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German Pages 359 [346] Year 2013
polybios historien und seine
her ausgegeben von volker grieb und clemens koehn
Franz Steiner Verlag
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INHALTSVERZEICHNIS Volker Grieb / Clemens Koehn Einleitung „Polybios und seine Historien“ .............................................................. 7 Hans Kloft Polybios und die Universalgeschichte ................................................................... 13 Andreas Mehl Geschichte in Fortsetzung: Wie, warum und wozu haben Autoren wie Polybios und Thukydides/Xenophon auf ein Ziel hin geschriebene Geschichtswerke fortgesetzt? ................................................................................ 25 Helmut Halfmann Livius und Polybios ............................................................................................... 49 Josef Wiesehöfer Polybios und die Entstehung des römischen Weltreicheschemas ......................... 59 Jürgen Deininger Die Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios ................... 71 Frank Daubner Zur Rolle der geographischen Schilderungen bei Polybios ................................. 113 Burkhard Meißner Polybios als Militärhistoriker............................................................................... 127 Clemens Koehn Polybios und die Inschriften: Zum Sprachgebrauch des Historikers ................... 159 Volker Grieb Polybios’ Wahre Demokratie und die politeia von Poleis und Koina in den Historien ........................................................................................................ 183 Linda-Marie Günther Innergriechische Diplomatie und zwischenstaatliche Beziehungen in den Historien des Polybios ......................................................................................... 219
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Inhaltsverzeichnis
Boris Dreyer Polybios und die hellenistischen Monarchien ..................................................... 233 Martin Tombrägel Der Zugang des Polybios zur Kunst seiner Zeit .................................................. 251 Alain Bresson Polybius and the Economy .................................................................................. 269 Peter Scholz Philomathia statt philosophia: Polybios, die Philosophie und die Idee der paideia ................................................................................................... 285 Wolfgang Spickermann Kultisches und Religiöses bei Polybios ............................................................... 301 Literaturverzeichnis ............................................................................................. 319 Index nominum .................................................................................................... 337 Index locorum ...................................................................................................... 344
EINLEITUNG „POLYBIOS UND SEINE HISTORIEN“ Volker Grieb / Clemens Koehn
Der vorliegende Band geht zurück auf eine in Hamburg an der Helmut-SchmidtUniversität im April 2010 veranstaltete gleichnamige Tagung, der die Zielsetzung zugrunde lag, den Historiker und sein Werk im Rahmen der jüngeren, stark auf die dokumentarischen Quellen fokussierten Hellenismusforschung wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Ausgehend von der Prämisse, dass Polybios’ Historien sich vor allem dann zutreffend in die hellenistische Geschichte einordnen lassen, wenn eine detaillierte und umfangreiche Textanalyse einem möglichst breiten thematischen Zugang gegenübergestellt werden kann, sind die einzelnen Beiträge größeren Themenbereichen gewidmet und konzentrieren sich auf jeweils eigene Schwerpunkte – ohne dabei freilich das Ziel einer überblicksartigen Darstellung zu verfolgen. Die komplexe politische Geschichte der hellenistischen Staatenwelt ist angesichts der trümmerhaften historiographischen Überlieferung für den modernen Historiker in ihren größeren Zusammenhängen einzig durch das in umfangreicheren Teilen erhaltene Werk des arkadischen Politikers und Geschichtsschreibers Polybios fassbar. Man kann es als Glücksfall der Geschichte bezeichnen, dass die verflochtene zwischenstaatliche Situation in dieser Zeit mit den tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die mit dem römischen Aufstieg einhergingen, von einem Zeitgenossen, wie es Polybios war, zum Gegenstand eines Geschichtswerkes gemacht wurde. Die forschungshistorische Bedeutung seiner Historien zeigt sich bereits darin, dass diese für zahlreiche nachfolgende antike Autoren zum Referenzwerk avancierten und es bis zum Ende der Antike blieben. Zu nennen wären etwa Poseidonios, der im 1. Jahrhundert v. Chr. mit seinen Historien direkt an Polybios anknüpft,1 Livius, der für den entsprechenden Zeitraum über weite Strecken der polybianischen Darstellung folgt,2 oder auch noch Zosimus, der sein Werk über den Fall des Römischen Reiches als Pendant zur polybianischen Geschichte des römischen Aufstieges verfasste.3 Vor al-
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Vgl. dazu J. MALITZ, Die Historien des Poseidonios, München 1983. Vgl. die Literatur im Beitrag von H. Halfmann zu „Livius und Polybios“ im vorliegenden Band. Zos. hist. I 1,1: Πολυβίῳ τῷ Μεγαλοπολίτῃ, μνήμῃ παραδοῦναι τὰ καθ’ ἑαυτὸν ἀξιόλογα τῶν ἔργων προελομένῳ, καλῶς ἔχειν ἐφάνη δι’ αὐτῶν ἐπιδεῖξαι τῶν πράξεων ὅπως οἱ
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Einleitung „Polybios und seine Historien“
lem aber wird der hohe Wert von Polybios’ Geschichtsdarstellung daran deutlich, dass er neben Thukydides der einzige antike Historiker ist, der sich nicht nur einer überaus anspruchsvollen historischen Methode bediente, sondern über diese an zahlreichen Stellen innerhalb seines Werkes auch intensiv reflektiert.4 Sein Werk bleibt in dieser Hinsicht allerdings nicht ohne innere Widersprüche; auch wird Polybios nicht immer seinen eigenen Anforderungen gerecht. Der wissenschaftliche Reiz seines Geschichtswerkes lag und liegt somit nicht nur in der Komplexität der darin behandelten ereignisgeschichtlichen Zusammenhänge, sondern eben auch in deren darstellerischer Umsetzung und persönlicher Interpretation durch Polybios, weshalb die Historien in vielfältiger Weise selbst Gegenstand von Forschungen geworden sind. Nach einer ersten intensiveren historisch-kritischen Auseinandersetzung im 19. und frühen 20. Jahrhundert, aus der heraus auch die heute noch gültigen Ausgaben von Friedrich Hultsch und vor allem Theodor Büttner-Wobst erarbeitet wurden,5 erlebte die Beschäftigung mit Polybios besonders von der Mitte des 20. Jhs. bis in die 1970er Jahre eine regelrechte Renaissance. Zu den grundlegenden Untersuchungen dieser Phase gehören unter anderem der große RE-Artikel von Konrat Ziegler (1952),6 die Arbeiten zur historischen Methode von Paul Pédech (1964)7 und Karl-Ernst Petzold (1969)8 oder diejenigen zur historischen Glaubwürdigkeit von Gustav A. Lehmann (1967)9, zur historischen Kritik von Klaus Meister (1975),10 zum römischen Imperialismus von Domenico Musti (1978)11 Ῥωμαῖοι μετὰ τὸν τῆς πόλεως οἰκισμὸν ἑξακοσίοις ἔτεσι τοῖς περιοίκοις προσπολεμήσαντες μεγάλην ἀρχὴν οὐκ ἐκτήσαντο, μέρος δέ τι τῆς Ἰταλίας ὑφ’ ἑαυτοὺς ποιησάμενοι, καὶ τούτου μετὰ τὴν Ἀννίβα διάβασιν καὶ τὴν ἐν Κάνναις ἧτταν ἐκπεπτωκότες, αὐτοῖς δὲ τοῖς τείχεσι τοὺς πολεμίους ὁρῶντες ἐπικειμένους, εἰς τοσοῦτον μέγεθος ἤρθησαν τύχης ὥστε ἐν οὐδὲ ὅλοις τρισὶ καὶ πεντήκοντα ἔτεσιν μὴ μόνον Ἰταλίαν ἀλλὰ καὶ Λιβύην κατακτήσασθαι πᾶσαν, ἤδη δὲ καὶ τοὺς ἑσπερίους Ἴβηρας ὑφ’ ἑαυτοὺς καταστῆσαι, ἐπεὶ δὲ τοῦ πλείονος ἐφιέμενοι τὸν Ἰόνιον ἐπεραιώθησαν κόλπον, Ἑλλήνων τε ἐκράτησαν καὶ Μακεδόνας παρέλυσαν τῆς ἀρχῆς, αὐτόν τε ὃς τηνικαῦτα τούτων ἐβασίλευε ζωγρίᾳ ἑλόντες εἰς τὴν Ῥώμην ἀνήγαγον. Vgl. zuletzt zur antiken Rezeptionsgeschichte B. DREYER, Polybios. Leben und Werk im Banne Roms, Hildesheim/Zürich/New York 2011, 138–142. 4 Vgl. K. MEISTER, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, Stuttgart 1990, 157–165; O. LENDLE, Einführung in die griechische Geschichtsschreibung, Darmstadt 1992, 223–234. 5 Polybii Historiae rec. F. Hultsch, 4 Bde., Berlin 1-21870–1892; Polybii Historiae ed. Th. Büttner-Wobst, 5 Bde., Leipzig 1-21889–1905; zur älteren Forschungsliteratur vgl. die Angaben in K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI (Stuttgart 1952), Sp. 1440–1578, hier 1441–1444. 6 K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI (Stuttgart 1952), Sp. 1440–1578. 7 P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964. 8 K.-E. PETZOLD, Studien zur Methode des Polybios und zu ihrer historischen Auswertung, München 1969. 9 G. A. LEHMANN, Untersuchungen zur historischen Glaubwürdigkeit des Polybios, Münster 1967. 10 K. MEISTER, Historische Kritik bei Polybios, Wiesbaden 1975. 11 D. MUSTI, Polibio e l’imperialismo romano, Neapel 1978.
Einleitung „Polybios und seine Historien“
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und zur historiographischen Darstellung von Kenneth S. Sacks (1981).12 Insbesondere die zahlreichen Arbeiten von Frank W. Walbank trugen zu einem besseren Verständnis von Werk und Person bei, an erster Stelle sein umfangreicher dreibändiger Kommentar zu den Historien (1957–1979).13 In der jüngeren Polybiosforschung sind solche umfassenden und grundlegenden Untersuchungen die Ausnahme geblieben: Zu erwähnen sind Arthur M. Ecksteins Studie über moralische Aspekte bei Polybios (1995),14 Craige B. Champions Studie zur Kulturpolitik (2004)15 und der Sammelband von Guido Schepens und Jan Bollansée zur Intertextualität in den Historien (2005).16 Insgesamt läßt sich die Tendenz beobachten, dass sich die Forschung zuletzt von übergreifenden Untersuchungen eher ab- und Detailfragen zuwendet. Die jüngsten und das Werk des Polybios wieder umfassender behandelnden Werke von Brian McGing (2010)17 und Boris Dreyer (2011)18 gehören zu der heute zahlreichen Einführungsliteratur und fassen trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung den Forschungsstand naturgemäß eher zusammen, als ihn im Detail zu erweitern. In einem auffallenden Gegensatz zu der nachlassenden Intensivität in der Beschäftigung mit Polybios als Historiker steht geradezu eine Hochkonjunktur in der Hellenismusforschung, die seit etwa einem Vierteljahrhundert unverändert anhält. Eine ganze Reihe bislang wenig oder gar nicht behandelter Aspekte und Akteure der Zeit zwischen Alexander dem Großen und der Schlacht bei Actium sind seither in das Blickfeld wissenschaftlicher Untersuchungen gerückt. Hierbei standen zuletzt stärker noch als in der älteren Forschung struktur- und kulturgeschichtliche Aspekte im Mittelpunkt.19 Getragen wird die Intensivierung der Hellenismusforschung vor allem durch die zahlreichen Publikationen neuer Inschriften und Papyri, auf die sich große Teile der Untersuchungen stützen. In vielen Bereichen fand
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K. S. SACKS, Polybius on the Writing of History, Berkeley/Los Angeles 1981. F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, 3 Bde., Oxford 1957–1979. A. M. ECKSTEIN, Moral Visions in the Histories of Polybius, Berkeley u.a. 1995. C. B. CHAMPION, Cultural Politics in Polybius’s Histories, Berkeley u.a. 2004. G. SCHEPENS, J. BOLLANSÉE (Hrgg.), The Shadow of Polybius. Intertextuality as a Research Tool in Greek Historiography, Leuven 2005. 17 B. MCGING, Polybius’ Histories, Oxford 2010. 18 B. DREYER, Polybios. Leben und Werk im Banne Roms, Hildesheim/Zürich/New York 2011. Hinzuweisen ist auch auf die jüngsten Publikationen zum Thema: F. K. MAIER, „Überall mit dem Unerwarteten rechnen“. Die Kontingenz historischer Prozesse bei Polybios, München 2012; C. SMITH, L. M. YARROW (Hrgg.), Imperialism, Cultural Politics, and Polybius, Oxford 2012. 19 Vgl. die mit umfangreichen Bibliographien ausgestatteten Einführungen und Sammelwerke von H.-J. GEHRKE, Geschichte des Hellenismus, München 42008; B. MEISSNER, Hellenismus, Darmstadt 2007; A. ERSKINE (Hrg.), A Companion to the Hellenistic World, Oxford u.a. 2003; G. WEBER (Hrg.), Kulturgeschichte des Hellenismus. Von Alexander dem Großen bis Kleopatra, Stuttgart 2007; speziell zur Militärgeschichte A. CHANIOTIS, War in the Hellenistic World. A Social and Cultural History, Oxford u.a. 2005, und zur Wirtschaftsgeschichte Z. K. ARCHIBALD, J. K. DAVIES, V. GABRIELSEN (Hrgg.), The Economies of the Hellenistic Societies, Third to First Century BC, Oxford 2011.
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Einleitung „Polybios und seine Historien“
dadurch eine immer stärkere Differenzierung und Spezialisierung der Forschung statt. Stellvertretend für diese Ausrichtung der Forschung mögen hier die Arbeiten von Philippe Gauthier und Christian Habicht angeführt werden. Beispielhaft steht auch die stark epigraphisch ausgerichtete regionalgeschichtliche Forschung zu kleinasiatischen Poleis. Trotz dieser zahlreichen neuen Quellen und Forschungsergebnisse ermöglicht immer noch einzig der Rückgriff auf die Historien des Polybios eine zusammenhängende Rekonstruktion großer ereignisgeschichtlicher Abschnitte der hellenistischen Epoche. Der aus dem arkadischen Megalopolis stammende Polybios konnte als zeitgenössischer Autor nicht nur aufgrund seiner langen Lebenszeit einen großen Abschnitt der römischen Machtausdehnung im östlichen Mittelmeerraum selbst mitverfolgen. Er kannte zudem als Angehöriger der politischen Führungsschicht des Achaiischen Bundes und als langjährige politische Geisel im römischen Exil die griechischen wie auch die römischen Verhältnisse in vielfältiger Hinsicht aus eigener Anschauung. Mit seinen Historien verfasste er mithin Universalgeschichte, die als solche zwar ganz auf die politischen und militärischen Ereignisse konzentriert ist, gleichwohl aber auch Aspekte berührt, die im Fokus der modernen Hellenismusforschung stehen. Wirtschafts-, Religions- oder auch Kunstgeschichte werden von Polybios nicht in einem der Politik oder dem Militär vergleichbaren Maße thematisiert, sind jedoch ebenfalls in seinem Werk präsent. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Themenspektrum des vorliegenden Bandes, der sich zudem auf die Welt des griechischen Ostens und damit auf Polybios’ eigentlichen kulturellen Hintergrund konzentriert. Eine eigenständige und adäquate Diskussion des vielbehandelten Beziehungsgefüges „Polybios und Rom“ ist angesichts der thematischen Breite bewusst unberücksichtigt geblieben. Eröffnet wird der Band von Beiträgen, deren Themen sich bereits die traditionelle Polybiosforschung in unterschiedlicher Intensität angenommen hat. Auch entspricht es ganz Polybios’ Darstellung mit ihrer Ausrichtung auf Staaten- und Institutionengeschichte, wenn Beiträge sich mit Fragen von Diplomatie und institutionellen Strukturen beschäftigen. Schließlich werden solche Aspekte behandelt, die in der älteren Polybiosforschung weit weniger Aufmerksamkeit erfahren haben, mittlerweile in der modernen Hellenismusforschung jedoch zu zentralen Untersuchungsgegenständen zählen – und nicht zuletzt für Zeitgenossen in der hellenistischen Welt allgegenwärtig waren. Darauf aufbauend ließen sich noch andere, hier nicht weiter berücksichtigte Aspekte, wie etwa der Sozialgeschichte oder der Kulturgeschichte, stärker in den Mittelpunkt künftiger Untersuchen stellen und mit den Ergebnissen der Hellenismusforschung in diesen Bereichen verknüpfen. Die vorliegenden Beiträge mögen insofern Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen bieten und mit ihren Ergebnissen dazu beitragen, den Historiker, sein historiographisches Verständnis und sein Werk noch eingehender zu analysieren. Trotz der vielfältigen Aspekte, die für das polybianische Werk berücksichtigt und im Kontext der Hellenismusforschung betrachtet werden können, bleibt letztlich stets der Text des Historikers selbst der Bezugspunkt. Wie mehrere der nachfolgenden Beiträge zeigen, können in den Historien immer auch noch neue werkimmanente inhaltliche und semantische Zusammenhänge aufgezeigt oder bereits
Einleitung „Polybios und seine Historien“
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bekannte weiter ausdifferenziert werden – eben in diesem Sinne begründet sich der Titel des vorliegenden Bandes, also Historien keineswegs nur als „Geschichte“ zu verstehen, sondern vielmehr in ihrer eigentlichen und von Polybios auch intendierten Bedeutung des ἱστορεῖν. Es bleibt den Veranstaltern und Herausgebern die angenehme Pflicht, einen Dank auszusprechen, der sich zuallerst an die Referenten und hier Beitragenden richtet. Weiterhin danken wir der Gerda Henkel Stiftung, die die Tagung finanziell gefördert hat. Zu deren Gelingen haben ebenso die studentischen Hilfskräfte der Professur für Alte Geschichte, die Mitarbeiter der Universitätsverwaltung, das Personal der Offizierheimgesellschaft und schließlich die zahlreich – auch aus dem Ausland – erschienenen Zuhörer beigetragen – ihnen allen sei herzlich gedankt. Volker Grieb
Clemens Koehn
Nachtrag Es entspricht der Natur von Sammelbänden, dass die einzelnen Beiträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgeschlossen werden und nicht in jedem Fall noch die jüngsten Neuerscheinungen herangezogen werden können. Gänzlich unberücksichtigt musste im vorliegenden Fall leider der auf ein Liverpooler Colloquium zurückgehende und von B. Gibson und Th. Harrison herausgegebene Sammelband zu „Polybius and his World. Essays in Memory of F. W. Walbank“ (Oxford 2013) bleiben, der erst nach Abschluss des Gesamtmanuskripts erschien.
POLYBIOS UND DIE UNIVERSALGESCHICHTE Hans Kloft, Bremen
Im Andenken an Imanuel Geiss (1931–2012)
I. Am 26. Mai des Jahres 1789 hielt der neuernannte Professor für Geschichte, Friedrich Schiller, an der Universität Jena seine vielbeachtete und später hochgerühmte Antrittsrede: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?1 Was hier, am Vorabend der Französischen Revolution, vor über 500 erwartungsvollen Zuhörern vorgebracht wurde, war so etwas wie eine Summe der weltgeschichtlichen Überlegungen, wie sie im 18. Jahrhundert von verschiedenen französischen und deutschen Gelehrten vorgetragen und propagiert wurden. Die Überlegungen rekurrierten auf die eine Menschheitsgeschichte, welche sich anschickt, die engen nationalen Grenzen hinter sich zu lassen. Sie würdigten die gewaltigen geographischen Entdeckungen der Neuzeit, die nicht nur als eine Erweiterung des Weltbildes zu begreifen waren, sondern als ein anthropologisches Reservoir, an dem die Entwicklung, und damit der menschliche Fortschritt, die zunehmende Gesittung der Spezies sich zuverlässig ablesen lässt. Und indem der Betrachter die aus der Quellenforschung eruierten Einzelteile aussondert und vermittels eines philosophischen, synthetischen Verstandes zu einem harmonischen Gebilde zusammensetzt, bringt er, wie Schiller sagt, „einen vernünftigen Zweck in den Gang der Welt und ein teleologisches Prinzip in die Weltgeschichte“ (25). Der Blick auf „unser menschliches Jahrhundert“ (27), wie es Schiller vindiziert, lehrt nicht nur, die notwendigen Bausteine der vergangenen Jahrhunderte einzuschätzen, sondern erlaubt eine freie und gelassene Sicht auf das universale theatrum mundi, auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. So relativiert sich angesichts eines kurzen Lebens die eigene Singularität, und „führt das Individuum unvermerkt in die Gattung hinüber. Der Mensch verwandelt sich und flieht von der Bühne; seine Meynungen fliehen und verwandeln sich mit ihm: die Geschich-
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O. DANN (Hrg.), Friedrich Schiller, Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?, Stuttgart 2006, mit Nachwort, Bibliographie und zeitgenössischen Dokumenten (danach zitiert). U. MUHLACK, Schillers Konzept der Universalgeschichte zwischen Aufklärung und Historismus, in: O. Dann u. a. (Hrgg.), Schiller als Historiker, Stuttgart 1995, 5ff.; E. WIERSING, Geschichte des historischen Denkens, Paderborn 2007, 301ff.
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Hans Kloft
te allein bleibt unausgesetzt auf dem Schauplatz, eine unsterbliche Bürgerin aller Nationen und Zeiten.“ (26f.)
II. Schillers Traktat aus dem Jahre 1789, der am Beginn einer universalhistorischen Vorlesung steht und die ganze Programmatik weltbürgerlicher Aufklärungshistorie2 enthält, führt gleich in mehreren Punkten auf unseren Gegenstand: Polybios und die Universalgeschichte zurück. – –
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Es geht zum einen hier wie dort um Inhalte, Objektivationen, an denen Universalgeschichte festgemacht werden kann, die einen besonderen Aggregatzustand von Geschichte sichtbar machen. Universalgeschichte impliziert zweitens ein Telos, ein Ziel, auf das hin die einzelnen regionalen und zeitlichen Ereignisse konvergieren. Dieses Ziel erscheint in Teilen bereits verwirklicht und ist darüber hinaus als virtuelle Leitlinie präsent. Zum Dritten setzt die Verbindung, die „Vernetzung“ der Geschehnisse zu einem Ganzen, eine konstruktive Fähigkeit, Schiller sagt: „einen philosophischen Kopf“ voraus, der in der Lage ist, die trümmerhafte Überlieferung zu einem „Ideengebäude“ (11) zusammenzufügen; ganz anders der „Brodgelehrte“, der im Kleinen, in den Einzelheiten und Fakten befangen bleibt und in dieser unglücklichen Existenz nie zu einer Anschauung des Ganzen gelangt: ein Ganzes, das zu begreifen nicht nur einen intellektuellen, sondern nicht minder einen ästhetischen Wert vermittelt.
Nicht zuletzt besitzt eine so konzipierte Universalgeschichte sowohl bei Schiller wie auch bei Polybios respektable Vorläufer, bei Schiller besonders den Göttinger Historiker August Ludwig von Schlözer (1735–1809), der sich in der Vorstellung seiner Universal-Historie von 1772 ausdrücklich auf Polybios beruft.3 Das Profil der polybianischen Universalgeschichte ist bekanntlich nicht denkbar ohne seinen Rückgriff auf Ephoros und ohne seine ausdrückliche Distanzierung von den hellenistischen Skandalschriftstellern, logographoi, die ihren eingeschränkten Gegenstand in Monographien schlicht und einfältig (ἁπλᾶς καὶ μονοειδεῖς λαβόντες ὑποθέσεις, XXIX 12,2f.) beschreiben, auf Sensationen trimmen und aufbauschen: τὰ μικρὰ μεγάλα ποιεῖν (VII 7,6).4 Dies bedeutet: aus der Mücke einen Elefan2 3
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Zur Aufklärungshistorie die klassische Studie von U. MUHLACK, Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung, München 1991. A. L. VON SCHLÖZER, Vorstellung seiner Universal-Historie, Göttingen 1772; sein Einfluss auf Schiller bei DANN, Schiller (Anm. 1), 68f. J. EDER, Schiller als Historiker, in: A. Koopmann, (Hrg.), Schiller-Handbuch, Stuttgart 1998, 685f., zum Verhältnis Schlözer-Polybios. M. PETERS, Altes Reich und Europa. Der Historiker, Statistiker und Publizist A. L. von Schlözer (1735–1809), Hamburg/London 2003, 159ff. Zu Ephoros Pol. V 32,2; F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, 3 Bde., Oxford 1957/1967/1979; hier I, 9; K. MEISTER, Die griechische Geschichtsschreibung, Stutt-
Polybios und die Universalgeschichte
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ten, oder, ins Rheinische Idiom übersetzt (sit venia verbo): aus einem Furz einen Donnerschlag machen.
III. Dagegen ist die Universalgeschichte, wie sie Polybios versteht, vom Gegenstand her groß, bedeutend und vielfältig.5 Sie ist eine καθολικὴ καὶ κοινὴ ἱστορία, welche dem Anspruch nach die gemeinsamen Geschehnisse der Oikumene bündelt (VIII 2,11) und auf das καθόλον, das Allgemeine ausgerichtet ist, während die Monographie sich lediglich um Teilbereiche (αἱ κατὰ μέρος πράξεις, XII 14,1) kümmert. Dieser begriffliche Gegensatz wird uns weiter unten noch beschäftigen. Wichtig ist an dieser Stelle, wie Polybios die Universalität, das oikumenische Profil seiner Darstellung begründet, welche Objektivationen er zu benennen weiß. Dabei rufe ich einige zentrale Gedankengänge in Erinnerung, die Polybios im ersten Buch (I 3 und 4) programmatisch an den Anfang stellt. Die Universalität ist zunächst geographisch fundiert. Sie ist weltumspannend, oikumenisch, weil sie Ereignisse in Europa, Asien und Libyen umfasst, also jene drei Erdteile, die seit Herodot die bewohnte Welt ausmachen.6 Sie ist zum anderen zeitlich begründet, weil sie die Ereignisse von 220–167 v.Chr. in einer kontinuierlichen Entwicklung zu einer Einheit zusammenfasst, die Erringung der Weltherrschaft durch Rom und dies in einem historischen Prozess schildert, den Polybios mit σωματοειδῆς ἱστορία benennt,7 eine körperhafte Geschichte, in der Ereignisse und geographische Räume miteinander verflochten sind, συμπλέκεσθαι.
IV. Damit sind zwei wichtige Begriffe und Kriterien benannt, die der Erläuterung bedürfen. Erkennbar steht bei Polybios das Körperhafte, σωματοειδῆς, die organische Dimension der Universalgeschichte, gegen die eindimensionale (μονοειδῆς) Monographie. Soma–corpus umschreiben bekanntlich im griechischen und römischen Denken ein politisches und auch soziales Modell, das Herr-
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gart/Berlin/Köln 1990, 87f. S. MOHN, Untersuchungen zu den historischen Anschauungen des Polybios, Diss. Saarbrücken 1977, 86f.; J. M. ALONSO-NUÑEZ, The Emergence of Universal Historiography from the 1st to the 2nd Centuries BC, in: H. Verdin, G. Schepens, E. De Keyser (Hrgg.), Purposes of History, Proceedings of the International Colloquium – Leuven, 24– 26 May 1988 (Stud. Hell. 30), Leuven 1990, 175f. Pol. I 2,1; WALBANK, Commentary III (Anm. 4), 373f. Hdt. IV 42, dazu D. ASHERI u.a., A Commentary on Herodotus I–IV, Oxford 2007, 611f. Zur Oikumene Th. SCHMITT, Oikumene, in: DNP 8, Stuttgart 2000, Sp. 1138f. (Lit.). Die literarischen Vorbilder und Verbindungen bei WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 42f. (zu Pol. I 3,4).
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Hans Kloft
schaft und Genossenschaft gleichermaßen zu veranschaulichen vermag.8 In der berühmten, auf griechische Vorbilder zurückgehenden Fabel des Menenius Agrippa bei Livius (II 32) sind Magen und Glieder aufeinander angewiesen, sind in Gesundheit und Krankheit aneinander gekoppelt. Geht dem Magen die Nahrung aus, leiden alle Glieder. Andererseits besitzt der Körper ein Leitungsorgan, sei es der Kopf, sei es das Herz, denen die übrigen Glieder zu- und untergeordnet sind, die Seiten, die Arme, die Füße, die im Staatskörper als Beamte, als Militär und als Bauernstand Dienst tun.9 Organisches Geschehen meint also bei Polybios die Interferenz der Schauplätze und Taten, vor allem die politischen und militärischen, die aufeinander bezogen und abhängig sind. So lautet jedenfalls der Anspruch, wie er in den einleitenden Grundsatzkapiteln erhoben wird. Polybios hat dieses Ineinanderverwobensein mit dem Verb συμπλέκεσθαι, mit dem Substantiv συμπλοκή bezeichnet.10 Dahinter steht πλοκή, was sowohl den Vorgang, das Flechten und Weben, meint, wie das Ergebnis: Das Geflecht, das Gewebe. Weben, Webstuhl, das Gewebe, parallel die Spindel und das Gespinst bezeichnen Begriffe aus der Tuchproduktion und den Vorgang des verknüpfenden Herstellens. In Senecas Apokolokyntosis kappen die Parzen den Lebensfaden des Trottels Claudius und spinnen dem jugendlichen Nero ein goldenes Zeitalter zu: aurea formoso descendunt saecula filo (Sen. apoc. 4,1). Die Schicksalsgöttinnen messen den Menschen die Zeit und ihre Gestaltung zu. Goethe bemüht im Faust die Vorstellung des Webens für den Ablauf der Weltgeschichte. Er lässt den Erdgeist sagen: „In Lebensfluten, im Tatensturm Wall’ ich auf und ab, Webe hin und her! Geburt und Grab, Ein ewiges Meer, Ein wechselnd Weben, Ein glühend Leben: So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit, und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.“ (Faust I 501–510)
Auch Mommsen benutzt das anschauliche Bild. In seiner berühmten Rede über das Geschichtsstudium ist es der Historiker, der sich des Vorganges bedient und dabei mehr von einem Künstler als von einem Gelehrten hat: „Der Schlag aber, 8
Zur Körpersymbolik und dem sog. organologischen Staatsmodell, wie es sich eindrucksvoll in der sog. Institutio Traiani findet, H. KLOFT, Corpus rei publicae. Bemerkungen zur Institutio Traiani und zur organologischen Staatsauffassung im Mittelalter, in: W. Schuller (Hrg.), Antike in der Moderne, Stuttgart 1985, 137ff.; D. KIENAST, Corpus rei publicae. Überlegungen zum Staatsgedanken der Römer (1982), in: ders., Kleine Schriften, Aalen 1994, 280ff. 9 Im einzelnen: H. KLOFT, M. KERNER (Hrgg.), Die Institutio Traiani, ein pseudoplutarchischer Text im Mittelalter, Stuttgart 1992. 10 Pol. V 105,3f., MOHN, Historische Anschauungen (Anm. 4), 75ff.; F. W. WALBANK, Symploke: its role in Polybius’ Histories, in: ders., Selected Papers, Cambridge 1985, 313ff. Zum inhaltlichen D. VOLLMER, Symploké. Das Übergreifen der römischen Expansion auf den griechischen Osten, Stuttgart 1990.
Polybios und die Universalgeschichte
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der tausend Verbindungen schlägt, der Blick in die Individualität der Menschen und der Völker, spotten in ihrer hohen Genialität allen Lehrens und Lernens.“11 Es ist Aufgabe des Künstlers im Historiker, das Gewebe „künstlich und fein zu bereiten“, wie es in einem berühmten Kirchenlied heißt.
V. Spindel und Webstuhl – unsere Beispiele führen unausweichlich auf die Frage: welche Instanz ist es, welche die Fäden zieht, die das Geschehene, die res gestae oder, wie Polybios sagt, ἅπαντα τὰ τῆς οἰκουμένης πράγματα (I 4,1), zusammen webt. Walbank hat in einem vielbeachteten Aufsatz erwogen, diese Instanz mit der Tyche zu besetzen,12 und er kann für diesen Sachverhalt den Beginn des Kapitels 4 anführen: „Dies nämlich ist das Besondere der von uns behandelten Geschichtsepoche und das Erstaunliche an unserer Zeit, dass, wie die Tyche dem gesamten politischen Geschehen in der Welt die Richtung auf einen Punkt hin gegeben und alles gezwungen hat, sich auf ein und dasselbe Ziel hinwenden, ebenso auch unsere Darstellung dem Leser die Lenkung des gesamten Geschehens durch die Tyche, mit der sie es zur vollständigen Einheit geführt hat, in eins muss zusammenschauen lassen.“ (I 4,1 in der Übersetzung von H. Drexler)
Aber schon hier legt der Begriff σύνοψις, Synopse, nahe, dass der Geschichtsschreiber die Zusammenschau vollzieht; der Gedanke wird am Schluss der theoretischen Erörterung noch einmal aufgenommen und präzisiert. Einzelgeschichte vermag zwar eine gewisse Einsicht, ἔννοια, vermitteln, aber kein Wissen und keine wahrheitsgemäße Auffassung (ἐπιστήμη καὶ γνώμη ἀτρεκής, I 4,9). Die Erkenntnis des Ganzen ist der Universalgeschichte vorbehalten: „Das Nebeneinanderstellen und Verknüpfen sämtlicher Teile miteinander dagegen, die Betrachtung ihrer Ähnlichkeit und Verschiedenheit kann einzig und allein dazu (d. h. zu einer 11 Th. MOMMSEN, Über das Geschichtsstudium (1874), in: ders., Reden und Aufsätze, Berlin 1905, 11; möglicherweise im Rückgriff auf Goethes Schrift zur Morphologie (1807), in: GOETHE, Sämtliche Werk, Bd. 12 (Münchener Ausgabe), München 2006, 100: „So schauet mit bescheidenem Blick Der ewigen Weberin Meisterstück Wie ein Tritt tausend Fäden regt, Die Schifflein hinüber herüber fließen, Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt, Das hat sie nicht zusammen gebettelt, Sie hats von Ewigkeit angezettelt; Damit der ewige Meistermann Getrost den Einschlag werfen kann.“ Zur Webertechnik, der Verknüpfung von Kettenfäden mit dem durch das Weberschiffchen beförderten Schlussfaden, vgl. B. WAGNER-HASEL, Zur metaphorischen Bedeutung des Webens in der griechisch-römischen Antike, in: L. Kuchenbuch, U. Kleine (Hrgg.), Textus im Mittelalter, Göttingen 2005, 15ff. (non vidi). 12 F. W. WALBANK, Φίλιππος τραγῳδούμενος. A Polybian experiment, in: ders., Selected papers, Cambridge 1985, 215.
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Hans Kloft zuverlässigen Kenntnis des Ganzen) führen, und wer die Geschichte in diesem Sinne sorgfältig erforscht, vermag dann sowohl den Nutzen wie den Genuss, den sie zu bieten vermag, aus ihr ziehen.“ (I 4,9, in der Übers. von H. Drexler)
Hier wird ganz deutlich: Es ist das menschliche Subjekt, der Geschichtsschreiber, der die historische Landschaft nach Vergleichbarkeiten und Unterschieden durchforscht und die Dinge zusammenwebt, z u s a m m e n s t e l l t (παράθεσις). Mit anderen Worten: Universalgeschichte ist eine konstruktive Leistung, die der forschende Betrachter vollbringt. Inwieweit ihm die Tyche dabei in der Sache vorgearbeitet hat, diese polybianische Erklärungsversion muss an dieser Stelle auf sich beruhen bleiben. Der zentrale Begriff ist bei Polybios nicht eindeutig.13 Wir wollen die hier angesprochene Subjekt-Objekt-Problematik14 von Geschichte nicht weiter vertiefen. Sie hat freilich für den Charakter der polybianischen Universalgeschichte beträchtliche Folgen. Es verwundert wenig, dass der Vertreter einer pragmatischen Geschichtsschreibung als Bausteine seiner historia die Taten (πράξεις, res gestae) der Völker, Städte und Herrscher nennt,15 in Kriegen und Gesandtschaften das verbindende Element sieht, Synchronismen herstellt, welche das zeitliche Gerüst seiner Universalgeschichte bilden.16 Dabei geht es nicht ohne Gewaltsamkeiten in der Konstruktion ab, wie seine Zusammenfassung der Ereignisse des Jahres 217 v.Chr. zeigt: „Dies alles geschah im dritten Jahr der 140. Olympiade, ich meine die Niederlage der Römer in Etrurien, den Krieg zwischen Antiochos und Ptolemaios um Koilesyrien und den Friedensschluss der Achäer und Philipps mit den Aetolern. In diesem Augenblick und mit dieser Beratung begann die Verflechtung der griechischen, italischen und libyschen Ereignisse. Denn weder Philipp noch die leitenden Männer Griechenlands ließen sich bei ihren Entschlüssen über Krieg und Frieden jetzt noch allein von der Rücksicht auf die griechischen Angelegenheiten leiten, sondern alle Augen waren auf einen Blickpunkt, auf Italien gerichtet. Und sehr bald geschah dasselbe auch in der Inselwelt und in Asien.“17
13 Inkonsistent im Sprachgebrauch: M. P. NILSSON, Geschichte der griechischen Religion II, München 1961, 205f.; WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 9ff. und 16ff. E. S. GRUEN, The Hellenistic world and the coming of Rome, Berkeley 1984, 344f. Die Tyche als Produktivkraft dagegen bei K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI, Stuttgart 1952, Sp. 1515; zu Pol. I 63,9 vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 129f. („Fortune favoured the Romans, because they were worthy“). Tyche als „Providence“: WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 22f. 14 Zur Subjekt-Objekt-Problematik von Geschichte H. W. HEDINGER, Subjektivität und Geschichtswissenschaft. Grundzüge einer Historik, Berlin 1969. K. G. FABER, Theorie der Geschichtswissenschaft, München 1980, 23ff. U. DANIEL, Kompendium Kulturgeschichte, Frankfurt 42004, 390ff. 15 Pol. IX 1,4f.; WALBANK, Commentary II (Anm. 4), 117. Ergänzend B. R. VAN WICKEFOORT CROMMELIN, Die Universalgeschichte des Pompeius Trogus, Hagen 1993, 212ff. (reges, nationes, imperia als Koordinaten der Weltgeschichte). 16 Pol. II 41,2 (dazu WALBANK, Commentary I [Anm. 4], 229); II 71,3ff. (dazu WALBANK, Commentary I [Anm. 4], 291); IV 2,4ff. 17 Pol. V 105,3f. in der Übersetzung von H. DREXLER, Polybios, Geschichte. Gesamtausgabe in zwei Bänden, eingeleitet und übertragen von H. Drexler, Zürich/München 21978; WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 629f. (vgl. auch XXXIX 8,6).
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Die Weltgeschichte findet ihren geographischen Bezugspunkt in Italien, das Telos der römischen Weltherrschaft kündigt sich damit implizit an. Hier wie in anderen Fällen lässt sich unschwer nachweisen, dass die zeitliche und räumliche Verknüpfung, die συμπλοκή, von Polybios künstlich geschaffen wird. Die historischen Schauplätze unterliegen in Wahrheit eigenen regionalen Bedingungen. Das gilt für die Niederlage der Römer am Trasimenischen See, die Niederlage des Antiochos III. bei Raphia und den Friedensschluss von Naupaktus.18 Wie sehr diese rein griechische Angelegenheit im Jahre 217 dem teleologischen Gesamtsinn: Roma ante portas unterworfen wird, zeigt die Rede, die Polybios dem ätolischen Staatsmann Agelaos in den Mund legt: „Wer sich auch nur einigermaßen bemüht, die allgemeinen historischen Entwicklungen (ta koina) zu erfassen, für den ist klar, dass der Sieger des gewaltigen Ringens im Westen, ob nun Karthager oder Römer, sich mit Italien oder Sizilien nicht zufrieden geben, sondern eine Machterweiterung ohne angebbare Grenzen anstreben werden.“19
Das ist nicht nur ein vaticinium ex eventu (Bengtson, GG 411), sondern die erkennbare Instrumentalisierung einer Rede im Dienste der avisierten Universalgeschichte. Generell lässt sich also sagen, dass der Krieg mit all seinen Akteuren, seinen politischen und militärischen Implikationen für Polybios d e r universale Demiurg ist, der die Weltgeschichte hervorbringt.20 Dies formuliert nun im Hinblick auf Herkunft und Prägung des Historikers nicht mehr als eine Binsenwahrheit, lässt freilich bereits jetzt erkennen, was er beiseite lässt.
VI. Aber ebenso wichtig wie der Blick auf die Objektivationen, die Universalien, die Polybios herausarbeitet, sind seine methodischen Kriterien, die für eine Weltgeschichte gelten. Dass der Historiker die Vergangenheit kennen muss, um das Gegenwärtige zu verstehen und um weiter daraus zu schließen, was in Zukunft zu erwarten ist,21 diese Zuversicht, wie sie sich bei Thukydides im Methodenkapitel findet, setzt einen identischen menschlichen Charakter und die daraus resultierenden Handlungsweisen voraus. Die Vergangenheit zeigt, von wem man Dank, Wohltaten und Hilfe erwarten kann (III 31,8). Die recht verstandene Kontinuität der Geschichte vermag also Handlungsanweisungen zu geben und sie tut dies, weil sie auf Ursachen (αἰτίαι) schaut und die Folgen bedenkt. „Denn wir erklären für die allernotwendigsten Teile der Geschichte die unmittelbaren und die weite-
18 Statt aller: H. BENGTSON, Griechische Geschichte, München 21960, 411. 19 Pol. V 104,3 (Übersetzung H. Drexler); WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 629, der die Rede im Kern für authentisch hält, vgl. auch W. V. HARRIS, War and Imperialism in Republican Rome, 327–70 BC, Oxford 1979 (ND Oxford 1985), 116f. 20 Vgl. Pol. III 32,7f.: die Abfolge und kausale Verbindung der Kriege von 264 v.Chr. bis auf die Auseinandersetzung mit Antiochos III.; HARRIS, War and Imperialism (Anm. 19), 219ff. 21 Pol. III 31,2f.; WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 358ff. mit Verweis auf Thuk. I 22,4.
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ren Folgen der Ereignisse, vor allem aber ihre Ursachen.“22 Diese Kausalitäten führen im vorliegenden Falle auf ein gemeinsames Ziel, das zu erkennen und zu verstehen nur Sache der Universalgeschichte sein kann (III 32,8). Sie ordnet die Einzelheiten zu einem strukturellen Ganzen; sie ist es, die Nutzen stiftet und intellektuelle Befriedigung schafft.
VII. Wir wollen an dieser Stelle den Begriff καθόλου, womit Polybios das Universale, das Allgemeine, bezeichnet, näher beleuchten und gegenüber dem ἕκαστον, dem Spezifischen, absetzen. Man hat ansprechend vermutet, dass die Wirksamkeit Alexanders des Großen, seine Öffnung der Welt nach Osten, möglicherweise auch sein Traum von der einen Menschheit, die Sensibilität für eine umfassende Weltgeschichte gefördert hat.23 In den märchenhaften und wundersamen Berichten aus einer weit entfernten exotischen Welt, wie sie die sog. Alexanderhistoriker geschildert haben, mag man noch den, zugegebenermaßen schwachen Reflex von Erweiterung eines kulturellen und geographischen Horizontes sehen. Das lässt sich mit den Verhältnissen im 18. Jahrhundert, der Entsprechung von Entdeckung und Universalgeschichte, wie wir sie bei Schiller finden, durchaus vergleichen. Aber auch das Schillersche Postulat eines philosophischen Kopfes mit der Fähigkeit, die disiecta membra zu einem historischen Ganzen zu fügen, findet ihr Pendant, in der Gegenüberstellung von καθόλου und καθ’ ἕκαστον, die weit über Polybios hinausreicht. An einer berühmten Stelle seiner Poetik, wahrscheinlich gegen 335 v.Chr. verfasst, kommt Aristoteles auf den Unterschied von Geschichtsschreibung und Dichtung zu sprechen: „Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter (...) unterscheiden sich dadurch, dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen könnte. Daher ist Dichtung etwas Philosophischeres und Ernsthafteres (φιλοσοφώτερον καὶ σπουδαιότερον) seriöser als Geschichtsschreibung; denn die Dichtung teilt mehr das Allgemeine (μᾶλλον τὰ καθόλου), die Geschichtsschreibung dagegen das Besondere mit (τὰ καθ’ ἕκαστον). Das Allgemeine besteht darin, dass ein Mensch von bestimmter Beschaffenheit nach der Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit bestimmte Dinge sagt oder tut – eben hierauf zielt die Dichtung, obwohl sie den Personen Eigennamen gibt. Das Besondere besteht in der Frage wie: was hat Alkibiades getan oder was ist ihm zugestoßen?“24
22 Pol. III 32,6f. in der Übersetzung von H. Drexler; WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 360; MOHN, Historische Anschauungen (Anm. 4), 82f. 23 So ALONSO-NUÑEZ, Universal Historiography (Anm. 4), 180f. 24 Arist. poet. 1451b 1–3 in der Übersetzung von M. FUHRMANN, Aristoteles, Poetik, Stuttgart 1982, 29f. Das Katholon stellt für Aristoteles eine zentrale Kategorie dar, vgl. A. F. KOCH, in: O. Höffe (Hrg.), Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, 307ff.
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Die Zuordnung von Allgemeinem und Besonderen, von τὰ καθόλου und τὰ καθ’ ἕκαστον, wie sie Aristoteles vornimmt, scheint klar, aber sie ist nicht ausschließlich, wie das Wort μᾶλλον beweist. „Was die Geschichte auch immer an unwiederholbarem Individuellen enthalten mag, so wäre sie doch für uns sowohl unverständlich wie ohne Interesse, wenn durch dieses ganz Individuelle nicht auch ein allgemeineres hindurchleuchten würde“, 25
formuliert Kurt von Fritz im Hinblick auf Thukydides und dessen Geschichte. Sie kann nur dann ein Besitz für alle Zeiten, ein κτῆμα ἐς αἰεί, sein, wenn sie etwas allgemein Menschliches thematisiert, das sich übertragen lässt. Was nun Aristoteles konkret unter dem καθόλου der Dichtung, speziell der Tragödie, versteht, die ein Mehr an Philosophie, ein Mehr an sittlicher Konzentration,26 anders gesagt: an größerer menschlicher Potenzialität aufweist, muss hier auf sich beruhen bleiben. Aber es wird deutlich, was Polybios aus der aristotelischen Dichotomie gemacht hat, indem er sie auf die Universalgeschichte und die Spezialmonographie überträgt. Universalgeschichte ist durchdachter, philosophischer, kurz – allgemeiner, weil sie hinter den Ereignissen die wesentliche Struktur, eben den Weg zur römischen Weltherrschaft offen legt. Und in dieser Hinsicht ist sie auch lehrreicher und wahrer als die Tragödie, die in den Augen des Historikers auf Dramatik, auf Effekte und auf den Augenblick (τὸ παρόν) aus ist, der Unterhaltung und nicht der Belehrung dient.27 Diese Vorbehalte gegen die Tragödie bringt Polybios im Zusammenhang mit seiner Kritik an der sog. tragischen Geschichtsschreibung vor, wie sie etwa Phylarch praktiziert hat.28 Sie wird der aristotelischen Analyse in der Poetik kaum gerecht. Für Aristoteles steht die Dichtung, speziell die Tragödie, höher, weil sie in den Abgründen menschlicher Existenz etwas Allgemeines offen legt; für Polybios dominiert die Geschichte, weil sie wahrhaftiger ist und langfristigen Nutzen, aber eben auch Genuss stiftet.29 Sie besitzt also, ähnlich wie bei Schiller, eine ästhetische Dimension, die dem Anschauen, dem Begreifen von Weltgeschichte geschuldet wird.
25 K. VON FRITZ, Die Bedeutung des Aristoteles für die Geschichtsschreibung, in: ders., Schriften zur griechischen und römischen Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie, Berlin/New York 1976, 278 mit Bezug auf Thuk. I 22,4. A. D. NESCHKE, Die „Poetik“ des Aristoteles I, Frankfurt 1980, 128ff. 26 σπουδαῖος meint an dieser Stelle bei Aristoteles mehr als nur „ernsthaft“ (so Fuhrmann), vgl. VON FRITZ, Bedeutung des Aristoteles (Anm. 25), 282. 27 Pol. II 56,10ff.; WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 262f. MOHN, Historische Anschauungen (Anm. 4), 139ff.; MEISTER, Geschichtsschreibung (Anm. 4), 131ff. 28 Pol. II 56,5; WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 259f.; vgl. auch vorherige Anmerkung. 29 Pol. XV 36,3 und öfter. Vgl. MOHN, Historische Anschauungen (Anm. 4), 133ff. mit den zeitgenössischen Parallelen. Prodesse-delectare bei Hor. ars poet. 333.
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VIII. Die Rückkehr zu Schiller und zu seinem Traktat: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte, verlangt eine letzte, abschließende Bemerkung. Polybios, der diese Frage, gemessen an seinen Voraussetzungen und seinen Kenntnissen, in bewundernswerter Weise umfassend beantwortet hat, kann lehren, dass es bestimmter historischer Konstellationen bedarf, auf welche der Universalhistoriker zu antworten hat, die er als historisches Kontinuum zu begreifen sucht.30 Für den geographischen und politischen Komplex der Regionen, die Rom im 3. und 2. Jahrhundert als Provinzen unter seiner Oberhoheit zwang, haben die Akteure selbst keinen Begriff, keine Vorstellung gehabt, auch nicht für die Herrschaftsstruktur, die sich herauszubilden begann. Erst der Grieche Polybios, so Alfred Heuß, hat ihnen die arché über die Oikumene erklärt, er ist folglich „der Stifter der Weltherrschaft“.31 Horizonterweiterung, Aufklärung und Weltbürgertum bildeten im 18. Jahrhundert für Schiller und seine Vorgänger die Voraussetzungen einer Weltgeschichte, die sich an der Menschheitsentwicklung orientierte, mithin in nuce bereits Momente einer historischen Anthropologie vorweg nahm.32 Den Konjunkturen von Weltoder Universalgeschichte liegen, so meine These, historische, darunter auch geistesgeschichtliche Bedingungen vorauf, mag man an die Verdichtung universalhistorischer Entwürfe um 1900, an die großen vielbändigen Weltgeschichten nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg denken, insbesondere an die Zeitschrift „Saeculum“ und ihre Protagonisten, die nichts weniger als eine „Ortsbestimmung“ der Gegenwart unter aktueller Fragestellung im Sinne hatten.33 Die weitgehende Abkehr von politisch-staatlichen Analysen34 und die Hinwendung zu kulturellen, besonders interkulturellen Phänomenen, zu zentralen Problemen einer historischen Anthropologie, die Geburt und Tod, Krankheit und Geschlechterspezifika, Armut und Reichtum, Besitz und Fremdheit thematisieren – diese Themen umschreiben so etwas wie neuere Trends der universalhistorischen Forschung, deren 30 Vgl. O. MARQUARD, Universalgeschichte und Multiversalgeschichte, in: Saeculum 33 (1982), 109f. E. SCHULIN, Das alte und neue Problem der Weltgeschichte als Kulturgeschichte, in: ebenda 102ff. 31 A. HEUSS, Weltreichsbildung im Altertum (1981), in: ders., Gesammelte Schriften Bd. 1, Stuttgart 1995, 682ff. Vgl. schon das Urteil von Th. MOMMSEN, Römische Geschichte Bd. 2, 449. M. GELZER, Die Anfänge des römischen Weltreiches (1940), in: ders., Kleine Schriften Bd. 2, Wiesbaden 1963, 18. 32 DANIEL, Kulturgeschichte (Anm. 14), 298f. Zur historischen Anthropologie vgl. J. MARTIN, Bedingungen menschlichen Handelns in der Antike, Gesammelte Beiträge zu einer historischen Anthropologie, Stuttgart 2009. Die neue WBG Weltgeschichte I–VI, Darmstadt 2009 und 2010 hält ihr Unternehmen als ein „Akt der Selbstaufklärung“ (Schmidt-Glinzer VI, 475). Die freundlichen Rezensionen (u. a. D. Sachsenmaier, HZ 294 [2012], 144f.) können nicht darüber hinweg täuschen, dass der Zuschnitt ausgesprochen traditionell-konservativ und auf ein breites Publikum zugeschnitten ist und dem eigenen Anspruch nicht genügt. 33 E. SCHULIN (Hrg.), Universalgeschichte, Köln 1974, 13ff. 34 E. SCHULIN, Literaturbericht Universalgeschichte, in: GWU 37 (1986), 377ff.
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Relevanz nur schwer abzuschätzen ist. Sie lassen aber den Abstand zu Polybios, man kann schärfer formulieren: seine Begrenzungen und unsere Distanz zu ihm deutlich hervortreten. Die einschlägigen Argumente gegen Universal- beziehungsweise Globalgeschichte hat mit besonderem Nachdruck bereits vor 30 Jahren der Philosoph Odo Marquard vorgebracht. Er wehrte sich vehement, wie andere vor ihm, gegen die Finalisierung der Weltgeschichte, die bei Schiller alle voraufgehenden Zeitalter zu Vorstufen „unseres menschlichen Jahrhunderts“, so Schiller in seiner optimistischen Auffassung im Sommer 1789, machen. Mit der Überführung des individuell Menschlichen in die Gattung, wie Schiller formuliert, verschwindet, so Marquard, alles Spezifische, Eigentümliche, alles Unpassende auf „dem langen Marsch ins Universale“.35 Marquard setzt auf das Gegenteil: „Wichtiger als die Universalgeschichte ist die buntheitsfördernde Replik auf sie“ – ein Plädoyer für eine Multiversalgeschichte und die Einsicht, dass die Menschen nicht nur eine, sondern viele Geschichten haben, ein Plädoyer für den Respekt und das Geltenlassen des Andersartigen, das sich der Vereinnahmung nicht fügt. Die Vorbehalte Marquards gegen die Universalgeschichte könnten für Polybios heißen: die Mittelmeergeschichte nicht mehr unter dem Leitbild und Ziel der Weltherrschaft darzustellen, auf die hin eine stringente Entwicklung führt und die dabei in ihrer Struktur und in ihrer organisatorischen Bewältigung gar nicht in den Blick genommen wird. Es kann kein Zweifel herrschen, dass die Weltanschauung des Militärstrategen und Politikers Polybios, der die Hegemonie in der Welt als das höchste erstrebenswerte Ziel sieht, dem Historiker die Richtlinien seiner Darstellung an die Hand gab.36 Inwieweit es ihm gelungen wäre, den im dritten Buch formulierten Vorsatz, auch über die Akzeptanz der römischen Herrschaft bei den unterworfenen Völkern37 berichten zu wollen, in die Tat umzusetzen, muss nach Lage der Dinge ungewiss bleiben. Es sind jedenfalls Zweifel angebracht, ob er für
35 MARQUARD, Universalgeschichte (Anm. 30), 114. Marquards Reserven gegenüber einen neomarxistischen Geschichtsdeutung sind unübersehbar: „Die Universalgeschichte – als Theorie der emanzipatorisch-revolutionären Avantgarde und als Theorie der sozialen Evolution – erklärt den Menschen so zum triumphierenden Lebewesen: zum siegreichen Protagonisten des Reiches der Freiheit oder wenigstens zum derzeitigen Träger des gelben Trikots bei der Tour de l’évolution, der Weltmeisterschaft im Übrigbleiben.“ 36 Die Herrschaft über die Welt als das höchste Ziel: Pol. V 101, 6f.; GRUEN, Hellenistic World Bd. 2 (Anm. 13), 374. Vgl. auch Pol. VI 50,4 und XV 10,2, dazu HARRIS, War and Imperialism (Anm. 19), 116. Georg Simmel (1858–1918) hat den Sachverhalt auf folgenden Nenner gebracht: „Auch die historischen Erkenntnisse werden nicht einfach von der Thatsächlickeit der Dinge abgelesen, auch sie sind von der Auffassung nicht nur des Berichterstatters, sondern des Historikers selbst a priori abhängig, d. h. von seinen Deutungen, seinen mitgebrachten Ideen, von den Vorstellungsformen, die seine Zeit und Lebensgeschichte zu Bedingungen seines Erkennens geprägt haben“, zitiert bei DANIEL, Kulturgeschichte (Anm. 14), 54. 37 Pol. III 4,4f.; WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 295f. und 301f.
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die Analyse der römischen Herrschaftsstruktur und Ehrenorganisationsform die rechte Sensibilität aufgebracht hätte.38 Historische Sensibilität, das hätte bedeutet: – – –
Personen und Ereignisse an ihren eigenen Intentionen zu messen; die politischen und ökonomischen Traditionen, die kulturellen und religiösen Kräfte der unterworfenen Länder als vitale eigene Potenzen wie als Exportgüter zu würdigen; das Schwergewicht von den Militärereignissen, von den Haupt- und Staatsaktionen zu verlagern auf das dahinterliegende Geflecht sozialer, ökonomischer und kultureller Kräfte, in welche die Politik eingebunden ist.
Diese Strategie einer neuen Politikgeschichte39 ist freilich billigerweise dem Staatsmann aus Megalopolis nicht abzuverlangen. Aber sie umschreibt die Erwartung an den Althistoriker hier und heute. Dabei bleibt fraglos genügend Substanz, genügend Bewunderung für den bedeutendsten Historiker des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts, ohne dessen Vermittlung eine Geschichte der römischen Republik und der hellenistischen Staaten nicht geschrieben werden kann. Seine universalhistorische Deutung der römischen Expansion erweist sich als eine ingeniöse Konstruktion, die ihre Faszination bis weit ins 20. Jahrhundert nicht verloren hat.
38 Zu der genialen rechtlichen Unterscheidung Mommsens im Staatsrecht III 1, 645ff. zwischen autonomer Untertänigkeit (italische Wehrgenossenschaft) und nicht autonomer Untertänigkeit (Provinzialstatus) vgl. U. VON LÜBTOW, Das römische Volk, sein Staat und sein Recht, Frankfurt 1955, 649ff. 39 Th. MERGEL, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, in: Geschichte & Gesellschaft 28 (2002), 574ff.
GESCHICHTE IN FORTSETZUNG WIE, WARUM UND WOZU HABEN AUTOREN WIE POLYBIOS UND THUKYDIDES/XENOPHON AUF EIN ZIEL HIN GESCHRIEBENE GESCHICHTSWERKE FORTGESETZT? Andreas Mehl, Halle/Berlin
Der Beitrag verbindet zwei sowohl in der griechischen als auch in der römischen Geschichtsschreibung feststellbare Phänomene miteinander: Zum einen gibt es unter den antiken Geschichtsdarstellungen solche, die auf ein von ihrem Verfasser sachlich begründetes und zeitlich definiertes Ende, mithin auf ein Ziel als Ergebnis eines historischen Prozesses zumindest in der Sicht des Autors hin geschrieben sind und dadurch Geschlossenheit in Gegenstand, Personen, Zeit und Ort aufweisen.1 Man wird zuerst an die modern so genannte historische Monographie, aber auch an solche Werke der Geschichtsschreibung denken, die wie die antiken Alexandergeschichten auf eine Person ausgerichtet sind. Auch andersartige Darstellungen können in sich geschlossen und zielgerichtet sein. Zum anderen haben mehrere antike Geschichtsdarstellungen eine Fortsetzung, und zwar eine Erweiterung üblicherweise – wenn auch nicht immer – in spätere Zeit hinein, gefunden, sei es durch den Verfasser der ursprünglichen Darstellung, sei es durch einen anderen Autor. Dabei unterscheiden sich Fortsetzungen durch den ursprünglichen Autor und solche durch einen anderen Autor schon darin, dass die Absicht, sich mit dem eigenen Werk an einen berühmten Namen anzuhängen, nur einen mit dem ursprünglichen Autor nicht identischen Fortsetzer leiten kann. Fortsetzungen haben auch solche Darstellungen erhalten, die auf den Abschluss eines historischen Prozesses hin geschrieben worden sind. Da solche Werke in sich geschlossen sind und von daher als nicht sinnvoll fortsetzbar erscheinen, ist das ein erstaunliches Faktum. Es wirft Fragen danach auf, wie sich die Fortsetzung zur Zielgerichtetheit und inhaltlichen Geschlossenheit der ursprünglichen Darstellung 1
Diese Art, Geschichte zu beschreiben, mag einem heutigen Geschichtswissenschaftler, der es gewohnt ist, dass in seiner Disziplin nicht beliebig erzählt, sondern argumentiert und analysiert wird und Erzählen der Ausbreitung historischen Materials für das Argumentieren und Analysieren dient, als selbstverständlich erscheinen, aber in der Antike ist das anders gewesen: Man konnte bis zu einem beliebigen Zeitpunkt erzählen, der z. B. durch den Zufall des eigenen Todes bestimmt worden sein kann. Vgl. u. zu Cato und Plinius. Dass zu einem definierten Ende ein ebenfalls definierter Anfang innerhalb der Geschichte des betreffenden Gegenstandes gehört, wird man für selbstverständlich halten wollen. Anfänge in sich geschlossener Darstellungen werden im vorliegenden Beitrag – mit Ausnahme des „Epilogs“ – allerdings nur insoweit behandelt, als dies für dessen Gegenstand unmittelbar hilft.
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verhält und was sich der Autor der Fortsetzung gedacht und was er mit dieser bezweckt hat.2 Daher werden hier nicht lockere Anbindungen untersucht, die wie die Epen um den Troianischen Krieg und dessen Helden so etwas wie einen Zyklus entstehen lassen mögen, sondern Fortsetzungen, die nach der Absicht ihrer Autoren mehr als nur ein Fortfahren der Zeit nach sein sollen.3 Es liegt nahe, den hier formulierten Fragen insbesondere an solchen Passagen antiker Geschichtswerke nachzugehen, in denen der Autor über sein Werk und dessen Inhalt nachdenkt, und an Passagen, die als Nahtstellen innerhalb des Werkes erkennbar sind. Beides kann miteinander identisch sein. In der antiken Geschichtsschreibung – und wohl nicht nur in ihr – sind dies vor allem Vorreden und Schlussworte sowie Übergänge vom ursprünglichen Ende in die Fortsetzung.4 2
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Hypothetisch müssen Fragen bleiben, die nicht auf einen Fortsetzer, sondern auf einen posthum fortgesetzten Autor zielen wie die bei R. NICOLAI, Thucydides continued, in: A. Rengakos, A. Tsakmakis (Hrgg.), Brill’s Companion to Thucydides, Leiden 2006, 693: „Did Thucydides want to be continued? Would he even have considered the continuation of his work as a possibility?“. L. CANFORA, Il ciclo storico, in: Belfagor 26 (1971), 653–670, nimmt die Entstehung eines „ciclo storico“ mit den Werken Herodots und Thukydides’ an. Der Vergleich der Vorreden des Polybios und des Dionys von Halikarnass durch A. M. GOWING, From Polybius to Dionysius. The Decline and Fall of Hellenistic Historiography, in: J. J. Clauss, M. Cuypers (Hrgg.), A Companion to Hellenistic Literature, Chichester 2010, 389– 391, ist für letzteren – im Hinblick auf ersteren – eindeutig ergiebiger als für ersteren. Die Schlüsse antiker Geschichtsdarstellungen untersucht J. MARINCOLA, Concluding Narratives: Looking to the End in Classical Historiography, in: F. Cairns (Hrg.), Papers of the Langford Latin Seminar. Twelfth Volume. Greek and Roman Poetry, Greek and Roman Historiography, Cambridge 2005, 285–320, an vielen Beispielen. Er unterscheidet drei Typen von Werkschlüssen voneinander: 1. Schlüsse, in denen der Autor werkübergreifend wiederkehrende Motivations- und Rechtfertigungsmuster auf sein eigenes Werk so anwendet, dass sie ihn zu dessen Abfassung veranlasst haben und diesem Bedeutung verleihen („Personal Topoi“: 290–297), 2. Schlüsse mittels der Erzählung markanter Ereignisse oder Situationen, die im Idealfall eine beschriebene Entwicklung abschließen („Concluding Narratives“: 297–306) und 3. offene Schlüsse, bei denen der Autor dort aufhört, wo er zufällig gerade angelangt ist („History without End“: 306–315; alle drei zusammengefasst 315). Dass inhaltlich in sich geschlossene und auf ein Ziel ausgerichtete Geschichtswerke Schlüsse des Typs 2 und auch Kombinationen der Schlussarten 1 und 2 besitzen und damit antike literarisch-rhetorische Forderungen an publikumswirksame Werkschlüsse generell erfüllen, wie sie etwa Dionys von Halikarnass (Pomp. 3 = II 376 Usher; MARINCOLA, Concluding Narratives, 288–290) formuliert hat, versteht sich von selbst. Marincola (291–292) ordnet Polybios’ definitiven Werkschluss (XXXIX 8) dem ersten Typ zu (Polybios sei hierin der älteste Autor), jedoch nicht zugleich auch dem zweiten; bezeichnenderweise lässt er in seiner Wiedergabe von Text und Übersetzung die in Polybios’ Schlusskapitel gebotene Inhaltsangabe seines Werkes weg (291, kurzer Verweis auf die in der Forschung erwogene posthume Einfügung dieser Passage in den Text 292 Anm. 33). Xenophons Hellenika ordnet Marincola (307–310) dem dritten Typ zu (hier sei Xenophon der älteste Autor). Der vorliegende Beitrag wird indes – eher beiläufig – zeigen, dass Maricolas Zuordnungen der Werkschlüsse von Polybios und Xenophon nicht so glatt aufgehen, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Dass längst nicht alle Schlüsse (und Anfänge) antiker Geschichtsdarstellungen erhalten sind, schränkt ohnehin die Gültigkeit von Marincolas Vergabe ‚erster Plätzeʻ und überhaupt seine Verallgemeinerungsmöglichkeiten ein. – Marincolas Untersuchung und der vorliegende Beitrag berühren sich; allerdings geht
Geschichte in Fortsetzung
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Aufschluss darüber, ob Absichten und Ziele eines Autors gleich bleiben oder sich ändern, geben vor allem Bezüge zwischen den Darlegungen desselben Autors an derartigen Werkstellen, also insbesondere zwischen Einleitung und Schluss. Entsprechendes gilt für derartige Passagen zwischen fortgesetztem und fortsetzendem Autor. Das bedeutet auch, dass die Einleitung eines Werkes nicht ohne dessen Schluss und umgekehrt verstanden werden kann.5 In der philologisch-althistorischen Forschung werden Vorworte von solchen Werken, die von ihrem Verfasser überarbeitet oder erweitert worden sind beziehungsweise zu sein scheinen, besonders gern dafür herangezogen, diese Überarbeitungen oder Erweiterungen näher zu bestimmen, möglichst auch zu datieren und zu diesem Zweck womöglich in den Einleitungen selbst zwei oder mehr Entstehungsschichten beziehungsweise unterschiedlich zu datierende Teile voneinander zu unterscheiden. Soweit diese Art der Forschung zum Spekulieren tendiert, wird sie im vorliegenden Beitrag nicht aufgegriffen.6 Im Mittelpunkt wird hier die auf Rom zentrierte und zunächst zeitlich eindeutig begrenzte sowie auf einen bestimmten historischen Prozess ausgerichtete, von ihrem Autor indes fortgesetzte Universalgeschichte des Polybios stehen, weil sie sowohl im objektiven Befund als auch in den vom Autor mitgeteilten Gedanken über Ziel und Fortsetzung besonders ergiebig ist.7 Einige Werke anderer Autoren einschließlich der Weiterführung teils durch den ursprünglichen Autor selbst, teils durch einen Dritten werden vor allem zum Vergleich mit und zur Kontrastierung gegenüber Polybios herangezogen; bei diesen Vergleichsautoren liegt der Schwerpunkt auf Thukydides und Xenophon.8
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Marincola auf Werkfortsetzungen nur punktuell ein. In dem von Marincola kürzlich herausgegebenen Sammelband (J. MARINCOLA [Hrg.], Greek and Roman Historiography, Oxford 2011), in dem nur die „Introduction“ vom Herausgeber verfasst ist, ist der Gegenstand des vorliegenden Beitrags nicht behandelt. Eine Einleitung bei fehlendem Schluss und umgekehrt kann also eventuell missverstanden werden. MARINCOLA, Concluding Narratives (Anm. 4), 296, weist auf den besonderen Bezug zwischen Schluss und Vorwort in Arrians Alexandergeschichte hin (VII 30,3 zu I 12,5: „Ringkomposition“). Unter rhetorischem Gesichtspunkt ist verständlicherweise vor allem der Beginn und mit ihm die Einleitung wichtig, ja entscheidend. Das hat bereits Dionys von Halikarnass betont. Vgl. MARINCOLA, Concluding Narratives (Anm. 4), 287–288 und B. MEISSNER, Περὶ ἱστορίας: Über Probleme antiker Geschichtstheorie, in: T. Brüggemann, B. Meißner, C. Mileta, A. Pabst, O. Schmitt (Hrgg.), Studia Hellenistica et Historiographica. Festschrift für Andeas Mehl, Gutenberg 2010, 183, zu Dion. Hal. Pomp. 3 = II 374 Usher. Bei Thukydides ist sie regelrecht zur „Thukydideischen Frage“ ausgeweitet geworden. Vgl. hier nur M. POHLENZ, Die thukydideische Frage im Lichte der neueren Forschung [Sammelrezension], in: GGA 198 (1936), zitiert nach: H. Herter (Hrg.), Thukydides, Darmstadt 1968, 59–81 und unten Anm. 25. Von allen antiken Geschichtsschreibern, deren Werke einigermaßen erhalten sind, äußert sich Polybios über sein Vorgehen und seine Absichten weitaus am deutlichsten. Viele Fälle antiker Geschichtswerke, die vom ursprünglichen Autor oder von einem anderen fortgesetzt worden sind, werden hier nicht behandelt. Beispiele in der römischen Geschichtsschreibung findet man bei A. MEHL, Römische Geschichtsschreibung: Grundlagen und Entwicklungen. Eine Einführung. Stuttgart 2001 (in englischer Übersetzung von H.-F. Mueller: Roman Historiography. Malden 2011), 61–62, 64, 81, 101, 118, 121, 185–186, 189 und 199. Ebenfalls nicht behandelt werden hier die in der Antike klar von der Geschichtsschreibung
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1. AUF EIN ZIEL AUSGERICHTETE GESCHICHTSDARSTELLUNGEN UND IHRE FORTSETZUNGEN Mit dem zumindest von Livius als Last empfundenen enormen Anwachsen des Gegenstandes ‚römische Geschichte‘ konnte ein Autor unter anderem dadurch zurechtkommen, dass er – anders als Livius – bei eigener Beschränkung auf die neuere und neueste Geschichte Roms die Geschichtsdarstellung eines früheren Autors weiter schrieb.9 So entstanden Fortsetzungsgeschichten über zwei und mehr Verfasser hinweg im Sinne der modern so genannten historia continua beziehungsweise perpetua.10 Als ein bereits durch den Werktitel signalisiertes Beispiel für dieses Verfahren sei hier nur die Römische Geschichte A fine Aufidii Bassi des älteren Plinius genannt, mit deren Titel der Fortsetzungsautor mitteilt, dass er das Werk eines anderen weiterführt.11 Freilich kam Geschichte in Fortsetzung nicht erst in der römischen Geschichtsschreibung auf, es gab sie bereits in der griechischen Historiographie der klassischen Zeit: Das Werk des Thukydides über den Peloponnesischen Krieg, das aus welchem Grund auch immer schon den Zeitgenossen nicht bis zu dem von Thukydides angestrebten Ziel der Kapitulation Athens im Frühjahr 404 v.Chr., sondern nur bis in den Sommer 411 v.Chr. hinein vorlag, fand gar mehrere Fortsetzungen; doch ist nur die Xenophons vollständig erhalten, und nur sie wird hier behandelt.12 Während das von Plinius fortgesetzte Werk des Aufidius nicht mit einem besonderen Ereignis aufgehört zu haben und dementsprechend seine Fortsetzung durch Plinius nicht an einer historisch markanten Stelle einzusetzen und überdies nicht einem sachlich markierten Ende zuzustreben scheint, stehen die Fortsetzungen von Thukydides’ Werk in einer besonderen historiographischen Situation: Sie vervollständigen dieses bis zu dem von seinem Autor erklärten, aber in der veröffentlichten beziehungsweise den Fortsetzern vorliegenden Fassung nicht erreichten Ende und Ziel. Dann aber gehen sie, und zwar alle drei, darüber hinaus, hören freilich an unterschiedlichen Punkten der weiteren machtpolitischen Entwicklung auf.13 War die Fortsetzung
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unterschiedenen historischen Biographien beziehungsweise Biographiereihen: Suetons Kaiserbiographien der ersten zwei römischen Kaiserfamilien mögen durch Marius Maximus fortgesetzt worden sein. MEHL, Geschichtsschreibung, 146. Zu Livius (praef. 4) D. FLACH, Römische Geschichtsschreibung, Darmstadt 31998, 137 mit 140 Anm. 4. Zu dieser etwa FLACH, Geschichtsschreibung (Anm. 9), Register s.v. historia perpetua und MEHL, Geschichtsschreibung (Anm. 8), Register s.v. historia continua / perpetua. HRR II, CXXXXVIIII beziehungsweise 110. Zu den Fortsetzern des Thukydides vgl. K. MEISTER, Die griechische Geschichtsschreibung: von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus. Stuttgart 1990, 61, 65–68, 73–74 und 91, NICOLAI, Thucydides (Anm. 2), 706–710 mit neuerer Literatur und hier im Folgenden. NICOLAI, Thucydides (Anm. 2), 693 spricht zu Recht davon, dass Thukydides’ den Zeitgenossen unvollendet vorliegendes Werk „eher der Beendigung als der Fortsetzung bedurft habe“, und zieht zum Vergleich die Universalgeschichte des Ephoros heran, die von seinem Sohn Demophilos zu dem vom Vater beabsichtigten Ende gebracht worden sein soll. Von den Autoren, die Thukydides’ Werk zugleich vervollständigt und fortgesetzt haben, gingen Theopomp in seiner Griechischen Geschichte bis zum Zusammenbruch der spartanischen Vor-
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eines Geschichtswerkes durch einen anderen Autor ein geradezu gängiges Verfahren, mag die Fortsetzung aus der Feder eines und desselben Autors zunächst verwundern; doch wurde auch das praktiziert, und zwar insbesondere von Thukydides, bei dem also sowohl Eigen- als auch Fremdfortsetzung vorliegt, und von Polybios.14 Dass ein Autor seiner eigenen oder einer fremden Geschichtsdarstellung eine Fortsetzung gibt, wenn das ursprüngliche Werk in seinem Ende offen ist und daher wie die hier erwähnte Römische Geschichte des Aufidius Bassus ohne Punkt und Komma fort gesponnen werden kann, ist so unproblematisch, dass es nicht weiter interessieren muss. Völlig anders steht es mit Geschichtsdarstellungen, die mit dem in einer bestimmten Entwicklung erreichten Ziel enden beziehungsweise einen als in sich geschlossen dargestellten Gegenstand behandeln und dennoch eine Fortsetzung erhalten: Entweder berücksichtigt beziehungsweise erkennt der mit dem ursprünglichen Autor nicht identische Fortsetzer nicht, dass das von ihm fortgeschriebene Werk inhaltlich abgeschlossen ist; oder der Fortsetzer, sei er mit dem ursprünglichen Autor identisch oder nicht, erkennt aus späterer Sicht, dass der Gegenstand doch nicht in sich geschlossen, die frühere Entwicklung nicht an einem endgültigen Ziel angelangt ist oder das Resultat der früheren Entwicklung Folgen gezeitigt hat, die zwar zunächst nicht, sondern erst mit einigem zeitlichen Abstand erkennbar geworden sind, aber notwendig zum Gegenstand gehören, der
machtstellung über die Griechen in der Seeschlacht von Knidos im Jahr 394, die Hellenika von Oxyrhynchos (Kratippos) bis mindestens in dasselbe Jahr und Xenophon bis zum Ende der thebanischen Hegemonie in der Schlacht von Mantineia im Jahr 362. Vgl. die o. Anm. 12 zitierte Literatur. Bezeichnenderweise hörten die Fortsetzer des Thukydides nicht nur dort nicht auf, wo Thukydides hatte aufhören wollen oder tatsächlich aufgehört hatte, mit der Kapitulation Athens gegenüber Sparta im Jahr 404, sondern auch dort nicht, wo er nach Dionys von Halikarnass (Pomp. 3 = II 374–376 Usher) hätte aufhören sollen, nämlich etwas später mit dem Ende der Tyrannis der Dreißig und der Rückkehr der Demokraten nach Athen im Jahr 403. MARINCOLA, Concluding Narratives (Anm. 4), 304–305 weist darauf hin, dass Dionys das überlieferte Werkende des Thukydides bereits im Jahr 411 für beabsichtigt gehalten hat, obwohl Thukydides den ganzen Krieg habe beschreiben wollen. Weiter argumentiert Marincola nachvollziehbar, dass hinter Dionys’ Vorwurf gegenüber Thukydides ein anderes Verständnis des Peloponnesischen Krieges steht, nämlich das eines „Testfall(es) für die athenische Demokratie“ (305). Dieses läuft (worauf Marincola nicht hinweist) auf eine Deutung dieses Krieges hinaus, die ganz und gar auf Athen, ja auf seine inneren Verhältnisse, zentriert ist. Im Gegensatz zu dem einen langen Krieg von 27 oder 28 Jahren Dauer, wie ihn Thukydides sieht, konnte man zwischen dem sogenannten Archidamischen Krieg und dem späteren, ab der sizilischen Expedition Athens wieder offen geführten Krieg einen so deutlichen Hiat sehen, dass man nicht von einem, sondern von zwei Kriegen sprach (G. E. M. DE STE. CROIX, The Origins of the Peloponnesian War, London/Ithaca N.Y. 1972, 294–295 mit Quellen). 14 Tacitus’ Selbstfortsetzung seiner „Historien“ in seinen „Annalen“ mit der Besonderheit, dass sie nach rückwärts gerichtet ist, die ebenso verfahrende Selbstfortsetzung des „Jüdischen Krieges“ des Flavius Josephus in dessen „Jüdischen Altertümern“ und die – mögliche – rückwärtige Fortsetzung des Polybios durch einen Dritten in Dionysios’ von Halikarnass „Römischer Frühgeschichte“ (vgl. Dion. Hal. Ant. Rom. I 8,1–2; O. LENDLE, Einführung in die griechische Geschichtsschreibung: von Hekataios bis Zosimos, Darmstadt 1992, 239) werden hier nicht behandelt.
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als abgeschlossen dargestellt worden ist, und damit die komplettierende Fortführung der bisherigen Darstellung erfordern. In der Fortsetzung wird der jeweilige Autor je nach seinem Antrieb zur Fortsetzung entweder ein neues Ziel anstreben oder in eine als offen gedachte Zukunft hinein schreiben. Das Wort ‚Zukunft‘ mag Erstaunen erregen: Tatsächlich bedeutet Fortsetzung einer Geschichtsdarstellung in den hier wesentlichen Fällen, dass entweder bereits die ursprüngliche Darstellung ihr Ende in der Lebenszeit des ursprünglichen Autors oder sogar des Fortsetzungsautors gefunden hat oder aber dass spätestens die Weiterführung in die Lebenszeit des jeweiligen Fortsetzers hinein gereicht hat und sogar der Zeit seines Schreibens sehr nahe gekommen ist. Damit ist ein besonderer Gegenstand von Geschichtsschreibung angesprochen, die Zeit- oder Gegenwartsgeschichte, die in der Antike gewichtiger Teil einer Darstellung bereits bei Herodot gewesen und als ausschließlicher Gegenstand seit Thukydides selbstverständlich geworden ist und daher – nicht verwunderlich – teils in selbständigen Werken, teils als der hintere und im allgemeinen ausführlichere Teil von Geschichtsdarstellungen über einen langen Zeitraum hin einen großen, wenn nicht den größten Teil der griechischen und römischen Historiographie ausmacht. Für Polybios ist sie der einzige vernünftige, weil echte Erkenntnisse vermittelnde Zweig der Geschichtsschreibung.15 In Rom schrieb unter anderem Cato Zeitgeschichte, allerdings wie auch andere frühe römische Geschichtsschreiber nicht als ausschließlichen Gegenstand. In den Büchern 1–3 seines Werkes hatte er, darin griechischer, insbesondere sizilisch-unteritalischer Tradition folgend, die Gründung und frühe Geschichte nicht nur der Stadt Rom, sondern auch die italischer Städte und Stämme unter dem dazu passenden Titel Origines „Gründungen“ beziehungsweise „Ursprünge“ erzählt.16 15 Pol. IX 1–2. Dazu P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964, 21–32 (freilich verbunden mit der Leugnung einer praktischen Absicht des Polybios. Dagegen postuliert K.E. PETZOLD, Studien zur Methode des Polybios und zu ihrer historischen Auswertung. München 1969, 1–12, die Belehrung praktisch Tätiger als Polybios’ Ziel; dies differenziert B. MEISSNER, ΠΡΑΓΜΑΤΙΚΗ ΙΣΤΟΡΙΑ. Polybios über den Zweck pragmatischer Geschichtsschreibung, in: Saeculum 37 (1986), 313–351). 16 Nep. Cato 3. Die griechische Geschichtsschreibung Siziliens und Unteritaliens mit ihren Besonderheiten gegenüber der übrigen etwa zeitgleichen griechischen Geschichtsschreibung, insbesondere mit ihren vielen namensaitiologischen Gründungsgeschichten, beschreibt D. TIMPE, Westgriechische Historiographie, in: ders., Antike Geschichtsschreibung. Studien zur Historiographie, hrg. von U. Walter. Darmstadt 2006, 9–63, erschöpfend, dazu auch ihre prägende Wirkung auf die römische Geschichtsschreibung (56–61, letzteres auch in DERS., Römische Geschichte und Weltgeschichte, in: ders., Antike Geschichtsschreibung, 109–131, besonders 109–117). Genau genommen ging Cato über die damalige „Italia“ hinaus, indem er die Poebene und Nordostitalien einschloss. Vgl. FRH I 3 F 2,10 (Vercellae, Novaria und andere Städte und deren Stämme in der Gallia Cisalpina) und 2,12 (Veneti). Der Ductus in Nepos’ sehr kurzer Charakteristik von Catos Geschichtswerk legt es nahe, die vorsichtige beziehungsweise unsichere Bewertung videtur („[Cato] scheint“) in dem auf die Kurzbeschreibung der Bücher 1–3 folgenden und zugleich der Kurzbeschreibung der Bücher 4–5 und der weiteren von Nepos nicht mehr mit Zahlen benannten und voneinander nicht unterschiedenen Bücher vorangestellten Teilsatz ob quam rem omnes (libros) Origines videtur appellasse (3,3) nicht auf die Namensgebung von Catos Werk an sich, sondern auf deren Begründung zu beziehen. Zur Stoffdisposition und damit verbunden zum Titel von Catos Geschichtswerk und
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Diese Gründungsgeschichten waren offenbar in die Geschichte Roms, d. h. in die seiner frühen lokalen und regionalen Expansion, eingebunden.17 In den Büchern 4–7 führte Cato sein Werk bis in seine eigene Lebenszeit weiter und änderte dabei dessen Ausrichtung oder Disposition insofern, als es nun eine von „Ursprüngen“ losgelöste Darstellung wurde. Von daher kann man die Bücher 4–7 für einen ursprünglich von ihrem Verfasser nicht geplanten Teil und somit für eine Fortsetzung halten. Insoweit freilich sowohl in den Büchern 1–3 als auch in den Büchern 4–7 Rom im Mittelpunkt steht und die anderen „Gründungsgeschichten“ der Bücher 1–3 nur ergänzende Funktion haben, kann man auch die Bücher 4–7 als Bestandteil von Catos ursprünglichem Plan und dann eben nicht als Fortsetzung ansehen.18 Sichereren Boden erreicht man erst für eine spätere historische Situation: Ab irgendeinem Zeitpunkt, sei es von Anfang an, sei es später, strebte Cato ein klar definiertes Ziel an, das Jahr 168 v.Chr. mit dem von Rom in der Schlacht von Pydna dem Königreich Makedonien bereiteten Ende.19 In dieser Situation sah Cato offensichtlich nicht nur Roms Vormachtstellung in Makedonien und Griechenland klar zur Geltung gekommen, sondern darüber hinaus – genauso wie sein um etwa eine Generation jüngerer Zeitgenosse Polybios – die Ausschaltung jeglicher ernst zu nehmender möglicher Opposition gegen Rom im Mittelmeerraum bewirkt. Dieses Ziel erreichte Cato mit dem Ende von Buch 5.20 Dann aber schrieb er ohne erkennbares Ziel weiter, setzte also nun sein Werk in den Büchern 6 und 7 unter grundsätzlich verändertem Vorzeichen fort und kam dabei bis in das Jahr, in dem er sterben sollte (149 v.Chr.). Die Nahtstelle dieser Fortsetzung, das Jahr 168, fällt in Catos eigene Lebenszeit; hier wird also durch denselben Autor Gegenwartsgeschichte fortgesetzt. Polybios’ etwa gleichzeitig mit Catos Werk, aber auch noch später geschriebene Universalgeschichte ist insoweit römische Geschichte, als der von Polybios geschilderte Zusammenschluss der von Menschen bewohnten Erde, der Oikoumene, durch die Errichtung der römischen Weltherrschaft zustande kommt und Rom im Mittelpunkt der Darstellung steht.21 Auch dieses Werk ist in Fortsetzung durch denselben Autor verfasst, ja dieser Umstand ist seit langem ein eigener Dar-
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zu den Forschungshypothesen über seine Entstehung vgl. FRH I, 150–152 mit Anm. 11 und 15 (dort auch weitere Literatur). W. KIERDORF, Catos ‚Origines‘ und die Anfänge der römischen Geschichtsschreibung, in: Chiron 10 (1980), 208; ihm folgt FLACH, Geschichtsschreibung (Anm. 9), 70; kurz W. KIERDORF, Römische Geschichtsschreibung der republikanischen Zeit, Heidelberg 2003, 21 (mit 32). Äußerungen Catos hierzu sind nicht erhalten. Für die im Jahr 168 erreichte politische Konstellation als von Anfang an von Cato bedachtes Ziel und damit für die Bücher 1–5 als historiographische Einheit plädiert FLACH, Geschichtsschreibung (Anm. 9), 71–72. FLACH, Geschichtsschreibung (Anm. 9), 71–72. Die von Polybios mit seinen Darstellungsziel(en), dem von ihm gewählten zeitlichen Ausschnitt aus der Geschichte und der von ihm gewählten Art von Geschichtsschreibung verbundenen weiteren, insbesondere erzieherischen Ziele sind hier nicht Gegenstand. Vgl. o. Anm. 15.
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stellungsgegenstand und Diskussionspunkt der Forschung:22 Im Vorwort am Beginn des Werkes, mithin des ersten Buches, hatte Polybios den Plan dargelegt, nach einer historisch-chronologischen Hinführung in den beiden ersten Büchern ab dem dritten Buch die 53 Jahre einer zielgerichteten weltweiten Entwicklung vom Jahr 220 an zu beschreiben, die 168 v.Chr. mit dem Erwerb der Weltherrschaft durch Rom ihren Abschluss gefunden habe.23 Zu späterem Zeitpunkt erweiterte er jedoch sein Vorhaben: Am Beginn des dritten Buches fügte er den teils zurück, teils voraus weisenden Inhaltsangaben über die Gegenstände der bereits geschriebenen Bücher 1 und 2, also der Vorgeschichte (προκατασκευή) zu seiner Darstellung, sowie der Bücher 3 bis 30 und damit der Geschichte jener 53 Jahre, in denen Rom seiner Ansicht nach die Weltherrschaft errungen hatte (III 1–3), die Ankündigung eines darüber hinaus reichenden Vorhabens zu: Er werde – in den Büchern 31 bis 39 – beschreiben, wie die Römer die von ihnen erlangte Weltherrschaft gebraucht hätten, und damit werde sein Werk erst im Jahr 146/5 – in moderner Zeitrechnung – enden (III 4–5). Spätestens nun hatte Polybios’ Werk ein zweites Vorwort, nämlich eines, in dem etwas versprochen wurde, das am Werkbeginn noch gar nicht mitbedacht war.24 Formal genauso wie Cato setzte Polybios 22 Damit hat die Forschung die Frage nach Anzahl und Art der – teilweise hypothetisch bleibenden – diversen, auch posthumen ‚Auflagen‘ von Polybios’ Werk verbunden. Um den Gegenstand des vorliegenden Beitrags nicht mit diesen Hypothesen zu belasten, soll das hier nicht neu verhandelt werden; hier interessieren lediglich die Aussagen der herangezogenen Textpartien aus Polybios’ Werk an und für sich und in ihrem inhaltlichen und argumentativen Verhältnis zueinander. Zum sukzessiven Entstehen von Polybios’ Geschichtsdarstellung in schließlich 39 beziehungsweise 40 Bänden, zu dem dafür verwendeten Zeitraum und zu mehren denkbaren Auflagen vgl. etwa K. ZIEGLER, Polybios [1], in: RE XXI 2, Stuttgart 1952, Sp. 1440–1578, 1445–1446 und 1485–1489, F. W. WALBANK, Polybius’ Last Ten Books, in: Historiographia Antiqua. Commentationes Lovanienses in honorem W. Peremans, Leuven 1977, 139–162, zitiert nach: DERS., Selected Papers. Studies in Greek and Roman History and Historiography, Cambridge 1985, 325–343, MEISTER, Geschichtsschreibung (Anm. 12), 156– 157, A. M. ECKSTEIN, Notes on the Birth and Death of Polybius, in: AJPh 113 (1992), besonders 389, und B. DREYER, Polybios [2], in: DNP 10, Stuttgart 2001, Sp. 44. 23 Pol. I 1–4, besonders I 1,5; 2,7; 3,10 und 4,1 (letztere Stelle auf das Wirken der Tyche bezogen). Genau genommen sagt Polybios in I 1,5, I 2,7 und I 4,1 (sowie an zwei weiteren programmatischen Stellen VI 2,3 [= VI 1,3: Anfang des berühmten Verfassungsdiskurses] und XXXIX 8,7 [= XXXIX 19 = XL 12: Abschluss des Gesamtwerkes], jedoch nicht in I 3,10), dass die Römer die Weltherrschaft „fast“ (σχεδόν) erlangt hätten; doch kommt dieser kleinen Einschränkung in seiner eigenen Argumentation keine Bedeutung zu; vielmehr wird sie in I 1–4 und ebenso in 3,4 sowie an vielen Stellen der Darstellung überspielt von dem Gedanken, dass die Welt nunmehr Rom gehorcht, so dass der Eindruck uneingeschränkter Weltherrschaft vermittelt wird. 24 Das zweite Vorwort umfasst die Kapitel 1–5 des dritten Buches; es ist nicht nur lang, sondern auch in sich recht heterogen. Daher ist es ein Ansatzpunkt in der Diskussion um Entstehungszeit und -weise des Polybianischen Werkes. Der Teil des zweiten Vorwortes, in dem die Darstellung der Geschichte der Jahre 168 bis 146/5 angekündigt wird (III 4–5), kann erst geschrieben worden sein, als Polybios die Ereignisse bis einschließlich 146 v.Chr. überblickt und bewertet hat. Die Frage ist, ob Polybios bereits zu dem Zeitpunkt, als er mit der Niederschrift des dritten Buches begann, die Erweiterung seiner Darstellung im Sinne hatte oder erst später darauf kam. Dahinter steht die weitere Frage, mit welcher Zeitdifferenz Polybios den
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sein Werk im Werk selbst in chronologischem Anschluss fort. Ob Cato für seine Fortsetzung ein eigenes Vorwort geschrieben hat, wissen wir aufgrund der sehr fragmentarischen Überlieferungslage nicht; damit wissen wir auch nicht, ob er seiner Fortsetzung ausdrücklich ein neues Thema oder eine neue Devise gegeben hat. Polybios hat indes nachweisbar eben dies getan.
2. DIE ENTWICKLUNG VON DARSTELLUNGSZIELEN UND -INHALTEN IN DEN FORTSETZUNGEN ZIELGERICHTETER GESCHICHTSDARSTELLUNGEN Nach eigener Aussage in den ersten Sätzen seines Werkes beschreibt Thukydides, den Ereignissen im Aufschreiben dicht folgend, einen Krieg, der aufgrund verschiedener Kriterien von vornherein versprochen habe, besonders groß und bedeutend zu sein.25 Über Länge und Resultat des Krieges äußert sich Thukydides hier allerdings nicht. Später, zwischen dem Bericht über den Friedensschluss nach zehn Jahren Krieg und der Fortsetzung seiner Darstellung für die folgenden siebzehn Jahre in einer Art Scharnier zwischen den sich so ergebenden beiden Teilen seines Werkes, teilt er in einem zweiten, ‚inneren‘ Vorwort mit, dass dieser Krieg mit dem Friedensschluss im Jahr – modern – 421, dem so genannten Nikiasfrieden, keineswegs beendet gewesen, sondern unter dem Deckmantel eben dieses Friedens einige Jahre lang verborgen und sodann wieder offen weiter geführt worden und so nicht nach bereits 10, sondern erst nach 27 Jahren zu seinem Ende gekommen sei. Daher werde er fortfahren und über den gesamten Krieg berichten.26 Mit seiner Fortsetzung über die ersten zehn Jahre hinaus setzt Thukydides Ereignissen hinterher geschrieben hat. Zum Problem der Entstehung und Auflagen von Polybios’ Werk vgl. o. Anm. 22. 25 Thuk. I 1. Das erste Vorwort ist, wie der inhaltliche Vergleich mit dem zweiten Vorwort (V 25–26) ergibt, früher als dieses geschrieben; wie viel, bleibt indes offen. Das Vorwort am Beginn des ersten Buches und die weiteren einleitenden Kapitel mögen in der vorliegenden Form Thukydides’ Kenntnis des weiteren Kriegsverlaufs nach dem Abschluss des sogenannten Nikiasfriedens und nach dessen Bruch voraussetzen. Andererseits mögen Thukydides’ nicht direkt ausgesprochene, aber deutliche Rivalität mit Herodot und die mehr als nur angedeutete Rivalität mit Homer von Anfang an in den einleitenden Kapiteln von Thukydides’ Kriegsgeschichte gestanden haben. Die in der Forschung hin und her gewendete Frage nach der Entstehungszeit und -weise des Thukydideischen Werkes, in der das erste Vorwort nur ein Teilproblem darstellt, ist für die Erörterung oben nicht von Bedeutung. Vgl. zur sogenannten Thukydideischen Frage die Forschungsdiskussion bei LENDLE, Geschichtsschreibung (Anm. 14), 76–84 (78 und 83–84 zu I 1) und MEISTER, Geschichtsschreibung (Anm. 12), 54– 57 sowie o. Anm. 6. – Thukydides hat sich übrigens mit seinem Gegenstand nicht gegenüber Herodot durchgesetzt: Dessen Gegenstand der Perserkriege blieb der Bezugspunkt griechischer Erinnerung, gegen den der von Thukydides beschrieben Peloponnesische Krieg nicht ankam. Vgl. nach früheren Autoren nunmehr U. WALTER, Herodot und Thukydides: die Entstehung der Geschichtsschreibung, in: E. Stein-Hölkeskamp & K.-J. Hölkeskamp (Hrgg.), Erinnerungsorte der Antike. Die griechische Welt, München 2010, 400–417 und 645–648. 26 Vgl. V 24,2 (mit der Formulierung „erster Krieg“) mit 25–26. Mit der Ansicht, dass nicht Thukydides, sondern Xenophon das zweite Vorwort geschrieben habe und folglich Thukydi-
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seine ursprüngliche Darstellung in der Sache, dem „Krieg der Peloponnesier und Athener“, bruchlos fort.27 Lediglich den Zeitpunkt, zu dem das von ihm beibehaltene Ziel, das wirkliche Ende des Krieges, erreicht wurde, schiebt er, den weiteren Ereignissen folgend, um etliche Jahre hinaus. Allerdings sind das Ende des Krieges der ersten zehn Jahre und das des gesamten Krieges nach zehn plus siebzehn Jahren von extrem unterschiedlicher Art gewesen, ersteres ein Vertrag von Gleich zu Gleich, letzteres jedoch die Kapitulation des einen Kontrahenten (der Athener) gegenüber dem Sieger (den Spartanern), mithin im Gegensatz zu ersterem eine machtpolitische Entscheidung, wie sie eindeutiger – jedenfalls für den Augenblick – nicht hat sein können. Auf Athens Katastrophe und Spartas und seiner Verbündeten Sieg nach den 27 Jahren Krieg weist Thukydides im zweiten Vorwort hin. Seine Leser, die das Werk bis hierhin studiert hatten, wussten indes davon bereits aus Thukydides’ Vorverweis auf die athenische Kriegspolitik nach Perikles im zweiten Buch.28 Damit war ihnen auch die verschiedene Weise der Einstellung der Kriegshandlungen in den Jahren 421 und 404 bekannt. Daher konnten sie, wenn sie Thukydides’ Werk sehr kurze Zeit nach Athens Kapitulation lasen, Verständnis für die im zweiten Vorwort gebotene Argumentation entwickeln, dass – erst – das Jahr 404 den Abschluss des von Thukydides beschriebenen Ereigniszusammenhangs gebracht habe. Die Autoren, die das Werk des Thukydides sowohl vervollständigt als auch fortgesetzt haben, sind hier bereits genannt worden.29 Xenophon bietet Ergänzung des von Thukydides zumindest Beabsichtigten und Fortsetzung darüber hinaus derart, dass er den Peloponnesischen Krieg bis 404 und damit den Gegenstand des Thukydides so zum Abschluss bringt, dass er mir-nichts-dir-nichts weiter erzählt.30 In dieser Überspielung des von Thukydides vorgegebenen Endes und
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des’ Werk nicht nur ergänzt und fortgesetzt, sondern in dieses auch eingegriffen habe, steht L. CANFORA, Tucidide continuato e pubblicato, in: Belfagor 25 (1970), 121–134, und mit späteren Arbeiten, die bei NICOLAI, Thucydides (Anm. 2), 704 Anm. 30 aufgelistet sind (aber entgegen Nicolai nicht Canforas Beitrag im gleichen Band), weitestgehend allein da. Vgl. V. J. GRAY, The Character of Xenophon’s Hellenica, London 1989, 182 und NICOLAI, Thucydides (Anm. 2), 704–705. Die Erörterungen von NICOLAI, Thucydides (Anm. 2), 693, ob und inwieweit sich mit der Erzählung des gesamten Peloponnesischen Krieges durch Thukydides die Gattungen Monographie und ‚Hellenika‘ vermischt haben, können hier unberücksichtigt bleiben. Vgl. Thuk. V 26,1 mit II 65,7–12 (im Anschluss an die Wiedergabe von Perikles’ letzter öffentlicher Rede und an den Bericht über dessen Tod). Vgl. o. bei Anm. 12–13. Zum Folgenden vgl. besonders J. DILLERY, Xenophon and the History of his Times, London/New York 1995, 12–16. Der Peloponnesische Krieg wird mit Hellenika II 2,23 beendet und das Werk mit II 3,1 weitergeführt. Gleich ob man die chronologischen Angaben für die letzten Jahre des Peloponnesischen Krieges, d. h. hier die in II 2,24, dem letzten Paragraphen von II 2 (und in II 3,1 nach den ersten Worten), für authentisch oder interpoliert hält (letzteres nach D. LOTZE, Die chronologischen Interpolationen in Xenophons Hellenika, in: Philologus 106 (1962), 1–12, sogar durch zwei Interporatoren), wird man kein Innehalten, keinen Neueinsatz, etwa gar mit einem eigenen – inneren – Vorwort finden. Die von NICOLAI, Thucydides (Anm. 2), 695–706 (vgl. 696) ausführlich und anhand reichlicher Literatur (die teilweise mit Xenophon unberechtigt verächtlich umgeht, z. B. C. H. GRAYSON, Did Xenophon Intend to Write History?, in: B. Le-
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Ziels könnte man Gedankenlosigkeit, ja Verständnislosigkeit für das Werk sehen, das Xenophon zu seinem vorgesehenen Ende gebracht hat.31 Das ist jedoch nicht so: Der Satz, mit dem Xenophon die Darstellung des Peloponnesischen Krieges im Jahr 404 v.Chr. abschließt und damit das von Thukydides angestrebte Ende und Ziel erreicht, spricht von der Hoffnung der Zeitgenossen auf „den Anfang der Freiheit für Hellas“, mithin von einer in die damalige Zukunft gerichteten Haltung, die auf dem soeben berichteten Kriegsende beruht hat, das politischmilitärisches Ziel der Spartaner und ihrer Bündnispartner gewesen ist.32 Mit dieser Zukunftserwartung deutet sich an, dass das von Thukydides anvisierte Ende in Xenophons Sicht gerade kein oder zumindest nicht nur Ende ist, sondern eine Ausgangssituation, die auf eine Erfüllung ausgerichtet ist, die erst künftig – mag das auch als nahe gedacht sein – eintreten kann. Man mag darüber erstaunt sein, dass damit ein Historiker vom Format des Thukydides posthum korrigiert wird; doch auch die anderen Fortsetzer des Thukydides haben dort nicht aufgehört, wo Thukydides hat aufhören wollen. Xenophon steht also mit seiner Fortsetzung über das von Thukydides angestrebte Werkende nicht allein.33 Mit seinem Satz von der vick (Hrg.), The Ancient Historian and his Materials. Essays in Honor of C. E. Stevens on his Seventieth Birthday, Farnborough 1975, 31–43; u. Anm. 31) behandelte Frage nach der Gattung von Xenophons ‚Griechischer Geschichte‘ muss hier nicht aufgegriffen werden. Vgl. o. Anm. 27 entsprechend zu Thukydides. Der Werktitel von Xenophons „Hellenika“ ist jedenfalls nicht original. Einige der von Nicolai wiedergegebenen Begründungen für das, was Xenophon geschrieben oder – angeblich – gewollt hat, sind indes hier von Interesse. 31 GRAY, Xenophon’s Hellenica (Anm. 26), 2, trifft Xenophons Situation und Absicht weniger mit der Feststellung, dass Thukydides von „nicht-thukydideischen Autoren“ fortgesetzt worden sei, mehr jedoch damit, dass Fortsetzer nicht Imitatoren der von ihnen fortgeschriebenen Autoren sein müssen. Xenophon überhaupt nicht gerecht wird die Kritik von GRAYSON, Xenophon (Anm. 30), 33 und 37–38, der dem Autor insbesondere jegliche „historische Absicht“ und Sinn für „historische Kausalität und Motivation“ abspricht. Vgl. auch das Verdikt von E. LEVY, L’art de la déformation historique dans les Helléniques de Xénophon, in: H. Verdin, G. Schepens, E. de Keyser (Hrgg.), Purposes of History. Studies in Greek Historiography from the 4th to the 2nd Centuries B.C., Leiden 1990, 125–157, das bereits im Beitragstitel ausgedrückt ist. Hingegen geht es H. R. BREITENBACH, Historiographische Anschauungsformen Xenophons, Freiburg Br. 1950 (vgl. DENS., Xenophon von Athen, in: RE IX [Stuttgart 1967], Sp. 1567–2052) schon im Titel seines Buches darum, „Historiographische Anschauungsformen Xenophons“ herauszuarbeiten, mithin ihn – bei allen seinen erkennbaren Schwächen – als Geschichtsschreiber eigenen Formats ernst zu nehmen. Ihm folgt MEISTER, Geschichtsschreibung (Anm. 12), 74–76, der sieben von ihm als positiv bewertete Eigenheiten Xenophons auflistet und überdies die wechselnde Wertschätzung Xenophons von der Antike bis ins späte 20. Jahrhundert skizziert. 32 Zitat Hellenika II 2,23. DILLERY, Xenophon (Anm. 29), 26, vgl. die Kapitelüberschrift 22: „The Hellenica: False Ends and Beginnings“. Den Ausführungen Dillerys verdankt das oben Folgende einiges. 33 Vgl. o. bei Anm. 11–12. Angesichts der extrem fragmentarischen Erhaltung dieser anderen Thukydides fortsetzenden Werke soll hier nicht über die Gründe für die von den einzelnen Autoren als Werkschluss erreichten oder gewählten historischen Situationen spekuliert werden und im Zusammenhang damit auch nicht über die Gründe dieser Autoren dafür, dass sie das von Thukydides angepeilte Ziel und Ende mit der Kapitulation Athens 404 nicht als solches anerkannt haben.
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Freiheitshoffnung der Griechen aufgrund der totalen Niederlage Athens und des ebenso totalen Sieges Spartas und seiner Verbündeten weitet Xenophon Thukydides’ primär auf Athen und sekundär auf Sparta gerichteten Blick auf die Griechen insgesamt aus.34 Auch dies ist immanente Kritik an Thukydides. Und weiter ersetzt Xenophon Thukydides’ machtpolitische Urteilsebene durch den sowohl politischen als auch allgemein menschlichen, den damaligen Griechen besonders angelegenen Wert der als Unabhängigkeit voneinander verstandenen Freiheit der griechischen Gemeinwesen. Diese ist zwar von Thukydides nicht zu seinem Urteilskriterium erhoben worden, jedoch wird bei ihm die Bedrohung der allgemeinen Freiheit durch Athen, an wichtiger Stelle in einem Autorenurteil dezent als „Athens für die Lakedaimonier furchterregendes Wachstum“ ausgedrückt, zum „wahrsten Grund“ der Spartaner und ihrer Verbündeten zum Krieg gegen Athen; und dort ist man sich dessen bewusst, dass man die Freiheit der Griechen teils zerstört hat, teils zu zerstören im Begriff ist.35 Mit seiner von der des Thukydides abweichenden Urteilsebene der Freiheit konnte Xenophon also durchaus an den von ihm fortgesetzten Autor anknüpfen. Die Freiheitshoffnung der Griechen im Jahr 404 sollte sich freilich als irrig erweisen, und das sogar recht schnell, so dass Xenophon dies nicht erst im Wissen um jenes Ereignis erkennen konnte, mit dem er sein Werk abschloss, also der Schlacht von Mantineia im Jahr 362, sondern um viele Jahre früher, gewiss schon zu der Zeit, als er die Kapitulation Athens im Jahr 404 beschrieb.36 Die Selbsttäuschung der Griechen in ihrer Freiheitserwartung wird also bereits in seinem den Peloponnesischen Krieg abschließenden Satz mitschwingen. Sie anhand der folgenden Ereignisse dem Leser immer wieder vor 34 In Hell. VII 2,1 kritisiert Xenophon die seines Erachtens übliche Konzentration griechischer Geschichtsschreiber auf die großen Poleis und hält es im Gegensatz dazu für angebracht, auch über kleine Städte dann zu berichten, wenn sie Besonderes vollbracht haben. L. CANFORA, Totalità e selezione nella storiografia classica, Bari 1972, 87 (vgl. 71–86 „La prima selezione ‚axiologica‘“), kritisiert seinerseits diese „axiologische“ Begründung und spricht im Zusammenhang damit von „willkürlicher narrativer Auswahl“ (die Xenophon nicht zu Unrecht immer wieder vorgeworfen wird), er erkennt 89 aber auch an, dass so von Xenophon ein über die Protagonisten-Poleis hinaus erweitertes Konzept griechischer Geschichte („Hellenika“) begründet wird und meint, dafür ein Vorbild ausgerechnet bei Thukydides zu finden, und zwar in dessen Darstellung der Pentekontaëtie (Thuk. I 97,2 und I 118,2). – Das Motiv der griechischen Freiheit durchzieht bekanntermaßen auch Herodots Geschichtswerk. Bei ihm erlangen beziehungsweise bewahren die Griechen freilich ihre Freiheit, bei Xenophon bleiben die Bemühungen um Freiheit jedoch vergeblich. 35 Thuk. I 23,6: τὴν μὲν γὰρ ἀληθεστάτην πρόφασιν, ἀφανεστάτην δὲ λόγῳ, τοὺς Ἀθηναίους ἡγοῦμαι μεγάλους γιγνομένους καὶ φόβον παρέχοντας τοῖς Λακεδαιμονίοις ἀναγκάσαι ἐς τὸ πολεμεῖν. Eine korinthische Gesandtschaft legt der von ihr in Sparta gehaltenen gegen Athen gerichteten Rede ganz und gar die Bedrohung griechischer Autonomie durch Athens Machtstreben zugrunde (I 68–71), und das an seine Mitbürger gerichtete Wort des athenischen Politikers Perikles, Athen übe nach außen hin eine „Tyrannis“ aus (II 63,2), heißt nichts anderes, als dass Athen die Autonomie der Griechen so vernichtet beziehungsweise bedroht wie ein Tyrann im Inneren die Freiheit der Bürger der von ihm regierten Polis. 36 Nach DILLERY, Xenophon (Anm. 29), 25–26 hat sich – auch für Xenophon – die Freiheitserwartung schon im Jahr 404 und in den allernächsten Jahren als trügerisch erwiesen, und zwar gerade durch die Machtpolitik des Siegers Sparta.
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Augen zu führen ist zwar gewiss nicht der einzige Zweck seiner Darstellung über das Jahr 404 hinaus, doch lässt sie sich mit diesem Motiv rechtfertigen, und das eben auch von der Funktion der Freiheitsbedrohung der Griechen durch Athen in Thukydides’ Werk her.37 Das Ende seiner Darstellung insgesamt erreicht Xenophon mit der Schlacht von Mantineia 362 v.Chr., und zwar mit voller Absicht:38 Alle – und mit ihnen auch Xenophon selbst – hätten einen klaren Sieg einer Seite und als dessen Folge eindeutige machtpolitische Verhältnisse in Griechenland erwartet, doch sei die Schlacht unentschieden ausgegangen und das habe eine eher noch ungewissere machtpolitische Situation als zuvor herbeigeführt.39 Zwar gilt diese Feststellung in den Augen ihres Verfassers keinem Kulminationspunkt der griechischen Geschichte, doch stellt sie eine Schlussfolgerung aus der von diesem erzählten Geschichte der Griechen in den Jahren von 404 bis 362 dar, und insofern ist sie ein abschließendes Wort, wenn auch in einer von ihrem Verfasser als offen bewerteten Situation:40 Xenophon wählt hier anders als in seiner Darstellung des Endes des Peloponnesischen Krieges die Machtpolitik als Kriterium. Das ist nach dem von ihm erzählten machtpolitischen Hin-und-her der zurückliegenden vier Jahrzehnte nicht verwunderlich. Dennoch kehrt Xenophon nicht einfach zu Thukydides’ Beurteilungsmaßstab zurück; denn die Freiheit bleibt auch in Xenophons Beurteilung der Situation um die Schlacht von Mantineia Kriterium, und zwar wie schon im Jahr 404 in ausdrücklicher Abhängigkeit von den Resultaten der Machtpolitik. Damit fügt Xenophon dem „Machtdiskurs im 4. Jahrhundert v.Chr.“ eine besondere Note bei:41 Hätte in der Schlacht von Mantineia eine Seite eindeutig gesiegt, dann hätte es fortan unter den Griechen einerseits Herren und andererseits
37 Dass Xenophons Hellenika nicht ein einziges großes Thema verfolgen, betont zu Recht DILLERY, Xenophon (Anm. 29), 11. Im ersten Teil seiner Schlussfolgerung, „The ‚considered design‘ of the Hellenica“ (241–249), tendiert Dillery freilich dazu, Xenophons „‚considered design‘ or ‚message‘“ (so mit gnomischen Anführungszeichen) mit der Rede des Kallistratos in VI 3,10–17 zu identifizieren (244–245). 38 Vgl. DILLERY, Xenophon (Anm. 29), 17–20, besonders 19. Vgl. u. Anm. 40. 39 Hell. VII 5,26–27. Nach DILLERY, Xenophon (Anm. 29), 20, schließt die irrige Erwartung „aller“ auch die Xenophons ein. 40 Ersteres mit, das Weitere abweichend von DILLERY, Xenophon (Anm. 29), 11 und 22–27, der Xenophons Urteil über die Schlacht von Mantineia als nicht epochal für die vielleicht bedeutendste Einzelheit der Hellenika hält und zu Recht betont, dass Xenophon dieses Ende dennoch absichtlich gewählt habe. Eben deswegen müsse Xenophon dem Leser damit etwas haben vermitteln wollen. Im Folgenden verbindet auch Dillery das Ende des Peloponnesischen Krieges und die dabei von den Zeitgenossen gehegte Freiheitserwartung mit dem von Xenophon gewählten Ende seiner griechischen Geschichte unmittelbar nach der Schlacht von Mantineia. Allerdings spannt Dillery den Bogen zwischen 404 (von Thukydides angestrebtes Ende) und 362 (von Xenophon absichtlich gesetztes Ende) nicht so präzise, wie dies hier im Folgenden geschieht. 41 Das greift J. WILKER, Zu Fortwirken und Rezeption des Thukydides im 4. Jahrhundert v.Chr., in: E. Baltrusch, C. Wendt (Hrgg.), Ein Besitz für immer? Geschichte, Polis und Völkerrecht bei Thukydides, Baden-Baden 2011, 87–105, in ihrem entsprechenden Kapitel (101–104, Zitat 101) allerdings nicht auf, obwohl sie Xenophons Hellenika heranzieht.
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Untertanen gegeben.42 Die Freiheit vieler Griechen wäre so gänzlich unter die Räder der Macht weniger Griechen geraten. Nach Xenophon kennzeichnet in die jeweilige Zukunft gerichtete irrige Erwartung jedenfalls nicht nur das Ende des Peloponnesischen Krieges und damit das von seinem Vorgänger Thukydides angestrebte Ende seiner Geschichtsdarstellung, sondern auch die Situation nach der Schlacht von Mantineia und damit das von Xenophon selbst beabsichtigte und erreichte Ende seiner Darstellung.43 Beide Male besteht der Irrtum auch darin, dass die Ereignisse nicht den erwarteten und daher in der Darstellung angestrebten Abschluss einer bisherigen Entwicklung und den Beginn einer neuen Situation gebracht haben, sondern dass mit ihnen das machtpolitische Wirrwarr bei den Griechen wie gehabt weiter gegangen ist: Nicht nur das von Thukydides intendierte Ende und Ziel, sondern auch Xenophons eigenes Darstellungsende erweist sich als offen in die Zukunft hinein. Folglich könnte Xenophon, wie er über die Beendigung des Peloponnesischen Krieges hinaus geschrieben hat, so auch jetzt weiter schreiben. Nur hat er keine Lust mehr oder fühlt sich zu alt; daher überlässt er diese Aufgabe ausdrücklich anderen. Es geht hier tatsächlich nur um Weiterschreiben, also um Schreiben ohne Festlegung eines besonderen Gegenstandes innerhalb der griechischen Staatenwelt und ohne definiertes Ziel: Xenophons gedachter Fortsetzer möge sich mit den Ereignissen nach dem letzten von Xenophon beschriebenen Ereignis (τὰ δὲ μετὰ ταῦτα) so befassen, wie er selbst das Werk des Thukydides mitten in einer Abfolge militärischer Aktionen mit „danach aber“ (μετὰ δὲ ταῦτα) komplettiert hat.44 In der Vervollständigung des Thukydideischen Werks hat Xenophon freilich unter der Vorgabe eines zu erreichenden, weil von Thuykdides vorab festgelegten Endes und Zieles gestanden; er selbst jedoch macht seinen potentiellen Fortsetzern keine Vorgabe. Für Xenophon kann zumindest die Geschichte der Griechen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart keinem zielführenden Prozess unterworfen sein, sondern sie besteht aus einer Kette letztlich kontingenter Ereignisse.45 Damit ist sie selbst ergebnisoffen. Letzteres ist sie auf doppelte Weise: Man weiß nicht, welchem Ziel sie zusteuert, ja nicht einmal, ob sie überhaupt einem Ziel zusteuert. Diese Sicht von Geschichte macht es unmöglich, ergebnisorientierte Geschichtsdarstellungen zu verfassen; andererseits ermöglicht sie es, vorhandene Geschichtsdarstellungen beliebig fort42 Hell. VII 5,26: ἄρξειν ὑπήκοοι. Allerdings erwägt Xenophon nicht, ob die anhaltende und durch den tatsächlichen Ausgang der Schlacht von Mantineia noch größer gewordene machtpolitische Ungewissheit den Griechen Freiheit erhalten habe. Zu Xenophon als einem Menschen der Ordnung und seiner Angst vor Unordnung vgl. DILLERY, Xenophon (Anm. 29), 27– 35. Das wird hier indes nicht weiter verfolgt. 43 D. MUSTI, Storia Greca. Linee di sviluppo dall’età Micenea all’età Romana, Rom/Bari 1989, 560 (mit Beifall aufgenommen von NICOLAI, Thucydides [Anm. 2], 703), urteilt, Xenophons entscheidende und historisch wertvolle Erkenntnis beziehungsweise „Intuition“ angesichts des Ausgangs der Schlacht von Mantineia habe darin bestanden, dass in Griechenland die Hegemonie einer Polis nicht mehr möglich sei. Das sagt Xenophon freilich nicht. 44 Vgl. den Beginn des letzten Satzes der Hellenika (VII 5,27) mit dem von deren erstem Satz (I 1,1). 45 Unter anderem Kontingenz in antikem Denken über Geschichte arbeitet MEISSNER, Περὶ ἱστορίας (Anm. 5) heraus.
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zuschreiben. All dies steckt in Xenophons sein Werk abschließender indirekter Anrede an einen hypothetischen Fortsetzer.46 Die Fortsetzung einer Geschichtsdarstellung und die Beschaffenheit ihres zweiten Endes kann die Umwertung des ersten, also des ursprünglichen Endes mit sich bringen; dieses muss aber von der Fortsetzung und deren Ende nicht generell ungültig gemacht oder auch nur relativiert werden: Thukydides hebt in seinem zweiten Vorwort eine offensichtlich von anderen, aber wohl auch von ihm selbst zunächst gehegte Überzeugung auf, dass mit dem Friedensschluss von 421 der Krieg zu seinem Ende gelangt sei: Dieses ist nach seiner nunmehrigen Erkenntnis jedoch kein Kriegsende, sondern nur ein mehrjähriger „brüchiger Waffenstillstand“ und gehört damit einer anderen Ebene der Machtpolitik an.47 Als extreme Herabstufung in der Bedeutung sowohl infolge der Ausweitung und Verschiebung der Urteilsebene als auch aus der Kenntnis der weiteren Entwicklung heraus wird man Xenophons Umgang mit Thukydides’ Darstellungsziel bewerten. Cato hinwiederum überschreitet mit seiner Fortsetzung über das Jahr 168 hinaus eine von ihm selbst gesetzte zeitliche und inhaltliche Grenze. Ein neues in die Zukunft projiziertes Ziel ist nicht erkennbar und auch nicht wahrscheinlich. Indem sich Cato fortan bemüht, dem aktuellen Jahr, ja Monat und Tag möglichst nahe zu kommen, verzichtet er zwangsläufig auf jedes weitere Ziel. Indem das von Cato überschrittene Ziel ‚168ʻ nicht durch ein anderes Ziel ersetzt wird, bleibt es, auch wenn es nun nicht mehr sozusagen das Ende der Geschichte bedeutet, als historisch bedeutsames Ziel erhalten.48 Bei Polybios stellt sich die Frage nach dem zweiten, definitiven Ende und nach seinem Verhältnis zum ersten Ende in besonderer Weise, weil der Autor davon – mindestens – zweimal grundsätzlich gesprochen hat, im zweiten Vorwort zu Beginn des dritten Buches und beim Abschluss seiner Geschichtsdarstellung insgesamt am Ende des 39. Buches.49 In den hier bereits herangezogenen Kapiteln 4– 5 des dritten Buches weist Polybios dem Ende seiner Fortsetzung im – modern gerechneten – Jahr 146/5 trotz seiner Hinweise auf die Zerstörung Karthagos, auf den Abfall der Makedonen von Rom und auf Unruhen in Griechenland, in denen sich „das allgemeine Unglück Griechenlands“ manifestiert habe, keine dem Jahr 168 entsprechende Bedeutung als Ziel eines geschichtlichen Prozesses zu:50 Man vermisst entsprechend deutliche Worte, wie er sie am Beginn des ersten Buches für das eine weltgeschichtliche, innerhalb von 53 Jahren ab 220, also im Jahr 168 erreichte Ziel der Weltherrschaft Roms gebraucht hat.51 Dementsprechend gibt 46 M. TAMIOLAKI, Les „Helléniques“ entre tradition et innovation: aspects de la relation intertextuelle de Xénophon avec Hérodote et Thucydide, in: CEA 45 (2008), 15–52, schreibt die Erfindung der historia continua (vgl. o. bei Anm. 10) Xenophon zu und bezeichnet sie als dessen bedeutendste Neuerung. 47 Thuk. V 25,3 und 26,2–4. 48 Eine Argumentation Catos hierzu ist, wenn es sie denn überhaupt gegeben hat, wiederum nicht erhalten. 49 Vgl. o. bei Anm. 24. 50 Pol. III 5,6. 51 Pol. I 1,4–2,1 und I 3,5–4,1.
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Polybios im zweiten Vorwort mehrere Ereignisstränge als Inhalte seiner weiteren Darstellung an und nicht mehr einen über den Ereignissen ausgespannten, auf ein Ziel ausgerichteten welthistorischen Prozess, wie ihn der Weg der Römer zur Weltherrschaft dargestellt hat.52 Daher begründet er seine weitere Darstellung anders als zuvor: Aus Bewunderung für das Außerordentliche, das „entgegen der Erwartung Geschehene“ (τὸ παράδοξον τῶν πράξεων) im schnellen Aufstieg Roms zum Weltbeherrscher zugleich mit dem Verstehen für die rationalen Machtgrundlagen Roms wird eine – von Polybios mittlerweile entdeckte – allgemeine Notwendigkeit, zum Nutzen des Lesers eines Geschichtswerkes nicht nur den Gewinn von Macht, sondern auch deren Gebrauch durch die Herrschenden und das Verhalten der Beherrschten zu beschreiben haben.53 Geschichtstheoretisch betrachtet, gibt Polybios hier das teleologische Geschichtsdenken auf, das er bislang vertreten hat.54 Die neue inhaltliche Ausrichtung seiner Darstellung verbindet Polybios mit dem bisherigen, im erfolgten Machterwerb Roms liegenden bisherigen Ziel derart, dass letzterer seine Eigenschaft als Ziel verliert: Zwar zieht Polybios unmittelbar vor der Mitteilung seines neuen Programms das Jahr 168 nochmals als Epochenjahr und damit zugleich als Jahr seines ursprünglichen Darstellungsendes heran, doch mindert er es nur wenige Sätze später bis zur Nichtigkeit herab, indem er dem Siegen und Erringen von Herrschaft genauso wie der Seefahrt und dem Wissenserwerb die Qualität eines wirklichen Zieles abspricht: Das Ziel liege nicht in, sondern nach diesen Tätigkeiten, nämlich in dem aus diesen Tätigkeiten entstehenden „Angenehmen, Guten und Nützlichen“ (χάριν τῶν ἐπιγινομένων τοῖς ἔργοις ἡδέων ἢ καλῶν ἢ συμφερόντων).55 Aus dieser allgemeinen, wenn man so will populärphilosophischen Feststellung zieht Polybios zwei Schlüsse:56 Erstens 52 Pol. III 5,1–6. 53 Einerseits Pol. I 1,4 (Zitat) und I 2,1, andererseits III 4,4–13. Wieweit sich hierin nach einer romfreundlichen eine romkritisch(er)e Phase in Polybios’ Denken und Werten zeigt, sei offen gelassen. Für solche Phasen und damit für Pragmatismus, wenn nicht gar Opportunismus in Polybios’ Ethik tritt WALBANK, Polybius’ Last Ten Books (Anm. 22), 334–340, ein, dagegen A. M. ECKSTEIN, Moral Vision in the Histories of Polybius, Berkeley 1995, 194–236 und 272–284. 54 B. DREYER, Polybios. Leben und Werk im Banne Roms, Hildesheim 2011, 74–89, behandelt Polybios’ „teleologisches Geschichtsbild“ zusammen mit seiner „Ursachenforschung“. Für die Aufgabe dieser Vorstellung vom Ablauf der Geschichte durch Polybios ist da kein rechter Platz, da man angesichts der von Dreyer vorgenommenen Koppelung von Methode und Theorie danach fragen müsste, ob zusammen mit der Theorie der Zielgerichtetheit von Geschichte nicht auch Polybios’ Grundsätze der Ursachenforschung aufgegeben worden sein müssen. Freilich weist Dreyer bereits 63 darauf hin, dass Polybios’ „Neubeginn“ mit dem Jahr 167 (vgl. u. Anm. 57) „sich aber nicht auf die historische Methode auswirkt“. 55 Einerseits Pol. III 4,1–2, andererseits III 4,9–11 (Zitat § 11), vorbereitet bereits ab III 4,4. 56 Pol. III 4,12–13. H. DREXLER, Polybios. Geschichte. Gesamtausgabe in zwei Bänden, Zürich/Stuttgart 1961–63, hier Bd. I 191, greift in den Aufbau dieser wie auch anderer vertrackter Satzperioden des Polybios stark ein. Das ist übersetzungspraktisch verständlich, doch hier verändert er die Reihenfolge der Teilsätze derart, dass Polybios’ Aussage über den Beginn eines „gleichsam neuen Werkes“ (οἷον ἀρχὴν ποιησάμενος ἄλλην γράφειν) ihre den Satz abschließende prononcierte Stellung verliert und im Wust der vielen Nebensätze untergeht.
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werde seine Darstellung erst mit der durch Erringung der römischen Weltherrschaft bei Herrschern wie Beherrschten entstandenen Situation und deren Entwicklung vollendet sein: Das folgt logisch aus seiner allgemeinen Feststellung. Zweitens bedeute der neue Gegenstand einen neuerlichen Anfang seiner Darstellung: Das folgt gerade nicht aus seiner nunmehrigen Erkenntnis, nach der die Situation des Jahres 168 kein Ziel historischen Geschehens mehr ist und damit auch kein sinnvolles Ende historischer Darstellung sein kann. Vielmehr hätte Polybios an dieser Stelle von unmittelbarer Weiterführung des Gesamtgegenstandes seiner Darstellung mit lediglich einem neuen Teilgegenstand sprechen müssen. Den logischen Bruch in seiner zweiten Schlussfolgerung mildert Polybios indes ab, indem er mit einer der im antiken Griechisch so beliebten kleinen unauffälligen Floskeln von einer nur „gleichsam“ (οἷον) neuen Darstellung spricht.57 Da Polybios in der Fortsetzung ein zwar von ihm benanntes und begründetes, jedoch nicht als epochal erkennbares Ende mehr angestrebt hat, hätte er auch an anderer Stelle aufhören können und wäre seinem selbst gesetzten, von der Sache her und damit auch zeitlich in sich nicht zwingend begrenzten neuen Auftrag dennoch gerecht geworden. Diese Beliebigkeit des Endes der Fortsetzung machte es vielleicht bereits dem Römer Sempronius Asellio und auf alle Fälle den späteren Griechen Poseidonios und Strabon leicht, das Werk des Polybios fortzusetzen.58 Polybios selbst aber hat das definitive Ende seines Werkes nicht als beliebig angesehen – im Gegenteil: In der Rekapitulation seines Werkes am Ende der Fortsetzung und damit am Ende der gesamten Darstellung bezeichnet er mit der Zerstörung Korinths und mit der sodann unter seiner Beteiligung von den Römern vorgenommenen Neuordnung Griechenlands das von ihm erreichte Ende sehr genau, allemal präziser als in seinem zweiten Vorwort.59 Sein zweites und endgültiges Wenn man mit Drexler die §§ 12 und 13 als ein Satzgefüge auffasst, dann sind dessen Aussagen sehr sinnvoll eingerahmt durch die „letzte Vollendung“ (τελεσιούργημα) von Polybios’ Werk mittels der Fortsetzung am Anfang der Satzperiode und durch seine Veranlassung zu einem „Quasi“-Neubeginn für die Fortsetzung am Ende der Satzperiode. Zum sachlichen Bezug äußert sich widersprüchlich F. W. WALBANK, Polybius. The Histories, Rev. Ed., Vol. I, II, IV, Cambridge Mass. 2010–2011, Komm. z. Stelle. 57 So die Übersetzung von DREXLER, Polybios (Anm. 56), 191 in III 4,13. – Einfacher beschreibt das oben Ausgeführte DREYER, Polybios (Anm. 54), 63: „Eine Verbindung beider Werkteile wird von Polybios bis zu seinem Tode nur äußerlich vorgenommen, und so sollte es auch bleiben: Denn offen bekennt sich der Historiker zu dem ‚Neubeginn‘ mit dem Jahr 167 (III 4,13).“ 58 Vgl. LENDLE, Geschichtsschreibung (Anm. 14), 235 und 237; MEISTER, Geschichtsschreibung (Anm. 12), 186; FLACH, Geschichtsschreibung (Anm. 9), 82 und 86–87; MEHL, Geschichtsschreibung (Anm. 8), 57–58, 98 und 100. 59 Pol. XXXIX 8 (= XXXIX 19 = XL 12), § 6, verglichen mit III 5,1–6. Wie der größte Teil von Polybios’ Geschichtswerk ist auch das 39. als das letzte Buch der eigentlichen Darstellung nur fragmentarisch überliefert. Indes schließt dieses Fragment nach den einleitenden Worten des Exzerptors das Werk ab; und es ist in Polybios’ Ich- und Wir-Stil und erkennbar auch in seinen eigenen Worten formuliert. Insofern ist die in der Forschung auch vertretene Ansicht, dass XXXIX 8,4–6 posthum eingefügt worden sei, wie so vieles über die diversen ‚Auflagen‘ seines Werkes Geschriebene spekulativ (vgl. o. Anm. 22). Weiter darf man davon ausgehen, dass Polybios bei Unterschieden zum zweiten Vorwort hier, am tatsächlichen Ende der Ge-
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Ziel 146/5 steuert er nun ohne Nennung des Jahres 168 als des ersten Zieles und dennoch unter teilweise sogar zitierendem Bezug auf das Vorwort im ersten Buch für den einleitenden Teil seines Werkes vom Ende des von Timaios verfassten Geschichtswerks her und für seine eigentliche Darstellung von den Ereignissen des Jahres 220 her an und erklärt diesen Anfang und dieses Ende als das, was er seinen Lesern bereits am Anfang versprochen und angekündigt habe.60 Von letzterem her kann sich Polybios mit seinem hier genannten „Werkplan“ (προέκθεσις) jedoch nicht auf das erste Vorwort am Beginn des ersten Buches beziehen, sondern nur auf das Vorwort, das er der unmittelbaren Vorgeschichte des zweiten Punischen Krieges vorangestellt hat, mithin auf das zweite Vorwort am Beginn des dritten Buches. Dennoch sieht Polybios im anschließenden Satz, dem letzten seines Werkresümees, unter weitestgehend wörtlicher Übernahme einer Aussage des ersten Vorworts am Anfang des ersten Buches den größten Gewinn für seine Leser in der Erkenntnis, „auf welche Weise und durch welche Art von Verfassung die Römer den Sieg davontrugen und fast die ganz Welt unter ihre Herrschaft brachten, ein Vorgang, der in früheren Zeiten nicht seinesgleichen hat“ (πῶς καὶ τίνι γένει πολιτείας ἐπικρατηθέντα σχεδὸν ἅπαντα τὰ κατὰ τὴν οἰκουμένην ὑπὸ μίαν ἀρχὴν ἔπεσε τὴν Ῥωμαίων, ὃ πρότερον οὐχ εὑρίσκεται γεγονός).61 Damit hebt er das Besondere dieser historischen Entwicklung und zugleich die Wichtigkeit, ja Einmaligkeit seines Werkes nochmals hervor; freilich ist es, da Polybios hier anders als in seiner gleich lautenden Äußerung am Anfang seines Werkes die Zeitspanne des Erwerbs der römischen Weltherrschaft, also die 53 Jahre von 220 bis 168 v.Chr., nicht nennt und den Erwerb der Weltherrschaft durch die Römer nicht als Endpunkt eines historischen Prozesses markiert, nicht mehr das epochale Ereignis und ebenso nicht mehr das Darstellungsziel, als das er
samtdarstellung, genauer formuliert als am Beginn des dritten Bandes. Das überhaupt nicht erhaltene vierzigste Buch enthielt nach dem letzten Satz des hier herangezogenen Fragments eine Zeittafel (?), ein Bücher- und ein Inhaltsverzeichnis, dürfte mithin für die hier geführte Diskussion über Absichten und Reflexionen nicht relevant sein. 60 Pol. XXXIX 8,3–6; vgl. I 5,1. Mit der Neuordnung Griechenlands dürfte Polybios der Sache und der Zeit nach etwas über das im zweiten Vorwort angepeilte Ziel hinausgehen. Dies gilt allemal für ein weiteres von ihm im 39. Buch berichtetes Ereignis, den Tod Ptolemaios’ VI. im Jahr 145 mitsamt dem ihm gewidmeten Nachruf (XXXIX 7 = XXXIX 18 = XL 12). Dieser Gegenstand scheint überdies sachlich nicht mit dem übrigen Abschluss seines Geschichtswerkes verbunden, in dem Rom – sowohl gegenüber Karthago als auch gegenüber Makedonien und Griechenland – als die alles entscheidende politische und militärische Macht agiert. 61 Pol. XXXIX 8, (= XXXIX 19 = XL 12) § 7, Zitat in der Übersetzung von DREXLER, Polybios (Anm. 56), 1339; vgl. I 1,5 und weitere Passagen, zitiert o. Anm. 23. Dabei ist zu beachten, dass Textüberlieferung und Textkritik teils beide Stellen genau gleich, teils mit Weglassung oder Erweiterung gegenüber der jeweils anderen Stelle wiedergeben. Das wirkt sich auch auf das Verhältnis von Drexlers Übersetzung zur üblicherweise herangezogenen Textedition von Th. BÜTTNER-WOBST, Polybius. Historiae, 5 Bde., Leipzig 1889–1905 (Bd. 2I 1905), ND Stuttgart 1965–1985 (Bd. IV 512) aus. Bereits am Beginn der Rekapitulation des Inhalts seines Werkes, in § 4, bezieht sich Polybios auf das erste Vorwort, dem sein Selbstzitat ja entstammt (genau I 5,1: vgl. o. bei Anm. 51).
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es dem Leser in seinem ersten Vorwort präsentiert hat:62 Nach seinem zweiten Vorwort am Beginn des dritten Buches ist die römische Weltherrschaft für Polybios nur noch als Voraussetzung für ihren Gebrauch interessant, mithin für seine Darstellung und Deutung der Ereignisse in den Jahren 168 bis 146/5. So macht Polybios das zweite Ende seines Gesamtwerkes, auch wenn es an Prägnanz und historischer Signifikanz dem ersten nicht das Wasser reichen kann, schlussendlich zu dessen einzigem Ende und Ziel und hebt das Jahr 168 in dieser Funktion auf. Mit dem von Polybios herbeigeführten Bedeutungsverlust seines ersten, mit dem Jahr 168 erreichten Ziels geht der Bedeutungsverlust der machttheoretischen Grundlage des ursprünglichen Werks einher: In den Ereignisablauf bis 168 hatte Polybios ein ganzes Buch (das sechste) eingefügt, um Roms Aufstieg zur Weltherrschaft mit dessen besonderer Verfassung im Unterschied zu den anderen theoretisch möglichen beziehungsweise tatsächlichen Verfassungen der anderen Staaten zu begründen.63 Später hat Polybios für seine Darstellung ab 168 seiner Verfassungstheorie – eventuell über deren Abänderung und Anpassung an die nunmehrige politische Entwicklung – keinen die weitere Entwicklung begründenden Platz zugewiesen. In dem oben zitierten letzten Satz seines Werkresümees bezieht Polybios nochmals und von dessen Stellung im Werk her abschließend die Besonderheit der römischen Staatsverfassung ausschließlich auf Roms Machterwerb. Von Roms späterem Umgang mit der erworbenen Macht ist hier anders als im zweiten Vorwort am Beginn des dritten Buches nicht die Rede. An die Stelle der Verfassungserörterung in der Funktion einer Machterwerb begründenden Theorie ist bereits im zweiten Vorwort am Beginn des dritten Buches für die Ereignisse und Situationen ab 168 der hier bereits vorgestellte, farblos, ja schemenhaft bleibende, da von Polybios in den verlorenen beziehungsweise nur fragmentarisch erhaltenen Büchern offenkundig nicht ausgebreitete und in seinem Schlusswort im 39. Buch (so, wie es vorliegt) auch nicht wieder aufgegriffene Allgemeinplatz getreten, dass man aus dem Gebrauch von Macht durch die Herrschenden und aus dem Verhalten der Beherrschten den Herrschenden gegenüber als Leser lernen könne.64 Anstatt des hohen theoretischen Anspruchs des ursprünglichen Werk62 Zum Fehlen der „53 Jahre“ in Polybios XXXIX 8,7 (= XXXIX 19,7 = XL 12,7) und nur dort (die anderen parallelen oder identischen Stellen o. Anm. 23) vgl. BÜTTNER-WOBST, Polybius (Anm. 61), IV 512: textkrit. App. zur Stelle, WALBANK, Polybius. The Histories (Anm. 56), Komm. z. St. Nichts weist darauf hin, dass hier Ausführungen des Polybios über die von ihm anfänglich dem Jahr 168 zugewiesene Bedeutung in der Überlieferung des Textes ausgefallen sein könnten; der Duktus des überlieferten Textes schließt derartiges sogar aus. 63 Polybios’ Verfassungstheorie ist eigentlich in jedem Buch über Polybios und ebenso in jeder Geschichte der Verfassungstheorie in oder seit der Antike behandelt. Vgl. etwa einerseits PÉDECH, Méthode historique (Anm. 15), 303–330; F. W. WALBANK, Polybius, Berkeley/Los Angeles/London 1972, 130–156, B. C. MCGING, Polybius’ Histories, Oxford 2010, 169–202 und andererseits W. NIPPEL, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, Stuttgart 1980, und A. RIKLIN, Geschichte der Mischverfassung, Darmstadt 2006. 64 Den von Polybios genannten Zweck seiner Fortsetzung über das Jahr 168 hinaus diskutiert kritisch WALBANK, Polybius’ Last Ten Books (Anm. 22), 330–343, indem er diesen insbesondere am Inhalt der Fortsetzung misst.
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konzepts muss sich der Leser in der Fortsetzung mit einem theoretischen Nichts zufrieden geben. Dies ist auch deswegen so, weil das von Polybios zur Gänze der Geographie der bewohnten Zonen der Erde gewidmete Buch 34 zwar die chronologisch fortschreitende Darstellung für die Jahre ab 168 genauso unterbricht, wie das die Verfassungsdiskussion des sechsten Buches mit der Darstellung bis 168 getan hat, jedoch keine Theorie vorträgt, schon gar keine die Präsentation und Deutung der Ereignisse leitende Theorie, und damit trotz gleichartiger kompositorischer Position dem sechsten Buch eben nicht entspricht.65 Polybios kündigt seine Fortsetzung über das Jahr 168 hinaus nicht an deren Beginn, sondern – erstaunlicherweise – an viel früherer Stelle an: Sie steht, wie hier bereits mitgeteilt, am Beginn des dritten Buches und damit dort, wo der Autor nach der vergleichsweise kurz gefassten Darlegung der Vorgeschichte des Zweiten Punischen Krieges in den Büchern 1 und 2 in die Darstellung seines im ersten Vorwort verkündeten Gegenstandes, also der miteinander und vor allem mit Rom verknüpften und in Roms Weltherrschaft resultierenden Weltgeschichte zwischen 220 und 168 v.Chr., eintritt. Darüber, ob Polybios dann am Beginn der Fortsetzung für die Zeit ab 168, d. h. am Beginn des 31. Buches, noch ein drittes Vorwort geboten hat, können wir aufgrund des fragmentarischen Erhaltungszustands von Polybios’ Werk nicht urteilen. Da Polybios indes, wie hier bereits dargelegt, sein ursprüngliches Ziel im zweiten, gewissermaßen vorgezogenen Vorwort nicht leugnet, kann die Ankündigung und Begründung der Fortsetzung bereits bei Eintritt in die Darstellung des im ersten Vorwort definierten Gegenstandes nur dies bedeuten, dass er den Leser schon bei der Lektüre jener 53 Jahre, die nach seiner Ansicht die Welt grundlegend verändert, nämlich unter Roms Herrschaft gebracht haben, darauf aufmerksam machen will, dass er über sein Zieljahr 168 hinausgehen wird und warum er das tut. Diesen Vorverweis mag man für notwendig halten
65 Wenn man mit F. W. WALBANK, The Geography of Polybios, in: C & M 9 (1948), 155–182, zitiert nach: DERS., Polybius, Rome, and the Hellenistic World. Essays and Reflections, Cambridge 2002, 41–42 (in knappen Worten freilich relativiert von demselben, Polybius’ Last Ten Books [Anm. 22], 333, jedoch positiv bewertet 337–338) Polybios’ der Geographie gewidmetes Buch 34 als Scharnier zwischen Roms Aufstieg zur Weltmacht und dem Beginn von „Aufruhr und Verwirrung“ (ταραχὴ καὶ κίνησις: Pol. III 4,12, also zweites Vorwort) – nämlich in Rom – ansieht, der nach Polybios im Jahr 152 begonnen habe (?), das in Buch 33 erreicht ist, und wenn man weiter mit Walbank die folgenden letzten fünf Bücher 35–39 als Gegengewicht zu den ersten fünf Büchern 1–5 und ebenso Buch 34 als Gegengewicht zu Buch 6 betrachtet, gelangt man zu einer Gewichtung des gesamten von Polybios dargelegten Stoffes unter einem völlig anderen Gesichtspunkt und mit ganz anderer Bucheinteilung, als sie aus Polybios’ beiden Vorworten und seinem Schlusswort folgt. Allerdings liefern das extrem fragmentarische Buch 34 und Bemerkungen zur Bedeutung der Geographie an anderen Stellen in Polybios’ Werk keinen Hinweis darauf, dass Buch 34 als theoretische Grundlage in ähnlicher Weise bedeutsam für Polybios’ Geschichtsdeutung gewesen sein könnte wie Buch 6. Auch die ausführliche Behandlung der Geographie im Geschichtswerk des Polybios insgesamt und in dessen 34. Buch durch PÉDECH, Méthode historique (Anm. 15), 515–597 ändert daran nichts. Im Übrigen siedelt Pédech (596) abschließend Polybios als Geographen theoretisch, methodisch und in den Resultaten „weit unterhalb“ seiner Zeitgenossen Hipparch und Seleukos an.
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oder nicht, er passt zu Polybios als einem Autor, der immer wieder demonstrativ penibel vorgeht; und er hat die von Polybios offenbar beabsichtigte Folge, dass der Leser die Darstellung der Jahre 220–168 von vornherein sub auspiciis der Ereignisse der Jahre 168–146/5 in Polybios’ Deutung und Gewichtung lesen wird.66 Man mag sich dann nur noch wundern, warum Polybios nicht bereits das erste Vorwort entsprechend umgearbeitet hat. Dahinter steht allerdings die recht verschieden beantwortete Frage nach Zusammenhängen zwischen Überarbeitung(en) des Werkes oder einzelner Teile durch Polybios und der Art und Weise, wie und wann das Werk oder einzelne Teile veröffentlicht worden sind oder, vorsichtiger ausgedrückt, wie es oder sie in die damalige intellektuelle und literarische Welt gelangt sind.67 Die Selbstfortsetzung des Polybios darf man freilich nicht so verstehen, dass der Autor seinen ursprünglichen Plan vergessen hat oder ungeschehen hat machen wollen; denn in seinem Resümee am Ende des Gesamtwerks zitiert er weitestgehend wörtlich einen oben wiedergegebenen Teilsatz aus seiner ersten Vorrede am Werkbeginn, der den Inhalt seiner ursprünglichen Darstellung beschreibt. So liegt der Schluss nahe, ja drängt sich wohl auf, dass Polybios sein Gesamtwerk als eine Einheit hat verstehen wollen, auch wenn es ihm schwer gefallen ist, diese Einheit argumentativ eindeutig herzustellen, da er letztlich zwischen Fortsetzung im gleichen Gegenstand und Neueinsatz mit neuem Gegenstand geschwankt hat.
3. DAS PROBLEM IN FORTSETZUNG GESCHRIEBENER GEGENWARTSGESCHICHTE UND EIN EPILOG ZU DEREN ANFÄNGEN Die hier behandelten Autoren Thukydides, Xenophon, Cato und Polybios haben gemeinsam, dass sie historisches Geschehen beschreiben, das sich in ihrer eigenen Lebenszeit abgespielt hat, ja noch abspielt, zumindest aber in diese weit hinein reicht. Damit berichten sie über Vorgänge, über deren Bedeutung in größerem Rahmen und so auch über deren Zugehörigkeit zu einem in sich geschlossenen Ereigniszusammenhang, zu einem historischen Prozess sie aus extrem kurzer oder gar nicht vorhandener Distanz der Zeit und ohne die Kenntnis nachfolgender Ereignisse zu entscheiden haben. Mithin sind sie der unausweichlichen Schwierigkeit der Gegenwartshistoriker aller Orte und Zeiten ausgesetzt. Dass da zuvor getroffene Urteile aus inzwischen gewonnenem, etwas größeren zeitlichen Abstand zum Geschehen und zugleich in Kenntnis weiteren Geschehens revidiert oder an-
66 Seiner oben angesprochenen peniblen Vorgehensweise ist sich Polybios wohl bewusst, ja sie gehört zu seinen Forderungen an den Geschichtsschreiber. Vgl. etwa D. MUSTI, Un carattere fondamentale della storiografia polibiana: apodeiktikè historía, in: T. Brüggemann, B. Meissner, C. Mileta, A. Pabst, O. Schmitt (Hrgg.), Studia Hellenistica et Historiographica. Festschrift für Andeas Mehl, Gutenberg 2010, 203–210, mit weiterer Literatur, ausgehend von Polybios’ „apodeiktischem“ (ἀποδεικτικῶς) Vorgehen. 67 Vgl. o. Anm. 22 und 24.
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nulliert werden, liegt auf der Hand.68 Der Historiker, der eine eigene oder fremde Darstellung fortsetzt, tut dies in einer Zeit, die später als die Abfassung der ursprünglichen Darstellung liegt. Er kann zumindest mehr wissen und weiß zumeist auch mehr. Das kann ihn zu Korrekturen am Konzept der ursprünglichen Darstellung veranlassen; dann weicht seine Fortsetzung in Tendenz und/oder sachlichem Ziel, sofern letzteres vorhanden ist, von der ursprünglichen, von ihm fortgesetzten Darstellung ab. Hier ist zwischen Eigen- und Fremdfortsetzung zu unterscheiden: Sofern ihn nicht besondere Bande der Pietät hindern, wird der Fortsetzer eines von einem andern verfassten Werkes sich leichter als der Fortsetzer eines eigenen Werkes damit tun, das Darstellungsziel des fortgeführten Werkes umzuwerten, es eventuell gar als Resultat einer mittlerweile erkennbaren Fehlinterpretation beiseite zu schieben. Das hat Xenophon getan, als er das Werk des Thukydides über das von diesem angestrebte Ende hinaus fortsetzte. Der Fortsetzer in eigener Sache wird sich hingegen schwerer tun, sich selbst zu korrigieren oder gar zu widersprechen. So hat Thukydides sein eigenes Werk über dessen erstes Ende hinaus mit gleicher Absicht und Tendenz fortgeschrieben, und Cato scheint sich ähnlich verhalten zu haben. In den beiden verschiedenen psychischen, aber auch durch gesellschaftliche und literarische Erwartungen beeinflussten Grundsituationen liegen die unterschiedlichen Umgangsweisen einerseits des Xenophon mit Thukydides und andererseits des Thukydides, Cato und besonders deutlich des Polybios mit sich selbst begründet. Allerdings geht als große Ausnahme Xenophon mit dem Ende seiner eigenen Darstellung schonungslos offen um, indem er selbst diesem die Eigenschaft einer epochalen Situation abspricht und ein offenes Ende herstellt. Dazu wird ihn seine negative Erfahrung mit dem Ziel des Thukydides bewegt haben. Wenn dies alles berücksichtigt wird, dann entziehen sich Polybios’ Lavieren mit ursprünglichem und späterem Inhalt und Ziel und daraus von ihm nicht konsequent gezogene Folgerungen für ursprüngliche Darstellung, Fortsetzung und Gesamtwerk als allzu menschlich und schwer vermeidbar weitgehend der Kritik. Wer das grundsätzliche Problem eines Polybios, aber auch eines Thukydides, Xenophon, Cato und anderer antiker Geschichtsschreiber beseitigen möchte, der muss die Geschichtsschreibung der jeweiligen Gegenwart überhaupt abschaffen.69 In Konsequenz einer derartigen Entscheidung müsste man allerdings auf einen großen, wohl sogar den größten Teil der antiken Geschichtsschreibung verzichten. Was dann noch an einigermaßen sicherem Wissen von der Geschichte der Griechen und Römer bliebe, wäre recht wenig und – man muss unter den Bedingungen antiken Geschichteschreibens der Wertschätzung der Gegenwartsgeschichte durch Polybios zustimmen – es gäbe wenig wirkliche Erkenntnis her.70
68 Wie Cato mit diesem Problem umgegangen ist, wissen wir angesichts des fragmentarischen Zustandes seines Werkes und fehlender Äußerungen Dritter dazu nicht. 69 Der Verfasser erinnert sich, dass ihm in seinem Schulunterricht in Geschichte der Standpunkt vermittelt worden ist, dass Gegenwartsgeschichte wegen ihrer nicht vorhandenen Distanz zum gerade Geschehenen beziehungsweise noch Geschehenden keine richtige Geschichte sei. 70 Vgl. oben bei Anm. 15.
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Freilich stößt man nicht nur in Schlüssen, sondern auch in Anfängen antiker Geschichtsdarstellungen auf Unsicherheiten. So wie die Unsicherheiten am Schluss die Frage betreffen, wann und womit aufzuhören sei, gelten die am Anfang der Frage, wann und womit zu beginnen sei. Letztere sind jedoch nicht oder zumindest nicht unbedingt durch das nachträgliche Klügerwerden der Verfasser von Gegenwartsgeschichte oder durch das Klügersein späterer Geschichtsschreiber verursacht. Hier stellt sich vielmehr die von der Zeitstellung eines historischen Gegenstandes weitgehend unabhängige Frage nach dem erkennbaren Beginn eines historischen Prozesses und nach eventuellen vorangegangenen ‚subkutanenʻ Vorbereitungen beziehungsweise Ursachen dieses Prozesses.71 Allerdings sollte man meinen, dass sich der Verfasser einer im Gegenstand in sich geschlossenen und zu einem von vornherein ins Auge gefassten Ziel führenden Darstellung des Anfangs seines Werkes von vornherein sicher sein müsse. Dem ist aber nicht immer so; denn die Anfänge zweier hier behandelter monographischer beziehungsweise in sich geschlossener Geschichtsdarstellungen haben ihren Verfassern offensichtlich Kopfzerbrechen bereitet: Thukydides greift auf der Suche nach den Ursachen des von ihm beschriebenen Peloponnesischen Krieges in seinem ersten Buch über seines Erachtens nur unmittelbare Kriegsauslöser hinaus auf einen Zeitraum von 50 Jahren vor Ausbruch des von ihm beschrieben Krieges zurück.72 Polybios legt in immerhin zwei Büchern und damit in einiger Ausführlichkeit und nicht bloß, wie er selbst in demonstrativer Bescheidenheit schreibt, resümierend (κεφαλαιωδῶς) die Vorgeschichte des Zweiten Punischen Krieges dar, indem er nach seinen eigenen Worten mit dem Ausbruch des Ersten Punischen Krieges im Jahr 264, tatsächlich sogar noch etwas früher mit dessen unmittelbarer Vorgeschichte einsetzt. Erst im dritten Buch lässt er seine eigentliche Darstellung im Jahr 220 beginnen. Mit seinem Zurückgreifen stellt er zugleich, wie er ausdrücklich festhält, den Anschluss an das Ende des Geschichtswerks eines anderen Verfassers, des Timaios von Tauromenion, her.73 Die Frage, ob Polybios mit der Feststellung 71 Die grundsätzlichen Probleme und Herausforderungen im Umgang des Historikers mit Anfängen in der Geschichte hat D. TIMPE, Über Anfänge in der Geschichte, in: J. Bleicken (Hrg.), Colloquium aus Anlass des 80. Geburtstages von Alfred Heuss, Kallmünz 1993, 9–27, herausgearbeitet und aus den von ihm erhobenen Befunden Folgerungen für die heutige geschichtswissenschaftliche Praxis gezogen. 72 Sogenannte Pentekontaëtie: Thuk. I 88–118. So erreicht Thukydides auch den zeitlichen Anschluss an Herodot. Ob dahinter mehr steht, nämlich die nach epischem Muster beabsichtigte Bildung eines Zyklus (so NICOLAI, Thucydides [Anm. 2], 692–693 im Anschluss an CANFORA, Il ciclo storico [Anm. 3] und CANFORA, Totalità e selezione [Anm. 34], 88–89), sei dahingestellt. Vgl. o. bei Anm. 3. 73 Zu Polybios’ Einsetzen im Jahr 220 vgl. oben bei Anm. 23. Seinen Anschluss an Timaios nennt er in I 5,1 und teilweise wörtlich gleich nochmals in seinem Schlusswort in XXXIX 8,4, dort im Anschluss (§5) auch das Wort κεφαλαιωδῶς. Für das oben Folgende wird davon ausgegangen, dass die betreffende Passage I 5,1 – wie überhaupt die gesamte einleitende Partie des ersten Buches – für die ursprüngliche Version, also die Geschichte vom Aufstieg Roms zur Weltherrschaft in den Jahren 220 bis 168, geschrieben worden ist und eventuelle spätere Änderungen nicht erkennbar sind, jedoch Übernahmen in das Schlusswort XXXIX 8 aus dem ersten und zweiten Vorwort. Vgl. o. bei Anm. 59ff.
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einer bloßen Abfolge zweier Ereignisse, des letzten von Timaios geschilderten und des ersten von ihm beschriebenen, beansprucht, Timaios’ Werk regelrecht fortzusetzen, muss man wohl negativ beantworten: Denn Polybios kanzelt – im zwölften Buch – Timaios als Geschichtsschreiber gnadenlos ab; und sein eigenes Werk ist von anderer Art als das des Timaios. Eine in sich derart geschlossene Darstellung wie die des Polybios in ihrer ursprünglichen Dimension und Ausrichtung hat nichts mit historia continua gemeinsam; denn sie verträgt von ihrem ‚Programm‘ her schon eine rückwärtige Verlängerung durch denselben Verfasser – wie sie Polybios bietet – kaum, und eine weitere rückwärts gerichtete Verlängerung zum Anschluss an die von einem anderen in anderem Duktus verfasste Darstellung einer noch früheren Zeit würde die Geschlossenheit des Werkes vollends aufbrechen und so den Verfasser eines solchen Werkes mit seinen Versprechungen an den Leser über dessen besondere, ja einzigartige Eigenschaften, die eben auch aus seiner Geschlossenheit resultieren, Lügen strafen.
LIVIUS UND POLYBIOS Helmut Halfmann, Hamburg
Grad und Formen der Abhängigkeit des jüngeren Autors Livius von dem älteren Historikerkollegen Polybios bilden eine der facettenreichsten und am heftigsten ausgetragenen Streitfragen der altphilologischen und althistorischen Forschung. Sie geht zurück mindestens auf das Jahr 1863, als die Untersuchung von Heinrich Nissen über die Quellen der vierten und fünften Dekade des Livius erschien,1 und ist bis heute nicht beendet. In welchem Umfange Livius den Polybios direkt benutzt, ja geradezu wörtlich übersetzt hat, in welchen Partien er ihn zugunsten der römisch-annalistischen Tradition gar nicht konsultiert oder wo er beide Überlieferungen nebeneinander verarbeitet hat, wird von philologischer und historischer Seite aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben beurteilt: Dem Philologen geht es primär um ein literarischkünstlerisches Urteil, dem Historiker um die historische Glaubwürdigkeit; im ersten Fall steht der Mensch und Künstler Livius mit seinem schaffenden Intellekt im Vordergrund, im zweiten Fall der mehr oder weniger gewissenhafte Historiker. Erstere neigten zu einem ehrenwerten Urteil über Livius’ Arbeitsweise, selbst wenn er, wie Hermann Tränkle formulierte, „über den künstlerischen Zwecken nicht ganz selten die pragmatischen Gesetzmäßigkeiten der Dinge vergessen zu haben scheint, so dass seiner Darstellung bisweilen etwas Träumerisches anhaftet“.2 Der Historiker dagegen, der, wenn er Glück hat, Polybios als Korrektiv nutzen kann, fällt angesichts der fehlenden kritischen Sicht des Livius oft genug ein vernichtendes Urteil, dessen wissenschaftliches Fundament schon Barthold Georg Niebuhr in seiner „Römischen Geschichte“3 gegründet hatte. Dieses müsste freilich weniger Livius sondern mehr noch seine römischen Quellen, die jüngere Annalistik eines Valerius Antias, Coelius Antipater oder Claudius Quadrigarius mit voller Wucht treffen. Allerdings ist schon im Falle Niebuhrs das Urteil über den Historiker von demjenigen über den Literaten und Darstellungskünstler Livius scharf zu trennen. Dem Historiker geht es allein um die zuverlässigste, gewissenhafteste Darstellung, aus der er historische Erkenntnis und die Beantwortung
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Kritische Untersuchungen über die Quellen der vierten und fünften Dekade des Livius, Berlin 1863. H. TRÄNKLE, Livius und Polybios, Basel 1977, 190. Eine Untersuchung mit gleich lautendem Titel von J. BRISCOE, in: W. Schuller (Hrg.), Livius. Aspekte seines Werkes. Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen Heft 31, Konstanz 1993, 39–52, widmet sich speziell ausgewählten Passagen aus der Darstellung des Dritten Makedonischen Krieges. B. G. NIEBUHR, Römische Geschichte 1–3, Berlin 1811, 1812, 1832.
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so wichtiger Fragen gewinnen kann wie die Bewertung römischer Außenpolitik, die Kriegsursachen oder die staatliche Ordnung Roms. Wie Livius, der jüngere Autor, über Polybios, den älteren, dachte, wissen wir aus wenigen Bemerkungen, in denen Livius den Polybios nicht nur ausdrücklich als Gewährsmann nennt, sondern auch mit einem Lob belegt, so wie er es keinem seiner römischen Vorgänger zuteil werden ließ: Im 33. Buch (XXXIII 10,10) diskutiert er die unterschiedlich überlieferten Zahlen der in der Schlacht von Kynoskephalai gefallenen Soldaten und fügt an, dass er Polybios folge, einem durchaus zuverlässigen Schriftsteller über alle nicht nur Rom, sondern insbesondere auch Griechenland betreffenden Ereignisse. Noch bei zwei anderen Gelegenheiten (XXXIV 50,6; XXXVI 19,11) setzt sich Livius ausdrücklich unter Berufung auf Polybios von seinen annalistischen Vorgängern ab4 – oder: Er stimmt gleichsam direkt auf Polybios fußend in das Lob über den großen Politiker des achäischen Bundes, Philopoimen, ein (XXXIX 50), als er ausführlich dessen Tod beschreibt und damit gegen seinen Grundsatz handelt, nur die Rom tangierenden Geschehnisse aus der griechischen Welt zu berichten.5 Diese Beispiele mögen genügen, um die allgemeine Wertschätzung der polybianischen Darstellung durch Livius zu verdeutlichen. Wie Polybios über Livius gedacht hätte, ist natürlich eine rein spekulative Frage, aber ich möchte die These wagen, dass Polybios die Arbeitsweise des Livius gering geschätzt hätte. Livius war genau der Typ von Historiker, den Polybios als Stubengelehrten scharf verurteilte, wie wir aus seiner Kritik an Timaios ersehen.6 Zwar hätte er ihm wohl zugestanden, „pragmatische“ Geschichtsschreibung verfasst zu haben, so wie er es einem älteren römischen Historiker, A. Postumius Albinus (Konsul 151) zubilligt7 – also eine Geschichte über die „Staatsgeschäfte“, die Abschweifungen über Stammbäume, Gründungsgeschichten, verwandtschaftliche Beziehungen eher vermieden. Aber das Werk des Livius hätte wahrscheinlich nie die Aufgabe erfüllen können, ein gutes Lehrbuch der Politik zu sein (Pol. IX 9,9–10), Erfahrungen zum wirklich erfüllten Leben zu vermitteln (Pol. I 35,9). Einem solchen Anspruch können nämlich nur Staatmänner selbst gerecht werden, sofern sie sich mit vollem Einsatz der Geschichtsschreibung widmen, oder Geschichtsschreiber wie Polybios, die sich die Kenntnis der politischen Geschäfte angeeignet haben (XII 28,1–5). Einen notwendigen Bestandteil dieser Kenntnisse bilden das eigene Erleben (autopátheia, XII 25h,4) und die praktische Erfahrung 4 5 6
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TRÄNKLE, Livius und Polybios (Anm. 2), 20. Liv. XXXIX 48,6; siehe TRÄNKLE, Livius und Polybios (Anm. 2), 74.; H. ACHLEITNER, Polybios’ Philοpoimen-Biographie als Quelle für Livius, in: Hermes 110 (1982), 499–502. M. GELZER, Die pragmatische Geschichtsschreibung des Polybios, in: Festschrift für Carl Weickert, Berlin 1955, 87–91 = Kleine Schriften III, Wiesbaden 1964, 155–160 = K. STIEWE, N. HOLZBERG (Hrgg.), Polybios, Darmstadt 1982, 273–280. F. W. WALBANK, Polybius, Berkeley u.a. 1972, 66–96. B. MEISSNER, ΠΡΑΓΜΑΤΙΚΗ ΙΣΤΟΡΙΑ. Polybios über den Zweck pragmatischer Geschichtsschreibung, in: Saeculum 37 (1986), 313–353. Pol. XXXIX 1. Albinus verfasste ein Geschichtswerk in griechischer Sprache, seinen Stil charakterisiert Polybios als geschwätzig und prahlerisch; Cicero dagegen lobt ihn (acad. ΙΙ, 137) als homo sane doctus.
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(autourgía, XII 28a,4–10; IV 2,2), ferner die Inaugenscheinnahme der Schauplätze historischer Ereignisse – namentlich in seiner Epoche, als man ideale Rahmenbedingungen vorfand: Angesichts der römischen Hegemonie im Mittelmeerraum sei das Reisen ungleich bequemer und sicherer geworden (III 59,3ff.; IV 40,2), ferner fänden die Staatsmänner nun auch Zeit, nach oder neben dem Kriegsdienst und der Politik sich der Geschichtsschreibung zuzuwenden. Natürlich leitet Polybios solche Forderungen von seiner eigenen Biographie ab, er, der vom Politiker zum Geschichtsschreiber geworden war, hatte außer Italien und Griechenland auch Spanien, Gallien, Afrika und Ägypten kennen gelernt und sich deshalb mit Odysseus verglichen.8 Nach allem also, was wir wissen, hätte Livius zwei Kernforderungen des Polybios für einen guten Geschichtsschreiber nicht erfüllt: die Praxis des Politikers und Militärs und die persönliche Kenntnis der Schauplätze des beschriebenen Geschehens. Livius hat Italien nie verlassen und überwiegend in seiner Heimat Patavium gelebt, ähnlich gearbeitet wie Timaios, der sich über Jahrzehnte fern seiner Heimat Sizilien überwiegend in Athen in historische Werke und Urkunden eingegraben hatte. Nebenbei sei bemerkt, dass in neuer Zeit große Philologen wie Friedrich Klingner gerade Livius’ „Abstand zu der hohen Politik in Rom“ als einen Vorzug sehen, der in „der Ehrfurcht und Liebe, womit er an seine Aufgabe geht, der Offenheit für die Werte des alten Rom“ bestand.9 Nun beruhten Polybios’ Wertschätzung oder Verachtung von Schriftstellerkollegen, die ich soeben auf Livius übertragen habe, in höchstem Maße auf seiner subjektiven Perspektive des achäischen Patrioten und natürlich einem Selbstbewusstsein, das in Konkurrenz zu demjenigen anderer Autoren trat. Mit Kritik hat er insbesondere die vor ihm lebenden Schriftsteller bedacht, wie Theopomp oder Timaios. Dem ersteren warf er die Schmähungen gegenüber Philipp II. vor, an welchem Polybios, da der Makedonenkönig seine Heimat Arkadien aus den Klauen Spartas befreit hatte, keinerlei Kritik gelten ließ;10 dem Timaios verübelte er die einseitige Hervorhebung der Geschichte Siziliens vor derjenigen des griechischen Mutterlandes, aber hinter dieser wie anderer Sachkritik stand schlichtweg Polybios’ Neid auf den Historikerkollegen, der mit der Darstellung des Pyrrhoskrieges als der erste große Historiker Roms galt.11 8
Pol. XII 28,1; seine Reisen in Buch 34. Odysseusvergleich: WALBANK, Polybius (Anm. 6), 52; vgl. I. WEILER, Autopsie und Geschichtserkenntnis bei Polybios und Timaios. Überlegungen zur Notwendigkeit von Exkursionen, in: P. W. Haider, R. Rollinger (Hrgg.), Althistorische Studien im Spannungsfeld zwischen Universal- und Wissensgeschichte. Festschrift für Franz Hampl, Stuttgart 2001, 317–334. 9 F. KLINGNER, Römische Geisteswelt, München 1961, 464 = E. BURCK (Hrg.), Wege zu Livius, Darmstadt 1967, 63. 10 Pol. XVIII 14,6; VIII 10,5: F. W. WALBANK, Polemic in Polybius, in: JRS 52 (1962), 1–2 = (dtsch. Übers.) STIEWE/HOLZBERG, Polybios (Anm. 6), 378–379 = Selected Papers (Cambridge 1985), 263. 11 F. W. WALBANK, Polemic in Polybius (wie Anm. 10), 7–11 = 399–402 = 272–275; DERS., Polybius (Anm. 6), 49–54; DERS., Polybios’ Sicht der Vergangenheit, in: Gymnasium 97 (1990), besonders 26–30 = Polybius and the Past, in: ders., Polybius, Rome and the Hellenistic World, Cambridge 2002, 178–192.
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Polybios hat sich darüber hinaus auch in der Charakterisierung von politisch führenden Persönlichkeiten durchaus von einem subjektiv vorgeprägten Standpunkt leiten lassen, der maßgeblich von seiner regionalen Herkunft aus Arkadien und der politischen Tätigkeit seiner Familie im Achäischen Bund geprägt war. Seine Bewunderung für Philipp II. und Verachtung für dessen Kritiker ist erwähnt worden. Den Senator Postumius Albinus, der ein Geschichtswerk in griechischer Sprache verfasst hat, verachtete er als Prahlhans und Schwätzer, weil er als Prätor für die Ablehnung des Antrages gesorgt hat, der die achäischen Geiseln in ihre Heimat zurückbringen sollte.12 Aus der durchweg antiachäischen Einstellung der Ätoler resultiert Polybios’ generell negative Einschätzung ätolischer Politik, auch die positive oder negative Charakterisierung peloponnesischer und speziell achäischer Politiker reflektiert Polybios’ eigenes Schicksal als Mitglied einer führenden Familie seiner Heimat. Diese und andere Beispiele, die zeigen, dass Polybios insbesondere bei seinem Urteil über griechische Politiker und seiner Bewertung von Ereignissen der zeitgenössischen Geschichte des Landes immer mit kritischem Auge betrachtet werden muss, hat Jürgen Deininger vor nunmehr 40 Jahren zusammen gestellt.13 Polybios’ Urteile über Historiker und Politik sind also, so wissenschaftlich argumentativ sie auch erscheinen, zunächst auf eigene Interessen und Vorurteile hin zu überprüfen. Umgekehrt bedeutet Livius’ Lob auf Polybios nicht, dass er ihm dort, wo er ihn benutzen konnte, auch immer gefolgt wäre. Bekanntlich ist das Problem der Abhängigkeit des Livius von Polybios und die Art der Benutzung des Letztgenannten durch den Ersteren in zahlreichen Detailstudien traktiert worden. Den außen stehenden Betrachter beeindrucken der oft satz- und wortweise minutiös vorgenommene Vergleich, die Analyse der livianischen Abweichungen, Kürzungen, Erweiterungen und deren Erklärungen. Es werden stilistisch-kompositorische, konzeptionsbedingte Motive genannt, ferner akribisch nach der von Livius anstelle des Polybios – oder von beiden gemeinsam – benutzten Quelle geforscht. Durchweg frustrierend wirkt dann allerdings die mangelnde Akzeptanz solcher Untersuchungen in den Kreisen der Polybios- und Liviusspezialisten, die Teile der Einzelinterpretation oder das Gesamtergebnis in Frage stellen – wie mir scheint: zu Recht, aber nicht deshalb, weil die alternative Meinung der Kritiker schlüssiger zu beweisen wäre. Zu groß sind die Lücken im Werk des Polybios, ganz unbekannt die potentiellen Vorlagen beider Autoren, seien es Coelius Antipater, Valerius Antias oder namentlich unbekannte Autoren, die als gemeinsame Quellen postuliert werden.14 Mir scheinen diejenigen Untersuchungen am erfolgverspre12 Pol. XXXIX 1; XXXIII 1,51. 13 J. DEININGER, in: Gnomon 42 (1970), 65–72 = K. STIEWE, N. HOLZBERG, Polybios (Anm. 6), 429–438. 14 Als Beispiel nenne ich die Dissertationen von Schülern Fritz Gschnitzers wie T. SCHMITT, Hannibals Siegeszug. Historiographische und historische Studien vor allem zu Polybios und Livius, München 1991, dazu die Rezension von J. SEIBERT, in: Gnomon 67 (1995), 79–81; D. A. KUKOFKA, Süditalien im Zweiten Punischen Krieg, Frankfurt/M. 1990, dazu die Rezension von L. HAVAS, in: Gnomon 67 (1995), 77–79; T. LEIDIG, Valerius Antias und ein annalistischer Bearbeiter des Polybios als Quelle des Livius, vornehmlich für Buch 30 und 31,
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chendsten zu sein, die Stärken und Schwächen der jeweiligen Darstellung werkimmanent herausarbeiten und mit den Passagen argumentieren, die wir besitzen, und nicht mit denen, die wir nicht besitzen, wie die verlorenen römischen Quellen des Livius. Eine solche Untersuchung werde ich am Schluss nennen. Zur Veranschaulichung möchte ich einige wichtige und bekannte Grundtatsachen in Erinnerung rufen. Livius schrieb sein monumentales Geschichtswerk mit einer ebenso starken inneren Überzeugung und sicher mit mehr Fleiß und Ausdauer als Polybios. Außen vor lasse ich an dieser Stelle jedes Urteil über Livius’ Leistung als Dramatiker und Künstler in der Vermittlung seiner Ideale. Was diesen einfachen Bürger der oberitalischen Provinz dazu trieb, sein Leben gleichsam in den Dienst einer in Monumentalität gegossenen Geschichte Roms zu stellen, wissen wir nicht. Er fand jedenfalls, der römische Staat habe nach den Schrecknissen der Bürgerkriege seine Vorbilder in seiner großen Vergangenheit zu suchen und ihnen nachzueifern; diese wollte Livius zu neuem Leben erwecken, ebenso Personen und Charaktere, die eine Politik vorbildhaft umsetzten, die der Welt Recht und Gesittung gab. Die durch zahllose exempla beschworene Vergangenheit der glorreichen Republik deckte sich mit der Rechtfertigungsideologie des Augustus, nichts anderes als die gute alte Republik wiederhergestellt zu haben, wobei er der Realität der Prinzipatsordnung wahrscheinlich durchaus kritisch gegenüber stand.15 Es handelte sich um eine Geschichte vorbildhafter Taten, ob historisch belegt oder nicht, namentlich für die Frühzeit Roms, war irrelevant – man siehe die Vorrede zum 6. Buch –, entscheidend war vielmehr die unverbrüchliche Verankerung in der Erinnerung, die sie erzählenswert machten. Ebenso ‚glatt‘ ging Livius mit der Erforschung der Ursachen von Roms Kriegen um, mit denen die großen Männer der Geschichte die Weltherrschaft aufgerichtet hatten: Es mussten ‚gerechte‘ Kriege sein, also immer zum Schutz der Verbündeten und zur Einhaltung geschlossener Verträge. Die römisch geprägte Geschichtskonstruktion sah Rom nie als Angreifer, sondern immer als den direkt Angegriffenen oder den zum Schutz von verbündeten Staaten Herausgeforderten. Daraus resultierte die für Rom zwingende Verpflichtung, den socii zur Seite zu stehen, also etwa Messana und Sagunt, womit die römische Geschichtsschreibung die Eröffnung des Ersten und Zweiten Punischen Krieges rechtfertigte. Livius begründet Roms Eingreifen in den zweiten Makedonischen Krieg mit der Beistandsverpflichtung für die verbündeten Athener. Immerhin in dieser Frage ist Frankfurt/M. 1994; ferner die Münchener Dissertation von U. HÄNDL-SAGAWE, Der Beginn des 2. Punischen Krieges: ein historisch-kritischer Kommentar zu Livius Buch 21, München 1995, dazu die Rezension von J. BRISCOE, in: Gnomon 71 (1999), 211–214. 15 J. DEININGER, Livius und der Prinzipat, in: Klio 67 (1985), 265–272; E. BADIAN, Livy and Augustus, in: SCHULLER, Livius (Anm. 2), 9–38. Zu Livius’ Geschichtsauffassung siehe allgemein etwa E. BURCK, Livius als augusteischer Historiker, in: Die Welt als Geschichte 1 (1935), 448–487 = DERS., Wege zu Livius (Anm. 9), 96–143; W. HOFFMANN, Livius und die römische Geschichtsschreibung, in: A&A 4 (1954), 171–186 = BURCK, Wege zu Livius (Anm. 9), 68–95. Der aktuelle Forschungsstand mit Bibliographie in: J. D. CHAPLIN, C. S. KRAUS (Hrgg.), Livy (Oxford Readings in Classical Studies), Oxford 2009.
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sich die Forschung einig, dass das angeblich mit Athen geschlossene Bündnis auf einer annalistischen Erfindung beruht, ebenso der gegenüber Philipp V. vorgebrachte Anklagepunkt, er habe ein Truppenkontingent zu Hannibal nach Afrika geschickt.16 Letzteres, die Unterstützung von Roms Feinden, bezeichnet nämlich ein weiteres Motiv, in ein bellum iustum einzutreten. Wie im Frieden von Phoinike diente in dem mit Philipp V. im Jahre 196 geschlossenen Frieden auch eine gefälschte Zusatzbestimmung dazu, diesem den Krieg zu erklären: Philipp habe nämlich nicht außerhalb Makedoniens ohne Erlaubnis des Senates Krieg führen dürfen, ein Verbot, welches sein Sohn Perseus prompt missachtet habe.17 Vor dem Krieg gegen Antiochos III. wurde die den Städten Griechenlands garantierte Freiheit nach Angabe der Annalisten kurzerhand bis nach Kleinasien ausgedehnt; deren Verletzung durch Antiochos und dessen angeblichen Pläne, den Krieg sogar nach Italien tragen zu wollen, kumulierten zu einem passablen Kriegsgrund für Rom;18 direkten Anlass bildete die Aufreibung einer römischen Truppe bei Delion. Auch wenn Livius selbst oft genug bemerkte, dass das gewaltsame Zurechtrücken der Ereignisse, das seine annalistischen Vorgänger bereits bewerkstelligt hatten, zu unauflösbaren Widersprüchen führte, ließ er das Dilemma einfach auf sich beruhen im Interesse einer allgemeinen, nicht einer im einzelnen präzisen Wahrheit. So hat Livius den Polybios als Quelle nur so weit benutzt, wie dessen Darstellung nicht mit der Generallinie des römischen Geschichtsbildes kollidierte. Wenn also das Geschehen über Leisten dieses Geschichtsbildes geschlagen wurde, so führte das unwillkürlich zu gewaltsamen Verbiegungen und Fälschungen des tatsächlichen Geschehens, über deren Grad freilich die Forschung trefflich streitet. Das Konzept des Livius wirkt geradezu einfach im Vergleich zu Polybios, bei dem Anspruch und Realität oft auseinanderklafften und bei dem ein Wechsel von Maßstäben und Urteilen zu konstatieren ist. Hauptziel des Polybios war es zu erklären, wie und mit Hilfe welcher Verfassung Rom in so kurzer Zeit sich zur Herrin der Welt machen konnte.19 Da Roms Wachstum wesentlich seinen kriegerischen Unternehmungen verdankt wurde, hat er bekanntlich die archaí (die ersten Aktionen eines Krieges selbst), die aitíai (die tieferen Gründe, die zum Kriegsbeschluss führten) und die propháseis (die propagierten Kriegsmotive, egal ob wahr oder erfunden) unterschieden. Er hat diese aufwendige Analyse aber nur auf die wenigsten Kriege angewendet, am klarsten noch auf den Zweiten Punischen Krieg (III 6,1–2), für den er drei aitíai festmacht: der Groll des Hamilkar Barkas, die römische Besetzung Sardiniens und der Erfolg der Karthager in Spanien, und 16 K.-E. PETZOLD, Die Eröffnung des zweiten römisch-makedonischen Krieges. Untersuchungen zur spätannalistischen Topik bei Livius, Berlin 1940, 66–90; C. HABICHT, Studien zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit, Göttingen 1982, 138–142, 150–158. 17 Liv. XXXIII 30,6; vgl. auch H. TRÄNKLE, Livius und Polybios (Anm. 2), 182–183. 18 Siehe K.-E. PETZOLD, Zweiter römisch-makedonischer Krieg (Anm. 16), 97–99 mit den Belegen. Tötung der römischen Flottenmannschaft bei Delion als Kriegsgrund: Liv. XXXV 51,5. 19 Siehe WALBANK, Polybius (Anm. 6), 130 mit den Belegen.
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schließlich noch als unmittelbaren Anlass die Eroberung Sagunts (III 30). Darüber lagerte Polybios die Erkenntnis, dass ein Krieg aus dem anderen hervorginge. Der Eroberung Italiens folgte die Besetzung des sizilischen Brückenkopfs Messana, diesem die Einnahme von Agrigent und der Wunsch, ganz Sizilien zu beherrschen; daraus entstand der Hannibalische Krieg, daraus derjenige mit Philipp und dann derjenige mit Antiochos (III 32,7). Schließlich, diese Sicht ergänzend, macht Polybios bei den Römern schon seit dem Zweiten Punischen Krieg einen Drang nach der Weltherrschaft geltend, wenn sie aus dem eroberten Syrakus Gold und Silber nach Rom schafften, um die Ressourcen der anderen Staaten zu schwächen (IX 10,11).20 So schwerlich diese Erklärungsmuster auf einen Nenner zu bringen sind, geschweige denn von Polybios jedes Mal angewendet werden, so wenig hat er ein einheitliches Urteil über die römische Politik durchgehalten. Er entschloss sich, auch die Jahre nach der Schlacht bei Pydna, als Rom definitiv zur Herrin der Welt geworden war, zu beschreiben und ein Urteil sowohl über die Art, wie die Römer die Welt regierten, als auch ein Urteil der Unterworfenen über ihre neuen Herren zu präsentieren (III 4,1). Findet Polybios für die erste Phase nach 168 recht zynische Worte für Roms Herrschaftspraxis, schwenkt er am Schluss um, indem er die Zerstörung Korinths und Karthagos verteidigt; er hat am Ende Roms ordnende Hand gegenüber einem verbohrten und sinnlosen Widerstand gegen deren Weltherrschaft vorgezogen. Seine Kategorien der Kriegsursachenforschung scheinen angesichts der zunehmenden römischen Rigorosität, ja Brutalität am Ende nicht mehr anwendbar zu sein. Nichts bleibt übrig, so schreibt er (XXXVI 10) von Regeln in der Politik und menschlicher Handlungsweisen.21 Frank Walbank hat erleichtert festgestellt,22 der heutige Historiker könne von Glück sprechen, dass Polybios die rationale Analyse von Ursachen und Anlässen von Kriegen nicht aufgegeben habe zugunsten seiner Theorie von der Wirksamkeit der Tyche, die von Anfang an Roms Weg zur Weltmacht vorgezeichnet habe. Auch seinen genauen Berichten über Roms Beziehungen zu seinen Nachbarn dürfen wir Vertrauen schenken, da Polybios nur den zuverlässigsten Quellen und mit eigenem kritischen Verstand folgte, was nicht der Fall wäre, hätte er diese Berichte in starrer Befolgung einer – modern gesprochen – Imperialismustheorie umgeschrieben. Damit erweist sich, jedenfalls bin ich dieser Überzeugung, dass Polybios’ Darstellung vor allem in den wichtigen Abschnitten, die den Kriegsursachen und Friedensschlüssen gewidmet sind, derjenigen des Livius stets überlegen ist, selbst wenn wir auch oder nur mit Polybios nicht immer letzte Klarheit erlangen. Dies gilt vor allem für die frühen in seinem Geschichtswerk geschilderten Ereignisse wie für den Ersten Punischen Krieg, die für ihn nur auf das Hauptthema hinfüh20 Ebenda 157–164. 21 Ebenda 164–183; M. ZAHRNT, Anpassung – Widerstand – Integration: Polybios und die römische Politik, in: N. Ehrhardt, L.-M. Günther (Hrgg.), Widerstand – Anpassung – Integration. Die griechische Staatenwelt und Rom. Festschrift J. Deininger, Stuttgart 2002, 77–102. 22 WALBANK, Polybius (Anm. 6), 165–166.
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renden Charakter besaßen und denen der Autor nicht das gleiche analytische Interesse entgegen brachte. Selbst der wirkliche Grund der römischen Kriegserklärung im Zweiten Punischen Krieg lässt sich mit Polybios allein nicht zweifelsfrei klären, da der Autor bereits einer römisch geprägten Geschichtskonstruktion gefolgt ist, die die Eroberung Sagunts durch Hannibal in den Mittelpunkt der Kriegsschuldfrage rückte. Oft genug können aber inhaltlich ‚reduzierte‘ Schilderungen des Polybios eine größere Zuverlässigkeit beanspruchen als die mit Zusätzen aufgebauschten Versionen der römischen Annalistik, die in ihrem Detailreichtum nur vordergründig vertrauenerweckend wirkt. In einem Fall, als Polybios die Bestimmung des Ebrovertrages zitiert, die Karthager sollten den Fluss nicht in kriegerischer Absicht überschreiten, fügt er ausdrücklich hinzu (II 13): Vom übrigen Iberien sei in dem Vertrag keine Rede gewesen; das heißt, er hat vermutlich schon bei Fabius Pictor eine deformierte Überlieferung vorgefunden, die Sagunt in den Vertrag hinein genommen hat. Fabius hat bekanntlich die Eroberung Sagunts durch Hannibal und Hasdrubals Machtgier zu den Ursachen des Zweiten Punischen Krieges deklariert (III 8). Polybios wollte zumindest klar stellen, dass der Ebrovertrag den Saguntinern rechtlich keinen besonderen Schutz durch die Römer gewährte, wie es die römische Geschichtsschreibung schon sehr früh behauptetet hat.23 Ein Musterbeispiel ‚ganzheitlicher‘ Dekonstruktion einer konsequenten annalistischen Fälschung im Sinne einer Rückprojektion aus dem 1. Jahrhundert auf das 3. Jahrhundert v.Chr. bietet Fritz Gschnitzers Untersuchung zum System der römischen Heeresbildung im Zweiten Punischen Krieg.24 Livius referiert nahezu regelmäßig zu Beginn eines neuen Jahres einen Senatsbeschluss über die Stärke und Verteilung der römischen Legionen an den Kriegschauplätzen. Nach diesem Schema blieben von gelegentlichen Ausmusterungen abgesehen alle in den Vorjahren ausgehobenen Legionen im Dienst und wurden jährlich durch zwei neue Rekrutenlegionen verstärkt. So wuchs die Gesamtzahl der im Felde stehenden Legionen bis auf 25 im Jahre 212 an. Bei dieser Konstruktion stand also – zumindest auf Zeit – das stehende Berufsheer des 1. Jahrhunderts v.Chr. Pate. Aufgrund interner Widersprüche in Livius’ Schilderungen, vor allem anlässlich des Feldzuges auf Sizilien in den Jahren 214–212, hatte schon Ulrich Kahrstedt im Jahre 1913 diese Legionslisten als annalistische Erfindung entlarvt und von Eduard Meyer und Matthias Gelzer Zustimmung erfahren.25 Gschnitzer hat nun mit Hilfe des Polybios dafür den meines Erachtens definitiven Beweis geliefert, vor allem 23 K. BRINGMANN, Der Ebrovertrag, Sagunt und der Weg in den Zweiten Punischen Krieg, in: Klio 83 (2001), 369–376. 24 F. GSCHNITZER, Das System der römischen Heeresbildung im Zweiten Punischen Krieg: Polybios, die Annalisten und die geschichtliche Wirklichkeit, in: Hermes 109 (1981), 59–85 = T. Schmitt, C. Trümpy (Hrgg.), Fritz Gschnitzer, Kleine Schriften zum griechischen und römischen Altertum II, Stuttgart 2003, 322–348. 25 U. KAHRSTEDT, Geschichte der Karthager von 218 bis 146, Berlin 1913, 439–442; E. MEYER, in: Kleine Schriften II, Halle 1924, 415–423; M. GELZER, in: Kleine Schriften III, Wiesbaden 1964, 220–255.
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gestützt auf Polybios’ Erzählung (IX 3–7) über Hannibals Marsch auf Rom. Ohne dass die Details hier referiert werden müssen, bestätigen sie gemäß Polybios’ Bericht die gängige Praxis, dass die Legionen in Italien am Ende des Jahres oder nach Ablauf des Winters im nächsten Frühjahr regelhaft entlassen und durch von den Konsuln neu ausgehobene Legionen ersetzt wurden. Hannibal stand also ein Milizheer gegenüber. Diese Feststellung besitzt weit reichende Folgen für die Beurteilung der gesamten römischen Strategie im Zweiten Punischen Krieg und darüber hinaus für die sozialen Folgen des Krieges bis hin zu den Ursachen der gracchischen Agrarreform. Zugleich ist dieses Beispiel geeignet, die extrem divergierenden Meinungen auch namhafter Fachkollegen aufzuzeigen. Peter Brunt26 ist ein vehementer Verfechter der livianischen Legionslisten, und zur gleichen Zeit, zu der Gschnitzers Artikel erschien, veröffentlichte John Lazenby sein Buch über die militärische Geschichte des Zweiten Punischen Krieges,27 sich ebenfalls ganz auf die Legionslisten der Annalisten stützend. Hier zeigt sich, wie schwer man sich mitunter von einer eingefahrenen Quellensicht und von scheinbar authentischen, ja dokumentarisch klingenden Nachrichten der antiken Historiker löst (oder eben nicht). Fritz Gschnitzer verbindet sein Ergebnis mit einem Lob auf, ja geradezu einer Rehabilitierung von Ulrich Kahrstedt, von dem er behauptet, dank der mutigen, konsequenten Nichtbeachtung der als unbrauchbar erwiesenen Quellen habe er, Kahrstedt, die beste Darstellung des Zweiten Punischen Krieges nach Polybios geliefert. Gschnitzer hat von Kahrstedt nach eigenem Zeugnis28 so viel wie von nur wenigen unseres Faches gelernt; dasselbe möchte ich von mir auf Fritz Gschnitzers Livius- und Polybiosforschung gemünzt behaupten.
26 P. A. BRUNT, Italian Manpower 225 B.C. – A.D. 14, Oxford 1971, 645–646. 27 J. F. LAZENBY, Hannibal’s War: A Military History of the Second Punic War, Warminster 1978, etwa 100; ebenso (als Beispiel) J. BRISCOE, in: CAH 2VIII, Cambridge 1989, 74–75. 28 GSCHNITZER, Römische Heeresbildung (wie Anm. 24), 84 = 347.
POLYBIOS UND DIE ENTSTEHUNG DES RÖMISCHEN WELTREICHESCHEMAS Josef Wiesehöfer, Kiel
I. Es ist schon häufig betont worden, dass Polybios, und in seiner Nachfolge auch etwa Dionysios von Halikarnass und Appian, in den Proömien ihrer Werke „Roms einmalige Größe durch einen Vergleich dieses – aus ihrer Sicht – letzten aller Weltreiche mit seinen Vorgängern illustrieren“.1 Polybios betont dabei, nahezu die gesamte bewohnte Welt sei bezwungen worden (ἐπικρατηθέντα) und unter eine einzige Herrschaft (ὑπὸ μίαν ἀρχήν), eben die Roms, gefallen; die Römer hätten sich damit fast die gesamte oikumene untertan gemacht (πᾶσαν πεποιημένοι τὴν οἰκουμένην ὑπήκοον αὑτοῖς: Pol. I 2,5;7). Mit anderen Worten, ein herrschendes Volk hat gewaltsam und unwiderstehlich zahlreiche andere Völker fast der gesamten bewohnten Welt unterworfen. Die Einmaligkeit und besondere Qualität der derart überlegenen römischen Macht belegt Polybios im folgenden durch den Vergleich des Imperium Romanums mit dem Perserreich, dem Herrschaftsgebiet der Spartaner und dem Reich der Makedonen, das trotz der enormen Eroberungen Alexanders „den größten Teil der oikumene (...) völlig unberührt gelassen“ habe, nämlich Sizilien, Sardinien, Nordafrika und das gesamte westliche Europa. Damit seien den Makedonen „die kampfkräftigsten Völker des Westens (...) nicht einmal bekannt geworden.“ (I 2,5f.) Dass im Gegenzug den Römern der von Alexander eroberte Orient östlich des Euphrats unbekannt geblieben war, verschweigt der Begleiter des Scipio Aemilianus und Zeitzeuge des Untergangs von Karthago dabei geflissentlich. Interessant ist, wie chronologisch präzise Polybios Zeitraum und Verlauf der römischen Welteroberung beschreibt: In den nicht ganz 53 Jahren, deren Geschichte er im folgenden zu beschreiben gedenke, dem Zeitraum zwischen 219 v.Chr. (Kampf um Sagunt) und 168 v.Chr. (Schlacht bei Pydna), sei alles Wesentliche geschehen (I 1,5). Man hat immer wieder zu Recht betont, dass diese Zuspitzung durchaus ihre Tücken hat, war Rom doch bereits vor dem Hannibalkrieg eine der beiden Großmächte des westlichen Mittelmeerraumes und lag doch auch nach dem Sieg über Perseus der größere Teil der oikumene außerhalb des römisches Machtbereichs. „Proömienübliche Bedeutsamkeitstopik“,2 die griechische 1 2
M. WEISSENBERGER, Das Imperium Romanum in den Proömien des Polybios, Dionysios von Halikarnassos und Appian, in: RhM 145 (2002), 262. WEISSENBERGER, Imperium Romanum (Anm. 1), 272.
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Abkunft unseres Autors und sein Anliegen, die römische Leistung möglichst groß, die Dauer des gewollten und genau geplanten römischen Vorgehens möglichst klein erscheinen zu lassen, sind einleuchtende Gründe für die polybianische Fokussierung des Machtaufstiegs Roms. Auf besonderes Interesse stieß zu allen Zeiten Polybios’ Ergründung der Ursachen des römischen Erfolges: Einerseits bezeichnet er ihn nämlich als Paradoxon (I 1,4), andererseits spricht er von politischen Strategien (διαβουλία), Machtmitteln (δυναμεῖς) und Hilfsquellen (χορηγίαι) der Römer, die er benennen wolle, und führt – neben der Tyche – auch bereits im Proömium die besondere Form der politischen Ordnung Roms als Ursache an. Der damit vorausgesetzten Uninformiertheit der – griechischen – Leser seines Werkes möchte Polybios abhelfen, zugleich, ähnlich seinen eigenen Erfahrungen, die historische Notwendigkeit der neuen Weltordnung verstehen und anerkennen helfen; seine Historiai können damit zu einer „in der deutlichsten Sprache redenden und einzigen Lehrmeisterin der Fähigkeit (werden), die Umschwünge des Zufalls gefasst hinzunehmen.“ (I 1,2) Als Polybios sein Proömium verfasste, waren Vergleiche antiker Großreiche durchaus bereits en vogue, ja es hatte sich sogar im griechisch-hellenistischen Bereich bereits das später enorm geschichtsmächtige Schema einer Abfolge von Weltreichen etabliert, in dem die orientalischen Großreiche der Assyrer, Meder und Perser – neben dem Reich der Makedonen – eine entscheidende Rolle spielten und an das sich im Laufe der Zeit auch die Römer anzuschließen gedachten.3 Im folgenden möchte ich, ausgehend von Polybios’ Vergleich des Imperium Romanum mit dem Perserreich, Sparta und den Reichen Alexanders und seiner Nachfolger, meine Überlegungen zur Entwicklung dieses Sukzessionsschemas vorstellen und Polybios’ Stellung in der Geschichte dieses Modells zu ergründen suchen.
II. Vermutlich beeinflusst von den Ideen und Ansprüchen altorientalischer Herrscher, die Grenzen des eigenen Reiches mit denen der Welt gleichzusetzen, entwickelte sich ab dem 5. Jahrhundert v.Chr. die Vorstellung von einer Abfolge von Weltreichen; diese wiederum wurde bereits früh ideologisiert. Die Einführung eines solchen Schemas, das zum ersten Male – als Abfolge von drei Weltreichen (Assyrien-Medien-Persien) – bei Herodot fassbar ist (I 95; 130), wird üblicherweise den Achaimenidenherrschern zugeschrieben, doch sprechen sein Fehlen in den Kö-
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Vgl. J. WIESEHÖFER, The Medes and the Idea of the Succession of Empires in Antiquity, in: G. Lanfranchi, M. Roaf, R. Rollinger (Hrgg.), Continuity of Empire (?): Assyria, Media, Persia, Padova 2003, 391–396; DERS., Daniel, Herodot und „Dareios der Meder“: Auch ein Beitrag zur Abfolge von Weltreichen, in: Von Sumer bis Homer. Festschrift für M. Schretter, Altenberge 2005, 647–653 (mit der älteren Literatur). In Kiel entsteht eine althistorische Dissertation zum Thema „Vorstellungen von Weltherrschaft und Weltreicheabfolge in der Antike“ (M. Oellig).
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nigsinschriften,4 berechtigte Zweifel an der Existenz eines entwickelten ‚Mederreiches‘ und die Kompatibilität des Modells mit der herodoteischen Sicht der Geschichte der Oikumene dafür, dass es sich dem Halikarnassier verdankt. Während bei Herodot das ganze territoriale Erbe der Vorgängerreiche im Perserreich aufgeht, allein dieses die Herrschaft über ganz Asien zu erringen in der Lage ist und Aufstieg und Fall aller Reiche nicht zuletzt mit den sittlichen Qualitäten der Herrscher korrelieren, spricht Ktesias, bei dem das ‚Drei-Reiche-Schema‘ deutlicher zum Ausdruck kommt, sowohl Assyrern wie Persern die Herrschaft über ganz Asien zu (FGrHist 688 F 1,5).5 Nach dem Ende der Achaimenidenherrschaft muss sich, in ähnlich positiver Ausprägung, ein Vier-Reiche-Schema gebildet haben, wie es die vier Reiche im Buche Daniel, hier allerdings mit dem Wunsch nach Überwindung der bestehenden Verhältnisse verbunden, und das Fünfer-Schema der römischen Historiographie, unser eigentliches Thema, vermuten lassen. Allerdings ist die dort vorausgesetzte Abfolge Assyrien-Medien-Persien-Makedonien hellenistisch nicht belegt. Dennoch spricht viel dafür, dass die Seleukiden für die Erweiterung des Dreier-Schemas verantwortlich waren (und nicht etwa Alexander oder gar eine antihellenistische orientalische Opposition).6
III. Setzt man ein Sukzessionsschema von vier Reichen in seinem ursprünglichen positiven Duktus in seleukidischer Zeit als gegeben voraus, so bleibt die Frage, wann es in ein Fünferschema unter Einschluss Roms erweitert wurde. Ohne jeden Zweifel bestand die Reihenfolge Assyrer-Meder-Perser-Makedonen-Rom in spätrepublikanisch-augusteischer Zeit, in der wir es sowohl bei Dionysios von Halikarnass (I 2) als auch bei Pompeius Trogus (Iust. I 1,1–4; 3,5f.; 6,17–7,1; XLI 1,1–9; XLIII 1,1f.) beobachten können. Für letzteren ist zuweilen ein Viererschema (mit Rom als letztem Glied) postuliert worden, doch beweisen der Prolog zu Buch 1 sowie Iust. I 3,6 ([Arbactus] imperium ab Assyriis ad Medos transfert; vgl. XLII 3,6), dass neben Assyrern, Persern und Makedonen auch die Meder den Römern als Herrscher über ein Großreich vorangingen. Steht die Existenz des Fünferschemas damit für die ausgehende Republik außer Frage, so haben die meisten Gelehrten hinsichtlich des Viererschemas dessen Nutzung für beziehungsweise Erweiterung um Rom bereits für das 2. Jahrhundert v.Chr. postuliert.
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Zum achaimenidischen Geschichtsbild siehe J. WIESEHÖFER, R. ROLLINGER, Periodisierung und Epochenbewusstsein in achaimenidischer Zeit, in: J. Wiesehöfer, Th. Krüger (Hrgg.), Periodisierung und Epochenbewusstsein im Alten Testament und in seinem Umfeld, Stuttgart 2012, 57–85. Zu Ktesias vgl. nun J. WIESEHÖFER, R. ROLLINGER, G. LANFRANCHI (Hrgg.), Ktesias’ Welt – Ctesias’ World, Wiesbaden 2011. WIESEHÖFER, Daniel, Herodot und „Dareios der Meder“ (Anm. 3).
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Sie verweisen dabei auf die bei Polybios I 2,2–7 genannten Mächte,7 besonders aber auf ein Zitat eines von ihnen ins erste Drittel des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts datierten, ansonsten unbekannten Aemilius Sura bei Velleius Paterculus (I 6,6; s.u.) und auf die Synchronisation der Gründung Roms und des Falls Assyriens bei Ennius (Ann. IV 154).8 Jeder dieser Belege hat nun aber seine jeweils spezifischen Tücken: a) Polybios nimmt in seinen Historiai, die sich den Gründen für den Aufstieg Roms zur Weltmacht in nur 53 Jahren widmen, nur die großen antiken Herrschaftsbildungen in den Blick, die überhaupt einen Vergleich (σύνκρισις) mit dem mächtigen Rom verdienen. Dabei stellt er die Imperien (ἀρχαί) der Perser und Makedonen mit der ἡγεμονία der Lakedaimonier zusammen und charakterisiert alle auf eine je spezifische Weise, die die Überlegenheit Roms deutlich macht: Vom Reich der Perser sagt er, dass es nur ein asiatisches gewesen sei, das immer dann in Schwierigkeiten geraten sei, wenn es seine Grenzen habe überschreiten wollen. Bezüglich der Herrschaft der Spartaner verweist er darauf, dass diese erst nach langen Kämpfen erreicht worden, auf Griechenland beschränkt gewesen sei und nur zwölf Jahre Bestand gehabt habe. Darauf folgen bei Polybios die Makedonen, die zunächst nur einen kleinen Teil Europas kontrollierten, dann Asien von den Persern hinzugewannen, den gesamten Westen der Mittelmeerwelt allerdings nicht unter ihre Kontrolle zu bringen vermochten. Der Bezug auf den Westen macht deutlich, dass der Achaier das benachbarte Reich der Antigoniden als wahren Erben Alexanders des Großen betrachtete und nicht die anderen hellenistischen Monarchien; entsprechend hat für ihn auch der römische Sieg über Perseus bei Pydna 168 v.Chr. den Beginn der römischen Weltherrschaft bedeutet, die im folgenden als beinahe erdumspannend und unvergleichlich charakterisiert wird.9 Polybios’ Herrschaftsgeschichte unterscheidet sich aber nicht nur durch die, gemessen an vergangenen und zukünftigen Maßstäben, einzigartige römische Epoche von den früheren östlichen Vier-Reiche-Entwürfen, vielmehr verbieten es die bewusste Auswahl und Zusammenstellung der Mächte, die kaum etwas mit unserer kanonischen Reihung 7
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„Es sind folgende, die einen solchen Vergleich verdienen. Die Perser haben zu gewissen Zeiten eine große Herrschaft und Macht besessen; sooft sie aber die Grenzen Asiens zu überschreiten wagten, haben sie nicht allein ihre Herrschaft, sondern auch sich selbst in Gefahr gebracht. Die Spartaner haben lange Zeit nach der Hegemonie über die Griechen gestrebt, als sie sie aber errungen hatten, haben sie diese Stellung kaum zwölf Jahre unbestritten zu behaupten vermocht. Die Makedonen herrschten in Europa von den Küsten des Adriatischen Meeres bis zum Istros-Strom (...) Dann gewannen sie die Herrschaft über ganz Asien hinzu, nachdem sie das persische Reich vernichtet hatten. (...) Die Römer jedoch haben sich nicht einzelne Teile, sondern beinahe die ganze Erde untertan gemacht (...)“ (Übers. H. Drexler – Polybios, Geschichte. Gesamtausgabe in 2 Bänden, eingel. und übertr. von H. Drexler, Zürich/Stuttgart 1961, hier: Bd. I, S. 2). Zu Polybios als Vermittler siehe J. M. ALONSO-NÚÑEZ, Die Abfolge der Weltreiche bei Polybios und Dionysios von Halikarnassos, in: Historia 32 (1983), 411–426. Septingenti sunt paulo plus aut minus anni Augusto augurio postquam inclita condita Roma est (= O. SKUTSCH, The Annals of Quintus Ennius. Edited with introduction and commentary, Oxford 21986, F 5). F. W. WALBANK, Polybius and Rome’s Eastern Policy, in: JRS 53 (1963), 8.
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Assyrer-Meder-Perser-Makedonen zu tun hat und statt der Seleukiden die Antigoniden in den Blick nimmt, das Polybios-Zitat mit dem östlichen Viererschema in Verbindung zu bringen. Mit einem Pompeius Trogus, über den noch zu reden sein wird, verbindet Polybios, dessen diesbezügliche Vorlagen man nicht kennt, allein die Bezeichnung Roms als Weltmacht. In der bei Appian (Lib. 132) überlieferten Polybios-Paraphrase (XXXVIII 22), in der Scipio anlässlich des Untergangs Karthagos und im Wissen um das Ende der vier Reiche der Assyrer, Meder, Perser und Makedonen über den möglichen Wechsel des Glücks auch für Rom nachdenkt,10 ist zumindest die Reichefolge (wenn nicht gar das gesamte Zitat) nicht polybianisch.11 b) Bezüglich Aemilius Sura, bei dem sich – anders als bei Polybios – tatsächlich das Viererschema Assyrer-Meder-Perser-Makedonen, erweitert um Rom, findet, sind Vorbehalte gegen die übliche Datierung ins frühe 2. Jahrhundert anzumelden. Um diese verständlich zu machen,12 sei hier zunächst die Glosse bei Velleius Paterculus (I 6,6) wörtlich zitiert: Aemilius Sura de annis populi Romani: Assyrii principes omnium gentium rerum potiti sunt, deinde Medi, postea Persae, deinde Macedones; exinde duobus regibus Philippo et Antiocho, qui a Macedonibus oriundi erant, haud multo post Carthaginem subactam deuictis summa imperii ad populum Romanum peruenit; inter hoc tempus et initium regis Nini Assyriorum, qui princeps rerum potitus, intersunt anni MDCCCCXCV. „Aemilius Sura führt in seinem Werk de annis populi Romani aus: ‚Die Assyrer haben als erste von allen Völkern die Macht in Besitz gehabt, dann die Meder, danach die Perser, dann die Makedonen. Als die zwei Könige Philipp und Antiochos, beide makedonischer Abstammung, bald nach der Unterwerfung Karthagos besiegt worden waren, ging die Weltherrschaft auf das römische Volk über. Zwischen dieser Zeit und dem Beginn der Herrschaft des Ninus, des Königs der Assyrer, der als erster die Macht innehatte, liegen 1995 Jahre‘.“
Es ist zu Recht darauf verwiesen worden, dass die Zahl 1995 auf der Kenntnis der Chronologie des Eratosthenes und der Persika des Ktesias beruht.13 Andererseits hat man aus dem Umstand, dass Sura die Zerstörung Karthagos im Dritten Punischen Krieg ebensowenig erwähnt wie den römischen Krieg gegen den Antigoniden Perseus, schließen wollen, dass Sura zwischen 189 und 171 v.Chr. gelebt beziehungsweise geschrieben habe. Die Synchronisation des Endes der Assyrerherrschaft mit der Gründung Roms in den Annales des Ennius, dessen Tod auf 169 v.Chr. datiert wird, wird als zusätzliches Argument dafür angeführt, dass bereits 10 „Diese Erfahrung mußte Ilion machen, einst eine blühende Stadt, die Reiche der Assyrer, der Meder und der Perser, das auf jene folgte (?) und noch größer war, schließlich das der Makedonen, das noch jüngst so glanzvoll dastand.“ (Übers. H. Drexler) 11 A. E. ASTIN, Scipio Aemilianus, Oxford 1967, 282–287; F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, vol. 3, Oxford 1979, 722–725. 12 Für die folgenden Thesen schließe ich mich in nahezu allen Punkten der Argumentation von P. BURDE, Untersuchungen zur antiken Universalgeschichtsschreibung, Phil. Diss. München 1974, an. Die Datierung des Sura ins 2. Jahrhundert wird auch von D. MENDELS, The Five Empires: A Note on a Hellenistic Topos, in: AJPh 102 (1981), 330–337, bezweifelt. 13 J. SWAIN, The Theory of the Four Monarchies: Opposition History under the Roman Empire, in: ClPh 35 (1940), 2.
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in jener Zeit Rom als wahre Nachfolgerin der Assyrer am Ende einer Sukzession von Weltreichen angesehen worden sei. Diese These kann allerdings aus mehreren Gründen nicht überzeugen: Zum ersten wird vorausgesetzt, dass Sura, wenn er später gelebt hätte, ein anderes, in der antiken Geschichtsschreibung und bei uns geläufigeres Datum – z.B. den römischen Sieg 168 bei Pydna wie Polybios – als Beginn der römischen Weltherrschaft hätte wählen müssen.14 Nun konnte allerdings noch in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. Cornelius Nepos die Ansicht vertreten, Rom sei bereits mit dem Sieg über Antiochos III. 190 v.Chr. die führende Macht der Oikumene geworden (Hann. 8,3). Obgleich man zum zweiten nichts über Inhalt, Aufbau und Zielsetzung des suranischen Werkes weiß, steht doch fest, dass es sich bei ihm weder um einen „Abriss der Weltgeschichte“, noch um eine technische Abhandlung zum römischen Kalender gehandelt haben kann: Ersterer kommt wegen des Titels nicht in Frage und widerspräche auch Catulls Behauptung, Nepos (etwa 100–25 v.Chr.) habe als erster Römer römische und außerrömische Geschichte dargestellt (Catull, c. 1,5); letzterer stehen der Plural de annis und der Umstand entgegen, dass die in Velleius Paterculus eingefügte Glosse auch nicht in ein Kalenderwerk passen würde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit weist sie vielmehr auf einen chronologischen Abriss mit Anmerkungen zu jedem Jahr hin, vergleichbar etwa dem 47 v.Chr. erschienenen liber annalis des Atticus, der in nur einem Band sämtliche wichtigen Ereignisse und Daten der römischen Geschichte aufführte und sie durch ebensolche bei den imperiosi populi und durch die Taten der reges illustres ergänzte. Auch in diesem Fall hätte Sura nicht vor Nepos geschrieben, da dieser das Genus der Chronik als erster Römer von hellenistischen Autoren übernommen haben soll.15 Angesichts einer solchen Gattungsbeschreibung und eines Sura noster als ‚Sekretär‘ Ciceros im Jahre 45 v.Chr. (fam. V 11,2) hat man sogar die Vermutung geäußert, die anni populi Romani könnten, wie die chronica des Nepos und der liber annalis des Atticus, von einer Person aus der Umgebung des großen Redners verfasst worden sein.16 Drittens wird die These, dass Sura in die Zeit der ausgehenden Republik gehört, auch durch den Umstand gestützt, dass das Cognomen Sura in republikanischer Zeit nur äußerst selten und erst ab 88/7 v.Chr. vorkommt, während es in der Kaiserzeit viel häufiger belegt ist.17 Und viertens verweist auch der auffällige Gebrauch von summa imperii im Sinne von „Welt-, Oberherrschaft“ auf eben jene Zeit, bezeichnete dieser Terminus doch noch bei Cicero, Caesar und Livius den Oberbefehl über ein Heer oder einen Teil des Heeres, vor allem die täglich wechselnde höchste Befehlsgewalt der beiden Konsuln im Felde. Abgeleitet von dieser ursprünglichen militärischen Bedeutung wurde die Wendung dann auch zur Bezeichnung der Vor- und Oberherrschaft eines Einzelnen oder eines Volkes benutzt 14 SWAIN, Theory of the Four Monarchies (Anm. 13), 2f.; vgl. auch J. M. ALONSO-NÚÑEZ, Aemilius Sura, in: Latomus 48 (1989), 111. 15 BURDE, Untersuchungen (Anm. 12), 63f. 16 Ebd. 159 n. 546. 17 Ebd. 64.
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und weitete sich in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. zum ganz umfassenden Begriff der „Weltherrschaft“ aus, wie wir ihn bei Nepos oder eben auch Sura finden.18 Der Sprachgebrauch summa imperii ad populum Romanum pervenit erweckt zudem den Eindruck, als sei die Abfolge der Weltreiche fast wie von selbst erfolgt. Wenn Polybios den Sura gekannt hätte, hätte er es sicher nicht unterlassen, gegen eine solche Ansicht zu polemisieren, wendet er sich doch ausdrücklich gegen solche Autoren, die behaupten, Rom habe die Weltherrschaft αὐτοματῶς erlangt (I 63,9).19 Erinnert sei schließlich fünftens auch daran, dass sich im 3. Buch der Sibyllinischen Weissagungen (vv. 158–161), das in diesem Teil entweder ins 2. Jahrhundert20 oder in das ausgehende 1. Jahrhundert v.Chr.21 gehört, das Achter- beziehungsweise Zehnerschema (Kronos–)Ägypter–Perser– Meder–Aithiopen–Assyrer–Makedonen–Ägypter–Römer(–Messianisches Reich) findet, im 4. Buch, das um etwa 80 n.Chr. entstand22, dagegen unsere gewohnte Abfolge Assyrer-Meder-Perser-Makedonen-Römer, wenn auch in anderer Deutung. c) Die Synchronisation des Ennius, der nun tatsächlich ins frühe 2. Jahrhundert gehört, beweist zwar römische Kenntnis um den spektakulären Fall des Assyrerreiches, nicht jedoch die Kanonizität des Viererschemas Assyrer-Meder-PerserMakedonen um 170 v.Chr. Zieht man ein vorläufiges Fazit aus den vorausgegangenen Überlegungen, so muss es lauten: Das östliche, seleukidische Viererschema wurde nicht bereits im 2., sondern erst im 1. Jahrhundert v.Chr. in Rom legitimatorisch genutzt. Dies bedeutet nun nicht, dass östliche Vorstellungen vom Beginn der römischen Vorherrschaft über den Orient oder gar von der römischen Weltherrschaft auch erst in dieser späten Zeit aufgekommen sein können. Wenn – nach Polybios – die Unterhändler Antiochos’ III. nach dessen Niederlage bei Magnesia 190 v.Chr. im Lager des Gegners betonen, die Tyche habe den Römern die Herrschaft über die ganze bewohnte Erde verliehen (XXI 16,8), wenn die zahlreichen griechischen Gesandtschaften 189 v.Chr. in Rom ähnliches zum Ausdruck bringen (XXI 18,1f.; 23,4), dann macht dies nur zu deutlich das zeitgenössische orientalische Wissen um die Zäsur, die Roms Erscheinen in Kleinasien bedeutete. Mit ihrem Eindringen in die östliche Welt Alexanders des Großen wurde den Römern nun zwar die Möglichkeit geboten, den Anspruch auf Weltherrschaft zu erheben; mit Fug und Recht konnten sie sich als Erben Alexanders jedoch erst dann bezeichnen, als sie die Herrschaft der Seleukiden endgültig beendet und jene über Asien errungen hatten. Eine solche Endgültigkeit und Unumkehrbarkeit des Ablösungsprozesses der 18 Ebd. 19 Ebd. 158 n. 530. 20 So J. J. COLLINS, The Development of the Sibylline Tradition, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 20.1 (Berlin 1987), 430–436 u.ö.; H. MERKEL, Apokalypsen, Gütersloh 1998, 1061. 21 So J.-D. GAUGER, Sibyllinische Weissagungen. Griechisch-Deutsch. Auf der Grundlage der Ausgabe von A. Kurfeß neu übers. und hg. v. J.-D. Gauger, Düsseldorf/Zürich 1998, 447f. 22 MERKEL, Apokalypsen (Anm. 20), 1064; GAUGER, Sibyllinische Weissagungen (Anm. 21), 454 (jeweils mit der älteren Literatur).
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Vorgänger in der Herrschaft hatten ja auch die früheren Sukzessionen des VierReiche-Systems vorausgesetzt. Herren über Asien wurden die Römer, wie man weiß, durch Pompeius’ Neuordnung des Ostens 63 v.Chr., und es ist für unseren Zusammenhang bezeichnend, dass der römische Feldherr als Leitgedanken seines Triumphzuges zwei Jahre später die Eroberung der Oikumene durch ihn als „neuen Alexander“ bestimmte und auf sie u.a. durch ein spezielles Tropaion verwies (Cass. Dio XXXVII 21,2).23 Die Magnus-Rufe des Publikums (Liv. per. 103) bewiesen Pompeius, dass der Bezug auf Alexander und die Beanspruchung der Weltherrschaft für Rom von vielen Mitbürgern nicht als anmaßend empfunden wurden. Wenn unser kanonisches Sukzessionsschema, wie in diesem Beitrag postuliert, nun tatsächlich erst in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. in Rom nachweisbar ist, dann spricht viel dafür, dass Pompeius selbst beziehungsweise sein enkomiastischer Historiograph Theophanes von Mytilene, mit dem noch Cicero Kontakt pflegte (FGrHist 188 T 5a.b; 6–8a ), möglicherweise aber auch Poseidonios,24 für die Erweiterung der Vier- zu einer Fünf-Reiche-Folge verantwortlich zu machen ist. Aemilius Sura hätte dann, im Wissen um die Unanfechtbarkeit der römischen Weltherrschaft, ihren Beginn in das frühe 2. Jahrhundert v.Chr. zurückdatiert. Er träfe sich hier mit Pompeius Trogus, der um die Zeitenwende in seinen Historiae Philippicae den Sieg Roms 197 v.Chr. über Philipp V. als entscheidenden Wendepunkt makedonischer Geschichte, das Ende des Seleukidenreiches 64/63 v.Chr. als ihren östlichen Abschluss und die augusteische Unterwerfung spanischer Stämme 19 v.Chr. als Vollendung der römischen Weltmachtstellung ansah. Nicht alle Römer, die ab der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v.Chr. mit der Sukzessionstheorie der fünf Reiche arbeiteten, verstanden jedoch unter dem vierten Reich das der Nachfolger Alexanders in Asien. So waren für Dionysios von Halikarnass, der die Namen der ersten drei Reiche von Herodot und Ktesias bezogen haben dürfte und dessen Ziel es war, die Gegensätze zwischen Griechen und Römern überwinden zu helfen, die Antigoniden die von Rom überwundenen Makedonen; ihr Reich wird bei ihm durch das einzigartige römische Weltreich abgelöst, das für Dionysios das letzte und zugleich größte aller bisherigen Reiche ist. In der Idee vom Imperium Romanum, das den ganzen Erdkreis umfasst, mit Polybios übereinstimmend, teilt der Grieche aus Karien allerdings nicht dessen Bedenken hinsichtlich der Stabilität des Römischen Reiches.25 Anders als bei Dionysios stellt sich das Fünferschema bei Pompeius Trogus dar, der, aus Gallien stammend, spätestens unter Caesar nach Rom gelangt und
23 Vgl. die Interpretation des Triumphzuges bei Plut. Pompeius 45,5. Zum Tropaion vgl. H. BELLEN, Das Weltreich Alexanders des Großen als Tropaion im Triumphzug des Cn. Pompeius Magnus (61 v.Chr.), in: W. Will, J. Heinrichs (Hrgg.), Zu Alexander d. Gr. Festschrift G. Wirth zum 60. Geburtstag am 9.12.86, Bd. 2, Amsterdam 1988, 865–878. 24 Vgl. J. MALITZ, Die Historien des Poseidonios, München 1983, 72f.; I. G. KIDD, Posidonius, vol. 2: Commentary, Cambridge 1988, 331f. 25 ALONSO-NÚÑEZ, Abfolge der Weltreiche (Anm. 7), 413–417.
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dort in den Ritterstand aufgestiegen war.26 Als Leitfaden seiner – nur in der Epitome Iustins erhaltenen – Historiae Philippicae dient die Abfolge der imperia, d.h. Aufstieg und Niedergang der großen Herrschaften der den orbis terrarum dominierenden Völker. Den orientalischen Großreichen der Assyrer, Meder und Perser folgte, nach Trogus, die Herrschaft Alexanders, der dem imperium Europae (XII 16,5) das imperium Asiae (XI 14,6) hinzufügte und sich als erster zu Recht rex terrarum omnium et mundi (XII 16,9) nennen lassen konnte. In den Besitz des summum regnum, das Alexander selbst mit der Sonne verglichen haben soll, war der Makedone, nach Trogus, durch den Sieg bei Gaugamela gelangt (XI 12,5). Über die Gebiete des Westmittelmeerraumes konnte er seine Macht zwar nicht mehr ausdehnen, doch huldigten immerhin Gesandtschaften von dort dem toten König 323 v.Chr. in Babylon (XII 13,1). Alexanders Nachfolger stritten sich um regnum et imperia (XIII 1,8) und teilten – als rivalisierende Könige – das Gesamtreich unter sich auf (XV 4,10). Allerdings wird bei Trogus die Vorstellung eines Fortbestandes des imperium Macedonicum vertreten – so erscheint etwa das Seleukidenreich nur als regnum Syriae (XXXVI 3,8) –, bis die Römer nach Kynoskephalai die Nachfolge der Makedonen des Westens antraten und ihr Reich – erfolgreich – nach Westen und – mit nur begrenztem Erfolg – auch nach Osten ausdehnten. Hier im Osten trafen sie auf das Reich der Parther, die selbst vom imperium Macedonicum abgefallen waren und so etwas wie die Nachfolge der Perser angetreten hatten. Erst durch den Vertrag des Augustus mit dem Partherkönig Phraates IV. 20 v.Chr.27 kam es gleichsam zur Aufteilung der Welt (divisio orbis) zwischen zwei Großmächten (XLI 1,1), die beide als Nachfolger des makedonischen Reiches gelten konnten. Die angebliche Gleichrangigkeit beider Reiche wird bei Trogus allerdings durch die Formulierung „die Parther, in deren Händen wie (velut) nach einer Teilung des Erdkreises jetzt die Herrschaft über den Osten liegt“ wieder abgeschwächt, an anderer Stelle wird Rom gar als caput orbis bezeichnet (XLIII 1,2). Wenn Dionysios nicht die Seleukiden, sondern die Antigoniden als die Makedonen des Viererschemas identifiziert, wenn Trogus das imperium Macedonicum auf das Teile Asiens und Europas umfassende Alexander-, und nicht auf das asiatische Seleukiden- beziehungsweise das europäische Antigonidenreich allein bezieht, dann steht dies nur dann nicht in Widerspruch zu unserer These von der Verantwortlichkeit der frühen Seleukiden für die Erweiterung des standardisierten Dreierschemas, wenn Seleukos und seine Nachfolger sich nicht als Herrscher des Ostens allein, sondern als Erben Alexanders in Ost und West verstanden. Dass sie dies tatsächlich taten, und hier sind wir wieder bei Polybios angelangt, beweisen die gut bezeugten Ansprüche Seleukos’ I. und Antiochos’ III. auch auf außerasia-
26 Zu ihm ist maßgeblich B. R. VAN WICKEVOORT CROMMELIN, Die Universalgeschichte des Pompeius Trogus, Hagen 1993. 27 Vgl. dazu J. WIESEHÖFER, Augustus und die Parther, in: R. Aßkamp, T. Esch (Hrgg.), Imperium. Varus und seine Zeit, Münster 2010, 187–195; A. LUTHER, Zum Orientfeldzug des Gaius Caesar, in: Gymnasium 117 (2010), 103–127.
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tische Territorien, so auf Thrakien und (im Falle des Seleukos) wohl auch auf Makedonien selbst.28 Die ‚orientalische‘ Viererreihe, um Rom unter Anerkennung der bestehenden Verhältnisse und der Sonderstellung des kaiserzeitlichen Imperium Romanum (im Sinne einer ewigen Dauer) erweitert, ja geradezu um dieses letzten Reiches willen angelegt, findet sich nach Dionysios und Trogus auch in den Historien des Tacitus (im Exkurs über Judaea: V 8, geschrieben kurz nach 100 n.Chr.), bei Appian (praef. 9) und in der „Romrede“ des Aelius Aristides (26,91; beide im 2. Jahrhundert n.Chr.) sowie bei Claudian (de consulatu Stilichonis III 159–166) und Rutilius Namatianus (I 81–92) in der Spätantike. Die pagane Translatio-imperii-Idee mit Rom als letztem Glied einer Weltreichekette, die bei Trogus ihren sublimsten Ausdruck findet, war wirkmächtig und erklärt auch die eifrige Rezeption der Epitome im Mittelalter. Wie Trogus hat auch die jüdisch-christliche Daniel-Exegese seit dem 1. Jahrhundert v.Chr. unter dem letzten Weltreich des Propheten, dem letzten vor der Aufhebung aller Geschichte, in der Regel das Imperium Romanum verstanden. Um allerdings die durch den alttestamentlichen Text erzwungene Viererzahl zu retten, wurde entweder das Mederreich gestrichen29 oder es wurden Meder und Perser mit einem gemeinsamen Reich verbunden.30 Das auf Rom bezogene Sukzessionsschema prägte, in Verbindung mit der heilsgeschichtlichen Idee von Gott als dem Urheber der Herrschaftsübertragung, seit dem Kirchenvater Hieronymus das Geschichtsverständnis Europas. Die Translationsformel indessen entstammt der heidnischen, römischen Historiographie. Hieronymus bezog die Wendung imperium beziehungsweise regnum transferre nachweislich aus der römischen Literatur.31 Das
28 Für Seleukos I. sind diese Ansprüche belegt durch eine babylonische Chronik (BCHP 9), in der für das Jahr 281 v.Chr. als Ziel seines Feldzuges „Makedonien, sein Land“ angegeben ist (zu dieser Chronik vgl. Text und Kommentar von R. VAN DER SPEK, in: www.livius.org/cgcm/chronicles/bchp-end_seleucus/seleucus_01.html; Zugriff 3.9.2011). Antiochos III. beansprucht Thrakien und die Chersones als Erbe der Vorfahren (Pol. XVIII 51,3–6; Liv. XXXIII 40,4f.; App. Syr. III 12). 29 Hipp. in Dan. II 12; Antichr. 25. 30 Hipp. Antichr. 28; Hier. in Dan. II 31–45. Aus rasch ersichtlichen Gründen ersetzt bei Daniel und seinen Nachfolgern Babylonien Assyrien (WIESEHÖFER, Daniel, Herodot und „Dareios der Meder (Anm. 3). Zum ‚europäischen‘ Nachleben von Assyrien vgl. R. ROLLINGER, Assur, Assyrien und die klassische Überlieferung: Nachwirken, Deutungsmuster und historische Reflexion, in: J. Renger (Hrg.), Assur – Gott, Stadt, Land, Berlin 2011, 311–345. 31 W. GOEZ, Translatio Imperii: Ein Beitrag zur Geschichte des Geschichtsdenkens und der politischen Theorien im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Tübingen 1958, 17–36. Der aramäische Urtext von Dan. II 21 besagt: „Er (Gott) bestimmt den Wechsel der Zeiten und Fristen; er setzt Könige ab und setzt Könige ein.“ Lateinisch wird daraus: Ipse mutat tempora et aetates, tra n s fe rt r eg n a et constituit. Zur Danielrezeption in Mittelalter und Neuzeit siehe W. GOEZ, Die Danielrezeption im Abendland – Spätantike und Mittelalter, in: M. Delgado, K. Koch, E. Marsch (Hrgg.), Europa, Tausendjähriges Reich und Neue Welt. Zwei Jahrtausende Geschichte und Utopie in der Rezeption des Danielbuches (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 1), Fribourg/Stuttgart 2003, 176–196.
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christliche Geschichtsbild und der biblische Translationsgedanke haben sich mit dieser Formel verbunden.32
IV. Fassen wir zusammen: Ab dem 1. Jahrhundert v.Chr. – nach der Neuordnung des Ostens durch Pompeius – erscheint Rom als unbestrittenes fünftes Glied der Weltreichekette, auch wenn die Römer bereits vorher – etwa schon zu Polybios’ Zeiten – den Anspruch auf Weltherrschaft erhoben haben dürften und Aemilius Sura und Pompeius Trogus den römischen Siegen über die Antigoniden eine entsprechende welthistorische Bedeutung zumessen möchten. Die Viererreihe, um Rom unter Anerkennung der bestehenden Verhältnisse und der Sonderstellung des kaiserzeitlichen Imperium Romanum (im Sinne einer ewigen Dauer) erweitert, ja geradezu um dieses letzten Reiches willen angelegt, findet sich später auch noch bei zahlreichen anderen Autoren. Für Dionysios von Halikarnass, der die Namen der drei ersten Reiche von Herodot und Ktesias bezogen haben dürfte, sind die Antigoniden, nicht die Seleukiden, die von Rom, dem letzten und zugleich größten aller bisherigen Reiche, in ihrer Herrschaft abgelösten Makedonen. Bei Trogus, dem die Abfolge der imperia als Leitfaden seiner Historiae Philippicae dient und bei dem sich besonders prägnant die Idee des imperium transferre findet, folgt den orientalischen Großreichen der Assyrer, Meder und Perser die Herrschaft Alexanders, der dem imperium Europae das imperium Asiae hinzufügte und sich als erster zu Recht rex terrarum omnium et mundi nennen lassen konnte. Nach dem Streit seiner Nachfolger um regnum et imperia und der Aufteilung des Gesamtreiches traten die Römer und Parther die Nachfolge des imperium Macedonicum an. Für Europa wirkmächtig wird die Verbindung aus der Viererfolge des Buches Daniel, nun mit Rom als letztem Glied, und der trogischen Translationsformel. Polybios’ Historien sind eine wichtige Etappe auf dem Wege zur Ausbildung eines römischen Weltherrschaftsgedankens, nicht jedoch des traditionsbestimmenden Sukzessionsschemas von Weltreichen.
32 GOEZ, Translatio Imperii (Anm. 31), 36.
DIE TYCHE IN DER PRAGMATISCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG DES POLYBIOS Jürgen Deininger, Hamburg
Einleitung: Die Tyche in den Historien und ihre Hauptprobleme Als „abstrakte Manifestation einer unberechenbaren, außerhalb der menschlichen Kontrolle das Geschehen beeinflussenden Macht“1 wird im Polybios-Lexikon – ohne den Versuch einer direkten deutschen Übersetzung – das definiert, was bei Polybios nach der Zählung wiederum dieses Lexikons in den erhaltenen Teilen der Historien an zahlreichen Stellen als „τύχη“ (beziehungsweise ganz überwiegend als „ἡ τύχη“) erscheint. Nicht nur im Deutschen, sondern auch in anderen alten wie modernen Sprachen lässt sich wohl kaum ein zufriedenstellendes eindeutiges Äquivalent für den griechischen Ausdruck finden, wie er von Polybios verwendet wird. Weder fortuna noch fatum oder fors, weder „Schicksal“ noch „Glück“, „Glücks-“ beziehungsweise „Schicksalsgöttin“ oder „Zufall“ stellen für sich eine hinreichende Entsprechung zu dem griechischen Wort und seinem Bedeutungsumfang dar, so wenig wie im Englischen „Fortune“, „fate“, „chance“ oder auch im Französischen „fortune“, „hasard“ und Ähnliches. Es dürfte sich deshalb empfehlen, den Ausdruck auch im Folgenden unübersetzt zu lassen, da die ohnedies naheliegende Gefahr von semantischen Missverständnissen hier besonders groß zu werden droht. Die erwähnte Definition lässt bereits einige der Schwierigkeiten erkennen, mit denen man es bei der Verwendung des Ausdrucks im Werk des so überaus methodenbewussten Polybios zu tun hat. Zu den Hauptproblemen gehört dabei nicht
1
Polybios-Lexikon, bearb. von A. Mauersberger u.a., 3 Bde. (z.T. 2. Auflage), Berlin 1998– 2006; hier Bd. III 2 (2004), Sp. 707 (H. Helms, unter Berufung auf A. ROVERI, Tyche bei Polybios, in: K. Stiewe, N. Holzberg (Hrgg.), Polybios, Darmstadt 1982, 297–326; zuerst ital. 1956, übers. von M. Elster). Etwas anders K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI 2 (Stuttgart 1952), Sp. 1536: „eine außer- und übermenschliche, ihrerseits Ziele setzende und erreichende, in die Menschheitsgeschichte eingreifende und sie nach ihrem Willen gestaltende Macht“. Statt ‚gestaltend‘ müsste es hier allerdings richtiger wohl ‚mitgestaltend‘, ‚beeinflussend‘ oder ähnlich heißen. Grundsätzlich als „Zufall“ zu verstehen ist (ἡ) τύχη bei Polybios nach B. MEISSNER, ΠΡΑΓΜΑΤΙΚΗ ΙΣΤΟΡΙΑ. Polybios über den Zweck pragmatischer Geschichtsschreibung, in: Saeculum 37 (1986), 313–351, besonders 320. – Für A. J. L. VAN HOOFF, Polybius’ Reason and Religion. The Relations between Polybius’ causal thinking and his attitude towards religion in the Studies of History, in: Klio 59 (1977), 120, sind „die Götter“ und die Tyche bei Polybios „praktisch synonym“. Vgl. aber unten, S. 88f.
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nur die Frage nach dem Bedeutungsspektrum von (ἡ) τύχη bei Polybios, sondern auch die nach dem „Wesen“ der Tyche, deren Wirken Polybios in seiner „pragmatischen“ Darstellung so häufig registriert. Diese pragmatische Historiographie, die er für seine Art der Geschichtsschreibung in Anspruch nimmt, umfasst in ihrem Kern die ‚πράγματα‘, d.h. die ‚(Staats-)Angelegenheiten‘ oder, wie Polybios selbst einmal formuliert, vornehmlich ‚Kriege, Schlachten und die Versklavung und Belagerung von Städten‘.2 Nach dem heutigen Sprachgebrauch ist damit im Wesentlichen die politische (und militärische) Geschichte gemeint, wobei das wichtigste Erkenntnisziel für Polybios in der Ermittlung der „αἰτίαι“ des historischen Geschehens liegt, d.h. seiner „Ursachen“, unter denen Polybios ausdrücklich ‚anthropogene‘, jedenfalls von den Menschen ausgehende, von Sitten und Gesetzen bis zu Überlegungen und Plänen reichende Impulse versteht,3 also im Prinzip rational nachvollziehbare Faktoren des historischen Verlaufs.4 Was aber ist neben diesen Hauptkategorien des Geschichtsdenkens des Polybios mit der Tyche als einer „außerhalb der menschlichen Kontrolle das Geschehen beeinflussenden Macht“ gemeint? Dieses Problem, das in der Polybiosforschung eine Vielfalt von durchaus gegensätzlichen Antworten gefunden hat und weiterhin zahlreiche Fragen aufwirft, soll im Folgenden genauer untersucht werden. Den Ausgangspunkt sollen dabei einige besonders wichtige allgemeine Äußerungen des Polybios über die Rolle der Tyche in seinem Geschichtsverständnis bilden, wobei sich rasch abzeichnet, dass ein Hauptproblem seiner pragmatischen Geschichtsschreibung gerade in dem Verhältnis zwischen der ‚übermenschlichen‘ Tyche und den ‚menschlichen‘ αἰτίαι liegt. Des Weiteren wird nach den Hauptmerkmalen der Tyche bei Polybios sowie nach einigen anderen Begriffen für die Erklärung des Geschichtsverlaufs bei ihm zu fragen sein wie auch nach den gegenseitigen Beziehungen zwischen der Tyche und den einzelnen politisch Handelnden. Schließlich wird dann die Frage nach dem „Wesen“ der Tyche im Geschichtsdenken des Polybios und in den Hauptthesen der neueren Forschung dazu zu stellen sein.
Der Exkurs über die Rolle der Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung: Der Pseudophilippos-Aufstand in Makedonien (149/8 v.Chr.) und die Frage seiner αἰτίαι Eine der wichtigsten direkten Auseinandersetzungen des Polybios mit der Rolle der Tyche in seiner „pragmatischen“ Geschichtsschreibung findet sich an überraschend später Stelle der Historien, und zwar in einem längeren dieser Frage gewidmeten, allerdings einschließlich des Kontextes nur unvollständig erhaltenen Exkurs, dessen Anlass offenbar ein überraschender Sieg der Makedonen über rö2 3 4
So Pol. XI 18a,1. Vgl. P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964, 86; 346; 353. Pol. XI 18a,1 und öfter.
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mische Truppen während des Aufstandes des Pseudophilippos beziehungsweise Andriskos bildete.5 Hier, bereits gegen Ende der Historien, kritisiert Polybios heftig diejenigen Geschichtsschreiber, die die Geschichte ganzer Staaten wie auch Einzelner und damit die Hauptgegenstände der pragmatischen Geschichtsschreibung, auf „den θεός und die Tyche“ zurückführten.6 Er wolle nun eigens zu dieser Frage Stellung nehmen, freilich nur soweit es diese Art der Geschichtsschreibung berühre, also die in erster Linie auf die bedeutsamen politischen und militärischen Ereignisse ausgerichtete Historiographie.7 Wo es „bei Zeus“, fährt er dann fort, für den Menschen (d.h. die begrenzte menschliche Erkenntnisfähigkeit) unmöglich oder sehr schwierig sei, die αἰτία eines historischen Vorgangs zu erkennen, da könne vielleicht jemand ‚aus Ratlosigkeit‘ auf ‚den Gott‘ oder ‚die Tyche‘ Bezug nehmen. Auch hier erscheinen als für die Geschichtsschreibung entscheidende Gegeninstanz zu der Tyche die αἰτίαι, wobei als Beispiele für eine Wirksamkeit der Tyche Naturerscheinungen genannt werden, die nicht auf menschliche Überlegungen oder Planungen im Sinne der polybianischen αἰτίαι zurückzuführen waren: klimatische beziehungsweise meteorologische Phänomene wie übermäßige Regen- und Schneefälle oder im Gegenteil Dürre oder Frost und daraus folgende Missernten, auch fortgesetzte Epidemien und Ähnliches, für die eine αἰτία zu finden nicht leicht sei.8 Daher folge man verständlicherweise bei diesen Dingen aus Ratlosigkeit den Meinungen der Masse (αἱ τῶν πολλῶν δόξαι), flehe τὸ θεῖον an, opfere ihm, um es zu besänftigen und befrage die Götter, was für uns zu sagen oder zu tun besser sei und wodurch es zum Ende der bestehenden Übel käme. Wo es dagegen möglich sei, die αἰτία zu finden, ‚aus der heraus und durch die‘ es zu dem betreffenden Ereignis gekommen sei, bedürfe es nach seiner Meinung nicht der Bezugnahme auf ‚das Göttliche‘, und als Beweis dafür folgt der Verweis auf das allein durch die Menschen selbst verschuldete Problem des Geburtenrückgangs und Bevölkerungsschwundes in Griechenland, für dessen Lösung man keinen Rat von den 5 6
7
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Pol. XXXVI 17; die römische Niederlage: 17,14. Pol. XXXVI 17,1 (zur Datierung vgl. F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, 3 Bde., Oxford 1957/1967/1979; hier III 678). Ähnlich kritisiert Polybios die einseitige Festlegung von bestimmten griechischen Geschichtsschreibern auf die Tyche in Pol. XV 34,2 (unten, S. 77). Dass in dem Exkurs die Tyche (XXXVI 17,1–2), (ὁ) θεός (17,2), τὸ θεῖον (17,3) und (οἱ) θεοί (17,6; 9; 14) jeweils völlig austauschbar gegeneinander seien (so zuletzt L. I. HAU, Tychê in Polybios: Narrative Answers to a Philosophical Question, in: Histos. The electronical journal of ancient historiography at the University of Durham 5 [2011], 187), ist unbewiesen und entspricht nicht dem polybianischen Sprachgebrauch. Vgl. unten, S. 88. Pol. XXXVI 17,1. Gemeint sein dürfte mit dieser Einschränkung vor allem, dass es sich für Polybios nicht um philosophische Ausführungen über das Wesen ‚des Gottes und der Tyche‘ handeln sollte. Ein Beispiel bietet XI 24,8, wo nur die Mithilfe von „θεός τις“ durch einen plötzlichen schweren Sturm und Regen in der Schlacht von Ilipa (206 v.Chr.) die Karthager wenigstens vor der Eroberung ihres Lagers rettete. Vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 17 mit Anm. 1.
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Göttern, keine Seher oder Wundertäter brauche, sondern eine Änderung im Handeln des Einzelnen beziehungsweise eine entsprechende planvolle Gesetzgebung für die Aufzucht des Nachwuchses.9 Wo jedoch die αἰτίαι gar nicht oder nur schwer zu klären seien, müsse nachgeforscht werden, und dies gelte auch für die Ereignisse in Makedonien.10 Die Makedonen hätten von den Römern so große und zahlreiche Wohltaten empfangen, indem sie alle zusammen von königlichen Anordnungen und Steuern befreit worden seien, anstelle der Untertänigkeit die Freiheit bekommen hätten und persönlich von schweren Auseinandersetzungen in den einzelnen Städten und Bürgerkriegsmorden erlöst worden seien.11 Während die Makedonen unter Philipp V. und dann wieder unter Perseus von den Römern besiegt worden seien, hätten sie jetzt mit einem hassenswerten Mann zusammen gekämpft, sich für dessen Königtum tapfer geschlagen und die Römer besiegt. Wer sollte angesichts dieser Ereignisse nicht ratlos sein? Das Verhalten der Makedonen erschien Polybios für den menschlichen Verstand also ähnlich schwer erklärbar zu sein wie die oben genannten Naturerscheinungen. Die αἰτία für das Verhalten der Makedonier zu finden, sei schwierig (δυσχερές), weswegen man das Geschehene als Heimsuchung durch einen δαίμων (δαιμονοβλάβεια) und alle Makedonen treffenden Götterzorn bezeichnen könne, wie aus dem Folgenden ersichtlich würde.12 Festgehalten sei, dass Polybios hier – jedenfalls in den erhaltenen Textpassagen – nicht, wie zu Beginn des Exkurses, von der „Unmöglichkeit“ einer Ermittlung der αἰτία spricht und auch eine direkte Zuschreibung der Ereignisse an die Tyche vermeidet, sondern auf einen „Daimon“ und „Götter“ verweist. Dieser Exkurs im 36. Buch könnte für sich betrachtet leicht so verstanden werden, dass Polybios den berechtigten Verweis des pragmatischen Geschichtsschreibers auf eine übermenschliche Macht hier auf ganz wenige Ausnahmefälle wie den ihm erklärtermaßen unbegreiflichen Einsatz der Makedonen für den ‚hassenswerten‘ Andriskos beschränkt wissen will, was allerdings in krassem Widerspruch zu den vielen Erwähnungen der Tyche im Text der Historien und ihre offensichtliche Bedeutung im Verlauf der Geschichte stünde.13 Von einer Entwicklung im Denken des Polybios, der erst am Ende seines Werkes ganz zum Rationalisten und Tyche-Skeptiker geworden sei, kann mit Sicherheit nicht gesprochen
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Pol. XXXVI 17,2–10. Pol. XXXVI 17,12 (Text z.T. nicht eindeutig überliefert). Pol. XXXVI 17,13. Der folgende Text ist nur bruchstückhaft überliefert. Pol. XXXVI 17,14–15 (womit der erhaltene Text freilich abbricht). Δαιμονοβλάβεια erscheint bei Polybios sonst nur noch XXVIII 9,4 (169 v.Chr.). Dort entscheidet sich Polybios in der Frage, ob Perseus’ unvernünftiges Verhalten gegenüber dem Illyrerkönig Genthios als ἀλογιστία (menschliche Unvernunft) oder δαιμονοβλάβεια (von den Göttern kommende Verblendung) zu werten sei, für Letzteres. 13 Das POLYBIOS-LEXIKON (Anm. 1) Bd. III 2, Sp. 707, zählt 138 Stellen (wobei zu beachten ist, dass sich darunter auch eine Reihe von Nennungen befindet, bei denen eine Rolle der Tyche gerade bestritten wird).
Die Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios
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werden.14 Vielmehr war der Andriskosaufstand für Polybios offenbar der erste Krieg, bei dem er überhaupt keine überzeugenden „αἰτίαι“ zu erkennen vermochte, sondern, wie immer man dies wiederum zu erklären mag, allein jenseitige Mächte, die Tyche beziehungsweise, wie er hier dann selbst formuliert, nur δαιμονοβλάβεια und μῆνις ἐκ θεῶν. Nur dadurch dürfte zu erklären sein, dass Polybios erst an dieser späten Stelle die allgemeine Frage nach der Rolle der Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung aufwirft. Dabei ist er auch nicht dahin zu verstehen, dass die Tyche beziehungsweise jenseitige Mächte generell nur ausnahmsweise einen Platz in seiner ‚pragmatischen‘ Geschichtsschreibung hätten; vielmehr ist offenbar lediglich gemeint, dass eine Berufung allein auf die Tyche ohne jegliche Berücksichtigung der αἰτίαι gleichsam nur bei äußerster Ratlosigkeit des Geschichtsschreibers erlaubt sei. Zwar sind die Historien scheinbar voll von Einzelstellen, in denen die Tyche ohne αἰτἰα allein genannt wird. Doch dürfte die nähere Betrachtung ergeben – von der für Polybios ‚schwierig zu findenden αἰτία‘ des Andriskosaufstandes abgesehen –, dass die αἰτίαι des Geschehens in der ausführlichen Darstellung der Ereignisse geschildert werden. Dabei sind die αἰτίαι und die Tyche zwei gänzlich verschiedene Bereiche des historischen Geschehens, wie sich auch daran zeigt, dass die Tyche niemals als eine αἰτία bezeichnet wird.15 Der achaiische Bund und die αἰτίαι seines politischen Aufstiegs im 3. Jh. v.Chr. Eine weitere wichtige Äußerung des Polybios über Tyche und αἰτία findet sich bereits im Anfang der Historien in dem ‚Vorspann‘ (προκατασκευή) zur Darstellung der entscheidenden Phase der römischen Expansion in den Jahren 220–167 v.Chr. Der Geschichtsschreiber vermittelt hier einen Überblick über den Aufstieg seines eigenen Herkunftsstaates, des achaiischen Bundes, im 3. Jahrhundert v.Chr. zur führenden Stellung auf der Peloponnes.16 Dabei stellt er in der für ihn charakteristischen Weise fest, dass es nützlich sei, zu lernen, ‚auf welche Art und Weise‘ die Achaier diese Stellung erreicht hätten, obwohl sie ursprünglich weder nach ihrer Ausdehnung, der Zahl ihrer Städte, ihrem Reichtum noch auch der Tüchtigkeit (ἀρεταί) ihrer Bürger an der Spitze der Peloponnes gestanden hätten.17 Sicher sei zunächst, dass es keineswegs passend sei, hier von „τύχη“ zu sprechen, was hier wohl als „Zufall“ zu verstehen ist, denn dies sei oberflächlich: δῆλον ὡς
14 Vgl. die Hinweise bei PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 333f. 15 Anders B. DREYER, Polybios. Leben und Werk im Schatten Roms, Hildesheim/Zürich/New York 2011, 75, der auf Beispiele ebenda 83–86 verweist; doch wird an keiner der dort angeführten Stellen die Tyche als eine αἰτία bezeichnet. 16 Pol. II 37–42. 17 Pol. II 38,1–2.
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τύχην μὲν λέγειν οὐδαμῶς ἂν εἴη πρέπον· φαῦλον γάρ.18 Man müsse vielmehr nach der αἰτία suchen, denn ohne diese könne nichts sowohl von dem, was ‚logisch‘, noch von dem, was ‚unlogisch‘ in der Geschichte zu sein schiene, vollendet werden. Die αἰτία aber liege nach seiner Meinung in der achaiischen Verfassung, nämlich darin, dass man nirgendwo sonst ein ‚System‘ der Gleichberechtigung, der Redefreiheit und überhaupt der wahrhaften Demokratie und eine reinere Gesinnung als bei den Achaiern finde (was dann noch weiter ausgeführt wird).19 Polybios lehnt hier also „τύχη“ für die Erklärung der achaiischen Erfolge als zu oberflächlich entschieden ab und verweist auf die demokratische achaiische Verfassung als die entscheidende αἰτία. Darüber hinaus stellt Polybios hier fest, dass allen historischen Vorgängen, den ‚κατὰ λόγον‘ wie auch den ‚παρὰ λόγον‘ erscheinenden, stets eine αἰτία zugrunde läge wie im vorliegenden Fall die achaiische Verfassung. Für Polybios existiert demnach in jedem Fall, auch bei völlig unkalkulierbaren Ereignissen und selbst wenn es der begrenzten menschlichen Erkenntnisfähigkeit nicht immer gelingt, sie aufzuspüren, doch eine αἰτία. Mit anderen Worten: Während für den ‚Rationalisten‘ Polybios es grundsätzlich immer eine – aus menschlichem Denken, Planen und Handeln entstandene – αἰτία für einen historischen Vorgang gibt, galt Entsprechendes für das Wirken der Tyche nicht, und es fehlt auch nicht an ausdrücklichen Hinweisen des Polybios auf die „Untätigkeit“ der Tyche bei einer Reihe von Ereignissen.20 Zugleich entspricht diese Meinung durchaus dem von ihm im Zusammenhang der Frage nach den αἰτίαι des Andriskosaufstandes nachdrücklich formulierten Grundsatz der pragmatischen Geschichtsschreibung, dass die Erklärung eines historischen Sachverhalts ohne αἰτίαι und allein mithilfe der Tyche soweit irgend möglich zu vermeiden sei. Polybios zur Rolle der Tyche und der αἰτίαι in der griechischen Geschichtsschreibung über die Wirren in Alexandreia 203/2 v.Chr. Eine weitere grundsätzliche Äußerung des Polybios zum Tyche-Problem findet sich im Zusammenhang des Jahres 203/2 v.Chr. in einer Betrachtung zur griechischen Geschichtsschreibung über die turbulenten Vorgänge in Alexandreia nach der Ermordung Ptolemaios’ IV. und dem blutigen Ende des ptolemäischen Höflings Agathokles und seiner Anhänger. Agathokles hatte vergeblich versucht, sich
18 Pol. II 38,5. Zur Bedeutung von τύχη ohne Artikel als „Zufall“ in einer Redewendung wie „τύχην λέγειν“ vgl. unten, S. 75f.; 81f.; 90. Dazu könnte passen, dass Polybios τύχη hier ausdrücklich als etwas Oberflächliches, Triviales (φαῦλον) erklärt, im Gegensatz zu „der“ Tyche als jenseitiger Macht. 19 Pol. II 38,5–6. 20 Vgl. unten, S. 94. Dies hätte dann etwa auch für die politischen Erfolge des achaiischen Bundes zu gelten.
Die Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios
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die Vormundschaft für Ptolemaios V. zu sichern.21 Hier sah Polybios sich zu einer generellen Kritik der Geschichtsschreibung über diese Ereignisse veranlasst, vor allem wegen der vielfachen Ausmalung von Einzelheiten, die nur der Beeindruckung der Leser (ἔκπληξις τῶν ἀκουόντων) dienten, ohne einen historischen Erkenntnisgewinn zu erbringen.22 Dabei unterscheidet er zwei Hauptrichtungen: Die einen der γεγραφότες setzten das Scheitern des Agathokles auf das Konto der Tyche und lenkten den Blick vor allem auf deren Unsicherheit und zugleich Unentfliehbarkeit, während die anderen das Unerwartete der Geschehnisse der Vernunft (λόγος) unterordnen wollten, indem sie versuchten, den Ereignissen Ursachen (αἰτίαι) und Wahrscheinlichkeiten (πιθανότητες), also logisch begründete Überlegungen, zugrunde zu legen.23 Auch hier erscheinen also die Tyche und die αἰτίαι als die zwei möglichen Hauptelemente der Erklärung des Geschichtsverlaufs. In diesem speziellen Fall distanziert sich Polybios allerdings mit Nachdruck von beidem, sowohl von der (ohnedies für ihn nicht „erlaubten“) Zurückführung des Geschehens (der γεγονότα) allein auf die Tyche, als auch auf die Erklärung durch scheinbare „αἰτίαι“, und zwar weil es den Protagonisten in diesen Auseinandersetzungen, über die er denkbar negativ urteilt, mit ihrer Feigheit und ihrem Leichtsinn an allem gefehlt habe, was ein Herrscher gebraucht hätte, und die Kämpfe sich daher gleichsam jenseits der Bereiche von Tyche und αἰτίαι abgespielt hätten und daher überhaupt keine ausführliche, pragmatische Darstellung verdienten.24 Zur Verdeutlichung nennt Polybios als Gegenbeispiele die beiden sizilischen Machthaber Agathokles und Dionysios I. von Syrakus.25 Sie seien trotz ihrer niedrigen Herkunft und ihres Scheiterns so bedeutend gewesen, dass man die Leser über sie ausführlicher informieren müsse und sowohl die Rolle der Tyche Beachtung verdiene als auch ihre ἀνθρώπεια πράγματα, also ‚rein menschlichen‘, ohne Mithilfe der Tyche erzielten Erfolge. Hier seien entsprechende zusätzliche belehrende Ausführungen des Geschichtsschreibers anders als bei dem ägyptischen Agathokles und seinen Anhängern gerechtfertigt.26 Insofern lässt der Blick auf Agathokles und Dionysios I. von Syrakus erkennen, dass die pragmatische Geschichtsschreibung nach Polybios grundsätzlich beides, die Tyche wie die eigenen, persönlichen Leistungen der geschichtlichen Akteure berücksichtigen muss.27
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Pol. XV 24a–36. Pol. XV 33,13–34,1. Pol. XV 34,2. Pol. XV 34,3–6. – Vgl. auch XV 21,3, wonach beim Angriff Philipps V. im Jahre 202 v.Chr. weder die Tyche noch das Unrecht seiner Nachbarn, sondern nur die eigene ἀβουλία und κακοπολιτεία das bithynische Kios ins Unglück gestürzt habe. 25 Zum Vergleich gerade mit diesen beiden vgl. WALBANK, Commentary II (Anm. 6), 494. 26 Pol. XV 35. 27 Gegen die Auffassung, dass Polybios der „Allmacht“ der Tyche durch rationale Erklärungen das „Wasser abgraben wollte“ (so DREYER, Polybios (Anm. 15), 76, vgl. 84–86) spricht, abgesehen davon, dass er der Tyche keine „Allmacht“ zuschreibt, die wichtige ‚Lehrfunktion‘ der Tyche (I 1,2 ) wie auch z.B. der Hinweis, dass gerade die bedeutendsten Feldherren und
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Demetrios von Phaleron: Die Tyche und die Abfolge großer Reiche von den Achaimeniden zu den Makedonen Was die Tyche betrifft, so hat Polybios, worauf hier nicht näher einzugehen ist, die Grundzüge ihres Bildes in zahlreichen Einzelzügen offensichtlich der griechischen Welt seiner Zeit entnommen. Ein wichtiges Dokument dafür, das den Geschichtsschreiber offensichtlich besonders stark beeindruckt hat, ist das berühmte, lange wörtliche Zitat aus der Schrift (ὑπόμνημα) des Demetrios von Phaleron „Περὶ τῆς τύχης“ im 29. Buch der Historien im Zusammenhang der Schilderung des Zusammenbruchs der makedonischen Monarchie im Jahre 168 v.Chr.28 Es war das Jahr, das die ganzen bisherigen Lebensverhältnisse von Polybios selbst ebenso unerwartet wie tiefgreifend verändern sollte, in dem er die Macht der Tyche gewissermaßen am eigenen Leibe erfahren musste und das ursprünglich als Endpunkt der gesamten Historien geplant war.29 Demetrios, so Polybios, hätte den Menschen plastisch die Unbeständigkeit der Tyche vor Augen führen wollen.30 Als er auf die Zeit von Alexanders Sieg über das Perserreich zu sprechen gekommen sei, habe Demetrios erklärt, dass, auch wenn man nicht eine unbegrenzte Zeitspanne oder viele Generationen zurückgehe, sondern „nur“ (μόνον) 50 Jahre vor jener Zeit, könne man schon hier die Strenge (τὸ χαλεπόν) der Tyche erfahren.31 Denn hätten 50 Jahre zuvor die Perser, der Perserkönig, die Makedonen oder der Makedonenkönig, wenn ihnen einer von den Göttern die Zukunft vorausgesagt hätte, geglaubt, dass nach diesem Zeitraum nicht einmal mehr der Name der Perser übriggeblieben sei, die fast die ganze Oikoumene beherrschten, dass die Makedonen dagegen die Macht über alles hätten, von denen zuvor nicht einmal der Name bekannt gewesen sei. Und dennoch habe die mit unserem Leben nicht konform gehende Tyche alles entgegen unserer vernünftigen Überlegung neu gemacht,32 auch ihre Macht gerade im Unerwarteten demonstriert und würde sie nun, wie ihm schiene, allen Menschen zeigen, indem sie die Makedonen in die glückliche Lage der Perser versetzt habe, weswegen sie auch diesen jene Güter zugesprochen habe, bis sie etwas anderes über sie beschließe.33 Genau dies, so Polybios, sei nun mit dem Sturz des Perseus eingetreten. Demetrios habe dies
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Politiker ein starkes Bewusstsein für die Macht der Tyche besessen hätten (vgl. XV 6,8–7,1, Hannibal, und XV 8,3, der Ältere Scipio, sowie XXXVIII 21,3, der Jüngere Scipio). Pol. XXIX 21. Das Zitat mit der ‚prophetischen‘ Voraussage hat später auch Diodor (XXXI 10) in sein Werk übernommen. Vgl. dazu auch F. W. WALBANK, Polybius and the past, in: ders., Polybius, Rome and the Hellenistic World. Essays and Reflections, Cambridge 2002 [1993], 190f. Pol. XXIX 21,2. Auch bei Demetrios handelt es sich stets um „die“ Tyche: Pol. XIX 21,1; 3; 5. Gemeint ist etwa die Zeitspanne 380–330 v.Chr.; vgl. W ALBANK, Commentary III (Anm. 6), 394. Von der Tyche als ‚Neues schaffend‘ (καινοποιοῦσα, ebenda 5) spricht auch Polybios selbst, vgl. unten, S. 81. Pol. XXIX 21,3–6.
Die Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios
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„wie aus einem göttlichen Mund“ prophezeit. Er selbst aber, so Polybios, habe in den Zeiten gelebt, in denen das makedonische Königtum beseitigt wurde, und da er Augenzeuge der Tat geworden sei, wolle er dies nicht ἀνεπιστάτως übergehen, sondern selbst sich dazu äußern, das passende Wort dazu sagen und des Demetrios gedenken; denn dieser schiene ihm ein mehr göttliches als menschliches Urteil ausgesprochen zu haben; fast 150 Jahre zuvor hätte er nämlich die Wahrheit über das, was dann später geschehen sollte, erkannt.34 Die Bedeutung dieses Demetrios-Zitates liegt nicht nur in der Zuschreibung eines umfassenden politischen Wandels innerhalb von „nur“ 50 Jahren an die Tyche (was auch an die Vorstellung des Polybios von den von ihm unablässig wiederholten ‚nicht ganz 53 Jahren‘ des Aufstiegs von Rom zur Herrschaft über fast die gesamte Oikoumene denken lässt35). Sie liegt vielmehr ebenso in der eigenen, nachgerade enthusiastischen Zustimmung des Polybios zu den Ausführungen des Demetrios über die Rolle der Tyche in den Machtkämpfen der ‚großen Politik‘. Walbanks Feststellung, dass das Lob der ‚übermenschlichen‘ Hellsicht des Demetrios „konventionell“ sei, trifft schon angesichts des wortwörtlichen, langen Zitats aus seiner Schrift schwerlich das Gewicht seiner Aussage für Polybios.36 Zu beachten ist auch, dass bei Demetrios die Tyche allein als Agierende erscheint, was Polybios für sich beziehungsweise die pragmatische Geschichtsschreibung in seinen oben zitierten Feststellungen ja ausdrücklich ablehnt.37 Ebenso spielt bei Demetrios die für Polybios grundlegende Frage nach den αἰτίαι keine Rolle. Doch ist die Erklärung in beiden Fällen klar: Bei Demetrios hat man es mit einer philosophischen Schrift über die Tyche zu tun, bei Polybios dagegen mit der speziellen Frage nach der Rolle der Tyche in der pragmatischen Historiographie, die gerade grundsätzlich mit der Tyche allein nicht auskam.
34 Pol. XXIX 21,9. Zu dieser Zeitangabe vgl. WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 395, der keine sicheren chronologischen Schlüsse daraus für möglich hält. Vom Ende der Perserherrschaft bis zum Zusammenbruch der makedonischen Dynastie wäre statt mit 150 mit ca. 172 Jahren zu rechnen. Andererseits ist weder die Abfassungszeit der Schrift des Demetrios noch dieses Teils der Historien bekannt. – Demetrios wird von Polybios in den Historien auch X 24,7 (Militärwesen) und XXXVI 2,3 (Frage des gerechten Krieges) zitiert sowie XII 13,8 genannt. 35 Pol. I 1,5 sowie an elf weiteren Stellen (vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 40). Zur vermutlichen Beeinflussung durch Demetrios vgl. ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1541; WALBANK, ebenda. 36 WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 19; DERS., Commentary III (Anm. 6), 394. Dagegen auch A. M. ECKSTEIN, Moral Vision in The Histories of Polybius, Berkeley/Los Angeles/London 1995, 262. 37 Vgl. oben, S. 77.
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Rom: Die Tyche und die αἰτίαι bei der Erringung der römischen Herrschaft über die Oikoumene Entsprechendes, d.h. dass für die pragmatische Geschichtsschreibung anders als in der philosophischen Schrift eines Demetrios die Tyche nicht der allein ausschlaggebende Hauptfaktor ist, gilt auch für das zentrale Ereignis der Historien, den Aufstieg Roms, der in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios nicht durch die Tyche allein erklärt werden kann. Abgesehen davon, dass sich eine direkte Aussage des Polybios über die Tyche als eigentliche Lenkerin der Weltgeschichte in seiner gesamten Darstellung ohnedies nirgends findet, zeigt eine nähere Betrachtung der für die Entstehung der römischen Oikoumeneherrschaft relevanten Stellen, dass auch diese nicht auf die Tyche als tatsächliche „Weltenlenkerin“ verweisen, sondern ebenfalls dem Muster der untersuchten drei grundsätzlichen Äußerungen folgen, also dass für den pragmatischen Geschichtsschreiber durchweg nicht die Tyche allein maßgebend sein kann, sondern vielmehr stets auch nach den prinzipiell immer vorhandenen „αἰτίαι“ gefragt werden muss. So lässt Polybios von Anfang an keinerlei Zweifel daran, dass für ihn die römische ‚Verfassung‘, der dann später das gesamte 6. Buch seiner Historien gewidmet war, die wichtigste αἰτία für die erfolgreiche Expansion Roms war38, sodass, wie Polybios gleich zu Beginn, im 1. Kapitel des Gesamtwerkes, erklärt, die unabdingbare Frage für die pragmatische Geschichtsschreibung lautete, wie und mit welcher Art von πολιτεία nahezu die gesamte Oikoumene in nicht ganz 53 Jahren (gemeint: 220–167 v.Chr.) unter die alleinige Herrschaft der Römer gefallen sei, etwas, was es zuvor noch nie gegeben habe. Im 4. Kapitel des 1. Buches, nach einem vorausgegangenen knappen Überblick über ältere größere Herrschaftsbildungen vom Perserreich über die kurze spartanische Hegemonie bis zum Alexanderreich,39 einer Begründung des Beginns der 53jährigen Periode durch das Zusammenwachsen der zuvor getrennten politischen Handlungsräume im Mittelmeerbereich40 sowie der Ankündigung eines „Vorspanns“ in den ersten beiden Büchern zum besseren Verständnis der Vorgeschichte des Aufstiegs der römischen Macht41 kommt Polybios dann erstmals auf die Rolle der Tyche bei der römischen Reichsbildung zu sprechen. Die Tyche hätte fast alle Ereignisse der Oikoumene zu einem und demselben Ziel ‚gezwungen‘, und dementsprechend müsse man auch in der Geschichtsschreibung eine zusammenhängende Darstellung dieses „χειρισμὸς τῆς τύχης“ bieten, was neben der Tatsache, dass niemand sonst eine Universalgeschichte versucht habe, ein Hauptgrund für die Abfassung seines Werkes gewesen sei.42 Da niemand, soweit ihm bekannt, die gesamte, umfassende „οἰκονομία“ der Ereignisse, wann
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Pol. I 1,5; vgl. I 64,1–2. Pol. I 2. Pol. I 3,1–6. Pol. I 3,7–10. Pol. I 4,1–2.
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und von wo aus sie bewegt und vollendet wurde, auch nur zu prüfen unternommen habe, habe er es für notwendig gehalten, die schönste und zugleich nützlichste Leistung der Tyche nicht unbemerkt vorübergehen zu lassen.43 Denn diese, die vieles neu gestalte44 und beständig eine Rolle (συνεχῶς ἐναγωνιζομένη) im menschlichen Leben spiele, habe noch nie weder ein solches Werk zustandegebracht noch ein solches Schauspiel inszeniert wie in der von ihm persönlich miterlebten Zeit.45 Im späteren Teil des 1. Buches, anlässlich des römischen Sieges im Ersten Punischen Krieg und der Würdigung des beeindruckenden Umfangs der römischen Flottenrüstung, erklärt Polybios mit Nachdruck, dieser Sieg sei ein Beweis für die von ihm von Anfang seines Werkes an vertretene Auffassung, dass die Römer keinesfalls „durch tyche“ (τύχῃ) oder „αὐτομάτως“ (d.h. durch einen bloßen Zufall), wie es einigen Griechen schiene, sondern vielmehr ‚sehr konsequent‘ (λίαν εἰκότως) wohlgeübt und vorbereitet nach der ‚Gesamtherrschaft‘ nicht nur gestrebt, sondern dieses Ziel auch erreicht hätten.46 Dies mutet zunächst wie ein direkter Widerspruch zum Beginn des Werkes (I 4) und der gerade dort von Polybios ausdrücklich festgestellten wichtigen Rolle „der Tyche“ (wenn auch erst in der fast 53jährigen Aufstiegsperiode) für die Erringung der Herrschaft über die Oikoumene an. Die Annahme einer „Entwicklung“ bei Polybios hin zu einer kritischeren Einstellung gegenüber der Tyche ist von Walbank mit Recht abgelehnt worden.47 Walbank selbst wollte die Stelle so verstehen, dass sie in engem Zusammenhang mit der (freilich erst zwei Bücher späteren) Stelle III 7–10 gesehen werden müsse, wo Polybios den Gründen nachgeht, die zu den Kriegen (und Siegen) Roms gegen Hannibal und Antiochos III. geführt hätten und wo in der Tat von der Tyche weder im einen noch im anderen Sinn die Rede ist.48 Aber es bleibt die Frage, wie sich die Behauptung des Polybios in I 63,9, dass er von Anfang seines Werkes an die Auffassung von der Bedeutung der Tyche für den großen Erfolg der Römer abgelehnt habe, mit der Rolle verträgt, die er tatsächlich in I 4 der Tyche zugunsten Roms zugeschrieben hatte. Die Erklärung Walbanks,49 dass die Tyche Rom deshalb unterstützt habe, weil sie die Römer der Herrschaft über die Oikoumene für würdig befunden habe, leidet darunter, dass Polybios nirgends, auch nicht zu Beginn seines Werkes, von einem derartigen Motiv der Tyche spricht. Walbank hat später gemeint, dass Polybios in I 63 den Fehler der von ihm kritisierten Griechen gar nicht in ihrer Zuschreibung der römischen Erfolge an die 43 44 45 46
Pol. I 4,3–4. Pol. I 4,5. Ebenda; zur Übersetzung von ἐναγωνιζομένη vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 21. Pol. I 63,9. Nicht völlig auszuschließen erscheint, dass die Begriffe „τύχη“ beziehungsweise αὐτομάτως auf die unterschiedliche Wortwahl verschiedener griechischer Autoren zurückverweisen. 47 Vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 129; F. W. WALBANK, Polybius, Berkeley/Los Angeles/London 1972, 64. 48 WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 129. 49 Ebenda.
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Tyche und das ταὐτόματον, sondern vielmehr darin gesehen habe, dass sie die Bedeutung der „αἰτίαi“ des römischen Erfolges, also – nach Polybios – der römischen Verfassung und des römischen Heerwesens, nicht erkannt hätten.50 Aber auch davon ist hier nicht die Rede, während andererseits die Wichtigkeit des Anteils der Tyche bei der Entstehung der römischen Oikoumeneherrschaft von Polybios in I 4,1 (zweimal) und I 4,4–5 (‚schönstes und nützlichstes Werk der Tyche‘; ‚größter Kampf der Tyche‘) so klar, eindeutig und zustimmend betont wird, dass die Behauptung, er habe von Anfang seines Werkes an die Bedeutungslosigkeit eben dieser Tyche für den Aufstieg Roms betont, schlechterdings unverständlich bleibt. Walbanks Feststellung, dass Polybios‘ Tychebegriff sich vom einen Teil seines Werkes zum andern wandle (und hier innerhalb eines Buches und unter Berufung darauf, dass er seit Beginn seines Werkes dieselbe Auffassung vertreten habe) kann schwerlich überzeugen. Die Erklärung muss vielmehr darin liegen, dass „τύχῃ“ in I 63 eine andere Bedeutung hat als „die Tyche“ zu Beginn des 1. Buches und nicht die Tyche als ‚höhere‘, ‚lenkende‘ Kraft, sondern den „Zufall“ meint, und so pflegt τύχῃ an dieser Stelle auch meist verstanden zu werden.51 Doch entsteht dadurch alsbald das Problem einer für den Leser erkennbaren Unterscheidung gegenüber der schon zu Beginn des Werkes von Polybios so nachdrücklich hervorgehobenen positiven Rolle der Tyche bei der Entstehung des römischen Reiches. Sie scheint darin zu liegen, dass „τύχῃ“ ohne Artikel als fester Ausdruck „durch Zufall“ meint, dem Polybios ja in der Tat von Anfang an keine Bedeutung für den Aufstieg Roms zugeschrieben hatte. Unterstützt wird diese Bedeutung von „τύχη“ als „Zufall“ bei Polybios auch durch den Hinweis, dass die von ihm zitierten Griechen die römischen Erfolge nicht nur „τύχη“ zugeschrieben, sondern auch als „αὐτομάτως“, d.h. ebenfalls durch „Zufall“ zustande gekommen betrachtet hätten. Dass Rom die Herrschaft über die Oikoumene nur rein „zufällig“ errungen hätte, stellt zweifellos eine Anschauung dar, die von dem stets von der Existenz in aller Regel ermittelbarer αἰτίαι in den historischen Ereignissen überzeugten Polybios vehement abgelehnt worden war. Er stellt dann auch an dieser Stelle sofort seine Hauptfrage, was das αἴτιον der römischen Überlegenheit im Ersten Punischen Krieg gewesen sei (zumal die Römer in der Gegenwart gar keine so großen Kriegsflotten mehr hätten aufbieten können).52 Die αἰτίαι, so Polybios, seien tatsächlich klar zu erkennen, wobei er zur Bekräftigung auf seine spätere ausführliche Darstellung der römischen πολιτεία verweist.53
50 Vgl. F. W. WALBANK, Fortune (tychē) in Polybios, in: J. Mirandola (Hrg.), A Companion to Greek and Roman Historiography, vol. 2, Malden (Mass.) u.a. 2007, 355. 51 Vgl. POLYBIOS-LEXIKON (Anm. 1) Bd. III 2, Sp. 713 („Zufall“); Polybius, The Histories with an English translation (W. R. Paton, F. W. Walbank, Chr. Habicht; The Loeb Classical Library), Bd. 1, Cambridge (Mass.) u.a. 2010, 189 („chance“); WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 129 (dasselbe). 52 Pol. I 64,1. 53 Pol. I 64,2.
Die Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios
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Erst zu Beginn des 4. Buches wird die Tyche im Zusammenhang der römischen Reichsbildung wieder genannt. Dort begründet Polybios das Einsetzen der ‚Hauptdarstellung‘ der Historien mit dem Beginn der von ihm so definierten entscheidenden knapp 53jährigen Periode von Roms Aufstieg zur Herrschaft über die Oikoumene seit der 140. Olympiade (220–217 v.Chr.) außer mit dem Ende des Geschichtswerkes des Aratos vor allem damit, dass auch „die“ Tyche damals gleichsam (ὡσανεί) alles im Bereich der Oikoumene neugestaltet habe, und zwar durch außergewöhnlich zahlreiche Herrscherwechsel.54 Da diese καινοποιία bei allen Mächten (δυναστεῖαι) stattgefunden habe, sollten so überall neue politische Verhältnisse (πράγματα καινά) eintreten.55 An zwei späteren Stellen, im 6. und 8. Buch, kommt Polybios im Zusammenhang der römischen Verfassung erneut auf die Tyche zu sprechen. So heißt es im 6. Buch in Rückverweisung auf frühere Vorankündigungen, dass es für die Leser κάλλιστον und ὠφελιμώτατον sei, zu erkennen und zu lernen, wie und mit welcher Art von πολιτεία in weniger als 53 Jahren – etwas noch nie Dagewesenes – nahezu die ganze Oikoumene unter die Herrschaft der Römer gefallen sei.56 Die Besprechung der römischen Verfassung aber habe für ihn deshalb ihren Platz im Anschluss an die schwere Niederlage Roms gegen Hannibal bei Cannae, weil die entscheidende Prüfung eines vollkommenen Mannes die seiner Seelengröße im Ertragen der schwersten Wechselfälle der Tyche sei.57 Nach dem gleichen Kriterium müsse auch die Qualität einer Verfassung beurteilt werden. Es habe aber keine empfindlichere oder größere μεταβολή der Tyche in seiner Zeit gegeben als die, die damals den Römern durch Cannae widerfahren sei.58 In der Darstellung der römischen Verfassung (jedenfalls in den erhaltenen Teilen) hat die Tyche, durchaus in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios, keinen Platz. Noch einmal formuliert Polybios sein zentrales Thema zu Beginn des 8. Buches anlässlich der wiederholten Betonung der Notwendigkeit einer universalgeschichtlichen Perspektive mit der Frage, auf welche Weise und mit welcher Art von Verfassung die Tyche das „unerwartetste“ Werk seiner Zeit „vollendet“ habe, nämlich alle bekannten Teile der Oikoumene unter eine einzige Herrschaft und Macht zu führen, was es zuvor noch nicht gegeben habe.59
54 Pol. IV 2,4–11. 55 MEISSNER, ΠΡΑΓΜΑΤΙΚΗ ΙΣΤΟΡΙΑ (Anm. 1), 320 wertet dies als Beleg dafür, dass bei Polybios die τύχη „den Anfang“ setze und er die Einheit seines Werkes als durch „Kontingentes“ bestimmt gesehen habe. 56 Pol. VI 2,1–3. 57 Pol. VI 2,4–6. 58 Pol. VI 2,7. 59 Pol. VIII 2,1–4. – In allen fünf Fällen, in denen Polybios die Tyche mit der Erringung der Oikoumene-Herrschaft in Verbindung bringt (I 4,1; I 4,4–5 sowie VIII 2,3), spricht er jeweils von ἡ τύχη (vgl. oben, S. 81f.). War in I 4,4 vom „schönsten und nützlichsten Werk der Tyche“ die Rede, so heißt es VI 2,3 und XXXIX 8,7 lediglich, das Schönste und Nützlichste sei die Erkenntnis der Entstehung der römischen Weltherrschaft. An anderen, ansonsten sehr
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Im Zusammenhang der römischen Verfassung kommt Polybios auch auf die älteren griechischen Machtbildungen zu sprechen, darunter Athen und Theben, die er jedoch nicht näher behandelt, da ihre Verfassungsentwicklung unregelmäßig verlaufen sei. Historisch betrachtet hätten sie beide nur ὥσπερ ἐκ προσπαίου τινὸς τύχης,60 aber trotz scheinbar guter Aussichten eine Wende zum Niedergang erfahren müssen. Die αἰτία von Thebens Aufstieg sei nicht seine Verfassung (πολιτείας σύστησις) gewesen, sondern die persönliche ἀρετή von nur zwei Männern, Epameinondas und Pelopidas, und im Falle Thebens hätte die Tyche durch den Tod der beiden und seine Folgen allen klar gezeigt, dass alles an ihnen gelegen hätte. In ähnlicher Weise sei der Aufstieg Athens mit der Person des Themistokles verbunden gewesen.61 Ein letztes Mal erscheint die Tyche im Zusammenhang der römischen Reichsbildung in der bekannten Szene des 38. Buches der Historien,62 in der beim Anblick des brennenden Karthago der Jüngere Scipio persönlich gegenüber Polybios die Verse der Ilias über den unausbleiblichen Fall Trojas zitiert63 und dabei die Furcht äußert, dass eines Tages ein anderer Feldherr einen entsprechenden (Zerstörungs-)Befehl für seine eigene Vaterstadt, also Rom, geben werde. Es sei, so fährt Polybios fort, nicht leicht, eine gleichermaßen staatsmännische und vernünftige Äußerung zu finden, denn es sei Zeichen eines großen, vollendeten und kurz gesagt erinnerungswürdigen Mannes, bei den größten eigenen Erfolgen und Katastrophen des Feindes Einsicht in die heimischen πράγματα und die entgegengesetzte Situation zu haben und sich überhaupt im Glückszustand die Wandelbarkeit der Tyche vor Augen zu halten. Es ist eine von Polybios immer wieder vertretene Auffassung, die hier jedoch auf die Zukunft Roms bezogen wird. In gewisser Weise befanden sich Scipio und Polybios damit in der Situation des von Polybios so bewunderten Demetrios von Phaleron, als er den Untergang der makedonischen Dynastie anderthalb Jahrhunderte vor diesem als ein zu erwartendes zukünftiges Werk der Tyche voraussagte. Notwendigerweise konnte es sich dabei lediglich um den Blick in eine unbestimmte Zukunft handeln, die erst dann, wenn
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ähnlichen Stellen sind es lediglich die Römer selbst, die die Oikoumene erobern (I 2,7; III 3,9; III 118,9). So bleibt die Tyche auch in der ausführlichen Ankündigung der Erweiterung des Werkes über den ursprünglich als Ende geplanten Sieg Roms über Perseus hinaus (III 1– 5) unerwähnt. Doch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass Polybios die zu Beginn des Werkes dargelegte Konzeption etwa aufgegeben hätte. Pol. VI 43,3. Der Ausdruck ‚πρόσπαιόν τι τύχης‘ enthält offenbar τύχη ohne Artikel, sodass hier der „Zufall“ gemeint sein könnte. Pol. VI 43,1–44,3. – Auch hier hält sich Polybios an seine Forderung, dass in der pragmatischen Geschichtsschreibung neben „der“ Tyche stets die αἰτίαι zu suchen seien, hier die ἀρετή der beiden thebanischen Politiker und ihr Tod. Nach B. C. MCGING, Polybius’ Histories, Oxford 2010, 199, bezeichnet Tyche in VI 43,3 das rational nicht Erklärbare, unmittelbar danach (VI 43,5) dagegen kaum mehr als ‚die folgenden Ereignisse‘. Pol. XXXVIII 21; dazu und zu den Überlieferungsproblemen WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 722–725. Hom. Il. VI 448–449.
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die αἰτίαι tatsächlich eingetreten waren, zum Gegenstand pragmatischer Geschichtsschreibung werden konnte. Ein Wandel gegenüber seinen früheren Anschauungen ist hier nicht zu erkennen.64 Bereits im 6. Buch hatte Polybios ausdrücklich den irgendwann zu erwartenden Verfall der römischen πολιτεία erörtert, wenn nämlich im Rahmen des Verfassungskreislaufs „κατὰ φύσιν“ ein Wandel von Entstehung, Wachstum und Blüte in das Gegenteil eintrete.65
Die Bestrafung der Herrscher Makedoniens und des Seleukidenreiches durch die Tyche Auch für die Erringung der Oikoumene-Herrschaft durch Rom gilt also, dass die Rolle der Tyche, jedenfalls in der pragmatischen Geschichtsschreibung, nicht ohne die stets vorhandenen und von dieser in erster Linie zu erforschenden αἰτίαι des historischen Verlaufs dargestellt werden darf. Dies muss zweifellos auch für eine besondere Bekundung der Macht der Tyche gelten, die Polybios im 15. Buch schildert.66 Im Mittelpunkt steht dabei die von Polybios in das Jahr 203/2 v.Chr. datierte (angebliche) Übereinkunft zwischen Philipp V. und Antiochos III. über die Aufteilung des Ptolemäerreiches unter beiden Monarchen anlässlich des Todes Ptolemaios’ IV., dessen Nachfolger, Ptolemaios V., noch im Kindesalter stand, was den Anlass für die hier in anderem Zusammenhang bereits erwähnten Wirren in Alexandreia gab. Polybios verurteilt den Eroberungsplan mit großer Emphase als frevelhaft gegenüber den Göttern und grausam gegenüber den Menschen und nennt als Motiv die übermäßige Habgier der beiden Könige.67 Er schließt daran die Frage, ob hier nicht selbst derjenige, der die Tyche wegen ihrer Eingriffe in die menschlichen πράγματα verständlicherweise (εἰκότως) kritisiere, angesichts dieses Falles sich mit ihr nicht versöhnen würde. Denn die Tyche habe daraufhin den beiden Königen eine gerechte Strafe auferlegt und damit der Nachwelt bei-
64 Vgl. ECKSTEIN, Moral Vision (Anm. 36), 268f., der im Zusammenhang seiner These von einer ständig zunehmenden Verdüsterung von Polybios’ Geschichtsbild diesen hier „weit entfernt“ vom ersten Buch der Historien sieht, in der der Gang der römischen Geschichte für ihn noch einer „rationalen Analyse“ zugänglich gewesen sei, wie auch vom 6. Buch mit der rationalen Darstellung der Wurzeln des römischen Erfolges. Von einem derartigen Wandel bei Polybios ist freilich weder im 6. Buch, wo bereits die Möglichkeit eines künftigen Niedergangs ausdrücklich erörtert wird (Pol. VI 9,10–14; WALBANK, Commentary I (Anm.8), 658f.) noch z.B. in der abschließenden Zusammenfassung im „Epilog“ des Werkes (XXXIX 8,3–7) etwas zu erkennen. 65 Vgl. besonders Pol. VI 9,10–14; VI 57; dazu WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 658. Es dürfte klar sein, dass auch der – in der Sicht des Polybios – „κατὰ φύσιν“ sich vollziehende – Verfassungskreislauf seinerseits je nachdem bestimmten „αἰτίαι“ und den Eingriffen der Tyche ausgesetzt ist. 66 Pol. XV 20. Dazu WALBANK, Commentary II (Anm. 6), 471–474; DERS., Polybius and Macedonia, in: DERS., Essays and Reflections (Anm. 29), 102f. 67 Pol. XV 20,1–4.
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spielhaft ein besonders schönes Dokument zur ἐπανόρθωσις aufgestellt.68 Denn noch während sie sich selbst gegenseitig betrogen und den Herrschaftsbereich des Kindes auseinandergerissen hätten, habe die Tyche die Aufmerksamkeit Roms auf sie gelenkt, und was jene gegen ihre Nachbarn widerrechtlich beschlossen hätten, das habe sie gerechterweise und verdientermaßen gegen die Könige selbst festgesetzt.69 Alsbald nämlich seien beide militärisch besiegt und sei nicht nur ihrer Begehrlichkeit an fremdem Gut Einhalt geboten worden, sondern seien sie auch zu Abgaben an die Römer verpflichtet worden und hätten deren Anordnungen gehorchen müssen. Schließlich habe die Tyche auch die Herrschaft des Ptolemaios in kurzer Zeit wieder stabilisiert, während sie von der Herrschaft und den Nachfolgern der beiden Frevler die einen in das völlige Verderben und die anderen fast in das gleiche Unglück gestürzt habe.70 Gemeint sind damit offensichtlich die Niederlagen Philipps V. und Antiochos’ III. im Zweiten Makedonischen beziehungsweise im Syrischen Krieg Roms und das definitive Ende der makedonischen Dynastie unter Philipps Nachfolger Perseus sowie die tiefgehende Schwächung des Seleukidenreiches in der folgenden Zeit. Auch wenn es zunächst so aussehen könnte, als ob Polybios hier, entsprechend dem späteren Exkurs über die Ursachen des Andriskosaufstandes,71 aus Mangel an αἰτίαι notgedrungen auf die Tyche rekurriere, so ist klar, dass in seiner eigenen historischen Darstellung der Ereignisse im hellenistischen Osten in den ganzen folgenden Büchern 16–29 der Niedergang der beiden Monarchien mit all ihren αἰτίαι ganz im Sinne der ‚pragmatischen‘ Geschichtsschreibung geschildert wurde. Darüber hinaus gibt es für Polybios auch keinen Zweifel, dass wesentliche αἰτίαι des Antiochoskrieges bereits im Zweiten Makedonischen Krieg lagen, dass dieser wiederum αἰτίαι im Hannibalkrieg und dieser seinerseits αἰτίαι im Kampf um Sizilien im Ersten Punischen Krieg hatte.72 Im Zusammenhang mit Philipp V. muss allerdings noch auf zwei weitere Passagen bei Polybios etwas näher eingegangen werden. So ist aus der nur fragmentarisch erhaltenen Darstellung des Zweiten Makedonischen Krieges die ausdrückliche Erklärung des Polybios für den entscheidenden Sieg des Flamininus über Philipp V. bei Kynoskephalai im Jahre 197 v.Chr. hervorzuheben. Hier schließt Polybios an die Beschreibung der Schlacht einen ausführlichen Vergleich zwischen der makedonischen und römischen Bewaffnung und Kampfesweise („acies“ und „Phalanx“) an, um damit die Frage nach den Ursachen der ständigen militärischen Überlegenheit Roms zu klären.73 Dies begründet er damit, dass man nicht „von Tyche“ reden (τύχην λέγειν) und damit die Sieger unbegründeterweise
68 Pol. XV 20,5. 69 Pol. XV 20,6. Zur Übersetzung von [sc. ἡ τύχη] ἐπιστήσασα Ῥωμαίοις vgl. WALBANK, Commentary II (Anm. 6), 474. 70 Pol. XV 20,7–8. 71 Vgl. oben, S. 72–74. 72 So Pol. III 32,6–7; vgl. auch III 7–10. 73 Pol. XVIII 27,7–32,13.
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(„ἀλόγως“) preisen dürfe wie die Gedankenlosen dies täten, sondern damit man die „wahren“ αἰτίαι erfahre und die ἡγούμενοι vernünftigerweise (κατὰ λόγον) lobe und bewundere.74 Die Verwendung des auch sonst begegnenden Ausdrucks „τύχην λέγειν“ (ohne Artikel) scheint auch hier dafür zu sprechen, dass damit die (unberechtigte) Zuschreibung des römischen Sieges an den „Zufall“ und nicht etwa an „die Tyche“ als höhere Macht gemeint ist.75 Eventuell ist auch daran zu denken, dass Polybios in anderem Zusammenhang die römischen Siege über Makedonien ausdrücklich „der“ Tyche als einer höheren Macht zugeschrieben hatte.76 Die andere Passage betrifft die letzten Lebensjahre Philipps V., die Polybios durch eine psychische Zerrüttung des Herrschers geprägt sieht.77 Als ob sie an ihm Rache für alle in seinem Leben begangenen Freveltaten nehmen wollte, hätte ihm die Tyche Erinyen zur Strafe und Vergeltung für die von ihm ins Unglück Gestürzten gesandt, deren Schatten ihn bis an sein Lebensende ständig verfolgt hätten, sodass man sich darin einig gewesen sei, dass es nach dem Sprichwort ein „Auge der Dike“ gäbe, das man als Mensch nicht verachten dürfe. Sie hätten ihm den Gedanken eingegeben, dass er, wenn er einen neuen Krieg gegen Rom führen wolle, große Umsiedlungen innerhalb Makedoniens vornehmen müsse. Außerdem sollten die Nachkommen der von ihm beseitigten Makedonen in verschiedenen Städten ins Gefängnis gebracht werden. Das dritte der von der Tyche inszenierten Dramen war das Problem der Rivalität seiner beiden Söhne Demetrios und Perseus, das ihn Tag und Nacht umgetrieben habe.78 Wer – so Polybios – würde nicht mit Recht vermuten, dass ihn im Alter der Zorn gewisser Götter wegen der Frevel in seinem vorangegangenen Leben getroffen habe?79 Während also im ersten Fall – der Bestrafung der beiden Dynastien – die Tyche zwar allein genannt wird, die Rolle der αἰτίαι jedoch der Ereignisdarstellung entnommen werden kann, hat man es im zweiten Fall – bei Flamininus – mit dem artikellosen τύχη als „Zufall“ zu tun, im dritten Fall dagegen – bei Philipp V. – wie im Andriskosaufstand mit einem – nach Polybios – allein durch einen Eingriff der Tyche zu erklärenden Vorgang.80
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Pol. XVIII 28,3–5. Vgl. Pol. II 38,5; dazu unten, S. 90. Vgl. oben, S. 85f. Pol. XXIII 10 (ca. 183 v.Chr.). Pol. XXIII 10,1–13. Die XXIII 10,14 angekündigten Bestätigungen dieses Befundes sind nicht erhalten. Vgl. auch XXIII 10,15–16. 79 Pol. XXIII 10,14. 80 Dazu vgl. oben, Anm. 8 (Schlacht von Ilipa).
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Allgemeine Hauptmerkmale der Tyche. Bemerkungen zur Terminologie des Polybios Nach diesem Blick auf eine Reihe besonders wichtiger Einzelstellen zur Rolle der Tyche in der pragmatischen Geschichtsschreibung des Polybios ist im Folgenden auf die von ihm der Tyche zugeschriebenen Hauptmerkmale einzugehen, die ihr einen eigenen Charakter im Bereich der „übermenschlichen“ Wesen verleihen.81 Zu diesen Merkmalen gehört vor allem zweierlei, und zwar ihre „παρὰ λόγον“, also ohne Rücksicht auf den λόγος beziehungsweise die (menschliche) Vernunft und Kalkulierbarkeit erfolgenden Interventionen82 sowie ihre ständige Wechselhaftigkeit und Unzuverlässigkeit.83 Dies bedeutet freilich nicht, dass die Tyche jemals „Wunder“ vollbrächte. Doch ist grundsätzliches Misstrauen ihr gegenüber, zumal in Erfolgssituationen, unbedingt notwendig. Dies entspricht offensichtlich auch ganz der persönlichen Haltung des Polybios.84 Was das „Wesen“ der Tyche betrifft, so ist zu beachten, dass sie von Polybios durchgehend deutlich von den ‚eigentlichen‘ Göttern getrennt wird, der es auch konsequent vermeidet, von ihr als einer „Göttin“ oder „Gottheit“ (ἡ θεός, τὸ 81 Drei Mal erscheint Tyche in den Historien im Plural und bezieht sich dann ersichtlich auf eine Mehrzahl ihrer Aktivitäten: I 13,12 (Rom und Karthago); X 5,8 (Zuschreibung εἰς θεοὺς καὶ τύχας; vgl. dazu aber auch X 9,2: Zuschreibung εἰς […] τοὺς θεοὺς καὶ τὴν τύχην, XXXVI 16,2: ἐπὶ τὸν θεὸν καὶ τὴν τύχην – dazu unten, Anm. 85); XII 25e,5 (verschiedene Städte). 82 Zu παρὰ λόγον im Zusammenhang mit der Tyche vgl. Pol. II 7,1; II 35,5; XXXVIII 20,2 (Boissevain); zu II 70,2 vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 289). Außerdem παράλογος II 35,5–6 (Barbarenangriffe); XXXVIII 3,2; 20,11 (Boissevain). Vgl. dazu XXIX 21,5: παρὰ τὸν λογισμὸν τὸν ἡμέτερον (Demetrios von Phaleron). Dabei kann die Tyche mit ihrer Wechselhaftigkeit durch Ereignisse παρὰ λόγον vorhergegangene Geschehnisse κατὰ λὀγον wieder zerstören, und nachdem sie jemand begünstigt hat, „wie aus“ Reue alles wieder verderben: So XXIX 22 (Eumenes II.: nach der für ihn befreienden Niederwerfung Makedoniens durch Rom unerwartete Bedrohung durch die Galater in Kleinasien; dazu noch unten, S. 96). Während οἱ πολλοί darin nur Widersinniges sehen könnten, weist Polybios darauf hin, dass dies in den „menschlichen Angelegenheiten“ durch die Fähigkeiten der Tyche vielfach der Fall sei. – Bei einer Schlacht entstehende παράλογα: XV 15,5 (Hannibal vor Zama). 83 Vgl. Pol. I 1,2 (μεταβολαί); VI 26,5 (dazu ebd. 7, dort zwei Mal); XV 6,8: εὐμετάθετος. Sie kann leicht (παρὰ μικρόν) auf beiden Seiten das Gewicht ganz erheblich verschieben, als ob sie mit νήπιοι παῖδες spielte, so Hannibal zu Scipio (XV 6,8); XXIX 21,2 (εὐμετάβολον), VIII 20,10 (ἀβέβαιον), XXX 10,1 (ἀβεβαιότης), XXXV 2,14 (ἄδηλα), XXXVIII 3,2 sowie XXXVIII 21,3 (ἐπισφάλεια). Vgl. ferner παλιρρύμη, XV 7,1), XI 19,5 (Hannibal in Italien: oft zeigt sich die Tyche als λαμπρὰ ἐπιπνέουσα für Hannibals Heer, manchmal aber auch umgekehrt). Härte und Macht der Tyche (ὀξύτης): XXX 10,1; ihre δύναμις: II 4,3; vgl. II 70,2: Entscheidung über τὰ μέγιστα τῶν πραγμάτων; XXIX 21,5: Demetrios von Phaleron, dazu ihr χαλεπόν, ebenda 3, sowie die Schwierigkeit, ihr zu entgehen (ihr δυσφύλακτον, VIII 20,10) finden Erwähnung. – XXXVI 13,2 eine Art „Ironie“ der Tyche (vgl. WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 672: ihr absichtliches Erzeugen von Schwierigkeiten für Gesetzgeber durch deren eigene Gesetze). 84 Vgl. etwa Pol. I 35,2 (Regulus); III 5,7–8 (Polybios); XXXVIII 21,3 (der Jüngere Scipio); XXXIX 8,2 (Polybios).
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θεῖον) zu sprechen,85 auch wenn er sie im Zweifelsfall neben die Götter gleichsam auf eine Stufe mit diesen stellt86 und sie prinzipiell als über den menschlichen Bereich hinausragend betrachtet.87 Zugleich ist offensichtlich, dass, wo immer in den Historien die Tyche „personifiziert“ als Kampfrichterin, Theaterveranstalterin o.ä. auftritt, dies als offensichtlich rhetorischer, bildhafter Vergleich zu verstehen ist.88 Zu vermerken ist außerdem, dass von einer (vergeblichen) Anrufung der Tyche lediglich einmal bei dem Numiderkönig Gulussa die Rede ist,89 während auch Polybios selbst eine solche direkte Anrufung sichtlich vermeidet und lediglich einmal von seinem eigenen Angewiesensein auf die Tyche für die Vollendung seines Werkes spricht beziehungsweise nur die ‚eigentlichen‘ Götter darum bittet, ihn vor dem „Neid“ der Tyche zu schützen.90 Diese in den Historien durchgängig zu beobachtende Verwendung des Tychebegriffs zeigt deutlich, dass Polybios, wie sich auch in anderen Zusammenhängen zeigt, über eine einigermaßen kohärente Vorstellung vom Wesen der Tyche verfügt, jedenfalls soweit er dies für seine „pragmatische“ Geschichtsschreibung als nötig betrachtete. Obwohl die Menschen wie auch Polybios selbst dem Wirken der Tyche91 aus ihrer menschlichen Sicht heraus immer wieder scheinbar berechtigte Motivationen zuschreiben und ihr daher auch ständig mit Lob und – vor allem – Kritik begegnen,92 bleibt es bei allen derartigen Versuchen für Polybios dennoch klar, dass über die jeweiligen ‚wirklichen‘ Beweggründe und Ziele der Tyche als übermenschlicher Macht durch die menschliche Vernunft grundsätzlich niemals Gewissheit erlangt werden
85 Vgl. Pol. X 9,2; XXXVI 17,2; XXXVIII 7,11; XXXVIII 8,8; XXXVIII 21,3; XXXIX 8,2. Dazu ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1539. Problematisch daher z.B. PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 341, wenn er von der Tyche bei Polybios als „divinité“ spricht. In jedem der von ihm angeführten Belege (X 5,8; X 9,2; XXXVI 17,2) wird deutlich zwischen den θεοί und der Tyche getrennt. Auch davon, dass aus XXXVI 17,2–4 die „völlige Austauschbarkeit“ der Begriffe θεός, τὸ θεῖον, οἱ θεοί und (ἡ) τύχη hervorgehe (so HAU, Tychê (Anm. 11), 187), kann wohl kaum gesprochen werden. Vgl. ferner die Gegenüberstellung von „allen Göttern“ und der Tyche XXXIX 8,2 (dazu unten, S. 102). 86 Vgl. auch oben, Anm. 81 sowie unten, S. 104. 87 Vgl. auch ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1536; 1539. Die ἀνθρώπινα, die ἀνθρώπεια πράγματα beziehungsweise ἀνθρώπινα πράγματα als Gegensatz zu der Tyche: Pol. XV 8,3; XV 35,7; XXIX 22,1. 88 Vgl. unten, S. 91. 89 Pol. XXXVIII 8,8. – Vgl. noch XV 19,5 (Hannibal: Die Karthager sollten der Tyche für die römischen Friedensbedingungen auf den Knien danken (προσκυνεῖν). 90 Pol. III 5,7; XXXIX 8,2. Vgl. auch XXXVIII 20,1 (Hasdrubal); außerdem XXIII 12,5 (Ablehnung eines sinnlosen Anflehens der Tyche durch Polybios, dazu unten, S. 97. 91 Vermerkt zu werden verdient auch, dass Polybios die Begriffe πράττειν und πρᾶξις für das Wirken der Tyche grundsätzlich vermeidet und diese dem menschlichen (also für ihn: mit menschlicher Vernunft planenden) Handeln vorbehält. 92 Lob: Pol. IV 81,5 (die Ermordung der Ephoren durch Cheilon in Sparta 219/18 v.Chr. als deren gerechte Bestrafung); XV 20,5–8 (vgl. oben, S. 84); Tadel: XVI 32,5 (ungerechte Behandlung von Abydos im Vergleich mit den Phokern und den Akarnanen durch die Tyche); XXXII 4,3 (Kritik an der Tyche wegen des unverdient friedlichen Todes des Aitolers Lykiskos).
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kann. Dass es Polybios im Übrigen primär um die Ergebnisse des Wirkens der Tyche zu tun war und nicht um ihre vom menschlichen Verstand grundsätzlich nicht erfassbaren Motive, hat jüngst Lisa I. Hau mit Recht betont.93 An dieser Stelle dürften noch einige zusätzliche Bemerkungen zur Ausdrucksweise des Polybios im Zusammenhang mit der Tyche und den möglichen Arten des geschichtlichen Verlaufs angebracht sein. Während die Tyche bei ihm fast ausschließlich mit dem bestimmten Artikel als „ἡ τύχη“ erscheint, fehlt dieser, wie oben gezeigt, vor allem in bestimmten Redewendungen: „τύχῃ“, „τύχην λέγειν“, „κατὰ τύχην“.94 Was im ersten Fall als sicher zu gelten hat, scheint auch an den anderen Stellen vorzuliegen, dass damit nämlich jeweils der „Zufall“ gemeint ist95 und damit die auch in anderen Ableitungen erhaltene, ursprünglich nicht-religiöse beziehungsweise ‚metaphysische‘ Bedeutung des Stammes τυχzum Vorschein kommt. Dazu gehören bei Polybios τυγχάνω, τυχικός und τυχόντως, die lediglich die „Zufälligkeit“ des betreffenden Vorgangs bezeichnen und mit einer höheren „jenseitigen“ Macht nichts zu tun haben.96 Dreimal erscheint sodann der Ausdruck „τύχη τις“. Im Falle des römischen Consuls Aulus Hostilius Mancinus im Jahre 170 v.Chr. während des Perseuskrieges sei dieser einem geplanten Anschlag vonseiten feindlicher Molosser nicht entkommen, wenn nicht „eine Art von Tyche wie eine Kampfrichterin ihn als den Besseren ausgezeichnet“ hätte. So aber habe ein offenbar romfreundlicher Epeirote, ein gewisser Nestor, die drohende Gefahr „δαιμονίως πως“ erkannt (ὀττευσάμενος τὸ μέλλον) und Hostilius genötigt, sich noch in der gleichen Nacht in das epeirotische Gitana zu begeben, von wo aus er dann über das phokische Antikyra nach Thessalien sicher zum römischen Lager gelangte.97 Es ist zugleich eines der seltenen Beispiele dafür, dass Polybios offenbar keine eigentliche „αἰτία“ zu finden vermochte, das Ereignis aber andererseits auch nicht als reinen „Zufall“ verstanden wissen wollte. So spricht er von „τύχη τις“ und verweist, um
93 Vgl. HAU, Tychê (Anm. 11), 194–204. 94 Tyche: Pol. I 63,9 (τύχῃ, oben, S. 81f.); τύχην λέγειν: II 38,5; XXXII 8,4; fr. 83; zu κατὰ τύχην vgl. I 47,7; V 67,3; XV 28,5; XXXI 26,7; XXXVIII 12,2; fr. 54; vgl. außerdem XI 4,7 (κατά τινα τύχην, Ausgang eines Krieges). Dazu kämen auch VI 43,3 (Athen und Theben), XXXII 8,3 (Eumenes II., unten, S. 95); vgl. PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 334. 95 Kein vergleichbarer Unterschied besteht jedoch offenbar zwischen τῆς τύχης II 7,1 und ἐκ τύχης II 7,3 (vgl. auch ἐκ τῆς τύχης VIII 20,10), wobei jeweils – auch II 7,3 – die ‚höhere Macht‘ gemeint sein dürfte. Doch ändert das – wie immer zu erklärende – Fehlen des Artikels in II 7,3 nichts daran, dass bei Polybios sonst überall da, wo τύχη mit Sicherheit den „Zufall“ meint, der Artikel fehlt. 96 Vgl. Pol. IX 6,5 (τυχικός); XXVIII 7,1 (τυχικῶς πως); XXXVIII 12,11 (τυχόντως). Im ersten Fall hält F. FRAZIER, L’inattendu et l’extraordinaire. Les emplois de paradoxos dans les „Histoires“ de Polybe, in: Ktema 27 (2002), 85f., allerdings kaum überzeugend, neben „zufällig“ auch die Bedeutung „notwendigerweise“ für möglich. Anders z.B. PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 343; POLYBIOS-LEXIKON (Anm. 1), Bd. III 2, Sp. 714. 97 Pol. XXVII 16,1–5. Vgl. WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 316f., der (ohne nähere Begründung) die „τύχη τις“ hier als eine „merely verbal personification“ des Unberechenbaren sieht.
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das „jenseitige“ Element in dem Vorgang zu unterstreichen, auf das „δαιμόνιον“, das „irgendwie“ (πως) auf Nestor eingewirkt habe. Ähnlich spricht Polybios im Achaiischen Krieg von einer ‚einfallsreichen und listigen‘ τύχη τις, die von dem Geschichtsschreiber als Retterin Achaias gewertet wird, da sie (auf der Seite Roms stehend) für die rasche Niederlage Achaias, also seines eigenen heimatlichen Staatswesens gekämpft hätte.98 Schließlich ist auch in einem wohl auf den Jüngeren Scipio bezüglichen Fragment neben dem ταὐτόματον, dem Zufall, außerdem von τύχη τις, d.h. einer Art „der“ Tyche die Rede, die ihm behilflich gewesen sei.99 Die auf eine gewisse Unsicherheit des Autors deutende Formulierung ändert jedoch nichts an der Bedeutung der Tyche für seine pragmatische Geschichtsschreibung. Entsprechendes gilt für die wiederkehrenden Vergleiche des Wirkens der Tyche mit der Welt der Agonistik100 und des Theaters101, wo die Tyche vorzugsweise als Kampfrichterin oder Theaterveranstalterin dargestellt wird; Ähnliches ist von dem Gewicht zu sagen, das die Tyche in die Waagschale werfen kann.102 Selbstverständlich war der rhetorische beziehungsweise metaphorische Charakter dieser Personifizierungen für Polybios und seine Leserschaft klar, ohne dass jedoch durch diese Ausdrucksweise die Existenz der Tyche als „abstrakte Manifestation einer unberechenbaren Macht“103 von Polybios grundsätzlich in Frage gestellt würde. Als relativ häufige Bezeichnung für den (meist glücklichen) ‚Zufall‘ verwendet Polybios vor allem den Ausdruck αὐτόματος beziehungsweise ταὐτόματον.104 Ταὐτόματον erscheint in der historischen Darstellung, ähnlich wie die 98 Pol. XXXVIII 18,8; vgl. WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 716f., wonach Polybios auch hier keine ‚metaphysische‘ Erklärung gemeint habe. Die αἰτίαι dürften jedenfalls in der detaillierten Darstellung des Krieges enthalten gewesen sein. 99 Vgl. fr. 47: wie wenn (ὡσανεί) ταὐτόματον und τύχη τις die πράξεις des (Jüngeren – so WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 747 – oder Älteren) Scipio begünstigt hätten. 100 Pol. I 58,1 (die Tyche als Kampfrichterin zwischen Römern und Karthagern am Eryx); II 2,10 (Aussetzung eines Kranzes durch die Tyche); III 63,3 (die Tyche als Wettkampfveranstalterin; WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 397: wie so oft „purely formal and ‚Fortune‘ a mere figure of speech“); V 42,8 (Vergabe eines Siegerkranzes durch die Tyche); XV 9,4 (die Tyche setzt Kampfpreise vor der Schlacht von Zama aus); XV 10,5 (dasselbe); XXIX 27,12 (die Tyche als Kampfrichterin 168 v.Chr.); XXXII 4,3 (Lykiskos’ ehrenvoller Tod wie ein Wettkampfpreis der Tyche für ihn); XXXVIII 18,8 (τύχη τις wie ein guter Ringkämpfer). 101 Pol. I 4,5 (Schauspiel der Tyche von der Erringung der Oikoumeneherrschaft durch Rom, oben, S. 81); XXIII 10,16 (Streit zwischen Philipp V. und seinen Söhnen von der Tyche auf die Bühne gebracht); vgl. XXIII 10,12 („Drama“ der Tyche um Philipp V. und seine Söhne); XXIX 19,2 (Uninformiertheit der Rhodier von der Tyche in Rom „auf die Bühne gebracht“). Vgl. ferner WALBANK, Commentary II (Anm. 6), 276. 102 Vgl. oben, Anm. 93; unten, Anm. 143. 103 Vgl. oben, S. 71. 104 Vgl. Pol. I 63,9 (αὐτόματος, neben τύχη ohne Artikel); XIV 9,9 (ταὐτόματον, das den Karthagern πολλὰς ἀφορμάς geben soll, während nach X 39,4 die Tyche πολλὰς ἀφορμάς gibt, solange der Befehlshaber am Leben ist); XV 16,6 ταὐτόματον verantwortlich für Hannibals Niederlage bei Zama); XXXI 30,3 (was neben den durch die eigenen Planungen erzeugten
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Tyche,105 insbesondere auch in einer ‚Mitwirkung‘ (συνέργημα u.ä.) bei den menschlichen Handlungsträgern.106 Doch unterscheidet sich ταὐτόματον in vieler Hinsicht von der Tyche: Ihm fehlt deren letztlich religiöser Charakter. Außerdem spielt hier das für Polybios typische Spannungsverhältnis gegenüber den (für ihn grundlegenden) αἰτίαι der pragmatischen Geschichtsschreibung keine Rolle. Insofern erscheint es, genau betrachtet, problematisch, wenn Walbank ταὐτόματον als „roughly synonymous“ mit Tyche erklärt,107 zumal auch gerade die von ihm angeführten Stellen eher den Beweis des Gegenteils liefern. Denn einmal heißt es von dem Jüngeren Scipio, dass dessen κατὰ λόγον errungenen Erfolge ihm nicht abgesprochen und nicht „der“ Tyche zugerechnet werden dürften von denen, die die αἰτίαι nicht kannten, denen er seine Erfolge tatsächlich verdankt hätte – außer ganz wenigen, die man tatsächlich allein der Tyche und dem ταὐτόματον zuschreiben müsse.108 Wären „die“ Tyche und ταὐτόματον mehr oder weniger das Gleiche, so wäre die ausdrückliche Nennung beider Größen nicht recht verständlich. Gemeint scheint hier vielmehr zu sein, dass einige von Scipios Erfolgen der Tyche, ein anderer Teil dagegen dem bloßen Zufall zu verdanken gewesen sei. Dasselbe gilt für ein Fragment, wo offenbar ebenfalls von Scipio Aemilianus die Rede war, wonach ταὐτόματον sowie τύχη τις seine Taten gefördert hätten, sodass sie noch größer erschienen seien, als man erwartet hatte.109 Kennzeichnend in diesem Zusammenhang ist außerdem die Schilderung der Rettung der Stadt Rom nach Cannae vor dem direkten Angriff Hannibals, die παράδοξόν τι καὶ τυχικόν τι σύμπτωμα gewesen sei, weil zu dem betreffenden Zeitpunkt „αὐτομάτως“, also zufällig, eine größere Truppenansammlung in Rom stattgefunden habe.110 „Παράδοξος“ wird von Polybios trotz seines sehr häufigen Vorkommens nur ein einziges Mal direkt für das Wirken der Tyche verwendet,111 und sowohl τυχικός wie auch αὐτόματος sind für Polybios Ausdrücke, die nur auf das Zufällige eines Ereignisses zielen. – Neben ταὐτόματον wären noch die von δαίμων abgeleiteten, nur vereinzelt vorkommenden Ausdrücke δαιμόνιον112 und δαιμονίως113 zu nen-
105 106 107 108
109 110 111
112
Erfolgen des Jüngeren Scipio „der“ Tyche und ταὐτόματον beziehungsweise dem Zufall zuzurechnen ist; außerdem fr. 47 (oben, Anm. 99); dazu PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 335. Man wird aber kaum davon sprechen können, dass ταὐτόματον für Polybios ein nahezu „bedeutungsloser“ Begriff gewesen sei (so aber VAN HOOFF, Reason and Religion [Anm. 1], 125). Vgl. oben, S. 95f. Pol. III 97,5; IV 3,4; XV 29,5; XVIII 2,2; XXI 26,16; XXII 4,3; XXXI 25,10; XXXVI 12,5. WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 17; DERS., Fortune (Anm. 50), 353. Pol. XXXI 30,3. – Ein anderes Beispiel für das ständige Abwägen der Anteile von eigener menschlicher πρόνοια und ταὐτόματον bei Polybios bietet XVIII 12,2 (Flamininus, vgl. oben, S. 86f.). fr. 47; vgl. WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 747. Dazu auch unten, Anm. 140. Vgl. Pol. IX 6,5–7. Pol. VIII 2,3. Bei XXIX 21,5 handelt es sich um ein Zitat von Demetrios von Phaleron, während XXXI 30, 2–3 (der Jüngere Scipio, vgl. unten, S. 96) kein direkter Bezug zur Tyche vorliegt. Vgl. FRAZIER, Les emplois de paradoxos (Anm. 96), besonders 81; 85f. Vgl. Pol. I 84,10; XII 12b,3; XXVII 8,4.
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nen, die anders als ταὐτόματον ein göttliches Wesen bezeichnen, das in einigen Fällen eine der Tyche zwar ähnelnde, zugleich freilich ausgesprochene Nebenrolle spielt und vor allem keine der typischen Eigenschaften der Tyche aufweist und von dieser daher ebenfalls zu trennen ist.114 Eine für Polybios hinsichtlich der Tyche charakteristische Ausdrucksweise muss jedoch noch besonders erwähnt werden. Seit Konrat Ziegler115 hat man wiederholt vermutet, dass sich in den Äußerungen des Polybios über die Tyche teilweise ein gewisser Zweifel widerspiegle, den der Autor selbst bezüglich des Wirkens der Tyche gehegt hätte.116 Es sind die nicht ganz seltenen Stellen, wo Polybios die Erwähnung der Tyche durch Ausdrücke wie „als ob“, „wie absichtlich“ und Ähnliches selbst in Frage zu stellen scheint oder auch, wie bereits erwähnt, von „einer Art“ von Tyche (τύχη τις) spricht, die jeweils am Werk gewesen sei. Die Beispiele für derartige Wendungen wie ὥσπερ,117, ὡσανεί118, ὥσπερ ἐπίτηδες („wie absichtlich“)119 und καθαπερανεί120 sind hier nicht im Einzelnen zu untersuchen.121 Diese Relativierungen betreffen jedoch nicht die Existenz der Tyche, sondern in aller Regel lediglich die Frage ihrer Motivation, von der auch Polybios klar ist, dass sie grundsätzlich nicht wirklich feststellbar war.122 Insgesamt muss daran festgehalten werden, dass „die“ Tyche für Polybios zum einen immer etwas deutlich anderes und zwar vor allem mehr ist als der bloße Zufall,123 und zum anderen, dass sie sich bei Polybios stets auf ein und dieselbe ‚jenseitige‘, übermenschliche Macht bezieht, unabhängig davon, ob ihr für den Menschen nicht vorhersehbares Handeln ganzen Herrschaftssystemen oder einzelnen, für die pragmatische Geschichtsschreibung relevanten Individuen gilt. 113 114 115 116 117
118 119
120 121 122 123
Vgl. Pol. XV 14,7; XXVII 16,5 (dazu oben, S. 90). WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 17. Vgl. ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1538–1540; danach DREYER, Polybios (Anm. 15), 86. Vgl. auch WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 25; DERS., Polybius (Anm. 47), 65. Pol. III 118,6 („als ob die Tyche den Römern nach der Niederlage von Cannae noch zusätzliche Schwierigkeiten bereiten wollte“); XVI 29,8 (Sestos und Abydos: „als ob“ die beiden Häfen nach einem λόγος der Tyche gestaltet gewesen seien; vgl. WALBANK, Commentary II [Anm. 6], 539f.). Pol. II 20,7; IV 2,4 (Herrscherwechsel um 220, Tyche bringt „sozusagen“ überall Neugestaltung; daher beginnt hier der Hauptteil der Historien). Pol. I 86,5–7 (wie nach einer Absicht der Tyche Hinrichtung des karthagischen Feldherrn Hannibal am gleichen Kreuz wie der Anführer im Aufstand der Libyer, Spendios); II 4,3 (die Tyche zeigt wie absichtlich ihre δύναμις); XI 5,8 (die Tyche bringt etwas „wie absichtlich“ auf die Bühne der Öffentlichkeit); XX 7,2 („wie absichtlich“ Vergeltung der Tyche bei Boiotern); XXIII 10,16 (die Tyche bringt συμφοραί der Söhne Philipps V. „wie absichtlich“ auf die Bühne); XXIX 19,2 (die ἄγνοια der Rhodier „wie absichtlich“ auf die Bühne gebracht). Pol. XXIII 10,2 („als ob“ die Tyche Philipp V. für seine Gottlosigkeiten bestrafen wollte). Vgl. auch Pol. XXIX 22,2 (die Tyche handelt „wie“ (οἷον) aus Reue). – Dazu auch WALBANK, Fortune (Anm. 50), 353f. Vgl. auch HAU, Tychê (Anm. 11), 195–197. Anders z.B DREYER, Polybios (Anm. 15), 86, wonach Polybios an diesen Stellen an das Wirken der Tyche „nicht so recht geglaubt“ habe. Vgl. HAU, Tychê (Anm. 11), 183; 194; dazu ebenda 200–202 die lange Liste von Stellen aus den Historien, wo (ἡ) τύχη nicht „Glück“ beziehungsweise „Unglück“ bedeutet.
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Auch die Zielstrebigkeit der Tyche,124 die etwa bei dem römischen Siegeszug über die Oikoumene sich so deutlich abzuzeichnen scheint, unterliegt grundsätzlich der Unberechenbarkeit für den Menschen.
Die Tyche und der Einzelne bei Polybios Betroffen von Eingriffen der Tyche sind, wie sich immer wieder gezeigt hat, sowohl ganze Staaten wie auch einzelne Persönlichkeiten. Welches sind die bei Polybios begegnenden Konstellationen, in denen die Tyche zusammen mit den menschlichen Handlungsträgern erscheint? Zunächst lässt sich auch an ihnen ablesen, dass für Polybios die Tyche keineswegs einfach der entscheidende Faktor im geschichtlichen Ablauf ist. Dies geht schon aus den nicht wenigen Beispielen dafür hervor, dass die Tyche neben den nach Polybios ja stets vorhandenen aἰτίαι in einer Reihe von Fällen überhaupt keine Rolle spielt. So kann sie gänzlich untätig bleiben und dann z.B. auch nichts – jedenfalls nach menschlichen Maßstäben – „Widersinniges“ (παράλογον) tun.125 Andererseits kann der Mensch (eine Art von ‚Fatalismus‘, die Polybios freilich nicht billigt) politisch-militärische Entscheidungen auch von sich aus einfach der Tyche überlassen).126 Daneben kann man, etwa indem man eine Schlacht riskiert, die Tyche ‚versuchen‘,127 auch ihr (erfolglos) vertrauen oder misstrauen.128 Doch gibt es nach Polybios ebenso die Möglichkeit von Erfolgen allein durch die eigenen menschlichen Fähigkeiten ohne irgendeine Unterstützung durch „die“ Tyche. Ausdrückliche Beispiele dafür sind der Aufstieg des Achaiischen Bundes,129 Hieron II. von Syrakus,130 der Ältere Scipio sowie der Sieg des Flamininus über Philipp V. bei Kynoskephalai 197 v.Chr.131 Bei dem Älteren Scipio legt Polybios anlässlich von dessen Übernahme des Kommandos auf der iberischen Halbinsel dar, dass man ihn allgemein für jemand gehalten habe, der seine Erfolge meistens παραλόγως und durch das ταὐτόματον erreicht habe. Solche Männer habe man für θειότεροι und θαυμαστότεροι gehalten als die, die stets nach vernünftigen Überlegungen (κατὰ λόγον) handelten. Man hätte dabei aber nicht bedacht, dass allein Letzteres, also das Handeln κατὰ
124 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 337. 125 Vgl. Pol. II 37,6 (Asien und Ägypten beziehungsweise Seleukiden und Ptolemäer in der προκατασκευή der Historien). Außerdem XVIII 46,15 (im Zusammenhang der römischen Freiheitserklärung von 196 v.Chr; dazu WALBANK, Commentary II [Anm. 6], 614: es gab „no accidents“, die den römischen Plan von der Seite der Tyche gestört hätten). 126 Vgl. Pol. X 6,6 (Entscheidung zwischen Perseus und Rom). 127 Vgl. Pol. II 32,5 (Die Insubrer gegen die Römer). 128 Pol. I 35,2; XV 15,4. 129 Vgl. oben, S. 75f. (jedenfalls kein ‚Zufall‘). 130 Pol. VII 8,1, wonach Hieron II. für die Erringung der Herrschaft über Sizilien οὐδὲν ἐκ τῆς τύχης zugute gekommen wäre. 131 Vgl. oben, S. 86f.
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λόγον, Lob verdiene und ersteres lediglich beneidenswert sei, da es jedem Beliebigen geschehen könne, während ein Lob nur die εὐλόγιστοι καὶ φρένας ἔχοντες ἀνδρες verdienten, die man auch für θειότατοι und von den Göttern geliebt halten müsse.132 Kurz darauf wendet sich Polybios anlässlich der Gerüchte in Rom über Scipios angebliche Unterredungen mit den Göttern133 mit Entschiedenheit gegen diejenigen, die weder die Gunst der Zeiten noch die αἰτίαι und die Umstände genau erfassen könnten oder wegen der Schlichtheit ihrer Natur, aus Unerfahrenheit oder Leichtsinn die αἰτίαι dessen, was Scipio selbst durch Scharfsinn, vernünftige eigene Überlegung und Voraussicht erreicht hatte, auf „Götter und Tychai“ zurückführten. Dies müsse den Lesern klar gesagt werden, damit sie nicht fälschlicherweise das Edelste und Schönste dieses Mannes übersähen, nämlich seine ἐπιδεξιότης (Gewandtheit) und φιλοπονία, Charaktereigenschaften, die sich noch deutlicher an seinen eigentlichen Taten zeigten.134 Alle diese ohne eine Mitwirkung der Tyche, allein durch menschliche Fähigkeiten erzielten Erfolge wurden von Polybios offensichtlich besonders bewundert und finden sich bezeichnenderweise vor allem bei Personen, denen auch sonst die Sympathie des Polybios galt. Zu nennen wäre hier auch Eumenes II. von Pergamon, der den erfolgreichen Ausbau seiner Herrschaft überwiegend weder der τύχη συνεργός noch einer plötzlichen Wendung (περιπέτεια), sondern überwiegend seinem Scharfsinn, Fleiß und seiner Tatkraft (πράξεις) verdankt habe.135 Neben diesen Fällen der Unabhängigkeit des Menschen von der Tyche erscheint diese häufig auch ausdrücklich als ‚Mitwirkende‘ (συνεργός) bei menschlichen Erfolgen. So schildert Polybios ausführlich, wie im Jahre 217 v.Chr. der der römischen Seite zuneigende Iberer Abilyx die gesamten in Sagunt befindlichen iberischen Geiseln der Karthager in Sagunt auf verräterische Weise durch geschickte Manöver dem Älteren Scipio in die Hände zu spielen verstand.136 Durch ihre Freilassung und die Rückführung in ihre Heimatorte habe er die Stimmung bei den Iberern zugunsten Roms für die spätere, 209 einsetzende Eroberung der iberischen Halbinsel günstig beeinflussen können.137 Dafür sei diese Art von „συνέργημα“ der Tyche mit Rom sehr geeignet gewesen.138
132 Pol. X 2,5–7 (Die Tyche wird bezeichnenderweise nicht genannt.). 133 Pol. X 5,5–8. 134 Pol. X 5,8–9. Zum Älteren Scipio und seinem Verhältnis zu der Tyche vgl. auch das Folgende, Anm. 136–138. 135 οὐ τύχῃ τὸ πλεῖον συνεργῷ χρώμενος, Pol. XXXII 8,3–4: so in der Gesamtwürdigung (159/58 v.Chr.). Das Fehlen des Artikels dürfte auch hier statt auf „die“ Tyche auf den „Zufall“ verweisen, vgl. oben, S. 82; dazu Anm. 94. An einer früheren Stelle zu Eumenes vermerkt Polybios eine Abwendung „der“ Tyche von Eumenes (XXIX 22,2–4). 136 Pol. III 98–99,5. 137 Pol. III 99,6–7. 138 Pol. III 99,9. – III 97,5 hatte Polybios (einleitend zu der Wiederaufnahme der römischen Aktivitäten auf der iberischen Halbinsel) davon gesprochen, dass ταὐτόματον sehr mit den Römern ‚zusammengewirkt‘ (συνεργεῖν) hätte.
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Auch in der Gelegenheit, die sich dem Jüngeren Scipio in Makedonien zur Ausbildung seines Mutes durch die Jagd bot, sah Polybios ein ‚schönes συνέργημα für ihn mit der Tyche‘.139 Von dem gleichen Scipio heißt es wenig später, dass man ihm nicht die durch seine eigene Vernunft (κατὰ λόγον) erzielten Erfolge aberkennen und der Tyche zuschreiben dürfe, weil man die αἰτίαι nicht erkenne, aus denen alles jeweils zu entstehen pflegte, außer ganz wenigem, das man bei ihm tatsächlich allein der Tyche und dem αὐτόματον zuschreiben müsse.140 „Die“ Tyche half „offensichtlich“ (προφανῶς) Philipp V. kurzzeitig gegenüber Rhodos (202 v.Chr.),141 während Hannibal und sein Heer von ihr oft begünstigt, manchmal aber auch im Stich gelassen worden war, ein typisches Beispiel ihrer Wechselhaftigkeit.142 Während Eumenes II. von Pergamon nach dem Urteil der Masse trotz des für ihn sehr vorteilhaften Endes der makedonischen Monarchie unversehens durch die Galater in eine „widersinnige“ und bedrohliche Lage geraten sei, sei dies in den menschlichen Angelegenheiten wegen der Tyche eher das Übliche. Denn die Tyche sei fähig, das Vernünftige durch das Widersinnige zu zerstören und könne, auch wenn sie zunächst mit jemandem zusammengewirkt und ihn mit ihrem eigenen Gewicht unterstützt habe, wie aus Reue seine Erfolge wieder gänzlich zunichtemachen.143 Kennzeichnend erscheint schließlich die Behandlung des von Polybios besonders respektierten achaiischen Politikers Philopoimen. Von ihm stellt Polybios fest, dass er bis ganz zuletzt, als er in messenische Gefangenschaft geriet, an ἀρετή keinem anderen nachgestanden habe, dann aber doch schwächer gewesen sei als die Tyche, nachdem er diese während seines ganzen Lebens zuvor als συνεργός gehabt zu haben schiene.144 Nach seiner Auffassung jedoch, so Polybios, sei es eine allgemeine Sprichwortweisheit, dass es dem Menschen möglich sei, glücklich zu sein (εὐτυχεῖν), aber unmöglich, dauernd glücklich zu sein (διευτυχεῖν). Deswegen dürften auch einige der Vorfahren nicht deswegen gepriesen werden, weil sie dauernd glücklich gewesen seien – welche Notwendig139 Pol. XXXI 29,2. Als eine Art Gegensatz zur Tyche als συνεργός kann man die τύχη ἀντιπίπτουσα sehen; vgl. XVI 28,2 (Philipp V.). 140 Pol. XXXI 30,3. – XXXI 25,10 heißt es ebenfalls von dem Jüngeren Scipio, aber in anderem Zusammenhang, ταὐτόματον συνήργησε (für ihn), wobei nach WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 512, dieses ταὐτόματον dasselbe wäre wie die τύχη in der erstgenannten Stelle. Doch weitere zwei Mal, XXXI 30,3 und in dem offenbar ebenfalls dem Jüngeren Scipio geltenden fr. 47 spricht Polybios sowohl von τύχη als auch von ταὐτόματον beziehungsweise von ταὐτόματον und τύχη τις, sodass beides nicht einfach als identisch betrachtet werden kann. 141 Pol. XV 23,1. Nach WALBANK, Commentary II (Anm. 6), 476, hätte Polybios hier mit der Tyche den „reinen Zufall“ gemeint, ohne dass dies näher begründet wird. Der Vergleich ebenda mit XV 29,5, wo es um die Unterstützung des Agathokles in Alexandreia durch das ταὐτόματον geht, leuchtet nicht ein. Zum ταὐτόματον im Gegensatz zur Tyche vgl. oben, S. 91. 142 Pol. XI 19,5. 143 Pol. XXIX 22 (Zu Eumenes II. vgl. auch oben, S. 88). 144 Pol. XXIII 12,3.
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keit bestehe denn, mit einer unwahren Begründung törichterweise der Tyche ihre Verehrung zu zeigen –, sondern diejenigen, denen sie in ihrem Leben die meiste Zeit „gnädig“ (ἵλεως) gewesen sei und die, wenn sich die Tyche einmal wendete, mäßigen Unglücksfällen zum Opfer fielen.145 Polybios will offenbar, ähnlich wie bei anderen von ihm besonders geschätzten Persönlichkeiten,146 auch bei Philopoimen die Bedeutung der Tyche (und des Zufalls147) für seine politischen Erfolge zugunsten seiner ἀρετή verringern und greift dazu zu einer allgemein bekannten, nicht auf die Tyche Bezug nehmenden Sprichwortweisheit.148 Das Ergebnis lautet für ihn, dass die Tyche erst ganz zuletzt stärker als die ἀρετή Philopoimens gewesen sei. So zeigt sich, dass die Tyche gar nicht, aber auch allein sowie in den verschiedensten Konstellationen mit der menschlichen, besonders politischen und militärischen Gestaltungskraft auftreten kann. Das politische und militärische Geschehen erscheint vielfach, wenn auch nicht immer, mit der Tyche als ‚jenseitiger‘ Macht verbunden beziehungsweise es existiert neben den menschlichen Plänen und Zielen die mit diesen nicht kongruente, sondern sie vielfach sowohl fördernde als auch zerstörende Macht der Tyche. Hat man es nun aber, wenn man alles zusammennimmt, bei dem Geschichtsschreiber mit einer insgesamt kohärenten Vorstellung von der Tyche und ihrem „Wesen“ zu tun, und, wenn ja, worin besteht dieses?
Die Frage nach dem Wesen der Tyche bei Polybios in der neueren Forschung Die Antworten der Forschung auf diese Grundfrage bei Polybios gehen, wie nicht anders zu erwarten, vielfach auseinander, wobei hier freilich nur einige besonders wichtige neuere Lösungsversuche näher besprochen werden können.149 Herausgegriffen seien dabei aus jüngerer und jüngster Zeit die Untersuchungen von Konrat Ziegler, Attilio Roveri, Frank W. Walbank, Paul Pédech, Brian McGing und Lisa I. Hau. Für Konrat Ziegler war Polybios selbst sich über das Wesen der Tyche im Unklaren und habe zwischen zwei gegensätzlichen Auffassungen geschwankt. Als „pragmatischem“ Geschichtsschreiber habe es ihm grundsätzlich widerstrebt,
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Pol. XXIII 12,4–6. Dazu auch oben, S. 89. Vgl. oben, S. 94f. Vgl. oben, S. 95 (Eumenes II.). Zur Erklärung mithilfe eines Sprichworts statt der Bezugnahme auf die Tyche vgl. auch oben, S. 87. 149 Zur älteren Forschung vgl. insbesondere die Überblicke bei HAU, Tychê (Anm. 11), 183–186; WALBANK, Fortune (Anm. 50), 355; DERS., Commentary I (Anm. 6), 21–26; PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 332–334; ROVERI, Tyche (Anm. 1), 308–314; ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1532. Allgemein zu Polybios’ religiösen Vorstellungen VAN HOOFF, Reason and Religion (Anm. 1); P. PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe: Étude sur la religion de l’élite gréco-romaine au IIe siècle av. J.-C., in: RHR 167 (1965), 35–38.
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„über das nicht exakt Festzustellende Bestimmtes auszusagen.“150 Aber auch wenn er „Rationalist“ und „Agnostiker“ und persönlich „durchaus ungläubig und skeptisch“ gewesen sei,151 habe er doch über die Frage, „ob jenseits der menschlichen Zielsetzungen noch eine höhere Zielsetzung in der Geschichte“ wirke, ohne Zweifel nicht aufgehört nachzudenken, ohne dass er dabei allerdings zu einer „festen und unverrückbaren Überzeugung“ gelangt sei. Als Beleg dafür, dass es sich nicht um „wirkliche, gefestigte Überzeugungen“ handelte, weist Ziegler vor allem auf die erwähnten relativierenden und metaphorischen Formulierungen zum Wirken der Tyche hin.152 Der Versuch, den von ihm gesehenen Widerspruch bei Polybios durch eine Entwicklung in dessen Denken zu lösen, sei „aussichtslos.“153 Zugleich vermutete Ziegler jedoch, dass es Polybios „gewiss (...) manches Mal vorgekommen“ sei, „als gewahre er den Finger einer waltenden Macht, nicht nur einer Entwicklungstendenz, wie wir sagen würden, sondern einen Willen und einen tieferen Sinn“.154 „Manches Mal in seinem langen Leben“ sei Polybios „wohl von dem Gedanken angewandelt worden, dass noch andere Mächte als die verstandesmäßig erfassbaren an der Gestaltung des Geschehens in der Welt und unter den Menschen beteiligt seien“.155 Auch habe er seine Aussagen immer sorgfältig so formuliert, dass sie einander weder direkt widersprachen noch einander ausschlossen.156 Attilio Roveri sah dagegen kein derartiges ungelöstes Hin- und Herschwanken bei Polybios und definierte die Tyche bei ihm als das prinzipiell Unerkennbare und Irrationale, das „x“ in der Geschichte.157 Polybios sei kein geschichtsphilosophischer Denker gewesen, der dieses Unbekannte theoretisch hätte erfassen können, sondern ein praktischer Realist, dem es in erster Linie um den praktischen Nutzen der Geschichte für die politisch Handelnden gegangen sei.158 Zugleich aber sei das historische Geschehen in seinen Kausalzusammenhängen und seiner Entwicklung für den pragmatischen Historiker prinzipiell erforschbar.159 Außerdem hätte der unbestimmbare Charakter der Tyche jegliche fatalistische Vorherbestimmung verhindert, sodass die Freiheit und Verantwortlichkeit des handelnden Menschen von ihm nie in Frage gestellt gewesen sei.160 In der Hauptsache nur eine Stelle wie I 4,1–5 über die Bedeutung der Tyche für die Entstehung der römischen Oikoumene-Herrschaft passe nicht auf die Theorie der Tyche als „x“ der
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ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1540. ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1542. ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1540; 1538f.; dazu jedoch oben, S. 93. Ebenda Sp. 1540. ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1542. Ebenda. Vgl. ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1539. Dies dürfte auch ein nicht unwichtiges Argument für das starke Interesse des Polybios am „Wesen“ der Tyche sein. ROVERI, Tyche (Anm. 1), 315. Vgl. ebenda 318; 321; 326. Ebenda 316f. Ebenda 318f. Ebenda 323.
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Geschichte, da hier eine von der Vorsehung bestimmte Rationalität des längerfristigen historischen Verlaufs vorausgesetzt zu werden scheine. Roveri erklärt dies als Vorgriff auf die spätere Darstellung, wobei die Tyche hier lediglich eine Art „Werbeetikett“ dargestellt hätte, das den Leser für die weitere Darstellung interessieren sollte161 – eine zu den Grundsätzen der polybianischen pragmatischen Geschichtsschreibung freilich schlecht passende Vorstellung. Frank W. Walbank – der wohl bedeutendste Polybiosforscher des 20. Jahrhunderts – hat seine Sicht der Tyche bei Polybios im Wesentlichen bereits in der Einleitung seines großen Kommentarwerks niedergelegt.162 Zwei Gesichtspunkte stehen dabei im Vordergrund: die Schwierigkeiten des Polybios mit widerspruchslosen Aussagen über die Tyche und deren vielfach lediglich rhetorischer Charakter. Polybios sei nicht zu philosophischem Denken imstande gewesen, noch habe er über einen Sinn für sprachliche Nuancierungen verfügt. Mit der „Tyche“, bei der er vor allem populären, allgemein in der damaligen griechischen Welt verbreiteten Vorstellungen folge, habe er einen schon wegen der Vielfalt seiner Bedeutungen163 für klares und genaues Denken besonders ungeeigneten Begriff gewählt, der von vornherein ‚verdorben‘ gewesen sei. So sei mit der Tyche bei ihm bald der bedeutungslose Zufall gemeint, bald alles, was außerhalb der menschlichen Kontrolle liege, dann auch wieder etwas, was an sich völlig rational zu erklären sei. Zum Teil würde die Tyche menschliche Untaten bestrafen, dann wieder sie auch unbestraft lassen; teilweise ginge sie aber durchaus absichtsvoll vor, und schließlich erscheine sie geradezu als Schicksal und Vorsehung. Andererseits habe Polybios speziell im Falle des Aufstiegs Roms zur Oikoumeneherrschaft offenbar das, was dabei geschah, mit dem vermengt, was zu geschehen vorherbestimmt war.164 Versuche der älteren Forschung, Widersprüche in seinen Aussagen über die Tyche durch eine Entwicklung in seinem Denken zu erklären, weist Walbank mit Nachdruck zurück.165 Was das Problem einer objektiven Existenz der Tyche als einer „höheren“, übermenschlichen Macht bei Polybios betrifft, so spricht Walbank an anderer Stelle von einer „varying intensity of belief“ des Polybios, doch neigt er hier überwiegend zur Skepsis. Dabei stützt er sich vor allem auf die modernen Autoren, die bereits vor ihm auf die nur verbalen und rhetorischen Elemente im Tychebegriff des Polybios aufmerksam gemacht hatten.166 Polybios habe bei Gele-
161 ROVERI, Tyche (Anm. 1), 321; zustimmend z.B. HAU, Tychê (Anm. 11), 189. Die ebenda praktizierte Aufteilung des Polybios in einen je nachdem ‚rhetorischen Geschichtenerzähler‘ und einen ‚rationalistischen Historiker‘ wird dem pragmatischen Geschichtsschreiber jedoch kaum gerecht. Vgl. unten, S. 106f. 162 WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 16–26. 163 Vgl. ebenda 16. 164 WALBANK, Polybius (Anm. 47), 65; vgl. 165f. 165 Vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 22f.; 295f.; DERS., Polybius (Anm. 47), 64; DREYER, Polybios (Anm. 15), 86. 166 WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 24f., mit Hinweisen auf die entsprechenden älteren Untersuchungen von G. de Sanctis, H. Erkell, E. Mioni und P. Shorey.
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genheit auch auf das rhetorische Repertoire der sogenannten „tragischen“ – also einer von Polybios an sich als unnötig dramatisierend und generell unseriös betrachteten – Geschichtsschreibung zurückgegriffen.167 Walbank glaubte außerdem den schon von Ziegler hervorgehobenen, öfter begegnenden Relativierungen von Aktivitäten der Tyche bei Polybios durch Zusätze wie „als ob“, „wie wenn“ und Ähnlichem einen expliziten Zweifel des Polybios an der objektiven Existenz der Tyche entnehmen zu können. Dazu kämen schließlich die bekannten skeptischen Äußerungen des Polybios über die Religion als bloßes politisches Herrschaftsinstrument im 6. Buch der Historien.168 Jedenfalls sei die „Persönlichkeit“, mit der Polybios die Tyche ausstatte, „to a large extent“ eine Sache von bloßer „verbal elaboration“, was vieles von der fehlenden Kohärenz seiner Ausführungen erkläre, denn auf logische Konsequenz käme es bei bloßen rhetorischen Wendungen nicht an.169 Die Frage, ob Polybios in der Tyche eine tatsächlich existierende ‚jenseitige‘ Macht sah, die die menschlichen Angelegenheiten lenke, könne, so Walbank, zwar nicht mit einem einfachen Nein beantwortet werden; aber soweit es ein Ja sei, sei doch sein „Glaube“ an die Existenz der Tyche weder ausreichend stark noch genügend klar gewesen,170 um ihn einen Widerspruch zu seinem ‚normalen, rationalen‘ Bild der Tyche erkennen zu lassen. Wenn dies unbefriedigend sei, so bleibe festzustellen, dass Polybios’ Mangel an Klarheit hinsichtlich der Tyche immerhin von Platon bis heute ihre Parallelen finde. Am Ende zitiert Walbank aus einer modernen historischen Darstellung, wonach das Attentat des 20. Juli 1944 durch etwas gescheitert sei, was nur als ein „Wunder“ bezeichnet werden könne. Das in einer solchen Formulierung sichtbar werdende Dilemma des modernen Historikers sei, so Walbank, der Problematik, der sich Polybios gegenüber sah, nicht unähnlich. Der Versuch, die zahlreichen Nennungen der Tyche bei Polybios als vornehmlich konventionelle rhetorische Floskeln zu erklären, die sich auch in der Kommentierung der Historien an einer nicht geringen Anzahl von Einzelstellen auswirkt,171 wie auch etwa die Feststellung, dass für Polybios die Tyche allenfalls
167 WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 25; Beispiele dafür bei WALBANK, Polybius (Anm. 47), 39f. 168 Pol. VI 6–15. 169 WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 25; vgl. DERS., Polybius (Anm. 47), 64f. 170 Von einer „varying intensity of ‚belief‘“ spricht WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 295. Vgl auch DERS., Polybius (Anm. 47), 60. – Anders in dieser Frage ECKSTEIN, Moral Vision (Anm. 36), vgl. dort 264, Anm. 98; dazu u.a. ebenda 258; 260; 261; 263; 269. 171 Unbegründet bleibt bei WALBANK, Commentary I (Anm. 6), 16, warum „ἡ τύχη“ an Stellen wie Pol. I 7,4 (Aufteilung der Messaner unter die Mamertiner; dazu auch DERS., Polybius (Anm. 47), 61) und V 42,8 (Verleihung eines Siegeskranzes an Antiochos III.) sowie X 33,4– 5 (es sei der „Zufall“, der, solange der Feldherr lebe, Gelegenheit biete, Niederlagen auszugleichen) den Zufall und nicht „die Tyche“ als höhere Macht bedeuten müssen. Dazu WALBANK, Commentary II (Anm. 6), 244: Tyche „here little more than a figure of speech”. Vgl. ferner WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 686: XXXVIII 2,1 (die größte Furcht habe die
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eine Bezeichnung für unser Nichtwissen sei,172 erweckt freilich auch erhebliche Bedenken. Auch wenn die zahlreichen Bilder einer personifizierten Tyche weder von Polybios wörtlich gemeint waren noch von seinen Lesern so verstanden wurden, bleibt dennoch für Polybios kennzeichnend, dass er, wie skeptisch man im Einzelfall seine Bemühungen auch beurteilen mag, immer wieder selbst über die Tyche reflektiert. Bei der von Walbank zitierten heutigen Bezeichnung des Scheiterns des Attentats vom 20. Juli 1944 als „Wunder“ handelt es sich zwar zweifelsohne nur um ein stilistisches Mittel ohne einen ernsthaften Erklärungsanspruch. Abgesehen davon, dass es für Polybios bei der Tyche ja nirgends um „Wunder“ geht, ist für ihn sowohl die große Häufigkeit der Berufung auf die Tyche als auch die immer wiederkehrende ausdrückliche Reflexion darüber sowie der ständige Versuch charakteristisch, die Tyche und die αἰτίαι des historischen Geschehens aufeinander zu beziehen. Dazu kommt die immer wieder gestellte Frage nach den Anteilen von eigenen Leistungen, Tyche und ταὐτόματον bei den historischen Persönlichkeiten. Auch die Abgrenzung „der“ Tyche als „höherer Macht“ gegenüber bloßer „tyche“ als Zufall wäre hier zu nennen. Ähnlich mögen die distanzierenden Hinweise auf das Wirken der Tyche mit ὡς, ὡσανεί und Ähnlichem173 Schwierigkeiten des Polybios im Umgang mit der Tyche erkennen lassen, doch beziehen sich diese jeweils offenbar auf die Motivation und nicht auf die Existenz der Tyche.174 Darüber hinaus fehlt es nicht an weiteren Indizien, die gegen die Tyche als eine lediglich rhetorische Größe bei Polybios sprechen. Dazu gehören etwa Polybios’ offensichtlich starke Beeindruckung durch die Ausführungen des Demetrios von Phaleron über die Bedeutung der Tyche in der Staatengeschichte, die von Walbank ohne nähere Begründung als „konventionell“ eingestuft werden.175 Doch so wenig die Tyche für Demetrios selbst im Kern eine bloße rhetorische Figur war, erscheint dies im Blick auf das Demetrios-Zitat für Polybios denkbar. Auch die ausführliche Erwähnung der schweren „Bestrafung“ der makedonischen und seleukidischen Herrscher durch die Tyche lässt sich schwerlich nur als unverbindliche „figure of speech“ verstehen.176 Zu berücksichtigen sind auch die beiden Hinweise des Polybios auf sein persönliches Verhältnis zu der Tyche. Im 3. Buch, zu Beginn des Hauptteils der Historien, stellt er fest, dass sein Werk auch auf die Tyche angewiesen sei, damit er es noch zu seinen Lebzeiten abschließen könne, wobei er in einer – durchaus be-
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Tyche bei den Griechen beim Feldzug des Xerxes erzeugt: Tyche sei hier „a mere figure of speech“). Außerdem X 47,4: Wenn die Tyche den Sieg gäbe (Hasdrubal): „a purely verbal use of tyche“ nach WALBANK, Commentary II (Anm. 6), 247. – XXI 38,2 heißt es von einem römischen Centurio ἐχρήσατο τῇ τύχῃ, also offenbar: er hätte die Tyche genutzt; ähnlich XXXVIII 2,7 (von den Lakedaimoniern). Vgl. WALBANK, Fortune (Anm. 50), 354. Vgl. oben, S. 93. Ebenda. Vgl. oben, S. 79f. Oben, S. 85f.
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zeichnenden – ‚Abwehrhaltung‘ zugleich seine Überzeugung äußert, dass es im Zweifelsfalle nicht an Autoren fehlen werde, die sein Werk zu Ende führen würden.177 Im 39. Buch, nach dem Abschluß der Historien, richtet er ein Gebet „an alle Götter“, sie möchten ihn für den Rest seines Lebens in seiner jetzigen Lage belassen, indem sie berücksichtigten, dass die Tyche gut darin sei, die Menschen zu beneiden und vor allem auf jenem Gebiet ihre Macht zeige, wo jemand in seinem Leben besonders erfolgreich gewesen sei.178 Das Gebet an alle Götter erklärt Walbank ohne nähere Begründung als eine „formal expression“.179 Beide Stellen lassen aber weniger eine skeptische als eine kritische Haltung gegenüber der Tyche erkennen, die sich kaum als lediglich „formale“ Ausdrucksweise erklären lässt.180 Wenn Ziegler Polybios zwischen einem rationalen Verständnis der Tyche und ihrer Auffassung als „Himmelsmacht“ schwanken sah und Walbank sie bei Polybios hauptsächlich dem Bereich der Rhetorik zuordnete, so hat ein anderer Autor, Paul Pédech, in seinem überaus detaillierten Werk „La méthode historique de Polybe“ (1964), aber auch in einem nachfolgenden Aufsatz über die religiösen Ideen des Polybios eine deutliche Gegenposition zu Walbank bezogen.181 Er trat entschieden für die Tyche bei Polybios als ernstgemeinter religiöser beziehungsweise metaphysisch zu verstehender Begriff ein, der – so sein nach Pédech „letztes Wort“ – der Ausdruck eines „rationalistischen Deismus“ sei und über die traditionelle griechische Götterwelt hinaus weise.182 Pédech zweifelt nicht an der „unité de la pensée“ des Geschichtsschreibers.183 Die Tyche ist dabei für ihn eine tatsächlich als solche existierende höhere, der menschlichen Erkenntnis überlegene Macht, die den Ablauf des historischen Geschehens „konstruiere“, die innere Ordnung (Oikonomie) des großen Prozesses regle und über deren Realisierung in umfassender Weise im Ganzen wie in Details wache.184 Ausdrücklich spricht Pédech von der Tyche als einer „fortune dominant de haut les affaires du monde“185 sowie von einem Polybios’ gesamtes Werk beherrschenden Glauben an eine höhere Macht,186 die den Lauf der Dinge regle und in deren Zeichen Polybios
177 Pol. III 5,7. 178 Pol. XXXIX 8,2. Vgl. auch ZIEGLER, Polybios (Anm. 1), Sp. 1539; außerdem die Bemerkung XXXVI 13,2 (oben, Anm. 83). 179 WALBANK, Commentary III (Anm. 6), 741. Dagegen: ECKSTEIN, Moral Vision (Anm. 36), 269. 180 Zu der in der zweiten Stelle erkennbaren Trennung der Tyche von ‚allen‘ anderen Göttern vgl. oben, S. 88f. 181 PÉDECH, Étude sur la religion (Anm. 149). 182 Ebenda 57. 183 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 336f. 184 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 339. Kritisch zu Pédech („nicht überzeugend“) WALBANK, Polybius (Anm. 47), 59, Anm. 163. – Zur „Oikonomie“ des römischen Weges zur Oikoumeneherrschaft bei Polybios vgl. I 4,3. 185 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 354. 186 Ebenda 341 („croyance en une puissance supérieure“).
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seine ganze Darstellung gestellt habe.187 Dabei unterscheidet er jedoch zwischen zwei verschiedenen Arten der Tyche,188 von denen die eine für die „Weltenlenkung“ zuständig sei, während die andere das unvorhersehbare Einzelereignis („le hasard“) verkörpere und dann von Polybios auch als ταὐτόματον, περιπέτεια, τὸ θεῖον oder τὸ δαιμόνιον bezeichnet werde.189 Die Bedeutung der Tyche bei Polybios bewege sich insofern zwischen zwei weit auseinanderliegenden Extremen, von der zielgerichteten „Weltregierung“ bis zum unvorhergesehenen Einzelereignis, die über eine Anzahl von Zwischenstufen miteinander verbunden seien.190 Dabei habe Polybios der „destruktiven und launenhaften“ Tyche des Demetrios von Phaleron eine „konstruktive und fast vernünftige“ Tyche entgegengesetzt, die eine feste Absicht verfolge wie die Errichtung der römischen Herrschaft über (beinahe) die ganze Oikoumene.191 Nach Pédech hätte Polybios im Lauf seiner Darstellung außerdem dazu tendiert, die Bedeutung der Tyche als „hasard“ zurückzudrängen und zugleich der Tyche als „fortune“ eine wachsende Rolle zuzuschreiben und habe so am Ende auch den Andriskosaufstand als Laune der Tyche gesehen.192 Pédech stellt zugleich fest, dass Polybios’ Glaube an eine höhere Macht in Gestalt der Tyche, die souverän den Verlauf der geschichtlichen Ereignisse regle und eine „direction générale du monde“ ausübe,193 nirgends im Gegensatz zur Verantwortlichkeit des Menschen und der Wirksamkeit seiner Intelligenz steht.194 Ähnlich heißt es an anderer Stelle bei Pédech, dass die „Gottheiten“ des Polybios die menschlichen Angelegenheiten nicht „vollständig und souverän“ lenkten.195 Der Mensch sei für Polybios vielmehr grundsätzlich frei.196 Die jenseitigen Mächte behielten sich zwar vor, den Menschen zu helfen oder sich gegen sie zu stellen, aber ihre Macht sei weder grenzenlos noch kontinuierlich wirksam, und der auf die Vernunft gestützte menschliche Wille behielte seine Autonomie in der Geschichte.197 Gegen die Sicht Pédechs lässt sich mancherlei einwenden,198 wovon hier nur auf Weniges verwiesen werden kann. Problematisch erscheint die Unterscheidung von zwei verschiedenen Arten der Tyche als „fortune“ und „hasard“ sowie die
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Ebenda 341; 338. Ebenda 348. Ebenda 338. Ebenda 337. Ebenda 341. Ebenda 345f. Letzteres bleibt freilich schon deshalb problematisch, weil Polybios den Aufstand nicht auf die Tyche, sondern einen δαίμων und θεοί zurückführt (vgl. oben, S. 74f.). PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 353. Ebenda 354. PÉDECH, Étude sur la religion (Anm. 149), 68. Vgl. auch ROVERI, Tyche (Anm. 1) (oben S. 98 mit Anm. 160). Ebenda. Zur Kritik an Pédech vgl. vor allem VAN HOOFF, Reason and Religion (Anm. 1); dazu auch das Folgende.
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Gleichsetzung der letzteren mit τὸ θεῖον, τὸ δαιμόνιον, περιπέτεια und ταὐτόματον. Alle diese Begriffe haben jeweils ihre spezielle Bedeutung und sind nicht mit der ‚Tyche als hasard‘ identisch.199 Weiterhin ist festzustellen, dass Polybios nirgends von der Tyche als „höchster Gottheit“ spricht,200 wie überhaupt Pédechs Verständnis der Tyche („fortune“) bei Polybios als „Gottheit“ beziehungsweise „Göttin“ fragwürdig ist. Diese Auffassung ist zwar keineswegs auf ihn beschränkt, doch wurde oben bereits festgestellt, dass, sooft die Tyche von Polybios auch gleichsam in einem Atemzug mit den Göttern genannt wird, sie doch niemals selbst ausdrücklich als Göttin bezeichnet oder für das θεῖον in Anspruch genommen wird.201 Dass bei Polybios überhaupt „die Götter“ und die Tyche „offenkundig äquivalent“ seien,202 ist angesichts der durchgehend vorgenommenen, sorgfältigen Trennung beider Termini und nicht zuletzt auch der charakteristischen besonderen Eigenschaften der Tyche nicht zutreffend. Von den zwei jüngst erschienenen Arbeiten von Brian McGing (2010) und Lisa I. Hau (2011) folgt die erste mehr der Auffassung Walbanks von der Tyche als lediglich rhetorischer Größe bei Polybios, während die andere eher zum Ernstnehmen der Tyche als einer tatsächlich vorhandenen „jenseitigen“ Kraft neigt. Im Kapitel „Fate/Chance (Tyche)“ seines Polybiosbuches legt McGing dar, dass die Tyche bei Polybios sowohl „Zufall“ (chance) als auch „Schicksal“ (fate) bedeuten könne. Beides sei für Polybios, weil außerhalb der menschlichen Kontrolle befindlich, „funktionell ähnlich“, was aber manchmal zu Verständnisschwierigkeiten führen könne.203 Er unterscheidet sodann mehrere Verwendungsarten des Begriffs Tyche bei Polybios. Manchmal habe sie nur den Charakter einer nichtssagenden Redeweise, wie wenn man heute etwa sage „das Schicksal wollte es so“.204 An anderen Stellen dagegen könne es keinen Zweifel darüber geben, ob Polybios mit Tyche den „Zufall“ oder das „Schicksal“ meine. Dies gelte für die gegen bestimmte griechische Geschichtsschreiber gerichtete Bemerkung I 63,9 wie für den Kommentar zu der Schlacht bei Kynoskephalai (XVIII 28,4–5), wo mit „Tyche“ jeweils offensichtlich der „Zufall“ gemeint sei (dem Rom seinen Erfolg nicht zu verdanken gehabt hätte). Doch sei nicht weniger klar, dass Tyche in I 4,4 sowie VIII 2,3 nicht als „Zufall“, sondern als „Schicksal“ oder „Vorsehung“ zu verstehen sei. Doch bleibe auch dann noch immer die Frage, ob Polybios damit eine tatsächlich existierende „höhere Macht“ (superior power) meine oder es sich doch nur um eine bloße Redeweise (manner of speaking) handle. Letzteres betrachtet McGing als die richtige Antwort.205 Auch im Falle des An199 200 201 202 203 204
Anders PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 337f.; dazu oben, S. 89; 91f. Vgl. PÉDECH, Étude sur la religion (Anm. 149), 57. Vgl. oben, S. 88f. So VAN HOOFF, Reason and Religion (Anm. 1), 120f. MCGING, Polybius’ Histories (Anm. 61), 195. Die beiden dafür als Belege angeführten Stellen (Pol. I 86,7: Spendios und Hannibal am gleichen Kreuz, vgl. oben, S. 93, Anm. 119; V 42,8, wo von der Verleihung eines ‚Siegerkranzes‘ durch die Tyche die Rede ist) lassen sich kaum im Sinne McGings verstehen. 205 MCGING, Polybius’ Histories (Anm. 61), 197.
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driskosexkurses erklärt er, dass Polybios bei dem Rückgriff auf δαιμονοβλάβεια und μῆνις θεῶν als Erklärung für die Aufstandsbewegung nicht an eine übernatürliche Kraft denke, sondern (wie in der großen Mehrzahl der Fälle, in denen Polybios die Tyche anführe) lediglich von einer rhetorischen Möglichkeit Gebrauch mache, rational Unerklärbares zu kennzeichnen. Gemeint sei hier einfach, dass die Makedonen ihren Verstand verloren hätten und irrational handelten.206 Ähnlich sei auch die Lenkung großer, von Polybios der Tyche zugeschriebener historischer Vorgänge wie die Entstehung der römischen OikoumeneHerrschaft zu verstehen. Die Annahme einer derartigen übernatürlichen Leitung stünde in Widerspruch zum Hauptziel der Historien, der Einübung in praktische staatsmännische Tätigkeit. Ebenso sei nicht vorstellbar, dass Polybios, nachdem er in I 1 und I 3 ausdrücklich die römische Verfassung als entscheidende Ursache des römischen Erfolgs bezeichnet hatte, dafür in I 4 die Tyche als eine überirdische Kraft verantwortlich mache. Hier könne es sich nicht um einen Widerspruch, sondern nur um „zwei verschiedene Ausdrucksweisen“ (two different modes of expression) für dieselbe von Polybios gemeinte Sache handeln. Die Berufung auf die Tyche mache die römische Expansion allerdings zu etwas wahrhaft Großem und würde zugleich erklären, warum gerade Rom die Herrschaft über die Oikoumene zugefallen sei, und auch warum gerade in jener Zeit.207 Auf einem derartigen Abstraktionsniveau stehe die Sprache von einer „designing force“ in der Welt nicht im Widerspruch zu den von Polybios noch kurz zuvor dargestellten politischen und militärischen Faktoren und Realitäten. Dies sei jedoch eine viel eindrücklichere Form des Redens über das nicht Wissbare als das bloße Zugeständnis des Nichtwissens, auch wenn es grundsätzlich eine Anerkennung der Grenzen der rationalen Erklärung bleibe. Polybios habe insofern auch hier keine „göttliche Macht“ (divine force) vor Augen gehabt. Die Tyche habe ihm – im Einklang mit den sprachlichen Mitteln der Griechen – lediglich als rhetorisches Mittel gedient, seiner Darstellung eine besondere Würde zu verleihen.208 Auch hier erscheint das bereits von Walbank favorisierte Verständnis der Tyche als von Polybios bewusst eingesetztes, aber lediglich stilistisches Element, um dem Thema seines Werkes größeren Glanz zu verleihen, problematisch. Allgemein fügt sich der angebliche Vorrang der Rhetorik vor der sachlich-nüchternen Betrachtung schlecht zu der dezidierten Ablehnung der „ἔκπληξις τῶν ἀκουόντων“209 in der „pragmatischen“ Geschichtsschreibung des Polybios wie auch zu den im ganzen Werk wiederkehrenden Reflexionen über die Tyche, die
206 Pol. XXXVI 17,15; MCGING, Polybius’ Histories (Anm. 61), 197f. 207 MCGING, Polybius’ Histories (Anm. 61), 98–200. Daneben nennt McGing (200f.) außerdem die zahlreichen gleichzeitigen Herrscherwechsel, mit denen Polybios seine kritische 53jährige Periode beginnen lässt (IV 2,4, vgl. oben, Anm. 118), die Bestrafung der makedonischen und seleukidischen Herrscher durch die Tyche (XV 20) sowie die Bestrafung Philipps V. (XXIII 10). 208 MCGING, Polybius’ Histories (Anm. 61), 200f. 209 So Pol. XV 34,1; vgl. oben, S. 77, Anm. 22.
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zeigen, dass es ihm jeweils um die Tyche als Problem und nicht nur um bloßen rhetorischen Glanz ging. Auch die Bewunderung für die Ausführungen des Demetrios von Phaleron über die Rolle der Tyche ist kaum mit ihrem Verständnis als einer letztlich lediglich stilistischen Größe zu vereinbaren. Desgleichen können ferner die beiden Äußerungen zu Beginn und am Schluss der Historien über die persönliche Bedeutung der Tyche für Polybios kaum einfach als konventionelle und nichtssagende Formeln verstanden werden, zumal wenn man sie zusammen nimmt mit den auf Schritt und Tritt begegnenden Verweisen auf ihre Rolle im geschichtlichen Ablauf. Allein die langen Erörterungen noch in XXXVI 17 über die Bedeutung der Tyche für die pragmatische Geschichtsschreibung erscheinen kaum motiviert, wenn es nach McGing Polybios lediglich um die Feststellung zu tun war, dass beim Aufstand des Pseudophilippos die Makedonen den Verstand verloren und irrational gehandelt hätten.210 Hier und allenthalben sonst kommt man schwerlich um die Erkenntnis herum, dass „die“ Tyche für Polybios eine tiefere Bedeutung hat als die einer rein rhetorischen Floskel zur verbalen Überhöhung des Gegenstandes seiner ‚pragmatischen‘ Geschichtsschreibung. In manchem vergleichbar mit McGing versucht Lisa I. Hau in einer eingehenden neuen Behandlung des Tyche-Problems unter Berufung auf allgemeine Erzähltheorien zwei grundsätzlich verschiedene „narratorische Register“ beziehungsweise „Modi“ bei Polybios zu unterscheiden, nämlich den ‚Modus‘ des analytischen, ‚wissenschaftlichen‘ und oft methodisch polemisierenden Historikers auf der einen und den des „rhetorischen Geschichtenerzählers“ auf der anderen Seite.211 Im narratorischen Register des ‚rationalistischen‘ Historikers sei die Tyche eine „mystische Kraft“, deren Bedeutung er herunterspiele und deren Verwendung für die historische Erklärung er lächerlich mache.212 Dagegen habe er in seinem „storyteller“-Modus, mit dem er die Leser fesseln wollte, keine Bedenken gehabt, wichtige Ereignisse dem Wirken der Tyche zuzuschreiben,213 wobei es Polybios aber immer in erster Linie auf die Wirkung auf die Menschen angekommen sei und nicht auf die unerforschlichen Motive der Tyche.214 Außerdem gehe es Polybios bei der Tyche vorzugsweise gar nicht um rational nicht Erklärbares, sondern um Unerwartetes, Folgenschweres oder verblüffende Koinzidenzen.215 Dem rationalistischen ‚Modus‘ in seiner Darstellung zum Trotz betrachtet die Autorin im Gegensatz zu McGing die Tyche bei Polybios jedoch nicht als bloßes rhetorisches Hilfsmittel, sondern konstatiert bei ihm einen Glauben an eine tatsächliche übermenschliche, in die menschlichen Angelegenheiten eingreifende
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MCGING, Polybius’ Histories (Anm. 61), 198. HAU, Tychê (Anm. 11), 183; 186; 188f.; 193; 204. Ebenda 204. HAU, Tychê (Anm. 11), 193. HAU, Tychê (Anm. 11), 196. Diesen Gesichtspunkt hatte bereits A. Roveri besonders betont (vgl. oben, S. 99). 215 Vgl. HAU, Tychê (Anm. 11), 196–199.
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Macht.216 Polybios könne zwischen beiden narrativen Strategien ohne Schwierigkeiten hin- und herwechseln,217 wobei er vereinzelt auch an die griechische literarische Tradition einer „double determination“, d.h. einer Art von ‚zweigleisiger‘, sowohl menschlicher wie übermenschlicher Erklärung eines historischen Vorgangs anknüpfe.218 So zutreffend ein großer Teil der Beobachtungen von Hau sein dürfte, insbesondere zu den für den menschlichen Verstand beziehungsweise den Geschichtsschreiber prinzipiell nicht erkennbaren Motiven und Absichten der Tyche, erheben sich doch auch hier Fragen, zumal hinsichtlich der von der Autorin aufgestellte These einer – offenbar bewussten – „Dichotomie“219 zweier die gesamten Historien durchziehender, gegensätzlicher „narrativer“ Strategien, „Register“ oder „Modi“. Ganz abgesehen davon, ob das Hin und Her zwischen den beiden Registern für den Leser ohne Weiteres nachvollziehbar war, erscheint eine gänzlich konträre Bedeutung der Tyche, je nachdem ob Polybios in rationalistischer Manier historische Kausalitäten analysiert oder auf die Unterhaltung der Leser aus ist,220 kaum überzeugend, da sich dieses mit den methodologischen Überlegungen des Polybios zumal zur Frage der αἰτίαι in seiner Darstellung schlechterdings nicht vereinbaren ließe. So stimmt es auch bedenklich, dass die Autorin etwa von dem Andriskos-Exkurs annehmen muss, dass er als „Programm“ für die Behandlung der Frage nach den αἰτίαι in der pragmatischen Geschichtsschreibung in den Historien insgesamt gemeint gewesen sei.221 Auch zu Polybios’ Prinzip, dass das ἐκπλήττειν der Leser nicht die Aufgabe der pragmatischen Geschichtsschreibung sei, steht eine Rolle als „storyteller“, in der er alle seine methodischen Grundüberzeugungen von den historischen αἰτίαι ausblendet, in erheblichem Widerspruch.
Zusammenfassung: Die Tyche bei Polybios Abschließend sei versucht, die Hauptresultate der vorliegenden Überlegungen über die Rolle der Tyche in den Historien des Polybios knapp zusammenzufassen. Der ausgesprochen methodenbewusste Autor, der Polybios war, definierte sein Werk ausdrücklich als einer bestimmten historiographischen Gattung zugehö-
216 Ebenda 190; 193; 202; 204f. 217 Ebenda 193. 218 Ebenda 192f.; 199; 204. Die Dinge liegen allerdings bei den älteren Autoren doch anders, und speziell bei dem der Tyche von Polybios des öfteren zugeschriebenen „working through or in conjunction with human agents“ (ebenda 199) handelt es sich weniger um eine „doppelte“ als eine gewissermaßen zusätzliche Unterstützung des Betreffenden durch die Tyche. Vgl. auch oben, S. 92 mit Anm. 106. 219 So HAU, Tychê (Anm. 11), 189. 220 HAU, Tychê (Anm. 11), 193. 221 HAU, Tychê (Anm. 11), 188. – Es dürfte sicher sein, dass die Ausführungen im 36. Buch nicht ein „Programm“ sein sollten, sondern eine „Klarstellung“ anlässlich der Frage nach den αἰτίαι des Pseudophilippos-Aufstandes.
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rig, nämlich der „pragmatischen Geschichtsschreibung“ beziehungsweise einer Darstellungsweise, die primär auf die „πράγματα“, d.h. („Staats“-)Geschäfte ausgerichtet war. Gemeint ist damit im Wesentlichen die politische Geschichte, in deren Mittelpunkt entsprechend der Haupttradition der griechischen Historiographie die bedeutungsvollen Ereignisse im Leben primär von Ethne, Poleis und großen Reichen als Subjekten des Geschehens standen. Dabei sind mit den πράγματα grundsätzlich die „menschlichen“ πράγματα gemeint, die, als von Menschen bewirkt, mit den sie bestimmenden Motivationen und Zielen prinzipiell auch vom menschlichen Verstand, von λόγος und λογισμοί erfasst werden können. Doch λόγος und λογισμοί des Menschen haben für den Geschichtsschreiber Polybios ihre unübersteigbaren Grenzen. Angesichts des immer wieder zu registrierenden Unvorhersehbaren, Nichtkalkulierbaren und geradezu „Vernunftwidrigen“ (παράλογον) im historischen Geschehen greift er daher zu der im griechischen Geschichtsdenken verbreiteten Vorstellung von „der Tyche“ und gelangt auf diese Weise zu der Unterscheidung von zwei großen, die Geschichte bestimmenden Hauptfaktoren, den αἰτίαι und der Tyche. Bei den „αἰτίαι“ handelt es sich um die nach Polybios’ Credo prinzipiell bei jedem historischen Vorgang existierenden „Ursachen“. Das sind für ihn die auf menschlichem vernünftigen Planen und Handeln basierenden und damit für den Geschichtsschreiber auch grundsätzlich nachvollziehbaren historischen Ereignisse. Die Erkenntnis dieser αἰτίαι bildet für ihn die Hauptaufgabe der pragmatischen Geschichtsschreibung. Die Tyche zeigt sich demgegenüber im Unerwarteten, nicht Berechenbaren und nicht an αἰτίαι Gebundenen in der Geschichte und stellt eine die menschlichen Fähigkeiten übersteigende, übermenschliche Kraft dar. Diese wirkt zwar vielfach und z.T. folgenschwer auf das geschichtliche Geschehen ein, aber anders als die für Polybios prinzipiell immer vorhandenen αἰτίαι doch nicht in jedem Falle, da es gewissermaßen zur Unberechenbarkeit der Tyche gehört, dass sie in die menschlichen Angelegenheiten auch nicht eingreift. Eine Hauptforderung des Polybios für die pragmatische Geschichtsschreibung lautet daher, dass bei allen historischen Vorgängen besonders deren αἰτίαι zu klären und darzustellen seien, dass aber auch die Rolle des anderen Hauptfaktors in der Geschichte, der Tyche, soweit diese daran beteiligt war, berücksichtigt werden müsse. Außerdem müsse, so Polybios, wenn irgend möglich, unbedingt vermieden werden, historische Vorgänge ganz ohne mit der menschlichen Vernunft erfassbare αἰτίαι der Tyche allein zuzuschreiben. In den Augen des Polybios wäre damit der Boden der pragmatischen Geschichtsschreibung verlassen. Sein ganzes Werk ist durchdrungen von der systematischen Trennung der beiden Bereiche: Die Tyche erscheint ihrerseits in der pragmatischen Historiographie niemals als eine „αἰτία“, und auch für ihr Wirken werden – ganz im Gegensatz zum menschlichen Handeln – nie Begriffe wie πράττειν, πρᾶξις oder πρᾶγμα verwendet, während umgekehrt als αἰτίαι in der Geschichte für Polybios ausschließlich solche Tatbestände gelten können, die auf einem von der menschlichen Vernunft erfassbaren menschlichen Planen und Handeln beruhen. Es ist die Unerforschlichkeit der Tyche für die menschliche Vernunft, die Polybios immer wieder darin zu bestärken scheint, ihre Rolle im geschichtlichen
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Verlauf mit besonderer Aufmerksamkeit zu verfolgen. Den Begriff der Tyche verwendet er dabei in den verschiedensten Zusammenhängen, wodurch die Tyche bei ihm dann doch einige erkennbare und kohärente Konturen gewinnt. Zu ihren festen Merkmalen gehören in erster Linie ihre grundsätzliche Unberechenbarkeit, Wechselhaftigkeit und Unzuverlässigkeit. Aufmerksamkeit verdient auch, dass die Tyche bei Polybios nie als förmliche „Gottheit“ erscheint, sondern konsequent von der populären traditionellen Götterwelt abgetrennt wird, unter anderem wohl auch deshalb, weil sie in seiner Sicht im Gegensatz zu den traditionellen Göttern eine besondere Bedeutung für den Geschichtsverlauf beziehungsweise die menschlichen πράγματα besitzt. Wenn für Polybios αἰτίαι und Tyche, das bewusste menschliche Handeln und eine über die menschliche Vernunft hinausweisende „höhere“, vom Menschen nicht kontrollierbare Kraft, als Hauptfaktoren des historischen Geschehens zu gelten haben, so gibt es für ihn daneben noch eine dritte hier zu erwähnende Möglichkeit der historischen Verursachung, und zwar den „Zufall“. Über dessen Rolle bei ihm hat man zwar auch vielfach diskutiert, nicht zuletzt unter der Fragestellung, wie weit der Begriff der „Tyche“ auch lediglich den Zufall bezeichnen kann. Dies scheint an den freilich seltenen Stellen, in denen Polybios statt von ἡ τύχη nur ein artikelloses τύχη verwendet, der Fall zu sein.222 Es könnte damit zusammenhängen, dass der Wortstamm τυχ- ursprünglich nur das Zufällige ohne einen „religiösen“ Nebensinn bezeichnete. Der Hauptbegriff für den Zufall bei Polybios ist jedoch ταὐτόματον, wobei es allerdings deutlich sein dürfte, dass der bloße Zufall für ihn insgesamt etwas eher Beiläufiges ohne tieferen Erkenntniswert darstellte. Was schließlich das Problem des „Wesens“ der Tyche bei Polybios betrifft, so stellt sich die Frage, ob der sich so vielfach ausgesprochen „rationalistisch“ gebende Geschichtsschreiber an die Tyche als einen zwar für den Menschen nicht greif- und kontrollierbaren, aber doch tatsächlich existierenden übermenschlichen, den Gang der Geschichte wesentlich mitbestimmenden Faktor „glaubte“. Während er nach Konrat Ziegler zwischen der gelegentlichen Ahnung von der Tyche als einer tatsächlich existierenden „Himmelsmacht“ und deren Leugnung selbst geschwankt habe, war für Attilio Roveri die Tyche bei Polybios das Unerkennbare, das „x“ in der Geschichte und habe etwa für die Erklärung von Roms Aufstieg allenfalls zu Beginn des Werkes als eine Art „Werbeetikett“ für dessen spätere detaillierte Darstellung gedient. Frank W. Walbank sah die Aussagen des Polybios über die Tyche im Wesentlichen als konventionelle, nichtssagende rhetorische Floskeln und legte diese Interpretation bei zahlreichen diesbezüglichen Stellen in seinem Kommentar zugrunde. Für ihn boten die Ausführungen des Geschichtsschreibers zur Tyche zugleich Anlass zu deutlicher Kritik an den denkerischen und darstellerischen Fähigkeiten des Autors, der weder über eine hinreichende denkerische Klarheit noch über genügend sprachliche Sensibilität verfügt habe,
222 Vgl. oben, S. 90.
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um die Widersprüche in seinen Darlegungen über die Tyche zu erkennen. Die Verwendung dieses Ausdrucks überhaupt sei bereits ein Fehlgriff gewesen, da er selbst von vornherein denkbar ungeeignet für eine klare Gedankenführung gewesen sei. Demgegenüber hat vor allem Paul Pédech die Auffassung verfochten, dass bei Polybios eine feste und von ihm ‚geglaubte‘ Vorstellung von einer tatsächlich als „göttlicher“ Instanz existierenden Tyche vorliege, bei der die „direction générale du monde“ liege. Von einer derartigen „Allmacht“ der Tyche kann bei Polybios freilich kaum gesprochen werden. Neuerdings hat Brian McGing den Nachweis versucht, dass den unterschiedlichen Berufungen des Polybios auf die Tyche zwar verschiedene ‚manners of speaking‘ zugrunde lägen, diese aber dennoch lediglich als bloßes rhetorisches Mittel zu verstehen seien und somit nicht als Aussage über die tatsächliche Existenz der Tyche gewertet werden könnten. Demgegenüber hat jüngst Lisa I. Hau zwar auch für unterschiedliche „narratorische Register“ bei Polybios plädiert (als methodisch strenger Geschichtsschreiber einer- und, davon zu trennen, als „storyteller“ über die dramatischen Eingriffe der Tyche andererseits), wobei sie jedoch anders als Walbank und McGing deutlich an einen „Glauben“ des Polybios an die objektive Existenz der Tyche als das mit seinen Texten am besten zu vereinbarende Verständnis denkt. Zwar besteht kein Zweifel, dass es sich für Polybios bei den nicht seltenen Personifizierungen und den Vergleichen der Aktivität der Tyche mit menschlichen Tätigkeiten (Kampfrichter, Theaterveranstalter und Vergleichbares) in der Tat – wie für jeden Leser klar war – lediglich um rhetorische Figuren zur Veranschaulichung des Wirkens der Tyche handelte. Auch ein gelegentlich erscheinender Begriff wie „τύχη τις“ deutet zweifellos auf eine gewisse Unsicherheit bei Polybios selbst hin. Andererseits beziehen sich die verhältnismäßig häufig erscheinenden „als ob“-Formulierungen bei Erwähnungen der Tyche nicht auf die Frage nach deren tatsächlicher Existenz, sondern auf das (für die menschliche Vernunft unlösbare) Problem ihrer Motivation. Doch dürfte es in der Tat eine Reihe von Argumenten geben, die für die Tyche als eine in der Auffassung des Geschichtsschreibers real existierende „jenseitige“ Macht sprechen. Dazu gehören in erster Linie die immer wieder neu angestellten Reflexionen über die Tyche und ihre Rolle für den Geschichtsschreiber, dazu etwa die hohe Wertschätzung des Polybios für den Philosophen Demetrios von Phaleron und dessen ‚prophetische‘ Voraussage in seinem Werk „Περὶ τῆς τύχης“ sowie die beiden persönlichen Bemerkungen in den Historien über sein Verhältnis zu der Tyche. So lässt Polybios ungeachtet aller ausgeprägt rationalistischen Züge, zumal in seinem αἰτία-Denken, offensichtlich eine ausgesprochene Sensibilität für die Grenzen der auf den λόγος und λογισμοί des Menschen gegründeten Vernunft erkennen, welche nach seiner Auffassung auch die pragmatische Geschichtsschreibung nicht ignorieren darf und die ihren augenfälligsten Ausdruck in der sich immer wieder manifestierenden, nicht zu leugnenden Kraft der Tyche in der Geschichte gefunden haben. Insofern blieb allen seinen methodologischanalytischen Bemühungen zum Trotz auch die scheinbar weithin im Einklang mit dem modernem Geschichtsverständnis stehende „pragmatische“ Geschichts-
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schreibung des Polybios zu einem nicht zu eliminierenden Teil im Banne vormoderner historiographischer Vorstellungen, ob man diese nun als metaphysisch, transzendent, religiös oder noch anders bezeichnen will.
Nachtrag Erst nach Abschluss der vorstehenden Überlegungen erschien die neue Arbeit von Felix K. Maier, „Überall mit dem Unerwarteten rechnen“. Die Kontingenz historischer Prozesse bei Polybios, München 2012 (Vestigia, Bd. 65). Sie enthält auch ein spezielles, gedankenreiches Kapitel zum Problem der Tyche (S. 210–248), das an dieser Stelle nicht näher diskutiert werden kann, auf dessen Hauptgesichtspunkte jedoch wenigstens kurz hingewiesen werden soll. Besondere Beachtung verdient dabei zum einen die These, dass eine genaue Definition der Tyche bei Polybios nicht möglich sei (vgl. S. 215, 223f., 227f., 245 ), zum anderen aber der ausführlich begründete Versuch, mit Hilfe einer „radikalen Tyche-Dekonstruktion“ (S. 247) bei Polybios vor allem den dem heutigen Leser als Problem ins Auge springenden vielfachen ‚Dualismus‘ von rationalen und „metaphysischen“ Elementen in Gestalt der Tyche bei dem Geschichtsschreiber plausibel zu machen. Die metaphysischen Erklärungen entsprächen dabei grundsätzlich nie der eigenen Auffassung des Polybios, sondern seien von ihm jeweils anders – ‚nichttranszendental‘ – zu verstehen. So bedeuteten die häufig begegnenden “Als ob die Tyche...“- Formulierungen (vgl. oben, S. 93) stets die ausdrückliche Leugnung eines Eingreifens der Tyche vonseiten des Polybios (S. 226f.). An einer Reihe von anderen Stellen gäbe die Rolle der Tyche statt der Auffassung des Polybios die Perspektive der an den geschilderten Ereignissen beteiligten Zeitgenossen im Gegensatz zu der Sicht des Geschichtsschreibers wieder (S. 229, 231f., 241). Wiederum andere Tychestellen dienten auch – im Rahmen der „rhetorischen Strategie“ des Polybios (S. 241) – entweder nur der „Markierung des Besonderen“ (S. 244), oder, wenn sich Polybios selbst dennoch offensichtlich auf die Tyche als ‚übernatürliche‘ Instanz berufe, der Verständlichmachung von Erklärungen für einen – tychegläubigen – „Teil seiner Leserschaft“ (S. 243) beziehungsweise zeige sich hier ein „entgegen seiner eigenen Auffassung“ (S. 242) unternommenes Eingehen auf die „Gedankenwelt mancher seiner Zeitgenossen“ (ebd.) und damit „eine Konzession an den gedanklichen Horizont seiner Leser“ (S. 248). Im Übrigen aber habe die Tyche in den „Historien“ lediglich „marginale“ Bedeutung (S. 224) für den tatsächlichen historischen Prozess und hätte Polybios’ Werk unschwer ohne jede Bezugnahme auf die Tyche geschrieben werden können (ebd., Anm. 69). – Als weiterhin bestehende, empfindliche Forschungslücke wird man in dem ganzen Zusammenhang das Fehlen einer umfassenden Darstellung der Tyche in der antiken Geschichtsschreibung verbuchen müssen.
ZUR ROLLE DER GEOGRAPHISCHEN SCHILDERUNGEN BEI POLYBIOS Frank Daubner, Stuttgart
... in the long run autopsy counts for most Nicholas Geoffrey Lemprière Hammond1
Zur Leistung des Polybios auf dem Gebiet der Geographie finden sich in der Forschungsliteratur scheinbar sehr entgegengesetzte Meinungen, die die Uneinigkeit über seinen Platz in der Geschichte der antiken Geographie widerspiegeln. Eckart Olshausen schreibt in seiner „Einführung in die Historische Geographie der Antiken Welt“, Polybios könne „zu Recht beanspruchen, der Begründer der modernen Historischen Geographie genannt zu werden“, da er als erster eine Begründung für die Notwendigkeit geliefert habe, Geschichtsdarstellungen grundsätzlich mit der dazugehörigen geographischen Folie zu hinterlegen.2 William Tarn schätzt seine Bedeutung ganz anders ein: „Die hellenistische Geographie beginnt als Wissenschaft und endet als Literatur (...) Das Nützlichkeitsdenken des Polybios war schuld daran, daß sich das Interesse der Allgemeinheit der beschreibenden Geographie zuwandte.“3 Frank Walbank spricht sogar davon, daß Polybios keinen ernsthaften Beitrag zur wissenschaftlichen Geographie geleistet habe.4 Die vielen Beiträge, die seit eineinhalb Jahrhunderten zum Problem der polybianischen Geographie erschienen sind, bewegen sich also zwischen zwei Polen: Am einen Ende stehen diejenigen, die in ihm den „neuen Herodot“ sehen,5 am anderen Meinungspol wird ihm nicht nur jeder originelle, sondern auch jeder nützliche und weiterführende Beitrag abgesprochen.6 Versuche einer korrekten Klassifizierung blieben 1
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N. G. L. HAMMOND, A History of Macedonia vol. I: Historical Geography and Prehistory, Oxford 1972, VII. Ich danke Volker Grieb und Clemens Koehn für die Einladung zur Tagung und den Themenvorschlag; Nadin Burkhardt (Frankfurt/M.) und Eckart Olshausen (Stuttgart), die das Manuskript gelesen haben, bin ich für Anregungen und Hinweise dankbar. E. OLSHAUSEN, Einführung in die Historische Geographie der Antiken Welt, Darmstadt 1991, 7. W. TARN, Die Kultur der hellenistischen Welt, Darmstadt 1966, 344f. F. W. WALBANK, The Geography of Polybius, in: ders., Polybius, Rome and the Hellenistic World, Cambridge 2002, 31–52; 49 (zuerst C&M 9 [1948], 155–182). Bereits bei H. BERGER, Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen, Leipzig 2 1903, 499. In der Tradition Herodots sieht ihn auch B. MCGING, Polybius’ Histories, Oxford 2010, 55–57; vgl. auch 81–83. Besonders vehement schon von J. PARTSCH, Rez. zu E. H. BUNBURY, A History of Ancient Geography, London 1879, in: GGA 1881, 321–337; 328–337. Zur Diskussion siehe C. VAN PAASEN, The Classical Tradition of Geography, Groningen 1957, 290–293.
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regelmäßig erfolglos, wie exemplarisch bei Paul Pédechs Problemen mit dem Geographen Polybios zu beobachten ist.7 Katherine Clarke versucht ihn daher auf eine einigermaßen theoretische Weise auch eher in eine Reihe mit den „geographischen“ Geschichtsschreibern Poseidonios und Strabon zu stellen, da Polybios neben der Geschichte die Geographie als eine der Repräsentationsformen der Welt betrachte, die als vorgegebene Komponente die Geschichte nicht nur beeinflusse, sondern mit ihr interagiere.8 Im folgenden soll dahingehend argumentiert werden, daß die Geographie des Polybios ihren Ort nicht innerhalb der Geschichte der antiken Geographie hat, die ohnehin seit Hekataios kein von der Geschichte abgegrenztes Wissenschaftsfeld mehr darstellte,9 sondern daß sie integraler Bestandteil seines didaktischen Geschichtskonzeptes ist und aus diesem heraus verstanden werden sollte. Die geographischen und topographischen10 Angaben und Schilderungen folgen einem historisch-didaktischen Zweck. Das soll anhand der unterschiedlichen Kategorien von Beschreibungen geprüft werden. Abschließend soll anhand einiger Fallbeispiele aus dem illyrischen Raum die Frage betrachtet werden, unter welchen Umständen Polybios eine geographische Beschreibung des historischen Handlungsraumes für notwendig erachtete und wann nicht. Es scheint vorerst angebracht und praktikabel zu sein, im Rahmen dieses Bandes nicht die ganze Vielfalt der polybianischen Geographie mehr oder weniger kursorisch zu streifen, sondern ein prägnantes und für ihn typisches Phänomen beispielhaft deutlich zu machen. Meine Argumentation bezieht sich zu einem guten Teil auf den Artikel „,... zu vertrauten Vorstellungen führen‘ – Die Funktion der Geographie im didaktischen Geschichtsbild des Polybios“ von Felix K. Maier.11 Darin wird gezeigt, wie die unterschiedlichen Methoden des Polybios, Handlungsräume zu verorten, eben nicht darauf abzielen, sachliche Informationen geographischer Natur zu liefern, sondern darauf, geographische Räume, die mit geschichtlichen Erfahrungen verknüpft sind, wiederholbar zu machen, also zu ab7
P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964, 515–595. Pédech versucht, eine Entwicklung des Polybios vom Politiker zum Wissenschaftler zu erkennen. Ebd. 516: „(...) surtout elle (die Untersuchung der Geographie in den polybianischen πράξεις) nous fait assister à un spectacle rare dans l’Antiquité, la transformation d’un homme politique en savant.“ 8 K. CLARKE, Between Geography and History. Hellenistic Constructions of the Roman World, Oxford 1999, 77–128. 9 WALBANK, Geography of Polybius (Anm. 4), 32. Zum Ort des Polybios innerhalb der hellenistischen Geographie siehe den Versuch von G. AUJAC, Strabon et son temps, in: W. Hübner (Hrg.), Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in der Antike 2: Geographie und verwandte Wissenschaften, Stuttgart 2000, 103–139. Vgl. auch J.-G. TEXIER, Polybe géographe, in: DHA 2 (1976), 385–411. 10 Zum Unterschied zwischen geographischen und topographischen Angaben bei Polybios siehe P. PÉDECH, La culture de Polybe et la science de son temps, in: EntrHardt 20 (1974), 39–64. 11 F. K. MAIER, ‚... zu vertrauten Vorstellungen führen‘ – Die Funktion der Geographie im didaktischen Geschichtsbild des Polybios, in: Geogr. Ant. 19 (2010), 47–63. Der Autor hat mir dankenswerterweise das Manuskript zur Verfügung gestellt.
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strahieren, so daß sich ihre Eigenheiten auf andere Räume übertragen lassen und damit Orientierungen für Handlungsmöglichkeiten bieten. Die Analogie zum Geschichtsbild des Polybios ist offensichtlich: „Wenn ähnliche Situationen in der Vergangenheit zu der eigenen Zeit in Beziehung gesetzt werden, dann gibt einem das die Möglichkeit, sich vorausschauend ein Urteil über die Zukunft zu bilden“.12 Wenn nun der Feldherr frühere Ereignisse im Kontext ihrer Örtlichkeit untersucht, kann er durch topologische Analogien Handlungsoptionen ausfindig machen: „Auch der Ort der jeweiligen Operation spielt eine wichtige Rolle, weil er oft das unmöglich Scheinende möglich und das Mögliche unmöglich machen kann.“13 Zunächst allerdings eine Vorbemerkung zur Überlieferungssituation: Zwar ist diese im großen und ganzen bekannt,14 jedoch sollte noch einmal in Erinnerung gerufen werden, daß ein Großteil der Fragmente der Bücher 1–16 und 18 aus den Excerpta antiqua des 10. Jahrhunderts stammen, die besonders an taktischen und militärisch relevanten geographischen Fragen interessiert sind. Die Schlüsselstelle für dieses spezielle Überlieferungsinteresse ist Buch 9, Kapitel 12–16, in denen es allgemein um die Umstände geht, die bei einer militärischen Operation zu berücksichtigen sind, also um den Nutzen von Strategemen und die Bedeutung der Geländekenntnis. Aus diesen Exzerpten, die Kaiser Konstantin VII. neben dem Werk des Polyainos auf seinen Feldzügen als Handbuch mit sich führte, stammt die dichte Fülle an Beschreibungen von Städten und Landschaften, die Polybios so wertvoll für die Historische Geographie machen. Jedoch können sie nicht exemplarisch für das Gesamtwerk stehen, ebensowenig wie die Fragmente aus den Konstantinischen Exzerpten de legationibus im zweiten Werkteil, die den Eindruck hervorrufen könnten, Polybios gehe es hauptsächlich um Diplomatiegeschichte.15 Das 34. Buch, welches nach dem Abschluß der ursprünglich geplanten Geschichte des Aufstiegs Roms geographische Fragen behandeln sollte, ist zu fragmentarisch erhalten, als daß sich sichere Aussagen zu seinem Inhalt und zu seiner Stellung im Gesamtwerk treffen ließen. Auch Strabon, der überliefert, daß in diesem Buch, analog zur Vorgehensweise des Ephoros, die Topographie der Länder abgesondert von der Geschichtsbeschreibung abgehandelt worden sei,16 hilft nicht weiter. Für gewöhnlich werden Strabons Polybios-Zitate dem 34. Buch zugeordnet. Es ist aber keineswegs sicher, daß sie tatsächlich daraus stammen, da Strabon nachweislich auch andere Bücher des Polybios kannte. Wahrscheinlich
12 Pol. XII 25b; Übers. hier wie nachfolgend nach H. DREXLER (Polybios, Geschichte. Gesamtausgabe in zwei Bänden, eingeleitet und übertragen von H. Drexler, Zürich/München 21978). 13 Pol. IX 13,8; vgl. CLARKE, Geography and History (Anm. 8), 85. 14 K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI (Stuttgart 1952), Sp. 1440–1578; 1574–1577. 15 J. ENGELS, Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia, Stuttgart 1999, 151. 16 Strab. VIII 1,1. Vgl. Pol. XII 25d: Schreibtischhistoriker ähnelten denen, die versuchten, ein Schiff allein mit Hilfe von Büchern zu steuern. Polybios kennt zwei Begriffe für die Schreibtischhistoriker: Der Fachbegriff scheint οἱ λογικοί zu sein (Pol. XII 25e–f), während er, wenn es besonders polemisch werden soll, οἱ βυβλιακοί benutzt (Pol. XII 25g).
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ist, daß das verschollene 34. Buch eine Geographie der Ränder der Welt enthielt und damit an Herodot anknüpfte.17 Die häufig behandelten theoretischen Exkurse des Polybios zum Nutzen der Geographie erläutern vor allem die Notwendigkeit der Autopsie durch Reisen.18 Dadurch grenzt er sich von Schreibtischhistorikern und -geographen wie Timaios ab, ist sich aber freilich im klaren darüber, daß durch das Zusammenwachsen der Länder der Welt die notwendigen Reisen erst möglich geworden sind: „Denn darin liegt das Eigentümliche der Gegenwart, in der alle Länder zu Wasser und zu Lande zugänglich geworden sind, daß es nicht mehr zulässig ist, Dichter und Mythographen zu Zeugen für die unerforschten Gebiete zu nehmen, wie es die Alten zu tun pflegten (...), sondern man muß versuchen, auf Grund von unmittelbarer Erkundung und Erforschung den Lesern einen wirklich zuverlässigen Bericht zu bieten.“19
Und dementsprechend ist Polybios auch nie so vage und märchenhaft wie sein Zeitgenosse, der alexandrinische Schreibstubengelehrte Agatharchides von Knidos, der bisweilen für einen Geographen gehalten wird.20 Einen Eindruck von dessen Stil mag folgendes stark gekürzte Fragment über die Arabia Felix geben, das Diodor überliefert und das den Unterschied zu Polybios’ Schreibweise anschaulich macht: „Und weil der Boden des Landes ununterbrochen fast sämtliche der wichtigen Duftstoffe hervorbringt, ist es überall von Wohlgerüchen geradezu überdeckt (...) Und es herrscht offensichtlich ein geradezu göttlicher, mit Worten nicht faßbarer Duft, der auf die Sinnesorgane des einzelnen dort einwirkt (...) Selbst Vorüberfahrende, weit vom Festland entfernt, werden dieses Genusses noch teilhaftig (…) Denn der Wind weht diese Ausdünstungen wohlriechendster Blüten davon und trägt den Seeleuten vor der Küste viel angenehmes und dazu wohltuendes, gesundes Gemisch vom Besten zu (…) Und wer an einem solchen Ereignis je teilhat, der glaubt, die Eigenheit des Ambrosia der Göttersagen an sich zu verspüren: Das Übermaß an Wohlgeruch nämlich ist so, daß sich die entsprechenden Worte hierfür gar nicht finden lassen.“21
Ob das nun Wissenschaft oder alexandrinische Poesie ist; bei Polybios findet sich dergleichen nicht. Und hier wird auch klar, gegen wen – natürlich außer gegen Timaios und die nicht spezifizierten „Alten“ – er sich mit seiner Ablehnung der reinen Theorie absetzt: Gegen seine gelehrten Zeitgenossen, deren Tätigkeit er als Aristokrat, Politiker, Feldherr, Reisender oder Historiker wenig abgewinnen kann 17 VAN PAASEN, Tradition of Geography (Anm. 6), 305–307. 18 Pol. III 59; XII 25h. 19 Pol. IV 40. PARTSCH, Rez. zu Bunbury (Anm. 6), 328f., kommentiert lapidar: „Daß Polybius auf Grund der geographischen Kenntnisse, welche die Römischen Eroberungskriege gereift und Römische Schriftsteller z. Th. schon in historischen Werken niedergelegt hatten, vielfach in der Lage war, die Vorstellungen seiner Griechischen Landleute über die westlichen Mittelmeerländer zu berichtigen und zu erweitern, ist selbstverständlich. Das war sein Glück, nicht sein Verdienst.“ 20 Vgl. K. MEISTER, Agatharchides von Knidos, in: DNP 1 (Stuttgart 1996), Sp. 234. 21 Diod. III 46; Übersetzung: Diodoros, Griechische Weltgeschichte, übersetzt von G. WIRTH und O. VEH, Stuttgart 1992–2008.
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und deren Protagonist Agatharchides war, dessen einstige Aufgabe als γραμματικός es war, „die Seelen in ἀρετή auf das Erleiden menschlicher Schwierigkeiten vor[zu]bereiten“, wie eine Inschrift aus Priene trefflich das schildert, was von einem γραμματικός erwartet wurde.22 Im dritten Buch erläutert Polybios, worin er den Nutzen der geographischen Exkurse, der Städte- und Landschaftsbeschreibungen sieht:23 Die Erzählung der Ereignisse bleibe unverständlich, wenn man sie nicht lokalisiere. „Bei völlig unbekannten [Namen von Ländern, Flüssen und Städten] (...) hat die Angabe der Namen ebensowenig Wert wie unverständliche, nur akustisch wahrgenommene Worte. Denn da der um das Verstehen bemühte Geist sich auf nichts stützen, das Gehörte an nichts Bekanntes anknüpfen kann, bleibt die Erzählung beziehungslos und leer. Daher muß ein Weg gezeigt werden, auf dem es möglich wird, wenn man über Unbekanntes zu sprechen hat, die Leser bis zu einem gewissen Grade zu wahren und vertrauten Vorstellungen zu führen.“
Es geht also gerade nicht um die präzise Auskunft über die Koordinaten historischer Schauplätze; Polybios’ Methode könnte also als Rückschritt hinter die Errungenschaften der mathematischen Geographie, zurück zu hodologischen Verfahrensweisen erscheinen.24 Ebendies kritisiert Strabon an den Entfernungsangaben des Polybios, „daß er nicht den geraden Weg maß, sondern den zufälligen, auf welchem irgendein Heerführer gezogen war.“25 Weiterhin verweist Polybios auf zwei Methoden, die zur Raumbeschreibung geeignet seien: Als erste nennt er das universelle und standpunktunabhängige System der Himmelsrichtungen. Die zweite besteht darin, durch das Hervorrufen vertrauter Vorstellungen räumliche Verknüpfungen herzustellen. Diese Assoziationsketten führen dazu, daß das Netz der vertrauten Punkte immer enger wird. „Denn wie wir beim Sehen gewohnt sind, unser Gesicht immer nach dem Gegenstand hinzudrehen, auf den wir hingewiesen werden, so muß sich auch der Geist immer mitbewegen und hinwenden zu der Gegend, die vom Autor bezeichnet wird.“26 Polybios kombiniert diese beiden Methoden in unterschiedlicher Weise miteinander und fügt des öfteren Wegetappen hinzu, um eine Vorstellung von den Ent22 I.Priene n. 112, Z. 75–76: δι’ ὧν δὲ τ[ὰς ψυχ]ὰς πρὸς ἀρετὴν καὶ πάθος ἀνθρώπινον προάγεσθαι. Vgl. W. AMELING, Ethnography and Universal History in Agatharchides, in: T. C. Brennan, H. I. Flower (Hrgg.), East & West. Papers in Ancient History presented to Glen W. Bowersock, Cambridge (Mass.) 2008, 13–59; 32. Zu Agatharchides und der Stellung seines Werkes siehe D. MARCOTTE, Structure et caractère de l’œuvre historique d’Agatharchide, in: Historia 50 (2001), 385–435. 23 Pol. III 36–38. 24 So sehen das H. C. P. SCHMIDT, De Polybii geographia, Diss. phil. Berlin 1875, der nachweist, daß sich die Entfernungsangaben des Polybios in kein System bringen lassen, und vor allem PARTSCH, Rez. zu Bunbury (Anm. 6), 330: „Ein Versuch, construierend die Gesammtheit der Polybianischen Maaße zu einem Kartenbilde zu vereinen, scheitert völlig. Die Menge dieser Distanz-Angaben des Polybius ist nichts als ein ungenießbares Ragout aufgelesener Römischer Messungen und Alexandrinischer Rechnungs-Resultate, unter welche eigene, ungeprüfte Schätzungen zahlreich eingemengt sind.“ 25 Strab. VIII 8,5. 26 Pol. III 38.
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fernungen zu geben. Dieses Vorgehen mag uns, die wir gern Konkretes über geographische Gegebenheiten erfahren würden, enttäuschend ungenau erscheinen, jedoch ist es authentisch und entspricht dem Blick des Polybios als Feldherrn, der hier nicht unser Blick ist. Diese Art der Zurückführung auf vertraute Vorstellung verwendet Polybios auch, um größere Landschaften anschaulich zu machen. Sie werden in einem als Teleskop-Effekt beschriebenen Akt mit dem vertrauten und übersichtlichen Bild einer Polis assoziiert, die für ihn stets den als bekannt vorausgesetzten Bezugsrahmen bildet.27 Er liebt es vor allem, einen topographisch herausragenden Ort als Akropolis eines Landes zu bezeichnen, so die Alpen für Italien (III 54,2), Thermos für Aitolien (V 8), Ephesos für Ionien (XVIII 41a). Entsprechende Bilder bei Livius gehen mit einiger Sicherheit auf Polybios zurück, etwa wenn er Skodra als die arx des Reiches des Genthios bezeichnet (XXXIV 31,2).28 Die andere Methode, die er benutzt, um größere Einheiten zu veranschaulichen, die Abstrahierung in geometrische Figuren (Italien und Sizilien als Dreiecke), wie sie auch bei Eratosthenes und Hipparchos begegnet,29 und die von Strabon kritisiert wird („Mit einer Figur ist Italien als Ganzes geographisch nicht leicht zu umfassen.“30), soll hier nur kurz erwähnt sein. Polybios ist stolz auf seine Reisen, und diese haben viel zur historischen Exaktheit seiner Schilderungen beigetragen.31 Pausanias sah auf der Basis einer PolybiosStatue in Megalopolis ein Epigramm, in dem steht, daß Polybios zu Land und zu Wasser weit herumgekommen sei.32 Er führte regelrechte Entdeckungsreisen in Spanien und Nordafrika durch,33 aber gerade auch die Schilderungen seiner peloponnesischen Heimat und anderer ihm vertrauter Gegenden sind unmittelbar, anschaulich und lebendig. Der Bericht von der Griechenlandreise, die Aemilius Paullus im Herbst 168 unternahm, hat schon fast den Charakter eines Reiseführers.34 Die Sehenswürdigkeiten von Delphi, Lebadeia, Chalkis, Aulis, Oropos, Athen, Korinth, Sikyon, Argos, Epidauros, Sparta, Megalopolis, Olympia werden genannt, denen Aemilius Paullus stets auf angemessene Weise begegnet. Aber dergleichen begegnet im Gesamtwerk verhältnismäßig selten. Häufiger sind kurze 27 CLARKE, Geography and History (Anm.8), 101f. 28 Dieses Bild benutzt allerdings auch Strabon: Er bezeichnet die Peloponnes als die Akropolis Griechenlands (VIII 1,3), Lugdunum als die des umgebenden Landes (IV 6,11) und Gindaros als die Akropolis der Kyrrhestis (XVI 2,8). 29 CLARKE, Geography and History (Anm.8), 103. 30 Strab. V 1,2. 31 ENGELS, Augusteische Oikumenegeographie (Anm. 15), 159f. 32 Paus. VIII 30,8: ὡς ἐπὶ γῆν καὶ θάλασσαν πλανηθείη. Zu Polybios als „Touristenattraktion“ der römischen Provinz Achaia J. HENDERSON, From Megalopolis to Cosmopolis: Polybius, or there and back again, in: S. Goldhill (Hrg.), Being Greek under Rome. Cultural Identity, the Second Sophistic and the Development of Empire, Cambridge 2001, 29–49; 31–33. 33 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 7), 555–563. 34 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 7), 533. Der Bericht: Pol. XXX 10, und vor allem Liv. XLV 27f.
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Einlassungen über Orographie, Hydrographie, Küsten, Meeresströme und vor allem Städte. Etwa achtzig Poleis werden mehr oder weniger knapp beschrieben,35 am ausführlichsten Byzantion, Psophis, Phokaia, Ambrakia, Skodra und Pella. Außer Psophis kannte Polybios jedoch keine dieser Städte.36 Große Teile Festlandsgriechenlands waren ihm nicht vertraut; er dürfte Aitolien und Akarnanien nie betreten haben, was im Falle Aitoliens auch die völlig wirre Beschreibung der Route, die Philipp V. gegen Thermos genommen haben soll, erklären könnte.37 Vergleichbar verwirrend und noch dazu vage sind die geographischen Angaben über die Anabasis Antiochos’ III., die in Gegenden geführt hat, die Polybios nun ganz gewiß wie jedem alexandrinischen Schreibtischhistoriker nur aus womöglich fragwürdiger Literatur vertraut war. Thessalien kannte er nur zu Teilen von seiner Reise zum Konsul Q. Marcius Philippus im Jahre 169, wobei er auch den südlichsten Teil Makedoniens, die Gegend um Dion, Phila und Herakleion, gesehen haben dürfte.38 Durchaus erstaunlich dabei ist, wie die bei Livius überlieferte Beschreibung des alles andere als spektakulär gelegenen Pella eine uneinnehmbare Burgfestung assoziieren läßt: „Dabei bemerkte er (sc. Aemilius Paulus), daß sie nicht ohne Grund als Königsstadt ausgewählt worden war. Sie liegt auf einem Hügel (in tumulo), der sich nach Südwesten neigt. Sümpfe von unüberwindlicher Tiefe umgeben sie im Sommer und im Winter; sie werden von Flüssen gebildet, die sich stauen. Die Burg Phakos ragt in dem Sumpf, welcher der Stadt am nächsten ist, wie eine Insel auf und ist auf einer künstlichen Aufschüttung errichtet, einer gewaltigen Anlage, die auch die Mauer trägt und durch die Feuchtigkeit des sie umgebenden Sumpfes nicht angegriffen wird. Von weitem scheint sie mit der Stadtmauer verbunden; sie ist aber durch einen Wassergraben zwischen den Mauern von ihr getrennt und zugleich durch eine Brücke mit ihr verbunden; wenn man sie von außen bestürmt, bietet sie daher von keiner Seite einen Zugang, und wenn der König einen dort einschließt, hat er keine Fluchtmöglichkeit außer über die Brücke, die sehr leicht zu bewachen ist.“39
Es fällt schwer, diese Beschreibung mit der Örtlichkeit in Einklang zu bringen (Abb. 1), und der Verdacht liegt nahe, daß hier dramatisiert wird, um den Sieg der Römer gegen die Makedonen auszuschmücken. Ob dies Polybios zuzuschreiben ist oder Livius, läßt sich wohl nicht leicht klären. Der Einfluß des ersteren auf die geographischen Schilderungen des Livius ist unübersehbar, und wahrscheinlich ist, daß Livius als Schreibtischhistoriker und als römischer Nationalist ein allenfalls begrenztes Interesse an geographischen Fragen hatte.40 Aber um an dieser Stelle weiterzukommen, bedürfte es eines ausführlichen Vergleichs der geogra-
35 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 7), 534f. gibt eine Liste. 36 Einen Besuch Byzantions erklärt F. W. WALBANK, Polybius on the Pontus and the Bosphorus, in: G. E. Mylonas (Hrg.), Studies presented to D. M. Robinson, Saint Louis 1951, 469– 479; 469f., für unwahrscheinlich. Vgl. dagegen PÉDECH, Méthode historique (Anm. 7), 520. 37 Pol. V 7–8. 38 Zur Route dieser diplomatischen Reise PÉDECH, Méthode historique (Anm. 7), 517. 39 Liv. XLIV 46, 4–7; Übersetzung hier und folgend: T. Livius, Römische Geschichte, herausgegeben und übersetzt von H. J. HILLEN und J. FEIX, Darmstadt 1974–2000). 40 M. R. GIROD, La géographie de Tite-Live, in: ANRW II 30.2 (1982), 1190–1229; 1199–1203.
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phischen Angaben des Livius mit denen des Polybios, der hier nicht angestellt werden kann. Der letzte Abschnitt dieses Beitrags befaßt sich mit der Frage, unter welchen Umständen Polybios eine geographische Schilderung des Geländes für notwendig erachtet, und wann er dies nicht tut. Dies soll anhand nur weniger Beispiele erfolgen, die allerdings meines Erachtens verallgemeinerbar sind. Die gewählten Beispiele stammen aus dem nordwestgriechisch-illyrischen Raum. Das hat zwei Gründe: Zum einen hat sich der Autor dieses Beitrages, ganz im Sinne von Polybios’ Forderungen an den Historiker, durch αὐτοπάθεια ein Bild gemacht „von der Lage der Städte, Flüsse, Häfen, von dem Gelände, überhaupt von den örtlichen Besonderheiten zu Lande wie zur See und von den Entfernungen zwischen den verschiedenen Punkten“,41 ganz im Gegensatz zur Verfahrensweise des Timaios, dem ἡ τῶν τόπων θέα fehlt,42 zum anderen hat das Polybios selbst in diesem Falle nicht getan. Denn den nordwestgriechischen Raum hat er wohl nur einmal, als er nach Rom deportiert wurde, betreten. Aller Wahrscheinlichkeit nach setzten die Römer mitsamt ihren Gefangenen von Orikos nach Brundisium über, das schon für Flamininus die letzte Station vor der Fahrt nach Italien war.43 Im Werk des Polybios findet sich nur eine bei Stephanos überlieferte Erwähnung der Stadt Orikos („Stadt am Eingang der Adria, auf der rechten Seite, wenn man hineinfährt“;44 das ist ebenso knapp wie korrekt und nichtssagend), die sich aufgrund ihrer interessanten und ungewöhnlichen Lage, fast ohne jede Landverbindung, für eine geographische Digression durchaus geeignet hätte. Auch bei Livius findet sich nichts dergleichen, was freilich nicht heißen soll, Polybios habe mit Sicherheit keine Beschreibung dieser Ortschaft gegeben. Welche Quellen Polybios für seine Beschreibungen der illyrischen Kriege benutzt hat, ist seit langem ein strittiges und vielleicht auch unlösbares Forschungsproblem. Zum einen hat er sicher Fabius Pictor gelesen. Er muß aber auch eine griechische Quelle zu Rate gezogen haben, die wir allerdings nicht identifizieren können.45 Womöglich hatte er auch hochrangige epirotische Exulanten als Gesprächspartner zur Verfügung – waren doch während der Terrorherrschaft des Charops nach 167 gerade Reiche und Angehörige der epirotischen Eliten ins Exil gegangen46, wahrscheinlich nach dem Westen, und wenn nicht nach Rom, so doch nach Unteritalien und vor allem nach Apulien, das seit jeher enge Kontakte zur gegenüberliegenden Adriaseite pflegte. Hier in Unteritalien könnte Polybios, als er sich nach 150 frei bewegen durfte und häufig Lokroi Epizephyrioi besuchte, Augenzeugen angetroffen und befragt ha-
41 42 43 44 45
Pol. XII 25e. Pol. XII 25h. Liv. XXXIV 52. Pol. VII 14b. Dazu ausführlich M. ZAHRNT, Die Überlieferung über den Ersten Illyrischen Krieg, in: Hermes 136 (2008), 391–414. 46 Pol. XXXII 21.
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ben.47 Freilich könnten auch römische Militärs, die in Epiros gekämpft hatten, seine Informanten gewesen sein. In jedem Fall ist die Beschreibung Skodras, wie sie bei Livius überliefert ist, detailliert und präzise: „(...) Skodra, das die wichtigste Stadt dieses Krieges war, nicht nur, weil Genthios es sozusagen zum Bollwerk (arx) seines ganzen Reiches ausersehen hatte, sondern auch, weil es in der Völkerschaft der Labeaten bei weitem am stärksten befestigt und weil schwer heranzukommen ist. Zwei Flüsse umgeben es; der Klausal fließt an der Seite der Stadt vorbei, die sich nach Osten erstreckt, der Barbanna, der im Labeatis-See entspringt, im Westen. Diese beiden Flüsse vereinigen sich und ergießen sich in den Drinon, der auf dem Skordos entspringt, viele andere Gewässer in sich aufnimmt und in das Adriatische Meer fließt“48 (Abb. 2).
Die Beschreibung dient hier dazu, die uneinnehmbare Lage anschaulich zu machen. Die Stadt konnte nur aufgrund der Torheit der Illyrer eingenommen werden, die sich nicht auf eine römische Belagerung einstellen wollten, der sie sicher getrotzt hätten, sondern die Stadt verließen, um den Römern, die ihr Lager nur 500 Schritte vor der Stadt aufgeschlagen hatten, eine Feldschlacht zu liefern. Bemerkenswert an der Schilderung der Lage Skodras ist, wie sehr sie der zitierten Beschreibung von Pella ähnelt. Die hier durch literarische Mittel hergestellte Parallelität der geographisch-funktionalen Eigenarten der Burgen von Skodra und Pella trifft auf die Realität der beiden Orte nicht zu, weil die geographische Lage eine völlig andere ist und auch die geländetaktischen Besonderheiten jeweils unterschiedlich sind. Die „Burg“ von Pella könnte wohl allein aufgrund ihrer Lage und der Befestigungen keiner längeren Belagerung standhalten. Die Eroberung der Stadt Lissos durch Philipp V. im Jahre 213 oder 212 wird durch einige komplexe taktische Manöver ins Werk gesetzt, die mit den Besonderheiten des Geländes zu tun haben: „Die Stadt (...) war sowohl durch ihre Lage wie durch einen starken Mauerring auf der Seeund Landseite hervorragend geschützt, die danebenliegende Burg aber, hoch auf einem Berg mit steilen Abhängen, bot einen Blick, daß jeder von vornherein die Hoffnung aufgeben mußte, sie mit Gewalt erobern zu können. Dies schlug er (Philipp) sich daher auch aus dem Sinn, die Einnahme der Stadt dagegen hielt er nicht für gänzlich unmöglich. Am geeignetsten für einen Angriff auf sie schien ihm die Stelle zwischen Lissos und dem Fuß des Berges, auf dem Akrolissos lag“ (Abb. 3 und 4).
Nun versteckte er nachts die tauglichsten der Leichtbewaffneten an den Hängen des Berges, auf dem Akrolissos lag; mit den Peltasten und den übrigen Leichtbewaffneten griff er die Stadt von der Seeseite an, zog sich dann aber wie fliehend zurück. Die Besatzung von Akrolissos verließ daraufhin die Festung, um Beute zu machen, woraufhin die versteckten Leichtbewaffneten die Burg einnahmen und die Peltasten unten am Südrand der Stadt die Verteidiger in die Stadt zurück-
47 Daß Polybios Rom vor dem Jahre 150 wahrscheinlich nicht verlassen durfte, hat überzeugend bereits O. CUNTZ, Polybius und sein Werk, Leipzig 1902, 55f., gezeigt. 48 Liv. XLIV 31,2–5.
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drängten. Am nächsten Tag wurde nach harten Kämpfen auch die Stadt eingenommen.49 Die berichtete Kriegslist des Philipp kann nur verstanden werden, wenn man die Örtlichkeit kennt oder sie anschaulich beschrieben wird. Polybios oder schon seiner Quelle war das klar, und so gehört die Beschreibung des Ortes, den wahrscheinlich sowohl unter den griechischen als auch unter den römischen Lesern des polybianischen Werkes kaum jemand aus eigener Anschauung gekannt haben dürfte, notwendig zur Schilderung des Geschehens. Die Beschreibung, die einer guten Quelle entstammen muß, da sie detailliert und korrekt ist, folgt rein militärischen Erwägungen.50 Relevant sind Befestigungen, Zugangsmöglichkeiten und Hindernisse durch Gewässer, in diesem Fall das Meer, im Falle Skodras und andernorts Flüsse. Die Stadt wird nicht topographisch verortet; es gibt keine Angaben von Himmelsrichtungen und dergleichen. Lediglich ein hodologischer Hinweis ist vorangestellt: Philipp „überwandte nach zweitägigem Marsch die Engpässe und bezog am Fluß Ardaxanos nicht weit von der Stadt sein Lager.“ Leider wissen wir nicht, wo der Ausgangspunkt des Marsches lag, so daß wir auch diese Engpässe nicht identifizieren können. Der Fluß Ardaxanos ist wahrscheinlich der heutige Drinos, dessen antiken Verlauf an dieser Stelle wir nicht kennen.51 Um das Jahr 230 eroberten die Krieger der illyrischen Königin Teuta von den Epiroten deren bedeutende Stadt Phoinike. Polybios’ Bericht über diese Ereignisse findet sich im vollständig erhaltenen zweiten Buch.52 Die Einnahme der Stadt verlief handstreichartig, jedoch eilte auf die Nachricht vom Verlust Phoinikes hin das gesamte Heeresaufgebot der Epiroten herbei. „Vor Phoinike angekommen, schlugen sie gedeckt durch den an der Stadt vorbeifließenden Fluß ihr Lager auf und nahmen, um sich zu sichern, von der über den Fluß führenden Brücke die Bretter ab.“ Das Heer teilte sich jedoch, da auch Antigoneia gesichert werden mußte, der vor Phoinike verbliebene Teil des Heeres aber begann, „im Genuß der Erzeugnisse des Landes sorglos dahinzuleben, insbesondere aber den Wach- und Vorpostendienst zu vernachlässigen. Als die Illyrer die Teilung des feindlichen Heeres (...) bemerkten, rückten sie bei Nacht aus, belegten die Brücke mit Brettern und überschritten auf diese Weise unangefochten den Fluß, besetzten einen festen Punkt am anderen Ufer und warteten hier den Rest der Nacht.“ Am nächsten Tag wurden die Epiroten in einer Schlacht besiegt. Die Lage Phoinikes ist nun tatsächlich recht singulär und bemerkenswert (Abb. 5 und 6). Auf einem steil inmitten der fruchtbaren Ebene aufragenden Berg liegt die stark befestigte Stadt; in der Nähe der kleine Hafen von Onchesmos, das heutige Saranda, und die Bucht von Bouthrotos, im Hintergrund die Gebirgskette, 49 Pol. VIII 15–16. 50 GIROD, Géographie de Tite-Live (Anm. 40), 1203, nennt diese Verfahrensweise „géographie stratégique“. 51 Ganz klar, fast abstrakt, sind die militärisch relevanten topographischen Gegebenheiten geschildert, so daß Konstantin VII., sollte er eine in gleicher Weise gelegene Stadt erobern wollen, sein Polybios-Exzerpt sinnvoll nutzen konnte. 52 Pol. II 5.
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hinter der mit dem Drinostal der einzig gangbare, von der Festungsstadt Antigoneia geschützte Landweg von Illyrien ins epirotische Kernland, nach Passaron und Dodona führende Weg verlief, so man nicht den ungemein beschwerlichen Weg über die Akrokeraunischen Berge gehen wollte. All diese Gegebenheiten sind zum einen topographisch äußerst interessant, zum anderen steht kaum zu vermuten, daß Polybios bei seinen Lesern, ob es nun Griechen oder ob es Römer waren, diese Kenntnisse voraussetzen konnte. Warum bleibt nun all dies unerwähnt? Es kann gut sein, daß Polybios die Lage der Stadt unbekannt war und auch seine Quelle diese nicht erwähnte. Er sah nun keinen Anlaß, dahingehende Erkundigungen einzuziehen, weil der Ablauf der Ereignisse auch ohne weitergehende topographische Informationen verständlich ist: Es gibt eine Stadt, einen nahen Fluß und fruchtbares Land. Der Fluß als Annäherungshindernis spielt eine Rolle in der Erzählung, ebenso das üppige Land, dessen Produkte die Belagerer sorglos machen. Das ist abermals ebenso präzise wie abstrakt und bietet hinreichende Informationen, die Geschehnisse zu verfolgen, zu verstehen und für künftige Ereignisse fruchtbringende Lehren zu ziehen. Diese könnten dann lauten, daß man erstens bei einer Belagerung nicht den Wachdienst vernachlässigen dürfe, und zweitens, daß der entfernte Belag eine Holzbrücke diese nur so lange unpassierbar macht, als nicht von der anderen Seite Planken nachgelegt werden. Das mag einigermaßen schlicht klingen, ist aber in seiner Abstraktion doch auch wieder unmittelbar nachzuvollziehen. Die Beispiele der Belagerung von Phoinike und von Lissos sind strukturell identisch angelegt. Hier wird zwar die Topographie ausführlich beschrieben, dort nicht, aber gerade dieser Unterschied zeigt, daß die Geographie für Polybios keinen Selbstzweck darstellte und auch nicht als Bildungsgut angesehen wurde.53 Er erweist sich in dieser Angelegenheit ganz als Schüler des Philopoimen, über den Plutarch, sicher Polybios’ Biographie des achaiischen Politikers und Feldherrn zitierend, schreibt: „Daher hielt er auch bei dem theoretischen Unterricht über die Taktik gar nichts von den auf Tafeln gezeichneten Plänen, sondern stellte lieber zu seiner Übung an Ort und Stelle selbst allerhand Versuche an, indem er auf Märschen nicht nur die verschiedenen Fälle überdachte, wie nach der Höhe, der Tiefe oder Ungleichheit der Gegend, bei Strömen, Gräben und engen Wegen die Schlachtordnung getrennt und dann wieder hergestellt werden könnte, sondern sich auch mit seinem Gefolge besprach.“54
Philopoimen wie Polybios ordnen das Theoretische dem Praktischen unter; sie sind historisch Handelnde, beziehungsweise beschreibt Polybios in seinen Werken solche Handelnden. Stubengelehrsamkeit ist ihnen fremd, und so sollte für die Beurteilung des Polybios als Geographen ein anderer Maßstab gefunden werden als der, ihn in eine wissenschaftsgeschichtliche Evolutionslinie einzureihen. Seine 53 Zu Geographie als Bildungsgut D. MEYER, Hellenistische Geographie zwischen Wissenschaft und Literatur, in: W. Kullmann, J. Althoff, M. Asper (Hrgg.), Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike, Tübingen 1998, 193–215; 198. 54 Plut. Philopoimen 4; Übers. J. F. Kaltwasser, H. Floerke. Vgl. Liv. XXXV 28.
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Frank Daubner
Art und Weise, geographisch-topographischer Kenntnisse in der Form einer gelebten Landeskunde anzuwenden und zu vermittelt, läßt ihn in der Tat als einen „neuen Herodot“ erscheinen.
Abb. 1: Pella, Palasthügel von der Agora, 2010 (Photo d. Verf.)
Abb. 2: Skodra, Zusammenfluß von Klausal und Barbanna von der Burg, 2009 (Photo d. Verf.)
Zur Rolle der geographischen Schilderungen bei Polybios
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Abb. 3: Lissos und Akrolissos von Süden, 2009 (Photo d. Verf.)
Abb. 4: Lissos und Akrolissos, Plan (C. Praschniker, A. Schober, Archäologische Forschungen in Albanien und Montenegro, Wien 1919, Abb. 39)
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Frank Daubner
Abb. 5: Phoinike von Westen, 2009 (Photo d. Verf.)
Abb. 6: Phoinike und Umgebung, Plan (E. Giorgi, Problemi metodologici per lo studio del paesaggio antico: Considerazioni sul territorio di Phoinike in epoca romana, in: L. Bejko, R. Hodges (Hgg.), New Directions in Albanian Archaeology. Studies presented to Muzafer Korkuti, Tirana 2006, 207–222, Fig. 2)
POLYBIOS ALS MILITÄRHISTORIKER Burkhard Meißner, Hamburg
Dem Gedenken an Karl-Ernst Petzold (1918–2003)
Der Titel dieses Beitrages nimmt den eines Vorgängers auf: Eric William Marsdens „Polybius as a Military Historian“ im „Polybe“-Sammelband der Fondation Hardt.1 Anders als dem vorliegenden Beitrag war es demjenigen Marsdens darum zu tun, Polybios und sein Werk einer bestimmten Klasse von Militärhistorikern zuzuordnen, nämlich der von Marsden als Gruppe „a“ identifizierten. Was die Mitglieder dieser Gruppe auszeichnet, bestimmte Marsden unter Bezug auf literarische Beispiele derjenigen modernen Formen der Strategielehre, wie sie sich als Teil eines komplexen Ausdifferenzierungsprozesses im 19. Jahrhundert, d.h. seit Jomini und Clausewitz, als systematische Strategielehre aus dem früheren, pragmatisch-historischen exemplum-Modell militärischer Belehrung entwickelt haben. Marsden entnahm seine Gesichtspunkte für diese Einordnung seinerzeit Burnes „Art of War on Land“:2 Die Militärlehre bedient sich einer Reihe von Kategorien (zur Beurteilung der Qualität von Heerführern oder ihrer Truppen in technischer und moralischer Hinsicht sowie der zur Verfügung stehenden materiellen und physischen Ressourcen); sie operiert mit acht Prinzipien oder praktischen Grundmaximen (Orientierung am Auftrag, Vorrang der Offensive, Nutzung des Überraschungsmomentes, Konzentration der Kräfte, Sparsamer Kräfteeinsatz, Risikobegrenzung/Sicherheit, Mobilität und Kooperation) sowie unverfügbaren Bedingungen (wie Wetter, naturräumliche Verhältnisse, Zufälle, usw.), und sie tut dies für die verschiedenen Hierarchieebenen des militärisch-politischen Entscheidens (heute meist: politische, militärstrategische, operative, taktische Ebenen).3 Ein Denken, das diese Charakteristika zeigt, ist Marsden zufolge jener Gruppe „a“ zuzuordnen; da nun Polybios diese Bedingungen erfülle, gehöre er demnach zur genannten Gruppe. Marsden zeigte dabei in seinem Aufsatz am Beispiel des Vierten Syrischen Krieges und der Schlacht von Raphia (219–217 v.Chr.), daß Poly1
2 3
E. W. MARSDEN, Polybius as a Military Historian, in: E. Gabba (Hrg.), Polybe. Entretiens sur l’antiquité classique XX, Vandœvres-Genève 1974, 269–295; 296–301. Vgl. V. D. HANSON (Hrg.), Makers of Ancient Strategy. From the Persian Wars to the Fall of Rome, Princeton/Oxford 2010; B. MEISSNER, Strategy, Strategic Leadership and Strategic Control in Ancient Greece, in: Journal of Military and Strategic Studies 13 (2010), 4–27; E. L. WHEELER, Stratagem and the Vocabulary of Military Trickery, Leiden 1988. A. H. BURNE, The art of war on land: illustrated by campaigns and battles of all ages, London 1944 (ND 1950). MARSDEN, Military Historian (Anm. 1), 275–278.
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Burkhard Meißner
bios bei allen Unterschieden und Variationen, die durch Zeit-, Raum- und sozioökonomische Differenzen bedingt sind, genau jene genannten Kategorien der Militärlehre seiner eigenen Begrifflichkeit und Darstellung des Militärischen zugrunde legt, und daher stelle Polybios’ Werk, so Marsden, einen Meilenstein in der Geschichte der Entwicklung eines „modernen“ Typs der Militärgeschichte4 dar. Die an Marsdens Beitrag sich anschließende Diskussion wurde seinerzeit, Anfang der 70er Jahre, in erster Linie von dem Verdacht bestimmt, Kriegs- und Militärgeschichte befassten sich grundsätzlich nur mit Epiphänomenen statt mit deren Ursachen, Bedingungen und Strukturen.5 Diese Diskussion warf aber nicht die Frage auf, welche direkte Linie von Polybios zur Strategieliteratur und -lehre etwa in der modernen Generalstabsausbildung denn hätte geführt haben können: Die Straße des Militärdenkens, an welcher Polybios’ Werk einen Meilenstein hätte darstellen können, wurde seinerzeit nicht weiter verfolgt. Man findet darüber hinaus in moderneren systematischen Darstellungen zur Kriegskunst ganz andere Systeme und Kategorien als gerade die von Burne in pragmatischer Hinsicht aus der heterogenen Vielfalt strategischen Denkens herausdestillierten. Die viel modernere Yakovleffs6 beispielsweise unterscheidet Initiative, Risiko, Überraschung, Friktion/Störung, auf der Ebene der Taktik die Kategorien von Raum, Feind und Zeit, rythme du combat, und sodann auf allen Ebenen elementare Aktionen und Bewegungen, wie sie auch moderne Dienstvorschriften kennen: Krieg ist demnach nicht nur Antagonismus, sondern vor allem auch Organisation und Kooperation heterogener Massen, und die Sicherstellung einer gemeinsamen Terminologie des Handelns und der Bewegung ist eine Voraussetzung dafür, daß die hochkomplexen Riesenorganisationen moderner Armeen überhaupt arbeitsfähig sind. Nuklearbewaffnung, Statistik, Spieltheorie und die großen politikberatenden think tanks nach dem Zweiten Weltkrieg haben einen Aufschwung der wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Theorie der international relations und einen solchen Wandel des strategischen Denkens bewirkt, daß der Gedanke eines stetigen Kontinuums von Polybios über Clausewitz zu Aron oder Luttwak, wie es Marsden zufolge vorausgesetzt werden müsste, nicht wirklich naheliegt.7 Es ist außerdem wahrscheinlich nicht zweckmäßig, Polybios als mehr oder weniger gelungene Instantiierung einer quasi-platonischen Idee des Militärhistorikers an und für sich zu lesen. Statt dessen wollen wir im folgenden fragen, in welchem Sinne und innerhalb welcher begrifflicher Grenzen Polybios selbst seine Funktion als Geschichtsschreiber über Militär und Krieg beschrieb und wie er diese zur Sprache brachte. 4 5 6 7
MARSDEN, Military Historian (Anm. 1), 295. Diskussionsbeitrag von C. NICOLET, in: E. Gabba (Hrg.), Polybe, Vandœvres-Genève 1974, 297f. M. YAKOVLEFF, Tactique théorique, Paris 2006 (ND 2007). C. VON CLAUSEWITZ, Vom Kriege (hrg. v. W. Hahlweg), Bonn 191980; E. LUTTWAK, Strategie: die Logik von Krieg und Frieden, Lüneburg 2003; DERS., The grand strategy of the Roman Empire: from the first century A.D. to the third, Baltimore 1979; DERS., The Grand Strategy of the Byzantine Empire, Cambridge (Mass.)/London 2009; R. ARON, Frieden und Krieg: eine Theorie der Staatenwelt, Frankfurt am Main 1963.
Polybios als Militärhistoriker
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1. KRIEG UND MILITÄR ALS WICHTIGE UND ELEMENTARE GEGENSTÄNDE IM WERK DES POLYBIOS Die griechische Geschichtsschreibung, vor allem die monographische Geschichtsschreibung, entstand als Kriegsgeschichte.8 Sie entwickelte sich als Geschichte einzelner Kriege zur historia perpetua von Dauerkriegen im 4. Jahrhundert, differenzierte sich aus, ließ Lokal-. Regional- und Spezialgeschichte entstehen, doch Krieg, Konflikt und Militär blieben Kern der griechischen und wurden Kern der römischen Geschichtsschreibung. Herodot entwickelte für das gemeinsame strategische Entscheiden des Bündnisses der Griechen ein handlungstheoretisches Kategoriensystem, in dem das Wahrnehmen von Geschehnissen, das Analysieren der Lage, die Antizipation dessen, was sich aus dieser ergeben könnte, die Ableitung und Bewertung von Handlungsalternativen und die schlussfolgernde Entscheidung für eine dieser Alternativen die wesentlichen Ablaufstadien darstellen.9 Thukydides’ Handlungstheorie und seine Kausalitätsbegriffe für organisiertes menschliches Handeln sind zwar etwas raffinierter10 als diejenigen Herodots, seine Handlungslehre teilt aber mit derjenigen Herodots, daß ihre Kategorien im wesentlichen für militärisches und politisch-strategisches Handeln entwickelt wurden. Polybios’ Handlungstheorie ist demgegenüber komplexer: Er nimmt Entwicklungen der praktischen Philosophie des frühen Hellenismus, insbesondere des Peripatos, auf, bestimmt das Verhältnis von Ursache/Motiv und vorgebrachtem Rechtsgrund anders als die Vorgänger (vor allem Thukydides) und verbindet die Momente des Praktischen (von der politischen Ordnung über moralische Werte, zweckgerichtetes Vorgehen bis zum Handeln im Krieg) durch eine konsequente Begrifflichkeit, in der allerdings Momente des Wahrnehmens, der Lagebeurteilung und des Schließens wie bei den Vorgängern eine derartig prominente Rolle spielen, daß Paul Pédech Polybios’ Doktrin eine „conception intellectualiste“ hat nennen können.11 Tatsächlich bezieht sich Polybios’ Aitiologie, seine Ursachenlehre historischen Geschehens, in erster Linie auf Kriege und militärische Operationen. Pédechs Idee eines „intellectualisme historique“ des Polybios ist nicht zuletzt deshalb kritisiert worden. Sie erfasst nicht vollständig Polybios’ Geschichtskonzeption, die Rolle der Kontingenz, das dialektische Verhältnis von politischer Ordnung und Verhaltensformen und seinen klimatischen Determinismus,12 wie Petzold gezeigt hat,13 sondern vor 8
B. MEISSNER, Anfänge und frühe Entwicklungen der griechischen Historiographie, in: E.-M. Becker (Hrg.), Die antike Historiographie und die Anfänge der christlichen Geschichtsschreibung, Berlin/New York 2005, 83–109. 9 B. MEISSNER, Strategies in Herodotus, in: V. Karageorghis, I. Taifacos (Hrgg.), The World of Herodotus, Nicosia 2004, 223–237. Stadien einer Entscheidung: Wahrnehmung von Vorgängen, Lageeinschätzung, Lagebeurteilung, Bewertung von Alternativen, Entscheidung, Durchführung. 10 Unterscheidung von αἰτία und ἀληθεστάτη πρόϕασις, Thuk. I 22–23, besonders 23,5. 11 P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964, 80–98. 12 Vgl. Pol. IV 20–21; Kynaitha, die naturgegebene Rohheit der Arkader und die kompensierende, zivilisierende Wirkung der Musikausbildung.
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Burkhard Meißner
allem nur das zweckrationale Vorgehen. Für dieses aber gilt: Es erscheint im Werk des achäischen Historikers vornehmlich in Gestalt des Vorgehens im Kriege. Über mechanistische Erklärungen im theoretischen und utilitäre Überlegungen im technischen Sinne hinaus bestimmen jedoch ganz wesentlich auch Aspekte literarischer und ethischer Bildung Polybios’ Werk.14 Arthur Eckstein hat diese Beobachtung, die auch Frank W. Walbanks durch die Imperialismustheorie des historischen Materialismus beeinflußte Idee fragwürdig erscheinen lässt, Polybios habe den römischen Imperialismus gerechtfertigt,15 radikalisiert, wonach es Polybios in seinem Werk in erster Linie um „moral vision“ gehe.16 Richtig daran ist, daß Polybios in seinem Werk das ganze Feld dessen behandelt, was auch Gegenstand der praktischen Philosophie im Sinne des Peripatos ist: Ökonomik, Politik, Ethik. In der älteren Tradition der Polybiosinterpretation hatte man demgegenüber den πραγματικὴς ἱστορίας τρόπος, die pragmatische Richtung der Geschichtsschreibung,17 in erster Linie noch als mit Krieg und Politik befasst angesehen: Pragmatisch heiße die Geschichte bei Polybios, so diese communis opinio, weil sie die Praxis belehren wolle und zu diesem Zwecke πράγματα, Handlungen, zu ihrem Gegenstand mache, und zwar vor allem politisch-militärische.18 Alle maßgeblichen Deutungen des polybianischen Werkes kommen darin überein, daß es diesem Werk in erster Linie um Handeln zu tun ist. Polybios’ raffiniertes Modell der Handlungs- und Geschehenserklärung sowie -bewertung, das Handeln als gemachtes, geplantes, daher auch als falsches oder richtiges, zweckmäßiges oder unzweckmäßiges, legitimes oder illegitimes beurteilen und darüber belehren will, dürfte aber nicht zuletzt im Blick auf militärisches Handeln und kriegerisches Geschehen entwickelt worden sein, und es ist tatsächlich vor allem die militärische Planungs- und Handlungsrationalität, die den Inhalt des vermeintlichen „intellectualisme historique“ des Polybios (Pédech) ausmacht. Quantitativ tritt die besondere Bedeutung des Militärischen in Form der Häufigkeit damit verbundener Termini im Text des Polybios zunächst einmal, im Vergleich zu den Werken anderer griechischer Geschichtsschreiber, gar nicht besonders hervor. Mit dem Militärischen verbundene Wörter (-πολεµ-, -στρατ-) kommen jeweils etwa dreimal so häufig vor wie solche, die mit bürgerlicher Betä-
13 K.-E. PETZOLD, Studien zur Methode des Polybios und zu ihrer historischen Auswertung, München 1969. Vgl. W. NIPPEL, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, Stuttgart 1980. 14 B. MEISSNER, ΠΡΑΓΜΑΤΙΚΗ ΙΣΤΟΡΙΑ, Polybios über den Zweck pragmatischer Geschichtsschreibung, in: Saeculum 37 (1986), 313–351. 15 F. W. WALBANK, Polybius, Berkeley u.a. 1990; DERS., A Historical Commentary on Polybius, Bd. I–III, Oxford 1957/1967/1979 (ND 1999). 16 A. ECKSTEIN, Moral vision in The Histories of Polybius, Berkeley 1995. 17 Pol. I 2,8: Nutzen des πραγματικῆς ἱστορίας τρόπος für die Lernwilligen; XXXVI 17,2: Grenzen, die der τῆς πραγματικῆς ἱστορίας [...] τρόπος der literarischen Behandlung der Rolle des Schicksals setzt. 18 Vgl. K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI 2 (Stuttgart 1952), Sp. 1440–1578, besonders 1500– 1524.
Polybios als Militärhistoriker
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tigung verbunden sind (-πολιτ-).19 Dies ist allerdings bei Xenophon20 und Diodor21 ähnlich; im Falle des Thukydides haben die Wörter aus dem Wortfeld des Militärischen gegenüber dem Politischen sogar ein etwa zehnfaches Übergewicht,22 und bei Herodot überwiegt darüber hinaus sehr viel deutlicher das Wortfeld des Soldatischen (-στρατ-) gegenüber dem auf den Krieg als Handlungszusammenhang Bezogenen (-πολεμ-).23 Betrachtet man die Zahlen im Vergleich, so fällt auf, daß bei keinem dieser großen griechischen Geschichtsschreiber Wörter aus dem Wortfeld politischer Betätigung häufiger vorkommen als bei Polybios, und daß Polybios Wortverbindungen mit -στρατ- von allen am seltensten und mit -πολεμ- am zweitwenigsten verwendet. Polybios scheint von den Geschichtsschreibern unter textstatistischen Gesichtspunkten also derjenige zu sein, der dem Politischen eine vergleichsweise große, dem Militärischen eine geringere und dem Soldatischen eine sehr geringe Bedeutung in seinem Werk einräumt, und dies gilt auch gegenüber späteren Historiographen,24 deren Wortgebrauch in dieser Hinsicht außerordentlich ähnlich und konsistent ist, sieht man von Flavius Josephus’ Bevorzugung des „Polemischen“ gegenüber dem „Stratiotischen“ und der Häufung des „Politischen“ in Prokops Anekdota einmal ab. Nicht mit dem Krieg verbundene Formen des Handelns spielen nun tatsächlich in unseren Fragmenten des Polybiostextes eine prominente Rolle: Buch 6 ist der Verfassung Roms gewidmet, nicht zuletzt, um aus dieser die Effizienz des römischen Militärsystems zu erklären; in den Resten von Buch 12 ist eine aus19 Polybios, ohne Fragmente unklarer Position: 312674; davon -πολιτ-: 506 (0.16183%); -πολεμ-: 1395 (0.446152%); -στρατ-: 1521 (0.486449%). 20 (Xenophon, Hellenica): 66524; davon -πολιτ-: 86 (0.129276652%); -πολεμ-: 337 (0.50658409%); -στρατ-: 521 (0.783175997%). 21 (Diodor): 401634; davon -πολιτ-: 450 (0.112042307%); -πολεμ-: 1975 (0.491741237%); -στρατ-: 2874 (0.715576868%). 22 (Thukydides): 150164; davon -πολιτ-: 85 (0.0566047788%); -πολεμ-: 794 (0.528755228%); -στρατ-: 999 (0.6652726%). 23 (Herodot): 185472; davon -πολιτ-: 6 (0.00323498965%); -πολεμ-: 221 (0.11915545%); -στρατ-: 1065 (0.574210663%). 24 (Herodian): 46838; davon -πολιτ-: 12 (0.0256202229%); -πολεμ-: 102 (0.217771895%); -στρατ-: 514 (1.09739955%). (Arrian, Alex.): 78564; davon -πολιτ-: 11 (0.0140013238%); -πολεμ-: 133 (0.169288733%); -στρατ-: 528 (0.672063541%). (Cassius Dio): 366121; davon -πολιτ-: 239 (0.0652789652%); -πολεμ-: 1061 (0.289794904%); -στρατ-: 1911 (0.521958587%). (Flavius Josephus, Bell. Iud.): 125273; davon -πολιτ-: 31 (0.0247459548%); -πολεμ-: 589 (0.470173142%); -στρατ-: 572 (0.45660278%). (Prokop, Bella): 224602; davon -πολιτ-: 115 (0.0512016812%); -πολεμ-: 1513 (0.673636032%); -στρατ-: 2135 (0.950570342%). (Prokop, Anekd.): 32253; davon -πολιτ-: 56 (0.173627259%); -πολεμ-: 56 (0.173627259%); -στρατ-: 92 (0.285244783%). (Zosimos): 60108; davon -πολιτ-: 45 (0.0748652426%); -πολεμ-: 279 (0.464164504%); -στρατ-: 634 (1.05476808%). (Socrates Scholasticus): 101931; davon -πολιτ-: 19 (0.0186400604%); -πολεμ-: 124 (0.121650921%); -στρατ-: 161 (0.15794998%).
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führliche geschichtstheoretische und -pragmatische Kritik von Vorgängern, vor allem Timaios, enthalten; es gibt geographische und biographische Exkurse. Das fragmentarische Material der Bücher 7–39(40) stammt aus drei Hauptquellen: einer zusammenhängenden Epitome (wohl aus dem 11. Jahrhundert) der Bücher 1–17 im Codex Urbinas und zu einem großen Teil aus nach sachlichen Gesichtspunkten angefertigten Exzerptensammlungen des 10. Jahrhunderts (Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos). Aus diesen Sammlungen hat sich unter militärischen Gesichtspunkten (excerpta de insidiis und excerpta de stratagematis) nur sehr wenig erhalten: zwei kurze Abschnitte über Belagerungen und einer zu Intrigen am Ptolemäerhof.25 Das meiste Material stammt aus den excerpta de legatis beziehungsweise legationibus über Gesandtschaften, aus den excerpta de sententiis mit Lehrsätzen, sowie aus den reichhaltigen excerpta de virtutibus et vitiis. Das Bild, das uns diese Auszüge von dem Polybiostext vermitteln, ist durch die sachlichen Interessen der Exzerptoren maßgeblich mit bestimmt, und wie die folgenden Graphiken zeigen, ist dies nicht ganz ohne Wirkung geblieben vor allem auf den Eindruck von der Rolle und Bedeutung des Militärischen. Um diese Wirkung quantitativ zu erfassen, haben wir über den gesamten Text des Polybios hinweg für jedes Wort des Textes bestimmt, wie groß die prozentuale Häufigkeit von Wörtern in seinem Kontext sind, die mit Krieg, Kriegführung und Soldaten zusammenhängen. Um die Schwankungen nicht zu groß und vom Wechsel des jeweiligen Themas zu abhängig werden zu lassen und auch im Interesse einer möglichst hohen Signifikanz haben wir diesen Kontext jeweils in einer Größe von 10.000 Wörtern gewählt (mit am Ende des Textes naturgemäß wachsenden beziehungsweise schrumpfenden Kontexten von 5000–10.000 Wörtern). Wir betrachten vereinfachend zwei Gruppen von Wörtern und Komposita: (1) alle mit "-πολεµ-" gebildeten und (2) alle, die mit "-στρατ-" im Zusammenhang stehen. Dies ist eine Vereinfachung, weil die semantischen Felder nicht ganz einheitlich sind, weil auch Namen (wie "Καλλίστρατος") erfaßt, und weil andere Wörter des Bedeutungsfeldes (etwa: -μαχ-, επιβουλ-) ignoriert werden. Gleichwohl kann die Häufigkeit von -πολεµ- und -στρατ- ein Indikator dafür sein, wie ‚militärisch’ ein Textabschnitt ist, d.h. mit welcher Frequenz in ihm über Krieg und Militär die Rede ist. Man kann außerdem sagen: Je häufiger Wörter vorkommen, die mit -πολεµ- gebildet sind, desto intensiver dürfte der Text vom Krieg als Handlungszusammenhang sprechen (πολεμεῖν, καταπολεμεῖν, πόλεμος), je mehr von -στρατ- die Rede ist, desto intensiver dürfte der Text vom Krieg in seiner sozialen, personalen oder institutionellen Hinsicht sprechen (στρατιά, στρατηγός, aber: καταστρατηγεῖν).
25 ZIEGLER, Polybios (Anm. 18), Sp. 1577; Συρακουσῶν πολιορκία und ᾽Αμβράκιας πολιορκία: C. WESCHER, Poliorcétique des grecs, Paris 1867, 321–332; Pol. VIII 3,6–6,4; 7,6; XV 25,3–27; XXI 27,2–6; 28.
Abbildung 1: Die Häufigkeit von Krieg und Militär betreffenden Wörtern (-πολεµ- oder bzw. und -στρατ-) im Text des Polybios innerhalb einer Wortumgebung von jeweils 10.000 Wörtern
Polybios als Militärhistoriker
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Abbildung 2: Die Häufigkeit von das Politische betreffenden Wörtern (-πολιτ-) im Text des Polybios innerhalb einer Umgebung von jeweils 10.000 Wörtern
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Abbildung 3: Die Häufigkeit von das Militär betreffenden Wörtern (-στρατ-) im Text des Polybios innerhalb einer Wortumgebung von jeweils 10.000 Wörtern
Polybios als Militärhistoriker
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Abbildung 4: Die Häufigkeit von den Krieg betreffenden Wörtern (-πολεμ-) im Text des Polybios innerhalb einer Wortumgebung von jeweils 10.000 Wörtern
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Polybios als Militärhistoriker
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In den vorstehenden Graphiken markieren die senkrechten Striche folgende Ereignisse und Ereigniszusammenhänge: A B C (D) E F G H I K L M N O P Q R S T U V W
18200: 25600: 28700: 30000: 35400: 38100: 44700: 50000: 60000: 76700: 80000: 92000: 100000: 110000: 122300: 128000: 140000: 143600: 150000: 155000: 175000: 190000:
I 62,2 I 88,11 II 12,3 II 16,7 II 35,8 II 46,3 II 71,9 III 20,9 III 59,7 III 118,10 IV 12,5 IV 58,10 V 2,9 V 40,7 V 87,8 VI 1,4 VI 44,2 VI 58,11 VIII 8,1 VIII 25,9 X 23,1 XI 33,8
Ende Erster Punischer Krieg Ende Karthagischer Söldnerkrieg Friede mit Teuta Beginn Keltenkriege Ende Keltenkriege Beginn Kleomeneskrieg Ende Kleomeneskrieg; Ausbruch Hannibalkrieg Eroberung Sagunts; Verhandlungen Geographieexkurs; Hannibal in Oberitalien Cannae; Hannibalkrieg, Beginn Bundesgenossenkrieg Schlacht von Kaphyai Beginn Krieg Rhodos-Byzanz Bundesgenossenkrieg: Philipp beginnt den Seekrieg Aufstand und Kriegführung Molons Abschluss Raphia und Vierter Syrischer Krieg Beginn politische und militärische Verfassung Roms Ende Verfassung Roms; Beginn Verfassungsvergleich Ende Buch 6 Eroberung von Syrakus, Zweiter Punischer Krieg Abschluss Philipps V. Krieg in Mittelgriechenland 213 Krieg in Spanien 209–208 Abschluss Krieg Scipios in Spanien
In unserem Test zeigt sich: Die militärische Terminologie (-στρατ-, -πολεμ-) nimmt in den Büchern 1–6 ca. 1,2% der Wörter ein (ca. 120 Wörter pro 10.000 Wörter), in den Büchern 7–39 etwas mehr als ca. 0,6% (d.h. die Hälfte). Bei -πολεμ-, also den eher das Handeln im Kriege betreffenden Wörtern, ist der Unterschied nicht besonders ausgeprägt, anders als im Falle der weniger den Krieg als die Soldaten bezeichnenden Wörter (0,6% gegenüber 0,3%). In der Häufigkeit der Termini spiegeln sich thematische Besonderheiten: So spielt Krieg als Handlungszusammenhang (-πολεμ-) in Buch 6 kaum eine Rolle, das Buch verwendet jedoch Termini für die institutionelle Seite des Militärischen (-στρατ-) und für das Politische (-πολιτ-) mit hoher Frequenz (Q–S). Auffällig ist der militärische Charakter des Buches 6 mit seinen ausgedehnten Bemerkungen zur römischen Heeresverfassung. Hier haben wir viel zum Soldatischen (-στρατ-) zu erwarten und wenig zum Krieg als Handlungszusammenhang (-πολεμ-): Und genau so verhalten sich auch die Häufigkeiten der beiden Wortfeldgruppen; -πολεμ- ist selten und -στρατ- häufig. Die Wichtigkeit von Krieg und Militär als Gegenstände der Historiographie des Polybios zeigt sich in unseren Graphiken auch daran, daß sich einige der Kriege in der oben wiedergegebenen ‚Fieberkurve‘ des militärischen Sprachge-
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brauches bei Polybios erkennbar abzeichnen: Erster Punischer Krieg (Spitzenwert des militärischen Vokabulars im Abschnitt bis A; die Häufigkeiten von -πολεμund -στρατ- verhalten sich dabei reziprok proportional zueinander), Zweiter Punischer Krieg (G/I–K), die Kriege in Spanien (Bücher 10–11, Abschnitte V–W, vor allem für das Wortfeld -πολεμ-), Molon und der Vierte Syrische Krieg (O–P). Auffällig am Kleomeneskrieg (F–G; Buch II 46,3–71,9) ist die vergleichsweise große Häufigkeit militärischer Termini, aber auch der Begriffe für das Politische. Der Achäer Polybios beschreibt diesen Krieg aus deutlich proachäischer Perspektive und im Blick auf die Legitimität der von den Achäern getroffenen politischen Entscheidungen. Auch der Karthagische Söldnerkrieg zeichnet sich deutlich ab (A–B), während dies für den Keltenkrieg (225–222 v.Chr.) nicht gilt (D–E). Hier fällt die Häufigkeit beider Wortstämme gering aus. Dies erscheint wenig verwunderlich, beurteilt Polybios doch diesen Krieg als Auseinandersetzung zwischen planender Territorialmacht und ungeordnet-irrational vorgehenden Stämmen. ἀκρισία im einzelnen, Mangel an strategischer Planung, Orientierung am θυμός und nicht am λογισμός: Dies habe die keltische Kriegführung in Oberitalien gekennzeichnet, und man könne aus diesem Krieg nichts über militärisches Planen, aber sehr wohl Zuversicht gegenüber tribaler Furiosität lernen, so Polybios (II 35,2–6).26 Er hat diesen Krieg also nicht als Krieg organisierter Heere und als geplante Auseinandersetzung beschrieben, und das betreffende Vokabular kommt daher mit nur durchschnittlicher Häufigkeit vor. Was zeigen diese Statistiken? Zunächst: Militärisches und mit dem Soldatenberuf Zusammenhängendes dürfte im Text des Polybios eine größere Rolle gespielt haben als es die Fragmente der Bücher 7–39 nahelegen, weil es in den vollständiger erhaltenen Büchern tatsächlich eine größere Rolle spielt, und zwar in einem Umfang, der dem der griechischen Historiographie im allgemeinen recht gut entspricht.27
26 Kriegerisches Geschehen kann sich als kontingent erweisen, weil es antagonistisch verschränkt, also durch wechselseitige Erwartungen bestimmt ist und nur um den Preis des unendlichen Regresses erklärt werden kann, weil ihm, so deutet Polybios den Keltenkrieg, das Moment vernünftig geplanten Vorgehens gelegentlich fehlt und weil unkalkulierbare Umstände Einfluß auf das Handeln und Geschehen im Krieg haben können. F. K. MAIER, „Überall mit dem Unerwarteten rechnen“. Die Kontingenz historischer Prozesse bei Polybios, München 2012, weist darauf hin, daß Geschichte bei Polybios im aristotelischen Sinne zum Bereich des ἄλλως ἔχειν gehört. Zur Kontingenz bei Polybios: MEISSNER, ΠΡΑΓΜΑΤΙΚΗ ΙΣΤΟΡΙΑ (Anm. 14), passim, insbesondere 320f.; A. ROVERI, Tyche bei Polybios (orig.: 1956), in: K. Stiewe, N. Holzberg (Hrgg.), Polybios, Darmstadt 1982, 297–326, und der Beitrag von J. Deininger in diesem Band. 27 Polybios, Bücher 1–5: 127916; davon -πολιτ-: 177 (0.138372057%); -πολεμ-: 696 (0.54410707%); -στρατ-: 790 (0.617592795%). Polybios, Bücher 7–11 und 13–39: 158081; davon -πολιτ-: 204 (0.129048%); -πολεμ-: 646 (0.408651%); -στρατ-: 585 (0.370063%). In den fragmentarisch überlieferten Büchern ohne die Timaioskritik (Buch 12) und die Beschreibung der römischen Verfassung (Buch 6) sind Wörter aus dem Wortfeld des Militärischen also etwas unterrepräsentiert, der vergleichsweise hohe Anteil das Politische betreffender Wörter gilt jedoch für beide Teile gleichermaßen.
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Politik, und als einen wesentlichen Teil derselben: Krieg, als geplantes, zweckmäßig oder normgerecht – oder im Gegenteil irrationales, unzweckmäßig oder auf illegitime Weise – organisiertes Tun zu betrachten, wie Polybios es unternimmt, setzt nun eine besondere Terminologie, eine besondere Sprache der Kriegs- und Militärgeschichte voraus, durch deren Verwendung sie sich auszeichnet, und diese Sprache der Militärgeschichte ist es, die sich in den auffälligen sprachstatistischen Brüchen und Wandlungen im Werk des Polybios spiegelt. Polybios als Militärhistoriker zu betrachten und sein Denken über Krieg und Militär zu erschließen, erfordert daher eine Erschließung seiner Terminologie und seiner Sprache über Krieg und Militär. Polybios’ militärhistorische Sprache und deren Beziehung zur Terminologie und Sprache hellenistischer Militärorganisation und -literatur kann hier natürlich nicht umfassend erschlossen, soll jedoch beispielhaft skizziert werden.
2. MILITÄRGESCHICHTE UND MILITÄRISCHE TERMINOLOGIE Militärisches Handeln ist organisiertes, kooperatives Handeln. Dieses bedarf sprachlicher Abstimmung, findet im Krieg jedoch statt unter dem Druck von Zeitund Ressourcenknappheit. Es wird daher nicht nur in seinen Elementen und Facetten zuvor geübt, sondern in detaillierter Form auch in eine den Beteiligten bekannte und verständliche sprachliche Form gegossen, damit die einzelnen Elemente von ihnen als Handlungsketten abgerufen werden können. Wenn man weiß, was eine Ablösung in der Stellung ist, dann kann das komplizierte Manöver einer solchen Ablösung mit wenigen Angaben über Details befohlen und dadurch eingeleitet werden. Daher gibt es Dienstvorschriften, die diese Details beschreiben und normieren, vor allem aber auch das komplexe terminologische Gerüst entfalten, mit dessen Hilfe militärisches Handeln allererst organisierbar wird; ein großer Teil militärischer Dienstvorschriften enthält daher vor allem Sprachregelungen und bietet erst durch diese eine Handlungsanleitung. Um diesen Sachverhalt zu illustrieren, schauen wir auf ein Beispiel, das eher in den strategischen oder operativen als den taktischen Bereich fällt (im Gegensatz zur genannten Ablösung in der Stellung): Polybios’ Sprechen vom τρίβειν τὸν πόλεμον, davon also, einen Krieg in die Länge zu ziehen und als Abnutzungskrieg auf Kosten der Ressourcen des Gegners zu führen.28 Der Terminus taucht in der späteren kaiserzeitlichen Historiographie und Biographie regelmäßig wieder auf, dürfte bereits von Phylarchos in seine Darstellung über Kleomenes eingeführt worden sein und stellt auf strategischer Ebene das Muster einer Elementarhandlung dar:29 einer Option des Vorgehens, die man in bestimmten Lagen wählen und gegebenenfalls mit anderen kombinieren kann. 28 Pol. II 63,4 (= Phylarchos FGrHist 81 F 58); XVIII 39,4. 29 Vgl. Plut. Camillus 37,3; Fabius Maximus 19,3 (κατατριβήσεσθαι περὶ τὸν πόλεμον); Sulla 15,1 (χρονοτριβεῖν τὸν πόλεμον); 20,3 (χρόνῳ τρίβειν τὸν πόλεμον); Dion. Hal. ant. IX 5,5 (τρίβειν τὸν πόλεμον); App. Lib. 69 (τρίβειν τὸν πόλεμον); civ. II 10,66 (ὁ μὲν δὴ κρατίστῳ
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Um auf taktischer Ebene ein ähnliches Muster zu bieten: In seiner Darstellung der Seeschlacht von Eknomos (256 v.Chr.) beschreibt Polybios, wie die Karthager Hanno auf dem rechten Flügel den Auftrag gaben, mit besonders schnellen Schiffen ein Umfassungsmanöver zu versuchen, die sogenannte ὑπερκέρασις.30 Über dasselbe Manöver zu Lande gibt Polybios angesichts von Scipios Entscheidungen wohl in der Schlacht von Ilipa 206 v.Chr. ein Urteil ab: „Der Feldherr kümmerte sich nur wenig um diese Details, weil er etwas Wichtigeres im Blick hatte, nämlich die Überflügelung des Gegners; und er dachte richtig so. Der Feldherr muss nämlich absehen, welche Entwicklungen sich aus seinen Planungen ergeben, und er muss die für die Lage passenden Manöver wählen.“31
Die ὑπερκέρασις ist ein terminus technicus der griechischen Taktikliteratur32 für das Überflügelungsmanöver. Einen solchen taktischen terminus technicus stellt auch die ἐνέδρα dar, der Hinterhalt, der darin besteht, daß größere Abteilungen von Kräften im Verborgenen, hinter einem Sichthindernis oder unter der Bedeckung eines Gehölzes, gehalten werden, um dann überraschend in den Kampf einzugreifen; auch für das durch diesen Terminus bezeichnete Vorgehen hat die Taktikliteratur Empfehlungen aufgestellt; Gepflogenheiten (und wahrscheinlich auch Dienstvorschriften) sahen vor, solche Hinterhalte in bestimmter Form zu legen, sodaß in byzantinischer Zeit der Anonymus solche etablierten Gepflogenheiten als unzweckmäßig (weil mit unzureichender Verborgenheit operierend) kritisieren konnte.33 Polybios beschreibt den Hinterhalt, den die keltischen Boier am Vorabend des Hannibalkrieges gegen römische Truppen in einem Eichenwald legten,34 Hannibals Hinterhalt in der Senke des Flusses Trebia35 und weitere derartige Aktionen.36 Über Hamilkars Kämpfe auf der Heirkte im Ersten Punischen Krieg (247 v.Chr.) schreibt er: „Denn die taktischen Überlegungen und Elementaraktionen aufzuzählen, mit welchen sie tagtäglich gegeneinander Hinterhalte und Gegenhinterhalte legten und Kommandoaktionen und
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λογισμῷ τρίβειν τὸν πόλεμον ἐγνώκει, καὶ ἐς λοιμὸν ἐκ λιμοῦ τοὺς πολεμίους περιϕέρειν); Julian Apost., Caes. 24; Eunapius fr. 44,1 Blockley = HGM I p. 242 fr. 46 (Dindorfs Lesung: χρονοτριβοῦντα; Blockley: χρόνῳ τρίβοντα). Pol. I 27,5: πρὸς τὴν ὑπερκέρασιν; vgl. 3 (ὡς κυκλώσοντες τοὺς ὑπεναντίους). Pol. XI 23,8: οὗ μικρὸν λόγον θέμενος ὁ στρατηγὸς τοῦ μείζονος ἐποιήσατο πρόνοιαν, τοῦ κατὰ τὴν ὑπερκέρασιν, ὀρθῶς λογιζόμενος εἰδέναι μὲν γὰρ δεῖ τὸ γινόμενον, χρῆσθαι δὲ ταῖς πρὸς τὸν καιρὸν ἁρμοζούσαις κινήσεσιν. Vgl. Anon. Byzant. Περὶ στρατηγικῆς XXXII 14, in: H. KÖCHLY, W. RÜSTOW, Griechische Kriegsschriftsteller II 2, Leipzig 1855 (ND Osnabrück 1969), über Maßnahmen gegen eine ὑπερκεράσις oder ὑπερϕαλαγγώσις; Aelian. takt. 38,1–3; Arr. takt. 25,9–10; 29,8–10; Arr. an. II 8,4; 9,3–4; 11,1; III 13,1. Anon. Byzant. Περὶ στρατηγικῆς XL 1–10, in: KÖCHLY/RÜSTOW, Kriegsschriftsteller II 2 (Anm. 31), 183–187. Pol. III 40,12. Vgl. I 84,8. Pol. III 71,1. Pol. I 84,8; III 74,1–3; 81,10; 83,6; 84,1; 105,1–4; 118,6; IV 8,11; 59,3; 63,9; V 17,3; 70,7; 96,3; VII 15,1; VIII 14,7–9; 18,6–8; 20,6; 35,1; IX 17,4; X 32,3; XIII 3,7; XVI 37,7; XVIII 3,2; XXXVI 9,9; fr. 197.
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massierte Angriffe durchführten, wäre für den Historiker gar nicht möglich, für die Leser aber würde das eine überflüssige und nutzlose Seite ihrer Lektüre darstellen.“37
ἐνέδραι, ἀντενέδραι, ἐπιθέσεις und προσβολάι sind ebenso taktische Elementarhandlungen wie der Marsch in der Linie (παραγωγή).38 Auch für die arbeitsteilige Form des Kavalleriegefechtes mit Vorstößen und Kehrtwendungen mit erneuten Angriffen gegen die feindlichen Linien (ἐξ ἀναστροφῆς, ἐκ μεταβολῆς) gibt es eine ausgebildete Terminologie, die zugleich eine Norm, einen νόμος, zweckmäßig geordneten militärischen Vorgehens bezeichnet,39 dem der Schlachtverlauf bei Cannae in taktischer Hinsicht jedoch nicht entsprach. Beim Blick auf die Statistik der Terminologien des Krieges und des Militärs (siehe oben) zeigte sich einerseits die Wichtigkeit, die diese Gegenstände im Werk des hellenistischen Historikers besitzen, andererseits aber auch, wie deutlich in diesem Werk in Abhängigkeit von den behandelten Gegenständen terminologisch das Kriegerische in pragmatischer Hinsicht beziehungsweise das Soldatische in sozialer und institutioneller Hinsicht in den Vordergrund tritt, die gewählte Sprache sich also mit dem Gegenstand wandelt. Diese Beobachtung bestätigt sich im Blick auf die Terminologie im einzelnen. So folgt Polybios griechischen Übersetzungskonventionen für römische Institutionen dort, wo es diese gibt. Der praetor heißt so bei ihm wie in der hellenistischen Inschriftensprache στρατηγός, der consul ὕπατος, die comitiae ἐκκλησίαι und das Volk und die Gerichte δῆμος.40 Wenn keine solche Übersetzungskonvention besteht, an den Institutionen aber eine lateinische Bezeichnung haftet, etwa ein geographischer Name, transliteriert Polybios diese Bezeichnung: Das Capitolium heißt Καπετώλιον.41 Genau so geht Polybios im Falle der lateinischen Bezeichnungen für militärische Einrichtungen vor, indem er nach Möglichkeit etablierte griechische Terminologien benutzt: In den nach römischem Muster reformierten hellenistischen Armeen des Ostens gab es ein Pendant für den römischen Manipel, die σημεία oder σημαία, wofür Polybios gelegentlich auch σπεῖρα verwendet.42 Für die cohors führt er eine transliterierte Bezeichnung ein und erklärt die Sache.43 So geht er sprachlich mit den wichtigsten römischen militärischen Einrichtungen um, für die es keine griechische begriffliche Entsprechung gab. Die Reihen beziehungsweise Treffen der römischen Infanterie (principes, hastati, triarii), Dienstgrade und Amtsbezeichnun37 Pol. I 57,3: τὰς μὲν γὰρ αἰτίας ἢ τοὺς τρόπους, δι’ ὧν ἀν’ ἑκάστην ἡμέραν ἐποιοῦντο κατ’ ἀλλήλων ἐνέδρας, ἀντενέδρας, ἐπιθέσεις, προσβολάς, οὔτ’ ἂν ὁ γράϕων ἐξαριθμούμενος ἐϕίκοιτο, τοῖς τ’ ἀκούουσιν ἀπέραντος ἅμα δ’ ἀνωϕελὴς ἂν ἐκ τῆς ἀναγνώσεως γίνοιτο χρεία 38 Pol. III 2,5–6; IV 44,4; 46,6; 47,1–4; VIII 5,4–6; X 23,5–6. Vgl. Asklepiod. takt. 11. 39 Pol. III 115,3. 40 Pol. VI 12,1–14,7; 53,7; III 106,6. 41 Pol. VI 19,6; III 26,1; 22,2; II 31,5; 18,3; I 6,3. 42 Pol. VI 24,5–6; 41,7; 64,7; X 49,7; XI 23,1. Zu den hellenistischen Militärreformen vgl. N. SEKUNDA, Seleucid and Ptolemaic Reformed Armies 168–145 BC. I. The Seleucid Army under Antiochus IV Epiphanes. II: The Ptolemaic Army under Ptolemy VI Philometor, Stockport 1994–1995; DERS., Hellenistic Infantry Reform in the 160s B.C., Łodź 2001. 43 Pol. XI 23,1–2; 33,1.
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gen (centuriones, decuriones, praefectus, extraordinarius) werden durch Transliteration ins Griechische übertragen (πρίγκιπες, ἁστᾶτοι, τριάριοι, κεντυρίωνες, δεκουρίωνες, πραίφεκτος, ἐκτραορδινάριος).44 Diese Häufung transliterierter Bezeichnungen im Bereich des Militärischen ist ein Indikator dafür, wie wichtig Polybios exakte, eindeutige und eingeführte Bezeichungen für militärische Sachverhalte und Einrichtungen sind. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, daß Polybios’ eingeführte taktische, operative und strategische Terminologien verwendet, um komplexe Institutionen und Handlungszusammenhänge zusammenfassend zu bezeichnen und zu bewerten. Die wichtigeren und allgemeineren Gesichtspunkte, nach denen die Taktiker- und Strategenliteratur ihren Stoff strukturiert, gliedern dabei oft auch Polybios’ Darlegungen über das Militärische. Marsch, Lagerbau und Aufstellung zur Schlacht sind Etappen eines gedachten Feldzuges (wie er das Werk Onasanders gliedert) und zugleich Gesichtspunkte seiner literarischen Behandlung. „Dies scheint mir deshalb die passende Gelegenheit zu sein, so weit dies mit Worten möglich ist, den Lesern einen Eindruck davon zu vermitteln von den taktischen Grundsätzen der Römer für Marsch, Lagerbau und Schlachtaufstellung.“ (πορεία, στρατοπεδεία, παρατάξις)45
Die Wichtigkeit geometrischer Kenntnisse als Voraussetzungen für die Urteilsfähigkeit des Feldherrn betont Polybios mehrfach. Damit nimmt er einen topischen Stoff militärischer Belehrung auf, den in imperativer Form z.B. der Strategikos Onasanders artikuliert. Der Feldherr, heißt es dort, solle sich klar machen, daß kreisförmige Lager eine verhältnismäßig größere Fläche und daher Platz für ein größeres Heer böten als rechteckige, daß auf rauhem Gelände errichtete Lager notwendig freie, ungenutzte Flächen mit umfassten und daher nur kleineren Heeren Raum böten als auf ebenem Grund errichtete.46 Die Gliederung einer systematisch geordneten taktisch-strategischen Lehrschrift schimmert bei Polybios noch in der Grundgliederung jenes Abschnittes über die Notwendigkeit mathematischer Kenntnisse für die Militärführung durch: In mehreren konsekutiven Zugriffen bestimmt Polybios die notwendigen Voraussetzungen militärischen Erfolges. Regelmäßig stützt er seine Überlegungen auf systematisch geordnete abgeschlossene Kategorienlisten. Da jede Aktion durch eine genau abgegrenzte Lage, durch gewisse Entfernungen und durch einen Ort bestimmt sei, und da sie der Geheimhaltung und genau abgestimmter Erkennungszeichen bedürfe, darüber hinaus auch der Bestimmung, durch wen und mit wem und auf welche Weise sie ausgeführt
44 Pol. VI 21–37; 40,11–14; 42,4; 57,2; I 26–28; II 33,4; XII 25i,6; XIV 8,5–11; XV 9,7–8; 13,7–9; 14,3–5. Zur Transliteration lateinischer militärischer Termini bei Polybios: A. FORNARO, Problemi di metrologia nell’opera di Polibio, Bari 2005, 55; M. DUBUISSON, Le latin de Polybe. Les implications historiques d’un cas de bilinguisme, Paris 1985, passim. 45 Pol. VI 26,11: διὸ καὶ δοκεῖ μοι πρέπειν τῷ καιρῷ τὸ πειραθῆναι, καθ’ ὅσον οἷόν τε τῷ λόγῳ, τοὺς ἀκούοντας εἰς ἔννοιαν ἀγαγεῖν τοῦ κατὰ τὰς πορείας καὶ στρατοπεδείας καὶ παρατάξεις χειρισμοῦ τῶν δυνάμεων. 46 Onasand. Strateg. 10,16: πᾶς γὰρ κύκλος ἐλάττω τὴν τοῦ σχήματος ὄψιν ἔχει τῆς ἐξ ἀναλόγου στερεομετρουμένης θεωρίας („Jede kreisförmige Figur erscheint optisch kleiner als nach der Geometrie zu erwarten“).
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werden solle, sei klar, daß nur derjenige mit seiner Unternehmung nicht scheitere, der in jedem einzelnen Punkt keinen Fehler mache, während, wer auch nur in einem Punkt fehlgehe, mit seiner ganzen Operation scheitere (IX 12,8–9). Diesem Versuch einer Bestimmung der auf militärische Aktionen wirksamen Einflussgrößen und der Voraussetzungen militärischen Erfolges folgt eine systematisch geordnete Liste der erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse, um diese Voraussetzungen militärischen Erfolges zu erfüllen: Geheimhaltung, Fähigkeit zur Abschätzung der Möglichkeiten und Erfordernisse von Nachtmärschen zu Lande und zu Wasser, drittens Kenntnisse der Astronomie und der Zeitrechnung, dazu Kenntnisse der Geographie, der Geheimkommunikation und der Personalauswahl (IX 13). In einem dritten Zugriff werden sodann die möglichen Quellen des Wissens und Könnens benannt (Übung, historische Beispiele, wissenschaftliche Schulung, Erkundung durch Befragung und Ähnliches) und die Zeitrechnung im einzelnen erläutert (IX 14–16). Beispiele der Vernachlässigung der Regeln (IX 17–19) gehen einem Schlussabschnitt voraus, der deutlich macht, daß es sich bei Polybios’ Exkurs zu Fragen der Taktik und operativen Führung um einen Kurzabriss des Inhaltes einer Schrift handelt, die Polybios diesem Thema gewidmet hat. Bezeichnend für die Inhalte solcher Schriften ist, daß Onasanders Bemerkungen über die Lagergeometrie (siehe oben) in Polybios’ Taktikschrift ein Pendant hatten, mithin zu den etablierten Gegenständen solcher Schriften gehörten: „Daraus wird deutlich, daß diejenigen, die mit ihren Operationen und Aktionen Erfolg haben wollen, Geometrie getrieben haben müssen, und zwar nicht bis zur Vollendung, aber zumindest so weit, daß sie einen Begriff von der Berechnung von Verhältnissen und der Theorie der Ähnlichkeit von Flächen besitzen. Diese Methode ist nämlich nicht nur für die genannten Zwecke notwendig, sondern auch beim Lagerbau für die Berechnung der einzelnen Formen, damit jede unterschiedliche Form den gleichen Flächeninhalt hat zur Aufnahme der Personen, oder auch, um bei konstanten Formen des Lagers für das Heer dessen Flächeninhalt vergrößern oder verkleinern zu können, im Verhältnis zu den jeweils größeren oder kleineren Mannschaftsstärken. Diese Zusammenhänge habe ich detaillierter in meiner Abhandlung über Taktik behandelt.“47
Gliederung und Aufbau dieses Abschnittes zu Taktik, Operationsführung und militärischer Geometrie reproduzieren nun nicht nur die systematische Gliederung einer Lehrschrift zur Sache, sondern dienen innerhalb des Geschichtswerkes einem argumentativen Ziel. Dieses besteht darin, nachzuweisen, daß militärische Führung vielseitiger Kenntnisse und der Kompetenz in einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen verlangt, von denen die Geschichte eine ist, die Geome47 Pol. IX 20,1–4: διὸ πάλιν ἐν τούτοις φανερὸν ὅτι δεήσει τοὺς βουλομένους εὐστοχεῖν ἐν ταῖς ἐπιβολαῖς καὶ πράξεσι γεγεωμετρηκέναι μὴ τελείως, ἀλλ’ ἐπὶ τοσοῦτον ἐφ’ ὅσον ἀναλογίας ἔννοιαν ἔχειν καὶ τῆς περὶ τὰς ὁμοιότητας θεωρίας. οὐ γὰρ περὶ ταῦτα μόνον, ἀλλὰ καὶ περὶ τὰς τῶν σχημάτων μεταλήψεις ἐν ταῖς στρατοπεδείαις ἀναγκαῖός ἐστιν ὁ τρόπος, χάριν τοῦ δύνασθαι ποτὲ μὲν πᾶν σχῆμα μεταλαμβάνοντας τηρεῖν τὴν αὐτὴν συμμετρίαν τῶν ἐν ταῖς παρεμβολαῖς περιλαμβανομένων, ποτὲ δὲ πάλιν ἐπὶ τῶν αὐτῶν σχημάτων μένοντας αὔξειν ἢ μειοῦν τὸ περιλαμβανόμενον τῇ στρατοπεδείᾳ χωρίον, κατὰ λόγον ἀεὶ τῶν προσγινομένων ἢ τῶν χωριζομένων ἐκ τῆς παρεμβολῆς ὑπὲρ ὧν ἡμῖν ἐν τοῖς περὶ τὰς τάξεις ὑπομνήμασιν ἀκριβέστερον δεδήλωται.
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trie und die Astronomie weitere, und die Strategie im engeren Sinne nur eine unter vielen: „Es ist widersinnig, wenn einerseits Studenten des Tanzes oder des Oboenspiels sich einer Grundausbildung in Rhythmik und Musiktheorie unterziehen und sogar Sport treiben müssen, weil man meint, das erstrebte Lernziel bedürfe unbedingt der Synergie der genannten Disziplinen, andererseits aber künftige Strategen ablehnend reagieren, wenn man von ihnen verlangt, sich auch außerhalb der eigentlichen Strategie Kenntnisse anzueignen. Das hieße ja, daß die Schüler eher handwerklicher Techniken lernbegieriger und strebsamer wären als diejenigen, die sich in der wichtigsten und bedeutendsten Führungstechnik überhaupt auszeichnen wollen. Kein Vernünftiger wird so etwas zulassen.“ 48
Τῶν δὲ προειρημένων τὰ μὲν ἐκ τριβῆς, τὰ δ’ ἐξ ἱστορίας, τὰ δὲ κατ’ ἐμπειρίαν μεθοδικὴν θεωρεῖται:49 Eine der Funktionen der Geschichte selbst besteht darin, militärische Lehren zu ermöglichen – neben persönlicher Erfahrung und Schulung in Disziplinen wie der Astronomie oder Geometrie. Polybios illustriert seine knapp gefasste militärische Lehre, deren Quintessenz im Wert einer vielseitigen wissenschaftlich-praktischen Schulung für den Feldherrn liegt, an einer Reihe von abschreckenden Beispielen, die anhand des Scheiterns militärischer Planungen die Folgen von Nachlässigkeiten und Versäumnissen der Feldherrn im Umgang mit Raum und Zeit illustrieren sollen: Arats Plan einer Einnahme Kynaithas durch Verrat (wohl 241 v.Chr.), die scheiterte, weil Arat es versäumt habe, ein sicheres Paroleverfahren zu verabreden;50 Kleomenes’ Vorhaben eines verratsgestützten Handstreiches auf Megalopolis, das aufgrund fehlender Kenntnisse der Astronomie und Zeitrechnung fehlging (223 v.Chr.);51 Philipp V., der auf eine Fünfte Kolonne innerhalb der Stadt gestützt Melitaia attackierte (217 v.Chr.), dabei die Länge der Sturmleitern ebenso wie die eines Anmarschweges falsch berechnete und scheiterte;52 Nikias habe es vor Syrakus ver48 Pol. IX 20,7–9: καὶ γὰρ ἄτοπον τοὺς μὲν ὀρχηστικῆς ἢ τοὺς αὐλητικῆς ἐφιεμένους ἐπιδέχεσθαι τήν τε περὶ τοὺς ῥυθμοὺς καὶ τὰ μουσικὰ προκατασκευήν, ἔτι δὲ τὰ περὶ τὴν παλαίστραν, διὰ τὸ δοκεῖν προσδεῖσθαι τὸ τέλος ἑκατέρου τῆς τῶν προειρημένων συνεργίας, τοὺς δὲ στρατηγίας ἀντιποιουμένους ἀσχάλλειν, εἰ δεήσει τῶν ἐκτὸς ἐπιτη δευμάτων μέχρι τινὸς ἀναλαβεῖν. ὥστε τοὺς περὶ τὰς βαναύσους τέχνας ἀσκοῦντας ἐμμελεστέρους εἶναι καὶ φιλοτιμοτέρους τῶν περὶ τὰ κάλλιστα καὶ σεμνότατα προαιρουμένων διαφέρειν ὧν οὐδὲν ἂν ὁμολογήσειε νοῦν ἔχων οὐδείς. καὶ περὶ μὲν τούτων ἐπὶ τοσοῦτον ἡμῖν εἰρήσθω. 49 Pol. IX 14,1: „Von den genannten Dingen lernt man einiges durch eigene Übung, anderes aus der Geschichte und wiederum anderes durch systematische wissenschaftliche Schulung.“ Ähnlich XI 8,1–3: „Es bestehen drei Wege, auf denen sich alle, die methodisch vorgehen, die Feldherrnkunst erlernen: erstens durch die Lektüre von Erfahrungsberichten und durch den sich daraus ergebenden Bildungseffekt, zweitens durch die methodisch zielgerichtet erfolgende Belehrung durch erfahrene Männer, drittens durch Erfahrung und Übung in der Praxis selbst; den Strategen der Achaeer aber fehlte einfach Ahnung auf allen dreien dieser Wege.“ 50 Pol. IX 17,1–10. Vgl. WALBANK, Commentary II (Anm. 15), 142–144. 51 Pol. IX 18,1–4. Dazu WALBANK, Commentary II (Anm. 15), 144. 52 Pol. IX 18,5–9. Dazu WALBANK, Commentary II (Anm. 15), 144f. Walbank führt die Darstellung auf Polybios’ Taktik zurück; detaillierter und wohl auch richtiger als in der fortlaufenden Darstellung (V 97,5) werde das Scheitern Philipps erklärt. Diese Darstellung (V 97,5–98,10) nutzt Polybios, um dem Leser παραδείγματα des militärischen Scheiterns aufgrund mangel-
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säumt, rechtzeitig den Rückzug anzutreten, weil er nicht über die notwendigen astronomischen Kenntnisse über Mondfinsternisse verfügte.53 Das Beweisziel von Polybios’ Abschnitt über taktische und operative Führung besteht im Nachweis der Notwendigkeit einer breiten, mathematisch gegründeten Bildung des Feldherrn, zu der die Geschichte militärischer Operationen beiträgt, und der Abschnitt IX 12–20 bietet zu diesem Nachweis einen kurzen Abriss des Inhaltes einer systematischen Lehrschrift zu dem Thema. Daß historische Beispiele unter taktischen oder operativen Gesichtspunkten bewertet werden, geschieht nicht nur innerhalb dieses systematischen Zusammenhanges. Vielmehr folgt an vielen Stellen bei Polybios auf die und aus der Darstellung militärischer Operationen eine explizite Kritik der Planungen und ihrer Durchführung, gelegentlich wird eine verallgemeinernde Lehre gezogen, eine Bewertung vorgenommen und das positive oder negative Beispiel als solches ausgezeichnet. Im Anhang zur Übersetzung Hans Drexlers und im RE-Artikel Konrat Zieglers werden die Stellen, an denen derartige taktische oder operative Lehren für den Feldherrn artikuliert werden, übersichtlich verzeichnet.54 Es wird daher hier ausreichen, die Charakteristika dieser Seite des polybianischen Geschichtswerkes an einigen ausgewählten Beispielen darzustellen. Das erste der folgenden Beispiele zeigt einen Feldherrn als Versager, das zweite einen Geschichtsschreiber, und beide Beispiele lassen etwas von dem erkennen, was Polybios von einem Militärhistoriker erwartet.
hafter Vermessung und geometrischer Planung zu vermitteln (V 98: Nachlässigkeit bei der Berechnung der Länge von Sturmleitern). 53 Pol. IX 19,1–4. Dazu WALBANK, Commentary II (Anm. 15), 145. 54 H. DREXLER, Polybios Geschichte, Zürich/München 1963, 1452f.; ZIEGLER, Polybios (Anm. 18), Sp. 1501–1503 betrachtet Polybios’ Werk als „eine Art Handbuch der politischen und militärischen Wissenschaften“. Ebenda Sp. 1555–1557 verzeichnet Ziegler folgende taktische und operative Lehren und Reflexionen des Polybios: III 81 (Notwendigkeit der Aufklärung gegnerischer Absichten); X 16–17 (System der Beuteteilung bei den Römern); XVIII 18 (Vergleich des römischen mit dem griechischen Lagerbau); XVIII 28–32 (Vergleich des taktischen Wertes der griechischen Phalanx und der römischen Infantrietaktik); IX 8–9 (Vergleich der Strategien von Epameinondas und Hannibal); IX 12–21 (über die Rolle von Mathematik und Astronomie für die Planungen des Feldherrn); X 32,7–33,7 (Beurteilung Hannibals); XI 14,2–8 (Verhalten des Feldherrn in der Schlacht); Schlachtanalysen: XII 17–22 (Issos); XII 25–26 (Leuktra und Mantineia); XVI 18–19 (Panion); über die Bedeutung der Reiterei: III 115,3 (Anastrophe und Metabole); III 117,5; IX 3,9; X 22,6–23,9; III 71,7 (Hinterhalte); IV 11,7–9 (Fehler der Achäer); V 64 (Neuorganisation der ägyptischen Armee); 98 (Belagerung und Länge der Sturmleitern); X 43–47 (Entwicklung des Signalwesens); XXI 27–28 (Belagerung Ambrakias); XXVII 11 (neuartiges Schleudergeschoß); XI 13,4–8 (Vergleich des Wertes von Söldner- und Bürgerarmeen); XI 25 (stetes Üben als Vorbeugung gegen Unruhen).
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Kaphyai Arat und die Achäer schlossen 220 v.Chr. mit einem aitolischen Heer, das auf der Peloponnes geplündert hatte, ein Abzugsabkommen. Der Feldherr entließ daraufhin einen großen Teil seiner Truppen, um mit dem kleineren Rest den Abzug der Aitoler zu überwachen. ἀντιπαράγειν nennt Polybios die Operation, einen Gegen-Aufmarsch. Als die Aitoler diesen bemerkten, griffen sie, anders als Arat erwartet hatte, die geschwächten achäischen Kräfte an und fügten ihnen eine empfindliche Niederlage bei. Die Aitoler befürchteten nämlich, daß sie beim Einschiffen (ἔμβασις) ihrer Beute bei Patras, in einer Situation besonderer Angreifbarkeit, attackiert würden; daher griffen sie selbst an. Der Übergang auf das Schiff als besondere taktische Gefährdungslage, der bedrohliche, wenn auch defensiv konzipierte Gegenaufmarsch, und beides unter Bedingungen wechselseitiger Wahrnehmung des je anderen als einer Bedrohung. Dies will Polybios herausstellen (IV 10), sowie die Tatsache, daß Arat und die Achäer mit dieser Wendung der Lage nicht gerechnet hätten: κακῶς ἐχρήσαντο τοῖς πράγμασιν ὥσθ’ ὑπερβολὴν ἀνοίας μὴ καταλιπεῖν („Sie trafen derartig falsche Maßnahmen, daß ihre Dummheit kaum zu überbieten war“ [IV 11,1]). Ihr Fehler bestand neben dem Ignorieren des Sicherheitsdilemmas – was der eine zu seiner Sicherheit unternimmt, wird von dem andern als Bedrohung wahrgenommen – darin, zwar ein gut gedecktes Lager zu beziehen, jedoch eine Reiterabteilung als Fühlunghalter auszusenden mit dem Auftrag, die gegnerische Nachhut in kleinere Gefechte zu verwickeln:55 „Wenn man denn hätte ein Risiko eingehen wollen, hätte man sich nicht mit der Nachhut einlassen dürfen, nachdem die Feinde die Ebene bereits verlassen hatten, sondern man hätte die Vorhut der Feinde beim Eintritt in die Ebene angreifen müssen. So hätte das gesamte Gefecht auf flachem, ebenem Grund stattgefunden, was für die Aitoler nach ihrer Bewaffnung und Taktik von Nachteil gewesen wäre, die Achäer dagegen hätten den Vorteil größerer Beweglichkeit aus dem ebenen Gelände ziehen können aufgrund ihrer ganz gegensätzlichen Taktik und Ausrüstung.“56
Arat missversteht im folgenden einen taktischen Rückzug der aitolischen Reiter als Flucht, setzt nach und wird bei dem folgenden Angriff der neu formierten Aitoler vernichtend geschlagen. Viele Achäer hätten sich nach Orchomenos und Kaphyai flüchten müssen. Ohne dies hätten wohl alle in der Gefahr gestanden, aus Gedankenlosigkeit umzukommen (παραλόγως).57
55 Pol. IV 11, besonders 11,6: συντάξαντες ἐξάπτεσθαι τῆς οὐραγίας καὶ καταπειράζειν τῶν πολεμίων. 56 Pol. IV 11,7–8: καίτοι γ’ εἰ μὲν ἦν κινδυνευτέον, οὐ πρὸς τὴν οὐραγίαν ἐχρῆν συμπλέκεσθαι, διηνυκότων ἤδη τῶν πολεμίων τοὺς ὁμαλοὺς τόπους, πρὸς δὲ τὴν πρωτοπορείαν, εὐθέως ἐμβαλόντων εἰς τὸ πεδίον. οὕτως γὰρ ἂν τὸν ἀγῶνα συνέβη γενέσθαι τὸν ὅλον ἐν τοῖς ἐπιπέδοις καὶ πεδινοῖς τόποις, οὗ τοὺς μὲν Αἰτωλοὺς δυσ χρηστοτάτους εἶναι συνέβαινε διά τε τὸν καθοπλισμὸν καὶ τὴν ὅλην σύνταξιν, τοὺς δ’ ᾽Αχαιοὺς εὐχρηστοτάτους καὶ δυναμικωτάτους διὰ τἀναντία τῶν προειρημένων. 57 Pol. VI 12, besonders 12,13.
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Polybios stellt die Entscheidungen im Krieg als Ergebnisse von Schlussfolgerungen dar, die die Heerführer aus ihren Lageeinschätzungen, Erwartungen und Verallgemeinerungen ziehen. Fehler sind Fehler dieser Schlussverfahren, also der Lageeinschätzung, -wahrnehmung und -beurteilung.
Kallisthenes Polybios’ Kritik der seines Erachtens gescheiterten Schilderung der Schlacht von Issos58 durch Kallisthenes lässt erkennen, mit welchen militärischen Informationsund Belehrungserwartungen seitens der Leser Polybios rechnete. Diese Kritik ist früher teilweise als kleinlich abgetan worden. Klaus Meister hat dieses Negativurteil modifiziert, indem Polybios die falschen Voraussetzungen des Kallisthenes’ über die Breite des Schlachtfeldes (14 statt 40 Stadien) übernommen und Kallisthenes im wesentlichen korrekte (im Falle Alexanders übertreibenden) Angaben über die Dislozierung der Truppen daher fälschlicherweise abgelehnt habe.59 Nicht, ob Polybios’ Kritik oder diese Kritik der Kritik berechtigt ist, soll unser Gesichtspunkt sein, sondern die Frage, welche Erwartungen und Voraussetzungen Polybios’ Urteil impliziert. Kallisthenes’ Darstellung ihrerseits setzt voraus, daß Alexander durch die Kilikische Pforte, Dareios durch den Paß der Amanos-Pforte ins ebene Kilikien abgestiegen seien, und Dareios am Fluß Pinaros (Deli Tschai) sein Lager an einer Stelle aufgeschlagen habe, wo zwischen dem Fuß der Berge und dem Meer nur 14 Stadien (ca. 2,5km) Platz gewesen sei. Dort habe Dareios schließlich gegen Alexander eine Verteidigungsstellung bezogen, die Leichtbewaffneten an die Berge angelehnt, die Reiter ans Meer, die Söldner am Fluss und hinter allen die Infanteristen der Phalanx. Polybios kritisiert diese Rekonstruktion zunächst von der Basis seiner Kenntnis kavalleristischer Einsatzgrundsätze aus: „Denn die höchste Tiefe, die man aus taktischen Gründen einer Reiterformation im Kampfe gibt, beträgt acht Glieder, und die einzelnen Schwadronen müssen durch einen Zwischenraum, der gleich ihrer Frontbreite ist, voneinander getrennt sein, damit die Schwenkungen und Kehrtwendungen ohne Schwierigkeiten ausgeführt werden können. Infolgedessen finden auf einer Front von einem Stadion achthundert Mann, von zehn Stadien achttausend, auf den restlichen vier Stadien dreitausendzweihundert Raum, so daß die ganze Strecke von vierzehn Stadien mit elftausendzweihundert voll besetzt ist. Wenn man nun aber die ganzen dreißigtausend aufstellt, dann fehlt nicht viel daran, daß allein die Reiter eine dreifache Phalanx hin60 tereinander bilden.“
58 Pol. XII 17–22 = FGrHist 124 F 35. Vgl. Arr. an. II 6–11; K. MEISTER, Historische Kritik bei Polybios, Wiesbaden 1975, 20–23; 81–91; F. JACOBY, Die Fragmente der griechischen Historiker, Bd. II D, Leiden 1930 (ND Leiden 1962), 429; WALBANK, Commentary II (Anm. 15), 364. 59 MEISTER, Kritik (Anm. 58), 81–91. 60 Pol. XII 18,3–5: πλεῖστον μὲν γὰρ ἱππέων τάττεται βάθος ἐπ’ ὀκτὼ πρὸς ἀληθινὴν χρείαν, καὶ μεταξὺ τῶν ἰλῶν ἑκάστης ἴσον ὑπάρχειν δεῖ διάστημα τοῖς μετώποις πρὸς τὸ ταῖς ἐπιστροϕαῖς δύνασθαι καὶ τοῖς περισπασμοῖς εὐχρηστεῖν. ἐξ ὧν τὸ στάδιον ὀκτακοσίους
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Offenkundig generalisiert Polybios jene Grundsätze hellenistischen Kavallerieeinsatzes; er setzt daher voraus, daß diese als durch die Sache selbst bedingte Regeln auch für die persische Kavallerie des Dareios galten. Kallisthenes wird im Widerspruch dazu von Polybios im übrigen so zitiert, als habe Kallisthenes selbst in seiner Darstellung jenen oben skizierten polybianischen Grundsätzen für die rationale Behandlung militärischer Lagen und Entscheidungen entsprochen. Kallisthenes stellte im Kontext seiner von Polybios kritisierten Darstellung nämlich auch die persische Disposition für die Schlacht dar, und diese Disposition habe Kallisthenes, so Polybios, als Ergebnis einer Lageeinschätzung und taktischen Entscheidung auf persischer Seite geschildert: „Als Alexander sich mit seinem Heer auf dem Rückmarsch ihnen näherte, da hätten, so Kallisthenes, Dareios und seine Feldherren beschlossen, die ganze Phalanx im Lager selbst an dessen ursprünglicher Position zur Schlacht aufzustellen und dabei den Fluß als Deckung zu 61 verwenden, weil dieser dicht vor dem Lager entlangfloß.“
Wahrnehmung beziehungsweise Einschätzung einer Lage, Vergleich der Alternativen, Entscheidung, Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen: Darin liegt die Stufenlogik militärischen Entscheidens. Herodot hat bereits für das, was die Griechen 480/479 an Fähigkeiten der Organisation und der Strategie erworben haben, diese Stadien auch begrifflich voneinander geschieden.62 Kallisthenes’ Rekonstruktion der Entscheidungen auf persischer Seite folgte daher einer etablierten literarischen Konvention für die Erklärung militärischen Handelns ebenso wie Voraussetzungen des klugen Menschenverstandes. Diesen zufolge entschieden Dareios und seine Strategen auf ähnliche Weise und nach gleichen Zweckmäßigkeitserwägungen und taktischen Grundsätzen wie die Griechen. Diese Voraussetzung aber stellt eine Hypothese dar, kaum den Inhalt direkter Information und Tradition. Polybios’ Kritik an Kallisthenes’ Darstellung des Verlaufes der Schlacht ergibt sich aus dem Gesagten: Reiter und Söldner hätten direkt nebeneinander stehen müssen, ein direkter Kontakt zwischen persischen Reitern und makedonischen Gegnern sei am Anfang der Schlacht wegen des zwischen beiden Schlachtreihen fließenden Flusses unmöglich gewesen.63 Die zweite Hälfte der Kritik nimmt das Geschehen von der makedonischen Seite unter die Lupe. Die Rechnungen sind dabei in fast schematischer Weise für die Fußsoldaten dieselben wie für die persische Kavallerie. Dabei setzt Polybios für den Anmarsch ins Gefecht λαμβάνει, τὰ δὲ δέκα τοὺς ὀκτακισχιλίους, τὰ δὲ τέτταρα τρισχιλίους διακοσίους, ὥστ’ ἀπὸ τῶν μυρίων χιλίων διακοσίων πεπληρῶσθαι τὸν τῶν τετταρεσκαίδεκα σταδίων τόπον. ἐὰν δὲ πάντας ἐκτάττῃ τοὺς τρισμυρίους, βραχὺ λείπει τοῦ τριϕαλαγγίαν ἐπάλ ληλον εἶναι τῶν ἱππέων αὐτῶν. (Übers.: H. DREXLER, Polybios Geschichte II, Zürich/Stuttgart 1963, 802f.). 61 Pol. XII 17,6: [...] ἐπεὶ συνεγγίζοιεν οἱ περὶ τὸν ᾽Αλέξανδρον ἐξ ὑποστροϕῆς ἐπ’ αὐτοὺς ἀναχωροῦντες, κρῖναί ϕησι Δαρεῖον καὶ τοὺς ἡγεμόνας τὴν μὲν ϕάλαγγα τάξαι πᾶσαν ἐν αὐτῇ τῇ στρατοπεδείᾳ, καθάπερ ἐξ ἀρχῆς εἶχε, χρήσασθαι δὲ τῷ ποταμῷ προβλήματι διὰ τὸ παρ’ αὐτὴν εῖν τὴν στρατοπεδείαν. 62 MEISSNER, Strategies in Herodotus (Anm. 9). 63 Pol. XII 18.
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πορευτικὰ διαστήματα (marschtypische Abstände) voraus, und das heißt: sechs Fuß Platzbedarf in der Länge für jeden Mann. Das sind ca. 1,8m, also vergleichsweise viel. Polybios spricht diese Voraussetzungen seiner Berechnungen deutlich aus; – sie dürften allerdings im Falle der Infanterie für die Lage bei Issos eher unangemessene Voraussetzungen darstellen.64 Auch für eine enggestellte Phalanx aber, so Polybios, hätte der Platz nur dann ausgereicht, wenn diese in mehreren Staffeln hintereinander angegriffen habe und nicht, wie angeblich von Kallisthenes behauptet, auf breiter Front. Das erste Moment dieser Kritik bemüht also die mathematische, geometrische Logik militärischer Organisation, die Logik von Raum und Zahl, wie sie das taktische Planen bestimmt, und dieser Logik von Raum und Zahl unterwirft Polybios regelmäßig die Schlacht- und Manöverdarstellungen seiner Vorgänger. In seiner Kritik von Ephoros’ Landschlachtendarstellungen schreibt er: „Das wird deutlich, wenn man in Kenntnis der Örtlichkeiten die von ihm dargestellten Manöver nachmißt. Dasselbe passiert auch im Falle von Theopomp und vor allem Timaios, von dem jetzt die Rede ist. Wenn diese Autoren solche Gegenstände eher knapp und zusammenfassend behandeln, dann bleibt das Problem unbemerkt, wenn sie jedoch eine genaue, detaillierte und erklärende Darstellung geben wollen, dann zeigen sie sich ganz und gar von derselben Unart wie Ephoros.“65
Polybios verlangt Vertrautheit mit der mathematischen und geographischen Seite des Militärischen – dies ist ja auch die Quintessenz seines Taktikexkurses (IX 12– 16) und Korrektheit in ihrer Anwendung, und er vermisst diese Genauigkeit bei den wichtigsten seiner literarischen Vorläufer. Neben mathematischen und geographischen Kenntnissen betrachtet Polybios aber auch eigene militärische Erfahrungen als notwendige Voraussetzung dafür, über die Plausibilität konkurrierender Versionen über den Kriegs- oder Schlachtverlauf zu urteilen und also Kriegsund Militärgeschichte zu schreiben. Zahlreichen seiner Vorgänger (Timaios, Theopomp, Ephoros, Zenon von Rhodos) spricht er diese Erfahrung und Urteilsfähigkeit und/oder ausreichende topographische Kenntnisse ab.66 Der zweite Topos der Kritik von Kallisthenes’ Darstellung des Infanteriekampfes vor Issos bezieht sich wie in der Behandlung des Reiterkampfes von per-
64 Pol. XII 19,7–9. 65 Pol. XII 25f,5: τοῦτο δ’ ἔσται δῆλον, ἐάν τις τοὺς τόπους ὑποθέμενος ἀληθινῶς ἐπιμετρῇ τὰς κινήσεις τὰς ὑπ’ αὐτοῦ δηλουμένας. τὸ δ’ αὐτὸ συμβαίνει καὶ Θεοπόμπῳ καὶ μάλιστα Τιμαίῳ, περὶ οὗ νῦν ὁ λόγος οὗ μὲν γὰρ ἂν ὑπὲρ τῶν τοιούτων κεϕαλαιώδη ποιήσωνται τὴν ὑπόθεσιν, διαλανθάνουσιν, οὗ δ’ ἂν βουληθῶσι διαθέσθαι καὶ συνυπο δεῖξαί τι τῶν κατὰ μέρος, τοιοῦτοι ϕαίνονται καὶ πάντως οἷος ῎Εϕορος. Polybios schätzt die Darstellung von Seeschlachten durch Ephoros höher ein als die von Landschlachten, weil dieser selbst kaum persönliche Erfahrung mit Seeschlachten besessen habe. Die Darstellung von Kriegsereignissen bedürfe persönlicher Erfahrung im Kriege (Pol. XII 25g,1: ὅτι οὔτε περὶ τῶν κατὰ πόλεμον συμβαινόντων δυνατόν ἐστι γράψαι καλῶς τὸν μηδεμίαν ἐμπειρίαν ἔχοντα τῶν πολεμικῶν ἔργων οὔτε περὶ τῶν ἐν ταῖς πολιτείαις τὸν μὴ πεπειραμένον τῶν τοιούτων πράξεων καὶ περιστάσεων.), die weder Ephoros, noch Timaios oder Theopomp besäßen. Vgl. MEISTER, Kritik (Anm. 57), 72–77. 66 Pol. XVI 18–20.
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sischer Seite auf die Pläne und angeblichen Überlegungen der Akteure. Kallisthenes habe in seiner Darstellung Alexander seine τάξις so anlegen lassen, d a ß (ἵνα) Alexander persönlich gegen Dareios habe kämpfen können, der seinerseits selbst zunächst die gleiche Absicht gehabt habe. Beide Absichten seien aber unter den Bedingen der Schlacht von Issos gar nicht plausibel gewesen, so Polybios. Absichten, Regeln der Utilität und kausaler Konsequenz, bestimmen, wie wir sehen, diesen Teil der Analyse, die im Falle der Darstellung des Kallisthenes ἀλογήματα, Widersinn, zutage fördert;67 insofern, als die von Kallisthenes’ Darstellung unterstellten Intentionen der Beteiligten unter den obwaltenden Umständen gar nicht realisierbar gewesen seien, habe Kallisthenes zwischen Möglichem und Unmöglichem nicht zu unterscheiden gewusst (XII 22). In einer Darstellung, die erklärend die Lage mit den von den Protagonisten getroffenen Entscheidungen und mit den Ergebnissen dieser Entscheidungen und der auf ihnen beruhenden Aktionen verbindet, sieht Polybios ein wesentliches Erfordernis der Geschichte, weil diese in einem nicht unwesentlichen Teil Militärgeschichte in praktischer Absicht ist: „Denn der Ausgang der Operationen verschafft den Lesern nur eine Unterhaltung; die diesen Unternehmungen vorausgehenden Überlegungen nützen, wenn sie in der richtigen Weise untersucht werden, den Lernwilligen. Für die Belehrung der Betrachter am vorteilhaftesten von allem ist es, die Maßnahmen aller Beteiligter im Detail genau nachzuvollziehen.“68
Polybios’ Intentionslehre ist also in hohem Maße eine Folgerung aus seiner Voraussetzung, Geschichte habe eine wesentliche Aufgabe darin, militärische Operationen zu analysieren und militärische Lehren zu vermitteln. Hannibals Erfolg beispielsweise exemplifiziert die Regel, als militärischer Kommandeur sorgfältig die Schwächen des Gegners aufzuklären.69 In vielen Fällen zieht Polybios Vergleiche zwischen verschiedenen militärischen Institutionen, Vorgehensweisen oder Prinzipien, um dem Leser eine taktische, operative oder strategische Lehre zu vermitteln. In manchen Fällen bleiben diese Vergleiche unausdrücklich, wie bei Polybios’ Lob des organisierten, auf Sicherheit bedachten römischen Systems des Beutemachens im Kriege, für das immer nur maximal die Hälfte der Kräfte eingesetzt wird – implizit ein Vergleich mit Unsicherheit heraufbeschwörenden Systemen individuellen Beutemachens in der griechischen Welt.70 Ausdrücklich bevorzugt Polybios die römische Technik des Schanzens mittels miteinander kreuzweise verbundener Pfähle gegenüber der griechischen Methode, wenige Pfähle mit ausladendem Astwerk zu verwenden, weil die römische Verschanzung fester gefügt und resistenter gegen Zerstörungen sei.71 Ausführlich vergleicht Polybios die 67 Pol. XII 22. 68 Pol. XI 19a(18a),2–3: τὰ γὰρ τέλη τῶν πράξεων ψυχαγωγεῖ μόνον τοὺς ἀκούοντας, αἱ δὲ πρόσθεν διαλήψεις τῶν ἐπιβαλλομένων ἐξεταζόμεναι δεόντως ὠϕελοῦσι τοὺς ϕιλο μαθοῦντας. μάλιστα δὲ πάντων ὁ κατὰ μέρος χειρισμὸς ἑκάστων ἐπιδεικνύμενος ἐπανορ θοῖ τοὺς συνεϕιστάνοντας. 69 Pol. III 81. 70 Pol. X 16. 71 Pol. XVIII 18.
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hellenistische (makedonische) Phalanx mit der der römischen Manipulartaktik.72 Während die geschlossene Phalanx auf breitem, ebenem Grund überlegen sei, sei die römische Taktik in unebenerem Gelände oder aufgelockertem Gefecht leistungsfähiger. Polybios’ Kernargument besteht in einer quantitativen Abschätzung der geographischen Voraussetzungen für die Konkurrenz zwischen Phalanx und Manipel:73 „Es besteht Konsens darüber, daß eine Phalanx ebenes, unbewachsenes Gelände braucht, das ihr keine Hindernisse in den Weg stellt; damit meine ich: Gräben, Einschnitte, Schluchten, Hügel und Flußläufe. All’ das Erwähnte ist geeignet, die Anwendung dieser Taktik zu verhindern beziehungsweise diese aufzulösen. Auch wird daher wohl jeder einräumen, daß es unmöglich ist, Orte zu finden, an denen es über 20 Stadien oder mehr keine der genannten Hindernisse gibt, oder daß diese zumindest sehr selten sind. Angenommen, es sei aber ein solches Gelände gefunden: Wenn aber nun die Gegner nicht in diesem Gelände sich zur Schlacht stellen, sondern vorbeiziehen und die Städte und das Umland der Bundesgenossen verheeren; welchen Nutzen hat dann noch die ganze Phalanxtaktik?“
Neben den naturräumlichen Umständen stellen die politischen Verhältnisse eine Einflussgröße für die Militärorganisation dar. Die jeweiligen Interessen und Motive der Kämpfer machen Bürgermilizen in Demokratien, so Polybios, und Berufskrieger in Monarchien zu den geeigneteren Truppen, denn die Bürgermiliz einer Demokratie kämpfe für ihre Freiheit, ebenso wie die Söldner eines Alleinherrschers mit dessen Stellung die eigene sicherten. Bürger als Untertanen eines Alleinherrschers seien dagegen ebenso wenig motiviert und kampfkräftig wie Söldner einer Demokratie, die gewärtigen müssten, daß Frieden und Sicherheit sie selbst und ihre Aufgabe überflüssig machten.74 Die Lehren, die das Geschichtswerk des Polybios ausdrücklich formuliert, sind zu einem nicht unerheblichen Teil solche strategischer, operativer und auch taktischer Art. Bei diesen Lehren handelt es sich nicht nur um Wissen, Erkenntnisse, Einsichten und Methoden und um diese exemplifizierende Vorbilder, sondern auch um Muster militärischer Moral. Hannibal und Epameinondas beispielsweise werden künftigen militärischen Kommandeuren als Vorbilder empfohlen dafür, im Angesicht der Gefahr Unbeirrbarkeit und Risikobereitschaft zu zeigen, zugleich aber auch Vernunft im Planen und Handeln walten zu lassen.75 Polybios betont in diesem wie in anderen Fällen seine Lehre dadurch, daß er eine Formel zur Motivation seiner Darstellung anfügt, wonach die militärische Lehre die ausführliche Erzählung begründet und die Gesichtspunkte rechtfertigt, auf die hin diese komponiert ist: ταῦτα μὲν οὖν οὐχ οὕτως τοῦ Ῥωμαίων ἢ Καρχηδονίων ἐγκωμίου χάριν εἴρηταί μοι („dies habe ich nicht zum Lob der Römer und Karthager ausgeführt“).76 Und ähnlich heißt es zur Ablehnung des Plünderns städtischer Kunstschätze: οὐ μὴν ἀλλὰ ταῦτα μὲν εἰρήσθω μοι χάριν τῶν μεταλαμβανόντων ἀεὶ τὰς δυναστείας ἵνα
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Pol. XVIII 28–32. Pol. XVIII 31,5–8. Pol. XI 13. Pol. IX 9,9–10. Pol. IX 9,9.
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μὴ σκυλεύοντες τὰς πόλεις κόσμον ὑπολαμβάνωσιν εἶναι ταῖς ἑαυτῶν πατρίσι τὰς ἀλλοτρίας συμφοράς („dieses sei gesagt im Blick auf diejenigen, die jeweils die Herrschaft ausüben, damit diese nicht die unterworfenen Städte ausplündern und das Unglück anderer für eine Auszeichnung der eigenen Vaterstadt halten“).77 Am Ende des Abschnittes, der exemplifizieren soll, wie wichtig es ist, daß der Feldherr sein eigenes Leben nicht leichtfertig riskiert, heißt es: ταῦτα μὲν οὖν εἰρήσθω μοι πρὸς τοὺςς ἢ διὰ κενοδοξίαν ἢ μειρακιώδει (παρα)στάσει περιπίπτοντας τοῖς τοιούτοις ἀλογήμασιν ἢ δι’ ἀπειρίαν ἢ διὰ καταφρόνησιν („dies soll von mir gesagt sein gegen diejenigen, die aus Ruhmsucht oder kindischer Dummheit, aus Unerfahrenheit oder Selbstüberschätzung in solche Fehler verfallen“).78 Der möglicherweise berühmteste Abschnitt dieser Art beendet Polybios’ Darstellung der Entwicklung des militärischen Signalwesens: Alle Lehrdisziplinen (θεωρήματα) hätten solche Fortschritte (προκοπαί) durchgemacht, daß es von den meisten gleichsam (Polybios relativiert diese Aussage als Metapher) eine methodische Wissenschaft gebe; in Bezug auf diese wissenschaftlichen Fortschritte liege der größte Nutzen eines Geschichtswerkes.79 Dementsprechend erzählt Polybios die Geschichte des Signalisierens mittels Feuerzeichen als eine durch die taktische Fachliteratur dokumentierte Fortschrittsgeschichte, in der ein von Aineias Taktikos mitgeteiltes Verfahren einen gewissen Fortschritt hin zu einem flexiblen, für verschiedenste Mitteilungen geeigneten Verfahren darstellte, ein von Polybios selbst verbessertes Vorgehen aber als τελευταῖος (τρόπος), als am weitesten perfektionierte Methode, firmiert.80 Regelmäßig beschreibt Polybios den Zusammenhang zwischen Taktik und Organisation: so schildert er die ptolemäische Heeresreform am Vorabend der Schlacht von Raphia (217 v.Chr.) nicht nur als Zusammenstellung neuer, sondern ebenso als Auflösung der alten Organisationseinheiten des Vorgehens und der Besoldung.81 Oft formuliert Polybios ein operatives oder taktisches Fazit, auf das die Darstellung im einzelnen zuläuft. So schließt sich an die Beschreibung der Schlacht von Cannae die Bemerkung an:82 „Den größten Anteil am Sieg der Karthager hatte, wie schon bei früheren Gelegenheiten, die Stärke ihrer Kavallerie. Dadurch wurde für die Nachwelt deutlich, daß es für das Bestehen
77 78 79 80 81
Pol. IX 10,13. Pol. X 33,6–7. Pol. X 47,12–13. Pol. X 43–47, besonders 44,1 und 45,6. Pol. V 64,1–3: πρῶτον μὲν γὰρ κατὰ γένη καὶ καθ’ ἡλικίαν διελόντες ἀνέδοσαν ἑκάστοις τοὺς ἐπιτηδείους καθοπλισμούς, ὀλιγωρήσαντες τῶν πρότερον αὐτοῖς ὑπαρχόντων μετὰ δὲ ταῦτα συνέταξαν οἰκείως πρὸς τὴν παροῦσαν χρείαν, λύσαντες τὰ συστήματα καὶ τὰς ἐκ τῶν πρότερον ὀψωνιασμῶν καταγραφάς ἑξῆς δὲ τούτοις ἐγύμναζον, συνήθεις ἑκάστους ποιοῦντες οὐ μόνον τοῖς παραγγέλμασιν, ἀλλὰ καὶ ταῖς οἰκείαις τῶν καθοπλισμῶν κινήσεσιν. 82 Polyb. III 117,4–5: τὴν μεγίστην χρείαν παρεσχημένου τοῖς Καρχηδονίοις εἰς τὸ νικᾶν καὶ τότε καὶ πρὸ τοῦ (τοῦ) τῶν ἱππέων ὄχλου. καὶ δῆλον ἐγένετο τοῖς ἐπιγενομένοις ὅτι κρεῖττόν ἐστι πρὸς τοὺς τῶν πολέμων καιροὺς ἡμίσεις ἔχειν πεζούς, ἱπποκρατεῖν δὲ τοῖς. ὅλοις, μᾶλλον ἢ πάντα πάρισα τοῖς πολεμίοις ἔχοντα διακινδυνεύειν.
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militärischer Lagen besser ist, nur die Hälfte an Fußsoldaten, aber im Ganzen die kavalleristische Überlegenheit zu besitzen, als mit gleichstarken Kräften dem Feind entgegenzutreten.“
Gelegentlich macht er seine Protagonisten zu Vorbildern taktischen beziehungsweise operativen Vorgehens oder des Ausbildens. Ein Beispiel dafür ist Polybios’ Darstellung der Rolle des Philopoimen bei der Reform der Kavallerie des Achäischen Bundes. Polybios gibt Philopoimens Ausbildungsgrundsätze und die Bewegungen, die die Reiter einzeln und im Verband zu beherrschen hatten, wieder, und beschreibt die Organisation von Ausbildung und Einsatzführung. Es gibt durch die Sache selbst bedingte Übereinstimmungen mit Xenophons Darstellung der Kavallerietaktik (Beschreibung der Kehrtwendung [ἀναστροφή]), ein Indiz für Polybios’ Vertrautheit mit der Fachtradition, doch die Systematik, mit der Polybios die achäische Kavallerietaktik beschreibt, ergibt sich aus seiner Darstellung der Geschichte Philopoimens und des Achäischen Bundes.83 An zahlreichen Stellen legt Polybios in seine historische Narration militärische beziehungsweise politische Lehren ein, die als verallgemeinerte Maximen durch das Geschehen exemplifiziert werden oder dieses erklären. Über die Unzufriedenheit im spanischen Heer Scipios in der Spätphase des Zweiten Punischen Krieges schreibt Polybios:84 „Es gibt genau einen Ratschlag, der für alle Situationen im Militär, in der Politik und der Medizin passen wird, wie mir scheint, und dieser besteht darin, in keinem der genannten Bereiche über eine längere Periode Müßiggang und Nichtstun zu erlauben, besonders nicht in Situationen politisch-militärischen Erfolges und des Überflusses an natürlichen Ressourcen.“
3. TAKTISCHE TOPOI Überschaut man im Zusammenhang derartige taktische, operative und strategische Urteile des Polybios, sieht man, daß diese sich orientieren an einem Kanon von Kategorien beziehungsweise Topoi, der sich seit dem 4. Jahrhundert v.Chr. In der militärischen Fachliteratur herausgebildet hat, und der in seiner kürzesten Form als Liste strategischer Fragen in Xenophons Kyropaedie, stilisiert als eine praeteritio, integriert ist.85 Diese stellt wohl eine Karikatur der frühen subliterarischen Militär- und Taktiklehre dar, wie sie Sophisten wie die Brüder Dionysodoros und Eutydemos vermittelten.86
83 Pol. X 22–24. Vgl. Xen. hipp. 3,14; 8,23–24. 84 Pol. XI 25,7: πλὴν ἑνὸς παραγγέλματος, ὃ πᾶσιν ἁρμόσει, (δεῖ) καὶ στρατοπέδοις καὶ πόλεσι καὶ σώμασιν, ὡς ἐμὴ δόξα. τοῦτο δ’ ἐστὶ τὸ μηδέποτ’ ἐᾶν ἐπὶ πολὺ ῥᾳθυμεῖν καὶ σχολάζειν περὶ μηδὲν τῶν προειρημένων, ἥκιστα δ’ ἐν ταῖς εὐροίαις τῶν πραγμάτων καὶ ἐν ταῖς δαψιλείαις τῶν ἐπιτηδείων. 85 Xen. Kyr. I 6,43. 86 Kritik der Militärlehre beider: Xen. mem. III 1,1; Kyr. I 6,12–44. Dazu B. MEISSNER, Early Greek Strategic and Tactical Teaching, and Literature, in: N. Sekunda (Hrg.), Thorn Tactica Conference 2005 (Drucklegung in Vorbereitung).
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Wie man ein Lager aufschlagen soll Wie bei Tag und Nacht Wachen aufzustellen sind Wie man sich dem Feind nähert oder sich von ihm zurückzieht Wie man eine feindliche feste Siedlung passiert Wie man eine Befestigung angreift oder sich von ihr zurückzieht Wie man Übergänge über Gewässer, insbesondere Flüsse durchführt Wie man sich gegen Kavallerie, Speerwerfer und Bogenschützen sichert Was bei unerwartetem Feindkontakt zu tun ist Wie man Aufklärung betreibt, um die feindlichen Pläne zu erfahren und die eigenen geheim hält
Variationen im Stoff dieser Militärlehre und -literatur traten dann natürlich ein betreffs der gegenüber den jeweils „normalen“ neuen und ungewöhnlichen Waffen, bei Xenophon also aus der Sicht des Normalinfanteristen der Reiter und Fernkämpfer, doch die Grundfragen blieben für die griechische Strategie, die sich literarisch als exempla-Lehre (strategemata) und als Lehre von der Durchführung eines Feldzuges (Onasander)87 entwickelte und damit der Operationsgeschichte bis in die jüngste Vergangenheit Muster vorgab, so konstant, daß selbst noch bei einem anonymen byzantinischen Strategieautor Überläufer, Spione und Verhandlungen am Ende des ersten Hauptthemenkomplexes stehen, vor einem offensichtlich späteren Zusatz über das Bogenschießen,88 wie bei Xenophon. Mathematik, Geometrie, Planung von Raum, Zeit und Zahl, spielen, wie wir sahen, eine besondere Rolle bei Polybios (IX 12–16); Aufklärung von Charakter und Absichten des Gegners (III 81), Wichtigkeit kavalleristischer Überlegenheit (ἱπποκρατεῖν) Kavallerie (III 66; 82; 92,7; 117 und öfter), die Vorzüge der römischen gegenüber anderen Formen des Lagerbaus, des Wachdienstes und der Bewegungsorganisation (VI 27–42), Nachrichtenübermittlung (X 43–47), Rückzug (XI 16; fr. 102), Vergleich von Phalanx und Manipel in Aufmarsch und Kampf (XVIII 28–32). Unsere Betrachtung kann hier nur verkürzen, sie zeigt jedoch, daß Polybios nicht nur über die praxisleitende Terminologie des Militärischen verfügte, sondern als Historiker in der Tradition der Fragen und Gegenstände, der Topoi und Kategorien stand, die die vorangehende und zeitgenössische, aber auch spätere Militärliteratur bestimmten.
87 Onasanders Strategikos ist systematisch gegliedert am Leitfaden eines gedachten Feldzuges. Seine Fragen und Topoi ähneln jedoch den genannten: Onasand. Strateg. 10,7: „Über Versorgung“; 10,9: „Über Aufklärung“; 10,10: „Über Nachtwachen“; 10,14: „Über Verhandlungen des Feldherrn mit seinem Gegner“. 88 Anon. Byzant. Περὶ στρατηγικῆς XLI–XLIII, in: KÖCHLY/RÜSTOW, Kriegsschriftsteller II 2 (Anm. 31), 187–197.
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4. STRATEGISCHE, OPERATIVE UND TAKTISCHE IMPLIKATIONEN DER POLYBIANISCHEN GESCHICHSKONZEPTION Die Kausalitätskonzeption des Polybios bildet einen Kern der Arbeit von Paul Pédech,89 der in ihr ein Beispiel des „historischen Rationalismus“ sah. Polybios’ Kausalitätskonzeption hat nun aber ein wesentliches Motiv in der militärischen Planungs- und praktischen Zweckrationalität. Nur unter deren Voraussetzungen besitzt die Erkenntnis von Zwecken und Erwägungen über die ihnen entsprechenden Mittel nämlich Erklärungskraft und zugleich praktischen Belehrungswert. Die militärischen und im modernen Sinne strategischen Implikationen der polybianischen Ursachenlehre werden bereits nahegelegt durch das Thema, das Polybios seinem Gesamtwerk gibt: Die Tyche habe Rom in nicht ganz 53 Jahren die Herrschaft über den Mittelmeerraum verschafft. Die Tyche steht hier als Chiffre für die Frage nach der Ursache. Polybios Aitiologie, seine Lehre von den Ursachen, hat es also in erster Linie damit zu tun, Ursachen für Expansion und Unterwerfung, für Kriege und für in asymmetrischen Verhältnissen resultierende politisch-diplomatische Verwicklungen anzugeben (I 1–4; VI 1). Die Tyche steht aber auch für die notwendige Komplexität des organisierten militärischen Handelns in seiner antagonistischen Verschränkung, das aufgrund des wechselseitigen Antwortens der militärischen Antagonisten nicht ohne weiteres aus den ihm zugrunde liegenden Zweckmäßigkeitserwägungen und Planungen erklärt werden kann. Polybios faßt diese Einsicht in ein Sprichwort:90 „So zutreffend ist das Sprichwort ‚Vieles im Krieg führt zu nichts‘“. Für Onasander, Militärschriftsteller der frühen römischen Kaiserzeit, stellt diese Einsicht, daß militärisches Handeln nicht allein aus Begriffen der Planungsrationalität erklärt werden kann, sondern aufgrund ihrer irreduziblen Komplexität von mehr oder weniger ausgeprägten Dispositionen des Mutes und der Entscheidungsfreude abhängig ist, eine Grundtatsache dar.91 Die prominente Rolle von Erwägungen über Kausalität, Kontingenz und Komplexität in Polybios’ Werk stellen dieses in eine Reihe mit Werken der systematischen griechischen Militärliteratur. Polybios’ entwickelt seine, die des Thukydides partiell auf den Kopf stellende Terminologie für Ursachen (αἰτίαι), Anlässe, Vorwände (προϕάσεις), Umstände (περιστάσεις), Ziele und Absichten und Anfänge (ἀρχαί) in erster Linie am Beispiel und zur Erklärung von Kriegen, und Kriege erklären wiederum an entscheidenden Stellen das Geschehen im Ganzen: Kriege sind kausale Gelenkstellen in seinem Geschichtsbild (vgl. I 65; II 2; III 1–9) und Gegenstände der Planung. Mit dieser Vorstellung integriert Polybios in die Geschichtsschreibung eine Konzeption militärischer Handlungs- und Planungslogik, die in der griechischen Militärliteratur entwickelt und tradiert wurde. Onasander formuliert die methodische Konsequenz aus dem Phänomen der antagonistischen Verschränkung: Bewunderns89 PÉDECH, Méthode historique (Anm. 11), 99–203. 90 Pol. XXIX 16,3: οὕτως ἀληθές ἐστι τὸ περιφερόμενον ὅτι πολλὰ κενὰ τοῦ πολέμου. 91 Onasand. Strateg. 32,1: πᾶν γὰρ τὸ παρακεκινδυνευμένον μᾶλλον τόλμης ἐστὶν ἢ γνώμης καὶ τῇ τύχῃ κεκοινώνηκε πλεῖον ἢ τῇ κρίσει.
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werter und wirksamer als Antizipationen aus der Lage (προλήψεις) und vorausschauende Planungen (ἐπινοούμενα) seien oft spontane Einfälle (ἐπίνοιαι) und zweckmäßige Gegenmaßnahmen (ἀντιστρατηγήσεις), wie sie von Feldherrn aufgrund ihrer Erfahrung entwickelt werden, obwohl diese Einfälle und Gegenmaßnahmen gar nicht auf dem Wege rationaler Planung vorher konzipiert, formuliert und beraten werden können (ἃς οὐκ ἔστιν ὑποσημῆναι λόγῳ ἢ προβουλεῦσαι).92 Der Krieg biete vielmehr vielfältigste Lagen und Umstände, denen gegenüber, ein Paradox, die „Notwendigkeit des kontingenten Schicksals“ eher als „das aus der Erinnerung an vergangene Erfahrungen erwachsende Wissen“ die Oberhand behalte.93 Auch der von Polybios mehrfach formulierte Lehrsatz, der Feldherr solle insbesondere in der Schlacht nicht sein eigenes Leben riskieren,94 wird im Werk Onasanders, also in der systematischen Militärliteratur, zum Ausdruck gebracht und ist dort sogar der Gegenstand eines eigenen Kapitels.95 So wenig wie Polybios behandelt weiterhin Onasander Krieg und Kriegführung als Sache primär nur des Regelwissens, sondern integriert in seine Lehre, wie Polybios auch, Fragen militärischer Tugenden, Regeln für Planung und Organisation, Erfahrungen, Überlegungen zu materiellen Ressourcen, zur Technik und zur Kontingenz und Umstandsbedingtheit militärischen Entscheidens.96 Krieg und Militär spielen im Werk des Polybios also eine geschichtskonstitutive Rolle, die wohl ursprünglich noch größer war als es die uns vorliegenden Fragmente erscheinen lassen, und die dem Werk konzeptuelle und thematische Ähnlichkeit zu Werken der Strategie- und Taktikliteratur verleihen. Polybios’ Werk prägen im ganzen also eine für politisches und militärisches Handeln in Konflikten gedachte Pragmatik und Aitiologie, strategische und taktische Fachterminologien und das Interesse für Krieg und Militär nicht nur als Handlungszusammenhänge, sondern auch in ihrer personalen, sozialen und institutionellen Hinsicht, sowie das exemplum-Modell der Belehrung durch historische Erfahrung. Polybios’ Terminologie, Kategoriensystem, Thematik und Ursachenlehre machen aus Kriegen und militärischen Aktionen einerseits privilegierte Gegenstände, die er andererseits einbettet in konstitutionelle, soziale und mentalitätsbezogenen Kontexte, ohne grundsätzlich (bei aller pro-achäischen Tendenz beispielsweise) in eine reduktionistische Operationsgeschichte, einen militärgeschichtlichen Fortschrittsdeterminismus oder eine Rom- oder Griechenland-zentrierte, gegebenenfalls legitimatorische Perspektive auf militärische Entwicklungen zu verfallen, wie sie gelegentlich auch manche moderne Militärgeschichte bestimmen. Die
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Onasand. Strateg. 32,9. Onasand. Strateg. 32,10. Pol. X 32,8–12; XI 2,9–10; X 13,1–11; 3,7. Onasand. Strateg. 33: περὶ τοῦ μὴ τὸν στρατηγὸν αὐτοχειρὶ πολεμεῖν. Z.B.: Onasand., Strateg. 40,1: πολιορκία δὲ στρατιωτῶν ἀνδρίαν ἐπιζητεῖ καὶ στρατη γικὴν ἐπίνοιαν καὶ μηχανημάτων παρασκευήν 42,3: Abhängigkeit des Einsatzes der Belagerungstechnik von Umständen.
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Einbettung der strategischen, operativen und taktischen Sprache und des Denkens wie derjenigen des Polybios in die hellenistische Militärpraxis noch genauer zu untersuchen, stellt ein lohnendes Unternehmen dar, für das dieser Beitrag Anregungen liefern sollte.
POLYBIOS UND DIE INSCHRIFTEN ZUM SPRACHGEBRAUCH DES HISTORIKERS Clemens Koehn, Hamburg
Das hier zu behandelnde Thema hat eine weit zurückreichende Forschungsgeschichte. Es umfasst zwei Aspekte der polybianischen Historien, die aufeinander bezogen werden können und immer wieder auch bezogen wurden. Der erste Aspekt ist die Verwendung von Inschriften beziehungsweise inschriftlich aufgezeichneten Dokumenten in den Historien. Bekanntlich gehören zu Polybios’ Quellen nicht nur die (vielfach von ihm so geschmähten) Geschichtswerke seiner Vorgänger und seiner Zeitgenossen, sondern auch eine ganze Reihe von z.T. im Wortlaut zitierten Dokumenten und Urkunden. Es handelt sich in den meisten Fällen um Staatsverträge und Briefe, aber auch um diplomatische Noten, Berichte, Memoranda, Listen u.ä. Welche dieser Dokumente Polybios sekundär aus anderen Darstellungen entnommen hat, welche er in einem Archiv eingesehen hat, und welche ihm schließlich in inschriftlicher Form bekannt wurden, darüber gibt es eine Kontroverse, die ihren Höhepunkt bereits im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert hatte.1 Explizit erwähnt Polybios eine Benutzung inschrift1
Zur Benutzung von in Archiven und auf öffentlichen Inschriften überlieferten Dokumenten und Urkunden durch Polybios vgl. allgemein F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, Bd. I, Oxford 1957, 31–33; ausführlich P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964, 377–389; außerdem die Beiträge von L. PRANDI, Tre riflessioni sull’uso dei documenti scritti in Polybio, M. T. SCHETTINO, Documenti diplomatici scritti e documenti militari non scritti nel Polibio „romano“, und G. ZECCHINI, Le lettere come documenti in Polibio, in: A. M. Biraschi, P. Desideri, S. Roda, G. Zecchini (Hrgg.), L’uso dei documenti nella storiografia antica, Perugia 2003, 375–422. Die Frage, woher die von Polybios angeführten Dokumente und offiziellen Aufzeichnungen stammen, wurde in der älteren Forschung vor allem für die rhodischen Quellen seines Werkes kontrovers diskutiert. I. M. J. VALETON, De Polybii fontibus et auctoritate disputatio critica, Utrecht 1879, 213–215, führt die meisten Angaben in den Historien zu Ereignissen aus der rhodischen Geschichte auf umfangreiche Archivstudien (vornehmlich der dort deponierten Gesandschaftberichte) des Polybios anläßlich eines Aufenthalts auf Rhodos zurück (wofür der Brief des rhodischen Admirals an den Magistrat der Insel über den Verlauf der Seeschlacht von Lade [Pol. XVI 15,8], dessen Existenz im Archiv Polybios bezeugt, den Hauptbeleg darstellt), mit Ausnahme etwa der Liste der Schenkungen an die Rhodier nach dem großen Erdbeben 227 v.Chr. (Pol. V 88), die Polybios laut Valeton aus dem Werk des rhodischen Historikers Zenon entnommen habe. H. ULLRICH, De Polybii fontibus Rhodiis, Leipzig 1898, 17–74, sieht zwar ebenfalls den zitierten Brief des Admirals als dem rhodischen Archiv entnommen an, bestreitet aber sonst eine durchgehende Benutzung desselben durch Polybios und führt dagegen etliche der Dokumente auf öffentliche Inschriften zurück, so etwa den unter rhodischer Vermittlung zustandege-
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licher Dokumente nur in zwei Fällen: beim Tatenbericht, den Hannibal auf einer Bronzestele im Tempel der Hera Lakinia aufstellen ließ und mit dessen Hilfe Polybios die Angaben über die Stärke der karthagischen Truppen bei anderen Historikern zu korrigieren versucht; sowie bei den auf Bronzetafeln verzeichneten und im Aerarium hinterlegten karthagisch-römischen Verträgen, auf deren Grundlage Polybios die Ursachen der punischen Kriege erörtert.2
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kommenen Friedensvertrag zwischen Prusias und Byzanz 220 v.Chr. (Pol. IV 52) oder die erwähnte Schenkungsliste nach dem großen Erdbeben, wobei Ullrich (28) hier das Archiv nicht ausschließen möchte; insgesamt betont dieser gegenüber Valeton viel stärker die Rolle der rhodischen Historiographie (v.a. Zenon) für die Angaben des Polybios. A. SCHULTE, De ratione quae intercedit inter Polybium et tabulas publicas, Halle 1909, 35–39, erkennt von den Archivquellen fast nur noch den Brief des Admirals an und versucht mehr noch als Ullrich etliche der Angaben des Polybios als auf rhodischen Inschriften basierend zu verifizieren, so die Schenkungsliste V 88 oder die Ehrung der Rhodier bei den Athenern XVI 26,8–10 (für die Ullrich [41] eine athenische Quelle vermutete, während Valeton [213] einen archivierten Gesandschaftsbericht als Quelle ansieht). Die neuere Forschung seit Walbank und Pédech (zuletzt H.-U. WIEMER, Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie, Frankfurt/M. 2001, besonders 22f., 26f., 37f.) geht grundsätzlich nicht mehr von einem Rhodosaufenthalt des Polybios und einer dabei erfolgenden Benutzung des dortigen Archivs aus, sondern sieht durchgehend die Werke der rhodischen Historiker Zenon und Antisthenes als Quellen des Polybios für die von ihm angeführten Dokumente und Aufzeichnungen an. Nicht ganz so umstritten aber dennoch in der Diskussion ist die Benutzung der achäischen Archive, vgl. VALETON, De Polybii fontibus, 206–213 (weitgehende Benutzung mit Zuweisung einzelner Stellen); dagegen SCHULTE, De ratione, 39f. (Benutzung, aber nur schwer ermittelbar, welche Stellen auf entsprechende Dokumente zurückgehen), ebenso WALBANK, Commentary I, 32; zuletzt B. DREYER, Polybios. Leben und Werk im Banne Roms, Hildesheim/Zürich/New York 2011, 136f. (so gut wie keine Benutzung vor 167 v.Chr.). Dreyer stellt die interessante Vermutung auf, dass durch die peinliche Affäre bei der Erneuerung des Bündnisses mit den Ptolemäern 185 v.Chr. [Pol. XXII 9,1–12], als weder Philopoimen noch Polybios’ Vater Lykortas wussten, welcher Vertrag erneuert werden sollte und sich öffentlich von ihrem innenpolitischen Rivalen Aristainos darüber belehren lassen mussten, Polybios zu der Notwendigkeit von akribischen Archivstudien angeregt worden sei. In Anbetracht des Zeitpunktes dieser Episode (185 v.Chr.), die in die Jugend des Historikers fällt, wäre gerade dann aber anzunehmen, dass Polybios schon während seiner aktiven Zeit im Achäerbund vor der Deportation [167 v.Chr.] Kenntnis der Archive hatte. Tatenbericht Hannibals: Pol. III 33,18: ἡμεῖς γὰρ εὑρόντες ἐπὶ Λακινίῳ τὴν γραφὴν ταύτην ἐν χαλκώματι κατατεταγμένην ὑπ’ Ἀννίβου, καθ’ οὓς καιροὺς ἐν τοῖς κατὰ τὴν Ἰταλίαν τόποις ἀνεστρέφετο, πάντως ἐνομίσαμεν αὐτὴν περί γε τῶν τοιούτων ἀξιόπιστον εἶναι διὸ καὶ κατακολουθεῖν εἱλόμεθα τῇ γραφῇ ταύτῃ. Ebd. 56, 4: ὡς αὐτὸς (sc. Hannibal) ἐν τῇ στήλῃ τῇ περὶ τοῦ πλήθους ἐχούσῃ τὴν ἐπιγραφὴν ἐπὶ Λακινίῳ διασαφεῖ. Römischpunische Verträge: Pol. III 22–25 und 26,1: τηρουμένων (τῶν) συνθηκῶν ἔτι νῦν ἐν χαλκώμασι παρὰ τὸν Δία τὸν Καπετώλιον ἐν τῷ τῶν ἀγορανόμων ταμιείῳ. Auch in diesen beiden Fällen wird die Autopsie durch Polybios bisweilen angezweifelt, siehe W ALBANK, Commentary I (Anm. 1), 364f., mit Hinweis auf ältere Literatur, wonach Polybios über den Hannibalhistoriker Silenos Kenntnis von dem Tatenbericht erhalten haben soll (These von Klotz), und ebd. 335f. zu einer möglichen Kenntnis der römisch-punischen Verträge durch im Scipionenkreis kursierende, auf Cato zurückgehende Abschriften (These von Mommsen u.a.). Gegen eine Autopsie seitens Polybios in letzterem Fall nochmals F. W. WALBANK, Polybius, Berkeley u.a. 1972, 80–82, und zuletzt M. PUCCI BEN ZEV, Polybius, Josephus, and the Capitol in Rome, in: JSJ 27 (1996), 21–30. Das einzige Dokument, das Polybios abgsehen von
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Der zweite Aspekt sind die sprachlichen, vor allem stilistischen Gemeinsamkeiten zwischen Polybios und den zu seiner Zeit auf zahlreichen Inschriften festgehaltenen und so entsprechend überlieferten Dokumenten. Die Sprache beider zeichnet sich durch hohe Abstraktion, lange Perioden mit Partizipien und substantivierten Infinitiven und häufig durch eine Umständlichkeit aus, die auf ein Maximum an sprachlicher Genauigkeit zielt. Im 19. Jahrhundert, der Hochphase von Quellenforschung und Wortphilologie, hat man nicht nur hinter jeder Auflistung bei Polybios gleich eine zugrundeliegende offizielle Inschrift vermuten wollen, sondern ist auch soweit gegangen, die sprachlichen Bezüge zu der These zu verdichten, Polybios sei von der Amtsprache seiner Zeit beeinflusst worden, und sein Stil entspräche dem ‚Kanzleistil‘ der inschriftlichen Dokumente.3 Diese Ansicht ist zumindest in den einschlägigen Standardwerken zur griechischen Literaturgeschichte und Historiographie immer noch vorherrschend.4 Wie jede vorherrschende Ansicht ist sie natürlich auch auf Widerspruch gestoßen.5
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diesen beiden direkt als Inschrift zitiert, ist das Epigramm der Messenier IV 33,2f.: οἱ γὰρ Μεσσήνιοι πρὸς ἄλλοις πολλοῖς καὶ παρὰ τὸν τοῦ Διὸς τοῦ Λυκαίου βωμὸν ἀνέθεσαν στήλην ἐν τοῖς κατ’ Ἀριστομένην καιροῖς, καθάπερ καὶ Καλλισθένης φησί, γράψαντες τὸ γράμμα τοῦτο πάντως ὁ χρόνος εὗρε δίκην ἀδίκῳ βασιλῆι, / εὗρε δὲ Μεσσήνη σὺν Διὶ τὸν προδότην / ῥηιδίως. χαλεπὸν δὲ λαθεῖν θεὸν ἄνδρ’ ἐπίορκον. / χαῖρε, Ζεῦ βασιλεῦ, καὶ σάω Ἀρκαδίαν, von dem er aber selbst angibt, dass dies auch von Kallisthenes zitiert wird; es ist also unklar, ob er diese Stele in situ gesehen hat oder deren Epigramm nur sekundär durch letzteren kannte. Noch unsicherer ist, ob sich die Bemerkung des Livius (XXVI 24,14) zum aitolisch-römischen Vertrag von 212 v.Chr. (Belege und Diskussion desselben siehe StV III n. 536): haec conuenerunt, conscriptaque biennio post Olympiae ab Aetolis, in Capitolio ab Romanis, ut testata sacratis monumentis essent sunt posita, so schon bei Polybios gefunden hat. Am konsequentesten zieht die Verbindung zwischen Benutzung inschriftlicher Dokumente und sprachlicher Beeinflussung SCHULTE, De ratione (Anm.1). Klassische Studien der älteren Literatur (vollständig erfasst bei SCHULTE, 42 Anm. 2): W. JERUSALEM, Die Inschrift von Sestos und Polybios, WS 1 (1879), 32–58 (auf Grundlage des damals neugefundenen großen Ehrendekretes für Menas aus Sestos [OGIS n. 339]); F. KAELKER, Quaestiones de elocutione Polybiana, in: Leipziger Studien zur classischen Philologie, Bd. III, Leipzig 1880, 220–320, besonders 298f.; dann vor allem O. GLASER, De ratione, quae intercedit inter sermonem Polybii et eum, qui in titulis saeculi III, II, I apparet, Gießen 1894; der Begriff „Kanzleisprache“ für den polybianischen Stil wurde vor allem von E. NORDEN, Die antike Kunstprosa, Bd. I, Leipzig 31915, 153–155, und diesem folgend K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI (Stuttgart 1952), Sp. 1440–1578, hier 1570, geprägt. Prinzipiell muss festgehalten werden, dass diese Forschungsrichtung viel dazu beigetragen hat, den überlieferten Text der Historien zu klären, denn nicht wenige Wendungen und Ausdrücke bei Polybios, die zuvor ‚emendiert‘ und durch entsprechende Konjekturen ersetzt worden waren, konnten durch den Vergleich mit den inschriftlichen Texten erklärt und verifiziert werden. Vgl. z.B. A. LESKY, Geschichte der griechischen Literatur, Bern 31971, 870; K. MEISTER, Die griechische Geschichtsschreibung. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, Stuttgart 1990, 165. Vor allem durch J. PALM, Polybios und der Kanzleistil, in: Årsberättelse. Kungliga Humanistiska Vetenskapssamfundet (Bulletin de la Societé Royal des Lettres de Lund) 1956/57, 63– 93; diesem folgend G. A. LEHMANN, Untersuchungen zur historischen Glaubwürdigkeit des Polybios, Münster 1967, 349–351.
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Inhalt der Kontroverse sind Eigenheiten der Lexik, Phraseologie und Syntax bei Polybios, den Inschriften und anderen Texten aus der hellenistischen Zeit. Ziel der folgenden Ausführungen soll sein, die methodischen Prämissen dieser Kontroverse zu diskutieren. In einem zweiten Teil soll dann das Problem der Interdependenz zwischen Polybios und den inschriftlichen Dokumenten anhand eines Beispiels des vocabulaire épigraphique erörtert werden. Hierbei handelt es sich zwar nur um einen Aspekt der Stilfrage, nämlich den lexikalischen, aber zumindest zeigt das darzustellende Beispiel, dass Polybios an einem ganz bestimmten Punkt durchaus von einer Amtssprache beeinflusst worden ist beziehungsweise sich dieser bedient.
I. Die These vom Kanzleistil Als Kanzleistil wird gemeinhin der Stil bezeichnet, welcher zahlreiche aus hellenistischer Zeit auf Inschriften und Papyri überlieferte dokumentarische Texte kennzeichnet. Eine eigentliche Definition existiert freilich nicht.6 Im engeren Sinne bezieht sich die Bezeichnung vor allem auf die Syntax dieser Texte in Form eines ausufernden Periodenbaus. Beginnen wir also mit einem komparativen Blick auf die Syntax mit ihren Perioden. Wie ein Periodenbau bei Polybios aussieht, wohlgemerkt nicht aussehen muss – es handelt sich zugegebenermaßen um ein extremes und häufig zitiertes Beispiel –, aber eben doch aussehen kann, zeigt das 46. Kapitel im 2. Buch: Es geht darin um den Entschluss des achäischen Staatsmannes Arat, der aggressiven Politik des spartanischen Königs Kleomenes entgegenzutreten (Pol. II 46,1–4): Θεωρῶν γὰρ τοὺς Αἰτωλοὺς ὁ προειρημένος ἀνὴρ τὸν μὲν πόλεμον τὸν πρὸς αὐτοὺς αἰσχυνομένους ἀναλαβεῖν ἐκ τοῦ φανεροῦ διὰ τὸ καὶ λίαν εἶναι προσφάτους τὰς ἐκ τῶν Ἀχαιῶν εὐεργεσίας περὶ τὸν Δημητριακὸν πόλεμον εἰς αὐτούς, συμβουλευομένους δὲ τοῖς Λακεδαιμονίοις καὶ φθονοῦντας τοῖς Ἀχαιοῖς ἐπὶ τοσοῦτον ὥστε Κλεομένους πεπραξικοπηκότος αὐτοὺς καὶ παρῃρημένου Τεγέαν, Μαντίνειαν, Ὀρχομενόν, τὰς Αἰτωλοῖς οὐ μόνον συμμαχίδας ὑπαρχούσας, ἀλλὰ καὶ συμπολιτευομένας τότε πόλεις, οὐχ οἷον ἀγανακτοῦντας ἐπὶ τούτοις, ἀλλὰ καὶ βεβαιοῦντας αὐτῷ τὴν παράληψιν, καὶ τοὺς πρότερον κατὰ τῶν μηδὲν ἀδικούντων πᾶσαν ἱκανὴν ποιουμένους πρόφασιν εἰς τὸ πολεμεῖν διὰ τὴν πλεονεξίαν τότε συνορῶν ἑκουσίως παρασπονδουμένους καὶ τὰς μεγίστας ἀπολλύντας πόλεις ἐθελοντὴν ἐφ’ ᾧ μόνον ἰδεῖν ἀξιόχρεων γενόμενον ἀνταγωνιστὴν Κλεομένη τοῖς Ἀχαιοῖς, ἔγνω δεῖν εἰς ταῦτα βλέπων οὗτός τε καὶ πάντες ὁμοίως οἱ προεστῶτες τοῦ τῶν Ἀχαιῶν πολιτεύματος πολέμου μὲν πρὸς μηδένα κατάρχειν, ἐνίστασθαι δὲ ταῖς τῶν Λακεδαιμονίων ἐπιβολαῖς.
In diesen ‚Bandwurmsatz‘ hat Polybios die gesamte politische Situation gepresst, der sich Arat vor Ausbruch des Kleomenischen Krieges (229 v.Chr.) gegenüber gestellt sah: dass nämlich die Aitoler zögerten, den Krieg offen wieder aufzuneh6
Ausgerechnet die typischen Produkte der Kanzleien, die Königsbriefe, bedienen sich nicht unbedingt des typischen Kanzleistils, vgl. die klassische Studie und Sammlung von C. B. WELLES, Royal Correspondance in the hellenistic Period. A Study in Greek Epigraphy, New Haven 1934.
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men, da sie den Achäern aufgrund der Unterstützung im Demetrischen Krieg verpflichtet waren; dass sie aber mit den Spartaner paktierten und so von Neid auf die Achäer erfüllt waren, dass sie, obgleich ihnen Kleomenes mehrere wichtige Städte weggenommen hatte, diesem deshalb nicht Gram waren und ihm sogar den Besitz seiner Beute bestätigten; dass die Aitoler bereits früher schon einen hinreichenden Vorwand gefunden hatten, Krieg gegen unbescholtene Dritte zu führen wegen ihres Machtstrebens; und dass sie freiwillig Verträge brachen und ihre Städte sich abspenstig machen ließen, nur damit den Achäern in Kleomenes ein starker Gegner entstünde.7 Die Struktur dieses Satzes ist sehr komplex. Dem Prädikatsverb ἔγνω δεῖν sind zwei participia coniuncta (θεωρῶν und συνορῶν) vorgeschaltet, von denen jeweils zwei mehrgliedrige AcPs abhängig sind. Der Satz ist also mit Partizipien überfrachtet. Dazwischen geschaltet sind noch substantivierte Infinive und genitivi absoluti. In die einzelnen Perioden aufgelöst, stellt sich der Satz vor dem Prädikat wie folgt dar: ὁ προειρημένος ἀνὴρ θεωρῶν γὰρ τοὺς Αἰτωλοὺς τὸν μὲν πόλεμον τὸν πρὸς αὐτοὺς αἰσχυνομένους ἀναλαβεῖν ἐκ τοῦ φανεροῦ διὰ τὸ καὶ λίαν εἶναι προσφάτους τὰς ἐκ τῶν Ἀχαιῶν εὐεργεσίας περὶ τὸν Δημητριακὸν πόλεμον εἰς αὐτούς, συμβουλευομένους δὲ τοῖς Λακεδαιμονίοις καὶ φθονοῦντας τοῖς Ἀχαιοῖς ἐπὶ τοσοῦτον ὥστε Κλεομένους πεπραξικοπηκότος αὐτοὺς καὶ παρῃρημένου Τεγέαν, Μαντίνειαν, Ὀρχομενόν, τὰς Αἰτωλοῖς οὐ μόνον συμμαχίδας ὑπαρχούσας, ἀλλὰ καὶ συμπολιτευομένας τότε πόλεις, οὐχ οἷον ἀγανακτοῦντας ἐπὶ τούτοις, ἀλλὰ καὶ βεβαιοῦντας αὐτῷ τὴν παράληψιν, καὶ τοὺς πρότερον κατὰ τῶν μηδὲν ἀδικούντων πᾶσαν ἱκανὴν ποιουμένους πρόφασιν εἰς τὸ πολεμεῖν διὰ τὴν πλεονεξίαν τότε συνορῶν ἑκουσίως παρασπονδουμένους καὶ τὰς μεγίστας ἀπολλύντας πόλεις ἐθελοντὴν ἐφ’ ᾧ μόνον ἰδεῖν ἀξιόχρεων γενόμενον ἀνταγωνιστὴν Κλεομένη τοῖς Ἀχαιοῖς, ἔγνω δεῖν
Nicht ganz so extrem, aber doch noch komplex genug ist – als ein Beispiel für den Periodenbau eines inschriftlichen Textes – der Einleitungssatz der motivatio im Ehrendekret des Hegesias aus Lampsakos (Syll.3 n. 591 = ISE n. 188, Z. 3–15, ohne Ergänzungen):
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Zum Hintergrund vgl. C. KOEHN, Krieg–Diplomatie–Ideologie. Zur Außenpolitik hellenistischer Mittelstaaten, Stuttgart 2007, 142–147 und 171–176, und K. SCHERBERICH, Koinè Symmachía. Untersuchungen zum Hellenenbund Antigonos’ III. Doson und Philipps V. (224–197 v.Chr.), Stuttgart 2009, 81–102.
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Clemens Koehn τοῦ δὲ δήμου ζητοῦντος καὶ κατακαλουμένου μετὰ πάσης φιλοτιμίας τοὺς ἐπιδώσοντας ἑαυτοὺς, καὶ ψηφισαμένου ἵνα τοῖς πρεσβεύσασιν ὑπὲρ τῆς πόλεως πρός τε Μασ σαλιτήτας καὶ Ῥωμαίους τιμιόν τι ὑπάρξει παρὰ τοῦ δήμου καὶ ἵνα, ὅταν ἐπανέλθωσιν οἱ πρεσβευταὶ, προσβουλεύσει ἡ βουλὴ καθότι τιμηθήσονται, καὶ προβληθέντων τινῶν καὶ οὐκ ὑπομενόντων, ἐνίων δὲ καὶ χειροτονηθέντων καὶ ἐξομοσαμένων διὰ τὸ μέγεθος τῆς κομιδῆς καὶ τῆς δαπάνης, Ἡγησίας προβληθεὶς ἀντὶ τοῦ ἐξομόσασθαι χειροτονηθεὶς καὶ ὑπὸ τοῦ δήμου οὐδὲν φροντίσας τῶν κατὰ τὴν ἐκγδημίαν κινδύνων, ἀλλὰ ἐν ἐλάσσονι θέμενος τὰ καθ` αὑτὸν τοῦ τῆι πόλει συμφέροντος ἐπεδέξατο τὴν πρεσβείαν […]
Bekanntlich unternahm Hegesias Mitte der 190er Jahre v.Chr. eine lange und gefahrvolle diplomatische Mission nach Rom und Marsilia, nachdem kein anderer seiner Mitbürger diese Reise unternehmen wollte.8 Wie die Stadt verzweifelt nach willigen Kandidaten für die Gesandtschaft sucht, wie potentielle Kandidaten sich weigern, angetragene Mandate auch anzunehmen, beziehungsweise von bereits angenommenen Mandaten wieder zurücktreten, und wie schließlich Hegesias bereit ist, die Mission zu übernehmen, all das wird in einer langen Aneinanderreihung von genitivi absoluti berichtet, unterbrochen von ihrerseits unterbrochenen Nebensätzen; erst dann wird der Name des Hegesias als Subjekt genannt, dem aber gleich wieder mehrere participia coniuncta folgen, bis endlich das Prädikat kommt: „er übernahm die Gesandtschaft“. Auch hier soll zur Verdeutlichung der Satz noch einmal in die einzelnen Perioden aufgelöst werden: τοῦ δὲ δήμου ζητοῦντος καὶ κατακαλουμένου μετὰ πάσης φιλοτιμίας τοὺς ἐπιδώσοντας ἑαυτοὺς, καὶ ψηφισαμένου ἵνα τοῖς πρεσβεύσασιν ὑπὲρ τῆς πόλεως πρός τε Μασσαλιτήτας καὶ Ῥωμαίους τιμιόν τι ὑπάρξει παρὰ τοῦ δήμου καὶ ἵνα, ὅταν ἐπανέλθωσιν οἱ πρεσβευταὶ, προσβουλεύσει ἡ βουλὴ καθότι τιμηθήσονται, καὶ προβληθέντων τινῶν καὶ οὐκ ὑπομενόντων, ἐνίων δὲ καὶ χειροτονηθέντων καὶ ἐξομοσαμένων διὰ τὸ μέγεθος τῆς κομιδῆς καὶ τῆς δαπάνης, Ἡγησίας προβληθεὶς ἀντὶ τοῦ ἐξομόσασθαι χειροτονηθεὶς καὶ ὑπὸ τοῦ δήμου οὐδὲν φροντίσας τῶν κατὰ τὴν ἐκγδημίαν κινδύνων, ἀλλὰ ἐν ἐλάσσονι θέμενος τὰ καθ` αὑτὸν τοῦ τῆι πόλει συμφέροντος ἐπεδέξατο τὴν πρεσβείαν
Der verbale Stil, die starke Verwendung von Partizipen und Infinitiven, ist nun freilich keine Besonderheit des Polybios und der Inschriften allein. Darauf gründet sich auch die Kritik an der These vom Kanzleistil. Untersucht man die quantitative Verteilung bestimmter Morpheme und Phrasen, dann verliert Polybios’ Stil seine scheinbaren Alleinstellungsmerkmale, die ihn so auffällig in der Nähe des sogenannten Kanzleistils zeigen. Nur einige statistische Beispiele: Von 1.000 Wörtern bei Polybios sind 33 Infinitive. Im Vergleich dazu kommt Platon je nach 8
Zum Hintergrund vgl. F. CANALI DE ROSSI, Le ambascerie dal mondo Greco a Roma in età repubblicana, Rom 1997, no. 236 (siehe dazu von demselben die ergänzenden Bemerkungen in: Veleia 26 [2009], 23, und den Kommentar zu ISE ad loc.).
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Werk auf bis zu 60 Infinitive, Lysias auf 42. Bei Partizipien, immerhin 65 auf 1.000 Wörter, wird Polybios z.B. von Thukydides übertroffen, der 71 vorzeigen kann. Auch bei einer grammatischen Konstruktion, deren exzessive Verwendung jedem auffallen wird, sobald er nur ein paar Seiten der Historien gelesen hat, steht Polybios mitnichten an der Spitze. Gemeint ist der substantivierte Infinitiv: Von 11.265 Infintiven sind bei Polybios immerhin 1.900 substantiviert. Die Stilforschung des 19. Jahrhunderts hat errechnet, dass der Quotient pro Teubner-Seite 1,15 beträgt. Demosthenes, dem man nun alles – politisches Versagen, Engstirnigkeit, das Verkennen der Zeichen der Zeit und dergleichen mehr – aber keinen schlechten Stil vorwerfen kann, hat 1,20 substantivierte Infinitive pro TeubnerSeite.9 Aus der Tatsache, dass sich Wortbildungen und Wendungen des Polybios und Besonderheiten seiner Syntax auch bei anderen Autoren der hellenistischen Zeit finden – etwa im Aristeasbrief, der Septuaginta oder Diodor – hat man den Schluss gezogen, dass Polybios mehr mit der als koiné bezeichneten Sprache seiner Zeit gemein hat als mit der Spezialsprache der Kanzleien.10 Der schwedische Philologe Jonas Palm ist das Problem von der anderen Seite angegangen. Er hat nicht die Gemeinsamkeiten von Polybios mit anderen Autoren untersucht, sondern dessen Gemeinsamkeiten mit den Inschriften hinterfragt. In einem kaum zitierten Aufsatz aus den 1950er Jahren kann Palm zeigen, dass die Periodisierung in den Inschriften weit extremer ausgeprägt ist und dort häufiger und vor allem auch längere Partizipialkonstruktionen aneinandergereiht werden als bei Polybios. Unter solchen statistischen Aspekten gesehen muss man Palm vollkommen recht geben, dass der Stil des Polybios kein Kanzleistil im eigentlichen Sinne ist.11 Aber auch wenn einerseits Wortschatz, Redewendungen und die Syntax sich bei anderen Autoren ähnlich häufig antreffen lassen und es andererseits deutliche Unterschiede zwischen Polybios und den Inschriften gibt: Man kann sich doch des Eindrucks nicht erwehren, dass Polybios und die Inschriften in vielem Ähnlichkeiten aufweisen. Woran liegt das? Zunächst ist zu berücksichtigen, dass Bezüge unseres Historikers vor allem zu einer Gattung von Inschriften bestehen: dem Ehrendekret. Bekanntlich ‚explodiert‘ geradezu in hellenistischer Zeit ein wichtiger Teil des Formulars dieser Dekrete, nämlich die sogenannte motivatio, in der die Ehren begründet werden. Manche Redaktoren dieser Dekrete erreichen in der motivatio einen narrativen Ton, der viel mehr mit der Erzählung des Polybios gemein hat als mit einem nüchternen königlichen Prostagma. Meistens geht es um Dinge 9
Die Zahlen sind entnommen aus der (ältere Arbeiten vornehmlich deutscher und z.T. auch amerikanischer Provenienz kompilierenden) Studie von J.-A. DE FOUCAULT, Recherches sur la langue et le style de Polybe, Paris 1972, 157; 161; 170. 10 Zur koiné vgl. zuletzt S. COLVIN, The Koine: a New Language for a New World, in: A. Erskine, L. Llewellyn-Jones (Hrgg.), Creating a Hellenistic World, Swansea 2011, 31–45. 11 PALM, Polybios und der Kanzleistil (Anm. 5), auf Grundlage des einschlägigen hellenistischen Inschriftenmaterials in Syll.3 und OGIS. Sein Aufsatz wurde praktisch nicht rezipiert (er ist noch nicht einmal in der „L’Année philologique“ verzeichnet) und findet sich nur bei LEHMANN, Untersuchungen (Anm. 5), 349–351, eingehender gewürdigt; siehe jetzt auch DREYER, Polybios (Anm. 1), 137.
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derselben politischen Sphäre: um militärische Auseinandersetzungen, um die Rettung der Stadt aus bedrohlichen Situationen, um – wie im Fall des Hegesias – schwierige diplomatische Missionen, um Ausübung ganz unterschiedlicher politischer Ämter im Dienste der Mitbürger.12 Die Frage ist, wer wen beeinflusst hat – die historische Prosa die Ehrendekrete oder umgekehrt: die Ehrendekrete die historische Prosa. Auf den ersten Blick wird die Antwort lauten: Der narrative Ton der motivatio vieler Ehrendekrete orientiert sich am Stil der historischen Prosa der koiné, und so hat auch Palm in seinem detailreichen Aufsatz die Frage beantwortet. Aber Palm hat dabei die Konsequenzen aus seiner eigenen Untersuchung übersehen. Wenngleich der Stil der Ehrendekrete durch die inhaltliche Darstellung bedingt ist, und hier wie bei den Historikern etwas berichtet und erzählt werden soll, so ist dieser Dekretstil doch ungleich komprimierter und deutlich stärker mit partizipialen Konstruktionen befrachtet als die gewöhnliche historische Prosa. Dies ist schließlich auch das Hauptargument Palms gegen eine Beeinflussung der Literatursprache durch die Spezialsprache der offiziellen Dokumente. Das bedeutet aber umgekehrt: Bei aller Orientierung an der zeitgenössischen Prosa hat sich doch hier ein durchaus eigener Stil entwickelt. Dieser stilistische Sonderweg dürfte durch die Wandlung im epigraphic habit in der spätklassischen und frühhellenistischen Zeit bedingt sein, die zur bereits erwähnten ‚Explosion‘ der motivatio geführt hat. Gab man in klassischer Zeit nur die Ehrung als solche an, ohne die jeweils zugrundeliegenden Leistungen im Einzelnen aufzuzählen, so wandelte sich dieses Verfahren im späten 4. Jahrhundert v.Chr.: Die Begründung wurde nun immer ausführlicher und sprachlich weitschweifiger. Daraus ergab sich aber ein Problem, denn unabhängig von der Frage, ob die inschriftliche Veröffentlichung eines Dekretes nur als Auszug des im Archiv hinterlegten Textes erfolgte oder mit diesem mehr oder weniger identisch war, konnte die Begründung in Hinsicht auf den für die Inschrift zur Verfügung stehenden Platz nicht endlos ausgestaltet werden.13 12 Vgl. zu dieser Entwicklung gleichsam im Sinne einer lokalen Geschichtsschreibung K. ROSEN, Ehrendekrete, Biographie und Geschichtsschreibung. Zum Wandel der griechischen Polis im frühen Hellenismus, in: Chiron 17 (1987), 277–292; L. BOFFO, Epigrafi di città greche: un’ espressione di una storiografia locale, in: Studi di storia e storiografia antiche per Emilio Gabba, Padua 1988, 9–48; R. M. ERRINGTON, Biographie in hellenistischen Inschriften, in: K. Vössing (Hrg.), Biographie und Prosopographie. Internationales Kolloquium zum 65. Geburtstag von Anthony R. Birley, Stuttgart 2005, 13–28. 13 Grundlegend zum Verhältnis von archiviertem Original und inschriftlicher Kopie dokumentarischer Texte in hellenistischer Zeit A. WILHELM, Über die öffentliche Aufzeichnung von Urkunden, in: ders., Beiträge zur griechischen Inschriftenkunde, Wien 1909, 229–299, und G. KLAFFENBACH, Bemerkungen zum griechischen Urkundenwesen, Berlin 1960; die dort begründete These, auf Inschriften sei immer nur ein kondensierter Text des ursprünglichen Dekretes veröffentlicht, ist eng mit der Frage nach der Wertigkeit von Kopie und Original verbunden. Aufbauend auf den Ergebnissen von Wilhelm und Klaffenbach wurde vor allem über Ausmaß und Bedeutung einer Archivierung und von Archiven allgemein in Athen und der griechischen Welt diskutiert, vgl. z.B. J. P. SICKINGER, Inscriptions and Archives in Classical Athens, in: Historia 43 (1994), 286–296; L. BOFFO, Ancora una volta sugli „archivi“ nel
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Auf dem zweiten Blick ist es also durchaus legitim, die oben aufgeworfene Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung von Historiographie und Inschriftenprosa wenn nicht direkt andersherum zu beantworten, so doch andersherum zu stellen: Inwiefern nämlich hat der begrenzte Platz, der auf einer Stele oder Marmortafel mondo greco: conservazione e „pubblicazione“ epigraphica, in: Athenaeum 83 (1995), 91– 130, DIES., Per una storia dell’archiviazione pubblica nel mondo greco, in: Dike 6 (2003), 5– 85; DIES., Gli archivi dei Greci: premesse di metodo, in: R. Scuderi, C. Zizza (Hrgg.), In ricordo di Dino Ambaglio, Pavia 2011, 103–114; P. J. RHODES, Public Documents in the Greek States: Archives and Inscriptions, in: G&R 48 (2001), 33–44 und 136–153; J. K. DAVIES, Greek Archives: From Record to Monument, in: M. Brosius (Hrg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford 2003, 323–343. Völlig in Frage gestellt wird diese Position jetzt von M. J. OSBORNE, Secretaries, psephismata and stelai in Athens, in: AncSoc 42 (2012), 33–59, der radikal bestreitet, dass die inschriftlich veröffentlichten Dekrete nur einen Auszug aus den archivierten Texten darstellen und nur ein kleiner Teil der Dekrete überhaupt veröffentlich worden sei. Seiner Ansicht nach habe es hinsichtlich der inschriftlichen Veröffentlichung weder eine Selektion innerhalb der einzelnen Dekrete (Kürzung) noch eine Selektion der Dekrete insgesamt (Auswahl) gegeben. Seine Argumentation ist als Infragestellung der communis opinio durchaus anregend, aber zugleich auch ziemlich brachial. Er verweist u.a. auf die omnipräsente Formel zur Veröffentlichung der Dekrete (ἀναγράψαι τόδε τὸ ψήφισμα εἰς στήλην u.ä.), die nur ein und denselben Text bezeichnen könne und nicht zwei verschiedene Versionen. Auch seien die einschlägigen großen Ehrendekrete schon so ausführlich, dass man sich gar nicht vorstellen könne, was sie noch alles mitteilen sollten. Leider setzt sich Osborne hier nicht mit den Ausführungen von P. GAUTHIER, Les cités grecques et leurs bienfaiteurs, Paris 1985, 83–85 und 100f., auseinander, der am Beispiel prominenter Ehrungen athenischer Politiker im 3. Jahrhundert v.Chr. zu zeigen versucht, woran sich im einzelnen die Kürzungen festmachen lassen. Gauthier verweist dabei auf die den Anträgen für eine Ehrung beigefügten Leistungsberichte, die erheblich umfangreicher als die auf dieser Grundlage beschlossenen Ehrendekrete gewesen sein müssen. Auch hat Osborne schon einen Vorgänger in der Kritik an der auszugsweisen Veröffentlichung der Dekrete auf Inschriften, auf den er nicht eingeht: ROSEN, Ehrendekrete (Anm. 12), 280, argumentiert auf Grund eines vor 321/20 v.Chr. in Athen eingeführten Gesetzes (IG II2 n. 1191 = Syll.3 n. 1048, Z. 7–10: ὁ [νό]μ[ος κ]ελεύε[ι] πρ[οσγρ]άφειν ἐν [τῶι ψ]ηφίσ[ματι τὸν λα]μ[β]άνοντα δ[ω]ρεὰν ὅ[τι] ε[ὐεργέτ]ηκεν τὴν πό[λι]ν), dass seitdem die inschriftliche Aufzeichnung dem archivierten Antragstext entsprochen haben müsse; diese Interpretation ist wegen der Ergänzung [νό]μ[ος] und der daran geknüpften Frage der allgemeinen Gültigkeit allerdings nicht unproblematisch, vgl. ERRINGTON, Biographie (Anm. 12), 21 (mit der alternativen Lesung [δῆ]μ[ος]); zudem wird dort nur gesagt, dass die Ehren begründet werden müssen, nicht aber, in welcher Ausführlichkeit dies zu geschehen habe. Da letztlich mehr für die Kondensierung der Dekrete bei einer inschriftlichen Fassung spricht als dagegen, wäre es natürlich interessant zu wissen, ob die Texte im Archiv nur einfach noch mehr Informationen über den zu Ehrenden enthielten, oder aber tatsächlich weniger abstrakt, d.h. weniger parataktisch und mit Partizipien überfrachtet formuliert gewesen sind. Die einzigen Texte dieser Art, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf ein archiviertes Original zurückgehen, die bei Ps.-Plut. Mor. 851f–852g (wohl über die „Psephismata“-Sammlung des Krateros) überlieferten Ehrenbeschlüsse für Demosthenes, Demochares und Lykurgos sind für diese Frage nur von bedingtem Wert; Lykurgs auch inschriftlich überlieferter Ehrenbeschluss (IG II2 n. 457 = Syll.3 n. 326) ist in den erhaltenen Teilen ausführlicher als der Text bei Plutarch, aber bei diesem handelt es sich nicht um das Dekret an sich, sondern um einen Auszug daraus, den ein Nachfahre des Lykurg hergestellt hat, um damit dessen Privilegien für sich geltend machen zu können.
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zur Verfügung steht, zu der stilistischen Komprimierung der Erzählung geführt, um möglichst viele Einzelheiten unterzubringen, und inwiefern hat dann dieser Dekretstil nicht doch die mit denselben Themen befassten und aus derselben politischen Sphäre stammenden Geschichtsschreiber zumindest untergründig beeinflusst?14 Beantworten lässt sich die Frage freilich mangels Vergleichsmöglichkeiten (vor allem mit entsprechend archivierten Akten bezüglich der Dekrete und ihrer Beschlussfassung) nicht. Aber völlig auszuschließen ist ein Einfluss der doch eigenständigen Inschriftenprosa auf die (lokale) Historiographie im Hellenismus wiederum auch nicht. Der andere Punkt, weshalb man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass Polybios und die Inschriften in vielem Ähnlichkeiten aufweisen, ist die nur scheinbare methodische Sicherheit, die der statistische Vergleich zwischen Polybios und anderen historischen Prosatexten aus dem Hellenismus einerseits, und Polybios und den Inschriften andererseits bietet. Als solche ist die methodische Prämisse der Gegner der Kanzleistilthese durchaus nachvollziehbar, denn die statistischen Erhebungen und Zahlen, das Abzählen der Perioden scheinen für sich zu sprechen. Aber die statistischen Erhebungen stilistischer Eigenheiten beziehungsweise Nichteigenheiten sagen eben doch nur bedingt etwas über den Stil aus. Der Quotient bei der quantitativen Verteilung bestimmter Wortbildungen und Konstruktionen mag bei anderen Autoren ähnlich hoch sein oder sogar noch größer: Es kommt letztlich auf die Art an, in der sich ein Autor bestimmter Wortbildungen und Konstruktionen bedient. Jedenfalls gibt es auch bei Polybios Stellen, die sind periodisch so komprimiert und wirken durch die Massierung bestimmter Konstruktionen derart abstrakt, dass sie weit entfernt sind von der gängigen Prosa und dem Dekretstil doch sehr nahekommen. Man schaue sich beispielshalber seine Bemerkungen über das Verhalten Hannibals in Buch 9, Kapitel 9 an: καὶ γὰρ τὸ προσβαλόντα τοῖς πολεμίοις πειραθῆναι διὰ τῶν ἐκ μέρους ἀγώνων λύειν τὴν πολιορκίαν, καὶ τὸ ταύτης ἀποπεσόντα τῆς προσβολῆς ἐπ’ αὐτὴν ὁρμῆσαι τὴν Ῥώμην, κἄπειτα μὴ καθικόμενον τῆς προθέσεως διὰ τὰς ἐκ ταὐτομάτου περιπετείας αὖθις ἐξ ὑποστροφῆς συντρῖψαι μὲν τοὺς ἑπομένους, ἐφεδρεῦσαι δὲ τῷ κατὰ λόγον, εἰ συνέβη γενέσθαι κίνημα περὶ τοὺς τὴν Καπύην πολιορκοῦντας, τὸ δὲ τελευταῖον μὴ λήξαντα τῆς προθέσεως εἰς τὴν τῶν ἐχθρῶν βλάβην ἀποσκῆψαι, μόνον οὐ δ’ ἀναστάτους ποιῆσαι Ῥηγίνους, τίς οὐκ ἂν ἐπισημήναιτο καὶ θαυμάσαι τὸν προειρημένον ἐπὶ τούτοις ἡγεμόνα;
Polybios schildert die operative Flexibilität Hannibals, als deren Vorbild er zuvor die Kriegführung des Thebaners Epameinondas dargestellt hat. Man komme nicht umhin, den Feldherrn Hannibal zu bewundern, habe er doch durch einen Angriff 14 Merkwürdigerweise spielt das Argument des begrenzt zur Verfügung stehenden Platzes in der Diskussion um die auszugsweise Veröffentlichung der Dekrete auf Inschriften keine Rolle. WILHELM, Aufzeichnung von Urkunden (Anm. 13), 275, begründete diese Praxis mit „Sparsamkeit“, weil die Herstellung einer Steininschrift mit erheblichen Kosten verbunden gewesen ist. Laut GAUTHIER, Les cités (Anm. 13), 85, und DERS., La réunification d’Athènes en 281 et les deux archontes Nicias, in: REG 92 (1979), 348–399, erfolgte die Redaktion des Dekrettextes in Hinsicht auf eine jeweilige politische Kontextualisierung der beschriebenen Leistungen, die Auswahl sei ein „florilège politiquement orienté développant tels faits résumant ou passant sous silence tels autres“ (ebd. 386).
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auf die Römer in einer Reihe von Teilgefechten versucht, die Belagerung von Capua aufzuheben, sei darauf, nachdem er davon abgelassen habe, gegen Rom selbst marschiert, und nachdem er durch widrige Umstände veranlasst auch dieses Unterfangen habe aufgeben müssen, habe er einerseits die Verfolger geschlagen und andererseits eine Reserve abgestellt, falls sich die vor Capua lagernden Römer in Bewegung setzen sollten, und habe beinahe, letztlich nicht von dem Vorsatz ablassend, den Feinden Schaden zuzufügen, die Einwohner von Rhegioi zum Abfall bewegen können. In diesem Satz hat Polybios die von ihm so geliebte Konstruktion des substantivierten Infinitivs exzessiv verwendet und auf jegliche Hypotaxe verzichtet, wodurch die Periode eine einzige Parataxe ist. Solche Stellen ließen sich noch vermehren.15 Gleichwohl variiert der Stil des Polybios in weit höherem Maß, als dies in den Ehrendekreten der Fall ist.16 Die Antwort auf die Frage nach der Gültigkeit der Kanzleistilthese ist somit letztlich immer eine subjektive. Wenn auch Polybios stilistisch kein ausgesprochener Vertreter eines Kanzleistils ist, sondern weitgehend den (leider nur bruchstückhaft dokumentierten) literarischen Gepflogenheiten seiner Zeit verhaftet ist, so neigt er doch zu einer Abstraktion, die viel mit einer Sonderform des Kanzleistils, nämlich der Prosa von Ehrendekreten, gemein hat.17 Wie auch immer man diese Gemeinsamkeiten gewichtet, die Beeinflussung dürfte nicht so einseitig gewesen sein, wie die moderne Polybiosphilologie aufgrund ihrer statistischen Erhebungen zu erkennen glaubt.
II. Der Begriff Stele bei Polybios In einer Hinsicht ist Polybios ganz gewiss sprachlich beeinflusst worden, nämlich durch seinen mehr als zwei Jahrzehnte währenden Romaufenthalt. Dieser fand seinen Niederschlag nicht nur in der Verwendung spezieller römischer Ausdrücke, 15 Für weitere Beispiele (etwa XXV 6; XXIX 3,1–4; 23,8–10) siehe DE FOUCAULT, Recherches (Anm. 9), 287f. 16 Vgl. z.B. Pol. I 38,8–10 mit I 59,10–12. 17 Dass der Stil des Polybios eine Mischung aus der klassischen Literatursprache, KoinéElementen sowie Anleihen aus dem „Kanzleistil“ dokumentarischer Texte darstellt, betont abschließend DE FOUCAULT, Recherches (Anm. 9), 319–24, in seiner nach wie vor grundlegenden Studie zur polybianischen Sprache. Die Verbindungen zwischen innovativen und konservativen Elementen in der Sprache des Polybios wurden jüngst erörtert von D. LANGSLOW, The Language of Polybius since Foucault and Dubuisson, in: C. Smith, L. M. Yarrow (Hrgg.), Imperialism, Cultural Politics, and Polybius, Oxford 2012, 85–110. Hinzuweisen ist noch auf A. DIHLE, Griechische Literaturgeschichte, München 31998, 330, der den Stil des Polybius in die Nähe der technischen Fachliteratur seiner Zeit rückt. Zu interessanten Einzelheiten der polybianischen Sprache und ihrer Stilmittel vgl. noch M. LEBEL, Quelques remarques sur les comparaisons dans les Histoires de Polybe, in: J. A. S. Evans (Hrg.), Polis and Imperium. Studies in Honor of Edward Togo Salmon, Toronto 1974, 97–128, und M.-R. GUELFUCCI, La verité, la rhétorique et l’histoire: les formes de la persuasion dans les Histoires de Polybe, in: CEA 42 (2005), 237–253, beide mit anerkennender Wertung des Stils.
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sondern auch in vielen ansonsten unüblichen Wendungen, die lateinische Vorbilder haben. Michel Dubuisson hat diesem Einfluss ein erschöpfendes Buch gewidmet.18 Was sich für Rom nachweisen lässt, kann dies nicht auch für den griechische Kontext unseres Historikers gelten? Wenn Polybios überhaupt von einem Kanzleistil beeinflusst worden ist, dann doch wohl in erster Linie von der Amtssprache seines eigenen Heimatlandes, denn dort hielt er sich ja noch länger auf als in Rom. Er war in seinen 30er Lebensjahren, als er 168 v.Chr. nach Rom deportiert wurde, und lebte noch ungefähr ein Vierteljahrhundert in Achaia, nachdem er 146 v.Chr. dorthin zurückgekehrt war. Sowohl vor der Deportation wie nach der Rückkehr hatte Polybios politische Ämter im Bund inne. Mit dessen Amtssprache war er also vertraut. Aber gab es überhaupt eine solche Amtssprache? Gab es einen achäischen Kanzleistil? In Phraseologie und Syntax werden sich die Beschlüsse des Achäerbundes nicht sehr von denen anderer griechischer Staaten unterschieden haben. Dieser Unterschied ist ja auch zwischen den Dekreten einer Polis und dem Prostagma eines Königs wie auch zwischen den jeweiligen königlichen Kanzleien geringer als man zunächst annehmen würde. Wenn es signifikante Unterschiede gegeben hat, dann im Gebrauch bestimmter Worte und Ausdrücke. Mochte die Stadt von ihrer δημοκρατία sprechen, der König sprach lieber von ihrer ἐλευθερία, welche ein viel dehnbarerer Begriff war. Städtische Gesandte konnten davon sprechen, sie seien μετὰ παρρησίας vor dem König aufgetreten, also mit aller Offenheit; der König sprach lieber davon, dass sie μετὰ σπουδῆς ihre Anliegen vorgebracht haben, mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Ergebenheit.19 Amtssprachliche Einflüsse des Achäerbundes bei Polybios sind also am ehesten im Vokabular zu erwarten. Im Folgenden soll noch auf eine Besonderheit des Ausdrucks bei Polybios eingegangen werden, von dem gezeigt werden kann, dass es sich um eine Besonderheit der achäischen Amtssprache handeln muss. Fragt man sich, welche Ausdrücke Polybios eigentlich verwendet, um Inschriften zu bezeichnen, ist auffallend, dass sich die meisten Belege für den Begriff Stele in den (in Auszügen überlieferten) Büchern 23 und 24 finden. Dort behandelt Polybios ausführlich Ereignisse seines eigenen Heimatlandes in den 180er Jahren v.Chr. Es geht um Konflikte zwischen dem Achäerbund und den Bundesmitgliedern Messenien und Sparta einerseits und dem Achäerbund und Rom andererseits. Sowohl Messenien wie Sparta waren zwischenzeitlich aus dem Bund ausgetreten und mussten gewaltsam wieder zurückgeholt werden. Beide suchten die Unterstützung der Römer.20
18 M. DUBUISSON, Le latin de Polybe. Les implications historiques d’un cas de bilinguisme, Paris 1985. 19 Vgl. KOEHN, Krieg–Diplomatie–Ideologie (Anm. 7), 52f. 20 Zu den Einzelheiten der Ereignisse, auf die im folgenden Bezug genommen wird, vgl. J. DEININGER, Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 217–86 v.Chr., Berlin 1971, 108–124 und 136–143; A. BASTINI, Der achäische Bund als hellenische Mittelmacht. Geschichte des achäischen Koinon in der Symmachie mit Rom, Frankfurt/M. 1987, 63–126; I. DIDU, La fine della confederazione achea. Lotta politica e rapporti con Roma dal 180 al 146
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An insgesamt sieben Stellen ist bei der Schilderung dieser Konflikte von Stelen die Rede. Man fragt sich: Warum? Wenn Polybios daran gelegen war mitzuteilen, dass es sich um Inschriften gehandelte habe, auf die in der Argumentation im Streit zwischen Bund und Mitgliedern Bezug genommen wurde, warum variierte er dann nicht in der Bezeichnung, anstatt monoton immer den Begriff Stele zu wählen? An anderen Stellen, wo Polybios von Inschriften spricht, tut er dies sehr wohl. Den anfangs erwähnten inschriftlich verzeichneten Tatenbericht Hannibals nennt er einmal χάλκωμα, also Bronzetafel, einmal στήλη, einmal spricht er von γραφή und einmal von ἐπιγραφή.21 Im zwölften Buch kritisiert Polybios heftig den Historiker Timaios, weil dieser sich bei seinen Ausführungen u.a. auf eine Inschrift beruft, ohne anzugeben, wo er selbige gesehen habe. Diese Inschrift bezeichnet Polybios mal als „inschriftlichen Vertrag“ – wobei er da variiert und von συνθῆκαι ἐγγράπτοι und συνθῆκαι ἀναγεγραμμέναι spricht – mal nur als συνθήκη, mal als ἀναγραφή, schließlich als δημόσια ἀναγραφή und παραδόσιμος στήλη.22 Nun könnte man einwenden, es sei Polybios in den Büchern 23 und 24 eben darum gegangen zu sagen, dass es sich um Stelen gehandelt habe. Aber was stand eigentlich auf diesen Stelen? Bei den eben genannten Beispielen aus dem 3. und 12. Buch gibt er ja den Inhalt an. Diese Frage ist allein schon deshalb berechtigt, weil an vielen Stellen deutlich wird, dass Stele eben nicht bloß den Inschriftenpfeiler meint, sondern die Inschrift selbst. Der Begriff Stele wird also im übertragenen Sinne für das darauf aufgezeichnete inschriftliche Dokument gebraucht. Wirft man einen Blick in die einschlägigen Übersetzungen und in die Literatur, die diese Ereignisse behandelt, dann bekommt man ganz unterschiedliche Übertragungen des Wortes geboten. In XXIV 8–10 wird ein Höhepunkt des Konfliktes der Achäer mit den Römern geschildert. Die Römer hatten die Achäer mehrfach aufgefordert, den Personen, die aus dem abtrünnigen Sparta verbannt worden waren, wieder die Rückkehr zu erlauben. In XXIV 8,4–6 plädiert Lykortas, der Vater des Polybios, dafür, den Römern deutlich zu machen, dass wenn man ihren Vorschriften Folge leisten würde, man dann gegen die Eide, Gesetze und Stelen verstoßen würde, die den achäischen Bund zusammenhielten: διὸ καὶ νῦν, ἐάν τις αὐτοὺς διδάξῃ (δι)ότι συμβήσεται τοῖς Ἀχαιοῖς, ἂν πειθαρχήσωσι τοῖς γραφομένοις, παραβῆναι τοὺς ὅρκους, τοὺς νόμους, τὰς στήλας, ἃ συνέχει τὴν κοινὴν συμπολιτείαν ἡμῶν, ἀναχωρήσουσιν καὶ συγκαταθήσονται διότι καλῶς ἐπέχομεν καὶ παραιτούμεθα περὶ τῶν γραφομένων. ταῦτα μὲν οὖν οἱ περὶ τὸν Λυκόρταν ἔλεγον.
Die Opposition innerhalb des Bundes um Hyperbaton und Kallikrates argumentiert für die gegenteilige Haltung, nämlich den römischen Anordnungen Folge zu leisten und weder Gesetz noch Stele noch sonst etwas anderes als bindend anzusehen.
a.C., Cagliari 1993, 9–33; H. NOTTMEYER, Polybios und das Ende des Achäerbundes, München 1995, 15–52; KOEHN, Krieg–Diplomatie–Ideologie (Anm. 7), 41–43 und 215–217. 21 Pol. III 33,18; 56,4. 22 Pol. XII 9,3; 10,3; 10,5; 10,9.
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Clemens Koehn οἱ δὲ περὶ τὸν Ὑπέρβατον καὶ Καλλικράτην πειθαρχεῖν τοῖς γραφομένοις παρῄνουν καὶ μήτε νόμον μήτε στήλην μήτ’ ἄλλο μηθὲν τούτου νομίζειν ἀναγκαιότερον.
Der daraufhin im Winter 180/179 v.Chr. nach Rom geschickte Kallikrates nutzt die Gunst der Stunde, um seinen Standpunkt vorzubringen. Er schwärzt seine Landsleute bei den Römern an und ruft diese auf, doch endlich einmal durchzugreifen (XXIV 9,2–4): δυεῖν γὰρ οὐσῶν αἱρέσεων κατὰ τὸ παρὸν ἐν πάσαις ταῖς δημοκρατικαῖς πολιτείαις, καὶ τῶν μὲν φασκόντων δεῖν ἀκολουθεῖν τοῖς γραφομένοις ὑπὸ Ῥωμαίων καὶ μήτε νόμον μήτε στήλην μήτ’ ἄλλο μηθὲν προυργιαίτερον νομίζειν τῆς Ῥωμαίων προαιρέσεως, τῶν δὲ τοὺς νόμους προφερομένων καὶ τοὺς ὅρκους καὶ στήλας καὶ παρακαλούντων τὰ πλήθη μὴ ῥᾳδίως ταῦτα παραβαίνειν, ἀχαϊκωτέραν εἶναι παρὰ πολὺ ταύτην τὴν ὑπόθεσιν καὶ νικητικωτέραν ἐν τοῖς πολλοῖς.
In der Übersetzung von Hans Drexler liest sich der Passus so: „Es gebe zur Zeit in allen demokratisch regierten Staaten zwei Parteien, von denen die eine dafür eintrete, den Weisungen der Römer Folge zu leisten und weder ein Gesetz noch einen in Stein gehauenen Vertrag für vordringlicher zu halten als den Willen der Römer, eine zweite, die sich auf die Eide und Urkunden berufe und die Menge ermahne, diese nicht leichthin zu übertreten.“23 In der englischen Übersetzung von Paton heißt es: „There where, he said, two parties at present in all democratic states, one of which maintained that the written requests of the Romans should be executed, and that neither laws, inscribed agreements, nor anything else should take precedence of the wishes of Rome, while the other appealed to laws, sworn treaties, and inscriptions, and implored the people not to violate these lightly.”24 Bei Drexler ist der Begriff Stele also mit zwei unterschiedlichen Wörtern wiedergegeben: „in Stein gehauener Vertrag“ beziehungsweise „Urkunde“, ebenso bei Paton, der Stele einmal mit „inscribed agreements“ und einmal einfach mit „inscriptions“ übersetzt. In der Literatur findet man weitere Varianten, z.B. noch die Wiedergabe mit „Beschlüsse“25, „Abmachungen“26, oder gar „Verfassung“27. Dass es sich aber nicht um irgendwelche beliebige auf Stelen verzeichnete Dokumente handeln kann, zeigt XXIV 8,4. Denn neben den Eiden und Gesetzen bilden die Stelen das Fundament oder Gerüst des Achäerbundes: ἃ συνέχει τὴν κοινὴν συμπολιτείαν ἡμῶν. Es müssen also wichtige Dokumente sein. Und es heißt dort: μήτε νόμον μήτε στήλην, es kann sich also nicht um einen austauschbaren Begriff gehandelt haben. Sondern Stele muss in dem übertragenen Gebrauch für ein bestimmtes, genau bezeichnetes Dokument gestanden haben.28 23 Polybios. Geschichte, eingeleitet und übertragen von H. DREXLER, Bd. II, Zürich 1963, 1104. 24 Polybius. The Histories, with an english translation by W. R. PATON, revised by F. W. WALBANK and C. HABICHT, vol. V, Cambridge (Ma.)/London 2012, 511. 25 NOTTMEYER, Polybios (Anm. 20), 16; vgl. KOEHN, Krieg–Diplomatie–Ideologie (Anm. 7), 42. 26 DEININGER, Der politische Widerstand (Anm. 20), 139. 27 BASTINI, Der achäische Bund (Anm. 20), 119. 28 Vgl. auch Pol. XXIV 11–13, wo der Begriff Stele im Zusammenhang mit dem achäischrömischen Bündnis nicht gebraucht wird, sondern von Gesetzen, Eiden, der Symmachie und den Verträgen die Rede ist, die mit Sicherheit auch auf Stelen festgehalten waren (11,6: ὅσα
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Eben dies wird häufig gar nicht beachtet, wie die Übersetzungen einer weiteren, für unseren Zusammenhang relevanten Stelle, nämlich XXIII 4,14, zeigen. Dort wird den Achäern seitens eines römischen Beamten mitgeteilt, dass die Römer die Rückkehr der von den Achäern verbannten Spartaner gutheißen, Sparta selbst aber zum Achäerbund gehören sollte. Die Reaktion der Achäer war: δυσηρεστοῦντο μὲν γὰρ τῇ καθόδῳ τῶν φυγάδων καὶ τῶν τεθανατωμένων διὰ τὸ γίνεσθαι παρὰ τὰ τῶν Ἀχαιῶν δόγματα καὶ παρὰ τὴν στήλην, εὐδοκοῦντο δὲ τοῖς ὅλοις τῷ γράφεσθαι διότι (δεῖ) τὴν πόλιν τῶν Λακεδαιμονίων πολιτεύειν μετὰ τῶν Ἀχαιῶν.
Drexler übersetzt: „Einerseits missbilligten sie die Rückkehr der Verbannten und zum Tode Verurteilten, denn dies widersprach dem auf Stein gehauenen Beschluss der Achäer, im Ganzen waren sie aber sehr zufrieden, weil Sparta Mitglied des Achäischen Bundes bleiben sollte.“29 Drexler übersetzt dabei παρὰ τὰ τῶν Ἀχαιῶν δόγματα καὶ παρὰ τὴν στήλην mit „dies widersprach dem auf Stein gehauenen Beschluss der Achäer“. Ebenso Paton: „it was contrary to the Achaean decree as inscribed on the column“.30 Beides gibt aber die Wendung nicht her, da die „Stele“ klar von den „Beschlüssen“ getrennt ist. Es heißt wörtlich: „gegen die Beschlüsse und gegen die Stele“. Sollte die Aussage den von Drexler und Paton gegebenen Sinn haben, also „gegen die auf der Stele verzeichneten Beschlüsse“, würde man eher eine Formulierung erwarten, wie sie analog etwa Polybios selbst in IX 36,9 gibt: τὰ ἐν στήλῃ γεγονότα καὶ καθιερωμένα beziehungsweise wie sie sich in Inschriften findet.31 In welchen Kontext der Begriff Stele gehört, wird in XXIII 18,1 deutlich: οἱ δ’ Ἀχαιοὶ διακούσαντες ἀμφοτέρων ἔκριναν προσλαβέσθαι τὴν πόλιν, καὶ μετὰ ταῦτα στήλης προγραφείσης συνεπολιτεύετο μετὰ τῶν Ἀχαιῶν ἡ Σπάρτη, προσδεξαμένων τῶν ἐν τῇ πόλει τούτους τῶν ἀρχαίων φυγάδων, ὅσοι μηδὲν ἐδόκουν ἄγνωμον πεποιηκέναι κατὰ τοῦ τῶν Ἀχαιῶν ἔθνους.
Die Achäer beschließen, Sparta wieder in den Bund aufzunehmen, und nach Aufstellung einer Stele sind die Spartaner wieder Mitglieder des Bundes. Diejenigen Verbannten, die sich gegenüber dem Bund wohl verhalten haben, dürfen zurückkehren. Auf die erneute Aufnahme Spartas in den Bund kommt auch Kallikrates bei seiner Brandrede in Rom zu sprechen (XXIV 9,14): μὲν εἴη τῶν παρακαλουμένων ἀκόλουθα τοῖς νόμοις καὶ τῇ συμμαχίᾳ, πάντα συγκατῄνει καὶ συνέπραττεν ἀπροφασίστως und 13,3: τὸ τηρεῖν τοὺς ὅρκους καὶ τὰς συνθήκας καὶ τὴν πρὸς τοὺς συμμάχους πίστιν). Vgl. für eine entsprechende Reihung von Dokumenten ohne Nennung von Stelen auch IG XII 7 n. 67B = Syll.3 n. 955, Z. 76–79: τῆς δὲ συγγραφῆς τῆσδε [ὡ]μολόγησαν Ἀρκ[εσιν]εῖς μηδὲν εἶναι κυριώτερον μήτε νόμον μήτε ψ[ή][φ]ισμα μήτε δ[όγμ]α und Dem. XXXV 39: ἡ μὲν γὰρ συγγραφὴ οὐδὲν κυριώτερον ἐᾷ εἶναι τῶν ἐγγεγραμμένων, οὐδὲ προσφέρειν οὔτε νόμον οὔτε ψήφισμα οὔτ’ ἄλλ’ οὐδ’ ὁτιοῦν πρὸς τὴν συγγραφήν. 29 Polybios. Geschichte Bd. II (Anm. 23), 1081. 30 Polybius. The Histories (Anm. 24), vol. V, 459; im selben Sinne auch F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, Bd. III, Oxford 1979, 218. 31 Vgl. z.B. IG II2 n. 1368 = Syll.3 n. 1109, Z. 16f.: ἐν στήλῃ τὰ δόγματα. IG IX 12, 2 n. 583 = ISE n. 59, Z. 71: τὰ κατακεχωρισμένα ἐν τᾶι στάλαι. IG II2 n. 34 = Syll.3 n. 142, Z. 17f.: τῶν ἐν ταῖς στήλαις γεγραμμένων.
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νῦν δὲ πάλιν ἐκ πλείονος χρόνου γραφόντων αὐτῶν ὑπὲρ τῆς καθόδου τῶν ἐκ Λακε δαίμονος φυγάδων, τοσοῦτον ἀπέχειν τοῦ πειθαρχεῖν ὡς καὶ στήλην τεθεῖσθαι καὶ πεποιῆσθαι πρὸς τοὺς κατέχοντας τὴν πόλιν ὅρκους ὑπὲρ τοῦ μηδέποτε κατελεύσεσθαι τοὺς φυγάδας.
Die Achäer seien so weit davon entfernt, auf die Römer zu hören, „dass sie mit den derzeitigen Machthabern in der Stadt einen beschworenen Vertrag geschlossen und ihn, in Stein gehauen, aufgestellt hätten, dass die Verbannten niemals zurückkehren sollten“, heißt es in der Übersetzung von Drexler.32 Bei Polybios steht aber: ὡς καὶ στήλην τεθεῖσθαι καὶ πεποιῆσθαι πρὸς τοὺς κατέχοντας τὴν πόλιν ὅρκους – „dass sie sowohl eine Stele aufgestellt als auch Eide mit den Machthabern der Stadt geschworen hätten“. Bei Stele handelt es sich also nicht um einen Vertrag über die Rückführung der Verbannten, sondern, wie aus der oben zitierten Stelle XXIII 18,1 hervorgeht, zunächst um den Beitrittsvertrag Spartas als solchen. Auch hier wird die Stele getrennt genannt von den Eiden, analog zur separaten Nennung der Stele und der Beschlüsse in XXIII 4,14. Dass der Begriff Stele etwas zu tun haben muss mit der Aufnahme von Mitgliedern in den Bund, zeigen deutlich auch die anderen diesbezüglichen Belege bei Polybios. In XXIII 17,2 ist davon die Rede, dass drei Städte aus dem Gebiet Messeniens herausgelöst und durch jeweiliges Aufstellen einer Stele Mitglieder des Achäerbundes werden: ἡ δ’ Ἀβία καὶ Θουρία καὶ Φαραὶ κατὰ τὸν καιρὸν τοῦτον ἀπὸ μὲν τῆς Μεσσήνης ἐχω ρίσθησαν, ἰδίᾳ (δὲ) θέμεναι στήλην ἑκάστη μετεῖχεν τῆς κοινῆς συμπολιτείας.
In XXIV 2,3 wird die Stele mit den Messeniern aufgestellt, nachdem zuvor gesagt worden war, dass der Bund die Wiederaufnahme Messeniens beschlossen hatte. Zur Kompensation der Kriegschäden, die durch die militärische Niederschlagung der messenischen Sezession entstanden sind, wird diesen von den Achäern für drei Jahre Steuerfreiheit gewährt: ταῦτα δὲ τοῖς φυγάσιν ἀποκριθέντες συνέθεντο τὴν πρὸς Μεσσηνίους στήλην, συγχω ρήσαντες αὐτοῖς πρὸς τοῖς ἄλλοις φιλανθρώποις καὶ τριῶν ἐτῶν ἀτέλειαν, ὥστε τὴν τῆς χώρας καταφθορὰν μηδὲν ἧττον βλάψαι τοὺς Ἀχαιοὺς ἢ Μεσσηνίους.
Der letzte Beleg, der zur Deutung des Begriffes bei Polybios beiträgt, findet sich nicht in den Büchern 23 und 24, sondern in Buch 2. Dort schildert Polybios bekanntlich die Geschichte des Achäerbundes im 3. Jahrhundert v.Chr., also vor seiner Zeit. Der Achäerbund war eine Neugründung eines Vorgängerbundes aus dem 4. Jahrhundert. Polybios erzählt, welche Städte sich 280/79 v.Chr. als erste zusammenschlossen, und bemerkt (II 41,12): καὶ πρῶτοι μὲν συνέστησαν Δυμαῖοι, Πατρεῖς, Τριταιεῖς, Φαραιεῖς διόπερ οὐδὲ στήλην ὑπάρχειν συμβαίνει τῶν πόλεων τούτων περὶ τῆς συμπολιτείας.
32 Polybios. Geschichte Bd. II (Anm. 23), 1105.
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„Deshalb existiert auch keine Stele dieser Städte über die Sympolitie“. Diese Begründung ergibt nur dann einen Sinn, wenn mit Stele nicht die Gründungsurkunde des Achäerbundes gemeint ist – eine solche wird es ja ohne Zweifel gegeben haben –, sondern eine Urkunde, die den Beitritt beziehungsweise die Aufnahme von neuen Mitgliedern dokumentiert. Von diesen vier genannten Städten konnte demnach keine Stele existieren, weil sie dem Bund nicht beitraten, sondern ihn gründeten.33 Lässt sich nun diese Deutung von Stele im Sinne der Beitritts- beziehungsweise Aufnahmeurkunde – mit anderen Worten: der Sympolitievertrag – durch andere Quellen stützen? Zunächst ist zu betonen, dass der übertragene Gebrauch des Wortes Stele als das darauf aufgezeichnete Dokument selbst insgesamt eher selten ist. Er findet sich gelegentlich etwa bei den attischen Rednern. Demosthenes spricht davon, dass die Megalopoliten erst ihre Stelen mit den Thebanern niederlegen müssten, bevor sie ein Bündnis mit Athen eingehen könnten.34 Gemeint sind hier Staatsverträge der Megalopoliten mit den Thebanern. Ansonsten ist, wenn die Redner von einer Stele sprechen, die inschriftliche Veröffentlichung eines im Kontext jeweils genannten Dokumentes, etwa eines ψήφισμα oder νόμος, gemeint. Der Inhalt der Stele wird also immer angegeben.35 Die literarischen Quellen zur Geschichte des Achäerbundes jenseits der polybianischen Historien – Plutarchs Viten des Arat oder Philopoimen, Pausanias’ Exkurse zur peloponnesischen Geschichte – liefern keine weiteren Anhaltspunkte für diesen Gebrauch des Wortes Stele. Aber in den epigraphischen Quellen wird man fündig, so dürftig diese insgesamt für die achäische Geschichte sind. In dem einzigen inschriftlich zumindest teilweise überlieferten Sympolitievertrag des Achäerbundes mit einem neu beitretenden Mitglied, nämlich dem arkadischen Orchomenos von ca. 234/33 v.Chr., lautet die Schwurformel (IG V 2 n. 344 = Syll.3 n. 490, Z. 8f.): ὀ[μ]νύω Δία Ἁμάριον, Ἀθάναν Ἁμαρίαν, Ἀφρ[οδ]ίτα[ν καὶ τοὺ]ς θ[εοὺς πάντας, ἦ μὴν ἐν]πᾶσιν ἐμμε[ν]εῖν ἐν τᾶι στάλαι καὶ τᾶι ὁμολογίαι καὶ τῶι ψαφίσματι [τῶι γεγονότι τῶι κοι]ν[ῶι] τῶι τ[ῶ]ν Ἀχαιῶν
33 Vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 1), 233. Walbank erwägt unter Verweis auf A. AYMARD, Le rôle politique du sanctuaire achaien, in: Annuaire de l’Institut de Philologie et d’Histoire orientales et slaves, Bd. IV: Mélanges Franz Cumont, Brüssel 1936, 1–26, hier 12, alternativ, dass sich diese Bemerkung auch darauf beziehen lasse, dass zum Zeitpunkt der Neugründung Aigion mit dem Bundesheiligtum des Zeus Homarios noch nicht zum Bund gehörte und demzufolge die Achäer erst nach Beitritt von Aigion dort ihre Stelen aufstellen konnten. Aber wie AYMARD, 7, betont, haben die Achäer niemals aufgehört, dem Zeus Homarios einen gemeinsamen Kult zu erweisen. Dass sie erst nach dem Beitritt Aigions im Bundesheiligtum dort auch ihre Versammlungen abhalten konnten, bedeutet nicht zugleich, dass sie nicht schon zur Neugründung eine entsprechende Inschrift dort hätten aufstellen können. 34 Dem. XVI 27: λέγουσι τοίνυν οἱ μάλιστα δοκοῦντες δίκαια λέγειν ὡς δεῖ τὰς στήλας καθελεῖν αὐτοὺς τὰς πρὸς Θηβαίους, εἴπερ ἡμέτεροι βεβαίως ἔσονται σύμμαχοι. 35 Vgl. z.B. Dem. XX 64; 69; 127; XLVII 18; siehe C. PEBARTHE, Cité, démocratie et écriture. Histoire de l’alphabétisation d’Athènes à l’époque classique, Paris 2006, 323f.
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Gemeint ist mit dem Schwur: „Ich schwöre festzuhalten an der Stele, der Übereinkunft und dem Beschluss des Achäerbundes“ das Festhalten am Vertrag zwischen Orchomenos und dem Achäerbund, durch den die Polis zu einem Mitglied desselben wird. Für diese Formulierung gibt es nur eine weitere Parallele, in einer kretischen Inschrift. Auch dort bezeichnet Stele im übertragenen Sinne einen Vertrag.36 In Inschriften, in denen ja ganz häufig von Stelen die Rede ist, meint Stele 36 ICret III iii n. 4 = A. CHANIOTIS, Die Verträge zwischen kretischen Poleis in der hellenistischen Zeit, Stuttgart 1996, n. 28, Z. 6–9: [ἐμμένον]τες ἐν ταῖς προϋπαρχώσαις στάλαις ἰδίαι τε [τᾶι κειμέναι] Γορτυνίοις καὶ Ἱεραπυτνίοις καὶ τᾶι κατὰ κοινὸν [Γορτυνίοις] καὶ Ἱεραπυτνίοις καὶ Πριανσίοις. Die Seltenheit beziehungsweise Besonderheit dieser Formulierung wird deutlich im Vergleich mit den Texten, die ebenfalls die übliche Schwurformel für Verträge bieten, z.B.: ICret III iii n. 3B = CHANIOTIS, Verträge, n. 26, Z. 13–17 (wiederholt in Z. 19–23): ὀμνύω τὰν Ἑστίαν καὶ Ζῆνα Ὀράτριον καὶ Ἀθαναίαν Ὠλερίαν καὶ Ζῆνα Μον[νίτιον καὶ Ἥ]ραν καὶ Ἀθαναίαν Πολιάδα καὶ Ἀπόλλωνα Πύτιον καὶ Λατὼ καὶ Ἄρεα καὶ Ἀφροδίταν καὶ Κωρῆτας [καὶ Νύμφα]ς καὶ θεὸς πάντας καὶ πάσας ἦ μὰν ἐγὼ συμμαχησῶ τοῖς Ἱεραπυτνίοις τὸν πάντα χρόνον ἁπλ[όω]ς καὶ ἀδόλως καὶ τὸν αὐτὸν φίλον καὶ ἐχθρὸν ἑξῶ καὶ πολεμησῶ ἀπὸ χώρας υἷ κα καὶ ὁ Ἱεραπύτνιοςκαὶ τὸ δίκαιον δωσῶ καὶ ἐ μ μεν ῶ ἐ ν τ οῖ ς συν κε ι μέν οι ς, ἐμμενόντων καὶ τῶν Ἱεραπυτνίων. ICret III iii n. 3A = Syll.3 n. 581, Z. 89f.: ἐ μμεν ε ῖ ν τ ᾶι συμ αχ[ ί αι ] κ αὶ τ ᾶι συν τ ά ξε ι τᾶι γεγενημέναι τῶι δάμωι ποτὶ Ἱεραπυτνίους ἀδόλως καὶ ἀπροφασίστως. I.Iasos n. 2, Z. 35–37: ὀμνύω Δία Γῆν Ἥλιον Ποσειδῶ Ἀπόλλω Δήμητρα [Ἄ]ρη Ἀθηνᾶν Ἀρείαν θεοὺς πάντας καὶ πάσας καὶ τὴν Ταυροπόλον ἐ μμεν ῶ τ αῖ ς ὁμολ ογί αι ς ἃς πεποίημαι πρὸς Ἰασεῖς. IG II2 n. 687 = Syll.3 n. 434/35, Z. 87–89: [ὀμ]νύω Δία Γ[ῆ]ν Ἥλιον Ἄρη Ἀθηνὰν Ἀρε[ίαν Ποσειδῶ Δήμητραν ἐ ] μ[ μ] εν ε ῖ ν ἐ ν τ ε ῖ συμ μ αχίαι τεῖ γεγ[ενημένηι]. CIG n. 3137 = OGIS n. 229, Z. 60–62: ὀμνύω Δία, Γῆν, Ἥλιον, Ἄρη, Ἀθηνᾶν Ἀρείαν καὶ τὴν Ταυροπόλον καὶ τὴ[μ] Μητέρα τὴν Σιπυληνὴν καὶ Ἀπόλλω τὸν ἐμ Πάνδοις καὶ τοὺς ἄλλους θεοὺς πάντας καὶ πάσας καὶ τὴν τοῦ βασιλέως Σελεύκου τύχην ἐ μμεν ῶ ἐ ν τ αῖ ς συν θ ήκαι ς αἷς συντέθειμαι πρὸς Σμυρναίους εἰς ἅπαντα τὸγ χρόνον und ebd. Z. 70–72: ὀμνύω Δία, Γῆν, Ἥλιον, Ἄρη, Ἀθηνᾶν Ἀρείαν καὶ τὴν Ταυροπόλον καὶ τὴμ Μη[τέρ]α τὴν Σιπυληνὴν καὶ Ἀφροδίτην Στρατονικίδα καὶ τοὺς ἄλλους θεοὺς πάντας καὶ πάσας ἐ μμεν ῶ ἐ ν τ αὶ ς συν θ ή και ς αἷς συντεθείμεθα πρὸς τοὺς [ἐμ Μ]αγνησίαι κατοίκους, τούς τε κατὰ πόλιν ἱππεῖς καὶ πεζοὺς καὶ τοὺς ἐν τ[οῖς] ὑπαίθροις τασσομένους καὶ τοὺς ἄλλους τοὺς καταχωριζομένους εἰς τὸ [πολί]τευμα, εἰς ἅπαντα τὸγ χρόνον. IG XII 4,1 n. 152, Z. 14–20: ὁρκιζόντω δὲ τοὶ ἄνδρες τὸν ὅρκον τόνδε ἐ μμεν ῶ τ ᾶι καθ ε στ ακυί αι δ αμο κρ ατ ί αι κ αὶ τ ᾶι ἀπ οκα τ αστ άσε ι τ ᾶς ὁ μοπ ολι τ ε ί ας καὶ τ οῖ ς ν όμοι ς τ οῖ ς ἐ γ Κῶι π ατ ρί οι ς ὑπ ά ρχο υσι κ αὶ τ οῖ ς δό γμ ασι τ ᾶς ἐ κκλη σί ας κ αὶ τ αῖ ς δι αγ ρα φαῖ ς ταῖς ὑπὲρ τᾶς ὁμοπολιτείας ἐ μμεν ῶ δὲ κα ὶ τ ᾶι ποτ ὶ β ασι λῆ Πτ ο λε μαῖ ον φι λί αι καὶ συμ μ αχί αι καὶ τ αῖ ς σ υν θ ή κ αι ς ταῖς ποτὶ τοὺς συμμάχους τῶι δάμωι κεκυρωμέναις. I.Milet n. 148 = Syll.3 n. 588, Z. 85– 88: ὀμν[ύω τὸν Ἀπόλλωνα τὸν Διδυμέα και] τοὺς ἄλλους θεοὺς πάντας καὶ πάσας διαφυλάξειν τὰ[ς συνθήκας καὶ ἐ μ] μεν ε ῖ ν τ οῖ ς δε δ ο γμέν οι ς καὶ μὴ μνησικακήσειν περὶ μηθε[νὸς τῶν προγεγο]νότων. I.Milet n. 149, Z. 54f.: ἐ μμεν ῶ τ οῖ ς ὡμο λογη μέν οι ς καὶ ἀν αγε γ ρ αμμέ ν ο ι ς [εἰς] τὸν ἀεὶ χρόνον. Vgl. auch IG V 2 n. 419 = Syll.3 n. 472, Z. 19–21: [εἰ δέ κα μὴ ἐ μ] μέν ων τ ι οἱ Φι α λέ ε ς ἐ ν τ ᾶι φι λ[ ί αι τᾶι πὸτ τὼς Μ]εσανίως καὶ Αἰτωλώς, ἄκυρος ἔ[στω πᾶσα ἁ ὁμολο]γία. IG IX 1 n. 32 = Syll.3 n. 647, Z. 59–64: ὁπότεροι [δ]έ κα μὴ ἐ μμε ί ν ων τ ι ἐ ν τ οῖ [ ς] γε γρ αμ μέν οι ς, ἀποτεισάντων τοῖς ἐμμεινά[ν]τοις ἀργυρίου τάλαντα δέκα. I.Milet n. 150 = Syll.3 n. 633, Z. 122–124: ὁπότεροι δ’ ἂν μὴ ἐ μμε ί ν ω σι ν τ οῖ ς ἐ ν τ ῆι σ υν θ ή κη ι κατ α κε χω ρι σ μέν οι ς, ἄδικοί τε ἔστωσαν τῶν θεῶν, οὓς ὤμοσαν, καὶ ἀποτεισάτωσαν οἱ μὴ ἐμμείναντες τοῖς ἐμμείνασιν τάλαντα πεντήκοντα.
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immer den Inschriftenträger, nur in den seltesten Fällen (s.u.) das Dokument selbst.37 Die Inschrift aus Orchomenos ist für die behandelten Stellen bei Polybios nicht nur deshalb interessant, weil hier das Vertragsdokument mit der Stele gleichgesetzt, sondern vor allem auch, weil in der Schwurformel zwischen Stele, Homologia und Psephisma unterschieden wird.38 Stele meint den eigentlichen Sympolitievertrag zwischen der Polis Orchomenos und dem Koinon der Achäer, der technisch eine Homologia gewesen ist.39 Das Abstraktum wird also inhaltlich durch das Konkretum erläutet; in zeitgenössischen Symmachieverträgen findet man entsprechend Formulierungen wie συνθήκα καὶ συμμαχία oder σπονδαὶ καὶ συμμαχία.40 Dieser (im nicht erhaltenen Teil der Inschrift verzeichnete) Sympolitievertrag wird nun getrennt von dem Beschluss (Psephisma) über Maßnahmen des Achäerbundes in Zusammenhang mit dem Beitritt von Orchomenos: Wer nach dem Beitritt Grundbesitz erwirbt, darf diesen erst 20 Jahre später wieder veräußern; der bisherige Tyrann Nearchos und seine Söhne dürfen nicht gerichtlich belangt werden; ein bei den Orchomenern hinterlegtes Pfand muss ausgezahlt werden.41 37 Der Begriff taucht in den Formeln zur Aufzeichnung von Urkunden und Dokumenten auf Stelen so oft auf, dass sich eine Dokumentation an dieser Stelle erübrigt. 38 Vgl. den Kommentar von W. Dittenberger und F. Hiller von Gaertringen in Syll.3 n. 490 ad. loc.: Pactum de recipiendis in Achaeorum foedus Orchomeniis distinguitur ab hoc ipso decreto concilii communis Achaeorum, quo variae res quibus recepta Orchomeno opus est constituuntur. 39 Vgl. als Beispiel für eine als ὁμολογία bezeichnete Sympolitieurkunde IG IX 1 n. 32 = Syll.3 n. 647, Z. 4–18: ὁμολο[ γί ] α τ ᾷ π όλε ι Στ ε ι ρί ων κ αὶ [ τ ᾷ] π όλε ι Με δε ω νί ων συ[νε]πολίτευσαν Στείριοι κα[ὶ Μ]εδεώνιοι ἔχοντες ἱερά, πό[λι]ν, χώραν, λιμένας, πάντα [ἐ]λεύθερα, ἐπὶ τοῖσδε εἶμεν [τ]οὺς Μεδεωνίους πάντας [Σ]τιρίους ἴσους καὶ ὁμοίους, καὶ συνεκλησιάζειν καὶ συναρχοστατεῖσθαι μετὰ τᾶς [πό]λιος τᾶς Στιρίων, καὶ δικά[ζ] ειν τὰς δίκας τὰς ἐπὶ πόλι[ο]ς πάσας τοὺς ἐνικομένους [τ]αῖς ἁλικίαις und ebd. Z. 65–70: [ γ] ρ αψ άν τ ων δ ὲ τ ὰ ν ὁμ [ ο] λογί αν ἐ ν στ άλ αν καὶ ἀν[αθέ]ντων ἐν τὸ ἱερὸν τᾶς Ἀ[θάν]ας. θέστων δὲ τὰν ὁμο[λογί]αν καὶ παρὰ ἰδιώταν ἐσ[φρα]γισμέναν. 40 IG IX 12,1 n. 3A = Syll.3 n. 421A, Z. 1f.: συνθήκα καὶ συμμαχία Αἰτωλοῖς καὶ Ἀκαρ νάνοις. IG II2 n. 687 = Syll.3 n. 434/435, Z. 70–72: σπονδαὶ καὶ συμμαχία [Λακεδαιμονίοις καὶ τοῖς συμμάχοις το]ῖς Λακεδαιμονίων πρὸς [Ἀθηναίους καὶ τοὺς συμμάχους τοὺς Ἀθην]αίων. 41 IG V 2 n. 344 = Syll.3 n. 490, Z. 11–21: τῶν δὲ λαβόντων ἐν Ὀρ[χο][μενῶι] κλᾶρον ἢ οἰκίαν, ἀφ’ οὗ Ἀχαιοὶ ἐγένοντο, μὴ ἐξέστω μηθενὶ ἀπαλλοτριῶ[σα]ι ἐτέων εἴκοσι. εἰ δέ τι ἐκ τῶν ἔμπροσθε χρόνων ἢ οἱ Ὀρχομένιοι Ἀχαιοὶ ἐγέ[νον]το Νεάρχ[ω]ι ἔγκλημα γέγονεν ἢ τοῖς υἱοῖς, ὑπότομα εἶμεν πάντα, καὶ μ[ὴδικαζέ]σθω μήτε Νεάρχωι μηθεὶς μήτε τοῖς υἱοῖς αὐτοῦ μηδὲ Νέαρχος μηδὲ [τῶν υἱ]ῶν αὐτοῦ μηθεὶς περὶ τῶμ πρότερον ἐγκλημάτων ἢ οἱ Ὀρχομένιοι Ἀχαιοὶ ἐγ[ένο]ν[τ]ο [ὃς δ]ὲ δικάζοιτο, ὀφλέτω χιλίας δραχμάς, καὶ ἁ δίκα ἀτελὴς ἔστω. περ[ὶδὲ τᾶς Νί]κας τᾶς χρυσέ[α]ς τοῦ Διὸς τοῦ Ὁπλοσμίου, ἃγ καταθέντες ἐνέχυρα οἱ Μεθυ[δριεῖς οἱ μετοική]σαντες ε[ἰ]ς Ὀρχομενὸν διείλοντο τὸ ἀργύριον καί τινες αὐτῶν ἀπήν[εγκαν εἰς Μεθύδρ]ι[ο]ν, ἐὰμ μὴ ἀποδιδῶντι τὸ ἀργύριον τοῖς Μεγα λοπολίταις, καθὼς ἐξ[εχώρησεν ἁ πό]λις τῶν Ὀρχομενίων, ὑποδίκους εἶμεν τοὺς μὴ ποιοῦντας τὰ δίκαια. Vgl. zu den rechtlichen Einzelheiten den Kommentar in der Edition von G. THÜR, H. TAEUBER, Prozeßrechtliche Inschriften der griechischen Poleis: Arkadien, Wien 1994, 157f. (n. 16).
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Diese Maßnahmen sind somit nicht Inhalt des Sympolitievertrages, sondern regeln die Folgen desselben. Das bedeutet für die oben diskutierten Polybiosstellen: Dort, wo von Stelen im Zusammenhang mit bestimmten Maßnahmen oder Beschlüssen der Achäer die Rede ist, also Rückführung der Verbannten, Gewährung von Steuerfreiheit etc., darf dies nicht so verstanden werden, dass mit Stele die inschriftliche Aufzeichnung dieser Beschlüsse und Maßnahmen gemeint ist. Stele bezeichnet ausschließlich den Sympolitievertrag, und zusammen mit diesem können dann noch – wie auch im Fall von Orchomenos – die flankierenden Beschlüsse mit aufgezeichnet sein. Dass Polybios in Zusammenhang mit dem Achäerbund so monoton von Stelen spricht, lässt sich also damit erklären, dass dieser Ausdruck geradezu ein terminus technicus gewesen ist, der in der achäischen Amtssprache die Beitrittsverträge zwischen Mitgliedern und Bund bezeichnete. Daran knüpfen sich zwei Fragen. Die erste betrifft das vielbehandelte Problem der verschiedenen modi der Archivierung bei den Griechen und der Wertigkeit von archiviertem Original und inschriftlich publizierter Kopie. Haben die Achäer diese grundlegenden Verträge ihrer Mitglieder prinzipiell nicht archiviert, sondern ausschließlich auf einer Stele festgehalten? Dies würde für die alte These von Alfred Heuss sprechen, wonach Verträge nur nach ihrer Publikation auf einer Stele ratifiziert und damit rechtsgültig waren.42 Aber das scheint doch fragwürdig. Denn umgekehrt werden die Achäer andere Dokumente wie die bei Polybios erwähnten Nomoi oder Psephismata nicht bloß archiviert, sondern entsprechend ihrer Wichtigkeit auch inschriftlich auf Stelen veröffentlicht haben, wenngleich davon durch die Ungunst der Überlieferung nichts erhalten geblieben ist.43 Der Grund für die ausschließliche Reservierung des Begriffes Stele für die Sympolitieverträge dürfte in der darin enthaltenen Metonymik selbst liegen. Das inschriftliche Dokument als solches hatte unabhängig vom archivierten Original immer eine besondere Bedeutung, sonst hätte man sich nicht die Mühe einer inschriftlichen Veröffentlichung eben dieses Originals gemacht. Das galt insbesondere für wichtige Vertragsdokumente, die das rechtliche Fundament einer Sache darstellten.44 Im Fall der achäischen Sympolitieverträge nun waren die damit beschrifteten Stelen gleichsam die nach außen sichtbare Manifestation des Zusammenhaltes des Bundes. Durch das Aufstellen der Stele wurde der Beitritt der neu42 A. HEUSS, Abschluss und Beurkundung des griechischen und römischen Staatsvertrages, in: Klio 27 (1934), 16–53 und 218–257, hier 252–257 (= DERS., Gesammelte Schriften, Bd. I, Stuttgart 1995, 340–419, hier 414–419); siehe hierzu schon die Kritik von KLAFFENBACH, Bemerkungen (Anm. 13), 27–29. 43 Vgl. z.B. die von Polybios erwähnte Einigung innerhalb der Bürgerschaft von Megalopolis nach dem Kleomeneskrieg bezüglich der Aufnahme von Neubürgern, die auf einer Stele beim Altar der Hestia im Heiligtum des Zeus Homarios (in Megalopolis) veröffentlicht wurde (V 93, 10): ἐφ’ οἷς δ’ ἔληξαν τῆς πρὸς ἀλλήλους διαφορᾶς, γράψαντες εἰς στήλην παρὰ τὸν τῆς Ἑστίας ἀνέθεσαν βωμὸν ἐν Ὁμαρίῳ. Zum Hintergrund siehe jetzt V. GRIEB, Bürger für die Große Stadt: Megalopolis, die oliganthropia und die megale eremia, in: L.-M. Günther (Hrg.), Migration und Bürgerrecht in der hellenistischen Welt, Wiesbaden 2012, 107–126. 44 Vgl. die in Anm. 13 genannte Literatur.
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en Mitglieder im öffentlichen Raum visualisiert. Im achäischen Bundesheiligtum des Zeus Homarios bei Aigion muss es einen ganzen Stelenwald gegeben haben, der die Größe und das Wachstum des Bundes regelrecht greifbar werden ließ.45 Es handelt sich also beim Aufstellen dieser Stelen um einen symbolischen oder zumindest symbolisch konnotierten Akt. In den wenigen Stellen außerhalb der polybianischen Historien, wo der Begriff im übertragenen Sinn gebraucht wird, kommt genau auch diese Symbolik zum Ausdruck. So bei der bereits zitierten Demosthenesstelle: Die Megalopoliten sollen ihre Verträge mit den Thebanern dadurch aufkündigen, dass sie die entsprechenden Stelen umlegen.46 Im Aristotelesdekret über den Zutritt zum neuen attischen Seebund heißt es, dass falls die neu beitretenden Mitglieder noch den Athenern ungünstige Stelen zu stehen haben, diese vom athenischen Rat niedergerissen werden sollen, d.h. die darauf aufgezeichneten Dokumente werden ungültig gemacht.47 In seinem berühmten Brief an die Larisäer gebraucht Philipp V. die Formulierung μετέχειν τῆς στήλης, „an der Stele teilhaben“. Damit bezieht er sich auf seinen Wunsch, diejenigen Neubürger mögen wieder in den Bürgerverband von Larisa aufgenommen werden, die zuvor aus der entsprechenden Stele ausgemeißelt wurden, welche das Neubürgerverzeichnis enthielt.48 Auch in dem erwähnten einzigen inschriftlichen Zeugnis, dem Isopolitie-Vertrag zwischen Hierapytna und Priansos, das eine Parallele zu dem Text aus Orchomenos bietet, handelt es sich um ein für die Partner grundlegendes Dokument, dessen besondere Symbolik noch dadurch zum Ausdruck gebracht wird, dass die „Stele“, somit der Vertrag, jedes Jahr anlässlich eines zentralen Festes öffentlich verlesen werden soll.49 Aus dem überaus seltenen metonymischen Gebrauch des Begriffes Stele, der sich sowohl bei Polybios als auch in der Inschrift aus Orchomenos belegen lässt, ergibt sich noch eine zweite Frage. Wenngleich dieser Gebrauch keine Erfindung der Achäer war, so ist doch die Stringenz, mit der sie sich seiner bedienten, auffal45 Zum Zeuskult der Achäer vgl. A. AYMARD, Le Zeus fédéral achaien Hamarios-Homarios, in: Mélanges offerts à M. Octave Navarre par ses élèves et ses amis, Toulouse 1935, 453–470. 46 Dem. XVI 27. 47 IG II2 n. 43 = Syll.3 n. 147, Z. 31–35: ἐὰν δέ τωι τ]υγχάν[η]ι τῶν πόλεων [τῶν ποιομένων] τὴν συμμαχίαν πρὸς Ἀθην[αίος σ]τῆλαι ὀ̑σαι Ἀθήνησι ἀνεπιτήδειο[ι, τ]ὴμ βολὴν τὴν ἀεὶ βολεύοσαν κυρίαν ε[ἶν]αι καθαιρεῖν. 48 IG IX 2 n. 517 = Syll.3 n. 543, Z. 35–37: εἰ δέ [τινες ἀ]νήκεστόν τι πεπράχασιν εἰσς τὴν βασιλείαν ἢ τὴν πόλιν ἢ δι’ ἄλλην τινὰ αἰτίαν μὴ ἄξιοί εἰσιν [μετέχ]ειν τῆς στήλης ταύτης, περὶ τούτων τὴν ὑπέρθεσιν ποιήσασθαι, ἕως ἂν ἐγὼ ἐπιστρέψας ἀπὸ τῆς [στρατ] είας διακούσω, und ebd. 26f.: πυνθάνομαι τοὺς πολιτογραφηθέντας κατὰ τὴν παρ’ ἐμοῦ ἐπιστολὴν καὶ τὸ ψήφισμα τὸ ὑμέτερον καὶ ἀναγραφέντας εἰς τὰς στήλας ἐκκεκολάφθαι. Vgl. hierzu zuletzt R. OETJEN, Antigonid Cleruchs in Thessaly and Greece: Philipp V and Larisa, in: G. Reger, F. X. Ryan, T. F. Winters (Hrgg.), Studies in Greek Epigraphy and History in Honor of Stephen V. Travy, Bordeaux 2010, 237–254, besonders 243f., und sich damit auseinandersetzend K. SCHERBERICH, Philipp V. und der ‚demographische Notstand’ in Thessalien, in: L.-M. Günther (Hrg.), Migration und Bürgerrecht (Anm. 43), 97–105. 49 ICret III iii n. 4 = CHANIOTIS, Verträge (Anm. 35), n. 28, Z. 40–43: ἀναγινωσκόντων δὲ τὰν στάλαν κατ’ ἐνιαυτὸν οἱ τόκ’ ἀεὶ κοσμόντες παρ’ ἑκατέροις ἐν τοῖς Ὑπερβώιοις καὶ προπαραγγελόντων ἀλλάλοις πρὸ ἁμερᾶν δέκα ἤ κα μέλλωντι ἀναγινώσκεν.
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lend. Warum? In erster Linie deshalb, weil er sich für die ideologischen Zwecke der achäischen Bundesidentität nutzen ließ. Die Stele war das unverrückbare, für alle Zeiten „in Stein gehauene“ Bekenntnis seiner Mitglieder zum Koinon der Achäer. Der Begriff war Teil jenes Verfassungspatriotismus des achäischen Koinons, auf den laut der tendenziösen Darstellung des Polybios der Erfolg des Bundes zurückzuführen sei. In den bekannten Kapiteln im zweiten Buch, die der Historiker in Form eines Exkurses dem Aufstieg des Bundes widmet, ist er voll des Lobes über die Grundsätze der achäischen Verfassung und nennt als deren Pfeiler ἰσότης und φιλανθρωπία.50 Damit meint er die an sich völlig richtige Tatsache, dass alle neuen Mitglieder gegenüber den alten dieselben Rechte im Bund erhielten, auch wenn sie ethnisch nichts mehr mit den Achäern zu tun hatten. Aber mit dem penetranten Verweis auf das theoretische Konzept ließ sich die Praxis nicht verschleiern, denn das gewinnfreie Werben, das Ködern mit den scheinbaren Vorteilen einer gleichberechtigten Mitgliedschaft im Bund hatte oft nicht den von der achäischen Führung gewünschten Erfolg. Allzu oft mussten die Städte gegen ihren Willen zum Beitritt gezwungen werden, meist mit militärischen Mitteln.51 Indem die Achäer – und so auch ihr großer Historiker – den eigentlichen, rechtlich diese Verträge bezeichnenden Begriff ὁμολογία vermieden und stets den völlig abstrakten Begriff στήλη verwendeten, um die grundlegenden Dokumente zu bezeichnen, auf denen der Bund beruhte, verschleierten sie die Brüchigkeit der (von Polybios über sein Werk so stark propagierten) ideologischen Grundsätze des Bundes. Dieser mochte auf ἰσότης und φιλανθρωπία beruhen, eine ὁμολογία im eigentlichen Sinne der Übereinstimmung beziehungsweise Zustimmung zum Bund und seinen Prinzipien ergab sich daraus in vielen Fällen aber nicht. Fazit: Polybios verfasst seine Historien zwar in einem bisweilen sehr umständlichen und um größtmögliche Genauigkeit auf Kosten der Lesbarkeit bemühten Griechisch, bleibt damit aber weitgehend im Bereich der Literatursprache. Gerade weil in der hellenistischen Zeit die Inschriftenprosa eine durchaus eigene Entwicklung genommen hat, wie Jonas Palm zeigen konnte, ist ein bestimmter Einfluss der Inschriftensprache auf die zeitgenössische Historiographie dennoch nicht völlig auszuschließen. Eine direkte aber auch leicht erklärbare Beeinflussung liegt in dem ansonsten sehr selten bezeugten übertragenen Gebrauch des Wortes Stele vor, das in Polybios’ Schilderung der achäischen Einigungspolitik im ersten Drittel des 2. Jahrhunderts v.Chr. eine große Rolle spielt und das er direkt dem offiziellen Sprachge50 Pol. II 38,6–8: ἰσηγορίας καὶ παρρησίας καὶ καθόλου δημοκρατίας ἀληθινῆς σύστημα καὶ προαίρεσιν εἰλικρινεστέραν οὐκ ἂν εὕροι τις τῆς παρὰ τοῖς Ἀχαιοῖς ὑπαρχούσης. αὕτη τινὰς μὲν ἐθελοντὴν αἱρετιστὰς εὗρε Πελοποννησίων, πολλοὺς δὲ πειθοῖ καὶ λόγῳ προσηγάγετο τινὰς δὲ βιασαμένη σὺν καιρῷ παραχρῆμα πάλιν εὐδοκεῖν ἐποίησεν αὑτῇ τοὺς ἀναγκασθέντας. οὐδενὶ γὰρ οὐδὲν ὑπολειπομένη πλεονέκτημα τῶν ἐξ ἀρχῆς, ἴσα δὲ πάντα ποιοῦσα τοῖς ἀεὶ προσλαμβανομένοις ταχέως καθικνεῖτο τῆς προκειμένης ἐπιβολῆς, δύο συν ε ργοῖ ς χρ ωμ έν η τ οῖ ς ἰ σχυ ροτ άτ οι ς, ἰ σό τ ητ ι κ αὶ φι λ αν θ ρ ωπί ᾳ. 51 Vgl. hierzu KOEHN, Krieg–Diplomatie–Ideologie (Anm. 7), 135–155.
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brauch des Achäerbundes entlehnt hat. Wie der Vergleich der entsprechenden Stellen bei Polybios mit dem einzigen erhaltenen inschriftlichen Sympolitievertrag des Achäerbundes gezeigt hat, gebrauchte die offizielle achäische Amtssprache den Begriff Stele, um die Beitrittsverträge (Homologie–Abkommen) mit den neu beitretenden Mitgliedern zu bezeichnen.
POLYBIOS’ WAHRE DEMOKRATIE UND DIE POLITEIA VON POLEIS UND KOINA IN DEN HISTORIEN Volker Grieb, Hamburg
Gewidmet Hans Lauter (1941–2007)
Mit seinen Historien verfolgte Polybios bekanntlich das übergeordnete und von ihm gleich am Beginn seines Werkes genannte Ziel darzustellen, wie die Römer in nicht ganz dreiundfünfzig Jahren beinahe den gesamten Erdkreis unter ihre alleinige Herrschaft bringen konnten. Seine historiographische Zielsetzung verbindet er an dieser Stelle zugleich mit der Frage nach der Art der politeia, die den Römern eine derartige Machtausdehnung ermöglichte,1 womit er Ereignisgeschichte und Verfassungsausprägung gewissermaßen gleichrangig nebeneinander stellt und die innenpolitische Struktur von Gemeinwesen als wesentlichen Einflussfaktor für Veränderungen im zwischenstaatlichen Mächteverhältnis benennt.2 Polybios beschränkt sich in seinem Werk dann auch nicht nur auf die im sechsten Buch ausführlicher dargelegte römische Verfassung, der er seine bekannten verfassungstheoretischen Überlegungen voranstellt, sondern bezieht sich an zahlreichen weiteren Stellen auf innenpolitische und damit die jeweilige politeia betreffende Zusammenhänge einzelner, insbesondere griechischer Gemeinwesen. Den verschiedenen Verfassungsbezügen, die nicht selten in einer wertenden Form vorgebracht sind und mitunter die Tendenz des Dargelegten deutlich bestimmen, kommt in der polybianischen Darstellung somit eine nicht unbedeutende Rolle zu, können daran doch auch Polybios’ eigene Verfassungsposition aufgezeigt und seine diesbezügliche historiographische Methode beurteilt werden.3 1
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Pol. I 1,5–6: τίς γὰρ οὕτως ὑπάρχει φαῦλος ἢ ῥᾴθυµος ἀνθρώπων ὃς οὐκ ἂν βούλοιτο γνῶναι πῶς καὶ τίνι γένει πολιτείας ἐπικρατηθέντα σχεδὸν ἅπαντα τὰ κατὰ τὴν οἰκουµένην οὐχ ὅλοις πεντήκοντα καὶ τρισὶν ἔτεσιν ὑπὸ µίαν ἀρχὴν ἔπεσε τὴν Ῥωµαίων, ὃ πρότερον οὐχ εὑρίσκεται γεγονός, τίς δὲ πάλιν οὕτως ἐκπαθὴς πρός τι τῶν ἄλλων θεαµάτων ἢ µαθηµάτων ὃς προυργιαίτερον ἄν τι ποιήσαιτο τῆσδε τῆς ἐµπειρίας; Roms Aufstieg zur Weltmacht und die Bedeutung ihrer πολιτεία weiterhin in Pol. III 2,6; VI 2,3; VIII 2,3–4; XXXIX 8,7. Siehe dazu das Folgende. Vgl. allgemein zur historischen und historiographischen Methode des Polybios etwa P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964; K.-E. PETZOLD, Studien zur Methode des Polybios und zu ihrer historischen Auswertung, München 1969; B. MEISSNER, ΠΡΑΓΜΑΤΙΚΗ ΙΣΤΟΡΙΑ, Polybios über den Zweck pragmatischer Geschichtsschreibung, in: Saeculum 37 (1986), 313–351; siehe zudem die Literaturangaben in F. W. WALBANK, Polybios, in: Lexikon des Hellenismus, hrsg. von H. H. Schmitt, E. Vogt, Wiesbaden 3 2005, Sp. 844f.; weiterhin jetzt B. DREYER, Polybios. Leben und Werk im Banne Roms, Hildesheim/Zürich/New York 2011.
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Verbindendes Element der politeia von Poleis und Koina sowie der von Polybios nachdrücklich hervorgehobenen römischen Verfassung ist in seinem Werk die demokratia, deren „wahre“ Ausprägung er mit der ἀληθινὴ δηµοκρατία bekanntlich in seiner politischen Heimat, dem Achaiischen Koinon, verwirklicht sah4 und die den Ausgangspunkt für die nachfolgenden Betrachtungen darstellt. Das Bedeutungsspektrum der demokratia ist in den Historien vielfältig und umfasst sowohl verschiedene geographische Kontexte als auch gesellschaftspolitisch ganz unterschiedlich organisierte Gemeinwesen.5 Entgegen älteren Forschungspositionen, die mit der demokratia in hellenistischer Zeit nur sehr allgemein eine freiheitliche Ordnung im Gegensatz zur Tyrannis oder zur Oligarchie verbunden haben,6 ist in jüngerer Zeit auf die konkrete politisch-institutionelle wie auch politisch-strukturelle, mithin also auf die qualitative Bedeutung verwiesen worden, mit der dieser Begriff insbesondere von den hellenistischen Polisbürgerschaften gebraucht werden konnte; dies geht einher mit einer umfangreicheren Berücksichtigung der hellenistischen Poleis als politisch eigenständigen und einflussreichen Gemeinwesen in der jüngeren Forschung.7 Eine neuerliche Betrachtung der verschiedenartigen polybianischen Verfassungsbezüge gerade der kleineren politischen Gemeinwesen in den Historien ist bereits vor diesem Hintergrund naheliegend, um so mehr jedoch, wenn man berücksichtigt, dass sein Werk direkt aus den politischen Traditionen und zeitgenössischen Verfassungsverhältnissen der griechisch-hellenistischen Welt des 3. und 2. Jahrhunderts v.Chr. hervorging, in der er 4 5
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Pol. II 38,6: ἰσηγορίας καὶ παρρησίας καὶ καθόλου δηµοκρατίας ἀληθινῆς σύστηµα καὶ προαίρεσιν εἰλικρινεστέραν οὐκ ἂν εὕροι τις τῆς παρὰ τοῖς Ἀχαιοῖς ὑπαρχούσης. K. VON FRITZ, The Theory of the Mixed Constitution in Antiquity. A Critical Analysis of Polybius’ Political Ideas, New York 1954, 8; K.-W. WELWEI, Demokratische Verfassungselemente in Rom aus der Sicht des Polybios, in: J. Spielvogel (Hrg.), Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der Römischen Republik und des frühen Prinzipats. Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, Stuttgart 2002, 25–35. Vgl. zur Demokratie bei Polybios jenseits seiner staatstheoretischen Überlegungen insbesondere DERS., Demokratie und Masse bei Polybios, in: Historia 16 (1966), 282–301; D. MUSTI, Polibio e la democrazia, in: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa, Classe di Lettere, Storia e Filosofia 36 (1967), 155–207; F. W. WALBANK, Polybius’ perception of the one and the many, in: ders., Polybius, Rome and the Hellenistic World. Essays and Reflections, Cambridge 2002, 212– 230 (ursprünglich 1995); P. A. TUCI, La democrazia di Polibio tra eredità e federalismo, in: C. Bearzot, F. Landucci, G. Zecchini (Hrgg.), Gli stati territoriali nel mondo antico, Mailand 2003, 45–86. Vgl. dazu J.-D. GAUGER, Demokratie, in: Lexikon des Hellenismus (Anm. 3), Sp. 238f., sowie etwa C. NICOLET, Polybe et la constitution de Rome: aristocratie et démocratie, in: ders. (Hrg.), Demokratia et Aristokratia, Paris 1983, 23; WALBANK, One and many (Anm. 5), 212f.; WELWEI, Verfassungselemente (Anm. 5), 31, sieht in dieser Hinsicht „ein begrenztes Repertoire an Begriffen und Bewertungskriterien für seine Staatstheorie“, das Polybios zur Verfügung gestanden habe. V. GRIEB, Hellenistische Demokratie. Politische Organisation und Struktur in freien griechischen Poleis nach Alexander dem Großen, Stuttgart 2008, 13–25; 355–378 (zur Forschungsproblematik und mit der älteren Literatur); S. CARLSSON, Hellenistic Democracies. Freedom, independence and political procedure in some east Greek city-states, Stuttgart 2010, besonders 334–343.
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als Bürger des arkadischen Megalopolis und als achaiischer Staatsmann selbst politisch tätig war und nach seiner Rückkehr aus Rom noch über zwei Jahrzehnte politisch tätig blieb.8 Ebenso legen die jüngeren Forschungsergebnisse die Frage nahe, inwieweit Polybios ein – soweit erkennbar – zeitgenössisches griechisches Demokratie-Verständnis widerspiegelt oder er seine Darstellung dieser Verfassung eben einer historiographischen Zielsetzung und damit gegebenenfalls seiner Verfassungsideologie unterordnete. Ausgangspunkt für die nachfolgenden Betrachtungen sind daher an dieser Stelle nicht die in der historischen Forschung nahezu erschöpfend diskutierten und im Werk offensichtlich positionierten verfassungstheoretischen Überlegungen im sechsten Buch,9 sondern vielmehr die zahlreich über das Werk verteilten direkten und indirekten Beispiele von ‚konkreten‘ innenpolitischen Verhältnisse einzelner Poleis und Koina sowie deren Darstellung durch Polybios. Die nachfolgenden Aspekte werden ganz überwiegend anhand von werkimmanenten Zusammenhängen diskutiert. Es wird dafür zugrunde gelegt, dass Polybios den aus seiner Sicht staatlichen Bereich – im Sinne von etablierten und rechtmäßigen politischen Gemeinwesen – konsequent auch terminologisch berücksichtigt und entsprechend abgrenzt.10 Für die innenpolitischen Zusammenhänge und 8
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K. ZIEGLER, Polybios, in: RE XXI 2 (Stuttgart 1952), Sp. 1444–1464; VON FRITZ, Mixed Constitution (Anm. 5), 3–30; P. PÉDECH, Notes sur la biographie de Polybe, in: LEC 29 (1961), 145–156; A. M. ECKSTEIN, Notes on Birth and Death of Polybius, in: AJPh 113 (1992), 387–406. Vgl. zu Buch 6 und den unterschiedlichen Problemfeldern die nachfolgende Auswahl der Forschungsliteratur: F. W. WALBANK, Polybius on the Roman constitution, in: CQ 37 (1943), 73–89; VON FRITZ, Mixed Constitution (Anm. 5); T. COLE, The Sources and composition of Polybius VI, in: Historia 13 (1964), 440–486; PÉDECH, Méthode historique (Anm. 3), 303– 330; F. W. WALBANK, Polybius and the roman State, in: GRBS 5 (1964), 239–260; E. GRAEBER, Die Lehre von der Mischverfassung bei Polybios, Bonn 1968; G. J. D. AALDERS, Die Theorie der gemischten Verfassung im Altertum, Amsterdam 1968, 85–106; K.-E. PETZOLD, Kyklos und Telos im Geschichtsdenken des Polybios, in: Saeculum 28 (1977), 253– 290; W. NIPPEL, Mischverfassungstheorie und Verfassungsrealität in Antike und früher Neuzeit, Stuttgart 1980, 142–156; S. PODES, Polybios’ Anakyklosis-Lehre, diskrete Zustandssysteme und das Problem der Mischverfassung, in: Klio 73 (1991), 382–390; C. NICOLET, Polybe et les institutions romaines, in: E. Gabba (Hrg.), Polybe, Genf 1974, 207–265; C. SCHUBERT, Mischverfassung und Gleichgewichtssystem, Polybios und seine Vorläufer, in: Ch. Schubert, K. Brodersen (Hrgg.), Rom und der griechische Osten. Festschrift für H. H. Schmitt, Stuttgart 1995, 225–236; A. LINTOTT, The Theory of the Mixed Consitution at Rome, in: Philosophia Togata II. Plato and Aristoteles at Rome, Oxford 1997, 70–85; W. BLÖSEL, Die Anakyklosis-Theorie und die Verfassung Roms im Spiegel des sechsten Buches des Polybios und Ciceros De re publica, Buch II, in: Hermes 126 (1998), 31–57; F. W. WALBANK, A Greek looks at Rome: Polybios VI Revisited, in: SCI 17 (1998), 45–59; J. M. ALONSO-NÚÑEZ, The mixed constitution in Polybius, in: Eranos 97 (1999), 11–19; A. LINTOTT, The Constitution of the Roman Republic, Oxford 1999, 16–26; WELWEI, Verfassungselemente (Anm. 5); B. MCGING, Polybius’ Histories, Oxford 2010, 164–194. Als Beispiel sei auf die Darstellung des Söldneraufstandes gegen die Karthager verwiesen (Pol. I 65–88), für den Polybios auf karthagischer Seite Begriffe anführt, die im staatsrechtlichen Sinne auch in den griechischen Dekreten dieser Zeit verwendet wurden (πολῖται, οἱ
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Gruppen sowie für die politischen Gemeinwesen als Ganzes gebraucht Polybios eine staatsrechtliche Begrifflichkeit, die in dieser Weise auch in den inschriftlichen Dokumenten griechisch-hellenistischer Poleis verwendet wurde.11 Führt er beispielsweise den demos an, handelt es sich um die politische Bürgerschaft des Gemeinwesens, die auch für das Gemeinwesen insgesamt stehen kann. Stehen seine Ausführungen hingegen im Kontext der Bevölkerung oder einer allgemeineren Gruppe jenseits der Bürgerschaft, können unspezifische Begriffe wie plethos oder polloi gebraucht werden, abhängig von der Art des Gemeinwesens entsprechend auch ethnos, genos u.ä. Die Begriffe plethos und polloi dienen darüber hinaus auch zur Kennzeichnung einer Gruppe innerhalb der Bevölkerung beziehungsweise Bürgerschaft und werden zudem außerhalb des staatsrechtlichen Kontextes vielfach verwendet.12 Seine häufigen wertenden Aussagen erreicht Polybios durch einen mitunter subtilen Wechsel zwischen solchen Begriffen, ohne dabei den – gegebenenfalls bestehenden – staatlichen Rahmen aus den Augen zu verlieren. Da Polybios der politischen Rolle des demos nur wenig Wertschätzung entgegen bringt (s.u.), wird dieser Begriff in seinen tendenziösen Ausführungen häufig mit dem plethos oder sogar dem ochlos vermeintlich gleichgesetzt (im staatsrechtlichen Sinne jedoch nicht vice versa) und erhält so mitunter eine negative Konnotation13 – hierin unterscheidet sich der polybianische Gebrauch freilich deutlich von den Polisdekreten. Die von Polybios zur Darstellung innenpolitischer Zusammenhänge verwendete Begrifflichkeit ist im jeweiligen Einzelfall zu berücksichtigen. In den gängigen Gesamtübersetzungen der Historien wird seine Wortwahl allerdings keineswegs konsequent und bisweilen sogar stark verfälschend wiedergegeben. Als Beispiel sei hierfür etwa der Abschnitt V 39–45 in der Übersetzung von Hans Drexler angeführt, der gleich sechs (!) unterschiedliche Καρχηδόνιοι im Sinne von δῆµος, ἐκκλησία, γερουσία), während er für die Stämme und Völkerschaften der heterogenen Söldnergruppe solche Begriffe nicht verwendet, stattdessen von γένος oder πλῆθος spricht und von einem Zusammenlaufen im Sinne von ‚sich zur Beratung und Entscheidung versammeln‘; vgl. etwa I 67,2: εὐθέως διαφορὰ καὶ στάσις ἐγεννᾶτο καὶ συνδροµαὶ συνεχεῖς ἐγίνοντο, ποτὲ µὲν κατὰ γένη, ποτὲ δ’ ὁµοῦ πάντων. I 79,8–9: ἐβουλεύοντο πῶς ἂν καινοτοµήσαντές τι τῶν πρὸς ἀσέβειαν εἰς τέλος ἀποθηριώσειαν τὰ πλήθη πρὸς τοὺς Καρχηδονίους. ἔδοξεν οὖν αὐτοῖς συναθροῖσαι τοὺς πολλούς. Den Unterschied zwischen Söldnerhaufen und militärischen Truppen aus ‚zivilisierten‘, politischen Gemeinwesen führt Polybios in I 65,6–8 an. 11 Ausführlich und mit zahlreichen Beispielen dazu GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), passim sowie zusammenfassend 355-360. Vgl. dagegen die Kritik von H.-U. WIEMER, in: HZ 290 (2010), 744, der leider gänzlich ohne Belege für seine Position bleibt. 12 Siehe zu den πολλοί als Teil des δῆµος etwa Pol. XXVII 7 (mit XXVIII 16), wo jene innerhalb der institutionalisierten Bürgerschaft (δῆµος) als die unspezifische ‚Mehrheit‘ angeführt werden, die für das Erlangen eines δῆµος-Beschlusses notwendig war. Vgl. allgemein zu den polybianischen Belegen für πολλοί Polybios-Lexikon, bearb. von A. Mauersberger u.a., 3 Bde. (z.T. 2. Auflage), Berlin 1998–2006; hier Bd. II 2, Sp. 490–498. Die feinen rechtlichen Unterscheidungen sind dort nicht immer berücksichtigt; im vorliegenden Fall werden etwa die πολλοί dem „politischen Volk“, also wohl dem δῆµος gleichgesetzt (Sp. 494f); die Belegstellen zum πλῆθος ebenda, Sp. 356–367. 13 So beispielsweise Pol. VI 44 zu Athen und Polybios’ Allegorie eines Schiffes ohne Kapitän. Weiterhin etwa VI 9,8–9 zur Entartung einer demokratia.
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griechische Begriffe einheitlich mit „Volk“ übersetzt.14 Die mitunter feinen Nuancen in Polybios’ Verfassungstheorie werden nun gerade im Bereich von Bürgerschaft und Bevölkerung bereits durch geringfügige Abweichungen in den Übersetzungen – oder ein mitunter sogar synonymes Verständnis der zugrundeliegenden Begriffe – unkenntlich und sind dann im Kontext der Verfassungsdarstellung kaum noch nachzuvollziehen.15 Das Drexler’sche Beispiel mag paradigmatisch für manche verfassungspolitische Interpretation einzelner Abschnitte in den Historien durch die moderne Forschung stehen. In jedem Fall ist die exakte Berücksichtigung der polybianischen Begrifflichkeit für eine tiefergehende Diskussion seines Verfassungsverständnisses, seiner Verfassungsdarstellung und politischen ‚Ideologie‘ eine conditio sine qua non.
DEMOKRATIA ALS VERFASSUNG VON POLITISCHEN GEMEINWESEN IN DEN HISTORIEN Eine Durchsicht der Historien macht deutlich, dass Polybios zwar an zahlreichen Stellen auf innenpolitische Verhältnisse und Auseinandersetzungen in politischen Gemeinwesen eingeht und eine Demokratie in seiner Verfassungstheorie auch eine zentrale Rolle einnimmt, er jedoch im überlieferten Werk außerhalb von Buch 6 einzelne Poleis oder Koina nur an sehr wenigen Stellen direkt als δηµοκρατία oder als δηµοκρατικός bezeichnet. Die im Polybios-Lexikon aufgelisteten Textstellen zu diesen Begriffen verweisen letztlich nur auf insgesamt vier konkrete Gemeinwesen dieser Art, nämlich Achaia beziehungsweise das Achaii-
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Polybios. Geschichte, Gesamtausgabe in zwei Bänden, eingeleitet und übertragen von H. DREXLER (Zürich/München 1961–1963), Bd. 1, 452–459. Es werden dort πολλοί, πλῆθος, ὄχλος, ἔθνος, γένος, κατοικοῦντες jeweils mit „Volk“ übersetzt. Nimmt man den ansonsten von Polybios häufig verwendeten und von Drexler ebenfalls mit „Volk“ übersetzten Begriff δῆµος hinzu, sind es derer sieben. Ähnliche Beispiele ließen sich zahlreich – und auch für andere Ausgaben des Werkes – fortsetzen. Für die nachfolgenden Beispiele ist Polybios’ Wortwahl entweder direkt oder als Klammerangabe genannt. Zu den feinen Nuancen seiner Verfassungstheorie vgl. in Buch 6 die Abschnitte zur ‚Demokratie‘ im Verfassungskreislauf sowie weiterhin dort auch die römische Verfassung sowie die Beispiele am Ende des Buches. Die politische Terminologie bei Polybios und ihre historische und historiographische Bedeutung können keineswegs als ausreichend erforscht gelten. Vgl. zu dem oben angeführten etwa A. AYMARD, Les assemblées de la Confédération achaienne. Étude critique d’institutions et d’histoire, Paris 1938, 9–11; MUSTI, Democrazia (Anm. 5); NICOLET, Institutions romaines (Anm. 9), 222–231; E. LEVY, Politeia et politeuma chez Polybe, in: Ktèma 15 (1990), 15–26; DERS., La tyrannie et son vocabulaire chez Polybe, in: Ktèma 21 (1996), 43–54; WALBANK, The one and the many (Anm. 5); GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), passim; weiterhin, aber nicht unproblematisch in dieser Hinsicht WELWEI, Demokratie und Masse (Anm. 5). Vgl. zu Aristoteles’ politischer Terminologie etwa E. PARMENTIER-MORIN, Recherches sur le vocabulaire politique d’Aristote: δῆµος et πλῆθος, in: Ktema 29 (2004), 95–108. Vgl. zum Sprachgebrauch des Polybios in politischen Belangen den Beitrag von C. Koehn im vorliegenden Band (mit weiterer Literatur) sowie denjenigen von J. Deininger zur Tyche bei Polybios.
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sche Koinon, Epeiros, Messene und Kreta.16 Weiterhin werden beide Begriffe zur Kennzeichnung des demokratischen Verfassungselements in Mischverfassungen und damit in seinen verfassungstheoretischen Darlegungen angeführt17 oder stehen in einem unspezifischen, allgemeineren Zusammenhang.18 Betrachtet man die jeweilige wertende Tendenz, mit der Polybios eine demokratia erwähnt, sowie seine weitere Charakterisierung der demokratischen Gemeinwesen, führt dies sogleich zu dem Ergebnis, dass die Achaier nicht nur über die einzige „wahre Demokratie“ verfügten, sondern deren Koinon in den erhaltenen Büchern zudem als einziges politisches Gemeinwesen in einem positiven demokratischen Kontext erscheint. Neben der ἀληθινὴ δηµοκρατία mit ihren bestimmenden Merkmalen der ἰσηγορία und παρρησία19 führt Polybios in seinem Achaia-Exkurs an, dass die Achaier ihre Verfassung von einer despotischen Herrschaft in eine δηµοκρατία verwandelt und sie in der früheren Zeit trotz wechselnder (außen-)politischer Verhältnisse versucht hätten, an der δηµοκρατία ihres Koinon festzuhalten.20 An anderer Stelle werden wiederum die vortrefflichen Grundsätze hervorgehoben, auf denen Achaias demokratische Verfassung seit dem Ende der Königszeit beruhen würde,21 und später hätten sie in ihre Verfassung sogar die Tyrannen von Argos, Hermione und Phlious respektive deren Gemeinwesen eintreten lassen, nachdem sie ihre µοναρχία niedergelegt hatten.22
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Polybios-Lexikon (Anm. 12), Bd. I 2, Sp. 439f. Siehe zu Achaia Pol. II 38,6; 41,5–6; 44,6; IV 1,5; zu Epeiros II 7,11; zu Messene VII 10,1; Verfassung der Kreter VI 46,4. Die Angabe zu Theben in VIII 35,6 bleibt letztlich unspezifisch, weil es sich nur um ein Drängen des Pelopidas handelt, Epameinondas solle sich für eine δηµοκρατία in Theben und in ganz Griechenland einsetzen. Zu den Demokratie-Nennungen und den zugrundeliegenden Verfassungen MUSTI, Democrazia (Anm. 5) sowie TUCI, Democrazia (Anm. 5), 45f. 17 Pol. VI 11,11–12; 14,12 mit spezifischen Bezügen zu ungenannten Gemeinwesen, wohingegen die Zusammenhänge in VI 3,5; 3,12; 4,4–5; 9,3; 9,5; 9,7; 57,9 allgemein bleiben. Zu den demokratia-Nennungen in den Historien auch MUSTI, Democrazia (Anm. 5), 158; NICOLET, Aristocratie (Anm. 6), 25. 18 Pol. X 25,5; XI 13,5–7; XXIV 9,2; XXXI 2,12 sowie XXII 8,6 (wo die δηµοκρατία auch auf den Achaiischen Bund bezogen wird). Weiterhin ist in diesem Sinne anzuführen der bereits genannte Sonderfall Theben in VIII 35,6. 19 Pol. II 38,6 (Zitat s.o. Anm. 4). 20 Pol II 41,5–6: µετὰ ταῦτα δυσαρεστήσαντες τοῖς τοῦ προειρηµένου παισὶν ἐπὶ τῷ µὴ νοµίµως ἀλλὰ δεσποτικῶς αὐτῶν ἄρχειν, µετέστησαν εἰς δηµοκρατίαν τὴν πολιτείαν. λοιπὸν ἤδη τοὺς ἑξῆς χρόνους µέχρι τῆς Ἀλεξάνδρου καὶ Φιλίππου δυναστείας ἄλλοτε µὲν ἄλλως ἐχώρει τὰ πράγµατ’ αὐτοῖς κατὰ τὰς περιστάσεις, τό γε µὴν κοινὸν πολίτευµα, καθάπερ εἰρήκαµεν, ἐν δηµοκρατίᾳ συνέχειν ἐπειρῶντο. 21 Pol. IV 1,5: µετὰ δὲ ταῦτα καλλίστῃ προαιρέσει χρησαµένους δηµοκρατικῆς πολιτείας τὸ µὲν πρῶτον ὑπὸ τῶν ἐκ Μακεδονίας βασιλέων διασπασθῆναι κατὰ πόλεις καὶ κώµας. 22 Pol. II 44,6: Ἀριστόµαχος δ’ ὁ τῶν Ἀργείων τύραννος καὶ Ξένων ὁ τῶν Ἑρµιονέων καὶ Κλεώνυµος ὁ τῶν Φλιασίων τότ’ ἀποθέµενοι τὰς µοναρχίας ἐκοινώνησαν τῆς τῶν Ἀχαιῶν δηµοκρατίας. Siehe weiterhin den langjährigen Einsatz des Philopoimen für sein demokratisches und ‚vielgestaltiges‘ Staatswesen Achaia in XXIII 12,8–9: Ὅτι Φιλοποίµην τετταράκοντ’ ἔτη συνεχῶς φιλοδοξήσας ἐν δηµοκρατικῷ καὶ πολυειδεῖ πολιτεύµατι, πάντῃ πάντως διέφυγε τὸν τῶν πολλῶν φθόνον, τὸ πλεῖον οὐ πρὸς χάριν, ἀλλὰ µετὰ παρρησίας πολιτευόµενος· Vgl. zur polybianischen demokratia der Achaier mit den Verfas-
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Dieser lobenden Darstellung stehen die drei weiteren, als demokratisch angeführten Gemeinwesen in den erhaltenen Büchern gänzlich entgegen. Bei der πολιτεία der Kreter könne man, so Polybios, aufgrund der jährlich wechselnden Beamten zwar grundsätzlich von einem demokratischen Charakter sprechen, jedoch seien die Zustände dort allgemein sehr schlecht und Geldgier und Habsucht bei ihnen weit verbreitet, sodass die kretische Verfassung weder für lobens- noch für nachahmenswert gehalten werden könne.23 An anderer Stelle berichtet er über die Auseinandersetzungen zwischen den kretischen Poleis24 und die daraus folgende Parteienbildung in den Gemeinwesen und urteilt allgemein, dass ein Streit aus zufälligem Anlass bei den Kretern üblich sei.25 Ebenso stehen die Epeiroten in keinem positiven Licht. So hätten sie sich aufgrund ihrer Urteilslosigkeit offenen Auges in großes Unheil gestürzt und ihre δηµοκρατία und ihre νόµοι sogar unter den Schutz gallischer, also barbarischer Söldner gestellt, die zuvor noch von den Römern gemieden worden wären.26 Auch stellten die Epeiroten ihre eigenen Interessen in Auseinandersetzungen über diejenigen der Bundesgenossen,27 und an anderer Stelle werden sie geradezu als Gegenbeispiel einer pflichtbewussten, verlässlichen und ehrenvollen Gemeinschaft dargestellt, die aufrechte Männer hervorbringt und freiheitsliebend ist, indem Polybios dieses Idealbild für die Akarnanen entwirft und ihnen die in ihrer politischen Haltung unaufrichtigen und illoyalen, zugleich aber eben unter einer demokratischen Verfassung lebenden Epeiroten gegenüberstellt.28 Und auch die letzte der namentlich angeführten Demokra-
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sungsbezügen MUSTI, Democrazia (Anm. 5), 167–170; ebenso jetzt TUCI, Democrazia (Anm. 5), 58–62. Pol. VI 46,2–4: τήν τε γὰρ χώραν κατὰ δύναµιν αὐτοῖς ἐφιᾶσιν οἱ νόµοι, τὸ δὴ λεγόµενον, εἰς ἄπειρον κτᾶσθαι, τό τε διάφορον ἐκτετίµηται παρ’ αὐτοῖς ἐπὶ τοσοῦτον ὥστε µὴ µόνον ἀναγκαίαν, ἀλλὰ καὶ καλλίστην εἶναι δοκεῖν τὴν τούτου κτῆσιν. καθόλου θ’ ὁ περὶ τὴν αἰσχροκέρδειαν καὶ πλεονεξίαν τρόπος οὕτως ἐπιχωριάζει παρ’ αὐτοῖς ὥστε παρὰ µόνοις Κρηταιεῦσι τῶν ἁπάντων ἀνθρώπων µηδὲν αἰσχρὸν νοµίζεσθαι κέρδος. καὶ µὴν τὰ κατὰ τὰς ἀρχὰς ἐπέτεια παρ’ αὐτοῖς ἐστι καὶ δηµοκρατικὴν ἔχει διάθεσιν. Pol. IV 53–56. Pol. IV 53,5: τὸ µὲν οὖν πρῶτον ἐπολέµουν πάντες οἱ Κρηταιεῖς τοῖς Λυττίοις· ἐγγενοµένης δὲ φιλοτιµίας ἐκ τῶν τυχόντων, ὅπερ ἔθος ἐστὶ Κρησίν, ἐστασίασαν πρὸς τοὺς ἄλλους. Dies entspricht zudem Polybios’ Charakterisierung ihres Vorgehens im Kampf, das vor allem durch Hinterhalte, Überfälle und andere erdenkliche List geprägt sei, nicht aber durch offenen Kampf und direkte Auseinandersetzung mit dem Gegner, womit Polybios insgesamt die räuberischen Fähigkeiten, die den kretischen ‚demokratischen‘ Gemeinwesen entsprangen, akzentuiert; dazu Pol. IV 8,11: Κρῆτες δὲ καὶ κατὰ γῆν καὶ κατὰ θάλατταν πρὸς µὲν ἐνέδρας καὶ λῃστείας καὶ κλοπὰς πολεµίων καὶ νυκτερινὰς ἐπιθέσεις καὶ πάσας τὰς µετὰ δόλου καὶ κατὰ µέρος χρείας ἀνυπόστατοι, πρὸς δὲ τὴν ἐξ ὁµολόγου καὶ κατὰ πρόσωπον φαλαγγηδὸν ἔφοδον ἀγεννεῖς καὶ πλάγιοι ταῖς ψυχαῖς. Pol. II 7; insbesondere 7,11: οὓς Ἠπειρῶται τῆς δηµοκρατίας καὶ τῶν νόµων φύλακας ποιησάµενοι καὶ τὴν εὐδαιµονεστάτην πόλιν ἐγχειρίσαντες, πῶς οὐκ ἂν εἰκότως φανείησαν αὐτοὶ τῶν συµπτωµάτων αὑτοῖς αἴτιοι γεγονότες; Pol. IV 61,5. Pol. IV 30,4–7. Vgl. zur demokratischen Verfassung bei den Epeiroten MUSTI, Democrazia (Anm. 5), 183f.; TUCI, Democrazia (Anm. 5), 46–51. Zum akarnanischen Kontext siehe F. W. WALBANK, Akarnanien in Polybios’ Geschichtswerk, in: P. Berktold, J. Schmid, C. Wacker
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tien steht in keinem positiven Zusammenhang, wenn nämlich in Messene eine solche Verfassung zwar bestanden habe, dort jedoch vornehme Messenier in die Verbannung getrieben und ihr Vermögen unter den Bürgern aufgeteilt worden wäre.29 Eine kaum positivere Würdigung erhält dieses Gemeinwesen an anderen Stellen. So war es etwa hilflos, sich gegen die Aitoler zu verteidigen,30 wäre auch allgemein nicht in der Lage, die Gefahren des Krieges auf sich zu nehmen und damit seine Freiheit (ἐλευθερία) zu behaupten,31 sondern bedurfte stattdessen äußerer Hilfe,32 obwohl es sich um ein reiches Land handele.33 Außerdem habe man in Messene aus Angst vor dem Krieg sogar den Verlust von ἰσηγορία und παρρησία in Kauf genommen34 – zuvor für Polybios gerade die wesentlichen Merkmale der achaiischen, „wahren“ Demokratie (s.o.). Und wenigstens zu einer Zeit des Bundesgenossenkrieges hätten in Messene oligarchisch gesinnte Männer das (demokratische) Gemeinwesen geleitet, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren und damit der Stadt geballtes Unheil brachten.35 Inwiefern bei Polybios’ jeweiligem Urteil eine persönliche Betroffenheit eingeflossen sein könnte, ist freilich nicht sicher zu beantworten und kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen diskutiert werden (vgl. dazu unten das Beispiel Athen). Nimmt man allerdings seine wertende und moralisierende Argumentationsebene ein, scheint dies jedenfalls für das genannte Messene naheliegend zu sein, waren es doch – so Polybios – Verbannte dieser Polis, die dem Spartaner Kleomenes die Einnahme von Polybios’ Heimatstadt Megalopolis und damit deren Zerstörung ermöglicht hatten,36 wohingegen Messene selbst als einzige Landschaft auf der (Hrgg.), Akarnanien. Eine Landschaft im antiken Griechenland, Würzburg 1996, 215–222, besonders 219f. (dort auch zu einer möglichen stereotypen Charakterisierung der Akarnanen [222]); vgl. auch Liv. XXXIII 16,2 (zur Treue der Akarnanen als Bundesgenossen). Weiterhin O. DANY, Akarnanien im Hellenismus. Geschichte und Völkerrecht in Nordwestgriechenland, München 1999, 145; 174; 253–265. 29 Pol. VII 10,1: Οὔσης δηµοκρατίας παρὰ τοῖς Μεσσηνίοις, καὶ τῶν µὲν ἀξιολόγων ἀνδρῶν πεφυγαδευµένων, τῶν δὲ κατακεκληρουχηµένων τὰς τούτων οὐσίας ἐπικρατούντων τῆς πολιτείας, δυσχερῶς ὑπέφερον τὴν τούτων ἰσηγορίαν οἱ µένοντες τῶν ἀρχαίων πολιτῶν. 30 Pol. IV 6,8–12. 31 Pol. IV 15. 31. 32 Pol. V 92. 33 Pol. IV 5,5: τὸ δὲ συνέχον τῆς Αἰτωλικῆς προτροπῆς, ὑπὸ τὴν ὄψιν ἐτίθει τὰς ἐσοµένας ὠφελείας ἐκ τῆς τῶν Μεσσηνίων χώρας, οὔσης ἀπρονοήτου καὶ διαµεµενηκυίας ἀκεραίου µόνης τῶν ἐν Πελοποννήσῳ κατὰ τὸν Κλεοµενικὸν πόλεµον. 34 Pol. IV 31; hinsichtlich des messenischen Verhaltens insbesondere 31,3–4: ἐγὼ γὰρ φοβερὸν µὲν εἶναί φηµι τὸν πόλεµον, οὐ µὴν οὕτω γε φοβερὸν ὥστε πᾶν ὑποµένειν χάριν τοῦ µὴ προσδέξασθαι πόλεµον. ἐπεὶ τί καὶ θρασύνοµεν τὴν ἰσηγορίαν καὶ παρρησίαν καὶ τὸ τῆς ἐλευθερίας ὄνοµα πάντες, εἰ µηδὲν ἔσται προυργιαίτερον τῆς εἰρήνης; 35 Pol. IV 32,1–2; vgl. IV 31. Bezeichnenderweise bleibt Polybios’ Ausdrucksweise hier nebulös. Dass in Messene eine oligarchia im Wortsinne bestanden habe, drückt er nicht explizit aus, sodass entsprechend der Verfassungscharakterisierung in Buch 6 in dieser Passage vielmehr auf den seines Erachtens schlechten innenpolitischen Zustand des messenischen demokratischen Gemeinwesen angespielt sein dürfte. Vgl. zu Polybios’ messenischer Demokratie MUSTI, Democrazia (Anm. 5), 181–183, und TUCI, Democrazia (Anm. 5), 75–83. 36 Pol. II 55,3.
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Peloponnes von den Kleomeneskriegen verschont geblieben war37 und sich auch längere Zeit gegen eine Aufnahme in die nach Meinung des Polybios „wahre Demokratie“ der Achaier widersetzen konnte.38 Ebenfalls dürfte für seine wertende Darstellung nicht unerheblich gewesen sein, dass sein von ihm hochgeschätzter megalopolitanischer Mitbürger und später sogenannter „letzte Grieche“ Philopoimen von den Messeniern in ihrer Stadt ermordet wurde.39 Der positiven Verfassungsdarstellung des Achaierbundes mit seiner „wahren Demokratie“ stehen insgesamt also mehrere und deutlich negativ konnotierte ‚normale‘ Demokratien in den Historien gegenüber. Indem nun die angeführten Beispiele und Belegstellen den vollständig erhaltenen ersten Büchern der Historien zugehören, kann das Dargelegte als durchaus repräsentatives Bild der polybianischen Demokratie-Darstellung gelten. Das bisherige Ergebnis wird zudem bestätigt durch die Demokratie-Erwähnungen, die im allgemeinen Kontext gehalten sind, denn auch hierbei überwiegen die negativen Konnotationen und stehen nur einer positiven Hervorhebung gegenüber.40 Eine neutralere Darstellung erhält die demokratia hingegen als (notwendiger) Teilaspekt der Mischverfassung im sechsten Buch und damit vor allem im römischen Kontext.41 Bei Polybios’ Darstellung überrascht insgesamt die überhaupt nur seltene Bezeichnung eines Gemeinwesens als demokratisch, wohingegen er die politische Organisation der ansonsten zahlreich angeführten weiteren Poleis und Koina nicht genauer kategorisiert. Geht es innerhalb der Gemeinwesen um politische Grup37 38
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Pol. IV 5,5. Messene wird 191 v.Chr. in den Achaiischen Bund gezwungen, stand also zuvor dem polybianischen Wunsch entgegen, gewissermaßen die gesamte Peloponnes als eine Polis (II 37,10– 11) zu vereinen. Letzter Grieche: Plut. Philopoimen 1; Plut. Arat 24; Tod im Feldzug gegen Messene: Plut. Philopoimen 20; Achaier mit göttlichen Ehren für Philopoimen und Errichtung eines Altars in Megalopolis: Diod. XXIX 18. Zu Philopoimen siehe P. PÉDECH, Polybe et l’éloge de Philopoemen, in: REG 64 (1951), 82–103; R. M. ERRINGTON, Philopoemen, Oxford 1969, passim. Pol. X 25,6, wonach eine Freundschaft (φιλίας) und ein Bündnis mit einer Demokratie (δηµοκρατικὴ συµµαχία) wegen der Unberechenbarkeit der Masse (πλήθος) einer besonderen Vorsicht bedurfte; VI 57,9, wonach die ἐλευθερία und δηµοκρατία als Aushängeschild gerade auch in solchen Gemeinwesen angeführt werden, die in Wirklichkeit eine ὀχλοκρατία seien; XXIV 9,2–6 mit der Kallikrates-Rede vor dem Senat und dem Hinweis des Kallikrates, dass in allen demokratischen Gemeinwesen seiner Zeit (ἐν πάσαις ταῖς δηµοκρατικαῖς πολιτείαις) jeweils eine prorömische und eine antirömische Partei bestünde und die Menge (je nach Konnotation hier πλῆθος, ὄχλος oder πολλοί) recht einfach zu manipulieren wäre Diesen Nennungen steht das positive Beispiel gegenüber, wonach das Bürgerheer einer δηµοκρατία dem aus Söldnern bestehenden Heer von Tyrannen/Monarchen zwar moralisch, nicht aber militärisch überlegen sei (XI 13,5–8). Das Beispiel fällt in die Auseinandersetzung zwischen Philopoimen und Machanidas, ‚Tyrannen‘ von Sparta, und dürfte nicht zuletzt wegen des Zusammenhanges mit Philopoimen positiv konnotiert sein. Siehe dazu Pol. VI 3,12; 4,4–5; 11,11–12; 14,12. Die beiden weiteren Angaben, die in einem allgemeineren Kontext gehalten sind, bleiben ebenfalls neutral: Pol. XXII 8,6 (mit dem grundsätzlichen Interessensgegensatz zwischen ‚Demokratien‘ und ‚Monarchien‘) und XXXI 2,12 (mit der fehlenden Demokratie-Erfahrung in Makedonien [nach 168 v.Chr.]).
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pen, sind dies in der Regel unterschiedliche politische Interessengruppen jenseits einer ‚aristokratischen‘ oder ‚demokratischen‘ Gesinnung, die entweder seit längerer Zeit bestanden oder sich an den sich verändernden außenpolitischen Konstellationen orientierten und innerhalb des Gemeinwesens in politischen Auseinandersetzungen um ihre jeweiligen Ziele konkurrierten.42 In diesem Sinne bleiben auch die Begriffe ἀριστοκρατία, ἀριστοκρατικός, ὀλιγαρχία und ὀλιγαρχικός respektive χειροκρατία und χειροκρατικός mit Ausnahme einer Nennung des „aristokratischen“ politeuma Rom und der oben bereits angeführten „oligarchisch“ gesinnten Messenier außerhalb von Buch 6 unerwähnt.43 Als neutraleren Begriff für die politischen Gemeinwesen gebraucht Polybios in seiner Darstellung zumeist ‚πολιτεία‘, führt das ‚πολίτευµα‘ an oder nennt die jeweilige Bürgerschaft namentlich (z.B. οἱ Ἀθηναῖοι).44 Nimmt man allerdings Polybios’ verfassungstheoretische Ausführungen in Buch 6 als Beurteilungsgrundlage45 und berücksichtigt zudem, dass sogar ein größerer Bundesstaat wie das Achaiische Koinon von ihm als demokratia angesehen werden konnte, müssen in den Historien zahlreiche 42
Dass der politische Gegensatz in den hellenistischen Stadtstaaten nicht von ‚aristokratischen‘ und ‚demokratischen‘ Gruppen geprägt war, hebt bereits J. DEININGER, Der politische Widerstand gegen Rom in Griechenland 217–86 v.Chr., Berlin 1971, 15 hervor (vgl. dazu allerdings unten die verfassungspolitische Position des Polybios sowie die von ihm angeführten Beispiele der Landumverteilung). Zu den politischen Gruppen und Auseinandersetzungen siehe etwa Pol. II 55; 57; IV 14; 17; 22; 31; 34; 53–54; 82; V 37; 68; 76; VI 44; XXIV 9,2–6; weiterhin indirekt etwa II 54–55; 70; III 4; V 84. Paradigmatisch freilich die Auseinandersetzung politischer Gruppen im Achaiischen Koinon sowie in Rhodos um 168 v.Chr. vgl. zu ersterem etwa DEININGER, Politischer Widerstand (s.o.), 38–47; 108–127; 136–146; 177–184, zu letzterem GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 327–334. Der Gegensatz von Aristokratie und Bürgerschaft (δῆµος) beziehungsweise in nicht-institutionalisierter Form der Bevölkerung (πλῆθος) ist hingegen in Polybios’ verfassungstheoretischen Überlegungen ausführlich darlegt, kann allerdings – wie die oben angeführten Beispiele zeigen – keinesfalls verallgemeinert werden. 43 ἀριστοκρατία wird einzig im Kontext von Buch 6 verwendet: siehe Polybios-Lexikon Bd. I 1 (Anm. 12), Sp. 214f.; ebenso ἀριστοκρατικός (ebenda 215), für das noch eine Nennung in XXIII 14,1 hinzukommt, in der der Römer Scipio genannt wird, der in einem aristokratischen Gemeinwesen (πολίτευµα) Ruhm erlangte. Ebenfalls führt Polybios den Begriff ὀλιγαρχία – soweit erhalten – nur im Kontext von Buch 6 an; Polybios-Lexikon Bd. I 4 (Anm. 12), Sp. 1733; dies gilt ebenso für die χειροκρατία in VI 9,7; 9,9 (Polybios-Lexikon Bd. III 2 (Anm. 12), Sp. 1036), und χειροκρατικός in VI 10,5 (ebenda). ὀλιγαρχικός wird außerhalb von Buch 6 nur in dem oben angeführten Zusammenhang von Messene erwähnt (IV 31,2; 32,1); Polybios-Lexikon Bd. I 4 (Anm. 12), Sp. 1733. 44 Zu politeia und politeuma siehe LÉVY, Politeia (Anm. 15), 15–26. Lévy kommt dort zu dem Ergebnis, dass politeia bei Polybios eher das ‚politische Regime‘ meint, wohingegen politeuma nicht einem ‚politischen Regime‘ gleichzusetzen sei, sondern über ein ‚politisches Regime‘ verfüge (25). Beide Begriffe stehen dennoch synonym für das zugrundeliegende staatliche Gemeinwesen. 45 Pol. VI 4,4–5: παραπλησίως οὐδὲ δηµοκρατίαν, ἐν ᾗ πᾶν πλῆθος κύριόν ἐστι ποιεῖν ὅ, τι ποτ’ ἂν αὐτὸ βουληθῇ καὶ πρόθηται παρὰ δ’ᾧ πάτριόν ἐστι καὶ σύνηθες θεοὺς σέβεσθαι, γονεῖς θεραπεύειν, πρεσβυτέρους αἰδεῖσθαι, νόµοις πείθεσθαι, παρὰ τοῖς τοιούτοις συστήµασιν ὅταν τὸ τοῖς πλείοσι δόξαν νικᾷ, τοῦτο καλεῖν δεῖ δηµοκρατίαν. Zum demokratischen Element in der römischen Verfassung weiterhin Pol. VI 9,2–5; 17.
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politische Gemeinwesen jenseits der angeführten tyrannischen oder monarchischen Herrschaften als demokratisch bezeichnet werden. Am auffälligsten ist in dieser Hinsicht wohl die fehlende nähere Einordnung der ansonsten vielfach erwähnten Poleis Athen und Rhodos.
ATHEN UND RHODOS ALS BEISPIELE EINER TENDENZIÖSEN DARSTELLUNG VON INNENPOLITISCHEN ZUSAMMENHÄNGEN IN DEN HISTORIEN Polybios’ Darstellung des rhodischen Gemeinwesens bietet innerhalb der Historien ein gewissermaßen idealtypisches Beispiel einer vorbildhaften Polis. Wenngleich das politische System der Rhodier in den zahlreichen erhaltenen Passagen nicht ausdrücklich kategorisiert wird, ist aufgrund der von ihm mitunter sehr ausführlich geschilderten innenpolitischen rhodischen Zusammenhänge46 und auf der Grundlage seiner Verfassungstheorie in Buch 6 eine Einordnung als demokratia sicher.47 Die Vorbildhaftigkeit hebt er an mehreren Stellen deutlich hervor, indem er beispielsweise das erfolgreiche Bemühen um einen schnellen und erfolgreichen Wiederaufbau der Stadt als Ausdruck der Würde bezeichnet, die die Rhodier bei ihren öffentlichen Angelegenheiten besessen hätten.48 An anderer Stelle lässt er eine entsprechende Belobigung durch Gesandte des Makedonenkönigs Perseus aussprechen, die in einer Rede ausführen, dass die Rhodier mehr nach ἰσηγορία und παρρησία strebten als andere und sie sich zudem mehr als andere für die ἐλευθερία der Griechen einsetzten.49 Neben dem Streben nach Freiheit, die sie für
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GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 263–335 (mit älterer Literatur); insbesondere 304–319 mit einer Diskussion der vor allem in Polybios’ Historien überlieferten Angaben zur politischen Praxis innerhalb des demokratisch-institutionellen rhodischen Gemeinwesens. Polybios’ mögliche ‚Abhängigkeit‘ von einer rhodischen Lokalgeschichtsschreibung ist vielfach diskutiert worden. Vgl. dazu zuletzt umfangreich und mit der älteren Literatur H.-U. WIEMER, Rhodische Traditionen in der hellenistischen Historiographie, Frankfurt/Main 2001. Die bereits in der früheren Forschung vertretene, von Wiemer mit Nachdruck vorgebrachte These einer deutlichen Abhängigkeit des Polybios von der rhodischen Lokalgeschichtsschreibung steht allerdings in einem gewissen Gegensatz zu der hier im folgenden aufzuzeigenden Verfassungsdarstellung des Polybios; dazu unten Anm. 123. GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), S. 320–334 (mit den Quellen und der älteren Literatur). Pol. V 88–90, besonders 90,5: Ταῦτα µὲν οὖν εἰρήσθω µοι χάριν πρῶτον µὲν τῆς Ῥοδίων περὶ τὰ κοινὰ προστασίας – ἐπαίνου γάρ εἰσιν ἄξιοι καὶ ζήλου. Pol. XXVII 4,6–7: τοῦτο γὰρ πᾶσι µὲν συµφέρειν, πρέπειν δὲ µάλιστα Ῥοδίοις. ὅσῳ γὰρ πλεῖον ὀρέγονται τῆς ἰσηγορίας καὶ παρρησίας καὶ διατελοῦσι προστατοῦντες οὐ µόνον τῆς αὑτῶν ἀλλὰ καὶ τῆς τῶν ἄλλων Ἑλλήνων ἐλευθερίας, τοσούτῳ καὶ τὴν ἐναντίαν προαίρεσιν µάλιστα δεῖν αὐτοὺς προορᾶσθαι καὶ φυλάττεσθαι κατὰ δύναµιν. Demgegenüber führt Polybios bis zum Dritten Makedonischen Krieg, in dem Rhodos in einen Gegensatz zu Rom geriet, an nur einer Stelle einen Tadel gegenüber den Rhodiern an, um diesen jedoch sogleich als allgemeinen ‚menschlichen‘ Wesenszug zu relativieren. So hätten sie zusammen mit dem Pergamener Attalos eine Auseinandersetzung mit dem Makedonenkönig
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sich außenpolitisch bereits seit der frühhellenistischen Zeit erreichen konnten,50 kategorisiert Polybios die Rhodier also gerade mit denjenigen Merkmalen, die er als entscheidende auch für die achaiischen Verfassung nennt (s.o.) und die dort die „wahre Demokratie“ kennzeichnen.51 Die Rhodier treten damit in den Historien nicht nur als vorbildhaftes Gemeinwesen in Erscheinung, sondern werden mit der übereinstimmenden Charakterisierung dem Achaiischen Koinon gleichgestellt, sodass der Leser das rhodische Gemeinwesen konsequenterweise und gewissermaßen unausgesprochen auch als eine im polybianischen Sinne „wahre Demokratie“ verstehen kann,52 zumal Polybios sein „wahres“ Demokratieverständnis mit dem Achaia-Abschnitt den übrigen Demokratie-Beurteilungen und einhergehenden Wertungen in den Historien voranstellt.53 Athens innenpolitische Verhältnisse beurteilt Polybios demgegenüber an mehreren Stellen deutlich negativ. So verwirft er etwa das von anderen Historikern angeführte Beispiel „Athen“ als Muster einer guten Verfassung (πολιτεία) und verweist dafür auf eine seines Erachtens dort nur kurzfristig bestehende Blüte der Polis sowie auf einen Mangel an innerem Gleichgewicht54 oder bietet an anderen Stellen Rückbezüge zu Zeiten ihrer nach seiner Auffassung schlechten Politik.55 Die athenische Bürgerschaft (δῆµος) vergleicht er mit einem Schiff ohne Kapitän, auf dem die Mannschaft zwar in der Gefahr des Sturmes zusammensteht und dem Steuermann gehorcht, bei ruhiger See aber ohne Respekt vor den Vorgesetzten unkoordiniert und untereinander zerstritten agiert. Sie habe so zwar schwerste Gefahren abwenden können, jedoch durch ihre Torheit und Unvernunft in friedlichen und gefahrlosen Situationen immer wieder Schiffbruch erlitten. Letztlich habe dort die Masse (ὄχλος) die Dinge bestimmt.56 Neben diesen allgemeinen Bemerkungen wird Polybios’ Darstellung der athenischen Verfassung insbesondere an einem konkreten Beispiel deutlich. In einer Passage zu den 220er Jahren moniert er, dass die Athener (οἱ Ἀθηναῖοι), die gerade ihre Freiheit (ἐλευθερία) zurückerlang hatten, in dieser Zeit den führenden Politikern Mikion und Eurykleides gefolgt seien und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren, an gemeingrie-
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Philipp nicht mit aller Konsequenz geführt und Philipp, der unter dem Einsatz letzter Kraftreserven gekämpft habe, unnötigerweise den Erfolg überlassen (XVI 28; vgl. dazu XVI 10). Vgl. GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 320–334. Diese Merkmale sind auch im rhodischen Kontext als Kennzeichen einer demokratia zuvorderst innenpolitisch zu verstehen. Zu einer möglichen zwischenstaatlichen Bedeutungsebene siehe C. KOEHN, Krieg – Diplomatie – Ideologie. Zur Außenpolitik hellenistischer Mittelstaaten, Stuttgart 2007, 39–44 (mit weiterer Literatur). Ebenso MUSTI, Democrazia (Anm. 5), 161; NICOLET, Aristocratie (Anm. 6), 27f.; 31, mit dem direkten Vergleich von Achaia und Rhodos aufgrund dieser Begrifflichkeit und der einhergehenden indirekten Gleichsetzung der rhodischen Verfassung als „wahre Demokratie“. Ausnahme hiervon ist die Demokratie-Erwähnung für die Epeiroten, die die galatischen Söldner zu Wächtern ihrer demokratia und ihrer Gesetze gemacht hätten (Pol. II 7). Pol. VI 43–44. Vgl. Pol. IX 23; XII 6b; XVIII 14; XXII 6. Pol. VI 44,3–9.
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chischen Dingen jedoch kaum noch Anteil genommen hätten; sie hätten sich allen Königen angebiedert, besonders aber dem Ptolemaios.57 Dieses konkrete Beispiel zeigt gut, wie sehr Polybios mitunter innenpolitische Verhältnisse in einer tendenziösen, seinen eigenen Interessen folgenden Weise darstellte, denn im historischen Kontext ließe sich die zeitgenössische athenische Situation keineswegs unberechtigt auch gänzlich positiv verstehen, wofür ein kurzer Exkurs notwendig ist: Die Athener hatten 229 v.Chr. mit der Beseitigung der letzten makedonisch kontrollierten Bereiche in Attika – vor allem der Besatzung im Piräus – die vollständige Kontrolle über ihr Territorium und damit die Integrität ihrer Polis zurückerlangt und, wie aus ihren zeitgenössischen Inschriften übereinstimmend hervorgeht, die πάτριος ἐλευθερία ihrer Polis wiederhergestellt.58 Diese Rückgewinnung der althergebrachten, „väterlichen“ Freiheit ist vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen direkten makedonischen Einflussnahme auf die athenische Innenpolitik als epochales Ereignis für die Bürgerschaft zu verstehen.59 Besonders die Rückgewinnung des Piräus mit den daraus resultierenden freieren wirtschaftlichen Möglichkeiten bedeuteten für die Bürgerschaft sowie die Polis insgesamt ein Zugewinn an Prosperität, den die Athener durch eine nachfolgend klug gewählte außenpolitische Haltung bis weit ins 2. Jahrhundert v.Chr. nicht nur halten, sondern weiter ausbauen konnten.60 Zugleich waren die politischdemokratischen Strukturen bereits zur Zeit der Befreiung wieder umfassend etabliert und auch darauffolgend von direkter äußerer Einflussnahme unabhängig,61 57
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Polyb. V 106,6–8: Ἀθηναῖοι δὲ τῶν ἐκ Μακεδονίας φόβων ἀπελέλυντο καὶ τὴν ἐλευθερίαν ἔχειν ἐδόκουν ἤδη βεβαίως, χρώµενοι δὲ προστάταις Εὐρυκλείδᾳ καὶ Μικίωνι τῶν µὲν ἄλλων Ἑλληνικῶν πράξεων οὐδ’ ὁποίας µετεῖχον, ἀκολουθοῦντες δὲ τῇ τῶν προεστώτων αἱρέσει καὶ ταῖς τούτων ὁρµαῖς εἰς πάντας τοὺς βασιλεῖς ἐξεκέχυντο, καὶ µάλιστα τούτων εἰς Πτολεµαῖον, καὶ πᾶν γένος ὑπέµενον ψηφισµάτων καὶ κηρυγµάτων, βραχύν τινα λόγον ποιούµενοι τοῦ καθήκοντος διὰ τὴν τῶν προεστώτων ἀκρισίαν. Zur Interpretation siehe GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 103f. Zum historischen Kontext siehe Chr. HABICHT, Athen. Die Geschichte der Stadt in hellenistischer Zeit, München 1995, 176–181. Die πάτριος ἐλευθερία in B. PETRAKOS, Ὁ δῆµος τοῦ Ῥαµνοῦντος ΙΙ. Οἱ ἐπιγραφές, Athen 1999, n. 22; 26. Dazu weiterhin IG II2 n. 832; 834. Zur Diskussion der πάτριος ἐλευθερία GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 99–107. HABICHT, Athen (Anm. 58), 176f. Die abermals etablierte πάτριος ἐλευθερία von 229 v.Chr. stellt überhaupt eines der signifikantesten Beispiele für die Rückgewinnung der innen- sowie außenpolitischen Eigenständigkeit einer Polis nach einer vorangehend längerfristigen machtpolitischen Kontrolle durch eine hellenistische Großmacht dar. Delos als Handelsplatz: Strab. X 5,4 (486). Zu den Gebäudestiftungen in Athen in dieser Zeit, die letztlich als ein baulicher Ausdruck der zeitgenössischen Blüte zu verstehen sind, H. SCHAAF, Untersuchungen zu den Gebäudestiftungen in hellenistischer Zeit, Köln 1992, 84– 120; B. SCHMIDT-DOUNAS, Geschenke erhalten die Freundschaft. Politik und Selbstdarstellung im Spiegel der Monumente, Berlin 2000, 216–244. Vgl. HABICHT, Athen, (Anm. 58), 258–264. Zur vorangehenden wirtschaftlichen Schwäche ausführlich G. J. OLIVER, War, Food, and Politics in Early Hellenistic Athens, Oxford 2007, 15–110. Eine Veränderung der demokratischen Strukturen ist erst in der zweiten Hälfe des 2. Jahrhunderts v.Chr. festzustellen, die dann zu den innenpolitischen Auseinandersetzungen des späten 2. und frühen 1. Jahrhunderts v.Chr. führt. E. PERRIN-SAMINADAYAR, Les succès de la diplomatie athénienne de 229 à 168 av. J.-C., in: REG 112 (1999), 444–462; GRIEB, Hellenisti-
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weshalb das hellenistische Athen nach 229 v.Chr. mit seiner souveränen Bürgerschaft wieder als uneingeschränkte demokratia gelten kann. Ohne Polybios’ tendenziöse Bewertung bleiben für eine allgemeine Herabsetzung der athenischen politeia und ihrer außenpolitischen Erfolge in den Quellen der Zeit vom ausgehenden 3. bis weit ins 2. Jahrhundert v.Chr. dann auch keine konkreten Hinweise.62 Im Gegensatz zum 4. und vorangehenden 3. Jahrhundert v.Chr. verfolgte Athen nach 229 v.Chr. allerdings zunächst eine auf weitgehende außenpolitische Neutralität ausgerichtete Diplomatie, die es der Stadt ermöglichte, sich von der makedonischen Vorherrschaft auch nachhaltig zu emanzipieren und eine international einflussreichere politische Rolle einzunehmen – dies ist scheinbar der Umstand, den Polybios mit dem „Anbiedern“ bei den Königen umschreibt.63 Seine tendenziöse Bewertung der politischen Verhältnisse wird freilich offensichtlich, wenn man die Darstellung der athenischen Freiheit in der Situation um 229 v.Chr. mit derjenigen der Achaier unter Aratos in etwa derselben Zeit vergleicht. Konnten erstere ihre ἐλευθερία nach jahrzehntelangen Auseinandersetzungen mit den Makedonen zurückgewinnen und damit ein epochales Ziel für sich erreichen, ist dies für Polybios doch nur ein Nebenaspekt, der zugleich im Kontext der athenischen Angst vor den Makedonen angeführt wird. Im Vordergrund seiner Schilderung stehen vielmehr die Rolle von Mikion und Eurykleides sowie das vermeintlich verwerfliche Verhalten der Bürgerschaft. Demgegenüber ist in Polybios’ Darstellung der achaiischen Verhältnisse und ihrer „wahren Demokratie“ das Freiheitsstreben sogleich der zentrale Aspekt: So hätte Aratos in den 230er Jahren, als er an der Spitze des Bundes stand, bei allen Plänen und Unternehmungen nur ein einziges Ziel vor Augen gehabt, nämlich die Makedonen von der Peloponnes zu vertreiben, die Alleinherrschaften zu stürzen und jedem im Koinon die gemeinsam von den Vätern ererbte ἐλευθερία zu sichern.64 Eben dies ließe sich widerspruchslos auch für die Athener vorbringen, die ihrerseits zunächst im späten 4. und frühen 3. Jahrhundert v.Chr. in unterschiedliche politische Lager gespalten und jeweils auf eigene Vorteile bedacht waren, bis sich allmählich ein polisübergreifendes, also gemeinsames und auf eine (Rück-)Gewinnung des (außen-)politischen Handlungsspielraumes bedachtes politisches Vorgehen herausbildete, das schließlich unter dem maßgeblichen Einsatz des Eurykleides zur abermaligen Etablierung der in dieser Form auch propagierten πάτριος ἐλευθερία führte. Die Athener hatten also unter Eurykleides und Mikion um und nach 229 v.Chr. das erreicht, was nach Polybios’ Dafürhalten für die Region der Peloponnes Aratos’
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sche Demokratie (Anm. 7), 99–124. Eine andere Sichtweise vertritt etwa B. DREYER, Wann endet die klassische Demokratie Athens?, in: AncSoc 31 (2001), 27–66. Vgl. GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 110–126. Pol. V 106,7: καὶ ταῖς τούτων ὁρµαῖς εἰς πάντας τοὺς βασιλεῖς ἐξεκέχυντο. Zur Neutralität siehe HABICHT, Athen (Anm. 58), 188–196; PERRIN-SAMINADAYAR, Succès de la diplomatie (Anm. 61), 444–462. Pol. II 43,7–8: µεγάλην δὲ προκοπὴν ποιήσας τῆς ἐπιβολῆς ἐν ὀλίγῳ χρόνῳ λοιπὸν ἤδη διετέλει προστατῶν µὲν τοῦ τῶν Ἀχαιῶν ἔθνους, πάσας δὲ τὰς ἐπιβολὰς καὶ πράξεις πρὸς ἓν τέλος ἀναφέρων· τοῦτο δ’ ἦν τὸ Μακεδόνας µὲν ἐκβαλεῖν ἐκ Πελοποννήσου, τὰς δὲ µοναρχίας καταλῦσαι, βεβαιῶσαι δ’ ἑκάστοις τὴν κοινὴν καὶ πάτριον ἐλευθερίαν.
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Ziel gewesen sei und vom Achaiischen Bund gewissermaßen unter Philopoimen verwirklicht wurde.65 Allerdings konnte Athen seine politische Stabilität ohne maßgebliche innere Zerwürfnisse über 168 v.Chr hinaus bis ins spätere 2. Jahrhundert v.Chr. behaupten, während sich für Achaia mit 168 v.Chr. und dann nochmals 146 v.Chr. deutliche (innen-)politische Zäsuren ergaben.66 Es ist in der Forschung betont worden, dass Polybios’ Urteil zu Athen aus einer gewissen persönlichen Betroffenheit resultierte. So hatte das Achaiische Koinon unter der Führung von Aratos in den 220er Jahren eine athenische Unterstützung gegen Kleomenes III. und die Spartaner erbeten, was die Athener jedoch mehrheitlich ablehnten und sich Aratos und der Bund daraufhin um eine Unterstützung an den früheren ‚Gegner‘ Makedonien wenden mussten.67 Aus anderen Quellen wird außerdem ersichtlich, dass Aratos an der Rückgewinnung der athenischen Freiheit von 229 v.Chr. und der dafür notwendigen Zahlung von 150 Talenten an die Makedonen einen Anteil hatte, was die historisch-diplomatische Tragweite einer nur kurze Zeit später erfolgten athenischen Absage an das achaiische Hilfsgesuch noch verstärkt.68 Zugleich betraf die seitens Athen verweigerte Unterstützung das persönliche Umfeld des Historikers ganz direkt, war doch seine Heimatstadt Megalopolis eine maßgeblich Leidtragende des Kleomenes-Krieges, in dem deren Bürgerschaft erheblich dezimierte wurde69 und der im Jahre 223/222 v.Chr. sogar zur Einnahme der Stadt mit der einhergehenden teilweisen Zerstörung des Stadtzentrum führte.70 Offensichtlich tritt bei der vorangehenden Gegenüberstellung die einseitige historiographische Gewichtung des Polybios hervor, wobei sich seine tendenziöse Darstellung der innenpolitischen Verhältnisse Athens wohlmöglich sogar gänzlich einer persönlichen Betroffenheit zuordnen lässt. Betrachtet man nämlich die historische Situation aus der Perspektive der Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. und im überregionalen Kontext, wird dies nur allzu deutlich. Das von ihm diskreditierte Athen hatte in dieser Zeit nicht zuletzt aufgrund seiner politischen Ausrichtung im späten 3. Jahrhundert v.Chr. weiter an Stärke und Einfluss gewonnen und verzeichnete zudem einen wirtschaftlichen Aufschwung, der sich nach der RückgePol. II 37,9: πολλῶν γὰρ ἐπιβαλοµένων ἐν τοῖς παρεληλυθόσι χρόνοις ἐπὶ ταὐτὸ συµφέρον ἀγαγεῖν Πελοποννησίους, οὐδενὸς δὲ καθικέσθαι δυνηθέντος διὰ τὸ µὴ τῆς κοινῆς ἐλευθερίας ἕνεκεν ἀλλὰ τῆς σφετέρας δυναστείας χάριν ἑκάστους ποιεῖσθαι τὴν σπουδήν. 40,2: ἧς ἀρχηγὸν µὲν καὶ καθηγεµόνα τῆς ὅλης ἐπιβολῆς Ἄρατον νοµιστέον τὸν Σικυώνιον, ἀγωνιστὴν δὲ καὶ τελεσιουργὸν τῆς πράξεως Φιλοποίµενα τὸν Μεγαλοπολίτην. 66 Zum Achaierbund vgl. H. NOTTMEYER, Polybios und das Ende des Achaierbundes. Untersuchungen zu den römisch-achaiischen Beziehungen, ausgehend von der Mission des Kallikrates bis zur Zerstörung Kroinths, München 1995, 87–106; 146–161. 67 Zum historischen Kontext HABICHT, Athen (Anm. 58), 177–179. 68 Plut. Aratos 34,4–5; Paus. II 8,6 mit Chr. HABICHT, Studien zur Geschichte Athens in hellenistischer Zeit, Göttingen 1982, 79. 69 Zur Dezimierung der Bürgerschaft siehe V. GRIEB, Bürger für die Große Stadt. Megalopolis, die oliganthropia und die megale eremia, in: L.-M. Günther (Hrg.), Migration und Bürgerrecht in der hellenistischen Welt, Wiesbaden 2012, 116–124. 70 Pol. II 55. 65
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winnung von Delos (als Freihafen) und der späteren Zerstörung von Korinth 146 v.Chr. nochmals signifikant vergrößerte. Auf der anderen Seite wurde Polybios selbst nach dem römischen Sieg von 168 v.Chr. als eine der 1.000 Geiseln des Achaiischen Bundes nach Rom gebracht, blieb somit von der politischen Einflussnahme im Achaiischen Koinon ausgeschlossen und hatte trotz seiner kurz zuvor erfolgten Rückkehr mit anzusehen, wie die Achaier abermals in eine Auseinandersetzung mit dem römischen Senat gerieten, die dieser mit der Zerstörung von Korinth richtungsweisend und dauerhaft beendete. Kurz nach der Jahrhundertmitte boten also das Achaiische Koinon und Athen hinsichtlich ihrer außenpolitischen Situation und der daraus resultierenden Prosperität der Gemeinwesen zwei gänzliche unterschiedliche Bilder. Mit seiner Rückkehr auf die Peloponnes hatte Polybios also gewissermaßen die Trümmer seiner „wahren Demokratie“ vor Augen, während in nur geringer nordnordöstlicher Entfernung das Gemeinwesen der Athener nach den inneren Auseinandersetzungen in der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts v.Chr. wieder aufgeblüht war und ein gefestigtes demokratisch organisiertes Staatswesen aufwies. Aus einer neutraleren Perspektive kommt man somit nicht umhin zu urteilen, dass die von Polybios kritisierten Mikion und Eurykleides als führende Politiker ihre Bürgerschaft von einem politischen Weg überzeugen konnten, den diese auch noch in den darauffolgenden Jahren weiter mehrheitlichdemokratisch verfolgen und der die Stadt zu ihrer ‚Blüte‘ in der hellenistischen Welt des 2. Jahrhunderts v.Chr. führen sollte – eine Position, die Polybios in seiner Zeit ebenfalls historiographisch und argumentativ hätte vertreten können. Auch das von Polybios geschätzte und mit der Verfassungscharakterisierung dem Achaiischen Koinon gleichgesetzte Rhodos passt in das polybianische Bild. Ebenso wie die Achaier hatten die Rhodier nach dem Dritten Makedonischen Krieg die Konsequenzen ihres zögerlichen Verhaltens und der fehlenden klaren Parteinahme für Rom zu tragen und wurden vom Senat entsprechend gemaßregelt. Sie hatten promakedonische Parteigänger innerhalb ihrer Bürgerschaft zu beseitigen, sahen sich fortan einer deutlich prorömisch dominierten Innenpolitik gegenüber und erhielten mit dem von Rom zum Freihafen erklärten Delos nunmehr einen starken wirtschaftlichen Konkurrenten in der Ägäis, der ihre finanziellen Einnahmen schmälerte. Polybios lässt den Rhodier Astymedes die veränderte Situation seiner Stadt in der Form zusammenfassen, dass diese nunmehr ihre ἰσολογία und παρρησία verloren hätte.71 In Analogie zu den vorangehenden ehrenhaften Merkmalen hatten die Rhodier also ihre Vorbildfunktion eingebüßt und damit – so hat man in Anlehnung an die Verfassung der Achaiier in II 38,6 zu ergänzen – auch die Merkmale einer „wahren Demokratie“ verloren.72 Aus der Darstellung des Polybios geht allerdings auch hervor, dass all dies dem vorangehenden demo71
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Pol. XXX 31,16: διόπερ, ὦ ἄνδρες, ἀπολωλεκὼς ὁ δῆµος τὰς προσόδους, τὴν παρρησίαν, τὴν ἰσολογίαν, ὑπὲρ ὧν τὸν πρὸ τοῦ χρόνον πᾶν ἀναδεχόµενος διατετέλεκεν. Dazu GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 332–334. Vgl. auch KOEHN, Außenpolitik (Anm. 51), 41. ἰσηγορία (respektive ἰσολογία) sowie παρρησία sind jenseits aller moralisierenden und wenig konkreten Angaben des Polybios zu möglichen Entartungen einer Demokratie (VI 12) die bestimmenden demokratischen Merkmale der rhodischen und achaiischen Verfassung.
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kratischen Entscheidungsprozess und den daran beteiligten unterschiedlichen Interessengruppen in der Polis geschuldet war.73 Da es sich bei beiden Gemeinwesen um (polybianisch-)demokratische Organisationsformen handelte, die in ihrer außenpolitischen Ausrichtung gemeinschaftlich der innenpolitischen Mehrheitsmeinung folgten, muss die Darstellung des Polybios insofern unmissverständlich dadurch ergänzt werden, dass die Situation nach 168 v.Chr. aus der vorangehend etablierten jeweiligen demokratia und der entsprechenden Entscheidungsfindung resultierte. Dies gilt ebenso für Athen, nur hatte sich diese Polis mehrheitlich bereits vor dem Dritten Makedonischen Krieg der römischen Seite zugewandt und stand somit nach dem Ausgang des Krieges als ein ‚Gewinner‘ dar. Athen, Rhodos und Achaia unterschieden sich also allem voran durch unterschiedliche innenpolitische Konstellationen, die mit den außenpolitischen Umbrüchen das nachfolgende Schicksal ihres gesamten Gemeinwesens entscheidend prägten. Die Gegenüberstellung von Athen und Rhodos mit dem Vergleich zu Achaia zeigt, dass es Polybios darum ging, Gemeinwesen in einem charakteristischen Auftreten darzustellen, die seiner persönlichen politischen Position entsprach, und dies an einem vorbildhaften oder verwerflichen Verhalten aufzuzeigen. Indem Polybios seine Wertmaßstäbe weder an der demokratischen Organisation noch an der Gegenüberstellung demokratischer Strukturen ausrichtete (s.u.), sondern vielmehr an wenig konkreten und historisch kaum belastbaren Kriterien wie einem Streben nach Freiheit oder dem Befolgen von Sitten und Gesetzen,74 kann er eine Beurteilung nach seiner persönlichen Präferenz und Hervorhebung derjenigen politisch bestimmenden Gruppe vornehmen, die nach seinem Empfinden die ‚richtige‘ außenpolitische Ausrichtung eines Gemeinwesens sowie den ‚richtigen‘ Einsatz für griechische Angelegenheiten vertrat, und dies stereotyp auf die gesamte Gemeinschaft übertragen.75 Ein konkurrierender Historiker hätte auf einer solchen, kaum differenzierten Argumentationsebene problemlos ausführen können, dass insbesondere das athenische Vorgehen ein weitsichtiges und wohlüberlegtes Handeln zum Wohle und zum Frieden ihrer Polis ausmachte und gemeinschaftliche politische Bestrebungen aus einer inneren Eintracht hervorgingen; beides für Polybios allgemeine und wesentliche Ziele, die er an anderer Stelle hervorhebt.76
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Zu Rhodos siehe die Zusammenstellung und Diskussion der Polybios-Stellen in GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 327–334. Zum Achaiischen Koinon ist dieser Aspekt umfangreich diskutiert worden und gänzlich unstrittig; vgl. stellvertretend etwa DEININGER, Politischer Widerstand (Anm. 42), 136–146. 177–184. Vgl. Pol. VI 4,4–5. Vgl. in diesem Sinne auch WALBANK, Akarnanien (Anm. 28), 222. Vgl. Pol. I 7 zur Schönheit der Städte; IV 74 zum Frieden als wichtigstem Gut der Menschen. Zur inneren Eintracht beim politischen Handeln eines Gemeinwesens siehe VI 46,8 (in Bezug auf die vorbildliche lykurgische Verfassung Spartas). Die in IV 31,4–8 formulierte Einschränkung für den Frieden als höchstes Ziel, das notfalls auch mit kriegerischen Mitteln zu erlangen sei, bleibt offen für gänzlich unterschiedliche Interpretationen: So sei nur der Friede das höchste Ziel, der in Ehre und Recht erreicht wurde, der in Schmach und erbärmlicher Feigheit erreichte hingegen das denkbar Schändlichste und Schimpflichste.
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Den Rhodiern und Achaiern wäre hingegen nur allzu leicht eine kurzsichtige und die Zeichen der Zeit verkennende realitätsferne Position vorzuwerfen gewesen.
BEDEUTUNGSBREITE UND ANALYTISCHE TIEFE DER POLYBIANISCHEN DEMOKRATIA Sowohl in Athen als auch in Rhodos bestanden politische Gruppen, die innerhalb der Bürgerschaft auf ‚demokratischem‘ Wege ihre Interessen durchsetzten und die außenpolitische Position der gesamten Gemeinschaft bestimmten. Eine im Wortsinn verstandene, sachbezogene und an nachprüfbaren Kriterien orientierte und kontextualisierte demokratia bietet Polybios – wie angeführt – nicht. Diese Darstellungsweise hätte indessen seiner Zielsetzung entgegen gestanden, denn demokratische Institutionen und Ämter sowie die politischen Entscheidungsprozesse in hellenistischen Poleis wie Athen und Rhodos unterschieden sich bis in die polybianische Zeit nur sehr bedingt voneinander.77 Eine offensichtliche demokratische Gleichsetzung solcher Gemeinwesen hätte es für den Historiker notwendig gemacht, seine jeweilige ‚gute‘ oder ‚weniger gute‘ lokale politische Ausprägung differenzierter zu begründen, sollte seine Darstellung glaubwürdig bleiben. Im Falle eines ‚guten‘ Rhodos wäre dann etwa der Unterschied zu dem von ihm umfassend negativ charakterisierten Athen in politisch-institutioneller Weise zu benennen oder genauere Ausführungen zu den innenpolitischen Gruppen notwendig gewesen. Eben diese Schwierigkeit umgeht Polybios durch eine nur seltene Erwähnung der Demokratie für konkrete Gemeinwesen. Vielmehr überträgt er die Bedeutung des demokratia-Begriffs mit seinen wenigen direkt angeführten Beispielen auf ganz unterschiedliche Staatsformen, indem er ihn für Poleis, Koina und als einen Teilaspekt der Mischverfassung und damit auch für die römische Verfassung gebraucht. Die fehlende Differenzierung von Stadtstaaten und Bundesstaaten fällt dabei besonders ins Auge. Beide Staatsformen wiesen in ihrer Entscheidungsstruktur durchaus formale Übereinstimmungen auf, indem im Koinon der Achaier ebenso wie in zahlreichen hellenistischen Stadtstaaten ein Rat und eine Bürgerversammlung bestanden und letztere in den zentralen politischen Belangen wie Fragen von Krieg und Frieden oder bei den Beamtenwahlen entschied.78 In diesem Sinne konnte Polybios sogar berechtigt vom Achaierbund als 77
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Dazu allgemein GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7); diese Vergleiche ließen sich auf zahlreiche Stadtstaaten ausweiten; vgl. in diesem Sinne auch CARLSSON, Hellenistic Democracies (Anm. 7); jeweils mit Quellen und weiterführender Literatur. Die institutionelle Gliederung ist gerade vor dem Hintergrund der Polybiosangaben umfangreich diskutiert worden. Auf einzelne diesbezügliche Probleme kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, da der Fokus hier auf den strukturellen Unterschieden zu den Stadtstaaten liegt. Vgl. zum Achaierbund etwa AYMARD, Assemblées (Anm. 15); MUSTI, Democrazia (Anm. 5), 195–203; J. A. O. LARSEN, Greek Federal States. Their Institutions and History, Oxford 1968, 215–240; G. A. LEHMANN, Erwägungen zur Struktur des achaiischen Bundesstaates, in: ZPE 51 (1983), 237–261 (u.a. mit einer Präzisierung der älteren Sicht zu den Versammlungen des Bundes); WELWEI, Verfassungselemente (Anm. 5), 32.
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einer „Polis“ sprechen.79 Der wesentliche Unterschied zwischen der demokratia des Koinon und der einer Polis tritt allerdings in einem Bereich hervor, den Polybios in seinen Historien gerade ausblendet, nämlich die genauere Einbindung der Bürgerschaft in die gemeinschaftlichen politischen Belange. Betrachtet man die politische Praxis in demokratischen Stadtstaaten, so bestand neben der politischen Gleichberechtigung aller Bürger das zentrale Merkmal darin, dass die Bürgerversammlung nicht nur Ort der Beamtenwahl und Beschlussfassungsgremium für zentrale Entscheidungen war, sondern dort zugleich innen- und außenpolitische Angelegenheiten vom gesamten demos in kurzen zeitlichen Abständen, zumeist in mehreren Versammlungen innerhalb eines Monats, diskutiert und gegebenenfalls sogleich entschieden wurden.80 Die Bürgerschaftsversammlung ist damit das zentrale politische Gremium für die Meinungs- und Entscheidungsfindung sowie für gewissermaßen alle politischen Vorgänge der Polis. Die politische Praxis im Achaiischen Koinon hingegen wies der Bürgerschaft eine gänzlich andere Rolle zu. Bis zum späten 3. Jahrhundert v.Chr. trat sie in der Regel viermal im Jahr zusammen, später wohl nur noch nach Bedarf, und entschied in Fragen von Krieg, Frieden, zwischenstaatlichen Verträgen sowie bei der Wahl der Bundesbeamten.81 Die wesentliche politische Rolle im Bund nahmen hingegen die Bundesbeamten und der Rat ein, die innerhalb des Jahres die innen- und außenpolitischen Belange berieten, organisierten und so die politische Ausrichtung des Bundes dominieren konnten. Der Unterschied zwischen Polis- und Bundes-Demokratie wird also in der von Polybios in dieser Hinsicht nicht weiter thematisierten politischen Praxis ersichtlich, in der auf Seiten des Koinon und im Gegensatz zu den Polisdemokratien nur eine kleine Gruppe führender Politiker mit den alltäglichen politischen Angelegenheiten betraut war.82 Die großen geographischen Distanzen und die stark zerklüftete Region der inneren Peloponnes, die keineswegs einem typischen Polis79 80 81
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Pol. II 37,10–11. GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 356–360; passim. Siehe dazu die in Anm. 77 genannte Literatur. Vgl. zudem die politische Gliederung bei den Aitolern mit ihrer nur zweimal im Jahr zusammenkommenden ‚Volksversammlung‘ sowie dem Rat (synhedrion) als zentraler politischer Instanz; J. D. GRAINGER, The League of the Aitolians, Leiden u.a. 1999, 169–187. Vgl. etwa WELWEI, Verfassungselemente (Anm. 5), 32. Die Bürgerschaft war zweifellos durch zahlreiche Ämter umfangreich in die politische ‚Verwaltung‘ ihres Gemeinwesens eingebunden; vgl. dazu etwa CARLSSON, Hellenistic Democracies (Anm. 7), 330–333 (Appendix B), mit dem Nachweis von Polis-‚Beamten‘ in den von ihr untersuchten Stadtstaaten, von denen freilich die religiösen Aufgabenträger zu subsumieren wären. Weiterhin etwa auch C. VIAL, der die umfangreiche Einbeziehung des δῆµος von Delos in die politischen Angelegenheiten der Polis aufgezeigt (Délos indépendante [314–167 avant J.-C.]. Étude d’une communauté civique et de des institutions, Paris 1984). Die von den Bürgern getragene stadtstaatliche Administration war die Grundlage für eine erfolgreiche Polis in hellenistischer Zeit, was letztlich auch die Vielzahl der städtischen Magistrate und Amtsträger erkennen lässt; vgl. dazu H. H. SCHMITT, Stadt, in: Lexikon des Hellenismus (Anm. 3), Sp. 1031–1039. Polybios blendet diese Ebene der ‚administrativen‘ Demokratie gänzlich aus, wenngleich er als griechischer Staatsmann von ihr umfassend Kenntnis hatte.
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territorium glich, brachten innerhalb des Koinon selbstverständlich mit sich, dass Politisches in einer stärker repräsentativen Form organisiert werden musste. Dies begünstigte unweigerlich die Herausbildung einer Gruppe von Bundespolitikern, die sich ihre Tätigkeit zeitlich und finanziell ‚leisten‘ können musste, waren sie doch vor allem dann erfolgreich, wenn sie sich auch über eine Amtszeit hinaus für die Belange des Bundes einsetzen und entsprechende politische Netzwerke pflegen konnten.83 Dass Polybios dennoch eine in seinen Augen sogar „wahre“ Demokratie für die Achaier beanspruchte, hingegen die angeführten strukturellen Unterschiede zu den Polis-Demokratien unberücksichtigt lässt, ja sogar den Bund gewissermaßen als eine „Polis“ versteht und zudem andere genannte Demokratien deutlich negativ charakterisiert (s.o.), bietet insgesamt einen charakteristischen Einblick in sein demokratia-Verständnis und lässt seine Auffassung zugleich in einem offensichtlichen Gegensatz zu den zahlreichen Stadtstaaten stehen, die sich in hellenistischer Zeit nicht nur selbst als Demokratien bezeichneten, sondern auch von außen als solche gesehen wurden.84 Im Gegensatz zu seinen sehr allgemeinen Demokratiemerkmalen der ἰσηγορία und παρρησία steht dies freilich nicht. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die römische Verfassung, so wird deutlich, dass Polybios’ „wahre Demokratie“ des Achaiischen Koinon ihrer politischen Struktur und Praxis entsprechend der res publica deutlich näher stand als einer Polisdemokratie. Mit dem Senat (σύγκλητος) dominierte in Rom ebenfalls eine kleine Spitze über weite Abschnitte des Jahres die politischen Angelegenheiten, während der römische δῆµος ähnlich der achaiischen Bürgerschaft nur für zentrale Belange wie die Annahme und Ablehnung von Gesetzen, Beratungen über Krieg und Frieden oder die Beschlussfassung zu Friedens- und Freundschaftsverträgen zusammentrat.85 Die letztlich schwache Position der Bürgerschaft in Rom gegenüber dem aristokratischen Senat wird von Polybios in seinen staatstheoretischen Ausführungen allerdings nicht eigens thematisiert, da es ihm dort um die Hervorhebung eines demokratischen Elementes innerhalb der Mischverfassung ging. An anderer Stelle hebt er diese Macht- und Kompetenzverteilung in der politischen Praxis Roms hingegen sehr deutlich hervor, wenn er urteilt:
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Vgl. zu einer kleinen politischen ‚Elite‘ im Achaierbund etwa VON FRITZ, Mixed Constitution (Anm. 5), 7f.; NICOLET, Aristocratie (Anm. 6), 31f., sowie ausführlich G. A. LEHMANN, Untersuchungen zur historischen Glaubwürdigkeit des Polybios, Münster 1967, 377–386 (dort auch mit der Diskussion möglicher Diäten) und J. L. O’NEIL, The Political Elites of the Achaian and Aitolian Leagues, in: AncSoc 15–17 (1984–1986), 33–61. CARLSSON, Hellenistic Democracies (Anm. 7), 335–343, mit einer Auflistung zahlreicher demokratia-Belege für griechisch-hellenistische Stadtstaaten. Pol. VI 13–14. Vgl. dazu allgemein LINTOTT, Constitution (Anm. 9), 40–64 (Volksversammlungen); 65–88 (Senat); J. BLEICKEN, Die Verfassung der Römischen Republik, Paderborn 8 2008, 120–133 (‚Volksversammlung‘); 85–97 (Senat); zum direkten polybianischen Kontext siehe etwa BLÖSEL, Anakyklosis-Theorie (Anm. 9), 35–37; WELWEI, Verfassungselemente (Anm. 5), 31–33. Weiterhin die Literatur in Anm. 129 zu einer ‚Demokratie‘ in Rom, die hier allerdings nicht eigens diskutiert werden kann und für die griechische Perspektive des Polybios en détail nachrangig ist.
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[...] ἡ δὲ Ῥώµη µάλιστα τότ’ εἶχε τὴν ἀκµὴν κατά γε τὴν τῆς πολιτείας σύστασιν. διὸ καὶ τὴν πλείστην δύναµιν ἐν τοῖς διαβουλίοις παρὰ µὲν Καρχηδονίοις ὁ δῆµος ἤδη µετειλήφει, παρὰ δὲ Ῥωµαίοις ἀκµὴν εἶχεν ἡ σύγκλητος.86
Polis, Koinon und res publica unterschieden sich insofern also nicht grundsätzlich durch eine voneinander verschiedene politische Entscheidungsinstanz für die zentralen Belange der Gemeinwesen, denn diese lagen bei der versammelten politischen Gemeinschaft. Sie unterschieden sich vielmehr in der jeweiligen institutionalisierten Einbeziehung der Bürgerschaft in die Meinungs- und Entscheidungsfindung und damit in das politische Tagesgeschäft. Während in den Polisdemokratien alle innen- und außenpolitischen Angelegenheiten regelmäßig von der gesamten Bürgerschaft diskutiert wurden beziehungsweise werden konnten,87 war dies im Koinon und in der res publica in dieser Form nur dem angeführten kleinen Kreis vorbehalten, ohne aber ein Entscheidungsmonopol der Gesamtheit in zentralen Angelegenheiten grundsätzlich infrage stellen zu müssen. Polybios wendet demnach den demokratia-Begriff hinsichtlich seiner Bedeutung durchaus zutreffend auch für die römische πολιτεία an, jedoch gelangt er dadurch für die demokratia von griechischen Stadtstaaten und ihrer politischen Praxis freilich zu einer erheblichen Begriffsverzerrung. Er selbst weist auf diese offensichtliche Differenz sogar direkt hin, wenn er schreibt, dass nämlich viele Griechen die römische Verfassung als rein aristokratisch angesehen hätten: […] πάντα ταῦτα χειρίζεται διὰ τῆς συγκλήτου. πρὸς δὲ τὸν δῆµον καθάπαξ οὐδέν ἐστι τῶν προειρηµένων. ἐξ ὧν πάλιν ὁπότε τις ἐπιδηµήσαι µὴ παρόντος ὑπάτου, τελείως ἀριστοκρατικὴ φαίνεθ’ ἡ πολιτεία. ὃ δὴ καὶ πολλοὶ τῶν Ἑλλήνων, ὁµοίως δὲ καὶ τῶν βασιλέων, πεπεισµένοι τυγχάνουσι, διὰ τὸ τὰ σφῶν πράγµατα σχεδὸν πάντα τὴν σύγκλητον κυροῦν.88
Möglich wird Polybios’ breite Anwendung des demokratia-Begriffes also letztlich dadurch, dass er die Rolle des jeweiligen demos in der politischen Praxis für den Leser zumeist ausblendet und die Verfassungen in dieser Hinsicht nicht tiefer analysierend darstellt, obwohl er an zahlreichen Stellen innenpolitische Auseinandersetzungen zumindest anführt.89 Der wesentliche Grund für die fehlende analyti86
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Pol VI 51,5–6: „(...) während Rom in seiner staatlichen Ordnung den Höhepunkt gerade zu dieser Zeit erreicht hatte. Daher hatte den maßgebenden Einfluß bei allen Entscheidungen in Karthago bereits die Bürgerschaft erlangt, in Rom hatte ihn noch der Senat.“ (Übersetzung nach DREXLER, Polybios [Anm. 14], verändert ‚Bürgerschaft‘ anstelle von ‚Volk‘ für die staatsrechtlich notwendige Differenzierung von demos und plethos). Exemplarisch für freie griechisch-hellenistische Poleis siehe GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 42–50; 153–166; 209–221; 276–304 (mit den Quellen). Pol. VI 13,7–9: „(...) alle diese Dinge sind in der Hand des Senates und nicht Angelegenheit der Bürgerschaft. Wenn man sich infolgedessen während der Abwesenheit der Konsuln in Rom aufhält, erscheint die Verfassung als rein aristokratisch, und dies ist die Überzeugung vieler Griechen und vieler Könige, denn fast über ihre sämtlichen Angelegenheiten entscheidet der Senat.“ Auch an dieser Stelle bezieht sich Polybios – staatsrechtlich exakt – auf den demos, nicht auf das plethos, also die ‚Bürgerschaft‘ und nicht ein ‚Volk‘ im umfassenderen Sinne. Selbst für die römische Verfassung bleibt Polybios in dieser Hinsicht gänzlich oberflächlich und lässt den Leser nicht zuletzt mit der Frage zurück, warum er die ausführliche Darlegung
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sche Tiefe der demokratia in den Historien dürfte also zuallererst in den strukturellen Verschiedenheiten derjenigen Gemeinwesen liegen, für die Polybios diesen Begriff verwendet.
POLYBIOS’ EIGENE VERFASSUNGSPOLITISCHE POSITION Wenngleich Polybios politisch in einer nach seiner Interpretation „wahren Demokratie“ agierte,90 kann seine innenpolitische Position keineswegs als überzeugt ‚demokratisch‘ gelten. Dies deuten nicht zuletzt seine verfassungstheoretischen Überlegungen an, in denen er die allgemein bestehende Gefahr einer ochlokratia als mögliche demokratische Entwicklungstendenz einer allzu leidenschaftlichen Masse (πλῆθος) mit den zwischen beiden Verfassungen gewissermaßen fließenden Grenzen aufzeigt und in Demokratie-Passagen außerhalb von Buch 6 auf diesen Zustand abzielt.91 Die vorangehend diskutierte Darstellung Athens mit der polybianischen Überzeichnung mag in dieser Hinsicht als signifikantes Beispiel gelten. Inwieweit seine politische Position vielmehr von einem aristokratischen Grundverständnis geprägt war und zu einer tendenziösen Darstellung von innenpolitischen Zusammenhängen in den Historien führen konnte, soll im folgenden zunächst an einer Passage zu seiner Heimatstadt Megalopolis aufgezeigt werden, die in die Zeit kurz nach der Einnahme und Zerstörung des städtischen Zentrums durch Kleomenes 223/2 v.Chr. zu setzen ist und in der er auf umfangreiche Auseinandersetzungen innerhalb der Bürgerschaft eingeht.92 In V 93 heißt es, dass die Bedürftigkeit der Megalopoliten nach dem Kleomeneskrieg groß gewesen sei und man dort die Frage diskutiert habe, ob der Stadtmauerumfang reduziert werden solle, um der geringeren Einwohnerzahl in dieser Zeit Rechnung zu tragen und dennoch eine effektive Stadtverteidigung gewährleisten zu können. Eine Gruppe der Megalopoliten habe dabei für eine Verkleinerung des Mauerringes sowie für die Aufnahme neuer Bürger plädiert, um
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der römischen πολιτεία in seinem Werk mehrmals als zentralen Aspekt ankündigt (s.o.), um an entscheidender Stelle dann nur allgemeine innenpolitische Zusammenhänge mit geringer Detailtiefe über eine Länge von gerade einmal acht Kapitel zu bieten (VI 11–18), während er im direkten Anschluss allerdings das römische Militärwesen über insgesamt 24 Kapitel (VI 19–42) mit einer weitaus größeren Genauigkeit schildert und beispielsweise die exakte Position einzelner Zelte im römischen Militärlager detailliert beschreibt. Zur Rolle des Militärischen bei Polybios siehe E. W. MARSDEN, Polybius as a military Historian, in: E. Gabba (Hrg.), Polybe, Genf 1974, 267–302, sowie den Beitrag von B. Meißner im vorliegenden Band. P. PÉDECH, Polybe hipparque de la Confédération achéenne (170–169 av. J.-C.), in: LEC 37 (1969), 252–259. A. M. ECKSTEIN, Moral Vision in the Histories of Polybius, Berkeley u.a. 1995, 1–6. Pol. VI 9,8–9; 57,9. Siehe weiterhin oben die Angaben zu Kreta und Messene sowie etwa Pol. X 25,5. Zur Diskussion dieser Passage siehe H. LAUTER-BUFE, H. LAUTER, Die politischen Bauten von Megalopolis, Darmstadt/Mainz 2011,154–157; GRIEB, Bürger für die Große Stadt (Anm. 69), 117–123.
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eine zukünftige Verteidigungsfähigkeit – insbesondere aufgrund der weiterhin bestehenden spartanischen Bedrohung nach dem Kleomenes-Krieg – sicherstellen zu können; die für die Neubürger notwendige Landzuweisung sollte über eine Neuverteilung des Landbesitzes erreicht werden, nämlich ein Drittel des Landes der Besitzenden, und wäre damit erheblich zu Ungunsten der Großgrundbesitzer gegangen. Die andere Gruppe lehnte hingegen sowohl eine Verkürzung der Stadtmauer als auch eine Teilabgabe des Landbesitzes ab.93 Bereits die Ausführlichkeit, mit der Polybios diesen Disput im Vergleich zu anderen innenpolitischen Auseinandersetzungen in den Historien anführt, verweist auf dessen Tragweite innerhalb der megalopolitischen Bürgerschaft. Bei aller Detailgenauigkeit dieser Darstellung ist der auffälligste Aspekt jedoch, dass Polybios zwar einen später erreichten innenpolitischen Friedensschluss erwähnt und berichtet, dass dieser sogar unter dem Mitwirken des achaiischen Staatsmannes Aratos zustande gekommen und in Form einer Inschriftenstele im Zeus Homarios-Heiligtum (der Stadt) aufgestellt worden sei, er den Leser seiner Historien über das tatsächliche Ergebnis allerdings gänzlich im Unklaren lässt.94 Dies überrascht vor allem deshalb, weil Polybios dies mit einer knappen Erwähnung hätte darlegen können. Sein ansonsten bestehender historiographischer Anspruch und der Vergleich mit ähnlichen Fällen (s.u.) lässt erkennen, dass er die in Megalopolis gefundene Regelung bewusst unerwähnt ließ, weil sie seiner politischen Überzeugung entgegenstand: In seinen verfassungstheoretischen Überlegungen ist die Neuverteilung von Land zugunsten einer größeren Gruppe (πλῆθος) und damit implizit zu Ungunsten der Besitzenden gerade als Indiz für eine ochlokratische Tendenz innerhalb einer demokratia benannt,95 die in diesem Fall anscheinend seine Heimatstadt und politische Wirkungsstätte selbst betroffen hatte.96 Und tatsächlich spricht auch der
Pol. V 93,5–8: πρῶτον µὲν οὖν ἠµφισβήτουν ὑπὲρ τοῦ τειχισµοῦ τῆς πόλεως, φάσκοντες οἱ µὲν συνάγειν αὐτὴν δεῖν καὶ ποιεῖν τηλικαύτην ἡλίκην καὶ τειχίζειν ἐπιβαλλόµενοι καθίξονται καὶ φυλάττειν καιροῦ περιστάντος δυνήσονται· καὶ γὰρ νῦν παρὰ τὸ µέγεθος αὐτῆς καὶ τὴν ἐρηµίαν ἐσφάλθαι. πρὸς δὲ τούτοις εἰσφέρειν ᾤοντο δεῖν τοὺς κτηµατικοὺς τὸ τρίτον µέρος τῆς γῆς εἰς τὴν τῶν προσλαµβανοµένων οἰκητόρων ἀναπλήρωσιν. οἱ δ’ οὔτε τὴν πόλιν ἐλάττω ποιεῖν ὑπέµενον οὔτε τὸ τρίτον τῶν κτήσεων εὐδόκουν εἰσφέρειν µέρος. Dass Polybios hier mit dem Begriff οἰκήτοροι (Ansiedler, Bewohner) Neubürger meint, geht aus dem zuzuteilenden Grundbesitz hervor. 94 Pol. V 93,9–10: τοιαύτης δ’ οὔσης τῆς ἀµφισβητήσεως ποιησάµενος Ἄρατος τὴν ἐνδεχοµένην ἐπιστροφὴν κατέπαυσε τὴν φιλοτιµίαν αὐτῶν. ἐφ’ οἷς δ’ ἔληξαν τῆς πρὸς ἀλλήλους διαφορᾶς, γράψαντες εἰς στήλην παρὰ τὸν τῆς Ἑστίας ἀνέθεσαν βωµὸν ἐν Ὁµαρίῳ. 95 Pol. VI 9,8–9. Vgl. dazu auch VI 57. Dass Polybios hier beispielsweise το πλῆθος anstelle von ὁ δῆµος setzt, folgt der staatsrechtlichen Konsequenz, dass in den Poleis Landbesitz in der Regel das Privileg der Bürger war, eine Ausweitung des Landbesitzes auf vorherige Nichtbürger also den Kreis der Bürgerschaft (δῆµος) auf Zugehörige der Bevölkerung (πλῆθος) jenseits des bisherigen demos oder Fremde bedeutete, in jedem Fall aber über den rechtlich exklusiven Kreis der Bürger hinaus ging. 96 Für Megalopolis sei dahin gestellt, ob es sich nun um eine stärkere demokratische Tendenz innerhalb einer aristokratisch geprägten demokratia oder um ochlokratische Tendenzen in einer vorab schon ausgeprägten demokratia handelte. 93
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archäologische Befund gegen eine Verkürzung der Stadtmauer,97 sodass als notwendige Verbesserung der städtischen Verteidigungsfähigkeit von den angeführten Maßnahmen einzig die Aufnahme von Neubürgern blieb, die dann mit einer Landenteignung der Besitzenden – zu denen (später) auch Polybios zu zählen ist – einherging98 und so allgemein zu einer politischen Schwächung der Besitzenden gegenüber einer fortan größeren Gruppe von tendenziell ärmeren Bürgern führte. Mit der selektiven Darstellung und der dadurch zu erkennenden Präferenz einer kleineren politischen Spitze von vermögenderen Bürgern, die man in Polybios’ Sinne für seine Heimatstadt durchaus als ‚aristokratisch‘ bezeichnen darf, wird man letztlich seine eigene politische Position verbinden müssen, zumal sie sich an vergleichbaren Zusammenhängen gleichermaßen aufzeigen lässt. Eine Vergrößerung der Bürgerschaft mit der einhergehenden Enteignung und Umverteilung von Land war – so zeigen andere Quellen – nur kurz zuvor in der Nachbarpolis Sparta eine wesentliche Maßnahme des Kleomenes, der im Anschluss an den Reformversuch von Agis IV. mit einer strikt durchgesetzten Neuverteilung von Grund und Boden die Zahl der Vollbürger und damit auch seine militärische Schlagkraft deutlich verstärken konnte.99 Die Reform war mit umfangreichen innenpolitischen Auseinandersetzungen verbunden, ging dabei vor allem zu Lasten der landbesitzenden ‚Aristokratie‘ und schränkte deren gesellschaftspolitischen Einfluss gegenüber dem vergrößerten δῆµος ganz erheblich ein. Im Sinne der polybianischen Verfassungstheorie muss auch dieser Vorgang in Sparta als eine Ochlokratisierung der lokalen politischen Verhältnisse gesehen werden, wenngleich die vergrößerte Bürgerschaft dem ‚Tyrannen‘ Kleomenes unterstand.100 Polybios führt in den erhaltenen Büchern diese Landumverteilung nicht direkt an, schildert jedoch den übergeordneten und noch verwerflicheren innenpolitischen Vorgang: So habe Kleomenes nämlich die väterliche, also lykur-
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Dazu W. LORING, in: E. A. Gardner, W. Loring, G. Ch. Richards, W. J. Woodhouse, Excavations at Megalopolis 1890–1891, London 1892, 114–116. 98 Zu der Einschätzung, dass keine Verkürzung des Stadtmauerverlaufes vorgenommen und man stattdessen Neubürger aufnahm, gelangt auch D. MENDELS, Polybius and the SocioEconomic Revolution in Greece, in: AC 51 (1982), 96f. Zur militärischen Notwendigkeit dieser Neubürgeraufnahme siehe GRIEB, Bürger für die Große Stadt (Anm. 69), 107–126. Eine Aufnahme neuer Bürger scheint auch im frühen 2. Jahrhundert v.Chr. weiterhin vorgenommen worden zu sein, wie Inschriftenfunde aus Megalopolis zum späten 3. und frühen 2. Jahrhundert v.Chr. nahelegen, die u.a. mehrere Dutzend Namen anführen, die bisher für Megalopolis nicht bekannt sind. Publikation durch den Verfasser in Vorbereitung. 99 Plut. Kleomenes 6–11. Vgl. dazu etwa A. FUKS, Agis, Cleomenes and Equality, in: CPh 57 (1962), 161–166; D. MENDELS, Polybius and the Socio-Economic Reforms of Cleomenes III, Reexamined, in: Grazer Beiträge 10 (1981), 95–104; L. THOMMEN, Sparta. Verfassungs- und Sozialgeschichte einer griechischen Polis, Stuttgart 2003, 187–189; K.-W. WELWEI, Sparta. Aufstieg und Niedergang einer antiken Großmacht, Stuttgart 2004, 332f. 100 Vgl. dazu Pol. IV 81,2 wo Polybios berichtet, dass sich die Menge (πολλοί / πλῆθος) zur Zeit des Bundesgenossenkrieges wieder Hoffnung auf Umverteilung von Land machte und dadurch die Gefahr eines Staatsstreiches bestand.
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gische (Misch-)Verfassung in Sparta aufgelöst.101 In seinen theoretischen Darlegungen sieht er die spartanische Verfassung mit ihrem ausgewogenen Verhältnis von monarchischem, aristokratischem und demokratischem Element neben wenigen anderen bekanntlich als beste politeia überhaupt an.102 Wenngleich sich die lykurgische Verfassung in den Augen des Polybios bereits zuvor in einem Niedergang befand, aber eben noch Bestand hatte, setzt er ihre κατάλυσις mit den Maßnahmen des Kleomenes gleich, also letztlich damit, dass eine kleine Gruppe von Großgrundbesitzern, also das aristokratische Element und institutionalisiert in der γερουσία, nach der Reform zugunsten einer Stärkung des monarchischen und des bürgerschaftlichen Verfassungselementes gänzlich marginalisiert war. Polybios’ allgemein ablehnende Haltung gegenüber Kleomenes’ Vorgehen in Sparta lässt vor diesem Hintergrund also ebenfalls den verfassungspolitischen, ‚aristokratischen‘ Standpunkt des Historikers unverkennbar hervortreten.103 Betrachtet man den Vorgang der Landenteignung zugunsten einer breiteren bürgerlichen Mitbestimmung, so ist auch das eingangs bereits angeführte Messene zu nennen. Polybios gibt an, dass dort unter der demokratischen Verfassung angesehene Männer (οἱ τῶν ἀξιολόγων ἀνδρῶν) in die Verbannung gegangen seien und deren Besitz unter den übrigen Messeniern aufgeteilt worden wäre. In seiner Darstellung konnten zudem die in der Polis gebliebenen „alteingesessenen Bürger“ (οἱ µένοντες τῶν ἀρχαίων πολιτῶν) die nunmehr bestehende Gleichberechtigung (ἰσηγορία) von „diesen“, also entweder neuen Bürgern oder einer neuen Bürgerschaft, kaum ertragen.104 Eine seiner seltenen Demokratie-Nennungen steht also ebenfalls im Kontext einer Landumverteilung, die mit der Verbannung von angesehenen Bürgern und deren Enteignung zugunsten einer demokratischen beziehungsweise die demokratia dominierenden Bürgergruppe einhergeht. Auch in 101 Pol. IV 81,14 (πάτριον πολίτευµα); II 70: abermalige Etablierung des πάτριον πολίτευµα nach der Schlacht von Sellasia und dem Ende des Kleomenes in Sparta durch Antigonos. Indirekt ergibt sich eine Landreform des Kleomenes aufgrund der Angabe in IV 81,2 zu Lykurgos in der Zeit des Bundesgenossenkrieges: νοµίσας δ’, εἰ τὴν ὁδὸν τὴν αὐτὴν ἔλθοι Κλεοµένει καὶ τοῖς πολλοῖς ὑποδείξαι τὴν ἐλπίδα τῆς κληρουχίας καὶ τῶν ἀναδασµῶν, ταχέως ἐπακολουθήσειν αὐτῷ τὸ πλῆθος, ὥρµησε πρὸς τὴν πρᾶξιν. συµφρονήσας δὲ περὶ τούτων πρὸς τοὺς φίλους, καὶ λαβὼν κοινωνοὺς τῆς τόλµης εἰς διακοσίους τὸ πλῆθος, ἐγίνετο πρὸς τῷ συντελεῖν τὴν ἐπίνοιαν. 102 Pol. VI 10,1–14; das Urteil zur besten Verfassung in 10,13–14: Ῥωµαῖοι δὲ τὸ µὲν τέλος ταὐτὸ πεποίηνται τῆς ἐν τῇ πατρίδι καταστάσεως, οὐ µὴν διὰ λόγου, διὰ δὲ πολλῶν ἀγώνων καὶ πραγµάτων, ἐξ αὐτῆς ἀεὶ τῆς ἐν ταῖς περιπετείαις ἐπιγνώσεως αἱρούµενοι τὸ βέλτιον, οὕτως ἦλθον ἐπὶ ταὐτὸ µὲν Λυκούργῳ τέλος, κάλλιστον δὲ σύστηµα τῶν καθ’ ἡµᾶς πολιτειῶν. ebenso IV 81,12: Λακεδαιµόνιοι µὲν οὖν, ἀπὸ τῆς Λυκούργου νοµοθεσίας καλλίστῃ χρησάµενοι πολιτείᾳ καὶ µεγίστην ἔχοντες δύναµιν. Vgl. dazu NIPPEL, Mischverfassungstheorie (Anm. 9), 148f. 103 Eine ausführliche Darlegung dieser Landumverteilung durch Kleomenes dürfte Polybios wohl deshalb weitgehend unerwähnt gelassen haben, weil sie allzu offensichtlich mit der nur kurze Zeit später in seiner Heimatstadt diskutierten und oben dargelegten Neubürgeraufnahme steht und beides (erfolgreiche) antiaristokratische Maßnahmen waren. Vgl. dazu GRIEB, Bürger für die Große Stadt (Anm. 69), 120–122. 104 Pol. VII 10,1. Siehe auch D. MENDELS, Messene 215 B.C. An Enigmatic Revolution, in: Historia 29 (1980), 246–250.
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diesem Falle dürften die Leidtragenden letztlich Teil einer überproportional landbesitzenden Bevölkerung gewesen sein. In den drei angeführten Fällen, denen etwa noch die innenpolitischen Auseinandersetzungen im arkadischen Kynaitha hinzuzufügen wären,105 führte die Umverteilung zu einer Nivellierung des Besitzes zugunsten einer größeren Bürgerschaft und zu Ungunsten einer ‚aristokratischen‘ Gruppe. Dass solche gesellschaftspolitischen Veränderungen, die aus militärischen Gründen gerade in hellenistischer Zeit mit ihren zahlreichen auch regionalen zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen sicherlich angebracht und wohl politisch mehrheitlich zu vertreten waren,106 nicht Polybios’ persönlichem Standpunkt entsprachen, macht seine selektive beziehungsweise wertend-tendenziöse Darstellung dieser Zusammenhänge deutlich und spiegelt sich letztlich auch in seinen theoretischen Überlegungen zur Demokratie-Entwicklung in Buch 6 wider.107 Stellt man dem Vorangehenden nun die älteren Verhältnisse der Eleer gegenüber, deren πολιτεία nach Polybios’ Dafürhalten „von alters her und durch kluge Gesetzgebung wohl ersonnen“ war und so bis zu den außenpolitischen Auseinandersetzungen im 4. Jahrhundert v.Chr. gewissermaßen idealtypische politische Zustände aufwies,108 werden daran die politischen Präferenzen des Historikers ebenfalls deutlich ablesbar. Polybios führt dazu aus, dass das vom Frieden begünstigte Elis einerseits dichter besiedelt und reicher an Sklaven und anderen Gütern sei als die übrige Peloponnes. Andererseits habe es gerade solche Bürger (Ἠλεῖοι) hervorgebracht, die sich mit großem Eifer (σπουδή) und Wohlwollen (πρόνοια) auch für die Interessen ihrer Mitbürger insbesondere auf dem Lande eingesetzt hätten, sodass einige von diesen seit zwei oder drei Generationen trotz großen Wohlstandes überhaupt nie zu einer ἁλία, also einer Bürgerversammlung für politische und gerichtliche Entscheidungen, erschienen wären.109 Die älteren 105 Pol. IV 17. Vgl. dazu WELWEI, Demokratie und Masse (Anm. 5), 292–296; D. MENDELS, Polybius and the Socio-Economic Revolution in Greece, in: AC 51 (1982), 88–90. 106 Zu Megalopolis siehe GRIEB, Bürger für die Große Stadt (Anm. 69), 116–124. Zu Sparta etwa Welwei, Demokratie und Masse (Anm. 5), 293f. Legt man Polybios’ Wunsch nach politischer und militärischer Stärke eines Gemeinwesens (II 35) zugrunde, könnten die Maßnahmen in Megalopolis und Sparta freilich auch ins Positive gewendet und die aristokratische Weigerung einer Landumverteilung als militärische Schwächung dargestellt werden. In Messene dürften die von Polybios anscheinend bewusst nur sehr unklar dargestellten Zusammenhänge (s.o.) ähnlich gewesen sein, nämlich eine Enteignung von Großgrundbesitzern zur Vergrößerung der Bürgerschaft und Verbesserung der Verteidigungsfähigkeit. In allen Fällen besitzen diese Maßnahmen ‚demokratisierende‘ Züge, wenngleich in Sparta ein ‚Tyrann‘ über der vergrößerten Bürgergruppe stand. 107 Vgl. etwa Pol. VI 57,9–15. 108 Pol. IV 73–74 zu den Verhältnissen in Elis. Zitat nach 73,9: δοκοῦσι δέ µοι πάντα ταῦτα καὶ διὰ τὸ πλῆθος µὲν τῆς χώρας τὸ παλαιὸν ἐπινοῆσαι καὶ νοµοθετῆσαι. 109 Pol. IV 73,6–8: συµβαίνει γὰρ τὴν τῶν Ἠλείων χώραν διαφερόντως οἰκεῖσθαι καὶ γέµειν σωµάτων καὶ κατασκευῆς παρὰ τὴν ἄλλην Πελοπόννησον. ἔνιοι γὰρ αὐτῶν οὕτως στέργουσι τὸν ἐπὶ τῶν ἀγρῶν βίον ὥστε τινὰς ἐπὶ δύο καὶ τρεῖς γενεάς, ἔχοντας ἱκανὰς οὐσίας, µὴ παραβεβληκέναι τὸ παράπαν εἰς ἁλίαν. τοῦτο δὲ γίνεται διὰ τὸ µεγάλην ποιεῖσθαι σπουδὴν καὶ πρόνοιαν τοὺς πολιτευοµένους τῶν ἐπὶ τῆς χώρας κατοικούντων, ἵνα τό τε δίκαιον αὐτοῖς ἐπὶ τόπου διεξάγηται καὶ τῶν πρὸς βιωτικὰς χρείας µηδὲν
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elischen Verhältnisse zeichneten sich also dadurch aus, dass eine Gruppe von Bürgern sich in besonderem Maße für ihre Mitbürger einsetzte und dadurch eine direkte politische Beteiligung für viele über längere Zeit überflüssig wurde, sich diese vielmehr auf die Vermehrung von Besitz und Wohlstand konzentrieren konnte. Die alltägliche politische Beteiligung war demnach in der Praxis auf einen Kreis der dafür geeigneten Bürger zu begrenzen, mithin also eine Verfassung, bei der die politischen Geschäfte von den aristoi geführt werden, es jedoch den Gesetzen nach für die gesamte Bürgerschaft die Möglichkeit gibt, daran (gleichberechtigt) teilzuhaben, Versammlungen der gesamten Bürgerschaft aber zumeist überflüssig sind. Entsprechend der polybianischen Verfassungstheorie blieb also eine größere Gruppe in der Praxis von der Politik unbehelligt, wodurch auch die Gefahr einer von „Leidenschaft beherrschten Masse“ sowie einer möglichen ochlokratischen Entwicklung erheblich reduziert war.110 In den Historien bietet das ältere Elis gewissermaßen ein Gegenbild zu den angeführten Veränderungen in Megalopolis, Messene und Sparta. In allen Fällen wird mit der politischen Tendenz, mit der die Abschnitte geschildert sind, die politische Position des Polybios innerhalb einer gesellschaftspolitischen Ordnung deutlich: Es geht ihm jeweils um eine starke Stellung einer aristokratisch (freilich nicht oligarchisch) gesinnten Gruppe, die gleichsam das jeweilige Gemeinwohl förderte und eine allzu umfangreiche Beteiligung einer größeren Bürgergruppe (demos) überflüssig machte, ohne deren Beteiligungsmöglichkeit grundsätzlich in Abrede stellen zu müssen. Für die von Polybios in besonderer Weise gerühmte römische politeia hebt er das aristokratische Verfassungselement zweifellos an mehreren Stellen überaus positiv auch jenseits des sechsten Buches hervor. Eine der bemerkenswertesten Stellen dürfte in dieser Hinsicht sein Lob des römischen Senats sein – nach Polybios’ Verfassungstheorie also die versammelte Aristokratie111 –, als sich die Römer nach der Niederlage von Cannae an einem der schwierigsten Momente ihrer Geschichte befanden und nicht nur ihre Herrschaft über die Italiker zu verlieren glaubten, sondern in großer Angst und Gefahr um sich selbst und den Bestand ihrer Stadt waren.112 In dieser Situation ist es gerade der Senat (σύγκλητος), der alles ihm Mögliche unternahm, um das Gemeinwesen zu retten, indem er dem ‚Volk‘ (πολλοί)113 Mut zusprach, alle Maßnahmen zur Sicherung der Stadt traf
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ἐλλείπῃ. Zu Elis vgl. J. ROY, Elis, in: M. H. Hansen, Th. H. Nielsen (Hrgg.), An Inventory of Achaic and Classical Poleis, Oxford 2004, 489–504, besonders 494–498; zur Halia siehe weiterhin SCHULTHESS, Halia (8), in: RE VII 2 (Stuttgart 1912), Sp. 2233–2241. Pol. VI 57; insbesondere 57,6–9. Pol. VI 13. Pol. III 118,5: Ῥώµης αὐτῆς ἔσεσθαι κύριοι· Ῥωµαῖοί γε µὴν τὴν Ἰταλιωτῶν δυναστείαν παραχρῆµα διὰ τὴν ἧτταν ἀπεγνώκεισαν, ἐν µεγάλοις δὲ φόβοις καὶ κινδύνοις ἦσαν περί τε σφῶν αὐτῶν καὶ περὶ τοῦ τῆς πατρίδος ἐδάφους, ὅσον οὔπω προσδοκῶντες ἥξειν αὐτὸν τὸν Ἀννίβαν. Polybios gebraucht hier notwendigerweise einen Begriff, der über den Kreis der römischen Bürger hinausgeht.
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und mit männlicher Entschlossenheit die Beratungen führte.114 Ebendort schildert Polybios, dass die Römer trotz der vorherigen Niederlage und gerade durch die eigentümlichen Vorzüge ihrer Verfassung sowie ihre umsichtigen Gegenmaßnahmen nicht nur die Herrschaft über Italien zurückerlangten und Karthago besiegen konnten, sondern nach kurzer Zeit sogar über die gesamte Oikumene herrschten.115 Einzig und allein die Aristokratie, so darf man dieser Schilderung des Polybios unzweifelhaft entnehmen, besaß nach seinem Dafürhalten also die Fähigkeit, dem römischen Gemeinwesen in dieser desaströsen Situation nicht nur seiseinen Bestand zu sichern, sondern es aufgrund seiner Umsichtigkeit in kurzer Zeit sogar bis zur Herrschaft über die bewohnte Welt zu führen. Jenseits aller Betonung der einzelnen Bestandteile seiner römischen Mischverfassung in Buch 6 und trotz der sich mitunter auch durch persönliche Unfähigkeiten auszeichnenden römischen Imperiumsträger116 konnte Polybios kaum unverhohlener seine Wertschätzung gegenüber der römischen Aristokratie und damit gerade diesem Verfassungselement zum Ausdruck bringen, hebt sie freilich aber auch noch an anderer Stelle hervor. Er betont etwa im Zusammenhang des Ersten Punischen Krieges, dass die aristoi ihre finanziellen Möglichkeiten zur Rettung der Gemeinschaft dann zielgerichtet und überlegt einsetzten, als die öffentlichen Gelder für den Schiffbau nach zahlreichen Verlusten erschöpft waren. Die ‚ersten Männer des Staates‘ (τὴν τῶν προεστώτων ἀνδρῶν) hätten aufgrund ihrer Vaterlandsliebe und Hochherzigkeit entsprechende Gelder zum Flottenbau aufgebracht, mit denen nicht nur ausreichend neue Schiffe gebaut werden konnten, sondern zugleich auch die Karthager in den langen Auseinandersetzungen dieses Krieges entscheidend geschlagen wurden.117 Abermals ist es die römische Aristokratie, deren maßgeblicher Einsatz nach Polybios – und von ihm dementsprechend akzentuiert – zur entscheidenden Wende in der Auseinandersetzung führte. Stellt man dieser polybianischen Wertschätzung seine Charakterisierung der karthagischen Verfassung gegenüber, lässt sich Polybios’ innenpolitische Präferenz in Abgrenzung zu einer breiteren Bürgerbeteiligung ebenso aufzeigen. Die karthagische πολιτεία zur Zeit des Zweiten Punischen Krieges hielt er zwar für etwas schlechter als die römische, da erstere bereits ihre höchste Blüte hinter sich gehabt habe und im Absinken gewesen sei, jedoch stand sie eben noch in der Nähe einer ‚höchsten Blüte‘, die Rom in Polybios’ Augen mittlerweile erreicht hatte. 114 Pol. III 118,7: οὐ µὴν ἥ γε σύγκλητος οὐδὲν ἀπέλειπε τῶν ἐνδεχοµένων, ἀλλὰ παρεκάλει µὲν τοὺς πολλούς, ἠσφαλίζετο δὲ τὰ κατὰ τὴν πόλιν, ἐβουλεύετο δὲ περὶ τῶν ἐνεστώτων ἀνδρωδῶς. 115 Pol. III, 118,9: τῇ τοῦ πολιτεύµατος ἰδιότητι καὶ τῷ βουλεύεσθαι καλῶς οὐ µόνον ἀνεκτήσαντο τὴν τῆς Ἰταλίας δυναστείαν, νικήσαντες µετὰ ταῦτα Καρχηδονίους, ἀλλὰ καὶ τῆς οἰκουµένης ἁπάσης ἐγκρατεῖς ἐγένοντο µετ’ ὀλίγους χρόνους. 116 Vgl. exemplarisch in diesem Zusammenhang den Konsul C. Terentius, der nach Polybios sein Amt zum Verderben des Vaterlandes ausgeführt hatte (III 116,13). 117 Pol. I 59,6: ἦν δὲ τῆς ἐπιβολῆς τὸ πλεῖον ψυχοµαχία. χορηγία µὲν γὰρ οὐχ ὑπῆρχε πρὸς τὴν πρόθεσιν ἐν τοῖς κοινοῖς, οὐ µὴν ἀλλὰ διὰ τὴν τῶν προεστώτων ἀνδρῶν εἰς τὰ κοινὰ φιλοτιµίαν καὶ γενναιότητα προσευρέθη πρὸς τὴν συντέλειαν. Siehe weiterhin I 59–63 zum Ende des Krieges und dem Friedensschluss.
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Er führt dazu aus, dass Karthagos’ Absinken innerhalb der staatlichen Ordnung (πολιτεία / πολίτευµα) daran zu erkennen sei, dass nicht mehr wie früher die Bevölkerung (πλῆθος) nur „die Entscheidung in allen Dingen besaß, die ihr zustanden“,118 sondern die Bürgerschaft (δῆµος) nunmehr einen maßgeblichen Einfluss erlangt hatte und die Mehrheit (πολλοί) innerhalb des Gemeinwesens in politischen Angelegenheiten beschloss. Bei den Römern hingegen habe zu dieser Zeit einzig der Senat (σύγκλητος), also die ἄριστοι, in den wesentlichen Angelegenheiten beraten und beschlossen, wodurch die politischen und kriegerischen Entscheidungen der Römer denen der Karthager allgemein überlegen waren.119 Die geringere Wertschätzung der karthagischen Verfassung resultierte für Polybios demnach aus einer stärkeren Einflussnahme der Bürgerschaft (δῆµος) in den politischen Angelegenheiten zu Ungunsten eines umfangreichen aristokratischen Beratungs- und Entscheidungsmonopols. Seine innenpolitische Präferenz tritt hier abermals deutlich hervor und lässt sich zudem an der Rolle der Bürgerschaft bemessen, in diesem Zusammenhang sogar vor dem Hintergrund seiner staatspolitischen Idealvorstellung. Die Abneigung einer allzu umfangreichen politischen Beteiligung des demos in Abgrenzung zu seiner aristokratischen Wertschätzung bringt Polybios nur wenige Kapitel später in noch schärferer Akzentuierung zum Ausdruck, indem er allgemein urteilt, dass die Schuld für den Niedergang und inneren Verfall von politischen Gemeinwesen bei der jeweiligen Bürgerschaft (δῆµος) zu sehen sei, da diese nicht nach Tugenden urteile, sondern ihre Entscheidungen, allen voran diejenigen im Machtkampf um die politischen Ämter, auf der Grundlage von Habsucht und Schmeicheleien träfe.120 Es ist in dieser Hinsicht bezeichnend, dass Polybios seine idealtypische Darstellung des rhodischen Gemeinwesens, als dieses im Dritten Makedonischen Krieg zunehmend in einen Gegensatz zu Rom geriet, nicht durch ein Fehlverhalten der gesamten Polis zum Schlechteren wenden lässt, sondern die Verantwortung dafür der dortigen Bürgerschaft (δῆµος) anlastet, weil diese sich von Parteigängern des Perseus habe aufwiegeln und von den Römern entfremden lassen, womit die Mehrheit der Bürger-
118 Pol. VI 51,2: καὶ γὰρ βασιλεῖς ἦσαν παρ’ αὐτοῖς, καὶ τὸ γερόντιον εἶχε τὴν ἀριστοκρατικὴν ἐξουσίαν, καὶ τὸ πλῆθος ἦν κύριον τῶν καθηκόντων αὐτῷ· 51,6: διὸ καὶ τὴν πλείστην δύναµιν ἐν τοῖς διαβουλίοις παρὰ µὲν Καρχηδονίοις ὁ δῆµος ἤδη µετειλήφει. – auch hier bleibt Polybios in seiner Charakterisierung „die ihm zustanden“ gänzlich unkonkret. 51,7 dann mit dem Gegensatz von demos und aristoi ὅθεν παρ’ οἷς µὲν τῶν πολλῶν βουλευοµένων (Karthago), παρ’ οἷς δὲ τῶν ἀρίστων (Rom). 119 Pol. VI 51,6–7: διὸ καὶ τὴν πλείστην δύναµιν ἐν τοῖς διαβουλίοις παρὰ µὲν Καρχηδονίοις ὁ δῆµος ἤδη µετειλήφει, παρὰ δὲ Ῥωµαίοις ἀκµὴν εἶχεν ἡ σύγκλητος. ὅθεν παρ’ οἷς µὲν τῶν πολλῶν βουλευοµένων, παρ’ οἷς δὲ τῶν ἀρίστων, κατίσχυε τὰ Ῥωµαίων ιαβούλια περὶ τὰς κοινὰς πράξεις. 120 Pol. VI 57,5: ἔστι δ’, ὡς ἐγᾦµαι, δῆλον. ὅταν γὰρ πολλοὺς καὶ µεγάλους κινδύνους διωσαµένη πολιτεία µετὰ ταῦτα εἰς ὑπεροχὴν καὶ δυναστείαν ἀδήριτον ἀφίκηται, φανερὸν ὡς εἰσοικιζοµένης εἰς αὐτὴν ἐπὶ πολὺ τῆς εὐδαιµονίας συµβαίνει τοὺς µὲν βίους γίνεσθαι πολυτελεστέρους, τοὺς δ’ ἄνδρας φιλονεικοτέρους τοῦ δέοντος περί τε τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς ἄλλας ἐπιβολάς.
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schaft (πολλοί) in ihrer Entschlossenheit ins Wanken geraten sei.121 Innenpolitische Verhältnisse wie in Rom oder dem älteren Karthago, wo die Bevölkerung einzig mit Entscheidungen in den Dingen betraut war, die ihr zustanden,122 waren für Polybios der weitaus wünschenswertere verfassungspolitische Zustand, wenngleich er mit dieser Ausdrucksweise für den Bereich jenseits der Aristokratie freilich völlig unspezifisch bleibt. Und auch seine lobenden Ausführungen zur älteren Verfassung der Eleer schließen daran nahezu nahtlos an, wenn die dortigen politischen Angelegenheiten von einer kleinen, aber anscheinend überaus geeigneten Gruppe von Eleern geführt wurden, die mit Eifer und Wohlwollen die Interessen ihrer Mitbürger vertraten, ohne deren politische Beteiligung notwendig zu machen – ein aus polybianischer Perspektive wohl hervorragendes Beispiel der praktizierten Aristokratie auf ‚demokratischer‘ Grundlage.
POLITEIA, DEMOKRATIA UND WAHRE DEMOKRATIE IN DEN HISTORIEN: EINE BEURTEILUNG Aus dem Vorangehenden ergibt sich für Polybios’ Verfassungsdarstellung und demokratische ‚Ideologie‘ insgesamt ein recht kohärentes Bild. In den Historien werden außerhalb des sechsten Buches diejenigen Gemeinwesen, die konkret als demokratia benannt sind, sowohl in dem entsprechenden Zusammenhang als auch darüber hinaus negativ charakterisiert. Einzige Ausnahme hiervon ist die „wahre Demokratie“ in Polybios eigener politischer Heimat, dem Achaiischen Koinon. Zahlreiche weitere Poleis und Koina, die nach seinen Verfassungskriterien oder auch nur in Analogie zu den genannten Demokratien als solche einzustufen wären, benennt Polybios hinsichtlich ihres Verfassungstyps nicht genauer. Auffällig bleibt hierbei die tendenziöse Darstellung einzelner Gemeinwesen, die jeweils nicht nur an einem oder zwei vereinzelten Belegen festzumachen ist, sondern sich mitunter über mehrere Bücher und zahlreiche Stellen erstreckt. Die von Polybios vorgenommenen Wertungen jenseits der historisch ‚belastbaren‘ Fakten bleiben dabei oberflächlich und lassen kaum ausgewogene, also unterschiedliche Blickwinkel reflektierende Beurteilungen erkennen, zumal innenpolitische Verhältnisse meist nur einseitig dargestellt sind und mögliche alternative, mithin pragmatische Erwägungen innerhalb der Gemeinwesen selbst außer Acht bleiben. Mit einer einfachen argumentativen Umkehrung ließen sich Polybios’ Wertungen insofern 121 Pol. XXVII 7,8: διὸ ταύτης ἐπιλαβόµενοι τῆς ἀφορµῆς οἱ περὶ τὸν Δ∆είνωνα διέσυρον τὴν ἐπιστολήν, φάσκοντες οὐ παρὰ Ῥωµαίων αὐτὴν ἥκειν, ἀλλὰ παρ’ Εὐµένους, θέλοντος αὐτοὺς ἐκείνου κατὰ πάντα τρόπον ἐµβιβάζειν εἰς τὸν πόλεµον καὶ προσάπτειν τῷ δήµῳ δαπάνας καὶ κακοπαθείας οὐκ ἀναγκαίας. 7,11: ἦν γὰρ τὸ προκείµενον αὐτοῖς ἀπὸ µὲν τῆς πρὸς Ῥωµαίους εὐνοίας ἀλλοτριοῦν τὸν δῆµον, εἰς δὲ τὴν τοῦ Περσέως φιλίαν ἐµπλέκειν, καθ’ ὅσον οἷοί τ’ ἦσαν. 7,4: οἱ δὲ περὶ τὸν Δ∆είνωνα καὶ Πολυάρατον δυσαρεστοῦντες µὲν καὶ τοῖς ἤδη γεγονόσι φιλανθρώποις πρὸς Ῥωµαίους, τότε δὲ προθέµενοι τὸ τοῦ βασιλέως Εὐµένους πρόσωπον ἤρξαντο λυµαίνεσθαι τὴν τῶν πολλῶν προαίρεσιν. Vgl. dazu GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 311–316. 122 Pol. VI 51,2.
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auch gänzlich anders auslegen, ohne den historischen Kontext grundsätzlich infrage stellen zu müssen (vgl. Athen). Man mag in dieser Hinsicht beinahe urteilen, dass die oben näher angeführten griechischen Gemeinwesen, sofern sie nicht (temporär) von einem Herrscher abhängig waren oder in einem neutralen ereignisgeschichtlichen Zusammenhang genannt werden, in der polybianischen Interpretation – und gewissermaßen in Theophrast’scher Manier – beispielhaft für einen bestimmten staatlichen Wesenszug stehen und dieser anhand von entsprechenden inneren Verhältnissen aufgezeigt werden soll: So steht Athen für eine leicht zu manipulierende und unstete Bürgerschaft, die Akarnanen für ihr tugendhaftes und vorbildliches Verhalten, die Epeiroten für ihre Eigennützigkeit, die Kreter für ihre inneren Streitigkeiten, die Messenier für eine Unfähigkeit der eigenen Verteidigung oder – in positiver und dem Achaiischen Koinon vergleichbarer Weise – Rhodos für seinen Einsatz um ‚griechische‘ Interessen.123 Ebenso ließe sich dem etwa das Beispiel der Polis Selge hinzufügen, die – nach Polybios – allgemein den Ruf einer freiheitliebenden Stadt besessen habe und deren Bürger im Kampfe kühn, tapfer und verwegen wären.124 Dass Polybios zugleich eine Verwandtschaft der Selger mit den (alten) Spartanern anführt, verwundert dabei kaum.125 Die tendenziösen, an seinen persönlichen Wertmaßstäben orientierten und mitunter wohl auch aus persönlicher Betroffenheit resultierenden Wertungen gehen mit der wenig tiefgründigen Darstellung der Verfassungen einher. Eine differenzierter erörterte innenpolitische Situation hätte – so mag man folgern – die nicht selten deutliche Pauschalität seiner Wertungen für den (zeitgenössischen) Leser nur allzu offensichtlich werden lassen.126 Ähnliches gilt für seinen Umgang mit dem demokratia-Begriff für politische Gemeinwesen. Ein Gebrauch dieses Begriffes sowohl als Teilaspekt der römi123 Vgl. dagegen WIEMER, Rhodische Traditionen (Anm. 46), 255–262, der zu dem Urteil gelangt, dass Polybios in seinen Rhodos betreffenden Passagen von der rhodischen Überlieferung „abhängig“ sei und diese gewissermaßen unverändert widerspiegelt. Er verweist darauf, dass Rhodos in den entsprechenden Abschnitten des Polybios „im Zentrum der Welt“ stehe und weiterhin etwa auf die Glorifizierung des rhodischen Staates und der rhodischen Politik. Die in der vorangehenden Diskussion erreichten Ergebnisse mahnen in dieser Hinsicht zu einer gewissen Zurückhaltung, da eine solche Sichtweise konsequenterweise auch auf die hier beispielhaft angeführten und von Polybios weniger vorbildlich, zugleich aber durchweg ebenso gleichförmig charakterisierten Gemeinwesen zu übertragen wäre – allen voran freilich auf Athen. Dass die rhodische Verfassung sich gerade aus der Perspektive der dortigen lokalen Geschichtsschreibung so nahtlos in die polybianische Verfassungsideologie einfügt, wäre zwar durchaus möglich, erscheint jedoch unwahrscheinlich. Nicht zuletzt würde eine solche Übernahme von Stereotypen die historiographischen Fähigkeiten des Polybios ganz erheblich schmälern, was angesichts der Komplexität des von ihm bewältigten Inhaltes und der zahlreichen Belege seines historiographischen Könnens m.E. gänzlich auszuschließen ist. 124 Pol. V 73,8–9 (kühn, verwegen, tapfer); V 76,11 (freiheitsliebend). Vgl. zu Selge allgemein den Abschnitt V 72–76; dort auch zu den Institutionen und der politischen Praxis innerhalb der Polis; beides entspricht derjenigen gängiger demokratischer Poleis. 125 Pol. V 76,11; zur Freiheitsliebe der Spartaner etwa VI 48,2; 5. 126 Vgl. dazu WALBANK, Akarnanien (Anm. 28), 222, der das von Polybios dargestellte Verhalten kleinerer griechischer Staaten von ihrer Einstellung zu seiner Heimat Achaia beeinflusst sieht.
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schen Verfassung, zur Verfassungscharakterisierung von Koina als auch im allgemeinen Kontext kleinerer Gemeinwesen machte es notwendig, diesen inhaltlich stark zu vereinfachen und insbesondere auf eine Beschlussfassung in den gewissermaßen unverzichtbaren Bereichen wie Entscheidungen zu Krieg und Frieden oder etwa die Beamtenwahl zu beziehen. Jede tiefgreifender dargestellte Analyse der innenpolitischen oder institutionellen Ausprägung einer demokratia hätte den Begriff in der vorliegenden Bandbreite für die Historien letztlich unbrauchbar gemacht, weil damit die grundsätzliche Verschiedenheit von politischer Praxis und politischer Rolle des demos in Poleis, Koina und res publica deutlich hervorgetreten wäre. Polybios geht in dieser Hinsicht insofern konsequent vor, dass er eine demokratia außerhalb von Buch 6 nur selten direkt erwähnt und keine institutionelle Gliederung für die demokratia diskutiert. Er vermeidet damit einerseits eine offensichtliche Nähe zwischen den gänzlich unterschiedlichen politischen Organisationsformen und Strukturen. Andererseits bleiben so auch die Unterschiede einzelner Gemeinwesen, die durch seine wertenden Ausführungen verschiedenartig charakterisiert sind, deutlicher hervorgehoben. Mit einer differenzierten wie auch häufigeren Berücksichtigung dieser Verfassungsform hätte vor allem aber seine Akzentuierung der „wahren Demokratie“ jedwede Prägnanz verloren und den Leser nicht zuletzt vor die Frage gestellt, in welchem Verhältnis denn eine solche „wahre Demokratie“ der Achaier zu einer Polis-demokratia innerhalb des Koinon stünde – seine theoretischen Ausführungen in Buch 6 geben hierauf keine Antwort. All diesen möglichen Kritikpunkten entzieht sich Polybios mit seiner wenig tiefgründigen und stark verallgemeinernden Darstellung sowie seltenen Nennung dieser Verfassungsform. Wenn seine Ausführungen zu den innenpolitischen und staatstheoretischen Zusammenhängen im Rahmen seiner Ereignisgeschichte beim Leser dennoch einen insgesamt überzeugenden ersten Eindruck hinterlassen mögen, liegt dies zu einem wesentlichen Teil an der durchweg konsequent verwendeten staatsrechtlichen Terminologie, die derjenigen entspricht, die auch in den inschriftlichen Dokumenten dieser Zeit für solche Zusammenhänge verwendet wurde, freilich ohne die polybianisch-tendenziöse Überzeichnung. Diese Darstellungsweise bot ihm nicht zuletzt die Möglichkeit, seine eigene verfassungspolitische Präferenz innerhalb des historischen Geschehens immer wieder deutlich zu akzentuieren, sei es, um Missstände in griechischen Gemeinwesen auf antiaristokratische Entwicklungen und Zustände zu beziehen (z.B. eine Kritik am Verhalten eines demos, bei der Neuverteilung von Land u.ä.), sei es, um die Rolle der aristoi hervorzuheben (z.B. Elis). In diesem Sinne werden aristoi und demos in der polybianischen Verfassungsideologie häufig und insbesondere innerhalb der Mischverfassung als entgegengesetzte gesellschaftliche Gruppen dargestellt, während die aristoi in der historischen Realität der zahlreichen (demokratischen) kleineren Gemeinwesen politisch nicht vom demos zu trennen sind, stattdessen sogar integraler Bestandteil von diesem waren127 – die wenigen Ausnahmen hiervon 127 Zu den politischen Gruppen vgl. etwa Pol. II 54–55; 57; 70; III 4; IV 14; 17; 22; 31; 34; 53– 54; 82; V 37; 68; 76; 84; VI 44; XXIV 9,2–6; passim. In der Forschung wird für eine helle-
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bilden freilich die institutionalisierten aristoi in den polybianischen Mischverfassungen. Vor diesem Hintergrund ist die „wahre Demokratie“ in Achaia einzuordnen. Wenngleich der gesamte achaiische δῆµος die Entscheidungskompetenz über Krieg und Frieden besaß und die obersten Beamten wählte, waren innenpolitische Organisation und Strukturen des Koinon durchweg ‚aristokratisch‘ geprägt, mit einer kleinen politischen Führungsschicht einerseits und einer breiten, nur an wenigen Tagen im Jahr auf Bundesebene politisch partizipierenden Bürgerschaft andererseits. Die führenden Politiker mussten sich eine politisch erfolgreiche Tätigkeit zeitlich und aller Wahrscheinlichkeit nach auch finanziell leisten können. Aufgrund der geographischen Distanzen und zerklüfteten Regionen des Bundesgebietes, die gerade das Gegenteil einer ‚typischen‘ Polissituation darstellten, war letztlich die Einbindung einer größeren Bürgergruppe in die alltäglichen politischen Belange und Diskussionen des Bundes ausgeschlossen – ein wesentlicher Gegensatz zu der demokratischen Praxis in den Polisdemokratien jener Zeit. Nach seiner Verfassungstheorie in Buch 6 war damit zugleich die Beteiligung des plethos beziehungsweise demos auf ein solch geringes Maß reduziert, das eine von Leidenschaft geprägte Entscheidungsfindung zumindest erheblich einschränkte und somit wohl auch für Polybios erträglich machte.128 Man darf in seinem Sinne und analog zu seinen karthagischen Ausführungen also durchaus naheliegend urteilen, dass der durchschnittliche achaiische Demosangehörige gerade „mit Entscheidungen in den Dingen betraut war, die ihm zustanden“ (s.o.).
nistische Stadtstaatenwelt häufig das gesellschaftspolitische Modell einer Gliederung in Aristokraten/Elite/Honoratioren auf der einen Seite und der Bürgerschaft (demos) oder der Bevölkerung (plethos/polloi) auf der anderen Seite verwendet, das freilich Polybios’ Verfassungsideologie sehr nahe kommt, nicht aber mit dessen zahlreichen Angaben zu den innenpolitischen Auseinandersetzungen in diesen Gemeinwesen in Übereinstimmung zu bringen ist. Gegen dieses Modell spricht zudem die relative militärische Schwäche der Stadtstaaten innerhalb der hellenistischen Welt und eine damit einhergehende hohe militärische – und dementsprechend politische – Bedeutung der ‚einfachen‘ Bürger, wodurch nicht zuletzt die in der Forschung in anderem Zusammenhange hervorgehobene (politische) „Vitalität“ in zahlreichen hellenistischen Stadtstaaten auch aus einer rein praktischen Notwendigkeit zu erklären ist. Siehe dazu V. GRIEB, Zum Einfluss von militärischen Auseinandersetzungen auf die politische Kultur in hellenistischer Zeit, in: L.-M. Günther, V. Grieb (Hrgg.), Das imperiale Rom und der hellenistische Osten. Festschrift für Jürgen Deininger zum 75. Geburtstag, Stuttgart 2012, 51–67. Vgl. zu den deutlich auf eine Aristokratie beziehungsweise eine ‚Elite‘ bezogenen Gesellschaftsmodellen zuletzt etwa P. SCHOLZ, Die ‚Macht der Wenigen‘ in den hellenistischen Städten, in: H. Beck, P. Scholz, U. Walter (Hrgg.), Die Macht der Wenigen. Aristokratische Herrschaftspraxis, Kommunikation und ‚edler‘ Lebensstil in Antike und Früher Neuzeit, München 2008, 71–101; B. DREYER, G. WEBER, Lokale Eliten griechischer Städte und königliche Herrschaft, in: B. Dreyer, P. F. Mittag (Hrgg.), Lokale Eliten und hellenistische Könige. Zwischen Kooperation und Konfrontation, Berlin 2011, 14–54 (jeweils mit älterer Literatur). Vgl. dagegen bereits Chr. HABICHT, Ist ein „Honoratiorenregime“ das Kennzeichen der Stadt im späteren Hellenismus?, in: M. Wörrle, P. Zanker (Hrgg.), Stadtbild und Bürgerbild im Hellenismus, München 1995, 87–92. 128 Pol. VI 57,8.
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Seiner politischen Struktur und Praxis entsprechend stand folglich die „wahre Demokratie“ des Achaiischen Koinon der aristokratischen res publica ungleich näher als den weit verbreiteten Polisdemokratien dieser Zeit. Polybios entfremdet mit seiner „wahren Demokratie“ also den Demokratie-Begriff zugunsten eines unverkennbar ‚aristokratischen‘ Verständnisses und vertritt gewissermaßen eine ‚Aristokratie im (pseudo-)demokratischen Festgewand‘.129 Im Gegensatz zum dauerhaft institutionalisierten und von der Bürgerschaft deutlich unabhängigeren römischen Senat war eine ‚Aristokratie‘ in Achaia allerdings nicht längerfristig ‚etabliert‘ und daher von der Bürgerschaft keineswegs klar zu trennen: Eine Zugehörigkeit zur achaiischen ‚Aristokratie‘ bedurfte innerhalb des institutionellen Bundesgefüges immer noch einer regelmäßigen, also jährlich wiederholten ‚Zustimmung‘ durch den (jeweiligen) demos, auf dessen Akzeptanz überhaupt der Bestand des Bundes beruhte. Eine Abkehr vom demokratia-Begriff für die politeia des Koinon dürfte aus dieser Perspektive und vor dem Hintergrund seiner römischen Mischverfassungstheorie für Polybios kaum möglich gewesen sein. Dennoch kamen die Veränderungen seiner Zeit Polybios’ Sichtweise entgegen. Seine selektive und deutlich an einer schwachen politischen Position des demos orientierte Darstellung und Ideologie entsprach nach 168 v.Chr. mehr und mehr der innenpolitischen Situation, die sich in vielen griechischen Gemeinwesen mit der steigenden römischen Dominanz im Osten ergab. Maßnahmen wie gegen Rhodos (nach 168 v.Chr.) und Achaia (nach 168 sowie 147/6 v.Chr.) hatten für viele Gemeinwesen eine Signalwirkung und ließen tendenziell prorömisch agierende Personen und Gruppen einen maßgeblichen politischen Einfluss erlangen.130 In den Polisdemokratien führte dies zu einem gewissen außenpolitischen Bedeutungsverlust der ekklesia, womit dann freilich auch die Gefahr einer nach Leidenschaft entscheidenden Masse mit ihren – nach Polybios – möglichen ochlokratischen Auswüchsen grundsätzlich geringer wurde und sich das politische Geschäft zwar nicht pauschal, aber doch deutlicher in den Händen einer kleineren Bürgergruppe konzentrierte.131 Athen stellt hiervon zunächst eine Ausnahme dar und erleidet diese Veränderungen erst ab dem späten 2. Jahrhundert v.Chr., also nach dem Tod des Historikers, dann allerdings mit aller Heftigkeit.132 Wenngleich also das Ergebnis der römischen Herrschaftsausdehnung nicht Polybios’ persönlichen griechischen Vorstellungen entsprochen haben mag, bot die veränderte historische Situation nach 168 v.Chr. für seine verfassungspolitischen Vorstellungen hervor129 Charakterisierung in Anlehnung an J. BLEICKEN, Die athenische Demokratie, Paderborn 2 1994, 410; vgl. dazu GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 14. Eine ‚Demokratie‘ in Rom wäre entsprechend dem hier Dargelegten zuallererst diejenige des polybianischen Demokratieverständnisses, nicht aber die der zahlreichen griechisch-hellenistischen Stadtstaaten. Vgl. zur Diskussion einer ‚Demokratie‘ in Rom, die für das hier Dargelegte unberücksichtigt bleiben kann, die Beiträge in M. JEHNE (Hrg.), Demokratie in Rom? Die Rolle des Volkes in der römischen Republik, Stuttgart 1995. 130 GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), 124–138; 193–198; 256–261; 334–353; 361– 364. 131 ebenda. 132 ebenda 133–138.
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ragende Ausbreitungsbedingungen und ‚bestätigte‘ seine zahlreichen diesbezüglichen Ausführungen in den Historien gewissermaßen für die Zukunft. Aus den angeführten Passagen zur demokratia und zu demokratischen Gemeinwesen sollte hinreichend deutlich geworden sein, dass Polybios sein DemokratieVerständnis an persönlichen Vorstellungen und Präferenzen orientierte und seine Ausführungen diesbezüglich einer mitunter stark wertenden Tendenz unterliegen. Ein analytisches Vorgehen, das umfangreicher und detaillierter auch die jeweiligen lokalen politischen und institutionellen Ausprägungen berücksichtigt, ist für diese Verfassung bei Polybios nicht zu erkennen. Ein mögliches Erkenntnisstreben über Charakter und unterschiedliche Ausprägungen der demokratia in der von ihm behandelten Zeit tritt bei Polybios gänzlich hinter eine politisch-ideologische Darstellung zurück, sodass durchaus gerechtfertigt von einer DemokratieIdeologie gesprochen werden kann, die er in seinem Werk verfolgt – und der viele bis in die jüngste Zeit gefolgt sind. Eine Parteilichkeit, die Polybios mitunter anderen Geschichtsschreibern vorhält,133 muss dem Historiker hinsichtlich der nahezu vollständig ausgeblendeten demokratia von kleineren griechischen Gemeinwesen sowie deren tendenziöser Darstellung zweifellos selbst vorgeworfen werden. Seine verfassungspolitischen Einschätzungen – und damit auch den in den Historien durchscheinenden Gegensatz von aristoi und demos – daher allgemein auf demokratische Gemeinwesen der hellenistischen Zeit zu übertragen, wäre historisch irreführend und entspräche im Einzelfall nicht den innenpolitischen Verhältnissen. Die deutlich aristokratische Perspektive eines Einzelnen mit einem diesbezüglich offensichtlich nur geringen historiographischen Neutralitätsbestreben steht somit den zahlreichen epigraphisch überlieferten Dekreten demokratischer Gemeinwesen gegenüber, in denen diese ihre gemeinschaftlich getragene und mehrheitlich beschlossene politische Position dokumentierten und umfangreich auch über die politisch-institutionellen Zusammenhänge Rechenschaft ablegten.134 Mit seiner Verfassungsdarstellung der Poleis und Koina tritt uns Polybios letztlich also weniger als Historiker gegenüber, sondern vielmehr als ein zeitgenössischer Politiker, der die Vorzüge seiner idealen politeia mit passenden Beispielen propagiert und missliebige Positionen häufig in wenig differenzierter
133 Vgl. etwa Pol. III 21,10. 134 Vgl. dazu die zahlreichen Beispiele in CARLSSON, Hellenistic Democracies (Anm. 7), passim; GRIEB, Hellenistische Demokratie (Anm. 7), passim. In der älteren Forschung wurde dies beispielsweise für Priene in einer später kaum beachteten Untersuchung bereits im frühen 20. Jahrhundert vorbildlich herausgearbeitet von A. ASBOECK, Das Staatswesen von Priene in hellenistischer Zeit, München 1913; vgl. weiterhin etwa für Kos S. SHERWIN-WHITE, Ancient Cos. An Historical Study from the Dorian Settlement to the Imperial Period, Göttingen 1978, sowie zu Iasos die jüngsten Untersuchungen von R. Fabiani. Vgl. zudem das oben angeführte Beispiel Rhodos, insbesondere um 168 v.Chr., für das Polybios selbst mit seinen zahlreichen indirekten Hinweisen und Angaben zu politischer Kompetenzverteilung und verfassungspolitischer Gliederung des dortigen Gemeinwesens die Hauptquelle ist und das Bild der epigraphischen Überlieferung – auch in Analogie zu anderen demokratischen Poleis – gänzlich bestätigt.
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Form offen kritisiert, ohne dabei freilich die Grenzen einer ‚wahrheitsgetreuen‘ Darstellung zu übertreten135 – mit anderen Worten: eine historisch und historiographisch nur bedingt überzeugende aristokratische Konstruktion innenpolitischer Verfassungsverhältnisse. Für seine politische Position kam ihm freilich der außenpolitische Wandel mit den Zäsuren von 168 und 146 v.Chr. und den allmählich einhergehenden gesellschaftspolitischen Änderungen entgegen, allerdings standen diese um die Mitte des Jahrhunderts erst am Anfang und waren keineswegs gefestigt, wie die späteren Ereignisse zur Zeit des Mithradates zeigen sollten.136 Seine politische Ideologie konnte Polybios nach seiner Rückkehr aus dem römischen Exil unter den veränderten Bedingungen jedenfalls noch über mehr als zwei Jahrzehnte in seiner Heimatstadt Megalopolis sowie auf der Peloponnes als einflussreiche Person des öffentlichen Lebens vor demos und plethos vertreten.137 Sieht man von den ideologischen Überzeichnungen des Polybios ab, bleiben die Historien für die Verfassungsinterpretation der kleineren hellenistischen Gemeinwesen dennoch eine Quelle ersten Ranges, da sie an vielen Stellen und häufig beiläufig oder auch nur indirekt institutionelle und politisch-strukturelle Verfassungszusammenhänge anführen, die vor dem Hintergrund der umfangreichen epigraphischen Überlieferung zahlreiche historische Einblicke in die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge dieser Zeit bieten – aber eben nur dann.
135 Vgl. in dieser Hinsicht auch Polybios’ Auseinandersetzung mit der ihm nicht genehmen Meinung des Phylarchos, die K. MEISTER, Historische Kritik bei Polybios, Wiesbaden 1975, 93– 108, besonders 104–106, trefflich dargelegt hat. Zu Phylarchos und Polybios jetzt auch G. SCHEPENS, Polybius on Phylarchus’ ‘Tragic’ Historiography, in: ders, J. Bollansée (Hrgg.), The Shadow of Polybius. Intertextuality as a Resaearch Tool in Greek Historiography, Leuven u.a. 2005, 141–164. Zu dem eher praktischen Politiker als politischem Theoretiker ‚Polybios’ siehe T. A. SINCLAIR, A History of Greek Political Thought, London 21967, 269–275. Zu den Demagogen und zur demagogischen Politik in den Historien siehe ECKSTEIN, Moral Vision (Anm. 90), 129–140; C. B. CHAMPION, Polybian Demagogues in Political Context, in: HSCPh 102 (2004), 199–212. Vgl. zu einem möglichen intellektuellen philosophischen Hintergrund des Polybios besonders den Beitrag von P. Scholz im vorliegenden Band. 136 Es ist bemerkenswert, dass der sich in der Forschung mittlerweile deutlich abzeichnende und mit Roms Herrschaftsausdehnung nach Osten einhergehende Wandel in der griechischen Poliswelt des 2. Jahrhunderts v.Chr. bisher keinen erkennbaren Einfluss auf eine Kritik an Polybios’ Verfassungstheorie und Verfassungsideologie in der Forschung gehabt hat. 137 Siehe dazu oben die unter Anm. 8 genannte Literatur.
INNERGRIECHISCHE DIPLOMATIE UND ZWISCHENSTAATLICHE BEZIEHUNGEN IN DEN HISTORIEN DES POLYBIOS Linda-Marie Günther, Bochum
Wer sich mit der Ereignisgeschichte in hellenistischer Zeit von der Mitte des 3. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts beschäftigt, mit Krisen, Konflikten, mit den Zuständen, die man als Friedenszeiten bezeichnet, schöpft zumeist und im Wesentlichen aus Polybios.1 Diplomatie spielt sich, damals wie heute, häufig zwischen offenen Konflikten und unter dem Druck von Krisen beziehungsweise drohenden Kriegen ab. Daher sind m.E. die ‚zwischenstaatlichen Beziehungen‘ Hintergrund und Voraussetzung der diplomatischen Aktionen, so dass bei der Betrachtung der Geschichtsschreibung des Polybios danach zu fragen ist, wie dort deren Form und Inhalt dargestellt ist, vor allem aber, wie es dabei um die Glaubwürdigkeit des Autors steht.2 In diesem Sinne sollen aus den ersten sechszehn Büchern einzelne Episoden exemplarisch ausgewertet werden, mithin Ereignisse, die Polybios nicht selbst erlebt hat. Seinen Darstellungen mag neben Werken der älteren Geschichtsschreibung (von Fabius Pictor oder Arat beispielsweise) an vielen Stellen oral tradition zugrunde liegen, vermittelt etwa durch seinen politisch aktiven Vater Lykortas. Gerade weil eigenes Erleben des Autors hier nicht direkt Verwendung finden konnte, sondern sich nur indirekt niederschlägt, werden in der Berichterstattung seine Vorstellungen einer gleichsam ‚internationalen Moralität‘ besonders deutlich. In diesem Sinne soll aufgezeigt werden, wie der Historiograph seine Maßstäbe durch Selektion und Bewertung in seine Darstellung eingebracht hat. Da die Apologie der römischen Expansion in den griechisch-hellenistischen Osten als zumindest ein nicht zu unterschätzendes Darstellungsziel des Historikers im folgenden außer Betracht bleiben soll, gehören die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Rom und griechischen Partnern respektive Gegnern nicht zu den auszuwertenden Beispielen. Eine Ausnahme stellt indes die hier einleitend vorzustellende Textpassage dar, die als Skizze einer konkreten historischen Situa-
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Im Folgenden wird Polybios nach der Teubner-Edition von Th. Büttner-Wobst, Leipzig 1889–19051–2 (ND 1962) zitiert, die deutsche Übersetzung nach derjenigen von H. DREXLER, Polybios. Geschichte, Gesamtausgabe in zwei Bänden, Zürich und Stuttgart 1961–1963. Zu diesem vieldiskutierten Problem vgl. M. ZAHRNT, Anpassung – Widerstand – Integration: Polybios und die römische Politik, in: N. Ehrhardt, L.-M. Günther (Hrgg.), Widerstand – Anpassung – Integration. Die griechische Staatenwelt und Rom. Festschrift für J. Deininger zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2002, 77–102, mit älterer Literatur.
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tion einen Einblick in Polybios’ spezifische Arbeitsweise im Dienst jenes Darstellungsziels erlaubt. Bei der Beschreibung des Weges in den Ersten Illyrischen Krieg hat Polybios, wie kürzlich Michael Zahrnt herausgestellt hat, die Hauptschuld der Illyrerkönigin Teuta, einer unbeherrschten Frau und Barbarin, angelastet.3 Dies sei darauf zurückzuführen, dass er die Darstellung des Fabius Pictor verwende und es – wie der Römer – als intendierte und erbrachte Leistung der Sieger dargestellt habe, dass die Griechen vor einer Ausweitung illyrischer Piraterie und Expansion bewahrt blieben; dies sei aber faktisch unzutreffend gewesen.4 Dagegen habe sich in Appians Illyriké eine möglicherweise am Werk Phylarchs orientierte, sachgerechtere Überlieferung erhalten, nach der Rom gezielt in die ‚inneren Angelegenheiten‘ des unter Agron erstarkten Illyrerreiches eingegriffen habe; dies sei im kritischen Moment von Agrons Tod unter Ausnutzung der nicht allgemein akzeptierten Nachfolge Teutas geschehen.5 Somit sei das Interesse Roms bei diesem Krieg die präventive Demontage eines Machtfaktors gewesen, der sich in der östlichen Adria bedrohlich formierte.6 Diese Darstellung Phylarchs habe Polybios aber bewusst nicht verwendet, sondern die Umgestaltung und Interpretation des römischen Historikers vorgezogen, um wie jener die Aktion als euergetische Maßnahme zugunsten der Hellenen und ihres Schutzes gegen die illyrischen Barbaren zu präsentieren.7 Für den schnellen römischen Sieg spielte nach Polybios die deditio von Kerkyra eine bedeutsame Rolle, die – einhergehend mit dem Verrat des illyrischen Besatzungskommandanten Demetrios von Pharos – so dargestellt ist, als hätten die Kerkyräer in diesem Schritt „ihre einzige Sicherung gegen zukünftige Gewalttaten der Illyrer“ gesehen.8 Zuvor hatten sie noch – gemeinsam mit den Apolloniaten und Epidamniern – auf die Ätoler und Achäer gesetzt, doch hatten sich ihre Hoffnungen als vergeblich erwiesen, als die zehn achäischen Schiffe bei einer Seeschlacht besiegt wurden und unter Verlust der halben Flotte „auf ihre Schnelligkeit vertrauend und vom Winde begünstigt, unversehrt in die Heimat“ zurückkehrten, während gerade zu jener Zeit Cn. Fulvius mit 200 Schiffen gegen 3
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M. ZAHRNT, Die Überlieferung über den Ersten Illyrischen Krieg, in: Hermes 136 (2008), 395–398; zu Teuta siehe N. EHRHARDT, Teuta. Eine ‚barbarische‘ Königin bei Polybios und in der späteren Überlieferung, in: C. Ulf, R. Rollinger (Hrgg.), Geschlechter – Frauen – Fremde Ethnien in antiker Ethnographie, Theorie und Realität, Innsbruck u.a. 2002, 239–250. ZAHRNT, Erster Illyrischer Krieg (Anm. 3), 399f. ZAHRNT, Erster Illyrischer Krieg (Anm. 3), 403–407. ZAHRNT, Erster Illyrischer Krieg (Anm. 3), 409. ZAHRNT, Erster Illyrischer Krieg (Anm. 3), 413f. Pol. II 11,5: οἱ δὲ Κερκυραῖοι τὴν παρουσίαν τῶν Ῥωμαίων ἀσμένως ἰδόντες, τήν τε φρουρὰν παρέδοσαν τῶν Ἰλλυριῶν μετὰ τῆς τοῦ Δημητρίου γνώμης, αὐτοί τε σφᾶς ὁμοθυμαδὸν ἔδωκαν παρακληθέντες εἰς τὴν τῶν Ῥωμαίων πίστιν, μίαν ταύτην ὑπολα βόντες ἀσφάλειαν αὑτοῖς ὑπάρχειν εἰς τὸν μέλλοντα χρόνον πρὸς τὴν Ἰλλυριῶν παρα νομίαν. F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius Bd. I, Oxford 1957, 162 kommentiert, dass die hier den Kerkyräern zugeschriebene Perspektive, Rom sei ihre einzige Zuflucht, Teil der römischen Propaganda gewesen sei („part of the Roman propagandist version of events“).
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Illyrien aufbrach.9 Es liegt auf der Hand, dass die militärische Stärke Roms der Grund für das Vertrauen der Kerkyräer und anderen Griechen in die Gewährleistung ihrer Sicherheit war. Anders gesagt: Es war das militärische Versagen der hellenischen Verbündeten, das die deditio alternativlos erscheinen ließ. Das geniale Gespür der Römer für die Sicherheitsbedürfnisse ihrer neuen Freunde an der adriatischen Ostküste kam darin zum Ausdruck, dass Postumius nach Kriegsende Gesandtschaften zu den Ätolern und den Achäern schickte, die dort die römischen Kriegmotive und -erfolge darlegen und den mit den Illyrern geschlossenen Vertrag verlesen sollten; dies kommentiert Polybios mit der Einschätzung: „(...) sie hatten tatsächlich die Griechen durch den Vertrag von großer Furcht befreit, denn die Illyrer waren damals Feinde nicht von einigen, sondern von allen insgemein (...)“10 Hier klingt das ‚Leitmotiv‘ der κοινοὶ εὐεργέται an, das indirekt im letzten Satz des Kapitels insofern aufgenommen wird, als Polybios weitere römische Gesandtschaften nach Korinth und Athen erwähnt sowie die Zulassung der Römer zu den Isthmien.11 Damit hatten die Römer einen ersten Schritt dahin getan, nicht mehr als ‚Barbaren‘ und damit als notorische Gegner der Hellenen zu gelten, als ‚allgemeine Übeltäter‘ der Griechen. Die panhellenische Propaganda jener Zeit positionierte sich einerseits gegen Barbaren wie beispielsweise die Kelten und die kleinasiatischen Galater, andererseits gegen ‚Despoten‘ wie Philipp V. oder auch Antiochos III.12 Für seine Darstellung der Ereignisse zwischen ca. 230 und 220 wechselt Polybios mehrfach zwischen dem illyrischen und dem iberischen Schauplatz und bereitet so dramaturgisch die kommende symploké vor, die seiner Ansicht nach welthistorisch entscheidende direkte Verflechtung der römisch-karthagischen mit den griechisch-makedonischen Zeitläuften. Dabei flicht er im Kontext der Kontakte Roms mit Hasdrubal und Hannibal folgende Maxime ein:13 9 Pol. II 9–10. 10 Pol. II 12,4–6: ὧν συντελεσθέντων ὁ Ποστόμιος μετὰ ταῦτα πρεσβευτὰς ἐξαπέστειλε πρός τε τοὺς Αἰτωλοὺς καὶ τὸ τῶν Ἀχαιῶν ἔθνος οἳ καὶ παραγενόμενοι πρῶτον μὲν ἀπελο γίσαντο τὰς αἰτίας τοῦ πολέμου καὶ τῆς διαβάσεως, ἑξῆς δὲ τούτοις τὰ πεπραγμένα διεξῆλθον καὶ τὰς συνθήκας παρανέγνωσαν, ἃς ἐπεποίηντο πρὸς τοὺς Ἰλλυριούς. τυχόν τες δὲ παρ’ ἑκατέρου τῶν ἐθνῶν τῆς καθηκούσης φιλανθρωπίας αὖθις ἀπέπλευσαν εἰς τὴν Κέρκυραν, ἱκανοῦ τινος ἀπολελυκότες φόβου τοὺς Ἕλληνας διὰ τὰς προειρημένας συνθήκας. οὐ γὰρ τισίν, ἀλλὰ πᾶσι τότε κοινοὺς ἐχθροὺς εἶναι συνέβαινε τοὺς Ἰλλυ ριούς. WALBANK, Commentary I (Anm. 8), 166 betont, dass die Gesandtschaften eher Höflichkeitsadressen als antimakedonische Demonstrationen gewesen seien. 11 Pol. II 12,8. 12 Vgl. C. WEHRLI, Sur la formule Ῥωμαῖοι οἱ κοινοὶ εὐεργέται πάντων (“Les Romains, communs bienfaiteurs de tous”) dans les inscriptions grecques de l’époque républicaine, in: Studi Q. Cataudella, Catania 1972, IV 237–253 (= Siculorum Gymnasium 31 [1978], 479– 496). 13 Pol. III 12,5–6: διὸ καὶ τοὺς ἐπὶ πραγμάτων ταττομένους χρὴ τῶν τοιούτων οὐδενὸς μᾶλλον φροντίζειν ὡς τοῦ μὴ λανθάνειν τὰς προαιρέσεις τῶν διαλυομένων τὰς ἔχθρας ἢ συντιθεμένων τὰς φιλίας, πότε τοῖς καιροῖς εἴκοντες καὶ πότε ταῖς ψυχαῖς ἡττώμενοι ποιοῦνται τὰς συνθήκας, ἵνα τοὺς μὲν ἐφέδρους νομίζοντες εἶναι τῶν καιρῶν ἀεὶ
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Linda-Marie Günther „(...) Staatsmänner [sc. müssen] auf nichts so sorgfältig achten wie darauf, daß sie sich nicht über die Gesinnung derer täuschen, die Freundschaft schließen (...), damit sie vor denen, die nur auf eine günstige Gelegenheit lauern, auf der Hut sind, den anderen dagegen als treuen Untertanen oder Freunden vertrauen und ohne Rückhalt ihre Dienste, wenn sie deren bedürfen, in Anspruch nehmen.“
Dies korrespondiert mit einer zweiten Einlassung:14 „(...) Denn das Fähnlein nach dem Winde drehend und sich klug verstellend pflegen alle so zu reden und zu handeln, daß ihre Gesinnung schwer zu durchschauen ist und die Wahrheit in vielen Fällen völlig in Dunkeln bleibt.“ Hier ist der Kontext zum einen der Abschluss seiner historischen Skizze der römisch-karthagischen Beziehungen, zum anderen seine Darlegung der Bedeutung historischer Kenntnisse für die aktuelle Politik, also der Kern der ‚pragmatischen‘ Geschichtsschreibung:15 „(...) Denn wie könnte jemand, sei es Helfer und Bundesgenossen finden, wenn ihm selbst oder seinem Vaterland Unrecht geschieht, sei es andere zum Beistand bei seinen Unternehmungen bewegen, wenn er Eroberungen zu machen und einen Angriffskrieg zu beginnen wünscht; oder wie kann jemand, der mit der Lage der Dinge zufrieden ist, andere mit überzeugenden Gründen dazu bringen, ihn in diesem Bestreben zu unterstützen und den status quo sichern zu helfen, wenn er die ältere Geschichte der einzelnen Staaten nicht kennt? (...) Die Handlungen der Vergangenheit (...), für die die Tatsachen der beste Prüfstein sind, zeigen wahrheitsgetreu die Absichten und Gedanken eines jeden und lehren, bei wem man auf Dank, Wohltat und Hilfe rechnen kann, von wem man das Gegenteil zu erwarten hat (...) und dies bedeutet eine große Hilfe für das menschliche Leben sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich (...).“
In der Textpassage fallen erstens die Selbstverständlichkeit einer Erwiderungsethik beziehungsweise Vergeltungsmoral auf,16 zweitens die Parallelisierung von privatem und öffentlichem Verhalten,17 die gerade dort begegnet, wo Polybios über die zwischenstaatlichen Beziehungen der Achäer und diejenigen der Ätoler handelt. Die enge Verknüpfung von Privatmann und Staatsmann ist ein Charakteristikum der diplomatischen Tätigkeit, der Herstellung und Pflege zwischenstaat-
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φυλάττωνται, τοῖς δὲ πιστεύοντες ὡς ὑπηκόοις ἢ φίλοις ἀληθινοῖς πᾶν τὸ παραπῖπτον ἐξ ἑτοίμου παραγγέλλωσιν. Pol. III 31,7 (vgl. u. Anm.14). Pol. III 31,5–8: πῶς γὰρ ἂν εἴτ’ αὐτὸς ἀδικούμενός τις ἢ τῆς πατρίδος ἀδικουμένης βοηθοὺς εὕροι καὶ συμμάχους, εἴτε κτήσασθαί τι καὶ προκατάρξασθαι σπουδάζων τοὺς συνεργήσοντας αὐτῷ παρορμήσαι πρὸς τὰς ἐπιβολάς; πῶς δ’ ἂν εὐδοκούμενος τοῖς ὑποκειμένοις τοὺς βεβαιώσοντας τὴν αὐτοῦ προαίρεσιν καὶ διαφυλάξοντας τὴν κατά στασιν παροξύναι δικαίως, εἰ μηδὲν εἰδείη τῆς τῶν προγεγονότων περὶ ἑκάστους ὑπομνήσεως; πρὸς μὲν γὰρ τὸ παρὸν ἀεί πως ἁρμοζόμενοι καὶ συνυποκρινόμενοι τοιαῦτα καὶ λέγουσι καὶ πράττουσι πάντες ὥστε δυσθεώρητον εἶναι τὴν ἑκάστου προαίρεσιν καὶ λίαν ἐν πολλοῖς ἐπισκοτεῖσθαι τὴν ἀλήθειαν. τὰ δὲ παρεληλυθότα τῶν ἔργων, ἐξ αὐτῶν τῶν πραγμάτων λαμβάνοντα τὴν δοκιμασίαν, ἀληθινῶς ἐμφαίνει τὰς ἑκάστων αἱρέσεις καὶ διαλήψεις καὶ δηλοῖ παρ’ οἷς μὲν χάριν, εὐεργεσίαν, βοήθειαν ἡμῖν ὑπάρχουσαν, παρ’ οἷς δὲ τἀναντία τούτων. Vgl. dazu H.-J. GEHRKE, Die Griechen und die Rache. Ein Versuch in historischer Psychologie, in: Saeculum 38 (1987), 121–149. Vgl. zu weiteren Parallelisierungen zwischen privatem und öffentlichem Verhalten: Pol. IV 27; 29; 30.
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licher Beziehungen, denn es sind überall Individuen, die als Repräsentanten ihrer Polis oder ihres Hofes mit entsprechenden Individuen als ihren Gesprächspartnern konfrontiert sind. Von daher verstehen sich wohl auch die Einlassungen, dass jedes Bündnis mit einer Demokratie wegen der Unberechenbarkeit der Masse großer Vorsicht bedürfe,18 sowie die Einlassungen zur Rolle der πίστις im internationalen Verkehr:19 „Daher muß man die, die sich unbedacht dem Gegner in die Hände liefern, tadeln, keinen Vorwurf aber darf man gegen die erheben, die alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen getroffen haben. Denn niemandem zu vertrauen ist praktisch undurchführbar, sich dagegen alle nur möglichen Garantien geben zu lassen und demgemäß zu handeln, ist nicht zu beanstanden. Solche Garantien sind (...) vor allem (...) die bisherige Lebensführung des Betreffenden. Wenn man dann doch getäuscht wird und auf die List hereinfällt, dann trifft der Vorwurf nicht den Betrogenen, sondern den Betrüger. Deshalb muß man darauf sehen, solche Sicherheiten zu erhalten, durch die der, dem man Vertrauen schenkt, außerstand gesetzt wird, das Vertrauen zu enttäuschen (...).“
Es folgen einige Beispiele diplomatischer Aktionen beziehungsweise zwischenstaatlicher Beziehungen sowohl für die Politik des Achäerbundes als auch für das ‚networking‘ der Monarchen, die Polybios als grundsätzlich unzuverlässig charakterisiert:20 „(...) die Könige [betrachten] niemanden an sich als Freund oder als Feind, sondern (wägen) nach dem Maß des Nutzens ihre Freundschaften und Feindschaften [ab] (...).“ Polybios hat als erklärter Verehrer des älteren Arat den Machtzuwachs des Achäischen Koinon vor allem als Leistung dieses Mannes geschildert, so dass auch zu diesem Themenkomplex eine sachgerechtere Darstellung der Ereignisse eher in Plutarchs Biographien Kleomenes und Arat bewahrt sein dürfte, sowohl nach Phylarchs Geschichte wie nach Arats Memoiren.21 Polybios dagegen scheint die Verantwortung Arats für die große ‚Krise‘ geschickt verschleiert zu haben, und zwar vor allem bei der ‚Zerreißprobe‘ des Bundes beim Abfall zahlreicher
18 Pol. X 25,6: Πᾶσαν γὰρ δημοκρατικὴν συμμαχίαν καὶ φιλίας πολλῆς δεῖσθαι διὰ τὰς ἐν τοῖς πλήθεσι γινομένας ἀλογίας. Zur Diskussion über dieses Fragment vgl. F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius Bd. II, Oxford 1967, 230. 19 Pol. VIII 36,1–5: Διὸ καὶ τοῖς μὲν ἀσκέπτως ἑαυτοὺς ἐγχειρίζουσι τοῖς ὑπεναντίοις ἐπιτιμητέον, τοῖς δὲ τὴν ἐνδεχομένην πρόνοιαν ποιουμένοις οὐκ ἐγκλητέον τὸ μὲν γὰρ μηδενὶ πιστεύειν εἰς τέλος ἄπρακτον, τὸ δὲ λαβόντα τὰς ἐνδεχομένας πίστεις πράττειν τὸ κατὰ λόγον ἀνεπιτίμητον. εἰσὶ δ’ ἐνδεχόμεναι πίστεις ὅρκοι, τέκνα, γυναῖκες, τὸ μέγιστον ὁ προγεγονὼς βίος. ᾗ καὶ τὸ διὰ τῶν τοιούτων ἀλογηθῆναι καὶ περιπεσεῖν οὐ τῶν πασχόντων, ἀλλὰ τῶν πραξάντων ἐστὶν ἔγκλημα. διὸ καὶ μάλιστα μὲν τοιαύτας ζητεῖν πίστεις (δεῖ), δι’ ὧν ὁ πιστευθεὶς οὐ δυνήσεται τὴν πίστιν ἀθετεῖν. 20 Pol. II 47,5: [...] τοὺς δὲ βασιλεῖς σαφῶς εἰδὼς φύσει μὲν οὐδένα νομίζοντας οὔτε (συνε)ργὸν οὔτε πολέμιον, ταῖς δὲ τοῦ συμφέροντος ψήφοις αἰεὶ μετροῦντας τὰς ἔχθρας καὶ τὰς φιλίας [...]. 21 Vgl. R. URBAN, Wachstum und Krise des Achäischen Bundes von 280 bis 222 v.Chr., Wiesbaden 1979, 3; 13–16; 83f.; 109f. und öfter. – Zum gesamten Kontext vgl. jetzt auch K. SCHERBERICH, Koinè Symmachía. Untersuchungen zum Hellenenbund Antigonos’ III. Doson und Philipps V. (224–197 v.Chr.), Stuttgart 2009, 61–70.
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Mitglieder im Krieg gegen Sparta.22 Während Arat im Jahr 224 v.Chr. Die Achäer in eine zukunftsweisende Allianz mit dem Makedonenkönig Antigonos III. führte,23 gab es unter den Mitgliedern eine große Bereitschaft zu Friedensverhandlungen mit Kleomenes III. und sogar für die Akzeptanz einer spartanischen Hegemonie auf der Peloponnes. So dreht sich die Diskussion nicht zuletzt darum, zu welchem Zeitpunkt und wie geheim Arat mit Antigonos III. in Verbindung getreten ist und ob dementsprechend die Rettung beziehungsweise Stabilisierung des Bundes der weitsichtigen Planung Arats oder eine Verkettung von Zufällen zu verdanken war. Die von Polybios geschilderten diplomatischen Vorgänge zeigen einen geschickt agierenden Arat, der sich hütet, ein Bündnis mit Makedonien offen zu betreiben:24 Er bediente sich nämlich zweier Männer aus Megalopolis, um bei Antigonos vorzufühlen, und hatte es auch dieser Mitgliedspolis überlassen, beim Koinon ein sofortiges Hilfegesuch an den König zu beantragen. Arat beruhigte indessen die Bundesversammlung mit der Devise, gegen Kleomenes zunächst ohne fremde Hilfe und nur im Notfall mit ‚Freunden‘ zu kämpfen. Dass es dann tatsächlich zu jenem Bündnis kam, erklärt Polybios zum einen mit der militärischen Unterlegenheit der Achäer, vor allem der Niederlage bei Hekatombaion, zum anderen mit der Aufkündigung der ptolemäischen Subventionen für die Achäer. Die Gelder seien nunmehr nach Sparta geflossen, um Kleomenes’ antimakedonische Politik zu fördern. Damit kommt nicht nur einem weiteren diplomatischen Faktor entscheidende Bedeutung zu, nämlich der Verpflichtung zur Loyalität gegenüber Ptolemaios III., derer Polybios seinen Arat durchaus eingedenk sein lässt,25 sondern es wird der Politik Alexandrias die Schuld dafür zugeschoben, dass die Achäer ihre Loyalität aufkündigten. Es liegt auf der Hand, dass Arat die Delegierten bewusst getäuscht hat, denn seine Beteuerung, man würde notfalls Zuflucht bei den Freunden suchen,26 musste die Bundesversammlung auf Ptolemaios beziehen und nicht auf Antigonos III., mit dem es damals noch kein Bündnis oder Freundschaftsverhältnis existierte. Dieses Täuschungsmanöver gibt sogar Polybios zu, denn er lässt Arat befürchten, „die große Masse der Achäer vor den Kopf zu stoßen, wenn er seine Zuflucht zu den Feinden nahm“.27 Dazu passt die Charakterisierung dieses Mannes an einer anderen Stelle:28 22 23 24 25 26
URBAN, Achäischer Bund (Anm. 21), 82–85; 117–125. Vgl. D. P. ORSI, L’Alleanza acheo-macedone. Studio su Polibio, Bari 1991, 83–93. Pol. II 47–51; vgl. URBAN, Achäischer Bund (Anm. 21), 125–135. Pol. II 47. Pol. II 50,12: καταφεύγειν ἐπὶ τὰς τῶν φίλων βοηθείας – WALBANK, Commentary I (Anm. 8), 250, kommentiert Arats geschickte Wortwahl: „His duplicity as counsellor of resistance shows through despite P.s admiration [...].“ 27 Pol. II 47,7–8: προδήλως μὲν οὖν αὐτὸ πράττειν ἀσύμφορον ἡγεῖτο διὰ πλείους αἰτίας. τόν τε γὰρ Κλεομένη καὶ τοὺς Αἰτωλοὺς ἀνταγωνιστὰς παρασκευάζειν ἤμελλε πρὸς τὴν ἐπιβολήν, τούς τε πολλοὺς τῶν Ἀχαιῶν διατρέψειν, καταφεύγων ἐπὶ τοὺς ἐχθροὺς καὶ δοκῶν ὁλοσχερῶς ἀπεγνωκέναι τὰς ἐν αὐτοῖς ἐλπίδας ὅπερ ἥκιστα φαίνεσθαι πράττων ἐβούλετο. 28 Pol. IV 8,1–3: Ἄρατος γὰρ ἦν τὰ μὲν ἄλλα τέλειος ἀνὴρ εἰς τὸν πραγματικὸν τρόπον καὶ γὰρ εἰπεῖν καὶ διανοηθῆναι καὶ στέξαι τὸ κριθὲν δυνατός, καὶ μὴν ἐνεγκεῖν τὰς
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„Er besaß die Fähigkeit, zu reden, einen Plan zu entwerfen, den gefaßten Entschluss geheim zu halten; (...) Freunde an sich zu fesseln und Bundesgenossen zu gewinnen, darin wurde er von niemandem übertroffen; endlich geheime Verbindungen anzuknüpfen, Listen und Anschläge gegen die Feinde anzuzetteln und zum guten Ende zu führen, darin war er dank (...) seines Wagemutes hervorragend geschickt.“
Die Gesandtschaft, die entscheidend den Weg für die neue achäischmakedonische Harmonie bereitete, war von der Polis Megalopolis ausgegangen.29 Das Procedere in Megalopolis ist klar geschildert, zweifellos aufgrund präziser oral tradition oder einer in der Stadt erhaltenen epigraphischen Dokumentation: Die Genannten legten dem Rat und der Volksversammlung ihrer Polis dar, dass die Megalopoliten als Nachbarn Spartas überfordert waren mit ihrer Rolle als Vorkämpfer der Achäer, von denen sie aber nicht die gebührende Unterstützung erhielten, und beantragten daher unter Verweis auf die bis auf Philipp II. zurückgehenden guten bilateralen Beziehungen zwischen Megalopolis und Makedonien, den gegenwärtigen König Antigonos Doson um Hilfe zu bitten. Dies konnte natürlich nicht ohne die Achäer geschehen, an die sich die Gesandten zuerst wenden und von denen sie sich mit der Mission beauftragen lassen sollten. Schließlich wurden die beiden Männer selbst zu Gesandten bestimmt. In Analogie zu epigraphisch überlieferten Volksbeschlüssen hellenistischer Poleis kann man sich das megalopolitanische Psephisma sowie auch die Beschlussvorlage für die Delegierten im Koinon ganz gut vorstellen: Der Begründung für eine Beschlussvorlage geht ja üblicherweise ein mehr oder weniger ausführliches Referat derjenigen Situation voraus, für die der Volksbeschluss eine Verbesserung bewirken soll; man könnte sich hier also vorstellen, wie zunächst auf die früheren vergeblichen Bemühungen der Megalopoliten abgehoben wurde, sich allein und ohne Unterstützung durch das Koinon der spartanischen Aggression zu erwehren, dann aber auf die alten Beziehungen der Stadt zu Makedonien allgemein und auf die positive Grundhaltung des Antigonos Doson im Besonderen verwiesen wurde, um daraus den Schluss zu ziehen, dass in der gegenwärtigen Situation Hilfe allein von dort kommen könnte, wozu man aber zunächst die Zustimmung des Bundes einholen wollen würde usw. Nachdem die Achäer – vermutlich in der Herbstversammlung 227 v.Chr. – zugestimmt hatten, verhandelte Nikophanes in Pella mit dem König, und zwar laut Polybios „über ihre Stadt nur kurz, mit Beschränkung auf das Wesentliche und unbedingt Notwendige, ausführlich dagegen, nach den Aufträgen und Anweisungen des Arat, über die Gesamtlage.“30 Die Antwort des Königs war ebenfalls zweiteilig, denn einerseits gab er Megalopolis die Zusicherung seines Beistandes, πολιτικὰς διαφορὰς πρᾴως καὶ φίλους ἐνδήσασθαι καὶ συμμάχους προσλαβεῖν οὐδενὸς δεύτερος, ἔτι δὲ πράξεις, ἀπάτας, ἐπιβουλὰς συστήσασθαι κατὰ τῶν πολεμίων, καὶ ταύτας ἐπὶ τέλος ἀγαγεῖν διὰ τῆς αὑτοῦ κακοπαθείας καὶ τόλμης, δεινότατος. 29 Pol. II 48–49. Zur jahreszeitlichen Datierung und zu den Personen vgl. W ALBANK, Commentary I (Anm. 8), 247–249. 30 Pol. II 48,8: σπουδῇ δὲ συμμίξαντες οἱ περὶ τὸν Νικοφάνη τῷ βασιλεῖ διελέγοντο περὶ μὲν τῆς ἑαυτῶν πατρίδος αὐτὰ τἀναγκαῖα διὰ βραχέων καὶ κεφαλαιωδῶς, τὰ δὲ πολλὰ περὶ τῶν ὅλων κατὰ τὰς ἐντολὰς τὰς Ἀράτου καὶ τὰς ὑποθέσεις.
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ebenfalls unter dem Vorbehalt des achäischen Einverständnisses, zum anderen richtete er durch eben jenen Mann die ‚Grußadresse‘ an Arat, „dass er seinen Plan nicht ins Leere entworfen hatte (...).“31 So also funktionierte hier Geheimdiplomatie: Persönliche Vertraute eines einflussreichen Politikers versichern sich der Unterstützung ihrer Polis, diese versichert sich der Zustimmung des Bundes; mit dem Partner werden offizielle und inoffizielle Belange besprochen, wobei für letztere, die den Achäerbund direkt betreffen, die Instruktionen Arats ausschlaggebend sind. Wörtlich heißt es dazu bei Polybios in der Rede des Nikophanes vor Antigonos:32 „Über ihre Bündnistreue und Dankbarkeit aber solle er sich keine Gedanken machen, denn gegebenenfalls (...) werde Arat selbst Bürgschaften zu finden wissen, mit denen beide Teile zufrieden sein könnten; ebenso werde dieser ihm auch den Zeitpunkt mitteilen, wenn sein Eingreifen erforderlich sei.“
Aus mehreren Gründen agierte Arat doppelbödig und nahm heimlich Kontakte mit Makedonien auf; von der Sorge, anderenfalls die Zustimmung der Achäer zu verlieren, war bereits die Rede: Vorsichtshalber mochte er nicht zugeben, Zuflucht statt bei Freunden bei einem bisherigen Gegner zu suchen. Dieses Motiv erscheint einerseits in direktem Zusammenhang mit dem Wunsch, Zweifel der Achäer an ihrer militärischen Stärke nicht aufkommen zu lassen, andererseits lässt Polybios seinen weitsichtigen Helden aus Sorge vor einem Schulterschluss des Kleomenes und der Ätoler handeln, der als Reaktion auf ein achäisches Bündnis mit Makedonien zu befürchten war.33 Da es zu einem solchen Schritt tatsächlich erst am Vorabend des sog. Bundesgenossenkrieges 220/19 v.Chr. kam,34 erhebt sich hier die Frage, ob die Befürchtung Arats bereits 227 v.Chr. berechtigt war oder ob Polybios im Wissen um die spätere tatsächliche Verbindung zwischen Sparta und dem Aitolischen Bund hier anachronistisch argumentiert. Eigenartigerweise geht der Autor nirgends darauf ein, dass die Achäer mit ihrer Allianz mit Makedonien gleichsam ihren bisherigen Wohltäter Ptolemaios III. düpierten,35 der sie ja bisher finanziell unterstützt hatte; allein die kurze Bemerkung, der König hätte sich entschieden, nunmehr Kleomenes zu subventionieren, hebt auf den achäischen Bruch mit dem Ptolemäer ab.36 Nach Plutarch soll Arat zuvor von jenem König ein jährliches Handgeld von 6 Talenten und bereits von Ptolemaios II. für die Befreiung Sikyons 150 Talente erhalten haben.37 31 Pol. II 50,5: [...] περιχαρὴς ἦν τῷ μὴ διὰ κενῆς πεποιῆσθαι τὴν ἐπίνοιαν [...]. 32 Pol. II 49,9f.: περὶ δὲ πίστεως καὶ χάριτος ἀποδόσεως ῥᾳθυμεῖν αὐτὸν ᾤοντο δεῖν τῆς γὰρ χρείας ἐπιτελουμένης αὐτὸν εὑρήσειν τὸν Ἄρατον εὐδοκουμένας ἀμφοτέροις πισχνοῦντο πίστεις. ὁμοίως δ’ ἔφασαν καὶ τὸν καιρὸν τῆς βοηθείας αὐτὸν ὑποδείξειν. 33 Pol. II 47,8. 34 Pol. IV 35. 35 Zu den achäisch-ptolemäischen Beziehungen vgl. W. HUSS, Untersuchungen zur Außenpolitik Ptolemaios’ IV., München 1976, 103–106; URBAN, Achäischer Bund (Anm. 21), 52–54. 36 P. CARTLEDGE, A. SPAWFORTH, Hellenistic and Roman Sparta. A Tale for Two Cities, London u.a. 1989, 54f.; vgl. URBAN, Achäischer Bund, 105f.; W. HUSS, Ägypten in hellenistischer Zeit 332–30 v.Chr., München 2001, 369f. 37 Plut. Aratos 41,5.
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In den skizzierten Kontext ist nicht zuletzt auch Polybios’ Kritik an Athens Passivität zu sehen, die zwar erst im Zusammenhang mit dem Bundesgenossenkrieg geäußert ist, die sich aber bereits auf die ersten Jahre nach 229 beziehen dürfte:38 „Als die Athener (...) ihre Freiheit (...) gesichert glaubten, nahmen sie unter der Leitung des Eurykleides und Mikion an dem Schicksal der übrigen Griechen nicht den geringsten Anteil mehr, sondern, ganz im Schlepptau ihrer gesinnungslosen und nur auf materiellen Nutzen bedachten Staatslenker gaben sie sich zu jeder Art von Huldigungen und Ehrenbeschlüssen für alle Könige, vor allem aber für Ptolemaios, her und konnten sich damit nicht genug tun, wenig bekümmert um Anstand und Ehre, ein Gesichtspunkt, für den ihren leitenden Männern jedes Verständnis abging.“
Eurykleides und Mikion hatten 224 eine Hilfeleistung ihrer Polis für Arat gegen Kleomenes verhindert, was Polybios mit deutlichen Worten tadelt, nicht zuletzt mit Blick auf die Huldigungen für Ptolemaios (III.).39 Im Umkehrschluss heißt das: Arat war ein nicht auf den ‚materiellen Nutzen‘ bedachter Staatslenker der Achäer, er kümmerte sich mehr um Anstand und Ehre, vornehmlich zugunsten des Schicksals ‚der übrigen Griechen‘, denen er die Befreiung vom ‚Tyrannen‘ Kleomenes bringen wollte. Für das Jahr 220 erwähnt Polybios, dass bei Ausbruch des Bundesgenossenkrieges die Epiroten als Verbündete Makedoniens eine Gesandtschaft nach Alexandria schickten und darum baten, „den Ätolern weder Geld zu schicken noch sie sonst gegen Philipp und die Verbündeten zu unterstützen.“40 Der damit unzweideutig um Neutralität gebetene König war inzwischen Ptolemaios IV. (221–204), dessen Außenpolitik Polybios alles andere als positiv schildert, während er die Außenpolitik der früheren Könige rühmt.41 Im konkreten Kontext, dem Schicksal
38 Pol. V 106,7–8; vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 8), 631 mit Hinweis darauf, dass unter den genannten Königen insbesondere auch Attalos I. von Pergamon gemeint gewesen sein dürfte. 39 Vgl. dazu Chr. HABICHT, Athen. Die Geschichte der Stadt in hellenistischer Zeit, München 1995, 177–179; HUSS, Ägypten (Anm. 36), 357–359; vgl. auch URBAN, Achäischer Bund (Anm. 21), 90–96. 40 Pol. IV 30,8. Im gleichen Kontext lobt Polybios die Akarnanen: „Aber wackere und aufrechte Männer, so meine ich, achten weder in Dingen der Politik noch im Privatleben irgendetwas höher als Pflicht und Ehre. An diesem Grundsatz haben die Akarnanen, wie man finden wird, fast zu allen Zeiten mehr als irgendwelche anderen Griechen festgehalten, so gering auch ihre Macht war. Daher kann man ohne Bedenken in Zeiten der Not sich gerade mit ihnen zusammentun, ja man sollte diese Verbindung suchen. Denn sie sind als einzelne wie auch als Volk absolut verläßlich und von großer Freiheitsliebe.“ (30,4–6). 41 Pol. V 34,6–10: „Sie hatten (...) den Königen von Syrien zu Wasser und zu Lande schwer zu schaffen gemacht und hatten den Dynasten in Kleinasien, ebenso auch den Inseln hart im Nacken gesessen, da sie die bedeutendsten Städte, festen Plätze und Häfen an der ganzen Küste von Pamphylien bis zum Hellespont und der Gegend von Lysimacheia beherrschten. Auch für Thrakien und Makedonien waren sie gefährliche Nachbarn gewesen (...) Da sie also ihre Hände so weit ausgestreckt und sich durch diese entfernten Besitzungen wie durch einen Gürtel von Vorfeldbefestigungen gesichert hatten, hatten sie niemals für ihr ägyptisches
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des Kleomenes, der nach seiner Niederlage gegen Antigonos III. bei Sellasia (222) nach Alexandria geflohen und dort einige Jahre später bei einem Aufstand umgekommen war, betont Polybios, dass, während insbesondere die Ätoler auf die Rückkehr des ehemaligen Spartanerkönigs warteten,42 die faktischen Leiter der ptolemäischen Außenbeziehungen, vornehmlich Sosibios, kein Interesse an einer Aktivierung der Griechenlandpolitik hatten. Dabei soll einerseits Geld eine Rolle gespielt haben, nämlich die nach dem Tod Antigonos’ III. nicht mehr notwendigen Investitionen in die hellenischen ‚Freunde‘, andererseits ein Misstrauen gegenüber Kleomenes, den man für ehrgeizig genug hielt, seine Macht auf ganz Griechenland und die ptolemäischen Außenbesitzungen auszudehnen. Polybios’ Bild ist hier sehr tendenziös, denn die fortgesetzt guten Beziehungen zu den Ätoler spiegeln sich in den Karrieren von führenden Männern dieses Koinon wie Theodotos und Skopas am alexandrinischen Hof.43 Dass die alexandrinische Politik unter Ptolemaios IV. Philopator auch gegenüber Rhodiern, Chiern, Kyzikenern und Byzantiern unverändert gut war, geht daraus hervor, dass diese Staaten ebenso wie die Ätoler im Konflikt des Königs mit dem jungen Seleukidenherrscher Antiochos III. zu Vermittlungsdiensten bereit waren und ihm eine Hinhaltetaktik zur Bewerkstelligung der nötigen Rüstungen ermöglichten.44 Ein weiterer Kritikpunkt des Polybios an der ptolemäischen Außenpolitik war, dass der König nach seinem – offenbar auch für ihn selbst überraschenden – Sieg bei Raphia (217 v.Chr.) allzu rasch Friedensverhandlungen führte und nicht die Angst des Seleukiden vor einem Angriff seines Thronrivalen Achaios auszunutzen gedachte45 – der griechische Historiograph vermutet hier den infolge von Genusssucht fehlenden außenpolitischen Ehrgeiz des Ptolemäers.46 Wenig später versuchte der alexandrinische Hof im offenen seleukidischen Krieg zwischen Onkel und Neffen vergeblich, den befreundeten Achaios zu retten, nämlich durch einen verschlagenen Kreter, mithin durch ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen angesichts der sprichwörtlichen Verschlagenheit der Kreter. In diese Affäre, die entgegen der politischen Absicht des Ptolemaios IV. den Untergang des seleukidischen Thronrivalen besiegelte, waren mit Nikomachos aus Rhodos und Melankomas aus Ephesos zwei Vertraute des Achaios aus griechischen Poleis involviert, „durch die Achaios auch schon in früherer Zeit die Verhandlungen mit Ptolemaios geführt, deren er sich bei allen
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Reich zu fürchten brauchen. Der jetzige König aber behandelte all dies mit Nachlässigkeit (...).“ Vgl. Pol. IV 35. Theodotos war Statthalter von Koilesyrien (Pol. V 40), Skopas Oberbefehlshaber der ptolemäischen Armee (Pol. XIII 2). Pol. V 63,1–10. Pol. V 87. Pol. V 87,3: „(...) vor allem war er der Ruhe nicht nur nicht abgeneigt, sondern sie entsprach nur allzusehr seiner Natur; es zog ihn, charakterlos wie er war, zu den gewohnten Genüssen seines ausschweifenden Lebens.“
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diplomatischen Aktionen als Mittelsmänner bedient hatte“.47 Damit ist, zumindest was den Rhodier betrifft, wohl auch die Affäre um Andromachos gemeint, den Vater des Achaios, der sich in Alexandria in einer Art Hausarrest befand, und über den Polybios im Kontext des bithynisch-rhodischen Krieges gegen Byzantion berichtet:48 Während die Stadt am Bosporos auf Hilfe des Attalos von Pergamon und des Achaios rechnete, gelang es den Rhodiern, sich den Seleukiden zu verpflichten und ihn so von einer Unterstützung ihres Gegners abzuhalten; sie setzten sich nämlich bei Ptolemaios erfolgreich für die Freilassung des Andromachos ein.49 Dabei dürfte bereits damals jener Rhodier Nikomachos als Mittelsmann tätig gewesen sein.50 Einen Einblick in die strategischen Überlegungen in Alexandria gibt unser Autor mit der Bemerkung, damals (219 v.Chr.) habe Ptolemaios lange überlegt, „ob er Andromachos nicht lieber behalten solle; denn er hoffte sich seiner noch bei passender Gelegenheit bedienen zu können, da die Situation Antiochos gegenüber weiterhin ungeklärt blieb.“51 Offensichtlich war Ptolemaios IV. doch nicht ganz so sorglos in außenpolitischer Hinsicht, wie es Polybios mit seiner Bemerkung unterstellt, nach dem Tode Seleukos’ III., des Bruders von Antiochos III., habe man in Alexandria im „Gefühl vollkommener Sicherheit“ gelebt.52 Jedenfalls versuchte er in den Verhandlungen mit Antiochos im Jahr 218/7, Achaios in den Vertrag einzubeziehen.53 Da offenbar schon seit längerem der seleukidische Thronrivale Achaios ein Verbündeter Alexandrias war, darf vermutet werden, dass Ptolemaios IV. mit Andromachos einen weiteren Kandidaten gegen Antiochos III. in der Hinterhand behalten wollte – ein altes ‚Spiel‘ monarchischer Einflussnahme auf einen anderen Hof. Aus der Situation um 220/19 ist des Weiteren der Schluss zu ziehen, dass Ptolemaios IV. einer Stabilisierung der Machtstellung von Rhodos und der politischen Freundschaft mit der ägäischen Seemacht Vor47 Pol. VIII 15,10: οὗτοι γὰρ ἦσαν, δι’ ὧν καὶ τὸν πρὸ τοῦ χρόνον Ἀχαιὸς τά τε πρὸς τὸν Πτολεμαῖον καὶ τὰς ἄλλας ἁπάσας τὰς ἔξωθεν ἐπιβολὰς ἐχείριζε. 48 Pol. IV 47–51. Vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 8), 501f. mit einem Stemma der Seleukidenfamilie, das Andromachos als Großonkel von Antiochos’ Vater Seleukos II. zeigt, wodurch Achaios dessen Großcousin war; da Seleukos II. seine Großcousine Laodike geheiratet hatte, war Achaios auch sein Schwager und somit ein Onkel von Antiochos III.; vgl. auch HUSS, Außenpolitik (Anm. 35), 88–96; H.-U. WIEMER, Krieg, Handel und Piraterie. Untersuchungen zur Geschichte des hellenistischen Rhodos, Berlin 2002, 101–109, besonders 103f. 49 Pol. IV 51,1–5. 50 Vgl. HUSS, Außenpolitik (Anm. 35), 36 Anm. 154. 51 Pol. IV 51,3: ὁ δὲ Πτολεμαῖος, παραγενομένων τῶν πρέσβεων, ἐβουλεύετο μὲν παρα κατέχειν τὸν Ἀνδρόμαχον, ἐλπίζων αὐτῷ χρήσεσθαι πρὸς καιρόν, διὰ τὸ τά τε πρὸς τὸν Ἀντίοχον ἄκριτα μένειν αὐτῷ, καὶ τὸ τὸν Ἀχαιὸν ἀναδεδειχότα προσφάτως αὑτὸν βασιλέα πραγμάτων εἶναι κύριον ἱκανῶν τινων. 52 Pol. V 34,2–3: νομίσας τῶν μὲν οἰκείων φόβων ἀπολελύσθαι [...] τῶν δ’ ἐκτὸς κινδύνων ἀπηλλάχθαι διὰ τὴν τύχην [...] καταπιστεύσας διὰ ταῦτα τοῖς παροῦσι καιροῖς, πανηγυρικώτερον διῆγε τὰ κατὰ τὴν ἀρχήν. 53 Pol. V 67,12–13; – Daraufhin empörte sich der junge Seleukide darüber, „dass Ptolemaios auch noch wage, Rebellen in Schutz zu nehmen“ (l.c.).
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rang einräumte und dass dabei das griechische Festland mit den ewigen Streitigkeiten zwischen den koiná, Sparta und Makedonien nicht mehr so wichtig schien. Nach dem gewaltsamen Tod Ptolemaios’ IV. im Jahr 204/3 aktivierten die neuen Machthaber, die Vormundschaftsregenten für den minderjährigen Ptolemaios V., angesichts eines neuen seleukidischen Angriffs die Außenbeziehungen. In Griechenland war 205 v.Chr. gerade der zehnjährige Erste Makedonische Krieg beendet worden, in dem neben Rhodos, Chios und Byzantion auch Ptolemaios IV. sich mehrfach um eine Friedensvermittlung bemüht hatte. Der Vertrag zwischen Makedonien und Rom folgte einem vom militärisch überlegenen Philipp V. erzwungenen Friedensschluss mit den Ätolern, was die neue Ausrichtung der ptolemäischen Politik gegenüber Pella erklärt. Auch die Wertschätzung der Staatenwelt auf dem griechischen Festland scheint sich unter dem Regenten Tlepolemos gewandelt zu haben, denn nun wurden in großzügigster Weise an die Gesandten aus Hellas königliche Gelder verteilt, freilich nicht – folgt man Polybios – im Sinne einer irgendwie zielgerichteten Politik, sondern als pure und unsystematische Vergeudung eines nur noch selten Audienzen gebenden Hofes.54 Indessen waren schon von Tlepolemos’ Vorgänger Sosibios im Zuge einer diplomatischen Offensive Gesandtschaften zu Antiochos III. und nach Rom sowie sogar zum bisherigen Erzfeind Makedonien geschickt worden. Die nach Pella beorderte Delegation, angeführt von Ptolemaios, Sohn des Sosibios, bezweckte „(...) mit [sc. Philipp V.] einen Heiratsvertrag abzuschließen und um ihn um Hilfe zu bitten, falls Antiochos durch einen ernsthaften Angriff versuchen sollte, die bestehenden Verträge zu brechen“.55 Der Aufenthalt in Pella dürfte etwa ein Jahr gedauert haben. Bei seiner Rückkehr vermutlich im Jahr 202 hatte der Sosibiossohn Ptolemaios im Sinne seiner diplomatischen Mission nichts erreicht, wohl aber hatte er die Makedonen schätzen gelernt:56 54 Pol. XVI 21,8–9: „Wenn er aber doch eine Stunde für die Audienzen erübrigte, dann verteilte er dabei die königlichen Gelder – vielmehr, um das Kind beim rechten Namen zu nennen: er warf sie zum Fenster hinaus – an die Gesandten, die aus Griechenland gekommen waren, an Schauspieler, vor allem an die Offiziere und Soldaten, die bei Hofe Dienst taten. Er verstand sich einfach nicht darauf, nein zu sagen, und wer ihm um den Bart ging, dem gab er anstandslos, was ihm zur Hand war.“ 55 Pol. XV 25,13: μετὰ δὲ ταῦτα [...] ἐξέπεμψε [...] Πτολεμαῖον δὲ τὸν Σωσιβίου πρὸς Φίλιππον τά τε περὶ τῆς ἐπιγαμίας συνθησόμενον καὶ παρακαλέσοντα βοηθεῖν, ἐὰν ὁλοσχερέστερον αὐτοὺς Ἀντίοχος ἐπιβάληται παρασπονδεῖν. – vgl. WALBANK, Commentary II (Anm. 18), 484; J. SEIBERT, Historische Beiträge zu den dynastischen Verbindungen in hellenistischer Zeit, Wiesbaden 1967, 40 (mit einer Datierung der Gesandtschaft in das Jahr 204/3); HUSS, Außenpolitik (Anm. 35), 128f.; HUSS, Ägypten (Anm. 36), 477f. 56 Pol. XVI 22,3–5: κατὰ δὲ τὸν καιρὸν τοῦτον ἀνακομιζόμενος ἥκει παρὰ τοῦ Φιλίππου Πτολεμαῖος ὁ Σωσιβίου. καὶ πρὶν μὲν οὖν ἐκ τῆς Ἀλεξανδρείας ἐκπλεῦσαι πλήρης ἦν τύφου διά τε τὴν ἰδίαν φύσιν καὶ διὰ τὴν προσγεγενημένην ἐκ τοῦ πατρὸς εὐκαιρίαν ὡς δὲ καταπλεύσας εἰς τὴν Μακεδονίαν συνέμιξε τοῖς περὶ τὴν αὐλὴν νεανίσκοις, ὑπολαβὼν εἶναι τὴν Μακεδόνων ἀνδρείαν ἐν τῇ τῆς ὑποδέσεως καὶ τῇ τῆς ἐσθῆτος διαφορᾷ, παρῆν ταῦτα πάντ’ ἐζηλωκὼς καὶ πεπεισμένος αὑτὸν μὲν ἄνδρα γεγονέναι διὰ
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„(...) Als er (...) in Makedonien mit den jungen Leuten am Hofe in Verkehr kam, ließ er sich von ihnen mächtig imponieren: er meinte, makedonische Männlichkeit liege im Schuhwerk und in der besonderen Tracht, und kleidete sich daher auch selbst genau nach dieser Mode; als er nun aber zurückkam, war er überzeugt, durch seine Reise und den Umgang mit den Makedonen ein Mann geworden zu sein, während die Leute in Alexandria noch immer Sklaven und Memmen waren (...).“
An Polybios’ mokanter Bemerkung fällt auf, dass von Ptolemaios’ Verkehr vornehmlich mit den ‚jungen Leuten‘ am makedonischen Hof die Rede ist, was wohl kaum den Kreis der maßgeblichen Königsfreunde des inzwischen rund 37jährigen Philipp V. meinen kann. Hier wäre zu vermuten, dass Ptolemaios sich zuerst mit ‚vertrauensbildenden‘ Maßnahmen beschäftigte und seine äußerliche wie innerliche Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellte. Für die Frage, in welchem Kreis sich der Gesandte aus Alexandria dabei bewegt haben dürfte, ist auf diejenige makedonische Hofgesellschaft zu verweisen, die sich um die beiden Söhne des Königs und ihre Entourage drehte, mithin um Perseus und Demetrios, die damals rund 10 beziehungsweise 5 Jahre alt waren. Die Prinzen werden nach alter makedonischer Sitte die Söhne der Königsfreunde, also der Vertrauten Philipps V., zu Spielkameraden (sýntrophoi) gehabt haben, wobei vermutlich hier die Verwandtschaft und Gefolgschaft der Mutter des jüngeren Sohnes dominierten, denn die zweite Gattin des Königs war – im Unterschied zu Polykrateia aus Argos, Perseus’ Mutter – eine ‚echte‘ Makedonin.57 Sie dürfte auch die Mutter derjenigen Königstochter gewesen sein, die von alexandrinischer Seite für eine dynastische Verbindung mit Ptolemaios V., dem geschwisterlosen und rund achtjährigen Kindkönig auf dem Ptolemäerthron, ausersehen war; hier handelte es sich vermutlich um die ca. 210/07 geborene Apame, die später mit ihrem bithynischen Cousin Prusias II. vermählt wurde.58 Wenn also Ptolemaios aus Alexandria mit diesem Personenkreis persönliche Kontakte pflegte und sich damit im Sinne seines Auftrags betätigte, gehörte auch die Adaption der makedonischen Hofmode zu denjenigen Maßnahmen, die ihn in Pella vertrauenswürdig machen und die Grundlage für weitere künftige Beziehungen bilden sollten. Allem Anschein sollten zwischenstaatliche Beziehungen von Monarchien im Kontext dynastischer Eheschließungen eine gewisse Nachhaltigkeit durch persönliche Kontakte auch mit der künftigen ‚Hofgesellschaft‘ gewährleisten.59 τὴν ἐκδημίαν καὶ διὰ τὸ Μακεδόσιν ὡμιληκέναι, τοὺς δὲ κατὰ τὴν Ἀλεξάνδρειαν ἀνδράποδα καὶ βλᾶκας διαμένειν. 57 Vgl. Liv. XXXIX 53,3, wo der dem Demetrios (vermeintlich) vor Perseus gebührende Vorzug mit seiner Geburt von einer iusta matre begründet wird, während die Mutter des makedonischen Kronprinzen als paelix bezeichnet wird. 58 Seit A. WILHELM, Eine Inschrift des Königs Epiphanes Nikomedes, in: ÖJH 11 (1908), 78– 80, ist bekannt, dass die Mutter Nikomedes’ II., die bei Liv. XLII 12,3 und 29,3 bezeugte makedonische Gattin Prusias’ II., Apame hieß. Sie war eine Schwester des Perseus und somit Tochter Philipps V., der seinerseits eine Schwester namens Apame hatte, die Prusias I. heiratete und Mutter Prusias’ II. wurde. 59 Dieser Aspekt fehlt bei SEIBERT, Dynastische Verbindungen (Anm. 55).
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Insgesamt zeigt sich, dass zwischenstaatliche Beziehungen im Wesentlichen auf persönlichen Vertrauensverhältnissen beruhten, sei es zwischen Poleis untereinander, zwischen Poleis und Monarchen oder zwischen Monarchen untereinander. Damit kam der Diplomatie, der sowohl rücksichtsvollen als auch interessenorientierten Kommunikation, vor allem dem Generieren respektive Konservieren gegenseitigen Vertrauens, eine entscheidende Rolle in der ‚Außenpolitik‘ zu. Polybios, der dieser allseits gepflogenen Usancen eingedenk war, ist hier für die Formen der zwischenstaatlichen Beziehungen ein zuverlässiger Gewährsmann, denn er referiert bei entsprechenden Gelegenheiten die wohl den meisten betroffenen Zeitgenossen und den entsprechend vorgebildeten Lesern bekannten Details, ohne freilich im Einzelnen wirklich neue Informationen zu bieten. In inhaltlicher Hinsicht ist Skepsis bei der Beurteilung seiner Zuverlässigkeit angezeigt: Für die Motive und Intentionen der jeweiligen diplomatischen Kontakte und Verhältnisse sowie nicht zuletzt für deren historische Bewertung orientiert sich Polybios oftmals an seiner persönlichen Sicht der Ereigniszusammenhänge und gibt dem Dargestellten einen entsprechenden atmosphärischen ‚touch‘. Es wäre indessen überzogen, auf dem Hintergrund der eminenten Bedeutung der Diplomatie für politische Ereigniszusammenhänge einerseits, der gelegentlichen sehr individuellen Bewertung des kommunikativen Geschehens durch Polybios andererseits, auf eine ungenügende Glaubwürdigkeit dieses Historikers schließen zu wollen.
POLYBIOS UND DIE HELLENISTISCHEN MONARCHIEN Boris Dreyer, Erlangen
Als Thema ist mir Polybios’ Verhältnis zu den hellenistischen Monarchen beziehungsweise Monarchien übertragen worden, ein Thema, das zum letzten Mal in den 1960er Jahren von K.W. Welwei umfassend behandelt wurde, vor nahezu 50 Jahren: Die hohe Qualität dieser Abhandlung hat dazu geführt, dass sich seither kaum einer diesem Thema insgesamt gewidmet hat.1 Welwei kam zu dem Ergebnis,2 dass neben dem römischen insbesondere „der achäische Standpunkt vielfach der von ihm erstrebten Objektivität des Urteils Grenzen gesetzt hat”, vor allem bei der Bewertung der makedonischen Könige. Generell habe er allerdings schematische Bewertungskategorien vermieden. In meinem Beitrag kann ich schon wegen der gebotenen Kürze nur beispielhaft und eher bestätigend-ergänzend beziehungsweise modifizierend Stellung nehmen. Dabei erhält das makedonische Königtum deshalb das Hauptaugenmerk des Interesses, weil hier mit einem der Hauptakteure des Berichtszeitraums unseres Historikers, Philipp V., nicht die angebliche ‚römische‘, sondern auch die ‚achäische‘ Brille des Polybios zum Tragen kommt. Dabei soll es vor allem auch darum gehen, ob Polybios bei der Bewertung der Könige absichtliche Verfälschung, aus achäischer oder römischer Perspektive, nachzuweisen ist. Dann hätte Polybios nämlich gegen seine eigenen Prinzipien verstoßen und verdiente die schärfste Form des Tadels, der gegenüber einem Historiker vorgebracht werden kann. Wie alle Historiker nach Thukydides hatte sich ebenfalls Polybios der Wahrheit verpflichtet, wenn sie auch Polybios zufolge weniger geachtet werde als die Übertreibung.3 Er fordert seine Leser auf, auf die Einhaltung der Prinzipien auch in seinem Werk zu achten: „Hierum möchte ich nun aber auch für mich meine Zeitgenossen wie spätere Generationen bitten, wenn sie feststellen, dass ich in meinem Werk absichtlich lüge und die Wahrheit missachte, mich unnachsichtig zu rügen, wenn es aus Unkenntnis geschieht, Nachsicht zu üben,
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K.-W. WELWEI, Könige und Königtum im Urteil des Polybios, (Diss. Köln), Herbede 1963. – Die Übersetzungen gehen aus von H. DREXLER, Polybios. Geschichte, Gesamtausgabe in zwei Bänden, Zürich/Stuttgart 1961–1963, modifizieren sie allerdings auch an einigen Stellen. WELWEI, Könige und Königtum (Anm. 1), 185f. Pol. XVI 20,3–4.
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Boris Dreyer mir vielleicht mehr als anderen wegen des Umfangs meines Werkes und seines universalen Charakters.”4
Mit den anderen sind Verfasser von Spezialgeschichten gemeint, die generell eher, um ihre Sache groß zu machen, zum Lügen neigten.5 Über Parteilichkeit beschwerte sich Polybios mehrmals,6 Patriotismus wäre jedoch erlaubt, in engen Grenzen: „Dass Geschichtsschreiber die Partei ihrer Vaterstadt nehmen müssen, will ich zugestehen, nicht aber, dass sie über diese Angaben machen, die den Tatsachen widerstreiten.”7 Aber auch prinzipiell sei schematisches Urteilen zu vermeiden, weil „es notwendig ist, dieselben manchmal zu loben, manchmal zu tadeln”.8 Doch macht sein eigener geschichtstheoretischer Ansatz den Historiker anfällig für solche Schemata: Danach sei es der Tyche zu verdanken, dass alles notwendig auf die Herrschaft der Römer hinausliefe.9 Konsequenterweise müssten dann die Gegner Roms, also in erster Linie die griechisch-makedonischen Könige, das dem Wirken der Tyche entgegenstehende Antiprinzip darstellen, die eigentlich bar jeder Chance waren. Auch im 6. Buch, von dem etwa 40% noch erhalten sind, schaffte es kein König – die der Entartung anfällige Monarchie generell nicht10 – in die Endausscheidung der besten Verfassungen.11 Es siegt bekanntlich die römische: für Polybios eine wichtige Erklärung der Überwindung der Krise im Hannibalkrieg und des Aufstiegs zur Weltmacht. Bei der Darstellung der Aktionen der Könige spielten jedoch die Erwägungen über strukturelle Nachteile der
Pol. XVI 20,8–9: ὃ δὴ κἂν ἐγὼ παρακαλέσαιμι περὶ αὑτοῦ (τοὺς) καθ’ ἡμᾶς καὶ τοὺς ἐπιγινομένους, ἐὰν μὲν κατὰ πρόθεσιν εὑρισκώμεθά που κατὰ τὴν πραγματείαν διαψευδόμενοι καὶ παρορῶντες τὴν ἀλήθειαν, ἀπαραιτήτως ἐπιτιμᾶν, ἐὰν δὲ κατ’ ἄγνοιαν, συγγνώμην ἔχειν, καὶ μάλιστα πάντων ἡμῖν διὰ τὸ μέγεθος τῆς συντάξεως καὶ διὰ τὴν καθόλου περιβολὴν τῶν πραγμάτων. Vgl. etwa F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, Bd. I, Oxford 1957, 14, der den Historiker mitunter an seinen eigenen Kriterien scheitern sieht. 5 Pol. VII 7,6. Allgemein gegen Übertreibung, Ungenauigkeit, Sensationsgeschichte in historiographischen Werken: II 16,14; II 56–60; III 48,8; VII 7,2; gegen Verfälschungen: Pol. XII 15,9ff.; XVI 12,4ff. (siehe auch IV 40,2); XVI 20,6. 6 Pol. I 14; VIII 8 (gegen die Historiographen Philipps V.). 7 Pol. XVI 14,6: ἐγὼ δὲ διότι μὲν δεῖ ῥοπὰς διδόναι ταῖς αὑτῶν πατρίσι τοὺς συγγραφέας, συγχωρήσαιμ’ ἄν, οὐ μὴν τὰς ἐναντίας τοῖς συμβεβηκόσιν ἀποφάσεις ποιεῖσθαι περὶ αὐτῶν; vgl. XVI 17,8. 8 Pol. XVI 28,4–8: ποιοῦμαι δὲ τὴν τοιαύτην διαστολήν, ἵνα μή τις ἡμᾶς ὑπολάβῃ μαχόμενα λέγειν ἑαυτοῖς, ἄρτι μὲν ἐπαινοῦντας Ἄτταλον καὶ Ῥοδίους, Φίλιππον δὲ καταμεμφομένους, νῦν δὲ τοὐναντίον. τούτου γὰρ χάριν ἐν ἀρχαῖς τῆς πραγματείας διεστειλάμην, φήσας ἀναγκαῖον εἶναι ποτὲ μὲν εὐλογεῖν, ποτὲ δὲ ψέγειν τοὺς αὐτούς, ἐπειδὴ πολλάκις μὲν αἱ πρὸς τὸ χεῖρον τῶν πραγμάτων ῥοπαὶ καὶ περιστάσεις ἀλλοιοῦσι τὰς προαιρέσεις τῶν ἀνθρώπων, πολλάκις δ’ αἱ πρὸς τὸ βέλτιον, ἔστι δ’ ὅτε κατὰ τὴν ἰδίαν φύσιν ἄνθρωποι ποτὲ μὲν ἐπὶ τὸ δέον ὁρμῶσι, ποτὲ δ’ ἐπὶ τοὐναντίον. ὧν ἕν τί μοι δοκεῖ καὶ τότε γεγονέναι περὶ τὸν Φίλιππον. Vgl. Pol. IV 8; X 26. 9 Pol. I 3,8–4,11. 10 Pol. VI 7–8. 11 Pol. VI 43–58. 4
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Herrschaftsgattung keine direkte Rolle. Dafür galt der Persönlichkeit des jeweiligen Königs ein besonderes Interesse. Da der Historiker dem Individuum eine große Bedeutung bei der Ursachenbeschreibung und der Erklärung historischer Abläufe zumaß, hat sein Werk ein stark biographisches Element. Er suchte die Personen, gerade die Herrscher, in ihrer ganzen Vielfältigkeit zu erfassen – in Abgrenzung zur Gattung des Enkomion –, da „das Geschichtswerk, das unparteiisch nach Verdienst Lob und Tadel auszuteilen hat, einen absolut wahrheitsgetreuen, auf Tatsachen gegründeten (...) und die Motive, die das Handeln veranlassten, klarstellenden Bericht fordert.”12 Tatsächlich urteilte er auch in anderen Fällen unabhängig von Vorlieben und persönlicher Verpflichtung.13 Neutrale Bewertung gelobte er gegenüber Philipp V., dessen lange Herrschaft und zentrale Rolle ihn immer wieder zu in der Forschung, auch durch Welwei inkriminierten Wertungen veranlasste, denn: „ (...) keiner unter den Vorgängern Philipps besaß größere Eigenschaften, die einen guten und die einen schlechten Herrscher ausmachen, als er. Und zwar waren die Vorzüge, wie mir scheint, ihm von Natur eigen, während seine Fehler mit fortschreitenden Jahren hinzukamen, so wie es manchmal bei Pferden der Fall ist, wenn sie alt werden. Urteile dieser Art [sc. Lob und Tadel], um dies beiläufig zu bemerken, tragen wir nicht wie die übrigen Historiker in den Einleitungen vor, sondern wir fügen jeweils an die Ereignisse selbst die entsprechenden Betrachtungen über Könige und andere hervorragende Männer an, weil wir diese Form der Charakterisierung vom Standpunkt sowohl des Autors wie des Lesers für angemessener halten.”14 12 Pol. X 21,8: ὥσπερ γὰρ ἐκεῖνος ὁ τόπος, ὑπάρχων ἐγκωμιαστικός, ἀπῄτει τὸν κεφαλαιώδη καὶ μετ’ αὐξήσεως τῶν πράξεων ἀπολογισμόν, οὕτως ὁ τῆς ἱστορίας, κοινὸς ὢν ἐπαίνου καὶ ψόγου, ζητεῖ τὸν ἀληθῆ καὶ τὸν μετ’ ἀποδείξεως καὶ τῶν ἑκάστοις παρεπομένων συλλογισμῶν; vgl. X 26,9–10. 13 Allg. IV 8,7–12; VIII 8,7–9; bei Philipp V. siehe unten; Aratos IV 7,11–8,7; IV 10–11; Philopoimen siehe oben Anm. 12 die allgemeinen Äußerungen sowie die polybianische Kritik aus konkretem Anlass XXII 19; Lykortas z.B. XXIII 15; u.v.m. Dazu: G. A. LEHMANN, Untersuchungen zur historischen Glaubwürdigkeit des Polybios, Münster 1967, 156–330; siehe auch beispielsweise das ausgewogene Urteil des Polybios über den achäischen Strategen und Politiker Diophanes, der fatalerweise die innerachaischen Auseinandersetzungen vor den senatorischen Gesandten zur Sprache brachte beziehungsweise austrug: Pol. XXII 10,4; vgl. Liv. XXXVIII 30,1–34,9; dagegen werden seine militärischen Fähigkeiten ausdrücklich betont: Pol. XXI 9; Liv. XXXVII 20–21,4. Auch der innenpolitische Gegner des politischen Idols des Polybios und promakedonische Parteigänger Kykliadas erhält eine anerkennende Bewertung des Polybios (bei Liv. XXXI 25,3–11), als er während seiner Strategie die geschickten Versuche Philipps im Jahre 200 v.Chr. abwehrte, den Bundesstaat Achaia als Bundesgenosse Makedoniens im Hellenenbund in den Krieg gegen Rom hineinzuziehen. Während 199 v.Chr. Philipp noch den Seitenwechsel Achaias durch territoriale Zugeständnisse verhindern konnte (Liv. XXXII 5,2–3), vollzog der Bundesstaat unter der Leitung des Aristainos (historische Rede Liv. XXXII 21 [P]) auf der Bundesversammlung des Herbstes 198 v.Chr. den spektakulären und dann auch kriegsentscheidenden Seitenwechsel, da Philipp nunmehr nahezu isoliert war. – Auch der Freund des Polybios, der Seleukide Demetrios I., dem der Historiker für die eigene Machtergreifung zur Flucht aus Rom und Italien verhalf, wird nicht immer positiv beurteilt, siehe WELWEI, Könige und Königtum (Anm. 1), 75f. 14 Pol. X 26,7–10: Ὅτι [sc. Φιλίππου] οὐκ (ἂν) ἀγαθὰ μείζω τις σχοίη πρὸς βασιλείαν οὐδεὶς τῶν πρότερον οὐδὲ κακὰ τούτου τοῦ βασιλέως. καί μοι δοκεῖ τὰ μὲν ἀγαθὰ φύσει περὶ αὐτὸν ὑπάρξαι, τὰ δὲ κακὰ προβαίνοντι κατὰ τὴν ἡλικίαν ἐπιγενέσθαι, καθάπερ
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Wie löste Polybios den allgemeinen Vorsatz im Falle Philipps ein? Heftig kritisierte er Philipp anlässlich der Plünderung von Thermos, des Heiligtums der Aitoler, der Erzfeinde der Achäer: Trotz der Kritik hielt Polybios den jungen König weiterhin auch vor dem Hintergrund seiner Vorgänger gut veranlagt,15 wenngleich beeinflussbar, zum Schlechten durch Demetrios von Pharos.16 Es stand für Polybios außer Zweifel, dass Philipp die Weltherrschaft anstrebte, „zudem aus einem Hause stammend, das wohl von jeher mehr als ein anderes die Hoffnung auf eine Herrschaft über die Welt genährt hatte”.17 Seiner Meinung nach folgten dabei Könige wie Philipp gleichsam einem naturgegebenen Herrschaftsstreben.18 Nicht das Herrschaftsstreben selbst wurde kritisiert. Vielmehr ist es das amoralische Verhalten, das sich langfristig negativ auswirke. „Wenn man sich jedoch die höchsten Ziele gesteckt, seine Hoffnung auf die Weltherrschaft gerichtet hat und alle Pläne und Unternehmungen, mit denen man sich beschäftigt, noch uneingeschränkte Erfolgsaussichten haben, dann bei Aktionen ohne jede Bedeutung und bei der ersten Gelegenheit seine Unzuverlässigkeit und Wordbrüchigkeit vor aller Welt zu proklamieren, ist das nicht der Gipfel der Unvernunft und des Widersinns?”19
Größere Dimensionen hat das amoralische Verhalten beim Zusammenwirken der Könige Philipp und Antiochos III. zuungunsten des noch unmündigen Ptolemaios V. „Wer sollte sich nicht darüber wundern, dass die beiden Könige [sc. Philipp und Antiochos], solange Ptolemaios selbst noch am Leben war und ihrer Hilfe nicht bedurfte, bereit waren,
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ἐνίοις ἐπιγίνεται γηράσκουσι τῶν ἵππων. καίπερ ἡμεῖς οὐκ ἐν τοῖς προοιμίοις, ὥσπερ τῶν λοιπῶν συγγραφέων, προφερόμεθα τὰς τοιαύτας διαλήψεις, ἀλλ’ ἐπ’ αὐτῶν τῶν πραγ μάτων ἀεὶ τὸν καθήκοντα λόγον ἁρμόζοντες ἀποφαινόμεθα περί τε τῶν βασιλέων καὶ τῶν ἐπιφανῶν ἀνδρῶν, νομίζοντες ταύτην οἰκειοτέραν εἶναι καὶ τοῖς γράφουσι καὶ τοῖς ἀναγινώσκουσι τὴν ἐπισημασίαν. Pol. IV 77,1–4; V 9,6–5; 12,8: Exkurs zu makedonischen Königen vor Philipp V. und zum jungen Philipp V. Pol. V 102,1: „Mit diesen Worten gelang es ihm [sc. Demetrios] schnell, Philipp für seinen Plan zu entflammen, jung wie er war, erfolgreich in seinen Unternehmungen, überhaupt von Natur kühn und tatendurstig, zudem aus einem Hause stammend, das wohl von jeher mehr als ein anderes die Hoffnung auf eine Herrschaft über die Welt genährt hatte”; vgl. Pol. V 105,1: „Diese Rede des Agelaos stärkte in allen Bundesgenossen mächtig die Bereitschaft zum Frieden, vor allem aber bei Philipp, da jener Argumente vorgebracht hatte, die seinen eigenen Absichten genau entsprachen, zumal die Mahnungen des Demetrios bereits vorgearbeitet hatten”; siehe auch VII 13; IX 23,9. Pol. V 102,1 (ganzes Zitat siehe vorige Anmerkung): πρὸς δὲ τούτοις ἐξ οἰκίας ὁρμώμενον τοιαύτης, ἣ μάλιστά πως ἀεὶ τῆς τῶν ὅλων ἐλπίδος ἐφίεται. Vgl. F. W. WALBANK, Η ΤΩΝ ΟΛΩΝ ΕΛΠΙΣ and the Antigonids, in: Ancient Macedonia 3 (1993), 1721–1730; erneut in: ders., Polybios, Rom and the Hellenistic World. Essays and reflections, Cambridge 2002, 127–136. Pol. VII 12–13; VIII 8; X 26; XV 20. Pol. XV 24,6 (anlässlich der Versklavung aller Einwohner von Thasos): τὸ δ’ ἐπιβαλλόμενον τοῖς μεγίστοις καὶ περιλαμβάνοντα ταῖς ἐλπίσι τὴν οἰκουμένην καὶ πάσας ἀκμὴν ἀκεραίους ἔχοντα τὰς ἐπιβολὰς εὐθέως ἐν τοῖς ἐλαχίστοις καὶ πρώτοις τῶν ὑποπιπτόντων ἐπικηρύττειν ἅπασι τὴν ἀθεσίαν αὑτοῦ καὶ τὴν ἀβεβαιότητα πῶς οὐκ ἂν δόξειεν ἀλόγιστον εἶναι καὶ μανικόν;
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Bestand zu leisten, als er aber starb [sc. 204 v.Chr.] und einen unmündigen Sohn hinterließ, dem sein Reich erhalten zu helfen ihre selbstverständliche Pflicht gewesen wäre, jetzt gegenseitig dazu aufriefen, das Reich des Kindes unter sich zu teilen und das zurückgelassene Kind aus dem Wege zu räumen? (...) Wer könnte auf diesen Vertrag schauen, ohne dass er in ihm wie in einem Spiegel mit eigenen Augen die Ehrfurchtslosigkeit gegen die Götter, die Rücksichtslosigkeit gegen die Menschen, die unersättliche Habsucht und Machtgier dieser Könige zu sehen meinte?”20
Viel schwerer aber noch wirkt nach der Meinung des Historikers Philipps fehlende Fähigkeit zum konsequenten Handeln zum günstigen Zeitpunkt.21 „Als die Seeschlacht bei Lade geschlagen war (...) hätte es Philipp offensichtlich freigestanden, die beabsichtigte Fahrt nach Alexandreia durchzuführen. Hieran kann man besonders klar erkennen, dass Philipp wie von Sinnen war, als er so handelte, wie er tat. Was hat ihn also an der Durchführung seiner Absicht gehindert? Nichts anderes als die natürlichen Gegebenheiten. Wenn sie weit vom Schusse sind, setzen sich wohl viele einmal das Unmögliche zum Ziel um der großen Hoffnung willen, die ihnen zu winken scheinen, da die Begierde stärker ist als die vernünftigen Überlegungen; wenn aber die Ausführung an sie herantritt, dann lassen sie ohne ersichtlichen Grund ihren Plan wieder fallen, da die Schwierigkeiten und Hindernisse, denen sie sich gegenüber sehen, die Klarheit ihres Denkens umnebelt und es in die Irre leiten.”22
Unabhängig davon nötigte jedoch immer wieder die Tatkraft des Königs, die besonnene Haltung unter Druck die Bewunderung des Historikers ab23 – etwa in 20 Pol. XV 20,1–4: Τοῦτο δὲ τίς οὐκ ἂν θαυμάσειε, πῶς, ὅτε μὲν αὐτὸς ὁ Πτολεμαῖος ζῶν οὐ προσεδεῖτο τῆς τούτων ἐπικουρίας, ἕτοιμοι βοηθεῖν ἦσαν, ὅτε δ’ ἐκεῖνος μετήλλαξε καταλιπὼν παιδίον νήπιον, ᾧ κατὰ φύσιν ἀμφοῖν ἐπέβαλλε συσσῴζειν τὴν βασιλείαν, τότε παρακαλέσαντες ἀλλήλους ὥρμησαν ἐπὶ τὸ διελόμενοι τὴν τοῦ παιδὸς ἀρχὴν ἐπανελέσθαι τὸν ἀπολελειμμένον, οὐδ’ οὖν, καθάπερ οἱ τύραννοι, βραχεῖαν δή τινα προβαλλόμενοι τῆς αἰσχύνης πρόφασιν, ἀλλ’ ἐξ αὐτῆς ἀνέδην καὶ θηριωδῶς οὕτως ὥστε προσοφλεῖν τὸν λεγόμενον τῶν ἰχθύων βίον, ἐν οἷς φασιν ὁμοφύλοις οὖσι τὴν τοῦ μείονος ἀπώλειαν τῷ μείζονι τροφὴν γίνεσθαι καὶ βίον. ἐξ ὧν τίς οὐκ ἂν ἐμβλέψας οἷον εἰς κάτοπτρον εἰς τὴν συνθήκην ταύτην αὐτόπτης δόξειε γίνεσθαι τῆς πρὸςθήκην ταύτην αὐτόπτης δόξειε γίνεσθαι τῆς πρὸς τοὺς θεοὺς ἀσεβείας καὶ τῆς πρὸς τοὺς ἀνθρώπους ὠμότητος, ἔτι δὲ τῆς ὑπερβαλλούσης πλεονεξίας τῶν προειρημένων βασιλέων; – Aber tyche bestraft sie (ebd. § 5). 21 Pol. XVI 1b; 10. Moralische Kriterien von geringerem Wert: vgl. Cl. BOHM, Imitatio Alexandri im Hellenismus. Untersuchungen zum politischen Nachwirken Alexanders des Großen in hoch- und späthellenistischen Monarchien, München 1989, 24. 22 Pol. XVI 10,1–4: Ὅτι μετὰ τὸ συντελεσθῆναι τὴν περὶ τὴν Λάδην ναυμαχίαν καὶ τοὺς μὲν Ῥοδίους ἐκποδὼν γενέσθαι, τὸν δ’ Ἄτταλον μηδέπω συμμεμιχέναι, δῆλον ὡς ἐξῆν γε τελεῖν τῷ Φιλίππῳ τὸν εἰς τὴν Ἀλεξάνδρειαν πλοῦν. ἐξ οὗ δὴ καὶ μάλιστ’ ἄν τις καταμάθοι τὸ μανιώδη γενόμενον Φίλιππον τοῦτο πρᾶξαι. Τί οὖν ἦν τὸ τῆς ὁρμῆς ἐπιλα βόμενον; οὐδὲν ἕτερον ἀλλ’ ἡ φύσις τῶν πραγμάτων. ἐκ πολλοῦ μὲν γὰρ ἐνίοτε πολλοὶ τῶν ἀδυνάτων ἐφίενται διὰ τὸ μέγεθος τῶν προφαινομένων ἐλπίδων, κρατούσης τῆς ἐπιθυμίας τῶν ἑκάστου λογισμῶν ὅταν δ’ ἐγγίσωσι τοῖς ἔργοις, οὐδενὶ λόγῳ πάλιν ἀφίστανται τῶν προθέσεων, ἐπισκοτούμενοι καὶ παραλογιζόμενοι τοῖς λογισμοῖς διὰ τὴν ἀμηχανίαν καὶ τὴν δυσχρηστίαν τῶν ἀπαντωμένων. – Zur Stellung des Fragments im 16. Buch siehe B. DREYER, Die römische Nobilitätsherrschaft und Antiochos III., Frankfurt/M. 2007, 113–114. 23 Pol. XVI 28; XVIII 33,4–7; XXIII 10; XXV 3,9–10; zu WELWEI (Anm. 1) siehe oben. Vgl. unten Anm. 56; siehe auch oben Anm. 15 und 16.
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Abgrenzung gegen die Trägheit der Gegner Rhodos und Attalos im Jahre 200 v.Chr.24 Doch zeichnete Polybios mit fortschreitender Regierungszeit ein zunehmend dunkleres Bild von diesem Fürsten, das schließlich demjenigen des jungen, talentierten Herrschers völlig entgegengesetzt schien, als Philipp noch an Doson anknüpfen konnte, der von den Zeitgenossen, auch von Polybios, positiv gesehen wurde. Eine ähnliche Diagnose traf Polybios für die negative Entwicklung Antiochos’ III. Eindeutig griff der Historiker die zeitgenössische Haltung zum Herrscher auf und ordnete sie ein vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrung und mithilfe exklusiver Informationen,25 wenn er schrieb: „Damit fand der Feldzug des Antiochos in die oberen Satrapien seinen Abschluss, durch den er nicht nur die Statthalter jener Provinzen seiner Macht unterwarf, sondern auch die Städte an der Küste und die Fürsten diesseits des Taurus, kurz, die Herrschaft über sein Reich sicherte, indem er sich bei allen seinen Untertanen durch seinen Wagemut und seine Ausdauer in den Strapazen dieses Krieges Respekt verschaffte. Denn dieser Feldzug ließ ihn den Bewohnern nicht nur von Asien, sondern auch von Europa des Reiches, das er kontrollierte, würdig erscheinen.”26
Auch hier steht die Bewertung der Einzeltat neben Analysen der langfristigen Charakterentwicklung, abgehoben vom konkreten Fall: „König Antiochos scheint am Anfang seiner Regierung weitgreifend im Planen, kühn in der Durchführung gewesen zu sein und die Kraft besessen zu haben, seine Absichten zu verwirklichen. Mit fortschreitendem Alter aber blieb er offenbar immer mehr hinter dem zurück, was er in seiner Jugend gewesen war, und wurde zu einer Enttäuschung für seine Umwelt.”27
Aber nicht nur konkret, bezogen auf einzelne Könige, sondern auch allgemein werden Chancen und Grenzen der Einflussmöglichkeiten herausragender Persönlichkeiten – dazu gehören auch Hannibal28 und Scipio29 – auf historische Abläufe
24 Liv. XXXI 15,10–16,1. 25 In den Fragmenten Pol. XI 39,16; XV 37 (vgl. XV 20). 26 Pol. XI 34,14–16: τὸ μὲν οὖν πέρας τῆς εἰς τοὺς ἄνω τόπους στρατείας Ἀντιόχου τοιαύτην ἔλαβε τὴν συντέλειαν, δι’ ἧς οὐ μόνον τοὺς ἄνω σατράπας ὑπηκόους ἐποιήσατο τῆς ἰδίας ἀρχῆς, ἀλλὰ καὶ τὰς ἐπιθαλαττίους πόλεις καὶ τοὺς ἐπὶ τάδε τοῦ Ταύρου δυνάστας, καὶ συλλήβδην ἠσφαλίσατο τὴν βασιλείαν, καταπληξάμενος τῇ τόλμῃ καὶ φιλοπονίᾳ πάν τας τοὺς ὑποταττομένους διὰ γὰρ ταύτης τῆς στρατείας ἄξιος ἐφάνη τῆς βασιλείας οὐ μόνον τοῖς κατὰ τὴν Ἀσίαν, ἀλλὰ καὶ τοῖς κατὰ τὴν Εὐρώπην. 27 Pol. XV 37: Ὅτι Ἀντίοχος ὁ βασιλεὺς ἐδόκει κατὰ μὲν τὰς ἀρχὰς γεγονέναι μεγα λεπίβολος καὶ τολμηρὸς καὶ τοῦ προτεθέντος ἐξεργαστικός, προβαίνων δὲ κατὰ τὴν ἡλικίαν ἐφάνη πολὺ καταδεέστερος αὑτοῦ καὶ τῆς τῶν ἐκτὸς προσδοκίας. 28 Vgl. die Belege in Anm. 29 und 30. – Siehe auch die römische Angst vor Hannibal nach seiner Flucht zu Antiochos: besonders Liv. XXXIII 45–49; XXXIV 43,4–9; XXXIV 60–62; XXXV 14,1–12; 23,1–6; XXXVIII 38,7–8. Zur Doppelstrategie DREYER, Römische Nobilitätsherrschaft (Anm. 22), 223–228. 29 Pol. X 2–5. Zu den Nekrologen auf Philopoimen, Hannibal und Scipio im Bericht zum Jahr 183: Pol. XXIII 14.
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ausführlich erörtert:30 Langfristig war für Polybios positiver Einfluss auf Staaten, Regionen, Völker, Reiche – gar auf die Oikumene – möglich, wenn es diesen Persönlichkeiten gelang, selbst unter widrigen Situationen Menschen nicht nur zu bezwingen, sondern auch zu ihrem Vorteil, also mit einer konstruktiven Politik, zu gewinnen. Allerdings musste es die Konstellation zulassen, die man nach eigenen Anlagen beziehungsweise Möglichkeiten sowie zielgerichtet auszunutzen hatte. Diese Fähigkeiten waren natürlich für Könige – abhängig von ihrer Bedeutung, ihren Ressourcen – wichtig, weil sich mit ihrem persönlichen Schicksal das der Dynastie und des Reiches unmittelbar verband. Darüber hinaus stand ihre Herrschaft immer unter einem besonderen Legitimationsdruck: Im Jahre 189 v.Chr. hatten die rhodischen Gesandten bei der Begründung ihrer Vorstellungen vor dem Senat für eine Neuordnung nach der Niederlage des Antiochos als Sachwalter freier, demokratisch geführter Städte ein wesentlich leichteres Spiel als Eumenes – obwohl die rhodische Delegation den Senat im Verfahren offen brüskiert hatte, indem sie zu spät kam. Der Bericht des Polybios und Livius über diese Verhandlungen basierte letztlich auf Senatsakten, die also die Konstellation im Jahre 189 v.Chr. ziemlich direkt wiedergaben.31 Nach diesen Berichten gab der Senat der Position der Rhodier Recht, obwohl er Eumenes und seinen Ausführungen sehr gewogen war. Den Argwohn der Zeitgenossen dem Königtum gegenüber scheint Polybios wegen der Gefahr der Entartung zu einer Tyrannis zu teilen,32 obwohl er mit dem Etikett „königlich” (ἀνὴρ βασιλικόν) auch Persönlichkeiten nichtköniglicher Herkunft höchstes Lob zuteil werden ließ. Wenn unser Historiker nicht – was er oft tat – seine eigene Auffassung äußerte, ist es nicht leicht, zu seiner Meinung vorzudringen, um sie von derjenigen seiner Zeitgenossen und Quellen abzuheben. Denn Polybios traf seine Auswahl unter den zur Verfügung stehenden Quellen nach dem Prinzip der zeitlichen und örtlichen Nähe zum Ereignis und Aktionsort. Das versprach exklusive Information, garantierte aber natürlich nicht Objektivität, das wusste auch Polybios (Pol. XXIX 5,1–3). Das Risiko war kalkulierbar, wenn andere Quellen oder eigene Anschauung eine kritische Perspektive auf die zugrunde liegenden Quellen ermöglichten. Für seine Berichte über die Geschehnisse an den königlichen Höfen, d.h. dort, wo Entscheidungen getroffen wurden, griff der achäische Historiker zu höfischen Quellen. In solchen Fällen hatte der Historiker keine direkte Anschauung, darüber 30 Pol. IX 22–26 (vgl. XI 19). Der Fähigkeit Hannibals (und seines Vaters Hamilkars) steht das Unvermögen der durch die Umstände getriebenen karthagischen Feldherrn beim Söldneraufstand 241–238 v.Chr. gegenüber: Pol. I 67–88. 31 Das zeigen die selbst in den späten Exzerpten und bei Livius noch erkennbaren Notizen über die Reaktion des Senats auf die Erklärungen der Gesandtschaften, die selbst die für den Ausgang gar nicht entscheidende Verspätung der Rhodier markierten: Die Senatoren sprechen dazwischen, ermuntern die Redner (Eumenes), z.B. Liv. XXXVII 54,1; Pol. XXI 22,1; Liv. XXXVII 54,26 u.v.m. Es scheint, als basiere der polybianische Bericht auf einem Verlaufsprotokoll, siehe DREYER, Römische Nobilitätsherrschaft (Anm. 22), 328–330 (mit der dort versammelten Forschungsliteratur). 32 Vgl. auch oben zum 6. Buch.
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hinaus kaum Alternativen und daher begrenzte Überprüfungsmöglichkeiten. Doch wurden gerade Hofhistoriographen von ihm kritisch gesehen, wie etwa Theopomp.33 In anderem Zusammenhang führt er dazu aus: „Ich war hierbei ziemlich unschlüssig, was ich tun sollte. Denn ins Einzelne mit Genauigkeit über solche geheimen Verhandlungen zwischen den Königen zu berichten, wäre offenbar ein Unterfangen, bei dem man leicht zu ertappen ist, und daher gefährlich. Auf der anderen Seite das, was meiner Meinung nach die größten staatspolitischen Folgen dieses Krieges bewirkte, durch das zugleich viele spätere schwer erklärbare Vorgänge ihre Ursache finden, mit völligem Schweigen zu übergehen, wäre mir als ein Zeichen von Trägheit und Mutlosigkeit erschienen. Ich habe mich vielmehr entschlossen, meine Auffassung in groben Zügen darzulegen, und zwar unter Angabe der Wahrscheinlichkeitsgründe und Indizien, die mich zu dieser Auffassung geführt haben. Denn ich habe in dieser Zeit gelebt und war von den Geschehnis34 sen stärker als die Übrigen betroffen.“
Die konkurrenzlose Information gab gleichwohl für Polybios den Ausschlag, etwa die wichtigen Entscheidungsgrundlagen für das Handeln Antiochos’ des Großen, die im Hofrat in Gegenwart der Philoi getroffen wurden, z.B. im Jahre 192 v.Chr.35 Eine weitere Quelle derartig exklusiver Information ist die Darstellung zur Geschichte Philipps V. und des Perseus zwischen 182 und 179 v.Chr.,36 die aus dem königlichen Philoi-Stab stammt.37 Dieser Bericht (im Kern) über den Streit von Philipps Söhnen aus Anlass der Gesandtschaft des Demetrios in Rom ist durch eine düster-dramatische Atmosphäre gekennzeichnet. Nicht nur heute ist der Bericht deshalb verdächtig. Gerade dieser Augenzeugenbericht war für Polybios eine wertvolle zusätzliche Informationsquelle zur Eumenesrede im Jahre 172 v.Chr., zu den darauf basierenden römischen Vorwürfen gegenüber Perseus und zu den zeitgenössischen Dokumenten (wie dem Dekret von Delphi)38 sowie zu den Beschwerdeberichten griechischer 33 Pol. IV 87,3; V 26,12; V 90,5–8; XV 24,4–6; XXII 16; prinzipiell in: VIII 8–11, besonders cap. 8 zu den Hofhistoriographien über Philipp V., cap. 9–11 zu Theopomp über Philipp II. 34 Pol. XXIX 5,1–3: Ὑπὲρ ὧν ἔγωγε διηπόρηκα τί δεῖ ποιεῖν τό τε γὰρ γράφειν κατὰ μέρος ὑπὲρ τοιούτων ἀκριβολογούμενον ἃ δι’ ἀπορρήτων πρὸς αὑτοὺς οἱ βασιλεῖς ἔπραττον εὐεπίληπτον ἐφαίνετο καὶ τελέως ἐπισφαλές, τό τε παρασιωπῆσαι πάλιν ὁλοσχερῶς τὸ δοκοῦν πραγματικώτατον ἐν τῷ πολέμῳ τούτῳ γεγονέναι, καὶ δι’ οὗ πολλὰ τῶν ὕστερον ἀπορουμένων γνωρίμους ἔσχε τὰς αἰτίας, τελέως τινὸς ἀργίας ἐδόκει μοι σημεῖον εἶναι καὶ τῆς πάσης ἀτολμίας οὐ μὴν ἀλλὰ κατηνέχθην ἐπὶ τὸ γράφειν κεφαλαιωδῶς τὸ δοκοῦν, καὶ δι’ ὧν εἰκότων καὶ σημείων ἐπὶ ταύτης ἐγενόμην τῆς γνώμης, ὑπάρχων κατὰ τοὺς αὐτοὺς καιροὺς καὶ μᾶλλον ἑτέρων ἐκπληττόμενος ἕκαστα τῶν γενομένων. 35 Allg. H. H. SCHMITT, Untersuchungen zur Geschichte Antiochos’ des Großen und seiner Zeit, Stuttgart 1964, besonders 175–185; der Kriegsrat im Jahre 192: Liv. XXXV 17,3–19,7; Pol. III 11–12. 36 Pol. XXIII 1–11; Liv. XXXIX 53; Liv. XL 3–24 (allg.). F. W. WALBANK, Φίλιππος τραγῳδούμενος, in: JHS 58 (1938), 55–68, besonders 67 Anm. 2, der ein Abfallen des Polybios zu den von ihm vehement kritisierten Praktiken dramatischer und rhetorischer Geschichtsschreibung konstatiert; er hält daher den Bericht über die Vorgeschichte des Dritten Makedonischen Krieges für wenig überzeugend. 37 Pol. XXII 14,7. 38 Eumenesrede: Liv. XLII 11–13; römische Vorwürfe: Liv. XLII 40; Dekret von Delphi: Syll.3 n. 643.
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Gesandter der 180er und 170er Jahre über makedonische Rüstungen und die Restriktionspolitik Philipps V., seine Bündnispolitik mit den Barbaren und die gegen Rom gerichtete Revisions- und Doppelstrategie.39 Diese konnten Teile des höfischen Berichts bestätigen.40 Die makedonische Hofquelle schlug möglicherweise auf die Darstellung des Historikers auch an anderen Stellen durch,41 am stärksten jedoch im besagten dramatischen „Kern” des makedonischen Bruderstreits, der zur Hinrichtung des Demetrios führte, und im Bericht über den Tod des Philipp. Einen ähnlichen – dramatischen – Charakter hatte die ptolemäische Quelle über das Ende des Agathokles in Alexandreia nach 205 v.Chr.42 Wie etwa im Falle des Augenzeugenberichts über das Ende der Gattin Hasdrubals und beider Kinder43 ist die Darstellungsart aber auch auf die Dramatik der Ereignisse selbst zurückzuführen. Die makedonische Hofquelle war Polybios für den detaillierten Bericht über die unwürdigen Verantwortlichen des makedonischen Abstiegs, Philipp V. und Perseus, dienlich, ebenso wie für die Wiedergabe der wahrscheinlich unhistorischen Alternativabwägung zur Thronfolge des Perseus kurz vor dem Tode des Philipp 179 v.Chr.44 39 Beschwerden über die makedonische Politik: Liv. XXXIX 46,6–48,4 (5); Pol. XXIII 10 (Liv. XL 3,3); Pol. XXV 3–4. Über Behandlung von Ainos und Maroneia: Pol. XXII Inhaltsangabe; XXII 6 und 11; XXII 14; XXIII 1–3 (4); 8; 13; vgl. Liv. XXXIX 24,10–26,14 (Tempetalkonferenz 185 v.Chr.); XXXIX 27,1–29,3; 33; 34,1–35,4. – Revisionspolitik Philipps V.: Liv. XL 57–58 (siehe auch XLI 19,3); Pol. XXV 6,2–5; siehe unten Pol. XXII 18 (Text Anm. 61), vgl. Liv. XLI 19,3–11. 40 Eine alternative Tradition über die Ereignisse, die im Perseuskrieg kulminierten, liegt in Appian (Makedoniké) vor, der betont für Perseus Position ergreift. Deswegen ist der Bericht des Polybios und derjenige des Livius, soweit er auf Polybios beruht, aber noch nicht einseitig oder gar verfälschend prorömisch. 41 Pol. III 6,4; III 3,8 (vgl. Liv. XL 21,2: cupido-Motiv; siehe auch Pol. XXIV 4: einschließlich Besteigung des Haimos 181 v.Chr. in Nachahmung Alexanders: Arr. I 1,4–7; vgl. Thrakienfeldzug 183/2 v.Chr. Liv. XXXIX 53,12–16); Pol. XXII 18,10–11 (vgl. Liv. XXXIX 23,5– 29,4; XLII 5,1–6); Pol. XXIX 21; siehe auch Liv. XLV 9,2; vgl. P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964, 123–139. WALBANK, Φίλιππος τραγῳδούμενος (Anm. 36), 60–63; Pol. XXIII 10,1–16; Liv. XL 3–5; Streit zwischen Demetrios und Perseus: Liv. XL 5– 24; Pol. XXIII 10,17; XXIII 11; Tod von Philipp V. 179 v.Chr.: Liv. XLII 54,1–57,1 und 58,9. 42 Pol. XV 26 und XV 34–35 (zur Position der Fragmente siehe K. ABEL, Der Tod des Ptolemaios IV. Philopator bei Polybios. Eine historisch-textkritische Studie, in: Hermes 95 (1967), 71–90: 14. Buch, genauer im Kapitel 12 des 14. Buches, in welchem Polybios den ägyptischen Exkurs rechtfertigt); siehe auch die Polemik gegen diese Quelle: Pol. XV 34–5; vgl. den Fall des Hermeias in: Pol. V 40–57 (223–220 v.Chr.: Apollophanes). 43 Pol. XXXVIII 20; vgl. G. A. LEHMANN, Polybios und die ältere und zeitgenössische griechische Geschichtsschreibung: Einige Bemerkungen, in: E. Gabba (Hrg.), Polybe. Neuf exposés suivis de discussions, Genf 1974, 147–205, besonders 201–205. 44 Ende Philipps und unhistorische Alternative zu Perseus: Liv. XL 22,15–24,8; 55,8–57,1. – Pol. XXIII 10,12–15: „Bei der dritten Tragödie, welche die Tyche damals auf die Bühne der Geschichte brachte, ging es um Philipps Söhne. Da beide einander nach dem Leben trachteten und er sozusagen in richterlicher Instanz entscheiden musste, welches Sohnes er Mörder wer-
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Der polybianische Gewährsmann schreckte folglich wohlmöglich vor Verfälschungen nicht zurück, um seiner Auffassung über den unwürdigen Untergang dessen, was mit Philipp II. und Alexander verheißungsvoll begann, Nachdruck zu verleihen. Für Polybios – soweit bei Livius erhalten – war diese ansonsten nicht weiter verfolgte beziehungsweise überprüfbare Nuance deshalb attraktiv, weil sie seiner Meinung über die zwei letzten makedonischen Könige weitgehend entsprach, insbesondere derjenigen über Philipp V., der sehr ambitionierte Pläne verfolgte, aber es an der hinreichenden Konsequenz in entscheidenden Momenten fehlen ließ. Bereits vorher, in der Zeit ab 182 v.Chr., auf dem Höhepunkt des Bruderstreites, war Philipp nach dem makedonischen Gewährsmann des Polybios nicht in der Lage, sich zwischen Demetrios und Perseus zu entscheiden.45 Diese Quelle, die gegen Perseus eingestellt war, schrieb darum dem älteren Sohn die Ermordung seines Bruders zu. Weiter kam diese Version der Ursachentheorie am Beispiel des Dritten Makedonischen Krieges entgegen, in der Polybios die Schuld eindeutig Philipp zuwies.46 Für Polybios war Philipps negative Wende, die dessen schlechte Charakterzüge zunehmend vortreten ließ, vornehmlich in seinen Westplänen angelegt. Diese Wende wurde auch in der Kriegspolitik nach 215 beziehungsweise 213 v.Chr. allmählich allen offenbar.47 Diese Bewertung teilte der Historiker wenigstens mit einer Mehrheit der achäischen Mitbürger. Für diese Einschätzung konnten immerhin einige Argumente aufgebracht werden, auch weil sich die neue Politik Philipps jenseits des Bundesstaates bemerkbar machte. Achaia hatte an der Koalition mit Philipp bis in den Zweiten Makedonischen Krieg (198 v.Chr.) festgehalten und wechselte dann die Seiten nur unter großen innenpolitischen Verwerfungen, zumal man bis zuletzt sehr von dem Engagement des Königs profitiert hatte. Nüchtern werden in der entscheidenden historischen Rede des achäischen Strategen Aristainos die Realitäten der Kriegssituation im Herbst 198 v.Chr. gegeneinander abgewogen.48 Dabei wurden weder die Vergehen Philipps für den Seitenwechsel betont (sie sind eher nachgeordnet) noch die Rolle des militärisch überlegenen Kriegsgegners Rom unter der Führung des Flamininus nach den Inhalten der römischen Propaganda geschönt. Darüber hinaus waren die Römer immerhin mit Achaias Gegner Nabis von Sparta verbündet und
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den wollte und von welchem er in seinem weiteren Leben mehr zu befürchten haben würde, dass ihm in seinem Alter das gleich widerfahren würde, lag er, Tag und Nacht hierüber grübelnd, wie auf der Folterbank. Da er sich also in einer solchen seelischen Not und Zerrissenheit befand, musste man da nicht überzeugt sein, dass ein Blitzstrahl göttlichen Zorns ihn getroffen hatte, zur Strafe für alle seine Sünden, die er während seines Lebens begangen hatte? Das Folgende wird, wie ich denke, dieses Urteil bestätigen.” Pol. XXIII 10,12–13. Siehe den Text in Anm. 61. Pol. VIII 8 und 12. Die Westpläne Philipps sind nach Polybios insbesondere durch den illyrischen Berater Demetrios von Pharos nach der Flucht vor den Römern 218 v.Chr. angeregt und nach dem Frieden von Naupaktos angestrebt worden, während der von Polybios sehr geschätzte Aratos von Sikyon als besonnener Berater immer noch als ‚Mahner‘ (etwa am Beispiel der grausamen Behandlung) wirkte, dann aber gerade 213 v.Chr. ‚ausfiel‘. Liv. XXXII 21.
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hatten im Jahre 199 v.Chr. erneut mit Aitolien einen Bündnis geschlossen – das provozierte die Erinnerungen an das römisch-aitolische Bündnis von 212 v.Chr., an welcher die römische Kriegsführung entgegen allen Beteuerungen in den ersten beiden Kriegsjahren anzuknüpfen schien. Vielmehr hat sich die Mehrheit der Vertreter des Bundesstaates dem Votum für den Seitenwechsel Achaias deshalb angeschlossen, weil die Kräfteverhältnisse in diesem Jahre für die römische Seite wogen und nur so der Untergang Achaias abgewehrt werden konnte, wobei unverkennbar auch die Herrschaft Philipps seit der von Polybios beschriebenen Wende immer schwerer wog und die Entscheidung (nachgeordnet) mitbestimmte. Natürlich hat Philipp den Seitenwechsel Achaias als Verrat gebrandmarkt.49 Auch Walbank hat sich eindeutig zur Stellungnahme des Polybios im Exkurs über die Verräter bekannt,50 in welcher der achäische Historiker die Position des Konkurrenten Philopoimens, Aristainos, als Rettung seiner Heimat verteidigte51 – eine Sicht, die durch viele seiner achäischen Zeitgenossen geteilt wurde, wie die achäische Ehrung für Aristainos (von Dyme) in Delphi belegt.52 Polybios stand mit seiner Ansicht, dass Philipps Westpläne erst diese Wende verursacht hatten, nicht allein. Davon zeugen von Polybios unabhängige Quellen aus der Zeit vor 215 v.Chr.: Die Wahl des Philipp zum Vorstand (von Kreta), Ehrungen und Ehrenepigramme, in welchen die Taten des Philipp gerühmt wurden.53
49 Pol. XVIII 6,5–8. 50 WALBANK, Commentary I (Anm. 4), 12. 51 Pol. XVIII 13–15. Der Exkurs über die Verräter war veranlasst durch die Übergabe von Argos an Nabis durch Philipp im Winter 198/7. Indirekt diente er allerdings (so Walbank) auch der Verteidigung des Aristainos, der demnach nicht ein Verräter gewesen war. – Aristainos wurde von Polybios als Politiker sehr geschätzt (Pol. XXIV 11–13), obwohl er der innenpolitische Konkurrent des politischen Idols des Historikers, Philopoimen, gewesen war. 52 FD III 3,1 n. 122 (S. 88f.): Reiterstandbild. Zur Identifikation siehe ISE n. 37, (S. 85–87); LEHMANN, Historische Glaubwürdigkeit (Anm. 13), 391f., gegen die Äußerung Plut. Philopoimen 17 und Paus. VIII 51,4, die Aristainos zu einem Bürger von Megalopolis machten. – Ggf. ist auch eine Proxenie-Ehrung in Kreta auf unseren Aristainos zu beziehen: ICret II, S. 23 E (vgl. Moretti ISE I 37, S. 86). 53 Pol. VII 11,9 (Trogus Prol. 29). – Alkaios AP 9,518 (vgl. J. GEFFCKEN, Griechische Epigramme, Heidelberg 1916, n. 324, KÖRTE, Die hellenistische Dichtung, Stuttgart 21960, S. 333): Festige, Zeus, des Olymps gewaltige Mauern, für Philipp Gibts Unersteigliches nicht, schließe der Himmlischen Tor! Schon sind Erde und Meer bezwungen vom Zepter des Philipp Übrig bleibt ihm allein auf zum Olympos der Weg. Im Gegensatz dazu später: AP 7,247 (vgl. Plut. Titus Flamininus 9, GEFFCKEN, n. 325, KÖRTE, Die hellenistische Dichtung, Stuttgart 21960, S. 333, Übers. Ziegler) Dreißigtausend liegen wir hier auf thessalischer Erde Keine Träne, kein Grab, Wanderer, ward uns zuteil Uns überwanden im Kampf die Aitoler und die Latiner Die aus Italiens Flur Titus herübergeführt, Dir zum Leid, makedonisches Land! Doch der Stolz des Philippos Suchte das Weite: So schnell flieht nicht der flüchtigste Hirsch.
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In der Tat hatte das Engagement Philipps im Westen und die Verbindung mit Hannibal das römische Bündnis mit den Aitolern provoziert. Damit war – was auch in den erhaltenen Fragmenten über die Reden griechischer Politiker vor und während des ersten makedonischen Krieges im Werk des Polybios thematisiert wird54 – eine neue Macht im Spiel der Kräfte in Griechenland, die in den Entscheidungen der griechischen Staaten einzukalkulieren war: Dafür war Philipp verantwortlich, der einen der Kontrahenten im Gigantenkampf in Italien zu einem Engagement in Griechenland unprovoziert ‚einlud‘. Aber selbst für die Zeit nach der ausgemachten charakterlichen Wende äußerte sich der Historiker über die Leistungen von Fall zu Fall positiv.55 Respekt erntete auch der König für sein standhaftes Verhandeln und seine Selbstironie im Jahre 198 v.Chr., die ihn selbst seinem Verhandlungspartner auf römischer Seite, dem Oberbefehlshaber Titus, sympathisch machten, und für sein konsequentes
Ehrung für Philipp V. in Epidauros: ISE n. 47; siehe die Übersetzung in: K. Brodersen, W. Günther, H. H. Schmitt, Historische Griechische Inschriften in Übersetzung, Darmstadt 1999, Bd. III, n. 423. Ὅσσον ἔπ’ ἀέλιός τε μέγ[αν πόλον ἄστρα τ’ ἀμ]είβει αἰνετὸν Ἑλλάνων ἁγ[εμόν’ ἐξενέπω], εἰ καὶ χάλκεός εἰμι, κ[ράτει δορὸς οὕνεκα] νάσωι Ἀπίδι τὰν ὀλοὰν ἄρκε[σε δουλοσύναν], πολλὰ μὲν Αἰτωλοῖσι κ[αὶ Ἀλείοις κακὰ ῥ]έξας (5) μυρία δ’ εὐπώλωι λυγρὰ [Λακώνιδι γᾶι] τῶι καὶ νῦμ μ’ Ἐπίδαυρο[ς ἀνέστασ’ ἀλ]λὰ φύλασσε Ζεῦ τὸν ἀπὸ Σπάρτας ε[ὐρὺ λαβόντα] κλέος. „Über den Raum hin, den die Sonne über den großen [Himmelsbogen und die Sterne] hin durchmißt, [will] ich den ruhmreichen Anführer der Hellenen [preisen], wenn ich auch nur aus Bronze bin. [Denn] er hat mit der [Macht des Speeres] die verderbliche [Knechtschaft] von der Apis-Insel [sc. Peloponnes] ferngehalten und (Z. 5) den Aitolern und [Eleern] zahlreiche [Einbußen] zugefügt, unermessliches Leid aber dem [lakonischen Land], das reich ist an Pferden. Ihm [sc. Philipp] zu Ehren nun hat mich Epidauros hier [aufgestellt]. Du aber, Zeus, behüte den, der von Sparta her [sich weithin] Ruhm [erworben hat].“ Vgl. dazu: F. W. WALBANK, Alcaeus of Messene, Philip V, and Rome, in: CQ 36 (1942), 134–45; DENS., Alcaeus of Messene, Philip V, and Rome, in: CQ 37 (1943), 1–13. 54 In diesen Reden gehen die griechischen Politiker vom jeweiligen historischen Kontext (vgl. etwa B. DREYER, Die Thrasykrates-Rede bei Polybios (11,4–6) und die Bezeichnung der ,Opfer‘ im Römisch-Aitolischen Vertrag von 212 v.Chr. Zur inhaltlichen Ergänzung der Inschrift von Thyrrheion (Akarnanien) IG IX 12 2, Nr. 241 = StVA III 536 vor der sog. Klausel a, in: ZPE 140 [2002], 33–39) aus auf die Motive Roms für ein Eingreifen in Griechenland ein. Die jeweiligen Politiker (so etwa: Agelaos V 104; Lykiskos IX 32–37; Thrasykrates XI 4–6) geben aus der gegenwärtigen Lage heraus Antworten auf die Frage, wer auf griechischer Seite für die römischen Motive verantwortlich zu machen war. Über die Ansicht des Polybios, dass sich bereits im ersten makedonischen Krieg die entscheidende Wende Roms (was u.a. in den Reden thematisiert wurde) vollzogen hatte und nicht erst (wie zumeist in der Forschung betont) mit dem Kriegseintritt im Jahre 201/200 siehe insbesondere DREYER, Römische Nobilitätsherrschaft (Anm. 22), u.a. 385. 55 Siehe oben Anm. 23.
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Agieren nach der Niederlage 197 v.Chr.56 Die Bewertung des Philipp in dieser Krise fällt schon auf, gerade wenn man das Urteil des Historikers über das Verhalten seines Sohnes Perseus, des letzten Makedonenkönigs, im Jahre 168 v.Chr. nach der verlorenen Schlacht bei Pydna hinzuzieht: Perseus hatte es im Gegensatz zu Philipp (197 v.Chr.) versäumt, kompromittierende Akten zu vernichten, die dadurch die Grundlage für das römische Strafgericht wurden. Perseus zog gegenüber seinem Vater in jeder Hinsicht den Kürzeren: Er versäumte 171 v.Chr. den konsequenten Einsatz der zuvor siegreichen Reiterwaffe; Perseus’ Geiz verbaute Chancen, auch während der unwürdigen Verhandlungen mit Eumenes im Jahre 168 v.Chr.57 Immerhin hatte Perseus eine im Vergleich zum Vater bessere Außenwirkung auf die Massen in Griechenland, zugleich aber eine Basis, auf die man nicht nur wegen der bekannten Vorbehalte des Historikers vor der Wankelmütigkeit der Massen nicht bauen konnte. Tatsächlich dünnten sich die Reihen der Unterstützer und Sympathisanten auf der Seite Makedoniens bis zu Kriegsbeginn 171 v.Chr. rasch aus, als die Entschlossenheit (wenn auch nicht Kriegsbereitschaft) Roms klar wurde. Die wenigen verbliebenen Alliierten des Perseus (wie der Boiotische Bund) wurden noch vor Beginn der Kampfhandlungen ausgeschaltet. Wie seine höfische Quelle sah Polybios Philipp von seinen eigenen Untaten verfolgt: Bereits der Vertrag zur Aufteilung des ptolemäischen Reiches mit Antiochos war nach Polybios’ Aussage moralisch zu verurteilen.58 Denn wer sich kontinuierlich gegen jedes moralische Gesetz und Herkommen stellte, den traf die strafende Tyche: das galt laut Polybios für jeden, nicht nur für Könige. Doch die zweite Bewertungskategorie, mit welcher der Historiker die Akteure, auch die Könige, an ihren eigenen Absichten maß, war für Polybios wichtiger. In Philipps Fall sollen diese auf die Eroberung der ganzen Oikumene gezielt haben. Der immer wieder vorgenommene Versuch der angemessenen Bewertung des Königs vor dem Hintergrund seines „globalen Anspruchs” führte Polybios folglich nicht nur zum wirklichen Verständnis der Persönlichkeit Philipps, sondern auch zur Einsicht in sein fundamentales Scheitern: Als sich nämlich die Möglichkeit zur Verwirklichung dieser Pläne ergab, zog sich Philipp wegen fehlender Fähigkeit zu konsequentem Handeln zurück, ein Umstand, den Polybios deshalb heftig kritisierte.59 Damit rückte auch in den Augen des Polybios Philipp charakterlich in die Nähe des von seinen Untaten gepeinigten alten Königs, so wie
56 Mutiges und kluges Verhalten nach der Niederlage gegen die Römer: Pol. XVIII 33; Liv. XXXIII 11,1; 13,4; 19,1 (Verbrennung der Dokumente), im Gegensatz zu Perseus nach dessen Niederlage 168 v.Chr., der dies unterließ: Pol. XXIX 17; Die nicht vernichteten Akten wurden auf diese Weise Grundlage der römischen Jagd auf die Anhänger des Perseus nach dem Krieg: Pol. XXX 13,10. 57 Ein direkter Vergleich Philipp-Perseus lag wohl ursprünglich dem Fragment in Pol. XXV 3 zugrunde; militärisches Versagen des Perseus: Liv. XLII 47–62,2; Perseus’ Geiz: Pol. XXVIII 9; XXIX 5–9. 58 Pol. XV 20 (Text oben Anm. 20). 59 Siehe Anm. 22.
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er in seiner makedonischen Quelle nachgezeichnet wurde, als er zum Ende seiner Regierung zunehmend zu keinem konsequenten Handeln mehr fähig war. Dieselbe (charakterliche) Hypothek belastete das Handeln seines Sohnes Perseus, weil auch er – wie sein Vater – nicht zu dem fähig war, was Makedonien unter Philipp II. und Alexander groß gemacht hatte. Nach Polybios hat Philipp V. seit den 180er Jahren verbittert eine Revisionspolitik betrieben, die auf die Neuauflage des Zweiten Makedonischen Krieges hinauslaufen sollte. Dafür sollten angeheuerte Barbarenstämme über die Pässe der Alpen geführt werden und in Norditalien einfallen – eine Strategie, die letztlich in kleinerem, an die Gegebenheiten angepasstem Maßstab an den kühnen Hannibalplan eines Doppelschlages gegen Rom anzuknüpfen trachtete. Doch auch hier hat es an der letzten Konsequenz gefehlt, weil Perseus die Barbaren nicht verproviantierte, so dass diese dafür im Norden Griechenlands plünderten – also die eigenen Reihen eher noch schwächten anstatt die Kräfte der Römer in Italien zu binden, während man gegen Roms Verbündete in Griechenland vorging. Wie Philipp V., der sich stets auf Philipp II. berief, selbst unfähig war, seine weitgesteckten Ziele zu verfolgen, so konnte Perseus nicht die Funktion erfüllen, die sein Vater Philipp für ihn vorgesehen hatte,60 im Gegensatz zu Philipp II. und seiner ausführenden Hand Alexander.61 Perseus’ Geiz und Angst beschwor eine barbarische Geißel, eine Gefahr, 60 Pol. XXII 18 (siehe unten); vgl. Perseus als Erbe von Philipps Plänen: Liv. XLII 11,4 (Rede des Eumenes 172); XXXIX 21,4; 23,5. – Kein Geld und Proviant von Perseus für die barbarischen Stämme, die von Philipp angeheuert wurden: a) Kontakt von Philipp zu den Bastarnen: Pol. XXV 6; Liv. XLII 11,4; XL 57–58; XL 5,10; b) Die Bastarnen werden umgeleitet (gegen die Dardaner), da sie nicht, wie vereinbart, von Perseus verproviantiert wurden: Liv. XL 57–58; XLI 19,3–11. – Geiz des Perseus gegenüber Galatern, Genthios und Eumenes: Pol. XXIX 5–9, vgl. Liv. XLIV 24,9–27,12 – Feigheit des Perseus während und nach dem Kampf von Pydna: Liv. XLIV 42,1–2; Pol. XXIX 17; Plut. Aemilius Paullus 19. – Berittene Streitkräfte werden nicht nach einem ersten Reitersieg eingesetzt: Liv. XLII 57,1– 62,2. – Berichte und Korrespondenz nicht vernichtet: Pol. XXIX 17; XXX 13,10 (siehe oben). 61 Pol. XXII 18, 6–10: „In dieser Frage herrscht bei den meisten Historikern eine völlige Verwirrung, weil sie sich nicht darüber klar sind, worin sich Vorwand von Ursache und wiederum ein Vorwand von dem Anfang eines Krieges unterscheidet. Da die Tatsachen selbst es ins Gedächnis rufen, sehe ich mich gezwungen, noch einmal zu wiederholen, was ich schon an früherer Stelle dargelegt habe. Von den soeben genannten Ereignissen sind die ersten Vorwände, die letzten (...) offensichtlich bereits der Anfang des Krieges zwischen Römern und des Perseus und des Untergangs des makedonischen Reiches. Ursache aber ist von allen diesen Ereignissen kein einziges. Dies wird aus dem Folgenden deutlich werden. Wie nach den Ausführungen an jener Stelle Philipp, der Sohn des Amyntas, die Absicht und den Plan gefasst hat, den Krieg gegen die Perser durchzuführen, Alexander aber seinen Entschluss in die Tat umgesetzt hat, so hatte auch schon Philipp, der Sohn des Demetrios, die Absicht, den letzten Krieg gegen die Römer durchzufechten, und hatte alle Vorbereitungen dafür getroffen; Perseus aber wurde nach seinem Tod der Vollstrecker seines Willens.” – Die Rückverweise des Historikers meinen folgende Stelle, Pol. III 6,6: „Hieraus (aus den Erkenntnissen der Kriegsstärke der Perser) erkannte und erschloss Philipp die Feigheit und die Energielosigkeit der Perser, und da er sich seine und seiner Makedonen kriegerische Tüchtigkeit, dazu die Größe und Schönheit des vom Kriege zu erhoffenden Siegespreises vor Augen hielt, fasste er, sobald er sich des Wohlwollens der Griechen versichert hatte, unter
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vor der Polybios immer und nicht nur im Fall der makedonischen Könige warnte, deren Reich gleichwohl eine traditionell offene Flanke nach Norden gegen einfallende Barbarenvölker aufwies, von denen Makedonien in jeder Generation verheert wurde. Auch hier hatten Philipp und Alexander durch ihre Eroberungen bis zur Donau (bis zum Tode des Lysimachos 281 v.Chr.) Ruhe geschaffen und damit den rechten Weg gewiesen. Nun war Perseus auch in dieser ganz zentralen Aufgabe gescheitert, indem er durch seinen Geiz die Barbaren, die sein Vater angeheuert hatte, nicht ihrer ursprünglichen, vom Vater vorgesehenen Bestimmung zuführte: Polybios beurteilte folglich die einzelnen Taten und setzte sie in ein differenziertes Bezugsystem zur griechischen Vergangenheit, die im makedonischen Fall von der kohärenten Hofquelle stammt; hier ist folglich weniger der römische Standpunkt, der offiziell wie die zeitgenössische Geschichtsschreibung62 allein auf den Anteil des Perseus rekurriert, maßgeblich, noch allein die achäische Sichtweise. Der grundlegende Auftrag an einen Politiker oder Herrscher ist im Mindesten die Bestandssicherung (der erhabenen griechischen Vergangenheit beziehungsweise Gegenwart),63 insbesondere vor der (Barbaren-)Gefahr von außen.64 Negativ ist von Egoismus getragenes staatliches oder persönliches Handeln, das unser Historiker dem Athener Demosthenes unterstellt,65 was insofern konsequent ist, weil sein Gegner Philipp II. sich nach Polybios in den oben genannten Kriterien bewährt habe. Folglich werden die positiv beurteilten Taten Philipps V. bis 217 v.Chr. den Taten Philipps II. als eines maßvollen Hegemon der Griechen beigestellt. Das Wirken beider vom Rande der als griechisch empfundenen Welt her habe den Bestand der griechischen – der festländisch-ägäischen66 – Welt gesichert. In diesem Sinne erfährt auch die aitolische Abwehr der Kelten im Jahre 279 v.Chr. eine positive Bewertung.67 Auch die römischen Keltenkriege werden unter diesem Aspekt eingereiht, alle ohne Unterschied.68 Mit dieser Auffassung konnte sich Polybios erneut im Einklang mit vielen seiner Zeitgenossen sehen: In Übereinstimmung mit einer großen
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dem Vorwand, das Unrecht, das die Perser den Griechen angetan hatten, zu rächen, den Entschluß zum Krieg und traf dafür alle notwendigen Vorbereitungen. Man muss daher als Ursachen für den Perserkrieg das zuerst Genannte betrachten, als Vorwand das zweite, als Anfang den Übergang Alexanders nach Asien.” Vgl. Exkurs über die makedonische Geschichte in Pol. XXIX 21; siehe auch Pol. V 9–10; VII 11–14; die Rede von Lykiskos IX 32–39; mit WALBANK, Antigonids (Anm. 17), 1729f.; LEHMANN, Polybios und die griechische Geschichtsschreibung (Anm. 43), 154–157. Siehe Anm. 60 und 61. Pol. VIII 10,5–11,8 bezogen auf die Leistungen von Philipp II. und Alexander, gegen die Schmähungen Theopomps. Pol. II 35,7. Pol. XVIII 13–15. G. A. LEHMANN, The “ancient” Greek History of Polybius: tendencies and political objectives, in: SCI 10 (1989/90), 68f. Pol. II 35,7; IX 35,1–4. Pol. II 35.
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Mehrheit der Griechen konnten folglich die siegreichen Römer im Jahre 196 v.Chr. dem unterlegenen Makedonenkönig die Funktion eines Bollwerkes gegen die Nordvölker als Existenzberechtigung zuweisen. Wie viele seiner Zeitgenossen sah sich Polybios aber auch von der machtvollen Machtausdehnung der hellenistischen Könige in den Bann gezogen. Gerade der rasante Wiederaufstieg des Seleukidenreich unter Antiochos III. mit der beeindruckenden Neuauflage der Anabasis ab 213 v.Chr. hatte einen großen Eindruck hinterlassen.69 Nicht geringer war darum auch das Ausmaß der Enttäuschung über die Trägheit und Tatenlosigkeit dieses viel versprechenden Königs während der Auseinandersetzung mit Rom. Die Enttäuschung ist nachvollziehbar, da für die Zeitgenossen des Polybios, vielleicht auch für Polybios selbst, noch in den Jahren zwischen 220 und 205 v.Chr. zwei ambitionierte Herrscher – nach polybianischer Diktion – dem größten Werk der Tyche ein Schnippchen hätten schlagen können, wenn sie nur ihre Talente gut genutzt und ihre Absichten konsequent umgesetzt hätten.
FAZIT Ganz entgegen seiner teleologischen Geschichtskonzeption, nach der die Tyche die römische Herrschaft bewerkstelligt haben soll, betrachtete Polybios die Könige nicht notwendigerweise der Römischen Republik unterlegen. Im Gegenteil: das zeigt das Schicksal der makedonischen Könige für eine entscheidende Zeit zwischen 220 und 180 v.Chr. Polybios bemühte sich um zeit- und ortsnahe Quellen, um dem Wirken dieser Männer, ihren Absichten und Motiven nahe zu kommen, gerade weil er ihre Rolle hoch schätzte und ihre Entscheidungen verstehen wollte. Die Könige wurden in erster Linie danach bewertet, wie konsequent sie ihren Absichten nachgingen, und erst nachgeordnet nach moralischen Kriterien – vorausgesetzt, sie erfüllten die Kernaufgaben. Darüber hinaus hatte Polybios seine Sympathien: Er war Achäer und fühlte sich einzelnen Vertretern der Senatsaristokratie sicherlich auch verpflichtet – immerhin, er ließ sich in seine Karten sehen. Dies führt aber m.E. nicht zu einer vorsätzlichen Einseitigkeit in der Bewertung, zumindest was die Könige betrifft. Vielmehr nahm Polybios zeitgenössische Wertungen auf und vertiefte sie, vor dem Hintergrund einer profunden Kenntnis der griechischen Geschichte – und aus einer griechischen Perspektive. Bemerkenswerterweise hatte für Polybios auch die römische Herrschaft in dem Maße ein Anrecht auf Akzeptanz, in dem sie sich der ureigenen Kernaufgaben, die alle Politiker, auch die Könige zu erfüllen hatten, annahm oder sich darin bewährte. Zu den Pflichtaufgaben der Monarchen gehörten demnach die Bestandsicherung des Reiches, die Sicherheit der Untertanen, dazu die Verteidigung der griechischen, insbesondere der griechisch-festländischen Welt. Tatkraft und Entschlossenheit, gute Anlagen und moralisches Handeln erweckten darüber hinaus 69 Siehe oben Anm. 26.
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den Respekt des Historikers. Weiter gestand der Historiker jedem König ein Vormachtstreben, gar Weltmachtstreben zu und ließ sogar dahinter moralische Erwägungen zurückstehen. Die Nagelprobe war aber die Fähigkeit zur konsequenten Verfolgung der eigenen Absichten. Daran wurde der König gemessen, danach richtet sich das Urteil des Historikers. Gnade dem König, der seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde! Immerhin war damit das Schicksal eines ganzen Reiches verbunden. Folglich fiel – was die hellenistische Monarchie betrifft – die zentrale Bedeutung, die Polybios der inneren Struktur eines Staates und herausragenden Persönlichkeiten in geschichtlichen Abläufen zumaß, in eins.
DER ZUGANG DES POLYBIOS ZUR KUNST SEINER ZEIT Martin Tombrägel, Leipzig Im Rahmen einer archäologischen Auseinandersetzung mit dem Thema der Kunst des 2. Jahrhunderts v.Chr. wären die Schriften des arkadischen Historikers Polybios grundsätzlich eine willkommene Informationsquelle. Polybios selbst wäre für viele diesbezügliche Fragestellungen ein idealer Ansprechpartner. Er lebte nicht nur lange genug, um den sozio-kulturellen Wandel im Zuge der Eroberung der Mittelmeerwelt durch Rom am eigenen Leibe zu erfahren, er verbrachte außerdem seine Lebenszeit in langjährigen Abschnitten sowohl in Griechenland als auch in Italien, wobei er mit einigen der wichtigsten Entscheidungsträger, vor allem in Rom, direkten Kontakt pflegte.1 Schließlich bereiste er selbst nach eigenen Angaben weite Teile der Mittelmeerwelt und kannte mit Alexandria, Rom und Karthago die wichtigsten Städte seiner Zeit aus eigener Anschauung.2 Aus archäologischer Sicht kommt hinzu, dass Polybios mit einem Bauprojekt in seiner Heimatstadt Megalopolis in Verbindung gebracht werden kann, so dass wir ihn auch unmittelbar als Akteur innerhalb der kulturellen Rahmenbedingungen seiner Zeit heranziehen könnten.3 Diesen Ausgangsbedingungen zum Trotz ist es nicht möglich, eine allgemeine Untersuchung zur Kunst der hoch- bis späthellenistischen Zeit auf den Äußerungen des Polybios aufzubauen.4 Eine Revision der Historien ergibt relativ schnell, dass ein solcher Zugang dem Werk selbst und auch der Fragestellung nicht gerecht wird: Weder erfahren wir etwas über ein besonderes Verhältnis des Polybios zur Kunst noch enthalten seine Äußerungen überhaupt konzise Angaben dieses Thema betreffend. Wie Alain Bresson im Rahmen des Kolloquiums richtig anmerkte, liegt dies nicht zuletzt daran, dass Polybios eine politisch-historiographische und keine kunst- oder kulturhistorische Fragestellung verfolgt. Im Fokus der folgenden Überlegungen liegt deshalb ein Teilaspekt des Themenbereichs 1 2 3
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Direkter Kontakt u.a. zu: Scipio Aemilianus (Pol. XXXI 22–30; XXXVIII 21), Philopoimen (Pol. XXII 19), Demetrios, Sohn des Seleukos (Pol. XXXI 11). Programmatisch Pol. III 59,7; XII 28a; Pol. XXXIV 14 (Alexandria). Siehe zunächst: H. LAUTER, "Polybios hat es geweiht". Stiftungsinschriften des Polybios und des Philopoimen aus dem neuen Zeus-Heiligtum zu Megalopolis (Griechenland), in: AW 33 (2002), 375–386. Allgemeine Werke zu diesem Thema sind denn auch selten geblieben: C. WUNDERER, Polybios, Lebens- und Weltanschauung aus dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert, Leipzig 1927; L. CASTIGLIONE, Polybios und die römische Kunst, in: MAInstUngAk 5 (1974–1975), 59–80.
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der Kunst, mithin ein spezifischer Zugang zum Thema, den Polybios in seinem Werk dann doch durchscheinen lässt. So wenig und wenig aussagekräftig er sich nämlich positiv-informativ zur Kunst seiner Zeit äußert, so aufschlussreich und einprägsam sind solche Äußerungen, die sich mit der Zerstörung, Beschädigung oder dem Raub von Kunstwerken auseinandersetzen. Im Rahmen einer zunächst historischen und dann archäologischen Analyse soll deshalb geprüft werden, inwiefern sich Polybios mit negativer Färbung zum Thema Kunst äußert und wodurch dieser negative Zugang gegebenenfalls bedingt ist. Der archäologische Teil wird sich auf die aktuellen Ausgrabungsergebnisse zu Megalopolis stützen. Vorweg seien allerdings seine allgemeinen Kunst-Bemerkungen kurz zusammengefasst und eingeordnet. POLYBIOS UND DIE KUNST Vor dem Hintergrund der Einschätzung, dass die Darstellung einer Kunstgeschichte nicht im Erzählinteresse des Polybios liegt, ist seine stiefmütterliche Behandlung dieses Themas dennoch auffällig. Sieht man einmal vom Haupterzählstrang und der zentralen Argumentationslinie ab, so unterbricht Polybios sein Werk nämlich häufiger in Form von Exkursen, die sich teilweise sehr ausführlich mit geographischen,5 poliorketischen6 und allgemein technischen Fragen7 beschäftigen. Ausführliche Exkurse dieser Art zum Thema der Kunst sind nicht feststellbar. Die Erwähnung von Kunstwerken, Künstlern oder Kunstproduktion hat bei Polybios durchgehend beiläufigen und oberflächlichen Charakter. Dies lassen schon seine spärlichen kunsttheoretisch orientierten Anmerkungen erkennen, die kein wirkliches Interesse am Thema verraten, sondern ausschließlich als prägnante Vergleiche oder Paradigmen zur Veranschaulichung seiner geschichtstheoretischen Argumente dienen.8 So hängt nach Polybios der Wert des Ganzen in der Strategie wie auch in der Baukunst von den einzelnen Bestandteilen wie etwa den Ziegeln ab.9 Oder er wirft dem Historiker Timaios vor, dass er die Schriften früherer Historiker betrachtet, wie ein Maler, der die Gemälde der alten Meister betrachten und sich deshalb für einen guten Maler halten würde.10 Auch die eher neutrale Erwähnung von Kunstwerken ist im Werk des Polybios nicht häufig und meist in topographische oder biographische Beschreibungen eingebunden.11 An-
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Geographische Einführung zu Norditalien: Pol. II 14–17. Rabentechnik der römischen Schiffe: Pol. I 22. Feuersignal-Technik: Pol. X 43–47. Allgemein: N. SCHNEIDER, Geschichte der Kunsttheorie. Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert, Köln u.a. 2011, 11–77. 9 Pol. X 24,7. 10 Pol. XII 25e,7. Weitere Stellen: VI 58,1; X 21,4; XII 25h,2; XII 28a,1; XII 28a,6. 11 Beispiele: Pol. IX 27 (Beschreibung Agrigent); XIV 11 (Statue der Kleino in Alexandria); XXXI 4,4 (Roma-Statue auf Rhodos).
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lässlich des Feldzuges von Philipp V. in Triphylien berichtet Polybios etwa, dass die Stadt Alipheira über eine herausragende bronzene Athena-Statue verfüge, ohne dies dann jedoch weiter auszuführen.12 Innerhalb der biographischen Einführung zu Antiochos IV. findet sich der Hinweis auf dessen Vorlieben für toreutische Kunstwerke,13 außerdem wird an anderer Stelle die Errichtung des Olympieions von Athen kurz angesprochen.14 Die Erwähnung der Kunstwerke hat hier immer beiläufigen Charakter. Abschließend seien die beiden Polybios-Stellen angeführt, die in der Forschung zum Thema Kunst bis dato die größte Rolle gespielt haben, ohne dass diese für Polybios jedoch in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung gewesen wären. Das ist erstens die Bildungsreise des Aemilius Paullus in Buch 30, als der Feldherr, der gerade die Makedonen besiegt hatte, die zentralen Orte der griechischen Kultur besuchte und mit offensichtlichem und positiv konnotiertem Interesse die Highlights der griechischen Kunstgeschichte besichtigte.15 Zweitens hat der Abschnitt über die römischen Totenmasken im sechsten Buch großen Einfluss auf die archäologische Forschung zum römisch-republikanischen Porträt gehabt.16 Die geringe Bedeutung, die Polybios dem Thema der Kunst im Rahmen seiner Historien beimisst, ist grundsätzlich nicht problematisch, und die Gefahr vorhanden, eine Interpretation zu überspitzen. Dennoch sollen zwei Erläuterungsansätze schon an dieser Stelle vorgestellt werden. Auffällig ist erstens, dass mit Athen das größte griechische Kunstzentrum seiner Zeit von Polybios im politischen Kontext durchgehend äußerst negativ eingeschätzt wird.17 Diese negative Charakterisierung Athens könnte sich auch auf die Charakterisierung der Kunst ausgewirkt haben.18 Denkbar ist zweitens, dass Polybios die Missachtung der Kunst auf seine potentiellen römischen Adressaten zugespitzt hat. Einem römischen Leser war – rein theoretisch – die Großartigkeit einer rein technischen Weiterentwicklung – wie im Bereich der Feuer-Signal-Technik – leichter zu vermit-
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Pol. IV 78,5. Pol. XXVI 1,4. Pol. XXVI 1,11; vgl. XXX 25–26 (Prozession in Antiocheia). Pol. XXX 10,3–6. Siehe dazu: L.-M. GÜNTHER, L. Aemilius Paullus und "sein" Pfeilerdenkmal in Delphi, in: C. Schubert u.a. (Hrgg.), Rom und der griechische Osten. Festschrift für Hatto H. Schmitt zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1995, 81–85; U. EIGLER, Aemilius Paullus. Ein Feldherr auf Bildungsreise? (Liv. 45,27–28), in: ders. u.a. (Hrgg.), Formen römischer Geschichtsschreibung von den Anfängen bis Livius, Darmstadt 2003, 250–267. 16 Pol. VI 53–55; vgl. H. DRERUP, Totenmaske und Ahnenbild bei den Römern, in: RM 87 (1980), 81–129. 17 Vgl. Pol. V 106,5; VI 44. 18 Dieser Punkt betrifft die interessante Frage, inwieweit sich die Griechen des 2. Jahrhunderts v.Chr. als kulturelle Einheit verstanden haben. Die Arkader aus Megalopolis konnten sich mit der griechischen Kunst attischer Prägung womöglich nicht mehr identifizieren. In diesem Zusammenhang sind die Äußerungen des Polybios von Bedeutung, den Arkadern im Hinblick auf ihre musikalische Begabung eine unabhängige kulturelle Identität zuzuweisen (Pol. IV 21–22).
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teln als die Bedeutung einer künstlerisch hochwertigen Statue.19 Es wäre also denkbar, dass Polybios absichtlich darauf verzichtete, die kulturelle und künstlerische Überlegenheit Griechenlands in seinem Werk herauszustellen. POLYBIOS UND DIE ZERSTÖRUNG VON KUNSTWERKEN Im Gegensatz zu den beiläufigen und oberflächlichen Äußerungen die Eigenheiten der Kunst betreffend, ist der Aspekt der Zerstörung, Beschädigung und des Raubes von Kunst für Polybios von deutlich größerem Interesse.20 Polybios setzt sich an mehreren Stellen ausführlich mit den Hintergründen von Kunstzerstörung auseinander. Er bezieht sich dabei keineswegs eingleisig auf die Taten der römischen Eroberer, um praktisch aus griechischer Perspektive die Verschleppung von griechischen Kunstgegenständen nach Italien zu beklagen.21 Vielmehr sind viele der Protagonisten innerhalb der Historien in derartige Vorgänge verwickelt, die sich zumeist im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen entwickeln.22 Allen voran sind dies die Aitoler, an denen Polybios bekanntermaßen auch sonst kein gutes Haar lässt.23 Im Rahmen ihrer regelmäßigen Raubzüge und Plünderungen sind Zerstörungen von Bauten und Kunstwerken an der Tagesordnung.24 Auch die hellenistischen Könige, vor allem Philipp V.25 von Makedonien und der Seleukide Antiochos III.,26 aber auch Prusias von Bithynien27 sowie der Spartanerkönig Kleomenes III.28 fallen als Kunstzerstörer auf. Nicht zuletzt sind die Römer ebenfalls
19 Diskussion zu den Adressaten: F. W. WALBANK, Polybius, Berkeley u.a. 1972. Das bedeutet nicht, dass sich die zeitgenössischen Römer nicht für griechische Kunst interessierten, sondern, dass sie nach offizieller Lesart der griechischen Kultur kritisch gegenüber stehen mussten (siehe M. TOMBRÄGEL, Die republikanischen Otiumvillen von Tivoli, Wiesbaden 2012) 20 Allgemeine Abhandlungen zum Thema Kunstraub und Kunstzerstörung: W. K. PRITCHETT, The Greek State at War. Part V, Los Angeles 1991; V. M. STROCKA, Kunstraub in der Antike, in: ders., Kunstraub – ein Siegerrecht? Historische Fälle und juristische Einwände, Berlin 1999, 9–26; M. M. MILES, Art as Plunder. The Ancient Origines of Debate about Cultural Property, Cambridge 2008; U. FLECKNER, M. STEINKAMP, H. ZIEGLER (Hrgg.), Der Sturm der Bilder: Zerstörte und zerstörende Kunst von der Antike bis in die Gegenwart, Berlin 2011. 21 Siehe hierzu: M. PAPE, Griechische Kunstwerke aus Kriegsbeute und ihre öffentliche Aufstellung in Rom, Hamburg 1975, 6–26; 81–88. 22 Vgl. PRITCHETT, State at War (Anm. 20). 23 Allgemein: J. P. SCHOLTEN, The Politics of Plunder. Aitolians and their Koinon in the Early Hellenistic Era, 279–217 B.C., Berkeley u.a. 2000. 24 Pol. IV 62,2 (Dion); IV 67,3 (Dodona). 25 Pol. V 8–13 (1. Plünderung von Thermos); XI 7,2 (2. Plünderung von Thermos); XVI 1 (Umgebung von Pergamon); XVI 6–7 (Gegenstände des Attalos). 26 Pol. X 27 (Antiochos III. und Ekbatana); XXI 10 (Antiochos III. in der Umgebung von Pergamon); XXXI 9. 27 Pol. XXXII 15 (Pergamon). 28 Pol. II 55 (Megalopolis).
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involviert.29 Der Grad der Zerstörung reicht vom gezielten Raub einzelner Kunstwerke, etwa als Philipp V. die Kunstwerke des Attalos von dessen Flaggschiff entwendet,30 über die Plünderung von Heiligtümern,31 bis hin zur berühmten Vernichtung der Stadt Korinth durch die Römer.32 Die Erwähnung von Kunstzerstörungen erfüllt im Werk des Polybios vor allem einen primären Zweck: Sie dient dazu, die an solchen Schandtaten beteiligten Personen in negativer Weise zu charakterisieren beziehungsweise den negativen Charakter einer handelnden Person zu verdeutlichen. Dazu werden in einer klar strukturierten Argumentationskette jeweils solche Akteure charakterlich negativ bewertet, die Kunst zerstören. Im Fall der Aitoler,33 der Spartaner,34 des Antiochos III.35 und des Prusias von Bithynien36 ist die negative Einordnung eindeutig, wohingegen die Taten von Philipp V.37 und die der Römer38 – wie unten zu zeigen sein wird – durchaus differenziert dargestellt werden. Innerhalb dieser primären Zielsetzung steht für Polybios die negative Charakterisierung der angesprochenen Personen und nicht der Umstand der Kunstzerstörung im Vordergrund des Interesses. Die Erwähnung der Kunstzerstörung ist jeweils Bestandteil der Argumentationsstrategie.39 Über dieses primäre Ziel hinaus verfolgt und diskutiert Polybios das Thema Kunstzerstörung allerdings ausführlicher und mit stärkerem Interesse. An zwei Stellen, nämlich anlässlich der Eroberung des Aitoler-Heiligtums in Thermos durch Philipp V.40 sowie der Eroberung von Syrakus durch die Römer,41 werden weitere Hintergründe derartiger Aktionen diskutiert und zusätzliche Gesichts-
29 Pol. IX 10 (Syrakus); XXI 30,9 (Fulvius Nobilior in Ambrakia); XXXIX 2 (Zerstörung von Korinth). 30 Pol. XVI 6–7. 31 Pol. XXXI 9 (Antiochos IV. stirbt bei der Plünderung eines Artemisheiligtums in Persien). Pol. V 8–13 (Philipps 1. Plünderung von Thermos); XI 7,2 (2. Plünderung von Thermos). 32 Pol. XXXIX 2. 33 Die Aitoler sind für Polybios gewissermaßen die Hauptfeinde, ihre Taten werden ausschließlich negativ bewertet: vgl. unter anderem Pol. II 45,1; IV 10–13; XXX 11. 34 Außer Kleomenes wird auch Nabis äußerst negativ dargestellt, wobei der Umgang mit Kunstwerken thematisiert wird (Pol. XIII 6; XVIII 17). 35 Antiochos III. wird von Polybios als schwacher Charakter dargestellt (Pol. XV 37). 36 Prusias wird durchgehend äußerst negativ charakterisiert (u.a. Pol. XXX 18). 37 Den Wandel im Charakterbild von Philipp V. schildert Polybios sehr präzise. Zu Beginn sind seine Verfehlungen noch durch seine Berater beeinflusst (Pol. V 12). Der Wendepunkt ist die Auseinandersetzung mit Messene 214 v.Chr. (Pol. VII 11). 38 Polybios berichtet von einigen römischen Feldherren, die sich Kunst gegenüber explizit positiv verhalten beziehungsweise vor Zerstörung oder Raub zurückschrecken: Scipio Africanus (Pol. X 16); Aemilius Paullus (Pol. XVIII 35,4; XXX 10); Scipio Aemilianus (XVIII 35,8). 39 Vgl. das Verhältnis von Philipp V. und Scipio Africanus Frauen gegenüber. Vor Philipp V. ist keine Frau sicher (Pol. X 26), Scipio weist sogar die Frauen besiegter Städte zurück (Pol. X 16). 40 Pol. V 9–13. 41 Pol. IX 10.
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punkte ins Spiel gebracht. In beiden Fällen werden die Verursacher der „Zerstörungen“ an sich beziehungsweise ihre Aktion im Grundsatz nicht negativ bewertet. 1) Als Philipp V. im Jahr 218 v.Chr. das Heiligtum der Aitoler in Thermos zerstörte, hatte er – nach Polybios – das Recht grundsätzlich auf seiner Seite, da die ohnehin skrupellosen Aitoler nicht nur die Kriegsschuld trugen, sondern auch ihrerseits die Heiligtümer von Dion und Dodona mitsamt der künstlerischen Ausstattung zerstört hatten. Polybios stellte anlässlich dieser Zerstörungswerke fest, dass der Angriff auf Weihgeschenke und auf die Ausstattung eines Heiligtums grundsätzlich als Sakrileg anzusprechen sei.42 Philipp V. hatte also das Recht, die Aitoler zu bestrafen und diese außerdem – mit dem Ziel der Schwächung des besiegten Gegners – ihrer Ressourcen zu berauben. Womit Polybios allerdings – abgesehen davon, dass sich auch Philipp V. eines Sakrilegs schuldig macht – nicht einverstanden ist, ist die sinnlose, strategisch nicht zielführende Zerstörung von Gegenständen, wozu auch künstlerische Produkte zu zählen sind. „Ohne Aussicht aber, die eigenen Interessen irgendwie zu fördern oder dem Feind Abbruch zu tun, Tempel, die bei ihnen aufgestellten Statuen und andere Kunstwerke sinnlos zu zerstören, muss man das nicht als Tat eines Wahnsinnigen bezeichnen?“43
Weiterhin gibt Polybios an, dass es auch politisch nicht klug sei, derartig vorzugehen. Mit einem Hinweis auf die Taten des Antigonos Doson, Philipps II. und seines Sohnes Alexander führt er dem Leser die Vorteile einer schonenden Behandlung eroberter Städte und besiegter Feinde vor Augen.44 2) Nachdem die Römer im Jahr 214 v.Chr. die sizilische Stadt Syrakus endlich erobert hatten, entschieden sie sich dafür, sämtliche Kunstgegenstände der Stadt nach Rom zu transportieren.45 Bei der Beurteilung dieser „Fehlentscheidung“ führt Polybios einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein. Dabei wird der später für die Römer und die Nachwelt wichtigste Punkt, dass der Kunstraub die in Armut und Bescheidenheit lebenden Römer im griechischen Sinn korrumpiert und dadurch geschwächt hätte, nur am Rande gestreift.46 Für Polybios ist hier zunächst wieder der Hinweis wichtiger, dass es nicht korrekt sei, Dinge zu rauben und zu zerstören, die weder militärisch noch ökonomisch von Bedeutung seien.47
42 Pol. IV 62,3. Zum Thema allgemein siehe R. PARKER, Miasma. Pollution and Purification in early Greek Religion, Oxford 1996, 170–173. 43 Pol. V 11,4. Übersetzung H. DREXLER, Polybios. Geschichte, 2 Bände, Zürich 1961/1963. 44 Pol. V 9,8–10,8. 45 Pol. IX 10. Diskussion bei MILES, Art as Plunder (Anm. 20), 82–84. Die Maßnahmen des Fabius Cunctator im Anschluss an die Eroberung von Tarent sind bei Polybios nicht überliefert. Siehe hierzu: Plut. Fabius 22,7–8; Strab. VI 3,1; Plin. nat. XXXIV 40; Liv. XXVII 16,8. Die Zeusstatue wird schlicht nicht transportfähig gewesen sein. 46 Dieser Aspekt hat später eine zentrale Bedeutung in der römischen Literatur: Vgl. Liv. XXV 40,1. Dazu: MILES, Art as Plunder (Anm. 20), 85–95. 47 Pol. IX 10,11–12: „Gold und Silber bei sich aufzuhäufen mag vielleicht noch Sinn haben; denn es ist unmöglich, nach der Weltherrschaft zu trachten, wenn man die anderen nicht ent-
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Polybios fügt außerdem hinzu, dass ein Raub von u.a. künstlerisch wertvollen Gegenständen auch Neid und Mitleid mit den Beraubten auslösen würde. Besonders der Bezug auf die Opferperspektive kommt hier deutlich zum Vorschein. Die beiden Textstellen lassen übereinstimmend erkennen, dass für Polybios nicht etwa die Plünderung an sich, wohl aber der Raub von religiösen Kunstwerken als frevelhaftes Vorgehen einzustufen ist. Die damit verbundene moralischreligiöse Begründung ist aber nicht ausreichend: Im Rahmen einer Erläuterungsstrategie richtet sich Polybios an den potentiellen Interessen eines siegreichen Herrschers aus. Er nimmt dabei in beiden Textpassagen geschickt die Rolle eines Ratgebers für den jungen König Philipp V. und für die Römer ein, die er ‚rein theoretisch‘ auf einen rechten Weg führen möchte. Danach wirkt sich sinnloser Kunstraub beziehungsweise Kunstzerstörung auch und vor allem in machtpolitischer Weise negativ aus. Polybios erläutert seinen Standpunkt, indem der das korrekte Verhalten makedonischer und römischer Vorbildfiguren, wie das von Alexander dem Großen48 oder Scipio Africanus,49 skizziert. Er richtet damit den Ratschlag an den ‚guten König‘, dass Kunstraub und Kunstzerstörung deshalb abzulehnen seien, weil sie – völlig unabhängig von einer religiösen Komponente – schlecht für den Charakter seien und sich negativ auf die Außenwirkung eines Herrschers auswirken würden.50 Abgesehen von dieser Argumentationslinie kommt ein weiterer Aspekt hinzu, den Polybios ganz am Ende seiner Überlegungen noch einmal verdeutlicht. „Diese Worte richten sich an die, welche jeweils an die Macht kommen, dass sie nicht die unterworfenen Städte ausplündern und das Unglück anderer als einen Schmuck für die eigene Stadt betrachten.“ 51
Kunstzerstörung ist also nicht nur religiös verwerflich und politisch unklug, sondern auch insgesamt sinnlos und den Opfern gegenüber nicht korrekt. Der Aspekt der hier zum Ausdruck gebrachten offensichtlichen und beinahe naiv klingenden moralischen Empörung fällt aus dem religiösen oder politischen Diskursrahmen,
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machtet und sich selbst Macht und Machtmittel verschafft. Was hingegen zur Vermehrung der Macht nicht beiträgt, das an Ort und Stelle zu lassen und den Neid dazu, der dem Raub auf dem Fuße folgt, dies wäre dazu angetan, den Ruhm der eigenen Stadt zu erhöhen. Denn ihn verleihen nicht Gemälde und Statuen, sondern der Schmuck hohen Sinns und sittlicher Würde.“ (Übersetzung H. Drexler) Pol. V 10,8. Pol. X 16. Vgl. das Verhalten der Rhodier bei der Belagerung durch Demetrios Poliorketes 305/304 v.Chr., das Diodor überliefert (Diod. XX 93,6–7). Die Rhodier zerstören die in Rhodos befindlichen Ehrenstatuen der Angreifer nicht. Neben allgemeiner Pietät spielt auch die politische Überlegung eine Rolle, es sich im Fall einer Niederlage mit den siegreichen Antigoniden nicht zu verscherzen. siehe dazu: B. MEISSNER, Kriege – Krisen – Katastrophen. Stadtzerstörung und Stadterneuerung in der griechischen Antike, in: A. Ranft, S. Selzer (Hrgg.), Städte aus Trümmern. Katastrophenbewältigung zwischen Antike und Moderne, Göttingen 2004, 36f. Pol. IX 10,13 (Übersetzung H. Drexler).
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den Polybios grundsätzlich vorgibt. Hier richtet er sich nicht ratgebend an einen griechischen oder römischen Adressaten, sondern vertritt die Interessen der betroffenen Opferstädte.52 Der Bezug zur Biographie des Polybios scheint überdeutlich, war er doch als Bewohner seiner Heimatstadt Megalopolis von einer solchen Zerstörungsmaßname unmittelbar betroffen. Dieser letzte Aspekt – also das Interesse des Polybios für die Opfer von Kunstraub und Kunstzerstörung – lässt sich auch auf der Grundlage archäologischer Informationen weiter vertiefen. Die archäologische Überlieferungslage am Ort Megalopolis macht es möglich, dem historischen Ergebnis unmittelbar archäologisches Material gegenüber zu stellen. Hier lassen sich die Auswirkungen einer Kunst- und Kulturzerstörung konkret am Befund nachvollziehen. MEGALOPOLIS VOR UND NACH 223 V.CHR. Polybios selbst war als Bewohner der arkadischen Stadt Megalopolis von einer Stadtzerstörung betroffen. Etwa 20 Jahre vor seiner Geburt hatte der Spartanerkönig Kleomenes III. Megalopolis erobert53 und nach der Darstellung des Polybios so stark zerstört, dass „niemand gehofft hätte, sie könne je wieder besiedelt werden“.54 Die deutlichen und sicherlich tendenziösen Worte des Polybios geben die Vorlage, um die literarische Überlieferung auf der Grundlage aktueller Ausgrabungsergebnisse kritisch zu hinterfragen. Um die Art und die Zielrichtung der spartanischen Zerstörungsmaßnahmen möglichst gut verstehen zu können, ist es zunächst angebracht den Zustand der Stadt vor dem Angriff der Spartaner sowie die darauf folgende Reaktion der Megalopoliten nachzuvollziehen. Megalopolis vor 223 v.Chr. Die Baumaßnahmen im Anschluss an die Gründung von Megalopolis in den Jahren nach 371 v.Chr.55 lassen sich im Bereich der Agora in detaillierter Weise
52 Vgl. auch die Anteilnahme des Polybios an den Zerstörungen von Karthago (Pol. XXXVIII 19–22) und Korinth (Pol. XXXIX 2), an denen er jeweils als Augenzeuge beteiligt war. 53 Pol. II 55. Vgl. Plut. Kleomenes 23–25. 54 Pol. II 55,7 (Übersetzung H. Drexler). 55 Historische Daten zur Gründung von Megalopolis: H. BRAUNERT, T. PETERSEN, Megalopolis: Anspruch und Wirklichkeit, in: Chiron 2 (1972), 57–90; S. HORNBLOWER, When was Megalopolis founded?, in: BSA 85 (1990), 71–77; J. ROY, Synoikizing Megalopolis. The scope of the synoikism and the interests of local Arkadian communities, in: E. Ostby (Hrg.) Ancient Arcadia. Papers from the Third International Seminar on ancient Arcadia held at the Norwegian Institute at Athens, 7–10 May 2002, Athens 2005, 261–270; DERS., The urban layout of Megalopolis in its civic and confederate context, in: Ruth Westgate (Hrg.), Building communities. House, settlement and society in the Aegean and beyond. Proceedings of a conference held at Cardiff University, 17–21 April 2001, London 2007, 289–295.
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nachvollziehen.56 Um den gewaltigen Agora-Platz herum wurden nach und nach das sogenannte Verwaltungsgebäude im Westen,57 das Heiligtum des Zeus-Soter im Südosten,58 die Philipps-Stoa im Norden59 und etwas später die AristodamosStoa60 im Osten errichtet (Abb. 1). Auf der Südseite des Helisson wurde der Versammlungsbau des Arkadischen Bundes, das Thersilion,61 sowie daran anschließend ein Theater62 angelegt. Die Bauten dieser Gründungs- beziehungsweise Frühphase von Megalopolis zeichnen sich durch eine deutlich erkennbar innovative Architektur aus:63 mit dem sogenannten Verwaltungsgebäude wurde ein multifunktionaler Komplexbau, bestehend aus Stadtheiligtum, Amtsräumen der Stadtverwaltung sowie einem Bouleuterion verwirklicht.64 Das Thersilion kann als einer der fortschrittlichsten hypostylen Säle seiner Zeit angesprochen werden.65 Das Zeus-Soter Heiligtum zeigt den erstmalig gelungenen Versuch, die Elemente Tempel und umliegende Hofhallen in einer gemeinsamen architektonischen Gestalt zu verbinden.66 Schließlich kann die Philipps-Stoa als eine der größten Hal-
56 Die Marburger Ausgrabungen unter H. Lauter in den Jahren von 1991–2003 sind inzwischen teilweise publiziert: H. LAUTER-BUFE, Das Heiligtum des Zeus Soter in Megalopolis, Mainz 2009; H. LAUTER-BUFE, H. LAUTER, Die politischen Bauten von Megalopolis, Darmstadt 2011. Einen Überblick gibt: H. LAUTER, Megalopolis. Ausgrabungen auf der Agora, 1991– 2002, in: OSTBY, Ancient Arcadia (Anm. 55), 235–248. Vorberichte: H. LAUTER u.a., Megalopolis. Vorbericht 1991–1993, in: AA 1995, 119–128; H. LAUTER u.a., Megalopolis. 2. Vorbericht 1994–1995, in: AA 1996, 269–286; H. LAUTER, T. SPYROPOULOS, Megalopolis. 3. Vorbericht 1996–1997, in: AA 1998, 415–451. 57 LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten (Anm. 56), 19–127; siehe auch LAUTER, „Polybios hat es geweiht“ (Anm. 3); H. LAUTER, Megalopolis, in: ARepLond 2002/2003, 29; LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 238–240. 58 LAUTER-BUFE, Heiligtum des Zeus Soter (Anm. 56). 59 Zur Philipps-Stoa allgemein siehe LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 240f. Außerdem ausführliche Diskussion in LAUTER, Vorbericht (Anm. 56) 1995, 122–126; LAUTER, 2. Vorbericht (Anm. 56), 269–275 und LAUTER, 3. Vorbericht (Anm. 56), 419–426. 60 Siehe vorläufig: LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 241–243; H. LAUTER, H. LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater in Megalopolis. Das Bauensemble im Licht neuer Forschungen, in: AA 2004, 159. 61 LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater (Anm. 60), 139–159. 62 LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater (Anm. 60), 139–159. Zum Theater siehe auch E. FIECHTER, Das Theater in Megalopolis. Antike griechische Theaterbauten IV, Leipzig 1931. 63 Siehe hierzu die Vorgaben von H. LAUTER, Die Architektur des Hellenismus, Darmstadt 1986, passim, die allerdings in ihrer konkreten chronologischen und topographischen Dimension nicht genau genug fassbar sind. Siehe dazu: H. v. HESBERG, Platzanlagen und Hallenbauten in der Zeit des frühen Hellenismus, in: E. Buchner (Hrg.) Akten des XIII. Internationalen Kongresses für Klassische Archäologie, Berlin 1990, 231–241. 64 LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten (Anm. 56), passim, besonders 23–31; 104–110; vgl. LAUTER, „Polybios hat es geweiht“ (Anm. 3), 376; LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 239. 65 Diskussion bei LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater (Anm. 60), 139–146. 66 LAUTER-BUFE, Heiligtum des Zeus Soter (Anm. 56), 79–103. Vgl. LAUTER, Architektur des Hellenismus (Anm. 63), 132–155.
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lenbauten Griechenlands überhaupt gelten.67 Die Tatsache, dass Megalopolis in dieser innovativen Weise architektonisch ausgestaltet wurde, ist in Anbetracht der schwierigen Voraussetzungen und wohl grundsätzlichen Ressourcenknappheit bemerkenswert. Wissen wir doch, dass der Stadt ein durchschlagender urbanistischer Erfolg nicht beschieden war.68 Ihre Funktion, als Barriere Sparta gegenüber zu fungieren, füllte sie allerdings lange Zeit aus und widersetzte sich erfolgreich einigen spartanischen und später auch makedonischen Eroberungsversuchen.69 Zerstörung durch Kleomenes III. Im Jahre 223 v.Chr. gelang dem Spartanerkönig Kleomenes III. allerdings die Einnahme der Stadt.70 Dem von Polybios gezeichneten Bild von der vollständigen Zerstörung der Stadt kann das eindeutige Resultat der Ausgrabungen gegenüber gestellt werden. Auf der einen Seite lässt sich der sichere Nachweis erbringen, dass bestimmte Bauwerke und Monumente systematisch niedergelegt worden sind. Dazu zählt das Verwaltungsgebäude, dessen Einzelbereiche, vor allem das Zeus Homarios Heiligtum, geradezu ausgelöscht wurden.71 Betroffen waren auch das Thersilion72 und die Aristodamos-Stoa73 sowie die Ehrenmonumente der Agora.74 Auf der anderen Seite kann ebenso gut nachgewiesen werden, dass Gebäude wie die Philipps-Stoa75 und das Zeus-Soter Heiligtum76 nicht schwerwiegend beschädigt wurden. Im Zuge der Stadteroberung durch Kleomenes wurde also keineswegs ziellos oder vollständig die öffentliche Architektur von Megalopolis zerstört, sondern man konzentrierte sich auf die Gebäude und Monumente, die aus spartanischer Sicht besonders „zerstörenswert“ waren. Die Attacken richteten sich erstens gegen das religiöse, politische und administrative Zentrum der Stadt, zweitens gegen den Versammlungsbau des Arkadischen Bundes und drittens gegen eine Halle, die aus 67 J. J. COULTON, The Architectural Development of the Greek Stoa, Oxford 1976, 51f.; 255f. 68 Polybios hat sehr realistische Vorstellungen, was die Bedeutung von Megalopolis betrifft (Pol. II 61–62); Vgl. K. FREITAG, Zum Problem der ‚Schrumpfenden Stadt‘ in der Griechischen Antike, in: A. Lampen, A. Owzar (Hrgg.) , Schrumpfende Städte. Ein Phänomen zwischen Antike und Moderne, Köln 2008, 8f.; 10–15. 69 Vgl. ROY, Urban layout (Anm. 55). 70 Pol. II 55. LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 237. 71 LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 239. LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten (Anm. 56), 25; siehe auch allgemein 25, Anm. 40. 72 LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater (Anm. 60), 159–175, besonders 171f. 73 LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater (Anm. 60), 171–173; LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 242f. 74 Zu den Ehrenstatuen siehe LAUTER, 3. Vorbericht (Anm. 56), 444–451. 75 Anders: COULTON, Greek Stoa (Anm. 67), 51f.; widerlegt von LAUTER, 2. Vorbericht (Anm. 56), 278–282; LAUTER, Ausgrabungen auf der Agora (Anm. 56), 240; vgl. LAUTER, Vorbericht (Anm. 56), 125. 76 LAUTER-BUFE, Heiligtum des Zeus Soter (Anm. 56), 78.
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den Erlösen eines Sieges von Megalopolis über Sparta finanziert worden war.77 Wenn Bauwerke, wie die Philipps-Stoa und das Zeus-Soter Heiligtum verschont blieben, so müssen dafür nicht unbedingt inhaltliche Gründe vorliegen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Spartaner angesichts des Heranziehens von Antigonos Doson die Gegend auch nach der Eroberung keinesfalls beherrschten, ist eher das Ausmaß der Zerstörungen an sich bemerkenswert. Den Äußerungen des Polybios widerspricht der archäologische Befund dabei nur auf den ersten Blick. So deutlich sich die scheinbar präzise und zielgerichtete Zerstörungsaktivität des Kleomenes auch vom Bild einer vollständigen und blindwütigen Zerstörung unterscheidet, so klar ist auch, dass Polybios in seiner als Anklage zu verstehenden Beschreibung keine objektive Schilderung ablegen konnte. Es bleibt der Umstand, dass Polybios die Zerstörung als besonders gravierend einstuft. Wiederaufbau nach 223 v.Chr. Auch die archäologisch nachweisbare Reaktion der Megalopoliten auf die tiefgreifende Zerstörung ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Wir verfolgen die Bemühungen einer Stadt, die wahrscheinlich weitgehend ohne äußere Unterstützung einen Wiederaufbau bewerkstelligen musste.78 Es ist wiederum nicht selbstverständlich, dass dieser Wiederaufbau in relativ überschaubarer Zeit noch im frühen 2. Jahrhundert v.Chr. erfolgte und auch die zerstörten städtischen Großbauten mit einschloss.79 Nicht nur das Verwaltungsgebäude, sondern auch die Aristodamos-Stoa und das Thersilion wurden von Grund auf neu errichtet. Die Zielrichtung des Wiederaufbaus wird als direkte Reaktion auf die spartanische Zerstörung gut verständlich. Es wurden – wahrscheinlich unter maßgeblicher Beteiligung des Philopoimen80 – eben jene Gebäude des religiösen und politischen Lebens wiedererrichtet, die den Spartanern zuvor aus politischen oder persönlichen Gründen ein Dorn im Auge gewesen waren. Die Ausführung der einzelnen Bauten lässt allerdings erkennen, dass über die Aufgabe hinaus, die Strukturen an sich und deren grundsätzliche Funktionsfähigkeit wieder herzustellen, keine weiterführen-
77 Paus. VIII 30,7. 78 Allgemein zum Thema: MEISSNER, Stadtzerstörung und Stadterneuerung (Anm. 50). Meißner geht vor allem auf die positive Verarbeitung von katastrophalen Ereignissen für antike griechische Städte ein. 79 Vgl. LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater (Anm. 60), 165f.; 169–173; LAUTERBUFE/LAUTER, Politische Bauten (Anm. 56), 25f.; 154–157. 80 Die Beteiligung des Philopoimen am Neubau des Verwaltungsgebäudes ist aufgrund der gestempelten Dachziegel gesichert (LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten [Anm. 56], 99–103; besonders 100f.; LAUTER, „Polybios hat es geweiht“ [Anm. 3], 379–384). Den von Philopoimen betriebenen Wiederaufbau der Aristodamos-Stoa überliefert Livius (Liv. XXXVIII 34). Schließlich sprechen die Übereinstimmungen in der Bauausführung für einen Zusammenhang zwischen Thersilion und Aristodamos-Stoa (LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater [Anm. 60], 169–173).
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den baukünstlerischen Konzepte verfolgt wurden.81 Dies ist u.a. daran ablesbar, dass das Thersilion als hypostyler Saal nicht weiterentwickelt wird82 und die Säulen des Thersilions und der Aristodamos-Stoa gleichermaßen nicht vollständig ausgearbeitet werden (Abb. 2). Im Rahmen des Neubaus des Verwaltungskomplexes wird der Gedanke einer gemeinsamen architektonischen Gestalt zugunsten autonomer Einzelbauwerke aufgegeben.83 Im Gegensatz zur Gründungs- und Frühphase der Stadt führt die allgemeine Ressourcenknappheit in Auseinandersetzung mit neuen – dieses Mal zerstörungsbedingten – Bauaufgaben nicht zu innovativen Architekturkonzepten.84 Vielmehr wird die vorhandene Architektur adaptiert und notdürftig repariert. Auch wenn also die Polis an sich ihre andauernde Lebenskraft durchaus nachweisen kann, gehen von der Nach-Zerstörungsphase keine baukünstlerischen Impulse aus. In diesem Sinne tritt uns auch Polybios quasi exemplarisch als aktiv an einem Bauprojekt Mitwirkender gegenüber. Wahrscheinlich in den Jahren nach seiner Rückkehr aus dem Exil hat Polybios Dachziegel geweiht, die sich archäologisch mit Sicherheit einem Herdraum im Zeus Homarios-Heiligtum zuweisen lassen (Abb. 3).85 Neben der außergewöhnlichen Tatsache, dass wir den berühmten arkadischen Historiker hier archäologisch konkret fassen können, ist die Baumaßname an sich mehr als bemerkenswert. Mit der Reparatur des Daches beziehungsweise der Wiederherrichtung des damit verbundenen Raumes, ist Polybios an dem wohl in religiöser und politischer Hinsicht wichtigsten Ort der Stadt euergetisch tätig. Die Dimension der Weihung insgesamt und die Qualität der Ausführung, die sich zumindest an den Dachziegeln ablesen lässt, sind allerdings kaum geringer vorstellbar.86 Man tut sich in der Tat schwer, den aus Rom zurückgekehrten Freund der Scipionen und Treuhänder Griechenlands mit einer derartig min-
81 Auch wenn sich im Vergleich zum 4. Jahrhundert v.Chr. nur schwer definieren lässt, wodurch sich innovative griechische Architektur des 2. Jahrhunderts v.Chr. auszeichnet, ist in der Forschung jedoch klar, dass in den griechischen Metropolen, wie Alexandria, Pergamon und Athen, häufig angeregt durch die Impulse der hellenistische Könige, innovative Baukonzepte entwickelt wurden. Siehe zu den Attaliden: H. J. SCHALLES, Untersuchungen zur Kulturpolitik der pergamenischen Herrscher im 3. Jahrhundert v.Chr., Tübingen 1985; M. BACHMANN, Pergamenische Architektur und Bautechnik, in: R. Grüßinger, V. Kästner, A. Scholl (Hrgg.), Pergamon. Panorama der antiken Metropole, Ausstellung Berlin 2011, Berlin 2011, 75–81. 82 LAUTER/LAUTER-BUFE, Thersilion und Theater (Anm. 60), 174f. 83 LAUTER, 3. Vorbericht (Anm. 56), 426–438. LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten (Anm. 56), 28f. Zu den möglichen politischen Hintergründen 154–157. 84 Vgl. z.B. die zeitgenössische Architektur auf Delos: E. WILL, Le Sanctuaire de la Déesse syrienne, Exploration Archéologique de Délos 36, Athen 1985. 85 LAUTER, „Polybios hat es geweiht“ (Anm. 3), 379–383; LAUTER 2002/2003 (Anm. 57), 29; LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten (Anm. 56), 99–103; besonders 101 Taf. 83a. Da Polybios nach eigenen Angaben (Pol. XXXVI 12), bis zu seiner Zeit die einzige Person dieses Namens gewesen ist, kann an einer Zuweisung der Ziegelstempel im Grunde nicht gezweifelt werden. 86 Zu den Dachziegeln: LAUTER, „Polybios hat es geweiht“ (Anm. 3), 380. Zum Herdraum LAUTER 2002/2003 (Anm. 57).
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derwertigen Baumaßnahme in Verbindung zu bringen.87 Ohne das archäologische Resultat zu stark strapazieren zu wollen, wäre auch hier der Bezug zum mangelnden Kunstverständnis beziehungsweise Kunstinteresse des Polybios durchaus naheliegend. SCHLUSSBETRACHTUNG Die Ergebnisse des historischen und archäologischen Untersuchungsansatzes können in zwei Richtungen weiterführend gedeutet werden. Dies betrifft zunächst die Bewertung der Stadtzerstörung und ihrer Folgen für die betroffene Stadt allgemein, dann die konkreten Auswirkungen auf die Person des Polybios und sein ‚Kunst- und Kulturverständnis‘. Thema Stadtzerstörung Der Fall Megalopolis führt in archäologischer Hinsicht konkret vor Augen, wie im letzten Viertel des 3. Jahrhunderts v.Chr. eine griechische Stadt von griechischen Eroberern gezielt und großflächig zerstört und anschließend wieder aufgebaut worden ist. Es ist wichtig, dieses Ergebnis als solches festzuhalten, da der archäologische Nachweis von Zerstörungen im Anschluss an eine historisch verbürgte Stadteroberung bisher nur äußerst selten gelungen ist.88 Viel häufiger werden literarisch überlieferte Stadtzerstörungen eher unkritisch auf archäologische Einzelbefunde angewendet89 beziehungsweise können archäologisch gar nicht nachvollzogen werden.90
87 Besonders in Anbetracht der bedeutenden Stellung, die Polybios nach eigenen Angaben in der peloponnesischen Staatenwelt nach 146 v.Chr. eingenommen hat, ist die Geringfügigkeit der Weihung auffällig (vgl. Pol. XXXIX 5). 88 Die bekannten Beispiele archäologisch nachgewiesener Zerstörungshorizonte beziehen sich zumeist auf Städte, die nach der Zerstörung nicht wieder besiedelt worden sind. Vgl. zu Olynth: N. CAHILL, Household and City Organization at Olynthus, New Haven 2002, 45–72. 89 Vgl. PRITCHETT, State at War (Anm. 20). 90 Die persische Zerstörung Athens ist nur punktuell nachvollziehbar (siehe T. L. SHEAR JR., The Persian destruction of Athens. Evidence from Agora deposits, in: Hesperia 62 [1993], 383–482). Die Eroberung Roms durch die Kelten und die von Livius (Liv. V 55,2–5) überlieferte Reaktion der Römer ist archäologisch nicht nachvollziehbar (E. DE ALBENTIIS, La Casa dei Romani, Mailand 1990, 63f.). Vgl. die Diskussion über die Zerstörung von Karthago: R. T. RIDLEY, To be taken with a pinch of salt. The destruction of Carthage, in: CPh 81 (1986), 140–146; S. T. STEVENS, A legend of the destruction of Carthage, in: CPh 83 (1988), 39–41; V. KRINGS, La destruction de Carthage. Problèmes d’historiographie ancienne et moderne, in: E. Lipinski, H. Devijver (Hrgg.), Punic Wars. Kolloquium Antwerpen 1988, Leuven 1989, 329–344. Auch die Zerstörungen von Persepolis durch Alexander den Großen hatten nicht die umfassenden Dimensionen, die von den Schriftquellen nahelegt werden; siehe H. SANCISI-
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Auf die Frage, was mit eroberten Städten der spätklassischen und hellenistischen Epoche innerhalb von innergriechischen Auseinandersetzungen nach einer Eroberung tatsächlich geschah, liegen gesicherte Antworten nicht vor.91 Auf das Beispiel von Megalopolis angewendet ist die Frage also durchaus erlaubt, ob die Spartaner unter Kleomenes III. mit ihren Zerstörungsmaßnahmen einer üblichen althergebrachten Tradition folgten oder eher traditionelle Grenzen überschritten, also weitergehender zerstörten als notwendig. Zugunsten der zweiten Alternative liegen deutliche Hinweise vor. Für die Spartaner war Megalopolis, wie auch Messene, keineswegs eine ‚normale‘ befeindete Stadt, vielmehr bedrohte Megalopolis grundsätzlich die machtpolitische Existenz Spartas.92 Schon seit der Gründung von Megalopolis war Sparta vehement, aber letztlich ohne Erfolg darauf aus, diese Stadt auch physisch zu exekutieren. Vor diesem Hintergrund werden die Zielrichtung und das Ausmaß der ‚Abrissarbeiten‘ des Jahres 223 v.Chr. gut verständlich. Besonders die Zerstörung des Zeus Homarios-Heiligtums könnte gewissermaßen als Vernichtung des Staatskultes verstanden werden.93 Ein weiterer Gesichtspunkt ließe sich anschließen: Die althistorische Forschung hat im Bereich des antiken Umgangs mit sakralen Kulturgegenständen im Rahmen von Kriegszügen am Übergang von der klassischen zur hellenistischen Epoche einen Wandel ausgemacht. Waren Heiligtümer bis zum berühmten Sakrileg der Phoker, die das Apollon-Heiligtum von Delphi in der Jahren 356 und 346 v.Chr. geplündert hatten, grundsätzlich auch im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen verschont geblieben, standen diese mit ihrer reichen Ausstattung anschließend stärker zu Disposition.94 Während unter anderem Alexander der Große die Heiligtümer bei der angeblich vollständigen Zerstörung von Theben noch verschonte,95 wäre die Eroberung von Megalopolis durch Kleomenes III. ein Beispiel dafür, dass auch innerstädtische Heiligtümer allgemein ihre „Unantastbarkeit“ verloren hatten und auch in dieser Hinsicht eine neue Qualität der Plünderungstätigkeiten zu verzeichnen war.
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WEERDENBURG, “Alexander and Persepolis”, in: J. Carlsen (Hrg.), Alexander the Great: reality and myth, Rom 1993, 177–188 (Hinweis von J. Wiesehöfer). Allgemein zum Thema: PRITCHETT, State at War (Anm. 20), 152–157. Vgl. N. H. DEMAND, Urban Relocation in Archaic and Classical Greece, Norman/London 1990, 107–119. Genau mit dieser Zerstörung eines Heiligtums könnten die Spartaner eine traditionelle Grenze überschritten haben. PRITCHETT, State at War (Anm. 20), 160–165; PARKER; Miasma (Anm. 42), 170–173; MILES, Art as Plunder (Anm. 20), 30–43. Pol. V 10,6–8; I. WORTHINGTON, Alexander’s destruction of Thebes, in: W. Heckel, L. A. Tritle (Hrgg.), Crossroads of History: The Age of Alexander, Claremont 2003, 65–68.
Der Zugang des Polybios zum Thema Kunst und Kultur
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Polybios Die Äußerungen des Polybios können zunächst im Hinblick auf den soeben erwähnten Gesichtspunkt beurteilt werden. Die ehrlich und beinahe naiv klingende Empörung, die seinen Äußerungen zum zerstörerischen Umgang mit den Kulturgütern besiegter Städte zu entnehmen ist, könnte einen Hinweis darauf liefern, dass die Spartaner bei der Zerstörung von Monumenten und Bauwerken im Anschluss an die Eroberung von Megalopolis weiter gegangen waren, als dies in der griechischen Welt zuvor Sitte gewesen war. Besonders die scheinbar sinnlose Zerstörung von Kunst- und Bauwerken kann ja von Polybios nicht akzeptiert werden, obwohl er Plünderung als Mittel der Kriegsführung durchaus billigte.96 Aber auch die Auswirkungen auf Polybios als Opfer eines solchen Übergriffes können ansatzweise umrissen werden. Polybios wuchs in einer Stadt auf, deren politisches, administratives und religiöses Zentrum sich dem zeitgenössischen Betrachter teilweise als Ruinenlandschaft dargestellt haben muss. Den allgemein schwierigen politischen Rahmenbedingungen und der grundlegenden Ressourcenknappheit wäre es geschuldet, dass der daraus resultierende Auftrag zum Wiederaufbau weniger als Chance, denn als Last empfunden wurde.97 Die vorhandenen Mittel mussten aufgewendet werden, um die grundsätzliche politische und religiöse Funktionsfähigkeit des Stadtstaates wieder herzustellen. Aus dieser Perspektive wiederum scheint es verständlich, dass Polybios’ persönliche Einstellung zum Thema Kunst in erster Linie negativ ausgerichtet war. Diese wäre also unter anderem durch seine eigene Biographie begründet. Damit ließen sich die negativ konnotierten Äußerungen zur Kunst tatsächlich persönlich auf Polybios selbst beziehen und nicht etwa auf den Zugang seiner griechischen Zeitgenossen zu dem Thema allgemein. Versucht man die Äußerungen des Polybios und die Ergebnisse der archäologischen Auswertung abschließend in etwas größerem Rahmen zu abstrahieren, so ergibt sich doch ein Hinweis auf mögliche Veränderungen der Griechen im Verhältnis zu ihrer Kunst und Kultur seit dem 3. Jahrhundert v.Chr. Zumindest in einigen Regionen der griechischen Welt – sicher auf der Peloponnes – wurde man jetzt deutlicher als zuvor damit konfrontiert, dass Kulturprodukte, die im Rahmen urbaner oder sakraler Umgebung eigentlich sicher und unantastbar gewesen waren, nun angreifbar wurden und zur Disposition standen. Daraus ergibt sich nicht etwa, dass das allgemeine Interesse am Thema Kunst in diesen Regionen nachgelassen hätte, vielmehr war man nicht mehr in der Lage, uneingeschränkt positiv auf dieses Thema zuzugreifen.
96 Siehe oben S. 254 und Pol. V 9–13. Hier muss noch einmal klargestellt werden, dass Polybios natürlich die Plünderung seiner Heimatstadt gar nicht anders als überbewerten konnte. Es stellt sich nur die Frage, ob die auch in ihrer zielgerichteten Konsequenz ‚transgressive‘ Aktivität der Spartaner bei Polybios den Blick auf das Ausmaß der Zerstörung in den Vordergrund rücken ließ. 97 Vgl. MEISSNER, Stadtzerstörung und Stadterneuerung (Anm. 50).
266
Martin Tombrägel
Abb. 1: Agoraplan Megalopolis (LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten [Anm. 56], Taf. 31)
Der Zugang des Polybios zum Thema Kunst und Kultur
Abb. 2: Unfertige Säulen der Aristodamos-Stoa (Photo d. Verf.)
Abb. 3: Ziegelstempel mit Polybios (Photo V. Grieb; vgl. LAUTER-BUFE/LAUTER, Politische Bauten [Anm. 56], 100 sowie Taf. 21a/b und 101c)
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POLYBIUS AND THE ECONOMY Alain Bresson, Chicago*
The French scholar Nicole Loraux famously pronounced that “Thucydides is not a colleague”.1 The remark has enjoyed great success. Indeed, the gap between Thucydides and us seems immense. His method of history writing is different from ours. Like most ancient historians, he rarely mentions his sources. But, even more significantly, his goals and motives in history writing are different from ours. While contemporary historians mainly focus on social, cultural or economic aspects of the past, ancient historians were mostly interested in political and military issues. The same analysis can apply to Polybius. His conception of history was strictly political: he talked about alliances and diplomatic relations, battles and military campaigns, treaties and settlements of disputes—in other words, about war and peace, about domination, about power. What is more, his goal was not to produce a work of scholarship for the sake of scholarship, for pure knowledge. Just like Thucydides, he wrote for the edification of his contemporaries and that of future generations.2 Inasmuch as human history obeyed certain clear rules, in the future situations similar to those of the past would present themselves. Thus lessons could be drawn from the past, as Polybius himself stresses (I 1.2).3 A history book was to be a kind of practical handbook for political leaders, where they could find lessons on the way to manage state affairs and, more specifically, on how to direct the state in an always uncertain international context (III 7.4–7 and III 31–32). Thus there was also a moral issue at stake: how should a community or an individual behave when faced with difficult circumstances? Good management meant basing one’s conduct on a reasonable appreciation of the balance of power. A foolish attitude would consist in denying the obvious or the inevitable. One could also lose, but with dignity. In that case, suicide was the ultimate and reasonable option, a good way to preserve one’s honor, while not resolving upon it was a
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The University of Chicago, Dept. of Classics. I would like to express my gratitude to E. Lo Cascio and T. Keith for their help in the preparation of this study. N. LORAUX, Thucydide n’est pas un collègue, in: QS 12 (1980), 55–81. G. LONGLEY, Thucydides, Polybius, and Human Nature, in: C. Smith, L. M. Yarrow (Edd.), Imperialism, Cultural Politics, and Polybius, Oxford 2012, 68–84, who shows that, despite some differences in their conception of history, both Thucydides and Polybius believe in the existence of a human nature, which explains the similarity of historical situations over time and justifies the existence of history writing as a guide for human action. B. VIRGILIO, Polibio, il mondo ellenistico e Roma, in: Studi Ellenistici 20 (2008), 315–345, particularly 316–317.
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Alain Bresson
sign of weakness and moral disgrace. After having made the wrong choice during the Third Macedonian War, the Molossians perished with honor, while the Rhodian leaders who had supported Perseus had not the courage to quit life, and so lost their reputation (XXX 6–9). How can a modern historian, and above all an economic historian, find any form of familiarity with Polybius? Indeed, in this perspective Polybius is not a colleague. But is this the right way to envisage ancient history writing? We should not forget that we have ourselves our own history of history writing. One century ago it was still common to concentrate on power, armies, diplomatic relations. And, after all, there exists even now dynamic, legitimate and successful contemporary historical writing in this field. The difference with the past is that this form of history is no longer considered to be the history, but rather only one mode among many of approaching the past. Besides, disparaging ancient history writing either on formal criteria like the lack of source quotations or even on the supposed limited interest of political history is certainly misleading. What makes Polybius, if not a colleague, at least not a complete stranger is the basic common attitude we share with him of being part of a “competitive critical community”, that is to say, the fact that our discourse is written within a perspective of possible contradiction by other specialists.4 To put it in Popperian terms, just like modern historians Thucydides or Polybius wrote a discourse that could be falsified. Thus, the frequent polemical attitudes we find in Polybius and his frequently sharp criticism of Ephorus, Phylarchus, Timaeus, Philinus, Fabius Pictor and other historians should not be considered to be the poorest part of his argument.5 Far from it, such attacks reveal the existence of a critical community that is also the foundation of our own mode of history writing. This means also that we can entertain with Polybius a kind of critical dialogue that should replace the depreciatory and almost scornful attitude often displayed towards the mode of history writing of ancient historians. That said, what kind of dialogue can a contemporary historian—especially a historian of the ancient economy—entertain with Polybius? First of all one should probably also ask: what kind of ancient economic history? That of Sir Moses Finley? Or that of the adherents of New Institutional Economics? It is not certain that modern historians of the ancient economy would produce a unified discourse on the theme “Polybius and the economy”. These prolegomena were necessary in order to avoid the pitfall of either imagining that Polybius should have been an economic historian, and that this would 4
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For the rhetorical character of Thucydides’ discourse, C. DEWALD, Paying Attention: History as the Development of a Secular Narrative, in: S. Goldhill, R. Osborne (Edd.), Rethinking Revolutions through Ancient Greece, Cambridge 2006, 164–182; EAD., The Construction of Meaning in the First Three Historians, in: J. Marincola (Ed.), A Companion to Greek and Roman Historiography, Malden and Oxford 2007, vol. 1, 89–101; A. BRESSON, Revisiting the Pentekontaetia, in: V. Fromentin, S. Gotteland, P. Payen (Edd.), Ombres de Thucydide, Bordeaux 2010, 383–401. Pace R. KOERNER, Polybios als Kritiker früherer Historiker, in: K. Stiewe, N. Holzberg (Edd.): Polybios, Darmstadt 1982, 327–331.
Polybius and the Economy
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prove that “the ancient economy did not exist”, or, conversely, desperately trying to prove that he was an economic historian, which obviously he was not. In short, there seem to be two ways to address the issue. The first one is to consider the issue of the logic of the Polybian discourse. By comparing it both to that of the other ancient historians and to that of modern ones, the point is to understand why, like his “colleagues”, Polybius did not produce a discourse of the type we style as “economic history”. The second mode of approach is to examine how, despite not being an economic historian, in the course of his argument Polybius surprisingly provides us with a very large body of information on economic motivations for action in the ancient world and on the ancient economy, revealing also his own conception of the economic management of a state.6 1. The first part of this argument will thus consist in examining the reasons why Polybius was not an ancient economic historian. But in doing so we will have to address in more detail the question of historical causality in Polybius.7 As previously mentioned, Polybius aimed at providing a history that would serve as a handbook both for his contemporaries and for future readers. His primary audience was clearly the Greeks, who wholly lacked knowledge about the recent developments in the western Mediterranean and who needed a full account of them. His aim was famously to describe the reasons for the Roman expansion.8 τίς γὰρ οὕτως ὑπάρχει φαῦλος ἢ ῥᾴθυµος ἀνθρώπων ὃς οὐκ ἂν βούλοιτο γνῶναι πῶς καὶ τίνι γένει πολιτείας ἐπικρατηθέντα σχεδὸν ἅπαντα τὰ κατὰ τὴν οἰκουµένην οὐχ ὅλοις πεντήκοντα καὶ τρισὶν ἔτεσιν ὑπὸ µίαν ἀρχὴν ἔπεσε τὴν Ῥωµαίων, ὃ πρότερον οὐχ εὑρίσκεται γεγονός, 6 τίς δὲ πάλιν οὕτως ἐκπαθὴς πρός τι τῶν ἄλλων θεαµάτων ἢ µαθηµάτων ὃς προυργιαίτερον ἄν τι ποιήσαιτο τῆσδε τῆς ἐµπειρίας; (Pol. I 1.5–6) For who is so indifferent or indolent as not to wish to know by what means and under what system of polity the Romans in less than fifty-three years succeeded in subjecting almost the whole inhabited world to their sole government—a thing unique in history? Or who again is there so passionately devoted to other spectacles or studies as to regard anything as of greater moment than the acquisition of this knowledge?
Indeed, in fifty years, exactly between 220 and 167, Rome became the master of the Mediterranean world (although not of “the world”, as Polybius would have it—this is the issue of the definition of the oikoumenē). But the expansion had begun even before this period, and this is why he begins his history as early as
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A. Rémy’s recent study (A. RÉMY, La richesse dans les Histoires de Polybe, in: REA 113 [2011], 105–127) provides a systematic and most useful database for Polybius’ economic references. An excellent introduction is provided by C. PELLING, The Greek Historians of Rome, in: J. Marincola (Ed.), A Companion to Greek and Roman Historiography, Malden and Oxford 2007, vol. 1, 244–265, particularly 245–250 on Polybius. All quotations and translations are from the Loeb Classical Library, Polybius, Histories, translation W. R. Paton, revised by F. W. Walbank and Ch. Habicht, Cambridge (Mass.)/London 2010–2012.
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264 and the beginning of the First Punic War, and then goes on until 144 to examine the consequences of the new balance of power. The whole key to Polybius’ inquiry lies in this πῶς καὶ τίνι γένει πολιτείας. As for the Roman constitution, to whose developments Polybius famously devotes book 6, one can easily understand how it could influence the course of history. In this respect, Polybius inherits the whole body of political thinking of the Greek tradition.9 But what about the πῶς? What lies behind this enigmatic word? This has to do with the central concept of tychē and concept of causality in Polybius.10 However, it is worth quoting this other famous passage alluding to the misconceptions of the Greeks as regards Roman dominion: ἐξ ὧν δῆλον τὸ προτεθὲν ἡµῖν ἐξ ἀρχῆς ὡς οὐ τύχῃ Ῥωµαῖοι, καθάπερ ἔνιοι δοκοῦσι τῶν Ἑλλήνων, οὐδ’ αὐτοµάτως, ἀλλὰ καὶ λίαν εἰκότως ἐν τοιούτοις καὶ τηλικούτοις πράγµασιν ἐνασκήσαντες οὐ µόνον ἐπεβάλοντο τῇ τῶν ὅλων ἡγεµονίᾳ καὶ δυναστείᾳ τολµηρῶς, ἀλλὰ καὶ καθίκοντο τῆς προθέσεως. (Pol. I 63.9) This confirms the assertion I ventured to make at the outset that the progress of the Romans was not due to chance and was not involuntary, as some among the Greeks choose to think, but that by schooling themselves in such vast and perilous enterprises it was perfectly natural that they not only gained the courage to aim at universal dominion, but executed their purpose.
Thus, for Polybius the Romans deserved their empire because they had trained themselves (ἐνασκήσαντες, from ἐνασκέω) during the First Punic War. Just like athletes before an agōn, the Romans had seriously prepared themselves for larger operations, and this of course justified why Polybius had made the choice to begin his Histories with the First Punic War. Thus far we are in the usual moral register. But it is worth comparing what Polybius himself said at the beginning of the book: ἀναγκαῖον ὑπελάβοµεν εἶναι συντάξασθαι ταύτην καὶ τὴν ἑξῆς βύβλον πρὸ τῆς ἱστορίας, 9 ἵνα µηδεὶς ἐπιστὰς ἐπ’ αὐτὴν τὴν τῶν πραγµάτων ἐξήγησιν τότε διαπορῇ καὶ ζητῇ ποίοις διαβουλίοις ἢ ποίαις δυνάµεσι καὶ χορηγίαις χρησάµενοι Ῥωµαῖοι πρὸς ταύτας ὥρµησαν τὰς ἐπιβολάς, δι’ ὧν καὶ τῆς γῆς καὶ τῆς θαλάττης τῆς καθ’ ἡµᾶς ἐγένοντο πάσης ἐγκρατεῖς, 10 ἀλλ’ ἐκ τούτων τῶν βύβλων καὶ τῆς ἐν ταύταις
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On Polybius’ Roman constitution and Polybius’ views, see F. W. WALBANK, Polybius, Berkeley, 130–156; ID., Polybius, Rome, and the Hellenistic World: Essays and Reflections, Cambridge and New York 2002, 277–292, and most recently B. C. MCGING, Polybius’ Histories, Oxford 2010, 169–202. A. ROVERI, Tyche bei Polybios, in: K. Stiewe, N. Holzberg (Edd.): Polybios, Darmstadt 1982, 297–326; F. W. WALBANK, Fortune (tychē) in Polybius, in: J. Marincola (Ed.), A Companion to Greek and Roman Historiography, vol. 2, Malden 2007, 349–355; Ch. HABICHT, Polybius, Loeb Classical Library, vol. 1, 2010, Introduction, xxiv–xxvi; M.-R. GUELFUCCI, Polybe, la τύχη et la marche de l’Histoire, in: F. Frazier, D. Leâo (Edd.), Tychè et Pronoia. La marche du monde selon Plutarque, Coimbra 2010, 141–167, who insists on the diversity of the meanings of tychē in Polybius, but retains as one of the main definitions that of the “sense and meaning of history”; and finally the contribution of J. Deininger in this volume (71–111).
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προκατασκευῆς δῆλον ᾖ τοῖς ἐντυγχάνουσιν ὅτι καὶ λίαν εὐλόγοις ἀφορµαῖς χρησάµενοι πρός τε τὴν ἐπίνοιαν ὥρµησαν καὶ πρὸς τὴν συντέλειαν ἐξίκοντο τῆς τῶν ὅλων ἀρχῆς καὶ δυναστείας. (Pol. I 3.8–10) I thought it necessary to prefix this Book and the next to the actual history, in order that no one after becoming engrossed in the narrative proper may find himself at a loss, and ask by what counsel and trusting to what power and resources the Romans embarked on that enterprise which has made them lords over land and sea in our part of the world; but that from these Books and the preliminary sketch in them, it may be clear to readers that they had quite adequate grounds for conceiving the ambition of a world-empire and adequate means for achieving their purpose.
The argument this time is that the Romans were justified in launching their enterprise at first because they had at their disposal the adequate means to launch such a project. The two key words for the economic historian are here the χορηγίαι and ἀφορµαί, which, as demonstrated by other Polybian contexts, are respectively “supplies for war” and “resources”.11 But what provided the Romans with such a capacity to win the war over their opponents? Polybius himself gives us enough evidence to justify this statement. When he gives us a general overview of Roman military manpower at the beginning of the war he concludes that the total of their forces far outnumbered those of Hannibal: Ῥωµαίων δὲ καὶ Καµπανῶν ἡ πληθὺς πεζῶν µὲν εἰς εἴκοσι καὶ πέντε κατελέχθησαν µυριάδες, ἱππέων δ᾽ ἐπὶ ταῖς δύο µυριάσιν ἐπῆσαν ἔτι τρεῖς χιλιάδες. 15 ὥστ’ εἶναι τὸ […] 16 […] πλῆθος τῶν δυναµένων ὅπλα βαστάζειν, αὐτῶν τε Ῥωµαίων καὶ τῶν συµµάχων, πεζῶν ὑπὲρ τὰς ἑβδοµήκοντα µυριάδας, ἱππέων δ’ εἰς ἑπτὰ µυριάδας. 17 ἐφ’ οὓς Ἀννίβας ἐλάττους ἔχων δισµυρίων ἐπέβαλεν εἰς τὴν Ἰταλίαν. περὶ µὲν οὖν τούτων ἐν τοῖς ἑξῆς σαφέστερον ἐκποιήσει κατανοεῖν. (Pol. II 24.14–17) Of Romans and Campanians there were on the roll two hundred and fifty thousand foot and about twenty-three thousand horse. Thus, the total number (…) of Romans and allies able to bear arms was more than seven hundred thousand foot and seventy thousand horse, while Hannibal invaded Italy with an army of less than twenty thousand men. On this matter I shall be able to give my readers more explicit information in the course of this work.
This is a 1:40 ratio. In fact, there is some exaggeration in Polybius’ statement insofar as the 20,000 men of Hannibal are only the survivors of the march from Spain through the Alps. The original army that started from Spain had 102,000 men (III 35.1–2). Additionally, a total of 34,620 men had been left for the defense of Africa, to which should be added an unspecified number of men to man a considerable fleet (III 33.14). Yet, even with this correction, there was a formidable unbalance between the Romans and the Carthaginians—all the more so given that most of the “Carthaginian” troops came from the Carthaginian Spanish empire or from uncertain allies like the Numidians. It is thus no surprise that Polybius insists on the boldness of Hannibal’s enterprise. The man could be praised (I 21.2) for
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After χρῆµα (in the singular or plural), the word χορηγία, with 73 occurrences (in addition to 6 for χορήγιον), is the second most frequent “economic” word in the Polybian vocabulary; ἀφορµή (3 occurrences) is much rarer (see RÉMY, La richesse [FN 6], 109–111).
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having brought his enterprise to a near success despite the unfavorable balance of forces. The Romans also had immense resources at their disposal. Polybius provides a famous description of the northern Po valley: 1 περί γε µὴν τῆς ἀρετῆς οὐδ’ εἰπεῖν ῥᾴδιον. σίτου τε γὰρ τοσαύτην ἀφθονίαν ὑπάρχειν συµβαίνει κατὰ τοὺς τόπους ὥστ’ ἐν τοῖς καθ’ ἡµᾶς καιροῖς πολλάκις τεττάρων ὀβολῶν εἶναι τῶν πυρῶν τὸν Σικελικὸν µέδιµνον, τῶν δὲ κριθῶν δυεῖν, τοῦ δ’ οἴνου τὸν µετρητὴν ἰσόκριθον. 2 ἐλύµου γε µὴν καὶ κέγχρου τελέως ὑπερβάλλουσα δαψίλεια γίνεται παρ’ αὐτοῖς. τὸ δὲ τῶν βαλάνων πλῆθος τὸ γινόµενον ἐκ τῶν κατὰ διάστηµα δρυµῶν ἐν τοῖς πεδίοις ἐκ τούτων ἄν τις µάλιστα τεκµήραιτο· 3 πλείστων γὰρ ὑϊκῶν ἱερείων κοπτοµένων ἐν Ἰταλίᾳ διά τε τὰς εἰς τοὺς ἰδίους βίους καὶ τὰς εἰς τὰ στρατόπεδα παραθέσεις, τὴν ὁλοσχερεστάτην χορηγίαν ἐκ τούτων συµβαίνει τῶν πεδίων αὐτοῖς ὑπάρχειν. 4 περὶ δὲ τῆς κατὰ µέρος εὐωνίας καὶ δαψιλείας τῶν πρὸς τὴν τροφὴν ἀνηκόντων οὕτως ἄν τις ἀκριβέστατα κατανοήσειεν· 5 ποιοῦνται γὰρ τὰς καταλύσεις οἱ διοδεύοντες τὴν χώραν ἐν τοῖς πανδοκείοις, οὐ συµφωνοῦντες περὶ τῶν κατὰ µέρος ἐπιτηδείων, ἀλλ’ ἐρωτῶντες πόσου τὸν ἄνδρα δέχεται. 6 ὡς µὲν οὖν ἐπὶ τὸ πολὺ παρίενται τοὺς καταλύτας οἱ πανδοκεῖς, ὡς ἱκανὰ πάντ᾽ ἔχειν τὰπρὸς τὴν χρείαν, ἡµιασσαρίου: τοῦτο δ᾽ ἔστι τέταρτον µέρος ὀβολοῦ: σπανίως δὲ τοῦθ᾽ ὑπερβαίνουσι. 7 τό γε µὴν πλῆθος τῶν ἀνδρῶν καὶ τὸ µέγεθος καὶ κάλλος τῶν σωµάτων, ἔτι δὲ τὴν ἐν τοῖς πολέµοις τόλµαν ἐξ αὐτῶν τῶν πράξεων σαφῶς ἔσται καταµαθεῖν. (Pol. II 15.1–7) Its fertility is not easy to describe. It produces such an abundance of grain that often in my time the price of wheat was four obols per Sicilian medimnos and that of barley two obols, a metrētēs of wine costing the same as the medimnos of barley. Panic and millet are produced in enormous quantities, while the amount of acorns grown in the woods dispersed over the plain can be estimated from the fact that, while the number of swine slaughtered in Italy for private consumption as well as to feed the army is very large, almost the whole of them are supplied by this plain. The cheapness and abundance of all articles of food will be most clearly understood from the following fact. Travellers in this country, who put up in inns, do not bargain for each separate article they require, but ask what is the charge per diem for one person. The innkeepers, as a rule, agree to receive guests, providing them with enough of all they require for half an as per diem, i.e. the fourth part of an obol, the charge being very seldom higher. As for the numbers of the inhabitants, their stature and beauty and their courage in war, the facts of their history will speak.
The stress put on pork is especially interesting. Pork was, for instance, the food of slaves working on the plantations of the American South until the Civil War (as well as a staple food of the free laborers employed for the construction of railroads or on farms).12 This meat provided the high intake of calories necessary for
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S. B. HILLIARD, Hog Meat and Hoecake: Food Supply in the Old South, 1840–1860, Carbondale and Edwardsville 1972, 92–111 (particularly 104–105); H. C. COVEY, D. EISNACH, What the Slaves Ate: Recollections of African American Foods and Foodways from the Slave Narratives, Santa Barbara 2009, 95–112. Pork meat was also a significant component of the annona of Roman citizens. This was still the case in Late Antiquity, in the fourth century and even still partly in the fifth (E. LO CASCIO, Canon frumentarius, suarius, vinarius: stato e privati nell’approvvigionamento dell’Urbs, in: W. V. Harris [Ed.], The Transformations of Urbs Roma in Late Antiquity, Portsmouth/RI 1999, 163–182; P. BROWN, Through the Eye of the Needle, Princeton 2012, 459).
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workers that had to perform hard labor. For the same reason this was also the food of Roman soldiers. But the Romans also benefited from a technological advantage, at least vis-àvis their barbarian opponents. This is clear in the account of the battle at Telamon against the Gauls in 225 B.C.: διακοπτόµενοι γὰρ ἔµενον ἐπ’ ἴσον ταῖς ψυχαῖς, αὐτῷ τούτῳ καὶ καθόλου καὶ κατ’ ἄνδρα λειπόµενοι, ταῖς τῶν ὅπλων κατασκευαῖς. 8 οἱ µὲν οὖν θυρεοὶ πρὸς ἀσφάλειαν, αἱ δὲ µάχαιραι πρὸς πρᾶξιν µεγάλην διαφορὰν ἔχειν, τὴν δὲ Γαλατικὴν καταφορὰν ἔχειν µόνον. (Pol. II 30.7–8) For, though being almost cut to pieces, they held their ground, equal to their foes in courage, and inferior only, as a force and individually, in their arms. The Roman shields, it should be added, were far more serviceable for defense and their swords for attack, the Gaulish sword being only good for a cut and not for a thrust.
Thus it is no coincidence that Polybius later mentions that Hannibal equipped at least his own African forces, the elite of his army, with weapons seized from the Romans (III 114.1): this is a way to acknowledge the fundamental superiority of the Roman armament. Thus, as if in passing, Polybius gives us three fundamental pieces of information. Roman power was based firstly on a formidable demographic edge, secondly on an access to economic resources that no one could match, and thirdly on a form of technological superiority, if not to the Greeks or Carthaginians themselves, at least to the barbarian elements that were to be so numerous not only in the armies of Carthage, but also later in those of Hellenistic rulers like Antiochus III. And therein lies the issue of ancient economic history. For Polybius, this is a given fact, just like the values of the variables in an equation. Polybius takes interest in the equation itself, not in the reasons why a variable takes on this or that value, or if he does it is only in passing and in a conventional way. We do not know why the population of Italy was larger than that of the other parts of the ancient world (we may suspect the reason would be too self-evident to mention, viz. the size of the country). If some parts of Italy like the Po Valley were richer than any other part of the ancient world, this is because of specific natural conditions. As for the quality of the weapons, one can suspect that a possible answer would have been that this was the usual advantage of the civilized man over the barbarian, which also partakes in a natural advantage, barbarians being by nature inferior to civilized men. In this field, the Greeks were even better (i.e. more civilized) than the Romans, as proved by the enormous losses inflicted on the Roman fleet and army by the Greek war machines prepared by Archimedes during the siege of Syracuse in 212 (VIII 3–12): the Romans decided to abandon their project of storming the city and preferred to rely on starvation and trickery to achieve their goal. Thus one should also consider that Italian demographic expansion, access of Rome to natural resources, and superiority in weaponry were for Polybius, in the truest sense, data, viz. elements that are given, one might say, by nature. For him, the historian may allude to them as to a fact everyone should know. But by them-
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selves they do not deserve to be the object of his investigation. Insofar as history is for Polybius and for other ancient historians a series of human actions, and more precisely of human actions as decided by state rulers, it is clear that these natural developments can only be the backdrop that provides the setting for true historical action. The point is not that Polybius would have been blind to the decisive significance of population issues, of access to natural resources, or of the difference in technological levels. But for him the role of the historian was to build on them in order to examine the way men exploited them. It was to detail the Roman constitution, which he does in Book 6, or to analyze the way generals used the forces that were at their disposal, because this was on the side of human, not of “natural” achievement. But even on this basis a comparison with Thucydides shows readily that Polybius has missed the opportunity to present a systematic comparison of the forces of the two sides, which would have transformed his implicit argument into an explicit one. Indeed—admittedly more on the basis of a qualitative argument than on that of precise figures—this is what Thucydides had done in books 1 and 2 in his analysis of the balance of power before the beginning of the Peloponnesian War, and in book 6 for the Sicilian expedition.13 We are (although far from systematically) provided with figures for numbers of soldiers or ships, but above all we have a judgment on the respective strengths and weak points of the two opponents: while the Athenians were by far superior at sea, the Peloponnesians were invincible in land battles. This is not to say that such a parallel necessarily could have been drawn between the respective forces of the Romans and Carthaginians. But it is clear that what is lacking at the beginning of the Histories is a systematic presentation of the empires of Rome and Carthage: we find in Polybius nothing that can be compared to the broad views of Thucydides or the anthropological perspectives of Herodotus. It remains to note that the figures provided by Polybius are strikingly reflective of the disproportion of the demographic forces between the East and the West of the Mediterranean world by the turn of the third to second century. At the battle of Cannae in 216, the Romans mobilized a force of 86,000 men (III 113.5) and the Carthaginians, with their barbarian troops, 50,000 (III 114.5).14 But in these same years, at the great battle of Sellasia of 222, the
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L. KALLET-MARX, Money, Expense, and Naval Power in Thucydides’ History 1–5.24, Berkeley 1993; L. KALLET, Money and the Corrosion of Power in Thucydides, Berkeley 2001, 21– 79 (with the famous case of the deception of the Egestans). For what we know, on the basis of Polybius and Livy, of the Roman effort during the Second Punic War, see P. A. BRUNT, Italian Manpower, 225 B.C.–A.D. 14, Oxford 1971, 416–434. Polybius' figures for the Roman military potential at the time of the Second Punic War are of crucial significance for an estimate of the global population of Italy. Scholars may disagree on the detail of Polybius’ figures. But they agree that while representing only a rough approximation they are on the whole reliable (see E. LO CASCIO, The Population of Roman Italy in Town and Country, in: J. Bintliff, K. Sbontias [Edd.], Reconstructing Past Population Trends in Mediterranean Europe [3000 BC–AD 1800], Oxford 1999, 161–171, particularly 166–170.
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Macedonian army of Antigonus Doson and his Achaian and other allies that invaded the Peloponnese numbered 29,200, and that of the Lacedaemonians 20,000 (II 65.1–7). To this should be added the fact that, although at Cannae the Romans lost 70,000 dead and 10,000 prisoners (III 117.1–4), and although at the same moment they completely lost another army against the Gauls (III 118.6), they were almost immediately able to launch new large armies against the Carthaginians, to suffer other losses and yet soon to win crushing victories and then a final triumph. It is thus clear that a systematic comparison between the military forces of the several opponents would have been both possible and quite telling. But Polybius did not care to provide it. Another surprise comes from the treatment of financial questions. Indeed, Polybius (IX 10.11) explicitly refers to possession of gold and silver as a key asset for the success of a conqueror aspiring to universal dominion. He also provides many details on mines, gifts in cash or in kind or revenues drawn from provinces. Thus he carefully notes that Polykrates, appointed governor of Cyprus between 203 and 197, in the early years of the reign of Ptolemy V, took care of the revenue (prosodoi) of the island and brought to the young king a considerable amount of money (XVIII 54.1–2 and 55.5–7). As for wars, he is fully aware that they cannot be won without adequate financial resources.15 Thus when Hannibal manages to capture Saguntum (III 17.10), a large amount of booty consisting of money, slaves and various material assets falls into his hands. He distributes the slaves to his men, sends the miscellaneous property to Carthage, but keeps the money for himself, looking ahead to the next stages of his campaign. Finally, what seems at first a surprising omission by comparison with Thucydides is that little is said by Polybius on the global financial reserves of the two adversaries. Lisa Kallet’s books have shown that for Thucydides having financial reserves at one’s disposal was the key to military success. Indeed, in the end the side that won the war was the one with access to a larger amount of precious metal. Nothing similar can be found in Polybius. In no way can it be said that the decisive factor for the victory of one side was based on the initial possession of larger precious metal reserves than the other side. Besides, we know that the war gave rise to large coinage strikes on behalf of the two opponents and to significant modifications of the Roman monetary system, with the introduction of the denarius in 211 BCE.16 By contrast with Thucydides, Polybius shows no specific interest in the global financial balance of power between the two sides. For him, winning a war was not the direct consequence of larger resources in precious metal. This certainly has to do with the economic realities of the Western Mediterranean.
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L. DE LIGT, Peasants, Citizens and Soldiers. Studies in the Demographic History of Roman Italy 225 BC–AD 100, Cambridge 2012, 40–78). See in detail RÉMY, La richesse (FN 6), 112–114 and 121–124. See in detail RÉMY, La richesse (FN 6), 112–114 and 121–124. B. E. WOYTEK, The Denarius Coinage of the Roman Republic, in: W. E. Metcalf (Ed.), The Oxford Handbook of Greek and Roman Coinage, Oxford 2011, 315–334.
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It was, of course, not a non-monetized world; but Rome and Carthage had nonetheless developed solutions very different from those of the Greeks for both their internal and external payments.17 For the Greeks, in a segmented economy where buying and selling was central, money in the form of precious metal was the direct key to winning a war. For the “territorial economies” of both Carthage and Rome, this was only a secondary element. Reserves in precious metal mattered, but only as one of a number of factors. For the Carthaginians and the Romans, winning the war meant controlling larger territories and having access to more men, more food and more good weapons. This is again the background of Polybius’ reasoning, even though he did not state it explicitly. A good example is provided by the confusion of the Carthaginians in the aftermath of the First Punic War, at the time of the great revolt of their mercenaries (followed by that of most of their African allies). For Athens at the end of the Peloponnesian War the loss of its silver mines had been a decisive blow. But Polybius (I 71.1–2) notes that what mattered for the Carthaginians at the time of the revolt was the observation that not only the revenues (πρόσοδοι) of their former territories, with which they procured their military equipment and their resources (παρασκευαὶ καὶ χορηγίαι), were now lost, but that they were now used against the Carthaginians themselves. 2. Now in the detail of his argument, Polybius fully acknowledges that individual or collective greediness could motivate the actions of the several opponents. Thus the obtaining of booty appears repeatedly in the accounts of the several campaigns. A good example is provided by the campaign against the Gauls in 225 (II 26–31). While aiming at attacking Rome, the Celtic warriors plundered Etruria and carried with them a considerable amount of booty in their retreat towards the north. But booty was also a significant motivation on the Roman side. The elite of the Gallic warrior-class commonly wore gold torques, which attracted the envy of the Romans and gave them a strong motivation to fight, as Polybius himself puts it: πάντες δ’ οἱ τὰς πρώτας κατέχοντες σπείρας χρυσοῖς µανιάκαις καὶ περιχείροις ἦσαν κατακεκοσµηµένοι. 9 πρὸς ἃ βλέποντες οἱ Ῥωµαῖοι τὰ µὲν ἐξεπλήττοντο, τὰ δ’ ὑπὸ τῆς τοῦ λυσιτελοῦς ἐλπίδος ἀγόµενοι διπλασίως παρωξύνοντο πρὸς τὸν κίνδυνον. (Pol. II 29.8–9) (...) and all in the leading companies [of the army of the Celts were] richly adorned with gold torques and armlets. The sight of them indeed dismayed the Romans, but at the same time the prospect of winning such spoils made them twice as keen for the fight.
But from a collective viewpoint individual greed could also provide a motivation for the decision to wage war. This in the past had been the motive of the Gauls when they kicked the Etruscans out of the Po Valley (II 17.1–3): this was a rich
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A. BRESSON, Coinage and Money Supply in the Hellenistic World, in: Z. Archibald, J. K. Davies, V. Gabrielsen (Edd.), Making, Moving, Managing, The New World of Ancient Economies (323–31 BCE), Oxford 2005, 44–72.
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territory and they wanted to exploit it for themselves (we know that the expulsion took place in the fifth century). Thus too, in 264, before the First Punic War, while the Senate would have preferred to avoid a conflict with Carthage, the Roman people pressed for war because of the expected advantages: πολὺν µὲν χρόνον ἐβουλεύσαντο, καὶ τὸ µὲν συνέδριον οὐδ’ εἰς τέλος ἐκύρωσε τὴν γνώµην διὰ τὰς ἄρτι ῥηθείσας αἰτίας. ἐδόκει γὰρ τὰ περὶ τὴν ἀλογίαν τῆς τοῖς Μαµερτίνοις ἐπικουρίας ἰσορροπεῖν τοῖς ἐκ τῆς βοηθείας συµφέρουσιν. 2 οἱ δὲ πολλοὶ τετρυµένοι µὲν ὑπὸ τῶν προγεγονότων πολέµων καὶ προσδεόµενοι παντοδαπῆς ἐπανορθώσεως, ἅµα δὲ τοῖς ἄρτι ῥηθεῖσι περὶ τοῦ κοινῇ συµφέρειν τὸν πόλεµον καὶ κατ’ ἰδίαν ἑκάστοις ὠφελείας προδήλους καὶ µεγάλας ὑποδεικνυόντων τῶν στρατηγῶν, ἔκριναν βοηθεῖν. (Pol. I 11.1) [The Romans] debated the proposal for long, and the Senate did not sanction the proposal at all, considering that the objection on the score of inconsistency was equal in weight to the advantage to be derived from intervention. The commons, however, worn out as they were by the recent wars and in need of any and every kind of restorative, listened readily to the consuls, who, besides giving the reasons above stated for the general advantageousness of the war, pointed out the great benefit in the way of plunder which each and every one would evidently derive from it. They were therefore in favor of sending help.
There is certainly here a Greek aristocratic topos, the greediness of the people and their consequent readiness for war. The parallel is easy to find: Thucydides (VI 24.1–4) had shown how in 415 the Athenian people had decided for war against Syracuse, while the more cautious conservative element under Nikias tried to avoid the war.18 Indeed, it is easy to understand why the Athenians and later the Romans dreamed of Sicily, which was without any doubt the richest grain producer and exporter of the Mediterranean world. Where the Athenians failed, the Romans succeeded, thanks to their conquest of western Sicily after their victory over the Carthaginians in 241, and their capture of eastern Sicily after the destruction of the kingdom of Syracuse in 212. Thanks to this conquest, Sicily became the best provider for the armies that would fight in Africa against Carthage and in the East against the Hellenistic kingdoms (and inevitably also at some point began helping indirectly or directly with the provisioning of the Roman plebs itself).19 So on this point Polybius was perfectly aware of the significance of the event, which made Rome stronger than it had ever been before. But again he does not care to stress the fact. 3. In passing, indeed, Polybius provides us with a great deal of information that we would classify as of an economic nature. This is the case for instance when he notes that thanks to the Achaean League many Peloponnesian cities shared the
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R. K. BALOT, Greed and Injustice in Classical Athens, Princeton 2001, 168–171. P. ERDKAMP, Hunger and the Sword: Warfare and Food Supply in Roman Republican Wars (264–30 B.C.), Amsterdam 1998, 156–187 (the Italian campaigns of both opponents were fought on the basis of the grain of Italy, Sardinia and Sicily only).
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same weights, measures and currency (II 37.10).20 These economic notes or digressions share one common feature: they are introduced along with an explicit moral judgment on the behavior of a city or its leaders. But they also betray Polybius’ economic conceptions. They are introduced when he notes the prosperity of this or that city, or explains the trade relations of the Euxine. The description is famous: πρὸς µὲν γὰρ τὰς ἀναγκαίας τοῦ βίου χρείας τά τε θρέµµατα καὶ τὸ τῶν εἰς τὰς δουλείας ἀγοµένων σωµάτων πλῆθος οἱ κατὰ τὸν Πόντον ἡµῖν τόποι παρασκευάζουσι δαψιλέστατον καὶ χρησιµώτατον ὁµολογουµένως· πρὸς δὲ περιουσίαν µέλι, κηρόν, τάριχος ἀφθόνως ἡµῖν χορηγοῦσι. 5 δέχονται γε µὴν τῶν ἐν τοῖς παρ’ ἡµῖν τόποις περιττευόντων ἔλαιον καὶ πᾶν οἴνου γένος· σίτῳ δ’ ἀµείβονται, ποτὲ µὲν εὐκαίρως διδόντες, ποτὲ δὲ λαµβάνοντες. (Pol. IV 38.4) For as regards necessities it is an undisputed fact that the most plentiful supplies and best qualities of cattle and slaves reach us from the countries lying round the Pontus, while among luxuries the same countries furnish us with abundance of honey, wax, and preserved fish, while of the superfluous produce of our countries they take olive-oil and every kind of wine. As for grain there is a give-and-take, they sometimes supplying us when we require it and sometimes importing it from us.
The description confirms what we knew already from the speech Against Lacritus (35.34–35) of the Demosthenic corpus. It is also perfectly well confirmed by archaeological data and recently commented on by V. Gabrielsen.21 The description of trade with the Euxine (IV 38–45) itself comes with the description of a context of war, a war provoked by Byzantion when the city, pressed by the barbarians, decided to levy a duty on ships passing through the Bosporos. Polybius obviously found that attitude unacceptable and supported the attitude of their allies that decided to fight a war (in fact rather a kind of “phony war”) against the Byzantines. But at the same time he acknowledged the vital role played by Byzantion in the security of the Greek trade with the Euxine: µέγιστα µὲν οὖν ἴσως αὐτοῖς ἐκείνοις περιγίνεται λυσιτελῆ πρὸς τοὺς βίους διὰ τὰς τῶν τόπων ἰδιότητας· 9 ἅπαν γὰρ τὸ µὲν περιττεῦον παρ’ αὐτοῖς ἐξαγωγῆς, τὸ δὲ λεῖπον εἰσαγωγῆς ἑτοίµου τυγχάνει καὶ λυσιτελοῦς ἄνευ πάσης κακοπαθείας καὶ κινδύνου· 10 πολλά γε µὴν καὶ τοῖς ἄλλοις εὔχρηστα δι’ ἐκείνους, ὡς εἰρήκαµεν, ἀπαντᾷ. διὸ καὶ κοινοί τινες ὡς εὐεργέται πάντων ὑπάρχοντες εἰκότως ἂν οὐ µόνον χάριτος, ἀλλὰ καὶ ἐπικουρίας κοινῆς τυγχάνοιεν ὑπὸ τῶν Ἑλλήνων κατὰ τὰς ὑπὸ τῶν βαρβάρων περιστάσεις. (Pol. IV 38.9–11) Though perhaps the Byzantines themselves are the people who derive most financial benefit from the situation of their town, since they can readily export all their superfluous produce and import whatever they require on advantageous terms and without any danger or hardship,
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C. GRANDJEAN, Polybe et la nature de l’État achaïen 2.37.9–11, in: K. Konuk (Ed.), Stephanèphoros. De l’économie antique à l’Asie Mineure. Hommages à Raymond Descat, Bordeaux 2012, 85–94. V. GABRIELSEN, Trade, Tribute and Taxes: Byzantion and the Black Sea Straits, in: V. Gabrielsen, J. Lund (Edd.), The Black Sea in Antiquity: Regional and Interregional Economic Exchanges, Aarhus 2007, 287–324.
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yet, as I said, they are of great service to other peoples. Therefore, as being the common benefactors of all, they naturally not only should meet with gratitude from the Greeks, but with general support when they are exposed to peril from the barbarians.
Thus Polybius provides a balanced view, noting that the Byzantines themselves earn the lion’s share of profit from their situation, but at the same time play a vital role for the Greeks.22 If the city had not existed, the barbarians could easily have cut the road to the Bosporos or levied extraordinarily high duties on the ships crossing the straits. However, Polybius also reveals his quite traditional views on external trade.23 A city exports its surplus (τὸ περιττεῦον), and imports what it lacks (τὸ λεῖπον). Indeed, this had been a common view among Greek historians and philosophers. But Plato had already shown in the Republic (370e–371a) that this banal conception was inadequate and that in fact a city had to produce a surplus to be able to import what it needed. On this question, Polybius remains wholly conservative. This is not to say that he has no idea of prices and price evolution. For instance, as already mentioned, he noticed the low prices in northern Italy because of abundance of goods in this region. Thus he was not blind to the link between supply, demand and prices. But one should stress once again that what interests Polybius is the result, not the way to reach it—that is to say, the way a state could manage a difficult political situation, not (or not to any great extent) the invisible actions taken by individuals to reach the level of prosperity that will enable a state to defend itself. But if he happens to take them into consideration, it is to pass a moral judgment on them. This is the case with the depopulation of Greece, a process he describes in detail (XXXVI 17.5–9). People do not care any more to marry or, if they do marry, they refuse to raise enough children, so that with the hazard of one military death or illness many households disappear. The result is a general process of depopulation, for which the Greeks themselves are responsible. For Polybius (XX 6.5–6), Boiotia provides a good case of the link between this population decline and the moral decline. The depopulation of Late Hellenistic Greece and Early Roman Greece is attested by other literary sources, among others by Plutarch (Def. Orac. [Mor.] 413F–414A).24 Although it is today perfectly corroborated by the results of archaeological surveys in most regions of mainland Greece, the basic fact of depopulation still perplexes many modern scholars.25 And indeed 22 23 24 25
A. BRESSON, La cité marchande, Bordeaux 2000, 117 and 122–123. BRESSON, La cité marchande (FN 22), 117–118. S. E. ALCOCK, Graecia Capta. The Landscapes of Roman Greece, Cambridge 1993, 24–27, with a detailed analysis of other literary sources. For the archaeological data and the sharp decline of occupied sites in the Late Hellenistic and Early Roman period, see ALCOCK, Graecia Capta (FN 24), 33–73, which remains a major source of information. While acknowledging the decrease in number of occupied sites, S. Alcock is hesitant to explain it through population decrease, or population decrease only, and stresses the transformation of the occupation of the rural landscapes (more major, nucleated sites of exploitation); there is no doubt that such a transformation actually took place, but the
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Polybius does not help to solve the puzzle, as he limits his explanation to passing a moral judgment on the attitude of the Greeks of his time: had they been less greedy, they would have had more children, and thus would have been able to prevail on the battlefield against their enemies. What Polybius neglects to mention is that two of the former grain baskets of Greece, Italy and Sicily, which had played a very significant role in the supply of food for the “overpopulated” Greece of the Classical period, were now simply lacking. Rome had prevailed in the West and had closed the grain routes from these regions towards the Aegean world.26 In any case, insofar as for him it is the conduct of a state that is at stake and the moral judgment that can be passed on it, a good case study is provided by the attitude of the Rhodians after 166. The famous speech of Astymedes (XXX 31.3) in 164 BCE, when he reminded the Roman Senate of the Rhodians’ losses (that is, the loss of the annual revenue of Kaunos and Stratonikeia, viz. 120 talents, and above all the fall of the harbor duties from one million drachmas to only 150,000), proved to be successful, and the Senate agreed to conclude (or grant) a treaty with the city.27 But Polybius takes pleasure in noting that the attitude of the old Rhodian leader before the Senate could be compared to that of “slaves [who] when scourged beg to be let off a certain number of lashes”: ὥρµησεν ἐπὶ τὸ παραιτεῖσθαι, καθάπερ οἱ µαστιγούµενοι τὰς πληγάς. In fact, Polybius’ presentation of Astymedes is quite ironical. The Rhodian leader has first been compared to a slave who begs to be let off a certain number of lashes, then he becomes a shopkeeper who in his speech for his defense opens his ledgers and gives all the details. There is a sharp irony in the depiction of the scene by Polybius, who wants to show in what abject humiliation the once so proud Rhodians now found themselves. It is thanks to this satire of the Rhodian humiliation that we get these so precious figures on Rhodian finance in this period. In the same vein, it is also in order to illustrate his view that the Rhodians lack dignity that Polybius mentions the gift of 280,000 medimnoi of grain (a huge quantity indeed) that was made to them to pay tutors and teachers (XXXI 31.1–3). He strongly condemns the acceptance of the gift from a moral standpoint, implicitly assuming that the Rhodians were still rich enough to pay for the education of their children—this is Polybius’ view, and we cannot falsify it as we lack the appropriate statistics on Rhodian finance in this period. But given the financial crisis suffered by the city in this period, it is quite possible that indeed it was so sorely
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analysis should not preclude the acknowledgement that the phenomenon was accompanied by a massive depopulation. For the case of Boiotia, see J. BINTLIFF, The Contribution of an Annaliste/Structural History Approach of the Roman Rural Economy, in: id. (Ed.), The Annales School and Archaeology, Leicester 1991, 1–33, particularly 19–26. See A. BRESSON, L’économie de la Grèce des cités, vol. 2, Paris 2008, 199–217. H.-U. WIEMER, Krieg, Handel und Piraterie: Untersuchungen zur Geschichte des hellenistischen Rhodos, Berlin 2002, 335–336 on the loss of the two cities.
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pressed that it could not pay its schoolteachers any more, at least during the most critical years of the post-Pydna period. Thus we can observe that for Polybius the logic of the description of political developments, which in practice meant political strategies, made it impossible to develop a systematic economic analysis. For him, economic facts—fertility of the land, situation on a favorable trade route, even the technological superiority that is the characteristic of the civilized man with respect to the barbarian—fall most of the time within the realm of nature, of physis, not of culture, of nomoi. As such, they are not central to the analysis. This does not mean, however, that they necessarily constitute a despicable type of knowledge—on the contrary, these data should form the basis of the reasoning of any decent political or military leader. In this regard, Polybius no doubt inherited the conceptions of a whole body of previous thinkers, of whom Xenophon and Aristotle remain good representatives for us. In the Memorabilia (III 6.4–18), Socrates ridicules Glaukon for not being aware of the basic aggregate figures (budget of the city; number of soldiers; revenue of the mines; ratio of food production to population and potential figure of necessary annual import) that any wise city leader must be informed of. In the Rhetoric (I 4.7–11 1359b–1360a), Aristotle also stresses that these figures must be common knowledge for any experienced city leader, and he defines them along mostly similar lines. Polybius obviously shared the same views. For him also these figures are pure data to play with and are not, save in exceptional cases, worthy of a detailed analysis. It is only in passing, for example for the sake of the illustration of a moral judgment passed on the conduct of an individual or of a city, that he introduces economic developments. As for his own economic views, so far as we can judge from the little we know of them, they seem to have remained quite traditional, as is proven by his analysis of the balance of trade of a city. But before adopting a look of disdain toward Polybius and other ancient historians, we should not forget ourselves that the development of “longue durée” history, with its interest in demographic and family structures and in economic and cultural achievement, is quite recent in western history writing: this new attitude towards the past is only a little more than half a century old. Before that, with rare exceptions western history writing long remained stubbornly political and (at best) positivistic. Thus we should refrain from assuming that Polybius simply mirrored a society that took no interest in the economy, or that he himself had no interest in economic matters. Just like that of Thucydides, Polybius’ discourse should be taken for what it was: a rhetorical construction in a given cultural environment. If we acknowledge this reality, the contemporary historian will able to find in Polybius’ Histories nuggets to help make sense of the economy of the ancient Mediterranean world, although admittedly this text was first and foremost, just as it claimed to be, a masterpiece of political history.
PHILOMATHIA STATT PHILOSOPHIA: POLYBIOS, DIE PHILOSOPHIE UND DIE IDEE DER PAIDEIA Peter Scholz, Stuttgart
Das aufgegebene Thema zu bearbeiten bereitete weitaus größere Mühe, als ursprünglich gedacht; denn der Bezug des Polybios zur Philosophie ist weniger leicht zu fassen, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die fraglichen Stellen, an denen Polybios Bezug auf philosophische Abhandlungen nimmt oder Philosophen in seinen Historien erwähnt, sind nur wenige. Die letztlich geringe direkte Bezugnahme auf die Philosophie hat mich veranlasst, meinem Beitrag einen Obertitel zu geben, der dies programmatisch unterstreicht: die allgemeine „Wißbegier“ der hellenistischen paideia, die in dieser Zeit als eine der Grundlagen für politische Betätigung und darin als „nützlich“ betrachtet wird, und keine nähere Verbindung zur philosophischen Praxis, verstanden als Erörterung theoretischer Probleme, aufweist. Seine rhetorische Schulung ist unabweisbar; sie ist leicht zu erkennen an der sorgsamen Bemühung des Polybios, den damals als anstößig geltenden Hiat zu vermeiden und seine Aussagen, vor allem seine Reden und polemischen Ausfälle gegen historiographische Konkurrenten nach allen Regeln der rhetorischen Kunst zu gestalten – so wie es seine Adressaten, die von ihm mehrfach bezeichneten φιλομαθοῦντες, eine „an Kenntnissen und Bildung interessierte“ griechische Öffentlichkeit, von einem Historiker ihrer Zeit erwarten durften. Demgegenüber Polybios in erster Linie als einen Anhänger und Vertreter der stoischen Schule zu betrachten, ist letztlich eine Vorstellung der Forschung des 19. Jahrhunderts.1 Der Annahme einer derartigen philosophischen Prägung hielt etwa Frank Walbank in seinem Kommentar zu den „Historien“ zu Recht entgegen: „[Stoicism is] not to be overstressed in a writer who was not by temperament a philosopher“.2 Trotz dieser vorab gesetzten ‚Warnschilder‘ ist es meines Erachtens für die Interpretation des polybianischen Werkes nach wie vor bedeutsam, sich über den generellen Grad seines Abstands oder auch seiner Nähe zur Philosophie seiner Zeit klar zu werden. Im Folgenden soll also zunächst versucht werden, primär das Ähnliche und Verbindende zur stoischen Schule aufzuzeigen und auf einige parallele und übereinstimmende Aussagen hinzuweisen.
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R. VON SCALA, Die Studien des Polybios, Stuttgart 1890, 201–255; R. HIRZEL, Untersuchungen zu Ciceros Philosophischen Schriften, Theil 2: De Finibus, De officiis, Leipzig 1882, 841–889. F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, Bd. I, Oxford 1957, 296; vgl. M. POHLENZ, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Bd. I, Göttingen 71992, 193.
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I. POLYBIOS UND DIE PHILOSOPHIE Die Distanz generell zur Philosophie, zumindest aber zu einer der damals führenden philosophischen Schulen, tritt am deutlichsten im 12. Buch der Historien des Polybios zutage. Dort kommt er in einer seiner polemischen Bemerkung über Timaios auf die zeitgenössische Akademie und ihre ihm völlig unverständliche skeptische Neuausrichtung zu sprechen: So wie Timaios seine Vorliebe für Paradoxien pflege und die von ihm verehrten historischen Gestalten der Lächerlichkeit preisgebe, so verhalte es sich auch mit den Akademikern, die sich in logischer Rabulistik übten.3 Die Passage ist die einzige im Werk, in der er seine generelle Haltung zur Philosophie zum Ausdruck bringt: „Um das Evidenteste in Frage zu stellen oder evident Unrichtiges zu beweisen, sind sie so erfinderisch, ihre Diskussionsgegner mit den unsinnigsten Scheinargumenten in die Enge zu treiben, daß sie zum Beispiel die Frage aufwerfen, ob es möglich ist, wenn man sich in Athen aufhält, Eier, die in Ephesos gekocht werden, zu riechen, oder in Zweifel ziehen, ob sie dies Gespräch wirklich in der Akademie führen oder nicht vielmehr zu Hause im Bett liegen und es nur träumen (?). Indem sie so den gesunden Menschenverstand Hohn sprechen, haben sie die ganze Schule (der Akademie) derartig in Verruf gebracht, daß sie auch mit der Erörterung echter Probleme bei niemandem Glauben finden. Und nicht zufrieden mit ihren eigenen Absurditäten, haben sie den Eifer der Jugend in eine falsche Richtung gelenkt: diese kümmert sich überhaupt nicht mehr um die Fragen der Ethik und des praktischen Lebens, worin doch der ganze Nutzen der Philosophie besteht, sondern bringt ihre Zeit allein damit hin, sich nutzlose, widersinnige Spitzfindigkeiten auszudenken, und tut sich noch groß damit.“4
Polybios wendet sich gegen die von Arkesilaos (etwa 315–241/240 v.Chr.) eingeführte und von Karneades (214/213–129/128 v.Chr.) weiter verschärfte skeptische Grundhaltung der sog. Neuen Akademie. Während Arkesilaos die Möglichkeit der Erfassung sicheren Wissens in Frage stellte und deshalb die Auffassung vertrat, der Philosoph müsse sich grundsätzlich jeden Urteils enthalten,5 bestritt Karnea3 4
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Pol. XII 26c,1: τοῖς περὶ τοὺς ἐν Ἀκαδημείᾳ λόγους πρὸς τὸν προχειρότατον λόγον ἠσκηκόσι. Pol. XII 26c,2–4: Καὶ γὰρ ἐκείνων τινὲς βουλόμενοι περί τε τῶν προφανῶς καταληπτῶν εἶναι δοκούντων καὶ περὶ τῶν ἀκαταλήπτων εἰς ἀπορίαν ἄγειν τοὺς προσδιαλεγομένους τοιαύταις χρῶνται παραδοξολογίαις καὶ τοιαύτας εὐποροῦσι πιθανότητας ὥστε διαπορεῖν εἰ δυνατόν ἐστι τοὺς ἐν Ἀθήναις ὄντας ὀσφραίνεσθαι τῶν ἑψομένων ᾠῶν ἐν Ἐφέσῳ καὶ διστάζειν μή πως, καθ᾽ ὃν καιρὸν ἐν Ἀκαδημείᾳ διαλέγονται περὶ τούτων, οὐχ ὕπαρ, ἀλλ᾽ ὄναρ ἐν οἴκῳ κατακείμενοι τούτους διατίθενται τοὺς λόγους. (3) Ἐξ ὧν διὰ τὴν ὑπερβολὴν τῆς παραδοξολογίας εἰς διαβολὴν ἤχασι τὴν ὅλην αἵρεσιν, ὥστε καὶ τὰ καλῶς ἀπορούμενα παρὰ τοῖς ἀνθρώποις εἰς ἀπιστίαν ἦχθαι. (4) Καὶ χωρὶς τῆς ἰδίας ἀστοχίας καὶ τοῖς νέοις τοιοῦτον ἐντετόκασι ζῆλον, ὥστε τῶν μὲν ἠθικῶν καὶ πραγματικῶν λόγων μηδὲ τὴν τυχοῦσαν ἐπίνοιαν ποιεῖσθαι συμβαίνει, δι᾽ ὧν ὄνησις τοῖς φιλοσοφοῦσι, περὶ δὲ τὰς ἀνωφελεῖς καὶ παραδόξους εὑρεσιλογίας κενοδοξοῦντες κατατρίβουσι τοὺς βίους. Vgl. F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, Bd. II, Oxford 1967, 405f. Cic. Acad. I 45; de orat. III 67. Zur Position des Arkesilaos: W. GÖRLER, Arkesilaos. in: H. Flashar (Hrg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Bd. IV 2: Die hellenistische Philosophie, Basel 21994, 786–828; A. M. IOPPOLO, Opinione e scienza. Il dibattito tra Stoici e Accademici nel III e nel II secolo a. C., Neapel 1986.
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des sogar die Möglichkeit des Wissens, daß man nichts wissen könne.6 Polybios wiederholt in dieser Nebenbemerkung einen beliebten Vorwurf an die athenischen Philosophenschulen: Indem er den Maßstab des Nutzens für den politisch tätigen Bürger anlegt, läßt er allein die Beschäftigung mit Fragen des sozialen Zusammenseins und Auskommens, auf individueller Ebene und auf der Ebene der politischen Vergemeinschaftung, also nur Ethik und Politik als berechtigte Gegenstände philosophischen Nachdenkens gelten. Die Akademiker hätten sich gänzlich von diesen „nützlichen“ Themengebieten abgewandt, nur damit sie sich der Erörterung von Fragen widmeten, die für die Öffentlichkeit unerheblich und unverständlich blieben. Seine Kritik ist gleichwohl nicht wirklich fundamental, der Vorwurf richtet sich vielmehr ausdrücklich und ausschließlich gegen die Akademie unter Karneades, durchaus nicht generell gegen jede Art von Philosophen und Philosophie. Da uns ansonsten keine diesbezüglichen Zeugnisse vorliegen, stellt sich die Frage, inwieweit das dem Polybios oft nachgesagte Nahverhältnis zur Stoa, und insbesondere zu Panaitios, sich näher fassen lässt; denn eine Kritik an den Akademikern bedeutet noch keine Übernahme stoischer Positionen oder gar Identifikation mit denselben. Daher möchte ich im Folgenden einige Überlegungen anschließen, die zumindest einen deutlichen Hinweis darauf zu geben vermögen: daß (1) Polybios der vorherrschende zeitgenössische philosophische Diskurs nicht fremd war, und daß er (2) in seine Überlegungen möglicherweise einige Grundsätze der durch Diogenes von Seleukeia modifizierten stoischen Lehre einfließen ließ. Gleichwohl soll damit ausdrücklich nicht behauptet werden, daß Polybios mit Diogenes und der stoischen Schule in irgendeiner Weise näher verbunden gewesen wäre – dazu sind die faßbaren Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen meines Erachtens zu allgemein und zu unbestimmt.
II. POLYBIOS UND DIE STOA Die Biographie des um 200 v.Chr. geborenen Polybios erlaubt es, zumindest die Zeit seiner Erziehung und intellektuellen Ausbildung etwa auf die Jahre zwischen 182 und 175 v.Chr. einzugrenzen, also wohl nach der Übertragung der ehrenvollen Aufgabe, als etwa 17/18-Jähriger die Aschenurne des Philopoimen aus Messene in dessen Heimatstadt Megalopolis zu überführen (183/182 v.Chr.) und ein gutes Stück vor seiner Wahl zum Hipparchen im Jahr 169 v.Chr. In diese Zeit der Bildung und Erziehung (σχολή) fiel die Teilnahme an der Gesandtschaft des Arat und Lykortas zu Ptolemaios V. Epiphanes im Jahr 180 v.Chr. 6
Cic. Acad. II 28. Zu Karneades: Testimonien und Fragmente (mit Kommentar) bei H. J. METTE, Weitere Akademiker heute: Von Lakydes bis zu Kleitomachos, in: Lustrum 27 (1985), 53– 141. Zu Person und Werk siehe jüngst ausführlich (mit reichhaltiger Bibliographie): W. GÖRLER, Jüngere Akademie, in: FLASHAR (Hrg.), Philosophie der Antike (Anm. 5), 849–897. Siehe grundsätzlich zu den Ansichten der Akademie: M. SCHOFIELD, Academic Epistemology. in: K. Algra u.a. (Hrgg.): The Cambridge History of Hellenistic Philosophy, Cambridge 2005, 323–351.
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Daß Polybios die philosophische Begrifflichkeit der Stoa seiner Zeit aufgriff, ist insbesondere auf dem Feld der Psychologie leicht zu erkennen. Hier mag es genügen, auf die dualistische Struktur des Geistes in ein λογικόν und ἄλογον beziehungsweise in λογισμός und θυμός ̣̣hinzuweisen, die sich auch im Werk des ̣ Polybios zeigt; diese hat ihre Entsprechung in der Einteilung des Geistes in ein λογιστικόν, θυμοειδές und ἐπιθυμητικόν bei Chrysipp und Kleanthes oder in λόγος und ὁρμή bei Panaitios. Meine Vermutung, die sich nicht durch ausdrückliche Quellenzeugnisse im strengen Sinne beweisen lässt, geht nun dahin, daß (1) der Einfluß stoischen Gedankenguts sich unter Umständen auch auf andere Bereiche erstreckte, und dies (2) vor allem mit der Neuausrichtung der Stoa zu verbinden ist. Diese bestand vor allem in einer stärkeren Hinwendung zur politischen Praxis und entsprechend in einer stärkeren theoretischen Auseinandersetzung mit derselben. Diese Neuorientierung ging nicht, wie vielfach behauptet worden ist, auf Panaitios, sondern vielmehr bereits auf dessen Vorgänger im Vorstand der stoischen Schule zurück, auf Diogenes von Seleukeia, der seinem Lehrer Chrysipp nachgefolgt war. Für das Verständnis des Polybios ist dies insofern bedeutsam, als durch die Neuausrichtung bereits unter Diogenes weitaus besser der intellektuelle Entstehungshintergrund des eben erörterten Zeugnisses – des Ausfalls des Polybios gegen die Akademiker – erklärt werden könnte: nämlich als Widerhall einer philosophischen Debatte im ersten Drittel des 2. Jahrhunderts v.Chr. Demnach hätte Diogenes zu der extrem skeptischen Haltung seines etwa 15 bis 20 Jahren jüngeren philosophischen Konkurrenten Karneades öffentlich Stellung bezogen; sympathisierend mit der stoischen Neuausrichtung, könnte dann – wenn man die Spekulation weiterführen will – der Historiker diese ursprünglich von Diogenes geäußerte Kritik in sicherlich rasch popularisierter Form aufgegriffen haben. Damit die Voraussetzungen dieser Thesen deutlich werden, soll kurz erläutert werden, auf welcher Quellenbasis meine Auffassung von der philosophiehistorischen Bedeutung des Diogenes von Seleukeia gründet. Dieser wird zu Beginn des dritten Buches von Ciceros de legibus erwähnt, wo der Redner die institutionellen Grundlagen jeder politischen Gemeinschaft erörtert.7 Daß anläßlich der Erörte-
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Cic. leg. III 12–14: Marcus: Nam sic habetote, magistratibus iisque qui praesint contineri rem publicam, et ex eorum conpositione quod cuiusque rei publicae genus sit intellegi. […] locum istum totum, ut a doctissimis Graeciae quaesitum et disputatum est, explicabo, […] Atqui pleraque sunt dicta in illis libris, quod faciendum fuit quom de optuma re publica quaereretur. Sed huius loci de magistratibus sunt propria quaedam, a Theophrasto primum, deinde a Dione Stoico quaesita subtilius. („Marcus: Das lasst euch gesagt sein: auf den Magistraten und auf denjenigen, die an der Spitze stehen, beruht ein Staat, und anhand ihrer Zusammensetzung kann man erkennen, welches die Form eines jeden Staates ist“ […] „Ich werde dieses ganze Thema, wie es von den größten Gelehrten Griechenlands untersucht und erörtert worden ist, eingehend behandeln […] Das meiste ist ja schon in jenen Büchern gesagt, wo es bei der Frage nach dem besten Staat zu geschehen hatte. Aber zu diesem Thema, den Magistraten, sind einige besondere Fragen zuerst von Theophrast, dann von dem Stoiker Diogenes eingehender untersucht worden“). Zur Stelle: P. L. SCHMIDT, Interpretatorische und chronologische Grundfragen zu Ciceros Werk „De legibus“, Diss. Freiburg 1959, 19–24; K. M.
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rung der Beamten auf Theophrast verwiesen wird, verwundert Atticus, den Gesprächspartner Ciceros, nicht. Allerdings zeigt er sich erstaunt darüber, daß Cicero auch den besagten Diogenes prominent anführt. Deshalb versichert er sich – unter dem Eingeständnis seiner Unwissenheit – noch einmal bei seinem Gesprächspartner, ob er recht gehört habe: „Wirklich? Auch von den Stoikern sind diese Dinge (sc. Einzelprobleme der Ämter) behandelt worden?“.8 Die Antwort konkretisiert und schwächt zugleich die vorangegangene Behauptung wieder ab: „Allerdings nur von dem, den ich eben genannt hatte (nämlich Diogenes), und später von einem bedeutenden und außergewöhnlich gebildeten Mann, Panaitios“.9
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GIRADET, Die Ordnung der Welt – Ein Beitrag zur philosophischen und politischen Interpretation von Ciceros Schrift De legibus, Stuttgart 1983, 8f. Cic. leg. III 14: Atticus: Ain tandem? Etiam a Stoicis ista tractata sunt? Nicht das zurückweisende ista in der Frage des Atticus, jedoch das zweite ista (ab hac familia magis ista manarunt) ist auf den Ausdruck de re publica disserebant (III 14) zu beziehen: SCHMIDT, De legibus (Anm. 7), 21 Anm. 4 (gegen A. SCHMEKEL, Die Philosophie der mittleren Stoa. In ihrem geschichtlichen Zusammenhange dargestellt, Berlin 1892 [ND Hildesheim/New York 1974], 69f.). Cic. leg. III 14: Non sane nisi ab eo quem modo nominavi, et postea a magno homine et in primis erudito Panaetio. Die Passage wird folgendermaßen fortgeführt: Nam veteres verbo tenus acute illi quidem, sed non ad hunc usum popularem atque civilem, de re publica disserebant. Ab Academia magis ista manarunt Platone principe. Post Aristoteles inlustravit omnem hunc civilem in disputando locum, Heraclidesque Ponticus profectus ab eodem Platone. […] („Die alten [sc. Philosophen] hingegen pflegten nur theoretisch, scharfsinnig zwar, aber nicht für den praktischen Gebrauch in Volk und Staat, über den Staat zu diskutieren. Von dieser Familie [von Akademie und Peripatos] vor allem sind diese Studien ausgegangen, Platon an der Spitze. Dann hat Aristoteles dieses Thema untersucht und beleuchtet, und Herakleides Pontikos, ebenfalls im Anschluß an Platon“). Mit den veteres sind nicht veteres Stoici gemeint, da diese Bezeichnung modernen Ursprungs ist, sondern die im folgenden genannten Platon, Herakleides Pontikos, Aristoteles, Theophrast: SCHMIDT, De legibus (Anm. 7), 21f. Anm. 5. Zur Absetzung der Stoiker von den veteres vgl. auch Cic. de fin. IV 17; 19; Tusc. V 34. Cicero will hier zweifellos die Zusammengehörigkeit von Akademie und Peripatos betonen. Zur Textkonstitution ab hac familia statt ab Academia (coni. M. Haupt [Opuscula III, 530f.]): SCHMIDT, De legibus (Anm. 7), 22 Anm. 1. Auch wenn Cicero mit Hochachtung von der auf Platon gründenden akademisch-peripatetischen Tradition (familia) spricht und deren kontinuierliche Beschäftigung mit politischen Themen lobend hervorhebt, kann sie seinen Erwartungen an den Zweck theoretischer Betrachtung nicht genügen. Die Intention, die philosophische Theorie zum Gebrauch und unmittelbaren Nutzen im politischen Leben zu betreiben, ist ihm bei den Philosophen des 4. Jahrhunderts v.Chr. noch nicht erkennbar. Erst Demetrios von Phaleron beendete nach Ansicht Ciceros diese Entwicklung und leitete zu einer neuen Epoche der Philosophiegeschichte über. Sein Leben und Werk markiert den Wendepunkt und scheidet die veteres, die Akademiker und Peripatetiker des 4. Jahrhunderts v.Chr., von den novi, von den jüngeren Philosophen der Stoa. Cicero ordnet in diesem Entwicklungsschema (Cic. de leg. III 13f.) Diogenes und Panaitios den novi zu, weil sie – vergleichbar dem Demetrios von Phaleron – in ihrem philosophischen Wirken auch Detailfragen des politischen Alltags erörtert und sich somit den Erfordernissen der politischen Wirklichkeit gestellt hätten. So schon SCHMIDT, De legibus (Anm. 7), 22f., der es allerdings unterläßt, daraus die Folgerungen für Diogenes zu ziehen. Der philosophiehistorische Exkurs läuft natürlich auf Cicero selbst zu, der wähnt, in sich höchste philosophische und politische Einsicht zu vereinen (vgl. Cic. de rep. I 12; fam. XV 4,16 mit de leg. III 14): GIRADET, Ordnung der Welt (Anm. 7), 8f.
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Was an dieser Passage von de legibus bemerkenswert ist, ist die Aussage Ciceros, daß Diogenes und Panaitios die ersten Stoiker gewesen seien, die politische Philosophie im Sinne einer für den Staatsmann brauchbaren Wissenschaft betrieben hätten.10 Die Schriften der beiden Stoiker verdienten deshalb die besondere Aufmerksamkeit der Politiker, da in ihnen offenbar erstmals die politischen Ämter in einer Weise diskutiert wurden, die den ἄρχοντες beziehungsweise πολιτικοί bei der Ausübung ihrer politischen Funktionen und Ämter direkte Hilfestellungen an die Hand gaben. Als alleinigen Maßstab für den Wert theoretischer Betrachtungen legt Cicero den usus popularis atque civilis an, die praktische Brauchbarkeit und den unmittelbar daraus hervorgehenden allgemeinen Nutzen – und stimmt mit dieser Aussage ganz mit der Ansicht des Polybios überein.11 Polybios hatte ja gleichfalls in seiner Kritik an der Akademie unter Karneades den allgemeinen Nutzen als Kriterium für die Brauchbarkeit philosophischer Überlegung genannt. Aus der Interpretation der Passage aus de legibus lassen sich somit einige Schlussfolgerungen ziehen, die auch für die Interpretation des Polybios aufschluß- und folgenreich sind: 1. Diogenes von Seleukeia wurde von Cicero nicht nur für eine einzelne Schrift politiktheoretischen Inhalts gerühmt, sondern grundsätzlich für seine wegweisenden Leistungen auf dem Gebiet der politischen Philosophie. 2. Er wird nicht nur Panaitios, dem in der römischen Tradition weitaus bekannteren Stoiker, gleichrangig an die Seite gestellt, sondern überhaupt als erster Stoiker bezeichnet, der die institutionellen Grundlagen zum Gegenstand seines Nachdenkens machte. 3. Mit der Einführung der Politik als einem eigenständigen Gegenstand der philosophischen Erörterung muß eine scharfe Abgrenzung gegenüber den älteren Stoikern, Zenon, Kleanthes und Chrysipp, und eine gewisse Reform der stoischen Ethik einhergegangen sein.12 Das wiederum hat durchaus Folgen für die Deutung des Werkes von Polybios: Man wird bei ihm nicht nach Übernahmen und Versatzstücken aus den Lehren der älteren Stoiker suchen dürfen, sondern vielmehr ausschließlich nach Anleihen aus Diogenes und Panaitios.
10 Cicero sucht mit diesem Exkurs die grundsätzlich neue Haltung der Stoa gegenüber der Politik zu verdeutlichen. Er weitet hier keineswegs assoziativ den Gedankengang aus, um Akademiker und Peripatetiker dafür zu loben, daß sie im Unterschied zur Stoa sich immer schon intensiver mit politischen Fragen auseinandergesetzt hätten, wie etwa SCHMIDT, De legibus (Anm. 7), 21, annimmt. 11 Vgl. hiermit Cic. de rep. I fr. 1c; de orat. II 25. In diesem Punkt glaubt Cicero, sich von Platon und der von ihm ausgehenden Tradition distanzieren zu müssen (siehe etwa Cic. de rep. II 21f.: sed a vita hominum abhorrentem et a moribus [dort auch Kritik am Peripatos]; de orat. I 224: a vitae consuetudine et a civitatum moribus abhorrebant), da diese angeblich nur studii et delectationis causa politische Theorie betrieben hätten – im Gegensatz etwa zu den beiden frühgriechischen Gesetzgebern Zaleukos und Charondas (de leg. II 14). 12 Umfassend zur politischen Theorie der frühen Stoa: P. SCHOLZ, Der Philosoph und die Politik – Die Ausbildung der philosophischen Lebensform und die Entwicklung des Verhältnisses von Philosophie und Politik im 4. und 3. Jahrhundert v.Chr., Stuttgart 1998, 326–357.
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4. Neben Theophrast13 wird Diogenes als Autorität für Fragen, die die Auswahl und die Kompetenzen der Beamten betreffen, herangezogen. Es ist daher wahrscheinlich, daß Diogenes in seinen politischen Schriften – zu denken wäre etwa an die für ihn bezeugten nomoi – nicht nur spezielle Probleme der politischen Praxis, sondern auch durchaus allgemeine Fragen erörterte, wie etwa die Vorzüge und Nachteile verschiedener Verfassungstypen – auch davon könnte Polybios profitiert haben. Sicher sagen läßt sich jedenfalls folgendes: In deutlicher Absetzung von Zenon und Chrysipp, die stets nur von dem einen nomos sprachen und damit das den gesamten Kosmos durchwirkende Welten- und Naturgesetz meinten, beschäftigte sich Diogenes theoretisch mit der Vielzahl und Vielfalt von nomoi, also mit partikularen menschlichen Gesetzesordnungen und Formen menschlicher Vergemeinschaftung.14 Da die nomoi der menschlichen Welt von der Stoa seit jeher bloß als schwache Abbilder des einen wahren Gesetzes betrachtet wurden, gab es auch keinen Grund für die Vorgänger des Diogenes, sich näher mit ihnen auseinanderzusetzen. 5. Folgt man dieser Argumentation, dann wäre Diogenes als der entscheidende Wegbereiter der im 2. Jahrhundert einsetzenden Neuausrichtung der Stoa anzusehen.15 Panaitios wäre in diesem Fall nur den Bahnen gefolgt und hätte dieselben vertieft, die ihm Diogenes gewiesen hatte. Die Bedeutung des Panaitios würde sich damit relativieren: Demnach hätte er ‚nur‘ eine von seinem Vorgänger Diogenes eingeleitete Entwicklung zu einem zweifellos eindrucksvollen Abschluß gebracht.16 13 Zur politischen Theorie des Peripatos und Auseinandersetzung zwischen Theophrast und Dikaiarchos um den Vorrang der theoretischen oder praktischen Lebensform siehe allgemein: SCHOLZ, Philosoph (Anm. 12), 204–249. 14 SCHOLZ, Philosoph (Anm. 12), 349 f. mit Anm. 128 und 131. 15 Es fügt sich bestens in dieses Bild von Diogenes und seinen Bemühungen, der empirischen Wirklichkeit in der stoischen Philosophie eine größere Geltung zu verschaffen, daß nicht nur der vornehme und weltgewandte Panaitios aus Rhodos, sondern auch der ebenso weltoffene wie gelehrte Polyhistor Apollodoros von Athen zu seinen Schülern zählten: Der letztere ließ sich nach seiner Ausbildung in Athen von Aristarch in Alexandria in die Kunst der Homerphilologie unterweisen, fand nach der Vertreibung der Gelehrten aus Ägypten (145 v.Chr.) durch Ptolemaios VIII. Euergetes II. in Attalos II. von Pergamon einen neuen Patron und kehrte wohl nach dem Tod des letzten Attaliden 133 v.Chr. nach Athen zurück. Er faßte neben vielen literaturwissenschaftlichen Werken eine monumentale Chronik (1184, von der Zerstörung Trojas, bis zum Jahr 120/119 v.Chr.) ab, durch die er noch zu Lebzeiten berühmt wurde (siehe F. JACOBY, Apollodors Chronik, Berlin 1902). Zur Biographie: FGrHist 244 mit dem Kommentar zu den Testimonien II B, Berlin 1929, 716–718. 16 So auch zumindest implizit M. SCHOFIELD, Morality and the Law. The Case of Diogenes of Babylon, in: ders., Saving the City. Philosopher-Kings and Other Classical Paradigms, London/New York 1999, 176. Vgl. Panaet. F 119–121 van Straaten. Zum Beitrag des Panaitios in der Vermittlung der stoischen Philosophie in Rom: K. ABEL, Die kulturelle Mission des Panaitios, in: A & A 17 (1971), 127–143. Die Neubegründung der politischen Theorie der Stoa im 2. Jahrhundert brachte es mit sich, daß seit dieser Zeit auch seitens der Stoa die Vor- und Nachteile der einzelnen Herrschaftsformen diskutiert und von römischen Politikern breit rezipiert wurden, wovon insbesondere Ciceros De legibus und de republica eindrucksvoll Zeugnis ablegen. Zur
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Weitere Hinweise auf eine grundlegende Neuorientierung der Stoa – im Sinne einer Hinwendung zur politischen und sozialen Wirklichkeit – durch Diogenes lassen sich ausmachen.17 Da dies nicht der rechte Ort ist, um diese Punkte im Einzelnen darzulegen, sei an dieser Stelle nur allgemein auf diese hingewiesen: etwa auf die pragmatische Rechtfertigung der persönlichen Vorteilsnahme im Falle des Konflikts zwischen dem eigenen und dem fremden Nutzen (utilitas), die den rigorosen Standpunkt der alten Stoa aufgab: Der modifizierten stoischen Position zufolge müsse beispielsweise ein Verkäufer nur dann dem ‚fremden‘ Interesse des Käufers entsprechen, wenn ihn eine gesetzliche Bestimmung dazu ausdrücklich anhalte. Darüber hinaus ist auf die Konzeption der sogenannten ‚logischen‘, auf den Logos ausgerichteten Lebensform (βίος λογικός), hinzuweisen, einer Konzeption, die ohne Urheber überliefert ist und möglicherweise bereits dem Diogenes zuzuschreiben ist.18 Demgegenüber soll auf zwei andere Neuerungen des Diogenes kurz eingegangen werden, da diese es zumindest erlauben, sie in einem gewissen Bezug zu Aussagen des Polybios zu setzen. Dabei handelt es sich zum einen um die Bewertung des Reichtums, zum anderen um die besondere Wertschätzung der Musik. Beide wurden von Diogenes in ihrem Beitrag zur Verwirklichung eines tugendgemäßen Lebens neu bewertet. Zunächst zum Thema des Reichtums: Auf der Grundlage der von ihm eingeführten Differenzierung des Wert-Begriffs (ἀξία) suchte Diogenes die Frage des Verhältnisses von Reichtum und Tugend neu zu klären: Die Frage, ob überhaupt und in welcher Weise der Reichtum zur Erlangung der Tugend einen Beitrag leiste, beantwortete Diogenes erstmals positiv.19 Bis dahin war der Reichtum gemäß der stoischen Lehrmeinung ebenso wenig den Gütern (ἀγαθά) zuzurechnen wie etwa die Gesundheit oder auch das Vergnügen. Der Reichtum sei vielmehr den „naturgemäßen unter den gleichgültigen Dingen“ zuzuordnen (den sogenannten ἀδιάstoischen Verfassungstheorie: G. J. AALDERS, Die Theorie der gemischten Verfassung im Altertum, Amsterdam 1968, 82–84; F. E. DEVINE, Stoicism on the Best Regime, in: JHI 31 (1970), 323–336; P. A. BRUNT, Stoicism and the Principate, in: PBSR 43 (1975), 7–35. 17 Zur Beschäftigung des Diogenes mit Themen der politischen Praxis passt es, daß er mehrere Schriften verfasste, die offenkundig Lehrbuchcharakter besaßen, also sogenannte τέχναι waren, gut ausgearbeitete systematische Anleitungen zur Erlernung bestimmter Fähigkeiten – so ist etwa eine ἐθηικὴ τέχνη oder eine τέχνη περὶ τῆς φωνῆς bezeugt, über den sprachlichen Ausdruck. Eine Tradition, die bereits von Chrysipp begründet, von Diogenes jedoch weiterausgebaut wurde. 18 Diese logische Lebensform wird der peripatetischen Einteilung der Lebensformen in eine praktische und in eine theoretische Lebensform diese dritte Lebensform entgegengesetzt. Die traditionelle peripatetische Unterscheidung in eine theoretische und eine praktische Lebensform erscheint den Stoikern insofern als untauglich, als das entscheidende Kriterium für die rechte Lebensführung die Orientierung auf die Vernunft hin sein muß. Eine solche ‚vernunftgemäße‘, d.h. am Maßstab des Weltenlogos orientierte Lebensform bedarf nicht notwendigerweise der theoretischen Lebensform des Philosophen, um im Einklang mit der Natur- beziehungsweise mit dem Weltengesetz und Weltenlogos zu stehen. 19 Cic. de fin. III 49f. = SVF III 41. Zur Stelle: M. SCHÄFER, Ein frühmittelstoisches System der Ethik bei Cicero, Diss. München 1934, 208–210.
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φορα κατὰ φύσι ὄντα). Diogenes spricht nun aber dem Reichtum ausdrücklich – und dies ist das Innovative daran – auch eine nutzbringende Funktion zu (χρείαν παρεχόμενα), welche die außergewöhnlich hohe Wertschätzung desselben begründet: Reichtum nämlich könne durchaus Vergnügen (ἡδονή) und Gesundheit (ὑγιεία) bewirken (ποιητικά); diese wiederum seien durch den Reichtum unmitttelbar gegeben und daher konstituierende Bestandteile desselben (τελικά). Reichtum könne durchaus „zur Tugend beitragen“ (συμβάλλεσθαι προσφέρεσθαι πρὸς τὴν ἀρετήν), da er unter Umständen dazu beitrage, den Zugang zur Tugend (ἀρετή) zu erleichtern. Insofern sei der Reichtum als ein „hervorbringender“ Faktor (als ποιητικὸν ἀρετῆς) zu betrachten, jedoch nicht elementarer Bestandteil der Tugend (τελικὸν ἀρετῆς), der mit ihr von Natur aus identisch sei. Mit dieser neuartigen Wertschätzung des Reichtums liegt die Annäherung der Stoa an die traditionelle peripatetische Lehre auf der Hand: Damit schreibt Diogenes als erster Stoiker den äußeren Faktoren – wie eben dem Reichtum – durchaus eine gewisse, wenn auch nur mittelbare Bedeutung bei der Verwirklichung der Tugend zu. Aristoteles hatte bereits in seinen Politika Gesundheit, Ansehen und Reichtum zu den Bedingungen eines glücklichen und tugendhaften Lebens gezählt.20 Daß diese Auffassung vom Reichtum dem Standpunkt der allgemeinen Wertvorstellungen der Zeit nahekam, zeigt die Bemerkung des Polybios über den Reichtum, ohne daß dieser damit einen erkennbar stoischen Standpunkt wiedergibt.21 Eine weitere Modifikation des stoischen Standpunkts nahm Diogenes auf dem Feld der Musiktheorie vor. Auch auf diesem Gebiet passte Diogenes die stoische Position der akademisch-peripatetischen Tradition an: Die Überzeugung, daß der Musik eine den Charakter bildende und veredelnde Wirkung innewohne (als κινητικὸν/ποιητικὸν ἀρετῆς) und ihr insofern eine bedeutende Rolle bei der Jugenderziehung zukomme, veranlasste Diogenes zum ersten Mal in der Geschichte der Stoa eine eigene Schrift περὶ μουσικῆς (in mindestens 3 Büchern) abzufassen.22 In dieser Abhandlung beschränkte er sich darauf, umfassend, d.h. im Sinne 20 Arist. Pol. I 6, 1255a 13–15; VII 13, 1331b 41. 21 Im Zusammenhang mit der Würdigung des 197 v.Chr. verstorbenen Attalos I. schreibt Pol. XVIII 41,3f.: […], πλοῦτος δὲ μόνον, ὃς μετὰ νοῦ μὲν καὶ τόλμης χειριζόμενος ὡς ἀληθῶς μεγάλην παρέχεται χρείαν πρὸς πᾶσαν ἐπιβολήν, ἄνευ δὲ τῶν προειρημένων τοῖς πλείστοις κακῶν παραίτιος πέφυκε γίνεσθαι καὶ συλλήβδην ἀπωλείας. (4) Καὶ γὰρ φθόνους γεννᾷ καὶ ἐπιβουλὰς καὶ πρὸς διαφθορὰν σώματος καὶ ψυχῆς μεγίστας ἔχει ῥοπάς. Ὀλίγαι δέ τινές εἰσι ψυχαὶ παντάπασιν αἱ ταῦτα δυνάμεναι διωθεῖσθαι τῇ τοῦ πλούτου δυνάμει („[…] Reichtum, der mit Verstand und Wagemut verwandt, in der Tat bei jeder Handlung von großem Nutzen ist, ohne jene (eben genannten) Eigenschaften aber dazu angetan ist, ins Unglück, ja ins Verderben zu stürzen, eine Erfahrung, die schon viele gemacht haben. Er [der Reichtum] ruft Neid hervor und Begehrlichkeit, die sich schnell in die Tat umsetzt, und trägt mehr als irgendetwas anderes dazu bei, daß wir an Leib und Seele Schaden nehmen. Es gibt nur wenige, die die Charakterstärke besitzen, diese Gefahren eben durch die Macht des Reichtums abzuwehren“). 22 Bis dahin war die Musik wahrscheinlich nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Erziehung Gegenstand der Betrachtung gewesen, siehe Zenons Schrift περὶ τῆς Ἑλληνικῆς παιδείας (Diog. Laert. VII 4 = SVF I 41). Die Rezeption der Schrift des Diogenes durch die nachfolgenden
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einer systematischen Zusammenstellung von Beispielen und Beweisen, den ethischen Wert der Musik und ihren Beitrag zur Ausbildung der Tugenden aufzuzeigen. Dabei wiederholte er verschiedene alte Stereotype der griechischen Musiktheorie, so den pädagogisch richtigen Gebrauch der verschiedenen Musikformen und -instrumente, die positive Wirkung der Musik auf die menschliche Seele und auf die Ausbildung der einzelnen Tugenden, sodann ihren Ursprung von den Musen, ihre traditionell hohe Popularität oder auch das Loblied, das verschiedene Dichterautoritäten auf sie sangen.23 Eine genuin stoische Sichtweise verrät erst die Feststellung des Diogenes, daß die Musik in der Hinsicht eng mit der Philosophie verknüpft sei, daß „sie für sehr vieles im Leben nützlich sei und die Beschäftigung mit ihr für viele, besser noch, für alle Tugenden eine geeignete Disposition (oἰκείως διατιθέvαι) bewirke“.24 Was diesen Punkt betrifft, so lässt sich immerhin eine gewisse Parallele im Werk des Polybios finden: nämlich eine Passage in den Historien, welche die Zähmung der rauhen Arkader und die Überwindung ihrer „Wildheit“ (ἀγριότης) durch Musik und Bildung (παιδεία) behauptet und so einen historischen Beleg für die Segnungen der griechischen Bildungstradition liefert.25 Spezifisch Stoisches Stoiker ist bezeugt durch Philod. de mus. IV col. XXXVIII 38–41. Siehe die maßgebliche Ausgabe von: A. J. NEUBECKER, Philodemus: Über die Musik IV. Buch – Text, Übersetzung und Kommentar, Neapel 1986. Weitere Fragmente bei: J. KEMKE, Philodemi de musica librorum quae exstant, Leipzig 1884. Zur Rekonstruktion und Stellung der gleichnamigen Schrift des Diogenes im Rahmen der hellenistischen Musiktheorie: A. J. NEUBECKER, Die Bewertung der Musik bei den Stoikern und Epikureern – Eine Analyse von Philodems Schrift De musica, Berlin 1956, 11–75 und 84–88; M. ERLER, Philodemos aus Gadara, in: H. Flashar (Hrg.), Die Philosophie der Antike – Die Hellenistische Philosophie, Bd. IV 1, Basel 1994, 313–315 und 341f., 354f. (mit weiterer Literatur). 23 Philod. de mus. IV col. I B 1–13 (der positive Einfluß der Musik auf die Seele und ihr Beitrag zur Ausbildung der Tugend). col. IV 15–V 12 (die erzieherische Funktion der Musik). col. V 15–VII 22 (die einzelnen Gattungen der Musik). col. X 28–XIII 4 (das traditionell hohe Ansehen der Musik, ihr Ursprung von den Musen, das Lob der Komiker). Einen kurzen Abriß der griechischen Musiktheorie bietet: NEUBECKER, Bewertung (Anm. 22), 75–84 und 94–99 (Übersicht über die rekonstruierten Teile der Schrift des Diogenes). 24 Philod. de mus. IV col. XXII 36–XXIV 4 = SVF III 88 (p. 234) Z. 8–11: [...] οὐ μακρὰν ἀπηρτ[ημέ]v[ηv τῆ]ς φιλoσoφ[ίας ἡγή]σ[ε]σ[θα]ι τῷ πρὸς π[λείστα] ἐπὶ τοῦ βίoυ χρησι[μεύειν] τὴν μoυσ[ικὴ]ν [καὶ τὴν] περὶ αὐτὴν φιλ[οτεχ]νίαν οἰκείως διατι[θέv]αι πρὸς πλείoυς ἀρετάς, μᾶλλoν δὲ πρὸς πάσας, [...]. Dabei berief er sich ausdrücklich auf die Überlegungen des Herakleides Pontikos über das πρέπov in der Musik. 25 Pol. IV 21: βουλόμενοι δὲ μαλάττειν καὶ κιρνᾶν τὸ τῆς φύσεως αὔθαδες καὶ σκληρόν, τά τε προειρημένα πάντα παρεισήγαγον, καὶ πρὸς τούτοις συνόδους κοινὰς καὶ θυσίας πλείστας ὁμοίως ἀνδράσι καὶ γυναιξὶ κατείθισαν, ἔτι δὲ χοροὺς παρθένων ὁμοῦ καὶ παίδων, καὶ συλλήβδην πᾶν ἐμηχανήσαντο, σπεύδοντες τὸ τῆς ψυχῆς ἀτέραμνον διὰ τῆς τῶν ἐθισμῶν κατασκευῆς ἐξημεροῦν καὶ πραΰνειν. […] Ταῦτα μὲν οὖν ἡμῖν εἰρήσθω […] ἔτι δὲ καὶ Κυναιθέων ἕνεκεν, ἵν´ ἄν ποτ´ αὐτοῖς ὁ θεὸς εὖ δῷ, τραπέντες πρὸς παιδείαν ἡμερῶσιν αὑτούς, καὶ μάλιστα ταύτης πρὸς μουσικήν οὕτως γὰρ μόνως ἂν λήξαιεν τῆς τότε περὶ αὐτοὺς γενομένης ἀγριότητος („Um also deren harte und schroffe Wesen [sc. der Arkader] zu mildern und zu mäßigen, haben [sc. die Arkader der Vorzeit] all das, was ich genannt habe, eingeführt, dazu die Sitte häufiger Zusammenkünfte zu gemeinsamen Opfern von Männern und Frauen, zu Reigentänzen von Mädchen und Knaben miteinander, kurz, sie taten
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lässt sich hieran nicht festmachen, allenfalls ein gewisser Einfluß des Diogenes,26 genau betrachtet, wohl eher nur die Übernahme eines gängigen Topos der philosophischen Tradition über die heilsame Wirkung der musischen Künste auf die charakterliche Bildung durch Polybios behaupten.27 Als Fazit lässt sich somit festhalten, daß bei Polybios keinerlei enge Verbindungen zu Philosophen und zur Philosophie seiner Zeit festzustellen sind, und daß er, was die jedenfalls für uns noch erkennbare Übernahme stoischer Konzepte und Begriffe betrifft, an keiner Stelle über das gewöhnliche Maß eines rhetorischphilosophisch gebildeten Historikers hinausgeht. Er schreibt vielmehr Geschichte vom Horizont und aus der Perspektive eines „gebildeten Mannes“ (πεπαιδευμένος), eines Mitglieds der Führungsschicht der hellenistischen Welt, die sich ihrer politischen Führungsrolle und exklusiven Bildung wohlbewusst war und entsprechende Verhaltens- und Wertmaßstäbe in ihren schriftlichen Manifestationen propagierte. Daß sich Polybios wie selbstverständlich dieser Gruppe zurechnete, und das allgemeine Ideal der griechischen paideia mitsamt einer entsprechenden Lebensweise verinnerlicht hatte, belegen einige weitere Quellenpassagen, deren Erörterung den dritten Teil des Beitrags bildet.
III. POLYBIOS UND DIE IDEE DER PAIDEIA Der Standpunkt des „gebildeten Mannes“ (πεπαιδευμένος) tritt am deutlichsten in der Kritik des Polybios an seinem Historikerkollegen Timaios zutage, den er an Verhaltensnormen mißt und hier auch einmal ausdrücklich benennt, die jedem „gebildeten Mann“ geläufig seien.28 Polybios hätte auch sagen können: die jedem alles, was sie konnten, um ihre natürliche Wildheit durch Gesittung zu zähmen und zu sänftigen. [Es folgt die Erörterung des negativen Beispiels der Kynaithier, die diese Sitten vernachlässigten und so in Stasis und Freveltaten endeten] Das Vorstehende habe ich geschrieben, (…) auch um der Kynaithier willen, damit sie, falls die Gottheit ihnen einmal wieder bessere Tage schenken sollte, sich edler Bildung, vor allem der Musik zuwenden, um ihre veredelnde Wirkung zu erfahren. Denn so allein könnten sie vielleicht die Verwilderung überwinden, die sie damals an den Tag gelegt hatten“). Zur Stelle: WALBANK, Commentary I (Anm. 2), 469. 26 So etwa P. PÉDECH, La méthode historique de Polybe, Paris 1964, 307 Anm. 17. 27 Plat. Protag. 326 b; Arist. Pol. 1339a 11–1342 b 34. 28 Polybios übt Kritik an Timaios, der den Demochares in einer Weise diffamiert habe, die einem pepaideumenos unangemessen sei (XII 13,1f.): Ὅτι Τίμαιός φησι Δημοχάρην ἡταιρηκέναι μὲν τοῖς ἄνω μέρεσι τοῦ σώματος, οὐκ εἶναι δ᾽ ἄξιον τὸ ἱερὸν πῦρ φυσᾶν, ὑπερβεβηκέναι δὲ τοῖς ἐπιτηδεύμασι τὰ Βότρυος ὑπομνήματα καὶ τὰ Φιλαινίδος καὶ τῶν ἄλλων ἀναισχυντογράφων (2) ταύτην δὲ τὴν λοιδορίαν καὶ τὰς ἐμφάσεις οὐχ οἷον ἄν τις διέθετο πεπαιδευμένος ἀνήρ, ἀλλ᾽ οὐδὲ τῶν ἀπὸ τέγους ἀπὸ τοῦ σώματος εἰργασμένων οὐδείς („Timaios sagt von Demochares, er habe mit den oberen Teilen seines Körpers Unzucht getrieben und sei nicht würdig, , das heilige Feuer anzublasen, sondern habe mit seinem Lebenswandel die Schriften des Botrys, der Philainis und der anderen Pornographen übertroffen. Solche Beschimpfungen, solche Worte von nicht zu missverstehender Deutlichkeit würde nicht nur kein gebildeter Mensch, nicht einmal eine von denen, die im Bordell ihren Leib feilbieten, in den Mund nehmen. Er aber, bemüht, mit seinen Obszönitäten und seiner ganzen Unanständigkeit als glaubwürdig zu erscheinen, beruft sich
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Bürger geläufig seien, in diesem Fall jedoch hätte er und sein Kollege sich nicht von der Masse der Bürger abheben und unterscheiden können. Diese Haltung tritt ganz ähnlich in einer anderen Passage der Historien zum Vorschein. Dort stellt er Prusias II. von Bithynien als einen ‚Thersites‘ der historischen Wirklichkeit dar, dessen physiognomische Hässlichkeit seiner charakterlichen gänzlich entspricht.29 Er zeichnet ihn als „schlechten Mann“ (ἀνὴρ κακὸς), dessen moralische Minderwertigkeit mit dem völligen Mangel an Affektbeherrschung wie an geistiger Bildung und Interessen einhergeht. Das genaue Pendant zu dieser gänzlich den eigenen Affekten hingegebenen Lebensweise des Prusias stellt das Aufwachsen des von Polybios verehrten Philopoimen dar, der von einem väterlichen Freund auf griechische Weise erzogen wurde.30 Diese häusliche Unterrichtung ist die Grundlage für das weitere Interesse bei seinen Lügen gegen den Mann (Demochares) auf das Zeugnis eines namenlosen Komödiendichters“). Zur Stelle ausführlich: WALBANK, Commentary II (Anm. 4), 355–357. 29 Kritik am ‚barbarischen‘ Lebensstil des Prusias II. von Bithynien, der über keinerlei Bildung und philosophische Kenntnisse verfüge (Pol. XXXVI 15): Ὅτι Προυσίας ὁ βασιλεύς, εἰδεχθὴς ὢν κατὰ τὴν ἔμφασιν, καίπερ ἐκ συλλογισμοῦ βελτίων ὑπάρχων, ἥμισυς ἀνὴρ ἦν κατὰ τὴν ἐπιφάνειαν καὶ πρὸς τὰς πολεμικὰς χρείας ἀγεννὴς καὶ γυναικώδης. Οὐ γὰρ μόνον δειλὸς ἦν, ἀλλὰ καὶ πρὸς τὰς κακοπαθείας ἀλλότριος καὶ συλλήβδην ἐκτεθη λυμμένος καὶ τῇ ψυχῇ καὶ τῷ σώματι παρ’ ὅλον τὸν βίον […] Πολλὴ δέ τις ἀσέλγεια καὶ περὶ τὰς σωματικὰς ἐπιθυμίας αὐτῷ συνεξηκολούθει. Παιδείας δὲ καὶ φιλοσοφίας καὶ τῶν ἐν τούτοις θεωρημάτων ἄπειρος εἰς τέλος ἦν καὶ συλλήβδην τοῦ καλοῦ τί ποτ’ ἔστιν οὐδ’ ἔννοιαν εἶχε, Σαρδαναπάλλου δὲ βάρβαρον βίον ἔζη καὶ μεθ’ ἡμέραν καὶ νύκτωρ („König Prusias sah widerwärtig aus, während man ihm Schlauheit nicht absprechen konnte, seiner äußeren Erscheinung nach nur ein halber Mann, vor dem Feind erbärmlich wie ein Weib. Nicht nur war er feige, sondern auch unfähig, Strapazen zu ertragen, an Leib und Seele sein ganzes Leben lang ein Weichling. (…) In der Befriedigung seiner sinnlichen Begierden war er völlig hemmungslos. Bildung, Philosophie und geistige Interessen waren ihm völlig fremd; von allem Guten und Schönen hatte er nicht einmal eine Vorstellung, was das überhaupt sei, sondern führte bei Tag und Nacht das Barbarenleben eines Sardanapal“). Siehe auch F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, Bd. III, Oxford 1979, 674f. 30 Die philosophisch fundierte Erziehung des Philopoimen durch zwei ‚gebildete‘ Politiker wird von Polybios gleichsam als ‚ideale‘ Erziehung geschildert (X 22,1–5): Φιλοποίμην τοίνυν πρῶτον μὲν ἔφυ καλῶς ἦν γὰρ ἐξ ἀνδρῶν τῶν ἐπιφανεστάτων κατ᾽ Ἀρκαδίαν, τραφεὶς δὲ καὶ παιδευθεὶς ὑπὸ Κλέανδρον τὸν Μαντινέα, πατρικὸν μὲν αὐτῷ ξένον ὑπάρχοντα, φυγαδεύοντα δὲ κατ᾽ ἐκείνους τοὺς καιρούς, ὄντα δὲ Μαντινέων ἐπιφανέστατον. (2) Μετὰ δὲ ταῦτα παραγενόμενος εἰς ἡλικίαν ἐγένετο ζηλωτὴς Ἐκδήμου καὶ Δημοφάνους, οἳ τὸ μὲν γένος ἦσαν ἐκ Μεγάλης πόλεως, φεύγοντες δὲ τοὺς τυράννους καὶ συμβιώ σαντες Ἀρκεσίλᾳ τῷ φιλοσόφῳ κατὰ τὴν φυγὴν ἠλευθέρωσαν μὲν τὴν αὑτῶν πατρίδα, συστησάμενοι κατ᾽ Ἀριστοδήμου τοῦ τυράννου πρᾶξιν, (3) συνεπελάβοντο δὲ καὶ τῆς καταλύσεως τοῦ Σικυωνίων τυράννου Νικοκλέους, κοινωνήσαντες Ἀράτῳ τῆς ἐπιβολῆς ἔτι δὲ Κυρηναίων αὐτοὺς μεταπεμψαμένων ἐπιφανῶς προύστησαν καὶ διεφύλαξαν αὐτοῖς τὴν ἐλευθερίαν, (4) οἷς κατὰ τὴν πρώτην ἡλικίαν ἐπὶ πολὺ συμβιώσας διέφερε μὲν εὐθέως τῶν καθ᾽ αὑτὸν περί τε τὰς ἐν τοῖς κυνηγίοις κακοπαθείας καὶ τόλμας περί τε τὰς ἐν τοῖς πολεμικοῖς, (5) ἦν δὲ καὶ περὶ τὸν βίον ἐπιμελὴς καὶ λιτὸς κατὰ τὴν περικοπήν, παρειληφὼς παρὰ τῶν προειρημένων ἀνδρῶν τοιαύτας τινὰς δόξας ὡς οὐχ οἷόν τε τῶν κοινῶν προστατεῖν καλῶς τὸν ὀλιγωροῦντα τῶν κατὰ τὸν ἴδιον βίον, οὔτε μὴν ἀποσχέσθαι τῶν τῆς πατρίδος, ὅστις πολυτελέστερον ζῇ τῆς κατὰ τὴν ἰδίαν ὕπαρξιν χορηγίας („Philopoimen war erstens von vornehmer Herkunft: er stammte aus einer der
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des Philopoimen an philosophischen Lehrmeistern, die er in Gestalt der beiden Akademiker Ekdemos und Demophanes, Schüler des Arkesilaos, kennenlernt und mit denen er in der Folgezeit zusammenlebt. Die Früchte dieser mehrjährigen Gemeinschaft – von συμβιώσας ist die Rede – mit philosophisch gebildeten Persönlichkeiten ist das einfache, bedürfnislose Auftreten, die Zähigkeit und der Mut. Ebenso wie in manchem ausführlich erzählenden Ehrendekret des 2. Jahrhunderts v.Chr. wird auch hier von Polybios das erfolgreiche politische Wirken eines Politikers auf die im heimischen Gymnasion und später in den Bildungsmetropolen empfangene Bildung „bei den besten Lehrern“ zurückgeführt. Die paideia, begründet und befestigt durch die an einer anderen Stelle in den Historien genannten Gesetze und die Erziehung unterstützende Maßnahmen und Institutionen in den griechischen Städten,31 gilt auch Polybios als unerlässliche Voraussetzung für jedes politische Wirken. In diesem Sinne war etwa dem kretischen Gesandten Antiphatas, Sohn des Telemnastos von Gortyn, seine Gebildetheit von besonderem Nutzen, als er gezwungen war, sich in einer Rede vor den Achäern zugunsten seiner Heimatstadt zu verwenden: Er hielt eine so ernsthafte und der Situation angemessene Rede, daß es ihm gelang, sein Publikum zu überzeugen.32 Daß freilich nicht jeder über eine für die politische und diplomatische Tätigkeit unverzichtbare höhere Bildung verfügte, belegt eine andere Passage aus den
angesehensten Familien Arkadiens. Er wuchs auf in der Pflege und Erziehung des Kleandros, eines väterlichen Gastfreundes, eines der ersten Männer Mantineias, der damals in der Verbannung lebte. Als er das Jünglingsalter erreichte, schloß er sich an Ekdemos und Demophanes an, die aus Megalopolis stammten, vor den Tyrannen hatten fliehen müssen und während ihres Exils mit dem Philosophen Arkesilaos zusammen gelebt hatten, den Sturz des Tyrannen Aristodemos vorbereiteten und durchführten und die Befreier nicht nur ihrer Vaterstadt wurden, sondern auch Arat bei der Beseitigung des Tyrannen Nikokles von Sikyon halfen, schließlich auf Bitten der Kyrenaier die Leitung ihres Staates übernahmen, die Verhältnisse (dort) auf das Beste ordneten und ihnen die Freiheit sichern halfen. Nachdem er also in seiner frühen Jugend lange Zeit mit diesen Männern zusammengelebt hatte, zeichnete er sich bald vor seinen Zeitgenossen durch Ausdauer und Wagemut auf der Jagd wie im Krieg aus. Er war sorgsam in der Verwaltung seines Vermögens und schlicht im äußeren Auftreten, da er von jenen Männern gelernt hatte, daß man die Staatsgeschäfte nicht gut zu führen vermag, wenn man seine privaten Angelegenheiten vernachlässigt, und öffentliche Gelder nicht unangetastet lassen kann, wenn man über seine Verhältnisse lebt“ [Es folgen seine erfolgreichen Maßnahmen als Hipparch: die achäischen Truppen gewinnen an Disziplin und Selbstvertrauen]). Zur Stelle: WALBANK, Commentary II (Anm. 4), 223–225. 31 Paideia als Kennzeichen der Überlegenheit der griechischen städtischen Kultur und als verbindendes Merkmal von Griechen und Römern (I 65,7): Im Zusammenhang mit dem Söldnerkrieg von 241–238 v.Chr. bemerkt Polybios, man könne aus diesem brutalen Krieg am besten erkennen, „worin und wie sehr sich in moralischer Hinsicht zusammengewürfelte Barbarenhaufen von Truppen unterscheiden, die in staatlicher Erziehung und in staatlichen Gesetzen und Sitten aufgewachsen sind (τί διαφέρει καὶ κατὰ πόσον ἤθη σύμμικτα καὶ βάρβαρα τῶν ἐν παιδείαις καὶ νόμοις καὶ πολιτικοῖς ἔθεσιν ἐκτεθραμμένων·). 32 Pol. XXXIII 16 (15). Antiphatas habe sich mit dieser Rede, wie Polybios ausdrücklich hervorhebt, „weit über die allgemeine kretische Unbildung erhoben“ (πεφευγὼς τὴν Κρητικὴν ἀναγωγίαν). Zur Stelle: WALBANK, Commentary III (Anm. 29), 558f.
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Historien:33 Chairon von Sparta hatte offenkundig nur die Anfangsgründe der exklusiven paideia erfahren – die sogenannte δημοτικὴ ἀναγωγή –, nicht jedoch die höheren Weihen eines ebenso kostspieligen wie exklusiven Unterrichts bei möglichst prominenten Rhetoren und Philosophen, was Polybios als Makel empfand und aus Gründen der sozialen Distinktion offenkundig für unumgänglich befand, dieses in seiner Darstellung auch sorgsam zu vermerken.
IV. SCHLUSSBETRACHTUNG Die innerphilosophische Konkurrenz – und nicht etwa die Begegnung mit der römischen Kultur – war der Ausgangspunkt der von Diogenes vorgenommenen Modifikationen in der ethischen und politischen Theorie der Stoa.34 Die Auseinandersetzungen unter den hellenistischen Philosophenschulen hatten zum Ergebnis, daß eine theoretische wie auch praktische Annäherung stattfand. So begann sich im zweiten vorchristlichen Jahrhundert beispielsweise eine gemeinsame terminologische Grundlage für den philosophischen Diskurs auszubilden.35. Dies ist zugleich der Grund dafür, daß sich für viele Gelehrte und gebildete Mitglieder der städtischen Führungsschicht dieser Zeit – und dies gilt eben auch für Polybios – eine genaue Zuordnung zu einer Schule nicht vornehmen läßt, eben weil bereits deren Ausbildung nicht mehr auf den Lehren einer einzigen Schule gründete. Wichtiger als die Unterschiede im innerphilosophischen Disput wurden den philosophischen Schulen im 2. Jahrhundert v.Chr. die gemeinsame Abgrenzung gegenüber der Schulrhetorik.36 Das Aufleben der Rhetorik in der griechischen Welt hatte eine Antwort der Philosophen erforderlich gemacht. Gegen die neuen 33 Polybios diffamiert diesen Spartaner durch den Verweis auf dessen apaideusia und dessen fehlende eugeneia und erweist ihn so als nicht zugehörig zum Kreis der pepaideumenoi (XXIV 7 [XXV 8]): Ὅτι κατὰ τοὺς αὐτοὺς καιροὺς ἦν τις ἐν τῇ Λακεδαίμονι Χαίρων, ὃς ἐτύγχανε τῷ πρότερον ἔτει πεπρεσβευκὼς εἰς τὴν Ῥώμην, ἄνθρωπος ἀγχίνους μὲν καὶ πρακτικός, νέος δὲ καὶ ταπεινὸς καὶ δημοτικῆς ἀγωγῆς τετευχώς. (2) οὗτος ὀχλαγωγῶν καὶ κινήσας ὃ μηθεὶς ἕτερος ἐθάρρει, ταχέως περιεποιήσατο φαντασίαν παρὰ τοῖς πολλοῖς („Um diese Zeit war in Sparta ein gewisser Chairon, der im Jahr zuvor als Gesandter in Rom gewesen war, ein kluger und gewandter Mann, aber noch jung, aus kleinen Verhältnissen und ohne höhere Bildung. Dieser, ein echter Demagoge, der Dinge aufrührte, an die sich kein anderer herantraute, hatte sich beträchtliches Ansehen bei der Menge verschafft. […]“). Siehe hierzu ausführlich: P. SCHOLZ, Zur Bedeutung von Rede und Rhetorik in der hellenistischen Paideia und Politik, in: Chr. Neumeister, W. Raeck (Hrgg.), Rede und Redner. Bewertung und Darstellung in den antiken Kulturen. Kolloquium Frankfurt a. M., 14.–16. Oktober 1998, Möhnesee 2000, 95–118; vgl. auch WALBANK, Commentary III (Anm. 29), 259f. 34 In diesem Sinne bereits: M. SCHÄFER, Diogenes als Mittelstoiker, in: Philologus 91 (1936), 177; 194; P. VAN DER WAERDT, Politics and Philosophy in Stoicism: A Discussion of A. Erskine, The Hellenistic Stoa. Political Thought and Action, in: OSAPh 9 (1991), 209 und 211. 35 Siehe etwa P. STEINMETZ, Philosophie, in: H. H. Schmitt, E. Vogt (Hrgg.), Kleines Lexikon des Hellenismus, Wiesbaden 21993, 587. 36 Ausführlich hierzu: H. VON ARNIM, Leben und Werke des Dio von Prusa: 1. Kapitel – Sophistik, Rhetorik, Philosophie in ihrem Kampf um die Jugendbildung, Berlin 1898, 87–92.
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Ansprüche der Rhetoren versuchten sie ihr hohes öffentliches Ansehen als Vermittler höchster Bildung zu behaupten. Verstärkt bemühten sie sich daher, die Öffentlichkeit vom Nutzen und vom Vorrang der philosophisch begründeten Rhetorik zu überzeugen. Den vollkommenen Redner sollte man ihrer Ansicht zufolge allein unter den Philosophen suchen.37 Diogenes von Seleukeia trieb diese allgemeine Entwicklung besonders stark voran: Er erhob nicht nur die Politik zum Gegenstand der Reflexion in der stoischen Schule; darüber hinaus sorgte er für eine „bürgernähere“ Neubewertung des Beitrags äußerer Güter zu einem tugendhaften und glücklichen Leben und wandte sich damit zugleich scharf gegen den Führungsanspruch zeitgenössischer Rhetoren auf dem Feld der Allgemeinbildung.38
37 Zu den methodisch schwer zu erschließenden Zusammenhängen zwischen dieser Neuausrichtung der Philosophenschulen im 2. Jahrhundert v.Chr. und der Selbstdarstellung der städtischen Führungsschichten: P. SCHOLZ, Philosophie und Wissenschaft. Ideen, Institutionen und Innovationen, in: G. Weber (Hrg.), Kulturgeschichte des Hellenismus. Von Alexander dem Großen bis Kleopatra, Stuttgart 2007, 168–171. 38 Daß in der Forschung bislang weitaus stärker und durchaus einseitig die Rezeption der stoischen Lehre, vor allem fixiert auf die Gestalt und das Werk des Panaitios, in die philosophischen Überlegungen Ciceros untersucht wurden, und dabei die Wirkungen auf die griechische Oberschicht weitgehend ausgeblendet blieben, haben Boris Dreyer und Gregor Weber jüngst zu Recht moniert: B. DREYER, G. WEBER, Lokale griechische Städte und königliche Herrschaft, in: B. Dreyer, P. Mittag (Hrgg.), Lokale Eliten und hellenistische Könige. Zwischen Kooperation und Konfrontation, Berlin 2011, 40–44, besonders 41 mit Anm. 90 (dort auch Literatur zur römischen Übernahme des philosophischen Gedankenguts der hellenistischen Schulen).
KULTISCHES UND RELIGIÖSES BEI POLYBIOS Wolfgang Spickermann, Erfurt
Zum Thema Kult und Religion im Geschichtswerk des Polybios lassen sich bis heute in der Forschungsliteratur allenfalls Randbemerkungen finden. Gehört doch der Geschichtsschreiber nicht gerade zu den Hauptquellen einer Religionsgeschichte der vorchristlichen Zeit, zumal er vielen als Atheist gilt.1 Hier wäre Livius gewinnbringender, der uns an einigen Stellen auch spezielle Riten und Formen der Götterverehrung vermittelt. Bei Polybios findet sich auf den ersten Blick wenig von diesen Dingen, er scheint sich für kultische Details kaum zu interessieren. Ja er gibt sich betont sachlich und hält Religion eher für eine Sache des gemeinen Volkes,2 was schon Theodor Mommsen in seiner „Römischen Geschichte“ ausdrücklich kritisiert.3 Wenn man so will, spielt bei ihm überhaupt die Tyche die 1
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In der Aufsatzsammlung des Polybioskommentators Frank Walbank findet sich beispielsweise nichts zu diesem Thema; vgl. F. W. WALBANK, Polybius, Rome, and the Hellenistic World. Essays and Reflections, Cambridge/New York 2002. Die geistesgeschichtlichen Hintergründe behandeln P. PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe. Études sur la religion de l’élite grécoromaine au IIe siècle av. J.-C, in: RHR 167 (1965), 35–68, besonders 35–38 und A. J. L. VAN HOOF, Polybius’ Reason and Religion. The Relations between Polybius’ Casual Thinking and His Attitude towards Religion in the Studies of History, in: Klio 59 (1977), 101–128, der vor allem das Konzept der Tyche untersucht. Pédech versucht dabei nachzuweisen, dass Polybios kein Atheist war, vgl. besonders S. 54. Pol. VI 56,6–12. J. RÜPKE, Die Religion der Römer. Eine Einführung, München 22006, 46, schreibt, dass Polybios ausführlich auf Fragen der Religion eingehe, meint damit aber wohl eher dessen frühe Wertung der römischen Religion beziehungsweise dessen Beschreibung der pompa funebris. Th. MOMMSEN, Römische Geschichte, Berlin 81889, Buch 4, Kap. 12, S. 418: „Dieser neuen Staatsphilosophie eng verwandt oder eigentlich ihre andere Seite ist die neue Staatsreligion, deren wesentliches Kennzeichen das bewußte Festhalten der als irrationell erkannten Sätze des Volksglaubens aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen ist. Schon einer der hervorragendsten Männer des Scipionischen Kreises, der Grieche Polybios, spricht es unverhohlen aus, daß das wunderliche und schwerfällige römische Religionszeremoniell einzig der Menge wegen erfunden sei, die, da die Vernunft nichts über sie vermöge, mit Zeichen und Wundern beherrscht werden müsse, während verständige Leute allerdings der Religion nicht bedürften. Ohne Zweifel teilten Polybios’ römische Freunde im Wesentlichen diese Gesinnung, wenn sie auch nicht in so kruder und so platter Weise Wissenschaft und Religion sich entgegensetzten“. Ich danke Herrn Prof. Dr. Hans Kloft herzlich für den Hinweis auf diese Stelle. H. BENGTSON, Griechische Geschichte, München 71986, 444, sieht hierin weniger einen Atheismus im modernen Sinne als die Arroganz der Gebildeten, was sicherlich unhistorisch ist, da es ein neuzeitliches Denken voraussetzt: „Über die Olympischen Götter und die Vielzahl der Ortsgottheiten pflegte der Gebildete zu lächeln oder bestenfalls die Achseln zu zucken. So etwa hat ein Polybios die Religion allein im Hinblick auf die breite Masse für notwendig ge-
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größte Rolle, immerhin auch eine abstrakte Gottheit, die aber Gegenstand eines eigenen Beitrages in diesem Band ist. Dennoch gibt es einige interessante Randbemerkungen unseres Autors, die einerseits etwas über seine eigene Haltung preisgeben und andererseits auch ein gewisses Ideal im Umgang mit dem Heiligen vor allen bei den Römern und umgekehrt seine Vorstellung von Asebeia verraten. Hinzu kommt der Fund von Stiftungsinschriften des Polybios und des Philopoimen aus einem Zeus-Heiligtum von Megalopolis, was den Geschichtsschreiber selbst als religiösen Akteur ausweist.4
I. DEISIDAIMONIA In seiner Beschreibung der Stadt Iasos in Karien – einer Nachbarstadt Milets am Golf von Bargylia – führt Polybios im Rahmen seines Berichtes über die Operationen Philipps V. in Kleinasien in Buch 16 Kap. 12 eine Wundergeschichte an. So sei überliefert, dass kein Regen oder Schnee auf die Statue der Artemis Kindyas von Bargylia falle, obwohl sie unter freiem Himmel stehe. Gleiches werde über die Artemis Astias von Iasos berichtet. Polybios kommentiert, dass ihm solche Berichte verschiedentlich bei anderen Geschichtsschreibern begegnet seien, er sie aber grundsätzlich ablehne. Denn Dinge zu glauben, die jenseits der Beweisbarkeit und Wahrscheinlichkeit lägen, halte er für kindisch. Als Beispiel führt er Theopomp an, der behaupte, dass diejenigen, die das Allerheiligste des Zeustempels von Arkadien beträten, schattenlos würden.5 Man könne es zwar entschuldigen, dass manche Autoren, um die Frömmigkeit zu den Göttern bei einfachen Leuten (plethos) zu fördern, Legenden und Wundergeschichten wiedergäben, aber man dürfe nicht tolerieren, was zu weit ginge. Polybios sieht die Schwierigkeit, hier eine Grenze zu ziehen, doch auch die Notwendigkeit, jedes Übermaß zurückzuweisen. Diese rationale Einstellung, die sich den Aberglauben der Menge zu Nutzen machen will, findet sich auch an anderer Stelle. Bei seiner Beschreibung des Charakters des Scipio Africanus vergleicht er diesen mit dem sagenhaften Gesetzgeber Lykurg von Sparta und führt aus, dass beide einsahen, dass die meisten Menschen abergläubisch sind und alles, was ihnen fremd ist, schwer akzeptieren und Risiken nicht ohne göttliche Hilfe wagen. So erreichte Lykurg mehr Akzeptanz für seine Gesetzesvorhaben, indem er sich auf die Weisung der Pythia berief,
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halten. Von einem entschiedenen Atheismus war dieses „moderne“ Zeitalter gleich weit entfernt: die Religion war zur Konvention geworden.“ Vgl. dazu VAN HOOF, Polybius’ Reason (Anm. 1), 105. H. LAUTER, „Polybios hat es geweiht…“: Stiftungsinschriften des Polybios und des Philopoimen aus dem neuen Zeus-Heiligtum zu Megalopolis (Griechenland), in: AW 33 (2002), 375–386; vgl. besonders den Beitrag von Martin Tombrägel in diesem Band. Zur gelegentlichen Kritik des Polybios an Theopomps Wundergeschichten: F. W. WALBANK, A Historical Commentary on Polybius, 3 Bd. Oxford 1957–1979, hier Bd. II, Oxford 1967, 79f. und 515; vgl. auch VAN HOOF, Polybius’ Reason (Anm. 1), 108f. Zur Episode auch PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 58.
Kultisches und Religiöses bei Polybios
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während Scipio seine Männer optimistischer und eher bereit für gefährliche Unternehmungen stimmte, indem er bei ihnen den Glauben förderte, diese seien göttlich inspiriert. Polybios will beweisen, dass alle Unternehmungen Scipios mit Weitblick und Berechnung geplant und damit eben nicht mit göttlicher Hilfe sondern durch menschliche Tüchtigkeit realisiert worden seien.6 Menschen, die ihrer Vernunft folgen, sind göttlicher und eher Lieblinge der Götter als diejenigen, die abergläubisch sind und Vorzeichen folgen.7 Er suggeriert mit dem Vergleich von Lykurg und Scipio ein gewisses Gleichgewicht zwischen den besiegten Griechen und den siegreichen Römern, welches in einem gemeinsamen Bürgerrecht im Römischen Reich liege. Plutarch sollte diesem Modell in seinen Biographien später folgen.8 Gerade die religiösen Überzeugungen der Römer sind die Grundlage für die Überlegenheit ihres Gemeinwesens, weil gerade sie den Aberglauben (deisidaimonia) in ihren öffentlichen Kult einbinden. Dieser erfahre im öffentlichen und privaten Bereich so viel Aufmerksamkeit, dass ihn nichts übertreffe. Nach Polybios’ Auffassung tue man dies zum Nutzen der einfachen Leute (plethos). Für einen Staat von weisen Männern sei dies nicht notwendig, doch die launische Menge, die voller unkontrollierter Begierden, unergründlicher Leidenschaften und gewalttätiger Aggression sei, müsse sie mit Furcht vor dem Unsichtbaren und durch Mythen im Zaum gehalten werden. So hätten die Alten eben nicht vorschnell und planlos gehandelt, als sie bei den gemeinen Leuten Vorstellungen von Göttern und den Schrecken des Hades einführten, vielmehr seien die Modernen unbesonnen und dumm, diese Vorstellungen abzulehnen. Die Konsequenz sei, dass in Griechenland Beamte, die mit über einem Talent Geldsumme betraut sind, einen Verwendungsnachweis aufwändig über mehrere Schreiber, Zeugen und Siegel führen müssten, während ein römischer Magistrat oder Legat, der mit großen Summen umgeht, die korrekte Abrechnung lediglich durch einen feierlichen Eid bekräftige. Wo es sonst überall schwierig sei, jemanden zu finden, der sich nicht an öffentlichen Geldern vergreife, sei dies bei den Römern genau umgekehrt.9 Aber es gibt zwei Arten von deisidaimonia: In seiner Kritik an dem Geschichtswerk des Timaios führt Polybios in den Fragmenten des zwölften Buches unter vielen anderen Dingen an, dass dieser aus Sensationslust über spektakuläre Träume, unglaubliche Geschichten, Vorzeichen, kurz mit dummen Aberglauben und weibischer Liebe zum Wunderbaren berichte.10 Diese negative Wertung der deisidaimonia findet sich auch in einer Episode über den athenischen Strategen Nikias, der vor Syrakus die Mondfinsternis abergläubisch fehldeutete und dadurch 6 7 8 9
Pol. X 2,6–12; vgl. PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 57. PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 66. Vgl. H. CANCIK, H. CANCIK-LINDEMAIER, Gesammelte Aufsätze, Tübingen 2008, 404. Pol. VI 56,13–15; vgl. hierzu auch PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 41f., und zum Konzept der θεολογία πολιτική VAN HOOF, Polybius’ Reason (Anm. 1), 104–109, der dieses und nicht Tyche für den Schlüssel für die politische Theologie des Polybios hält; vgl. 111. 10 Pol. XII 24,5.
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versäumte, sein Heer rechtzeitig an einen sicheren Ort zu führen, was zur Katastrophe führte.11 Ganz anders als die Römer, welche die deisidaimonia rational in ihr religiöses System einbinden, geschieht dies hier nicht, ganz im Gegenteil, Polybios gibt die gut bekannte Nikiasepisode verkürzt und nicht ganz korrekt wieder, um gerade seine Abneigung gegen diese Art von Aberglauben kundzutun.12 Damit unterscheidet Polybios systematisch zwischen einer negativen, weil unreflektierten und einer positiven funktionalistischen deisidaimonia. Seine Interpretation des Nutzens von Religion und vor allem Aberglauben ist die eines griechischen philosophisch gebildeten Rationalisten. Er verwendet hierbei auch Elemente des philosophischen Atheismus, aber gibt sicher nicht die Haltung eines Römers wider. Frank Walbank führt die Idee des sozialen Nutzens des Glaubens an einen göttlichen Ursprung der Gesetze und der göttlichen Sanktion auf die Pythagoräer und Xenophon zurück, aber die erste Erwähnung eines rationalistischen, atheistischen Zweckdenkens, welches Religion zu einem Schwindel eines gerissenen Politikers macht, findet sich bei Euripides in dessen Satyrspiel Sisyphos, welches ursprünglich dem athenischen Politiker und Sophisten Kritias zugeschrieben wurde.13 Polybios gibt diesen griechischen religiösen Skeptizismus wieder,14 ist hierbei aber nicht ganz konsequent, wenn er die römischen Magistrate etwa durch ihren Eid in dieses disziplinarische System einbezieht.15 In der Zeit des Polybios hatte dieses Denken sicher noch nicht in Rom Einzug gehalten, wir finden seinen Widerhall später bei Diodor, Cicero und Strabon, bevor es in der zweiten Sophistik des 2. Jahrhunderts n.Chr. eine Renaissance erfuhr.16 Auch schon der Stoiker Panaitius behauptet, dass die Mantik niemandem zur Umkehr bewege.17 Polybios’ Skeptizismus drückt sich auch darin aus, dass er die Götter – in Anlehnung an Euhemeros – als vor langer Zeit gestorbene Menschen sieht, die wegen ihrer Verdienste oder Erfindungen geehrt würden.18 Diese Vermenschlichung der Götter (Euhemerismus), das Negieren göttlicher Macht und das Favorisieren eines Nützlichkeitskonzepts, welches Religion in moderner Diktion zu Opium für das Volk werden lässt, findet sich abgesehen von den zitierten Ausführungen aber in den Details des polybianischen Geschichtswerkes kaum wieder.
11 Pol. IX 19,1f. 12 Vgl. WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 145f. 13 Diels/Kranz FVS II, 2, 88 B 25. Dazu A. DIHLE, Das Satyrspiel Sisyphos, in: Hermes 105 (1977), 28–42. 14 Vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 5), 741f. und besonders den Überblick bei PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 35–38. 15 Vgl. WALBANK, Commentary I (Anm. 5), 743. 16 Vgl. Diod. XXXIV–XXXV 2,47; Strab. I 2,19–20; Cic. nat. I 1–5; Lukian Iupp. trag. 53,4f. 17 Panaitios frgm. 68; bei WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 145. Vgl. auch Cic. div. 1,42 und Lukian astrol. 20. 18 Pol. XXXIV 2,4–8 = Strab. I 2,15–17 C 23–25. Vgl. A. HUS, Die Religionen Griechenlands und Roms, Aschaffenburg 1964, 79f.; PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 43– 53 und 67, der von einer großen Kenntnis religionsgeschichtlicher Hintergründe bei Polybios ausgeht und seinen religiösen Indifferentismus verneint. Zum Euhemerismus bei Polybios VAN HOOF, Polybius’ Reason (Anm. 1), 115–118.
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Eine Klassifikation von Gottheiten als Schutzmächte von Städten, Reichen, des menschlichen Handelns, ja der gesamten Welt beinhaltet eine Schlüsselstelle im siebten Buch (Kapitel 9,1ff.) in dem in Karthago nach der Schlacht von Cannae im Sommer 215 geschlossenen Vertrag zwischen den Karthagern und dem Makedonenkönig Philipp V. Beschworen wird dieser Vertrag von Hannibal in Anwesenheit der Götter Zeus, Hera und Apollo – des Schutzgottes (Daimon) von Karthago, Herakles und Iolaos – Ares, Triton und Poseidon, der Götter, die für uns kämpfen – Helios, Selene und Gaia, (der Götter der) Flüsse, Seen und Gewässer und schließlich aller Götter Karthagos, Makedoniens und des übrigen Griechenlands sowie zuletzt aller Götter des Heeres, die über diesen Eid wachen.19 Zunächst ist der Einbezug aller dis volentibus eine auch bei innergriechischen Verträgen häufiger zu beobachtende Praxis.20 Möglichst alle Götter sollten auf die Seite der Vertragspartner gezogen werden, über den Eid wachen und ihre Sache unterstützen. Sodann ist bemerkenswert, dass die Gottheiten, wo sie namentlich erwähnt sind, in Dreiergruppen auftreten. Eine Trias repräsentiert in der Regel eine unbestimmte Mehrheit, hier ist wohl – wie bei der Kapitolinischen Trias – ein ganzes Pantheon gemeint. So hat auch ein großer Teil der älteren Forschung,21 die genannten Gruppen als Repräsentanten des Pantheons, der Vertragspartner, des Krieges in allen seinen Façetten und schließlich der ganzen Erde interpretiert. Möglichst kein Gott sollte ausgelassen werden, zusammengefasst wird dies am Ende noch einmal mit dem Verweis auf alle Gottheiten Karthagos, Makedoniens und Griechenlands und die Heeresgötter, das entspricht den vorher namentlich genannten Gruppen. Anders sieht Frank Walbank in den namentlich genannten Gottheiten eine Interpretatio Graeca der karthagischen, was er daran festmacht, dass am Ende ja die Götter Makedoniens und des übrigen Griechenlands als eigene Gruppe gegenübergestellt werden und es Hannibals Eid sei.22 Schon Elias Bickermann konnte nachweisen, dass die Wiedergabe des Eides bei Polybios offenbar auf einer karthagischen Vorlage beruht, die teilweise nur unzureichend ins Griechische übersetzt wurde. Dies kann er an einigen Beispielen verdeutlichen.23 Dennoch bleiben manche Fragen offen, beispielsweise, warum der Daimon Karthagos, womit möglicherweise Tanit gemeint ist, nicht zuerst genannt wird. Herakles steht wohl für Melquart und Iolaos für Eshmoun, wobei diese Identifikatio19 Pol. VII 9,1–3: ὅρκος, ὃν ἔθετο Ἀννίβας ὁ στρατηγός, Μάγωνος, Μύρκανος, Βαρμόκαρος, καὶ πάντες γερουσιασταὶ Καρχηδονίων οἱ μετ᾽ αὐτοῦ καὶ πάντες Καρχηδόνιοι στρατευόμενοι μετ᾽ αὐτοῦ πρὸς Ξενοφάνη Κλεομάχου Ἀθηναῖον πρεσβευτήν, ὃν ἀπέστειλε πρὸς ἡμᾶς Φίλιππος ὁ βασιλεὺς Δημητρίου ὑπὲρ αὑτοῦ καὶ Μακεδόνων καὶ τῶν συμμάχων, ἐναντίον Διὸς καὶ Ἥρας καὶ Ἀπόλλωνος, ἐναντίον δαίμονος Καρχη δονίων καὶ Ἡρακλέους καὶ Ἰολάου, ἐναντίον Ἄρεως, Τρίτωνος, Ποσειδῶνος, ἐναντίον θεῶν τῶν συστρατευομένων καὶ Ἡλίου καὶ Σελήνης καὶ Γῆς, ἐναντίον ποταμῶν καὶ λιμένων καὶ ὑδάτων, ἐναντίον πάντων θεῶν ὅσοι κατέχουσι Καρχηδόνα, ἐναντίον θεῶν πάντων ὅσοι Μακεδονίαν καὶ τὴν ἄλλην Ἑλλάδα κατέχουσιν, ἐναντίον θεῶν πάντων τῶν κατὰ στρατείαν, ὅσοι τινὲς ἐφεστήκασιν ἐπὶ τοῦδε τοῦ ὅρκου. 20 E. J. BICKERMAN, An Oath of Hannibal, in: TAPhA 75 (1944), 87–102, hier 100. 21 So z.B. Eduard Meyer, vgl. dazu die Übersicht bei WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 46. 22 WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 46–50. 23 BICKERMAN, An Oath of Hannibal (Anm. 20), passim.
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nen durchaus nicht unumstritten sind.24 Festzuhalten bleibt, dass die Komposition der Götter bei Polybios nicht zufällig ist und er Vorstellungen von einem makedonisch-griechischen und einem karthagischen Pantheon von Schutzgottheiten menschlicher Gruppen, mit funktionalen Panthea, nämlich Land- und Seekrieg, Natur und Kosmos sowie Binnengewässer kombiniert. Dies dürfte kaum nur den privaten und Familiengöttern Hannibals entsprochen haben, wie Charles Picard annimmt,25 sondern ist eine polybianische Wiedergabe einer griechischen Übersetzung des karthagischen Eides, welche seiner griechisch gebildeten Leserschaft geschuldet ist.
II. ASEBIA Trotz des beschriebenen religiösen Skeptizismus findet sich auch eine häufige Verwendung des Begriffes asebeia im polybianischen Werk. Was aber ist für Polybios gottlos? Zunächst unterstellt er eine göttliche, das menschliche Recht überragende Ordnung, deren Verletzung er als Asebie bezeichnet. Dazu gehören der Eidbruch beziehungsweise das Schwören unheiliger Eide, die Plünderung von Tempeln, Zerstörung von heiligem Gerät und ähnliche Handlungen, ungerechte und barbarische Strafen sowie Vergehen gegen Gefangene und das eigene Volk. An einigen Stellen spricht er gar von Vergehen gegen Menschen und Götter. Die Bereitschaft zur Zerstörung von Heiligtümern sieht Polybios vor allem beim Aitolischen Bund, den Karthagern, Prusias II., dem König von Bithynien und insbesondere dem Makedonenkönig Philipp V. Die Eusebeia des Begründers der hellenistischen Herrschaft, Alexander der Große, ist für Polybios dabei durchaus rühmenswert. Alexander habe zwar Theben geplündert und zerstört, die Einwohner in die Sklaverei verkauft, aber mit größter Sorgfalt auf Tempel und Götter Rücksicht genommen. Als er nach Asien übersetzte, um die persischen Freveltaten (asebia) in Hellas zu rächen, verzichtete er darauf anzurühren, was den Göttern gehört, obwohl die Perser dieses in Griechenland ja getan hatten.26 Hatte sich doch auch schon sein Vater Philipp II. den besiegten Feinden gegenüber generös 24 WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 48f. 25 P. Ch. PICARD, Carthage au temps d'Hannibal, in: Accademia etrusca di Cortona. Studi Annibalici. Atti del Convegno svoltosi a Cortona, Tuoro sul Trasimeno, Perugia, ottobre 1961, Cortona 1964, 9–36, hier 33–36. 26 Pol. V 10, 6–8 : τί δ᾽ Ἀλέξανδρος; ἐκεῖνος γὰρ ἐπὶ τοσοῦτον ἐξοργισθεὶς Θηβαίοις ὥστε τοὺς μὲν οἰκήτορας ἐξανδραποδίσασθαι, τὴν δὲ πόλιν εἰς ἔδαφος κατασκάψαι, τῆς γε πρὸς τοὺς θεοὺς εὐσεβείας οὐκ ὠλιγώρησε περὶ τὴν κατάληψιν τῆς πόλεως, ἀλλὰ πλείστην ἐποιήσατο πρόνοιαν ὑπὲρ τοῦ μηδ᾽ ἀκούσιον ἁμάρτημα γενέσθαι περὶ τὰ ἱερὰ καὶ καθόλου τὰ τεμένη. καὶ μὴν ὅτε διαβὰς εἰς τὴν Ἀσίαν μετεπορεύετο τὴν Περσῶν ἀσέβειαν εἰς τοὺς Ἕλληνας, παρὰ μὲν τῶν ἀνθρώπων ἐπειράθη λαβεῖν δίκην ἀξίαν τῶν σφίσι πεπραγμένων, τῶν δὲ τοῖς θεοῖς καταπεφημισμένων πάντων ἀπέσχετο, καίπερ τῶν Περσῶν μάλιστα περὶ τοῦτο τὸ μέρος ἐξαμαρτόντων ἐν τοῖς κατὰ τὴν Ἑλλάδα τόποις. Vgl. dazu V. M. STROCKA, Kunstraub in der Antike, Freiburg 1999, 16 und K.-W. WELWEI, Könige und Königtum im Urteil des Polybios. Diss. Köln 1963, 29.
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und dem Heiligen ergeben gezeigt.27 Wie völlig anders und frevelhaft verhielt sich dagegen der Epigone Philipp V., der doch, wie beispielsweise sein Münzprogramm zeigt, auf die Verbindung zu diesen berühmten Vorgängern besonderen Wert legte!28 Seine Gottlosigkeit (asebeia) wird von Polybios dazu in absoluten Gegensatz gesetzt. Obwohl er die Beispiele seiner Vorfahren von hoher Prinzipientreue und Großherzigkeit vor Augen hatte und ihnen nacheifern wollte, scheiterte er schließlich daran. Polybios erläutert in einem längeren moralischen Exkurs, dass Philipp zum Rivalen der Aitoler in ihrer Gottlosigkeit geworden sei. Er habe den aitolischen Strategen Dorimachos und Skopas zwar ihre Brutalität und gesetzlose Gewalttaten gegen die Religion in den Heiligtümern von Dodona und Dion vorgeworfen, habe aber nie darüber nachgedacht, dass er, der sich in genau derselben Weise gerierte, ein ähnliches Image bei der Bevölkerung hatte. Man dürfe zwar im Krieg alle Ressourcen des Feindes zerstören, um ihn zu schwächen, aber die mutwillige Beschädigung von Tempeln, Götterbildern und aller Werke, die keinen Vorteil gegen den Feind bringen, müssen als Raserei auf dem Höhepunkt der Aggression verstanden werden. Nach Polybios war es Philipps Fehler, statt sich generös und fromm wie seine Vorfahren zu zeigen, sich von Wut und Raserei leiten zu lassen und genauso zu handeln wie die Aitoler, denen er aber ein besseres Beispiel hätte geben müssen.29 Diese Asebie Philipps steht übrigens im Gegensatz zu der Aussage Philipps gegenüber Flamininus, er fürchte niemanden außer die Götter.30 Der Untergang Makedoniens und der Aufstieg Roms stehen demnach im Zusammenhang mit göttlichem Wirken aufgrund der dauernden Verbrechen Philipps V. gegen Götter und Menschen.31 Polybios illustriert die Untaten Philipps mit zahlreichen Beispielen. In Thermos zerstörte er im Tempel des Apollon alle Statuen, die er bei früherer Gelegenheit unbehelligt gelassen hatte. Dies sei die höchste Unvernunft, sich der asebeia gegen die Götter schuldig zu machen, wenn man auf die Menschen wütend sei.32 Nach der Seeschlacht von Chios 201 v.Chr. fiel Philipp in pergamenisches Gebiet ein, konnte aber die gut verteidigte Stadt nicht erobern und beschränkte sich darauf, die umliegende Gegend, darunter auch Heiligtümer und Götterbilder, zu verwüsten. Polybios beschreibt, wie er seine Wut weniger gegen Menschen, sondern mehr gegen Götter richtete und das Nikephorion, also das Heiligtum der pergamenischen Athena,33 verwüstete, den heiligen Hain abholzen ließ und die vielen kostbaren Tempel bis auf die Fundamente zerstörte. Ebenso verfuhr er mit dem Tempel der Aphrodite. Das Auslassen seiner Wut an Götterbildern und heiligen Bezirken, wobei er selbst die Steine zertrümmerte, um einen Wiederaufbau der 27 28 29 30 31 32 33
Pol. V 10,1–5. WALBANK, Commentary I (Anm. 5), 548. Pol. V 11. Vgl. dazu WELWEI, Könige und Königtum (Anm. 26), 41. Pol. XVIII 1,7. WALBANK, Polybius (Anm. 1), 245. Pol. XI 7,2; vgl. H. BENGTSON, Herrschergestalten des Hellenismus. München 1975, 216. Vgl. dazu M. KOHL, Das Nikephorion von Pergamon, in: Revue archéologique 34 (2002), 227–253 und BENGTSON, Herrschergestalten (Anm. 32), 224. Dieses Heiligtum vermutet Markus Kohl neuerdings auf dem Burgberg von Pergamon.
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zerstörten Anlagen unmöglich zu machen, bezeichnet Polybios als Hybris, die er nicht an Attalos, sondern an sich selbst beging.34 Diese Hybris musste Philipp auch büßen, denn die siegreichen Römer forderten später von ihm ein, diesen Schaden wieder gutzumachen.35 Als Kontrastfolie zu diesem Negativbild des Philipp V. dient Attalos, der im April 200 v.Chr. bei seinem Besuch in Athen zusammen mit Priesterinnen und Priestern ins Dipylon eintritt; die Tempel wurden ihm geöffnet, er wurde gebeten, Zeremonien zu präsidieren, und eine Phyle wurde nach ihm benannt.36 Auch Prusias von Bithynien erging sich in frevelhafter Weise. Die Zeilen, die Polybios den Ausschreitungen Prusias’ II. 155 v.Chr. widmet,37 ähneln in ihrem Aufbau ziemlich den Abschnitten über die Zerstörungen Philipps, deren Unbestimmtheit und Oberflächlichkeit jedoch gegenüber der hier vorhandenen Detailgenauigkeit auffällt. Polybios unterrichtet uns darüber, dass Prusias, nachdem es ihm nicht gelungen war, Pergamon einzunehmen, sich daran machte, alle Tempel zu zerstören und Statuen zu rauben: „Am folgenden Tag quartierte er seine Truppen im Nikephorion ein, zerstörte alle Tempel und Heiligtümer der Götter und raubte alle (bronzenen) Ehrenstatuen sowie die marmornen Kultstatuen. Um das Unglück vollzumachen, hob er die Kultstatue des Asklepios, welche Phyromachos wunderschön gestaltet hatte, vom Sockel und nahm sie für sich selbst mit, diejenige Statue, der er am Vortag Libationen, Opfer und Gebete dargebracht hatte.“ (Übers. Markus Kohl).38
Prusias hatte tags zuvor noch nach seinem Sieg über Attalos ein großes Opfer gefeiert, dabei dem Asklepios einen Ochsen geweiht und beste Vorzeichen bekommen.39 Polybios findet das Vorgehen des Prusias völlig sinnlos, ja pathologisch und macht aus seiner Abscheu keinen Hehl. Er vergleicht die Tat mit derjenigen Philipps V. und findet es umso verwerflicher, einerseits den Gott mit Opfern um seine Gunst zu bitten und demütig bei seinen Bildern und Altären zu beten, wie es Prusias mit Kniebeugen und weibischem Mummenschanz getan hätte, und dann andererseits das Heiligtum zu plündern und zu zerstören. Dies könnte – so Polybios – nicht anders beschrieben werden als die Tat eines Mannes von rasender Leidenschaft und Geistesstörung, der Prusias sei.40 Später habe Prusias sich dann, auf dem Rückzug nach einer gescheiterten Attacke auf Elaia nach Thyateira gewandt, zunächst den Tempel der Artemis von Hiera Kome geplündert und dann das Heiligtum des Apollo Kynneios bei Temnos nicht nur geplündert, sondern
34 Pol. XVI 1–6; vgl. XVIII 6,3. 35 Pol. XVI 27,2; XVI 34,3; XVIII 2,2 und XVIII 6,3–4. 36 Pol. XVI 25. Diese Ehre war vor ihm Antigonos Monophthalmos und Demetrios Poliorketes zuteil geworden, vgl. zuletzt W. SPICKERMANN, Neue Könige, neue Feste. Demokratische Polis und hellenistische Könige in: R. Gröschner, W. Reinhard (Hrgg.), Tage der Revolution – Feste der Nation, Tübingen 2010, 1–27. 37 Pol. XXXII 15, 3–5. 38 Vgl. dazu auch Diod. XXXI 35. 39 Pol. XXXII 15,1–3. 40 Pol. XXXII 15,6–9. Vgl. dazu WELWEI, Könige und Königtum (Anm. 26), 115.
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auch niedergebrannt.41 Dann sei er in sein eigenes Land zurückgekehrt, nachdem er nicht nur Krieg gegen Menschen, sondern auch gegen Götter geführt habe.42 Auf dem Rückweg wurde sein Heer von Hunger und Ruhr geplagt, was Polybios als göttliche Rache für seine Missetaten wertet. Auch wird Prusias später von den Römern verurteilt, Reparationszahlungen an Attalos zu leisten. Der Geschichtsschreiber verwirft die zahlreichen frommen Stiftungen dieser hellenistischen Herrscher an verschiedenen Orten, von denen ihm sicher einige bekannt waren, als Heuchelei, welche die genannten Frevel keinesfalls kompensieren können.43 Der Seleukide Antiochos IV. Epiphanes wird dagegen von Polybios – ganz im Gegensatz zur jüdischen Tradition – zunächst als Positivbild stilisiert. Er habe in den Opfern an die Städte und den Ehrungen für die Götter alle früheren Könige übertroffen. Dies könne man am Olympieion in Athen ermessen und an den Standbildern um den Altar in Delos. Dieser Wertung schlossen sich insbesondere auch Livius und Athenaios an. Obwohl das Vorhaben bis zu seinem Tode nicht abgeschlossen war, fand es ein positives Echo in ganz Griechenland, was der König ja auch beabsichtigt hatte.44 Dass Antiochos insgesamt ein Förderer des Zeuskultes war, lässt sich nicht beweisen.45 Schließlich musste er allerdings aus Geldmangel Tempel plündern – darunter den in Jerusalem – und starb schließlich bei dem Versuch, das Heiligtum der Artemis von Elymais auszurauben.46 Vor allem auch die schon erwähnten Aitoler vergehen sich mehrfach an Heiligtümern.47 Prominente Beispiele sind die Zerstörungen und Plünderungen des panmakedonischen Heiligtums von Dion und des Tempels von Dodona durch Skopas und Dorimachos 219 v.Chr. Die Kolonnaden wurden niedergebrannt, die reichen und kunstvollen Weihegaben zerstört, darunter berühmte Werke, 2000
41 Pol. XXXII 15,9–13. 42 Pol. XXXII 15, 13: καὶ ταῦτα διαπραξάμενος ἐπανῆλθεν εἰς τὴν οἰκείαν, οὐ μόνον τοῖς ἀνθρώποις ἀλλὰ καὶ τοῖς θεοῖς πεπολεμηκώς. 43 Für die Stiftungen Philipps V. vgl. z.B. die Säulenhalle in Beroia an Athena K. BRINGMANN, H. VON STEUBEN (Hrgg.), Schenkungen hellenistischer Herrscher an griechische Städte und Heiligtümer, Bd. I: Zeugnisse und Kommentare, Berlin 1995, 178f. KNr. 111 [E] und die Stoa in Berytos ebd. 198 f. KNr. 136 [E]. Dazu K. BRINGMANN, Geben und Nehmen. Monarchische Wohltätigkeit und Selbstdarstellung im Zeitalter des Hellenismus, Berlin 2000, 21– 26. 44 Pol. XXVI 1,10f.; vgl. Liv. XLI 20,5; Strab. IX 1,17 p. 396; Vell. I 10,1 und Plin. nat. XXXVI 6,45. Dazu BRINGMANN/VON STEUBEN, Schenkungen (Anm. 43), 54f., KNr. 24 [L]; J. LIPPSTREU, Antiochos IV. und Eumenes II. von Pergamon als Architekturstifter, in: W. Hoepfner, G. Zimmer (Hrgg.), Die griechische Polis. Architektur und Politik, Tübingen 1993, 126–134, 131 und P. F. MITTAG, Antiochos IV. Epiphanes. Eine politische Biographie, Berlin 2006, 143. 45 MITTAG, Antiochos IV. Epiphanes (Anm. 45), 139–149. 46 Pol. XXXI 9,1–4; vgl. PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 55 und VAN HOOF, Polybius’ Reason (Anm. 1), 112. Zu Antiochos IV. vgl. auch WELWEI, Könige und Königtum (Anm. 26), 68–75. 47 Vgl. z.B. Pol. IV 18,11; IV 25,2; IV 25,4. Bengtson interpretiert die Zerstörungen der Aitoler in Makedonien als „zunehmende Verrohung der Sitten“ und „Schwinden des alten Götterglaubens“: BENGTSON, Herrschergestalten (Anm. 32), 218.
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Statuen wurden vernichtet oder entfernt. Polybios spricht sogar von einer Kriegserklärung gegen Menschen und Götter.48 Äußerst frevelhaft war in seinen Augen ferner die Ermordung der spartanischen Ephoren auf Anstiftung der Aitoler, während sie im Athenatempel opferten, vor allem, weil hierdurch das Tempelasyl verletzt wurde.49 Am konsequentesten macht der Aitoler Dikaiarchos bei seinen korsarischen Flottenmanövern in den Kykladen und am Hellespont um 204 v.Chr. im Auftrag Philipps V. seine gottlose Haltung deutlich. Er soll überall, wo er mit seiner Flotte landete, zwei Altäre, einen für die asebeia und einen für die paranomia gestiftet haben. Ja, er soll davor auf Knien wie vor Gottheiten gebetet haben.50 Er habe dies getan, um Götter und Menschen mit Schrecken zu überziehen und deshalb habe ihn auch die verdiente Strafe von Göttern und Menschen ereilt. Da er sich gegen die Natur (physis) aufgelehnt habe, sei er schließlich wider die Natur, gewaltsam und unter Folter gestorben.51 Bei der Entmachtung des Strategen Skopas durch den ägyptischen Regenten Aristomenes wurde auch ihm 198 v.Chr. in Alexandria der Prozess gemacht.52 Die Weihung an Gottlosigkeit und Gesetzlosigkeit ist übrigens nicht ohne Parallele. Zur Sühne des kylonischen Frevels in Athen seien nach Epimenides und Theophrast Altäre für die Hybris und die Anaideia, also die Unverschämtheit errichtet worden, welche aber sicher apotropäischen Charakter hatten.53 Cicero thematisiert divinisierte Abstraktionen wie Mens, Pietas, Virtus und Fides, die in Rom Tempel hätten, und führt als Negativbeispiel die Athener an, die auf Anraten des Kreters Epimenides der Contumelia und der Inpudentia Heiligtümer (fana) errichtet hätten.54 Polybios will den Sinn der offenbar ebenfalls apotropäisch intendierten Vorgehensweise des Dikaiarchos nicht verstehen und treibt mit diesem Beispiel seine kausalistisch-teleologische Geschichtsauffassung auf die Spitze. Der Frevler fordert Menschen und Götter heraus und
48 Pol. V 9,2–6; vgl. IV 62,1–4. Dazu U. EGELHAAF-GASER, Der triumphierende Leser: die Siegesfeier von Amphipolis in der Geschichtserzählung des Livius, in: D. von der Osten, J. Rüpke, K. Waldner (Hrgg.), Texte als Medium und Reflexion von Religion im römischen Reich, Stuttgart 2006, 41–61, hier 46, und BENGTSON, Herrschergestalten (Anm. 32), 215. 49 Pol. IV 35,3. 50 Pol. XVIII 54,8–11; vgl. dazu Ph. DE SOUZA, Piracy in the Graeco-Roman World, Cambridge/New York 1999, 75. 51 Pol. XVIII 54,11: διὸ καὶ δοκεῖ μοι τυχεῖν τῆς ἁρμοζούσης δίκης καὶ παρὰ θεῶν καὶ παρ᾽ ἀνθρώπων: παρὰ φύσιν γὰρ ἐνστησάμενος τὸν αὑτοῦ βίον εἰκότως παρὰ φύσιν καὶ τῆς εἱμαρμένης ἔτυχε; vgl. dazu PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 55. 52 WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 625f.; vgl. W. AMELING, Aristomenes (2), in: DNP 1 (Stuttgart 1996), 1115f., und W. HUSS, Ägypten in hellenistischer Zeit 332–30 v.Chr., München 2001, 502f. 53 Theophr. frg. 100,1 (= Zenob. Proverb. 4,36): Θ. ἐν τῷ περὶ νόμων ὕβρεως καὶ ἀναιδείας παρὰ τοῖς Ἀθηναίοις εῇναι βωμούς φησι. Vgl. Epimenides = Clem. Alex. strom. II 22: ποιοῦσι τύπους τὸν Φόβον καὶ τὸν Ἔρωτα καὶ τὴν Χαρὰν καὶ τὴν Ἐλπίδα, ὥσπερ ἀμέλει καὶ Ἐπιμενίδης ὁ παλαιὸς ῞Υβρεως καὶ Ἀναιδείας Ἀθήνησιν ἀναστήσας βωμούς; vgl. N. G. L. HAMMOND, A History of Greece to 322 B. C., Oxford 21967, 626. 54 Cic. leg. II 28: Nam illud vitiosum Athenis quod Cylonio scelere expiato, Epimenide Crete suadente, fecerunt Contumeliae fanum et Inpudentiae.
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muss dafür bezahlen.55 Wenn an einigen Stellen die Karthager gottlose Eide schwören,56 gottlose Verbrechen planen57 oder gar im Vergleich zu den Römern gottlos handeln,58 dann steht das in der Konsequenz dieser im Polisgefüge verhafteten Auffassung. Im Gegensatz dazu besucht L. Aemilius Paullus im Rahmen einer „sakralen Landschaftsmarkierung“ bei einer Rundreise durch Griechenland alle ehrwürdigen Opferstätten, darunter auch den Zeustempel in Olympia.59 In seiner allzu positiven Darstellung des Verhaltens der Römer unterschlägt Polybios bewusst die Tatsache, dass die Präsentation der aus Griechenland mitgeführten Skulpturen und Gemälde am ersten Tag des Triumphzuges des Paullus allein 250 Wagen erforderte, darunter war eine Athena des Pheidias, die dieser in Rom in seinem Tempel der Fortuna huiusque diei weihte.60 Doch erwarb sich gerade Polybios für sein Vaterland Verdienste. Nach der Einnahme von Achaia und der Zerstörung Korinths konnte er L. Mummius und die römischen Gesandten von den Verdiensten der achäischen Politiker Achaios, Aratos und Philopoimen um die römische Sache überzeugen und so zumindest deren bereits abtransportierte Bronzestatuen zurückholen und wieder aufstellen lassen.61 Schließlich spielt Asebie auch in Polybios’ Bericht über die Zustände in Alexandria nach dem Tode des Ptolemaios IV. und der Ermordung seiner beim Volk beliebten Schwestergemahlin Arsinoe III. 204 v.Chr. eine gewisse Rolle. Agathokles, der Reichsverweser, hatte den erst fünfjährigen Sohn Ptolemaios V. auf den Thron gesetzt und versuchte, das Heer und die Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Er stieß aber in der Folge auf erheblichen Widerstand, vor allem durch den Strategen Tleopolemos. Als dieser im Laufe des Jahres 203 v.Chr. mit seinen Truppen auf Alexandria vorrückte, ließ Agathokles dessen Schwiegermutter Danae, die einzige Verwandte, die er fand, im Heiligtum der Demeter ergreifen, sie nackt durch die Straßen schleppen und ins Gefängnis werfen.62 Man darf vermuten, dass sie dort Asyl gesucht hatte, als ihr Schwiegersohn sich gegen den Reichsverweser wendete, und Agathokles dieses Asyl nun verletzte. Polybios, der eine Gegenposition zu Agathokles einnimmt, berichtet außerdem, dass Leute auf der Straße sich von dieser Tat öffentlich distanzierten.63 Ja, es entwickelte sich eine revolutionäre Stimmung. Peter M. Fraser hält Danae ohne weitere Anhaltspunkte für eine Priesterin der Demeter und lokalisiert den Tempel in der Nähe des Inneren Palastes. Es handele sich somit um eines der Hauptheiligtümer der 55 56 57 58 59 60 61 62 63
Vgl. dazu WALBANK, Polybius (Anm. 1), 246f. Vgl. Pol. I 70,6. Vgl. Pol. I 79,8. Vgl. Pol. XV 4,7. EGELHAAF-GASER, Der triumphierende Leser (Anm. 48), 51 mit Anm. 92.; vgl. STROCKA, Kunstraub (Anm. 26), 18. Plut. Aemilius XXXII 33; vgl. Plin. nat. XXXIV 55. Dazu STROCKA, Kunstraub (Anm. 26), 18. Pol. XXXIX 3; vgl. STROCKA, Kunstraub (Anm. 26), 19. Pol. XV 27; vgl. HUSS, Ägypten (Anm. 52), 474–476 und 481. Pol. XV 27,3.
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Stadt.64 Offenbar ist derselbe Tempel gemeint, wenn Polybios weiter berichtet, dass im weiteren Verlauf der Ereignisse, als die Truppen des Tleopolemos nahe Alexandria standen, Agathokles und seine Familie vom Mob der Straße bedroht wurde. Seine Mutter Oinanthe flüchtete darauf in das Thesmophorion, welches wegen eines jährlichen feierlichen Opfers geöffnet war.65 Dort warf sie sich als erste vor den Statuen der Göttinen (Demeter und Kore) auf die Knie, flehte diese gestikulierend an und setzte sich dann schutzsuchend an den Altar. Andere vornehme Frauen, die ihr beistehen wollten, ließ sie durch ihre „Stockträgerinnen“ vertreiben und prophezeite, dass sie sie bald das Fleisch ihrer eigenen Kinder kosten lassen würde. Daraufhin erhoben die Damen ihre Hände zu den Göttinnen und beteten, dass Oinanthe das Los ereile, welches sie anderen wünsche.66 Demeter Thesmophoros war die Göttin der menschlichen Zivilisation, sie lehrte die Menschen Säen und Ernten, führte Recht und Ehe ein, die Fundamente der Gesellschaft. So dürfte sie auch mit Isis verbunden worden sein.67 Jedenfalls hatte sich Oinanthe in ein prominentes Heiligtum geflüchtet, wurde aber am nächsten Tag, als man Agathokles und seine Familie dem Mob auslieferte, vom Altar des Thesmophoreions weggerissen, nackt auf ein Pferd gesetzt, zum Stadion gebracht und dort gelyncht.68 Während Polybios die Danae-Szene als Asebie des Agathokles wertet, der das Tempelasyl schamlos verletzt, bleiben die Urheber der zweiten Übertretung göttlichen Rechts namenlos, ja der Geschichtsschreiber führt den immer größer werdenden Blutdurst der Menge und ihre außer Kontrolle geratene Aggression gegenüber Agathokles und seiner Familie darauf zurück, dass die Grausamkeit der Ägypter schrecklich sei, wenn ihr Zorn einmal hervorgerufen werde.69 Letztlich werden die Untaten des Agathokles ja auch auf diese Weise bestraft. Ohne dass Polybios darauf weiter eingeht, erfahren wir nebenbei von einem Thesmophorienopfer und einem Demeterkult in Alexandria, der angesichts der Teilnahme vornehmer Damen eine große Prominenz gehabt haben dürfte. 64 P. M. FRASER, Ptolemaic Alexandria, 3 Bde., hier Bd. I, Oxford 1972, 199; vgl. HUSS, Ägypten (Anm. 52), 481; WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 489, weist darauf hin, dass es ein Stadtviertel namens Eleusis gab. 65 FRASER, Ptolemaic Alexandria, Bd. I (Anm. 64), 199; anders WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 490 und Abel 1983, 284, die den Tempel außerhalb der Stadt am Gestade des Hadra-Sees vermuten. WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 489 geht von zwei Demeterheiligtümern in Alexandria aus. 66 Pol. XV 29, 8–14. HUSS, Ägypten (Anm. 52), 481, interpretiert die Stelle so, dass Oinanthe versuchte, sich die Göttinnen „mit magischen Mitteln geneigt zu stimmen“. Offenbar deutet er so ihren von Polybios als übertrieben geschilderten Gebetsgestus. Offenbar hatte die griechisch/makedonische Einwohnerschaft von Alexandria die Thesmophorien nach attischem Vorbild eingerichtet. Sie dürften demnach vom 11.–13. Tag des attischen Monats Pyanopsion (Oktober/November) gefeiert worden sein: K. ABEL, Polybios Buch 14: Res Aegypti, in: Historia 32 (1983), 268–286, hier 284; vgl. HUSS, Ägypten (Anm. 52), 482 Anm. 70. Demetria und Thesmophoria sind für Alexandria auch in den Zenon-Papyri bezeugt; vgl. die Belege bei FRASER, Ptolemaic Alexandria, Bd. II (Anm. 64), 334f. 67 FRASER, Ptolemaic Alexandria, Bd. I (Anm. 64), 199. 68 Pol. XV 33,8–10; vgl. HUSS, Ägypten (Anm. 52), 485. 69 Pol. XV 33,10.
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III. DIE RELIGION DER RÖMER Aus seiner distanzierten Betrachtungsweise heraus charakterisiert Polybios, wie schon bereits oben erwähnt, die Religion der Römer als Grundlage für die Überlegenheit ihres Gemeinwesens. Die Leistung einer Staatsreligion zur Disziplinierung der unaufgeklärten Massen war dem griechischen Beobachter des 2. Jahrhunderts v.Chr. bei der Betrachtung des römischen Staatswesens besonders auffällig. Hubert Cancik konstatiert, dass die alten Römer mit mehr pietas und weniger Skrupeln ihre Feste gefeiert haben, als Polybios annahm, der den Auftrag gespürt zu haben scheint, den Glauben des römischen Volkes vor der Gewalt der griechischen Aufklärung schützen zu müssen. Reichtum, Vielfalt, Tiefsinn der römischen Religion seien dem Geschichtsschreiber wohl nicht recht aufgegangen, und seine undialektische Aufklärung greife zu kurz. Aber auch Livius lobt die Rituale, mit denen der Stifter der römischen Religion, Numa Pompilius, das gewalttätige und ohne Krieg dem Luxus ergebene Volk zusammengehalten habe. Götterfurcht (deorum metus) und Rituale (caeremoniae, sacra) ersetzen Feindesfurcht (metus hostium) und militärische Zucht (disciplina militaris).70 Das Argument, das Imperium Romanum verdanke sich der Frömmigkeit der Römer und die Aufnahme aller Kulte, ist mehrfach rezipiert worden. Es findet sich sowohl bei Cicero als auch später bei Minucius Felix.71 Die Römer haben demnach die schlichte Gotteserkenntnis der Vorfahren und aller Völker summiert, was ihren Erfolg erkläre.72 Polybios versucht, wie gesagt, rationalistisch die Überlegenheit des römischen Staatswesens gegenüber demjenigen der Karthager auch darin zu sehen, dass die naive Gottesfurcht auch die Heiligkeit des Eides sichert und es keiner weiteren Kontrolle der Magistrate bedarf. So reiht sich diese Episode in die Komposition des sechsten Buches ein, welches ja die berühmte Lehre von den Verfas-
70 H. CANCIK, H. CANCIK-LINDEMAIER, Römische Religion im Kontext. Kulturelle Bedingungen religiöser Diskurse, Tübingen 2008, 296. Dazu Liv. I 19,1. 71 Cic. nat. III 5: harum ego religionum nullam umquam contemnendam putavi mihique ita persuasi, Romulum auspiciis, Numam sacris constitutis fundamenta iecisse nostrae civitatis, quae numquam profecto sine summa placatione deorum inmortalium tanta esse potuisset; vgl. Minuc. Felix VI 1,2: inde adeo per universa imperia, provincias oppida videmus singulos sacrorum ritus gentiles habere et deos colere municipes, ut Eleusinios Cererem, Phrygas Matrem, Epidaurios Aesculapium, Chaldaeos Belum, Astarten Syros, Dianam Tauros, Gallos Mercurium, universa Romanos. Sic eorum potestas et auctoritas totius orbis ambitus occupavit, sic imperium suum ultra solis vias et ipsius oceani limites propagavit, dum exercent in armis virtutem religiosam, dum urbem muniunt sacrorum religionibus, castis virginibus, multis honoribus ac nominibus sacerdotum, dum obsessi et citra solum Capitolium capti colunt deos, quos alius iam sprevisset iratos, et per Gallorum acies mirantium superstitionis audaciam pergunt telis inermes, sed cultu religionis armati, dum captis in hostilibus moenibus adhuc ferociente victoria numina victa venerantur, dum undique hospites deos quaerunt et suos faciunt, dum aras extruunt etiam ignotis numinibus et Manibus. Sic, dum universarum gentium sacra suscipiunt, etiam regna meruerunt. Hinc perpetuus venerationis tenor mansit, qui longa aetate non infringitur, sed augetur: quippe antiquitas caerimoniis atque fanis tantum sanctitatis tribuere consuevit quantum adstruxerit vetustatis. 72 RÜPKE, Religion der Römer (Anm. 2), 214.
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sungen und deren Vergleich enthält.73 Gerade die Mitglieder der Eliten zeigen ihre Verbundenheit mit den Göttern öffentlich. So opfert beispielsweise die Mutter der Scipionen in mehreren Tempel für den Wahlsieg eines ihrer Söhne.74 In diesem Zusammenhang erscheint auch die berühmte Beschreibung eines adligen Leichenbegängnisses mit einer pompa imaginum, dem Zug der Bilder der verstorbenen Vorfahren in Rom. Es handelt sich hier wohl um die älteste Beschreibung des Leichenzuges eines römischen Senators, der zu dem exklusiven Kreis der Nobilität gehörte, wobei davon ausgegangen werden darf, dass Polybios hierbei Augenzeuge war.75 Damit ist er die wichtigste Quelle für ein römisches Begräbnis.76 Zusammen mit Plinius dem Älteren gibt Polybios außerdem die literarisch wertvollste Beschreibung der Porträts (imagines, eikona) der Verstorbenen.77 Er etikettiert die Imagines als realistische Porträtmasken, die von Personen, die von Größe und Gestalt den Dargestellten möglichst ähnlich sind, während der Beerdigungsprozession getragen und normalerweise in hölzernen Schreinen im Atrium des Hauses aufbewahrt werden. Dass der Autor hier von naidia, Schreinen, spricht, bezieht sich einerseits auf das Aussehen dieser Schränkchen und deutet andererseits deren kultische Funktion an. Wahrscheinlich ist, dass die Schreine an Feiertagen geöffnet wurden, um deren solemnen Charakter zu unterstreichen. Andererseits könnte ihr Schließen Trauer signalisieren.78 Polybios betont ferner die Theatralik dieser Parade von berühmten Vorfahren in jeglicher Hinsicht: Die Darsteller versuchen, die Vorfahren tatsächlich zu personalisieren. Die Totenmasken spielen hierbei eine wesentliche Rolle.79 Die beschriebene Parade war die größte Gruppe von Magistraten, ausgestattet mit den Symbolen ihrer Amtsgewalt, welche ein römischer Bürger sehen konnte.80 Die Totenrede, gehalten von einem Sohn des Verstorbenen, der bereits die toga virilis tragen darf oder sonst einem nahen Verwandten, wird von Polybios als eindrucksvoll beschrieben. Es ist jedoch bemerkenswert, dass solche laudationes in Schriften über die antike Theorie der Rhetorik nicht vorkommen und Cicero sie eher als uninteressant und primitiv abtut.81 Dass die Rede von der Rostra aus gehalten wurde, unterstreicht 73 Pol. VI 3–10. 74 Pol. X 4,4. 75 H. I. FLOWER, Ancestor Masks and Aristocratic Power in Roman Culture. Oxford/New York 1996, 37; vgl. PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 41f. 76 Ebd. 91. 77 Plin. nat. XXXV 4–14. 78 FLOWER, Ancestor Masks (Anm. 75), 208, mit Literatur. 79 Vgl. FLOWER, Ancestor Masks (Anm. 75), 37. 80 FLOWER, Ancestor Masks (Anm. 75), 91. 81 Cic. Brutus I 6,1–2 und orat. 2,341: [341] Nec illud tertium laudationum genus est difficile, quod ego initio quasi a praeceptis nostris secreveram; sed et quia multa sunt orationum genera et graviora et maioris copiae, de quibus nemo fere praeciperet, et quod nos laudationibus non ita multum uti soleremus, totum hunc segregabam locum; ipsi enim Graeci magis legendi et delectationis aut hominis alicuius ornandi quam utilitatis huius forensis causa laudationes scriptitaverunt: quorum sunt libri, quibus Themistocles, Aristides, Agesilaus, Epaminondas? Philippus, Alexander aliique laudantur; nostrae laudationes, quibus in foro utimur, aut testimoni brevitatem habent nudam atque inornatam aut scribuntur ad funebrem contionem, quae
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ihren politischen Charakter, wenn es sich doch auch um einen privaten Anlass handelt. Zunächst wird über den Verstorbenen gesprochen, dann, beginnend mit dem Ältesten, über die Taten seiner durch ihre Masken versammelten Vorfahren. Für Polybios steht der erzieherische Charakter der gesamten Zeremonie im Vordergrund, die Erinnerung an die Verdienste der hervorragenden Männer der Nobilität werde so immer wieder erneuert und gebe Beispiel für die Jugend, für das Vaterland alles zu ertragen, um ebenfalls zu Ruhm zu gelangen. Diese Demonstration von Macht, Reichtum und Tradition sollte vor allem die jungen Römer beeindrucken.82 Die Parade der Vorfahren veranschaulicht bildhaft den Vorrang des Staatswohls vor privaten Interessen, sie vermittelt gleichzeitig eine Atmosphäre von Trauer und Gloria. Einen ähnlichen Zweck verfolgt später Vergils fiktive Parade der römischen Helden im sechsten Buch seiner Aenäis, wobei er aber natürlich keine reale Pompa beschreibt.83 Die in der Leichenrede geäußerten Angaben über magistratische Ämter und öffentliche Leistungen des Verstorbenen und seiner Vorfahren sind für die gesamte res publica von Bedeutung. Das Spektakel vor der Menge zeigt die aktive Rolle der Ahnen; die Toten wehren durch ihre Präsenz den Vorwurf ab, das Ganze sei doch nur Fiktion, und die Lebenden werden zur Nachahmung verpflichtet. Gleichsam dienen Bestattungsrituale der Neukonstituierung der Familie, besonders auch die Reihenfolge im Leichenzug. Vergleichbares fehlt im griechischen Bereich, so dass Polybios offenbar gerade diesen Unterschied hervorheben will.84 In den Fragmenten des zwölften Buches, welches im Wesentlichen einen Generalangriff auf das Geschichtswerk des Timaios darstellt, findet sich die Erwähnung eines religiösen Festes in Rom. So schreibt Polybios, dieser habe in seiner Geschichte des Pyrrhos fälschlicherweise behauptet, die Römer hätten zum Andenken an den Untergang Trojas an einem bestimmten Tag auf dem Marsfeld ein Pferd mit einer Lanze getötet.85 Er verwirft die Begründung des Timaios als albern, dass dieser Brauch auf die Eroberung Trojas mit Hilfe eines hölzernen Pferdes zurückgehe. Dann nämlich wären fast alle Barbaren Nachkommen der Trojaner, da die meisten vor einem Krieg Pferde opferten, um aus der Art, wie es fällt,
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ad orationis laudem minime accommodata est. Sed tamen, quoniam est utendum aliquando, non numquam etiam scribendum, vel ut Q. Tuberoni Africanum avunculum laudanti scripsit C. Laelius, vel ut nosmet ipsi ornandi causa Graecorum more, si quos velimus, laudare possimus, sit a nobis quoque tractatus hic locus; vgl. FLOWER, Ancestor Masks (Anm. 75), 133. CANCIK/CANCIK-LINDEMAIER, Aufsätze (Anm. 8), 335. Verg. Aen. VI 756–886. Vgl. FLOWER, Ancestor Masks (Anm. 75), 110f. und RÜPKE, Religion der Römer (Anm. 2), 118. Pol. XII 4b: καὶ μὴν ἐν τοῖς περὶ Πύρρου πάλιν φησὶ τοὺς Ῥωμαίους ἔτι νῦν ὑπόμνημα ποιουμένους τῆς κατὰ τὸ Ἴλιον ἀπωλείας ἐν ἡμέρᾳ τινὶ κατακοντίζειν ἵππον πολεμιστὴν πρὸ τῆς πόλεως ἐν τῷ Κάμπῳ καλουμένῳ, διὰ τὸ τῆς Τροίας τὴν ἅλωσιν διὰ τὸν ἵππον γενέσθαι τὸν δούριον προσαγορευόμενον, πρᾶγμα πάντων παιδαριωδέστατον: οὕτω μὲν γὰρ δεήσει πάντας τοὺς βαρβάρους λέγειν Τρώων ἀπογόνους ὑπάρχειν: σχεδὸν γὰρ πάντες, εἰ δὲ μή γ᾽, οἱ πλείους, ὅταν ἢ πολεμεῖν μέλλωσιν ἐξ ἀρχῆς ἢ διακινδυνεύειν πρός τινας ὁλοσχερῶς, ἵππον προθύονται καὶ σφαγιάζονται, σημειούμενοι τὸ μέλλον.
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Vorzeichen für den Ausgang des Kampfes entnehmen zu können. Außer diesem kurzen Streiflicht auf barbarische Bräuche, auf die noch kurz einzugehen sein wird, haben wir hier eine Beschreibung des Ritus des equus october. Timaios beendet sein Geschichtswerk mit dem Jahr 264 v.Chr., als die Römer sich zum ersten Mal daran machten, Sizilien zu erobern. Seine Heraushebung des Trojamythos liegt nach Frank Walbank vielleicht darin begründet, dass Pyrrhos sich als Nachkommen des Achilles sah.86 Timaios zeigt sich dabei vertraut mit dem römischen Mythos, von den Karthagern abzustammen, und auch mit der römischen Topographie, wenn er den Campus Martius erwähnt. Ein Rennen an den Iden des Oktober auf dem Marsfeld ist bei verschiedenen späteren Autoren beschrieben. Das rechte Pferd des Wagens, der gewonnen hat, wurde danach durch den flamen Martialis wahrscheinlich mit einer Lanze getötet, und um seinen Kopf gab es einen Wettstreit zwischen den Bewohnern der Via Sacra und der Subura. Der Gewinner nagelte ihn an den Mamilianischen Turm respektive an die Regia. Der Schwanz wurde in die Regia verbracht, wo die Vestalinnen das Blut für religiöse Riten an den Paralia aufbewahrten.87 Offenbar handelte es sich ursprünglich um einen rituellen Entsühnungsakt für das aus den Sommerfeldzügen heimgekehrte Heer.88 Aber auch für das so wohl geordnete Rom verzeichnet Polybios irrationale Krisenrituale. So sei Rom vor der Schlacht bei Cannae voller abergläubischer Prodigien gewesen,89 und als Hannibal sich der Stadt näherte, flehten die Frauen in den Tempeln um die Hilfe der Götter, indem sie die Tempelböden mit ihren Haaren fegten, was als Unterwerfungsritual gedeutet werden kann.90
IV. RELIGIÖSE BRÄUCHE BEI FREMDEN VÖLKERN Wie angeführt, erwähnt Polybios beiläufig, dass die Barbaren vor einer Schlacht oder einem entscheidenden Kampf ein Pferd opferten, um aus der Art, wie es fällt, den Ausgang zu deuten. Pferdeopfer sind für viele Völker belegt, Herodot beispielsweise nennt in dieser Hinsicht Skythen, Perser und Massageten, Tacitus die Parther.91 Außerdem gibt es neuere archäologische Zeugnisse aus Germanien und insbesondere aus den keltischen Heiligtümern vor allem in der Picardie, wo vollständige Pferdekadaver in Gruben von Kultplätzen gefunden werden konnten.92 86 WALBANK, Polybius (Anm. 1), 172f. 87 Festus, p. 178 M (p. 190 11 Lindsay), der den Bezug auf Troia auch als falsch verwirft; Plut. mor. 287A; Ov. fast. IV 731–735; Propert. IV 1,19f. Dazu A. HOFENEDER, Die Religion der Kelten in den antiken literarischen Zeugnissen. Sammlung, Übersetzung und Kommentierung, Bd. I: Von den Anfängen bis Caesar, Wien 2005, 97. 88 WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 327f. 89 Pol. III 112,8. 90 Pol. IX 6,3,4; vgl. Liv. XXVI 9,7; vgl. WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 125. 91 Hdt. IV 2; VII 113, vgl. Ov. fast. I 385; Hdt. I 216,4; Tac. ann. VI 37. 92 Zu Germanien: vgl. H. STEUER, Pferdegräber, in: RGA XXIII (22003), 24–35; zu Gallien vgl. J.-L. BRUNAUX (Hrg.), Les sanctuaires celtiques et leurs rapports avec le monde méditerranéen, Paris 1991, passim.
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Der Begriff barbaros kommt im Geschichtswerk des Polybios insgesamt 77mal vor und wird von ihm am häufigsten auf die Kelten oder Galater angewandt. Damit wird er bei dem Pferdeopfer besonders an diese gedacht haben. Dass aus dem Fallen des Tieres die Zukunft vorhergesagt wurde, findet sich nur bei Polybios und stellt eine interessante Interpretation dieser Opfer dar.93 Für die Lusitanier ist beispielsweise durch Strabon bezeugt, dass die Opferschauer einem Kriegsgefangenen in den Leib stechen und nach der Art, wie der Körper fällt, wahrsagen.94 Polybios liefert hier einen wertvollen Hinweis auf einen mit dem Krieg in Zusammenhang stehenden Pferdeopferritus, den wohl auch die Kelten praktiziert haben dürften. Die Galater stellten für ihn den Inbegriff eines barbarischen Volkes dar, hatten sie nicht Delphi und auch als Besatzungstruppen und Verbündete der Epiroten den berühmten Tempel der Aphrodite in Eryx geplündert, dessen Schönheit er beschreibt?95 Schließlich sei noch eine Episode aus dem Jahre 223 v.Chr. erwähnt. Die keltischen Insubrer holten vor dem entscheidenden Kampf gegen die Römer ihre goldenen (Feld-)Zeichen (semaía), die sie die unbeweglichen nennen, aus dem Heiligtum der Athena herunter.96 Das genannte Heiligtum, welches wohl einer indigenen keltischen Kriegsgöttin geweiht war und in Mediolanum lokalisiert wird, hatte offenbar zentrale Funktionen. Nach gängiger Interpretation dürften die Feldzeichen der verschiedenen Teilstämme dort aufbewahrt worden sein, die nur bei einem gemeinsamen Kampf gegen einen auswärtigen Feind herausgeholt wurden und ansonsten unbeweglich waren. Ein vergleichbares Ereignis überliefert Caesar für die Aufständischen in Gallien 52 v.Chr.97 Bemerkt sei noch, dass Polybios an einigen Stellen beiläufig auf die Kopftrophäen der Kelten,98 ihre Nacktheit und ihren Schmuck mit Torques99 und ihren Mondkult eingeht.100
V. SCHLUSS Vor einigen Jahren wurden in einem dem Zeus geweihten Temenos, das sich direkt an das Bouleuterion im arkadischen Megalopolis anschließt, 50 Ziegel mit Stempel von Stiftern gefunden. Vertreten sind die Namen Philopoimen, Aristion und Polybios. Der Bericht hierüber sowie die Interpretation dieser wichtigen Fun-
93 Vgl. WALBANK, Commentary II (Anm. 5), 328. 94 Strab. III 3,6f.; vgl. dazu HOFENEDER, Religion der Kelten (Anm. 87), 97f. mit Literatur. 95 Pol. II 7,10; vgl. I 55,7f. Zum Tempel und seiner berühmten Tempelprostitution vgl. auch Diod. IV 83 u. Paus. VIII 24,6; dazu WALBANK, Commentary I (Anm. 5), 118f. 96 Pol. II 32,5f. 97 Caes. Gall. VII 2,1–3; vgl. HOFENEDER, Religion der Kelten (Anm. 87), 92. 98 Pol. III 67,2,3; II 28,10. 99 Pol. II 29,5–7; III 114,4. 100 Am 1. September 218 bei den Galatern: Pol. V 78,1f; vgl. HOFENEDER, Religion der Kelten (Anm. 87), 96.
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de finden sich in diesem Band.101 Der Text des Stempels „Aus dem Betrieb des Homilos. Öffentliche (Dachziegel). Polybios hat (es) geweiht“ der in drei gleich lautenden Exemplaren in unterschiedlichen Erhaltungszuständen gefunden wurde, deute darauf hin, dass der Geschichtsschreiber das Dach oder einen Teil davon wohl nach seiner Rückkehr aus Rom nach 146 v.Chr. erneuert habe, als er in seiner Heimatstadt eine beherrschende Rolle gespielt haben dürfte.102 Demnach haben sich mit Polybios und Philopoimen zwei der wichtigsten Politiker aus Megalopolis mit gleicher Leistung in einem der wohl wichtigsten öffentlichen Heiligtümer der Stadt verewigt. So bleibt zum Schluss die Frage, ob der Geschichtsschreiber, der, wie zu Anfang erwähnt, aus einer philosophischen Grundhaltung in der Religion nur ein Mittel zur Disziplinierung der Bevölkerung sah, mit seiner frommen Stiftung nicht genau das Gegenteil demonstriert. Angesichts dessen, dass wir es mit einer Dedikation im direkt neben dem politischen Zentrum der Stadt gelegenen öffentlichen Zeusheiligtum zu tun haben, steht doch hier eher der Euergetismus und damit der politische Nutzen im Vordergrund. Dennoch lässt sich der religiöse Anlass nicht leugnen und so ist an die für Rom postulierte Vorbildfunktion des Magistraten zu denken, die auch und gerade für den kultischen Bereich gilt. Widersprüchlich zu seiner Grundhaltung bleiben eher die geschilderten Episoden menschlichen Frevels an den Göttern und die Bestrafung der Frevler, die eben nicht auf die Tyche zurückgeht.103 Große Sünden bestrafen die Götter also auch dann, wenn man den Glauben an ihr unmittelbares Eingreifen als Deisidaimonia abqualifiziert. Das Geschichtswerk des Polybios entzieht sich, wie ich zu zeigen versucht habe, einer klaren Positionierung in religiösen Fragen. Die Haltung des Autors lässt sich eben nicht genau bestimmen, wie dies in der Forschung mehrfach versucht wurde. Es ist weder möglich, eine persönliche religiöse (und nichtatheistische) Haltung des Polybios zu bestimmen,104 noch ihn als einen vom Stoizismus geprägten Anhänger einer „civic religion“ zu beschreiben.105 Er versucht vielmehr sich selbst als philosophisch gebildeter distanzierter Beobachter zu stilisieren, was ihm jedoch nicht immer gelingt. Dass er religiöse Haltungen und Gefühle völlig vernachlässigt, ist die Konsequenz seiner literarischen Distanz als Geschichtsschreiber.106
101 Vgl. hier den Beitrag von Martin Tombrägel sowie LAUTER, „Polybios hat es geweiht…“ (Anm. 4), 381–385 – siehe jetzt auch H. LAUTER, H. LAUTER-BUFE, Politische Bauten von Megalopolis, Darmstadt 2011. 102 ΟΜΙΛΟΥ ΔΑΜΟϹΙΟΙ ΠΟΛΥΒΙΟϹ ΑΝΕΘΕΚΕ; vgl. LAUTER, „Polybios hat es geweiht…“ (Anm. 4), 380f. 103 Vgl. PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 55f. 104 So PÉDECH, Les idées religieuses de Polybe (Anm. 1), 38. 105 VAN HOOF, Polybius’ Reason (Anm. 1), besonders 115–118. 106 Vgl. VAN HOOF, Polybius’ Reason (Anm. 1), 118 und besonders 127f.
LITERATURVERZEICHNIS N.B.: Das folgende Literaturverzeichnis stellt keine Forschungsbibliographie zu Polybios dar, sondern erfasst in alphabetischer Reihenfolge die in den Beiträgen zitierte Literatur; für eine umfangreiche und aktuelle Bibliographie siehe B. Dreyer, Polybios. Leben und Werk im Schatten Roms, Hildesheim/Zürich/New York 2011, 152–169. Aalders, G. J., Die Theorie der gemischten Verfassung im Altertum, Amsterdam 1968 Abel, K., Der Tod des Ptolemaios IV. Philopator bei Polybios. Eine historisch-textkritische Studie, in: Hermes 95 (1967), 71–90 Abel, K., Die kulturelle Mission des Panaitios, in: A & A 17 (1971), 127–143 Abel, K., Polybios Buch 14: Res Aegypti, in: Historia 32 (1983), 268–286 Achleitner, H., Polybios’ Philopoimen-Biographie als Quelle für Livius, in: Hermes 110 (1982), 499–502 Albentiis, E. De, La Casa dei Romani, Mailand 1990 Alcock, S. E., Graecia Capta. The Landscapes of Roman Greece, Cambridge 1993 Alonso-Núñez, J. M., Die Abfolge der Weltreiche bei Polybios und Dionysios von Halikarnassos, in: Historia 32 (1983), 411–426 Alonso-Núñez, J. M., Aemilius Sura, in: Latomus 48 (1989), 110–119 Alonso-Núñez, J. M., The Emergence of Universal Historiography from the 1st to the 2nd Centuries BC, in: H. Verdin, G. Schepens, E. De Keyser (Hrgg.), Purposes of History, Proceedings of the International Colloquium, Leuven, 24–26 May 1988, Leuven 1990, 173–192 Alonso-Núñez, J. M., The mixed constitution in Polybius, in: Eranos 97 (1999), 11–19 Ameling, W., Ethnography and Universal History in Agatharchides, in: T. C. Brennan, H. I. Flower (Hrgg.), East & West. Papers in Ancient History presented to Glen W. Bowersock, Cambridge/Mass. 2008, 13–59 Archibald, Z. K., J. K. Davies, V. Gabrielsen (Hrgg.), The Economies of the Hellenistic Societies, Third to First Century BC, Oxford 2011 Arnim, H. von, Leben und Werke des Dio von Prusa: 1. Kapitel – Sophistik, Rhetorik, Philosophie in ihrem Kampf um die Jugendbildung, Berlin 1898 Aron, R., Frieden und Krieg: eine Theorie der Staatenwelt, Frankfurt/Main 1963 Asboeck, A., Das Staatswesen von Priene in hellenistischer Zeit, München 1913 Asheri, D., u.a., A Commentary on Herodotus I–IV, Oxford 2007 Astin, A. E., Scipio Aemilianus, Oxford 1967 Aujac, G., Strabon et son temps, in: W. Hübner (Hrg.), Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in der Antike 2: Geographie und verwandte Wissenschaften, Stuttgart 2000, 103–139 Austin, M. M., Hellenistic Kings, War, and the Economy, in: CQ 36 (1986), 450–466 Aymard, A., Le Zeus fédéral achaien Hamarios-Homarios, in: Mélanges offerts à M. Octave Navarre par ses élèves et ses amis, Toulouse 1935, 453–470 Aymard, A., Le rôle politique du sanctuaire achaien, in: Annuaire de l’Institut de Philologie et d’Histoire orientales et slaves, Bd. IV: Mélanges Franz Cumont, Brüssel 1936, 1–26 Aymard, A., Les assemblées de la Confédération achaienne. Étude critique d’institutions et d’histoire, Paris 1938 Badian, E., Livy and Augustus, in: W. Schuller (Hrg.), Livius. Aspekte seines Werkes, Konstanz 1993, 9–38 Balot, R. K., Greed and Injustice in Classical Athens, Princeton 2001
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INDICES Index nominum Abilyx (Iberer): 95 Abydos: 89; 93 Achaia / Achaier / Achaiisches Koinon: 18; 50; 52; 62; 75; 91; 94; 138; 144–146; 153; 160; 163; 170–175; 177–181; 184; 187–188; 191–192; 194; 197–202; 212–213; 215–216; 220–225; 227; 235–236; 242–243; 277; 279; 297; 311 Achaios (Seleukide): 228f. Achaios (achaiischer Politiker): 311 Achilles: 316 Adria: 62; 120–121 Ägypten / Ptolemäerreich: 51; 65; 94; 227; 245; 291; 312 Aelius Aristides: 68 Aemilius Paullus: 118–119; 253; 255; 311 Aemilius Sura: 62–66; 69 Afrika (Nordafrika): 51; 54; 59; 118; 273; 279 Ägäis: 198; 247; 282 Agatharchides von Knidos: 116–117 Agathokles (Ägypter): 76–77; 96; 241; 311– 312 Agelaos (Aitoler): 19; 236; 244 Agis IV.: 206 Agrigent: 55; 252 Agron (Illyrer): 220 Aigion: 175; 179 Aigion, Zeus Homarios-Heiligtum: 175; 179 Aineias Taktikos: 152 Ainos: 241 Aithiopen: 65 Aitolien / Aitoler / Aitolisches Koinon: 18; 52; 118f.; 146; 162f.; 190; 201; 220– 222; 226–228; 230; 236; 243f.; 254– 256; 306f.; 309f. Akarnanien / Akarnanen / Akarnanisches Koinon: 89; 119; 189f.; 213; 227 Akrokeraunischen Berge: 123 Alexander der Große: 20; 59–62; 65–67; 69; 78; 147f.; 150; 241f.; 246f.; 256f.; 257; 263f.; 264; 306 Alexanderreich: 80 Alexandreia: 76; 85; 96; 224; 227–229; 231; 237; 241; 251f.; 262; 310–312
Alexandreia, Heiligtum der Demeter: 311f. Alexandreia, Eleusis (Stadtviertel): 312 Alexandreia, Hadra-See: 312 Alexandreia, Stadion: 312 Alexandreia, Statue der Kleio: 252 Alipheira: 253 Alipheira, Statue der Athena: 253 Alkibiades: 20 Alpen: 118; 246; 273 Amanos-Pforte: 147 Ambrakia: 119; 132; 145; 255 Amyntas: 246 Andriskos (Pseudophilippos): 73f.; 86f.; 106f. Andromachos (Vater des Achaios): 228f. Anonymus Byzantinus: 140 Antigoneia: 122f. Antigoniden: 62f.; 66f.; 69; 257 Antigonos Doson: 207; 224–226; 228; 238; 256; 261; 277 Antigonos Monophthalmos: 308 Antikyra (Phokien): 90 Antiocheia: 253 Antiochos III. Megas: 18f.; 54f.; 63–65; 67; 81; 85f.; 86; 100; 119; 221; 228–230; 236; 238–240; 245; 248; 254f.; 275 Antiochos IV. Epiphanes: 253; 255; 309 Antiphatas (Kreter): 297 Antisthenes (Historiker): 160 Apame: 231 Apollo: 305 Apollodoros (Historiker): 291 Apollonia / Apolloniaten: 220 Apollophanes (Seleukidischer Leibarzt): 241 Appian: 59; 63; 68; 220; 241 Apulien: 120 Arabien / Arabia Felix: 116 Aratos: 83; 144; 146; 162; 175; 196f.; 205; 219; 223f.; 226f.; 235; 242; 287; 297; 311 Archimedes: 275 Ardaxanos (Fluß; heute wohl Drinos): 122 Ares: 305 Argos: 118; 188; 243 Aristainos: 160; 235; 242; 243
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Index nominum
Aristarch von Alexandreia: 291 Aristion von Megalopolis: 317 Aristodamos von Megalopolis: 297 Aristomenes (Ägypter): 310 Aristoteles: 20f.; 283; 289; 293; Arkadien / Arkader: 51f.; 129; 253; 260; 294; 297 Arkadien, Zeus Tempel: 302 Arkesilaos: 286; 297 Arrian: 27; 131 Arsinoe III.: 311 Asia Minor: 54; 65; 88; 227 Asien: 15; 18; 61f.; 65–67; 94; 238; 247; 306 Assyrer: 60f.; 63–65; 67–69 Astymedes von Rhodos: 198; 282 Athen / Athener: 28f.; 34–37; 53f.; 84; 90; 118; 160; 166; 179; 190; 192–200; 204; 213; 216; 221; 227; 262f.; 276; 278f.; 310 Athen (Stadt): 51; 253; 308; 310 Athen, Altar und Heiligtum der Anaideia (Impudentia): 310 Athen, Dipylon: 308 Athen, Altar und Heiligtum der Hybris (Contumelia): 310 Athen, Olympieion: 253; 309 Athen, Piräus: 195 Athenaios: 309 M. Atilius Regulus: 88 Attaliden: 262 Attalos I. Soter: 227; 229; 238; 254f.; 293; 308 Attalos II. Philadelphos: 193; 291; 309 Attalos III. Philometor Euergetes: 291 Atticus: s. T. Pomponius Atticus Attika: 195 Aufidius Bassus: 28f. Augustus: 53; 67 Aulis: 118 Babylon: 67 Babylonien: 68 Barbanna (Fluß bei Skodra): 121; 124 Barbaren: 220; 241; 246f. Bargylia: 302 Bargylia, Artemis Kindyas-Statue: 302 Bastarnen: 246 Beroia, Säulenhalle: 309 Boiotien / Boioter / Boiotisches Koinon: 93; 245; 281f. Bosporos: 229; 280f.
Botrys (Pornograph): 295 Bouthrotos, Bucht von Phoinike: 122 Brundisium: 120 Byzantion / Byzantier: 119; 137; 160; 228– 230; 280f. Caesar: s. C. Iulius Caesar Cannae (Schlacht): 83; 92f.; 141; 152; 209; 276f.; 305; 316 Capua: 168f. Cassius Dio: 131 Cato: s. M. Porcius Cato Catull: 64 Chairon von Sparta: 298 Chalkis :118 Charops (epirotischer Herrscher): 120 Cheilon von Sparta: 89 Chios / Chier: 228; 230 Chios (Seeschlacht): 307 Chrysipp: 288; 290–292 Cicero: s. M. Tullius Cicero Claudian: 68 Claudius: 16 Claudius Quadrigarius: 49 Coelius Antipater: 49; 52 P. Cornelius Scipio Africanus (Scipio der Ältere): 78; 88; 91; 94f.; 137; 140; 153; 238; 255; 257; 302f. P. Cornelius Scipio Aemilianus (Scipio der Jüngere): 59; 63; 78; 84; 88; 91f.; 96; 192; 251; 255 Danae (Schwiegermutter des Ägypters Agathokles): 311 Daniel (Bibel): 61; 68f. Dardaner: 246 Dareios III.: 147f.; 150 Delion (Boiotien): 54 Delos: 195; 198; 201; 262; 309 Delphi: 118; 240; 243; 264; 317 Demetrios (Sohn Philipps V.): 87; 231; 240– 242; 246 Demetrios I. (Seleukide): 235; 251 Demetrios Poliorketes: 257; 308 Demetrios von Phaleron: 78–80; 84; 88; 92; 100; 110; 220; 236; 242; 289 Demochares von Athen: 167; 295 Demophanes von Megalopolis: 297 Demophilos (Sohn des Ephoros): 28 Demosthenes: 165; 167; 175; 179; 247 Dikaiarchos (Aitoler): 291; 310 Dike: 87
Index nominum Diodor: 116; 131; 165; 257; 304 Diogenes von Seleukeia: 287–295; 298f. Dion (Stadt / Heiligtum): 119; 254; 256; 307; 309 Dionysios I.: 77 Dionysios von Halikarnassos: 26f.; 29; 59; 61; 66–69; Dionysodoros (Sophist): 153 Diophanes: 235 Dodona: 123; 254; 256; 307; 309 Dorimachos (Aitoler): 307; 309 Drinon (Fluß): 121 Dyme: 243 Ebro: 56 Egesta: 276 Ekbatana: 254 Ekdemos von Megalopolis: 297 Eknomos (Seeschlacht): 140 Elaia (Aiolien): 308 Elis / Eleer: 208f.; 212; 214; 244 Elymais Artemisheiligtum: 309 Ennius: 62f.; 65 Epameinondas: 84; 145; 151; 168; 188 Ephesos: 118 Ephoros: 14; 28; 115; 149; 270 Epidamnos / Epidamnier: 220 Epidauros: 118; 244 Epimenides (Kreter): 310 Epiros / Epiroten: 121f.; 188f.; 194; 213; 227; 317 Eratosthenes: 63; 118 Erinyen: 87 Eryx: 91 Eryx Aphroditetempel: 317 Eshmoun: 305 Etrurien: 18; 278 Euhemeros: 304 Eumenes II.: 88; 90; 95f.; 239f.; 246 Euphrat: 59 Euripides: 304 Europa: 15; 59; 62; 67f.; 238 Eurykleides von Athen: 194; 196; 198; 227 Eutydemos (Sophist): 153 Q. Fabius Maximus Cunctator: 256 Fabius Pictor: 56; 120; 219f.; 270 Flavius Josephus: 29; 131 Cn. Fulvius Centumalus: 220 M. Fulvius Nobilior: 255 Gaia: 305
339
Galater / Galatische Söldner: 88; 96; 194; 221; 246; 317; Gallia Cisalpina: 30 Gallien: 51; 66; 316f. Gaugamela (Schlacht): 67 Genthios (Illyrerkönig): 74; 118; 121; 246 Germanien: 316 Gindaros: 118 Gitana: 90 Glaukon: 283 Griechen / Hellenen: 36–39; 41; 66; 81f.; 123; 148; 193; 203; 220f.; 244; 246f.; 253; 265; 271; 275; 278; 281f.; 297; 303 Griechenland / Hellas: 18; 31; 35; 42; 50f.; 62; 73; 118–120; 137; 156; 188; 228; 230; 244; 246f.; 251; 254; 288; 305f.; 309; 311 Gulussa (Numider): 89 Hades: 303 Haimos (Berg): 241 Hamilkar: 140 Hamilkar Barkas: 54; 239 Hannibal (karthagischer General im Ersten Punischen Krieg): 104 Hannibal: 54; 56f.; 57; 78; 81; 83; 88f.; 91– 93; 96; 137; 140; 145; 150f.; 160; 168f.; 171; 221; 234; 238f.; 244; 246; 273; 275; 277; 305f.; 316 Hanno: 140 Hasdrubal: 56; 89; 100; 221; 241 Hegesias von Lampsakos: 163f. Heirkte (Bergmassiv bei Panormos): 140 Hekataios: 114 Hekatombaion (Schlacht): 224 Helios: 305 Hellespont: 227; 310 Hera: 305 Hera Lakinia (Heiligtum): 160 Herakleides Pontikos: 289; 294 Herakleion: 119 Herakles: 305 Hermeias (Seleukidischer Hofbeamter): 241 Hermione: 188 Herodian: 131 Herodot: 15; 30; 33; 36; 47; 60f.; 66; 69; 113; 116; 124; 129; 131; 148; 276; 316 Hiera Kome (Artemistempel): 308 Hierapytna: 179 Hieron II.: 94 Hieronymus: 68
340
Index nominum
Hipparch (Geograph): 44; 118 Homer: 33 A. Hostilius Mancinus: 90 Hyperbaton (Achaier): 171 Iasos: 217; 302 Iasos, Artemis Astias-Statue: 302 Iberien / Iberische Halbinsel (Spanien): 51; 54; 56; 94f.; 118; 137f.; 221; 273 Ilion (Troja): 63; 84; 291; 315; 316 Ilipa (Schlacht): 73; 87; 140 Illyrien / Illyrer: 114; 120–123; 220f. Insubrer: 94; 317 Iolaos: 305 Ionien: 118 Isis: 312 Issos (Schlacht): 145; 147; 149 Istros (Fluss): 62 Italische Halbinsel (Italien): 18f.; 51; 55; 57; 88; 118; 120; 210; 235; 243f.; 246; 251; 254; 273; 275f.; 279; 282 Italien, Norditalien / Oberitalien: 30; 137f.; 246; 252; 281 Italien, Padus: 30; 274f.; 278 Italien, Unteritalien: 30; 120 C. Iulius Caesar: 64; 66; 317 Iustin: 67 Jerusalem: 309 Judaea: 68 Kallikrates (Achaier): 171–173; 191 Kallisthenes (Historiker): 147–150; 161 Kampaner: 273 Kaphyai: 137; 146 Karien: 66; 302 Karneades: 286–288; 290 Karthago / Karthager: 19; 39; 42; 54; 56; 59; 63; 84; 88f.; 91; 140; 151f.; 185; 203; 210–212; 251; 258; 263; 273; 275–279; 305f.; 311; 316 Kaunos: 282 Kelten: 137f.; 221; 247; 263; 275; 277f.; 317 Kerkyra / Kerkyraier: 220f. Kilikien: 147 Kilikische Pforte: 147 Kios: 77 Klausal (Fluß bei Skodra): 121; 124 Kleandros: 297 Kleanthes: 288; 290
Kleomenes III.: 137–139; 144; 162f.; 178; 190f.; 197; 204–207; 224; 226–228; 254f.; 258; 260f.; 264 Koilé Syrien: 18 Konstantin VII. Porphyrogennetos: 115; 122; 132 Korinth: 41; 118; 198; 221; 255; 258; 311 Kos: 217 Krateros von Athener: 167 Kratippos: 29 Kreta: 188f.; 204; 213; 243 Kritias (Sophist): 304 Kronos: 65 Ktesias: 61; 63; 66; 69 Kykladen: 310 Kykliadas (Achaier): 235 Kynaitha / Kynaithier: 129; 144; 208; 295 Kynoskephalai (Schlacht): 50; 67; 86; 94; 104 Kyrenaier: 297 Kyrrhestis: 118 Kyzikos / Kyzikener: 228 Labeaten: 121 Labeatis-See: 121 Lade (Seeschlacht): 159; 237 Lampsakos: 163 Laodike: 229 Larisa: 179 Lebadeia: 118 Leuktra (Schlacht): 145 Libyen: 15; 93 Lissos: 121; 123; 125 Livius: 8; 16; 28; 49; 50; 51–55; 64; 118– 121; 161; 239; 241f.; 263; 301; 309; 313 Lokroi Epizephyrioi: 120 Lugdunum: 118 Lusitanier: 317 Lykiskos (Aitoler): 89; 91; 244; 247 Lykortas: 160; 171; 219; 235; 287 Lykurg von Athen: 167 Lykurg von Sparta: 302f. Lysias: 165 Lysimacheia: 227 Lysimachos: 247 Machanidas (Tyrann von Sparta): 191 Magnesia (Schlacht): 65 Makedonien / Makedonen: 31; 39; 42; 59; 60–63; 65–69; 72; 74; 78; 87f.; 96; 106; 119; 191; 193; 196f.; 224–227; 229–
Index nominum 231; 235; 243; 245–248; 253f.; 305– 307; 309 Mamertiner: 100 Mantineia: 29; 36–38; 297 Mantineia (Schlacht): 145 Q. Marcius Philippus: 119 Marius Maximus (Historiker): 28 Maroneia: 241 Marsilia: 164 Massageten: 316 Medien / Meder: 60f.; 63; 65; 67–69 Mederreich: 61 Mediolanum, Athena-Heiligtum: 317 Megalopolis / Megalopoliten: 24; 118; 144; 175; 178f.; 185; 190f.; 197; 204–209; 218; 224f.; 243; 251–254; 258–261; 263–265; 287; 297; 318 Megalopolis, Agora: 259; 260; 266 Megalopolis, Aristodamos-Stoa: 259–262; 267 Megalopolis, Altar der Hestia: 178 Megalopolis, Bouleuterion: 317 Megalopolis, Demosia Oikia (sog. Verwaltungsgebäude): 259–262 Megalopolis, Heiligtum des Zeus Homarios: 178; 205; 260; 262; 264; 302 Megalopolis, Heiligtum des Zeus Soter: 259f. Megalopolis, Helisson: 259 Megalopolis, Philipps-Stoa: 259f. Megalopolis, Theater: 259 Megalopolis, Thersilion: 259–262 Melankomas von Ephesos: 228 Melkart: 305 Menas von Sestos: 161 Menenius Agrippa: 16 Messana: 53; 55; 100 Messene / Messenier: 161170; 174; 188; 190f.; 192; 204; 207–209; 213; 255; 264; 287; Mikion von Athen: 194; 196; 198; 227 Milet: 302 Militaia: 144 Minucius Felix: 313 Mithradates VI.:Eupator: 218 Molon: 137f. Molosser: 90; 270 L. Mummius: 311 Nabis von Sparta: 242f.; 255; Naupaktos: 19; 242 Nearchos von Orchomenos: 177
341
Nepos: 30; 64f. Nero: 16 Nestor: 91 Nikias von Athen: 144; 279; 303; 304 Nikokles von Sikyon: 297 Nikomachos von Rhodos: 228f. Nikophanes von Megalopolis: 225f. Ninus: 63 Novaria: 30 Numa Pompilius: 313 Numidier: 273 Odysseus: 51 Oinanthe (Mutter des Ägypters Agathokles): 312 Olymp: 243 Olympia: 118 Olympia, Zeus Tempel: 311 Onasander: 143; 154f.; 158 Onchesmos (Saranda): 122 Orchomenos (Arkadien): 146; 175; 177–179 Orikos: 120 Oropos: 118 Oxyrhynchos: 29 Pamphylien: 227 Panaitios: 287–291; 299; 304 Panion (Schlacht): 145 Parther: 67; 69; 316 Passaron: 123 Patavium: 51 Patras: 146 Pausanias: 118; 175 Pella: 119; 121; 124; 225; 230f. Pella, Phakos: 119 Pelopidas: 84; 188 Peloponnes: 75; 118; 146; 191; 196f.; 201; 208; 218; 224; 244; 263; 265; 277 Pergamon: 254; 262; 308 Pergamon, Heiligtum der Athena: 307 Pergamon, Kultstatue des Asklepios: 308 Pergamon, Nikephorion: 307f. Perikles: 34; 36 Persepolis: 263 Perser / Perserreich: 59–63; 65; 67–69; 78; 80; 246f.; 255; 316 Perseus: 54; 59; 62f.; 74; 84; 86f.; 90; 94; 193; 211; 231; 240–242; 245–247; 270 Phila: 119 Philainis (Pornograph, weibl.): 295 Philinos (Historiker): 270
342
Index nominum
Philipp II.: 51; 52; 225; 240; 242; 246f.; 256; 306 Philipp V.: 18; 54f.; 63; 66; 74; 77; 85–87; 91; 93f.; 96; 105; 119; 121f.; 137; 144; 179; 194; 221; 227; 230f.; 233; 235– 238; 240–247; 253–257; 302; 305; 306–308; 310 Philopoimen: 50; 96f.; 123; 153; 160; 175; 188; 191; 197; 235; 238; 243; 251; 261; 287; 296f.; 302; 311; 317f. Phlious: 188 Phoinike: 54; 122f.; 126 Phokaia: 119 Phoker: 89; 264 Phraates IV.: 67 Phylarch: 21; 139; 217; 220; 223; 270 Phyromachos (Künstler): 308 Pinaros (Fluß; heute Deli Tschai): 147 Platon: 164; 281; 289f. Plinius der Ältere: 25; 28; 314 Plutarch: 123; 167; 175; 223; 226; 303 Polyainos: 115 Polykrateia von Argos: 231 Polykrates (Statthalter von Kypros): 277 Pompeius Magnus: 66; 69 Pompeius Trogus: 61; 63; 66–69 T. Pomponius Atticus: 64; 289 Pontos Euxenos: 280 M. Porcius Cato: 25; 30–33; 39; 45f.; 160 Poseidon: 305 Poseidonios: 8; 41; 66; 114 A. Postumius Albinus: 50; 52 L. Postumius Albinus: 221 Priansos: 179 Priene: 117; 217 Prokop: 131 Prusias I.: 160; 231; 254f. Prusias II.: 231; 296; 306; 308f. Pseudophilippos: siehe Andriskos Psophis: 119 Ptolemaier: 94; 160; 228 Ptolemaios (Sohn des Sosibios): 230f. Ptolemaios II. Philadelphos: 226 Ptolemaios III. Euergetes: 195; 224; 226f. Ptolemaios IV. Philopator: 18; 76; 85; 227– 230; 311 Ptolemaios V. Epiphanes: 77; 85f.; 230f.; 236; 277; 287; 311 Ptolemaios VI. Philometor: 42 Ptolemaios VIII. Euergetes II.: 291 Pydna (Schlacht): 31; 55; 59; 62; 64; 245f.; 282
Pyrrhos: 51; 315f. Pythia (Delphi): 302 T. Quinctius Flamininus: 86f.; 92; 94; 120; 242–244; 307 Raphia (Schlacht): 19; 127; 137; 152; 228 Rhegioi: 169 Rhodos / Rhodier: 91; 93; 96; 137; 159f.; 192–194; 198–200; 213; 216f.; 228– 230; 238f.; 252; 257; 270; 282 Rhodos, Roma Statue: 252 Rom (Imperium) / Römer: 15; 18f.; 22; 28; 30–32; 39–44; 50f.; 53–56; 59–66; 68f.; 74; 79–88; 91–95; 99; 119; 121; 123; 131; 137; 145; 151; 156; 168; 171; 173f.; 183; 192; 202f.; 209–211; 215; 218–221; 230; 234f.; 242–246; 248; 251; 254–256; 271–273; 275–279; 297; 302–304; 307f.; 311; 313; 315–317; Rom (Stadt): 30; 120; 164; 169f.; 172; 185; 198; 235; 251; 263; 298; 304; 310f.; 314f.; 318 Rom, Aerarium: 160 Rom, Capitol: 141 Rom, Marsfeld: 315f. Rom, Rostra: 314 Rom, Tempel der Fides: 310 Rom, Tempel der Fortuna (Athena des Phidias): 311 Rom, Tempel der Mens: 310 Rom, Tempel der Pietas: 310 Rom, Tempel der Virtus: 310 Rutilius Namatianus: 68 Sagunt: 53; 55f.; 59; 95; 137; 277 Sardinien: 54; 59; 279 Scipio Africanus: s. P. Cornelius Scipio Africanus Scipio Aemilianus: P. Cornelius Scipio Aemilianus Seleukiden / Seleukidenreich: 63; 65; 67; 69; 86; 94; 229; 248; Seleukos (Astronom): 44 Seleukos I. Nikator: 67f. Seleukos II. Kallinikos: 229 Seleukos III. Keraunos: 229 Selge: 213 Sellasia (Schlacht): 207; 228; 276; Sempronius Asellio: 41 Seneca: 16 Sestos: 93; 161
Index nominum Sikyon: 118; 226 Silene: 305 Silenos (Historiker): 160 Sizilien: 19; 30; 51; 55f.; 59; 86; 94; 118; 279; 282; 316 Skodra: 118f.; 121; 122; 124 Skopas (Aitoler): 228; 307; 309f. Skordos (Fluß): 121 Skythen: 316 Sokrates: 283 Sokrates Scholasticus: 131 Sosibios: 228; 230 Sparta / Spartaner (Lakedaimonier): 29; 34– 36; 51; 60; 62; 89; 100; 118; 163; 170; 173f.; 191; 197; 199; 206–209; 213; 224f.; 228f.; 244; 254f.; 258; 260f.; 264f.; 276f.; 298 Spendios: 93; 104 Stephanos von Byzanz: 120 Strabon: 41; 114f.; 117f.; 304; 317 Statonikeia: 282 Sueton: 28 Syrakus: 55; 77; 132; 137; 144; 255f.; 275; 279; 303 Syrien: 227 Tacitus: 29; 68; 316 Tanit: 305 Tarent: 256 Tauros: 238 Telamon (Schlacht): 275 Telemnastos von Gortyn: 297 Temnos (Heiligtum des Apollo Kynneios): 308 Tempe-Tal: 241 C. Terentius: 210 Teuta: 122; 137; 220 Thasos: 236 Theben / Thebaner: 84; 90; 175; 179; 188; 264; 306 Themistokles: 84 Theodotos (Aitoler): 228 Theophanes von Mytilene: 66
343
Theophrast: 213; 288f.; 291; 310 Theopomp: 28; 51; 149; 240; 247; 302 Thermos: 118f.; 236; 254–256; 307 Thermos, Tempel des Apollon: 307 Thessalien: 90; 119 Thrakien: 68; 227; 241 Thrasykrates: 244 Thukydides: 19; 21; 26–30; 33–39; 45–47; 129; 131; 155; 165; 233; 269f.; 276f.; 279; 283 Thyateira: 308 Timaios: 42; 47f.; 50f.; 116; 120; 138; 149; 171; 252; 270; 286; 295; 303; 315f.; Tleopolemos (Ägypter): 230; 311f. Trasimenischer See (Schlacht): 19 Trebia (Schlacht): 140 Trinos-Tal: 123 Triphylien: 253 Triton: 305 M. Tullius Cicero: 50; 64; 66; 288–291; 299; 304; 310; 314 Tyche: 17f.; 55; 60; 65; 71–111; 155; 234; 241; 245; 248; 272; 301; 303; 318 Valerius Antias: 49; 52 Velleius Paterculus: 62–64 Veneti: 30 Vercellae: 30 Xenophon: 26–29; 33–39; 45f.; 131; 153f.; 283; 304 Xerxes: 100 Zaleukos: 290 Zama (Schlacht): 88; 91 Zenon (Historiker): 149; 159; 160 Zenon von Kition: 290–293 Zeus: 243f.; 256; 305; 309 Zosimos: 8; 131 Zypern: 277
Index locorum AUTOREN Aelian takt. 38,1–3 ............................................. 140
takt.
Aelius Aristides 26,91 ................................................. 68
Asklepiodotos 11..................................................... 141
Alkaios AP 7,247 ............................................... 243 9,518 ............................................... 243
Caesar Gall. VII 2,1–3 ......................................... 317
Anonymus Byzantinus XXXII 14 ........................................ 140 XL 1–10 .......................................... 140 Appian praef. 9 ........................................................ 68 civ. II 10,66 ............................................ 139 Syr. III 12 ................................................. 68 Lib. 69 ................................................... 139 132 .................................................... 63 Aristoteles poet. 1451b 1–3 ......................................... 20 pol. 1255a 13ff. ...................................... 293 1331b 41 ......................................... 293 1339a 11–1342b 34 ......................... 295 rhet. 1359b–1360a................................... 283 Arrian an. I 1,4–7 ............................................. 241 II 6–11 ............................................. 147 II 8,4................................................ 140 II 9,3–4 ............................................ 140 II 11,1 .............................................. 140 III 13,1 ............................................ 140 VII 30,3 ............................................. 27
25,9–10............................................ 140 29,8–10............................................ 140
Cassius Dio XXXVII 21,2 .................................... 66 Cato (FRH I 3) F 2,10 ................................................ 30 F 2,12 ................................................ 30 Catull 1,5...................................................... 64 Cicero acad. I 45 .................................................. 286 II 28 ................................................. 287 II 137 ................................................. 50 Brut. I 6,1–2 ............................................. 314 div. I 42 .................................................. 304 Fam. V 11,2 ................................................ 64 XV 4,16 ........................................... 289 fin. III 49–50.......................................... 292 IV 17 ............................................... 289 IV 19 ............................................... 289 leg. II 14 ................................................. 290 II 28 ................................................. 310 III 12–14........................................ 288f. orat. I 224 ................................................ 290 II 25 ................................................. 290 II 341 ............................................... 314 III 67................................................ 286
Index locorum nat. I 1–5 ................................................ 304 III 5 ................................................. 313 rep. I 12 .................................................. 289 I frg. 1c............................................ 290 II 21–22 ........................................... 290 Tusc. V 34 ................................................ 289
345 I 8,1–2 ............................................... 29 IX 5,5 .............................................. 139
Ennius an. IV 154 ............................................... 62 Eunapius frg. 44,1 Blockley............................ 140
Claudian III 159–166 ....................................... 68
Festus p. 178 M (p. 190 11 Lindsay) .......... 316
Clemens Alexandrinus strom. II 22................................................. 310
Herodot I 95 .................................................... 60 I 130 .................................................. 60 I 216,4 ............................................. 316 IV 2 ................................................. 316 IV 42 ................................................. 15 VII 113 ............................................ 316
Daniel (aramäischer Urtext) II 21................................................... 68 Demosthenes XVI 27 ............................................ 175 XX 64.............................................. 175 XX 69.............................................. 175 XX 127............................................ 175 XXXV 34–35 .................................. 280 XXXV 39 ........................................ 173 XLVII 18......................................... 175 Diodor III 46 ............................................... 116 IV 83 ............................................... 317 XX 93,6–7....................................... 257 XXIX 18 ......................................... 191 XXXI 10 ........................................... 78 XXXIV–XXXV 2,47 ...................... 304 XXXI 35 ......................................... 308 Diogenes Laertios VII 4 ................................................ 293 Diogenes SVF III 41 ....................................... 292 SVF III 88 ....................................... 294 Dionysios von Halikarnassos Pomp. 3 = II 374 Usher ................................ 27 3 = II 374–376 Usher ........................ 29 3 = II 376 Usher ................................ 26 ant. I 2 ...................................................... 61
Hieronymus in Dan. II 31–45. ............................................ 68 Hippolytus von Rom Antichr. 25....................................................... 68 28....................................................... 68 in Dan. II 12 ................................................... 68 Homer Il. VI 448–449 ....................................... 84 Horaz ars poet. 333..................................................... 21 Iustin I 1,1–4 ............................................... 61 I 3,5–6 ............................................... 61 I 3,6 ................................................... 61 I 6,17–7,1 .......................................... 61 XI 12,5 .............................................. 67 XI 14,6 .............................................. 67 XII 13,1 ............................................. 67 XII 16,5 ............................................. 67 XII 16,9 ............................................. 67 XIII 1,8 .............................................. 67 XV 4,10 ............................................. 67
346
Index locorum XXXVI 3,8........................................ 67 XLI 1,1 .............................................. 67 XLI 1,1–9 .......................................... 61 XLII 3,6 ............................................ 61 XLIII 1,1–2 ....................................... 61 XLIII 1,2 ........................................... 67
Julian Apostata Caes. 24 .................................................... 140 Kallisthenes (FGrHist 124) F 35 ................................................. 147 Kritias (DK) 88b25 .............................................. 304 Ktesias von Knidos (FGrHist 688) F 1,5 .................................................. 61 Livius praef. 4 ............................................. 28 II 32................................................... 16 V 55,2–5.......................................... 263 XXV 40,1 ........................................ 256 XXVI 9,7 ........................................ 316 XXVI 24,14 .................................... 161 XXVII 16,8 ..................................... 256 XXXI 15,10–16,1............................ 238 XXXI 25,3–11 ................................ 235 XXXII 5,2–3 ................................... 235 XXXII 21 ................................ 235; 242 XXXIII 10,10 .................................... 50 XXXIII 11,1 .................................... 244 XXXIII 13,4 .................................... 244 XXXIII 16,2 .................................... 190 XXXIII 19,1 .................................... 244 XXXIII 30,6 ...................................... 54 XXXIII 40,4–5 .................................. 68 XXXIII 45–49 ................................. 238 XXXIV 31,2.................................... 118 XXXIV 43,4–9................................ 238 XXXIV 50,6...................................... 50 XXXIV 52....................................... 120 XXXIV 60–62................................. 238 XXXV 14,1–12 ............................... 238 XXXV 17,3–19,7 ............................ 240 XXXV 23,1–6 ................................. 238 XXXV 28 ........................................ 123 XXXV 51,5 ....................................... 54 XXXVI 19,11.................................... 50 XXXVII 20–21,4 ............................ 235
XXXVII 54,1 .................................. 239 XXXVII 54,26 ................................ 239 XXXVIII 30,1–34,9 ........................ 235 XXXVIII 34 .................................... 261 XXXVIII 38,7–8 ............................. 238 XXXIX 21,4 .................................... 246 XXXIX 23,5 .................................... 246 XXXIX 23,5–29,4 ........................... 241 XXXIX 24,10–26,14 ....................... 241 XXXIX 27,1–29,3 ........................... 241 XXXIX 33 ....................................... 241 XXXIX 34,1–35,4 ........................... 241 XXXIX 46,6–48,4(5) ...................... 241 XXXIX 48,6 ...................................... 50 XXXIX 50 ......................................... 50 XXXIX 53 ....................................... 240 XXXIX 53,3 .................................... 231 XXXIX 53,12–16 ............................ 241 XL 21,2 ........................................... 241 XL 22,15–24,8 ................................ 242 XL 3–24 .......................................... 240 XL 3–5 ............................................ 241 XL 3,3 ............................................. 241 XL 5–24 .......................................... 241 XL 5,10 ........................................... 246 XL 55,8–57,1 .................................. 242 XL 57–58 ................................ 241; 246 XLI 19,3 .......................................... 241 XLI 19,3–11 ............................ 241; 246 XLI 20,5 .......................................... 309 XLII 5,1–6....................................... 241 XLII 11–13...................................... 240 XLII 11,4......................................... 246 XLII 12,3......................................... 231 XLII 29,3......................................... 231 XLII 40............................................ 240 XLII 47–62,2 ................................... 245 XLII 54,1–57,1 ................................ 241 XLII 57,1–62,2 ................................ 246 XLII 58,9......................................... 241 XLIV 24,9–27,12 ............................ 246 XLIV 31,2–5 ................................... 121 XLIV 42,1–2 ................................... 246 XLIV 46,4–7 ................................... 119 XLV 9,2 .......................................... 241 XLV 27–28 .................................... 118 per. 103.............................................. 66 Lukian JTr. 53,4–5.............................................. 304
Index locorum astrol. 20 .................................................... 304 Nepos Cato 3 ........................................................ 30 3,3 ..................................................... 30 Hann. 8,3 ..................................................... 64 Onasander Strateg. 10,7 ................................................. 154 10,9 ................................................. 154 10,10 ............................................... 154 10,14 ............................................... 154 10,16 ............................................... 142 23,1 ................................................. 155 32,9 ................................................. 156 32,10 ............................................... 156 33 .................................................... 156 40,1 ................................................. 156 42,3 ................................................. 156 Ovid fast. I 385 ................................................ 316 IV 731–735 ..................................... 316 Panaitios frg. 68 .............................................. 304 Pausanias II 8,6................................................ 197 VIII 24,6.......................................... 317 VIII 30,7.......................................... 261 VIII 30,8.......................................... 118 VIII 51,4.......................................... 243 Philodemos de mus. IV coll. I B 1–13 ............................. 294 IV coll. IV 15–V 12 ........................ 294 IV coll. V 15–VII 22 ....................... 294 IV coll. X 28–XIII 4........................ 294 IV coll. XXII 36–XXIV 4 ............... 294 IV coll. XXXVIII 38–41 ................. 294 Phylarchos (FGrHist 81) F 58 ................................................. 139
347
Platon rep. 370e–371a ....................................... 281 Protag. 326 b................................................ 295 Plinius a fine Aufidii Bassi HRR II, p. 110–112, frg. 4–10 .......... 28 nat. XXXIV 40 ....................................... 256 XXXIV 55 ....................................... 311 XXXV 4–14 .................................... 314 XXXVI 6,45 .................................... 309 Plutarch Aemilius Paullus 19..................................................... 246 32–33............................................... 311 Aratos 24..................................................... 191 34,4–5.............................................. 197 41,5.................................................. 226 Camillus 37,3.................................................. 139 Fabius Maximus 19,3.................................................. 139 22,7–8.............................................. 256 Philopoimen 1....................................................... 191 4....................................................... 123 17..................................................... 243 20..................................................... 191 Pompeius 45,5.................................................... 66 Kleomenes 6–11................................................. 206 23–25............................................... 258 Sulla 15,1.................................................. 139 T. Flamininus 9....................................................... 243 Ps.-Plutarch mor. 287A ................................................ 316 413F–414A...................................... 281 851F–852G...................................... 167
348
Index locorum
Polybios I 1 .................................................... 105 I 1,2 ............................... 60; 78; 88; 269 I 1,4 ............................................. 40; 60 I 1,4–2,1 ............................................ 39 I 1–4 .......................................... 32; 155 I 1,5 ........................... 32; 42; 59; 79; 80 I 1,5–6 ..................................... 183; 271 I 2 ...................................................... 80 I 2,1 ............................................. 15; 40 I 2,2–7 ............................................... 62 I 2,5 ................................................... 59 I 2,5–6 ............................................... 59 I 2,7 ....................................... 32; 59; 84 I 2,8 ................................................. 130 I 3 .............................................. 15; 105 I 3,1–6 ............................................... 80 I 3,4 ................................................... 15 I 3,5–4,1 ............................................ 39 I 3,7–10 ............................................. 80 I 3,8–10 ........................................... 273 I 3,8–4,11 ........................................ 234 I 3,10 ................................................. 32 I 4 ........................................ 15; 81; 105 I 4,1 ..................................... 17; 32; 82f. I 4,1–2 ............................................... 80 I 4,1–5 ............................................... 98 I 4,3 ................................................. 102 I 4,3–4 ............................................... 81 I 4,4 ................................................. 104 I 4,4–5 ............................................. 82f. I 4,5 ............................................. 81; 91 I 4,9 ............................................. 17; 18 I 5,1 ............................................. 42; 47 I 6,3 ................................................. 141 I 7 .................................................... 199 I 7,4 ................................................. 100 I 11,1 ............................................... 279 I 12,5 ................................................. 27 I 13,12 ............................................... 88 I 14 .................................................. 234 I 21,2 ............................................... 273 I 22 .................................................. 252 I 26–28 ............................................ 142 I 27,3 ............................................... 140 I 27,5 ............................................... 140 I 35,2 ........................................... 88; 94 I 35,9 ................................................. 50 I 38,8–10 ......................................... 169 I 47,7 ................................................. 90 I 55,7–8 ........................................... 317 I 57,3 ............................................... 141
I 58,1 ................................................. 91 I 59–63 ............................................ 210 I 59,6 ............................................... 210 I 59,10–12 ....................................... 169 I 62,2 ............................................... 137 I 63 .................................................. 81f. I 63,9 .............18; 65; 81; 90f.; 104; 272 I 64,1 ................................................. 82 I 64,1–2 ............................................. 80 I 64,2 ................................................. 82 I 65 .................................................. 155 I 65–88 ............................................ 185 I 65,6–8 ........................................... 186 I 65,7 ............................................... 297 I 67–88 ............................................ 239 I 67,2 ............................................... 186 I 70,6 ............................................... 311 I 71,1–2 ........................................... 278 I 79,8 ............................................... 311 I 79,8–9 ........................................... 186 I 84,8 ............................................... 140 I 84,10 ............................................... 92 I 86,5–7 ............................................. 93 I 86,7 ............................................... 104 I 88,11 ............................................. 137 II 2 ................................................... 155 II 2,10 ................................................ 91 II 4,3 ............................................ 88; 93 II 5 ................................................... 122 II 7 ........................................... 189; 194 II 7,1 ............................................ 88; 90 II 7,3 .................................................. 90 II 7,10 .............................................. 317 II 7,11 ............................................ 188f. II 9–10 ............................................. 221 II 11,5 .............................................. 220 II 12,3 .............................................. 137 II 12,4–6 .......................................... 221 II 12,8 .............................................. 221 II 13 ................................................... 56 II 14–17 ........................................... 252 II 15,1–7 .......................................... 274 II 16,14 ............................................ 234 II 16,7 .............................................. 137 II 17,1–3 .......................................... 279 II 18,3 .............................................. 141 II 20,7 ................................................ 93 II 24,14–17 ...................................... 273 II 26–31 ........................................... 278 II 28,10 ............................................ 317 II 29,5–7 .......................................... 317 II 29,8–9 .......................................... 278
Index locorum II 30,7–8 ......................................... 275 II 31,5 ............................................. 141 II 32,5 ................................................ 94 II 32,5–6 .......................................... 317 II 33,4 .............................................. 142 II 35......................................... 208; 247 II 35,2–6 .......................................... 138 II 35,5 ................................................ 88 II 35,5–6 ............................................ 88 II 35,7 .............................................. 247 II 35,8 .............................................. 137 II 37–42 ............................................. 75 II 37,6 ................................................ 94 II 37,9 .............................................. 197 II 37,10 ............................................ 280 II 37,10–11 .............................. 191; 200 II 38,1–2 ............................................ 75 II 38,5 .................................... 76; 87; 90 II 38,5–6 ............................................ 76 II 38,6 .............................. 184; 188; 198 II 38,6–8 .......................................... 180 II 40,2 .............................................. 197 II 41,2 ................................................ 18 II 41,5–6 .......................................... 188 II 41,12 ............................................ 174 II 43,7–8 .......................................... 196 II 44,6 .............................................. 188 II 45,1 .............................................. 255 II 46,1–4 .......................................... 162 II 46,3 .............................................. 137 II 46,3–71,9 ..................................... 138 II 47................................................. 224 II 47–51 ........................................... 224 II 47,5 .............................................. 223 II 47,7–8 .......................................... 224 II 47,8 .............................................. 226 II 48–49 ........................................... 225 II 48,8 .............................................. 225 II 49,9–10 ........................................ 226 II 50,5 .............................................. 226 II 50,12 ............................................ 224 II 54–55 ................................... 192; 214 II 55................. 192; 197; 254; 258; 260 II 55,3 .............................................. 190 II 55,7 .............................................. 258 II 56–60 ........................................... 234 II 56,5 ................................................ 21 II 56,10ff. ......................................... 21 II 57......................................... 192; 214 II 63,4 .............................................. 139 II 65,1–7 .......................................... 277 II 70................................. 192; 207; 214
349 II 70,2 ................................................ 88 II 71,3ff. ............................................ 18 II 71,9 .............................................. 137 III 1–3................................................ 32 III 1–5................................................ 84 III 1–9.............................................. 155 III 2,5–6........................................... 141 III 2,6............................................... 183 III 3,8............................................... 241 III 3,9................................................. 84 III 4.......................................... 192; 214 III 4–5.......................................... 32; 39 III 4,1................................................. 55 III 4,1–2............................................. 40 III 4,4................................................. 40 III 4,4–13........................................... 40 III 4,4–5............................................. 23 III 4,9–11........................................... 40 III 4,12............................................... 44 III 4,12–13......................................... 40 III 4,13............................................... 41 III 5,1–6....................................... 40; 41 III 5,6................................................. 39 III 5,7–8................................... 88f.; 102 III 6,1–2 ............................................ 54 III 6,4............................................... 241 III 6,6............................................... 246 III 7–10........................................ 81; 86 III 7,4–7........................................... 269 III 8.................................................... 56 III 11–12.......................................... 240 III 12,5–6......................................... 221 III 17,10........................................... 277 III 20,9............................................. 137 III 21,10........................................... 217 III 22–25.......................................... 160 III 22,2............................................. 141 III 26,1..................................... 141; 160 III 30.................................................. 55 III 31–32.......................................... 269 III 31,2–3........................................... 19 III 31,5–8......................................... 222 III 31,7............................................. 222 III 31,8............................................... 20 III 32,6–7..................................... 20; 86 III 32,7............................................... 55 III 32,7–8........................................... 19 III 32,8............................................... 20 III 33,14........................................... 273 III 33,18................................... 160; 171 III 35,1–2 ........................................ 273 III 36–38.......................................... 117
350
Index locorum III 38 ............................................... 117 III 40,12 .......................................... 140 III 48,8 ............................................ 234 III 54,2 ............................................ 118 III 56,4 .................................... 160; 171 III 59 ............................................... 116 III 59,3ff. ........................................... 51 III 59,7 .................................... 137; 251 III 63,3 .............................................. 91 III 66 ............................................... 154 III 67,2 ............................................ 317 III 71,1 ............................................ 140 III 71,7 ............................................ 145 III 74,1–3 ....................................... 140 III 81 ............................... 145; 150; 154 III 81,10 .......................................... 140 III 82 ............................................... 154 III 83,6 ............................................ 140 III 84,1 ............................................ 140 III 92,7 ............................................ 154 III 97,5 ........................................ 92; 95 III 98–99,5 ........................................ 95 III 99,6–7 .......................................... 95 III 99,9 .............................................. 95 III 105,1–4 ...................................... 140 III 106,6 .......................................... 141 III 112,8 .......................................... 316 III 113,5 .......................................... 276 III 114,1 .......................................... 275 III 114,4 .......................................... 317 III 114,5 .......................................... 276 III 115,3 .................................. 141; 145 III 116,13 ........................................ 210 III 117 ............................................. 154 III 117,1–4 ...................................... 277 III 117,4–5 ...................................... 152 III 117,5 .......................................... 145 III 118,5 .......................................... 209 III 118,6 ............................ 93; 140; 277 III 118,7 .......................................... 210 III 118,9 .................................... 84; 210 III 118,10 ........................................ 137 IV 1,5 .............................................. 188 IV 2,2 ................................................ 51 IV 2,4 ........................................ 93; 105 IV 2,4–11 .......................................... 83 IV 2,4ff.............................................. 18 IV 3,4 ................................................ 92 IV 5,5 ...................................... 190; 191 IV 6,8–12 ........................................ 190 IV 7,11–8,7 ..................................... 235 IV 8 ................................................ 234
IV 8,1–3 .......................................... 224 IV 8,7–12 ........................................ 235 IV 8,11 .................................... 140; 189 IV 10 ............................................... 146 IV 10–11 ......................................... 235 IV 10–13 ......................................... 255 IV 11 ............................................... 146 IV 11,1 ............................................ 146 IV 11,6 ............................................ 146 IV 11,7–9 ...................................... 145f. IV 12,5 ............................................ 137 IV 14 ....................................... 192; 214 IV 15 ............................................... 190 IV 17 ............................... 192; 208; 214 IV 18,11 .......................................... 309 IV 20–21 ......................................... 129 IV 21 ............................................... 294 IV 21–22 ......................................... 253 IV 22 ....................................... 192; 214 IV 25,2 ............................................ 309 IV 25,4 ............................................ 309 IV 27 ............................................... 222 IV 29 ............................................... 222 IV 30 ............................................... 222 IV 30,4–6 ........................................ 227 IV 30,4–7 ........................................ 189 IV 30,8 ............................................ 227 IV 31 ............................... 190; 192; 214 IV 31,2 ............................................ 192 IV 31,3–4 ........................................ 190 IV 31,4–8 ........................................ 199 IV 32,1 ............................................ 192 IV 32,1–2 ........................................ 190 IV 33,2–3 ........................................ 161 IV 34 ....................................... 192; 214 IV 35 ....................................... 226; 227 IV 35,3 ............................................ 310 IV 38–45 ......................................... 280 IV 38,4 ............................................ 280 IV 38,9–11 ...................................... 280 IV 40 ............................................... 116 IV 40,2 ...................................... 51; 234 IV 44,4 ........................................... 141 IV 46,6 ............................................ 141 IV 47–51 ......................................... 229 IV 47,1–4 ........................................ 141 IV 51,1–5 ........................................ 229 IV 51,3 ............................................ 229 IV 52 ............................................... 160 IV 53–54 ................................. 192; 214 IV 53–56 ......................................... 188 IV 53,5 ............................................ 188
Index locorum IV 58,10 .......................................... 137 IV 59,3 ............................................ 140 IV 61,5 ............................................ 189 IV 62,1–4 ........................................ 310 IV 62,2 ............................................ 254 IV 62,3 ............................................ 256 IV 63,9 ............................................ 140 IV 67,3 ............................................ 254 IV 73–74 ......................................... 208 IV 73,6–8 ........................................ 208 IV 73,9 ............................................ 208 IV 74 ............................................... 199 IV 77,1–4 ........................................ 236 IV 78,5 ............................................ 253 IV 81,2 .................................... 206; 207 IV 81,5 .............................................. 89 IV 81,14 .......................................... 207 IV 82 ....................................... 192; 214 IV 84 ............................................... 192 IV 87,3 ............................................ 240 V 2,9 ............................................... 137 V 7–8 .............................................. 119 V 8 .................................................. 118 V 8–13 .................................... 254; 255 V 9–10 ............................................ 246 V 9–13 .................................... 255; 265 V 9,2–6 ........................................... 310 V 9,6–5 ........................................... 236 V 9,8–10,8....................................... 256 V 10,1–5.......................................... 307 V 10,6–8.................................. 264; 306 V 10,8 ............................................. 257 V 11 ................................................ 307 V 11,4 ............................................. 256 V 12 ................................................ 255 V 12,8 ............................................. 236 V 17,3 ............................................. 140 V 26,12 ........................................... 240 V 32,2 ............................................... 14 V 34,2–3.......................................... 229 V 34,6–10........................................ 227 V 37 ........................................ 192; 214 V 39–45 .......................................... 186 V 40 ................................................ 227 V 40–57........................................... 241 V 40,7 ............................................. 137 V 42,8 ............................... 91; 100; 104 V 63,1–10........................................ 227 V 64 ................................................ 145 V 64,1–3.......................................... 152 V 67,3 ............................................... 90 V 67,12–13...................................... 229
351 V 68 ......................................... 192; 214 V 70,7 .............................................. 140 V 72–76 ........................................... 213 V 73,8–9 .......................................... 213 V 76 ......................................... 192; 214 V 76,11 ............................................ 213 V 78,1–2 .......................................... 317 V 84 ................................................. 214 V 87 ................................................. 227 V 87,3 .............................................. 227 V 87,8 .............................................. 137 V 88 ......................................... 159; 160 V 88–90 ........................................... 193 V 90,5 .............................................. 193 V 90,5–8 .......................................... 240 V 92 ................................................. 190 V 93 ................................................. 204 V 93,5–8 ......................................... 205 V 93,9–10 ........................................ 205 V 93,10 ............................................ 178 V 96,3 .............................................. 140 V 97,5 .............................................. 144 V 97,5–98,10 ................................... 144 V 98 ................................................. 145 V 101,6–7. ......................................... 23 V 102,1 ............................................ 236 V 104 ............................................... 244 V 104,3 .............................................. 19 V 105,1 ............................................ 236 V 105,3–4 .................................... 16; 18 V 106,5 ............................................ 253 V 106,6–8 ........................................ 195 V 106,7 ............................................ 196 V 106,7–8 ........................................ 227 VI 1 ......................................... 146; 155 VI 1,3 ................................................ 32 VI 1,4 .............................................. 137 VI 2,1–3 ............................................ 83 VI 2,3 .................................. 32; 83; 183 VI 2,4–6 ............................................ 83 VI 2,7 ................................................ 83 VI 3–10 ........................................... 314 VI 3,5 .............................................. 188 VI 3,12 .................................... 188; 191 VI 4,4–5 ........................ 188; 191f.; 199 VI 6–15 ........................................... 100 VI 7–8 ............................................. 234 VI 9,2–5 .......................................... 192 VI 9,3 .............................................. 188 VI 9,5 ............................................. 188 VI 9,7 ...................................... 188; 192 VI 9,8–9 .......................... 186; 204; 205
352
Index locorum VI 9,9 .............................................. 192 VI 9,10–14 ........................................ 85 VI 10,1–14 ...................................... 207 VI 10,5 ............................................ 192 VI 10,13–14 .................................... 207 VI 11–18 ......................................... 204 VI 11,11–12 ............................ 188; 191 VI 12 ............................................... 198 VI 12,1–14,7 ................................... 141 VI 12,13 .......................................... 146 VI 13 ............................................... 209 VI 13–14 ......................................... 202 VI 13,7–9 ........................................ 203 VI 14,12 .................................. 188; 191 VI 17 ............................................... 192 VI 19–42 ......................................... 204 VI 19,6 ............................................ 141 VI 21–37 ......................................... 142 VI 24,5–6 ........................................ 141 VI 26,5 .............................................. 88 VI 26,7 .............................................. 88 VI 26,11 .......................................... 142 VI 27–42 ......................................... 154 VI 33,3 .............................................. 84 VI 40,11–14 .................................... 142 VI 41,7 ............................................ 141 VI 42,4 ............................................ 142 VI 43–44 ......................................... 194 VI 43–58 ......................................... 234 VI 43,1–44,3 ..................................... 84 VI 43,3 ........................................ 84; 90 VI 43,5 .............................................. 84 VI 44 ....................... 186; 192; 214; 253 VI 44,2 ............................................ 137 VI 44,3–9 ........................................ 194 VI 46,2–4 ........................................ 189 VI 46,4 ............................................ 188 VI 46,8 ............................................ 199 VI 48,2 ............................................ 213 VI 48,5 ............................................ 213 VI 50,4 .............................................. 23 VI 51,2 .......................................... 211f. VI 51,5–6 ........................................ 203 VI 51,6 ............................................ 211 VI 51,7 ............................................ 211 VI 53–55 ......................................... 253 VI 53,7 ............................................ 141 VI 56,13–15 .................................... 303 VI 56,6–12 ...................................... 301 VI 57 ......................................... 85; 205 VI 57,2 ............................................ 142 VI 57,5 ............................................ 211
VI 57,6–9 ....................................... 209 VI 57,8 ............................................ 215 VI 57,9 ............................ 188; 191; 204 VI 57,9–15 ...................................... 208 VI 57 ............................................... 209 VI 58,1 ............................................ 252 VI 58,11 .......................................... 137 VI 64,7 ............................................ 141 VII 2,1–4 ........................................... 83 VII 7,2 ............................................. 234 VII 7,6 ....................................... 14; 234 VII 8,1 ............................................... 94 VII 9,1–3 ......................................... 305 VII 10,1 ........................... 188; 190; 207 VII 11 .............................................. 255 VII 11–14 ........................................ 246 VII 11,9 ........................................... 243 VII 12–13 ........................................ 236 VII 13 .............................................. 236 VII 14b ............................................ 120 VII 15,1 ........................................... 140 VIII 2,3 ................................ 83; 92; 104 VIII 2,3–4 ........................................ 183 VIII 2,11 ............................................ 15 VIII 3–12 ......................................... 275 VIII 3,6–6,4 ..................................... 132 VIII 5,4–6 ........................................ 141 VIII 7,6 ............................................ 132 VIII 8 ....................... 234; 236; 240; 242 VIII 8–11 ......................................... 240 VIII 8,1 ............................................ 137 VIII 8,7–9 ........................................ 235 VIII 9–11 ......................................... 240 VIII 10,5 ............................................ 51 VIII 10,5–11,8 ................................. 247 VIII 12 ............................................. 242 VIII 14,7–9 ...................................... 140 VIII 15–16 ....................................... 122 VIII 15,10 ........................................ 228 VIII 18,6–8 ...................................... 140 VIII 20,6 .......................................... 140 VIII 20,10 .................................... 88; 90 VIII 25,9 .......................................... 137 VIII 35,1 .......................................... 140 VIII 35,6 .......................................... 188 VIII 36,1–5 ...................................... 223 IX 1–2 ............................................... 30 IX 1,4–5 ............................................ 18 IX 3–7 ............................................... 57 IX 3,9 .............................................. 145 IX 6,3 .............................................. 316 IX 6,5–7 ............................................ 92
Index locorum IX 6,5 ................................................ 90 IX 8–9 ............................................. 145 IX 9 ................................................. 168 IX 9,9 .............................................. 151 IX 9,9–10 .................................. 50; 151 IX 10 ....................................... 255; 256 IX 10,11 .................................... 55; 277 IX 10,11–12 .................................... 256 IX 10,13 .................................. 152; 257 IX 12–16 ......................... 115; 149; 154 IX 12–21 ......................................... 145 IX 12,8–9 ........................................ 143 IX 13 ............................................... 143 IX 13,8 ............................................ 115 IX 14–16 ........................................ 143 IX 14,1 ............................................ 144 IX 17–19 ......................................... 143 IX 17,1–10 ...................................... 144 IX 17,4 ............................................ 140 IX 18,1–4 ........................................ 144 IX 18,5–9 ........................................ 144 IX 19,1–2 ........................................ 304 IX 19,1–4 ........................................ 145 IX 20,1–4 ........................................ 143 IX 20,7–9 ........................................ 144 IX 22–26 ......................................... 239 IX 23 ............................................... 194 IX 23,9 ............................................ 236 IX 27 ............................................... 252 IX 32–37 ......................................... 244 IX 32–39 ......................................... 246 IX 35,1–4 ........................................ 247 X 2–5 .............................................. 238 X 2,5–7 ............................................. 95 X 2,6–12.......................................... 303 X 3,7 ............................................... 156 X 4,4 ............................................... 314 X 5,5–8 ............................................. 95 X 5,8 ............................................... 88f. X 5,8–9 ............................................. 95 X 6,6 ................................................. 94 X 9,2 ............................................... 88f. X 13,1–11........................................ 156 X 16 ................................ 150; 255; 257 X 16–17........................................... 145 X 21,4 ............................................. 252 X 21,8 ............................................. 235 X 22–24........................................... 153 X 22,1–5.......................................... 296 X 22,6–23,9..................................... 145 X 23,1 ............................................. 137 X 23,5–6.......................................... 141
353 X 24,7 ........................................ 79; 252 X 25,5 ...................................... 188; 204 X 25,6 ...................................... 191; 223 X 26 ................................. 234; 236; 255 X 26,7–10 ........................................ 235 X 27 ................................................. 254 X 32,3 .............................................. 140 X 32,7–33,7 ..................................... 145 X 32,8–12 ........................................ 156 X 33,4–5 .......................................... 100 X 33,6–7 .......................................... 152 X 39,4 ................................................ 91 X 43–47 ................... 145; 152; 154; 252 X 44,1 .............................................. 152 X 45,6 .............................................. 152 X 47,4 .............................................. 101 X 47,12–13 ...................................... 152 X 49,7 .............................................. 141 XI 2,9–10 ........................................ 156 XI 4–6 ............................................. 244 XI 4,7 ................................................ 90 XI 5,8 ................................................ 93 XI 7,2 .................................... 254f.; 307 XI 8,1–3 .......................................... 144 XI 13 ............................................... 151 XI 13,4–8 ........................................ 145 XI 13,5–7 ........................................ 188 XI 13,5–8 ........................................ 191 XI 14,2–8 ........................................ 145 XI 16 ............................................... 154 XI 18a,1............................................. 72 XI 19a (18a), 2–3 ............................ 150 XI 19 ............................................... 239 XI 19,5 ........................................ 88; 96 XI 23,1 ............................................ 141 XI 23,1–2 ........................................ 141 XI 23,8 ............................................ 140 XI 24,8 .............................................. 73 XI 25 ............................................... 145 XI 25,7 ............................................ 153 XI 33,1 ............................................ 141 XI 33,8 ............................................ 137 XI 34,14–16 ................................... 238 XI 39,16 .......................................... 238 XII 4b .............................................. 315 XII 6b .............................................. 194 XII 9,3 ............................................. 171 XII 10,3 ........................................... 171 XII 10,5 ........................................... 171 XII 10,9 ........................................... 171 XII 12b,3 ........................................... 92 XII 13,1–2 ....................................... 295
354
Index locorum XII 13,8 ............................................. 79 XII 14,1 ............................................. 15 XII 15,9ff. ...................................... 234 XII 17–22 ................................ 145; 147 XII 17,6 ........................................... 148 XII 18 .............................................. 148 XII 18,3–5 ....................................... 147 XII 19,7–9 ....................................... 149 XII 22 .............................................. 150 XII 24,5 ........................................... 303 XII 25h,4 ........................................... 50 XII 25–26 ........................................ 145 XII 25b ............................................ 115 XII 25d ............................................ 115 XII 25e ............................................ 120 XII 25e–f ......................................... 115 XII 25e,5 ........................................... 88 XII 25e,7 ......................................... 252 XII 25f,5.......................................... 149 XII 25g ............................................ 115 XII 25g,1 ......................................... 149 XII 25h .................................... 116; 120 XII 25h,2 ......................................... 252 XII 25i,6 .......................................... 142 XII 26c,1 ......................................... 286 XII 26c,2–4 ..................................... 286 XII 28a ............................................ 251 XII 28a,1 ......................................... 252 XII 28a, 4–10 .................................... 51 XII 28a,6 ......................................... 252 XII 28,1 ............................................. 51 XII 28,1–5 ......................................... 50 XIII 2 .............................................. 227 XIII 3,7............................................ 140 XIII 6 .............................................. 255 XIV 8,5–11 ..................................... 142 XIV 9,9 ............................................. 91 XIV 11 ............................................ 252 XIV 12 ............................................ 241 XV 4,7............................................. 311 XV 6,8............................................... 88 XV 6,8–7,1........................................ 78 XV 7,1............................................... 88 XV 8,3......................................... 78; 89 XV 9,4............................................... 91 XV 9,7–8......................................... 142 XV 10,2............................................. 23 XV 10,5............................................. 91 XV 13,7–9....................................... 142 XV 14,3–5....................................... 142 XV 14,7............................................. 93 XV 15,4............................................. 94
XV 15,5 ............................................. 88 XV 16,6 ............................................. 91 XV 19,5 ............................................. 89 XV 20 ................ 85; 105; 236; 238; 245 XV 20,1–4 ................................. 85; 237 XV 20,5 ............................................. 86 XV 20,5–8 ......................................... 89 XV 20,6 ............................................. 86 XV 20,7–8 ......................................... 86 XV 21,3 ............................................. 77 XV 23,1 ............................................. 96 XV 24a–36 ........................................ 77 XV 24,4–6 ....................................... 240 XV 24,6 ........................................... 236 XV 25,3–27 ..................................... 132 XV 25,13 ......................................... 230 XV 26 .............................................. 241 XV 27 .............................................. 311 XV 27,3 ........................................... 311 XV 28,5 ............................................. 90 XV 29,5 ....................................... 92; 96 XV 29,8–14 ..................................... 312 XV 33,8–10 ..................................... 312 XV 33,10 ......................................... 312 XV 33,13–34,1 .................................. 77 XV 34–35 ........................................ 241 XV 34,1 ........................................... 105 XV 34,2 ....................................... 73; 77 XV 34,3–6 ......................................... 77 XV 35 ................................................ 77 XV 35,7 ............................................. 89 XV 36,3 ............................................. 21 XV 37 ...................................... 238; 255 XVI 1 .............................................. 254 XVI 1b............................................. 237 XVI 1–6........................................... 308 XVI 6–7......................................... 254f. XVI 10..................................... 194; 237 XVI 10,1–4...................................... 237 XVI 12............................................. 302 XVI 12,4ff. ..................................... 234 XVI 14,6.......................................... 234 XVI 15,8.......................................... 159 XVI 17,8.......................................... 234 XVI 18–19....................................... 145 XVI 18–20....................................... 149 XVI 20,3–4...................................... 233 XVI 20,6.......................................... 234 XVI 20,8–9...................................... 234 XVI 21,8–9...................................... 230 XVI 22,3–5...................................... 230 XVI 23,5............................................ 89
Index locorum XVI 25 ............................................ 308 XVI 26,8–10 ................................... 160 XVI 27,2 ......................................... 308 XVI 28 .................................... 194; 237 XVI 28,2 ........................................... 96 XVI 28,4–8 ..................................... 234 XVI 29,8 ........................................... 93 XVI 34,3 ......................................... 308 XVI 37,7 ......................................... 140 XVIII 1,7......................................... 307 XVIII 2,2................................... 92; 308 XVIII 3,2......................................... 140 XVIII 6,3......................................... 308 XVIII 6,3–4..................................... 308 XVIII 6,5–8..................................... 243 XVIII 12,2......................................... 92 XVIII 13–15............................ 243; 247 XVIII 14.......................................... 194 XVIII 14,6......................................... 51 XVIII 17.......................................... 255 XVIII 18.................................. 145; 150 XVIII 27,7–32,13 .............................. 86 XVIII 28–32.................... 145; 151; 154 XVIII 28,3–5..................................... 87 XVIII 28,4–5................................... 104 XVIII 31,5–8................................... 151 XVIII 33.......................................... 244 XVIII 33,4–7................................... 237 XVIII 35,4....................................... 255 XVIII 35,8....................................... 255 XVIII 39,4....................................... 139 XVIII 41a ........................................ 118 XVIII 41,3–4................................... 293 XVIII 46,15....................................... 94 XVIII 51,3–6..................................... 68 XVIII 54,1–2................................... 277 XVIII 54,11..................................... 310 XVIII 54,8–11 ................................. 310 XVIII 55,5–7................................... 277 XIX 21,1 ........................................... 78 XIX 21,3 ........................................... 78 XIX 21,5 ........................................... 78 XX 6,5–6......................................... 281 XX 7,2............................................... 93 XXI 9 .............................................. 235 XXI 10 ............................................ 254 XXI 16,8 ........................................... 65 XXI 18,1–2 ....................................... 65 XXI 22,1 ......................................... 239 XXI 23,4 ........................................... 65 XXI 26,16 ......................................... 92 XXI 27–28 ..................................... 145
355 XXI 27,2–6...................................... 132 XXI 28............................................. 132 XXI 30,9.......................................... 255 XXI 38,2.......................................... 101 XXII 4,3 ............................................ 92 XXII 6 ..................................... 194; 241 XXII 8,6 .................................. 188; 191 XXII 9,1–12 .................................... 160 XXII 10,4 ........................................ 235 XXII 11 ........................................... 241 XXII 14 ........................................... 241 XXII 14,7 ........................................ 240 XXII 16 ........................................... 240 XXII 18 ................................... 241; 246 XXII 18, 6–10 ................................. 246 XXII 18,10–11 ................................ 241 XXII 19 ................................... 235; 251 XXIII 1–3(4) ................................... 241 XXIII 1–11 ...................................... 240 XXIII 4,14 ............................... 173; 174 XXIII 8 ............................................ 241 XXIII 10 .................... 87; 105; 238; 241 XXIII 10,1–13 ................................... 87 XXIII 10,1–16 ................................. 241 XXIII 10,2 ......................................... 93 XXIII 10,12 ....................................... 91 XXIII 10,12–13 ............................... 242 XXIII 10,12–15 ............................... 242 XXIII 10,14 ....................................... 87 XXIII 10,15–16 ................................. 87 XXIII 10,16 ................................. 91; 93 XXIII 10,17 ..................................... 241 XXIII 11 .......................................... 241 XXIII 12,3 ......................................... 96 XXIII 12,4–6 ..................................... 97 XXIII 12,8–9 ................................... 188 XXIII 13 .......................................... 241 XXIII 14 .......................................... 238 XXIII 14,1 ....................................... 192 XXIII 15 .......................................... 235 XXIII 17,2 ....................................... 174 XXIII 18,1 ............................... 173; 174 XXIV 2,3......................................... 174 XXIV 4............................................ 241 XXIV 7............................................ 298 XXIV 8–10...................................... 171 XXIV 8,4......................................... 172 XXIV 8,4–6..................................... 171 XXIV 9,2......................................... 188 XXIV 9,2–4..................................... 172 XXIV 9,2–6........................... 191f.; 214 XXIV 9,14....................................... 173
356
Index locorum XXIV 11–13 ........................... 172; 243 XXIV 11,6 ...................................... 172 XXV 3 ............................................. 245 XXV 3–4 ......................................... 241 XXV 3,9–10 .................................... 237 XXV 6 ............................................. 246 XXV 6,2–5 ...................................... 241 XXV 6 ............................................. 169 XXV 8 ............................................. 298 XXVI 1,4 ........................................ 253 XXVI 1,10 ...................................... 309 XXVI 1,11 ...................................... 253 XXVII 4,6–7 ................................... 193 XXVII 7 .......................................... 186 XXVII 7,4 ....................................... 212 XXVII 7,8 ....................................... 212 XXVII 7,11 ..................................... 212 XXVII 8,4 ......................................... 92 XXVII 11 ........................................ 145 XXVII 16,1–5 ................................... 90 XXVII 16,5 ....................................... 93 XXVIII 7,1 ........................................ 90 XXVIII 9 ......................................... 245 XXVIII 9,4 ........................................ 74 XXVIII 16 ....................................... 186 XXIX 3,1–4 .................................... 169 XXIX 5–9 ............................... 245; 246 XXIX 5,1–3 ............................ 239; 240 XXIX 12,2–3 .................................... 14 XXIX 16,3 ...................................... 155 XXIX 17 ................................. 244; 246 XXIX 19,2 .................................. 91; 93 XXIX 21 ........................... 78; 241; 246 XXIX 21,2 ................................. 78; 88 XXIX 21,3 ........................................ 88 XXIX 21,3–6 .................................... 78 XXIX 21,5 .................................. 88; 92 XXIX 21,9 ........................................ 79 XXIX 22 ..................................... 88; 96 XXIX 22,1 ........................................ 89 XXIX 22,2 .................................. 93; 95 XXIX 23,8–10 ................................ 169 XXIX 27,12 ...................................... 91 XXX 6–9 ......................................... 270 XXX 10 ................................... 118; 255 XXX 10,1 .......................................... 88 XXX 10,3–6 .................................... 253 XXX 11 ........................................... 255 XXX 13,10 .............................. 244; 246 XXX 18 ........................................... 255 XXX 25–26 ..................................... 253 XXX 31,3 ........................................ 282
XXX 31,16 ...................................... 198 XXXI 2,12............................... 188; 191 XXXI 4,4......................................... 252 XXXI 9.......................................... 254f. XXXI 9,1–4..................................... 309 XXXI 11.......................................... 251 XXXI 22–30 .................................... 251 XXXI 25,10................................. 92; 96 XXXI 26,7......................................... 90 XXXI 29,2......................................... 96 XXXI 30,2–3 ..................................... 92 XXXI 30,3................................. 91f.; 96 XXXI 31,1–3 ................................... 282 XXXII 4,3 ................................... 89; 91 XXXII 8,3 ......................................... 90 XXXII 8,3–4 ..................................... 95 XXXII 8,4 ......................................... 90 XXXII 15 ........................................ 254 XXXII 15,1–3 ................................. 308 XXXII 15,3–5 ................................. 308 XXXII 15,6–9 ................................. 308 XXXII 15,9–13 ............................... 309 XXXII 15,13 ................................... 309 XXXII 21 ........................................ 120 XXXIII 1,51 ...................................... 52 XXXIII 12,5 ...................................... 89 XXXIII 16(15) ................................ 297 XXXIV 2,4–8 .................................. 304 XXXIV 14 ....................................... 251 XXXV 2,14 ....................................... 88 XXXVI 2,3 ........................................ 79 XXXVI 9,9 ...................................... 140 XXXVI 10 ......................................... 55 XXXVI 12 ....................................... 262 XXXVI 12,5 ...................................... 92 XXXVI 13,2 .............................. 88; 102 XXXVI 15 ....................................... 296 XXXVI 16,2 ...................................... 88 XXXVI 17 ................................. 73; 106 XXXVI 17,1–2 ................................. 73 XXXVI 17,2 .............................. 89; 130 XXXVI 17,2–4 .................................. 89 XXXVI 17,2–10 ................................ 74 XXXVI 17,3 ...................................... 73 XXXVI 17,5–9 ................................ 281 XXXVI 17,6 ...................................... 73 XXXVI 17,9 ...................................... 73 XXXVI 17,12 .................................... 74 XXXVI 17,13 .................................... 74 XXXVI 17,14 .................................... 73 XXXVI 17,14–15 .............................. 74 XXXVI 17,15 .................................. 105
Index locorum XXXVIII 2,1 ................................... 100 XXXVIII 2,7 ................................... 101 XXXVIII 3,2 ..................................... 88 XXXVIII 7,11 ................................... 89 XXXVIII 8,8 ..................................... 89 XXXVIII 12,2 ................................... 90 XXXVIII 12,11 ................................. 90 XXXVIII 18,8 ................................... 91 XXXVIII 19–22 .............................. 258 XXXVIII 20 .................................... 241 XXXVIII 20,1 ................................... 89 XXXVIII 20,2 ................................... 88 XXXVIII 20,11 ................................. 88 XXXVIII 21 .............................. 84; 251 XXXVIII 21,3 ........................... 78; 88f. XXXVIII 22 ...................................... 63 XXXIX 1..................................... 50; 52 XXXIX 2................................. 255; 258 XXXIX 3......................................... 311 XXXIX 5......................................... 263 XXXIX 7........................................... 42 XXXIX 8..................................... 26; 47 XXXIX 8,2.............................. 88f.; 102 XXXIX 8,3–6.................................... 42 XXXIX 8,3–7.................................... 85 XXXIX 8,4........................................ 47 XXXIX 8,4–6.................................... 41 XXXIX 8,5........................................ 47 XXXIX 8,6.................................. 19; 41 XXXIX 8,7.................. 32; 42f.; 83; 183 XXXIX 12......................................... 42 XXXIX 18......................................... 42 XXXIX 19......................................... 32 XXXIX 19,6...................................... 41 XXXIX 19,7.................................... 42f. XL 12 ................................................ 32 XL 12,6 ............................................. 41 XL 12,7 ........................................... 42f. fr. 47 .......................................... 91f.; 96 fr. 54 .................................................. 90 fr. 83 .................................................. 90 fr. 102 .............................................. 154 fr. 197 .............................................. 140
357
Seneca apoc. 4,1...................................................... 16 Sibyllinische Weissagungen III 158–161........................................ 65 Strabon I 2,15–17 (23–25) ............................ 304 I 2,19–20 ......................................... 304 III 3,6–7........................................... 317 IV 6,11 ............................................ 118 V 1,2 ................................................ 118 VI 3,1 .............................................. 256 VIII 1,1 ............................................ 115 VIII 1,3 ............................................ 118 VIII 8,5 ............................................ 117 IX 1,17 (396) ................................... 309 X 5,4 (486) ...................................... 195 XVI 2,8............................................ 118 Tacitus ann. V 8 ..................................................... 68 VI 37 ............................................... 316 Theophanes von Mytilene (FGrHist 188) T 5a.b; 6–8 a...................................... 66 T 6–8 a .............................................. 66 Theophrast frg. 100,1 ......................................... 310
Propertz IV 1,19–20 ...................................... 316
Thukyides I 1 ...................................................... 33 I 22,4 ........................................... 19; 21 I 23,6 ................................................. 36 I 68–71 .............................................. 36 I 88–118 ............................................ 47 I 97,2 ................................................. 36 I 118,2 ............................................... 36 II 63,2 ................................................ 36 II 65,7–12 .......................................... 34 V 24,2 ................................................ 33 V 25–26 ............................................. 33 V 25,3 ................................................ 39 V 26,1 ................................................ 34 V 26,2–4 ............................................ 39 VI 24,1–4 ....................................... 279
Rutilius Namatianus I 81–92 .............................................. 68
Velleius Paterculus I 6,6 ................................................. 62f.
Pompeius Trogus prol. 29 ............................................ 243
358
Index locorum I 10,1 ............................................... 309
Vergil Aen. VI 756–886 ..................................... 315 Xenophon hell. I 1,1 ................................................... 38 II 2,22 ................................................ 35 II 2,23–24 .......................................... 34 II 3,1.................................................. 34 VII 2,1 ............................................... 36 VII 5,26 ............................................ 38 VII 5,26–27 ....................................... 37 VII 5,27 ............................................. 38 hipp. 3,14 ................................................. 153 8,23–24 ........................................... 153 Kyr. I 16,43 ............................................. 153 I 6,12–44 ......................................... 153 mem. III 1,1 .............................................. 153 III 6,4–18 ........................................ 283 Zenobios proverb. 4,36 ................................................. 310 Zenon (SVF) I 41 .................................................. 293 Zosimos I 1,1 ..................................................... 7
INSCHRIFTEN Petrakos, Ὁ δῆμος τοῦ Ῥαμνοῦντος ΙΙ. Οἱ ἐπιγραφές n. 22................................................. 195 n. 26................................................. 195 Chaniotis, Kretische Verträge n. 26................................................. 176 n. 28......................................... 176; 179 CIG n. 3137............................................. 176 FD III 3,1 n. 122............................................... 243 I.Priene n. 112............................................... 117 I.Iasos n. 2 .................................................. 176 I.Milet n. 148............................................... 176 n. 149............................................... 176 n. 150............................................... 176 ICret II S. 23E .............................................. 243 ICret III iii n. 3A ................................................ 176 n. 3B ................................................ 176 n. 4........................................... 176; 179 IG II2 n. 34................................................. 173 n. 43................................................. 179 n. 457 .............................................. 167 n. 687............................................. 176f. n. 832............................................... 195 n. 834............................................... 195 n. 1191............................................. 167 n. 1368............................................. 173 II/III3 1,5 n. 1135............................................. 195 n. 1160............................................. 195 V2 n. 344....................................... 175; 177 n. 419............................................... 176
Index locorum IX 1 n. 32 .............................................. 176f. IX 2 n. 517 .............................................. 179 IX 12,1 n. 3A ............................................... 177 IX I2 2 n. 853 ............................................. 173 XII 4,1 n. 152 .............................................. 176 XII 7 n. 67B .............................................. 173 IPArk n. 16 ................................................ 178 ISE n. 37 ................................................ 243 n. 47 ................................................ 244 n. 59 ................................................ 173 n. 188 .............................................. 164 Lauter, AW 33 (2002), 380 Stifterinschrift des Polybios 251; 262; 302; 318
359
OGIS n. 229............................................... 176 n. 339............................................... 161 Syll.3 n. 142............................................... 173 n. 147............................................... 179 n. 326............................................... 167 n. 421A ............................................ 177 n. 434/435...................................... 176f. n. 472............................................... 176 n. 490....................................... 175; 177 n. 543............................................... 179 n. 581............................................... 176 n. 588............................................... 176 n. 591............................................... 164 n. 633............................................... 176 n. 643............................................... 240 n. 647............................................. 176f. n. 955............................................... 173 n. 1048............................................. 167 n. 1109............................................. 173 StV III n. 536.......................................... 161