier in Matrei. Mein Vater und auch mein Großvater sind in Brixen geboren. Mein Großvater ist hierher nach Matrei gekommen, denn er hat das Gasthaus und die Landwirtschaft hier im Ort geerbt.“

Veterinärassistent bei der berittenen Gebirgsartillerie im ersten Weltkrieg „Während des Ersten Weltkrieges war mein Vater Veterinärassistent bei der berittenen Gebirgsartillerie. Er hat das große goldene Verdienstkreuz, das kleine goldene Verdienstkreuz, die bronzene Tapferkeitsmedaille und ich glaube, er hat auch noch das KarlTruppenkreuz gehabt.“ Nun holt Herr Obwexer eine blecherne Feldflasche, die sein Vater als Soldat im Ersten Weltkrieg bei sich getragen hatte. Die Feldflasche weist ein Loch auf. Es stammt, wie Herr Obwexer erklärt, von einer feindlichen Gewehrkugel, die die andere Wand der Feldflasche nicht durchschlagen hat und sich daher noch immer in dieser befindet. Wenn man die Feldflasche schüttelt, hört man das Klappern der Kugel. Ich fotografiere diese durchlöcherte, lebensrettende Feldflasche. Herr Obwexer erzählt dazu weiter: „Diese Flasche hat meinem Vater das Leben gerettet, die Kugel ist noch immer drinnen. Wenn die Kugel nicht in der Feldflasche wäre, hätte sie den Vater getroffen. Das Pferd war tot, aber nicht von dieser Kugel, sondern von einer anderen. Dem Pferd konnte er nicht mehr helfen. Die Pferde waren seine Lieblingstiere. Diese Liebe zu den Pferden wird auch der Grund gewesen sein, warum mein Vater Veterinärmedizin studiert hat. Er hat nach dem Ersten Weltkrieg 1919 promoviert.“ Die Promotionsurkunde von Herrn 34

der Tierarzt mit der durchlöcherten feldflasche

Dr. Obwexer, die am 1. Juli 1919 ausgestellt worden ist, hängt an der getäfelten Wand neben einem Gamskrickerl im Wohnzimmer der Obwexers. Ich schau sie mir an.

Tierarzt in Osttirol – die Wildschützen Herr Obwexer erzählt weiter: „Mein Vater war der erste akademische Tierarzt in Matrei. Er war dies von 1919 bis zu seinem Tod im Jahre 1955. Er war Sprengeltierarzt für die Gemeinden Matrei, Virgen, Prägraten, Kals, Hopfgarten, St. Jakob und St. Johann. Mein Vater war Spezialist in Geburtshilfe. Deswegen haben ihn sogar Bauern aus Oberkärnten geholt, vor allem wegen der wertvollen Pferde. Natürlich auch wegen der Kühe. Kleintiere hat er nicht behandelt. Hunde und Katzen waren damals nicht viel wert, im Gegensatz zu heute. Für Kleintiere hat der Vater nichts übrig gehabt, höchstens hat er Hunde gegen Staupe geimpft, er hat ja auch einen Jagdhund besessen. Bis in die sechziger Jahre hinein gab es in Matrei noch einen Viehmarkt mit Rindern, Schafen und wohl auch Pferden. Mein Vater hatte da genug zu tun. Man wollte ihn zum Amtstierarzt mit Sitz in Lienz machen, aber er wollte dies nicht. Er hat immer gesagt: Ich bleibe am liebsten in Matrei. Amtstierarzt wurde ein gewisser Doktor Jäger, er war Burschenschafter. Mein Vater war bei einer katholischen Studentenverbindung, nämlich beim CV. Beide, mein Vater und der Doktor Jäger, haben sich einmalig gut verstanden. Ich selbst war kein Couleurstudent. Nach sieben Jahren Krieg habe ich kein Interesse mehr daran gehabt, in irgendeine Verbindung zu gehen. Damals, vor dem Krieg, gab es eine allgemeine Agrarkrise. Das war ja die Ursache, warum der Hitler so einen Zulauf hatte. Wären die Zeiten besser gewesen, wäre kein Hitler gekommen. 35

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Mit den Bauern hat sich mein Vater sehr gut vertragen. Hie und da hat er mit einem auch Karten gespielt, überhaupt wenn ein Jäger dabei war, da mein Vater auch Jäger war. Wenn sie ihn als Tierarzt gebraucht haben, sind sie zu ihm gekommen. Aber Geld haben sie nicht viel gehabt. Ein Geschäft hat mein Vater mit ihnen nicht gemacht. Gewohnt hat der Vater im heutigen Gemeindehaus, die Ordination war auch dort, ebenso die Hausapotheke. Wenn mein Vater Ordination gehabt hat, ist der Gewehrständer im Eck gestanden. Da sind einmal zwei Bauernbuben gekommen, um eine Medizin für die Kühe zu holen. Beide sind ehrfürchtig bei den Gewehren gestanden und haben geschaut. Da hat der Vater den einen gefragt: ‚Ist dein Vater auch ein Jager?‘ Der Bub hat gesagt: ‚Mein Vater ist nur ein Wilderer.‘ Dann hat er den anderen Buben gefragt: ‚Ist dein Vater ein Jäger?‘ Der hat geantwortet: ‚Mein Vater ist auch nur ein Wilderer.‘ Der Vater hat uns das erzählt, hat uns aber nie gesagt, wer diese Buben waren. Er hat gesagt: ‚Man kann die kindliche Einfalt nicht missbrauchen.‘ Er hat also niemanden verraten.“ Ich werfe ein: „Der Vater war ein hochanständiger Mensch!“ Die Schwester von Herrn Obwexer fügt hinzu: „Ja! Das war er. Damals in den dreißiger Jahren, in der schlechten Zeit, hat er in den Nächten die ersten Nazis von Matrei gesehen, wie sie geheim Plakate an die Häuser geklebt haben. Solche Aktionen hat der Vater oft gesehen. Er hat aber gesagt, er zeige keinen Menschen an. Auch diese Leute hätten eine Familie daheim. Er würde es nicht über das Herz bringen, diese Burschen anzuzeigen.“ Herr Obwexer erzählt nun weiter: „Als er gestorben ist, haben die Altnazis gesagt: ‚Uns hat der Hubert nichts getan, wir haben ihm dann auch nichts getan.‘ Während des Zweiten Weltkrieges war der Vater als Tierarzt freigestellt. Er war nie Mitglied der NSDAP. Der Blockleiter, der 36

der Tierarzt mit der durchlöcherten feldflasche

R. Sepp, ist gekommen und hat gesagt: ‚Hubert, willst du nicht zur Partei gehen?‘ Darauf hat der Vater immer geantwortet: ‚Das muss ich mir noch gut überlegen.‘ Das hat er so lange gesagt, bis der Krieg aus war. So musste er nie zur Partei gehen. Die Arbeit meines Vaters als Tierarzt war sehr schwierig. Er war ein guter Mensch und echter Christ, er war kein Taktiker. So konnte es sein, dass er von armen Bauern nichts verlangt hat. [Darauf wird in einem späteren Kapitel noch einzugehen sein.] Die heutigen Tierärzte und Ärzte haben alle keine Ahnung davon. Wie gesagt, er hatte einen netten Kollegen, den Herrn Doktor Jäger, mit dem er sich bestens verstanden hat. Er war ein super Mensch, viel besser als viele andere. Der hat wirklich Charakter gehabt. Der Herr Doktor Ortner dagegen hat mehr auf seinen Geldbeutel geschaut. Doktor Ortner war jünger, der hat geschaut, dass er die Impfungen macht, das war für ihn ein sicheres Geld. Die Impfungen hat er nicht mehr ausgelassen, das Recht dazu hat er als Ortstierarzt gehabt. Aber der Doktor Wilhelm Jäger hat ein Herz gehabt.“ Der Tierarzt Dr. Hubert Obwexer war beliebt bei den Bauern – darüber wird noch an anderer Stelle zu schreiben sein. Ich trinke meinen Tee aus, plaudere noch mit Herrn Dipl.-Ing. Obwexer und seinen Verwandten über das Leben auf dem Land und die alte Kultur der Bauern, die sich allmählich total verändert hat. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch. Herr Dipl.-Ing. Obwexer meint noch: „Es hat uns sehr gefreut, dass Sie hier waren.“ Ich verabschiede mich herzlich, ich habe mit lieben Menschen gesprochen. Ich wandere noch zum Lukasserkreuz über St. Nikola, ehe ich mich dem nächtlichen Treiben der Klaubaufs, der teuflischen Gesellen des 6. Dezember, für die Matrei berühmt ist, aussetze. 37

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Der Tierarzt im Gebirge – als Universitätsprofessor unter Bauern Dr. Franz Krawarik in Vorderstoder Mit unserer Dackeldame Hera wandere ich am Nachmittag des 1. Jänner 2009 von Spital am Pyhrn über Oberweng nach Windischgarsten. Im dortigen Braugasthof treffe ich, wie vereinbart, meinen alten Freund Professor Dr. Hans Krawarik, einen großartigen Historiker, mit seiner Frau Christine. Meine liebe Frau Birgitt ist mit dem Auto hierher gekommen. Dieses Treffen hat Tradition, denn seit einigen Jahren kommen wir zu Neujahr in einem Gasthaus in Windischgarsten zusammen. So auch heute. Hans Krawarik hat mir viel über seinen Vater Dr. Franz Krawarik erzählt, der nach dem Krieg Arzt in Vorderstoder gewesen ist. Seine Erlebnisse hat Dr. Krawarik in einer schönen und lebendigen Sprache niedergeschrieben. Es würde sich lohnen, diesen Erlebnisbericht zu veröffentlichen. Hans hat für mich diese Aufzeichnungen seines Vaters, die sich auf sein Leben als Tierarzt in den Bergen beziehen, kopiert und mir zugeschickt. Ich werde mir im Folgenden gestatten, zwischen den Erzählungen von Hans Passagen aus der Niederschrift seines Vaters einzufügen. Hans erzählt bei einem guten Glas Rotwein aus dem Leben seines Vaters und seiner Familie: „… Mein Vater, Doktor Franz Krawarik, war Professor für Histologie an der Tierärztlichen Hochschule in Wien. Geboren wurde er 1903. Geheiratet hat er 1933. Wir waren drei Söhne. Er war im Krieg. Während der letzten zwei Kriegsjahre war er in Hollabrunn stationiert.“

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der Tierarzt im Gebirge

Tierarzt in der Veterinärkompanie der 44. Infanteriedivision „Vorher war er in der Veterinärkompanie der 44. Infanteriedivision, er gehörte zum Stab. Er war als Soldat schon in Richtung Stalingrad, wurde aber nach Hause geschickt, weil er ein Ekzem an den Händen bekommen hat. Er kam auf den Semmering, um die Ekzeme auszuheilen. Während er am Semmering war, ist die Stalingrad-Armee eingeschlossen worden. Daher kam er nach seiner Genesung nicht mehr in den Osten. Vom Semmering kam er nach Hollabrunn in die Veterinärersatzabteilung. Drei Tage in der Woche war er für die tierärztliche Hochschule abgestellt und drei Tage für diese Abteilung in Hollabrunn. Das ging so bis Anfang 1945. Dann wurde er mit seiner Einheit vor den heranrückenden Russen nach Oberösterreich verlegt. Er wollte, dass seine Familie mitkommt, ebenso wie andere Offiziere. Man hat ihnen gesagt, für die Familien dürften sie kein funktionsfähiges Fahrzeug verwenden. Sie haben nun einen ausrangierten Lastwagen an einen Jeep gehängt. Die Offiziere saßen vorne im Jeep und hinten im Lastwagen saßen drei Familien mit vielen Kindern, darunter auch ich. So sind wir durch das brennende Krems gefahren, es war gerade ein Bombenangriff. Wir sind nach Pettenbach gefahren, wo die Einheit stationiert wurde. Die letzten zwei Tage, bevor die Amerikaner kamen, hat der Divisionskommandeur gesagt, die Einheit ist sich nun selbst überlassen. Die Leute haben in den Vierkanthöfen übernachtet. Am Tag, bevor die Amerikaner herangerückt sind, war mitten in der Nacht ein Sturmgepolter. Dies war ungarische SS, die hier übernachten wollte, sie wollten über den Pyhrnpass. Mein Vater hat sie, unter Lebensgefahr, nicht in den Vierkanthof hineingelassen. Er hat gesagt: ‚Es ist voll besetzt.‘ Sie haben dann davon abgelassen und sind woandershin gegangen. Das war auch 39

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gut so, denn am nächsten Tag sah man schon die Staubwolken der Amerikaner. Mein Vater hat seinen Leuten gesagt, jeder sei sich selbst überlassen. Das war noch vor dem Waffenstillstand, es war gefährlich. Auf diesem Bauernhof sind wir zwei Jahre geblieben.“

Die Besamungsstation in Pettenbach „Mein Vater arbeitete bereits in der Besamungsstation in Pettenbach. Dort war 1944 die erste künstliche Rinderbesamungsstation im süddeutschen Raum, auf Wunsch des Reichsveterinäramtes, eingerichtet worden. Das war etwas Neues, in Hamburg gab es so etwas bereits. In Pettenbach wurde diese Station versuchsweise eingerichtet. Mein Vater hat dem dortigen Tierarzt assistiert. Er hat viel gelernt dabei für seine spätere Tätigkeit. Diese Besamungsstation wurde in Pettenbach eingerichtet, denn während des Krieges gab es in Oberösterreich viele Rinderseuchen. Zwei Jahre blieben wir in Pettenbach auf einem Bauernhof. 1947 wurde im Stodertal ein Tierarztposten frei. Es hat ein Gebirgspraktiker gefehlt. Meinem Vater wurde dieser Posten von Amtstierarzt Doktor Ramm angeboten. In Vorderstoder zu praktizieren war meinem Vater lieber als in Hinterstoder, da es in Vorderstoder mehr Vieh gab und das Klima während des Winters angenehmer ist. Eine Rückkehr nach Wien war für meinen Vater nicht mehr möglich, so nahm er das Angebot an. Die Familie musste ja ernährt werden. In Vorderstoder haben wir im ersten Stock des Gemeindehauses gewohnt. Drei Jahre lang hat mein Vater dort in Stoder die Gebirgspraxis ausgeübt. Bis nach Windischgarsten und Spital am Pyhrn kam er mit seiner Tätigkeit als Tierarzt. In seinen ‚Erinnerungen‘ hat er viele Geschichterln mit der Schreibmaschine niedergeschrieben.“ 40

der Tierarzt im Gebirge

Bei den Bauern in Vorderstoder Ich will hier aus den „Erinnerungen“ von Tierarzt Dr. Franz Krawarik einige Passagen einfügen, sie ergänzen gut die Schilderungen seines Sohnes. Über den Beginn seiner Tätigkeit als Tierarzt in Vorderstoder schreibt Dr. Krawarik: „Wie vorgesehen, mietete ich ab 1. Jänner 1947 beim Steinerwirt in Vorderstoder ein Eckzimmer im ersten Stock. Am Haus brachte ich meine Tafel als praktischer Tierarzt an und so begann meine Tätigkeit im Gebirge. Die nun folgenden drei Jahre führten zu derart einschneidenden Veränderungen in meinem Leben, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Die Änderungen waren durch die schroffen Gegensätze zwischen meinem früheren und dem nunmehrigen Leben bestimmt. Ich war ein Kind der Großstadt, in der ich sechsunddreißig Jahre verbracht habe, nun mußte ich auf einmal mitten in den Bergen mein Dasein einrichten. An der Hochschule hatte ich der theoretischen Wissenschaft gedient, hier war ich der Alleinpraktiker, der durch Taten beweisen mußte, was die Wissenschaft erklügelte … Vor meinen Fenstern im Steinerwirtshaus, welches das östliche Ortsende bildete, lag die westwärts führende Dorfstraße mit dem Zentrum des winzigen Örtchens, welches im wesentlichen nur aus Gemeindehaus und Schule, Kirche und Pfarrhaus sowie aus zwei Gasthäusern bestand … Beim Steinerwirt war ich aufs beste untergebracht und versorgt, es gab auch ein Telefon und damit war die Verbindung mit der Außenwelt gesichert. Die Hauptperson im Gasthof war die junge, liebe und tüchtige Wirtin Xaverl, welche mich bald fürsorglich und bevorzugt betreute. Am Sonntagvormittag nach der Messe trafen sich beim Steinerwirt die meisten Bauern und hatten die Gelegenheit, mir ihre Sorgen und Wünsche anzuvertrauen …“ 41

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Herr Dr. Krawarik war die erste Zeit zu Fuß unterwegs. Bei einem dieser Fußmärsche lernte er eine interessante Dame kennen: „Es war noch Hochwinter bei klirrendem Frost und hoher Schneelage, da machte ich die Bekanntschaft mit einer Gutsbesitzerin, Frau Schröckenfux, Gattin des letzten Hammerherrn vom Sensenwerk Roßleithen. Mit einem Rucksack auf dem Buckel war ich zu Fuß in Richtung Windischgarsten unterwegs. Hinter mir hörte ich einen Pferdeschlitten kommen, ich winkte und bat, mitgenommen zu werden. Im Fond saßen zwei Damen, ich stellte mich vor und konnte neben dem Kutscher Platz nehmen. Später hatte ich noch oft bei Schröckenfux auf ihrer Landwirtschaft Glöcklgut und in ihrer Herrschaftsvilla zu tun. Mit der Zeit entwickelte sich eine schöne familiäre Freundschaft, die Jahrzehnte überdauerte.“ Herr Dr. Krawarik, der späterhin mit Fahrrad, Motorrad und Auto unterwegs war, wanderte die erste Zeit vor allem im Winter sehr weit zu Fuß, bis nach Spital am Pyhrn. Die Fußmärsche wurden für ihn geradezu zu philosophischen Unternehmungen. Darüber und über seine Fahrzeuge wird in einem eigenen Kapitel zu berichten sein. Wenig Erfreuliches weiß Tierarzt Krawarik über seinen Kollegen in Windischgarsten zu berichten: „Mein Nachbarkollege in Windischgarsten hieß Frisch, ein schon älterer Tierarzt, er war nicht sehr angenehm und wenig beliebt. Die Ursachen hiefür lagen nach übereinstimmenden Mitteilungen der Bauern darin, dass er seine Monopolstellung missbrauchte und auch fachlich nicht den Erwartungen entsprach. Es gehörte sich jedoch, dass ich einen Antrittsbesuch machte. Der Empfang war höflich, aber kühl, als ich ihn fragte, ob er mir im Bedarfsfalle selten benötigte Instrumente, die käuflich nicht so einfach zu bekommen waren, leihen wolle, lehnte er mit Ausreden ab. Ich konnte begreifen, dass er über mein 42

der Tierarzt im Gebirge

Auftauchen in seinem Riesenrevier keine Freude hatte, doch seine spürbare Unkollegialität und Unzugänglichkeit bestätigten die ungünstigen Aussagen der Bevölkerung über ihn. Mein erster Besuch blieb auch der letzte, ich sah ihn lebend nicht wieder …“ Die erste Zeit als Tierarzt in Vorderstoder lebte Dr. Krawarik allein, ohne seine Familie, die noch in Pettenbach wohnte. Bald jedoch holte er sie nach Vorderstoder, wie er schreibt: „Als der Schnee zerrann und die Sonne immer höher stieg, hatte sich he­ rausgestellt, dass ich genug Arbeit und Verdienst hatte, um meine Familie nachkommen zu lassen. Am 31. Mai zogen meine Lieben einstweilen ebenfalls in ein Zimmer beim Steinerwirt im ersten Stock, da die versprochene Wohnung im Gemeindehaus erst im August frei werden sollte.“ Als die Gemeindewohnung endlich bezogen werden konnte, freute sich Dr. Krawarik: „Inzwischen war die versprochene Wohnung im ersten Stock des Gemeindehauses frei geworden und wir konnten einziehen. Wie glücklich waren wir! Nun hatten wir drei Räume; ein sehr großes Zimmer mit drei Fenstern, eine schöne Küche und anschließend ein kleines Zimmer, das durch einen zweiten Eingang von außen erreichbar war. Dieses Zimmer wurde mein Dienst- und Schlafraum, in welchem bald ein eigenes Telefon (!) klingelte. Alle Räume lagen südseitig mit dem Ausblick auf das Warscheneck, links sahen wir den Pyhrgas, oft im Abendrot glühen. Wir hatten die schönste Wohnung im schönen Gemeindehaus erhalten und waren dem Bürgermeister sehr dankbar … Wir hatten wieder ein bescheidenes, gemüt­ liches Heim, die vertrauten Möbel waren um uns.“ Herr Dr. Krawarik schreibt in liebenswürdiger Weise weiter über das neue Leben, das er und seine Familie nun führen konnten: Er ist glücklich, in einer Gebirgswelt zu leben, die ihm gefällt und deren Menschen ihn achten. Obwohl sie als Flüchtlinge 43

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gekommen waren, hatte man sie schnell in die Dorfgemeinschaft aufgenommen: „Die Menschen in Vorderstoder waren freundlich und entgegenkommend, wir lebten nicht mehr als geduldete Flüchtlinge. Ich war in geachteter Stellung und ein gesuchter Tierarzt. Wesentlich zu unserem Wohlbefinden trug die herrliche Natur bei, die uns überall unverfälscht umgab. Der Lauf der Sonne wurde auch für uns zur Richtschnur des Tagesablaufes und die Glocken der, unserer Wohnung gegenüber liegenden, Kirche sowie die Kuhglocken waren die einzigen Töne, welche im stillen Leben des Dorfes regelmäßig zu hören waren. Autos fuhren ganz selten vorbei. Friede und Hoffnung senkten sich langsam in unsere Herzen, wir begannen uns wieder als vollwertige Menschen zu fühlen.“ Über seine Arbeit bei den Bauern weiß Herr Dr. Krawarik Spannendes zu berichten: „In meiner Berufsarbeit gab es natürlich auch interessante Fälle. Eines Abends wurde ich dringlich zu einem weit entfernten Bergbauern nach Oberweng bei Spital am Pyhrn geholt. Einer langen Talfahrt mit dem Pferdefuhrwerk folgte ein noch längerer nächtlicher Aufstieg in die Berge. Ich hatte mir den Weg genau beschreiben lassen und ging allein. Nach Mitternacht kam ich endlich an. Die Patientin war eine junge Stute, zu welcher der Besitzer vor mir schon den Tierarzt Frisch geholt hatte. Von diesem wurde angeblich erklärt, dass das Tier lebensgefährlich erkrankt und unrettbar verloren sei, es müsse notgeschlachtet werden. Dem Besitzer war leid um das Pferd und er wollte auch meine Meinung hören. Dass die vom Nachbarkollegen gestellte Diagnose unrichtig war, sah ich nach kurzer Untersuchung. Keinesfalls bestand akute Lebensgefahr. Woran das Tier litt, konnte ich nicht sofort feststellen, die Krankheitserscheinungen waren nicht sehr ausgeprägt und wenig charakteristisch. Ich verordnete eine symptomatische Behandlung und kündigte für den übernächsten Tag 44

der Tierarzt im Gebirge

meinen zweiten Besuch an. Die Stute in Oberweng erholte sich, mir war inzwischen auch klargeworden, was ihr fehlte. Es handelte sich um eine seltene Erkrankung. Die Stute warf im nächsten Jahr ein gesundes Fohlen und bedankte sich so bei mir für die Lebensrettung. Mein Ruf als guter Diagnostiker verbreitete sich rasch.“ Pferde und Kühe waren für den Bauern von großer Bedeutung, durch sie konnte er leben und er benötigte sie für die Fortbewegung, daher meint Herr Dr. Krawarik, dass man bei den Bauern derbe Sprüche hören könne wie: „Weibersterben – kein Verderben. Viehverrecken – das ist ein Schrecken!“ Darauf werde ich im Kapitel über die Bedeutung der Kühe noch näher eingehen. Interessant ist auch Dr. Krawariks Schilderung über eine Schwer­ geburt: „Einmal rief man mich zur Schwergeburt einer Kuh in das Pießlingtal. Das Tier konnte nicht kalben, weil der Gebärmutterhals gedreht und dadurch der Geburtsweg verschlossen war. Da eine mehrfache Drehung vorlag, musste ich die Kuh auf der Wiese vor dem Haus wälzen lassen, bis ein unmittelbarer Eingriff möglich war. Es kostete Zeit und Anstrengung, es brachte jedoch einen vollen Erfolg. Die Bäuerin war über den für sie unerwartet guten Ausgang so erfreut, dass sie mir als Sondergeschenk Schafwolle gab, aus der später eine prachtvolle Ärmelweste für mich gestrickt wurde.“ Über Geburten schreibt Dr. Krawarik weiter: „Die Geburtshilfe spielt in der Praxis eine große Rolle. Manchmal wird man aber zu spät geholt – zu sogenannten verschleppten Geburten oder solchen, bei denen das Kalb längst abgestorben ist. Einen dieser Fälle erlebte ich in der Tambergau, wo ich nur noch die völlig verfaulten und zerfallenen Teile des Fötalkörpers stückweise aus dem Mutterleib herausholen konnte. Dies ist nicht nur eine scheußlich stinkende, sondern auch wegen der Infektionsgefahr eine sehr gefährliche Arbeit für den Tierarzt.“ 45

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Über andere Tätigkeiten als Tierarzt erzählt Herr Dr. Krawarik dies: „Natürlich kamen auch harmlose Beanspruchungen vor, wie Impfungen. Einmal wurde ich auf eine Hochalm in Hinterstoder, die Bärenalm in tausendsiebenhundert Metern Seehöhe, gerufen. Von der Talsohle aus dauerte der Aufstieg über drei Stunden. Meine Frau Olga begleitete mich damals ausnahmsweise, weil sie diese entlegene Gegend noch nicht kannte. Besondere Freude hatte Olga an den herrlichen Bergblumen und den Gämsen.“

Die Nikolofrau, die Haberngeiss und die Wildschützen Über die Bevölkerung von Vorderstoder schreibt der alte Tierarzt: „Die Bewohner von Vorderstoder lebten wie in einer großen Familie, ihre gegenseitige Anteilnahme war aufrichtig und das galt für traurige wie für freudige Ereignisse. Die Älpler sind ein hartes, aber auch lebensfrohes Völkchen, das kam bei den verschiedenen Anlässen zum Vorschein. Die Stoderer, wie sie sich selbst nennen, hielten stets brav zusammen, ob es sich um nachbarliche Hilfe oder um die Abwehr von auswärtigen Zumutungen handelt, sie bilden eine eigene winzige Republik innerhalb der Republik Österreich und sie sind stolz darauf. Im Hochwinter gab es Schiwettfahrten und Faschingsfeiern mit Maskenumzügen. Von unserer Wohnung aus hatten wir die besten Zuschauerplätze … Eine sehr gute Musikkapelle ist der Stolz des Dorfes; dessen Bewohner eine auffallende Musikalität besitzen.“ Besonders fasziniert scheint Dr. Krawarik von den KrampusBräuchen in Vorderstoder gewesen zu sein, die eine gewisse erotische Bedeutung gehabt haben mögen: „So einzigartig und neu wir die Natur des Gebirges empfanden, so ging es uns auch mit seinen Bewohnern und Volksbräuchen. Besonders erlebten wir 46

der Tierarzt im Gebirge

das zur Nikolozeit in Vorderstoder. Auch in Wien waren Nikolo und Krampus bekannte Typen gewesen, hier lernten wir aber eine Mannigfaltigkeit von Gestalten kennen, die uns fremd war. Am merkwürdigsten erschien uns die Nikolofrau, wie eine Braut gekleidet, begleitete sie den Nikolaus. Nebeneinander wirkten sie wie ein Ehepaar. Dieser Anblick belustigte uns sehr. Da es die Nikolofrau unseres Wissens nur in Vorderstoder gab, glossierten wir dies als Zeichen der bekannten Paarungsfreudigkeit (!) der Stoderer. Eine weitere Überraschung war, daß nicht ein einzelner Teufel oder Krampus auftrat, sondern eine Schar von Teufeln, bestehend aus einem Hauptteufel und mehreren Unterteufeln. Die gefürchtetste Gestalt war aber nicht der Ober- und Hauptteufel, sondern die ihn begleitende Haberngeiß! Sie gebärdete sich am wildesten, trug die Gesichtsmaske einer Ziege mit Hörnern und hatte Hinterbeine wie eine Ziege. Diese Haberngeiß zog alle Laden in der Küche auf und suchte eifrig nach alten Brotresten und wehe, wenn solche gefunden wurden, dann hatte die Hausfrau nichts zu lachen, damit war sie einer verschwenderischen Wirtschaft überführt! Wir lachten herzerfrischend über das turbulente Treiben der wilden Schar in unserer Wohnung. Unsere Buben verhielten sich bezeichnend: Gerd und besonders Hansi fürchteten sich sehr, Peter aber grinste zaghaft dazu. Viele Jahre später erfuhr ich, daß das Brauchtum mit der Nikolofrau und der Haberngeiß auch im Gebiet von Gmunden bekannt war. In Vorderstoder wurde das Nikolofest zum letzten Male in dieser alten Form im Jahre 1955 gefeiert.“ Herr Dr. Krawarik berichtet auch mit einem gewissen Respekt von Wildschützen, den Helden der kleinen Leute: „Wenn ich Jäger gewesen wäre, so hätte ich mich in Vorderstoder ausleben können! Die Jagdleidenschaft der Bewohner ist stark und trieb auch groteske Blüten. Ein Wilddieb zu sein, war keine Schande, sondern 47

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eine Ehre! Einmal fragte ich im Stodertal eine junge Wirtin nach ihrer Herkunft, sie antwortete: ‚Meine Mutter war eine Sennerin und mein Vater ein Wilddieb.‘ Das sagte sie nicht etwa beschämt, sondern stolz, denn das war ein richtiger Mann, ihr Vater, der Wilddieb. Mehr wusste sie nicht von ihm. Ihr genügte vollauf, solch einen Vater mutigster Männlichkeit zu haben. Eine urwüchsige Kraft und der Freiheitsdrang der Bergbewohner klangen aus diesem Bekenntnis. Das Jagdrecht war hier größtenteils den Bauern eigen.“ Aber auch einen Assistenten hatte Dr. Krawarik für kurze Zeit. Ihm machte es Freude, einen jungen Kollegen in die Tätigkeiten eines Landtierarztes einzuführen: „In der Praxis bekam ich vorübergehend und willkommen einen jungen Helfer, den Veterinärstudenten Crisenaz, er war mit einem Gutsbesitzer in Hinterstoder verwandt. Er hatte schon im Sommer 1948 bei mir wegen der Tätigkeit als Famulus angefragt und stellte sich mir nun für einige Wochen zur Verfügung. Seine Intelligenz und sein Interesse waren überdurchschnittlich. Ein seltener Krankheitsfall beschäftigte uns bald: Tetanus (Wundstarrkrampf ) bei einem jungen Pferd, das leider daran zugrunde ging. Wir hatten damals weder genug Serum noch genügend Penicillin. Das klinische Bild verlief typisch und lehrreich. Auch für mich war dies der erste Tetanusfall, der mir zu Gesicht kam, und es freute mich, dass ich sofort die richtige Diagnose gestellt hatte – dank meines umfangreichen theoretischen Wissens. Mein junger Begleiter war unermüdlich und mit großem Ernst bei der Sache, ich konnte ihm allein wegen seiner Verlässlichkeit die Nachschauvisiten überlassen oder ihn als Beobachter bei Hundegeburten einsetzen, die sich manchmal tagelang hinzogen. Nach Wochen der Zusammenarbeit schieden wir nur ungern voneinander. Ich verlor einen aufgeschlossenen Schüler und er einen begeisterten Lehrtierarzt. Heute ist er Amtstierarzt in Oberösterreich und treuer Briefschreiber.“ 48

der Tierarzt im Gebirge

Abschied vom Gebirgsdorf Als im Sommer 1949 der Tierarzt von Windischgarsten, Frisch, bei einem Motorradunfall starb, wurde Dr. Krawarik nun auf Wunsch der Bürgermeister zum alleinigen Tierarzt von neun Gemeinden bestellt. Sein Gebiet reichte von Spital am Pyhrn bis nach Klaus. Seine schöne Tätigkeit als Gebirgstierarzt endet allerdings, als er einen Brief der Tierzuchtabteilung der Landeskammer für Land- und Forstwirtschaft Steiermark erhält, in dem er gefragt wird, ob er die Leitung einer Besamungsanstalt in der Nähe von Judenburg übernehmen wolle. Er nimmt das Angebot an, freut sich darüber und macht sich Gedanken über einen Nachfolger. Er schreibt: „Schlagartig war ein Weihnachtsgeschenk vom Himmel gefallen, aber wie sollte ich dies alles meinen treuen Bergbewohnern sagen, die vertrauensvoll auf meine Hilfe wie bisher rechneten? Als Erstes bemühte ich mich um einen tüchtigen Nachfolger. Ich dachte an meinen Semesterkollegen Dr. Hetzer, der mit seiner Familie in Kirchdorf kümmerlich hauste. Hetzer nahm an und wollte 1950 zur Verfügung stehen. Mein zweiter Weg führte zum Bürgermeister von Windischgarsten. Er nahm die Nachricht ruhig entgegen und war mit meiner Empfehlung, Dr. Hetzer zu nehmen, einverstanden. Er erklärte aber auch, daß er meine Lage verstehe und ich im Interesse meiner Familie das Angebot nicht ausschlagen könne. Ich befand mich in einem merkwürdigen Zustand: noch umfangen von der Welt, die uns drei Jahre umgeben hat, die uns Brot und Geborgenheit geschenkt hatte, und doch schon in Gedanken woanders, in einer unbekannten Gegend, bei ganz neuen beruflichen Aufgaben.“ Höchst spannend ist noch der Bericht Dr. Krawariks über seinen Abschiedsbesuch bei der Gutsbesitzerin Frau Schröckenfux, einer noblen Dame, deren Herr Gemahl das Sensenwerk in Roßleithen 49

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besaß: „Als Frau Schröckenfux von meinem baldigen Abgang hörte, lud sie meine Frau und mich zu einem Silvesterabschiedsabend in ihre Villa ein. Wir nahmen erfreut an. Dr. Hetzer hatte zugesagt, mich bereits ab Nachmittag des 31. Dezember zu vertreten. Der Abschiedsabend wurde ein überaus schöner und feierlicher Abschluss unseres Aufenthaltes im Stodertal. Wir waren nur zu viert, die beiden Ehepaare. Im hohen Speisesaal der schlossartigen Villa, einem gediegen und historisch eingerichteten Raum, war das Mahl bereitet, der riesige, später erleuchtete Christbaum erhöhte die weihevolle Stimmung. Voll Herzlichkeit bewirteten uns die Dame des Hauses und der alte Hammerherr, ein ehemaliger kaiserlicher Offizier. Nach unserem jahrelangen einfachen Leben bei den Bauern hob uns dieser Abend in eine wohltuend vornehme, uns fast fremd gewordene Sphäre. Wir fanden diese Stunden wie eine Entschuldigung und Belohnung für die bitteren Jahre, die hinter uns lagen, wir waren von Hoffnung für die Zukunft erfüllt. Diese Jahreswende bedeutete für uns ja weit mehr als ein gewöhnlicher Jahreswechsel. Diese menschlich so schöne Begegnung hatte erfreuliche Nachwirkungen, unsere Kinder befreundeten sich mit ihren Kindern und so sind wir oft noch in späterer Zeit Gast gewesen im Hause Schröckenfux.“ Schließlich heißt es: „In Vorderstoder fanden wir wieder Freude am Dasein und den Glauben an das Leben, die herrliche Natur stärkte uns in ihrer Unmittelbarkeit und Echtheit, wie vorher und später nie wieder … Darüber sind Jahrzehnte vergangen, doch im Urlaub oder bei guter Gelegenheit suchen wir immer wieder diese Bergwelt auf, denn ein Stück von unserem Herzen ist dort geblieben, wir können und wollen den geliebten Erdenfleck nicht vergessen.“ Ich lasse nun den Sohn des begeisterten Tierarztes Dr. Franz Krawarik weitererzählen: 50

der Tierarzt im Gebirge

„Der Nachfolger meines Vaters war also Doktor Walter Hetzer. Ende 1949 hat er in Windischgarsten angefangen. Hin und wieder hat mein Vater den Doktor Hetzer besucht. Einen näheren Kontakt hatten wir aber nicht zu den Hetzers. Es dürften nette Leute sein. Vor allem wegen der Zukunft von uns Kindern ist mein Vater nun nach Judenburg gezogen, denn dort gab es ein Gymnasium. In Judenburg hatte mein Vater Gelegenheit, wissenschaftlich zu arbeiten, er hat einige wissenschaftliche Aufsätze verfasst. Die Besamungsstation ist 1965, als mein Vater in Pension gegangen ist, aufgelöst worden. Die Technik mit dem Gefriersamen war da schon viel weiter. Man konnte nun den Samen monatelang aufheben. In Judenburg habe ich mit dem Schulgehen begonnen. Ich bin Jahrgang 1944. Ich selber bin in Vorderstoder erst getauft worden, evangelisch, und zwar beim Steinerwirt. Dort lebten einige Flüchtlingsfamilien. Ich bin der jüngste der drei Brüder. Der älteste war jahrelang als Physiker in den USA, der mittlere ist Uhrmacher geworden, zuerst in der Obersteiermark und dann in Wien. Jetzt sind beide schon in Pension: Wir haben guten Kontakt untereinander. Ab 1960 haben wir begonnen, zumindest einen Teil der Ferien in Vorderstoder zu verbringen. Wir hatten Sehnsucht nach Vorderstoder. Jahrelang haben wir hier unsere Sommerfrische verbracht. Mein Vater ist 1982 gestorben, meine Mutter, die ihn tüchtig bei seiner tierärztlichen Tätigkeit unterstützt hat, 1986. Beide waren wunderbare Eltern.“ Der Sehnsucht von Hans Krawarik, dem Sohn des Tierarztes, entspricht, dass er mit seiner Frau Christine eine wunderbare Arbeit über die Kapellen des Stodertales verfasst hat. Ihm sei gedankt für seine Mithilfe. 51

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Der Tierarzt, der aus dem Krieg kam Dr. Walter Hetzer in Windischgarsten Wandere von Spital am Pyhrn an einem kalten Jännertag 2009 auf der alten Bundesstraße nach Windischgarsten. Habe mich für ungefähr 17 Uhr bei Harald Hetzer im Haus, das sein Vater gebaut hat und in dem Harald mit seiner Familie die Ferien verbringt, angekündigt. Harald, er ist Diplomingenieur, hat mich angerufen und gemeint, er habe heute Zeit, mir etwas über seinen Vater Dr. Walter Hetzer, den früheren Tierarzt von Windischgarsten, zu erzählen. Ich habe den Tierarzt Herrn Dr. Walter Hetzer und seine hübsche Frau, die gerne gelacht hat, in bester Erinnerung. Sie waren feine Leute. Meine Eltern, die Landärzte von Spital am Pyhrn, mochten sie. Als ich ungefähr neun Jahre alt war, besuchten wir die Hetzers in Windischgarsten, sie wohnten damals im Gasthaus Kemmetmüller: Dabei geriet ich in Streit mit dem etwas älteren Harald. Weil ich angeblich frech war, verabreichte mir Harald eine Ohrfeige. An diese Heldentat erinnert sich Harald bisweilen lächelnd. Ich betrete das Haus der Hetzers. Harald und seine liebenswürdige Frau Gemahlin Maria empfangen mich freundlich. Er ist gerade beim Kochen, er will seiner Tochter, die heute Geburtstag hat, ein Festessen bereiten. Er nimmt sich für mich jedoch eine Stunde Zeit. Ich gebe mein Gastgeschenk ab, ein Buch über alte Volkswägen, das ich bei der Post erstanden habe. Harald hat zwar kein Interesse für Autos, aber dieses Buch interessiert ihn wegen der Volkswägen, da sein Vater mit einem solchen als Tierarzt unterwegs war. Ich werde in die gemütliche Küche gebeten, nehme am Küchentisch Platz. Maria bringt mir einen Tee. 52

der Tierarzt, der aus dem krieg kam

Abb. 6: Dr. Hetzer mit jungen Bäuerinnen, die einen landwirtschaftlichen Fortbildungskurs in der Melkerschule in Windischgarsten besuchen

Harald erzählt: „Mein Vater, Doktor Walter Hetzer, wurde 1908 in Wien geboren. Im Jahre 1950 kam er nach Windischgarsten. Bis dahin wohnten wir in Kirchdorf an der Krems. Die erste Fahrt von Kirchdorf herein nach Windischgarsten war mit dem Motorrad. Ich bin hinten auf dem Motorrad gesessen. Ich war schon dreizehn Jahre alt. Obwohl der Vater bereits ein Auto, einen Steyrer fünfziger, hatte, fuhr er oft mit dem Motorrad. Damals waren die Zeiten so schlecht, dass man möglichst sparsam mit allem umgegangen ist, besonders mit Benzin. Daher fuhren wir nicht mit dem Auto. Diese Motorradfahrt werde ich nicht vergessen. Bei der Ortschaft Klaus fuhren wir auf einer Schotterstraße, die zwei Meter breit war und Schlaglöcher hatte. Das findet man heute nur mehr auf über zweitausendfünfhundert Metern Höhe in den Bergen. 53

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Mein Vater war ein Wiener, er hat Veterinärmedizin studiert, um von Wien wegzukommen. Er wollte auf das Land. Er wollte weg aus Wien, das damals nach dem Ersten Weltkrieg schlechte Lebensbedingungen hatte. Angefangen hat er mit dem Studium 1926. Er war, als er fertig studiert hatte, der jüngste Tierarzt Österreichs. Er hat schnell studiert. Nach dem Studium zog er nach Hollabrunn. Sein Vater war aus der Würzburger Gegend. Er ist mit der Firma Kunz – sie war ähnlich wie Julius Meinl – nach Wien gekommen. Als die Meinls mit ihren Pferden nach Shanghai emigrierten, hat die Firma Kunz die Filialen von Meinl weitergeführt. Als die Meinls nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurückgekommen sind, hat er sie ihnen wieder zurückgegeben. Die Großmutter war eine gestandene Wienerin. Mein Vater hat 1937 geheiratet, ich bin 1938 zur Welt gekommen.“

Krieg und Nachkriegszeit Harald geht nun auf die Zeit um den Zweiten Weltkrieg ein: „Die Tierarzttätigkeit meines Vaters in Hollabrunn dauerte nicht lang, da er 1939 zum Militär einrücken musste. Die Tierärzte hatten damals eine recht gute Position, denn im Zweiten Weltkrieg gab es noch den Tross mit Pferden. Die Tierärzte haben diese betreut. Die Pferde wurden mehr für den Transport gebraucht. Berittene Soldaten gab es auch. Der Vater hat oft erzählt, von den Reiterausflügen an der Küste Frankreichs, später dann auch in Kurland. Durch den Krieg kam er in russische Kriegsgefangenschaft. 1947 wurde er entlassen. Bei uns wurde über den Krieg nicht viel gesprochen. Mich hat diese Zeit nicht interessiert. Man wollte als Junger sich das nicht anhören, weil man ohnehin zu viele Probleme hatte. Mein Vater kam zurück und hatte Wasser in den Beinen – vom 54

der Tierarzt, der aus dem krieg kam

Hungern. Wie alle anderen auch, hat er nach dem Krieg Schwierigkeiten gehabt, eine Berufsgenehmigung zu erhalten. Man hat sie ihm schließlich gegeben. Die Frage war nun, wie kommt der Vater zu einer Praxis. Nach Hollabrunn im Weinviertel wollte er nicht zurückkehren, denn diese Gegend war von den Russen besetzt. Er ging nun nach Oberösterreich, denn dort war ein gewisser Doktor Schuh Landesveterinär, ein Schulkollege meines Vaters. Aber im südlichen Oberösterreich, in der amerikanischen Zone, war kein Posten für ihn frei, daher ging er, der gerade aus der russischen Kriegsgefangenschaft kam, nach Unterweißenbach im Mühlviertel, obwohl dort Russen waren. Dort hat er begonnen, mit dem Fahrrad seine Praxis auszuüben. Nach einigen Monaten konnte er sich ein Motorrad kaufen. Das war eine ungeheure Sache. Damals erreichten die Wintertemperaturen bis minus zwanzig Grad – wie in Sibirien. Er kam dort in die Höfe, die strohgedeckt waren. Zum Teil hatten die Bauern kein elektrisches Licht. Es gab noch den berühmten Kienspan für das Licht. So begann es. Von dort ging der Vater mit uns nach Kirchdorf und schließlich kam er 1950 nach Windischgarsten.“

Im Gasthof Kemmetmüller in Windischgarsten Der Vater befand sich nun in Windischgarsten auf Wohnungssuche, wie Harald weiter ausführt: „Dort suchte mein Vater als obdachloser Tierarzt zunächst einmal nach einer Wohnung. Diese fand er im Gasthof Kemmetmüller in Windischgarsten. Franz Kemmetmüller, der großartige Wirt, hat gesagt: ,Da oben den Tanzsaal brauchen wir eh nicht, den könnt ihr haben.‘ Diesen Tanzsaal haben wir mit Platten von Danubius, einem Holzplattenwerk in der Rosenau, abgeteilt. Dort haben wir beide [Harald, der 55

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Erzähler, und Roland Girtler] das erste Mal gestritten, kann ich mich erinnern. Dein Vater und deine Mutter waren damals gerade auf Besuch bei uns im Gasthof Kemmetmüller. Es war wie auf einer Almhütte dort, das war der Beginn. Von dort zogen wir in einen Gemeindebau beim Friedhof. Der Ort Windischgarsten war damals noch nicht so schön, so heruntergefabelt [bemalt] wie jetzt, und es war nicht auf jedem kleinen Haus eine Tafel angebracht, auf der zum Beispiel steht, dass 1823 hier der Wagnermeister so oder so gewohnt hat. Der Ort war verwahrlost und verarmt durch den Krieg. Wir erlebten die Zeit der amerikanischen Besatzung. Die jungen Männer, die im Krieg waren, kehrten heim und mussten sehen, dass die feschen Frauen alle mit den Amerikanern ausgehen. Frauen gehen meistens mit den Siegern. Um auf den damals noch schlechten Wegen besser weiterzukommen, erwarb mein Vater einen Schwimmer, ein geländegängiges Auto, ein sogenanntes Amphibienfahrzeug.“ (Siehe dazu näher im Kapitel über Fahrzeuge.)

Die Gebirgsjägermütze „Noch immer trug mein Vater, der große Krieg war erst ein paar Jahre vorbei, seine Gebirgsjägermütze mit dem berühmten Edelweiß vom Militär. Diese Gebirgsjägermütze begleitete meinen Vater durch den Krieg und die Kriegsgefangenschaft und er hatte sie auf, wenn er mit seinem offenen, geländegängigen Fahrzeug fuhr. Vielleicht wegen dieser Mütze wurde er von manchen Leuten als Barrasschädel bezeichnet. Barras ist ein anderes Wort für Militär. In diesem Sinn sagte man, wenn man zum Militär einrücken musste: Ich muss zum Barras. In Österreich ist dieses Wort erst während des Zweiten Weltkrieges bekannt geworden. Es kommt 56

der Tierarzt, der aus dem krieg kam

aus dem Jiddischen und bedeutet ursprünglich so viel wie Fladenbrot und später dann Militärbrot. Der Spitzname Barrasschädel soll allerdings nicht bedeuten, mein Vater Doktor Hetzer wäre ein Militarist gewesen. Vielmehr war er ein alter Querkopf, der in der deutschen Wehrmacht wegen unpassender Äußerungen sogar einmal versetzt wurde. Seine Art, die Mütze mit dem Edelweiß zu tragen, war ein Hinweis darauf, dass er einige Jahre als Tierarzt im Krieg gewesen ist und dies auch nicht verleugnen wollte. Also auch dies war ein Zeichen gegen den Zeitgeist. Beruflich hat meinem Vater der Veterinärdienst in der Wehrmacht viel Erfahrung im Umgang mit Pferden, die im Zweiten Weltkrieg noch wichtig waren, vor allem im Gebirge, gebracht. Geschichten vom Reiten als Soldat und von Pferdekrankheiten damals erzählte mein Vater gerne.“

Krankenbesuche und die „Milka-Kuh“ „Wir lebten noch in einer alten Bauernkultur, die mir gefallen hat“, meint Harald Hetzer. Er führt weiter aus: „Ich habe meinen Vater gerne auf Krankenbesuchen zu den Bauern begleitet. Einmal bin ich als kleiner Bub, neugierig wie ich war, bei einem Bauern in den Stall gegangen. Dort war ein Geißbock, der aus ein paar Metern Entfernung einen solchen Soachstrahl [Urinstrahl] auf mich losgelassen hat, dass ich wie die Pest gestunken habe. … Mich hat als Kind dieses Umfeld sehr interessiert. In der Küche der Bauernhäuser stand ein großer Herd, auf dem einige Häfen [Kochtöpfe] waren. Rechts war ein Bett, dort ist einer gelegen, der ohnehin schon fast tot war. Der Geruch war entsetzlich. … Es hat ganz tüchtige Bauern gegeben.“ 57

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Abb. 7: Dr. Hetzer mit der berühmten „Milka-Kuh“ vom Ebentalbauern in der Rosenau bei Windischgarsten

Mein Freund Harald Hetzer erinnert sich der alten Bauernkultur, zu der auch sein Vater als Tierarzt gehörte. Bei den alten Bauern von Windischgarsten und Umgebung hatte er ein hohes Ansehen. Harald zeigt mir ein Bild, auf dem sein Vater mit einer Kuh zu sehen ist, die für die Werbung der Schokoladenfirma Suchard als „Milka-Kuh“ eingesetzt wurde. Harald erzählt dazu: „Diese schöne Simmentaler Kuh gehörte dem Ebentalbauern in der Rosenau bei Windischgarsten. Sie wurde blau eingefärbt und diente als Werbung für die Schokoladen der Firma Suchard. Diese Kuh war unter Hunderten von Kühen von der Firma für ihre Werbung ausgesucht worden. Sie war der ganze Stolz des Bauern. Über der Eingangstür zu seinem Bauernhof ist eine Tafel mit dem Hinweis auf die ,Milka-Kuh‘ angebracht.“ 58

der Tierarzt, der einem bauern eine ohrfeige gab

Der Tierarzt, der einem Bauern eine Ohrfeige gab Dr. Erich Sommerer in Laakirchen Im Café Landtmann in Wien treffe ich an einem Märztag 2009 den Tierarzt Herrn Dr. Erich Sommerer und seine Frau Erna. Die beiden sind meinetwegen zum Gespräch nach Wien gekommen. Kennengelernt habe ich die beiden in Puchheim, anlässlich eines Vortrages. Auf Herrn Dr. Sommerer bin ich durch seinen Sohn Stefan aufmerksam gemacht worden, den ich in Mailand bei einer Tagung kennengelernt habe. Dass mich Stefan mit seinem Vater zusammengebracht hat, dafür sei ihm herzlich gedankt. Wir sitzen gemütlich beim Landtmann. Erich erzählt:

Als Sohn des Tierarztes von Laakirchen bei Gmunden „Auch mein Vater war schon Tierarzt, er war der Sohn eines Gerbers aus Pulkau im Weinviertel. Er war das zweite Kind einer Familie mit sieben Kindern. Mein Vater hatte zuerst eine kleine Praxis im Burgenland, dann war er in Wallern bei Schallerbach. Von dort kam er nach Laakirchen, wo ein Posten frei geworden war. In Laakirchen hat er die Tochter des Fleischhauers, Maria Salfinger, geheiratet. Die beiden haben miteinander sieben Kinder gehabt. Ich bin das zweite Kind. Ich bin 1933 geboren worden. Was mein Vater und meine Mutter alles mitgemacht haben! Nach dem fünften Kind hat meine Mutter eine eitrige Rippenfellentzündung bekommen. Lange Zeit war sie dem Tod sehr nahe. In Wien ist sie dann operiert worden. Man hat ihr fünf Rippen herausgenom59

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men. Sie hat meinen Vater später noch um zehn Jahre überlebt. Damals hat es noch keine Antibiotika gegeben. Nach dieser Operation hat meine Mutter noch zwei Kinder bekommen. Sie haben meinen Vater für blödsinnig erklärt, weil er ihr noch zwei Kinder gemacht hat. Verhütungsmittel hat es damals nicht gegeben. Von den Tierärzten hat es damals geheißen: Entweder sauft er recht oder er macht recht viele Kinder. Ich bin schon als Kind begeistert mit dem Vater in die Praxis mitgefahren. Der Bruder meines Vaters war Humanmediziner. Seine älteste Schwester war Gymnasialprofessorin in Wien und wohnte im neunten Bezirk in der Glasergasse. Bei der habe ich während meines Studiums in Wien die erste Zeit gewohnt. Ein Jahr nur habe ich es bei ihr ausgehalten, denn ich durfte in ihrer großen Wohnung nur mein Kabinett betreten und nicht den übrigen Teil. Daher habe ich mich mit einem Fleischhauersohn aus der Nähe von Freistadt zusammengetan und habe mit ihm gemeinsam eine Wohnung bezogen. Er war ein sehr verwöhnter Bursche, der nur ein kleines Köfferchen bei sich hatte, wenn er übersiedelte. Wir hatten die Quartiere jeweils nur sehr kurze Zeit. Oft hat es nicht gepasst wegen der Bettlänge, wegen des Lärmes oder es war zu teuer, oder sonst etwas. Aber auch mit ihm habe ich es auf Dauer nicht ausgehalten und habe dann für mich allein ein Zimmer in der Oberen Bahngasse genommen. Insgesamt habe ich vierzehnmal das Quartier gewechselt. Ich war ein guter Student, habe schnell studiert und bin als zehnter meines Jahrgangs fertig geworden. Werner Tutschku war ein Jahr vor mir im Studium. Mit seiner Schwester war ich damals im Tanzkurs in Altmünster in der Bundeserziehungsanstalt für Mädchen, im Schloss Württemberg. Mit sechsundzwanzig Jahren bin ich 1959 mit dem Studium fertig geworden. Ein Jahr hatten wir durch den Krieg verloren. Am 60

der Tierarzt, der einem bauern eine ohrfeige gab

28. Jänner 1959 war ich diplomierter Tierarzt, an diesem Tag habe ich das Diplom bekommen. Damit kann man gleich in die Praxis gehen. Das Doktorat habe ich ein Jahr später gemacht – über das Thema ‚Die Stallhygiene im Bezirk Gmunden‘. Deswegen bin ich viel herumgefahren. Das Schöne am Tierarztberuf ist, dass es ein freier Beruf ist, man kann sich seine Zeit einteilen. Geheiratet habe ich 1962, ich war neunundzwanzig Jahre alt und Erna dreiundzwanzig. Erna stammt von Ohlsdorf, ich von Laakirchen. Ihr Vater war Metzger. Meine Vorfahren waren Gerber. Ich habe meine Frau über einen anderen Tierarzt kennengelernt. Ich wurde damals zum CV-Ball nach Linz eingeladen. Ich bin mit meinem Auto dorthin gefahren. Ich habe meine Schwester mitgenommen. Beim CV-Ball traf ich den Bruder der Erna, er war ein Absolvent des Petrinums, einer Klosterschule in Linz. Die Petriner waren damals die Meister im Faustball. Der Bruder von Erna war auch ein guter Faustballer. Ihn und einen anderen Petriner haben wir einmal geholt, zur Verstärkung für unsere Studentenmannschaft in Laakirchen. Wir wollten unbedingt die Steyrermühler, die so auf den Tisch gehaut haben, besiegen. Die Steyrermühler konnten wir schließlich mit dieser Unterstützung besiegen. Ich habe verschiedene Praxisvertretungen gemacht, zum Beispiel in Pettenbach, in Viechtwang oder in St. Florian bei Linz. Drei Monate war ich in Deutschland, aber da ist es dem Vater gesundheitlich schon sehr schlecht gegangen. Das jahrzehntelange Fahren mit dem Motorrad hat ihm sehr geschadet. Schließlich habe ich nach dem Studium die Praxis meines Vaters übernommen, die ich von früher schon gut kannte.“

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Die Frechheit des Bauern „Am Anfang bin ich mit dem Motorrad meines Vaters gefahren, wenn das Wetter gepasst hat. Ich habe mir dann einen VW-Käfer gekauft. Das war um 1960. Die Fleischbeschau habe ich von meinem Vater übernommen [siehe näher dazu das Kapitel über die Fleischbeschau]. Die Kollegialität war sehr klein geschrieben. Bei dem ersten Amtstierarzt, der für unser Gebiet zuständig war, hätte ich eine Praxis machen sollen. Da wäre ich auf Almen gekommen, dabei hätte ich zum Beispiel den Rauschbrand kennengelernt, den es viel bei uns gegeben hat. Der Amtstierarzt hat mich aber zu so etwas nicht mitgenommen. Der ist zu den Bauern gegangen, mit denen mein Vater zu tun hatte, und hat gefragt, was hat der Sommerer verlangt. Er hat dann gesagt, er hätte es billiger gemacht. Das war der erste Amtstierarzt. ‚Neid frisst Vieh und Leit!‘, sagt man. Mein Vater hatte Probleme mit einem Tierarzt aus Siebenbürgen, der mit seiner Familie eines Tages zu meinem Vater kam und sagte, er biete sich als Assistent an. Der Vater hat gesagt, die Praxis sei zu klein, sie trage das nicht, dass noch ein zweiter Tierarzt sich niederlasse. Das werden Sie noch bereuen, hat der Siebenbürger gesagt. Er hat sich in der Nachbarschaft niedergelassen, in Roitham. Es war dort schon alles reserviert für einen Tierarzt mit Familie aus Gmunden, der knapp vor dem Abschluss des Studiums stand. Dem Siebenbürger war das egal, er hat sich dort niedergelassen. Der war eine schwere Konkurrenz für meinen Vater. Er hat zwei Kinder gehabt. Seinen Sohn – er wollte Förster werden, doch der Vater hat ihn gezwungen, Tierarzt zu werden – habe ich nach zehn Jahren Praxis kennengelernt, wie ich das Physikat [als Amtstierarzt] gemacht habe. 62

der Tierarzt, der einem bauern eine ohrfeige gab

Die Kollegialität des Siebenbürgers war sehr gering. Er hat sogar seinen Landsmann, der in Altmünster eine Praxis gehabt hat, vor den Bauern bloßgestellt. Einmal habe ich einem Bauern eine getuscht [eine Ohrfeige gegeben]. Der war laufend so frech zu mir. Er hatte eine sehr nette, intelligente Frau aus einem ärmeren Bauernhaus geheiratet. Ihr Bruder war bei uns Mesner, ein super Mann. Er wollte Pfarrer werden, doch er durfte nicht, denn er musste den elterlichen Hof übernehmen. Jedenfalls, seine Schwester heiratete diesen Bauern aus der Nachbarschaft, weil er einen Mercedes gehabt hat. Immer wenn ich zu ihm gekommen bin, hat er etwas zu jammern gehabt. Hie und da ist er frech geworden. Ich bin da nicht so empfindlich, aber wenn es um meinen Vater geht, kann ich böse werden. Meinen Vater hat er immer wieder angegriffen, er meinte, er wäre ein schlechter Tierarzt gewesen. Zu seiner Frau, unserer Freundin, habe ich gesagt, dass ich mir das nicht mehr gefallen lasse. Wieder einmal bin ich zu ihm gekommnen, um eine Kuh zu untersuchen. Meine Tochter war dabei. Sie ist auch Tierärztin, sie lebt jetzt in Spanien, sie übt den Beruf aber nicht aus. Ihr Mann ist ein Spanier mit blondem Haar. Ich habe also meine Tochter als Assistentin mitgehabt, sie war noch im Studium. Es war Nachmittag, die Leute waren noch nicht im Haus, sie hatten Erntearbeit. Ich bin dann am Abend noch einmal gekommen. Der Bauer, der helfen hätte sollen, die Kuh zu halten, ist auf der Ofenbank gelegen und hat gesagt: ‚Du bildest dir doch nicht ein, dass ich noch etwas tue.‘ Da habe ich geantwortet: ‚Wenn du nicht die Kuh halten willst, so kann dies ja dein Sohn, damit ich sie untersuchen kann. Die Sache ist sofort erledigt.‘ Darauf hat er gesagt: ‚Das kommt nicht in Frage. Jetzt fängt er genauso an wie sein Vater.‘ Nun begann er, über meinen Vater zu schimpfen. Jetzt hat es bei mir dreizehn 63

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geschlagen. Jetzt habe ich ihm eine ordentliche Ohrfeige versetzt, sodass ihm das Blut [aus der Nase] heruntergeronnen ist. Zwei Töchter von ihm und der Schwiegersohn waren dabei, sie haben das alles miterlebt. Er hat sich sofort umgezogen und ist zum Doktor gegangen. Der Doktor hat ihn Gott sei Dank beruhigt. Er hat bei uns angerufen und mit der Erna geredet. Am nächsten Tag in der Früh sind wir beide, meine Frau Erna und ich, zu dem Bauern gefahren und ich habe mich entschuldigt. Ich habe ihm angeboten, ein Jahr lang bei ihm das Vieh kostenlos zu behandeln. Daran habe ich mich gehalten. Aber in dieser Zeit war bei ihm zehnmal so viel los wie normal. Auf diese Weise hat er sich saniert. Er war ja ein gemeines Schwein“, sagte Dr. Sommerer. Erna, seine Frau, fügte hinzu: „Dem Bauern dürfte es getaugt haben, dass er eine Watsche bekommen hat. Er war nun zahm und freundlich. Es hat dann keine Probleme mehr gegeben.“ Ich erzähle die Geschichte von unserem Pfarrer Tischler, der einem Buben eine Watsche gegeben hat. Meine Mutter schrieb ein Attest. Bei der Verhandlung sagte sie, dass man mehr gesehen hätte, wenn sie ihren Söhnen Watschen gibt. Erna meint noch: „Seine Frau war sicher froh, dass ihm jemand einmal eine heruntergehauen hat, denn er war, solange er gelebt hat, furchtbar lästig und knausrig. Sie hat ihm die Watsche vergönnt, ebenso, so glaube ich, seine Kinder.“ Diese Geschichte zeigt, dass es mitunter für einen Tierarzt schwierig ist, mit Leuten umzugehen, die sich weigern, ihm bei seiner Tätigkeit zu helfen, und ihn noch dazu mit Vorwürfen überschütten.

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der Tierarzt, der einem bauern eine ohrfeige gab

Der gute Ruf als Geburtshelfer Herr Dr. Sommerer erzählt weiter: „Einen guten Ruf habe ich als Geburtshelfer bei Kühen und Schweinen gehabt. Es hat sich viel geändert gegenüber früher: Es gibt immer weniger Kühe bei uns in Laakirchen und Umgebung. Die ‚vierhaxigen‘ Rindviecher sterben aus und die ‚zweihaxigen‘, die uns feigeln [ärgern], werden immer mehr. Je weiter zum Gebirge, umso lieber sind mir die Bauern. Kurz nachdem ich fertig war, habe ich einen Tierarzt in Sankt Florian, also im Flachland, vertreten. Dort gab es lauter großspurige Bauern, die furchtbar eingebildet waren. Dort möchte ich nicht begraben sein. Heute haben sie in den Ställen alle Spaltenböden, es wird kein Einstreu mehr hineingegeben, außer auf dem Liegeplatz der Tiere. Ab 2012 sind die Laufställe vorgeschrieben. Da werden viele Bauern aufhören, weil es zu kostspielig ist.“ Ich füge ein, dass sich eine alte Kultur geändert hat, das zeige sich übrigens auch darin, dass die Kinder früher, als sie noch im Dorf mit Kühen aufwuchsen, keine Allergien hatten. Die moderne Reinlichkeit habe auch ihre Probleme. Herr Dr. Sommerer nickt und meint: „ Die Kinder aus den dreckigsten Häusern waren früher immer die gesündesten Kinder. Je ‚haglicher‘ man ist, desto mehr Krankheiten bekommt man. Die vielen modernen Waschmittel sind für die Haut sicher nicht gut.“ Herr Dr. Sommerer hatte auch freundliche Kollegen, über die er erzählt: „Der liebste Kollege von allen war der Kollege in Viecht­ wang, ein netter und tüchtiger Mann. Was sich der geschunden hat, sein Vater war auch schon Tierarzt. Bei ihm habe ich die erste Vertretung gemacht. Da war ich noch Student. Mit Genehmigung des damaligen Amtstierarztes von Gmunden Dr. Möslinger durfte 65

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ich ihn vertreten, obwohl ich noch kein fertiger Tierarzt war. Heute bin ich nur mehr hobbymäßig Tierarzt, mit Schweinen habe ich zu tun.“ Wir sitzen noch einige Zeit beisammen. Die beiden hübschen, blonden Töchter von Herrn Dr. Sommerer erscheinen. Die eine Tochter, Angelika heißt sie, erzählt, dass der Vater sie und ihre drei Geschwister oft auf Krankenbesuche mitgenommen habe: „Den ganzen Sommer haben wir im Kuhstall verbracht. Wir haben den Stall ausgemistet und die Tiere gefüttert.“ Ich bedanke mich herzlich bei Dr. Sommerer dafür, dass er sich für mich Zeit genommen hat, um aus seinem Leben zu erzählen.

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der Tierarzt aus dem Ennstal

Der Tierarzt, der das Besamen im Ennstal eingeführt hat Dr. Hanns Uray in Irdning Herrn Professor Mag. Gottfried Uray, meinen alten Freund aus Irdning, treffe ich im Kaffeehaus Kemetmüller in Spital am Pyhrn. Gottfrieds Vater war in Irdning Tierarzt, ebenso später sein Bruder, der mir aber nichts erzählen will. Gottfried erzählt bei Kaffee und Topfenstrudel: „Mein Vater Doktor Hanns Uray war seit 1930 Tierarzt in Irdning. Geboren wurde er am 12. 12. 1905. Sein Vater, mein Großvater, war Bergingenieur. Als Bergmann war er in Galizien, in der Steiermark und zum Schluss in Leoben. Der Großvater ist schon mit siebenundfünfzig Jahren gestorben. Von 1924 bis 1930 hat mein Vater in Wien an der Tierärztlichen Hochschule studiert. Sein Studentenleben in Wien muss ein Schönes gewesen sein. Er war Mitglied der liberalen Studentenverbindung Corps Alemannia. Damals gab es eine Studentenverbindung, sie hieß Vandalia, die – weil Studenten der Tiermedizin zu ihren Mitgliedern zählten – man als Tierärzteverbindung bezeichnete. Es gibt Leute, die behaupten, dass in dieser Verbindung besprochen wurde, wohin die Tierärzte kommen. Mein Vater war nicht bei dieser Verbindung, sondern bei dem liberalen Corps Alemannia. 1930 hat er promoviert. Er hat versucht, in Schladming als Tierarzt anzufangen, diese Stelle hat er aber nicht bekommen.“

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Als Tierarzt in Irdning im Ennstal „Mein Vater kam also mit dem Doktorat der Tierärztlichen Hochschule hierher. Er hat in Irdning geheiratet. Er hat in eine Familie eingeheiratet, die einen gewissen Wohlstand hatte. Die Familie meiner Mutter war im Weinhandel, in der Lebzelterei, Wachszieherei, Spirituosenerzeugung, Land- und Forstwirtschaft tätig. Meine Familie hatte damals stets Abb. 8: Dr. Uray mit jungen zwanzig bis dreißig Leute Bäuerinnen um 1935 angestellt. Die Leute haben damals nicht viel gekostet, sie wurden billig entlohnt. Mein Vater ist als Tierarzt die erste Zeit mit einem Fahrrad zu den Bauern gefahren. 1932 hat er sich ein Motorrad gekauft. Mein Vater war glücklich, im Ennstal in Irdning zu leben. Besonders fasziniert hat ihn der Grimming, dieser herrliche Berg, der das Ennstal königlich beherrscht. Daher war wohl sein Lieblingsbuch ‚Das Grimmingtor‘, das ihm die Autorin Paula Grogger mit einer persönlichen Widmung gegeben hat. Diese Widmung war mit einer sehr schönen, peniblen Handschrift geschrieben.“

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der Tierarzt aus dem Ennstal

Abb. 9: Dr. Uray als Stabsveterinärarzt beim Militär um 1943

Im Krieg bei den Haflingern „Während des Krieges war mein Vater eingerückt. Er war Tierarzt bei der sechsten Gebirgsdivision. Er war Stabsveterinär, er war im Hauptmannsrang. Er hatte mit den Haflingerpferden zu tun. Bald nach dem Krieg hat er wieder als Tierarzt angefangen. Politisch hat er kaum Probleme gehabt. Allerdings war mein Großvater Josef Hofer vor und während des Krieges Bürgermeister von Irdning. 1933 saßen im Gemeinderat neun Gemeinderäte, von denen waren drei Großdeutsche, drei Nazis und drei Schwarze. Rote waren nicht vertreten. Damals stellten die Nazis den Antrag, Hitler zum Ehrenbürger zu machen. Mein Großvater hat den Antrag dann erweitert, er meinte, wenn der Hitler Ehrenbürger wird, dann Hindenburg auch. Beide haben freundlich zurückgeschrieben. Beide sind nach dem Krieg wieder ausgebürgert worden.“ 69

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Die Zeit nach dem Krieg – Besamungen und tägliche Ordinationen „Es war etwas Besonderes, als Sohn des Tierarztes in diesem kleinen Ort aufzuwachsen. Mein Vater hat in der Gesellschaft von Irdning eine beachtliche Rolle gespielt. Er war geachtet, fleißig und zielstrebig. Er hat nach dem Zweiten Weltkrieg mit der künstlichen Besamung der Rinder im Ennstal begonnen. Für dieses Besamen habe ich mich immer etwas geniert, ich habe nie dabei zugeschaut [siehe dazu weiter im Kapitel über Besamungen]. In der Landwirtschaftsschule in Raumberg war mein Vater Gastlehrer. Bis zu seinem Tod hat er zwei oder drei Wochenstunden dort gehalten. Er ist mit achtundsechzig Jahren gestorben. Für die Agraringenieure dort war es vielleicht nicht leicht, einen Tierarzt zu akzeptieren. Er hat auch wissenschaftlich gearbeitet. Einige Veröffentlichungen in der Tierärztezeitschrift stammen aus seiner Feder. Jedenfalls erhielt mein Vater dafür die Josef-Baier-Medaille, eine große Auszeichnung für Tierärzte. Auf einem Bild sieht man den Vater mit den anderen Preisträgern. Jeden Tag hatte der Vater Ordination, auch am Sonntag. Er ärgerte sich aber über jene Bauern, die ihn an Sonntagen wegen Kleinigkeiten störten. Wenn wir zum Beispiel am Sonntag beim Mittagessen gesessen sind, sind oft ein, zwei Bauern gekommen, wegen einer Besamung oder weil eine Kuh Fieber hatte oder etwas bei den Schweinen nicht in Ordnung war. Mein Vater ist manchmal deswegen richtig zornig geworden. Er hat dann über die Bauern gesagt, dass sie am Sonntag zuerst in die Kirche, dann ins Wirtshaus gehen und erst danach den Tierarzt aufsuchen würden – statt dass sie schon um zehn Uhr am Vormittag gekommen wären! ‚Diese Saubauern‘, hat er gesagt. Während der Woche hat er täglich Ordination gehalten. Mit dem Geld, das er verdiente, 70

der Tierarzt aus dem Ennstal

hat er ein eigenes kleines Häuschen gebaut, das leider heute nicht mehr benützt wird. Wir haben ein tüchtiges Dienstmädchen gehabt, das hat auch als Telefonistin gearbeitet. Auch meine Mutter hat Anrufe entgegengenommen. Wichtig war nicht nur der Schreibname des Bauern, sondern auch der Vulgoname, das ist der Hofname. Der war fast wichtiger. Dann ist mein Vater zu den Bauernhöfen gefahren. Das Einzugsgebiet für meinen Vater reichte von Lassing, Fischern bis nach Stein an der Enns. Auch bis Mitterndorf kam er. Das war ein großes Gebiet. Damals gab es noch wenige Tierärzte. Heute sind es mehr. Mein Vater hat gerne bei manchen Bauern eine Jause genommen, unter Umständen sogar einen Schnaps. Er war wohl gelitten und hoch angesehen. Er hat schon gewusst, bei wem er eine Jause bekommt. Mein Vater hat gute Freunde unter den Bauern gehabt. Mein Vater hatte als Auto einen VW-Schwimmer aus dem Zweiten Weltkrieg gehabt.“ (Siehe dazu näher im Kapitel über Fahrzeuge.)

Die „Erziehung“ der Bauern und das Ansehen des Tierarztes „Die Bauern mussten auch erzogen werden. Wenn der Tierarzt kommt, müssen Seife und Waschschüssel mit warmem Wasser und Handtuch bereit sein. Das muss den Leuten immer wieder eingeimpft werden. Ein weiterer Teil der Praxistätigkeit waren die Impfkampagnen in jedem Jahr. Vom Amtstierarzt hat jeder Tierarzt dazu eine Region zum Impfen bekommen. Auch die Fleischbeschau hatte mein Vater inne. Er war Bezirks­tierarzt, aber kein Amtstierarzt. Er musste die Sanitäts- und Hygieneverhältnisse des Viehbestandes irgendwie prüfen. Der Bezirkstierarzt hat ähnliche Aufgaben wie der Gemeindearzt bei den Menschen. Mein Vater 71

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war jahrelang Proponent der Tierärztekammer und hat in dieser Funktion mit dem Sozialministerium in Wien wegen der Pensionen der Tierärzte verhandelt. Wenn er und andere mit den ,Roten‘ [Sozialdemokraten] verhandelt haben, ist es meist zu einem Ergebnis gekommen, mit den ,Schwarzen‘ [Mitglieder der Volkspartei] war es etwas schwieriger. Vor allem mit Großtieren hat der Vater zu tun gehabt [siehe dazu unten]. Anfang der sechziger Jahre ist das Pferd als Arbeitstier aus der Landwirtschaft verschwunden. Am Ende meines Studiums hatte auch ich noch mit Pferden zu tun, und zwar in Form meiner Diplomarbeit aus Deutsch, die ich über die Mundartausdrücke für alles, was die Pferde betraf, schreiben musste. Diese zahlreichen Ausdrücke hatte ich dann von der mittelhochdeutschen Sprache herzuleiten. Mein Vater hat mir bei dieser Forschung dadurch sehr geholfen, dass er mich zu den Bauern brachte, mit denen ich spannende Gespräche führen konnte. Der Bürgermeister schrieb über meinen Vater: ,Der Mensch Uray war eine interessante Persönlichkeit, ein strenger Vater, ein ernster Mann, der in seinem Beruf aufging und seine Praxis als Wissenschafter und Forscher betrachtete. Der stille Mann, der Autorität ausstrahlte, hatte ein fröhliches Herz.‘ Gottfried zeigt mir Bilder, die seinen Vater beim Militär als Tierarzt zeigen. Jemand schrieb über ihn: „Hervorstechend in seiner tierärztlichen Tätigkeit war die profunde chirurgische Ausbildung, die er genoss und die er später als Militärtierarzt vervollkommnet hat.“ – Mein Bruder hat die Arbeit weitergeführt und hat sie gut gemacht. Mein Vater war ein wunderbarer Tierarzt, dem viel zu danken ist. Er war nicht einseitig, er hatte sogar gewisse Sympathien für einen Bauern, der so ein ‚Boandldoktor‘ war, wie man bei den Bauern alte Laientierärzte bezeichnete.“ Ich danke meinem Freund Gottfried Uray für das Gespräch. 72

der tierarzt und die zwei löwen

Der Tierarzt und die zwei Löwen Dr. Günther Orator in Windischgarsten Es ist der 2. Jänner 2009, es ist saukalt. Dennoch radle ich nach Windischgarsten. Um ca. 10 Uhr am Vormittag bin ich beim schönen Haus von Dr. Günther Orator, mit dem ich per Du bin. Das Haus liegt vor der Einfahrt von Windischgarsten, vor dem Hotel Dilly. Ich läute, Günther macht mir auf. Er bittet mich in sein Haus, das an einem Hang liegt. Der Blick von hier in das Garstnertal ist großartig. Zwei Enkeltöchter spielen im Haus. Wir setzen uns an den Speisetisch der großzügigen Wohnhalle. Frau Orator begrüßt mich freundlich, sie serviert einen Pfefferminztee. Ich berichte über meine Absichten mit diesem Buch. Günther findet es originell, über Tierärzte zu forschen und zu schreiben. Auch seine Frau, die aus einer Schweizer Tierärztefamilie stammt, gefällt meine Idee zu diesem Buch. Günther erzählt: „Ich bin 1931 geboren worden. Ich bin vom siebten Bezirk in Wien, von der Schottenfeldgasse. Mein Vater war Chirurg, er war Jahrgang 1894, er war der letzte Schüler von Universitätsprofessor Doktor Eiselsberg. Der Hofrat Eiselsberg, der berühmte Chirurg, hat sich sehr gefreut, dass der Vater meiner Mutter mit Familiennamen Fischer-Colbrie hieß. Dieser Fischer-Colbrie hatte in Kremsmünster die Klosterschule besucht, ebenso wie Eiselsberg selbst, beide waren Schulkollegen. Während des Krieges war ich auf Kinderland-Verschickung. Ich habe in Wien 1950 maturiert. Studiert habe ich in Wien an der Tierärztlichen Hochschule. Ich hätte wahrscheinlich Humanmedizin studiert. Damals gab es aber 73

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zu viele Humanmediziner, denn viele haben Medizin studiert, damit sie nicht an die Front müssen. Man wusste damals nach dem Krieg nicht, was man mit den vielen Ärzten tun soll. Es gab Gastärzte, die machten gratis Dienst in den Spitälern. Das hat sich schnell geändert, auf einmal waren zu wenige Ärzte vorhanden, aber da war ich schon in der Veterinärmedizin. Ich habe in meinem Semester nur zwei Studentinnen erlebt, wir waren dreißig Studenten. Damals gab es etwa zweihundertfünfzig Studierende an der Hochschule. Mein Vater ist 1954 gestorben, damals war ich noch nicht fertig. Der Vater war wie gesagt Chirurg. Zum Schluss war er Primar in Wiener Neustadt. Während des Krieges hatte er die chirurgische Abteilung im Wilhelminenspital inne. Nach dem Krieg wurde er Chef der Chirurgie im Krankenhaus in Mürzzuschlag.“

Als Assistent in der Schweiz – die Pferdeeisenbahn „Als ich mit meinem Studium fertig war, wollte ich ins Ausland gehen, um Geld zu verdienen. Zuerst ging ich nach Deutschland, in die Nähe von München, nach Landshut. Ich war dort Assistent bei einem praktischen Tierarzt mit einer großen Landpraxis. Ich habe viel dabei gelernt. Daran anschließend übersiedelte ich in die Schweiz, zu einem Tierarzt mit dem Namen Müller im Aargau. Von dort kam ich nach Appenzell und nach Sankt Moritz. Dort hat es mir aber nicht gefallen, es war altmodisch. Zu dieser Zeit suchten Schweizer Tierärzte junge Tierärzte aus Österreich als Assistenten. Die Adressen dieser Tierärzte erhielt ich bei der Tierärztekammer. Ich wurde so zu einem empfohlenen Praxisvertreter. Auf diese Weise gelangte ich nach Bern zu meinem späteren 74

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Schwiegervater.“ Günther hält inne und lässt seine liebenswürdige Frau Gemahlin erzählen: „Mein Vater war als Tierarzt ein ganz Großer beim Schweizer Militär. Seine Aufgabe war es, für die ganze Schweizer Armee Pferde einzukaufen. Als das österreichische Bundesheer in den fünfziger Jahren die erste Tragtierkompanie bekommen hat, sind zu deren Einweihung in Innsbruck jeweils ein Offizier aus Deutschland, aus Italien und aus der Schweiz eingeladen geworden. Mein Vater war dort als Schweizer Pferdespezialist. Der höchste Veterinäroffizier damals in Österreich trug den Namen Lamatsch. Mein Vater hat ihn gefragt, ob er für ihn einen guten Assistenten wüsste, der ihn auch vertreten könne, denn mein Vater war damals jedes Jahr für drei Monate in Afrika. Er würde einen guten Mann brauchen.“ Nun erzählt Günther weiter: „Bevor ich zu meinem künftigen Schwiegervater kam, war ich im Engadin, in Sankt Moritz. Damals gab es noch die Engadiner Pferdeeisenbahn über den Malojapass und die anderen Pässe. Diese Bahn ist noch mit Pferdekraft betrieben worden. Sankt Moritz ist reich geworden durch die vielen Russen, die vor dem Ersten Weltkrieg im Herbst mit Pferdegespannen aus Russland gekommen sind und in Sankt Moritz überwintert haben. Im Frühjahr sind die Russen mit ihren Pferden wieder heimgefahren und haben geschaut, dass auf ihren Gütern Geld verdient wird. Die Engadiner Tierärzte und später auch mein Schwiegervater haben für die Engadiner Pferdeeisenbahn jedes Jahr dreitausend Jungpferde einkaufen müssen. Diese haben sie in Italien und Frankreich gekauft. Ich bin 1957 in die Schweiz gekommen. Der Tierarzt in Sarmaden, bei dem ich Assistent war, hat immer ein Pferd gehabt. Mit diesem Pferd bin auch ich in die Praxis geritten. Endlich hat er ein Auto gekauft, er selbst hat nie chauffiert. Der Tierarzt hat viel Geld gemacht, weil er einzigartig war. Gut ver75

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dient hat er auch mit dem Pferdeeinkauf. Er hat in der Schweiz viel Grund und Boden gehabt und hat ihn an das Schweizer Militär verkauft. Ein Freund von ihm aus Lausanne hatte ihm gesagt: ,Verkaufe entweder alles oder gar nichts.‘ Das hat er gemacht und ein Millionenvermögen verdient. Von dort bin ich weggegangen, ich habe mich an eine Adresse in Bern erinnert, an das Elternhaus meiner späteren Frau. Mit ihrer Mutter habe ich ein- oder zweimal telefoniert. Sie hat gefragt: ‚Wo bleibt denn unser Assistent?‘ Ich hatte ihnen geschrieben, mich aber nicht mehr gemeldet, denn das Engadin war für mich wegen des Schifahrens interessant. Ich bin nun nach Wien heimgefahren und fuhr dann wieder in die Schweiz, in die Praxis meines künftigen Schwiegervaters. Ich habe dort viel zu tun gehabt. Ich habe gesehen: Sie hatten nicht nur Rinder, sondern auch Löwen und andere Tiere.“

Die Löwen „Ein Studienkollege meines Schwiegervaters war der Direktor des Basler Zoos.“ Frau Orator fügt ein: „Bei uns zu Hause sind zwei Löwen herumgerannt. Die Leute vom Basler Zoo haben eine Löwin gekauft, ohne zu wissen, dass sie trächtig ist. Im Basler Zoo hat sie schließlich ein Pärchen geworfen. Das musste separiert werden, denn die Alten zerbeißen die Jungen. Da sie im Zoo keinen Platz hatten, mussten sie das junge Löwenpaar hergeben. Der Direktor Lang hat deshalb mit meiner Mutter telefoniert. Sie hat gesagt: „Schick sie halt!“ In Kartons mit Löchern sind die beiden Löwenbabys mit dem Zug von Basel nach Bern zu meinen Eltern gekommen. Es hat sich dann die Firma Nestlé eingeschaltet und die beiden jungen Löwen mit ihren Nahrungsmitteln versorgt. Nestlé hat damit viel Reklame gemacht. Das war eine große Aufregung in der 76

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ganzen Schweiz.“ Dr. Orator erinnert sich weiter: „Mein Schwiegervater war wütend, weil ganze Schulklassen, Blindenvereine und andere Gruppen gekommen sind, um die Löwenbabys anzufassen. Löwenbabys kann man angreifen. Es war ein großer Betrieb, in den ich gekommen bin. Ich habe hier gearbeitet und die Tochter kennengelernt, die später meine Frau wurde. Die Löwen sind im Haus herumgelaufen, sie haben nichts zerstört. Die Löwen sind sogar in den Ort spaziert. Einmal hat der Bäcker angerufen und aufgeregt gesagt, wir sollen doch die Löwen holen, sie stören ihn beim Brotbacken. Wir haben sie dann geholt. Uns haben sie gekannt, uns haben sie nichts getan. Ich habe mit den Löwen gespielt. Wie sie dann groß waren, haben sie doch viel Fleisch gebraucht. Der Schwiegervater hat Notschlachtungen vor allem von Pferden für die Mahlzeiten der Löwen vorgenommen. Wenn er ein Rind als untauglich eingeschätzt hat, haben die Bauern gleich gesagt: Er braucht wieder ein Löwenfutter. Es war nicht einfach, zu einem Löwenfutter zu kommen. Er kaufte es von Nachbarkollegen und Bauern. Mindestens fünfundvierzig Kilo Fleisch in der Woche haben die Löwen gefressen. Schweinefleisch rühren Löwen nicht an. Rind- und Pferdefleisch fressen sie. Später hat mein Schwiegervater die Löwen in einen Privatzoo gegeben. Ich habe sie einmal besucht, da hat das Löwenmännchen mich sehr liebevoll begrüßt und abgeschleckt. Das Löwenweibchen war nicht interessiert an mir. Das ist in der Natur auch so, die Löwenweibchen jagen und machen Beute und die Löwenmännchen fressen mit. Ein Löwe jagt ja nicht, das machen die Weibchen, sie schafft das Futter heran.“

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Nach Oberösterreich „Ich hatte mich verliebt in die Tochter meines Chefs. Wir haben beschlossen zu heiraten. Geheiratet haben wir 1961. Ich habe mich nun in Österreich nach einer Praxis umgesehen. Ich wollte nicht in der Schweiz bleiben. Dort ist man als Österreicher immer ein Ausländer. Ich bin nach Oberösterreich gegangen und habe an verschiedenen Plätzen Vertretungen gemacht. Nach Oberösterreich ging ich, weil es das beste Land für die Tierbetreuung ist. Die Steiermark ist ähnlich. Im heiligen Land Tirol bekommt man keinen Platz. Zunächst sind wir nach Hofkirchen im Mühlkreis. Dort haben wir eine Praxis übernommen. Der Tierarzt war sehr krank. Da bin ich eingestiegen. In der Wohnung eines Baumeisters haben wir gewohnt. Das war alles sehr einfach, aber nett. Wir blieben eineinhalb Jahre in Hofkirchen. Dieser Ort liegt zwar am Ende der Welt, aber es ist schön da oben. Die Bauern sind sehr freundlich. Durch einen Vorstand der Tierärztekammer von Oberösterreich bin ich schließlich in Kremsmünster gelandet. Er hat gesagt: ,Sie haben eh von der Mutterseite her Beziehungen zu Kremsmünster.‘ Herr Dr. Grabherr, der hat eine Herzgeschichte gehabt, hat mich angerufen. Wir waren gerade auf einem tierärztlichen Weltkongress in Hannover. Er hat mich dort angerufen und gesagt, die Praxis würde er für mich halten. Ich solle die Veranstaltung in Hannover zu Ende machen. In Hannover haben wir also die Mitteilung bekommen, dass wir umziehen müssen. Unsere Kinder haben wir in der Schweiz gehabt. Wir sind also nach Kremsmünster und haben eine Wohnung suchen müssen. Herr Dr. Grabherr war uns behilflich. Vor allem wegen der Schulen für unsere Kinder sind wir hierher gezogen. Der Bub kam dann aber in das Internat vom Gym78

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nasium Schlierbach, weil sie ihn im Gymnasium Kremsmünster nicht genommen haben. Die waren stur in Kremsmünster. Dass mein Großvater, der Fischer-Colbrie hieß, ein angesehener Mann in Kremsmünster war, war egal. Er war großdeutsch-liberal. Nach zehn Jahren in Kremsmünster habe ich hier in Windischgarsten die Nachfolge vom Dr. Hetzer angetreten. Draußen – ab Kremsmünster – haben die Bauern zum großen Teil die Rinderhaltung aufgegeben. Jetzt haben sie nur mehr Schweinezucht, das war für mich nicht so interessant. Man hat dauernd gestunken. Die Fleischbeschau habe ich in Windischgarsten gehabt. 1992 bin ich in Pension gegangen. Ich war möglichst auf höfliche Distanz zu den Bauern. Mit ein paar wenigen war ich per Du.“ (In den späteren Kapiteln berufe ich mich noch einige Male auf Dr. Orator.) Ich meine, mein Vater als Landarzt in Spital am Pyhrn hatte eine ähnliche Einstellung zu den Bauern, daher achtete man ihn auch sehr. Es war eine schöne Stunde, die ich hier im Haus von Herrn Dr. Günther Orator, dem alten Tierarzt, verbringen durfte. Günther meint, er sei neugierig, was ich schreiben werde. Ich bedanke mich herzlich bei Günther und seiner Frau Vreni, verabschiede mich und radle in Richtung Spital am Pyhrn. Es ist ziemlich kalt. Der Landtierarzt Dr. Orator mit den zwei Löwen, 1959.

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Der Tierarzt, der zum Zirkus wollte Dr. Peter Staudinger Ich bin im Oktober 2008 von Herrn Alois Almer zu einem Vortrag nach Anger in der Oststeiermark, ungefähr vierzig Kilometer östlich von Graz, eingeladen worden. Ich erzähle am Telefon Herrn Alois Almer, einem liebenswürdigen Herrn, dass ich über alte Tierärzte arbeite. Wenn er einen solchen Tierarzt kenne, solle er mich mit ihm bekannt machen. Vielleicht könne mir dieser aus seinem Leben erzählen. Alois Almer machte daraufhin tatsächlich einen Tierarzt ausfindig, allerdings einen, der sein Studium nicht abgeschlossen hat, der aber dennoch tierärztlich, ohne eine entsprechende amtliche Legitimation dazu zu haben, bei den Bauern gearbeitet hat. Er ist also ein Laientierarzt. Ich bezeichne ihn als Bauerntierarzt, da ihn die Bauern, obwohl er das Studium der Veterinärmedizin nicht abgeschlossen hatte, als Tiermediziner akzeptierten. Der Mann interessiert mich. Alois Almer will mich mit ihm zusammenbringen. Dafür sei ihm herzlich gedankt. Er holt mich vom Bahnhof in Graz ab. Ich habe leider mein Aufnahmegerät vergessen. Alois, ich bin inzwischen per Du mit diesem netten Herrn, fährt mit mir nach Weiz, wo ich in einem Geschäft ein klassisches Aufnahmegerät erstehe. Ich bin darüber froh, denn die Geräte mit Kassetten werden, so scheint es, kaum noch erzeugt. Wir fahren nach Birkfeld, wo ich vor freundlichen und liebenswürdigen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten über meine Studien in Randkulturen erzähle. Die jungen Damen und Herren passen gut auf. Ich freue mich. Daran anschließend werde ich zu einem Mittagessen eingeladen, an dem nette Lehrerinnen des Gymnasiums teilnehmen. 80

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Nach freundlichen Gesprächen und steirischem Essen holt mich Alois Almer ab. Wir fahren zu einem Gasthaus bei Anger. In diesem wartet schon Herr Peter Staudinger, er ist zweiundachtzig Jahre alt. Wir werden von den Wirtsleuten höflich begrüßt. Es sind kaum Gäste hier. Wir nehmen am Stammtisch Platz. Ich sage zu Herrn Staudinger, dass ich ihn zum Essen und zum Trinken einladen würde. Er könne essen, was er wolle. Ich lege das Aufnahmegerät auf den Tisch, er hat nichts dagegen. Bevor er auf sein Leben eingeht, meint Herr Staudinger: „Ich bin heute in einer ziemlich miesen Verfassung, ich bin etwas verkühlt.“ Ich werfe ein, dies würde nichts machen, jeder ist zu dieser Jahreszeit etwas krank. Jedenfalls bedanke ich mich, dass er mir etwas erzählen will. Herr Peter Staudinger führt aus: „Ich war jahrzehntelang in dieser Gegend tätig. Ich bin von Heilbrunn, es ist nicht weit von Anger. Ich bin ein lediges Kind von einer Dienstmagd. Geboren bin ich 1926. Jetzt bin ich zweiundachtzig Jahre alt. Mein Vater ist 1934 nach Deutschland geflüchtet, wegen der politischen Verhältnisse in Österreich. Nach dem Anschluss im Jahre 1938 hat mich mein Vater nach München geholt, dort habe ich die Mittelschule besucht. Von der achten Volksschule in Heilbrunn bin ich nun in die Mittelschule. Habe dort die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium gemacht.“

Glück im Krieg – tausend Kilometer zu Fuss „Ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt, sodass ich mich auf mein Glück fast verlassen konnte. Wo andere tödlich verunglückt sind, ist mir nichts passiert. Ungewöhnliches Glück hatte ich im Krieg. Ich war als Soldat an der Front in Frankreich eingesetzt, dort bin ich leicht verwundet worden. Gegen Ende des Krieges 81

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kämpfte ich in den Vogesen, dort hatte ich besonderes Glück. Einmal mussten wir in der Früh angreifen. Wir haben nichts gesehen, gekracht hat es überall. Wir haben sofort große Verluste gehabt. Die Amerikaner waren gut gedeckt. Unser MG-Schütze lief nach vorn und bekam einen Halsschuss. Der ist auf der Stelle verblutet. Der andere hat einen Kopfschuss abbekommen, es gab viele Verletzte. Wir sind zurück, von Baum zu Baum haben wir Deckung gesucht. Wie wir wieder in Sicherheit waren, haben wir gemerkt, dass das Maschinengewehr noch draußen liegt. Wir brauchten es aber dringend. Da fragte der Gruppenführer: ‚Wer holt das Maschinengewehr?‘ Wir waren eine Gemeinschaft, wie wenn wir Brüder gewesen wären. Ich sagte: ‚Ich werde es holen, denn ich weiß, wo das Maschinengewehr liegt.‘ Ich bin ganz allein einhundertfünfzig Meter zu den Amerikanern nach vorn gelaufen, um das Maschinengewehr zu holen. Von Baum zu Baum bin ich gelaufen. Die Kugeln haben gepfiffen, ein paar sind im Baum steckengeblieben. Ich bin nun ganz nach vorne und habe das MG geholt. Ich glaube, die Amis haben weit über tausend Schuss auf mich abgegeben und mich nicht getroffen. Glück ist da kein Ausdruck. Ich war sehr flink und hatte Glück. Nach Kriegsende bin ich von dort zu Fuß in die Steiermark nach Heilbrunn gegangen. Über tausend Kilometer bin ich marschiert in dreiundzwanzig Tagen. Dazwischen wurde ich von den Engländern gefangen, konnte aber entkommen. Am 21. Juni 1945 war ich zu Hause. Ich habe kein Zeugnis, nichts bei mir gehabt. Die Zeugnisse hatte ich in München. Ich habe nun, um zu überleben, bei Bekannten als Bauernknecht gearbeitet. Dabei habe ich nichts verdient.“

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Der Zirkus Medrano „Da habe ich ein Inserat in der Zeitung gelesen: Zirkus sucht Pferdepfleger. Der Zirkus hat Medrano geheißen. Ich habe mich dort vorgestellt. Man hat mich zum Rittmeister in den Stall geschickt. Da bin ich zum Richtigen gekommen und zwar an einen preußischen Rittmeister. Etwas Ärgeres gibt es nicht. Der Rittmeister hat gleich gesagt: ‚Gehen Sie es einmal an! Putzen Sie mein Pferd.‘ Ich bin zu dem Pferd und wie ich es, genauso wie unseren Bräundl, schön langsam abgebürstet habe, hat der Herr Rittmeister gesagt: ‚Da werden Sie noch viel lernen müssen.‘ Ich habe nun das Rossputzen sehr gut gelernt. Der Rittmeister hat mich nicht aus Sympathie oder weil ich etwas gekonnt habe genommen. Er hat mich genommen, weil er mich gebraucht hat. Einige Monate war ich nun im Zirkus. Ich habe eisern gespart. Ich habe nicht schlecht verdient. Daneben habe ich in einem Überleitungskurs für Heimkehrer in Graz, er war am Abend, die Matura gemacht. Ich bin dann vom Zirkus weggegangen. Um Geld zu verdienen, habe ich während der Ferien in Donawitz am Hochofen gearbeitet. Ich musste mir alles selbst verdienen, um auf die Hochschule zu gehen. Ich wollte unbedingt studieren.“

Bauerntierarzt – der erste Kaiserschnitt „Ich bin nun an die Tierärztliche Hochschule in Wien gegangen. An dieser habe ich fast fertig studiert. Die erste und die zweite Staatsprüfung habe ich mit Auszeichnung bestanden. Damals bekam ich eine Gehirnhautentzündung, eine Zeckenmeningitis. Ich konnte daher nicht mehr weiterstudieren und habe das Studium abgebrochen. Von Wien ging ich zurück hierher, in meine Hei83

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mat. Hier habe ich mir ein Grundstück mit Haus für die Landwirtschaft gekauft. Ich wurde also Bauer. Geheiratet habe ich eine Bauerstochter. Wir haben vier Kinder. Eine ist Krankenschwester, eine ist in der Schule, einer ist Tierarzt, eine ist Bäckerin. Zehn Viecher haben wir gehabt. Ich bin ja in der Landwirtschaft aufgewachsen, ich habe mich mit den Viechern ausgekannt. Dann habe ich angefangen mit dem ‚Herumdoktern‘ – und zwar zunächst gemeinsam mit dem Tierarzt hier, er hat mich sehr gerne gehabt. Er hatte keine Kinder und keine Enkel. Von ihm habe ich viel Praktisches gelernt. Ich habe damals den ersten Kaiserschnitt durchgeführt. Das war eine Sensation auf der Hochschule: Ein Student macht einen Kaiserschnitt! Ich konnte einfach nicht mehr weiterstudieren, es ging auch finanziell nicht. Überall habe ich Schulden gehabt. In der Landwirtschaft habe ich also gearbeitet und als ‚Tierarzt‘ [er lacht]. Die Leute haben mir etwas dafür gezahlt, nicht offiziell. Ich bin wiederholt angezeigt worden. Herausgekommen ist aber nie etwas. Weil man mir nie etwas Negatives nachweisen konnte. Ich lebe heute von einer Pension als Bauer. Aber ich habe so viel Erspartes, dass ich nicht betteln muss. Bis vor vier Jahren habe ich mich gewundert, dass die älteren Leute immer vom Älterwerden reden, das habe ich nicht verstanden, weil ich mich nie alt gefühlt habe. Vor vier Jahren habe ich einen Schlaganfall gehabt, aber jetzt geht es mir schon wieder gut und ich kann die älteren Leute verstehen.“

Grundbesitzer in Paraguay „Ich habe immer eisern gespart, meine Kinder haben eine anständige Ausbildung. Ich habe Grundstücke gekauft. Zu allem 84

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Überdruss habe ich in Südamerika auch noch Grund gekauft. In Paraguay besitze ich sechshundertfünfundsiebzig Hektar. Achtzehnmal war ich schon dort. Mein Geld habe ich nicht nur als Tierarzt verdient, sondern auch mit dem Pflanzen und Verkaufen von Christbäumen. Ich habe ganze Christbaumkulturen angelegt. Mit den Christbäumen habe ich das verdient, was mich der Besitz in Südamerika kostet. Diesen Besitz habe ich jetzt meinen Kindern vererbt. Er wird verpachtet, dort wird Soja angebaut. Tierärztlich habe ich dort auch etwas gemacht. Ich habe Tiere behandelt und bei Geburten geholfen. So nebenbei, als Hilfe. Ein Teil des Grundstückes ist Urwald, wir haben es aufgeforstet mit Edelhölzern. Über dreißigtausend Edelhölzer haben wir gepflanzt. Ich hoffe, dass ich noch einmal dorthin fahren kann, aber ich weiß es nicht. Die Strapazen sind groß, neunzehn Stunden Flug!“ Alois fragt Herrn Staudinger, ob ihm einmal etwas misslungen ist. Herr Staudinger erzählt, dass er eigentlich viel Glück hatte im Leben: „Misslungen ist mir direkt nichts. Glück hatte ich vor allem bei meinen tierärztlichen Sachen.“ Ich bedanke mich bei Herrn Staudinger sehr für seine Erzählungen. Auf einige werde ich in späteren Kapiteln zurückgreifen. Er erzählt noch von Professor Leopold Rosenmayr und seinem Bruder Franz, die er von seiner Studienzeit her kennt. Bei Franz Rosenmayr, der Arzt wurde, hat er in Wien gewohnt. Beide Brüder verbrachten bei ihm ein paar Jahre hindurch ihren Urlaub. Leopold war hier mit Schiern unterwegs. Wir verabschieden uns herzlich. Der liebenswürdige Alois Almer, eine Seele von einem guten Menschen, fährt mit mir zu Tal. Ich wandere noch ein Stück durch den Ort zum Gasthof Thaller. Am Abend halte ich in Anger meinen Vortrag über feine Leute. 85

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Der Tierarzt in Viehdorf und seine musizierende Familie Dr. Franz Zehetner in Viehdorf bei Amstetten Im schönen Gasthaus „Spatzennest“ gegenüber der Ulrichskirche im 7. Wiener Gemeindebezirk treffe ich nach einem sonntäglichen Kirchenbesuch Herrn Dipl.-Ing. Klaus Zehetner. Beim Tee erzähle ich ihm von meiner Studie über alte Landtierärzte. Ich kenne Herrn Zehetner schon länger, aber erst jetzt erfahre ich, dass sein Vater, er ist schon verstorben, in Viehdorf bei Amstetten Tierarzt gewesen ist. Scherzeshalber meint Klaus Zehetner: Mein Vater war Viechdoktor in Viehdorf, wo der Pfarrer Stierschneider geheißen hat. Der Pfarrer hat tatsächlich so geheißen. Es existiert sogar ein Bild von ihm, wie er ein Kind des Tierarztes tauft. Klaus lädt mich zu sich ein. Seine liebenswürdige Frau Birgid, eine ausgebildete Sängerin, serviert mir guten Tee und Kuchen. Schließlich erzählt Klaus aus dem Leben seines Vaters: „Mein Vater Franz Zehetner ist 1922 in einem kleinen Dorf bei Amstetten als Sohn der Bauersleute Leopold und Maria Zehetner als siebtes von neun Kindern geboren worden. Es war ein großer Bauernhof, auf dem mein Vater aufwuchs. Die Volksschule besuchte er in Amstetten, dann kam er in das Stiftsgymnasium in Seitenstetten, wo er die ersten vier Klassen absolvierte. Das Stiftsgymnasium war eine katholische Elitenschmiede, daher wurde sie auch unter Hitler gesperrt. Mein Vater übersiedelte nun in das Staatsgymnasium in Linz, wo er die letzten vier Klassen absolviert hat. Er hat auch dort maturiert. In Linz hat mein Vater einen Onkel gehabt, bei dem hat er gewohnt.“ 86

der Tierarzt in Viehdorf

Abb. 10: Elternhaus von Dr. Zehetner

Leutnant bei der Luftwaffe und Studium „Nach der Matura wurde er zum Militär eingezogen, er musste bis 1945 Kriegsdienste leisten. Während seiner Grundausbildung fragte ein zuständiger Offizier die jungen Soldaten: ,Wer kann Schreibmaschine schreiben?‘ Es meldete sich keiner, jetzt fragte er: ,Wer kann Klavier spielen?‘ Jetzt meldete sich der junge Zehetner. Da­raufhin steckte man ihn wegen seiner Fingerfertigkeit zur Luftwaffe der Deutschen Wehrmacht. Er brachte es bis zum Leutnant der Luftwaffe. Beim Rückzug aus Holland gehörte er als Fallschirmspringer einem Todeskommando an, das die Aufgabe hatte, die letzten Brücken zu sprengen. Er wurde dabei abgeschossen und landete mit einer verletzten Wirbelsäule in einem Brackgewässer. In diesem ist er zwei Tage gelegen. Er war gelähmt und musste schwer verletzt ein halbes Jahr im Lazarett liegen. Er ist gesund geworden und konnte wieder gehen, aber die Wirbelsäule machte ihm hin 87

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Abb. 11: Begrüßung des neuen Pfarrers Johann Stierschneider in Viehdorf (bei Amstetten) durch Tierarzt Dr. Zehetner im Juni 1956

und wieder Probleme. Dass er später diesen doch schweren Beruf eines Tierarztes ausüben konnte, kann man kaum verstehen. Mein Vater hat viel ausgehalten. Einmal hat ihn ein Stier so an die Wand gedrängt, dass ihm drei Rippen gebrochen wurden. Trotzdem hat er, bandagiert, normal weitergearbeitet und eine Kälbersackverdrehung bei einer Kuh durchgeführt, was Schwerstarbeit ist. Mit einer Hand muss die Kuh fixiert und mit der anderen das Kalb in der Gebärmutter gedreht werden. Der Vater wollte mit dem Offizierssold vom Krieg, den er gespart hatte, sein Studium finanzieren, doch diese Ersparnisse waren natürlich nach dem Krieg weg. Jetzt hat er als Werkstudent studiert, das heißt, er hat studiert, musste aber für sein Leben selbst aufkommen. Da nach dem Krieg der wirtschaftliche Druck groß war, hat der Vater Tierarzt studiert. Kinderarzt hätte er werden wollen. Alle haben ihm aber abgeraten davon. So hat er Tiermedizin studiert.“ 88

der Tierarzt in Viehdorf

Die kongeniale Frau Gemahlin 1951 erhielt Franz Zehetner das tierärztliche Diplom und 1952 wurde er zum Doktor der Tiermedizin promoviert. In Viehdorf ließ er sich schließlich als Tierarzt nieder. Von 1952 bis 1983 war er in Viehdorf ein beliebter und tüchtiger Tierarzt. „1953 heiratete er eine liebe Dame mit dem Namen Hedy Hopfenwieser, meine Mutter. Sie war bis dahin Lehrerin. Später leistete sie an der Musikschule Amstetten Wertvolles. Sie ist erste Cellistin im Symphonieorchester von Amstetten und Organistin in der Pfarrkirche Viehdorf. Sie war meinem Vater stets auch beruflich eine große Unterstützung. Ich selbst bin am 6. Dezember 1958 zur Welt gekommen. Darum heiße ich ja auch Klaus. Wäre ich einen Tag früher geboren, würde ich Krampus heißen [Klaus lacht]. Sie haben mich nach dem heiligen Nikolaus getauft, weil sie keinen anderen Namen für mich hatten, da sie ganz sicher waren, dass ich ein Madel sein werde. Mein Vater ist leider jung bei einem Unfall gestorben. Dies passierte während einer Fleischbeschau, dabei ist er von einem Podest gestürzt. Allerdings hatte er auch eine Kriegsverletzung, die ihn vielleicht behindert hat, und deswegen ist er gestürzt. Meine beiden Eltern waren sehr musikalisch. Diese Musikalität haben wir geerbt. Meine Eltern achteten daher darauf, dass wir Kinder jeder ein Instrument lernten und dass wir gemeinsam musizierten. Wir haben Flöte, Geige, Harfe, Hackbrett, Kontrabass und Gitarre gespielt. Meine Mutter war es hauptsächlich, die uns zum Musizieren gebracht hat. Zuerst spielten wir nur mit der Mutter, später aber auch gemeinsam mit dem Vater. Wir waren haben Hausmusik und klassische Kammermusik gespielt. Dies sprach sich herum. Für meinen Vater bedeutete Musik eine wichtige Erholung von seinem harten Beruf. 89

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Mein Vater, der Tierarzt, sagte immer, wenn die Mama mit den drei älteren Söhnen einen Auftritt hatte: ‚Einer in der Familie muss ja auch ­zuhören und applaudieren und dann mit dem Hut gehen (zum Geldeinsammeln].‘ Als dann aber auch der vierte Sohn am Viertelkontrabass mitspielte, packte ihn der Ehrgeiz und er lernte bei mir, seinem Sohn, noch Gitar­re, sodass wir beim Musizieren die vollständige Abb. 12: Klaus, der Sohn des Familie waren. Tierarztes Dr. Zehetner, auf dem Esel Mein Vater baute meiner Mutter für unsere Familienmusik sogar eine Harfe. Das ergab sich so: Uns wurde berichtet, dass in einem Bauernhaus noch eine alte Bauernharfe sei, die meine Mutter kaufen wollte. Das Prunkstück entpuppte sich als bessere Schuhschachtel ohne Pedale in eher klapprigem Zustand, sodass mein Vater sagte: ‚Das bau ich selber.‘ In jahrelanger Arbeit (ich glaube drei Jahre) baute er in der wenigen Freizeit eine wirklich schöne Harfe mit sieben Pedalen und aufwendiger Mechanik, die er meiner Mutter zur silbernen Hochzeit schenkte. Mit seinem typischen Humor meinte er dann: ‚Aber zur goldenen Hochzeit mach ich nur mehr eine Triangel‘. Meine Mutter hat in Viehdorf den Kirchenchor fünfzig Jahre geleitet. Im Ybbstal in Hohenlehen waren wir regelmäßig bei Familiensingwochen vom Bildungs- und Heimatwerk. Über diese Wochen hat einmal der Österreichische Rundfunk berichtet, da90

der Tierarzt in Viehdorf

bei ist diesem unsere musizierende Familie aufgefallen. Das hat dann weitere Kreise gezogen. Als ich zwölf Jahre alt war, sind wir das erste Mal bei Heinz Conrads, dem beliebten Moderator, im österreichischen Fernsehen aufgetreten. Dies war eine Muttertagssendung.“

Internationaler Auftritt der Familie des Tierarztes von Viehdorf „Heinz Conrads stellte uns so vor: ‚Das sind die Zehetners, der Vater ist Tierarzt in Viehdorf.‘ Er fügte noch lächelnd hinzu: ‚Das muaß a Hackn sein!‘ [Das muss eine interessante Arbeit sein]. Heinz Conrads hat sich über uns gefreut. Dann hat er gesagt: ‚Das Beste ist, dass der Pfarrer von Viehdorf Stierschneider heißt.‘ Aber auch international traten wir auf. 1979 gab es eine weltweit übertragene Live-Sendung von BBC am Heiligen Abend. Bei dieser Sendung haben wir als Familie aus Österreich gespielt. Das war damals eine große Sensation. Das war die erste Sendung dieser Art mit vierhundert Millionen Zuschauern. Diese Weihnachtssendung war eine tolle Geschichte für uns. Da war ich schon zwanzig Jahre alt. Der ,Kurier‘ hat berichtet, dass da vierhundert Millionen zuschauen, das war eine Sensation. Ein paar Jahre später ist mein Bruder Philharmoniker geworden. Damals hat der Karajan eine weltweite Sendung organisiert. Er hat dabei gesagt: ‚Hundert Millionen schauen zu, das muss man sich einmal vorstellen.‘ Das war der Höhepunkt seiner Karriere. Ich habe da gesagt: ‚Bei uns haben aber vierhundert Millionen zugeschaut.‘ Auch in Amerika wurde diese Sendung gezeigt. Zwei meiner Brüder waren während der Schulzeit jeweils für ein Jahr in Kalifornien bei Gastfamilien. Eine Gastschwester meines Bruders 91

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

hat uns einen Brief geschrieben: ‚Ich war gerade beim Geschirr abtrocknen und mein Mann hat beim Fernseher herumgezappt und plötzlich hat er ein Instrument gesehen, das er nicht gekannt hat. Ich habe bloß so über die Schulter geschaut und gesehen, dass dieses Instrument ein österreichisches Hackbrett ist.‘ Die Gastschwester hat das Hackbrett erkannt. Sie hat noch gesagt: ‚Das ist ein österreichisches Volksinstrument. Der Wolfgang Zehetner, der bei uns war, hat auch so ein Instrument gespielt. Dieses klingt ähnlich wie das vom Wolfgang.‘ Dann war ein Kameraschwenk vom Hackbrett auf das Gesicht meines Bruders Wolfgang. Die junge Frau schrieb uns: ,Ich bin fast gestorben‘. Mein zweiter Bruder, der Geiger, war in Kalifornien, er hat dort einen Wettbewerb gewonnen. Als er einmal in Kalifornien in einem Orchester Mozarts Violin-Konzert gespielt hat, ist dies im Rundfunk übertragen worden. Ein Herr hat darauf bei dem Sender angerufen und hat sich nach der Adresse und der Telefonnummer meines Bruders erkundigt. Darauf rief dieser bei der Gastfamilie meines Bruders an und meinte, er habe gehört, da ist ein junger Musiker aus Österreich, er selbst komme auch aus Österreich. Er würde ihn gerne einladen. Mein Bruder hat die Einladung angenommen und ist zu diesem Mann gefahren. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Anrufer aus Oed bei Amstetten kam und meine Eltern kannte, schon bevor die beiden einander kennengelernt haben. Das war in San Francisco. Die Welt ist klein! Mein Vater, der Tierarzt, hatte große Freude mit uns Musikern. Wir waren sein großes Glück. Er hatte eine große Liebe zu Kindern. Typisch für meinen Vater war auch, dass er immer Traubenzucker in der Sakkotasche und im Autohandschuhfach hatte und diesen den Kindern gab. So kamen bei jedem Bauernhof, wenn der VW-Käfer meines Vaters um die Ecke bog, die Kinder gelaufen: 92

der Tierarzt in Viehdorf

‚Papa, Mama, der Tierarzt ist da!‘, und dann hielten sie die Hand auf: ‚Hast a Zuckerl für mi?‘“

Mit der Frau auf dem Motorrad „Die erste Zeit als Tierarzt ist mein Vater mit dem Motorrad auf Krankenbesuche gefahren [siehe dazu das Kapitel über Fahrzeuge]). Meine Mutter hat erzählt, dass sie oft mit dem Motorrad mitgefahren ist, wenn sie meinem Vater bei schwierigen Sachen assistiert hat. Einmal hielt meine Mutter, obwohl sie eine zarte Dame war, eine Kuh, die mein Vater am Maul operierte. Sie tat dies, weil der Bauernbursch, der dies hätte tun sollen, ohnmächtig geworden war [siehe dazu Näheres im Kapitel über Operationen]. Es war einmal im Winter, die Mutter war hochschwanger, als der Vater zu einer Schwergeburt von einer Muttersau gerufen wurde. Meine Mutter ist auf dem Motorrad mitgefahren. Während der Vater noch mit der Sau beschäftigt war, hat sie gesagt: ‚Wenn ihr nicht bald fertig seid, bekomme ich noch vor der Sau das Kind.‘ Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen: meine Mutter hochschwanger hinten auf dem Motorrad im Winter. Mein ältester Bruder, der ist daheim auf die Welt gekommen. Der Papa ist mit dem Motorrad gefahren, um die Hebamme zu holen, dabei hätte er fast mit der Hebamme, die am Motorrad hinten gesessen ist, einen Unfall gehabt. Die Hebamme war darüber erbost und hat gesagt: ‚Sie holen mich nicht mehr!‘ Sie hat sich geirrt, er hat sie wieder geholt – zu meiner Geburt. Meine Mutter war eine Abenteurerin als Beifahrerin auf dem Motorrad meines Vaters, denn manchmal hat sie den Kinderwagen, in dem mein ältester Bruder lag, hinten nachgezogen und mein Vater ist gefahren. 93

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Mein Vater hatte Humor und liebte die Geselligkeit. Bei uns gibt es jedes Jahr einen großen Kirtag. Früher hieß er Schusterkirtag, weil der ganze Bezirk sich an diesem Tag mit Schuhen eingedeckt hat. Die Leute, die zum Kirtag gefahren sind, sind bei uns vorbeigefahren. Einmal hat mein Vater einen Schuhkarton am Straßenrand hingelegt und hat geschaut, was passiert. Die Autos haben abgebremst, sind aber weitergefahren. Es hat keine halbe Stunde gedauert, da ist jemand stehengeblieben, hat den Schuhkarton schnell eingepackt und ist weitergefahren.“ (Klaus lacht.) Herr Dr. Zehetner hatte ein Herz nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen. Daher erlaubte er sich auch allerhand Scherze. Einmal hielt er Klosterschwestern zum Narren, die ihn um einen Krankenbesuch gebeten hatten. Er gab sich als Taglöhner aus, der wegen einer Klostersuppe gekommen war. Im Kapitel über „Geburtshilfe“ ist darüber nachzulesen. Noch etwas fügt Klaus Zehetner hinzu, wobei er mir einige Bilder zeigt: „Vor unserer Einschulung sind wir alle mit dem Vater auf Krankenbesuche mitgefahren. Erst später bin ich draufgekommen, welches Privileg es für uns war, dass wir so viel Zeit mit dem Vater verbringen durften. Mein Bruder wollte aus diesem Grund nicht in die Schule gehen, weil er dann nicht mehr mit dem Papa mitfahren konnte.“ Klaus zeigt mir noch Bilder aus der Zeit, als sein Vater Tierarzt gewesen ist. Auf einem Bild sieht man eine Bäuerin, den Knecht, Heuwagen und das Ross. Ich bedanke mich herzlich bei Klaus und Birgid Zehetner für ihre Gastfreundschaft. Ihre kleine, liebe Tochter freut sich über meine Kunst, mit vier Bällen zu jonglieren.

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der tierarzt im oberen mühlviertel

Der Tierarzt im oberen Mühlviertel Dr. Peter Csaicsich, Weitersfelden Der liebenswürdige und großmütige Herr Wolfgang Lehmann, er ist auch ein stolzer Einundvierziger, also wie ich im Jahre 1941 geboren, holt mich am Bahnhof in Linz ab. Er ist Vorstandsmitglied im Heimatverein in Perg. Wir fahren zu seinem hübschen Haus am Waldesrand bei Windhaag, in der Nähe von Perg. Zuerst werde ich freundlich von seinem Hund, einem Leonberger, und schließlich von seiner netten Frau Gemahlin Elke begrüßt. Diese liebe Dame hat für uns ein gutes Essen vorbereitet, Wildschweinbraten mit Knödeln. Als Vegetarier esse ich nur Knödel mit Sauce, eine Kombination, die mir großartig schmeckt. Da ich ein Buch über Wilderer schrieb, meine ich heiter, äße ich ausnahmsweise Gewildertes. Dieses Wildschein ist aber nicht gewildert, meint Wolfgang lächelnd. Wolfgang hat für mich einen interessanten Tierarzt weit oben im Mühlviertel ausfindig gemacht, der mir Spannendes aus seinem Leben erzählen kann. Ich freue mich darüber und danke Wolfgang sehr. Nach dem Mittagessen fährt er mich in seinem geländegängigen Wagen durch das nördliche Mühlviertel auf kurvenreichen Straßen nach Weitersfelden, nordöstlich von Freistadt gelegen. Im zweiten Stock des Gemeindeamtes von Weitersfelden wohnt der Tierarzt Dr. Peter Csaicsich mit seiner Frau. Sie sind es, die wir besuchen. Wir beide werden freundlich empfangen, man hat uns schon erwartet. Herr Dr. Csaicsich bittet uns ins Wohnzimmer. Seine liebe Frau Gemahlin deckt Tee und Kuchen auf. Ich gebe ihr ein Teesackerl, das ich stets bei mir trage, einen Kräutertee. Seine Frau meint lachend, es sei bemerkenswert, dass der Gast das Teesackerl selbst mitbringt. 95

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In gemütlicher Runde erzählt Herr Dr. Csaicsich, der immer aufgeschlossener und heiterer wird, aus seinem Leben. Ich schreibe in Stichworten mit, meinen Kassettenrekorder habe ich vergessen. Dr. Csaicsich ist trotz seiner achtzig Jahre ein guter Sportsmann und ein ambitionierter Schifahrer geblieben, er besitzt sogar eine VIP-Karte für die Schilifte am Arlberg. Jedes Jahr hat er allein oder mit Freunden Reisen in fremde Länder unternommen. Herr Dr. Peter Csaicsich ist 1928 in Graz geboren worden und in Wien aufgewachsen. Sein Vater war Kaufmann im Hafnergewerbe. An das Hafnergeschäft erinnern die beiden Kachelöfen, die in der Wohnung von Dr. Csaicsich stehen. Täglich trägt Herr Dr. Csaicsich das Holz aus dem Keller in den zweiten Stock. Das Gymnasium besuchte er in Wien-Ottakring. 1947 begann er mit dem Studium an der Tierärztlichen Hochschule. Er hätte auch Interesse am Humanmedizinstudium gehabt, doch er wandte sich dem Studium der Tiermedizin zu. Er dachte sich, als Tierarzt habe er es auch mit Medizin tun und habe nicht jene Probleme, die man mitunter mit Menschen hat. Als Tierarzt hatte er es in seiner Praxis vor allem mit Großtieren zu tun, denn in früheren Zeiten bedeuteten für die Bauern die Kleintiere, wie Katzen und Hunde, nicht so viel wie heute, diese waren Mitläufer am Hof und lebten von dem, was abfiel. 1952 begann er mit seinem Beruf als Tierarzt. Er suchte sich das nördliche Mühlviertel aus, für Tierärzte ein weißer Fleck auf der Landkarte. Obwohl die Bauern arm waren und die ganze Gegend nach dem Krieg Not litt, ließ er sich mutig in Liebenau, einem Naturjuwel am Dach des Mühlviertels, nieder. Seine Frau, mit der er zwei Söhne hat, unterstützte ihn bei seinem Vorhaben. Sie dürfte auch die Triebfeder gewesen sein, dass er bis heute auf dem Lande geblieben ist. Ihm gefiele es allerdings in Wien, wo die beiden eine 96

der tierarzt im oberen mühlviertel

Abb. 13: Geburt eines Kalbes, Dr. Csaicsich

schöne Wohnung mit einer Art Rittersaal besitzen, besser. Derzeit leben in dieser seine Enkel. Voller Tatendrang machte er sich in der ersten Zeit in Liebenau an die Arbeit, wobei er sich dachte, aller Anfang ist schwer, man wird schon sehen, was die Zukunft bringt. In der Gegend hier gab es Holzhacker und Köhler, die je ein oder zwei Kühe hatten. Das Quartier am Beginn seiner Tätigkeit war ein sehr karges. Er wohnte in der ersten Zeit allein in einer unbeheizbaren Dachkammer, in der auch die ärztlichen Instrumente aufbewahrt wurden. Seine große Stütze war seine Frau, die ihm hierher gefolgt war. Der Doktor war mittlerweile in ein Haus gezogen, in dem ihm ebenfalls nur ein Zimmer zur Verfügung stand. Dieses betrat man direkt von der Straße her, es gab nicht einmal einen Vorraum. Man nahm es auf sich, dass am Anfang kein flie97

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ßendes Wasser vorhanden war. Das WC, mit dem ausgeschnittenen Herz in der Holztüre, ein Plumpsklo, befand sich in einem daneben gelegenen Stall. Eine nicht gerade angenehme Situation, vor allem in der kalten Jahreszeit. Es hatte sich bald herumgesprochen, dass er ein sehr guter Tierarzt sei, der sich bei den Kühen gut auskenne. Unterwegs war der Tierarzt zunächst mit dem Fahrrad (über die Schwierigkeiten, zu den Patienten zu gelangen, siehe Näher im Kapitel über Fahrzeuge). Die Bauern hatten zu dieser Zeit – bis 1956 – noch kein elektrisches Licht. Zunächst lebte er von den Operationen, die bei jenen Kühen notwendig waren, die Fremdkörper, wie Nägel und Drahtstücke, mit dem Futter aufgenommen hatten. Diese konnten nur operativ entfernt werden. (Dazu siehe näher das Kapitel über Operationen). Er beherrschte die Kunst des Operierens und Nagelentfernens bestens. Die Bauern waren mit ihm sehr zufrieden, wie er andeutet. Schweine gab es kaum im Ort, auch keine Pferde. Geackert wurde damals noch mit Kühen und Ochsen.

Russische Besatzer Es war dies die Zeit, in der russische Soldaten das Mühlviertel besetzt hielten. Unter ihnen hatte die Bevölkerung schwer zu leiden. Anfangs wurden die Menschen ihrer ohnehin ärmlichen Habe beraubt, man nahm alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Der gesamte Viehbestand, manchmal sogar die letzte Kuh, wurde aus den Stallungen getrieben und abtransportiert, oft mit Waffengewalt. Angst und Schrecken waren die täglichen Begleiter. Es gab in dieser Gegend ein einschichtiges Anwesen, das so abgelegen und von dichtem Wald umgeben war, dass es nicht einmal die Russen fanden. Die Leute dort waren die einzigen, die vor den Russen 98

der tierarzt im oberen mühlviertel

Abb. 14: Ordination von Dr. Csaicsich um 1955, im 1. Stock

Ruhe hatten. Als die Besatzer aufgrund des Staatsvertrages 1955 das Gebiet verließen, besserte sich langsam die Situation. Die Einheimischen bauten, noch in kärglichen Verhältnissen, allmählich ein halbwegs normales Leben wieder auf. Die Menschen waren durch die Landschaft des Mühlviertels geprägt, sie fühlten sich der heimatlichen Scholle – wie der Tierarzt es formuliert – verbunden.

Holzfäller, Köhler und Kleinbauern In dieser Gegend des oberen Mühlviertels gab es zahlreiche Holzfäller und Köhler, die je ein oder zwei Kühe besaßen. Manche von ihnen hatten ihre Kühe in Gemeinschaftsstallungen untergebracht. Die Holzfäller arbeiteten bei den Herrschaften Czernin-Kinsky und Sachsen-Coburg. Sie wohnten in kleinen Häusern, die sich in herrschaftlichem Besitz befanden. Nach einiger Zeit konnten 99

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diese käuflich erworben werden. Viele Holzfällerfamilien machten davon Gebrauch und richteten ihre Bleibe gemütlich her. Als die Zeiten aber schlechter wurden, entließ man die Holzfäller aus dem Dienst. Die meisten von ihnen pendelten nach Linz und fanden dort in der Großindustrie Arbeit. Dennoch blieben sie Kleinbauern und als solche brauchten sie den Tierarzt. Allerdings hatte dieser Probleme, was die Fleischbeschau anbelangte, denn der Bruder des Bürgermeisters von Liebenau hatte die Fleischbeschau inne. Um diese ausüben zu können, musste der Bruder des Bürgermeisters einen eigenen Kurs besuchen, da er ja kein Tierarzt war. Damals fiel die Fleischbeschau noch in die Kompetenz der Gemeinde. Der Bürgermeister war daher nicht daran interessiert, dass Herr Dr. Csaicsich sich hier niederließ, und ohne zuerst einen Kurs besuchen zu müssen, die Fleischbeschau ausüben konnte. Außerdem war die Bevölkerung im Ort der Meinung, der Tierarzt und seine Frau blieben ohnehin nicht lange. Da Dr. Csaicsich keine Chance hatte, in Liebenau ein Haus oder ein Grundstück für ein Haus zu erwerben, verlegte er 1956, nach vier harten Jahren, seine Praxis nach Weitersfelden. Im Gemeindehaus bekam er eine Wohnung. In dieser, sie liegt im zweiten Stock, leben seine Frau und er noch heute. Hier sind wir zu Besuch. Neben seiner Wohnung befindet sich die Ordination, in der die Kleintiere behandelt werden. Damals, in den fünfziger Jahren, praktizierten die nächsten Tierärzte in Freistadt und Guttau. Der Wirkungsbereich des Tierarztes erstreckte sich über zirka dreißig Quadratkilometer. In diesem Umfeld wurde von ihm allein zwanzig Jahre lang das Vieh betreut. Heute haben sich in dieser Gegend sechs Tierärzte niedergelassen. Er meint, es sei zu hoffen, dass sie beruflich überleben können. Er habe kaum Kontakt zu ihnen. 100

der tierarzt im oberen mühlviertel

Für die Großtiere benötigte der alte Tierarzt keine Ordinationsräume, denn die Kühe wurden von ihm in den Ställen behandelt und, wenn nötig, wie bereits erwähnt, im Freien operiert. Seine Frau unterstützte ihn vortrefflich und assistierte bei vielen Opera­tionen. Sie kümmerte sich aber auch um ihre Söhne. Ein Dienstmädchen stand ihr zur Seite, welches die beiden Buben sehr mochten. Als der Präsident der Landesveterinärdirektion Linz unseren Herrn Doktor einmal aufsuchte, war er entsetzt über die Armut der Bevölkerung. Bei manchen Kleinbauern schliefen in den fünfziger Jahren zwei oder drei Leute in einem Bett. Dies war seinem Gast vollkommen unverständlich. Die Verbindung zur nächsten größeren Stadt war eine Katastrophe. Nur einmal am Tag kam ein Autobus von Freistadt, der erst am nächsten Tag wieder nach Freistadt zurückfuhr.

Die harte Arbeit des Tierarztes Dr. Csaicsich erzählt weiter: In einem strengen Winter sei der Mantel, den er während einer Geburt eines Kalbes im Stall trug, vor Kälte steif gefroren gewesen. Durch die Kälte stand dieser von selbst. Er erinnert sich an einen Humanmediziner, der sich hier niederließ. Dieser war eben aus zehnjähriger sibirischer Gefangenschaft, in die er kurz nach Kriegsende geriet, zurückgekehrt. Er hatte Angst, von seinen Erlebnissen aus dieser Zeit zu erzählen. Wenn er dies doch tat, dann nur sehr vorsichtig in einem vertrauten Kreis, wobei er darauf achtete, dass keine ungebetenen Zuhörer mithorchen konnten. Um zusätzlich ein wenig Geld zu verdienen, fuhr Herr Dr. Csaicsich mit seinem Auto, einem alten Peugeot mit Schiebedach, für die örtliche Rettung Kranke in Spitäler nach Freistadt und Linz. Drei Stunden benötigte er jeweils für 101

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Abb. 15: Schwierige Fahrverhältnisse, das Auto von Dr. Csaicsich

eine Fahrt. Für denjenigen, der zu transportieren war, wurden die Sitze umgelegt, um entsprechenden Platz zu schaffen. Die Aufträge zu Krankenvisiten erhielt er an den Sonntagen nach der Kirche im Gasthaus, in dem er zu Mittag aß oder manchmal ein Gläschen Wein trank. Sein Visitenbuch war jeweils voll mit Aufträgen. Nach der Kirche saßen die Bauern gerne in der Gaststube, die Bäuerinnen saßen inzwischen in der Küche und tranken Wein mit etwas Zucker. Aufgrund der klimatischen Bedingungen durch die Höhenlage des Ortes gab es dort keinen Most. Bei einem Bauern musste die Kuh dreimal operiert werden. Bei einem anderen war die Kuh trächtig und krank. Zu dieser wurde der Arzt gerufen. Das Kalb war, obwohl es noch im Mutterleib war, schon verkauft, da man das Geld dringend gebraucht hatte. Oft wurde das Kalb schon im Alter von drei Wochen verkauft, um zu Geld zu kommen. Die kleinen Bauern lieferten noch keine 102

der tierarzt im oberen mühlviertel

Milch an die Molkerei, da diese selbst benötigt wurde, im Gegensatz zu den heutigen landwirtschaftlichen Großbetrieben, die die Molkereien beliefern. Heute gibt es weniger Kühe als früher, als es noch viele Kleinbauern gab. Auf den Bauernhöfen lebten auch noch mehrere Leute, heute sind es nur mehr wenige. Bauernhöfe wurden in diesen Zeiten verkauft, die Landflucht setzte ein. Die meisten, vor allem jüngere Personen, erlernten einen Beruf, haben dadurch eine geregelte Arbeitszeit und ziehen in Stadtnähe oder pendeln, vorwiegend mit dem Auto, zum Arbeitsplatz. Herr Dr. Csaicsich betont, dass ihm alle Krankheiten, die es bei den Kühen geben kann, in seiner langjährigen Laufbahn untergekommen sind. Auf dem kargen Granitboden dieser Gegend enthält das Futter kaum Kalk. Dieser Umstand wirkt sich auf die Knochen von Tieren aus, daher waren Knochenkrankheiten der Kühe nicht selten. Kühe, die an einer Krankheit zugrunde gingen, wurden am Aasplatz vergraben, wofür der Wasenmeister zuständig war. Es kam auch im Gegensatz zu heute vor, dass Teile eines kranken Tieres von den armen Leuten gegessen wurden, ohne dass sie krank wurden. Während des Weltkrieges mussten Tiere, je nach Größe des Bauernhofes und nach Anzahl der gehaltenen Tiere, abgeliefert werden, um die Versorgung in den Städten zu sichern, wo das Fleisch auf Lebensmittelkarten abgegeben wurde. Schwarzschlachtungen waren bei strengsten Strafen verboten, kamen aber vor. Auch nach dem Krieg war der Verkauf von Fleisch noch eine Zeit lang kontingentiert.

Das Ansehen des Tierarztes Herr Dr. Csaicsich hat durch seine Operationen und als Geburtshelfer gut verdient. Seiner Frau gefällt es hier, ihr macht es Ver103

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gnügen, auf dem Land zu wohnen. Zu Wien hat sie keine Bindungen mehr. Er selbst würde gerne wegziehen, doch die Frau ist hier zufrieden. Seine Frau wirft ein, dass heute noch Bauern ihren Mann bitten, ihre Kuh zu untersuchen. Der alte Tierarzt genießt also noch immer hohes Ansehen. Einmal trafen Dr. Csaicsich und seine Gattin in einer Konditorei einen Herrn, der die beiden ansprach und den Doktor fragte, ob er der berühmte Tierarzt sei, der die Kühe operiert hat. Er sei sogar einmal bei einer Operation dabei gewesen, dabei habe er allerdings nur des Doktors hübsche Frau, die ihm so gut gefallen habe, angeschaut. Von der Operation selbst habe er nichts mitbekommen. Urlaub nahm sich der Tierarzt regelmäßig, meist allein. Die Frau blieb lieber bei ihren beiden Söhnen. In seiner Praxis wurde er während seiner Abwesenheit von einem besonders groß gewachsenen Berufskollegen vertreten. Dieser nächtigte im Nachbarhaus. Wegen seiner Länge musste das Bett am Fußende ausgeschnitten werden. Die Bauern wussten, dass der Arzt keinen Schnaps oder Ähnliches trank, aber gerne Mehlspeisen aß. Daher stellte man ihm, um ihm Respekt zu erweisen, bisweilen, während er eine Kuh behandelte, eine Malakofftorte in das von Fliegen besetzte Stallfenster. Er nahm die Torte nach der Behandlung der Kuh mit Freuden zu sich. Herr Dr. Csaicsich erzählt spannend. Seine Frau bietet uns noch Tee und Kuchen an. Bevor wir gehen, zeigt er uns noch seine Vitrine mit Schätzen, die auf sein Weltbürgertum hinweisen, darunter auch ein Zigarrenstumpf in einer Glasröhre. Ein beiliegendes Zertifikat bestätigt, dass dieser Zigarrenstumpf von Napoleon stamme. Sehr angetan von allem, müssen wir jedoch aufbrechen. Die Zeit drängt. Wir verabschieden uns herzlich von den freundlichen Gastgebern. Freund Wolfgang fährt mich wieder durch das halbe Mühlviertel zu seinem Haus in Windhaag. Ihm sei gedankt. 104

der tierarzt, der zum historiker wurde

Der Tierarzt, der zum Historiker wurde Dr. Herwig Forster in Großreifling an der Enns Es ist Mittwoch, der 8. April 2009, ich radle von Spital am Pyhrn nach Windischgarsten. Für 16 Uhr habe ich mich mit Tierarzt Herwig Forster aus Großreifling in der Konditorei Thallinger verabredet. Herr Forster ist aus Großreifling in Begleitung seiner charmanten Gattin mit dem Auto hierher gefahren. Die beiden sitzen schon im Kaffeehaus und warten auf mich. Wir kennen einander von meinem Vortrag in Großreifling im letzten Oktober. Herr Tierarzt Forster ist über achtzig Jahre alt, er erfreut sich bester Gesundheit. Als er mit fünfundsechzig in Pension ging, wurde er zum Heimatforscher. Er hat schon einige schöne Bücher über die Dörfer, Häuser und Menschen seiner Gegend geschrieben. Ich bestelle einen Pfefferminztee und ein Stück Kuchen. Ich erzähle über die Idee zum Buch und drücke die Freude aus, mit ihm sprechen zu können. Schließlich erzählt Tierarzt Forster aus seinem spannenden Leben: „Ich bin sechsundachtzig Jahre alt, am 19. März 1923 bin ich in Kirchenlandl an der Enns auf die Welt gekommen. In unserer Familie gibt es vier Generationen Tierärzte. Mein Vater war Tierarzt und ich bin Tierarzt. Beide praktizierten wir in Großreifling. Mein Sohn ist auch Tierarzt, er ist aber nach Graz gegangen. Meine Enkelin, seine Tochter, ist auch Tierärztin. Sie lebt in der Schweiz.“

Freude am Sezieren einer Maus „Mein Vater hat in Großreifling als Tierarzt begonnen. Sein Vater, mein Großvater, war Bürgerschuldirektor in Wien. Wie mein Vater 1919 mit dem Tierarzt-Studium fertig war, hat man ihm drei 105

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Stellen angeboten. Eine in Bad Aussee, eine in Gröbming und eine im Bezirk St. Gallen. Er hat dann einen Ausflug nach St. Gallen gemacht und da hat es ihm im Landl an der Enns so gut gefallen. Nun ist er zum Steinleitner, einem Gasthaus, dem jetzigen Münichhof, gegangen. Dort hat er den Wirt gefragt, was er machen solle und ob er eine Chance hätte, Abb. 16: Tierarzt Adolf Forster – seit hier als Tierarzt Geschäft zu 1920 als Tierarzt tätig – erste Arbeit machen. Der Wirt hat ihm beim Pfarrer, er musste eine verhexte gesagt: ‚Viecher sind genug Kuh heilen da, Sie werden sich schon durchsetzen.‘ Der Vater hat nun in Landl zu arbeiten begonnen. Im Gerichtsbezirk St. Gallen ist er Landesbezirkstierarzt geworden. Er hat die Fleischbeschau gehabt. Im Gasthaus Deutschmann hat er sich niedergelassen. Dort im Kirchenlandl war er bis 1932. Dann hat er geheiratet und ein Haus gebaut. Seine Frau, meine Mutter, stammt von einem Eisenbahner ab, der in Landl einmal Bürgermeister war. 1923 habe ich also das Licht der Welt erblickt. Ich war schon sehr früh an Tieren interessiert. Ich hatte mit dreizehn Jahren ein Erlebnis. Es war gerade Mittagszeit in Großreifling. Hinter unserem Stall, wir haben Schweine, Hasen und Hühner gehabt, sehe ich eine fast tote Maus, die dabei war, Junge zu bekommen. Ich habe die Maus genommen und sie aufgeschnitten und die Jungen herausgenommen. Sie waren schon tot. Mich hat 106

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interessiert, wie die Maus innen aussieht. Ich habe voll Freude die aufgeschnittene Maus und die Jungen auf einem Brett aufgespießt. Meine Eltern waren gerade beim Mittagessen. Ich bin zu ihnen mit diesem Brett mit den aufgespießten Mäusen gegangen und zeigte das Werk meiner Mutter. Die tat einen Schrei und schon hatte ich eine Watsche gehabt. Ganz beleidigt habe ich das Zimmer verlassen. Das war meine erste größere Operation. Die Volksschule besuchte ich in Großreifling. Dann kam ich nach Waidhofen für vier Jahre ins Gymnasium. Meine Eltern übersiedelten nach Graz, wo ich 1942 auch maturierte.“

Überleben im Krieg und schönes Leben als Gefangener in den USA „Nach der Matura bin ich zum Militär eingerückt. Ich bin nach Landeck gekommen. Ich habe mich gefragt, wie ich den Krieg überleben könnte? Welche Taktiken sind da anzuwenden? Die erste Taktik war, dass ich mich freiwillig zu einem Offizierslehrgang meldete. Die Schule war in Innsbruck. Lange war ich nicht dort. Man hat einen Mutsprung von uns verlangt. Von einem Zehnmeterturm mussten wir ins Wasser springen. Ich sprang da hi­nunter und ich landete voll auf dem Bauch. Es war ein richtiger Bauchfleck. Ich habe mich aus dem Wasser hinausgewunden und habe mich hingelegt. Der Leutnant hat das gesehen und mich beschimpft, was ich denn für ein Feigling sei. [Er lacht.] Mich haben sie nun ordentlich geschunden und dann hinausgeworfen. Für mich war das aber lebensrettend. Es hat zur Folge gehabt, dass ich nicht in den Kaukasus geschickt wurde, wie meine Kollegen. Ich bin nun nach Landeck zurück, wo ich kurz Hilfsausbildner war. Einer, der mit mir ausgebildet worden ist, hat mir erzählt, 107

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dass alle, die mit mir zum Offizierskurs eingerückt waren, schon tot sind. Sie wurden im Kaukasus verfeuert. Ich hatte also Glück. Ich bin am Leben geblieben und habe gute Zeiten in Landeck verbracht. Ich war Gebirgsjäger. Es hat nicht lange gedauert und ich kam in die Schreibstube. Da kommt der Hauptmann auf mich zu und sagt: ‚Gut, dass ich dich treffe. Wenn du willst, kannst du nach Südfrankreich.‘ Ich habe sofort zugesagt. Am nächsten Tag bin ich schon mit dem Zug nach Innsbruck gefahren. Dort ist ein Bataillon Gebirgsjäger zusammengestellt worden und wir kamen nicht nach Südfrankreich, sondern nach Afrika. Wir sind daher nach Sizilien und von dort mit einer ‚Ju 52‘ nach Tunesien geflogen. Wir mussten sofort aus dem Flugzeug hinaus und vom Flugplatz weglaufen, denn dieser Platz wurde von den Engländern dauernd angegriffen. Das war im Jänner 1943. Wir sind nun zum Einsatz gekommen. Ich war Schütze eins. Mir ist, Gott sei Dank, nichts passiert. Eines Tages sehe ich einen grau-braunen Arabermantel, der war schön und locker. Ich denke mir, den nimmst du. In der Nacht ist er schön warm. Ein paar Tage später durften wir baden. Ich wusch mich und sehe rote Punkte am Körper. Ich dachte zuerst, das sind Masern. Nun ging ich zum Sanitäter. Dieser sagte: ‚Schau einmal dein Hemd an!‘ Ich war voll von Läusen. Der Sanitäter hat mich gleich weiter zum Zugführer geschickt. Der hat mich beschimpft. Am nächsten Tag sind wir schon zur Entlausung nach Tunis marschiert. Das hat eine Woche gedauert. Danach bin ich wieder zur Kompanie. Nun kam die Revision, um zu schauen, ob wir Läuse hätten. Ich hatte wieder Läuse. Der Oberleutnant hat mich sofort strafweise von der Kampfeinheit zum Tross versetzt. Das war das große Glück für mich! In der Nacht mussten die anderen zum Einsatz und ich bin in der Sonne gelegen und habe ein Pferd zu betreuen gehabt. 108

der tierarzt, der zum historiker wurde

Für mich war das ein Glück und die anderen haben sich geärgert. Ich war ehrgeizig. Ich wollte mehr werden als ein gewöhnlicher Soldat, aber das gelang mir nicht. Der Oberleutnant musste mir das Verwundetenabzeichen geben und mich zum Gefreiten befördern. Aber gleichzeitig hat er mich strafweise zum Tross versetzt. [Er lacht, denn etwas Besseres hätte ihm nicht passieren können.] Ich hatte eine Sau! Großes Glück!“ Seine Gattin mischt sich ein und mahnt den Herrn Tierarzt: „Du musst schauen, dass du zu Geschichten von deinem Leben als Landtierarzt kommst.“ Er beharrt: „Das sind lauter interessante Sachen. Aber noch etwas muss ich erzählen. Wir sind von den Amerikanern gefangen genommen worden und nach Amerika, nach Texas, in die Gefangenschaft gekommen. Ein Jahr blieben wir in Texas und ein Jahr in Kentucky. Es war herrlich. Die Amerikaner waren freundlich zu uns, bis der Krieg aus war. Dann haben sie es uns gezeigt! Ich war Essensverteiler in der Küche und kam dann in die Kuchenbäckerei, obwohl ich dies nicht wollte, denn bei so einer Arbeit wird man dick. Der Amerikaner, der die Aufsicht hatte, hat mir gleich zu Beginn ein Rezept gegeben und gesagt, ich solle einen Germteig machen. Auf dem Zettel ist gestanden, wie viel Kilo Mehl und wie viel Salz und so weiter zu verwenden ist. Ich habe diese Zutaten in einem großen Reindl gut vermischt, so gelang mir der Germteig wunderbar. Von daheim konnte ich das. Ich habe mir weiter nichts dabei gedacht. Ein paar Wochen später sind die Mitgefangenen abtransportiert worden. Der Einzige, der geblieben ist, war ich. Ich wurde dabehalten, weil ich Spezialist im Kuchenbacken war. Zunächst habe ich mich geärgert. Es war aber nicht schlecht, ich war dann der Erste, der wieder daheim war. Ich war schon im Juni 1945 zu Hause.“ 109

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Als Student in tierärztlichem Auftrag „Nun ging es darum, was ich tun soll. Zunächst wollte ich Elek­ trotechnik studieren. Ich ging in Wien auf die Hochschule und da sagte mir die Sekretärin, ich sei der 200.000., der sich anmelde. Das war 1946. Ich bin nun nach Großreifling heimgefahren. Mein Vater war bereits in Großreifling, er ist von Graz wieder hierher übersiedelt. Ich bin also zu ihm gefahren und habe ihm gesagt, ich wüsste nicht, was ich tun solle. Da sagte der Vater, er könne mir eines sagen, als Tierarzt hätte man immer genug zu essen. Ich habe mir das überlegt. Bereits im September darauf, da war ich noch nicht an der Tierärztlichen Hochschule eingeschrieben, hatte ich meinen Vater drei Monate als Tierarzt in Großreifling vertreten. Mein Vater war krank, er hat mir genau erklärt, was ich tierärztlich tun soll. Ich solle zu dem und dem Bauern gehen und das und das tun. Ich habe dies genau befolgt. Es ist alles gut gegangen. Dann begann das Semester an der Hochschule. Ich studierte Tiermedizin. Zu Weihnachten, ich war im ersten Semester, komme ich heim nach Großreifling. Da sagt mein Vater: ‚Du, fahr hinein zum Bauern A., bei ihm ist eine Sau krank. Schau sie dir an und lass sie abstechen.‘ Ich bin hingefahren und habe geschaut, was da los ist. Es war ein Schweinchen mit ungefähr vierzig Kilo, es hatte einen Nabelbruch. Ich habe die Leute gebeten, die Instrumente aus Großreiflig zu holen, was sie auch getan haben. Ich habe meinem Vater, der wollte, dass ich das Schwein abstechen lasse, also nicht gefolgt. Wir haben das Schwein auf einen Tisch gelegt. Zu fünft haben wir es gehalten. Ich habe das Schwein gespritzt und habe begonnen, es zu operieren. Nach drei Stunden war der Fall erledigt. Ich habe den Bruch gut operiert. Wie ich dann zu Ostern wieder von der Hochschule heimgekommen bin nach Groß110

der tierarzt, der zum historiker wurde

Abb. 17: Der letzte Arbeitseinsatz von Adolf Forster, dem Vater von Herwig Forster, vor der Pensionierung

reifling, habe ich von dem Besitzer ein Geselchtes von dieser Sau für meine Arbeit erhalten. Nach meiner Operation haben sie das Schwein weitergefüttert und zu Ostern haben sie es, wie es üblich ist, abgestochen. Das war meine erste größere Operation.“

Gelungene Operationen und Freuden „Ich habe möglichst schnell studiert. Zu den Professoren habe ich kaum Kontakt gehabt. Ich wurde Tierarzt und wollte auch das Doktorat machen, aber der Professor Dirnhofer hat mich hängengelassen. Als fertiger Tierarzt habe ich nun die Stelle in Großreifling übernommen. Ich habe Erfolge gehabt. Meine erste größere Operation habe ich in Weißenbach durchgeführt. Es ging um eine hochträchtige Kuh beim Peternbauern. Es ist ein schöner Hof, der 111

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Abb. 18: Der VW-Kübelwagen von Tierarzt Herwig Forster

jetzige Besitzer heißt Kaltenbrunner. Die Kuh hatte einen Bruch. Ich habe also operiert und das Zeug hineingebracht. Die Wunde habe ich versorgt. Zum Bauern habe ich gesagt: ,Wenn die Kuh nicht in vier Tagen zu fressen beginnt, dann muss sie abgestochen werden.‘ Nach vier Tagen hat die Kuh zu fressen begonnen. Die Operation war also erfolgreich. Das hat sich schnell herumgesprochen. Dadurch habe ich in der ganzen Gemeinde viel Arbeit bekommen. Der Tierarzt von St. Gallen, ganz in der Nähe von mir, hat darauf aufgehört und ist nach Kanada ausgewandert. [Er lacht.] Ich habe immer viel zu tun gehabt. Die Hauptarbeit war die Besamung. Ich habe damit angefangen. Davor wurde die Kuh noch zum Stier geführt. Die erste Zeit war ich zu Fuß und dann mit dem Motorrad und einem Kübelwagen unterwegs. [Auf Erzählungen von Herrn Forster zum Thema seiner Autos wird in einem späteren Kapitel noch einzugehen sein.] Meine am weitesten 112

der tierarzt, der zum historiker wurde Abb. 19: Tierarzt Herwig Forster bei der Behandlung einer Kuh 1983 beim Bauern Zwanzleitner

von zu Hause entfernte Fremdkörperoperation unternahm ich bei einem Bauern in der Nähe von Waidhofen an der Ybbs, das ist von Großreifling ganz schön weit entfernt. Dort habe ich eine Kuh mit einem Fremdkörper im Magen operiert. Zweihundertsiebzigmal habe ich Magenoperationen bei Kühen durchgeführt, um Nägel aus dem Pansen zu entfernen, siebzigmal habe ich Kaiserschnitte bei Kühen durchgeführt. [Zum Thema Krankheiten und Kaiserschnitt siehe später.] Auch Menschen habe ich behandelt. [Siehe dazu das betreffende Kapitel.] Wasser, Seife und Handtuch habe ich immer verlangt, wenn ich zu einem Bauern gekommen bin, um ein Vieh zu behandeln, 113

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damit ich mir nach der Behandlung die Hände waschen kann. Einmal kam ich zu einer Bäuerin bei der Ruine Gallenstein in St. Gallen. Da ich es immer sehr eilig gehabt hatte, habe ich gleich bei meiner Ankunft gerufen: Wasser, Seife, Handtuch! Nach einiger Zeit kommt sie daher mit einem Wasserseicher [zum Durchseihen, also ein Sieb] und einem Handtuch. Sie hat mich fragend angeschaut, denn sie konnte sich nicht vorstellen, was ich mit dem Seicher will. Mit den Rindern kann man heute kein großes Geschäft mehr machen. Mein Sohn hat meine Praxis daher nicht übernommen, obwohl es eine sehr gute Praxis war. Er hat gesagt, das sei ihm eine zu große Quälerei. Er ist lieber nach Graz übersiedelt, dort wurde er Amtstierarzt.“

Der Historiker der Eisenwurzen „Mit fünfundsechzig bin ich in Pension gegangen. Ich bin jetzt einundzwanzig Jahre in Pension. Ich habe nun total umgesattelt, ich bin jetzt ‚Geschichtler‘ der Eisenwurzen geworden, das ist die Gegend an der Enns, die mit der Eisenverarbeitung und dem Eisentransport verbunden war. Ich habe drei Bücher über Innerberg, das ist Eisenerz, über die Hammerherren und die Chronik von Großreifling geschrieben.“ Ich kaufe Herrn Tierarzt Forster ein Buch über Großreifling ab, das er selbst gedruckt hat. Wir sitzen noch etwas im Kaffeehaus Thallinger in Windischgarsten beisammen. Dann verabschiede ich mich, wobei ich ihm und seiner Frau Gemahlin herzlich danke. Ich radle weiter in Richtung Hengstpass. Herr Tierarzt Forster überholt mich in seinem Auto nach einiger Zeit, er fährt zurück über den Hengstpass nach Großreifling an der Enns. 114

der tierarzt im alpenvorland

Der Tierarzt im Alpenvorland und seine grosse Praxis Dr. Volker Werner-Tutschku in Sattledt Auf die gute Idee, mit Herrn Dr. Volker Werner-Tutschku aus Sattledt zum Thema Landtierärzte zu sprechen, brachte mich Herr Tierarzt Peter Rippel aus Wien, der unsere Dackeline Hera Xanthippe Waldburga betreut. Ihm sei hier gedankt. Ich rufe Herrn Dr. Volker Werner-Tutschku an. Er ist sofort bereit, mir aus seinem Leben zu erzählen. Er kennt mich von einem Vortrag, er habe auch etwas gelesen von mir. Ich teile ihm mit, dass ich ihn gerne an einem Dezembertag des Jahres 2008 besuchen wolle. Er ist damit einverstanden. Er wolle mich am Bahnhof in Wels abholen. Gegen Mittag komme ich dort an. Allerdings gibt es ein paar Komplikationen, da ich mit einem anderen Zug in Wels ankomme, als Dr. Werner-Tutschku erwartet hat. Er hat mich auf einem anderen Gleis vermutet. Aber wir finden einander. Er bittet mich zu seinem Auto, es ist gleichzeitig sein Dienstwagen, auf dem der Name seiner Sattledter Tierklinik zu lesen ist. Während der Fahrt zu seiner Tierklinik erzählt mir der Tierarzt einiges über seine Praxis, wie er diese aufgebaut hat und welche Leute darin arbeiten. Vor der Klinik, in der sein Sohn Gernot mit Assistenten praktiziert, bleiben wir stehen. Ich werde in das moderne Haus gebeten. Es hat einen Ordinationsraum und einen Seminarraum für die Bauern, die hierher bisweilen zu Fortbildungskursen auf dem Gebiet der Tiermedizin eingeladen werden. Eine Küche gibt es, mit einem Speise- und Frühstücksraum. In diesen setzen wir uns. Mir werden Tee und ein Kuchen von der 115

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Köchin angeboten. Ich nehme dankbar an. Zwei liebe Enkelinnen kommen, sie setzen sich an das andere Ende des Tisches. Sie nehmen hier ihr Mittagessen ein. Tierarzt Dr. Werner-Tutschku erzählt stolz von seinen Söhnen und Enkelkindern. Ein Sohn ist Arzt in Wels, ein Sohn steht hier der Klinik vor, der andere hat eine Kleintierpraxis in Sattledt. Volker bietet mir das Du an. Ich nehme erfreut an. Sein Sohn Martin kommt herein, er ist Tierarzt. Wir kennen einander vom Zug. Er meint, ich hätte ihm ein Seidel Bier gezahlt. Er redet mich per du an, ich ihn auch. Es sind nette Leute, die Werner-Tutschkus. Ein Herr kommt noch dazu. Er wird mir als „unser Schweinespezialist“ vorgestellt. Es ist Mittagszeit, die Assistenten und Leute aus der Familie von Volker treffen sich hier. Auch eine Schwiegertochter ist hier, auf sie scheint man hier sehr stolz zu sein, denn sie ist Architektin und hat diese schöne Klinik geplant. Werner meint dazu: „Das haben wir alles in der Familie.“ Wir machen es uns gemütlich. Mir wird ein Tee vorgesetzt. Volker, der einige Jahre Bürgermeister von Sattledt gewesen ist, beginnt zu erzählen:

Der Hund des Sigmund Freud „Ich bin 1932 geboren worden, als Sohn eines Tierarztes in WienKagran, in der Wagramer Straße. Dort hatte mein Vater auch seine Praxis. Mein Vater hat mit Großtieren und Kleintieren zu tun gehabt. Er ist mit einem alten Tatra zu seinen Patienten gefahren. Ich bin als kleiner Bub oft mit ihm mitgefahren. Er hat einen sehr prominenten Patienten gehabt, und zwar den Hund des berühmten Psychoanalytikers Sigmund Freud. Das ist wirklich wahr. Sigmund Freud war gern bei der Tante meines 116

der tierarzt im alpenvorland

Vaters, die hat so eine kleine Hundepension gehabt. Wenn Freud verreist ist, hat er seinen Hund bei der Tante in Pension gegeben. Daneben war die Praxis meines Vaters. Die Impfungen und solche Sachen hat dieser berühmte Hund von meinem Vater bekommen.“ Dieser kurze Hinweis auf den Hund von Sigmund Freud ist höchst spannend, denn es dürfte weithin nicht bekannt sein, dass der große Sigmund Freud einen Hund hatte. Und zwar hatte er eine Chow-Hündin, Jofie hieß sie. Sie ist in die Geschichte der Psychoanalyse, also der Erforschung der Seele, eingegangen. Jofie soll bei den Behandlungen der Patienten anwesend gewesen sein. Angeblich wusste sie immer genau, wann Freud von seinem Patienten „genug“ hatte. Jofie erhob sich dann und Freud beendete die Sitzung. Der Professor soll immer gesagt haben: „Wen die Jofie nicht mag, mit dem stimmt etwas nicht.“ Es existiert auch ein Bild, das den greisen Arzt mit seiner Hündin zeigt. Offensichtlich hatte Freud längst erkannt, dass der Umgang mit einem Hund gerade für Menschen mit kompliziertem Seelenleben sehr hilfreich und erbaulich sein kann. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass er bereits im Jahre 1925 seiner Tochter Anna einen deutschen Schäferhund geschenkt hatte, der sie auf ihren einsamen Spaziergängen erfreuen und wohl auch beschützen sollte. Anna und ihre Freundin waren es schließlich auch, die Sigmund Freud die Chow-Hündin Jofie schenkten, zu der dieser große Seelenarzt offensichtlich eine enge Beziehung entwickelte. Volker erzählt weiter: „Mein Vater ist leider 1940 gestorben. Die Mutter mit uns Kindern ist dann in die Nähe von Bruck an der Glocknerstraße nach Ferleiten umgesiedelt, um den Kriegsfolgen auszuweichen. Wir wohnten im Hotel Lukas Hansl, in dem meine Mutter als Kellnerin arbeitete. In vier verschiedenen Gymnasien war ich, dann habe ich die Matura gemacht. Das war nicht, weil ich so blöd bin oder durch117

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gefallen bin, sondern wegen der dauernden Ortswechsel. Zuerst war ich in Wien-Floridsdorf in der Schule, dann in Kreuzberg bei Bischofshofen, in Salzburg und schließlich in Wien in der Vereinsgasse. In der Wiener Zeit habe ich beim Großvater gewohnt.“

Der Grossvater als Bauer Über diese Zeit bei seinem Großvater, es waren die Jahre 1947 bis 1950, weiß Volker zeitgeschichtlich Spannendes, auch hinsichtlich der damaligen Landwirtschaft in Wien, zu berichten: „Mein Großvater, der Vater meiner Mutter, hieß Bärenreiter. Meine Mutter war also eine geborene Bärenreiter. Der Großvater war Bauer in Kagran. Er hat von Kagran aus regelmäßig mit einem Pferdewagen Erdäpfel in die Stadt geliefert. Dabei habe ich ihm geholfen. Ich bin selbst auch mit dem Pferdewagen von Kagran über die Kärntner Straße zur Rotenturmstraße gefahren, um Erdäpfel auszuführen. Ich bin dabei zwischen den russischen Panjewagen gefahren. Durch die Eisenräder hat das Fuhrwerk gescheppert. Ich war damals im Gymnasium. Im Jahre 1948 haben die Russen auf dem Kagraner Platz im Haus meines Großvaters, es war das einzige Stockhaus dort, ihre Kommandantur einrichten wollen. Man wollte uns also aus diesem Haus hinauswerfen. Da hat der Großvater gesagt, da müssten wir zum Figl, dem damaligen Bundeskanzler, fahren, damit der uns helfe. Der Großvater war ja während der Dollfuss-Zeit Gemeinderat in Wien, er war Gründungsmitglied des niederösterreichischen Bauernbundes. Der Großvater litt an einer Hüftgelenksarthrose, er musste mit zwei Stöcken gehen. Auf seiner Fahrt mit der Straßenbahn zum Ballhausplatz, also in das Bundeskanzleramt, habe ich ihn, um ihm zu helfen, begleitet. Zum Portier dort hat der 118

der tierarzt im alpenvorland

Großvater gesagt, er wolle zum Figl. Der Portier hat ihn entsetzt angeschaut und hat gefragt, wie er sich das vorstelle, er könne nicht so einfach zum Bundeskanzler gehen. Darauf sagte der Großvater: ‚Sagen Sie ihm, der Bärenreiter aus Kagran ist da.‘ Der Portier hat immer noch geschaut. Darauf hat der Großvater ein paar Mal mit dem Stock aufgeklopft und hat gesagt: ‚Gehen Sie!‘ Mein Großvater war groß und hat einen Bart gehabt. Er hat imponierend ausgesehen. Der Portier ist schließlich doch zum Bundeskanzler gegangen. Wie er zurückgekommen ist, hat er zum Großvater gesagt: ‚Herr Ökonomierat, der Herr Bundeskanzler ist derzeit verhindert, aber in zwei Stunden wird er Sie empfangen. Nehmen Sie inzwischen Platz.‘ Dann sind wir zwei Stunden gesessen. Als wir dann zum Bundeskanzler gebeten wurden, hat mein Großvater den Bundeskanzler mit ‚Servus, Poldl!‘ begrüßt, er hieß ja Leopold Figl. Dieser antwortete: ‚Servus, Peter! Was gibt es?‘ Ich war ein bisserl enttäuscht, weil ich mir unter einem Bundeskanzler etwas anderes vorgestellt habe, dabei war der Figl ein kleines Manderl. Der Großvater hat sein Leid geklagt, dass ihn die Russen aus seinem Haus hinauswerfen wollen, ob er uns nicht helfen könne. Der Figl hat den Sekretär geholt und hat diesem einen Text diktiert. Dann hat der Nachbar in Kagran ausziehen müssen, aber nicht wir. Den Nachbarn haben wir bei uns im Haus untergebracht. Von 1947 bis 1955 habe ich beim Großvater gewohnt. Die Mutter war Kellnerin in Bruck. Der Großvater hatte in Kagran noch drei oder vier Kühe, Hühner und Schweine gehabt. Auch Milchkundschaften hatten wir. In Kagran gab es damals noch einige Bauern.“

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Das Studium „1950 habe ich in Wien maturiert, ich darf sagen sogar mit Auszeichnung. Meine Söhne haben gesagt: ,Gib deine Zeugnisse weg, die wollen wir nicht sehen, dein Studienbuch auch nicht.‘ [Er lacht.] 1950 habe ich in Wien mit dem Veterinärmedizinstudium begonnen. Ich habe es in kürzestmöglicher Zeit als Erster in meinem Semester abgeschlossen. Gerade wie ich dreiundzwanzig Jahre alt wurde, war ich fertiger Diplom-Tierarzt. In unserem Semester waren fünfzig Hörer, davon waren nur zwei Frauen, heute ist es anders. Die eine der Frauen habe ich mir geangelt. Meine Frau ist also auch Tierärztin, sie hat früher mitgearbeitet, jetzt tut sie nichts mehr, sie ist in Pension. Meine Söhne sagen zu mir: ‚Du hast ja nur darum so gute Noten bekommen und warst darum so schnell fertig, weil man euch durch das Studium getreten hat, denn man hat damals Tierärzte gebraucht.‘ [Er lacht.] Am 25. Juni 1955 bin ich fertig geworden. Wir, ein Kollege und ich, sind sofort zum Professor Dirnhofer gegangen, weil wir bei ihm das Doktorat machen wollten. Er hat uns zum Doktoratsstudium angenommen. Über den Sommer haben wir die Dissertation geschrieben. Im Dezember habe ich promoviert und war dann Doktor. Vor zwei Jahren habe ich das goldene Doktordiplom bekommen. Dann habe ich mir gedacht, jetzt muss ich mir eine Stelle suchen. Herr Professor Benesch, er war Spezialist für Geburtshilfe, hätte einen Posten für mich in der Besamungsanstalt der steirischen Landesregierung gehabt, doch das hat mich nicht interessiert. Wie ich am Schwarzen Brett in der Tierärztlichen Hochschule, die damals noch in der Linken Bahngasse im 3. Bezirk war, vorbeigegangen bin, hab ich auf diesem gelesen, dass eine Praxis in Oberösterreich abzugeben ist. Ich war vorher noch nie in Oberösterreich. Ich habe mir ge120

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dacht, das schaust du dir einmal an. Ich habe einen Brief nach Oberösterreich geschrieben und bin dorthin gefahren. So wie du Roland Girtler heute von mir am Bahnhof abgeholt worden bist, hat mich der damalige Tierarzt von Sattledt abgeholt. Es war nebelig, gesehen hat man von der Landschaft nichts. Der Tierarzt hat eine kleine Wohnung gehabt, hier in Sattledt. Er hat mich zu einem Bauern mitgenommen. Ich habe mir gedacht: ‚Na ja!‘ Mich hat ein wenig irritiert, dass er bloß in zwei kleinen Kammerln gehaust hat. Ich habe ihm das Telefon, so ein Telefon, wo man noch kurbeln musste, um eine Verbindung herzustellen, abgekauft. Das war damals sehr teuer. Ich bin gekommen, der Tierarzt hat aufgehört und ist nach Wien gegangen. Ich fuhr dann zur Tierärztekammer in Linz, um mich anzumelden. Der Präsident der Kammer hat gemeint: ‚Was, Sie gehen nach Sattledt, Sie müssen verrückt sein! So einen Stoß Bettelbriefe haben wir von Ihrem Vorgänger bekommen, in denen steht, dass er hier nicht leben könne. Haben Sie nicht gewusst, dass seine Frau in einem Welser Kaffeehaus als Kaffeeköchin arbeiten muss, damit die beiden leben können?‘ Die haben sich nicht vorstellen können, dass ich nach Sattledt gehe! Ich habe geantwortet: ‚Jetzt habe ich schon die Wohnung gemietet und das Telefon habe ich ihm abgelöst und ein paar Instrumente habe ich ihm abgekauft.‘ – ‚Wissen Sie, was?‘, haben die bei der Tierärztekammer gesagt. ,So schöne Praxen hätten wir gehabt für Sie, wenn Sie vorher zu uns gekommen wären. Bleiben Sie ein Jahr in Sattledt, dann kommen Sie zu uns und Sie bekommen etwas Gescheites!‘ Ich warte noch immer, dass ich etwas Gescheites von der Kammer bekomme.“

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Der schwierige Vorgänger „Der Tierarzt vor mir in Sattledt hat nichts gekonnt, es war alles veraltet. Mit den Bauern hat er auch nicht gescheit gekonnt. Mir haben die Bauern erzählt, einmal ist er zu einem Bauern gefahren, weil die Geiß nicht kitzen konnte. Er ist die ganze Nacht bei dem Bauern gewesen und hat Most getrunken. In der Früh war die Geiß tot und er hat einen solchen Rausch gehabt, dass er nicht auf der Ofenbank liegen konnte. Bei einem Bauern, dem damaligen Bürgermeister, hat die Kuh einen Gebärmuttervorfall gehabt, die Gebärmutter hat er hineingetaucht. Damit sie drinnen bleibt, hat er zum Bürgermeister gesagt, jetzt müsse er mit der Hand hineinfahren und so bei der Kuh stehen bleiben. Der Tierarzt ist inzwischen in das Haus gegangen und hat mit der Bäuerin Schmäh geführt. Der Bauer ist bei der Kuh im Stall gestanden mit der Hand in der Kuh, er hatte nicht viel Freude mit dem Tierarzt gehabt. Jedenfalls hat der Tierarzt dort dann aufgehört, und ich bin am 5. 4. 1956 dagestanden. Ich war vierundzwanzig Jahre alt und war der jüngste Tierarzt von Österreich. Ich habe mir gedacht: ‚Jetzt schaust du, wie es in Sattledt geht!‘“

Der Aufbau der Praxis „Dann haben wir geheiratet. Meine Frau kommt aus Guntramsdorf, sie ist Tochter eines Tierarztes, ihr Vater war damals schon verstorben. Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt. Sie ist mit mir hierher gekommen, am 20. Oktober 1956 haben wir geheiratet. Dann sind wir die Sache angegangen. Am Anfang war es sehr bescheiden. Wir haben mit zwei Zimmern, zusammen achtunddreißig Quadratmeter, angefangen. Die Ordination war dabei, Dusche 122

der tierarzt im alpenvorland

Abb. 20: Schwerster gemästeter, kastrierter Eber; ca. 1967. Er hatte 497 kg, er wurde von der Familie Lachmayr, im Bild Vater und Sohn (Hausname Illinger) gemästet.

haben wir keine gehabt, Bad auch nicht. Wir haben uns im Lavoir waschen müssen. Am Gang war ein Plumpsklo. Vier Jahre haben wir so gewohnt, inzwischen haben wir zwei Kinder bekommen. Wir haben vier Kinder, der Älteste ist praktischer Arzt in Wels. Er ist verheiratet mit einer Ärztin, der Zweite ist der Martin, der ist mit einer Diplomarchitektin verheiratet. Gernot hat die Klinik in Sattledt. Der dritte Sohn ist Tierarzt in Wels, er hat die Kleintierklinik in Wels, er ist verheiratet mit einer Ärztin. Das vierte Kind ist die Tochter, sie ist Chefärztin bei der BVA (Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter) in Linz, sie ist verheiratet mit einem Arzt, der ist ihr aber inzwischen davongelaufen. Alle von uns sind total 123

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medizinisch. Die Tochter, sie hat zuerst Dolmetsch studiert, hat nach zwei Semestern zu mir gesagt: ,Papa, du bist mir eh nicht bös, ich habe jetzt Medizin inskribiert.‘ In unserer Familie kann man sich dem Hang zur Medizin nicht entziehen. Die Praxis ist immer besser gegangen, nach einem Jahr habe ich mir ein Auto gekauft. Ja, das muss man. Mit dem Auto, einem Volkswagen, ist es dann schon für mich leichter geworden. Nach vier Jahren haben wir unser Haus gebaut. Das war lange nicht heruntergeputzt und der erste Stock war lange nicht ausgebaut. Ich kann mich noch an den Genuss erinnern, wie ich das erste Mal in unserem Hause warm geduscht habe. Vorher sind wir immer nach Wels gefahren, zum Tröpferlbad. Am Bahnhof war das Tröpferlbad. Wir sind mit den Kindern am Samstag dorthin gefahren. Das war schön. Die Leute bewundern meine Frau, sie fragen sich immer, wie meine Frau das ausgehalten hat. Eingezogen sind wir in unser Haus im November 1960. Nun ist es weiter schön aufwärts gegangen, die Praxis ist immer größer geworden. Meine Frau hat dann auch ein Auto bekommen, das zweite also in der Familie. Sie ist nun selbstständig in die Praxis gefahren. Vorher ist sie mit mir mitgefahren.“ Dr. Volker Werner-Tutschku war nicht nur ein guter Tierarzt, sondern ebenso ein guter Gemeindepolitiker. Daher wählte man ihn auch zum Bürgermeister von Sattledt: „Bürgermeister war ich von 1979 bis 2003. Das bedeutete viel Arbeit. Unsere Klinik ist neben dem Gemeindeamt. Die Leute haben sich daran gewöhnen müssen, dass ich mit dem Arbeitsgewand auf die Gemeinde bin, ohne Anzug und ohne Krawatte. Ich habe bald ein Autotelefon gehabt. Wenn etwas war, haben sie mich angerufen. Viele Sachen konnte ich vom Autotelefon aus erledigen. Vorher war ich Gemeindevorstand, es gab neunzehn 124

der tierarzt im alpenvorland

Gemeinderäte und vier Gemeindevorstände. Wir hatten damals einen roten Bürgermeister. Im Vorstand waren wir zwei Rote und zwei Schwarze. Die Bauern sind hier fast ausnahmslos schwarz. Die Bauern sind hier gut situiert, sie sind sehr fleißig. Der Oberösterreicher ist überhaupt ein fleißiger Menschenschlag.“ Volker Werner-Tutschku erfreut sich an den Bauern, die mit ihm zufrieden sein dürften. Die Praxis wird von seinen Söhnen bestens weitergeführt. Volker lädt mich noch in sein Haus in Sattledt ein. Sein Sohn Gernot, der hier seine Kleintierklinik hat, begrüßt mich freundlich. Er zeigt mir seine Geräte und erzählt von der Wichtigkeit seiner Kleintierklinik für diese Gegend. Seine Frau bereitet uns im ersten Stock in einem hallenähnlichen, schönen Raum eine kleine Jause. Ich freue mich darüber. Ich bedanke mich. Es war ein schöner Nachmittag für mich bei den Tierärzten von Sattledt. Volker bringt mich in seinem Auto noch nach Kronstorf in die Nähe von Steyr, wo ich einen Vortrag zu halten habe. Dafür und für diesen für mich lehrreichen Nachmittag sage ich ihm herzlichen Dank.

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Der Tierarzt als Abenteurer Dr. Willi Lechner in Molln Mit der Bahn fahre ich am 5. Jänner 2009 von Spital am Pyhrn nach Klaus. Dort holt mich Herr Dr. Willi Lechner ab, er ist ungefähr fünfundsiebzig Jahre alt, er macht einen rüstigen Eindruck. Wir fahren nach Molln in sein schmuckes Haus, das in der Dr.-W.Lechner Straße steht. Seine liebenswürdige Frau Gemahlin empfängt mich freundlich, Gusti heißt sie. Ich werde mit beiden bald per Du. Gusti will mich zu Hascheeknödeln einladen. Ich lehne als Vegetarier ab, sie macht mir einen Früchtetee. Willi bringt mir einen Zeitungsartikel, den jemand über ihn geschrieben hat. Er legt mir auch eine Kurzgeschichte seines Vaters mit dem Titel „Der Alptraum eines Tierarztes“ vor. Auch einen Bericht zeigt er mir, in dem steht, dass sein Vater ein hoch angesehener Gelehrter der Tiermedizin war. Sein Vater war offensichtlich ein Vorgänger meines Bruders an der Tierärztlichen Universität, beide lehrten dasselbe Fach. Willi hat drei Söhne, einer ist ihm nachgefolgt in der Praxis. Willi ist nun in Pension. Ich trinke Tee, wir unterhalten uns über die alte Kultur der Tierärzte. Willi erzählt: „Ich bin ein geborener Wiener. 1934 erblickte ich das Licht der Welt. Mit meiner Gesundheit bin ich zufrieden. Ich habe nicht geraucht und nicht getrunken. Ich bin in der Praxis viel gelaufen.“

Als Flüchtling nach Oberösterreich Über die Zeit des Krieges und die Zeit nachher erzählt Herr Dr. Lechner: „Im Krieg sind wir ausgebombt worden, unser Haus, in 126

der tierarzt als Abenteurer

dem wir wohnten, ist also durch Bomben zerstört worden. Mein Vater war an der Tierärztlichen Hochschule vor dem Krieg Professor für Anatomie, aber auch Dozent für Huf- und Klauenkunde. Dadurch, dass er Pferde-, Huf- und Klauenspezialist war, ist er 1939 zum Militär gekommen. Er war dann Chef der Heereslehrschmiede in Sonthofen, sie ist von Berlin dorthin verlegt worden. Er war Oberstabsveterinär. Vor dem Krieg war er an der Tierärztlichen Hochschule. Nach dem Krieg hatte er leider Probleme mit der Blase und der Prostata gehabt – durch die Strapazen im Krieg. Nachdem wir ausgebombt worden waren, wollten wir weg. Wir sind geflohen, vor den Russen. Wir sind von Wien mit einem Flüchtlingstransport nach München gekommen. Von dort sind wir vier Wochen zu Fuß nach Sonthofen gegangen, um zum Vater zu kommen. Wie wir in Sonthofen ankamen, war kein Vater da. Auf einmal kommt einer daher, wie der Andreas Hofer, mit Pferd und Wagen. Das war unser Vater. Er hat allen seinen Leuten Entlassungsscheine geschrieben. Er selbst hätte einen vom Führerhauptquartier gebraucht und keinen mehr bekommen, es war ja alles weg. Wir waren auf der Flucht, wir hatten nur einen Kinderwagen gehabt für meine Schwester, die war zwei Jahre alt. Wir waren vier Kinder: zwei Buben, zwei Madln. Wir hatten bei uns alte österreichische Pässe von 1910 oder 1920. Die Besatzungssoldaten haben die gesehen und gesagt: ‚Du gut, du Australia.‘ So sind wir gut über die Runden gekommen. In Sonthofen waren die Franzosen, und zwar Marokkaner, als Besatzungsmacht stationiert. Zu den Kindern waren sie freundlich, aber auf die Frauen waren sie scharf wie der Hund auf die Wurst. Meine Schwester mit fünfzehn und meine Mutter, sie war damals noch keine vierzig, haben wir mit Dreck angeschmiert, damit sie älter aussehen. Die Amerikaner haben uns in Lastwägen nach Bregenz 127

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gebracht. Wir sind nicht nach Wien, denn dort waren die Russen. Wir landeten schließlich in einem Flüchtlingslager bei Nussbach, in der Nähe von Kremsmünster. Wir wohnten in Erdbunkern. Mein Vater hat nicht weit davon in Wartberg den Tierarzt Mörtendorfer und in Kremsmünster den Doktor Grabherr vertreten. Vom Flüchtlingslager kamen wir nach Wartberg, dort hat der Tierarzt Mörtendorfer im Gasthof Neuhauser ein Zimmer für uns besorgt. Wir sechs haben nun in einem Zimmer gehaust. Der Doktor Grabherr hat einen Sohn gehabt, der war genau so alt wie ich. Der alte Grabherr hat zu meinem Vater gesagt: ‚Schick mir deinen Sohn, die beiden sollen zusammen in einem Zimmer wohnen und gemeinsam in Kremsmünster in die Schule gehen.‘ Ich bin nun zwei Jahre in Kremsmünster zur Schule gegangen, in die Hauptschule. Für das Gymnasium haben wir kein Geld gehabt. Im siebenundvierziger Jahr hat der Vater in Molln eine Praxis angemeldet. Dort war vorher nie ein Tierarzt. Der Vater hat sich gedacht: ‚Von irgendetwas müssen wir leben‘, daher hat er die Praxis angemeldet. Ich bin dann von Kremsmünster nach Steyr ins Gymnasium gekommen. In Molln haben wir zunächst auch nur eine Notwohnung gehabt, mit eineinhalb Räumen. Wenn wir in den Ferien vom Internat in Steyr heimgekommen sind, haben wir bei den Bauern am Heuboden geschlafen. So war das damals. Der Vater hat in der Wohnung die Praxis angefangen. Da er kein Nazi war, hatte er auch keine Probleme. Aber er war dauernd krank. 1954 habe ich maturiert. Zu der Zeit ist der Vater schon die meiste Zeit im Krankenhaus gelegen. Ab dem vierundfünfziger Jahr habe ich ihm schon in der Praxis geholfen und bin mit ihm herumgefahren. Damals haben wir im Jahr höchstens 200 künstliche Besamungen gehabt. Mein Vater 128

der tierarzt als Abenteurer

hat bis 1956 keinen Führerschein gehabt, er ist mit einem Moped unterwegs gewesen, im Sommer wie im Winter. Das hat seinen Nieren den Rest gegeben. Ich habe 1954 auf der Tierärztlichen Hochschule das Studium begonnen, ich musste mich tummeln, damit ich, bevor der Vater stirbt, noch die Praxis bekomme. Ich habe viel studiert, ich bin zu Prüfungen gegangen, bei denen ich den Professor nicht einmal gekannt habe.“

Nachfolger des Vaters – Hausbau und Fahrten zu den Bauern „Ich habe im sechziger Jahr noch rechtzeitig die Praxis meines Vaters übernommen. Dann ist es losgegangen. Ich habe damals um eine Wohnung angesucht. Die aber haben gesagt, der Lausbub solle erst einmal arbeiten. Dann hat der alte Gemeindearzt, Doktor Bauer, ein Freund meines Vaters, zu mir gesagt: ‚Weißt was, Willi, ich gebe dir in meinem Haus eine Wohnung, richte sie dir her! Kauf dir später einen Grund und bau ein Haus darauf. Die sollen dich alle gernhaben.‘ Ich habe mir den Grund gekauft und ein Haus gebaut. Ich habe das Haus gemeinsam mit den Eltern gebaut, sie hatten unten die Wohnung und wir wohnten oben. Der Vater hat damals noch acht Jahre gelebt. Mein Vater hat die letzten Jahre wissenschaftlich gearbeitet. Er hat die ‚Geschichte der Medizin und der Veterinärmedizin‘ geschrieben. Für dieses Buch hat er dann die Josef-Baier-Medaille bekommen. Sie ist eine der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen. Mein erster Sohn ist Tierarzt in Molln, der zweite ist Kindergärtner, der dritte ist Steuerberater. Nachdem ich in Molln das Haus gebaut hatte, ist die Praxis so richtig angewachsen. Ich bin nach Hinterstoder, nach St. Pankraz über die Waldnerhöhe zum 129

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Trinkl, der den Hofnamen Stummer führt. Ich war hier der einzige Tierarzt. In Windischgarsten war der Doktor Hetzer und dann der Doktor Orator, in Kirchdorf war einer und einer in Grünburg. Wenn der Doktor Orator auf Urlaub war, habe ich ihn vertreten. Ich bin zwischen Hengstpass und Pyhrn und Aschach an der Steyr oft täglich zweimal hin- und hergefahren. Mein Vater ist zuerst mit dem Moped gefahren, 1956 haben wir einen VW-Käfer gekauft. Er war da schon schwer krank. Die tierärztlichen Sachen habe dann ich gemacht, er hat nur mehr wissenschaftlich gearbeitet. Er war ein super Wissenschafter. Er ist nach Berlin und Hamburg geflogen, um Vorträge zu halten. Unterrichtet hat er in der Landwirtschaftsschule in Kirchdorf, in der Fleischhauerberufsschule und in der Landwirtschaftsschule im Sonnwendhof bei Windischgarsten. Auch in Schlierbach hat er unterrichtet. Das hat ihm gefallen, er war ein ausgesprochener Wissenschafter. Ich habe also die Praxis angefangen, dann hat sie sich sehr gut entwickelt. Mit den Besamungen. Fünftausend Besamungen im Jahr hatte ich, das war ein gutes Geschäft. Heute haben wir nur mehr tausendzweihundert Besamungen im Jahr. Hier in Molln hatten wir ‚kleine‘ Bauern, Bauern mit zwei oder drei Kühen und ein paar Goaß [Ziegen]. Ab den achtziger Jahren wurden sie immer weniger. Die Kleinbauern waren für mich als Tierarzt die dankbarsten Patienten. Die waren freundlich und haben gleich gezahlt.“ (Darüber ist in einem eigenen Kapitel zu berichten.)

Verwegene Fahrten mit der Materialseilbahn und mit dem Auto Herr Doktor Lechner geht nun näher auf die Fahrten ein: „Früher war es schwer, zu den Bauern zu kommen. Man ist auch mit der 130

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Materialseilbahn gefahren.“ Bei solchen Fahrten erlebte Herr Dr. Lechner einige Abenteuer, davon ist im Kapitel über Fahrzeuge Näheres zu lesen, ebenso seine Erlebnisse mit seinem Auto. Auch mit Anbrauchern, also mit bäuerlichen Heilern, hatte er zu tun. Viel war Dr. Lechner mit seinem Auto unterwegs, so viel, wie im Kapitel über „Fortbewegung“ noch zu erzählen ist, dass das ­Finanzamt ihm nicht geglaubt hat. Herr Dr. Lechner meint dazu: „Wir waren im Bezirk acht Tierärzte, heute sind es zweiundzwanzig, damals gab es aber ein Drittel mehr Viecher als heute. Heute machen viele Kleintierpraxis. Samstag und Sonntag sind wir doch die einzigen Tierärzte, weil die anderen zusperren. Ich war Tag und Nacht im Einsatz. Von den dreihundertfünfundsechzig Tagen im Jahr war ich dreihundertfünfzig Tage da. Auch zu Weihnachten und zu Ostern. Zu Weihnachten war ich zum Beispiel am Geißlitzkogel oder beim Blasriegel oben.“ Darüber ist später mehr zu erzählen.

Tierarzt mit Leib und Seele Herr Dr. Lechner überlegt: „Ich war mein Leben lang mit Leib und Seele Tierarzt. Mir war nichts zu blöd. Meine Frau hat oft gesagt: ‚Jetzt warst du heute eh schon dreimal in Stoder, jetzt brauchst du nicht noch einmal zu fahren.‘ Aber ich bin gefahren. Ich habe die ersten zehn Jahre als Tierarzt überhaupt keinen Urlaub gehabt, denn damals haben wir das Haus gebaut. Ich habe jede freie Minute am Haus gewerkt, ich habe die Träger aufgestellt, den Mörtel gemacht … Gesundheitlich war ich Gott sei Dank gut beisammen. Der Sohn ist 1985 mit dem Studium fertig geworden. Er hat schnell studiert, er war mit dreiundzwanzig Jahren einer der jüngs131

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ten Tierärzte. Ich habe damals schon Ausfallserscheinungen gehabt. Heute habe ich mehr Zeit. Für so ein Interview, wie ich es mit dir nun führe, hätte ich damals keine Zeit gehabt. Ich bin nicht einmal gescheit zum Essen gekommen. Ich habe im Auto gehabert [gegessen] oder beim Fleischhauer in Hinterstoder habe ich mir schnell eine Leberkäsesemmel gekauft und bin schon wieder weitergezogen. In der Impfzeit war es überhaupt arg – ich habe eigentlich nur vom Oktober bis in den April impfen können, weil in der sonstigen Zeit die Tiere auf der Weide waren. Damals bin ich um fünf Uhr in der Früh losgefahren, habe in Stoder angefangen zu impfen. Wenn ich in zwei Häusern geimpft habe, hat es um sechs Uhr vielleicht schon geheißen, in der Breitenau sei eine Geburt. Ich bin hinausgefahren, habe die Geburt gemacht und dann wieder in drei Häusern geimpft. Wieder hat es vielleicht geheißen, ich solle nach Oberschlierbach. Das war ein Stress damals. Heut ist kein Stress mehr für mich. Heute sind überhaupt, im Vergleich zu früher, nur Kleinigkeiten zu tun. Wir haben früher im Bezirk acht Tierärzte bei ungefähr sechs- bis siebentausend Rindviechern gehabt. Jetzt haben wir zweiundzwanzig Tierärzte bei einem Drittel der Viecher, vielleicht sogar nur einem Viertel.“ Ich werfe ein, für einen guten Tierarzt sei es wohl wichtig, eine Frau zu haben, die ihn bei seiner Arbeit nicht im Stich lässr. Willi Lechner bestätigt dies und sagt: „Wenn ein Tierarzt auf dem Land und ebenso ein Menschenarzt nicht die richtige Frau hat, sind sie schon ,erschossen‘. Früher, wie wir jünger waren, sind meine Frau und ich auch auf Bälle gegangen, so auf den Bauernball oder den Jägerball. Es konnte sein, dass wir bereits für den Ball uns fertig gemacht hatten, auf einmal hat es geheißen, ich müsse nach Hinterstoder zu einer Geburt fahren. Das kostete Zeit. Ich musste ja nach jeder Geburt 132

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wieder heimfahren, mich waschen, ich kann ja nicht als Stinkerter [Stinkender] auf den Ball gehen. Geholt wurde ich ohnehin nur zu den komplizierten Geburten, bei den einfachen holt dich eh keiner. Aber es hat genug komplizierte Geburten gegeben, weil wir so viele Viecher hatten. Heute gibt es nur mehr ein Drittel. Das Neueste sind Schafe und Ziegen. Viele Bauern stellen um auf Schafe und Ziegen. Weil es angeblich weniger Arbeit ist. Die ersten zehn Jahre sind wir nicht auf Urlaub gefahren. Bis der Sohn mit dem Studium fertig war, im Jahre 1985, sind wir jeweils nur für zwölf Tage an den Klopeiner See gefahren. Wir waren noch nirgends anders als am Klopeiner See. Ich habe den Sohn, als er noch Student war, mitgenommen in die Praxis. Ich habe ihn alles machen lassen. Der Übergang, allein in der Praxis zu sein, war daher kein Problem für ihn. Die Leute haben ihn alle gekannt, sie haben gesagt, ich solle den Jungen schicken. Er ist Bergsteiger.“

Sympathie mit den Kleinbauern „Früher waren kleine und Kleinstbetriebe in Steyrling, Hinter­ stoder usw. Die Männer sind in den Holzberg gegangen, sie waren alle Nebenerwerbslandwirte, daheim war nur die Frau. Diese Kleinbauern waren die dankbarsten Kundschaften. Da gab es noch persönliche Kontakte, die sind heute weg. Die haben alle aufgehört mit der Landwirtschaft. In den sechziger und siebziger Jahren ist es den Bauern relativ gut gegangen. Da haben die Kinder alle studiert. Das war gerade der Aufschwung. Seit der Fremdenverkehr so richtig groß wurde, hörten viele eh auf mit der Landwirtschaft, drinnen in Stoder überhaupt.“ Seine Frau Gusti wirft ein: „Schade, mir ist leid um die alten Häuser und die Kühe, die Mirzl, Resi oder so geheißen haben. Sie hatten noch Namen. Heute sind sie lauter 133

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Nummern.“ Willi ergänzt: „Es gibt auch keine echte Sennwirtschaft mehr. Es ist auch ein Generationsproblem. Der Bauer findet keine Bäuerin, die Bäuerin findet keinen Bauer, [sie] alle studieren, viele gehen in die Stadt. Mit meinen fünfundsiebzig Jahren fühle ich mich auch noch ganz wohl. Das viele Autofahren war für mich eine Gaudi, denn ich bin ein Hobbyautofahrer. Ich könnte Tag und Nacht fahren, das macht mir Spaß.“ Bei manchen Kollegen hat Dr. Lechner wegen seiner Kunst des Autofahrens den Ruf, ein Autorennfahrer zu sein. Ich bedanke mich herzlich für die spannende Erzählung von Dr. Willi Lechner, auch seiner Frau Gusti danke ich für Tee und Kuchen. Willi bringt mich mit dem Auto noch zu meinen Freunden Eva und Professor Manfred Bodingbauer in Molln. Ich verabschiede mich von ihm und bleibe noch ein Stündchen bei Eva und Manfred. Bei ihnen bekomme ich einen Heidelbeerstrudel serviert. Ich lasse ihn mir schmecken und wandere dann zu Fuß zum Bahnhof in Klaus an der Pyhrnbahn. Mit dem Zug fahre ich weiter nach Spital am ­Pyhrn.

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Der Tierarzt, der nach Kremsmünster zurückkehrte Dr. Wolfgang Oberhuber in Kremsmünster Mit dem Zug fahre ich am 3. 1. 2009 nach Kremsmünster. Vom Bahnhof wandere ich, es ist ein Sonntagnachmittag, durch mein liebes und jetzt ruhiges Kremsmünster, in dem ich als Klosterschüler dereinst allerdings auch zu leiden hatte. Ich suche Herrn Dr. Wolfgang Oberhuber auf, er wohnt auf der Hauptstraße 13, auch er hat, wie ich, die Schule im Kloster Kremsmünster besucht. Er ist also auch ein Altkremsmünsterer. Er wohnt in einem prachtvollen, alten Bürgerhaus mit marmornen Stufen und einem schönen Innenhof. Im Prunkzimmer nehmen wir Platz. Brigitta, die liebe Frau Wolfgangs, empfängt mich freundlich. Begeistert bin ich von den Krippen, die sie selbst gebastelt hat. Eine besonders große Krippe zeigt das Stift Kremsmünster und den Markt. Die Dame ist eine Künstlerin. Wir setzen uns an den Tisch. Brigitta bringt Kräutertee und Kuchen. Ich lange zu. Brigitta sitzt dabei. Auch sie, die Künstlerin, weiß einiges zu erzählen. Wolfgang ist 1954 geboren worden und ein feiner, liebenswürdiger Herr, der sich freut, mir bei meinen Forschungen behilflich sein zu dürfen. Ich erzähle, dass es mir dabei um den Wandel der alten Kultur der Tierärzte geht. Ihm gefällt diese Idee. Auch Wolfgang ist ein Künstler. Brigitta bringt das Modell eines klassischen Leiterwagens, das Wolfgang mit viel Liebe und Geduld gebastelt hat, es gefällt mir gut. Unten am kleinen Leiterwagen ist der Langbaum zu sehen, der über den Wagen hinaussteht, sodass man den Bindbaum mit Seilen festbinden kann. Er zeigt mir noch andere Modelle von Pferdewägen und alten Postkutschen. Wolfgang ist 135

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ein wahrer Künstler. An seinen Basteleien merke ich, dass er die Pferde, die früheren besten Freunde des Menschen, hoch achtet. Ich bin begeistert von seinen Modellen, die gut zu den Krippen der Frau Gemahlin passen.

Das frühe Interesse an den Bauern und ihren Tieren Wolfgang erzählt: „Geboren bin ich 1954 in Neuhofen an der Krems. Mein Vater war Baumeister und dann Lehrer an der HTL in Linz. Ich hatte schon als Kind, obwohl wir zu Hause keine Landwirtschaft hatten, Interesse an den Tieren der Bauern und am Beruf des Tierarztes. Ich stamme aus Neuhofen an der Krems. Ich war in der Schule ein schlechter Schüler. Aber ich habe es geschafft und habe maturiert. Die Großeltern waren beide Handwerker. Der väterliche Großvater war Tischler. Der mütterliche war Schmied. Beide haben daneben noch eine kleine Landwirtschaft gehabt, mit zwei Kühen, einer Geiß und zwei Schweinen. Sie waren Selbstversorger. Der Schmied hat schon früher seine Kuh hergegeben, der Tischler erst später. Bei meinen Großeltern habe ich den Umgang mit Tieren kennengelernt. In meiner Kindheit lebten noch mehrere Generationen zusammen, vor allem auf den Bauernhöfen, aber davon ist man jetzt auch schon abgekommen. Früher lernte man durch das Zusammenleben die Gebrechlichkeit der Alten zu akzeptieren.“ Ich füge ein, dass man bei den Bauern eine ganz andere Beziehung zu den Toten gehabt habe als dies heute der Fall sei. Die Toten wurden drei Tage zu Hause aufgebahrt. Man musste sich mit ihnen also auseinandersetzen. Bei manchen Bauern ging man in den Stall und teilte den Tieren mit, dass der tote Bauer nun zum Friedhof 136

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getragen werde. Wolfgang sieht es ähnlich und fährt fort: „Meine Tante hat in Spital am Pyhrn ein Haus vom Dechant Stögmüller, dem früheren Pfarrer von Spital am Pyhrn, geerbt. Meine Mutter ist eine Stögmüller.“ Diese Nachricht überrascht und erfreut mich, denn beim „Herrn Dechant“, wie wir ihn nannten, ging ich zur Erstkommunion. Seine Pfarrersköchin, die Juli, ist in meinem Buch über Pfarrersköchinnen ehrend erwähnt. Wir nannten sie die Pfarrer-Juli, sie hatte eine prächtige Sammlung alter Dinge, unter ihnen befanden sich auch Assignaten, das sind französische Banknoten, die um 1790 nach Spital am Pyhrn gebracht worden waren. Ich besitze einige von diesen. Auch einen Hund hatte die PfarrerJuli. Es gab einen Spruch auf dem Land, der lautete: „Des Pfarrers Hund, der Ärzte Kind – im Ort die allerärgsten sind.“ Ich freue mich, dass seine Mutter eine geborene Stögmüller und mit dem früheren Pfarrer von Spital am Pyhrn verwandt ist. Das Haus, es liegt in der Stegreith, hat seine Schwester von seiner Tante geerbt. Hie und da sucht er es auf.

Klassische Landtierärzte Wolfgang kommt nun auf sein Leben als Tierarzt zu sprechen: „Fertig studiert habe ich 1979. Das Doktorat habe ich 1980 gemacht. Mein Vorgänger in Kremsmünster, wo ich 1983 Tierarzt wurde, war ein Dr. Lehner, er war nach dem Krieg hier Tierarzt. Drei Töchter hat er gehabt. Die Frau stammte von einem großen Bauern bei St. Florian ab. Ich glaube, sie stammte aus Hargelsberg. Dort gibt es große Bauern, Herrenbauern. Der Dr. Lehner war gehandikapt, weil er ein künstliches Hüftgelenk hatte. Für ihn war die Tierarztpraxis sehr beschwerlich. Er hat viel Fleischbeschau gemacht. 137

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Während der Ferien bin ich bereits als Student schon mit dem Tierarzt von Neuhofen mitgefahren, das war der Doktor Untermaier. Er war noch so ein richtiger Tierarzt, wie man sich ihn halt vorstellt: einen richtigen und urigen Landtierarzt. Angezogen war er mit Knickerbocker und Haferlschuhen. Es hat zwei Tierärzte in Neuhofen gegeben, den Doktor Untermaier und den Doktor Kemmetmüller. Beide waren ungefähr gleich alt. Wobei der Doktor Kemmetmüller aus einer Neuhofner Bürgerfamilie stammte, die eine Bäckerei und Konditorei hatten. Der Doktor Untermaier war Kind von einem Kleinbauern. Beide haben nach dem Krieg studiert. Die Kriegsjahrgänge sind nach dem Krieg auf einmal an die Uni gekommen. Sie alle waren ziemlich gleich fertig. Es gab damals eine Tierärzteschwemme. Der Doktor Untermaier hat die Tochter seiner Zimmerwirtin in Wien während seines Studiums geheiratet. Die hat er mitgenommen nach Neuhofen. Der Doktor Untermaier hat zeit seines Lebens in einer Dreizimmerwohnung in einem Gemeindebau gewohnt. In einem Kellerabteil hatte er seine Hausapotheke. Er hatte eine Tochter. Seine Frau ist arbeiten gegangen, sie war in Linz bei einer großen Firma als Sekretärin. Er hat daheim allein seine Praxis geführt, ohne Unterstützung. Er war ein Tierarzt im alten Stil. Das Geldverdienen war ihm nicht so wichtig. Ich weiß, wie er in Pension gegangen ist, hat seine Frau die Rechnungen, die noch offen waren, geschrieben. Sie hat wochenlang damit zu tun gehabt. Er hat oft gar nichts kassiert. Der Doktor Untermaier hat manchmal zu mir gesagt: ‚Am liebsten sind mir die Goaß-Leut [arme Leute, die bloß Ziegen haben]. Eine Goaß haben sie, eine Kuh haben sie und eine Jause haben sie.‘ Sie waren so froh, wenn man gekommen ist, sie waren so dankbar. Man hat immer etwas zum Essen bekommen. Gezahlt haben sie auch. 138

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Das ist jetzt noch so. Je reicher aber die Bauern sind, umso neidiger sind sie. Die großen Saubauern waren die allernodigsten [allerneidigsten]. Herr Doktor Untermaier hat eine Tochter gehabt, die hat in Wien studiert. Zu ihr ist er öfter gefahren, er war auch einmal im Krankenhaus. Bei solchen Anlässen habe ich ihn schon als Student vertreten, da war ich noch nicht fertig, mit dem Studium. Das dürfte man heute nicht. Heute gäbe es sicher einen wohlmeinenden Kollegen, der einen da bei der Kammer anzeigt. Ich habe als Student meine erste Schwergeburt bei einer Kuh gemacht, allein, in der Nähe von St. Marien, bei Nettingsdorf. Dort gibt es schon lange keine Kühe mehr. Ich war stolz darauf, dass alles gut gegangen ist. Ich kam heim und habe die Geburtsstricke, mit denen die Kälber bei der Geburt aus der Kuh gezogen werden, im Druckkochtopf meiner Mutter ausgekocht. Die war nicht begeistert. Sie war entsetzt. Diese Geburtsstricke haben vorne eine Schlinge für die Füße des Kalbes. Es gibt einen eigenen Kopfstrick, den man dem Kalb über den Kopf gegeben hat. Solche Stricke haben die Bauern für gewöhnlich daheim. Das war noch, bevor ich meine Gynäkologieprüfung gemacht habe. Dafür bin ich dann in Gynäkologie durchgefallen. Bei dieser Prüfung bin ich etwas gefragt worden, was ich in meiner Tätigkeit als Tierarzt nie gebraucht habe. Doktor Untermaier war ein Pferdespezialist. Er kannte die Pferde seit seiner Jugend auf dem Bauernhof. Während des Krieges war er bei den Pferden, bei den Tragtieren oder Ähnlichem. In seiner Praxis hat er auch Pferde betreut [siehe dazu im Kapitel über Pferde]. Beim Doktor Untermaier habe ich viel Praxiserfahrung erhalten. Einmal bin ich mit meinem Chef drei Tage herumgefahren, viel Schnee hat es gehabt.“ 139

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Beim Sohn eines k. u. k. Militärtierarztes in Tirol „Durch die Tierarztzeitung wurde ich auf eine Assistentenstelle in Kematen in Tirol aufmerksam. Dort habe ich meine ersten Erfahrungen als Tierarzt gesammelt, beim Sohn eines früheren k. u. k. Militärtierarztes. Dieser hatte den schönen ‚tirolerischen‘ Namen Kudrnowsky, seine Familie stammt nämlich aus Galizien. Er hieß Doktor Hans Kudrnowsky, die Leute nannten ihn den ‚Tierarzt Hansl‘. Sein Vater, der auch so hieß, kam nach dem Ende des ErstenWeltkrieges als Tierarzt nach Wien. Damals waren viele Tierärzte aus der Monarchie in Wien, die Arbeit suchen mussten. Er hat nicht gewusst, wo er anfangen soll. Seine Frau, so glaube ich, war eine Wienerin, die Tochter eines Apothekers. Wie er nach Tirol gekommen ist, hat er sich beim dortigen Veterinärdirektor vorgestellt und gefragt, ob er ihm nicht eine Stelle wüsste. Dieser hat ihm angeblich geantwortet: ‚Das einzige, was ich dir geben kann, ist ein Strick, auf dem du dich aufhängst.‘ So war damals die Berufssituation. Wie ich zu Doktor Kudrnowsky kam, war er fünfzig Jahre alt und sein Vater achtzig, der hat auch noch in der Praxis mitgearbeitet. Wir waren also zu dritt. In Tirol hatte ich es vor allem mit Kühen zu tun. Ich war dort zwei Jahre, von Anfang 1981 bis Ende 1982. Unser Sohn ist 1981 dort geboren worden. Am 1. Februar 1981 hätte ich dort anfangen sollen, doch ich war an diesem Tag krank. So habe ich vierzehn Tage später angefangen. Dabei ist mir etwas passiert. Ich habe für die Chefin Blumen in einem Einkaufszentrum gekauft. Vor diesem habe ich falsch geparkt. Deswegen habe ich nachher noch einen Strafzettel erhalten. Es hat also heiter angefangen. Gewohnt haben meine Frau und ich nicht beim Tierarzt, sondern in einer Gästewohnung, bei Familie Meischberger in Kema140

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ten, die hat der Tierarzt für uns gemietet. Die Miete war Teil des Gehalts. Ich war damals schon verheiratet. Ich habe mit fünfundzwanzig Jahren, 1979, geheiratet. Heuer werden es dreißig Jahre, dass wir verheiratet sind. Meine Arbeit in Tirol war sehr spannend. Einige wilde Erlebnisse hatte ich mit den Materialseilbahnen, mit denen ich noch zu Bergbauern befördert wurde [dazu siehe das Kapitel über Fahrzeuge]. Die, die in Tirol zugewandert sind, sind nicht immer gern gesehen. Man ist denen gegenüber skeptisch. So wie mir gegenüber, wie ich nach Tirol gekommen bin. Die Tiroler sind kritische Leute. Wenn sie jemanden aber einmal ins Herz geschlossen haben, können sie sehr liebenswürdig zu ihm sein. Mein Chef in Tirol hat mir erzählt, dass er zum Landesveterinärdirektor gesagt hat, dass er einen Assistenten suchet. Nicht einmal einen Südtiroler oder einen Vorarlberger hat er gefunden. Er hat den Landesveterinärdirektor gefragt, ob er nicht einen Oberösterreicher nehmen darf, also mich. Ein Oberösterreicher habe sich nämlich beworben. Er hat mich nehmen dürfen unter der Auflage, dass ich keine amtlichen Tätigkeiten, wie Fleischbeschau, durchführe. Ich wurde von einem Tiroler Bauern gefragt, woher ich komme. Ich habe gesagt, ich würde aus Oberösterreich kommen. Er hat nicht einmal gewusst, wo das ist. Er hat gefragt: ‚Bist du ein Oberländer aus der Gegend zwischen Innsbruck und Landeck?‘ Ich habe das verneint. Darauf der Bauer: ‚Dann bist du ein Unterländer.‘ Das habe ich wieder verneint. ‚Bist ein Südtiroler?‘ ‚Nein‘, sagte ich. Nun hat er gesagt: ‚Dann bist du eben ein Ausländer.‘“ Ich meine heiter, man müsste solchen Leuten sagen, das Höchste, was ein Österreicher werden könne, sei ein Oberösterreicher. „Wir haben geschaut in Tirol, dass wir im Herbst zuerst die Geburten durchgeführt haben und dass die Kühe wieder trächtig 141

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wurden, damit sie im Frühjahr, wenn sie auf die Alm kamen, wieder gemolken werden konnten. Zum Großteil haben wir bei den Rindern Braunvieh gehabt, Montafoner Kühe. Auf den höher gelegenen Almen war Grauvieh. Die waren kleiner als das Braunvieh. Das waren Fünftausend-Liter-Kühe, das heißt, eine Kuh gibt im Jahr fünftausend Liter Milch. Der Winter war daher die arbeitsintensivste Zeit für uns. Da die Geburten meist in der Nacht anfallen, sind wir sehr viel in der Nacht unterwegs gewesen. Der alte Arzt hat noch am Tischtennistisch die Fakerln [Ferkeln] geschnitten [darauf werde ich im Kapitel über „Kastrieren und Enthornen“ noch einmal eingehen]. Ich habe viel gelernt in Tirol. So hatte ich bereits viel Erfahrung, als ich mich in Kremsmünster als Tierarzt niedergelassen habe.“

Die Ställe im Kloster Kremsmünster „1983 habe ich in Kremsmünster als Tierarzt angefangen. Heute habe ich eine Assistentin für die Großtierpraxis und eine Kollegin für die Kleintierpraxis. Ich selbst mache die Großtierpraxis und meine amtlichen Geschichten. Das sind die Fleischuntersuchung und der Ferkelmarkt. Damals, am Beginn meiner Tätigkeit, hat man die Kühe noch regelmäßig nach TBC [Tuberkulose] untersucht, und nach Bang [Abortus Bang ist eine infektiöse Erkrankung der Rinder, die zum Verwerfen der trächtigen Kühe führt]. Ich habe also Seuchenuntersuchungen gemacht. Jedes zweite Jahr war dies. Damals um 1983 gab es in Kremsmünster noch über tausend Kühe. Vor ein paar Jahren haben wir die Kühe gezählt, da waren es nicht einmal mehr hundert.“ 142

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Ich unterbreche Wolfgang und füge ein: „Ich erinnere mich an meine Zeit im Kloster Kremsmünster in den fünfziger Jahren, dass die Kühe aus dem Mayrhof durch den Stiftshof getrieben wurden. Dort, wo die Ställe waren, sind heute Kulturräume. Auch erinnere ich mich an die Mägde und Knechte, die beim Essen am Mayrhof noch gemeinsam um eine Schüssel gesessen sind und nacheinander mit dem Löffel in die Schüssel gelangt haben. Diese alte Bauernkultur ist verschwunden.“ Wolfgang ergänzt: „Das Stift hat damals um 1983 noch hundert Rinder gehabt, sechzig Kühe und das Jungvieh dazu. Aufgehört haben sie damit, so glaube ich, Anfang der neunziger Jahre. Sie haben immer Zuchtsauen gehabt. Für die damaligen Verhältnisse waren es viele. Sie haben um die fünfzig Zuchtsauen gehabt. Die alte Lini hat sich um diese gekümmert. Ich erinnere mich an eine Begebenheit, die mir in diesem Saustall passiert ist: Ich habe einmal abends eine Klauenpflege bei einer Zuchtsau durchgeführt. Um ihr die langen Klauen zu kürzen, habe ich sie in Narkose gelegt und die Klauen mit einer elektrischen Heimwerkerschleifmaschine aus dem Baumarkt abgeschliffen. Entweder hat sie zuwenig Narkose bekommen oder ich bin an eine sehr schmerzhafte Stelle an ihrem Fuß geraten, jedenfalls hat sie mir die Maschine aus der Hand geschlagen, sodass diese in einen wassergefüllten Trog geflogen ist. Das gab einen Kurzschluss und plötzlich war es stockfinster im gesamten Stall. Nachdem die Sicherung gewechselt war und es wieder licht wurde im Stall, habe ich die Klauenpflege händisch zu Ende geführt. Für die Ferkel haben sie dann einen eigenen Maststall gebaut. Das war damals bei Weitem der größte Maststall der Gegend. Es gab tausend Mastplätze.“

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Der Wandel der Landwirtschaft und das Klagen der Tierärzte „Bei uns in der Tierarztpraxis hat sich Gewaltiges getan. Allein durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft und der Dörfer. Da ich der dienstälteste Tierarzt hier bin, habe ich noch viel mit Kühen zu tun gehabt. Heute gibt es hier bei uns kaum mehr Kühe. Ich bin der Einzige, der sich noch mit Kühen abgibt. Zum Wandel in unserem Beruf gehört auch, dass die Konkurrenz unter den Tierärzten größer wurde. Der eine Nachbartierarzt war einer der Ersten, der Assistenten hatte. Der erste Assistent von ihm wurde dann in Steinerkirchen Tierarzt. Mit dem hat er einige Sträuße ausgefochten, weil sich der in Steinerkirchen niedergelassen hat, an der Grenze seines Praxisgebietes. Sein zweiter Assistent hat sich dann in Bad Hall niedergelassen. So haben sie den Doktor Lehner hier in die Zange genommen. Das war die Situation, die ich vorgefunden habe, wie ich hergekommen bin. Jetzt war auch ich beiden ein Dorn im Auge. Ich war aber ganz unbedarft. Meine Frau hatte das Haus hier in Kremsmünster. Jetzt habe ich mir gedacht, ich gehe von Tirol nach Kremsmünster. Kremsmünster ist groß genug, es gibt viele Bauern und viele Kühe, viele Sauen. Ich habe mit dem Doktor Lehner darüber geredet, doch der hat furchtbar gejammert. Vom Doktor Untermaier hatte ich vorher schon gelernt, dass die Tierärzte ein Konglomerat von Individualisten sind. Die Tierärzte jammern alle, weil sie mit den Bauern zu tun haben. Die Bauern jammern ja auch. Von denen lernen sie das Jammern. Wie der Doktor Untermaier angefangen hat, hat es schon geheißen, jetzt werde es zum Sterben (für die Tierärzte) kommen, jetzt komme es zum Aufhören, jetzt könne man nichts mehr verdienen. Aber er lebt immer noch. Wenn das so ist, kann ich mich auch 144

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neben den Doktor Lehner setzen, habe ich mir gedacht. Irgendwie wird es schon gehen. Dabei habe ich nicht gewusst, dass ich zwischen den beiden drinnen sitze. Den Doktor Lehner haben sie so gut wie eliminiert gehabt. Dass da ein Neuer, nämlich ich, kommen würde, war nicht vorauszusehen. Inzwischen habe ich mich hier etabliert.“ Ich habe viel erfahren durch Wolfgang, der spannend erzählt hat. In späteren Kapiteln werde ich auf ihn noch zu reden kommen. Ich bedanke mich herzlich bei ihm und seiner lieben Frau. Wolfgang muss heute noch nach Neuhofen, um zwei Besamungen durchzuführen. Ich verabschiede mich und wandere bei großer Kälte in das Stift. Kein Mensch ist in den Stiftshöfen zu sehen. Beinahe gespenstische Ruhe herrscht hier. Ich wandere durch das Eichentor hinunter in den Ort und dann weiter zum Bahnhof.

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Der Tierarzt und die KoalaBären Dr. Hans Langgartner in Windischgarsten Ich wandere zu Fuß an einem kalten Jännertag von Spital am ­Pyhrn nach Windischgarsten. Ich suche Herrn Dr. Hans Langgartner auf, er wohnt am Weg in die Rosenau. Er hat sich hier ein Haus gebaut. Ich läute und betrete das Haus. Im Wartezimmer vor seiner im Parterre gelegenen Ordination nehme ich Platz. Herr Dr. Hans Langgartner kommt und begrüßt mich freundlich. Wir sind per Du. Ich werde in den ersten Stock gebeten. Nun lerne ich seine Frau Gemahlin, eine liebenswürdige Dame, kennen. Am Tisch im Wohnzimmer nehme ich Platz. Frau Langgartner bietet mir Tee an. Herr Dr. Langgartner erzählt:

Feldhasen „Ich bin ein dreiundfünfziger Baujahr. Ich stamme aus Waizenkirchen im Hausruckviertel. Die Eltern meiner Mutter wohnten dort. Meine Mutter war gerade auf Besuch bei ihnen, da bin ich vierzehn Tage zu früh auf die Welt gekommen. In diesem Ort gab es eine Entbindungsstation. Zwei Jahre lebten wir in Urfahr. Der Vater war beim Telegrafenbauamt beschäftigt, die Mutter war Verkäuferin bei einem Bäcker. 1955 ist die ganze Familie nach Australien ausgewandert. Der Großteil wohnt heute noch dort: Onkel, Tante, zwei Kusinen, meine Schwester, auch noch meine Mutter, mein Vater ist leider verstorben. Meine Schwester bekommt gerade ihr achtes Kind. Ihr Mann ist Computerfachmann. Sie selbst hat Japanisch studiert und unterrichtete an der Universität in Brisbane. 1963 sind wir nach Linz zurückgekommen. Ich bin in die 146

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Fadingerschule in Linz gegangen und nach der Matura war ich in Osttirol bei den Gebirgsjägern. In Wien habe ich dann Tiermedizin studiert. Beim Studium war ich der Drittschnellste aus meinem Semester. Mit fünfundzwanzig Jahren war ich DiplomTierarzt. Ich bin also 1979 mit dem Studium fertig geworden. Anschließend habe ich noch das Doktorat gemacht, an der Abteilung für Wildtierkunde. Thema meiner Doktorarbeit waren die Feldhasen. Damals gab es ein Feldhasensterben im Burgenland. Bei der Forschung zu meiner Dissertation im Burgenland habe ich eine Mordsgaudi gehabt. Wir waren zu zweit, der Kollege ist heute im Waldviertel Tierarzt. Ich habe die praktische Arbeit zum Tierarzt schon während des Studiums gemacht. Ich war bei der Jagdgesellschaft im Burgenland angestellt. Damals habe ich gut dabei verdient. Wir mussten acht Hasen, zwei Fasane und sechs Rebhühner schießen, jeden Monat. Wir mussten sie dann sezieren und nach Parasiten untersuchen. Diese Arbeit war vom Institut für Wildtierkunde ausgeschrieben. Voraussetzung für diese Arbeit war die Jagdprüfung, die hatten wir, mein Kollege und ich. Mit dem Kilometergeld sind wir damals jeder auf zwanzigtausend Schilling im Monat gekommen. Das war viel Geld für uns Studenten. Uns ist das Wild geblieben. Denn für die Untersuchungen haben wir nur zehn Deka Fleisch gebraucht. Wir wussten nicht mehr, wohin mit dem Fleisch. Unsere Verwandten, denen wir Wildfleisch gegeben haben, hatten bald genug vom Wild. Die Rebhühner haben wir selbst gegessen. Die Hasen sind an einem Virus gestorben. Die wir geschossen haben, waren frisch und munter. Wir haben Entwurmungen über Krauthäuptel, die wir mit Sulfonamiden versehen haben, bei den Hasen gemacht. Über dies alles habe ich meine Dissertation geschrieben.“. 147

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Arbeit in einer Grosstierpraxis Herr Dr. Langgartner arbeitet als Student während der Ferien in Peuerbach bei Grieskirchen bei einem Tierarzt, der mit seiner Mutter in die Volksschule gegangen ist. 1979 wird er mit dem Studium fertig. Nach seinem Studium wird er Assistent in einer Großtierpraxis und schließlich Tierarzt in Windischgarsten (siehe dazu im Kapitel „Beginn der Praxis“). Dr. Langgartner erzählt: „Doktor Orator war früher der einzige Tierarzt hier in der Gegend, dann sind der Doktor Seiberl und ich gekommen. Dann die Tierärztin Ulli Gissing, die eine Tierärztin aus Steyrling angestellt hat. Die beiden machen aber nur mehr Kleintiere. Heute gibt es weit mehr Tierärzte und Tierärztinnen. Hätten wir damals mehr Damen beim Studium gehabt, wäre es an der Uni lustiger gewesen. In Windischgarsten hat es einmal fünfundvierzig Rinder haltende Betriebe gegeben. Jetzt haben wir nur die Wasserbauer-Lisi, die hat hundert Stück Vieh, den Käfer, der hat noch drei, der hört aber demnächst auf. Dann haben wir den Dornauer, der hat drei Kühe. Und den Bauern am Berg, der hat siebzig Stück Vieh. Die Wasserbäuerin hat Mutter-Kuh-Haltung, dafür braucht sie keinen Tierarzt. Die Stiere besamen dort selbst. Es gehen richtig die kleinen Bauern ab für unseren Berufsstand. Die Rinderzahl ist ähnlich wie früher, aber die Verteilung ist eine andere.“

Gebärmutterdrehung und Kaiserschnitt „Als mein früherer Chef Doktor Niedersüß in Peuerbach auf Urlaub gefahren ist, musste ich, ich bin gerade mit dem Studium fertig geworden, alles machen. In der zweiten Nacht war gleich eine Gebärmutterdrehung bei einer Kuh. In der nächsten Zeit 148

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musste ich auch in der Nacht einen Kaiserschnitt bei einer Kuh machen. Bis dahin hatte ich nur assistiert. Ich habe damals vier Stunden gebraucht für den Kaiserschnitt. Sonst brauche ich eine Dreiviertelstunde. Alles ist gut gegangen. Minus zwanzig Grad hat es gehabt. Die Altbäuerin hat da zu mir gesagt: ‚Gelt, Herr Doktor, Sie haben schon viel gemacht.‘ Ich habe gesagt: ‚Macht euch keine Sorgen.‘ Bei der Kuh ist alles wunderbar verheilt. Wie der Doktor wieder zurückgekommen ist, hat er einen Kaiserschnitt gemacht. Bei ihm hat dann alles geeitert. Da hat die alte Bäuerin gesagt: ‚Du hättest uns doch den jungen Tierarzt schicken sollen, der kann es viel besser.‘ Heute lassen die Bauern einen Kaiserschnitt nicht mehr machen. Die Kuh wird gleich geschlachtet. Eine sehr wichtige Einnahmequelle ist die Fleischbeschau. Die hat sich jetzt Gott sei Dank seit 1993 erhöht.“

Tierarzt in Australien und Rückkehr nach Oberösterreich „Ich bin dann wieder nach Australien. In einer Stadt östlich von Brisbane habe ich von 1987 bis 1992 eine Tierklinik geleitet, ich habe sieben Tierärzte unter mir gehabt, und eine Besamungsstation. Das war interessant. In Australien habe ich das Kleintiergeschäft gelernt. Wir haben uns dort mit Groß- und Kleintieren beschäftigt. Wir haben zwei Tierärzte gehabt, die haben sich nur mit den Kleintieren beschäftigt. Denen habe ich assistieren müssen. Dabei habe ich viel gelernt, was die Kleintiere anbelangt. Vorher hatte ich nur mit Großtieren zu tun gehabt, vielleicht mit zwei Jagdhunden im Jahr. In Australien habe ich das Geschäft gelernt, von dem ich jetzt lebe. Bullterrier und Doggen gibt es dort viele. 149

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Auch Koalabären hatten wir zu behandeln. Mit denen sind die Leute zu uns gekommen, wenn sie beim Überqueren der Straße angefahren wurden. Die Koalas sind Beuteltiere und brauchen eine ganz andere Behandlung. Ich gebe zu, viele sind uns gestorben. Sie stehen unter Naturschutz, nicht aber die Kängurus, diese werden professionell gejagt. Sie fressen den Schafen das Gras weg. Ein Koala als Beuteltier braucht eine andere Schockbehandlung als ein Säugetier. Wir sind aber nie richtig dahintergekommen, wie wir es machen sollen. In Australien habe ich viel gejagt. Kängurufleisch ist gut. Hauptsächlich haben wir Wildschweine gejagt. Die Wildschweine sind den Engländern im Süden ausgekommen. Im Norden sind sie früher eingeführt worden. Die Wildschweine jagen die Schafe wie die Wölfe. Sie ruinieren die Schafzäune. 1992 bin ich von Australien nach Österreich zurückgekommen und habe mich in Oberösterreich erkundigt, welcher Tierarzt in Pension geht. Man hat mir den Doktor Orator in Windischgarsten genannt. Ich habe mir gedacht, das ist keine schlechte Gegend. Ich habe ihn angerufen, ob ich kommen dürfe. Er hat gesagt, ich solle vorbeischauen. Dann bin ich hingefahren, er hat gesagt, er wolle ohnehin im Mai in Pension gehen. Ich habe gesagt, das würde mir passen. Ich habe mir im Ort darauf zwei Wohnungen gekauft. Eine für die Ordination, eine zum Wohnen. Doktor Orator ist auf Urlaub gegangen und hat mich angerufen, zu welchen Bauern ich fahren müsse. Damals war es noch ein Geschäft. Es ist jedes Jahr dann weniger geworden bis ins Jahr 2000.“

Kater Rambo „Wir haben einen Kater, der heißt Rambo. Ich sollte ihn zum Einschläfern mitnehmen, er war noch so klein. Er hat alle Krank150

der tierarzt und die koalaBären

heiten gehabt, die man sich vorstellen kann, und einen Haufen Würmer. Der Kater war im Auto so lieb. Wie ich ihn auf dem Operationstisch zum Einschläfern hatte, habe ich dies nicht übers Herz gebracht. Ich habe ihn behandelt und er ist jetzt unser Kater. Wenn ich in der Früh beim Zeitungslesen bin, hockt er bei mir und ich lese ihm den Sportteil vor.“ Ich bedanke mich bei Hans herzlich für das Gespräch und bei seiner lieben Frau für die Jause. Ich wandere wieder auf der Landstraße zurück nach Spital am Pyhrn. Die Erfahrungen und Erlebnisse von Doktor Langgartner, auf die ich noch in späteren Kapiteln zurückgreifen werde, künden vom Wandel der Kultur der Tierärzte. Zu dem klassischen Tierarzt, der sich vor allem mit Großtieren beschäftigt, tritt jener Tierarzt oder tritt jene Tierärztin, die sich vorrangig mit Kleintieren beschäftigt.

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Der Tierarzt im Waldviertel Dr. Othmar Faffelberger in Pöggstall Das folgende Gespräch führte auf meine Bitte hin Frau Nadine Fragner. Sie ist eine eifrige Studentin von mir. Sie wohnt in Martinsberg im südlichen Waldviertel. Frau Fragner sprach im Jänner 2009 mit Frau Faffelberger, der Frau des früheren Tierarztes von Pöggstall, Dr. Othmar Faffelberger. Über das Gespräch verfasste Frau Fragner ein schönes Protokoll, das im Folgenden von mir etwas redigiert wiedergegeben wird. Am Beginn des Protokolls erzählt Frau Nadine Fragner, dass sie die Frau des Tierarztes Dr. Faffelberger wegen eines Gesprächs angerufen habe. Dabei erfährt sie, dass deren Mann eine sehr schwere Krankheit hinter sich habe und nun ein Pflegefall sei. Deshalb sagte ihr Frau Fragner, es sei wohl interessant, über das Leben des Tierarztes aus der Sicht seiner Frau etwas zu erfahren. Frau Faffelberger lud sie darauf zu sich ein. Dazu lasse ich Frau Nadine Fragner selbst reden: „Frau Faffelberger öffnete mir die Tür, begrüßt mich überaus freundlich, als ob sie mich schon kennen würde. Sie strahlt Wärme und Herzlichkeit aus. Da es Winter ist und Schmutz auf den Straßen liegt, ziehe ich trotz des Protestes von Frau Faffelberger meine Schuhe aus. Sie führt mich in eine Diele, wo ich meine Jacke aufhängen kann. Auf dem Weg hinein plaudern wir über die Art des Gespräches, sie will wissen, ob dies wie ein Interview werde. Dabei erzählt sie mir von ihrer Tochter, die Germanistik studierte, nun in Amerika lebt und auch schon die Schriftstellerin Elfriede Jelinek interviewt hat. Ob ich mir ihre Antworten auf meine Fragen alle mitschreiben 152

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werde oder ob ich mir das merken würde, fragt sie. Ich erkläre ihr, dass es nicht ein klassisches Interview sei, das ich mit festen Fragen und einfachen Antworten führen werde, sondern dass wir einfach ein lockeres Gespräch führen werden, bei dem beide etwas zu sagen haben. Mich interessierte, wie ihr Mann als Tierarzt zu praktizieren begonnen hat und wie seine Kontakte zu den Bauern waren und Ähnliches. Da ich mir nicht alles merken könne, was sie mir erzählen wird, fragte ich die Frau des Tierarztes, ob ich das Gespräch aufnehmen dürfe. Sie hatte nichts dagegen. Wegen unseres Gesprächs habe sie schon mit ihren Kindern telefoniert. Sie bittet mich in das Wohnzimmer. Im Wohnzimmer ist ein Krankenbett aufgestellt. In diesem liegt ihr Mann, sie begleitet mich zu ihm und stellt mich vor. Ich begrüße den früheren Tierarzt mit Handschlag. Er weiß schon von unserem Gespräch. Er fragt mich, was ich studiere und woher ich komme. Frau Faffelberger bittet mich nun zum schön gedeckten Tisch zu einer Kaffeejause. Ich bin begeistert vom Kaffeeservice aus weißem Porzellan, vom Silberbesteck, von einer brennenden Kerze im Silberhalter, von einer edlen Zuckerdose aus Silber, von einer Platte mit Krapfen und einer Kuchenzange. Dies alles befindet sich auf einem weißen Tischtuch. Es ist für vier Personen gedeckt. Ich freue mich, zu dem Gespräch so empfangen zu werden. Das Wohnzimmer ist sehr stilvoll eingerichtet, schöne Holzmöbel, es befinden sich mehrere, unterschiedlich große geschnitzte und steinerne Marienstatuetten im Zimmer. Es sind Kostbarkeiten, offenbar Sammlerstücke. An den Wänden sind Bilder von Franz Traunfellner, Holzschnitte oder Holzstiche und Radierungen, sowie einige Schwarz-WeißFotos mit Kindern. Am Durchgang zum nächsten Zimmer sind Glaskugeln und Objekte aus Glas angebracht – einer ihrer Söhne ist ein im Ort ansässiger Glaskünstler. Dahinter erkenne ich ein 153

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Bücherregal und einen Flügel. Der andere Sohn, Peter heißt er, ist Tierarzt, er wohnt gegenüber, auch er hätte zu dem Gespräch kommen wollen, doch er musste dringend zu einem Bauern. Frau Faffelberger ist fünfundachtzig Jahre alt. Ihre Mutter stammt aus Salzburg, ihr Vater hatte eine hohe militärische Stellung beim kaiserlichen Militär inne. In Amstetten hatte er ein Geschäft für Mode und Sportartikel, es waren die ersten Sportartikel, die in der Gegend verkauft wurden. Frau Faffelberger wuchs nobel auf, sie wurde gemeinsam mit ihren Geschwistern von einem Kinderfräulein erzogen. Ihr Mann stammt aus Aschbach, in der Nähe von Amstetten. Ich nehme mein Aufnahmegerät aus meiner Tasche und Frau Faffelberger holt den Kaffee aus der Küche. Sie fragt ihren Mann, ob er am Tisch sitzen wolle. Er zieht es jedoch vor, im Bett zu bleiben. Zunächst erzählt Frau Faffelberger, dass ihr Mann aus dem Gebiet Amstetten stamme und sein Onkel ihm das Studium finanziert habe. Die Idee, einmal ein Tierarzt zu werden, darauf sei er gekommen, weil er als Bub einmal als Rossknecht gearbeitet habe. Frau Faffelberger erzählt: „Damals, wie er als Rossknecht gearbeitet hat, ist seine Liebe zur Tiermedizin entstanden. Der Onkel hat ihm das Studium mehr oder weniger bezahlt. So ist er Tierarzt geworden. Sein Vater war Lehrer in Aschbach und die Mutter war Schneiderin – eigentlich hatte er von den Eltern her mit Tiermedizin nicht viel zu tun gehabt. Im Herbst 1952 ist Othmar Faffelberger mit dem Studium fertig gewesen. Im Oktober hat er die Sponsion gehabt, das ist der Abschluss des Studiums, und im Dezember die Promotion, da ist er Doktor geworden.“

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der tierarzt im Waldviertel

Das Mirakel von Pöggstall „Seine Schwester hatte damals im Ort Leiben kochen gelernt, bei einer Wirtin. Von dieser erfuhr er, dass in Pöggstall ein Tierarzt fehle. Es gab in der Umgebung nur einen Tierarzt, und zwar Herrn Doktor Tuchek in Ottenschlag, das von Pöggstall ungefähr zwanzig Kilometer entfernt ist. Dieser Tierarzt hat noch auf alte Art und Weise praktiziert – fast so wie die alten ‚Boabruchheiler‘. Mein Mann aber ist mit neuen Erkenntnissen von der Hochschule gekommen. Er und sein Freund haben miteinander bereits Operationen durchgeführt. Mit Operationen kannte er sich also aus. Auf diese Weise hat er sich den Titel ‚Das Mirakel von Pöggstall‘ eingeheimst. Ja, das war ganz interessant. Zwar hat es in Pöggstall zu der Zeit noch keine elektrischen Leitungen gegeben – noch gar nichts. Ab 1952 ist das alles erst gemacht worden. Durch die Arbeiten an den elektrischen Leitungen sind viele Nägel auf den Wiesen gelegen, und diese Nägel haben die Kühe gefressen. Und das waren dann diese Fremdkörperoperationen. Jede Woche gab es eine Kuh, die einen Fremdkörper gefressen hatte. So ist mein Mann das ‚Mirakel von Pöggstall‘ genannt geworden. Alle haben sich gefreut, wenn sie endlich eine Kuh hatten, die er operieren konnte! Dann hat mein Mann mit Unterstützung seines Freundes auch Geburten durchgeführt und sogar Kaiserschnitte, das war vorher in diesen Bauerndörfern nicht bekannt. Diese Ortschaften hatten kein Licht, kein Telefon, gar nichts. Die Straßen waren schmal, kaum die Hälfte so breit wie jetzt, nur Sandstraßen. Das war die Situation für meinen Mann zu Beginn seiner tierärztlichen Tätigkeit. Als mein Mann in den Ort gezogen ist, stellte er fest, dass er unbedingt ein Fahrzeug brauchen würde. Auch hier ist wieder ein Onkel eingesprungen und hat um Kredite angesucht für ein Mo155

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torrad, eine ‚Puch 250iger‘ – das war ein relativ kleines Fahrzeug, ist aber gut gegangen. Nun musste er Medikamente einkaufen und Instrumente besorgen. Dabei hat ihm der Amtstierarzt von Amstetten geholfen. Oder Kollegen haben ihm Geräte überlassen, mit den Worten: ‚Das kannst hab’n.‘“

Der junge Tierarzt und seine Gefährtin „Mit einem wackeligen Lastauto haben Freunde meines Mannes Schachteln mit diesen Sachen von Amstetten hierher nach Pöggstall gebracht. Mein Mann ist mit dem Motorrad hinterhergefahren, das noch nicht bezahlt war. Wir waren damals noch nicht verheiratet. Mein Mann hat zu der Zeit in Pöggstall bei der Frau Wurzer, der Wirtin eines guten, bürgerlichen Gasthauses, gewohnt. Früher sind nach der Kirche die Bauern in dieses Gasthaus gegangen, aber auch die noblen Herren, wie der Herr Rat oder der Herr Doktor. Ich lebte damals in Amstetten. Als private Musiklehrerin kam ich hinüber nach Pöggstall. Samstag und Sonntag kam ich hierher, um meinen künftigen Mann zu begleiten, wenn er in die Praxis mit dem Motorrad fuhr. Ich saß dabei hinten auf dem Motorrad, ‚auf der Pupperlhutschn‘ [dem Soziussitz, auf dem gerne die Freundinnen, die ‚Pupperln‘, saßen]. Einmal sind wir so zu einem Bauern gefahren, es ging derart steil hinauf, dass ich fast hinten hinuntergefallen wäre. Mein Mann hat damals in dem Gasthaus der Frau Wurzer in einem einzigen Zimmer gewohnt, in diesem standen ein Bett, ein Waschtisch, ein Tisch mit zwei Sesseln, ein Kasten für seine Sachen und ein Kasten für die Medikamente – das war die gesamte Einrichtung, als er als junger Tierarzt in Pöggstall anfing. Dann, als wir verheiratet waren, haben wir geschaut, dass wir eine Wohnung 156

der tierarzt im Waldviertel

bekommen, aber in Pöggstall gab es keine Wohnungen. Es war keine zu finden. Jedoch erfuhren wir von einem Bäckermeister, der ein Haus gebaut hat, das allerdings noch im Rohzustand war, dass unten im Haus ein paar Räume wären, die bezugsfertig seien. Aber dort hat er uns nicht hineingelassen. ‚Sie können oben im Dachboden wohnen‘, hat er gesagt. Wir haben dann dort zwei Räume bekommen – also eigentlich drei. Eine kleine Küche, zwei Meter breit und zwei Meter lang, daneben ein Zimmer, in dem das Klavier, ein Sessel und eine Couch Platz gehabt haben. Auf der anderen Seite gab es noch einen völlig unausgebauten, nicht beheizbaren Raum. Dort hatten wir unser Gewand. Das kann man sich nicht vorstellen! Im Winter war es furchtbar kalt, wir hatten nur den Küchenofen, den wir bis zum Schlafengehen beheizten. In der Früh war das Wasser jedoch im Schiff [das Warmwasserbecken integriert im Küchenofen] ein Eisblock. Bei der Türe ist das Kondenswasser hinuntergeronnen, sie war in der Früh angeeist, wir mussten erst das Eis wegschlagen, damit wir hinaus konnten. So haben wir angefangen. Unten im Haus in der Garage durfte mein Mann sein Motorrad abstellen. Es gab in der Garage keinen Es­ trich, statt des Estrichs gab es ein breites Holzbrett, auf diesem ist das Motorrad gestanden. Als Tierarzt hat mein Mann viel zu tun gehabt. Die Leute haben sich gefreut, wenn der Doktor gekommen ist. Oft haben sie stolz gesagt: ‚Wir haben auch eine Fremdkörperoperation.‘ Bis zum Juli 1953 lebten wir in dieser Wohnung. Danach wurde ich schwanger, da sagten wir uns, dass wir eine andere Wohnung brauchen, denn in der jetzigen Wohnung kann man das Kind nicht großziehen. Dann haben wir eine Wohnung bekommen vis-à-vis vom Schloss in einem Stockhaus. In der Wohnung gab es dann vier Räume, wir mussten sparen, um diese einrichten zu können. Diese 157

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bestand dann aus Küche, Badezimmer, Schlafzimmer, Wohnzimmer und Musikzimmer oder Salon, wie man so schön sagt. Wir haben sehr viel musiziert, mein Mann hat Geige gespielt und ich Klavier und Cello. Auch luden wir Leute zu Musikabenden ein. Vor Pöggstall bin ich am Anfang gewarnt worden, da es hier Männer gebe, die gerne Karten spielten und gerne Bier und Wein trinken würden. Aber dies hat uns nicht gestört.“

Das Auto und die Kinderschar „Im sechsundfünfziger Jahr habe ich meine Fahrprüfung gemacht, gemeinsam mit Frau Riasch aus Gutenbrunn oder aus Martinsberg, sie war Lehrerin und hat den Chor dort geleitet. Wir zwei Damen waren die ersten Frauen in der Umgebung, die damals eine Fahrschule erfolgreich absolviert haben! Damals 1956 fuhr mein Mann noch mit dem Motorrad. Doch als ich das Kind bekommen habe, haben wir geschaut, dass wir ein Auto bekommen. Deswegen bin ich mit dem Fahrrad nach Wien gefahren und habe in der Creditanstalt um einen Kredit angesucht. Der Leiter der Creditanstalt hat mich gefragt, was denn der Mann von Beruf sei. Ich habe gesagt: ‚Na ja, Tierarzt.‘ Die Antwort lautete: ‚Na, da brauchen Sie dann gar nichts, das zahlen Sie eh in kurzer Zeit zurück!‘ Das ist sehr nett gewesen. Ich bin wieder heimgefahren, bald haben wir ein Auto gehabt. Der Reihe nach sind halt die Kinder gekommen. 1954 die Grete, 1956 der Othmar. Während der Schwangerschaft mit Othmar habe ich die Fahrschule gemacht, das war 1956, das weiß ich noch ganz genau. 1957 kam der Christian und dann war ein Jahr Ruhe, dann kam wieder ein Bub. 1960 ist der Wolfgang zur Welt gekommen. 158

der tierarzt im Waldviertel

Die Grete ist die älteste Tochter von sechs Kindern. Sie ist das einzige Mädchen, sonst haben wir lauter Buben gehabt. Mit sechs Jahren hat sie lange ‚Hoazepfa‘ [Haarzöpfe] gehabt, wie man auf den Bildern sieht. Das hat sie nicht hören können, denn die Leute haben immer zu ihr gesagt: ‚Jo, de mit de Hoazepfa.‘ Sie hat so lange, blonde Haare gehabt. Wenn die Grete dabei war, hat sie die Bauernhöfe unsicher gemacht. Es hat geheißen: ‚Macht’s die Tür zu, die Tierarztkinder kommen!‘ Grete ist überall mitgefahren, hat aber nicht Tiermedizin, sondern Germanistik studiert. Sie lebt jetzt in der Nähe von New York und unterrichtet in einem College.“

Bescheidenes Leben der Bauern „Die Bauern haben damals noch nicht mit Geld bezahlt, sondern mit Naturalien – wie Eiern oder Butter. Manchmal ist er mit einer dicken Extrawurst oder Ähnlichem heimgekommen, das war auch nicht schlecht! Viel Fleisch haben wir bekommen, aber leider wenig Geld. Aber wir sind durchgekommen. Einmal hat ein Bauer zu meinem Mann gesagt: ‚Ich bring Ihnen ein Hendl am Sonntag.‘ ‚Na bitte, da freuen wir uns.‘ Und ich hab mich schon recht darauf gefreut, auf das Hendl, denn es war Sonntag. Der Bauer ist dann gekommen, mit dem Rucksack hinten drauf. Er setzte sich zu mir und ich sage zu ihm: ‚Wo haben Sie denn das Hendl?‘ Auf einmal höre ich ‚pauk, pauk …‘ [Sie macht Hühnergackern nach und beginnt zu lachen.] Na, war da im Rucksack ein lebendiges Huhn. ‚Nein‘, sag ich, ‚das müssen Sie wieder mitnehmen, weil ich heute nicht Hendlrupfen werde! Ich habe mir gedacht, Sie haben es schon hergerichtet.‘ ‚Nein‘, sagt der Bauer, ‚ich hab mir gedacht, ich bringe es euch so.‘ 159

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Gezahlt haben die Bauern oft am Sonntag. Da haben wir einen Bauern gehabt, der war von Dobersberg bei Braunegg, einem ganz kleinen Nest. Der ist immer am Sonntag nach der Kirche schön angezogen zu uns gekommen. Er hat nur einen Anzug gehabt, und zwar einen schwarzen, den er am Sonntag in der Kirche anhatte. In diesem ist er zu uns, also zum Tierarzt, gekommen, um zu zahlen oder zu reden. Einmal haben wir ihn in Dobersberg besucht, da haben wir gesehen, dass die Küche des Mannes ganz klein war, in dieser war ein Herd ein Tisch und eine Bank. Diese Bank bestand bloß aus einem schmalen Brett und alles war schwarz. In der Mauer war eine Aussparung als Fenster, das war nur ein Loch mit einem Vorhang. Fünf oder sechs Kinder sind auf dieser Bank gesessen. Das war die einzige Möglichkeit zum Sitzen. Furchtbar arm waren die Leute, armselig war das. Da hat es aber mehrere davon gegeben zu dieser Zeit. Ein anderes Mal bin ich mit meinem Mann zu einer Familie gekommen, bei der der Vater im Sterben lag. Wir fragten nach: ‚Na, wo ist er denn?‘ ‚Im Stall‘, kam die Antwort. Im Stall haben sie Streu ausgebreitet gehabt – das hab ich alles selbst gesehen –, der sterbende Bauer ist dort auf dem Streu gelegen. Das war noch Anfang der fünfziger Jahre. Mein Mann hat ein großes Gebiet zu betreuen gehabt, es reichte über Laimbach hinauf, Raxendorf, Zeining und Jauerling gehörten dazu. Er hat viel zu arbeiten gehabt. Fast jede Nacht ist er weg gewesen. Wenn er heimgekommen ist, hat er sich ruhig ins Bett geschlichen, und ich habe weiterschlafen können. Im nächsten Moment hat es wieder geläutet und er hat wieder wegfahren müssen. Meinem Sohn Peter, der heute Tierarzt ist, geht es genauso. Der hat heute in der Nacht zwei Geburten gehabt. Am Anfang unserer Tätigkeit hatten wir noch kein Telefon. 160

der tierarzt im Waldviertel

Die Bauern sind zu unserem Haus gekommen und haben geläutet: Herr Doktor, wir brauchen Hilfe!‘ Der Berger, ein Kaufmann, hat ein Telefon gehabt, den haben die Bauern meist von einem Gasthaus aus angerufen, wenn sie etwas vom Tierarzt wollten. Der Berger hat dann seinen Burschen zu uns geschickt und der hat uns gesagt, was man von uns will. So war es am Anfang. In Zeining zum Beispiel hat es eine Geschäftsfrau gegeben, die hat auch ein Telefon gehabt. Über sie hatten wir Kontakt zu den Bauern dort. Diese sind zu ihr gekommen und haben erzählt, was mein Mann tun sollte, und sie hat dann bei uns angerufen. Auch hat sie meinen Mann angerufen, wenn er sich Zeit gelassen hat oder nicht gleich zu dem betreffenden Bauern gekommen ist. ‚Mein Gott, na‘, hat sie angerufen, ‚warum kommt er denn nicht? Die Leute brauchen ihn so notwendig.‘

Hausbau, Pferde und der Traktor 1959 hat mein Mann gesagt: ‚Du, zehn Jahre haben wir den Vertrag für die Wohnung, wir müssen zu bauen anfangen. Wir müssen schauen, dass wir irgendwo einen Grund für ein Haus bekommen.‘ Wir haben dann ein Haus gebaut auf einem abschüssigen Grund, der musste von unten gestützt werden. Der Schiller von Grafenschlag hat mit einem Bagger die Erde aufgeschüttet und eine Mauer aufgestellt. Es war der erste Bagger, den es in Pöggstall gegeben hat. Die Leute haben gestaunt. So sind wir jeden Tag in der Früh zu der Baustelle und haben geschaut, wie es weitergeht. Ich habe den Kinderwagen geschoben, in dem waren die beiden Kleineren, der Größere und Grete sind daneben hergelaufen. Viele Leute waren beim Bau beteiligt, vor allem Bauernburschen. So ist das Haus entstanden … 161

aUS DEM lEBEN VON TIERÄRZTEN

Die Bauern hier hatten zunächst nur Ochsen als Zugtiere, dann, um 1955, haben die Bauern begonnen, mit Pferden zu arbeiten. Später, nach langer Zeit, ist der Traktor gekommen. Mit dem Traktor war es schwer, weil hier so steile Hänge sind. Mit den Pferden sind die Bauern zu meinem Mann gekommen, um sie schätzen zu lassen. Sie wollten wissen, was sie wert seien hinsichtlich der Rasse, der Stärke und so weiter. Das alles wegen einer Versicherung, die die Bauern für die Pferde abgeschlossen haben. Dann ist aber doch der Traktor gekommen und hat die Pferde vertrieben, die waren dann nicht mehr rentabel. Jetzt gibt es die Pferde nur mehr zum Reiten. Hier gibt es nur wenige Pferdebesitzer, aber ich bin ja dafür, dass es wieder mehr Reitpferde gibt, weil ich zwei Söhne habe, die Tierärzte sind, die brauchen Arbeit. Von den Hunden allein kann man als Tierarzt nicht leben. Früher gab es keine Kleintierpraxis. Wenn ein Hund oder eine Katze krank waren, dann hat man sie bei den Bauern erschlagen! Da zahlen wir ja keinen Tierarzt, haben die Bauern gesagt, um Gottes willen. Die Ställe waren früher ganz niedrig, überhaupt der Schweinekobel. Da hat sich der Tierarzt ‚buckerln‘ [bücken] müssen, damit er überhaupt zu den Schweinen hineingekommen ist. Dort drinnen hat er sie impfen müssen, oder was er halt zu tun gehabt hat. Über dem Stall war das Heu oder die Streu, das hat den Stall gewärmt. Wenn einer damals vier Rinder gehabt hat, war er schon ein wohlhabender Bauer. Vier Rinder und zwei oder drei Schweine und ein paar Hendln [Hühner], mit dem ist ein Bauer gerade durchgekommen. Schafe gab es hier nicht viele. Außerdem verbreiten sie leicht Krankheiten. 162

der tierarzt im Waldviertel

Musizieren, Schifahren und Wandern Für das Familienleben war es sehr anstrengend, wenn der Mann damals Tierarzt war. Trotzdem haben wir immer Zeit zum Musizieren gehabt, im Winter auch zum Schifahren. Bei Braunegg gab es einen kleinen Lift. Wir sind den Spitzen Graben am Jauerling hinuntergefahren, damals gab es dort noch keinen Lift. Unsere Kinder sind sehr sportlich erzogen worden, für sie haben wir uns Zeit genommen. Im Sommer sind wir hinaufgefahren, zum Edlesberger Teich oder nach Ottenstein. Dort ist geschwommen worden. Die Kinder sind auch gerne geradelt. Wir waren eine wirklich intakte Familie. Es ist schön gewesen. Schwer und schön war es. Einmal sind wir nach Aggstein gefahren, da musste mein Mann Zitzen öffnen. Das hat auch niemand gekonnt. Sie haben ihn von Aggstein geholt! Das haben wir gleich mit einem Besuch auf der Ruine verbunden. Mein Mann hat uns auf die Wanderschaft geschickt, wir sollen vorgehen, er komme uns schon nach. Aber wer nicht nachgekommen ist, das war mein Mann. Er ist von einem Haus ins andere geholt worden, überall Zitzen aufmachen. So ist es statt sieben Uhr Abend neun Uhr geworden und wir sind halt im Finsteren gewandert. Die Füße taten uns weh, die Schuhe haben wir ausgezogen, die drei Kinder und ich, bis mein Mann endlich nachgekommen ist und wir alle todmüde waren. Bis zum Jahre 2004 war mein Mann rüstig und gut beisammen. Mein Mann hat dann so ein Pech gehabt. Im Jahre 2004 sitzen wir beieinander, und auf einmal hat man einen Unterschied bei den Augen gesehen beim Lid. Der Arzt hat ihn ins Krankenhaus Am­stetten einweisen lassen. Man stellte eine ‚Ptosis‘ fest, zu wenig Blut im Gehirn, und darum ist ein Lid nicht zugegangen, meist gibt sich so etwas nach einer Zeit. Die haben ihn geimpft. Am 163

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Sonntag war ich bei ihm, und ich hab gesagt: ‚Othmar, du hast nichts, komm fahren wir wieder heim.‘ Sagt er: ‚Nein, ich lasse mich durchuntersuchen.‘ Am nächsten Tag haben sie ihn dann untersucht, und haben ihn bei einem Kreuzstich ins Rückenmark mit Staphylokokken infiziert. Die Infektion ist ins Gehirn hinaufgewandert. Mein Mann hat sich zwar erholt, aber das Erinnerungsvermögen ist weg. Er ist also ein Pflegefall geworden. Allein kann ich mich nicht um ihn kümmern. Ich brauche immer jemanden, der mithilft. Meinen Kindern war mein Mann, der alte Tierarzt, ein guter Vater. Sie waren viel mit ihm zu den Bauernhöfen unterwegs. Wenn in einer Familie zwei Kinder den gleichen Beruf wie der Vater ergreifen, dann heißt das was! Durch den Vater haben sie eine große Begeisterung für den Tierarzt-Beruf entwickelt. Der eine ist in Kärnten Tierarzt und der andere, wie gesagt, in Pöggstall.“ Frau Nadine Fragner beendet hier das Gespräch, da Herr Dr. Faffelberger die Aufmerksamkeit seiner Frau in Anspruch nimmt. Immerhin ist es Frau Nadine gelungen, mit diesem Gespräch einen guten Einblick in die alte Kultur der Landtierärzte im früheren kleinbäuerlichen Gebiet des Waldviertels zu geben.

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Das Studium an der alten Tierärztlichen Hochschule – der Vorläuferin der Veterinärmedizinischen Universität Für die Studenten an der alten Tierärztlichen Hochschule im dritten Wiener Gemeindebezirk bedeutete das Studium an dieser ehrwürdigen, auf die Zeit Maria Theresias zurückgehenden Lehranstalt nicht nur eifriges Studium, sondern auch Freude. In den Jahren nach dem Krieg und bis in die sechziger Jahre hinein dürfte der Kontakt von Studenten untereinander und zu den Professoren ein bisweilen enger gewesen sein. Der Anteil der Frauen war zu dieser Zeit sehr gering. Die Hochschule in dem alten Gebäude an der Bahngasse im dritten Wiener Gemeindebezirk hatte ihren eigenen Zauber, den die heutige Veterinärmedizinische Universität am Rande der Stadt, mit ihren perfekt eingerichteten Instituten nicht mehr haben kann, was wohl auch mit der Zahl der Studierenden zusammenhängt. Für mich hatte die alte Hochschule, dies sei hier eingefügt, und für mein Studentenleben, obwohl ich nicht an der Tierärztlichen Hochschule inskribiert war, eine besondere Bedeutung. Im zweiten Semester meines Jusstudiums, das mich ganz und gar nicht interessiert hat, war ich auf der Suche nach einem Untermietzimmer. Ich fragte damals zufällig einen Studenten der Tiermedizin, ob er ein freies Zimmer für mich wüsste. Dieser riet mir, mich beim Portier der Tierärztlichen Hochschule danach zu erkundigen, vielleicht könne mir dieser helfen, denn an ihn würden sich vor allem ältere Damen wenden, wenn sie ein Zimmer zu vermieten hätten. Offensichtlich waren diese daran interessiert, einen Studenten der Tiermedizin bei sich zu beherbergen. Ich ging nun zum 165

Das Studium

Hauptgebäude der Hochschule und fragte den dort residierenden Portier, ob er ein freies Zimmer für mich wüsste. Dieser meinte, er wisse ein solches und übergab mir einen kleinen weißen Zettel, auf dem fein säuberlich zu lesen stand: „Anna Zanibal, Mohsgasse 32, 3. Bezirk“. Zu dieser Dame wanderte ich nun, ich besah mir das Zimmer und blieb für die nächsten Jahre Untermieter bei der Anna Zanibal, einer lieben alten Dame, die damals bereits über achtzig Jahre alt war. Das Zimmer war zwar eng und das Klosett am Gang, aber dennoch gefiel es mir. An die liebe Frau Zanibal, die schon lange im Himmel weilt, denke ich in größter Hochachtung. Sie war eine sehr fromme Frau, die von mir verlangte, dass ich jeden Sonntag in die Kirche in der Jacquingasse gehe. Ich tat dies auch, um ihr eine Freude zu bereiten. Um zu überprüfen, ob ich wirklich die Kirche aufsuche, blickte sie mir von ihrem Fenster aus in der Mohsgasse, mit direktem Blick zur Kirche, nach. Meine Zeit als Wiener Student verbinde ich also auch mit der alten Tierärztlichen Hochschule und ihrem Portier, der mir, obwohl kein Student seiner Hochschule, zu einem wunderbaren Untermietzimmer verholfen hat. Der Frau Zanibal ist zu danken, dass sie mich als Untermieter akzeptiert hat, obwohl ich nichts mit der Tiermedizin zu tun hatte. Jedenfalls meine Erinnerungen an die alte Hochschule für Tiermedizin sind sehr gute, schließlich besuchte ich später dort auch meinen Bruder Dietrich, der Tiermedizin studiert und es zu einem sehr angesehenen Universitätsprofessor gebracht hat.

Die alten Professoren, ihre Kunst der Lehre und ihr Witz Für dieses Buch sprach ich auch mit alten Landtierärzten über ihr Studium an der Tierärztlichen Hochschule. Dabei erfuhr ich, dass 166

Die alten Professoren

Abb. 21: Dr. Sommerer mit Kollegen an der Tierärztlichen Hochschule um 1955

das Studium in den Jahrzehnten nach dem letzten Krieg höchst spannend war und die Studenten, damals studierten kaum junge Damen, auf ihren künftigen Beruf gut vorbereitete. Die Professoren wurden als Originale gesehen, an die man gerne und oft mit wohlwollendem Lächeln denkt. In diesem Sinn versteht sich die Erzählung von Herrn Dr. Orator, der in den fünfziger Jahren studiert hat: „Es war ein gutes Studium an der Tierärztlichen Hochschule, das ich genossen habe. Die Professoren waren streng. Den alten Professor Habacher, den Lehrer vom Professor Knezevic, habe ich noch als Professor und Prüfer erlebt. Der Habacher war ein Mann mit Stil, er hat, wenn zum Beispiel ein Student unrasiert bei der Prüfung erschienen ist, vornehm gesagt: ‚Junger Mann, unrasiert, was soll sich das Pferd von Ihnen denken?‘ 167

Das Studium

Ein feiner Professor war Professor Benesch, der in der Vorlesung manchmal gesagt hat: ‚Das dürfen Sie nie machen, ich habe das gemacht, das war ganz falsch. Das dürfen Sie nie machen‘. Er war der einzige Lehrer, der sich eingestanden hat, Fehler gemacht zu haben. Ganz toll! Einmal, als der Benesch in der Vorlesung war, ist der Pedell gekommen und hat gesagt: ‚Eine Dame ist da‘. Dann ist die Dame gekommen mit einem Hund und hat sich groß in Szene gesetzt: Professor hin, Professor her. Er hat sich umgedreht und hat nur gesagt: ‚Eklige Büchse!‘ [Er lacht.] Solche Ausdrücke hat er gehabt, das hat uns wahnsinnig gefallen.“ Heiteres über Professor Benesch schreibt auch der spätere Professor Erich Glawischnig: „Als an einem Morgen [in seiner Vorlesung über Geburtshilfe] nur 6 oder 7 Hörer anwesend waren, fragte Professor Benesch nach den restlichen Kollegen und sagte wörtlich: ,Wenn ich bin Professor und stehe für diese Vorlesung täglich um 5 Uhr früh auf, haben Sie, Rotzbuben, noch immer da zu sein!‘ Da am nächsten Tag alle wieder da waren, lächelte er freundlich und meinte: ‚… dass man mit Ihnen immer schimpfen muss.‘ Professor Benesch stammte aus dem hintersten Böhmerwald und war ein begnadeter Lehrer. Da sein Deutsch nicht immer ganz korrekt war und das Böhmische immer wieder durchklang, wurde er von den Studenten liebevoll ‚Frantischek‘ genannt“ (Glawischnig, 2005, S. 253). Dr. Orator erzählt weiter: „Der Professor für Interne war ein gewisser Gratzl, der auf einem Ohr nichts gehört hat. Bei meiner Prüfung in Interne hat er mich nach vorne gerufen und gesagt, ich solle das Pferd untersuchen. Ich habe gewusst, dass er auf einem Ohr nichts hört. Rechts und links haben wir auskultieren [abhorchen] müssen, das Ohr an den Körper des Pferdes legend. Er ist mit hochrotem Kopf auf der anderen Seite des Pferdes gestanden und hat gefragt: ‚Was hören Sie?‘ 168

Die alten Professoren

Ich habe gesagt: ‚Nichts.‘ Er hat aber auch nichts gehört. Er wollte aber, dass da etwas wahrgenommen wird. Es hat ihn furchtbar geärgert, dass ich gesagt habe: nichts, weil auch er nichts gehört hat. Dann hat er zu seinem Assistenten gesagt: ‚Sagen Sie, der Orator, was ist das für ein komischer Kerl!‘ Aber durchgekommen bin ich. Der Professor Dirnhofer von der Rinderklinik hatte seine eigenen Vorstellungen von einem Tierarzt. Einen Studenten gab es, der ist immer mit vorne zugespitzten modischen Schuhen, mit Milanos, gekommen. Beim Dirnhofer hat man mit Goiserern, das sind genagelte Schuhe, kommen müssen. Diese wären nach dem Professor die richtigen Schuhe für Tierärzte gewesen. Dieser Student ist zur Prüfung bei ihm tipptopp angezogen erschienen mit diesen schönen spitzen Modeschuhen. Wie der Professor überlegt hat, ob er ihn durchkommen lassen soll oder nicht, hat er ihn von oben bis unten angesehen. Als er die Milanos, die spitzen Schuhe, sah, hat er gesagt: ‚Sie müssen noch einmal kommen.‘ Der Student ist beim zweiten Mal dann durchgekommen. Er wurde Amtstierarzt in Wien, er ist schon lange in Pension. Sympathisch war auch der Professor Eisenmenger, mit ihm habe ich mich immer gut verstanden. Er war bei einem gewissen Professor Übereuter Assistent. Der Professor Knezevic war beim Professor Habacher Assistent. Der Professor Knezevic war ganz prima. Ich habe ihn sehr gern gehabt. Den Knezevic haben wir als Studenten mögen. Wir haben ihn unter uns zum Spaß ‚Knese-ritsch‘ genannt. Er war in Ordnung.“ Über sein Studium sprach ich auch mit dem alten Bauerntierarzt Staudinger aus Anger in der Steiermark, der allerdings aus finanziellen Gründen nicht fertig studiert hat. Er ging auch auf den Beginn seines Studiums ein: „Ich bin ganz unfreiwillig Tierarzt geworden. Nach dem Heimkehrerkurs in Graz im Jahre 1947 hat 169

Das Studium

mich einer meiner Bekannten dazu überredet, Tiermedizin zu studieren. Ich wollte eigentlich Forstwirt werden, die Forstwirtschaft ist mir auf den Leib geschrieben gewesen. Aber der Bekannte hat mir zugeredet, mit ihm an der Tierärztlichen Hochschule zu studieren. Das war auch gut so. Das tierärztliche Studium hat mir gefallen, weil man da viel Nützliches lernen kann. Den Professor Knezevic kenne ich gut. Er hielt eine Übung über Klauen- und Hufkunde, die habe ich besucht. Einmal bat mich einer, ich solle für ihn die Abtestur [Unterschrift des Professors im Studienbuch zum Ende des Semesters] beim Knezevic holen, er habe keine Zeit dazu. Ich bin also zum Knezevic gegangen. Der, für den ich die Abtestur holen sollte, hat Moises geheißen. Fragt mich der Knezevic: ‚Sie sind der Herr Moises?‘ Ich bejahte das. ‚Ah so‘, hat er gesagt, ‚ich kenne auch jemanden, der Moises heißt.‘ Er hat also überzogen, dass ich nicht der Moises bin. In Hinkunft hat der Knezevic mich daher aus Spaß, wenn er mich von der Ferne sah, als Moises gerufen. Der Knezevic war ein netter Herr. Auch der Professor Eisenmenger war ein guter Freund von mir. Die jetzige Genera­ tion der Professoren kenne ich nicht mehr. Die Alten kennen mich alle. Ich war bekannt wie das falsche Geld. Die alten Professoren haben mich unterstützt, wo es gegangen ist, zum Beispiel mit Medikamenten. Ich habe übrigens das Pharmaskriptum geschrieben. Nach meinem Skriptum haben die anderen studiert. Ich konnte nämlich gut stenographieren, daher war es für mich nicht schwer, die Vorlesungen für Pharmakologie fast wortwörtlich mitzuschreiben. Das heißt was! Auch der Professor Eisenmenger hat mich gebeten, ein Skriptum über seine Vorlesung zu schreiben, da ich dazu ebenso die stenographischen Unterlagen hatte. Für die Arbeit an dem Skriptum habe ich zweitausend Schilling bekommen. Nach meinem Skriptum haben sogar die Amtstierärzte gelernt.“ 170

Die alten Professoren

Abb. 22: Dr. Sommerer bei einer Vorlesung an der Tierärztlichen Hochschule

Aus seiner Studentenzeit erzählt mir auch Dr. Volker WernerTutschku, während er mich im Auto von Sattledt nach Kronstorf in die Nähe von Steyr bringt, wo ich einen Vortrag zu halten habe. Er kommt dabei auch auf Professor Benesch zu sprechen: „Herr Professor Benesch prüfte, der Kandidat war schwach. Er musste an einem Modell zeigen, wie er das tote Kalb zerstückelt, um es aus der Kuh herauszubekommen. Professor Benesch bekommt einen Wutausbruch und sagt böhmakelnd [mit tschechischem Akzent sprechend]: ‚Steh ich hier seit vierzig Jahren, schreib ich dünnes Bichl‘ – nach dem Krieg hat es eine dünne Ausgabe seines Buches über Geburtshilfe gegeben – ‚schreib ich sogar dickes Bichl und Sie Trottel nehmen immer noch Messer statt Embriatom, gehen Sie ham [heim]‘. [Embriatom ist ein Gerät zum Kalbzerstückeln.) Professor Benesch war ein ganz ein Harter. Wieder wurde ein Kan171

Das Studium

didat von ihm geprüft, es war die letzte mögliche Prüfung für den Studenten, er ist schon dreimal bei dem Professor durchgefallen gewesen. Daher war diese Prüfung eine ministerielle Prüfung (im Ministerium). Er war wieder so schwach. Der Professor Benesch hat gefragt: ‚Wohin gehen Sie, wenn Sie mit dem Studium fertig sind?‘ Der Student hat gesagt: ‚In meinen Ort im Seewinkel am Neusiedler See.‘ Darauf der Professor: ‚Versprechen Sie mir, dass Sie dort bleiben?‘ Der Student antwortete: ‚Ja, ich bleibe sicher dort.‘ Der Professor sagte noch einmal: ‚Versprechen Sie mir wirklich, dass Sie dort bleiben?‘ Der Student bekräftigt: ‚Sicher bleibe ich dort, Herr Professor!‘ Darauf sprach der Herr Professor: ‚Dann gebe ich Ihnen ein Genügend. Für die Krawaten [Kroaten] dort unten sind Sie gut genug.‘ Das war eine Geschichte! Noch eine Geschichte weiß ich von der Hochschule. Diese spielte sich in der Anatomie im Sezierkurs ab. Ein Kollege, der sehr eifrig war, hatte einen Geigenkasten mit. Er packte einen toten Hund in diesen Geigenkasten, damit er daheim weitersezieren könne. Der Laborant sah das, rannte gleich zum Professor und sagte ihm: ‚Der Student hat den toten Hund eingepackt, in den Geigenkasten.‘ Professor Schreiber, ein sehr vornehmer älterer Herr, ging zu dem Studenten und sagte: ‚Oh, Herr Kollege, Sie spielen Geige?‘ Sagt dieser: ‚Ja.‘ Darauf der Professor: ‚Dürfte ich Ihr Instrument sehen. Ich bin ein großer Geigenliebhaber.‘ Da meinte der Student: ‚Das ist eine ganz gewöhnliche Geige.‘ Der Professor entgegnete: ‚Aber, bitt’ schön, machen Sie den Geigenkasten doch auf, ich möchte die Geige sehen.‘ Nun ist dem Studenten nichts anderes übrig geblieben, als den Geigenkasten zu öffnen. Da ist der tote Hund darinnen gelegen. Der Professor sagte: ‚Ich schätze Ihren Eifer, aber den Hund müssen Sie schon hier lassen. Aus hygienischen Gründen.‘ Seit dieser Zeit haben wir diesen Kollegen nur mehr 172

Die alten Professoren

‚Paganini‘ gerufen. Sein Spitzname war also Paganini. Jahre später bin ich zum jetzigen Professor Glawischnig gekommen, der ein Semesterkollege von mir ist, wir haben gemeinsam für Prüfungen gelernt. Mein Kollege erzählte mir: ‚Stell dir vor, wer bei mir war? Der Paganini. Weißt du, was der nun ist? Der hat nach dem Tierarzt-Studium noch Theologie studiert und ist Priester geworden. Jetzt ist er in Afrika in der Entwicklungshilfe als Tierarzt tätig. Er hat sich bei mir über Literatur von Rinderkrankheiten erkundigt.‘“ Volker Werner-Tutschku, der auch Bürgermeister von Sattledt war, fügt noch eine spannende Geschichte über einen heiteren Studenten hinzu: „Auf der Pferdeklinik war es die Regel, dass man als Student ein- oder zweimal Nachtdienst auf dieser Klinik gemacht hat. Während der Nacht hat man dort Karten gespielt und hat auch getrunken. Einmal war ein Student ziemlich betrunken. Daher haben die Wärter ihn neben den Pferdeboxen in das Stroh gelegt. In der Früh kommt der Professor Gratzl, ein vornehmer Mann, im Krieg war er Offizier. Wie er zu den Pferdeboxen kommt, kraxelt der Student aus dem Stroh hervor. Der Gratzl fragt ihn böse: ‚Was machen Sie denn da?‘ Der Student wusste nicht, was er sagen soll. Da ist ihm der Wärter zu Hilfe gekommen und hat zum Professor gesagt: ‚Der Student war so interessiert an einem Kolikfall, dass er die ganze Nacht diesen Kolikfall beobachtet hat. Und dabei ist er eingeschlafen. So haben wir ihn gleich hier liegen gelassen.‘ Der Professor hat nichts gesagt. Nach einiger Zeit kommt dieser Student zur Prüfung beim Professor Gratzl. Dabei hat er viel Blödsinn geredet, worauf der Professor meinte: ‚Wenn ich nicht wüsste, wie interessiert Sie als Student gewesen waren, würde ich Sie jetzt hi­ nausschmeißen.‘ Der Professor hat also nobel auf die Erklärung, der betrunkene Student sei nur aus Interesse an einer Kolik die ganze Nacht beim Pferd gelegen, reagiert.“ 173

Das Studium

In Hochachtung spricht auch Herr Dr. Willi Lechner aus Molln über die alte Hochschule für Tiermedizin, zu dessen Lehrkörper auch sein Vater gehörte: „Mein Vater war, vor dem Krieg und bevor er in Molln Tierarzt wurde, Dozent bei der Huf- und Klauenkunde und Professor für Anatomie. Sein Nachfolger war Professor Knezevic, der war super. Vor diesem war der Professor Habacher, auch dieser war gut. Als ich im Jahre 1960 noch rechtzeitig die Praxis von meinem Vater übernommen habe, hat mein Vater noch acht Jahre gelebt. Mein Vater hat die letzten Jahre wissenschaftlich gearbeitet. Er hat die ‚Geschichte der Medizin und der Veterinärmedizin‘ geschrieben. Für dieses Buch hat er dann die Josef-Baier-Medaille bekommen. Sie ist eine der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnungen.“ Willi Lechner meint schließlich, dass das Studium der Tiermedizin zu seiner Zeit in den fünfziger Jahren für ihn als künftigen Landtierarzt umfassender gewesen sei als das heutige: „Heute gibt es schon Fachtierärzte für Pferde, für Rinder und so weiter, lauter Spezialisten. Studiert man Veterinärmedizin, so kann man sich auf der Klinik spezialisieren. Man lernt zum Beispiel nur Rinder, Schafe und Ziegen, also Klauentiere. Man wird also zum Spezialisten dafür ausgebildet. Aber als Tierarzt auf dem Land sollte man alles können. Wir sind damals die ersten fünf Semester im Seziersaal gestanden und haben Kadaver zerlegt, man musste Präparate machen, Nerven präparieren und Ähnliches. Heute machen die Studenten das auf dem Computer. Wenn der Student dann das erste Mal bei einer Leiche steht, wird ihm schlecht, da speit er sich an. Bei uns haben viele aufgehört zu studieren, weil sie das nicht ausgehalten haben. Heute ist alles ein Wischiwaschi, auch in der Medizin. Unsere Frau Primaria in Kirchdorf hat gesagt, sie fürchtet sich davor, 174

Die alten Professoren

Abb. 23: Dr. Sommerer mit Mikroskop an der Tierärztlichen Hochschule 1955

krank zu werden. Denn wenn sie sieht, was ihre Assistenzärzte können, da fürchtet sie sich. Die lernen ja nichts, die können nicht einmal eine Spritze geben.“ Mein Freund Wolfgang Oberhuber aus Kremsmünster – er hat mit großer Freude in den siebziger Jahren Tiermedizin studiert und meint, er würde lieber noch dreimal studieren als noch einmal die Mittelschule machen – denkt ähnlich. Er weiß aus seiner Studienzeit trefflich zu erzählen: „Mein Doktorat in Tiermedizin habe ich auf der Physiologie gemacht. Der Professor Eisenmenger und der Professor Knezevic haben sich nicht unbedingt geliebt. Der Knezevic war ein netter, aber auch eigenartiger Typ. Außerhalb der Vorlesungen habe ich ihn einmal kennengelernt. Ich wollte mich um ein Praktikum auf der Orthopädie bewerben. Ich bin daher zum Professor Knezevic gegangen. Er ist in seinem Zimmer ge175

Das Studium

sessen, die Vorhänge waren zugezogen. Es war bei ihm finster wie in einer Gruft. Ich ging also zu ihm und klopfte. Ich hörte ein Gemurmel. Ich ging in das Zimmer hinein, es war total finster. Ich habe niemanden gesehen. Daher habe ich die Tür wieder zugemacht und wollte gehen. Auf einmal hörte ich, dass der Professor nach mir rief. Er saß im Zimmer, ich habe ihn in der Dunkelheit nicht gesehen. Die alten Professoren waren nicht schlecht. Das Problem heute ist, dass die Ausbildung für die Großtierpraxis an der Universität immer schlechter wird, das heißt, dass die jungen Tierärzte oft schlechter besamen können als die Bauern, die das in der Landwirtschaftsschule gelernt haben.“

Der „Numerus clausus“ und die Damen Mein Freund Dr. Oberhuber geht schlussendlich noch auf ein Problem ein, das für den heutigen hoffnungsfrohen, jungen Menschen, der Tiermedizin studieren will, sich auftut, nämlich die modernen Aufnahmetests, die vielen die Möglichkeit nimmt, das angestrebte Studium der Tiermedizin zu ergreifen. Für Wolfgang Oberhuber besteht heute die Gefahr, dass die ehrgeizigen „Streber“ denen vorgezogen werden, die wirklich mit Leib und Seele an der Tiermedizin interessiert sind. „Ich war in der Schule ein schlechter Schüler. Ich habe mir damals gedacht, hoffentlich kommt der Numerus clausus bei den Tierärzten, den man damals in Deutschland eingeführt hat, nicht zu uns. Man macht nur das gut, was man gern macht. Während meines Studiums bin ich bereits mit dem Tierarzt Dr. Untermaier in Neuhofen zu seinen Visiten mitgefahren. Er war noch so ein Tierarzt vom alten Schlag, wie man ihn sich halt vorstellt, einen urigen Landtierarzt. Angezogen war er mit 176

Der „Numerus clausus“ und die Frauen

Knickerbocker und Haferlschuhen. Solche Tierärzte sind für mich Vorbilder. Wer weiß, ob nach den heutigen Bedingungen an der Universität überhaupt noch solche Tierärzte ausgebildet werden können.“ Noch etwas spricht Willi Lechner an: „Wie ich studiert habe, ab 1954, da gab es nur drei Mädchen, die mit uns studierten. Das waren wilde Damen. Wir waren nur zwölf Hörer im Semester. Wie mein Sohn studiert hat, waren es schon vierhundertachtzig Hörer im Semester, davon waren sechzig Prozent Mädchen. Wenn heute ein Mädchen ein Pferd daheim hat, will sie auch schon Veterinärmedizin studieren.“ Ähnliches meint Wolfgang Oberhuber: „Heute sind fast neunzig Prozent der Studierenden weiblich. Die Damen sind meistens – im Gegensatz zu den alten Landtierärzten – an der Kleintierpraxis und den Pferden interessiert.“ Herr Dr. Langgartner in Windischgarsten kommt zu der geradezu ketzerischen Überlegung: „Es gibt immer mehr Tierärztinnen. Als Tierarzt braucht man aber auch Kraft. Ein zartes Mädchen wird sich schwertun beim ‚Kalblziehen‘ oder bei einem Gebärmuttervorfall. Wenn man heute in einen Reitstall geht, sieht man fast nur Mädchen.“ Interessante Gedanken zu der heutigen Situation an der Universität für Tiermedizin hat Dr. Gernot Werner-Tutschku, der junge Tierarzt von Sattledt: „Ich hätte mein Lebtag nicht Tiermedizin studieren können, da ich ein schlechter Schüler war. Bei der Aufnahme zum Studium schauen sie auch auf die Noten. Die Studiengebühren sind nicht der Skandal, sondern dass der freie Universitätszugang zur Tiermedizin nicht mehr gegeben ist. Das ist das Problem. Über die depperten dreihundertfünfzig Euro als Studiengebühr regt man sich auf. In Amerika kostet das Studium um vieles mehr als bei uns. Man braucht nicht nur die Streber, die 177

Das Studium

die Tests bei der Aufnahme zur Tiermedizin bestehen, weil sie viel in Physik und anderes wissen. Beim echten Tierarzt kommt es auf andere Qualitäten an.“ Der Vater von Gernot, Dr. Volker Werner-Tutschku, der alte Landtierarzt, gibt seinem Sohn grundsätzlich recht, sieht aber die Schwierigkeit an der heutigen Universität für Tiermedizin, die von Studentinnen und Studenten regelrecht gestürmt wird: „Damals waren wir fünfzig Leute im Semester. Wenn man nicht in der Vorlesung war, hat der Professor schon geschaut! Heute sind es dreihundert und mehr in einer Vorlesung. Der Gernot hat recht, wenn er meint, es sei ein freier Zugang zum Studium wichtig. Aber was will man machen, wenn auf einmal sechshundert Studierende pro Semester kommen? Wo soll man die unterbringen? Wo soll man das Lehrpersonal hernehmen?“ Es hat sich also einiges auf universitärem Boden geändert, das für den alten Landtierarzt nicht ganz zu verstehen ist und das auf den Wandel der Kultur der Landtierärzte, auf den noch einzugehen sein wird, hinweist. (Einen guten Einblick in das Studium der Tiermedizin in den fünfziger Jahren und auch in den Wandel der bäuerlichen Kultur gibt übrigens der frühere Tierarzt und spätere Professor der Tierärztlichen Universität Erich Glawischnig, der als Kärntner Bauernbub aufwuchs [Glawischnig,2005].)

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Der Beginn der Praxis – Verwandte, Freunde und Kollegen Der Einstieg in die Praxis war für den Landtierarzt zumeist ein aufregendes Unternehmen, denn seine Ankunft in der bäuerlichen Gemeinde war für das ganze Dorf oder die Region ein Ereignis. Es war – und ist wohl auch heute noch so – von Vorteil für den jungen Landtierarzt, entsprechende Zugänge zu den Bauern der betreffenden Region zu erhalten. Dies geschah entweder durch Freunde und Leute, die in der Gemeinde Ansehen genossen, wie durch den Bürgermeister, oder durch die Familie, die bereits in der Gegend ansässig war, oder durch Kollegen, mit denen man die Zusammenarbeit suchte. Aber zunächst war (und ist) es wichtig, einmal überhaupt zu erfahren, wo ein Tierarzt gesucht wird. Darüber sprach ich mit Dr. Volker Werner-Tutschku, der 1956 als Tierarzt in Sattledt bei Wels begonnen hat. Auf die Idee, dorthin zu gehen, kam er, wie oben in seinem Lebenslauf bereits festgehalten, durch einen Anschlag auf dem Schwarzen Brett im ­Gebäude der Tierärztlichen Hochschule in Wien. WernerTutschku wagte das Abenteuer, in Sattledt als Tierarzt zu beginnen, obwohl er den Ort nicht einmal kannte und man ihm von der Tierärztekammer aus davon sogar abgeraten hat, denn dort könne man nichts verdienen. Bevor er in Sattledt begann, führte ihn der alte Tierarzt in seine Praxis ein, wie ich im Lebenslauf von Dr. Werner-Tutschku schon schilderte. Der Vorgänger von Werner-Tutschku dürfte kein besonders hohes Ansehen als Tierarzt genossen haben, außerdem war er zumindest einmal bei seinen Krankenbesuchen betrunken. Werner-Tutschku erzählt: „Der 179

Der beginn der Praxis

Bürgermeister war recht froh, einen jungen Tierarzt in der Gemeinde zu haben. Er hat mir gleich geraten: ‚Am Sonntag musst du zum Stammtisch im Gasthaus Haugeneder gehen.‘ Dort saßen damals viele Bauern an einem großen Stammtisch und warteten auf ihr Geld. Heute ist es nicht mehr so. Die Bauern warteten auf ihr Geld. Der Wirt Haugeneder war Ferkelhändler, der hat am Sonntag regelmäßig das Geld für den Verkauf der Fadeln (Ferkeln) im Wirtshaus ausbezahlt. Am Samstag ist der Haugendeder mit den Ferkeln auf den Markt gefahren und am Sonntag hat er die Bauern bezahlt. Heute ist es nicht mehr so. Der Bürgermeister hat den Bauern nun gesagt: ,Der, also ich, ist unser neuer Tierarzt, den müsst ihr holen, wenn das Viech krank ist.‘ Sattledt hat damals zwölfhundert Kühe gehabt, heute sind es nur mehr fünf. Bei uns hier gibt es also fast nur mehr Schweine. Ich habe, wie ich Bürgermeister von Sattledt war, gesagt: Sattledt hat zweitausendfünfhundert Einwohner und fünfundzwanzigtausend Schweine, wenn man die Kinder und die Ferkel mitzählt.“ Werner-Tutschku befolgte den Rat des Bürgermeisters, der ihm wohlgesinnt und nun froh war, einen jungen und tüchtigen Tierarzt im Dorf zu haben. Werner-Tutschku fügt noch hinzu: „Mein Vorteil war, dass der vorige Tierarzt so schlecht war. In der Kammer haben sie damals gesagt: ‚Was, Sie gehen nach Sattledt? In den umliegenden Ortschaften sitzen lauter Koryphäen, der Doktor Grabherr in Kremsmünster, der Doktor Auer in Steinhaus, der Doktor Wiesinger in Eberstallzell. Das sind junge, tüchtige Tierärzte und Sie setzen sich in die Mitte von diesen. Was wollen Sie eigentlich dort?‘ Ich habe mich überall bei meinen Nachbarkollegen vorgestellt. Der Grabher in Kremsmünster war sehr kulant. Er hat mir gleich seine Schweineimpfliste von Stattledt übergeben. ‚Eines sage ich Ihnen gleich‘, hat er gesagt, ‚wir machen uns keine 180

Der beginn der Praxis

Grenze aus. Ein jeder fährt dorthin, wohin er geholt wird. Weil, wenn man sich eine Grenze ausmacht und nicht dort hinfährt, ist der Bauer beleidigt, dann holt er mich nicht und auch Sie nicht, sondern einen Dritten.‘“ Für den jungen Landtierarzt war es also wichtig, dass er durch eine im Dorf angesehene Person in das Dorfleben eingeführt wird. Familiäre Beziehungen können ebenso nützlich sein. Darauf geht Dr. Günther Orator ein, der, wie ich schon in seinem Lebenslauf schilderte, zunächst in der Schweiz in der Praxis seines künftigen Schwiegervaters als Tierarzt begann und dabei viel lernte; schließlich gab es im Haushalt des Tierarztes auch zwei junge Löwen. Dr. Orator hatte also nicht nur mit Rindern zu tun, sondern auch mit jungen Löwen. Als er und seine Frau beschlossen zu heiraten, sah er sich in Österreich nach einer Praxis um, denn in der Schweiz wollte er nicht bleiben, denn dort sah man ihn als Österreicher und somit als Ausländer an. So kam er nach Oberösterreich. Durch den Vorstand der Tierärztekammer kam er nach Kremsmünster, denn dieser hatte gemeint, da Dr. Orator verwandtschaftliche Beziehungen zu Kremsmünster habe, habe er einige gesellschaftliche Vorteile, was sich auch bewahrheitete. Seine Mutter stammte nämlich aus der angesehenen Kremsmünsterer Familie Fischer-Colbrie. Nach zehn Jahren in Kremsmünster trat Dr. Orator die Nachfolge von Dr. Hetzer in Windischgarsten an. Er war hier im Gebirge. Hier konnte er in seiner Freizeit seiner Freude am Schifahren nachgehen. Außerdem hatte er hier mit Kühen zu tun. In Kremsmünster hatten sich die Bauern allmählich vom Rindvieh verabschiedet. Die Schweinezucht interessierte Dr. Orator nicht. Dr. Hetzer machte ihn bei den Bauern bekannt. Mit den Bauern hatte 181

Der beginn der Praxis

er keine Probleme, die waren froh, einen sportlichen Tierarzt zu bekommen, der Sympathien für die Bergbauern hatte. Die ideale Einführung des jungen Landtierarztes ist wohl gegeben, wenn der Vater schon in der Gemeinde als Tierarzt tätig war. Hatten die Bauern Vertrauen zum alten Tierarzt, so hatten sie es auch zum jungen, dem Sohn des angesehenen alten Tierarztes. Als Sohn eines Tierarztes hat Dr. Erich Sommerer seine Praxis in Laakirchen begonnen. Bereits als Student konnte er durch seinen Vater tierärztliche Erfahrung sammeln. Auch durfte er mit Genehmigung des Amtsarztes den Nachbartierarzt sogar noch vor Beendigung seines Studiums vertreten. Dabei passierte ihm ein Missgeschick, das aber seiner künftigen Tierarztpraxis nicht abträglich war: „Da kommt ein Bauer und sagt, dass eine Kalbin [Kuh, die noch nicht gekalbt hat] akut gebläht sei. Ich solle meine Sachen mitnehmen, er fahre mich. Das war ungefähr drei Kilometer entfernt von unserem Haus. Ich habe die Sonde mitgenommen, den Trokar zum Anstechen in den Pansen, damit das Gas sich entfernt. Der Trokar ist ein Stecher mit einer Hülse. Die Hülse lässt man drinnen und den Stecher nimmt man heraus. Heute macht man das nicht mehr. Die Kalbin, die gebläht war, hat man vor dem Stall herumgetrieben, anstatt sie sie ruhig stehen zu lassen und sie mit den Vorderbeinen auf eine Erhöhung zu stellen, damit das Gas aus dem Bauch leichter entweichen kann. Wie ich die Sonde eingeführt habe, konnten die Männer die Kalbin nicht mehr länger halten, die Kalbin ist ihnen durchgebrannt. Nach einigen Metern ist sie umgefallen. Es war nichts mehr zu machen. Ich habe noch den Trokar in den Pansen hineingestoßen, es ist aber kein Gas entwichen. Die Kalbin hatte wahrscheinlich zu viel Klee gefressen. Jedenfalls ist die Kalbin niedergegangen. Ich habe noch gesagt: ‚Bringt mir ein Messer, ich muss sie abstechen.‘ Zu182

Der beginn der Praxis

erst haben sie mir ein Sägemesser gebracht, das ist ungeeignet. Da habe ich gesagt: ‚Ich brauche ein Stichmesser.‘ Endlich haben sie das Stichmesser geholt. Ich habe die Kalbin nun abgestochen, sie ist entblutet. Dann habe ich noch den Bauch aufgeschnitten und den Pansen herausgerissen. Mit einem Kübel Wasser habe ich den Pansenmagen ausgewaschen, damit kein Inhalt, der stinkt, in der Kuh bleibt. Mein Großvater war ja Metzger. Ich habe ihm viel zugeschaut. Der Bauer hat sich dann geweigert, mich im Auto heimzuführen. Er meinte, er sei so fertig und nicht mehr in der Lage, mich zu führen. Ich musste nun zu Fuß mit meinem Instrumentarium heimgehen. Dann fuhr ich wieder nach Wien zum Studium. Auf einmal bekomme ich einen eingeschriebenen Brief. In diesem stand, dass die Kalbin durch meine Unkenntnis zugrunde gegangen sei. Der Bauer verlangte Schadenersatz von mir. Mein Glück war, dass der Rechtsanwalt des Bauern mein Onkel war. Der hat die Sache dann beruhigt. Schließlich habe ich dem Bauern durch die Entblutung den Fleischwert der Kuh gerettet. Das war ein reicher Bauer mit Sägewerk. So ein Schweinehund! Die treuen und dankbaren Kunden waren die kleinen Bauern.“ Herr Dr. Sommerer hatte schließlich keine Probleme, als er mit seiner Tierarztpraxis in Laakirchen begann. Auch er brachte es, wie sein Vater, zu einem angesehenen Tierarzt. Aber noch etwas ist interessant in der Erzählung von Herrn Dr. Sommerer. Für seine Arbeit als Tierarzt in Laakirchen war es wohl auch von Vorteil, dass er vorher im Ausland mit Landärzten Bekanntschaft gemacht hatte, die ein wildes Leben geführt haben, wie er darlegt: „Ich machte drei Monate Praxisvertretung in BadenWürttemberg. Dort war ein Kollege von mir, Lutz Böhm hat er geheißen, er war Ostdeutscher. Er war gleich alt wie ich. Er war dort bereits einige Monate als Tierarzt tätig. In seine Praxis bin 183

Der beginn der Praxis

ich gefahren. Dieser Mann war ein großer Säufer und hat viel geraucht. Ich habe mir dort auch das Rauchen etwas angewöhnt. Die Meldestation für die Visiten war damals in den Gasthäusern. Einen Funk hat es noch nicht gegeben. Dort sind wir immer in die Gasthäuser gegangen, wir haben etwas getrunken und haben auch Meldungen für Visiten entgegengenommen.“ Herr Dr. Sommerer meinte übrigens, es gebe einen Spruch über Tierärzte: Entweder sauft der Tierarzt oder er macht Kinder. Auch Dr. Willi Lechners Vater war Tierarzt in Molln. Er arbeitete schon einige Zeit mit ihm, bevor er allein in die Tierarztpraxis einstieg. Dabei gab es allerdings einige Schwierigkeiten. Bei der Darstellung seines Lebens erzählte Willi Lechner bereits, wie er in den sechziger Jahren die Praxis seines kranken Vaters in Molln übernommen und dort ein Haus für sich und die Eltern gebaut hat. Dr. Lechner fährt fort: „Dann ist die Praxis losgegangen. Ich war hier der einzige Tierarzt. Wenn der Doktor Orator auf Urlaub war, habe ich ihn vertreten. Ich bin zwischen Hengstpass, Pyhrn und Aschach an der Steyr oft täglich zweimal hin- und hergefahren“. Herr Dr. Lechner hat sich schnell in die Praxis, die sein Vater aufgebaut hat, eingefügt. Er wurde zu einem angesehenen und tüchtigen Tierarzt, dem ich mich freundschaftlich verbunden fühle. Darüber, wie wichtig ein Kollege am Beginn einer Praxis als Tierarzt sein kann, ist auch in den „Erinnerungen“ von Dr. Krawarik zu lesen. Dr. Krawarik war, bevor er in Vorderstoder Tierarzt wurde, wie ich schon erzählt habe, in Pettenbach in der Besamungsanstalt tätig. Dort war es der junge Pettenbacher Tierarzt Dr. Bindreiter, durch den er viel für seine künftige Praxis gelernt hat. Diesen begleitete er fleißig, wenn er zu den Bauern fuhr. Er vertrat er ihn schließlich an Sonn- und Feiertagen. Die folgende 184

Der beginn der Praxis

Erzählung zeigt gut auf, wie Dr. Krawarik als „Theoretiker“ eine ihm neue Situation meisterte, wobei ihm eine Krankenschwester aus Wels assistierte: „Einmal, an einem Sommersonntag, wurde ich zu einer Kuh gerufen mit einem totalen Gebärmuttervorfall nach der Geburt. Das Tier lag am Boden, die schwammige, blutrote Masse der Gebärmutter war durch die Scheide ausgetreten und breitete sich im Umfange eines Wagenrades über die Jauchenrinne und den schmutzigen Stallboden aus. Der Anblick war mir neu, denn auf der Hochschule hatte ich bei den Ambulanzfahrten der Rinderklinik nie einen solchen Fall zu Gesicht bekommen und Praxis hatte ich keine ausgeübt. Trotzdem blieb ich ruhig, denn ich fühlte mich sicher. Als Theoretiker war die Vertiefung in die Theorie meine Stärke gewesen und theoretisch hatte ich mich gewissenhaft auf alle wichtigen Praxisfälle bereits vorbereitet, so auch auf einen Gebärmuttervorfall. Ich traf meine Anordnungen bestimmt, wie wenn ich große Erfahrung gehabt hätte: Viel Warmwasser für Übermanganwaschungen, mehrere reine, gebügelte Leintücher und vernünftig helfende Hände. Die Injektion für die Epiduralanästhesie machte ich mit schulmäßiger Exaktheit, genau unter dem vorgeschriebenen Winkel von 45 Grad in die entsprechende Delle und Tiefe zwischen zwei Schwanzwirbeln, es klappte alles unwahrscheinlich gut. Nach gründlicher Reinigung der Gebärmutter mit körperwarmer Übermanganlösung und Untergreifen mit reinen Tüchern war die Injektionswirkung eingetreten. Nun konnte ich die Rückführung des Tragsackes in den Tierleib mithilfe der Tücher beginnen, dies musste vorsichtig, langsam und vollständig geschehen, denn wenn bei der Reposition die Hörner des Tragsackes nicht in die richtige Lage zurückgebracht werden, wenn nicht alle Einstülpungen der Hornspitzen beseitigt sind, 185

Der beginn der Praxis

so kann das Tier durch Rückpressen die Gebärmutter ein zweites Mal zum Vorfallen bringen. Mit führenden Händen schaffte ich wieder Ordnung in den rebellisch gewordenen Eingeweiden. Dann verschloss ich den Scheideneingang, wobei die Schamlippen infolge der Anästhesie schmerzlos durchstochen wurden und mithilfe eines sinnreichen Verschlusses aneinandergepresst blieben, die Kuh konnte normal Harn absetzen, den Tragsack aber nicht mehr herausdrücken. So war die Behandlung lege artis und glücklich zu Ende gebracht ... Als meine Helferin im Stall hatte sich eine Krankenschwester von der Chirurgischen Klinik des Welser Spitales angeboten, die im Bauernhaus zu Besuch war, und dankbar nahm ich ihre intelligente und tüchtige Hilfe an. Als wir fertig waren, sah sie mich kopfschüttelnd und bewundernd an und erklärte mir, dass sie sich alles ganz anders vorgestellt und nicht für möglich gehalten habe, im schmutzigen Stall mit modernsten medizinischen Mitteln einen so schweren Fall so erfolgreich behandeln zu können. Dieses Ereignis trug nicht wenig dazu bei, meinen Ruhm als Praktiker zu verbreiten.“ Herr Dr. Wolfgang Oberhuber in Kremsmünster hatte bereits während seines Studiums tierärztlich in seiner Heimat gearbeitet, so gelang es ihm, ohne Schwierigkeiten Kontakte zu Bauern herzustellen und schließlich seine Praxis in Kremsmünster einzurichten, aber dennoch war es nicht einfach. In der Darstellung seines Lebenslaufes habe ich bereits dargetan, wie er nach Kremsmünster kam und wie die Nachbartierärzte ihm skeptisch begegneten, da sie offenbar seine Konkurrenz fürchteten. Wolfgang meint, dass die Tierärzte ähnlich wie die Bauern zum Jammern neigen (wie in seinem Lebenslauf erwähnt). Wolfgang erzählt: „Früher haben sich in einem Dorf alle gekannt und viele waren sogar miteinander ver186

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wandt. In den Gemeinden hat meist ein Name dominiert. Einmal hat einer zu mir gesagt: ,Wenn man in einen alten Ort kommt, muss man aufpassen, denn es sind alle verwandt. Wenn man einem Hund auf den Schwanz steigt, bellt das ganze Dorf.‘ Ich habe das auch gespürt, wie ich angefangen habe. Wenn einer mich geholt hat und zufrieden war, hat er dies in seiner Verwandtschaft weitererzählt, oder am Kirchenplatz, oder am Stammtisch. So bin ich in die Gemeinschaft hineingewachsen. Oder wehe, du hast einen verärgert. Das hat auch gleich jeder gewusst. Am Beginn der Praxis muss man bei spektakulären Sachen zeigen, dass man etwas kann. Spektakuläre Geschichten waren Geburtshilfegeschichten, Operationen, Kaiserschnitt oder so etwas. Das spricht sich herum. Heute ist das anders. Wichtig war für mich, dass ich die Fleischbeschau bekommen habe. Jedenfalls habe ich mich in Kremsmünster gut eingelebt, eben weil meine Frau hier ihre Wurzeln hat. Im schönen Bürgerhaus meiner Frau in der Mitte von Kremsmünster wohnen wir und dort habe ich auch meine Praxis. Ich habe auch eine liebe Assistentin.“ Seinen Zugang zur tierärztlichen Praxis fand Dr. Langgartner aus Windischgarsten durch einen Volksschulfreund seiner Mutter, wie bereits in seinem Lebenslauf dargetan wurde. Er erzählt: „Während der Ferien habe ich als Student in Peuerbach bei Grieskirchen beim Doktor Niedersüß als Tierarzt gearbeitet. Dieser Tierarzt ist mit meiner Mutter in die Volksschule gegangen. Er ist dann Kammerpräsident geworden, er war ein super Tierarzt. Immer in den Ferien. Das war Mitte der siebziger Jahre. Ich durfte bei ihm mitfahren. Ich habe unheimlich viel bei ihm gelernt. Wie ich 1979 mit dem Studium fertig geworden bin, war ich eigentlich schon ein ausgebildeter Tierarzt [aufgrund der Erfahrung bei dem Tierarzt]. Ich habe das ganze Zeug schon gekannt. Ein Jahr habe ich bei ihm 187

Der beginn der Praxis

noch als Assistent gearbeitet. Er hat mich alles machen lassen. Alles, aber unter seiner Kontrolle. Ich habe bei ihm also angefangen. Ich glaube, er hat mir im Monat fünfundzwanzigtausend Schilling gegeben, brutto, ich musste mich selbst anmelden. Es war kein schlechtes Geld, damals war aber auch viel Arbeit [zu erledigen]. Es gab damals noch wenige Tierärzte. Es war eine Großtierpraxis, Rinder und Schweine.“ Dr. Langgartner hatte auch Gelegenheit, Herrn Dr. Niedersüß, als dieser auf Urlaub fuhr, zu vertreten, dabei führte er auch einen Kaiserschnitt bei einer Kuh durch. Die Altbäuerin war von ihm begeistert, wie oben schon erzählt wurde. Herr Dr. Langgartner hatte also durch den alten Tierarzt, den er durch seine Mutter kannte, bereits gute Beziehungen zu den Bauern, sodass er nach Beendigung seines Studiums beste Zugänge fand. Der Tierarzt Bernd Hradecky aus Matrei in Osttirol, dessen liebe Frau Katharina Chefin des Hotels Hinteregger in Matrei ist und der einer jüngeren Generation von Tierärzten angehört, fand durch einen Kollegen seine Praxis. Bei einem Bier erzählt er mir: „Ich bin ein Mensch, der gerne in der Natur ist. Ich komme eigentlich aus der Steiermark. Früher war für die Tierärzte im Gebirge im Winterhalbjahr die Hauptarbeitszeit. Weil in dieser Zeit die Kühe besamt werden und die Kälber im Herbst auf die Welt kommen. Während des Sommers ist ja alles auf der Alm. Und im Winter ist alles daheim im Stall. Im Winter suchen viele Tierärzte Assistenten. So bin ich als Assistent nach Matrei gekommen. Ich wurde wie ein Taglöhner pro Tag bezahlt. Man lebt in der Tierarztfamilie mit, bekommt sein Essen und hat sein Zimmer. Ich habe mit dem Tierarzt hier acht Jahre zusammengearbeitet. Zuerst war ich also als Assistent angestellt, dann haben wir eine Erwerbsgemeinschaft gegründet. Nach weiteren acht Jahren habe 188

Der beginn der Praxis

ich in Lienz meine Praxis aufgemacht. Für Kleintiere, aber auch für Großtiere. Mit Großtieren gebe ich mich gerne ab. Ich fahre deswegen bis ins Pustertal. Ich habe mich also in Lienz niedergelassen, weil mich die Kleintierpraxis interessiert und sie vom Wissenschaftlichen her eigentlich anspruchsvoller ist. Zwei Jahre habe ich in Lienz nach geeigneten Räumlichkeiten für eine Praxis gesucht. Ein Lokal ist mir aufgefallen, das leer gestanden ist. Ich habe es genommen. Es hat sich bewährt. Seit 2001 bin ich dort. Mittlerweile habe ich einen Assistenten, einen Kärntner. Jetzt geht es mir besser. Einen Gebietsschutz gibt es nicht, wir sind Freiberufler und freie Kämpfer. Zu Patienten kommt man nur durch Mundpropaganda. Die Bauern sagen: ‚Der ist fein, probier ihn einmal aus.‘ Dann ruft mich der Bauer einmal an. Wenn er zufrieden ist, wenn alles passt, was man macht, dann wird man weiterempfohlen. Eine offensive Werbung machen wir nicht.“ Durch einen Kollegen, bei dem er zunächst als Assistent arbeitete, fand Bernd Hradecky in Osttirol wichtige Kontakte, die ihm halfen, eine eigene Tierarztpraxis zu eröffnen. Für seine Karriere ist es bedeutsam, dass er bereits am Beginn seiner Tätigkeit in Matrei seine liebe Frau Katharina kennengelernt hat. Er ist ein tüchtiger Tierarzt, der mit seinem Allradauto hoch auf die Almen fährt, um Kühe zu behandeln. Ein deutsches Fernsehteam filmte ihn einmal bei seiner Arbeit in den Bergen. Der dadurch entstandene Film, den ein deutscher Fernsehsender ausstrahlte, gab einen spannenden Einblick in das Leben eines Bergtierarztes, der sich in gewisser Weise noch in der Tradition des alten Landtierarztes sieht. Beispielhaft habe ich versucht zu zeigen, dass für den jungen Landtierarzt vor allem in früheren Zeiten gute Kontakte zu den Bauern einer Gegend am Beginn seiner Praxis sehr förderlich wa189

Der beginn der Praxis

ren. Wie auch in den anfangs erwähnten Lebensläufen gezeigt wird, sind es die Vorgänger, zu denen auch die Väter als Tierärzte gehören, die sehr hilfreich sein können. Jedenfalls abenteuerlich war der Beginn einer Praxis für den Tierarzt allemal.

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Die alten Landtierärzte auf Tour

Es war nicht immer leicht für den klassischen Landtierarzt, vor allem im Gebirge, zu den weit abgelegenen und oft hoch in den Bergen gelegenen Bauernhöfen zu gelangen, um Kuh und Pferd zu behandeln. Der moderne Tierarzt, dem Allradauto und mitunter sogar Hubschrauber zur Verfügung stehen, hat es um vieles leichter als der alte Landtierarzt, für den der Besuch des kranken Viehs bisweilen eine große körperliche Anstrengung war. Davon künden die Gespräche, die ich mit früheren Landtierärzten geführt habe.

Zu Fuss, auf Schiern, mit Pferden und mit dem Fahrrad Der Landtierarzt hatte in früheren Zeiten oft weite Wege durch den Einsatz von Muskelkraft zu überwinden, entweder mit der eigenen Muskelkraft, das heißt zu Fuß, auf Schiern und mit dem Fahrrad, oder mit fremder Muskelkraft, mit Pferden. Der Landtierarzt war dabei in derselben Situation wie der Landarzt. Auch mein Vater und meine Mutter waren in ihren jungen Jahren zu Fuß, mit Schiern und mit Pferdeschlitten zu ihren bäuerlichen Patienten in Spital am Pyhrn in Oberösterreich unterwegs. Gerade im Gebirge war es für Tierärzte mitunter abenteuerlich, wenn sie zunächst zu Fuß hinauf zu den Bauern in den Berghöfen marschierten. Herr Ingenieur Obwexer, mit dem ich über seinen Vater, den früheren Tierarzt von Matrei in Osttirol, sprach, erzählte mir, wie sich sein Vater in der Zeit vor dem letzten Krieg im bergigen Ost191

Die alten Landtierzärzte auf tour

tirol auch des Fahrrades bediente. Ich lasse nun Herrn Obwexer sprechen: „Oft musste der Vater in der Nacht zu einem Tier. Zuerst hat er nur das Fahrrad gehabt. Mit dem Fahrrad ist er bis nach Prägraten oder Kals gefahren. Da ist er nach getaner Arbeit ganz verschwitzt heimgekommen. Sogar nach St. Jakob im Defreggental ist er geradelt, da war er einen ganzen Tag unterwegs. Wenn er mit dem Fahrrad ganz verschwitzt von Prägraten gekommen ist, war schon wieder ein Telefonanruf da, er solle nach St. Jakob, dort wäre ein dringender Fall. Durch dieses viele Herumfahren mit dem Rad hat er sein Herz ruiniert. Mit sechsundsechzig Jahren ist er leider schon gestorben. Er ist an einem Herzinfarkt beim Rasieren gestorben. Er hat noch die Hand im Wasser gehabt. In der Sekunde ist er gestorben. Für uns war es zu früh.“ Der alte Herr Obwexer fuhr auch mit Pferdeschlitten zu seinen Bauern, allerdings kutschierte er nicht selbst, sondern er ließ sich von dem betreffenden Bauern mit dem Ross abholen. Damals sprach man noch vom Ross und nicht vom Pferd, ein Wort das sich vom lateinischen „paraveredus“ – das heißt: das Dienstpferd, das neben der Hauptstraße geht – ableitet. Das Wort Ross ist althochdeutsch, es ist verwandt mit dem englischen Wort „horse“. Auf das Ross geht Herr Obwexer nun in dieser Geschichte ein, in der ein Bauer seinen Vater, der ihn vorher in einem Bauernwirtshaus beim Kartenspiel besiegt hat, zu einer Visite mit dem Schlitten abholen lässt: „Der höchste Bauer von Matrei war der Lukasser. Der war Jäger, mein Vater war auch Jäger. Die beiden haben im Gasthaus gekartet [Karten gespielt]. Der Papa hat gewonnen. Der Bauer ist darauf launig [zornig] geworden. Es hat nicht lange gedauert, ist der Sohn des Bauern mit Ross und Schlitten gekommen – es war Winter – und hat meinen Vater geholt, damit er eine Kuh 192

Philosophie des Fussmarsches

des Bauern, die krank war, behandelt. Der Bauer ist, wie der Vater gekommen ist, bei der Stalltüre gelehnt und hat gesagt: ‚Mit dir laune ich nie mehr [bin nie mehr zornig], weil ich nie weiß, wann ich dich brauche.‘“ Er wird also nie wieder mit ihm schimpfen, weil er ihn vielleicht doch einmal als Tierarzt braucht. Über den alten Tierarzt von Matrei in Osttirol sprach ich auch mit Herrn Meinrad Brugger, dem Ehemann der geschätzten ehemaligen Wirtin vom Hotel Hinteregger. Er erzählte mir, dass er als Kind, wenn zum Beispiel eine Kuh krank war, hinunter nach Ma­trei laufen und den Tierarzt benachrichtigen musste. Er musste aber auch schauen, dass dieser sich wirklich auf den Weg machte. Meinrad hält fest: „Der Tierarzt ist dann zu Fuß zu uns herauf. Eine gute Stunde ist der Tierarzt gegangen. Damals, bis ungefähr ins Jahr 1957, gab es keine Straße zu unserem Hof. Wir sind als Kinder alle Tage fünfhundert Höhenmeter hinunter- in die Schule und hinaufgegangen. Es ging nicht anders.“

Philosophie des Fussmarsches und des Schifahrens Spannend ist auch, was mein Freund Hans Krawarik über seinen Vater Dr. Franz Krawarik, der nach dem Krieg Tierarzt in dem kleinen Gebirgsdorf Vorderstoder gewesen ist, mir erzählt: „Die erste Zeit ging mein Vater zu Fuß. Einmal hatte er einen Marsch von acht Stunden gemacht, hin und zurück bis nach Oberweng bei Spital am Pyhrn. Bis 1947 hat der Vater seine Visiten noch zu Fuß gemacht.“ Über seine Art der Fortbewegung am Beginn seiner Tierarzttätigkeit schreibt Dr. Krawarik in seinen schon erwähnten Erinnerungen: „Meine Beanspruchung nahm mit meinen Erfolgen 193

Die alten Landtierzärzte auf tour

immer mehr zu, fast täglich gab es ein bis zwei Dutzend Fälle zu behandeln, eine Zahl, die ich nie erwartet hätte. Als Fahrgelegenheit besaß ich nur mein altes Fahrrad, das ich schon als Student benutzt hatte. Meist musste ich zu Fuß gehen, weil die Wege schlecht und die Gehöfte hoch gelegen waren oder aber der Schnee den Gebrauch des Rades verhinderte.“ Die Füße blieben das wichtigste Fortbewegungsmittel, vor allem im Winter: „Aber wie jedes Ding hatte der Winter auch zwei Seiten. Beruflich brachte er mir viele Beschwerden: Fahrrad und Motorrad waren nicht mehr zu verwenden, alles musste zu Fuß bewältigt werden, dabei gab es Arbeit, mehr denn je. Die Tiere waren von den Almen zurückgekommen und lebten jetzt in den Ställen. Die Sommerwege und Wiesenpfade lagen unter hohen Schneedecken begraben, ein ganz neues Wegenetz war jetzt in Gebrauch, die sogenannten Schneebahnen. Auf ihnen wurden Holzstämme zu Tal gebracht, auch führten sie von und zu den größeren Bauernhöfen. Von Vieh und Holz lebte die Bevölkerung und die Holzfällerarbeit war im Winter eine Hauptbeschäftigung der Gebirgler …“ Geradezu poetisch sind die Beschreibungen Dr. Krawariks von seinen Fußmärschen als Tierarzt und von den Gedanken, die ihm dabei einfielen: „Meist war es nicht die tierärztliche Schwerarbeit an sich, die das Schwerste von mir abverlangte, sondern der Kampf mit den Wetterunbilden, der Weg zur Arbeit, welcher zur Qual wurde. Es kam vor, dass ich auf allen vieren mit Müh und Not über vereiste Steilhänge zu den Gehöften klettern musste. Einmal war meine Erschöpfung nach einer anstrengenden nächtlichen Schwergeburt in Hinterstoder und nach stundenlangem Fußmarsch so groß, dass ich die Müdigkeit nicht mehr empfand, sondern nur noch automatisch dahinschritt, zwischen Wachen und Träumen. Es war eine wundervolle, froststarrende Winternacht, 194

Philosophie des Fussmarsches

das Mondlicht gleißte auf den tief verschneiten Tannen und auf der glitzernden Straße, die vor mir aufwärts verlief. Eine geisterhafte Stille und eine märchenhafte Schönheit hielten mich umfangen, meine Schritte waren unhörbar im weichen Schnee, ich schwebte gleichsam vorwärts, ohne meine Glieder oder den schweren Rucksack zu spüren … Noch einen Wintertag möchte ich erwähnen, nicht wegen seiner besonderen Ereignisse, jedoch wegen seiner bezeichnenden körperlichen Beanspruchung eines Gebirgstierarztes. Alles war tief verschneit, ich wurde zu einem Patienten nach Spital am Pyhrn, zwanzig Kilometer entfernt, gerufen. Natürlich musste ich zu Fuß und mit meinem schweren Rucksack am Buckel marschieren. Fünf Stunden brauchte ich hin und über sechs Stunden bergauf zurück. Ein ganzer Tag verging also für den einen Besuch, morgens brach ich auf und in der Dunkelheit kam ich heim. Während des stundenlangen Gehens gingen auch viele Gedanken durch meinen Kopf; ich wurde mir vor allem der menschlichen Grenzen bewusst, ich sah ein, dass ich lernen musste, geduldig zu werden, was ich anlagemäßig keineswegs war.“ Der Fußmarsch, der dem Tierarzt alles abverlangte, wird bei Dr. Krawarik geradezu zu einem philosophischen Unternehmen – ganz im Stile der alten griechischen Philosophen, für die der Fußmarsch ein Anlass zum Nachdenken über die Geheimnisse des Lebens war. Ähnlich wie Dr. Krawarik beim Fußmarsch dürfte es dem Bauerntierarzt Staudinger in den fünfziger Jahren bei seiner Fortbewegung auf Schiern in der Oststeiermark gegangen sein. Er war noch lange auf Schiern zu den Bauern, die seine Hilfe benötigten, unterwegs, obwohl er schon ein Motorrad und dann ein Auto hatte. Er erzählt: „Viel bin ich zu Fuß gegangen und auf Schiern, vor allem im Winter, wenn es Verwehungen gab. Stundenlang wanderte ich 195

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einmal mit Schiern zu einer Geburt. Ich hatte aber auch schon ein Motorrad, eine 125er-Puch, mit der bin ich über Stock und Stein gefahren, querfeldein. Dann habe ich ein Gogomobil gehabt. Später bin ich mit einem Volkswagen gefahren und schließlich mit einem Allradauto. Bis nach Ratten, bis Weiz und bis nach Strallegg war mein Rayon – ein großes Gebiet der Oststeiermark. Damals war ich der einzige Viechdoktor, heute sind sechs oder sieben Tierärzte hier.“ Die Fortbewegung aus eigener Kraft zu Fuß, mit den Schiern und mit dem Fahrrad hatte für die alten Landtierärzte wohl einen eigenen Reiz und veranlasste sie zur Meditation.

Der Vorteil des Pferdes Mit Pferden war am Beginn seiner Tätigkeit der Tierarzt Dr. Orator unterwegs. Es hatte ihn damals in den fünfziger Jahren in die Schweiz verschlagen: „Mein Tierarzt in Sarmaden im Engadin, bei dem ich Assistent war, hat immer ein Pferd gehabt. Mit dem Schlitten, das Pferd davorgespannt, bin ich in die Praxis gefahren. Das Pferd hatte einen großen Vorteil: Mit dem Pferd konnte man bei hohem Schnee losgehen. Beim Auto musste man warten, bis der Schneepflug fuhr. Mit einem Pferd war man damals schneller in der Praxis als mit dem Auto. Die Bauern haben damals alle von dem Traberhengst des Tierarztes, der den Schlitten gezogen hat, geschwärmt. Im Winter musste ich einmal zu einer Geburt, es hatte viel geschneit. Da hat der Bauer gesagt, er käme mit Pferden und Schlitten, um mich, den Tierarzt, abzuholen. Der Schnee war hoch, die Pferde hatten zu kämpfen, um mich mit den Geburtshilfeinstrumenten gut zum Bauern zu bringen. Als die Geburt gut vollendet und alles in Ordnung war, musste mich der Bauer mit 196

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seinem Schlitten durch den tiefen Schnee wieder heimführen. Das waren fünf Kilometer. Für die Pferde war es im tiefen Schnee eine ganz große Leistung.“ Auch Tierarzt Willi Lechner aus Molln war zunächst mit Pferden unterwegs, wie er erzählt: „In Hinterstoder gab es den Bauern Blasriegler, der ist heute ein Freund von mir. Sein Hof war hoch oben. Er ist mit seinem Ross und seinem Schlitten unten auf der Straße gestanden und hat mich hinaufgeführt [gefahren]. Damals, in den fünfziger Jahren, konnte man im Winter mit dem Auto nicht zu manchen Bauern hinfahren. Man musste entweder zu Fuß gehen oder man wurde mit dem Pferdeschlitten geführt.“

Mit Motorrad und Auto Zum Fahrrad gesellte sich bei Dr. Krawarik, der bereits zu Wort gekommen ist, bald ein Motorrad, das er aber nicht selbst lenkte, wie er schreibt: „Als das Frühjahr kam, trug sich ein junger Mann, ein Schneidergeselle namens Lotter, an, mich mit einem entliehenen Motorrad zu den Bauern zu fahren. Dieser junge Mann war wohl immer gefällig, lustig und dienstbereit. Dabei aber ein richtiger Lotter. Wegen eines Fußfehlers hat er nicht zum Militär einrücken müssen und sich eifrig beim NSKK [Nationalsozialistischen Kraftfahrzeugcorps] betätigt. Als Einheimischer kannte er Land und Leute gut und ich nahm seine Dienste an. Das Motorrad gehörte dem in Glasenbach inhaftierten Oberlehrer von Vorderstoder, der schriftlich die Einwilligung zur Benützung gab …“ Dr. Franz Krawarik erwarb schließlich ein 500 Kubik starkes Motorrad. Mit diesem konnte er, wie er in seinen „Erinnerungen“ erzählt, relativ rasch auf die Hinterramseben hoch über Vorderstoder fahren. 197

Die alten Landtierzärzte auf tour

Begeistert erzählt Klaus Zehetner von seinem Vater, dem Tierarzt von Viehdorf, der in den fünfziger Jahren zunächst mit dem Motorrad zu den Bauern fuhr: „In den fünfziger Jahren gab es noch furchtbare Straßen. Damals gab es nur drei Autos in Viehdorf, eines gehörte meinem Vater. Vorher ist er mit dem Motorrad gefahren. Meine Mutter hat erzählt, dass sie viel mit dem Motorrad mitgefahren ist, wenn sie meinem Vater bei schwierigen Sachen assistiert hat.“ Im Kapitel über den Lebenslauf von Dr. Zehetner ist beschrieben, wie seine Frau in hochschwangerem Zustand auf dem Motorrad mitgefahren ist und bei einer Geburt eines Schweines dabei war. Dabei fürchtete sie, dass sie „noch vor der Sau“ das Kind bekommt. Dann kam das Auto in die Tierarztfamilie, nun konnte Dr. Zehetner zu den Bauern im Auto fahren. Besonders angetan hatten es ihm die Kinder der Bauern, für die er immer Süßigkeiten im Auto hatte, wie Klaus dartut: „Mein Vater hatte eine große Liebe zu Kindern. Auf jedem Bauernhof sind ihm die Kinder zugelaufen. Sie haben immer gewartet, wenn sie wussten, dass der Tierarzt kommt. Im Handschuhfach des Autos waren immer Zuckerln für die Kinder. Am Anfang ist der Vater eine Dauphine gefahren, es war, glaube ich, ein Citroën. Einmal ist ihm auf einer Bergstraße der Motor herausgefallen. Er ließ das Auto hinunterrollen. Unten ist das Auto dann stehen geblieben. Weiterfahren konnte er ja nicht mehr.“ Das Auto gehörte zur Familie des Tierarztes, schließlich ermöglichte es ihm, nicht nur angenehm zu den Bauern zu kommen, sondern es brachte auch die Möglichkeit, die Kinder mitzunehmen. Und diese genossen es, wie ich oben im Lebenslauf Dr. Zehetners schon angedeutet habe, ihn bei den Krankenbesuchen begleiten zu dürfen. 198

mit motorrad und auto

Auch Gottfried Uray erzählt über seinen Vater, den Tierarzt von Irdning im Ennstal, Ähnliches wie Hans Krawarik: „Mein Vater ist als Tierarzt die erste Zeit mit dem Rad zu den Bauern gefahren. 1931 kaufte er sich ein Motorrad. Mit Bedauern hat er immer erzählt, dass er ein Puch-Motorrad kaufen wollte, aber eine englische AJS kaufte. Zu diesem Motorrad hat ihn der Nachbar, ein befreundeter Dentist, überredet. Wenn es steil bergauf ging, hat die AJS nicht durchgezogen. Die Puch hätte durchgezogen, hat mein Vater immer gemeint. Er hat sich lange geärgert, nicht das Puch-Motorrad gekauft zu haben. Die Wege damals zu den Höfen, die hoch am Berg lagen, waren schlecht, sodass mein Vater sagte, die Wege seien im Winter seine Hauptfeinde. Ab 1951 hatte er auch ein Allradauto mit Wechselkennzeichen. Zuerst einen amerikanischen Jeep, dann einen VW-Schwimmwagen, der jedes Jahr generalsaniert werden musste, ein gutes Geländeauto mit nur fünfundzwanzig PS. Die großen Entfernungen waren eine arge Strapaze. Tag für Tag mit einem solchen harten und kalten Auto zu den hoch gelegenen Höfen zu fahren.“ Auch mit Herrn Dr. Sommerer aus Laakirchen spreche ich über sein Auto. Zunächst war er allerdings jahrelang mit dem Motorrad unterwegs. Er erzählt, dass das Motorradfahren seinem Vater, seinem Vorgänger als Tierarzt, gesundheitlich sehr abträglich war. Aber auch er selbst hatte gesundheitliche Probleme, allerdings durch das Auto: „Ich habe nach dem Studium die Praxis vom Vater übernommen. Vorher bin ich oft mit ihm auf Visite mitgefahren. Mit sechsundzwanzig Jahren bin ich 1959 mit dem Studium fertig geworden. Ein Jahr haben wir durch den Krieg verloren. Ich habe verschiedene Praxisvertretungen gemacht, zum Beispiel in Pettenbach, in Viechtwang und in St. Florian bei Linz. Drei Monate war ich in Deutschland, aber da ist es dem Vater gesundheitlich schon 199

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sehr schlecht gegangen. Das jahrzehntelange Fahren mit dem Motorrad hat ihm sehr geschadet. Allein durch das Arbeiten im Stall hat man schon geschwitzt. Und nachher ist man verschwitzt auf das Motorrad gestiegen. Am Anfang bin ich mit dem Motorrad meines Vaters gefahren, wenn das Wetter gepasst hat. Ich habe mir dann einen VW-Käfer gekauft. Das war um 1960. Dann habe ich einen 2 CV Citroën ganz billig vom Bruder meiner Frau erworben. Dieser Citroeën war eine richtige ,Hämorrhoiden-Schaukel‘. Beim Fahren hat es mich immer umgebogen. Gezogen hat es in dem Auto wie in einem Vogelhaus. Nach zehn Jahren Praxis habe ich von den weichen Sitzen im Citroën mit den Bandscheiben Probleme bekommen. Bei dem Peugeot, den ich dann hatte, gab es auch so weiche Sitze. In dieses Auto habe ich dann ein Sperrholzbrett auf den Sitz gegeben, damit ich hart gesessen bin. Sieben Monate war ich wegen der Bandscheibenschäden damals im Krankenstand. Die Bandscheiben operieren wollte man damals nicht, das war zu gefährlich. Es hätte zu einer Querschnittlähmung führen können. Das waren harte Zeiten.“

Aufwärmen bei der Kuh – Motorradfahrten im Winter Dr. Volker Werner-Tutschku, der ein ungemein fleißiger Tierarzt war, war auch oft mit seinen Fahrzeugen unterwegs, wichtig war ihm sein Motorrad. Er dürfte bei seinen Motorradfahrten im Winter ziemlich gefroren haben: „Als Fuhrwerk habe ich mir damals ein Fahrrad ausborgen müssen, weil ich noch keines hatte. Die Motorräder haben damals noch lange Lieferzeiten gehabt. Der Haugeneder, der Wirt in Sattledt, hat mir ein wenig geholfen, damit ich schneller zu einem Motorrad komme. Inzwischen hat er 200

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mir sein Motorrad geliehen. Ich musste auf mein bestelltes Motorrad warten. Nach drei Wochen bekam ich es. Das Schönste war, wenn man zu einem Bauern gekommen ist und die Kuh besamt hat und dabei in die Kuh hineingefahren ist, da hat man sich die Hände so schön aufwärmen können. Handschuhe hatte man damals nicht. Da ist man mit der bloßen Hand in die Kuh hineingefahren, ins Rectum, das ist der After. Das war direkt schön, weil man ohnehin so erfrorene Hände hatte vom Motorradfahren. Man hat sie schön aufwärmen können in der Kuh.“ Die Erzählung seines Vaters ergänzt sein Sohn Gernot: „Mein Vater ist sogar im Winter mit dem Motorrad gefahren. Einmal hat es viel Schnee gegeben. Seine Ärztetasche damals, sie hat genauso ausgesehen wie die der Landärzte, die hatte er auf das Motorrad hinten aufgeschnallt. Bei dieser Fahrt durch den Schnee kam er in einer Kurve ins Schleudern und es hat ihn umgeworfen. Die Ärztetasche ist dabei aufgegangen und die sich in dieser Tasche befindlichen Flaschen und Medikamente steckten im Schnee. So war es damals. Wir heute haben es leichter bei unseren Visiten.“ Herr Dr. Werner-Tutschku kam schließlich zu einem Auto.

Wilde Fahrten – Kübelwägen, Jeeps und geländegängige Autos Herr Dr. Krawarik, der als Tierarzt in Vorderstoder zunächst ein tüchtiger Fußgeher und Radfahrer gewesen ist, schaffte sich schließlich ein Auto an: „Als die Straßen und Wege schneefrei geworden waren (1948), wurden Rad und Motorrad wieder fleißig benützt. Da meine Beanspruchung ständig wuchs, dachte ich an den Erwerb eines billigen Autos und nahm das Anerbieten einer 201

Die alten Landtierzärzte auf tour

Werkstätte in Windischgarsten an, mir aus alten Teilen einen sogenannten Kübelwagen, wie ihn die deutsche Wehrmacht verwendet hatte, zusammenzubauen. Er sollte bis Herbst 1948 fertiggestellt sein. Mehrmals wurde ich über den Hengstpass in die Steiermark gerufen. Die Arbeit in der Praxis nahm laufend zu, sodass ich um die Lieferung des bestellten Kübelwagens drängte … Als ich im Herbst 1948 den Kübelwagen erhielt, war ich bereits ein gesuchter und nun auch voll einsatzfähiger Gebirgstierarzt.“ Das Auto bedeutete einen großen Vorteil für den eifrigen Landtierarzt Dr. Krawarik, es hatte aber auch seine kleinen Probleme, wie sein Sohn Hans erzählt: „Mit diesem Kübelwagen konnte mein Vater durch einen Bach fahren, ohne dass Wasser in das Auto eindrang. Dieser Wagen war natürlich nicht mehr ganz jung. So zum Beispiel hat die Hupe nicht immer funktioniert. Wenn ich in diesem Auto durch diese wilden und schmalen Straßen des Stodertals als Kind mitfuhr, hatte ich eine Kinderklarinette mit. Mit dieser musste ich immer vor der Kurve, wenn die Hupe nicht funktionierte, einen Ton blasen, damit man uns hört.“ Der Tierarzt gehörte zu den wenigen des Stoder- und Garstnertals, die ein Auto besaßen. Auf dieses Auto, den Kübelwagen, dürften die Buben von Dr. Krawarik stolz gewesen sein, wie das Foto andeutet, dass Dr. Krawarik mit seiner Familie vor dem Gemeindeamt in Vorderstoder zeigt (siehe dieses). Spannend ist auch, was Tierarzt Forster aus Großreifling zu seiner Art der Fortbewegung zu sagen hat: „Angefangen habe ich damals in den fünfziger Jahren mit den Schiern. Ich bin mit den Schiern weit in die Seitentäler der Enns gefahren. Auch zu Fuß bin ich viel unterwegs gewesen. Bald habe ich mir ein Motorrad angeschafft. Einmal bin ich im Winter mit dem Motorrad in die Oberlaussa gefahren. Es war nur bis Unterlaussa geräumt. Nach 202

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Oberlaussa gab es nur ein Wegerl. Da ich wenig Zeit hatte, habe ich mir gedacht, ich fahre mit der Maschine hinauf auf den Bauernhof. Das waren acht Kilometer. Mich hat es mit der Maschine ein paarmal in den Schnee geworfen. Wie ich oben war, war ich total verschwitzt. Beim Bauern habe ich mich umgezogen, er hat mir ein neues Hemd gegeben. Ich habe meine Arbeit gemacht und bin wieder hinuntergefahren. Vom Motorradfahren habe ich so Rheuma bekommen, sodass ich mir gesagt habe, weg damit, jetzt kaufe ich mir ein Auto. Ich habe mich umgeschaut. Da haben sie in Linz einen Schwimmer, ein Schwimmauto, angeboten. Mit diesem Schwimmwagen bin ich bis nach Weyer gefahren. Dort habe ich ihn stehen gelassen, weil er so gewackelt hat. Ich bin dann mit dem Zug heimgefahren. Kaum bin ich daheim, kommt ein Medikamentenvertreter daher und erzählt, er habe gehört, dass die VWWerke einen alten Schwimmwagen suchen, um ihn auszustellen. Denke ich mir, nicht schlecht, wenn mir die VW-Werke meinen Wagen abkaufen. Das wäre gut. Ich habe ihn ihnen angeboten. Sie haben sofort reagiert und haben gesagt, sie nehmen ihn, ich bekomme dafür einen generalüberholten Kübelwagen vom Militär. Das war im Jahr 1953. Mit dem Kübelwagen bin ich in Großreifling drei Kilometer gefahren. Auf einmal fängt er zum Scheppern an, etwas im Motor ist abgebrochen gewesen. Ich habe den Wagen gewendet und bin im Leerlauf mit ihm zum Bahnhof hinuntergerollt. Von dort habe ich ihn nach Salzburg zu VW geschickt. Die vom VW haben mir dann einen neuen Motor eingebaut. Zum Kübelwagen muss ich noch eine Geschichte erzählen. Es war Winter, ich musste mit dem Kübelwagen zu einer Kuh in die Hinterwildalm hoch hinauffahren. Es war eiskalt. Ich habe meine Arbeit gemacht. Wie ich wieder wegfahren will, merke ich, dass mir die Bremse eingefroren ist. Ich konnte sie nicht betätigen, so fuhr ich 203

Die alten Landtierzärzte auf tour

Abb. 24: Tierarzt Herwig Forster – kurze Rast vor einem Einsatz auf einer Hochalm

Abb. 25: Dr. Krawarik mit seinem Auto in Vorderstoder, 1948 Abb. 26: Dr. Hetzer mit seinem Motorrad um 1955

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wilde fahrten Abb. 27: Dr. Uray um 1934 auf dem Motorrad

Abb. 28: Winterliche Fahrverhältnisse um 1955, Auto von Dr. Csaicsich

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Abb. 29: Dr. Hetzers Schwimmauto beim Fasching in Windischgarsten, 1955

Abb. 30: Der junge Dr. Oberhuber unterwegs mit der Materialseilbahn

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im ersten Gang und mit der angezogenen Bremse die Straße hinunter. Erst unten im Tal konnte ich wieder bremsen. Das war hart. Später habe ich mir einen VW-Käfer gekauft. Wieder habe ich einmal in der Hinterwildalm zu tun gehabt. Als ich aus dem Haus komme, ist mein Auto fast zur Gänze von einer Lawine verschüttet gewesen. Als ich zum Auto vordringen wollte, bin ich im Schnee versunken. Ich habe zwei Tage gebraucht, bis ich wieder daheim war, weil Lawinen rundherum abgegangen waren und die Straßen verschüttet hatten. In einem Gasthaus bin ich über Nacht geblieben. Am nächsten Tag haben sie mein Auto freigeschaufelt, damit ich wegfahren kann. Mit Autos habe ich viel erlebt. Insgesamt habe ich fünfzig Autos verarbeitet. Dazu gehören auch die Autos, die ich meinen Kindern, sie haben sie gebraucht, gekauft habe. Ich selbst habe immer zwei Autos gehabt.“ Auf ein geländegängiges Auto, das sein Vater als Landtierarzt in Windischgarsten benötigte, weist mein Freund Harald Hetzer hin: „Die Straßen waren damals nicht geräumt. Daher brauchte man ein geländegängiges Fahrzeug. Daher hat sich der Vater um 1950 für seine Praxis einen Militärschwimmwagen gekauft. Dieser hatte nur ein Stoffdach. Der Vater ist aber auf jeden Berg gekommen mit diesem Auto. Für uns Buben war das zunächst eine großartige Sache, dann haben wir uns aber geniert für das Auto. Eine köstliche Geschichte – Familienausflug: Wir fahren mit dem Schwimmwagen nach Spital am Pyhrn. Auf einmal stottert der Wagen, es fällt der Auspuff herunter. Das machte einen Lärm und dann ist der Wagen verreckt, das heißt stillgestanden. Da haben wir den Schwimmwagen durch den Ort geschoben. Wir haben uns dabei unheimlich geniert. Später, als wir größer waren, war es für uns schön, wenn wir mit Freunden in dem Schwimmwagen zum Gleinkersee fahren konnten, denn dann war es wieder elegant 207

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mit so etwas, das war etwas!“ Der Schwimmwagen von Dr. Hetzer wurde von seinen Söhnen schließlich auch für Faschingsumzüge in Windischgarsten gegen Ende der fünfziger Jahre und auch noch in den sechziger Jahren eingesetzt. Davon zeugt ein Foto (siehe dieses). Ich erzähle Harald, dass meine Eltern als Landärzte ein sogenanntes Steyr-Baby gefahren sind, es war ein Steyr-Auto mit Volkswagenmotor. Auch wir Kinder genierten uns für diesen Wagen, überhaupt wenn uns unsere Eltern in der Klosterschule zu Kremsmünster besucht haben. Erst als sie, so um 1952, mit einem echten Volkswagen vorfuhren, waren wir zufrieden. Heute hätten wir unsere Freude an so einem alten Auto. Unser Steyr-Auto kaufte damals ein gewisser Herr Stark, der Besitzer des Gleinkersees. Er hatte allerdings nicht lange Freude mit diesem Auto, denn der Motor explodierte, dabei kam Gott sei Dank niemand zu Schaden. Es konnte auch vorkommen, dass der Tierarzt als Chauffeur eingesetzt wurde, wie Harald lächelnd ausführt: „Kommt der Anruf eines Bauern, der gerade im Ort war und am Hengstpass wohnt: ‚Herr Doktor! Wir haben eine kranke Kuh.‘ Mein Vater fragt: ‚Wo ist die?‘ Der Bauer sagt, sie sei bei ihm auf dem Hof. Als der Vater sagt: ‚Ich fahre hinauf‘, fragt der Bauer: ‚Können Sie mich nicht mitnehmen? Ich bin nämlich beim Kemmetmüller.‘ Mein Vater antwortet: ‚Da fahr ich eh vorbei, ich nehme Sie mit.‘ Wie sie mit dem Auto oben auf dem Hengstpass waren, fragt der Vater: ‚Wo ist denn die kranke Kuh?‘ Der Bauer antwortet: ‚Wir haben eh keine kranke Kuh, ich habe mir gedacht, Sie sind billiger als das Taxi.‘ Der Bauer hat also meinen Vater zum Narren gehalten. Die Geschichte ist wahr. Der Bauer war bauernschlau.“

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Herr Dr. Orator, von dem im Zusammenhang mit den Pferden auch schon die Rede war, begann seine Tätigkeit in Oberösterreich mit einem Volkswagen. Er berichtete: „In der Praxis habe ich mit einem VW angefangen, dann, wie ich in Kremsmünster war, habe ich mir einen Volvo gekauft, einen 1800er-Volvo, den es heute nicht mehr gibt. Später habe ich einen VW synchron mit Allrad, zuschaltbar, gehabt, den habe ich hier im Gebirge gebraucht. Das Kettenanlegen im Winter war hart.“ Seine Frau fügte hinzu: „Einmal musste er zu einem Bauern, da lag sehr viel Schnee. Das Auto ist gerutscht und konnte nicht mehr weiter. Dann hat er mir gefunkt, ich solle dem Bauern, zu dem er wollte, anrufen, er solle mit dem Traktor kommen und ihn herausziehen aus dem Schnee. Darauf hat der Bauer zu mir gesagt, dann brauche der Doktor eh nicht mehr kommen. Der Bauer hat ihm also nicht geholfen, er hat ihn also im Stich gelassen und mein Mann ist da oben am Berg gesteckt. Ein anderer Bauer hat ihn dann rausgezogen.“ Herr Dr. Orator ergänzt: „Das ist ein Einzelfall, die meisten Bauern waren entgegenkommend. Das aber war ein Gauner, ein Einzelfall. Es gibt sehr nette Bauern, aber Gauner auch, wie der, der mich da mit meinem Auto im Schnee hat hängen lassen. Wo gibt es die nicht?“ Eine besondere Freude dürfte Willi Lechner, der Tierarzt aus Molln, mit seinem Jeep gehabt haben. Er berichtet Folgendes: „In den sechziger Jahren habe ich mir einen Jeep gekauft, damit ich auch ein Allradauto habe. Mit diesem Jeep bin ich in der Breitenau dreißig Meter abgestürzt. Außer mir und dem Funkgerät war alles kaputt. In Obergrünburg, wo bei der Steyr der Weg abzweigt, war ein steiler Berg. Ich war schon fast oben auf dem Berg. Spike hatte das Auto nicht. Plötzlich ist das Auto zurückgerutscht und in die Steyr hineingefallen. Da hatte ich großes Glück. 209

Die alten Landtierzärzte auf tour

Ein anderes Mal bin ich beim Steyrdurchbruch von einem anderen Autofahrer angefahren worden, ich bin in die Steyr gerutscht. Mit dem Auto hat es mich überschlagen. In der Steyr, an einem Felsen, ist das Auto hängen geblieben, ich mit dem Kopf nach unten. Ich hatte wiederum großes Glück. Ich hatte viele Erlebnisse mit dem Auto. Einmal ist mir ein Hirsch ins Auto gelaufen oder Bauern haben mich und mein Auto mit dem Traktor bergauf gezogen. Ich war schnell mit dem Auto unterwegs, oft war ich in zwanzig Minuten schon in Hinterstoder von Molln aus. Die Gendarmen haben gesagt: ,Der Tierarzt fährt nicht schnell, aber er fliegt zu nieder.‘ Die Gendarmen haben mich ja alle gekannt. Sie haben geflissentlich weggeschaut, wenn ich daher‚geflogen‘ bin. Ich bin auch gefahren, wenn ich etwas Fieber hatte. Es war ja sonst kein Tierarzt da. Ein Bauer aus Hinterstoder rief mich an und bat: ‚Bitt’ schön, kommen Sie, meine Kuh wird hin [stirbt]‘. Ich erwiderte: ‚Ich liege im Bett, ich schwitze gerade.‘ Dennoch habe ich mich angezogen und bin nach Hinterstoder gefahren. Beim Nachhausefahren war mir richtig schlecht. Ich habe nicht wahrgenommen, wie ich heimgekommen bin. Auf einmal spüre ich bei der Ortschaft Klaus ein Brodeln und schon war ich ohnmächtig, es war ein Kreislaufkollaps. Das Auto konnte ich Gott sei Dank noch zur Seite fahren und stehen bleiben. Wie ich wieder zu mir gekommen bin, war es im Auto schon eiskalt, ich muss mindestens zwei bis drei Stunden dort gestanden sein. Wenn ich irgendwo hinuntergefallen wäre mit dem Auto, hätten die Leute gesagt: ‚Jetzt hat sich die Wildsau derrennt [erschlagen].‘ Einmal bin ich zu einem Haus auf einen Berg hinauf in einer Spur gefahren. Es war so eisig, dass ich nicht ganz hinaufgekommen bin. Ich zog die Handbremse an und ließ das Auto stehen. Ich ging zum Haus. Wie ich vom Haus zum Auto zurückkam, war 210

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das Auto nicht mehr da. Das Auto ist den eisigen Berg hinuntergerutscht, über die Hauptstraße drüber in den Graben und auf die andere Seite geschlittert. Vom Auto hat nur mehr die Schnauze herausgeschaut. Das war in der Breitenau. Eine Geschichte hätte ich noch zu erzählen: Es war um 1965. Auf dem Weg entlang der Steyr in Richtung St. Pankraz; zum Sperringbauer musste ich im Winter. Damals ist dort noch kein Schneepflug gefahren. Der Federlehner, der Wirt, er hat damals ein Telefon gehabt, der hat gesagt, er würde mit mir fahren, er würde mir helfen. Wir sind wie auf einer Mondlandschaft über das gefrorene Eis und die Schneedecke gefahren. Bei dem Bauern war eine Geburt im Gange, bei der ich gebraucht wurde. Um zwei Uhr in der Nacht, als wir wieder heimfahren wollten, ist der Föhn gekommen. Der Schnee war plötzlich ganz weich. Wir sind eingesunken. Man konnte nicht mehr fahren. Jetzt haben wir ein paar Holzknechte geholt, die haben uns geholfen. Wir haben jeweils so zehn bis zwölf Meter Bretter aufgelegt. Auf denen bin ich vorgefahren, dann haben wir die Bretter hinten wieder zusammengeklaubt und vorne hingelegt. Wir haben bis zum Mittag gebraucht, bis wir wieder auf der Hauptstraße waren.“ Willi Lechner war viel mit seinem Auto unterwegs. So viel, dass das Finanzamt ihm nicht geglaubt hat, das er so viel fährt. Willi Lechner erzählt: „Alle drei oder vier Jahre habe ich eine Buchprüfung vom Finanzamt gehabt. Da hat der Prüfer zu mir gesagt: ,Warum lassen Sie nicht alles zusammenkommen und fahren nur einmal am Tag nach Hinter­stoder?‘ Ich erwiderte: ‚Lieber Herr, wenn Ihre Frau in der Früh ein Kind bekommt, sagt der Primar auch nicht, lassen wir es zusammenkommen bis auf d’ Nacht.‘ So musste ich ein Fahrtenbuch führen und bin laut Fahrtenbuch nachweislich 3,6 Millionen Kilometer von 1960 bis ins Jahr 2000 gefahren. 211

Die alten Landtierzärzte auf tour

Dabei sind dreiundzwanzig Autos gestorben. Ich war ja der einzige Tierarzt weit und breit. Die Bauern überall haben gesagt: ‚Bevor wir einen Tierarzt lange bitten müssen und es kommt eh keiner, bitten wir den Lechner, der ist gleich da, wenn man ihn anruft.‘“ Herr Dr. Lechner war ein tüchtiger Tierarzt und großer Autofahrer. Ein Kollege von ihm bezeichnete ihn mir gegenüber sogar einmal als Autorennfahrer.

Unterwegs mit der Materialseilbahn Herr Dr. Lechner war früher auch mit Materialseilbahnen unterwegs, wie er ausführt: „Früher war es schwer bei uns im Gebirge, zu den Bauern zu kommen. Auch mit der Materialseilbahn bin ich gefahren, weit hinauf. Als ich wieder einmal zu einem Bauern mit dieser Seilbahn geführt worden bin, hatte ich Pech. Ich bin in der Kiste gelegen, in der vorher Mist geführt worden war. Auf einmal macht es einen Kracher und der Boden der Kiste war weg. Schon bin ich hinuntergesegelt, ich bin vier oder fünf Meter gefallen, mitten auf einen Misthaufen. Bis zum Bauch bin ich im Mist gesteckt. Die Bauersleute hatten vergessen, bei der Kiste der Materialseilbahn den Sicherheitshaken einzuhängen. An der Seite der Kiste war so ein Schlägel, wenn man auf den geklopft hat, ist der Boden weggegangen, damit der Mist ausgeleert werden konnte. Ich bin zu dem Bauern weiter zu Fuß gegangen, um meine Arbeit zu machen, ich habe ziemlich gestunken. Hinunter bin ich im Schneematsch gegangen. Weil mein Gewand so gestunken hat, habe ich mich nackt ausgezogen und meinen Arbeitsmantel angezogen, so bin ich im Auto heimgefahren. Ich habe mir gedacht, wenn ich jetzt einen Unfall habe, heißt es: ‚Der Tierarzt ist nackert im Auto gefahren.‘ Das war vor über dreißig Jahren. 212

unterwegs mit der materialseilbahn

Ein anderes Erlebnis will ich erzählen. Ich fahre mit einer Materialseilbahn – damals in den sechziger und siebziger Jahren hatten die Materialseilbahnen keine Sicherung. Man hatte die Kiste, eine Eisenstange und das Zugseil. Das wurde hinaufgezogen. Beim Hinunterfahren haben sie mit einem Schlägel gebremst. Der Bauer, mit dem ich gefahren bin, gibt der Kiste einen Stoß, wir fahren bergab und der Bauer findet den Schlägel zum Bremsen nicht mehr. Die Kiste wurde immer schneller, sie pfiff hinunter wie blöd. Nun nahm der Bauer ein Holzscheit und steckt es zwischen die Zahnräder. Die Kiste ist ruckartig stecken geblieben, mich hat es ausgehoben und ich bin … dann weiß ich nichts mehr. Ich bin erst munter geworden, als mich die Feuerwehr abgeseilt hat. Zum Glück bin ich irgendwie in der Kiste zurückgeblieben. Das war in der Breitenau. Oder in Hinterstoder zum Geißlitzkogel gab es eine ganz arge Seilbahn. Dort ist es fast senkrecht bergauf gegangen. Mein Sohn ist mitgefahren, da war er noch Student. Wir sind hinaufgefahren und wieder hinunter. Am nächsten Tag, in der Früh, ruft mich die Geißlitzkoglerin an, ein Anbraucherweibl, die Warzen angebraucht hat [anbrauchen – heilen mit Zaubersprüchen u.Ä.]. Sie hat mir gesagt, ich kann nun nicht mehr hinauffahren, denn beim Milchführen ist das Seil abgerissen. Die Milchkannen waren auf dem Betonboden ein Batz [zerschellt]. Wir hatten also großes Glück, dass das Seil bei uns noch gehalten hat. Da man damals kein Handy gehabt hat, musste man es sich genau ausmachen, wann man mit der Materialseilbahn fährt. Der Bauer, in dessen Materialseilbahn ich fahren sollte, hat zum Beispiel gesagt: ‚Komm um drei!‘ Ich bin zur Seilbahn gefahren. Ich habe unten an das Seil geklopft. Der Bauer oben hat das gehört und hat nun die Seilbahn gestartet. Man hat schauen müssen, dass man in die Kiste hineinkommt. Das gab es bis in die achtziger Jah213

Die alten Landtierzärzte auf tour

re. Zwischen 1970 und 1980 sind fast überall Güterwege angelegt worden, jetzt brauchte man keine Materialseilbahnen mehr. Aber im Winter hat man dennoch nicht auf allen Bauernstraßen fahren können, da die Bauern auf diesen das Holz ,gerissen‘ [transportiert] haben. Aber auch mit der Personenseilbahn auf die Huttererböden bin ich gefahren, um dort auf der Alm die Kühe zu behandeln. Einmal war wieder mein Sohn dabei, er war noch Student. Beim Hinunterfahren sind wir in ein Gewitter gekommen. Die Angestellten oben haben die Seilbahn wegen des Gewitters abgeschaltet und uns in den Sesseln hängen lassen. Da hat es geblitzt und gedonnert, total nass waren wir, es war kalt. Am nächsten Tag war ich sehr krank.“ Nicht nur Willi Lechner hat Erfahrungen mit der Materialseilbahn, sondern auch sein jüngerer Kollege Oberhuber. „Wie ich in Tirol als Tierarzt gearbeitet habe, gab es zwei Höfe, zu denen musste man lange gehen oder man fuhr mit der Materialseilbahn. Diese Materialseilbahn bestand aus einer Kiste mit vier Ketten, die am Seil fährt. In der Hütte, bei der die Bahn wegging, ist ein altes Feldtelefon gestanden. Eines mit einer Kurbel. Man hat bei einem der beiden Bauernhäuser oben angerufen, dass man jetzt unten einsteigt. In der Mitte zwischen den zwei Bauernhäusern ist auch eine Hütte gestanden, die Bergstation. Dort ist das andere Telefon gestanden. Hat es geläutet, hat jemand abgehoben, so hat man dem gesagt: ‚Jetzt steige ich ein.‘ In der Kiste war ein Besenstil, mit dem hat man auf das Tragseil gehauen. So haben die oben gemerkt, man ist startbereit. Nun haben sie die Materialseilbahn eingeschaltet. Dann ist man hinaufgefahren. Das war 1981. Das Zugseil ist rundum gelaufen. Wenn man oben wieder weggefahren ist, ist man in die Kiste gestiegen und der Bauer oder jemand 214

unterwegs mit der materialseilbahn

anderer hat die Seilbahn eingeschaltet. Das Zugseil hat eine rote Markierung mit einem Isolierband gehabt. Wenn dieses hinaufgekommen ist, hat der oben gewusst, du bist jetzt unten. Dann hat er die Seilbahn wieder abgeschaltet. Die Tierarztbeförderung mit der Seilbahn hörte auf, als eine Straße zu den Höfen gebaut wurde. Da gibt es eine Geschichte dazu. Der alte Dr. Kudrnowsky hat noch mit achtzig Jahren Praxis gemacht, wenn Not am Mann war oder wenn er von seinen Spezialpatienten gerufen wurde. Er ist auch einmal mit der Materialseilbahn hinaufgefahren und natürlich auch wieder hinunter. Im Sommer, wenn es warm war, war es schön, mit dieser Seilbahn zu fahren. Man befand sich über den Baumwipfeln. Wenn es geregnet oder geschneit hat, ist es freilich weniger schön. Hauptsächlich haben die Bauersleute mit der Seilbahn die Milch transportiert. Erlaubt war es nicht, dass eine Person mitfährt, es war ja nichts gesichert. Wie der Opa (der alte Tierarzt) wieder einmal hinuntergefahren ist, da hat der Bauer die Kiste zu dem Betonsockel, in dem das Tragseil verankert ist, so hinfahren lassen, dass der Opa herausgefallen ist. Ihm ist nicht viel passiert, aber er ist nie wieder mit der Seilbahn gefahren.“ Die Beförderung mit einer Seilbahn hat auch der Tierarzt Dr. Bernd Hradecky erlebt. Er ist Tierarzt in Lienz und Matrei in Osttirol. Heute fährt er mit einem geländegängigen Auto weit hinauf zu den Almen, jedoch noch in den achtziger Jahren war es einfacher, mit einer Materialseilbahn zu den hochgelegenen Bauernhöfen zu gelangen. Bernd erzählte mir dazu, im Dezember 2008: „Ich bin jetzt sechzehn Jahre da. Am Anfang bin ich mit Seilbahnen in ganz einfachen Kisten auf die Almen gefahren. Damals gab es noch nicht überall Forstwege. Eine Geschichte habe ich erlebt mit einer Aufzugskiste, solche Kisten gibt es teilweise heute noch. Damit haben sie die Hütten 215

Die alten Landtierzärzte auf tour

versorgt und die Milchkannen geführt. Es war eine ganz primitive Seilbahn mit einer Holzkiste, mit der ich damals mitgefahren bin. Auf der Bergstation ist einer gewesen, der hat sie ein- und ausgeschaltet. Und wenn man unten eingestiegen ist, hat man an das Seil geklopft, dass der oben gewusst hat, dass er jetzt losfahren kann. Das war eine gefährliche Geschichte. Da haben sie mich einmal auf eine Alm hinaufgebracht. Der Aufzug war schon alt, er bestand aus einem Tragseil, das Wagerl fuhr auf Rollen. Das Zugseil hatten sie oben mit einem Motor auf eine Spule aufgewickelt. Ich steige unten ein, in die Kiste, und schlage auf das Tragseil und los ging die Fahrt. Es dauerte zehn Minuten oder eine Viertelstunde, bis man oben war. Der Mann bei der Bergstation ist inzwischen in seine Hütte gegangen. Ich sitze in der Kiste, der Motor spult das Zugseil auf. Ich sehe, dass sich das Zugseil unter dem Ast einer Lärche eingehakelt hat. Meine Kiste ist oben und das Seil hat es hinuntergespannt. Der da oben hat das nicht gemerkt. Auf einmal hat es einen Schnalzer getan – das Seil war unten ausgerissen. Ich habe mich in der Kiste festgehalten, dass ich nicht hinausfalle. Die Kiste ist hin und her auf dem Tragseil. Ich habe Todesängste ausgestanden. Wenn die Rollen aus dem Seil gesprungen wären, wäre ich hinuntergestürzt. Da ist es sicher zwanzig oder dreißig Meter hinuntergegangen. Man hat mich dann gerettet. Solche Geschichten sind immer wieder vorgekommen. Es war immer spannend.“ Die alten Landtierärzte hatten oft ihre Mühen, zu ihren Patienten zu gelangen, mitunter abenteuerliche Situationen zu bewältigen. In den Erzählungen werden diese zu höchst spannenden Aktivitäten, an die man sich später heiter erinnert.

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Das Wirken der Tierärzte

Die alten Landtierärzte gaben sich vor allem nur mit Großtieren ab, wie ich zeigen werde. Hunde und Katzen wurden nur selten behandelt. Vor allem bei Pferden und Kühen musste sich der alte Tierarzt gut auskennen.

Die umfassende Arbeit der alten Landtierärzte Zum Thema Arbeit spreche ich mit dem Bauerntierarzt Staudinger, der sein Tierarztstudium nicht abgeschlossen hat, aber dennoch ein ganzes Spektrum von Tierkrankheiten bei den Bauern in der Oststeiermark um Angern und Birkfeld behandelte. Er erzählt mir dazu spannend: „Vom Nerz angefangen bis zu den Kühen habe ich behandelt. Ich habe alles gemacht, Geburtshilfe, alles einfach. Es war kein Tierarzt hier in der Gegend bei Anger in der Steiermark. Wenn die Leute Angst hatten, dass bei der Kuh etwas Bedenkliches ist, haben sie mich gerufen. Bei Fieber und bei Schwergeburten, bei Krankheiten, wenn Blut im Harn war und bei vielen anderen Sorgen der Bauersleute, bin ich gekommen. Ich habe jede Menge Bluttransfusionen gemacht. Ich habe Viecher gerettet, die schon aufgegeben waren. Das Wissen habe ich auch aus Fachbüchern. Die interne Medizin an der Hochschule habe ich mit Auszeichnung bestanden. Die letzten Prüfungen habe ich nicht gemacht, aber ich kannte mich mit den Viechern aus. Man hat mich hier als Tierarzt akzeptiert. Ich war so lange Tierarzt hier, bis mein Sohn als richtiger Tierarzt angefangen hat. Eine Ordination habe ich hier 217

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nicht gehabt, ich bin herumgefahren. Da habe ich einiges erlebt. Einmal komme ich zu einem Bauern. Ich wollte mit dem Bauern etwas besprechen. Es war aber nur sein kleiner Sohn mit vier, fünf Jahren hier. Ich frage ihn: ‚Wo ist denn der Vater?‘ ‚Ja‘, hat der Bub gesagt, ‚der Vater ist draußen im Saustall, beim Saubären. Kannst eh hingehen, der mit dem Hut ist der Vater.‘“ Wir lachen über diese Geschichte, Herr Staudinger lacht am meisten. Herr Staudinger erzählt eine andere Geschichte, um zu zeigen, mit welchen Bauern er als Tierarzt zu tun hatte: „Ein Bauer, dessen Kühe ich behandelt habe, ist einmal zu lange im Gasthaus gesessen. In der Früh ist seine Frau ins Gasthaus gekommen und hat ihn vor den Kumpanen beschimpft. Wie sie fort ist, hat er gesagt: ‚Da sagen die Leute, der Teufel hat Hörner. Das ist gar nicht wahr. Der Teufel hat einen Kropf.‘“ Ich frage ihn, ob die Bauern wussten, dass er seine Tätigkeit illegal durchgeführt hat, er antwortet: „Sicher, freilich haben sie das gewusst. Weit und breit hat es keinen brauchbaren Tierarzt gegeben. Wiederholt bin ich angezeigt worden, Strafe gezahlt habe ich auch. Wenn die Kühe krank waren, haben mich die Bauern trotzdem geholt.“ Als ich frage, wie er zu den Medikamenten gekommen sei, die er den Bauern verkauft habe, sagt er bloß geheimnisvoll: „Das sage ich nicht. Zu den Medikamenten bin ich über einen Bekannten gekommen. Ein Bekannter hat mich insgeheim versorgt. Der hat zu mir einmal gesagt: ‚Du, Peter, eines sage ich dir, du brauchst am meisten.‘ [Er lacht.] Auch Antibiotika habe ich den Tieren gegeben. Damals hat man dabei nichts gefunden. Wir haben noch gelernt, für die Fleischbeschauprüfung, die ich mit Auszeichnung gemacht habe, dass, wenn man das Gefühl hat, dass ein Tier notgeschlachtet werden muss, soll man ein paar Stunden vor der Schlachtung dem Tier hohe Dosen Antibiotika geben, da218

umfassende arbeit

mit das Fleisch bakterienfrei ist. Wenn man das nicht gesagt hat, ist man bei der Fleischbeschauprüfung durchgefallen. Wenn man das heute sagt, wird man fast eingesperrt. Heutzutage wird vieles übertrieben und es wird auch viel geschwindelt. So auch beim Bio. Viel wird als ‚Bioware‘ verkauft, die gar keine ist. Die Biobauern sind Mondscheinbauern, das heißt, sie düngen unerlaubterweise in der Nacht, wenn sie keiner sieht.“ Ich spreche Herrn Staudinger auf Katzen und Hunde an, ob er diese auch behandelt habe. Er meint: „Kleintiere wie Katzen habe ich wenige behandelt. Mein Sohn heute arbeitet viel mit Kleintieren. Er operiert sehr viel. Er hat eine schöne Ordination. So etwas habe ich nicht gebraucht, ich bin zu den Kühen und Schweinen gefahren. Ich habe bei den Bauern gearbeitet, nicht daheim.“ Ich frage, ob er gerne Tierarzt gewesen sei, ob er Freude an seinem Beruf hätte. Herr Staudinger antwortet: „Ob ich Freude gehabt habe, weiß ich nicht. Bei mir ist es so, wenn ich eine Arbeit mache, dann mache ich sie anständig. Alles ist mir nicht gelungen. Ich habe Fälle kuriert und durchgebracht, die schon aufgegeben waren. So zum Beispiel bei Blutharn. Kühe, die auf der Weide gelegen sind und nicht mehr aufstehen konnten, haben wir in den Stall geführt. Dort habe ich Bluttransfusionen durchgeführt. Auch Tabletten habe ich gegeben. Es gab hier in der Nähe einen echten Tierarzt, einen Amtstierarzt, der hat natürlich keine Freude mit mir gehabt. Er war ja mein Gegner, aber er hat mir nie etwas in den Weg gelegt. Er hat mir geholfen, wo er konnte. Ich habe zu ihm gesagt: ‚Passen Sie auf, dass Sie wegen mir keine Schwierigkeiten haben.‘ Er hätte mich ruinieren können, aber er hat dies nicht getan. Er war vielleicht froh, wenn er wenig zu tun hatte. Ich habe immer kerzengerade die Wahrheit gesagt. Ich habe ihn nie angelogen. Das hat den Tierarzt, Doktor Preu hat er geheißen, imponiert, obwohl 219

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es verboten war, was ich gemacht habe. Ich habe gesagt: ‚Ihr könnt mich ruhig einsperren, aber eines will ich, dass ich so gut eingesperrt werde, dass kein Bauer nachkommt, damit ich endlich Ruhe von den Bauern habe.‘ [Er lacht.] Dann habe ich Zeit genug, zum nachdenken. Ich denke über mein Leben langsam nach. Ich habe genug getan in meinem Leben. Immer das Mögliche. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemanden in meinem Leben angelogen habe. Ich habe auch niemanden betrogen, ich habe viel geholfen. Die Leute schätzen mich heute noch.“ Der Rayon des tüchtigen Bauerntierarztes Staudinger umfasste auch das größte Almgebiet Europas. Darauf bezieht er sich im weiteren Gespräch: „Hier ist das größte zusammenhängende Almgebiet Europas. Ich musste auch hie und da auf die Alm, wenn eine Kuh Blutharn, Lungenentzündung oder Ähnliches hatte.“

Bei Rössern, die später nur mehr Pferde genannt werden Die Arbeit der Landtierärzte war also vielfältig, schließlich gab es bei den Bauern noch Rösser. Bis vor einigen Jahrzehnten sprach man von Rössern und nicht von Pferden. Das Wort Ross kommt aus dem Althochdeutschen, es ist mit dem englischen Wort „horse“ verwandt. Das Wort Pferd ist dagegen lateinischen Ursprungs, es leitete sich von „paraveredus“ ab, was so viel heißt wie das „Postpferd zum Dienst auf Nebenlinien“. Heute hat das Wort „Pferd“ das Wort „Ross“ weitgehend verdrängt. Die alten Landtierärzte hatten, ähnlich den Militärärzten, viel mit Rössern zu tun. Schließlich verdankt die alte, 1765 von Maria Theresia in Wien gegründete „Lehrschule“, die Vorläuferin der heutigen Veterinärmedizinischen Universität, ihre Existenz der Behandlung und Pflege von Rössern. 220

Bei rössern

Abb. 31: Behandlung eines Pferdes, Dr. Csaicsich

Dazu passt, was mir Herr Ingenieur Obwexer über die Arbeit seines Vaters, des früheren Tierarztes in Matrei in Osttirol erzählte: „Mich hat der Vater, so um 1935, einmal zu einem Bauern mitgenommen. Das Ross hat gehinkt. Der Vater hat seinen Instrumentenkoffer aufgemacht und ein Instrument herausgeholt. Mit diesem hat er den Huf abgeschält. ‚Jetzt hab ich’s‘, hat er gesagt. Dann hat er mit dem Skalpell eine Beule aufgeschnitten, viel Eiter kam aus dieser. Die Wunde hat er behandelt und nach einer Woche war das Pferd wieder gesund, es ist wieder normal gegangen. Zum Desinfizieren verwendete mein Vater vor dem Krieg Jod und Wasserstoffperoxid.“ Auch ich erinnere mich, dass mein Vater, wenn er meine Abschürfungen, die ich mir als Bub beim Spielen zugezogen habe, behandelt hat, dieselben Mittel verwendete. 221

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Über die Behandlung von Rössern erzählt mir auch Dr. WernerTutschku, dass immer weniger Rösser von den Bauern gebraucht wurden und letztlich vom bäuerlichen Hof verschwanden: „Damals, in den fünfziger Jahren, haben ein paar Bauern noch Pferde gehabt. Pferdevisiten waren aber selten. Bei den Pferden handelt es sich heute fast ausschließlich um Sportpferde. Ackergäule gibt es nicht mehr. Um 1960 habe ich die letzten Pferde [Ackergäule] behandelt. Die nächsten Pferde dann habe ich erst wieder 1978 behandelt. Dazwischen gab es keine Pferde. Die Hauptkrankheiten bei den früheren Bauernpferden waren Koliken und Hufgeschwüre, wenn sich ein Pferd zum Beispiel einen Nagel eingetreten hat oder sich der Schmied vernagelt hat. Es ist auch vorgekommen, dass der Nagel beim Hufeisen zu knapp gesetzt war. Das waren damals die hauptsächlichen Krankheiten bei den Rössern. Oder dass sich ein Pferd das Fell aufgerissen hat, wenn es irgendwo hängen geblieben ist. Da gibt es eine nette Geschichte von einer Kolik, die mir der alte Grabherr erzählt hat. Früher ist der Tierarzt bei der Kolik lange beim Pferd sitzen geblieben und hat geschaut, wie sich die Kolik entwickelt. Beim Haugeneder in Sattledt hat in der Nacht ein Pferd eine Kolik gehabt. Da sind der alte Haugeneder und der Arzt, der Grabherr, lange beim Pferd gesessen. Der Grabherr ist dabei eingeschlafen. Auf einmal hat es einen richtigen Rumpler [lautes Geräusch] getan. Da ist der Grabherr aufgewacht und hat gesagt: „Jetzt haben wir es [er meinte, die Gasentweichung beim Pferd hätte stattgefunden]. Der alte Haugeneder hat darauf gesagt: ,Das war nicht das Pferd.‘“ Werner-Tutschku lacht dazu.

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blähungen der kuh

Abb. 32: Alter Kuh-Stecher bei Blähungen (demonstriert von Prof. Johannes Schleich)

Blähungen der Kuh Alois Almer wohnt dem Gespräch bei. Er wuchs auf einem Bauernhof auf und so erwähnt er, dass ihm als Bub eingeschärft wurde, Kühe nicht in den Kleeacker zu lassen. Denn, wenn Kühe zu viel Klee fressen, so würde sie der Klee aufblähen. Bei Blähungen, so Alois, habe man den Kühen einen Schlauch in den Schlund gesteckt, um den Druck zwischen der Bauchwand und dem Pansen zu entfernen. Das entweichende Gas habe, so Alois, stets furchtbar gestunken. Die alten Bauerntierärzte verwendeten auch einen sogenannten Stecher, den Trokar, den man in den Magen stieß, um den Gasdruck zu mildern. Mein Freund Erwin Degelsegger, der alte Bauer und Wildschütz aus Spital am Pyhrn, erzählt mir dazu: „Ich habe, wenn eine Kuh aufgebläht war, ein Stilettmesser genommen und in die Hungerlu223

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ken der Kuh, auf der linken Seite, gestochen. Habe das Messer umgedreht, darauf ist die Luft herausgegangen. Die Hungerluken sind rechts und links eine Handbreite von der oberen Rippe entfernt. In der linken Seite hat man die Kuh angestochen. Beim Nachbarn hat die Kuh auch einmal Blähungen gehabt, ihr ist es schlecht gegangen. Der Nachbar hat zu mir gesagt, ich soll die Kuh abstechen. Er hat geglaubt, die Kuh ist nicht mehr zu retten. Sie war so blad, dass sie gelegen ist. Ich habe gesagt, dass ich sie jetzt ansteche. Ich habe sie angestochen und gesagt: ‚Jetzt fährst du zum Tierarzt, er soll kommen und die Kuh zunähen.‘ Der Tierarzt ist gekommen und hat gesagt: ‚Alles in Ordnung.‘ Die Kuh ist aufgestanden und hat weiter gefressen. Es war eine junge Kuh.“ Herr Staudinger meint, er habe, wenn das Stechen nichts genutzt hat, jede Menge Pansenschnitte durchgeführt: „Was ich da herumoperiert habe! Wenn man den Pansen aufschneidet, haut es den Dreck meterweise durch den Druck hinaus. Wenn man sich blöd hinstellt, hat man den Dreck im Gesicht. Das macht man heute auch noch so. Das Reinigen ist eine Fleißarbeit. Pansenschnitte habe ich viele genäht. Diese Blähungen gibt es bei gewissen Kleesorten, so beim Weißklee, bei blähendem Futter.“ Im Kapitel über alte Heilmethoden bringe ich auch den Auszug eines Gespräches mit Frau Anneliese Pitter in Siebenbürgen. Frau Pitter erzählte mir, wie bei ihnen Kühe, die Blähungen hatten, behandelt wurden.

Harte Arbeit und tägliche Ordination Die Arbeit der alten Tierärzte war mitunter hart und kraftraubend. Der Tierarzt Dr. Willi Lechner aus Molln lobt die jetzige Arbeit seines Sohnes und erinnert sich der harten Arbeit, die er als 224

harte arbeit

Abb. 33: Dr. Oberhuber bei der Blutabnahme bei einer Ziege

Tierarzt geleistet hat: „Die Schwergeburten macht heute der Sohn. Wenn man in einer Kuh ein 60-Kilo-Kalbl mit der Hand drehen muss, so ist das schwere Arbeit. Früher war ich kräftemäßig gut beisammen. Da hat mir diese Arbeit getaugt [gefallen]. Ich habe ja fast nur Rinder behandelt. Ich war mein Leben lang mit Leib und Seele Tierarzt. Mir war nichts zu blöd. Meine Frau hat oft gesagt: ‚Jetzt warst du heute eh schon dreimal in Stoder, jetzt brauchst du nicht noch einmal zu fahren.‘ Aber ich bin gefahren. Ich habe die ersten zehn Jahre als Tierarzt überhaupt keinen Urlaub gemacht, denn damals haben wir das Haus gebaut. Ich habe jede freie Minute am Haus gewerkt, ich habe die Träger aufgestellt, den Mörtel gemacht. Gesundheitlich war ich Gott sei Dank gut beisammen. Der Sohn ist 1985 mit dem Studium fertig geworden. Er hat schnell studiert, er war mit dreiundzwanzig Jahren einer der jüngs225

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ten Tierärzte. Ich hatte damals schon krankheitshalber Ausfallserscheinungen und nie Zeit. Heute habe ich mehr Zeit. Für so ein Interview, wie ich es mit dir nun führe, das hätte ich mir damals nicht erlauben können, ich bin nicht einmal gescheit zum Essen gekommen. Ich habe im Auto gehabert [gegessen] oder habe mir beim Fleischhauer in Hinterstoder schnell eine Leberkässemmel gekauft und bin schon wieder weitergezogen. In der Impfzeit war es überhaupt arg – ich habe eigentlich nur vom Oktober bis in den April impfen können, weil: in der übrigen Zeit des Jahres waren die Tiere auf der Weide. Es war ja sonst kein Mensch im Haus. Ich bin um fünf Uhr in der Früh losgefahren und habe in Stoder angefangen zu impfen. Nachdem ich in zwei Häusern geimpft hatte, hat es um sechs Uhr schon geheißen, in der Breitenau sei eine Geburt fällig. Ich bin hinausgefahren, habe die Geburt gemacht und schnell wieder bei drei Bauern die Kühe geimpft. Wieder hat es geheißen, ich solle nach Oberschlierbach, das ist überhaupt die hundigste Gegend. Im Winter ist es furchtbar, dort zu fahren. Im Auto habe ich bis hundertfünfzig Kilo an Instrumenten und Medikamenten ständig mitgehabt. Heute, im Vergleich zu früher, ist die körperliche Arbeit für denTierarzt eine Kleinigkeit.“ Mein Freund Gottfried Uray erzählt aus dem Tagesablauf seines Vaters: „Jeden Tag war Ordination, auch am Sonntag. Da mein Vater viel zu tun hatte, stellte er in den fünfziger Jahren einen Tierarzt an, der einen Teil des Dienstes übernahm. Etwas später begann auch mein Bruder als Tierarzt zu arbeiten, jetzt waren sie zu dritt.“ In dem anfangs erwähnten Lebenslauf von Dr. Uray wird bereits erzählt, wie verärgert er über Bauern war, die ihn am Sonntag beim Mittagessen störten. Er bezeichnete sie als „Saubauern“. Um 8 Uhr begann er täglich die Ordination in einem extra dafür ge226

antibiotika

Abb. 34: Behandlung eines Schweines, Dr. Sommerer

bauten kleinen Haus in Irdning in der Nähe des Wohnhauses. Zu dieser Zeit kamen auch die Anrufe für die Visiten. Gottfried fährt fort: „Beim Haus war eine Anhängevorrichtung angebracht. Dort sind die Kühe behandelt worden, wenn die Bauern mit diesen gekommen sind. Ab zwei Uhr am Nachmittag fuhren mein Vater und die anderen auf Visiten.“

Antibiotika Sehr aufschlussreich ist auch, was Dr. Werner-Tutschku zu sagen hat: „Damals um 1960 sind die Antibiotika halbwegs preiswert auf den Markt gekommen. Ich war mit der Firma Pfizer, mit deren Unterstützung ich das Doktorat gemacht habe, in Kontakt. Daher 227

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habe ich einen gewissen Startvorteil gehabt, mit den modernen Antibiotika. Ich habe dank der Antibiotika bei der Heilung der Tiere überdurchschnittlich große Erfolge erzielt. Die Antibiotika gibt es seit dem Krieg. Die Engländer haben die Antibiotika während des Krieges erfunden – der Fleming mit seinem Penicillin. Im Krieg haben sie sie eingesetzt und nach dem Krieg auch. Es gibt die berühmte Geschichte vom ‚Dritten Mann‘ mit dem verfälschten Penicillin. Damals war Penicillin sehr wichtig, bei gewissen Sachen wie Schweinerotlauf. Mit Penicillin war das Schwein bald wieder gesund. Nur wenn die Tiere krank waren, hat man ihnen Antibiotika verabreicht. Die Fütterungsantibiotika sind erst später gekommen. Diese Futterzusätze mit Antibiotika gibt es heute noch, aber sie sind streng reglementiert, sie dürfen nur mehr bei Krankheiten eingesetzt werden. Sie haben eine lange Wartezeit, bis man zum Beispiel die Milch wieder unbedenklich verwenden kann. Jede Antibiotika -Anwendung muss heute genau dokumentiert werden. Ich muss dauernd irgendein Dokument ausfüllen, muss daraufschreiben, was und wie viel ich gespritzt habe, welche Indikationen es waren, welche Viecher ich behandelt habe und die Wartezeit – Fleisch z.B. zehn Tage und Milch vier Tage, so lange dürfen diese Sachen nicht in den Verkehr kommen. Auch die Biobauern haben das Problem, dass sie manchmal Antibiotika brauchen, aber die Wartezeit ist doppelt so lange. Ich habe einen Biobauern in Nussbach mit hundertvierzig Kühen, wenn ich bei einer der Kühe ein Antibiotikum brauche, dann heißt es z.B. bei einer Nachgeburtsverhaltung, bei der Stäbe in die Gebärmutter eingelegt werden, statt zehn Tagen Fleisch und vier Tagen Milch zwanzig Tage Fleisch und acht Tage Milch. Das wird streng kon­ trolliert. In Sattledt gibt es nur mehr wenige Kühe.“ 228

die praktikanten

Die Praktikanten Auch Assistenten unterstützten Dr. Werner-Tutschku bei der Arbeit: „1960 ist die Praxis schon so gut gelaufen, dass ich mir einen Assistenten, einen Tierarzt, genommen habe, den Doktor Huemer, er ist dann Tierarzt in Steinerkirchen geworden. Heute ist er nun auch schon in Pension gegangen. Er wollte bei mir lernen. Ich habe an die hundert Assistenten ausgebildet. Weit und breit in ganz Österreich in fast jedem zweiten Ort sitzt ein ehemaliger Praktikant von uns. Der Huemer war etwas mehr als ein Jahr bei mir, dann hat er selber eine Praxis bekommen. Er ist Schlachttierarzt in Wels geworden. Bei mir hat er viel gelernt. Er hatte bei mir eine Art Werkvertrag, pro Tag hat er bei mir bezahlt bekommen. Die Krankenkassa für sich hat er selbst regeln müssen. Einmal hatte er eine Schwergeburt gehabt, das Kalb war tot und die Kuh hat es zerrissen. Die hat notgeschlachtet werden müssen. Die Bäuerin hat zu mir gesagt: ‚Wissen Sie, ich kann ihm gar nicht böse sein, denn er ist so ein netter Mensch.‘“

Die Fleischbeschau Ein wichtiger Teil der tierärztlichen Arbeit war und ist die Fleischbeschau. An die Arbeit, die sein Vater vor dem letzten Krieg in Matrei in Osttirol damit hatte, erinnert sich sein Sohn Ingenieur Obwexer: „Früher, vor dem Krieg, waren hier in Matrei Viehmärkte, heute ist es die Genossenschaft, die den Tierhandel hat. Bei diesen Viehmärkten hatte mein Vater die Fleischbeschau inne. Er musste am Marktplatz ein und die Gesundheit der Tiere prüfen. Auf den Viehmärkten wurde das Vieh an Händler verkauft. Damals waren 229

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Abb. 35: Dr. Oberhuber bei der Fleischbeschau

die Bauern sehr arm. Ein Jungbauer von Matrei soll damals um 1935 gesagt haben: ‚Ein Volk, ein Reich, ein Führer, die Bauern werden immer dürrer. Die Händler werden immer fetter, H. unser Retter.‘ Der Vater hat das Geschlachtete in Matrei beschaut.“ Zum Schlachten und zur Fleischbeschau, wie sie früher im Gebirge üblich waren, erzählt mir Meinrad Brugger, der Mann der früheren Wirtin vom Hotel Hinteregger in Matrei: „Es gab einen Hausmetzger, der ist von Bauer zu Bauer gegangen, um zu schlachten. Oft war dieser Hausmetzger selbst ein Bauer. In der Früh ist er gekommen, hat die Schweine geschlachtet und sie aufgehängt. Man hat sie auskühlen lassen. Am Nachmittag ist er wieder gekommen, um die Schweine auszulesen. Es gab Laien, die waren zur Fleischbeschau ausgebildet, die haben das Fleisch angeschaut, ob es in Ordnung ist. Das war noch nach dem Krieg. Heute macht das der Sprengeltierarzt. 230

die fleischbeschau

Zur Fleischbeschau erwähnt Dr. Volker Werner-Tutschku aus Sattledt geradezu Aufregendes: „An einem Pfingstmontag vor dem Jahr 1960 sitzen meine Frau und ich beim Frühstück noch in unserer alten Wohnung in Sattledt, kommt der ehemalige Bürgermeister, ein Bauer aus Sattledt, mit Namen Roithner und sagt: ‚Ich habe eine Sau notschlachten müssen. Da ich im Krieg die Fleischbeschau machen hab müssen, habe ich ein bisserl eine Ahnung von diesen Sachen. Die Milz der Sau hat mir gar nicht gefallen.‘ Dabei legt er mir die geschwollene Milz der Sau auf den Frühstückstisch hin. Mich trifft fast der Schlag. Die Milz war hochgradig Milzbrand verdächtig. Ich habe die Milz zusammengepackt und sie in das Labor nach Linz eingeschickt. Es war wirklich ein Milzbrand. Ich bin erschrocken, als der Befund von Linz gekommen ist. Damals hat es noch keine Tierkörperverwertung wie heute gegeben. Der Milzbrand musste dem Amtstierarzt angezeigt werden. Dann ist in der Zeitelhub eine tiefe Grube gegraben worden. In diese ist die Sau mit viel Kalk versenkt worden. Heute gibt es die Notschlachtung nicht mehr. Wenn heute eine Kuh krank im Stall liegt und kann nicht auf, dann muss der Tierarzt sie anschauen. Er muss sich fragen, warum die Kuh nicht mehr aufstehen kann, dann muss er schauen, ob die Kuh gespritzt worden ist, ob es eine Wartezeit [nach Impfungen] gibt. Dann kann der Fleischhacker kommen und kann die Kuh schießen und ausbluten lassen. Der Bauer muss aber sofort mit der Kuh zum Schlachthof fahren, innerhalb von zwei Stunden muss die dort sein, damit die Kuh dort aufgearbeitet wird. Bei den früheren Notschlachtungen ist die Kuh auf dem Hof geschlachtet und ausgehackt worden. Das gibt es nicht mehr. Hygienischer ist es sicher jetzt.“ 231

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Werner-Tutschku fällt noch eine Geschichte zur Fleischbeschau ein: „Da kenne ich eine schöne Geschichte von der Beschau. Vor Weihnachten haben sie beim Guggenberger, der ist ein kleiner Fleischhauer in Sattledt gewesen, sechs Säue abgestochen. Wenn so eine Sau abgestochen ist, kommt sie in den Trog. Nun stehen ein Mann rechts und einer links von der Sau, gemeinsam ziehen sie ihr mit einer Kette die Borsten ab. Zuerst aber kommt Saupech auf die abgestochene Sau, dann wird die Kette hin und her über die Sau gezogen. Wenn die Sau ein paar Mal durchgewuzelt ist, wird sie aufgehängt. Ich war nun beim Fleischhauer Guggenberger, um das Fleisch der Schweine zu beschauen. Es war Brauch vor Weihnachten, einen Eierlikör oder einen Weichsellikör zu machen. Man bot mir ein paar Stamperl von einem solchen Likör an, da es kalt war. Ich habe eines nach dem anderen gekippt. Endlich waren die sechs Schweine beschaut. Ich habe nicht weit heim gehabt. Ich lege mich schlafen, auf einmal wird mir in der Nacht so schlecht. Damals in der alten Wohnung ist das Bett direkt beim Fenster gestanden. Ich habe das Fenster aufgerissen und hinuntergespieben [gespuckt]. Meine Frau ist hinunter, um zusammenzuputzen. Es war nichts mehr zum Zusammenputzen, weil alles die Ratten gefressen hatten.“ Noch etwas erzählt Dr. Werner-Tutschku zur Fleischbeschau: „In Großendorf ist der große Schlächter, der Oberndorfer, der sticht dreitausend Säue in der Woche ab. Seit zwanzig Jahren gibt es ihn. Bei ihm wird die Sau zerteilt, in Vakuum verpackt und geht zu den großen Handelsketten. Die Schweine verkaufen ihm die Bauern. Die Aufgabe des Tierarztes ist, beim Schlächter zunächst einmal die Leber der abgestochenen Schweine zu beschauen. Vorher bereits, wenn die Schweine von den Lastautos abgeladen werden, muss er schauen, ob unter ihnen eine Sau ist, 232

die fleischbeschau

die augenscheinlich krank ist. Eine solche darf nicht geschlachtet werden. Drinnen, im Schlachthof, stehen zwei Tierärzte und beschauen die geschlachteten Säue, die am Fließband daherkommen. Es werden über hundert Schweine in der Stunde geschlachtet, das geht schnell, da braucht es mehrere Tierärzte. Der eine beurteilt den Körper und der andere beurteilt die Innereien – Leber, Lunge, Milz. Diese werden angeschnitten, Schnitte durch den entsprechenden Lymphknoten gemacht und dann kommt drauf der Stempel, dass das Fleisch tauglich ist. Früher sind nur dreißig Schweine in der Stunde geschlachtet worden. Wenn der Bauer selbst am Hof schlachtet, muss es nicht gestempelt werden. Wenn der Bauer aber in der Fleischhauerei schlachten lässt, muss die tierärztliche Beschau gemacht werden. Fleischbeschau ist kein schlechtes Geschäft. Um dieses haben sich die Tierärzte gerissen. Gezahlt wird der Tierarzt durch die Fleischbeschauausgleichskassa. Der Bauer oder der Fleischhauer bekommt die Rechnung von der Kassa. Aus dieser Kassa werden wir bezahlt, damit wir nicht als Bettler dastehen. Früher hat die Gemeinde kassiert. In Oberösterreich hat der Tierarzt selbst nie kassiert.“ Auf die Bedeutung der Fleischbeschau für den heutigen Tierarzt weist auch Dr. Langgartner aus Windischgarsten hin: „Eine sehr wichtige Einnahmequelle ist die Fleischbeschau. Die hat sich jetzt Gott sei Dank 1993 erhöht. Die Fleischbeschau haben wir Tierärzte untereinander aufgeteilt. Ich habe die Rosenau und Windischgarsten, der Karl, der andere Tierarzt hier, hat den Rest. Das Land hat das so bestimmt.“

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Geburtshilfe Zum Aufgabenbereich der alten Landtierärzte gehörte die Geburtshilfe, vor allem bei den Kühen. Hermann Walder aus Sillian in Osttirol, der auf einem Bauernhof in Kalkstein im Villgratnertal in den fünfziger Jahren aufgewachsen ist, weist darauf hin, dass die Bauern sich mit ihrem Vieh gut auskannten und im Wesentlichen unabhängig von tierärztlichen Künsten waren: „Mein Vater war beides: Metzger und Geburtshelfer. Gelernt hat er es von den Vorfahren. Wenn es halbwegs normal zugegangen ist, haben wir keinen Tierarzt gebraucht.“ Meinrad Brugger, der schon zu Wort gekommen ist, erzählt über die Geburten der Kühe bei den alten Bauern. Den Tierarzt brauchte man nur, wenn es Probleme gab: „Für Kälber-Kühe war der alte Tierarzt sehr gut. Kälber-Kühe nannte man die Kühe, die gekälbert [gekalbt] haben. Den Tierarzt holten wir nur bei Komplikationen. Ob sich Schwierigkeiten bei der Geburt ergeben, hat man dadurch gesehen, dass man zuerst einmal hineingreift in die Kuh und fühlt, ob Kopf und Füße richtig liegen. Dann wartet man. Wenn man sieht, dass zum Beispiel der Kopf da ist und keine Füße kommen, dann muss man den Tierarzt holen, damit er die Füße herausholt. Oft kommt es auch vor, dass der Tragsack [Gebärmutter] verdreht ist, den muss der Tierarzt aufdrehen. Früher, beim alten Tierarzt, musste man in so einem Fall die Kuh noch auf den Rücken drehen. Er hat dann hineingegriffen und hat die Gebärmutter gehalten, sie also fixiert. Zwei, drei Männer mussten dann die Kuh drehen. So hat sich der Tragsack aufgedreht. Heute greift der Tierarzt hinein und dreht mit der Hand auf. Dabei muss die Kuh stehen. Schwergeburten hat es nicht allzu viel gegeben. Wenn es Schwergeburten gab, haben wir den alten Tierarzt geholt. 234

geburtshilfe

Abb. 36: Geburt eines Kalbes, Dr. Csaicsich

Er hat ein gutes Gefühl für die Viecher gehabt. Krankheiten hatten die Kühe nicht viele. Hie und da hatte eine bei der Geburt Milchfieber. Bei Milchfieber liegen Kühe nach der Geburt und können nicht mehr aufstehen. Ihnen gibt man eine Calciuminfusion, dann können sie wieder aufstehen.“ Von Geburtshilfe bei Kühen und Schweinen weiß auch Dr. Sommerer aus Laakirchen zu berichten. Er zeigt mir zunächst ein Foto: „Hier habe ich Fotos von dem ersten Kaiserschnitt, den ich gemacht habe. Mein Vater war bei diesem Kaiserschnitt dabei, das war 1960. Heute zahlt sich so etwas nicht mehr aus, ein Kaiserschnitt ist nicht mehr wirtschaftlich, man schlachtet die Kuh lieber und rettet das Kalb. Ich habe einen guten Ruf als Geburtshelfer bei Kühen und Schweinen gehabt. Besonders kannte ich mich aus bei Gebärmutterdrehungen. Bei einem sehr reichen Bauern in Altmünster musste ich einmal eine Gebärmutterdrehung bei einer 235

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Kalbin durchführen. Der Gebärmutternmund war total geschlossen. Unter einer halben Stunde war die Gebärmutterdrehung erledigt. Ein Haufen Leute war dabei. Wir haben die Kuh mit dem Seil niedergelegt. Dann haben wir die Vorder- und Hinterfüße gebunden. Mit einem Pfosten, mindestens acht Meter lang, wurde die Kuh von der Seite beschwert. Dadurch hielt ich während des Drehens die Gebärmutter zurück. Dann musste die Kuh aufstehen. Im Stehen habe ich noch einmal die Gebärmutter kontrolliert. Die Gebärmutterdrehung war gut behoben. Der Tragsack [die Gebärmutter] war nun normal. Die Geburt war noch nicht reif, sie hat noch ein paar Stunden gedauert. Ich habe achthundert Schilling verlangt und bin weggefahren. Da ich meinen Schurz dort vergessen hatte, kam ich nach einer halben Stunde wieder zurück. Es ist kein Wort gefallen, dass es teuer war. Inzwischen hat die Bäuerin schon die Tierärztin in Altmünster angerufen und gefragt, was man für eine solche Arbeit wie der meinen verlangen dürfe. Es war ihr zu teuer, was ich verlangt habe, aber vorher hat sie mir nichts gesagt. Sie hat dann gemeint, ich solle nie mehr ins Haus kommen und was ich mir einbilde zu verlangen. Das ist schon vor fünfzehn Jahren gewesen. Heute erzählt der Bauer, ich sei der beste Tierarzt, und ich solle, wenn ein Kalb krank ist, kommen.“ Klaus Zehetner, der Sohn des früheren Tierarztes von Viehdorf, erzählt eine schöne Geschichte über die Beziehung von Mensch und Tier und über einen Scherz seines Vaters: „Die Schulschwestern hatten bei uns in der Gemeinde einen Musterwirtschaftsbetrieb. Wir sind gerne dorthin mitgefahren. Die Schwester, die für die Schweine zuständig war, hat, wenn es beim Mutterschwein zu einer Geburt kam, im Stall im Stroh übernachtet, weil sie die Sau nicht allein lassen wollte. Es gab da noch eine sehr innige Beziehung zum Tier. Wie mein Vater einmal dorthin zur Visite kam, 236

geburtshilfe

standen beim Kloster Taglöhner um eine Klostersuppe an. Mein Vater hat sich nun auch um eine Klostersuppe angestellt. Er wollte anscheinend die Schwestern etwas zum Narren halten. Wie die Schwester ihm auch einen Schöpfer geben wollte, hat die Küchenschwester dies gesehen und hat gerufen: ‚Du kannst dem Herrn Doktor keine Suppe geben!‘“ Zum Thema Geburtshilfe und die Kühe auf der Alm sprach ich sehr eingehend mit Dr. Wolfgang Oberhuber. Er führt aus: „Der Großteil der Kälber kommt ja ohnehin ohne Probleme auf die Welt, mit ein bisserl Geburtshilfe von den Bauern. Wenn es komplizierter wird, bei einer Fehllage, wenn der Geburtskanal zu eng ist, das Kalb verdreht ist, Zwillinge sind und Ähnliches, dann muss der Tierarzt her. Schlimmstenfalls muss er einen Kaiserschnitt machen. Zerstückeln kann man es auch, wenn das Kalb schon tot oder missgebildet ist. In Tirol haben sie die Kühe möglichst im Winter belegt, damit die Bauern auf der Alm Kühe gehabt haben, die man melken konnte. Im Herbst, wenn sie von der Alm heruntergekommen sind, wurden sie trocken gestellt das heißt, nicht gemolken. Sechs Wochen vor der Geburt soll man sie auch nicht mehr melken. Im Winter war dann die Geburtssaison. Bis zum Frühjahr wurden sie wieder belegt, sie sind wieder trächtig geworden. Über den Sommer waren sie dann wieder auf der Alm. Sie waren trächtig und haben Milch gegeben. Ab der Geburt ihres ersten Kalbes gibt die Kuh Milch. Ab zwei Monaten nach der Geburt kann die Kuh wieder besamt werden und sie trägt dann zirka neun Monate. Sie wird während dieser ganzen Zeit zweimal täglich bis kurz vor der nächsten Geburt gemolken. Dann wird sie nicht gemolken, damit sich wieder Erstlingsmilch (Kolostrum für das neugeborene Kalb) bilden kann. Bei uns, wo das ganze Jahr Stallhaltung ist, sind Geburten und Belegen der Kuh jedoch über das ganze Jahr verteilt.“ 237

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Noch eine nette Geschichte meines Freundes Dr. Oberhuber, die bereits in seinem Lebenslauf festgehalten ist, passt hierher. Er erzählte, dass er die Geburtsstricke, mit denen die Kälber aus der Kuh gezogen werden, im Druckkochtopf seiner Mutter ausgekocht habe. Die gute Dame war darob entsetzt. Mein Freund Oberhuber erzählt noch etwas, das medizingeschichtlich interessant ist: „Herr Dr. Grabherr von Kremsmünster hat mir erzählt, dass er der Erste gewesen wäre, der bei uns eine verdrehte Gebärmutter bei einer stehenden Kuh aufgedreht hat. Früher war die Methode die, dass man die Kuh niedergelegt hat, dann hat man ein Brett auf die Kuh gelegt. Auf das hat sich der Tierarzt gesetzt oder er hat jemanden draufsetzen lassen. Dann haben zwei oder drei Leute die Kuh gedreht. Die Gebärmutter wurde also fixiert und die Kuh gedreht. Herr Dr. Grabherr war also der erste Tierarzt, der das bei einer stehenden Kuh ausgeführt hat. Dies war sein Einstieg in die Praxis als großer Zampano.“ Dr. Orator, der Tierarzt in Pension, hält sarkastisch zur heutigen Situation der Tierärzte fest, dass die Bauern heute die Geburten meist selbst durchführen: „Wie viele Kühe dabei zugrunde gehen, sagen die Bauern nicht. Für sie ist die Hauptsache die, keinen Tierarzt gebraucht zu haben, egal, ob die Kuh dabei draufgeht oder nicht.“

Der Kaiserschnitt Um das Leben von der Mutterkuh und dem Kalb zu retten, begannen in den fünfziger Jahren mutige Tierärzte bei den Kühen Kaiserschnitte durchzuführen. Zu ihnen zählte auch Dr. WernerTutschku, wie auf einem der Bilder zu sehen ist. Die Durchführung eines Kaiserschnitts war kein leichtes Unterfangen, aber es 238

der kaiserschnitt

Abb. 37: Dr. Werner-Tutschku und seine Frau Inge beim Kaiserschnitt bei einem Rind im Jahr 1963

war früher dem Bauern wichtig, Kuh und Kalb am Leben zu erhalten. Die heutigen Bauern, wie schon festgehalten, sind aus wirtschaftlichen Gründen anderer Meinung. Der Bauerntierarzt Staudinger aus Anger in der Oststeiermark, der sein Studium nicht abgeschlossen hat, ist stolz darauf, in den fünfziger Jahren einer der Ersten gewesen zu sein, denen ein Kaiserschnitt gelungen ist. Er erzählt von seinem ersten Kaiserschnitt, der allerdings etwas außergewöhnlich war: „Von meinem ersten Kaiserschnitt muss ich erzählen. Das war 1954. Angefangen habe ich als Tierarzt 1952. Ich komme zu einem Förster, der auch Bauer war. Er sagt: ‚Die Kuh kann nicht kälbern.‘ Ich soll mir das anschauen. Ich greife hinein [in die Scheide], was greife ich: das Herz vom Kalb. Das war eine Missgeburt, das Kalb war tot. Die Füße waren in der Haut drinnen und das Herz war frei. Nun sage ich 239

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zum Förster, dass ich so das Kalb nicht herausbrächte. Ich müsse einen Kaiserschnitt machen. Da schaute er mich an und fragte, ob ich das könne. Ich sagte, freilich könne ich es, aber ich hätte keine Instrumente und kein Nähzeug hier. Ich wäre mit dem Motorrad unterwegs. Der Bauer ist gleich zum Arzt nach Wildalpen gefahren, der hat mir dann die Sachen, die ich gebraucht habe, zur Verfügung gestellt. Von zwölf Uhr Mitternacht bis vier Uhr in der Früh habe ich im Stall operiert. Ein Truthahn war auch da, er hat mit dem Hahn gerauft, während ich operiert habe. Jetzt habe ich gesagt: ,Wenn die beiden nicht aufhören, sehe ich schwarz für die Kuh, die wird ja dreckig durch die Streitereien der beiden.‘ So einen kleinen Scherz habe ich mir erlaubt. Jeder von den Anwesenden bei der Operation hat einen Befehl von mir erhalten. Der eine musste sich um die Handtücher kümmern, der andere musste die Kuh halten. So haben wir vier Stunden hart gearbeitet. Ich habe die tote Missgeburt herausgenommen, die Wunde an der Kuh zugenäht und die Sache war gut.“ Herr Dr. Volker Werner-Tutschku aus Sattledt, dem ich diese Geschichte vom Kaiserschnitt Staudingers erzählt habe, erinnert sich, dass Herr Staudinger damals in den fünfziger Jahren ihn gefragt habe, wie ein Kaiserschnitt bei einer Kuh durchzuführen sei. Volker erzählte ihm, was er dabei zu machen habe. Als bald darauf ein Bauer Herrn Staudinger zu einer Kuh auf die Alm holte, die nicht kälbern konnte, fragte er den Bauern nach einem scharfen Messer und einen festen Zwirn. Er brachte beides. Herr Staudinger narkotisierte die Kuh und operierte erfolgreich. Volker hat Herrn Staudinger als originellen Bauerntierarzt in bester Erinnerung. Lächelnd denkt er an folgende Geschichte: Staudinger erwarb, er dürfte gut verdient haben, ein Grundstück in Paraguay, Südamerika. Nach Paraguay flog Herr Staudinger re240

der kaiserschnitt

gelmäßig. Einmal meinte er zu Volker, als er nach einem längeren Aufenthalt in Paraguay, in dem es furchtbar heiß gewesen ist, wieder nach Österreich kam und sich über den Winter freute: „Ich möchte gerne wieder einmal ordentlich frieren.“ Der klassische Tierarzt nahm seine Arbeit sehr ernst und achtete auch darauf, dass seine Operationen steril ablaufen – ähnlich wie eine Operation beim Menschen. Dies war auch Herrn Tierarzt Dr. Wagner aus der Steiermark sehr wichtig, mit dem mein früherer Student Florian Spendlingwimmer auf meine Bitte hin gesprochen hat: „Wenn ich bei einer Kuh einen Kaiserschnitt durchgeführt habe, brauchte ich immer einen Assistenten, der mir die Instrumente und Geräte zureicht. Damit kann ich einen Laien oder einen Bauern nicht so einfach betrauen. Die Instrumente mussten alle steril sein. Die Bäuerin hat das Tischtuch gebügelt, auf dem die Instrumente lagen, die in der Küche ausgekocht worden waren. Man muss da ziemlich viel improvisieren. Alles spielt sich ja im Stall ab, da gibt es keinen Operationstisch. Die Kuh wird zu einer Planke hinzugestellt. Mit einem Baum, mit dem früher Heufuhren niedergebunden wurden, damit das Heu nicht wegfliegt, wird die Kuh festgehalten. Dann bindet man sie. Nun wird sie lokal – also örtlich – betäubt. Wie so eine Operation funktioniert, habe ich eigentlich vorher nie gesehen auf der Hochschule. Ich konnte die Operation nur theoretisch. Obwohl ich sie vorher nicht gesehen hatte, musste ich sie durchführen. Ich wusste genau, wie so eine Operation im Lehrbuch abläuft, und habe angefangen zu operieren. Das muss man. Die erste Operation ist geglückt und dann war der Bann gebrochen.“ Eine bemerkenswerte Medizin, um eine Kuh nach einem Kaiserschnitt zu beruhigen, empfahl der Tierarzt Herwig Forster aus Großreifling: „Das war ziemlich am Anfang meiner Berufszeit im 241

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Jahr 1953, ich bin nach Eisenerz geholt worden zu einem Bauern, da der dort ansässige Tierarzt nicht gekommen ist. Es ging um eine Geburt bei einer Kuh. Ich wollte hineingreifen [in die Scheide], ich bin aber nicht hineingekommen, weil die Scheide so geschwollen war. Das Kalb konnte nicht herauskommen. Ich fragte den Bauern, was wir tun sollten. Das Kalb brächten wir nicht heraus. Ich könne nur einen Kaiserschnitt machen. Der Bauer war damit einverstanden. Dies war einer meiner ersten Kaiserschnitte. Ich habe also operiert. Das Kalb war schon tot, hat schon Fäulnis gezeigt. Ich habe alles entsprechend versorgt. Es war alles in Ordnung. Ich habe mir gedacht, die Kuh soll sich nicht rühren, damit die vernähte Operationswunde nicht aufreißt. ,Was sollen wir tun?‘, fragte ich den Bauern. Worauf dieser sagte, er würde der Kuh jeden Tag ein paar Liter Wein geben, damit sie einen gescheiten Rausch habe. Vielleicht brächte er sie auf diese Weise durch. Der hat das getan und nach einer Woche war die Kuh über den Berg.“

Kastrieren und Enthornen Zu den Arbeiten des klassischen Tierarztes gehörte das Kastrieren von jungen Stieren und Schweinen. Volker Werner-Tutschku dürfte darin ein Spezialist gewesen sein: „Die Stiere wurden und werden von uns mit einer Kluppzange kastriert, wenn sie sechs Wochen alt sind. Die jungen Stiere erhalten zuerst eine Narkosespritze, damit sie keine Schmerzen haben. Kastriert wird wegen des Fleisches, Ochsenfleisch ist beliebt. Kastriert wird auch, damit junge Stiere ohne Probleme auf die Weide getrieben werden können. Ein Stier belegt sonst die kleinen Kälber mit einem Jahr auf der Weide. Daher hat man die jungen Stiere kastriert. Das Kastrieren war früher gefährlich, da der Hoden einfach abgeschnitten wurde. 242

kastrieren und enthornen Abb. 38: Dr. Oberhuber beim Kastrieren eines Ferkels

Entweder sind die kleinen Stiere dabei verblutet oder sie haben Wundstarrkrampf bekommen oder andere Komplikationen. Heute kastrieren wir mit einer Zange, die klemmt innen nur den Samenstrang ab, der Hoden und alles bleibt drinnen. Der fängt dann zu schrumpfen an, weil er nicht mehr durchblutet ist. Das ist weit besser als früher.“ Das Kastrieren von Schweinen haben die Bauern früher selbst gemacht, oder es kam eben ein Sauschneider auf den Hof, der diese Arbeit besorgte. Aber bisweilen wurden Schweine auch von Tierärzten kastriert. Darauf verweist mein Freund Wolfgang Oberhuber. Er erzählte, dass der alte Arzt, bei dem er in Tirol gearbeitet hatte – darüber ist in seinem Lebenslauf nachzulesen –, Ferkel bei 243

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den Bauern einmal sogar auf einem Tischtennistisch kastriert habe. Dabei seien die nicht operierten Ferkel im Rosengarten daneben umhergelaufen. Das sei heute nicht vorstellbar. Auf das Kastrieren von jungen Schweinen geht auch Tierarzt Dr. Orator ein. Bevor er dies tut, erzählt er noch über seine Schwerarbeit im Schweinestall, schließlich zweifelt er moderne Formen des Kastrierens an: „Wenn man mit den Stiefeln im Stall im Schweinekot gegangen ist, hat man furchtbar gestunken. Bevor man ins Auto eingestiegen ist, musste man sich ordentlich abspritzen. Sonst stank der ganze Karren auch nach Schweinemist. Mit den Schweinen gibts immer wieder Probleme. Sie haben beim Gebären oft Milchfieber, da werden sie hoch fiebrig. Euterentzündungen und Infektionen sind häufig. Die Ferkeln sind häufig krank, oft sind sie unterernährt. Eisenmangelkrankheiten gibt es. Weit verbreitet war die Ferkelgrippe. Die Schweine müssen heute dauernd geimpft werden. Ich habe Ferkel kastriert. Aber wenn ich lese, wie die heute die Ferkel kastrieren, so ist das ein Witz. Heute tun sie alles extra abklemmen. So, wie ich es gemacht habe, ist es am allerbesten. Aber das ist angeblich medizinisch nicht einwandfrei, weil es nicht kompliziert genug ist. Ich habe damals mit einem Querschnitt beide Hoden freigelegt. Dann habe ich sie herausgezogen und mit einem Ruck herausgerissen. Das ist vielleicht nicht gut zum Anschauen, aber es hat nie nachgeblutet. Der eine Schnitt war so, dass nie eine Infektion zustande kam. Das war am besten für den Tierhalter. Narkotisieren konnte man so ein Ferkel mit einer Woche ohnehin nicht. Es ist ein dummes Geschwätz von Tierschützern, wenn sie sich aufregen, dass die Ferkel nicht betäubt werden. Die haben keine Ahnung. Früher sind die Kastraten auch nicht narkotisiert worden“, meint Dr. Orator, und weiter: „Damit Schweine bei der 244

kastrieren und enthornen

Abb. 39: Dr. Sommerer beim Kastrieren eines Schweines

Mast zunehmen können, müssen sie halt kastriert sein. Jetzt steht in den Zeitungen, Eber, die nicht geschnitten sind, die werden gespritzt, damit das Androgen ausgeschaltet wird. Das ist alles Quatsch. Ich bin von hier aus oft nach Kremsmünster hinausgefahren und habe viele große Eber schneiden müssen. Die vom Stift Kremsmünster haben mich immer geholt, zum Schweinekastrieren, zum Kastrieren der großen, schweren Eber, die vorher Zuchttiere waren. Die habe ich geschnitten. In die Ohrvene hat man das Barbiturat gespritzt, dann ist der Eber umgefallen, dann habe ich ihn ruckzuck kastriert. Anschließend bin ich dann wieder gefahren. Dort im Stift, wo die Schweine beim äußeren Stiftshof gemästet wurden, hat es furchtbar, auch von den Hühnern, gestunken.“ Es ist dem Kloster Kremsmünster hoch anzurechnen, dass die Schweine- und Hühnermast inzwischen im Stift, wo früher Kühe 245

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gehalten wurden, aufgegeben wurde. In den letzten beiden Jahrzehnten hat man begonnen, die jungen Rinder zu enthornen, auch das ist eine Art Kastration. Werner-Tutscku meint dazu: „Das Wildeste, was wir jetzt haben, ist die Enthornung der Kuh, die so richtig in den neunziger Jahren beginnt. Für den Freilaufstall müssen die Kühe enthornt werden. Wenn man heute einen Stall mit zehn hornlosen Kühen hat und man eine elfte mit Hörnern dazutreibt, dann wäre das gefährlich. Die anderen gehen alle auf die mit den Hörnern los. Praktischer ist es, wenn Kühe Hörner haben, man kann sie dann besser fangen. Man wirft ihnen ein Lasso um die Hörner und schon hat man sie gefangen.“ Durch das Enthornen wird die Kuh degradiert, sie wird zu einem rein wirtschaftlichen Faktor, über den man verfügen will. Die Kuh wird ihres Schmuckes beraubt.

Krankenbesuche Auch Tierärzte hatten genauso wie die Humanmediziner auf dem Land ihre oft beschwerlichen Krankenbesuche. Im Kapitel über „Fahrzeuge“ habe ich dazu bereits einiges geschrieben, wie Tierärzte zu Fuß, mit Pferdeschlitten, mit dem Motorrad, in der Materialseilbahn und mit dem Geländeauto unterwegs waren. Die Krankenbesuche waren mitunter Abenteuer, wie ich sie bereits geschildert habe, aber sie boten auch schöne Kontakte zu den Bauern und Erlebnisse für die Kinder des Tierarztes. Dazu passt, was Dr. Franz Krawarik, der frühere Tierarzt von Vorderstoder, in seinen bereits zitierten „Erinnerungen“ schrieb. Dr. Krawarik nahm auch seine drei Söhne zu den nahe gelegenen Bauernhöfen mit. Liebevoll schreibt er: „Das war eine Lust für sie, sich auf den Wiesen zu tummeln und herumspringen zu können. Ich war glücklich, sie so 246

krankenbesuche Abb. 40: Die beiden Mädchen von Dr. Sommerer als Begleiter bei einer Visite um 1975

fröhlich heranwachsen zu sehen. Wie alle Kinder waren sie neugierig. Da sie aber nicht mit mir in die Ställe durften, so drückten sie an den Stallfenstern ihre Nasen platt und sahen mir beim Arbeiten zu. Oft sagten sie dann, dass sie keine Tierärzte werden möchten, weil ihnen das viel zu schmutzig sei!“ Ebenso wie dem Landarzt begegnete man dem Landtierarzt mit allem Respekt. Auf einer Zugfahrt nach Spital am Pyhrn unterhielt ich mich mit dem Schaffner. Dabei erzählte mir dieser von dem alten Landtierarzt von Windischgarsten, Dr. Hetzer: Wenn Dr. Hetzer von einem Bauern im Gebirge während des Winters gebeten wurde, 247

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bei seiner kranken Kuh einen Krankenbesuch zu machen, so holte, wenn die Straßen für Fahrzeuge nicht passierbar waren, der Bub des Bauern den Tierarzt zu Hause ab und marschierte zu Fuß mit ihm hinauf zum Bergbauern. Dabei trug der Bub die Tasche des Tierarztes. Beim Bauern wurden dem Tierarzt selbstverständlich eine Waschschüssel mit warmem Wasser und ein Handtuch angeboten. Der Sohn von Dr. Walter Hetzer, Harald, erzählte mir dazu über die Beschwerlichkeit der Krankenbesuche und die Gründe für solche: „Der Vater war gerne Tierarzt, er hat auch die Leute gern mögen. Krankenbesuche waren oft schwer. Keine Freude hatten wir, wenn der Vater bei einem Familienfest wie Weihnachten zu einem Krankenbesuch gerufen wurde. Niemand hat gewusst, wann der Vater von seiner Arbeit wieder nach Hause kommt. Man ist gesessen und hat gewartet auf ihn. Endlich ist er gekommen. Er hatte viel zu tun. Es gab damals sechstausend Rinder. In den fünfziger Jahren einmal, ich studierte schon an der Universität, weckte mich meine Mutter mitten der Nacht und sagte, der Vater müsse hinauf auf die Eggelalm am Hengstpass. Ich wusste, dort lagen zwei Meter Schnee. Ausgebaute Bauernstraßen gab es damals noch nicht. Asphaltierte Straßen waren ein Fremdwort. Auf der Egglalm ging es um eine Geburt. Es war nicht leicht für den Vater, dorthin zu kommen mit seinem alten Auto. Die ersten Besuche waren zuerst wegen Geburten, Tuberkulose und Bangbekämpfung, das ist die Bekämpfung seuchenhaften Verwerfens, des Abortus. Dann kam dazu die künstliche Befruchtung, also die Besamung. Der Tierarzt wurde auch geholt, wenn die Kühe zu viel frischen Klee gefressen und Blähungen davon hatten. Wegen Wundstarrkrampf und Koliken beim Pferd holte man den Vater auch. Vor allem waren es die Geburten bei Kühen, zu denen mein 248

krankenbesuche

Vater geholt wurde. Wenn das Kalb nicht von selbst herausgekommen ist, dann haben sie den Tierarzt geholt. Dann musste man das Kalb herausziehen. Es kam sogar vor, dass man das Kalb, wenn es tot im Mutterleib war und man es nicht herausbekam, zersägen musste. Dazu gab es eine Art Schleife mit einem Stahlrohr, die hat man über das Kalb im Mutterleib gelegt und hat es so zersägt. Die Mutterkuh sollte gerettet werden.“ Auch Harald selbst war als Bub tierärztlich tätig: „Mein erstverdientes Geld bekam ich, weil ich Ferkeln aus dem Mutterleib herausgezogen habe. Mit meiner kleinen Hand als Bub konnte ich hinein, der Vater konnte nicht hinein. Man hat das Schweinchen nicht herausgebracht, daher hat der Vater zu mir gesagt, ich solle das machen. Ich habe mich in den Dreck gekniet und bin in das Schwein hineingefahren und habe die kleinen Ferkeln herausgeholt. Ich war damals zwölf oder dreizehn Jahre alt. Der Bauer hat mir dafür ein paar Schillinge gegeben.“ Ich redete mit Harald auch über Impfungen gegen Tuberkulose (TBC) bei Rindern. Er schien sich dabei, als Sohn eines Tierarztes, gut auszukennen, schließlich hat er seinen Vater bei dessen Krankenbesuchen häufig begleitet: „Bei der Tuberkuloseimpfung musste man auf der Schulter der Kuh ein paar Haare ausrasieren. Dann spritzte man dort. Nach drei Tagen musste man nachschauen, ob sich dort eine Geschwulst oder vielmehr eine verdickte Haut gebildet hat. Hat es das, dann hat die Kuh positiv reagiert, sie war mit TBC in Berührung gekommen. Wenn sich keine Geschwulst gebildet hat, dann war die Kuh negativ, das heißt, sie war nicht mit Tuberkulose in Berührung gekommen. Einmal ist ein junger Tierarzt zu dem Bauern gekommen. Der aber hatte seine Kühe umgehängt [anders im Stall aufgestellt als gewöhnlich]. Normalerweise wurden sie auf der linken Schulter ausrasiert und geimpft. Der Bauer hat 249

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die Kühe aber von der linken Seite auf die rechte gestellt. Der junge Tierarzt geht hin, greift sie aber, weil die Kühe umgehängt waren, an der falschen Stelle an und findet keine Geschwulst, denn dort wurde ja nicht geimpft.“ Harald lacht. Er erzählt auch über die pharmazeutischen Firmen: „Damals haben die pharmazeutischen Firmen begonnen, den Bauern die Medikamente direkt in das Haus zu liefern. Dadurch wurden die Pfuscher aktiv, die gesagt haben, sie würden keinen Tierarzt brauchen, sie können das auch. In Einzelfällen mag das geholfen haben. Aber insgesamt war es für die ärztliche Versorgung des Viehstandes sehr schlecht.“ Über die Beschwerlichkeit von Krankenbesuchen früher erzählt auch der von meinem Studenten Florian Spendlingwimmer interviewte Tierarzt Dr. Wagner aus Judenburg: „Meine ärgste Nacht war, als ich sechs Geburten hatte. Von sieben Uhr am Abend bis um neun Uhr am Vormittag war ich von einer Kuh zur anderen unterwegs. Dazwischen hatte ich einen Kaiserschnitt in Weißkirchen bei Judenburg. Bauern haben selbst versucht, die Geburt bei einer Kuh durchzuführen, dabei ist die Gebärmutter perforiert [durchlöchert] worden. Früher war dies für gewöhnlich ein Todesurteil. Man holte mich, ich habe sofort die Flanke aufgeschnitten, das Kalb herausgeholt und die Gebärmutter genäht. Ich hab noch Antibiotika in die Gebärmutter gespritzt, dann habe ich den Bauch zugenäht. Ein paar Tage habe ich der Kuh noch Antibiotika in hohen Dosen gespritzt. So ist die Kuh durchgekommen, sie ist sogar wieder trächtig geworden. Sie blieb also fruchtbar. Alles Mögliche habe ich erlebt, wenn ich so zurückschaue in meine Praxis – manches war hochinteressant und sehr anspruchsvoll und sehr abenteuerlich. Eines muss man dazu sagen: Man muss als Tierarzt ganz fit sein. Man muss wirklich körperlich geeignet sein dafür, sonst hat man Schwierigkeiten im Beruf.“ 250

krankenbesuche

Auch Werner-Tutschku weiß ebenso über die Härte von Krankenbesuchen zu berichten, aber auch vom Mitgefühl der Bauern: „In Sarleinsbach im Mühlviertel habe ich einen Tierarzt vertreten. Dort musste ich einmal beim Schneesturm in der Nacht zu einer Pferdegeburt nach Kollerschlag hinauf, ungefähr zehn Kilometer. Wie ich hingekommen bin, haben wir die Geburt durchgeführt. Die Bäuerin hat mich nicht heimfahren lassen wollen. Sie hat gesagt: ,Bei dem Sturm fährst du mir nicht heim, da schläfst du auf der Ofenbank.‘ Ich habe wirklich auf der Ofenbank geschlafen.“ Für den Tierarzt Herwig Forster aus Großreifling ist der Krankenbesuch bisweilen auch ein medizinisches Abenteuer. Er berichtet: „Einmal war ich sehr stolz, weil ich die Diagnose Milzbrand bei einem Stier richtig gestellt hatte. Ein Milzbrandfall bei einem Stier ist etwas ganz Seltenes. Es war der einzige Milzbrandfall, der mir in meinem Leben untergekommen ist. Ich habe sofort erkannt, dass es ein Milzbrand ist, unter dem der Stier leidet. Ich musste den Amtstierarzt anrufen. Dem habe ich gesagt, hier gebe es Milzbrand. Dieser erwiderte, dass ich spinne. Da oben in der Breitenau – dort war der Stier – hätte noch nie ein Tier Milzbrand gehabt, wie solle der dorthin kommen? Ich habe ihm das nun mitgeteilt, er wüsste nun, worum es gehe. Was er dann mache, könne mir egal sein, dachte ich mir. Der Amtstierarzt hat geschimpft und geflucht, weil er dort in die Breitenau hinauf musste, damals waren die Wege noch schlecht. Tatsächlich hat sich die Krankheit als Milzbrand herausgestellt. Ich habe also recht gehabt. Der Stier war bald tot. Die Frage war nur, wie war der Milzbrand hier eingeschleppt worden? Wir sind dann draufgekommen, dass der Stier mit einem Getreide aus Marokko gefüttert wurde. Die Landgenossenschaft hat dieses Getreide gekauft. Die haben es an die Viecher verfüttert. So hat der Stier den Milzbrand erwischt.“ 251

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Operationen von Fremdkörpern bei der Kuh Ein interessantes Gespräch zum Thema Krankenbesuch führte ich mit Herrn Dr. Csaicsich vom oberen Mühlviertel. Er erzählte mir, dass die armen Kleinbauern im Mühlviertel zur Düngung ihrer Felder und Wiesen noch Asche verwendeten. In dieser Asche befanden sich als Rückstände Nägel. Diese nahmen die Kühe mit dem Futter auf. Für solche Operationen war Herr Dr. Csaicsich ein Spezialist. Die Instrumente wurden vor der Operation am Bauernhof in warmem Wasser, das von der Bäuerin bereitet wurde, gesäubert. In diesem wusch er sich auch die Hände. Vor Operationsbeginn wurden die Kühe nur örtlich betäubt, wobei diese stehend an einer Wand angelehnt und im Beisein zahlreicher männlicher Zuseher, die auch aus der Nachbarschaft gekommen waren, operiert wurden. Die Operationen fanden stets im Freien statt, denn die Ställe waren zu klein. Die Frauen hielten sich im Hintergrund auf. Eine Bäuerin, an ein hartes Leben gewöhnt, meinte, sie könne beim Operieren nicht zusehen, denn das Vieh tue ihr leid. Einmal hatte man bei einem armen Kleinbauern kein Handtuch für den Tierarzt, erzählte Frau Csaicsich. Um ihm aber doch etwas zu geben, damit er sich die Hände abtrocknen könne, wollte die Bäuerin ihrem Mädchen das Hemd ausziehen. Ein Handtuch hatten die Leute offensichtlich nicht. Der Tierarzt konnte froh sein, warmes Wasser zum Waschen vorgesetzt zu bekommen. In der Nacht wurde sogar bei Kerzenlicht operiert. Mein Freund Gottfried Uray erzählt über seinen Vater, den Tierarzt. Sein Vater, der die Besamung im Ennstal eingeführt hat, hatte damals in den fünfziger und sechziger Jahren viel zu tun, auch mit der Entfernung von Fremdkörpern: „Es gab viele Krankheiten und auch Verletzungen. Manchmal musste bei einer schwachen Kuh 252

Operationen bei der kuh

Abb. 41: Dr. Oberhuber bei der Zystenspülung einer Kuh

vermutet werden, dass sie etwa ein Stück Metall geschluckt hatte. Diese Diagnose auf Fremdkörper konnte aber nicht mit Sicherheit gestellt werden. Jedenfalls musste man die Kuh operieren. In den kleinen, dunklen Ställen war dies keine leichte Sache. Immer wieder drängte mein Vater darauf, dass vor jeder Behandlung warmes Wasser, Seife und Handtuch bereitgestellt waren.“ Ein interessantes Gespräch zum Thema der Operationen von Fremdkörpern bei den Kühen führte ich mit Meinrad Brugger von Matrei. Er erzählt mir: „Nach dem Krieg ist ein junger Tierarzt gekommen, so um 1950, der hat dann angefangen, Kaiserschnitte zu machen und Fremdkörper zu operieren. Damals wurden bei uns viele Schwedenreiter zum Heutrocknen aufgestellt. Dazu ist ein Stahldraht gespannt worden. Oft sind so Stücke vom Draht abgebrochen und sind in das Heu gefallen. Manchmal haben Kühe 253

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solche Drahtstücke mit dem Heu zu sich genommen, die wanderten dann in den Magen. Der Tierarzt bei uns hat dann angefangen, diese Drahtstücke herauszuoperieren. Er hat damit ein gutes Geschäft gemacht.“ Dr. Werner-Tutschku erzählt auch über Operationen an Kühen, die Fremdkörper auf der Weide zu sich genommen haben: „Wie ich ein Student war, habe ich bei einem Kollegen ein Praktikum gemacht. Damals war es große Mode, Kühe, die Fremdkörper verschluckt hatten, zu operieren. Wenn die Kuh einen Nagel geschluckt hat und dieser ihr eine innerliche Verletzung zugefügt hat, so bekam sie oft Bauchfellentzündung. Darauf musste man sie operieren. Die Diagnose war nicht einfach zu stellen. Man hat den Bauch aufgeschnitten, um in den Pansenmagen zu greifen. Der Nagel sitzt immer an derselben Stelle, das ist im Schleudermagen, das weiß man. Ob es überhaupt ein Fremdkörper ist, ist nicht leicht zu diagnostizieren. Wenn es ein Fremdkörper ist, sitzt er an dieser Stelle. Oft sind es bloß Verdauungsstörungen, die man nicht von den Beschwerden, die ein Fremdkörper verursacht, unterscheiden kann. Heute machen wir es anders. Wir haben ganz starke Magneten, die kommen über den Schlund in den Magen. Der Magnet geht automatisch in den Schleudermagen, dort landet alles Schwere. Durch die dauernden Pansenbewegungen zieht er den Nagel heraus. Der Nagel bleibt am Magnet haften. Heute ist es selten, dass eine Kuh einen Nagel oder ein Drahtstück zu sich nimmt, denn die Heuernte ist heute eine andere. Es gibt die Eisendrähte, wo man das Heu aufhängte, nicht mehr. Die Tierärzte haben früher gerne operiert, auch weil Operationen Geld brachten, aber es war auch nötig. Ich habe bei einem Kollegen gesehen, er hat sicherheitshalber einen Nagel mitgehabt bei der Operation. Er hat das sehr geschickt gemacht. Er hat den Nagel in der Hand 254

Operationen bei der kuh Abb. 42: Operation an einer Kuh, Dr. Csaicsich

Abb. 43: Kuh nach einer Operation

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gehabt. Er ist in den Magen hineingefahren und hat gesagt: ,Da haben wir ihn schon [den Nagel].‘ So konnte er dem Bauern immer einen Nagel zeigen.“ Die alten Tierärzte konnten mit solchen Operationen gut verdienen. Herr Dr. Sommerer aus Laakirchen weiß ebenso zum Thema Fremdkörper in der Kuh einiges zu erzählen: „Die Bauern haben gesagt, der Gläserer steht, wenn die Kuh nicht mehr wiedergekäut hat. Der Gläserer ist der Pansenmagen. Häufig war da ein Fremdkörper im Pansen. Beim Wiederkäuen arbeitet der Pansen sehr viel und der Netzmagen. Der Netzmagen zieht sich von einer Größe von vierzig Zentimeter auf fünfzehn Zentimeter zusammen. Früher haben die Bäuerinnen Haarspangen und Haarnadeln in den langen Haaren getragen. Es kam vor, dass sie solche Haarnadeln oder Haarspangen in der Wiese verloren haben. Da konnte es sehr leicht möglich sein, dass so ein Metallstück von einer Kuh auf der Weide gefressen wurde. Die Rinder haben häufig Drahtstücke von den elektrischen Leitungen, Haarnadeln und sonst noch allerlei gefressen. Heute arbeitet man mit Magneten, um diese Fremdkörper aus dem Magen zu holen. Wenn das Metall Kupfer ist, hat man allerdings keinen Erfolg, denn Kupfer wird vom Magneten nicht angezogen. Der Nachbartierarzt hat damals eine Magnetsonde gehabt. Mit der ist er in den Pansen und hat die Sonde herumgedreht. So sind die Drahtstücke am Magneten hängen geblieben. Damit hat er Furore gemacht, weil er mit der Sonde Fremdkörper aus dem Magen herausholen konnte und das ohne Blutvergießen. Oft hat man aber doch operieren müssen, man hat den Pansen von der linken Seite, von der Hungergrube, aufgeschnitten und ist mit der Hand hineingefahren und weiter in den Netzmagen, dort hat man häufig das Metallstückchen oder Ähnliches gefunden. Wenn der Tierarzt nichts gefunden hat, weil der Fremdkörper bereits 256

Operationen bei der kuh

ausgewandert war, hat der Tierarzt einen Nagel oder eine Spange bereit gehabt, um den Leuten den Fremdkörper demonstrieren zu können – damit seine Operation nicht umsonst war. Auch ist es passiert, dass der Herzbeutel dabei angestochen wurde. Da hat es plötzliche Todesfälle gegeben. Das konnte passieren, da das Herz genauso wie die Leber und die Milz benachbart zum Netzmagen ist. Heute gibt es keine Haarspangen mehr. Heute sind die Bauern sorgfältiger, sie schauen, dass keine Drähte und Ähnliches in der Wiese herumliegen.“ Eine spannende Geschichte über das Entfernen von Fremdkörpern im Magen der Kuh habe ich von meinem Studenten Christian Hirst, der für mich mit dem 1933 geborenen rumänischen Arzt Dr. Emil Silvas – die Bauern gaben ihm den Spitznamen „Dr. Fakir“ – gesprochen hat. „Kurz nachdem Doktor Emil Silvas das Militär, wo er sich um das Wohl der Pferde in einem Pferderegiment kümmern musste, verlassen hatte, übernahm er die Stelle eines Tierarztes in einem kleinen Dorf. Zu dieser Zeit gab es noch keine Magneten, die metallische Fremdkörper aus dem Viehfutter entfernten. So kam es häufig dazu, dass die Tiere diese mit dem Heu gefressen haben. Viele dieser Kühe mussten in der Folge geschlachtet werden. Damit der Bauer den Verlust nicht am eigenen Leib spüren musste, gab es in der Gemeinde eine eigene Versicherung für eben genau solche Fälle. Diese entschädigte jeden Bauern für den Verlust einer Kuh. Doktor Emil Silvas wollte aber für die Kühe die Situation verbessern und versuchte eine Operation an der stehenden Kuh, um einen Fremdkörper zu entfernen. Durchgeführt wurde die Operation im Schlachthaus, wo die Kuh in einen Fixator eingespannt wurde. Schnell fanden sich viele schaulustige Bauern ein, um das Spektakel zu beobachten. Doktor Emil Silvas stand nach der Öffnung der Bauchdecke vor einem mehr oder weniger 257

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großen Problem. Er konnte ja nicht alle kleinen Fremdkörper einzeln rausziehen. Da musste er ja zwanzig, dreißig oder vierzig Mal in den Magen greifen, was das Gesamtrisiko der Operation für die Kuh, diese nicht zu überleben, extrem erhöht hätte. Doch er ließ sich einen Trick einfallen. Mithilfe einer großen Kartoffel, die er in die Kuh einführte, konnte er alle Fremdkörper auf einmal einsammeln, da diese in der Kartoffel steckten und auf einmal aus der Kuh herausgenommen werden konnten. Nach erfolgreicher Operation ließ er die Kartoffel im Kreis herumgeben. Da staunten die Bauern nicht schlecht, die ihn zuvor nicht ernst genommen hatten. Sie konnten es nicht glauben und einige meinten sogar, er habe die Metallstücke bereits zuvor in die Kartoffel gesteckt. So bekam er an diesem Tag von den Bauern den Spitznamen ‚Dr. Fakir‘. Diese Operation war für die Bauern billiger als die teure Versicherung zu zahlen, was zur Folge hatte, dass einige Personen ihn gerne woanders gesehen hätten. Doch die Bauern und Bürger machten sich stark für ihren Tierarzt und forderten sein Bleiben. Jedoch 1959 verließ er das Dorf und übernahm die Stelle als Direktor einer Forschungsstation, die sich mit dem Embryonentransfer in Rumänien zu beschäftigen hatte.“

Andere Operationen Dr. Gernot Werner-Tutschku, der Sohn von Volker, erzählt dazu: „Früher haben sich die Bauern bei uns um das Haus angestellt [mit den Autos], wenn sie zum Ferkeloperieren gekommen sind, wenn also die Ferkel den Hoden im Bauch oder einen Leistenbruch hatten. Das Kastrieren haben die Bauern selbst gemacht oder ein Sauschneider hat es gemacht. Der ist von Hof zu Hof gefahren. Die Nabelbrüche usw. hat er nicht gemacht. Deswegen sind die 258

„betrunkene“ schweine

Bauern zum Tierarzt gefahren. Mein Vater hat es eingeführt, dass er unter der Woche zwischen halb acht und acht Uhr nach dem Frühstück und von halb eins bis ein Uhr nach dem Mittagessen die Ferkel operiert hat. Daher haben sich die Bauern mit ihren Autos um das Haus angestellt. Die Anzüge, die die Bauern damals anhatten, waren die abgetragenen Anzüge, die sie nicht mehr in die Kirche angezogen haben. Diese nahmen sie für den Stall oder wenn sie zum Tierarzt gefahren sind. Hauptsächlich hatten sie das alte Gewand für die Stallarbeit angehabt. Heute haben sie eine eigene Arbeitskleidung. Die Bauern haben sich also angestellt, ich bin da dabeigestanden, es war Mitte der siebziger Jahre.“

„Betrunkene“ Schweine und Flucht des Stieres Auch heitere Aspekte kann ein Krankenbesuch haben, wie mir Wolfgang Oberhuber erzählt: „Eine Bäuerin hat mich einmal geholt, weil die Schweine alle liegen würden, sie würden nicht aufstehen, wahrscheinlich sind sie krank, meinte sie. Ich suchte den Bauernhof auf. Nun erfuhr ich, dass der Bauer die Schweine mit Mostmaische, die schon eine Zeit in der Sonne gestanden ist und daher stark gegoren hat, gefüttert hat. Die Schweine waren also alle betrunken.“ Werner-Tutschku erzählt noch Heiteres aus seiner Praxis: „Es war am Anfang meiner Praxis, da ist auf einem Bauernhof der Stier ausgekommen. Die Tochter des Bauern, sie war damals fünfzehn Jahre alt, wollte den Stier einfangen. Die alte Bäuerin hat ihr zugerufen: ‚Nani, geh weg! Die Miaz, die Magd, soll den Stier fangen, die hat eine Krankenkassa.‘“ Wir lachten darüber.

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Die Besamung – das „erotische stierpulver“ – der Stier hat „ausgespielt“ Die Besamung übernimmt heute der Tierarzt oder ein Laienbesamer. Scherzhaft wird daher, dies erzählt mir Harald Hetzer, der Sohn des Tierarztes Dr. Walter Hetzer, der Tierarzt mitunter etwas gewagt als „Kuhpuderer“ bezeichnet. Harald weiß auch von Familienausflügen im Auto zu berichten, als sein Bruder und er noch Kinder waren. Wenn einer der beiden auf einer Wiese junge Stiere sah, meinte er zum anderen: diese seien seine Brüder. Brüder insofern, da es zum Geschäft ihres Vaters als Tierarzt gehörte, die Kühe zu besamen, er hatte also „Rindernachkommen“, wie die Buben heiter bemerkten. Die klassische Art der Besamung auf dem Bauernhof ist jedoch die natürliche durch den Stier und den Saubären. Davon ist man bei uns ab den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts allmählich abgekommen. Ich habe noch erlebt, wie in den fünfziger Jahren, die Kuh zum Stier geführt wurde. In Siebenbürgen, wo ich seit Jahren bei Kleinbauern im Landlerdorf Großpold bei Hermannstadt forsche, wurde ich im Juni 1998 vom Bauern Nietsch gebeten, ihn mit der Kuh zu einem Stier zu begleiten. Herr Nietsch hatte seine Kuh an seinem Pferdewagen angebunden. Ich fuhr mit dem Fahrrad voraus und öffnete die Gatter, die für die Kühe auf den Bauernwegen errichtet waren. So fuhren wir in das rumänische Dorf Tilisca, wo bei einem Bauern der Stier schon bereit stand. Das war das letzte Mal, dass ich mit der natürlichen Besamung direkt konfrontiert wurde. Herr Nietsch, die Kuh und der Stier dürften zufrieden gewesen sein. Herr Wiesbauer, über den ich im Kapitel über „Wasenmeister“ noch berichten werde und der bei der Welser Medikamentenfirma „Richter“ tätig war, erzählt dazu etwas Spannendes. Es gab ein ge260

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heimnisvolles Pulver, mit dem noch in der Nachkriegszeit der Stier in Stimmung gebracht wurde, das aber auch die Bauern erfreut haben dürfte: „Es hat ein Stierpulver gegeben, ein Aphrodisiakum – also ein Mittel zur Steigerung der sexuellen Begierde des Stieres, damit der Stier brünstig wird. In diesem Pulver war Cantaritin, die Spanische Fliege, eine Käferart. Das ist dann verboten worden. Man hat dann stattdessen Yohebin genommen, dies ist aus einer Rinde hergestellt worden. Manche Bauernburschen haben gesehen, dass das Stierpulver nützt. Es war ein Vorläufer von Viagra. Die Burschen haben gesagt, sie würden für den Stier zum Beispiel zehn Packungen Stierpulver brauchen und haben ein paar Packungen selbst verwendet. Die haben sich gesagt, was dem Stier gut tut, muss doch auch für sie gut sein. Das hat funktioniert.“ Eine lustige Geschichte über einen Stier habe ich von meinem alten Freund Erwin Degelsegger aus Spital am Pyhrn. Er meint, diese Geschichte sei wahr: Bei einem Bauern wurde die Kuh nicht trächtig, weil der Stier zu faul war. Der Bauer meinte, der Stall müsse verhext sein, und bat den Pfarrer, den Stall mit Weihwasser auszusprengen. Der Pfarrer kam mit dem Weihwasser zum Stall. Der Bauer stand mit Familie dabei, während der Pfarrer den Stall mit Weihwasser aussprengte. Nach einigen Wochen traf der Pfarrer den Bauern und fragte ihn, ob die Kuh trächtig geworden sei. Darauf meinte der Bauer: „Die Kuh ist Gott sei Dank trächtig geworden, aber die Tochter hat auch ein paar Spritzer abbekommen.“ Diese alte Form der Fortpflanzung will man nicht mehr Stieren oder Saubären überlassen, der Mensch nimmt sie selbst in die Hand – im wahrsten Sinn des Wortes. Wie es früher zuging, erzählt der ehemalige Bauer Meinrad Brugger aus Matrei in Osttirol: „Bis in die sechziger Jahre haben wir die Kuh zum Stier getrieben. Bei uns am Hof hatten wir immer einen Stier. Der Stier war für 261

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mehrere Bauern in der Umgebung. Es waren zehn, zwölf Bauern mit vielen Kühen. Oft hat uns ein Bauer für die Arbeit des Stiers ein Trinkgeld gegeben. Man hat die Kühe zweimal am Tag zum Trog geführt, da hat man gesehen, ob eine stierig ist. Das war früher einfacher. Heute muss man mehr aufpassen. Man merkt es, wenn die Kuh unruhig ist.“ Ich werfe ein: „Heute ist die Kuh arm dran mit der Besamung.“ Meinrad lacht: „Ja, sie sagt nichts. Heute wäre es zuviel Arbeit, die Kuh zu einem Stier zu führen. Früher war das selbstverständlich.“ Ich füge noch hinzu: „Früher haben sich alle gefreut: der Stier hat sich gefreut, die Kuh hat sich gefreut!“ Als Meinrad dies im Gasthaus Hinteregger erzählt, mischt sich ein anwesender Freund von Bernd, dem Tierarzt von Matrei, ein und meint: „Ich war heute dabei, wie eine Kuh besamt wurde. Es hat mich sehr beeindruckt, dass der Bauer sich aus dem Katalog den Stier aussuchen kann.“ Ich füge ein: „Die Kuh ist heute arm dran, denn sie kennt nicht einmal den Vater ihres Kalbes.“ Die beim Tisch Sitzenden lachen. Unter ihnen ist Katharina, die junge Wirtin und Frau von Bernd, sie schlägt heiter vor: „Man kann der Kuh im Katalog den Vater zeigen oder ein Bild von ihm im Stall aufhängen. So weiß die Kuh, wer der Erzeuger des Kalbes ist.“ Meinrad Brugger erinnert sich einer Geschichte, die gut zu der Geschichte von Erwin Degelsegger vom Weihwasser passt: „Die Tante hat viel auf das Weihwasser gehalten. Bei uns daheim am Hof am Glanzerberg war immer ein Zuchtstier. Die Nachbarn sind mit ihren Kühen zum Stier gefahren, wie es früher üblich war. Dies war so bis Ende der fünfziger Jahre. Teilweise hat man schon künstlich besamt. Die Mehrheit war damals noch Natursprung. Einen Stier hatten wir, der war faul. Er war so ein fauler Stier. Er ist nie recht gesprungen [auf die Kuh]. Er hat sich Zeit gelassen. Wie die Tante aber mit dem Weihwasser gekommen ist und ihn 262

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mit diesem besprengt hat, dann ist er gesprungen [auf die Kuh]. Wir haben uns immer lustig gemacht über die Tante und ihren Weihwasserverbrauch. Wenn sie gemerkt hat, dass wir uns über sie belustigen, hat sie gesagt: ,Ihr macht euch immer lustig, aber wenn ich den Stier mit Weihwasser besprenge, springt er.‘“ Meinrad und die am Tisch Sitzenden lachen – ich auch. Über den Wandel in der Besamung informiert Dr. WernerTutschku: „Früher hat es in Niederösterreich einen Dorfeber und einen Dorfstier gegeben. Das hat es bei uns in Sattledt durch die Einzelgehöfte nicht gegeben. Bei uns in Oberösterreich ist die künstliche Besamung schon sehr bald aufgekommen, begonnen hat man damit 1944. Das war das Verdienst von Veterinärrat Zeilinger in Pettenbach. Der hat mit der Tierärztlichen Hochschule in Hannover zusammengearbeitet und die Besamung eingeführt, weil wir so viele Deckseuchen gehabt haben. Deckseuchen sind Geschlechtskrankheiten bei den Rindern. Wenn die Stiere mit einer solchen Seuche infiziert sind, stecken sie die Kühe an und diese werden nicht mehr trächtig. Mit der künstlichen Besamung hat man das bekämpft. In Pettenbach hatte der Arzt eine Besamungsstation. Die ist ihm von der Hochschule Hannover eingerichtet worden. Dort hat man einen ukrainischen Veterinärstudenten, der während des Krieges zu den Deutschen übergelaufen ist, als Besamer ausgebildet. Schon während des Zweiten Weltkrieges gab es die Besamungsstation also in Pettenbach. Den Stier hat man springen lassen, er hat in ein Gummiröhrl seinen Samen gespritzt. Dann wird der Samen mit Eidotterzitrat verdünnt und gekühlt. Heute wird er auf minus einhundertdreiundneunzig Grad Celsius tiefgefroren. Damals hat man ihn auf vier Grad gekühlt. Mit dem Röhrl ist der Ukrainer dann besamen gefahren. Damals hat man die Kühe zum Besamen zusammengetrieben, damit es billiger 263

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kommt, heute fährt man von Hof zu Hof. Früher haben sie in Voitsdorf so eine Station gehabt und bei der ‚Liesl‘, dem Gasthaus in der Nähe von Kremsmünster, wo die Kühe hintereinander besamt wurden. Dorthin haben die Bauern die Kühe getrieben. Um zehn Uhr war der Tierarzt in Voitsdorf, um halb elf Uhr war er bei der ,Liesl‘ im Wirtshaus. In Pettenbach gibt es noch einen Besamungstechniker. Der macht einen Besamungskurs. Es gibt auch Eigenbestandsbesamer. In den großen Betrieben lernt der Bauer das Besamen und besamt seine Kühe selber. Bei den Schweinen machen sie es auch selber. Schweinebesamung ist sehr einfach. Rinderbesamung ist etwas komplizierter. Da muss man mit der Hand hinein. Beim Schwein steckt man ein Röhrchen mit dem entnommenen Samen hinein, drückt darauf und schon ist der Samen in der Sau. In Steinhaus ist heute die große Besamungsstation mit einhundertfünfzig Ebern, die von unserer Klinik betreut wird. Wir sind jeden Tag in der Früh dort. Einer unserer Kollegen überprüft den Samen, dass er freigegeben werden kann zur Besamung. Die Bauern holen dort den Samen und besamen ihre Schweine selber.“ Ein richtiger Besamungsspezialist war Tierarzt Forster aus Großreifling, der sich erinnert: „Im ersten Jahr als Tierarzt habe ich bereits sechzig Besamungen durchgeführt. Insgesamt waren es über tausend, die ich als Tierarzt durchgeführt habe. Heute gibt es Bauern, die sich als Besamer ausbilden lassen, man nennt sie die Laienbesamer. Aber der Bauer kann auch selbst besamen. Das Besamen ist heute kein Geschäft mehr für den Tierarzt. Der Nachfolger von mir als Tierarzt hat es sich mit einem Bauern vertan [zerstritten], weil er nicht zum Besamen gekommen ist. Der Bauer hat sich gesagt: ‚Wenn du nicht kommst, fange ich selber mit dem Besamen an.‘“ Von da an hat der Tierarzt nichts mehr zu tun gehabt bei dem Bauern.“ Tierarzt Forster bringt noch eine heitere Begebenheit: „Eines 264

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Tages bin ich zu einem Bauern gekommen, um eine Kuh zu besamen. Ich gehe hin und mache meine Arbeit. Nachdem die Arbeit bei der Kuh erledigt war, habe ich das Plastikröhrl auf den Boden fallen lassen. Die zwei Söhne des Bauern haben zugeschaut. Ich bin dann zum Bauern verrechnen gegangen und weggefahren. Als der Bauer nachher in den Stall kommt, sieht er, wie die beiden Buben mit dem Röhrl beim Ochsen versuchen, eine Befruchtung durchzuführen.“ Herr Tierarzt Forster lacht, ich lache auch. Im zu Beginn aufbereiteten Lebenslauf von Dr. Franz Krawarik, dem früheren Tierarzt von Vorderstoder, ist beschrieben, wie er kurz nach dem Krieg einige Zeit in Pettenbach tätig war. Dort war 1944 die bereits erwähnte erste künstliche Rinderbesamungsstation im süddeutschen Raum auf Wunsch des Reichsveterinäramtes versuchsweise eingerichtet worden, um der in Oberösterreich grassierenden Rinderseuche Herr zu werden. Dr. Krawarik schreibt in seinen oben zitierten „Erinnerungen“ zum Thema der künstlichen Besamung gegen Ende der vierziger Jahre dies: „Für Tierärzte, die in ihrer Praxis auch künstliche Besamungen durchführen wollten, war damals ein obligater Lehrgang an der Bundesanstalt für künstliche Befruchtung der Haustiere in Wels vorgeschrieben. Ich besuchte diesen Lehrgang vom 16. bis 21. August 1948, denn ich hatte in Hinterstoder öfter zu besamen. Den Samen bezog ich aus Pettenbach. In Pettenbach war damals der berühmte Tierarzt Dr. Paul Zeilinger. Er war nicht nur ein Vorreiter der Besamung, sondern er grub auch 1936 gemeinsam mit dem Oberlehrer bei Pettenbach einen römischen Gutshof aus.“ Mein Freund Gottfried Uray, dem die Besamungen der Kühe durch seinen Vater, den Tierarzt von Irdning, unangenehm waren, schildert im Lebenslauf seines Vaters (siehe „Aus dem Leben von Tierärzten“), wie dieser die künstliche Besamung in seinem Bereich 265

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im Ennstal eingeführt hat. Gottfried führt zur Besamung noch aus: „Nach dem Krieg begann mein Vater mit der künst­lichen Besamung der Rinder. Man hat Stiere gekauft, das war, wie ich glaube, eine Privatinitiative. Später hat das dann die Landwirtschaftskammer übernommen. Von diesen Stieren stammen viele tausend Ennstaler Rinder ab, das bedeutete eine entscheidende Verbesserung der Erbmasse im Ennstal. Wenn ich öfters auf Visi­ten mitfuhr, genierten mich diese Besamungen irgendwie und ich habe dabei nicht hingeschaut. Jedenfalls spielten sie eine große Rolle und Vater wurde auf diesem Gebiet als Pionier bezeichnet. Er war auch als Gastlehrer in der Höheren Landwirtschaftsschule in Raumberg tätig. 1968 wurde er mit der Josef-Baier-Medaille der Tierärztlichen Universität ausgezeichnet. Diese Medaille wurde und wird an praktische Tierärzte verliehen, die anerkannte wissenschaftliche Leistungen erbracht haben.“ Tierarzt Dr. Orator von Windischgarsten weiß auch zum Thema der Besamung einiges zu erzählen: „Wir haben hier in Windischgarsten viele Besamungen durchgeführt. Heute machen das die Bauern selber. Vorher gab es den Stiersprung, also die natürliche Befruchtung. Im Mühlviertel, wo ich um 1955 Tierarzt gewesen bin, haben wir noch keine Besamungen gehabt, da wollten wir sie einführen. Die Bauern waren auch dafür. Wir sind dann nach Kremsmünster gezogen. Da haben wir viel besamt. Den Stiersprung gibt es heute noch bei der Mutter-Kuh-Haltung. Dort lassen sie den Stiersprung zu, denn dabei kommt es nicht darauf an, Zuchtmaterial zu verkaufen. Dazu muss man eine gute Abstammung haben, eine hochwertige.“ Auf die Bedeutung der Besamung für die Rinder geht auch Harald Hetzer ein: „Der Vater hat schon in den fünfziger Jahren künstlich besamt. Der Samen kam damals aus Wels. Dort war die Besamungsstation für Kühe. Die künstliche Besamung war wichtig für die Verbesserung der Rasse. Hier in Windischgarsten hat man die 266

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Simmentaler Kuh eingeführt. Die Bauern hier hatten die Murbodner, ein sehr genügsames, zähes Rind. Es war auch nicht so schwer an Körpergewicht, dies war gut für den Auftrieb auf die Alm. Für die Alm kann man keine schweren Kühe brauchen. Deshalb haben die schwarz-bunten Kühe aus Holland sich hier nicht durchsetzen können, die haben den ganzen Almboden zertreten. Die alten Murbodner haben ungefähr dreitausend Liter Milch im Jahr gebracht. Die anderen bringen über achttausend Liter. Man hat damals auch die Züchtung der Stiere für die Fleischproduktion begonnen.“ Dass die Besamungen bei den Kühen heute für den Tierarzt gegenüber früher finanziell an Bedeutung verloren haben, hält Dr. Willi Lechner aus Molln fest: „Als ich in den fünfziger Jahren mit der Praxis angefangen habe, ist es mit den Besamungen losgegangen. Ich hatte fünftausend Besamungen im Jahr, das war ein gutes Geschäft, man muss sich nicht viel anstrengen dabei. Heute hat mein Sohn, mein Nachfolger, nur mehr tausendzweihundert Besamungen im Jahr. Bei uns in Molln ist die Anzahl der Rinder zwischen 1960 und 1970 von ungefähr sechstausend Stück auf zweieinhalbtausend heruntergegangen. Man muss sich bei der Besamung nicht anstrengen. Viele Bauern machen es heute selbst, aber sie haben auch Kosten. Denn der Bauer muss sich einen Container kaufen. Das rentiert sich erst ab hundert Stück Rindvieh. Er muss sich den Stickstoff kaufen, er muss sich alles kaufen, was er zur Besamung braucht. Das ist heute noch Prestigesache.“ Mein Freund Tierarzt Dr. Wolfgang Oberhuber erzählt dazu noch: „Mit dem tiefgefrorenen Samen hat man in der sogenannten Bundesanstalt in Wels angefangen. Dies ist eingeführt worden, zur Bekämpfung der Deckseuchen. Durch einen infizierten Gemeindestier, den man früher gehabt hat und zu dem die Bauern mit ihren Kühen gekommen sind, wurden Deckseuchen verbreitet. 267

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Wir haben einen Kollegen, der arbeitet in Vorarlberg im Bregenzerwald. Der fährt im Sommer mit der Motocross-Maschine auf die Almen, wo er auch Kühe besamt. Dabei hat er den Samen in einem kleinen Stickstoffcontainer im Rucksack. Zu dem sagen die Bauern, jetzt kommt der Rucksackstier.“ Dr. Oberhuber lacht. Ich sprach auch mit Herrn Dr. Langgartner aus Windischgarsten über die Tatsache, dass die Bauern heute zum großen Teil selbst ihre Kühe besamen. Herr Dr. Langgartner geht in seiner Antwort auch auf das Problem ein, dass es heute gegenüber früher mehr Tierärzte und Tierärztinnen gibt (siehe dazu seine Ausführungen in seinem Lebenslauf ) und er weist schließlich darauf hin: „Was sich noch geändert hat: Wir haben heute ungefähr fünfzig große Bauern, vierzig von ihnen besamen ihre Kühe selbst. Früher war das Besamen ein gutes Geschäft. Wenn man zu einem Bauern gekommen ist, hat es zum Beispiel geheißen: ‚Doktor, schaust die beiden Kühe an, ob sie tragen‘, oder: ‚Was sollen wir machen, die Kuh stiert nicht?‘ Solche Fragen gibt es heute nicht mehr. Heute gehen die jungen Bauern in die Landwirtschaftsschule, da lernen sie das Besamen, das ist ein Pflichtfach. Die kaufen sich die Samen in einem Container. Beim Waldbauer, beim Wirtshaus, ist jede Woche Samenausgabe. Das ist schon ein richtiger Bauerntreff geworden. Mit dem Samen kommen die herein von Hohenzell, in einem Containerauto. Da bekommt jeder seinen Stickstoff und den Samen, den er haben will. Der Stickstoff ist notwendig für die Kühlung, der Samen braucht minus sechsundneunzig Grad Celsius. Sonst hält sich der Samen nicht. Auch die Tierärzte holen sich den Samen ab. Früher waren nur wir Tierärzte da und keine Bauern. Jetzt kommen die Bauern auch dorthin und haben eine große Gaudi. Sie alle kehren ein bei der Barbara, der Wirtin. Für uns Tierärzte ist die Besamung kein Geschäft mehr. Das geht uns 268

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finanziell ab. Früher, ab 1980, als ich noch im Innviertel gearbeitet habe, haben wir noch dreißig Visiten bei Rindern und Schweinen am Tag gehabt. Es war viel Arbeit. Heute gehen uns die kleinen Bauern ab, mit drei bis fünf Kühen, die haben sich überhaupt nicht ausgekannt mit dem Besamen. Die haben den Tierarzt gebraucht. Diese haben brav gezahlt. Der Bauer ist arbeiten gegangen, damit er den Tierarzt bezahlen kann. In Windischgarsten hat es einmal fünfundvierzig Betriebe gegeben, die Rinder gehalten haben.“ Das künstliche Besamen hat, obwohl es als „unnatürlich“ gesehen werden mag, doch einiges in Hinblick auf die Züchtung von Rindern bewirkt. Dr. Bernd Hradecky aus Matrei in Osttirol drückt dies so aus: „Durch den Zuchtfortschritt gibt es kaum noch Schwergeburten. Die werden immer weniger. Es gibt aber Probleme mit Zwillingsgeburten, wenn die Kälbchen so eine Lage haben, dass sie nicht aus der Mutterkuh herausschlüpfen können. Es gibt Tragsackverdrehungen, die sind recht häufig. Kaiserschnitte, wenn das Kalb zu groß ist, sind aber weniger geworden. Früher hat es auf jedem Hof oder in jeder Fraktion einen Stier gegeben. Damals hat es eben viele Schwergeburten gegeben. Man kann heute durch die Zucht Kühe, die kleine Kälber produzieren, und solche, die große Kälber produzieren, entwickeln. Durch die künstliche Besamung seit den sechziger Jahren hat sich da viel geändert. Heute ist es so bei der Fleckviehrasse, dass maximal zwanzig bis dreißig Stiere eingesetzt werden. Diese kommen zum Teil aus Deutschland oder aus der Schweiz. Besamungsstationen gibt es zum Beispiel in Gleisdorf, in Wieselburg und in Klessheim. Dort werden die Stiere abgesamt. Der Samen wird in Besamungsphiolen abgefüllt und an die Tierärzte oder die Laienbesamer verschickt.“ Während Bernd mir dies erzählt, läutet zufällig sein Handy. Ich entnehme dem Gespräch, dass ein Bauer Bernd mitteilt, seine Kuh würde stieren. Er 269

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meint nun: „Dann werde ich am Abend die Besamung machen.“ Ich frage Bernd, wie man erkennt, ob eine Kuh stiert, also brünstig ist. Er erklärt: „Früher war das einfach, da gab es in den Ställen keine Selbsttränke, die Kühe mussten hinaus zum Brunntrog. Dabei erkannte man sofort, ob eine Kuh brünstig ist oder nicht. Eine Kuh, die gerade brünstig ist, also in der Hochbrunst ist, bleibt wie ein Bock stehen. Dann springt die andere Kuh auf. Wenn sie richtig stehen bleibt, ohne dass sie davonspringt, dann ist der richtige Zeitpunkt für die Besamung. Heute ist es anders, der Bauer weiß nur ungefähr, wann die Kuh stiert, sie stiert ja alle drei Wochen, aber nur für einen Tag. Die Kühe kälbern meistens im September oder im Oktober. Dann wartet man sechs bis acht Wochen, dann wird es Zeit, dass die Kuh wieder trächtig wird. Wenn die Kuh nicht trächtig wird, wird der Tierarzt geholt. Zu meinen Haupttätigkeiten gehört, die Kuh wieder trächtig zu machen. Ich muss sie mit Hormonen behandeln. Früher haben sie so etwas sicher nicht gemacht.“ Ich sage Bernd noch, dass seine Erzählungen für mich wichtig seien. Bernd freut das, er meint, er finde es gut, dass ich ein Buch über Tierärzte schreiben will, vor allem den Vergleich mit den alten Tierärzten finde er gut. Sein Handy läutet. Bernd sagt noch: „Jetzt geht die Arbeit los.“ Zum genauen Vorgang der Samenabnahme beim Stier sind noch die Überlegungen von Tierarzt Dr. Wagner aus Judenburg interessant: „Das Wort Besamung, wie die künstliche Befruchtung der Kuh oder der Sau genannt wird, ist allerdings eine falsche Bezeichnung. Es handelt sich nur um eine Samenübertragung. Der Samen wird vom Stier abgenommen. Der Stier springt auf ein Phantom. Der Tierarzt, er ist ein Spezialist, leitet den Penis in eine Gummivagina. Der Stier samt dort ab. Der Samen wird verdünnt und wird mit einer Nährlösung versetzt. Das ist eine eigene Methode. 270

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Früher wurde noch Frischsamen verwendet, der wurde mit Eidotter verdünnt. Mit solchen Nährlösungen und Antibiotika versetzt, wurde er in eine Thermosflasche gegeben. Diese Thermosflasche wurde verpackt und verschickt. Früher gab es eine Besamungsstation in Strettweg. Dort hat man den Samen holen können. Später wurde das Haltbarmachen der Samen durch Tiefkühlung möglich. Mit Stickstoff wurde der Samen auf minus einhundertfünfundneunzig Grad Celsius gekühlt, so wurde er uns von Gleisdorf geliefert. Monatlich kam ein Fahrzeug und hat uns den Stickstoff nachgefüllt und die benötigten Samenportionen geliefert. Diese Technik haben Tiermediziner ausgearbeitet, die Humanmedizin hat diese Methode mehr oder weniger von uns übernommen. Das ist ganz gleich. Das war ein Spezialgebiet von mir. Ich habe in meinem Leben ungefähr achtzigtausend Kühe besamt, während meiner vierzig Jahre in der Praxis. Das ist ganz schön viel, wenn man da jetzt rechnet pro Kuh einen Meter Breite. Dann sind das achtzig Kilometer, die Strecke von Judenburg nach Bruck an der Mur. Das war mein Spezialgebiet. Deswegen bin ich vom Landeshauptmann sogar geehrt worden, als oberster Zuchtstier der Obersteiermark. Dass ich achtzigtausend Besamungen durchgeführt habe, wusste ich auch nicht. Wie ich mit meiner Praxis aufgehört habe, habe ich es erfahren. Da ich den Samen immer bei der Station in Gleisdorf bezogen habe, wurde dort verbucht, wie viele Samenphiolen ich bezogen habe. Die haben mir das dann geschrieben. Das wurde dann an die Landesregierung geleitet und die haben mich einmal eingeladen und ausgezeichnet. Wie ich mit dieser Arbeit begonnen habe, war das Neuland. Da ist etwas – die älteren Kollegen haben das nicht gemacht – die haben das auch nicht können. Da war so ein Professor da aus Wien – der Krawarik [seinen Lebenslauf siehe weiter vorne] –, „Krawall271

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nig“ haben sie immer zu ihm gesagt. Der hat die Besamungsstation Strettweg geleitet. Da hat man noch mit den Glasröhrchen gearbeitet. Die konnten abbrechen. Ich hatte jedoch bereits Erfahrungen mit dem Metallkatheter gemacht. Deshalb ist der Professor zu mir gekommen und hat mich gefragt, wie ich das mache. Dann habe ich gesagt: ‚Mit Metall.‘ Nun hat er gefragt: ‚Geht das überhaupt?‘ Ich habe gesagt: ‚Freilich geht’s. Man braucht es nur zu sterilisieren, dann ist es so steril wie ein Glasröhrl, nur brechen kann es nicht.‘ Die Besamung wurde nun unglaublich aktuell, weil man die besten Stiere verwenden konnte. Mit einem Stier konntest du zwanzig Kühe und mit der Besamung konntest du tausend Kühe betreuen oder zweitausend. Durch die Besamung haben die Bauern mich kennengelernt und sich gedacht, der Tierarzt ist in Ordnung, ihn kann man auch für andere Sachen, wie eine Geburt, brauchen.“ Die Besamung, die seit ungefähr fünfzig Jahren die natürliche Fortpflanzung von Stier und Kuh ersetzt, wurde geradezu zum Symbol des kulturellen Wandels, wie ihn die Tierärzte in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Die alten Tierärzte wurden angehalten, sich um die künstliche Befruchtung der Kuh zu kümmern. Während früher mitunter mit Weihwasser der Stier ermuntert werden musste, die brünstige Kuh zu bespringen, ist es heute der Tierarzt (oder der Laienbesamer), der zur Kuh gerufen wird, um sie zu besamen – was er jederzeit auch kann. Herr Dr. Markwart Herzog von der Schwabenakademie Irsee in Bayern, dem ich von meiner Forschung erzählt habe, berichtete mir zum Thema „Besamung“ Heiteres: In der Rinderbesamungsstation in Greifenberg am Ammersee in Oberbayern, deren schöner ­Titel „Zweckverband II für künstliche Besamung der Haustiere“ ist, würde der Verwaltungsleiter Ludwig Vögele und der Geschäftsleiter Dipl.-Ing. agrar. Hermann Zuchtriegel heißen. 272

Das Honorar für den alten Landtierarzt

Für den alten Landtierarzt war es wichtig, auch gutes Geld für seine Arbeit zu bekommen. Aber das war nicht immer einfach, überhaupt wenn er es mit Kleinbauern zu tun hatte, denn so etwas wie eine Krankenkasse gibt es in der Tiermedizin nicht. Der alte Bauerntierarzt Staudinger, der schon einige Male zu Wort gekommen ist, meinte auf meine Frage nach der Bezahlung seiner Arbeit: „Meistens haben die Bauern gleich bezahlt, manchmal später, wenn sie gerade kein Geld hatten. Einige haben gar nicht gezahlt. Oft habe ich auch ein Stück Fleisch für meine Arbeit mitbekommen, aber auch Brot und Speck!“ Der Landtierarzt musste also damit rechnen, statt Geld Naturalien vom Bauernhof als Honorar zu erhalten. Spannend ist dazu zu lesen, was Herr Dipl.-Ing. Obwexer über seinen Vater, den alten Landtierarzt von Matrei in Osttirol, erzählt: „Wie mein Vater Tierarzt war, war die allgemeine Agrarkrise. Die Bauern haben kein Geld gehabt. Mein Vater hat oft nur für ein ‚Vergelt’s Gott‘ gearbeitet. Oft hat er von den Bauern als Honorar nur ein paar Eier bekommen, weil sie kein Geld hatten, sehr oft während des Zweiten Weltkrieges. Die Bauern waren eingerückt und die Frauen mit den Kindern waren daheim. Mein Vater brachte es nicht über das Herz, von einer Bäuerin Geld zu verlangen, die selbst nichts hatte. Gelebt hat der Vater von Almosen. Er hat nur wenig verdient. Naturalien haben wir freilich bekommen, Butter und so. Manche Bauern haben wohl gezahlt.“ Herr Obwexer führt über seinen Vater weiter aus: „Der Vater hat Tag und Nacht Dienst gehabt. Zu jeder Zeit sind Leute gekommen 273

das Honorar für den alten Landtierarzt

um eine Medizin, Salbe, (…) Die Bauern haben ja nie Geld gehabt, so musste er alles aufschreiben. (…) Wenn wieder einmal ein Markt war, hat er geschaut, dass er einen Bauern findet, in der Hoffnung, gestundetes Geld zu bekommen. Mit den Bauern hat er sich sehr gut vertragen. Geld haben die Bauern wenig gehabt. Ein paar Eier oder Fleisch haben die Bauern gebracht. Damit war die Leistung meines Vaters bezahlt. Ein bisserl ein Geld hat er auch bekommen. Für damals war es wenig. Die heutigen Tierärzte verdienen gut. Er hat als Sprengelarzt auch Wartegeld bekommen. Verdient hat er auch durch die Tuberkuloseimpfungen. Dann ist der Tierarzt Ortner gekommen. Als Amtstierarzt hat er das Recht gehabt, die Impfungen, die er durchführen will, sich auszusuchen. Er hat Geld gesehen. Der Vater hat gemeint, das sei unfair. Er hatte noch einen Kollegen gehabt, den Doktor Jäger, der war als Mensch sehr nett, der hat meinem Vater auch Arbeiten überlassen. Er hat zu meinem Vater gesagt: ,Sag mir, was du machen willst, das kannst du machen.‘ Er hat ihm geholfen. Der Jäger war Burschenschafter, mein Vater CVer, Mitglied einer katholischen Studentenverbindung. Sie haben sich gut verstanden. Die heutigen Tierärzte haben ja keine Ahnung mehr davon, wie es den Tierärzten damals gegangen ist. Die schauen heute alle auf die eigene Kassa. Mein Vater war viel zu gut. Zu meiner Mama hat er öfter gesagt, er bringe ihr nichts außer ein ,Vergelt’s Gott‘. Er hat es nicht über das Herz gebracht, einer armen Bäuerin etwas zu verrechnen. Solche Menschen gibt es heute nicht mehr. Heute sind die meisten geldgierig. Mein Vater war ein Vorbild. Er war ein guter Christ, kein Taktiker. Er war ein echter Christ. Christ muss einer im Herzen sein. Da ist einmal von Prägraten ein kleiner Bauer gekommen. Wie der gegangen ist, hat die Mutter zum Vater gesagt: ,Was hat denn der gezahlt?‘ Der 274

das Honorar für den alten Landtierarzt

Vater hat geantwortet: ‚Eine Million Vergelt’s Gott. Gezahlt hat er nichts, Geld hat er keines gehabt, aber eine Million Vergelt’s Gott. Also nicht einmal ein Vergelt’s Gott, sondern das millionenmal.‘“ Die Schwester von Herrn Obwexer, die dem Gespräch beiwohnt, fügt hinzu: „Das ist ein Scherz, was ich jetzt erzähle: Ein Tierarzt ist einmal zu einem Bergbauern gerufen worden, weil die Kuh krank war. Es war mitten in der Nacht. Der Tierarzt hat die Kuh behandelt. Der Bauer hat nachher gesagt: ‚Das rechne ich Ihnen hoch an, dass Sie mitten in der Nacht da heraufgekommen sind.‘ Darauf hat der Tierarzt gesagt: ‚Ich Ihnen wohl auch.‘“ Wir lachen. Herr Obwexer erzählt weiter: „Vor dem Krieg haben die Bauern selbst nicht viel gehabt. Hie und da haben sie am Markt ein Vieh verkauft. Wenn sie eines verkauft haben, hat mein Vater Geld bekommen. Einmal war der Papa bei einer Geburt beim Schuster Hans. Er hat die Kuh und das Kalb gerettet. Das Kalb hat der Schuster ausnahmsweise gut verkauft. Zum Papa hat er gesagt: ‚Da gebe ich dir den Tausender. Dir verdanke ich es, dass Kuh und Kalb gelebt haben und ich das Kalb gut verkauft habe.‘ Der Bauer hat meinen Vater sehr geschätzt. Mein Vater war ein angesehener und herzensguter Tierarzt. Die alten Bauern wissen das heute noch!“ Herr Ingenieur Obwexer spricht in Hochachtung von seinem Vater, dem alten Tierarzt in Matrei, der dort bis in die fünfziger Jahre den Bauern zur Seite gestanden ist. Meinrad Brugger in Matrei, mit dem ich auch über den alten Tierarzt sprach, meinte, Herrr Dr. Obwexer sei ein angesehener Mann im Ort gewesen: „Die Bauern haben damals in den Zeiten nach dem letzten Krieg nichts gehabt, er hat aber auch nichts gehabt. Aber hingegangen ist er trotzdem zu den Bauern, wenn sie etwas von ihm gebraucht haben. Der Nachfolger hat dann schon 275

das Honorar für den alten Landtierarzt

ganz gut verdient. Er hat angefangen zu operieren. Das war ein gutes Geschäft, Nägel und Drähte aus dem Bauch der Kuh zu operieren.“ Ich sprach auch mit meinem Freund Harald Hetzer darüber, wie sein Vater als Tierarzt von Windischgarsten in den fünfziger und sechziger Jahren zu seinem Geld gekommen ist. Harald führt aus: „Die Bauern mussten ja gleich zahlen für die Arbeit meines Vaters. Die armen Leute, die Häusler mit zwei Kühen und drei Goaßen, die haben bar gezahlt und haben noch gesagt: ‚Für die Familie nehmen Sie ein paar Eier mit.‘ Die großen Bauern haben gesagt: ‚Schicken Sie mir eine Rechnung‘, und dann haben sie aber nicht bezahlt. Ich will die Namen der großen Bauern aus unserer Gegend nicht nennen, deren Brüder in den Ministerien sitzen. Die zahlten nur nach Androhung oder Aufforderung eines Rechtsanwaltes oder durch einen Brief vom Rechtsanwalt. Das ist ja typisch. Auch nicht gerne gezahlt haben die sogenannten Hobbybauern, die in Wels oder Linz eine Fabrik und in Hinterstoder oder sonst wo einen Bauernhof hatten, so als Hobby. Die reichen Leute haben eher nicht gerne gezahlt. Die Armen haben brav gezahlt. Nicht einmal eine Jause haben die Reichen hergegeben. Die Bauern hatten großen Respekt vor meinem Vater. Es gibt eine Anekdote: Ein Bauer aus St. Pankraz hat meinen Vater gerufen. Die Kuh ist nur mehr schlapp im Stall gestanden. Der Vater hat gesagt, da würde es nichts mehr geben, die Kuh ginge ein. Der Bauer hat zu jammern angefangen, dass das seine beste Kuh sei. Wenn eine Kuh krank war, war sie immer die beste. Der Bauer wollte, dass mein Vater etwas tue. ‚Ja, gut‘, hat der Vater gesagt, ‚ich kann ihr eine Spritze geben, aber ich glaube nicht, dass das etwas nützt.‘ Er hat ihr eine gegeben und ist weggefahren. Er kam am nächsten Tag vorbei. Die Kuh war tot. Der Vater hat gesagt: ‚Ich habe es Ihnen ja eh gesagt, dass die Spritze nichts nutzt. Aber 276

das Honorar für den alten Landtierarzt

die Spritze, die Sie haben wollten, muss ich verrechnen.‘ Darauf sagte der Bauer: ‚Vielleicht haben Sie ihr gar keine gegeben.‘ Er hat dem Vater unterstellt, dass er geschwindelt hat. Der Vater hat gesagt, dass er ihr selbstverständlich die Spritze gegeben habe, und hat auf seinem Geld bestanden. Ab diesem Tag hat ihn kein Bauer von St. Pankraz geholt. So ist es gewesen. Klar hat der Vater recht gehabt. Nach einiger Zeit sind sie wieder zum Vater gekommen. Es war nicht leicht für ihn, die Bauern dazu zu bringen, dass sie auch zahlen.“ Über einen freundlichen und großzügigen Tierarzt im Villgratental in Osttirol erzählt auch mein Freund Hermann Walder: „Der Tierarzt bei uns war ein ganz ein netter Herr. Wenn ein Bauer kein Geld gehabt hat, hat er die Tiere auch umsonst behandelt. Er hat nur einen alten Volkswagen gehabt. Einige Bauern haben ihm für seine Arbeit Speck gegeben.“ Ähnliches berichtet auch der in der Oststeiermark tätig gewesene Bauerntierarzt Staudinger: „Meistens haben die Bauern gleich bezahlt. Manchmal später, wenn sie gerade kein Geld hatten. Einige haben gar nicht gezahlt. Oft habe ich auch nur ein Stück Fleisch mitbekommen, oder bloß Brot und Speck.“ Herr Staudinger, ein liebenswürdiger Herr, fügt über sich und seine Arbeit hinzu: „Jetzt habe ich Zeit genug zum Nachdenken. Ich denke über mein Leben langsam nach. Ich habe genug getan in meinem Leben. Immer das Mögliche. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemanden in meinem Leben angelogen habe. Ich habe auch niemanden betrogen, ich habe viel geholfen. Die Leute schätzen mich heute noch. Mir ging es als Tierarzt nicht bloß ums Geld.“ Die alten Tierärzte, vor allem die im Gebirge, mühten sich redlich ab, oft mussten sie sich damit zufriedengeben, dass die ärmeren Bauern mit Naturalien bezahlten. 277

das Honorar für den alten Landtierarzt

Auch Dr. Wolfgang Oberhuber aus Kremsmünster weiß über einen alten Tierarzt und dessen weites Herz zu erzählen: „Während ich studiert habe, bin ich mit dem Doktor Untermaier aus Neuhofen zu den Bauern mitgefahren. Er war noch so ein richtiger Tierarzt. Er wohnte bescheiden in einem Gemeindebau in Neuhofen, in einem Kellerabteil hatte er seine Hausapotheke. Ich weiß, wie er in Pension gegangen ist, hat seine Frau die Rechnungen, die noch offen waren, nachgeschrieben. Sie hat wochenlang damit zu tun gehabt. Er hat oft gar nichts kassiert. Der Doktor Untermaier hat oft zu mir gesagt: ‚Am liebsten sind mir die armen Goaß-Leute. Eine Goaß haben sie, eine Kuh haben sie und eine Jause haben sie. Sie waren froh, wenn man gekommen ist, und sie waren so dankbar. Man hat immer etwas zum Essen bekommen. Gezahlt haben sie auch.‘ Das ist jetzt noch so, je reicher die Bauern sind, umso neidiger sind sie. Die großen Saubauern waren die Allerneidigsten.“ Auch Dr. Willi Lechner, der frühere Tierarzt von Molln, meint Ähnliches über seine alten Bauern: „Die Kleinbauern waren für mich als Tierarzt die dankbarsten Patienten. Die waren freundlich und haben gleich gezahlt. Ich konnte ihnen aber auch nicht immer alles verrechnen. Man muss sich vorstellen, wenn ich zu einer Geburt von einer Ziege nach Hinterstoder fahre, wenn ich denen den Tarif verrechne, kann ich ihm gleich eine neue Ziege bringen und er kann die alte wegschmeißen. Diese Leute waren nett, die waren freundlich.“ Herr Dr. Orator, der, bevor er in Windischgarsten Tierarzt wurde, in Kremsmünster tätig war, erzählt mir zum Thema seiner medizinischen Leistung: „Ich habe wenig Mühe gehabt, dass mir die Bauern gezahlt haben. In Kremsmünster, da war noch ein anderer Tierarzt, habe ich mein Geld verlangt, der andere Arzt war etwas billiger. Aber die Leute sind doch zu mir gekommen, obwohl ich 278

das Honorar für den alten Landtierarzt

vielleicht teurer war, aber es war alles in Ordnung, was ich gemacht habe. Eine Geschichte muss ich dazu erzählen. Ein gewisser Staudinger war damals in den fünfziger Jahren der große Viehhändler in Nussbach. Ich war gerade bei einem Bauern an der Grenze zwischen Schlierbach und Nussbach. Ich hatte eine Schwergeburt. Die ist tadellos gegangen. Der Bauer hat nach der Geburt gesagt, er zahle die Geburt nicht, weil das Kalb schon dem Staudinger gehöre. Er habe es ihm bereits vor der Geburt verkauft. Meine Arbeit bei der Geburt solle der Staudinger zahlen, beharrte der Bauer. ,Gut‘, habe ich gesagt, ,ich werde es dem Staudinger sagen.‘ Wie ich zum Staudinger zur Fleischbeschau gekommen bin, ich habe dies in Vertretung eines Kollegen gemacht, bin ich zu ihm ins Büro. Ich habe ihm nun gesagt, dass ich das Geld für die Geburt bekomme. Er sagte, das sei in Ordnung, er mache das. Aber trotzdem hat er nicht gezahlt. Ich habe ihn beim nächsten Fleischbeschaubesuch wieder daran erinnert. Wieder hat er nicht gezahlt. ,Na gut‘, habe ich gesagt, ,dann muss ich die Sache meinem Rechtsanwalt geben, dem alten Watzenböck.‘ Dem hatte ich bereits mehrere Geldeintreibungen übertragen. Er hat das immer tadellos für mich erledigt. Er hat nun dem Staudinger geschrieben und dieser hat wieder nichts gezahlt und hat sich vom Watzenböck klagen lassen. Der Staudinger hat das Papier mit der Klage gebraucht. Diese Klageschrift hat er den Bauern beim Viehhandeln gezeigt und hat ihnen gesagt: ‚Schaut, wie es mir geht. Schlecht geht es mir, weil ich kein Geld mehr habe und nun geklagt werde.‘ Dadurch hat er den Viehpreis gleich heruntergedruckt und hat das Vieh billiger eingekauft. Der Staudinger hat schließlich doch bezahlt. Es hat ihm aber nicht neunhundert, sondern eintausendsechshundert Schilling gekostet. Mit dem Papier hat er aber viel mehr Geschäft gemacht. Mit diesem konnte er zeigen, wie arm er 279

das Honorar für den alten Landtierarzt

sei. Aber mit einem Porsche ist er gefahren. Noch eine andere Geschichte muss ich erzählen: In Achleiten bei Kremsmünster habe ich einen Bauern gehabt, der hat gesagt, er zahlt mir für meine Arbeit nicht. Ich habe auch diese Sache dem Rechtsanwalt Watzenböck übergeben. Eines Tages ist dieser Bauer gekommen, um die Rechnung bei mir zu bezahlen. Ich habe ihm gesagt, das ist nicht mehr meine Sache, sondern die vom Doktor Watzenböck, mit ihm solle er abrechnen. Das hat er dann gemacht, aber das war natürlich viel teurer für ihn. Der Bauer ist aber trotzdem wieder zu mir gekommen. In der Regel haben die Bauern sonst gleich gezahlt.“ Herr Dr. Orator wusste offensichtlich mit den Bauern um Kremsmünster, die keine Armen waren, geschickt umzugehen. Herr Langgartner aus Windischgarsten erzählt mir ein Erlebnis von einem durchaus begüterten Bauern, der sich als höchst knausrig erwies: „Es ging um eine Kuh des Bauern Willi G. Er hat mich angerufen, ich solle zu seiner Kuh kommen, der gehe es schlecht. Ich komme hin und die Kuh liegt im Sterben. Ich sage zum Willi: ‚Die Kuh wird hin, sie stirbt.‘ Er hat aber gesagt: ‚Die wird nicht hin.‘ Ich sagte wieder: ‚Die wird hin.‘ Er hat sich umgedreht und die Kuh war tot, sie ist also in dem Moment gestorben. Nun hat er mich gefragt, ob das was koste, ob er mir etwas zahlen müsse. Er wollte nichts zahlen. Er hat geglaubt, ich mache meine Visiten gratis.“ Höchst interessant ist, was der alte Tierarzt Dr. Wagner von Judenburg dazu zu erzählen hat – gesprochen hat mit ihm, wie schon erwähnt, mein lieber Student Florian Spendlingwimmer. „Es gibt einen Mindesttarif für eine tierärztliche Leistung, nach oben hin gibt es keine Grenzen. Also wenn Luxustiere behandelt werden, kann man auch Luxuspreise verlangen. Bei Nutztieren wie Rind, Pferd, Schwein und Geflügel ist es klar, wenn die Arbeit des Tierarztes den Bauern mehr kostet, als das Viech wert ist, dann verzich280

das Honorar für den alten Landtierarzt

tet man auf die Behandlung. Der Bauer muss auch ein Geschäft machen dabei. Der Tierarzt aber auch. Der Bauer muss wissen, wenn er den Tierarzt holt, dass er einen Profit macht. Wenn ihm die Kuh eingeht, verliert er 20.000 Schilling, wenn er den Tierarzt holt, zahlt er vielleicht 2.000 Schilling und hat achtzehntausend Schilling gewonnen. Da muss jeder sein Geschäft machen. So war es zu meiner Zeit. Heute wird mehr geschlachtet. Früher war es noch etwas anders. Früher hat man Tiere – da gab es die Freibank – rechtzeitig geschlachtet und das Fleisch wurde in eine Freibank gebracht. Da gab es das Freibankfleisch und das war billiger, und ärmere Leute konnten so auch Fleisch kaufen. Das gibt es heute nicht mehr. Heute wird das Fleisch [von Notschlachtungen] in die Tierverwertungsanstalt nach Leibniz gebracht, wo es zu Tiermehl verarbeitet wird.“ Das Problem ist also, dass heute der Profit im Vordergrund steht. Das Vieh wird nur dann behandelt, wenn der Bauer auch ein Geschäft machen kann. Für den Tierarzt wird dadurch die Möglichkeit zu medizinischen Tätigkeiten wesentlich eingeschränkt. Es hat sich also einiges hinsichtlich der Verdienstmöglichkeiten des Tierarztes geändert. Der Tierarzt hat offensichtlich nur dann eine Chance, auch entsprechend zu verdienen, wenn er auch Entsprechendes anbieten kann, wie eben Dr. Werner-Tutschku, der sich perfekt um die Schweine seiner Bauern in den Mastbetrieben zu kümmern scheint. Es hat sich also einiges geändert auf dem Gebiet der Honorierung tierärtzlicher Kunst. Über diesen Wandel und die Art, wie gerade Schweinebauern bezahlen, erzählt Dr. Werner-Tutschku, der eine Klinik in der Nähe von Sattledt aufgebaut hat: „Bei uns wurde und wird immer bar gezahlt. Der Bauer zahlt bar oder un281

das Honorar für den alten Landtierarzt

terschreibt uns heute auf der Stelle eine Abbuchung. Ich bin fast ein bisserl stolz auf diese Abbuchung. Ein Herr der Raiffeisenkasse von Sattledt ist einmal zu mir gekommen und hat gesagt, wir wollen etwas für die Tierärzte tun. Da ist mir eingefallen, dass man es eigentlich so machen könnte, mit einem Abbuchungsverfahren. Das hat sich blendend entwickelt. Jetzt zahlt der Bauer die großen Rechnungen in den Schweinebetrieben, wenn er zum Beispiel fünfundzwanzig Kilo Medizinalfutter braucht, das sind ja Rechnungen oft bis tausend Euro, mit Abbuchung. Da unterschreibt er die Abbuchungen und wir bekommen das Geld von der Bank. Das hat sich sehr gut bewährt. Die Landwirte sind unsere besten Zahler. Außenstände haben wir höchstens bei der Pferdekundschaft oder der Kleintierkundschaft.“

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Abenteuer und Erlebnisse

In den vorigen Kapiteln habe ich immer wieder auf die Abenteuer, denen Landtierärzte ausgesetzt waren, hingewiesen. Ich will hier nun speziell die Abenteuer und Erlebnisse von Herr Dr. Willi Lechner, Tierarzt in Molln, erwähnen. Sie erscheinen mir als typisch für die alten Landtierärzte, vor allem für jene, die im Gebirge schwer zu arbeiten hatten. Willi Lechner erzählt spannend von wilden und auch heiteren Erlebnissen, die er bei seinen Krankenbesuchen hatte. Einige seien hier angeführt, andere sind im Kapitel über die „Fortbewegung“ zu lesen. Abenteuerlich ist beispielsweise diese Geschichte: „Noch ein anderes Erlebnis hatte ich: In Leonstein war einmal ein kleiner Zirkus. Die haben einen schwarzen Panther gehabt. Der war krank, er hat Fieber gehabt. Er musste eine Penicillinspritze bekommen. Durch das Gitter ging das nicht. Jetzt bin ich mit dem Besitzer in den Käfig gegangen. Ich habe dem Panther, er war sehr schlapp, eine Spritze gegeben. Wie ich ihm die Spritze gegeben habe, ist er plötzlich munter geworden und ist aufgehupft. Jetzt haben wir es eilig gehabt zu verschwinden. Noch etwas: Im Bodinggraben haben sie einen Vierzehnender gehabt. Dieser Hirsch war auch schwer krank, er hat eine Infek­ tion gehabt. Der Hirsch musste also eine Spritze bekommen. Jetzt haben wir uns an ihn angepirscht. Wie wir bei ihm waren, habe ich ihm eine Spritze mit einem Antibiotikum in den Hals gegeben. Der Hirsch ist aufgehupft, ich habe die Spritze gerade noch erwischt, dann war er dahin. Er wäre mit der Spritze abgehauen, hätte ich sie nicht noch herausgezogen.“ 283

abenteuer und erlebnisse

Dr. Willi Lechner liebte, so scheint es, das Abenteuer in seinem Beruf. Daher bestand auch die Gefahr der Verletzung. Dazu sind seine folgenden Geschichten interessant: „Ich bin oft verletzt worden. Einmal hat mir eine Kuh das Hörndl hineingerammt, unter der Brust. Daraus ist ein großes Geschwür geworden. Ich habe da nicht viel herumgeschissen, ich habe eine Eutertube hi­ neingespritzt, wie man es bei Euterentzündung bei Kühen macht. Aber das Geschwür ist nicht weggegangen. Die Primarin Doktor Grenzfurter vom Krankenhaus Kirchdorf hat sie mir schließlich herausgeschnitten. Eine andere Kuh gibt mir einen Tritt in den Bauch, sodass es mich zweimal überschlagen hat, das war vor fünfzehn Jahren. Die Primarin hat mir auch diese Wunde genäht. Die Wunde ist aber wieder aufgegangen. Dann hat sie sie wieder zusammengeflickt. Jetzt funktioniert die Sache. Da sagen sie, die Kühe können nach hinten nicht aushauen. Ich habe wieder einmal besamt und stehe hinter der Kuh. Steht die Kuh auf wie ein Hengst und prackt mir eine [prackt – versetzt einen Schlag] in den Unterkörper. Ich bin darauf eine Woche mit dem Katheter herumgelaufen. Das war ein Volltreffer. Heute ist es noch blöder, weil die Viecher – im Gegensatz zu früher – nicht angehängt sind. Es gibt Boxen mit jeweils fünf, sechs Stückeln Vieh auf einem Spaltboden, damit die Scheiße durchfährt. Und diesen ausgewachsenen Viechern muss man nacheinander eine Spritze geben. Die kannst du nicht anhängen, die lassen sich das nicht mehr gefallen. Da muss man schauen, dass man nicht niedergerannt wird. Ich habe einmal beim Nussbaumer eine Kuh besamt. Während ich sie besame, hupft mir eine andere Kuh ins Genick. Mich hat es umgeworfen, die Kuh ist auf mich losgegangen. Ich bin aufgesprungen, bin aus dem Stall gerannt und habe die Tür zugeworfen. Die Kuh war so wild, dass sie gegen die Tür gerannt 284

abenteuer und erlebnisse

und diese ruiniert hat. Noch etwas fällt mir ein: In Klaus haben sie einen großen Hund gehabt, den hatte ich schon einige Male behandelt. Er hat aber immer wieder Beschwerden gehabt, mit dem Darm und anderem. Ich komme wieder einmal hin, weil er nun Ohrenweh hatte, ich schau ihn mir an und sag: ‚Freund, zeig her!‘ Da dreht sich der Hund um und hat mich schon bei der Gurgel gehabt. Ich fall um, er springt noch einmal her und beißt mich in die Unterlippe. Am nächsten Tag war er ganz friedlich – hat mich abgeschleckt – und hat sich behandeln lassen. Einmal war ich in Hinterstoder bei einem Hund, der war eigentlich ganz friedlich. Die Frau hat gesagt, sie holt das Geld für die Behandlung. Sie kommt nicht daher, mache ich die Haustür auf, springt der Hund auf mich und beißt in meine Hose, zum Glück hatte ich das Geldtascherl da. Er hat die Hose aufgerissen. Wäre das Geldtascherl nicht da gewesen, er hätte mich kastriert. Einmal gehe ich in einen Kuhstall hinein: ‚Hallo, der Tierarzt ist da‘, mache einen Schritt und stehe plötzlich tief im Schwemm­ entmistungskanal. Hat der Bauer das Gitter ausgehängt, weil er es schweißen wollte, und legt ein Stroh drauf. Sag ich: ‚Herst, du kannst ja kein Stroh drauflegen, das sieht ja keiner.‘ Sagt er: ‚Scheiß dir nichts, meine Alte ist schon zweimal drinnen gelegen.‘“ Er lacht. „Wenn die Kühe nicht aufstehen, stupselt man sie mit einem Stromstoß. Ich habe dieses Gerät im Auto auf den Sitz gelegt, damit ich es nicht im Auto vergesse. Ich denke nicht mehr daran und setze mich ins Auto. Dabei setze mich auf das Gerät, dadurch hat sich der elektrische Kontakt eingeschaltet und ich stand unter Strom. Mich hat es ausgehoben. Ich bin in die Höhe gehupft und habe mir den Kopf am Autodach angestoßen und dann hat es mich wieder zurückgeworfen. 285

abenteuer und erlebnisse

Ein anderes Erlebnis: Im Sommer sind die Kühe auf der Weide. Ich war gerade bei einem Bauern, ich habe ihn nicht gefunden. Ich bin um das Haus gegangen. Die Sonne hat in der Früh so schräg geschienen. Dabei bin ich in den Weidezaun gelaufen. Ich habe ihn, wegen der Sonne, nicht gesehen. Ich bin umgefallen, auf die nasse Wiese und habe mich in den Draht verwickelt. Wieder erwischte mich der Strom, mich hat es ordentlich gebeutelt.“ Das seien so die kleinen Erlebnisse, die man als Tierarzt am Land habe, meint er. Dann erzählt er mir: „Einmal bin ich beim Baumschlager in Hinterstoder in das Haus gegangen. In den alten Bauernhäusern war nach dem Eingang eine Luke, durch die man in den Keller gegangen ist. Über der Luke war für gewöhnlich ein Brett, damit man nicht in die Luke fällt. Ich hatte es eilig in der Früh, ging in das Haus und sagte: ‚Der Tierarzt ist da!‘ Aber die Luke war offen, das habe ich übersehen und bin mit dem Kopf voran in den Keller gefallen. Im Keller ist gerade die Bäuerin auf einer Leiter gestanden und hat in einer Stellage etwas verteilt. Mitsamt der Leiter und der Frau bin ich auf den Boden gefallen. Die Frau hat um Hilfe geschrien, vielleicht hat sie gedacht, ich bin der Teufel. Ich habe ihr gesagt: ‚Blunzn, schrei nicht so, ich bin der Tierarzt.‘ Wir sind hinaufgekraxelt und haben recht gelacht. Ich habe mir die Schulter ausgerenkt und musste ins Spital fahren, damit sie mir die Schulter wieder einrenken. Das war in den siebziger Jahren.“ Noch eine andere Geschichte fällt Willi Lechner ein: „Bei der Fleischbeschau muss der Tierarzt die Grobmuskulatur des Rinderschädels wegen der Bandwurmfinnen anschneiden. Ich habe bei einer solchen Gelegenheit meinem Sohn erklärt, wie dies zu machen sei, damit er sich nicht mit dem Schlachtmesser in den Finger schneidet. Dabei rutscht der Schädel weg und ich hacke mir mit 286

abenteuer und erlebnisse

dem Fleischhackermesser den Daumen ab. Da oben am Gelenk, er ist nur mehr an der Haut gehangen. Ich bin gleich in das Spital gefahren und habe mir den Daumen wieder flicken lassen. Dann hat man mir die Hand eingegipst. Ich habe ihnen gesagt, sie müssten mir die zwei Finger freihalten, damit ich besamen könne. Mit den zwei Fingern konnte ich die Besamungspistole führen. Nur der Daumen fehlte mir zum Abdrücken. So habe ich mit der Nase und der Stirne die Pistole abgedrückt. Wenn die Kuh einen Blaser hinten gemacht hätte, wäre ich voll Scheiße im Gesicht gewesen. Gott sei Dank war dem nicht so.“ Ein anderes Erlebnis: „Einmal bin ich in ein Dammwildgehege gerufen worden. In diesem hat sich das Wild, weil dort zu wenige Bäume waren, an den Pfosten des Gatters das Geweih gefegt. Ein Bock hat sich dabei in den Draht am Gatter ganz furchtbar verwickelt. Um den Bock von dem Draht zu befreien, mussten wir ihn betäuben. Mit einem Blasrohr haben wir dies getan. Als der Bock betäubt war, habe ich begonnen, ihn mit der Drahtschere vom Draht zu befreien. Auf einmal ist der Bock munter geworden, er wollte auf, dabei hat er auch mich in den Draht verwickelt. Jetzt waren sowohl der Bock als auch ich in dem Drahtgewirr. Der Bock hat herumgehauen, dabei hätte er mich schon fast umgebracht. Damit das nicht geschieht, habe ich ihm mit der Drahtschere einen auf den Kopf gehauen. Dann haben wir uns ausgewickelt und die Sache war erledigt. Der Besitzer hat dabei zugeschaut, er war aber machtlos. Man soll nicht glauben, welche Kraft ein solcher Bock hat. Ich war froh, dass die Sache gut ausgegangen ist. Noch eine Geschichte: Früher waren die Güterwege noch nicht so ausgebaut, ein Allradauto hat es damals in den siebziger Jahren auch noch nicht gegeben. Es war Winter, ich fuhr auf einem Güterweg bei Hinterstoder mit meinem Auto so lange bergauf, 287

abenteuer und erlebnisse

bis es nicht mehr ging. Ich wollte nun die Schneeketten auflegen, daher hob ich das Auto mit dem Wagenheber an. Während ich die Ketten unten durchziehe, fällt das Auto um und steht mit einem seiner Reifen auf meiner Hand. Ich bin nun beim Auto gekniet und konnte die Hand nicht rausziehen. Das Ganze spielte sich auf einer Nebenstraße ab. Nicht weit von dieser Nebenstraße war die Hauptstraße, auf der die Autos vorbeirauschten. Mit der freien Hand habe ich den Autofahrern gewunken, die haben mir zurückgewunken, weil sie geglaubt haben, ich grüße sie. Bis endlich ein Autofahrer nach zwanzig Minuten ein zweites Mal vorbeigefahren ist und mich noch immer so knien gesehen hat. Nun hat er sich gedacht, da muss etwas passiert sein, denn der Mann kniet noch immer dort. Der Herr ist dann stehen geblieben und ausgestiegen. Er und andere, die nun auch stehen geblieben sind, haben das Auto aufgehoben, damit ich die Hand herausbringe. Noch eine Geschichte: Ich machte Visite in einem Haus, zu dem man nur mit der Materialseilbahn fahren konnte. Früher bestand eine solche Seilbahn aus einer Kiste. Unten ein Brett und sonst nichts. Wie ich meine Arbeit gemacht habe, habe ich noch mit den Leuten etwas gegessen und getrunken. Wie ich hinunterfahren sollte, hat eine Frau, die auch da war, gesagt, sie wolle mitfahren, denn allein würde sie sich fürchten. Sie hatte einen leichten Schwips. Wir zwei sind nun nebeneinander in der Kiste der Seilbahn gesessen. Wir sind losgefahren, auf einmal fängt die Kiste zu vibrieren an, sodass das Bodenbrett weggeflogen ist. Ich habe mich oben an dem Brett festgehalten, denn es ging steil hinunter. Die Frau hat mich um den Hals gepackt und hat geschrien: ‚Hilfe, Hilfe!‘ Ich habe geschrien: ‚Bring mich nicht um.‘ Gott sei Dank sind wir heil unten angekommen. Wie wir unten waren, war ich schon ganz blau. Die Frau hat mich fast erwürgt.“ 288

Der Tierarzt als Menschenarzt Bei Gesprächen mit alten Tierärzten fiel mir auf, dass so mancher auch bei menschlichen Gebrechen, Verletzungen und sogar bei Geburten hinzugezogen wurde. Tierarzt und Menschenarzt ähneln sich insofern, als beide mit Säugetieren zu tun haben. Schließlich bestehen zwischen Mensch und Tier gewisse anatomische und medizinische Gemeinsamkeiten. Ich habe daher auch keine Probleme, meinen lieben Bruder Dr. Dietrich Girtler, Professor der Orthopädie an der Tierärztlichen Universität, bei diversen Verletzungen oder Gebrechen, die mit dem Bewegungsapparat zu tun haben, um Rat zu fragen. Seine Ratschläge zur Behandlung solcher Sachen sind stets hervorragend und führen zum Heilerfolg. Scherzhaft drückt mein Freund Dr. Oberhuber aus Kremsmünster den Unterschied des Tierarztes zum Menschenarzt so aus: „Ich bin einmal im Krankenhaus wegen der Gallensteine gelegen. Ich wurde von den Schwestern gefragt, was ich essen wolle. Ich habe das Menü mit Fleisch genommen, weil ich als Doktor üblicherweise meine Patienten esse, meinte ich. Seither war ich dort im Krankenhaus als der Doktor bekannt, der seine Patienten isst.“

Der Tierarzt als Geburtshelfer bei Mensch und Kuh, als Hautarzt und als Augenarzt Spannend sind die Geschichten von Tierärzten, die bei der Behandlung von Menschen großes Geschick bewiesen. Ein solcher war Dr. Franz Krawarik, der unmittelbar nach dem Krieg im kleinen Gebirgsdorf Vorderstoder tätig war. Sein Sohn erzählt: „Wenn 289

dER tIERARZT ALS MENSCHENARZT

kein Menschenarzt in Hinterstoder zu erreichen war, haben Bauern, die Vertrauen zu meinem Vater hatten, ihn wegen ihrer Krankheiten oder der ihrer Familienangehörigen konsultiert. Auf diese Weise hat mein Vater auch Kinder zur Welt gebracht. Eines Tages wurde mein Vater, es war 1949, in die Tambergau gerufen, zu einer Menschengeburt. Er war schon am Weg beim Stockerwirt, da läutete wieder das Telefon mit der Nachricht, er soll zu einer Schwergeburt eines Kalbes auf die Huttererböden kommen. Dorthin musste man damals zu Fuß gehen. Meine Mutter rannte meinem Vater nach und hat ihn noch am Stockerberg erwischt und sagte ihm: ‚Du musst hinauf auf die Huttererböden!‘ Sagte er: ‚Da kann man jetzt nur eines machen. Du hilfst bei der Entbindung der Bäuerin. Da hast du die Geräte für die Entbindung und ich gehe zurück und hole mir meine Tierarztsachen und gehe hi­ nauf auf die Huttererböden‘. So wurde es gemacht. Meine Mutter hat die Entbindung bestens durchgeführt. Auf diese Weise ist auch meine Mutter zu ihrer ersten Entbindung gekommen. Meine Mutter hat zwischen 1947 bis 1950 drei Kinder zur Welt gebracht. Sie war, da sie weder Tierärztin noch Menschenärztin und auch keine Hebamme war, von meinem Vater bestens eingeschult worden. Die Schwergeburt des Kalbes, die mein Vater zu bewerkstelligen hatte, war ebenso bestens durchgeführt worden. Es war am Anfang seiner Tätigkeit als Tierarzt für meinen Vater gar nicht so einfach, das Herz und das Vertrauen der Bauern zu öffnen. Innerhalb von wenigen Monaten hat er das Vertrauen der Bauern gehabt. Dazu trug auch diese Geschichte bei: Einmal hat ein Bauer aus Vorderstoder meinen Vater zur Behandlung einer Kuh geholt. Wie er mit der Behandlung schon fast fertig war, hat der Bauer sich so herumgedruckt und hat gesagt, seiner Tochter gehe es so schlecht. Sie war um die fünfzehn Jahre 290

ALS GEBURTSHELFER BEI MENSCH UND kUH

alt. Mein Vater fragt, was sie habe. Sagt der Bauer: ‚Sie hat sich verbrüht, mit dem heißen Wasser vom Herd.‘ ‚Wo hat sie sich verbrüht?‘ ‚Auf dem Oberschenkel‘, jammert der Bauer, weil der Arzt nicht kommt. Sagt mein Vater: ‚Na, ja. Ich möchte mir das einmal anschauen.‘ Nach einigem Hin und Her hat der Bauer seine Zustimmung gegeben. Der Vater hat es sich angeschaut und gemerkt, dass der Oberschenkel des Mädchens zum Teil hochgradig verbrannt war. Er wusste von seiner Medizin her, dass man bei den Tieren in einem solchen Fall so etwas wie eine Ichthyolsalbe anwenden kann. Dem Mädchen hat er nun eine solche Salbe auf den verbrühten Oberschenkel geschmiert. Das hat dem Mädchen tatsächlich geholfen, es ist gesund geworden. Das hat zum Ruhme meines Vaters in dieser Gegend beigetragen. Beim nächsten Kirtag hat sich das herumgesprochen.“ In der damaligen Bauerngesellschaft nach dem Krieg wurde der Tierarzt als jemand gesehen, der medizinisch helfen konnte, auch dem Menschen. In seinen „Erinnerungen“ erwähnt Dr. Franz Krawarik noch einen anderen Fall der Behandlung eines kranken Menschen, um die ihn allerdings der Gemeindearzt von Hinterstoder, also ein Menschenarzt, gebeten hatte: „Schon im Winter 1947 war Eckhart, der junge Lehrer meines Sohnes Peter, erkrankt. Er wurde immer kränker und konnte dann nicht mehr unterrichten. Er litt an einer offenen Lungentuberkulose, die er sich in der russischen Kriegsgefangenschaft geholt hatte. Doktor Glaser, der Gemeindearzt von Hinterstoder, der auch für Vorderstoder zuständig war, gab dem Kranken laufend Injektionen. Da er aber die Besuche nicht regelmäßig einhalten konnte, bat er mich, gegebenenfalls in seiner Vertretung Injektionen zu verabreichen. Diesen Dienst tat ich gerne für den armen, jungen Kriegskameraden. Es half aber nichts mehr, im Mai 1948 starb der Schwerkranke.“ 291

dER tIERARZT ALS MENSCHENARZT

In seinen „Erinnerungen“ schreibt Dr. Krawarik auch dies: „Öfter betätigte ich mich auch humanmedizinisch bei Erste-Hilfe-Leistungen, aber auch als Augendoktor, dabei erwarb ich mir sogar einen guten Ruf. Viele Bauern litten an hartnäckigen Bindehautentzündungen. Mein Behandlungsvorschlag war einfach und erfolgreich: Minutenaugenbäder mit sehr warmen Borsäurewasserbauschen, mehrmals nacheinander, danach an der Luft trocknen, Aufenthalt in einer zugfreien Umgebung. Das hat bestens geholfen.“ Dr. Krawarik, dem Vater meines Freundes Hans, gelang es also, in Vorderstoder, wo sich kein Menschenarzt niedergelassen hatte, sich eine Existenz als echter Gesamtmediziner aufzubauen, der für Mensch und Tier zuständig ist. Dass Tierärzte gute medizinische Ratschläge für Menschen haben können, wurde mir im Gespräch mit Frau Maria Hetzer, der Schwiegertochter des früheren Tierarztes Dr. Hetzer von Windischgarsten, deutlich. Maria Hetzer erzählte mir: „Als ich nach meinem zweiten Kind eine Brustdrüsenentzündung bekam, hat mir mein Schwiegervater [als Tierarzt] eine Euterkühlsalbe für Kühe aus seiner Apotheke gegeben. Er hat dazu gesagt: ,Was für die Kühe gut ist, muss für dich auch reichen.‘“ Auch Tierarzt Dr. Willi Lechner aus Molln wurde zum Geburtshelfer bei einer Bäuerin. Überhaupt passierte und passiert es ihm regelmäßig, dass die Bauern ihn, gleich einem Menschenarzt, um Rat fragen: „Wenn ich in die Bauernhäuser in Stoder komme, sagen manchmal die Leute: ‚Du Doktor, schau dir meinen Befund an. Der Doktor [der Menschenarzt] hat keine Zeit.‘ Jetzt muss ich den Befund ausdeutschen. Im Jahre 1963 im Winter hatte ich ein interessantes Erlebnis: Beim Hanbaum, so heißt die Höhe, war ein Bauernhaus, dort kann man heute noch nicht im Winter hinfahren. Ich fahre dort hinauf zu einer Geburt und kann im Schnee 292

ALS GEBURTSHELFER BEI MENSCH UND kUH

nicht mehr weiter, es war halb zwölf Uhr in der Nacht, steht da der Jeep des Doktor Bauer mit Chauffeur. Sagt der: ‚Wir können auch nicht mehr weiter mit dem Auto, der Doktor ist gerade zum Bauern hinaufgegangen.‘ Ich renn dem Doktor nach und hole ihn ein. Wie wir zum Bauern kommen, war die Kuh vor der Geburt und die Bäuerin auch. Was tun wir? Jetzt haben wir zuerst die Geburt der Bäuerin erledigt. Der Arzt hat zu mir gesagt: ‚Geh weiter, hilf mir.‘ Dann haben wir die Kuh erledigt, dabei hat der Arzt geholfen. Und dann haben wir gefeiert, um sechs Uhr in der Früh sind wir heimgewandert. [Er lacht.] In Hinterstoder gab es eine gewisse Frieda, die hat alleweil [immer] zum Gemeindearzt Doktor Glaser gesagt: ,Ich geh lieber zum Tierarzt, der macht es besser.‘“ Spannend ist auch diese Geschichte des Medikamentenvertreters Herbert Wiesbauer von der Firma Richter in Wels, auf den ich im Kapitel über alte Heilmethoden noch näher eingehen werde: „Ich habe viel gelernt, bei meiner Tätigkeit als Medikamentenvertreter. Einmal war ich bei einem Tierarzt im Lungau. Der hat eine Besamung durchgeführt, das war in den sechziger Jahren. Dort war eine Bäuerin, die hatte auf der Stirn eine große entzündete Hautstelle, so groß wie ein Zehnschillingstück, es hat ausgesehen wie ein Ekzem. Der Tierarzt fragte sie: ‚Was haben Sie da auf der Stirn?‘ Sagt sie: ‚Das hat die Kuh auch.‘ Der Tierarzt hat nun die Kuh untersucht. Diese hatte die Trichophytie, eine Pilzerkrankung. Beim Melken, wo die Bäuerin die Stirn an den Körper der Kuh lehnte, wurde diese Pilzerkrankung der Kuh auf die Bäuerin übertragen. Sie war damals deswegen bei ihrem Hausarzt und beim Dermatologen. Der hat ihr eine Cortisonsalbe gegen das Ekzem gegeben, aber dies hat nichts geholfen. Die Firma Richter hat eine Salbe, um Trichophytie zu heilen. Der Tierarzt hat gesagt: ‚Für die Kuh gebe ich Ihnen diese Salbe. Der Hauptbestandteil der Salbe 293

der tierarzt als menschenarzt

ist Eugenol. Das, was Sie da auf der Stirn haben, ist ja die Trichophytie, die haben Sie von der Kuh bekommen.‘ Der Tierarzt hat ihr nun auch die Salbe für die Kuh gegeben. Er hat gesagt: ‚Wenn Ihnen das, was Ihnen der Doktor gegeben hat, nicht geholfen hat, so probieren Sie doch das.‘ Sie hat das tatsächlich gemacht. Das hat mir der Tierarzt erzählt. Wie ich das nächste Mal zum Tierarzt gekommen bin, habe ich ihn gefragt: ‚Wie ist denn die Geschichte ausgegangen?‘ Der Tierarzt hat gesagt, die Bäuerin wäre ganz begeistert gewesen, weil die Salbe für die Kuh geholfen hätte, während die Kortisonsalbe vom Doktor nicht gewirkt hätte. Der Arzt hat die Bäuerin auf ein Ekzem behandelt, dabei ist diese Trichophytie eine Pilzerkrankung. Da brauche man ein Mittel gegen den Pilz. Daher hätte die Salbe vom Doktor nichts geholfen.“ Herr Wiesbauer fügt noch an: „Manchmal haben die Bauern gesagt: ‚So Medikamente gegen Husten aus der Tiermedizin, die nehme ich auch, ich habe auch Husten.‘“ Der Tierarzt genießt aufgrund seines Wissens das Vertrauen der bäuerlichen Leute. Mitunter können sich seine Erfolge bei der Behandlung von Menschen sehen lassen.

Der Tierarzt als Seelentröster und Berater Mitunter kommen Bauersleute auch mit ihren Sorgen zum Tierarzt. Es kann sein, dass dieser sie psychisch betreut und berät. Darauf geht mein Freund Dr. Oberhuber aus Kremsmünster ein, wobei er vorab eine Parallele zu den alten Landtierärzten zieht: „Deinen Eltern wird es als Landärzten auch so gegangen sein, dass sie nicht nur Ärzte waren für die Leute, sondern auch Psychologen und Seelsorger. So ergeht es auch mir als Tierarzt. Die Leute erzählen mir ihre Probleme. Meine Ratschläge hauen aber nicht 294

als sEELENTRÖSTER UND BERATER

immer hin, vor allem dann nicht, wenn es um Schwiegertöchter und Schwiegermütter geht, die im gleichen Haus wohnen müssen. Die Leute fragen mich um Rat, wenn es ums Übergeben [an die Kinder] geht oder um die Erbfolge oder wenn es um eine Umstrukturierung des Betriebes geht: Ob sie die Kühe hergeben und auf Schweine umsteigen sollen, ob sie vergrößern sollen – solche Sachen erzählen sie mir.“ Nett ist diese Geschichte von Wolfgang Oberhuber, in der er nicht nur als eine Art Psychiater, sondern als moralische Instanz gesehen wird: „Einmal hat mich eine Bäuerin um Rat gefragt. Sie war eine sehr dominante Frau, sie hat den Hof beherrscht, ihren Mann genauso wie ihren Sohn. Der Sohn hatte eine Freundin, die bei ihrem Onkel die Wirtschaft geführt hat. Sie hatten miteinander aber schon ein Kind. Verheiratet waren sie aber nicht, denn sonst hätte sie auf den Hof müssen. Aber Probleme mit der Schwiegermutter waren schon vorprogrammiert. Als die beiden dann noch ein zweites Kind bekommen haben, haben sie sich doch entschlossen, zu heiraten. Die Frau [die die Wirtschaft bei ihrem Onkel jetzt aufgab] sollte nun auf den Hof kommen. Sie haben dann die Wohnung am Hof eingerichtet, sie haben Möbel gekauft und Hochzeitsvorbereitungen getroffen. Bei der Einrichtung der gemeinsamen Wohnung wurde, wie die Bäuerin mir entsetzt erzählte, ein rundes Ehebett angeschafft. Über so viel Unmoral war die Bäuerin sehr bestürzt. Ich habe, wie ein guter Psychologe, versucht, die Bäuerin zu beruhigen.“

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der tierarzt als menschenarzt

Der Tierarzt als Unfallhelfer, Pharmazeut und Heiler von Muskelbeschwerden Spannend ist auch diese Geschichte von Dr. Wolfgang Oberhuber, in der er tatsächlich gezwungen ist, wie ein Menschenarzt aufzutreten: „Der Melker vom Gutsbetrieb des Stiftes Kremsmünster, der dort die Kühe betreut hat, hat sich einmal verletzt, er ist im Stall von einer Kuh zu Boden geworfen worden. Er hat recht gejammert, weil es ihm so wehgetan hat. Da habe ich gesagt: ‚Das müssen wir uns anschauen oder du musst in das Spital fahren.‘ ‚Ich habe keine Zeit zum Spitalfahren‘, hat er gesagt. Jetzt habe ich ihn im Auto mitgenommen und habe ihn bei mir zu Hause auf den Tisch [der Kleintierpraxis] gelegt und ihn geröntgt. Das Röntgengerät stellt man nach Körpergewicht und Masse ein. Wir haben lediglich eine Tabelle für unsere Tiere. Jetzt habe ich nicht gewusst, wie ich das Röntgengerät einstellen soll. Ich habe ihn nun nach dem Gewicht als ein Pony eingeschätzt. [Er lacht.] Tatsächlich hatte er die Rippen angeknackst. Er musste dann doch ins Spital, weil er Schmerzen bei den Rippen hatte. Dort bekam er ein Korsett. Im Spital hat er gesagt, er sei schon beim Tierarzt gewesen, beim Röntgen.“ Ich werfe ein, dass ein Tierarzt ein besserer Diagnostiker sein müsse als der Menschenarzt, weil das Tier nicht sagen könne, wo es ihm wehtue. Nun hält Wolfgang fest: „Wir Tierärzte haben den Vorteil, dass wir mit keinen Simulanten zu tun haben. Die Tiere zeigen es uns schon an, wo es ihnen wehtut. Aber wir verstehen es nicht immer.“ Wolfgang erzählt noch etwas Interessantes über einen früheren Pferdetierarzt: „In Wartberg war der alte Dr. Mörtendorfer, er war ein Pferdetierarzt, wie die Bauern noch Rösser gehabt haben, der hat ein berühmtes Pflaster für die Pferde gehabt, die er auch den Leuten verkauft hat. Als er schon lange tot war, hat seine Witwe 296

ALS UNFALLHELFER

dieses Pflaster noch an die Leute verkauft. Das war noch in den siebziger Jahren. Das Pflaster war ein durchblutungsförderndes Pflaster. Wahrscheinlich hat er auch Steinöl und Kampfer verwendet, und Salmiak. Das Pflaster wird ein wenig gestunken haben. Es gab aber auch ein sogenanntes Rossfluid, das haben sogar wir Tierärzte noch verkauft. Es ist ebenso stark durchblutungsfördernd wie das Pflaster. Die Bauern haben es für wehe Gelenke, wenn jemand auf die Knie oder auf den Ellbogen gefallen ist, oder bei Muskelzerrungen verwendet.“ Dr. Oberhuber als klassischer Tierarzt weiß über die Wirksamkeit solcher Mittel, nicht nur für Tiere, sondern auch für Menschen. In diesem Sinne fragte ich auch den alten Bauerntierarzt Staudinger aus der Oststeiermark, er meinte ähnlich, dass starke Einreibungen, die man bei Pferden verwendet, fabelhaft bei Leuten helfen, die Gelenksentzündungen oder Muskelprobleme haben. Man spricht daher wohl in diesem Sinne von einer Rosskur. Auch Menschen hat Dr. Zehetner, der Tierarzt von Viehdorf in Niederösterreich, in dieser Richtung medizinisch betreut. Sein Sohn Klaus führt dazu aus: „Uns Kinder hat der Vater natürlich viel behandelt. Die Leute zwar nicht direkt, aber sie haben seine Salben und Einreibungen, die er für die Tiere gebracht hat, auch für sich verwendet. Da gibt es eine Geschichte. Einmal hat ein Bauer, dessen Ross der Vater behandelt hat, ein Flascherl Medizin zum Einreiben für Rösser geholt. Mein Vater hat gefragt, ob das Ross noch immer nicht gesund ist, weil er schon wieder etwas für das Ross holt. Darauf hat der Bauer gesagt: ‚Wissen Sie, Herr Doktor, ich nehme das Mittel auch für mein Knie. Das ist viel besser als das vom Leut-Doktor [praktischen Arzt].‘ Das sind natürlich starke Medikamente, bei denen auch keine Rücksicht auf Neben297

der tierarzt als menschenarzt

wirkungen genommen wird. Wichtig ist, dass das Medikament gleich hilft. Ich bin einmal im Spital wegen Blinddarm gelegen, es war zu Weihnachten. Ich habe hohes Fieber gehabt, eine Woche lang. Ich habe alle paar Stunden eine Penicillinspritze bekommen. Nach einer Woche ist meinem Vater der Geduldsfaden gerissen und er sagte zum Oberarzt: ‚Schauen Sie sich einmal die Fieberkurve an. Sie müssen doch merken, dass Ihre Behandlungsmethode nichts hilft, geben Sie ihm dieses Präparat.‘ Der Oberarzt hat gemeint: ‚Dieses Medikament ist zwar veraltet, aber wenn sie meinen, können wir es ihm geben.‘ Eine Tablette habe ich genommen und am nächsten Tag war ich fieberfrei. Für mich war mein Vater natürlich der beste Mediziner. Da war ich elf Jahre alt.“ Eine geradezu heitere Geschichte, die in diesen Zusammenhang passt, erzählte mir Dr. Gernot Werner-Tutschku, der Sohn von Dr. Volker Werner-Tutschku: „Als ich noch ein Jugendlicher war, war ein Bauer mit Ferkeln zur Behandlung beim Vater. Er hat sich bei der Kiste, in der die Ferkeln waren, durch eine unsachgemäße Hantierung an der Hand eine Rissquetschwunde zugezogen. Der Vater hat zuerst die Ferkel operiert. Wie er damit fertig war, sind sie im Büro gesessen. Der Bauer hat seine Hand vorgestreckt und ihm die Wunde gezeigt. Der Vater hat sie dann ohne örtliche Betäubung genäht. Der Bauer hat bei dieser Operation keine Miene verzogen. Er ist mit seinem alten Anzug dort gesessen und hat mit dem Vater über die Gemeindepolitik gesprochen, denn beide waren im Gemeinderat von Sattledt. Währenddessen hat der Vater ihm die Wunde genäht. Diese Tradition, dass die Bauern, wenn sie sich schneiden oder sich wehtun, sehr gerne zum Tierarzt kommen, wird bis heute fortgeführt. Besonders machen davon die Angestellten der 298

ALS UNFALLHELFER

Fleischhauerei Strasser Gebrauch. Wenn sie sich mit dem Messer geschnitten haben, kommen sie und sagen zu mir: ‚Man muss das jetzt nähen.‘ Sie wollen nicht in das Krankenhaus zur Behandlung fahren, das interessiert sie nicht, weil sie arbeiten müssen. Sie wollen so wie in den alten Zeiten ohne örtliche Betäubung anständig genäht werden. Wenn sie mich dann fragen, was sie schuldig sind, sage ich: ‚Eine Leberkässemmel.‘ Darauf bringt eine Angestellte der Schlachterei für unsere ganze Mannschaft Leberkässemmeln. Mein Vater hat selbstverständlich, wenn er einen Bauern genäht hat, nichts verlangt. Diese Tradition gibt es noch ein bisserl. Dem Gemeindearzt ist das mehr oder minder egal. Er ist an solchen Sachen nicht besonders interessiert, denn das Nähen kostet viel Zeit und ist von der Gebietskrankenkassa extrem schlecht bezahlt. Die Ärzte schicken die Leute gerne ins Krankenhaus bei solchen Wunden. Einmal ist der Vater von einem Pferd getreten worden, er hatte eine Wunde auf dem Kopf, die war ungefähr sieben Zentimeter lang. Man hat bis zum Knochen gesehen. Er hat den Kopf selbst eingebunden mit einem windelartigen Zeug, er hat ausgeschaut wie die Frau Holle. Er hat ein finsteres Gesicht gemacht und hat zu mir gesagt: ,Komm, näh mir das geschwind, denn ich muss morgen Schi fahren.‘ Wir sind dort gesessen und ich habe ihm das genäht. Einen Tag später ist er auf den Arlberg gefahren.“ Eine heitere Geschichte zu diesem Thema der Behandlung von Menschen wurde mir von Herwig Forster aus Großreifling erzählt, er kommt dabei aber auch auf die Behandlung von Muskelbeschwerden zu sprechen: „Einmal bin ich zu einem Bauern und Holzknecht gekommen. Seine Frau war total schlecht beisammen, sie war müde und ihr war nicht gut. Ich habe sie gefragt: ‚Was haben Sie denn?‘ Sie hat gesagt: ‚Ich habe eh schon so viele Pulverl geschluckt, einen Herzinfarkt habe ich gehabt, es wird 299

der tierarzt als menschenarzt

nicht besser.‘ Sage ich zu ihr: ‚Ich gebe einen guten Rat. Kaufen Sie Traubenzucker und essen Sie etwas davon.‘ Sie hat es gemacht. Die anderen Pulverln hat sie nicht mehr genommen. Nach einer Woche komme ich wieder hin. Der Zustand der Frau war wesentlich verbessert. Mit dieser Medikation habe ich den ganzen Ort animiert, Traubenzucker zu essen. Im Kaufhaus von Großreifling gab es kein Stück Traubenzucker mehr. Die anderen im Ort haben auch geglaubt, der Traubenzucker tue ihnen gut. [Er lacht.] Als Tierarzt habe ich den Leuten oft ganz gute Ratschläge gegeben, damit sie gesund werden.“ Ich nehme die Gelegenheit bei diesem Gespräch wahr und zeige dem Tierarzt Forster eine Beule an meinem Ellbogen. Er lacht und sagt zuerst scherzend: „Den Arm abschneiden und die Sache ist erledigt.“ Aber dann meint er ernst: „Man kann die Beule absaugen. Wenn man nichts tut, wird die Beule mit der Zeit auch verschwinden.“ Ich entscheide mich für die zweite Möglichkeit. Herr Tierarzt Forster fügt noch hinzu: „Wenn den Leuten ein Medikament nicht geholfen hat, haben sie mich oft gefragt, was sie tun sollten. Ich habe meistens scherzend gesagt: Notschlachten! [Er lacht.] Bei Muskelbeschwerden und Ähnlichem habe ich den Leuten empfohlen, die betreffenden Stellen an ihrem Körper mit einem Pferdefluid einzureiben. Mit diesem Mittel habe ich die Muskelprobleme von Pferden behandelt. Wieder einmal war ich bei einer Bäuerin. Sie hat mich gefragt, ob ich ein Medikament gegen Kreuzweh, also gegen Rückenschmerzen, habe, denn sie habe solche Schmerzen am Rücken. Ich habe ihr ein Flascherl Pferdefluid zum Einschmieren gegeben. Nach einiger Zeit treffe ich sie wieder. Sie hat gesagt: ‚Das war sehr scharf [es hat gebrannt], aber gewirkt hat es.‘“ 300

DIE KUH ALS bOLLWERK GEGEN KEIME

Die Kuh als Bollwerk gegen Keime Wie bereits oben erwähnt, meinte ich in einem Gespräch zu Herrn Dr. Erich Sommerer aus Laakirchen, dass der Kontakt vor allem zur Kuh, wie ich gehört habe, bereits in der Kindheit den Menschen vor Allergien schütze. Meine Mutter, die Landärztin, war wohl daher auch daran interessiert, dass wir Kinder im Dreck und auf dem benachbarten Bauernhof spielten. Sie meinte, so würden wir gegen diverse Krankheiten immun. Herr Dr. Sommerer, der Tierarzt, meint, dass meine Mutter richtig gehandelt habe: „Die Kinder aus den dreckigsten Häusern waren immer die gesündesten Kinder. Je haglicher man ist, desto mehr Krankheiten bekommt man. Das dauernde Waschen ist sicher nicht gut. Es gibt Kinderärzte, die sagen, man solle die Kinder nur einmal in der Woche baden.“ Übrigens las ich einmal einen interessanten Artikel in der deutschen Zeitschrift „Der Spiegel“, der mit dem Titel „Bollwerk gegen Keime“ überschrieben war. In diesem heißt es unter anderem: „Der enge Kontakt mit Nutztieren hat den Menschen seit Jahrtausenden wie eine Infektionsbarriere vor Erregern geschützt. Das glaubt der US-Evolutionsbiologe Andy Dobson von der Princeton University (auch wenn Beispiele wie die Vogelgrippe seiner Theorie zu widersprechen scheinen). Kühe im Stall etwa wirken nach Ansicht des Forschers wie lebende Stechmückenfallen. Durch ihre hohe Kohlendioxidproduktion ziehen sie die Insekten förmlich an, die folglich auf sie und nicht auf den Menschen gefährliche Keime übertragen. Herdenbesitzer in Tansania machen sich diesen Umstand seit Langem zunutze: Sie halten sich bevorzugt in der Nähe ihrer Tiere auf, weil sie dann vor Ansteckungskrankheiten sicher sind. Selbst die Verehrung der Hindus für ihre ‚heiligen 301

der tierarzt als menschenarzt

Kühe‘ führt der Forscher auf diese Schutzwirkung zurück. Und auch mit der Liebe zum Hund hat es in seinen Augen eine spezielle Bewandtnis: ‚Einer der Hauptgründe, warum sie vom Menschen gehalten werden, ist ihre Eignung als Wachhund. Aber sie fressen auch gern Fäkalien und tragen dazu bei, dass es weniger Infektionen mit Hakenwürmern und anderen Plagegeistern rund ums Haus gibt“ (Der Spiegel, 31, November 2006). Tierärzte wie Herr Dr. Erich Sommerer sehen in solchen Überlegungen durchaus Richtiges. Der Tierarzt ist demnach jemand, der dem Menschen auch in dieser Richtung gut beraten und ihm die Bedeutung von Haustieren auch für seine Gesundheit klarmachen kann. Tierärzte eignen sich von ihrer Ausbildung her wohl auch dazu, wie oben erwähnt, menschliche Beschwerden, Gebrechlichkeiten und Notfälle zu behandeln, allerdings ist dies nicht ihre eigentliche Aufgabe. In gewisser Weise gleichen sie Kinderärzten, denn auch deren Patienten können es mitunter nicht ausdrücken, welche Beschwerden sie haben. Kinder- und Tierärzte dürften daher beide gute Diagnostiker sein. Es hat allerdings auch Tierärzte gegeben, wie den alten Dr. Obwexer in Matrei in Osttirol, der wohl aus kollegialen Gründen dem Landarzt keine Patienten wegnehmen wollte. In diesem Sinn interpretiere ich diese Aussage seines Sohnes Ingenieur Obwexer: „Oft sind Leute gekommen, um ein Medikament, um Salben und Einreibungen zu bekommen. Er hat sie weggeschickt und gesagt: ,Geht zu einem Arzt.‘ Er hat gesagt: ,Ich bin Tierarzt. Und wenn sonst etwas fehlt, geht zum Arzt.‘“

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Der Menschenarzt als Tierarzt – Der Neurochirurg als Geburtshelfer

Nicht nur Tierärzte werden als Ärzte für Menschen mitunter hinzugezogen. Es gibt auch Menschenärzte, also Humanmediziner, die gebeten werden, Tiere zu behandeln. So erging es bisweilen meinem Vater, dem Gemeindearzt von Spital am Pyhrn. Ich erinnere mich, dass man ihm Tiere zur Behandlung brachte oder dass er bei Krankenbesuchen von Bauersleuten ersucht wurde, Kühe oder Schweine anzusehen und diese zu kurieren. Er dürfte auch einmal geholfen haben, Ferkel zu kastrieren. Mein Vater, der Militärarzt war und vielen teils Verwundeten Gutes getan hat, dürfte auch während der Kriegsereignisse Tiere behandelt haben, wie er mir gegenüber einmal andeutete. Schwer verwundet wurde mein Vater von der russischen Front in ein Lazarett in die Lüneburger Heide gebracht. Meine Mutter besuchte ihn im letzten Kriegsjahr dort mit uns Buben. In dem Ort Wietzendorf hatten wir eine kleine Wohnung. Insgesamt blieben wir dort zwei Jahre. Meine Mutter war in Wietzendorf als Ärztin tätig. Auch mein Vater hielt sich in Wietzendorf auf, nachdem er aus dem Lazarett entlassen wurde. Einmal wurde, wie ich vor nicht allzu langer Zeit erfahren habe, ein Hund zu meinem Vater gebracht, der von einem Auto angefahren worden war. Mein Vater soll den verletzten Hund bestens behandelt haben. Bald sei er wieder gesund gewesen. Ich erinnere mich, dass unser Nachbar, der Schmied Lindermayr, der auch Bauer war, ein kleines Schwein, dem von der Muttersau eine Wunde zugefügt worden war, in die Ordination meines Vaters in Spital am Pyhrn brachte. Das junge 303

der Menschenarzt als tierarzt

Schwein lag auf dem Ordinationstisch, neben diesem stand der besorgt dreinschauende Schmied. Mit geübten Stichen nähte mein Vater kunstgerecht die Wunde des Ferkels. Der Schmied verließ zufrieden mit dem Ferkel die Ordination. Ich denke nicht, dass der Schmied für die Arbeit meines Vaters etwas bezahlt hat. Wahrscheinlich ließ unser Nachbar meinem Vater als Dank dafür einen Schweinsbraten zukommen oder ein paar Eier. Eine spannende Geschichte schrieb mir auf meine Bitte hin der bekannte Neurochirurg und Universitätsprofessor Dr. Gerhard Pendl nieder: „Etwa um 1984, als ich an der Universitätsklinik für Neurochirurgie in Kiel als Oberarzt tätig war, musste ich einen Bauern aus Meimersdorf, einem hübschen Dorf bei Kiel, wegen eines in der Zentralregion gelegenen Hirntumors operieren. Die Halbseitenlähmung wurde auch nach der Operation nicht besser, aber Herr E. Sch. konnte bald nach Hause entlassen werden. Daheim umsorgten ihn seine tüchtige Ehefrau, seine Tochter und sein Schwiegersohn. Bald nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wurde ich zu Hause, um Mitternacht, angerufen. Mein Patient Herr Sch. war am Apparat und bat mich in seinem plattdeutschen Dialekt, einer Kuh bei der Geburt zu helfen: ‚De Kau kunn nich kalben! Kümm man gau vorby!‘ [Die Kuh kann nicht kalben, komm schnell vorbei!] Auf meinen Einwand hin, ich sei weder Tierarzt noch Geburtshelfer, meinte der schlaue Bauer, wenn ich im Hirn operieren könne, dann müsste doch eine Geburt für mich ganz einfach sein. Ein Tierarzt war nicht zu erreichen und die Tochter und der Schwiegersohn waren auf einer Hochzeit in Nordfriesland, also weit weg. Da ich als Schüler in Breitbrunn bei Hörsching am Hof eines Klassenkameraden Geburten bei Kühen gesehen und dabei mitgeholfen habe, dachte ich, vielleicht doch helfen zu können. Ich 304

der Menschenarzt als tierarzt

fuhr also los zum Hof des Bauern in Meimersdorf. Meine Frau, die etwas von diesem Gespräch mitbekommen hatte, schalt mich einen Narren. In Meimersdorf im Stall lag die Kuh und brüllte. Ich krempelte meine Hemdsärmel hoch und fuhr mit dem Arm fast bis zur Achsel in die Kuh hinein, wobei ich hinter ihr im Stroh lag. Ich suchte Maul und Haxen des Kalbes. Es war eine Steißlage! Da muss zunächst gewendet werden, dann das Maul am Unterkiefer vorziehen, die Beinchen ebenso, einen Strick darum und mit der von der Bäuerin schon vorbereiteten Ratsche langsam das Kalb herausziehen – und plumps, da lag es schon im Stroh und die Mutterkuh war auch schon auf den Beinen und beäugte stumm das Kalb. Nun, beide blieben gesund, nur das Kalb wurde bald darauf geschlachtet. [Wer den Film ‚City Slickers‘ gesehen hat, weiß, wie traurig ich nun war.] Ich habe später in Nordfriesland und in den Rocky Mountains, auf der McGarry-Ranch, je ein Kalb auf die Welt gebracht. Ich war nach Jahren wieder auf Besuch in Meimersdorf mit seinen Strohdächern und Storchennestern, einem Teich im Zentrum mit Gänsen und Enten. Da habe ich mit Frau Sch. einen ‚Klaren‘ [Schnaps] genommen. Nun ist Kiel nach zwanzig Jahren hineingewachsen in die Idylle, die Höfe zum Teil abgerissen, zum Teil fesche Einfamilienhäuser errichtet. Kleinindustrie ist vorhanden. Aber kein Stall mehr und auch keine kalbenden Kühe, die Burnslüd [Bauersleute] Sch. sind gestorben und die Tochter und ihr Mann haben sich neu eingekauft in Nordfriesland in der Marsch.“ Diese schöne Geschichte macht auch den Wandel der alten Bauernkultur, wie ich ihn schon beschrieben habe, deutlich. Alte Bauerngegenden verschwinden und die Menschen werden zu Stadtbewohnern. 305

Die Frau des Landtierarztes

Der alte Tierarzt gehörte zu den angesehenen Leuten im Dorf. Ein Tierarzt meinte allerdings, dass seine Frau bei den Bauern noch mehr Ansehen genossen habe als er, denn sie war es, die die Anrufe entgegennahm, die Medikamente ausgab, die ihrem Mann bisweilen bei Operationen half und die Leute tröstete, wenn es der Kuh schlecht ging. Es konnte auch sein, dass der Bauer zur Frau des Tierarztes höflicher war als zum Tierarzt selbst. Für den alten Landtierarzt ist seine Ehefrau von großer Bedeutung für seine Arbeit. In meinen Gesprächen wurde mir klar, dass der Landtierarzt ohne seine Frau seine Praxis nicht in der von ihm angestrebten Weise hätte führen können. Die Frauen boten dem Tierarzt die Basis, um seinen Beruf auch entsprechend ausführen zu können. In schönen Worten denkt darüber der Tierarzt Dr. Dietrich Wagner aus Judenburg nach, er ist heute um die fünfundachtzig Jahre alt: „Meine Frau war meine große Liebe, leider ist sie vor ein paar Jahren gestorben. Unsere Ehe war eine sehr gute Ehe. Ich habe es nie bereut und sie vermutlich auch nie. Das ist ganz wesentlich: Eine Hauptarbeit von der ganzen Geschichte hat meine Frau geleistet. Sie hat Telefondienste und Funkdienste geleistet, sie hat mir bei jeder Operation geholfen – egal, wann das war. Auch um zwei Uhr in der Nacht. Die hat mir immer assistiert. Ohne meine Frau wäre das alles nicht gegangen. Ich war noch ein junger Bursch, da habe ich meine Frau auf einem Schilift kennengelernt, sie war noch Studentin. Ich habe sie gefragt, was sie studiere, sie hat gesagt: ‚Mathematik.‘ Dann habe ich gesagt: ‚Meine Hochach306

die frau des landtierarztes

tung.‘ Ich war kein guter Mathematiker. Ich habe ihr gesagt, ich studiere Medizin. Dann hat sie gesagt: ‚Judenburg braucht noch einen Tierarzt.‘ Sie war es schließlich, die mich bewogen hat, Tiermedizin zu studieren. Der Vater eines Kollegen war Tierarzt, dem ist es nicht schlecht gegangen, er war gut situiert, hat ein Haus gehabt und ein Auto. Der war mein Vorbild. Ich habe mir gedacht: Ich wähle einen Beruf, durch den ich auch in schlechten Zeiten immer etwas zu essen habe, aber ebenso in guten Zeiten. Ich habe also Tiermedizin studiert und habe dann als Landtierarzt gut verdient. Ich hatte keine Ahnung, dass man als Tierarzt viel verdienen kann, aber man muss fleißig sein. Das hat sich ergeben. Ohne meine Frau wäre das alles nicht möglich gewesen.“ Ähnlich äußerten sich auch andere Landtierärzte, die in ihren Frauen hervorragende Mitarbeiterinnen und Assistentinnen sahen. Auch Klaus Zechner, der Sohn des früheren Tierarztes von Viehdorf, sieht in seiner Mutter eine wichtige Stütze für seinen Vater. Er erzählt dazu eine schöne Geschichte: „Einmal war eine infektiöse Sache im Maul einer Kuh zu operieren. Der Sohn des Bauern, ein stämmiger Bursch, hat die Kuh gehalten. Der Vater hat die Stelle vereist, und wie er den ersten Schnitt macht und Blut gekommen ist, ist der Bursch umgefallen und war bewusstlos, weil er kein Blut sehen konnte. Daraufhin hat meine Mutter, die auch dabei war, die Kuh gehalten, weil der Bursch ja ohnmächtig auf dem Boden gelegen ist. Damals war meine Mutter noch ein zartes Persönchen mit ungefähr vierundzwanzig Jahren.“ Der Bauerntierarzt Staudinger aus der Oststeiermark betonte in dem mit ihm geführten Gespräch ausdrücklich: „Meine Frau war Tag und Nacht mit mir – zum Beispiel, wenn ich einen Kaiserschnitt bei einem Schwein zu machen hatte. Sie ist eine Bauerntochter aus der Gegend. Wir haben einiges miteinander gemacht.“ 307

die frau des landtierarztes

Dr. Volker Werner-Tutschku aus Sattledt hat Glück, mit einer Tierärztin verheiratet zu sein, er hält fest: „Es war ein Glück, dass meine Frau Tierärztin ist, sie hat mich in meiner Arbeit gut verstanden. Wenn man nicht mit einer Tierärztin verheiratet ist, kann es sein, dass die Frau wenig Verständnis für den schwierigen Beruf eines Tierarztes hat. Man kann auch Pech haben mit der Frau. Ich kannte den Tierarzt Doktor V. von Bruck an der Glocknerstraße. Bei ihm habe ich, bevor ich verheiratet war, in den fünfziger Jahren praktiziert. Er war sehr bedächtig. Er war eingerückt im Krieg und hat spät geheiratet, und zwar eine Hotelbesitzerin in Zell am See. Er war ein recht ruhiger Mensch. Ich erinnere mich, dass er einmal bei einem Bauern war. Während er mit ihm sprach, hat seine Frau bei dem Bauern angerufen und sich aufgeregt, dass er nicht heimkomme. In diesem Moment ist er zornig geworden, so habe ich ihn bis dahin noch nie gesehen, und hat in das Telefon geschrien: ‚Jetzt gewöhne dich endlich daran, dass du mit einem Tierarzt verheiratet bist.‘ Dann hat er den Hörer auf die Gabel des Telefons gehauen. Da habe ich mir gedacht, da heirate ich gleich eine Tierärztin.“ Obwohl seine Frau keine Tierärztin ist, ist Dr. Willi Lechner aus Molln mit seiner Frau zufrieden, schließlich war sie es, die da­ rauf achtete, dass er auch immer richtig von Krankenbesuchen und Ähnlichem informiert wird. Gusti, eine großartige Frau, hat sich voll für ihren Mann eingesetzt: „Ich habe meinem Mann in der ersten Zeit die für ihn wichtigen Informationen in den Wirtshäusern, an denen er bei seinen Krankenbesuchen vorbeigekommen ist, hinterlegt. Nachher haben wir ein Funkgerät bekommen. Ich musste immer da sein und musste in den Gasthäusern anrufen, in denen es ein Telefon gegeben hat. Dort hat mein Mann regelmäßig nachgefragt, was nun noch zu tun sei. Ich musste für die Leute da 308

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sein und mich bei den Medikamenten auskennen. Gewisse Sachen musste ich machen, wenn er nicht da war. Ich habe zum Beispiel einmal einem Hund das Leben gerettet. In einem Stacheldraht hatte er sich die Halsschlagader aufgerissen. Der Hund gehörte einer Frau und ihrer Tochter, die in Windischgarsten ihren Urlaub verbracht haben. Wie sie den Hund gebracht haben, war er schon bewusstlos, das Blut ist herausgespritzt. Ich habe den Hund versorgt. Der Hund hat überlebt. Aus Dankbarkeit habe ich dafür zu Weihnachten ein Buch bekommen. Drinnen ist gestanden: ‚Von Florian.‘ Mein Mann hat gefragt: ‚Du kennst einen Florian?‘ Ich habe gesagt: ‚Ich kenne keinen Florian.‘ Dann bin ich draufgekommen, dass der Hund, den ich gerettet habe, so geheißen hat. Das Buch habe ich also als Dank bekommen, von einer Doktorin, die beim Film gearbeitet hat, von einer Kapazität. Das hat mich wirklich gefreut, sogar ein Foto von dem Hund, einem Foxterrier, hat sie in das Buch gegeben.“ Frau Gusti Lechner zeigt mir stolz das Buch mit Widmung und Foto. In diesem steht. „Alles Liebe zu Weihnachten und ein gutes Jahr 1977. Danke für die liebevolle Behandlung meines Halses. Von Florian.“ Einmal kam eine Bauernmagd mit ihrem Hund, der hatte sich eine Schraube eingetreten. Er hatte furchtbare Schmerzen gehabt. Die Schraube habe ich, da mein Mann Willi weg war, herausoperiert und dann habe ich die Wunde genäht. Die Magd hat gefragt, was sie schuldig sei. Ich sagte: ‚Nichts.‘ Der Hund war gesund, das war mir wichtig. Zwei Tage später ist auf der Stiege unseres Hauses ein Korb voller Eier gestanden.“ Dr. Willi Lechner meint, bevor ich gehe: „Wenn ein Tierarzt und auch ein Arzt nicht die richtige Frau haben, ist er schon erschossen.“ Eine gute Frau gehörte zum Leben des alten Landtierarztes. 309

Die Kleintierpraxis auf dem Land

Der alte Landtierarzt hat sich vorrangig mit dem Großtier abgegeben. Man erzählte mir, wohl die meisten Bauern hätten sich früher geniert, den Tierarzt darum zu bitten, ihren Hund oder ihre Katze zu behandeln. Waren Hund oder Katze krank, so hat man sie meist erschossen. Dies ist heute nicht mehr so. Auch am Land gibt es inzwischen Tierärzte, die sich vorrangig um Kleintiere kümmern. Früher lief die Behandlung vor allem der Hunde nur nebenbei. Dies schildert mir Dr. Gernot Werner Tutschku, der eine perfekt eingerichtete Kleintierpraxis in Sattledt besitzt, aufgrund seiner eigenen Beobachtung am Beispiel seines Vaters, des alten Landtierarztes: „Vor Jahren ist ein Bauer gekommen, auf seinem Traktor hatte er eine Sausteige aus Holz aufgeladen gehabt. In dieser Holzsteige war Stroh drinnen. Der Bauer hat den Vater geholt, beide sind zur Holzsteige gegangen. Der Bauer hat gesagt: ‚In der Steige ist ein Hund, der am Rücken einen großen Tippel, eine große Eiterbeule hat.‘ Mein Vater macht die Sausteige auf, mit einem schnellen Griff schnappt er den Hund am Genick und schneidet in den Kindskopf großen Tippel hinein, worauf ein gelbgrüner Eiter über den Rücken des Hundes auf beiden Seiten geronnen ist. Das war sicher ein Liter Eiter. Mein Vater haut dann den Deckel auf die Sausteige und sagt zum Bauer: ‚Passt schon, dreißig Schilling!‘ Und der Hund war gesund. Wenn man das in die heutige Zeit übersetzt: Der Hund kommt in die Tierklinik. Da wird zuerst ein Blutbild gemacht, anschließend vielleicht eine Vollnarkose, dann wird das Geschwür operiert, gespült und ein Schmerzmittel bekommt der Hund, und auch Antibiotika. Die ganze Geschichte kostet heute 310

die kleintierpraxis auf dem land

mindestens zweihundertfünfzig Euro.“ Der alte Landtierarzt Dr. Volker Werner-Tutschku erzählt dazu noch dies: „Ich war einer der Ersten, der Hunde behandelt hat. Ich war kein Spezialist, ich war auch nicht danach eingerichtet. Ich kann mich noch erinnern: Ein Bauer kommt zu mir mit seinem Hund und entschuldigt sich vielmals, dass er den Hund bringt, aber dieser breche so viel. Seine Kinder hätten ihn gebeten, mit dem Hund zum Tierarzt zu fahren! Daher sei er gekommen. Der Hund hat tatsächlich einen Darmverschluss durch eine Kastanie gehabt. Ich habe den Hund dann in der kleinen Wohnung auf dem Küchentisch operiert. Die Kastanie habe ich herausgegeben. Das war meine erste größere Kleintieroperation. Der Hund hat überlebt, ich habe alles schön vernäht. Narkotisiert haben wir damals schon mit einem Mittel aus der Humanmedizin, das musste intravenös gespritzt werden, das war eine gute Narkose. Wenn man dem Hund aber zu viel gibt, ist er hin. Man hat schon genau dosieren müssen.“ Heute hat der Sohn von Dr. Gernot Werner-Tutschku in Sattledt eine nach dem neuesten Stand eingerichtete Ordination. Gernot führt mich durch die Ordination, sogar eine Röhre gibt es, in der Hunde gescannt werden können. Eben wurde ein großer Hund behandelt. Die Praxis ist im ganzen Land bekannt, von weit her kommen die Patienten. Gernot erzählt dazu: „Die Praxis meines Vaters hier war eine reine Großtierpraxis. Früher waren Großtiere die Nummer eins. Kleintiere haben höchstens in Wien eine Rolle gespielt, aber sonst nicht. Über Kleintiere habe ich mir in Wien viel angeschaut. Weil ich mir gedacht habe, das kann ich daheim nicht lernen, denn der Vater hatte es nur mit Großtieren zu tun. Ich kam dann hierher und habe zunächst in der Großtierpraxis ganz normal arbeiten müssen. Mein Vater hat aber gesehen, dass ich einen Hang zu den 311

die kleintierpraxis auf dem land

Kleintieren habe. Hie und da hat sich doch ein Hund oder eine Katze hierher verirrt. Wir hatten einen großen Raum. Hinten sind die Fadeln [Schweineferkel] operiert worden. Wenn jemand mit einer Katze gekommen ist, haben die Bauern ihn ausgelacht und haben gesagt: ‚Was willst du denn mit deiner Katze?‘ Das war für mich eine Katastrophe. Ich habe mir gedacht, so kann das nicht weitergehen. Da hat der Vater gesagt: ‚Kleintiere ist eh nichts, aber damit du dableibst, baue ich dir ein Zimmer.‘ Und er hat mir aus Gipsplatten ein Zimmer hergestellt. Ich habe nun drei Quadratmeter gehabt. So habe ich mit den Kleintieren begonnen. Die Leute sind immer wieder gekommen. Die ersten zehn Jahre ist es langsam gegangen. Die Mentalität war, für einen Hund oder eine Katze gibt man kein Geld aus. Das war so. Wenn es einem solchen Vieh schlecht ging, holte man einen Jäger, der es erschießt. Ich kann mich gut erinnern, wie ein Bauer aus Sippachzell mit einem Erdäpfelsack kommt. Er nimmt den und haut ihn auf den Tisch. In diesem sind drei Katzen drinnen gewesen, halbtote. Er hat gesagt: ‚Mir werden alle Katzen hin. Jetzt macht da etwas.‘ Interessant ist: die Häusl-Leute [Kleinhäusler] sind bald einmal mit Katzen und Hunden kommen. Für einen Bauern war es eine Schande, mit einer Katze oder einem Hund zum Tierarzt zu kommen. Wenn ein Bauer mit einer Katze oder einem Hund gekommen ist, war es seine Ausrede: ‚Ich würde die Katze oder den Hund erschlagen, aber wegen der Kinder mache ich es nicht.‘ Ich habe also zuerst ab 1986 neben Großtieren auch Kleintiere gemacht. Doch die Kleintiere sind immer mehr geworden. Wir haben viel diskutiert darüber, ob ich eine reine Kleintierpraxis aufmachen soll, ob ich mich also auf die faule Haut legen und jetzt nur mehr Kleintiere machen kann. Jetzt sind wir sechs Kleintierärzte, die wir hier in der Praxis arbeiten. Früher hat mein Vater gesagt: ‚Wegen der Lage da kannst 312

die kleintierpraxis auf dem land

du das vergessen, man kann nicht leben von einer Kleintierpraxis.‘ Jetzt ist die Lage eine Sensation, denn unsere Ordinationen liegen am Autobahndreieck. Ich habe schon bald angefangen und das getan, was die anderen nicht wollen. Ich habe Papageien, Reptilien und so exotische Tiere, die kein anderer angerührt hat, behandelt. Das war eine Marktlücke. Wir haben gemacht, was die anderen nicht freut. Wir haben Samstag und Sonntag offen gehabt. Der normale Landpraktiker, der noch alles macht, der will auch einmal für seine Familie Zeit haben. Die Leute wollen für die Tiere die gleichen Ordinationszeiten wie die Menschen bei ihrem Hausarzt. Dackellähmungen operieren wir hier auch. Der Punzet in Wien war einer der ersten, der damit angefangen hat. Der hat gute Operationsmethoden entwickelt. Der hat viele Operationen gemacht. Er war ein guter Tierarzt. Auf der Chirurgie haben sie ständig, wie ich dort studiert habe, vom Punzet geredet und wie der es gemacht hat. Der Punzet muss eine unglaubliche Koryphäe gewesen sein.“ Ich erzähle, dass Herr Dr. Punzet unseren Dackel Waldi bestens operiert hat, wir haben auch jetzt wieder eine Dackeldame, die bestens von Herrn Dipl.-Tierarzt Peter Rippel betreut wird. Gernot meint: „Ein Dackel hat Charakter. Meine Schwiegereltern haben einen Dackel gehabt. Wenn ich gekommen bin, ist er von seinem Platz weggegangen. Selbst wenn ich ihm ein Fleischstück hingehalten habe, hat er es nicht genommen. Der hat Stil gehabt.“ Über seine Kleintierpraxis und die Lösung von seinem Vater fügt Gernot noch hinzu: „Ich habe mich also in diese Richtung entwickelt, sonst wäre ich nur im Windschatten des Vaters gewesen. Mein Vater hat mich immer geschulmeistert. Bei den Kleintieren hat er es ein einziges Mal gemacht. Das war bei einer Katze, die sehr wild war. Wir sind so dagestanden, die Assistentin und ich, keiner hat sich getraut, 313

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sie anzugreifen. Der Vater ist gekommen und hat gefragt, was wir da so deppert täten, schleicht sich von hinten an die Katze und packt die Katze am Genick, hebt sie auf, er hat sie aber nicht exakt erwischt. Die Katze dreht sich um und beißt ihn in die Hand. Das war das letzte Mal, dass mir der Vater etwas dreingeredet hat. Er ist drei Tage mit einem großen Verband herumgelaufen. Seitdem habe ich mich eigenständig entwickelt. Unsere Klinik hat sich zu einer Hightech-Klinik entwickelt. Es gibt aber noch andere Tierkliniken in Oberösterreich, die gut sind. Wir machen sogar Zahnbehandlungen bei Hunden. Wir operieren hier zu zweit – nach den Kriterien der Humanmedizin. Man muss die Tiere genauso operieren wie einen Menschen, wegen der Gefahr einer Infektion. Heute kommen auch die Bauern mit ihren Kleintieren. Früher haben sie sich geschämt, heute kommen sie mit Selbstbewusstsein und sagen, dass das ihr Hund sei und sie gäben auch Geld für ihn aus, wenn es sein müsse. Auch bei den Jägern hat sich etwas geändert. Der Jäger hat früher für seinen Hund fast kein Geld ausgegeben, lediglich für die diversen Schutzimpfungen. Das ist schon zehn Jahre her. Mittlerweile schauen die Jäger sehr auf ihre Hunde.“ Gernot erzählt noch: „Seit ich mich erinnern kann, wollte ich immer schon Tierarzt werden. Ich bin gerne dabeigestanden, wenn der Vater die Tiere behandelt hat.“

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Alte Heilmethoden und frühe Heiler

Für ihre Nutztiere, wie Pferde, Kühe und Schweine, haben die alten Bauern Methoden, auch magische, entwickelt, um ihre Tiere auch ohne ärztliche Hilfe heilen zu können, oder sie setzten ihre alten Praktiken begleitend zur tierärztlichen Therapie ein. Darauf ist nun schlaglichtartig einzugehen.

Alter Pferdezauber und bäuerliches Heilen von Pferden Historisch sind es wohl die Pferde, um die sich Bauern, Fuhrwerksleute und Militaristen besonders bemühten. Denn vom Wohl des Pferdes hing viel ab. Schließlich waren die Eroberungen in der Antike erst mithilfe von Pferden möglich. Im vierten Jahrhundert vor Christus gelangten die Soldaten Alexanders des Großen auf dem Rücken ihrer Pferde bis nach Indien. Schon früh hat man versucht, Krankheiten der Pferde mit allerhand Heilmitteln oder auch durch Magie zu behandeln. In dem berühmten zweiten Merseburger Zauberspruch, der übrigens 1842 das erste Mal von den Brüdern Grimm veröffentlicht wurde, er dürfte aus der Zeit des zehnten Jahrhunderts nach Christus stammen, geht es um die Heilung des verletzten Fußes eines Pferdes. In diesem althochdeutschen Spruch heißt es: sose benrenki, sose bluotrenki, sose lidirenki: ben zi bena, 315

alte Heilmethoden und frühe heiler

bluot zi bluoda, lid zi geliden, sose gelimida sin. (Sei es Knochenverrenkung, sei es Blutverrenkung, sei es Gliedverrenkung: Knochen zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu Gliedern, so seien sie fest gefügt.) Es ist übrigens interessant, dass sich ein ähnlicher Spruch in der indischen Atharvaveda, der in Sanskrit verfassten heiligen Textsammlung des Hinduismus aus der Zeit um ungefähr 500 vor Christus findet. Dort ist in der Übersetzung zu lesen: „Dein Knochenmark vereinige sich mit Knochenmark, mit dem Gelenk das Gelenk …“ (Siehe dazu: „Älteste Indische Dichtung und Prosa“, Hg. Klaus Mylius, Wiesbaden, o.J., S. 84). Es kann sein, dass hier alte indogermanische Wurzeln bestehen. Es wird also Magie, bei den Bauern sagt man „Anbrauchen“ (siehe unten), eingesetzt, um das Tier zu heilen, das durch Jahrtausende hindurch dem Menschen das wichtigste Tier war. In der alten bäuerlichen Welt entwickelten sich wahrscheinlich schon früh Heilmethoden für das Pferd. Auf solche Heilmethoden geht auch mein Freund Mag. Gottfried Uray in seiner Diplomarbeit in der Gerschichtswissehnschaft „Pferdekrankheiten und Bauernsprache“ von 1969 ein. Aus dieser schönen Arbeit, die sich vor allem auf die Bauern des Ennstales bezieht, möchte ich hier beispielhaft ein paar Rezepte gegen Pferdekrankheiten wiedergeben. So heißt es etwa, dass bei „Dampf“, einer besonders langwierige Atmungskrankheit 316

fORSCHUNG BEI DEN lANDLERN IN rUMÄNIEN

des Pferdes, der Geruch eines Geißbockes lindernd wirken soll. Bei „Vernageln“, das heißt bei Verletzung des Fußes eines Pferdes durch Hufbeschlag, sollen tägliche Umschläge mit Kuhmist helfen. „Blähen“, das sind Erweiterungen der Sehnenscheiden, die durch Überanstrengung entstehen, werden mit Lehm und Urin behandelt. Bei Lungenentzündung wird das Pferd durch Umschläge mit Tüchern, die in Salzwasser und Essig getränkt wurden, zum Schwitzen gebracht. Dann wird es gründlich abgerieben und mit einem Trank aus Wermut und Kamille gestärkt. Bei Koliken, also bei Schmerzen im Bauchraum, helfen warme Bauchumschläge, Abreibungen und Klistiere aus Leinsamen, Kamillen, Leinöl und Salz. Soweit ein paar Hinweise auf alte Heilmethoden, die die Bauern bis in die fünfziger Jahre einsetzten, um Pferde von ihren Krankheiten zu heilen.

Forschung bei den Landlern in Rumänien Alte Heilmethoden konnte ich bei den Nachfahren der Bauern, den sogenannten Landlern, erfahren, die im 18. Jahrhundert wegen ihres Glaubens nach Siebenbürgen im heutigen Rumänien verbannt wurden. Wenn ich in Großpold, einem alten Landlerdorf, bin, so wohne ich bei Anneliese und Andreas Pitter. Sie sind echte autarke Kleinbauern mit zwei Kühen, zwei Schweinen, einem schönen Garten, Wiesen, einem Weingarten und einem Acker. Die Kühe sind für die Kleinbauern sehr wichtig. Jeden Tag während des Sommers, werden die Kühe des Dorfes vom Dorfhirten auf eine Wiese geführt. Ich sprach mit Anneliese über ihr Vieh und die gesundheitlichen Probleme von diesen. Sie schrieb auf meine Bitte mir dies nieder: „Es war vor vielen Jahren, zur Zeit des Kommunismus. Ich war schon verheiratet. Ich bin um Futter für die Kuh gefahren, die Kuh 317

alte Heilmethoden und frühe heiler

war in das Wägelchen eingespannt, es war eine schöne Simmentaler Kuh. Ich ging neben der Kuh. Bis das Wägelchen aufgeladen war, fraß die Kuh jung gewachsene Luzerne [eine Art Hülsenfrucht]. Da bemerkte ich, dass die Kuh satt ist. Mein Mann Andreas, der in der Nähe war, und ich haben die Kuh eingespannt und ich machte mich auf den Weg. Da bemerkte ich, wie die Hungerlücke der Kuh immer mehr sich wölbte, mir wurde angst und bang. Andreas war mit dem Traktor bereits hier, er holte vom Kollektiv einen Tierassistenten. Der kam und wir stellten die Kuh mit den Vorderfüßen auf einen Schotterhaufen und haben ihr Kalkwasser eingeschüttet. Dieses Kalkwasser hatten wir aus einer Kalkgrube, in der Kalk bei einem Bauern gelöscht wird. Mit dem Wasser wird der Kalk bedeckt, damit er nicht austrocknet. Dieses Kalkwasser haben wir der Kuh eingeschüttet. Dann haben wir der Kuh noch einen nassen Sack quer über den Rücken gelegt, welchen wir immer wieder mit Wasser nass gehalten haben. Es dauerte lange und wir hatten Zweifel, ob es die Kuh schaffen würde oder nicht. Es wäre für uns ein harter Verlust gewesen, wenn die Kuh eingegangen wäre. Nach Stunden bangen Wartens ging es [die Blähung] dann zurück und wir konnten aufatmen. Irgendwie entstehen Gase im Bauch der Kuh von frischem Klee und Luzerne, aber von Gras nicht. Von nun an waren wir vorsichtiger. Wenn alles nichts hilft, dann muss der Tierarzt her und muss mit einem dafür geeigneten Instrument der Kuh in den Bauch stechen, damit die Gase entweichen. Wir kennen nur den rumänischen Ausdruck für dieses Instrument, es heißt ‚trocar‘.“

Heilende Kräuter Noch etwas schreibt Anneliese: „Im vergangenen Jahr hatten wir einen Kuhhirten, der ließ die Kuh grüne Äpfel fressen. Die Äpfel 318

HEILENDE kRÄUTER

schaden der Kuh ja nicht, aber mit Maß. Im Spätherbst ließ er sie wieder Äpfel, Fallobst, fressen, jeden Tag. Das bekam der Kuh ganz schlecht. Der Tierarzt meinte, er müsse uns die Wahrheit sagen, er wüsste nicht, ob er die Kuh retten könne. Wir sollten der Kuh Tee von Eichenrinden einschütten. Da haben wie bei Gheorge [Landarbeiter der Pitters] angerufen, er soll uns Eichenrinde bringen. Er hat sie uns gleich gebracht. Davon haben wir fünf Liter Tee gekocht und diesen der Kuh eingeschüttet. Nach dreimaligem Wiederholen konnte die Kuh gerettet werden. Wenn eine Kuh Durchfall hat, geben wir ihr Ochsenzunge [eine krautartige Pflanze], und zwar den Samen, den wir von den Stängeln lösen und den wir der Kuh mit Kleie füttern. Oder wir kochen einen Tee aus Ochsenzungen, den wir der Kuh einschütten.“ Aber auch über Schweine schreibt Anneliese: „Mit den Schweinen ist es so eine Sache. Bei Verstopfung haben wir ihnen das Salzige vom Speck gekocht und haben ihnen das eingegeben. Damit war die Sache meistens erledigt. Viel Knoblauch haben wir ihnen in den Kübel gegeben, damit sie Appetit bekommen und keine Würmer haben. Wenn die Ferkel Durchfall haben, füttern wir Gerste. Wenn der Durchfall besonders arg ist, dann rösten wir die Gerste auf einem Blech auf dem Ofen. Sie fressen das nicht gleich, aber wenn sie nichts anderes erhalten, fressen sie es und werden geheilt.“ Der Frau Anneliese Pitter sei gedankt für diese Ausführungen, sie verweisen auf alte bäuerliche Methoden des Heilens auf dem Bauernhof. Über alte Heilmethoden sprach ich auch mit Frau Edith Walder in Sillian in Osttirol. Sie stammt, ebenso wie ihr Mann Hermann, aus einer alten Bergbauernwelt. Auf meine Bitte hin schrieb sie mir ein paar alte erprobte Rezepte für die bäuerlichen Tiere auf: „Rezept bei Entzündung des Euters der Kuh: Bei Euterentzün319

alte Heilmethoden und frühe heiler

dung nahm man früher Schweinefett [vom ausgelassenen Schweinefilz], dazu geriebene Meisterwurz [krautartige Pflanze in den Alpen] und Salz. Mit dieser Paste rieb man öfter den Euter ein. Ein Rezept bei Vergiftungen: Haben Mensch oder Tier etwas Giftiges gegessen, so gab man eine Hinfangessenz [eine grüne Flüssigkeit aus verschiedenen Kräutern wie Bärlauch u. Ä.], damit es zum Erbrechen kommt. Ein Rezept für Jungtiere: Waren Jungtiere nach einer schweren Geburt kraftlos und rührten sich nicht, rieb man sie mit Alkohol ein, um die Lebensgeister zu wecken. Ein Rezept bei Unfruchtbarkeit und Abmagerung: Bei Unfruchtbarkeit oder auch bei großer Abmagerung gab man dem Vieh eine Bärlapp-Tinktur [Bärlapp: eine Art Moos] aufs Brot, zehn bis fünfzehn Tropfen täglich. Dies war ein ausgezeichnetes und bewährtes Mittel. Ein Rezept gegen geschwollene Glieder: In Bier gesottene Bockwurz [genannt auch Bibernelle] half bei geschwollenen Gliedern. Man gab zweimal am Tag zirka einen halben Liter davon dem Vieh. Dies wiederholte man bis zur Heilung. Ein Rezept gegen Koliken: Bei Koliken und Überfütterung gab man sofort Enzianpulver. Ein Rezept bei Ausschlägen: Knoblauchsalbe half bei Räude und Ausschlägen. Ein Rezept gegen Husten: Bei Husten und Schleimabsonderung gab man den Tieren Isländisches Moos. Pferden gab man hundert Gramm davon. Ziegen und anderen Kleintieren entsprechend weniger. Ein Rezept gegen Durchfall: Haben Pferde Durchfall, wird Frauenmantelkraut gesotten. Den Absud gibt man dem Pferd lauwarm zu saufen. Es half auch Roggen, den man in einer Pfanne 320

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geröstet hat und den man mit gleich viel Hafer vermischt.“ Der Ehemann von Edith und Hermann Walder, beide sind großartige Kräuterspezialisten, erzählt mir einiges über Kräuter und ihren Einsatz bei der Heilung von Tierkrankheiten: „Wenn die Nachgeburt bei einer Kuh sich nicht gelöst hat, hat man Linsert [Leinsamen] gegeben oder Rosenblatttee. Wenn man Leinsamen der Kuh vor der Geburt gibt, erfolgt die Geburt leichter. Wenn es schwer gegangen ist bei der Geburt, hat man einen Leinsamenschleim gekocht, den hat man hinten bei der Kuh hineingetan, damit das Kalb leichter herauskommt.“ Über alte Heilmethoden sprach ich auch mit meinem alten Freund Erwin Degelsegger, dem früheren Bauern und Wildschützen in Oberweng bei Spital am Pyhrn. Er erzählt mir: „Bei Scheißerei, also Durchfall, gab man den Kühen getrocknete Scheißpletschen, die man unter das Heu mischte. Diese Pletschen wuchsen und wachsen auf den Wiesen, dort, wo viel gedüngt wurde. Früher kamen die Bauern auch ohne Tierärzte aus. Der Tierarzt kam nur zweimal im Jahr zum Bauern. Das eine Mal impfte er vor allem das Almvieh gegen Rauschbrand. Drei Wochen, bevor die Stute das Fohlen zur Welt brachte, wurde sie ebenso geimpft, und zwar gegen Schintergrippe. Also gegen eine Krankheit, die tödlich endet, wodurch das Ross zum Schinter (Tierkadaverentsorger) kam. Mein Freund Professor Johann Schleich aus der Steiermark wies mich auf den Rossbauern Rudolf Baumann hin. Baumann ist aus dem kleinen Dorf Thien im Bezirk Feldbach in der Steiermark. Dieser 1941 geborene Bauer hat großes Wissen auf dem Gebiet der Heilung von erkrankten Pferden, also Rössern. Johann Schleich sprach mit Herrn Baumann. Aus diesem Gespräch gebe ich diese hier passende Passage wieder: „Waren die Rösser krank, da hatten 321

alte Heilmethoden und frühe heiler

wir verschiedene Hausmittel zur Anwendung bereit. Bei Koliken wurde Knoblauch und Schnaps auf ein Stück Brot gegeben und dem Ross zu fressen gegeben. Damit sich das Ross nicht auf dem Boden kugelt [wälzt], wurde es herumgetrieben. War ein Ross verkühlt, es hatte die ‚Kehln‘, wurde in das Wasser reines Roggenmehl eingesprudelt. Im Winter legte man zum Aufwärmen des Wassers einen auf der Herdplatte heiß gemachten Grießstein [Kieselstein] in das Wasser, das dann das Ross zu trinken bekam. Ebenfalls bei der ‚Kehln‘ kamen getrocknete Heublumen in warmes Wasser. Dann wurde ein Leinensack damit angefeuchtet und dieser dem Ross so auf den Kopf gebunden, dass es die Luft durch den Heublumensack einatmen musste. Bei der Kropfkehln war der Hals geschwollen und Eiter rann ab. Da gaben wir einen Polster um den Hals, damit der Eiter dort abrinnen konnte.“ Die alten Landtierärzte dürften gewisse Sympathien für das Heilen mit Kräutern und Ähnlichem gehabt haben. Dies deutet auch Dr. Orator aus Windischgarsten an, der in den fünfziger Jahren bei einem Schweizer Tierarzt gearbeitet hat: „Er hatte aber eine Therapie von anno Schnee. Mit Pulvern und Kräutern und mit allem Möglichen hat er therapiert. Ich hatte natürlich gelernt, mit Penicillin und Antibiotika zu arbeiten. Er hat zu mir gesagt: ‚Hören Sie mir auf, mit den teuren Präparaten. Wir haben so gute alte Schweizer Präparate.‘ Ich kann mich an das Zeug nicht mehr erinnern. Diagnostisch war er einmalig. Er war unglaublich gescheit und hat alles richtig erkannt. Aber therapiert hat er unter aller Kanone. Die Tiere haben überlebt, im Engadin sind die Kühe zäh, sie sind einiges gewöhnt!“

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DIE ALTEN bAUERNÄRZTE

Die alten Bauernärzte – die Viechdoktoren Die alten Viechdoktoren, zu denen auch die Beineinrichter gehörten, waren früher weit verbreitet. Sie waren meist Bauern, sie hatten keine akademische oder ähnliche Ausbildung, ihr Wissen im Umgang mit Tieren beruhte auf alten Erfahrungen. Man verfolgte sie sogar bisweilen als Kurpfuscher. Über solche Viehdoktoren – man nannte sie auch Kuhschmiede – schreibt mein Freund Johann Schleich in seinem schönen Buch „Kräuterweiber und Bauerndoktoren“ (Graz, 2001). In diesem Buch wird unter anderen ein gewisser Josef Trummer als Viehdoktor beschrieben. Man nannte ihn den „Brigler-Sepp“. Dieser Brigler-Sepp war ein einfacher Mann, der den Leuten gerne half. Von den Tierärzten sprach er mit großem Respekt. Er wusste nicht nur Knochenbrüche zu heilen im Stile der alten Beineinrichter (siehe unten), sondern kannte auch eine Vielzahl von Kräutern, mit denen er Salben zum Einreiben und Tees herstellte. So zum Beispiel half ein aus Horminkraut hergestellter Tee, zu dem Schnaps und Kernöl kommt, bei Koliken des Rindes. Hermann Walder aus Osttirol erzählt noch etwas Spannendes über einen solchen Viechdoktor oder Bauerntierarzt, der sich allerdings von einem echten Tierarzt in gewissen Praktiken unterrichten ließ: „Es gab die Dasselfliegen, die früher den Kühen in den Buckel [Rücken] Eier gelegt haben. Davon haben die Kühe richtige Pickel bekommen. Bis zu vierhundert Pickel hat so ein Viech haben können. Da hat es in Innervillgraten einen Bauern gegeben, der lebt heute noch, er ist um die fünfundsiebzig Jahre alt. Er hat sich gut mit Tieren ausgekannt, er hat auch bei einem Tierarzt einen Kurs gemacht. Diesen Bauern hat man immer geholt, wenn die Viecher diese Pickel gehabt haben. Vom alten Tierarzt wusste 323

alte Heilmethoden und frühe heiler

er, was man da tun muss. Wegen der vielen Viecher wäre es dem Tierarzt gar nicht möglich gewesen, sie alle zu behandeln. Wenn die Pickel reif geworden sind, ist der Bauer gekommen mit einem Stecher, auf dem ein Hakerl war wie bei einer Häkelnadel, und hat die Made, die in dem Pickel war, herausgezogen. Damit war die Sache erledigt.“ Hermann Walder fügt noch an: „Die alten Bauerntierärzte [oder Viechdoktoren] haben viele Naturheilmittel gehabt, die Bauern selber auch. Die alten Tierärzte haben diese alten Mittel auch akzeptiert. Die Bauerntierärzte haben aufgeschrieben, welche Pflanzen für welche Krankheiten zu verwenden sind. So zum Beispiel half Beinwell [ein blauviolettes Kraut] bei Knochenbrüchen und Verstauchungen und Zerrungen.“ Über eine geradezu spektakuläre Heilmethode erzählt Hermann noch, der mich in seiner Art an einen Viehdoktor erinnert: „Die Füße von Hühnern können derart mit Milben besetzt sein, dass sie kaum gehen können. Dagegen hilft, die Füße zweimal am Tag in einen Becher mit Heizöl oder Dieselöl zu stellen. Nach vierzehn Tagen sind die Hühner gesund. Jemand hat mir einmal einen japanischen Silberhahn gegeben, dessen Füße mit Milben derart besetzt waren, dass er nur schwer gehen konnte. Ich habe nun die Füße dieses Hahns mit Heizöl behandelt. Nach vierzehn Tagen rannte der Silberhahn durch unseren Garten.“ Hermann Walder hält viel von den alten Tierärzten. Den neuen steht er eher kritisch gegenüber: „Das einzige, was die heutigen Tierärzte können, ist operieren, da sind sie gut. Bei den alten Bauerntierärzten hat die Erfahrung viel ausgemacht. Sie haben sich viel aufgeschrieben. Die Mittel, die sie hatten, haben geholfen.“ Eine etwas ungewöhnliche Heilmethode für Kühe schildert mir Alois Schlögl, Bezirksinspektor der Kriminalpolizei Burgenland, mit dem ich in das Burgenland zu einem Vortrag bei der Kriminal324

WASENMEISTER

polizei fuhr. Er erzählte mir von einem interessanten Tierarzt, der seine Ratschläge eher im Stile der alten Viehdoktoren erteilte. Der Vater war ein größerer Bauer mit vierzehn Kühen in Bubendorf im Burgenland: „Wir hatten vor Jahren ein Problem mit einer Kuh. Sie hat mehrere Tage nichts gefressen. Wir waren alle ratlos, was wir tun sollen. Mein Vater hat den Tierarzt am Sonntag im Wirtshaus getroffen und hat ihm das Problem mit der Kuh kurz erzählt, dass sie nichts frisst und sich eigenartig verhält. Der Tierarzt, der etwas getrunken hatte, er war schon etwas alkoholisiert, hat zum Vater gesagt: ‚Streu der Kuh ein bisserl ein Salz auf die Nase. Wenn sie es abschleckt, ist es in Ordnung, dann wird sie wieder gesund. Wenn sie das nicht tut, dann stich sie am besten gleich ab.‘ Am selben Abend hat der Vater, wie er heimgekommen ist, der Kuh Salz auf die Nase gestreut. Die Kuh hat es abgeschleckt und nach zwei Tagen war die Kuh wieder gesund.“

Wasenmeister und Henker als frühe Vorläufer der Tierärzte – der Dichter von „Stille Nacht, heilige Nacht“ Ein interessantes Gespräch führte ich mit Herrn Herbert Wiesbauer aus Wels. Er ist 1943 geboren und war Angestellter der Medikamentenfirma Richter in Wels. Auf ihn kam ich durch Vermittlung von Herrn Mag. Florian Fritsch, den heutigen Inhaber der Firma Richter. Er erzählte mir, dass er aus einer Familie von Wasenmeistern stamme, also jener Leute, man nannte sie auch Schinter oder Schinder und Abdecker, die mit dem Entsorgen toter Tiere zu tun hatten. Das Wort Wasen leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort „wase“ für Rasen oder feuchte Wiese ab. Es ist der Ort, an dem die toten Tiere vergraben wurden. Herr Wiesbauer erzählt: 325

alte Heilmethoden und frühe heiler

„Die Vorfahren der Tierärzte waren auch die Wasenmeister. Mein Großvater war Wasenmeister und hat auch das Gewerbe eines Viechdoktors, eines Geburtshelfers, ausgeübt. Aufgrund seiner Erfahrung und ohne akademische Ausbildung konnte er den Tieren helfen. In meiner Kindheit war ich oft bei meinem Großvater im Innviertel. Von ihm habe ich einen alten Mörser, den ich noch zu Hause habe, in dem er seine Pulver gemischt hat. Obwohl Ende der vierziger Jahre ein junger Tierarzt in das Dorf meines Großvaters Wildenau im Innviertel gekommen ist, haben die Bauern dennoch, wenn es zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Geburt eines Kalbes gab, immer noch den Großvater geholt. Aufgrund seiner anatomischen Kenntnisse durch das Zerlegen der toten Tiere beherrschte er Geburtshilfe und andere Heilmethoden sehr gut. Er wusste, wie man bei der Geburt das Kalb dreht, wenn es schlecht lag. Die Vorgänger meines Großvaters waren Wasenmeister und zugleich Henker in Salzburg. Einer von ihnen hieß Franz Joseph Wohlmut. Dieser Mann ist interessant: er stammt aus einem alteingesessenen Salzburger Abdecker- und Scharfrichtergeschlecht. Er lebte von 1738 bis 1823, er hinterließ ein handschriftlich verfasstes Büchlein über seine Verrichtungen als Scharfrichter im Salzburger Land. Diese Schrift wurde übrigens 1985 von Univ.-Prof. Dr. Peter Putzer veröffentlicht. In einem Aufsatz mit dem Titel „Abdecker und Wasenmeister“, verfasst von Franz Sonntag im „Heimatbuch von Aspach“ heißt es über ihn: „Am Rande sei vermerkt, dass am 11. 12. 1792 Franz Josef Wohlmut Taufpate des Josef Mohr wurde, jenes Josef Mohr, der 1815 Priester wird und 1818 das Stille Nacht verfasst hat.“ Eine liebenswürdige Studentin von mir, Rebecka Wurian, ist über ihre Großmutter, eine geborene Wohlmut, in direkter Linie mit Franz Josef Wohlmut, dem Taufpaten von Josef Mohr ver326

WASENMEISTER

wandt. Rebeckas Großmutter selbst ist die Tochter eines Kärntner Wasenmeisters. Ihr Gatte war Bergmann und dürfte ein heiteres Leben geführt haben. Man nannte ihn scherzhaft Schinderhannes, da seine Frau die Tochter eines Wasenmeisters, also eines Schinders, war. Rebecka Wurian ist eben dabei, eine Diplomarbeit über die Kultur der Wasenmeister zu verfassen. Es ist höchst aufregend zu wissen, dass es ein Verwandter von Rebecka Wurian war, der als Wasenmeister und Scharfrichter den Dichter des Liedes „Stille Nacht, heilige Nacht“ aus der Taufe gehoben hat. Nicht nur die Wasenmeister, sondern auch die Henker hatten ein beträchtliches Wissen auf dem Gebiet der Tierheilkunde, aber auch auf dem Gebiet der Menschenheilkunde. Über die „scharfrichterliche Medizin“ und die Beziehung zwischen Henker und Arzt schrieb ein liebenswürdiger Kollege von mir, Herr Dr. Markwart Herzog aus dem Allgäu, einen interessanten Aufsatz, in dem auch auf die Tierheilkunde verwiesen wird (Herzog 1994). Ein großer Forscher auf dem Gebiet der Scharfrichter ist mein lieber Freund Dr. Wolfgang Scheffknecht aus Lustenau in Vorarlberg. Er fand heraus, dass die Vorarlberger Scharfrichter bis in das 18. Jahrhundert auch als Wasenmeister tätig waren. In ihrer Eigenschaft als Wasenmeister mussten die Vorarlberger Scharfrichter gefallenes Vieh begutachten, um festzustellen, ob die Tiere an einer ansteckenden Krankheit gestorben waren (Scheffknecht, 1995a). Aber auch bei der Heilung von Tieren kannten sie sich aus. Im 19. Jahrhundert schließlich werden einige Nachkommen von Vorarlberger Scharfrichtern als Veterinärmediziner urkundlich bezeugt. So war beispielsweise der Sohn des letzten Bregenzer Scharfrichters in den 1840er Jahren Tierarzt und Wasenmeister in Bregenz. Aus einer Vorarlberger Scharfrichterfamilie stammt auch Xaver Vollmar 327

alte Heilmethoden und frühe heiler

aus Gisingen bei Feldkirch, der 1837 Tierarzt in Bürs war. Seine Anstellung erfolgte auf Betreiben der Dorfhonoratioren, die mit dem ortsansässigen Tierarzt nicht mehr zufrieden waren. Wolfgang Scheffknecht kommt schließlich zu der Erkenntnis, dass der Großteil der ersten Generation von professionellen Tierärzten in Vorarlberg Nachkommen von Scharfrichtern waren. Er meint daher, dass der Übergang vom Wasenmeister und Henker zum ausgebildeten Tierarzt beinahe fließend erfolgte (Scheffknecht, 1995b, S 200f ). Es ist also spannend zu sehen, dass zu den Vorläufern der heutigen Tierärzte Wasenmeister und Henker des 18. Jahrhunderts gehören, die wohl ein altes Wissen in der Tierheilkunde besaßen.

Die alten Beineinrichter Noch etwas erzählt Hermann Walder: „Hat sich früher eine Kuh oder ein Schaf einen Fuß gebrochen, hat man Holzspäne gemacht und Pech. Nun wurde zuerst der Haxen zurechtgerichtet, dass er schön gerade ist. Dann hat man die Späne mit Pech auf den Fuß gegeben. Das haben wir vor zwei Jahren noch so gemacht. Es gab da einen, der Pfeiter-Naz geheißen hat. Der war ein Supermensch. Er war ein Bauer. Der hat wunderbare Salben mit Pech gemacht. Früher gab es Bauern bei uns, die das konnten. Das waren Viechdoktoren.“ Hermann Walder spricht in seiner Schilderung von den sogenannten Beineinrichtern, die auch zu den Viehdoktoren gehören. In Oberösterreich spricht man von den „Boaneinrichter“. Bei meinen Forschungen über die alte Welt der Bauern erfuhr ich vom Moarpichler bei Windischgarsten, einem Bauern, der es verstand, die gebrochenen Gliedmaßen von Kühen und Schafen bestens zu heilen. Diese Boaneinrichter genossen hohes Ansehen bis lange nach dem Krieg. Der Moarpichler, der seine Kunst seiner Tochter, 328

das gewerbe der sauschneider

der Moarpichlerin, weitergegeben hat, soll 1894 wegen Kurpfuscherei im Gefängnis gesessen sein, da er keine Berechtigung hatte, Menschen zu heilen. 1895 starb er gebrochen, an seinem Begräbnis nahmen viele Menschen von nah und fern teil. Beineinrichter oder Beinbruchheiler gab es schon früher. So wird um 1780 von einem Johann Georg Mayr, einem Bauernsohn aus Vorderstoder berichtet, dass er die gebrochenen Gliedmaßen von Mensch und Tier bestens geheilt haben soll. In einer „Nota“, einer Art Beschwerdebrief, beklagen sich Bauern, dass sie, wenn sie sich einen Fuß gebrochen haben, nicht vom Mayr behandelt werden dürfen, weil dieser nicht berechtigt dazu sei. Dagegen habe der Bader von Windischgarsten, der die Berechtigung dazu hatte, die Brüche sehr schlecht geheilt. Die Bauern, so heißt es sinngemäß, würden sich also gezwungen sehen, sich an den Johann Georg Mayr zu wenden, der im Gegensatz zum offiziellen Arzt oder Bader noch „niemanden verschandelt“ habe (zit. in Girtler 1997, S. 87).

Das Gewerbe der Sauschneider – Joseph Haydn und die „Acht Sauschneider“ Ähnlich wie Beineinrichter und die erwähnten Wasenmeister hatten in früheren Zeiten auch die Sauschneider, auf die ich schon einige Male hingewiesen habe, sich einiges Wissen im Heilen von Tieren angeeignet. So kannten sich die Sauschneider, wie ich es im Kapitel über das Anbrauchen noch schildern werde, beim Einziehen von Schöllwurzeln in das Ohr von Schweinen aus, um diese bei entzündlichen Krankheiten zu heilen. Bei den Bauern waren die Sauschneider gerne gesehen, da sie Saubären, Stiere und Hengste kastrierten. Bei Schweinen und Rindern tat man dies, da man sich ein besseres Fleisch erhoffte, und bei den Hengsten, 329

alte Heilmethoden und frühe heiler

weil man ruhige Arbeitsrösser brauchte. Mein Freund Erwin Degelsegger aus Spital am Pyhrn erzählte mir zu den Sauschneidern, dass bis in die sechziger Jahre die Saubären in Spital am Pyhrn gewöhnlich von Bauern, wie dem Pöllbauern oder dem Hozn, die sich darauf spezialisiert hatten, kastriert wurden. Erwin weiß aber auch, dass Sauschneider aus dem Lungau bis nach Oberösterreich kamen, um ihr Gewerbe auszuüben. Aus dem Lungau stammt auch die Familie Landschützer in Kremsmünster, deren Männer als Sauschneider bekannt waren. Noch um 1980 sei der „alte Landschützer“, wie ich von meinem Freund Dr. Wolfgang Oberhuber weiß, als Sauschneider unterwegs gewesen. Die Lungauer Sauschneider waren berühmt, sie sind weit in der alten Monarchie und in den deutschen Landen herumgekommen. Als Erkennungszeichen trugen die Lungauer Sauschneider einen Adlerflaum oder auch einen Truthahnflaum auf ihrem Hut. In St. Michael im Lungau gab es sogar einen eigenen „Viehschneideverein“, der 1922 für die ausgebildeten Viehschneider – solche gab es seit der Zeit Maria Theresias – gegründet wurde und immerhin sechzig Jahre bestanden hat. Im Lungauer Landschaftsmuseum wird dieser alten Sau- und Viehschneider gedacht. Schließlich wurden sie durch die moderne Tiermedizin verdrängt (siehe dazu: Die Sauschneider, Ein altes, ehrsames Lungauer Gewerbe. Landschaftsmuseum Mauterndorf, Mauterndorf 1989). Die Sauschneider gehörten zur alten bäuerlichen Kultur, daher besang man sie auch in Volksliedern. Der große Musiker Joseph Haydn dürfte Interesse an den Sauschneidern gehabt haben, denn von ihm stammt eine heitere Komposition für Klavier mit dem Titel „Acht Sauschneider müssen sein“. Diese beruht auf einem zu Haydns Zeiten bekannten Volkslied mit dem gleichen Titel. Haydn, der der bäuerlichen Kultur des Burgenlandes entstammt, dürfte Freude am 330

das gewerbe der sauschneider

Landleben gehabt haben. Davon kündet zumindest diese Komposition. Der Text des von Haydn vertonten Volksliedes lautet: „Acht Sauschneider müssen sein, müssen sein, wenn’s an Saubärn wolln schneidn, Zwoa vorn und zwoa hintn, zwo holtn und ana bintn und ana schneidt drein, schneidt drein, ihrer achte müassns sein. Sieben Sauschneider müassn sein, müassn sein“ (und so weiter). Einen interessanten Hinweis verdanke ich der klugen Frau Eva Bodingbauer, einer begnadeten Puppenspielerin, die mit mir übrigens ein Wildererkochbuch herausgebracht hat. Sie erzählte mir, der Hans Wurst oder der Kaspar habe sein Vorbild im Sauschneider. Ich ging der Sache nach und fand heraus, dass um 1700 der Wanderschauspieler, Zahnarzt, Weinhändler und Direktor des Wiener Kärntnertortheaters Joseph Anton Stranitzky (1676–1726), die Figur des „Hans Wurst“ oder des Kasperls in einer besonderen Weise durch eine neue und freche Kostümierung bekannt gemacht hat. Nach seinen eigenen Angaben hätten ihn dazu die Lungauer Sauschneider mit ihrer Tracht inspiriert. Dieser mit dem spitzen Hut der Sauschneider bekleidete Hans Wurst war verfressen, saufund rauflustig, lüstern und verschlagen. Daher war er der Liebling des Publikums (vgl. B. Müller-Kampel, 2003). Interessant ist, dass in der bekannten Comicschrift Mosaik aus der alten DDR sich im Heft 1 von 1978 eine heitere Geschichte findet, in der Hans Wurst als Viehdoktor auftritt. Ein in Österreich beim Wildern von den Jägern eines Grafen hinterrücks angeschossener Bauer wird von freundlichen Leuten zum Viehdoktor Hans Wurst gebracht, der die Schrotkugel aus dem Hinterteil „heraus chirurgisiert“. In dieser Geschichte wurde offensichtlich der Sauschneider zum 331

alte Heilmethoden und frühe heiler

Viehdoktor. Interessant ist wohl auch, dass herumziehende Ärzte bisweilen scherzhaft als Sauschneider bezeichnet wurden. Über Sauschneider wurde also gerne gescherzt. Mein Freund Erwin Degelsegger erzählte mir dazu einen Witz: Ein Sauschneider aus dem Lungau fuhr mit der Bahn einmal nach Salzburg. Mit ihm im Abteil saß ein Damenschneider. Der Sauschneider fragte den Damenschneider: „Was bist du von dem Beruf?“ Der Damenschneider antwortete: „Ich bin ein Damenschneider“. Nun fragte der Damenschneider seinen Reisegefährten. Dieser antwortete: „Ich bin ein Sauschneider“. Nach einer Zeit erkundigte sich der Sauschneider, dem offensichtlich bei seiner Tätigkeit viele Schweine verendet sind, beim Damenschneider: „Werden bei dir auch so viele hin?“

Das Anbrauchen – Zaubersprüche Wenn das Vieh krank war, glaubten die alten Bauern, es durch „Anbrauchen“ oder „Wenden“ heilen zu können. Bei diesem Anbrauchen oder Wenden wurden geheimnisvolle Rituale und Zauberformeln eingesetzt. Die bereits zitierten „Merseburger Zaubersprüche“ gehören zu diesen magischen Formeln, die gesprochen werden, um Tiere zu heilen. Mit dem Anbrauchen ist also wohl eine uralte Geschichte verbunden. Eine alte Bäuerin erzählte mir: „Wenn bei uns das Vieh krank gewesen ist, hat die Franzi, die alte Sennerin, angebraucht. Sie hat uns aber nicht verraten, wie sie es gemacht hat. Wir haben aber gesehen, dass sie zum Beispiel ein Schüpperl Haare von der kranken Kuh ausgerissen und unter die Dachtraufe gegeben hat. Dabei hat sie etwas gesprochen, das wir nicht gehört haben …“ Auch mein Freund Erwin Degelsegger weiß von diesem Anbrauchen, um das Vieh zu heilen. Er erzählt: „Meine Großmutter 332

das anbrauchen

hat immer angebraucht. Die hat das können.“ Als ich Erwin frage, ob er mir sagen könne, wie die Großmutter angebraucht habe, lächelt er schelmisch und meint bloß: „Das sage ich nicht!“ Die beim Anbrauchen verwendeten Sprüche und Rituale sind Geheimnisse, offenbar bis heute. Als ich Erwin fragte, ob das Anbrauchen seiner Großmutter auch etwas genutzt habe, antwortete er lächelnd: „Ja, freilich!“ Aber wie das ganze Ritual des Anbrauchens seiner Großmutter aussah, wollte er mir nicht mitteilen. Er deutet lediglich an, dass zum Beispiel ein Ochse, der nicht gehen wollte, durch das Anbrauchen nach ein paar Tagen wieder in das Fuhrwerk eingespannt werden konnte. Als ich meine, es würde sich dabei um Zaubereien handeln, entgegnet er geheimnisvoll: „Das ist keine Zauberei, sondern Tatsache.“ Erwin bleibt standhaft, er weiß sein Geheimnis zu wahren. Das imponiert mir. Erwin erzählt noch weiter über das Anbrauchen: „Auch ich konnte anbrauchen, ich habe es von meiner Großmutter gelernt. Wenn zum Beispiel so ein Vieh ganz weiß im Auge gewesen ist, habe ich angebraucht. Nach drei, vier Tagen konnte das Vieh wieder sehen. Oder wenn die Kugel aus dem Gelenk gegangen ist, wenn es sich verspießt hat, hat man angebraucht. In ein paar Tagen ist das Vieh wieder gegangen. Wenn heute das Vieh so etwas hat, kommt es zum Fleischhacker. Meine Tochter Gaby hat als Baby einen Nabelbruch gehabt, der Doktor hat gesagt, erst mit zwei Jahren kann man das operieren. Der Hotzen, ein Bauer, ist gekommen und hat angebraucht. Der Nabelbruch ist ohne Operieren zurückgegangen.“ Über das Anbrauchen und ähnliche Heilmethoden sprach ich auch mit Frau Ida Bankler, einer Bäuerin aus St. Pankraz. Sie erzählt mir: „Mein Vater hat Warzen angebraucht. Die Bauern haben ihn geholt, wenn eine Kuh am Euter Warzen hatte. Er hat den Kühen und Kalbinnen über den Rücken gestrichen und hat etwas 333

alte Heilmethoden und frühe heiler

gebetet dazu. Was er gebetet hat, das hat er niemandem erzählt. Er hat gesagt, wenn er den Spruch weitersagt, hilft er nicht mehr. Die Warzen sind daraufhin nach einiger Zeit, ohne zu bluten, abgefallen. Der Großvater hat mehr gewusst, er konnte auch Beineinrichten. Wenn sich ein Viech auf der Weide einen Fuß verstaucht oder verrenkt hat, so konnte er ihn noch einrichten. Dafür hat er eine Salbe gemacht. Von der weiß ich aber kein Rezept. Er hat nichts aufgeschrieben. Es war eine schwarze Schmier, die hat er auf ein Pflaster geschmiert. Ein blauer Lehm, der war auch gut für Gelenksverletzungen und Verstauchungen, auch für Menschen. Den blauen Lehm hat man mit einem warmen Essig zu einem Teig gemacht. Diesen hat man dann auf einen Leinenfetzen gegeben und diesen hat man dem Vieh aufgelegt. Diesen blauen Lehm gibt es nicht überall, in der Pießling gibt es ihn.“ Zum Anbrauchen erzählt Frau Bankler noch: „Zum Anbrauchen von Warzen hat mein Vater nur das Geburtsdatum und den Namen gebraucht. Mein Mann kann das auch. Bei abnehmendem Mond, an einem Freitag am Nachmittag kann man Warzen anbrauchen. Manche Warzen gehen schnell weg, manche langsamer. Aber es wirkt, auch bei den Menschen. Viel mehr weiß ich nicht mehr. Mein Großvater hat viel gewusst, aber er hat es niemandem erzählt. Er hat nichts aufgeschrieben. Ich habe nachgeschaut, aber nichts gefunden.“ In einem alten Heft der Zeitschrift „Das Waldviertel“ aus dem Jahre 1979 las ich auf Seite 25 einen aus der Feder von Herrn Franz Seibezeder stammenden Aufsatz mit dem Titel „Das Wenden“. In diesem fand ich allerdings eine genaue Beschreibung eines Vorganges des Wendens oder Anbrauchens. Der Autor schreibt: „… In meiner Jugendzeit verbrachte ich öfters einige Wochen meiner Schulferien bei der Schwester meines Vaters, Frau Marie Bauer, Landwirtin in Zettenreith. Meine Tante war weit und breit als 334

das anbrauchen

Wenderin bekannt und wegen ihrer – unbestreitbar zugegebenen – Erfolge auch viel gefragt. Ich bekam im Alter von acht Jahren direkt am Knöchel meines rechten Fußes eine Warze, die immer größer und größer wurde, derart, dass ich an diesem Fuß wegen unerträglicher Schmerzen kaum mehr einen Schuh anziehen konnte. Meine Tante fragte mich nun, ob sie mich – falls ich fest daran glaube – durch Wenden von der Warze befreien solle. Ich dachte mir: hilft es nicht, schadet es nicht, und sagte (innerlich etwas skeptisch) nach außen freudig ja. Von diesem Zeitpunkt an war ich der ausgesprochene Liebling meiner Tante. Meine Tante machte nun in einen weißen Zwirnfaden über der Warze einen Knopf und sprach dabei folgenden Wendspruch: Was ich anschau, soll größer werden. Was ich angreif, soll kleiner werden. Zwirnfaden flieg weg. Und Warze geh auch weg. Dazu helfe Gott der Vater. Dazu helfe Gott der Sohn. Dazu helfe Gott der Heilige Geist! Dann musste ich drei Vaterunser für den heiligen Wendelin und auch für den heiligen Leonhard laut sprechen und während des Betens gingen wir zur Dachtraufe, unter der der Zwirnfaden vergraben wurde. Keinesfalls durfte ich – nach ihrer ausdrücklichen Weisung das Wort ‚AMEN‘ im Gebet verwenden, weil sonst der ganze Vorgang des Wendens nutzlos gewesen wäre. (Amen bedeutet beim Vorgang des Wendens ‚das Ende‘ also den Tod!) Nun erklärte mir meine Tante, dass mit dem Verfaulen des Zwirnfadens im gleichen Zeitraum die Größe der Warze zurückgehen werde 335

alte Heilmethoden und frühe heiler

und, wenn vom Zwirnfaden nichts mehr vorhanden ist, auch die Warze verschwunden sein wird. Jetzt muss ich ehrlich sagen, so war es auch! Nach etwa drei bis vier Monaten war die Warze auf unerklärliche Weise weg. Ich grub dann unter der Dachtraufe nach – auch vom Zwirnfaden fand ich keine Spur mehr. Wer nicht daran glaubt, soll über diese Volksmedizin lächeln – ich glaube seither daran.“ Interessant ist in diesem Bericht der Hinweis auf den heiligen Leonhard. Dieser Heilige ist der Schutzpatron des Zugviehs. ­Daher finden sich in bäuerlichen Gegenden wie im niederösterreichischen Mostviertel, in Südtirol – Andreas Hofer stammt aus St. Leonhard im Passeiertal – oder in Oberösterreich häufig Orte, die sich auf den heiligen Leonhard beziehen. Zu diesen wallfahren bis heute Bauern, um für ihr Zugtiere, die Ochsen und Pferde, aber auch für ihre Kühe zu beten. Ich fahre jedes Jahr zumindest einmal nach St. Leonhard im Wald bei Waidhofen an der Ybbs. Von dieser alten, schönen gotischen Kirche habe ich einen herrlichen Blick in das Voralpenland von Niederösterreich. Es ist interessant, dass dieses St. Leonhard auch der Wallfahrtsort der Wiener Fiakerfahrer ist. Da sich die Wiener Taxifahrer als Nachfolger der Fiakerfahrer sehen, pilgern auch diese zum heiligen Leonhard dorthin. Wallfahrten dieser Art, die auf vorchristlichen Traditionen aufbauen, haben auch so etwas wie Magie an sich. Sie passen gut in den Bereich des Anbrauchens oder Wendens. Über das Anbrauchen erzählt mir auch der Tierarzt Dr. Willi Lechner aus Molln: „Diese Geißlingskoglerin hat Warzen angebraucht. Ich habe an der Fingerkuppe die ganze Zeit so ein Geschwür gehabt. Beim Arbeiten ist das immer blutig geworden. Ich war bei ihr. Sie hat mein Geburtsdatum aufgeschrieben. Einen Monat später waren 336

das anbrauchen

die Warzen weg. Der Bruderhoferhüttensohn von Hinterstoder hat auch viele Warzen gehabt. Das kam so: Es waren Burschen bei ihm, alle haben recht gesoffen und haben eine Gaudi gehabt. Einer der Burschen hat gesagt: ‚Jetzt bekommst du fünfzig Warzen.‘ Einen Monat später hat er wirklich im Gesicht lauter Warzen gehabt. Bei den Viechern haben sie auch angebraucht, zum Beispiel wenn auf dem Euter Warzen waren. Bei Vollmond haben sie mit ihren Zweigerln die Warzen angebraucht. Genaueres weiß ich nicht. Bei vielen hat es geholfen, bei mir hat es geholfen. Die Anbraucher lassen einen beim Anbrauchen nicht zuschauen. Die Euterwarzen waren ein Problem, sie haben das Melken behindert, da beim Melken die Warzen aufgehen und Blut aus ihnen rinnt. Daher musste man die Euterwarzen wegbringen, dies geschah durch Anbrauchen. In Molln gab es zwei oder drei Leute, die konnten das, sie erzählten aber nicht, wie es funktioniert.“ Dass das Anbrauchen bis in letzter Zeit bei den Bauern Bedeutung gehabt haben muss, schließe ich aus einem Gespräch mit Herrn Dr. Orator. Er erzählt: „Ich war einmal bei einem Bauern bei einer Geburt. Das Kalbl haben sie nach der Geburt ins Stroh gelegt und abgerieben. Ich sag zu denen, die das Kalbl abgerieben haben: ‚Tut ihr es wenden!‘ Ich meinte, sie sollen es auf die andere Seite legen. Darauf sagt die Bäuerin: ‚Halten Sie auch etwas vom Wenden?‘ Die Bäuerin hat mich da falsch verstanden, ich meinte nicht wenden im Sinne von anbrauchen oder zaubern. Ich habe gesehen, wie ich in der Achtung der Bäuerin plötzlich gestiegen bin. Ich habe ihr aber dann gesagt: ‚Ich meine umdrehen!‘ Beim Wenden oder Anbrauchen sind die Bauern um die Viecher herumgegangen und haben ‚ababaraj’kbabak‘ oder solche Sachen gesagt. 337

alte Heilmethoden und frühe heiler

Dieses Anbrauchen war sehr wichtig nach der Geburt. Sicher haben sie auch vor der Geburt Ähnliches gesagt.“ Dr. Orator hält noch etwas fest, das bis in die letzte Zeit bei manchen Bauern üblich gewesen ist: „Was die Bauern gerne gemacht haben, war das Einziehen der Sau. Dabei wurde eine Schöllwurzel eingezogen. Das heißt, das Ohr wurde durchgestochen und durch dieses dann eine Schöllwurzel durchgezogen. Zwei oder drei Tage später hat die Sau ein rotes Ohrwaschel bekommen, es war hoch entzündet. Die Schöllwurzel ist rausgeflogen und die Sau hat ein Loch im Ohr gehabt. Es hat eine große reaktive Entzündung hervorgerufen. Anscheinend wurden dadurch die Abwehrkräfte angeheizt. Bevor es Antibiotika gegeben hat, hat das viel geholfen.“

Die Medikamente nach dem Krieg In den schlechten Jahren nach dem letzten Krieg war es für die Medikamentenfirmen nicht einfach, zu Salben, Tabletten und anderen Heilmitteln für Ärzte und Tierärzte zu gelangen. Ich sprach darüber mit Herrn Herbert Wiesbauer, der bei der Medikamentenfirma Richter in Wels angestellt war. Er erzählt: „Das Spannende war die Zeit nach dem Krieg. Damals gab es wenige Medikamente, es gab aber auch wenige Tierärzte. Eine ganze Generation ist ausgefallen nach dem Krieg. Es hat noch keine Antibiotika gegeben. Die Leute haben noch mit Pulver, Tinkturen und Salben Menschen und Tiere behandelt. Ich kann mich erinnern, wie ich noch ein Lehrling war, haben wir aus Wehrmachtsbeständen Tuben mit Salbengrundlage herausgedrückt und diese mit Jod vermischt. Diese Jodsalbe haben wir an Tierärzte verkauft. Die Salbengrundlage war also aus Wehrmachtsbeständen. Ärzte und Tierärzte haben aber auch nach dem Krieg die Substanzen von uns bekommen und haben Salben und 338

die renaissance der alten heilmittel

Pulver selbst gemischt. Früher hat man daher Pulver gesagt, weil man wirklich Pulver in kleine Papiersäckchen gegeben hat. Tabletten gab es noch nicht. Daher sagt man heute noch: Ich nehme ein Pulverl. Aus alten Rezepten haben damals die Ärzte und Tierärzte noch Pulver gemischt. Oder sie haben es durch uns mischen lassen.“

Die Renaissance der alten Heilmittel Bei den alten Bauern gab es, dies sollte hier gezeigt werden, Techniken, wie das Einrichten gebrochener Beine, und ein großes Wissen über Kräuter und allerhand Sprüche, die halfen, Tiere zu heilen. Tierärzte wurden erst später notwendig. Keine rechte Freude hatte allerdings Herr Dr. Franz Krawarik, der frühere Tierarzt von Vorderstoder, mit den alten Heilern und Pfuschern, wie er sie bezeichnete. Er schreibt in seinen Erinnerungen: „Meine im allgemeinen sehr erfolgreiche Tätigkeit wurde jedoch damit am besten bewiesen, dass die sogenannten Pfuscher, die Laienhelfer aus Bauernkreisen, von denen es im Stodertal etwa ein halbes Dutzend gab, ihre Arbeit mit der Zeit zur Gänze einstellten. Diese Laienhelfer waren vielfach angesehene und einflussreiche Hofbesitzer. Sie holten mich schließlich zu ihren eigenen Tieren und lehnten in der Folge jegliche Hilfe in der Nachbarschaft ab. So errang ich das uneingeschränkte Vertrauen aller Bergbewohner.“ Aber dennoch dürfte altes Wissen, das sich vor allem auf die Verwendung von Kräutern bezieht, noch immer oder vielleicht auch wieder bedeutsam sein. In diesem Sinn meinte die junge Tierärztin Mag. Ulli Gissing von Spital am Pyhrn: „Es gibt heute eine Renaissance der alten Mittel, die als Fütterpharmaka auf den Markt kommen. Diese Pharmaka sind rein 339

alte Heilmethoden und frühe heiler

pflanzlich, zum Beispiel bei der Firma Richter und der Firma Boehringer. Die Fütterpharmaka mit guter Qualität sind allerdings noch relativ teuer. Zum Beispiel gibt es ein Entwurmungspulver, mit weißem Pfeffer, Ingwer und solchen Sachen, für Großtiere. Diese Mittel werden jetzt im Zuge der Bio-Welle interessant. In früheren Zeiten haben die Kühe nach der Geburt, wenn sie Kreislaufprobleme hatten, einen Viertelliter Schnaps, einen Liter schwarzen Kaffee, Zucker und Salzsäure bekommen. Das habe ich hier auch eingeführt. Innerhalb kürzester Zeit haben viele Bauern ihren Kühen diese Mittel gegeben. Kaffee haben sie hier schon immer eingegeben. Mein Großvater hat Wermut und Ähnliches gegeben. Heute werden die Wirkungen solcher Hausmittel genau untersucht. Ich verwende solche Sachen.“

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Die alte Bauernsprache und ihr Verlust

In meinen Gesprächen mit Bauern, alten Landtierärzten und ihren Frauen wurde mir bisweilen bewusst, dass die Bauern Wörter für ihre Tiere, ihre Krankheiten und ihren Umgang damit verwenden, die uralt sind und ins Mittel- und Althochdeutsche zurückreichen. So wies mich Frau Csaicsich, die Frau dies Tierarztes Dr. Csaicsich, darauf hin, dass Bauern eine Reihe von alten Wörtern verwendeten, die es wert sind, aufgezeichnet zu werden. So wird die Lunge des Tieres „Pauschen“ genannt. Dieses Wort dürfte aus dem Mittelhochdeutschen stammen und soviel wie Beule oder Aushöhlung heißen. Im Indogermanischen gibt es das Wort „bhu-ska“, das mit unserem Wort Bauch verwandt ist. Ich will hier beispielhaft ein paar Wörter und Ausdrücke bringen, die sich auf die Tiere beziehen, um auf die Geschichte und den Zauber der alten Bauernsprache aufmerksam zu machen. Mit dem Wort „tragat“ oder „bärig“ wird ein trächtiges Tier bezeichnet. „Barn“, ein Wort aus dem Mittelhochdeutschen, ist der Futtertrog. „Galt“ heißt unfruchtbar sein, mittelhochdeutsch heißt „galt“ so viel wie „keine Milch gebend“. Mit Galtvieh, das leicht zum Goldvieh wird, bezeichnet der Bauer vor allem das noch nicht Milch gebende Jungvieh auf der Alm. Die „Schinderkrümpe“ ist die Fohlenlähmung. In diesem Wort steckt das mittelhochdeutsche Wort „schinten“ für „Haut abziehen“. (Wörter dieser Art finden sich in der schon erwähnten Arbeit von Gottfried Uray „Pferdekrankheiten und Bauernsprache“, 1969). Eine Kuh, die in einen Fuhrwagen eingespannt wurde, musste eine „Kolmkuh“ sein, also eine Kuh, die bereits ein Kalb geboren 341

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hat, also „gekälbert“ hat. Eine eingespannte Kuh oder ein eingespannter Ochse wurde mit dem Ruf „hüha“ zum Losgehen aufgefordert. Nach links zu gehen, hieß: „hopa zuwa“, nach rechts: „diwa“ oder „dauni“. „Stiert“ die Kuh, man sagt auch sie „gexnt“, so heißt dies, sie sei aufnahmefähig für den Samen. „Gexnt“ heißt so viel wie kreuzhohl. Der Milchkübel ist der „Melksechta“. Das Wort „Sechter“ ist lateinischen Ursprungs. Ist die Stute „rossig“, so wird sie zum Hengst geführt. Eine trächtige Stute heißt „ploudat“. Vielleicht kommt dieses Wort aus dem Indogermanischen, in dem „blhoto“ Gequollenes heißt. Ist das Pferd eingespannt, rief der Bauer „hüha“, um das Pferd zum Gehen zu bringen. Bei „wista ha“ hat das Pferd nach links zu gehen und bei „diwa“ nach rechts. Sollte das Pferd stehen bleiben, so hieß es: „wöha“ oder „prrr“. (Über die „Verschwundene Bauernsprache“ schrieb mein Freund Professor Hans Schleich 2002 einen schönen Aufsatz.) Überhaupt meine ich, dass Wörter, die alte Bauersleute verwendeten und die ich in meiner Kindheit noch gehört hatte, heute kaum jemand mehr versteht. Die Enkel dieser Bäuerinnen und Bauern, die ich nach diesen Wörtern fragte, waren mitunter erstaunt, dass ihre Großeltern noch derartige für sie nicht mehr verständliche Wörter verwendeten. Ich meine, dass in bäuerlichen Kulturen, aber auch in Randkulturen, sich vielleicht weltweit alte Sprachformen erhalten haben, die von jenen kaum verstanden werden, die nur die Hochsprache beherrschen. Leider sind diese Wörter heute am Verschwinden. Bauern dürften, ähnlich wie auch fahrendes Volk, für das Bewahren alter Wörter und einer alten Grammatik besonders prädestiniert sein. Während in der deutschen Hochsprache Wörter aus 342

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anderen Sprachen, wie dem Lateinischen oder dem Slawischen, übernommen und zurechtgeschliffen werden, halten sich hierzulande bei den Bauern alte und uralte Begriffe, die weit bis in das Althochdeutsche zurückreichen. Bei Vorträgen auf dem Land frage ich des Öfteren die Zuhörer, ob sie zum Beispiel das Wort „fercht“ kennen. Die älteren Leute aus dem Bauernstand wissen, was damit gemeint ist, nicht jedoch deren Kinder und schon gar nicht die Bürger. „Fercht“ heißt „voriges Jahr“ und „vofercht“ heißt „vorvoriges Jahr“. Beide sind mittelhochdeutsche Wörter, sie haben dieselbe Wurzel wie „Firn“, womit der Schnee vom Vorjahr gemeint ist. Auch gibt es das Wort „Pfoad“ für Hemd. Uns wurde übrigens in der Volksschule die Verwendung dieses Wortes untersagt mit der Begründung, es sei ordinär. Die Lehrerin dürfte nicht gewusst haben, dass gerade dieses Wort eine alte Geschichte hat und auf langen Wegen zu uns gekommen ist. Im Wort „Pfoad“ steckt das griechische Wort „Peite“ für Hemd. Durch den Zug der Goten nach Westen kam es zu uns. Noch in den fünfziger Jahren bezeichneten die jungen Burschen ihre Hemden als „Pfoad“ oder „Pfoaden“. Heute wurde dieses Wort zu einem Nobelwort, mit dem Trachtenspezialisten ihr Trachtenhemd bezeichnen. Griechischen Ursprungs sind auch die beiden Wochentagsnamen „Irtag“ oder „Eritag“ für Dienstag und „Pfingstag“ für Donnerstag. Der erstere, der Irtag, verweist auf den griechischen Kriegsgott Ares. Der Dienstag ist also dem Kriegsgott geweiht. Bei den Römern war dies der Mars, der heute noch in „Martedi“ steckt. Der germanische Kriegsgott war der Ziu, aus dem sich Dienstag entwickelte. Im englischen „Thursday“ ist er noch deutlich enthalten. Der zweite Ausdruck „Pfingstag“ verweist auf „Pente hemara“, den „fünften Tag“, vom Sonntag an gerechnet. 343

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Althochdeutschen Ursprungs ist das Wort „Ross“, das mit dem englischen Wort „horse“ wie ich schon erzählt habe, verwandt ist. Oft wird im bäuerlichen Gespräch von den Alten das Wort „aoft“ oder „aoftern“ eingesetzt, womit man „nachher“ meint. Es erinnert an das englische Wort „after“. Auch in der Grammatik haben sich in der bäuerlichen Sprache bei uns und im (Wiener) Dialekt alte Formen erhalten. So sagt man zum Beispiel nicht „wenn ich ginge (oder gehen würde)“, sondern „wenn ich gangat“. Dieses „gangat“ ist mittelhochdeutsch. Auch wird im Dialekt der Bauern nicht von „schneien“ gesprochen, sondern von „schneiben“. Das „b“ dürfte im Althochdeutschen beheimatet sein, genauso wie das Endungs-„t“ in „Zähnt“ für „Zähne“. Der Bauer und der Mensch in städtischen Randkulturen, haben also nicht „Zähneweh“ sondern „Zähntweh“. Mit den alten Bauern, mit denen die alten Landtierärzte zu tun hatten, ist also, dies sollte hier angedeutet werden, eine uralte Sprache verbunden, die weit zurückgeht. Es ist wert, dass man sich dieser erinnert, zumal heute die Gefahr besteht, dass viele Bauernwörter, die sich vor allem auf die Tiere beziehen, am Verschwinden sind oder bereits verschwunden sind.

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Das freundschaftliche Verhältnis zwischen Landtierarzt und Bauern – die Jause

Dem alten Landtierarzt war es wichtig, gute Kontakte zu den Bauern zu haben, die manchmal geradezu freundschaftlich sein konnten, da man den Tierarzt oft auch großzügig bewirtete. Es war aber auch wichtig, dem Bauern zu zeigen, dass sie geachtet wurden. Der Bauerntierarzt Staudinger von Anger in der Oststeiermark erzählt dazu: „Ich bin oft zu einer guten Jause eingeladen worden. Wenn ich Zeit hatte, habe ich die Einladung auch angenommen. Ich habe aber auch darauf geschaut, meine Aufgaben gut zu machen. Wenn ich zum Beispiel bei einer Geburt war, habe ich vorher geholfen, den Boden mit kochendem Wasser und mit einem Desinfektionsmittel zu reinigen. Wie hätte ich operieren können, wenn ich nicht sauber arbeiten hätte können. Meine schwierigsten Fälle waren die Geburten. Bei einer Geburt in Birkfeld habe ich fünf Stunden gearbeitet. Da waren schon zwei Tierärzte vorher dort, die haben gesagt, man solle die Kuh notschlachten. Da ist der Bauer zu mir gekommen und hat gesagt, die Kuh könne nicht kälbern. Ich bin hingefahren. Die Kuh hat schon vor zwei Tagen ein Kalb bekommen. Dann sind sie draufgekommen, dass noch ein Kalb auf die Welt kommen sollte. Es hat sich verlagert, es war schon tot und war nicht herauszuholen. Ich sagte, dass hier nicht mehr zu helfen sei. Das war das erste Mal, dass ich kapitulieren musste. Das wollte ich nicht und probierte, der Kuh zu helfen. Ich fing an, das tote Kalb herauszuziehen, endlich hatte ich es geschafft. Die Kuh ist brav gestanden, sie hat überlebt. Am nächsten Tag habe ich 345

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angerufen und gefragt, wie es der Kuh gehe. Die Kuh fresse, hat es geheißen. Seit damals hat die Kuh noch vier Kälber bekommen. Das war vor zehn Jahren.“ Der Tierarzt kümmert sich also um seine Patienten. Das freut den Bauern und er lädt ihn daher auch auf eine Jause ein und achtet ihn. Allerdings konnte der Bauerntierarzt Staudinger auch böse werden, wenn der Bauer ein Tier missachtete. Herr Staudinger sah es geradezu als seine Pflicht an, dem Bauern in einem solchen Fall gehörig seine Meinung zu sagen: „Einmal hat ein Bauer seine Viecher buchstäblich verhungern lassen. Zu dem bin ich hingefahren. Der Bauer war stockbesoffen. Mit einem Stock habe ich ihn aufgeweckt, dann habe ich ihn gescheit geputzt [geschimpft], indem ich sagte: ‚Du kannst saufen so viel du willst, aber zuerst füttere deine Viecher!‘ Er hat mich einen Lausbuben geheißen. Da habe ich ihn angeschrien und zu ihm gesagt: ‚Wenn du dich nicht sofort niederkniest und dich auf der Stelle entschuldigst, haue ich dir eine in die Pappen [Mund].‘ Der hat sich niedergekniet wie ein Bub vor dem Krampus und sich entschuldigt. Alles, was recht ist, die Tiere waren zaundürr, sie waren Haut und Knochen.“ Der alte Landtierarzt kümmerte sich um Bauer und Tier, er war angesehen. Die Kontakte zwischen Bauern und Tierarzt waren für beide Seiten nützlich. Dies hält auch Dr. Willi Lechner fest: „Die persönliche Kontaktaufnahme zwischen Tierarzt und Landwirt ist heute durch die Großbetriebe nicht mehr so wie früher. Du bist eine Nummer. Du kommst hin, machst deine Arbeit, du bekommst dein Geld und fertig. Früher hat es geheißen: ‚Geh, Doktor, komm herein, trinken wir einen Kaffee, ich mach dir eine Jause und tun wir ein wenig sudern [tratschen].‘ Es gibt aber noch Bauern in Hintersto346

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der, bei denen ist es noch so. Jetzt da ich in Pension bin, habe ich Zeit für einen Tratsch mit einem Bauern.“ Über den Wandel der Beziehung der alten Landtierärzte zu ihrem Beruf, aber auch zu den Bauern denkt Herr Dr. Wagner aus Judenburg nach: „In der tierärztlichen Berufsauffassung hat sich einiges geändert. Die älteren Herren sind mit dem Pferd, dem Motorrad oder mit dem Fahrrad zu den Bauern gefahren. Nach der Arbeit haben sie sich gemütlich mit den Bauern zusammengesetzt und haben einen Speck oder eine Wurst gegessen und dazu hat es dann einen Most oder ein „Schnapserl“ gegeben. Nach dem Krieg ist das Land am Boden gelegen. Wir alle waren Kriegsteilnehmer, zum Teil Offiziere. Nach Kriegsende wurden wieder Lebensmittel gebraucht. Für uns Tierärzte gab es daher viel Arbeit, wir waren sehr geschätzt. Heute schaut es wieder anders aus. Wenn heute eine Kuh krank ist, wird sie, wenn sie nicht besonders wertvoll ist, geschlachtet. Zu meiner Zeit wurde grundsätzlich jede Krankheit behandelt. Wichtig war uns ein guter Kontakt zu den Bauern. Gerne sind wir mit ihnen bei einem Glas Most beisammengesessen.“ Man liebte auch die Scherze der Bauern. So erzählte mir Dr. Willi Lechner, der frühere Tierarzt von Molln: „In St. Pankraz war ein Bauer, der hat gesagt, sein Hund hat immer Verstopfung. Ich sage ihm, er solle ihm einen Einlauf geben, ,nimmst ihn hinten bei den Haxen wie beim Radlbockfahren [der Radlbock ist ein Schubkarren] und renn so mit ihm, dass der Einlauf nach vorne rinnt, und dann lass ihn gehen‘. Der gute Mann geht her, legt den Hund auf den Radlbock und fährt mit dem Hund in St. Pankraz spazieren. Das war die größte Gaudi. So sind wir in die Faschingszeitung gekommen. Einmal, das war auch lustig, sollte ich eine junge Kuh auf der Hutterer-Höss in Hinterstoder besamen. Ich fuhr hinauf. Der Bauer und ich haben eine Stunde gebraucht, bis wir die Kalbin 347

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endlich erwischt haben. Wir haben sie an einem Baum angebunden. Wie ich hinten herumgehe, sage ich zum Bauern, dieses Rind müssen wir wieder auslassen, das sei ein Ochs. Der Bauer, seine Leute und ich haben geglaubt, der Ochse wäre eine Kalbin, die brünstig ist, weil sie andere Kühe bereitet. Da schon Dämmerung war, habe ich erst in der Nähe gesehen, dass das Vieh ein Ochs ist.“ Solche Erzählungen beleben die Kontakte zu den Bauern, man erfreut sich an solchen Scherzen. Über die gute Beziehung seines Vaters, des Tierarztes, zu den Bauern in Irdning erzählte mir mein Freund Gottfried Uray: „Bei manchen Bauern nahm Vater gerne eine Jause, unter Umständen auch einen Schnaps. Er war wohl gelitten und hoch angesehen. Er hatte gute Freunde unter den Bauern und wurde auch zur Jagd eingeladen. Dann und wann behandelte er kostenlos einen Hund, so etwa den der Dichterin Paula Grogger, die ihm darauf den Roman ‚Das Grimmingtor‘ mit einer schönen Widmung gab.“ Besonders drastisch sieht Dr. Langgartner den Wandel der Beziehung zwischen Tierarzt und Bauern. Er erzählt: „Der Tierarzt hat es heute nicht immer leicht. In früheren Zeiten war man sehr angesehen als Tierarzt. Der junge Bauer pfeift dir heute was. Die jungen Bauern sind anders als die alten, gerade, dass sie dir nicht anschaffen, was du tun sollst. Sie brauchen dich nur mehr in Notfällen. Sie machen eh schon alles selbst. Geburten können sie auch schon gut. Medikamente kaufen sie irgendwo.“ Ein anderer Tierarzt, dessen Namen ich hier nicht nennen will, weiß über einen anderen besonders freundschaftlichen Kontakt zu berichten: „Im Innviertel haben viele Bauern im Nebenerwerb in Deutschland gearbeitet, die Frauen waren auf dem Hof. Ich komme zu einem Hof, es war erst halb neun Uhr und die Türe war zugesperrt. Ich klopfe an und rufe, dass ich zum Besamen da sei. 348

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Die Bäuerin macht die Tür auf und steht im Negligé da und sagt: ‚Mich können Sie besamen.‘“ Als ich Herrn Dr. XY fragte, wie er auf dieses Angebot reagiert habe, meinte er bloß: „Die Frau war eine fesche Bäuerin. Solche Sachen gibt es öfter. Die Damen, die in der Kirche in der ersten Reihe sitzen, sind die ärgsten.“ Zum Thema freundschaftliche und angesehene Kontakte gehört wohl auch, dass Tierärzte um Rat gefragt werden und man sich ihnen anvertraut. In dieser Richtung deute ich diese Geschichte, die mir der Tierarzt Mag. Bernd Hradecky aus Matrei in Osttirol erzählt: „Einmal bin ich zu einer Sau, die Rotlauf hatte, auf den Berg gerufen worden. Jeder Bauer hat bei uns noch zwei, drei Schweine zum Eigenbedarf, die er mit den Küchenabfällen füttert. Der macht seinen eigenen Speck. Noch gibt es bei uns keine Massensauhaltung. Die Bäuerin dort ist eine wissbegierige Frau, die alles genau wissen will. Ich habe ihr erklärt, dass der Rotlauf eine Bakteriensache ist. Die Bakterien sind in den Essensabfällen, und wenn es warm ist, vermehren sie sich und die Schweine werden krank. Das wird früher auch so gewesen sein. Ich habe der Frau dies alles erklärt und gesagt, dass diese Bakterien unter Umständen auch für Schwangere gefährlich sein können, durch einen engen Kontakt zu den Schweinen. Ich habe nun gefragt, ob eine Schwangere im Haus sei. Da ist die Frau ganz verdutzt dagestanden, sie hat nicht so recht gewusst, was sie sagen soll. Ich habe nun das Schwein behandelt. Dann, man hat gemerkt, sie ist ganz erleichtert, hat sie gesagt: Meine Tochter hat ja die Spirale, sie kann ja nicht schwanger sein.“ Bernd lächelt wissend, als er mir diese Geschichte erzählt. Schön ist auch die Erzählung von Dr. Wolfgang Oberhuber, der eine Zeit als Assistent eines Tierarztes in Tirol arbeitete (siehe seinen Lebenslauf ). Damals gab es in Tirol noch Gebirgsbauern, 349

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die von ihrer Hände Arbeit gelebt haben. Ich kann mich an einen Bauern erinnern, er war ganz oben im Sellraintal, bevor man ins Kühtai kommt. Paierst hat der Bauer geheißen. Der letzte Ort dort oben mit einer Kirche ist St. Sigmund. Der Bauer und seine Frau wohnten in einem kleinen Bauernhaus. Daneben war der Stall, dazwischen floss der Bach. Ein paar Kühe, ein paar Schafe und einen Haflinger haben sie gehabt. Wie ich wieder einmal zu ihm gekommen bin, bin ich mit dem Bauern in den Stall gegangen, um die Kuh zu besamen. In der Küche habe ich den Belegschein ausgefüllt. Er ist inzwischen in den ersten Stock hinaufgegangen, um das Geld zu holen. Es hat ein wenig gedauert. Wie er heruntergekommen ist, hat er eine Schnapsfahne gehabt und eine rote Nase. Die beiden waren schon ältere Leute. Die Bäuerin war ein wenig untersetzt und rotgesichtig. Sie hat mir einen Bestellschein aus einem Versandhauskatalog gegeben, um für ihren Mann Arbeitsschuhe zu bestellen. Ich hatte den Verdacht, dass sie gar nicht schreiben konnte. Sie hat mir die Schuhe im Katalog gezeigt und mich gebeten, den Bestellzettel auszufüllen, sie also zu bestellen. Dann hat sie mich dreimal gefragt, ob es auch diese Schuhe seien, die ich in den Bestellzettel eingetragen habe. Weil, wenn ich die falschen bestelle, hat sie gesagt, bekomme sie wieder einen Putzer [Vorwurf] von ihrem Mann.“ Herr Dr. Oberhuber hat sich jedenfalls bemüht, die richtigen Schuhe zu bringen. Diese Geschichte zeigt gut auf, dass zwischen dem klassischen Tierarzt und den Bauersleuten, deren Tiere er behandelt, die persönlichen Kontakte sehr intensiv sein können. Bauer, Bäuerin und der Tierarzt verstanden sich prächtig. Auch Frau Magistra Gissing berichtet, dass sie für ihre Kunden kleine Gefälligkeiten erledigt. Darüber wird noch im letzten Kapitel zu erzählen sein. 350

Der Tierarzt und die alte Kultur der Bauern – Schwalben, gutes Heu und keine Förderungen Auf einer Wanderung in Matrei in Osttirol gelangte ich zu einem alten Bauernhof, der wunderschön im alten Stil renoviert wurde und in den ein moderner Stall unauffällig integriert ist. Ich erzähle davon Herrn Dr. Oberhuber aus Kremsmünster und füge hinzu: „Wenn man den modernen Stall betritt, glaubt man fast, man ist in einem sterilen Krankenhaus, so perfekt ist alles gemacht. Schwalben haben kaum eine Chance, in den Stall zu gelangen.“ Herr Dr. Oberhuber nickt und führt noch an: „Ja, gerade die modernen Sauställe sind klimatisiert, sie sind also künstlich belüftet. Es ist unmöglich, ein Fenster aufzumachen. Schwalben kommen hier nicht hinein.“ Allerdings gibt es noch Bauern, bei denen die Schwalben im Stall ihre Nester bauen können. Zu diesen Bauern gehören meine Freunde Gerti und Sepp Neubauer in Spital am Pyhrn. Ihr großer Stall ist offen und lädt die Schwalben geradezu ein, hier zuzukehren. Die Schwalben würden Glück bringen, meinen sie. Auch glauben sie, ihr Hof wäre eine Ausnahme, denn in den meisten modernen Ställen, die sie sahen, werden die Schwalben durch Netze an einem Einflug gehindert, Schwalben gehören für mich seit meiner Kindheit zur Kultur der Bauern. In einem einleitenden Kapitel habe ich bereits einige Gedanken zu dieser Kultur eingebracht. Hier will ich den Faden durch Bezug zu Gesprächen, die ich vor allem mit alten Landtierärzten geführt habe, weiterspinnen. Die alte Bauernkultur hatte ihren Zauber, aber auch ihre Mühsale. Die früheren Landtierärzte gehörten zu 351

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dieser Kultur und lebten mit ihr. Zunächst lasse ich jedoch Herrn Meinrad Brugger, den Vater der Wirtin des Hotels Hinteregger in Matrei in Osttirol, sprechen. Bis zu seiner Pensionierung war er weiterhin als Bauer in einem modernen Betrieb der Familie seiner Frau tätig, um für das Restaurant des Hotels biologisches Fleisch und Gemüse zu produzieren. Er kommt jedoch aus einer alten Bergbauernfamilie. Er hat die alte Bergbauernkultur mit ihrer ganzen Härte, die es in dieser Form nicht mehr gibt, kennengelernt. Darüber berichtet er mir: „Seit über zweihundert Jahren ist der Hof, auf dem ich aufgewachsen bin, im Familienbesitz. Seit 1740 sind die Brugger auf dem Hof. Jetzt führt der Bruder den Hof. Er wird also weiter bewirtschaftet. Er hat aber nur mehr Schafe und Ziegen. Wir haben damals sechs Kühe gehabt und zehn bis zwölf Jungvieh, Schafe und ein Ross. Wir haben noch mit dem Ross gearbeitet. Das Ross haben wir bis 1968 gehabt. Früher haben wir im Winter noch viel Holz geführt. Das hat sich alles aufgehört. Die Kühe sind damals auf die Alm gekommen. Daheim im Stall waren dann nur ein oder zwei Kühe zu melken. Auf der Alm war die Tante bei den Kühen. Sie hat Butter gemacht und Graukäse hergestellt, und ein paar Kälber mit Milch getränkt, so viel Milch hat die Kuh auch nicht gehabt. Butter und Graukäse haben wir dann ins Tal gebracht. Die Alm war in Außergschlössl bei Matrei. Zu Fuß war es weit. Der Hof liegt auf tausendvierhundertfünfzig Metern Seehöhe. Unter dem Haus ist ein steiler Hang, der noch Getreideacker war. Wir haben Roggen, Winterweizen und Gerste angebaut. Roggen war für das Brot. Weizen für die Krapfen und Mehlspeisen. Ich habe damals noch Heu gezogen. Im Sommer wurden die Bergwiesen gemäht, das war über der Waldgrenze. Im Winter, wenn Schnee war, hat man das Heu zum Hof gebracht. Das Heu haben wir in eine Heuhütte, in den Schupfer gegeben. Man hat 352

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im Heu geschlafen und im Freien gekocht. Man ist vierzehn Tage zum Heuen auf der Bergwiese gewesen. Das war meistens ab Mitte Juli bis Mitte August. Das Korn haben sie in die steilen Hänge gebaut, weil dort die Sonneneinstrahlung viel intensiver war. Früher hat man das Korn mit der Sichel geschnitten. Später hat man mit der Sense gemäht und danach mit der Sichel zusammengetan und Garben gebunden. Man hat das Korn in die Harpfen gehängt zum Trocknen. Die Harpfen bestanden aus zwei Lärchenständern mit Löchern, in die kamen Fichtenstangen, auf die legte man das Korn zum Trocknen. Im Herbst ist dann gedroschen worden, aber schon mit der Maschine. Es war eine harte Zeit, die aber auch schön war, denn die Leute haben miteinander gearbeitet und geredet. Fernseher hat es keinen gegeben. Man ist oft zum Nachbarn gegangen, zum Tratschen. Heute gibt es das fast nicht mehr.“ Der alte Bergbauer war autark, er konnte im Wesentlichen von den Sachen leben, die er produziert hat. Es war aber auch ein Leben der Bescheidenheit. Darüber sprach ich auch mit meinem Freund Hermann Walder, der in Kalkstein aufgewachsen ist. Er ist der Bruder des Pius Walder, der 1982 von Jägern beim Wildern erschossenen worden ist. Hermann Walder erinnert sich der alten Bauernkultur, wie er sie erlebte: „Ich bin in Kalkstein in Innervillgraten auf einem großen Bauernhof aufgewachsen. Wir hatten zwanzig bis fünfundzwanzig Stück Kühe und Galtvieh [junges Vieh]. Ein paar Schweine haben wir auch gehabt, ebenso ein paar Schafe, ein paar Goaßen [Ziegen] und Hühner. Alles haben wir gehabt. Wir besaßen auch eine große Alm. Insgesamt war der landwirtschaftliche Betrieb fünfundachtzig Hektar groß. Die Kühe sind im Sommer zuerst vom Haus weg auf die Weide gekommen. Auf d’Nacht hat man die Kühe wieder heim in den Stall getrieben, dort wurden sie gemolken. Heute ist 353

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alles vorbei, weil kein Hirte mehr da ist für die Kühe. Der Hirte war meist ein Bub vom Bauernhof. Ich habe als Bub, mit acht oder zehn Jahren, die Kühe gehütet für alle Bauern. Das Futter von damals war anders als das heutige. Früher hat man alles mit der Hand gearbeitet. Man war früher darauf ganz heikel. Man durfte nicht einmal mit den Füßen das Heu treten. Das Heu hat man, vor lauter Sauberkeit, essen können. Nichts war drinnen, keine Erde und keine Steine. Wir haben zweimal im Jahr geheut. Das erste Mal spätestens um Peter und Paul, 29. Juni. Da blühen die Blumen schon. Heute heuen die Bauern früher, da sind die Blumen noch nicht entfaltet. Die Viecher haben die Wiesen so abgeweidet, dass die Blumen nachwachsen konnten. Heute ist es nicht mehr so, mit der Maschine. Das heutige Heu hat einen anderen Geschmack.“ Hermann meint also, dass in der alten Bauernkultur, als man noch mit den Händen mähte, das Heu eine andere Konsistenz hatte. Seine Frau Edith, die auch auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, ergänzt, indem sie auch auf die alten Bäuerinnen, die bis ins hohe Alter in den Arbeitsprozess eingegliedert waren, und die große Zahl der Kinder, ohne die ein Bauernhof nicht vorstellbar war, verweist: „Früher haben die ganz alten Bäuerinnen, unsere Nachbarinnen, die Farbe für ihre Stoffe selbst gemacht und die Schürzen gefärbt. Früher waren auf den Höfen überall viele Kinder, acht, zehn, vierundzwanzig, sechzehn. In Doblach hat eine Frau einundzwanzig Kinder gehabt. Es gab auch viele ledige Mütter, die sind ledig geblieben und haben daheim gearbeitet. Aus der Lärchenrinde haben sie die Farbe für die Schürzen erzeugt. Sie wurden in der Sonne gebleicht. Man hat dazu ein Brechlloch gehabt. Das war so ein Loch mit ungefähr zwei Metern Durchmesser. Da hat man ein Feuer darunter gemacht. Darüber waren die Stangen, da hat man 354

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den Flachs gebrechelt. Dabei habe ich auch noch geholfen. Damit hat man die Leintücher gemacht und das Zeug.“ Die alte Bauernkultur war also sehr bunt. Zu ihr gehörte auch der alte Landtierarzt, wie eben Dr. Orator aus Windischgarsten, der zunächst mit den Bauern an der Donau zu tun hatte: „Damals, nach dem Krieg, gab es in Oberösterreich noch echte Herrenbauern, mit Vierkanthöfen. Beim Essen saß der Bauer allein an einem Extratisch. Die übrige Familie saß abseits. Die anderen Familienmitglieder trauten sich nicht, sich niederzusetzen, bevor nicht der Bauer gesessen hatte. Wenn ich gerade dort war, musste ich, als Tierarzt, beim Bauern am Tisch Platz nehmen. Während ich mit ihm am Tisch saß, wurde mir von den Kindern das Essen serviert. Eine Tochter, sie war schon über dreißig, musste im Stall bei einer Kuh, die gerade eine Geburt hinter sich gebracht hatte, bleiben. Die Tochter hat es nicht gewagt, sich niederzusetzen, sie ist bei der Kuh gestanden. Bei dem Bauern herrschte Disziplin! Jede Tochter von diesem Hof bekam, wenn sie geheiratet hat, über hunderttausend Schilling Mitgift. Einen solchen Bauern habe ich in Kremsmünster und hier in Windischgarsten nicht erlebt, schon gar nicht mit solcher Disziplin. Er war wirklich ein feiner Mann, dieser Herrenbauer. Wenn der geraucht hat und er die Asche auf den Boden fallen ließ, haben die anderen nicht einmal hinschauen dürfen. So streng waren dort die Bräuche. Er war für mich ein Lehrbeispiel dafür, wie es früher war. Knechte haben sie auch gehabt. Diese sind ordentlich bezahlt worden. Aber sie mussten spuren, Disziplin halten und zum Haus halten. Das hat sich gelohnt.“ Herr Dr. Orator war angetan von der Disziplin, die bei den früheren Herrenbauern herrschte. Zum Bauernhof gehörten aber auch Mägde und Knechte, wie Herr Dr. Oberhuber aus Kremsmünster festhält: „Früher hatte man noch Mägde und Knechte auf dem Hof. Der Bauer 355

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war der Herr. Der Knecht wäre beleidigt gewesen, wenn der Bauer selber gearbeitet hätte und ihm so die Arbeit weggenommen hätte. Jetzt sind die Bauersleute allein am Hof. Oft finden sich auf den Höfen nur mehr alte Leute und deren Söhne, die nicht verheiratet sind. Man hat keine Zukunftsvision mehr.“ Zur alten Bauernkultur ergänzt Dr. Oberhuber: „Die alten Bauern haben immer gesagt: ‚Von alten Kühen und jungen Hennen kannst du hausen.‘ Das heißt, die alten Kühe haben immer wieder Kalbln zur Welt gebracht, die man verkaufen konnte. Die Kuh ist ihm für die tägliche Milch geblieben. Die jungen Hühner haben mehr Eier gelegt, die alten schon weniger. So hat sich dieser Spruch bewahrheitet. Heute werden die Kühe wegen der enormen Milchleistung nicht mehr so alt. Eine Kuh, die zehn Jahre alt ist, findet man fast nicht mehr.“ Typisch für die alte Bauernkultur waren auch fette Schweine, denn man benötigte das Schmalz. Die heutigen Schweine, die schnell großgezogen werden, haben nur mehr wenig Fett im Sinne des modernen Bewusstseins über Ernährung. Herr Staudinger, der Bauerntierarzt, erzählt dazu: „Ich besitze ein Bild von einem alten Saubären. Damals haben die Bauern die Eber richtig aufgefuttert, damit sie schön schwer werden. Damals war Grammelschmalz noch etwas wert. Heute ist es eher verpönt und nicht mehr auf dem Speiseplan. Früher hat ein Bauer versucht, den Saubären, den ich auf dem Foto habe, auf fünfhundert Kilo zu bringen. Bei vierhundertsechsundneunzig Kilo hat er dann aufgegeben. Der Saubär hat dann nichts mehr zugenommen. Er ist der schwerste kastrierte Eber, der je in dieser Gegend gewesen ist.“ Er meint, er würde mir ein Bild schicken. Ich erzähle Herrn Dr. Oberhuber, dass die Misthaufen, die ich in Großpold in Siebenbürgen gesehen habe, den klassischen 356

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Misthaufen bei uns ähneln. Unsere modernen Misthaufen bei den Ställen sind bloße Anhäufungen von Mist, die sich von den alten, meist quadratisch angelegten, schön aufgehäuften Misthaufen wesentlich unterscheiden. Diese alten Misthäufen sind für mich geradezu Symbole einer alten Kultur der kleinen Bauern. Dazu meint Dr. Oberhuber, der aber ebenso auf den Wandel der Beziehung zum Tier eingeht: „Es war der Stolz jedes Bauern oder Knechtes, einen schönen Misthaufen zu haben. Das hat mit der maschinellen Entmistung aufgehört. Die Bauern in Siebenbürgen haben noch einen anderen Bezug zum Tier, weil sie tagtäglich vom Tier leben. Der Bauer dort kennt jedes einzelne Tier, so viele hat er ja nicht. Die Ehrfurcht vor dem Tier war früher größer. Wir haben einen alten Bauern gehabt, der hat allein gelebt in seinem Bauernhaus. Der hat wirklich mit seinen Viechern gelebt. Einmal habe ich ein krankes Kalb behandelt, bei ihm in der Küche, denn im Winter war es im Stall sehr kalt. Wenn das Kalb krank war, durfte es zu ihm in die Küche. Da ist es unter dem Küchentisch gelegen. Im Auhof bei Achleiten haben zwei alte Frauen kleine Ferkeln zum Aufwärmen in der Ofenröhre gehabt, wenn sie im Winter im kalten Stall geboren wurden. Die beiden Damen hatten noch Enten und Gänse. Gestern war ich bei ihnen, da haben sie in der großen Küche die Holzschaffeln stehen mit den Gänsefedern, denn jetzt im Winter tun sie Federn schleißen. Ungefähr drei Kilo bringen sie zusammen, das ist für eine Tuchent [Bettdecke] im Jahr. Es ist schade, wenn die kleinen Landwirtschaften aufhören. Wenn in Oberschlierbach und Steinbach die kleinen Landwirtschaften aufhören, wächst alles zu. Manche Landwirtschaften werden mit großem Subventionsaufwand erhalten. Ob das auf Dauer das Richtige ist, weiß ich nicht.“ 357

der tierarzt und die alte Kultur der Bauern

Etwas krass schildert Harald Hetzer, der Sohn des Tierarztes Dr. Harald Hetzer, die vergangene Zeit alten bäuerlichen Lebens, das für ihn auch mit viel Mist, der nicht unbedingt ungesund gewesen zu sein scheint, verbunden ist: „Wenn wir zu einem bestimmten Bauern gefahren sind, hat mein Vater, bevor wir losgefahren sind, gesagt, dass wir dort nichts essen würden. Dort sei es so dreckig, dort würden wir nichts. Das kann man sich heute ja gar nicht vorstellen, wie damals in den fünfziger Jahren die Bauernhöfe ausgesehen haben. Der berühmte Groiss in Oberweng hat ja nie ausgemistet. Da sind die Kühe schon fast an der Decke des Stalles angestanden, weil sie auf zwei Metern Mist gestanden sind. Lustigerweise war das der einzige Bauernhof im Bezirk, bei dem keine Kuh Tuberkulose hatte. Das war der dreckigste Bauer, er hatte keine Kühe mit Tuberkulose! Er hatte eine Stalldirn, die berühmte Groissn-Mila. Die war lang und ein wenig deppert. Ich kann mich genau erinnern, sie war am Bauernball in der Schnapsbude und total besoffen. Der B.-Schurl und unser damaliger Bürgermeister haben sich mit ihr abgegeben. Da hat es geheißen, die ist eh lang genug für zwei. So war das damals!“ Interessant sind auch die Gedanken von Harald Hetzer zum Wandel der bäuerlichen Menschen, er erzählt: „Vor ein paar Tagen war ich auf einen Stehkaffee in der Konditorei Thallinger. Kommt eine Frau herein, städtisch angezogen, nicht auffallend, man hat gemerkt, die ist nicht von hier. Ich komme mit ihr ins Gespräch, sie erzählt mir, dass sie von einem Bauern in der Au abstamme. Aus dem Bauernkind ist eine tüchtige Frau geworden, heute hat sie eine hohe Position beim deutschen Fernsehsender RTL. Leider habe ich vergessen, sie zu fragen, wie sie heißt. Wie ich ein Bub war, war es undenkbar, dass ein Bauernbub oder ein Bauernmädchen studiert. Zwanzig Jahre später [zirca 1970] ist es losgegangen.“ Harald weist schließlich auf die verschiedenen Typen von Bau358

der tierarzt und die alte Kultur der Bauern

ern im Gebirge hin: „Da gab es diese Keuschler, die Kleinbauern und die großen Bauern. Wenn einer dreißig Stück gehabt hat, war er schon sehr groß. Relativ groß waren die Wirtschaften von den Sensenschmieden. Das waren Herren, sie haben sogar schon einen eigenen Schreibtisch gehabt. Früher gab es in Windischgarsten im Ort fünfzig landwirtschaftliche Betriebe mit Vieh. Heute gibt es nur mehr einen Bauern im Ort. Es ist ein ungeheurer Strukturwandel. Eine alte Bauernkultur ist verschwunden. Heute wollen die Bauern europäische Größen haben bis hundert Stück Vieh. Die reichen Bauern kaufen Grund auf oder pachten einen. Das ist für sie die einzige Überlebensform.“ Auch Dr. Willi Lechner sieht den großen Wandel der Bauernkultur in den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Für ihn drückt sich dieser Wandel vor allem darin aus, dass die Kühe nun einer größeren medizinischen Sorgfalt unterzogen werden. Willi meint: „Ja, der größte Wandel spielt sich in den fünfziger und sechziger Jahren ab. Da hatten wir die große Umstellung, dass alle Kühe gegen Tuberkulose und Abortus Bang geimpft werden mussten. Da habe ich jedes Jahr meine fünftausend Rindviecher zu impfen gehabt. Man hat zuerst die Haut geschert, um einen Testimpfstoff einzuspritzen. Nun hat das Vieh einen Tippel bekommen, wie bei der Pockenimpfung. Nach drei Tagen ist Blut aus diesem Tippel genommen worden. Auf d’ Nacht sind wir gesessen, haben Listen geschrieben in mehreren Ausfertigungen und das Blut ist zur Untersuchung weggeschickt worden. Das war eine Wahnsinnsarbeit. Nach drei Tagen musste ich also wieder zum Vieh des Bauern fahren. Das war viel Arbeit. Wenn man zum Beispiel in den Bodinggraben hineinfährt, so sind dies hin und zurück fast achtzig Kilometer oder mehr für vier Schilling, wie es damals war.“ 359

der tierarzt und die alte Kultur der Bauern

Über die tierärztliche Situation damals erzählt Willi Lechner, dass das Stodertal „tierärztliches Notstandsgebiet“ gewesen sei, denn damals habe es kaum Tierärzte gegeben – im Gegensatz zu heute. Willi hatte hart zu arbeiten (siehe dazu im Kapitel über Lebensläufe). „Einmal bin ich vom Jaidhaus zum Fröstel durch den Wald hinauf zu einer Visite. Entweder wegen einer Geburt oder eines Milchfiebers. Oder weil die Kuh Verdauungsstörungen hatte. Solche Verdauungsstörungen waren früher seltener. Durch die Hochzucht der Tiere kommen sie heute öfter vor.“ In der modernen Landwirtschaft kam es also zu einem großen Wandel. Das lag wohl auch an den Förderungen, die die Bauern erhielten und erhalten. Dazu erwähnt Willi Lechner: „Viele Bauern haben die Rinderzucht aufgegeben und halten Schafe. Die Schafzüchter bekommen alle von der EU Geld. Bei uns bekommen Leute von der EU Geld, auch wenn sie keine Viecher mehr haben. Die stellen Viecher auf die Wiese, die einem anderen gehören, damit sie die Förderung bekommen. Ich frage mich nur, was tun die, wenn es mit den Förderungen aus ist? Je mehr Kühe der Bauer heute hat, umso mehr Förderungen bekommt er. Man bekommt eine Grundförderung, aber der Grund muss bewirtschaftet werden. Daher muss er ein paar Viecher daraufstellen. Jetzt sagt er einem Viechhändler oder einem Bekannten: ‚Du kannst die Viecher auf meine Wiesen stellen, aber die Grundförderung kassiere ich.‘ Er hat keine Arbeit dabei. Da wird viel linke Tour betrieben.“ Wolfgang Oberhuber, der Tierarzt von Kremsmünster, bringt noch eine interessante Überlegung ein: „Nach dem Krieg ist bei uns die Viehzucht immer weniger geworden, da auch Knechte und Mägde fehlten. Vor dem Krieg mussten sich die Gemeinden um die alten Knechte und Mägde kümmern, sie hatten noch keine Sozialversicherung. Das war auch der Grund, warum Gemeinden in 360

der tierarzt und die alte Kultur der Bauern

Markt- und Landgemeinden geteilt wurden. Auch in Kremsmünster gab es zwei Gemeinden. In Weyer im Ennstal haben sie erst vor ein paar Jahren die beiden Gemeinden wieder zusammengelegt. Diese Teilung der Gemeinden in zwei Gemeinden beruht darauf, dass die Gemeinden zuständig für die Armen waren. Daher hat es überall ein Armenhaus oder ein Vinzenzhaus gegeben. Die Marktgemeinde hat so das Problem auf die Landgemeinde abgeschoben. Die Märkte wie Bad Hall oder Kirchdorf wollten kein Umland mit Bauern haben, denn dann wären sie für Knechte und Mägde zuständig gewesen. Die Armen, Knechte und Mägde, waren eine Belastung für die Gemeinden.“ Die alte Bauernkultur war also eine harte Kultur, in der die Menschen es nicht leicht hatten und viel ertragen mussten. Allerdings meint der Tierarzt Dr. Orator: „Eine alte Bauernkultur ist zugrunde gegangen. Das Handwerk ist verschwunden, statt der Kleinbauern gibt es Massenbetriebe. Da werden alle deppert und brauchen einen Psychologen“, dabei lacht der Tierarzt. Dazu ist noch der Gedanke von Dr. Lechner aus Molln interessant, der früher die Bauern in dem Fremdenverkehrsort Hinterstoder betreut hat. Er sagt: „In den sechziger und siebziger Jahren ist es den Bauern relativ gut gegangen. Da haben die Kinder alle studiert. Das war die Zeit des Wirtschaftsaufschwunges. Als der Fremdenverkehr so richtig groß geworden ist, haben fast alle mit der Landwirtschaft, drinnen in Stoder überhaupt, aufgehört. Früher war es hier familiärer, aber die Lebensbedingungen waren schwieriger. Die Alten hatten früher schwer zu arbeiten.“

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Der oft fehlende Respekt vor den Nutztieren – Skizzen eines alten Landtierarztes Ein begnadeter Tierarzt war Dr. Karl Karasek, der 1916 geboren wurde, in Obertrum am See im Bundesland Salzburg von 1946 bis 1992 gewirkt hat und dort 2008 starb. Er fand Zeit, Anekdoten aus dem Praxisalltag in Skizzen festzuhalten. Einige dieser Skizzen hat der Tierarzt Dr. Karl Traintinger aus Lambrechtshausen bei Salzburg 1999 zum 80. Geburtstag von Dr. Karl Karasek in der Internetzeitung „Dorfzeitung.com“ (http://www.dorfzeitung.com/ dz/1999/06/kkarasek.htm) mit einem schönen Text veröffentlicht. Die Skizzen sind für Interessierte in der genannten Internetzeitung einsehbar. Danken möchte ich Herrn Dr. med. vet. Manfred Neubacher aus Feistritz im Rosental, der mich auf diese Skizzen aufmerksam gemacht hat. Herr Dr. Karl Traintinger schreibt zu den Skizzen von Herrn Dr. Karl Karasek unter anderem etwas, das mir hinsichtlich des häufig verloren gegangenen Respekts vor den Nutztieren als wichtig erscheint: „Dr. Karl Karasek war Tierarzt in einer Zeit, in der in einer Landpraxis vorwiegend Nutztiere zu den Patienten zählten. In diese Zeit (in den fünfziger Jahren) fällt auch die Einführung des Kaiserschnittes bei der Kuh. Die Bauern erzählen heute noch: ‚Den Kaiserschnitt hat der Senior-Karasek am Anfang immer in der Küche gemacht (aus hygienischen Gründen wurden in der Küche als dem saubersten Ort im Bauernhaus die Instrumente vorbereitet usw.). Im Anschluss an die Operation streckte er die Hände von sich und die Bäuerin musste ihn waschen, was für ein Saustall. Und noch dazu in der Küche. Aber wegen der Hygiene musste es so sein, hat er gesagt.‘ Karl Karasek war auch Tierarzt zu einer Zeit, in der das einzelne Nutztier, 362

fehlender Respekt

ganz gleich ob Rind, Schwein, Schaf, Ziege, noch einen Wert hatte; Massentierhaltungen gab es nicht. War ein Tier krank, wurde es behandelt. Heute wird zuerst überlegt, ob sich eine Therapie überhaupt bezahlt macht; soll der Tierarzt geholt werden oder soll irgendeine Therapie selbst versucht werden. Das Einzeltier ist fast nichts mehr wert. Eigentlich eine traurige Entwicklung.“

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Die junge Landtierärztin und der alte Landtierarzt – Kritik und Lichtblick

Zum Abschluss meines Buches möchte ich zwei Gespräche gegenüberstellen, die meines Erachtens gut dartun, wie der Wandel in der Welt der Tierärzte aussieht. Beide Gespräche bieten gute Zusammenfassungen und Überlegungen zu den von mir behandelten Themen. Das eine Gespräch führte ich mit der jungen und gescheiten Diplomtierärztin Magistra Ulli Gissing aus meinem Heimatdorf Spital am Pyhrn. Sie begann voll Idealismus das Studium der Tiermedizin, heute jedoch steht sie der modernen Entwicklung der Tiermedizin eher kritisch gegenüber. Dennoch sieht sie Hoffnungen für den tierärztlichen Beruf. Das zweite Gespräch führte mein Student und Freund Dr. Gert Andrieu mit dem vor seiner Pensionierung stehenden Tierarzt Dr. Bernhard Karlinger aus der Steiermark. Herr Dr. Karlinger hat den Untergang der alten Bauernkultur am eigenen Leib erlebt und sieht heute große Probleme für Tiere und Ärzte. Ich gebe diese Gespräche zunächst ohne wesentliche Kommentare meinerseits wieder, sie sprechen für sich selbst. Ihnen folgen noch ein paar knappe und meine Forschung abschließende Gedanken. Im Kaffeehaus Kemetmüller in Spital am Pyhrn treffe ich die junge Tierärztin Magistra Ulli Gissing. Ich spreche mit ihr über den Wandel der Bauernkultur, wie ich ihn am Beginn des Buches versucht habe darzutun. Frau Mag. Gissing hat eine freundliche natürliche Art, die den Leuten hier im Ort gefällt. Sie bringt mir ein altes Tierarztbuch mit, sie hat es von ihrem Vater, der es heilig hält. Mit ihrer Erlaubnis kopiere ich es im Gemeindeamt. 364

kritik und lichtblick

Frau Mag. Gissing erzählt mir aus ihrem Leben und ihrer Einstellung zu ihrem Beruf. Sie ist unverheiratet und Mutter einer kleinen Tochter, die sie im Kinderwagen mit in das Kaffeehaus genommen hat. Es ist interessant, was sie zu sagen hat, schließlich macht sie sich Gedanken über die Beziehung zum Tier. Mir imponiert der große Respekt, den sie ihrem Großvater entgegenbringt: „Ich bin 1977 in Bruck an der Mur zur Welt gekommen. Meine Schwester ist Försterin. Ich habe mit sechs Jahren meine erste Maus seziert. Alles, was die Katze tot heimgebracht hat, habe ich zerlegt. Ich hatte also schon sehr früh Interesse an diesem Beruf, der Großvater hat das gefördert. 1992 bin ich schon jedes Wochenende mit unserem Tierarzt mitgefahren. Ich habe das Gymnasium in Bruck besucht. 1995 habe ich an der Tierärztlichen Hochschule zu studieren begonnen. Mein Vater ist Techniker in Kapfenberg, er ist Direktor der HTL (Höheren technischen Lehranstalt). Der Großvater war Bauer. Er hat sich so gefreut, dass ich als Tierärztin wieder in die Zunft eingestiegen bin, in der auch er lebte. Der Großvater hat viel mit Kräutern gearbeitet. Er hat alles gesammelt, was im Wald und auf der Wiese gewachsen ist. Das Buch hier hat er vom Urgroßvater übernommen. Ein Buch hat er noch, es ist handgeschrieben, es bezieht sich auf die Humanmedizin.“ Über den Beginn ihrer Tätigkeit in Spital am Pyhrn und den Wandel im Umgang mit den Tieren erzählt sie: „Wie ich hier in Spital am Pyhrn angefangen habe, vor acht Jahren, war ich eine Art Feuerwehrtierarzt. Ich bin von einem Eck in das andere geflitzt. Ich habe Kühe besamt. Heute machen es die Bauern selbst. Jetzt ist es komplett anders. Das war der Grund, warum ich mit den Großtieren aufgehört habe. Es ist für mich unattraktiv geworden. Der von hier am weitesten entfernte Ort, wohin ich damals gefahren 365

kritik und lichtblick

bin, war Laussa, dann bin ich bis Weißenbach bei Liezen gefahren. Zuerst war ich zwei Jahre Praktikantin beim Doktor Seiberl, einem Tierarzt in der Nähe von Spital am Pyhrn. Ich habe schnell Fuß gefasst. Das Hauptproblem an der Großtierpraxis ist, dass die Besamungen wegfallen. Früher ist man zu einem kranken Kalb nach Hinterstoder gefahren und hat drei Besamungen und noch etwas zu erledigen gehabt. Die Besamungen sind weg und auch die Nachbehandlungen, weil die Bauern die Nachbehandlungen selbst machen dürfen. Sie spritzen sogar ihre Viecher selbst. Wenn man eine Praxis hat, bei der das Gebiet nicht so großflächig ist, tut es einem nicht so weh. Aber bei einer echten Landpraxis spürt man es schon. Meine Steuerberaterin hat gesagt, ich solle mit der Großtierpraxis aufhören aus Kostengründen, das Autofahren wäre zu teuer.“ Die junge Tierärztin verbindet mit ihrem Beruf auch soziale Pflichten: „Früher habe ich viel für die alten alleinstehenden Frauen, die kein Auto hatten, eingekauft. Die haben mich in der Früh angerufen und mir mitgeteilt, was sie für das Vieh brauchen und haben mich gefragt, ob ich auch schnell beim Billa für sie etwas einkaufen könne. Der Tierarzt, zumindest ich, ist also auch eine soziale Einrichtung.“ Frau Mag. Gissing betrübt der moderne Umgang mit dem Vieh: „Im Sommer wird bei einigen Bauern nicht mehr am Tag das Vieh auf die Weide getrieben, sondern auf d’ Nacht, weil sie tagsüber zu wenig fressen. Jetzt werden die Viecher am Tag im Stall gemästet und auf d’ Nacht treiben sie sie auf die Wiese, damit sie noch etwas Auslauf haben. Es ist nicht bei allen Bauern so, sondern bei denen, bei denen extreme Leistungen von den Kühen gefordert werden. 366

kritik und lichtblick

Der Laufstall hat auch seine Probleme. Im Winter kann der Boden frieren, die Kuh rutscht aus und bricht sich das Becken. Diese Art von Stall ist gar nicht so erstrebenswert. Beim Feigl-Hugo in der Grünau ist noch viel Liebe zum Tier zu sehen. Der melkt noch mit der Hand, er hat die ‚goldene Milchkanne‘, weil er so saubere Qualität hat. Oder bei der Brandfelderreit, wo die Kühe während des Sommers noch auf die Alm hinaufgetrieben werden. Solche Bauern sterben aus und damit auch ein großes Betätigungsfeld in unserem Beruf. Denn bald zahlt sich vieles nicht mehr aus. Die Kleinbauern sterben aus. Ich habe in der Rosenau ein altes Ehepaar mit über achtzig Jahren gehabt, die haben eine Kuh, zwei Goaßen, drei Hühner, einen Hund und eine Katze gehabt. Was mich so stört ist, dass die Kühe heute keine Namen mehr haben, heute spricht der Bauer von der Fünfzehner oder Zwanziger. Da sieht man die mangelnde Bindung an das Tier. Wenn man in einem Laufstall eine bestimmte Kuh fangen muss, ist das ein Problem. Die Kühe haben richtig Angst. Das Hauptproblem ist die Gier und der Größenwahn heute, man möchte oder muss möglichst viel Geld mit dem Vieh verdienen. Ich habe in der Schweiz ein paar Monate gearbeitet. Dort hat die Kuh noch Wert. Da haben wir einem Kalb einen Bruch des Oberarmes geschraubt. Einmal haben wir eine Hochzeitskuh, die zur Hochzeit geschenkt wurde, behandelt. Koste es, was es wolle, Hauptsache, die Kuh wird gesund, sagten die Bauern. Die Leute waren richtig lieb, sie sind mit der Kuh gekommen.“ Die Tierärztin sieht neue Wege der Tiermedizin: „Es gibt gleichzeitig eine Renaissance der alten Hausmittel [siehe dazu das Kapitel „alte Heilmethoden“]. Ich mache auch viel mit Homöopathie. Ich habe Verhaltensmedizinausbildung studiert, ebenso Homöo367

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pathie-Füttertherapie, und in Mailand habe ich Tierpsychologie studiert. Es war ein Intensivkurs über eine Woche. Ein großer Teil des Kurses bezog sich auf Aggressionsbeurteilung. Gestern habe ich aus Bad Mitterndorf einen Kunden gehabt, der hat im Internet gelesen, dass ich solche Sachen mache. So etwas interessiert die Leute auch auf dem Land.“ Frau Mag. Gissing ist entsetzt über die regelrechte Fütterung des Viehs mit Medikamenten und das übermäßige Verabreichen von Spritzen sowie über den modernen „Embryotransfer“: „Heute holen sich Bauern bei Tierärzten die Medikamente, zum Beispiel zwanzig Flaschen zum Spritzen. Die sind zur Prophylaxe, die Viecher leben in einer relativ ungesunden Haltungsform, auch wenn alles optimiert ist, wie Feuchtigkeit, Temperatur und so weiter. Es ist trotzdem zu viel. Die Tiere stehen heute unter Stress. Man setzt einfach auf Antibiotika, damit nichts passiert, mehr oder weniger. Die Kühe werden ausgebeutet, sie bringen heute schon über zehntausend Liter Milch im Jahr, früher waren es bei dreitausend Litern im Jahr. Dazu kommt Embryotransfer. Die höheren Leistungen ergeben sich zum Teil durch die amerikanischen Embryonen. Die kommen aus Kanada und den USA und werden hier eingesetzt. Der Embryo wird der Kuh eingesetzt, damit leistungsstarke Kälber produziert werden. Die Technik ist perfekt. Ich könnte solche Embryonen einsetzen, ich tue es aber nicht. Ich kann mich an die Zeit erinnern, als ich beim Doktor Seiberl gearbeitet habe, damals hat jedes Embryokalb irgendeine gröbere Krankheit gehabt, wie Darmverschluss oder etwas Ähnliches. Irgendwie wehrt sich die Natur dagegen. Die Gene von einer kanadischen Mutterkuh sind angeblich so gut, daher werden Embryonen aus Kanada herübergeflogen! Man soll nicht glauben, welches Geld das manchem Bauern wert ist. Sie kaufen Embryonen um sieben oder achthundert 368

kritik und lichtblick

Euro: Damit sie die beste Kuh im Tal haben, nämlich eine Kuh, die die meiste Milch liefert, mit den meisten Kilo Fett und den meisten Kilo Eiweiß. Früher fuhr ich zu vielen akuten Fällen, wie Blähungen, Lungenentzündungen. In letzter Zeit haben die Stoffwechselstörungen zugenommen, weil immer mehr Samen aus Kanada oder den USA importiert wurden. Da macht oft die Leber schlapp, weil die Kuh zu viel Milchleistung erbringen muss. Ein Kaiserschnitt ist nicht mehr wirtschaftlich. Man schlachtet die Kuh, das ist billiger. Die Wertigkeit des Tieres hat sich in der Landwirtschaft verschoben. Auf die Tiere als soziale Wesen wird keine Rücksicht genommen. Prof. T. von der Uni hat eine Studie gemacht, nach der die Sozialstruktur der Kühe massiv und nachhaltig den Kühen großen Stress bereitet.“ Frau Mag. Gissing ist bekümmert: „Bei den Versteigerungen sind die meisten Kühe ohne Hörner, sie müssen enthornt sein. Ich habe von dem ganzen Laden, also der Tiermedizin, so genug gehabt, dass ich mir gesagt habe: deswegen habe ich nicht Tiermedizin studiert. Man rechnet nur mehr, wie viel Energie brauche ich, wie viel Eiweiß, wie viel Liter Milch, danach stellen wir unseren Fütterungscomputer ein.“ In Hochachtung spricht Frau Mag. Gissing von Bauern, die mit den Kühen in klassischer Weise umzugehen wissen: „Den Geburtstag wollte ich gemütlich mit meiner Mutter verbringen, tatsächlich war ich auf der Brandfellnerreith oben, dort haben wir eine Kuh gedreht (weil die Gebärmutter verdreht war). Zu Mittag haben wir ein lebendes Kalb gehabt und eine lebende Kuh! Die melken dort noch auf der Alm! Die sind die Letzten, die so etwas machen. Sie sind so dankbar.“ Kritisch steht Frau Gissing daher der modernen Mutterkuhhaltung gegenüber: „Bei der Mutterkuhhaltung bleiben 369

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die Kälber drei bis fünf Monate bei der Kuh, dann werden sie entweder geschlachtet oder kommen zu einer Versteigerung; das sind so Sammelkäufe. Und dann kommen sie zum Mäster. Darüber kann man gar nicht reden, das ist für mich so traurig.“ Keine Sympathien kann Frau Mag. Gissing den modernen Rinderrassen, die Hochleistungen erbringen sollen, entgegenbringen: „Als ich Geburtshilfe an der Uni gemacht habe, haben sie gesagt, wenn es ein Stierkalbl war: ,Das können wir gleich dem Schlachter geben, nur die weiblichen Kälber sind von Wert.‘ Diese Kühe setzen kein Fleisch mehr an, das sind nur Milchtiere. Das männliche Kalb ist nichts mehr wert.“ Noch etwas sagt die junge Tierärztin, das die moderne landwirtschaftliche Situation, die sie betrübt, gut dartut: „Die ganze Landwirtschaft wurde zum Wirtschaftsfaktor. Der Tierarzt ist ein reiner Kostenfaktor! Auch die Kuh ist ein reiner Kostenfaktor. Langsam gibt es hier im Bezirk Kirchdorf seit zwei, drei Jahren Ziegenmilchbetriebe. In der Molkerei in Schlierbach brauchen sie Ziegenmilch, sie zahlen dafür gut. Überleben tun die Bauern durch die EU-Förderung. Bei uns ist die Förderung nicht an etwas gebunden, anders als in der Schweiz. Bei uns kann man sich darum einen dritten Audi kaufen.“ Frau Mag. Gissing freut sich über die Anerkennung, die sie bei den Bauern findet: „Einmal wurde ich angerufen, weil ein Kalb auf der Alm hinkte. Ich habe mich überreden lassen, auf diese Alm zu fahren. Zuerst fuhr ich mit dem Auto, dann musste ich eine Stunde zu Fuß gehen. Wie ich so dorthin gegangen bin, habe ich mir gedacht, da gehen heute viele Leute mit. Wir sind dann bis zur Türkenkarscharte gegangen. Dort war angeblich die kranke Kalbin. Wie wir zur oberen Hütte gekommen sind, hat man schon eine Jause mit Sekt für mich vorbereitet, denn ich hatte Geburts370

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tag. Ich habe in der Hütte übernachtet, um fünf Uhr in der Früh bin ich ins Tal. Das hat mich gefreut. Einmal bin ich dreimal hintereinander mit den Tourenschiern auf die Stubwiesalm gegangen, weil dort der Hund krank war. Der Hund hatte einen Darmverschluss gehabt. Mit einem Einlauf habe ich ihn behandelt, auch infundiert habe ich ihn. Der Hund ist gesund geworden. Sein Besitzer hat sich gefreut.“ Frau Mag. Gissing bringt schließlich noch Gedanken zum heutigen Studium der Tiermedizin und den Studierenden an der Veterinäruniversität in Wien, sie erzählt aber auch über ihre Tätigkeit bei einem Tierarzt, die ihr nicht behagt hat: „Die heutige Form der Auslese, also die Aufnahmsprüfung an der Veterinärmedizinischen Universität, ist ein Problem, ich glaube, dass viele Berufene dabei leider durchfallen und sich ihren Lebenswunsch nicht erfüllen können. Neunzig Prozent der Studierenden sind Frauen. Es sind Pferde- und Hundeliebhaberinnen, sie studieren oft aus falschen Beweggründen. Man muss schauen, wie viele Frauen den Beruf als Tierärztin ausüben und wie viele Männer. 1998 und 1999 hatte ich Studienaufenthalte in Zürich und Berlin. Das wurde von der EU gefördert. Ich habe in Mindestdauer studiert. Ich habe eine Bekannte, die geht nach Sambia, um dort ihre Diplomarbeit zu schreiben. Im Jahre 2000 bin ich als junge Tierärztin nach Spital am Pyhrn gekommen. Bis 2002 habe ich bei Doktor S. gearbeitet. Auf freiberuflicher Werkvertragsbasis. Das ist ein hartes Dasein. Ich habe bei ihm eine schwere Existenz gehabt. Bei ihm ist das Kleintier wenig wert und bei der Kuh geht es nur um Leistung. Sein Bruder ist ein Bauer, da geht es nur um Embryotransfer. Er ist ganz konträr zum Doktor Langgartner. Ob der Doktor S. ein Gewissen hat, weiß ich nicht. Ich habe mir dann gedacht, ich gehe weg, ich hatte schon eine gute Stelle in Aussicht, in einer Klinik in 371

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der Steiermark oder bei der Landesregierung. Aber viele Leute hier in Spital am Pyhrn sind an mich herangetreten, und haben mich gebeten, hierzubleiben. Daraufhin habe ich das Haus, in dem ich jetzt die Ordination habe, von der Gemeinde gemietet.“ Frau Mag. Ulli Gissing ist eine mutige Dame, die ihr Leben meistert: „Verheiratet war ich nur sieben Monate. Der Vater meines Kindes ist Berufsjäger auf der Wurzeralm. Er war lange in Kanada. Ich habe es nicht leicht gehabt. Ich bin nun wieder in der Praxis. Mir gefällt meine Situation als alleinerziehende Mutter recht gut. Das geht gut. Die Kleine habe ich jetzt mitgehabt in der Universität am Institut für Zoologie in Graz, wo ich meine Dissertation schreibe. Ich studiere dort Wildtierbiologie. Die erste Operation, bei der meine Kleine zugesehen hat, war die Kastrierung eines Meerschweinchens, sie war drei Wochen alt, und ist daneben gelegen. Auch bei der Knochentherapie schaut sie zu oder wenn wir Nägel entfernen. Seit dem Vorjahr mache ich in erster Linie Kleintiere. Vorher habe ich hauptsächlich Großtiere behandelt. Hier in Spital am Pyhrn gefällt es mir. Das ist so ein schöner Flecken Erde. Hier sind die Leute herzlich. Hier baue ich mir nun mein Haus. Wie die Leute gesehen haben, dass ich allein mit dem Kind in der Praxis stehe, sind sie mit der Mehlspeis, mit Krapfen, für die Arbeiter meines Hauses gekommen, damit ich nicht so viel Arbeit habe. Ich schließe mit meinen Kunden auch Freundschaften. Ich habe da ein Mäderl, das sitzt im Rollstuhl, dessen Mama ist jetzt gestorben. Die kommt fast jede Woche zu mir.“ Frau Mag. Ulli Gissing zeigt in diesem Gespräch den Wandel einer ganzen Bauernkultur, aber auch den der Welt der Tierärzte. Sie hat eine gefühlvolle Beziehung zu den Tieren. Die folgende Erzählung des jetzigen Bezirkstierarztes von Kindberg in der Steiermark, Dr. Bernhard Karlinger, ergänzt die Über372

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legungen der jungen Tierärztin Mag. Ulli Gissing. Ich gebe auch diese Schilderung Herrn Dr. Karlingers, er ist um die sechzig, in seinem Wortlaut wieder, um zu zeigen, welchem Wandel der Beruf des Tierarztes heute unterliegt. Diese Erzählung hat, wie festgehalten, mein Freund Dr. Gert Andrieu Herrn Dr. Karlinger in dessen Haus in Kindberg, das zu den schönsten Häusern dieses steirischen Städtchens gehört, entlockt. Dafür sei ihm gedankt. Herr Dr. Karlinger erzählt: „Früher waren die Tierärzte große Zampanos. Sie haben ein sehr großes Gebiet versorgt. Mein Schwiegervater zum Beispiel hat in der Region des mittleren Mürztales bis nach Ratten hinein gearbeitet. Die Tierärzte mussten bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gehen. Das hat sich natürlich geändert, wie sich auch die landwirtschaftliche Struktur geändert hat. Bei uns gibt es zum Beispiel kaum noch große Milchbetriebe. Ab Krieglach und Langenwang gibt es Milchbetriebe. Bei uns hier in Kindberg, Stanz, Allerheiligen gibt es keine mehr. Das sind alles Mutterkuhbetriebe. Dadurch fällt nicht mehr so viel tierärztliche Tätigkeit an, weil die Kühe nicht mehr solche Hochleistungsmaschinen sind wie früher. Bei einem Milchbetrieb stehen die Milchleistung und die Züchtung von stark Milch gebenden Rindern im Vordergrund. Solche Hochleistungsmaschinen sind natürlich anfälliger als eine Kuh, die mit ihrem Kalb beschäftigt ist. Die Mutterkühe bewegen sich ja das ganze Jahr. Dadurch hat die Kuh auch bei Geburten weniger Probleme als eine Kuh, die das ganze Jahr in einem Stand steht und noch dazu diese Leistung erbringen muss. Da sind mehr Möglichkeiten, dass die Kühe gesundheitliche Probleme bekommen können, beginnend beim Euter oder Stoffwechselkrankheiten oder Milchfieber. Das ist ein Kalziummangel. Durch die Milch kommt zu viel Kalzium aus dem Körper. Nach der Geburt braucht die 373

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Kuh dann eine Infusion, damit sie wieder aufstehen kann. Das fällt bei den Mutterkühen mehr oder weniger weg. Die Kuh hat zum Beispiel eine Euterentzündung. Diese wird von den Bauern weniger beachtet. Die Mutterkuh kann eine Entzündung bei einem Viertel Euter, also auf einer Zitze haben. Das bemerkt der Bauer heute gar nicht mehr. Es ist im Grunde egal, wenn aus den drei anderen Zitzen für das Kalb noch immer genug Milch kommt. Die Mutterkuh braucht nur ihr Kalb zu versorgen und nicht dem Bauern das Geld mit Milch einbringen. So gesehen hat sich die Struktur in der Landwirtschaft sehr geändert. Wie ich vor fünfundzwanzig Jahren angefangen habe, waren das noch Zuchtbetriebe. Das hat sich in den letzten zehn, fünfzehn Jahren radikal geändert. Noch dazu gibt es wesentlich mehr Tierärzte. Als ich angefangen habe, waren wir im Bezirk Mürzzuschlag vier Tierärzte. Heute sind wir vierzehn. Wobei sehr viele hauptsächlich Kleintiere behandeln. Aber auch in der Großtierpraxis sind wir mehr, wir sind acht Ärzte, also doppelt so viele wie vor zwanzig Jahren. Das heißt, dass die Praxisgebiete jedes Tierarztes auch sehr eingeschränkt sind. Der Tierarzt muss sich mehr oder weniger ein zweites Standbein suchen, weil man aus der Großtierpraxis zu wenig Einkommen hat. Man hat sich doch einen gewissen Standard aufgebaut und den möchte man halten. Deswegen fahre ich zum Beispiel zur Fleischbeschau zum Jöbstl. Zweimal in der Woche fahre ich nach Straß. Das ist ein reiner Schweineschlachthof. Dort werden zehntausend Schweine in der Woche geschlachtet. Die Schweine kommen von überall aus Bayern, Oberösterreich, Slowenien, Ungarn. Es gibt zum Beispiel auch in Ungarn Ferkel aus Bayern. Sie werden in Ungarn gemästet und werden dann beim Jöbstl in der Steiermark geschlachtet. Sie sind aber Ferkel aus Deutschland. 374

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Aber jedes Schwein, das in Österreich geschlachtet wird, ist österreichisches Schweinefleisch, auch wenn es aus Slowenien oder sonst wo herkommt. Es gibt dann unterschiedliche Klassifikationen. Es gibt Betriebe, die Spezialschweine mästen, die hauptsächlich in die Schweiz exportiert werden. Die werden anders gefüttert als die normalen Schweine. Die sind dann halt auch teurer.“ Der frühere Tierarzt hatte hart zu arbeiten, wie Dr. Karlinger berichtet: „ Als ich mit meinem Schwiegervater, der bereits Tierarzt hier war, zu den Visiten mitgefahren bin, vor dreißig Jahren, war das harte Arbeit. Man ist um fünf Uhr in der Früh weggefahren und zehn Uhr am Abend nach Hause gekommen. Das strebt heute keiner mehr an. Es waren damals drei Ärzte in dieser Region, ­einer in Krieglach, einer in Kindberg und einer in Kapfenberg. Die haben das ganze Gebiet tierärztlich versorgt.“ Auch für Herrn Dr. Karlinger bedeutet es ein Problem, dass das Veterinärstudium heute durch Frauen dominiert wird: „Heute studieren neunzig, oder mehr Prozent Frauen an der Tierärztlichen Universität. Bei mir war das Verhältnis noch, ich glaube, maximal fünfzig zu fünfzig. Es gibt immer mehr Frauen und immer weniger Männer, die Tiermedizin studieren. Die Frauen gehen zum Großteil in den Kleintierbereich oder in die Pharmaindustrie oder sie suchen sich ein anderes Betätigungsfeld. Einige bleiben an der Universität. Seinerzeit gingen die meisten Absolventen der Tiermedizin in die Landwirtschaft.“ Über seine Tätigkeit als Tierarzt erzählt Dr. Karlinger: „Am Beginn meiner Praxis habe ich Großtiere und Kleintiere behandelt. Aus dem Kleintierbereich habe ich mich dann später zurückgezogen. Man muss in eine Kleintierpraxis sehr viel investieren: Ultra375

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schall, Labor und so weiter. Darauf hat sich aber meine Schwägerin spezialisiert. Ich hätte auch einige Millionen Schilling investieren müssen, um auf diesem Sektor mithalten zu können. Die Leute erwarten das, gleich wie bei einem praktischen Arzt.“ Herr Dr. Karlinger macht sich Gedanken über das Verschwinden der Bauern, die „Förderungen“, die sie erhalten, und die Kontrollen, die ihnen auferlegt werden: „Wenn die Bauern aussterben, werden auch die Landtierärzte aussterben. Die Bauern sind heute auf Förderungen angewiesen. Es gibt da zwei Probleme für die Bauern: zum Ersten sind es die Auflagen und Kontrollen, damit sie auch die Förderungen erhalten. Durch diverse Auflagen wird der Druck auf die Bauern immer größer, den die EU oder auch Österreich selbst vorschreibt. Es schreibt ja nicht alles die EU vor. Das meiste schreibt ja unser eigenes Land vor. Wir schnüren die Pakete selber. Die Auflagen, die uns Tierärzte betreffen, sind problematisch, derart, dass ich froh bin, schon sechzig Jahre alt zu sein und mit dem Ganzen bald nichts mehr zu tun zu haben. Die Bürokratie ist heute ein Wahnsinn. Der bürokratische Aufwand ist gigantisch. Und es kommen laufend Verordnungen und Verordnungsänderungen. Aber das geht alles von unserem eigenen Land aus. Zum Beispiel bei der Fleischbeschau. Ursprünglich hat jeder Bauer zu Hause schlachten können. Es ist klar, dass dies das nach den heutigen Lebensmittelgesetzen nicht mehr gestattet ist, da der Konsument das Recht auf beste Qualität hat, das versteht man. Denn, als beim Bauern am Hof geschlachtet worden ist, hat man das Schwein einige Tage danach in der ‚Tenn‘ hängen lassen. Dort hat es allerdings auch ein wenig gestaubt. Der alte Bauer sagt aber, dass damals keiner krank geworden ist von seinem Fleisch. Das Schlachten am Hof darf heute dennoch nicht sein. Das ist akzeptabel. Aber nun mussten die Bauern eigene Schlachträume 376

kritik und lichtblick

bauen – unter Anleitung vom Tierarzt, per Gesetz. Einige Bauern haben also Schlachträume gebaut – für die gemeinschaftliche Schlachtung oder auch nur für sich selbst. Immer mehr Auflagen gibt es dafür, Kontrolle, Kontrolle, Kontrolle! Man kontrolliert die Kontrolleure. Das ist ein Wahnsinn. Die Bauern werden kontrolliert von der AMA (Agrarmarkt Austria). Die werden kontrolliert vom Tierarzt. Die Tierärzte werden kontrolliert von der Bioorganisation. Jeder kontrolliert jeden. Das ist wirklich ein Wahnsinn. Das ist das eine Problem für die Landwirte. Dieser ständig größere Aufwand. Jeder müsste immer so und so viel investieren, bis er auf dem neuesten Stand ist. Das beginnt beim Stall, geht bis hin zur Schlachtung. Die Auflagen werden immer mehr und die Bauern verzweifeln schon fast dabei.“ Herr Dr. Karlinger kommt schließlich auf das Problem des bäuerlichen Nachwuchses zu sprechen: „Das zweite große Problem ist, was wahrscheinlich ein noch größeres ist, dass die Bauern heute keine Nachkommen haben, die die Landwirtschaft übernehmen wollen. Seinerzeit waren auf einem Hof ungefähr fünf Kinder. Einer hat die Landwirtschaft übernommen. Der hat auch wieder Kinder gehabt und so ist das halt weitergegangen. Heute haben die Bauern wenige Kinder. Unter den heutigen Bedingungen übernehmen diese die Landwirtschaft nicht mehr. Der Sohn geht mit fünfzehn oder sechzehn Jahren arbeiten oder macht eine höhere Schule, er will dann nicht mehr zurück. In den letzten fünfundzwanzig Jahren haben viele mit der Landwirtschaft aufgehört. Zum Beispiel in der Stanz. Da waren ungefähr einhundertdreißig landwirtschaftliche Betriebe und heute sind da nur mehr siebzig oder achtzig. Das waren Betriebe mit ein bis vier Kühen. Aber die haben auch davon gelebt. Die Viehzahl ist interessanterweise noch ziemlich gleich. Das 377

heißt, dass größere Landwirtschaften die Stückzahl erhöht haben. Die haben von den kleinen die Gründe dazugepachtet. Bei den Bauern ist die Arbeit weniger geworden. Und für den Tierarzt auch. Die Bauern arbeiten nun mehr im Wald als im Stall.“ Über die Schönheit seines Berufes und den Wandel des Studiums der Tiermedizin erzählt der verdiente Tierarzt: „Großteils ist es ein romantisches Bild, das man mit dem Tierarzt verbindet. Es ist ein schöner Beruf, das ist gar keine Frage. Man ist sein eigener Herr. Aber die Vorstellung von manch jungem Dirndl, sie werde Tierärztin, weil sie die Viecher so gern habe, ist zu wenig für diesen Beruf. Früher war das Tierarztstudium das zweitschwerste Studium. Bei uns war damals auch viel praktische Ausbildung dabei. Heute kann man sich spezialisieren. Wir waren damals Gesamttierärzte, für alles. Heute muss man sich als Tierarzt anpassen, Spezialisten sind gefragt.“ Auch über den Verdienst der Landtierärzte und ihr Ansehen äußert sich Herr Dr. Karlinger: „Früher haben die Landtierärzte noch sehr viel Arbeit gehabt und auch sehr gut verdient. Wir haben auch heute noch die gleichen Tarife wie die Tierärzte damals. Wir haben in den letzten fünfundzwanzig Jahren vielleicht zwei Preiserhöhungen gehabt. Zum Beispiel ist der Besamungstarif nun das erste Mal seit fünfzehn Jahren angehoben worden. Dadurch, dass es mehr Tierärzte gibt, ist für jeden der Verdienst geringer. Die Landtierärzte waren damals auch große Respektspersonen. Das ist heute nicht mehr ganz so. Ich habe jedoch zu meinen Kunden ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Da fährt man sehr gut damit. Man hat heute ein wenig mehr Zeit. So stressig ist es sicher nicht mehr wie seinerzeit.“ Herr Dr. Bernhard Karlinger erlebte als Tierarzt den Wandel der alten Bauernkultur, er beklagt sich, dass Bauern und Tier378

ärzte unter einem gewaltigen Druck der Kontrolle geraten sind. Beide, Frau Mag. Ulli Gissing und Herr Dr. Bernhard Karlinger, lieben ihren Beruf, sie verbinden mit ihm schöne Erlebnisse und erfreuliche Kontakte zu jenen Menschen, die sie wegen ihrer Tiere aufsuchen. Sie wissen um die Probleme, die mit dem Wandel der Bauernkultur verbunden sind. Die Degradierung von Tieren zu reinen Produktionsfaktoren sowohl bei der Massentierhaltung als auch beim unwürdigen Tiertransport über weite Strecken widerspricht ihrer Ethik. Vor allem Frau Magistra Ulli Gissing sieht im Rückgriff auf alte Heilmethoden und im Überdenken des Umgangs mit den Tieren eine Chance für die Kultur der Bauern und das Wohl der Tiere. Sie hat, ebenso wie Herr Dr. Karlinger, großen Respekt vor jenen Menschen, die ihre Tiere mit Achtung behandeln. Solange es Tierärzte mit einer solchen Ethik gibt, zu denen wohl die meisten der Tierärzte gehören, mit denen ich gesprochen habe, sehe ich die Zukunft der Tierärzte in hellem Licht.

379

Literatur Roland Girtler, Aschenlauge. Bergbauernleben im Wandel. Linz 1987. Roland Girtler, Sommergetreide. Vom Untergang der bäuerlichen Kultur. Wien 1996. Roland Girtler, Landärzte. Als Krankenbesuche noch Abenteuer waren. Wien 1997. Roland Girtler, Methoden der Feldforschung. Wien 2001. Roland Girtler, Echte Bauern – vom Zauber einer alten Kultur. Wien 2002. Roland Girtler (gemeinsam mit Studenten des Instituts für Soziologie der Universität Wien), Das letzte Lied vor Hermannstadt – Das Verklingen einer deutschen Bauernkultur in Rumänien. Wien 2007. Erich Glawischnig, Aus dem Leben eines Universitätsprofessors. Brno 2005. Franz Krawarik, Erinnerungen. Unveröffentl. Manuskript 1969. Markwart Herzog, Scharfrichterliche Medizin – Zu den Beziehungen zwischen Henker und Arzt, in: Medizinhistorisches Journal, Band 29, 1994, S 309ff. Beatrix Müller-Kampel, Hanswurst, Bernardon, Kasperl. Spaßtheater im 18. Jahrhundert, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003, Klaus Mylius (Hg.): Älteste Indische Dichtung und Prosa. Wiesbaden o. J. Jean-Jacques Rousseau: Bekenntnisse. Übers. v. Ernst Hardt. Mit einer Einführung von Werner Krauss. 8. Aufl. Frankfurt a. M. 2007. Wolfgang Scheffknecht, Wasenmeister im Südteil Vorarlbergs, in: Andreas Rudigier/Peter Strasser (Hg.), Montafon. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Frau Eleonore Schönborn zum 75. Geburtstag (Bludenzer Geschichtsblätter 24–26), Bludenz 1995, S. 246–263. Wolfgang Scheffknecht, Scharfrichter. Eine Randgruppe im frühneuzeitlichen Vorarlberg, Konstanz 1995. 380

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Johann Schleich, Kräuterweiber und Bauerndoktoren. Die geheimen Rezepte der Heilkundigen. Graz . Johann Schleich, Verschwundene Bauernsprache, in: J. Schleich, Das steirische Vulkanland aus Feuer und Wasser, Graz, , S. ff. Franz Seibezeder, Das Wenden, in: Das Waldviertel,  Franz Sonntag, Abdecker und Wasenmeister. In: Peter Putzer (Hg.), Heimatbuch von Aspach, o.J. Gottfried Uray, Pferdekrankheiten und Bauernsprache im Ennstal. Univeröffentl. Diplomarbeit an d. Phil. Fakultät d. Universität Wien . Der Spiegel, Nr. , November . http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/dokument.html?id=&top=SPIEGEL Zugriff: ... Die Sauschneider, Ein altes, ehrsames Lungauer Gewerbe. Landschaftsmuseum Mauterndorf, Mauterndorf .

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