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German Pages [426] Year 2001
PHÄNOMENOLOGISCHE MEDITATIONEN
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Richir, Marc : Phänomenologische Medidationen : zur Phänomenologie des Sprachlichen / Marc Richir. Aus dem Franz. von Jürgen Trinks. - Wien : Turia und Kant, 2001 Einheitssacht.: Méditations phénoménologiques ISBN 3-85132-288-6 Publiziert mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur sowie des Centre National du Livre Originaltitel: Méditations phénomelogiques. Phénomenologie et phénoménologie du langage © de l'édition originale française accompagné de: http://www.millon.com Editions Jerôme Millon, Grenoble 1992
© für die deutsche Übersetzung: Verlag Turia + Kant, 2001 ISBN 3-85132-288-6
MARC RICHIR
Phänomenologische Meditationen Zur Phänomenologie des Sprachlichen
AUS DEM FRANZÖSISCHENVON JÜRGEN TRINKS
TURIA + KANT Wien
»Leviathan, which God of all his works Created hugest that swim the ocean stream: Him, haply slumbering on the Norway foam, The pilot of some small night-foundered skiff Deeming some island, oft, as seamen tell, With fixed anchor in his scaly rind Moors by his side under the lee, while night Invests the sea, and wished morn delays« John Milton Paradise lost, I., 201-208.
Inhalt Vorwort 9
I. MEDITATION: EINLEITUNG 13 VON DER PHÄNOMENOLOGISCHEN ANALYSE ALS ZICKZACK-BEWEGUNG 15
§ 1. Das Problem der phänomenologischen Analyse in den »Logischen Untersuchungen« 15 § 2. Das allgemeine Problem der phänomenologischen Analyse 21
II. MEDITATION 29 LEIDENSCHAFT DES DENKENS UND PHÄNOMENOLOGISCHE VIELFALT DER WELTEN 31
§ 1. Das Verschlossenheit in der Subjektivität: Psychologie und Phänomenologie 31 a) Einleitung 31 b) Husserl 33 c) Heidegger 46 § 2. Leidenschaft des Denkens und phänomenologische Vielfalt der Welten 56
III. MEDITATION 73 FÜR EINE HYPERBOLISCH-PHÄNOMENOLOGISCHE EPOCHE HYPERCARTESIANISCHE MEDITATION 75
§ 1. Phänomenologie und ontologisches Simulacrum 75 § 2. Die architektonische Struktur des ontologischen Simulacrums und sein Ausschalten durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoché 98 § 3. Ontologisches Simulacrum und transzendentaler Schematismus der Phänomenalisierung 118 § 4. Für eine neue Architektonik der Phänomenologie (erster vorläufiger Moment) 139
IV. MEDITATION 145 VOM UNENDLICHEN UND DEN WELTEN. DIE ANEINANDERGLIEDERUNG DER DREI GRUNDSÄTZLICHEN TYPEN PASSIVER SYNTHESEN IN DER PHÄNOMENOLOGIE 147
§ 1. Die phänomenologische Reduktion des ontologischen Simulacrums und das Hervortreten der passiven Synthesen zweiten Grades 147 § 2. Das phänomenologische Aneinandergliedern der beiden Aspekte der passiven Synthesen zweiten Grades 164 § 3. Das phänomenologische Aneinandergliedern beider Aspekte der passiven Synthesen dritten Grades 177 § 4. Die Angliederung der passiven Synthesen dritten Grades: die existentiale Sedimentierung und die passiven Synthesen ersten Grades (das symbolische Unbewußte) 197
V. MEDITATION 203 ELEMENTE FÜR EINE PHÄNOMENOLOGIE DER FUNGIERENDEN SPRACHE (FÜR EINE PHÄNOMENOLOGIE DER SYMBOLISCHEN STIFTUNG) 205
§ 1. Für eine phänomenologische »transzendentale Ästhetik«: Der Gemeinsinn und seine Lücken 205 a) Einleitung 205 b) Die wechselseitige Transpassibilität der sprachlichen Sinnregungen: die Dephasierung innerhalb der Gegenwärtigkeitsphase (der Zeitigung) 212 c) Wechselseitige Transpassibilität und Interfaktizität der Sinnregungen: die ursprüngliche Räumlichung und das phänomenologische Erhabene des Sprachlichen 223 § 2. Der phänomenologische Ursprung des Sprachlichen 231 a) Die Strukturen der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung: Der Abgrund der wilden weltlichen Wesen 231 b) Der schematische Chiasmus des Sprachlichen: Von der Landschaft der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen zu den Wegen zwischen Protentionen und Retentionen 249 § 3. Umrisse für eine Phänomenologie des Sprachlichen 268 a) Das Problem der Entleiblichung des Sprachlichen und der Ursprung seiner symbolischen Stiftung: die Zeitigung/Räumlichung der »Erleuchtung« des Sinns und die Katastrophe seiner identitären Implosion 268 b) Zwei Grenzfälle der symbolischen Stiftung des Sprachlichen: das mythische Denken und das metaphysische Denken (Platon: Parmenides). Die symbolische Stiftung als Mittel, gegenüber der Katastrophe der identitären Implosion Abstand zu wahren 287 c) Die sich bildende symbolische Stiftung und ihre konstitutive Bruchlinie: das symbolische Unbewußte; symbolische Stiftung und symbolisches Gestell* 307
§ 4. Unterwegs zu einer Phänomenologie der Sprachphänomenologie: Fungierende Sprache und Sprachsystem 322 a) Die Mythen und die Musik 322 b) Die Poesie und der phänomenologische Ursprung des Sprachlichen in der Sprache 328 c) Grundsätze für eine phänomenologische Analyse der fungierenden Sprache im Sprachsystem: Prinzipien für eine Architektonik des Sprachsystems 344 d) Methodische Grundlegung für die phänomenologische Analyse der fungierenden Sprache im Sprachsystem 352
VI. MEDITATION 357 PHÄNOMENOLOGIE UND ARCHITEKTONIK 359
§ 1. Die architektonische Umgestaltung der Phänomenologie durch die Phänomenologie der fungierenden Sprache 359 a) Die Umgestaltung der Phänomenologie Husserls durch die Phänomenologie der fungierenden Sprache 359 b) Das architektonische Problem der tranzendentalen Eidetik beim jungen Fink und der Gang seiner Lösung bei Merleau-Ponty 367 - Die architektonische Aporie der transzendentalen Eidetik in Finks VI. Cartesianischer Meditation 367 - Die Entdeckung der wilden Wesen* in Das Sichtbare und das Unsichtbare 374 c) Die Architektonik der Phänomenologie Husserls nach Fink (VI. Cartesianische Meditation) und die Frage nach dem »Organ« der Phänomenalisierung 379 § 2. Die Architektonik des Organs bzw. Schemas der Phänomenalisierung 392 a) Die zentrale Rolle und das architektonische Problem der blitzhaften Apperzeption 392 b) Der Schematismus der Phänomenalisierung als architektonische »Gestalt« 394 c) Skizze einer Architektonik der Beziehungen zwischen phänomenologischer Sprache und dem Sprachsystem/den Sprachsystemen: die Architektonik der identitären Implosionen 396 d) Das phänomenologische blitzhafte Apperzipieren des Individuums (Selbst) und der Schematismus der Phänomenalisierung: die phänomenologische Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen 400 § 3. Architektonische Wahrheit und Phänomenolgie 404 a) Von der transzendentalen Erschleichung der Lichtung* bei Heidegger 404 b) Von der »architektonischen Wahrheit« der Architektonik 408
Anhang: Tatsache und Eidos bei Husserl 413 Notiz des Übersetzers 424 Zum Autor 426
* Alle mit einem Stern versehenen Ausdrücke sind im französischen Text deutsch.
Vorwort Diese »phänomenologische Meditationen« sind die Frucht eines langen Reifungsprozesses, der mit dem Versuch begann, in den »Recherches phénoménologiques« andere Wege für die Phänomenologie zu erproben, und uns seitdem nicht mehr losgelassen hat: welcher Status könnte dem zukommen, was wir positiv innerhalb dieses Versuches entwickelt haben? Eine solche Überlegung mußte notwendigerweise Fragen der Methode durchlaufen, der Architektonik im Sinne Kants, und letztlich der Sprachphänomonologie. Und sie mußte auf eine allgemeine Umgestaltung dessen hinauslaufen, was man seit Husserl gewöhnlich unter Phänomenologie versteht. Auf diesem Weg sind wir zwei für die Phänomenologie geradezu grundlegenden Momenten begegnet: den »Metaphysischen Meditationen« von Descartes und Husserls »Cartesianischen Meditationen«. Wenn wir der vorliegenden Arbeit den Titel »Phänomenologische Meditationen« gegeben haben, so wollen wir damit diese Werke ausdrücklich würdigen, aber dabei auch unterstreichen, daß die Phänomenologie als philosophische Reflexion der Phänomenalität der Phänomene nur als Phänomene sicherlich nicht anders vorgehen kann, als sich »meditativ« zu besinnen, sich dabei Wegen überlassend, die jedesmal einzigartig und jeweils ihr eigenes Ganzes sind. Man wird hier weder eine Inszenierung des meditierenden Subjekts finden, das in der ersten Person das Wort ergreift, noch einen Entwurf dessen, was für eine künftige ganz neue »Wissenschaft« gehalten werden soll, sondern das meditative Befragen des sich selbst suchenden Denkens, durch all die Versuche der Fallstricke hindurch, es zu vergegenständlichen, d.h. es auf das Künstlich-Maschinelle zu reduzieren. Demgemaß wird Descartes’ gerade darin gewürdigt, daß eine, wenn man will, sehr merkwürdige Art der »Mathesis« der universellen Instabilität – der des Denkens – herausgearbeitet wird, und zwar über eine Architektonik, deren Begriffe allerdings endlos variabel und labil sind, als ob das Denken immer nur darin bestünde, »Landschaften« zu durchqueren, die ständig ihr Aussehen verändern wegen der kohärenten Verformungen, denen sie durch die Wechselhaftigkeit der Orientierungspunkte ausgesetzt sind. Vom Descartes der Wissenschaftsgründung sind wir zwar weit entfernt, aber nahe, sogar sehr nahe sind wir dem Descartes des hyperbolischen Zweifels. Wir sind weit weg vom Husserl der exoterischen Lehre, aber dicht beim Husserl der unzähligen Aporien, die sich in den »Tiefenschichten« des »konstituierenden transzendentalen Lebens« rühren. Was wir hier erkunden, ist also die zu denkende »Sache selbst« (das Phänomen nur als Phänomen), somit auch das Denken selbst in seiner rätselhaften Lebendigkeit, was in dem hier vorgestellten »Ganzen« sowohl vom Anfang her bis zum Ende hin als auch in umgekehrter Richtung durchlaufen werden kann, wobei allerdings dieses »Ganze« wohlgemerkt nichts Hegelsches hat, da es selbst un-endlich ist, auch wenn seine Darstellung ihren Höhepunkt innerhalb der Sprachphänomenologie findet, die wir in der 5. Meditation zu entfalten versuchen. Ein Wort also noch zu der Struktur dieser »Meditationen«. Eingerahmt wird alles von der 1. und 6. Meditation, die sich auf das Verhältnis zwischen der Phänomenologie und der Architektionik beziehen
10 (sie waren 1991-1992 Gegenstand eines Seminars im Collège International de Philosophie): sie können von jedem Leser, der einigermaßen mit der phänomenologischen Problematik bei Husserl, Heidegger, Fink, Pato¢ka und Merleau-Ponty vertraut ist, für sich selbst gelesen werden. Innerhalb dieses Rahmens gliedert sich das Buch in zwei Abteilungen: einmal die 2. und 3. Meditation, in denen auf die phänomenologische Tradition und auf das cartesianische Moment des hyperbolischen Zweifels zurückgegriffen wird, wobei die 2. Meditation1 der dritten zur Einleitung dient, und die 4. und 5., in denen wir durch eine vollständige Umgestaltung unserer bisherigen Arbeiten in die Phänomenologie des Sprachlichen und die Frage der architektonischen Beziehungen zwischen der Phänomenologie des Sprachlichen und der gestifteten Sprachsysteme eintreten. Erst dort erscheint alles in einem neuen Licht und hier findet auch der unendliche Gang der als unendlich zu denkenden »Sache selbst« seine eigenen Spuren, nicht als positive Elemente eines »Lehrgebäudes«, sondern als Ausdruck von jeweils unendlichen Problemen. Mit anderen Worten findet hier die Architektonik als eine Architektonik von Fragen ohne mögliche positive Antworten – was nicht ausschließt, daß man ihnen nicht nachgehen könnte –, ihren Schlußstein. Der Zusammenhalt wird also allein im Durchlaufen hergestellt, oder vielmehr in mehreren Durchgängen mit entsprechenden »Lesegeschwindigkeiten«. Ohne diese Bewegung oder Bewegungen gibt es buchstäblich nichts, weil es ganz einfach nichts zu denken gäbe. Mit einem letzten Wort wollen wir eine beträchtliche Schuld abtragen. Möglich wurden diese »Meditationen« einmal durch den ausdrücklichen Bezug auf die architektonischen Probleme, für die uns die VI. Cartesianische Meditation Eugen Finks und die Arbeiten von F. Pierobon über Kant aufgeschlossen haben, aber erst die Reflexion des außerordentlich reichen und tiefen Begriffs der »Transpassibilität«, den Henri Maldiney im Laufe seines Werks eingebracht hat, eröffnete uns gleichsam eine »vierte Dimension«, welche die Möglichkeit der anderen und ihren Zusammenhang ganz neu denken läßt. Daß es bei unserem Aufgreifen der Transpassibilität mögliche, sogar unvermeidliche Abweichungen geben wird, deren Ausmaß wir selbst nicht abschätzen können, wird er uns hoffentlich verzeihen. Denn wir konnten nicht, wie das heutzutage oft geschieht, selbst ein durch und durch neues Wort schaffen, das uns wie ein Artefakt erschienen wäre, während wir doch immer das zu denken glaubten, was wir von der Transpassibilität nach Maldiney zu verstehen meinten. Daß wir nicht unsere Abweichungen ermessen können, ist, wie wir hinzufügen könnten, ein typisches Beispiel der Frage, die uns ständig während unserer »Meditationen« heimsuchen wird: Wenn wir denken, wie weit können wir wissen, ob wir denken und nicht an unserer Stelle das Sprachliche selbst? Das ist eine Frage die schon den Herzschlag der cartesianischen Hyperbel ausmachte und die jedem, der sich nicht von altem oder neuem Schulwissen blenden läßt, darauf verweist, daß die Cogitatio nichts von einer sich selbst auf ihren Gegenstand hin durchsichtigen »Vorstellung« hat. Der von Henri Maldiney geprägte Begriff der »Transpassibilität« gehört eben nicht zu den logischen Begriffen mit vermeintlich eindeutiger Referenz. Sein Reichtum liegt gerade darin, Echo der Überfülle zu sein, die mit der einzigartigen Erfahrung der Verflechtung seiner »Referenzen« verbunden ist. M.R.
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ANMERKUNG 1 Wir nehmen hier mit einigen Modifizierungen den Text wieder auf, der 1991 in der Nummer 2 der Zeitschrift Epokhè erschienen ist. Die 1. Meditation war im November 1991 Gegenstand eines Vortrags in Toulouse während eines Kolloquiums, das dem Begriff der Analyse gewidmet war.
I. Meditation
Von der phänomenologischen Analyse als Zickzack-Bewegung § 1. DAS PROBLEM DER PHÄNOMENOLOGISCHEN ANALYSE IN DEN »LOGISCHEN UNTERSUCHUNGEN«
Bekanntlich charakterisiert Husserl im § 6 der Einleitung in den zweiten Band der Logischen Untersuchungen1 und insbesondere im 2. Zusatz die phänomenologische Analyse als eine »Untersuchung, die sich sozusagen im Zickzack bewegt«. Lesen wir es noch einmal aufmerksam: »Die phänomenologische Fundierung der Logik kämpft auch mit der Schwierigkeit, daß sie fast alle die Begriffe, auf deren Klärung sie abzielt, in der Darstellung selbst verwenden muß. Im Zusammenhang damit steht ein gewisser und schlechthin nicht auszugleichender Mangel hinsichtlich der systematischen Aufeinanderfolge der phänomenologischen (und zugleich erkenntnistheoretischen) Fundamentaluntersuchungen. Gilt uns das Denken als ein allererst zu Klärendes, so ist der unkritische Gebrauch der fraglichen Begriffe, bzw. Termini, in der klärenden Darstellung selbst unzulässig. Nun ist aber zuvörderst nicht zu erwarten, daß die kritische Analyse der betreffenden Begriffe erst dann notwenig würde, bis der sachliche Zusammenhang der logischen Materien zu diesen Begriffen hingeführt habe. Mit anderen Worten: An und für sich betrachtet, würde die systematische Klärung der reinen Logik, so wie die jeder anderen Disziplin, fordern, daß man Schritt für Schritt der Ordnung der Sachen, dem systematischen Zusammenhang der zu klärenden Wissenschaft folge. In unserem Falle erfordert es aber die eigene Sicherheit der Untersuchung, daß man diese systematische Ordnung immer wieder durchbreche: daß man begriffliche Unklarheiten, welche den Gang der Untersuchung selbst gefährden würden, beseitige, ehe die natürliche Folge der Sachen zu diesen Begriffen hinführen könnte. Die Untersuchung bewegt sich gleichsam im Zickzack: und dieses Gleichnis paßt um so besser, als man, vermöge der innigen Abhängigkeit der verschiedenen Erkenntnisbegriffe, immer wieder zu den ursprünglichen Analysen zurückkehren und sie an den neuen sowie die neuen an ihnen bewähren muß.« (LU,II,1,17) Offensichtlich rührt das ganze Problem von einer unüberwindlichen Zirkularität in der Erhellung und Darstellung der phänomenologischen Fundierung der Logik her, wobei die Gesamtheit der Logik gewissermaßen vorausgesetzt wird, um einzelne, bestimmte Begriffe zu erhellen, aber auch, und vielleicht noch grundsätzlicher, daher, daß die Ordnung des analytischen Fortschreitens der Phänomenologie nicht mit der systematischen Ordnung zusammenfallen kann, in welcher sich die Logik – oder irgendeine Wissenschaft – darzustellen verlangt. Die ganze Komplexität des Problems kommt daher, daß diese beiden Dimensionen eng miteinander verflochten sind und daß wir unsererseits nur dann beanspruchen können, es zu erhellen, wenn wir die Methode »anwenden«, zu welcher Husserl selbst sich zu entschließen scheint. Wir müssen also als Phänomenologen, »die über ein solches Vorverständnis verfügen«, diesen schwierigen Text untersuchen.
16 Worin besteht zunächst die Fundierung, also die phänomenologische Analyse, zumindest insgesamt, noch vor dem Eindringen in ihre Schwierigkeit? Bekanntlich in der Reflexion der logischen Begriffe – d.h. der Erkenntnisbegriffe für den Husserl dieser Epoche – in den Denkerlebnissen, in denen sie erarbeitet werden. Es handelt sich um »Denkerlebnisse« im zweifachen Sinn, in dem man zum einen darunter nicht individuelle und sozusagen »ereignishafte« Erlebnisse eines empirischen Subjekts verstehen darf – das ist der Irrtum des in den Prolegomena kritisierten Psychologismus – und in dem zum anderen diese »Erlebnisse« eidetisch auf ihr »Wesen« »zurückgeführt« wurden – das Wesen des Denkens, das für Husserl intentionales Meinen ist, das sich im Begriff oder der Bedeutung* als das »Gedachte« des Denkens erfüllt oder auch nicht (s. LU, II,2,§ 8, pp.33-35). Schon in diesem Sinn ist das Denken doppelt »reduziert«, einmal auf die kognitive Dimension und dann innerhalb dieser darauf, Denken von etwas zu sein (Begriff), auf das – eine solche apophantische Voraussetzung übernimmt Husserl von Aristoteles – ein eidos oder ein eidetischer Sachverhalt* im Sein antworten soll – zumindest wenn die Erfüllung des Meinens sich herstellt und nicht durch Widersinn oder Unsinn unterminiert ist. Diese symbolische Identität von Sinngehalten des Denkens (Begriffe, logische Bedeutungen) und Sinngehalten des Seins (eidè, eidetische Sachverhalte) bezeichnet das, was wir an anderer Stelle2 die symbolische Tautologie genannt haben. Das schließt eine doppelte Zirkularität ein, die, wie wir gesehen haben, deshalb keine logische ist, weil die Ordnung des analytischen Fortschreitens der Phänomenologie durch Husserl streng von der systematischen Ordnung der Logik unterschieden wurde. Sie ist vielmehr symbolisch und geht aus dem hervor, was wir die symbolische Stiftung der Logik nennen.3 Diese doppelte Zirkularität besteht zum einen zwischen den Begriffen oder logischen Bedeutungen und den eidè oder eidetischen Sachverhalten und zum anderen zwischen den Wesenheiten der Denkerlebnisse und dem, was »wahrhaft« begrifflich in ihnen gedacht ist. Der Ausdruck »wahrhaft« steht hier, um den Widerhall der ersten symbolischen Zirkularität auf dem Feld des Denkens zu kennzeichnen. So gesehen ist die Zirkularität, von der im Zusatz II des § 6 die Rede ist, viel tiefer als es scheint. Es ist tatsächlich keine eidetische Reduktion der Denkerlebnisse ohne Begriffe möglich, und diese sind unvermeidlich logische. Es ist, als ob das Erlebnis in seiner Unbestimmtheit implizit das ganze Gewicht der Logik enthielte, oder vielmehr deren symbolischen Stiftung, und als ob der Phänomenologe, um die Situation zu entwirren (zu analysieren), nun nichts anderes tun könne, als immer von vornherein ungeklärte logische Begriffe zu benutzen, und dies auch noch auf naive, un-kritische Weise. Wir sind damit nicht so weit entfernt von der Situation, die Fichte 1794 in seiner programmatischen Schrift Über den Begriff einer Wissenschaftslehre umrissen hat:4 zwischen der Logik (der Wissenschaft) als System des menschlichen Geistes, immer schon da, aber symbolisch unbewußt, und der Logik (der Wissenschaft) in seiner Darstellung* (als Wissenschaftslehre*), die diese im Bewußtsein begründen und legitimieren soll. Wir sind nicht weit davon entfernt, aber nicht schon bei ihr, denn – wie wir wissen – die Husserlsche Wissenschaftslehre wird sich niemals als ein System darstellen. Woher kommt dieser Unterschied, wenn nicht von der Besonderheit oder der unaufhebbaren Originalität des analytischen Fortschreitens der Phänomenologie in Bezug zur systematischen Ordnung der Logik und/oder der Wissenschaft? Vertiefen wir diesen äußerst bedeutsamen Punkt. Während es bei Fichte darum geht, die richtige oder wahre Lehre der Wissenschaft als ein symbolisch unbewußtes System zu finden
17 – das ist auch das, allerdings anders gelöste Problem Hegels, insbesondere in der Phänomenologie des Geistes – also eine Darstellung*, die durch die philosophische Urteilskraft und das mehr oder weniger dunkle Gefühl* der Wahrheit inspiriert ist, und während bei ihm die Darstellung* dann »gut« ist, wenn sie nach der wohlgeregelten Verkettung der Bewußtseinsakte das unbewußte System der Wissenschaft abwickelt, so ist es bei Husserl ganz anders damit bestellt, und zwar deshalb, weil es für ihn kein »System des menschlichen Geistes« gibt, das sozusagen das bedeutsame und immer schon gegebene (symbolisch gestiftete) Ausgangsmaterial (in der Fichteschen engen Verbindung von Materie und Form des Denkens) ausmachte, das nach der ihm eigenen Zwangsläufigkeit (jenen merkwürdigen »Gesetzen der Reflexion«, von denen Fichte in den Schriften von 1794/95 spricht) zu Bewußtsein zu bringen wäre. Mit anderen Worten, da diese unbewußte symbolische Systemhaftigkeit, dieses unbewußt Symbolische der Wissenschaft bei Husserl fehlt, besteht für ihn das transzendentale Kriterium der Wahrheit nicht in der Anpassung eines bewußten Vollzugs des Sinngehalts an eine »gute« logische Form, sondern nur in der diesem Vollzug selbst innewohnenden Evidenz, d.h. in der doppelten Sättigung (»Erfüllung« in der Husserlschen Terminologie) der Bedeutungsintention sowohl durch einen logischen Begriff oder eine logische Bedeutung als auch durch eine entsprechende eidetische Anschauung. Es ist bei Husserl, als ob das Systemhafte der Wissenschaft (der »reinen Logik« als Wissenschaft der Wissenschaft) so sehr auseinandergebrochen ist, daß sich die Ordnung seiner Darstellung* endgültig und unwiderruflich von seiner systematischen Ordnung getrennt hat. Der Zusatz I des gleichen § 6 läßt uns diese Situation bedenken: »Unvermeidlich führen die bezeichneten Untersuchungen [zur phänomenologischen Analyse der logischen Erlebnisse] vielfach über die enge phänomenologische Sphäre hinaus, deren Studium zur Klärung, zur direkten Evidentmachung der logischen Ideen wirklich erfordert ist. Eben diese Sphäre ist ja nicht von vornherein gegeben, sondern begrenzt sich erst im Laufe der Untersuchung. Zumal zwingt die Sonderung der vielen und verschwommenen Begriffe, die im Verständnis der logischen Termini unklar durcheinanderlaufen, und die Ausfindung der wahrhaft logischen unter ihnen zur Erweiterung des Forschungskreises.« (LU, II, 1, 16-17, Hervorhebungen von MR). Für uns kommt alles auf den kleinen Satz an: »Die (phänomenologische) Sphäre ist nicht im voraus gegeben«. Nicht wenige Analysen werden leider geführt, um auf vielfache Weise von ihm abzuweichen. Im Gegensatz zu einer zählebigen Tradition der Kommentierung, die allerdings durch den Husserl der Ideen I und der ersten vier Cartesianischen Meditationen bestätigt wird, impliziert dieser Satz, daß das Denkerlebnis nicht von vornherein gegeben ist, sondern sich für einen weiten Teil seiner selbst, dabei der inneren Anschauung unzugänglich, in der Gegenwärtigkeit vollzieht, daß es also, ebenso tiefgründig, teilweise der Bestimmtheit des Gedachten des Denkens (dem Begriff) entgeht und entsprechend auch der des eidos. Das öffnet die phänomenologische Analyse einerseits auf eine Dimension der grundsätzlichen Unbestimmtheit seiner Phänomene (der Denkerlebnisse) und verweist sie andererseits, aber entsprechend, auf die unaufhebbare, sich jeder aufdeckenden Unterscheidung widersetzende Verflechtung der »Signifikanten« oder der logischen Termini. Es ist, als ob es im Denkerlebnis oder im Phänomen des Denkens immer mehr gäbe als in seinem erfüllenden Sinn (Begriff und eidos) und als ob allein dieser Überschuß erlaubte, diese voneinander zu unterscheiden, auf die Intentionalität zurückzukommen und dadurch der eben erwähnten doppelten Zirkularität zu entgehen. Es gibt etwas
18 wie eine doppelte »Störung« des Erlebnisses, einmal aus seiner Gegebenheit heraus, zum anderen durch die in es verwickelten logischen Begriffe. Das ist insofern eine paradoxe Situation, als wir in unserer Unfähigkeit, die vorgängige Nicht-Gegebenheit des Phänomens hinnehmen zu können, ständig dazu verleitet werden, darüber hinauszugehen, d.h. es zirkulär durch eine (Unter-)Scheidung vor-zubestimmen, der man zutraut, die wahrhaft logischen Begriffe zu entwirren und aufzudecken: was über die Nicht-Gegebenheit erlauben könnte, der Zirkularität zu entgehen, scheint auf eine geradezu verstärkte Weise wieder in sie zurückführen zu müssen, und dies – das ist die These des Zusatzes I – sogar so weit, daß eine reine Phänomenologie unmöglich zu sein scheint. Sie ist, nach dem schönen Ausdruck Husserls, nur in »Kleingeld« umsetzbar, durch ein Vorgehen im »Zickzack«. Man wird niemals etwas von der Phänomenologie verstehen, das ist unsere These, solange man nicht begreift, daß die charakteristische Phänomenalität des Phänomens ganz aus der ihr eigenen Dimension der Unbestimmtheit und der Nicht-Gegebenheit besteht: In dieser Hinsicht muß man streng zwischen dem phänomenologisch Phänomenalen und dem phänomenistischen (realistischen) oder idealistischen Manifesten unterscheiden. Letztlich sagt uns Husserl in seinen beiden Zusätzen, daß die phänomenologische Dimension eher wie ein Horizont funktioniert oder wie ein Bruch zwischen Nicht-Gegebenheit und Gegebenheit, daß sie in sich selbst der Analyse eher unzugänglich ist, obwohl sie als deren kritische Instanz diese eigentlich antreibt. Die Unbestimmtheit der Phänomene (der Erlebnisse) macht es unmöglich, die logischen Begriffe ein für allemal und auf einen Schlag zu erhellen, ihre Dehnbarkeit und Geschmeidigkeit erlaubt aber eine partielle Erhellung, indem diese Unbestimmtheit sich durch die Isolierung des einen oder anderen logischen Begriffs, partiell bestimmt (was zur Idee seiner unbestimmten Bestimmbarkeit durch die Analyse selbst führt) und indem sie die Vermittlungen der systematischen Ordnung überspringt. Eine derartige Erhellung hat pro- und retroaktive Wirkungen auf die Klärung der Logik selbst, womit das »Bild« des Vorgehens »im Zickzack« gerechtfertigt wird – und was, wie man hinzufügen muß, die Lektüre Husserls zu einer so undankbaren und schwierigen Aufgabe macht. Um zu verstehen, was die phänomenologische Analyse ausmacht, müssen wir erfassen, wie sich die Nicht-Gegebenheit artikuliert, nämlich in der grundsätzlichen Unbestimmtheit der phänomenologischen Sphäre und in der Verwicklung der Begriffe und der logischen Termini in jedem logischen Denkerlebnis. Gerade wegen einer derartigen Artikulation gibt es für Husserl kein symbolisches System der Wissenschaft (von der Logik), das immer schon in einem gewissermaßen symbolischen Unbewußten der Wissenschaft (von der Logik) symbolisch gegeben wäre. Das schließt, wie wir gesehen haben, die Gegebenheit der logischen Begriffe und Termini nicht aus, sie sind aber sicherlich anders als in einem »System des menschlichen Geistes« gegeben. Zwar gibt es auch bei Fichte diese »Verwicklung«, aber sie kann wenigstens dem berechtigten Anspruch nach durch die »gute« Darstellung* aufgehoben und geklärt werden. Bei Husserl gibt es nun nicht dieses symbolische Band (oder diese symbolische Artikulation), wie es bei Fichte als »Gesetze der Reflexion« zwischen dem symbolischen Unbewußten der Wissenschaft und dem ausführenden Bewußtsein der Wissenschaft gefaßt ist. Mit anderen Worten meint dies das wirklich Überraschende und von einem sehr tiefgründigen Genie – das ihn die Phänomenologie entdecken ließ – Festgehaltene, daß es zwischen den logisch-wissenschaftlichen Bestimmtheiten und der phänomenologischen Unbestimmtheit des Erlebnisses überhaupt keinen Übergang gibt, sondern einen unauflösbaren Hiatus, der unausweich-
19 lich zum Vorgehen im Zick-Zack führt. Die Erinnerung daran, daß Kant genau diesen Hiatus zwischen bestimmendem Urteilen, das sich spontan aber blind vollzieht, und reflektierendem Urteilen, das ästhetisch und teleologisch, überlegt und nicht bestimmend vorgeht, macht bewußt, daß dieser Hiatus für Husserl wahrlich architektonisch ist – an eine dem Denken innewohnende Architektonik gebunden – und nicht metaphysisch. Diese Bemerkung wird sich nur zu einer Schlußfolgerung verfestigen, auf der man aufbauen könnte, wenn man berücksichtigt, daß Husserl in seinen späteren Schriften trotz allem mit der Idee der Teleologie einen Wegweiser für das Vorgehen im Zickzack finden wird, um die Logik, die Wissenschaften und jenseits beider die Phänomenologie selbst zu klären. Aber nochmals: man wird nichts von der Husserlschen Teleologie verstehen, wenn man sie wie in der sogenannten »Arche-Teleologie« mit einer Archäologie in Verbindung bringt, denn die ursprüngliche Nicht-Gegebenheit des symbolischen Systems der Wissenschaft, dessen symbolisches Unbewußtes, schließt diese Möglichkeit aus, und diese erste Nicht-Gegebenheit wird von der ursprünglichen Nichtgegebenheit der »phänomenologischen Sphäre« eingeschlossen. Der von allen Lesern Husserls so empfundene Eindruck, daß die phänomenologische Analyse von ständigen Neuanfängen und Wiederholungen geprägt ist, entsteht gerade dadurch, daß im phänomenologischen Erlebnis zugleich seine Unbestimmtheit und die symbolische Inchoativität der in unauflösbarer Verwirrung und Verflechtung befindlichen Begriffe implodieren – was eine äußerst unbequeme Situation ist, aus der Husserl durch die eidetische Reduktion herauszukommen glaubte, in der wenigstens etwas gegeben zu sein scheint, und, in der »offiziellen« (zu Lebzeiten) Version seines Denkens, durch eine eher quasi-cartesianische als cartesianische metaphysische Gründung, aber ohne jede Reduktion des transzendentalen »Lebens« auf eine positive Gegebenheit in der Gegenwärtigkeit. Was hat es nun konkret mit der Analyse im Zickzack auf sich? Was bedeutet sie? Zunächst, daß die symbolische Stiftung der Logik wie jede symbolische Stiftung zwar gegeben ist, dies aber – wie wiederum jede symbolische Stiftung (z.B. die der empirischen Sprache) – mit einem Schlag, in der Abwesenheit ihres eigenen Ursprungs, und ohne daß sie selbst-transparent oder selbst-evident wäre, sondern unaufhebbar kontingent und weithin, wenn auch relativ, dunkel. Sie ist in ihrem Rätsel jedenfalls nicht auf ihre Selbstdarstellung in der systematischen Ordnung zu reduzieren, welche nur nachträglich in dem Versuch der Stiftung aufkommt, sich selbst zu gründen. Indem Husserl ein »System des menschlichen Geistes« (Fichte, Hegel) aussparte, verzichtete er nicht nur auf die Metaphysik als symbolische Darstellung der Totalität des Symbolischen (ob in Gott oder einem absoluten transzendentalen Subjekt), sondern hat dabei auch einen äußerst bemerkenswerten Sinn für das Symbolische gezeigt, wie es sich uns immer schon vor jeder Selbst-Darstellung gibt. Dieser geschärfte Sinn für das Symbolische verstärkt sich noch, wenn wir aus Husserls Analyse im Zickzack noch entnehmen, daß keine Analyse, welche die Verflechtung der Bestimmtheiten entwirren will, möglich ist, ohne daß dabei Entscheidungen getroffen werden, die Dunkelheiten außer acht lassen und die diese Bestimmtheit relativ isolieren; d.h. ohne das, was Heidegger Ansatz* nannte, ohne das ins Spiel zu bringen oder zum Ausgangspunkt zu nehmen, was selbst selektierend bestimmt und einen Überschuß an Bestimmung den zu analysierenden Bestimmtheiten hinzufügt, ein Überfluß, der selbst »korrigiert« werden muß durch die Rückgänge im Zickzack. Die Klarsichtigkeit Husserls wird daraus erkennbar, daß das Zickzack nicht nur direkt zwischen einem Terminus zum andern verläuft, sondern und vor allem die Vermittlungen kurzschließt, welche sich formal und lokal anbieten könnten:
20 diese Vermittlungen können in der Tat nur logisch-analytisch sein, d.h., wie man seit Kant weiß, logisch-tautologisch; indem sie die reine Logik in Übereinstimmung mit sich selbst sozusagen wieder aufrollen, in der Illusion ihrer symbolischen SelbstTransparenz, können sie das hier Wesentliche und der transzendentalen Dimension der Logik Angehörende nur verfehlen, nämlich die Frage ihrer Nicht-Indifferenz gegenüber dem, wovon sie etwas sagen soll – die Frage ihrer Referenz, und sogar ihrer Referenz a priori, welche die phänomenologische Analyse als intentionale zu klären glaubt. Wie Husserl zu vertreten, daß die Begriffe und die logischen Termini urspünglich verflochten sind, heißt zugleich, daß es auch ihre Referenzen sind, daß also das Sprachliche nicht ursprünglich logisch ist, sondern daß die Stiftung der reinen Logik eine symbolische Stiftung ist, die in ihrer aktiv stiftenden Bewegung von dem Sprachsystem abgehoben werden muß – dem widmet sich Husserl bekanntlich in der 1. Untersuchung, welche noch weit davon entfernt ist, irgendeine »phänomenologische Lehre« des Sprachlichen zu enthalten. Anders gesagt bedeutet der geschärfte Sinn Husserls für das Symbolische für ihn die prinzipielle Unabgeschlossenheit der symbolischen Stiftung, daß sie nicht in einem fertigen symbolischen »System« gegeben ist, das im symbolischen Unbewußten bewahrt würde. Deshalb ist die »reine Logik« nicht zu entdecken, sondern zu »konstituieren«, in einer Stiftung* zu fundieren, die Husserl später einer »Idealisierung« annähern wird. Diese hat sich zwar immer in gewisser Weise und überdies unbewußt aus Sedimentierungen und Habitualitäten schon gebildet, aber in der (bezüglich des Bewußtseins) undurchsichtigen Passivität, zum symbolischen Gestell* hergerichtet, jeden Sinns beraubt, wobei kein »System des menschlichen Geistes« diese Herrichtung geleitet hätte, d.h. nochmals, ohne archè. Gerade dies erklärt, daß das logische »System«, das wegen des Fehlens jeder archè sich selbst repräsentiert, zu einem mechanischen, gedankenlosen »symbolischen System« verkommen kann (was wir symbolisches Gestell* nennen), ja sogar, wir wissen es seit Hilbert, zu einem künstlichen Dispositiv, in dem die Zeichen äußerstenfalls eher als Signale zu nehmen sind. Was also Husserl in erster Linie interessiert und was ihn immer abseits der beherrschenden gegenwärtigen Strömungen der Logik und der Erkenntnistheorie gehalten hat, ist eher die sich bildende symbolische Stiftung der Logik und nicht die für fertig oder für (nachträglich) systematisch rekonstruierbar gehaltene Stiftung. In diesem Rahmen ist das Vorgehen »im Zickzack« konkret zu verstehen. Insofern sich alles auf einmal in der Stiftung der Logik (er)hält, aber in der Kontingenz und der Undurchsichtigkeit für den Sinn, gibt es letztlich weder einen logischen Begriff, der endgültig »geklärt« werden könnte, noch eine eidetische Anschauung, die ihrer Reinheit versichert werden könnte – da die eidetische Anschauung immer zuguterletzt kategoriale Anschauung ist (s. 6. Untersuchung, § 52), ist jedes Herauspräparieren des eidos deckungsgleich mit einem kategorialen Herausschneiden, das selbst mit anderen kategorialen Ausschnitten übereinstimmt. Jeder Versuch, einen logischen Begriff zu isolieren, um ihn zu klären und um ihn seiner eindeutigen gegenständlichen Referenz zu versichern, ist durch dessen Isolierung selbst, mit der man die phänomenologische Beschreibung des Erlebnisses zu eröffnen glaubt, eine Art, das Erlebnis über-zubestimmen und stillschweigend eine inchoative und unklare Masse von Begriffen – und von eidetisch-kategorialen Anschauungen – zu übergehen, die im Erlebnis enthalten sind. Es gibt also damit im Ausgangspunkt der Analyse nicht so sehr Willkürliches als vielmehr Kontingenz, eine kohärente Verformung des Phänomens durch die Überbestimmung, welche zur ständigen Überschreitung der eigent-
21 lich phänomenologischen Sphäre führt, und diese Verformung muß nun durch die Gegen-Verformung in der Zickzack-Bewegung korrigiert werden: wobei wir allerdings begreifen müssen, daß es dieser niemals gelingt, die Verformungen so zu korrigieren, daß sie uns sozusagen nichts als das Erlebnis liefern, das Phänomen, auf das hin durchsichtig, wofür man es für sich selbst halten könnte, nicht-entstellt. Das setzte nämlich voraus, daß das Phänomen, das Erlebnis, ursprünglich auf einmal mit seinem gesamten eidetischen Gehalt irgendwo gegeben worden wäre. Diese Vorstellung von einem selbst-konsistenten Erlebnis ist bekanntlich eine regulative Idee im Sinne Kants, d.h. ein télos ohne archè, die den teleologischen – und in diesem Sinn, symbolischen – Horizont einer eigentlich un-endlichen Klärung der Logik öffnet. Die Parole der Husserlschen Phänomenologie – die »Rückkehr zu den Sachen* selbst« – ist also nicht so einfach zu beherzigen, wie es für naive Ohren möglich zu sein scheint. Man muß sich immer mit schrittweisen Annäherungen zufrieden geben, und recht besehen hat Husserl niemals etwas anderes getan. Das wird offenkundig, wenn man in Erwägung zieht, daß das gerade über die Klärung der Logik Gesagte gleichermaßen für die sinnliche Wahrnehmung, für das Auffassen des Anderen oder auch der Zeitlichkeit gültig ist. Die Analyse im Zickzack ist die eigentliche phänomenologische Methode, welches Feld auch immer es sein mag, dessen Erklärung oder Klärung sie anstrebt. Diesen Punkt werden wir nun genauer ins Auge fassen müssen.
§ 2. DAS ALLGEMEINE PROBLEM DER PHÄNOMENOLOGISCHEN ANALYSE
In allgemeinster Form ausgedrückt, ist das Problem der von Husserl praktizierten phänomenologischen Analyse das folgende: Zu den Sachen* selbst zurückzukehren bedeutet, sie als solche zu nehmen, als die sie sich geben und nicht anders, als sie sich geben. Dieses Sich-Geben bedeutet jeweils, daß sie in unserer fungierenden Sprache aus der symbolischen Stiftung hervorgehen, ob es sich um das Ding*, den Anderen, die Gesellschaft, die Zeit oder den Raum geht. Also mit einem immer schon gegebenen Anteil an Bestimmtheit, die deren »bewußtes Aufnehmen« als »Wieder-erkennung« möglich macht. Aber dieser Anteil an Bestimmtheit erscheint selbst als kontingent, zumindest relativ, insofern wir ihn nicht gemacht haben, sondern ihm in dem begegnen, was man mitunter ungeschickt als das Empirische aufgefaßt hat – da das Feld dieser Kontingenz in seiner Weite auch die Sprachen, die menschlichen Verhaltensweisen, die Logik und die Wissenschaften umfaßt. Die Sache gibt sich nur in der Begegnung (der Kontingenz) und in der Erfahrung (des Wieder-erkennens), welche wir nur ohne Aussicht auf Erfolg mit einer ursprünglichen oder ersten Erkenntnis in Verbindung bringen könnten. Dieses Fehlen der archè für die Kontingenz und für die Bestimmtheit ist dafür verantwortlich, daß die Sache uns nämlich mit einer grundsätzlichen Dunkelheit bezüglich ihres Sinns begegnet – diesen müssen wir hier streng unterscheiden von ihrem Begriff oder ihrer Bedeutung, welche immer vorausgesetzt werden, die aber niemals, insofern sie mit der symbolischen Stiftung in ihrer Gesamtheit übereinstimmen, schon geklärt sind. Anders gesagt, liefert uns der durch das symbolische Heraustrennen spontan aber blind erzeugte Anteil nicht nur die Sache als kontingente Bestimmtheit, sondern übermittelt sie auch mit einem eigentlich unreduzierbaren Anteil von Nicht-Bestimmtheit, und damit von Bestimm-
22 barkeit, welche den Horizont ihrer Klärung eröffnet. Dieser Horizont ist im Kantschen Sinne teleologisch, insofern dieser Anteil an Unbestimmtheit, als solcher Teil des sich zu suchenden und zu bildenden Sinnes, nur reflektiert und nicht seinerseits darin bestimmt werden kann, was die Teleologie als »Gesetzmäßigkeit des Kontingenten« ausmacht. Es geht darum, wie Kant sagt, den diesem Kontingenten entsprechenden Begriff zu finden. Die ganze, Kant vielleicht nicht in ihrer äußersten Subtilität bewußte,5 aber unserer These nach von Husserl mit seiner »Methode des Zickzack« erkannte Schwierigkeit liegt darin, daß diese klärende, aber nicht bestimmende teleologische Reflexion des Sinns sich nur mit den von der symbolischen Stiftung bereitgestellten Mitteln vollziehen kann. Denn damit wird, wie wir gesehen haben, das Risiko eingegangen, um die Reflexion zu erleichtern und ihr eine möglichst genaue Richtung zu geben, die Sache selbst durch eine wahrhaft transzendentale Erschleichung unter der Hand überzubestimmen, eine nun dadurch noch gesteigerte Gefahr, daß das ja nicht ursprünglich gegebene Phänomen, das die Sache erklären oder klären soll, widerstandslos der Über-bestimmung nachgibt. Alles läuft demnach so ab, als ob die zu klärende symbolische Stiftung, welche allerseits von Dunkelheiten oder Undurchsichtigkeiten des Sinns durchlöchert ist, mit der teleologischen Reflexion zu sich selbst so zurückkehrte, daß die Undurchsichtigkeiten sich zu »Helligkeiten«, nämlich zu teleologischen Sinnhorizonten wandelten. Und als ob man diese Umkehr so ausführen müßte, daß die dunklen Löcher mit den Löchern übereinstimmen, durch die hinfort das »Licht«, also der Sinn fallen muß. Aber da dies voraussetzte, daß wir die Wendung der symbolischen Stiftung mit einem Schlag vollziehen könnten, würde das zugleich einschließen, daß wir eine (im quasi-cartesianischen Sinn) deutliche Vorstellung von dem hätten, was in der symbolischen Stiftung klar beziehungsweise dunkel ist. Nun wissen wir aber, daß dies niemals der Fall ist; daß dies an unserer Endlichkeit liegt, wird man nur unter der Bedingung mit Recht sagen können, wenn man präzisiert, daß dies im tieferen Sinn offenbar die Nicht-Übereinstimmung der symbolischen Stiftung mit sich selbst insgesamt in einem fertigen symbolischen System bedeutet – einem System des menschlichen Geistes oder dem absoluten Geist im Sinne Fichtes bzw. Hegels. Die Schwierigkeit ist also grundätzlich, da in den scheinbaren symbolischen Systemen eine Nichtübereinstimmung mit sich vorhanden ist, eine innere Schieflage, die im übrigen alles von ihnen transportierte »Leben« der sich darin ausformenden Sinnregungen ausmacht, also deren Öffnung aus dem Inneren heraus zur phänomenologischen Unbestimmtheit der Phänomene. Das bedeutet also, daß man von einem symbolischen »System« wie der Logik zum Beispiel niemals die vollständige Wendung um eine sozusagen durchgreifende phänomenologische Achse erreichen kann. Es kann nur eine teilweise Wendung sein, die an der einen oder anderen Dunkelheit ansetzt und dabei neue Helligkeiten und Dunkelheiten eröffnet, die nicht mit den vorigen, nunmehr für alt gehaltenen übereinstimmen. Damit ist gerade das konkret gemeint, was durch unseren Begriff der erschlichenen Überbestimmung übersetzt werden kann. Sie ist unvermeidlich, und so gesehen notwendig, weil wir ganz einfach nicht gänzlich hinter die symbolische Stiftung gelangen können, sondern höchstens ihr Gewebe »knittern« oder »falten« können, um es dazu zu bringen, innerhalb eines Horizonts einer unbestimmten Vielfalt von Horizonten oder Sinn-Aufgängen etwas zu »sagen« oder zu »denken«. In der Praxis bedeutet dies, daß wir die Undurchsichtigkeit hinsichtlich des Sinns dieser oder jener kontingenten Bestimmtheit nicht reflektieren können, ohne zum Zwecke der Klärung auch durch unser Sprachsystem und das Wieder-Erkennen hin-
23 durchzugehen, über das wir, wenn auch unausdrücklich, ansonsten von einigen Bestimmtheiten des gleichen Feldes schon verfügen. Diese Reflexion kann sich also nicht vollziehen, ohne daß wir dabei die Sprache, in der wir reden, einsetzen und auch die Sprachwesen einbringen, die wir direkt in der Sprache in ihrem Umriß als Termini, Signifikanten oder »Wesenheiten« festgelegt haben. Das Paradox besteht genau darin, daß gerade die absolute Nicht-Übereinstimmung der Bestimmungen mit sich deren Klärung erlaubt – daß im Fall der Logik keine logischen »Atome« existieren, es sei denn durch willkürliche, ganz »konstruktivistische« oder »künstliche« Setzung. Nun ist aber, erinnern wir daran, diese Nicht-Übereinstimmung genau das, was Husserl »Störung« oder »Verwirrrung« genannt hat. Damit wird für den Fall der Logik ausgesagt, daß ihre Begriffe, bevor sie abstrakt voneinander geschieden werden, in die Sprache mit »gestörter« oder »verwirrter« gegenständlicher Referenz eingelassen sind. Dies bedeutet weiterhin, daß die für eindeutig gehaltene gegenständliche Referenz der logischen Begriffe – eine idealisierte Referenz nach dem Modell der eindeutigen Bennennung und Namensgebung – eigentlich niemals verwirklicht ist – es sei denn in der Willkürlichkeit einer Konstruktion –, ganz einfach weil derart nicht die »Natur« oder »das Wesen« der Referenz ist, in der sich die Rede auf das Gesagte als ihrem Äußerlichen bezieht. Folglich bedeutet dies schließlich, daß zur Phänomenalität der Rede gehört, daß es in ihr niemals eine Referenz oder auch mehrere beherrschbare eindeutige Gegenstandsreferenzen gibt, sondern nur eine unbeherrschbare Vielfalt von Referenzen, die sowohl untereinander – während ihres Verlaufs – als auch nach außen hin überkreuzt und miteinander verwoben sind. Wenn man nun anerkennt, daß es kein Denken ohne fungierende Sprache gibt – selbst wenn es Denken »ohne Rede« und Denken ohne Sprachsystem gibt – und damit anerkennt, daß jede Rede Nicht-Rede enthält, dann erweist sich nun diese Phänomenalität als die des Denkerlebnisses, also des Phänomens, auf das Husserl zurückggreift. Das bedeutet wiederum, daß die Klärung dieser Bestimmtheit, insofern sie sich aus der Rede speist, dabei sowohl die phänomenologische als auch die symbolische Dimension (ich drücke mich in dieser oder jener Sprache aus) des Sprachlichen wieder ins Spiel bringt, und damit bestimmte symbolische Ausschnitte als »sprachlicher Wesen« wie logische »Wesen« oder Begriffe. Die Klärung besteht also nicht nur darin, die symbolische Stiftung auf sich selbst zu wenden und anzuwenden, sondern die Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung zu wecken und voranzutreiben. Wegen der Schieflage dieser letzteren ist es hier eher ein »Erwachen« als ein »Erwecken«, welches das Symbolische hinsichtlich seiner eigenen Stiftung eigentlich ausarbeitet. Das Bild von der kohärenten Verformung durch transzendentale Erschleichung der Überbestimmung läßt sich also nur bis zum Ende durchhalten, wenn die Gegebenheit der Sache selbst etwas anderes ist als eine eindeutige und klare Gabe, als eine Gabe von Positivität an sich, träge, fertig zugeschnitten, über sich selbst geschlossen. Denn wenn dies die Gegebenheit wäre, wüßten wir gerade nichts damit anzufangen. Es wäre keine der Kontingenz, die das Denken aufruft, über ihren Sinn nachzudenken und aktiv ihren Sinn zu bilden, sondern des Zufalls als dem Unsinnigen, des radikalen Un-sinns – oder, was aufs gleiche hinausläuft, des Willkürlichen. Die transzendentale Erschleichung der Reflexion durch die Über-Bestimmung zu vermeiden, scheint also eher eine Forderung der phänomenologischen Methode zu sein als etwas, das selbst methodologisch kodifiziert werden könnte – und man weiß, daß Husserl selbst alle Schwierigkeiten der Welt hatte, sich daran zu halten, gerade er, der niemals mit seinen Analysen zufrieden war. Dieser Anspruch stellt die phäno-
24 menologischen Analysen wirklich endgültig und unabänderlich unter das Zeichen des Provisorischen, und zwar, insofern die Bestimmung, die in der heimlichen ÜberBestimmung vorhanden ist, im Sinne Kants immer spontan, absichtslos, also blind, insbesondere gegenüber dem Sinn, ist, und insofern der Anteil an Unbestimmtheit, also an Phänomenalität, welche es in der zu klärenden Sache gibt, formbar ist. Eigentlich wäre diese Situation nur dann endgültig aporetisch, wenn durch die eben angesprochene Formbarkeit die Phänomenalität ganz erschöpft, aufgelöst oder vertrieben würde. Nun ist das nicht der Fall, weil das Phänomen darüber hinaus ständig als kritische Instanz der Analyse wirkt, d.h. gewissermaßen als Zweifel an der transzendentalen Erschleichung oder als Vorahnung von der Unmöglichkeit, daß die Analyse sich tautologisch über sich selbst schließt. Anders gesagt bewahrt das Phänomen in sich selbst die – nach Heideggers Redeweise als ontologisch-existential zu verstehende – Möglichkeit seiner Reflexion oder vielmehr den Ansatz seiner Reflexion. Allein durch diese Möglichkeit weiß sich die Analyse immer mehr oder weniger deutlich partiell oder parteiisch aus der überdeterminierenden Erschleichung als einer Parteinahme hervorgegangen. Der Phänomenologe weiß bei seiner Analyse schon mehr oder weniger deutlich, daß seine die Termini des Sprachsystems benutzende Beschreibung aus den Phänomenen eidetische Bestimmtheiten herausschneidet, die ihnen eigentlich nicht als »Eigenschaften« zukommen, weil eben die Phänomene nicht selbst gegeben sind, sondern dieser Gebung größtenteils entgehen, ohne deswegen gleich nichts zu sein. Mit anderen Worten weiß der Phänomenologe immer mehr oder weniger deutlich, daß es gegenüber dem jeweils »Bedeuteten« der Sprache einen Überschuß der Phänomenalität gibt, der selbst nicht (mittels logischeidetischer Termini) lokalisierbar, beschreibbar oder ausdrückbar ist. Das bedeutet nicht, daß wir auf die Problematik des Unaussprechlichen oder Unsagbaren zurückgeworfen würden, da das Phänomen genau die zu sagende Sache bleibt, aber das bedeutet immer, daß das Phänomen sich in der unendlichen Komplexität seiner Phänomenalität phänomenalisiert, im von uns so bezeichneten Schimmern seiner Phänomenalität – und das Husserl häufig in seinen Analysen mit den Termini des Verwebens und Verbindens, des Ineinander* usw. aufgreift. Dies kann nun der Phänomenologe nur dann wissen, wenn, in architektonischen Termini formuliert, die (im Sinne Kants) begriffslose »ästhetische«, also phänomenologische Reflexion immer schon der teleologischen, welche die Beschreibung orientieren wird, vorausgeht: wenn also diese, die immer irgendwo in der symbolischen Stiftung selbst ihren Ansatz* nehmen muß, in einer phänomenologischen Reflexion anhebt, die jener vorausgeht, ohne sie vor-zubestimmen, die deren Möglichkeitbedingung ist, der wahrhaft phänomenologische Ursprung, nicht aber ihr Beginn, und damit die Möglichkeit oder Vermöglichkeit jedes kritischen Rückgangs auf das Beginnen selbst. Diese phänomenologische Reflexion ist also nicht so sehr im von Kant eingeführten besonderen Sinn »ästhetisch«, nach dem sie nur begriffslose Reflexion der Schönheit wäre – auch wenn die begriffslose Reflexion der Schönheit selbst phänomenologisch ist – sondern »ästhetisch« in dem Sinn, daß in ihr untrennbar Sinnlichkeit und Intellektualität, aber auch Sinnlichkeit und Geistigkeit in ihrer ursprünglichen Inchoativität vermischt sind. So gesehen muß man nicht mehr auf der rein phänomenologischen Ebene zwischen dem Schönen und dem Erhabenen unterscheiden: gerade in der eigentlich erhabenen Dimension der phänomenologischen Reflexion, in der chaotischen und »gestaltlosen« Anfänglichkeit der Phänomenalität der Phänomene, da, wo sie sich verweben und sich wechselseitig verdecken, setzt architektonisch die teleologische Reflexion an, ohne sich darin voraus-zubestimmen. Dies ist also ein »Ort« des
25 Todes eines Denkens, das sich seiner selbst versichern, also sich selbst darstellen will: zwar Ort eines transzendentalen Cogito, an dem aber, wie es Pato¢ka auf bemerkenswerte Weise in seiner Konzeption der asubjektiven Phänomenologie gezeigt hat, die Cogitatio selbst eigentlich ohne Inhalt ist, insofern sie Appell oder Horizont eines noch zu bildenden Sinns ist. Es ist also ein Ort der ursprünglichen Zeitigung, selbst wenn diese nicht wie in den vorläufigen Analysen Husserls als ein verfließendes Strömen einer »lebendigen Gegenwart« zu verstehen ist. Für die Verläßlichkeit der phänomenologischen Analyse kommt alles auf die Tiefe der phänomenologischen Reflexion und den Ansatz der teleologischen Reflexion an, denn unmittelbar nach dem Aufbruch dieses Ansatzes nistet sich die überbestimmende Anmaßung ein. Der Appell oder der Horizont des zu bildenden Sinns ist in seinem unbestimmten Charakter noch nicht der Sinn selbst, der zu seiner Bildung ansetzt und der sich somit selbst, zumindest was seine Richtung angeht, vorherbestimmt. Alles rührt daher, daß bei radikaler phänomenologischer Epoché der Ansatz des sich bildenden Sinns sich selbst nur vom Sinn her öffnen kann. Dieser ist schon Sinn, aber sozusagen auf vollkommen freie Weise, als wahrhafte Sinnschöpfung, welche Phänomenologie und Kunst in engste Verwandschaft bringt. Damit geht auch folgendes einher: wenn die Phänomenologie sich, wie es bei Husserl immer der Fall ist, in der gleichen Bewegung als Analyse dessen will, was von anderswo gegeben scheint – von anderswo, d.h. durch die symbolische Stiftung – dann gibt sich dieses Gegebene, wie wir gesehen haben, mit der ganzen symbolischen Stiftung, innerhalb derer man sich nun in Hinblick auf die Analyse orientieren muß. Es gibt, wie wir gesagt haben, kein rein Gegebenes, an das man sich halten könnte, sondern immer Gegebenes, das »ins Netz gegangen ist«. Genau in die Auffassung des Gegebenen gleitet die transzendentale Erschleichung hinein – und um eine solche handelt es sich z.B. schon bei dessen Objektivierung durch die Logik. In dieser Hinsicht begegnet die phänomenologische Analyse also schon dem großen Reichtum und der äußersten Komplexität der symbolischen Stiftungen, ihren nur scheinbaren Schichtungen, denn in der Realität verweben sie sich unauflösbar, im Widerhall auf die Phänomenalität, welche sie lebendig macht. Jedenfalls entdecken wir dabei, daß jede symbolische Stiftung, die eine solche immer von Bedeutungen oder vielmehr von Signifikanten ist – was einen viel weiteren Sinn als »Begriffe« hat – in sich auf symbolische Sinnhorizonte geöffnet ist, und nur diese können irgendwo, in einem a priori unbestimmten Punkt, den Horizonten der zu bildenden Sinnregungen begegnen, die sich in der phänomenologischen Reflexion der Phänomene öffnen. Die ganze Frage richtet sich also auf diesen Punkt, in dem sich die phänomenologische Dimension und die symbolischen Dimension der Erfahrung treffen. Denn gerade dieser Punkt wird meist durch Voreiligkeit »verfehlt«, durch eine Überhastung des Bestimmens und Schließen. Dies ist aber keine allzu große Katastrophe, weil der Weg immer offen für das Bereuen ist, für die Rückkehr zum Vorgehen im Zickzack. Anders gesagt hängt also alles damit zusammen, daß die symbolischen Sinnhorizonte sich selbst nur von der phänomenologischen Reflexion her öffnen können – nur diese kann die Sinnfrage als solche stellen –, daß diese aber eben nur symbolisch und nicht streng phänomenologisch sind, insofern sie sich nur aus dem Inneren der symbolischen Stiftung heraus als teleologische Horizonte ihres Sinns öffnen. Das bedeutet zwar nicht, daß die symbolischen Stiftungen von innen heraus sie vor-bestimmen, gar soweit, daß man glauben könnte, daraus etwa eine »perspektivische Theorie« zu entwickeln, aber das bedeutet dennoch, daß die Richtung ihres Sinns, welche die phänomenologische Analyse leiten wird, sich immer ohne unser Wissen im Wider-
26 hall der zu bildenden Sinnregungen entscheidet, die sich schon in ihrer Bildung phänomenologisch in Gang gesetzt haben. Diese Sinnregungen, die sich schon in einem Ent-wurf angesetzt haben, der in der Zeit diese auf sich selbst als Rück-wurf eröffnet hat, also in der mit ihren Protentionen und Retentionen versehenen Zeitigung in der Gegenwärtigkeit, diese Sinnregungen begegnen, um sich zu bilden, eben hier den Begriffen der symbolischen Stiftung, welche sie nun lebendig verknüpfen, indem sie diese wiederaufarbeiten und indem sie die symbolische Stiftung selbst in ihrer eigenen Bewegung des Sich-Bildens ins Spiel bringen. Was wir die kohärente Verformung der phänomenologischen Analyse genannt haben, ist also eigentlich zugleich ein symbolisches Erfinden, wie begrenzt auch immer, und im gleichen Wurf ein symbolisches Entdecken, welche beide in der Stifung bis dahin unvermutete Ressourcen aufweisen. Dies ist eigentlich die wahre Arbeit der Kultur als Bildung*, etwa in dem von W. v. Humboldt verstandenen Sinn. Das bedeutet, daß es für die phänomenologische Analyse ebensoviele mögliche Zugänge zu den symbolischen Gegebenheiten gibt, wie es für den zu bildenden Sinn mögliche phänomenologische Ansätze an den Phänomenen gibt. Wegen der unendlichen Anfänglichkeit der Phänomenalität der Phänomene sind also, um Merleau-Ponty zu paraphrasieren, die symbolischen Stiftungen selbst mit »vielfältigen Zugängen« versehen. Und dies bemerkenswerterweise selbst dann, wenn wir, was schon äußerst schwierig ist, uns erfolgreich von der einfachsten Erschleichung durch Überbestimmung befreit haben, weil es sich hier nicht mehr so sehr, wie gesehen, um eine Über-Bestimmung des Gegebenen im eigentlichen Sinne handelt, sondern des ihr Vorausgehenden, das sie als Vor-Orientierung des symbolischen Sinnhorizonts erst möglich macht durch die Vor-Öffnung des Sinns, der sich phänomenologisch in seiner Zeitigung, also seiner Phänomenalisierung, in Gang setzt. Zum Schluß bleibt noch zu verstehen, wie selbst auf dieser phänomenologisch tiefsten Ebene noch gerechtfertigt werden kann, die Analyse durch den Termininus Zickzack zu charakterisieren, und daß genau auf dieser tiefsten Ebene und auf keiner anderen die durch Husserl geöffnete Möglichkeit des Kurz-Schlusses der systematischen Vermittlungen, durch die offensichtlich die Analyse hindurchgehen muß, zu begreifen ist. Daß die Situation der hier behandelten phänomenologischen Analyse in Wirklichkeit viel komplexer als die ist, welche man gewöhnlich unter dem »hermeneutischen Zirkel« faßt, liegt in der Tatsache oder vielmehr der »Faktizität«, welche ein unreduzierbares »Faktum der Endlichkeit« ist, durch die es einen unüberbrückbaren Hiatus gibt zwischen dem phänomenologischen Horizont der Zeitigung, in dem zu bildender Sinn ansetzt, und dem teleologischen Horizont, in dem man diesen Sinn als einen zu entfaltenden oder zu klärenden Sinn solcher symbolischer Gegebenheit wieder aufzunehmen glaubt. Diese Wiederaufnahme vollzieht sich aus der symbolischen Stiftung heraus, wobei sie auf Entfernung genährt wird durch den phänomenologischen Sinn im unreduzierbaren Überschuß über jene. Dieser letztere ist also unauslöschlich, obwohl er sich verflüchtigt, und gerade deshalb ist übrigens der hermeneutische Zirkel unvermeidlich, und unterscheidet sich auch von einem logischen Zirkel. Aber wegen dieses Schwindens, das die Nicht-Gegebenheit des phänomenologischen Sinns kennzeichnet, tritt dieser selbst nicht in den hermeneutischen Zirkel, denn er entgeht prinzipiell jeder Hermeneutik, da er für sie unerschöpflich, d.h. unbestimmt und un-endlich ist. Das soll nicht heißen, daß die als hermeneutische verstandene phänomenologische Analyse ganz umsonst wäre, sondern das bedeutet ganz im Gegenteil, daß sie, die immer ihrem Ansatz* in dieser oder jener symbolischen Stifung verpflichtet ist, nicht nach der analytischen Eindeu-
27 tigkeit ihrer »perspektivischen« Sicht streben kann, sondern sich auf »vielfältige Zugänge« einzustellen hat, die in den symbolischen Stiftungen nutzbar sind, d.h. daß sie sich relativieren muß, indem sie akzeptiert, sich durch andere Ausgangspunkte korrigieren zu lassen, die demnach vervielfältigt werden müssen. So gesehen erscheint die Vorgehensweise Heideggers in Sein und Zeit* noch einseitig, aber eben durch ein Vorgehen im Zickzack korrigierbar, indem man andere phänomenologische Öffnungen auf den Sinn hin sich mit ihr kreuzen und verweben läßt – worüber man sich übrigens heute bewußt zu werden beginnt. Nun rühren diese notwendigen Überschneidungen und Verwebungen von der phänomenologischen »Natur« des Sprachlichen selbst her, von der sich kreuzenden und verwobenen Vielfalt seiner Referenzen, sowohl als Selbst-Referenzen innerhalb ihrer selbst, als auch als Fremd-Referenzen (hétero-références) nach außen. Die sprachliche Zeitigung hat weder die einfache Struktur der Husserlschen lebendigen Gegenwart noch die einfache Struktur der Artikulation der drei Ek-stasen Heideggers, und gerade deswegen ist übrigens die Zeitigung zugleich Räumlichung im »Gleichzeitig« der gleichen Gegenwärtigkeitsphase. Dieses »Gleichzeitig« bedeutet nun, daß die Vor-griffe (anti-cipations) ebenso wie die »Rück-griffe« (rétro-cipations) des Sinns notwendige Bestandteile des Sinns sind, d.h. der sich zeitigenden Zeit im sprachlichen Phänomen – von dem sich abzeichnet, daß es sehr weit über die einfachen Sprachausdruck hinausgeht. Nun bedeutet dies, was für die klassische Auffassung sehr paradox erscheinen muß, daß im Verlauf der Sinnbildung und der Zeitigung das Denken sowohl schneller als es selbst vorangeht – sich in der Anti-zipation selbst vorgreift – als auch viel langsamer als es selbst – sich selbst im »Rück-griff« verlangsamt. Und dies geschieht sozusagen auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig insofern die Referenzen ebenso Selbst-Referenzen wie »Fremd-Referenzen« sind, die sich in ihrer Vielfalt auch noch überschneiden. Daraus folgt, daß das Denken in der lebendigen Bewegung seines sich Bildens, sich ständig kurzschließt und daß es eben durch diese ständigen Kurzschlüsse durch (dia) die sich bildende Gegenwärtigkeit hindurch Sinn zu bilden weiß, den es noch nicht vor Augen hat sondern erst sucht oder zu bilden anstrebt. In dieser Hinsicht geht es nicht so sehr darum, wie es Heidegger sinngemäß sagte, die Husserlsche Intentionalität zu »überschreiten«, als vielmehr Zugang zu der in Wirklichkeit viel komplexeren Struktur der Intentionalität zu gewinnen – wozu man da und dort bei Husserl eine Art von Prolegomena findet. Wie dem auch sei, es wird dadurch jedenfalls verständlich, daß wegen der unerhörten – wenn auch ständig durch uns wieder eingebrachten – Komplexität der sprachlichen Phänomene die phänomenologische Analyse dazu geführt wird, ständig Kurzschlüsse dort herzustellen, wo nur einfache logische oder systematische Vermittlungen zu sein scheinen. Derart unterscheidet sich ganz im Sinne Husserls die Phänomenologie radikal vom System oder dem Systemdenken – und wenn es ein »System« in ihr geben sollte, dann nur so, wie es Fink auf bemerkenswerte Weise in seiner 6. Cartesianischen Meditation verstanden hat, d.h. im Kantschen Sinn einer Architektonik, die zumindest dem Anspruch nach jede metaphysische Entscheidung ausschließt, insofern sie eine Architektonik von Fragen und Problemen sein und bleiben muß, die in Wirklichkeit unendlich sind. Von dort springt allerdings die ganze Frage zurück und wird äußerst subtil, denn wenn sie nun nicht mehr nur einfach über die Kantsche Lehre von der Wissenschaft verfügt, kann die Frage der Selbst- und Fremd-Referenzen des Sprachlichen nicht mehr auf die Frage der allgemeinen analytischen Logik und der transzendentalen Logik zurückgeführt werden, die sich vermeintlich der Objektivität annähert, son-
28 dern muß sich in der ganzen komplexen Masse ihrer Verflechtungen wieder aufwerfen. Das nun ist eine ungeheure Frage, die Frage der Phänomenologie des Sprachlichen, welche mit ihren schon vorstellbaren Schwierigkeiten die Achse unserer »Meditationen« bilden wird. Dies ist teilweise die Frage der Philosophie selbst: wenn wir denken, wie denken wir und worüber eigentlich denken wir etwas? Was bedeutetet dieses »worüber« und was bedeutet dieses »etwas«? Weder einfach »Seiendes« noch einfach eidè, sondern etwas jenseits davon, die Sache selbst, ein phänomenologisches apeiron.
ANMERKUNGEN 1 E. Husserl, Logische Untersuchungen, Niemeyer, Tübingen, 2. Auflage, 1913, II, 1, 17, im folgenden zitiert mit der Sigle LU,II.1 mit nachfolgender Seitenangabe. 2 s. insbesondere La crise du sens et la phénoménologie. Autour de la Krisis de Husserl, Jérôme Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble 1990. 3 a.a.O., passim. 4 s. dazu: La crise du sens et la phénoménologie, a.a.O., Kapitel 5, §2, S. 127-146. 5 Insofern er zweifellos zu einseitig die Teleologie auf das aristotelische »Modell« der technè bezieht, auch wenn er dies durch ein »als ob« abmildert.
II. Meditation
Leidenschaft des Denkens und phänomenologische Vielfalt der Welten §1. DIE VERSCHLOSSENHEIT IN DER SUBJEKTIVITÄT: PSYCHOLOGIE UND PHÄNOMENOLOGIE
a) Einleitung Denken und Affektivität in der Praxis entgegenzusetzen ist ein Allgemeinplatz unserer Kultur geworden, der auch auf rätselhafte Weise weitgehend mit der klassischen Stiftung der Philosophie verbunden ist: während dem Denken nur dann die Chance des Zugangs zum Sein, d.h. wenigstens zu einer gewissen »Objektivität«, eingeräumt wird, wenn es jede – als »Leidenschaft« aufgefaßte – Affektivität neutralisiert, wird diese gänzlich in die Sphäre des Subjektiven und des »Psychologischen« verwiesen. Der vermeintlich souveränen Unparteilichkeit der Wissenschaft steht die verdunkelnde und vernebelnde Parteilichkeit der Leidenschaften gegenüber, deren Ort man gewöhnlich als den der Affektivität zu bezeichnen pflegt. Der geduldig und methodisch eroberten Klarheit und Unterscheidung des Rationalen wird die irrationale Dunkelheit der Gewalt und der Affekte entgegengesetzt, deren Daseinsberechtigung nur darin zu bestehen scheint, die vernünftige »Kommunikation« zu durchbrechen. Kurz, das Denken wäre demnach in sich, in seiner Wahrheit, völlig ohne Affekt – außer dem mit der Forschung verbundenen Affekt des höchst sublimierten und harmonisch ausgewogenen Glücks des Wissens –, und entsprechend wäre die Affektivität in sich selbst bar jeden Denkens. Die Philosophie beginnt bekanntlich mit der Infragestellung der Gemeinplätze. Sozusagen immer schon, jedenfalls seit Platon, weiß eigentlich jeder, daß die Dinge längst nicht so einfach sind. Zuerst geht es offensichtlich um die »Definition« des Denkens. Diese zugleich mit der Stiftung der Philosophie auftretende Bestimmung wird nun in der symbolischen Zirkularität einer symbolischen Tautologie von Denken und Sein getroffen: »wahrhaft« Denken heißt, das Sein als solches zu denken, so wie es ist, und das Sein so wie es ist zu denken, bedeutet, wahrhaft zu denken. Oder, modern gefaßt: um wahrhaft zu denken, muß man sein, und um zu sein, muß man wahrhaft denken – ohne daß irgendein äußerliches Maß oder Kriterium beigesteuert werden könnte, um sich über dieses »wahr« zu verständigen. Die wechselnden Wahrheitsauffassungen von Parmenides bis Heidegger sind bekannt. Und man erahnt, daß sie genauestens den Wandlungen der Affektivität entsprechen – im gleichen geschichtlichen Verlauf von der völligen Dunkelheit bis zu einer wenigstens relativen »Wahrheit«. Es ist kein Zufall – wir werden darauf noch zurückkommen –, daß Heidegger in Sein und Zeit, einem Werk, das mit gewaltiger Kraft in die philosophische Tradition einbricht, in der Affektivität, die er Befindlichkeit* nennt, und in der affektiven Gestimmtheit (Stimmung*) eine besondere Kraft der Wahrheit sieht, und daß
32 er in diesem Zusammenhang gegen Ende des § 29 das 2. Buch der Rhetorik des Aristoteles zitiert und dabei präzisiert, »daß die grundsätzliche ontologische Interpretation des Affektiven überhaupt seit Aristoteles kaum einen nennenswerten Schritt vorwärts hat tun können.« (SuZ, 139).1 Er geißelt auch die argen Schwächen der Psychologie, welche die Befindlichkeit zu »Begleitphänomenen« (ebd.) reduziert. Man wird bei näherem Hinsehen mit Recht sagen, daß diese Heideggersche Auffassung der Psychologie ein wenig zu kurz greift, weil sie sich wohl auf die damals vorherrschenden mehr oder weniger von »Philosophie« druchdrungenen Lehrbücher zu beschränken scheint. Die »Rhetorik« der Leidenschaften wurde bekanntlich durch Freud und die Psychoanalyse beträchtlich erweitert, wenn nicht gar revolutioniert. Aber trotzdem: auch wenn – wie bei Freud in den verschiedenen Versionenen des »psychischen Apparats« oder wie bei Lacan in einer in vielem der Rhetorik geschuldeten Ausarbeitung des im wesentlichen symbolischen Unbewußten – die Verbindung des Affekts und des Denkens anerkannt und sogar erforscht wird, kann man dennoch nicht sagen, daß der Affekt oder die Leidenschaft des Denkens darin einen eigenen Status gewönne, allenfalls bei dem ersteren in der eigentlich sehr unklaren und nebulösen Form der »Sublimierung«, und bei dem zweiten, in der Form der »vier Diskurse«, die aber eher als Karikaturen zu bezeichnen sind, in denen sich recht wenige wiedererkennen können, denen die Frage des Denkens von höchster und bleibender Bedeutung ist. Das liegt zweifellos daran, daß jede »Theorie« der Leidenschaften, also der Affektivität, sich mehr oder weniger auf eine mehr oder weniger subtile Art von Rhetorik hinbewegt, also der darin implizierten These der Spaltung von Denken und Affektivtät, die offenbar notwendig ist, um deren Verbindung überhaupt ins Auge fassen zu können.2 Damit sind wir auf die Ursprünge zurückverwiesen, nicht nur auf die Rhetorik des Aristoteles, sondern auch auf die Abgründe, die sich vor Platon geöffnet haben müssen, als er gegen die Sophisten kämpfte. Das sind bekanntlich Abgründe von Feinheiten, deren Studium und Kommentierung ganz gewiß niemals abgeschlossen sein werden, so sehr zeigt sich darin das Denken in seiner Leidenschaft, die, wiewohl sehr spezifisch, nicht weniger unfaßbar bleibt. Heute wie damals bleibt die Leidenschaft oder »der Affekt« des Denkens das Thema einer Frage, und jede positive Antwort darauf wird zwangsläufig tautologisch sein müssen. Man muß sich dazu entschließen, nicht so genau zu wissen, was Denken, Fühlen oder »Affiziert-Sein« eigentlich ist. Dieses Fehlen an Genauigkeit, diese Undeutlichkeit oder dieses eidetisch »Verschwommene« bedeutet allerdings auch eine Chance, die man ergreifen sollte, um wenigstens ein Behandeln dieser Frage in Gang zu setzten, eine Chance, die darin besteht, sich nicht von vornherein ein Vorverständnis zu genehmigen oder zu erschleichen, das schon das ins Feld führt, was erst noch zu verstehen wäre – und noch weniger eine Vor-Definition, welche man um so lieber nachträglich in der Definition finden möchte, als sie sich unausdrücklich über Unbestimmtes hat hinweggleiten lassen. Es liegt darin also die Chance, jenem der Tautologie unterworfenen Denken zu entgehen, welches »zunächst und zumeist« ungeteilt vorherrscht. Nun wird man sagen, daß auch dies eine zumindest negative »Definition« des Denkens ist, eben die, welche wir letztlich der Phänomenologie zuweisen. Man muß sich indessen von der Logik der Formulierung zu befreien wissen, denn anscheinend könnte die Logik sehr wohl nur eine Falle sein, die einer besonderen symbolischen Stiftung des Sprachlichen entspricht – der logisch-eidetisch fungierenden Sprache der Philosophie – welche bekanntermaßen vieles undenkbar macht, vor allem das Denken selbst. Unsere
33 Erfahrung der fungierenden Sprache aber, und insbesondere derjenigen, die Sinn bildet – und nicht »Zeichen« liefert im Sinne von Zeichen einer Information, einer Tatsache oder eines Sachverhalts – zeigt, daß der sich bildenden Sinn immer ein Abenteuer ist, zwar nicht des mehr oder weniger schwierigen Zugangs zu seiner Tautologie, welche auf einer schon zu Beginn dunkel gestifteten Bedeutung beruht, aber dennoch ein Abenteuer, das einen Anfang hat und auf ein Ende abzielt. Der Anfang ist dabei ein Rätsel, das uns merkwürdigerweise fordert und bewegt (was ist Denken eigentlich? Was die Leidenschaft des Denkens?), und das Ende ist nicht weniger merkwürdig ein Rätsel, das wir am eher faktiziellen als faktuellen Ende unseres Weges etwas weniger unlösbar zu machen hoffen. Die »Sache selbst« ist also genau dieses Rätsel und nicht etwas, das wir vorweg anschauen könnten. Sie läßt uns nicht los, wird uns nicht loslassen und wird während des ganzen Abenteuers des Sinns ihr Wesen treiben, jedenfalls solange es uns bei den vielfältigen Zufällen seines Verlaufs gelingt, aufmerksam dafür zu sorgen, daß sie als solche offengehalten wird, dank einer Epoché, die von all den Vorurteilen und verfrühten Antworten absieht, die sich in ihrer scheinbaren Positivität einschleichen wollen, um das Fragen abzuschließen. Von daher ist uns durchaus bewußt, daß wir durch diese Radikalität, in der das Abenteuer des sich bildenden Sinns in seiner unaufhebbaren Schieflage gegenüber sich selbst besteht, einen »Gebrauch« der Phänomenologie vorschlagen, welche, indem sie der Inspiration durch ihren Gründer Husserl im Geiste treu bleiben will, seinen »Lehren« gegenüber nicht anders als »ketzerisch« erscheinen muß. Aber die phänomenologische Treue erweist sich an den Problemen und Fragen, nicht an den »Lehren«. Husserl selbst hat darauf immer wieder eindringlich hingewiesen. Wir müssen also zuerst, um den Boden für das Rätsel unserer Frage vorzubereiten, die im wesentlichen durch Husserl und Heidegger (Sein und Zeit) verkörperte phänomologische Tradition gegenüber den noch in ihr erscheinenden lehrhaften »Vorurteilen« abheben, die als solche noch nicht in Frage gestellt wurden. Bei diesem Unternehmen werden sich für uns zugleich die Begriffe unserer Fragestellung klarer abzeichnen. b) Husserl Bekanntlich geht Husserl in seinen Logischen Untersuchungen von der Analyse der Denk»erlebnisse« aus, die sich in der logisch-mathematischen Erkenntnis der Idealitäten vollziehen. Zwar hat man mit vollem Recht unterstrichen, wie sehr dieser Problemansatz der Erkenntnistheorie mit Brentano verbunden ist, hat aber mitunter den Hinweis unterschlagen, daß diese Analyse vor allem eidetisch ist und daß die »Erlebnisse« – weit davon entfernt, Gegenstand irgendeiner »psychologischen« Introspektion zu sein – ausschließlich in ihrem Wesensgehalt ins Auge gefaßt werden, also in dem, was nur insofern in noetisch-noematischer Beziehung mit den Idealitäten ist, als es die Elision dieser Introspektion mit sich bringt, was schon einschließt, daß das empirsch-psychologische Subjekt des Denkens ausgeschaltet wird. Da Husserl die Affektivität noch klassisch als subjektive »Vernebelung« der Erkenntnis betrachtet, kann es es nicht verwundern, daß von ihr meist nur sehr wenig die Rede ist.3 Aber gerade dies schließt umgekehrt eine »Psychologisierung« der von der Konstitution der Idealität a priori abgeschnittenen Affektivität ein. Die Dinge werden indessen mit dem »Cartesianismus« Husserls schwieriger, der 1907 in der Idee der Phänomenologie erscheint, um dann niemals mehr aus seinem Werk zu verschwinden. Das Vorgehen Husserls, die materiellen Identitäten (die den
34 materiellen Ontologien entsprechenden eidé) auf den vorgestellten Variationen der sinnlich bzw. in der Phantasie wahrgenommenen Einzelheiten zu fundieren, mußte geradezu zwangsläufig dazu führen, das Augenmerk auf die Konstitution der Wahrnehmung der sinnlichen Gegenstände zu richten. In diesem Zusammenhang wird sehr früh – seit den Logischen Untersuchungen – die berühmte Lehre der Wahrnehmung durch Abschattungen* ausgearbeitet und später erweitert. Des recht cartesianischen Zugs gemäß, die »Gewißheit« (»Evidenz«) des a priori Logisch-Eidetischen dem prekären, stets nur mutmaßlichen und auf immer unabgeschlossenen Charakter all dessen, was mit dem Sinnlichen zu tun hat, entgegenzusetzen, ist Husserl bekanntlich versucht, die Gewißheit, welche seiner Auffassung nach allein die »Wissenschaftlichkeit« der Phänomenologie garantiert, in der vermeintlich reinen Immanenz der Wahrnehmungs-»Erlebnisse« aufzufinden, um von dort aus den unvollständigen Charakter der Wahrnehmung zu ermessen. Das ist nun wirklich eine sehr paradoxe Bewegung, aus der Husserl selbst nur mit Mühe herauskommt, da sie insgesamt darin besteht, das Erlebnis dadurch zu »re-psychologisieren«, daß die Abschattungen* in die Subjektivitätssphäre eingeschlosssen werden. Zwar wird diese nicht mehr als psychologische, also als faktuelle und ereignishafte Subjektivität ausgegeben, sondern als transzendentale Subjektivität, die in sich durch die Dreiheit ego-cogito-cogitatum zusammengehalten wird. Aber insofern die »Abschattungen« des Wahrnehmungsgegenstandes immer und notwendigerweise ihren Kontingenzcharakter behalten – der seinerseits den der Wahrnehmung innewohnenden teleologischen Zug gründet –, wird es immer schwierig sein, zwischen dem psychologisch »Ereignishaften« und der eigentlich transzendentalen Begegnung mit der Kontingenz zu unterscheiden, zwischen dem transzendentalen Psychologismus als typisierend-eidetischer Organisation der relevanten Tatsachen der psyché und der transzendentalen Phänomenolige als genetische Konstitution des Typisierend-Eidetischen in seiner Gliederung der Teleologien der Kontingenzen. Diese vermeintliche Immanenz der »Erlebnisse« sich selbst gegenüber, die Husserl die Illusion ihrer reinen Gegebenheit in der Sphäre der cogitatio geben konnte, bedeutet in Wirklichkeit, sie in die Subjektivität einzuschließen. Als ob das Erscheinende (der wahrgenommene Gegenstand) durch den Fluß seiner Erscheinungen (seiner in die Subjektivität des »Erlebnisses« übertragenen Abschattungen*) auftauchen würde. Oder als ob die im Erlebnis für unterscheidbar gehaltenen Erscheinungen das Erscheinende vor dem Erscheinenden wären, reine Erscheinungen, die nur durch die Arbeit der aktiven Konstitution des transzendentalen Bewußtseins Erscheinungen des Erscheinenden würden, d.h. letztlich durch das Rätsel, dadurch cogitationes zu sein oder zumindest mit Denken aufgeladen zu werden. Man wird sicherlich niemals mit dem Analysieren des cartesianischen Dualismus, der bis ins Unendliche nachhallt, zu einem Ende kommen. Jedenfalls hätte sich an diesem Punkt alles wenden können, da die im klassischen Denken von der Passivität her bestimmte Affektivität sich auf der Seite der hyletischen, passiv-rezeptiven Sphäre des Bewußtseins hätte wiederfinden oder sie zumindest hätte »einfärben« können, und sie wäre ganz dicht an das Denken herangekommen, dem man zutraut, jene in der Konstitution des intentionalen Gegenstandsbezugs zu beleben oder zu formen. Man könnte auch sagen: wenn die Vorhaben Husserl nicht so stark von dem klassischen Begründungsschema hinsichtlich der theoretischen Erkenntnis der Vorhandenheit* sogar auf der Ebene der Wahrnehmung geprägt worden wären, hätte die Sinnlichkeit »neu fundiert« und die Affektivität wieder in einen ursprünglichen Bezug zum Denken gebracht werden können. Dies ist in seiner Art der von Michel Henry mehr behauptete
35 als eingeschlagene Weg, über den er sich in die gegenwärtigen Auseinandersetzungen einschaltet. Indem er die Verinnerlichung (immanentisation) des »Erlebnisses« bis zum Äußersten treibt, geht er so weit zu schreiben: »[im Leben] kommt am ehesten das Erscheinen ursprünglich zum Erscheinen, u.z. insofern es sich selbst erscheint. Im Selbst-Erscheinen des Erscheinens besteht genau jenes Leben, das sich selbst in jedem Punkt seines Seins spürt, und zwar so, daß dieses ständige und unverbrüchliche Spüren seiner selbst gleichzeitig mit dem Wesen des Lebens das Wesen der Selbstheit (Ipseität) konstituiiert und definiert…«4 Er fügt hinzu, daß wir dieses »Spüren« oder diese »Erfahrung«, die »von nichts anderem Erfahrung ist als von der Kraft, die diese Erfahrung macht«, »die uns auf keine Alterität hin öffnet«, »im Gefühl finden« … »Es ist das Kennzeichen jedes Schmerzes, jeder Freude, in jenem radikalen Sinn sich selbst zu spüren, daß sich in ihnen überhaupt nichts anderes außer ihnen selbst offenbart, keine »Sache« irgendeiner »Welt«. Noch strenger wäre zu sagen, daß sich nicht der Schmerz, sondern daß sich ihm seine Affektivität offenbart. Die Affektivität ist das Wesen eines jeden »Spürens« in diesem ursprünglichen Sinn. Sie ist das Wesen des Lebens und der Selbstheit. »Wesen« will sagen, daß es die phänomenologische Realität des Lebens ist: es enthüllt nicht das Leben, es veranlaßt, daß das Leben […] sich selbst spürt […]. Das Leben ist Leben, insofern es Affektivität ist.«5 Und damit glaubt er eine »radikale Phänomenologie« zu eröffnen. Denn M. Henry zufolge soll Husserls Abhängigkeit von der griechischen Konzeption des Phänomens, welche durch die ek-statische Struktur einer von außen aufs Äußere gerichteten Sicht hindurchgegangen ist, ihn immer daran gehindert haben, sich dieser Radikalität der Immanenz anzuschließen. Das Wahrnehmungs»modell« eines Vorhandenseins*, das als solches gegenüber seiner Sicht indifferent ist, da es immer schon in seiner Äußerlichkeit vorgegeben ist, soll Husserl daran gehindert haben, die Fäden zwischen Affektivität und Denken neu zu knüpfen. Oder, könnten wir hinzufügen: es könnte genauso gut die mißbräuchliche Annektierung oder Auflösung jedes möglichen Denkens in und durch die ausschließliche Struktur der objektiven Erkenntnis gewesen sein. Wir sind hier zweifellos an einem der Kontenpunkte unserer Auseinandersetzung. Die Situation ist sehr komplex, weil M. Henry – was er, nach seinen mündlichen und schriftlichen Beiträgen zu schließen, selbst sehr gut weiß, in einem gewissen Sinn mehr »Cartesianer« ist, als es scheinen mag. Gerade der cartesianische Rahmen erlaubt es ihm nämlich erst, die Affektivität sozusagen als Ort der Selbst-Aufnahme und des Selbst-Erscheinens zu »erweisen«, u.z. gegen eine zu ausschließliche Wahrheit, die den logisch-mathematischen Objektivitäten zuerkannt wird. Es gäbe demnach im Cogito selbst eine unerschütterliche Sicherheit der Selbst-Affektion und der Selbst-Affektivität, die sogar dem hyperbolischen Zweifel standhielte: das Ich, das Selbst wären in sich ganz »ungeteilt«. Man ahnt die Abgründe. Und dennoch glauben wir, daß man zu einem Abstieg in diese Abgründe wenigstens ansetzen und sich fragen sollte, ob denn der hyperbolische Zweifel weit genug getrieben worden ist, ob, anders gesagt, dieses Selbst-Erscheinen des Erscheinens von der hier nicht anders als transzendental zu nennenden Illusion wirklich ganz frei ist. Dieses Selbst-Erscheinen ist nämlich sehr spezifisch, insofern es für das desjenigen Lebens gehalten wird, welches als das meinige sich selbst in voller Durchsichtigkeit (»in jedem Punkt seines Seins«) spürt. Aber wenn dieses Selbst-Erscheinen ursprünglich zum Erscheinen gelangt, bedeutet dies, daß es sich unmittelbar als unendliches Erscheinen begriffslos reflektiert, d.h., in unseren Begriffen, als Phänomen. Es bedeutet weiterhin, daß das Phänomen in dieser unendlichen Reflexion sei-
36 ner selbst sich im Gefühl spürt, was nichts anderes heißt, daß das eigentliche Phänomen für M. Henry das Gefühl ist. Aber Gefühl wovon? Des Lebens und meines Selbst. In diesem Sinn also meines Lebens, das ich in der Tat so erfahre, daß mich niemand darin ersetzen kann, das ich lebe, und nicht ein anderer oder ganz Anderer in mir (Hypothese des hyperbolischen Zweifels). Und diese Art der Selbst-Affizierung des ursprünglichen Phänomens ist die Affektivität. Aber die Affektivität ist nun wiederum das Leben und auch noch das Leben als solches. Was unterscheidet nun mein Leben, das in meiner Individuation gelebte, von dem Leben, welches zugleich das des Gefühls, des für ursprünglich gehaltenen Phänomens ist? Woher kommt plötzlich diese Anonymität des Lebens und des Phänomens? Wie also – und damit strengen wir hier gegen M. Henry kein ungerechtes Verfahren an, da es doch um eine transzendentale Erschleichung geht, schleicht sich hier untergründig dieser ungesicherte und ungerechtfertigte Übergang von der radikalen Individuation im Selbst zur Anonymität des Lebens ein? Was soll denn hier das Leben sein, wenn es nicht von Beginn an menschliches Leben ist? Wir finden hier nun fast im Reinzustand die Struktur des von uns so genannten ontologischen Simulacrums,6 d.h. jene schwer »dekonstruierbare« komplexe Struktur, nach der ein einzelnes Phänomen (ganz allgemein: eine einzelne Erscheinung) sich mit dem Anschein gibt, diese Erscheinung des Erscheinens von dieser selben Erscheinung als Erscheinung schlechthin zu sein (oder als die Erscheinung überhaupt). Wie wir in unseren Recherches phénoménologiques gezeigt haben, rührt die transzendentale Illusion daher, daß auf ungerechtfertigte, transzendental erschlichene Weise von einem Phänomen, das sich gewissermaßen autonomisiert, individualisiert und subjektiviert hat, vermittels eines Bezugs, der sich selbst als urspünglichen gesetzt hat, zur Phänomenalität des Phänomens als solchem oder des Phänomens überhaupt übergegangen wird. Das hat zur Konsequenz, was wir noch während unserer gesamten Untersuchung abzuwägen haben, daß jedes Phänomen, egal welches, selbst nur als Wiederholung dieses eigentlichen Phänomens erscheinen müßte, welche mit den »Abstufungen«, die man einführen müßte, um sich des Ganzen zu »vergewissern« unendlich weiterläuft. Zwar scheint M. Henry diesen »Einwand« vorauszuahnen, weil er nur vom Erscheinen und vom Selbst-Erscheinen des Erscheinens spricht. Aber, wenn dies nicht nur Wörter sein sollen – und wir würden uns Vorwürfe machen, wenn wir ihn nur »beim Wort nähmen« – kann man sich denn ein Erscheinen ohne Phänomen denken, was auch unter dem Exponenten des radikalen hyperbolischen Zweifels – was wir hinfort die phänomenologisch-hyperbolische Epoché zu nennen haben – hieße: ein Erscheinen ohne Erscheinung? Und nochmals: als was spürt sich denn dieses un-endliche Erscheinen in seinem Selbst-Erscheinen? Als reines Erscheinen, als un-endliches Phänomen, d.h. als das Leben? Oder doch als mein Selbst-Erscheinen, als Über-raschung (sur-prise) meiner selbst und meines Lebens unter den Horizonten seiner Endlichkeit, also seiner Geburt und seines Todes? Gäbe es dabei nicht, wenn man hier doch M. Henry beim Wort nähme, ein anonymisierendes und entindividualisierendes Vermögen der Affektivität? Und wird dann nicht das »Erlebnis« ganz unerfaßbar? Wir können natürlich nicht recht sehen, welches der phänomenologische Status »des« Lebens sein soll – auch wenn wir ständig die Erfahrung der Lebendigkeit der Phänomene und des mit ihnen ringenden Denkens machen müssen. »Das« Leben ist phänomenologisch ein metaphysischer Begriff. Daß Husserl so erschöpfend über die »Erlebnisse« und den Begriff des »Erlebnisses« nachgedacht hat, macht ihn bestimmt noch nicht – auch nicht beinahe – zu einem Philosophen oder Phänomenolo-
37 gen »des« Lebens. Dieser Umweg macht uns wenigstens bewußt, daß nicht so sehr die Prägnanz des »kognitiv-perzeptiven« Modells Husserl daran gehindert hat, die Immanenz des Erlebnisses zu radikalisieren, auch nicht dessen Verdunkelung durch das Äußere und durch die ek-statische Struktur der Sichtweise, als vielmehr ein sehr scharfer phänomenologischer Sinn, wenn auch oft sich selbst verborgen, für das, was wir als die Dimension der grundsätzlichen Anonymität der Phänomene herausgehoben haben, sogar ausgeprägter noch, wie wir sehen werden, als selbst bei Heidegger. Gerade diese durchgehaltene Aufmerksamkeit dieser Anonymität gegenüber und nicht deren Vernebelung durch die Objektivität hat Husserl von einer »Lebensphilosophie« ferngehalten. Um dies zu erkennen, braucht man nur zu durchdenken, auf welche Weise eigentlich die Konzeption der »Erlebnisse« »fungiert«. Zwar gibt es bei Husserl, worauf wir schon hingewiesen haben, in dem, was er selbst den »cartesianischen Weg« zur Phänomenologie nannte, eine Immanentisierung der »Erlebnisse«, die in ihrem zeitlichen Fluß vermeintlich zusammenhalten, zwar führt sich in dieser Immanentisierung, in der das »Erlebnis« sich sozusagen mit der Durchsichtigkeit der cogitatio selbst zu erscheinen scheint, auch das konstituierende transzendentale Bewußtsein wie ein ontologisches Simulacrum auf – als ob das Erscheinen der Phänomene im transzendentalen Bewußtsein ein reines, noch nicht verdoppeltes oder noch nicht mit einem unerklärbaren Verlust wiederholtes Erscheinen mit der Positivität des als Äußerlichkeit Erscheinenden wäre, als ob es also ein Erscheinen als Selbst-Erscheinen vor dem Erscheinen gäbe, wobei die gleiche Erschleichung zwischen dem Selbst-Erscheinen der »Erlebnisse« des Bewußtseins und dem Phänomen als solchem auftritt. Aber, nochmals, demnach könnte man nur dann sagen, daß Husserl die phänomenologische Frage »verfehlt« hätte, wenn er das konstituierende transzendentale Bewußtsein als ausschließlich aktives angesehen hätte – wenn, anders gesagt, die Phänomene sich auf die Idealität oder den Begriff reduziert oder sich zu ihrer idealen Version a priori und ihrer phänomenalen Version a posteriori verdoppelt hätten. Auch wenn es wohl eine solche Gefahr bei Husserl geben mag, so tritt sie doch gewiß nicht ein, weil einerseits das Eidetische bei ihm eher die Funktion eines Analyse-Instruments hat als eines Ziels, und weil andererseits die »Sphäre« der ursprünglichen Passivität – der »passiven Synthesen« – die sich ihrerseits dem LogischEidetischen entzieht, in der transzendentalen Konstitution zumindest ebenso wichtig ist wie die »Sphäre« der Aktivität bei der intentionalen Konstitution der Objektivitäten. Die passiven Synthesen, die schon eine gewisse »Formgebung« der phänomenologische Hylé ohne das Wissen des als Aktivität fungierenden Bewußtseins konstituieren, sind also weit davon entfernt, die »Erlebnisse« im vorgeblich sich selbst Durchsichtigen der »cogitatio« zu immanentisieren, sie individualisieren also auch das Subjekt nicht in dem, was der Grund seines reinen Selbst-Erscheinens wäre, sondern führen es eher zu seiner phänomenologischen Anonymisierung. Dieser dunkle Teil des Bewußtseins ist nicht eigentlich erscheinend – es sei denn nachträglich und durch kohärente Verformung vom Konstituierten her – obwohl er wesentlich zum Erscheinen beiträgt. Bei Husserl trat das Problem der transzendentalen Konstitution sehr früh auf und beschäftigte ihn während seines ganzen Werks als unendliches Problem, gerade weil das transzendentale Ego – das »phänomenologisierende Ich« nach der Formulierung Finks in der VI. Cartesianischen Meditation – nicht fähig ist, sich im Punkt des Übergangs von der Passivität zur Aktivität, von der Dunkelheit zur unterscheidenden Klarheit, vom Fluß der Abschattungen* zum Gegenstand in vollem Licht zu er-wischen (sur-prendre) oder sich anzuhängen. Er wiederholt unab-
38 lässig – ein Zeichen seines phänomenologischen Scharfsinns –, daß es einen solchen Übergangspunkt überhaupt nicht gibt. Statt dessen besteht im Phänomen selbst diese unreduzierbare Spannung von der Erscheinung, der Abschattung als Erscheinung, zum Erscheinenden, welche es überhaupt erst erscheinen läßt. Bei näherer Überlegung folgt daraus, daß die konstituierende transzendentale Erschleichung des ontologischen Simulacrums dafür verantwortlich ist, daß Husserl hat glauben können, das Erlebnis in der inneren Wahrnehmung erscheine sich selbst, und daß er Erlebnis und Cogitatio hat verwechseln können. Das Rätsel Husserls besteht darin, daß er sich deswegen nicht in eine Form von Sensualismus oder Empirismus verschlossen hat, welche die Phänomenologie für einen Phänomenismus aufgegeben hätte. Das bedeutet ansonsten und in der gleichen Bewegung, trotz dieser ganz spekulativen Lösung des phänomenologischen Problems, daß das »Erlebnis« in den Husserlschen Analysen als Phänomen nur insofern »fungiert«, als es nicht gegeben ist – weder in einer Selbst-Gebung, noch in einer Gebung von außen. Die Entgegensetzung der Passivität der passiven Synthesen und der Aktivität der intentionalen Konstitution der Objektivitäten besteht also in etwas anderem als im klassischen Gegensatz zwischen der Dunkelheit des Sinnlichen und des Affektiven einerseits und der sich deutlich abzeichnenden Klarheit des Intelligiblen und Begrifflichen andererseits – zwischen einer Subjektivität, die in ihre »Affekte« verstrickt ist und einer klar und deutlich herausgehobenen, also erkennbaren, da wieder-erkennbaren Objektivität. Wenn man das Husserlsche Paradigma der sinnlichen Wahrnehmung wieder aufgreifen will, so findet man dort die immer schon wirkende Spannung zwischen dem nicht erscheinenden Schatten der »Abschattungen« und dem sich in ihr vollziehenden Spiel des Erscheinens, das als un-endliches allein von der phänomenologischen Begegnung mit den symbolisch gestifteten Bestimmungen (das ist diese oder jene Sache, die ich wahrnehme) zu einer wahrnehmungsmäßigen Teleologie diszipliniert wird, die selbst unendlich ist. Eben Licht- und Schattenspiele der Phänomenalität, in denen es nämlich niemals, es sei denn in der dem ontologischen Simulacrum entsprechenden transzendentalen Illusion, reines Selbst-Erscheinen des Erscheinens geben kann – auch nicht einer Affektivtät, die reine Selbst-Affektion wäre. Zweifellos hat niemand besser als J. Pato¢ka in seiner »asubjektiven« Phänomenologie gesehen, weshalb das »Erlebnis« nicht ursprünglich (dem Erscheinen) »gegeben« sein konnte.7 Nachdem er sehr hellsichtig die Immanentisierung der Erlebnisse in der vermeintlich autonomen Sphäre der Subjektivität als eine Subjektivierung des phänomenologischen Feldes gebrandmarkt hat – womit zugleich buchstäblich eine Psychologisierung (der Ursprung des transzendentalen Psychologismus) und ein Einsperren des phänomenologischen Feldes in die Subjektivität verbunden ist –, zeigt Pato¢ka, daß diese Subjektivierung nur durch das Spiel ermöglicht wird, das wir hier die transzendentale Erscheichung nennen: diese besteht darin, das Phänomen in zwei Teile zu spalten und auf die Evidenz einer inneren Wahrnehmung des Bewußtseins, nämlich seiner »Erlebnisse«, das zu übertragen, was eigentlich die nur ganz relative Evidenz der Erscheinungen* oder der Abschattungen* ist, insofern sie es nur vom Erscheinenden* sind. Eigentlich ruft diese »cartesianische« Teilung die Illusion einer im Inneren verdoppelten Äußerlichkeit durch eine aktive intentionale Konstitution hervor, während doch vom eigentlich phänomenologischen Standpunkt aus die Erscheinungen sich am Erscheinenden mit ihren Schatten in Umrissen andeuten und sich »abschatten«. Die transzendentale Illusion besteht also darin zu glauben, daß das Erlebnis in seinem phänomenologischen Gehalt von der Innerlich-
39 keit des Bewußtseins abhängt – das ist zweifellos der bleibende Einfluß von Brentano – und also von der durchschaubaren Gebung eines cogito in der cogitatio, während doch das Erlebnis oder die cogitatio in sich selbst unsichtbar, unanschaulich – und, wie wir für unsere Auseinandersetzung hinzufügen könnten, höchstens »fühlbar«* bleibt, worauf wir noch zurückkommen werden. Pato¢ka präzisiert, daß es eine »subjektive Erscheinung des Ego« deswegen nicht gibt, weil das Ego, das im cogito, sum auftaucht (ohne zu erscheinen) ein seiendes Ego ist oder ein Ego, das »Sein ist«. Die cogitatio dieses cogito ist also leer, ohne anschaulichen Inhalt, in diesem Sinn ist sie also nicht gegeben, kann nicht Gegenstand einer inneren Wahrnehmung sein. Sie ist im Gegenteil, würden wir hinzufügen, ganz der symbolischen Tautologie des Denkens und des Seins verhaftet, deren moderne Form das cartesianische Cogito ist. Wenn man Pato¢ka folgen will, bedeutet dies nun nicht, daß das phänomenologische Feld von »Subjektivität« ganz frei wäre, sondern daß diese sich darin eigentlich auf die »Subjektivität« des sum reduziert, insofern diese – als »ich kann« – die ontologisch-existentiale Möglichkeit ist, das gerade sich phänomenalisierende (erscheinende und verschwindende) Phänomen sozusagen transitiv zu existieren. Also, so unser Kommentar, als Möglichkeit, die »Chirurgie« des Erscheinenden anzuwenden, um es erscheinen zu lassen, wobei diese »Chirurgie« nicht ohne »Instrumente« vor sich geht, nämlich mit denen unseres Leibes*. Wir entnehmen daraus, daß diese ontologisch-existentialen Möglichkeiten weder selbst von einem vorgängigen Selbst-Erscheinen des Erscheinens (im »subjektiv affektiven Erlebnis«) noch, was ebenso widersinnig wäre, von der Willkür eines schon gestifteten Individuums abhängen, sondern daß sie der fundamentalen Anonymität des Vermögens oder der Vermöglichkeit des Seins entsprechen, welches allein in der Lage ist, sich unmittelbar mit der nicht weniger fundamentalen Dimension der Anonymität der Phänomene zu entwerfen und als solches zu empfangen. Auf diese Frage werden wir noch anläßlich der Heideggerschen Jemeinigkeit* zurückkommen, ebenso wie wir noch all das näher betrachten werden, was im »Sich Empfangen«* der Faktizität des Daseins* steckt, von dem Pato¢ka am Ende seines zweiten Artikels über die asubjektive Phänomenologie spricht. Dies bestärkt nur noch unsere Auffassung, nach der das »Erlebnis« wirklich weder als »Erscheinung« noch als »cogitatio« gegeben ist, sondern daß es nur wegen dieser Nicht-Gegebenheit als das, wofür Husserl während seines ganzen Werkes das Phänomen galt, hat fungieren können, weil es sich in der Spannung oder dem konstitutiven »Leben« des Phänomens nur als Phänomen der Anschauung zutiefst entzieht – einer unaufhebbaren Spannung, wie wir gesehen haben, zwischen der Erscheinung und dem Erscheinenden. Was folgt aus diesem langen Umweg für unsere Frage nach dem Rätsel der Leidenschaft des Denkens? Zuerst, nachdem wir nun einmal ihre überaus große Komplexität (an)erkannt haben, daß man sich aus phänomenologischer Sicht weder zur radikal subjektiven Immanentisierung der Affektivität – wie wir sagen: ihrem Einschließen in die Subjektivität – hinreißen lassen muß, was nur zum ontologischen Simulacrum führt, noch daß man sich, was dem durchaus entspricht, auf die relative Psychologisierung zu stürzen braucht, die so tut, als sei der »Affekt« unabhängig vom Denken, so daß er mehr oder weniger gelegentlich als ein trotz allem noch gebliebenes Zeichen der Subjektivität anzutreffen ist. Aber noch weniger sollte man wegen der Schwierigkeit, mit der man dabei zu rechnen hat, sie einfach beiseite lassen (alles in allem erwähnt sie Husserl in seinem veröffentlichten Werk recht selten). Muß man schon jetzt die Husserlsche Phänomenologie auf sich beruhen lassen und Sein und Zeit aufschlagen, wo bekanntlich eine vollkommen eigene Behandlung der
40 Frage der Affektivität (Befindlichkeit*) und der Stimmung* vorgelegt wird? Wir wären dazu versucht, wenn wir nicht den Verdacht hätten, daß die Charakterisierung, Husserl sei zu sehr Theoretiker – dem als einzige Zugangsweise die Vorhandenheit* gelte –, also zu wenig »Phänomenologe«, ja sogar zu wenig »Philosoph«, nicht im wesentlichen von Heidegger selbst käme. Das Werk Husserls läßt uns nicht so unversorgt, wie es scheint – man muß ihn nur in der Lebendigkeit seines Denkens wieder lesen und dabei die notwendige kritische Distanz gegenüber den spekulativen »Theoretisierungen« aufbringen, die Husserl selbst übrigens immer als vorläufig betrachtet hat. Die vorausgegangen Überlegungen werden uns bei der im obigen Sinne wiederaufgenommen Lektüre eines sehr gehaltvollen Textes von 1924 sehr nützlich sein. In diesem Text Nr. 16 von Hua XIV8, den wir schon anderenorts kommentiert haben,9 wird kurz aber entscheidend das behandelt, was man seit Heidegger als Stimmung* versteht. Dieser Text ruft um so größeres Interesse hervor, als er unseres Wissens einer der seltenen Texte ist, in denen Husserl sich zumindest beiläufig über Psychosen äußert. Im der dem Haupttext zugeordneten Beilage XLII schreibt er: »Die E I N F Ü H L U N G setzt L E I B L I C H K E I T voraus. Dagegen der Einwand, den wiederholt B E C K E R geltend machte: Geisteskranke, die sagen, dass sie in sich noch ein anderes Ich tragen. Sie hören Stimmen, Reden in sich und nicht von außen. Ich antworte auf diesen Einwand mit meiner alten Unterscheidung zwischen Außenleiblichkeit und Innenleiblichkeit. Meine alte Meinung war die, dass nur durch Verflechtung mit dem Aussen ein Innen objektiv setzbar ist, also ein alter ego für mich »dasein« kann.« (Hua XIV, 336) Ohne hier die ganze Problematik wieder aufrollen zu wollen und um endlich zum angekündigten uns interessierenden Übergang zu kommen, sollten wir nur versuchen, die phänomenologische Notwendigkeit dieser Unterscheidung zwischen Innenleib* und Außenleib* klar herauszuarbeiten. Wenn man Husserl (insbesondere Hua XIV, 330-331) genau liest, ergibt sich, daß die Umwelt* nur äußerlich, also Ort der möglichen Wahrnehmungen wird, wenn sie auf einen Leib* bezogen wird, der in seiner Leiblichkeit* selbst in ein Innen und Außen geteilt ist: einen Innenleib* oder ein Leib-Ich*, das sich in einen Außenleib* veräußerlicht, der seinerseits sich um den ersteren zentriert. Es ist entscheidend, daß diese Entäußerung für Husserl unmittelbar »Ausdruck«, d.h. sprachliches Phänomen ist und daß durch dessen Vermittlung das Innere mit dem Äußeren in Beziehung steht. Dieses Äußere kann seinerseits sich auf zwei Weisen zeigen, entweder als Ding*, als Positivität, das, obwohl »leibhaftig«*, dennoch ohne eigenes Leben und in diesem Sinn Matrix der Objektivität ist, oder als der andere Mensch oder das andere Ich, in welchem Fall es eine Appräsentation einer Innerlichkeit gibt, einer Innenleiblichkeit*, die nicht die meine ist. Und sie gibt sich nun nicht im Modus der Wahrnehmung, sondern sie appräsentiert sich als eine gewisse Abwesenheit – von einer Anwesenheit, die ursprünglich im Abstand zu der meinen gelebt wird – durch die Vermittlung der Wahrnehung seiner Außenleiblichkeit*. Daraus folgt für Husserl, daß das Verständnis des sprachlichen Phänomens – das ist etwas anderes als die »reine Logik« der ersten Logischen Untersuchung – immer von der Appräsentation abhängt (s. Hua XIV, 332-333). Der Reichtum des Husserlschen Denkens liegt hier darin, auf welche Weise er die Unterscheidung zwischen »innen« und »außen« – also auch zwischen Immanenz und Transzendenz – neu denkt: nicht als eine »metaphysische«, sondern als eine innere phänomenologische Unterscheidung des Leibs*: ein Innen-Leib* entäußert sich
41 immer noch als äußerer Leib*, und nicht als ein vom Geist getrennter Körper*. Es gibt nur dann Intimität der Innenleiblichkeit*, und in diesem Sinn Intimität des Lebens des Ich (ipse), wenn es in genauer Entsprechung eine Überkreuzung zwischen zwei Leiblichkeiten, der inneren und äußeren, gibt, d.h. nur wenn diese Teilung sich selbst in der Appräsentation des Anderen durch den gleichen Chiasmus erscheint, der dort stattfindet. Ich verleibliche mich nur, haben wir an anderer Stelle erläutert, wenn ich mich im anderen verleiblicht sehe. An dieser Stelle unseres Gedankengangs ist es schon erlaubt zu sagen, daß die Stimmung* – und folglich die Affektivität – nur dann als in mir verleiblichte Stimmung* erscheint, nämlich als die, die ich lebe – nicht als die anonyme der Welt, des Lebens oder gar der Welt des Lebens –, wenn ich schon in der phänomenologischen Gemeinschaft, die durch die anderen verleiblicht wird, schon verleiblicht bin. Wir werden öfter noch Gelegenheit haben, auf diese sehr wichtige Frage zurückzukommen. Soviel einstweilen zu Husserls Betrachtungsweise, um sie aber in ihrer ganzen Feinheit zu erfassen, wäre ihr Kontext noch zu präzisieren. Dies werden wir ausgehend von den von uns so genannten sprachlichen Phänomenen tun, die wohlgemerkt viel mehr umfassen als einfach die sprachlichen Äußerungen, weil sie die ganze Entäußerung der Leiblichkeit* einschließen. Husserl sprach von »Ausdruck« nicht im Sinn des reinen Ausdrucks der reinen Logik, sondern, um wie Husserl in diesem Text die Begriffe der ersten Logischen Untersuchung wieder aufzunehmen, im Sinn der Indizierung*, Anzeige*. Sogar die Einfühlung* vollzieht sich, präzisiert er, durch »analogisierende Indizierung« (Hua XIV,337). Was geschieht denn – um damit zu beginnen –, wenn ich spreche oder wenn ich nur schweigend denke oder spreche? »,Innenleiblich‘ erzeuge ich ursprünglich ,Reden‘, Tonfolgen, die ursprünglich assoziativ« »gewisse psychische Eigenerlebnisse« mit sich führen, die als solche originäre Erlebnisse sind (s. ebda.). Anders gesagt, handelt es sich da um eine Art von inneren sprachlichen Phänomenen, in die sich durch ursprüngliche Assoziation, d.h. durch passive Synthesen, die Erlebnisse verflechten: als ein Geschehen in der Innenleiblichkeit* kann die Verleiblichung der »Rede« nicht von einer ursprünglichen Passivität des »Erlebnisses«, das als solches sich der Aktivität des Bewußtseins entzieht, getrennt werden. Die Zeichen der Rede – die Töne, die hier als nicht tatsächlich ausgesprochene, sondern als im Schweigen aufeinanderfolgende aufzufassen sind – sind nicht abstrakt oder wie Zeichen von Bedeutungen* oder Begriffen reflektiert, sondern passiv miteinander verknüpft in Verbindung mit der Aktivität des sich im Bewußtsein bildenden und suchenden Sinns. »Erlebt« wird eigentlich der Sinn selbst, insofern er in der Innen-Leiblichkeit* verleiblicht ist und dabei in dieser Leiblichkeit* so etwas wie die innere »Phantasie« von entsprechenden Kinästhesen mobilisiert. Wie der Sinn ist also auch das »Erlebnis« nicht »gegeben« – es läuft in der Gegenwärtigkeit ab wie der zu bildende Sinn –, und wenn man von Zeichen sprechen kann und muß, so ist es eher im Sinn von »Sedimentierungen« des Sinns, der sich bildet – »Sedimentierungen, die ich eben nicht gewählt habe und welche das ausmachen was wir die symbolische Stiftung der fungierenden Sprache genannt haben.10 Im nächsten Schritt ist zu fragen: Was geschieht beim Verstehen der »Rede« des anderen? Zunächst muß jede Rede in ihrer doppelten Dimension genommen werden, sie ist »einmal eine »ichfremde« Tonfolge und fürs zweite ein »innerlich«, kinästhetisch innenleiblich Ablaufendes und folglich – d.h. durch passive Synthesen, die mit der Verleiblichung deckungsgleich sind – ein »innerlich Motiviertes« (ebd.). Des weiteren, fährt Husserl fort, ist dieser Verlauf nicht nur »im subjektiven Tun (Rede, Sin-
42 gen)« zu nehmen, sondern als Verlauf des (schon anonymeren) »Ausdrucks einer Gemütsbewegung, eines darunter liegenden Gedankens etc.« (ebd). Die »Rede« wird durch dieses Verweben und diese »Verwachsenheit von Ausdruck und Ausgedrücktem« verleiblicht, nicht seinem logischen Gehalt nach, sondern nach all den »Wendungen, Gliederungen und Formen (des sinnlichen Ausdrucks und des Ausgedrückten)« (ebd.). Wie bei der Indizierung so ist auch hier keine Rede von »Reduktion« all dessen, was als Gesten, Mienenspiel, Körperbewegungen in dem erscheint, was Husserl in der ersten Logischen Untersuchung unter dem Begriff der Kundgabe/Kundnahme* faßte. Worin besteht nun das Hören? In einer Einfühlung*, in der das Ausgedrückte der gemeinten »Rede« – der Sinn – konkret in den »subjektiven Zusammenhang eines Ich-Lebens« mit-gesetzt wird, zwar selbstverständlich*, aber ähnlich durch die den passiven Synthesen angehören Assoziationen miteinander verknüpft. Das bedeutet, daß die gehörte und verstandene – und wirklich verstandene- »Rede« sich dabei auf ihre Weise wie ein Leib* aufführt, mit der in ihm innewohnenden Verflechtung seiner Innen- und Außenleiblichkeit. Wenn wir nun zu dem zurückkehren, was wir in dieser Ausführung die »Sedimentierungen« des Sinns zu Zeichen (Tönen, Schriftzeichen) genannt haben, sehen wir Husserl einen sehr erhellenden Parallelismus denken zwischen dieser inneren Äußerlichkeit der Zeichen in der Leiblichkeit* des Sinns oder der »Rede« und der körperlichen* Seite des Außenleibs, der immer noch ein räumlicher Leibkörper* bleibt. Anders gesagt, ist der Bezug zwischen den Zeichen und dem Leben des Sinns auf der einen und der Innenleiblichkeit* und der räumlichen Körperlichkeit des Außenleibs* auf der anderen Seite gleich. Es gibt also im Übergang vom Innen zum Außen gleichermaßen eine Art von Sedimentierung – wir würden sagen den Auftritt einer symbolischen Stiftung – der Leiblichkeit* in der Körperlichkeit* und infolgedessen zumindest das Risiko einer Entleiblichung. Ebenso wie die Außenleiblichkeit* des anderen leicht als ein Leibding* wahrgenommen werden kann, so läuft die gehörte und gehörte »Rede« Gefahr, als »dinghafte« Bekundung, einfache Einkleidung von Gedanken wahrgenommen zu werden, und insofern als entleiblichte, als sie nicht selbst »von innen heraus« erfahrbar ist. Zumindest wenn man sich die Mühe gibt, Husserl im übertragenen Sinne zu lesen, ergeben sich gerade hier zwei Fälle der Gestalt. Entweder nimmt der Verstehende die verstandene »Rede« nur als eine Einkleidung von Gedanken, welche an sich für den von ihr transportierten (logisch-eidetischen) Informationsgehalt unwesentlich ist. In diesem Fall gibt es kein Verstehen eines Selbst und eines Sinns durch ein anderes Selbst, statt dessen findet eine Elision der konkreten Subjekte durch den ideellen Gehalt statt, wie es im besonderen Grenzbereich der wissenschaftlichen Objektivität und des wissenschaftlichen Diskurses der Fall ist. Oder aber die sedimentierte Körperlichkeit* der schlecht verstandenen Rede wird völlig passiv aufgenommen als eine immanente Folge von Empfindungsdaten, ohne die »Motivation«, die daraus den anderen, zu verstehenden Sinn macht. In diesem Fall wird sich in der Immanenzsphäre des Verstehenden (oder schlecht Verstehenden) ein Sinn durch Projektion zu konstituieren versuchen, durch ein Hineindenken*, wie Husserl in Hua XIV, 337 schreibt, in diese zunächst träge Äußerlichkeit, eine Äußerlichkeit, die passiv, wie eine materielle Prägung in der Innerlichkeit empfangen wird. Und zwar so, daß durch dieses Fehlen von Distanz gegenüber dem so Empfangenen und Beseelten dieser »Sinn«, dem ich meine Mittel entgegengebracht habe, der aber nicht der meine ist, jede Möglichkeit hat, den Zusammenhalt meines inneren Lebens aufzubrechen, in Konflikt mit »meinem« Leben zu treten, sich wie ein innerseelischer Konflikt
43 oder, noch schlimmer, als »Persönlichkeitsspaltung« auszuwirken. Damit scheint, was hier nur beiläufig erwähnt werden kann, das Problem der Schizophrenie auf, das einer radikalen Äußerlichkeit, eines Danebenstehens, das unmöglich in der einer der Innerlichkeit eigenen Köhäsion von Selbst zu Selbst aufgeholt und abgearbeitet werden kann, und gegenüber der auch keine Distanzierung möglich ist. Damit ist eine reine immanente Passivität – auch die der Affektivität – eine des Wahnsinns, zweifellos im von uns aufgedeckten Rahmen des labilen Spielraums zwischen Individuation im Ipse (das ist mein Leben) und der radikalen phänomenologischen Anonymität (das ist das Leben). Das bedeutet für den Fall der verstandenen »Rede« mit anderen Worten, daß die passive Synthese keinesfalls so aufgefaßt werden kann, daß man sie als materielle Prägung völlig passiv von außen empfängt. Die Körperlichkeit der Zeichen ist immer schon auf Distanz im Äußeren (Husserl geht dabei so weit, von ihrem »An-sich-Sein« zu sprechen, unabhängig von ihrem subjektiven Verständnis), und genau mit dieser Äußerlichkeit verstehe ich sie – was ebenso für die Außenleiblichkeit* des anderen gilt. Recht verstanden muß man sogar diese ursprüngliche Äußerlichkeit als eine ursprüngliche Räumlichkeit auffassen, die nicht auf die Zeitigung des verstandenen Sinns zurückgeführt werden kann, welche ihrerseits für die (als sich bildender Sinn aufgefaßte) Phänomenalität der Zeichen konstitutiv ist. Gerade dies ist dafür verantwortlich, daß sie Zeichen des sich bildenden Sinns sind und nicht einfach schlichte Signale, die passiv aufgenommen werden. Und an der eigentlichen Stätte der Einfühlung* und der Verleiblichung erweist sich, daß diese, um sich selbst in der Begegnung des Ichs mit dem alter ego zu erscheinen, sich ebenso als die notwendige Distanz – der Abstand oder die ursprünglichen Räumlichung – zwischen mir selbst, zwischen meiner Innenleiblichkeit* und meiner Außenleiblichkeit* abspielt. Demnach bedeutet die wahrhaft phänomenologische Begegnung mit dem anderen nicht so sehr die Begegnung zwischen einer in erster Linie ichhaften Innerlichkeit und einer Transzendenz, sondern eine sich überkreuzende Begegnung zwischen ursprünglichen Chiasmen von innerlichen und äußerlichen Leiblichkeiten*. »Sich überkreuzend« – denn niemals, es sei denn vielleicht in der Psychose, überlagert die dem Selbst ursprüngliche Räumlichkeit die dem anderen Selbst ursprüngliche Räumlichkeit: es gibt zwischen den beiden jene Schieflage, die ihre Äußerlichkeit oder das, was wir ihre ursprüngliche Verdrehung nennen, schafft. Ohne diese Schieflage wird das Ipse zum solus ipse, und wahrscheinlich verrückt, weil nun nichts mehr die Außenleiblichkeit* des Selbst davon zurückhält, sich vollständig in der Körperlichkeit aufzulösen. Dies stellt einen Extremfall der »Spaltung« dar, in dem nicht einmal mehr die Anonymität der Phänomene mit ihrer Unheimlichkeit* das Selbst bedrängt, sondern die Abwesenheit der Phänomene, die sich in der materiellen Körperlichkeit – sowohl der eigenen wie der Dinge – pulverisiert haben. Äußerst erregend ist, daß es um die Stimmung* und die Affektivität genauso bestellt ist. Hier bietet sich ein Husserl-Zitat an. Nachdem er das Feld der (visuellen, taktilen usw.) Empfindungen und ihren Ort, ebenso wie ihre Überkreuzungen in den phänomenologischen Organen der Empfindungen und im Leib* als phänomenologischem Organ der Empfindungen betrachtet hat, nachdem er weiterhin die Werkzeuge als deren Erweiterung betrachtete, insofern diese Weisen der Umgestaltung der Umwelt* sind (Hua XIV,328-330) kommt Husserl auf die »Gemeinempfindungen«* zu sprechen, »die sinnlichen Gefühle«*, zunächst diejenigen, die auf diesen Bereich des Leibes beschränkt sind (Schmerz und Lust), dann die »unbegrenzten Gemeingefühle, evtl. unbestimmt lokalisiert, den ganzen Leib durchströmend, vom »Herzen«
44 ausstrahlend, im Kopf (nicht auf der Kopfhaut) lokalisiert etc.« (Hua XIV, 330). Mehr sagt er nicht darüber, präzisiert allerdings ohne ausdrückliche Verknüpfung, daß dies »die Ichakte, die Ichaffektion, das Aufmerken etc. in seiner Leibesbeziehung« betrifft (ebda.), und daß es sich, in sich ausdifferenziert, um eine »Kernschicht« der Innenleiblichkeit* gruppiert. Das impliziert bei genauem Lesen, daß hier immer die Differenz zwischen Innen- und Außenleiblichkeit ins Spiel gebracht wird, und daß es jedenfalls keine rein innere Affektion gibt. Das wird durch den Text, auf den wir hinauswollten, bestätigt: »Wichtig sind evtl. noch die Affekte Zorn, Scham, Angst usw., die in ihrem mannigfaltigen Verlaufstypus, ihrer inneren Erscheinungsstruktur im wesentlichsten Grundstück zur Innenleiblichkeit gehören, andererseits auch Aussenseiten haben; nicht bloss im Zorn die äusseren Verlaufsformen der betreffenden heftigen Bewegungen der körperlichen Glieder und des ganzen Leibes im »ich bewege« (zunächst was darin egologisch merklich, sichtlich und indirekt präsentiert ist), sondern auch, was im spezifischen Zornaffekt durch seine Gemeinempfindungen, Gemeingefühle etc. auf Leiblichkeit als Äusserlichkeit verweist. In der »brennenden« Scham spüre ich auch in den Wangen das Brennen. Das Erröten sehe ich nicht, aber wenn ich den Andern als Andern schon apperzipiere, und in einer Scham anderwärts anzeigenden Situation, so »sehe« ich ihm auch die »brennende« Scham »an«, und es assoziiert sich mir indirekt das Erröten mit diesem »Brennen«. Dieses Beispiel zeigt, dass die Bildung mittelbarer Assoziationen, die nicht ursprünglich egologisch gebildet sein können, eben auch auf dem Umweg über die Einfühlung sich noch bilden können [sic].« (Hua XIV, 330-331) Offensichtlich stellt sich Husserl hier in eine usprünglich »intersubjektive« Situation. Die Wut erscheint, phänomenalisiert sich nur als solche, insofern sie sich als Stimmung* der Innenleiblichkeit* phänomenalisiert, die auf ihre Entäußerungen in der Außenleiblichkeit* verweist (Heftigkeit der Stimme, Körperbewegungen) – mit den verschiedenen Varianten von der kalten bis zur heftigen Wut. Wäre dem nicht so, dann würde in einer solchen Trennung der beiden Leiblichkeiten ja nur pure Gestikulation betrieben, sowohl was meine Leiblichkeit angeht, die nun über keinen Sinn der Wut verfügte, als auch die des anderen. Das gleiche gilt von der »brennenden Scham«: Ich erröte vor Scham und nicht einfach wegen eines eingebildeten Brennens, weil das Brennen meiner Wangen, das ich spüre, ohne es zu sehen, das der Scham ist, ebenso wie das Erröten des anderen im entsprechenden konkreten Kontext unmittelbar, ohne jedes vorgängige Überlegen, den Sinn des »Aus-SchamErrötens« hat und nicht einfach nur irgendeiner physiologischen Reaktion zugeschrieben wird. Man könnte das gleiche auch über das Erbleichen vor Angst usw. sagen. Das Ineinandergreifen oder der Chiasmus der Innenleiblichkeit* und der Außenleiblichkeit* bedeutet also für Husserl sowohl die unmittelbare, eo ipso subjektive Verleiblichung der Stimmung*, als auch, daß diese als etwas entsprechend Sinnhaftes erscheint, wobei ich diesen Sinn nicht in der vermeintlich abgehobenen Souveränität eines theoretischen Bewußtseins bilde, sondern es ist ein Sinn, dessen affektive Dimension gerade darin liegt, daß ich ihn spüre und ihm unterworfen bin. Dieser Sinn ist auch nicht einfach der »meine«, weil es eine genaue Entsprechung von Innen- und Außenleiblichkeit gibt, vielmehr verbindet sich hier die Distanz zwischen Innerem und Äußerem mit der Distanz zwischen der Jemeinigkeit* der Stimmung* in ihrem phänomenalen Gehalt und ihrer phänomenologischen Anonymität, dank derer übrigens ich von der Wut, der Scham, der Angst usw. »ergriffen« werde.
45 Eine andere Annäherung an das Problem wäre, zu untersuchen, was in der schizophrenen Spaltung in zwei Leiblichkeiten geschieht. Nun haben wir gesehen, daß es dabei keine Distanz oder innere Verräumlichung zum Leib gibt, und sowohl meine Gesten als auch die des anderen distanzlos passiv aufgenommen werden. Anders gesagt wird das Ich (das Innere) buchstäblich durch das Aufgenommene eingenommen, ist von ihm bis zur Faszination gefangen und hat hier wie im Verhältnis zum Sprachlichen kein anderes Mittel als das eines »Hineindenkens«*, das mit dem vom Leben des Ichs noch Gebliebenen in Konflikt tritt, was bis zum Auseinanderbrechen geht oder gehen kann. Es ist in diesen Fällen höchst bedeutsam, daß während sich das von L. Binswanger als dieses »Eingenommensein« oder »Gefangennahme« durch das »Thema« Gedachte vollzieht, sich der von den Psychiatern so bezeichnete »Manierismus« ausbildet, womit gemeint ist, daß der Patient in seinem Bestreben sich ständig nach einer, wie er annimmt, von vornherein vorgeschriebenen Rolle zu verhalten, nicht mehr in der Lage ist, vom Inneren der Innenleiblichkeit* her die Entäußerungen der Stimmung* in der Außenleiblichkeit bewohnen zu können – also die Unmöglichkeit, den Ort »wiederzufinden«, wo die beiden Leiblichkeiten sich überkreuzen, um Sinn zu bilden. In diesem Fall – man denke an den von Binswanger beschriebenen Fall Suzanne Urban – gibt es keine Intimität mehr, es sei denn des Entsetzens einer Anonymität des Lebens, das ohne Zeit in einer schrecklichen Monotonie dahingeht. Einen solchen phänomenologischen Status hat eigentlich »das Leben«, von dem M. Henry spricht. In seiner gedanklichen Bewegung jedenfalls zeigt der Text Husserls, daß die Affektivität niemals sich selbst gegenüber streng immanent ist (die reine Immanenz zerstört sie im unendlichen Leiden eines dann unendlich »leidenden«11 Wesens), vielmehr ist sie immer mehr oder weniger aufgrund der Teilung und Überschneidung beider Leiblichkeiten inter- oder eher transsubjektiv, in einer ursprünglichen phänomenologischen Gemeinschaft aufgenommen, und es wäre künstlich, diese in Monaden zu teilen, die sich gegenseitig äußerlich bleiben und sich jeweils über ihre Subjektivität oder die Sphäre ihrer Psyche schließen, was das bereits erwähnte Verschließen der Affektivität und auch des Denkens in der Subjektivität bedeutet. Man kann nicht behaupten, daß Husserl dem ganz entgangen wäre, weil eine Fülle von Texten (insbesondere in Hua XV) zeigt, wie er meist in aporetischer Weise mit dem quasi-leibnizschen Problem einer transzendentalen Monadologie ringt. Aber er gibt jedenfalls auch die Mittel an die Hand, um anderes und auf andere Weise zu denken. Im übrigen wird man nicht ohne Recht sagen, daß wir einigermaßen frei mit dem streng Heideggerschen Sinn von Stimmung* umgehen. Das trifft zwar zu, aber wir werden uns zu zeigen bemühen, daß eben dieser Sinn noch zu strikt oder zu eng ist und daß er einem existentiellen Solipsismus entspricht, der die Frage des Empfangs oder des Aufnehmens der Faktizität des Daseins* durch das Dasein* selbst unbeantwortet läßt. Es ist bekannt, wie schwach das Heideggersche Denken der Inter- oder Transsubjektivität ist – wie sehr das Mitsein*, in seinen ontisch-existentiellen Äußerungen eng begrenzt, eher eine »verbale Lösung« ist, und damit eher ein abstraktes als ein konkret die Erfahrung artikulierendes Existential. Dazu paßt zweifellos, wie wenig Aufhebens Heidegger um die Leiblichkeit* und Verleiblichung gemacht hat. Darauf werden wir noch zurückkommen. Was diese Fragen angeht, ist rückblickend im Gegensatz dazu bei Husserl Reichhaltigeres zu finden, allerdings unter der Voraussetzung, ihn, wie man es oft genug getan hat – Heidegger als erster – nicht nur »beim Wort zu nehmen«.
46 Was bedeutet nun, bevor wir zu Heidegger kommen, die »Transsubjektivität« der Affektivität? Es bedeutet, daß diese gleichermaßen Affektivität des Leibs wie des Ichs ist und daß in ihr der Leib sich selbst ebenso aufnimmt wie das Ich in seiner Faktizität ein anderes Ich in seiner Faktizität empfängt. Anders gesagt heißt dies, daß es den Empfang einer Faktizität durch eine andere Faktizität und den Empfang meiner eigenen Faktizität durch mich selbst nur insofern gibt, als dieser Empfang in sich in einen inneren und einen äußeren Leib gespalten ist. Oder in wieder anderen Worten, daß ich die Stimmung* nur »spüre«, wenn ich sie von einem »Inneren« her spüre, das einem »Äußeren« notwendig entspricht, das es überdeckt und mit dem es sich (in der ursprünglichen Distorsion) verschränkt, und zwar ohne jede Konstruktion oder Überlegung (was im abstrakten philosophischen Diskurs eine imaginäre Version der Schizophrenie wäre), weder in mir noch im anderen, und ohne Symmetrie zwischen dem Ich und dem anderen, weil der innere Abstand von mir zu mir selbst niemals der gleiche ist wie der ebenso innere Abstand zwischen mir und dem anderen und dem Abstand des anderen zu sich selbst. Um es mit wieder anderen Worten zu sagen, bedeutet die Transsubjektivität der Affektivität, daß es hier einen – nach dem Bisherigen nicht bloß passiven – Empfang oder ein Aufnehmen der Faktizität als Faktizität eines Ich oder vielmehr einer Jemeinigkeit* nur auf dem Boden einer phänomenologischen Anonymität geben kann, welche jene überschreitet und aus der jene in dunkler Weise die Mittel ihrer Individuation schöpft. Wenn man bedenkt, daß Heidgger in Sein und Zeit* die Faktizität als die eines Daseins* und einer Welt versteht, die jeweils in der Jemeinigkeit* die meinigen sind, und wenn man bedenkt, daß für ihn das Denken sich jeweils nur in der Endlichkeit der Entscheidung in und für diese Faktizität befreien kann, eine Entscheidung, die durch den Tod in Übereinstimmung mit dem existentialen Solipsismus gebracht wird, dann folgt daraus, daß die phänomenologische Anonymität entsprechend nur eine von ursprünglicher Pluralität der Faktizitäten sein kann, also von einer ursprünglichen phänomenologischen Pluralität von Welten, daß die Stimmung* in ihrer leiblichen Anonymität auch Stimmung* der Welten ist und, in der gleichen Bewegung, daß es desgleichen im Denken, auch dem »entschiedendsten«, eine Dimension von Welten gibt, in der, wenn einmal das Eingeschlossensein in der Subjektivität aufgebrochen ist – das sich bei Heidegger im Verschließen im faktischen Dasein* fortsetzt –, das Denken einige Chancen finden kann, seiner Leidenschaft zu begegnen. So sieht der Fragehorizont aus, der sich vor uns auftut und der uns eine Behandlung der von uns gestellten Rätsel zu erahnen gestattet, welche weniger unmöglich ist, als es vorgekommen sein mag. Man muß hier allerdings genauestens auf ihre architektonische Verflechtung achten. Um die uns gestellte Aufgabe zu verfolgen, diese zu entwirren zu versuchen, werden wir nochmals12 die Problematik der Stimmung* und der Befindlichkeit* in Sein und Zeit* genauer betrachten. c) Heidegger Bekanntlich ist die Befindlichkeit* in Sein und Zeit* ein fundamentales Existential des In-Seins* des Daseins* als In-der-Welt-Sein. Dieser ontologisch-existentialen Struktur entsprechen auf der ontisch-existentiellen Ebene die Stimmung* und das Gestimmtsein* im als Dasein* gefaßten Bezug zur Welt. Heidegger beginnt seine Analyse (SuZ, 134), indem er das betrachtet, was wir normalerweise unter Stimmungslagen verstehen: Gleichmut, Mißmut, Verstimmung*, Ungestimmtheit*, die gehobene* Stimmung*. Und ihre große Variabilität, Unbeständigkeit, ihre Kraft des
47 Umschlagens im Dasein*. Gerade weil wir ganz allgemein nicht über unsere »Stimmungen« verfügen, öffnet sich in ihnen das Dasein* auf sich selbst hin als sein »Da«, welches zugleich das »Da« seiner selbst und der Welt ist und in dem sich das Gestimmtsein als das sich in der Stimmung* manifestierende Band zwischen Dasein* und Welt artikuliert. Hier erweist sich das Gewicht oder die Last des Seins, welches das Dasein* auf transitive Weise existierend zu sein hat, sowohl als das seinige Sein als auch als das seinige Weltsein, ob nun in erdrückender Weise wie in der Ungestimmtheit oder in heiterer Weise wie in der gehobenen Stimmung. Die Last der Existenz ist ebenso die des Seins, welches das Dasein* für sich selbst zu sein hat wie die der davon nicht zu trennenden Welt: eine der radikalen Neuheiten von Sein und Zeit* liegt darin, daß die Stimmung* nicht mehr der Psychologie angehört, also dem »Erlebnis« oder dem »Seelenzustand«, sondern daß sie in ihrer unstreitigen aufbrechenden Kraft unlösbar damit verbunden ist, wie das Dasein* in der Welt »sich befindet«, indem es sie »findet«. Das bedeutet, daß in der Stimmung* die Faktizität des Seins des Daseins (und der Welt, die davon nicht zu trennen ist) sich sozusagen roh zeigt, ohne daß deswegen seine Herkunft und sein Ziel aus dem Schatten treten (s. SuZ, 134-135). Etwas ist allerdings sicher: die Erschlossenheit des Daseins* auf die Faktiziät seines Seins vollzieht sich nicht mittels einer (theoretischen) Erkenntnis und bringt eine solche auch nicht hervor. Daß man dieser (in der Stimmung* erschlossenen) Öffnung zur Faktizität im Alltäglichen ausweicht, schließt nicht aus – das Ausweichen ist ein negativer Modus –, daß die Faktizität, die nichts von einer theoretisch in der Vorhandenheit* feststellbaren Tatsache hat, in die Existenz aufgenommen und auf sich genommen würde (s. SuZ, 135). Denn die Stimmung* (s. SuZ, 136) geht jeder Erkenntnis und jedem Willen voraus: sie hat ihren Ort in der Befindlichkeit*, die als Faktizität des immer schon Geworfenseins des Daseins* und als das, in dem sich das Dasein* immer schon jeweils in einer Stimmung* gefunden hat, zu nehmen ist. Die Öffung des Daseins* zur Faktizität seiner Geworfenheit in der Befindlichkeit ist also ursprünglich, älter als jeder Bewußtseinszustand, und deshalb sucht sie ihn heim und kann nicht, auch wenn das Ausweichen zu einem solchen Gedanken verleiten könnte, mit dem Unbewußten verwechselt werden. Es gibt in diesem Stadium eine erste mögliche Begegnung zwischen dem Denken und der ihm eigenen Leidenschaft. Wir sind ja, jedenfalls anscheinend – wir werden darauf zurückkommen –, von der Verschlossenheit in der Subjektivität und in der Psychologie ausgegangen. Wenn die Befindlichkeit »eine existentiale Grundart der gleichursprünglichen Erschlossenheit von Welt, Mitdasein und Existenz« ist (SuZ, 137), anders gesagt, wenn das Da des Daseins* das Da der Welt in seiner Gesamtheit ist, wenn die Welt ebenso wie ich selbst »schwer«, oder »leicht«, »langweilig«, »monoton« oder »erhebend« ist, dann wird die klassische Perspektive des »wahren« Zugangs zur Welt durch die affektive Neutralisierung der theoretischen Erkenntnis völlig umgekehrt. Weit davon entfernt, daß man die Affektivität neutralisieren müßte, um Zugang zur Welt zu haben, ist im Gegenteil die Befindlichkeit selbst die Bedingung für eine Erschlossenheit der Welt, für ihre »Angänglichkeit« (s. SuZ, 137). Heidegger schreibt: »Wir müssen in der Tat ontologisch grundsätzlich die primäre Entdeckung der Welt der »bloßen Stimmung« überlassen.« (SuZ, 138). Es muß also in der theoria selbst etwas von der Stimmung geben, jenseits der von ihr vollzogenen Neutralisierung und Nivellierung der Welt einzig auf die Ebene der Vorhandenheit*: in der »Ruhe« der Kontemplation, in ihrer »Freizügigkeit« im Gleichklang damit, kein anderes Ziel als sich selbst zu haben. Dazu zitiert Heidegger die Metaphysik
48 (A,2) des Aristoteles, ebenso wie das zweite Buch der Rhetorik, als den einzigen Text der Tradition – ohne »nennenswerten Schritt vorwärts« seitdem –, in dem die Stimmungen*, die pathè oder die »Leidenschaften« auf der ontischen Ebene außerhalb jeder Psychologie behandelt worden seien. Diese Art der in feinen Strichen entworfenen »Phänomenologie der Leidenschaften« ist weder von Heidegger noch unseres Wissens von irgendjemand anderem ausgeführt worden. Aber insofern man, wie wir gesehen haben, das Denken als etwas begreifen muß, das die mehr oder weniger fixierten Rahmen der »Theorie« weit überschreitet, öffnet sich hier eine ganz neue Möglichkeit, die eine eigene Behandlung verdient hätte. Zweierlei hält uns indes davon ab, uns gleich hier aufzuhalten: erstens ist die Rhetorik eine Abhandlung, die sozusagen unmittelbar in einem »intersubjektiven« Zusammenhang geschrieben ist, dessen Konkretheit hier allerdings nicht aufzutauchen scheint; zweitens ist in der von uns aufgeworfenen Frage der Leidenschaft des Denkens die »Definition« des Denkens selbst in Frage zu stellen, zumindest in der klassischen Form seiner symbolischen Tautologie mit dem Sein, womit auch das damit verbundene eidetische »Prinzip«, die verschiedenen Arten der Befindlichkeit zu klassifizieren und die verbindenden Ableitungszusammenhänge miteinander in Beziehung zu setzen, fraglich wird. Eine »Phänomenologie der Leidenschaften« dürfte nicht – darin liegt die Gefahr – in die Falle einer »Theorie der Leidenschaften« gehen, auch wenn diese nicht psychologisch wäre – denn diese »Theorie« liefe nicht, ohne daß sie das zu Behandelnde durch das Einbringen der ihr eigenen symbolischen Stiftung kohärent verformte. Man muß hier die phänomenologische Epoché hyperbolisch bis zum radikalen Skeptizismus treiben. Wir müssen nun die phänomenologisch-existentiale Analyse der Stimmung* und der Befindlichkeit* weiterverfolgen. Es gibt in der immer schon von der Befindlichkeit in seine Stimmung geworfenen Faktizität des Seins eine Dimension, die hinsichtlich der Aktivität des Bewußtsein – einer Aktivität, die vielleicht, wie wir gesehen haben, hier im wesentlichen eine des Ausweichens ist – als eine Dimension einer fundamentalen Passivität gesehen werden muß, die nicht dem Unbewußten zugerechnet werden kann. Um diese innewohnende Passivität zu verstehen, muß man also den Sinn des »Immer-Schon« in dem »Immer-schon-Geworfenen« der Faktizität erfassen, d.h. das wieder aufgreifen, was Heidegger von der »Zeitlichkeit der Befindlichkeit« im §68 von Sein und Zeit* (S. 339-346) erläutert. Die zentrale These Heideggers ist bekanntlich: »die Befindlichkeit […] zeitigt sich primär in der Gewesenheit. Stimmung* zeitigt sich, das heißt ihre spezifische Ekstase gehört zu einer Zukunft und Gegenwart, so allerdings, daß die Gewesenheit die gleichursprünglichen Ekstasen modifiziert.« (SuZ, 340). In der Zeitigung der Befindlichkeit findet eine Polarisierung durch den Horizont der Vergangenheit statt. Der existentiale Grundcharakter der Stimmung ist, wie Heidegger sagt, ein »Zurückbringen auf…« (SuZ, 340), das durch die Gewesenheit der Befindlichkeit, d.h. durch den existentialen Modus der Zeitigung ermöglicht wurde (s. SuZ, 340-341). Dem fügen wir gleich hinzu, um einen Ausdruck von Schelling zu paraphrasieren, daß diese Vergangenheit insofern »transzendental« ist, als ihr weder Retention, noch Wiedererinnerung oder Reminiszenz entspricht: die Befindlichkeit hat sich immer schon in der Vergangenheit gezeitigt, und was das Dasein davon im ontisch existentiellen Charakter der Stimmung findet, wird als solches eben als ein immer schon Gebildetes vorgefunden, das zum Ausweichen, Vergessen oder dem Auf-Sich-Nehmen als Grundstimmung* Anlaß gibt – was, wie wir schon an anderer Stelle erläutert haben,13 eine seltsame Nähe der Heideggerschen Konzeption zur Melancholie offenbart, die aber offensichtlich die ganze Un-
49 terscheidung zwischen »uneigentlicher« Befindlichkeit und »eigentlicher« Befindlichkeit polarisiert: Heideggers Analyse der Angst oder der Hoffnung überzeugt uns nur wenig, um so mehr aber bezeichnenderweise die der Ungestimmtheit. Um zu verstehen, was hier ganz konkret zur Debatte steht, nehmen wir kurz das auf, was Heidegger über die Angst schreibt. In ihr, die aus diesem Grund Grundstimmung* ist, »sagen« uns die Zuhandenheit* und die Vorhandenheit* schlechthin nichts mehr. Die Ängst ängstigt sich vor dem »Nichts der Welt«, d.h. vor dem Nichts des Da, sowohl des Da der Welt und des Daseins* selbst, aus dem die Unheimlichkeit* auftaucht. So bringt die Angst »zurück auf das pure Daß der eigensten, vereinzelten Geworfenheit« und in dieser Beziehung gibt es weder Vergessen noch Erinnerung, noch die wiederholende Übernahme des Augenblicks als Instanz der Entscheidung in der Wiederholung. Die Zeitigung der Angst ist derart, daß der Riß des Augenblicks in ihr aufgehoben und dabei in der Gegenwart der Angst gehalten ist. Anders gesagt »bringt die Angst zurück auf die Geworfenheit als mögliche wiederholbare.« Und dergestalt enthüllt sie die ontologische Möglichkeit eines eigentlichen Seinkönnens, das die »Erfahrung« des Todes oder einer Entscheidung gemacht hat, in welcher der Augenblick sich in einer von seiner Endlichkeit durchquerten Zeitlichkeit zeitigen würde. Das ursprüngliche Gewesensein ist hier das einer Wiederholbarkeit, die sich nur in der Aufhebung der Wiederholung und folglich aller ontischfaktuellen Gegenwart und Zukunft aufrechterhält. Deswegen kann nach Heidegger »die Angst nur aufsteigen in einem entschlossenen Dasein.« Als eine Art von Epochè der ontischen Möglichkeiten (die logisch-eidetischen der freien Willensentscheidung) befreit sie zu den ontologischen Möglichkeiten, d.h. den eigentlichen oder eigenen, auf transitive Weise »die Welt« in der Welt zu existieren (s. SuZ, 343-344). Wir wissen aus der Vorlesung von 1929 mit dem Titel Die Grundbegriffe der Metaphysik14, daß es grundsätzlich genauso mit der anderen Grundstimmung* der »tiefen Langeweile« bestellt ist: Aufheben des Augenblicks in der Gegenwart als langweilige und »ewige« Wiederholbarkeit,15 in der nichts mehr geschieht, es sei denn die Zeit, zwar in ihrer Gesamtheit, aber leer, d.h. die Gewesenheit der Wiederholbarkeit seit immer und für immer, unendlich verlängert in seiner Leerheit. Man kann sich also fragen, was es dem Dasein* ermöglicht, aus dieser Art von Massif der (transzendentalen) Vergangenheit der Befindlichkeit, deren ontische Erscheinungen die Stimmungen sind, herauszukommen, und zwar hinsichtlich der Zeitigung sowohl des Augenblicks als auch durch den Augenblick, welche sich in der Entscheidung vollzieht, die Sinn und damit Geschichte bildet. Wenn die Stimmung mehr oder weniger heftig wie eine unabweisbare »Passivität« einbricht, die selbst auf der ontischen oder alltäglichen Ebene (zum Beispiel beim gewöhnlichen Ängstigen) jede Entscheidung lähmt, wie vollzieht sich dann die Entscheidung, wie wird diese Art der »Melancholie« der Befindlichkeit* überwunden? Auf diese Frage antwortet Heidegger in einer äußerst bedeutungsvollen, von ihm gänzlich hervorgehobenen Passage des § 74 von Sein und Zeit*: »Nur Seiendes, das wesenhaft in seinem Sein z u k ü n f t i g ist, so daß es frei für seinen Tod an ihm zerschellend auf sein faktisches Da sich zurückwerfen lassen kann, das heißt nur Seiendes, das als zukünftiges gleichursprünglich g e w e s e n d ist, kann, sich selbst die ererbte Möglichkeit überliefernd, die eigene Geworfenheit übernehmen und a u g e n b l i c k l i c h sein für »seine Zeit«. Nur eigentliche Zeitlichkeit, die zugleich endlich ist, macht so etwas wie Schicksal, das heißt eigentliche Geschichtlichkeit möglich.« (SuZ, 385). Die Merkwürdigkeit dieser Aussagen verstärkt sich noch bei näherer Überlegung, denn einzig der Augenblick (der Entscheidung, der in seinen Tiefen ontologisch-existential ist) kann in sei-
50 ner Zeitigung in und für die Zukunft das Gewesensein wieder aufgreifen (also die »transzendentale« Vergangenheit der Befindlichkeit*), kann also im vorlaufenden Sichentwerfen auf den Tod, der – nicht zu vergessen – unaufhebbar immer mein Tod ist, eigentliche, wahrhafte Zeit bilden, dies aber in der Augenblicklichkeit eines Schicksals, also einer Geschichtlichkeit des Seienden, die sich als »seine« Zeit und als wahrhafte Zeit »seiner« Vollziehung bestimmt. Dies kann doch nichts anderes bedeuten, als daß dieses Schicksal immer das eines individuierten Daseins in seiner Selbstheit (ipséité) ist- letztlich durch dessen radikale Individuierung durch den Tod und im Tod – und daß dieses Schicksal, das sich im Augenblick entscheidet, gewissermaßen immer schon in der ontolgischen Gliederung besiegelt ist, welche die augenblickliche Entscheidung zwischen der Vergangenheit des Gewesenseins und der Zukunft des Zukünftigen ent-scheidet. Daß also einerseits die Stimmung* und die Befindlichkeit*, um Dasein zu sein, doch in ihm eingeschlossen und durch die radikale Einsamkeit des Todes mit der Selbstheit gewissermaßen vernietet sind und daß andererseits durch die Entscheidung die Vergangenheit rückblickend die Präfiguration der Zukunft erhält und entsprechend die Zukunft nur Sinn und Gestalt annimmt, insofern sie als die Vollendung des Schicksals erscheint – als ob dieses, in seiner eigentlichen Zeitlichkeit, sich nur darin erkennen würde, was im fortschreitenden Annehmen des Sinns sich einerseits hinsichtlich des sich schon in der Gestalt der Vergangenheit Vollzogenen davon vollendet und was dabei anderseits sich noch dunkel in der Gestalt der Zukunft davon vollziehen muß, wobei sein eigenes Rätsel immer bewahrt oder in sich verborgen bleibt, letztlich das Rätsel der Sterblichkeit und der Endlichkeit der eigentlichen Zeit. Sollte es also eigentliche Zeitlichkeit nur in dieser durchaus tragischen Konzeption des kairos geben? Läßt sich hier Heidegger nicht gewissermaßen »davontragen«, zwar genial, aber dennoch das Unbehagen über einen »Gewaltritt« hinterlassend? Stehen wir nicht hier vor einer Art Aktivismus der ontologischen Entscheidung, der sich in der Praxis hinsichtlich der ontischexistentiellen Modalitäten des Daseins* durch eine Art Flucht nach vorn einlösen will, um eine ontologische Entscheidung, die ihm prinzipiell entgeht und unweigerlich entflieht, »wieder einzufangen«? Und ist das alles auf der gleichen Ebene angesiedelt? Anders gesagt, muß hier nicht eine Architektonik des Problems gesehen werden, eine Architektonik, der gegenüber Heidegger blind gewesen wäre? Es scheint uns, daß die geradezu umwerfende Neuigkeit der Heideggerschen Konzeption des Daseins* in der »Entdeckung« der ontologisch-existentialen Möglichkeit als Möglichkeit des Seins oder des Existierens verdichtet werden kann, wobei das Existieren im transitiven Sinn zu verstehen ist, nicht als ein Existieren von diesem oder jenem, sondern gleichermaßen und zugleich von sich selbst und der Welt, d.h. von nichts Ontischem. Als Möglichkeit, die keine bestimmte Zweckmäßigkeit hat, die also nicht dazu da ist, um zur Verwirklichung eines durch die logisch-eidetischen Kategorien bestimten »Realen« zu dienen und somit nicht aus einem vorgefaßten Plan hervorgeht, ist sie nicht Entwurf von etwas, das »als Idee« existierte, sondern sie entstammt einem Entwurf* als einer Ek-stase im Ursprung, im Da des Daseins, von dem aus sich erst etwas als Wirklichkeit des Wirklichen (Seiendheit des Seinden, Sein des Seienden) empfangen und herausarbeiten läßt. In der Erfahrung des Seinszum-Tode begegnet bekanntlich das Dasein sowohl seiner radikalen Individualiltät (Selbstheit*) als auch der Gesamtheit seiner ontologisch-existentialen Existenzmöglichkeiten. Auf diesem Hintergrund erscheint die immer schon in ihrer faktiziellen Existenz verwirklichte Möglichkeit wie von Nichtigkeit* geschlagen. Mit anderen Worten: in dieser Begegnung, die irgendwie eine »entschlossene« Begegnung der Ei-
51 gentlichkeit* mit dem Dasein* sein muß, begegnet das Dasein* gleichzeitig seiner Faktizität. Wenn diese nämlich selbst aus einem unter all dem anderen ontologischexistential Möglichen, also aus einem ontologisch-exitentialen Existenz-Entwurf hervorgehen soll, dann muß sie sich eo ipso als einen immer schon in die Welt geworfenen Entwurf entdecken, also trotz allem gewissermaßen in die Uneigentlichkeit*, als ein ursprüngliches Ausweichen vor dem Sein-zum-Tode. Hier trifft man wieder auf das Ausweichen, das sich auf die Stimmung* und tiefer noch auf die Befindlichkeit* bezieht. Die existentiale Analytik umgeht sozusagen dieses Ausweichen, indem sie bestimmte Stimmungen* – die Angst, die tiefe Langeweile – als Grundstimmungen* auffaßt, welche die Eigentlichkeit* zu »erwecken« vermögen, also auch die Befindlichkeit in ihrer durch die Vergangenheit polarisierten existentialen Zeitigung: gerade das erlaubt Heidegger die rätselhafte Unterscheidung zwischen »eigentlichen« und »uneigentlichen« Stimmungen, je nachdem um welchen Grad in der Stimmung* die eigentliche Zeitlichkeit unverborgen bleibt. Zweierlei muß hier unsere Aufmerksamkeit erregen: zum einen hat Heidegger niemals, wie man es hätte wünschen können, die passive Dimension der Befindlichkeit hervorgehoben, zum anderen sind die von ihm erwähnten Grundstimmungen eher »trübe« oder »melancholische« Stimmungen – man hat sich mit vollem Recht darüber verwundert, indem man zumindest das Unbehagen wie ein »Symptom« von etwas Unbekanntem oder Undefinierbarem spürte. Das liegt auch unserer Meinung nach, wie wir schon hervorgehoben haben, an jener Bindung an eine allzu ausschließliche Auffassung der menschlichen Existenz als Schicksal im tragischen Sinne des Begriffes. Atmosphäre der damaligen Zeit, wird man mit Recht sagen, aber für uns ist wichtig, die besondere architektonische Notwendigkeit dieser Bindung zu verstehen. Man braucht nur die Dinge ein wenig weiterzutreiben, um im Zentrum der existentialen Analytik die Gestalt einer melancholischen Psychose auftauchen zu sehen: eine ganz von der Vergangenheit her ausgerichtete Zeitigung der Existenz, Verheerung des gesamten Daseins* durch die verzweifelte, trübe Stimmung* einer saft- und kraftlosen Welt und durch die monotone Zeitlichkeit eines unerbittlichen Leerlaufs der Wiederholbarkeit, melancholische Klage über ein unwiderruflich festgelegtes Schicksal, wobei diese Klage nur einen »imaginären« oder rein »hypothetischen« Ausweg artikuliert. Das schon zu Husserl Ausgeführte erlaubt nun den Zusatz, daß ein anderer Verlauf wirklich nicht möglich ist, wenn die Passivität der Befindlichkeit auf alles ausgreift, d.h. wenn das Dasein* gewissermaßen im Vorfinden der Welt sich ohne jede Distanz in der Stimmung (be)findet. Oder besser, wenn es in der Befindlichkeit seine Faktizität als umfassende und immer schon ausgebildete entdeckt. Man kann wohl sagen, daß eben damit die Faktizität nur noch Faktualität zu sein scheint, zumindest aber weist dies darauf hin, daß der Begriff der Faktizität – und entsprechend der Befindlichkeit – komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint. Daß Heidegger die Befindlichkeit durch die Vergangenheit zeitigen läßt, verleiht seinen Analysen einen »melancholischen« Zug – eine extreme Nähe zur Melancholie, in der alles Gegenwärtige durch die Vergangenheit im Keim erstickt wird. Dazu gehört auch, daß sich mit der Problemstellung von Sein und Zeit* zwar noch die »Tönung« der eigentlichen Zeitlichkeit durch den affektiven Gehalt der Vergangenheit des Gewesenseins, aber nur mit größter Schwierigkeit die Übertragung der Befindlichkeit auf ihren in der eigentlichen Zeitigung selbst möglichen Transformationen oder Metamorphosen fassen läßt. Es ist bei Heidegger so, als ob die »transzendentale« Vergangenheit der Befindlichkeit vor diese Befindlichkeit eine »transzendentale Mauer« setzte, die in ihrer Höhe dermaßen über die Eigentlichkeit
52 des Entwurfs hinausragt, daß ihm nichts anderes mehr übrig bleibt, als deren unerbittlich auf das Schicksal geworfenen Schatten an- und auf sich zu nehmen. Außerdem nähern die Heideggerschen Analysen sich der Melancholie – ohne mit ihr identisch zu werden – darin, daß sie nicht die notwendige – schon im Dasein* ursprüngliche Verräumlichung bedeutende – Distanz des Daseins* gegenüber seiner Stimmung* berücksichtigen. Dies ist nicht nur ein Abstand der Ekstase der Vergangenheit, durch ihn ist vielmehr das Dasein* in seiner Immanenz gerade nicht zu seiner Stimmung »verpflichtet«, wodurch auch aus dem Ausweichen etwas anderes wird als eine »Flucht« zu uneigentlichen, sozusagen »negativen« Seinsweisen. Und dies gerade insofern, als das Ausweichen in einem viel grundsätzlicheren Sinn eine Verstärkung des Abstandes ist, der sein »Heil« in der aktiven Distanzierung von dem »Wüten« sucht, das durchaus in der Befindlichkeit brodeln kann – und ein solches »gesundes« Verhältnis ist bekanntlich unlösbar mit der Intersubjektivität und der Verleiblichung verbunden. Wiederum anders gesagt ist die Ekstase der Vergangenheit eigentlich nur dann eine solche, wenn ihre »Ek-stasierung« mit einer Räumlichung einhergeht – wie noch zu zeigen ist: einer Proto-Räumlichung – welche sich von der Befindlichkeit dermaßen distanziert, daß ihre Wiederaufnahme von einer Zugänglichkeit abhängt, die aus der Wiederaufnahme mehr macht als ein »Zurückbringen auf…«, was sie unvermittelt der Befindlichkeit und somit der Faktizität ausgeliefert hätte. Kurz, und um eine schöne Formulierung von H. Maldiney aufzugreifen, die Nähe der Heideggerschen Konzeption der Befindlichkeit zur melancholischen Psychose beruht darauf, daß diese Auffassung leicht zum Gedanken verleitet, indem das Dasein* die Faktizität seines immer schon Geworfenseins (im und durch den Entwurf) entdeckt, entdecke es sich, jedenfalls in dem Teil seiner selbst, der in das verwickelt ist, was so »entborgen« wird, als ganz und gar »ermöglicht«, als faktizielle Möglichkeit, die gewissermaßen immer schon ausgeführt und immer schon »verdorben« ist. So gesehen wäre, wie H. Maldiney mit einer sehr bemerkenswerten Schärfe hervorhebt,16 das Dasein* unausweichlich psychotisch, da es, wie wir erläuterten, neben seinen Möglichkeiten wäre: die der Ordnung des »Ermöglichten« angehörende wäre verbraucht, alle anderen blieben leer. Dies geht mit einer ganz ungeteilten Passivität der Befindlichkeit einher, d.h. eines immer schon Erfüllten hinter der »transzendentalen Mauer« der »transzendentalen« Vergangenheit, wobei die von uns so bezeichnete notwendig dem Dasein* innewohnende Proto-Räumlichung sich in den Raum der Selbstspaltung wandelt, eine psychotische Spaltung, in der das Selbst gewissermaßen »neben sich selbst« steht. Die angetroffene Faktizität ist nicht mehr die seine, sondern die fremde des (großen) Anderen, da das Dasein* deswegen nicht in seinem Sein-Können »vernichtet« wird. Folglich dreht sich die ganze Frage um die Rezeptivität – und die Selbst-Aufnahme der Faktizität. Gerade diese Frage wurde bei Heidegger durch Immanentisierung des Selbst und des Daseins* unter dem Horizont des Seins zum Tode verschlossen. Eine radikale und restlose Immanentisierung des »existentialen Solipsismus«, die zweifellos das Dasein* zu dicht seiner Faktizität annähert, verurteilt es dazu, sie zu ertragen und deren Last zu tragen, als ob die Individuation durch den Tod der Individuation durch die Befindlichkeit gleichkäme, wobei schließlich die recht klassische Frage bleibt, was man nun mit dieser Befindlichkieit »anfangen« kann, wenn sie nicht nur ein Mittel zur Analyse des rätselhaften Übergangs von der Stimmung* zur Grundstimmung*, und von der Uneigentlichkeit* zur Eigentlichkeit* sein soll. Ist also das Dasein* sich selbst eine mehr oder weniger schwere Last, kann es nur in dieser Rich-
53 tung analysiert werden? Und kann die Leidenschaft des Denkens sich nur in ihrer äußersten Schwere anerkennen? Unsere Fragen über ein derartiges philosophisches Monument des 20. Jahrhunderts, wie es Sein und Zeit* darstellt, werden sich wohl nie stillen lassen. Wenn man, wie es H. Maldiney mit äußerster Hellsichtigkeit getan hat,17 die Psychose genauer befragt, bemerkt man, daß sie das Subjekt wie eine Katastrophe überkommt, wobei es deren Bedeutung nicht wie bei einem anderen Ereignis erfassen kann. Man könnte sagen, daß in ihr etwas so »Unerklärbares« durchschlägt, daß die Faktizität des Daseins* damit sinnlos wird. Und nicht nur – wie alle klinischen Beobachtungen es zeigen – die Faktizität des eigenen, sondern auch die allen anderen Daseins*. Es ist wie ein Mangel an Aufnahme oder Empfang der Faktizität durch sicherlich übermäßige Passivität, da das Ermöglicht-Sein alle Existenz- und folglich auch Denkmittel nur für sich in Anspruch zu nehmen scheint. Nun setzt aber nach Maldiney das sinnbildende Ereignis (in dem der Sinn zum Ereignis* wird) mit seiner Unvorhersehbarkeit eine Aufnahme- oder Empfangsfähigkeit voraus, die nicht der Ordnung der Möglichkeit des Sein-Könnens oder Existierens angehört. »Wenn die Eröffnung der Möglichkeit als solcher das Sein des Entwurfs ist, gehört das auf das Ereignis und auf die Begegnung hin Geöffnete der Ordnung der Passibilität an«.18 »Jedes Ereignis, das sich, sofern wir ihm gegenüber aufgeschlossen sind, uns erschließt, enthält in jedem einzelnen Fall die pathische Dimension des Einklangs mit der ganzen Welt. Sie vor allem bricht in der Psychose weg.«.19 Nachdem er daran erinnert hat, was die Passibilität E. Straus verdankt, und im Rückblick auf die aristotelische Unterscheidung zwischen nous poïetikos und nous pathètikos, fährt Maldiney fort: »Der sich mit dem Ereignis öffnende Horizont ist, wenn er von jeder Vorstellung frei ist, nicht mehr der eines Weltentwurfs. Er ist, wie es Heidegger später gesagt hat, »die uns zugewandte Seite einer Eröffnung« … Aber diese Eröffnung gehört nicht zu dem, was wir erwarten können. Kein a priori bestimmt die Möglichkeit des Ereignisses, weder die Stärke der erforderlichen Ausdauer noch die Transformation, die allein die Öffnung darauf aufrechterhält (Hervorhebung durch M.R.). Von daher gehört alles, für das wir empfänglich sind, also unsere Begegnung mit dem Ereignis – jedes Ereignis ist eine Begegnung, jede Begegnung ist ein Ereignis – der Ordnung des Transpassiblen an. Die Transpassibilität öffnet hin zum mir zugewandten Horizont dessen, was »jenseits aller Erwartung« ist.«20 Nur wenn eine solche Dimension eingeführt wird, kann die Rezeptivität der Faktizität selbst gedacht werden. Es handelt sich hier nicht um eine ontische Passivität gegenüber den sinnlichen oder affektiven Gegebenheiten, auch nicht um die psychotische Passivität gegenüber der Befindlichkeit, die, wie die Untersuchung ergeben hat, in deren Entleiblichung und mit dem Verlust ihrer Jemeinigkeit* endet, sondern, wenn man Maldiney folgen will, um die Passibilität als einer Fähigkeit zum Empfangen und Aufnehmen des Ereignisses, also des »Realen« als das mich Überraschende – und zwar durch ein über das Nehmen (prendre) Hinausgehendes, das aus der Über-Raschung (sur-prise) etwas anderes als ein Nehmen oder Festnehmen macht. Und um sich die Fähigkeit zur Aufgeschlossenheit zu bewahren, muß sie selbst zur inneren Umwandlung fähig sein. In diesem Sinn ist sie eine Transpassibilität jenseits des ontologisch-existentialen Möglichen und des Passiblen dieser oder jener Faktizität, die zum Ereignis wird. Entscheidend ist der schwierige Gedanke, daß diese Transpassibilität sich nicht auf die Aktivität zurückführen läßt. Aus architektonischen Gründen, die wir gleich erläutern werden, liegt ihre Wirksamkeit in
54 den, wie wir sie nennen, passiven Synthesen dritten Grades. – dritten Grades, weil sie passive Synthesen von Faktizitäten, also von Welten sind.21 Das unbestreitbaren Genie Heideggers in Sein und Zeit* einmal beiseite gesetzt, verschafft uns Husserls Denken der Intersubjektivität einen Zugang, in angemessen tiefgründiger Weise die Bedeutung der passiven Synthesen und der Transpassibilität zu artikulieren. Welche oftmals aporetischen Vorgehensweisen und Wege auch immer er eingeschlagen haben mag, um die phänomenologische Begegnung mit dem anderen zu denken – man hat heute nach der Veröffentlichung der Bände XIII, XIV und XV der Husserliana im Jahre 1973 davon eine genauere Vorstellung –, Husserl hat niemals etwas anderes getan, als diese Begegnung in ihrer radikalen Ursprünglichkeit zu denken zu versuchen: eine Begegnung ohne jede Berechnung oder Überlegung, ohne fundamentaleren Entwurf, auch nicht des Existierens – es wäre ein Widersinn, den anderen im transitiven Sinn existieren zu wollen, –, und damit die Begegnung mit einer distanzierten Andersheit, einer Innerlichkeit, die sich in diesem Abstand mit den ihr eigenen Mitteln bildet, ohne auf die Undurchsichtigkeit des AnSich reduziert werden zu können. Husserl geht immer wieder, wobei es manchmal, wie wir gesehen haben, zu sehr dichten Annäherungen kommt, darauf zu, daß die phänomenologische Begegnung als eine leibliche (und konkrete) Begegnung mit der Leiblichkeit, eigentlich Begegnung mit der Faktizität ist. Diese ist nicht reduzierbar auf die Faktualität der »Sinnesdaten«, was ganz am anderen vorbeiginge und das Ego entleiblichte, indem zwischen ihm selbst und dem Anderen eine Aufspaltung zwischen sinnlich Passivem und dem Denken* und Hineindenken*, zwischen einem Körper und einem Geist eingeführt würde. Demgegenüber gewinnt die Faktizität, die uns Husserl als notwenig leibliche denken läßt, ihre ursprüngliche Ausprägung im Anderen und kann sich von dort aus in all das hineinbegeben, was als sprachlicher Sinn in den Sprachphänomenen – und damit in deren spezifischer Zeitigung/Räumlichung erscheint (wir werden darauf noch zurückkommen). Die »intersubjektive« Begegnung ist also, genauer gesagt, Begegnung von Faktizitäten untereinander, sie ist, wie wir gesagt haben, »transsubjektiv«, da inter-faktiziell. Die Begegnung ist insofern von radikaler Kontingenz, als der Andere unreduzierbar – darauf ging Husserl mit der »Reduktion« auf das »Primordiale« oder auf das »Pimordinale« aus – über meine Möglichkeiten des Auffassens, Ideierens und Vorstellens hinausgeht. Und gerade darin ist sie paradoxerweise zugleich unmittelbare, begriffslose Begegnung mit dem, was Maldiney deswegen »das Ereignis« nennt, weil der Andere für mich unmittelbar Sinn macht, weil ich von meinem Abstand zu ihm aus wenigstens zum Teil – durch Appräsentation – in seine Konzeptionen, Ideierungen und Vorstellungen eindringen kann, kurz, weil unsere beiden Jemeingkeiten* sich übereinanderschieben und überlagern, ohne daß beide an einem abstrakten Universellen teilhätten, das über sie hinausginge und von außen ihre Überschneidungen zu »sehen« erlaubte. Nun hat aber Husserl sehr oft die Rolle der passiven Synthesen für die Konstitution des Anderen betont. Diese werden durch die Unmittelbarkeit nicht etwa ausgeschlossen, sondern vorausgesetzt, nicht als notwenige Basis für die Ideierung, sondern als unbewußte Dimension der Begegnung. Das sind nun diese passiven Synthesen vom architektonischen Standpunkt aus nicht im Sinne von »Gegebenheiten« (etwa »Profile« oder »Abschattungen« des Anderen), die passiv in der (primordialen) Innerlichkeit des Bewußtseins empfangen würden. Als notwendig passive Dimension der Begegnung mit dem Anderen werden sie nämlich unmittelbar in die sich verwindende Trennung von Innenleiblichkeit* und Außenleiblichkeit* »übertragen«, in den Ort ih-
55 rer Leiblichkeit. So gesehen könnte man sagen, daß Husserl schon das vorausgeahnt hat, was Maldiney mit »Transpassibilität« meint. Aber darüber hinaus und umgekehrt geht aus architektonischer Sicht folgendes daraus hervor: wenn man die passive Synthese als unbewußte Konstitution von sinnlichen Mannigfaltigkeiten – etwa des vom eidetischen »Sachverhalt« ganz abweichenden Typus »Baumallee« – so auffaßt, daß sie isolierte Empfindungsdaten einfach zusammenfaßt, dann ist sie das Ergebnis einer retrospektiven Abstraktion – was auch, wie Husserl es oft betont hat, entsprechend auf die primordiale Welt zutrifft. Dennoch gehört diese Art von passiven Synthesen – die wir vorläufig in ihrer noch herauszuarbeitenden phänomenologischen Besonderheit als passive Synthesen zweiten Grades22 bezeichnen – nicht genau der gleichen Ordnung an wie die in der Begegnung mit dem Anderen wirksame. Das aber bedeutet: wenn diese Art von passiven Synthesen von dem als Zeitigung/ Räumlichung23 Eintreffenden nicht losgelöst werden kann und wenn sie auf einer anderen »Ebene« oder an einem anderen »Ort« als die Abstraktion gedacht werden muß, dann ist sie auch davon unablösbar: Ebensowenig wie ich einen zweckmäßig ausgearbeiteten Entwurf oder viel Überlegung brauche, um dem anderen zu begegnen, so benötige ich nichts dergleichen, um zu wissen (es handelt sich um Wissen, nicht Erkenntnis), daß der andere, dem ich begegne, die gleiche sinnliche Vielfalt »sieht«, »fühlt« oder »spürt« wie ich. Es geht dabei also um passive Synthesen, die sich ohne Begriff und Ideierung sozusagen in der Welt selbst vollziehen, oder vielmehr, da sie unmittelbar transsubjektiv sind, an Welten, die in ihrer jeweiligen Jemeinigkeit* einer Faktizität sich innerhalb der inter-faktiziellen Begegnung überkreuzen oder verflechten. Zwar unterscheiden sie sich in Typ und »Ordnung« von den in dieser Begegnung wirkenden passiven Synthesen, sie bringen sich aber nur an dem »transzendentalen Ort« ins Spiel, der sich mit den letzteren geöffnet hat, also auch am Ort der Verleiblichung der sich verwindenden Trennung von Innen- und Außenleiblichkeit. Deswegen und nur deswegen kann übrigens die Phänomenologie der passiven Synthesen jenem Sensualismus entgehen, der Husserls Analysen so oft anzuhängen scheint. Um die schöne Unterscheidung von H. Maldiney wieder aufzugreifen, könnten wir sagen, daß die passiven Synthesen dritten Grades der Transpassibilität angehören, während die passiven Synthesen zweiten Grades der Ordnung der Passibilität zuzurechnen sind, wobei allerdings präzisiert werden muß, daß Transpassibilität und Passibilität sich auf geregelte Weise aneinandergliedern. Während also die passiven Synthesen dritten Grades dort anzusetzen sind, wo sich Faktizität mit Faktizität interfaktiziell begegnet – einer Begegnung der Faktizitäten von Welten mit ihrer jeweiligen Jemeinigkeit*, Welten oder eher Weltphänomenen, was eine phänomenologische Vielfalt von Welten oder vielmehr Weltphänomenen voraussetzt –, betreffen die passiven Synthesen zweiten Grades die Überkreuzungen oder Verflechtungen solcher Weltphänomene, also das, was als Konkretheit der Welt nnerhalb des Sinnes des Ereignisses von dem Ort her auftauchen kann, der durch das Ereignis oder das Auftauchen des Anderen erschlossen wurde, eine Konkretheit, die – um sich auf Heideggers Konzeption zu beziehen – sich als fühlbare* Stimmung* von einer ihrerseits übertragenen Befindlichkeit* her überträgt. So entdecken wir wie E. Straus, V. v. Weizsäcker und H. Maldiney, daß Befindlichkeit und Sinnlichkeit – insofern sie verleiblicht, also nicht wie in der Psychose auf die reine Passivität, oder wie in den entsprechenden philosophischen Theoremen auf ihre Verschlossenheit in Subjektivität oder Dasein* zurückgeworfen sind – Befindlichkeit und Sinnlichkeit von transsubjektiven oder interfaktiziellen pluralen Welten sind, und daß dies auch auf die Affekte und Empfindungen zutrifft. Nur damit kann die
56 doppelte Dimension des Phänomens verstanden werden, die wir im Anschluß an unsere Kritik der Konzeption M. Henrys hervorgehoben haben. Doppelt insofern, weil das Phänomen sowohl in der Zurechnung zur Individuierung, die nun zur Konstitution der Selbstheit in der Faktizität eines bestimmten Weltphänomens ständig unterwegs ist, als auch von einer anderen Seite her in seiner durch transsubjektive oder »interfaktizielle« Entindividualisierung bestimmten phänomenologischen Anonymität genommen wird. So findet sich nunmehr die Verschlossenheit in der Subjektivität oder im Dasein* aufgebrochen, die der Sinnlichkeit und der Befindlichkeit, aber natürlich auch dem Denken zugewiesen wurden. Und auf die gleiche Weise erweist sich die allzu ausschließliche Trennung zwischen Körper und Geist, Affektivität und Denken, zwischen »transzendentaler« Vergangenheit der Befindlichkeit* und der eigentlichen Zeitigung der Existenz im Augenblick der entschlossenen Entscheidung als aufgehoben. Wenn man die Befindlichkeit am Ort der passiven Synthesen dritten Grades annimmt, dann ist sie nicht mehr hinter einer »transzendentalen« Mauer erstarrt, von der man nur noch den Schatten auf sich nehmen könnte. Denn nun, wenn sie nicht gerade wie in den Psychosen in einer mehr oder weniger reinen Passivität übermäßig »blockiert« wird, »mobilisiert« sich die Befindlichkeit, setzt sich in Bewegung, d.h. in eine Zeitigung/Räumlichung, bewegt sich in der interfaktiziellen Begegnung der Welten, und dies nicht wie eine Art rhetorische Ingredienz oder als im Denken mehr oder weniger geschickt Verborgenes oder Herausgestelltes, sondern als eine Welten-Dimension des Denkens selbst als des Denkens von Welten. In dieser architektonischen Tiefe entdecken wir also schließlich die Möglichkeit, von der Leidenschaft des Denkens nicht nur formelhaft zu sprechen. Leidenschaft und Denken verhalten sich zueinander keineswegs wie das Salz in der Suppe, und dies auch deshalb, weil in den interfaktiziellen passiven Synthesen das Denken in seiner Unendlichkeit und Unbestimmtheit viel weiter und reicher ist, als nur die theoretische Erkenntnis. Dieser letzte Punkt bleibt noch zu vertiefen. Dies ist uns möglich, weil wir darüber schon gehandelt haben, zwar auf eine offensichtlich recht abstrakte Weise, die aber aus heutiger Sicht durch die Strenge der architektonischen Unterscheidungen sich als notwendig erweist. Gemeint sind die (interfaktiziellen) passiven Syntesen dritten Grades im Zusammenhang mit dem von uns so genannten transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung24 und die (in der Verschränkung der Welten) passiven Synthesen zweiten Grades im Zusammenhang mit dem, was wir über eine begriffslose transzendentale Eidetik als Konkretisierungen oder wilde phänomenologische Wesen* gemeint haben.25 Die Wiederaufnahme des ganzen hier zum Rätsel gemachten Problemkomplexes wird uns den Zugang zu einer noch größeren architektonischen Genauigkeit erlauben.
§ 2 LEIDENSCHAFT DES DENKENS UND PHÄNOMENOLOGISCHE VIELFALT DER WELTEN
Bevor wir an weiter entfernter Stelle unseren Weg der »phänomenologischen Reduktion« des ontologischen Simulacrums wieder aufnehmen – es geht um das »Reduzieren« der Husserlschen transzendentalen Subjektivität oder des Heideggerschen Daseins* als einer ursprünglich ontologischen Positivität, d.h. wenn man will, einer Übereinstimmung mit dem Seiend-Sein – werden wir genauestens zeigen müssen, daß sie sich eigentlich nur vollziehen kann, wenn sie einer phänomenologisch-hyper-
57 26 bolischen Epoché (»hyperbolisch« im Sinne Descartes’) unterzogen wird, wobei der »Ort« des Denkens sich von seiner symbolischen Tautologie mit dem Sein (von Parmenides über Descartes, Fichte und Hegel bis Heidegger) zur Potentialität seines Entstehens/Verschwindens als Schein oder Illusion des Scheins verschiebt, in einem Pulsieren, das nun das Denken als phänomenalisierende und phänomenologische Dimension des Phänomens »situiert«, wobei dieses – als sich unmittelbar aus seiner un-endlichen Bestimmbarkeit und Quantifizierbarkeit heraus artikulierend, in seiner grundsätzlichen Unbestimmtheit zu sehen ist. Wir werden uns auf die Behandlung der uns hier beschäftigenden Frage beschränken, indem wir von der Hypothese ausgehen, daß die passiven Synthesen dritten Grades – die der Transpassibilität – ganz dem phänomenologischen Schematismus der Phänomenalisierung angehören. Wir sehen dabei von dem Problem des reinen oder rein fungierenden Schematismus (den wir manchmal als »unausgefüllten Schematismus« bezeichnet haben) ab, wonach dieser eigentlich nur, aus architektonischer Sicht, ein »göttlicher« Schematismus sein könnte, aber nicht des Verstands, sondern der »Transpassibilität« Gottes, in der Denken und Affektivität vollkommen miteinander verschmelzen. Wie dem auch sei, es steht in unseren Augen außer Zweifel, daß aus architektonischer Sicht die passiven Synthesen dritten Grades in ihrer Transpassibilität einem transzendentalen Schematismus angehören, der, da er im Vergleich zum Husserlschen Transzendentalen zweiten Grades ist, auch hyper-transzendental genannt werden kann. Obwohl dieser unbewußt und in seiner Unwissenheit naiv (innocent) ist, ist er dennoch ebenso passiv (der bewußten Aktivität des Bewußtseins entgehend) wie unermüdlich »aktiv« – ohne daß diese Unterscheidung jemals positiv festgemacht werden könnte. Bei näherem Hinsehen zeichnet sich diese Konzeption eines Empfangens der Faktizität in der Transpassibilität in der Gestalt einer Art Vorahnung des phänomenologischen Schematismus dieser Aufnahme schon in Umrissen bei Merleau-Ponty in seinen »Arbeitsnotizen« von Das Sichtbare und das Unsichtbare ab, und zwar im Zusammenhang mit der »existentialen Sedimentierung«, die sich in Gesellschaft und Geschichtlichkeit ausbildet,27 und bei Pato¢ka, im Zusammenhang mit der asubjektiven Phänomenologie und seiner ihr notwendig zugehörenden Konzeption der »drei Bewegungen der Existenz«.28 Was ist nun konkreter und genauer damit gemeint? Die in unseren Arbeiten gewonnene Auffassung eines transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung haben wir auf dem Weg eines so weit wie möglich sich im Inneren bewegenden, durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoché vermittelten Nachdenkens über die Phänomenalität der Phänomene nur als Phänomene erreicht. Die ganze Schwierigkeit dieser Reflexion liegt darin, daß sie jede metaphysische oder ontologische Bestimmung des »Seins« des Phänomens ausklammert und damit das transzendentale Feld der Phänomene als ein architektonisches eröffnet, nämlich das noch phänomenologisch zu erarbeitende Feld der Begegnung zwischen unserem Denken und der radikalen (der »Faktizität« entsprechenden) Kontingenz der Phänomene in ihrer Phänomenalisierung. Demnach kann die Frage, ob nun der Schematismus die Transpassibilität der passiven Synthesen dritten Grades ermöglicht oder ob vielmehr diese den Gedanken eines ursprünglicheren Schematismus erfordern, keine befriedigende Antwort im Feld einer »hyper-metaphysischen« oder einer ebenso meta- wie proto-ontologischen Spekulation finden. Die Berührungspunkte zwischen dem Schematismus und der Transpassibilität sind architektonischer Art und erlauben, die Transpassibilität in ihrem architektonischen Status zu denken, der sich, wie wir gesehen haben, von dem der Passibilität unterscheidet. Mit
58 anderen Worten gibt es hier keine Priorität oder Posteriorität im Ursprünglichen, sondern nur eine notwendige Unterscheidung, die es uns erlaubt, uns im Denken zu orientieren, und nicht alles zu ver-mengen (con-fondre), was sich im Register des Phänomens nur als Phänomen abspielt. In dieser Hinsicht scheint die Verschlossenheit der Phänomene in der transzendentalen Subjektivität Husserls (die »Erlebnisse«) oder im Heideggerschen Dasein* (die Jemeinigkeit* der Welt) – eine Verschlossenheit, die mit der Trennung zwischen Denken und Affektivität einhergeht und in der sich mehr oder weniger prägnant die Struktur des ontologischen Simulacrums auslebt, ob nun im transzendentalen oder existentialen Solipsismus –, in der Tat die Implosion und Vermengung der phänomenologischen Vielfalt der Welten (der Weltphänomene) in nur eine Welt zu bedeuten. Gerade diese Implosion und diese Vermengung nähren unablässig die transzendentale Illusion, daß das Ganze des Phänomens (ob nun das Ganze der Welt wie bei Husserl oder das Ganze der ontologisch-existentialen Möglichkeiten bei Heidegger) von vornherein in diesem individuierten Phänomen »enthalten« sei, das a priori irgendeines, aber mit einer Selbstheit versehen ist (das transzendentale Ich oder das zum Dasein* entschlossene Selbst in der Erfahrung der Grundstimmung*). Während die Welt weder ein Seiendes noch das Ganze des Seienden ist – es sei denn in der schon von Kant aufgewiesenen transzendentale Illusion –, gehören die transzendentale Subjektivität oder das Dasein* noch der Ordnung des Seienden an, auch wenn dieses eher sozusagen das Seiend-Sein ist. Diese der Subjektivität oder dem Dasein* unterstellte Verschlossenheit in der Immanenz und die Implosion/Vermengung der Welten in eine Welt versucht die hyperbolisch-phänomenologische Epoché im Ausschalten der Struktur des ontologischen Simulacrums abzuwenden. Damit wird immerhin viel von der architektonischen Klarsicht Kants wiedergewonnen, weil sich einerseits das Denken auf den Pol des reinen Denkens des »Ich denke« (cogito) ohne offensichtlichen Inhalt (cogitatio), ohne eigenen phänomenologischen Gehalt zurückgeführt sieht, und weil sich andererseits das Denken auch in der im Schönen und Erhabenen29 wirkenden »Leidenschaft« oder der transzendentalen »Passibilität« (dem Kantschen Gefühl* der Lust oder der Unlust) entdeckt, sich an den Phänomenen nur als Phänomenen phänomenalisiert. Diese »Passibilität« ist zudem über den »sensus communis« unmittelbar »Transpassibilität«. Für das Schöne und Erhabene ist charakteristisch, daß sie mich gewissermaßen »größer«, als ich dachte oder mir vorstellte, machen, daß sie aber auch an mir eine Vermöglichkeit des Empfangs der Faktizität voraussetzen, die dem Auftauchen des »Ereignisses« im Maldineyschen Sinne30 angehört – eine mehr oder weniger große Fähigkeit des Empfangs, die selbst der Kontingenz angehört, d.h. gewissermaßen der »Beschaffenheit« meiner Faktizität, ohne daß diese irgendeiner Psychologie zugerechnet werden müßte. Überdies geht das Aufnehmen des Schönen und Erhabenen bekanntlich mit einer (»ästhetischen«) Reflexion einher, die ohne einen (a priori oder empirischen) Begriff ist, d.h. einer Reflexion ohne Zweck (telos), außer dem einzigen Zweck des Phänomens nur als Phänomen. Sie schließt damit eine phänomenologische Epoché ein, die nach unserer Terminologie hyperbolisch ist, da sie von jeder Vorbestimmung oder von jeder Vor-bestimmtheit des Denkens und des Seins absieht. Darf uns dies schon sagen lassen, daß wir damit sozusagen die Geburtsstunde der Leidenschaft des Denkens finden könnten? Das wäre übereilt, es wäre schon die aus phänomenologischer Sicht noch zu strenge Architektonik Kants zu berücksichtigen – z.B. seine Unterscheidung zwischen dem Schönen und Erhaben und seine Einteilung des Erhabenen in ein Mathematisches und Dynamisches –,
59 eine Strenge, die von der Absicht getragen wird, eine Art »System« des Geistes oder der menschlichen Vernunft zusammenzufügen. Es ist aber ein wertvoller Hinweis, der uns als Leitfaden dienen kann, allerdings nur unter der Bedingung, die Kantsche Architektonik von ihrer Bindung an die Erkenntniskritik zu befreien, von der sie zweifellos allzu ausschließlich ihren Ausgang nimmt. Das Phänomenologische ist offensichtlich nicht auf die »ästhetische Sphäre« beschränkt, sondern überschreitet es weit, so daß man die Kunst als nur einen der privilegierten Orte ansehen kann, an dem sich die Menschen der Phänomenalität überlassen. Entsprechend gibt es offenbar, wie wir schon oft hervorgehoben haben, keinen prinzipiellen Grund mehr, um in der Phänomenalität der Phänomene nur als Phänomene zwischen dem Schönen und Erhabenen zu unterscheiden: die phänomenologische Begegnung mit der Phänomenalität ist sowohl Begegnung mit der verleiblichten Faktizität (die meine eingeschlossen) der Phänomene, insofern diese die Phänomene individualisiert und damit der »Endlichkeit« ausliefert, als auch Begegnung mit ihrer phänomenologischen Anonymität, insofern diese die Phänomene entindividualisiert und damit ins Unendliche überführt. Das eine kann nicht ohne das andere geschehen, eine Trennung führte unmittelbar zur psychischen Spaltung auf der einen Seite in eine Faktizität, die nicht die meine oder die des Anderen ist, da in einem Übermaß an Passivität empfangen, und auf der anderen Seite in eine Anonymität, die von einem »unlokalisierbaren« Anderswo herzukommen scheint und die Faktizität wie eine »atmosphärische Tönung« heimsucht, eine Stimmung* (die eher Verstimmung* ist), welche die ganze Welt (und das in der Katastrophe vom Selbst bruchstückhaft Übriggebliebene) durchdringt, ohne den geringsten Abstand zu lassen. Beide würden dabei auf ganz wechselhafte und unbeherrschbare Weise ineinander spielen, was sich dann blind im Wahn rekodiert: hier kann nicht mehr vom »Erhabenen« die Rede sein, sondern, wie es Binswanger so treffend nannte, vom »nackten Schrecken«. In der von uns anvisierten architektonischen Tiefe wird die Kommunikation zwischen der transpassiblen Rezeptivität der Faktizität des »Ereignisses« und dem phänomenologischen Schematismus der Phänomenalisierung durch die im bereits wiedergebebenen Zitat Maldineys erwähnte Transformation hergestellt, die allein die Öffnung »für das Ereignis« aufrechterhält: diese »Transformation« gehört weder der Erkennisaktivität an noch dem ontologisch-existentialen Entwurf der Möglichkeiten, die Welt im transitiven Sinne zu existieren, sondern zu einer schematisierenden Aktivität/Passivität, die uns für »das Ereignis« empfänglich macht. Ereignis ist hier als Erscheinen/Verschwinden gefaßt, was in unserer Terminologie Phänomenalisierung in ihrer radikalen Kontingenz bedeutet. Deswegen haben wir diesen Schematismus der Phänomenalisierung immer wieder »transzendentale Matrix« der Phänomene genannt. Er ist »Ort« des Empfangs der radikalen Kontingenz der Phänomenalisierung und gehört nach unserer Terminologie dem phänomenologisch Unbewußten an. Das stellt sozusagen »von unten« die Heideggersche Auffassung der Befindlichkeit als Ort dessen, was das Dasein* immer schon von seiner Faktizität vorfindet, in Frage, denn dieser Schematismus ist nicht mit Zeitigung/Räumlichung, sondern mit einer Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung verbunden, in der die transzendentale Vergangenheit nicht monolithisch in sich selbst eingemauert wurde – diese »Mauer« ist eine Auswirkung der Verschlossenheit der Weltphänomene in der Immanenz des Daseins*. Die Affektivität verleiblicht sich also, außer in der psychotischen »Gefangennahme«, die sie auf Körperliches reduziert, im Subjekt verkapselt und damit der Gefahr der Vertreibung aussetzt, in ihrer doppelten Dimension, die meine zu sein und mich
60 durch ihre intersubjektive oder eher noch interfaktizielle »Anonymität« zu überraschen. In dieser Begegnung wird gleichermaßen ein Abstand zum Selbst wie zum Anderen gewonnen, und genau das gibt ihr Sinn, der allerdings noch nicht sprachlich ist – wenn es auch eine »Sprache der Leidenschaften« geben mag, die nun aber der bewußten Ausarbeitung des Sinns vorausgeht. Dieser Sinn ist gewissermaßen proto-sprachlich: er bricht wirklich herein, manchmal mit einer Gewalt, die ihn kaum ertragen läßt (die Sprache selbst sagt, daß man ihn aushalten und erdulden, d.h. ihn auf Abstand halten muß). Als in der Interfaktizität oder auch in der phänomenologischen Anonymität verleiblichter ist er also eher ein Proto-Sinn, den ich nicht durch welche Pädagogik, Theorie, Berechnung oder Überlegung auch immer zu erlernen brauche. Man könnte sagen, daß solche Bewegungen der Affektivität von der »Natur« herkommen, und dies mag sicherlich für den faktuellen Teil einigermaßen zutreffen, aber nicht für den faktiziellen, da die »Natur« nicht die interfaktizielle Distanzierung durch die Anonymität erklären kann, die hier eigentlich phänomenologisch ist. Wie dem auch sei, von dieser »Natur« bewahrt sich etwas wie ein Nachklang in der Phänomenalität der Stimmungen: sie scheinen von einem Unerinnerlichen in einer erstaunlichen Unausgreiftheit aufzutauchen, in einer Frische, die immer, fast unweigerlich, an die Kindheit denken läßt, an eine Naivität oder an eine Ungezügeltheit, deren Disziplinierung der symbolischen Stiftung (des Auf- oder Erziehens) der Erwachsenen zugeschrieben wird. Eine solche Berücksichtigung der schematischen Interfaktizität kann also die Heideggersche Auffassung dahingehend umwerfen, daß die Affektivität sich nun nicht mehr nur als eine durch eine niemals in der Gegenwart stattgefundene »transzendentale« Vergangenheit gezeitigte erweist, sondern in ihrer Unausgereiftheit auch als eine, die durch eine niemals in der Gegenwart stattfinden werdende »transzendentale« Zukunft gezeitigt wird. Somit zeigt mich die Affektivität als jemanden, der niemals »seine« Zeit beendet hat, der, wie fest er auch »Entschlüsse« hinsichtlich der Erfüllung (s)eines »Schicksals« treffen mag, immer in einer Art Schieflage bleibt, als ob ich in einer Zukunft, die niemals kommen wird, nicht nur »meine« Kindheit, sondern die Kindheit immer noch vor mir hätte. Genau das macht sozusagen die »ewige« Jugendlichkeit der interfaktiziellen Begegnung aus, als eines Vermögens, das »Ereignis« zu empfangen, noch »überrascht« zu werden, und in diesem Sinne »begeistert«, aber auch, wie wir noch sehen werden »entgeistert«. Die Zeitigung der Stimmung* ist für den Sinn darin Proto-Zeitigung, daß sie, von einer unerinnerbaren transzendentalen Vergangenheit her auftauchend, sich sofort in eine niemals ausreifende traszendentale Zukunft überträgt, wobei diese als zwei streng nicht-teleologische Horizonte jene Zeit »einrahmen«, in der sich die Gegenwart mit ihrer gewesenen Vergangenheit und ihrer sein werdenden oder gewesen sein werdenden Zukunft bildet. Diese Proto-Zeitigung geht mit einer Proto-Räumlichung – die Hussert zwischen Innenleiblichkeit* und Außenleiblichkeit* zu denken versuchte – einher. Sie wird durch den ursprünglichen Abstand geleistet, den die Stimmung*, im Gegensatz zu ihrer rein passiven Aufnahme wie beim Abdruck auf einer Wachstafel, in der interfaktiziellen Begegnung voraussetzt. Wir haben oft genug betont, daß eine solche Begegnung zwischen den beiden proto-räumlichen Überkreuzungen des Inneren und des Äußeren stattfindet und zwischen den beiden Überkreuzungen, die im Zustand der Proto-Räumlichung bleiben, insofern sie sich in der »Normalität« eben nicht bis zur Deckungsgleichheit überlagern. Im Gegenteil, Proto-Räumlichung und Proto-Zeitigung sind von grundsätzlicher Unzugänglichkeit, erst innerhalb solcher Unzugänglichkeiten gibt es Zugänglichkeit: mein tiefstes Innere ist mir nicht zu-
61 gänglicher als das des Anderen, wenn auch auf verschiedene Weise. Wie ich beim Versuch der Selbstergründung nur auf den Abgrund in mir treffe, so geht es auch, allerdings nur auf ähnliche Weise, mit der Vertiefung in den Anderen. Hier geht es um Proto-Räume eines radikalen Anderswo, da außerhalb der Gegenwartszeit und nicht auf das simul des »Gleichzeitig« einer Zeit der raumbildenden Gegenwart reduzierbar. Sie machen den ganzen Abstand zwischen Ich und Ich, zwischen mir und dem Anderen und zwischen dem einen und anderen Anderen aus. Sie bilden einen quasinatürlichen oder, wenn man will, einen unbewußten Grund, wobei aber hinzugefügt werden muß, daß es der Grund des phänomenologisch Unbewußten ist, noch bevor er blind in das symbolische Unbewußte rekodiert wird, mit dem sich die Psychoanalyse beschäftigt. Die Befreiung der Befindlichkeit aus ihrer Verschlossenheit in der Subjektivität oder dem Dasein* macht sie, wie gesagt, zu einer Befindlichkeit von Welten im Plural, was mit den Weisen ihrer Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung in einem notwendigen Zusammenhang steht. Damit ist aber auch verbunden, daß sie unbeugsam und wild ist. Sie läßt nur mehr oder weniger ausgearbeitete und komplexe Zuchtmittel aus der menschlichen symbolischen Stiftung zu. Es liegt nahe, sie mit dem in Verbindung zu bringen, was Freud »Triebe« genannt hat, sie ist aber unendlich viel umfangreicher und reicher. In ähnlicher Richtung ist anzuerkennen, daß die Befindlichkeit und erst recht die Stimmung* nicht im eigentlichen Sinne als Weltphänomen gelten können (denn die Faktizität reduziert sich niemals auf sie, es sei denn in der Psychose, in der die Faktizität eben ins »Außerweltliche« gesetzt wird). Die Befindlichkeit ist vielmehr im phänomenologischen Schematismus der interfaktiziellen und transpassiblen Phänomenolgisierung wilde Konkretheit von Welten an den Weltphänomenen. Es gibt also, könnten wir schlußfolgern, notwendigerweise eine oder mehrere Leidenschaften des Denkens, im Sinne einer oder mehrerer wilder Leidenschaften, die von primordialer, unerinnerbarer und unausgereifer Wildheit des Denkens sind. Aber was heißt denken? Auf diese Frage können wir natürlich nicht eindeutig antworten, wenn wir nicht der Tautologie verfallen wollen. Und dennoch, daß es eine unerinnerbare und unausgereife Wildheit des Denkens geben könnte, bringt uns auf einen Weg, der auch jenseits dessen, was darüber innerhalb der symbolischen Stiftung der Philosophie bisher gedacht wurde, immer noch ein philosophischer ist. Dies selbstverständlich nicht, weil die Philosophie das Monopol des Denkens hätte – was eine ebenso überhebliche wie naive Ansicht wäre –, sondern weil es in der Philosophie eine gewisse Praxis der Wildheit gibt, die sie gleichermaßen menschlich wie unmenschlich macht. Im brennenden philosophischen Begehren, sich zum Unerinnerbaren Zugang zu verschaffen, in der Bereitschaft, nötigenfalls die Gedanken und die derzeitige menschliche Praxis wild umzuwerfen, begegnen wir einer nie dagewesenen, unerinnerbaren Wildheit – es gibt in der fungierenden Sprache (nicht im Sprachsystem!) der Philosophie etwas unbeugsam Barbarisches. Es ist aber auch eine unausgereife Wildheit, weil niemals ein philosophisches Werk zur Vollendung gelangt, weil es stets von den Ruinen der anderen ausgeht, dabei so tut, als wisse es von ihnen nichts und dächte nicht daran, daß es seinerseits unweigerlich wie sie allen Winden ausgesetzt sein wird als neue Ruine unter Ruinen. Diesen philosophischen Bezug zur Wildheit müssen wir also nun untersuchen. Es ist, erinnern wir uns, nicht nur ein Bezug zum primordialen und unerinnerbaren Archaischen, sondern auch an die Kindheit, die in ihrer unreduzierbaren Unreife sich nur annäherungsweise wiederbegegnet. Die Wildheit ist allerdings unteilbar und reduziert sich nicht auf die Befindlichkeit, auch wenn sie sich davon nicht trennen läßt. Auf der Rückseite der symbolischen Ausschnitte, die,
62 indem sie die Eigenschaften bestimmen, Selbständigkeit und Kennzeichnung verleihen, durchquert sie alles Sinnliche in ihrer wilden Dimension, alles von Husserl als »sinnliche Mannigfaltigkeit« Bezeichnete. Deshalb geht sie bis zu einem gewissen Punkt, der wegen seiner Flüchtigkeit und Variabilität unmöglich festgestellt werden kann, durch das Denken, insofern es wild, d.h. nicht im blind bestimmenden Rahmen einer symbolischen Stiftung immer schon eingetragen ist. Die Wildheit verweist also allgemein auf die unerinnerbare und unausgereife Inchoativität des phänomenologischen Feldes selbst, in dem in einer Art Chaos alles ungeschieden ist. »Eine Art Chaos«, denn es ist nicht einfach ein bloß Verstreutes oder dem Zufall unterworfen – was die Physiker »Unordnung« nennen –, sondern etwas, in dem im unermüdlichen phänomenologischen Schematismus der Phänomenologisierung, die in der Transpassibilität der interfaktiziellen Begegnung sich in Bewegung setzt, sich Konkretheiten oder wilde phänomenologische Wesen* sedimentieren, die in ihrer ungeschiedenden Masse Sinnliches (Sichtbares, Berührbares, Hörbares usw.), Stimmung* und »Denken« in sich tragen.31 Diese Sedimentierung findet ohne das Wissen des Bewußtseins statt und folgt der ursprünglichen Verdrehung dieses Schematismus, also den Überschiebungen und Überlagerungen, die in der Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung der Interfaktizität fungieren. Im Zeichen einer solchen Wildheit, von welcher der Traum uns eine Vorstellung vermittelt, wenn man ihn nicht wie die Psychoanalyse auf die in ihm zweifellos vorhandenen signifikanten Kodierungen reduziert, wenn man also im Gegensatz zu Freud zugibt, daß die »Traumarbeit« denkt, ist allerdings das fungierende Denken als solches eigentlich nicht unterscheidbar. Daß diese Konkretisierungen oder wilden Wesen* (sie »wesen«*, sind also nicht als »Seiende«) sich im phänomenologischen Unbewußten sedimentieren, indem sie die (nicht teleologischen) proto-zeitlichen und proto-räumlichen Horizonte der Weltphänomene in ihrer Faktizität auskleiden, daß sie sich als Überschiebungen oder Überlagerungen von Faktizitäten konkretisieren und dabei ihr stillschweigendes Einverständnis untereinander von dem Unerinnerbaren her und im Hinblick auf das Unausgereifte möglich machen, daß sie sich in dieser Konkretisierung schon untereinander wie ineinander verwobene Phänomenalitätsfetzen und Faktizitätsbruchstücke organisieren – all dies, das selbst der Faktiziät angehört, also einer phänomenologischen Existentialität, die fundamentaler oder ursprünglicher ist als die von Heidegger beleuchtete, ist architektonisch den von Husserl schon berührten passiven Synthesen zweiten Grades zuzurechnen, wobei sie in der Phänomenalität Nachklänge von passiven Synthesen dritten Grades sind, die ihrerseits dem Schematismus angehören. Damit, um zu einer Sichtweise zurückzukehren, die der geläufigen Erfahrung offenbar näher ist, sind wir weitestgehend zu »allem« Sinnlichen, »allen« Stimmungen und »allen« Gedanken unter der Bedingung fähig, daß wir dieses »alles« nicht mit irgendeiner bestimmten oder bestimmbaren Totalität zusammenfallen lassen. Indem die Transpassibilität des phänomenologischen Schematismus den »Prellbock« des Seins-zum-Tode – der nur notwendig ist, wenn man bei der Definition des Daseins* in Begriffen der ontologisch-existentialen Möglichkeiten stehenbleibt – umgeworfen hat und über ihn hinausgegangen ist, öffnet sie, durch die unauflösbare Doppelheit des Unerinnerbaren und Unausgereiften, auf eine »Ewigkeit«, die sich nicht im Zyklischen fixiert oder in sich selbst durch ihre Unwandelbarkeit verschließt, sondern von der Art ist, auf die Rimbaud abzielte, als er von ihr als dem »mit der Sonne gegangenen Meer« sprach. Das phänomenologische Feld, oder das Feld des phänomenologisch Unbewußten in seiner unaufhörlichen, wilden Schematisierung, ist ein
63 phänomenologisches apeiron, das in »ewigem« Spiegeln und Schimmern der Phänomenalität pulsiert. Deswegen »erlöst« es uns trotzdem noch lange nicht vom Tod, »verwandelt« den Tod auch nicht zu einer bloßen Illusion, die mit der nur scheinbar stimmigen Illusion von unserem »irdischen Aufenthalt« übereinstimmt. Dieses apeiron ist wirklich unheimlich*, von einer »Fremdheit« oder einer »beunruhigenden Fremdheit«, auf deren Linie der Tod alles gleichmacht, als ein immer bevorstehender Tod des Selbst in der phänomenologischen Anonymität. Dieser für die passiven Synthesen dritten Grades konstitutive Schematismus, in dessen Hohlräumen sich die passiven Synthesen zweiten Grades sedimentieren, der die Matrix ist, in der sich meine Faktizität und die aller Anderen empfängt, dieser Schematismus ist eben nicht mein oder der anderen Werk und wird es auch niemals sein. Er ist unermüdlich, ist in der gleichen Bewegung der Faktizität immer voraus und immer hintennach, er hat mich nicht erwartet, um sich zu bilden, und wird mich nie erwarten. Die Psychose zeigt, daß man die der Faktizität und Interfaktizität ausgeworfene Angel zu ergreifen wissen muß, aber daß niemand sich zum Meister dieses »Wissens« aufschwingen kann, das unbewußt und in seiner Unwissenheit naiv (in-nocent) ist: die »Angel« kann genauso gut ohne jede Erklärung nicht ergriffen werden, ohne daß diese »Negation« von irgendeiner Entscheidung abhinge. Noch nie hat sich jemand den Wahn ausgesucht, denn der Wahnsinn scheint vielmehr einer exzessiven Transpassibilität anzugehören, was man »Transpassitivität« nennen könnte. Dies zeigt aber, daß es zwischen dem Zutagetreten der eigentümlichen Erfahrung der Transpassibilität als eines unermüdlichen Schematismus und eines unheimlichen* – gewissermaßen unbewohnten und niemals bewohnbaren – Apeirons und der Erfahrung der Psychose eine merkwürdige Nähe gibt, merkwürdig, da sie fast unendlich ist, eine nicht weniger unendliche Entfernung aufreißt und alles in einer feinen Nuance hält, nämlich der, die zwischen der leiblichen Passibiltät mit der ihr eigenen Distanz, also ihrer Proto-Räumlichung/Proto-Zeitigung, und der Passivität besteht, die, wenn man sie so weit treibt, daß sie nach dem Muster des Wachsabdrucks gesehen wird, eher verkörperlicht als verleiblicht. Der ganze Unterschied, den wir hier einzukreisen versuchen, liegt in der Scheidung des phänomenologisch Erhabenen vom einseitigen Schock des Entsetzlichen, Ekelhaften (im-monde) und Schrecklichen. Ohne daß wir hier des Längeren auf das phänomenologisch Erhabene32 zurückkommen könnten, müssen wir dennoch daran erinnern, daß es eben keine phänomenologische Erfahrung des Erhabenen ohne die Entfernung gibt, die gerade das Bedrohliche, Schreckliche oder Entsetzliche auf Distanz hält. Es ist eine Distanz der unlösbar mit einer Proto-Zeitigung einhergehenden Proto-Räumlichung, an oder in der Zeitigendes/Räumlichendes im Sprachlichen erst ansetzen kann. Das phänomenologisch Erhabene – d.h. die phänomenologische Begegnung in und durch eine mit anderen Faktizitäten einhergehende Faktizität mit dem phänomenologischen apeiron oder der phänomenologischen Unbegrenztheit – wäre nach unserer Auffassung der Knotenpunkt jeder phänomenologischen Artikulation, trotz der Nähe aber doch von der Psychose darin unterschieden, daß diese einer exzessiven Passivität unterliegt. Die »Angst« vor dem Erhabenen oder dessen »Verdrängung« wäre gewissermaßen auch »Angst« vor dem Wahnsinn oder seine »Verdrängung« – aber nur in dem besonderen Sinn der verhängnisvollen architektonischen Verwirrung zwischen dem Wahn und dem Erhabenen. Haben wir nun mit dem phänomenologischen Erhabenen, das einem Gefühl*, das auch Selbstgefühl* ist, entspricht, aber in seiner phänomenologischen Dimension
64 eher Stimmung* von Welten (im Plural ihrer Inchoativität) ist, unsere Grundstimmung* der wilden Leidenschaft des wilden Denkens gefunden? Einerseits ja, wenn wir unter Stimmung* mehr als Heidegger verstehen und bis zur interfaktiziellen Dimension des Schematismus gehen, ihre Proto-Räumlichung (in der Distanzierung zu sich selbst) und Proto-Zeitigung (im Unerinnerbaren und Nichtreifenden) einbeziehen, sie also mit der phänomenologischen Vielfalt von Welten aufladen lassen und in ihrer phänomenologischen Anonymität eine unreduzierbar wilde Dimension zulassen. Aus einer anderen Perspektive aber nicht, wenn man nämlich in der Manier Heideggers eine zu restriktive »Definition« der Stimmung* in Betracht zieht, die noch den klassischen Unterscheidungen insofern anhängt, als sie diese ausschließlich am Ort der Befindlichkeit ansiedelt, von Anfang an von dem getrennt, was sich allein in der eigentlichen Zeitigung hinsichtlich der ontologisch-existentialen Möglichkeit, die Welt im transitiven Sinn zu existieren, als das Selbst »entscheiden« kann. Das legt den Gedanken nahe, daß es von der Stimmung* als Stimmung* von Welten bis zur Stimmung* (und der Grundstimung*) Heideggers eine ganze »Filterung« durch die menschliche symbolische Stiftung gibt, deren »Rhetorik« als Philosophie (oder Phänomenologie) der Leidenschaften eine reflektierte Wiederaufnahme ist, und zwar in kohärenter Verformung, die vom Pol der symbolischen Stiftung der Philosophie (der symbolischen Tautologie von Denken und Sein) ausgeht. Noch etwas anderes müssen wir nachdrücklich am phänomenologisch Erhabenen hervorheben: es ist auch der Ort des Ursprungs (nicht: des Anfangs), an dem das Individuum33 sich als ein Selbst apperzipiert, das sich ein ebenso radikales Rätsel ist wie jedes andere Selbst. Damit ist die Stimmung* des Erhabenen nicht mehr nur Stimmung* von Welten in ihrer primordialen Anfänglichkeit und des drohenden Todes des Selbst in der phänomenologischen Anonymität der in unaufhörlicher Bildung begriffenen Welten, sondern auch Selbststimmung* eines Selbst, das sich in ihr nur verleiblicht, wenn es sich in ihr »hält«, durch den Tod hindurch und über die Grenzen der Welten oder deren Innerstes hinaus, ausgehend von der Proto-Zeitlichkeit/Proto-Räumlichkeit einer radikalen Abwesenheit, die rätselhafterweise als solche von einem symbolischen Stifter (Gott) bewohnt wird, der mich in der Welt als verleiblichtes Wesen oder Weltwesen (Faktizität) nur insofern »empfängt«, als er mich nicht durch einen Bestimmungsakt nur als »Effekt« »verursacht« hat (was eine ungerechtfertigte metaphysische Behauptung wäre). Man findet also in der erhabenen Stimmung* die zweifache Dimension wieder, sowohl den Empfang der Faktizität, ein selbst eher passibler als passiver Empfang, als auch die Erschlossenheit, in welcher der Empfang als Matrix oder Weltphase ohne ontologisch-existentialen Entwurf stattfindet – eine Erschlossenheit, die selbst transpassibel ist, insofern sie nicht einfach der Aktivität zugehört, sondern ständig »in Arbeit« oder »im Entstehen« begriffen ist, ebenso (phänomenologisch) unbewußt wie unermüdlich fungiert und stets zu »Überraschungen« (sur-prise) gut ist, die jede »Vereinnahmung« (prise) überschreiten. Daß es »Überraschungen« und nicht »Vereinnahmungen« sind, liegt daran, daß sich die Erschlossenheit sowohl durch das phänomenologische apeiron als auch durch den symbolischen Stifter gewinnt, sozusagen einem uns zugewandten »Doppelgesicht« des uns absolut Überschreitenden. Die phänomenologische Erschütterung des Erhabenen zu erfahren bedeutet, diesem aboluten Überschreiten ausgesetzt zu sein. Gewiß, wird man sagen. Aber eine Überschreitung woraufhin? Eigentlich auf das hin, was man auch weiterhin, im Nachklang der klassischen Tradition, aber vielleicht anders, unter dem Denken verstehen muß. Für uns ist es die Sinnbildung, die
65 über den in sprachlichen Aussagen möglichen Sinn weit hinausgeht. Gebildet werden dabei Zeit und Raum in der von uns so genannten sprachlichen Zeitigung/Räumlichung – eine Zeit des Bewußtseins, das seine eigene Vergangenheit als Gewesene und Zukunft als noch zu sein Habende in sich hat, und ein Raum des Bewußtseins in dem Gleichen oder Simultanen des »Gleichzeitigen«. Die ganze Frage der Leidenschaft des Denkens ist damit auch die, ob und wie die erhabene Stimmung* des Unbegrenzten in die Zeitigung/Räumlichung der sprachlichen Phänomene einfließen kann, wie sich also die wilde Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung und die Zeitigung/Räumlichung in der fungierenden Sprache aneinandergliedern – und wir ahnen, in welchem Abgrund es geschehen muß – wobei man die fungierende Sprache in ihrer phänomenologischen Dimension nehmen muß, also in der »Reduktion« der Zeichen auf »Zeichen« des sich bildenden Sinns. Für die sprachlichen Phänomene ist entscheidend, daß sie zwar tatsächlich einen phänomenologischen Ursprung außerhalb der fungierenden Sprache haben – die Weltphänomene in ihrer ursprünglichen interfaktiziellen Vielfalt in unaufhörlicher Schematisierung –, aber ihren Anfang streng genommen nicht außerhalb des Sprachlichen nehmen: Jeder Beginn der fungierenden Sprache ist schon sprachlicher Beginn, weil die »Idee« (der Sinn) des zu Sagenden immer schon als Ansatz der Zeitigung/Räumlichung auftaucht, in welcher der Sinn sich bildet und seinen Ausdruck sucht.34 Das bedeutet streng genommen, daß der sprachliche Entwurf, der protentional antizipierte Entwurf des Sinns, eines Sinns, der sich zwar aufgetan hat, aber noch zu bilden bleibt, sich schon im Inneren seiner selbst zur »Retro-zipation« des Sinns, zum gleich der retentionalen Vergangenheit zugehörenden Anspruch des Sinns, zeitigt und räumlicht – die Räumlichung liegt in diesem »gleich«, das, indem es den ursprünglichen Abstand zwischen Zukunft und Vergangenheit öffnet, im Zugleich der »Gleichzeitigkeit« der Gegenwärtigkeit den Raum der Gegenwärtigkeit erschließt, welcher durch die Diskursivität des in seiner Bildung begriffenen Sinns noch zu zeitigen ist. Das bedeutet auch, daß der Sinnansatz als rhythmische Öffnung des Zeit-Raums auf sich selbst sich ebenso gut verflüchtigen, verschließen oder verschwinden kann, wenn also, wie man sagt, der Sinn oder die »Idee« mir »entfällt« – oder, in unserer Terminologie, der Sinn »abgebrochen« (avorté) wird. Das heißt, daß die Zeitigung/Räumlichung des Sinns sich durchaus nicht mit Notwendigkeit vollzieht, daß sie Aufmerksamkeit, Konzentration und Sorgfalt braucht – wozu mehr oder weniger und auf verschiedene Weise die symbolische Stiftung der Kultur ihren disziplinierenden Beitrag leistet, auch der mehr oder weniger feine Gebrauch der Sprache. In unserem Kontext ist uns dies hier weniger wichtig als die Art, in der sich Zeitigung/Räumlichung und Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung aneinandergliedern. Entscheidend dabei ist, daß es zwischen ihnen einen unaufhebbaren Hiatus gibt – einen Abgrund –, der aber gerade notwendig ist, damit die sprachlichen Phänomene noch Weltphänome und nicht einfach nur Phänomene oder Sinnregungen von sich selbst sind, was dann – bestenfalls – symbolische Tautologie von Denken und Sein (Heidegger) oder gar – schlimmstenfalls – einfach nur logische Tautologie und äußerstenfalls Nominalismus wäre. Wenn die Öffnung der Zeit auf die Zeit, in der die Zeit sich auf sich selbst bezieht und damit begleitendes Bewußtsein (conscience) bildet, sich nur im Durchgang durch den ursprünglich räumlichenden Abstand im Ursprung bilden kann, in und durch den die Zeit und der Raum des »Gleichzeitigen« sich rhythmisch im Inneren ihrer selbst umkehren, dann ist dies nur dann möglich, wenn dieser Abstand zugleich Abstand oder ursprüngliche Schieflage des Zeit/Raums im Bezug auf sich selbst ist, d.h. in seinem ursprüngli-
66 chen Bezug auf sein radikales Außerhalb, in das er niemals eindringen wird und das immer über ihn hinausgehen wird. Dies kann nun nur der schematische ProtoZeit/Proto-Raum der interfaktiziellen phänomenologischen Vielfalt der außersprachlichen Weltphänomene sein. Folgerichtig ist dieser Abstand auch als der zu sehen, der den Sinn zwischen den starken und schwachen Zeiten seines sich bildenden Rhythmus’ manches von der phänomenologischen Vielfalt der Welten sagen läßt, das niemals auf ein »Signifikat« (oder ein eidos) reduzierbar wäre, d.h. also manches von den Konkretheiten oder wilden Welten-Wesen*, mithin von der Befindlichkeit in ihrer wilden phänomenologischen Dimension, und insbesondere von der erhabenen phänomenologischen Stimmung. Wenn wir darin einen geeigneten Weg sehen, die Frage der Affektivität des Denkens, eine Affektivität, die bei der sprachlichen Sinnbildung mitspielt oder mitwirkt, einer ganz neuen Behandlung zuzuführen, so müssen wir gleich hinzuzufügen, daß dieser Weg derart »prinzipieller« Natur ist, daß er uns einen völlig »unbekannten Kontinent« entdecken läßt, so unendlich komplex und subtil sind die Modalitäten, nach denen die Befindlichkeit und die »Stimmungen« während des ganzen Verlaufs der Diskursivität des sich in seiner rhythmischen Zeitigung/Räumlichung bildenden Sinns in ihn eindringen und sich in ihm »verteilen« können. Man denkt unweigerlich an die Musik – eine Art »gereinigtes« sprachliches Phänomen – aber sie stellt keinen einfacher zu behandelnden Fall dar, da man in der Lage sein müßte, die ganze symbolische Stiftung des musikalischen »Diskurses« von der uns abgewandten Seite her zu fassen, indem man all die zu »Allgemeinplätzen« gewordenen Stellen der »Expressivität« oder gar »Sentimentalität«, die immer dazu tendieren, sich auf einer zweiten Stufe als musikalische »Rhetorik« zu institutionalisieren, hinter sich lassen müßte. Das vermittelt eine Vorstellung von der Schwierigkeit, die nicht geringer wird, wenn man die benachbarten Fälle der Poesie und der Malerei und den scheinbar entfernteren Fall der Literatur im allgemeinen betrachtet. Eine »phänomenologische Ästhetik«, die nötiger den je ist, bleibt noch ganz zu erarbeiten, selbst wenn ihr im Horizont ihrer tatsächlichen Unmöglichkeit Grenzen gesetzt sind. Und da sich Schritt für Schritt unsere Untersuchung um die wilde Leidenschaft des Denkens zusammengezogen hat – Leidenschaft oder Stimmung* des phänomenologischen Erhabenen – beschränken wir uns darauf, mit einigen Worten die Frage des Erhabenen im Sprachlichen zu umreißen. Es handelt sich da um einen entscheidenden Punkt, an dem sich das phänomenologische Apeiron des interfaktiziellen Feldes und die »Endlichkeit« des sich bildenden Sinns – wie wir es auf Heidegger anspielend formulieren könnten – aneinandergliedern. Die Rede vom Erhabenen in der fungierenden Sprache scheint paradox, weil – darin sollte man sich unserer Meinung nach streng an Kant halten – die erhabene Stimmung* doch gerade wegen eines »Versagens« der Schematisierung (Zeitigung/Räumlichung) im Sprachlichen aufbricht. Kann man sagen, daß sie sich dennoch im unendlichen Streben* schematisiert, das sprachlich zu schematisieren, was ihr je schon (transzendentale Vergangenheit) und für immer (transzendentale Zukunft) grundsätzlich entgeht? Aber sagt oder spürt sich dieses Streben in der Schematisierung selbst, und wenn ja, wie? Läuft es der sich schematisierenden Kette entlang oder verdichtet es sich – oder kann es sich »verdichten« – wie in »Wirbeln« in einige seiner »Elemente«? Das sind offensichtlich schwierige und unentscheidbare Fragen, die eher zur erwähnten phänomenologischen Asthetik gehören, zumindest wenn man den »Ausdruck« des Erhabenen sozusagen »im ersten Grad« auffaßt – und in diesem Fall kann wiederum die Musik uns viel mehr »sagen« als jede andere »Form«
67 der sprachlichen Schematisierung, da ihre im »zweiten Grad« wenigstens andeutende »Gestaltung« des Unbegrenzten und Formlosen wesentlich ungezwungener ist als in allen anderen Kunstformen. In dieser Hinsicht hätte man übrigens, wenn es nach unseren Worten eine wilde Dimension in der philosophischen Leidenschaft des Denkens gibt, ziemliche Schwierigkeiten, in dieser solche »Gestaltungen« oder ein »Aufblitzen« davon zu finden, so sehr erscheint der dabei vollzogene »Diskurs« glatt und nur auf wenigen seiner Seiten zum »Erzittern« fähig, auf denen dann das »Bewegte« oder die eidetische und begriffliche Unbestimmtheit ein so starkes Beben auslösen, daß die Logik der Unterscheidungen und Bestimmungen, die sich bis dahin unerbittlich anzuhäufen schienen, wie von einem Abgrund verschlungen werden – dafür scheint uns Platons Parmenides das aussagekräftigste Beispiel. Wir näherten uns also dem Wesentlichen, wenn wir uns zu dem Gedanken entschließen, daß sich hier alles weniger innerhalb der sprachlichen Schematisierung als vielmehr im Echo abspielt, das die ekliptischen Verdeckungen des Sinnes in ihr nachhallen lassen – wenn also die bis zum Äußersten getriebenen Sinnregungen kurz davor sind, alle zusammen zu erwachen oder abzubrechen. Das Paradox würde dadurch abgemildert, weil der Fehlschlag der sprachlichen Schematisierung nämlich nicht ohne Spuren bliebe – Spuren einer zentralen und fundamentalen Erschütterung, die den »Diskurs« ganz in einen Unsinn von sozusagen im Leeren schwebendem »Spiel« oder »spekulativem Feuerwerk« umschlagen lassen kann. Da scheint die »Logik« des »Diskurses« am wildesten und fordert sowohl den »gesunden Menschenverstand« heraus, der sich darin nicht wiedererkennt und »das alles« für unverständlich erklärt, als auch die einfache, auf Identität und Widerspruchslosigkeit gegründete Logik. Wieder stehen wir vor einer Situation, die dem »Wahnsinn« nahe ist, ohne mit ihm zusammenzufallen, da der Abgrund im ersten Fall aus der fungierenden Sprache selbst herausgehalten wird, insofern der Hiatus zwischen den phänomenologischen Schematismen der Welten und den phänomenologischen Schematismen des Sprachlichen besteht, während im Fall der Psychosen der Abgrund nach dem Verlust ihrer (Innen- und Außen-) Leiblichkeit* sich sozusagen im Inneren der fungierenden Sprache eingenistet hat. Der Philosoph an der Grenze ist nicht wahnsinnig, sondern »ein wenig verrückt«. Alles kommt also auch hier auf den proto-räumlichenden Abstand der Leiblichkeit* an, auf das, was trotz ihrer Überschneidung die Innenleiblichkeit und Außenleiblichkeit des Sprachlichen gegenseitig auf Abstand hält, denn in diesen Abstand schreibt sich nicht nur die interfaktizielle Schematisierung ein – also die phänomenologische Erfahrung der ursprünglichen phänomenologischen Vielfalt der Welten – sondern auch, mit dieser verflochten, die Schematisierung einer verleiblichten fungierenden Sprache, welche somit die Spuren der Erschütterung bewahrt, anstatt nur um die Erschütterung zu kreisen, die sie entleiblichen und in der Passivität auf das Körperliche reduzieren könnte. Dies sind Spuren, wilde leibliche Konkretheiten, also affektive Konkretheiten im Leib des Sprachlichen selbst. Was soll das heißen? Zumindest im »Reich« der philosophischen Sprache? Die Erfahrung der fungierenden Sprache an ihren Grenzen ist ganz konkret die Erfahrung der un-endlichen Schieflage der Sinnregungen, allgemeiner noch jener Sinnregungen, die sich zu sagen suchen, indem sie sich auf das beziehen, was sie unreduzierbar als apeiron des unbegrenzten »Ganzen« des Sagbaren übersteigt. Es ist also die Erfahrung der Unmöglichkeit, den Sinn oder die Sinnregungen in Begriffe oder Bezeichnungen einzufrieden, denen stabile, der Anschauung zugängliche eidè entsprächen. Ihr entspricht die Erfahrung, daß jede logisch-eidetische Verknüpfung
68 zu systematisch mehr oder weniger umfassenden Ketten a priori unzulänglich ist – eine Unzulänglichkeit, die hinter der allseitigen Beweglichkeit der Welten und der fungierenden Sprachen in ihrem phänomenologischen Gehalt zurückbleibt. Es ist also auch die Erfahrung dessen, was es in den sich unermüdlich schematisierenden Weltphänomenen an Unbegrenztem gibt, ebenso wie in den sprachlichen Schematismen, die sich je nach ihren ontologisch-existentialen Möglichkeiten damit verflechten können. Eben diese Erfahrung desorientiert deswegen jede metaphysische (ontologische) Systematik, weil diese gleichzeitig die Bestimmung des Logos und des sich im Logos Artikulierenden einschließt, während doch ihre Bestimmungen im Grenzenlosen immer kurz davor sind, sich zu leeren Hülsen zu verwandeln, und man ihnen insofern in den Rücken fällt, als sie nur noch schlechthin als Tautologische auftauchen. Diese Erfahrung ist folglich auch die einer Leiblichkeit* des Sprachlichen, die als zeitigende/räumlichende Artikulation von Sinn die fungierende Sprache vor ihrer Implosion oder ihrem Verschwinden zurückhält. Das ist ein sehr charakteristischer, von der Tradition meist wegen seiner Gefährlichkeit gemiedener »Moment«, in dem der Sinn sich durch die »Verschmelzung« von Protentionen und Retentionen verdunkelt und die wilden Proto-Sinnregungen auftauchen, die ihre noch ungeteilten »Stimmungen« mit sich bringen, was dann als erhabene Grundstimmung* erscheint. Der Kurzschluß der sprachlichen Schematisierung läßt nun die unaufhörlichen interfaktiziellen Schematisierungen der Welten weit aufklaffen und breitet dabei auch das aus, was sich auf nicht minder wilde und unaufhaltsame Weise an Konkretheiten oder wilden Welt-Wesen* darin sedimentiert: eine Kluft, die bezüglich des sprachlichen Zeit-Raums (und des Bewußtseins) insofern den Eindruck der Ewigkeit erweckt, als in ihr jenseits jeden Begriffs und sichtbaren Eidos die phänomenologische Inchoativität der Welten und das scheinbare Chaos ihrer Konkretisierungen aufblüht. Diese sind – unerinnerbar in der transzendentalen Reminiszenz und unausgereift in der transzendentalen Vorahnung35 – nicht mehr »real«, auch nicht »imaginär«, lassen aber in ihrer Ungezügeltheit und Wildheit an den Traum denken. In diesem »Register«, das jenseits der Faktizität der Welt in seiner Jemeinigkeit* angesiedelt ist, es aber immer schon gleichsam von unten her empfängt, gibt es nichts Mögliches oder Unmögliches mehr. Zwar taucht dieses Feld der phänomenologischen Vielfalt von Welten, des Unerhörten, Phantastischen und Unglaublichen niemals als solches auf, da es einerseits von äußerster Feinheit und Empfindlichkeit ist und immer nur flüchtig am Rand der Abwesenheit gleitet und andererseits meistens blind im symbolischen Unbewußten als eine Art »Effekt« der menschlichen symbolischen Stiftung rekodiert ist.36 Die erhabene Stimung* hat wie gesagt in der Tat zwei Seiten, sie ist einmal die »Stimmung« des Schwindens des Sinns und des Selbst im phänomenologischen Apeiron, das mit seiner Bildung unaufhörlich fortfährt, ohne Sinn und Selbst jemals erwartet zu haben oder noch erwarten zu müssen. Zum anderen ist sie die »Stimmung«, in der sich das Ich und der Sinn als durch einen symbolischen Stifter schon und für immer empfangen entdecken, der wohlgemerkt nicht nur als Rätsel das Rätsel des Selbst in sich birgt, sondern auch entsprechend und auf gleiche Weise das Rätsel des Sinns, wodurch er aus dem Sprachsystem (der symbolisch gestifteten fungierenden Sprache) etwas macht, das sich in der fungierenden Sprache verleiblichen kann. Dies zumindest dann, wenn in den unergründlichen Tiefen des Abgrunds die phänomenologische Begegnung mit dem symbolischen Stifter stattfindet: jenseits allen Entscheidungsvermögens (was nicht bedeutet jenseits aller »Entschlossenheit« im Sinne von »Konzentration«) kann die Begegnung genausogut auch nicht stattfinden, sich in symbolischem Verpassen (malencontre) bewegen. In
69 diesem Fall werden die symbolischen Bestimmtheiten, auch die des Sprachsystems, zumindest in ihren passiven »Sedimentierungen« eher passiv und distanzlos als »Signifikanten« empfangen, die sich im symbolischen Unbewußten nach den von uns so bezeichneten (symbolischen) passiven Synthesen ersten Grades artikulieren. Dieser Fall kann mehr oder weniger schwer, mehr oder weniger verheerend sein und von den Neurosen oder Perversionen bis zu den Psychosen gehen, je nachdem, wie tief die Traumatisierung geht, ohne daß es deswegen vom einen zum anderen Kontinuität oder Abstufungen gäbe. Die aus Unwissenheit naive (in-nocent) und befreiende Wildheit der Leidenschaft des Denkens kann sich in eine mehr oder weniger verhaltene und entsprechend mehr oder weniger verheerende Barbarei einer Art anonymen Vermögens verkehren, des von uns so genannten symbolischen Gestells*, das wie in scheinbarer Willkür des Attentats (Nietzsche) über Wesen und Dinge verfügt.37 Man versteht von daher, wieviel die Heideggersche Bestimmung der Angst als Grundstimmung* unausdrücklich der einseitigen, also im symbolischen Verfehlen verstümmelten Bestimmung des phänomenologischen Erhabenen verdankt,38 – was in dem Moment verhängnisvoll wird, wenn der einzige Horizont der transzendentalen Zukunft für das Dasein* der Tod ist, wenn er überdies zur letzten Instanz der Individuation wird, welche die Faktizität der Welt in sich ein- und verschließt. Dieser einseitigen Bestimmung haben wir als die Stimmung des sich flüchtig erfüllenden »metaphysischen« Begehrens des Denkens die Wonne* entgegengesetzt (ein Begriff aus Schellings »Die Weltalter«) – mit all den möglichen Konnotationen, die sich an diesen Begriff knüpfen können.39 Die wilde Leidenschaft des Denkens, eine phänomenologische Leidenschaft für Welten, die in ihrer Unbestimmbarkeit und Unermeßlichkeit von un-endlicher »Anzahl« sind, ist zweifellos die wilde Leidenschaft der Wonne. Sie kann sich jederzeit in eine barbarische Leidenschaft der Herrschaft und Bervormundung umkehren, wie einige Beispiele von Philosophen zeigen, wenn sie alles andere zerstört und ausgrenzt. Die Befindlichkeit des Denkens ist labil, und anstatt sich etwas auf seine außergewöhnliche intellektuelle Virtuosität einzubilden, die allerdings notwendig und immer vorhanden ist, sollte man besser – aber das ist eher ein zur Ethik des Denkens gehörender Rat – die Endlichkeit seiner Mittel und die irreduzible Kontingenz seiner Faktzizität und der Faktizitäten zur Kenntnis nehmen und – wenn der Ausdruck erlaubt ist – die interfaktizielle »Transpassibilität« spielen lassen, in der jeder tut, was er »kann« und nicht was er »will« – da doch das philosophierende Dasein* niemals sein Vermögen allein aus einer mehr oder weniger starken »Entschlossenheit« schöpfen kann, sich seiner eigenen Bestimmung nach zu vollenden, sondern auch aus der Fähigkeit, Mengen von anderen Welten und der in ihnen enthaltenen anderen Faktizitäten zu empfangen. Es gibt in diesem Sinn keinen »Gedanken«, der völlig einzigartig wäre: daß ich ihn in diesem oder jenem Augenblick flüchtig wahrgenommen habe, schließt jedenfalls nicht aus, daß ihn auch Andere fassen können oder ihn später sinngemäß artikulieren können. Obwohl von unreduzierbarer Besonderheit, da offensichtlich nicht alle über sie verfügen, darf die wilde Leidenschaft des Denkens in der Gesellschaft nicht dafür kämpfen, daß die ihr innewohnende Besonderheit eine Besonderheit bleibt, sondern auch dafür, daß in der Gesellschaft Freiräume für die Ausübung anderer wilder Leidenschaften des Denkens bleiben müssen – dies ist bekanntlich nicht einfach, so vielfältig sind die Fallen, die heute zweifellos stärker überhandnehmen als früher, auch wenn viele von ihnen bekannt oder unter den Masken scheinbarer Neuheit leicht zu entlarven sind.
70 Wenn es derart für die wilde Leidenschaft des Denkens einen ethischen Horizont gibt, dann weil sie in ihrer unschuldigen Unwissenheit, die sich im tiefsten Grund mit der Hingabe an die Naivität trifft, eine nicht weniger fundamentale Großzügigkeit enthält, was uns auf die notwendige Großzügigkeit des »transpassiblen« Empfangs der Welten in ihrer Faktzizität hinweisen läßt. Naivität, Großzügigkeit, Wonne: das sind – vorläufig – die drei Wörter, die wir auf unserem Weg finden, den wir gegangen sind, um die Stimmung (im musikalischen Sinne) der wilden Leidenschaft des Denkens in seiner »Transpassiblität« für die phänomenologische Vielfalt der Welten zu kennzeichnen. Es ist eine Stimmung, die sich unendlich variiert in den Spuren der erhabenen Erschütterung im Leib des Sprachlichen. Sie ist nicht in Begriffe zu fassen, in keine Theorie, so verfeinert sie auch sein mag, und sie kann zweifellos nur von denen aufgenommen werden, die, wie es Hegel einmal gesagt hat, »gleichen Geistes sind«.
ANMERKUNGEN 1
M. Heidegger, Sein und Zeit, Niemeyer, Tübingen, 1967, S. 139. Zitatnachweise mit der Sigle SuZ und der Seitenangabe. 2 Es ist kennzeichnend, daß unseres Wissens Heidegger niemals all das wieder aufgegriffen hat, was er als Perspektiven in Sein und Zeit anläßlich der Rhetorik des Aristoteles skizziert hatte. 3 Im Logisch-Eidetischen bleiben nur das Begehren und die Befriedigung (Genuß) der Erfüllung übrig. 4 M. Henry, »Phénoménologie et psychanalyse«, in: Psychiatrie et Existence, Décade de Cerisy, septembre 1989, textes réunis par P. Fédida et J. Schotte, Jérôme Millon, coll. »Krisis«, Grenoble 1991, S. 101-115, insbes. S. 106. 5 ebda. S. 107. 6 s. insbes. unsere Recherches phénoménologiques, I, II, III, vol 1 Ousia, Brüssel, 1981, bes. unsere 2. Recherche, S. 60-147. 7 J. Pato¢ka, »Der Subjektivismus der Husserlschen und die Möglichkeit einer »asubjektiven« Phänomenologie« und »Der Subjektivismus der Husserlschen und die Forderung einer »asubjektiven« Phänomenologie«, in: Die Bewegung der menschlichen Existenz. Phänomenologische Schriften II, hg. v. K. Nellen, J. Nemec und J. Srubar, Stuttgart: Klett-Clotta 1991, S. 267-285 bzw S. 286-309; s. auch unsere Studie »Possibilité et nécessité de la phénoménologie asubjective, in Jan Pato¢ka, philosophie, phénoménologie, politique (collectif), J. Millon, coll. »Krisis«, Grenoble, 1992, S. 101-120. 8 E. Husserl; Zur Phänomenologie der Intersubjektivität, Texte aus dem Nachlaß, hrsg, v. I. Kern, Husserliana, Bd XIII, XIV, XV, Marinus Nijhoff, Den Haag, 1973. Der hier angesprochene Text mit dem Titel, »Geisterscheinungen, Einfühlung, Erfahrung des Anderen« ist in Hua XIV, S. 324-340 publiziert. 9 In »Le problème de l’incarnation en phénoménologie«, erschienen in L’Ame et le Corps, hg. von M.P. Haroche, Plon, Paris, 1990, S. 163-184. 10 s. v. Verf: Phénoménologie et institution symbolique, J. Millon. Coll »Krisis«, Grenoble 1988. 11 Anm. d. Übers: Richir verwendet hier den Ausdruck »en souffrance«, welcher auch bedeutet: unerledigte (Arbeit), unbezahlte (Rechnung), ungedeckter (Scheck), nicht abgeholter, unzustellbarer (Brief). In seinem Text merkt er an, daß der Ausdruck »en souffrance« in all seinen Bedeutungen genommen werden könne. 12 Wir haben davon zwei vorbereitende Abhandlungen entwickelt, die zusamengehören, und zwar »La mélancolie des philosophes« in L’affect philosophe (Annales de l’Institut de Philosophie de l’Université de Bruxelles), Vrin, Paris, 1990, S. 11-34, und »Phénoménologie et
71 psychiatrie: D’une division interne à la Stimmung*, in den Etudes phénoménologiques, Brüssel: Ousia, 1992. 13 s. unsere bereits erwähnten Studien. 14 Gesamtausgabe, Bd. 29/30, V. Klostermann, Frankfurt/M, 1983. 15 »Ewig« ist in dem zu nehmen, was im Sinne des Wortes von Haller folgt (»ewiges Leben, ewige Langeweile«) 16 s. z.B. H. Maldiney, »L’existant«, in: Psychiatrie et existence, a.a.O. S. 23-46, insbes. S. 36f. 17 s. o. und sein Werk Penser l’homme et la folie, J. Millon, coll. »Krisis«, Grenoble, 1991. 18 ebda, S. 44. 19 ebda. 20 ebda, S. 45-46. 21 Wir werden im folgenden erläutern, weshalb hier vom »dritten Grad« gesprochen wird. 22 Wir bezeichnen mit passiven Synthesen ersten Grades diejenigen, die durch den »Primärprozeß«, von dem die Psychoanalyse spricht, ins Werk gesetzt werden. 23 s. unsere Untersuchung »Synthèse passive et temporalisation/spatialisation, im Sammelband Husserl, hg. v. E. Escoubas u. M.R., J. Millon, coll »Krisis«, Grenoble, 1989, S. 9-41. 24 s. vom Verf. Recherches phénoménologiques, Bd. 1 (I, II, III), Bd. 2 (IV, V, Ousia, Brüssel, 1981, 1983. 25 s. vom Verf. Phénomènes, temps et êtres und Phénoménologie et institution symbolique, J. Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble, 1987 u. 1988. 26 s. insbes. unsere III. Meditation. 27 s. die Untersuchung des Verf.: »Communauté, société et Histoire chez le dernier MerleauPonty«, in: Merleau-Ponty, phénoménologie et expériences (Sammelband) J. Millon, coll. »Krisis«, Grenoble, 1992, S. 7-25. 28 s. die Untersuchung des Verf. »Possibilité et nécessité de la phénoménologie asubjective«, ebenso wie die von I. Srubar, »Phénoménologie asubjective, monde de la vie et humanisme«, in: Jan Pato¢ka, philosophie, phénoménologie, politique, a.a.O., S. 85-120. S. auch im selben Sammelband die Untersuchung von H. Declève, »Le mythe de l’Homme-Dieu«, S. 121-164. Wir wollen hier nur sagen, daß uns scheint, daß die drei »Bewegungen«der Existenz nicht auf der gleichen architektonischen Ebene genommen werden können. Aber das erforderte eine eigene Untersuchung, die wir später vornehmen werden. 29 s. F. Pierobon, Kant et la fondation architectonique de la métaphysique, J. Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble, 1990. 30 Es ist sicherlich kein Zufall, daß Maldiney sich in seinem gesamten Werk ständig zwischen der Philosophie der Kunst und der Phänomenologie der Psychosen gehalten hat. 31 s. vom Verf. Phénomènes, temps et êtres, a.a.O., II. Abteilung, und Phénoménologie et institution symbolique, a.a.O., 3. Teil, §2. 32 s. z.B. v. Verf.: Du sublime en politique, Payot, coll. »Critique de la politique«, Paris, 1991. 33 s. v. Verf.: »Aperception de l’individu et être-au-monde«, in Kairos, Nr. 2, Université de Toulouse-Le Mirail, S. 151-186 und das eben erwähnte Buch. 34 s. die Untersuchung des Verf.: »Sens et parole: pour une approche phénoménologique du langage, in: Figures de la rationalité, Etudes d’anthropologie philosophique, IV, Vrin, Peeters, Paris, Louvain-La-Neuve, 1991, S. 228-246. 35 s. v. Verf.: Phénomènes, temps et êtres, a.a.O. II. Abteilung. 36 s. v. Verf. Phénoménologie et institution symbolique, a.a.O. 37 über die Unterscheidung wild – barbarisch, s. v. Verf. Du sublime en politique, a.a.O. , II. Teil. 38 s. a.a.O., S. 357-389. 39 s.unseren bereits zitierten Artikel »La mélancolie des philosophes«. Dort sagten wir, daß die Melancholie der »zusammengebrochenen Wonne« angehört.
III. Meditation
Für eine hyperbolisch-phänomenologische Epoche Hypercartesianische Meditation
§1 PHÄNOMENOLOGIE UND ONTOLOGISCHES SIMULACRUM
Wenn man auf das Werk Husserls zurückblickt, so mag es scheinen, als habe es im wesentlichen darin bestanden, die Dimension des Sinnes aus der Dimension der Tatsache zu befreien, unter der sie meistens verschüttet ist. Schon in den Logischen Untersuchungen, in deren Prolegomena er zunächst den Psychologismus und den Historizismus, diesen das endende 19. Jahrhundert prägendenden Formen des Positivismus, der Kritik unterzieht, vollbringt er die wirklich grundlegende Leistung, aus ihnen das rein Logische als eine logisch-eidetischen Dimension freizusetzen, die nicht auf Tatsachen und Tatumstände – im wesentlichen durch die empirische Kausalität verbunden – zu reduzieren ist. Bekanntlich wird aber in den Logischen Untersuchungen die Dimension des Sinnes schließlich doch auf die der Bedeutung* oder des Begriffs zurückgeführt, das rein Logische wird in die Sphäre einer reinen Grammatik a priori der Bedeutungen und Begriffe hineingezogen, und ihr wird nur in dem Fall eine gegenständliche Referenz zugestanden, daß der Intention und der Erfüllung der Bedeutung eine genau entsprechende anschauliche Erfüllung, die des Wesens oder des Eidos, zugeschrieben werden kann. Das im rein Logischen a priori auf die Sphäre des Seins hin Geöffnete empfängt in der eidetischen Anschauung seine Erfüllung – die Befriedigung der angestreben Erkenntnis. Ein solches in einer schon phänomenologischen Epoché vollzogenes Ausschalten der Tatsachensphäre soll aus ihrer symbolischen Tautologie von Bedeutungssphäre und Sphäre der Wesenheiten die jede »Apophantizität« der Logik kennzeichnende symbolische Identität zwischen Sinngehalten des Denkens (Begriffe, Bedeutungen) und Sinngehalten des Seins (Eidè, eidetische Sachverhalte) hervortreten lassen. Zwar kann das Eidetische dieser Welt nicht ipso facto auf die dem rein Logischen unterstellte Transparenz reduziert werden – dieses umfaßt vielmehr vielfältig Eidetisches möglicher Welten im Leibnizschen Sinne –, aber es ist als »materielle Ontologie« nur durch die Vermittlung der reinen Logik und seiner anschaulichen Erfüllungen zugänglich. Wie aus der 6. Logischen Untersuchung, insbesondere dem § 52, hervorgeht, ist jede eidetische Anschauung kategorial, also in eine Form eingelassen, die wegen der symbolischen Tautologie zwischen Denken und Sein sowohl das Denken als auch die Anschauung strukturiert. Daraus folgt, daß die »Tatsachen« selbst, d.h. für Husserl die Wahrnehmungen (oder Apperzeptionen) der Einzelheiten nur insofern »zutreffend« sind, als sie uns immer schon zweifach in ihrem logisch-eidetischen Doppelsinn (der symbolisch nur als einfacher genommen wird) erscheinen, also sozusagen in zumindest implizite logisch-eidetische Variationen eingekleidet. Dem entgehen nur die »sinnlichen Mannigfaltigkeiten« vom Typ »Baumallee«, von denen schon in der Philosophie der Arithmetik die Rede war und die Husserl den von ihm später so genannten passiv-assoziativen Synthesen angehören läßt. Eine »sinnliche Mannigfaltigkeit« ist kein eideti-
76 scher Sachverhalt: sie entgeht jeder logischen Prädikation, kann in diesem Sinn nicht auf sie reduziert werden und geht ihr voraus. Das »Ergebnis« der Logischen Untersuchungen ist also im großen und ganzen eine die Tasache auf das Wesen reduzierende eidetische Reduktion. Aber diese Reduktion ist selbst in einer – symbolischen – Zirkularität begriffen, da der Zugang zu ihr über eine Analyse – oder Analytik – der Denkerlebnisse ermöglicht wird, die nicht in ihrer Faktualität, sondern in ihrem Wesen oder besser, um vorauszugreifen, in ihrer Faktizität genommen werden. Die Analytik müßte also, wie es Husserl selbst genannt hat, »im Zickzack« vorgehen,1 d.h. ständig durch die Faktiziät zur Wesenheit des Denkens und umgekehrt hindurchgehen. Die große Schwierigkeit liegt allerdings darin, daß diese Ausrichtung der Wesenheit als einer a priori reinen Logizität eo ipso eine Vorbestimmung des Denkens durch die Eindeutigkeit impliziert, die den Bedeutungen oder den logischen Begriffen und ihren Verkettungen unterstellt wird – was in unserer Terminologie eine kohärenten Verformung jedes Denkens nach der Richtschnur der Logik, und damit, da es sich hier um eine Erkenntnistheorie handelt, auch des Logisch-Eidetischen bedeutet. Es besteht folglich kein Zweifel, daß die Reduktion oder Läuterung der Denkerlebnisse zu Begriffen oder Bedeutungen in der Analytik sich selbst vorausgeht und daß sich an diesem Vorausgehen die Neuauflage einer symbolischen Stiftung der Logik und des Logisch-Eidetischen bezeugt, die aristotelisch inspiriert sind. Die Kraft, deren erneuernde Wirkung für die damalige Zeit eher bekannt ist, als wie sehr sie auch noch in unserer von allerlei Positivismen wiedereroberten Zeit ihre Wirkung tun könnte, – diese Kraft der Logischen Untersuchungen verdankt sich übrigens dieser bis zur vollen Autonomie gehenden Befreiung des Logisch-Eidetischen sowohl aus der Faktualität der weltlichen Tatsachen als auch aus der Faktizität der denkenden Subjekte. Man kann sagen, daß in den Untersuchungen die Sphären der Faktualität und der Faktizität fast völlig auf das Unwesentliche oder Zufällige reduziert sind. Ein Punkt aber, ein neuralgischer Punkt, wirft Schwierigkeiten auf und kündigt das spätere Husserlsche Thema der Kontingenz der Welt an. Es ist das von Hussserl so genannte Fundierungs*-Verhältnis, nach dem für eine wirklich eidetische Anschauung eine Wahrnehmung (oder Einbildungen) von Einzelheiten notwendig ist. Ich kann nur dann »das« Rote (das Eidos »Rot«) erblicken, wenn ich rote Gegenstände wahrnehme (und phantasiere) und zwar, wie man es ausdrücken könnte, sowohl in der Faktualität des sinnlichen Gegenstands, der selbst als singulum erfaßt wird (bis in Erfahrung und Urteil) als auch in der Faktizität der Wahrnehmung und der Phantasie, die als schon komplexe »Erlebnisse« perplex machen können. Die Husserlsche »Fundierung« ist in der Tat zweideutig. Entweder ist der wahrgenommene oder eingebildete Gegenstand, wie wir schon hervorgehoben haben, als einzelner gefaßt, d.h. durch logische Kategorien bestimmt, womit er zum Träger (Subjekt, Substrat) des Eidos »Rot« ernannt wird – dann gibt es in der »Gründung« nur noch ein differentielles Spiel von Begriffen, das ein Prädikat von einem Subjekt zu abstrahieren erlaubt; dies alles spielt sich ganz in einem immer schon vorhandenen Logisch-Eidetischen ab, das in seiner symbolischen Stiftung, die dabei ihre symbolische Prägung offenbart, eigentlich von Anfang an die Wahrnehmung und sogar die Phantasie strukturiert. In diesem Fall hätte die Husserlsche »Fundierung« wohl nicht den Sinn, in dem sie sich selbst verstand, denn die sinnliche Wahrnehmung (und die Einbildung) ist immer nur durch die a priori strukturierende Vermittlung des Logisch-Eidetischen sinnlich (und »imaginär«). Schon die Leibhaftigkeit* der Farbe im Sinnlichen (oder Eingebildeten) hielte sich nur in der (logisch-eidetischen) Qualität einer
77 besonderen (logisch-eidetischen) Art von Gegenständen, die im allgemeinen Farbe annehmen können (im Gegensatz zu anderen Arten, wie etwa Zahlen oder Vokale, die es zum Leidwesen der Dichter nicht können). Die eidetische Variation wäre demnach nur innere Variation im logisch-eidetischen Netz der Begriffe und der Wesen. Derartiges ist unstreitig bei Husserl zu finden, gerade dies tendiert aber bei näherem Hinsehen dazu, den Zugang zur Phänomenologie wieder zu versperren. So gibt es zu diesem Entweder eine andere Möglichkeit, in die sich Husserl unendlich vertieft hat: Oder man begegnet dem wahrgenommenen (oder eingebildeten) Gegenstand wirklich als »rohem Gegenstand«, d.h. in seiner Kontingenz sowohl der Tatsache als auch der Faktizität: man begegnet diesem und keinem anderen Gegenstand, wobei diese Begegnung sich nicht auf irgendeine Weise vollzieht, insofern der Gegenstand im sinnlichen Bereich durch Abschattungen* wahrgenommen (Skizzen, Umrisse) wird, die selbst der Kontingenz der Wahrnehmungssituation unterliegen. Die Leibhaftigkeit* des wahrgenommenen Gegenstandes – für die Ricœur mit dem Mut zum radikalsten Paradox die sehr schöne Umschreibung »aus Fleisch und Blut« gefunden hat – als ob je eine Sache aus dergleichen bestehen könnte –, hängt selbst von dieser Kontingenz ab und überhaupt nicht davon, daß der wahrgenommene Gegenstand der logischen Kategorie des »Gegenstandes überhaupt« angehört und nur eine Illustration oder ein Einzelfall davon wäre. Das bedeutet, daß im Fall der Wahrnehmung sich nun nicht mehr die Dimension des Wesens von der Dimension der Tatsache befreit, sondern die Dimension des Sinns, eines Sinns zudem, der schon von sich aus das logisch-eidetische Feld überschreitet und fast schon bestreitet. Zwar erlaubt hier gerade der logisch-eidetische Rahmen den Zugang, da es sich um einen sinnlichen Gegenstand handelt, der zu den verschiedensten eidetischen Variationen gut und so in eine bestimmte eidetische »Typik« eingefaßt ist. Aber die Analyse der nur flüchtigen Wahrnehmung kommt zu einem ganz anderen eidetischen Stil, nämlich einem Stil der Erscheinung, in dem eben die anschauliche Erfüllung der Intentionalität durch eine »adäquate« Befriedigung niemals stattfindet: weit davon entfernt, sich auf ein Eidos zu reduzieren oder auf ein mehr oder weniger kompliziertes Netz von Eidè, wird das wahrgenommene Ding in seiner Kontingenz von einem Sinn getragen, der, um sich unablässig und unbegrenzt in der unaufhörlichen Folge der »Abschattungen« zu bilden, sich nicht auf den Begriff oder die Bedeutung reduzieren läßt. Oder vielmehr, wie wir es andernorts gesagt haben,2 insofern dieser Sinn dem Kontingenten, das ständig in den »Abschattungen« auftaucht, Gesetzmäßigkeit verleiht, ist er immer schon teleologischer Sinn der Wahrnehmung, ein konstituierter und konstituierender Sinn in der Intentionalität und damit ein reflektierender, ohne daß diese Reflexion – entgegen Kants Aufffassung in seiner dritten Kritik – sich in einem Urteil äußern müßte, die irgendeine logische Form hätte. Es ist ein konstituierter Sinn, weil ich immer mehr oder weniger weiß, welches Ding ich wahrnehme, und da ich dementsprechend die Möglichkeiten seiner »Abschattungen« antizipiere; es ist ein konstiutierender Sinn, weil diese vermutende Antizipation immer bestätigt oder enttäuscht und von einer anderen ersetzt werden kann, die dann einen anderen Sinn konstituiert. Und einen Begriff gibt es hier allenfalls in dem Sinn, den Husserl in den Ideen I mit der »Idee im Kantschen Sinne« meint, d.h. im Sinne einer regulativen Idee des möglichen Verlaufs der Erscheinungen des Gegenstands in den »Abschattungen«: es ist ein teleologischer Begriff, unreduzierbar auf eine den intentionalen Horizont erfüllende eidetische Anschauung. So kann man sagen, daß in diesem Fall aus einer ganz unbezweifelbaren phänomenologischen Tiefe die Einfachheit des Fundierungsverhältnisses zwischen dem Eidetischen und
78 der Wahrnehmung der Einzelheiten um so klarer erscheint. Es gibt eher Überlagerungen der beiden Felder als Ableitung des einen vom anderen, und gerade dieses komplexe Problem wird Husserl immer wieder aufs Neue prüfen, bis zu dem sehr schönen, recht aporetischen Text der Einführung in Erfahrung und Urteil. Zwischen der Leibhaftigkeit* des Sichtbaren/Sinnlichen und dem Wesenhaften des Logisch-Eidetischen hat sich der Hiatus bis zum Abgrund geweitet. Der anschaulichen – vermeintlich adäquaten – Erfüllung der Intention der logischen Bedeutung werden die eher uneingegrenzten als unendlichen Teleologien der weltlichen sichtbaren/sinnlichen Dinge entgegengesetzt. Der ersteren, deren symbolische Prägnanz sich in ihrem bestimmenden Charakter, ja sogar in ihrer bestimmendem Verblendung ausprägt, sich selbst vorausgeht und damit auch sich selbst folgt, steht der unreduzierbar reflektierende (und nicht bestimmende) Charakter der Teleologien genüber. Und der logisch-eidetischen Präzision der Begriffe/Eidè und Aussagen/Sachverhalte steht die unkorrigierbare (also eher faktizielle als faktuelle) eidetische Verschwommenheit der Leibhaftigkeit* der wahrgenommenen (bzw. eingebildeten) Dinge gegenüber – so daß man sich – einmal Husserls Absichten beiseite gesetzt – mit Recht fragen kann, ob die ersteren wirklich »weltlich« sind und nicht eine Art »Kulissen-Welt« konstituieren. Wir haben gerade wiederholt, daß die Leibhaftigkeit* der wahrgenommenen Dinge eher als Faktizität denn als Faktualität gedacht werden muß. Diese Ausdrucksweise, die wegen ihrer Heideggersche Konnotationen auf den ersten Blick schockierend erscheinen mag, wird leichter nachvollziehbar, wenn wir uns anschauen, was im Fall der Wahrnehmung durch »Abschattungen« aus der Analytik der »Erlebnisse« wird. Für jene ist charakteristisch, daß wie gesagt, keine »Andeutung« von sich aus den Sinn, der sich in der Intentionalität sucht und anstrebt (indem er sich sozusagen spontan reflektiert), sättigen kann, weshalb die Abschattungen* genausogut als die Erscheinungen* des wahrgenommen Dinges – phänomenologisch gesprochen, des erscheinenden Seienden – aufgefaßt werden können. Die Wahrnehmung ist niemals der Sache »adäquat«, d.h. in logisch-eidetischen Begriffen: wirklich »wahr« im Sinne einer restlosen Erfüllung der Sinnintention durch Anschauliches. Es gibt in der Wahrnehmung und im wahrgenommenen Objekt einen irreduziblen und sogar wechselnden Anteil an Schatten, was gerade ihre Leibhaftigkeit* ausmacht. Anders gesagt gibt es keine Wahrnehmung ohne Zeitigung und Räumlichung der »Abschattungen«, selbst dann, wenn die Wahrnehmung – meistens ohne daß wir dessen gewahrwerden – sich mit einem Schlag als Apperzeption gibt. Nur mißbräuchlich könnte man also den logisch-eidetische Rahmen (Intention der Bedeutung und Erfüllung der Bedeutung durch eine eidetische Anschauung) auf die Wahrnehmung bruchlos übertragen, also auch aus der Analyse der wahrnehmungsmäßigen Intention voreilige Schlüsse über die »Natur« des Denkens zu ziehen. Eine der großartigsten philosophischen Neuerungen der Husserlschen Phänomenologie ist zweifellos, gezeigt zu haben, daß es einen Sinn der Wahrnehmung gibt, und damit gewissermaßen ein Denken in der Wahrnehmung, das nicht auf ein logisches »Modell« zurückführbar ist – um so mehr, als die Wahrnehmungsteleologie ursprünglich nicht einem Urteil folgt. Das ist wirklich eine äußerst subtile und komplexe Lage, und es ist bekannt, wie oft Husserl selbst während seines ganzen Lebens darauf zurückgekommen ist, als ob hier der Schlüssel für das zu finden wäre, was unter Phänomenologie eigentlich gemeit ist. Es ist, als ob die Dinge der Welt – die ihrerseits vor allem als Welt der Dinge gefaßt wird – im Verhältnis zur symbolischen logisch-eidetischen Prägnanz sich ent-
79 wirklichten: ihr im Verhältnis zur schattenlosen Klarheit der Wesenheiten und der eidetischen Sachverhalte so unreduzierbarer Anteil von Schatten oder Unschärfe scheint sie in die Gefilde der Phantasie zurücktreten zu lassen – eine Situation, die irgendwie an Leibniz denken läßt, aber phänomenologisch paradox ist, weil die Dinge der Welt genau das sind, was am »natürlichsten« oder »evidentesten« in aller Konkretheit erscheint. Es gibt tatsächlich eine sehr tiefe Verbindung zwischen dieser »Entwirklichung« und der Phänomenologie, zwischen den »Abschattungen« der Wahrnehmungsevidenz und der philosophischen Besonderheit der Phänomene. Dieser Zusammenhang hat aus sowohl spekulativer als auch architektonischer Sicht sehr wahrscheinlich die Husserlsche Lehre der phänomenoloigschen Epoché motiviert: Diese Aufhebung der sich aufdrängenden Positivität oder Faktualität der Sachen ist notwendig, um sich ihrer Phänomenalität öffnen zu können, die nun ihrerseits, in einem zumindest quasi-heideggerschen Sinn, nur der Ordnung der Faktizität angehören kann, wobei allerdings Husserl niemals bis zum Ende dieser Konsequenz gegangen ist. Sicherlich hat diese »Entwirklichung« der Wahrnehmung und der sinnlichen Dinge Husserl schon 1905 ins cartesianische Fahrwasser abdriften lassen. Aber um den Preis einer wahrlich »transzendentalen Erschleichung« (in einem quasi-kantschen Sinn), die so bei Descartes selbst eigentlich nicht umgeht. Zweifellos reicht der methodische Zweifel, der durch seine gut geregelte Anwendung zur Wissenschaft führen soll, nicht aus, um die Entwirklichung der Wahrnehmung von innen heraus zu begreifen, dies wird erst durch die Epoché ermöglicht, einem Zweifel sozusagen, der aufbricht, noch bevor er durch die Suche nach Wahrheit motiviert wurde. Diese »Entwirklichung« selbst und was in ihr dennoch an der Aufklärung oder am Sinn teilhat, gilt es zu verstehen, – während für Descartes diese »Entwirklichung« immer von einem Fingieren des Geistes herrührt. Auf der Suche nach dem, was noch das »Wirkliche« im »Unwirklichen« sein kann – und nicht nur auf der Suche nach dem, was die Wissenschaft noch gegen den Zweifel absichern kann – findet also Husserl 19073 in einer entscheidenden Nähe zu Descartes, aber auf einem anderen Weg, das cogito wieder. Das »Wirkliche« im »Unwirklichen«, der Sinn, den es in der Wahrnehmung gibt, oder auch das (nicht logisch-eidetische) Denken, das es in diesem Sinn gibt, glaubt Husserl im cogito, sum einer selbst-reflexiven, transzendentalen und nicht psychologischen Subjektivität zu finden. Wenn es wirklich Sinn, also auch Denken in der Wahrnehmung gibt, dann nur als Tat eines denkenden Subjekts, und wenn es trotz ihrer Entwirklichung in ihr »Wirklichkeit« gibt, d.h. Sein, dann muß dieses Sein zum Sinn gehören, der ja selbst vom Sein (dem sum) des Subjekts oder des Ego getragen wird. Auf dem von Husserl selbst so bezeichneten »cartesianischen Weg« zur Phänomenologie lauert eine sehr gefährliche Falle, die letzlich eine Art von »Wieder-Verwirklichung« der »Entwirklichung« der Wahrnehmung in der strengen Immanenz der transzendentalen Subjektivität bedeutet – wobei transzendental als Sinn gebend, sogar Sinn fundierend gemeint ist. Diese Falle der oben schon so genannten »transzendentalen Erschleichung« kann auf zwei im Grunde konvergierende Weisen charakterisiert werden. Die erste leitet sich von einer besonderen Interpretation des Sinns ab und damit von einem »Denken« der Wahrnehmung, u.z. folgendermaßen: wenn jeder Sinn, jedes »Denken« und jede »Wirklichkeit« nur vom cogito herkommen können, das als einziges der »Entwirklichung« in der Wahrnehmung fest entgegenstehen kann, dann werden deren »Abschattungen«, die wohlgemerkt Erscheinungen des Erscheinenden sind, auf kohärente Weise verformt, indem sie als der nur flüchtige Teil des Erlebnissses inter-
80 pretiert werden, der als »materieller« oder hyletischer Teil durch das »Denken« in der Wahrnehmung und durch die subjektive »Wirklichkeit« »beseelt« wird: an die Stelle der Wahrnehmung in ihrem konkreten phänomenologischen Gehalt als sich bildender Sinn von grundsätzlich kontingenten »Gegebenheiten« tritt das Denken der Wahrnehmung, die dem wahrgenommenen Gegenstand Sein verleihen soll. So geht Merleau-Ponty vor, der in seinem letzten Werk4 oft genug die Substitution des Sehens und Fühlens durch das Denken des Sehens und Fühlens hervorgehoben hat. Die kohärente Verformung der Wahrnehmung selbst als Phänomen hat zur Folge, daß durch die Vermittlung des Schnitts zwischen Denken und Sinnlichkeit die Entwirklichung der Wahrnehmung »zurück-verwirklicht« wird, indem die »Abschattungen« zu Wahrnehmungsprofilen neu zurechtgeschnitten werden, die ganz in der Immanenuz des Bewußtseins gegeben sein sollen. Das wahrgenommene Ding sieht sich dadurch auf sein Noema zurückgeführt, das jedoch nicht sein Eidos ist, weil der Wahrnehmungssinn nicht eine Bedeutung oder ein logischer Begriff ist, und die Leibhaftigkeit* des Wahrnehmens und des Wahrgenommen gerät in Gefahr, verloren zu gehen: in Husserls Denken bleibt eine Spannung, die sich niemals mit dieser Version zufrieden geben konnte. Die zweite Weise, mit dieser Lage umzugehen, die Pato¢kas5, besteht darin, die ganze Erschleichung, die sich in dieser »Substitution« verbirgt, offensichtlich zu machen. Wenn, wie Pato¢ka im Wesentlichen sagt, die perzeptiven »Abschattungen« deshalb nicht absolut gegeben sind, als der in ihnen vorhandene Schattenanteil als solcher nicht der Gegebenheit, sondern der Nicht-Gegebenheit angehört, und wenn die Wahrnehmungsevidenz die des sich darin bildenden Sinns ist, der sich dabei nach und nach im Gang der Abschattungen herausstellt, dann sieht sich etwas von diesem Sinn und seiner Evidenz hinterrücks in eine vermeintlich absolute Evidenz der Dreiheit ego-cogitatio-cogitatum übertragen, und die Nicht-Gegebenheit findet sich in das Rätsel einer Gegebenheit des intentionalen Sinnes durch die transzendentale Subjektivität verwandelt, die sich selbst durchsichtig sein soll. Von der phanomenologischen, »entwirklichenden« Epoché, die den intentionalen Sinn zum zu befragenden Sinn befreien sollte, ist man übergegangen zur phänomenologischen Reduktion des Phänomens (des Wahrnehmungs-»Erlebnisses«) auf die Immanenz der konstituierenden Subjektivität. Von einem teleologischen Wahrnehmungssinn, der in seiner Vorahnung immer gegenüber dem ihm Vorausliegenden aufgeschlossen ist, ist man zur ganz offensichtlichen Souveränität eines konstituierenden transzendentalen Ego und zur transzendentalen Illusion übergegangen, daß von diesem konstituierenden Ego aus eine Wissenschaft zumindest idealiter möglich ist. Hier vollzieht sich auf die gleiche Weise die kohärente Verformung des Wahrnehmungs»erlebnisses« (des Phänomens) durch die Auflösung der Dunkelheit der Nicht-Gegebenheit (in den »Abschattungen« des Dinges, das gleichwohl in ihrer Leibhaftigkeit da ist) zu einer vermeintlich von einem Sinn des Denkens und des Seins erfüllten Evidenz, obwohl diese nicht durch eidetische Anschauung erfüllt ist – wobei man von einem Denken ausgeht, das sich selbst in voller Transparenz zu besitzten glaubt und das die Erscheinungen in solche umwandelt, die jeweils für das Erscheinende oder zumindest mögliche Erscheinende sinnvolle Erscheinungen sind. Das Phänomen (das »Erlebnis«) gerät so in genaue Übereinstimmung mit der Subjektivität: es gibt Phänomene nur in ihrer Subjektivität oder hinsichtlich einer Subjektivität. Genau aus dieser Subjektivität der Phänomene besteht, worauf wir noch zurückkommen werden, die Illusion oder transzendentale Erschleichung, die konstitutiv für das von uns so genannte ontologische Simulacrum ist. Deren Ausprägung erstreckt sich allerding
81 weit über das Husserlsche Denken der transzendentalen Subjektivität hinaus, wie wir sehen werden. Um diese Erschleichung zu unterbinden, schlägt Pato¢ka vor, von ihr aus zu einer, wie er es nennt, »asubjektiven Phänomenologie« überzugehen, die er nur in Grundzügen ausarbeitet, aber doch in einer äußerst fruchtbaren Weise, die in mehrfacher Hinsicht sich mit Merleau-Ponty trifft.6 Und genau dieser Übergang, der die Öffnung auf den Sinn der Wahrnehmung bewahrt, sichert eigentlich die Transformation des zunächst als Wahrnehmungsfaktualität Erschienenen zur Faktizität, in einem Sinn, der Heideggers Vorschlag sehr nahe kommt. Aus der Einsicht heraus, daß die Evidenz des Cogito sich auf keine cogitatio übertragen kann, womit Pato¢ka Descartes näher bleibt als Husserl – erinnern wir daran, daß Descartes in den beiden ersten Meditationen nirgends eine voreilige Entscheidung über die »Natur« des Denkens trifft –, hebt Pato¢ka hervor, daß es sich im Cogito nur um die Evidenz des sum handelt, um einen ursprünglich dunklen Seins-Sinn, der sich in der Welt nur in den Phänomenen erhellt (die Dualitäten Erscheinungen/Erscheinendes), die ihm jeweils seine Konkretheit vermitteln, als Konkretheit des In-der-Welt-Seins oder des im transitiven Sinn Die-Welt-Existierens. Weit von der Auffassung entfernt, daß das Sein oder der Seinssinn des sum in dieser ursprünglichen Ekstase in die Welt sich durchsichtig würden, soll dies vielmehr bedeuten, daß das Ego niemals an ein Ende kommt, sich mit sich selbst zu erklären, indem es sich der Welt mit der Welt erklärt: die »Abschattungen« bewahren voll ihren Schatten, und dieser ist nicht nur geworfener Schatten, sondern birgt auch den Seinssinn, der, auch wenn er gewissermaßen der Seinssinn des sum ist, nichtsdestoweniger auch der Seinssinn der Weltdinge ist, die mir so erscheinen, indem sie sich abschatten. Die Wahrnehmung ist also nur scheinbar eine rohe Tatsache, einer Vorhandenheit*, die mir vorausgegangen wäre und die mich überleben würde, denn sie ist, in ihrem Grund, eine Angliederung meiner Faktizität – der Faktizität meines Daseins* als In-der-Welt sein – an eine Faktizität, in der die »Abschattungen« nur sozusagen die Auffächerungen sind, die ich sozusagen chirurgisch in der Welt und in den Weltdingen in ihrer Leibhaftigkeit* mit meinem Leib* und seinen phänomenologischen Sinnesorganen bewirke. Daß es in dieser Chirurgie »Denken«, sogar viel Denken gibt, ist nun das phänomenologische Rätsel, das zu denken gibt: das Rätsel einer ursprünglich »geistigen« Sinnlichkeit, um mit Kant zu sprechen, und welche Merleau-Ponty mit dem gewohnten Scharfsinn untersuchte, indem er jedes »Denken des Sehens« oder des »Fühlens« ausgeschaltet hat. Daraus folgt zunächst, daß das »Erlebnis«, d.h. wohlgemerkt das Phänomen der Husserlschen Phänomenologie, wie wir es vorhersahen, insbesondere bezüglich des cogito eine sehr komplexe und feine »Struktur« hat, wie Husserl es vermutete. Auf die Frage, was wirklich in der Wahrnehmung »erlebt« wird, ist ebenso wenig eine einfache Antwort möglich wie auf die Frage, was in ihr wirklich »gedacht« oder gar »wahrgenommen« wird. Und dennoch bildet sich Sinn, auf prälogische, also prä-eidetische (vor-prädikative) Weise in der Wahrnehmungs-Teleologie. Dieser Sinn ist reflektierender und als solcher nicht bestimmender – auch wenn er durch das symbolische Ausschneiden der Welt in Dinge symbolisch vor-bestimmt ist, ein Zuschnitt, den Heidegger in Sein und Zeit* mit seinen Begriffen Zuhandensein* und Bewandtnis* angesprochen hat, welche die Dinge in die unmittelbaren Netze der Fertigkeiten einfügen. Ein solcher Sinn besteht nicht in der Darstellung* eines vorgestellten Dinges, sondern in einer seine Identität und seine Realität betreffende Frage. Diese Frage, Suche oder Ahnung des Sinns, artikuliert sich notwendigerweise in einer Zeiti-
82 gung/Räumlichung in einer Zeit, die Raum bildet, und in einem Raum, der Zeit bildet – dem »Gleichzeitig« der »Abschattungen« des Dinges –, d.h. diesseits (oder jenseits) der sprachlichen Äußerungen, des von uns so genannten Sprachphänomens, ein Gegenwärtiges, das mit seinen Protentionen und seinen Retentionen versehen ist und sich ständig in dem »Gleichzeitig« eines Raums, der selbst gezeitigt ist, reflektiert. Die wahrnehmungsmäßige Ahnung ist niemals gesättigt und kann immer in der Begegnung mit der Kontingenz korrigiert werden. Im faktiziellen »Erlebnis«, das immer endlich in den (inneren und äußeren) Horizonten des Unendlichen ist, ist also streng genommen nichts absolut in der Gegenwart gegeben. Die Wahrnehmung in ihrer Faktizität aufzufassen bedeutet also, sie als ihrem Sinn entsprechende zu nehmen und dabei die kohärente Verformung auszuschalten, die durch die Umwandlung der »Abschattung« zur cogitatio darauf abzielt, auf die Wahrnehmung die Illusion eines im Cogito absolut Gegebenen zu übertragen und die in ihr befindlichen Dimensionen der Nicht-Gegebenheit zu verwischen. Das phänomenologische Paradox der wahrnehmungsmäßigen Entwirklichung ist für uns letztlich das Paradox einer Leibhaftigkeit* der Dinge, welche eine in sich von Abwesenheiten durchlöcherte Vorhandenheit ist, wie auch – aber anders – die Leiblichkeit* in ihrer wahrnehmungsmäßigen Chirurgie. Das »Erlebnis« ist deswegen das Phänomen der Husserlschen Phänomenologie, weil es eben nicht absolut gegeben ist, weil es in sich nicht streng immanent wie in einer ihr eigenen Gegenwart ist, sondern weil es, im »Fall« der Wahrnehmung, nur durch die Teleologie des Sinns hinsichtlich seiner selbst in sich gehalten wird: das Rätsel besteht letztlich darin, daß dieser Sinn keine Identität ist – diese gehört der symbolischen Stiftung an: d.h. dem Namen (Begriff, Bedeutung), dem in der symbolischen Tautologie ein Sein , d.h. ein Eidos, entsprechen soll –, sondern eine Selbstheit. Damit wird nur anders ausgedrückt, daß der Seinssinn des Dinges gewissermaßen ein unmittelbar sinnlich-sichtbares, aber auch denkbares ek-statisches Bruchstück des Seinssinns im allgemeinen ist, und im besonderen des Seinssinns des Selbst* oder der Selbstheit* des sum. Man könnte in erster Annäherung sagen, daß diese Selbstheit des Seinssinns der Wahrnehmung und des wahrgenommenen Dinges sich, wie Merleau-Ponty es gedacht hat, durch die Elision des Seinssinns des Selbst (Ego) einfach bilden zu müssen scheint – durch ein »Umgießen« des letzteren in den ersten. Wir beginnen zu verstehen, daß alles darauf ankommt, Husserl hat dies als Ergebnis der Epoché hervorgehoben, daß wenn das »Erlebnis« nicht »real«* ist, es dewegen nicht nur »reell«* ist, zumindest in dem eindeutigen Sinn, der sich für ihn mit diesem Wort verband. Die wahrnehmungsmäßige Entwirklichung ist ja der entscheidende Punkt der Phänomenologie, insofern sie immer näher an das herankommt, was einen Phänomen-Status haben kann, das Logisch-Eidetische letzlich eingeschlossen. Von der Formalen und transzendentalen Logik bis zur Krisis wird nun die Frage der logisch-eidetischen Fundierung* auf der Wahrnehmung (bzw. der Einbildung) der sinnlichen Einzelheiten zur Frage der Idealisierung, als dem Übergang von der eidetischen Unschärfe jener zur Klarheit und logisch-eidetischen Schärfe, welche die Idealisierung hervorrufen soll. So zeigt z.B. die Lektüre von Der Ursprung der Geometrie,7 daß die Reinheit des Logisch-Eidetischen niemals so einen Anfang setzt, als sei sie ursprünglich ihrer selbst versichert, sondern daß auch sie einen Sinn hat, der niemals verwirklicht ist, aber im symbolischen Horizont einer »universalen Teleologie der Vernunft« entworfen wird. Dies deshalb, weil es einen unüberwindbaren Hiatus zwischen der phänomenologischen Unbestimmtheit oder Unschärfe gibt, die im Ursprung des sprachlichen Phänomens der Sinnbildung* liegt, und der lo-
83 gisch-eidetischen Konstruktion (die Stiftung), die vermeintlich in sich selbst autonom ist. Man könnte sagen, daß dieser Hiatus die Faktizität der idealisierenden Sinnbildung* ausmacht, also ihre Kontingenz, die als solche in der Geschichtlichkeit einer Tradition, wenn sie nicht nur ein Depot von sedimentiertem und blindlingsmaschinell wiederaufgegriffenem Sinn ist, nur dann leben kann, wenn sie in einer symbolischen Durcharbeitung als teleologische Erarbeitung des Seinssinns der Rationalität wieder aufgegriffen wird. Die Konstruktion wäre selbst maschinell und gehörte dem von uns so genannten symbolisches Gestell* an, wenn sie nicht auch durch diesen Seinssinn der Rationalität teleologisch geleitet würde, der sich in den besonderen sprachlichen Phänomenen der wissenschaftlichen Erkenntnis gebildet hat und und in seiner Bildung unaufhörlich fortfährt. So gesehen hat es also im Werk Husserls eine Art Rückwirkung der phänomenologischen Dimension auf das gegeben, was sich ganz von selbst in den Logischen Untersuchungen herausgelöst zu haben schien. Daraus geht eine Infragestellung alles Eidetischen hervor – ob nun materiell oder formell –, die Fink als erster in ihren Grundzügen umrissen hat.8 Jedes Phänomen, insbesondere das sprachliche Phänomen als Zeitigung/Räumlichung in der Gegenwärtigkeit, ist also von der »Irrealität« geschlagen – wobei hier sowohl der Sinn von »real«* als auch von »reell«* anzusetzen ist. Und entsprechend erweist sich jedes Phänomen wegen des in seiner Gegebenheit vorhandenen irreduziblen Anteils von Nicht-Gegebenheit vom Index der Faktizität* zumindest affiziert – d.h. von einer Kontingenz, die ebenso unausweichlich ist, wie sie wegen ihrer dunklen »Seite« die teleologische Notwendigkeit eines Sinns erzeugt. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß Husserl ausgehend von der Wahrnehmung immer mehr die Faktizität des Sinns entdeckt hat – eines sich bildenden und zu bildenden Sinns als Seinssinn und als zu seiender Sinn, der sich nicht auf Eindeutigkeit zurückführen läßt, die zwar Begriff oder Bedeutung immer unterstellen, aber nie einlösen. Nun betrifft diese Faktizität auch das »Erlebnis«, und sicherlich nur weil Husserl davor zurückgeschreckte, ihr den aus architektonischer Sicht richtigen Platz zuzuweisen, hat er, von der Idee einer »strengen« Wissenschaft geblendet, den »cartesianischen Weg« eingeschlagen, zumindest in den von ihm selbst veröffentlichten Schriften. Die oben erwähnte Rückwirkung hat sich nur allmählich vollzogen, in einer ZickzackBewegung, die von Anfang an sein Denken stets bewegte, dessen Fallen ihm immer deutlicher bewußt wurden. Der Faktizität zu begegnen ist wirklich nicht selbstverständlich. Ihr täuschendstes, aber auch unmittelbarstes Gesicht zeigt sich wohl in ihrer Verwandlung zur »rohen Tatsache«, mit der sie nichts zu tun hat. Diese Rohheit als solche anzuerkennen, hätte die Auflösung der Philosophie zur Folge. Und dennoch, darin, daß die Faktizität Faktizität des Sinns ist und nicht jene Faktualität der Tatsachen, in der sich die von Husserl so genannte »natürliche Einstellung« bewegt, ist das eigentlich zu Verstehende zweifellos verborgen, nämlich wie der Übergang von der »natürlichen Einstellung« zur »Lebenswelt«* zu denken ist und warum Husserl in der letzten Dekade seiner Überlegungen das eine durch das andere ersetzt hat. Lebenswelt* ist bekanntlich der Husserlsche Begriff für das phänomenologische Feld als »Ort« des immer inchoativen Aufblühens von vielfältigen und relativ unscharfen oder unbestimmten Sinnregungen. Das Problem liegt nun nicht mehr darin, sich einer apodiktischen Gegebenheit zu versichern, die es nirgends gibt – dergleichen ist zweifellos mit den Cartesianischen Meditationen ausgeträumt –, sondern die Idealisierung von innen her zu verstehen, auch die Komplizenschaft, die sich in ihr merkwürdigerweise mit der Sedimentierung und der »Betriebsamkeit« im Gestell der »symbolischen Systeme« entwickelt. Dabei deutete sich bei Husserl ein Weg
84 an, der von dem Heideggers abweicht, wie der Faktizität als einer Faktizität des Sinns zu begegnen wäre. Aus diesem Ansatz schöpfen wir, wie schon deutlich geworden ist und worauf wir noch zurückkommen werden, einen Großteil unserer Inspiration: die Faktizität des Sinns besteht immer aus dem vom Sinn im Hinblick auf sich selbst in der Teleologie der sprachlichen Phänomene teleologisch Gebildeten. Von hier aus müssen wir das Cogito und den cartesianischen Weg neu interpretieren. Wie wir gesehen haben, ist es geradezu natürlich, daß die Entwirklichung des Phänomens – d.h. auch, wie noch zu zeigen ist, des »Erlebnisses«, was aber Husserl zweifellos nie klar bewußt geworden ist – in cartesianische Gefilde, zumindest die des Zweifels und der »Epoché«, zurückführt, vielleicht sogar über Descartes hinausgeht. Wenn wir nicht in die Husserlsche Erschleichung zurückfallen wollen, wonach das »Erlebnis« – und folglich das »Denken« – sich in der Gewißheit des Cogito seiner selbst gewiß ist und sich durch strikte Eigen-Immanenz in eigener Gegenwart des Lebens (oder des Denkens) des Ego bestimmt, müssen wir nun äußerst aufmerksam darauf achten, wie bei Descartes Cogito und Gründung der Erkenntnis sich voneinander abheben sollen. Das ist nirgends besser als in den Meditationen zu sehen. Bekanntlich ist das Cogito ein unerschütterlicher Fels, der sich gegenüber der Ausübung des zuerst methodischen, dann hyperbolischen Zweifels als resistent erweist. Das cartesianische Rätsel ist zunächst und letztlich das gleiche wie das Husserlsche: es gibt sozusagen in allem von der Sinnlichkeit Affizierten, das gleiche Anzeichen oder vielmehr den gleichen Zweifel der Unwirklichkeit, die den methodischen Zweifel ebenso unerbittlich wie monoton macht, aber allein das Fingieren des Geistes ermöglicht, weswegen das so Erscheinende als »falsch« oder »eingebildet« zurückgewiesen werden kann. Descartes brauchte nun den bekannten sehr langen Umweg, um das wiederzufinden, was darin an »Wahrem« (»Wirklichem«) enthalten ist, aber dieses »Wahre« erweist sich eben nicht als phänomenologisches. Was Husserl außer in einigen flüchtigen Momenten der Cartesianischen Meditationen nie tun wird, wagt Descartes, indem er nämlich den Zweifel bis zum Hyperbolischen treibt. Allein dieser »Moment« des hyperbolischen Zweifels führt zum Cogito, ohne ihn kämen wir nur zum Skeptizismus. Ihn und seine verborgenen Entsprechungen zur Phänomenologie – in der es gleichwohl das Cogito gibt – gilt es in seinen abgestuften Auswirkungen näher zu untersuchen. Gegen Ende der 1. Meditation geäußert, bestimmt der hyperbolische Zweifel die zweite, taucht in der dritten als ein entscheidender Moment wieder auf, um wie als Nachklang noch in der vierten weiterzuwirken. Zunächst ist kennzeichnend, daß am Ende der 1. Meditation die Aufhebung der phänomenalen »Unwirklichkeit« sich gegen die heimliche Rückkehr der Prägnanz, die – phänomenologisch gesehen – dank der Urdoxa* (Husserl) oder des Wahrnehmungsglaubens (Merleau-Ponty) mit ihr verbunden ist, nur mit dem hyperbolischen Zweifel und der Hypothese eines böswilligen Geistes wappnen kann. Die Voraussetzung oder die Vorstellung, daß vorgeblich alles – Himmel, Luft, Erde, Farben, Gestalten, Töne, äußere Dinge, Hände, Augen, Leib, Blut, Sinne usw. – »Illusion« oder »Täuschung sein könnten, kann nur aufrechterhalten werden, wenn man »irgendeinen bösen Geist« annimmt, der »allen seinen Fleiß daran gewandt hat, mich zu täuschen«. Der Weg der Wissenschaft ist nun nur so möglich, daß man die Ränke dieses allmächtigen »großen Betrügers« durchkreuzt. Man könnte sagen, daß der Zweifel zum hyperbolischen wird, indem er zur Unterschiedslosigkeit zwischen Phänomen (oder Erscheinung) und Illusion, zwischen der reinen Unwirklichkeit oder Abwesenheit und dem Anzeichen davon führt.
85 Wie man hinlänglich in der phänomenologischen Bewegung bis zu Merleau-Ponty in Das Sichtbare und das Unsichtbare hervorgehoben hat, wandelt sich dadurch die Aufhebung oder die Epoché in Negation. Wie es Descartes zu Beginn der 2. Meditation schreibt, »ich habe in mir die Annahme gefestigt, es gebe gar nichts in der Welt, keinen Himmel, keine Erde, keine Geister, keine Körper: also bin doch auch ich nicht da«. Die Übertreibung der Hyperbel läßt sozusagen über die »Unwirklichkeit« des Phänomens hinausschießen. Zumindest dem Anschein nach, denn es geschieht, um ein anderes Phänomen zu entdecken, das eigentlich das rätselhafteste ist. Erinnern wir an die Worte Descartes’. Auf die Frage, ob auch ich nicht da bin, antwortet er: »Nein, gewiß war Ich da, wenn ich mich von etwas überzeugt oder überhaupt etwas gedacht habe.« Dem muß gleich die Klarstellung hinzufügt werden, daß das Denken hier im weitesten Sinne gefaßt werden muß, ohne symbolische Vor-bestimmung: Wie es das Prinzip 99 der Prinzipien der Philosophie ankündigt, »unter dem Wort »Denken« verstehe ich alles, was sich in uns auf die Weise bildet, daß wir von uns selbst es unmittelbar apperzipieren, weshalb nicht nur Verstehen, Wollen, Phantasieren, sondern auch Fühlen hier das gleiche ist wie Denken« (Hervorhebung M.R.). Das Denken wird also in unseren Worten in seiner phänomenologischen Ununterschiedenheit und Unbestimmtheit aufgefaßt. Es handelt sich also in diesem Sinn um eine Art Reduktion zur Immanenz des »Erlebnisses«. Gerade das bringt die »Hypothese« des böswilligen Geistes wieder ins Spiel. Descartes verknüpft wirklich sofort: »Aber es gibt doch irgendeinen sehr mächtigen, sehr schlauen Betrüger, der seinen ganzen Fleiß aufbietet, mich immer zu täuschen.« Bin ich denn sicher, wirklich »etwas gedacht zu haben«, wovon meine Selbstüberzeugung wirklich real war, und nicht etwa nur fingiert? Was unterscheidet das Denken von der Illusion des Denkens? Es ist kennzeichnend, daß in der darauf unmittelbar folgenden Formulierung des Cogito sich die Gewißheit nicht auf den »Inhalt« der Gedanken erstreckt, sonder auf das sum oder auf das Existieren selbst: »Ganz zweifellos bin aber eben darum auch Ich, wenn er mich täuscht; mag er mich nun täuschen, soviel er kann, so wird er doch nie bewirken können, daß ich nicht sei, solange ich denke, ich sei etwas. Nachdem ich so alles genug und übergenug erwogen habe, muß ich schließlich festhalten, daß der Satz »Ich bin, Ich existiere«, sooft ich ihn ausspreche oder im Geiste auffasse, notwendig wahr sei.« Was den »Inhalt« dieser Aussage angeht und folglich meiner Gedanken, so weiß ich darüber noch nichts und der ganze cartesianische Weg zur Wissenschaft wird darin bestehen, ihn herauszufinden. Wir sind offensichtlich an einem ganz entscheidenden Punkt und am Rand der Auflösung. Der bis zum Äußersten der Hyperbel getriebene Zweifel läßt nur noch, ohne jede weitere Bestimmung, die folgende »Entdeckung« übrig: »Das Denken ist ein mir zugehöriges Attribut; es allein kann von mir nicht abgetrennt werden; Ich bin, Ich existiere, das ist gewiß. Wie lange aber? Offenbar solange ich denke, denn es könnte ja auch der Fall sein, daß ich, wenn ich überhaupt nicht mehr denken würde, sogleich aufhörte zu sein oder zu existieren.« Es ist also nicht so wichtig, ob mein »Denken« ununterschieden Illusion, Schein oder Erscheinung sei: wenn es einen großen Betrüger gibt oder wenn mein gesamtes Denken nur, um einen Ausdruck Husserls in den Cartesianischen Meditationen aufzugreifen, ein »kohärenter Traum« ist, so ist es dennoch mein Denken oder mein »Leben«, das sich denke und nicht das eines Anderen, der im Fall des bösartigen Geistes offenbar der Andere wäre. Es ist bezeichnend, daß der hyperbolische Zweifel die symbolische Tautologie von Sein und Denken verschiebt: von der symbolischen Identität zwischen den symbolischen
86 Sinngehalten des Denkens und den Sinngehalten des Seins hin zur symbolischen Identität von Denken und Existieren. Ein Denken, das in seiner Unbestimmtheit, bis zum Empfinden geht, ist Existieren, und Existieren ist Denken. Wir sind sehr nah an Heidegger, und jedenfalls an der Phänomenologie, da, um die Formel des Prinzip 9 wieder aufzugreifen, Denken einer reflexiven Apperzeption seiner selbst entspricht, d.h. einer reflexiven Selbstheit eines Sinns, oder auch dem von uns so genannten sprachlichen Phänomens – ohne daß damit irgendetwas über seine Klarheit oder Dunkelheit vorentschieden würde oder gar über seine objektive Gültigkeit, d.h. über die symbolische Tautologie in dem klassischen Sinn, den sie in der Philosophie seit Platon und Aristoteles gewonnen hat. Und gleichwohl bleibt der hyperbolische Zweifel kurz vor dem Abgrund stehen, er wird nicht bis zum Ende weiterverfolgt: Was außer meiner Selbst-Apperzeption, die als reflexive notwendigerweise Denken ist, wappnet mich gegen die Gefahr, sollten meine Gedanken selbst nur aus Gedankenillusionen bestehen, indem sie von einem Anderen oder dem ganz Anderen gedacht sind? Anders gesagt: Was ist dafür verantwortlich, daß das Denken allein »von mir nicht abgetrennt werden« kann? Extremer Fall, wie man sieht, der Psychose, in der das Denken (der Wahn) sich in mir »gegen meinen abwehrenden Körper« ausbreitet, ohne daß ich es als das meine anerkennen könnte. Was also dem Cogito erlaubt, sich über den Abgrund des hyperbolischen Zweifels hinwegzusetzen, ist der Empfang der Faktizität des Existierens und des Denkens, dessen Vernichtung vom Anderen her droht. Und wenn ich bis zum Äußersten meiner Möglichkeiten die Möglichkeit eines Gedankens ohne Ich – streng genommen ohne ein Selbst, das »ihn« denkt – »imaginieren« kann, dann eben deshalb, weil in diesem Empfang die Faktizität Sinn bildet, u.z. Sinn des Denkens und des Seins auf einmal. Offensichtlich schließt die Hypothese des bösartigen Geistes einen absolut despotischen und perversen Gott ein, »der seinen ganzen Fleiß aufbringt, mich immer zu täuschen«, so daß ich in meinem Glauben an die Wahrheit meiner Gedanken nur zum Spielzeug der von ihm eingeflößten Illusionen werde, und dies in einer um so absoluteren Abhängigkeit, als sie mir nicht bewußt ist. Wenn also Descartes, wie wir es gerade tun, die Hyperbel nicht bis zu dem Punkt ausdehnt, an dem der bösartige Geist mich über die Wahrheit der Tatsache (oder eher der Faktizität) täuscht, daß ich denke, dann deshalb, weil er dem Denken (und dem »Erlebnis«) überhaupt nicht die Fähigkeit zuerkennt, ein oder das Phänomen zu konstituieren, wodurch er zweifellos jede Möglichkeit der Phänomenologie ausschließt. Daraus folgt die paradoxe und abgründige Konsequenz, daß diese Sichtweise selbst dazu drängen muß, die Hyperbel noch weiter als Descartes zu treiben und die »Natur« des Denkens in Frage zu stellen, zumindest mit der Frage, der Descartes zunächst ausgewichen ist, indem er das Denken in seinem sozusagen inchoativsten Zustand aufgefaßte, der Frage nach dem Unterschied zwischen dem Denken und dem Schein oder der Illusion des Denkens. Dies wird bekanntlich mit Kants Begriff der transzendentalen Illusion wieder auftauchen. Die Epoché gegenüber dem Denken selbst zu üben, auch wenn es in seiner verschwenderischsten Anfänglichkeit genommen wird, soll hinfort das Ausüben der phänomenologisch-hyperbolischen Epoche genannt werden. Dabei wollen wir zugleich entdecken, daß die cartesianische Hyperbel in Wirklichkeit viel komplexerer ist, als es auf den ersten Blick scheint. Die wahrnehmungsmäßige Faktizität, im Sinn der asubjektiven Phänomenologie Pato¢kas, und die selbstapperzeptive Faktizität des Cogito sind wirklich nicht so selbstverständlich, wie es scheint. Es sagt viel aus, daß sie sich in ihrem »Apodiktischen« bei Descartes nur aufgrund der Bedrohung durch einen absolut perversen,
87 betrügerischen und despotischen Gott entdeckt – als ob die Selbstapperzeption des Selbst als ein in und durch sein Denken Existierendes ein letztes Zurückschrecken vor dem Abgrund wäre, der ja, einmal überschritten, der Wahnsinn wäre – die »Überspanntheit« in den Worten Descartes’. Das heißt wiederum, daß die Faktizität sich immer in rohe Faktualität wenden kann, mit der man schlecht und recht zu leben gezwungen ist. Der Despot ist zweifellos nur deshalb so absolut und pervers, weil er es von vornherein ablehnt, mich in der mir eigenen Faktizität zu empfangen, und wir wissen, wie Descartes in der 3. Meditation dies nutzt, um den absoluten Despoten in einen wohlwollenden Gott zu verwandeln – alle Meditationen enthalten wie ein Echo zweiten Grades eine theologisch-politische Reflexion, in der es auch auf eine sehr moderne Weise um die Freiheit des Menschen geht. Der Andere, der in mir denkt, ist rätselhafterweise das entschlossenste Attentat, das gegen mich und mein »Leben« gerichtet werden könnte. Als ständige Täuschung, ohne daß ich jemals wüßte, wo, wie, oder wie weit, spaltet es mich, läßt mich neben mir und »meinen« Gedanken existieren, entleiblicht mich also. Über das viele Kommentieren des cartesianischen Dualismus hat man wohl zu wenig gesehen, daß das Cogito bei Descartes der undenkbare Moment der Verleiblichung ist. Dessen Faktizität findet man in der unverstehbaren Kontingenz der »substantiellen Vereinigung« von Seele und Körper wieder, dem die wahrlich metaphysische Rekonstruktion der »Zirbeldrüse« zwangsläufig unangemessen ist. Muß uns deshalb die hyperbolisch-phänomenologische Epoché in den Wahnsinn stürzen? Die Annahme, daß wir durch irgendeinen Entschluß im hyper-heideggerschen Sinn den Wahnsinn erfahren könnten, wäre absurd, denn das würde letztlich bedeuten, die Entscheidung für den Zweifel bis zum Zweifel an der Wirklichkeit des Zweifels selbst zu treiben. Statt dessen wäre zu begreifen, daß die Gestalt des absolut perversen und betrügerischen Gott-Despoten schon nur eine verformte Gestalt ist, die im negativen Sinne erhabene, häßliche und erschreckende Maske, die der Abgrund annimmt, der sich unter dem Gang der phänomenologisch-hyperbolischen Epoché auftut. Denn hyperbolisch an der Wirklichkeit* des Denkens zu zweifeln, die Frage nach der »Natur« des Denkens zu stellen, danach zu fragen, was von welcher Seite her es in der Illusion über sich selbst hält, bedeutet letztlich nichts anderes, als darüber nachzudenken, daß die Faktizität von Sein und Denken nicht selbstverständlich ist und sich zumindest nicht ohne Passibilität vollzieht, die im Sinne von Maldiney Transpassibilität ihres Empfangs ist. Damit behauptet man nicht, wie Descartes hypothetisch impliziert, im Voraus die Unmöglichkeit des Empfangens, sondern befragt nur dessen Status, sogar über die ontologisch-existentialen Möglichkeiten eines Daseins hinaus, das durch den Tod über sich und seine Möglichkeiten geschlossen ist. All dies weist darauf hin, daß das Ausüben der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché bedeutet, sich dem von uns so genannten phänomenologischen Erhabenen zu öffnen.10 Wenn es in dieser Epoché a priori keinen Unterscheid mehr zwischen dem Denken und der Illusion des Denkens gibt, dann unterscheidet sich entsprechend und ebenso a priori auch das Phänomen in nichts mehr von der Illusion des Phänomens, und auch nicht das Phänomen von dem Denken des Phänomens. Das heißt in klassischeren Begriffen: wenn diese Epoché das Ausschalten des Denkens des Sehens und Fühlens einschließt, dann müssen Sehen und Fühlen schon dem Denken angehört haben, in einer ungeschiedenen Weise, die es eben in seiner ganzen Masse wiederzugewinnen gilt, ohne eine Unterscheidungsachse, die sie kohärent verformen würde. Nur in diesem herausragenden stummen »Moment« schwankt das »Ich«,
88 ohne daß es damit schon den Eindruck erweckt, als würde es wie eine Marionette an den Fäden des großen Betrügers, des Anderen, geführt. Das phänomenologische Erhabene ist dieser »Moment«, in dem das Ich in die un-endliche Inchoativität der Anscheine (ununterschieden Phänomene und Illusionen), in das von Kant so genannte Gestaltlose, eintaucht und erstirbt, indem es sich dazu getrieben sieht, die bisher seine Identifizierung sichernden symbolischen Haltepunkte, auch die des Sprachsystems, aufzugeben und in ihnen nur noch eine blinde maschinelle Macht (das symbolische Gestell*) zu sehen, was gerade nicht das Denkvermögen ausmacht, sondern ein blindes Spiel der Signifikanten als das Spiel eines riesigen Betrugs, der Machenschaften von Lüge und Täuschung, eines durch den Despoten angezettelten Komplotts, in dem das »Ich« nicht den geringsten Platz mehr hat. Das ist allerdings erst der nur negativ erhabene Moment, der seine »positive« Seite mit sich führt: die rätselhafte Selbst-Apperzeption des Selbst als ein Selbst, das nach dem Durchlaufen eines solchen Todes sich im Rätsel seiner Verleiblichung wiederfindet, immer schon und auf immer empfangen in seiner Selbstheit und seiner Faktizität, im selbst verrätselten Rätsel des symbolischen Stifters – der als Rätsel es in sich in seiner Selbstheit (zusammen)hält, ohne es jemals bestimmt zu haben oder je bestimmen zu können. Damit ist das phänomenologische Erhabene der Empfang der Faktizität, und zwar nicht nur der meinen, sondern auch der Anderen. Gerade dadurch wird die Verbindung mit der symbolischen Stiftung, die für die kurze Zeit des Schwankens unterbrochen ist, wieder hergestellt, weshalb der Stifter eigentlich symbolisch und nicht phänomenologisch ist: die symbolische Ausarbeitung wird wieder möglich, und zwar in der Möglichkeit zu seiner Erfindung und Neuerung, in der einzigartigen Bewegung eines Denkens, das seine Richtpunkte wiederfindet und für das vor allem die Zeichen der Sprache, statt ein nur fast »von selbst laufendes« »System« zu bilden, wieder zu Zeichen des sich bildenden Sinns werden und nicht nur Merkzeichen von Begriffen oder fertigen Bedeutungen. Wir werden noch öfter auf diese Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen zurückkommen müssen, aber für unser gegenwärtiges Thema wird hinreichend deutlich, daß zumindest etwas davon im cartesianischen Cogito eingesetzt wird. Wenn man die 2. und die 3. Meditation zusammen liest, den Gedankengang von der Analyse des Wachses bis zur klaren Selbst-Apperzeption des Geistes und dann zum Beweis der Existenz Gottes als Garant der objektiven Wahrheit der Ideen oder der Begriffe, dann wird deutlich, daß bei Descartes das Cogito in der Gründung der Wissenschaft schließlich bewirkt, daß das »Ich« sich im Feld der symbolischen Stiftung (der Wissenschaft) »wiederfinden« und den richtigen Faden in seinem komplizierten und offenbar unübersichtlichen Netz finden kann, um die objektive »Realität« des Begriffs oder der Ideen zu sichern – moderner ausgedrückt: ihren Referenzgegenstand, der allein ihre Wahrheit garantieren kann; und in unseren Worten: über die auf dem Grund des symbolischen Stifters vollzogenen Selbst-Apperzeption des Ich die Beziehung zwischen der phänomenologischen Inchoativität des Denkens und der symbolischen Stiftung neu zu knüpfen. Der »Moment« des Cogito ist bereits insofern »Moment« des Erhabenen, als durch die Wandlung von der radikalen Zurückweisung der Faktizität durch den Großen Betrüger zu ihrem Empfang durch einen gutwilligen Gott das Denken den anscheinend verlorengegangen Zugang zur Wahrheit wiedergewinnt. Aber zugleich wird dieser »Moment« insofern kurzgeschlossen, als der Übergang vom böswilligen Geist zum Gott nur negativ phänomenologisch ist – nämlich in der Analyse des Wachsstückes, in welcher der Verstand sich in seiner Klarheit und Unterscheidungskraft tautologisch sebst wiederfindet – also insofern
89 Descartes in sozusagen nur unterschwelliger phänomenologischer Meditation schon zum ontologischen Argument greifen muß, um die Listen des Despoten-Gottes zu vereiteln. Allerdings ist dies, wie man einwenden könnte, nur scheinbar eindeutig, denn entgegen der Tradititon kann der Gedanke der göttlichen Unendlichkeit eigentlich selbst als der Träger wenigstens der Spur des als phänomenologischem apeiron aufgefaßten Erhabenen angesehen werden – und zwar Spur deshalb, weil die Vorstellung von einem Maximum im Unendlichen ihrerseits auf die cusanische Stiftung des Unendlichen als einem Unendlichem der Vollendung verweist; aus diesem ja ganz modernen Konzept wird bekannlich Kant in seiner Analytik des Erhabenen Nutzen ziehen. Dennoch hält sich im Rücken dieser Art »abgestufter« Ökonomie des Erhabenen, daß das cartesianische Cogito etwas Verdunkelndes und Dunkles hat, da man sich auf den Weg zur Wissenschaft zumindest mit dem Schein einer vernünftigen Überlegung – einer »Ordnung der Vernunft« – zurückzubegeben scheint. Unter architektonischem Gesichtspunkt bleibt festzuhalten, daß die Unendlichkeit ein doppeltes Gesicht haben kann: phänomenologisch gesehen ein grenzenloses Apeiron, von radikaler Unbestimmtheit und Unheimlichkeit* der Welt und der Phänomene, und symbolisch gesehen die symbolische Verdichtung eines Stifters im Ursprung der Gewißheit und der apodiktischen Erkenntnis. Man umschreibt das Problem auf eine andere Art, wenn man an Descartes zwei symbolische Tautologien erkennt, deren Gliederung für die Gründung der Wissenschaft konstitutiv ist. Die erste ist die von uns schon festgestellte zwischen Denken und Existieren, d.h. die der Faktizität, die sich nur vollziehen kann, wenn sie notwendig mit demjenigen Sinn der Faktizität verbunden ist, der im Horizont der Hyperbel allerdings kurzschlüssig entdeckt wird. Zur zweiten, klassischen führt uns Descartes von der Analyse des Wachsstücks aus schrittweise hin, sie besteht zwischen dem Sinngehalt des Denkens unserer Begriffe oder Ideen und dem ihm vermeintliche entsprechenden Sinngehalt des Seins. Bei genauerem Hinsehen ist aber diese Tautologie nicht unmittelbar logisch-eidetisch, da sie im ontologischen Argument verankert ist. Es ist kennzeichnend, daß Descartes sich über das Wachsstück auf die Suche nach dem begibt, was ich wirklich denke, wenn ich denke – ein Zeichen dafür, daß er sich zur symbolischen Tautologie im klassischen Sinne hin bewegt -: aus dieser Analyse zieht er schließlich den Schluß, »daß ich nichts leichter und augenscheinlicher erkennen kann, als meinen Geist«. Das läßt zu Beginn der 3. Meditation den hyperbolischen Zweifel zurückspringen: es könnte sein, daß Gott, »wenn er nur wollte, es leicht zuwege brächte, daß ich mich selbst in Dingen irrte, die ich mit meinen geistigen Augen aufs klarste einzusehen meine.« Die Hyperbel wird gewissermaßen zwingender, da das Cogito diesmal das Ergebnis einer »Aufwallung« zu sein scheint (»daß ich unwillkürlich in die Worte ausbreche: Täusche mich wer es vermag, niemals wird er doch bewirken, daß ich nichts bin, solange ich denke, ich sei etwas …«). Nun, sagt Descartes, wird der Zweifel »metaphysisch«: der Verstand selbst droht sich in Täuschung zu wandeln oder, noch bezeichnender, in das Denken des Anderen, in das autonome, aber willkürliche symbolische System. Der Kontext hat sich allerdings geändert: nach der »Entdeckung« der Faktizität der Existenz und der Autonomie der symbolischen Dimension im Verstand, findet sich Descartes nämlich mit der Frage konfrontiert, ob es eine Verbindung zwischen dieser Faktizität und dieser Autonomie gibt, ob die Selbst-Apperzeption des Verstands in seinen Ideen zugleich auch Selbst-Apperzeption des Ichs als faktizielle Öffnung zur »Welt« (zum Äußeren) ist. Damit ist der Moment gekommen, den »Inhalt« meiner Gedanken dahingehend zu überprüfen, was sie an »Wahrheit« oder »Irrtum« enthalten. Diese Prüfung kann
90 nicht – bei Strafe der Zirkularität – den symbolischen »Systemen« nur immanent sein: wenn sie sich selbst voraussetzt, kann sich die Untersuchung nur in dem unentwirrbaren Netz ihrer Verwebungen verfangen. Deswegen muß man auf das ontologische Argument zurückgreifen: »Die Idee, durch welche ich einen unendlichen, ewigen, unveränderlichen, unabhängigen Gott von höchster Einsicht und Macht begreife, von der alles außer ihm universell geschaffen wurde, jene Idee enthält gewiß mehr objektive Realität als die Vorstellung der endlichen Substanzen.« Und dieser Gott kann nicht täuschen, »denn es ist mir doch durch die natürliche Einsicht offenbar, daß aller Trug, alle Täuschung durch irgendeinen Mangel bedingt ist.«. Ich selbst bin dem Irrtum unterworfen, weil ich notwendigerweise endlich (»in gewisser Weise am Nichts oder Nicht-sein teilhabend«), also nicht Gott bin. Gott empfängt mich also in meiner Faktizität, insofern er in sich selbst, in der Struktur des ontologischen Arguments und durch sie, Träger des Übeschusses an symbolicher Tautologie zwischen Sinngehalten des Denkens und Sinngehalten des Seins ist. Die beiden Sinngehalte identifizieren sich in Gott nur durch diesen Überschuß, der ihre Identität unfaßbar macht; darin wird wohl immer das Rätsel des ontologischen Arguments bestehen, ebenso wie das Rätsel seines tautologischen Charakters, der unter streng logischer Perspektive nichts anderes als ein transzendentaler Fehler oder eine transzendentale Illusion ist, wie es Kant unhintergehbar aufgewiesen hat. Wie dem auch sei, Descartes vollführt hier sozusagen einen »Doppelschlag«. Einerseits hat er das todbringende Gift des Großen Betrügers beseitigt, andererseits hat er, aber auf rätselhafte Weise und sicherlich nicht recht durchsichtig, die symbolische Tautologie zwischen Denken und Sein in der klaren und deutlichen Selbst-Apperzeption der Ideen und Begriffe des Verstandes behauptet. Überdies wird durch diesen »Doppelschlag«, daß Gott nicht Betrüger sein kann, die Faktzität der Existenz in ihrer noch inchoativen (und phänomenologischen) Selbst-Apperzeption zugleich zur faktiziellen Öffnung auf die »Welt«, wobei allerdings der cartesianische »Dualismus« den letztlich angemessenen Preis zu zahlen hat, daß (zumindest in der Wissenschaft) dieser Öffnung ihr äußerer »Gehalt« (als »Objektivität«) am sichersten und allein angemessen mit der symbolischen Stiftung garantiert werden kann, die sozusagen in Gott »wiederbelebt« wird, d.h. mit der Stiftung der klaren und deutlichen Begriffe oder Ideen des Verstandes. Genau hier, vom entscheidenden Moment des Wachsstücks an, verankert sich der cartesianische »Dualismus«, der eher architektonisch als (ontologische Bestimmungen einschließend) metaphysisch ist. Während die Analyse des Wachsstückes kein Urteil hinsichtlich des metaphysischen Wesens der Empfindung und des Verstandes voraussetzt – und so gesehen ist diese Analyse tatsächlich zumindest auf negative Weise phänomenologisch –, führt bezeichnenderweise der Rückgriff auf das ontologische Argument dazu, einen Unterschied zwischen der relativen Selbst-Durchsichtigkeit der Begriffe oder Vorstellungen auf das Sein hin und der undurchdringlichen Dunkelheit der in und durch das Äußere (dem Ausgedehnten) affizierten Empfindung zu machen, mithin zwischen zwei letztlich metaphysischen oder ontologischen Wesenheiten. Die Selbst-Verleiblichung im Cogito wird sich als ein fast vergessener »Moment« oder als eine nur noch in der »Ordnung der Vernunftgründe« rückblickend Sinn gewinnende herausstellen. Genau das meinten wir mit der Rede vom Ausschluß des Erhabenen durch »Beweisführung«. Wie auch immer, die Meditationen, die wir zusammenfassend durchmessen haben, bilden zweifellos insofern ein unerschöpfliches Werk, als in ihm keine Übereinstimmung jeweils von Begriff zu Begriff zwischen der architektonischen Struktur (die methodische Ordnung der Vernunftgründe) und der metaphysischen oder ontologi-
91 schen Strukturen vorhanden ist. Gerade dazwischen flackert das Erhabene auf, und hier verbirgt sich auch die Phänomenologie. Mehr noch als aus all den anderen durchaus berechtigten Gründen bleibt Descartes auch deshalb unstreitig der Begründer der Modernität in der Philosophie, weil er als erster die Notwendigkeit architektonischer Unterscheidungen hervorgehoben hat, vor allem den Ansatz zur Unterscheidung zwischen symbolischer und phänomenologischer Dimension. In dieser Hinsicht fühlen wir uns immer als »Cartesianer«: die »Methode«, also die Art sich im Denken zu orientieren und sich darin wiederzufinden, hat a priori nichts Metaphysisches oder Ontologisches an sich, auch wenn sie andererseits in offenen Konflikt mit den anscheinend metaphysischen oder ontologischen Bestimmungen geraten und sich davor hüten muß, sich mit ihnen vermengen zu lassen – aus dem Bemühen heraus, ihren »Status« zu bewerten. Hinsichtlich unseres Ausgangsproblems, welcher Status dem Phänomen und vor allem dem Husserlschen »Erlebnis« gebührt, hat wohl unser Umweg über die Meditationen Descartes’ gezeigt, daß das so abgrundtiefe Cogito über die »Inhalte« der »Erlebnisse« (des Denkens) uns überhaupt nichts Gewisses oder Absolutes zusichern kann. Zudem kann der Sinn des »Erlebnisses« oder des Phänomens im Husserlschen Sinn nur selbst Sinn einer Faktizität sein, die streng genommen nur in einem phänomenologischen Horizont freigesetzt werden kann, der dem hyperbolischen Zweifel entspricht, d.h. durch eine hyperbolisch-phänomenologische Epoché . Das duch sie »Entdeckte« ist nicht die Immanenz einer Subjektivität, auch nicht der transzendentalen, sondern das »Jeweilige«, die Jeweiligkeit* einer Faktizität, die in sich ihren Sinn als ihr Rätsel trägt – einen Sinn, der im Werk Husserls wesentlich sprachlicher Sinn ist, insofern hier eine Teleologie des Sinns hinsichtlich seiner selbst in der Sinnbildung* eines sprachlichen Phänomens anerkannt wird. Daß sich dabei das Ich – oder vielmehr das Selbst – jeweils als ek-statisch ent-worfenes und zu seiner Faktizität gebrachtes sum verleiblicht, ist ein von jener Fügung aufgegebenes Rätsel, die zwischen der auf sich selbst bezogenen Öffnung des sich in seiner Selbstheit bildenden Sinns und der selbstbezüglichen Öffnung des sich in dieser Sinnbildung verleiblicht findenden Ichs bestehen soll. Damit wird das Problem der Subjektivität neu aufgeworfen, und zwar in Begriffen, die vielleicht die Überlegungen zur transzendentalen Subjektivität insgesamt klarer machen, die Husserl in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens verfolgt hat: wenn man die eidetische Reduktion selbst ausschaltet, wenn man also die symbolische Tautologie des Denkens (Begriff) und des Seins (eidos) als streng auf das relativ autonome Feld der logisch-eidetischen Stiftung begrenzt denkt, dann hat zumindest die transzendentale Subjektivitä keine Essenz, sie ist selbstverständlich kein »Bereich« – oder ein »Saum« – der Welt mehr, sondern dieser rätselhafte Ort des Ineinanderfügens von Apperzeption des Selbst im Cogito und Apperzeption der Welt, von selbstbezüglicher Öffnung des Ichs in einer Faktizität, die sie in eine unauflösbaren Schieflage bringt, und der auf sich bezogenen Öffnung des Sinns in einer ganz analogen Schieflage – weshalb die Selbstheit des Sinns bezüglich seiner selbst eben nicht auf die Identität der Bedeutung oder des Begriffs reduziert werden kann -; und letztlich ist sie auch der rätselhafte Ort des Ineinanderfügens von all diesem Phänomenologischen und der symbolischen Dimension der Erfahrung, die nicht weniger als die phänomenologische Dimension der Hyperbel unterworfen ist und sich immer mit ihrer irreduziblen Kontingenz gibt, und nicht etwa mit einer Wahrheit, die ihr kein ontologisches Argument mehr verleihen kann. Dieser Ort komplexer Gliederung ist also zugleich die Stätte des phänomenologisch Erhabenen.
92 Um uns noch besser dieses »Ortes«, an dem die »Subjektivität« im transzendentalen Sinn auftaucht, zu versichern, wäre noch dieser Gedanke der Faktizität und ihres Empfangs mit dem Gedanken des Philosophen zu konfrontieren, der ihn als erster in unvergleichlicher Radikalität in seinem Anfangswerk gedacht hat: wir müssen, zumindest grundsätzlich, den Stellenwert der Faktizität des Daseins* in Sein und Zeit* prüfen. In einem im Oktober 1927 anläßlich der Verfassung des Artikels »Phänomenologie« für die Encyclopaedia Britannica11 an Husserl gesandten Brief schreibt Heidegger: »Die transzendentale Konstitution ist eine zentrale Möglichkeit der Existenz des faktischen Selbst. Dieses, der konkrete Mensch ist als solcher – als Seiendes nie eine »weltlich reale Tatsache«, weil der Mensch nie nur vorhanden ist, sondern existiert. Und das »Wundersame« liegt darin, daß die Existenzverfassung des Daseins die transzendentale Konstitution alles Positiven ermöglicht.« Anders gesagt, und ohne vorweg über den darin enthaltenen Gewaltstreich zu urteilen, mit dem Heidegger die Husserlsche transzendentale Subjektivität allein auf die Dimension der Vorhandenheit reduziert – auf das Vorliegende, dem Blick Ausgesetzten, das ihm immer schon vorausgeht und ihn für immer überdauert -: die Anerkennung der Faktizität ist hier offenkundig, und zwar als Faktizität einer Möglichkeit des Existierens in der Welt und des die Welt Existierens im transitiven Sinne, eine ontologisch-existentiale Möglichkeit, die nichts mit der einfachen logischen (ontischen) Möglichkeit gemeinsam hat. Weil nämlich das Selbst immer schon in der Welt entworfen ist, ist seine »Erklärung« der Welt gleichzeitig Erklärung des Selbst mit der Welt, in ihren Horizonten und folglich Konstitution. Oder auch: weil das faktizielle Selbst des konkreten Menschen nicht der Ordnung der Faktualität angehört, – der rohen, vorhandenen Tatsache – besteht seine Faktizität unmittelbar aus seinem Sinn und seinem Seinssinn, der zugleich Seinssinn der Welt und der Weltdinge ist. Zweifellos wäre das, was wir im Anschluß an Pato¢ka und Merleau-Ponty über die Faktizität gesagt haben, ohne Heidegger nicht möglich gewesen. Und dennoch dreht sich bei Heidegger letztlich alles auch um die Frage des Empfangs dieser Faktizität. Anscheinend sind wir mit der in Sein und Zeit* geleisteten Analyse der Alltäglichkeit des Daseins* und der Umwelt* zu dem Konkretesten dessen zurückgekehrt, was Husserl als die Lebenswelt* bezeichnen wird: eine Welt, die durch die symbolische Stiftung der Dinge und des Umgangs mit den Dingen in ihrem Zuhandensein* erstarrt, aber deren Korrelat im Dasein* bekanntlich nicht das »Selbst« in all seinen Tiefen ist, sondern ein anonymisiertes »Sich im »Man«. Das architektonische Äquivalent zum cartesianischen Cogito liegt in Sein und Zeit* ganz offensichtlich in dem Neuansatz, daß die Analytik aus dem Aufsichnehmen des Seins zum Tode hervorgeht. Ohne im einzelnen hier diese Analysen wiederaufzunehmen,12 können wir sagen, daß die Sterblichkeit des Daseins* wie eine Art phänomenologische Epoché gegenüber einer unreinen – uneigentlichen – weltlichen »Schicht« des Daseins* wirkt, wobei dieses zweifellos nur deshalb uneigentich ist, weil es der »Begegnung« mit dem Tod mit seinen innersten Tiefen ausweicht. Denn das Dasein entdeckt sich gleichsam auf dem Hintergrund des Todes sowohl als ontologisch existentiale Möglichkeit, in der Welt zu existieren und die Welt zu existieren, als auch als faktizielle, immer schon vollzogene Möglichkeit der Existenz. Wenn allerdings der existentiale Horizont des Todes dem Dasein* die »Gesamtheit« seiner Möglichkeit des Seins oder des Existierens entdeckt – wenn in der Unmöglichkeit seines Todes das Dasein* sich durch einen rätselhafte Umschlag, der vieles Hegel verdankt, als Möglichkeit aller anderen, unerhörten und ihrer Verwirklichung entzogenen Möglichkeiten entdeckt –, dann stellt sich die Möglichkeit zu existieren, die sich als fakti-
93 zielle entdeckt, als eine von der Nichtigkeit* geschlagene heraus. Das betrifft auch die immer schon vollzogene oder mit ihrem Seinssinn »ausgespielte« Faktizität, in einer Art von irreduzibler ontologischer Verfallenheit, die in sich die Gefahr birgt, daß diese Faktizität eben nicht empfangen wird. Deshalb ist die Faktizität, wenn sie durch den Entschluß zu existieren bis auf den – allerdings bodenlosen – Grund ihrer selbst angenommen wird, wesentlich in Sorge, immer »in Schuld« im Verhältnis zu der furchtbaren Gewalt aller Möglichkeiten und immer im Kampf, um »sich« in dem wiederzufinden, was schließlich ihr Empfang wäre – aber könnte dieser etwas anderes als der Tod selbst sein? In diesem Entschluß, als Selbst zu existieren, d.h. »echt« oder »eigentlich«, ist das Dasein* also unweigerlich von der Grundstimmung* der Angst ergriffen, es rein existieren zu können, und von der Unheimlichkeit* sowohl des Selbst als auch der Welt. Es vollzieht sich ein Gleiten der mir ganz vertrauten Welt in ihrer Jemeinigkeit*, die aus den faktiziell vollzogenen Möglichkeit besteht, zu einer »Fremdheit« hin, wo, um in den Abgrund seiner Tiefen vorzudringen, die Jemeinigkeit* selbst von der Angst und der Unheimlichkeit* betroffen wird. Wie sehr sich auch das Selbst dagegen wehren mag, indem es sich krampfhaft auf sich selbst »zusammenzieht«, geschieht dies ja doch nur zugunsten eines »Bildes« oder eines »Begriffs« des Selbst, das eben dadurch wieder anonym und zu einem idem wird, das durch den »Diskurs« aufgegriffen und in ihm oder in der Verderbtheit des »Man« aufgeht. Hier lauert eine Art Falle, die in ihrer scheinbaren Unausweichlichkeit um so effektiver ist, daß es nämlich das Schicksal des Selbst zu sein scheint, das »Maximum« seiner Existenz-Möglichkeiten verwirklichen zu müssen – ohne daß jemals das »Sich-selbst-Akzeptieren« im Empfang seiner selbst als Faktizität des Existierens festgestellt wäre. Wir streben hier nicht an, diesen unerhört neuen und durchschlagenden Gedanken ausführlich zu kommentieren, sondern wollen nur anmerken, daß die Faktizität, die sich immerhin mit ihrem Sinn und Seinssinn entdeckt hat, hier vielleicht zu schnell dazu neigt, sich zur Jemeinigkeit* der Welt und zur immer schon eingespielten Vollziehung des einen oder anderen ontologisch Möglichen zu verschließen. Wie wir anläßlich des Heideggerschen Gedankens der Befindlichkeit* und der Stimmung* aufgewiesen haben,13 ist offensichtlich die Stimmung ein besonders auffälliges Kennzeichen der Faktizität, insofern sie sich immer schon von der Vergangenheit her gezeitigt hat und damit das Dasein* die Stimmung* immer nur »vorfindet«. Unser parallel zum Problem der Daseinsanalyse* der Psychosen aufgeworfenes Problem14 besteht darin, daß es nun praktisch unmöglich wird, die »normale« Stimmung* von der »pathologischen« Verstimmung* zu unterscheiden: diese merkwürdige Nähe der Heideggerschen Daseinsanalytik* zu den Psychosen rührt zweifellos mehr noch als von verborgenen pathologischen Tendenzen bei Heidegger selbst von einem architektonischen Mangel her, insbesondere von seinem »existentialen Solipsismus«, der mit der Vernachlässigung der Frage nach der Verleiblichung einhergeht. Anders gesagt liegt es daran, daß das Heideggersche »ich bin, ich existiere« ein zu sehr auf die faktiziellen Möglichkeiten des Existierens konzentriertes Nichts ist und sich zu sehr auf deren »Relativierung« durch den Tod bezieht, der sie in der Selbstheit des Daseins* radikal immanentisiert, womit sie ungenügend demgegenüber offen sind, was jenseits der Existenzmöglichkeiten des Daseins* die Faktizität selbst empfangen kann. Dies nun hat Maldiney äußerst treffend Transpassibilität genannt, wozu er bezeichnenderweise im Laufe eines langen und geduldigen Nachdenkens über Psychosen gelangt ist.
94 Auch in dieser sich über die Jemeinigkeit* der Welt und der Stimmung schließendenden Faktizität gibt es noch etwas an »Subjektivität«. Wie an der Psychose zu erfahren ist, verliert die Faktizität gerade dann einen Teil ihres Sinns, wenn sie sich als solche entdeckt. Sie wandelt sich dabei in die anonyme Faktizität einer Erfahrung, die ich nicht als meine eigene erlebe – oder nicht als eigene erleben kann –, weil sie micht spaltet und mich »neben« »meiner« Faktizität leben läßt – oder weil sie mir im »Entschluß« immer mehr oder weniger fremdartig, wenn nicht gar fremd erscheint, also auch »daneben«: wie sehr der heroische »Entschluß« mich von den übrigen Lebenden trennen kann, wissen wir. Wir kommen also auf die Faktizität als etwas nicht Selbstverständliches zurück und geraten über Heidegger wieder ins cartesianische Fahrwasser. Dieser Umweg läßt uns aber wenigstens noch besser verstehen, daß der böswillige Geist nicht nur eine Art »spekulative Hypothese« war, daß er den Zweifel nicht nur auf die Wahrheit und Falschheit der »Erkenntnisse«, sondern in seiner Hyperbel auch auf die Faktizität des Existierens sich erstrecken ließ. Das Sein-zum-Tode ist nämlich unter architektonischem Gesichtspunkt der Heideggersche »böswillige Geist« – mit vielleicht dem gleichen, allerdings subtil verkleideten ontologischen Argument, das einen Übergang vom Tod als Möglichkeit einfach nur der Unmöglichkeit des Daseins* zu einem Tod als Möglichkeit der eigensten und in diesem Sinne unaufhebbar meinigen Möglichkeit leistet, in der das Dasein* das Selbst mit seinem radikalen Rätsel gewissermaßen als die Faktizität seines Schicksals empfangen muß, das durch den Feuerkreis des »Entschlusses« hindurchgegangen ist. Das abgründige Selbst, das durch den Tod und diese Wandlung von der schlichten Unmöglichkeit zur eigensten Möglichkeit individuiert wird, erhält die Verantwortung, das immer schon in die Welt geworfene aber an Seinsmangel leidende faktizielle Selbst zu empfangen und spielt damit in seinem unreduzierbaren Überhang die Rolle Gottes. Und aus dieser Distanz heraus kann das Selbst die Welt eigentlich existieren, d.h. sie dadurch zu konstituieren, daß sie diese mit ihrer ontologischen Konkretheit befrachtet, sich mit seinem Seinssinn darin wiederfindet, der in verschiedenen Modalitäten Seinssinn sowohl der Welt als auch der Weltdinge ist, aber ein Seinnsinn, der durch die Frage nach der eigensten Möglichkeit vom Fraglichen gehalten ist. Aus phänomenologischer Sicht ist daraus folgende, in unseren Augen entscheidende Schlußfolgerung zu ziehen: wie die Epoché der Faktualität Husserl erlaubte, den Sinn aus seiner Verschlossenheit in den Tatsachen zu befreien, so muß eine besondere Epoché der Faktizität – die nur hyperbolisch-phänomenologische Epoché sein kann – es ermöglichen, aus ihrer Eingeschlossenheit in der Faktizität des Daseins*, der Jemeinigkeit* der Welt, des Todes und der Befindlichkeit* eine andere Sinndimension zu befreien. Das läuft bezüglich Heidegger darauf hinaus, den existentialen Solipsismus und die entsprechende Jemeinigkeit* aufzusprengen, oder auch, um »abstrakter« zu sprechen, den Heideggerschen Cartesianismus zu »radikalisieren« – wir sind uns der Ironie dieser Formulierung durchaus bewußt –, indem man die Hyperbel bis zum ontologisch Möglichen weitertreibt: was ist denn ein ontologisch Mögliches, eine ontologisch-existentiale Existenzmöglichkeit, und gibt es nicht Illusionen von diesen Möglichkeiten? Das Dasein* auf die eigenste Möglichkeit und auf das Ganze seiner Möglichkeiten zusammenzuschnüren, bedeutet das nicht, es zirkulär um etwas wie Subjektivität zu schließen? Aber was ist denn letztlich nach der Unterscheidung zwischen Eigentlichkeit* und Uneigentlichkeit* noch die »Subjektivität«, auch wenn man sie in einem anderen Sinn auffaßt?
95 Wenn man in der Perspektive der asubjektiven Phänomenologie Pato¢kas die Faktizität des sum und die durchaus phänomenologische Beschaffenheit des Sprachlichen berücksichtigt, kann man, wie wir gesehen haben, aus der transzendentalen Illusion einer Subjektivität herauskommen, der über die nur erschlichene Annahme, daß ihre Erlebnisse absolut gegeben seien, Selbst-transparenz unterstellt wird. Welchen Status hat aber dann die Ek-sistenzmöglichkeit, wenn man annimmt, daß sie nicht von der Macht eines freien Willens abhängt? Besteht da nicht auch wieder eine allerdings recht verborgene Subjektivitätsstruktur, zumindest dann, wenn damit die Vereinnahmung der Möglichkeiten unter einem Ganzen gemeint ist? Ist dieses Ganze nicht seinerseits eine transzendentale Illusion, die für Kant gewissermaßen die rationale Psychologie unter-stützt, allerdings um einen Grad »verschoben«? Grundsätzlich können diese Möglichkeiten nichts anderes als leere (oder »imaginäre«) Möglichkeiten sein, solange nicht etwas von ihnen selbst als Ent-wurf oder Existenzmöglichkeit irgendwie aktualisiert ist – der alte Aristotelische Zirkel der Dynamis und der Energeia. Demnach ist das »Ganze« der Möglichkeiten, wenn es auf die Faktizität eines Daseins* in seiner eigensten Möglichkeit bezogen wird, in Wirklichkeit ein »imaginäres Ganzes«, eine Art abstrahierende Verdichtung einer a priori unbestimmten Vielfalt von Möglichkeiten, eine Verdichtung, die diese Möglichkeiten in ihren Begriff sozusagen implodieren läßt und sie jeder phänomenologischen Konkretheit beraubt. Deshalb spricht, wie wir gesehen haben, Pato¢ka lieber davon, daß die Möglichkeit – die er innerhalb der Wahrnehmung als das »Ich kann« eines in einem Leib verleiblichten sum neu denkt – selbst nur am Phänomen phänomenologische Konkretheit annimmt, insofern dieses immer schon als Explikation seines Seinssinns und des Seinssinn des sum erscheint. Und deshalb hat Pato¢ka auch sicherlich versucht, diese Aporie nach einer langen Auseinandersetzung mit Aristoteles durch seine Konzeption der »Bewegungen« der Existenz zu lösen – denn die Bewegung ist bekanntlich die Entelechie »des in Möglichkeit Seienden, sobald es in Wirklichkeit seiend tätig ist, nicht insofern es selbst (wirklich) ist, sondern insofern es bewegbar ist«. Von den ontologischen Möglichkeiten als solchen haben nur die Bewegungen der Existenz wirklich phänomenologischen Gehalt, insofern sie Strukturen des In-der-Welt-Seins des Daseins* sind, die selbst vor jeder Vereinnahmung durch Totalisierung bewahrt sind, wobei diese nur ein Verschließen eines in seiner Jemeinigkeit* eingeschlossenen Selbst sein kann. Zwar ist diese Lehre der »Bewegungen der Existenz« sehr komplex und verdiente eine eingehende Untersuchung, die wir aber auf später verschieben: man sieht aber auf jeden Fall, wie man mit gutem Recht vertreten hat,15 daß sie sich in die »asubjektive Phänomenologie« einfügt. Aber dennoch behält sie immer etwas relativ Willkürliches oder Künstliches (factice im üblichen Sprachgebrauch), wenn sie nicht zur Lehre der Bewegungen der jeweiligen Faktizität unter dem weiteren Horizont einer Phänomenologie umgewidmet wird, die sowohl Begegnung als auch Empfang der Faktizität herausarbeitet, also ohne daß einfach nur eine innere Aufteilung der Faktizität in ihr sie Empfangendes und in ihr sie Entfremdendes angenommen würde. Insofern muß man eine interfaktizielle Begegnung konzipieren,16 die in dem Sinn, die Maldiney diesen Fachbegriffen zuweist, aus einer transpassiblen Begegnung in einer ursprünglichen Transpassibilität besteht. Husserl war, wie wir gesehen haben, dieser Begegnung tatsächlich näher als Heidegger – höchstens flüchtig – jemals war; in seiner Phänomenologie der Intersubjektivität hat er sein ganzes Denken darauf gerichtet und ist dabei zu einigen geglückten Ergebnissen gekommen.
96 Die ganze Frage läuft also darauf hinaus, was man unter architektonischem Gesichtspunkt in einer konsequent erweiterten Phänomenologie vom Denken der ontologischen Möglichkeit des Existierens erwartet, wobei eine solche Erweiterung sich daran zeigt, daß sie die Faktizität in der Subtilität der interfaktiziellen Begegnung und des interfaktiziellen Empfangs aufsucht. Wie uns die cartesianische Hyperbel lehrt, muß man dafür zweifellos bis zur Einklammerung oder Ausschaltung der in der Faktizität enthaltenen Tatsachendimension gehen, also bis zur hyperbolischphänomenologischen Epoché der Faktizität des Cogito, um sie mit ihrem Sinn wiederauferstehen zu lassen. Das »Ich denke« ist auch in seiner Inchoativität und seiner Ungeschiedenheit niemals sicher, da immer ein blinder Teil des Denkens besteht, der schwerlich dem Denken zugewiesen werden kann, ohne Illusionen über die »Natur« des Denkens zu erzeugen. Anders gesagt: selbst wenn man das Denken in seiner ursprünglichen Vieldimensionalität faßt, die an ein phänomenologisches Unendliches einer unentwirrbaren Komplexität gemahnt, läßt mich das Denken niemals sicher sein, daß ich »wirklich« denke und folglich »wirklich« bin. Und die adverbiale Beifügung »wirklich« ist notwendig, weil das Cogito auf seine Weise und trotz seiner Verschiebung immer noch aus einer symbolischen Tautologie des Denkens und Existierens besteht. Um eine cartesianische Frage wieder aufzunehmen, die uns bei vollem Bewußtsein zerreißt: wie kann ich sicher sein, daß ich nicht nur träume zu denken? Die von uns vorgeschlagenene phänomenologische Epoché ist also noch hyperbolischer als der hyperbolische Zweifel, da sie sich nicht so sehr auf den durch die symbolische Identität ermöglichten Übergang vom Denken zum Existieren bezieht, sondern auf das Denken selbst. Ich kann nur wissen, daß ich wirklich denke, wenn ich in diesem Denken wirklich existiere, aber ich kann umgekehrt nur wissen, daß ich wirklich existiere, wenn ich wirklich denke. Descartes läßt bekanntlich dieses »wirklich« letztlich durch die klare und deutliche Selbst-Apperzeption der Begriffe oder der Ideen des Verstandes »bezeugen«, bei Heidegger ist es die Tiefe und die Eigentlichkeit* der existentiellen Erschütterung im Angesicht des Todes. Und bei Husserl schließlich die im denkend Konstituierten enthaltene Lebendigkeit* des Denkens, die aus der Quelle der »lebendigen Gegenwart« schöpft. Man sieht, daß hier überhaupt kein Kriterium mehr vorhanden ist, welches das »wirklich« von seinem Gegenteil zu unterscheiden erlaubte. Welche Gestalt nimmt also diese symbolische Tautologie in einer phänomenologischeren Betrachtung an? Die eines Sich-selbst-Vorausgehens, das zwar nicht im strengen Sinne zeitlich ist, aber dennoch, allerdings auf problematische Weise, die Zeitigung/Räumlichung ins Spiel bringt. Und zwar gehen hier sowohl das Denken als auch das Existieren sich selbst und einander voraus. Aber dieses doppelte Vorausgehen gehört der Ordnung des Simulacrums an, und insofern dieses Simulacrum das Denken und das Existieren (das Sein als solches) ins Spiel bringt, ist dies ein ontologisches Simulacrum. Dies ist erklärungsbedürftig. Um zu wissen, daß ich denke, muß ich schon wissen, was Denken ist, oder ich muß zumindest, wie Descartes es vorschlägt, zu denken aufhören, um mich als den »jedesmal« das Denken wieder Integrierenden wiederzuerkennen. Desgleichen muß ich, um zu existieren, schon wissen, was Existieren ist oder ich muß zumindest für Augenblicke oder Zeitabschnitte (z.B. im Schlaf) zu existieren aufhören, um mich als Existierenden wiederzuerkennen. Schließlich, um zu wissen, daß ich denkend existiere, muß ich – ein von Descartes schon aufgedeckter Schein eines Syllogismus – schon wissen, daß ich nicht denken könnte, ohne zu existieren, d.h. daß die Faktizität des »Ich bin, ich existiere« sich aufgäbe, um sich wiederzufinden. Das Simulacrum besteht darin, daß ich nicht wis-
97 sen kann, was Denken und Existieren ist, ohne irgendwie aufgehört zu haben zu denken und zu existieren, um mich außerhalb ihrer zu plazieren, während ich mich als denkend und existierend doch nur deshalb erkennen kann, weil ich mich eben darin bewege. Es handelt sich also um ein Simulacrum der Zeitlichkeit, denn falls ich aufhöre zu denken, wird mir diese Abwesenheit des Denkens eben nicht mehr das Denken zu denken erlauben, und falls ich zu existieren aufhöre, kann ich mich nach diesem Tod nicht mehr als seiend wiederfinden. Es kann sich also nicht so sehr um einen Zustand des Nicht-Denkens oder des Nicht-Seins handeln, sondern eher um das, was wir ein Pulsieren der Abwesenheit des Denkens und des Seins im Denken und Sein selbst bezeichnen, also ein »schwingendes Aussetzen« des Denkens und des Seins, in dem sie zumindest an ihr drohendes Verschwinden streifen. Dadurch bringen Denken und Sein ihre Zeitigung/Räumlichung ins Spiel, die eine Zeitigung/Räumlichung dieser drohenden Abwesenheit in der sich bildenden Gegenwärtigkeit/ Anwesenheit ist. Man muß aus phänomenologischer Sicht sich doch zu dem Gedanken entschließen, daß Denken und Sein durch die Vermittlung solcher drohender Abwesenheiten sich vorausgehen und damit auch sich selbst nachfolgen können, d.h. gewissermaßen sowohl »zu schnell« als auch »zu langsam« als sie selbst in der sich entfaltenden Gegenwärtigkeit der Faktizität verlaufen können – genau das kennzeichnet, wie wir wissen, die sprachlichen Phänomene als Teleologien von sich bildenden Sinnregungen in Hinblick auf sich selbst. Aber in diesen Teleologien besitzen sich die Sinnregungen eben nicht selbst sozusagen von Anfang an in Transparenz. Obwohl doch im cartesianischen Cogito (allerdings nicht im Husserlschen) die Gewißheit des Denkens zumindest zunächst nicht den Inhalt des Denkens betrifft, so reintegriert sich doch, und auch hier ist das Simulacrum, diese faktizielle und sozusagen formale, existentielle Gewißheit des »ich« denke und nicht etwa des Zweifels, daß ein Anderer in mir denkt, indem sie vor der ekliptischen Verdeckung sich identisch vorausgeht. Und ebenso ist es um das Sein (Existieren) bestellt. Anders gesagt, die Versicherung des Denkens und des Seins ist eine vollständige oder gar nicht, und die Hyperbel ist bis in die Gewißheit des Cogito hier gewissermaßen symmetrisch weitergetrieben. Das »Ich denke« überwacht das »Ich denke« in einer Art von »gesteigerter Wachsamkeit« (suréveil), was nur geht, wenn es gleichzeitig als ein »Ich bin« ganz da ist. Oder auch: das Denken kann sich nur beim Denken »überraschen«, wenn es vorher in einem Simulacrum der Zeitlichkeit ein Existieren war. Die »Lebendigkeit« des Denkens und des Seins geht sich immer schon selbst voraus (und folgt sich), sie entwirft sich sowohl zurück als auch voraus, als ob der Sinn (des Denkens und des Seins) der Tatsache (des Denkens und des Seins) vorausginge und ihm folgte. Im ontologischen Simulacrum gibt es dabei also eine Spaltung zwischen der Tatsache und dem Sinn, wodurch die Faktizität in ihrer Ungeteiltheit nahezu unbegreiflich wird. Die gleiche Spaltung läßt sich bei Heidegger beobachten, einerseits zwischen der »Eigentlichkeit«* und der »Uneigentlichkeit« und andererseits zwischen den faktiziellen Möglichkeiten, die immer schon vollzogen sind, und der eigentlichsten Möglichkeit (und dem Ganzen der Möglichkeiten), welche die ersteren mit »Nichtigkeit« schlagen. Auch bei Husserl ist diese Spaltung allgegenwärtig, und zwar zwischen (transzendentalem) konstituierendem Sinn (sowohl Sinn des Seins und des Denkens) und dem, was immer mehr oder weniger als konstituierte Positivität erscheint, die ihren Sinn in ihrer Faktualität verschließt. All dies läßt uns besser die ganze Schwierigkeit der Faktizität ermessen: sie besteht eben darin, diese ihr eigene Ungeteiltheit zwischen Tatsache und Sinn zu fassen, zwischen der »Konstitu-
98 tion« der Tatsache im Sinn und des Sinnes in der Tatsache, »in chiastischer Anordnung«, wie es Merlau-Ponty ausdrückte. Im Grunde »fungiert« das Cogito in allen seinen Formen und Abwandlungen – auch denjenigen in Sein und Zeit* – nur dann als ein ontologisches Simulacrum, wenn es der Faktizität die Illusion ihrer eigenen (Wieder)geburt unter dem Exponenten oder dem Horizont ihres eigenen Todes vermittelt. Damit wird ihr zugleich die Illusion ihrer eigenen Unveränderbarkeit verliehen – auch in ihrer »Endlichkeit«, die bei Heidegger das in einem Augenblick wahrgenommenene »Schicksal« ist, das ein jeder bis zum Ende auf sich nehmen muß, wobei die Unerbittlichkeit des Schicksals uns auch dann trifft, wenn wir es nicht annehmen, ihm ausweichen, schwach werden und aufgeben. Zweifellos ist dies für die Wurzeln der »Subjektivität« konstitutiv. Und gerade darauf muß die Phänomenologie bis zum Unmöglichen gehend die Epoché anwenden, wenn sie dem Phänomen nur als Phänomen gerecht werden will. Es ist ja nicht sicher, daß ich mich in meinem Denken und Sein wiedergewinne so wie ich gedacht habe und so wie ich gewesen bin, weil nämlich und entgegen dem Anschein Denken und Sein nur in abgründiger Schieflage sind.
§2. DIE ARCHITEKTONISCHE STRUKTUR DES ONTOLOGISCHEN SIMULACRUMS UND SEIN AUSSCHALTEN DURCH DIE HYPERBOLISCH-PHÄNOMENOLOGISCHE EPOCHÉ
Das Bewußtsein ist, wie wir gesehen haben, eigentlich sprachliches Phänomen. Das ontologische Simulacrum ist hingegen eine illusionäre Struktur, deren transzendentale Erschleichung durch den architektonischen Aufriß enthüllt werden kann. Unter phänomenologischem Gesichtspunkt wird die ganze Frage dadurch aufgeworfen, daß das Cogito sich durch das »Ich denke, ich bin« wie eine Geburt oder reine Erscheinung meines Denkens und meines Seins in der Faktizität ihrer Verbindung darstellt, oder, um einen Ausdruck von Merleau-Ponty aufzunehmen,17 als »absolute Erscheinung«. Das Cogito stellt also ein Simulacrum der Phänomenalisierung meiner Faktizität als Faktizität dar, das so tut, als tauchte im Horizont des hyperbolischen Zweifels mein Denken und mein Sein aus dem Nichts – oder doch aus dem drohenden Nichts – wieder auf. Unter architektonischem Blickwinkel muß man äußerst sorgfältig darauf achten, daß die Selbst-Apperzeption des Selbst in der Faktizität seines Denkens und seines Seins sich nicht in die Selbst-Apperzeption des Sinns (sowohl des Seinssinns der Welt als auch der weltlichen Wesen) innerlich einfügt, – dies zu glauben, bedeutete schon, Opfer der transzendentalen Erschleichung zu sein -; für eine solche Eingliederung muß man wie Descartes die Frage nach der Wahrheit oder Falschheit der Begriffe oder Ideen einführen, um durch das ontologische Argument die Öffnung auf das Sein der Welt und der weltliche Dinge wiederzufinden; oder man muß, wie Heidegger, das Sein-zum-Tode einführen, um das Dasein* zur Reflexion seiner ontologisch-existentialen Strukturen hin zu öffnen, denn nur in diesen berührt es eigentlich das Selbst-Sein und das Welt-Sein; oder man muß, wie Husserl, durch ein Apeiron eines konstituierenden transzendentalen Lebens hindurchgehen, um das Denken, also das »Erlebnis« einer Lebendigkeit* des Seins und des Denkens zu versichern, die nicht in der scheinenden Positivität der »Sedimentierungen« verschüttet wäre. Das architektonische Rätsel des ontologischen Simulacrums ist nun, daß es immer wieder in der äußersten Schnelligkeit seiner Erschleichung etwas wie den Schein des Selbst in seiner Faktiziät als zumindest matrixartige
99 Quelle jeden Scheins in seiner Faktizität produziert. Anders gesagt ist dies das Rätsel der Gliederung zwischen dem Selbst als Phänomen und dem Phänomen überhaupt – hier geht das Phantom des Idealismus um, mag es auch der transzendentale sein. In dieser Erschleichung scheint sich jedes Phänomen überhaupt nur mit einem Selbst phänomenalisieren zu müssen. Und das Rätsel erreicht bei Heidegger in der bekannten Großartigkeit seinen Höhepunkt, weil hier das Selbst, das sich über den Tod in der Faktizität seiner ontologischen und faktiziell vollzogenen Möglichkeiten entdeckt, zugleich und eigentlich unablösbar die Welt in der Jemeinigkeit* eines Daseins* ist, weil es in ihr ek-sistiert – wobei noch hinzukommt, daß Heidegger niemals18 die schwierige und sicherlich unlösbare Frage der Gliederung zwischen dem Selbst des Daseins* und dem, was mehr und mehr als das »Selbst« des Seins in sein Denken eindringt, lösen kann. Wiederum anders gesagt besteht das architektonische Rätsel des ontologischen Simulacrums in folgendem: obwohl das Cogito im Horizont des hyperbolischen Zweifels steht und so mein Denken und Sein, also meine Faktizität ekliptisch ausgeblendet werden, taucht diese dennoch wieder auf und scheint sich von selbst zu phänomenalisieren; aber das dabei Auftauchende könnte doch vielleicht die Faktizität sein, also die Ungeteiltheit des Denkens und des Seins in einer Faktizität, die anonym oder zumindest, wie es der hyperbolische Zweifel untergründig zeigte, die eines Anderen sein könnte. Das Rätsel des Rätsels, also das Spiel des Simulacrums als eines ontologischen Simulacrums, ist jedenfalls, daß diese Anonymität darin sozusagen um einen Grad verschoben ist, weil darin auch nicht nur, wie man dabei sagen könnte, meine Faktizität als Phänomen auftritt, sondern die Faktizität gewissermaßen als »universelles« und damit »grundlegendes« Phänomen. Sollte das Cogito im weitesten Sinn eine Zurückgewinnung des Selbst gegenüber dem Reich der Anonymität sein, in der alles in allem in vermengter Inchoativität ist, dann ist es mit dieser Rückgewinnung umgekehrt auch eine Rückgewinnung der durch das Selbst »wiederbelebten« und »geklärten« Anonymität – ob nun über den cartesianischen Weg zur Wissenschaft, im konstituierenden transzendentalen Bewußtsein Husserls oder auch in der existentialen Konstituierug des Sinns des authentischen Seins bei Heidegger. Kurz, um wie in unserer 2. phänomenologischen Untersuchung19 zu sprechen, gehört es zum ontologischen Simulacrum, wie der Schein des Selbst zu scheinen (in seiner Faktizität als dieser Schein), der zugleich als jeder Schein scheint – wobei das Wort »Schein« hier ununterschieden Phänomen und Illusion des Phänomens bedeutet. Es gibt keinen Schein ohne eine ihm innewohnende Selbstheit, notwendigerweise eines menschlichen Selbst, auch wenn es in jedem Schein eine Dimension der Anonymität gibt – eher als die der »Allgemeinheit«, was eine logische Kategorie ist –, eine Dimension, die in der phänomenologischen Tradition Merleau-Ponty am kohärentesten und konsequentesten herausgearbeitet hat, was Heidegger unmöglich war, für den die Anonymität sich ja von vornherein auf die »Uneigentlichkeit« des »Man« konzentriert hat. Es gibt also im ontologischen Simulacrum ein einseitiges »Umklappen« der Faktizität in meine Faktizität, welche eben das, was wir interfaktizielle Begegnung und Empfang genannt haben, unmöglich macht. Dies geht dann mit der Verschlossenheit im (transzendentalen, existentialen) Solipsismus einher, d.h. in der »Subjektivität«, auch wenn diese wie bei Heidegger in der faktiziellen Welt in ihrer Jemeinigkeit* verstanden werden müßte. Aber umgekehrt gibt es auch bei ihm ein solches Simulacrum, nach dem durch transzendentale oder existentiale Konstituierung die Faktizität von meiner Faktizität hervorgebracht wird. Dies ist deshalb ein Simulacrum des
100 Hervorbringens, weil man zumindest in Erschleichung oder Täuschung von meiner Faktizität ausgehen muß, um die Faktizität wiederzufinden, oder weil meine Faktizität nicht das wäre, was sie ist – das, als was sie erscheint –, wenn nicht in ihr von Anfang an, d.h. unaufhörlich die anonyme Dimension (das Mitsein*) der Faktizität rege wäre. Dieses Wirken oder diese Eingliederung muß in ihrem phänomenologischen Gehalt wieder aufgefunden werden, und zwar mit ihrer Dimension der transzendentalen Erschleichung oder Illusion. Das wiederum ist nur möglich durch die Ausübung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché. Diese geht, wie wir gesehen haben, zunächst von folgendem durchweg hyperbolischen Zweifel aus: wenn wir zu denken und zu sein glauben, kann es recht gut sein, daß wir nicht wirklich denken oder sind – sei es, daß Nicht-Denken oder Nicht-Sein uns blind haben handeln oder automatisch operieren lassen, sei es, was fast auf das gleiche hinausläuft, daß das Maschinenmäßige von einem dem Anderen zugehörigen Denken und Sein herrührt, das uns ohne unser Wissen manipuliert. Die hyperbolisch-phänomenologische Epoché besteht also darin, die Frage des »wirklich« nicht von vornherein zu entscheiden und in der Schwebe zu lassen, also das, womit man Denken und Sein von der Illusion des Denkens und Seins unterscheiden könnte. Wir denken, daß so das Umklappen im ontologischen Simulacrum abgestellt werden kann, ein Umklappen der Faktizität irgendeines Phänomens zu meiner Faktizität dieses Phänomens. Es geht also nicht darum – es ist ja eine phänomenologische Epoché –, an der Existenz der Faktizität zu zweifeln, sondern daran, daß ihre wahre Existenz von ihrer nur illusionären absolut unterschieden werden könnte. Es handelt sich auch nicht darum, etwas Apodiktisches aufzufinden, das als Kern einer Lehre über das Denken und Sein dienen könnte, vielmehr sollen die Wege und Umwege der Doxa selbst eingehend untersucht werden, einer Urdoxa*, die noch im Innersten dessen wohnt, was sich den Anschein des ganz Unerschütterlichen gibt. Natürlich wird auch das »Wesen« des Denkens und des Seins fraglich, in einer tieferen Region aber auch das »Wesen« ihrer Zusammenfügung, welche nicht notwenigerweise oder ipso facto, auch nicht auf dieser tiefen Ebene, sich als genialisch verschobene symbolische Tautologie vollziehen muß. Sollte es eine ursprüngliche Differenz zwischen dem Konstituierenden und dem Konstituierten geben, zwischen der durch die ontologische Sorge wieder eingebrachten Faktizität auf der Suche nach dem Sein als authentischem Sein des Selbst einerseits und der immer schon vollzogenen, gegenüber der ersteren nichtigen Faktizität andererseits, wie kann sich dann diese Differenz ausspielen, wenn nicht durch einen Rückgang auf einen immer schon vorausgesetzten und im Grunde als vorgängig zurückgeworfenen Ursprung? Wie kann man, anders gesagt, den Rückgriff auf das ontologische Argument vermeiden, mag es auch wie bei Heidegger in seiner feinsten Form gefaßt sein? Mit der Infragestellung des »Wesens« des Denkens und des Seins (des Existierens) wird zuerst die symbolische Zirkularität fraglich, welche deren eigene Identität mit sich selbst dadurch herstellt, daß sie eines mit dem anderen identifiziert. Wir haben schon das Problem dieser Identifizierung festgestellt: Bei Husserl scheint sie sich, allerdings über die »Umkehrung« des phänomenologischen Blicks, auf die Inhalte zu beziehen – was bekanntlich nicht wenige Probleme verursacht, z.B. was genau die Welt vom Weltphänomen, was die psychologische Subjektivität von der transzendentalen Subjektivität unterscheidet usw. Dies scheint weder auf Descartes noch auf Heidegger zuzutreffen, die in dieser Hinsicht radikaler sind. Beide scheinen Denken und Sein in ihrer ursprünglichen Inchoativität aufzufassen, unabhängig von ihrem Inhalt. Diesem Anschein gegenüber ist allerdings Mißtrauen angebracht, da die fak-
101 tizielle Selbst-Apperzeption bei Descartes durch das bevorzugt ist, was sie an Klarem und Deutlichen im Verstand gewinnen kann – diesen Vorzug verschafft ihr offenbar der eingeschlagene Weg zur Wissenschaft –, außerdem wird der Inhalt der Begriffe oder Ideen unmittelbarer und selbst-transparenter als die sinnlichen Inhalte aufgefaßt, was bis zu jener Idee des unmittelbar auf sein Wesen hin durchsichtigen Gottes führt, der als der Ort gilt, an dem die symbolische Tautologie der Sinngehalte des Denkens und des Seins, also gewissermaßen das »Wirkliche« des Denkens und Seins, auftaucht oder erscheint. Und auch bei Heidegger ist dieses Mißtrauen angebracht, da bei ihm Denken und Sein ihre wahrhafte, »eigentliche« und »wahrhaftige« Dimension nur im Horizont des Seins-zum-Tode erhalten, der sie zu ihrer eigensten Möglichkeit zurückführt und sie dabei mit einem ontologischen Gewicht überfrachtet, das zwar im Verhältnis zur ontischen Prägung oder Aufladung zweiten Grades ist, sich aber während der wahrhaften, eigenen oder »eigentlichen« Zeitigung in Inhalten konkretisiert findet, ohne daß bekanntlich – und das ist bedeutsam – Heidegger jemals genauer festzustellen unternimmt, was diese Konkretisierungen von den uneigentlichen der Alltäglichkeit zu unterscheiden erlaubt: man findet sich hier in ungefähr der gleichen Situation wieder wie bei Husserl. Alles kommt tatsächlich, wie wir hervorgehoben haben, darauf an, daß die Faktizität als Faktizität untrennbar von ihrem Sinn ist, und daß dieser Sinn selbst nur konkret sein kann – Heidegger hebt dies bekanntlich oft genug hervor, aber auf eine vielleicht ebenso »abstrakte« Weise wie Husserl. Die Zirkularität des ontologischen Simulacrums besteht nun darin, daß es nach ihm der Faktizität zukommt, sich zu begegnen, aber vor allem sich selbst zu empfangen. Nun kann man allerdings nicht sagen, daß bei Heidegger dieser Empfang eindeutig wäre, weil er der Empfang eines untilgbaren In-der-Schuld-Seins des Daseins* ist, das hinsichtlich seiner ins Ganze seiner Möglichkeiten eingefügten eigentlichsten Möglichkeit sich faktizell vollzogen hat, wobei nun das Dasein* selbst in seiner eigenen Sorge, wahrhaft zu denken und zu sein, ins Spiel gebracht wird: das Selbst muß sich entscheidend und entschieden stiften, wobei aber Sorge um sich und Selbsthaß in eine instabile Nähe – nicht zur Identität – gebracht werden. Dennoch spielt das Simulacrum sich noch »voll auf«, denn durch diesen zumindest problematischen Empfang des Selbst erkennt sich meine Faktizität als (die) Faktizität wieder. Die späteren Texte kommentierend könnte man sogar sagen: wenn das Sein meine Faktizität zu empfangen hat, dann empfängt es diese wie jede Faktizität, d.h. als Faktizität des Daseins* selbst in seiner tiefstgründigen Neutralität, in der Anonymität seines Selbst, das das Wesen des Menschen nur noch aufnimmt. Da also die Faktizität eigentlich von ihrem Sinn untrennbar ist, vollzieht sich in der Zirkularität des ontologischen Simulacrums immer auf wirksame, aber mal eher verborgene, mal eher offensichtliche Weise ein erschlichenes und umkehrbares Gleiten der faktiziellen Form des Existierens zu seinem Sinn, d.h. zu seinem konkreten Gehalt. Weil ich immer schon, wenn auch nur dunkel, weiß, was Denken und Sein ist, lassen mich der hyperbolische Zweifel oder die Möglichkeit meines Todes in meinem Denken und Sein nur in einem Pulsieren des unfaßbaren Augenblicks der Vernichtung schwanken. Ich finde mich, wie wir sagten, vielleicht nicht als derjenige wieder, der ich war und als derjenige, der ich sein werde, aber ich finde mich sehr wohl in der Form wieder, denn nachdem ich durch den Feuerkreis des Schwankens gegangen bin, der meinen Tod aufflackern ließ, werde ich mir rätselhafterweise in meinem Denken und meinem Sein besser bewußt, als ich es vorher zu sein glaubte – wobei in diesem Stadium ein solches Wissen offensichtlich nicht der Ordnung der
102 Erkenntnis angehört. Kurz, damit ich mir in meiner Faktizität erscheinen konnte, habe ich mich enthüllt. Aber ich konnte es nur deshalb tun, weil das, als was ich mich beim Erscheinen in meiner Faktizität enthülle, irgendwie schon war und irgendwie noch sein wird. In einer solchen vermeintlich aus der Lebendigkeit genommenen Koinzidenz des Seins-Denkens und seinem Schein, d.h. auch des Seins-Denkens und seinem Sinngehalt ist das Simulacrum in der Tat ontologisch. Was ist also dafür verantwortlich, daß ich in ihm gleichermaßen das Selbst des Ich und den Schein und Gehalt des Sinns wiedererkenne? Sollte die Faktizität als sich selbst empfangende zirkulär bestimmt sein, könnte dann nicht auch der Schein und Gehalt des Sinns der Faktizität sich selbst vorausgesetzt haben? Vielleicht ohne notwenigerweise zu erscheinen, also als Idee des Scheins und Gehalts des Sinns? Und ist diese Idee etwas anderes als eine transzendentale Illusion? Mit dem »nicht notwendigerweise« berühren wir in der Tat die Möglichkeit des Scheins, nicht als eine logische, weil es sich um die Möglichkeit einer Faktizität handelt, sondern als die ontologische eines Seinssinns, die dennoch nur, ganz wie bei Aristoteles, von der vollzogenen Aktualität meiner Faktizität her als solche gedacht wird – was die Bewegung der Möglichkeit als Entelechie ihrer Vermöglichkeit als solcher (Pato¢ka) zu denken offen läßt. Diese Möglichkeit entspricht selbst der faktiziellen Form des Existierens, die dazu neigt, sich von ihrem Sinn abzuheben. Das ist geradezu so, als ob im Simulacrum die Möglichkeit sich als »reine Möglichkeit« oder als »eigenste Möglichkeit« von dieser oder jener Faktizität (von irgendeiner Welt in irgendeinem In-der-WeltSein) abhöbe, also als ob die Möglichkeit, wie bei Heidegger, sich verdoppelte in die Möglichkeit der Möglicheit, in den Schein des Scheins oder in die faktizielle Form des Existierens, die wie eine Matrix jede konkrete Faktizität mit ihrem Sinn empfangen könnte. So sieht die Zweideutigkeit aus, die das Simulacrum ausmacht. Sie besteht zwischen dem allgemeinen Schein und dem Schein der sich selbst erscheinenden (oder sich selbst zu erscheinen glaubenden) »transzendentalen Subjektivität« oder des Daseins* mit ihrer faktiziellen Jemeinigkeit* – oder des Gleitens der faktiziellen Form des Existierens zu dessen jeweils konkretem Sinn. Man könnte sagen, daß diese faktizielle Form des Existierens, die Möglichkeit als reine Möglichkeit der Möglichkeit oder der Schein des Scheins – wie in einem bestimmten Sinn bei Husserl und bei Heidegger – eigentlich nichts anderes ist als die reine Form der Phänomenalität, welche allein die Faktizität zu ihrem Status des Phänomens zu bringen vermag. Aber das ganze Problem des Gleitens, also des ontologischen Simulacrums, liegt darin, daß diese reine Form selbst eine phänomenale Form annehmen und sich sowohl bei Husserl als auch bei Heidegger als ursprüngliche oder authentische Zeitlichkeit phänomenalisieren soll. Bei näherem Hinsehen kann aber diese Zeitlichkeit niemals etwas anderes sein als ein Simulacrum der Zeitlichkeit, nämlich die Husserlsche »lebendige Gegenwart« oder bei Heidegger die »Wiederholbarkeit des Augenblicks« als eine Form, die durch das pulsierende Hineinschwingen des Todes das Vorher und Nachher des faktiziellen Gegenwärtigen als ein »Vorher« und »Nachher« empfangen kann, das der Faktizität die Identität zumindest ihres Seinssinns garantieren kann. Zweifellos wird dadurch die Gefahr sehr groß, die Faktizität und ihren Seinssinn in Idealität zu verwandeln, d.h. in die Idealität eines von seiner Tatsache abgehobenen Sinns. Nichts garantiert letztlich selbst bei Heidegger, daß nicht die existentialen Strukturen der Sorge für einen ausschließlich theoretischen Blick in Vorhandenheit* umgewandelt werden. Das war der »Sündenfall« L. Binswangers in der Daseinsanalyse*, aber was auch immer Heidegger gewollt haben mag, seine »Methodologie« schließt jedenfalls diesen Fehler nicht aus,
103 auch wenn er nicht direkt in Sein und Zeit* vorkommt. Der eigentliche Mangel der existentialen Analytik des Daseins* besteht darin, ein Denken ohne Methodenlehre*, also ohne Architektonik zu sein. Das muß nachträglich damit bezahlt werden, daß die ursprüngliche Zeitlichkeit, die mit Grund als solche unzugänglich ist, alle Kennzeichen eines »anschaulichen Verstandes« zweiten Grades20 annimmt, also der insofern transzendentalen Illusion, als sie für ursprünglich gehalten wird und nicht den Status eines architektonischen Horizontes hat. Dem ist hinzuzufügen, daß für uns die transzendentale Illusion darin liegt, der Phänomenalität selbst den Status des Phänomens zu gewähren (was Kants konstitutive transzendentale Illusion mit der rationalen Kosmologie verbindet, wo die »Idealität« des Raums und der Zeit erschlichenermaßen in ihre »Realität« verwandelt wird). Daß sich die Faktizität über dem Selbst und seiner Jemeinigkeit* schließt, geht einher mit der Verengung der Phänomenalisierung auf die Zeitlichkeit, die sich vermeintlich als Ursprüngliche von sich aus zeitigt (sich phänomenalisiert). Und zwischen meiner Faktizität und der Faktizität besteht die gleiche Zweideutigkeit wie zwischen der Zeitlichkeit, in der ich mich immer schon gezeitigt entdecke, und der ursprünglichen Zeitlichkeit, die aus den Tiefen ihrer Anonymität (die eigentlich erhaben sind, weil aus ihnen »meine« Vernichtung kommt) vermeintlich derjenigen Zeitigung vorausgeht und sie in ihrer Zeitigung (zumindest für uns Philosophen) möglich macht, in der ich mich entdecke. Es gibt eine unaufhebbare Spannung, die zwischen Heideggers existentialer Gliederung der drei Ek-stasen der Zeit, zwischen Husserls in die Zeitlichkeit* hinüberfließende Vorzeitlichkeit*,21 und dem Ort besteht, an dem die Selbstheit des Ich oder des Daseins* sich in der Zeitigung und ursprünglichen Zeitlichkeit verankern soll. Und immer mehr hat Heidegger zumindest im Gedanken des Ereignisses die Faktizität als eine solche begriffen, wobei das Ereignen* vermeintlich sich jeweils das Wesen* eines Selbst aneignet oder entstehen läßt. Dies geht aber offenbar auf Kosten jeder Faktizität als konkrete Jemeinigkeit*, während das Rätsel in diesem Stadium das der Angliederung der Faktizität an meine Faktizität bleibt – ich bin es ja der denkt und ist, und nicht einfach das Sein oder der Andere in mir. Man könnte sagen, daß mit der reinen Zeit als vermeintlich phänomenaler Form oder Matrix der Faktizität als Phänomen – und wie wir gesehen haben Sprachphänomen –, daß mit der Zeit als reiner Möglichkeit der eigenen Möglichkeit zur Faktizität, d.h. als Sinnmatrix für jeden möglichen Sinn, und uni-forme Sinnmatrix (die drei Ek-stasen der Zeit oder die lebendige, mit ihren Protentionen und Retentionen versehene Gegenwart), die transzendentale Illusion der Faktizität vorliegt, das rein Mögliche, das als solches aus der Aktualität eines vollzogenen Möglichen ausgeschaltet wurde und das in seiner reinen Möglichkeit wirklich nur als Bewegung gedacht werden kann, dessen faktizielle gezeitigte Zeit wie bei Aristoteles die »Zahl« wäre. Die transzendentale Erschleichung liegt im Gedanken, daß diese Bewegung, deren Status sehr rätselhaft bleibt, noch oder schon der Zeit angehört, sozusagen als reine Zeit vor der konkreten und faktiziellen Zeit. Descartes war in einem allerdings anachronistischen Sinn »phänomenologischer« als Husserl und Heidegger, als er die durch das faktizielle Auftauchen des Cogito eingeführte Diskontinuität dachte und die Zeit als Form der »Phänomene« nur durch die andauernde göttliche Schöpfung »vereinnahmen« konnte – wir werden sehen, daß man, hier wie auch sonst, sich nicht durch die scheinbar recht »metaphysischen« Begriffe täuschen lassen soll. Vieleicht berühren wir damit aber eine recht »historische«, d.h. noch nicht wirklich architektonische Form des ontologischen Simulacrums. Die ursprüngliche oder reine Zeit vor der konkret-faktiziellen (die immer gewissermaßen von der Uneigent-
104 lichkeit, also von der Faktizität im geläufigen Sinn affiziert ist), ist vielleicht tatsächlich eine schon besondere Gestalt der Phänomenalität als transzendentale Illusion des Phänomens, eine Gestalt, in der eben der Sinn der Faktizität sich zu sehr – in diesem Exzeß liegt die Illusion – von seiner Form trennt: er schwebt dort noch wie das Phantom des Logisch-Eidetischen, in dem das Auseinandergehen in der Absonderung von Tatsache und Wesen vollzogen wird. Aber dies stellt sozusagen einen Fall dar, in dem die Retrojektion/Projektion der transzentalen Illusion besonders deutlich erscheint, überdies in ihrer unmittelbaren Beziehung zur Immanentisierung jeder Faktizität – die des Daseins*, in dem potentiell all die ontologisch-existentialen Möglichkeiten enthalten sind, oder bei Husserl die der »transzendentalen Subjektivität«, in der sich alle konstituierend-transzendentalen Vermöglichkeiten befinden. Infolgedessen erscheint nicht weniger klar in der Gestalt des (transzendentalen, existentialen) solus ipse, daß jede andere faktizielle (existentiale, transzendentale) Möglichkeit nur von meinen faktiziellen (existentialen, transzendentalen) Möglichkeiten her Sinn gewinnen kann, also gemäß der Tiefe meiner Befragung über mich selbst, über mein Denken, mein Sein und die Welt in ihrer Jemeinigkeit*. Damit kann jede andere Faktizität, jedes andere Phänomen in seiner Faktizität nur einen zumindest durch das Phänomen meiner Faktizität vermittelten Sinn haben, der mich glauben läßt, daß ich in meiner Entsprechung zur Welt im In-der-Welt-Sein mir selbst erscheine. Im ontologischen Simulacrum gelange ich auf rätselhafte Weise niemals dazu, mich zu fragen, ob die faktiziellen Möglichkeiten, in denen ich mich selbst als immer schon geworfen entdecke, ihren Ursprung nicht auch von anderen Faktizitäten haben könnten, d.h. auch von anderen Welten mit ihrer eigenen Jemeinigkeit*, und zwar stellt sich diese Frage deshalb nicht, weil dem Simulacrum zufolge der Empfang dieser Faktizitäten immer schon von vornherein durch die vermeintlich phänomenale oder scheinhafte Form der Phänomenalität bedingt erscheint, die selbst zirkulär der »transzendentalen Subjektivität« oder dem Dasein* innewohnt. Wenn man nun bedenkt, daß bei Husserl, zumindest der Tendenz nach, der Gedanke der transzendentalen »Intersubjektivität« niemals etwas anderes war als die Bemühung, die interfaktizielle Begegnung und den interfaktiziellen Empfang zu denken, und daß bei ihm entsprechend die vermeintlich phänomenale oder erscheinende Form der Phänomenalität eher auf Gott als Vermögen des Empfangs der vielfältigen Faktizitäten (der transzendentalen Monaden) übertragen wurde, wird zugleich bewußt, daß Hussel sich zumindest die Frage einer phänomenologischen Pluralität von Welten (von Faktizitäten mit ihrer Jemeinigkeit*, also ihrer Welt) stellt, und daß vielleicht umgekehrt der Gedanke, der im ontologischen Simulacrum (und in der entsprechenden symbolischen Tautologie) wirksam ist, schon darauf hinausläuft, die unendlich komplexe Phänomenalität durch Implosion in einer einzigen Matrix zu verdichten, die nun nichts mehr von der unaufhebbar monadischen Zeit vor der Zeit hätte, weil sie ursprünglich Phänomenalität einer phänomenologischen a priori unbestimmten Vielfalt von Welten wäre, d.h. von Faktizitäten oder von den von uns so genannten WeltPhänomenen. Die Frage der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché als Epoché des ontologischen Simulacrums in seiner architektonischen Struktur ist also zugleich die Frage nach dem Zugang zu dieser phänomenologischen Vielfalt und zu den ebenso komplexen wie vielfältigen Formen ihrer Phänomenalität, wobei man sich bei Strafe der transzendentalen Illusion davor hüten muß, diese Formen auf ein Phänomen oder auf ein Erscheinendes zurückzuführen, auch wenn sie der gleichen Illusion gemäß als »ursprünglich« deklariert würden. Unter methodologischem, also auch unter ar-
105 chitektonischem Gesichtspunkt sind zwei im Grunde komplementäre Wege möglich: der erste von uns schon eingeschlagene,22 dem aber noch weiter nachgegangen werden müßte, besteht darin, den Husserlschen Gedanken der »Intersubjektivität« in seiner Beziehung zur Problematik des Leibes und der Verleiblichung (Leib*, Leiblichkeit*, Leibhaftigkeit* usw.) von Grund auf mit seinen scheinbar unauflösbaren Aporien wieder aufzugreifen; aber dieser erste Weg kann gewissermaßen nur im Zickzack mit dem zweiten verfolgt werden, der darauf ausgeht, so weit wie möglich die Befragung der Phänomenalität um ihrer selbst willen weiterzutreiben. Diesen Weg haben wir in unseren Arbeiten eingeschlagen, von den Recherches phénoménologiques bis zu La crise du sens et la phénoménologie. Im Bewußtsein von der Notwendigkeit des Zickzack zwischen den beiden Wegen werden wir im folgenden den zweiten aufnehmen, wobei wir uns dabei auf Grundlagen stützen, die das Zickzack als sehr viel weniger »spekulativ« erscheinen läßt. Der Struktur des ontologischen Simulacrums haben wir entnommen, daß die reine, ursprüngliche oder echte Zeitlichkeit nur die sozusagen monadische – das Ganze in der Monade vereinnahmende – Gestalt der für es konstitutiven transzendentalen Illusion ist. Davon haben wir in unseren Arbeiten bisher nicht ausdrücklich gesprochen, weil wir, wengleich es uns lange Zeit nicht deutlich genug bewußt war, uns immer bemüht haben, vom ontologischen Simulacrum in seiner allgemeinsten architektonischen Struktur auszugehen, was, wie uns durchaus bewußt ist, dazu geführt hat, daß unsere Ausführungen sehr schwierig und anscheinend höchst abstakt wurden. Wir vermuten nun, daß es noch andere, vielleicht selbst noch nicht historisch entfaltete mögliche Gestalten der gleichen transzendentalen Illusion gibt, zumindest gemäß den verschiedenen Modalitäten erschlichener Umwandlungen der Phänomenalität in Phänomene und dementsprechend von nicht weniger erschlichenen Vor-Auffassungen des Phänomens selbst. Daß diese Modalitäten selbst faktiziell sind, ist uns gerade zu denken aufgegeben. Die »Sache selbst«* der Phänomenologie ist, wie wir nun wissen, die Faktizität mit dem ihr unablösbar zugehörenden Sinn, wobei das »selbst«* der »Sache«* genau diese Ungeteiltheit bedeutet. Die transzendentale Illusion tritt also auf, sobald diese Ungeteiltheit verfehlt wird, diese sich aber in der selbst-vermittelten und selbst-vermittelnden Zirkularität des ontologischen Simulacrums wiederzugewinnen sucht. An dieser Zirkularität zu zweifeln, sie »auszuschalten«, bedeutet nun aber, am »Wesen« des Denkens und des Seins, auch am »Wesen« »meiner«, wenn nicht gar der Faktizität zu zweifeln. Schon beim Denken der reinen, ursprünglichen oder eigentlichen Zeit weiß ich, daß ich eine Illusion des Denkes verfolge, weil ich nur eine Illusion denke – eine Illusion, zu deren »Natur« es gehört, »mich« im gleichen Moment zu besitzen, in dem »ich« sie zu besitzen glaube. Man muß also schon in der Hyperbel, die wir als phänomenologische Epoché vorschlagen, bis zur Möglichkeit der Illusion des Denkens gehen – die insofern, als sie im Verhältnis zu der von Kant gedachten transzendentalen Illusion eigentlich zweiten Grades ist, einer neuen »Art« angehört. Entsprechend wäre auch bis zur Möglichkeit der Illusion des Seins zu gehen. Im Grunde finden wir gerade auf diesem Weg die allgemeinste architektonische Struktur des ontologischen Simulacrums, so wie wir sie seit unserer 2. Recherche phénoménologique ausgearbeitet haben: Es kennzeichnet die Struktur des ontologischen Simulacrums, sich in einer Darstellung* seiner selbst als den (untrennbar Phänomen und Illusion des Phänomens vereinigenden) Schein der Erscheinung seiner selbst zu präsentieren und anzubieten, und zwar als genau diesen Schein als dem Ort der Phänomenalität jeden Scheins. Da er ja sich notwendig und sogar in seinen Er-
106 scheinungsweisen (welche auch Seinsweisen sind) auf genau diesen Schein, bezieht, ist er um nichts weniger jeder (mögliche) Schein von »genau diesem Schein«. Mit dieser in »jedem Schein« liegenden Allgemeinheit wird in das Simulacrum die Dimension des Äußeren eingeführt und damit auch das, wodurch eben dieses Äußere zumindest den phänomenologischen Status des Scheines annehmen kann. Das Rätsel des Simulacrums besteht also in Folgendem: dadurch, daß es sich selbst als Schein erscheint, also als Faktizität mit all ihren möglichen Illusionen scheint und dieselbe zu empfangen scheint, öffnet es zugleich auf die Phänomenalität jedes möglichen Scheins. Nun kann, wie wir gesehen haben, diese Phänomenalität nicht selbst den Status des Scheins annehmen ohne sich zugleich in transzendentale Illusion zu verwandeln, in den Schein des Scheins, der die Faktizität in ihren Sinn und ihre Form zerlegt – mit jenem Korrelat des Idealismus, wonach der Begriff (die Form) des Phänomens dem Phänomen vorausgeht und allein es hervorzubringen vermag. Das Gleiten der Form des faktiziellen Existierens zu seinem Sinn, als transzendental erschlichenes Gleiten einer Vor-Begrifflichkeit des Phänomens zu seiner transzendentalen Illusion, welche die Form vom Sinn trennt, kann in der hyperbolischphänomenologischen Epoché folglich nur verhütet werden, wenn man a priori »gerade diesen Schein« nur als Schein betrachtet, der sich somit in seiner Reflexivität von einem dahinterliegenden Nicht-Erscheinenden abhebt, nämlich der Phänomenalität. Daß diese nun im phänomenologischen Unbewußten auf das Nicht-Denken und Nicht-Sein oder auf die unergründlichen Abgründe der Selbstheit des Sinns bezogen wird, ist im Moment unerheblich. Kurz, die hyperbolisch-phänomenologische Epoché besteht in erster Linie darin, die im Cogito in seinem weitesten Sinn abgegebene faktizielle Versicherung des Existierens als einen Schein aufzufassen, der sich im ontologischen Simulacrum so darstellt, daß er in seiner scheinbaren Absolutheit die Phänomenalitäts-Matrix für jeden Schein zu eröffnen scheint, als ob das Simulacrum die Möglichkeit zur Übertragung von Phänomenalität bereitstellte oder als ob man durch die Selbst-Erscheinung der scheinhaften Faktizität hindurchgehen müßte, um sich jeder möglichen scheinhaften Faktizität zu öffnen. Die architektonische Entdeckung, daß die Phänomenalität nicht den gleichen Status wie das Phänomen haben kann, läßt uns also eine Verbindung im Simulacrum entdecken: daß einmal dieser Schein (diese Faktizität des Existierens) nur Schein ist und daß zum anderen »dieser« Schein »genau der gleiche« Schein ist – eine Zirkularität des Empfangs der Faktizität durch sich selbst, welche so tut, als sei ihre Erscheinung die transzendentale Matrix der Erscheinung ganz allgemein. Damit ist das Gleiten der Form des Existierens zu ihrem Sinn unter phänomenologischem Gesichtspunkt auch Gleiten der Erscheinung (apparition) zum Schein (apparence), als ob – immer gemäß der gleichen transzendentalen Erschleichung – der Schein der Erscheinung des Scheins als genau des gleichen Scheins zugleich der Erscheinung selbst Schein gäbe – und damit den Sinn des Scheins auf den der Erscheinung übertrüge. Es gibt in dieser Zirkularität also eine doppelt überschießende Bewegung; vom Sinn der Erscheinung zum Sinn des Scheins und vom Sinn des Scheins zum Sinn der Erscheinung – gerade darin besteht die ungerechtfertigte Verwandlung der Phänomenalität in den Status des Scheins. Dieser Überschuß, der eigentlich ontologisch ist, weil es sich jeweils um Seinssinn handelt, muß in der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché ausgeschaltet werden. Diese bewirkt zuächst, daß der ontologische Überschuß in eine Art transzendentalen Mangel umgewandelt wird: Der Schein der Faktizität des Existierens ist nämlich nur Schein, wobei das »nur« die Einschränkung oder den Mangel ausdrückt, insofern
107 dieser Schein eben nur in sich selbst reflektiert wird. Damit ist zwar die Faktizität des Existierens auf sich selbst verwiesen und sie scheint deshalb um so mehr als ungeteilte »Masse« der »Sache selbst«, aber sie verliert zugleich ihre ontologische »Magie«, droht als eine nur reine Tatsache zu erscheinen (zum Beispiel: ich bin sterblich, und erfahre dies sogar in meinem Leben, weil ich nicht immer denke). Als reine Tatsache ist sie tendenziell von ihrem Erscheinen und damit auch von ihrem Denken und Sein abgeschnitten. Die ganze »Magie« oder Eindringlichkeit des ontologischen Simulacrums entsteht also aus dem Spiel dieses zweifach ontologischen Überschießens des Sinns des Scheins zum Sinn der Erscheinung und vom Sinn der Erscheinung zum Sinn des Scheins, von dieser zweifachen Übertragung des Sinns, welche vielleicht – jenseits seiner eingeführten begrifflichen Formen – die phänomenologische Matrix des ontologischen Arguments ist. Aber umgekehrt läßt uns die Hyperbel der Epoché begreifen, daß auch beim Untersagen jeder Sinnübertragung die Faktizität nicht weniger auf ihre Spaltung zurückgeworfen wird, diesmal zwischen Tatsache und Sinn – in Heideggerschen Begriffen: zwischen der Nichtigkeit* des schon entworfenen Ent-wurfs und der eigensten Möglichkeit. Die zu weit geführte Hyperbel stürzt uns in die Nichtung von allem, was in den bis zum Äußersten getriebenen hyperbolischen Zweifels gerät. Also anstatt das Cogito in seinem weitesten Sinn gleich als bloße Illusion zu bezeichnen, sollte man vielmehr als richtiges Ergebnis der hyperbolischen Epoché zunächst festhalten, daß es sich im Cogito so verhält, als ob die Faktizität, die in ihrem Schein als ihrem Ursprung erscheint, sich zugleich den Anschein gibt, Ursprung allen Scheins oder aller Faktizität zu sein. Im Grunde kommt die konstitutive transzendentale Illusion des ontologischen Simulacrums daher, daß das Phänomen der Faktizität sich dermaßen in einem zirkulären und ausschließlichen Verhältnis zu sich selbst (daher der Solipsismus) verselbständigt sieht, daß es in diesem Exzeß Gefahr läuft, nur als tranzendentaler Schein ohne Erscheinung zu erscheinen mit dem eigentümlichen Paradox, anscheinend für jedes Phänomen außer dem Phänomen dieser Faktizität die Phänomenalitäts-Matrix zu liefern. Das bedeutet, daß im ontologischen Simulacrum sehr fein gegliederte phänomenologische Zusammenhänge eingebunden oder verdichtet sind, die nun entfaltet werden sollen. Mit anderen Worten: im gleichen Maße, wie das ontologische Simulacrum sich als die transzendentale Matrix zur Übertragung der Phänomenalität ihres Scheins auf die Phänomenalität jedes Scheins darstellt, so scheint auch die in ihm vollzogene Übertragung seines Erscheinens zu seinem Schein (und umgekehrt) von der gleichen tranzendentalen Illusion herzurühren. Die Zirkularität des ontologischen Simulacrums ist »doppelläufig gespannt«: vom Selbst-Erscheinen zum Schein dessen, als was es erscheint, und von daher zum Erscheinen jeden Scheins, der prinzipiell diesem Selbst-Erscheinen zugeordnet ist, und von daher wiederum zum Schein jeden Scheins – wobei jeder Schein seinerseits als mehr oder weniger nahe oder entfernte Version des Selbst-Scheins im Selbst-Erscheinen scheinen kann. Deshalb haben wir in unseren Recherches phénoménologiques gesagt, daß sich letztlich jedes Phänomen als ontologisches Simulacrum darstellen kann, was Heidegger auf seine Weise mit dem Gedanken des Ereignisses* erfahren hat: während das Ereignis* für uns eher den Status des Sprachphänomens hat, neigt es bei Heidegger dazu, sich als das Phänomen par excellence zu geben, in dem der Schein unmittelbar in seinem Erscheinen spielt. Seine Aletheia wird dabei zur Öffnung selbst, wie ein Cogito des Seins, das im Verhältnis zu meinem »Selbst«, das es empfangen soll, zweiten Grades ist. Dies insofern, als diese seine Aletheia sich unmittelbar in der Lichtung* auftut,
108 die ihm seine Phänomenalität zuweisen soll, die aber dadurch, daß sie sich aus dem Sein heraus »freimacht«, und durch die in ihr zurück- und vorausgreifende Reflexivität allen Anschein eines Scheins vom Sein annimmt. Es besteht für uns kein Zweifel, daß das Denken der Lichtung* auch ein ontologisches Simulacrum ist, das mit der Frage, was vom architektonischen Standpunkt aus die Lichtung* von der Illusion der Lichtung* unterscheiden könnte, selbst der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché unterzogen werden muß.23 Anstatt sich also zu fragen, ob das Äußere – welcher Art auch immer – zum Status des Phänomens nur durch das Sieb der Phänomenalität gelangen kann, durch die sich der Selbst-Schein der Faktizität vermeintlich erscheinen soll, anstatt auch zu glauben, daß die zweifache, für die Faktizität zutiefst konstitutiv zu sein scheinende Übertragung – im Überschießen des Sinns des Erscheinens zum Sinn des Scheins und des Sinns des Scheins zum Sinn des Erscheinens – ihr Modell oder ihre Matrix im Cogito (im weitesten Sinn) findet und sich folglich selbst auf jede andere Faktizität übertragen kann (und muß), sollte man ganz im Gegenteil die Auffassung vertreten, daß diese Übertragung für jede Faktizität konstitutiv ist, weil »jede« Faktizität Sprachphänomen ist. Entsprechend darf man nicht die Reflexivität, die es in jedem Sprachphänomen (in jeder Faktizität) gibt, mit der ja eigentlich symbolischen Zirkularität des ontologischen Simulacrums verwechseln. Denn diese Zirkularität ist eine nur sozusagen bis zur Abstraktion geläuterte Reflexivität, insofern sie die Form des faktiziellen Existierens vom Sinn (oder Sinngehalt) eben dieses Existierens so weit trennt, daß nun diese Form in die symbolische Tautologie des Denkens und Seins eingeht – und daß man die Sinngehalte in einer anderen symbolischen Tautologie, die ihrer klassischen Form sehr nahe ist, wieder zurückgewinnen muß. Diese Trennung geht also so weit, daß Denken und Sein »rein« werden und sich tautologisch zirkulär nur in dieser »Reinheit« identifizieren können, welche die scheinbare Form der Phänomenalität freizusetzen glaubt. Eben dadurch nimmt, ob nun bei Descartes, Husserl oder Heidegger, das Cogito als faktizielle Gewißheit des Existierens den Status ontologischer Positivität an und eigentlich den Status Gottes in der klassischen Onto-Theologie, wonach Er allein deswegen denkt, weil er ist, und ist, weil er denkt – womit allerdings, wie wir sehen werden, über die Möglichkeit eines architektonischen Status Gottes noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Aber damit und gemäß der gleichen Implosion-Kondensation sind das reine Denken und das reine Sein – die Phänomenalität – durch diese abstraktive Läuterung auch dem Leeren äußerst nah. Das ist eine besondere Spielart des hyperbolischen Überschießens, denn ich bin der Illusion des Denkens und Seins um so näher, je »reiner« mir Denken und Sein vorkommen – mit dem Paradox, daß nun in dieser dem Leeren äußerst nahen Illusion des Denkens und Seins sich die konkreten phänomenologischen Gehalte der Phänomene ansiedeln und vermehren müßten: wir stehen kurz vor dem Verschwinden der Phänomenologie. Wir müssen also in unserer Hyperbel der phänomenologischen Epoché den Status dieser »Reinheit« und dieser »Läuterung« und den entsprechenden Status der Abstraktion der Reflexivität in der Zirkularität befragen. Diese Hyperbel hat uns bereits erlaubt, zwischen Erscheinung (Erscheinen) und Schein zu unterscheiden, zwischen dem Sinn der Erscheinung (des Erscheinens) und dem Sinn des Scheins, und zwar aufgrund der notwendigen architektonischen Unterscheidung zwischen Phänomenalität und Phänomen. Diese entspricht nun umgekehrt dem »Denken« des Phänomens nur als Phänomen, und gerade darin ist die Hyperbel der Epoché noch phänomenologisch. Was aber kann dies bedeuten, wenn wir wegen der illusionieren-
109 den Wirkung des ontologischen Simulacrums oder wegen des insbesondere dem phänomenologischen Blick verdächtig erscheinenden Cogito die Rede vermeiden wollen, daß das Phänomen (sich) ganz »von selbst« denkt? Es will nichts anderes heißen, als eben so weit wie möglich das zu denken, was sich mit der Hyperbel einstellt: wenn im bereits angesprochenen transzendentalen »Mangel« alles nur Phänomen ist, dann ist zugleich alles nur Schein, und das Denken hält sich offenbar in sich selbst, indem es sich nur an den Schein als die Reinheit des Phänomens nur als Phänomen hält. Anders gesagt: in der Hyperbel der Epoché ist das Denken, das den Platz der Phänomenalität einnimmt, nichts anderes als das »nur als« im »nur als Phänomen«. Und im Cogito ist das Denken, durch einen Sprung, den wir noch ermessen müssen, an eben dieser Stelle im Abgrund einer Identität, die als Selbstheit zu fassen ist. Heißt das, daß das Denken an nichts denken dürfte, um sich dem Phänomen nur als Phänomen öffnen zu können? Daß also die Leere, von der wir sprachen, eigentlich eher das Nichts ist? Ist aber »an nichts« denken oder an das Nichts denken noch Denken? Also noch Sein? Hat nicht Pato¢ka in der asubjektiven Phänomenologie darauf bestanden, daß das sum mit konkreten phänomenologischen Gehalten ausgestattet ist (und umgekehrt)? Und kann, falls das »reine« Denken sich ans Nichts halten könnte, es sich damit schon selbst erscheinen, d.h. seinen eigenen Schein erwecken? Bedeutet nicht eine bejahende Antwort auf diese Frage, wiederum Opfer einer transzendentalen Erschleichung zu werden, indem man die Phänomenalität durch das Denken der Phänomenalität ersetzen zu können glaubt und sie in Schein verwandelt? Anders gefragt: ist das Denken, das sich nur an das Phänomen und nichts anderes hält, etwas anderes als nur die Illusion des Phänomens nur als Phänomen, wobei der illusionäre Charakter das Phänomen in Schein verwandelt? Es drängt sich nun folgende Feststellung auf: wenn man die Hyperbel so weit treibt, daß das Denken nur noch das »nichts als« des Phänomens wäre, dann könnte dieses »nichts« nicht mehr widerspruchsfrei die Reflexivität des Phänomens sichern – dieses »nichts« ist nur die unsichtbare Distanz des Phänomens zu sich selbst. Ginge man aber davon aus, übertrüge man nur – wie im ontologischen Simulacrum – in das »Selbst« der »Selbst-Erscheinung« des Nichts die Schwierigkeit einer Reflexivität, die so in ihrer Form rein sein soll – das Denken gewönne Schein und Sein aufgrund seines »Nichts«. Andererseits und entsprechend gäbe das Phänomen im Schein alle Differenzierungen auf, in der abstrakten Form, die dem »x als x« oder dem »x nur als x« entspricht, in der »x« ebensogut Begriff, Idee, Glaubensinhalt wie Phänomen sein kann. So ist es wohl, wie wir gesehen haben, sinngemäß im Cogito, nämlich in der von uns hervorgehobenen Inchoativität des Denkens. In der Hyperbel nimmt also tatsächlich das Denken selbst Schein an, und was auf den ersten Blick als nicht-phänomenologisch erscheint, gewinnt offenbar einen phänomenologischen Status. Aber die Illusion besteht eben darin, daß in dieser Indifferenz der Schein das Phänomen zuerst zu verschlingen scheint, um ihm dann unweigerlich als vorausgeworfener Schatten eines noch umzusetzenden Idealismus vorauszugehen, sei dieser auch transzendental. Die im Cogito vollzogene Abstraktion der Form des faktiziellen Existierens besteht in der Ansicht, daß diese Vorgängigkeit eines a priori in das Sein selbst eingeschrieben sei, ja daß sie in ihrer a priori Strukurierung für eine »Fundamentalontologie« konstitutiv ist, weil sich vermeintlich gerade da der Seinssinn entscheidet. Man hätte nun allzu leichtes Spiel mit der Behauptung, daß diese Strukturierung uns immer schon in einer »transzendentalen« Vergangenheit vorausgeht, die uns immer schon entgangen ist, aber dennoch über die zeitigenden Strukturen der
110 faktiziellen Existenz wiedergefunden werden kann: das hindert aber nicht, daß es gerade darum geht, diese ursprüngliche Vergangenheit im »eigentlichen« Existieren, das im sozusagen »eigentlichen« Cogito wiedergewonnen wird, (wieder) ins Spiel zu bringen. Dabei wird leicht vergessen, daß der Einsatz der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché im Denken des Phänomens nur als Phänomen besteht, d.h. es in dem scheinbaren Nichts seiner Phänomenalität zu denken, welche nicht das Nicht oder Nichts »überhaupt« ist. Das bedeutet, daß das Denken aus dem scheinbaren Nichts des Denkens in seinen Scheingebilden – in dem also alle »Gehalte« des Denkens vermengt sind – doch ein Denken von seiner transzendentalen Illusion her ist, von dem her, was das Denken des Phänomens nur als Phänomen von dem Aposteriori der Faktizität aus in das Apriori seiner Bedingungen der Möglichkeit zurückwirft. Charakteristisch ist nun, daß diese letzteren sich in die Inchoativität des Denkens hineinmengen – Descartes braucht durch die Analyse des Wachsstückes notwendig das Kriterium der Klarheit und Deutlichkeit in der Selbst-Apperzeption des Denkens – und daß ihre Entwirrung nur durch eine Orientierung des Denkens innerhalb des Feldes der symbolischen Stiftung ermöglicht wird. Damit bleibt zwar der Hiatus zwischen a priori und a posteriori gewissermaßen zwischen Schein oder Illusion und Phänomen, aber die illusionierende Wirkung des ontologischen Simulacrums besteht eben in der Gefahr, ihn blind zu überspringen, in der blinden Bestimmung – damit Vor-bestimmung – des Phänomens durch Illusion oder Schein und der Phänomenalität durch ihr erschlichenes, aus der Begrifflichkeit stammendes Substitut. Andererseits kann dann die Hyperbel diese Erschleichung leicht ausschalten und die transzendentale Illusion des Phänomens in der unentwirrbaren Vermengung seiner Inchoativität betrachten, welche von sich aus eine ausschaltende Wirkung hat. Ausschließlich hier nimmt die transzendentale Illusion des Phänomens einen phänomenologischen Status an, weil sie sich als solche in der transzendentalen Retrojektion »hypostasiert«, u.z. sowohl als der nur angenommene (im »als ob« modalisierte) Ort des reinen Denkens des reinen Phänomens, als auch als Illusion dieses faktiziell umgesetzten Phänomens, aber als Phänomen, also mit der Ausschaltung seines »dieses«, wodurch es der Individuation seiner Faktizität beraubt wird. Das ist nun zu erläutern. Das reine Denken als Denken des Phänomens nur als Phänomen nimmt durch das Ausschalten jeder phänomenologischen Bestimmtheit der Faktizität, einschließlich der, welche sie vor allem an eine Selbstheit zu binden scheint, den Platz der Phänomenalität und damit den »Ort« ihrer unentwirrbaren Verflechtung ein. Deshalb scheint in der gleichen Bewegung dieses reine Denken, indem es selbst in seiner Selbst-Apperzeption Schein annnimmt, dem Phänomen als dieses Phänomen, das es in sich selbst zu denken meint, vorauszugehen und zugleich die davon eigentlich erst nachträglich – nach seiner Begegnung und nach seinem Empfang – zurückgewandte Illusion zu sein, wodurch das Denken dem Phänomen Selbstheit zu verleihen und es zugleich auf seine Phänomenalität zu verweisen scheint, die es mit gleicher Geltung wie jedes andere Phänomen (jede andere Faktizität) erscheinen läßt, im Abstand von dem Schein, den das Denken in seiner SelbstApperzeption annimmt. Damit finden wir, nun fester in der phänomenologischen Bewegung der hyperbolischen Epoché verankert, das Pulsieren wieder, von dem wir schon als dem Pulsieren des Selbst gesprochen haben, das aus der reinen Reflexion der Form des faktiziellen Existierens hervorgehen soll. Letztlich pulsiert dieses Selbst als Ipse, welches das Denken und das Sein halten soll, in der Hyperbel der Epoché, insofern es nach seiner Eklipse wieder aufzutauchen scheint. Zwar wird
111 durch die Hyperbel die Erschleichung einer Übertragung des (Seins-)Sinns des Selbst auf andere Phänomene ebenso wie – als seine subtilere Wurzel – die Erschleichung einer blinden Vor-bestimmung des Phänomens durch seine transzendentale Illusion innerhalb der Selbst-Apperzeption des Denkens aufgehoben, aber der Hiatus zwischen Phänomenalität und Phänomen bleibt in dieser Hyperbel dennoch bewahrt, nun allerdings zwischen faktizieller Selbstheit des Ego und des seiner Jemeinigkeit* Angehörenden einerseits und der Reflexivität des Phänomens (der Faktizität) andererseits, die, um Reflexivität zu sein, eine Selbstheit mit sich führen muß, die sich nicht notwendigerweise mit der ersten vermengt – die Hyperbel läßt also die cartesianische Gestalt des Denkens und des Seins eines Anderen auftauchen. Das Ego und das seiner Jemeinigkeit* Zugehörende ist also schon von der Vernichtung, vom Tod bedroht, und so gesehen ist sicherlich der »Moment« der hyperbolischphänomenologischen Epoché der »Moment« des phänomenologischen Erhabenen. Und das ontologische Simulacrum besteht genau in der Illusion, daß die Reflexivität des Phänomens in seiner Phänomenalität aus diesem Pulsieren des Todes nur durch die vemeintlich reine Reflexivität eines Ego wiederhergestellt werden könnte, das sich dabei in sich selbst wiederfindet, als letztes Bollwerk oder Mittel gegen das, was doch unweigerlich als die ursprüngliche phänomenologische Anonymität des Phänomens nur als Phänomen erscheinen muß. Entsprechend bleibt zu denken, wie diese trotz allem Anschein eigentlich kaum phänomenologische Reduktion oder wie das Verschmelzen der Phänomenalität mit dem reinen Denken (und, in der durch das Cogito verschobenen symbolischen Tautologie, mit dem reine Sein) dazu führt, die Phänomenalität sowohl im Nichts verschwinden als auch – wie ein Kaninchen aus dem Hut – wieder auftauchen zu lassen, u.z. durch das im reinen Denken wahrhaft Gedachte (und durch das wahrhaft Seiende des reinen Seins mit seinen differenzierten Seinsmodi) oder zumindest als das, was im reinen Denken (im reinen Sein) sich als transzendentale-existentiale Strukturen a priori von allem Gedachten (und von allem Sein des Seienden) abhebt. Eine Vermengung von Phänomenalität und reinem Denken kann aber daraus nur folgen, wenn Phänomenalität und reines Denken, als zu behandelnde Problempunkte, in einer gleich scheinenden Inchoativität gefangen bleiben. Nun muß dieser Anschein eine zumindest architektonische Konsistenz haben, der wir nun nachspüren müssen. Wir müssen so weit wie möglich dieses zumindest scheinbare Auftauchen der faktiziellen Gewißheit, daß ich existiere, verfolgen, die ich selbst dann habe, wenn ich mich bemühe, nur den Schein zu denken oder daß alles nur Schein in einem »kohärenten Traum« ist, wie Husserl es nannte. Dies verschiebt nur, wie wir bereits gesagt haben, die Schwierigkeit um einen Grad auf die Ebene der Differenz, die zwischen Selbst-Erscheinen und Selbst-Schein sozusagen in der transzendentalen Illusion selbst aufrechterhalten werden muß. Aber das macht verständlich, wenn das Denken nicht mehr und nichts anderes als das »nichts anderes als« des Phänomens ist, daß dieses Nichts selbst Schein gewinnt, und zwar als Nichts, so daß diese Reflexivität des Nichts seinerseits voraussetzt, daß seine Selbstheit genau das als Differenz eingeschobene Nichts zwischen dem Nichts und dem Nichts ist, und daß, wenn dieses eingeschobene Nichts als Selbst erscheint, dieses durch seine Ek-stase ins Nichts, in dem es vergeht, das Nichts sein läßt als ein Nichts seiner selbst; damit unterscheidet sich das Nichts als Schein noch sehr deutlich vom Nichts als Erscheinung dieses Scheins. Wir sind natürlich auf dem Höhepunkt der Hyperbel und zugleich auf dem Höhepunkt des Simulacrums, wo das Nichts nicht nichts sondern »etwas« ist. Aber die Hyperbel erscheint weniger absurd,
112 wenn wir uns daran erinnern, daß das hier in Frage stehende Nichts nichts anderes als die noch in und durch ihre Inchoativität mit dem Denken ver-schmolzene (confondu) Phänomenalität ist. Die konstitutive transzendentale Illusion des ontologischen Simulacrums scheint hier umgekehrt im Schein zu bestehen, daß ebenso wie auf den ersten Blick scheinbar das Denken auch die Phänomenalität ein Selbst hat, – weil es doch tatsächlich so zu sein scheint, daß ich derjenige bin, der denkt. Die Frage der Trennung zwischen Phänomenalität und Denken ist also schon die Frage nach dem Selbst, und weil die historische Phänomenologie sie wie als eine »Leerstelle« des Denkens vernachlässigte, hat sie sich zu den Gedanken verleiten lassen, daß es ohne transzendentales Ego kein Phänomen (Husserl), ohne Selbstheit kein Dasein* (der frühe Heidegger), oder kein Phänomen ohne anonyme und meist versperrte Selbstheit des Seyns* selbst gibt (der späte Heidegger), an deren Ort das menschliche Dasein* sein Wesen* finden könnte. Wenn es nämlich Phänomene, zumindest Sprachphänomene (Ereignisse*) gibt, dann gibt es davon strenggenommen, wie es nun streng festzuhalten gilt, keine Phänomene der Phänomenalität. Das ist sogar der eigentlich phänomenologische Grund dafür, weswegen im Denken des Phänomens nur als Phänomen, d.h. in der durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoché eröffnete Reflexion des Phänomens in seiner Phänomenalität, jede Selbstheit zwischen ihrem Vergehen und Auftauchen pulsiert. Und deswegen glaubt das ontologische Simulacrum denken zu müssen, daß es nur eine Selbstheit, nämlich die des Denkens gibt (das damit sogar ist), während es sich doch im Pulsieren um eine a priori unbestimmte Vielfalt von vielfachen, faktiziell auseinandergesprengten Selbstheiten handelt. Um die Begriffe Husserls wieder aufzunehmen: nicht weil wie bei Descartes ein trügerischer Gott darauf versessen ist, mich zu täuschen – das wäre zu viel gesagt –, kann mir alles wie ein kohärenter Traum erscheinen, sondern weil nichts a priori in der Reflexivität der Phänomene als Sprachphänomene darauf hinweist, daß die Selbstheit des Sinns, der sich darin sucht, nur existieren könnte, wenn dieser sozusagen von außen durch meine Selbstheit beseelt würde. Ich weiß letztlich nie, ob wirklich ich denke, oder ob nicht ein Anderer in mir denkt. Die Wurzeln meiner Individuation sind weder ausschließlich noch grundsätzlich phänomenologisch. Wie können wir also »wissen«, daß es im Pulsieren der Selbstheit eine a priori unbestimmte Vielfalt von faktiziell auseinandergesprengten Selbstheiten gibt? Diese vorrangige Frage soll uns vom »Zauberkreis« befreien, in den sich das im ontologischen Simulacrum bewegende Denken einschließt. Die hyperbolisch-phänomenologische Epoché hat uns die transzendentale Erschleichung erfassen lassen, die sich in der Übertragung des (Seins-)Sinns meiner Faktizität, die sich rein in dem Selbst-Schein des Cogito zu erscheinen vermeint, in den (Seins-)Sinn jeder Faktizität vollzieht, als ob die erste die Quelle, der Ursprung oder das Zentrum aller anderen sei. Die erste Auswirkung der Hyperbel der Epoché besteht nun darin, in der Faktizität des Existierens des Ichs einen Schein wieder zu erfassen (ein Phänomen und die Illusion seiner unmittelbaren und selbst-transparenten Reflexivität in und durch die Form seines faktiziellen Existierens), der letztlich wie jeder andere Schein ist, nur daß die Reflexivität des letzteren durch die Reflexivität des ersteren »genährt« oder »beseelt« vermeint wird, womit ein Verhältnis von Schein zu Schein nur durch das Verhältnis vermittelt werden könnte, das jeweils zwischen jedem Schein und dem Schein meines faktiziellen Existierens besteht, – ein wenig wie die Leibnizschen Monaden, die nur durch die göttliche Vermittlung miteinander kommunizieren. Dies entsteht gerade dann, wenn sich die auf das reine Denken reduzierte Phänomenalität den Anschein der Reflexivität, ja der absoluten Reflexivität gibt: die Phänomenalität verliert sich
113 dabei gewissermaßen in der universellen Selbst-Reflexivität des Selbst. Wenn die Phänomenalität aber nun das ist, worin sich das Phänomen reflektiert, nicht mehr um sich in Transparenz selbst zu erscheinen, sondern um sich zu phänomenalisieren, dann ist sie nicht an und für sich mit Reflexivität versehen und noch weniger mit Selbstheit – das zu glauben, hieße der konstitutiven transzendentalen Illusion und letztlich der Onto-theologie nachzugeben, die nicht nur in der »Metaphysik« der transzendentalen Subjektivität, sondern auch in der »Metaphysik« des Daseins* strukturell vorhanden ist. Anders gesagt, die Phänomenalität als ursprünglich mit Selbstheit versehene aufzufassen, bedeutete, daß sie selbst Schein annehmen und selbst Schein werden kann, und zwar in jener geläuterten oder auf die »Quintessenz« gebrachten Faktizität der reinen Form des faktiziellen Existierens. Was folgt also, wenn im Gegensatz zum Heideggerschen Seyn* die Phänomenalität an sich keinerlei Reflexivität hat? Zunächst, daß notwendigerweise jedes Phänomen und damit auch jeder Schein, wie bereits gesagt, eine grundlegende Dimension der phänomenologischen Anonymität enthält. Das Phänomen nur als Phänomen zu denken, bedeutet, sich auf eine besondere Art dem Tod auszusetzen und sich dem »Moment« des phänomenologischen Erhabenen hinzugeben, in dem das Selbst mit seinen immer schon gestifteten symbolischen Anhaltspunkten verschwindet. Aber das führt nun nicht, was eine andere, allerdings subtilere Version der bekannten transzendentalen Illusion wäre, zu dem Gedanken, daß deshalb die Phänomene sozusagen »sich selbst ,dächten‘«. Sie würden dabei jeweils zu Monaden. Zwar gibt es andere Phänomene, die sich tatsächlich als »Monaden« darstellen (»die Anderen«, der Andere), aber dies trifft nicht auf alle anderen Phänomene zu – man muß sogar zu verstehen versuchen, wie »die Anderen« in ihrer Phänomenalisierung gegenüber den anderen Phänomenen eine nicht geringere phänomenologische Anonymität, eine tiefe Unheimlichkeit* enthalten. Das Fehlen eigener Reflexivität und folglich Selbstheit der Phänomenalität verbietet architektonisch den einfachen Rückgriff auf irgendeine Monadologie. Aber in genauer Entsprechung vermag allein die Phänomenalität als deren universelle Dimension den Phänomenen Konsistenz und Kohäsion zu geben, und somit dem, was sich als phänomenologisches Feld herausbilden kann. Aber diese Kohäsion, die um kein Selbst konzentriert, damit prinzipiell dezentriert, also a priori von jedem Begriff losgelöst ist, ist in Merleau-Pontys Worten begriffslos. Allenfalls mitunter von einem Denken »gespenstisch heimgesucht«, zu dem auf cartesianische Weise die Selbst-Apperzeption in Begriffen oder Ideen gehört, was der Phänomenalität von Grund auf unangemessen ist – folgt aus dem obigen vielmehr, daß »sich« der Begriff wirklich begreift, die Idee »sich« sieht oder »sich« zumindest denkt. Die Phänomenalität, das ist ihr erstaunliches Paradox für die klassische Sprache der Philosophie, kann »sich« nur in der Abwesenheit jeden Selbst, jeder Reflexivität begreifen, und das macht sie im wahrsten Sinne des Wortes unbegreiflich, was nun wiederum die Phänomenologie so schwierig macht. Daraus ergibt sich, daß es überhaupt keiner Selbstheit bedürfte, um die Frage der Phänomenalität aufkommen zu lassen – dies ginge nur, indem diese jene zu sich selbst kommen ließe in einer transzendentalen Illusion als Selbst-Schein seiner Selbst-Erscheinung –, sondern daß im Gegenteil die Selbstheit, um zu sich selbst zu kommen – einschließlich im Phänomen des faktiziellen Existierens – sich im anonymen und nicht-reflexiven Feld der Phänomenalität situieren muß. Letztlich verlangt die hyperbolisch-phänomenologische Epoché eine solche Umkehr. Gegen die drohende Vernichtung durch die Anonymisierung »wehrt sich« das Selbst mit der Illusion, im Selbst-Schein sich selbst rein zu erscheinen. Aber diese vermeintlich reine
114 Selbst-Erscheinung ist nicht mit der Selbst-Apperzeption zu verwechseln, welche allerdings immer darin wirksam ist: diese Selbst-Apperzeption »situiert sich« im Verhältnis zur Phänomenalität, wenn in der hyperbolischen Epoché die sich scheinbar aufdrängende Absolutheit der Selbst-Erscheinung des Ego im Selbst-Schein seines faktiziellen Existierens aufgehoben ist, aber auch dann, wenn durch und in dieser Hyperbel das faktizielle Existieren so verstanden wird, daß es sich selbst als Phänomen nur erscheinen kann, wenn es aus den anonymen Quellen der Phänomenalität schöpft. Anders gesagt: die Phänomenalität liegt nicht in der Selbstheit, sondern im Pulsieren der Selbstheit zwischen Verschwinden und Entspringen, zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Dieses Pulsieren ist das eigentliche »Ergebnis« der hyperbolischen Epoché . Und damit wird deutlich, wie absurd die Auffassung wäre, dieses Pulsieren erscheine »sich« selbst, denn nur in der ekliptischen Schwingung eines jeden »Selbst« kommt es in Gang und hält sich, wenn dies überhaupt möglich ist, nur in der doppelten, sich niemals ganz verwirklichenden Neigung des reinen Verschwindens oder reinen Entspringens des »Selbst«: das »Selbst« erscheint nur im Verschwinden und verschwindet nur im Entspringen, es wird also von einer spiralartigen Doppelbewegung weitergetragen, indem es in sich selbst auf unbestimmte und instabile Weise ständig schwingt von seinem Entspringen in seinem Verschwinden – seinem Auftauche in seiner Flucht – einerseits und seinem Verschwinden in seinem Entstehen – seinem Vergehen in seinem Trachten, sich festzulegen, andererseits. Damit, in diesem Ausklammern der Hyperbel selbst, wird das Selbst aus jedem Schein endlos ausgeklammert; und zu glauben, daß diese in seine Abgründe hinunterreißende Flucht des Selbst als Schein fixiert werden könnte, wäre genau die Illusion des ontologischen Simulacrums. Mit dieser Flucht wird auf eine andere Art das phänomenologische Erhabene ausgedrückt, und wie wir noch sehen werden, siedelt sich nur in ihr die Selbst-Apperzeption als wahrhaft transzendentale Apperzeption – in einem quasi-Kantischen Sinn – an. Demnach ist an nichts zu denken oder das Nichts (das »nur als« des Phänomens) zu denken nichts anderes als das Pulsieren des Denkens (mit seinem Sinngehalt) zwischen Anwesenheit und Abwesenheit, zwischen dem Schein, der bei seiner Entfaltung, es verschwinden läßt, und der Scheinlosigkeit, die es im Versinken zum Erscheinen bringt, und unbegrenzt so weiter. Die Unbegreifbarkeit der Phänomenalität liegt also in dieser fundamentalen Instabilität, in diesem Abgrund, in dem meine und jede Selbstheit sich nur im Verlieren findet, und sich nur verliert, wenn sie sich zu finden glaubt. Ich weiß also nicht mehr, ob tatsächlich ich denke, übrigens auch nicht, ob es ein Anderer ist. Was mich als Ich individuiert, ist nicht phänomenologisch, denn in diesem Abgrund ist das Phänomenologische das Denken in seiner Anonymität, d.h. seine Phänomenalität, insofern sie endloses Pulsieren des Denkens ist, insofern es genau das ist, in dem das Denken in flüchtigen Momenten denkt (und glaubt), sich wahrzunehmen und damit für sich selbst zu sein. Zwischen diesem Abgrund und dem faktiziellen Existieren des Ich besteht wohlgemerkt ein weiterer Abgrund, der zudem in seiner Mobilität von einer derartigen Instabilität ist, daß er selbst nicht mit irgendeiner Form von Zeit verwechselt werden kann (selbst die Heideggersche »Wiederholbarkeit« des »Augenblicks«, an die man unweigerlich denkt, trifft hier nicht zu), er kann allenfalls als das Pulsieren der Zeit oder der Zeiten begriffen werden, als deren hyperbolisches Ausklammern, oder als deren Ansatz, der sich ständig unterbricht, um wieder neu anzusetzen. In diesem Sinn könnte das Pulsieren, sofern es überhaupt begriffen werden kann, eine Form der Ewigkeit sein – im
115 von Rimbaud evozierten Sinne des »Meeres, mit der Sonne gegangen« –, eine Ewigkeit, die zweifellos die Illusion des Seins vermittelt oder auch als ewige Wiederkehr umkodierbar ist, weil sie ewiger Verweis des Selben auf das Selbe ist, wobei allerdings in dem »Selben« jede Identität auszuklammern wäre, die unweigerlich auf das Cogito oder das ontologische Simulacrum zurückverwiese – so gesehen ist die »ewige Wiederkehr« vielleicht Nietzsches Form des Cogito. Allerdings nur vielleicht, denn bekanntlich ist das »Gleiche« Nietzsches eben nicht das identifizierende Ich, sondern das unbestimmte Spiel der Identitäten. In der in diesem Sinne metaphysischen Hyperbel der Epoché ist die Form des (immer faktiziellen) Denkens, wie wir gesehen haben, so sehr bis zur Anonymität geläutert, daß es mir nicht mehr angehört, sondern jede mögliche Selbstheit annehmen kann. Es handelt sich um ein Pulsieren der Selbstheit nur der Form nach, was heißen soll, daß unserer Auffassung nach die Selbstheit durch dieses Eintauchen in die Phänomenalität im Pulsieren a priori auseinandergesprengt wird in eine a priori unbegrenzte Vielfalt von vielfachen Selbstheiten, die immer wieder im Pulsieren faktiziell zu zersplittern drohen. Eben deswegen ist die Phänomenalität das »Kommunikationsmittel« der Phänomene: sie stellt ihre begriffslose Kohäsion her und nur sie ermöglicht, jedwedem transzendentalen oder existentialen Solipsismus zu entgehen. Mit dieser Unbegreiflichkeit, die ganz konkret phänomenologischen Gehalt gewinnt, wird deswegen auch die Phänomenalität, in der Gestalt des Denkens an nichts und über nichts, zu dem, was die Reflexivität der Phänomene ermöglicht, auch ohne daß diese sich in einer Selbstheit verankern müßten, mit der sie sich »von selbst« reflektierten oder dächten. Eher als ein Cogito braucht es da die transzendentale Apperzeption der Doppelbewegung des Pulsierens, in der dem Denken keinelei Sein als Substrat voraus-gesetzt ist. Dies ist nun zu erläutern. Die Hyperbel der Epoché treibt alles so weit, daß nicht mehr das konkrete und leibliche Selbst sich als faktizielles Phänomen des Existierens im Cogito apperzipiert. Statt dessen pulsiert nach dem Ausschalten der »fundierenden« Rolle des Cogito im ontologischen Simulacrum die geläuterte Form des faktiziellen Existierens, d.h. seine bis zur Anonymität gehende Läuterung seiner Selbstheit, die zwar wie die Form des Nichts des Denkens (und des »nur « des »nur als Phänomen«) zu sein scheint, aber eigentlich zwischen Nichtung und Auftauchen pulsiert, und zwar in einer un-endlichen Spirale mit doppeltem, sogar jeweils instabilem Umschlagen (von der Vernichtung zum Auftauchen und umgekehrt, ohne daß jemals eines davon sich auf Kosten des anderen vollendete). Und dieses Drängen zum Versinken der Selbstheit in den Abgrund, aber auch in umgekehrter Richtung zum Wiederaufsteigen aus dem gleichen Abgrund, scheint für das Denken in seiner Phänomenalität konstitutiv zu sein. Das Denken gewinnt dabei gewissermaßen Schein, aber dies ist nur ein Schein, der »sich« sofort einklammert, insofern er sozusagen immer nur sofort abgebrochener Ansatz seines Phänomens ist, gewissermaßen seine »Phänomenalisierung« »vor« seinem Phänomen. Derart nimmt das in der klassischen Philosophe so genannte »Denken des Denkens« phänomenologische Gestalt an: es handelt sich hier wohlgemerkt keineswegs um eine in der streng auf sich selbt bezogenen Immanenz ruhende oder mit sich selbst erfüllende Reflexivität, denn in dieser gleichermaßen unbegrenzten Regression wie Progression – welche von der Regression ins Unendliche, die durch den wiederholten Zugriff des gleichen Begriffs rekodiert wird, zu unterscheiden ist – ist diese Reflexivität ganz im Gegenteil derart, daß sie sich in der Flucht von sich selbst entfernt und aus dieser Flucht heraus sich selbst wiederfindet. Diese Bewegung zur Abwesenheit
116 hin ist nicht »simuliert«, denn nur wenn dabei die Selbstheit sich selbst aktiv zum Nichts hin gehend leert, findet sie sich als das wieder, das sich zwar unbegrenzt entleert, aber sich auf sich selbst wendet als das Umhüllende des niemals gänzlich ausgeschöpft Leeren. Man kann sagen, daß bei diesem Spiel das Denken nicht mehr genau weiß, was es ist, daß es als Denken des Denkens sich ein Rätsel geworden ist, dies aber nur und unbegrenzt immer wieder, insofern es jenseits jeder Versicherung oder Gewißheit dabei die Erfahrung macht, daß es ist. Die Erfahrung der Faktizität des Selbst unter dem Horizont der hyperbolischen Epoché setzt also die Jemeinigkeit* außer Kraft und in diesem Sinn können wir wie Fink in der VI. Cartesianischen Meditation24 sagen, daß das »Selbst« dieser Epoché kein menschliches mehr ist. Dieses »Selbst« ist also als das »Selbst« des das Denken Denkens schon a priori oder vom architektonischen Standpunkt aus gleichermaßen das Selbst irgendeines menschlichen Denkens wie das Selbst eines göttlichen Denkens, das Fink als das Selbst des »absoluten Geistes«25 dachte, wie es der Ausdruck »Denken des Denkens« ja nahelegt. Die transzendentale Apperzeption ist nichts anderes als die Einheit dieses Drängens, das in den Abgrund hinabsteigen und daraus wieder aufsteigen läßt, in dem die Selbstheit in ihrem unbestimmten Pulsieren und ohne a priori identifizierbaren Begriff vergeht. Das sich dabei apperzipierende »Selbst« ist also das »Selbst« eines Scheins oder einer Illusion, die sich als eine solche erweist, sobald sie sich in dem auflöst, das ihr im Ansatz oder in der Eklipse Konsistenz oder Konkretheit zu geben scheint. Das ist letztlich der bodenlose Grund der »Subjektivität« und des Daseins*, und deswegen können auch weder das transzendentale Selbst der transzendentalen Subjektivität, noch das eigentliche Selbst des entschlossenen Daseins* jemals phänomenologische Konsistenz annehmen, sondern können in den Phänomenen nur als die unsichtbare Distanz oder Differenz spielen, die ihnen ihre Phänomenalität zurückgeben soll. Betrachtet man aber die transzendentale Apperzeption als die unendliche Doppel-Bewegung der Eklipse des Selbst zwischen Schwinden und Auftauchen, dann kann man keinen innerlich notwendigen Grund mehr erkennen, das Selbst auf das Ego oder das in der Jemeinigkeit* seiner Welt eingeschlossene Dasein* zurückzubinden. Es handelt sich um eine Immanenz der Doppel-Bewegung an sich, weil nichts in ihr dazu beiträgt – nur die vereinnehmende Illusion –, sie aus sich selbst heraustreten zu lassen, um ihrem doppelten Umschlagen vom Schwinden zum Auftauchen entgehen zu können. Diese Immanenz hat nichts mehr von einer solchen, die sich selbst nahe ist und sich als solche verzeitlichte, aber alles von einer Gegenwärtigkeit, also einer Zeit, die immer nur ansetzt, und, sobald sie sich angedeutet hat, gleich wieder in eine zur Nichtung tendierende Eklipse zurückgenommen wird. Das ist nun ein »Moment« des phänomenologischen Erhabenen, in dem das Denken nur »lebt«, »zittert«, indem es seinen eigenen Tod lebt – durch ihn hindurchgeht – oder nur »ist«, wenn es »nicht ist«. Es gibt nichts, was die Doppel-Bewegung der Apperzeption unterhält oder unterstützt, ihr Boden ist ihre Bodenlosigkeit. Es gibt kein Sub-jectum, das sich vorausgeht oder folgt, weder arché noch télos, sonder eine unendliche An-archie und eine nicht weniger unendliche A-Teleologie. Weder Schein noch Erscheinung sind noch (wie im ontologischen Simulacrum) auf sich selbst zurückverwiesen, sondern der Umschlag verweist auf den Umschlag, der Schein auf die Abwesenheit jedes Scheins, das Entstehen auf das Verschwinden. Die transzendentale Apperzeption ist also nicht eine Art Hyper-Apperzeption der Doppelbewegung durch sich selbst, sondern die Doppelbewegung selbst als das Pulsieren jeder Erscheinung (von sich) in jedem Entschwinden (von sich), d.h. als un-endliche
117 Bewegung eines ekliptischen Um-Schlagens – des Denkens »selbst« im Schwanken der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché. Gekrönt wird dies dadurch, daß es demnach dem Denken unmöglich scheint, aus »seinem« Abgrund herauszukommen – wir haben gesehen, daß es nicht einmal »der seinige« ist –, es sei denn, daß es vermittels der Illusion oder des Scheins, in den es sich hineingestürzt hat, von ihnen eigenommen, um sich in ihnen zu festigen. Daran erkennt man die Hyperbel. Dies um so mehr, als die Doppelbewegung in ihrer anarchischen und ateleologischen Regression/Progression nicht von dem Denken zu trennen ist, das wir davon haben können. Dieses geht gänzlich in sie ein, als ob die Doppelbewegung des reinen Denkens das Denken von jedem Gedanken entleeren würde – weshalb es dem Denken von jedwedem Gedanken rein erscheint, – und es wiederum zur Abwesenheit umschlagen läßt bis an den Rand des Todes. Aber dies »ist« nur, weil sozusagen die Abstraktion der Form des faktiziellen Existierens so sehr der Hyperbel ausgesetzt wird, d.h. insoweit diese nun nicht mehr als Selbst-Reflexivität im ontologischen Simulacrum erscheint, sondern in der Reflexion ihrer selbst als das in seiner Phänomenalität genommene Phänomen. Die Phänomenalität besteht, wie gesagt, ganz aus dem Pulsieren, also dem Flackern oder ekliptischen Um-Schlagen des (faktiziellen) Phänomens zwischen seinem Entstehen und Verschwinden. Und bei diesem ekliptischen Um-Schlagen des Denkens zwischen Entstehen und Verschwinden, aus dem die Phänomenalität des Denkens besteht, handelt es sich um »das gleiche« wie bei dem der Phänomenalität überhaupt. Dieses »Gleiche« wurde durch die ungerechtfertigte Angleichung des Denkens an die Phänomenalität im ontologischen Simulacrum kurzgeschlossen – welches übrigens nur vermittels dieser Gleichsetzung seine Wirksamkeit als Simulacrum bewahrt –, während es doch Verwandtschaft oder »Gleichheit« allenfalls zwischen der Phänomenalität des Denkens und der Phänomenalität überhaupt geben kann. Und offensichtlich würde man immer noch der Macht des ontologischen Simulacrums ausweichen, wenn man die Phänomenalität als »Sein« oder »Seyn«* hypostasierte, denn damit würde sie auf etwas wie einen zugrunde-liegenden Pol zurückgeführt, den übrigens nichts davor bewahrte, diesmal in einer wirklich unendlichen Regression, alle Zeichen der Reflexivität anzunehmen – jedenfalls sobald man z.B. auf die Lichtung* oder Offenheit* die Frage nach ihrer Phänomenalität richten würde. Anders gesagt, und damit stehen wir vor der höchsten Schwierigkeit der Phänomenologie, besteht die Phänomenalität der Phänomene nicht, wie man bisher geglaubt hat, in ihrer Erscheinung, sonden in ihrem Pulsieren zwischen Erscheinung (Entstehung) und Verschwinden. Die Erscheinung läßt sie in der Tat sofort im Schein erstarren und das Verschwinden zerstreut sie in der Unscheinbarkeit, d.h. günstigenfalls, in dem, was wir davon zurückbehalten, als das beim Denken in der Form des Begriffs oder der »Idee« Gedachte. Daher ist die hyperbolische Epoché durchweg phänomenologisch, denn mit ihr verfügen wir über das einzige Mittel, unser Denken auf die Stufe des pulsierenden Denkens zu heben, das einzige, das von sich aus die Phänomene erwecken kann, wie im Echo zu dem Pulsieren ihres Erscheinens/ Schwindens, das ihre Phänomenalität konstituiert. In diesem Sinn, und nur in diesem, ist das Denken – das nicht notwendigerweise das unsere ist, aber es je nach der faktiziellen Möglichkeit seines Existierens sein kann – notwendig. Aber nicht, was »idealistisch« wäre, um die Phänomenalität hervorzubringen, sondern um sie zu erwecken oder wiederzuerwecken, wobei dies, wie hinzugefügt werden muß, sich jenseits des Seins und Nicht-Seins vollzieht, ob nun des Denkens oder der stets vorausgesetzten Phänomene. So gesehen geht es nicht darum, daß die transzendentale Ap-
118 perzeption aus sich selbst herausgeht, um etwas anderes zu apperzipieren, denn als un-endliche Doppel-Bewegung ist sie nichts anderes als eine Art Hyperkonstitution eines »Resonanzkastens« als »Organ« der Reflexion der Phänomene in ihrer Phänomenalität, d.h., um die Begriffe wieder aufzunehmen, die wir oft genug in unseren vorigen Arbeiten verwendet haben, als phänomenologisches »Organ« der Phänomenalisierung. Die Phänomenalisierung der Phänomene ist eigentlich noch jenseits ihrer Erscheinung, denn sie ist auch jenseits ihres Verschwindens, sie ist zwischen beiden als ihre Doppelbewegung des Umschlagens des einen in das andere: ein a priori unbeherrschbares (es sei denn, um es nochmals zu sagen, vermittels der Illusion) Umschlagen oder Pulsieren, welche die Doppelbewegung oder das transzendentale Schema der Phänomenalisierung ausmachen. In ihm sind a priori alle Phänomene sozusagen von ihrer phänomenologischen »Bewegung« in der Phänomenalität »ergriffen« und verwirren und vermengen sich alle (symbolisch gestifteten) Anhaltspunkte, denn im phänomenologischen »Organ« oder dem transzendentalen Schema der Phänomenalisierung, werden die Phänomenen nur als Phänomene »gesehen« (und auch »gespürt«) – zwischen dem Anwesend-Werden in der Erscheinung und dem Versinken in die Abwesenheit beim Verschwinden. Dies wirft notwendig die sowohl symbolischen als auch architektonischen Anhaltspunkte des Denkens völlig um, was nun einer genaueren Untersuchung bedarf.
§ 3. ONTOLOGISCHES SIMULACRUM UND TRANSZENDENTALER SCHEMATISMUS DER PHÄNOMENALISIERUNG
Wenn wir auf unsere Ausgangsfrage nach der Begegnung oder des Empfangs der als Phänomen genommenen Faktizität zurückkommen, so ergibt sich nun Folgendes: das transzendentale Schema der Phänomenalisierung als phänomenologisches »Organ« der Phänomenalisierung, auf das wir durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoché des ontologischen Simulacrums gekommen sind (in dem ja die Faktizität sich zunächst hätte selbst treffen und empfangen sollen, bevor sie durch diese Vermittlung jeder andere Faktizität hätte begegnen können), vermag als transzendentale reflexive »Matrix« der Phänomene (also der Faktizitäten) in ihrer Phänomenalität die transzendentale »Matrix« für das von uns so genannte interfaktizielle Begegnen oder Empfangen zu bilden. Aber dafür muß man zuerst genauer fassen, worin die unendliche Doppelbewegung der transzendentalen Apperzeption als »Resonanzboden« oder phänomenologisch transzendentales »Organ« der Phänomenalisierung a priori für eine ursprügliche Vielfalt von Faktizitäten (Phänomenen) offen ist, die durch sie in begriffsloser Kohäsion des phänomenologischen Feldes ursprünglich »in Kommunikation« geraten. Und dafür wiederum muß man außerdem genauer verstehen, wie das in der Apperzeption pulsierende Denken zumindest dahin tendieren kann, das Denken jeder faktiziell möglichen Selbstheit (als faktizielles Existieren) zu sein, womit also auch entsprechend genauer der Status dieser Möglichkeit vom phänomenologischen Standpunkt aus zu begreifen wäre. Der (erschlichenen) Übertragung des (Seins-)Sinns, den wir im ontologischen Simulacrum beobachtet haben, entspricht die echohafte Erweckung der Phänomenalität der Phänomene durch die unendliche Phänomenalität des Denkens in seinem Pulsieren. Das bedeutet zunächst, daß der Ort der Phänomenalität, wie wir gesehen haben, weder der einer Sub-stanz, noch der eines Sub-jectums ist, sondern der Ort des unbe-
119 stimmten, zwischen Verschwinden und Entstehen sich vollziehenden Pulsierens von all dem »-stanz« oder »-jectum«. Und sollte etwas als »-stanz« oder »-jectum« in seinem Verschwinden wieder aufzutauchen scheinen, dann eben nicht, weil es sich »unter« der Doppelbewegung befunden hätte, weil es darin vollständig versinkt. Hier findet sich die wahrhafte Ek-stase des Selbst: was zwischen Tod und Leben in, um mit Lévinas zu sprechen, einer endlosen »Rekurrenz« zittern läßt. Es handelt sich auch nicht um eine einfache Auflösung, die das Selbst seinem Nichts aussetzte, denn diese vollzieht sich nie vollständig und kommt immer von selbst durch ihre Umkehrung auf das Wiederauftauchen zurück. Anders gesagt: die doppelte sich im Pulsieren vollziehende Umkehrung als wechselseitiger Doppel-Umschlag des Auftauchens (Erscheinung) und Vergehens (Schwinden) bewegt sich wie eine ganz erstaunliche Reflexivität, die von sich aus überhaupt nicht auf ein Selbst verweist, aus der aber auf rätselhafte Weise das Selbst entspringt. »Als Echo widerhallen« bedeutet also nicht, daß irgendeine (Seins-)Sinnübertragung dieser Faktizität auf jede andere Faktizität vollzogen wird, sondern daß sie gemeinsam in einer ursprünglichen Resonanz in einer einzigen und gleichen Bewegung schwingen, in der sozusagen die Phänomene sich ihrer Phänomenalität »ausliefern«. Zur Frage wird nun, wie sich der Übergang von dieser neuartigen »Reflexivität« ohne Selbstheit – oder die jede Selbstheit verschlingt – zu einer mit Selbstheit versehenen, sich gewissermaßen als Reflexivität einer Selbstheit reflektierenden Reflexivität vollzieht: damit wird gefragt, wie sich in umgekehrter Richtung der Übergang vom transzendentalen Schema der Phänomenalisierung zum ontologischen Simulacrum vollzieht, und konkreter: von einer unendlichen, weil anarchischen und ateleologischen »Reflexivität« zu einer begriffslosen teleologischen Reflexivität, d.h. genau besehen zu einer Reflexivität im Sprachlichen, wo sich Raum und Zeit in der Zeitigung/Räumlichung bilden, indem sie sich pulsierend von den Zeiten-Räumen abheben, in denen jeder Ansatz von Zeit-Raum sofort verschlungen wird, um als Ansatz wieder aufzutauchen. Dies ist Ursprungspunkt der Zeiten-Räume, in dem sie ausgeschaltet sind und wo etwas Zusätzliches notwendig ist, um etwas (den Sinn) zu beginnen, was doch schon Zeitigung/Räumlichung ihres Beginnens ist. Zweifellos ist diese (nicht geregelte, unbeherrschbare, also auch nicht mathematische oder mathematisierbare) Unendlichkeit sozusagen die architektonische Entsprechung zur Idee des Unendlichen, die, wie wir gesehen haben, von Descartes in das ontologische Argument eingeführt wurde; außerdem ist umgekehrt besser zu verstehen, daß jede Sinnübertragung vom Seinssinn des sum in seinem faktiziellen Existieren zum Sein jedes faktiziellen Existierens insgeheim aus dem gleichen ontologischen Argument hervorgeht. Hier aber gibt es nichts dergleichen, da die unendliche Doppelbewegung der transzendentalen Apperzeption zu keiner symbolischen Tautologie des Denkens und Seins (Existierens) führen kann, oder weil diese Doppelbewegung in ihrem Pulsieren sowohl jenseits von und zwischen dem Sein (die Erscheinung) und dem Nicht-Sein (das Verschwinden) ist. Die Selbstgenügsamkeit des Unendlichen in seiner Selbst-losen oder jedes Selbst auflösenden »Reflexivität« ist weder die einer Substanz oder eines Subjekts, noch die eines Wesens oder des Seins. Sie hält sich im Gegenteil nur, indem sie sich von der Auflösung des Seins nährt, das unablässig in ihr wieder auftaucht, deren Vollendung gerade darin besteht, sich nie zu vollenden. Das wäre vielleicht das ihrer Radikalität angemessenste Bild der Bewegung als Entelechie des in Möglichkeit Seienden als eines solchen. Das immer schon in ihm enthaltene Telos macht es ateleologisch (atélès, »unvollkommen« nach Aristoteles in der Physik) und damit anarchisch: das ist also die paradoxale Entelechie des
120 sich niemals Vollendenden, das immer nur in der Vermöglichkeit, d.h. in der Schwebe bleibt. Das Mögliche der Selbstheit ist ohne jeden Zweifel dieser Ordnung: aber da es nicht ein im Selbst enthaltenes Mögliches ist, da es nicht eine Möglichkeit des Existierens des Daseins* in seiner Jemeinigkeit* ist, sondern eine Möglichkeit ganz jenseits davon, ziehen wir vor, wie Maldiney, dem wir den überaus treffenden Ausdruck entlehnen, von Transpossibilität zu sprechen. Transpossibel ist sie gegenüber dem Dasein* mit dem ihm eigenen Möglichkeiten – also, wie wir in Zukunft sagen werden, gegenüber der »Möglichkeit«. Richtig an dem ihr zukommenden architektonischen Ort wird die Doppelbewegung am Ort der Transpossibilität für jede, jeweils mit ihrer weltlichen Jemeinigkeit* versehenen Selbstheit begriffen. Der architektonische Irrtum Heideggers war, Transpossibiltät und Möglichkeit zu verwechseln, und dies ist nun überhaupt der für das ontologische Simulacrum konstitutive ursprüngliche transzendentale Fehler. Bevor wir auf die Schwierigkeit und die transzendentale Notwendigkeit dieses ungerechtfertigten Übergangs zurückkommen, der die ganze Unreduzierbarkeit (in einem fast Kantschen Sinn) der transzendentalen Illusion ausmacht, sollte zwecks besserer Situierung hinzugefügt werden, daß diese Transpossibilität wie bei Maldiney einer Transpassibilität entspricht. Wir haben ja immer wieder hervorgehoben, wie unbeherrschbar das Pulsieren ist: zwar hängt die Anwendung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché von der äußersten Konzentration auf das Denken über das Denken ab – eine Bedingung, um das Pulsieren aufzunehmen oder in es einzudringen –, zwar bedarf es immer noch der gleichen Konzentration, um sich darin oder nur an es zu halten, aber umgekehrt folgt aus dieser Konzentration weder die Kontrolle der Flucht des Denkens in den Gedanken noch die Rückkehr des Denkens aus dieser Flucht. Es gibt also im Herzen des auf seine Aktivität oder Lebendigkeit konzentrierten Denkens, eine tiefe und fundamentale »Passivität« oder eher »Passibilität«, die, insofern sie nicht mehr dem eigentlichen Feld der Selbstheit eines Daseins* und seiner Jemeinigkeit*, also auch nicht seiner Befindlichkeit* im Heideggerschen Sinn zugehört, nur Transpassibilität sein kann: was nämlich in der Unbeherrschbarkeit des Pulsierens jeder reflektierenden Faktizität zu begegnen und sie zu empfangen vermag, einschließlich der meinen, als meinem faktiziellen Existieren. Und allein in diesem Begegnen und Empfangen erhalten die Faktizitäten ihren ganzen Seinssinn – ihre Endlichkeit. Wir werden also sowohl den Status der Transpossibiltät als auch den der Transpassibiltät hinsichtlich der Möglichkeit und der »Passibilität« (Befindlichkeit*, Stimmung*) des Daseins* (oder des transzendentalen Bewußtseins) in ihrem Zusammenhang herausarbeiten müssen. Wenn nun die »reflexive« Instabilität des doppelten Umschlagens in der Doppelbewegung des Pulsierens eine sich »reflektierende« Instabilität ohne (als Denken und Sein) zugrunde-liegendes Selbst ist, und die sogar jedes Selbst, das sich aus seiner Selbst-Apperzeption bilden würde, auflöst, wie kann dann diese in der Doppelbewegung eine andere Möglichkeit finden, sich »wieder einfangen«, als insgeheim eine reflexive Selbstheit einzuschleusen, die es in ihr nicht gibt? Anders gesagt: Unter der Voraussetzung, daß das Denken als selbst-lose »Reflexivität« anonym ist, weil nichts, außer etwa die transzendentale Illusion, es an ein Selbst bindet, das Träger oder Unterlage für den potentiellen Gedanken im Denken als Schein (und Selbst) wäre, und falls also eine solche Reflexivität die Phänomene in ihrer Phänomenalität widerhallen läßt und sich als »Reflexion« ohne Selbst des Denkens in seiner Phänomenalität, also als das transzendentale »Organ« der Phänomenalisierung erweist, wie gelingt es dann dem faktiziellen Existieren, insbesondere dem meinigen, sich darin zu situ-
121 ieren? Genügt es, daß mein Selbst, das übrigens immer schon symbolisch gestiftet ist, sich an den in dieser Reflexivität pulsierenden Schein (das Denken) hält und ihn sozusagen entlehnt? Reicht es zu sagen, daß das Selbst von der symbolischen Stiftung her sich dieses Denken als sein Denken zuweist? Gewissermaßen schon, insofern es der Nerv der transzendentalen Erschleichung ist. Aber dies geht genauer betrachtet nur, wenn das Selbst als homogene Totalität einer einzigen und gleichen Jemeinigkeit* aufgefaßt wird und wenn es als »denkendes« gleichgeordnet Empfindung, Affektivität, logische oder mathematische Überlegung oder auch die Tätigkeit des Philosophierens einbegreift. Nun hat die hyperbolisch-phänomenologische Epoché gerade diese falsche Homogenität, die auf den ersten Blick verführerisch ist, da sie phänomenologisch zur gewöhnlichen Inchoativität des Denkens zurückzuführen scheint, zerbrochen. Ich bin nicht überall in der gleiche Eigenschaft dem Denken »unterworfen« (sujet): so gibt es einen Abgrund zwischen der Fülle des Fühlens oder der Rührung (in der Stimmung*) und der zerstreuten Lektüre einer Zeitung oder auch dem ganz automatisch vollzogenen Rechnen, das mit den Gesetzen der Arithmetik operieriert, ohne nach deren Sinn zu fragen – darauf hat Husserl in seinem Ursprung der Geometrie schon deutlich hingewiesen. Es gibt aber auch zum Beispiel in der logisch-mathematischen Operativität zwar nicht notwendigerweise Nicht-Denken, wohl aber notwendig eine Elision des Selbst, welche unmittelbar dieser Operativität universell Geltung verleiht, ohne daß ich mich mit einem Anderen darüber einigen müßte. Das Gleiche gilt sinngemäß für den geläufigen und alltäglichen Gebrauch der Sprache. Wie die Hyperbel der Epoché gezeigt hat und wie sie auch weiterhin aufdecken kann, wird zudem der Gipfel der ent-menschlichenden, da von konkreter faktizieller Selbstheit absehenden »Abstraktion« dort erreicht, wo sich das Denken denkt. Ein solches Denken reinigt sich eben nur dadurch von allem Selbst, daß es unbegrenzt die Auflösung von jedem Selbst nach sich zieht – auch hier brauche ich mich nicht bei Anderen kundig machen, um es zu wissen. Sollte es im Sinne Descartes‘ Gewißheit oder im Sinne Husserls apodiktische Gewißheit geben, dann hier in der Gewißheit der Auflösung. Die Selbstheit des Denkens im Denken ist also nicht, es sei denn durch transzendentale Erschleichung, meine Selbstheit. Es handelt sich sogar um ein pulsierendes Phantom von Selbstheit und somit um ihre transzendentale Illusion, weil das Denken nur insofern mit Selbstheit zu versehen sein scheint, als das darin verschwindende Denken auch darin wieder auftaucht. Genau hier liegt übrigens das phänomenologische Herz des ontologischen Simulacrums: wie etwa in der Heideggerschen Doppelbewegung der Verborgenheit und der Unverborgenheit besteht es im Glauben, das Doppelspiel von Verschwinden und Entstehen sei das eines Denkens, das (sich) von (seinem) Verschwinden wieder erholt, oder eines Denkens, das sein Entstehen in seinem Verschwinden und umgekehrt reflektiert, während doch, wenn man einen Moment den Schein (das Denken) (eben durch das Denken) fixiert, das Denken daraus als unbestimmte Beweglichkeit wieder auftaucht, die das enthält, was daraus die Illusion der Festigkeit (eines Gedankens) werden läßt, wobei sich das Ganze zwischen und jenseits von Festigkeit und unbeherrschbarer Beweglichkeit abspielt. Dies geht unbestimmt so weiter, selbst wenn es dem Denken gelingt, sich im Schein der Doppelbewegung (im Denken) zu fixieren, denn auch dann vergeht es darin wieder, was man damit übersetzen kann, daß das Denken der Doppelbewegung selbst Doppelbewegung ist.26 In dieser ist folglich, wie gesagt, die Selbstheit »auf ewig« ausgeklammert und in der Vermöglichkeit einer Transpossibilität gehalten, und an »mir« ist nur, diese sozusagen zu verwirklichen, indem ich
122 meine eigenen und sogar meine eigensten Möglichkeiten überschreite, was nun ein weiterer Ausdruck des phänomenologischen Erhabenen ist. Man muß also durch die Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen hindurchgehen, um verstehen zu können, wie »ich« »mich« durch diese Erfahrung wiederfinden kann und worin sie konkreter besteht, da das Überscheiten meiner eigenen Möglichkeiten bedeutet, mich der Transpossibiltät und der Transpassibilität zu öffnen. Eigentlich ist entscheidend, daß es in der un-endlichen Doppelbewegung des Pulsierens auch meiner phänomenalen Selbstheit, d.h. der Faktizität meines Existierens auf paradoxe Weise gelingt, sich in der Phänomenalität zu reflektieren. Paradox deshalb, weil gewissermaßen diese Zuspitzung der auf die reine Form des Denkens konzentrierten Abstraktion der Apperzeption Gelegenheiten bietet, sich mit all ihrer Konkretheit »wieder aufzuladen«, oder auch, weil die unbestimmt geläuterte und sich läuternde Form des Denkens im Denken von seiner äußersten Grenze her auf die Konkretheit des Denkens in seiner Inchoativität trifft. Aber eben in seiner Inchoativität, d.h. in der Vermengung aller konkreten Dimensionen oder aller phänomenologischen Horizonte des Denkens. Darin liegt zweifellos auch die Wurzel der von uns bloßgelegten Ver-mengung von reinen Denken und Phänomenalität, die dazu geführt hat, letztere mit der Reflexivität gleichzustellen. Das führt zur Schlußfolgerung, daß das ontologische Simulacrum die Phänomenalität in den reflexiven Zirkel ihrer symbolischen Zirkularität deshalb einzuschließen scheint, weil in seinem Herzen, dessen »architektonische Anatomie« wir zu ahnen beginnen, die Phänomenalität implodiert zu sein oder sich als die Phänomenalität aller ähnlich in ihm vermengten Phänomene verdichtet zu haben scheint. Das macht einerseits aus seiner durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoché »reduzierten« Struktur im »Organ« oder transzendentalen Schema der Phänomenalisierung ein »Organ, das nun »universell« ist, aber andererseits bewirkt dies auch, daß diese »Universalität« sich nur noch von einer Art abstrakter Invarianz der Phänomene herleiten kann, von einem nunmehr einzigen Ort her, wo wie in der Doppelbewegung im Pulsieren der transzendentalen Apperzeption sich die Phänomene nur als Phänomene reflektieren. Nun »enthält« dieser Ort noch etwas mehr, nämlich die Transpossibilität meiner Selbst-Apperzeption als Phänomen, d.h. als in vollem Umfang und unteilbar verleiblichte Faktizität – mit anderen Worten, er »enthält« die Transpossibiltität des Cogito, eben die, welche durch die Hyperbel des böswilligen Geistes ausgeschlossen wurde. Allerdings ist diese Hyperbel nur ersten Grades und damit nicht radikal genug, weil sie sogleich in einem Anderen, ja dem Anderen wieder das zu einem Individuum macht, was von unserem Standpunkt aus nur phänomenologische Anonymität sein kann. Mit wieder anderen Worten, meine Selbst-Apperzeption als verleiblichte Faktizität läuft nicht schlicht und einfach darauf hinaus, mich absolut in einer als irreduzibel gedachten Jemeinigkeit* wieder zum »Individuum zu machen«, sie besteht vielmehr darin, im Leib oder der Phänomenalität der konkreten Faktizität, welche die meinige zu sein scheint, eben diese Dimension der phänomenologischen Anonymität, also die ungeordnete Vermengung der Phänomene zu erahnen. Gerade deshalb erscheint schließlich die Jemeinigkeit*, wenn es sie überhaupt gibt, nicht nur als die des Denkens, sondern auch als die der Welt, die letztlich vom Denken ununterscheidbar ist. Nur auf dem Weg durch das ontologische Simulacrum hindurch oder noch tiefer durch den symbolischen Stifter hindurch, der mich am Ort des phänomenologischen Erhabenen symbolisch als ein Rätsel unter anderen Rätseln (der anderen Menschen)27 stiftet (ohne mich zu verursachen oder zu bestimmen), werde ich dazu verleitet, jede phänomenologische Konkretheit einseitig auf mich selbst zu be-
123 ziehen. Nur in dieser Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen kann dies eigentlich geschehen, wobei ich im Durchlaufen meines Todes zur eigenen symbolisch gestifteten Identität meine Selbstheit (und nicht jene Identität) im Rätsel des symbolischen Stifters nur als Rätsel wiederfinde. Und in diesem mir ganz entgehenden Rätsel »lädt sich« im Abgrund das scheinhafte Phänomen meiner Faktizität mit Leiblichkeit oder phänomenologischen Konkretheiten »auf«. Diese letzteren sind mir, anders gesagt, nur »sekundär« »zu eigen«, sofern ich mich auf das Abenteuer eingelassen habe, all das aufzugeben, was ich zu sein »glaubte«, oder wenn ich, anders gesagt, phänomenologisch dem symbolischen Stifter nicht als einer despotischen symbolischen Macht begegne, die »heimtückisch« hinter dem Tod lauernd nur darauf wartet, ständig Anschläge auf mein Leben zu verüben und mich hoffnungslos auf den Stand eines »Spielzeugs« und »Sklaven« zurückwirft, sondern als einem symbolischen Vermögen ohne jede Macht über mein Sein und meine Gedanken, das aber dennoch mich immer schon empfangen hat und mich immer wieder empfangen muß. Dieses Vermögen ohne Macht des symbolischen Stifters ist also sozusagen die symbolische Konfiguration der Transpassibilität, welcher auf der anderen, durch einen Abgrund getrennten phänomenologischen Seite der Leib oder die Phänomenalität als Transpassibilität (also Empfänglichkeit) für jedes Phänomen entspricht. Mein konkretes und leibliches Leben, das mehr oder weniger – und oftmals eher schlecht als recht – diese beiden Ränder des Abgrunds zusammenhält, ist nichts anderes als dieser seltsame und quälende Balanceakt auf dem darüber gespannten Seil, in einem ständigen und sogar schwankenden Hin und Her von einem Rand zum anderen als einziger Verbindung – das so gesehen unerträgliche Rätsel der condition humaine. Von diesem gespannten Seil ist der Absturz immer möglich, aber dies geschieht dann in der »Katastrophe« der Psychose, in der beide Seiten des Abgrunds dazu neigen, sich zu trennen und Transpossibilität und Transpassibilität kurzzuschließen, wie H. Maldiney es bewundernswert gezeigt hat – wobei die Selbstheit sich in das Selbst und den Anderen aufspaltet. Das drückt aus, wie sehr wir hier dem »Wahnsinn« nahe sind. Aber auch wie fern. Es steht also nicht in meiner Macht – es sei denn durch gewissermaßen negative Maßnahmen, deren philosophischer Ausdruck die hyperbolisch-phänomenologische Epoché ist –, in der Selbst-Apperzeption die Konkretheit des Leibes oder der Phänomenalität »wiederzufinden«. Deshalb gehört die Phänomenalisierung des konkreten Phänomens des faktiziellen Existierens, in dem ich eher zum Sein aufgerufen werde, als darin immer schon zu sein, der Transpassibilität im Sinne von Maldiney an, oder in unserer Terminologie, die dem architektonisch genau entspricht, der radikalen Kontingenz – vorausgesetzt, daß keine noch so radikale Kontingenz nicht auch sinnvoll wäre. Darin unterscheidet sie sich vom Zufall, der als zusammenhanglose weltliche Tatsache (in der Vorhandenheit*) ohne jeden Sinn gegeben ist. Daß »ich« bin, hängt als Rätsel vom symbolischen Stifter ab, aber daß es Phänomen gibt (und Verleiblichung), beruht auf der radikalen Kontingenz der Phänomenalisierung. Daß »ich« in der Welt bin, als verleiblichtes Phänomen, mit seinem Seinssinn, hängt sowohl, in der schon festgestellten Merkwürdigkeit, vom symbolischen Stifter ohne wirksame Macht als auch von der radikalen Kontingenz der Phänomenalisierung ab – die ebensogut mißlingen wie gelingen kann, wobei die Psychose ein Fall des Mißlingens ist. Daß dergleichen nicht in meiner Macht steht, auch nicht meinem »eigensten« zukommt und der Transpossibilität und der Transpassibilität im Sinne Maldineys angehört, ist – wie hier – leicht zu zeigen, aber auch dies ist ebensowenig »beweisbar«
124 wie die einzige (apodiktische) Gewißheit, daß jedes Selbst in der Doppelbewegung des Pulsierens sich auflöst. Gerade hier findet für uns alles seine Verankerung. Die Bewegung, durch die sich die pulsierende transzendentale Apperzeption zur SelbstApperzeption eines pulsierenden Selbst mit den phänomenologischen Konkretheiten einer Faktizität wandelt, die nur teilweise die seine ist, sondern im wesentlichen alle Möglichkeiten eines Selbst überschreitet, kann am Ort des phänomenologisch Erhabenen von jedem transpossiblen Selbst vollzogen werden, und deshalb stimmt das phänomenologische Erhabene eo ipso mit einem phänomenologischen sensus communis überein. Wir »kommunizieren« nämlich nicht außerhalb von gestifteten »konventionellen« Rahmen mittels anscheinend ganz positiver »Inhalte«, sondern durch deren Verkettungen, die in der Inchoativität des Gespürs und des Verstehens in den auf ihre Phänomenalität bezogenen (sprachlichen) Phänomenen Sinn bilden. Mehr noch und umgekehrt: wenn es nur ein Selbst auf der Welt gäbe – im nur vorgestellten Fall des metaphysischen Solipsismus –, wäre es heillos in das ontologische Simulacrum verstrickt und unrettbar in eine Faktizität eingeschlossen, die nicht einmal als die seinige erscheinen könnte, da sie ganz positiv ohne jede Differenz erschiene: es wäre psychotisch und in den chaotischen Interferenzen des symbolischen Stifters und des Feldes der phänomenologischen Konkretheiten gefangen. Alles spielt sich nun im Pulsieren der Phänomenalität des Selbst ab, das sich konkret als faktizielles Phänomen selbst-apperzipiert. In der Epoché pulsiert das Selbst im Schein (dem Gedanken), den das Denken anzunehmen scheint, bevor es, von ihm verlassen, als reiner und einfacher flüchtiger Schein vergeht. Als unendliche Doppelbewegung des Pulsierens ist diese einzig und allein, hat aber nichts von einem solus ipse, und nur die transzendentale Illusion der Onto-Theologie könnte ihr den eigentlich paradoxen Status des wahrhaft metaphysischen Solipsismus verleihen – eines Gottes, der aus Einsamkeit »wahnsinnig« würde und der in seinem Abgrund als unendliches Pulsieren seiner selbst gefangen wäre. Nun ist diese Einsamkeit der Doppelbewegung nichts anderes als die auflösende Einsamkeit eines Denkens, das »sich« wie im Vollzug der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché geläutert hat, und das »sich« als Umschlagen der Hyperbel läutert, in dem gerade das, was sie bestreitet, sie wieder ins Spiel bringt, also durch ein weiteres Einklammern des Eingeklammerten, das seinerseits sich einklammern muß, ohne daß das »Selbst« dieses »sich« jemals sich stabilisieren könnte, so unerbittlich wird es in diesem Pulsieren fortgerissen. Am anderen Ende des phänomenologischen Erhabenen ist diese scheinbare Einsamkeit oder diese scheinbare Isolierung im bodenlosen Abgrund eigentlich keine mehr, zunächst weil das »Selbst« des Denkens oder des Einklammerns nicht mehr irgendeiner Identität zugeschrieben werden kann, die sich darin völlig aufgelöst hat, insbesondere aber auch, weil diese Auflösung, die jede Zuweisung irgendeines »Inhalts« an irgendeine Identität gleichgültig werden läßt, sich sozusagen sofort auf alles ausbreitet, was demgegenüber anders erscheint, auf alles, was sozusagen von Innen die Wände des Abgrunds bekleidet, d.h. auf alles, was nun als Konkretisierung der Phänomene changiert, die im gleichen Pulsieren aufgenommen, also auf das Pulsieren der Phänomenalität zurückgeführt werden. Die Einsamkeit der Doppelbewegung radikal zu denken, lauft also darauf hinaus, die anfängliche Abstraktion zu vergessen, die es in der Hyperbel der Epoché gibt, oder die bewußte Konzentration des Denkens auf das Denken des Denkens, die Verdünnung, die das Denken auszehrt, indem sie von allen Seiten und in allen Richtungen das durch das Denken hindurchlaufen läßt, was auf den ersten Blick als seine Inchoativität erscheint. Anders gesagt bedeutet das auch, gewissermaßen die Inchoativität als solche
125 in der Inchoativität auszugrenzen. Das müßte eigentlich notwendig geleistet werden, zumindest wenn man das Denken des Gedankens in seiner Lebendigkeit oder Lebhaftigkeit apperzipieren will, aber das Vorhaben würde in sich implodieren, wenn man außer acht ließe, daß es kein Denken gibt, das nicht auf irgendeine Weise das Denken von etwas wäre. Gerade der Status dieses »etwas« ändert sich in dieser Erfahrung der Hyperbel, da das »etwas«, fern davon, ihm transparent auf das hin zu sein, was Denken von etwas sei, die Abschirmung für die Erscheinung des darin verschwindenden Denkens bildet und damit den Status oder den Schein sozusagen des Hobelspans des Denkens annimmt, also dessen, was das Denken dem nicht zum Denken Gehörenden entreißt. Und das Pulsieren des Denkens im Denken zeigt, daß es entsprechend seiner Unendlichkeit und Unbeherrschbarkeit nicht nur einen, sondern mehrere Hobelspäne geben kann, d.h. scheinbare Fetzen seiner Phänomenalität. Reines Denken gibt es gewissermaßen nur im Pulsieren »unreiner« Gedanken, die, sobald sie ansetzen, den Status des Denkens verlieren – was wiederum die Doppelbewegung mit neuem Schwung versieht. Scheinbare Fetzen seiner Phänomenalität sind sie für das Denken nur, insofern sie in der Hyperbel der Epoché auf ein Denken bezogen werden, das unbegrenzt sein Erscheinen betreibt, das genaugenommen nur in seinem Verschwinden stattfindet. Da der Schein, in dem das Denken verschwindet, nur scheinbar sein eigener Schein ist, sind nämlich eigentlich diese scheinhaften Fetzen sehr viel eher scheinhafte Fetzen der Phänomenalität überhaupt, also das, was das Denken den Phänomenen sozusagen entnimmt, um einfach nur zu denken – was es also davon »ab-strahiert«. Durch diese Vermittlung ist eigentlich die Doppelbewegung des Denkens in der Hyperbel der phänomenologischen Epoché universeller »Resonanzboden« der Phänomenalität, Schema oder »Organ« der Phänomenalisierung, auch desjenigen faktiziellen Phänomens, in dem ich mich auf eine ähnlich faktizielle Weise »eingerichtet« habe. Aber ich werde nicht wie von einer unerbittlichen Notwendigkeit dazu aufgerufen. Dies werde ich nämlich von der Transpassibilität, deren entsprechende Transpossibilität mich dem gegenüber öffnet, was mir als meine (eigenste) Möglichkeit erscheint: also sozusagen die Transpassibiltät der Phänomenalität selbst und damit die »Dimension« der grundlegenden phänomenologischen Anonymität der Phänomenalität. Wo »ich« durch die Transpossibilität, die mich als Möglichkeit sein läßt, sein kann, da kann auch ein Anderer sein, sogar jeder Andere, eben durch die gleiche Transpassibilität, deren Transpossibilität ihn und uns als Möglichkeiten sein läßt. Gäbe es diese Transpossibilität der Faktizitäten oder der Phänomene als das, was sie als Möglichkeiten sein läßt, nicht, oder wäre diese Transpossibiltät, die ja der Transpassibilität für die faktiziellen und sich gegenseitig fremden Möglichkeiten entspricht, nicht ursprünglicher als die Möglichkeit, dann wäre die Interfaktizität, also auch die Phänomenalität unmöglich, oder die Transpossibilität würde aus architektonischer Sicht wie bei Heidegger auf die Ebene der Möglichkeit in einem ursprünglichen existentialen Solipsismus zurückgeworfen, und wir hätten schließlich – da ohne Transpassibilität und Phänomenalität – eine Phänomenologie ohne Phänomene und damit einhergehend wäre die Phänomenalität auf den Status des Scheins zurückgeworfen – wobei es – wie die phänomenologische Betrachtung jeder »ursprünglichen« oder »authentischen« Zeitlichkeit leicht merkt – gleichgültig bliebe, ob es sich um das Phänomen oder die Illusion des Phänomens handelt. Gerade dies führt uns zu der entscheidenden Schlußfolgerung, zu der wir schon auf anderen Wegen in unseren Recherches phénoménologiques gelangt waren: wenn es ein Phänomen gibt, dann notwendigerweise davon mehrere in einer a priori unbe-
126 stimmten Vielfalt. Es gibt also keine Faktizität, die nicht gleich-ursprünglich in einer Vielzahl der Faktizitäten wäre, und die selbst-lose, also anonyme Phänomenalität ist ihr »Kommunikationsmittel«. Damit korreliert, um mit Husserl zu sprechen, daß die transzendentale Subjektivität (als Faktizität) ursprünglich transzendentale Intersubjektivität (Interfaktizität) ist. Eine weitere Konsequenz aus dem obigen ist, daß wir nun besser erfassen können, wie die selbst-lose »Reflexivität« der Phänomene in der Phänomenalität und die begriffslose, aber mit der Selbstheit des sich bildenden Sinns versehene teleologische Reflexivität der sprachlichen Phänomene in ihrer Faktizität aneinandergegliedert sind. Gehen wir von der konkreten Selbst-Apperzeption als einem sprachlichen Phänomen aus. Die Besonderheit eines sprachlichen Phänomens besteht darin, daß der in ihm waltende, in seiner Zeitigung/Räumlichung sich weiter ausbildende Sinnansatz als Öffnung des Sinns – und der Zeit und des Raums des Sprachlichen – schon auf ihn selbst bezogene Zeitigung/Räumlichung ist, womit nun die Selbstheit des Sinns konstituiert wird. Weit von der klassischen Auffassung entfernt, eine unzeitliche oder zeitlose Idee zu sein, die das sprachliche Phänomen nur auszudrücken brauchte, zeitigt sich der Sinnansatz des Sprachlichen schon als solcher – insofern er Aufruf des Sinns zum Zu-künftigen und ein von seinem unmittelbaren Vergangenheitsbezug her zu erwartendes Versprechen des Sinns ist, also protentionaler Appell des Sinns als Ent-wurf des Sinns und unmittelbar retentionaler Bezug des Sinns als Anspruch des hinfort zu Bildenden. Und zugleich verräumlicht er sich schon als solcher, insofern er sich sogleich von sich selbst entfernt als Sinn des Ent-wurfs und Sinn des Anspruchs, indem er den Raum des »Gleichzeitigen« als die Zeit der Gegenwärtigkeit öffnet, welche der Sinn, um sich zu bilden, unter dem zukünftigen Horizont des Entwurfs und unter dem gleich vergangenen Horizont des Anspruchs sowohl ausdehnen als auch durchqueren muß. Der Zeit-Raum der Gegenwärtigkeit beginnt also immer schon in sich selbst und bildet sich nur, indem er sich selbst immer wieder eine Fassung gibt und den geöffneten und sich weiter öffnenden Raum (das »Gleichzeitig«) zeitigt. Aber dies geschieht eben nur dann, wenn es dem Sinn gelingt, sich sozusagen an sich selbst zu klammern und sich nicht gleich als Sinnansatz zu verlieren. Es ist eine nicht seltene alltägliche Erfahrung, daß wir den »Faden« unserer »Vorstellungen« verlieren, anders gesagt, daß sich der Sinn in seinem Ansatz ekliptisch verdunkelt. Dann gerät auch der sich zur Öffnung auf sich selbst ansetzende Zeit/Raum in den Schatten, und wir sind nun sehr dicht am ekliptischen Hinund Her-Klappen von Zeit und Raum, von dem in der phänomenologischen Erfahrung der hyperbolischen Epoché des Denkens die Rede war. So gesehen ist die Eklipse des Sinns in seinem Ansatz eine besondere, sich »spontan« vollziehende Art der hyperbolischen Epoché des Denkens. Den Sinn, der sich für einen Moment geregt hat, durch Konzentration des Denkens auf sich selbst zu suchen, wird vergeblich sein, es wird nichts anderes finden als sein Pulsieren mit dem Denken. Eine Chance, den Sinn wiederzufinden, kann eben nur durch eine Rückkehr zur Unaufmerksamkeit, zum Fließen des Denkens in seiner Inchoativität gelingen, d.h. durch eine besondere Weise der Entspannung, in welcher der angesetzte Sinn sich in seiner radikalen Kontingenz vielleicht wieder zeitigen und räumlichen wird. Im Grunde genommen ist diese Rückkehr nichts anderes als eine systolische Entspannung des Denkens gegenüber abgründiger Phänomenalität und eine diastolische Öffnung auf die Phänomenalität in ihrer phänomenologischen Anonymität – was also die von uns so genannte Inchoativität des Denkens changieren läßt. Genau an der Stelle dieser Resonanz der Phänomenalität überhaupt in der pulsierenden Phänomalität des Den-
127 kens, an der sich das »Organ« oder das Schema der Phänomenalisierung wieder einbringt, kann die Phänomenalisierung des sprachlichen Phänomens stattfinden, d.h. die Öffnung oder Wiedereröffnung des Sinns auf sein Abenteuer – dem nichts, allenfalls eine besondere Beachtung der Resonanz, den Erfolg garantieren kann. Alles kommt in der Tat auf diese Resonanz an, dank derer übrigens der Sinn in den sprachlichen Phänomenen als Sinn seiner selbst nicht nur zu sich selbst kommt. Das bedeutet, daß der Sinnansatz, als Ansatz des Sinns nicht völlig formal oder leer ist, sondern daß er schon bevor er sich gewissermaßen auf sich selbst zurückbeugt, indem er zu seiner Zeitigung/Räumlichung ansetzt, eine nicht beliebige phänomenologische Konkretheit besitzt. Diese kann nun nichts anderes sein als die Konkretheit, die in Fetzen oder Spänen durch die wechselseitige Doppelbewegung des Pulsierens des Denkens und des Gedachten entrissen wurde. Sie ist also in diesem Pulsieren notwendigerweise im Plural. Die zur Resonanz bereite Öffnung zur Phänomenalität ist also nichts anderes als die Öffnung auf eine unbestimmte und massenhafte Vielfalt von pluralen phänomenologischen Konkretheiten als scheinhafte Phänomenalitäts-Fetzen oder -Späne, was nun wiederum auf konkretere Art begreiflich macht, was unter der Inchoativität des Denkens zu verstehen wäre. Das Rätsel besteht darin, daß in den Anordnungen, Neuordnungen oder mehr oder weniger chaotischen Auflösungen dieser phänomenologischen Konkretheiten so etwas wie Sinn – wie er es immer schon konnte und auch weiterhin tun wird – sich wieder aufs Neue als eine Reflexivität regen kann, die Selbstheit verleiht (wobei die Selbstheit nicht Identität, also Begriff ist), indem sie sich über sich selbst beugt und sich in sich selbst reflektiert. Aber sie reflektiert sich dabei wohlgemerkt nur, indem sie sich vom inchoativen Feld der phänomenologischen Konkretheiten entfernt oder loslöst, indem sie ihm einen Sinn verleiht, das eben nicht ganz einfach Sinn des Sinns oder Sinn der Sinnregungen ist. Anders gesagt, diese scheinhaften Phänomenalitätsfetzen verteilen sich gemäß der Zeitigung/Räumlichung wieder neu als solche Ansätze, die sogleich von anderen Sinnregungen verstellt werden, die dabei buchstäblich nicht die notwendige Zeit (und keinen Raum) zur Entfaltung haben, die aber durch ihr Pulsieren jenseits des Sinns zugleich die Phänomenalität des sprachlichen Phänomens konstituieren. Dadurch reduziert sich das sprachliche Phänomen nicht allein auf eine gewissermaßen hypernominalistische Position des Sinns für den Sinn, der dann unaufhebbar und unerklärlich willkürlich wäre. Das heißt aber auch umgekehrt, daß diese vielfältigen pulsierenden Bewegungen der Phänomenalität in den sprachlichen Phänomenen durch ihre mehr oder weniger in der Zeitigung/Räumlichung versunkene Lebhaftigkeit die Phänomenalität aufzulösen drohen. Gerade das läßt sie eben in einer Lebendigkeit pulsieren, deren schwindender Charakter auch ekliptisch werden kann. Die Suche und das Gewinnen der Selbstheit des Sinns sind also niemals von vornherein gesichert und das Bestehenbleiben der phänomenologischen Konkretheiten, auch wenn sie in den sprachlichen Phänomenen als Vermögen zum Wachsen und Auflösen des Sinns in seiner Selbstheit neu verteilt werden, verweist deutlich darauf, daß phänomenologisch sich niemals ein eindeutiger Sinn als solcher herausbilden kann, ohne eine transpossible Mehrstimmigkeit von anderen Sinnregungungen zu erwecken, die von ihrer Transpassibiltät ausgeht, welche in und durch den sich als seine eigene Möglichkeit entfaltenden Sinn ständig fungierend bleibt. Die Möglichkeit geht demnach nur aus der Transpossibiliät hervor, von ihr bezieht sie eigentlich das Vermögen, anderes als nur die eigene Möglichkeit zu bedeuten. Dieses Vermögen, etwas anderes als seine eigene Möglichkeit zu bedeuten, ist also seinerseits streng an eine ursprüngliche und a priori unbestimmte Pluralität von transpas-
128 siblen und transpossiblen Sprachphänomenen gebunden, die als Sinnregungen von radikaler Kontingenz auch so viele verborgene Faktizitäten sind. Diese »kommunizieren« nicht nur vermittels ihrer Sinnregungen, sondern eher hinter oder jenseits von ihnen über die darin pulsierende Phänomenalität, die sie als etwas anderes »leben« läßt als etwa mehr oder weniger willkürliche kleine Inseln, die jeweils in sich abgeschlossen und an einem wer weiß welchen unbewußten »Ort« »angesiedelt« sind. Wie steht es nun mit dem Problem der Selbst-Apperzeption – meiner und der anderen Menschen – als Sinn und als Seinssinn? Sie scheint ja durch die hyperbolische Epoché der scheinbaren Homogenität des menschlichen Selbst als jeweils ein Ganzes »Seiendes« unterwegs verlorengegangen zu sein. Gerade hier bietet sich uns eine Chance, konkret aus den Aporien des Solipsismus herauszukommen, der in der transzendentalen Egologie Husserls und in der Heideggerschen Analytik des Daseins* zu wirken scheint. Bin ich also wie ein Sinn unter all den anderen transpassiblen und transpossiblen Sinregungen der sprachlichen Phänomene? Oder bin ich einfach nur sprachliches Phänomen und nichts anderes? Gewissermaßen ja, insofern es schon mein Leben ist, einen Sinn oder ein Sinngebinde für mein Leben zu finden, was ich im Laufe meiner Geschichte tue, indem ich sie teleologisch reflektiere, d.h., um mit Binswanger zu sprechen, indem ich sie als eine »innere Lebensgeschichte« konstituiere – mit all den Mißerfolgen und Verirrungen, welche das mit sich bringt. Aber bin ich nichts mehr? Welche Tiefe hat das Cogito, d.h. – in unseren Begriffen – das phänomenologische Erhabene? Wir werden wohl niemals einen rein phänomenologischen »Grund« für die Existenz des menschlichen Selbst finden, weil diese sich im phänomenologischen Erhabenen in der allerdings phänomenologischen Begegnung mit dem symbolischen Stifter als das abspielt, was die Humanität eines jeden an sich unersetzbaren und symbolisch transpossiblen menschlichen Selbst empfängt und stiftet, ohne sie auch nur im geringsten zu bestimmen oder zu verursachen. Das Cogito ist gerade deshalb zweideutig, weil es ein verfehltes oder kurzgeschlossenes Erhabenes ist und weil doch die letzte Wurzel der Ichheit bei Descartes in diesem »negativ erhabenen Moment« des böswilligen Geistes liegt (derjenige, den er zu täuschen sich bemüht, bin immer noch ich) – und in einem bestimmten Verständnis wird dieser »Moment« in und durch das ontologische Argument der 3. Meditation in einen »positiv erhabenen Moment« verwandelt. Aber es gibt andererseits für die konkrete, phänomenologische Selbst-Apperzeption des konkreten menschlichen Selbst, also für seine Verleiblichung als Pluralität von konkret faktiziellen Phänomenen nur phänomenologische »Gründe«. Davon sind wir ja ausgegangen. Es bleibt dennoch die Frage, inwieweit das Selbst als Form des Selbst symbolisch gestiftet ist, d.h. als Selbstheit, oder inwieweit die Selbstheit als eine phänomenologische Form der Reflexivität (in den sprachlichen Phänomenen) zu verstehen ist. Die Frage ist äußerst schwierig und komplex, da sie gewissermaßen aus der Frage nach dem menschlichen Individuum – und seinem Status – quer durch die Geschichte und die verschiedenen möglichen symbolischen Stiftungen der Menschheit besteht – die Gefahr des Ethnozentrismus ist also groß. Dennoch, insofern der »Moment« des Erhabenen eine phänomenologische Erfahrung des Symbolischen (in seiner abgründigen Begegnung mit dem Phänomenologischen) ist, kann man sagen, daß das menschliche Selbst in der phänomenologischen Begegnung mit dem Rätsel seiner symbolischen Stiftung – zugleich eine phänomenologische Begegnung mit dem symbolischen Stifter – sich im Rätsel seiner selbst, der Anderen und des symbolischen Stifters als den Ort der Reflexion dieses Rätsels auffaßt, d.h. als eine Art von
129 Meta-Sinn oder Hyper-Sinn, der die ursprüngliche Vielfalt der Sinnansätze zum Sinn aller Sinnregungen vereinigt. Es handelt sich insofern um einen Ansatz und nicht um Vollendung der teleologischen Reflexion, wie Kant etwa in seiner dritten Kritik meinte, als der symbolische Horizont des Sinns der Sinnregungen auf der Stufe seiner Versetzung in den Abgrund nicht in einen Begriff umgewandelt werden kann – auch wenn es der Begriff aller Begriffe, die Idee aller Ideen wäre. Daher kann das Ego tatsächlich als »Quelle« oder in Husserlscher Terminologie letztlich »konstituierend« erscheinen. Aber nicht als »reale Wirklichkeit«, sondern als symbolischer Horizont aller möglicher Sinnregungen, was nun mit der Idee der Teleologie »meiner« Geschichte, aber auch mit der allgemeinen menschlichen Geschichte zusammenpaßt. Das Wesentliche ist hier aber, daß dieser symbolische Horizont sich eben konkret an die Transpassibilität der konkreten Apperzeption des Selbst in der Phänomenalität seiner Phänomene angliedert, daß also sozusagen die bloße Peripherie der Phänomene durch zwei unendliche Horizonte doppelt zentriert wird, die sich im Unendlichen treffen, jeweils abgründig auf das Rätsel des Zentrums hin geöffnet, dem Mittelpunkt eines Ichs, das sich als Zentrum entgeht, um abgründig und echohaft mit dem Zentrum als Sinn aller Sinnregungungen zu pulsieren. Auf diese seltsame und komplexe Topologie werden wir noch andernorts zurückkommen. Ihre Merkwürdigkeit rührt aber nur daher, daß ihr Mittelpunkt unauffindbar ist und sowohl im Innersten als auch jenseits der Ränder der Welt pulsiert. Das bedeutet, was wir ausführlich in unseren Recherches phénoménologiques gezeigt haben, daß jede Zentrierung der Phänomene in einer »Zugehörigkeitssphäre« (gewissermaßen Husserl, aber auch Heidegger) illusorisch ist – eine gewissermaßen transzendentale Illusion des ontologischen Simulacrums. Oder es heißt in anderen Begriffen, daß die konkrete SelbstApperzeption des verleiblichten Selbst, des phänomenalen Selbst in seiner Faktizität, unaufhebbar dezentriert ist, in unbegrenzter Schieflage zu sich selbst und ursprünglich verdreht, weil sein Innen und Außen nicht miteinander übereinstimmen. Es gibt also gewissermaßen in »seinem Phänomen« »ebenso viel« Scheinen an ihm, das ihm »zugehört«, wie solches, das ihm eigentlich nicht »zugehört«, »ebenso viel« Jemeinigkeit* wie phänomenologische Anonymität – und gerade das verdirbt entscheidend den Heideggerschen Ausdruck von »eigener« oder »eigenster Möglichkeit«, der ja nur dem Feld der symbolischen Bestimmungen angehört. Das bedeutet, daß ich konkret in meiner Selbst-Apperzeption nur als Feld ontologischer Möglichkeiten des Existierens zur Verleiblichung komme, wobei diese sich als solche immer schon und auf immer in das größere Feld von unbestimmten Transpossibiltäten von Faktizitäten einschreiben. Das bedeutet entsprechend auch, worauf wir schon mehrfach hingewiesen haben, daß die Welt in der transzendentalen Illusion ihrer ausschießlichen Jemeinigkeit* eigentlich nur Implosion oder Verdichtung durch unangemessene und ausschließliche Konzentration einer ursprünglichen phänomenologischen Vielfalt von Welten ist; und dem entspricht auch, daß es in Wirklichkeit keine anderen Phänomene als die Weltphänomene gibt. Für das ontologische Simulacrum ist auch die Illusion konstitutiv, daß das Kondensat von Welten, das sich vermeintlich in ihm konzentriert, wegen der Inchoativität der Welten, deren Vermengung dem Chaos nahe, wenn nicht gar mit ihm identisch ist, das Äquivalent oder gar der Name des Seins ist – der sich übrigens leicht mit dem Namen des Einen und dem Namen des Ganzen verbindet: das Quasi-Unsichtbare der Vermengung im Chaos scheint wirklich alles, was ist (das Seiende), hervorbringen zu können, wenn nur die demiurgischen (genetischen) Gliederungen der symbolischen Stifung darin
130 eindringen, womit wir ganz dicht an einer Onto-Theologie sind, der gegenüber jeder nach Belieben seinen Grad an Abweichung, Verschiebung oder Verfeinerung wählen kann. Zu den Neuerungen unserer Phänomenologie gehört demnach, daß in ihr kein Unterschied mehr zwischen Weltphänomen und Phänomen der Dinge der Welt zu machen ist, zumindest was ihre Phänomenalisierung angeht: wenn ein Ding der Welt sich in einem Phänomen phänomenalisiert – was, wie wir gesehen haben, nur in einem sprachlichen Phänomen geschehen kann –, dann deshalb, weil es sich selbst durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoché in Welt »verwandelt«, aber selbstverständlich auch, weil jedes sprachliche Phänomen eo ipso Weltphänomen ist, in dem die Dimension der Welt genau in dem liegt, was wir als phänomenologische Konkretheiten aufgedeckt haben, nämlich scheinhafte Fetzen oder Späne von Phänomenalität, die darin ständig als Transpassibiltäten anderer sprachlicher Phänomene, aber auch, was noch genauer zu zeigen ist, anderer Weltphänomene, also außerhalb des Sprachlichen, pulsieren. Wir müssen also, wenn wir die Transpossibiltät an die Transpassibilität angliedern und damit die Faktizität des Selbst jeder konkreten Apperzeption, und insbesondere die Faktizität jeden Sinns und jeder Selbstheit des Sprachlichen noch tiefer verstehen wollen, näher fassen, welchen phänomenologischen Status die scheinhaften Fetzen oder Späne der Phänomenalität noch haben, sozusagen »noch bevor« sie in ihren Anordungen und Neuordnungen sich über sich selbst beugen, um zum Abenteuer des Sinns anzusetzen. Es handelt sich also darum, unsere noch embryonale Phänomenologie der fungierenden Sprache weiter zu verfolgen, diesmal eher von der Seite der Phänomenalität und ihrem Pulsieren (der Zeiten und Räume des sich bildenden Sinnes) her als von der Seite des sich reflektierenden Sinnes in seiner sich bildenden Selbstheit. Anders gesagt: was an wirklich Konkretem gibt es in den Konkretheiten? Und weshalb entgehen sie als solche dem sich bildenden Sinn, d.h. auch dem (begleitenden) Bewußtsein (con-science), dem schon darin enthaltenen Mit-Wissen des Sinns in seiner protentionalen Zukunft und seiner retentionalen Vergangenheit, ein Wissen vom Bilden des Selbst, das eben sich Bildendendes ist? Alles hängt bekanntlich damit zusammen, daß der Sinn, um sich hinsichtlich seiner selbst zu entfalten – sich zu zeitigen und zu räumlichen –, niemals ausschließlich Sinn von sich selbst, sondern eben Seinssinn oder vom eher phänomenologischen Standpunkt aus Welt-Sinn ist. Das bedeutet, daß der reflexive Bezug des Sinns auf sich selbst – wodurch er zu einem bewußten Sinn wird – notwendig mit einem Bezug auf etwas anderes als er selbst verbunden ist, von dem er also Sinn ist, und gerade von dieser wirklich sehr komplexen Verkoppelung dieser beiden Bezüge hat sich das Cogito und das ontologische Simulacrum abstrahierend rein gehalten. In diesem aber sind sie durch die transzendentale Erschleichung aneinander angeglichen oder miteinander vermengt, denn gerade die Selbst-Apperzeption des Cogito macht aus dem offensichtlich hypostasierten Ego die Quelle jeden Seins – ob nun im Husserlschen konstituierenden Bewußtsein, in der cartesianischen Auffassung des Unendlichen (ontologisches Argument), oder dem in seiner eigensten Möglichkeit ergriffenen Dasein* – wobei hier Ego bzw. Gott als Zentrum in einem abgründigen Spiel der Doppelbewegung als Echo widerhallen. Nun sind aber diese beiden Bezüge voneinander unterschieden, was die De- oder Exzentrierung nach sich zieht, also die Unmöglichkeit, ein Ego oder ein Selbst zu konzipieren, welches mehr oder weniger souverän die gegenständlich-ontische Referenz der sprachlichen Phänomene regeln würde. Das bedeutete, klassisch gesprochen, die transzendentale, oder gar existen-
131 tiale Gründung des apophantischen Logos, deren gemeinsames Kennzeichen ist, daß ihre gut justierte Selbst-Reflexivität die Referenz als einen Bezug regelt, der selbst ebenso fein auf das gegenständlich-ontische Äußere eingestellt, also wahr ist – der Bezug zu sich selbst ist damit konstitutiv für den Bezug zum anderen. Der Unterschied dieser beiden Bezüge läßt sich folgendermaßen fassen: während der erste, reflexive, der einer Selbstheit ist, nämlich des sich in seiner Entfaltung überwachenden Sinns, ist der zweite zwar auch »reflexiv«, aber in einer nicht mit Selbstheit versehenen oder jede Selbstheit ins Pulsieren bringenden Phänomenalität. Gewissermaßen wird der erste durch die Dimension des Sinns getragen, der zweite durch die Dimension der Welt. Das sprachliche Phänomen in seinem Ursprung gefaßt – der nicht sein Anfang ist, welcher, wie wir wissen, ihm immer schon angehört –, also in seinem Pulsieren, ist, wie gesagt, Pulsieren von Phänomenalitätsfetzen, noch »bevor« diese sich über sich selbst beugen, um in ihrer Anordung (logos) den Anfang zu konstituieren. Ein flüchtiger »Moment«, äußerst subtil, dem man unmöglich beiwohnen kann, weil dergleichen ein Bewußtsein voraussetzte, d.h zumindest einen schon gezeitigten/eingeräumten Anfang eines sprachlichen Phänomens. Aber ein flüchtiger »Moment«, in dem sich die Artikulation der beiden Beziehungen wirklich konstituiert. Diese gehören notwendig zusammen, da in der Bewegung des Beugens über sich selbst zugleich Abstand gegenüber dem genommen wird, was der Ordnung des Selbst nicht angehört. Übrigens wird dann dieser Abstand innerhalb des sprachlichen Phänomens wieder aufgegriffen, wobei er aber von diesem auf kohärente Weise verformt wird, und zwar als Referenz des Sprachlichen gegenüber dem, von dem es Sprachliches ist. Zwar kann unmöglich das Ineinanderfügen der beiden Beziehungen direkt erfaßt werden, aber es ist dennoch möglich, indirekt auf es zurückzukommen, indem man auf die Referenzfrage eingeht. Aber auch diese Frage muß unter der Leitung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché angegangen werden, d.h. indem man jede symbolische Stiftung der fungierenden Sprache hin zum Sprachsystem außer Kraft setzt und zudem von jeder Auffassung absieht, in der das Zeichen zugleich Zeichen von Bedeutung (Begriff) und Eidos (Seiendes) ist. Damit sind die »Zeichen« (mit ihren phänomenologischen Anführungszeichen) nicht in erster Linie »Zeichen« eines »semiotischen Systems«, sondern »Zeichen« des sich bildenden Sinns und können ebenso fließend und mehrdeutig sein wie der Sinn selbst auch. Innerhalb des sich bildenden Sinns in seiner Zeitigung/ Räumlichung verweisen die »Zeichen« wie Stafetten aufeinander, und überdies gliedert sich in einer Komplexität, von der die Grammatik nur eine sehr schwache Vorstellung gibt, in diese vielfältigen Verweise innerhalb dessen, was die innere und begriffs-(und bedeutungs-)lose Teleologie des Sinns für ihn ausmacht, jener andere Bezug des Sinns zu dem ein, wovon er der Sinn ist. Wir entfernen uns damit schon weit von einer Selbst-Transparenz des Selbst, die das Verhältnis des Selbst zu seinem Äußeren regelte, denn dieser Bezug des Sinns zu sich ist eben nicht der einer mit ihren Protentionenen und Retentionen versehenen Gegenwart, sondern einer komplexen Gegenwärtigkeit, die sich rhythmisiert, u.z. nicht in ihren »Zeichen«, sondern durch sie hindurch, zwischen ihnen, sogar hinter ihnen, in einer ganz komplexen Vielfalt von Protentionen und Retentionen, die durch die Selbstheit des sich bildenden Sinns zusammengehalten werden. Vom architektonischen phänomenologischen Gesichtspunkt aus vermag also nichts a priori die Referenz der Sinnregungen zu dem zu regeln, von dem sie sich als Sinnregungen phänomenalisieren – u.z. letztlich deshalb, weil es ebenso viele Rhythmen der Zeitigung/Räumlichung wie sprachliche Phänomene gibt.
132 Was in den »Zeichen« erlaubt ihnen, in ihren wechselseitigen Verweisen als »Zeichen« des Sinns ihr Wesen zu treiben? Kann es in ihnen etwas anderes geben als eben Sinnansätze? Ansätze, die sich untereinander ablösen, um sich schließlich im Rhythmus des sich bildenden Sinns oder im Laufe seines Abenteuers zu rhythmisieren? Und können sie sich nicht gerade deswegen untereinander ablösen und dabei sogar zum Scheitern des Sinns im Widersinn oder zumindest seiner Verirrung führen, weil sie, ebenso fließend wie der sich suchende Sinn, nicht einfach nur in sich Ansätze dieses Sinns, sondern Ansätze ganz vielfältiger Sinnregungen sind – was die Linguistik ganz ungenügend durch den verformenden Filter der symbolischen Stiftung des Sprachlichen zum Sprachsystem mit dem Begriff der Polysemie wiedergibt. Diese Ansätze pulsieren wie beiläufig im Rhythmus des sich bildenden Sinns und verleihen durch ihr Pulsieren dem sprachlichen Phänomen Phänomenalität, nicht einfach des sprachlichen Phänomens als solchem – durch das Pulsieren des sich bildenden Sinns, der sich immer darin zu verlieren droht – sondern auch des sprachlichen Phänomens als Welt-Phänomen, das durch dieses Pulsieren die Ansätze von vielfältigen Sinnregungen als phänomenologische Konkretheiten der Welt in sich mitführt. Genauer: nur insofern es dem sich in seiner Bildung rhythmisierenden Sinn mehr oder weniger gelingt, die Vielfalt dieser pulsierenden Sinnregungen in ihren Ansätzen gegenseitig zu neutralisieren, erwirbt er eine gewisse – grundsätzlich niemals völlig sichere – Herrschaft über die Komplexität seines Bezugs zu dem, als dessen Sinn er sich sucht. Umgekehrt zerstiebt der Sinn um so mehr, je weniger diese Neutralisation stattfindet, er zerstreut sich dabei in Ansätze von vielfältigen Sinnansätzen, die wie ein undurchdringliches Gestrüpp seinen Weg versperren – das Gestrüpp der phänomenologischen Konkretheiten der Welt. Damit wird deutlich, welch prekäre und schwierige Erfahrung die Zeitigung/Räumlichung des Sinns ist, die sich meist im Formalismus eines Sinns kurzschließt, der, weil er nur als der Sinn seiner selbst scheint, ein Un-Sinn wird, eine quasi nominalistische Erfahrung der Sprache, »Wortlösung«. Genau das macht, wie wir später noch sehen werden, eine »phänomenologische Architektonik« der fungierenden Sprache notwendig. An diesen Ansätzen vielfältiger Sinnregungen ist äußerst bemerkenswert, daß diese vielfältigen Sinnregungen, insofern sie als Stafette eines suchend sich bildenden Sinnes genommen werden, im Zustand von Vermöglichkeiten bleiben, die sich ebenso schnell wieder verdunkeln, wie sie erschienen sind. Sie sind also eher vielfältige Vermögen als Ansätze des Sinns, da sie in der äußersten Schnelligkeit der Sinnentfaltung nicht einmal »Zeit« (oder »Raum«) haben, sich als vielfältige Sinnregungen in Gang zu setzen. Es sind also auch gewissermaßen implodierte Sinnregungen, die aber aus dieser Implosion sozusagen mehr oder weniger große Reserven zur Explosion zurückbehalten haben – wenn sie nur nicht wiederum durch die symbolische Stiftung der fungierenden Sprache zum Sprachsystem gegenseitig neutralisert werden, eine Stiftung, die immer mehr oder weniger, wie wir seit der Stiftung der Philosophie und der Logik wissen, aus einer Kanonisierung besonderer Sinnarten besteht, wobei die Neutralisierung in der Logik ganz offensichtlich ihr Maximum erreicht. Diese »Sinnvermöglichkeiten« können also streng phänomenologisch nur vor dem Sinn und sogar vor jeder Sinnregungen, also auch vor der Selbstheit und sogar vor dem begleitenden Bewußtsein (con-science) bestehen. Sie sind also im wahrsten Sinne des Wortes unbewußt. Dies allerdings nicht einfach im Sinn des symbolischen Unbewußten, das die Psychoanalyse erforscht, auch wenn dieses aus dem ersteren als deren blinde symbolische Rekodierung hervorgeht,28 sondern in der Bedeutung des von uns so genannten phänomenologisch Unbewußten. Die phänomenologischen
133 Konketheiten der Welt oder die scheinhaften Phänomenalitätsfetzen oder -späne haben also die Besonderheit, daß sie eben vom Sinn her als a priori unbestimmte und unendliche Sinnvermöglichkeiten pulsieren. Diese Konkretheiten befinden sich also nicht, worauf wir schon andernorts hingewiesen haben, schlicht und einfach in einem Chaos – wo sie sich nur in der bis zum Äußersten getriebenen Hyperbel der phänomenologischen Epoché zu befinden scheinen – sondern sie sind, insofern der Sinn nur von ihnen aus sich in seiner Zeitigung/Räumlichung anzusetzen vermag, immer schon und auf immer irgendwie bestimmten »Ordnungen« ausgeliefert, die, da sie sich grundsätzlich meistens einer »Form«gebung durch den Sinn eines Bewußtseins entziehen, dem angehören, was Husserl sehr treffend und bewußt paradox passive Synthesen nannte – d.h. Synthesen oder »Anordnungen« von Konkretheiten, die grundsätzlich jeder Aktivität eines Bewußtseins entgehen, da sie das »schon Daseinde« und das »noch Bestehende« außerhalb jeden Zugriffs der Aktivität des Sinns konstituieren. Diese Anordnungen oder Neuordnungen der phänomenologischen Konkretheiten der Welt, die sich ohne das Wissen des Sinns und des Bewußtseins vollziehen, nennen wir passive Synthesen zweiten Grades – während die passiven Synthesen ersten Grades der sich blind vollziehenden Rekodierung dieser Konkretheiten im symbolischen Unbewußten der Psychoanalyse, also dem symbolischen »Spiel« der »Signifikanten« angehören, das sie besetzt und hervorhebt.29 Die passiven Synthesen dritten Grades, auf die wir noch zurückkommen werden, gehören direkt der Transpassibilität an. Man wird in diesen weltlichen phänomenologischen Konkretheiten, den scheinhaften Phänomenalitätsfetzen oder -spänen das erkannt haben, was wir andernorts, Merleau-Ponty folgend, wilde Wesen nennen30 – wild, weil sie sich in ihrer durch und durch phänomenologischen Dimension bei der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché gegenüber jeder symbolischen Stiftung des Sprachsystems und der Kultur abheben. Diese Bezeichnung paßt besser als »Sinnvermöglichkeiten«, da sie darauf verweist, daß diese sich eben noch »außerhalb« oder »vor« ihrer Aufnahme ins eigentliche Feld des Sinns befinden. Die sprachlichen Phänomene haben also genau darin eine weltliche Dimension, daß sie während ihrer Entfaltung die wilden weltlichen Wesen als unbestimmte und unendliche Sinnvermöglichkeiten ins Spiel bringen, die zwischen ihrem Entstehen und ihrem Verschwinden pulsieren. Man könnte sagen, daß diese sich dadurch gewissermaßen phänomenalisieren. Die ganze Schwierigkeit, die auch eine architektonische ist, besteht also darin, daß sie sich nicht als solche phänomenalisieren – daß die Phänomenalitätsfetzen, also etwas von der Phänomenalität, tatsächlich Phänomen werden könnte, wäre gerade die transzendentale Illusion –, sondern sich als Fetzen der Weltphänomenalität (ohne Begriff) »reflektieren«, d.h. als Weltdimensionen von Weltphänomenen jenseits des Sprachlichen – wovon die »Tatsache« Zeugnis ablegt, daß sie immer in den passiven Synthesen zweiten Grades enthalten sind. Genau das gilt es nun zu verstehen, wenn wir die Komplexität der Weltreferenz oder der Referenz der sprachlichen Phänomene zur Welt erfassen und dabei nicht gleich in die linguistische Abstraktion fallen wollen, die einfach nur die wilden Wesen* den »Zeichen« angleichen will, auch wenn sie phänomenologisch auf den sich bildenden Sinn reduziert sind – als ob die »Zeichen« unmittelbar auf die wilden Wesen* hin durchsichtig wären. Wir müssen also begreifen, daß die wilden Wesen* der passiven Synthese zweiten Grades nur insofern angehören, als sie als phänomenologische und außersprachliche Konkretheiten von Weltphänomenen (Phänomene pluraler Welten) schimmern, welche ihrerseits passiven Synthesen dritten Grades angehören und ihren eigentlichen Ort in der von Maldiney so genannten Transpassibilität haben.
134 Der Sinn leitet sich beim Ansetzen seiner Zeitigung/Räumlichung nur dadurch ein, daß eine Konfiguration von wilden Wesen*, die sich schon und auch weiterhin in den passiven Synthesen zweiten Grades hergestellt hat, sich auf sich selbst zurückbeugt, wenn der Sinn sozusagen seinen Weg findet und ihn durch diese Konfiguration hindurch bahnt. Diese wird er seinem Rhythmus gemäß neu anordnen, indem er faktiziell die wilden Wesen* in Sinnvermöglichkeiten umwandelt. Die so gefaßte Anfangssituation des Denkens läßt die Frage offen, von wo aus und wie sich die Konfiguration der wilden Wesen* herstellt. Diese kann ja nicht chaotisch oder irgendwie beliebig sein – auch wenn sie in der Relation zum Sinn meist so zu sein scheint. Wir haben aber nun gesehen, daß die Reflexivität nur mit beträchtlichem phänomenologischen Schaden ausschließlich dem Sprachlichen zugewiesen werden könnte. Es gibt eine andere, nämlich die »Reflexivität« ohne Selbstheit der Phänomene in ihrer Phänomenalität, und ein sprachliches Phänomen kann es nur durch das Aneinandergliedern beider Reflexivitäten geben. Diese Gliederung besteht letztlich darin, daß sich etwas auf sich selbst zurückwendet, das sich ursprünglich nicht über ein Selbst beugt (eine Art von phänomenologischem »An Sich«), das aber deswegen nicht blind oder maschinell ist, da es sich ganz im Gegenteil als Öffnung der Phänomene auf die Phänomenalität hin gibt. Es scheint zunächst, wenn man die Sache noch ein wenig weiter treiben will, daß das Über-sich-Beugen (repli) der Reflexivität des Sprachlichen eben nur dann stattfinden kann, wenn es zunächst den Abstand zwischen einem Falten (pli) und Ent-falten (dé-pli) gibt, innerhalb dessen jenes Zurückbeugen sich zu bewegen vermag, das nicht aus ihm selbst hervorgeht. Dieses Entfalten oder Ausbreiten, das der Zeit/dem Raum des Sprachlichen vorausgeht, kann nur das des Weltphänomens jenseits des Sprachlichen sein, und weil es sich »vor« der sprachlichen Zeitigung/Räumlichung entfaltet, kann dies nur in der von uns so genannten Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung geschehen. Diese ist der Spielraum, in dem das Weltphänomen »sich« ohne Selbstheit »reflektiert« oder besser: in seiner Phänomenalität changiert. Erlaubt dies zu sagen, daß es ein einziges Weltphänomen außerhalb des Sprachlichen gibt, von dem jedes, aus deren gleichursprünglichen Vielfalt herausgenommene sprachliche Phänomen die Zeitigung/Räumlichung wäre? Hieße das nicht, durch das Phantom der Einheit mißbräuchlich so etwas wie die weltliche Jemeinigkeit* wiederherzustellen, wobei jedes sprachliche Phänomen sich im Abstand zu einer einzigen und selben Welt bestimmte? Bedeutete dies also nicht, mißbräuchlich die Transpossibilität auf die Possibilität zurückzuführen, was letztlich eine Hypostasierung der Welt in zumindest ontologische Positivität voraussetzte? Davon sind wir überzeugt, und demgemäß sprechen wir deshalb auch von einer phänomenologischen Vielfalt von Welten als phänomenologischer Vielfalt von außersprachlichen Weltphänomenen, die durch passive Synthesen dritten Grades auf der Stufe der Transpassibiltät zusammengehalten werden. Aber wie ist das sozusagen von innen heraus denkbar? Auf dem Umweg, wie schon gesagt, der »Referenz« der sprachlichen Phänomene zum Außersprachlichen. Darauf kommen wir nun zurück, indem wir die Referenz in ihrer Komplexität erfassen, die von a priori vielfältigen sprachlichen Rhythmen ausgeht. Es ist gewissermaßen eine sich ändernde, »dynamische« Referenz und nicht eine logische, in klassischer Manier als Hinweisung* gefaßte Referenz, die in der Form des Namens und der Benennung das vermeintlich eindeutige Äußere zu zeigen glaubt. Eine solche Referenz könnte eigentlich nicht die der sogar phänomenologisch reduzierten »Zeichen« sein, die auf die wilden Wesen* verwiese, womit diese in Dinge oder Seiendes verwandelt würden, u.z. durch eine
135 Art logisch-eidetischer Invarianz, die mit der symbolischen Stiftung des Sprachlichen zum Sprachsystem einhergeht. Demgegenüber haben im sprachlichen Phänomen die »Zeichen« den Status von »Vermöglickeiten vielfältiger Sinnregungen«. Die Referenz kann auch nicht zwischen dem Sinn und den wilden Wesen* bestehen – als ob dieser nur Sinn von wilden Wesen* sein könnte –, da ganz im Gegenteil in ihm durch das Anordnen der »Zeichen« die wilden Wesen* zu sich zeitigenden/räumlichenden Stafetten seiner Entfaltung umgewandelt und umdisponiert werden. Dies spielt sich, im Verhältnis zu dem, durch das der Sinn geht, indem er sich rhythmisiert, um Sinn von etwas anderem als der wilden Wesen zu sein, schon auf der Stufe zweiten Grades ab. Folglich kann die Referenz des Sinns zu dem, wovon er sich als Sinn bildet, nur die komplexe Referenz des Sinns zu einer Art Proto-Sinn sein, der sich eben durch das Über-sich-Beugen in der Zeitigung/Räumlichung ansetzt. Seinerseits ist dieser Proto-Sinn, der kein Sinn ist, nicht einfach ein gestaltloses Chaos, sonst wäre der Sinn sozusagen dem gegenüber indifferent, wovon er der Sinn ist, oder, was auf das gleiche hinausliefe, er wäre nur Sinn von sich selbst, reine Schöpfung von Sinn, der nur darin bestünde, Abstand vom Chaos zu gewinnen – gerade das wird von der symbolischen Stiftung her über den Sinn gedacht, für die es eben kennzeichnend ist, daß sie sich ohne jeden Ursprung gibt. Das bedeutet also, daß dieser Proto-Sinn nicht etwa die Welt als Idee, sondern zumindest das außersprachliche Welt-Phänomen ist. Insofern die Referenz sich nicht auf etwas Positives beziehen kann oder das Phänomen nichts Positives, sondern eine Unbestimmtheit ist, die in seiner Phänomenalisierung pulsiert, kann sie als phänomenologische Referenz nur Referenz von Phänomen zu Phänomen sein. Da nun das sprachliche Phänomen nur als Phänomen nur Rhythmus seiner Zeitigung/Räumlichung ist, kann seine Referenz zum außerprachlichen Weltphänomen nur Referenz von Rhythmus zu Rhythmus sein, oder zumindest von Rhythmus zu Proto-Rhythmus, wobei dieser eigentlich ein Proto-Rhythmus der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung des außersprachlichen Weltphänomens ist. Aus all dem geht letztlich folgendes hervor: wenn die sprachlichen Phänomene als Rhythmen der Zeitigung/ Räumlichung ebenso ursprünglich vielfältig sind, so sind es die außersprachlichen Welt-Phänomene in ihren (Proto-) Rhythmen von Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung ursprünglich auch, und durch das unendlich subtile und komplexe harmonische Abstimmen zwischen den Rhythmen oder zwischen den Rhythmen und Proto-Rhythmen die sprachlichen Phänomene eo ipso Welt-Phänomene, d.h. sprachliche Phänomene, die in ihrer Vielfalt Sinnregungen von pluralen außersprachlichen Weltphänomenen suchen. Ihr verbindendes Gewebe oder der Kreuzstich, der mit seinen Punkten die Linie der Stickerei zieht, besteht aus den wilden Wesen*, die scheinhafte Phänomenalitätsfetzen sowohl der sprachlichen als auch der außersprachlichen Phänomene sind, in denen aber sich jeweils andersartige Rhythmen vollziehen. Es wird deutlich, wie sehr dadurch die Annahme des »ursprünglichen Phänomens« als »Ur-Zeit« (Husserl, Heidegger) und als Uni-Formes (lebendige Gegenwart, drei Ek-stasen der Zeit) darauf hinausläuft, die zwiefache phänomenologische Pluralität der sprachlichen und der außersprachlichen Weltphänomene durcheinanderzubringen und zu vermengen, woraus sich die unaufhörliche phänomenologische Aufgabe ableitet, diese Vermengung zu entwirren, welche ja immer noch Komplize der Verschlossenheit in der Zirkularität des ontologischen Simulacrums ist. Diese phänomenologische Pluralität von Welten auf zwei Stufen läßt uns nun über den klassischen Rahmen der Phänomenologie hinausgehen. Es gibt nicht nur phänomenologische Pluralität der sprachlichen Phänomene innerhalb des wie die
136 gleiche faktizielle Jemeinigkeit* der Welt Scheinenden, u.z. als Pluralität von Sinnmöglichkeiten; es gibt nämlich in dieser Pluralität auch noch eine Pluralität von außersprachlichen Weltphänomenen, die hinsichtlich jeder scheinbar faktiziellen Jemeinigkeit* transpassibel sind, d.h. von Welten, welche die Möglichkeiten jeder scheinbar faktiziellen Jemeinigkeit* überschreiten, und zwar deshalb, weil es umgekehrt Transpassibilität in jeder scheinbaren faktiziellen Jemeinigkeit* gibt, in Anbetracht jeder außersprachlichen Welt in dieser Pluralität, womit diese eher Jeseinigkeit* von wechselseitig transpassiblen Sinnregungen ist als etwa mögliche »Jemeinigkeit« einer Daseins*-Welt, sei es auch das neutrale Da-Sein* eines Mitseins*. In dieser ursprünglichen phänomenologischen Pluralität von Welten »auf zwei Stufen«, ist die Zentrierung auf die Selbstheit, d.h. die Gestalt des ontologischen Simulacrums, endgültig außer Kraft gesetzt, so daß nun die Selbstheit hier nicht mehr nur grundsätzlich als menschliche Selbstheit, sondern auch als Selbstheit des Sinns aufgefaßt werden kann. Demnach erhält jeder Sinn seine Faktizität erst von der interfaktiziellen Begegnung nicht nur der Sinnregungen, sondern auch der Welten in ihrem Proto-Sinn. Und außerdem folgt daraus, daß der Durchgang durch das phänomenologische Erhabene als der Erfahrung der hyperbolischen Epoché jeder menschlichen Selbstheit notwendig ist, um im symbolisch Stiftenden das schillernde Rätsel der symbolischen Stiftung des menschlichen Wesens als ein Selbst zu fassen, das in dieser Hinsicht nicht auf das phänomenologische Feld zurückgeführt werden kann. Weil Husserl diese beiden »Instanzen« nicht deutlich unterschieden hat, ist es bei seiner unermüdlichen Suche nach dem, was wir nun ans Licht zu bringen suchen, ihm in seiner Lehre der transzendentalen Intersubjektivität »nicht gelungen«, diese als interfaktizielle Begegnung und Aufnahme zu verstehen, die nicht nur zwischen der einen und anderen faktiziellen »Subjektivität« besteht, sondern sich auch von jedem faktiziellen Sinn auf jeden anderen faktiziellen Sinn bezieht. Sicherlich wird dadurch das phänomenologische Feld der sprachlichen und außersprachlichen Weltphänomene äußerst subtil und komplex, um so mehr, als wir seit Husserl, aber zweifellos noch mehr seit Heidegger gewohnt sind, es für eine Vermengung zu halten, die es wie eine Masse oder ein Magma erscheinen läßt. Wenn erst einmal diese Illusion als eine für das ontologische Simulacrum konstitutive transzendentale Illusion ausgemacht ist, dann entsteht die Schwierigkeit, daß diese Pluralität von Welten eben nicht monadische Pluralität von wohlunterschiedenen »Wesenheiten« ist, die sich erst durch die symbolische Stiftung voneinander abzusondern beginnen. Es bleibt, anders gesagt, eine gewisse Vermengung zwischen den Welten bestehen, wobei aber diese Vermengung nicht einfach ein Durcheinander in einem einzigen Magma ist. Oder auch: zwischen den Welten bestehen Überlagerungen und Überschiebungen, und gerade diese, wie wir es andernorts gezeigt haben31 und hier neuerlich zeigen werden, machen die »Sedimentierungen« oder die phänomenologischen »Konkretheiten« der wilden Wesen* aus. Die passiven Synthesen zweiten Grades unter diesen letzteren zeugen dadurch, daß sie für die Sinnregungen immer schon und auf immer vollzogen zu sein scheinen, in der Tat davon, daß die außersprachlichen Weltphänomene sich (für die Sinnregungen) immer schon und auf immer in ihren Überschiebungen und Überlagerungen untereinander protogezeitigt/proto-verräumlicht haben, u.z. nach »passiven Synthesen« noch tieferer Ordnung, die auch einer noch ursprünglicheren Passivität ausgesetzt sind als die der passiven Synthesen zweiten Grades, weil sie in ihren wechselseitigen Transpassibilitäten noch radikaler den sprachlichen Phänomenen unzugänglich sind: sie bewegen sich in dem, was wir eine Transpassibilität zweiten Grades zu nennen wagen. Diese ist
137 sehr rätselhaft, weil sie – es genügt, an die Paradoxien der Husserlschen transzendentalen Intersubjektivität zu denken, um es zu ahnen – aus einer Art »Aktion auf Distanz« von Welt zu Welt besteht (allerdings ohne Akteur) oder aus universeller »Resonanz« von Weltphänomen zu Weltphänomen, die von diesen »transpassiven« (aber noch »passiven«) Synthesen dritten Grades ausgeht. Diese unermüdliche und sehr paradoxe »synthetische Transpassivität« haben wir als transzendentales Schema der Phänomenalisierung zu denken versucht- sozusagen ein Schematismus des phänomenologischen Unbewußten par excellence. Mit welchem Recht aber können wir »davon« noch »sprechen«? Im Laufe dieser »Destruktion« oder dieser »Dekonstruktion« des ontologischen Simulacrums ist also der Moment gekommen, all das Bisherige mit dem in Beziehung zu setzen, was wir vom »Organ« oder dem transzendentalen Schema der Phänomenalisierung gesagt haben. Dieses ist, wie wir gesehen haben, insofern ein universelles Schema, als es alle Phänomene (zugleich Weltphänomene) in ihrer Phänomenalität pulsieren und sie dadurch in ihre ursprüngliche Pluralität auseinanderspringen läßt. Genau das ist zweifellos der von Husserl in den Cartesianischen Meditationen so negativ und eng aufgefaßte »kohärente Traum«. Dies ist nicht nur so aufzufassen, daß es ein Traum der Träume ist, sondern daß jeder Traum schon Weltphänomen ist und daß jedes Weltphänomen, zumindest jedes außersprachliche, schon eher dem Traum zugehört als einem oder gar dem Sein. Es ist ein Traum der Träume im Grenzbereich zwischen Wachen und Schlafen, sogar zwischen Leben und Tod, jedenfalls jenseits des empirischen Lebens und Sterbens, weil ich meinen eigenen Tod zu dem mir symbolisch gegebenen Empirischen durchqueren muß, um zu diesem Grenzbereich Zugang zu finden. Wenige Menschen sind allerdings bereit, sich in Gefilden solcher Unheimlichkeit* aufzuhalten, die etwas Unmenschliches an sich hat, da sie unbewohnt und unbewohnbar ist. Welch merkwürdige Krafte des Denkens lassen uns in diese Abgründe vordringen! Bei näherer Überlegung stellt sich das transzendentale Schema der Phänomenalisierung als die transzendentale Struktur dar, die nach der phänomenologischen Reduktion des ontologischen Simulacrums auf seine Phänomenalität »bleibt«. In dieser transzendentalen Apperzeption ohne Begriff und Selbst artikuliert sich die »Selbst«Apperzeption als exzentrierte Apperzeption einer radikal kontingenten Faktizität in ihrer Selbstheit. Somit stehen wir hier vor nichts anderem als der von uns eben zwischen außersprachlichen und sprachlichen Phänomenen entwickelten Aneinandergliederung, u.z. in dem Abstand, der zwischen ihnen durch das Zurückbeugen der sprachlichen Phänomene auf sich selbst aufgetan wird. Indem aber dieses Aneinandergliedern begriffslos in dem reflektiert ist, was dennoch als seine reine Form erscheint, wird aus ihm nicht nur das Organ der Phänomenologie, sondern auch das der Phänomenalisierung, das Schema, in dem das Denken die Phänomenalität nur deshalb nachhallen (résonner) lassen kann, weil es sich in diesem Schweben zu halten bemüht, in diesem Pulsieren der Hyperbel der phänomenologischen Epoché. Wir wären fast versucht zu sagen, daß dieses Schweben dann dazu neigt, sich auf Kosten einer anderen zu einer Richtung hin zu verschieben, nämlich der Zeitigung/Räumlichung der sprachlichen Phänomene als Selbst-Apperzeption der Faktizität, wenn der Gedanke seiner eigenen Wachsamkeit entwischt, die im Wachzustand durch das Denken aufrechterhalten wird, wenn also das Denken in seinem Pulsieren sich als Denken von »etwas« auffaßt. Und wir sagen mit Absicht »sich verschieben« und nicht »sich auflösen«, weil dadurch eben nicht dem sprachlichen Phänomen die Phänomenalität entzogen wird. Wir stehen also hier, und das ist genau genommen die
138 Schwierigkeit, vor dem phänomenologischen Ursprung des Sprachlichen, denn das transzendentale Schema ist das der Phänomenalisierung überhaupt und nicht nur der außersprachlichen oder der sprachlichen Phänomene. Das Problem ist, wir haben dies des Längeren in unseren Recherches phénoménologiques behandelt, daß die Selbstheit, die sich in den sprachlichen Phänomenen selbst zu apperzipieren vermag, sich nicht ohne weiteres, es sei denn in der transzendentalen Illusion des ontologischen Simulacrums, auf jedwedes Phänomen übertragen kann. Wenn der Sinn, wie wir gesehen haben, in seinem phänomenologischen Gehalt immer Weltsinn ist und sogar, noch tiefer, Sinn vielfältiger Welten, dann bedeutet das nicht umgekehrt, daß jedes Weltphänomen Phänomen des Welt-Sinns ist. Die Gefahr wäre wiederum, daß der Sinn letztlich nur Sinn seiner selbst wäre, daß also der Sinn dadurch einseitig vom Feld der symbolischen Stiftung in der symbolischen Tautologie von Sinn und Sein vereinnahmt würde. Daraus kann man aus einer besonderen Perspektive folgern, daß das Phänomen nur von der transzendentalen Illusion des Sinns her als Individuum erfaßt – oder vielmehr apperzipiert – werden kann und dadurch, daß es von dieser Illusion her gemeint ist, in das Apriori zurückgeworfen wird, d.h. nur ausgehend von der transzendentalen Illusion gemeint sein kann. Deshalb haben wir, als wir in unseren Recherches die transzendentale Individuation der Phänomene behandelt haben, diesen Begriff in einem mehrdeutigen Sinn aufgefaßt und darauf bestanden, daß sie nicht »absolut« (im Sinn der Isolierung eines unteilbaren Atoms), sondern nur relativ, pulsierend und radikal kontingent sein kann, insofern sie nur »einen Augenblick« erscheinen (und nicht sich phänomenalsieren) kann, »bevor« sie sich wieder in der sie zersplitternden Teilung »auflöst«. Und deshalb haben wir auch in unseren Recherches als die Besonderheit des Schematismus der Phänomenalisierung herausgearbeitet, daß sie untrennbar Schematismus der Bestimmbarkeit und Schematismus der Quantifizierbarkeit ist. Denn jedes Phänomen phänomenalisiert sich als sowohl unbegrenzt bestimmbare als auch quantifizierbare (teilbare und vervielfältigbare) Unbestimmtheit, und dies zweifellos im Verhältnis zur unendlichen Bestimmbarkeit und Quantifizierbarkeit der Selbstheit, sowohl in ihren Möglichkeiten als auch in ihren Transpassibilitäten, welche diese jeweils als transpossible möglich machen, da die unendliche Doppelbewegung des Pulsierens aus der Auflösung und Wiederauferstehung des Selbst besteht und da die Phänomene in ihrer Phänomenalität als Echo wiederhallen. Was geschieht nun in diesem echoartigen Nachklang? Nicht nur, wie wir gesagt haben, die Verschiebung des Pulsierens hin zum Pulsieren der Selbstheit des Sinns in den sprachlichen, selbst-apperzeptiven Phänomenen, sondern auch die Verschiebung des Pulsierens in die andere Richtung zum Pulsieren der Abwesenheit der Selbstheit in den außersprachlichen Phänomenen als gewissermaßen »Orte« »reiner transzendentaler Apperzeptionen« ohne Selbstheit, wo diese zersplittert oder zerstreut ist zugunsten des Changierens der außersprachlichen Phänomene in ihrer Phänomenalität, also auch zugunsten dieser Proto-Gedanken und dieser Proto-Seienden, als was die wilden Wesen* auch gelten können.32 Im eigentlichen Sinne – und nicht als nur subjektive Reflexion über die hylé des Bewußtseins – »apperzipieren sich« hier die dem Pulsieren ausgesetzten passiven Synthesen zweiten Grades bzw. ahnen sich eher, was gleichermaßen in symmetrischer, aber umgekehrter Entsprechung im Flackern am Rand der Nichtung der Selbstheit der sprachlichen Phänomene, der Jeseinigkeit* der Sinnregungen geschieht. Das transzendentale Schema der Phänomenalisierung ist also als transzendentales »Organ« eine durch die sprachlichen und außersprachlichen Phänomene doppelt po-
139 larisierte Struktur, in der das Pulsieren zwischen den beiden Polen sich sowohl zum einen als auch zum anderen Pol hin verschieben kann – was von der hyperbolischphänomenologischen Epoché nicht anders zu erwarten wäre. Und diese doppelte Polarisierung mit zweifach möglicher Verschiebung des Pulsierens geschieht sowohl vom ontologisch-existentialen Möglichen der Faktizität als auch vom Transpassiblen her, innerhalb dessen das erstere seinen Sinn erhält. Es ist also auch, sozusagen durch Fortpflanzung, der Ort, an dem sich die passiven Synthesen zweiten Grades an die passiven Synthesen dritten Grades angliedern, ein Ort, den wir in allen Richtungen in Phénomènes, temps et êtres durchlaufen haben und den wir nun wieder aufsuchen müssen, um diese Gliederung noch zu verfeinern. Es gibt keinen Grund mehr, davon zu sprechen, daß zwischen diesen Polen, ob in der einen oder anderen Richtung, ein Begründungsverhältnis besteht oder noch zu begründen wäre, da sie in der gleichen transzendentalen Struktur des transzendentalen Schemas zusammengehalten werden. Insofern das transzendentale Schema der Phänomenalisierung ireduzibel und unlösbar unendliche Doppelbewegung des Pulsierens ist, das der möglichen Beherrschung durch das Denken entgeht, insofern es also entsprechend seiner doppelten Polarisierung sowohl der Transpassibilität als auch der Möglichkeit angehört, muß man zudem eher vom unermüdlichen und unaufhörlichen transzendentalen Schematismus als vom transzendentalen Schema sprechen. Er bleibt deshalb »zunächst und zumeist« unbemerkt, weil er in seiner extremen Feinheit sowohl von extremer Schnelligkeit als auch extremer Langsamkeit sein kann und im Verhältnis zu der Zeit, welche die des Denkens zu sein scheint, seine Eklipsen immer zur Unzeit rhythmisiert. Er ist ebenso dicht an der Wachsamkeit des Gedankens, der sich in äußerster Konzentration auf den Weg des Denkens macht, wie vor seiner Ermüdung, in der er sich zwar aufzugeben (also sich zu verlassen) scheint, sich aber gerade dabei beim Denken über-rascht. Maldiney hat genau gesehen, mit der bemerkenswerten Hellsichtigkeit, die man von ihm gewohnt ist, wie sehr Transpossibilität und Transpassibilität für die Über-raschung konstitutiv sind. Eine Über-raschung, als ob man bei einem Fehler ertappt würde, aber eben beim Fehler der Illusion des ontologischen Simulacrums, sich in völliger Übereinstimmung mit sich selbst zu glauben.
§ 4. FÜR EINE NEUE ARCHITEKTONIK DER PHÄNOMENOLOGIE (ERSTER VORLÄUFIGER MOMENT)
Man wird sagen: was ist doch dieser transzendentale Schematismus für ein »wunderbares« (transzendentales) »Organ« der Phänomenalisierung. Insofern ist er ein radikales metaphysisches Rätsel, das dennoch für die Intelligibilität einen architektonischen »Status« haben muß. Dieser Schematismus, dessen dunkle und nicht nachlassende »Arbeit« sich auf der Stufe der Transpassibilität und der Transpossibilität in den verborgenen Tiefen des phänomenologisch Unbewußten vollzieht – welches wirklich untrennbar vom phänomenologischen Feld in seiner begriffslosen Kohäsion ist – kann in der »reinen« oder anonymen transzendentalen blitzhaften Apperzeption des in unendlicher Doppelbewegung sich befindlichen Pulsierens nur blitzhaft »apperzipiert« oder geahnt werden durch die Anwendung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché gegenüber dem ontologischen Simulacrum und durch die fortschreitende phänomenologische Reduktion auf die Dimension der Phänomenalität. Es erscheint nun
140 tatsächlich, daß das selbst-bezügliche, da sich selbst-apperzipierende Phänomen der Faktizität des Existierens im Cogito nichts anderes ist als die Verdichtung – eigentlich das symbolisch Verdichtete – einer a priori unbestimmten und unendlichen Vielfalt der sprachlichen und außersprachlichen Weltphänomene, deren Phänomenalisierung in der doppelten Verschiebung des Pulsierens am phänomenologischen Ursprungsort des Sprachlichen und des Außersprachlichen zu dem einen oder anderen seiner Pole radikal kontingent ist. Die erste Auswirkung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché besteht also darin, die Möglichkeit zu eröffnen, die im ontologischen Simulacrum vermengten Weltphänomene zu entwirren und gerade dadurch das hervorbringende Vermögen, das in dem selbst-apperzeptiven Phänomen des (in seiner allgemeinsten Struktur genommenen) Cogito ganz scheinbar vorhanden ist, unwirksam zu machen. Dieses hervorbringende Vermögen zerspringt tatsächlich in eine doppelte, sowohl transpossible als auch transpassible Vielfalt von Weltphänomenen, deren Phänomenalisierung sich nicht nur unserer Macht, sondern jeder Macht entzieht – auch der scheinbar phantastischen ans Dasein* verfallenen Macht in der »Entscheidung« im »Durchgang« unter dem Horizont des Todes. Anders gesagt gilt dies nicht nur für uns Menschen, sondern auch, falls er einen phänomenologischen Status hätte, für Gott selbst. Demnach muß daraus eine tiefgreifende architektonische Umformung dessen folgen, was Kant immer wieder als das darstellt, was als notwendiger symbolischer Horizont dem Denken angehören soll, nämlich Gott selbst, d.h. der archetypische und anschauliche Verstand. Der transzendentale Schematismus der Phänomenalisierung modifiziert also in der Tiefe, sogar in der Tiefe eines Abgrundes, den Bezug des Denkens zu dem, was es selbst als seinen (symbolischen) Horizont entwirft, um sich zu denken und sich zu orientieren. Man kann hier wirklich weder von der einfach anschaulichen Form noch von der archtypischen Form von sich selbst sprechen, da im »reinen« Ahnen oder in der reinen blitzhaften Apperzeption sich das Denken verflüchtigt, um im Laufe des Pulsierens wieder aufzuerstehen, oder weil eben diese Ahnung jedes anschauliche Gegenüber und jede nach ihren eigenen Gesetzen sich regelnde Selbst-Organisation ausschließt – diese gehörten dann ausdrücklich dem Feld der symbolischen Stiftung an. Anders gesagt hängt alles damit zusammen, daß die Hyperbel der Epoché an der eigentlich symbolischen Zirkularität des ontologischen Simulacrums aufdeckt, daß es sich nur unter der Bedingung aufrechterhalten kann, daß die a posteriori in das Apriori zurückgeworfene transzendentale Illusion als Vermögen erscheint, jedes Phänomen (jede Faktizität) hervorzubringen, einschließlich des Phänomens (die Faktizität), in dem und von dem her sich die transzendentale Illusion abstrakt (in der symbolischen Tautologie) reflektiert. Eine Illusion verfügt ihrem Wesen entsprechend über ein starkes illusionierendes Vermögen, wobei ihr scheinbar hervorbringendes Vermögen sich nur auf das Erzeugen von Illusionen beschränkt – genau als solche erscheinen die damit zu Scheingebilden verwandelten Phänomene, sobald man sie so auffaßt, daß sie aus einem gleichen Zentrum hervergegangen zu sein scheinen, einem Zentrum der Vermögen sowohl in der transzendentalen Subjektivität oder dem Dasein als auch im Gott der klassischen Onto-Theologie. Dem ist phänomenologisch entgegenzuhalten, daß diese Illusion ein solches Vermögen nur insofern zu enthalten scheint, als darin in der unerhörten Komplexität und Subtilität seiner Falten und Fältelungen eine unendliche Vielfalt von sowohl transpassiblen als auch transpossiblen Welten eingeschlossen ist, von denen wir a priori nichts wissen können, und von denen a priori sogar überhaupt kein Wissen etwas wissen kann (nicht einmal der göttliche Verstand). Allerdings blitzen uns davon einige ferne
141 Echos in den wilden Wesen* auf, und einige offensichtlich nähere Echos in der interfaktiziellen Begegnung und im interfaktiziellen Empfang der außersprachlichen Weltphänomene und der sprachlichen Phänomene. (Diese machen den größten Teil der Phänomene aus, die wir »zunächst und zumeist erkennen«; ihre massivste, aber so oft umgangene und vermittelte Verleiblichung finden sie im anderen, was zuerst Husserl und dann Merleau-Ponty zu erkennen begonnen haben). Und es muß nicht eigens präzisiert werden, daß diese Vielfältigkeiten der sprachlichen und außersprachlichen Phänomene, deren »Interferenzen« sich irgendwie in den wilden Wesen* innerhalb des Aneinandergliederns passiver Synthesen dritten und zweiten Grades sedimentieren, nicht einer Logik etwa leibnizscher Art von »möglichen Welten« angehören – denn man muß die »Ausblitzungen der Gottheit«, von denen Leibniz (Monadologie §47) spricht, als radikal kontingente oder faktizielle Phänomenalisierungen nehmen. Daraus folgt entsprechend die Verwandlung des klassischen Gottes der Onto-Theologie in den symbolischen Stifter, der kein verursachendes oder hervorbringenes Vermögen hat und Schlüssel des Rätsels jeder symbolischen Stiftung ist, nicht nur im Abstand zu allem dem phänomenologischen Feld Angehörenden, sondern auch in unaufhebbarer Schieflage dazu. Was bisher wie ein außerordentliches Vermögen des cartesianischen Cogitos erschien, sich von jeder despotischen Gestalt des Göttlichen zu emanzipieren, nimmt nun eine nicht weniger außergewöhnliche phänomenologische Konkretheit an, die als verleiblichte Konkretheit es allein vermag, den symbolischen Stifter uns ganz anders33 begegnen zu lassen, nämlich als die sowohl emblematische (symbolische) als auch rätselhafte Gestalt des seit jeher und auf immer transpassiblen Empfangs unserer eigenen Faktzität, – welche erst dann sich über sich Illusionen machen und sich selbst bekämpfen kann, sobald sie glaubt, ihr Vermögen nur aus sich selbst zu ziehen, etwa durch das Simulacrum des Empfangs ihrer selbst, den ihr vermeintlich der Horizont ihres eigenen Todes anbietet. Wie dem auch sei, es folgt daraus im gleichen Zug ein neues architektonisches Verhältnis zwischen dem, was sich nun als phänomenologisches Feld herausstellt, und dem symbolischen Feld. Und schon von der sozusagen eigentlich phänomenologischen Seite des phänomenologischen Erhabenen her nimmt der symbolische Stifter selbst gewissermaßen eine phänomenologische Gestalt an, die wir in einer anderen Mediation gesondert untersuchen müssen, indem wir die Linien weiter ausführen, die wir in Phénoménologie et institution symbolique34 skizziert haben, insbesondere was die Frage der komplexen Beziehungen zwischen sprachlichen Phänomenen und symbolischer Stiftung des Sprachlichen angeht. Dies wird uns erlauben, auf die am leichtesten erkennbaren passiven Synthesen ersten Grades – des symbolischen Unbewußten – zurückzukommen. Erst dann wird die neue Architektonik der Phänomenologie vollständig sein. Die ganze Frage – die Entdeckung – dieser neuen Architektonik ist eigentlich, daß dem transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung, wie er aus der Erfahrung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché hervorgeht, in uns oder in unserer Leiblichkeit die Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen entspricht und, insofern der »Ort« dieses Schematismus der phänomenologische Ursprung des Sprachlichen ist, auch die noch zu erforschende Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen im Sprachlichen – in der Zeitigung/Räumlichung der sprachlichen Phänomene. Ebenso wie bei Kant, wie wir es gezeigt zu haben glauben, das Erhabene die Achse jedes kritischen Gebäudes ist35, so ist das phänomenologische Erhabene die Achse der Phänomenologie, um die herum diese sich begriffslos reflektieren
142 kann, um sich im starken Sinn, den wir diesem Terminus zuweisen, in der Architektonik ihrer Probleme und Fragen, in dem sie Organisierenden oder Strukturierenden zu apperzipieren, ohne daß diese Organisation oder diese Struktur auf die »deduktive« (im engen Sinn »systematische«) Ebene irgendeiner Logik welcher Ordnung auch immer zurückgeworfen werden könnte.
ANMERKUNGEN 1
s. hier unsere I. Meditation, Einleitung. s. v. Verf.: La crise du sens et la phénoménologie, J. Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble 1990, Kapitel 6. 3 s. Die Idee der Phänomenologie, hrsg, v. W. Biemel, Husserliana, Bd. II, Maarinus Nijhoff, Den Haag, 1958. 4 Darunter verstehen wir seine bekannten Texte vom Ende der fünfziger Jahre bis 1961, dem Jahr seines Todes. 5 J. Pato¢ka, a.a.O. 6 s. v. Verf.: »Possibilité et nécessité de la phénoménologie asubjective« in: Jan Pato¢ka. Philosophie, phénoménologie, politique, a.a.O. 7 s. den Anhang im Buch des Verf. La crise du sens et la phénoménologie, S. 273-360. 8 s. insbes.: E. Fink »Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik«, in: Kantstudien 38 (1933), S. 319-383. 9 s. die sehr schönen Analysen von J. Garelli in Rythmes et mondes, J. Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble, 1990, S. 69-144. 10 s. v. Verf. : Phénoménologie et institution symbolique und Du sublime en politique. 11 von Walter Biemel veröffentlicht in: E. Husserl, Phämomenologische Psychologie, Hua IX, Nijhoff, Den Haag, 1968, S. 600-602; der hier zitierte Text findet sich auf den Seiten 601602. 12 s. Du sublime en politique, a.a.O., S. 357-389. 13 s. in diesem Buch die »II. Meditation«. 14 s. unsere Untersuchung »D’une division interne à la Stimmung*« in Etudes phénoménologiques, Ousia, Brüssel 1992 und die »II. Meditation« in diesem Buch. 15 s. die Beiträge von Ilya Srubar und Henri Declève in Jan Pato¢ka, Philosophie, phénoménologie, politique (Kollektiv), a.a.O. 16 s. unsere »II. Meditation«. 17 s. Das Sichtbare und das Unsichtbare, a.a.O., S. 133 [134]. 18 s. M. Haar, Heidegger et l’essence de l’homme, J. Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble, 1990. 19 Recherches phémoménologiques, Vol I (I, II, III), a.a.O. 20 s. die Bemerkungen von F. Pierobon anläßlich des Kantbuches: »Le maletendu Kant/Heidegger«, in Epokhè, n° 1, J. Millon, Grenoble, 1990, S. 127-202. 21 s. Eugen Fink, Die Spätphilosophie Husserls in der Freiburger Zeit, in: Nähe und Distanz, hrsg. von F.A. Schwarz, Karl Alber, Freiburg,München, 1976, insbes. S. 220-225. 22 s. die II. Meditation dieses Buches. 23 s. unsere Untersuchung über Welt und Endlichkeit von E. Fink: »Monde et phénomènes«, in Cahiers de philosophie, Lille, 1992, eine der »Welt« gewidmeter Band; s.a. unsere VI. Meditation. 24 E. Fink, VI. Cartesische Meditation, Teil I, Die Idee einer transzendentalen Methodenlehre, hrsg. von H. Ebeling, J. Holl und G. Van Kerckhoven, Kluwer Acad. Publ., Husserliana Dokumente II, I, Dordrecht, 1988 (insbes. S. 43) 25 ebenda, S. 183. Wir sind Hegel gleichermaßen nah und fern. 26 s. unsere »III. Recherche phénoménologique«. 27 s. Phénoménologie et institution symbolique und Du sublime en politique. 2
143 28
s. Phénoménologie et institution symbolique, passim.. s. Phénoménologie et institution symbolique, passim.. 30 s. ebenda, und das bereits zitierte Phénomène, temps et êtres. 31 s. Phénomènes, temps et êtres, passim. 32 s. dazu das Werk von J. Garelli, insbesonder Rythmes et mondes, J. Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble, 1991. 33 s. Phénoménologie et institution symbolique, ebenso wie Du sublime en politique. 34 ebenso wie in unserer Studie: »Aperception de l’individu et être-au-monde« in Kairos, n° 2 (»L’individu«), Presses universitaires du Mirail, Toulouse, 1991. 35 s. La crise du sens et la phénoménologie, a.a.O., Kapitel 3 und 4. 29
IV. Meditation
Vom Unendlichen und den Welten Die Aneinandergliederung der drei grundsätzlichen Typen passiver Synthesen in der Phänomenologie
§ 1. DIE PHÄNOMENOLOGISCHE REDUKTION DES ONTOLOGISCHEN SIMULACRUMS UND DAS HERVORTRETEN DER PASSIVEN SYNTHESEN ZWEITEN GRADES
In unserer »hypercartesianischen Meditation« haben wir die Hyperbel der phänomenologischen Epoché derart weit getrieben, daß uns ein wenig zu leicht das Verständnis dafür zugefallen ist, was sich als die phänomenologische Reduktion des ontologischen Simulacrums auf die Dimension der Phänomenalität erst noch herausstellen muß. Außerdem hat sich dabei ergeben, daß dieser Vorstoß, der vollzogen werden mußte, um sich darin wiederzufinden, von manchen oft metaphysisch scheinenden Sprüngen begleitet war, deren Rechtfertigung oder phänomenologischen Sinn wir nun genauer untersuchen müssen. So stellt sich zunächst die Frage, welchen Status die wilden Wesen* haben und wie sie sich in die passiven Synthesen zweiten Grades einfügen: wir haben sie verstanden als phänomenologische Konkretheiten, als scheinhafte Phänomenalitätsspäne oder -fetzen, wir haben sogar vernommen, daß ihre Eingliederung in passive Synthesen mit transpassiblen, interfaktiziellen Synthesen dritten Grades einhergeht. Diese Gliederung oder diesen Zusammenhang haben wir eigentlich in Phénomènes, temps et êtres1 entdeckt. Daran muß unsere Untersuchung neu ansetzen, indem wir vom Übergang des ontologischen Simulacrums zum transzendentalen Schema der Phänomenalisierung durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoché ausgehen und insbesondere auch davon, daß die phänomenologischen Konkretheiten einen Namen in der Philosophie und in der klassischen Phänomenologie haben: es sind die unter phänomenologischem Gesichtspunkt nicht in erste und zweite unterschiedenen Qualitäten, d.h. all die sichtbaren und fühlbaren, Farben, Gerüche, Formen und andere Empfindungen (Husserl), Anordnungen von sinnlichen Formen und Eigenschaften, aber auch die Gefühle oder Stimmungen*, die wir in einem Wort unter dem Begriff Qualia zusammenfassen, was in der Ordnung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché gerechtfertigt ist, da die systematischen Strukturen, die sie zertrennen und verteilen, als symbolische gerade eingeklammert werden oder weil die Inchoativität des Denkens auch, wie wir mit Descartes gesehen haben, Inchoativität des im weitesten Sinne Sinnlichen ist. Der phänomenologisch-architektonische Status der Qualia ist derart subtil, daß wir auf das zurückkommen müssen, was die Weltphänomene (bis auf weiteres verstehen wir sie ununterschieden als sprachliche und außersprachliche) an das angliedert, was als ihre transzendentale Illusion erscheint, sobald sie durch das ontologische Simulacrum einem Zentrum des Ich oder Selbst zugeordnet wurden. Gerade diese Zentrierung verbirgt durch transzendentale Anmaßung unter ihrer Maske die Feinheit des phänomenologischen Status der Qualia, und zwar indem sie der selbst-losen »Reflexivität« der Phänomene in der Phänomenalität den Mantel der Selbstheit
148 überwirft. Wir müssen folglich durch die Vermittlung des transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung, auf das Pulsieren des Ego oder des Selbst hinsichtlich dessen zurückkommen, was als Widerhall (die Resonanz der Phänomenalität) das Pulsieren der Qualia zwischen ihrem nicht-phänomenologischen (klassischen) und phänomenologischen Status sein mag. Das ist deshalb eine schwierige Aufgabe, weil sie aus jener Abstraktion der in sich selbst sich begriffslos reflektierenden Hyperbel hervorgeht, um in das einzutreten, was trotz allem die weltliche Konkretheit des ontologischen Simulacrums ist, die konkrete und mundane Faktizität des Denkens und des faktiziellen Existierens. Im Angesicht dieses Ausgangspunkts kann der erste »Moment« dieser Expedition also nur die Wiederaufnahme des Pulsierens des Egos in der Welt sein, also in klassischer Gestalt: der transzendentalen Subjektivität oder des Daseins*. Ausgehend von dieser klassischen Gestalt erscheint das Pulsieren auf gröbste, also am wenigsten fein differenzierte Weise folgendermaßen: Zunächst werden die Weltphänomene, wie wir gesehen haben, durch Verdichtung auf Welt reduziert. Demnach ist im transzendental-existentialen Solipsismus des ontologischen Simulacrums das Pulsieren der Welt als einzigem Phänomen Pulsieren zwischen der Welt als ganzer und der in ihrer Jemeinigkeit* gefaßten Welt, d.h. zwischen dem anonymen und dezentrierten Ganzen, das vor der Selbstheit des Ego im Begriff ist, zu verschwinden, und dem In-der-Welt-Sein als der Jemeinigkeit der Welt, oder auch zwischen der Welt, die ohne mich sein könnte, weil sie mich nicht erwartet hat und, um zu sein, mich auch in Zukunft nicht erwarten muß, und einer Welt, die nicht außerhalb des Lichts ist, das ich in sie hineintrage, indem ich sie durch die Reflexivität meiner Selbstheit auf ihr Aufblühen hin öffne. Am ersten Pol dieser pulsierenden Bewegung erscheinen die Qualia, deren Welt buntgescheckt anmutet, als nicht von mir hervorgebrachte, aus der Welt mir entgegenkommende – das ist die Haltung des »Realismus« –, während sie mir am zweiten Pol nur insofern als Qualia erscheinen, als ich ihnen mit dem »lumen naturale« oder der Lichtung* meines Denkens begegne – das ist die Haltung des zumindest transzendentalen (oder sozusagen existentialen) »Idealismus«, der wie etwa bei Kant durch einen »empirischen Realismus« vervollständigt werden muß. Die Qualia sind hier gewissermaßen wie das proto-ontologische Pendant des ontologischen Simulacrums. In dieser Gestalt des Pulsierens, in der die Welt zwischen der phänomenologischen Anonymität und der »Jemeinigkeit« unentschieden zu sein scheint, pulsiert also die als einziges Phänomen gefaßte Welt im Echo auf das Pulsieren der Selbstheit und scheint zumindest schon auf ihre Phänomenalität bezogen. Allerdings auf paradoxe Weise, denn indem sie sich in der Gestalt ihrer Anonymität entzieht, läßt sie entsprechend die Qualia auftauchen, zwar als Qualia der Welt, aber darin nicht fixiert (nicht a priori kodiert), schwebend, ohne besonders an sie gebunden zu sein, als ob die Qualia ihre letzten Dämmerungsstrahlen wären. Am anderen Pol, wo Anwesenheit und Licht in der vermeintlich vom Inder-Welt-Sein erfüllten Jemeinigkeit* wieder aufgegriffen werden, scheinen die Qualia als Gestalten oder als das Aufleuchten der Faktizität des Daseins*, die mit seinem Sein ausgestattet sind und die ihm ihr Sein verleihen, und zwar aufgrund dessen, was in der Jemeinigkeit* der Transparenz seiner Aktivität entgeht, d.h. aufgrund einer Passivität des In-der-Welt-Seins, in der wir die Heideggersche Befindlichkeit* wiederfinden. Dies gibt wohl wieder die ursprüngliche Ungeteiltheit des Sinnlichen und der Stimmung* zurück, der Empfindung und der Affektivität – das Pendant des »empirsichen Realismus« im »transzendentalen existentialen Idealismus«. Aber die Qualia werden »gefunden« oder man »begegnet« ihnen nur deshalb, weil sie aus
149 dunklen und passiven Tiefen des jemeinigen In-der-Welt-Seins auftauchen und so gesehen schon in der Vergangenheit vorhanden sind. Während am ersten Pol die Qualia dazu zu neigen drohen, als subjektlose Existentialien zu erscheinen – oder daß deren Welt sich als Pseudo-Subjekt gibt –, so scheint es am zweiten Pol umgekehrt, daß die Qualia ohne die urspüngliche Existentialität eines auf seine »Jemeinigkeit« zentrierten Daseins* nicht möglich sind. Das höchste Paradox, auch das Schwierigste, in all dem liegt zweifellos darin, daß dieses Pulsieren selbst zwar das konkreteste ist, weil es, wie wir gesehen haben, ein Pulsieren des Lebens und Todes des Selbst ist, daß aber die Pole des Pulsierens dazu neigen, das Abstrakteste zu sein, was so weit geht, daß sie sich unter der Hand einander nähren und sich gegenseitig infizieren: die Welt gleitet nicht zur Abwesenheit ab, ohne daß an den Rändern Qualia zurückgehalten würden und ohne daß »ich« bei diesem Gleiten noch wäre, weil ich auch daraus noch auftauche; und die Welt tritt nicht in die totale Jemeinigkeit* meiner Faktizität ein, ohne daß sie sich nicht darin in ihrer Anonymität zurückhielte, in dem also, weswegen der »transzendentale Idealismus« nur mit irgendeinem »empirischen Realismus« funktionieren kann, oder tiefer eben in dem, was mich aufgrund »meines« Todes als Eklipse meiner Selbstheit meine Faktizität als eine Möglichkeit des Existieren unter anderen, sogar als eine Gesamtheit aller Möglichkeiten reflektieren läßt. Deswegen ist die Passivität meiner Befindlichkeit* durch etwas wie eine »Aktion auf Distanz« Scheinendes mit den anonymen Qualia verdeckt verbunden, die wie letzte Lichter einer Welt sind, die gerade am Horizont dahinschwindet. Es gibt in ihnen tatsächlich eine Art von »Annahme« der Befindlichkeit im passiv erhaltenen oder eingeprägten Eindruck. Der »Realismus« muß »empirisch« sein, d.h. von der Welt das erhalten, was übrigens weder gänzlich noch umfasssend seiner »Jemeinigkeit« angehört, auch wenn sie passiv ist – und wahrscheinlich siedelt sich hier die Differenz zwischen dem »endogenen« Empfindungsvermögen der klassischen Affektivität und dem »exogenen« Empfindungsvermögen der »Sinneswahrnehmungen« an. Die Sache liegt allerdings weniger klar, als es zunächst scheint, denn es fällt auf, daß das »Empfindbare« überhaupt, wenn es nicht von vornherein durch seine symbolische Stiftung als gegeben angenommen wird (was auf alles wirklich Empirische zutrifft), das Dasein* an den Rand seines Verschwindens oder der Desindividualisierung »festmachen«, indem sie sich mit Stimmung* als »pathischer Dimension« jeden Fühlens (E. Straus) aufladen, und daß in diesem durch das Schwinden der Welt ins Straucheln geratenen Daseins* – schon eine Erfahrung ihrer Auflösung, also ihres Todes – mich gerade die Qualia vom Rand des Abgrundes zurückhalten. Am Pol des Selbst profiliert sich genau umgekehrt in der ebenso dazu tendierenden Bewegung, die Welt in der Jemeinigkeit* zu verschlingen, die Abspaltung des Selbst von der Welt: wenn die Welt mir als ganz die jemeinige schiene, dann wäre diese nicht vom »kohärenten Traum« eines immer möglichen phänomenologischen Idealismus unterschieden – welcher der Effekt der vom Selbst hypostasierten transzendentalen Illusion wäre. Diese Situation erzeugt die mehr oder weniger konkreten oder abstrakten Gestalten des ontologischen Simulacrums, angefangen mit einer partiellen Jemeinigkeit*, die als subjektive Sicht und Perspektive auf die Welt sich von dieser abhebt, bis hin zur totalen Jemeinigkeit*, in der das Dasein* selbst Gott wäre oder nur im Bezug auf das Dasein* als »Gott« wäre (Ganzseinkönnen bei Heidegger oder Sartre). Hier werden wir also die eine oder andere Schwierigkeit der klassischen Onto-Theologie wiederfinden. Aber nochmals, die Selbstheit kann sich nur dann konkret als verleiblichte Faktizität selbst apperzipieren, wenn diese Bewe-
150 gung sich nicht vollendet – was die Faktizität wie bei den Psychosen sich ihr selbst gegenüber äußerlich machte –, wenn es also in der Jemeinigkeit* von Welt eine oder mehrere anonyme weltliche Dimensionen gibt, die nur als weltliche Qualia auftauchen können, da die Welt zugleich dazu tendiert, in ihrem »kohärenten Traum« zu verschwinden. In dieser architektonischen Ausarbeitung der klassische Phänomenologie und der konkreten Reflexionsformen des ontologischen Simulacrums beginnen also schon die weltlichen Qualia sich über ihre klassisch erhaltenen Bestimmungen hinaus zu bewegen. Am ersten Pol des Verschwindens des Selbst in der Hyperbel der Epoché scheinen die Qualia eher als verlöschende Reflexe einer Welt, die gerade ihrer Anonymität wie ihrer Nacht entgegengleitet, sie scheinen das zu sein, was an Welt von ihrer Anonymität her zurückkehrt oder sich zurückhält, oder das, was sich davon am Rand der das Selbst verschlingenden Auflösung wieder aufnimmt. Die Qualia scheinen hier also wie die Reflexe oder »Bilder« des Weltphänomens in der Anonymität der Welt, wie die Splitter oder die Fetzen der Welt auf dem Hintergrund oder im Horizont ihrer Anonymität, und infolgedessen erscheinen sie als »real«. Am zweiten Pol, wo in der Entspannung der Hyperbel das Selbst, also auch die Welt in ihrer Jemeinigkeit* auftaucht, scheinen die Qualia, die deswegen nicht weniger in der Passivität der Befindlichkeit »aufgenommen« werden, als die Reflexe oder »Bilder« der Anonymität der Welt in der als faktiziellem Phänomen der Jemeinigkeit* gefaßten Welt, d.h. als die Konkretisierung der Anonymität der Welt an diesem faktiziellen Phänomen, also dessen, was sich von der Anonymität der Welt in der erscheinenden oder gar selbst-erscheinenden Faktizität des Selbst herauslöst oder sedimentiert. Diese beiden Situationen entsprechen sich und greifen pulsierend als wechselseitige Inversion ineinander ein. Anders gesagt: in diesem Pulsieren der Welt, das sie in einem ersten (aus phänomenologischer Sicht) noch abstrakten Moment schon der Phänomenalität zurückgibt, einem Pulsieren zwischen ihrer Anonymität, ihrer unbewohnten und unbewohnbaren Unheimlichkeit*, und ihrer Jemeinigkeit*, mit der sie immer schon im In-derWelt-Sein als weltliche Wohnung aufgenommen sein soll, scheinen die Qualia einerseits als das Weltliche, was aufgrund ihrer unscheinbaren und nicht gesetzten Anonymität, also im nicht-teleologischen (weil von keinem sprachlichen Ent-wurf abhängenden) Horizont, sich von dieser Anonymität losreißt, von jener aus dem Tod des Selbst bestehenden Nacht oder dem Abgrund der Welt. Demnach bedeuten im phänomenologischen Erhabenen die Qualia gewissermaßen den Tod oder den drohenden Tod des Selbst, das sich im Moment des Verschwindens und des Absturzes in den Abgrund gerade noch apperzipiert. In diesem Sinn, der die ganze »Beute« an Qualia in den »Signifikanten« des symbolischen Unbewußten ausmacht, je nach der Verschiedenartigkeit der Verwicklungen, in die sich die symbolische Stiftung des Selbst hineinknüpft, kann man sagen, daß dieser Tod – für das Selbst eine Gestalt der Anonymität der Welt – seiner eigenen Kontingenz folgend die Qualia der Welt aus der Leiblichkeit oder der Phänomenalität der Welt herausschneidet. Andererseits, am anderen Pol des immer schon betriebenen Bewohnens der Welt, scheinen die Qualia als das, was sich von diesem Abgrund in der erscheinenden Faktizität des Selbst »reflektiert«, indem sie sich darauf beziehen und sich davon abheben, d.h. indem sie die ansonsten unscheinbare und nicht-gesetzte Anonymität der Welt konkretisieren. Wenn es einen »Realismus« im transzendentalen-existentialen Idealismus« des Inder-Welt-Seins als Jemeinigkeit* gibt, dann weil die Qualia gewissermaßen wie die Farben des Abgrunds für das auf sich selbst zurückgeworfene Selbst scheinen. Und die
151 beiden Pole des Scheinens treffen sich im Äußersten nur deshalb, weil die Welt, die in ihnen wie in ihrer Phänomenalität pulsiert, sowohl in »sich selbst« – ein »sich selbst«, das es anscheinend nur von der Selbstheit her annehmen kann – als auch in ihrer Anonymität ist. Diese ist nicht wie bei Heidegger in erster Linie eine Anonymität, die durch den Tod der Gesamtheit von ontologisch-existentialen Möglichkeiten des Daseins* vermittelt wird, denn dies wäre eigentlich nur eine raffinierte Gestalt des ontologischen Simulacrums. So gesehen könnte man auch sagen, daß die Qualia an den Weltphänomenen wie die Fetzen der Anonymität der Welt und wie jene auseinandergesprengen Fetzen (zerstreut, ausgesät) scheinen, an denen – sozusagen wie an Bojen – die nie ganz ausgeglichene Selbstheit sich hält, sich aber dann durch die faktizielle Kontingenz ihrer Passivität in ihrer Reflexion verfehlt. Die Qualia scheinen demnach kurz vor der konkreten Integration in die Erfahrung des phänomenologisch Erhabenen zu stehen, sowohl als Anreize, in sie tiefer einzudringen als auch als Fallen, die sie abbrechen können – wie es im symbolischen Unbewußten bei deren blind vollzogenen Rekodierung in »Signifikanten« der Fall ist. In wieder anderen Worten nimmt das Pulsieren des Selbst zwischen dem Verschwinden und Entstehen hier die Form des Pulsierens zwischen zwei komplementären und darin mit der Welt und dem Dasein* übereinkommenden Gestalten an, und man könnte sagen: nicht nur die Anonymität der Welt (der Tod des Selbst) reflektiert sich (ohne Begriff und ohne Selbst) im Dasein* als dem In-der-Welt-Sein, das sich in den Qualia (als »hylé« der Weltentwürfe) hält, sondern auch umgekehrt das Dasein* selbst, das In-der-Welt-Sein, das sich mit seinem Selbst in die Anonymität oder Unheimlichkeit* der Welt entwirft und sich als Weltentwurf nur auf der »realen« Basis der weltlichen Qualia darin reflektieren kann. So gesehen scheinen die Qualia, die ja sowohl der Ordnung des Sinnlichen als auch der Stimmung* (Fühlung*) angehören, gleichermaßen die Spuren des Todes in der Welt (der drohenden Abwesenheit des Selbst in der Welt) und die Spuren der Welt im Tod (wenn die Welt aus der Welt potentiell verschwindet) zu sein. In beiden Fällen wären die Qualia als Reminiszenzen und Vorahnungen die Bruchstücke einer kurz bevorstehenden Katastrophe und somit Zeichen einer Hypersensibilität innnerhalb einer Hyperpassivität – dergleichen regt sich bei bestimmten Psychosen, die schon, wir werden darauf zurückkommen, sehr ferne Echos von dem sind, was Maldiney unter »Transpassibilität« versteht. Demnach bringt nun das Pulsieren auch die scheinbare Sicherheit des ontologischen Simulacrums mit seiner symbolischen Zirkularität ins Wanken. Es erscheint in dem Pulsieren, welches seine Phänomenalität zu ahnen erlaubt, sowohl als der Reflex der anonymen in der jemeinigen Welt – was die Perspektive der Husserlschen transzendentalen Konsitution eröffnet – als auch als der Reflex der jemeinigen in der anonymen Welt – was die Perspektive der Husserlschen Verweltlichung* eröffnet – wobei beide jeweils ineinanderspielen, ohne daß ihr »Überschneidungspunkt« bestimmt werden könnte, der ja selbst pulsiert. Gerade dadurch wird die Möglichkeit für das eröffnet, was zunächst als die aporetische Unmöglichkeit der Husserlschen Phänomenologie erscheint. In Sein und Zeit* gibt es, so scheint es jedenfalls, keine solche Schwankung, denn wir finden hier zwei unterschiedliche metaphysische Gestalten der Anonymität: das »Man« und die im Horizont des Todes sich lichtende Gesamtheit der Möglichkeiten. Weil der Horizont meines Todes mir Zugang zur Eigentlichkeit verschafft, kann ich anscheindend die erste Gestalt verlassen, um in die zweite durch eine wahrhafte Welt-Bildung* einzutreten, welche der anonymen Welt »die jemeinige« Welt aufprägt, die eine vom Tod zusammengehaltene Gesamtheit meiner Möglichkeiten des Existierens ist. Es ist aber kennzeichnend, daß Heidegger so einen
152 Gutteil der Problematik der Qualia völlig aus den Augen verliert, indem er sie recht schnell auf die kategoriale ontische Ebene abschiebt und sie nur als Widerhall klassischer Auffassungen in der Stimmung* und der Befindlichkeit* wieder aufgreift. Was Heidegger nicht gesehen hat, was Pato¢ka ahnte und was Merleau-Ponty in Das Sichtbare und das Unsichtbare ausdrücklich sich zu denken bemühte, ist nun, daß die Qualia jenseits ihrer symbolischen Kodierungen als »Gegebenheiten« eben neu als verleiblichte Existentialien zu denken sind, die mit ihrem Doppelantlitz Träger einer doppelten Existentialität oder einer insofern doppelten Ek-stase sind, als sie von der Welt ins Selbst und vom Selbst in die Welt geht, ohne daß beide sich decken, was die Ekstase zur schlichten Subjekt-Objekt Struktur und damit in eine Theorie des Gegenüber von Selbst und Welt auflösen würde. Bisher hat sich die Phänomenalität der Welt im Pulsieren zwischen der anonymen und der jemeinigen Welt abgespielt oder zwischen der Welt als anonymem Ganzen – also als Universum – und der Welt als dieses Ganze in sich aufnehmendem Teil, d.h. als einer auf sie gerichteten »Perspektive«. Demnach scheinen die Qualia als Fetzen der Anonymität der Welt aufgrund dieser Anonymität unterwegs zum Universellen zu sein, d.h. zu einer gewissen Abstraktion ihrer scheinbaren Konkretheit, die dazu tendiert, sie so etwas wie das Eidos berühren zu lassen; und zugleich scheinen sie umgekehrt die Vereinnahmung dieser »Quasi-Universalien« in die Jemeinigkeit der Welt zu sein, in das, was jedenfalls Empfindung oder Befindlichkeit als eine Weise, affiziert zu werden, einschließt. Der äußerste abstrakte Pol davon wäre die Wesensschau*, die »Vision« ihrer universellen Dimension im konkret Sinnlichen. Wenn man sich nun daran erinnert, daß im erste Fall die Qualia Spuren des der Welt widerfahrenden Todes sind und im zweiten Spuren der Welt im Tod, dann sieht man die komplexe Verknüpfung zwischen Tod und Universellem. Auf eine besondere, in ihrer Tiefe an Hegel gemahnende Weise kann das Universelle nur im Tod des konkreten Selbst in der Welt apperzipiert werden, im Vergehen der Welt mit ihrer Jemeinigkeit*, im Auslöschen des »Ich«, das Anonymität und symbolisches Netz der Idealitäten einander annähert, und dies vermittelt die (transzendentale) Illusion, daß dieses Netz, das sich so von jenseits des Todes her selbst hält, mit seinen Maschen von Ideen oder »Universalien« nichts anderes als eine Gestalt einer a priori gegebenen Unsterblichkeit zwar nicht mehr des Ichs, aber des Denkens ist; aber damit wird auch die entsprechende transzendentale Illusion vermittelt, daß durch diesen ganz a priori gegebenen Gehalt dieses Netz die transzendentale Matrix ist, die notwendigerweise meinen Bezug zur Welt vermittelt – wobei diese konkrete Welt in der Faktizität ihrer Jemeinigkeit* sich nur an die Welt als ganzer anheften kann, wenn eben der transzendentale Idealismus auf das im weitesten Sinne Sinnliche hin durch den »empirischen Realismus« vervollständigt wird. Das Feld der Qualia, das aus dem Nirgendwo hinter der verschwundenen oder in ihrem Verschwinden hypostasierten Welt kommt, verwandelt sich in das Feld der »Signifikanten«, das sich als »System« oder symbolisches Gestell* selbst zu organisieren scheint, und dem gegenüber hypostasiert sich komplementär die »meinige« Welt als Weltanschauung* oder in einem perspektivisch und subjektiv auf sie gerichteten Blick. Es bleibt nun zu verstehen, wie dabei diese Weise, sich im Verschwinden zu hypostasieren nur Komplize der Konstitution einer ganz anonymen Welt sein kann, die in der Gestalt eines selbst anonymen Selbst verschwunden ist, das ihr die Gestalt eines Seins zuweist oder eher eines Seienden, das, insofern es genau dem ontologischen Simulacrum entspricht, eigentlich nur ein ontisches Simulacrum ist. Das Universum als Ganzes der Welt unterscheidet sich phänomenologisch eben dann von der auf ihre Phänomenalität bezogenen
153 phänomenologischen Welt, wenn es die Gestalt eines ontischen Simulacrums annimmt. Das gilt es nun zu verstehen, um den transzendental illusionierenden Effekt des Begriffes des Ganzen auszuschalten. Wir leiten daraus eine bereits phänomenologische Annäherung an das ab, was unter dem Begriff zu verstehen wäre. Die Situation der Qualia im zu verschwinden drohenden Selbst ist zwiefach: einerseits gleiten sie zum Status der Qualia der Welt in ihrer Anonoymitat hin, d.h. einer nächtlichen Welt, die kein innerer Blick (der Jemeinigkeit*) mehr erhellt, und als scheinhafte Qualia der Welt sind sie gewissermaßen nur deren letzte (oder erste) Strahlen, die jederzeit jeder reflexiven Selbstheit entrissen werden und damit in ihrer Wildheit erscheinen könnten, also jenseits jener Passivität, die einer transzendentalen Subjektivität oder einem Dasein* zuschreibbar wäre. Andererseits und entsprechend tendieren sie dazu, sich als Pole der Reflexivität zu fixieren, die gerade ihre Selbstheit verfehlt, d.h. als zerstreute oder ausgesäte Splitter der zu verschwinden drohenden Selbstheit. Nun aber scheinen sie weniger von der Anonymität der Welt her zu kommen als von jenseits der Nacht der Welt, von jenseits ihrer Anonymität, als Splitter oder Fragmente der durch ihren eigenen Tod gegangenen Selbstheit: übrig zu bleiben scheint ihre Identität oder zumindes ihre a priori von einem Jenseits der Welt herkommende Haltung, von einem im Verhältnis zum konkreten menschlichen Selbst dezentrierten Selbst, das in der Onto-Theologie als das Selbst des Ganzen, also als Gott erscheint. Ob nun anonymes Selbst oder Selbst als das innerste Selbst – wir sind, ohne schon angekommen zu sein, sehr dicht davor, den symbolischen Stifter im phänomenologischen Erhabenen zu enthüllen – der gewissermaßen die Qualia vor einer bis ins Universale gehenden Anonymität zurückhält, die sie zu außerweltlichen Idealitäten werden ließe, und aus der Welt ein Sub-strat macht, ein Individuum, das wie die Inversion des Poles »des Einen« des als Gott gefaßten anonymen Selbst ist. Er macht aus der Welt eine Uni-versio, ein »Universum«, dessen ganze phänomenologische Konsistenz darin bestünde, die Qualia von ihrer phänomenologischen Tiefe »abzuschneiden« und sie in »Essenzen«, Qualitäten, Formen und Strukturen zu verwandeln. Die Welt, das Universum scheint »an sich« oder »von sich« zu sein, und das eidetische Feld der Idealitäten scheint sich in seiner Konsistenz als das a priori eines göttlichen Denkens (Verstandes) zu halten, das von einer Selbstheit ausgeht, die das Herz jeder Selbstheit sein soll. Die Welt erscheint so als ontisches Simulacrum – das Simulacrum des Seienden –, das, im Hegelschen Sinn, aus der »Wahrheit« des ontologischen Simulacrums besteht, in der Umwandlung der Welt als Sub-strat oder Sub-stanz zur Selbst-objektivierung eines göttlichen Selbst, das wie der »absolute Geist« oder das »absolute Subjekt« selbstreflexiv ist. Damit sieht sich, wie bei Hegel, jede Singularität der Qualia zu Besonderheiten von Universalien kurzgeschlossen, die weniger der Anonymität der Welt als Universum als der Universalität eines a priori göttlichen Denkens – eines Denkens »vor der Schöpfung –, d.h. der Universalität des Begriffs zuzuschreiben sind. Der illusionierende Effekt des Simulacrums hat seinen Höhepunkt erreicht, weil von nun an der Begriff der Welt als Universum jeder Welt als Phänomen vorauszugehen scheint. Und dieser Begriff ist nichts anderes als der Begriff des Ganzen. Dem ist hinzuzufügen, daß dies phänomenologisch von jedem Zugriff der Faktizität, in der Welt zu existieren, gilt, also zum Beispiel von der Wahrnehmung: wenn es letztlich keinen phänomenologischen Standpunkt der Wahrnehmung des Dings gibt, der nicht gleichzeitig faktizielle Wahrnehmung der Welt ist – wenn »das Ding« aus streng phänomenologischer Sicht immer »eine« Welt ist –, dann hindert nach der gleichen Bewegung nichts, das »Ding« im totum und im Seienden zu konstituieren,
154 als ein Substrat der Qualia wie von seinen »Eigenschaften«, das im Sein von einem An-Sich eines Selbst gehalten wird, das in seinen Tiefen nichts anderes als das göttliche Selbst ist. Das Feld der logisch-eidetischen Idealitäten verdoppelt die Welt in ihrem ganzen Umfang und die phänomenologischen Konkretheiten werden entsprechend auf die als subjektiv gefaßte Faktizität einer durch ihre Endlichkeit dezentrierte menschlichen Selbstheit bezogen – wobei die »genaue« Weltanschauung nur durch eine Re-Zentrierung gewonnen werden kann, oder, subtiler, im modernen Denken durch Omni-Zentrierung, was einer Bewegung folgt, die von Cusanus bis Leibniz, Kant und Husserl von meinem besonderen faktiziellen Zentrum überzugehen erlaubt zu jedem a priori möglichen Zentrum:2 das ist das Problem de Monadologie, das man noch bei Husserl in seiner Lehre von der transzendentalen Intersubjektivität wiederfindet. Wir begegnen hier also sowohl dem, was begrifflich die kohärente Verformung der Qualia in der symbolischen Stiftung der klassischen Philosophie ausmacht, als auch dem, was daraus am Ort des phänomenologisch Erhabenen zum phänomenologischen Motiv wird. Dieses Motiv besteht in einem die transzendentale Illusion hervorbringenden Kurzschluß – eben der Illusion, die das Fundament des Hegelschen Denkens ist –, da im Pulsieren der Welt zwischen ihrer Anonymität und ihrer Jemeinigkeit* und dem entsprechenden Pulsieren des Selbst die »Welt« aus ihrem Gleiten in die Nacht unter der Form des Feldes der Idealitäten, die mit einen a priori Inhalt überfrachtet sein sollen, umgestaltet hervorgeht; ganz wie – echohaft – auch das Selbst aus seiner Eklipse in der Abwesenheit zum göttliche Selbst des absoluten Geistes umgestaltet hervorgeht – zwei Gestalten, deren konstitutive transzendentale Illusion darin besteht, sie jenseits des Todes in der Unsterblichkeit auftauchen zu lassen, aber deren Anschein von phänomenologischer Konsistenz von der eigentlich schon von Descartes aufgedeckten »Tatsache« abhängt, daß ich mich dem Feld der Idealitäten nur öffnen kann, wenn ich mich darin gewissermaßen wie in Gott tilge, als einem solchen, der mich erhält, indem er mich empfängt. Das ist die Quelle jedes transzendentalen »Apriorismus« und dies bewirkt zugleich – nach einem Rätsel, das Husserl oft genug wiederholte –, daß der logisch-eidetische Sinngehalt des Theorems von Pythagoras heute der gleiche ist wie zu Zeiten der Griechen. Das Logisch-Eidetische ist zumindest architektonisch gewissermaßen göttlichen Ursprungs. Wir werden noch Gelegenheit haben, auf dieses anscheinend unerhörte Paradox zurückzukommen, welches gerade das klassische Denken zu denken bemüht war, dessen Reichtum ja gerade darin bestand, daß es seine ganze Aufmerksamkeit darauf wendete, die »Gründe« der symbolischen Stiftung zu denken. Wenn wir zum Pulsieren der Welt in ihrer Phänomenalität zwischen ihrer phänomenologischen Anonymität und ihrer faktiziellen »Jemeinigkeit« zurückkommen, so folgt daraus, daß in diesem Pulsieren die Qualia selbst in changierenden Vielfältigkeiten pulsieren, und zwar zwischen ihrem Status der Fetzen der Welt in ihrer Anonymität – wilde, unbeherrschbare Fetzen – und ihrem Status von versprengten Fragmenten einer Jemeinigkeit*, die ihnen insofern ausgeliefert ist, als sie sich immer schon in ihrer Passivität sedimentiert haben, und bei ihrem Vorhaben, Sinn zu bilden, berücksichtigt werden müssen. Entsprechend verwandeln sich die Qualia in Eidè – obwohl diese Verwandlung, wie Husserl ahnte, nur universell sein kann, wenn die Welt »seiend« wird, also wenn sich diese eigentlich entscheidende, aber meist unbemerkte Verwandlung vollzieht, dank derer man nun von der Faktizität der »Tatsache«, daß die Welt »ist« übergeht zur scheinbaren Faktualität der Tatsache, daß die Welt »seiend« ist. Streng genommen ist in phänomenologischer Sicht weder die
155 Welt, noch irgendein weltbildender Teil der Welt »seiend«: das wäre eine transzendentale Erschleichung, die das Phänomen zumindest in ein Substrat des Logisch-Eidetischen umwandelt – wenn nicht gar, wie beim Heideggerschen Dasein*, in ein »Subjekt«. Mit anderen Worten müßte man weiter gehen als Heidegger und sagen, daß das Dasein* ebensowenig Seiendes ist, wie schließlich auch, jedenfalls ursprünglich, das Ding, der Traum, die Landschaft usw. Damit haben wir das erste Ergebnis der phänomenologischen Reduktion des ontologischen Simulacrums auf die Phänomenalität gewonnen. Wenn wir nun auf das Pulsieren von der Seite des ontologischen Simulacrums zurückkommen, so zeigt sich dieses Pulsieren des Selbst zwischen Verschwinden und Entstehen nun folgendermaßen: im ekliptischen Schwinden des Selbst öffnet sich der »Ursprung« der Welt in ihrer Anonymität, von der das Selbst sich gerade entfernt, und wenn das Selbst wieder auftaucht oder erscheint, so bringt sich in dieses Pulsieren der Ursprung dieser Welt ein, wobei das Selbst sie von ihrer Jemeinigkeit* her zu halten scheint. In der unendlichen Flucht des Selbst im Abgrund seiner pulsierenden Doppelbewegung, vollzieht sich also als Echo das Pulsieren zwischen folgenden beiden Polen: der erste Pol ist die Welt als mögliches »Korelat« eines transzendentalen Ego, das schon nicht mehr von dieser Welt ist und anscheinend vom Tod umgestaltet zu werden droht, oder auch die Welt als die Gesamtheit der ontologisch-existentialen Möglichkeiten zu existieren, die nach dem Durchgang durch den Tod zurückzukehren scheinen; der zweite Pol ist diese Welt als meine Welt, in der das Ego sich faktiziell in seiner Welt-Apperzeption apperzipiert oder in der das Selbst sich immer schon teilweise in der bereits geworfenen Faktizität der Jemeinigkeit* verwirklicht hat. Wenn man nun das in der Hypostase des Ganzen und des Selbst verbliebene Phantom der Onto-Theologie ausschaltet, ergibt sich daraus, daß die Welt immer als das Pendant dieser Welt scheint, als der Horizont dieser Welt, die daraus immer schon als faktizielle, d.h. als kontingente hervorgeht. Aber unter der gleichen Bedingung ergibt sich daraus auch: insofern im Pulsieren die Eklipse des Selbst ebenso unbeherrschbar ist wie sein Wiederauftauchen, scheint die Welt selbst faktiziell, aber von einer Faktizität ganz anderer Ordnung, oder einer radikal scheinenden Kontingenz, da, wie gesehen, nichts im Pulsieren a priori vorschreiben kann, daß es eine Welt oder die Welt gibt. Selbst im zwingendsten Rahmen der Onto-Theologie gibt es überhaupt keinen Grund spekulativer Art für die »Schöpfung« oder das »Hervorbringen« der Welt: einen solchen kann es allenfalls nur für die symbolische Verkettung ihrer Strukturen geben. Für die Reflexion innerhalb dieses Rahmens, der seit Kant der klassische architektonische Rahmen des Denkens ist, hat diese Kontingenz der Welt eine äußerst wichtige Bedeutung. Das Denken des Kontingenten, die Bemühung, für sie eine Rechtfertigung zu finden, ist bekanntlich die Teleologie. Aber insofern wir uns jenseits des onto-theologischen Rahmens ansiedeln, kann die Welt in ihrer Anonymität nur im völlig unbestimmten Begriff des Ganzen aufgenommen werden – sonst wäre die Welt ein »Seiendes« –, und das bedeutet, daß die Reflexion der Welt als Welt sich nur in einer »ästhetischen« Reflexion entfalten kann als einer Reflexion ohne Begriff oder ohne bestimmtes Telos, womit sie den Status einer authentischen phänomenologischen Reflexion annimmt; »die« Welt kann also nur durch »den« Begriff überhaupt im Sinn der unbestimmten Form jeden Begriffs subsumiert werden – gerade das, was wir ähnlich stillschweigend mitverstehen, wenn wir das Phänomen sagen. Dieser ist also logisch für überhaupt keinen Umfang konstitutiv, denn er entspricht ganz im
156 Gegenteil dem Namen, der nun einmal einem Etwas gegeben werden muß und als radikale Kontingenz eine radikale Einzelheit ist. Das gleiche wäre auszuführen, wenn wir von der Phänomenalisierung sprechen als einem ähnlich radikal kontingenten »Moment« der begriffslosen »Reflexion« des Phänomens in der Phänomenalität. Ebenso wichtig in dieser Perspektive ist die Kontingenz dieses oder jenes auf seine »Jemeinigkeit« bezogenen Phänomens – dieser oder jener Welt – hinsichtlich des in ihrer Anonymität genommenen Phänomens – der Welt. Die Faktizität der Jemeinigkeit* ist nämlich nicht von der gleichen Ordnung wie die Faktizität der Welt in ihrer Anonymität, da sie sich von ihr als der andere Pol des Pulsierens abhebt und da sie, mit Selbstheit versehen, gewissermaßen immer schon zu reflektieren begonnen hat. Und dies nicht, weil dem Begriff von dieser oder jener Faktizität eine Art von Besonderung des Allgemeinbegriffs entsprechen würde – das stimmte nur im symbolisch gestifteten Rahmen einer Onto-Theologie –, sondern weil am anderen Pol des Pulsierens dem Begriff überhaupt Begriffe als Möglichkeiten entsprechen, wie die ontologisch-existentialen faktiziell vollendeten Möglichkeiten. Man versteht nun gegen den Strich, daß die Möglichkeit dieser als Möglichkeiten gefaßten Begriffe architektonisch der Trans-possibilität angehört und daß in diesen vielfältigen Begriffen als vielfältigen Möglichkeiten, die Welt zu existieren, das zumindest ansetzt, ohne sich zu vollenden, was Kant als die teleologische Reflexion hervorhob, da sich darin die Selbstheit in ihrer Apperzeption zumindest blitzhaft andeutet. Mit diesem Ansatz, der also einen eigenen Status hat, bezeichnen wir die eigentlich phänomenologische Seite des phänomenologischen Erhabenen, jenen Ort, den wir in unserer vorangegangenen Meditation als den pulsierenden Ursprung des Sprachlichen genannt haben. Anders gesagt gibt es keinen (außer einem ungerechtfertigten und transzendental erschlichenen metaphysischen) Übergang von der Welt (vom Allgemeinbegriff) zu dieser Welt (zu diesem Begriff der Welt), weil es keinen Übergang zwischen der begriffslosen phänomenologischen (ästhetischen) Reflexion ohne bestimmtes Telos und der teleologischen Reflexion gibt, die mittels einer Modalisierung zum Als-Ob einen bereits bestimmten faktiziellen Begriffs (Selbst) darzustellen versucht. Ebenso wie es kein a priori Gesetz der Individuierung des Ego gibt, so gibt es kein a priori Gesetz der Besonderung der Begriffe, die immer Namen zur Bezeichnung des radikal Einzelnen (»Eigennamen« aus logischer Sicht) sind. Es gibt also, und darin liegt ihr phänomenologischer Gehalt, ein Pulsieren der Begriffe wie es ein Pulsieren der Qualia, der Welt und des Selbst gibt. Und jedes Leibnizsche »Kalkül« der »möglichen« Welten als jeweils »meiner« Welten ist aus phänomenologischer Sicht radikal unmöglich. Anzumerken ist noch, daß genau genommen bis jetzt weder die Welt in ihrer Anonymität noch diese oder jene Welt in ihrer Jemeinigkeit* schon phänomenalen Gehalt haben – von ihnen als »Phänomenen« zu sprechen war eine unsaubere Sprechweise –, da sie nur erst in ihren Begriffen, als Pole des Pulsierens, wiederaufgenommen wurden und noch nicht in sich selbst zu pulsieren begonnen haben und sich dadurch zur Phänomenalität phänomenalisieren. Bis jetzt hat die Welt als Phänomen nur in ihrem Pulsieren zwischen Anonymität und »Jemeinigkeit« anzubrechen begonnen. Die Einführung derartiger, pulsierender Begriffe – die man als phänomenologische bezeichnen könnte – erlaubt nun, die in ihrem Pulsieren verkoppelten Qualia ein wenig klarer zu sehen, weil diese Begriffe ganz ausdrücklich dem Denken angehören. Da beginnt so etwas wie die noch im ontologischen Simulacrum enthaltene phäno-
157 menologische Konkretheit »Leben zu gewinnen«. Wenn der Allgemeinbegriff der Welt in seinem Pulsieren mit den Begriffen der jeweils mit Jemeinigkeit* versehenen Welten ein völlig unbestimmter Begriff der Welt in ihrer Anonymität ist und sich also nicht einmal als Begriff des Ganzen hypostasiert, dann scheinen die Qualia als Fetzen oder Späne der Welt in ihrer Anonymität, und ihre Bewegung zum Universellen ist in der Ausschaltung der Welt als seiendem Ganzen des Seienden ausgeschaltet, was sie aber potentiell immer noch bleibt. Wenn man sie aber umgekehrt auf die Begriffe der Welten, die mit der »Jemeinigkeit« einer Selbstheit versehen sind, bezieht, scheinen die Qualia jeweils als scheinhafte Fragmente dieser Welt in dieser Welt als In-der-Welt-Sein (transzendentale Subjektivität, Dasein*), wobei aber diese Fragmente immer schon da sind, abgelagert oder sedimentiert in der Passivität oder der Befindlichkeit* – wobei sie nur einfach »subjektive« »Buntheit« zu bleiben drohen. Genauer scheinen sie als hylè (im allgemeinsten Sinn) oder als das »Material«, mit dem die (menschliche) Selbstheit (auch des Sinns) (sich) »arrangieren« muß, nur um sich im Sinn zu zeitigen/räumlichen, vom Sinnansatz als ontologisch-existentiale Möglichkeit des Existierens her oder vom Begiff dieses Sinns als ontologisch-existentialer Möglichkeit aus, im transitiven Sinne die Welt zu existieren. Daraus ergibt sich die entscheidende Konsequenz, daß die Qualia ihre scheinbare Eigenschaft, in der Jemeinigkeit* der Welt sedimentierte Besonderheiten zu sein, nur verlieren können, wenn der allgemeine Begriff der in ihrer Anonymität genommenen Welt in diesem oder jenem faktiziellen Begriff einer mit Jemeinigkeit verbundenen Welt pulsiert. Dieses Pulsieren bedeutet nicht den aus phänomenologischer Sicht nicht vorhandenen Übergang vom »subjektiv« Besonderen zum vom »Universum« herkommenden Universellen, sondern die pulsierende Beweglichkeit – gewissermaßen die Phänomenalität – des Denkens zwischen dem Begriff der Welt und diesem oder jenem Begriff der Welt. In Wirklichkeit liegt in diesem pulsierenden »Spiel« der Weltbegriffe im allgemeinen Weltbegriff die phänomenologische Möglichkeit dessen, was Husserl als die eidetische Variation gefaßt hat. Das zeigt umgekehrt, daß das phänomenologische Wesen* immer ursprünglich von einer »eidetischen Verschwommenheit, Unbestimmtheit, Unschärfe« affiziert ist, es sei denn, daß man, wie manchmal Husserl, metaphysisch voraussetzt, daß die Omnizentrierung im Universum von jedem möglichen Zentrum, das durch das Selbst konstituiert wird, zu Strukturen von absoluter Invarianz führen könnte, die tatsächlich sowohl göttliche Strukturen (der intellectus archetypus Kants) als auch Strukturen des Universums sind. Man müßte im folgenden abschätzen, inwiefern die Einbildung, die bei Husserl die Variation bewirken soll, eher Einbildung der Weltkonzepte ist, also Einbildung der Faktizitäten im transpassiblen Kontext der interfaktiziellen Begegnung, als Einbildung, der man in der transzendentalen Illusion zutraut, den göttlichen Intellekt durch Omnizentrierung einzuholen – eine Einbildung, die bewirkt, daß die Qualia in der vermeintlich absoluten Identität des Eidos eingeebnet und scheinbar gesättigt werden, oder auch in der angenommenen Exaktheit der Idee als Begriff (im klassischen Sinn), der von sich aus den Lauf der Teleologie nach dem regeln soll, was in der Krisis als »Substruktion« verstanden wurde. Wenn es durch interfaktizielle, also transpassible Einbildung Invarianz der faktiziellen Begriffe von faktiziellen Welten gibt, dann bedeutet das nicht nur, daß die Einbildung tiefgreifend ihren Status ändert – sie ist nicht mehr nur »Vermöglichkeit«, anläßlich irgendeines Seienden ontisch Mögliches zu »verbildlichen« – auch die Qualia nehmen, anstatt sich auf die logisch-eidetische »Nominalität« zu reduzieren, sozusagen den Status von »existentialen Sedimentie-
158 rungen« an, wovon man bei Merleau-Ponty in »Das Sichtbare und das Unsichtbare« zumindest Spuren findet.3 Wie dem auch sei, es geht daraus gleichermaßen hervor, daß die Begriffe von Welten, insofern sie im Weltbegriff pulsieren, hinsichtlich der Qualia, die in wilden Vielfältigkeiten in der Anonyität der Welt schimmern, eine ablösende Kraft gewinnen – die klassisch als Kraft der Besonderung gekennzeichnet wurde. Von »allen« Qualia der Welt werden in einer solchen Welt mit ihrer Jemeinigkeit* nur bestimmte »angenommen«, indem sie, wenn auch auf unbewußte Weise, integrierender Teil der Zeitigung/Räumlichung des Selbst werden – und nicht nur insofern sie einfach »Signifikanten« dieser oder jener perspektivischen Sicht auf das Ganze der als seiend aufgefaßten Welt oder als dieses oder jenes Stück des Ganzen der Welt wären, das in ähnlicher Weise als seiend gefaßt wird. Der allgemeine, in seiner Anonymität gefaßte Weltbegriff stimmt also mit einem phänomenologischen Apeiron als wildem Apeiron von Qualia in Vielfältigkeiten überein, die, wie wir gesehen haben, in Verwirrung bleiben, solange der Ausgangspunkt des Denkens in der scheinbaren Einsamkeit des Selbst im ontologischen Simulacrum fixiert wird – eine Einsamkeit, die schon durch das Pulsieren der Begriffe im Begriff aufgebrochen zu werden droht, ebenso wie die Verwirrung der Qualia, weil jedem faktiziellen Begriff als Existenzmöglichkeit des Selbst verschränkte Bündelungen der Qualia entsprechen können. In all dem darf man außerdem nicht vergessen, daß die Welt in der »ersten Gestalt« ihrer Phänomenalität, d.h. die Welt in ihrem Pulsieren – einem pulsierenden Widerhall auf das Pulsieren des Selbst in der Hyperbel der phänomenologischen Epoché – sowohl das Pulsieren des Begriffs und der Begriffe verursacht als auch das Pulsieren der Qualia zwischen ihren anscheinend ungeordneten Vielfältigkeiten und noch inchoativen Anordnungen, die sie zu voneinander abzusondern scheinen. Diese »erste Gestalt« der Phänomenalität, die auch die »erste Gestalt« der Phänomenalisierung ist, steht dem ontologischen Simulacrum noch sehr nah und erlaubt, besser dessen Phänomenalität im von ihm geworfenen transzendentalen Schein zu ergreifen, daß »meine« Welt sich darin als Ursprung der Welt reflektiert; als ob in dieser doch zirkulären Reflexion sich ohne Schwierigkeit der (ungerechtfertigte) metaphysische Übergang »meiner« Welt (dieser Weltbegriff) zu der Welt als Symbol aller faktiziellen Welten vollziehen könnte, die jeweils als Monaden anders als meine möglich wären. Die Wirkung der Erschleichung liegt nun eigentlich darin, daß der phänomenologische Pol der anonymen Welt durch das Verschwinden seiner Anonymität in seinem Allgemeinbegriff nur noch als Anonymisierung der Qualia mitspielt, die nun soweit wie möglich in »Wesen« oder in eidè verwandelt werden, und daß der phänomenologische Pol der Welt in ihrer Jemeinigkeit* als umgekehrter Widerhall auf sein nunmehr verdecktes absonderndes Vermögen sich nur noch als ein Vermögen einbringt, das die »Wesen« in logisch-eidetische Netze einfängt und (ver)sammelt (legein, logos), in denen es nur noch ein fernes, kaum »vernehmbares« Echo vom Spiel der Welten in der Welt oder der Begriffe im Allgemeinbegriff gibt. Dieses Spiel wird tatsächlich durch das ausschließlich logische Arrangement von Genus und Art überdeckt, das wie ein Tuch oder Netz über die Welt als ganze ausgebreitet wird, d.h. als Begriff im klassischen Sinne, oder als Seiendes und ontisches Simulacrum – gerade hier verankert sich auf rätselhafte Weise die symbolische Prägnanz der symbolischen Stiftung, hier insbesondere der Philosophie. Die »Wesenheiten« werden damit, aber in ihren dunkelsten Untergründen, zu den vergessenen Übergängen zwischen den Welten, die toten Winkel, von denen aus sich die unter Begriffe subsumierten Welten in ihrer Faktizität wenigstens erahnen könnten.
159 Die ganze Schwierigkeit der phänomenologischen Reduktion überträgt sich also gewissemaßen auf den Begriff und die Begriffe oder zumindest auf das, was den Übergang von den Begriffen oder Eigennamen für faktizielle Besonderheiten zu den Begriffen als Sammelnamen für Seiendes oder »Eigentümlichkeiten« von Seiendem regeln soll. Nur über die phänomenologischen Qualia wird sich ein Weg abzeichnen können, der diesen noch subtileren Typus von Erschleichung verstehen ließe: wenn es stimmt, daß dem Allgemeinbegriff von Welt im Pulsieren das wilde Apeiron der Qualia in anscheinend ungeordneten Vielfältigkeiten entspricht und daß gleichermaßen den in ihrer Faktizität sich selbst apperzipierenden Weltbegriffen die Anordnungen der höchst inchoativen Qualia entsprechen, dann scheint das erschlichene transzendentale Gleiten, das den Begriff und die Begriffe verändert, darin zu bestehen, daß der Allgemeinbegriff nur deshalb universell zu sein scheint, weil er die Qualia auf Vielfältigkeiten zu beziehen oder sie darunter zu subsumieren scheint, und daß die sich jeweils selbst apperzipierenden Weltbegriffe nur deshalb als besondere scheinen, weil sie schon durch »Spezifikation« sich auf diese oder jene Gruppe von Qualia zu beziehen oder diese zu subsumieren scheinen. Um den Übergang zu vollziehen, reicht der transzendentale Fehler Hegels, die Einzelheit unter der Besonderheit zu verschütten. Damit wird nun nicht nur die Welt zu einem Seienden, sondern auch jede Welt als das Ganze in sich einschließender Teil der Welt in ihrer Gesamtheit. Somit kommen wir wieder auf die Problematik der Omnizentrierung zurück, daß es nämlich streng genommen a priori keinen Übergang gibt von der Welt zu den faktiziell jemeinigen Welten, von dem Begriff zu den Begriffen, vom wilden Apeiron der Qualia zu dieser Sonderung der Qualia. Gerade dieses Gleiten des Begriffs hin zu seiner klassischen Gestalt, also auch das Gleiten der sich jeweils faktiziell bildenden Sinnansätze zu den Bedeutungen hin und damit auch noch die Husserlsche eidetische Reduktion, müssen wir radikal einklammern oder ausschalten. Wir müssen demgemäß nicht so sehr eine phänomenologische Epoché der fungierenden Sprache praktizieren – da der Sinn als sich bildende und suchende Selbstheit zu erklären ist als jeweils faktizielles Phänomen der sprachlichen Zeitigung/Räumlichung – sondern vielmehr eine phänomenologische Epoché des Sprachsystems (der symbolischen Stiftung des Sprachlichen zur Sprache, insbesondere zur philosophischenSprache). Sie stimmt mit der phänomenologischen Reduktion des Seienden im ontischen Simulacrum überein. Dieses ist, wie wir in Phénomènes, temps et êtres gezeigt haben, insofern das Korrelat des ontologischen Simulacrums, als es in seiner illusionierenden Kraft wie das Substrat und der Ursprung seiner Wesenheiten als seiner Eigenheiten zu sein scheint: als ob es ein Subjekt wäre, das vom ontologischen Simulacrum erwartet, in seiner Subjektivität »erweckt« oder »wiedererweckt« zu werden, oder als ob die Reflexivität des ontologischen Simulacrums die einzig geeignete wäre, sie in sich zu öffnen, nicht chirurgisch, sondern damit es von diesem in ihm enthaltenen lumen »naturale« her sich als Sub-strat oder als Subjekt seiner Wesenheiten reflektieren zu können scheint (oder als seinen Wesenheiten unterworfen (sujet), was letztlich auf das gleiche hinausläuft) –, wobei die Bewegung wie bei Schelling oder Hegel bis zu einer Naturphilosophie* gehen kann, in der die Reflexivität wegen ihres paradoxen Charakters, »kein Bewußtsein« zu haben, sich in Produktivität umwandeln kann. Diese Vorüberlegungen legen die Einsicht nahe, daß dem allgemeinen Begriff der Welt in ihrer Anonymität der Allgemeinbegriff der Welt als Phänomen entsprechen muß, d.h. der Begriff der Phänomenalisierung überhaupt, als Begriff der Zweckmäßigkeit ohne Zweck der phänomenologischen Reflexion überhaupt. Und daß den
160 als jeweils jemeinige Faktizität gefaßten Weltbegriffen die Begriffe dieser Welten als jeweils faktizieller Phänomene entsprechen müssen, d.h. die Begriffe pluraler Phänomenalisierungen, als Begriffe der Zweckmäßigkeit jeweils ohne Zweck, in der sich die phänomenologische Reflexion des sich bildenden Sinnes vollzieht. Das Pulsieren der Begriffe im Begriff wäre so auf seinen ursprünglich phänomenlologischen Status des Sprachlichen, und zugleich auf seinen Status des transzendentalen »Organs« der Phänomenalisierung (überhaupt, und von einzelnen Sinnregungen) gebracht. Und beides artikuliert sich, wie wir durch unsere vorangegangene Meditation wissen, im transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung. Welche Auswirkung hat dieser nun auf das Schwanken und Pulsieren des doppelten Status der Qualia? Der Rückgang auf den Ursprung der fungierenden Sprache hat uns in unserer vorigen Meditation zur Einsicht verholfen, daß man nicht nur von einer ursprünglichen Pluralität sprachlicher, sondern auch von einer ebenso ursprünglichen Pluralität außersprachlicher Weltphänomene ausgehen muß. Daraus folgt streng phänomenologisch – vermittels der hyperbolischen Epoché –, daß der allgemeine Weltbegriff die abstrakte Gestalt ist, welche die ursprüngliche und anonyme Pluralität der außersprachlichen Weltphänomene im ontologischen Simulacrum annimmt, und daß die Qualia als wilde Konkretisierungen des wilden phänomenologischen Apeiron potentiell eigentlich nur als Qualia einer ursprünglichen Vervielfältigung von außersprachlichen Weltphänomenen scheinen, die im Weltbegriff in seiner Anonymität verborgen und vermengt sind – wobei die phänomenologische Reduktion das Problem zu lösen hat, diese Vermengung zu entwirren. Am anderen Pol des Pulsierens vollziehen die sprachlichen Phänomene ihre allfällige Zeitigung/Räumlichung nicht notwendigerweise aus einer Selbstheit heraus, die in ihrer Reflexivität schon ganz vollendet und von anderswoher »gegeben« wäre – was das Stiftende im phänomenologischen Erhabenen wäre –, denn auch gewisse Angliederungen wilder Qualia können als »Ansätze« von zu bildendem Sinn scheinen. Und diese »eigenartigen Angliederungen« gehören den passiven Synthesen zweiten Grades an, die sich im phänomenologischen Unbewußten vollziehen, die aber ins »Bewußtsein« des sich bildenden Sinns gehoben werden können, wenn dieser das ihn Übersteigende und Bedrohende reflektiert. Auch wenn diese passiven Synthesen immer schon von den sprachlichen Phänomenen »bearbeitet« oder »neu organisiert« zu sein scheinen, so scheinen sie doch in ihrer Konstitution auch etwas Entfernterem oder Höherem als dem Sprachlichen anzugehören. Es gibt also »Gruppierungen« oder »Verbindungen« von Qualia, die den von uns so genannten passiven Synthesen dritten Grades angehören müssen, die an ihrem eigenen Ort der Transpassibilität fungieren. Sie sind also nicht ohne Begegnung und wechselseitigem Empfang der (sprachlichen und außersprachlichen) Weltphänomene zu denken. Allenfalls hier kann es eine Angliederung der passiven Synthesen zweiten Grades an die passiven Synthesen dritten Grades geben. Dies ist zu berücksichtigen, wenn man die außersprachlichen und die sprachlichen Weltphänomene phänomenalisierend zu ihrer Phänomenalität bringen will. Und dies ist nur auf dem Weg des transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung zu erreichen. Nun impliziert ja dieser Rückgang in die Tiefen der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché, daß die Weltbegriffe nicht nur die Begriffe der jemeinigen faktiziellen Welten bedeuten – von jeweils mit ihrer Jemeinigkeit* versehen Welten –, sondern auch Begriffe »jeseiniger« faktizieller Welten, die jeweils durch ihre Selbstheit, die vor allem Selbstheit des Sinns ist, mit ihrer »Jeseinigkeit«* ausgestattet sind. Diese Pluralität aber kann nicht primär der Möglichkeit im (Heideggerschen) Sinne der
161 faktiziellen Möglichkeit, die Welt zu existieren, angehören, da sie wegen der reflexiven symbolischen Vermittlung des ontologischen Simulacrums immer nur sekundär bleiben kann, sondern gehört zur Transpassibilität im Sinne Maldineys, die als das zu verstehen ist, was noch vor den ontologischen Möglichkeiten und den Welten als Transpossibilität vorliegt. Wir stehen also vor einer, allerdings nicht in jeder Einzelheit exakt aufeinander zu beziehenden Entsprechung, wenn die sprachlichen Phänomene noch Weltphänomene sein dürfen, zwischen dieser aus einer ursprünglichen Pluralität von selbst-reflexiven Faktizitäten bestehende Transpossibilität und einer Transpassibilität, die selbst aus einer ursprünglichen Pluralität von außersprachlichen Weltphänomenen besteht – wie wir es in der dritten Meditation gezeigt haben. Es folgt daraus, daß die Gruppierungen oder Absonderungen der wilden Qualia, für die wir bisher die selbst-reflexiven Faktizitäten verantwortlich gemacht haben, dies nur unter der Bedingung sind, daß sie schon in der phänomenologischen Pluralität der außersprachlichen Weltphänomene sozusagen vor-gezeichnet waren, u.z. eigentlich als wilde Wesen*. Wenn wir also in der phänomenologischen Reduktion des ontologischen Simulacrums auf den Allgemeinbegriff der Welt in ihrer Anonymität und auf die Qualia, so wie sie auf dem Hintergrund dieser Anonymität scheinen, zurückkommen, dann können diese wegen dieser Verdichtung der Welten in Welt nur als Verdichtungen oder Sedimentierungen vielfältiger wilder Wesen* erscheinen, die ursprünglich mit vielfältigen außersprachlichen Weltphänomenen verbunden sind. So konstituieren die wilden Wesen, die als solche mit der Verdichtung der Welten verdichtete Konkretheiten geworden sind, so etwas wie phänomenologisch-transzendentale Spuren der ursprünglichen Pluralität außersprachlicher Welten: um, allerdings in anderer Weise, die Worte des späten Merleau-Ponty wieder aufzunehmen, konstituieren sie so etwas wie Scharniere, Armaturen, Angeln von Welten in der Welt überhaupt, und die Einbildungskraft, die mit ihnen als transzendentale Wurzel der eidetischen Husserlschen »Imagination« verbunden ist, ist nichts anderes als die Einbildungskraft mehrerer außersprachlicher Welten in der außersprachlichen »Welt« überhaupt – was nun eine grundsätzliche Modifizierung ihres Status herbeiführt, da sie mehr mit der Bildung* als mit dem im klassischen Sinn mit der Vorstellung verbundenen Bild* zu tun hat. Es darf nun nicht übersehen werden, daß diese (außersprachlichen) Welten in dem Sinn ursprünglich abwesend sind, daß sie außersprachlich sind, sie hatten niemals die Zeit (noch den Raum), sich in der Gegenwärtigkeit zu zeitigen/räumlichen, und werden es auch niemals haben. Diese Welten gehören also der transzendentalen Vergangenheit an, als einer Vergangenheit, die niemals gegenwärtig war und ursprünglich abseits der (gegenwärtigen) Zeit ist, ebenso wie der transzendentalen Zukunft als einer Zukunft, die niemals gegenwärtig sein wird und ebenso ursprünglich abseits der (gegenwärtigen) Zeit ist: wobei dieses »Abseits« einen ursprünglichen Abstand darstellt, der insofern proto-räumlich ist, als er aus der Öffnung für den Ursprung des Raumes besteht, in dem sich die Gegenwärtigkeit bildet. Folglich scheinen die wilden Qualia, insofern sie phänomenologische Spuren der Welten in der Welt sind, als ihre transzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen schon in den Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen, die allein (in der Transpassibilität) die Zeitigungen/Räumlichungen als Welten empfangen können. Als Einwand drängt sich sofort auf, mit welchem Recht wir nun von den außersprachlichen Welten als außersprachlichen Weltphänomenen sprechen. Was läßt sie von sich aus, jenseits der Begriffe, phänomenalisieren? Oder auch: was läßt sie ohne vorgängigen Begriff und
162 ohne erschlichenen Rückgang auf die Selbstheit, d.h. auf eine sprachliche Reflexivität »individuieren«? Wir können diese Frage nur beantworten, indem wir auf den Schematismus, d.h. auf die unbeherrschbare Doppelbewegung des Pulsierens des Selbst in der Hyperbel seiner Epoché zurückkommen. Alles weist darauf hin, daß in der unendlichen und abgründigen Doppelbewegung, die sowohl der Transpossibiltät und der Transpassibilität angehört, »ich« nur durch die symbolische Zirkularität des ontologischen Simulacrums wissen kann, daß das Selbst, das aus der Vernichtung auftaucht, das »gleiche« Selbst ist, ebenso wie »ich« nur durch die nämliche Zirkularität wissen kann, daß die anonyme Welt, die aus ihrer Vernichtung im Selbst wieder auftaucht, die »gleiche« Welt ist. Denn es gibt keine innerere Notwendigkeit in der Doppel-Bewegung, die dergleichen a priori vorschreibt, es sei denn eine noch klassische architektonische Fassung des Feldes des Seins und des Denkens. Das radikale Rätsel des transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung besteht in erster Linie darin, daß er phänomenologisch selbst für das göttliche Denken ganz unaufhebbar scheint, denn dieser Schematismus enthält nichts, das vorschriebe, daß das Pulsieren der Welten sich sozusagen auf ihre dann ja nur ganz intellektuelle Anschauung reduzieren müßte, (das ist eine allgemeine transzendentale Illusion des Denkens), und noch weniger, daß das Pulsieren des Selbst auf das gleiche Selbst zurückführen dürfte, welches das Selbst eines von sich aus allmächtigen Verstandes oder Geistes wäre. In dieser Hinsicht gibt es also »Endlichkeit« in Gott selbst, und nach dem gleichen radikalen Rätsel vermag allein seine in ihm selbst enthaltene Unendlichkeit ihm dennoch architektonische Konsistenz zu geben, d.h. die eigentlich erhabene Unendlichkeit der Doppelbewegung in sich selbst. Eine Doppelbewegung, die ihrer eigenen Ansicht nach nie etwas hervorgebracht hat, da sie ohne arché oder anarchisch ist, noch jemals aufhören wird, da sie ohne télos oder a-teleologisch ist – während doch – so ist nun einmal unsere Faktizität oder unsere menschliche Endlichkeit – wir uns nicht »auf Dauer« in dieser »Unendlichkeit« halten können, wenn dieser Ausdruck überhaupt einen Sinn hat, denn es handelt sich hier um eine Unendlichkeit des Pulsierens der Zeit/des Raums, oder vielmehr der Zeiten/der Räume, d.h. der Welten, der sprachlichen und außersprachlichen Phänomene, um eine Gestalt der Ewigkeit im Sinne Rimbauds des »mit der Sonne gegangenen Meeres« (»C’est la mer allée / Avec le soleil«). Wenn man ihn architektonisch so als göttlichen Schematismus auffaßt, ist der transzendentale Schematismus der Phänomenalisierung in seiner unermüdlichen und unaufhörlichen Unendlichkeit nichs anderes, als die letzte Bedingung der Transpossibiltät und Transpassibilität oder die phänomenologische Gestalt des symbolischen Stifters. Und es wäre sowohl ein metaphysischer als auch architektonischer Fehler (begangen durch die zirkuläre Rückführung des Cogito an den Ort, der es erst ermöglicht hat), den Schematismus in ein Sein zu verwandeln, selbst wenn er noch tiefer »in den Tiefen der menschlichen Seele verborgen« ist, als der von Kant in der Kritik der reinen Vernunft gemeinte. Haben wir erst einmal zumindest vorläufig zugegeben, daß er »menschlich« möglich ist, so ist jedenfalls vom Standpunkt des Schematismus aus jede Phänomenalisierung, ob es sich um außersprachliche oder sprachliche Weltphänomene handelt, radikal kontingent – wobei jede zur Sinnbildung neigende Teleologie erst nachträglich eintritt. Zwar wird die begriffslose Kohäsion des phänomenologischen Feldes durch den Schematismus gebildet, aber was ihn als solchen im phänomenalen Gehalt der Phänomene scheinen läßt, rührt schon nicht mehr vollständig von ihm her, und eben deswegen ist die Phänomenologie etwas anderes als nur eine »göttliche Lehre«.
163 Wenn die Qualia tatsächlich wie die Spuren von abwesenden Welten in diesem Allgemeinbegriff der in ihrer Anonymität genommen Welt sind (wobei dieser Begriff selbst ebenso kontingent ist wie diese Welt, in der wir jeweils mit unserer Faktizität »leben«), dann bedeutet das, daß diese Spuren als solche weder in dieser Welt verwurzelt nach an sie angepaßt sind, selbst wenn diese in ihrer phänomenologischen Anonymität gefaßt wird. Sie schwirren in ihr also wie »Elemente« der Phänomenalität herum, in welche andere, niemals gesehene und nie sichtbar werdende Welten in ihrer Abwesenheit als Reminiszenzen und Vorahnungen hineingleiten; sie tun dies wie Rhythmen oder Elemente von Rhythmen, die andere Zusammenklänge oder andere Harmonien »evozieren«. Diese in der offenbaren Positivität der Welt zu suchen wäre vergeblich, oder vielmehr: man hat nur deshalb mitunter das Glück, ihnen dort zu begegnen, weil sie immer schon und für immer »die Welt« bevölkerten oder darin ihr Wesen treiben werden. Anders gesagt, bedeutet die radikale Kontingenz der Phänomenalisierung und der Phänomene nicht, daß sie einander indifferent sind wie etwa die Sandkörner am Strand, auch nicht ihre Zusammenhanglosigkeit, die nur im Ansatz des ontologischen Simulacrums am Anfang zu stehen scheint, sondern ihre unermüdliche und unaufhörliche Durchmischung, ihr Gewebe oder ihre unendliche Verwebung, nicht im Sinn eines aktuell Unendlichen, das sich gleich in der Aktualität einer Gegenwärtigkeit mit ihrer Selbstheit absorbierte, sondern im Sinn eines Apeiron, das eben nicht mehr aus Zufällen und Zusammenhanglosigkeiten bestünde. Weil ursprünglich die Spuren weder der Welt angepaßt noch in ihr verwurzelt sind, sind ihre Anordnungen außerdem in den Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen, welche die passiven Synthesen zweiten Grades ausmachen, jeweils noch in der Lage, in und durch sich selbst auf die Sinnansätze hin zu öffnen, d.h. auf die inneren Anfänge der sprachlichen Phänomene selbst. Das Simulacrum hat hingegen diese Vermöglichkeit dadurch architektonisch kurzgeschlossen, daß es von vornherein jede Selbstheit mit der Ichheit verkoppelt, was mit einem mehr oder weniger großen Idealismus des Denkens bezahlt werden muß, indem ein Teil der Qualia in Idealitäten und der Rest in Gefühle oder passive Empfindungen verwandelt wird, die in die Empfindungsfähigkeit oder Befindlichkeit eingetragen werden. Es gibt also aus der Sicht des transzendentalen Schematismus in seiner architektonischen Unendlichkeit zwei Aspekte der Sonderung-Anordnung der Qualia: Einmal werden sie in den passiven Synthesen dritten Grades – Synthesen, die in besonders ausgezeichneter Weise schematisch sind – vollzogen, insofern sie die Qualia als sedimentierte/verdichtete Spuren der Welten in diese anonyme Welt verschieben, wobei diese Spuren auch in den passiven Synthesen zweiten Grades als Echos der passiven Synthesen dritten Grades sedimentiert/verdichtet sind. Der zweite Aspekt liegt sozusagen in den sich aktiv im Sinn vollziehenden Synthesen des Sinns, in denen sich die Qualia durch die »Zeichen« des Sinns als Ansätze und Eklipsen vielfältigen Sinnes im Sinn blind neu anordnen. Nach welchen Modalitäten diese beiden Aspekte sich konkret aneinandergliedern, soll nun herausgearbeitet werden. Jetzt schon ist zu erkennen, daß wir, sollten wir der transzendentalen Illusion eines anschaulichen Verstehens nicht nachgeben wollen, auch nicht erhoffen können, die unmittelbaren und inneren Phänomenalisierungen der außersprachlichen Weltphänomene für sich darstellen zu können, sondern nur die Echos oder die Spuren dieser Phänomenalisierungen in der inneren Gliederung dieser zwei Aspekte der passiven Synthesen zweiten Grades. In den Mittelpunkt der Frage treten also methodologisch der Status der Qualia, der Begriffe und ihrer Beziehungen.
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§ 2. DAS PHÄNOMENOLOGISCHE ANEINANDERGLIEDERN DER BEIDEN ASPEKTE DER PASSIVEN SYNTHESEN ZWEITEN GRADES
Indem wir das Pulsieren des Ursprungs der Sprache im transzendentalen Organ (dem transzendentalen Schematismus) der Phänonomenalisierung annehmen, werden wir zu der Ansicht geführt, daß einerseits der Allgemeinbegriff der Welt, dem der Allgemeinbegriff des Phänomens und der Phänomenalisierung entspricht, selbst das symbolische Kondensat einer ursprünglichen Pluralität von außersprachlichen Welten ist, d.h. von außersprachlichen Weltphänomenen und von deren radikal kontingenten Phänomenalisierungen, und daß andererseits die Begriffe der faktiziellen Phänomene, die mit sprachlicher Reflexivität, und damit mit Selbstheit, versehen sind, nicht mit den ersteren übereinstimmen, auch wenn sie wegen des »Wesens« der sprachlichen Phänomene daran angliedern, und sei es nur durch das ekliptische Auf-und Zugehen von Anordungen wilder Wesen* zu vielfältigen Sinnansätzen für einen möglichen Sinn. Diese Ansätze sind nicht beliebig, weil es sich eben nicht um irgendwelche Sinnregungen handelt, sondern um solche, die mit ihrer Teleologie ohne Begriff und bestimmtem Telos ihre Notwendigkeit in sich enthalten. Von einer anderen Seite her wirkt sich die Verdichtung der Welten in Welt im Namen des Allgemeinbegriffs so aus, daß die wilden Anordnungen der wilden Wesen* entdifferenziert werden zu einem Chaos oder einer unbestimmten Unordnung von wilden Qualia und daß damit wie selbstverständlich sich auch die sprachlichen Erscheinungen als Sinnschöpfungen ex nihilo oder als demiurgische Einbildungen* geben können – was ein Zeichen ihrer mehr oder weniger großen Polarisierung durch die symbolische Stiftung ist, wobei die Sinnschöpfung wie in einer der Versionen der biblischen »Genesis« symbolische Schöpfung durch das Wort ist und wobei die demiurgischen Einbildungen (die andere, den archaischen Kulturen des mittleren Orients gemeinsame Version der biblischen »Genesis«) dennoch ein vorgängiges Chaos voraussetzen, eine verwischte oder durch die symbolische Stiftung auf kohärente Weise verformte Spur des Phänomenologischen, das nur in und durch seine Unterwerfung unter eine Teleologie gefaßt werden kann, nämlich die des Demiurgen als Handwerker. Die Wirkung dieses »Monismus«, in dem man auf die Gestalt des symbolischen Stifters trifft und der man wieder in der modernen Epoché in der explosiven Gestalt des Cogito und des ontologischen Simulacrums wiederbegegnen wird, besteht also darin, gerade die von uns gesuchte Angliederung kurzzuschließen und damit auszuklammern, daß das symbolische Feld gewissermaßen als ein Gewebe im Abstand über den Abgrund (das Chaos im Sinne Hesiods) des Phänomenologischen gespannt ist, – dies wird zumindest in seiner ausdrücklichen Reflexion, sei es in der Theologie, der Mythologie oder der Philosophie, allerdings nach sehr verschiedenen Modalitäten, erzeugt. Gegen diese »natürliche« – viele tausend Jahre alte – abschüssige Neigung des Denkens gehen wir nun an, und es ist kaum verwunderlich, daß dies so viele Mühen und Schwierigkeiten macht. Die sich allmählich abzeichnende doppelte Aneinandergliederung der Begriffe außersprachlicher und sprachlicher Welt (eine ihnen sowohl innewohnende wie zwischen ihnen stattfindende Aneinandergliederung) wird – wie wir es in unserer vorigen Meditation gesehen haben – im transzendentalen Schematismus dadurch ermöglicht, daß das Pulsieren sich nach beiden Polen hin polarisieren kann: zum Pol des Pulsierens der außersprachlichen Welten und zum Pol des Pulsierens der sprach-
165 lichen Welten, aus dem Pulsieren des phänomenologischen Ursprungs des Sprachlichen heraus. Beide Pole erweisen sich nach reiflicher Überlegung als Pole des Pulsierens von ursprünglich vielfältigen und radikal kontingenten Phänomenalisierungen. Diese sind damit aber auf beiden Seiten nicht reine Erscheinungen (was sie zum anschaulichen Verstehen zurückführte), sondern, das ist der höchste Sinn der Phänomenalisierung, verfehlte oder im Verschwinden potentielle Erscheinungen, die nur ekliptisch im Pulsieren erscheinen: es sind auf der Seite der sprachlichen Phänomene pulsierende Sinnansätze und, wie man hinzufügen muß, pulsierende Ansätze von außersprachlichen Welten auf der Seite der außersprachlichen Weltphänomene. In diesen beiden Flügeln solcher Ansätze innerhalb des Pulsierens des phänomenologischen Ursprungs des Sprachlichen liegt also alles. Nachdem wir zu verstehen beginnen, zweifellos weil dies dem Menschen leichter fällt, wie die Sinnansätze sich in der Phänomenalisierung der sprachlichen Phänomene zu sich bildendem Sinn verwandeln, bleibt noch zu begreifen, wie die Ansätze außersprachlicher Welten sich zu außersprachlichen Weltphänomenen in ihrer inneren Phänomenalisierung verwandeln können. Der einzige uns zur Verfügung stehende Weg führt über den doppelten Status der Qualia: sie sind Achsen, Angeln oder Scharniere einerseits von außersprachlichen, andererseits von sprachlichen Welten, so etwas wie Bruchlinien oder offene Wunden, die immer die Ausblutung des Sinns im scheinbaren Unsinn der außersprachlichen Welten hervorzurufen drohen. Und diese doppelte Fügung kann sich ihrerseits nicht vollziehen, ohne auf die passiven Synthesen dritten Grades der Transpassibilität zu reagieren – methodisch: zu retro-agieren. Es handelt sich dabei nicht nur um die Transpassibiliät der sprachlichen Phänomene untereinander, so wie es H. Maldiney bewundernswert genau herausgearbeitet hat, sondern auch um die Transpassibilität der außersprachlichen Phänomene untereinander. Die passiven Synthesen dritten Grades verdoppeln sich ebenso wie die passiven Synthesen zweiten Grades. Wenn es zwei Aspekte der »Passibilität« gibt, dann gibt es nach der gleichen architektonischen Notwendigkeit auch zwei Aspekte der Transpassibilität, der eine, der die außersprachlichen Welten, und der andere, der die sprachlichen Welten durchmischt. Man wird sagen, daß die Situation unentwirrbar wird, und wir denken, daß sie es phänomenologisch tatsächlich ist. Aber sie erlaubt zugleich, ein wenig klarer zu sehen und die Verwirrungen zu entwirren, die so oft Vorurteile gegenüber der Phänomenologie hervorrufen. Eigentlich ist der Schritt, den wir gerade tun wollen, ungeheuerlich. Er erlaubt uns nämlich zu denken, daß die horizontal-ek-statische Situation des Phänomens nicht nur den sprachlichen Phänomenen eigen ist – und insbesondere ihren anthropologischen »Verleiblichungen« im Dasein*, wie beim Heidegger zumindest von Sein und Zeit*. Sie sind also nicht nur solchen Phänomenen eigen, deren Kennzeichen es ist, daß sie sich in einer Selbstheit selbst-apperzipieren, sondern auch den außersprachlichen Phänomenen, aber dabei in einer oder eher mehreren Ek-stasen, die überhaupt keine Selbstheit einbringen, indem sie ausschließlich die innere Reflexion dieser Phänomene in der Phänomenalität ermöglichen. Um diese unerhörte Situation zu veranschaulichen, könnte man sagen: wenn die sprachlichen Phänomene sich dank ihrer fundamentalen Schieflage niemals in einer reinen Koinzidenz mit sich selbst resorbieren (die nur für das ontologische Simulacrum konstitutive transzendentale Illusion ist), phänomenalisieren sie sich als solche, gewissermaßen um sie zumindest als das zu meinen, was ihre symbolische Stiftung als Bedeutungen, die Seiendem (Eidè, eidetische Sachverhalte) entsprechen, absichern kann. Im Gegenzug enthalten die außersprachlichen Phänomene eine Schieflage, die insofern noch
166 grundsätzlicher ist, als sie als Mißlingen der inneren Koinzidenz unreflektiert bleibt, wie eine klaffende Wunde unbegrenzt geöffnet für eine oder mehrere unendliche Blutungen, die sie für jedes andere außersprachliche Phänomen unendlich transpassibel machen, aber auch, wie hinzuzufügen ist, auf alle sprachlichen Phänomene, auch wenn diese sie sofort fast ganz in sich aufzusaugen scheinen – wobei alles auf dieses »fast« ankommt, weil wir sonst nicht einmal davon sprechen könnten, da die Blendung oder die Nichtreflexion nicht zu beheben wären, womit sie nur »imaginäre« Objekte der ins transzendentale Äußere oder Vorher zurückgeworfenen transzendentalen Illusion wären. Diese außergewöhnliche ursprüngliche Ek-stase der außersprachlichen Welten füreinander und ineinander erlaubt letzlich, dabei von Phänomenen zu sprechen, oder sie im Pulsieren der Doppelbewegung als solche blitzhaft zu apperzipieren, die radikal kontingent und untereinander verwandt sind, was von ihrem gegenseitigen Abschotten zu atomartigen, d.h. unteilbaren Individuen ausgeschlossen würde. Erst dadurch scheint etwas auf vermengte und inchoative Weise von ihrer Phänomenalität in den Qualia auf, die auf dem Hintergrund der Anonymität schimmern. Daraus folgt, wenn wir die Sache vom transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung her betrachten, daß dieser Schematismus in seiner »göttlichen« Unendlichkeit, in seinem für uns die unergründlichen Tiefen des phänomenologisch Unbewußten Konstituierenden, ihren wechselseitig ekstatischen Charakter gegenüber ihrem wechselseitig horizontalen Charakter artikuliert: jedes außersprachliche Weltphänomen ist Horizont für jedes andere außersprachliche Phänomen, dies aber in einem neuen Sinn, da der Horizont überhaupt nicht mehr mit irgendeiner Teleologie übereinstimmt (was durch ihre radikale Kontingez ausgeschlossen wird). Es handelt sich also um einen nicht-teleologischen Horizont, der von sich aus keines Sinnes, der sich öffnen und sich dadurch bilden könnte, fähig ist. Wegen der ursprünglichen Pluralität der außersprachlichen Weltphänomene sind diese Horizonte also selbst vielfältig und »sind« als wilde Wesen* die Achsen, Angeln oder Scharniere der Welten, sie sind selbst von wilden Wesen* bevölkert, die wie die Konkretisierungen der Welten in den Weltphänomenen sind. Insofern die Schematisierung der außersprachlichen Weltphänomene auch und sogar wesentlich ihre Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung ist, sind diese wilden Wesen*, in der Transpassibilität der außersprachlichen Weltphänomene zueinander letztlich auch und sogar wesentlich die Spuren dieser Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen selbst. So stellen sich also die aus sich selbst explizit zu machenden passiven Synthesen zweiten Grades von der Seite der außersprachlichen Weltphänomene her dar, d.h. die »Ansätze« solcher ursprünglich phänomenologisch sprachlichen Weltphänomene als »Ansätze« zu ihrer Reflexivität ohne Selbstheit in der Phänomenalität, oder eben auch als »Ansätze« ihrer Phänomenalisierung. Die doppelte Gliederung der passiven Synthesen zweiten Grades ist also wie ein Echo, das von der doppelten Gliederung der passiven Synthesen dritten Grades übertragen wurde. Diese gliedern nicht nur die faktiziellen sprachlichen Welten, sondern auch, wie wir nun diese Übertragung auszudrücken wagen, die kontingenten außersprachlichen Welten. Man muß aber sehen, daß die Gliederung von der einen zur anderen Stufe nicht so verläuft, daß jeder außersprachlichen Welt je eine faktizielle Vielfalt von sprachlichen Welten entspricht, denn das hieße, eine von ihnen, nämlich die als unsrige ausgegebene, wie im ontologischen Simulacrum zu hypostasieren, in dem die Welten sich zur Welt verdichtet finden. Die Transpassibilität ist so beschaffen, daß sie sich in ihrer doppelten Gliederung als Transpassibilität der
167 außersprachlichen Welten und der sprachlichen Welten einbringt, was in der doppelten Gliederung der passiven Synthesen zweiten Grades sein Echo findet. Anders gesagt sind die in ihnen »assoziierten« Qualia nur insofern Achsen, Angeln oder Scharniere sprachlicher Welten, als sie dies zugleich, wenn auch anders, von außersprachlichen Welten sind – und nur deshalb kann es eine noch zu erforschende – am transzendentalen Ort des Schematismus stattfindende – Aneinandergliederung zwischen den Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen der außersprachlichen Weltphänomenen und den Zeitigungen/Räumlichungen der sprachlichen Weltphänomene geben. Oder auch: die Transpassibilität der sprachlichen Phänomene zueinander ist wie das verschobene Echo der Transpassibilität der außersprachlichen Phänomene zueinander. Das bedeutet konkreter, daß die ursprüngliche Pluralität und Mehrstimmigkeit der (sprachlichen) Sinnregungen wie das verschobene Echo der ursprünglichen Pluralität und Unreflektiertheit (dies aus der Sicht des Selbst) der Welten ist. Diese ursprüngliche Pluralität und Mehrstimmigkeit der Sinnregungen gibt uns eine Chance, uns nun auch der ursprünglichen Pluralität und Unreflektiertheit der Welt zu öffnen. Die fundamentale Schieflage der sprachlichen Phänomene enthält sozusagen die Spur der noch fundamentaleren Schieflage der außersprachlichen Phänomene, die aus ihrer wechselseitigen horizontalen Ek-stase am Ort des transzendentalen Schematismus besteht. Das macht die Schwierigkeit aus, die nun näher zu untersuchen ist, indem wir unsere Reflexion über die sprachlichen Phänomene noch weiter treiben – der einzig mögliche Weg, nachdem wir die reflexive und zirkuläre Struktur des ontologischen Simulacrums außer Kraft gesetzt haben. Dazu müssen wir im Ausschalten der Sinnregungen in den Sinn«ansätzen«, die im bildenden Sinn selbst ekliptisch auf- und zugehen, noch weitergehen. Wir lassen dabei das Organ oder den transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung »fungieren«, um gleich danach auf das zurückkommen zu können, was dieses »Fungieren« »möglich« macht. Am Eingang unserer Überlegung kann nur die Berücksichtigung dessen stehen, was wir recht unsauber die »Vielschichtigkeit« der sprachlichen Phänomene nennen werden, denn eben diese macht die Mehrstimmigkeit der Sinnregungen im Sinn unreduzierbar. Es kommt, wie gesagt, alles darauf an, daß der Sinnentwurf nicht an einer Idee festgemacht wird, die außersprachlich und nur noch auszudrücken wäre – das gälte nur für die als Ausdrücke von Sachverhalten oder Tatsachen symbolisch-logisch gestifteten »sprachlichen Wesen« –, sondern daß der Sinnentwurf selbst schon Anspruch des zu bildenden Sinns in seinem ursprünglichen Abstand im Verhältnis zu dem ist, was von anderswoher zugleich ein Sinnversprechen ist, wobei Anspruch und Versprechen sich in dem artikulieren, was den Beginn der Zeitigung/Räumlichung ausmacht, nämlich der Öffnung des Feldes der Protentionen und der Retentionen als einem Feld, in dem der Sinn sich nun bilden muß und in der Gegenwärtigkeit immer weiter zu bilden bleibt. Zwar ist das vom Sinn in den Protentionen und Retentionen blitzhaft Apperzipierte noch nicht der Sinn, der sich seine Zeit (seine Gegenwärtigkeit) zur Entfaltung und Bildung genommen hat, aber er ist dennoch schon der Sinn, der sich auf sich selbst hin in Gang setzt, d.h. zu seiner Reflexion, welche vom bereits gezeitigten/geräumlichten Beginn in Protentionen und Retentionen her darüber zu wachen gestattet, ob der sich bildende Sinn seinem Versprechen treu bleibt und inwieweit er in seiner Entfaltung dem ursprünglichen Anspruch genügt oder nicht. Der Sinn fährt fort, an seiner Zeit (der Gegenwärtigkeit) zu wirken und muß dies auch weiterhin tun, solange die retentionale Vergangenheit noch mit dem Versprechen der protentionalen Zukunft schwanger geht und solange diese
168 Zukunft nicht durch die Vergangenhet erschöpft oder gesättigt wird – ob nun sich das Scheitern des Sinns herausstellt oder sich das Versprechen schon durch das erschöpft hat, was sich an Sinn schon dem Anspruch gemäß entwickelt hat und ihn zumindest vorübergehend ohne Stimme und Wege (sans voix et sans voies) läßt. Es vollzieht sich, anders gesagt, während der ganzen Gegenwärtigkeit des sich bildenden Sinns und durch diese hindurch eine Art von Kreuzung oder Chiasmus der Protentionen und Retentionen: eine retentionale Vergangenheit, die noch ihre protentionale Zukunft ruft und eine protentionale Zukunft, die nur als solche bestehen bleibt, wenn sie sich als solche noch in der retentionalen Vergangenheit offen hält – sich also nicht durch Sättigung schließen läßt. Demnach entfaltet sich die Gegenwärtigkeit nicht primär – das wäre nur eine Abstraktion – als Ablauf einer mit ihren Protentionen und Retentionen versehenen Gegenwart (Husserl), sondern als der Verlauf einer (Sinn)Bildung, die schneller verläuft als sie selbst, um ihrem stets vorauseilenden Versprechen treu zu bleiben, und die langsamer vorangeht als sie selbst, um das schon an Sinn Gebildete an der Elle des Anspruchs zu messen, der von der Vergangenheit her immer weiter auf ihm lastet. Mit anderen Worten: das begleitende Bewußtsein (con-science) oder die Über-wachung des sich bildenden Sinns als eine begriffslose Reflexion, in der sich dessen Selbstheit (als eine »Selbigkeit« (mêmeté), die vom Versprechen und vom Anspruch vorausgesetzt wird), beruht tatsächlich auf der paradoxen Annahme, daß das Denken, d.h. der sich bildende Sinn, gleichzeitig schneller und langsamer als es selbst verläuft, indem der sich bildende Sinn sich selbst begleitet, was prinzipiell ausschließt, daß er in seiner Bewegung mit sich selbst übereinstimmt. Damit ist die fundamentale Schieflage des Be-wußtseins oder der sprachlichen Phänomene markiert. Es geht daraus hervor, daß das berühmte »Fließen« der »lebendigen Gegenwart« nichts anderes ist als die Dynamik dieser fundamentalen Schieflage, die sich nur »sieht« oder vielmehr »spürt«, insofern sie sich begleitet, also nicht, indem sie ganz mit sich selbst übereinstimmt, sondern indem sie sich selbst vorausgeht und folgt, was dem eigentlich unreduzierbaren Abstand zwischen Retentionen und Protentionen entspricht, innerhalb dessen sich die Protentionen und Retentionen fortschreitend verschränken, indem sie sich zusehends mit bereits gebildeten oder sich gerade bildenden Sinnfetzen sättigen oder erfüllen. So öffnen sich, wenn wir zu unserem Ausgangspunkt zurückkommen, d.h. zum Sinnansatz, der schon Sinn ist, die Protentionen und Retentionen als noch mehr oder weniger gegenwartslose Horizonte, innerhalb derer die Gegenwärtigkeit wie in einem »Luftzug« (appel d’air) aufgerufen ist, sich zu bilden. In seinem Ansatz, der sowohl das »Gleichzeitige« als auch die darin vorausgesetze »gleiche Zeit« der Protentionen und der Retentionen als Horizonte in sich vereinigt, bleibt der Sinn zu bilden, ist noch zu bilden und ist doch gewissermaßen in dieser »gleichen Zeit«, in der er sich zum Ansetzen schickt, schon gebildet. Zwischen diesem »noch« und diesem »schon« bildet sich der Sinn als Sinn in der Gegenwärtigkeit. So gesehen sind das »Noch« und das »Schon« bereits Bestandteile der Gegenwärtigkeit, da sie ihren Anfang konstituieren, welcher nicht ihr Ursprung ist, aber auf eine andere Weise gesehen besteht sie eben in der Möglichkeit dieser Öffnung zwischen dem »Noch« und dem »Schon«, d.h. in dem, was wir in Ermangelung eines besseren Ausdrucks ProtoProtentionen und Proto-Retentionen nennen – die man sich als Horizonte vorstellen könnte, die noch keine Protentionen und Retentionen enthalten, was allerdings eine köhärent verformte Projektion einer Vorstellung vom Anfang wäre. Dies ist nun deswegen eine imaginäre Projektion, weil diese Horizonte nicht leer, sondern mit phänomenologischen Konkretheiten aufgeladen sind. Das ganze Problem besteht
169 darin, diese zumindest blitzhaft zu apperzipieren. Das ist, wenn überhaupt, nur in jenem phänomenologischen »Moment« möglich, in dem der Sinnansatz abgebrochen wird, indem Protentionen oder Retentionen, ja sogar Proto-Protentionen und Proto-Retentionen ineinander implodieren. Das kann eben nicht ihre Koinzidenz bedeuten, was dem Sinnabbruch den Status einer merkwürdigen Zeitlosigkeit verleihen würde – welche, worauf wir noch zurückkommen werden, nicht ohne Zusammenhang mit der Zeitlosigkeit der Idealitäten oder der »Signifikanten« ist –, sondern ihre Vermengung in dem Riß, der zwischen ihnen den Raum ihrer Schieflage auftut. Demnach bedeutet Sinnbildung, sich in diesen Riß hineinzubegeben, und das Zeitigen/Räumlichen im Sprachlichen bedeutet, diesem Riß autonome, da selbst-reflexive Konsistenz zu geben. Es folgt daraus auch, daß die Proto-Protentionen und ProtoRetentionen sich auf der gleichen architektonischen Stufe befinden wie dieser Riß oder diese Spaltung, die nur von den Qualia oder den wilden Wesen* der Welten herrühren kann. Und das Problem, um es nochmals zu sagen, liegt darin, diese Spaltung für sich selbst zumindest blitzhaft zu apperzipieren. Dieses Problem bleibt natürlich unlösbar, wenn wir in der Bewegung des sich bildenden Sinns bleiben – einer Bewegung der Gegenwärtigkeit –, denn da sind wir immer schon in dem, was als angesetzter Zeit/Raum des Beginnens von der als Ursprung wirkenden Spaltung ermöglicht wurde. Wir müssen also auf den sich bildenden Sinn als einem solchen zurückkommen, der für sich selbst ein relativ blindes Abenteuer ist, dem in seiner Schieflage immer von Irrtümern oder Scheitern bedrohten Sinn. Der anfängliche Sinn ist seinem Ursprung noch deshalb nah, weil er ein nur äußerst prekäres Wissen von sich selbst hat und ständig von seiner Vernichtung – seinem Abbruch (avortement) – äußerst bedroht ist. Er droht, wie man sagt, leicht »den Faden zu verlieren«, d.h. die Unterstützung, die er nur in den Qualia der Welten finden kann, um sich seinen Weg zu bahnen. Der »Raum« in der Spaltung zwischen Proto-Protentionen und Proto-Retentionen ist sozusagen noch zu klein, quasi-infinitesimal, daß das Denken gleichzeitig schneller und langsamer als es selbst verlaufen könnte. Es bräuchte dazu eine buchstäblich phantastische Agilität – und wir wissen alle, wie sehr diese sich »kultiviert«. Den Sinn gerade im Moment seines nur in seiner Eklipse Scheinens zu fassen, bedeutet geradezu, von dieser Agilität des Sich-Aufnehmens und Sich-Wieder-Einholens eine Probe abzulegen. Wir sind damit am Ort des Pulsierens der Selbstheit, und dieses ist nun nichts anderes als ein pulsierenes Verfahren, den durch die Spaltung geöffneten Riß zu einem für die Gegenwärtigkeit geeigneten Raum und gangbaren Weg zu vergrößern. Dieser Weg kann, um es zu wiederholen, nur ein Weg durch die Qualia der Welten sein, und auf ihm voranzuschreiten bedeutet, diese Qualia zu zeitigen/räumlichen und sie für die Entfaltung in der Gegenwärtigkeit des Sinns bereit zu machen. Auf diese Weise verschafft sich das Denken Luft, lichtet* den dichten Wald der Qualia zur Lichtung*, um in seinem Fortgang (auf sich selbst) zurückkommen zu können. Nun ist dieses Fortschreiten aber voller Fallstricke, denn es besteht darin, die Qualia oder die Anordungen von Qualia durch die phänomenologisch reduzierten »Zeichen« des Sinns zu arrangieren. Diese »Zeichen« sind, wie wir gesehen haben, eigentlich niemals »gegenwärtig«, insofern sie in der Entfaltung des Sinns nur ganz zeitweilige »Stafetten« (relais) sind und im Sinn wie solche Sinnansätze pulsieren, von denen der Sinn gewissermaßen immer weiter abspringt, um sich zwischen ihnen hindurchzudrängen. Sie sind zwar derart in die Richtung des sich bildenden Sinns ausgerichtet, enthalten aber, wie wir wissen, eine Menge anderer möglicher Richtungen, die von der Bewegung des sich
170 bildenden Sinns abgebrochen werden. Die phänomenologischen »Zeichen« fungieren also als »Zeichen« des Sinns – und nicht als Zeichen eines semiotischen Systems – nur insofern, als sie im wesentlichen Sinnabbrüche sind, eben dieser Implosionen der Protentionen und Retenionen, ja sogar der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen ineinander. So bewahren die phänomenologischen »Zeichen« – die nicht mit den Zeichen des Sprachsystems verwechselt werden dürfen – zum größten Teil jenseits des Sinns in sich wilde Dimensionen als Dimensionen von Welten. Und es kann immer bei der Anordnung der »Zeichen« innerhalb der Zeitigung/Räumlichung passieren, daß diese Dimensionen »aufwachen«, indem sie im Rücken der sich bildenden Gegenwärtigkeit ein Echo von »Zeichen« zu »Zeichen« erzeugen. Es ist sogar möglich, daß das davon wissende Denken damit spielt, um mehrere Sinnregungen zugleich »auszusagen«, um so mehrere Sinnregungen gemeinsam in der gleichen Zeitigung/Räumlichung zugänglich zu machen, die nun recht komplex und sehr dicht an dem ist, was man eine Musikalität des Sinns nennen könnte – das macht einen ziemlichen, wenn nicht den wichtigsten Teil der Dichtkunst aus. Es kann also geschehen, daß mehrere Sinnregungen zu einem harmonischen Zusammenklingen kommen, und zwar innerhalb eines nun als Rhythmus der Zeitigung/Räumlichung Aufzufassenden. Und eigentlich geschieht dies immer so – man braucht sich nur daran zu erinnern, daß es niemals einen eindeutigen Sinn gibt – es sei denn unter dem symbolischen Horizont der symbolischen Stiftung, die sich immer wieder nur selbst aufzunehmen versucht und dabei in Gefahr gerät, den Sinn in Bedeutung oder Begriff umzuwandeln. Vom phänomenologischen Standpunkt aus ist die Mehrdeutigkeit des Sinns also nichts anderes als das, was wir zu Beginn mit der »Vielschichtigkeit« der sprachlichen Phänomene meinten – ein, wie uns bewußt war, schiefes Bild, da es voraussetzte, daß wir die Sinnregungen in ihren Sinn-Schichten unterscheiden und sogar so weit gehen könnten, sie auf ihre jeweilige Eindeutigkeit zu reduzieren. Statt also von einer »Vielschichtigkeit« des Sinns werden wir von Vermengungen und von unaufhebbaren Verwebungen in den sprachlichen Phänomenen sprechen, wobei klar sein muß, daß gerade sie der fundamentalen Schieflage dieser Phänomene ihre eigentlich phänomenologische Konkretheit verleihen. Sie machen es nämlich unmöglich, daß sich der Sinn in der angestrebten Eindeutigkeit schließt, was auch zumindest a priori für die Sättigung des Sinn durch ihn selbst gilt – es gibt niemals apodiktische Gewißheit oder Sicherheit, daß der entfaltete Sinn wirklich ganz der angestrebte Sinn ist. Denn sie verhindern für immer die Koinzidenz, die den Sinn in eine mit einem Eidos übereinstimmende Bedeutung verwandelte, in eine Identität von protentionalen und retentionalen Gehalten. Durch sie, um zusammenzufassen, ist die Entfaltung des Sinnes unreduzierbar Abenteuer des Sinns, ein Abenteuer sogar für die Sinnregungen selbst, insofern sie der ursprünglichen Pluralität der Sinnregungen ausgesetzt werden. Es gibt also demnach eine wechselseitige Transpassibilität (und Transpossibilität) der Sinnregungen und der sprachlichen Phänomene untereinander. Und aus diesen Vermengungen oder Verwebungen der Sinnregungen im angestrebten Sinn besteht das, was von der »Seite« des Sprachlichen her im Hinblick auf seine eigene Aktivität seiner Zeitigung/Räumlichung sich als passive Synthesen zweiten Grades gibt. Die phänomenologischen »Zeichen« sind in ihren Tiefen mehr noch als »Zeichen« des Sinns eher Scharniere, Achsen und Angeln anderer ekliptisch verdeckter sprachlicher Phänomene, die durch das Abenteuer des sich bildenden Sinns (mehr oder weniger) abgebrochen wurden. Aber insofern dabei diese sprachlichen Phänomene immer schon ekliptisch verdunkelt oder abgebrochen wurden, ohne daß damit ihr Ver-
171 mögen, wieder aufzuwachen und andere Sinnregungen als Komplizen oder Parasiten zu erwecken, ausgeschlossen würde, sind diese Scharniere, Achsen, Angeln auch und nocht tiefer mit anderen, außersprachlichen Welten verbunden. Deshalb muß übrigens nicht notwendig das Aufwachen oder Erwecken anderer Sinnregungen hervorgerufen werden, sondern auch das Auseinandersprengen oder die Vernichtung, die Vertreibung oder die Ausblutung des Sinns und der Sinnregungen. Um eine bereits verwendete Metapher wieder aufzugreifen: die »Zeichen« des Sinns öffnen damit Wunden der Sinnregungen im Sinn, von Spaltungen und Rissen, welche die Stabilität erschüttern, die Oberfläche zerspringen lassen und zerfurchen, indem sie den sich bildenden Sinn hineinmengen. Diese Risse können so weit aufklaffen, daß die Bildung des Sinnes zusammenbricht und in in Abgründen verschlungen wird. Die Spaltung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen öffnet, wie wir gesagt haben, einen noch zu engen Riß für die Entfaltung des Denkens und des Sinns, aber wir haben nun eine recht unheimliche Aussicht auf eine Art »transzendentaler Landschaft« mit ständig wechselndem Aussehen gewonnen, daß zumindest von dieser Spaltung her gerade nicht die massive Kompaktheit der Welt erscheint – also eben nicht die anonyme Welt als eine unüberwindbare und glatte Mauer – sondern das unendliche Aufklaffen der Welten, in denen die Qualia oder wilden Wesen als ihre Scharniere oder Angeln schweben. Spaltungen und Risse kann es demnach nur in den wilden Wesen* geben, wie durch eine Art »echohaft verzögerten« Effekt der unendlichen Resonanz der außersprachlichen Welten in den außersprachlichen Welten, also wie durch eine Art interner Verdoppelung der Teilung, welche die nicht-teleologischen Horizonte der Welten auseinanderspreizt und dadurch ihr Aufklaffen in Einbuchtungen von sprachlichen Welten umwandelt – und nur diese Aushöhlungen können Ansatzpunkte für Wege oder das Fortschreiten des Denkens bieten. Diese Auffassung müßte unmöglich oder schwärmerisch erscheinen, wenn das Denken in der Verwebung der Sinnregungen innerhalb der Rhythmen der Zeitigung/Räumlichung nicht nur schneller und langsamer als es selbst, sondern auch gleichzeitig, in der gleichen Zeit des »Zugleich« der Gegenwärtigkeit, in verschiedene (Sinn-)Richtungen verliefe. Dies ermöglicht dem begleitenden Be-wußtsein, sich der ihm vorausgehenden passiven Synthesen zweiten Grades bewußt zu werden, dieser Spuren der Transpassibilität der sprachlichen Phänomene untereinander, intrinsische und letzte phänomenologische Wurzeln dessen, was Husserl noch so »naiv« Intersubjektivität nannte. Daher kann nämlich das Denken sich noch erahnen, indem es seiner eigenen Schnelligkeit vorauseilt, oder indem es sich in seinem Schlaf bis zum Rand der Auslöschung verlangsamt. Das ist ein anderer Ausdruck für den Durchgang durch den Tod, der im phänomenologischen Erhabenen stattfindet; diese Art flüchtiger und transpassibler blitzhafter Apperzeption öffnet in der Tat das Denken auf seine Transpassibilität hin, die das Denken anzuhalten scheint, um bei dessen Wiedererscheinen dabei zu sein. Das ist eine ganz virtuelle »Aktion« – fast sogar im Sinne »virtueller Teilchen« in der Quantenmechanik –, nämlich eine Art Fernwirkung des Denkens auf sich selbst aus der blitzhaften Apperzeption seiner Auslöschung heraus, wobei jene von dieser her aufscheint. Das Unerhörte, was das klassische, von der Logik geblendete Denken immer als innerlich widersprüchlich zurückgewiesen hat, besteht darin, daß der Gedanke oder, um im Einklang mit der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché zu sprechen, vielmehr das Denken dem sogleich verlöschenden Gedanken als die Kluft der Welten mit ihren Achsen, Angeln, Scharnieren vor der Spaltung erscheinen kann, wobei diese die Welten auf sich selbst bezieht und somit nur zu Sinnregungen anregt. Das ist undenkbar und ungedacht, da es den Tiefen des
172 phänomenologisch Unbewußten angehört, aber deswegen ist es, würden wir gern sagen wollen, nicht schon ein »Nicht-denken«, da es sich hier um das ungeheure Schmieden des unbewußt Phänomenologischen handelt, dieser unaufhörlichen und unermüdlichen Mühe des unendlichen transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung. Zumindest kündigt sich durch dieses blitzhafte Apperzipieren der wilden Welt-Wesen* etwas als die unerhörte »Reflexivität« in ihrer Phänomenalität ohne Selbstheit der sich nun gerade phänomenalisierenden Welten an. Die fundamentale Schieflage des Sprachlichen öffnet sich also genau auf eine noch fundamentalere Schieflage, die jeden sich bildenden Sinn, jeden Sinnansatz verschlingt oder »trinkt« und wegen der sich der Sinn zu erschöpfen scheint wie in einer unvermeidlichen und unmöglich zu stillenden Blutung, die aber selbst noch als Pulsieren der Spaltung in der Kluft blitzhaft apperzipiert werden kann. Hinsichtlich der Qualia haben wir gewonnen, daß sie von der Seite des Sprachlichen her in einer gewissen »Dichte«4 erscheinen, d.h. in sich durch den Riß geteilt. Es sind demnach, wie es der späte Merleau-Ponty geahnt hatte, verleiblichte oder sedimentierte Existentialien, aber nicht nach den Möglichkeiten im abstrakten Sinn des Daseins (in dem noch das Gewicht der symbolischen Zirkularität des ontologischen Simulacrums zu spüren ist), sondern von den Transpossibiltäten her, die in den Transpassibilitäten der Sinnfaktizitäten zueinander (der sprachlichen Phänomene zueinander) eingeschrieben sind, also in den passiven Synthesen dritten Grades, welche die interfaktizielle Begegnung und den interfaktiziellen Empfang nicht nur der menschlichen »Subjektivitäten«, sondern auch der sprachlichen Phänomene überhaupt aneinanderfügen. Diese verleiblichten Existentialien, die der Ordnung des Leibs und der ursprünglichen phänomenologischen Gemeinschaft der sprachlichen Phänomene angehören (dem »sensus communis« Kants), sind gewissermaßen wilde Wesen*, auf und über die wir uns alle verstehen, ohne uns darüber erst informieren zu müssen, aber es sind sozusagen in ihren Anordnungen, aus denen die passiven Synthesen zweiten Grades bestehen, wilde sprachliche Wesen, d.h. durch den Spalt verzögerte Echos von wilden außersprachlichen Wesen, deren innere Gliederung wir durch diese Verzögerung hindurch sorgfältig untersuchen müssen, wobei feststeht, daß wir davon höchstens etwas erahnen lassen können. Gibt es nicht doch eine den wilden außersprachlichen Wesen* innewohnende Reflexivität, die zwar von einer anderen Ordnung als die gerade entdeckte ist, ihnen aber sozusagen Konsistenz verleihen könnte? Wir werden auch hier keine andere Möglichkeit haben, als direkter auf den transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung und auf die von uns so genannte ursprüngliche und horizontale Ekstase der Welten zu den Welten als ihre Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung zurückzugreifen. Wenn wir auf die sprachlichen Phänomene zurückkommen, die sich als komplexe Rhythmen der Zeitigung/Räumlichung »im Hohlraum« der phänomenologischen »Zeichen« entfalten (sich rhythmisieren), und wenn wir diese als wilde sprachliche Wesen* betrachten, die Wesen* in vielfältige Sinnansätze zerrissener Welten sind und ekliptisch pulsieren, so ergibt sich zunächst, daß diese Risse sich nicht untereinander angleichen, weil sie etwa gleicher Form wären, oder sich auf dem gleichen Faden des sich bildenden Sinns aneinanderreihten, sondern daß sie durch »harmonische Resonanzen« miteinander zusammenklingen, wodurch der aus Welten bestehenden Leib des sprachliche Phänomens an Stärke »zunimmt« und wodurch auch aus der Bahnung des sprachlichen Sinns innerhalb seiner selbst eine Bahnung in den Konkretheiten der Welten, d.h. direkt in den scheinhaften Fetzen ihrer Phänomenalität, wird. Weil diese zerrissen sind und damit potentiell Reflexivitä-
173 ten des Sinns enthalten, werden sie in der Reflexivität des sich hinsichtlich seiner selbst als Selbstheit bildenden Sinns mitgenommen, wobei infolgedessen jeweils Sinnfetzen im Sinn – phänomenologische »Zeichen« – gebildet werden, aber in seinem Pulsieren auch scheinhafte Fetzen der Phänomenalität des Sprachlichen im sprachlichen Phänomen, d.h. wilde sprachliche Wesen* im Sprachlichen. Weil diese Fetzen, diese wilden sprachlichen Wesen* selbst auch wilde Wesen* von Welten sind, die allerdings aufgrund all der pulsierenden Sinnansätze, die sie enthalten, vielfältige Risse haben, berühren zudem die sprachlichen Phänomene durch ihre Phänomenalität etwas von den außersprachlichen Welten und sind nicht einfach nur Sinn oder Phänomene ihrer selbst. Anders gesagt: es gibt bereits in den sprachlichen Phänomenen die doppelte Reflexivität der Selbstheit des Sinns und der Phänomenalität ohne Selbstheit, und gerade die letztere bedroht die erste mit dem von uns so genannten Ausbluten des Sinns. Zweierlei ist zu begreifen: Wenn dieser Riß der gleiche ist, der im Ursprung die Protentionen und die Retentionen auseinandereißt, indem er sie im Ursprung verräumlicht, und wenn in diesem für die fundamentale Schieflage der sprachlichen Phänomene konstitutiven ursprünglichen Abstand die Protentionen sich in ihrem Gehalt phänomenogischer Konkretheiten niemals den Retentionen angleichen, dann ist der durch den Abstand angedeutete Weg grundsätzlich abenteuerlich (sonst wäre der Sinn mit einem Schlag in der symbolische Identität der Bedeutung oder des Begriffs und des Eidos da). Zweitens: wenn dieser Abstand für das protentionale Versprechen und für den retentionalen Anspruch auf Treue zum Versprechen konstitutiv ist, also für die Zukunft und die Vergangenheit in der einsetzenden Gegenwärtigkeit, dann kann die Eklipse oder der sich auflösende Riß sicherlich nicht zur Identität der Protentionen und Retentionen als identitäre Anullierung der Gegenwärtigkeit zu einer punktuellen Gegenwart, die als zeitlose ewig wäre, führen, sondern zu außersprachlichen wilden Wesen*, die ohne eine der Ordnung einer Selbstheit angehörende Reflexion nun nicht mehr die Vergangenheit von der Zukunft ablösen lassen, die, da es keine Gegenwärtigkeit mehr gibt, nicht mehr da sind, vielmehr werden eine transzendentale Vergangenheit, die niemals gegenwärtig war und eine transzendentale Zukunft, die ebenso niemals gegenwärtig sein wird, wechselseitig umbesetzt. Mit anderen Worten: Insofern die außersprachlichen wilden Wesen* nicht auf »Identitäten« reduziert werden können – das ginge nur in der blind vollzogenen symbolischen Kodifizierung der Wesen* in »Signifikanten« im symbolischen Unbewußten –, müssen sie den recht merkwürdigen Status annehmen, zugleich als transzendentale Reminiszenzen der transzendentalen Vergangenheit und als transzendentale Vorahnungen der transzendentalen Zukunft zu wesen*. Dieser Austausch oder diese unaufhörliche Umbesetzung außerhalb der Zeit der transzendentalen Zukunft in die transzendentale Vergangenheit und umgekehrt verleiht diesen Wesen* ihre phänomenologische Dichte, ihre Konkretheit weltlicher Leiblichkeit. Genau diese Umbesetzung in der Kluft macht aus ihnen Achsen, Angeln und Scharniere von Welten, die je schon und für immer in der transzendentalen Vergangenheit verschüttet waren und immer noch und auf immer der transzendentalen Zukunft beraubt sein werden. Es handelt sich schon um Kluften, wenn wir daran denken, wie sie konkret die nichtteleologischen Horizonte der Welten konstituieren. Das Paradox der fungierenden Sprache liegt in der Umwandlung dieser Kluft in einen konstitutiven Riß der Zeit der Gegenwärtigkeit oder der Verwandlung des Bewußtseins in sich bildenden Sinn. Wenn, wie wir gesehen haben, die sprachlichen Phänomene aus einer Vermengung oder vielfältige Verwebung von Sinnfetzen bestehen, die auf einen Sinn ausgehen,
174 der nicht nur Sinn seiner selbst, sondern Weltsinn ist, dann deshalb, weil die ursprünglich durch die Proto-Protentionen und die Proto-Retentionen gebildeten Ränder dieses Risses selbst ursprünglich aus etwas bestehen, was nicht gänzlich den Protentionen und Retentionen angehören, also auch prinzipiell nicht völlig von der Gegenwärtigkeit herstammen kann; vielmehr richtet sich die Gegenwärtigkeit in ihrem sich andeutenden Weg erst ein. Aus der Sicht der Zeitigung/Räumlichung in der Gegenwärtigkeit gehören also diese Ränder als nicht-teleologische zu einem Proto-Raum jenseits jedes möglichen Raumes der Gegenwärtigkeit, der niemals vom Sinn bewohnt wurde und auch nie bewohnbar sein wird und deshalb gerade noch vom einem Denken blitzhaft apperzipiert werden kann, das sich antizipiert, indem es sich selbst auslöscht; sie gehören auch einer Proto-Zeit an, die jenseits jeder möglichen Zeit (jeder Gegenwärtigkeit), jenseits jeder Gegenwärtigkeit (und Sinn) in der Vergangenheit und Zukunft liegt – auch diese nur blitzhaft apperzipiert in jenen seltsamen Fernen, wie der »Schlaf« (des Denkens) vor der Geburt und nach dem Tod. Der Riß der Zeitigung/Räumlichung richtet sich also erst in seinem Wachzustand, und sogar in seinem begleitenden Be-wußtsein, in der Kluft einer Proto-Zeit und einem Proto-Raum ein: diese Proto-Zeit ist älter als alles Alte und jünger als jedes Junge, sie ist unerinnerbar und ungereift, da sie niemals die Zeit hatte und niemals dazu ausersehen war, die Zeit zu haben, sich darin zu entfalten und die Zeit der Gegenwärtigkeit »heranreifen« zu lassen; und der Proto-Raum besteht aus versprengten und radikal unzugänglichen Massiven, deren Grenze kein Be-wußtsein, kein sich bildender Sinn, jemals »sehen« wird. Dergestalt ist die außersprachliche Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung der Welten, und es drängt sich auf, daß diese Massive nichts anderes sind als die wilden außersprachlichen Wesen* selbst, in der weder willkürlichen noch zufälligen Anordnung, die ihnen der Schematismus der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung als transzendentaler Schematismus der Phänomenalisierung zuweist. Das Bild der Massive ist insofern unpassend, weil das, was sie als solche sedimentiert, die Umbesetzung oder der Austausch von transzendentaler Vergangenheit und transzendentaler Zukunft ist, einer in der Gegenwärtigkeit unmöglichen transpassiblen Reversibilität folgend, welche gerade das charakteristische Kennzeichen der Proto-Räumlichung in der Proto-Zeitigung ausmacht. Indem sie sowohl als transzendentale Reminiszenzen und als transzendentale Vorahnungen wesen*, sind die wilden außersprachlichen Wesen* eo ipso in sich proto-verräumlicht, nach einer allerdings noch unvorstellbaren »Topologie«. Diese innere ProtoRäumlichung in der Proto-Zeitigung konstituiert die von den außersprachlichen Welten her »gesehenen« passiven Synthesen zweiten Grades. Es bleibt nun zu begreifen, wie die von den außersprachlichen Welten her »gesehenen« passiven Synthesen zweiten Grades innerhalb der zwar gleichen, nun aber von den sprachlichen Phänomenen her als auf kohärente Weise verformten oder umgearbeiteten passiven Synthesen sich diesen angliedern, eine Verformung, die ihren Übergang vom »Zustand« scheinhafter Phänomenalitätsspänen der Welten zu ihrem zerrissenen »Zustand« vielfältiger pulsierender Sinnansätze herstellt. Die Gelenkstelle zwischen den beiden Flügeln der passiven Synthesen zweiten Grades wird nun dadurch konstituiert, daß die phänomenologischen »Zeichen« als Sinnfetzen immer auch mehr als das sind, nämlich abgebrochene Sinnansätze, die selbst niemals die Zeit hatten und sie wahrscheinlich niemals haben werden, sich in der Gegenwärtigkeit zu entfalten, was aus ihnen eben sprachliche wilde Wesen* macht, die allerdings dafür empfänglich sind, erweckt oder wiedererweckt zu werden. Das bedeutet, daß die phänomenologischen »Zeichen« in ihrem konkreten phänomeno-
175 logischen Gehalt auch als vielfältige transzendentale Reminiszenzen und auch Vorahnungen von vermeintlich sprachlichen Phänomenen aus der transpassiblen Ahnung der Sinnregungen heraus als Transpossibilitäten »wesen«. Das erklärt einigermaßen, daß »alles« Sprachliche in »jedem« sprachlichen Phänomen – als Reminiszenz – immer schon »da« und – als Vorahnung – nie »da« ist, – wobei allerdings dieses »Dasein« nur den Status des Transpassiblen hat, der über die eigene Möglichkeit des sich bildenden Sinns hinausgeht. Denn dank dieser Art umfassenden und ursprünglichen Zu-trauens der sprachlichen Phänomene zueinander, lassen umgekehrt die in den wilden sprachlichen Wesen abgebrochenen Sinnregungen in sich selbst transpassible Echos von manchem Sinnansatz entstehen, der in der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft des Sprachlichen verschüttet bzw. entzogen ist. Anders gesagt kann man darin auch die Kluft »sehen« (oder blitzhaft apperzipieren), welche die wechselseitigen Transpossibilitäten der Sinnregungen selbst zueinander »transpassibel« macht. Diese Kluft ist sozusagen der »geometrische Ort« der Tangenten zwischen den sprachlichen und außersprachlichen Phänomenen. Auf diese Weise nämlich lassen sich eigentlich hinter den im Sinn vollzogenen Anordnungen der Sinnfetzen (der phänomenologischen »Zeichen«) die Arrrangements der dagegen resistenten passiven Synthesen zweiten Grades deutlich unterscheiden. Diese zeichnen unterirdisch die Wege dessen, was man in der klassischen Philosophie bis zu Husserl als »Assoziationen« bezeichnet hat – wobei die (entfernte) »Ähnlichkeit« und die »Kontiguität« sich nicht von den »Assoziationen« her einstellen, sondern sie erzeugen die »Assoziationen« als Zeugen einer tieferen phänomenologischen Homogenität der wilden Wesen*, auf der vom Sprachlichen ausgehend das herausgelöst wird, was sich hinter ihm zu assoziieren scheint: Entfernung und Kontiguität gibt es eigentlich nur von den phänomenologischen »Zeichen« (und a forteriori von den linguistischen Zeichen) her. Von der Seite des Sprachlichen her werden die passiven Synthesen zweiten Grades durch den Rhythmus der Zeitigung/ Räumlichung des Sprachlichen erfaßt und sozusagen über-strukturiert und scheinen damit Träger von transpassiblen Sinnregungen zu sein, die alle anderen Sinnmöglichkeiten für einen auf seine Bildung hin offenen Sinn enthalten. Auf diese für sie kennzeichnende Weise der »Über-Strukturierung« verweben also die sprachlichen Phänomene in ihrem Rhythmus die wilden Wesen* miteinander und verwischen durch die Zeitigung/Räumlichung ihre Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen. Das haben wir die ursprüngliche Verdrehung der sprachlichen Phänomene genannt, die a priori keine apophantische Transparenz zuläßt, welche die außersprachlichen Phänomene durch die sprachlichen Phänomene durchscheinen ließe, wohl aber eine äußerst feine und komplexe mehr oder weniger kohärente Verformung – je nach der Kohärenz, d.h. der Kohäsion der Selbstheit des sich gerade bildenden Sinns, also auch je nachdem, wie viele Sinnregungen erwachen und harmonisch und quasi musikalisch im sich bildenden Sinn anklingen. Wir können uns also nicht durch sprachliche Mittel einen Zugang zu der außersprachlichen Gliederung der passiven Synthesen zweiten Grades verschaffen. Oder vielmehr: einen Zugangsweg über die fungierende Sprache könnte es nur durch ihre Explosion geben, ihr Zersplittern, das auf die Implosion des Risses, auf die Verkettung oder der Vermengung ohne Gegenwärtigkeit der phänomenologischen Gehalte der Protentionen und der Retentionen »folgt«, wobei diese in einen unstabilen und umbesetzenden Austausch von transzendentaler Vergangenheit und transzendentaler Zukunft verwandelt werden. Von einer solchen Explosion haben wir ausführlich in der 3. Abteilung unserer Phénoménologie et institution symbolique gesprochen: als einer Explosion des sprachlichen Phänomens zu
176 einer »transzendentalen Landschaft« von Welten, die ebenso unerinnerbar wie ungereift ist – und in dieser Richtung gibt uns die Poesie wahrhaftig unschätzbare Anregungen. Der »Wald« von phänomenologischen »Zeichen« ist also sozusagen in jedem Moment ganz dicht davor, in einen noch undurchdringlicheren »Dschungel« von wilden Wesen* und sogar von außersprachlichen wilden Wesen* umzukippen, wenn nämlich die vielfältigen Risse, die daraus wilde sprachliche Wesen* machen, implodieren, wenn also die jeweiligen Möglichkeiten des Sinns und die Transpassibilitäten vielfältiger Sinnregungen sich in jeweilige Möglichkeiten und Transpassibilitäten des Nicht-Sinns oder vielmehr des ebenso vielfältigen Jenseitigen allen Sinns umschlagen. Das aber kann, wie wir jetzt konkreter sehen, nur vom transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung aus in dem begriffen werden, was er an »Göttlichem« oder Unendlichen enthält – womit wir uns allerdings der phänomenologischen »Gestalt« des symbolischen Stifters anzunähern scheinen. Wir haben nun gesagt, daß sich das sprachliche Phänomen nur phänomenalisieren, also pulsierend auf seine Phänomenalität beziehen kann, indem es sich in der SelbstApperzeption des Selbst des Sinns als Spur eines zu verfolgenden aber auch zu bildenen Wegs auffaßt, somit auch in der Verspätung und Verfrühung, in die das Denken gegenüber sich selbst gerät, als eine Zeitigung/Räumlichung die in den Riß der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung außersprachlicher Weltphänomenen eindringt. Angesprochen haben wir damit eigentlich deren Phänomenalisierung, allerdings innerhalb einer Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung, als ob sie es nur von einer in ihrer Anonymität genommenen Welt wäre, was ein Beweis dafür ist, daß wir zeitweilig noch in der Abstraktion der reflexiven Struktur des ontologischen Simulacrums gefangen waren, während die a priori Verschiedenartigkeit der wilden Wesen* doch von der ursprünglichen phänomenologischen Pluralität der außersprachlichen Welten zeugt. Man muß also, was wiederum unerhört scheint, eine in der Vielfalt der wilden Wesen* durchmengte und verwobene Vielfalt von Proto-Zeitigungen/ProtoRäumlichungen annehmen, die zunächst und zumeist unbemerkt vorübergehen – oder nur flüchtig blitzhaft apperzipiert werden –, und dies macht die rhythmische Zeitigung/Räumlichung der phänomenologischen »Zeichen« als unstabile und (zer)fließende Sinnfetzen aus. Dafür genügt es sozusagen, denn dieses »Genügen« ist durchaus nicht einfach zu leisten, im transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung, weder die transzendentale Vergangenheit noch die transzendentale Zukunft für eine einfache oder kompakte Massive zu halten, sondern für Massive, die in sich selbst komplex, miteinander verschränkt und vielfach geteilt sind, wovon die komplexen Verschränkungen der wilden Wesen* zeugen, die sich aus den vielfältigen Überkreuzungen von transzendentalen Reminsizenzen und transzendentalen Vorahnungen zu ergeben scheinen, welche sich in ihnen, in ihrem Leib oder ihrer phänomenologischen Dichte vollziehen. Die Überkreuzungen sind in der Tat weniger Zeichen der inneren »Auffächerung« der wilden Wesen* – diese gewinnen einen solchen Anschein nur von den Rissen der jeweils möglichen Sinnregungen oder der transpassiblen und transpossiblen Sinnregungen her, also vonseiten des Sprachlichen – als vielmehr die Zeugen von aus phänomenologischer Sicht völlig unbewußten Anordnungen, die sich von den Proto-Räumlichungen her ausrichten, welche in den Proto-Zeitigungen der Welten sind. Dabei handelt es sich um die den passiven Synthesen zweiten Grades zugehörigen Anordnungen wilder Wesen* von der Seite der außersprachlichen Welten her.
177 Es gibt also vom transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung her keine andere Möglichkeit, einerseits dafürzuhalten, daß die transzendentale Vergangenheit aus einer a priori unbestimmten Vielfalt von Phänomenalisierungen (sprachlicher und außersprachlicher) Welten besteht, die seit jeher in dieser Vergangenheit verschüttet sind, und daß auch die transzendentale Zukunft aus einer a priori unbestimmte Vielfalt von Phänomenalisierungen (sprachlicher und außersprachlicher) Welten besteht, die für immer in diese Zukunft entrückt sind; und andererseits ist es so zu sehen, daß diese beiden Vielfältigkeiten eben nach den vielfachen Proto-Räumlichungen miteinander kommunizieren, und zwar durch die wilden Wesen*, welche Überkreuzungen transzendentaler Reminiszenzen von verschütteten Phänomenalisierungen und transzendentaler Vorahnungen von entrückten Phänomenalisierungen sind. Wie kann man aber derart von Phänomenalisierungen und somit von Phänomenen sprechen, die als solche niemals (in der Gegenwärtigkeit) stattgefunden haben und die niemals (in der Gegenwärtigkeit) stattfinden werden? Braucht man dafür nicht einen göttlichen Verstand? Also eine »phantastische Hypothese«, die nur der naive Ausdruck einer unausrottbaren transzendentalen Illusion wäre? Hat also diese »Hypothese« über diese von einer gefährlichen spekulativen Unmäßigkeit zeugenden Besorgnis hinaus irgendeine phänomenologische Konsistenz, also jenseits dessen, was wir über die Proto-Räumlichungen der wilden Wesen* in den Proto-Zeitigungen gesagt haben? Alles kommt nun darauf an, daß man den Schematismus nicht zu flächig oder linear auffaßt, sondern ineinander verschränkt, verwoben, vermengt.
§ 3. DAS PHÄNOMENOLOGISCHE ANEINANDERGLIEDERN BEIDER ASPEKTE DER PASSIVEN SYNTHESEN DRITTEN GRADES
Wenn man sich einerseits daran erinnert, wie wir es ausführlich in unseren Recherches phénoménologiques zu zeigen versucht haben, daß der transzendentale Schematismus der Phänomenalisierung untrennbar zugleich ein Schematismus der Bestimmbarkeit und der Quantitabilität ist – so etwas wie ein Schematismus, der sich nicht »ausbreitet«, sondern sich in sich unendlich »weiter schematisiert«, um sich auf grundsätzlich instabile Weise zu teilen oder um sich zu vervielfältigen; und andererseits berücksichtigt, daß er als Ursprung des Sprachlichen sich in seiner unendlich pulsierenden Doppel-Bewegung im Pulsieren der Zeit (der Gegenwärtigkeit) vollzieht oder vielmehr im Pulsieren der (für ursprünglich vielfältige Gegenwärtigkeiten transpassiblen) Zeiten, und daß demnach die Phänomenalisierung der Phänomene (einschließlich der sprachlichen Phänomene als Phänomene, d.h. insofern sie auf die Phänomenalität bezogen sind) in der reinen Apperzeption des Pulsierens des Selbst immer nur blitzhaft apperzipiert wird; wenn man sich an all dies erinnert, dann versteht man, daß der Schematismus niemandem, also auch Gott nicht, erlaubt, der Phänomenalisierung beizuwohnen, ihrer gewahr zu werden oder sie sich als solche anzuschauen. Und die Rede von einem »göttlichen« oder unendlichen Schematismus kommt keineswegs der von einem anschaulichen Verstand gleich, was nur zuträfe, wenn er gleichzeitig phänomenalisierend und phänomenalisiert wäre, sondern will dem Schematismus einen architektonischen Ausdruck aus der Phänomenologie selbst heraus geben. Anders gesagt ist der Schematismus selbst wild, er ist die unermüdliche »Mühe« des phänomenologischen Unbewußten, und er
178 artikuliert nicht etwa Phänomenalisierungen und Schemata der Phänomenalisierung, die wiedererkennbar und für ein Selbst identisch wären, das darin gar nicht existiert. Und dennoch muß man, wie wir gesehen haben, wohl annehmen daß die (sprachlichen und außersprachlichen) Welten zuerst und ursprünglich Phänomene sind. Aber sicherlich nicht Phänomene im Sinne der Gegebenheit im Offenbaren, was eigentlich nur für das symbolisch Gestiftete gilt, das seinen eigenen Ursprung radikal vergessen hat. So gesehen, aus der Perspektive der Aktualität in der Gegenwärtigkeit und der Selbst-Apperzeption des Sinns, bevölkern die Phänomenalisierungen und die Phänomene unbegrenzt die transzendentale Vergangenheit nur deshalb, weil sie seit jeher im Unerinnerbaren geblieben sind, dessen Spur die wilden Wesen* als transzendentale Reminiszenzen enthalten. Gleichermaßen bevölkern die Phänomenalisierungen und die Phänomene unbegrenzt die transzendentale Zukunft nur, um für immer im Ungereiften zu bleiben, dessen Spur die wilden Wesen* als transzendentale Vorahnungen enthalten. Nun ist, wie wir gesehen haben, das innere Kennzeichen der außersprachlichen wilden Wesen*, daß sie in sich die transzendentale Vergangenheit und die transzendentale Zukunft austauschen und ineinander umschlagen lassen, nicht etwa um sie durcheinanderzubringen, sondern um sie vielmehr innerhalb der vielfachen Proto-Räumlichungen (der Anordnungen) miteinander zu verweben, die nun aber an sich nur Echos der Proto-Räumlichungen und Proto-Zeitigungen des transzendentalen Schematismus sind, der in der »Unschuld« seines »Werdens« selbst außerzeitlich ist. Dieser ist also weder zum Fortschritt noch zum Rückschritt eingeebnet, sondern vollzieht sich wie beide auf einmal, wie eine Doppel-Bewegung eben von Fortschritt/Rückschritt, die nur dann in ihrem Zurückweichen voranschreiten und in ihrem Fortschritt zurückweichen kann, wenn sie sich blind in verwobenen Rhythmen von Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung rhythmisiert, deren Spur die wilden Wesen* als Reminiszenzen (rückwärtsgewandt) und als Vorahnungen (vorwärtsgerichtet) tragen. Eine Doppelbewegung, in der das Denken sich als ein »Denken« ohne Selbst in seiner eigenen Selbst-auslöschung erahnt, im »Nicht-denken« des phänomenologischen Unbewußten. Dieses »Nicht-denken«, das natürlich dem angehört, was jede Möglichkeit des Denkens übersteigt, also der Transpassibilität, wurde klassisch als Unmöglichkeit aufgefaßt, da es bedeutet, wie in einer Art »quantischem Tunneleffekt«5 die Mauer der Geburt und des Todes zuerst des Sinns, dann von uns selbst als Sinnwesen und Wesen im Sinn zu unterlaufen. Eine äußerst paradoxe Situation also, in der das, was dem transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung der außersprachlichen Welten eigentümlich ist (und bei näherem Hinsehen auch dem Sprachlichen) aus der Merkwürdigkeit besteht, ständig und rastlos die transzendentale Vergangenheit und die transzendentale Zukunft ineinander umzugießen. Was gibt uns dann noch das Recht, davon zu reden? Einmal, weil sie eben gerade so von den Vergangenheits- und Zukunfts-Horizonten der sprachlichen Gegenwärtigkeit her erscheinen – von dem her, was wir den Riß zwischen Proto-Protentionen und Proto-Retentionen genannt haben, der nicht die reine Schöpfung der Zeit/des Raums der Gegenwärtigkeit ex nihilo sein kann. Zum anderen, weil, wie jetzt zu erläutern ist, gerade deshalb das Ineinander-Umschlagen der transzendentalen Vergangenheit und transzendentaler Zukunft nicht ausschließt, daß beide jeweils als nicht teleologische Horizonte auch als solche bestehen bleiben, also die transzendentale Vergangenheit als unerinnerbare Dimension der Vergangenheit und die transzendentale Zukunft als ungereifte Dimension der Zukunft. Sonst müßten sie nämlich durch Implosion zugrunde gehen. Anders gesagt: ihr Ineinander-Umschlagen in den wilden Wesen* ist auf keiner Seite total, denn dies
179 würde sie in der Tat als Dimensionen zerstören – durch eine solche Totalität des Umschlags würden nämlich die Wesen* in »Ideen« oder in außerzeitliche, spurlose, ewige Eidè implodieren, wie es in der symbolischen Stiftung der Begriffe und der Wesenheiten geschieht. Oder auch: dieser wechselseitige Umschlag von transzendentaler Vergangenheit und Zukunft in den wilden Wesen* schließt nicht aus, daß diese weiterhin in sich die Spur des Unerinnerbaren und die Spur des Ungereiften als Dimensionen oder Horizonte bewahren, denn eben dies macht die Wildheit der Wesen* aus. Sie kommen nicht von »nirgendwoher« und sind nicht ohne Verwurzelung in der Welt, sondern stammen aus für immer verschütteten Untergründen und von auf immer verlorenen Chancen der Welten. Aus phänomenologischer Sicht sind damit die Ideen oder Eidè zugleich verfrühte Abbrüche (durch verfrühte Identifikation) der wilden Wesen* und verfrühte Abbrüche von sprachlichen Sinnregungen (durch die gleiche verfrühte Gleichsetzung, welche die Selbstheit des Sinns mit der Identität kurzschließt, einem idem, das sich seiner Eindeutigkeit mehr oder weniger sicher glaubt,).6 So gesehen hat also die klassische Stiftung der Philosophie ein gleichzeitiges Kurzschließen der wilden Wesen* und der sprachlichen Sinnregungen betrieben: sie ist immer mehr oder weniger eine Form des Abbrechens der Phänomenologie, deren Spur sie allerdings mehr oder weniger bewahrt. Beim Weiterverfolgen unserer Überlegungen ergibt sich, daß die wilden Wesen* schon (oder noch) eine komplexe Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung enthalten, denn die transzendentale Vergangenheit findet sich darin begriffslos aufgespalten einmal als Horizont und zum anderen als das, was in der transzendentalen Reminiszenz wieder aufgegriffen wird, und gleichermaßen findet sich die transzendentale Zukunft begriffslos gespalten in Horizont und als Wiederaufnahme in der transzendentalen Vorahnung. Oder, da dieser Gebrauch des »sich« eine Selbstheit voraussetzt, wäre die Formulierung vorzuziehen, daß die Kluft zwischen der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft in den wilden Wesen* so beschaffen ist, daß die durch Proto-Räumlichung in ihnen erzeugte Entsprechung zwischen unerinnerbarer Vergangenheit und ungereifter Zukunft sich durch ProtoRäumlichung noch von einem Unerinnerbaren und einem Ungereiften abhebt, welche ursprünglich als Unerinnerbares und Ungereiftes der Welten, also der Weltphänomene, die für immer verschüttet und auf immer entrückt sind, voneinander getrennt sind. Die wilden Wesen* sind gewissermaßen sowohl die auslaufende Welle dieser Weltphänomene, die zu spät gekommen ist, um in dem für immer verlorenen Schimmern ihrer Phänomenalität zu erscheinen, als auch die Vorzeichen, die zu früh gekommen sind, um in dem auf ewig hinausgezogenen Schimmern ihrer Phänomenalität zu erscheinen: im ersten Fall Zeugen einer unabweisbaren Nostalgie bezüglich einem Unerinnerbaren, das nie die Zeit hatte, bis zur Erinnerung vorzudringen, im zweiten Fall Zeichen einer nie zu stillenden Sehnsucht nach einem Ungereiften, das in seiner prekären Unsicherheit nicht zur Reife geführt werden kann und niemals die Zeit haben wird, zur Antizipation vorzudringen, in der sie sich ergreifen könnte. Jeder sich bildende Sinn begibt sich in das Abenteuer innerhalb dieser Horizonte, wodurch er einerseits lächerlich gering, aber auch unermeßlich kostbar wird, weil er in dem, was er – die Welten berührend – wenigstens zu erahnen erlaubt, durch nichts zu ersetzen ist. Es gibt also in den wilden Wesen* so etwas wie unpassende Zeiten und Räume (contre-temps, contre-espaces), die gewissermaßen Zeugen der sich im transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung vollziehenden vielfachen Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen sind. Als solche sich überkreuzende Zeiten und Räume
180 sind sie Zeugen der Rhythmen der außersprachlichen Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen, innerhalb derer sich jeweils die abgründigen Schieflagen der Horizonte der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft abzeichnen, in denen das Unerinnerliche »sich« in sich »selbst« zu verzögern scheint, und das Ungereifte »sich« in sich »selbst« vorauszugehen scheint – wobei die Anführungszeichen hier phänomenologische sind. Es ist, als ob es eine Proto-Zeit in der transzendentalen Vergangenheit und eine Proto-Zeit in der transzendentalen Zukunft gäbe: Proto-Zeit, weil es nicht die einer Gegenwärtigkeit sein kann, sondern die gegenwartslose einer Schieflage als Proto-Raum. Desgleichen führt die Verwebung der transzendentalen Vergangenheit und transzendentalen Zukunft in den wilden Wesen* überhaupt nicht zu einer Gegenwärtigkeit. Insofern diese Verwebung sich unter den nicht-teleologischen Horizonten der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft vollzieht, deutet sie vielmehr in und durch sich selbst die Kluft einer Proto-Gegenwärtigkeit der Welt an, was wir nun als eine Phase von Welten erkennen müssen, d.h. als ein außersprachliches Weltphänomen, das in seiner Phänomenalität schimmert, das »sich« phänomenalisiert durch eine Weltlandschaft hindurch, deren Horizonte nicht mehr protentional (Zukunft) oder retentional (Vergangenheit) sind, sondern aus der transzendentalen Vergangenheit und transzendentalen Zukunft bestehen. Diese Verwebung, dieses Spiel der Phänomenalität der Welten innerhalb der sich in der Phase phänomenalisierenden Welt, ist durch ihre »Sedimentierung« nichts anderes als die transzendentale »Anordnung« der passiven Synthesen zweiten Grades, von der Seite der außersprachlichen Welten her gesehen. Und eine solche Proto-Zeit in der transzendentalen Vergangenheit und in der transzendentalen Zukunft gibt es allein als die Proto-Zeit der Phase von Welten oder von Weltphänomenen, weil sie den »Ort« dieser Verwebung darbieten, in der die ProtoZeit der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft ineinander umschlagen. Damit sind wir nun viel weiter gekommen als wir es offenbar hoffen konnten, da die Kluft vor dem Riß eigentlich die Kluft einer Welt ist, in der durch Transpassibilität die phänomenologische Vielfalt der Welten als Echo widerhallt. Es ist nun nicht zu verkennen, daß die Kluft, und damit die zumindest vorübergehende, flüchtige, radikal kontingente Einheit einer Welt, von der Ausweitung der Horizonte der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft sozusagen hinter den Überschneidungen oder Verwebungen der transzendentalen Reminiszenzen und transzendentalen Vorahnungen gebildet wird. Und zwar auch deshalb, weil diese Verwebung ihrerseits sich als ein selbst transpassibles Echo der passiven Synthesen dritten Grades vollzieht, die immer schon, seit jeher, immer noch und auf immer die Welten an Welten angliedern, ob sie nun außersprachlich oder sprachlich sind. Es besteht kein Zweifel, daß wir – wir selbst oder auch Gott – weder diesen, noch den im zweiten Grad davon widerhallenden Synthesen je »beiwohnen« könnten. Chancen, etwas von den passiven Synthesen dritten Grades wiederzufinden, haben wir also nur über die passiven Synthesen zweiten Grades, d.h. über die schematischen Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen. Wir müssen also unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was die wilden Wesen* als solche zu proto-zeitigen/proto-räumlichen vermag. Das wird möglich sein, wenn wir weiterhin uns an die notwendige Unterscheidung zwischen transzendentalen Reminiszenzen und transzendentalen Vorahnungen zu halten, wobei wir, um unsere Auffassung deutlicher zu machen, die ersteren als Sedimentierungen von Welten und die zweiten als Heraufdämmern von Welten kennzeichen, die von unendlicher Vielfalt, aber abwesend sind, also für immer in der »Potentialität« verschüttet und für immer in die »Virtualität« entrückt: damit gewinnen wir den Ansatz zum
181 Verständnis dafür, was sowohl das Ablösen als auch die Verwebung der wilden Wesen* von bzw. in dieser Weltphase oder diesem Weltphänomen »leitet«. Verfolgen wir also zunächst die Frage nach der Proto-Zeitlichkeit der wilden Wesen*. In der in ihnen stattfindenden Verwebung der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft, »wesen« die wilden Wesen* einmal als – allerdings zu spät sedimentierte – »Ruinen« von Phänomenen, die niemals in einer – dem Sprachlichen zugehörenden – Gegenwärtigkeit »erbaut« wurden; weiters wesen sie als die – allerdings zu früh verlassenen – »Grundmauern« oder »Fundamente« von Phänomenen, die sich nie in einer sprachlichen Gegenwärtigkeit werden »ausbauen« lassen. Es sind posthume »Ruinen« eines Unerinnerlichen, das niemals die Zeit gehabt hat, sich in der Vergangenheit herauszubilden, und verfrühte »Skizzen« eines Ungereiften, das dies für immer bleiben wird, weil es keine Zeit in der Zukunft hat, sich im Auf-kommenden zu konstituieren. Es ist, als ob der unmittelbare Rückzug aus der Gegenwärtigkeit in die Tiefe der transzendentalen Vergangenheit umschlüge oder sich umkehrte in den unmittelbaren Rückzug aus der Gegenwärtigkeit in die Tiefe der transzendentalen Zukunft, wobei sich dieser Rückzug begriffslos und ohne Selbst in der Kluft des Weltphänomens »reflektiert«, oder sich vielmehr in dessen Phänomenalität mit seiner Rerversibiltät anreichert. Diese Reversibilität liegt in der Verwebung der wilden Wesen*, die sich in ihnen als vielfältige Kreuzung von Horizonten der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft vollzieht: diese Kreuzungen haben also als komplexe Wirkung, die transzendentale Vergangenheit und Zukunft in sich »selbst« insofern zu proto-zeitigen, als die Einschreibung des »zu spät« der wilden Wesen* in die transzendentale Vergangenheit im Verhältnis zu diesen umgekehrt ein »zu früh« der Phänomene in der transzendentalen Vergangenheit bedeutet, d.h. die Einschreibung einer – allerdings verfehlten oder in Schieflage befindlichen – Zukunft in die transzendentale Vergangenheit, und insofern die Einschreibung des »zu früh« der wilden Wesen* in die transzendentale Zukunft im Verhältnis zu diesen umgekehrt ein »zu spät« der wilden Wesen in der transzendentalen Zukunft bedeutet, d.h. die Einschreibung einer – allerdings verfehlten oder in Schieflage befindlichen – Vergangenheit in die transzendentale Zukunft. Die Verwebung bewirkt also die Einschreibung eines inneren Zukunftshorizonts in die transzendentale Vergangenheit und eines inneren Vergangenheitshorizonts in die transzendentale Zukunft: Vergangenheitshorizont und Zukunftshorizont sind insofern gleichermaßen transzendental, als ihnen der Riß fehlt, der allein sie in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen zu verwandeln vermag, insofern also dieser Zukunftshorizont der transzendentalen Vergangenheit die ursprünglich vorgezogene oder verfrühte Vorahnung der transzendentalen Zukunft ist und insofern entsprechend dieser Vergangenheitshorizont der transzendentalen Zukunft die ursprünglich verzögerte oder nachgereifte Reminiszenz der transzendentalen Vergangenheit ist, womit eine schon genauere »Vorstellung« von der Verwebung, der Kreuzung der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft in den wilden Wesen* in der Phase der Welten vermittelt wird. Sedimentierte Ruinen von Phänomenen, die für immer in der transzendentalen Vergangenheit verschüttet sind, voreilig verlassene Entwürfe von auf immer in der transzendentalen Zukunft entzogenen und verfehlten Phänomenen – dies macht zusammen die wilden Wesen* aus. Das bedeutet nun folgendes: in einem solchen Weltphänomen als Kluft radikal kontingenter Proto-Gegenwärtigkeit machen die Welten sowohl für die wilden Wesen* als auch für die Kluftphase eine unzugängliche tranzendentale Vergangenheit aus, die in sich »selbst« auch noch einen ebenso unzugänglichen Horizont transzendentaler Zukunft enthält, der aber den der wilden We-
182 sen* insofern überschreitet, als er in dem unendlichen Schematismus für Welten noch transpassibel ist, ebenso wie sie auch aus einer unzugänglichen transzendentalen Zukunft bestehen, die noch in sich selbst einen ebenso unzugänglichen Horizont der transzendentalen Vergangenheit enthält, der aber auch den der wilden Wesen* insofern überschreitet, als er in dem unendlichen Schematismus für Welten noch transpassibel ist. Bei einer solchen abgründigen Schieflage der Proto-Zeitigung können die wilden Wesen* nicht mit sich »selbst« den Vergangenheitshorizont der transzendentalen Zukunft und den Zukunftshorizont der transzendentalen Vergangenheit sättigen, sondern sie »bevölkern« und »horizontalisieren« diese sozusagen nur durch ihre Verfrühung und Verspätung, d.h. durch ihre Schieflage, welche eine Zeitigung/Räumlichung verhindert, die eine Linie oder Richtung verfolgte, in der sich Sinn reflektieren könnte. Diese »Horizontalisierung« besteht also aus der Verwebung innerhalb der Kluft, die den Weltphänomenen im Pulsieren seiner Phänomenalisierung phänomenologische Konkretheit der Weltlandschaft verleiht. Wir haben uns immer noch nicht ganz den Paradoxien der in den wilden Wesen* als transpassible Echos der passiven – schematischen – Synthesen dritten Grades vollziehenden Verwebung ausgesetzt. Es erweist sich nämlich, daß aus schematischer Perspektive die wilden Wesen* als transzendentale Reminiszenzen, die in transzendentale Vorahnungen umschlagen, durch ihre Verwebung nicht nur der transzendentalen Vergangenheit der Welten einen Horizont der transzendentalen Zukunft öffnen, sondern daß dieser Horizont selbst ein Horizont von Welten ist; in der gleichen Bewegung zeigt sich, daß die wilden Wesen* als transzendentale Vorahnungen, die in transzendentale Reminiszenzen umschlagen, entsprechend der transzendentalen Zukunft von Welten einen Horizont der transzendentalen Vergangenheit von Welten öffnen. Damit gäbe es a priori keine Unterscheidung zwischen den Welten als Reminiszenz und den Welten als Vorahnung, wobei diese Welten in radikaler Kontingenz schweben, was nun wiederum an das anschließt, was wir vom Schematismus als unendlicher Doppel-Bewegung des Fortschritts/Rückschritts gesagt haben. Demnach werden sie ursprünglich nur von dem auseinandergehalten, was die ursprüngliche Proto-Räumlichung der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft als unzugängliche ausmacht. Es bestünde dort sicherlich die Gefahr der Undifferenziertheit der wilden Wesen* und des Rückfalls in das Chaos der Welt-Qualia aufgrund der Anonymität der Welt, wenn eben die Proto-Räumlichung sich nicht immer schon ursprünglich in der Proto-Zeitigung bewegte, anders gesagt: wenn die Verwebung der Horizonte in den wilden Wesen* sich nicht so abspielte, daß die wilden Wesen* als Reminiszenzen immer zugleich auch als Vorahnungen und daß sie als Vorahnungen immer zugleich auch als Reminiszenzen schienen. Das ist allerdings nur möglich, wenn etwas der schematisch transzendentalen Vergangenheit sich in den wilden Wesen* als Reminiszenzen im gleichen Maße »zurück-datiert«, in dem etwas anderes der schematisch transzendentalen Zukunft sich darin als Vorahnungen »vordatiert«, wenn also der phänomenologische Gehalt an Reminiszenzen der wilden Wesen* nicht absolut identisch mit ihrem phänomenologischen Gehalt an Vorahnungen ist. Nur wegen dieser fundamentalen Schieflage oder Aufspaltung der wilden Wesen* in transzendentale Vergangenheit und transzendentale Zukunft kann es ja eine Verwebung der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft geben, es ist aber auch immer möglich und geschieht auch in dem Kurzschluß, der unbewußt Symbolisches stiftet, daß sie ineinander zu einem identischen und durch diese »unbewußte Identität« eingekapselten »Signifikanten« – Freud spricht mitunter recht paradox vom »unbewußten Begriff« – im phänomenologischen Unbe-
183 wußten implodieren, es nun »polarisieren« und durch diese »Polarisierung« auf kohärente Weise »verformen«. Demnach scheinen die wilden Wesen* nur, indem sie »sich« sozusagen von der chaotischen Masse der Qualia scheiden, und diese Trennung vollzieht sich nur, indem sich in ihnen ihre eigenen, schematischen transzendentalen Vergangenheits- und Zukunftshorizonte überkreuzen, die sich gegenüber den Horizonten abheben, die sie als transzendentale Vergangenheit und Zukunft von Welten übersteigen. Das bedeutet auch, daß aufgrund der Un-Unterschiedenheit der Welten in der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft des un-endlichen Schematismus oder aufgrund der reinen Transpassibilitäten und Transpossibilitäten, die nur in einem Denken blitzhaft apperzipiert werden, das sich ins unendliche Denken und Nicht-Denken wagt, etwas von dieser transzendentalen Vergangenheit als Reminiszenz erscheint. Dies geschieht aber nur so, daß in dieser in die Vorahnung umschlagenden Reminiszenz jenes Etwas darin blitzhaft apperzeptiv so scheint, als hätte es seinen eigenen Horizont transzendentaler Zukunft, als ob also diese Vergangenheit noch eine Zukunft hätte. Desgleichen scheint bei diesem Vorgang etwas von dieser transzendentalen Zukunft als Vorahnung, und zwar so, daß in dieser in die Reminszenz umschlagenden Vorahnung jenes etwas darin so scheint, als hätte es seinen eigenen Horizont transzendentaler Vergangenheit, als ob also diese Zukunft schon eine Vergangenheit hätte. Was die wilden Wesen* an Reminiszenzen haben, kommt also von dieser Vergangenheit, die noch eine Zukunft hat, und was sie an Vorahnungen haben, kommt ebenso aus dieser Zukunft, die schon eine Vergangenheit hat. Das zeigt, daß wir ganz dicht am Ursprung des Sprachlichen sind, der Umwandlung des Aufklaffens in Risse – ganz nah davor, aber nicht schon an der Stelle selbst, da die Vergangenheit noch in der transzendentalen Vergangenheit verschüttet ist und die Zukunft bereits in die transzendentale Zukunft entrückt, weshalb wir auch von einem »als ob« gesprochen haben. Anders gesagt verdoppelt die Kluft zwischen transzendentaler Vergangenheit und transzendentaler Zukunft die Aufspaltung zwischen dieser Vergangenheit (die noch eine Zukunft hat) und dieser Zukunft (die schon eine Vergangenheit hat) und verhindert ihre auch nur partielle Implosion in eine einzige Masse, in der sich das »Selbe« (même) der Selbstheit (ipséité) des Sinns auf sich hin öffnen könnte. Diese Vergangenheit und diese Zukunft kreuzen sich, verweben sich gewissermaßen in ihrer ganzen Andersheit, indem sie, wenn der Ausdruck erlaubt ist, einer »Logik der Andersheit« folgen, und gerade das erklärt mit anderen Worten, daß sie sich von der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft »abheben«, ohne sich deswegen gleich (im Riß) so weit anzunähern, daß sie in eine Gegenwärtigkeit einfließen – sich gewissermaßen in Proto-Protentionen und in Proto-Retentionen wandeln. Wenn man, ohne in die Irre zu führen, dieses Bild benutzen kann, vollzieht sich die Ausweitung der weltlichen Proto-Gegenwärtigkeit auf doppelte Weise: es ist Ausweiten über die äußeren Ränder, die nur als Ränder erscheinen, insofern sie Unzugängliches säumen. Allerdings erscheinen diese Ränder, um das Bild zu akzentuieren, wie Berggipfel, die im Leeren hängen, da sie von ihrer Basis durch die Rundheit der Erde abgeschnitten sind. Von den wilden Wesen* kann man sozusagen nur die Kämme blitzhaft apperzipieren – Kämme der Proto-Zeit/des Proto-Raums in der Zeit/im Raum, am schmalen Faden, der von den passiven Synthesen zweiten Grades, die hier von der Seite der außersprachlichen Welten her genommen werden, gespannt wird. Man muß jenseits jeder Metapher verstehen, daß das »Noch« und »Schon« durch einen Abgrund getrennt, voneinander entfernt und proto-geräumlicht sind, über dem sozusagen die wilden Wesen* als verwobene Spuren seiner Ränder schweben.
184 Insofern die transzendentale Vergangenheit für immer verschüttet ist, immer schon abgelaufen, da niemals stattgefunden, wacht sie (sie ist niemals geweckt worden) über die Kluft hinweg, die sie durch Proto-Räumlichung von den wilden Wesen* trennt, immer zur falschen Zeit auf, immer schon zu spät, um sich über die gleiche Kluft hinweg der transzendentalen Zukunft zu öffnen, durch ein Erwachen, das wie ein Echo auf die auf immer in ihr zurückgehaltene schematischen Potentialität verweist. Und desgleichen, insofern die transzendentale Zukunft auf immer entrückt ist, immer wieder verfehlt wird, weil sie niemals stattfinden darf, sieht sie sich über die Kluft, die sie durch Proto-Räumlichung von den wilden Wesen* trennt, immer zur Unzeit voraus, auf ewig zu früh, um sich über die gleiche Kluft hinweg der transzendentalen Vergangenheit zu öffnen, durch ein Erwachen, das wie ein Echo auf die auf immer in ihr verlorene schematische Vergangenheit verweist. Aber wenn die wilden Wesen* »selbst« sich nicht darin sofort auflösen, wenn sie innerlich von einem phänomenologischen »Zittern« oder einer phänomenologischen »Regung« ergriffen werden, wenn sie in das phänomenalisierende Pulsieren des Weltphänomens eintreten, indem sie darin scheinen, dann deshalb, weil dieses phänomenologische »Zittern« oder diese phänomenologische »Regung« in der Verwebung der Reminiszenzen und der Vorahnungen stattfindet, oder, um einen Terminus aus Phénomènes, temps et êtres wiederaufzunehmen, in plötzlich ineinander umschlagenden Bewegungen, die bei ihren Verwebungen überhaupt keine Zeit (Gegenwärtigkeit) aufkommen lassen, weil sie buchstäblich keine Zeit dafür haben, weil sie zu lebhaft sind, zu schnell, oder zu müde, zu langsam. Genau genommen horizontalisiert sich in dieser Verwebung der Schematismus, da das »zu spät« und das »zu früh«, das »noch« und das »schon« sich als der Proto-Raum einer doppelten Kluft proto-räumlichen, in der schließlich etwas von dem transzendentalen Schematismus selbst im Pulsieren der wilden Wesen* als »Elemente« oder »Fetzen« der Phänomenalität zu pulsieren, sich zu phänomenalisieren beginnt. Es gibt in den wilden Wesen* – über die schematischen Kluften hinweg – sozusagen einen unstabilen, nicht zu einer Kontinuität zu stabilisierenden Übergang von der »transzendentalen« Transpassibilität der Welten zu ihrer phänomenologischen Transpassibilität. Die Transpassibilität bringt sich sowohl als transzendentales Wecken der schematischen transzendentalen Vergangenheit als auch als transzendentale Vorhersehung (divination) (fast im Sinn von: durch die Ahnung des Unendlichen göttlich werden lassen) der schematischen transzendentalen Zukunft ein. Anders gesagt, die Verwebung, die in den wilden Wesen einsetzt, bewirkt durch die dabei angestoßene Trennung der wilden Wesen* zugleich eine Trennung der transzendentalen Vergangenheit von der transzendentalen Zukunft, sowohl in ihren eigentlich phänomenologischen, schematischen Dimensionen, als auch in ihren proto-ontologischen Dimensionen, wie wir sie etwa in Phénomènes, temps et êtres genannt haben. Wir werden diese Benennung noch damit begründen, daß diese letzteren Dimensionen der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft nicht mehr als Grundlagen einer »Fundamentalontologie« im Heideggerschen Sinn artikuliert werden können, wobei wir dem als Entsprechung sogleich hinzufügen, daß sie – von der Phänomenologie her aus dem Verborgenen heraus erahnt, und zwar sogar in ihrer Notwendigkeit – niemals phänomenologische Konkretheit annehmen können, es sei denn als Horizonte radikaler Abwesenheit, die einen phänomenologischen Status nur von den wilden Wesen her gewinnt. Indem wir also präzisieren, daß sie ausdrücklich der Gegenstand einer »Rekonstruktion« sind, die, wenn man will, »spekulativ« genannt werden könnte, deren illusionierende Wirkung aber architektonisch durch die Erklärung begrenzt (also auch kritisiert) werden kann, daß
185 diese Wirkung eine ungerechtfertigte Hypostasierung dieser Dimensionen zu einem »Gegenstand« eines »anschaulichen Verstehens« bedeutete, das mit einem Schlag die unendliche Vielfalt der Welten veranschaulichen würde. Von daher ist deutlicher zu verstehen, wie sehr die Verwebung der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft in den wilden Wesen* wie das in der Transpassibilität ebenso ursprünglich verzögerte wie urspüngliche verfrühte Echo der schematischen Verwebung selbst ist, d.h. der passiven Synthesen dritten Grades. Durch dieses Echo mit seiner ursprünglichen Verzögerung und Verfrühung werden die wilden Wesen* im Beginn der Horizontalisierung des Schematismus zu Reminiszenzen und Vorahnungen erweckt und zugleich gesondert. Dieses Erwecken und Trennen der wilden Wesen* sind in der Flüchtigkeit des Pulsierens, dem unermüdlichen und unaufhörlichen Schmieden des Schematismus, zugleich Erwecken und »Vorhersehung«. Deshalb kann man wie in Phénomènes, temps et êtres sagen, daß die wilden Wesen* als Pseudo-Phänomene von für immer vergrabenen Phänomenen und als Pseudo-Schemata von Phänomenen, die auf immer den transzendentalen Vergangenheiten und Zukünften als schematischen entzogenen sind, scheinen. Es gibt also etwas wie eine nachträglich eingerichtete Harmonie zwischen der schematischen Vergangenheit und den wilden Wesen als Pseudo-Phänomenen, und zwar genau in dem Maße oder in der gleichen Zeit, als in der Kluft diese nachträglich hergestellte Harmonie sich in vorsorglich hergestellte Harmonie zwischen den wilden Wesen als Pseudo-Schemata und der schematischen Zukunft umkehrt. Das sind unaufhörliche und pulsierende Umkehrungen, welche die in der transzendentalen Vergangenheit proto-gezeitigten Welten mit den in der transzendentalen Zukunft proto-gezeitigten Welten miteinander verweben, in einer Verwebung des schematischen Fortschritts und Rückschritts, die seine ganze Proto-Räumlichung ausmacht. Diese Umkehrungen lassen die wilden Wesen sich an die Weltphase angliedern und lassen sie darin als Fetzen der Phänomenalität der über der Kluft der Welt schwebenden Welten scheinen. Daraus geht der wirklich entscheidende Punkt hervor, daß die wilden Wesen* in ihrer Verwebung, die ja die ursprünglich sowohl verzögerte als auch verfrühte schematische Verwebung ist, mittels derer sie zugleich entmischt und miteinander übereinandergeschoben werden, in der Welt zwar in ihrer Phase der Proto-Gegenwärtigkeit scheinen, aber keineswegs als ihr Zugehöriges: der in der blitzhaften Apperzeption des Denkens sozusagen unter Tausenden wiedererkennbare Zeuge ihrer ursprünglichen Wildheit ist ihre Nicht-Zugehörigkeit zur sich in der Proto-Gegenwärtigkeit ausbreitenden Welt, ihr Schwanken, ihr im Verhältnis zu all dem, was Zeit/Raum zu bilden vermag, unpassendes Scheinen zur falschen Zeit (am falschen Ort), ihr Mißklang, der allerdings insgeheim so weit in Einklang gebracht wird, daß sie wie harmonische Nach-Klänge und harmonische Vor-klänge anderer Welten scheinen, die nur durch ihre Abwesenheit »sind« oder scheinen (sollen). Immer im Überschuß (oder entsprechend: im Mangel) über jeden Durchgang, der davon gegenüber dem Sinn in der Proto-Zeit/dem Proto-Raum des Weltphänomens transpossibel scheint, scheinen sie sozusagen nur als solche, die alle zusammen kontrapunktisch aufeinander abgestimmt (concerté) sind, und zwar von den anderswo vergrabenen und entzogenen Rhythmen her, wobei sie sozusagen jede sprachliche Apperzeption zur Verzweiflung bringen und diese von vornherein mit einer unheilbaren Blutung schlagen. Umgekehrt scheint das, was diese begriffslose Kohäsion der wilden Wesen* in dem »Einen« des Weltphänomens ausmacht, selbst flüchtig, ephemer, nur erahnbar und radikal kontingent zu sein. Dieses »Eine« des Weltphänomens erhält seine Transpossibilität eben nur durch einen unendlichen Grund – dem Abgrund, dem Chaos im ur-
186 sprünglich griechischen Sinne –, u.z. einer phänomenologischen Vielfalt, die selbst gegenüber den Weltphäomenen transpassibel ist. Platons Parmenides wäre neu zu schreiben, eine zweifellos unmögliche Aufgabe, wenn man an eine ursprüngliche Vielfalt von radikal kontingenten und wechselseitig transpassiblen Einheiten (Uns) denkt: vielleicht werden wir darauf zurückkommen, zumal dies zum »verzweifelten« Versuch des archaischen mythischen Denkens »vor« der Gründung des Staates gehört, als sein noch radikal wilder Bestandteil, der den Kodierungen und Umkodierungen der symbolischen Stiftung entgeht. All dem ist gleich hinzuzufügen, daß die Verflechtung von schematischem Erwecken und »Vorhersehen« (divination) in den wilden Wesen* nicht eo ipso in der gleichen Weise unendlich ist wie die architektonische Unendlichkeit des transzendentalen Schematismus an sich – sonst würde nämlich auf dieser Stufe die transzendentale Illusion des Ganzen der transpassiblen Welten wieder eingeführt – sondern sie ist selbst endlich oder, was auf das gleiche hinausläuft, radikal kontingent: Erweckung und »Vorhersehung« scheinen wegen der radikalen Kontingenz der Phänomenalisierung dieses Weltphänomens, und diese für unendlich zu halten, hieße neuerlich anzunehmen, daß es im göttlichen Verstand ein Phänomen der Weltphänomene als anschauliches Phänomen gäbe, womit man zu einer aus der Onto-Theologie übertragenen Figur zurückzukehrte, in der alle Welten zum gleichen Weltphänomen einer »imaginären« Hintergrund-Welt vermischt wären. Dem ist deshalb nicht so, weil umgekehrt das schematische Erwecken und »Vorhersehen« sich phänomenologisch nur von Horizonten transzendentaler Vergangenheit und transzendentaler Zukunft abheben können, die an ihnen nicht teilhaben, und weil die wilden Wesen sie zu bevölkern suchen wie die Schuppen oder Fetzen von Weltphänomenen, Schuppen oder Fetzen, denen die proto-zeitlichen/proto-räumlichen Horizonte, gerade weil sie nicht an dieser Erweckung der wilden Wesen teilhaben, ihre unreduzierbare proto-zeitliche und proto-räumliche Tiefe des radikal Abwesenden oder des radikal Unzugänglichen geben, wodurch die wilden Wesen* einen proto-ontologischen Status annehmen. Das bedeutet, daß zu Beginn der schematischen Horizontalisierung immer ein unreduzierbarer Bestandteil der »Vermengung« bleibt, oder daß die wilden Wesen* in sich, in ihrer Verflechtung einen unreduzierbaren Anteil an Unbestimmtheit oder Dunkelheit im Sinne des Nicht-Erscheinens bewahren, der sie jeder eindeutigen »Gegebenheit« entzieht. Anders gesagt, gerade deshalb treten die wilden Wesen* pulsierend in das Scheinen nur mit einer oder eher mehreren unergründlichen Tiefen von Welten ein, scheinen also niemals vollständig gesondert, was sie wiederum auf den Status von unbewußten Identitäten zurückführte, d.h. von symbolisch zugeschnittenen »Signifikanten«. Sie heben sich also mit einer unreduzierbaren Verschwommenheit oder einem Hof von Unbestimmtheiten ab, und damit wird es zu einer geradezu übermenschlichen Aufgabe, sie blitzhaft zu apperzipieren. Es gibt sozusagen, jedenfalls aus architektonischer Sicht, im schematisch Unendlichen etwas, das sich jeder Phänomenalisierung – auch für und in Gott – verweigert, nämlich jener Teil, den wir den proto-ontologischen nennen. Die wilden Wesen* haben also einen doppelten Status, einen phänomenologischen und einen proto-ontologischen. Ohne den letzteren würden sie sich unweigerlich im »All-Phänomen« der Weltphänomene auflösen, d.h. in der transzendentalen Illusion par excellence, welches ein großes Selbst – nämlich das Gottes – voraussetzt und ein großes Denken, nämlich das eines göttlichen Verstandes, der anschaulich und unendlich ist, was hier »grenzenlos« bedeuten soll – wir werden während unserer spezifisch auf die Architektonik gerichteten Betrachtungen auf diese neue architektonische Gestalt des Unendlichen zurückkommen.
187 Daß die proto-ontologische Tiefe in der schematischen Tiefe wieder ins Spiel gebracht wird, bleibt nicht ohne Folgen auf die Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung. Dies führt nämlich dazu, daß die proto-zeitigende/proto-räumlichende Kluft in den Reminiszenzen und Vorahnungen als das aufbricht, was sie als Reminiszenzen und Vorahnungen von ihren proto-ontologischen Horizonten distanziert. Diese Kluft zieht nämlich auch umgekehrt die schematische Vergangenheit der Reminiszenz zur proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit hin, wobei sie die schematische Vergangenheit in den Zukunfts-Horizont der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit verwandelt. Entsprechend zieht sie die transzendentale Zukunft als Vorahnung zur proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit hin, wobei sie die erstere in den eigenen Vergangenheits-Horizont der letzteren verwandelt. Damit wird auf eine wieder andere Weise die Entmischung des Schematischen (des schematisch Gesonderten) vom Proto-Ontologischen ausgedrückt. So können wir für den ersten Fall von einer Zukunft in der Vergangenheit der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit sprechen und im zweiten Fall von einer Vergangenheit in der proto-ontologischen transzendentalen Zukunft, was nun die innere ProtoZeitigung der proto-ontologischen Horizonte durch den Schematismus bedeutet, anders gesagt: das blitzhafte Apperzipieren anderer Weltphänomene als trans-passible, oder auch das blitzhafte Apperzipieren passiver Synthesen dritten Grades in ihrer Transpassibilität, als passive Synthesen anderer Weltphasen oder anderer Weltphänomene als schematische Phasen. Es gibt also eine Art von »Fortpflanzungs«-Effekt der schematischen Horizontalisierung auf die proto-ontologischen Horizonte, den wir noch nicht berücksichtigt haben. Man könnte mit anderen Worten auch sagen, daß die schematische transzendentale Vergangenheit mit einer proto-ontologischen transzendentalen Zukunft versehen zu sein scheint, die durch die schematische transzendentale Zukunft erweckt wird, und daß die schematische transzendentale Zukunft mit einer proto-ontologischen Vergangenheit versehen zu sein scheint, die durch die schematische transzendentale Vergangenheit erweckt wird, und zwar in einer sowohl verzögerten als auch verfrühten schematischen Verflechtung in den wilden Wesen*. Außerdem, daß es das Aufblühen des Schematismus im Proto-Ontologischen kennzeichnet, daß das in dieser Verflechtung als transzendentale Vergangenheit und transzendentale Zukunft (nämlich als schematische) Scheinende nur deshalb so scheint, weil es aus seiner Kluft heraus einerseits auf eine noch vergangenere Vergangenheit als die Vergangenheit (und auf eine Vergangenheit die weniger vergangen scheint), andererseits auf eine noch zukünftigere Zukunft als die Zukunft (und in eine weniger zukünftigere Zukunft) zu öffnen scheint. Dies macht aus der in der Verflechtung scheinenden (schematischen) Vergangenheit und Zukunft so etwas wie Quasi-phasen der Welt, d.h. eigentlich von Weltphänomenen, die immer schon verschüttet und immer noch entrückt sind. Als ob es eine transzendentale Vergangenheit als Proto-Gegenwärtigkeit mit ihren transzendentalen Vergangenheits- und Zukunftshorizonten gegeben hätte und als ob es eine transzendentale Zukunft als Proto-Gegenwärtigkeit mit ihren transzendentalen Vergangenheits- und Zukunfts-Horizonten geben sollte: »als ob«, weil die Proto-Gegenwärtigkeit eine Kluft ist, die sich nicht wie ein Ort oder Ortschaften abzeichnet, sondern (in radikaler Kontingenz) »jeweils«, sozusagen als eine transzendentale Matrix von Orten. Diese Quasi-Weltphasen sind zeitlos, jenseits aller Zeitlichkeit, nicht Gegenstände der Erinnerung oder Antizipation, sondern der transzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen und zudem Gegenstände in der Vielfalt schematischer Überkreuzungen dieser vielfältigen Quasi-Phasen. Das ist eine
188 andere Weise, den »Fortpflanzungs«-Effekt auszudrücken, von dem wir eben gesprochen haben. Es mag ganz andere Weltphänomene gegeben haben und wird auch andere geben als das Weltphänmen, in dem ich ich bin, und zwar deshalb, weil ich in meiner Selbstheit darin pulsiere, wie in seiner Proto-Gegenwärtigkeit, deren Transpossiblitität mir und damit meinen Möglichkeiten des Existierens, einschließlich meiner eigensten Möglichkeit grundsätzlich entgeht: ich habe davon einfach weder Erinnerung noch Antizipation, es entstammt einem anderen Leben vor meiner Geburt oder nach meinem Tod, aber es kann etwas davon eben durch die wilden Wesen* erwachen oder sich vorhersehen lassen. Es ist etwas, das ich nicht in einem bestimmten Moment der Zeit leben konnte, da ich abwesend war, und etwas, das ich niemals für einen anderen bestimmten Zeitmoment zu leben planen kann, da es die Vorstellungskraft übersteigt, die ich mir zutrauen kann. In uns schlummert vieles seit jeher, das niemals erweckt, noch jemals vorhergesehen werden wird. Um Shakespeare in unseren Worten zu paraphrasieren: es gibt mehr Erden und Himmel als sich die Weisheit träumen lassen kann. Und dies weiß ich nur durch die Transpassibilität von Welten als Phänomene in dieser Welt als Phänomen. Diese Transpassibilität durchzieht allseits das, was ich für mein Leben halte, in seiner immer neu ansetzenden Anfänglichkeit (inchoativité), d.h. vor jeder Trennung in Befindlichkeit, Sinnlichkeit und Denken. Denn wir müssen noch einen anderen »Fortpflanzungs«-Effekt hervorheben: ebenso wenig wie die wilden Wesen* diesem Weltphänomen angehören, in dem sie begriffslos und ohne Selbst als (in dieser Phase) angegliederte Fetzen der Phänomenalität scheinen, so haben sie niemals jenem anderen Weltphänomen angehört und werden dies auch niemals tun, das von seiner transzendentalen Vergangenheit her als vergangen oder von seiner transzendentalen Zukunft her als zukünftig angenommen wird: die wilden Wesen sind so gesehen immer die ursprünglich verzögerte und verfrühte Wiedereinschreibung der schematischen Verflechtung der auf immer verschütteten und entzogenen Weltphänomene in diesem Weltphänomen, das sich als schematische Phase der Proto-Gegenwärtigkeit entfaltet. Und zwar auch deshalb, weil umgekehrt auch die unaufhörliche schematische »Arbeit« der Welten niemals selbst den Weltphänomenen angehört, denn es gibt einen ursprünglichen und abgründigen Abstand zwischen dem unendlichen und architektonisch »göttlichen« Schematismus und den Weltphänomenen, die sich darin phänomenalisieren sollen. Deshalb kann auch Gott, wenn er existiert, keine intellektuelle Anschauung der Weltphänomene insgesamt oder jeweils einzeln getrennt haben. Es gibt, wie wir es von unseren Recherches phénoménologiques an gesagt haben einen abgründigen Riß zwischen dem Schematismus und seinem Vollzug. Und zwar weil, wie wir sehen, der Schematismus nur ein solcher der Kluft sein kann, was jede Identität des Schemas mit sich selbst ausschließt: es ist in unserer Terminologie eine Kluft der ursprünglichen Verdrehung der Weltphänomene oder der Weltphasen, in denen der Schematismus sich blitzhaft apperzipiert. Man kann auch, um die Lage klarer zu machen, die Sache vom phänomenologischen Ursprung des Sprachlichen her reflektieren, indem man das herausarbeitet, was darin fehlt, damit sich die sprachlichen Phänomene als nun im eigentlichen Sinne Gegenwärtigkeitsphasen entfalten können. Für die in den wilden Wesen* verwobene Kluft ist kennzeichnend, daß in ihr sich etwas von der schematischen transzendentalen Vegangenheit unerinnerbar verborgen zu haben scheint, aber zu früh, um darin noch einen Sinn als Sinn der Vergangenheit (Erinnerung) ansetzen zu können, also im Kurzschluß jeder sprachlichen Gegenwärtigkeitsphase, die gewesen wäre, und
189 dazu gehört auch, daß sich etwas von der schematischen transzendentalen Zukunft unkorrigierbar »unreif« entziehen zu müssen scheint, zu spät, um darin noch ProtoProtentionen unterbringen zu können, die Sinn als Zukunfts-Sinn (Sinnversprechen als sein Eintreffen) in Gang setzen würden, also gleichermaßen im Kurzschluß jeder sprachlichen Gegenwärtigkeitsphase, die sein könnte. Die sich in den wilden Wesen* vollziehende Verflechtung verwebt zwar das Etwas der schematischen transzendentalen Vergangenheit mit dem Etwas der schematischen transzendentalen Zukunft, aber so, daß die vergangene Zukunft in der Vergangenheit der Vergangenheit und die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft der Zukunft nicht in die Proto-Gegenwärtigkeit fallen, sondern sozusagen außerhalb als die äußeren Ränder einer Kluft ohne Boden, als das in der Gegenwärtigkeitsphase nur blitzhaft apperzipierbare Unzugängliche, das je schon unzugänglich ist, da immer schon verloren, und auf immer unzugänglich bleibt, da gleichermaßen entrückt, und zwar sobald das sprachliche Phänomen einsetzt, das aber doch nur wegen dieser prinzipiellen Unzugänglichkeit äußerlich bleibt und sich durch dieses Äußere einen Weg bahnt. Dieser Weg öffnet sich also nur kurz, wenn sich ein Spalt zwischen dem zu spät und dem zu früh flüchtig auftut – ein Spalt, der in der Zeit der Gegenwärtigkeit den Abschluß der Horizontalisierung bewirkt. Als ob die proto-ontologischen Horizonte der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft sich als solche nur vom Sprachlichen her öffnen könnten, und als ob nur vom Sprachlichen her die wilden Wesen* zu ihrem doppelten phänomenologischen und proto-ontologischen Status vollen Zugang hätten, in dem phänomenologischen »Zittern« oder »Bewegen«, das die passiven Synthesen zweiten Grades in ihrem doppelten Aspekt – vom Sprachlichen und Außersprachlichen her – spielen läßt, und zwar in der blitzhaften Apperzeption, in der sozusagen die wilden Wesen* etwas von ihrem Status der »rein« außersprachlichen wilden Wesen* verlieren. Die in Bezug auf sich »selbst« verfrühte und verspätete schematischen Wiedereinscheibung in der Verflechtung der wilden Wesen* wird gewissermaßen von einer schematischen Wiedereinschreibung zweiten Grades, nämlich des Sprachlichen, überschrieben. Diesmal sind das »zu spät« der wilden Wesen* in Bezug zur transzendentalen Vergangenheit und ihr »zu früh« in Bezug auf die transzendentale Zukunft in sich selbst gespalten als das »zu früh« eines Sinnes, der sich protentional in seinem Versprechen angekündigt hat, und als das »zu spät« eines insofern gewichtigen Sinnes, als er immer schon unter der Anforderung, sich treu zu sein, steht, was bekanntlich die Zeit auf die Zeit hin öffnet, d.h. was das Be-wußtsein als eine Zeit (Gegenwärtigkeit) auftut, die in der Zeit (Gegenwärtigkeit) eingeschlossen ist, als eine Zeit, die sowohl schneller als auch langsamer als sie selbst verläuft. Es ist also umgekehrt so, als ob in der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung die Zeit zu schnell laufen würde, um sich einfangen und sich als Zeit begegnen zu können, und als ob sie entsprechend zu langsam laufen würde um sich wieder einholen zu können. Als ob also die Zeit sich in ihrer Selbst-Auslöschung selbst abhanden käme, wodurch sie nur noch im Pulsieren erahnbar ist, u.z. sowohl im immer schon Verschütteten der transzendentalen Vergangenheit – dem Vergessen von etwas, das niemals die Zeit hatte, sich in der Zeit zu entfalten –, und in dem immer weiter Entrückten der transzendentalen Zukunft – dem unwiederbringlichen Verlust von etwas, das niemals die Zeit haben wird, sich zeitgerecht zu entfalten. Wir berühren hier fast das für den Zusammenbruch der Psychose Entscheidende, wobei aber in ihr die wilden Wesen* sich auf rätselhafte Weise fixieren und sich als »Signifikanten« festsetzen, die gewissermaßen in vollem Licht allen sichtbar scheinen (Freud, Lacan), in einer blinden symbolischen Rekodierung, die das Denken spaltet und in der »Außerzeitlichkeit«
190 des »Signifikanten« und der leer gewordenen Zeit blockiert, wobei die Faktizität ihres Sinnes entleert und der Trägheit der Faktualität überantwortet wird. Diese unendliche Nähe beider »Delirien« wird aber dennoch durch einen Abgrund – die Kluft – getrennt, denn der phänomenologische Fall ist von äußerster Mobilität und Subtilität gekennzeichnet, während im psychotischen Fall eine nicht weniger extreme Festigkeit und Massivität herrscht. Aber dies läßt uns verstehen, daß es beim »Eintritt« in die Psychose zweifellos immer einen phänomenologischen »Moment« gibt, der mehr oder weniger weit geöffnet ist und sich mehr oder weniger schnell wieder schließt, – was zum Beispiel auf besonders lebhafte Weise Aurelia von Gerard de Nerval bezeugt: es gibt beim »Eintritt« in die Psychose einen »Moment« des phänomenologischen Erhabenen, der sich aber in der Katastrophe, d.h. zum Schaden für das Bewußtsein kurzschließt. Es ist, als ob die Ahnung von der drohenden Selbst-Auslöschung des Denkens sich nur dadurch zur Apperzeption weiterentwickeln könnte, wenn die Flüchtigkeit und Undeutlichkeit der wilden Wesen* in harte und aggressive symbolische Verdichtungen umgewandelt wird, in denen die Faktizität der sich bildenden Sinnregungen aus den Fugen geraten und nun außer sich ist. Wir werden Gelegenheit haben, auf diese architektonische Lage des »pathologischen Wahnsinns« im Verhältnis zum »philosophischen (oder »phänomenologischen«) Wahn« zurückzukommen. Jedenfalls ist im gegenwärtigen Stadium unserer Meditation als Unterschied zwischen ihnen die sich innerhalb der wilden Wesen* vollziehende Proto-Räumlichung/Proto-Zeitigung festzuhalten, die ihnen eine proto-zeitliche und proto-räumliche Dichte an vergangener Zukunft in der Vergangenheit der transzendentalen Vergangenheit und an zukünftiger Vergangenheit in der Zukunft der transzendentalen Zukunft gibt, zweier abwesender Quasi-Phasen, die in dieser Abwesenheit und von außen an die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit, d.h. an das Weltphänomen angrenzen. Die »Tatsache«, daß die vergangene Zukuft in der Vergangenheit der Vergangenheit und die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft der Zukunft sich kreuzen, indem sie innerhalb dessen sich begriffslos und ohne Selbst »reflektieren«, besteht wohlgemerkt in der Proto-Räumlichung (der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit) in der Proto-Zeitigung, d.h. in der von uns so genannten schematischen »Wiedereinschreibung« in den Schematismus selbst. Dies bewirkt, daß die wilden Wesen* niemals einem bestimmten Weltphänomen angehören, sondern wie die Zeugen seiner Transpassibilität gegenüber anderen in die Abwesenheit verdrängten und entrückten Weltphänomenen sind. So gesehen ist die schematische »Wiedereinschreibung« nichts anderes als die »Transponierung« – und zwar durch Transpassibilität – der passiven Synthesen dritten Grades in die passiven Synthesen zweiten Grades. Müssen nun die ersteren wie die letzteren auch einen doppelten Aspekt haben? Dieses schwierige Problem können wir nun angehen. Zwar haben wir von der Seite des allgemeinsten Schematismus der Phänomenalisierung her – also vom Außersprachlichen her und in der Wildheit der Ursprünge – gerade den Status der passiven Synthesen dritten Grades herausgearbeitet, aber wie werden sie nun von der Seite des Sprachlichen her ins Spiel gebracht, d.h. durch die Öffnung der Spaltung in ihnen? Wie, anders gesagt, kann es von ihnen Zeugen in den phänomenologischen »Zeichen« geben, oder eher in dem, was innerhalb der sprachlichen Rhythmen sie mit ihren Mißklängen kontrapunktiert, die dennoch unterschwellig oder hinterrücks insgeheim abgestimmt werden? Wie kann man die phänomenologische Epoché des Sprachlichen bis zu diesem Punkt verfolgen, an dem die Spaltung des Sinns zur Kluft implodiert? Welche wechselseitige Wirkung besteht in der schematischen Wie-
191 dereinschreibung, die sich in den wilden Wesen verwebt, zwischen den passiven Synthesen dritten Grades und der schematischen – und sprachlichen – Wiedereinschreibung zweiten Grades? Die Beantwortung dieser Fragen verlangt die nähere Untersuchung, worin die Ursprünglichkeit des sprachlichen Schematismus besteht – den es darin wohl geben muß, wenn man, wie wir es immer getan haben, in Betracht zieht, daß es sprachliche Phänomene als Weltphänomene gibt. Das bereits Gesagte hilft uns dabei schon, weil sich der Spalt zwischen dem »zu spät« der Reminiszenzen und dem »zun früh« der Vorahnungen einrichtet, als ob das ganze Vermögen der fungierenden Sprache darin bestünde, sowohl das »zu früh« zu antizipieren, ihm vorauszulaufen, um es zu überholen, als auch auf das »zu spät« zurückzukommen und es wieder einzuholen, also der Selbst-Auslöschung des Denkens, die sich im Pulsieren blitzhaft apperzipiert, vorauszueilen und es wieder einzuholen. Oder als ob es dem Denken (also dem Sprachlichen) in der gleichen Bewegung gelänge, sich zwischen die vergangene Zukunft in der Vergangenheit der transzendentalen Vergangenheit und dieser »selbst« und zwischen die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft der transzendentalen Zukunft und dieser »selbst« hineinzudrängen, um in der gleichen Phase, nunmehr der Gegenwärtigkeit, die vergangene Zukunft in der Vergangenheit der Vergangenheit und die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft der Zukunft wieder miteinander zu verschmelzen, wobei sie die ihnen innewohnende Proto-Zeitigung zur Zeitigung verwandelt, in der die erste als Retention und die zweite als Protention erscheint. Besteht nicht die kohärente Verformung des Sprachlichen, die all das ausmacht, was wir als die ursprüngliche Verdrehung der sprachlichen Phänomene bezeichnen, in dieser besonderen Verwandlung, in der die Retention als eine Vergangenheit erscheint, die (gegenwärtig) gewesen ist, aber noch ihre Zukunft enthält, und in der die Protention als eine Zukunft erscheint, die (vermutlich gegenwärtig) sein wird, aber schon ihre Vergangenheit in sich trägt? Diese Frage ist um so mehr gerechtfertigt, als die Verformung nicht eindeutig ist und man ebenso gut sagen kann, daß in transpassiblem Echo zur Verflechtung die vergangene Zukunft in der Vergangenheit der Vergangenheit als Protention erscheint, als Erwachen oder Öffnung dieser Zukunft auf ihre Vergangenheit, und daß die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft der Zukunft als Retention erscheint, als Erwachen oder Öffnung dieser Vergangenheit auf ihre Zukunft – und das Possessivpronomen wird eben durch die Spaltung des auf sich selbst bezogenen Sinns ermöglicht, wobei das »selbst« des »seiner selbst« diesmal ohne phänomenologische Anführungszeichen gesetzt werden muß, weil es sich hier um das Ipse des Sinns handelt. Das ist ein Paradox des Sprachlichen, das in seinem Erwecken noch schneller und langsamer verläuft als seine erahnte Selbst-Auslöschung. Dieses Paradox gehört nun aber der Transpassibilität und entsprechend der Transpossibilität an, weil diese Hyper-Schnelligkeit und diese Hyper-Langsamkeit konkret sich nur in der Verflechtung der wilden Wesen* »selbst« vollziehen, mit der Wirkung, daß sie noch mehr voneinander zugunsten der phänomenologischen »Zeichen« des Sinnes abgesondert, also nach dem a priori komplexen Rhythmus der Zeitigung/Räumlichung neu verteilt werden. Diese Hyper-Schnelligkeit und diese Hyper-Langsamkeit machen das Pulsierens des Selbst – und damit den phänomenologischen Ursprung des Sprachlichen – zwischen seinem Verschwinden (seiner Selbst-Auslöschung) und seiner Entstehung (seinem Wiederauftauchen) aus, wobei aber diese sich eben nur als eine sich selbst vorausgegangene Erscheinung wieder aufnimmt, als ob für das Denken das Wiederauftauchen die Begegnung mit diesem Denken als eines solchen wäre, das es erwar-
192 tet, um zu existieren. Das läßt uns wieder anders die Merkwürdigkeit im sprachlichen Schematismus verstehen: wegen dieser Horizontalisierungsweise des Schematismus erscheint das, was nicht anders als das Denken erscheinen kann (der Sinn, das Sprachliche), sowohl sich vorauszueilen als auch sich wieder einzuholen. Und gerade das kann zur (transzendentalen) Illusion führen, daß es außerhalb des Denkens oder des Sprachlichen nichts geben kann – das ist vielleicht die äußerste Gestalt der transzendentalen Illusion, aus der das ontologische Simulacrum besteht. Man kommt schnell von dieser vielleicht schmerzlindernden Illusion ab, wenn man bedenkt, daß das hier in seiner phänomenologischen Konkretheit gefaßte Denken wild und in diesem Sinn anonym ist, eine Anonymität des Sinns, der sich ansetzt, indem er die Proto-Zeitigung noch weiter durch Zeitigung horizontalisiert; hinzu kommt, daß diese Wildheit weit davon entfernt ist, jemals die außersprachlichen wilden Wesen* in sich aufzusaugen, die sie weiterhin kontrapunktieren, sei es als Mehrdeutigkeit der Sinnfetzen (der »Zeichen«) im Sinn. Verstehbar wird wenigstens, daß demnach der Ursprung des Sprachlichen immer jenseits alles ontologisch-existential Möglichen sich in der Transpassibilität abspielt als dem im phänomenologischen Erhabenen vollzogenen Gang durch den Tod, und in der Transpassibiltät dieses oder jenes Sinns, der sich ansetzt und sich zu dem hin aufmacht, was ihn in seinem Abenteuer immer wieder mit dem Tod bedroht, wobei diese Bedrohung nicht nur andere transpassible Sinnregungen, sondern auch die außersprachliche Wildheit der außersprachlichen wilden Wesen* in der sprachlichen Zeitigung/Räumlichung betrifft. Die wilden Wesen* verlieren sozusagen nur sehr wenig von ihrer ursprünglichen Wildheit – ihrem Hof an Unbestimmtheit oder ihrer Verschwommenheit –, wenn sie in einen phänomenologischen Rhythmus des Sprachlichen wiederaufgenommen werden (welches von den ausgefeilten Wörtern seiner symbolischen Stifung zum Sprachsystem weit entfernt ist). Gerade deswegen enthält jedes sprachliche Phänomen immer die Spuren der Transpassibilität, die damit doppelt erscheint, weil sie nicht nur Transpassibilität dieses Phänomens gegenüber anderen außersprachlichen Weltphänomenen ist, sondern auch seine Transpassibilität gegenüber anderen sprachlichen Welt-Phänomenen – darin kann man sogar bei genauerem Durchdenken die letzte phänomenologische Bedingung dessen erkennen, was Husserl die Intersubjektivität nannte. Es gibt also einen doppelten Aspekt der Transpassibilität und der Transpossibilität, einen doppelten Aspekt der passiven Synthesen dritten Grades, der sich auch in paralleler Entsprechung an den doppelten Aspekt der passiven Synthesen zweiten Grades mit innerer Notwendigkeit angliedert. Was die ersteren und die Angliederung ihres doppelten Aspekts angeht, kann man sagen, daß der Schematismus sich für die außersprachlichen und für die sprachlichen Phänomene auf die gleiche Weise abspielt, denn darin treibt die gleiche Transpassibilität und die gleiche Transpossibilität ihr Wesen. Aber diese Parallelität schließt nicht aus, sondern schließt vielmehr ein, daß im Fall der sprachlichen Phänomene die passiven Synthesen dritten Grades einen ganz anderen Aspekt annehmen, da die sprachlichen Phasen zumindest auf transpassible Weise jeweils Phasen sind, die als Gegenwärtigkeitsphasen stattgefunden haben konnten oder werden stattfinden können. Muß man daraus schließen, daß sie immer schon stattgefunden haben und daß sie immer noch stattfinden werden können? Das ist längst nicht so einfach, und genau das ist nun genauer zu untersuchen. Vieles wird klarer werden und wird uns erlauben, all die falschen Probleme und Paradoxa der linguistischen Theorien der fungierenden Sprache aufzudecken.
193 Es ist entscheidend, daß jede sprachliche Gegenwärtigkeitsphase im Verhältnis zu jedem angenommenen zeitlichen Kontinuum diskontinuierlich ist und sich innerlich auf dem horizontalen, nicht teleologischen Grund der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft reflektiert. Ihre Diskontinuität im Verhältnis zu jedem angenommenen Kontinuum, das nur formal, sogar »uni-form« und nachträglich rekonstruiert ist, hängt wesentlich von ihrer Endlichkeit (und ihrer Faktizität) ab, nämlich davon, daß phänomenologisch der Sinn nie in der vom symbolischen Horizont der symbolischen Stiftung herrührenden Bedeutung zur Übereinstimmung mit sich selbst gelangen wird. Sie hängt anders gesagt damit zusammen, daß der Beginn der Zeit (Gegenwärtigkeit) selbst zeitlich ist und daß der Sinn sich schon in den Protentionen und Retentionen gezeitigt hat oder daß im Gegensatz zu dem, was sich mit den Proto-Gegewärtigkeits-Phasen abspielt, die zeitlichen Horizonte ihm angehören und ins Innere einer Gegenwärtigkeit fallen, die sein wird und gewesen ist, wobei der Riß des Sinns oder der Gegenwärtigkeit die Schieflage ist, die sich im ursprünglichen Abstand zwischen beiden verräumlicht. Dieser Abstand hält sich seinerseits nur, wenn er sich von einer Spaltung in der Kluft abhebt, anders gesagt, wenn es eine Art ursprüngliche Anziehung der Pole der Spaltung durch etwas ihnen Vorausgehendes gibt, wobei die retentionale Vergangenheit von der transzendentalen Vergangenheit und die protentionale Zukunft von der transzendentale Zukunft »angezogen« wird (und umgekehrt, wenn man die Sache ausschließlich vom Blickwinkel der sprachlichen Phänomen aus betrachtet). Mit anderen Worten: der Sinn kann nur dann Sinn von etwas anderem sein als er selbst – mithin Sinn von außersprachlichen Weltphänomenen – wenn sein innerer Abstand im Verhältnis zu sich selbst sich mit innerer Notwendigkeit an einen äußeren Abstand angliedert. Demnach sogar das, was ihn in der Gegenwärtigkeit des sich bildenden Sinns sich mit dem Anspruch suchen läßt, sich selbst treu zu sein, während er sich selbst nicht anders »kennt« als durch das noch nicht erfüllte Versprechen seiner selbst, gliedert sich sein interner Abstand mit innerer Notwendigkeit an einen äußeren Abstand an, der die komplexe Vielfalt seiner Bezüge durch seine phänomenologischen »Zeichen« in die Gegenwärtigkeit eintreten läßt und der seit jeher und auf immer unmöglich zu erfüllen ist. Die Endlichkeit kommt also der Zugehörigkeit der zeitlichen Horizonte für die Gegenwärtigkeit zu und sie reflektiert sich als solche nur, d.h. als immer schon über den Abgrund gespannte Faktizität des Vergessens und der Unschuld, indem sie sich von dem ihr Äußeren abhebt, was nur die Kluft zwischen der unerinnerbaren transzendentalen Vergangenheit und der ungereiften transzendentalen Zukunft sein kann, die Kluft zwischen dem Vergessen und der Unschuld, die eigentlich dem Ursprung angehören. Die ganz relative Gegenwärtigkeit des Sinns zu sich selbst hebt sich also nicht von etwas ab, das noch Zeit wäre (eine Gegenwärtigkeit, die gewesen ist und eine Gegenwart, die sein wird) und auch nicht von etwas, das noch (durch die sich bildende Gegenwärtigkeit entfalteter) Raum ist , sondern von dem, was sich als Proto-Zeit/Proto-Raum erweisen wird. Aber, könnte man sagen, die einmal eingeführte Gegenwärtigkeit wird doch niemals verschwinden. Damit wäre man aber wiederum das Opfer der Illusion vom raumzeitlichen Kontinuum – und, wenn man das Kontinuum als Phänomen nimmt, der transzendentalen Illusion, wie Kant bereits nachgewiesen hat –, denn die Gegenwärtigkeit ist ebenso vergänglich wie der sich bildende Sinn, da sie sich verflüchtigt, wenn der Sinn, kurz bevor er sich mit sich selbst erfüllt, vergeht, wenn die Vergangenheit nicht mehr das Versprechen einer Zukunft enthält, und wenn die Zukunft durch das sich bereits in der Vergangenheit Entfaltete völlig versperrt ist, was man
194 insgesamt das unvermeidliche Altern und die wirkliche Erschöpfung des Sinns nennen kann. Die Frage ist zu beantworten, wohin der Sinn, d.h. die gesamte Gegenwärtigkeitsphase, bei einem solchen Schwinden geht. Das kann nur der Ort eines Gedächtnisses von dem sein, das zumindest einmal Gegenwärtigkeit gewesenen ist. Wobei er sich – wie wir uns erinnern – nur in der Vergangenheit niederschlagen kann, wenn er unwiderstehlich durch den Horizont der transzendentalen Vergangenheit als dem von uns nun so genannten und von dem Massiv der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit zu unterscheidenden Massiv der Vergangenheit »angezogen« wird. Wenn sich der Sinn im Massiv der Vergangenheit niederschlägt, hat er sich tatsächlich aufgelöst, d.h. ist zu dem Quasi-Phase-Zustand der schematischen transzendentalen Vergangenheit zurückgekehrt, in dem die Auflösung gleichbedeutend mit der Wiederöffnung der Kluft zwischen den proto-zeitlichen Horizonten ist. Der Schlaf der Erinnerung in der Vergangenheit bedeutet also nicht ihren endgültigen Verlust, ihre Durchmischung, die sie im phänomenologischen Apeiron auslöschte, sondern ihre Rückkehr zum wilden Zustand, in dem die phänomenologischen »Zeichen« sich in der den wilden Wesen* eigenen Verwebung kreuzen, implodieren und explodieren. Dieser Schlaf bedeutet also, daß in der Erinnerung ihre eigenen verwobenen Horizonte der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft wieder eröffnet werden, deren transpossible Spaltung sie neuerlich zum Versprechen einer Zukunft wieder öffnen kann. In diesem Sinn ruft die Erinnerung niemals das Vergange so wieder auf,so wie es gewesen ist – das Trügerische der Erinnerung ist geradezu sprichwörtlich – sondern bildet deren Sinn in der Gegenwärtigkeit mit ihrer Distanz zur Vergangenheit neu. Die Vergangenheit verstreicht und geht also unwiderruflich verloren, weil wohl eine Komplizenschaft mit der transzendentalen Vergangenheit da ist, wiedergefunden werden kann sie aber in der Gegenwärtigkeit der Erinnerung eben als ein Sinn, der unter allem anderen durch seine Selbstheit wiedererkennbar ist und der jener als eine Vergangenheit angehört, die in der Gegenwärtigkeit wiederhergestellt und wieder reflektiert werden kann. Von der Gegenwärtigkeit der Erinnerung her entdeckt sich also die Vergangenheit als Sinn im Vergangenen des Vergangenen, ein Sinn der noch sein Versprechen einer Zukunft gerade deshalb bewahrt, weil der Horizont der transzendentalen Zukunft, von dem aus er sich abhob, heute wie damals immer gleich »jung« ist, also insofern transzendentale Vergangenheit und transzendentale Zukunft nicht altern – sich auch nicht verjüngen –, indem sie sozusagen mit der gleichen Frische ihre Ladung an Unerinnerbarkeit und ihre Fracht an Ungereiftem behalten. Das macht zweifellos das Unerträgliche des Alterns im menschlichen Leben aus: die Erinnerungen nämlich altern gerade durch ihren Gehalt an Unerinnerbarkeit und Unreife nicht. Dies ist ein Zeichen der Schieflage der Zeit in der noch grundätzlicheren Schieflage der Proto-Zeit. Ein solcher Durchgang durch den Tod läßt den Tod als endgültige Vernichtung noch unerträglicher werden. Das heißt nun umgekehrt, daß dem Massiv der Vergangenheit als Ort der Rückkehr zur Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung der Gegenwärtigkeits-Phasen der Sinnregungen seinerseits durch diese Rückkehr das Massiv der Zukunft entspricht, das Massiv trans-passibler Sinnregungen – der Transpassibilität des immer »transpotentiellen« Erwachens von Erinnerungen. Vom Phänomenologischen aus, das ganz anderer Art als das symbolische Feld ist, in dem sich immer irgendeine »Mnemotechnik« ausbilden kann, hat die Erinnerung sehr viel mehr mit der Reminiszenz zu tun, der man nicht befehlen und die man nicht beherrschen kann, als mit der Anamnese, die nun sich immer mit einer symbolischen Stiftung der Vergangenheit artikuliert,
195 d.h. mit ihrem Zuschnitt oder ihrer Kodierung als »Signifikanten«, die man etwa wie die Utensilien in einer Werkstatt oder einem Haus immer wiederfinden kann. Die symbolische Stiftung ist eigentlich immer die eines Systems von Zeichen, die ihre Strukuren, Benutzungsregeln und ihre Gesetze haben, und insofern die Linguistik diesem Bild verfallen ist, erweckt sie den Eindruck, als spräche ich nur, indem ich aus der »Schatztruhe« der Sprache die Zeichen je nach Bedarf hole, als ob ich, um Zugang zum Sinn – auch der Vergangenheit – zu finden, ganz wie nach dem Muster einer mnemotechnischen Werkstatt über eine Werkstatt der Sprache und darüber hinaus über ein Dispositiv von symbolischen Werkstätten verfügte. Im Zeichen dieses »Als ob« schlüge alles ins Unzeitliche um – was eine spezifische Eigenschaft der symbolischen Stiftung ist – und die Zeit könnte entsprechend nur in der Einheitlichkeit einer lebendigen, unendlich fließenden Gegenwart vereinnahmt werden – ein ferner Nachklang dessen, was wie bei Husserl der Sinn jedes möglichen Sinns noch sein könnte. Weil also die Phase der Gegenwärtigkeit auf eine ihr äußerliche transzendentale Vergangenheit und Zukunft geöffnet ist, ist sie in sich mit der sich reflektierenden Selbstheit eines immer zukünftig auf trans-potentielle Weise wiedererkennbaren Sinns versehen. Diese Selbstheit reflektiert sich in der Transpassibilität des Massivs der Zukunft als die gleiche – aber ganz ohne Identität – Selbstheit des als vergangenem wiedererinnerten Sinns, der als solcher in der Gegenwart mit seiner Distanz der Vergangenheit wiederhergestellt wird. In den Gegenwärtigkeitssphasen herrscht eine derartige Diskontinuität, daß nicht wie bei Husserl (oder sogar noch bei Heidegger) die Zeit selbst die Last der Wiedererinnerung trägt – als ob die Zeit in ihrem Vergangenheitshorizont und von ihm her sich ein- und abrollte, was die klassischen Aporien eines Vergangenheitsbewußtseins aufkommen läßt, das wie eine immer weniger freie Tafel durch die ständigen Einschreibungen der Vergangenheitsphasen überfüllt wird. Die Wiedererinnerung wird vielmehr von der Proto-Zeit getragen, und, wie man hinzufügen muß, vom Proto-Raum als der Verwebung der Horizonte der ProtoZeit, in welchen der Sinn schließlich versinkt, ohne aber sich zu vernichten. Der Sinn schreibt sich also nur in die sehr aktive Abwesenheit der Proto-Zeit/des Proto-Raums in der Zeit ein, eine Abwesenheit, aus der er immer mit der ihr eigenen Frische wieder auftauchen kann – deren Unerinnerbarkeit und Ungereiftheit altern nicht, und der Sinn, um einen Ausdruck Platons im Parmenides aufzugreifen, ist immer sowohl älter als auch jünger als er selbst, und zwar durch seine Transpassibilität gegenüber sich selbst. Wenn ich Sinn bilde, hole ich demnach nicht die phänomenologischen »Zeichen« als Accessoires oder Utensilien aus irgendeiner Schatzkammer oder Werkstatt heraus, vielmehr kommen sie »spontan« zum sich bildenden Sinn aus ihrer proto-zeitlichen und proto-räumlichen Tiefe heraus und dies mit einer unverdorbenen Frische, wenn der Sinn sich nicht auf das Feld der bereits gesagten, bis hin zum Abgedroschenen abgenutzten Dinge beschränkt. Mit der Geburt des Sinns wird keineswegs alles gleich Sinn, denn das wäre die rückwirkende transzendentale Illusion eines Sinns, der noch ganz über sich selbst staunt und sozusagen vom Enthusiasmus seiner noch nicht vom Altern befallenen Lebendigkeit gepackt ist. Ganz im Gegenteil haben die Sinnregungen als lebhafte Gegenwärtigkeitsphasen nur die Chance ihrer »ewigen« Jugend, wenn sie wie Archipel-Inseln sind, da und dort aus dem Ozean, aus den Abgründen der Unerinnerbarkeit und der Ungereiftheit auftauchend. Sinn bildet sich oder bildet sich wieder als Sinn oder als Sinn der Vergangenheit immer nur im Abenteuer der Gegenwärtigkeit; und wenn also dem Sinn Zeitlichkeit innewohnt, dann kann es keine ihm äußerliche Zeitlichkeit geben, ausge-
196 nommen in einer symbolischen oder symbolisch gestifteten Archeologie. Die Erinnerung bleibt nicht, weil sie zeitlich ist, sondern weil sie noch die Transpassibilität ihrer Gegenwärtigkeit seit der doppelten Einschreibung in die beiden proto-gezeitigten/proto-geräumlichten und transzendentalen Massive der Vergangenheit und Zukunft bewahrt, wobei diese Einschreibung sich nicht direkt am Sinn vollzog, sondern sozusagen als implodierte Spur vieler Sinnregungen, die deshalb mißverstehbar sind. Damit ist das Gedächtnis zwar äußerst vergeßlich und trügerisch, es entgeht in seinem wesentlichen Teil der symbolischen Stiftung, die sie zum vom Sinn verlassenen Monumentalen soweit drängt, daß im Grenzfall der Sinn der Vergangenheit und Sinn überhaupt ununterscheidbar werden, und daß die Transpassibilität und die Transpossibilität der Sinregungen gegenüber dem Sinn hinsichtlich der Unterscheidung zwischen alt und neu nicht mehr selektierend ist. Aber gerade das erklärt, daß die Sinnkonfigurationen, die in den symbolischen Stiftungen mehr oder weniger wiederaufgenommen und kodifiziert werden – z. B. die Philosophie oder, wie in einem berühmten Text Husserls, die Geometrie – die »Zeitalter« der Geschichte durchlaufen können und auch nach mehr oder weniger langen Lücken diesen Durchgang wieder aufgreifen können, am Faden einer symbolischen Geschichtlichkeit, die ohne das Wirken einer phänomenologischen Dimension in ihr gar nicht existieren und vor allem nicht leben kann.7 Wenn auch die Transpassibilität und die Transpossibilität der Sinnregungen sich immer in der Gegenwärtigkeit vollziehen, so handelt es sich deswegen nicht gleich um Transpassibilitäten und Transpossibilitäten der Gegenwärtigkeit gegenüber der Gegenwärtigkeit, denn dies findet eigentlich nur in der zwischenmenschlichen Begegnung statt – in allen ihren verschiedenen Formen: von der Husserlschen Appräsentation bis zur Appräsentation der Sinnregungen eines Textes durch die Sinnregungen, die der Leser darin zu bilden vermag. Sie vollziehen sich vielmehr auf dem Boden der vorrangigen Wildheit der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung, dem gemeinsamen Grund der Sinnregungen und gemeinsamen Ort ihres Ursprungs, wo Sinn stets aufs Neue Sinn bilden kann, indem er sich mit einem Sinn oder anderen Sinnregungen verwebt, was eben nur wegen der ursprünglichen Mehrdeutigkeit der Sinnregungen möglich ist. Aber da gibt es natürlich überhaupt keine Garantie für eine abolute Gewißheit oder Verläßlichkeit, außer in ganz offfensichtlichen und von jedem vernünftigen Menschen nachvollziehbaren Fällen, in denen man dem Sinn Gewalt antut oder ihm ganz untreu wird. So also ist der Aspekt, den die passiven Synthesen dritten Grades von der Seite des Sprachlichen her annehmen, und so fügt er sich mit ihrem anderen Aspekt von der außersprachlichen Seite her zusammen. Man sieht, daß sie sich weniger in der Zeit und dem Raum der Gegenwärtigkeit als vielmehr durch diese vollziehen, sozusagen transversal, wobei diese Bewegung mehr oder weniger geheim durch die Auflösung – nicht Vernichtung – des Sprachlichen im Außersprachlichen vermittelt wird. An sich – also ohne die Illusion einer Trennung, die unsere Analysen noch vermitteln könnte – »wesen« übrigens Transpassibilität und Transpossibilität gleichermaßen und auf a priori ununterschiedene Weise als eben solche von außersprachlichen und sprachlichen Phänomenen. Man muß endgültig das sich dermaßen festgesetzte Bild einer Gegenwart verlieren, die als solche in die Vergangenheit gesetzt würde, oder die als solche noch voll von unbemerkten, in die Zukunft gerichteten Versprechen wäre; denn sie sind darin eben nicht als solche. Wer Platon für sich und was der Sinn seiner Schriften für sich selbst wäre, das haben wir endgültig verloren, denn das ist endgültig verschüttet. Aber deswegen ist es nun nicht gleich sinnlos, nach dem
197 »Wer« des Platon oder nach den Sinnregungen, die sich beim Lesen in seine Texte hineinweben, zu fragen. Gerade weil wir radikal vergessen haben, wer er war und welchen Sinn seine Schriften für ihn hatten, können wir weiterhin uns Fragen stellen: sie haben immer Sinn, weil wir wissen, daß er, wie wir ja auch, niemals selbst genau wissen konnte, wer er war, noch all die Sinnregungen ganz bewältigt haben konnte, die sich für, von und durch ihn in seine Schriften verwoben hatten. Es gibt auch keine Tradition ohne Vergessen und Ungenauigkeiten. Das Denkmal, Gegenstand der symbolischen Stiftung, glaubt die Tradition zu bewahren, aber man weiß nur zu gut, wie es auch zu einem symbolisches Gestell* von gesagten und errichteten Dingen verkommen kann, ganz wie die ebenso kanonischen wie unantastbaren Ausdrücke der »Wahrheit«. Aus dem ontologisch-existentialen Entwurf des Existierens oder der Möglichkeit kommt also letztlich nur recht wenig heraus: es handelt sich dabei nur um die Möglichkeit des Sinns, der zu bilden ist, nachdem er sich immer schon angesetzt hat, und zwar sowohl im Sinn-Ent-wurf (was wir Protention genannt haben) und in dem, was sich davon immer schon niedergeschlagen hat (was wir Retention genannt haben). Das heißt, daß unserer Auffassung nach die ganze Heideggersche Befindlichkeit*, das Register der passiven Synthesen zweiten Grades, sich nur hält, wenn es unaufhörlich von einer Transpassibilität durchzogen wird, die letztlich den passiven Synthesen dritten Grades angehört. Denn wenn die Befindlichkeit* aus dem Feld der Gegenwärtigkeit kommt, wenn sie sich immer schon in der Vergangenheit gezeitigt hat, dann ist eben diese Vergangenheit transzendental, und damit mit einer ebenso transzendentalen Zukunft verflochten, was aber Heidegger vollständig verfehlt hat, indem er das Gewicht auf die unmögliche Mauer des Todes gelegt hat. In diesem Sinn kann man sagen, daß Sein und Zeit* weniger Ausdruck einer ontologischen Not* als Ausdruck einer wahrhaft ontologischen Verzweiflung ist, oder zumindest Zeuge einer Verzweiflung, welche das Zeichen ihres Menschen und ihrer Epoche trägt – ein Zeuge, der wie kaum ein anderer vom modernen Nihilismus geläutert ist, in dem die Faktizität auf nichts anderes zurückgreifen kann als auf den Tod, um sich zu empfangen und zu begegnen. Für das Denken des späteren Heidegger ist die Faktizität vielleicht nur der hartnäckige, aber aufgrund seiner Voraussetzungen hoffnungslose Versuch, daraus »herauszukommen«, um im Seyn und dann im Ereignis* Chancen für »eine Zukunft« zu gewinnen.
§ 4. DIE ANGLIEDERUNG DER PASSIVEN SYNTHESEN DRITTEN GRADES: DIE EXISTENTIALE SEDIMENTIERUNG UND DIE PASSIVEN SYNTHESEN ERSTEN GRADES (DAS SYMBOLISCHE UNBEWUSSTE)
Wir verdanken Merleau-Ponty, daß er mittels einer »Arbeitsnotiz« (vom Februar 1959, mit dem Titel Weltlichkeit* des Geistes*), die im Anhang von Das Sichtbare und das Unsichtbare von Claude Lefort veröffentlicht wurde, den schwierigen und neuen Begriff der existentialen Sedimentierung erfaßt hat.8 Er bringt dort die Existentialien in den Zusammenhang mit einem »sedimentierten Sinn aller unserer willkürlichen und unwillkürlichen Erfahrungen«, was der Faktizität des Sinns einen sowohl historischen als auch gesellschaftlichen Status verleiht. Die Übertragung des Sinns der Husserlschen Sedimentierung – die, um es kurz zu rekapitulieren, nur die leiblichen Spuren des Sinns, der Sinnbildung* oder eher der sich in jeder Sinnbildung* vollzie-
198 henden passiven Synthesen betraf, und in denen wir etwas erkennen, das von den passiven Synthesen zweiten Grades herkommt – auf eine in sich existentiale Sedimentierung – worin wir eine Verwandtschaft mit den passsiven Synthesen dritten Grades erkennen – stellt ein erstes Paradox dar, hinter dem wir das Äquivalent des Paradoxes finden, das sich dadurch auftut, daß es einen gegliederten Übergang von diesen letzten zu den ersten geben soll. Es handelt sich also, um wieder näher an Merleau-Ponty zu sein, um das Paradox einer existentialen Struktur, die in eine Vielfalt von Existentialien auseinandergesprengt ist, die sozusagen Träger von gesellschaftlich sedimentierten Sinnregungen sind, welche sich demnach zu Konstellationen »angeordnet« haben, die von vornherein unsere Erfahrung der Welt strukturieren. Diese Konstellationen, die notwendigerweise unbewußt sind, da sie durch die Sedimentierungen aus den Passivitäten des Bewußtseins hervorgehen – aus einer immer schon in der Vergangenheit des Daseins* auseinandergesprengten Faktizität – sind auch, wie Merleau-Ponty sagt, »Gliederung unseres Feldes«, und nur in ihnen können ein Entwurf oder mehrere Entwürfe nach der existentialen Struktur Sinn haben, einer Struktur, »aus der unsere Zukunft ablesbar ist«, in der sich die »Armatur« des Unsichtbaren andeutet. Diese Sedimentierungen sind also selbst unsichtbar und zwar insofern, als sie Sedimentierungen von Sinn und nicht von Bedeutungen oder Signifikanten sind, oder, in Heideggerscher Sprache, von ontologischen Weisen vielfältiger Faktizitäten des Daseins*. Schließlich hat sich nach Merleau-Ponty in den Hohlräumen dieser Gliederungen oder dieser unsichtbaren Konstellationenen des Unsichtbaren subsituierbarer Sinn dessen, was wir sagen und verstehen, eingenistet, allerdings nicht, wie es zunächst scheint, die Bedeutungen oder Begriffe, sondern die möglichen Äquivalente der sprachlichen Sinnregungen. Durch diese stumme und unsichtbare Durchtränkung erscheinen die sichtbare, sinnliche Welt und die Masse der sprachlichen Phänomene, wie »Ruinen des Geistes«, d.h. der Sinn-Kontexturen, und die Existentialität ist selbst von unsichtbaren Sedimentierungen durchzogen, die aus ihr nach Merleau-Ponty eine wilde Geschichtlichkeit werden lassen. Abgesehen von der tiefen (und rätselhaften) Neuheit dieses Gedankens gegenüber Heidegger und davon, daß wir darin unbestreitbar das Äquivalent der von uns gesuchten Aneinandergliederung der passiven Synthesen zweiten und dritten Grades finden – die zwar unsichtbar und abwesend, aber sozusagen gerade aus ihrer Abwesenheit die Synthesen der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung leisten, die sich als Trans-Passibilität der (außersprachlichen und sprachlichen) Phänomene an (außersprachliche und sprachliche) Phänomene angliedert – von all dem abgesehen, sind wir damit in den Begriff der Geschichtlichkeit eingeführt, die nun quer durch die existentiale Sedimentierung wirkt, die, wie wir gesehen haben, für uns nur mit der proto-räumlichenden Verwebung der proto-zeitlichen Horizonte in den wilden Wesen* beginnen kann. So gesehen, aus architektonischer Sicht also, ist die Rede von »Sedimentierung« weniger paradox, als es scheint. Es handelte sich nämlich um die Sedimentierung der wilden Wesen als verleiblichter Existentialien. Aber gibt es nun aus der von uns eingenommenen phänomenologischen Sicht Sedimentierung von wilden Wesen* außerhalb der proto-räumlichen/proto-zeitlichen Phase der Proto-Gegenwärtigkeit der Welt und außerhalb des sich darin an Sprachlichem in seinen vielfältigen, selbst transpassiblen Sinnansätzen Reflektierenden? Anders gesagt: ist diese Sedimentierung so »dauerhaft«, daß sie eine wilde Geschichtlichkeit konstituieren könnte? Haben wir nicht gesagt, daß es schlechterdings keine Geschichtlichkeit außerhalb der symbolischen Sinn-Horizonte einer symbolischen Stiftung geben kann? Und ist so gesehen das von Merleau-Ponty Berührte nicht die
199 sich im symbolischen Unbewußten vollziehende selektive Fixierung wilder Wesen* oder von »Trauben« wilder Wesen* durch »Besetzungen« oder vielmehr, wie wir es in Phénoménologie et institution symbolique gesagt haben, durch signifizierende »Markierungen«? In diesem, aus architektonischer Sicht für gut befundenem Sinn gäbe es sehr wohl sozusagen eine unmittelbare Entsprechung zwischen der existentialen Sedimentierung durch signifiziernde Markierungen der wilden Wesen und dem symbolischen – und nicht mehr nur phänomenologischen – Unbewußten als einer von Freud mit »Primärprozeß« bezeichneten Konstituierung der passiven Synthesen ersten Grades. Das würde das auf den ersten Blick paradox erscheinende Inbeschlagnehmen des Feldes des Bewußtseins durch das symbolische Unbewußte verständlich machen, d.h. die Vor-Orientierung oder die kohärente Vor-Verformung der sprachlichen Sinnregungen und des Be-wußtseins durch passive Synthesen, die ihm grundsätzlich entgehen. Und zwar nicht, weil diese letzteren aus sich heraus »Effekte« im Bewußtseins anstießen, sondern weil durch und in der symbolischen Stiftung die Eingliederung der passiven Synthesen dritten Grades in die passiven Synthesen zweiten Grades sich sozusagen um einen Grad – aber einem Abgrund von einem Grad – hin zur Eingliederung von »existentialen Sedimentierungen« im eigentlichen, von Merleau-Ponty so ausgesprochenen Sinn verschiebt (unsichtbare Sedimentierungen des Unsichtbaren, Strukturen von existentialen »Lücken«) in passive Synthesen nicht zweiten, sondern ersten Grades, die vom »Primärprozeß« regiert werden. Anders gesagt: es gäbe so etwas wie ein Verdichten in sich selbst der Transpassibilität und Transpossibilität, das sie gewissermaßen vor-orientierte und selektiv einstellte. Das Korrelat davon wäre die Umwandlung der passiven Synthesen zweiten Grades mit ihrer extremen phänomenologischen fließenden Beweglichkeit in passive Synthesen ersten Grades, die auch noch beweglich sind, da sie alle erdenklichen Mittel anwenden, um nach den Notwendigkeiten oder Wechselfällen der sich gerade schürzenden symbolischen Verwicklung sich aus der wilden »hylè« der wilden Wesen* zu speisen, die aber dennoch diese Beweglichkeit durch das einschränken, was sich von außen wie die »Struktur« ihrer Anordnungen tendenziell herausbildet. Darin liegt fast ein Verhängnis der symbolischen Stiftung als Medium der möglichen Orientierungen (möglich im Sinne Heideggers) des Denkens im phänomenologischen Apeiron. Und so gesehen kann es eine dem Dasein* eigene Befindlichkeit*, also im Sinne Heideggers, nur geben, wenn sie ursprünglich einen symbolischen Status hat – auch wenn sie in seinem Leben, allerdings unterschwellig in den Tiefen des phänomenologischen Unbewußten, weiterhin von der wilden Transpassibilität durchdrungen ist. Es gibt so also keine symbolische Stiftung ohne symbolisches Unbewußtes, und das gilt von jeder symbolischen Stiftung, ob es sich um die Sprache, jede Kulturschöpfung, insbesondere der Wissenschaft, der Religion oder der Philosophie handelt. Daher, um das aufzunehmen, in dem wir alle so tief eintauchen, daß wir es kaum noch wahrnehmen, gibt es sehr wohl ein Unbewußtes des Sprachsystems – das zweifellos aus bestimmten privilegierten Zugriffen des Sprachsystems auf »die Welt« besteht, was W.v.Humboldt ihre Weltansicht* nannte –, aber das Sprachsystem entwickelt sich, ohne daß man jemals wüßte, warum und wie, eben deshalb, weil es, wie man sagt, lebt, d.h. weil es durch die sprachlichen Phänomene ständig von der Transpassiblität gegenüber der phänomenologischen Dimension und dem phänomenologisch Unbewußten durchzogen wird – eine Transpassibilität, die grundsätzlich der Beherrschung durch den Sinn entgeht, nicht aber »dem Geist« der »sprechenden Subjekte«, dem phänomenologischen Pulsieren ihres Selbst.
200 In diesem Zusammenhang wären unsere Analysen und Kommentare von Husserls Ursprung der Geometrie wieder heranzuziehen.9 Dem wäre wie in unserer Phénoménologie et institution symbolique hinzuzufügen, daß die existentiale Sedimentierung aus dem mehr oder weniger umfassenden Kurzschluß des »Moments« des phänomenologischen Erhabenen hervorzugehen scheint, den unglückliches Begegnungen (malencontres) zwischen sprachlichen und außersprachlichen Phänomenen, bei denen die Sinnregungen sich »verkrampfen«, indem sie sich auf sich selbst stürzen und sich nur noch zu Bedeutungen kristallisieren wollen. Derartige Fehlbegegnungen stimmen mit den mehr oder weniger komplexen Gestalten des symbolischen Stifters überein, wie etwa des Ränke schmiedenden »Gottes«, den mehr oder weniger komplexen Gestalten der symbolischen Stiftung, wie des mehr oder weniger verfeinerten symbolischen Gestells*, mit Bildern des Menschen, wie des mehr oder weniger an eine Knechtschaft Gebundenen, die nur freiwillig scheint, weil sie eben symbolisch ist.10 Wir werden auf dieser Ebene unsere Analysen von Phénoménologie et institution symbolique wieder aufgreifen, um dabei die genaue Gliederung zwischen der symbolischen Verschiebung, die der Fehlbegegnung im Kurzschluß des phänomenologisch Erhabenen entspricht, und der Verschiebung der Gliederung der passiven Synthesen dritten und zweiten Grades hin zur Gliederung der existentialen Sedimentierung und der symbolisch markierten Sedimentierung in den passiven Synthesen ersten Grades zu zeigen. Dabei wird sich auch etwas von der Gliederung zwischen diesen letzteren und denen des zweiten Grades in einem neuen Licht, bzw. in erneuerten Begriffen zu zeigen beginnen, u.z. innerhalb einer Phänomenologie der symbolischen Stiftung als Phänomenologie des Sprachlichen im allgemeinen (d.h. nicht nur der Sinnregungen, sondern auch des Sprachsystems). Wir werden dabei sehen, wie sehr die ganze Heideggersche Analyse des Daseins noch eine nur sehr verengte Weise der kohärenten Verformung des Phänomenologischen durch das Symbolische ist, was sich in ihr durch die Unmöglichkeiten der Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen und durch die entsprechende Unmöglichkeit der phänomenologischen Vielfalt der Welten – also sowohl der Transpassibilität und der Transpossibilität – ausdrückt, wobei das Mauerartige des Todes wie ein re-totalisierender Faktor in die Immanenz hineinwirkt.
ANMERKUNGEN 1
a.a.O. Das ist de Nerv der eidetischen Variation bei Husserl in seiner »technischen« Ausarbeitung; wir werden darauf zurückkommen müssen, daß er ihn auf die Rechnung der Phantasie setzt. 3 s. unsere Untersuchung »Communauté. société et Histoire chez le dernier / MerleauPonty«, in Merleau-Ponty, phénoménologie et experiences, a.a.O. 4 s. dazu M. Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, München 1994, S. 178. 5 Der »Tunneleffekt« ist jener spezifisch quantische Effekt, durch den die »Teilchen«trotz ihrer dafür unzureichenden Energie eine Spannungs-Barriere dennoch überwinden – mit einer schwachen Wahrscheinlichkeit, aber mathematisch formal berechenbar –, als ob sie einen Tunnel durch die genannte »Barriere« gegraben hätten. Anschaulich ist dies verstehbar, indem man die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation über die Energie ansetzt: ∆E. ∆t >h, wobei h die Plancksche Konstante dividiert durch 2 π ist. Die (statistische) Schwankung auf die Energie (∆E) kann recht selten sein, aber groß genug, um die Barriere zu überwinden, vorausgesetzt, daß sie sich über eine genügend kurze Zeit (∆t) vollzieht. Wir spre2
201 chen also hier nicht aus Zufall metaphorisch von einem »Tunneleffekt«: die blitzhafte Apperzeption im Pulsieren ist ebenso flüchtig wie der »Augenblick«. Das erlaubt übrigens ganz anders hinsichtlich der Phänomenalisierung das neu zu denken, was noch »formal« oder »abstrakt« im Heideggerschen Denken des Augenblicks* geblieben ist. Dieser ist tatsächlich nicht nur an die Schwingung* der Zeit in der Zeitigung gebunden, nicht nur der Wiederholbarkeit* anheim gegeben, sondern auch der außerzeitlichen Schwingung (Pulsieren) der außersprachlichen Weltphänomene. Die Wiederholbarkeit ist also nicht nur Wiederholbarkeit des Identischen, sondern viel tiefer durch die Transpassibilität außerzeitliche »ewige Wiederkehr« des »Gleichen«, also der Welten. Es gibt damit durch diese Metapher eine rätselhafte begriffliche Verwandtschaft, auch für uns, zwischen dem quantischen »Tunneleffekt« und der Transpassibilität: eine Verwandtschaft zwischen dem, was man klassisch die quantische »Aktion auf Distanz« genannt hat, und der Trans-Passibilität von Phänomen zu Phänomen, die gleichermaßen auf Distanz ist. Das wäre für alle, die sich gern damit spielen wollen, »ein neues Paradigma«! 6 Zu dieser Unterscheidung zwischen »Identität-idem« und »Identität-ipse«, s. das Werk von P. Ricœur, Soi-même comme un autre, Le Seuil, Paris, 1990. 7 S. unser Werk, La crise du sens et la phénoménologie. Autour la Krisis de Husserl. a.a.O. 8 M. Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 233 [234]; s. unsere Untersuchung »Communauté, société et Histoire chez le dernier Merleau-Ponty«, in: Merleau-Ponty: Phénoménologie et expériences, a.a.O. 9 in La crise du sens et la phénoménologie, s. 273-360. 10 s. auch unser Werk: Du sublime en politique, a.a.O.
V. Meditation
Elemente für eine Phänomenologie der fungierenden Sprache (Für eine Phänomenologie der symbolischen Stiftung)
§ 1. FÜR EINE PHÄNOMENOLOGISCHE »TRANSZENDENTALE ÄSTHETIK«:
Der Gemeinsinn und seine Lücken a) Einleitung Die Welt des alltäglichen Lebens ist voll von Rätseln, die meistens unbemerkt bleiben, obwohl sie unser Leben ausmachen. Eines der »wunderbarsten« besteht darin, daß wir uns ohne jedes Nachdenken verstehen, nicht nur über das, was wir sagen, sondern auch über das, was wir sehen, fühlen, hören, auch wenn dieses Verständnis oft genug nur gering ist. Intellektualistische Philosophie – wenn nicht gar Ideologie – steigert dieses Rätsel bis zum Paradox: als ob wir von einer äußeren, sich aus sich selbst heraus haltenden Welt die gleichen Signale empfangen würden, und als ob wir mit unserem Nervenapparat über das gleiche Identifikationssystem verfügten, das uns das Sprachsystem bereitstellt. Wo ein solches Denken »vorherrscht«, das auch in seinen Spitzfindigkeiten noch zu sehr vereinfacht – wobei diese sich im allgemeinen auf die Wahrnehmungs- und Sprach-»Strukturen« erstrecken, um schließlich die Notwendigkeit ihrer Homologie nachweisen zu wollen –, wird nun die Möglichkeit des Mißverständnisses, einer »Kommunikation«, die über die Sachverhalte und Tatsachen hinausgeht, äußerst problematisch, wobei die »Kommunikation« auf mehr oder weniger verfeinerte Formen der »Rationalität« reduziert wird. Das Schöpferische der fungierenden Sprache, insbesondere das Abenteuer des Sinnes, werden dabei unmöglich, allenfalls nur durch ein Spiel, das seine Reflexivität zu zerstören droht. In solch paradoxer Form leitet sich das Rätsel davon ab, daß sich das Denken und Fühlen – worin wir die Befindlichkeit einschließen – von vornherein in die Subjektivität eingeschlossen finden – wobei es letztlich unerheblich ist, ob man diese Subjektivität als »Seele«, »Geist« oder als einen mehr oder weniger komplizierten Denkund Wahrnehmungsapparat auffaßt, der aber in jedem Fall von vornherein vollständig für die »Performanzen« »ausgerüstet« ist, um die Realisierungen auszuführen, die man von ihm erwartet. Gemeinsinn gibt es dann nur, wenn man aus dieser Verschlossenheit in der Subjektivität herausgeht in eine zwar nicht autonome, aber doch (durch welchen Mechanismus auch immer) sich selbst-regulierende Sphäre. Diesem Herausgehen hat die Phänomenologie schon durch Husserl einen besonders herausgehobenen Weg gewiesen mit ihrem Gedanken der transzendentalen Subjektivität als transzendentale Intersubjektivität.
206 1 In einem seiner posthumen Fragmente, die dieser Frage gewidmet sind, entwickelt Husserl den Gedanken, daß wir in unserer »natürlichen« Welt, in der wir als einer gemeinsamen leben, in der also die Einfühlung* und ihre transzendentale Konstitution sich schon vollzogen haben, immer schon mit einer Weltidee* leben, die eine Unendlichkeit von anderen Weltideen enthält, von denen jede die anderen einschließlich der meinigen enthält. Diese Weltidee, die etwas anderes als ein »Schauspiel« oder eine »Weltanschauung«* bedeutet, ist für jedes in der Welt lebende Subjekt das, was die Welt, in der wir leben, als Einheit zusammenhält, es ist jeweils, um mit Heidegger zu sprechen, die Welt in ihrer Jemeinigkeit*, d.h. die Welt in ihrer Faktizität. Die Husserlsche Auffassung schreibt nun dieser »Idee« besondere Eigenschaften zu: da sie aus ihrer Einheit besteht, umfaßt sie eine (nicht-mathematische) Unendlichkeit von anderen wesensgleichen Ideen, von denen jede ihrerseits die gleichen Kennzeichen hat, sie umfaßt damit meine Einheit ebenso wie alle anderen. Ein ausgesprochenes Paradox des Unendlichen, da jeder Teil des Ganzen solcher Ideen an das Ganze heranreicht und ein das Ganze umfassender Teil ist (partie totale) und das ihn Enthaltende enthält, nur daß hier das Ganze unbestimmt und unbestimmbar ist und dem Möglichen, sogar dem ontologisch-existential Möglichen, und nicht dem Aktuellen angehört. Der Zusammenhalt der Welt»ideen« ist also begriffslos, jeder mathematischen Quantifizierung des Unendlichen fremd (es gibt hier überhaupt keine Gleichwertigkeits-Struktur) und schon dem nah, was wir unter dem phänomenologischen Apeiron verstehen. Es wäre also schon eine metaphysische Abstraktion, zu sagen, daß das struktural Invariante dieser »monadischen Gemeinschaft« geometrisch die unendliche Sphäre wäre, deren Zentrum überall und deren Peripherie nirgends wäre, d.h. das des unendlichen, homogenen und isotropen Raumes. Damit würde anders gesagt aus jeder Weltidee eine göttliche Idee, was ganz kohärent zum Feld einer »Monadolgie« Leibnizscher Art zurückführte – die tatsächlich in Husserls Texten über die Intersubjektivität immer wieder herumgeistert. Wenn wir die Sache vom phänomenlogischen Apeiron her wieder aufnehmen, diesseits einer kopernikanisch oder post-kopernikanisch konstruierten Darstellung der Welt, stellt sich heraus, daß der merkwürdige Zusammenhang der Husserlschen Welt»ideen« zu einer ersten Auffassung des phänomenologischen Gemeinsinns führt. Man braucht nur die phänomenologische Epoché bis zur Hyperbel zu treiben und dabei auch die Sphäre des Ego und der mit ihr verbundenen Egologie einzubeziehen, um sich den phänomenologischen Gehalt der Weltidee* zu erschließen, d.h. das Weltphänomen*, das selbst dann, wenn es noch als Jemeinigkeit* gefaßt wird, eine begiffslose phänomenologische Einheit darstellt, eine umfassende (aber nicht totale) Faktizität von Welt, in der sich bereits im Sinn-Horizont der Welt die verschiedenen Sinnauffassungen von Welt reflektieren können, die wir davon bilden können und sollen. Zum Rätsel wird nun, daß diese Faktizitäten gegenseitig einander aufgeschlossen sind, auch wenn sie sich überdecken, verschränken und überkreuzen, genau wie die Sinnauffassungen von Welt, die sich nach der ontologischexistentialen Möglichkeit darin bilden können. Oder das Rätsel besteht vielmehr darin, daß, wenn es keine von Gott zusammengehaltene intermonadische Totalität gibt – was eine sehr abstrakte und sehr philosophische Version der symbolischen Stiftung wäre –, von einer wechselseitigen Passibilität der Faktizitäten zueinander jenseits ihrer jeweiligen ontologisch-existentialen Möglichkeiten, also von einer Transpassibiliät in einem Feld von Transpossibilitäten im Sinne von Maldiney auszugehen ist. Wir treffen dabei wieder auf die passiven Synthesen dritten Grades, mit ihrem doppelten Aspekt der transpassiblen und interfaktiziellen außersprachlichen
207 Begegnung und der transpassiblen und interfaktiziellen sprachlichen Begegnung, also zwischen den sprachlich faktiziellen Sinnregungen. Nicht weniger wichtig ist übrigens: auch wenn die radikale Epoché durch die Einklammerung der Idee in der Weltidee* das Weltphänomen dahinter freilegen muß, so bleibt doch als wichtigster Teil der Weltphänomene das dem »Schauspiel« oder der »Anschauung« Entgehende, und dieser wird sozusagen a fortiori durch die Art von Beziehungen geregelt, die zwischen den Weltideen existiert: das bedeutet, daß ihre Beziehungen der Überlagerungen, Verschränkungen und Überschneidungen dem Nicht-Manifesten – dem (der Anschauung) Nicht-Gegenwärtigen – genau entsprechen – in der Terminologie Husserls: dem, was der Appräsentation eines ursprünglich Nicht-Anschaubaren angehört. Anders gesagt kann es Gemeinsinn nur durch die Transpassibilität einer faktiziellen Welt gegenüber der anderen geben, und dann nur insofern, als es in ihr etwas radikal Unerkennbares gibt, eine Art phänomenologischen »An-Sichs« für die Erkenntnis, das sich weder der direkten Wahrnehmung und noch weniger der eidetischen Anschauung erschließt, aber dennoch allgemein zugänglich ist, und zwar durch die sich in der Einfühlung* vollziehende »intentionale Überschreitung«. Genau dazu hat sich zwar Husserl nie entschließen können, er lädt uns aber ein, in diese Richtung zu denken. Die Faktizitäten der Sinnregungen und der Welten verschließen sich gerade deshalb nicht wechselseitig gegeneinander, weil das unmittelbare Außerkraftsetzen der Erkenntnis zur Transpassibiltät befreit, und die Erkenntnis läßt sich gerade deshalb so leicht kommunizieren – oder glaubt dies zumindest –, weil sie die Faktizität und der Dimension, die dieser unaufhebbar als Dimension des In-der-Welt-Seins anhaftet, umgeht. Für die Erkenntnisaussagen ist nämlich kennzeichnend, daß sie sich von jeder möglichen Jemeinigkeit* gereinigt präsentieren. Das merkwürdige Verhältnis der Weltideen, und tiefer noch: der Weltphänomene untereinander, besteht aus der in unseren Arbeiten zusammenfassend so genannten ursprünglichen Verdrehung. Dazu gehört, daß wir – Maldineys Begriffe aufgreifend – Transpassibilität und Transpossibilität in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Verdrehung der Phänomene sehen, d.h. auch mit dem, was sich (ohne Selbstheit) in ihnen als ihre jenseits aller »Gegebenheit« pulsierende Phänomenalität reflektiert. Es folgt daraus gleichermaßen, daß die Weltphänomene – pulsierend zwischen ihrer anonymen Phänomenalität und der jeweiligen Faktizität ihrer Jemeinigkeit* – keineswegs durch eine entsprechende Reflexivität restlos auf in sich geschlossene Identitäten reduzierbar wären, und daß sie in ihrem Innersten auf eine radikale, nicht-gesehene, nicht-gefühlte und nicht-gedachte Unbestimmtheit hin geöffnet sind, die vielmehr Matrix des Sichtbaren, Fühlbaren und Denkbaren von ihrer phänomenologischen Abwesenheit her ist, die, wie wir wissen, nur auf sehr komplexe und sehr feine Weise zur Gegenwärtigkeit (des Sinns und des sich bildenden Sinns) »gerechnet« werden kann. Darin liegt das ganze Problem der Eingliederung der passiven Synthesen dritten Grades in die zweiten Grades, in denen sich als wilde Wesen* das wilde Sichtbare, Fühlbare und Denkbare sedimentieren. Die Frage der Einfühlung* und des phänomenologischen Gemeinsinns wird nun von entscheidender Bedeutung für unsere Konzeption der Phänomenologie. Wie der Ursprung der fungierenden Sprache eine der möglichen Gestalten der ursprünglichen Verdrehung als dem komplexen Verhältnis zwischen den sprachlichen und außersprachlichen Weltphänomenen ist, so kommt als weitere die Einfühlung* und ihre Probleme dazu und läßt uns einen weiteren Schritt zur phänomenologischen Konkretheit – zur Sache* selbst* – hin tun, wenn es uns gelingt, beide zusammenzuhalten, also das, was wir ebensogut die Problematik der Zeit und des Anderen nennen
208 könnten – eine Problematik, die bekanntlich Husserl immer wieder beschäftigt hat, ohne daß er einen befriedigenden Ausweg gefunden hätte, so sehr war er durch die ursprüngliche Subjektivität und die Zeit (als ob beides auf die gleiche letzte Wurzel hätte zurückgehen müssen) geblendet. Gehen wir also von der Frage des Gemeinsinns aus, so wie sie sich bei Husserl artikuliert, um dort unsere Fragen/Untersuchungen »anzusiedeln«. Wenn ich keine Überlegung brauche, um den Anderen zu appräsentieren, wenn diese Appräsentation unmittelbar ist und der Zeitigung/Räumlichung in der fungierenden Sprache oder im Bewußtsein vorausgeht, oder wenn, in der Husserlschen Terminologie, die Appräsentation zuerst Apperzeption des von meinem eigenen Leib* unterschiedenen anderen Leibs* ist, wenn sie ursprünglich phänomenologische Leiber paarweise umfaßt, dann deshalb, weil es zwischen ihnen als Phänomenen eine ursprüngliche Verdrehung oder nach der Ausdrucksweise von Merleau-Ponty, eine Überschiebung und Verschränkung gibt, und zwar auch von Welten, in denen der Leib jeweils ist. Wir verständigen uns immer »irgendwo« über das Fühlbare, Sinnliche und Denkbare, weil es eine ursprüngliche phänomenologische Gemeinschaft und Komplizenschaft zwischen Leib und Welten gibt, die ursprünglicher ist als das sich davon Abhebende oder sich daraus in den Gegenwärtigkeitsphasen des Bewußtseins Hervorhebende. Diese Komplizenschaft gehört zu dem, was die begriffslose Kohäsion des phänomenologischen Feldes oder des phänomenologischen Unbewußten ausmacht. Und diese Kohäsion, aus der sich das Bewußtsein und die Einfühlung* zwischen Bewußtseinen erhebt, bildet die gemeinsame Basis einer phänomenologischen transzendentalen Ästhetik, in welcher die Leiber und die Welten jeweils in der gleichen Faktizität gefaßt werden und nicht mehr getrennte und sich ausschließende Wesenheiten bilden, sondern sich überlagern, verschränken, durchdringen und sich voneinander abheben, u.z. gemäß der passiven Synthesen dritten Grades am Leitfaden dessen, was sich davon als Echo in den passiven Synthesen zweiten Grades zwischen den wilden Wesen* allmählich konkretisiert. Daher sind diese ununterschieden wilde Wesen* der Welten und des Leibes: wenn man nicht die Faktizität des Leibes, die immer schon und auf immer zu Welten »auseinandergesprengt oder den Welten »ausgesetzt« (ek-stasié) ist, ungerechtfertigt in anthropologische, gar anatomische Faktualitäten umwandelt, ist der Leib schon Welt und jede Welt ist schon Leib, der Weltleib* ist schon Leibwelt*. Sie sind phänomenologisch ununterscheidbar und nichts weniger als die symbolischen Stiftung ist nötig, um die Selbstheit in einem Leib zu verankern, der sich als der seinige begreift und sich von den anderen Leibern als der »eigene Leib« unterscheidet – ein Leib, der wie die Welt auf die Jemeinigkeit* reduzierbar zu sein scheint und der das phänomenologische Problem der Verleiblichung mit all ihrem Gelingen und Mißlingen stellt. Der phänomenologische Gemeinsinn ist also gleichbedeutend mit seiner Anonymität, wegen der das Fühlbare, Sinnliche und Denkbare nicht gleich wie die subjektiven, in einem Körper enthaltenden, Versionen von Signalen sind, die von außen oder innen kommen – das wären nur Abstraktionen. Von einem streng phänomenologischen Standpunkt aus, gehören sie als Echo der passiven Synthesen dritten Grades eher der wilden Sedimentierung und Sonderung von wilden Wesen* sowohl von Welten als auch von Leibern an, und allein dies – und nicht etwa intellektualistische Künstlichkeiten – kann »erklären«, daß ich ohne Überlegung »die gleiche Sache« wie der andere fühlen, sehen usw. und denken kann: Weil wir buchstäblich die gleiche Masse von Weltphänomenen miteinander teilen, deren integraler Bestandteil unser Leib ist.
209 Sicher, wird man sagen, aber mir passiert es oft, Gefühle und Empfindungen zu verspüren, welche die anderen nicht fühlen, so wie die anderen sehr oft Gefühle und Affektionen haben, die ich nicht empfinde. Und doch hindert uns in diesem Fall nichts, sondern führt im Gegenteil alles dazu, daß wir etwas »phantasieren«. Die Einfühlung* ist nämlich unlösbar mit der Phantasie verbunden, nicht etwa im Sinne der »Projektion« eines Bildes oder von mehreren Bildern, sondern im Sinn von verborgenen und/oder implizierten, jedenfalls unbestimmten Ressourcen, die den gemeinsamen Grundstock der Erfahrung von »jedermann« ausmachen, und zwar weil es in der Phantasie eine Dimension der Transpassibilität gibt, welche die ontologisch-existentialen Möglichkeiten des Daseins* bei weitem übersteigt. Dementsprechend muß man eine sehr tiefgehende Verformung des Status der Phantasie denken: die phänomenologische Pluralität der Welten rührt gerade deshalb gewissermaßen von der Einbildung her, weil im phänomenologischen Feld die Unterscheidung zwischen dem »Realen« und dem « Phantasierten« nicht streng getroffen werden kann, denn diese Unterscheidung unterliegt schon der symbolischen Stiftung. Weit davon entfernt, einem »Realen« zu Diensten zu sein, das es nur variieren oder reproduzieren würde, ist sie sein integraler Bestandteil, insofern es auch für ihn konstitutiv ist. Außerdem, weit davon entfernt, irgendeine geradezu absurde »Fähigkeit zu Bildern« zu sein, die nach ihren Regeln und Unregelmäßigkeiten mehr oder weniger gelungen das Reale in absentia reproduziert – und tatsächlich zerstört nichts so endgültig die Phantasie wie das Bild2 –, ist sie eher grundsätzlich das schematisierende (Kant) Vermögen zur Bildung, eine Einbildungskraft*, die weder nach Bildern abläuft, noch nach der scheinbaren Willkür oder der scheinbaren Freiheit seiner »Phantasie«, sondern nach dem verschlungenen (baroque) Austausch und der Komposition von wilden Wesen* im Wirkungsverlauf der Transpassibilität in den passiven Synthesen dritten und auch zweiten Grades. Die Einbildung als Transpassibilität ist nicht etwa ein durch den »Schlaf der Vernunft« (oder des Logos) »abgeschwächtes« Denkvermögen – denn es handelt sich hier eher um die »Schwäche« der symbolischen Stiftung –, sie ist vielmehr das dem Traum und der Phantasie angehörende Vermögen der (außersprachlichen und sprachlichen) Weltphänomene selbst. Wieder anders gesagt: die Erkenntnis, daß die (ikonischen) Bilder sich von der symbolischen Stiftung herleiten, die bestimmt, was »Real« und was »Kopie« des Realen ist, genügt schon, um zu sehen, daß es keine andere Einbildung als die »transzendentale« Einbildungskraft geben kann, und daß ihr eigentlicher »Phantasie«*-Aspekt nur mit ihrem Grundzug verbunden ist, nicht durch die symbolische Stiftung, also durch die Bilder, diszipliniert zu sein. Wenn es eine Freiheit in der Einbildung gibt, dann ist diese phänomenologisch. Daher ist der phänomenologische Gemeinsinn buchstäblich von Einbildung durchzogen, und die phänomenologische transzendentale Ästhetik wird unauflöslich von der gestaltenden oder transzendentalen Einbildungskraft her bestimmt. Sie stellt in der Tat ein Variations-»Vermögen« dar, das ganz anders ist als das Husserlsche Vermögen zu eidetischen Variationen, obgleich das letztere sich seine Freiheit stillschweigend von der ersteren borgt. Denn es handelt sich hier eigentlich um produktive Variationen ohne die sie disziplinierenden Begriffe, also um wilde Variationen, die dem phänomenologischen Unbewußten angehören und ihre Quelle in der Gliederung der passiven Synthesen zweiten und dritten Grades finden. Eine tiefe Quelle, die dem Vermögen des Bewußtseins, also auch der Gegenwärtigkeit entzogen ist und deren Darstellung »in Abwesenheit« nur ein sehr fernes Echo im symbolisch gestifte-
210 ten Feld ist. Aber welches Spiel treibt nun diese Abwesenheit in der phänomenologisch gefaßten Einbildung? Davon wird schon einiges begreiflich, wenn wir nochmals auf den phänomenologischen Gemeinsinn in seiner Husserlschen Fassung zurückkommen, d.h. auf die Begegnung mit dem Anderen und auf die Begegnung mit der Zeit (der Vergangenheit und der Zukunft). In solchen Begegnungen gibt es eben immer mehr als das, was wir davon in dieser oder jener Gegenwärtigkeitsphase zu verstehen glauben, wobei dieses stets überschreitende »Mehr« nicht zurückgedrängt werden kann, es sei denn durch die symbolische Tautologie einer – psychoanalytischen oder einer anderen – Theorie, welche die symbolischen Verwicklungen eines symbolischen Unbewußten zu berühren oder sich in sie hineinzubilden glaubt. Denn dieser Überschuß bildet sich eben ohne unser Wissen im phänomenologischen Unbewußten – dem Ort des Transpossiblen und des Transpassibilen –, in den Gestaltungen, die durch die transzendentale Einbildungskraft ins Spiel und in Bewegung gebracht werden. Die – im wörtlichen Sinne – Sym-pathie für den anderen entwickelt sich nicht ohne diese Einbildung, was auch, allerdings in modifizierter Abweichung, auf die Wiedererinnerung der Vergangenheit und die Antizipation der Zukunft zutrifft. Durch diese so nun richtig situierte Einbildungskraft sind die Menschen sozusagen vorbereitet, sich zu verstehen, noch bevor sie sich verstehen (oder sich mißverstehen), ebenso wie sie dadurch, aber modifiziert, in die Lage versetzt werden, ihre Vergangenheit zu verstehen oder ihre Zukunft vorauszuahnen. Und im eigentlichen Sinne liegt in dieser »Vorbereitung« zum Eintritt in die Gegenwärtigkeit oder in das begleitende Bewußtsein (con-science) der Kern dessen, was es als phänomenologische transzendentale Ästhetik zu verstehen gilt, denn gerade hier ist architektonisch das Feld des phänomenologischen Gemeinsinns angesiedelt. Wenn ich im Fall der Begegnung mit dem anderen seinen Leib* apperzipiere und mir dabei sein Leben appräsentiere, das mir als solches nicht in der Gegenwärtigkeit gegeben ist – obwohl der Andere auf rätselhafte Weise eine Gegenwärtigkeit konstituiert, worauf wir noch zurückkommen werden – dann geschieht dies nicht, wie man Husserl gewöhnlich mißdeutet, von meinem eigenen und vorrangigen Leib* aus, sondern in der Bewegung der »Paarung«*, die eigentlich Einbildung ist. Es handelt sich hier nicht um eine spiegelbildliche Verdopplung des Selbst und seines Leibes in einem anderen Leib und einem anderen Selbst, weil das Appräsentations-Vermögen nicht in erster Linie ein Vermögen des Ich, eine auf sich konzentrierte Intentionalität ist, sondern viel tiefer das der Einbildung, die ursprünglich nichts mit dem Lacanianischen Imaginären zu tun hat, d.h. mit dem Spiegelbildlichen – das sich schon im symbolischen Netz der symbolischen Verwicklungen verfangen hat. Zwar verkapsele ich mich dabei als abgründiges Zentrum (der Husserlsche Nullpunkt), das von den Festungsmauern meines Leibes geschützt wird, ich befinde mich in meiner Innerlichkeit, die mich daran hindert, zu der des Anderen vorzudringen, und es gibt dort immer noch etwas Phänomenologisches, da ich dort nicht zu denken brauche, noch voraussetzen muß, daß »Es« dort denkt. Aber diese insularische Vereinzelung, die mit der symbolischen Stiftung des Selbst einhergeht und damit, daß ich mein Leben lebe und nicht das des Anderen, mit dem Glück und Unglück der Verleiblichung, hindert eben nicht das »Fungieren« der Appräsentation. Allenfalls wird sie, weil es sich um eine Begegnung von verleiblichten Wesen handelt, zu einer kohärent verformten Appräsentation, daß der Gemeinsinn durch die Pole der Ichheiten magnetisiert wird. Indem wir uns in das Innere dieser Magnetisierung versetzen, wird verständlich, daß ich für die Begegnung mit dem Anderen als Anderem viel Einbildung brauche, daß
211 diese aber überhaupt kein Vermögen ist, »mich an seine Stelle zu setzen« oder mich »dahin zu übertragen«, wie um sein Inneres von Innen her zu bewohnen (verschmelzende Projektion). Sie leistet vielmehr dergleichen nur deshalb, weil diese »Übertragung« selbst »phantasierbar«, jedoch niemals »realisierbar« ist. Denn sie hat sich immer schon hergestellt und wird, allerdings unter einer anderen Form, immer phantasierbar sein, noch bevor sich die Frage irgendeines Transports durch den Raum stellt, den die Undurchdringlichkeit der materiellen Körper unmöglich machte, nämlich durch das Rätsel der Transpassibilität, der passiven Synthesen dritten Grades, d.h. durch die Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung der Weltphänomene dort, wo im nicht-teleologischen Horizont unserer Gegenwärtigkeit oder unseres Bewußtseins Leib* und Welt in ihrer phänomenologischen Ununterschiedenheit und Anonymität sind, in der blitzhaften Apperzeption, in der die faktizielle Jemeinigkeit* unaufhörlich im Pulsieren schwankt, und in der die Einbildung und ihr unbewußter Schematismus als Welt-Leib-Einbildung* zusammenspielt, als wilde Abwandlungen von Leib und Welten. Denn durch diese Einbildung vermag die Begegnung mit den anderen, und insbesondere die durch die Kunst bewirkte, uns größer zu machen, uns Welten und Sinnregungen erahnen zu lassen, auf die wir nicht verdacht waren, die wir nie gefühlt, gesehen oder gedacht haben, und die wir uns nur deshalb verständlich machen können, weil wir reicher an Empfindungen, Gefühlen, Visionen und Gedanken waren, als wir eigentlich dachten. Das sind lustvolle und freudige Begegnungen mit dem Anderen, und die Kunst ruft sie in besonderer Weise hervor. Ein solches Glück der Verleiblichung ist sicherlich nicht selbstverständlich und nicht immer ungetrübt. Wir werden darauf zurückkommen müssen, da ihm meist wie sein Schatten das Unglück des Mißlingens folgt, in dem wir uns zu entleiblichen drohen. Dieses Glück hat nichts mit dem alles verschmelzenden »Wahn« zu tun, der immer entleiblicht, da die Transpassibilität vermittels der Proto-Zeitigungen/ Proto-Räumlichungen eine solche durch Verflechtung nicht der Risse, sondern der Abgründe ist. Es gibt in der Begegnung mit dem Anderen eine besondere Art der Eingliederung der Zeitigung/Räumlichung der Sinnregungen in die Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung, die wir wieder aufgreifen werden müssen: wir ahnen schon, daß dies eine eigene Gliederung des Abstands der Räumlichung in der Zeitigung ist, was wir als eine der Gegenwärtigkeitsphase innewohnende Dephasierung verstehen werden. Der Fall der Begegnung mit der Vergangenheit und der Zukunft – den wir schon in der vorangegangenen Meditation behandelt haben – scheint einfacher, abgesehen davon, daß einmal die Erinnerung den Sinn der Vergangenheit mit ihrer Distanz der Vergangenheit wiederherstellt und daß es andererseits ebenso wie zwischen meinem Leben und dem des anderen eine Asymmetrie zwischen der Erinnerung der Vergangenheit und der Vorahnung der Zukunft gibt. Das läßt vorausahnen, daß es zwischen der Vorahnung und der Erinnerung weniger phänomenologisches Einverständnis gibt, als man gewöhnlich glaubt; daß die Entfernung zwischen der unbezweifelbaren Symmetrie der Protentionen und der Retentionen und der Asymmetrie zwischen Vorahnung und Erinnerung größer ist, als es scheint, so als gebe es auch hier eine Dephasierung, die aber offensichtlich nur mißbräuchlich auf die in der Begegnung mit dem anderen waltende zu beziehen wäre, auch wenn es möglich ist, daß es zwischen beiden »Zusammenklänge« gibt. Es ist sicherlich kein Zufall, daß Husserl ständig auf diese Schwierigkeit gestoßen ist, sie ist so wesentlich, daß wir mit allem wieder von ihr ausgehen müssen. Zwischen der Zeitigung/Räumlichung der Sinnregungen und der Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung der Welten muß es noch ein Feld für die phänomenologische Begegnung der Zeit geben (gewissermaßen deren
212 phänomenologisches Bewußtsein). Und die ganze Schwierigkeit, die zweifellos symmetrisch zur Schwierigkeit der konkreten Begegnung mit dem anderen ist, rührt wahrscheinlich daher, daß dieses Feld eigentlich nicht von seiner unaufhebbaren kohärenten Verformung durch die symbolische Stiftung abgelöst werden kann. Wie es das Ich und die anderen nur durch eine anthropologische Faktizität, durch das »tätige Faktum« der symbolischen Stiftung gibt, so soll es durch die gleiche Faktizität und durch das gleiche »tätige Faktum« in jeder menschlichen Gruppe eine »Zeitvorstellung« geben. Aus welchen verborgenen phänomenologischen Quellen sich diese speist, bleibt nun die Frage, u.z. außerhalb der Husserlschen eidetischen Reduktion der Lebenswelt*, die notwenigerweise zu kurz greift. b) Die wechselseitige Transpassibilität der sprachlichen Sinnregungen: die Dephasierung innerhalb der Gegenwärtigkeitsphase (der Zeitigung) Wo die hyperbolisch-phänomenologische Epoché herrscht, in der die Selbstheit zwischen Auftauchen und Schwinden pulsiert, phänomenalisiert sich der Andere als Weltphänomen, aber als dieser »Typus« Weltphänomen, in dem sich Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung und Zeitigung/Räumlichung gliedern. Es gibt keinen Anderen, lehrt uns Husserl, ohne daß er der »Ort« von sprachlichen Phänomenen wäre, so grob sie auch sein mögen, d.h. ohne daß er »Ort« des Sinns wäre, dessen Inneres eben zu »appräsentieren« ist. Folglich gibt es keine Einfühlung*, ohne daß Sinn Sinn begegnete, d.h. ohne daß dabei der Sinn oder die Sinnregungen sich in den Begegnungen der Sinnregungen untereinander bildeten. Und diese Einfühlung* ist nur deshalb, und zwar für jeden, möglich, weil diese Begegnungen sich auf ihre Möglichkeiten gewissermaßen aus dem Inneren der Sinnregungen heraus, nämlich im Bewußtsein (con-science), öffnen. Bewußtsein (con-science) von sich bildendem Sinn oder Sinnregungen gibt es nur, weil die Sinnregungen immer schon in einer Andersheit erscheinen, die schon, zumindest potentiell, die des Anderen sind, was eine andere Formulierung dafür ist, daß es keinen Sinn gibt, der ausschließlich mir zugehörte, daß es also keine strikte oder ausschließliche Jemeinigkeit* der Faktizität des Sinns gibt. Daß zumindest im Verborgenen jeder Sinn aus einer Pluralität von Sinnregungen besteht, bedeutet zugleich, daß es zumindest im Verborgenen in jeder Gegenwärtigkeitsphase eine Pluralität von Gegenwärtigkeitsphasen gibt, die sich als solche als Selbstheit eines bestimmten Sinns reflektiert – und zwar noch vor dieser rätselhaften, dem Ich zugeschriebenen Selbstheit. Diese Vielfalt der Gegenwärtigkeitsphasen in der Gegenwärtigkeitsphase nennen wir die Dephasierung innerhalb jeder Gegenwärtigkeitsphase: sie stimmt mit der Transpassibilität der Sinnregungen zueinander überein, d.h. mit den passiven Synthesen dritten Grades der sprachlichen Phänomene und damit auch der sprachlichen wilden Wesen* als konkrete Spuren dieser passiven Synthesen in den passiven Synthesen zweiten Grades. Es gibt daher einen phänomenologischen sprachlichen Gemeinsinn, und sicherlich gehen genau von ihm die Zeichen und Regeln eines gestifteten Sprachsystems aus. Und dies wirft nun die Frage auf, wie diese sprachlichen wilden Wesen* und die außersprachlichen wilden Wesen* sich gliedern. Sie können sich eigentlich überhaupt nicht miteinander vermengen, da die ersteren sich in den Dephasierungen sedimentieren, d.h. im durch die Vielfalt der Zeitigungen/Räumlichungen geöffneten Winkel – durch die Pluralität der Sinnregungen, die von Anfang an der symbolischen Stiftung entgeht, selbst wenn sich diese notwendigerweise mit ihr abfinden – während die zweiten sich in den Klüften zwischen den Weltphasen sedimentieren, indem wieder die
213 Proto-Zeitigungen/Proto- Räumlichungen ins Spiel und in den Abgrund gebracht werden. Die Dephasierung innnerhalb der Gegenwärtigkeitsphase gehört wohl der Transpassibilität der Sinnregungen zueinander an, da deren Übergang ursprünglich nicht einer Art »Globalität« des Sinns bezüglich seiner selbst angehört, die ihm erlaubte, sich von sich aus zu Sinnregungen auszuwachsen: eine sorgfältige Reflexion dessen, was man allgemein unter Polysemie versteht, zeigt nämlich deutlich, daß diese »nicht deduzierbar« ist und nicht auf einen Meister-Signifikanten oder ein MeisterSignifikat zurückgeführt werden kann – selbst wenn er recht vage als Sein bezeichnet würde. Sie geht also nicht, wie Derrida es ausdrückt aus einer ursprünglichen »Dissemination« hervor, sondern man müßte im Gegensatz zu Derrida diese in ihrer Bewegung aufgreifen, wenn man nicht die Faktizität der Sinnregungen wiederum auf die träge Faktualität der Zeichen reduzieren wollte. Das Rätsel des Sinns ist tatsächlich, daß er den anderen Sinn zu ver-stehen (com-prendre) »vermag«, auch wenn er unerhört ist. Und das Rätsel würde weggewischt, wenn man dies damit begründet, daß alle möglichen Sinnregungen aus dem »Selben« (même) – »Sein« oder »Gott« – hervorgehen. Zwar ist der Sinn, wenn er da ist, mit einem Schlag der Zeitigung/Räumlichung der Phänomenalisierung der sprachlichen Phänomene da und zeigt sich gleich bereit, die außersprachlichen Welten zu vervielfältigen, zu bevölkern oder zu kolonisieren. Dies aber nicht, weil jeder Sinn immer Sinn des Selben ist oder Reduzierung des Anderen auf das Selbe, sondern weil jeder Sinn wegen seiner Transpassibilität von innen heraus jeden anderen Sinn zwar nicht hervorzubringen, aber doch zu empfangen vermag. Anders gesagt: weil es in jedem Sinn einen phänomenologischen Überschuß an Sinn über ihn »selbst« hinaus gibt, der jede Begegnung mit dem Anderen ausmacht. Dieser Überschuß ist genau das, was wir als die grundsätzliche Schieflage des Sinns im Verhältnis zu sich selbst bezeichnet haben. Es ist, als ob ganz wie bei den Hegelschen Gestalten des Bewußtseins der Sinn immer mehr wäre als das, was er von sich selbst innerhalb seiner selbst zu reflektieren vermag. Aber die Hegelsche Schwierigkeit steigert sich hier, nicht nur weil das Bewußtsein des Sinns nicht auf die Erkenntnis eines Objekts, außer durch verformende Abstraktion, reduzierbar ist, sondern auch, weil es keine symbolische Tautologie des Absoluten gibt, die dem Überschuß als Wegweiser oder letztes Maß dienen könnte. Der Überschuß ist unaufhebbar und ebenso unbestimmt wie unbestimmbar, und so gesehen stellt er schon eine Art von Ausblutung des Sinns in den Sinnregungen dar, die Drohung einer unaufhaltsamen Schwächung des Sinns, welche die symbolische Stiftung auf ihre Weise abzuwenden bereit ist. Die ursprüngliche Schieflage der Gegenwärtigkeitsphase besteht darin, daß diese sich im Bewußtsein (con-science) reflektiert, indem sie in es ihre Retentionen und ihre Protentionen einschreibt, wobei die ersten von einer Vergangenheit sind, die noch in der Gegenwärtigkeit, aber gerade da, allerdings in einem bestimmten ursprünglichen Abstand, auch in der Erwartung ihrer Zukunft ist. Die zweiten sind in ähnlicher Weise als eine Zukunft, die schon in der Gegenwärtigkeit und somit da, allerdings in einem bestimmten ursprünglichen Abstand, die schon von ihrer Vergangenheit angereichert ist. In diesem begleitenden Wissen (co-savoir) ist der Sinn selbst dieses (begleitende) Bewußsein (con-science), das den Verlauf seines Abrollens/Einrollens aufmerksam verfolgt und sich überwacht, und die Schieflage kommt daher, daß keine Identität besteht – es sei denn im für die Idealität konstitutiven Kurzschluß – zwischen dem, was darin ursprünglich als eine Gegenwärtigkeit verräumlicht wird, die in den Retentionen immer schon in der Vergangenheit ist, und dem,
214 was darin ursprünglich als eine Gegenwärtigkeit verräumlicht wird, die in den Protentionen noch immer in der Zukunft ist, ohne daß beides nun völlig verschieden oder einander fremd wäre, da sie über die Gegenwärtigkeit des sich bildenden Sinns aneinander gebunden sind – einer Gegenwärtigkeit, deren Gegenwart unfaßbar ist und nur durch Abstraktion fixiert werden kann, die zudem auf die ursprüngliche Endlichkeit der Gegenwärtigkeit verzichten muß, jener Zeit des Abenteuers des sich entfaltenden und sich einwickelnden Sinns. Allerdings zeitigt/räumlicht sich die Gegenwärtigkeitsphase nicht aus dem Nichts: sie entfaltet sich, wenn die Kluft der wilden Wesen* der außersprachlichen Welten sich in einen Riß verwandelt, in den Zeit wie zwischen ihre Retentionen und Protentionen eindringt, d.h. wenn die Zukunft sich als das Versprechen eines Sinns ankündigt, dessen Anspruch schon von der Vergangenheit her Gewicht hat, wenn also in einer einzigen Bewegung, sich die Zukunft in die Vergangenheit und die Vergangenheit in die Zukunft überträgt, wobei die beiden sich in der »gleichen« Zeit – der Raum-Zeit des Bewußtseins – überkreuzen. Dies bedeutet einmal, daß die Gegenwärtigkeitsphase in dem ursprünglichen Abstand zwischen den Retentionen und Protentionen angesiedelt ist, welche insofern in sie fallen, als diese sie reflektiert, außerdem, daß dieser Abstand nur insofern als solcher gehalten wird, als er sich in den ursprünglicheren und selbst nicht-reflexiven Abstand der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung der Zeit/des Raums einfügt. Auf diese Weise werden die wilden Wesen außersprachlicher Welten, die sich in der Kluft der Proto-Zeitigungen/Proto-Räumlichungen verweben, wieder aufgenommen und aufs neue, aber anders, verwoben in dem »gleichen« Zeit-Raum des Sinns, und insofern spielen sie in erster Annäherung die Rolle der phänomenologischen »Zeichen« des sich bildenden Sinns, wobei sie in den passiven Synthesen (zweiten Grades), die sie verweben, ebenso im Fluß sind wie der Sinn auf der Suche und auf dem Weg seiner selbst ist. Nach seinem Rhythmus der Zeitigung/Räumlichung werden so die wilden Wesen* außersprachlicher Welten in sprachliche Wesen* umgewandelt. Und dadurch auch verleiblichen sich die sprachlichen Wesen zu Welt und scheinen die sprachlichen Sinnregungen rätselhaft wie weltliche Sinnregungen. Dieser wirklich äußerst subtile und komplexe »Prozeß« der Phänomenalisierung des Sprachlichen bereitet einer Analyse, die nicht die kohärente Verformung einer Abstraktion in ihn hineintragen will, große Schwierigkeiten. Man muß sich insbesondere vor dem klassischen Bild eines Sinnes hüten, dessen Selbsterfahrung seiner Bildung so weit ginge, daß er sich ohne Rest und in ganzer Eindeutigkeit ergründet, sich gewissermaßen von sich selbst gesättigt oder ausgefüllt in einer Erfüllung befindet, die ihn auf die Idealität der Bedeutung reduzierbar machte. Denn das Bewußtsein verfügt eben nicht über ein aus sich heraus zwingendes Kriterium für die Erfülltheit, das hier Kriterium der Wahrheit wäre. In der Kantschen, später Husserlschen Terminologie handelt es sich hier nur um eine Idee, nämlich die teleologische, die der Sinn, während er sich in seiner Reflexion bildet, nur insoweit in sich trägt, als er in seiner Notwendigkeit darauf aus ist, sich an der Kontingenz der symbolischen Stiftung festzumachen. In seinem innersten Grund ist eigentlich der Zusammenklang des Sinns mit sich selbst in der Phase der Gegenwärtigkeit immer nur harmonischer Zusammenklang und niemals nur schlichte Adäquation untereinander: aus diesem mehr oder weniger komplexen harmonischen Zusammenklang besteht die Kohäsion oder hier eher die begriffslose Kohärenz, die den Sinn ausmacht, womit eine kohärente Verformung von Welten gemeint ist, die auf verschiedenen Wegen durchlaufen werden können – mit verschiedenen »Formulierungen« oder verschiedenen Rhythmen. Von diesem Zusammenklang und dieser Kohäsion her verweben
215 sich nun die sprachlichen Wesen* als phänomenologische »Zeichen« in dem ZeitRaum des Sinns als eine Art Stafette im Verlauf des Sinns an sich – konkrete, aber niemals – es sei denn durch Abstraktion – in der Phase eigentlich »gegenwärtige« Stafetten. Die Schwierigkeit der Aneinandergliederung sprachlicher Phänomene an außersprachliche Phänomene kommt daher, daß die ersten von dem sich bildenden Sinn her und hinsichtlich des sich bildenden Sinns sich – in einer begriffslosen Teleologie des Sinnes – zeitigen/räumlichen und nicht anläßlich und hinsichtlich der außersprachlichen Weltphänomenen und ihrer wilden Wesen*. Auch wenn der Sinn, wie wir gesehen haben, unmittelbar an den außersprachlichen Weltphänomenen ansetzt, so ist dies doch ein Ansatz des Sinns und nicht der Welten. Das zieht in den sprachlichen Phänomenen eine gewisse Blindheit, Unbewußtheit oder Unschuld gegenüber den außersprachlichen Phänomenen und den außersprachlichen Wesen* nach sich – was den Zugang zu ihnen so schwierig macht und jedenfalls jeden unmittelbaren ausschließt. Es waltet, anders gesagt, eine sprachliche Einbildungskraft*, welche sozusagen die in der Kluft verwobenen weltlichen wilden Wesen* »neu zusammensetzt«. Wenn aber nun die sprachlichen Wesen* in erster Linie die phänomenologischen »Zeichen« des sich bildenden Sinns sind, da sie aus den Spuren bestehen, in denen der sich bildende Sinn seinerseits seine Spuren vor und hinter sich, seinem dis-kursiven Verlauf entsprechend, hinterläßt, kann unmöglich gesagt werden, jedenfalls nicht mit der gleichen Stärke, daß sie weltliche »Zeichen« wären, die ohne Umschweife auf weltliche wilde Wesen* verwiesen. Die Verweise der sprachlichen Phänomene auf die außersprachlichen Weltphänomene haben praktisch nichts mit logischen und eindeutigen Referenzen zu tun: sie weben sich selbst und verweben sich untereinander auf komplexe Weise nach dem Rhythmus der Zeitigung/Räumlichung, und nach den vielfältigen Verweisen, die sich hineinflechten; und die sprachlichen Phasen (der Gegenwärtigkeit) sagen nur deshalb etwas von der Welt und den Welten, insofern sie »etwas sagen«, das sich eben nicht auf die Sättigung und Erfüllung der Bedeutung reduziert: ein abgründiges oder verborgenes »etwas«, das niemals ersten Grades ist. Es ist, als ob die anfängliche Blindheit gegenüber der Welt und den Welten die Vorbedingung dafür wäre, sie erahnen und blitzhaft apperzipieren zu können. Anders gesagt: Von einem streng phänomenologischen Standpunkt aus, d.h. ausgehend vom »Organ« oder dem Schema der Phänomenalisierung als Ort des Pulsierens und Umschlagens der Reflexivität der Selbstheit (des Sinns) und der Reflexivität ohne Selbstheit (der Phänomenalität), reflektieren sich sprachlich die außersprachlichen Weltphänomene mit ihren phänomenologischen Konkretheiten von wilden Wesen*, indem sie sich dabei in der Gegenwärtigkeit des sich bildenden Sinns zeitigen/räumlichen, tun dies aber nur in einer zumindest relativen Blindheit (der des phänomenologischen Unbewußten), die genau mit dem »Sehen« übereinstimmt, das beim Achten und dem »Über-Wachen« des sich bildenden Sinns in seiner Reflexion waltet. Nur insofern gibt es etwas im harmonischen sprachlichen Zusammenklang, das blind gegenüber den urwüchsigeren harmonischen Zusammenklängen der Welten (gegenüber der Transpassibilität der Welten) ist, d.h. gegenüber den wilden Sedimentierungen der wilden Wesen*. Bei näherer Überlegung macht gerade dies auch die Entfernung oder den Abstand der sprachlichen Phänomene zu den außersprachlichen Phänomenen aus, eine Entfernung, ohne die die ersten nicht einmal existieren könnten, da sonst jedes Sprachliche eo ipso sich selbst transparent und in der unmittelbaren Illusion seiner Apophantizität verfangen wäre, in der es nur sich selbst begegnete. Selbst wenn der Sinn sich grundsätzlich um seiner selbst willen bildet, um
216 in seiner Entwicklung (déroulement) das einzufangen, was von seinem Entwurf ihm immer schon in seiner Aufwicklung (enroulement) entgangen ist, um Protentionen und Retentionen wechselseitig ineinander einzuschreiben, dann ist dieses »um willen« in seiner grundsätzlichen Schieflage nicht ausschließend gemeint, sondern geht im Gegenteil mit einem urspünglichen Verhältnis zur Entfernung oder zum Abstand zu den Weltphänomen außer ihm einher. Aber diese Entfernung kann er sozusagen nicht als soche reflektieren, indem er gleichzeitig die im Sinn enthaltene Entfernung zwischen seinen Protentionen und Retentionen reflektiert: er kann, mit anderen Worten, nicht die beiden Entfernungen auf einmal abschätzen, was voraussetzte, daß sie dem gleichen Raum angehörten, während sie sich doch so ineinanderfügen, daß die zweite, welche die Räumlichung in der Zeitigung herstellt, sich nur durch die erste hält. Daß es dem Sinn niemals gelingt – oder dies nur sehr kurzfristig –, sich mit sich selbst zu erfüllen, daß er abgründig auf eine Abwesenheit geöffnet ist, in der er sich selbst abwesend ist, daß er sich ebenso leicht wieder verlieren kann wie er sich gewonnen hat, liegt an der Transzendenz der außerweltlichen Welten, in denen er trotz allem noch angesiedelt ist, trotz der ausschließlichen Sorge, die er an sich selbst zu wenden scheint, an seine sich in ihrer Faktizität bildende Selbstheit. Genau an diesem Ort kann man die phänomenologische Bedingung der Dephasierung innerhalb der Gegenwartsphase in den Blick nehmen. Sie liegt eben darin, daß die Phase niemals genau mit sich selbst »phasengleich« ist, insofern der sich darin bildende Sinn niemals vollständig von sich selbst gesättigt ist und in der Schieflage der Zeitigung/Räumlichung immer einen Überschuß, aber auch Mangel gegenüber sich selbst hat, d.h. im Verhältnis zu dem, was sich von ihm reflektiert oder sich in seiner Selbstheit wiedererkennt. Und diese innere Nicht-Übereinstimmung des Sinns, seine phänomenologische »Bewegung«, macht ihn den anderen Sinnregungen gegenüber transpassibel, was klassich formuliert heißt: öffnet ihn auf die Pluralität anderer (transpassibler) Sinnregungen und auf die Mehrstimmigkeit der Sinnregungen hin. In dieser komplexe Situation gliedern sich die passiven Synthesen dritten Grades, die sich hinsichtlich der Sinnregungen oder der sprachlichen Phänomene vollziehen, in die passiven Synthesen dritten Grades ein, die hinsichtlich der außersprachlichen Weltphänomene walten. Wir finden also hier den problematischen Ort der Angliederung der beiden Aspekte oder Seiten der passiven Synthesen dritten Grades wieder, was in der Angliederung der beiden Aspekte oder Seiten der passiven Synthesen zweiten Grades, nämlich der sprachlichen wilden Wesen* und der außersprachlichen wilden Wesen*, als Echo widerhallen muß. Vertiefen wir also diese Situation, in welcher der Sinn aus phänomenologischem Überschuß/Mangel gegenüber sich selbst auf andere Sinnregungen hin transpassibel wird, also die Fähigkeit hat, anderen Sinnregungen sowohl innerhalb als auch außerhalb seiner selbst zu begegnen. Wir stehen hier vor einer Situation, die sich als die analoge Übertragung der von Husserl anläßlich der transzendentalen Intersubjektivität beschriebenen Lage begreifen läßt, nämlich der Einfühlung*, wie sie Husserl im Text Nr. 16 des XIV. Bandes der Husserliana darstellt.3 So wie ich mich in diesem Fall an meinem »Ort« der Zeitigung/Räumlichung nur insofern verleibliche, als ich ein anderes Selbst an seinem »Ort«, der Zeitigung/Räumlichung Verleiblichtes appräsentiere, einem »Ort« der ursprünglich in Abstand zu meinem eigenen ist und den ich wegen meiner Verleiblichung nicht einfach besetzen kann, so kann man auch sagen, indem man wie wir den Begriff der Selbstheit zu dem der Selbstheit des Sinns verallgemeinert, daß der sich bildende Sinn sich in seiner Zeitigung/Räumlichung nur insofern verleiblicht, u.z. nicht nur als einziger oder ausschließlicher Sinn
217 seines Selbst, als er sich im ursprünglichen Abstand zu anderen Sinnregungen zeitigt/räumlicht, die in ihrer Zeitigung/Räumlichung ähnlich verleiblicht und ihm nicht fremd oder gleichgültig sind, sondern in ihrer urspünglich abständigen Form ihn mit ihrem blinden Spiel bewegen und durch Transpassibilität die Begegnung mit ihnen erlauben. Dieses blinde Spiel ursprünglicher, a priori vielfältiger Abstände in der Gegenwärtigkeitsphase bezeichnen wir als ihre innere Dephasierung, wonach gerade der Überschuß/Mangel des sich bildenden Sinns im Verhältnis zu sich selbst ihn mit den anderen Sinnregungen »neben« ihm »kommunizieren« läßt, sogar mit dem a priori unbestimmten »Ganzen« aller anderen Sinnregungen. Das bedeutet für die sprachlichen Phänomene das Entscheidende, daß in ihnen ein vollkommen in seinen phänomenologischen »Zeichen« als »reiner« sprachliche Wesen* verleiblichter Sinn nur dann vorhanden sein könnte, wenn er a priori »allen« a priori denkbaren und vorstellbaren Sinnregungen gegenüber transpassibel wäre. Aber abgesehen davon, daß diese »Totalität« nirgends existiert, (es sei denn als Idee), hieße dies zugleich, daß jeder Sinn in der begriffslosen Teleologie seiner Selbstheit sich und den außersprachlichen Welten gegenüber transparent oder daß die Transpassibilität aller Sinnregungen zueinander gewissermaßen unmittelbar wäre. Daraus folgte die ursprüngliche Verteilung aller sprachlicher Sinnregungen in einer Art einheitlicher Masse von Transpassibilität, womit die sprachlichen Phänomene sich in einer Art einheitlichem Raum, einem quasi-monadologischen Raum der Sinnregungen aufgelöst hätten. Die vollständige Verleiblichung des Sprachlichen bedeutete also ihr quasi-vollständiges Verschwinden im sprachlich phänomenologischen Unbewußten, und gerade da schiebt sich architektonisch die symbolische Stiftung der fungierenden Sprache zum Sprachsystem ein, und zwar auch notwendigerweise an dem Ort, wo es unaufhebbar in jedem sprachlichen Phänomen, nämlich in seiner von uns so genannten Unschuld oder Blindheit, einen Anteil von Entleiblichung gibt. Die abgeschlossene Verleiblichung der sprachlichen Phänomene ist ein architektonisches Ideal, das zugleich ihr Verschwinden bedeutete. An eben dieser architektonischen Grenze bedeutete übrigens ihr Verschwinden zugleich ihre Ununterschiedenheit im Verhältnis zum phänomenologischen Feld – zum phänomeologischen Unbewußten – der außersprachlichen Weltphänomene und die entsprechende Undifferenziertheit zwischen sprachlichen »Wesen« – sprachlichen wilden Wesen*, auf die wir noch zurückkommen werden – und außersprachlichen wilden Wesen*: an dieser Grenze wäre jedes Wesen* Sinn im inchoativen Zustand, nämlich im Pulsieren zwischen seiner Entstehung und seinem Verschwinden. Das wäre architektonisch äquivalent zum anschaulichen Verstand bei Kant. Das geht deshalb so nicht, könnte man mit Kant sagen, weil unser Verstand »diskursiv« ist. In unseren Begriffen und in architektonischer Übertragung bedeutet dies, daß es kein Denken ohne transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung, d.h., wie wir gesehen haben, ohne transzendentale »formbildende« und/oder »schöpferische« Einbildungskraft gibt. Es gibt insbesondere keinen Sinn ohne Zeitigung/ Räumlichung, d.h. ohne Zeitigungs/Räumlichungs-Schematismus. Dieser schließt nun notwendigerweise schematische »Ketten« ein, das Wirken von Schemata der sprachlichen Phänomenalisierung entlang einer an sich un-endlichen Doppelbewegung ohne arché und ohne télos, die also immer schon in einer transzendentalen Vergangenheit begonnen hat und die damit niemals in der transzendentalen Zukunft zu einem Ende kommen wird. Es handelt sich hier um eine transzendentale Vergangenheit und Zukunft des Sinns und von sprachlichen Phänomenen, die niemals in Gegenwärtigkeit stattgefunden haben und die niemals in Gegenwärtigkeit stattfin-
218 den werden. Diese »Kette« von unendlicher Progression/Regression in der fungierenden Sprache hindert diese seit je und für immer daran, sich zur Totalität abzuschließen, d.h. zum gestifteten »System« einer (damit offenbar universellen) Sprache, und sie führt in der gleichen Bewegung die fungierende Sprache wenn nicht zu ihrem wilden Zustand, so doch wenigstens zu ihrem wilden Ursprung zurück. Die sprachlichen Phänomene sind nicht weniger Phänomene als die außersprachlichen. Das will heißen, daß auch sie transzendentale Reminszenzen und Vorahnungen enthalten, d.h. ihnen eigentümliche wilde Wesen*, die wir deswegen hier sprachliche wilde Wesen* nennen. In ihnen sedimentiert und verwebt sich auf wilde Weise in der Gegenwärtigkeitsphase des Sprachlichen etwas vom unbestimmten »Ganzen« des Sprachlichen, d.h der anderen, trans-passiblen Sinnregungen: eine Wildheit des Sprachlichen, die sich sozusagen im Rücken – im phänomenologisch Unbewußten – des sich beim Bilden reflektierenden Sinns abspielt. Aber diese Wildheit ist eigentlich nichts anderes ist als die Spur der Transpassibilität der Sinnregungen zueinander in den sprachlichen wilden Wesen*, wobei es unerheblich ist, ob diese Sinnregungen in der Zeitigung/Räumlichung stattgefunden haben oder nicht. Und dieses Zusammenstimmen (concert) oder die Un-Stimmigkeit (dé-concert) dieser sprachlich wilden Wesen* im Verhältnis zum Konzert der sprachlichen Wesen* als phänomenologischer »Zeichen« des Sinns macht eigentlich die Dephasierung innerhalb der Gegenwärtigkeitsphase aus: jenen Teil von Unreflektiertheit der fungierenden Sprache gegenüber dem, was sie doch im sprachlichen Schematismus phänomenologisch verankert, oder dieser Anteil an Blendung durch die Selbstheit, die tendenziell das Sprachliche entleiblicht, indem sie es mit sich selbst in Zwiespalt bringt. Es folgt daraus, daß die von uns vollzogene Angleichung der sprachlichen wilden Wesen* an die phänomenologischen »Zeichen« des Sinns doch nur als eine erste Annäherung gelten darf, weshalb wir bezüglich der ersteren hinfort von sprachlichen Wesen* sprechen, wobei diese phänomenologisch von sprachlich gestifteten »Wesen« zu unterscheiden sind, d.h. von Zeichen im eigentlich semiotischen Sinn. Diese außerordentlich wichtigen Unterscheidungen werden wir durchdenken und verfeinern müssen. Berücksichtigt man, daß das konstitutive Element der Phänomenalität der sprachlichen Phänomene die Zeitigung/Räumlichung ist, so ergibt sich, daß die sprachlichen wilden Wesen* nur verzögerte Sedimentierungen und verfrühte Öffnungen auf die Zeitigungen/Räumlichungen sind, die nicht stattgefunden haben und niemals stattfinden werden, d.h. Spuren der immer schon abgebrochenen oder auf immer bevorstehenden Zeitungen/Räumlichungen: was wir ekliptische Sinnregungen genannt haben. Ein Teil von ihnen wirkt, wie wir gesehen haben, in den phänomenologischen »Zeichen«, was diesen überhaupt erst erlaubt, die Rolle von »Zeichen« des sich bildenden Sinns zu spielen – und nur deshalb können die »Zeichen« als Stafetten des Sinns dienen, der sich seinen Weg bahnt, indem er seine eigene Zeit bildet. Insofern gibt es, wie wir gesehen haben, in den phänomenologischen »Zeichen« die Voraussetzungen oder Risiken ihrer »Rückkehr« zum wilden »Zustand«, ihrer Verwandlung aus ihrem Zustand als Sinn-»Fetzen« zum Zustand vielfältiger sowohl abgebrochener oder zur Entwicklung bereiter Sinnregungen, die als Abgebrochene zu schlafen, und jeden Augenblick erwachen zu können scheinen. Deshalb verleiblicht sich der sich bildende Sinn, indem er gewissermaßen die phänomenologischen »Zeichen« in seine Richtung »gedrängt« hat, in dem, was, allerdings sehr transversal und sehr komplex, da sehr verschränkt, die »Zeichen« der Welten ausmacht. Dies gäbe es aber nur, wenn man eine restlose Zeitigung/Räumlichung des Sinns voraussetzte. Es kommt auch vor, daß der Sinn sich den Sinnregungen einschreibt, indem er ihnen
219 gegenüber transpassibel ist, d.h. indem er etwas an Sinn einbringt, an das der Sinn nicht gedacht hat. Gerade dieses »Etwas« trägt zur Kohäsion des sprachlichen Phänomens als Sprachlichem bei, ohne deswegen in Selbstheit reflektiert zu sein: es ist also der Teil der Phänomenalität des sprachlichen Phänomens, welcher der mit Selbstheit versehenen Reflexivität des Sinns entgeht und dessen Spuren als passive Synthesen zweiten Grades, die selbst Echos der schematischen Synthesen dritten Grades sind, durch die sprachlichen wilden Wesen* als sprachliche transzendentale Reminiszenzen/Vorahnungen konstituiert werden. Das klassische Denken, das sich innerhalb der symbolischen Stiftung der fungierenden Sprache zum Sprachsystem bewegt, reflektiert diesen Teil als Grammatik und Logik, der dies aber nur, wie leicht zu sehen ist, durch die kohärente Verformung der fungierenden Sprache zum Sprachsystem ist, d.h. in einer symbolischen Stiftung der noch »natürlichen« Sprache zu einer Sprache, deren Zeichen so eng wie möglich der angestrebten (und niemals erreichten) Eindeutigkeit der Bedeutungen angelegt sein sollen. Wenn wir aus umgekehrter Richtung auf die Spuren dieser kohärenten Verformung zurückkehren, ergibt sich folglich daraus, daß die hier angesprochenen sprachlichen wilden Wesen* die von uns an anderer Stelle4 so genannten formalen sprachlichen Wesen* oder sprachlichen Wesen* der »Logizität« sind – wobei »Logizität« im proto-logischen Sinn von Verkettungen der Zeitigungen/Räumlichungen zu verstehen ist, die in dieser oder jener sprachlichen Phase den sich bildenden Sinn als transzendentale »Erinnerungen« und »Antizipationen« des Sprachlichen in seinem unbestimmten »Ganzen« rhythmisieren. Diese Wesen sind darin formal und damit gewissermaßen im Sinn entleiblicht, daß sie solche dynamische Strukturen von »Lücken« konstituieren, die das eine phänomenlogische »Zeichen« zum anderen übergehen lassen. Der Überschuß/Mangel des sich bildenden Sinns im Verhältnis zu sich selbst ist gleichzeitig Überschuß/Mangel des Sprachlichen, des phänomenologischen Feldes des Sprachlichen im Verhältnis zu diesem oder jenem sprachliche Phänomen in seiner Zeitigung/Räumlichung. So gesehen brauche ich streng genommen niemals zuerst die Regeln der Grammatik und der Logik zu lernen, um richtig zu sprechen: lernen muß ich sie nur, weil sie eben etwas symbolisch Gestiftetes im Verhältnis zum »lebendigen« Gebrauch der Sprache als »natürlicher Sprache« oder »Muttersprache« sind. Die Verwebung der sprachlichen wilden Wesen* konstituieren also im sprachlich phänomenologischen Unbewußten, wir könnten sagen in seiner eigenen Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung, die vielfältigen, sich überkreuzenden Verweise der phänomenologischen »Zeichen« aufeinander – wobei es gleichermaßen zu einfach wäre, diese Verweise auf die syntagmatische Kette wie die Polysemie der phänomenologischen »Zeichen« auf die paradigmatische Achse zu reduzieren. Es sind mehr oder weniger abgestimmte oder unabgestimmte Verweise, je nach dem mehr oder weniger großen Verständnis, das der Sinn von sich selbst haben kann. Es gibt in jedem sprachlichen Phänomen nicht nur den sich bildenden Sinn, sondern immer auch den Sinn, der sich im phänomenologischen Feld des Sprachlichen sozusagen wieder einschreibt, um sich zu bilden, und zugleich das Sprachliche, das sich aufgrund seiner nicht teleologischen proto-zeitlichen und proto-räumlichen Horizonte in sich selbst einschreibt: eine Art interner Teilung der sprachlichen Phänomene und auch ihrer Dephasierung, ihre wechselseitigen, aber nicht unendlichen Transpassibilitäten. In das Innere dieser Teilung hat sich die symbolische Stiftung der Sprache eingeschoben, die selbst echohaft von einer Teilung erfaßt wird, in der sich das ansie-
220 delt, was wir in Phénoménologie et institution symbolique die »sich bildende symbolische Stiftung« genannt haben. Das meinten wir damit, als wir sagten: der Sinn ist sozusagen immer nur ganz da, nämlich mit seinen gerade noch erahnten transzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen von Sinnregungungen, die niemals gewesen sind und niemals sein werden. Wie die phänomenologische Pluralität der Welten, so ist auch die phänomenologische Vielfalt der Sinnregungen und sprachlichen Phasen ursprünglich, mit all den Transpossibilitäten ihrer durch Transpassibilität hervorgerufenen Dephasierungen. So gibt es eigentlich zwei ursprüngliche Abstände in den sprachlichen Phänomenen: einmal zwischen jeweils sich bildenden und transpassiblem Sinn – eine andere Version davon ist der Abstand zwischen einem bestimmten sprachlichen Phänomen (Gegenwärtigkeitsphänomen) zur phänomenologischen Masse – und zum anderen zwischen den sprachlichen und den außersprachlichen Phänomenen. Die hier sich schon abzeichnende Gliederung dieser beiden Abstände soll nun in ihrer ganzen Feinheit noch genauer herausgearbeitet werden. Und als Ansatzpunkt zu dieser Behandlung bietet sich uns ganz natürlich die Frage an, welches Verhältnis es zwischen sprachlichen und außersprachlichen wilden Wesen* geben kann. Offensichtlich gehören die passiven Synthesen zweiten Grades, die in beiden Fällen walten, nicht der gleichen Ordnung an: im ersten Fall bestehen sie in gewissermaßen formalen Sedimentierungen von sprachlichen Logizitäts-Fetzen, im zweiten in gewissermaßen materiellen Sedimentierungen von weltlichen Wesen*. Liegen die Dinge aber so einfach und artikulieren die ersten nicht phänomenologische »Zeichen«, d.h. weltliche Wesen*, die in »Eklipsen« oder in »Fetzen« von Sinn verwandelt wurden? Ist allein diese Gliederung für diese Verwandlung verantwortlich, oder trägt sie nur dazu bei, aber auf eine Weise, die gegenüber den Sinnregungen blind ist? Welches Verhältnis bestünde demnach in den sprachlichen Phänomenen zwischen entleiblichten formalen Wesen* in Logizitäts-Fetzen und den verleiblichten formalen Wesen*, die zumindest die weltlichen wilden Wesen* auf ihren Status der Eklipse und der Verstärkung (in Eklipsen) des Sinns öffnen? Anders gesagt: wie transportiert das Sprachliche trotz allem, trotz seiner Blindheit gegenüber den Welten, weltliche wilde Wesen*? Und wie beziehen sich dann die sprachlichen Phänomene, wie komplex auch das Verhältnis sein mag, auf die außersprachlichen Weltphänomene? Damit ist die Ordnung unserer Fragen angerissen, die wir als solche noch nicht gleich behandeln können. Wir müssen zuerst aus einer gewissen Distanz heraus die Verwandlung verstehen, die sich am phänomenologischen Feld der außersprachlichen Weltphänomene durch den Ausbruch der sprachlichen Phänomene in ihm vollzieht. Wir werden dabei auf die wirkliche Begegnung mit dem Sinn zurückkommen, die durch den Sinn selbst ermöglicht wird, und zwar durch eine Transpassibilität der gleichen Ordnung wie die in der Husserlschen Einfühlung* waltenden, und von daher werden wir auch das wieder aufgreifen, was wir vom phänomenologischen »Gemeinsinn« angerissen haben. Wenn es in der Abstraktion nur eine einzige Gegenwärtigkeitsphase gäbe, wären die unmittelbar in dieser Phase sich abzeichnenden sprachlichen Wesen* allerdings ununterscheidbar von den weltlichen wilden Wesen*, und zwar, weil der sprachliche transzendentale Schematismus als Schematismus der Phänomenalisierung aus sich heraus nicht vom transzendentalen Schematismus unterschieden ist, in dem sich in der Transpassibilität die außersprachlichen Phänomene synthetisieren. In gewisser Hinsicht kann man sagen, daß das sprachliche Phänomen sich in einer begriffslosen schematischen Teleologie phänomenalisiert, d.h. in der selbst schematisierenden Re-
221 flexion eines transzendentalen Schemas der außersprachlichen Phänomenalisierung – indem es sozusagen auf sich selbst abzielt, »re-schematisiert« sich dieses Schema, indem es sich in sich selbst schematisiert, was es nur tun kann, wenn es die phänomenologischen »Kategorien« der Bestimmbarkeit und der Quantifizierbarkeit spielen läßt, wobei es die außersprachlichen wilden Wesen* neu verteilt, indem es sie in einem einzigen Zeit-Raum neu verteilt. Idealiter, dieser Abstraktion angemessen, wäre dieses einzelne sprachliche Phänomen dann »perfekt« verleiblicht, wenn es restlos die Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung in der Zeitigung/Räumlichung reflektierte. Das könnte nur dann geschehen, wenn es nur ein außersprachliches Weltphänomen gäbe, und entsprechend einen eizigen Weltsinn, der die Wahrheit des ersteren wäre. Eine der Onto-Theologie nahe Situation also, da ein Denken, das nur in ein einzigen Schema der Weltphänomenalisierung eingelassen ist, wiederum dem anschaulichen Verstand nahe wäre, einer ohne Rest umfassenden »Vision« der WeltWesen*, die eo ipso ihre eidè wären. Hier wäre der sprachliche Zeit-Raum auf einmal als weltlicher Zeit-Raum ausgebreitet, d.h. als Negation des Zeit-Raums, da die Zeit an sich zeitlos und der Raum an sich raumlos ist – wobei ihre Koinzidenz das »auf einmal« dieses Ausbreitens bedeutete. Man muß nicht nur, wie wir gesehen haben, eine ursprüngliche phänomenologische Vielfalt außersprachlicher Welten annehmen, sondern auch eine nicht weniger ursprüngliche phänomenologische Vielfalt von sprachlichen Sinnregungen: diese beiden Pluralitiäten halten sich in ihrer begriffslosen Kohäsion durch den phänomenologischen Schematismus, d.h. durch die passiven Synthesen dritten Grades, welche die außersprachlichen und die sprachlichen Phänomene zueinander transpassibel machen. Wenn sich also in der Zeitigung/Räumlichung Sinn phänomenalisiert, dann tut er es zugleich als »Element« einer unbestimmten phänomenologischen Pluralität von Sinnregungen, für die er immer schon und auf immer transpassibel ist. Gerade das macht auch seine von uns so genannte Autonomisierung als Sinn aus, denn er verleiblicht sich nur insofern als mit sprachlicher Zeitigung/Räumlichung verbundenem Sinn – und nicht als durch die symbolische Stiftung hypostasierte Bedeutung –, als er mit seinen wilden Wesen* Reminiszenzen und Vorahnungen von anderen verleiblichten transpassiblen Sinnregungen enthält. So konstituiert sich auf einmal eine Pluralität von Sinn-Welten, von sinnhaften Welten, die ursprünglich von der Vielfalt der außersprachlichen Welten abgehoben, d.h. gewissermaßen jenseits des Sinns sind. Anders gesagt, jede sprachliche Phase stimmt in ihrer Zeitigung/Räumlichung selbst auch mit einer Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung überein, die ihr insofern eigentümlich ist, als sie ihr ihre schematische transzendentale Vergangenheit und ihre schematische transzendentale Zukunft zuweist, deren Gegenwärtigkeitsphase niemals stattgefunden hat, da sie immer schon in der transzendentalen Vergangenheit verschüttet ist, und die nie stattfinden darf, da sie für immer in eine transzendentale Zukunft entrückt ist. Diese sprachlichen Wesen werden als phänomenologische »Zeichen« des Sinns entsprechend dem harmonischen Zusammenklang des Sinns in der Phase untereinander zugeschnitten, wobei ihr Zuschnitt nicht nur dem sich bildenden Sinn zuzuschreiben ist, sondern auch den im formalen »Zustand« bleibenden sprachlichen wilden Wesen*. Wie durch einen unmittelbaren Fortpflanzungs- und Kolonisierungseffekt autonomisieren sich dabei diese sprachlichen Wesen* als Eklipsen oder transpassible Sinn-Fetzen, und fallen in die außersprachlichen Welten ein. Oder vielmehr: jedes außersprachliche wilde Wesen* ist auf einer Bahn, auf der es sich in Eklipsen oder in transpassible Sinnfetzen verwandeln kann, was eine parallele Verwandlung der außersprachlichen Welten impliziert, da es eben
222 keine transpassiblen Eklipsen oder Sinnfetzen gibt ohne deren sprachliche Logizitäts-Fetzen. Gerade das vermittelt die Illusion, daß die mit der Transpassibilität übereinstimmende Transpossibiliät von der Möglichkeit absorbiert werden könnte, daß die fungierende Sprache nur eine äußerst komplizierte Kombinationsweise von Sinnfetzen ist, die den harmonischen Zusammenstimmungen folgt, die unter den Logizitätsfetzen möglich sind, deren transzendentale Spuren sie gewissermaßen tragen: wie man merkt, liegt darin ein möglicher Ansatzpunkt, in die symbolische Stiftung der fungierenden Sprache mit ihrer (transzendentalen) Illusion der Geschlossenheit einzudringen. Damit wird der ganz außerordentliche Reichtum des von Henri Maldiney geprägten Begriffes der Transpassibilität hinsichtlich des Sprachlichen angesprochen: er erlaubt, der Hypostasierung des »Systems« der Sprache als geschlossener, potentieller und/oder virtueller Totalität zu entgehen, deren Aussagen dann nur die »Performanzen« oder die »Aktualisierungen« durch ein »Subjekt« wären. Wir berühren da einen wesentlichen, paradox gefaßten Punkt, denn die sprachlichen Phänomene scheinen die Eigenheit zu haben, ihren phänomenologischen Ursprung (als das, was sie aus phänomenologischer Sicht architektonisch möglich macht) wenn nicht auszulöschen, so doch zumindest ganz zu verwischen. Wenn wir der Bewegung, die wir gerade angerissen haben, bis zum Ende folgten, gäbe es kein feststellbares außersprachliches Wesen* mehr und unsere Phänomenologie löste sich in eine spekulative Theorie auf. Man muß also auf das zurückkommen, was die sprachlichen Sinnregungen wechselseitig transpassibel macht, auf das, was den gegenseitigen Übergang ermöglicht, und zwar nicht nach den Möglichkeiten einer symbolischen Stiftung, um deren Ausschaltung durch die Hyperbel der phänomenologischen Epoché man sich bemühen sollte, sondern nach der Transpossibilität oder vielmehr nach den Transpossibilitäten. Es geht also nicht um den Übergang von Bedeutung zu Bedeutung, sondern von Sinn zu Sinn. Insbesondere muß es einen Unterschied zwischen der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft der außersprachlichen Weltphasen und der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft der sprachlichen Phasen geben. Sind im ersten Fall die außersprachlichen Welten transpassibel, so im zweiten die sprachlichen Welten, d.h. die Gegenwärtigkeitsphasen. Nun sind die außersprachlichen Welten nicht a priori fähig, sich in der Gegenwärtigkeit zu zeitigen/räumlichen, wohl aber die sprachlichen Welten. In der phänomenologischen Konkretheit bedeutet dies, daß im ersten Fall die weltlichen wilden Wesen* eo ipso sozusagen »unmittelbar« als Weltwesen*, als wilde Wesen von Welten verleiblicht sind, die unmittelbar – wobei jede Zeit und Raum bildende Reflexivität kurzgeschlossen ist – Träger von nicht teleologischen Horizonten transzendentaler Vergangenheit und Zukunft und damit unmittelbar auf die Kluft der Proto-Zeitigung/ProtoRäumlichung geöffnet sind. Im zweiten Fall sind die in phänomenologische »Zeichen«, in transpassible Eklipsen oder Sinn-Fetzen verwandelten weltlichen wilden Wesen* als weltliche Wesen* sozusagen nur noch durch die Vermittlung von Logizitäts-Fetzen verleiblicht, die sie zuschneiden und damit auf die wechselseitige Transpassibilität der Sinnregungen hin öffnen, wobei sie diese so gesehen schon, zumindest der Tendenz nach, aus der Welt entwurzeln und dabei dem sich bildenden Sinn die Sorge überlassen, sie wieder in der Welt zu verankern. Diese Vermittlung ist auch, wie man bemerkt, eine tendenzielle Entleiblichung, gegen die der zu bildende Sinn immer zu kämpfen haben wird, indem er versucht, die in der Zeitigung/Räumlichung des Sinns immer schon verdeckten und immer noch entrückten Logizitäten wieder einzuschreiben – als ob, um den Sinn vollständig im Sprachlichen zu verleib-
223 lichen, dabei zugleich alle Sinnregungen, für die er transpassibel ist, zu verleiblichen wären, was unmöglich ist, weil es bedeutete, von vornherein die Transpossibilität in der Möglichkeit aufgehen zu lassen und alles auf eine neue Art von transzendentalem Solipsismus des Sinnes zurückzuführen, dessen Zeuge in der symbolischen Stiftung die vorausgesetzte und vermutetete Eindeutigkeit der Bedeutungen ist, und in der Philosophie die Annahme eines Sinns einer Welt. c) Wechselseitige Transpassibilität und Interfaktizität der Sinnregungen: die ursprüngliche Räumlichung und das phänomenologische Erhabene des Sprachlichen Diese tendenzielle Entwurzelung oder diese tendenzielle Entleiblichung sind schon der Schattenriß des Todes für die Welt im Sprachlichen, d.h. eine in ihm enthaltene Gestalt des phänomenologischen Erhabenen, und deshalb hat sich die symbolische Stiftung in ihnen festgesetzt, aber mit ihrem doppelten widerprüchlichen Aspekt, sowohl eine Weise der »Disziplinierung« des Todes zu sein, indem sie die Verleiblichung der Sinnregungen im Sprachlichen »diszipliniert«, als auch eine Weise, die Gefahren noch zu erhöhen und die Entleiblichung noch weiter zu treiben, da es keine mögliche »Disziplinierung« der Transpassibilität und der ihr entsprechenden Transpossibilität gibt, oder weil die ursprüngliche phänomenologische Pluralität der Sinnregungen sich nicht ohne die doppelte, saturnale oder jupiterale5 Artikulierung einer Art von »transzendentalem Despotismus« der Sprache auf die Einheit oder das Eine reduzieren kann – wobei die Pluralität die Gestalt eines alles verschlingenden Abgrunds annimmt, gegen den man die weise und gemessene Einheit der Sprache einrichten muß (wir werden darauf noch zurückkommen), zumal nichts aus dieser Einheit selbst heraus den Verfall zum blinden symbolischen System eines symbolischen Gestells* verhindern kann, in dem die Pluralität sich in »Dissemination« verwandelt hat. Die Frage des Sprachlichen ist also eo ipso die Frage der Verleiblichung der Sinnregungen im Sprachlichen und damit die Frage unserer Verleiblichung unseres In-derWelt-Seins als ein jeweils meiniges Sein in die jeweils meinige Faktizität der Welt. Am Ende des von uns eingeschlagenen Umwegs finden wir die Husserlsche Einfühlung* und ihre Probleme wieder, gewinnen aber ein viel feineres Verständnis dafür, warum die konkrete Begegnung des verleiblichten Anderen, diese durch Transpassibilität transpossible Begegnung, notwendig ist, um meine Verleiblichung besser zu verankern. Um dies zu erkennen, brauchen wir nur von der Dephasierung innerhalb der Gegenwärtigkeitsphase, die nach unseren bisherigen Untersuchungen immer schon und für immer im sprachlichen Schematismus wirkt, überzugehen zu der gewissermaßen »realisierten« Dephasierung in der »wirklichen« Begegnung zweier Gegenwärtigkeitsphasen in einer Ko-Gegenwärtigkeits-Phase, in der sich Sinn neuerlich auf die Begegnung von zwei Sinnregungen hin bildet, die sich in einer Dephasierung in der Gegenwärtigkeit verweben. Anders gesagt, handelt es sich nun darum, auf allgemeinste Weise die wechselseitig dephasierten Zeitigungen/Räumlichungen von mehreren Sinnregungen in der »Gleichzeitigkeit« der »selben« Zeit, in welcher diese Sinnregungen sich hinsichtlich eines mehr-deutigen Sinns »re-phasieren«, zu berücksichtigen. In einer solchen Situation befindet sich immer auch, vielleicht weniger abstrakt, die fungierende Sprache, weil der Sinn nicht nur gegen das zu kämpfen hat, was ihn aus seinem Inneren heraus mit der Vernichtung droht, sondern »gleichzeitig« gegen die Mißverständnisse heraufbeschwörenden Zwei- oder gar Mehrdeutigkeiten, die immer den sich bildenden und sich gleichwohl in dem »Hinsichtlich« seiner begriffslosen Teleologie suchenden Sinn auseinanderzusprengen
224 oder sogar gegen ihn selbst zu wenden drohen, – Bedrohungen des harmonischen Zusammenklangs auf der Suche nach sich selbst durch Dissonanzen. Gerade an dieser Stelle werden auf scheinbar paradoxe Weise die außersprachlichen wilden Wesen* zu ihrer Möglichkeit zurückkehren, phänomenologisch konkret erhellt zu werden, denn gerade hier können sie, wenn wir wir es auch nur erst formal sehen, wieder ins Spiel gebracht werden durch eine Art von »Einsatz« auf die Verleiblichung des Sinns, der aus der Begegnung hervorgeht. Was geschieht nun in dieser »vielschichtigen« Gegenwärtigkeitsphase, die sich auf mehrere Spannweiten zugleich verteilt und in der verschiedene Sinnregungen sich verweben, zwischen ihnen zirkulieren, sich abstimmen (se concerter) und aus der Fassung geraten (se déconcerter) hinsichtlich dessen, was oft wie ein komplexer Sinn »zweiten Grades« scheint? Oder: was geschieht eigentlich in dieser Art von Kontrapunkt des Sinns durch den Sinn, der uns sowohl der Musik als auch der Poesie annähert und so uns demgemäß von den rohen und wilden Konkretheiten der Welten zu entfernen scheint? Offensichtlich versteht ein Sinn, wenn er einen anderen in der gleichen Gegenwärtigkeitsphase »versteht«, diesen nicht einfach mit seinen eigenen Mitteln, sondern er »versteht« ihn in der Entfernung, da, wo er sich bildet, durch die Vermittlung der Transpassibilität. Das bedeutet, daß es in der phänomenologischen Pluralität der Sinnregungen einen ursprünglichen Abstand zwischen verschiedenen Sinnregungen gibt, der durch eine Art von Verdoppelung der Räumlichung in Zeitigung sich in die Dephasierung einer Gegenwärtigkeitsphase übersetzen kann. Im Fall des Verstehens kann diese Übersetzung durch eine Art harmonischen Einklangs zwischen der in jedem Sinn waltenden Räumlichung und der Verdoppelung der Räumlichung, durch die ein Sinn als Echo zu einem anderen Sinn »widerhallt«, geschehen. Es ist als ob die Räumlichung den Sieg über die Zeitigung davontrüge, u.z. so weit, daß diese sich nun erholen müßte, um sich zu »rephasieren« – was nicht immer stattfindet, und aus einem solchen »Scheitern« besteht, wie wir in Phénoménologie et institution symbolique zu zeigen versucht haben, die transzendentale Matrix des symbolischen Unbewußten. Das bedeutet, daß die interfaktizielle Bedeutung der Sinnregungen gleichermaßen eine Chance für eine Art Überschuß an Verleiblichung der sprachlichen Sinnregungen ist und eine Gefahr gesteigerter Entleiblichung, in der die sprachlichen Wesen sich in »Signifikanten« verwandeln, die gegenüber dem Sinn blind sind und so weit gehen, daß sie außersprachliche weltliche wilde Wesen* symbolisch »markieren«. Diese Situation müssen wir nun genauer verstehen, da sie sowohl für den phänomenologischen »Gemeinsinn« wie für das konstitutiv ist, was in ihm als »Lücken« des Unsinns, als so etwas wie »schwarze Löcher« der Sinnregungen erscheint, in denen Sinnregungsfetzen sozusagen verschlungen werden, um niemals wieder aufzutauchen. Das ist die schwierge Situation der Verleiblichung, die niemals »gelöst« wird. Noch genauer ist die Art und Weise zu begreifen, in der die »Verdoppelung« der Räumlichung sich in die Räumlichung einfügt, die sich in der Zeitigung des Sinns vollzieht. Diese ist, wie wir gesehen haben, nichts anderes als der ursprüngliche Abstand, der sich zwischen den Protentionen und Retentionen als Echo der in der Proto-Zeitigung fungierenden Proto-Räumlichung einrichtet. Das bedeutet, daß jede Dephasierung in der Gegenwärtigkeitsphase sich immer schon in den Protentionen und Retentionen als Transpassibilität für vielfältige Abstände in ihnen eingeschrieben haben muß. Unter der Berücksichtigung, daß das ursprünglich für die Protentionen und Retentionen Konstitutive nur aus der Verwandlung der Kluft der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung in einen Riß besteht, in dem die Kluft sich wieder auf-
225 nimmt, um sich zu reflektieren, dann folgt daraus, daß dieser Riß eigentlich ursprünglich vielfältig und durch Transpassibilität zu mehreren Abständen und damit zu mehreren Sinn-Ent-würfen bzw. Sinn-Ansprüchen fähig ist. Wenn man weiterhin bedenkt, daß das im Pulsieren der Phänomenalität in der Kluft Hin- und Hergehende nichts anderes als die proto-zeitliche/proto-räumliche Verwebung der weltlichen wilden Wesen* ist, dann folgt daraus, daß sich zumindest etwas von dieser Verwebung durch Transpassibilität verräumlicht, indem es sich in transpassible Abstände zwischen Protentionen und Retentionen für Vielfältigkeiten transpassibler Sinnregungen aufspaltet. Es ergibt sich also, daß die Eingliederung der Zeitigung/Räumlichung in die Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung niemals einfach, sondern ursprünglich vielfältig ist und daß in der Begegnung der Sinnregungen innerhalb der Dephasierung, doch etwas von den weltlichen außersprachlichen wilden Wesen* wieder ins Spiel gebracht wird, durch das Zusammen- bzw. Auseinanderbringen von vielfältigen Rissen in der Kluft der Verwebung. Noch einmal anders gesagt, wenn man bedenkt, daß diese wilde Verwebung phänomenologisch konstitutiv für eine weltliche Phase als weltliche Proto-Gegenwärtigkeit ist, also für eine wilde weltliche »Landschaft«, die durch ihre wilden Wesen*, die deren phänomenologische Konkretisierungen sind, für die Welten transpassibel ist, und wenn man bedenkt, daß die Zeitigung/Räumlichung dabei nur in der Öffnung eines Ent-wurfs ansetzten kann, der sich erst noch mit einem räumlichenden/zeitigenden Verlauf in der weltlichen »Landschaft« verwirklichen muß, dann ergibt sich, daß die vielfältige Zerrissenheit der Kluft der Verwebung eigentlich nichts anderes ist als die aus transzendentaler phänomenologischer Sicht erste Räumlichung der Vielfalt der zeitigenden/räumlichenden Verläufe in der weltlichen »Landschaft« – genau das, was auf ihre Art die moderne Malerei immer gesucht hat. Und diese »erste« Räumlichung wird in der Transpassibilität der interfaktiziellen Begegnung zwischen den Sinnregungen wieder ins Spiel gebracht. Die a priori Vielfalt der transpassiblen Abstände zwischen Protentionen und Retentionen findet in der Tat notwendigerweise ihren Widerhall in den phänomenologischen »Zeichen« von Sinnregungen, indem sie diese auf verschiedene Weise in a priori Vielfältigkeiten von füreinander transpassible Sinn-Eklipsen oder Sinn-Fetzen auffächert. So ist eigentlich der durch keine symbolische Stiftung der fungierenden Sprache zum Sprachsystem aufhebbare phänomenologische Ursprung dessen beschaffen, was man weit von ihm entfernt unter der »Polysemie« der »Zeichen« versteht: diese ist in der Tat nur das ferne Echo der wechselseitigen Transpassibilität der Sinnregungen und der ursprünglichen Auffächerung der phänomenologischen »Zeichen« zu Sinn-Eklipsen oder Sinnfetzen. Sie ist nur das Echo der ursprünglichen Räumlichung der zeitigenden/räumlichenden Sinnwege in die außersprachlichen wilden Welten, d.h. der ursprünglichen Räumlichung der weltlichen »Landschaften«. Aus dieser entspringt der phänomenologische Gemeinsinn, und wir müssen uns zu dem Zugeständnis durchringen, daß aus dieser Sicht nicht etwa die Zeitigung den Sieg über die Räumlichung davonträgt – was zum transzendentalen-existentialen Solipsismus des Sinns und zu seiner Entleiblichung führt –, sondern genau umgekehrt die Räulichung ursprünglich gegenüber der Zeitigung die Oberhand behält. Es ist eine Räumlichung der weltlichen »Landschaft« und damit des davon untrennbaren Leibs*, aber eine Räumlichung, die, was man nie aus dem Auge verlieren darf, nur beim Einsetzen der Zeitigung oder vielmehr der Zeitigungen in Gang kommt. Eine solche Räumlichung ist also niemals »Dissemination«, es sei denn im Verfall der symbolischen Stiftung zum symbolischen Gestell*.
226 Es gibt also, in einem quasi-unerfaßbaren »Moment«, den wir nur für Analysezwecke »isolieren«, einen Anteil außersprachlicher Weltphänomene, der sich der Zeitigung »widersetzt«, der sich in seinem Abstand aufrechterhält und der durch diese transzendentale Räumlichung, die eigentlich selbst schematisch ist, auf die Zeitigungen/Räumlichungen im Sprachlichen zurückwirkt. Diese Räumlichung ist wohlgemerkt nicht Proto-Räumlichung, weil sie es von »Ortschaften« der Welt in einer bestimmten Phase von Proto-Gegenwärtigkeit ist und nicht von »unzugänglichen« Orten, die über die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit hinausgetragen werden. Sie vermag auch nicht sozusagen mit einem Mal die weltliche »Landschaft« einer Art Panoramasicht anzubieten, die umfassend räumlich ist, da sie nur das Zusammenspiel von Zeitigungen/Räumlichungen ist, das sich nur durch die Vielfältigkeit der Gespaltenheiten protentionaler/retentionaler Abstände öffnet. Oder auch: sie ist ihre Räumlichung und nicht ihr Raum: zweifellos die Spur der Kluft der Verwebung in ihrer Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung innerhalb der Zeitigung/Räumlichung. Das ist ein entscheidender Punkt, den wir noch vertiefen müssen, da er am ehesten die Gliederung nicht nur der zwei »Aspekte« oder »Seiten« der passiven Synthesen dritten Grades (zwischen außersprachlichen und sprachlichen Welten), sondern auch die beiden »Aspekte« oder »Seiten« der passiven Synthesen zweiten Grades (zwischen außersprachlichen und sprachlichen wilden Wesen*) betrifft – weil also er am ehesten eine mögliche Phänomenologie des Sprachlichen betrifft. Bevor wir in die systematische Behandlung eintreten, können wir, auch um diese besser zu situieren, schon jetzt aus dieser Erhellung bestimmte Schlußfolgerungen ziehen. In dieser Transpassibiltät der Sinnregungen für die Sinnregungen durch die ursprünglichen Abstände ihrer ursprünglichen Räumlichung in dieser oder jener weltlichen Phase handelt es sich nämlich um die Transpassibilität von Gegenwärtigkeit zu Gegenwärtigkeit, die sich in den Begegnungen des Sinns mit dem Sinn und mit den dabei vorausgesetzten Dephasierungen vollzieht, sei es in der Abstimmung eines Sinns, der sich re-phasiert oder in dem Auseinandertreten, das dazu neigt, den Sinn in seinem sprachlichen Phänomen zu entleiblichen, indem er im Zustand von formalen sprachlichen Wesen* »Logizitäts«-Fetzen herumirren läßt, die jedoch die sprachlichen Wesen*, die phänomenologischen »Zeichen«, blind neu zuschneiden – und zwar schon nach der eigentümlichen Bewegung der symbolischen Stiftung. Das soll heißen, daß im Zusammenstimmen der Begegnung ein Teil dieser umherirrenden »Logizitäts«-Fetzen fähig ist, sich in der von uns so genannten Auffächerung der phänomenologischen »Zeichen« als Fetzen oder Eklipsen von Sinn zu verleiblichen, indem er darin andere dafür transpassible Sinnwege entdecken läßt, und indem er zumindest in seinem Zustand als Fetzen Sinn in Sinn wieder einschreibt, wobei dies allerdings immer noch »auf Distanz« geschieht. Das bedeutet des Genaueren auch, daß die weltliche »Landschaft« sich als solche eigentlich nur in der Verwebung der Sinnregungen und der Sinnfetzen konstituiert, die im Konzert der Begegnung stattfindet, und daß diese Landschaft sozusagen von ihrer inchoativen zu ihrer sich vollziehenden Transpassibiltät übergeht, in der es nun uns erlaubt ist, uns zu begegnen oder uns zu »erkennen«. Diese sprachliche weltliche »Landschaft« bewahrt dennoch immer durch die ursprüngliche Räumlichung der wechselseitig transpassiblen Zeitigungen/Räumlichungen in ihr die Spur ihrer Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung, d.h. die nicht teleologischen Horizonte ihrer transzendentalen Vergangenheit und Zukunft, und die Spuren der wilden Wesen*, von denen sie ihre phänomenologische Konkretheit erhält. Das heißt bei näherer Überlegung, daß etwas dieser ursprünglichen Räumlichung in die Horizontalisierung durch die transzendentale Vergangen-
227 heit und Zukunft wieder aufgenommen wird, anders gesagt, daß die durch diese Räumlichung (die Schematisierung ist) wechselseitig transpassiblen Gegenwärtigkeitsphasen in diese Horizontalisierung gleichermaßen wieder aufgenommen werden, um das von uns so genannte Massiv der Vergangenheit und der Zukunft zu konstituieren. Mit wiederum anderen Worten ist diese ursprüngliche Räumlichung der Vielfalt der wechselseitig transpassiblen Sinnregungen nicht zu trennen von der innerlich mit ihr verflochtenen ursprünglichen Räumlichung der Erinnerung und der Antizipation, wobei die Verbindung, nach der Husserl vergeblich gesucht hat, zwischen der in der Einfühlung* sich vollziehenden Appräsentation und der sich in der Wiedererinnerung (gleichermaßen Er-innerung* und Wiedererinnerung*) vollziehenden Vergegenwärtigung der Vergangenheit mit ihrer Distanz zum Vergangenen besteht. Es gibt kein Gedächtnis (und keine Antizipation) ohne Andersheit, und dies läßt auch die Aussage zu, daß es ebenso keine Andersheit ohne Gedächtnis (und Antizipation) gibt, denn in beiden wirkt, wenn auch auf jeweils verschiedene Weise, der gleiche Abstand, der ein Abstand der Abwesenheit in der Gegenwärtigkeit ist. Insofern bedeutet die Verleiblichung der Sinnregungen in den sprachlichen Phänomenen die immer tendenzielle und niemals abgeschlossene Verwandlung der Transpassibilität dieses bestimmten sprachlichen Phänomens gegenüber seiner transzendentalen Vergangenheit und Zukunft – gegenüber den sprachlichen Phasen, die niemals stattgefunden haben und die niemals stattfinden werden – in die Transpassibilität eines bestimmten und in bestimmten sprachlichen Phänomen verleiblichten Sinns gegenüber anderen Sinnregungen, die auf ihre Weise in anderen sprachlichen Phänomenen verleiblicht sind, d.h. gegenüber anderen trans-passiblen Gegenwärtigkeitsphasen, die bereits stattgefunden haben, aber vergessen sind, und die noch stattfinden sollen, obwohl sie unerhört und unvorhersehbar sind. Und diese Verwandlung geschieht nicht im »Zugleich« einer bestimmten Gegenwärtigkeitsphase, welche ihre Retentionen und Protentionen zusammenhält, sondern im phänomenologischen Pulsieren der ursprünglichen Räumlichung, die immer schon als innere Dephasierung der Gegenwärtigkeitsphasen wirkt, ob nun im Konzert der Begegnungen von Sinn mit Sinn oder im Auseinandertreten (déconcert) in der Verfehlung. Dieser ursprünglichen Räumlichung auf gleicher Stufe eine sie einverleibende Zeitigung zuzuordnen, wäre also eine phänomenologische transzendentale Illusion, die von einem architektonischen Irrtum herrührt: der symbolischen Stiftung gelingt es nur, die Räumlichung zu vereinigen, aber als bereits gebildeten Raum einer einzigen Welt in einer Zeit, die gleichförmig in der selben Geschichte verläuft. Damit ist ein Punkt berührt, auf den wir noch zurückkommen müssen, hier begegnen wir auch wieder der sich in der symbolischen Stiftung vollziehenden Auflösung der Transpossibilität zum einfach nur Möglichen. Bevor wir in die Behandlung des eigentlichen Problems dieser ursprünglichen Räumlichung eintreten, wollen wir noch den phänomenologischen Gehalt dieser Verschränkung der »Zeit« und des »Anderen« und damit den phänomenologischen Gehalt des phänomenologischen Gemeinsinns genauer fassen, ebenso wie die Stellen, an denen sich dabei die symbolische Stiftung bemerkbar macht. Die ursprüngliche Räumlichung in den Phasierungen/Dephasierungen der Gegenwärtigkeitsphasen bewirkt eine gewisse Überlagerung von Transpassibilitäten sprachlicher Gegenwärtigkeitsphasen mit Transpassibilitäten außersprachlicher Weltphasen: Das bedeutet zugleich einerseits, daß die ersten zur zweiten streben und zur »Rückkehr« in das phänomenologische Unbewußte neigen, um sich in die Massive der Vergangenheit und Zukunft einzuschreiben, die durch die transzendentale Vergangenheit und Zu-
228 kunft zueinander auf Abstand gehalten werden. Andererseits bedeutet es umgekehrt die Wiederaufnahme der zweiten in die erste als zumindest anstehende Rückkehr des auf die Massive der Vergangenheit und der Zukunft Übertragenen in die Gegenwärtigkeit, wobei die wechselseitige Transpassibilität der Sinnregungen wie als Echo der wechselseitigen Transpassibilität der außersprachlichen Welten wirkt. Der Boden der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung der Welten ist immer der Ort der Überkreuzung des Gedächtnisses der Vergangenheit und der Vor-Ahnung der Zukunft einerseits, und der aktiv drängenden Neigung – die sich in der Begegnung in die verleiblichte Andersheit verwandelt – der anderen Sinnregungen zu diesem oder jedem gegenwärtigen Sinn auf der anderen Seite. Die Un-zuverlässigkeit der Erinnerung und mehr noch der Vor-Ahnung kommt in gewisser Weise daher, daß sie innerlich mit der Masse der wechselseitig transpassiblen sprachlichen Phänomene verbunden sind. Wenn umgekehrt die Dephasierung eine besondere Öffnung auf die Massive der Vergangenheit und Zukunft mit sich bringt – die schon Vergangenheit und Zukunft der Sinnregungen als Ausdehnung der weltlichen transzendentalen »Landschaft« sind –, dann bedeutet das, daß damit auch Risse innerhalb der Protentionen und Retentionen bestimmter Gegenwärtigkeitsphasen einhergehen, d.h. eine Art von »unterirdischem« Netz von inneren Verweisen von Retentionen zu Retentionen und von Protentionen zu Protentionen, die in Bezug auf die zeitigenden/räumlichenden Verläufe des Sinns transversal und konstitutiv für die ursprüngliche Räumlichung der weltlichen »Landschaft« sind. Anders gesagt bedeutet das, daß diese Räumlichung »schon« oder »noch« in jedem Abstand wirkt, welcher der Selbstheit eines sich bildenden Sinns, d.h. der Kohäsion (von Sinn) zwischen Retentionen und Protentionen eigentümlich ist; es bedeutet weiterhin, daß auch deren Auffächerung, die dem »Eigenen« des Sinns entgeht, durch innere Dephasierung zu ihrer Nicht-Identität beiträgt. Die sich gerade bildende »Phasierung« des Sinns hat immer gegen diese Dephasierung im Ursprung zu kämpfen, welche der Transpassibilität von Sinn zu Sinn erst ihren Spielraum gibt; und auch wegen dieses Kampfes des Sinns für sich selbst und hinsichtlich seiner selbst ist der sich bildende Sinn nicht nur blind gegenüber den außersprachlichen Welten, sondern auch gegenüber anderen transpassiblen Sinnregungen, deren vielfältige Dephasierungen zu »konzertieren« wären. Wenn die Blindheit an ihr Ende gelangt, bis zur Erfüllung oder Sättigung des Sinns durch sich selbst, atomisiert sich der gewissermaßen von sich selbst trunkene Sinn und stirbt zur »Bedeutung/Bezeichnung« ab. Daraus folgt eine a priori unbestimmte Begrenzung – in dieser Unbestimmtheit ist sie »wahre« Begrenzung einer Endlichkeit oder einer »wahrhaften« Faktizität – der wechselseitigen Transpassibilität zwischen Sinnregungen. Diese Begrenzung ist selbst auf ihre Weise ursprünglich verräumlicht, da es zwischen den Sinnregungen jeweils mehr oder weniger große Nähe und unterschiedlich weite ursprüngliche Abstände gibt, welche die Transpassibilität mit der Elle zu messen scheinen, die Aristoteles Dynamis nannte. Selbst wenn äußerstenfalls, an einer architektonischen Grenze, alle Sinregungen – in einer unbestimmten Totalität – durch Transpassibilität in allen Sinnregungen »im potentiellen Zustand« sind, und, um jede Zweideutigkeit zwischen »Vermögen« und »Möglichkeit« zu vermeiden, könnte man sogar »Trans-Vermögen« sagen, sind es nicht alle auf gleiche Weise hinsichtlich des jeweiligen Sinns. Wie es mehr oder weniger ferne Vergangenheiten und Zukunftsabschnitte gibt, so auch unterschiedlich voneinander entfernte Sinnregungen, und zwar ohne daß davon a priori eine »Karte« gezeichnet werden könnte, da es widersprüchlich wäre, Verläufe, die notwendigerweise zeitigend
229 wären, im transversalen Feld der ursprünglichen Räumlichung zu sehen. Es gibt ganz einfach keinen Weg des »Verstehens« und noch weniger einen deduktiven Weg, der es erlaubte, die ursprüngliche Polysemie der Sinnregungen auf eine Einheit zurückzuführen. Durch die a priori kontingenten oder faktiziellen Transpassibilitäten getragen, entgeht nämlich das Feld der Transpossibilitäten unreduzierbar jeder erdenklichen Wahrscheinlichkeitsrechnung. Dieses Feld entzieht sich also prinzipiell jedem Unternehmen »monadologischen« Stils, weil es grundsätzlich einem »gleichen« Raum fremd ist, der sich als invariante Struktur von allen möglichen Verhältnissen zwischen Sinnregungen gäbe. Und dennoch, in jeder sich durch die Transpassibilität vollziehenden Begegnung des Sinns mit Sinn, bildet sich Sinn, indem er ihre wechselseitigen Dephasierungen »konzertiert«, aber dies ist jeweils ein neuer und insofern auftauchender Sinn, der wiederum nur relativ blind sein kann gegenüber anderen Sinnregungen, deren transzendentales »Verharren« in ihm durch die sprachlichen wilden Wesen* konkretisiert wird als formale Wesen*, als nicht in der Gegenwärtigkeit reflektierte sprachliche Logizitätsfetzen. Wenn wir also auf die sprachlichen Phänomene zurückkommen, d.h. auf die Zeitigungen/Räumlichungen, können wir schon ein wenig konkreter sehen, wie sie sich gliedern. Der Inhalt der Retentionen und Protentionen erhebt sich, wie wir gesehen haben, aus der außersprachlichen wilden Verwebung der wilden weltlichen Wesen in ihrer Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung, wenn etwas von der Kluft sich in einen Riß verwandelt, in einen Sinnappell. Sprachlich zu phänomenalisieren bedeutet, dabei einen räumlichenden/zeitigenden Verlauf zu bilden, indem etwas von der Verwebung der weltlichen wilden Wesen* in eine Verwebung im Zeit/ Raum des Sprachlichen verwandelt wird, wobei diese zugleich eine Verwebung der Protentionen und Retentionen nach einer bestimmten, sich reflektierenden Kohäsion ist. Diese Reflexion vollzieht sich im Verlauf der sich bildenen Gegenwärtigkeit durch wechselseitige Überkreuzungen von Protentionen und Retentionen, d.h. durch Überkreuzungen einer retentionalen Vergangenheit, die noch eine Zukunft hat und einer protentionalen Zukunft, die schon eine Vergangenheit hat, in einer Schieflage, die so »lange« »dauert« wie die Gegenwärtigkeit. Diese wechselseitigen Überkreuzungen kommen also nicht von irgendwoher, sie vollziehen sich als die mehr oder weniger entfernten Echos von Überkreuzungen zwischen weltlichen wilden Wesen*, die in ihrer Verwebung in der Kluft der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung walten. Aber während die letzteren Überkreuzungen wild sind, also blind und bar jeden Sinns, sind die ersteren durch die begriffslose Teleologie des Sinns hinsichtlich seiner selbst ausgerichtet, und diese Orientierung führt schon eine Art von kohärenter Verformung ein, einen Sinn, der durch eine Richtung getragen wird, die ihr »Vorher« und »Nachher« einschließt und der mit den blinden Logizitaten des Sprachlichen die weltlichen wilden Wesen* wieder zerschneidet, um sie als phänomenologische »Zeichen« des sich bildenden Sinnes zu verteilen. Diese sind also an sich wegen ihres wilden, also unreflektierten Ursprungs Splitter oder Fetzen von weltlichen wilden Wesen*, die nochmals von der Zeitigung/Räumlichung und von den sprachlichen wilden Wesen* als formaler Wesen* der »Logizität« zerschnitten werden. Die weltlichen wilden Wesen* sind also dabei gewissermaßen als solche »verkennbar«, aber sie pulsieren dabei dennoch, auf eine andere Weise, im zweiten Grad die ganzen Phase hindurch, als das, was deren weltlichen »Leib« ausmacht. Nun ist aber andererseits die Situation nicht so einfach, weil die Protentionen und Retentionen selbst ursprünglich zerrissen (verräumlicht) sind, wobei diese gewissermaßen transversale Zerrissenheit wie das beharrliche Echo der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung in
230 der sprachlichen Phase ist. Und genau diese mit den Dephasierungen der Phase übereinstimmenden Zerrissenheit der wechselseitigen Transpassibilität der Sinnregungen verbreitet sich während der ganzen Phase in den phänomenologischen »Zeichen«, die davon »aufgefächert« sind und die durch diese »Auffächerungen« zumindest einen Teil der formalen Wesen sprachlicher »Logizität« verleiblichen, sie von »Zeichen« zu »Zeichen« gleiten lassen, in »transversal« oder »unterschwellig« überkreuzten Verweisen zwischen »Schichten« von Konkretheiten von »Zeichen«. So öffnet sich die wechselseitige Transpassibilität der Sinnregungen durch und in ihren »Zeichen« und genau das macht aus den »Zeichen« eines bestimmten sich bildenden Sinns »Zeichen«, die gegenüber anderen Sinnregungen transpassibel sind, und dephasiert nun den sich bildenden Sinn bezüglich seiner selbst und verräumlicht ihn transversal, indem er zu sich selbst in Abstand gebracht wird, ganz anders als in einer reinen Selbst-Affektion. Es gibt demnach, könnte man sagen, insofern keine reine »Logizität« des Sprachlichen, als jede Logizität des Sprachlichen zugleich »Dia-logizität« und sogar, äußerstenfalls, rein architektonisch und a priori unbestimmt, umfassende Dia-logizität sein müßte, in der die ganze unbestimmte Masse an transpassiblen sprachlichen Phasen in phänomenologischer Abwesenheit sich verräumlichte und sich in jeder sprachlichen Phase bildete – was die unendliche Aufgabe der »Zivilisierung« des Wilden durch die symbolische Stiftung eröffnet. Das bedeutet ganz konkret, daß diese transversale »Stratifizierung« der sprachlichen Phase, die einen Teil des Sprachlichen im Sinn wieder verleiblicht und die das sprachliche Phänomen mit Phänomenalität »wieder auflädt«, auch von innen heraus den ersten Zuschnitt der weltlichen wilden Wesen* bestreitet und die »Zeichen« wieder mit Vielfältigkeiten von Eklipsen oder transpassiblen Sinnfetzen »auflädt«, die dichter an der Inchoativität des Sprachlichen sind, jenem rätselhaften Moment, mit dem die Zeitlichkeit/Räumlichkeit ansetzt, und an dem sozusagen die weltlichen wilden Wesen* »noch« nicht durch die Zeitigung/Räumlichung neu zugeschnitten und verteilt sind. Als ob die Tatsache, daß mehrere »Ausgangspunkte« für die Sinnregungen in der ursprünglichen Räumlichung der Verwebung in der Kluft transpassibel sind, dieser Verwebung eine bestimmte phänomenologische Konsistenz verleihen würde, die des zuerst stummen Massivs der proto-zeitlichen/proto-räumlichen »Landschaft« der Welt, welche eine Gestalt zu gewinnen beginnt, indem sie sich »beseelt«. Das ist ein erhabener »Moment« im Sprachlichen, da es ein »Moment« des Aufrufs zum Sinn ist, des Sinns zu sich selbst, aber in dem sich noch nichts im Sprachlichen reflektiert, in dem alles sich Reflektierende nur erst – in der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché – Ahnung dieses Appells ist. Gerade deshalb bringt die transpassible Begegnung des Sinns mit Sinn die weltlichen wilden Wesen wieder ins Spiel – oder tendiert zumindest dazu –, welche in der Zeitigung/Räumlichung verschüttet zu werden drohten. Die ursprüngliche Vielfalt der Sinnregungen, ihre wechselseitige Transpassibilität und die Dekonzertierung, welche sie durch vielfältige Dephasierungen einführen, verlangen eine hyperbolisch-phänomenologischen Epoché, die jede zu ausschließlich scheinende Selbstheit des Sinns ausklammert. Deshalb nähern die Dephasierungen die passiven Synthesen zweiten Grades, die in den sprachlichen Phänomenen wirksam sind, den passiven Synthesen zweiten Grades zwischen außersprachlichen Weltphänomenen an. Die Nähe zwischen diesen ist so groß, daß wir diesbezüglich von den zwei Aspekten der passiven Synthesen zweiten Grades gesprochen haben, die den beiden Aspekten der passiven Synthesen dritten Grades entsprechen. An einer, wiederum architektonisch gemeinten, äußersten Grenze würden die phänomenologischen »Zeichen«, die in ihrer Gesamtheit zu-
231 einander transpassibel geworden wären, als »Zeichen« der Sinnregungen die gleichermaßen umfassend transpassibel füreinander wären, in Anbetracht einer vollständig aufgehobenen fungierenden Sprache sich schlechthin in den weltlichen wilden Wesen auflösen: diese architektonische Version wird eigentlich von der gesamten Phänomenologie als ihre Vollendung entworfen, was einen doch unmöglichen phänomenologischen göttlichen Verstand meinte, d.h. in dem bei ganz durchgeführter Epoché die vollständig wilden Welten restlos enthalten wären. Dies alles bleibt nun so problematisch und fraglich stehen. Aber nun ist auch der Zeitpunkt gekommen, diesen »Moment« der ursprünglichen Räumlichung als solchen zu behandeln, der den phänomenologischen Status des »Moments« des phänomenologischen Erhabenen in der fungierenden Sprache hat, dort nämlich, wo diese zwischen ihrer Reflexion in der Selbstheit des sich bildenden Sinns und ihrer Reflexion ohne Selbstheit in »ihrer« Phänomenalität pulsiert. Wir können eine Skizze der systematischen Behandlung dieser Frage nur vorschlagen, wenn wir noch einmal genauer die Frage des phänomenologischen Ursprungs der fungierenden Sprache aufgreifen, und nach dem phänomenologischen Ort fragen, an dem die symbolische Stiftung sie zu Sprachsystemen macht.
§ 2. DER PHÄNOMENOLOGISCHE URSPRUNG DES SPRACHLICHEN
a) Die Strukturen der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung: Der Abgrund der wilden weltlichen Wesen Um die schwierige Frage, die wir uns eben gestellt haben, zu beantworten, müssen wir zuerst wieder auf das zurückkommen, was wir schon in unserer vorangegangenen Meditation behandelt haben, dabei müssen wir, um Entfernung und Nähe dieser Überlegungen im Verhältnis zum Sprachlichen zu bewerten, noch einmal genauer das wieder aufnehmen, was sich in der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung der Welten und in der Verwebung im Abgrund der weltlichen wilden Wesen abspielt. Wie wir gesehen haben, sind die konkreten Spuren in einer bestimmten Weltphase, eine Phase der Proto-Gegenwärtigkeit, die Weltphänomen ist, der Transpassibilität der Welten zueinander – der passiven Synthesen dritten Grades in der Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung – wilde Wesen*, die wir deshalb weltliche wilde Wesen* nennen, die in der Weltphase schweben und sich verweben. Als wilde Konkretisierungen von anderen Welten in der Proto-Gegenwärtigkeit scheinen die weltlichen wilden Wesen sowohl in der blitzhaften Apperzeption der Proto-Gegenwärtigkeit als tranzendentale Reminiszenzen von bereits in einer transzendentalen Vergangenheit versunkenen Welten, einer Vergangenheit, die niemals (in Gegenwärtigkeit) stattgefunden hat, als auch als transzendentale Vorahnung von auf immer in eine transzendentale Zukunft weiter entrückten Welten, welche niemals (in Gegenwärtigkeit) stattfinden wird. Die wilden Wesen* verweben sich also, innerhalb der passiven Synthesen zweiten Grades, indem sich in ihnen Splitter von seit jeher vergangener und für immer zukünftiger Welten überkreuzen. Diese Verwebung, die eine Art Chiasmus im Abgrund der nicht teleologischen Horizonte der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft ist, überträgt und überkreuzt diese Horizonte wechselseitig ineinander, und proto-verräumlicht sie mittels ursprünglicher »Dephasierungen«. Diese lassen im Pulsieren der blitzhaften Apperzeption die wilden Wesen* unvermeidlich zur Unzeit
232 erscheinen, gleichermaßen zu spät für schon in der transzendentalen Vergangenheit versunkene Welten und zu früh für immer noch in die transzendentale Zukunft entrückte Welten. Die Verwebung ist also vielfältig durch eine a priori unbestimmte Vielfältigkeit von Unzeitigkeiten, die sich durch eine nicht weniger unbestimmte Vielfalt von »Un-angemessenheiten im Raum« (contre-espaces) proto-verräumlichen, die insofern unangemessen sind, als sie nicht der selben Zeit des »Gleichzeitig« entsprechen. Es handelt sich, wie wir in Phémomènes, temps et êtres gesagt haben, um eine doppelte Verschiebung, die sich gewissermaßen durch einen Horizontalisierungs-»Mangel« in der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung überträgt. Dabei bleiben jedoch die nicht-teleologischen und proto-zeitlichen Horizonte der wilden Wesen* als Horizonte, denn sonst fielen sie in die Phase der Proto-Gegenwart, in der sich die Verwebung vollzieht, und würden zeitliche Horizonte, Arten von Proto-Protentionen und von Proto-Retentionen. Die wilden Wesen* gehören nicht primär zur Welt dieser Weltphase und sind auch nicht primär »Eigentümlichkeiten« der weltlichen »Landschaft«, wohl aber lassen ihre Horizonte sie darin schweben, indem diese die wilden Wesen wegen der Proto-Räumlichung, die es in der Proto-Zeitigung gibt, daraus entwurzeln. Und dies alles deshalb, weil die wilden Wesen* in der blitzhaften Apperzeption unter (oder mit) ihren Horizonten von proto-temporaler Tiefe scheinen: als transzendentale Reminiszenzen der transzendentalen Vergangenheit und transzendentale Vorahnungen der transzendentalen Zukunft sind sie von ihnen »angehaucht« ohne sich deswegen gleich mit ihnen zu identifizieren, weshalb die Verwebung zugleich ihre innere Proto-Räumlichung und Proto-Zeitigung ist. Das Ineinander-Umschlagen der Reminiszenzen und der Vorahnungen vollzieht sich unter den Horizonten einer transzendentalen Vergangenheit, die nicht umschlägt, sonder auf Distanz bleibt, und einer transzendentalen Zukunft, die ebenfalls nicht umschlägt, sondern Abstand hält, wodurch sie beide die Verwebung im Abgrund der Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung aufrechterhalten und die Reminiszenzen und die Vorahnungen zur ursprünglichen Unzeit der weltlichen Phase der Proto-Gegenwärtigkeit aufkommen, d.h. außerhalb ihrer fallen lassen. Parallel dazu ist die in Proto-Gegenwärtigkeit befindliche Welt als Unzugängliches proto-verräumlicht, als ein Außerhalb dieser Welt, was wir von den Welten behalten, aber zu spät, um sie wieder einzufangen, und was sich davon ankündigt, aber zu früh, um es antizipieren zu können, wie das anonyme Jenseits dieser Welt, d.h. dieser konkreten faktiziellen Welt mit ihrer Jemeinigkeit*. Wenn man bedenkt, daß die Verwebung der passiven Synthesen zweiten Grades sich als Echo der passiven Synthesen dritten Grades vollzieht, d.h. des transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung – ein blinder Schematismus in den Tiefen des phänomenologisch Unbewußten –, und wenn man entsprechend dazu nimmt, daß die wilden Wesen* die Konkretheiten oder das in einer bestimmten Weltphase sich Konkretisierende der wechselseitigen Transpassibiliät der Welten untereinander sind – gewissermaßen die wilden »Zeugen« dieser Transpassibilität –, dann folgt daraus, daß diese Transpassibiliät und ihre Konkretheiten nicht unbegrenzt sind, sondern sozusagen auf radikal kontingente Weise nach dem Schematismus eingeteilt sind, der Empfänglichkeit, der Transpassibilität der Welten zueinander. Es sei denn, man nimmt einen gleichen Übergang zur Grenze an, der aber nur einen architektonischen und keinen metaphysischen Wert hat und der alle Welten nicht transpassibel, sonder aufeinander durchsichtig machen würde in dem »Auf-einmal-Gegebensein« aller wilden Wesen*. Anders gesagt ist das transzendentale Schema der Phänomenalisierung als un-endliche Doppelbewegung, in der sich jedes Phänomen umfas-
233 send in seiner Phänomenalität reflektiert, die nun unendlich schillert, eine architektonische Idee, deren Besonderheit und Neuheit wir werden analysieren müssen. Der phänomenologische Schematismus fungiert oder vollzieht sich niemals in SelbstDurchsichtigkeit, schon deswegen nicht, weil sich mit der sich in ihm öffnenden unendliche Bestimmbarkeit der Phänomene sich auch ihre unendliche Quantitabilität auftut, die unmöglich, es sei denn durch einen dogmatischen Sprung, zu einer Bestimmung und Quantität angehalten werden kann, wobei die Unmöglichkeit des Anhaltens von was auch immer – es sei denn willkürlich – das Kennzeichen der Endlichkeit ist. Dennoch gibt es einen Halt, aber dieser ist eben unbestimmt. Das bedeutet, daß es unreduzierbar immer einen unbestimmten (und unbestimmbaren) Teil des schematischen Un-endlichen der Phänomenalisierung gibt, welcher der Phänomenalisierung als Reflexion ohne Begriff und Selbst des Phänomens in der Phänomenalität entgeht. Und dies gehört mit innerer Notwendigkeit zu der den Phänomenen innewohnenden Labilität, Leitbarkeit, aber auch sozusagen »Viskosität«. Wenn also die proto-zeitlichen Horizonte der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft architektonisch schematisch sind, so sind sie phänomenologisch proto-ontologisch. Die Situation ist auf übertragene Weise analog zu der des Sprachlichen, und sie wäre mit ihr identisch, wenn es einen Sinn hätte, zu sagen, daß eine bestimmte Welt alle Welten »verleiblichen« muß – es hat aber keinen Sinn, weil hier eine radikale Andersheit vorliegt oder weil es in dieser Wildheit der Welten überhaupt keine »Logizität« gibt. Aber das verhilft uns schon zum Verständnis dafür, daß die schematische Unendlichkeit der Phänomenalisierung des Sprachlichen, die dazu tendiert, den Sinn seiner faktiziellen Einschreibung in den Falten und Umschlägen des sprachlichen Phänomens (der Gegenwärtigkeit) zu entleiblichen, selbst in ihrem blinden, im Sprachlichen nicht reflektierten Teil sowohl der phänomenologische Ort der symbolischen Stiftung als auch der Ontologie ist, d.h. vom philosophischen Standpunkt aus der phänomenologische Ort der Ontologie als symbolischer Stiftung (wobei nicht jede symbolische Stiftung symbolische Stiftung der Ontologie ist). Wenn es eine »Fundamentalontologie« in einem Heideggerschen oder quasi-heideggerschen Sinn gibt, dann an diesem Ort und als symbolische Stiftung. Um auf das wilde Feld des phänomenologischen Unbewußten zurückkommen, bedeutet dies, daß die transzendentale Vergangenheit in der Reminiszenz sich als in der Reminiszenz »gewußte« schematische Vergangenheit über eine radikale transzendentale Vergangenheit erhebt, die aus schematischem Blickwinkel »verworren« ist, aber proto-ontologisch an Konsistenz gewinnt. Und ebenso erhebt sich die transzendentale Zukunft in der Vorahnung als in der Vorahnung »gewußte« schematische Zukunft über eine radikale transzendentale Zukunft, die aus schematischem Blickwinkel »verworren« ist, aber proto-ontologisch an Konsistenz gewinnt. Genau das müssen wir in die Paradoxien einbringen, die den Strukturen der Proto-Zeitigung/ Proto-Räumlichung der wilden Wesen* eignen. Wenn dem tatsächlich so ist, dann gibt es noch in der transzendentalen Zukunft und Vergangenheit Horizonte der transzendentalen Zukunft und Vergangenheit. So ist, um damit anzufangen, in der Reminiszenz – eine schematische Vergangenheit, die für die proto-ontologische transzendentale Vergangenheit zu spät kommt – die transzendentale Vergangenheit selbst eine transzendentale Zukunft, die genau um dieses »zu spät« verschoben ist: sie ist also selbst eine proto-ontologische Zukunft in der Vergangenheit der proto-ontologischen Vergangenheit. Weiterhin und entsprechend ist in der Vorahnung – eine schematische Zukunft, die für die proto-ontologische transzendentale Zukunft zu
234 früh kommt – die transzendentale Zukunft selbst eine transzendentale Vergangenheit, die genau durch dieses »zu früh« verschoben ist: sie ist also selbst eine protoontologische Vergangenheit in der Zukunft der proto-ontologischen Zukunft. Im ersten Fall ist die transzendentale Vergangenheit in der Reminiszenz das, woran es immer schon der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit gemangelt haben wird, weil es immer schon zu spät »gekommen« sein wird, als ob die der transzendentalen Vergangenheit angehörende Vorahnung dieser Zukunft in der Vergangenheit immer schon und vorweg verfrüht gewesen wäre. Im zweiten Fall ist die transzendentale Zukunft in der Vorahnung das, woran es immer schon der proto-ontologischen transzendentalen Zukunft gemangelt haben wird, weil es immer schon zu früh »gekommen« sein wird, als ob die der transzendentalen Zukunft angehörende Reminiszenz dieser Vergangenheit in der Zukunft immer schon und auf immer darin in eine Nach-Reife verzögert werden müßte, die deren Vorgängigkeit erklärt. Diese etwas schroffen Formulierungen zeigen, wie komplex die Verwebung der wilden Wesen mit ihren proto-zeitlichen Horizonten sein kann, zweifellos deshalb, weil sie in der Tiefe die gewöhnlichen Strukturen der Zeitigung unterläuft. Wir sind jedenfalls ins Innerste der Schwierigkeit vorgedrungen, indem wir dabei zumindest eine Art verfehlter Skizze der Horizontalisierung aufnehmen. Die transzendentale Vergangenheit als Reminiszenz in den wilden Wesen* erweckt nämlich die proto-ontologische transzendentale Vergangenheit als eine Vergangenheit, die durch Transpassibilität ihre eigene Zukunft gehabt hat und vielleicht noch hat, allerdings eine Zukunft, die immer schon in der Vergangenheit in ihrer proto-ontologischen Dichte ist. Und die transzendentale Zukunft als Vorahnung in den wilden Wesen* erweckt die proto-ontologische transzendentale Zukunft als eine Zukunft, die durch Transpassibilität ihre eigene Vergangenheit auf immer haben muß und vielleicht schon hat, allerdings eine Vergangenheit, die noch immer in der Zukunft in ihrer proto-ontologischen Dichte ist. Das zeigt, wie aus einem proto-ontologischen Blickwinkel heraus die transzendentale Vergangenheit und Zukunft (als Reminiszenz und Vorahnung) sich in die Horizonte der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft einschreibt: durch ursprüngliche Verspätung und Verfrühung des Schematischen im Proto-Ontologischen, als ob der Schematismus unaufhebbar durch seine ursprünglichen Vor-und Nachzeitigkeiten das ins Mißverhältnis oder in die Mißstimmung brächte, was sich als eine »einfache« Horizontalisierung der proto-ontologischen Proto-Zeitlichkeit fassen ließe. Wenn aber nun diese »Horizontalisierung« stattfände, würde eben nichts die Proto-Zeitlichkeit von der Zeitlichkeit unterscheiden – es sei denn eine metaphysische oder spekulative Abstraktion. Durch wilde schematische Transpassibilität gerät die »Zeit« ursprünglich in ein Mißverhältnis zu sich selbst, indem sie sozusagen zu langsam verläuft, um sich zu antizipieren – was sie in der Reminiszenz in die Verspätung verschiebt – und zu schnell, um sich zu erinnern – was in der Vorahnung sie in die Verfrühung verschiebt. Es ist, als ob die »Zeit« ursprünglich nicht »ihre Geschwindigkeit regeln« könnte. Sie kann es eben nur hinsichtlich ihrer selbst, indem sie die Reminiszenzen in Retentionen (oder Proto-Retentionen) und die Vorahnungen in Protentionen (oder Proto-Protentionen) ver-wandelt ebenso wie den Abgrund, die Kluft der weltlichen außerzeitlichen ProtoGegenwärtigkeit, in die »selbe« Zeit des sich räumlichenden »Gleichzeitig« der Zeitigung. Das erklärt nun auch, daß in diesem ursprünglichen Mißverhältnis, dieser Unabgestimmtheit im Ursprung einer »Geschwindigkeit« der »Zeit«, die sich nicht unabänderlich und notwenderweise selbstbezogen regelt, die Proto-Räumlichung/
235 Proto-Zeitigung der wilden Wesen* und diese selbst sich blitzhaft apperzipieren wie durch einen »Tunneleffekt« der »Zeit« auf die »Zeit«. Sich dessen »bewußt zu werden« läuft vielleicht darauf hinaus, wir werden darauf zurückkommen, im Sprachlichen noch viel schneller zu zeitigen als die Schnelligkeit des Vorgriffs und noch langsamer als die Langsamkeit des Verzögerns – in einer Art von Hyperschnelligkeit und von Hyperlangsamkeit, wobei die Abstimmung beider von der Phänomenologie geleistet müßte, die wir gerade erabeiten. Alles ist hier letztlich vielleicht eine Frage der »Geschwindigkeit«, oder vielmehr der mehr oder weniger großen oder geringen »Geschwindigkeit« des Denkens im Verhältnis zu dem »Denken« (in dem Affektivität, Empfindung und Denken ununterschieden sind), das in seinen wilden Konkretheiten immer schon in Verzug oder im Vorgriff ist. Untersuchen wir nun die Lage noch genauer, indem wir die Frage der Verwebung aufnehmen, d.h. des wechselseitigen und ineinander eingreifenden Verhältnisses der transzendentalen Reminiszenzen und der transzendentalen Vorahnungen in den wilden Wesen*. Es ist ein wechselseitigen Übertragen durch unmittelbares Ineinander-Umschlagen (wobei die Zeit, also das Sprachliche, die Vermittlung wäre). Wir sind noch nicht »am Ende« der Paradoxien. Die Sedimentierung der wilden Wesen* als solcher, die sich als Fetzen der Phänomenalität von Welten absondern, besteht aus dem wechselseitigen und unmittelbaren Übertragen der Reminiszenzen und der Vorahnungen, und zwar als Echo in den passiven Synthesen zweiten Grades davon, daß die sich nach den passiven Synthesen dritten Grades vollziehende schematische Pro-gression in der un-endlichen Doppel-Bewegung des Schematismus der Phänomenalisierung gleichzeitig schematische Re-gression ist. Anders gesagt, »bestimmte« in der transzendentalen Vergangenheit verschüttete Welten, deren konkrete Spur durch Transpassibiltät »bestimmte« wilde Wesen* sind, sind noch immer und für immer »bestimmte« Welten in der transzendentalen Zukunft. Die transpassibel gehaltenen Welten in den wilden Wesen* sind ebenso unerinnerbar wie unreif. Das bedeutet, daß die schematische transzendentale Zukunft (die Zukunft in der Vergangenheit) der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit in der Phase der weltlichen Proto-Gegenwärtigkeit unmittelbar in die schematische transzendentale Vergangenheit (die Vergangenheit in der Zukunft) der proto-ontologischen transzendentalen Zukunft übertragen wird und umgekehrt, wobei sie einer Zirkulation folgt, die sie aus der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit herausfallen läßt. Es gibt also in den wilden Wesen eine innere Reflexivität (ohne Selbst), die die Phänomenalität in der Phänomenalisierung proto-zeitigt/proto-räumlicht, indem sie die Phase der ProtoGegenwärtigkeit wie einen Abgrund überspringt. Diese ist wie die Kluft zwischen der transzendentalen Vergangenheit und der transzendentalen Zukunft, welche sie hindert, sich als die Selbstheit eines sich ansetzenden Sinns zu identifizieren oder dies zumindest anzustreben. Die wechselseitige Übertragung der Reminiszenzen und der Vorahnungen bedeutet nun nicht, daß sich »etwas« darin als »das Selbe« (ipse) reflektieren könnte, weil sie durch die Kluft zueinander auf Abstand gehalten werden: was in der Reminszenz mit ihrer Unererinnerbarkeit blitzhaft apperzipiert wird, bewahrt sozusagen, da gerade die Unreife der Vorahnungen die Lebendigkeit der Reminiszenz ausmacht, seinen Zauber oder sein Geheimnis, also »das selbe« Rätsel von etwas, das sich darin verbirgt und stets aufs Neue der Reflexion im Sinn entgeht. Im sich bildenden Sinn könnten zwar Splitter oder Fragmente dieses Mysteriums herausgelöst werden, aber niemals das ganze Mysterium, dessen Nicht-Altern in der Zeit von der in ihm enthaltenen Überkreuzung von Unerinnerbaren und Unreifem herkommt, welche Träger des Rätsels der Welt und der Welten sind. Es gibt also
236 keine Reminiszenz dessen, von dem es Vorahnung gibt, aber es gibt in der Reminszenz einen unaufhebbaren Teil an Vorahnung, von Unreife, welche die Unerinnerbarkeit vor jeder Umwandlung in die Erinnerung dessen, was gewesen wäre, bewahrt. Genau daraus besteht die wechselseitige unmittelbare Übertragung der Zukunft in die Vergangenheit der transzendentalen Vergangenheit und der Vergangenheit in die Zukunft der transzendentalen Zukunft, und durch diese unmittelbare wechselseitige Übertragung sondern sich die wilden Wesen* als schematische Reminiszenzen/Vorahnungen von der dunklen Masse der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft ab. Das bedeutet aus phänomenologischer Sicht, daß die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit aus sich selbst heraus sich auf ihre proto-ontologische transzendentale Vergangenheit hin nur durch die außerhalb ihrer proto-verräumlichte und ihre proto-zeitliche Dichte öffnet, die noch in sich von ihrer schematischen Vergangenheit her eine Zukunft in sich trägt, die ebenfalls außerhalb ihrer ist. Und ebenso, daß die Phase aus sich heraus sich auf ihre proto-ontologische transzendentale Zukunft hin nur durch die außerhalb ihrer proto-verräumlichte und ihrer proto-zeitliche Dichte öffnet, die noch in sich von ihrer schematischen Zukunft her eine Vergangenheit in sich trägt, die ebenfalls außerhalb ihrer ist. Durch die Überkreuzung der schematischen Horizonte hebt sich die schematische Vergangenheit, die nur durch eine schematische Zukunft erweckt wird, vor dem Hintergrund der proto-ontologischen Vergangenheit ab, ebenso wie sich die schematische Zukunft, die nur durch eine schematische Vergangenheit erweckt wird, vor dem Hintergrund der proto-ontologischen Zukunft sich abhebt. Wenn die Reminiszenzen und Vorahnungen in der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit »stattfinden« – was nicht bedeutet: in der Gegenwärtigkeit und noch weniger in der Gegenwart, weil dies ungerechtfertigterweise voraussetzte, daß sie in einem Subjekt als Selbst angesiedelt wären –, dann ist ihre Untrennbarkeit, die ein anderes Wort für ihre Verwebung ist, selbst proto-gezeitigt/proto-verräumlicht, insofern sie sich mit einem Mal auf dem Hintergrund proto-ontologischer, transzendentaler Vergangenheit und transzendentaler Zukunft öffnet, welche sie gewissermaßen von vornherein und durch einen unabwendbaren Verzug, aus der Proto-Gegenwart herauszieht, und a forteriori, der Gegenwärtigkeit. Die Reminiszenzen/Vorahnungen können zwar durch das Sprachliche berührt werden, aber sie bilden nicht von sich aus Sprachliches aus. Zwischen ihnen besteht ein unauflösbarer Mißklang (désaccord harmonique) eines seit jeher Verschütteten und sich auf immer Entziehenden einer abwesenden und wilden Konkretheit von ursprünglich in transzendentale Vergangenheit und transzendentale Zukunft geteilten Welten. Wenn man diese Überkreuzung aus phänomenologischem Blickwinkel betrachtet, so ergibt sich, daß einerseits die proto-ontologische transzendentale Vergangenheit immer schon und seit jeher auf ihre Zukunft hin geöffnet war, die ihrerseits immer schon in der Vergangenheit war, wobei die schematische transzendentale Zukunft in diesem Sinn nichts anderes ist als das in ursprünglichem Abstand nachträgliche Echo dieser zukünftigen Vergangenheit in der Vergangenheit der Vergangenheit; und daß andererseits die proto-ontologische transzendentale Zukunft immer schon und für immer auf ihre Vergangenheit hin geöffnet sein wird, die selbst immer schon in der Zukunft war, wobei die schematische transzendentale Vergangenheit in diesem Sinn nichts anderes ist als das in ursprünglichem Vorsprung vorzeitige Echo dieser vergangenen Zukunft in der Zukunft der Zukunft. Man sieht dadurch klarer, was im Ursprung proto-ontologische Proto-Zeitlichkeit und schematische Proto-Zeitlichkeit auseinanderbringt: wenn man sich daran erinnert, daß die erste nichts anderes ist
237 als der Überschuß des unendlichen Schematismus in seinem unermüdlichen Fungieren und daß sie im Ursprung den Schematismus in ein Mißverhältnis zu sich selbst setzt, also nicht einfach die untereinander verschiedenen Phasen wie an einer Kette aneinandergereiht entfaltet, dann ergibt sich, daß die Entfernung von Phase zu Phase genau ihrer wechselseitigen Trans-passibilität entspricht, die sozusagen die Mauern der Entfernung durchbohrt (»Tunneleffekt«). Wie es Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung im Inneren der wilden Wesen* in ihrer Verwebung gibt, so auch durch eine ursprüngliche Verschiebung mit dem »Danach« und »Bevor« Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft. Es gibt in der ersten eine der Zukunft in der Vergangenheit eigene Dichte, die sich durch die Reminiszenzen/ Vorahnungen von der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit abhebt, wie es in der zweiten eine der Vergangenheit in der Zukunft eigene Dichte gibt, die sich von der protoontologischen transzendentalen Zukunft auf die gleiche Weise abhebt. Von den wechselseitigen Umschlägen der Reminszenzen in die Vorahnungen, gibt es als Echo auch nur eine gleiche proto-ontologische Dichte von Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung, in der die Zukunft in der Vergangenheit in die Vergangenheit in der Zukunft umschlägt, indem sie sozusagen einen proto-ontologischen Hof um die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit bildet. Dies ist ein inneren Abstand erstens der Vergangenheit zwischen der Vergangenheit in der Vergangenheit und der Zukunft in der Vergangenheit, von dem die Reminiszenz nicht alles ist, sondern nur ein Fetzen oder ein Zeuge; zweitens ein innerer Abstand in der Zukunft zwischen der Zukunft in der Zukunft und der Vergangenheit in der Zukunft, von dem die Vorahnung auch nicht alles ist, sondern nur ein Fetzen oder ein Vorbote. Das in der Reminiszenz Enthaltene ist nicht, um es nochmals zu sagen, das »gleiche« wie das in der Vorahnung, auch dann nicht, wenn die proto-ontologische Konstitution schon zur Auflösung (im Un-endlichen) der Differenz tendiert, wobei sie sich schon einer Art von Proto-Sprachlichem annähert, in dem die vorausgesetzte Integriertheit der Vergangenheit in der Zukunft sich in die ebenso vorausgesetzte Integriertheit der Zukunft in der Vergangenheit übertrüge. Wir nähern uns einem Zusammenhang, von dem aus das Überkreuzen des Schematischen und des Proto-Ontologischen betrachtet werden kann, wo jedes durch seine Verschiebung oder durch seinen Abstand gegenüber dem anderen sich verdichtet. Weil es schematische Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung gibt, gibt es proto-ontologische Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung: die proto-ontologische transzendentale Vergangenheit nimmt ihre Tiefe der Vergangenheit daher, daß sie sich im Abstand von ihrer eigenen Zukunft (Zukunft in der Vergangenheit) proto-zeitigt und die proto-ontologische transzendale Zukunft gewinnt ihre Tiefe der Zukunft dadurch, daß sie sich im Abstand von ihrer eigenen Vergangenheit (der Vergangenheit in der Zukunft) proto-zeitigt. Diese proto-zeitliche Tiefe der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft klingt also wie im Echo über die Entfernung der Verschiebung (zwischen Nachher und Vorher) der schematischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft hinweg nach. Aber das Umgekehrte ist ebenso wahr, und wir sind nun in der Lage, zu begreifen – und zu rechtfertigen – wie sehr die wilden phänomenologischen Konkretheiten wilde »Wesen« und nicht Seiendes sind: durch ihre Eigenart, auf Entfernung die proto-ontologischen proto-zeitlichen (proto-räumlichen) Tiefen nachklingen zu lassen, sind die phänomenologischen Konkretheiten nicht wie Seinsweisen als Weisen des Anwesens* der Proto-Gegenwärtigkeit, sondern »Wesens«weisen der proto-ontologischen proto-zeitlichen Tiefen, welche die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit »mit
238 einem Nimbus umgeben«, also auch wie die »Wesens«weisen der immer schon in einer mit ihren Tiefen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft proto-gezeigten Abwesenheit. Daher sind die wilden Wesen* eher Abwesensheitsweisen, die im ursprünglichen Abstand des Abwesens* »wesen«, also nicht im Anwesen*, sondern zwischen Anwesen und Abwesen, als transzendentale Reminiszenzen und transzendentale Vorahnungen. Mit dem Blick auf das Überkreuzen dieser letzteren kann man auch sagen, daß die wilden Wesen nur deshalb so heißen, weil sie als Chiasmen »wesen« zwischen Zukünftigkeiten in der Vergangenheit, welche immer schon in der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit verschüttet sind, und Vergangenheiten in der Zukunft, welche noch immer und auf immer in die proto-ontologische transzendentale Zukunft entrückt sind. Die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit, in der sie schweben und die jeder Eigenheit entwurzelt ist, öffnet sich einen Spalt weit in der Kluft eines »Danach« im Verhältnis zu den Zukünftigkeiten in der Vergangenheit und eines »Davor« im Verhältnis zu den Vergangenheiten in der Zukunft, und diese können sich nicht insofern wechselseitig daran anpassen, als die ersten nur durch die Vorahnungen und die zweiten nur durch die Reminiszenzen erweckt werden. Dieses Wecken und Erwachen bezieht sich auf eine radikal distanzierte Abwesenheit, die vielleicht von anderen wilden Wesen* bevölkert werden kann, aber bis ins Unendliche und in der Kontingenz der Transpassibilität. Noch anders gesagt, wenn die wilden Wesen* in ihrer Konkretheit die Horizonte der schematischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft darin verleiblichen, daß sie die sedimentierten Spuren der Transpassibilität von Welten gegenüber der Welt in einer bestimmten Phase von Proto-Gegenwärtigkeit sind, übertragen sich diese Horizonte ihrerseits, indem sie diese in den Horizonten der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft erwecken, aber als solche, die durch Proto-Räumlichung ursprünglich auf Abstand gebracht und mit ihrer beiderseitigen proto-zeitlichen Tiefe radikal anderswo sind. Dieser ursprüngliche Abstand des Schematischen zum Proto-Ontologischen, d.h. des Schematischen zu sich selbst als Un-Endlichem – weshalb es der Proto-Räumlichung angehört – verleiht den wilden Wesen* Dichte, die aber, wie man sieht, eine Dichte des Abwesens ist, eines Unerinnerbaren, das für immer jedes reminiszenzhafte Unerinnerbare überschreitet, und eines Ungereiften, das auf immer über jedes in der Vorahnung enthaltene Ungereifte hinausgeht. In der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft gibt es keine Phasen von Proto-Gegenwärtigkeit, als deren Echos die Reminszenzen oder Vorahnungen gelten könnten. In ihnen ist die Epoché jedes Sprachlichen und sogar jedes Proto-Sprachlichen radikal. Denn einerseits hat die proto-ontologische transzendentale Vergangenheit nur eine Tiefe ohne Proto-Gegenwärtigkeit, insofern diese darin immer schon gefehlt haben wird, u.z. sowohl in der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit, die immer in Verzug ist, als auch in der ihr entsprechenden schematischen transzendentalen Zukunft (bis hin in die vergangene Zukunft in der Zukunft); und andererseits hat die proto-ontologische transzendentale Zukunft nur ihre Tiefe ohne Proto-Gegenwärtigkeit, insofern diese darin auf ewig noch immer verfehlt sein wird, sowohl in der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit, auf immer im Voraus, und in der ihr entsprechenden schematisch transzendentalen Vergangenheit (bis hin in die zukünftige Vergangenheit in der Vergangenheit). Für die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit bedeutet das phänomenologisch, daß sie sich in der blitzhaften Apperzeption ohne Vergangenheit und Zukunft phänomenalisiert und daß sie außer in der sprachlichen Zeitigung/Räumlichung ebenso schnell vergeht, wie sie aufgetaucht ist. Sie pulsiert in ihrer Phänomenalität, indem sie sich in die transzendentale Vergangenheit hin-
239 eingräbt und sich zugleich in die transzendentale Zukunft entrückt, wobei sie als Spuren ihres phänomenologischen Pulsierens nur die wilden Wesen* hinterläßt, aber niemals sich »selbst« (sie hat keine Selbstheit) als weltliche »Landschaft«. Solche Verschiebungen und Neuzusammensetzungen von Welten in den Reminiszenzen und Vorahnungen bewirken, daß die weltlichen »Landschaften« nur als Splitter in den Reminiszenzen »wiederkehren« und uns nur als vage Fetzen in den Vorahnungen »überkommen«. Die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit reflektiert sich also ohne Selbst nicht einfach in der Phänomenalität, sondern auch in den proto-ontologischen Tiefen, und dies nur durch ihre radikale und ursprüngliche Abwesenheit in der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft, und gerade das gibt ihr jeweils ihre außerordentliche Kraft der Neuheit, aber auch Fremdheit und sogar das Befremdliche der Unheimlichkeit*. Daß es keine andere Phase der Proto-Gegenwärtigkeit gibt, in der diese oder jene Phase der Proto-Gegenwärtigkeit zumindest sich wiedererkennen könnte, und daß es dennoch in dieser letzteren Züge gibt, nämlich weltliche wilde Wesen*, die sie wie durch eine Art unheimliche Familiarität miteinander verbinden, das zeugt für die phänomenologische Vielfalt der Welten, aber auch dafür, daß wegen der durch ihre Proto-Räumlichung hervorgerufenen Abstände zwischen den Welten diese sich wechselseitig unvorstellbar bleiben, so aufgelöst wie sie seit jeher in den proto-ontologischen Tiefen der transzendentalen Vergangenheit sind, so entrückt sie auf immer in den proto-ontologischen Tiefen der transzendentalen Zukunft sind. Die wilden Wesen* als unerinnerbare »Fossilien« von für immer verschütteten Welten und als ganz unausgeführte Skizzen von auf immer entrückten Welten sind das einzige, was der Einbildungskraft sozusagen »zur Verfügung« bleibt – unter der allerdings falschen Voraussetzung, daß die Einbildungskraft sich ganz beherrschen könnte. Altersloses Alter und unvergängliche Jugend der wilden Wesen* mit ihrer gemeinsamen »Befremdlichkeit«, anscheinend nur aus den Tiefen der Zeiten kommen zu wollen, um deren ewige Unvollendetheit zu zeigen. In diesem Sinn kehren wir in unserem Leben niemals zweimal zu den »selben« Welten zurück, und zwar nicht nur, weil wir altern, sondern grundsätzlich wegen der tiefen Unschuld des phänomenologischen Schematismus, der urwüchsigen, unerinnerbaren und ungereiften Wildheit der Transpassibilität in ihrem ursprünglichsten Teil. Der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit entspricht also sozusagen eine Antiphase der Abwesenheit, nämlich dessen, was immer schon Zukunft in der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit war, aber sich uneinrenkbar verfehlt hat, und dessen, was noch immer Vergangenheit gewesen sein wird in der proto-ontologischen transzendentalen Zukunft, aber darin auf immer entrückt sein wird. Oder auch die Antiphase, in der die vergangene Zukunft in der Vergangenheit in die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft und wechselseitig ineinander umschlagen, aber unmittelbar, im Kurzschluß der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit, die dazu Abstand hält, obwohl sie auf ihre Weise sich darauf auswirkt, d.h. indem sie in Abwesenheit durch ihre schematischen Horizonte die »Pole« des Kurzschlusses weckt und erweckt. Das zeigt, daß die beiden sich nur gegenseitig halten, sonst tendierte die schematische Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung dazu, sich in so etwas wie der Homogenisierung der proto-ontologischen Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung auszulöschen. Diese bräche im Rückschlag selbst zu einem einzigen Zeit-Raum einer einzigen Welt zusammen – in der klassischen Version, zumindest der Neuzeit. Das zeigt auch, daß die Art, wie die wilden Wesen* in der Verwebung »wesen«, diese auch zu Weisen der
240 Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung des Abwesens macht, aber eines fungierenden Abwesens, das in ihrer und durch ihre proto-räumlichende Distanz wirkt. Vertiefen wir nun dieses komplexe Überkreuzen der schematischen Horizonte und der proto-ontologischen Horizonte, und zwar immer vom phänomenologischen Ursprung des Sprachlichen ausgehend und wieder auf ihn zugehend. Es gibt in den wilden Wesen* und in ihrer Reflexivität ohne Selbst ein doppeltes Umwenden, auf das man achten muß. Es ist, als ob die schematische Zukunft in der Proto-Ontologie nur von ihrer Reminiszenz als vergangene Zukunft der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit erweckt werden könnte, ebenso wie die schematische Vergangenheit nur durch ihre Vorahnung als zukünftige Vergangenheit der proto-ontologischen transzendentalen Zukunft. Die Überkreuzung durch wechselseitige Verschiebung der proto-ontologischen und schematischen Horizonte vollzieht sich so, als ob die transzendentale Zukunft sich auf immer »anti-zipierte«, da in dem Umschlag der vergangenen Zukunft in der Vergangenheit in die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft sie sich voraus-geht, indem sie sich gewissermaßen zur schematischen Zukunft einerseits und zur proto-ontologischen Zukunft (in der Zukunft) andererseits verdoppelt, deren schematische Zukunft schon im Voraus wie die transzendentale Vergangenheit scheint, die aus ihr herausfällt; und als ob in ähnlicher Weise die transzendentale Vergangenheit sich immer schon selbst nachfolgte, da sie sich im gleichen Umschlagen durch eine Art von Verdopplung folgt, einerseits in die schematische Vergangenheit und andererseits in die proto-ontologische Vergangenheit (in der Vergangenheit), deren schematische Vergangenheit schon, durch Verzögerung, als die transzendentale Zukunft erscheint, die aus ihr herausfällt. Es ist also, als ob in der phänomenologischen Verschiebung des Schematismus im Verhältnis zum Proto-Ontologischen im ersten Fall die schematische Zukunft durch ihren Vorsprung die proto-ontologische Vergangenheit wiedererweckte, und als ob im zweiten Fall mittels der gleichen Verschiebung die schematische Vergangenheit durch ihre Verzögerung die proto-ontologische Zukunft erweckte. Das macht die Gestalt des Überkreuzens oder der verdrehten Verschiebung des Schematismus in der Reminiszenz und in der Vorahnung im Verhältnis zum un-endlichen Schematismus konkreter. Es gibt durch diese paradoxe Subversion der klassischen Horizonte der Zeit zugleich Öffnung durch Vorausgreifen und durch Verzögerung und proto-ontologische Öffnung ohne jeden vorgängigen Begriff für die Sedimentierung und für die (protoontologische) Reflexion der wilden Wesen* als sich verwebender Reminszenzen und Vorahnungen. Irgendwie stellt sich nun in der blitzhaften Apperzeption diese Überraschung der Trans-passibilität her, welche die wilden Wesen* zu antizipieren und einzufangen erlaubt, die in der proto-ontologischen Tiefe der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft entfliehen. Die proto-ontologische transzendentale Zukunft erweist sich darin reflexionsfähig, daß sie durch die Vergangenheit sozusagen in sich selbst in die zukünftige Vergangenheit in der Vergangenheit (deren Zeuge die schematische Vergangenheit ist) und in das mit einem Vergangenheitshorizont versehene Zukünftige in der Zukunft (deren Spur die schematische Zukunft ist) unterschieden wird; ebenso wie die proto-ontologische transzendentale Vergangenheit durch die Zukunft in sich selbst in die vergangene Zukunft in der Zukunft (deren Vorahnung die schematische Zukunft ist) und in das mit einem Zukunftshorizont versehene Vergangene in der Vergangenheit (deren Reminiszenz die schematische Vergangenheit ist) unterschieden wird. Anders gesagt gewinnt die proto-ontologische Zukunft ihre proto-ontologische Konsistenz nur, indem sie sich selbst in der schematischen Vergangenheit vorausgeht, genau wie die proto-ontologische Vergangenheit ihre proto-
241 ontologische Konsistenz nur gewinnt, indem sie sich in der schematischen Zukunft selbst nachfolgt, wobei das Ganze sich wohlgemerkt nur durch die Überkreuzung der Reminiszenzen und Vorahnungen hält. Diese sind nicht nur als weltliche wilde Wesen* in der weltlichen Proto-Gegenwärtigkeit mit der schematischen Vergangenheit und Zukunft verwoben, sondern tragen in dieser Verwebung das immer schon vergangene und versunkene Rätsel der unerinnerbaren Vergangenheit ebenso wie das immer noch zukünftige und entrückte der ungereiften Zukunft. Das hängt gewissermaßen davon ab, daß ein Teil der proto-ontologischen Tiefe der Vergangenheit sich umkehrt, indem er eine Tiefe der Zukunft öffnet, in der sich die schematische Zukunft auftut, und daß in der gleichen Bewegung ein Teil der proto-ontologischen Tiefe der Zukunft sich umkehrt, indem er eine Tiefe der Vergangenheit öffnet, in der sich die schematische Vergangenheit auftut. Das Unerinnerbare ist unerinnerbar und das Unreife unreif, weil davon immer schon etwas verloren und noch auf immer entrückt ist. In der Kluft scheint schon seit jeher die proto-ontologische Vergangenheit in ihrer Tiefe auf eine Zukunft hin geöffnet, die sie in sich selbst zurückhält, und auf eine Vergangenheit in der Zukunft, die ihr in der Überkreuzung der wilden Wesen* entgeht; ebenso scheint auf immer die proto-ontologischen Zukunft in ihrer Tiefe auf eine Vergangenheit hin geöffnet, die sie in sich selbst entrückt, und auf eine Zukunft in der Vergangenheit, die ihr in der gleichen Überkreuzung entgeht. Diese zurückgehaltene und für immer verschüttete Zukunft ist dafür verantwortlich, daß es keine Protention, auch keine Proto-Protention in der proto-ontologischen Vergangenheit gibt, sie hat sich ohne Vermittlung immer schon in die proto-ontologische Zukunft verflüchtigt; und es liegt an der auf immer verlorenen entrückten Vergangenheit, daß es keine Retention, auch keine Proto-Retention in der proto-ontologischen Zukunft gibt, da sie ohne Vermittlung immer noch in der proto-ontologischen Vergangenheit zerstäubt sein wird. Außerdem können die Reminiszenzen/Vorahnungen nicht beim Überkreuzen Proto-Protentionen und Proto-Retentionen konstituieren, da das doppelte Entweichen der Vergangenheit in die Zukunft und der Zukunft in die Vergangenheit, in die sich gerade die schematischen protozeitlichen/proto-räumlichen Horizonte eingetragen haben, bedeutet, daß sie für die schematische Zukunft, die einen Vorsprung gegenüber der Zukunft in der Vergangenheit der proto-ontologischen Zukunft hat, zu früh und für die schematische Vergangenheit, die zur Vergangenheit in der Zukunft der proto-ontologischen Vergangenheit in Verzug ist, zu spät kommt. Proto-Protentionen und Proto-Retentionen kann es hier also nicht gleich in den Reminszenzen/Vorahnungen geben, sondern in der ursprünglichen schematischen Verschiebung und Unzeit des Schematismus in der Reminszenz/Vorahnung im Verhältnis zum un-endlichen (proto-ontologischen) Schematismus. Dennoch ist das Ergebnis der Überkreuzung durch Verschiebung und Unzeit des Schematischen und des Proto-Ontologischen in der Verwebung eine Skizze der Horizontalisierung der Proto-Zeit/des Proto-Raums, da die Horizonte der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft sozusagen »in sich selbst eintreten«, durch Verschütten einer Vergangenheit in die Vergangenheit der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und durch Öffnung in der Öffnung einer Zukunft auf die Zukunft der proto-ontologischen transzendentalen Zukunft. Daher, um Heideggers Sprechweise aufzunehmen, haben die Ek-stasen der ursprünglichen Zeit als Ek-stasen der proto-ontologischen Proto-Zeit in sich selbst sozusagen eine ek-statische Konsistenz: die der Vergangenheit/Zukunft in der jeweils proto-ontologischen Vergangenheit und Zukunft, und zwar, wie wir gesehen haben, ohne daß sie eine Phase von Proto-Gegenwärtigkeit enthielten, sondern durch ihre
242 »Aktion auf Distanz«, in Abwesenheit von der schematischen Proto-Zeitigung her, die als einzige ihr diese Konsistenz geben kann. So also ist der Abstand im Ursprung des Schematischen im Verhältnis zu sich selbst, wobei dieser auch seine Proto-Räumlichung ist, die gleichzeitig die der schematischen Vergangenheit und Zukunft in der jeweils proto-ontologischen Vergangenheit und Zukunft ist und der Phase der ProtoGegenwärtigkeit als Phase ohne Erinnnerung und Antizipation. Gerade hier wäre architektonisch die Räumlichung anzusiedeln, die in ihrer Vielfalt den vielfältigen Zeitigungen/Räumlichungen vorausgeht, die darin ihren Ursprung nehmen, parallel zu den Proto-Protentionen/Proto-Retentionen, die, wie wir gesehen haben, sich nur im gleichen Abstand verankern. Durch diese Art von Vor-griff und Rück-griff des Schematismus auf sich selbst wären wir fast beim Sprachlichen angekommen, dessen Wesen* die wilden Wesen* selbst wären, wenn es der schematischen Verschiebung und Unzeit gelänge, sich zu bemessen und diesen berühmten »Maßstab« des Bewußtseins zu finden, von dem Hegel in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes spricht. Daraus wird nun nichts, da die wilden Wesen* Unerinnerbares/Ungereiftes als Reminiszenzen/Vorahnungen konkretisieren oder sedimentieren, aber so, nochmals, daß das Unerinnerbare und Unreife dabei mit einer unergründlichen Tiefe von Abwesenheit scheinen, die sie nur »wiederzugewinnen« oder »zu antizipieren« scheinen, indem sie sie verlieren, d.h. indem sie sich darin ekliptisch verbergen und dabei auch das verdunkeln, was deswegen als proto-ontologische Proto-Zeitlichkeit scheint, einer nur transzendentalen Matrix der Reflexivität, durch all das Rätsel, das sie in sich birgt. Dadurch, sozusagen durch die Distanz, durch den proto-räumlichenden Abstand des Schematismus im Verhältnis zu sich selbst, werden die phänomenologischen Züge der proto-ontologischen Proto-Zeitlichkeit noch klarer. Im distanzierten Vollzug der schematischen Horizonte finden wir etwas wie das über die Distanz hinweg wirkende Echo der unendlichen Doppel-Bewegung des transzendentalen Schematismus der Phänomenalisierung wieder. Durch diese Aktion auf Distanz scheint nun die proto-ontologische Zukunft für immer insofern entrückt, als sie sich als verfrühtes Echo ihrer selbst auf ihre Vergangenheit in der (von schematischen Vorahnungen bevölkerten) Zukunft zu öffnen scheint, und die proto-ontologische Vergangenheit scheint schon seit jeher insofern versunken, als sie sich als nachgereiftes und zu früh gealtertes Echo seiner selbst auf ihre Zukunft in der (von schematischen Reminiszenzen bevölkerten) Vergangenheit zu öffnen scheint. Das bedeutet genauer, daß die un-endliche (proto-ontologische) schematische Vergangenheit der un-endlichen Kette sich in ihrer Vergangenheit immer auf ein in dieser vergrabenes Geschehen hin öffnet, das aber schon ein Zukünftiges hat, das seinen Schlüssel vorenthält, in einer Zukunft, die ihr als zukünftige Vergangenheit in der Zukunft nur insofern entzogen sein wird, als die frühreife schematische Zukunft immer zu früh für sie kommen wird. Parallel dazu ist die un-endliche (proto-ontologische) schematische Zukunft der un-endlichen Kette in ihrer Zukunft immer offen auf ein in ihrer Zukunft entzogenes Angekommenes, das aber noch eine Vergangenheit hat, die sein Geheimnis bewahrt, in einer Vergangenheit, die ihr als vergangene Zukunft in der Vergangenheit nur insofern schon immer entzogen war, als die nach-gereifte schematische Vergangenheit immer schon zu spät für sie gekommen ist. Beide werden in der Verwebung der wilden Wesen* nur gemeinsam erzeugt, wobei sie proto-verräumlicht und die schematischen und proto-ontologischen Proto-Zeitigungen verschoben werden. Durch diese letzteren vergräbt sich die Vergangenheit in ihrer Vergangenheit, indem sie sich von ihrer Zukunft in der Vergangenheit absetzt, und die Zukunft ver-
243 senkt sich in ihre Zukunft, indem sie sich von ihrer Vergangenheit in der Zukunft absetzt: diese sind proto-ontologisch und durch den in ihnen enthaltenen Abstand der Verwebung der wilden Wesen* »horizontalisiert«. In diesem Abstand verwurzelt sich der Ursprung der Reflexivität im Sprachlichen, d.h. das »schneller« und »langsamer«, welche nur Sprachliches (und Sinn) bilden, wenn sie sich miteinander abstimmen. Im Abstand also, d.h. in der Kluft, und keineswegs in einem positiv gesetzten Term, und zwar indem die Schieflage der Kluft in die Schieflage des Risses verwandelt wird, ohne daß es dafür arché oder telos gäbe – denn die einzige arché und das einzige telos des Sprachlichen sind die harmonische Abstimmung, die als arché erahnt und als telos weiterverfolgt wird. Die wilden Wesen* verweben sich durch wechselseitige Übertragungen, in Chiasmen, von Reminiszenzen und Vorahnungen, als Verzögerungen und Vorgriffe im Ursprung des Schematismus im Verhältnis zu sich selbst als (proto-ontologisch) un-endlichem. Es ist eine Verwebung von Sedimentierungen und von aufscheinenden Welten, die auf immer verschüttet und für immer entrückt sind und so der Erinnerung und der Antizipation entgehen. Die wechselseitige Transpassibilität der Welten hat nur dann eine Chance, ihre Spuren zu hinterlassen, wenn die passiven Synthesen dritten Grades nicht mit sich selbst koinzidieren, was sich wohlgemerkt auf die Nicht-Koinzidenz der passiven Synthesen zweiten Grades mit sich selbst auswirkt, deren phänomenologischer Status aus dem gegenseitigen Abstand zwischen der schematischen Proto-Zeitigung in den Wesen* und der durch die Wesen* »auf Distanz eingeführten« proto-ontologischen Proto-Zeitigung besteht. Die Verfehlung oder der Kurz-schluß dieses Abstands der Proto-Räumlichung machte uns sicherlich »wahnsinnig«, nämlich wenn die Proto-Räumlichung durch einen erstarrten Proto-Raum entstellt wird, der uns durch eine Distanz spaltete, die nicht mehr als »dynamische«, also in Bewegung befindlicher Distanz wirkte. Die von uns vorgeschlagene Phänomenologie bewegt sich an solchen Abgründen. Der dynamische Abstand zwischen Proto-Ontologischem und Schematischem hat überdies zur Wirkung, daß die proto-ontologische Vergangenheit in der Vergangenheit (mit ihrer Zukunft) und die proto-ontologische Zukunft in der Zukunft (mit ihrer Vergangenheit) sich nicht im Unendlichen wie in einem Kreis, der die Gestalt der Ewigkeit wäre, treffen. Beide vertiefen sich in sich selbst wie im Un-endlichen immer mit dem Abstand der Schieflage ihrer Nicht-Koinzidenz, in einer Art doppelter Spirale, die wie das Echo der unendlichen Doppelbewegung ist, und in der das verdrehte Aufplatzen der proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft aus der proto-ontologischen Proto-Zeitlichkeit eine radikale Irreversibilität macht, die sozusagen ewig ist, auch für Gott – dies letztlich wegen der radikalen Kontingenz der Phänomenalisierung. Und diese sozusagen in sich selbst zurückgekehrte Irreversibilität macht die proto-ontologische Dichte der wilden Wesen* aus, ihre proto-zeitliche unergründliche Tiefe, ihr Rätsel, seit jeher verborgen und für immer entzogen. Das Kurzschließen des dynamischen Abstands in der klassischen Onto-Theologie, in der »das Selbe« die Zeit (und den Raum) metaphysisch zusammenhält, läßt von den wilden Wesen* nur Spuren in einer Art von Ewigkeitsabbrüchen zurück, nämlich die klassischen eidè, auf die wir noch zurückkommen werden und die immer mehr oder weniger in den symbolischen »Identitäten« der symbolischen Systeme wirken – worauf wir ebenso zurückkommen werden, um zu zeigen, daß das Streben der symbolischen Stiftung sich nicht nur in der Auflösung der Trans-Possibilität in Möglichkeit, sondern auch in der aktiven Vermengung von Horizontalisierung und Linearisierung (nach dem Kreis oder der Geraden) bekundet.
244 In der durch die hyperbolische phänomenologische Epoché ermöglichten phänomenologischen blitzhaften Apperzeption erscheinen jedenfalls die wilden Wesen* mit ihrem Rätsel wie in einer Dichte von proto-ontologischer Abwesenheit, aus der ihre ganze Ladung besteht. Die wilde Horizontalisierung bedeutet die unaufhebbare Proto-Räumlichung der proto-ontologischen Vergangenheit und Zukunft, d.h. ihre wechselseitige Ausweitung in ursprünglich abwesende Massive der Vergangenheit und Zukunft, wobei die erstere wie im Echo bis zu den in den wilden Wesen wirkenden Reminiszenzen zurückgeworfen wird und die zweite sich bis in die von den wilden Wesen* getragenen Vorahnungen als Echo antizipiert. Dabei übertragen sich die beiden von ihrer ursprünglichen Distanz der Kluft her, die zur Verwebung der wilden Wesen* gehört. Diese werden als »Wesende« nur durch die Tiefe von Abwesenheit gehalten, einer Tiefe sowohl des Unerinnerbaren als auch des Ungereiften, welche sie als seit jeher unerinnerbar und auf oder für immer ungereift erscheinen läßt. Dieses »immer«, das wir in Phénomènes, temps et êtres als »Sempiternität« bezeichnet haben, ist in den wilden Wesen das Kennzeichen dieser aktiven Abwesenheit, die vom Ursprung her besteht und unauflösbar ist: es ist ein Immer der Abwesenheit, welche die wilden Wesen über dem Abgrund der Kluft schweben läßt, gewissermaßen die Phase der weltlichen Proto-Gegenwärtigkeit überschreitend, als ob sie die Zeichen früherer aber auf immer vergessener Leben wären und die Keimlinge von späteren auf immer unmöglich zu antizipierenden und gar zu imaginierenden Leben, wie in einer Art phänomenologisch-transzendentaler, durch Irreversibiliät gekennzeichneter »Trans-Zeitlichkeit«, die um so merkwürdiger ist, als sie vollkommen ohne Ipseität auskommt. Da sie aus der Abwesenheit auftauchen und durch die Abwesenheit belebt werden, sind die wilden Wesen* in diesem Sinne ebenso nahe am Tod wie am Leben, einem »ewigen Schlaf« der Welten und einem »ewigen Wachen« in den Welten, wie dem, was eigentlich das Wachen ausmacht, nämlich die jeweils endliche Zeitigung/Räumlichung des Bewußtseins oder des Daseins*. Die wilden Wesen* bringen zwar seit jeher und für immer die proto-ontologische Vergangenheit und Zukunft auf Abstand, nähen sie aber wieder auf ihre Weise zusammen, aber mit ihrem Abstand im Ursprung, zur Unzeit, indem sie sich hineinweben: dies geschieht in der Phase der weltlichen Proto-Gegenwärtigkeit, indem sie diese in ihrer Vielfalt mit vielen Löchern einer seit jeher bestehenden und andauernden Abwesenheit versieht, »undurchsichtigen« Löchern in den Sedimentierungen von Welten in Reminiszenszen, »durchsichtigen« Löchern im Anbrechen von Welten in der Vorahnung, ohne daß jemals die »Dunkelheiten« und »Durchsichtigkeiten« zusammenfielen, sich einander anpaßten, was dann aus der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit eine sprachliche Phase der Gegenwärtigkeit machte. Die Reminiszenzen und Vorahnungen unterliegen doppelten Verschiebungen, die eigentlich bis ins Unendliche gehen könnten, aber tatsächlich in ihrer Unendlichkeit unmöglich auch nur geahnt werden können und die sie in ihrer Verwebung auffächern, indem sie auf kongruente Weise die proto-ontologische Zeitlichkeit lamellieren. Die wilden Wesen* »wesen« gewissermaßen wie die ursprünglich voreiligen und verzögerten »Klangkörper« der Welten in einem bestimmten Weltphänomen, und es gibt ursprünglich nicht notwendigerweise harmonischen Einklang zwischen diesen Verzögerungen und Voreiligkeiten im Ursprung. Die wilden Wesen* machen sich immer »bemerkbar«, nicht nur durch das Kennzeichen der ständigen Abwesenheit, sondern auch durch die anharmonischen Diskordanzen, mit denen sie verbunden sind und die sie konkret im Weltphänomen voneinander absondern.
245 So kann man die Formulierung wagen, daß die Proto-Räumlichung, die den dynamischen Abstand zwischen dem Schematischen und dem Proto-Ontologischen ausmacht, durch das Distanzieren proto-ontologischer Vergangenheit und Zukunft die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit selbst bildet, und zwar als ein Loch in der Abwesenheit oder als Aushöhlung von Abwesenheiten in der Abwesenheit selbst. Deshalb ist die Proto-Gegenwärtigkeit nichts anderes als die Kluft der Verwebung, die sich gewissermaßen von dem Immer der Abwesenheit nährt, indem sie sich an die wilden Wesen »festklammert« als Spuren der Trans-passibiliät der Welten in der als ProtoGegenwärtigkeit proto-verräumlichten Welt. In dieser Proto-Gegenwärtigkeit reflektiert sich nichts außer – durch die schematische Proto-Räumlichung, die den Schematismus gegenüber sich selbst verschiebt – der Fetzen der Phänomenalität von Welten, die gewissermaßen durch diese Verschiebung herausgerissen werden. Diese Fetzen sind die wilden Wesen*, die gleichermaßen radikal einzeln als auch ganz begriffslos universell (von Welten) sind. Als ein bei Proust in der Recherche gestaltetes literarisches Beispiel könnte das von Vermeer gemalte Gelb dienen, das auf rätselhafte Weise Bergotte in den Bann zieht, als wäre es ein »Emblem« von Welten, das seit jeher und für immer sein Geheimnis bewahrt und ursprünglich nicht nur der Welt eines bestimmten Weltphänomens, sondern auch gegenüber jedem möglichen sprachlichen Phänomen unangepaßt ist: es bleibt nur die Benennung durch einen Eigennamen, d.h. durch eine ebenso singuläre wie universelle Referenz, die nicht deren eigentümliche phänomenologische Konkretheit berührt. Und nur diese Art des Sprachlichen läßt uns hier davon sprechen, obwohl wir genau wissen, daß wir darauf zurückkommen müssen. Wir befinden uns an einem »Punkt«, an dem sich ziemlich klar der Abgrund zwischen der phänomenologischen Konkretheit und der »Abstraktion« der symbolischen Stiftung ermessen läßt. Mit den wilden Wesen* und ihrer Abwesenheitsdichte (vor der Geburt und nach dem Tod) befinden wir uns gewissermaßen an der äußersten Spitze des phänomenologischen Erhabenen, an den »Rändern« und in den »Eingeweiden« der Welten; und genau hier, im ursprünglichen Abstand, der diese Abwesenheitsdichte ausmacht, bildet sich die fungierende Sprache mit ihren Phänomenen heraus. Das unmittelbare Ineinander-Umschlagen des »immer schon« der Reminiszenzen in das »noch immer« der Vorahnungen ist sozusagen einfach nur zugleich Öffnung auf die proto-ontologische Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung und Kurzschluß jeder anderen möglichen Proto-Gegenwärtigkeits-Phase – wobei diese sich nur im Verborgenen der Transpassibilität als eine andere Proto-Gegenwärtigkeits-Phase ohne Vergangenheit (ohne Gedächtnis) und ohne Zukunft (ohne Antizipation) abzeichnet. Von der transzendentalen Vergangenheit habe ich nur Reminiszenzen, die ebenso von den wilden Wesen* getragen werden, wie die Vorahnungen, die ich von der transzendentalen Zukunft habe. Überdies gibt es keine Reminiszenzen ohne Vorahnungen und keine Vorahnungen ohne Reminiszenzen. Es gibt weder reine schematische Proto-Zeitlichkeit noch reine proto-ontologische Proto-Zeitlichkeit, sondern nur ihr Überkreuzen mit gegenseitigem Abstand, d.h. zu wechselseitig proto-verräumlichten Unzeiten. Es folgt daraus, wie wir es in Phénomènes, temps et êtres gesagt haben, eine doppelte Existentialität der außersprachlichen Weltphänomene. Um diese mit den von uns weithin benutzten Begriffen Maldineys von Trans-passibilität und Trans-possibilität in Übereinstimmung zu bringen, um sie also terminologisch auf der gleichen architektonischen Ebene anzusiedeln, werden wir hinfort von der doppelten Trans-existentialität sprechen. Gehen wir, um ein besseres Verständnis für sie zu entwickeln, von den wilden Wesen* aus. Insofern sie in einer bestimmten Phase oder einem be-
246 stimmten Weltphänomen die Spuren (verspätet sedimentiert und wie das Heraufdämmern im voraus geöffnet) der schematischen Trans-passibilität der Welt gegenüber den Welten sind, sind sie die Zeugen einer inner-schematischen Trans-existentialität und sie konstituieren sich, wie es Merleau-Ponty in Das Sichtbare und das Unsichtbare vorausgesehen hat, als konkrete Existentialien des Sichtbaren, des Spürbaren, des Denkbaren jeweils in ihrer ursprünglichen Inchoativität. Insofern der Schematismus, die passiven Synthesen dritten Grades, ursprünglich hinsichtlich seiner selbst verschoben (proto-verräumlicht) ist, d.h. unermüdlich und gleichzeitig sich selbst vorausgeht und nachfolgt, ist er durch diese Proto-Räumlichung der Ort einer Trans-existentialität. Und die wilden Wesen* als Fetzen der in den passiven Synthesen zweiten Grades artikulierten Phänomenalität sind existentiale Sedimentierungen – die anders geartet und von anderem architektonischen Ursprung sind als das, was Husserl im allgemeinen mit Sedimentierung meinte –, und die schon, zumindest teilweise der symbolischen Stiftung angehören. Wir werden darauf zurückkommen. Die schematische Trans-existentialität übersetzt sich also oder hallt dadurch wider, daß es keine Welt, d.h. keine Weltphänomene, gibt, die nicht fest an wilde Wesen* als konkrete Existentialien gebunden wäre und dabei doch noch in ihren proto-ontologischen Tiefen die Möglichkeiten des Existierens als Möglichkeiten der Selbstheit des Sinns in sich birgt. Es handelt sich nämlich um Existentialität in der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft, die notwendigerweise, in der Heideggerschen Terminologie, die Befindlichkeit* bewirken. Diese durchzieht also in ihrer Wildheit ganz ununterschieden jedes Sichtbare, jedes Spürbare und Denkbare, denn sie befindet sich inchoativ in den Reminiszenzen und den Vorahnungen, d.h. auch mit dem sich darin proto-räumlichenden Abstand. Das führt uns zum anderen Aspekt der doppelten Trans-existentialität, der sich mit dem ersten nach Art der Überkreuzung des Proto-Ontologischen mit dem Schematischen kreuzt. Es genügt nämlich, sich in Erinnerung zu rufen, daß das Proto-Ontologische architektonisch nichts anderes als die für uns ununterschiedene Masse des un-endlichen Schematismus in seiner Doppelbewegung ist, um sich bewußt zu werden, daß jede Welt – jede Welt-Phase oder jedes Weltphänomen – nur als die Abwesenheits-Spur einer schematischen Operation der Phänomenalisierung scheint, die unabänderlich aus der schematischen Proto-Räumlichung heraus »anderswohin«, in die dunklen Abgründe der proto-ontologischen Proto-Zeitlichung zurückgeworfen ist: niemals kann die Weltphänomenalisierung mit sich selbst zusammenfallen, sie pulsiert immer nur zwischen der Erscheinung (welche sie in dem Schein der Erscheinung verschwinden ließe) und dem Verschwinden (die es in der transzendentalen Vergangenheit versinken und in die transzendentale Zukunft entrücken würde). Anders gesagt ist die Trans-existentialität insofern doppelt, als der Schematismus der Phänomenalisierung ursprünglich zwischen seiner schematischen und seiner protoontologischen Gestalt verschoben ist, zwischen dem Endlichen und Un-Endlichen. Dies hat zur Folge, daß die Phänomenalisierung sich durch ihre existentiale Struktur selbst erahnt, u.z. sich in ihrem Pulsieren blitzhaft apperzipiert, auf ek-statische Weise, nämlich da, wo sie niemals stattgefunden hat und niemals stattfinden wird, weil ihr Ort begriffsloser Reflexion niemals mit ihrem »Ort« des Auftauchens zusammenfällt und weil die Reflexivität ohne Selbst in der Phänomenalität diese ursprünglich auseinandersprengt in die Phänomenalitätsfetzen, als welche die wilden Wesen* »wesen«, – oder auch, weil es zwischen dem Endlichen und Un-endlichen eine ursprüngliche Verdrehung und keine Transparenz gibt. Es handelt sich um eine Transparenz im starken Sinne, d.h. eine Trans-Apparenz innerhalb dessen, was immer nur
247 eine transzendentale Illusion der Phänomenalisierung ist, deren Begriff in unaufhebbarer Schieflage zu den wilden Wesen* als Fetzen der transzendentalen Illusion ist. Durch diese schematische Trans-Existentialität also sehen sich die wilden Wesen* von ihrer Last des Un-endlichen geladen, d.h. von ihrer Tiefe an proto-ontologischer Abwesenheit. Als ob das, was an Unendlichem durch die transpassible existentiale Sedimentierung »verfehlt« worden war, untergründig oder hinterrücks als verworrene, ununterschiedene, proto-ontologische Trans-passibilität zurückkehrte: d.h. als Reminiszenzen von auf immer potentiellen Phänomenalisierungen, die von dieser Weltphase an ohne Phänomene sind, und als ganz virtuelle Vorahnung von Phänomenen, ohne Phänomenalisierungen von der gleichen Weltphase an, die wie der Abgrund zwischen den beiden ist, ein Abgrund in ursprünglicher Verdrehung, der insofern reflektiert werden kann, als paradoxerweise die im potentiellen Zustand für immer verschütteten Phänomenalisierungen immer schon Sedimentierungen (wilde Wesen*) von Phänomenen darin zurückgelassen haben, die niemals stattgefunden haben, und in dem, nach dem gleichen Paradox, die auf immer im virtuellen Zustand entrückten Phänomene sich darin im voraus, von ihrer Virtualität her, öffnen, indem sie darin ein Tagen für Phänomenalisierungen eröffnen (wilde Wesen*), die niemals stattgefunden haben werden. Das ist eine andere Art, die zu jeder außersprachlichen Weltphase gehörenden Abwesenheit von Gedächtnis und Antizipation auszusagen. Diese ist nun nicht ein nur einfaches »Außerzeitliches«, da diese Abwesenheit auch die unerfaßbare Einheit der schematischen Proto-Zeitlichkeit und der proto-ontologischen Proto-Zeitlichkeit ist. Mit anderen Worten: die inner-schematische Trans-existentialität ist so beschaffen, daß die wilden Wesen*, als konkrete oder verleiblichte Existentialien in der ProtoGegenwärtigkeits-Phase zwischen ihrem Jenseits und Diesseits schweben und sich in ihrer Proto-Zeitigung verweben, indem sie das »immer schon« und das »noch immer« ineinander übertragen, wobei sie mit der Welt nur flüchtig verbunden sind und sich immer davon abzulösen drohen. Das »immer schon« und das »immer noch« sind indessen nicht von einem Zentrum etwa der Gegenwärtigkeit oder der ProtoGegenwärtigkeit her zu verstehen, sondern in der proto-räumlichenden Verschiebung, welche die Proto-Zeitlichkeit proto-ontologisch macht. Denn das »Immer« der wilden Wesen* ist ein »Immer« der Abwesenheit, die nach der schematischen Transexistentialität bewirkt, daß in den wilden Wesen* die Abwesenheitsdichte sozusagen ursprünglich in die Proto-Gegenwärtigkeits-Phase – in das Weltphänomen – abgeschoben wird, und daß entsprechend dieses ursprünglich in diese Abwesenheitsdichte des Immer abgeschoben wird. Die wilden Wesen* »wesen« also als nicht teleologische Horizonte von Welten in der Welt, die ihrerseits wie eine »Modulation« ohne Vergangenheit und Zukunft der Welten der phänomenologischen Vielfalt der Welten erscheint. So gesehen sind die wilden Wesen* wie die Zeugen der Transzendenz der Abwesenheit der Welten in einer bestimmten Weltphase als tranzendentale Matrix dieser Welt mit ihrer Jemeinigkeit*, d.h. ihrer Faktizität. Es wird nun zu ermessen sein, wie die Möglichkeiten, als ontologisch-existentiale Möglichkeiten des Sinns, sich in diese wilden Wesen* der wilden Existentialien eingliedern. Wir verstehen jedenfalls schon besser, wie dieser Status sie in die Lage versetzt, etwas vom Sinn-Ent-wurf an sich zu binden. Wenn wir von hier aus auf die ohne Selbstheit reflexive Struktur der Phänomenalität zurückkommen, erkennnen wir, daß sie innerlich mit der proto-verräumlichenden Verschiebung des Schematismus zu sich selbst in seiner Un-endlichkeit übereinstimmt. Dieser ist also gewissermaßen der proto-gezeitigte/proto-verräumlichte Aus-
248 druck des Pulsierens der Phänomenalisierung im Pulsieren der Phänomene in den Fetzen ihrer Phänomenalität, welche durch die proto-räumlichen/proto-zeitlichen Distanzen hindurch die Zeugen ihrer »universellen« Transpassibilitäten sind. Ein Ort der blitzhaften Apperzeption, haben wir gesagt, in der Ungleichheit, der Schieflage oder der Verdrehung der Apperzeption im Verhältnis zu sich selbst, wegen der die ursprüngliche Apperzeption im Verhältnis zu sich selbst als der Einheit (des Seins und der Zeit) gleichermaßen in Verzug wie verfrüht ist, wenn auch diese Einheit, wie wir wissen, gleichermaßen in der Schieflage der Zeitigung/Räumlichung ist. Auch darauf werden wir noch zurückkommen. Jede feste und stabile Selbstheit verliert sich in den phänomenologischen Abgründen, und wenn wir dennoch alle eine unersetzbare Selbstheit (in uns) tragen, kann diese ihre Quelle, die nicht ihr Ursprung ist, nur in dem Rätsel eines nicht bestimmenden symbolischen Stifers finden. Aber man kann, wie wir sehen werden, die Frage der symbolischen Stiftung nur angehen und weiterverfolgen, wenn man sich der Frage des Ursprungs des Sprachlichen zuwendet. Bevor wir dies tun, wäre noch zu sagen, daß die Reflexivität der Phänomene in der Phänomenalität, die sich, wie schon mehrmals gesagt, über die Proto-Räumlichung der schematischen Verschiebung bildet und damit ein »Denken« voraussetzt, das zugleich schneller und langsamer als es selbst abläuft, in seinen Tiefen nicht aus einem »Denken« hervorgeht, das mit Selbstheit ausgestattet wäre, sondern das mit der transzendentalen phänomenologischer Einbildungs-kraft* versehen ist, die vom unaufhörlichen Fungieren des phänomenologischen Unbewußten nicht losgelöst werden kann. Sie ist also unablösbar von den schematischen Voreiligkeiten und den schematischen Verspätungen im Ursprung, von den schematischen Un-Zeiten in ihrer Proto-Räumlichung, und immer zu ihrem Exzeß an Schelligkeit oder Langsamkeit im Verhältnis zu einem durch die Zeitigung/Räumlichung »gut geregelten« Denken bereit. Als eine Art von »Entregelung aller Sinne« (Rimbaud, erster Seherbrief) ist sie so gegenüber dem transpassibel, was in der Welt die Eindrücke oder die Bestimmbarkeiten überfrachtet und von anderen Welten her, weil sie sich in der inneren Verschiebung der Proto-Gegenwärtigkeit der Weltphase befindet, eine Verschiebung, welche die Proto-Gegenwärtigkeit proto-verräumlicht, und aus der in der Welt die ursprüngliche Räumlichkeit der ursprünglichen Vielfalt der Pro-jekte der transpassiblen Sinnnregungen ebenso hervorgehen, wie der innerhalb eines bestimmten Sinn-Ent-wurfs ursprüngliche Abstand zwischen Protentionen und Retentionen. Eine Verschiebung, die auch Kluft ist, da in der weltlichen Proto-Gegenwärtigkeits-Phase die Welt ohne »Ränder« und ohne »Grund« zu sein scheint, wie eine über die Dinge und Wesen ausgebreitete Traum-Folie, Phänomen nur als Phänomen und unerfaßbar, da in seinem unbestimmtem Pulsieren von seinem doppelten Tod entfernt (einem Tod in der Ganzheit der Idee und in den ursprünglich verstreuten Dingen und Wesen). Diese Kluft ist ganz dicht am Tod und so gesehen am phänomenologischen Erhabenen: als eine durch ihre Proto-Räumlichung verzerrte Aushöhlung, die sozusagen in die Abwesenheitsdichte des Immer gegraben und durch ihre wilden Wesen* mit ihr verklammert wurde, ist das außersprachliche Weltphänomen unbestimmt, grenzenlos bestimmbar durch die in vielfältigen Abständen Überbestimmbarkeit der wilden Wesen*; es ist das durch die transzendentale phänomenologische Einbildungskraft blitzhaft apperzipierte Gesicht des phänomenologischen Apeiron, das allerdings immer anderswo ist, durch die Proto-Räumlichung und in der Bewegung des wechselseitigen, aber die Distanz wahrenden Mitziehens des
249 Schematischen und des Proto-Ontologischen, des endlichen und des unendlichen Unendlichen. b) Der schematische Chiasmus des Sprachlichen: Von der Landschaft der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen zu den Wegen zwischen Protentionen und Retentionen All dies werden wir notwendigerweise in der fungierenden Sprache wiederfinden, weil sie sich auch in sprachliche Phänomene schematisiert, wobei aber mit der Zeitigung/Räumlichung noch etwas hinzukommt, das sein Geheimnis bewahrt. Bisher haben wir die phänomenologische Analyse dieser letzteren bis zu ihrer Quasi-Auslöschung im Pulsieren des ursprünglichen Abstands zwischen Protentionen und Retentionen verfolgt, und es gibt kaum Hoffnung, in dieser Richtung weiter voranzuschreiten, denn dort, wo wir auf einen Anfang des Sprachlichen stoßen, der schon sprachlich ist, entgeht uns etwas von seinem Ursprung, das, wie wir gesehen haben, aus den außersprachlichen Weltphänomenen schöpfen muß. Nun, im Vorangegangenen bietet sich der Analyse ein Angriffswinkel an, den wir mit Bedacht beiseite gelassen haben: nämlich das Rätsel, weswegen sich die phänomenologischen »Zeichen« als »Zeichen« des Sinns konstituieren, wobei diese gleichviel in phänomenologischer Verallgemeinerung den Tonfolgen, graphischen Bildfolgen, den Gesten, Mienenspiel oder auch den Sequenzen von Weltwesen entnommen werden können, die alle nur für den einsichtig werden können, der schon wenigstens etwas von dem sich darin bildenden Sinn erfaßt hat. Um dies zu verstehen, hilft uns die Anwendung der hyperbolisch-phänomenologische Epoché, in der die das zum Sprachsystem symbolisch Gestiftete des Sprachlichen eingeklammert wird. Dabei ergibt sich, daß das sprachliche Phänomen sich durch eine sehr spezifische Art des Chiasmus von Ketten konstituiert, die an sich nicht dem Sprachlichen angehören: Verkettungen von Tönen, graphischen Elementen, Gesten, Physiognomien usw., die wir, um zu vereinfachen, als verbale Verkettungen bezeichnen, und Verkettungen von Weltwesen, die wir der Einfachheit halber durch Weltketten bezeichnen – obwohl die ersteren, wie gleich betont werden soll, dies auch sind, wie die – schon sprachlichen – Echos zwischen dieser oder jener Wesenskette anzeigen. Es gilt nun zu verstehen, daß diese Ketten ihre Konsistenz als Kette nur in ihrer Verkettung als Chiasmus innerhalb des sprachlichen Phänomens annehmen. Welcher Art ist nun dieser Chiasmus, der zugleich zeitigend/räumlichend sein soll? In einer streng phänomenologischen, durch die hyperbolische Epoché auferlegte Konzeption ergibt sich: die Wesen der verbalen Kette und die Wesen der Kette der weltlichen Wesen – die schon zueinander verschoben sind, was sowohl ihre überkreuzten Referenzen als auch die Räumlichung/Zeitigung im Sprachlichen ausmacht – sind also schon sprachliche Wesen* und können dennoch, gegen den Strich der Verwandlung, die aus ihnen phänomenologische »Zeichen« macht, einen anderen Ursprung haben als die außersprachlichen wilden Wesen*. Diese verweben sich nun ihrerseits, indem sie sich in der Öffnung der Kluft der weltlichen Phase von Proto-Gegenwärtigkeit proto-räumlichen/proto-zeitigen. Es gibt kein sprachliches Phänomen – wir sagen nicht: Aussage oder Ausdruck, die nicht notwendigerweise und sogar nur ganz selten Phänomene im phänomenologischen Sinn sind –, das nicht zugleich Weltphänomen wäre, und zwar durch Zeitigung/Räumlichung der weltliche Proto-Gegenwärtigkeit. Jedes sprachliche Phänomen sucht etwas von der weltlichen Proto-Gegenwärtigkeit zu »sagen«, in der sich sein Ursprung befindet. Damit sind, wie wir gesehen haben, zwei Ordnungen von ursprünglicher Räumli-
250 chung verbunden, deren Gliederung sehr genau herausgearbeitet werden muß: einerseits die der ursprünglichen Pluralität von wechselseitig transpassiblen Sinnregungen, und zum anderen die Räumlichung, welche im Ursprung den Abstand zwischen Protentionen und Retentionen bildet. Diese beiden Ordnungen gliedern sich ihrerseits im proto-räumlichenden Abstand des Schematismus hinsichtlich seiner selbst. Es folgt daraus, daß in der den sprachlichen Phänomenen eigenen »Autonomie«, welche die wilde sprachliche Wesen* in Zeitigungen/Räumlichungen verwebt und dadurch die phänomenologischen »Zeichen« bildet, diese, wenn man noch so sprechen darf, im Lauf der Zeitigung/Räumlichung mehrfache Bezüge haben, da die Verweise von einem sprachlichen Wesen zum anderen sowohl innerhalb des sich entwickelnden Verlaufes des Sinns (klassisch gesprochen: syntagmatisch) als auch außerhalb davon, weil sie irgendwo die außersprachlichen Weltphänomene berühren (klassisch gesprochen: paradigmatisch). Die phänomenologischen »Zeichen« des sich bildenden Sinns bewahren etwas von der Tiefe der außersprachlichen Welt, und zwar insofern, als der sich bildende Sinn sich mehr oder weniger dunkel als zu entfaltender Sinn des Rätsels der außersprachlichen Welt sucht. Und dieses »Rätselhafte« der Tiefe der außersprachlichen Welt kann nur aus den außersprachlichen wilden Wesen* bestehen. Diese sind gewissermaßen, um einen Ausdruck von J. Garelli wiederaufzunehmen, in den sprachlichen Wesen* enthalten, und zwar insofern, als der letzte »Referent« der sprachlichen Phänomene nichts anderes ist als das außersprachliche Weltphänomen. Trotzdem gehört dieses nicht, das ist das für die Phänomenologie konstitutive Paradox, der Ordnung des Gegebenen an, sogar auch nicht, wie es Husserl geglaubt hat, der Vorgegebenheit*. In seinem Pulsieren schwindend, jeweils sich wie eine Höhle von Abwesenheiten in der (proto-ontologischen) Abwesenheit weitend, wird es immer nur in der Kluft blitzhaft apperzipiert, durch die hindurch sich die Verschiebung der wilden Wesen* als transzendentale Reminszenzen und Vorahnungen vollzieht. Also nur in dieser blitzhaften Apperzeption kann etwas wie ein zu sagender Welt-Sinn seinen Ursprung »finden«, durch Zeitigung/Räumlichung der Kluft, deren Verwandlung in einen Riß, der die wilden Wesen* als in überkreuzten Ketten angeordnete sprachliche Wesen* neu verteilt. Auf ihre Weise also bewahren diese in ihrer Tiefe etwas von der Phänomenalität der Welten in der Welt. Sie bergen in sich die außersprachliche Wildheit der außersprachlichen Welten. Oder auch: es besteht auch Trans-passibilität der sprachlichen Phänomene gegenüber den außersprachlichen Phänomenen, und die sprachlichen Wesen* sind gegenüber den außersprachlichen wilden Wesen trans-passibel, durch die Eingliederung der schematischen Proto-Räumlichung in die doppelte Räumlichung der Sinnregungen und des sich gerade bildenden Sinns. Die ganze Schwierigkeit rührt nun, wie wir betont haben, daher, daß das sprachliche Phänomen, um sich zu phänomenalisieren, sich selbst schematisiert. Also daher, daß es in diesem Schematismus in seinen wilden Tiefen nicht weniger an sprachlichen transzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen trägt, von sprachlichen wilden Wesen* also, die Sedimentierungen und Heraufdämmern anderer sprachlicher Phasen sind, die für immer in der transzendentalen Vergangenheit verschüttet sind und auf immer in die transzendentale Zukunft entrückt sind, also von sprachlichen Phasen, die niemals stattgefunden haben und die niemals stattgefunden haben werden, aber auf die hin eine bestimmte sprachliche Phase transpassibel ist. Jedesmal wenn ich wirklich spreche, und zwar um etwas zu sagen – was »zunächst und zumeist«
251 viel seltener ist, als man es gemeinhin glaubt, – spreche ich gewissermaßen zum ersten Mal, und die Logizitäten der Zeitigung/Räumlichung kommen mir in den Sinn, ohne daß ich sie irgendwo suchen müßte: sie sprechen sich mir »spontan« von »nirgendwoher« zu (aus der transzendentalen Vergangenheit und Zukunft), und die ganze Schwierigkeit des Sprechens ist in diesem Fall, das Sprachsystem sich dabei »zurechtzubiegen«, ihre Mittel und Grenzen zu nutzen, aber auch zu überlisten. Anders gesagt sind die sprachlichen wilden Wesen*, insofern sie als solche »wesen«, nichts anderes als die Fetzen der Logizität, d.h. immer schon und noch immer ekliptisch verdeckte Ansätze der Zeitigung/Räumlichung, die sozusagen im phänomenologischen Feld umherirren und auf erratische Weise die weltlichen wilden Wesen* kolonisieren. Und immer findet sich ein Teil dieser gewissermaßen »entleiblichten« Fetzen in die Höhlungen der passiven Synthesen (zweiten Grades) wieder eingeschrieben, die in jeder sprachlichen Phase sich vollziehen. Es handelt sich hier um eine »Über-Impression« oder »Überbestimmbarkeit« dessen, was sich als sich zeitigender/räumlichender (mit Selbstheit versehener) Sinn durch die wilden Wesen* oder die sprachlichen wilden Logizitäten reflektiert. Es gibt also ein sprachliches phänomenologisches Unbewußtes, das einen wichtigen Teil der Phänomenalität ausmacht. Auf eine andere Weise sind diese sprachlichen wilden Wesen*, wie wir gesehen haben, die Zeugen und Zeichen der Trans-passibilität eines bestimmten sich bildenden Sinns gegenüber anderen Sinnregungen, und damit schneiden sie sozusagen die phänomenologischen »Zeichen« neu zu, indem sie diese ursprünglich auf ihre phänomenologisch unaufhebbare »Vielstimigkeit« oder »Polysemie« hin öffnen. Die sprachlichen wilden Wesen* wirken in einer bestimmten sprachlichen Phase wie Kennzeichen der Dephasierungen im Ursprung, die den sich bildenden Sinn immer »durcheinanderzubringen« drohen, und es ist nun erkennbar, daß dieser grundsätzlich niemals zum reinen Ausdruck seiner selbst gelangen kann – er löste sich in einer durch die symbolische Stiftung kodierten »Bedeutung« auf. Jedes sprachliche Phänomen ist zugleich »vielschichtig« und mehrfach verschoben (dephasiert), und das ist die Spur des Wilden in ihm, die in der Kultur nur in der verleiblichten phänomenologischen Gemeinschaft wieder aufgenommen werden kann, in der unbestimmt verlaufenden Verleiblichung der sprachlichen Phänomene. Wir stehen vor der merkwürdigen Situation, daß die Wildheit des Sprachlichen sich über die Wildheit der Welten legt, ohne allerdings sich mit ihr zu vermengen. In dem Maße, in dem die sprachlichen wilden Wesen immer schon und auf immer die außersprachlichen wilden Wesen* »kolonisiert« haben, indem sie als gleich sich verbergende Ansätze von trans-passiblen Sinnregungen auftreten (die unmöglich durch Zusammenführung im »Selben« zu homogenisieren sind, und noch weniger, indem man sie wie im Cratylos oder in den Heideggerschen Rekonstruktionen durch eine Art mythische Etymologie »deduziert«), in dem Maße gibt es diese, aber wegen ihrer Natur selbst inkommensurable »Überlagerung« seiner proto-ontologischen Tiefen und damit des erratischen Charakters der »Kolonisierung«. Gerade diese grundsätzliche Unmöglichkeit, eine Grenze zwischen dem Endlichen und dem Un-endlichen festzusetzen, ist ein weiterer Zug der wirklichen Endlichkeit. Jedes Wesen* ist von einer Seite her sprachlich und von einer anderen Seite her außersprachlich, ohne daß jemals eine Grenzlinie eindeutig gezogen werden könnte. In dieser vertrackten Situation, in der man dem Vermögen der Anlayse mißtrauen muß, da sie alles zu verlieren droht, wenn sie die Beweglichkeit zugunsten fester Begriffe stillstellt, klärt sich allerdings manches, wenn wir bedenken, wie Abstände sich
252 aneinandergliedern – nämlich der Abstand zwischen Protentionen und Retentionen und Abstände der Dephasierungen, die sich in jedem sprachlichen Phänomen vollziehen. Es handelt sich dabei um das Abstimmen bzw. Durcheinanderbringen des Sinns, bezüglich dessen, was ihn sowohl zur »Bildung« seiner selbst als seiner in ihrem Anfang apperzipierten Selbstheit treibt, als auch dessen, was ihn zu einer Wildheit zurücktreiben läßt, in der er sich wie in einer ursprünglichen Pluralität von pulsierenden Sinnansätzen als durch diese Abstände hindurch gegenseitig trans-passibler Sinnregungen auflösen würde. Das eigentlich im Sprachlichen Gezeitigte/ Geräumlichte ist der sich bildende Sinn in seiner Gegenwärtigkeit, d.h. der Abstand zwischen Protentionen und Retentionen. Aber das macht nicht die ganze Phänomenalität des Sprachlichen aus, da in sie auch die sprachlichen wilden Wesen* und die weltlichen wilden Wesen* eingehen, welche durch jene immer schon und auf immer »kolonisiert« wurden, also die entleiblichten Logizitätsfetzen und im Pulsieren der Phänomenalisierung des Sprachlichen ekliptisch verdeckte Sinnansätze. Die entscheidende Tatsache, die nicht irgendeiner Faktualität, sondern der Faktizität des Sprachlichen angehört, ist, daß die zweiten zwar wiedererweckt und erweckt von ihrer proto-ontologischen Tiefe sind, sich aber nur durch das Einsetzen der Zeitigung/Räumlichung des Sinns betätigen. Diese Betätigung ist also erstens sozusagen nur der »sichtbare« Kamm, der nach seinem phänomenologischen Logos die phänomenologischen »Zeichen« als »wiedererkennbare« sprachliche Wesen* zusammenhält, wobei diese die Fetzen oder Stafetten des sich bildenden Sinns sind, und zweitens das, was sie im Inneren als sprachliche wilde Wesen neu zuschneidet, die sowohl entleiblicht sind, da sie in der gesamten Phase herumirren, ohne sich an irgendein außersprachliches weltliches Wesen* anzuklammern, als auch verleiblicht in den weltlichen wilden Wesen, die zu ekliptisch verdeckten Ansätzen anderer transpassibler Sinnregungen in den phänomenologischen »Zeichen« werden, je nach den sowohl inneren als auch äußeren Verweisen im Laufe des sich bildenden Sinns. Anders gesagt, alles beginnt als sprachliche Phase in der sprachlichen Phase nur durch einen ersten auslösenden Abstand im proto-räumlichenden schematischen Abstand: und zwar durch das Ausweiten des Abstands, der den Protentionen und Retentionen Raum gibt und von uns deshalb als Abstand der Proto-Retentionen und Proto-Protentionen, also sozusagen des Proto-Sprachlichen bezeichnet wird, weil er noch ein »leerer« Abstand ist. Hier entfernen sich nochmals in ihrer wechselseitigen Verwebung die tranzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen, anstatt sich zur Kluft des Proto-Ontologischen in Bezug zum Schematischen zu weiten, wobei sie aus der zukünftigen Vergangenheit in der proto-ontologischen Zukunft eine protoretentionale Vergangenheit machen, die noch reich an ihrer Zukunft ist, und aus der vergangenen Zukunft in der proto-ontologischen Vergangenheit eine proto-protentionale Zukunft machen, die schon reich an ihrer Vergangenheit ist. Durch dieses räumlichende Trennen sind übrigens die Reminiszenzen und Vorahnungen als solche wiedererkennbar, Träger von ekliptisch verdeckten Sinnregungen in einer immer schon verschütteten Vergangenheit und in einer auf immer entrückten Zukunft, und demnach, was ihren phänomenologischen Status angeht, mit den Proto-Retentionen und Proto-Protentionen identisch. Und dieses Auseinanderbringen im Abstand, in dem vom Sprachlichen her die blitzhafte Apperzeption pulsiert, wird seinerseits durch die Hyper-Schnelligkeit und die Hyper-Verzögerung der transzendentalen Einbildungskraft (das »Denken«) im Verhältnis zum schematischen proto-verräumlichenden Abstand ermöglicht. Es handelt sich um eine »Leistung« der Einbildungskraft, durch die sie gewissermaßen sich selbst vorausgeht und folgt, sich selbst unter-schei-
253 det, um sich in Kohärenz zu verräumlichen, und dadurch unter-scheidet sich zugleich die ganze Verschiebung des außersprachlichen Schematismus gegenüber sich selbst und innerhalb seiner selbst, insofern er sich wieder spaltet, indem er sich »selbst« vorausgeht und nachfolgt. Es handelt sich also um eine Vorgängigkeit, die sich selbst vorausgeht und folgt, und gleichermaßen um eine Nachfolge, die sich ebenso vorausgeht und folgt, also um eine a priori begriffslose Reflexion der ursprünglichen und schematischen Verspätung und Verfrühung in ihnen selbst. Gerade dieser blinde außersprachliche Schematismus reflektiert sich also in sich selbst, indem er sich sozusagen nochmals auf sich selbst anwendet. Aber da der Schematismus sich in sich selbst nur nochmals schematisieren kann, wenn er sich seinerseits schematisiert, und dies sowohl nach den phänomenologischen Kategorien der Bestimmbarkeit als auch der Quantitabilität, bedeutet das, daß diese »Selbst-Anwendung«, also ein Chiasmus des Schematismus mit sich selbst, selbst Schematismus ist, d.h. ein sich schematisierender Chiasmus des Schematismus mit sich selbst ist. Oder auch: Schematismus des Chiasmus des Schematismus mit sich selbst – wobei das »Selbst« hier schon der Ansatz der Selbstheit des Sinns ist. All dies vollzieht sich auf kohärente Weise, weil nämlich das Abstandnehmen im Abstand a priori in jedem außersprachlichen wilden Wesen* durch jedes sprachliche wilde Wesen, Fragment oder Logizitätsfetzen induziert wird, welches das erstere zu einem Ansatz von gegenseitig transpassiblen Sinnregungen umwandelt, die sich sofort ekliptisch verbergen, wenn der Ansatz nicht in der Zeitigung/Räumlichung des Sinns wiederaufgenommen wird. In und durch diese kündigt sich etwas Konkretes in den Protentionen und Retentionen an, das Konkretheiten folgt, die sozusagen der Verwebung der weltlichen wilden Wesen in der Kluft entrissen wurden und von denen man immer »etwas« in den sprachlichen Phänomenen wiederfinden wird, wenn es auch auf den ersten Blick verkannt wird, aber im ganzen Verlauf der Phase, hinter den Ausschnitten und Neuzuschnitten seiner Phänomenalität in phänomenlogische »Zeichen« – Zuschnitte in Sinnfetzen und Neuzuschnitte sowohl in der ursprünglichen Polysemie der phänomenologischen »Zeichen« als auch in ihren wechselseitigen Verweisen (oder »Referenzen«), welche je nach den Logizitätsfetzen als sprachliche wilde Wesen* gegliedert werden. Von dieser fast unzugänglichen Rückseite, die als nicht teleologischer Horizont der sprachlichen Phänomene, also auch der blitzhaften Apperzeption aufgespannt ist, kann eine haltbare »Eroberung« nicht zugesichert werden, da sie als solche der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché angehört. Das hat zur ersten entscheidenden Konsequenz, daß die Schieflage des Sinns zu sich selbst, welche die ganze Un-endlichkeit der Zeitigung/Räumlichung ausmacht, nichts anderes ist als der Abstand, der den Sinn im Verhältnis zu sich selbst ursprünglich verräumlicht und der ihn nur in und durch diesen Abstand sich halten und versammeln (legein) läßt, der ihn also ursprünglich dephasiert und ihn durch die gleiche Distanz gegenüber den anderen Sinnregungen transpassibel macht. Seine innere Verschiebung ist gleichzeitig die innere Verschiebung aller phänomenologischer »Zeichen«, ihre ursprünglich polysemische Auffächerung, eine unaufhörliche Gefahr, daß das Zusammenspiel durcheinandergerät, aber auch die Chance, etwas von der Welt in ihrer Proto-Gegenwärtigkeit zu »sagen«. Kurz, auf diese Weise wird auch ausgedrückt, daß der Sinn auch harmonisches Zusammenspiel von ursprünglichen Abständen ist, oder komplexe und begriffslose Schematisierung seiner selbst nach einem Rhythmus der Zeitigung/Räumlichung oder vielmehr ein Rhythmus solcher Rhythmen, in denen das, was sich in der Phase nicht vom Sinn wiedererkennt, gleichwohl am Sinn teilhat, als das, was sich darin als es selbst seiend wiederer-
254 kennt. Der sich bildende Sinn ist immer im Überschuß und im Mangel seiner selbst, ohne daß das Maß seiner selbst (im Sinne, in dem Hegel vom »Maßstab« des Bewußtseins spricht) jemals festgelegt werden könnte (im Gegensatz also zu dem, was Hegel gedacht hat). Das bedeutet also auch, daß es keine phänomenologischen »Zeichen« des sich bildenden Sinns gibt, denen diese dem Sinn eigene Verschiebung fehlte, die ihn auf immer daran hindert, sich zu verschließen. Das phänomenologische »Zeichen« ist demnach immer auch je nach dem (zeitigenden/räumlichenden) Verlauf des sich bildendend Sinns in sich selbst gespalten. Und gerade das bewirkt, daß jedes Sprachsystem sich in dieser Spaltung stiftet, indem die Stiftung in sich, wie wir es naiv getan haben, zwischen verbaler Kette und der Kette der Wesen unterscheidet. Es ist, als ob das ausgesprochene oder geschriebene Wort die von sich aus stummen Wesen verdoppeln müßte: als ob also, um sich zu stabilisieren, die Spaltung durch »Termini« bestimmt/festgelegt werden müßte, was wohlgemerkt ungenügend ist, um die andere, nach der (im Schulbegriff: paradigmatischen) Polysemie verfahrende Auffächerung zu stabilisieren: demnach wäre man versucht, wie in einer Art Ursprungs-»Mythos« des Sprachlichen zu sagen, daß dieses mit dem Schrei oder der Spur begänne, die allein ein für allemal den räumlichenden (zeitigenden) Abstand im proto-räumlichenden (proto-zeitigenden) Abstand festlegen könnten; aber sie sind doch nur als Entfernung im Abstand möglich, wenn dieser eben nicht nur empirisch, sondern sowohl transzendental als auch phänomenologisch ist. Also konstituieren sich die sprachlichen Phänomene als Zeitigungen/Räumlichungen durch eine selbst schematisierende Verflechtung des Schematismus mit sich selbst. So gesehen ist jedes sprachliche Phänomen Phase des Schematismus dieser Verflechtung, aus der als Echo die doppelte Artikulation der sprachlichen Phänomene folgt, was wir noch genauer untersuchen müssen. Es handelt sich um eine doppelte Gliederung der »longitudinalen« Abstände durch Teilung und der »transversalen« Abstände durch wilde Zerstreuung (ursprüngliche Polysemien), die sich irgendwo begegnen und überkreuzen. Die schematische Natur des sprachlichen Chiasmus (des Logos) wird daraus noch besser hervorgehen. Man muß ein Verständnis dafür gewinnen, daß sich die »Zeichen« in der Kette in genau dem Maße »longitudinal« zueinander öffnen, wie sie sich »transversal« auf ihre ursprüngliche Polysemie hin öffnen. Die erste Öffnung kommt von der zeitigenden/räumlichenden Schieflage des Sinns zu sich selbst: sie öffnet also den Sinn auf sich selbst (auf seine Selbstheit) als seine Möglichkeit als einer faktiziellen, ontologisch-existentialen Möglichkeit, die Welt zu existieren. Innerhalb dieser Möglichkeit ist eine Vielfalt von zeitigenden/ räumlichenden Verläufen möglich, die nun den Status der ontisch-existentialen Möglichkeit haben, die mehr oder weniger gut auf die erste abgestimmt ist (zum Beispiel mehrere mögliche Aussagen mit gleichem Sinn in der gleichen Sprache oder mehrere mögliche Aussagen des gleichen Sinns in verschiedenen Sprachen). Die zweite Öffnung ergibt sich aus den internen Dephasierungen in der Phase der Gegenwärtigkeit, d.h. aus seiner Wildheit als sprachlichem Phänomen, das in sich sprachliche transzendentale Reminiszenzen und Vorahnungen birgt, also sprachliche wilde Wesen* als Zeugen und Zeichen der Trans-passibilität dieser bestimmten sprachlichen Phase gegenüber jeder anderen trans-passiblen sprachlichen Phase. Insofern sie vielfältig die sprachliche Phase im inneren ihrer selbst dephasieren, »fächern« diese wilden sprachlichen Wesen die phänomenologischen »Zeichen« auf »transversale« Weise auf, indem sie sie auf eine Mehrdeutigkeit oder ursprüngliche und unaufhebbare Polysemie hin öffnen. Diese ist weit davon entfernt, sich bloß einer einfachen »Dissemination« zu verdanken, die beinahe wie eine nackte Tasache
255 da wäre, sondern ist nichts weiter als der Zeuge und das Zeichen der Trans-passibilität eines bestimmten Sinns gegenüber jedem anderen Sinn, der nicht in Gegenwärtigkeit da ist – außer teilweise in der interfaktiziellen Begegnung –, der aber immer schon und noch immer als abgebrochener Sinnansatz ekliptisch verdeckt ist – und so ist es sicherlich einigermaßen ungerechtfertigt, von »Polysemie« zu reden. Es handelt sich hier also sozusagen um eine ursprüngliche, disseminierende und nie disseminierte Räumlichung von phänomenologischen »Zeichen«; also eigentlich um die ursprüngliche Räumlichung der ekliptisch verdeckten Sinnansätze in den phänomenologischen Konkretheiten, die in und über der weltlichen Phase der ProtoGegenwärtigkeit schweben. Also um das, was wir die »Kolonisierung« der weltlichen außersprachlichen wilden Wesen* durch die sprachlichen wilden Wesen* genannt haben, wegen der die ersteren sich in Sinn-»Ansätze« verwandeln und sofort in der Wildheit des Sprachlichen in ihren proto-ontologischen Tiefen als Trans-passibilitäten anderer Sinnregungen durch die Abstände dieser Räumlichung hindurch wieder aufgenommen und verdeckt werden. Diese Trans-passibilität von trans-passiblen Sinnansätzen ist, wie man betonen muß, ohne Gedächtnis und ohne Antizipation, sie entgeht, obwohl sie in ihnen enthalten ist, den Protentionen und Retentionen, was zugleich bedeutet, daß sie letztlich schon im Inneren der »longitudinalen« Teilung da ist, welche schon die Protentionen und Retentionen gegenseitig auf Abstand hält, die sie immer schon und noch immer auffächert. Oder auch: in den Protentionen und in den Retentionen vollziehen sich immer schon und noch immer die passiven Synthesen zweiten Grades – und der von Husserl analysierte Fall in seinen Zeitvorlesungen ist, wenn nicht künstlich, so zumindest äußerst abstrakt und ein Grenzfall. So gesehen könnte man sagen, daß die wilde sprachliche Phänomenalität immer schon und noch immer die weltlichen außersprachlichen wilden Wesen* »kolonisiert« hat. Diese kehren allerdings wieder zu ihrem »Zustand« radikaler Wildheit zurück, wenn sie sich als Reminiszenzen und Vorahnungen verselbständigen und sich gegenüber jedem Sinnansatz rebellisch zeigen, der dabei implodert oder abgebrochen wird und sich als seit jeher im Unereinnerbaren verschüttet und für immer im Ungereiften entrückt erweist. Das bedeutet, daß die weltlichen außersprachlichen wilden Wesen von sich aus sich nicht als – allerdings abgebrochene – Ansätze von Sinnregungen zeigen, sondern daß sie in ihrer Abwesenheitstiefe ihr Geheimnis seit jeher und für immer bewahren. Es kann einen Sinn haben, an der Grenze des Sprachlichen in der blitzhaften Apperzeption an sie zu rühren, aber von da zum Sinn zurückzukehren, kann sich nicht in einer reflektierten Kontrolle des Ursprungs des Sprachlichen vollziehen: die Abstimmung der Rückkehr mit dem Hinweg kann nur so geleistet werden, daß man die wilden außersprachlichen Wesen* in dem Abstand oder der Distanz zwischen dem Außersprachlichen und Sprachlichen sich zeigen läßt. So gesehen entgehen die außersprachlichen wilden Wesen* jeder, auch der begriffslosen Teleologie, die nur die des Sinns sein kann. Nun kann, wie wir gesehen haben, der Abstand oder die Distanz zwischen Außersprachlichem und Sprachlichem nur durch den ursprünglich räumlichenden Abstand im ursprünglich innewohnenden proto-räumlichenden schematischen Abstand »spürbar« gemacht werden, und zwar wenn gewissermaßen der erste im zweiten einen inneren Abstand zu sich selbst hervorruft. Insofern allerdings der protoräumlichende Abstand nicht von der ursprünglichen Verspätung und Verfrühung des Schematismus zu sich selbst zu trennen und also der proto-räumlichende Abstand zugleich proto-zeitigend ist und den proto-ontologischen Tiefen der wilden Wesen Konsistenz gibt, kann der räumlichende Abstand im proto-räumlichenden Abstand
256 eo ipso nur zeitigender Abstand sein, der die ursprüngliche Verfrühung und Verspätung des Schematismus sich selbst vorausgehen und folgen läßt, was nun die Reminiszenzen und die Vorahnungen in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen verwandelt, und zwar sogar sozusagen »bevor« (in einem ganz transzendentalen »Zuvor«, das nichts empirisch Feststellbares hat) sich ein Ent-wurf und eine Wieder-aufnahme des Sinns gliedern, also sogar »vor« den konkreten Protentionen und den konkreten Retentionen. Das bedeutet, daß in diesem unerfaßbaren »Moment« des Ursprungs des Sprachlichen die wilden Wesen* in den Proto-Protentionen und Proto-Retentionen schon durch die formalen sprachlichen Wesen* aufgefächert sind, und zwar doppelt: gemäß dem sich gerade öffnenden Abstand zwischen protentionaler Zukunft und retentionaler Vergangenheit und gemäß dem zugleich immer schon in einer Vielfalt von wechselseitig transpassiblen Sinnansätzen geöffneten Abstand. Diese Vielfalt ist also ursprünglich und wegen der Ausschließlichkeit des Standpunkts der Selbstheit des Sinns erscheint sie aus dieser Perspektive sogar wie ursprungslos, was in einer Hinsicht legitim ist, da sie phänomenologisch die Spur oder der Zeuge der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung des Sprachlichen (des unendlichen sprachlichen Schematismus) in der Zeitigung/Räumlichung des Sprachlichen ist. Diese Spur wird in dieser letzteren unfehlbar insofern wieder ins Spiel gebracht, als es keine Räumlichung ohne Zeitigung geben kann, aber auch entsprechend und nahezu umgekehrt, die Zeitigung sich dabei am Rand ihrer selbst noch als ekliptisch verdeckter Sinnansatz halten kann – wobei diese Eklipse sich im phänomenologischen Pulsieren vollzieht. Dabei handelt es sich um ein phänomenologisches Pulsieren, in dem sich die Phänomenalisierung des sprachlichen Phänomens als räumlichender/zeitigender Verlauf des Sinns vollzieht, und zwar durch die phänomenologischen »Zeichen« hindurch, die durch die Protentionen und die Retentionen ursprünglich verdoppelt und ursprünglich in Ansätze von anderen transpassiblen Sinnregungen aufgefächert sind, die während dieses Verlaufs selbst in dem »Zugleich« der Zeit der Gegenwärtigkeit ekliptisch verdeckt werden, die in der Abstimmung des Sinns zugleich sich bildender Raum ist. Es bestehen also nicht nur Verweise von »Zeichen« zu »Zeichen« innerhalb des eigentlichen Verlaufs des Sinns, sondern auch solche, die aus der Tiefe oder aus dem Hintergrund kommen und die in dem einen »Zeichen« mittels einem anderen, in einem anderen »Zeichen« ekliptisch verdeckten Sinnansatz einen ekliptisch verdeckten Sinnansatz anklingen lassen. Es gibt auch in jeder sprachlichen Phase vielfältige Resonanzen oder vielfältige »transversale« Verweise, die durch ihre Dephasierungen den sich bildenden Sinn »durcheinanderzubringen« vermögen. Denn dieser öffnet sich nämlich nur auf die Reifung seiner Zeitigung, wenn er sich seinen Weg durch die Vielfalt der Sinnansätze bahnt und den einen oder anderen von ihnen vor der ekliptischen Verdeckung bewahrt, wobei es nun durchaus rätselhaft bleibt, daß diese Reifung sich nur vollziehen kann, wenn sie andere phänomenologische »Zeichen« durchquert, und zwar, um sozusagen die Protentionen und Retentionen so zu sichern, daß sie dadurch bereichert werden, daß »transversale« Resonanzen eingespielt werden, um sie in »longitudinale« Resonanzen umzuwandeln. So ist das Werk des der fungierenden Sprache eigenen chiastischen Schematismus, in dem überdies formale sprachliche Wesen* als Logizitätsfetzen zur Mithilfe aufgerufen werden, um im Unstimmigen den Sinn noch besser mit sich selbst in Einklang bringen zu können. Wir finden damit in einer anderen Form die doppelte Gliederung wieder, deren Ursprung im Abstand der Proto-Protentionen zu den Proto-Retentionen zu suchen ist
257 und die als Echo in den Protentionen und Retentionen widerhallt. Es wäre eine Illusion zu glauben, daß diese ihr jeweiliges Gegenüber wie durch einen unsichtbaren Spiegel halten würden, was zwar einen Abstand zwischen ihnen bildete, der aber kein dynamischer mehr wäre, sondern nur einen identischen Raum, der selbst gewissermaßen zu nichts mehr taugt. Der Abstand im proto-räumlichenden (proto-zeitigenden) Abstand ist ein räumlichender und zeitigender Abstand, durch den die vergangene Zukunft in der von sich selbst unter-schiedenen Vergangenheit auf die zukünftige Vergangenheit in der von sich selbst unterschiedenen Zukunft übertragen wird, wobei die Verwebung der wilden Wesen* in der Kluft verwandelt wird in eine Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen im Riß. Und da der Abstand im Abstand auch bewirkt, daß die außersprachlichen wilden Wesen* gemäß den wilden sprachlichen Wesen aufgefächert werden, zieht dies auch noch als Wirkung nach sich, daß die Verwebung im Riß komplexer als in der Kluft wird: die ursprünglichen Verspätungen und Verfrühungen des außersprachlichen Schematismus sich selbst gegenüber werden gewissermaßen von den ursprünglichen Verspätungen und Verfrühungen des sprachlichen Schematismus sich selbst gegenüber überlagert, und diese Überlagerung durch Überbestimmbarkeit fächert im Inneren die wilden außersprachlichen Wesen auf, indem sie diese nach den sprachlichen Logizitäten verwebt. Die Reminiszenzen/Vorahnungen sind selbst schon versprengt oder zerstreut und gemäß der schon räumlichenden/zeitigenden Verwebung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen zu einer Masse von Sinnansätzen wieder neu zusammengesetzt, die sozusagen zu reich ist, als daß diese Ansätze in ihrer Gesamtheit aufgenommen werden könnten. Das ist das erhabene Durchschimmern der Phänomenalität des Weltphänomens, noch bevor sich dem ein Sinn angenommen hat, indem er es durchläuft: das Durchschimmern einer ursprünglichen Räumlichung, die durch die massenhafte Vielfalt der Sinnansätze, die gleichsam wie nach dem Sinn ausgeworfene Angeln hineinspielen, gewissermaßen in spontan vollzogener phänomenologischer Epoché jede stabile Zeitigung ausschaltet. Es ist die am Rand des Nicht-Sinns sich ansetzende Inchoativität der Sinnregungen. Eine Verschwendung im Überschuß, ozeanisch, kosmisch, panhaft, jede Selbstheit aufhebend, Spiel des Überschusses mit sich selbst, bis ins Un-endliche, noch ohne jedes »Zeichen« im eigentlichen Sinne. Ein wildes Chaos, das sich aufmacht, aus sich selbst aufzutauchen. Und dieses Chaos findet im Verlauf der gegenseitig trans-passiblen (und trans-possiblen) Sinnregungen eigentlich seine Organisation. Die Proto-Protentionen und Proto-Retentionen sind »leer« aus überschießendem Reichtum, Ver-schwendung und Inchoativität und in ihrer (aus Überfluß) konfusen Masse werden die Protentionen und Retentionen allmählich während der Bildung des Zeit-Raums des Sinns schöpfen. Dem eben aufgespürten Rätsel kann man leichter nachgehen als es scheint, weil Protentionen und Retentionen niemals ein für allemal festgelegt sind, sondern sich bereichern und sich selbst im Verlauf des Sinnweges entwickeln. Die Sinnansätze sind also nicht Ideen, die man erfassen könnte, sondern abgebrochene oder verdeckte Ansätze eines noch durchzuführenden Verlaufs. Es sind Einladungen zu Reisen für die Sinnregungen und nicht »Bedeutungen« oder Begriffe. Durchlöcherungen, Horizonte, Helligkeiten in der Masse und nicht Elemente der Masse. Diese Durchbrüche und Horizonte werden nur dann zu solchen des sich bildenden Sinns, wenn in dieser Vorgängigkeit des Verlaufs gegenüber sich selbst, dieser das Abenteuer auf sich nimmt, sich selbst zu folgen und während dieser Verfolgung das Vorgängige entdeckt, gemäß dem unreduzierbaren Schematismus des Chiasmus, der im Ursprung die Proto-Protentionen und die Proto-Retentionen miteinander verwebt.
258 Dieser Schematismus nimmt seinerseits nicht die Fetzen oder die Splitter der wilden Wesen sozusagen als solche auf, so wie sie die vermeintliche Einbildung in die ProtoProtentionen und Proto-Retentionen verwebt glaubt – diese Verwebung ist in dem phänomenologischen Pulsieren des Sprachlichen jeweils kontingent –, sondern verteilt sie im Verlauf der Phase durch die Zeitigung, die darin ihren Aufschwung nimmt, d.h. durch den Verlauf selbst, insofern er auf sich selbst hin gespannt ist wie durch eine Richtung (er weiß mehr oder weniger dunkel, wohin er gehen soll) und durch einen Sinn (er selbst sucht sich in seiner Selbstheit). Dies führt eine kohärente Verformung in die Masse der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen ein. Aber diese verstellt nicht ein für allemal den Blick, da in den phänomenologischen »Zeichen« deren ursprüngliche »Polysemie« bleibt – Spur der Trans-Passibilität der Sinnansätze zueinander – und damit auch die Masse der vielfältigen transversalen Verweise von »Zeichen« zu »Zeichen«, welche das Sprachliche immer »mehr« oder auch »weniger« sagen läßt als das, was es ausdrücklich (in der Reflexion der Selbstheit des Sinns) sagen will. »Mehr«, weil jedes sprachliche Phänomen mit einem Sinn zugleich die Welt einer bestimmten Weltphase (und damit »alle« Welten) und das »Ganze« des Sprachlichen aussagt, und »weniger«, weil dieser Überschuß den gleichen Sinn von der klaren Reflexion dessen abkommen läßt, was er letztlich »sagen will« und »sagen wollte« – immer spielt das Durcheinander in das Zusammenspiel hinein. Die Schieflage jedes sprachlichen Phänomens ist so gelagert, daß durch diesen Abstand, der sich ursprünglich in ihm räumlicht und sich doppelt auf einmal gliedert (»longitudinal« und »transversal«), die Protentionen in ihrem phänomenologischen Gehalt sich niemals mit den Retentionen identifizieren (und a fortiori auch nie die Proto-Protentionen mit den Proto-Retentionen). Die Verwebung im Riß, ebensowenig wie die Verwebung in der Kluft ist niemals Identifkation. Diese taucht nur, wie wir sehen werden, im kurzschließenden Ausschluß des Phänomenologischen auf, der die symbolische Stiftung kennzeichnet, deren allgemeinste Frage in dieser Hinsicht die nach der Identität ist – nach der Identität der Menschen, der Wesen, der Dinge, ihrer Formen, Strukturen und Eigenschaften. Wie die kohärente Verformung der verwobenen Masse der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen gelagert ist, verdient einmal hinsichtlich der damit verbundenen passiven Synthesen zweiten Grades vertieft zu werden, die sich notwendigerweise in der Zeitigung vollziehen, indem sie diese fördern, aber auch unterwandern, und auch in Hinsicht auf die zugehörige Aktivität des Sinns, der, um sich zu bilden, sich suchen und sich in dieser Suche konzentrieren muß. Es geht also darum, den ausdrücklichen Teil der inneren Reflexivität des Sinns genauer zu ermessen; anders gesagt, den zu den sprachlichen Phänomenen notwendig gehörenden Teil, der nicht blind ist, sondern im begleitenden Bewußtsein (con-science) eines Logos, der sich weiß und dennoch sucht. Bei diesem Unternehmen nähern wir uns noch weiter dem, was die unbestimmte Grenze zwischen begleitendem Bewußtsein und phänomenologischem Unbewußtem ausmacht, eine Grenze, an der sich das symbolische Unbewußte angesiedelt hat. Es handelt sich gewissermaßen um folgende Frage: was bewirkt eigentlich, daß ein Sinnansatz, der im Proto-Sprachlichen als Phänomenalisierung des Sprachlichen pulsiert, sich in einen sich bildenden Sinn verwandelt, wobei wohlgemerkt diese Wandlung selbst ohne Ursache, d.h. phänomenologisch radikal kontingent ist? Die Frage zielt eher darauf ab, wie die Zeitigung/Räumlichung, in der die Räumlichung die Oberhand gewinnt, zu einer Zeitigung/Räumlichung übergeht, in der die Zeitigung sich gegenüber der Räumlichung durchsetzt, wie also der Übergang von einer ursprünglichen Räumlichung von gegenseitig transpassiblen Sinn-
259 ansätzen zur ursprünglichen Zeitigung von Sinnregungen, die sich unter dem Horizont ihrer eigenen faktiziellen Möglichkeit des Existierens reflektieren, vollzieht, wobei wohlgemerkt der Terminus des Übergangs nie das zerstört, was in dem Übergang sich verwandelt. Dieser Frage kann man nur dann sinnvoll nachgehen, wenn man von der Einsicht ausgeht, daß die Sinnansätze, die in den Proto-Protentionen/Proto-Retentionen walten, nicht einfach nur da sind, etwa ausgebreitet wie auf einer Tafel, als sei nur eine unter möglichen anderen willkürlich auszuwählen. Die Möglichkeit des Sinns bildet einen integralen Bestandteil des Sinns, sie stimmt eigentlich mit ihm überein oder fällt immer schon in sein Inneres. Das Selbst ist nicht immer schon da, als säße es in seinem Observatorium, um frei über Sinnansätze zu verfügen. Phänomenologisch bedeutet das, daß die Sinnansätze sich nur in der Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen ansetzten und sich darin gleich ekliptisch wieder verbergen, also in dem selbst schon durch die sprachlichen wilden Wesen* aufgefächerten Chiasmus der weltlichen wilden Wesen, in der schon vielfältig aufgefächerten Differenz, in der sich die Verwebung der weltlichen wilden Wesen* in der Kluft mit sich selbst befindet, und dessen vielfältige Auffächerung bewirkt, diese Verwebung auf sich selbst, auf ihre Reflexivität hin zu öffnen. Dies haben wir den räumlichenden Abstand im proto-räumlichenden Abstand genannt. Seine Wirkung in der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit der Welt besteht darin, diese in vielfältige Stätten ebensovieler möglicher Zeitigungsansätze zu verräumlichen und daraus wirklich eine Welt»landschaft« zu machen, die aus einer Vielfalt von inchoativen untereinander pulsierenden und transpassiblen, also gegenseitig dephasierten und noch nicht entfalteten Gegenwärtigkeiten besteht. Das ist der phänomenologische »Raum« des Sinns, er ist transzendentale Matrix sowohl der ursprünglichen Pluralität der Sinnregungen als auch der ursprünglichen Pluralität der interfaktiziellen Begegnungen (die Husserl »intersubjektiv« genannt hätte). Das ist, wie Merleau-Ponty sie genannt hat, eine »Welt mit vielen Eingängen«, in der die Sinnansätze pulsierend sich bilden und ekliptisch verbergen, und zwar in vielfältigen Übertragungen im Chiasmus der Verwebung der Proto-Protentionen mit den Proto-Retentionen, wobei diese Übertragungen Möglichkeitsstätten bilden, die selbst zueinander transpassibel sind. Also selbst ek-statische Orte, etwa wie Existentialien des Sinns, insofern der Sinn sich nicht schon darin findet, sondern sich durch seine Abwesenheit hindurch erst erahnt. Diese Orte sind also nicht etwa wie nur ontische Möglichkeiten für ein göttliches Denken verfügbar, das sich über eine « Welt-Landschaft« als einem Panorama von Möglichkeiten beugt. Tatsächlich impliziert die Dephasierung der Orte in der ursprünglichen Räumlichung paradoxerweise die Unmöglichkeit, sie unter einem Blick zusammenzuhalten – was der Räumlichung zu widersprechen scheint, aber eigentlich nur dem Raum widerspricht und zeigt, daß dieser in der immer »dynamischen« Räumlichung stets gewissermaßen am Rand seiner selbst zurückgehalten wird. Außerdem schließt diese Dephasierung die Unvereinbarkeit dieser Orte durch die relative Ausschließlichkeit einer bestimmten Zeitigung des Sinns im Verhältnis zu einer anderen ein – wobei diese Unvereinbarkeit nun nicht in Leibnizscher Weise logische Unverträglichkeit in einem einzigen und gleichen Raum von logischen Möglichkeiten ist. Nur als Abstraktion ließe sich sagen, daß in dieser weltlichen »Landschaft« »alle« Sinnregungen möglich sind. Von diesen Sinnregungen ist die »Totalität« jeweils unbegrenzt, da sie an die Kontingenz der ursprünglichen Räumlichung gebunden ist, die selbst der Kontingenz der Proto-Räumlichung/Proto-Zeitigung der Proto-Gegenwärtigkeits-
260 phase der Welt verhaftet ist: eine doppelte Kontingenz des proto-räumlichenden Abstands, und des räumlichenden Abstands im proto-räumlichenden Abstand. Nichts kann a priori über die sich in der Kluft verwebenden wilden Wesen* oder über die wilden sprachlichen Wesen* entscheiden, die diese auffächern, um sie als Proto-Protentionen und Proto-Retentionen zu verweben. Die passiven Synthesen zweiten Grades sind im zweiten Fall ebenso unbewußt und kontingent wie im ersten. Das bedeutet, daß die kohärente Verformung schon in dem stattfindet, was die Proto-Protentionen und Proto-Retentionen sich verweben läßt, daß die Stätten der Sinnansätze darin gemäß der Kontingenz der Art und Weise, mit welcher sich der Abstand in den Abstand einschreibt, schon vor-gezeichnet sind. Nun ist diese Einschreibung nichts anderes als der Ansatz des Schematismus des Chiasmus, aus dem das sprachliche Phänomen besteht. Oder vielmehr, es ist die Art, in welcher der Schematismus seinerseits ursprünglich gegenüber sich selbst verschoben ist, indem er seine wilden (sprachlichen) Wesen* als transzendentale sprachliche Reminiszenzen und Vorahnungen sedimentiert und öffnet und dabei die außersprachlichen wilden Wesen* »kolonisiert«, aber sie dadurch auch in sich auf eine Vergangenheit in der proto-retentionalen Vergangenheit und auf eine Zukunft in der proto-protentionalen Vergangenheit hin öffnet, indem er also die komplexe Räumlichung der proto-zeitlichen proto-ontologischen Horizonte auf die gegenseitig transpassiblen Zeitigungen hin öffnet. In dieser Bewegung kennzeichnet es die sprachlichen »entleiblichten« Wesen*, daß sie sich nicht, es sei denn durch die selbst proto-ontologischen Tiefen des Sprachlichen, an der Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen beteiligen. Sie bleiben also in der unentschiedenen und vermengten Masse dessen, was nicht an der dynamischen Ausweitung des proto-räumlichenden Abstandes teilnimmt – gerade dort wird sich, wie wir noch sehen werden, die symbolische Stiftung phänomenologisch verankert finden – weil sie in der Kontingenz der Phänomenalisierung des Sprachlichen weder als Reminiszenzen, noch als Vorahnungen der sprachlichen Phase ihr Spiel treiben. Der Abstand im Abstand ist also der Ort eines eigenen Abstands zur erneuten (sprachlichen) Schematisierung im Abstand, der für den wilden außersprachlichen Schematismus charakteristisch ist. In diesem Sinn ist das sprachliche Phänomen, wie wir es in Phénomènes, temps et êtres begründet haben, ein sich schematisierender Chiasmus von außersprachlichen Phänomenen, die ihrerseits jeweils den wilden außersprachlichen Schematismus in seinem ursprünglichen Abstand gegenüber sich selbst verleiblichen. Und es ist nun das Rätsel des Sprachlichen, daß dadurch, daß die sprachlichen Reminiszenzen/Vorahnungen sich in die außersprachlichen Reminszenzen/Vorahnungen einschreiben, um sie aufzufächern (zu differenzieren), sie diese durch diese Differenz im Abstand in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen verwandeln, die ursprünglich in gegenseitig trans-passible (und trans-possible) Sinnansätze verräumlicht sind und die schon die weltliche »Landschaft« außerhalb ihrer Kluft »lebendig« werden lassen, indem sie darin Orte einschreiben, die, wenngleich diese trans-passibel sind (was sie wieder in die ursprüngliche »Polysemie« der »Zeichen« einschreiben wird), dennoch an der »gleichen« außersprachlichen Welt teilzunehmen scheinen, auch wenn diese noch in sich, in ihren wilden Wesen*, die Spuren der Trans-passibilität gegenüber jeder anderen Welt in sich trägt. Wie auch immer es mit dieser phänomenologischen Masse, die durch ihre innere Variabilität äußerst komplex und subtil ist, nun bestellt sein mag, findet die eigentliche Phänomenalisierung des Sprachlichen statt, wenn Sinn sich darin bildet, indem er sich in dieser ursprünglichen Räumlichung zeitigt, d.h. wenn der Abstand im Abstand sich
261 wieder aufnimmt indem er sich reflektiert und damit noch die kohärente Verformung verlängert, in der er entsteht. Und dies geschieht nur in einem besonderen Schematismus, in dem sich auf kontingente Weise die ihm eigene Wieder-Bestimmbarkeit und Re-Quantitabilität der Welt-Phänomene und ihrer wilden Wesen entscheidet. Das ist der unhintergehbare abenteuerliche Teil des sich bildenden Sinns, mit dem also in der Zeitigung/Räumlichung die passiven Synthesen zweiten Grades, die sich schon in der Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen abgezeichnet haben, sich vollenden. In diesem Teil werden gemäß der »longitudinalen Achse« der Zeitigung die schon gemäß der »transversalen Achse« der Räumlichung angeordneten passiven Synthesen in der weltlichen »Landschaft« als der Verwebung pluraler Orte von Sinnansätzen neu arrangiert. Die Zeitigung des Sinns hinsichtlich seiner selbst, in seiner begriffslosen Teleologie fügt diesem also etwas hinzu, aber diese Neu-Anordnung der passiven Synthesen entgeht ihm größtenteils, gewissermaßen per definitionem. Denn hier tritt nun die Teleologie auf den Plan, d.h. die Verwandlung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen in solche Protentionen und Retentionen, die durch einen harmonischen (und nicht etwa »identifizierenden«) Zusammenklang untereinander abgestimmt sind. Solange der Sinn in seinem Ansatz bleibt und sich darin ekliptisch verdeckt, ist die durch die Proto-Protentionen geöffnete Zukunft noch unabgestimmt mit der durch die Proto-Retentionen geöffneten Vergangenheit: in dieser Unangepaßtheit oder Unstimmigkeit nun öffnet sich zwar die Zeit, aber um sich gleich wieder ekliptisch zurückzuziehen oder aufzuheben; das Versprechen eines Zukünftigen stimmt sich dabei nicht mit dem Anspruch eines Vergangenen ab, Zukunft und Vergangenheit erscheinen so noch »leer« und können sich nirgends festhalten, weil sie sich nicht aneinander klammern können, und das läßt nun, in diesem »aufgehobenen« Modus der Zeitigung sozusagen das Feld für die Räumlichung »frei« – ein Feld, um es nochmals zu betonen, nicht der »Dissemination«, sondern des »Disseminierenden«. Und dieses Feld ist eigentlich der »erhabene Moment« des Sprachlichen. Die Protentionen und die Retentionen, das Versprechen und der Anspruch des sich bildenden Sinns bestehen also nur aus aufeinander abgestimmten Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, gemäß einer harmonischen Abstimmung des dann den Protentionen und Retentionen eigenen Abstands, d.h. des eigentlich schematischen Abstands der harmonischen Abstimmung gegenüber sich selbst, durch die dieser sich gleichzeitig selbst vorangeht und folgt. Aber im Gegensatz zum schematischen Abstand überhaupt ist dieser Abstand nicht sich selbst gegenüber blind, was den Schematismus gegenüber dem Proto-Ontologischen auszeichnet, sondern er reflektiert sich selbst in begriffsloser Teleologie, indem er sich zeitigt. Es ist eine Reflexion, welche die Aktivität oder die Konzentration des sich bildenden Sinns ausmacht, denn diese Abstimmung ist selbst insgesamt kontingent, prekär, vergehend und in der eigentlichen Phänomenalisierung des sprachlichen Phänomens pulsierend. Diese Abstimmung wird durch die aus den Proto-Protentionen und Proto-Retentionen gewebten Landschaft ermöglicht, aber – nochmals – nur für jene selbst, da die Landschaft nur deren phänomenologisch-transzendentale Matrix ist. Es gibt keinen anderen Ursprung dieser Harmonien als die Harmonien selbst, die zugleich Harmonien ihrer eigenen Möglichkeit zum Harmonischen sind. Das Feld der faktiziellen, ontologisch-existentialen Möglichkeiten des Sinns entwirft sich also in der Verwebung der Proto-Retentionen und der Proto-Protentionen als dem Feld der Harmonien, die sich darin jeweils als ihre eigene Möglichkeit abzeichnen. Und genau in
262 dem Maße, in dem die Zeit sich aus dem Modus ihrer Aufhebung heraus in der Verwebung schon gezeitigt hat, wird das in seiner Möglichkeit apperzipierte Harmonische darin zugleich in den zu Protentionen verwandelten Proto-Protentionen als sich selbst vorausgehend und in den dabei in Retentionen verwandelten Proto-Retentionen als sich selbst nachfolgend apperzipiert. Der eigentliche Gehalt der Protentionen und Retentionen ist also nichts anderes als die harmonische Abstimmung selbst, die gemäß ihrer eigenen, darin nicht von Anfang an vorgefundenen Logizität die ProtoProtentionen und die Proto-Retentionen verwebt. Das ist eine apperzipierte und schon sprachliche Logizität, aber deren auf sich selbst bezogene Reflexion, die Aktivität, Aufmerksamkeit und Konzentration verlangt, das sprachliche Phänomen erst mehr oder weniger unvollkommen bildet, wie wir es ja gesehen haben. Dieses Bilden ist seinerseits nichts anderes als das Wiedereinschreiben der harmonischen Abstimmung in sich selbst gemäß der »longitudinalen« Teilung der phänomenologischen Zeichen, und stellt nun die eigentliche Zeitigung dar. Seine Schritte in Schritte einschreiben, deren Spuren nur allmählich im Laufe dieser Einschreibung selbst erscheinen werden: genau dies macht den Schematismus des sprachlichen Chiasmus aus. Der Sinn entscheidet sich also nur für sich selbst, und so gesehen hat Heidegger recht, allerdings in übertragenem Sinn. Denn aus einer anderen Sicht entscheidet sich diese Entscheidung nicht ihrerseits selbst, etwa von einem illusorischen Ganzen der Möglichkeiten aus, das durch die Möglichkeit der Unmöglichkeit des Todes zugänglich wäre – der, wir haben es gesehen, die Trans-possibilität kurzschließend verschließt. Die Verwebung der Protentionen und der Retentionen nach der faktiziellen, ontologisch-existentialen Möglichkeit des Sinns ist in der Räumlichung nur zeitigend, weil sie harmonisch Zukunft und Vergangenheit aufeinander abstimmt und weil diese Abstimmung Zeit bildet und sich Zeit nimmt, um sich teleologisch begriffslos zu reflektieren, und weil sie in sich selbst ein Rätsel ist, das zu verfolgen die Mühe wert ist. Dies allein »rettet« vor einer Zeitigung, die absurderweise blind und nur die Rückkehr des Sprachlichen zur unerinnerbaren und unreifen Wildheit wäre. Es gibt keinen Sinn, ohne daß er aktiv Sinn bildet. Aber dieses Bilden muß seinerseits mit der Landschaft der Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen zusammenpassen, die sich ihm immer schon in passiven Synthesen zweiten Grades zur »Verfügung« stellt, d.h. durch die gegenseitige Transpassibilität der Sinnansätze, welche die ganze ursprüngliche »Polysemie« der phänomenologischen »Zeichen« ausmacht. Über diese passiven Synthesen muß der Sinn seinerseits auf seiner Suche nach sich selbst bestens »verfügen« können, während er andererseits darüber doch nicht »verfügt«, weil gerade da ohne sein Wissen die Entscheidung über seine eigene Existenzmöglichkeit gefällt wurde. »Komponieren« heißt also für ihn, mit dem zu spielen, was von diesen passiven Synthesen sich ohne sein Wissen immer in der Zeitigung vollbringt und darin durch vielfältige trans-passible Dephasierungen Spuren hinterläßt. Dies bringt die Gefahr mit sich, daß der Sinn aus den Fugen gerät, aber er schreibt trotz allem seinen Abdruck einer sich reflektierenden kohärenten Verformung ein, wobei der Nachdruck nicht auf der Verformung, sondern auf deren Kohärenz liegt, da sie sich teilweise in sich selbst und durch sich selbst hält. Es gibt immer im sich bildenen Sinn so etwas wie ein solipsistisches »Moment«, in dem aber nur das dem Sinn eigene Selbst beachtenswert ist. Genau das bringt dabei aber immer die Gefahr mit sich, den Sinn zu entleiblichen, ihn zur »Bedeutung« implodieren zu lassen – was die symbolische Stiftung kennzeichnet – in der transzendentalen Illusion, die er haben kann und ihn auszeichnet, sich vollstän-
263 dig zu besitzen, gewissermaßen von sich selbst so weit berauscht zu sein, daß er sich nicht mehr reflektiert, gegenüber sich selbst nicht mehr diese kritische Distanz aufbringt, die ihm erlaubt, sein Selbstverständnis und seine eigene Vermöglichkeit, von anderen Sinnregungen verstanden zu werden, zu befragen. In diesem Wahnsinn des Sinns zerstört sich seine Zeitigung selbst. Die Untersuchung der symbolischen Stiftung wird uns die Gelegenheit bieten, darauf zurückzukommen. Der sich schematisierende sprachliche Chiasmus bildet also eigentlich nur Sinn, wenn er durch seinen schematischen Abstand gegenüber sich selbst die Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen in das Innere seiner selbst durch die darin wahrgenommene harmonische Abstimmung hindurch überträgt. All dies vollzieht sich phänomenologisch auf einmal, insofern die Ausweisung der Verwebung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen nur durch die harmonische Abstimmung und von ihr her möglich ist. Diese Verwebung ist selbst ein Werk der wilden sprachlichen Wesen*, die eben als Reminiszenzen und Vorahnungen der sprachlichen Phase eingesetzt sind, wobei sie ihrerseits die wilden weltlichen Wesen* in der weltlichen »Landschaft« auffächern und sie in ursprünglich verräumlichte »Orte« einer »Landschaft« von Sinnansätzen (in Proto-Protentionen/Proto-Retentionen) verwandeln, in der die weltliche »Landschaft« eigentlich erst die Konsistenz einer »Landschaft« annimmt. So stellt sich im Überblick die äußerst komplexe Situation dar, in welcher es den schematischen Abstand des sprachlichen Schematismus gegenüber sich selbst kennzeichnet – primär ein Abstand zwischen sich selbst als schematischem (endlichem) und sich selbst als proto-ontologischem (unendlichem) –, daß er sich zugleich als Abstand in den proto-räumlichenden (proto-zeitigenden) Abstand des außersprachlichen Schematismus zwischen ihm selbst als schematischem und ihm selbst als proto-ontologischem eingräbt, also doppelt, sowohl in die proto-ontologischen Tiefen als auch in dessen erst eigentlich schematische Gestalt; auf diese Weise »kolonisieren« seine Reminiszenzen und Vorahnungen (wilde sprachliche Wesen*) die Reminiszenzen und Vorahnungen des außersprachlichen Schematismus (wilde weltliche Wesen*) und verwandeln sie in Proto-Protentionen/ Proto-Retentionen und »disseminieren« sie gemäß der urspünglichen Räumlichung, die der weltlichen »Landschaft« entspricht, in der die Proto-Gegenwärtigkeit als eine von vielfältigen gegenseitig trans-passiblen Gegenwärtigkeiten erscheint und in der die Verwandlung der Kluft der Proto-Gegenwärtigkeit in Risse von sich jeweils durch ihren (harmonischen) Abstand zeitigenden Gegenwärtigkeiten pulsiert, zu welchen die Protentionen und Retentionen gehören. Bemühen wir uns, diese Situation zu klären, um noch besser den eigentlich architektonischen »Status« jedes der dabei ins Spiel gebrachten »Termini« präzisieren zu können. Es geht darum, genauer zu erfassen, wie der Abstand im Abstand Ort für die Zeitigung statt für die Proto-Zeitigung werden kann. Wenn, wie man mitunter glaubt, der sprachliche Sinn nur Sinn von sich selbst wäre und nicht gleichzeitig – in der »gleichen« Zeit der Gegenwart – Welt-Sinn, wenn also das sprachliche Phänomen sich nur hinsichtlich der Selbstheit seines Sinns reflektierte, dann hätte das den doppelt paradoxen Effekt, einerseits den Sinn in die »Bedeutung« implodieren zu lassen, die keine Phänomenalität – d.h. kein In-der-Welt-Sein – besitzt, und andererseits die Zeitigung in ihren Kurzschluß implodieren zu lassen, womit die Protentionen und die Retentionen voreilig – »vor« der Reifung der Zeit – identifiziert werden – was eigentlich etwas vom Ursprung der Idealitäten bezeichnet. Das Paradox besteht genauer gesagt darin, daß man auf diese Weise nicht zum Ursprung des Sprachli-
264 chen zurückkehrt, sondern sich davon entfernt, da sich dadurch der Abstand im Abstand vernichtet, nicht um den proto-räumlichenden Abstand wieder entstehen zu lassen, sondern um auch diesen in die Vernichtung hineinzuziehen, wodurch im phänomenologischen Feld nur »Bedeutungen« als Abbrüche von ursprünglich verstreuten oder disseminierten Sinnregungen übrig bleiben, oder sozusagen als »Seiendes« (»Signifikanten«) des Sprachlichen (Eidè, eidetische Sachverhalte, Tatsachen). Das bedeutet eigentlich, daß die dem sprachlichen Phänomen eigene Reflexivität doppelt ist, daß der sprachliche Sinn sich nur reflektieren kann, insofern er gewissermaßen in seine Reflexion die Reflexivität ohne Selbstheit der Phänomenalität »hineinzieht«. Es bedeutet anders gesagt, daß die zu ausschließlich vom Sinn selbst vollzogene Reflexivität den doppelten Effekt hätte, ihn von seinem Leben abzuschneiden und ihn in der Überraschung von der Wildheit eines sprachlichen Schematismus überwältigen zu lassen, welcher gegenüber sich selbst nur noch ihren proto-räumlichenden (proto-zeitigenden Abstand) hätte: die sprachliche Gegenwärtigkeitsphase implodierte in eine leere Phase der sprachlichen Proto-Gegenwärtigkeit mit ihren Reminiszenzen und Vorahnungen, die sich an nichts mehr festhalten könnten und somit wilde sprachliche formale Wesen* wären. Die Hypostase des Sinns zur reinen Bedeutung hätte also zur Wirkung, das Sprachliche selbst blind zu machen und in den Zustand einer »leerlaufenden« Entfaltung einer »leeren« Logizität zu versetzen. Derart ist vielleicht, allerdings durch den Filter der symbolischen Stiftung des Sprachlichen zum Sprachsystem, der phänomenologische Ursprung einer logischen und rein formalen Syntax, der Idee, das rein a priori nachzubauen, was unterschiedslos jeden Begriff oder jede Bedeutung, die vorher zerstreut oder disseminiert waren, wieder zu verbinden vermag – wir werden darauf zurückkommen. Gezeitigt wird die Gegenwärtigkeit durch den Abstand im Abstand, d.h. durch die Überlagerung oder den Über-Eindruck des dem sprachlichen Schematismus eigenen Abstands über den für den außersprachlichen Schematismus kennzeichnenden Abstand. Der Abstand in der Überlagerung oder dem Über-Eindruck der beiden schematischen Proto-Gegenwärtigkeiten bildet die Gegenwärtigkeit oder den Sinn. Dieser Über-Eindruck bewirkt, daß einerseits die außersprachlichen Reminiszenzen/ Vorahnungen durch die sprachlichen Reminiszenzen/Vorahnungen voneinander getrennt werden, also die ersten, die wilden außersprachlichen Wesen, in Proto-Protentionen/Proto-Retentionen verwandelt und so zu wilden außersprachlichen Wesen* werden, die durch die wilden sprachlichen Wesen* in vielfältige Sinnansätze aufgefächert sind, und zwar in gegenseitig transpassible Ansätze in der ursprünglichen Räumlichung der weltlichen Landschaft (dem Welt-Phänomen). Andererseits bewirkt dieser Über-Eindruck, daß durch die Ausweitung im Ursprung die Verwebung der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen gezeitigt wird, eine Ausweitung, die durch die harmonische Resonanz zwischen einigen von ihnen diesen schon ursprünglich von ihm in Abstand gehalten harmonischen Zusammenklang erhält, indem sie dabei einen Teil der Proto-Protentionen in Protentionen umwandelt, in das Versprechen einer Zukunft, die nur insofern als solche erscheint, als sie sich auch schon im entsprechenden Teil der Proto-Retentionen, die in Retentionen verwandelt sind, befindet, der damit ursprünglich schon vergangener Anspruch dieser Zukunft ist. Der Übergang der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung zur Zeitigung/Räumlichung ist also zwiefach, auch wenn er sich – nicht wie in unserer notgedrungen zer-gliedernden Analyse – in einer einzigen Bewegung vollzieht. Alles liegt in der Tatsache –
265 die der immer schon eingesetzten Faktizität und nicht der objektiven oder empirischen Tatsache angehört –, daß das sprachliche Phänomen zuerst Phänomen ist wie jedes andere auch oder vielmehr: daß es in jedem sprachlichen Phänomen einen Anteil an Phänomenalität gibt, der nicht dem Sprachlichen als solchem innewohnt. Das bedeutet, daß das sprachliche Phänomen nicht ursprünglich aus dem hervorgeht, was Husserl, aber nur für die Logik, »Bedeutungsintention« nannte, denn die Intention, wie immer man sie verstehen will, also auch im Sinn der begriffslosen Teleologie, ist bereits Bestandteil des Sprachlichen und fällt ins Innere des den Ursprung Gebenden. Sie ist, wenn man will, der ursprünglich blinde Teil des Sprachlichen, dank dessen sich der Abstand der Zeitigung verräumlicht als Abstand der harmonischen Abstimmung hinsichlich seiner selbst. Das entscheidet über die fungierende Sprache, ohne daß diese jemals selbst darüber entscheiden könnte, denn gerade das öffnet sie zu ihrer ontologisch-existentialen Existenzmöglichkeit, und nur in ihr gibt es (begriffslos) reflektierende teleologische Aktivität der harmonischen Abstimmung hinsichtlich ihrer selbst. Und mit dieser ganzen Masse von derart ursprünglicher Vergangenheit, die ihr immer schon in den passiven Synthesen zweiten Grades vorausgeht, muß die reflektierende Aktivität »komponieren«, um den Sinn bestmöglich zu bilden. Eine Vergangenheit, die nicht wirklich Vergangenheit ist, da sie in der sich bildenden Gegenwärtigkeit auch weiterhin ihr Wesen treibt und diese mit Unstimmigkeit und Dephasierung bedroht, die ihr immer von ihrer Zukunft her innewohnen. Das bedeutet nun, daß die ganze Masse der Proto-Protentionen und der ProtoRetentionen, also die weltliche Landschaft, durch die Protentionen und Retentionen wieder ins Spiel gebracht wird, deren harmonisches Zusammenstimmen gewissermaßen ein »Vorschlag« unter anderem Trans-passiblen für einen zeitigenden Verlauf durch die Proto-Protentionen und Proto-Retentionen ist. Wenn also eine weltliche Landschaft in ihrer ursprünglichen Räumlichung Leben gewinnt, dann ist sie nicht von jeder sprachlichen Zeitigung/Räumlichung »jungfräulich rein«: diese »Jungfräulichkeit« kann in einem phänomenologischen Pulsieren gewissermaßen nur durch die schwierige, da äußerst subtile hyperbolisch-phänomenologische Epoché alles Sprachlichen gefunden werden, durch die gegenseitige Neutralisierung aller »Orte« von gegenseitig trans-passiblen Sinnregungen, wodurch diese in der Aufhebung der Zeitigung sozusagen ins »Tanzen« geraten. Der Abstand der harmonischen Abstimmung hinsichtlich ihrer selbst ist der Anfang des Sprachlichen, und dieser Anfang schreibt sich selbst in einen komplexen Ursprung ein. Durch den wilden Teil des Sprachlichen ist die Gegenwärtigkeitsphase auch Phase der Proto-Gegenwärtigkeit; außerhalb der Protentionen und Retentionen, also außerhalb der Gegenwärtigkeitsphase, wobei aber von diesem Außen her die Phase der Proto-Gegenwärtigkeit aufgetan wird, öffnet sich durch den wilden Teil des Sprachlichen seine Kluft zu den ihm angehörenden transzendentalen Reminszenzen und Vorahnungen, die sprachliche wilde Wesen* sind und immer schon und noch immer von ihrem proto-ontologischen Abstand aus die außersprachlichen wilden Wesen* auffächern, indem sie diese in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen verwandeln und in sie durch ursprüngliche Räumlichung passive Synthesen zweiten Grades induzieren. Es ist also, als ob dadurch die Proto-Ontologie die Begegnung mit sich selbst herbeiführte, indem sie sich verdoppelt, und nun erst wahrhaft ihren proto-ontolgischen Status annähme. Die Proto-Protentionen und ProtoRetentionen sind nun insofern was sie sind, als ihre Verwebung, welche zugleich die Landschaft der Protentionen und Retentionen bildet und noch etwas von der Kluft enthält, in die Verwebung der Zeitigung, des »Risses« hineingenommen wird. Inso-
266 fern die Proto-Protentionen und die Proto-Retentionen weder unmittelbar in die proto-ontologische transzendentale Vergangenheit hineingezogen noch in die protoontologische transzendentale Zukunft entrückt werden, insofern sie sich sozusagen nicht mehr damit zufrieden geben, als nackte Rätsel des Unerinnerbaren und Unreifen zu »wesen« – Reminiszenzen dessen, was so alt ist, daß es kein Alter mehr hat, und zugleich Vorahnungen dessen, was derart jung ist, daß es niemals hat altern können, weil es nicht die Prüfungen der Zeit durchlaufen mußte, ebenso jung wie das Tagen der Welten – insofern also bieten sich die Proto-Protentionen und die Proto-Retentionen gegenseitig ihren Ansatz, aber in Schieflage als Versprechen einer Zukunft, dessen Zeugen in der Vergangenheit unauffindbar sind, und als Anspruch einer Vergangenheit, deren Zeichen in der Zukunft unauffindbar sind – gleichermaßen Versprechen von radikal Neuem wie Anspruch der Vorfahren, der bis aufs Älteste in die dunklen Tiefen des Gedächtnisses zurückgeht, und zwar durch den schon verräumlichenden Abstand im Abstand, also durch den ersten Bruch des Unerinnerbaren und des Unreifen. Ein Versprechen des noch nicht Geborenen im Verhältnis zu dem, was – schon seit sehr langer Zeit tot – durch die vergessenen Zeiten des Gedächtnisses hindurch schläft. Das kann immer geahnt werden, aber eben im Scheitern der sprachlichen Zeitigung, welches diese in ihrer Potentialität an den aufgehobenen Rändern ihrer Verwirklichung pulsieren läßt. Aus all dem erwacht etwas wie der zu bildende Sinn, wenn in der Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen auf einmal innerhalb ihrer Masse etwas als harmonisches Zusammenstimmen erscheint, sowohl in der Zukunft wie in der Vergangenheit. Wenn also das noch nicht Geborene sich in der Vergangenheit ankündigt und das schon Gestorbene in der Zukunft wiedererwacht, indem es das noch nicht Geborene in die Zukunft und das schon Gestorbene in die Vergangenheit überträgt, u.z. gemäß einer Überkreuzung oder Verwebung, die nun die Zeit bildet, also die Zeitigung des Vollzugs. Die Zeitigung verwirklicht nämlich das Paradox einer Inversion der Verwebung, die der Zeit als ein Fließen der Zukunft in die Vergangenheit durch den Abstand der Gegenwärtigkeit hindurch Sinn gibt. Dieses Paradox, dem wir schon begegnet sind, müssen wir nun begründen und vertiefen. Alles rührt daher, daß in der sowohl schematischen als auch proto-ontologischen Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung die proto-ontologische Tiefe der transzendentalen Reminiszenz von einer vergangenen Zukunft der proto-ontologischen Vergangenheit vermittelt wurde, und daß die proto-ontologische Tiefe der transzendentalen Vorahnung dieser durch eine zukünftige Vergangenheit der proto-ontologischen Zukunft gegeben wurde. Und dies gilt für die Reminiszenzen/Vorahnungen sowohl des außersprachlichen als auch des sprachlichen Schematismus. Außerdem »fallen« wegen der Faktizität des Sprachlichen in der Überlagerung beider die Reminiszenzen/Vorahnungen des zweiten nicht mit den Reminiszenzen/Vorahnungen des ersteren »zusammen«, und genau das macht den Abstand im Abstand aus. Wenn wir weitestgehend vereinfachen, wie wir es bisher haben tun müssen, dann bedeutet dies, daß die vergangene Zukunft in der Vergangenheit sich selbst in zwei Zukünftigkeiten verdoppelt, genauso wie sich die zukünftige Vergangenheit in der Zukunft verdoppelt: in eine den Proto-Protentionen entsprechende sozusagen zukünftigere Zukunft als die erste und in eine den Proto-Retentionen entsprechende sozusagen vergangenere Vergangenheit als die erste; oder auch: eine zukünftige Vergangenheit, die ein zukünftiges Versprechen in den Proto-Protentionen wiederfindet, und eine vergangene Zukunft, die schon einen Anspruch der Vergangenheit in den Proto-Retentionen hat; also wilde, außersprachliche Reminiszenzen, die sich dem Versprechen
267 eines Zukünftigen im Sinnansatz öffnen, und in der gleichen Bewegung wilde, außersprachliche Vorahnungen, die sich im gleichen Sinnansatz den Ansprüchen eines Vergangenen öffnen, wobei der Sinnansatz jedoch durch die Unstimmigkeit des Versprechens und der Anforderung ekliptisch verdeckt ist, wodurch sie leer erscheinen. Es ist charakteristisch, daß beim dadurch stattfindenden Zu-sich-selbstKommen des Proto-Ontologischen in der Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen es sich um die Zukunft in der Vergangenheit, die sich in der proto-protentionalen Zukunft antizipiert, und um die Vergangenheit in der Zukunft, die sich in der proto-retentionalen Vergangenheit verzögert, handelt. Ein bloß scheinbares Paradox, da nur dadurch die proto-protentionale Zukunft und die protoretentionale Vergangenheit eine Chance haben, sozusagen an die Ränder der Phase zu geraten und nun zu Horizonten zu werden, die der Phase eigen sind, wobei diese Horizonte die Phase ursprünglich an den Rändern der proto-räumlichen/proto-zeitlichen Kluft von sich selbst entfernt halten. Oder weil sonst die in der Zukunft der Vergangenheit antizipierte proto-protentionale Zukunft auf diese zurückfiele und in den proto-ontologischen Tiefen wiederaufgenommen würde, ganz wie gemäß der gleichen Wiederaufnahme die in der Vergangenheit der Zukunft verzögerte proto-retentionale Vergangenheit auf diese zurückfiele, was nun nicht mehr eine Aufhebung der Zeitigung, sondern schlicht und einfach ihre ekliptische Verdeckung wäre und dadurch das Auslöschen des Abstands im Abstand. Es gibt also in der ursprünglichen Räumlichung des Abstands eine erste Überkreuzung der zeitlichen Horizonte, die aber gewissermaßen durch die proto-ontologische Proto-Zeitigung immer »polarisiert« ist, und zwar sehr tief, weil es letztlich keine Zeit ohne Unzeit (contre-temps) gibt. Eine Zeit ohne Unzeit wäre leer, zeitlos oder ewig. Sie würde sich selbst in dieser auf den ersten Blick abstrakten Gestalt der Unzeit verleugnen, die ganz offensichtlich unauslöschbar ist, selbst an den Grenzen der Abstraktion. Die erste von der Unzeit der Zeit gebildete Überkreuzung wendet sich ihrerseits zurück, indem sie sich umgekehrt in der Zeitigung überkreuzt: wenn nach unseren bisherigen Ausführungen das Versprechen sich schon in der Vergangenheit ankündigt und wenn der Anspruch noch in der Zukunft erwacht, wobei dieses »Schon« und dieses »Noch« nur die schon im Voraus in den Protentionen und die noch verspätet in den Retentionen enthaltene harmonische Abstimmung selbst ist. Diese Umkehrung hat als bemerkenswerten Effekt, die vergangene Zukunft – deren proto-protentionale Zukunft das Versprechen war – in die zukünftige Vergangenheit umzukehren – deren proto-retentionale Vergangenheit der Anspruch war – und umgekehrt gemäß ihrer Verwebung, die nun die der Zeitigung ist. Das bedeutet, daß es immer schon in der protentionalen Zukunft etwas von der Vergangenheit gibt – das sind die in der Zeitigung wirksamen passiven Synthesen – und daß es noch immer in der retentionalen Vergangenheit etwas von der Zukunft gibt – das sind die »gleichen« passiven Synthesen, »gleich« deswegen, weil sie sich in der Zeitigung durch die Überkreuzung des »Schon« und des »Noch« verweben. Von der Zeit (der Gegenwärtigkeit) zeitigt sich nicht mehr als das, was es noch an Zukunft in der Vergangenheit und was es schon von der Vergangenheit in der Zukunft gibt, sonst fielen wir auf die Situation des Zusammenbruchs der Zeitigung in der an-harmonischen Verwebung der Proto-Protentionen und der Proto-Protentionen innerhalb der Räumlichung der Landschaft zurück. Und diese Überkreuzung ist selbst schematisch oder rhythmisch, sie allein bietet dem Sinn eine Chance, sich in seiner Bildung von den passiven Synthesen zweiten Grades abzuheben, in denen er immer schon und noch immer sich zeitigt/räumlicht. Das »Ergebnis« davon ist in den passiven Synthesen deren phäno-
268 menologischer Zuschnitt zu phänomenologischen »Zeichen«, zugleich Fetzen von Sinn im Sinn (was ihre »longitudinale Teilung« ausmacht) und Reserven ursprünglich vielfältiger Ansätze transpassibler Sinnregungen, die aber im Verlauf der Gegenwärtigkeit durch den sich bildenden Sinn mehr oder weniger ekliptisch verdeckt werden – je nach dem Mehr oder Weniger an Naivität oder an Konzentration des sich bildenden Sinns, wobei diesen a priori nichts vor den Dephasierungen schützt, die immer schon und noch immer ihn verräumlichen und ihn tendenziell als Zerstreuung von Sinnansätzen sternförmig auseinandergehen lassen. Das soll heißen, daß die phänomenologischen »Zeichen« mit ihrem Vermögen zur ursprünglichen »Polysemie«, ohne daß der sich bildende Sinn – zumindest nicht abschließend – darüber nachdenken müßte, direkt aus der Masse der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen, und also, durch sie vermittelt, direkt aus der Masse der außersprachlichen weltlichen wilden Wesen* entnommen werden. Und nichts kann sie daran hindern, daß sie in umgekehrter Richtung durch einen implodierenden Zusammenbruch und durch einen Zusammenbruch des Sprachlichen in sich selbst als rätselhafte Wesen* erscheinen, die, wie wir gesehen haben, als Reminszenzen und Vorahnungen von Welten, das blanke Rätsel des Unerinnerbaren und des Unreifen tragen – ein Rätsel, das ebenso wenig wie die Welten nicht altert, da niemals geboren, und nie erwartet, da außerhalb jeder Her-kunft auf-tauchend, eine Art Tangentialpunkt mit der phänomenologischen »Ewigkeit« der Welten. Es gibt in der zeitigenden Verfassung der phänomenologischen »Zeichen« etwas, das unaufhebbar gegen sie wie Unzeiten in der Zeit auftritt, und das immer dazu tendiert, durch die »Polysemie« und die Viel-schichtigkeit des sprachlichen Phänomens auf Dauer seine ursprüngliche Räumlichung wiederzufinden, welche die harmonische Abstimmung auf der Suche nach sich selbst ursprünglich de-konzertiert. Dadurch sind die phänomenologischen »Zeichen« selbst äußerst komplex, tragen in sich sowohl die transzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen (wilden Wesen*) des Sprachlichen als auch seine proto-ontologischen Tiefen, die wie im Echo in den proto-ontologischen Tiefen der außersprachlichen Welten widerhallen. Wenn es aber proto-ontologische Tiefen im Sprachlichen gibt und wenn die sprachlichen Phänomene Re-Schematisierungen der außersprachlichen Schematisierungen sind, dann bedeutet das für sie auch, daß in ihnen diese neue, durch diese Vermittlung eingeführte Gefahr der Entleiblichung da ist. Diese Gefahr besteht für sie darin, sich aus den Welten zu »entwurzeln«. Wir sind ihr beiläufig begegnet, aber sie ist nun als solche genauer zu untersuchen. Dabei werden wir uns dem annähern, was die symbolische Stiftung des Sprachlichen ausmacht.
§ 3. UMRISSE FÜR EINE PHÄNOMENOLOGIE DES SPRACHLICHEN
a) Das Problem der Entleiblichung des Sprachlichen und der Ursprung seiner symbolischen Stiftung: die Zeitigung/Räumlichung der »Erleuchtung« des Sinns und die Katastrophe seiner identitären Implosion Welche philosophische – und vor allem phänomenologische – Bedeutung haben eigentlich die proto-ontologischen Tiefen des Sprachlichen? Auch wenn jedes sprachliche Phänomen ein das Ganze in sich aufnehmender Teil des Sprachlichen ist, so bleibt es dennoch nur Teil, was bei der Auswahl oder der Trennung seiner wilden Wesen* deutlich wird, den transzendentalen Reminszenzen und Vorahnungen in
269 ihren und durch ihre proto-ontologischen Tiefen. Die Proto-Retentionen und ProtoProtentionen erscheinen hinsichtlich des Sinns mit einer wilden Dimension, weil sie sprachliche Reminiszenzen/Vorahnungen mit ihrer proto-ontologischen Tiefe mit sich führen, die ursprünglich die wilden weltlichen außersprachlichen Wesen* zu Sinnansätzen auffächern, welche auch immer schon in der sprachlichen transzendentalen Vergangenheit verschüttet und in die sprachliche transzendentale Zukunft entrückt zu sein scheinen. Aber dies findet eben nur statt, wenn diese Reminiszenzen und Vorahnungen nicht nur dem schematischen unendlichen »Ganzen« des Sprachlichen angehören – »Ganzes« im allein architektonischen Status, da es im Falle der Erfüllung keinen Abstand des Schematismus zu sich selbst, also keine Reminiszenzen und Vorahnungen mehr gäbe, wobei die Endlichkeit des Schematismus in der Unmöglichkeit läge, diesen Abstand in sich zu festigen. Wenn man, wie wir es bisher getan haben, es so ansieht, daß die wilden Wesen* zu einem Teil im unendlichen Durcheinander der Vergangenheit in der Vergangenheit der proto-ontologischen Vergangenheit und der Zukunft in der Zukunft der proto-ontologischen Zukunft vermengt bleiben, laufen sie als wilde sprachliche Wesen* immer Gefahr, nicht weltliche außersprachliche wilde Wesen in der Kluft der Proto-Gegenwärtigkeit »festmachen« zu können, über welche sich die Gegenwärtigkeit des Sprachlichen spannt. Durch ihr proto-ontologisches Vermögen als dem Vermögen dieser Vermengung mit deren Neigung, sie durcheinanderzubringen, läuft die sprachliche Phase immer Gefahr, sich als solche zu verselbständigen, indem sie sich aus der Welt entwurzelt, also sich zu entleiblichen. Indem sie die Illusion vermitteln, daß es in der Welt nur Sprachliches gibt, oder indem sie dazu neigen, die sprachlichen Phänomene nur auf sich selbst zu beziehen, tendieren die proto-ontologischen Tiefen des Sprachlichen dazu, die weltlichen außersprachlichen wilden Wesen, die durch die sprachlichen Reminszenzen/Vorahnungen aufgefächert sind, auszulöschen und darin bis ins Unendliche nur noch phänomenologische »Zeichen« scheinen zu lassen, die selbst ohne Ursprung und unendlich immer wieder durch die sprachlichen formalen Wesen* »neu zusammensetzbar« sind, d.h. durch den Zeichen äußerliche Logizitäts-Fetzen. Hier befindet sich der phänomenologische Ort des Ursprungs des »Logisch-Grammatischen« – wobei der Gipfel der Entleiblichung des Sprachlichen in der formalen Logik erreicht und bei der Konstruktion von künstlichen logischen Systemen nahezu kontinuierlich weitergeführt wird. Anders gesagt, das Merkmal für die Endlichkeit und für die Frage der Verleiblichung/Entleiblichung des Sprachlichen liegt in diesem, wie wir gesehen haben, für das Sprachliche kennzeichnenden Be-wußtsein, nicht zugleich etwas anderes als sich selbst aussagen zu können. Der Höhepunkt davon ist, wie wir bemerkt haben, jene Trunkenheit des Sinns, wenn er während seiner Bildung von der Illusion besessen ist, sich ganz zu besitzen. Dabei löst sich nun der Sinn in »Bedeutung« auf, die von den »Bedingungen« ihrer Zeitigung/Räumlichung abgeschnitten ist, weil nun die Selbstheit des Sinns buchstäblich in die Identität der »Bedeutung« implodiert – eine Implosion nämlich der Zeitigung/Räumlichung. Die »Bedeutung ist nur noch auf die Welt beziehbar durch die vermeintlich eindeutige Referenz zu dem, was in ähnlicher Weise als Eidos auch nur ein sprachliches Wesen ist (das ist der Fall der logischen Referenz) und es ist nur mehr in die fungierende Sprache durch die entleiblichten Logizitäten einschreibbar, die gewöhnlich durch die logisch-grammatischen »Relationen« zwischen den Bedeutungen bezeichnet werden – als ob diese nun relativ gleichgültig zueinander und gegenüber ihrer Referenz würden. Denn was wir gerade »beschreiben«, ist nichts anderes als die aus dem phänomenologischen Blickwinkel
270 gesehene Bewegung der symbolischen Stiftung, und insbesondere die Bewegung der symbolischen Stiftung der Philosophie. In unserem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß die Philosophie sich gewissermaßen in ihrer symbolischen Stiftung gefangen hat, indem sie in einem besonderen Typus des Sprachlichen – nämlich des logisch apophantischen – eine fungierende Sprache zu erkennen glaubte, die man nur aus der gewöhnlichen Gangart herausnehmen müßte damit sie die Wesen der Welt, wie sie vermeintlich sind, aussagen könnte. Wir haben an anderer Stelle, in La crise du sens et la phénoménologie die Bewegung dieser Stiftung beschrieben. Wir kommen hier nur darauf zurück, um hervorzuheben, daß die vorausgesetzte Transparenz der »Bedeutungen« auf die Eidè hin nur der Effekt einer bloß selbstbezüglichen Apophantizität des Sprachlichen ist, in jener symbolischen Tautologie des Begriffs und des Eidos, des Denkens und des Seins, in dem das Denkens mit sich selbst zusammenfällt und durch die Implosion der Zeitigung/Räumlichung illusionär gegeben scheint. Dadurch verwandeln sich die proto-ontologischen Tiefen des Sprachlichen in die unreduzierbare Dualität, was Husserl so genau erforscht hat, zwischen der Logik der Weltwesen (Eidè) in der materiellen Ontologie, und der Logik ihrer a priori Verkettungen – als Verkettungen von ontischen Möglichkeiten – in der formalen Ontologie, die ganz a priori, völlig entleiblicht ist, weil sie äußerstenfalls ganz außerweltlich ist. Die phänomenologische »longitudinale« Verdopplung der phänomenologischen »Zeichen« wird in dieser ver-formenden Um-formung zur Verdopplung in Signifikant (Begriff) und Signifikat (Eidos), wobei sich der Sinn daraus verflüchtigt hat, weil er nunmehr bloß noch mit den Zeichen oder den Wesen wieder zusammengesetzt werden kann, vermittels der nun rätselhaft gewordenen Spontaneität des Sprechens – die ebenso rätselhaft ist wie die reine und leere Zeit. Das zeigt uns, daß die Entleiblichung der fungierenden Sprache zugleich dazu führt, daß seine proto-ontologischen Tiefen sich zur ontologischen Dualität des Materialen und Formalen verflüchtigen. Und das ist leicht nachvollziehbar, denn das Proto-Ontologische hält sich in seiner eigenen Konsistenz ja nur durch das Schematische. Deshalb haben wir bezüglich des Proto-Ontologischen von der Gefahr der Entleiblichung gesprochen – eine Gefahr, deren entfernter phänomenologischer Ursprung (nicht die »Ursache«) die symbolische Stiftung ist. Die Schematisierung des Sprachlichen ist in der Tat radikal kontingent, ganz wie die Reminiszenzen und Vorahnungen seiner schematischen, als solche noch proto-gegenwärtigen Phase. Und mittels ihrer und ihren proto-ontologischen Tiefen verklammert sich die sprachliche schematische Phase mit der weltlichen schematischen Phase, und zwar in der schon beschriebenen Verwebung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, aller Konfigurationen weltlichen »Landschaften«, die unterhalb des sich bildenden Sinns walten und tendenziell die phänomenologischen »Zeichen« in Vielfältigkeiten von Sinnansätzen auseinanderstreuen lassen, die in den Sinnregungen pulsieren (was in der schulmäßigen Sprache unter der »Polysemie« der »Zeichen« gefaßt ist) und auf seine Räumlichung in seiner Zeitigung öffnen. Genau darin liegt der Grund, weshalb die Begegnung einer Sinnregung mit einer anderen (eine interfaktizielle oder »intersubjektive« Begegnung) gewissermaßen den Sinn in seiner selbst unstabilen und flüchtigen Verleiblichung neu verankert: diese Trans-passibilität des Sinns gegegenüber dem Sinn während einer in sich dephasierten Gegenwärtigkeitsphase erweckt sozusagen als Echo die Transpassibiltät der Sinnfetzen der phänomenologischen »Zeichen« zu den in ihnen schlummernden Sinnansätzen. Das bedeutet auch, daß sie ursprünglich diese »Zeichen« verräumlichen, indem sie diese schon im Ursprung von
271 den in der Abstraktion der reinen Zeit passiv erhaltenen »Signalen« trennen. Das bedeutet, daß es eigentlich kein sprachliches Phänomen gibt, das nicht ursprünglich, also aus Trans-passibilität, gegenüber anderen sprachlichen Phänomenen offen ist, gegenüber denen es ursprünglich trans-passibel ist, und daß gerade diese Öffnung, die also nicht einfach der ontologisch-existentialen Möglichkeit des Sinns angehört, sondern der Transpossibilität, die sich eben zu ihrer Konkretisierung anschickt und damit zu ihrer Verfestigung in der interfaktiziellen Begegnung der Sinnregungen. Weit davon entfernt, den Sinn aus seinen Angeln zu heben – das scheint nur dem an sich selbst berauschenden Sinn so – eröffnet die interfaktizielle Begegnung dem Sinn die Chance, sich in der Welt zu verankern, indem er sich verleiblicht. Diese Redeweise darf allerdings nicht die Illusion vermitteln, daß die interfaktizielle Begegnung unfehlbar stattfindet, in einer Art ursprünglichem phänomenologischen »Paradies«. Die Situation der Begegnung ist ebenso labil wie die der Verleiblichung und nichts hindert a priori den Sinn daran, sich in seiner Ausschließlichkeit an sich selbst zu berauschen. Auf der Ebene der symbolischen Stiftung der Philosophe haben wir die Konsequenzen davon schon ermessen. Diese ist, wie wir wissen, aber bei weitem nicht die einzig mögliche symbolische Stiftung und sie kann noch nicht einmal – allenfalls im Ethnozentrismus – für die Vollendung der symbolischen Stiftung gehalten werden. Von der phänomenologischen Masse des Sprachlichen bis zu ihrer Trans-formation ins »Logisch-Grammatische«, gibt es mancherlei Vermittlungen, deren phänomenologische Matrix zumindest zu erfassen wäre – da übrigens die Hoffnung, alle symbolischen Stiftungen durchgehen zu können, vergeblich ist. Alles spielt sich hier an der beweglichen Grenze zwischen Verleiblichung und Entleiblichung des Sinns im Sprachlichen ab, also sozusagen bei den gegenseitig sich verschiebenden Gewichten des Schematischen und des Proto-Ontologischen. Man könnte metaphorisch sagen: je »größer« der Abstand zwischen beiden, um so reicher ist die sprachliche Phase an Reminiszenzen und Vorahnungen und um so mehr ist der Sinn verleiblicht, wobei bewußt sein muß, daß umgekehrt, an der nicht festgelegten Grenze des Unendlichen (eine architektonische Grenze) ein »zu großer« Abstand dazu führte, das Proto-Ontologische im Schematischen aufzusaugen und »alle« weltlichen wilden Wesen* in vielfältig-aufgefächerte »Zeichen« zu verwandeln, also in sprachliche Sinnansätze. Hier gäbe es nun nichts außer Sprachlichem mehr, d.h., nochmals, nur sprachliche Entleiblichung zu zerstreuten, »disseminierten«, entleiblichten »Zeichen« – was der andere Pol der Entleiblichung ist, der zweifellos die Psychosen und insbesondere die Schizophrenie (Zerfall des Geistes in »Zeichen-Wesen«) polarisiert. Wir entdecken gerade durch eine solche »Erfahrung im Denken«, daß eine doppelte Gefahr der Entleiblichung besteht, daß sie nicht allein von einem übermäßigen »Gewicht« des Proto-Ontologischen herrührt, das es in der Dualität der formalen und materialen Ontologien aufgehen ließe, sondern auch von einem unmäßigen »Gewicht« des Schematischen her, das, sich gewissermaßen durch sich selbst überlastend, das Proto-Ontologische und damit die Ontologien sich an den Grenzen auflösen ließe. Aus all dem ergibt sich, daß der einzig gangbare Weg zum Auffinden derjenigen phänomenologischen Matrix der Vermittlungen, die als die eigentliche Bewegung und Motivation der symbolischen Stiftung anzusetzen wäre, im Überschuß zu suchen ist, den die sprachlichen wilden Wesen* überhaupt über diejenigen sprachlichen wilden Wesen* haben, welche die außersprachlichen wilden Wesen »kolonisieren«, indem sie sie auffächern. Diese sprachlichen wilden Wesen* in ihrer ununterschiedenen Masse, deren Überschuß niemals a priori bestimmt und deshalb von un-
272 begrenzter Bestimmbarkeit ist, machen die von uns so genannten formalen sprachlichen Wesen* aus, ursprünglich plurale sprachliche »Logizitäts«-Fetzen, die auch zur Zeitigung/Räumlichung des Sinns beitragen – zu den passiven Synthesen zweiten Grades zwischen phänomenologischen »Zeichen« –, ohne daß der Sinn, der sich bildet, indem er sich darin reflektiert, sie »beherrschen« oder ihrer »bewußt« sein könnte. Der Sinn gliedert sich in seiner Zeitigung/Räumlichung tatsächlich immer gewissen unbewußten Logizitäten gemäß, und auch diese Logizitäten verketten ihrer eigenen Prägung folgend die Proto-Protentionen/Proto-Retentionen, die dadurch in Protentionen und Retentionen verwandelt werden. Durch sie verlängert sich auf eigentümliche Weise die kohärente Verformung der Verwebung der weltlichen wilden Wesen, die sich schon in den Proto-Retentionen und Proto-Protentionen vollzieht. Und daraus ergibt sich ganz offensichtlich eine gewisse Abhängigkeit des sich bildenden Sinns von dieser Verkettungen, die den formalen sprachlichen Wesen* folgen. Dies ist eigentlich die phänomenologische »Seite« des noch in der symbolischen Stiftung nur Verborgenen. Durch diese Verkettungen ist aber auch das Abgleiten des Sinns für das sich um seinetwillen vom Sinnansatz in den Sinn Hinauswagende innerlich notwendig. Von diesen Überschüssen unreflektierter sprachlicher Logizitäten in der zeitigenden/räumlichenden Verkettung her wird der Sinn in seiner Selbstreflexion immer in Gefahr gebracht, sich von seiner Verwurzelung in den weltlichen Wesen loszulösen, und zwar nicht nur, insofern er seine (aufeinander abgestimmten) Logizitäten nicht wiederfindet (zueinander harmonisch), sondern auch insofern er sich auch buchstäblich nicht darin wiederfindet, da ihm die formellen Wesen schon und noch immer entgehen, da sie losgelöst von den wilden weltlichen Wesen in den proto-ontologischen Tiefen des Sprachlichen herumirren. Sie haben nun dabei nicht die weltlichen wilden Wesen* in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen aufgefächert und sie treiben gewissermaßen nur wie im transzendentalen Jenseits des Gedächtnisses und der sprachlichen Antizipation ihr Wesen, als das Unerinnerbare/Ungereifte allein des Sprachlichen – für die symbolische Stiftung das Eintreten dessen, was sich als das Logisch-Grammatische ausdehnen wird. Es gibt also, und das ist entscheidend, keine Deckungsgleichheit zwischen dem Unerinnerbaren/Unreifen der außersprachlichen Welten und des Sprachlichen. Letzteres meint das, was als sprachliche Phase niemals stattgefunden hat und niemals stattfinden wird, es sei denn unter der hyperbolischen Form von Phasen der Proto-Gegenwärtigkeit, die allerdings nicht mehr sprachlich wären, da sie selbst weder Vergangenheit noch Zukunft haben). Anders gesagt, die sprachlichen formalen Wesen* sind Zeugen und Zeichen der Transpassibilität einer bestimmten sprachlichen Phase gegenüber Phasen, die sprachlich nicht einfach vorausgesetzt werden können, da sie eigentlich für immer in der transzendentalen Zukunft entzogen und seit jeher in der transzendentalen Vergangenheit verschüttet sind. In diesem Sinn sind die sprachlichen formalen Wesen die Spuren der Transpassibilität des Sprachlichen gegenüber sich selbst als seiner ausschließlich eigenen proto-ontologischen Tiefe. Oder auch: gerade durch sie, obwohl sie vollkommen unbewußt sind, sondern sich die proto-ontologischen Tiefen als proto-ontologische Tiefen der Welten und als proto-ontologische Tiefen des Sprachlichen voneinander ab. So gesehen wären wir ohne sie nicht in der Lage, zwischen Sprachlichem und Außersprachlichem zu unterscheiden, das letztere wäre dann nicht mehr – und übrigens ohne weitere phänomenologische Konsistenz – als der Grenzfall der Auslöschung des Sprachlichen. Und insofern, wie wir noch sehen werden, in ihnen die Bewegung der symbolischen Stiftung ansetzt, und zwar indem
273 sie sich in ihr und durch sie selbst gefiltert wieder aufgreifen, können wir sagen, daß die symbolische Stiftung ohne sie keine Verankerung hätte, so wie umgekehrt von der noch in ihrer Allgemeinheit und Inchoativität aufgefaßten symbolischen Stiftung her (wobei ersteres durch die hyperbolisch phänomenologische Epoché geöffnet wurde) wir zwischen sprachlichen und außersprachlichen proto-ontologischen Tiefen, und von daher zwischen sprachlichem und außersprachlichem Schematismus unterscheiden können. Der sich in der Verwebung von Protentionen und Retentionen vollziehende zeitliche Umschlag ist also immer auch durch die wilden und formalen sprachlichen Wesen* gegliedert, und zwar insofern blindlings, als diese ohne Wissen des sich bildenden Sinns zur unreduzierbaren Einzigartigkeit seiner Selbstheit beitragen. Sie konstituieren also den phänomenologischen Gehalt einer Einzigartigkeit, die der Reflexion entgeht und deren phänomenologische Rätselhaftigkeit wahrlich unerschöpflich und un-endlich bestimmbar ist. Diese vom bildenden Sinn vollzogene Begegnung mit seinem eigenen Rätsel, das wegen seiner proto-ontologischen Tiefen un-endlich ist, stellt zumindest einen Teil des von uns so genannten phänomenologischen Erhabenen im oder des Sprachlichen. Genau hier spielt sich überhaupt die symbolische Stiftung ab, nämlich an der Stelle, an der sowohl die Begegnung als auch das Verfehlen des Symbolischen mit dem Phänomenologischen möglich werden können, ein Begegnen oder Verfehlen des Sprachlichen mit seinem eigenen Rätsel und damit wahrhafter Beginn sowohl des Menschlichen als auch der dabei schon heraufbeschworenen Möglichkeit der Phänomenologie. Genau an dieser besonderen Stelle pulsieren miteinander der Überschuß oder Mangel des Phänomenologischen gegenüber dem Be-wußtsein des Sinns, gegenüber diesem »Maßstab« des Bewußtseins (Hegel). Diesen für sich selbst zu erarbeiten, scheint für uns die ständige, selbstgestellte Aufgabe des Bewußtseins zu sein, ohne daß es jemals dazu gelangen könnte, ihm genaue Bestimmtheit zu geben. Dies ist nun noch näher aufzugreifen. Im konkreten phänomenologischen Gehalt seiner Einzigartigkeit ist der sich bildende Sinn durch die schematische sprachliche Anordung der formalen sprachlichen Wesen bedingt, die er grundsätzlich nicht zu reflektieren vermag und die seine ontologisch existentiale Möglichkeit übersteigen. Dabei, und in seiner Trans-passibilität ausschließlich gegenüber dem Sprachlichen, reflektiert er sich zugleich als ein Sinn, der im Verhältnis des Überflusses/Mangels nicht nur bezüglich seiner selbst, sondern bezüglich der anderen trans-passiblen Sinnregungen und der Welten ist. Denn die formalen Wesen sind zugleich sprachliche Reminiszenzen und Vorahnungen, die ihn in seinen eigenen proto-ontologischen Tiefen verankern. Diese haben selbst einen Überschuß/Mangel gegenüber den sprachlichen wilden Wesen, die sich insofern in Welten verleiblichen, als sie immer schon die wilden weltlichen Wesen* von innen heraus aufgefächert haben und dies auch weiterhin immer tun werden, und zwar, indem sie diese in Proto-Protentionen/Proto-Retentionen verwandeln. Diese haben also eine doppelte proto-ontologische Tiefe: die der außersprachlichen und die der sprachlichen wilden Wesen*, wobei die zweite sich dadurch von der ersten unterscheidet, daß es sprachliche wilde Wesen* gibt, die »eigentlicher« formal oder entleiblicht sind. Es ist also, als ob die Proto-Retentionen und Proto-Protentionen in ihrer Verwebung nicht nur durch ihre ursprüngliche Räumlichung Träger der weltlichen »Landschaft« als Landschaft von gegenseitig transpassiblen Sinnansätzen wären, sondern auch – darin treibend – der Unerinnerbarkeit und der Unreife einer »leeren« Sprache (langage), deren Splitter (die formalen Wesen*) sich blind in der sprachlichen Phase neu verteilen. Als ob also
274 die weltliche Landschaft das Sprachliche sowohl zu sich selbst als auch zu seiner Transpassibilität (und zu seiner Transpossibilität) erweckte und wiedererweckte, deren Zeugen und Zeichen die formalen Wesen* wären. Es handelt sich diesmal nicht um eine Transpassibilität der Sinnansätze zu anderen Sinnansätzen, sondern des Sprachlichen als Schematismus zu sich selbst, wobei dieser sich unbewußt in der Schieflage des Sinns auf sich selbst hin öffnet. Daß heißt nicht, daß am pulsierenden Ursprung des Sprachlichen jedes sprachliche Phänomen a priori (trans)possibel wäre, sondern daß durch den auf sie selbst bezogenen Abstand der harmonischen Abstimmung sich das Feld der Pluralität der sprachlichen Phänomene als Feld der gegenseitig transpassiblen Phänomene in ihrer Blindheit genüber dem Sinn ins Spiel bringt. Das ist das sprachliche phänomenologische Unbewußte. Dies bewirkt bei näherem Hinsehen, daß die phänomenologischen »Zeichen«, d.h. die sprachlichen Wesen, und zwar immer schon und auch weiterhin, hinter ihrem Rücken neu zugeschnitten werden. In eben diesem Sinn gibt es noch eine passive Synthese zweiten Grades in der Gliederung der Zeitigung/Räumlichung, durch Überlagerung oder Überbestimmbarkeit des sprachlichen Schematismus hinsichtlich seiner selbst und zwar insofern, als nicht schon alles von dieser Überlagerung oder dieser Überbestimmbarkeit in der Landschaft der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen ausgespielt wurde. Es kann phänomenologisch auch innerhalb nur eines Sinnansatzes mancherlei Zeitigungsweisen des Sinns geben. Aber diese sind ursprünglich transpassibel, insofern sie voneinander gänzlich unableitbar – und a fortiori unreduzierbar – sind. Wenn wir also von Sinnansätzen sprechen, dann muß der Sinn im Plural genommen werden, und in dieser Pluralität von Transpassibilitäten entscheidet sich auf damit einhergehende radikal kontingente Weise von der Transpassibilität her die ontologisch-existentiale Möglichkeit eines bestimmten faktiziellen Sinns. Es gibt also eine zweifache ursprüngliche Pluralität, die der Sinnansätze, die der ursprünglichen Räumlichung mit Zeitigungen im Modus der Aufhebung entspricht, und die der Sinnregungen im Inneren der Sinnansätze, welche den Zeitigungen entsprechen, die in den Räumlichungen der Protentionen und Retentionen walten. Während die erste die »transversale« Vervielfältigung der phänomenologischen »Zeichen« (»Polysemie«) zuschneidet, so die zweite die von uns so genannte »longitudinale« Teilung. Aus dem Vorangegangenen geht also hervor, daß diese letzte nicht einfach eine Teilung der phänomenologischen »Zeichen« nach der »Achse« der Zeit ist – was eine gleichförmige, also abstrakte Zeit voraussetzte –, sondern eine spezifische und vielfältige Teilung, die ebenso komplex ist wie die jeweils kontingente Struktur der Zeitigung. Und wenn man nicht voraussetzen will, daß alles schon so da ist, wie sich Protentionen und Retentionen durch den räumlichenden Abstand hindurch aneinandergliedern, was die Zeitigung in eine einfache Reflexion der harmonischen Abstimmung »im Spiegel« erstarren ließe, dann wäre nochmals hervorzuheben, daß die Zeitigung ihre eigene Art passiver Synthesen zweiten Grades mit sich bringt, indem sie ihr eigenes, auch schematisches Abenteuer der Verwebung der phänomenologischen »Zeichen« initiiert. Die »longitudinalen Verweise« von »Zeichen« zu »Zeichen« sind für den sich bildenden Sinn nicht einfach Verweise von einer Stafette zur anderen, wobei jede Stafette eine neue Verzögerung bedeutete, es sind vielmehr Verweise, die sich vorweg-nehmen und sich auf mehreren Ebenen auf einmal wieder aufnehmen und in dieser Verwebung die Strecke eines sich bildenden Sinnes zeichnen, der sich selbst vorausgeht und folgt, und zwar mit verschiedenen Geschwindigkeiten auf einmal, sowohl schneller als auch langsamer als er selbst, wobei er die Protentionen und Retentionen immer mehr verwebt, die zwar schon zu
275 Beginn mit ihrer Verwebung begonnen haben, aber zu schnell – oder zu langsam, als daß der Sinn sich darin wiedergefunden hätte. Insofern ist die Suche des Sinns nach sich selbst die Suche nach dem guten Abstand. Dieser ist schwer zu finden und erfordert das Aufbringen der Konzentration, aber obwohl er die in den Logizitäten der formalen sprachlichen Wesen* enthaltenen Wirkkräfte benutzt, kann sie der sich bildende Sinn nicht beherrschen, da er daraus hervorgeht – und wenn er sie zu beherrschen glaubt, dann nur in der leeren und vor allem unbeweglichen Form der »Gesetze« oder logisch-grammatischen »Regeln«, die letztlich demgegenüber gleichgültig sind, was sich als Sinn zeitigt/räumlicht. Denn in der Phänomenologie des Sprachlichen besteht gewissermaßen Verwirrung darüber, was seine symbolische Stiftung in der Philosophie als Syntax und Semantik unterscheidet. Und um das zu verstehen, muß man sich erinnern, daß die phänomenologischen »Zeichen« immer die des sich bildenden Sinn sind, und damit immer ebenso flüchtig wie der Sinn auf der Suche nach sich selbst. Unter der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché der symbolischen Stiftung hat noch nichts die Zeichen fixiert oder bestimmt: wir befinden uns in dem, was phänomenologisch immer wieder einsetzt, wenn wir denken, sprechen oder schreiben, um »etwas« zu sagen, das noch nicht durch symbolische Tautologie ein »sprachliches Wesen«, sondern ein Sinn ist (oder aus mehreren Sinnregungen besteht). Wenn folglich der Sinn sich nicht so einfach in der Unschuld, dem Rausch oder der Stumpfsinnigkeit bildet – wenngleich auch das immer wieder geschieht –, weiß er sich zur Gefahr seines Abenteuers bereit. Anders gesagt, er weiß sich der Gefahr ausgesetzt, sich aufzulösen und abzusterben: halb-geöffnet im »Gestrüpp« der weltlichen Landschaft der ursprünglich verräumlichten Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, geöffnet durch das, was sich schon in diesem »Gestrüpp« durch den zeitigenden Abstand der Protentionen und der Retentionen verwebt, ruft er sich vor sich selbst nach einem bereits vernommenen Echo, aber meist, um sich ekliptisch zu verdecken, um sich zu »entfallen«. Und wenn er sich als ein Gefundener ergreift, dann um sich gleich wieder dem Abenteuer des Wiederfindens auszuliefern, und zwar indem er sich in dem »Gestrüpp« der außersprachlichen wilden Wesen* und der wilden sprachlichen Wesen* wiederfindet, die er erweckt/wiedererweckt hat, wobei er sie ins Spiel gebracht hat, um sich wiederum meistens gerade nicht darin wiederzufinden, und wenn doch, dann im geringsten Abstand zu dem, was er anfangs zu finden glaubte, was nun, wenn der Mut dazu vorhanden ist, die Wiederaufnahme von den recht abgeschwächten Erinnerungen/ Vorwegnahmen her erfordert, in denen noch der Schatten der Reminiszenzen und der Vorahnungen schwebt. Das bedeutet, daß nichts in diesem ganzen Abenteuer den Sinn seiner selbst a priori versichert, oder es bedeutet, daß es aus streng phänomenologischer Sicht keinen Sinn des Sinns gibt. Anders gesagt hat der Sinn selbst keinen anderen Sinn als die wahrhaft unendliche Freude, die Wonne seiner Entdeckung, aber auch den ebenso unendlichen Verdruß und die Angst seines Verlustes. Was wie ein Wunder an diesem Funken der Reflexivität aussieht, in welcher der sich auf sich selbst beziehende Sinn seine Selbstheit erschafft, ist zugleich das an dieser Selbstheit Verführerische, das auch im Rausch wie in der Angst in den Bann umschlagen kann, und zwar zunächst auf chaotische Weise. Der ursprüngliche Moment des Sprachlichen erweist sich darin als erhabener phänomenologischer Moment, daß er den Sinn dazu aufruft, sich in seiner Selbstheit zu fixieren und sich dadurch, auf besondere Weise, aus der Welt zu entwurzeln. Das ist ein Moment mit zwei Gesichtern, mit der Wonne seiner Begegnung und mit der Angst seines Verlusts. Hier kann der Rausch des In-der-Welt-Seins der
276 Faktizität in die Angst ihres In-der-Welt-Sterbens umschlagen, ihres Vergehens in die proto-ontologischen Tiefen des phänomenologischen Unbewußten. Das ist deswegen ein eigentlich erhabener Moment, weil er sich phänomenologisch in dem Vertrauen artikuliert, daß der Sinn als das, was seinen Sinn ausmacht, wieder zurückkehrt, also in der phänomenologischen Begegnung des Sinns, deren Sinn auch die Unschuld ist, worin seine phänomenologische Einzigartigkeit besteht. Und diese absolut nicht kausale Unschuld gilt auch für den symbolischen Stifter, in dem der Sinn in seiner Selbstheit sich reflektieren und sich in seinem Rätsel selbst erkennen kann, wobei er zugleich Gedächtnis und Vorwegnahme seiner selbst enthält. Aber das andere Gesicht der Begegnung ist die (symbolische) Verfehlung, der Kurzschluß dieses Moments, der den Sinn auf sich selbst stürzen, an seinen Rausch klammern, über sich selbst verkrampfen und dadurch sich durch seine Ausschließlichkeit aus der Welt entwurzeln läßt, wobei er durch diese Implosion der Zeitigung zur »Bedeutung«, oder feiner, wie wir jetzt verstehen, zum »Signifikanten« einer auf lange Zeit versunkenen Erfahrung sich verdichtet und wobei er die sprachliche Phase zum symbolischen Kondensat entgliedert, zu einem Implosionspunkt, zu einem phänomenologischen »schwarzen Loch«, das durch seine symbolische »Gravitation« die nun wieder unbestimmt gewordene Masse der außersprachlichen Weltphänomene und der sprachlichen Phänomene kennzeichnet. Wir erkennen an dieser »negativen« Seite des Erhabenen den »Moment« der Konstitution des symbolischen Unbewußten wieder und wir werden darauf zurückkommen. Wir finden also in dieser doppelten Gliederung der symbolischen Stiftung die zweifache Gliederung der Problematik der Verleiblichung des Sinns im Sprachlichen und in der Welt wieder. In dem Vorausgegangenen haben wir nur den verleiblichten Sinn in seiner Phänomenologie, den Sinn des Sprachlichen, den sprachlich vermittten Sinn der Welt und – auf gewisse Weise wiederum dadurch vermittelt – den Sinn von Welten betrachtet. Anders gesagt, wir haben unter der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché die sprachlichen Phänomene, in ihrer zweifachen Dimension wiederaufgenommen, und zwar in der »kultivierten« der mit Selbstheit des Sinns vollzogenen Reflexivität, und in der »wilden« einer ohne Selbstheit sich vollziehenden Reflexivität der Phänomenalität. Dabei ist die Phänomenalität selbst doppelt, denn sie ist sowohl Phänomenalität einer ursprünglichen Räumlichung gegenseitig transpassibler Sinnansätze, die über die nur im aufgehobenen Modus einsetzenden Zeitigungen hinausgehen, als auch Phänomenalität ursprünglicher Zeitigungen von Sinn, die ebenso gegenseitig transpassibel sind, in diesem Fall aber durch die Zeitigung, die darauf ausgeht, sich durch die ihr jeweils zugehörige Räumlichung zu vollenden. Dies hat uns auf die äußerste Unsicherheit des Sinns, auch des verleiblichten Sinns schließen lassen, und wir verstehen noch besser, wie die interfaktizielle Begegnung der Sinnregungen, indem sie die gegenseitige und gewissermaßen »longitudinale« Transpassibilität der Sinnregungen weckt, dazu beitragen kann, die nun wechselseitige Verleiblichung der Sinnregungen zu verstärken. Denn, wie wir gesehen haben, »longitudinale« Transpassibilität der Sinnregungen und »transversale« Transpassibilität der Sinnansätze verschränken sich unreduzierbar in jeder Phase der sprachlichen Gegenwärtigkeit. Das bedeutet, daß die interfaktizielle Begegnung der Sinnregungen ihrerseits dazu neigt, durch die Dephasierungen, die sie in eine als Ko-Präsenz zu bezeichnende Gegenwärtigkeitsphase induziert, die formalen sprachlichen Wesen* zu verleiblichen, welche die phänomenologischen »Zeichen« in ihr eigenes Innere hinein neu zerschneiden, und zwar nach dem, was schon die ontologisch-existentiale Möglichkeit eines Sinns der Sinnregungen wäre, in dem die Sinnregungen
277 sich verschränken. Die Verleiblichung des Sinns im Sprachlichen ist insofern immer mehr oder weniger gemeinschaftlich, aber sie ist nicht eindeutig, da nichts a priori die gemeinschaftliche Verleiblichung garantiert – nichts garantiert im Voraus die interfaktizielle Begegnung, selbst wenn ihre phänomenologischen Bedingungen der Möglichkeit immer schon da sind. Auch die »negative Seite« des Erhabenen vollzieht sich dabei, nämlich in der von uns so genannten »symbolischen Verfehlung«. Diese Situation ist nun zu analysieren, indem wir sie in den Zusammenhang mit der Tendenz zum ausschließlichen Solipsismus des sich bildenden Sinns bringen, mit der Entleiblichung und der kohärenten Verformung – die in ihrer Eigenbewegung zu erfassen wären – als deren »Effekte«. Wie ist phänomenologisch ein sich bildender Sinn zu fassen, der dazu neigt, sich über sich selbst zu verschließen, und welche phänomenologischen Motive führen sozusagen zur Trans-formation seiner Selbstheit zur Identität? Ein Sinn, der dazu tendiert, sich über sich selbst abzuschließen, ist insofern, als er sich von sich selbst her aus eigener Kraft zu fassen vermeint oder »Herr« seiner selbst zu sein glaubt, zumindest auf den ersten Blick ein lebendiger Sinn des Glaubens, seine konstitutive Schieflage reduziert zu haben, die aber Schieflage bleibt, verdreht, in der und durch die ihre Zeitigung/Räumlichung sich vollzieht. Er erweist sich also als lebendiger Sinn in dem Glauben, sich auf der Suche nach sich selbst getroffen zu haben, seine Koinzidenz erreicht zu haben. Nur ihretwegen scheint übrigens die Anordung seiner Zeichen, die nun keine phänomenologischen »Zeichen« mehr sind – denn diese sind eigentlich nur in der Schieflage und der Nicht-Übereinstimmung des Sinns mit sich selbst phänomenologisch – auf die Anordung der Wesen (Tatsachen, Eidè) hin transparent zu sein und mit ihnen übereinzustimmen, gemäß dem Glauben, daß sie gewissermaßen Glied für Glied entsprechen. Es wird also sichtbar, wie symbolisch dieser Glaube ist, wie sehr er von einer immer schon hergestellten symbolischen Stiftung herrührt, in der die spezifische Eigenart der Zeichen und der entsprechenden Wesen immer schon gegeben erscheinen muß, außerhalb jeden phänomenologischen Ursprungs, d.h. verhältnismäßig willkürlich. Diese Gegebenheit ist derart, daß alles, was dem entgeht, weil es daraus nicht hervorzugehen scheint, einseitig als »verwirrt« und »durcheinander« betrachtet wird, da es eben nicht erkennbar ist. Darin besteht jedenfalls eine der unmittelbar erscheinenden Wirkungen des Glaubens, den der Sinn im Inneren seiner eigenen Existenzmöglichkeit haben kann, daß er nämlich seinen konstitutiven Abstand, seine fundamentale Schieflage reduziert hat. Aber es handelt sich hier nur um einen Schein von Unmittelbarkeit, denn eigentlich handelt es sich um ein »Ergebnis« des Glaubens. In einem gewissen Sinn ist dieser nur deshalb symbolisch, als er in dieser Art von Koinzidenz mit sich selbst genau das gefunden zu haben vermeint, was er suchte – und wir wissen wegen der Verschiedenartigkeit der symbolischen Stiftungen, daß es eine Vielfalt von symbolischen Übereinstimmungen mit sich selbst gibt und daß es insofern eine große und selbst symbolische Illusion ist, zu glauben, daß die Logik, die ursprünglich aus der griechischen Sprache herausentwickelt wurde, absolut universell sei und die Gesamtheit aller möglicher menschlichen Gedanken umfassen könnte, wobei die anscheinend nicht in sie einfließenden ins Vorlogische oder Archaische verwiesen werden, während doch jedes Denken, jeder sprachliche Sinn a priori durch und durch Denken oder Sinn ist. Wollen wir in unserer phänomenologischen Analyse streng bleiben, so müssen wir die Übereinstimmung nicht als schon gegebene auffassen, als ob sie schon immer wüßte, worauf sie auszugehen hat, sondern als sich zu suchende, bevor sie sich zu erkennen glaubt. Wir können also nur von der phänomenologischen Masse des
278 Sprachlichen ausgehen, um dann aus dem Ansatz der Reflexivität in der Selbstheit des Sinns das herauszupräparieren, was sich zugleich auf die phänomenologisch illusionäre Suche nach der Übereinstimmung aufmacht. Alles hängt hier vom doppelten, grundsätzlich zwei-deutigen Status der formalen sprachlichen Wesen* ab, die zugleich Elemente der Verleiblichung des Sinns im Sprachlichen sind, weil sie die »longitudinalen« Referenzen von einem phänomenologischen »Zeichen« zum anderen bilden, und auch mögliche Nischen – für seine Entleiblichung, da sie das Sprachliche nur auf sich selbst in seinen proto-ontologischen Tiefen beziehen und es dadurch von den außersprachlichen Weltphänomenen absondern. Es ist, um nochmals daran zu erinnern, kennzeichnend, daß in diesem Kontext der logisch gestiftete Sinn in selbst-genügsamer Bedeutung dies in Korrelation mit den Regeln oder formalen Gesetzen (für Husserl: der rein logischen Grammatik) wäre, die wie das symbolische abstrakte Kondensat (das formal Invariante) aller a priori möglichen Logizitäten sind, die jede Verwurzelung in den sprachlichen Phänomenen verloren haben und von einer a priori formalen Ontologie herzurühren scheinen, welche an sich von der Welt unabhängig scheint, da sie sich in einem neuen Rahmen befindet oder in der Form eines »Filters« vorgestellt wird, der die Welt intelligibel macht. Es gibt da sehr wohl etwas wie ein Auslöschen der sprachlichen formalen Wesen*, da die Logik oder die rein logische Grammatik nichts mehr Zeitigendes hat, sondern im Gegenteil die Identität der Protentionen und der Retentionen und die Zeit als einzige Form der spiegelbildlichen Verdoppelung der Protentionen und Retentionen einschließt (s. den § 124 der Ideen I). Die Frage wird nun: was im sprachlichen Phänomen vermag zum Auslöschen der sprachlichen formalen Wesen beizutragen? Und welche Wirkung hat dieses »Auslöschen«, das, von einer anderen Seite her gesehen, niemals stattfinden kann, es sei denn in einer phänomenologischen transzendentalen Illusion? Die sprachlichen formalen Wesen* gliedern wie gesagt die Zeitigung des Sinns durch eine Gliederung seiner Schieflage. Wir müssen dies auch im buchstäblichen Sinn nehmen, weil diese Wesen* auch den Sinn auf die schiefe Bahn bringen, zur Verdrehung (pseudos: Verdrehung, Falschheit) seiner selbst, ihn in ein Abenteuer hineingeraten lassen, in dem er ständig Gefahr läuft, sich nicht wiederzufinden; und zwar weil der Sinnansatz, an den er sich in seiner Suche klammert eigentlich ein Ansatz mehrerer Sinnregungen ist, die gemäß der »Longitudinalität« der Zeitigung zueinander transpassibel (und transpossibel) sind. Diese »longitudinalen« Sinnansätze hallen überdies als Echo auf die »transversale« Sinnansätze wider, welche die symbolische Stiftung zur »Polysemie« der »Zeichen« verdichtet, die man aber als phänomenologische auffassen muß, da es sich jeweils um Sinnansätze handelt, d.h. um pulsierende Öffnungen auf die Zeitigung hin. Allerdings sind die wilden sprachlichen Wesen* eben nur insofern formal, als sie in der Zeitigung/Räumlichung des Sinns Sinnansätze ins Spiel bringen, die durch die Zeitigung hindurch transpassibel und noch nicht mit den Proto-Protentionen und Proto-Retentionen verwoben sind, die sich also nur in und durch die harmonische Abstimmung einbringen, die nun aber Protentionen und Retentionen verwebt. Das bedeutet, daß diese harmonische Abstimmung, immer schon und auch weiterhin im Abstand zu sich selbst, nämlich dem Abstand zwischen Protentionen und Retentionen, sich nicht »spiegelbildlich« über diesen Abstand hinweg mit sich identifiziert, weil er selbst in Schieflage, in Verdrehung mit sich selbst ist, wobei er schon in diesem Abstand formale sprachliche Wesen* ins Spiel bringt, die, wenn sie auch zu seiner Reflexion beizutragen, ihm grundsätzlich entgehen. Anders gesagt gibt es schon formale sprachliche Wesen* in
279 dieser Vorgängigkeit und Nachfolge des sprachlichen Schematismus bezüglich seiner selbst, d.h. Reminiszenzen und Vorahnungen dieses Schematismus mit ihren proto-ontologischen Tiefen. Irgendwie ist also das (unbestimmte, unendliche) »Ganze« des Sprachlichen schon darin enthalten und ein ebenso unbestimmter Teil dieses »Ganzen« wird nun in der Zeitigung/Räumlichung des sich bildenden Sinns ins Spiel gebracht. Das bedeutet, daß die Einführung der Zeitigung/Räumlichung nicht von einem Nichts ausgeht, sondern daß sie sozusagen immer nur die immer schon und auch weiterhin durch die formalen Wesen* ausgeworfenen Angeln ergreift – nämlich die transzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen des unbegrenzt »Ganzen« des Sprachlichen in der sprachlichen Phase. Die Initiierung der Gegenwärtigkeitsphase des Sprachlichen enthält also einen unreduzierbaren Anteil an phänomenologischem Unbewußten des Sprachlichen, der auf die Verwebung der Protentionen und Retentionen hin öffnet und der so von der Trans-passibilität her darüber entscheidet. Und gerade dadurch entscheidet er über die ontologisch-existentiale Möglichkeit des Sinns. Es gibt also im Hintergrund der Zeitigung/Räumlichung der Protentionen und der Retentionen transzendentale sprachliche Reminiszenzen und Vorahnungen, die auf ihre proto-ontologischen Tiefen hin geöffnet sind, ohne in den Protentionen und den Retentionen wieder aufgenommen zu werden, also proto-ontologische und nicht-teleologische Horizonte des Sprachlichen sind. Das bedeutet daß die formalen sprachlichen Wesen in der Zeitigung/Räumlichung wirken, ohne darin reflektiert zu werden, und zwar während der ganzen Gegenwärtigkeitsphase, solange in der Zeitigung die Verwebung der Protentionen und Retentionen dauert, also ohne daß sie sozusagen schon »alle« von Anfang an darin enthalten wären. Die Transpassibilität des sich bildenden Sinns zu den anderen »longitudinal« ansetzenden Sinnregungen ist vielfältige Transpassibilität. Dies stellt für den Sinn allmählich eine Drohung zum Abgleiten dar, je weiter er sich bildet, es droht eine andere Verkettung der phänomenologischen »Zeichen«, die in sich auch »transversale« Sinnregungen tragen, die immer die »longitudinale« Transpassibilität zu wecken vermögen. Die zeitigende/räumlichende Gliederung des Rhythmus im Sinn bildet sich also in allmählicher, »taktartiger« Form, indem er formale sprachliche Wesen* allmählich ins Spiel bringt, wobei sozusagen deren Gipfelkette der Verwebung im Abgrund die sich im Riß oder Logos vollziehende Verwebung der Protentionen und der Retentionen ist. Anders gesagt: man muß die Zeitigung/Räumlichung in ihrem Verlauf sehen, in ihrer Bewegung, die sich zwar irgendwie kennt, aber doch vor allem abenteuerlich ist, weil sie nicht im Voraus weiß, welchen »Zufällen« der »longitudinalen« Transpassibilität sie begegnen wird, d.h. welche proto-ontologischen Verkettungen im Abgrund von wilden und formalen sprachlichen Wesen* sich ohne ihr Wissen bilden werden und dabei die Gefahr ihres Abgleitens mit sich bringen. Dabei wäre allerdings unsere Ausdrucksweise noch zu verfeinern, da die proto-ontologischen Verwebungen streng genommen keinen Sinn haben und die abgründige Verwebung der wilden Wesen* immer nur proto-räumlichend/proto-zeitigend ist. Zu denken wäre also, wie der sich allmählich Schritt für Schritt bildende Sinn auf der Gipfelkette der Verwebung der Protentionen und Retentionen gewissermaßen tangential und im Grunde unbewußt eine abgründige Verwebung der sprachlichen formalen Wesen* berührt; wie also das Abenteuer des Sinns auf der Suche nach sich selbst zugleich unter der Hand eine Art von blindem Abenteuer der Proto-Ontologie ist. Im Vorangegangenen haben wir etwas vernachlässigt, das mit den Proto-Protentionen/Proto-Retentionen zusammenhängt – zur Erinnerung: dies sind weltliche wilde
280 Wesen*, mit denen sich die sprachlichen wilden Wesen* verklammern, um sich in ihnen zu verleiblichen und sie zu »kolonisieren« – daß nämlich aus dem Inneren der phänomenologischen Masse der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen die sie in Protentionen und Retentionen umwandelnde harmonische Abstimmung nicht auftauchen kann, ohne schon von sich aus die wilden, aber formalen sprachlichen Wesen* einzusetzen. Wenn also gewissermaßen die harmonische Abstimmung immer schon und auch weiterhin von sich selbst abweicht, dann auf wilde Weise auch wegen der sprachlichen formalen Wesen* – wegen der Transpassibilitätsspuren des Abstands des sprachlichen Schematismus zu sich selbst, wobei es sich aber dabei um Spuren handelt, die diesmal durch die »Longitudinalität« der sich gerade initiierenden Zeitigung »polarisiert« wurden. Anders gesagt, die Harmonien zwischen ProtoProtentionen und Proto-Retentionen »regeln« sich nach den sprachlichen formalen Wesen*, die als sprachliche Reminiszenzen und Vorahnungen sie ineinander übertragen, sie an den Rändern einer Proto-Gegenwärtigkeits-Phase verweben, am Ansatz einer Gegenwärtigkeits-Phase, in der das sich als Protentionen Ankündigende noch unmittelbar in das sich als Retentionen Ankündigende umschlägt (und umgekehrt), wo sozusagen die Versprechen noch unmittelbar in die Anforderungen umschlagen (und umgekehrt), und zwar in einer derartigen Schnelligkeit, daß man an die Augenblicklichkeit einer »Erleuchtung« glauben möchte. Diese bezieht sich also zuerst durch die ihr innewohnenden sprachlichen transzendentalen Reminiszenzen/Vorahnungen auf sich selbst, und diese setzen die bereits angesprochene Umkehrung des Proto-Zeitlichen zum Zeitlichen an. Es gibt also keinen »Riß« – des sich selbst »erleuchtenden« Geistesblitzes – ohne diese ganz formale Weise der harmonischen Verwebung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, was auch einschließt, daß die harmonischen Abstimmungen a priori vielfältig sind, wobei sie diesmal auf die »longitudinale« Transpassibilität der gegenseitig transpassiblen Sinnregungen hin öffnen. Alles geschieht nun, als ob der Sinn, nachdem er in seiner Erleuchtung für eine außerordentlich kurze Zeit und in einem außerordentlich winzigen Raum pulsierte, nichts anderes mehr zu tun hätte, als sich wieder einzufangen um sich wiederzufinden, wobei er zur (phänomenologisch-transzendentalen) klassischen Illusion einer augenblicklichen, außerzeitlichen Erleuchtung die Illusion der Idee hinzufügt, die streng von ihrem Ausdruck getrennt ist, der allein den Wechselfällen der Zeit unterworfen sein soll. Diese phänomenologische blitzhafte Apperzeption läßt uns allerdings besser erfassen, was in der Zeitigung/Räumlichung des Sinns geschieht. Denn das sich in der Erleuchtung Erfassende und schon Reflektierende ist nämlich die sich über den Abstand hinweg vollziehende harmonische Abstimmung selbst – wobei diese sich gemäß der sich nun abzeichnenden ontologisch-existentialen Möglichkeit ergreift, die dabei im Zustand der Möglichkeit bleibt. Aber in der zeitlichen Umkehr, aus der die Protentionen und Retentionen entstehen, erfaßt sie sich dabei als die Retention einer bereits stattgefundenen Erleuchtung, die in diesem retentionalen »Bereits« das Versprechen von etwas Älteren enthält, das von den Protentionen her noch kommen soll. Anders gesagt: die begriffslose Reflexion der harmonischen Abstimmung konstituiert den phänomenologischen Gehalt der Retentionen und Protentionen, und zwar so, daß streng genommen nicht mehr die Abstimmung selbst sich suchen muß, sondern schon die Reflexion der Abstimmung, d.h. die interne Verdoppelung oder Reflexion der Retentionen und Protentionen. Die Zeitigung/Räumlichung des Sinns bildet sich nur als bereits, aber zu schnell gebildete Zeitigung/Räumlichung und als noch, aber langsamer zu leistende, eher der Langsamkeit angemessen, die ihn entkommen
281 ließ. Oder auch, in Kohärenz zu dem bereits Gesagten: die harmonische Abstimmung sucht, also reflektiert sich nur in dem Maße weiter, als sie sich immer weiter selbst als reflektierte vorausgeht und folgt, d.h. schon Protentionen und Retentionen verwebt. Ihre Verdoppelung bedeutet, daß das an Retentionen und Protentionen im sich bildenden Sinn Enthaltene schon ein Komplex von Retentionen und Protentionen ist. Auch damit wird zu denken versucht, daß das Denken in verschiedenen Geschwindigkeiten gleichzeitig verlaufen kann, zugleich schneller und langsamer als es selbst. Diese ganz entscheidende neue Vermittlungsform klärt beträchtlich die Situation, da sie klarer macht, in welchem Sinn die sprachlichen formalen Wesen* sozusagen immer schon und auch weiterhin die harmonische Abstimmung »strukturieren«, und zwar zwiefach: einerseits als harmonische Abstimmung, andererseits als reflektierte harmonische Abstimmung, wobei diese in erster Linie in ihrer Wildheit an den pulsierenden Säumen des Bewußseins (con-science) reflektiert wird. Streng genommen ist dies allerdings nur der doppelte Aspekt der gleichen Sache, da es keine harmonische Abstimmung gibt, die nicht – begriffslos – reflektierend wäre, und, was den wilden Teil ihrer selbst angeht, immer schon reflektiert und immer noch zu reflektieren ist. Das Eigentümliche, könnte man sagen, der sprachlichen formalen Wesen* liegt darin, durch ihren proto-räumlichenden/proto-zeitigenden Abstand, also auf wilde Weise, den harmonischen Abstand zu sich selbst zu distanzieren und ihn dadurch auf das Abenteuer seiner Reflexion zu öffnen. Anders gesagt, die wilde und proto-ontologische Dimension des Sprachlichen ist im Abstand dieser Distanzierung enthalten, die allerdings schon Distanz im Abstand war. Nicht etwa weil der harmonische Abstand sich als das zu reflektieren beginnt, was bereits reflektiert war und noch zu reflektieren ist, hört das Wirken der sprachlich formalen Wesen* auf, ganz im Gegenteil. Diese Einbindung der Reflexion in die Reflexion bedeutet nämlich auch – was ihren wilden Teil angeht, der sie sozusagen unaufhörlich begleitet – die Verflechtung der formalen Wesen* ineinander, bedeutet die Zeitigung/Räumlichung nicht nur der phänomenologischen konkreten Gehalte der Protentionen und der Retentionen, sondern auch der unbewußten, da unreflektierten Fetzen von sprachlichen »Logizitäten«, wobei diese gewissermaßen in die Zeitigung/Räumlichung ohne deren Wissen hineingezogen werden. Diese Fetzen sind also dabei nicht etwa wie leere Rhythmen von Leerem miteinander verkettet, sondern durch Über-lagerung und Über-bestimmbarkeit des un-endlichen sprachlichen Schematismus in einer bestimmten schematischen sprachlichen Phase, wobei sie zu den passiven Synthesen zweiten Grades beitragen, indem sie die phänomenologischen »Zeichen« neu zerschneiden – und zwar diesmal »longitudinal«, insofern die phänomenologischen »Zeichen« in ihrer Zeitigung verräumlicht werden. Dieses Zerschneiden ist eigentlich nichts anderes als das der bereits vollzogenen Verwebung der Protentionen und Retentionen über ihren Abstand hinweg in der Erleuchtung. Oder es ist vielmehr das Zerschneiden in Protentionen und Retentionen des Komplexes, der schon durch die bereits einsetzende Verwebung der Retentionen und Protentionen zurechtgeschnitten ist und schon in der Erleuchtung wirkt, und zwar durch Betätigung der sprachlichen formalen Wesen im Rücken der Zeitigung/Räumlichung: diese Betätigung ist sicher selbst schon, aber nicht ganz, »programmiert« und »in-grammiert«, und zwar außerhalb der Reflexion durch die formalen Wesen, die in der reflektierten harmonischen Abstimmung in der Erleuchtung mitspielen. Die ganze Schwierigkeit der phänomenologischen Analyse besteht hier darin, daß wir den Rhythmus der Zeitigung/Räumlichung des Sinns erfassen müs-
282 sen, während er doch mittels der positiven Termini, die uns ja nur durch die auf Distanz bleibende symbolische Stiftung geliefert wurden, unanalysierbar ist – genau wie bekanntlich der musikalische Rhythmus, der auch Rhythmus der Zeitigung/ Räumlichung und nicht nur Taktschlag ist, nicht in auf Noten und Taktstriche bezogenen Termini analysierbar ist, sondern nur »interpretiert« werden kann. Die formalen Wesen* haben also nur entfernt etwas mit dem zu tun, was man als die vielfältigen Beziehungen zwischen linguistischen Zeichen auffassen könnte. Hier ist wiederum alles in Bewegung zu erfassen. Und vor allem in der phänomenologischen Bewegung der phänomenologischen »Zeichen« als Sinnfetzen, die als solche zu verstehen sind, die sich jedesmal original zuschneiden gemäß des sowohl »transversalen« als auch »longitudinalen« Überschusses des unendlichen sprachlichen Schematismus, der über eine bestimmte »abgeschlossene« Phase seiner selbst hinausgeht. All dies erlaubt, aber anders, die phänomenologische transzendentale Illusion wieder aufzunehmen, in welcher durch den sich reflektierenden Sinn in seiner ausschließlichen Selbstheit der Abstand zu seiner konstitutiven Schieflage einer Reduktion unterzogen wird. Eine ähnliche Illusion verbindet sich in der Tiefe mit zumindest einem Teil der symbolischen Stiftung, insofern sie wegen der für die Zeitigung/Räumlichung vorausgesetzten Implosion auf den Glauben zurückgreift, die für außerzeitlich gehaltene Idee könnte mit den Mitteln eines ja selbst »zeitlichen« Ausdrucks, dem man aber zutraut, ihr adäquat zu sein oder auf sie wie auch immer auf angemessenen Wegen zurückzuführen, voll in Besitz genommen werden. Die dabei auftretenden, nicht zu vernachlässigenden Probleme sind sowohl solche der Verwandlung, der sich die formalen Wesen zu unterziehen drohen, als auch solche der daraus hervorgehenden Entleiblichung des Sinns bezüglich des Sprachlichen und der Welt. Die Illusion der Abstands-Reduktion, durch die der Sinn sich selbst zu besitzen glaubt, entspringt dem Glauben, daß die bereits in der Erleuchtung reflektierte Abstimmung mit sich selbst identisch ist, und daß sein Sinngehalt nicht etwa ihm aus der ihm Sinn gebenden Schieflage herkommt, sondern von seiner Identität her, was natürlich die phänomenologische Situation völlig auf den Kopf stellt. Dazu paßt, daß dabei die Retentionen und Protentionen der Erleuchtung nun einen identischen Inhalt haben, nämlich das, was sich so in Idee verwandelt hat, und daß nunmehr die Zeit und sogar die Zeitigung nur noch Wiederholung des Augenblicks ist, in dem die Idee aufleuchtete. So scheint sich die Zeitigung von der Gegenwärtigkeit des Augenblicks her zu bilden, mit dem unerklärlichen – und daher allein phänomenologisch analysierbaren – Korrelat, daß der Augenblick sich durch die passiven Synthesen immer schon und auch weiterhin in Retentionen und Protentionen auflockert. Das geht bis zur Reflexion des Sinns, womit diese dann einen anderen Anschein gewinnt: sie wandelt sich von einer begriffslosen teleologischen Reflexion des Sinns für sich in eine abstrahierende – identifizierende – Reflexion der Idee: die Erleuchtung, die eigentlich durch den räumlichenden Abstand in ihrem räumlichenden Abstand von sich selbst distanziert wurde, wird Idee, die als immer schon und auch weiterhin verdoppelte sozusagen nicht mehr verlangt, als sich in ihrer Reflexion zu identifizieren. Das Rätsel ist, daß genau da das Sprachliche als geeignetes Mittel dieser Identifikation eingreift, das damit offensichtlich zugleich auf seine Weise das geeignete Mittel dafür ist, die phänomenologische Zeitigung/Räumlichung zu vernichten. Das bedeutet, daß eine solche fungierende Sprache dies nur erreichen kann, wenn es ihr gelingt, sich mit sich selbst zu identifizieren, und genau das ist das Mittel ihrer symbolischen Stiftung, die sie nur hinsichtlich dieser Identifizierung fixiert, aber vermutlich gemäß einer äußerst verwickelten »Strategie« der symbolischen Stiftung, die
283 nun zu erkunden ist. Diese Identifikation ist nun wirklich widersprüchlich, sie geht in die entgegengesetzte Richtung des Sinns der Erleuchtung und läuft Gefahr, sich zu verlieren, da eine sprachliche Phase, die sich durch eine abstrahierende Reflexion mit sich selbst identifiziert, nur noch ein willkürliches Zusammenwürfeln von Zeichen wäre, die durch nicht weniger willkürliche Beziehungen miteinander verbunden wären – was die strukturale Linguistik fast »entdeckt«, allerdings nur fast, weil sie sich doch nicht unter völligem Absehen von der Semantik konzipieren kann, welche sie in einer Semiotik der »Wirkungen« des Sinns einzufangen versucht. So ist die symbolische Stiftung des Sprachlichen nichts anderes als sozusagen die Stiftung des Identifikationsaspekts, mit dem Gegenpart, daß eine solche Identifikation in Wirklichkeit niemals zum Ende kommt, weshalb die symbolische Stiftung eigentlich immer nur Bewegung zur symbolischen Stiftung hin ist, also eine unabgeschlossene und noch von Phänomenologie durchzogene Bewegung, was einer Teleologie neuen Stils folgt, die wir symbolische Teleologie nennen und dem nahe kommt, was Kant in seiner dritten Kritik beim Einbringen der Zweckmäßigkeit die »logische Teleologie« nannte. Das Besondere der abstrahierend identifizierenden Reflexion liegt in der Tat darin, gewissermaßen durch Übergehung sich selbst vorauszugehen und zu folgen, d.h. sich in Begrifflichkeit zu verwandeln (oder in »Bedeutung« im Husserlschen Sinn), deren Referenz in der Idee gegeben sein soll. Diese Eigenschaft macht den Begriff phänomenologisch zur transzendentalen Illusion der Idee oder zur Idee der Idee als einer immer vorausgesetzten Identität der Idee mit sich selbst. Anders, in architektonischen Termini ausgedrückt, findet eine Verwandlung von der transzendentalen Illusion zur »regulativen Idee« statt. Dabei wird in der transzendentalen Illusion die Idee dadurch, daß in ihr die Horizonte der Zeitigung/Räumlichung der Erleuchtung implodierten oder kurzgeschlosssen wurden, zur ewigen, die seit immer und auf immer mit sich identisch ist, und damit auch konstitutiv für ein Sein, das als solches unabhängig vom Sprachlichen ist – genau das konstituiert einen Teil der Grundlagen der symbolischen Stiftung der klassischen Metaphysik. Diese Illusion wandelt sich nun zur »regulativen Idee« sobald sie zum Begriff einer Identität umschlägt, die ja eigentlich erst gemäß der Bewegung der symbolischen Stiftung zu suchen wäre. Dieser Begriff ist phänomenologisch nicht sprachlich, sondern schon symbolisch, insofern er den symbolischen Horizont einer symbolischen Stiftung ausmacht, die auf der Suche nach sich selbst ist, also einer sich bildenden symbolischen Stiftung, wie wir es in Phénoménologie et institution symbolique genannt haben. Nun erscheint der Begriff tatsächlich als die arché und das telos des Sprachlichen, und zwar als vom Sprachlichen geleistete Suche nach dem Nachweis, daß die Idee als Wesen und Seiendes mit sich selbst identisch ist. Die Zweckmäßigkeit ist dabei die prinzipiell unauflösbare Spannung zwischen arché und telos, die – wie Kant sich ausdrückte – Gesetzmäßigkeit des Zufälligen, denn nur dadurch kann dem Kontingenten – d.h. hier dem Phänomenologischen – der Anschein verliehen werden, die Idee darzustellen, seit und auf immer für die Idee da zu sein, die ihm immer schon vorausgeht und ihm immer noch folgt. Anders gesagt unterstützt der Begriff die abstrahierende Reflexion der Idee, da er deren Idee ist, aber er erfüllt sie nicht. Um sie zu erfüllen, muß er eine Verdrehung des Sprachlichen veranstalten, für die nun genau die symbolische Stiftung steht. Das bedeutet: diese Erfüllung scheint sich nur in der symbolischen Identität zu besitzen, aber durch die Implosion der Zeitigung/Räumlichung aus der Welt entwurzelt, d.h. außerweltlich und entleiblicht, und ihr »Ausdruck«, der sprachlich adäquat sein soll, ist ebenso außerweltlich und entleiblicht. Onto-logisch, also Logik
284 der Welt, scheint das Logische immer nur von einer idealen Welt zu sein, welche die Welt und die Welten wie deren Phantom, deren »Hinterwelt«, verdoppelt, ebenso wie das Sprachliche, das dabei nur mehr ein blutleeres »System« von Syntagmen von abstrakten sprachlichen Wesen zu sein scheint. Es bleibt aber festzuhalten, daß das Zusammentreffen mit sich selbst der Selbstheiten von Begriff und Idee, das in der symbolischen Tautologie zugleich das Zusammenfallen von Begriff und Idee ist, niemals gegeben ist. Dies besteht nur illusionär im blinden Teil des symbolischen Glaubens, der mit der symbolischen Stiftung einhergeht. Anders gesagt kann die symbolische Stifung nicht von ihrem Begriff gelöst werden, der sie auf ihre eigene, und zwar symbolische Ausarbeitung – die Kultur – hin öffnet. Eine symbolische Stiftung, die sich in ihrer Identität zu besitzen glaubt, verkommt zum symbolischen Gestell, in ein »System« oder »Dispositiv« von »Formeln«, die in Wirklichkeit leer und leiblos sind, aber damit nicht auch schon, wir werden darauf zurückkommen, körperlos, ganz im Gegenteil. In dem uns beschäftigenden Fall – wir müssen darauf ganz elementar zurückkommen – ist dieser Begriff ganz im Umschlag der phänomenologischen Situation enthalten, der es möglich macht, sie von der Identität der Erleuchtung als Idee her wieder zu betrachten. Es ist ein Moment, welcher dem von uns bereits hervorgehobenen Berauschen des Sinns an sich entspricht, ein Rausch, sich zu besitzen, der die sich reflektierende Selbstheit des Sinns in Identität wandelt, die vermeintlich vom Begriff, der Idee besessen wird. Dieser Moment enthält etwas, das phänomenologisch einem »Überschuß an Geschwindigkeit« des Denkens entspricht, der im Kurzschluß der Zeitigung/Räumlichung die Erleuchtung verfrüht mit sich selbst identifiziert, um sich im Nachhinein, aber in einem vom Vornherein unlösbaren Nachhinein, als der nach-gereifte Effekt dieser Verfrühung wiederzufinden. Anders gesagt: der Begriff der abstrahierenden Reflexion ist nichts anderes als Sprachliches, das im Nachhinein durch den Kurzschluß implodiert und im Nachhinein durch denselben Kurzschluß explodiert ist, was nun ganz genau wieder zusammengesetzt werden muß, damit es die Identität der Idee herausstellen kann. Der Begriff als arché ist also implodiertes Sprachliches und der Begriff als telos ist die Reparatur der Schäden, die das Sprachliche in der unmittelbar auf die Implosion folgenden Explosion zu erleiden hatte. Auf weniger metaphorische Weise ist der Begriff der Identität nichts anderes als die Erleuchtung – eine schon reflektierte harmonische Abstimmung in der Verwebung der Protentionen und der Retentionen – als solcher, die sich durch dieses »als« mit sich identifiziert, noch bevor sie die Zeit gehabt hätte, sich zu suchen und zu versuchen, sich wiederzufinden, und man darf sagen, daß wir nur wegen dieses Kurzschlusses davon sprechen können, was nicht bedeutet, daß wir blinde »Opfer« seiner Illusion sind. Denn seine innere Schieflage wird, wie wir gesehen haben, durch nichts anderes als die sprachlichen formalen Wesen* gebildet, die den Abstand als harmonische Abstimmung gliedern, die dabei von sich selbst unter-schieden ist. So ist die verfrühte Identifikation der Erleuchtung in dem An-Sich der Idee zugleich wegen ihrer Abstraktion Kurzschluß der sprachlichen formalen Wesen*, die darin als ihre sprachlichen Reminiszenzen und Vorahnungen spielten. Eben deswegen erscheint uns die Idee nicht als sprachlich Seiendes, sondern scheint dem Außersprachlichen anzugehören, oder aus symbolischer Perspektive dem Meta-Sprachlichen, d.h. aus klassischer Sicht: dem Sein. Aber in der gleichen Bewegung macht uns unsere kritische Wachsamkeit darauf aufmerksam, daß die Idee unlösbar von ihrem Begriff ist, d.h. von ihrer Frühreife, und daß mit der Implosion des Sprachlichen dabei auch die sprachlichen formalen Wesen* implodiert sind, mit dem An-
285 schein von Exklusivität der Idee im Bruch mit jeder Transpassibilität (und jeder Transpossibilität). Diese haben sich dabei aufgelöst wie in einer Art »schwarzem Loch«, wobei sie aus ihrer Abwesenheit ein »eidetisches Gravitationsfeld« »schaffen«, in dem die Idee von ihrer eigenen ontologischen Existenzmöglichkeit her das ganze Feld des Denkbaren polarisiert, oder vielmehr für sich allein zu polarisieren scheint. So sieht die von der Idee erzeugte Trunkenheit aus, die ins Delirum umschlagen kann, wenn die Idee, wie man sagt, zur »idée fixe« wird, ein wahrhaftes Loch, abgründige Undurchsichtigkeit in der Schneise des phänomenologischen Feldes, in der die Selbstheit des Sinns in den Wirbel der Identität gezogen wird. Also eine durch eine Art von phänomenologischer Katastrophe in die Phänomenalität gerissene Lücke, wovor die symbolische Stiftung auch schützen kann. Denn diese, wie wir schon im Vorübergehen aufgewiesen haben, zielt darauf ab, die Schäden der Katastrophe zu reparieren, indem sie in der gleichen Bewegung das Sprachliche »neu zusammenstellt«, um die Identität der Idee zu erweisen, die nun auf Distanz gehalten werden soll. Die Katastrophe, von der wir eben gesprochen haben, ist in Wirklichkeit der Grenzfall der Psychose, aber auch bei solchen Grenzfällen geht sie nie bis an ihr Ende. Auf die Implosion folgt, wie gesagt, im allgemeinen eine Explosion, und zwar als Widerhall auf die Auflösung der sprachlichen schematischen Kette, die, indem sie die Implosion in der Distanz des immer noch nicht Vollzogenen hält, sich von daher neu zu formieren sucht. Zu verstehen gilt im Grunde, daß diese Neuformierung sich nur aus dieser sehr merkwürdigen Art Gedächtnis einer Imploson her vollzieht, die nicht stattgefunden hat, die nicht die Sinnregungen begrifflich identifiziert und nicht die Trümmer der Selbstheiten der Verlassenheit eines nunmehr monotonen Fließens der reinen Zeit ausgeliefert hat. Zu verstehen ist also, daß die Idee als Identität eines »An-Sich« nur ein Sinnabbruch ist, der nicht notwendig in dem, was trotz allem phänomenologisches Feld bleibt, weiterlebt – wenngleich es dergleichen im symbolischen Unbewußten gibt, worauf wir noch zurückkommen werden. Zwar ohne notwendiges Morgen, aber deswegen nicht gleich wirkungslos, denn dieser Abbruch verlangt nun sprachlich eingefangen zu werden, aber nach-gereift, d.h. immer schon zu spät. Zumal die an den sprachlichen Phänomenen verursachten »Schäden« eigentlich unreparierbar sind. Diese »Schäden« können an dem gemessen werden, was die Implosion der Zeitigung/Räumlichung während der Verwebung der Protentionen und Retentionen in die Erleuchtung eingeführt hat, deren Idee Identifikation mit sich ist. In dem Maße, in dem diese Identifikation im Begriff bewirkt, daß die Erleuchtung aus den sprachlichen formalen Wesen*, die dann implodieren, entwurzelt wird, implodieren auch diese Protentionen und Retentionen, die ja nichts anderes sind als durch die harmonische Abstimmung verwobene Proto-Protentionen und Proto-Retentionen (wobei es sich um eine Verwebung der weltlichen wilden Wesen*, die durch die sprachlichen Wesen* in Sinnansätze aufgefächert wurden, handelt, um Matrizen der Polysemie der phänomenologischen »Zeichen«). In einer solchen Implosion fallen also die Protentionen und Retentionen der Erleuchtung in sich selbst zusammen, indem sie die harmonische Abstimmung kurzschließen, bis sie sich vermengen und die ProtoRetentionen und Proto-Protentionen verschmelzen. Das ist nun das einzige, was von der Katastrophe übrig bleibt, also das, was wir unter der Explosion verstanden haben, die unmittelbar der Implosion folgt, also die Dissemination der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen in Zeichen (diesmal ohne phänomenologische Anführungsstriche), die als wilde weltliche Wesen* nicht so sehr in der Schieflage ihrer ursprünglichen Räumlichung durch die sprachlichen wilden Wesen* aufgefächert, als
286 vielmehr in offensichtlicher Willkür durch eine ursprüngliche Polysemie geschichtet sind, die bekanntlich für Derrida der eigentliche Grund der »Dissemination« ist. Anders gesagt, nachdem das Sprachliche als Schematismus unkenntlich geworden ist, scheint es das »Ganze« heimzusuchen, indem es in ihm explodiert, da nun »alles« Zeichen geworden ist, oder zumindest dazu tendiert. Durch diese wahrhaft kohärente Verformung verwandeln sich also die phänomenologischen »Zeichen«, die in der Faktizität des sich bildenden Sinns jeweils kontingent oder faktiziell sind, in Zeichen, oder: alles kann, gemäß dem mehr oder weniger großen Grad der (architektonischen) Nähe zur Katastrophe zum Anlaß des Wahns werden. Wir sind in einem »Reich der Zeichen«, wo alles X-Beliebige möglich ist, je nach der Willkür des Ablaufs, der wegen der Auflösung der Transpassibilität unerbittlich wurde und der jede Resonanz außer der willkürlich durch die semiotischen (»ontischen«) Möglichkeiten geregelten ausschließt. Denn die Zeichen sind nur mehr in den Systemen der Kompossibilitäten, die sie zu konstituieren scheinen, Möglichkeiten von Identitäten und Identifkationen und werden wie Werkzeuge dafür gebraucht, wobei sie zwischen der Vorhandenheit* von durchweg kombinierbaren Möglichkeiten und der Zuhandenheit* im Gebrauch zum Zweck der Identifikation schwanken. Sie scheinen beliebig zur Verfügung zu stehen. Dies ist deshalb der Fall, weil sie sich gleichermaßen als weltliche und als sprachliche Wesen zu »verdinglichen« scheinen, unter Aufhebung der Unterschiedenheit zwischen beiden, was nur dann zum Parallelismus wird, wenn die Wesen sich neu verketten, wobei sich das sprachliche Phänomen wieder ins Spiel bringt und damit die Suche nach dem Sinn, welche die Schieflage wieder in die vom Sprachlichen gestifteten Zeichen einschreibt. Es handelt sich dabei um eine wechselseitige Schieflage, also nicht nur, wie die Strukturalisten zu sagen beliebten, um eine Schieflage der signifiziernden Kette im Verhältnis zur signifizierten Kette, sondern auch der bedeuteten im Verhältnis zur bedeutenden, und zwar nach dem, was aus den sprachlichen Phänomenen den sich schematisierenden Chiasmus zweier außersprachlichen Phänomene macht – sprachliche Kette und Kette der Phänomene. Davon sind wir ja in Phénomènes, temps et êtres ausgegangen. Das soll im gegenwärtigen Zusammenhang genauer heißen, daß als erster Effekt des Umsetzens der Idee ins Sprachliche zum Zwecke des Aufweises ihrer Identität ihre Zeichen »longitudinal« unter-schieden werden, und zwar gemäß der Form der Zeit als einer Form der mit seinen Protentionen und Retentionen versehenen Gegenwart – wobei es sich um die Anwesenheit der »gegebenen«, also wie ein »Präsent« geschenkten Zeichen handelt. Und das »Wunder«, dessen phänomenologische Motive wir nun verstehen, liegt darin, daß diese einfache Unter-scheidung der Zeichen genügt, um ihre »Polysemie«, also auch ihre sowohl »longitudinalen« als auch »transversalen« Verwebungen wieder ins Spiel zu bringen. Darin liegt der Grund, weswegen die symbolische Stiftung nicht eo ipso »verrückt« macht, sondern zugleich vor dem Wahnsinn schützt, aus dem sie in gewisser Hinsicht hervorgeht, weil sie ihn gewissermaßen gleich wieder »verdrängt« hat – die Freudsche Verdrängung, wir werden darauf zurückkommen, ist zweifellos nicht so sehr Verdrängung des symbolischen Unbewußten als vielmehr die in der Neurose vollzogene Verdrängung der Psychose. Aber wenn dem so ist, dann bedeutet das letztlich, daß es keinen adäquaten Ausdruck der Idee gibt, sondern nur das Streben danach. Und bei näherer Überlegung ist dem wohl so, denn der passende Ausdruck, die logische Aussage als einer zur Wahrheit oder Falschheit fähigen (Aristoteles), geht eigentlich nicht über das Platte
287 hinaus, da er nur der tautologische Ausdruck eines eidetischen »Sachverhalts« oder einer von den Umständen abhängigen »Tatsache« ist: das sind nur wegen ihrer Plattheit bemerkenswerte Grenzfälle, wobei der sprachliche Ausdruck, um ebenso unzeitlich wie die Idee zu scheinen, ausgerechnet vermittels seiner Zeitigungsbedingungen sich schließlich im logischen Satz* zu Grunde richtet, (dessen unzeitliches An-Sich Bolzano sicherlich als erster gefordert hat). Das sind Grenzfälle einer logisch-eidetischen oder ontologischen »Erkenntnis« von äußerster Armut, da sie sich auf die eselhafte Wiederholung ihrer eigenen Tautologie beschränkt, die kein Wunder zuläßt, es sei denn vielleicht die vollendet scheinende Illusion der aufgehobenen sprachlichen Schieflage, in jenen seltenen tangentialen Berührungspunkten mit dem vermuteten Sein oder »Realen«. Das interessiert nun überhaupt nicht das menschliche Leben, zumindest außerhalb der Akademien. Die Aufhebung des Abstands, wodurch sich die Zeichen in einer Glied für Glied gültigen Adäquation einfach nur in Signifkanten und Signifikate teilen – eine Aufhebung, die für die vermeintlich eindeutige nominale Referenz kennzeichnend ist – vollzieht gleichzeitig die Vernichtung des Sinns und die Auflösung der Selbstheit des Sinns zugunsten der Identität. Alles im menschlichen Leben Sinnbildende oder seinen Sinn Suchende ist daraus ausgeschlosssen. Das soll nicht heißen, daß er nicht in der symbolischen Identität der Ideen gesucht werden könnte: aber diese Suche, schon das Werk Platons zeigt es, ist unendlich, selbst wenn sie sich in ihrem Begriff, aber nur in einer Hinsicht, immer schon besitzt. Hätte die klassische Philosophie sich damit verwechselt, nur auf die Adäquation aus sein zu müssen, dann wäre sie schnell zu simplen »Kuriositäten« oder »Sprachspielen« abgetrieben. Das beweist, daß ein solches Streben der die symbolische Institution ausmachenden Identität sich niemals erfüllen kann, da dergleichen unmöglich zu vollenden ist. Aber auch wenn wir da über einen phänomenologischen »Ort« verfügen, von dem aus die sich bildende symbolische Stiftung zu denken wäre, so ist daraus nicht zu schließen, daß jede symbolische Stiftung, die sich als symbolische Suche oder Ausarbeitung der nur von uns als Idee gedachten Identität gibt, mehr oder weniger philosophisch wäre. Die Idee ist nämlich in unserer Konzeption nicht notwendigerweise Eidos oder Sein (Sein des Seienden: das, was macht, daß das, was ist, das ist, was es ist) sondern ganz allgemein der vorzeitig als sein Begriff identifizierter Sinn. Und wir haben gesehen, wie ungeheuer komplex – überkreuzt und verwoben – die vielfältigen Referenzen des Sinns zur Welt und zu den Welten sind, die durch ihre wilden Wesen* vermittelt werden. Um überzeugend zu zeigen, daß das »Gespenst« der hier zueinander transpossiblen (und transpassiblen) symbolischen Stiftungen a priori unbestimmt ist, werden wir zwei Grenzfälle herausgreifen, die sich allerdings miteinander verketten: das mythische Denken und das metaphysische Denken im Parmenides von Platon. Das wird uns erlauben, die Frage des sprachlichen Erhabenen oder des Erhabenen im Sprachlichen wieder aufzugreifen. b) Zwei Grenzfälle der symbolischen Stiftung des Sprachlichen: das mythische Denken und das metaphysische Denken (Platon: Parmenides). Die symbolische Stiftung als Mittel, gegenüber der Katastrophe der identitären Implosion Abstand zu wahren Eigentlich können keine Gründe den Glauben stützen, daß die Mythen in ihrer sprachlichen Ausgestaltung näher an den phänomenologischen Tiefen des Sprachlichen wären als andere symbolische Zeugnisse. Und dennoch scheint es so. Nicht weniger als jede andere symbolische Stiftung steht nämlich auch das beginnende mythische Denken vor der Zersplitterung der Zeichen und vor den geregelten Verkettun-
288 gen der Gesten, der Verhaltensweisen, der Handlungen (allgemein des technischen, rituellen, sozialen Funktionierens), und der Sprechweisen, die alle zusammen die symbolische Stiftung konstituieren, d.h. die immer schon gegebene symbolische Kodierung der weltlichen und sprachlichen Wesen*. Und wie jede andere symbolische Stiftung ist diese symbolische Stiftung der Mythen, die sich wie ohne Ursprung gibt, nicht ein mechanischer Rahmen mit Auswirkungen nach unveränderlichen, quasi physikalischen Gesetzen, denen gegenüber die gesellschaftlich Agierenden ebenso blind wären wie die Steine, die den Abhang herunterrollen, sondern eine äußerst komplexe Anordnung von Rahmen, die als solche nicht selbstverständlich sind. Das bedeutet, daß die Menschen immer mit einem Minimum von Distanz gegenüber der symbolischen Stiftung leben, die gewissermaßen vor den großen Fragen der condition humaine immer stumm bleiben: der Geburt, des Todes, der Geschlechtlichkeit. Das sind bekanntlich ineinander verschränkte Fragen, die immer in den Termini der symbolischen Stiftung kodiert sind, aber jede in solche Termini eingliederbare Antwort überschreiten. Das Problem der symbolischen Stiftung ist nämlich in diesem Zusammenhang das Problem ihrer Schieflage, ihrer unmöglichen Adäquation mit sich selbst, d.h. das Problem ihres Sinnes, der keine symbolische Stiftung zuläßt, die nicht eo ipso durch die ihr notwendig zugehörige symbolische Ausarbeitung sich bildende symbolische Stiftung ist. In dieser Hinsicht geht der Strukturalismus, der für seine Analysen Strukturen der symbolischen Gliederungen zu fixieren versucht, nach einer transzendentalen Illusion vor, dergemäß die symbolische Stiftung mit sich selbst identisch ist, zumindest zweiten Grades, in den Strukturen. Das vermittelt ihm die Illusion, eine Wissenschaft zu sein, während er doch nur wiederum Wissenschaft von sich selbst ist, die sich in der symbolischen Tautologie dessen bewegt, was seine Methode als soziale Fakten herrichtet und was innerhalb einer sozialen Gruppe an Strukturen unbewußt wirksam ist. Gegen diese transzendentale Illusion bringt das mythische Denken insofern das schlagenste aller Dementis vor, als es das Problem der symbolischen Stiftung sozusagen »umarmt«, d.h. in der ursprünglichen Vielfalt ihrer Bezeugungen, die untereinander nicht übereinstimmen. Wenn wir das mythische Denken in seinen von LéviStrauss erforschten indianischen Ausprägungen nehmen, d.h. vor der Stiftung des Staates, was in einer Art, wir werden noch darauf zurückkommen, die Stiftung des Einen ist, so ergibt sich, daß das mythische Denken anläßlich seiner nicht übereinstimmenden Ausprägungen jeweils zur Suche des Sinns der symbolischen Stiftung durch ihn selbst wird. Es ergibt sich also, daß der Mythos in seiner ursprünglichen Vielfalt jeweils sprachliches Phänomen ist, in dem etwas von seiner Schieflage sich durch den Filter der symbolischen Stiftung wieder ins Spiel bringt. Gerade dies gibt dem Mythos seine musikalische Struktur, die Lévi-Strauss mit Recht immer wieder hervorgehoben hat, selbst wenn er dabei Mißbrauch treibt, indem er diese ja in ihrer Bewegung fließende Struktur wieder verfestigt. Die »Orte« der mythischen Befragung sind nämlich a priori unbestimmbar, sind immer »Orte«, an denen etwas, obwohl es schon kodiert ist, Fragen aufwirft, und zwar auf vielfältigen Ebenen bis zum Mitschwingen der großen Fragen, und damit veranlaßt, daß ein symbolischer Sinn-Horizont oder mehrere davon sich öffnen, in denen der Sinn pulsiert. Diese »Orte« sind also so etwas wie »Akkumulationspunkte« symbolischer Kodierungen, an denen sich diese gegenseitig so weit überbestimmen, daß in ihnen »die Sachen nicht mehr selbstverständlich sind« – es kann sich um die Regel des Inzestverbots handeln, aber bei weitem nicht immer. Diese »Akkumulation« erzeugt von sich aus eine Art Implosion der symbolischen Stiftung, die sie gewissermaßen spon-
289 tan außer Betrieb setzt und die dazu auffordert, sie zumindest zu »reparieren«, indem sie diese neu zusammensetzt. Dafür verfügt das Denken über Zeichen in ihrer doppelten Vielfalt: die ihrer gegenseitigen Diversität und die ihrer inneren Teilung durch »Polysemie« von Sinnansätzen, die durch die Zeitigung/Räumlichung des Sinns erweckt und wiedererweckt werden. Nun besteht das Eigentümliche des mythischen Denkens – welches wir vom mythologischen Denken dadurch unterscheiden, daß es noch nicht von der Stiftung des Staates und/oder des Einen polarisiert ist – darin, daß es sich nicht von der Suche nach der Identität her stiftet, als ob eine höheren Weisheit ihre Identität schon im Voraus besorgt und auf Distanz gebracht hätte, wie das jede Wiederkehr ausschließende »schwarze Loch« der Katastrophe. Anders gesagt besteht die Besonderheit des mythischen Denkens darin, sozusagen jeden Ort, an dem Fragliches oder Erstaunliches aufkommt, »zum Vorwand zu nehmen«, daraus Sprachliches zu machen, um einen Sinn aufzugreifen, von dem es im Voraus weiß, daß er nur partiell sein wird und mit einer Vielfalt anderer zueinander trans-passibler Sinnregungen einhergeht. Der Stiftungssort des mythischen Denkens ist also ein Ort, der sich von vornherein gegen die Identität schützt – mehr als gegen die Einheit des Einen, aber wir werden anläßlich Platons darauf noch zurückkommen –, wobei diese Identität durch die symbolische Stiftung solcher Gesellschaften in mysteriöser Verbindung mit der Identität des Despoten steht, einer Drohung des Chaos für die Gruppe, welcher gewissermaßen in der Identität den symbolischen Ort des Erhabenen ansetzt. Diese Stiftung bewirkt, daß die zweifache Transpassibilität (»longitudinal« und »transversal«) der Sinnregungen untereinander offen bleibt, also der Mythos ganz dicht an die phänomenologische Komplexität des Sprachlichen zurückgeführt wird. »Ganz dicht«, aber mit einer dauerhaft verbleibenden Distanz, da die Zeichen vor allem solche der symbolischen Stiftung sind. In der mythischen Suche jedoch, in der die konstitutive Schieflage der Erleuchtung sich im Sprachlichen sucht, in der diese Schieflage als harmonische Abstimmung die Zeichen in ihrer symbolischen Überbestimmung schon zu einer ersten Verwebung der Protentionen und Retentionen zusammenführt, werden die Zeichen im Abweichen der Zeitigung/Räumlichung wieder aufgenommen – wie es ja sehr oft auch in der Musik geschieht. Das läßt sie schon zum Status phänomenologischer »Zeichen« hin tendieren, diesen Fetzen von innerlich aufgefächerten Sinnregungen, die sich auf vielfältige Weise (»musikalisch«) überkreuzen, indem sie Sinnansätze erwecken und wiedererwecken, die den sich bildenden Sinn ebensogut durcheinanderbringen (dé-concerter) wie zu seiner Abstimmung (concertation) beitragen können. In dieser Bewegung des »Verflüssigens« der Zeichen ist alles in innerster Verwandlung, und genau das kann die Sinnregungen, die anfangs nichts vorherbestimmte, »von oben« oder »von unten« miteinander in zusammenklingende Schwingungen bringen, wobei diese zusammengesetzen Wesen gebildet werden, jene sich in den sprachlichen Wesen* vollziehenden Verwandlungen (Metamorphosen), die so kennzeichnend für das naiv so genannte mythisch »Wunderbare« sind (eine bestimmte Person verwandelt sich in eine Kröte, dann in einen Vogel usw.). Während wir in unserer Sprachphänomenologie alle Schwierigkeiten haben, die Verwandlungen von einer (architektionischen) »Stufe« auf die andere zu heben, Verwandlungen, die jeweils die ganze denkbare »Landschaft« umfassen und von den weltlichen wilden Wesen über die Proto-Protentionen/Proto-Retentionen bis hin zu den wiederum verdoppelten Protentionen/Retentionen gehen, »vollzieht« das mythische Denken all dies »spontan« und zweifellos zu schnell, um sich dessen bewußt zu werden. Die »Zeichen« wechseln ihren »Wert« im Laufe der
290 Erzählung, weil das zeitigende/rämlichende Durchqueren des »Waldes« von Zeichen diese auf vielfältige Weise von ihrem normalen und selbstverständlich bleibenden Gebrauch entwurzelt. Die Verwandlungen, die wir als Phänomenologen, also auch als Philosophen hinsichtlich ihres architektonischen Status herausarbeiten, gewissermaßen durch die Distanz hindurch, welche uns die hyperbolisch-phänomenologische Epoché geöffnet hat, diese Verwandlungen konkretisieren sich gewissermaßen unmittelbar im mythischen Denken, wobei sie sich zugleich darin verleiblichen und umgekehrt den Sinn im Sprachlichen verleiblichen. Denn in dieser Stiftung wird die Identität als das »schwarze Loch« der Entleiblichung apperzipiert oder eher blitzhaft apperzipiert. Mit dieser Unmittelbarkeit ist das mythische Denken zugleich endlich (faktiziell) und endlos. Und zwar endlich, weil es sich an den sich bildenden Sinn in seiner jeweiligen Faktizität festmacht und fest mit ihm verbunden ist, und endlos, da dieser Sinn durch Transpassibilität zu »allen« Sinnregungen zugleich offen ist. Kein Mythos ist jemals abgeschlossen und alle Mythen verweisen aufeinander, aber nicht, diesem grundsätzlichen Irrtum war Lévi-Strauss verfallen, innerhalb von Möglichkeiten (was eine strukturale Kombination wäre, die in Wirklichkeit ebenso willkürlich ist, wie die damit hypostasierten festen Strukturen), sondern eben in der Transpassibilität, über die ursprünglichen Entfernungen hinweg, die mit der ursprünglichen Räumlichung des phänomenologischen Gemeinsinns einhergehen. Diese Unmittelbarkeit entspricht übrigens einem anderen Zeichen der notwendig zur symbolischen Stiftung des mythischen Denkens gehörenden Endlichkeit: die komplexe Phänomenalität des Sprachlichen ist darin nicht wie in der Phänomenologie um ihrer selbst willen angestrebt, sie wird ihr nicht zum wichtigsten Gegenstand ihrer Faszination oder ist nicht selbst Sprachphänomenologie, insofern der sich über seine Erleuchtung suchende Sinn sich sofort zur Erzählung einer symbolischen Verwicklung umformuliert, indem er die Akteure ins Spiel brigt, durch die der Sinn sich sucht. Derart findet im Sinne von Paul Ricœur in den Mythen eine Ver-wicklung und ein In-szenieren statt, deren dem Traum nahekommende Inkohärenz sich davon herleitet, daß die Beziehungen zwischen den Akteuren (sowohl »longitudinal« als auch »transversal«) in der Entwicklung der Erzählung eben wechseln können, ebenso wie der mit der Aufladung durch Sinnfetzen und -ansätze angesetzte »Wert« der Zeichen. Der Mythos ist immer eine »Geschichte«, die aus sich heraus mobil ist und sich im echohaften Widerhall der harmonischen Abstimmung zwischen Zeichen vollendet, die jene aus dem Bündel der symbolischen Überbestimmungen in Gang bringt. Das bedeutet, daß die »Wahrheit« des Mythos, wenn es eine gibt, immer eine »Lektion« zweiten Grades ist, eine harmonische Abstimmung zwischen Wesen und Dingen, die der Mythos auf seine Weise als das auszusprechen versuchte, was mit Sinn auf die anfängliche Fragestellung antwortet, die selbst durch die symbolische Stiftung gefiltert ist. Aber diese anfängliche Fragestellung wird ihrerseits und vermittels dieser Filterung, in der ihr die symbolische Stiftung ihre eigenen Termini gibt, auf eine alterslose Vergangenheit übertragen, die an die transzendentale Vergangenheit denken läßt und eigentlich als mythische Zeit anzusehen ist – als ob die symbolischen Probleme der symbolischen Stiftung immer schon gestellt, und gewissermaßen in jener Vergangenheit auch gelöst worden wären, deren Sinn der Mythos, der in der Gegenwärtigkeit erzählt wird, vermeintlich wieder herstellt. Mit dieser Vergangenheit ohne Alter kann die symbolische Stiftung gleichzeitig ihre ursprüngliche Abwesenheit denken – das hat immer stattgefunden aber zu einer anderen Zeit – und die ursprüngliche Plu-
291 ralität dieses Ursprungs. Die Zeichen sind nämlich immer schon da, in genau diesem Sinn sind sie gegeben – aus architektonischer Sicht ist sogar jede Gegebenheit nur symbolisch – und zwar immer schon als vielfältige. Im Verhältnis zu dem symbolisch gestifteten gemeinsamen Sprachlichen – im Verhältnis zum Sprachsystem – konstituieren die Mythen also eine Art Meta-Sprachliches, das nur insofern zum Sinn des Sprachsystems hin zu öffnen vermeint, als es sich zugleich auf das Infra-Sprachliche hin öffnet, und zwar indem es tangential an die Phänomenologie des Sprachlichen rührt, die sie, ohne es zu wissen oder zu reflektieren, angestoßen hat. Aber diese wechselseitige Öffnung eines Jenseits und eines Infra ist selbst durch die Zeichen der Sprache »gefiltert«, die sich im Abstand zu dieser doppelten Öffnung bewegen, die selbst als Distanz zur anderen Zeit in den Mythos übertragen wurde, einer Vergangenheit, die jenseits der Erinnerung und der Gegenwärtigkeit des sich harmonisch bildenden Sinns liegt, damit auch jenseits der Erzählung – sie ist zwischen den Zeichen und ihren Verkettungen. Eine transzendentale Zukunft für das mythisch Sprachliche kann es nur als die unendliche der unbegrenzt weiter zu bildenden Mythen geben. Anders gesagt: eine transzendentale Zukunft, die das mythische Denken auf seine Arbeit der immer wieder neu ansetzenden symbolischen Durcharbeitung hin öffnet, derer man wegen ihrer prinzipiellen Unabschließbarkeit von vornherein müde ist. Transzendentale Vergangenheit und Zukunft des mythischen Denkens vermengen sich also nicht mit der phänomenologischen/proto-ontologischen transzendentalen Vergangenheit und Zukunft, weil zwischen beiden die Filterung der symbolischen Stiftung ist, als ihre besondere Weise, die Frage ihres eigenen Ursprungs zu denken, der immer zum phänomenologischen Ursprung im Hiatus steht und ihr den eigentümlichen Charakter gibt, wie ursprungslos zu erscheinen. Wir werden auf diese schwierige und wichtige Frage zurückkommen. Gesagt werden kann schon: indem das mythische Denken die phänomenologische Masse jeweils wieder ins Spiel bringt und insofern dieser Vorgang sie in ihrer Stiftung eher gegen jene Identität polarisiert, welche die Erleuchtung des Sinns in Idee wandeln würde, bringt sie zugleich die proto-ontologischen Horizonte des Sprachlichen und der außersprachlichen Welten wieder ein; aber dazu gehört auch: in eben dem Maße, in dem diese Art Überschuß von negativer Polarisierung gegen die Identität sich in ihr auf den ersten Blick paradox auswirkt und sie nicht mehr das identifizieren läßt, was in der symbolischen Stiftung nicht selbstverständlich ist, und also die Unterdrückung dieser Nicht-Selbstverständlichkeit einleitet, ist sie damit immer nur darauf aus, die symbolische Stiftung von innen heraus zu legitimieren, auch wenn dies im Verlauf der sich bildenden Stiftung durch unmerkliche Umformung geschieht; sie zielt also darauf ab, der bestehenden Ordnung wieder Sinn zu geben, mag auch dieser Sinn unmerklich von dem verschieden sein, den man ihr gab, bevor der Mythos verfaßt und erzählt wurde, wodurch so gesehen das mythische Denken »konservativ« ist und sich nicht auf einen anderen Horizont der Zukunft hin öffnen kann als den seiner eigenen Reiteration, an anderen »Orten« der Fraglichkeit, falls sie beunruhigend werden. In diesem Paradox einer konservativen »Anarchie«, in der just der »Konservativismus« die Anarchie verursacht und welcher nach den Worten von P. Clastres die Gesellschaften immer »gegenüber dem Staat« am Rand des eigentlich historischen Abenteuers bewahrt. Die Katastrophe durch symbolische Implosion transformiert sie, wie man gesehen hat, nicht, sondern läßt sie buchstäblich absterben. Irgendwie hat also die Filterung der symbolischen Stiftung zur Wirkung, die Frage des Ursprungs auf die transzendentale Vergangeneheit zu übertragen, denn diese schützt vor der Katastrophe. Oder vielmehr, tiefer gesehen: die transzendentale
292 Vergangenheit wird unmittelbar in die mythische Vergangenheit rekodiert und die transzendentale Zukunft – des Sprachlichen und der Welten bleibt brach, im wilden Zustand, liegen. Die transzendentale Zukunft der Mythen ist die Zukunft ihrer transpassiblen Erfindung, und so gesehen ist sie zugleich phänomenologisch und proto-ontologisch, ohne vorgängige symbolische Filterung. In diesen Abstand innerhalb dieses Kontextes wird sich der Staat stiften, d.h. der Despot, mit der Katastrophe der Identität, zunächst der Identität des Despoten selbst. Es folgt daraus eine umfassende Umgestaltung des mythischen Denkens zu dem von uns so genannte mythologischen Denken. Eine besonders interessante Version davon haben uns J. Bottéro und S.N. Kramer mit der mesopotamischen Mythologie6 übermittelt, die in mancherlei Hinsicht der von Hesiod herausgearbeiteten griechischen Mythologie nahe ist. Was geschieht nun im wesentlichen in dieser Umgestaltung, zumindest auf der Stufe des Denkens? Es handelt sich um einen doppelten Prozeß, einmal um das Zusammenstellen des mythischen Materials unter dem Gesichtspunkt der scheinbar göttlichen Genealogien, und zum anderen um die Zerstreuung des gleichen Materials in nur noch lokale Rituale oder Kulte. Beides taucht zugleich auf. Das erstere bedeutet ein insofern noch quasi-etiologisches Denkschema, da alles noch in symbolische Verwicklungen in einem Erzählverlauf gefaßt wird, der die Akteure in Szene setzt, die in ihren genealogischen Abfolgen durch immer wieder neue, dauernd scheiternde Versuche hindurch bis zum letzten, erfolgreichen Versuch an der Ordnung der Welt (und selbstverständlich der Gesellschaft) in ihrer Gesamtheit arbeiten. Das zweite bedeutet eine »archaisierende« Zerstreuung von alten und verlorenen Mythenfetzen, die ihrem Sinn entwurzelt sind und als allerlei Rituale bestehen bleiben (von der Heilung der Zahnkrankheiten bis zu den Ritualen der Jagd und der Kultur: was gewöhnlich als Aberglaube bezeichnet wird) oder als spezifisch kulturelle Rituale, die lokalen Gottheiten geweiht sind, die ihren mehr oder weniger festen Platz im mythologische Pantheon haben. Kurz, wie es J. Bottéro und S.N. Kramer so vortrefflich aufgewiesen haben: es ist das Zeitalter der Götter, und zwar deswegen, weil die Gesellschaft ihre symbolische Rekodierung in und durch die »Gesellschaft der Götter« denkt, wobei sie in dieses Denken die Annahme eines Ursprungs einführt, der immer in der Vergangenheit einer anderen Zeit liegt. Es ist hier nicht möglich, alle recht komplexen Bewegungen dieser Umgestaltungen näher zu studieren und zu berücksichtigen. Begnügen wir uns damit, nachzuvollziehen, wie das, was dem mythischen Denken als die Katastrophe der Identität erscheint, abgewehrt werden kann, allerdings vermittels der neuen symbolischen Stiftung des Staates, und welche kohärente Verformung der alten symbolischen Rahmen dabei eingesetzt wird. Genaugenommen haben wir die Katastrophe der Identität in noch zu sehr philosopischen Begriffen gekennzeichnet, nämlich als eine Identifikation der Erleuchtung mit sich selbst, die den Begriff und die Idee entstehen läßt. Die Identifikation führt tatsächlich zur Implosion der Zeitigung/Räumlichung des Sinns und damit zur Implosion des sprachlichen Schematismus, zur Verdichtung der miteinander vermengten wilden sprachlichen Wesen, wodurch eine Art »Schwarzes Loch« im phänomenologischen Feld erzeugt wird. »Schwarzes Loch« wegen seiner (architektonischen) »Abwesenheit« im phänomenologischen Feld, dem es zwar nicht angehört, das es aber mit seiner »Gravitation« polarisiert und zu verschlingen droht. Das bedeutet, daß es sich außerhalb des Sinns begibt, womit schon Begriff und Idee zu eine Art Verteidigung gegen es werden und eine Art Gleichgewicht zwischen Symbolischem und Phänomenologischem hergestellt wird, in dem
293 die Idee eben nicht andere Ideen und Begriffe ausschließt, während sich das »schwarze Loch« durch seine verheerende und ausschließliche Implosion ausweist. Alles findet mit anderen Worten in der Explosion in Zeichen statt, die der Implosion »folgt«, und genau an dieser Stelle fügt sich diese andere symbolische Stiftung des Staates ein. Es handelt sich bei dieser nicht so sehr um eine (unmögliche) Stiftung der Identität, die alles von ihrer Katastrophe in sich hineinnehmen würde, als vielmehr um eine im Denken eingerichteten Stiftung der Suche des Sinns durch und über die Suche nach der Identität, womit nicht behauptet werden soll, daß diese letztere einmal ganz erreicht würde. Wenn man an die Bewegung der Konstituierung der Identität denkt, also an die abstrahierende Reflexion, welche die Erleuchtung von ihrem phänomenologischen Kontext ablöst, um sie mit sich selbst zu identifizieren, dann folgt daraus, daß die Suche nach der Identität der Ansatz zur abstrahierenden Reflexion in der Apperzeption ist oder das blitzhafe Apperzipieren der Wiederholung der Erleuchtung durch eine Zeit, die sich vom Raum abzusondern versucht. Das wirklich Erstaunliche im mythologischen Denken liegt darin, daß gleichzeitig mittels genealogischer Kodierungen nach der Identität gesucht wird – wobei die in den mythischen Erzählungen in Szene gesetzten Akteure genealogisch miteinander zu verbinden und in die göttlichen Genealogien einzufügen sind –, und daß diese Genealogien mehrfach wiederholt werden, insofern es den so erzeugten Verkettungen der mythischen Erzählungen nicht gelingt, mit einem Mal die symbolische Stiftung in ihrer Identität zu erzeugen (die gleichzeitig und ungeschieden natürliche und menschliche Welt). In dieser Theogonie und Kosmogonie geht es um die Erzählung der Erzeugung der Welt (der symbolischen Stiftung) durch die Wiederholung der gleichen »gedanklichen Erfahrung«, nämlich einer Folge von mehr oder weniger scheiternden Versuchen bis hin zum finalen »Kompromiß«, der vermeintlich den Schlüssel zur Identität liefert. In dieser »gedanklichen Erfahrung« wird die anfängliche Schieflage des Sinns in seiner Erleuchtung – prinzipiell bis ins Unendliche – kodiert und rekodiert, und zwar in Richtung auf die Identität der Welt oder der symbolischen Stiftung, die in ihrer Ausschließlichkeit wie am Horizont der mythologischen Erzählung erscheint. Dieser Horizont ist in einer Hinsicht noch wilder Horizont der transzendentalen Zukunft für die mythische Erfindung, aber in einer anderen Hinsicht wird er selbst durch Verwandlung »zivilisiert«, je mehr er zum Horizont der Kontingenz und der Geschichte des menschlichen Lebens und der menschlichen Gesellschaft wird – als ein Horizont von Unbestimmtheiten, die nun innerhalb der mythologischen Rahmenbedingungen diszipliniert werden. Die mythologische Erzählung gibt sich also als einzige Erzählung – im Gegensatz zu der ursprünglichen Vielfalt der mythischen Erzählungen – und als Erzählung einer durch Kodierungen und Rekodierungen der Genealogie innerhalb ihrer selbst geregelten Verwandlung, von der man vermeint, daß sie zwischen den Zeilen und den Worten der Geschichte, zwischen den Zeichen und ihren Anordnungen, die Identität der Welt und der Gesellschaft harmonisch herstellt. Eine komplexe Identität, an der die Identität des Despoten teilhat, weshalb diese also nicht absolut ist, sondern durch die Einschreibung in die symbolische Ordnung vermittelt ist, mit der er sich »abfinden« muß. Es handelt sich also um eine Wiederholung der ersten Wiederholung der Erleuchtung, in der die ganze nun durch die Katastrophe der Identität polarisierte symbolische Stiftung, sich in einer »Idee« identifizieren muß, die wie ein Segel über die Katastrophe gespannt ist, was ja auch die Erwartung an sie einschließt, dagegen Schutz zu bieten. In dieser internen und geregelten Umwandlung der Ge-
294 nealogie, die gleichermaßen durch den symbolischen und teleologischen Horizont der Identität geregelt als auch blind durch die symbolischen Umarbeitungen, denen das mythische Material unterliegt, rekodiert wird, sucht das Sprachliche tatsächlich seine Schieflage zu reduzieren, was nun mit dem Anschein der »etiologischen« Schemata erscheint: Es gibt, wie Lacan, und vor ihm Heidegger sagte, nur Ursache von dem, »was hapert«, und die Kausalität erscheint in ihren Tiefen immer wie der Versuch, eine symbolische Kohäsion zwischen sich und ihrer Wirkung zu finden, auch wenn diese Kohäsion immer wegen der Schieflage zwischen Ursache und Wirkung fehlerhaft ist. Diese Art von Verknüpfung als eine Weise, die zeitliche Verkettung im Inneren der Zeitigung/Räumlichung abzuweisen, bleibt in ihrer Kontingenz immer rätselhaft – auch wenn sie so unendlich oft wiederholt wird, daß der Eindruck von »Regelmäßigkeiten« in der Ordnung der Dinge entsteht – oder sie reduziert sich durch die symbolische Kohäsion auf den Ausdruck einer einfach nur symbolischen Tautologie zwischen Ursache und Wirkung. Anders gesagt, im Gegensatz zur allgemeinen, aber nicht durchdachten Auffassung, erklärt die Kausalität eigentlich nichts und führt sich immer auf ihre ursprüngliche Matrix zurück. Diese ist symbolisch und auch eine genealogische Kodierung, d.h. ein bestimmter Typus der symbolischen Stiftung des Sprachlichen, in dem das sprachliche Phänomen nicht mehr durch die begriffslose Teleologie des Sinns polarisiert wird, sondern durch die Teleologie der Identität, und zwar mittels ihres Begriffs, der als abstrahierender Begriff der Erleuchtung hinsichtlich ihrer Identität der Begriff überhaupt ist. Als ob der Begriff, so wie Kant es in seiner dritten Kritik genial aufgefaßt hat, letztlich die intelligible (d.h. symbolische) Ursache der Dinge in ihrer Identität wäre. Bevor wir noch auf eine andere, nicht weniger wichtige Auswirkung der genealogischen Kodierung eingehen, muß noch präzisiert werden, daß sie überhaupt kein Vorbild in der »biologischen Verwandtschaft« hat, deren »Bedeutung« sich in der undurchsichtigen Nacht dessen verliert, was imaginär als die »Natur« im Menschen aufgefaßt werden könnte, also symbolisch nicht-signifikant ist. Die genealogische Kodierung wirkt sich nun als symbolische Kodierung der Katastrophe der Identität aus, die in der Form des ursprünglichen Chaos wieder-»vorgestellt« wird. Es gibt ein merkwürdiges Verwachsen von einer ursprünglichen Implosion der Welt im Chaos, eine Art kosmischer Wahnsinn, der in jedem von uns ist, und einer rekodierten Vorstellung des phänomenologischen Feldes, da man glaubt, daß darin alles noch im wilden Zustand ist. Die Genealogie verankert sich darin, indem sie dieses Zusammenwachsen durch ein ursprüngliches göttliches Paar rekodiert, dessen Daseinsberechtigung es gewissermaßen ist, dem Chaos die Gestalt einer »Stase«, eines, allerdings an sich machtlosen Zu-stands (»état«) zu geben, um sich zu disziplinieren. Das wird gewissermaßen das ins Leben rufen, was wir hier zu tun versuchen, nämlich eine Art von Phänomenologie des Sprachlichen und der symbolischen Stiftung, aber eine Phänomenologie unter der Hand oder im Rücken, da sie sofort quasi genetisch durch die göttlichen Genealogien rekodiert wird, die sich in der mythologischen Erzählung wiederholen, einander durchdringen und sich transformieren. Zwar können wir dies hier nicht weiterverfolgen, aber es gibt eine durchaus mögliche Phänomenologie des mythologischen Denkens, die eine Phänomenologie davon wäre, auf welche Weise die symbolische Stiftung sich denkt, indem sie sich bildet. Jedenfalls ist uns bewußt, daß wir uns in die Tradition des von der Mythologie Erfundenen und Ausgearbeiteten stellen, wenn wir von der symbolischen Stiftung sprechen. Deswegen fällt ja auch die Geburt der Philosophie bekanntlich in diesen Zusammenhang.
295 Wie dem auch sei, wir erkennnen dabei, daß die genealogische Kodierung des mythischen Denkens im mythologischen Denken einen doppelten Aspekt hat: einerseits will sie genealogisch die transzendental vergangene Zeit der Ursprünge rekodieren, indem sie vom »göttlichen« Ur-Paar her und durch schrittweise Umwandlungen die bestehenden Kodierungen der Gesellschaft allmählich rekodiert – was aus der Gesellschaft der Götter eine Art Präfiguration, allerdings allmählich klarer und deutlicher, der menschlichen Gesellschaft macht, und wodurch diese in der wiedererkennbaren Identität ihrer existierenden Ordung legitimiert wird –; andererseits und in der gleichen Bewegung will sie dem Gestalt geben, was sich hinfort als die Gründung der Welt (der symbolischen Stiftung) darstellt, nämlich gewissermaßen der stiftenden Bewegung der symbolischen Stiftung. In dieser Bewegung gibt das Denken der sich im Erhabenen vollziehenden Begegnung mit der symbolischen Stiftung einen symbolischen Ausdruck. Denn zur Begegnung mit sich selbst kann das Ganze der symbolischen Stiftung nur über den in ihrer ursprünglichen Schieflage aufklaffenden Unterschied kommen, also der erhabenen Spanne zwischen dem Phänomenologischen und dem Symbolischen. Aber dieser Abstand wird dabei so rekodiert, daß er im Chaos – das bis in die mythologische Phase der Sintflut bestehen bleibt – eine erschreckende Gestalt annimmt, deren sich die Genealogien annehmen, bis es der letzten nach vielen Um- und Rückschlägen der symbolischen Verwicklung deswegen gelingt, die Distanz aufrechtzuerhalten, weil sie den Abstand auf harmonische Weise zu kodieren vermochte. Der letzte König der Götter (Marduck in Babylon, Zeus bei den Griechen, Jupiter bei den Römern) ist derjenige, welcher nach der Bewältigung des Abstands zum »transzendentalen« Garant für die symbolische Ordnung wird, so wie es auch der menschliche gute »König« sein sollte.7 Die genealogische Kodierung ist also theologisch-politisch und auf ihre Weise stellt sie das Problem des Despotismus so dar, daß hier gegenüber der Katastrophe der Identität ein Abstand gewonnen werden soll durch die Identität selbst, nämlich die Identität der Herrschaft. Diese muß immer zweifach sein, d.h. sie muß den symbolisch kodierten harmonischen Abstand von dem auf ihn selbst bezogenen harmonischen Abstand her halten. Der Verlust der harmonischen Kodierung des Abstands als ein Verlust der symbolischen »Weisheit« der Stiftung, die darin ihr Gleichgewicht gefunden hat, führt zur Barbarei des absoluten Despotismus, eines Fanatismus, der sich selbst verzehrt und gegen den sich jede Gesellschaft mehr oder weniger gut verteidigt, je nach dem Grad der symbolischen Verwüstung, Verarmung oder Verkommenheit, in der die Gesellschaft dahindämmerte. Diese Skizze des Übergangs zwischen dem mythischen und dem mythologischen Denken erlaubt uns, das eigentliche Motiv der symbolischen Stifung der Philosophie besser zu erfassen. Denn, wie schon deutlich geworden ist, besteht – wegen der gegenseitigen Transpassibiliät der symbolischen Stiftungen – eine sehr viel geringere Distanz zwischen Philosophie und Mythologie als zwischen dieser und dem mythischen Denken. Es wäre in dieser Hinsicht sehr lehreich, den Korpus des vorsokratischen Denkens im Lichte einer Mythologie neu zu lesen, die selbst auf dem Weg der Umarbeitung und Umwandlung ist: insbesondere die bekannten Fragmente der Milesier weisen auf, welch große Nähe hier noch besteht. An anderer Stelle haben wir begründet, daß die Philosophie sich in der Bewegung der auf sich selbst bezogenen symbolischen Stifung der Identität stiftet.8 In der Philosophie geschieht nun folgendes: Im Vorgang der Identifizierung der Erleuchtung mit sich selbst, durch den diese von ihrem phänomenologischen Kontext losgelöst wird, weil sie in ihrem Begriff nun sich selbst vorausgeht und nachfolgt, verdoppelt
296 sich die Identität zur Identität des Seins und Identität des Denkens, die in ihrer symbolischen Tautologie zusammengehalten werden, wovon das Gedicht des Parmenides den ersten geläuterten Ausdruck bietet. Der symbolische Glaube der Philosophie besteht nun darin, daß wahrhaftes Denken das Sein (die Identität) so denken muß, wie es außerhalb des Denkens ist, und daß das wahre Sein, so wie es außerhalb des Denkens ist, nur einem »wahren« Denken zugänglich ist, d.h. einem mit der Identität identischen Denken. In dieser symbolischen Stiftung schützt, wie man sieht, vor dem »schwarzen Loch« der Identität, vor einer verallgemeinernden Implosion ohne mögliche Rückkehr nur die Tatsache, daß nicht mehr vorrangig der Sinn in seiner alles andere außer ihm ausschließenden Identität angestrebt wird, als vielmehr die a priori auf alle Sinnregungen hin geöffnete Identität selbst, die deswegen nur noch ihr Begriff sein kann. Der Abstand der symbolischen Tautologie zwischen dem Begriff (dem Denken) und dem Sein (die Wirklichkeit in ihrer Vielfältigkeit) bleibt unreduzierbar, und in diesem Abstand siedeln sich Eristik und Sophistik an, da in diesem immer problematischen Abstand die Frage nach der Identität des Sinns sich in die Frage nach dem Sinn der Identität umkehrt – was im letzten Jahrhundert durch Heidegger wieder aufgegriffen wurde. Anders gesagt, der eigentliche Ort der symbolischen Stiftung der Philosophie liegt gewissermaßen in dieser »Abstraktion« der für sich genommenen Identität. Diese Abstraktion verhindert, daß der Sinn in der Identität implodiert, sie unterstellt ihn nun aber auch gänzlich der Identität, da diese als »symbolische Matrix« zur Kupplerin des Sinns werden muß. Nun aber besteht eine unvermittelte Antinomie – diese Frage bestimmt die eleatischen Schule – zwischen der Einheit dieser Identität und der Pluralität der Sinnregungen: wie kann vermittels Rekodierung eine Vielfalt wieder zusammenstehen und dabei von einer Einheit ausgehen? Platon hat nun in seinem Werk diesem Problem eine sozusagen kanonische Ausprägung gegeben. Wenn es Pluralität der Sinnregungen gibt, dann nur eine solche, die als selbst von der Identität Polarisierte eine Pluralität von wiedererkennbaren Sinnregungen sein muß, d.h. von Sinnregungen, die jeweils selbst identisch, aber untereinander verschieden sind. Von hier aus verwandelt sich eigentlich der Sinn in Idee – eine Idee, die jeweils in ihrer Abstraktion durch ihren Begriff reflektiert wird, der das symbolische Element oder vielmehr der symbolische Horizont der sich bildenden Stiftung einer fungierenden Sprache ist, die überarbeitet werden und folglich als philosophischer Sprachgebrauch aus der alltäglichen fungierenden Sprache zu einer Sprache (langage) der Ideen herausdestilliert werden muß, die dazu aufgerufen ist, sich vor ihnen in Transparenz aufzulösen. Aristoteles wird das Wesentliche dieser symbolischen Ausarbeitung weiterverfolgen und bis zur Vollendung führen. Anstatt uns in der Explosion vorzufinden, die der Implosion folgt, also gegenüber einer Vielfalt von Zeichen, finden wir uns nun gegenüber einer Vielfalt von Ideen wieder, wobei der philosophische Sprachgebrauch mit einer Art Meta-Sprachlichem zur Allgemeinsprache die Voraussetzungen zur Wiederzusammensetzung schaffen sollte, aber nach den nunmehr von der Identität und der Widerspruchsfreiheit geregelten Verkettungen. Es gibt also eine Kohärenz oder eine Kohäsion der »Welt« der Ideen – die keine phänomenologische mehr ist, so sehr ist sie aus dem phänomenologischen Feld durch die mit ihrer Stiftung übereinstimmenden Abstraktion entwurzelt – und diese Kohärenz rekodiert in sich die Transpassiblität und die Trans-possibilität der Sinnregungen und integriert sie durch Implosion in etwas, das nur das sehr ferne und abgeschwächte Echo von ihnen ist: und zwar nicht nur in den logischen Beziehungen ihrer gegenseitigen Kompatibilität und Inkompatibilität, sondern auch in
297 den symbolischen und harmonischen Relationen untereinander, die eigentlich die Echos der gegenseitigen Transpassibilität der phänomenologischen Sinnregungen sind. Sollte demnach das ganze Feld ursprünglich so zerstreut und disseminiert sein, wie es das der Zeichen zu sein schien? Das Genie Platons im Parmenides – ein Titel, der schon an sich die Ironie selbst ist – erweist sich in seiner Erkenntnis, daß man, wenn die Sinnregungen nicht im Chaos ihres vermeintlichen Seinssinns verloren gehen sollen, die Identität in die Identität des Einen und die Identität des Seins verdoppeln, also gewissermaßen – wenn der Anachronismus hier erlaubt ist – auf eine transzendentale Dimension hin öffnen müßte, als eine Dimension, die der nun allerdings abgründigen Identität zugehört, die als solche niemals zugänglich ist, weil sie auch der Ort der symbolischen Stiftung ist, wo der Sinn aus dem Sinn schöpft wie aus der unerschöpflichen Quelle seiner selbst und der anderen. Dieser Text, der einen der Höhepunkte des Denkens in der westlichen Welt darstellt, wird durch die schrittweise Äußerung seiner »Hypothesen« gänzlich aporetisch. Das Problem ist eigentlich unlösbar und bleibt dennoch das Problem der Philosophie. Es ist allerdings nur auf der Ebene des ersten, nicht aber des zweiten Grades unlösbar. Dafür wäre aber erst über die unendliche, ozeanische Verwebung der »Hypothesen« nachzudenken. Um dem Verständnis näherzukommen, kehren wir zum anfänglichen Kontext unseres Problems zurück, das phänomenologischen Charakters ist, nämlich der durch die symbolische Stiftung veranstalteten Suche nach ihrer Übereinstimmung mit ihrer sprachlichen Schieflage, welche die fungierende Sprache ihrer Zeichen versichern und damit den Sinn eindeutig »kommunizierbar« machen soll, was seine Schieflage (porte-à-faux) in eine stimmig ausgerichtete Lage (porte-àvrai)9 wandeln würde, und dabei zugleich seinen Schlüssel lieferte, den Schlüssel der symbolischen Ordnung und der großen Fragen, die sich die Menschen immer wieder gestellt haben. Entscheidend ist hier, wie wir sowohl anläßlich des mythischen als auch des mythologischen Denkens gesehen haben, daß die symbolische Stiftung beim Bestreben, die Schieflage so zu rekodieren, daß sie reduziert wird, selbst eine »neue« Schieflage einführt, welche zwischen ihr und dem Phänomenologischen entsteht. Die Vorgängigkeit/Nachfolge des Begriffs der Identität im Verhältnis zur Idee als Identität macht dies verstehbar. In der abstrahierenden Reflexion der Erleuchtung wird nämlich die Erleuchtung selbst (harmonische Abstimmung), die mit den Protentionen und Retentionen in sich differiert, durch diese Differänz (différance) hindurch als Identität reflektiert. Aber diese Erleuchtung ist ihrerseits als harmonische Abstimmung immer schon eine Verwebung von Protentionen und Retentionen, die sich durch diese Verwebungung aus den Proto-Protentionen und Proto-Retentionen herausnehmen. Und insofern diese Verwebung sich chiastisch als wechselseitiger Bezug der Protentionen und Retentionen untereinander über ihren Abstand hinweg vollzieht, gilt diese Erleuchtung einem Sinn, der darauf wartet und es verlangt, in der sprachlichen Zeitigung/Räumlichung wieder aufgenommen zu werden. Wenn also dieser Sinn, wie wir gesehen haben, durch unzulässigen Überschwang als identischer aufgefaßt wird, wenn die abstrahierende Reflexion nur als die Verdoppelung einer bereits »konstituierten« – eigentlich eher gestifteten – Identität gefaßt wird, dann ist die Erleuchtung selbst schon eine Identität, aber eine »unbewußte«, die man aus der nun konfusen Masse der Phänomenologie herausholen muß. Und die katastrophale Implosion der Identität ist dann nichts anderes als die Implosion des Sinns, der sich in dieser gewissermaßen vor-gegebenen und vor-gestellten Identität
298 initiiert – wobei dieses »Vor«-Sein für die symbolische Stiftung kennzeichnend ist. Anders gesagt bricht die Erleuchtung des Sinns in der unzeitlichen Identität eines phänomenologischen »schwarzen Loches« ab, die an sich dem Sinn gegenüber gleichgültig ist – das ist schon, wir werden darauf zurückkommen, die Identität des »Signifikanten« im Lacanschen Sinne, eine Art von Kondensationspunkt des symbolischen Unbewußten. Genau das geschieht, wenn nichts den Sinn davor zurückhält, sich mit dem Ausschluß alles anderen zu identifizieren, was wir sein »Berauschen« an sich selbst getauft haben, in dem er seine Selbstheit an seine Identität verliert. Wäre die Implosion »allgemein«, dann ginge sie mit einer quasi-philosophischen (architektonischen) Art Psychose einher, die man als den »Wahn« der Ursprünge ansehen kann. Eine extreme Verkrampfung des Sinns bringt ihn zur Implosion und läßt ihn dann das phänomenologische Feld aufsaugen. Der phänomenologische Sinn der Erleuchtung implodiert zur Identität, die als solche nicht mehr Sinn bildet, weil die Erleuchtung, die zu früh als Identität und als solche vor-gegeben und vor-gesetzt »gesehen« wird, auch die Implosion der Verwebung ihrer Protentionen und Retentionen erleidet, aus denen sie ja entstanden ist: daher entwurzelt sie sich aus dem phänomenologischen Feld, entleiblicht sich, verliert ihre sprachliche phänomenologische Konkretheit, also auch das Spielen der wilden sprachlichen Wesen* in ihr – sowohl derjenigen, welche die weltlichen wilden Wesen* in Proto-Protentionen und ProtoRetentionen auffächern als auch die, welche als formale Wesen* zwischen den Proto-Protentionen und Proto-Retentionen eine harmonische Abstimmung herstellen, die diese in Protentionen und Retentionen verwandelt. Die Implosion läßt all dies in ein Kondensat verschmelzen, dessen Explosion die Transpassibilität ist, d.h. – wie gesehen – die Dissemination der Zeichen, aber auch, auf einem anderen architektonischen »Stufe«, die wir noch ausbreiten müssen, die Dissemination der Identität durch die Zeichen, die in Ideen oder in Ideenfragmente verwandelt wurden. In der symbolischen Stiftung wird nämlich gleichsam die selbst schon vor-gegebene und vor-gesetzte Resonanz der Vor-Gebung und Vor-setzung der Identität in der VorGebung und der Vor-Setzung anderer Identitäten erzeugt. Anders gesagt handelt es sich um die vorweggenommene Wiederaufnahme der Explosion, die der Implosion folgt, und zwar durch die unmittelbare Verbreitung derselben Regel einer Identität, die dadurch gegenüber sich selbst in dieser Implosion auf Abstand gehalten wird. Gerade das ermöglicht den Begriff der Identität, insofern er, gleichzeitig »zu schnell« und »zu langsam« als die Implosion verlaufend, die Identität vorweg so aufnimmt, daß er sie wieder-erkennt. Dies ist der Ort, von dem aus die Wiederzusammensetzung der Identitäten vorgenommen werden kann, zunächst als eine von einem Zeichen zum anderen gehende Wiederzusammensetzung der Zeichen. Durch den Begriff ihrer Identität, der eigentlich Begriff ihrer Identifikation ist, hält sich die symbolische Stiftung gleichsam am Rand des »schwarzen Loches« – dem »schwarzen Loch« des Todes, der schon auf zumindest negative Weise in die Erfahrung des Erhabenen im Sprachlichen oder des sprachlich Erhabenen eingeht –, über das sie sich wie ein Tuch ausbreitet, sie aber auch gleichsam dessen Ökonomie dadurch ist, daß sie es ausspart, einschließlich aller möglichen Formen der »symbolischen Pathologien«. Dieser Begriff kann sich nun auf verschiedene Weise artikulieren je nach den symbolischen Stiftungen, ob nun die Identifikation sich wie in den Mythen begrenzt parzellierend und auf ursprünglich vielfältige Weise vollzieht, ob sie sich wie in der Mythologie auf umfassende Weise und gewissermaßen auf sich selbst bezogen verwirklicht, oder ob ihre Ausführung in der Philosophie von dem Gedanken ausgeht, daß sie sich immer schon vollzogen hat, in einer Unabänderlichkeit, die nicht mehr
299 der Vergangenheit einer anderen Zeit, sondern der Zeitlosigkeit der Ewigkeit angehört. Im Fall der Philosophie nämlich, jedenfalls wie sie in Platons Parmenides und seiner neoplatonischen Nachfolge sich unserem Nachdenken anbietet, wird die Idee als die Spur des Einen gefaßt. Das soll heißen, daß sie als das ursprünglich verzögerte Echo einer Explosion (Prozession) gefaßt wird, die sich in einer Art Erinnerung an die Implosion wieder aufnimmt (Konversion), um sich mit sich zu identifizieren (Manenz), also im Abstand zur äußersten implosiven Verdichtung des Einen. Deren allgemeine Katastrophe wird in der ersten Hypothese »analysiert«. Anders gesagt, die Ideen, und das Denken der Ideen, die in der symbolischen Tautologie und durch sie untereinander identisch sind, sind wie die verzögerte »Erinnerung« an eine Implosion, die niemals stattgefunden hat, aber deren Polarisierung wie die des Abgrundes fungierend bleibt. Das Eine ist von sich selbst grundsätzlich nicht-thetisch und wegen dieser Distanz vermag die Idee, indem sie sich im voraus gegenüber allem Denkbaren voraus-setzt, sich als Identität zugleich zu identifizieren und so etwas wie Sinn zu schöpfen. Denn, um es nochmals zu sagen, die Identität der Ideen mit sich selbst ist vermeintlich immer schon hergestellt, in ihrem Begriff, der gleichzeitig der Begriff des Einen ist, aber mit einem Logos einhergehend, der noch zu entdecken, oder vielmehr in seiner Stiftung zu suchen bleibt und sie zugleich verkettet. Als wesentlicher Punkt im Parmenides bleibt nämlich das Aneinandergliedern von Identität und Sinn – damit ist das Problem der »Teilhabe« gemeint: in welchem Sinn hat die gemeine gestiftete fungierende Sprache (das Sprachsystem) an der Stiftung der Ideen teil, und in welchem Sinn und wie kann sie symbolisch durch die Ideen rekodiert werden? Und da, wenn die allgemeine Implosion vermieden werden soll, diese Identität nicht als das Sein selbst gedacht werden kann, muß sie in Trans-passibilität (und Transpossibilität) als das vom Sein distanzierte Eine gedacht werden, als das, was von seiner Distanz der nunmehr »transzendentalen« Identität her die Sinnregungen der Identität gemäß zu rekodieren vermag, die eigentlich niemals als solche, sondern in den Ideen durch ihre ursprüngliche Vielfalt hindurch voraus-gesetzt und vor-gegeben ist. Im Verlauf der Hypothesen ist der Parmenides nichts anderes als die zweite Instanz der sich bildenden symbolischen Stiftung dieser Rekodierung – wobei die sogenannten negativen Hypothesen dem philosophischen Denken zeigen, daß diese Rekodierung unmöglich außer acht gelassen werden kann, da sonst alles von der Zerstreuung oder der Dissemination her ohne Einhalten explodierte. Methodisch, aus transzendental-architektonischer Sicht, bildet die dritte Hypothese, die selbst um das »Augenblickliche« kreist, das Zentrum des Textes: es geht um das »Augenblickliche« eines Denkens, das gleichzeitig schneller und langsamer als es selbst verlaufen und in diese Hyper-Schnelligkeit und diese Hyper-Verzögerung umschlagen und das sich verwebende Spiel der verschiedenen Hypothesen blitzhaft apperzipieren kann, die harmonische Verwandlung des sich Nicht-Thetischen (das Eine) in das sich Thetische (die Ideen), in dem, was H. Maldiney so treffend als harmonischen Logos bezeichnete,10 der im Verhältnis zur einfachen Logik der Identität und der Widerspruchsfreiheit zweiten Grades ist. Von diesem immer aushöhlenden, da metalogischen Logos aus sollen sich die Ideen in der von der Identität ausgehenden Rekodierung der Sinnregungen neu zusammenstellen, und zwar über die Distanz hinweg, welche den harmonischen Logos nicht mit sich selbst übereinstimmen läßt. Es ist also, als ob die Philosophie sich damit wie über ihren Mythos wieder herstellte oder rekodierte, allerdings nicht mehr vermittels einer Erzählung (auch wenn Platon in anderen Zusammenhängen darauf zurückgegriffen hat), sondern über die
300 Ideen, die vom Abgrund des Einen her sich in harmonischer Resonanz befinden, wobei man dem philosophischen Diskurs zutraut, vermittels dieser Rekodierung eine getreue Verdoppelung davon zu werden. Es handelt sich jedenfalls um die Suche des Sprachlichen nach dem Metasprachlichen, die aber gänzlich durch eine abgründige, in den Tiefen der Zeitlosigkeit verschüttete und auseinandergesprengte Identität polarisiert wird, wodurch der »Mythos« seinen Mythencharakter verliert, da er nun zum Einzigen wird und über einen Abgrund gespannt ist, der nicht auf die Vergangenheit einer anderen Zeit übertragen wird. Wir sprechen dies nur an, damit man besser erfassen kann, welcher kohärenten Verformung die Stiftung des mythischen und mythologischen Denkens durch die Stiftung der Philosophie unterzogen wird. Aus einer anderen Perspektive lenkt diese kohärente Verformung den Blick darauf, daß die Philosophie, wenn sie überhaupt einen »Fortschritt« erzielt, nicht so sehr zur »Wahrheit« »fortschreitet« – das philosophische Denken ist ebenso unendlich und unabschließbar und »kapituliert« letztlich ebenso sehr vor den großen Fragen wie jedes andere Denken auch. Vielmehr leistet sie einen »Fortschritt« in der Abstraktion, da sie auf den Trümmern des mythologischen Denkens zum Denken der Identität als solcher gelangt ist – und diese ist notwendigerweise symbolische Identität der symbolischen Stiftung. Dadurch hat sie sich zum Denken der symbolischen Stiftung als solcher (Unterscheidung physis/nomos) und zum Denken der Gründung entwickelt, welche notwendigerweise eine symbolische Gründung ist, die selbst über den Abgrund gespannt ist, nämlich den Abgrund des sich Nicht-Thetischen, in welchem sich schon eine hyperbolische Epoché jeder symbolischen Stiftung ansetzt, innerhalb derer die symbolische Stiftung sich nun suchen muß, um gewissermaßen den Universal-»Schlüssel« zu finden, auch wenn, das ist gleichsam der dafür zu zahlende Preis, diese Suche mehr oder weniger durch eine auf Entfernung gehaltene Identität polarisiert ist. Diese erscheint in ihrer Einheit wie das Fundament für die Gründung, aber mit dem Korrelat, daß sie in ihrer Identität auch als der Abgrund jeder Gründung erscheint, in einer Verdopplung, die an das Problem der genealogischen Rekodierung im mythologischen Denken denken läßt, in der die genealogische Rekodierung auf kohärente Weise in eine genetische verwandelt und verformt wird – nämlich in ein Hervorbringen, das zugleich das der Gründung ist, in welcher der Abgrund durch seine Re-präsentation oder seine Re-Kodierung in der Gründung auf Distanz gehalten wird. Anders gesagt, und insofern wir selbst Erben der philosophischen Tradition sind, kann diese Art, den Abgrund der Gründung (fondation) durch die Re-kodierung im scheinbaren Grund (fondement) auf Distanz zu halten, für ein allgemeines Kennzeichen der symbolischen Stiftung gehalten werden. Und die Begegnung mit dem Abgrund kann als der eigentümliche Moment gelten, in dem das Erhabene die Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung in Gang setzt. Es ist nun entscheidend, zu erfassen, wie dieser Beginn der Reise der symbolischen Stiftung um sich selbst unvermeidlich die Gesamtheit des phänomenologischen Feldes wieder ins Spiel bringt, indem sie dieses, und vor allem die sprachlichen Phänomene, blind rekodiert, um nun ihre Schieflage gegenüber dem phänomenologischen Feld wieder einzuführen. Gehen wir wieder vom Problem des Parmenides aus, das offensichtlich unserer Situation am nächsten ist. Die Implosion der Identität wird in diesem Dialog auf Distanz gehalten, haben wir gesagt, denn die anfänglich angesetzte Dualität des Einen und des Seins erlaubt nach der Prüfung der auslösenden Katastrophe (das Eine ist das Eine, d.h. die Identität, in die alles implodiert), deren wechselseitige Beziehungen und den Widerhall dieser Beziehungen hinsichtlich der Ideen genauer zu
301 betrachten. Uns stellt sich das Problem, das zu erfassen, was noch an Phänomenologischem bleibt, wenn die Identität, welche die Identität der Sinnregungen (die Identität der Ideen) sein soll, als die Identität einer Gründung auf Distanz zum Abgrund der Implosion gedacht wird. Anders gesagt, ist das Problem, unter welchen Modalitäten die Explosion, die nun sozusagen an den Rändern der Implosion festgehalten wird, in den gewissermaßen stabilisierten Spuren (den Ideen) scheint. Diese Stabilisierung ist, wie wir gesehen haben, im Neoplatonismus als Manenz gedacht, insofern sie das Gleichgewicht zwischen Prozession und Konversion herstellt. Damit aber wird etwas von der Verwebung der Protentionen und der Retentionen in der Erleuchtung gedacht, allerdings in der Form einer Explosion (Prozession), die momentweise (in der Manenz) durch zumindest eine »transzendentale Erinnerung« an die Implosion (Konversion) stabilisiert wird, d.h. in der Form einer Zerstreuung oder einer Dissemination, die ihrerseits an ihrem Rand zum Stillstand kommt, um sich wieder in ihrer Einheit-Identität zu erfassen. Das phänomenologische Problem liegt darin, daß der Ort der Implosion (das Eine) zwar nicht ohne phänomenologischen Status ist, aber keinen phänomenologischen Gehalt besitzt, da darin die Verwebung, welche die Erleuchtung hervorbringt, wie in einem »schwarzen Loch« verschlungen wird. Daß also die daraus entstehende Explosion eigentlich nur die Explosion des Nichts ist, und daß die stabilisierende Wiederaufnahme der Splitter des Nichts nur ihrerseits Splitter des Nichts liefern kann, also nur Nichts. Das zeigt zugleich aus phänomenologischer Sicht, wie die Implosion vom Sinn losgelöst wurde, der darin implodiert und wie sehr sie demnach hinsichtlich der phänomenologischen Pluralität der Sinnregungen und der wechselseitig transpassiblen Sinnansätze formal bleibt – wobei man wohlgemerkt innerhalb einer ziemlich strukturalistischen Illusion denken könnte, daß die Sinnregungen aus den Bezugssystemen zwischen den Splittern des Nichts und dem Nichts wie die Kaninchen aus dem Hut herausgezogen werden könnten: diese Systeme sind nichts anderes als ausgehöhlte Bezugssysteme von dem, was sich in oder nach den Matrizen dieser Splitter des Nichts von den Sinnregungen rekodieren wird. In anderen Worten, und insofern vermittelt diese (symbolische) »Lösung« »gute Aussichten« für unser Problem, enthalten diese Abstraktion und dieser Formalismus, wenn man sie derart auffaßt, gewissermaßen phänomenologische »Restbestände«, die sie rekodieren werden. Es muß einsichtig werden, daß die Abstraktion der Identität im Einen nur insofern möglich ist, als sie das auseinanderhält, was sich in der phänomenologischen Implosion vermengte, nämlich den Sinn und die Identität. Denn erst diese Dissoziation erlaubt ganz »natürlich« die Rekodierung der Sinnregungen und der Sinnansätze durch die Identität selbst. Zwar liefert uns die erste Hypothese so etwas wie ein Bild der Implosion, es ist aber, worauf die Kommentare in der Nachfolge der neoplatonischen Tradition oft genug hingewiesen haben, ein nur »negatives Bild«, als »Involution« dessen, was sich noch »ins Positive« entfalten wird, nämlich in die »Evolution« in der zweiten Hypothese. Anders gesagt, liegt hier schon eine Form der aushöhlenden Disziplinierung des philosophischen Sprachgebrauchs vor, um zu zeigen, daß seine Implosion im Abgrund das genaue Gegenteil dessen ist, was sich schon in einem ersten Moment in seiner Explosion stabilisieren wird. Die erste Hypothese ist eine Art von Lemma des großen Theorems, das sich in der zweiten allmählich herausstellen wird, denn die Termini des in der ersten unablässig Kurzgeschlossenen werden die gleichen wie die sein, die in der zweiten ihren festen Platz gewinnen werden. Genau das haben wir unter dem Auseinanderhalten von Sinn und Identität gemeint, und dies macht auch den Parmenides zur ungeheuren Leistung der sich
302 bildenden symbolischen Stiftung der Identität – und von einem einzigen Menschen zur Synthese gebracht. Das bedeutet also, in der gleichen Bewegung, daß die Sinnregungen vor der Implosion bewahrt sind, die ja nur Implosion der Identität im Einen ist, und daß die Explosion des Einen gerade in ihrer Formalität von sich aus gegenüber den Inhalten oder Sinnregungen indifferent ist. So wird die Explosion als transzendentale Matrix der Rekodierungen der Sinnregungen zu Ideen auftreten. Das Anhalten der Explosion, indem man in ihr Verkettungsmatrizen zur Neuanordung der Ideen findet, wird durch ihre Formbarkeit ermöglicht, oder dadurch, daß sie anscheinend nicht in den Sinnregungen verankert ist. Gerade das bewahrt nämlich die Katastrophe davor, total zu sein, da die sich bildenden Sinnregungen und die Sinnansätze relativ gleichgültig der Form der Implosion/Explosion gegenüberstehen und so vor der Katastrophe bewahrt bleiben. Aus dem Parmenides schält sich also die symbolische Matrix der Identität heraus, die im Prinzip in ihrer Prägnanz alle Sinnregungen und Sinnansätze durchdringen und sie zu Ideen disziplinieren muß, die immer schon da sind und auch weiterhin da sein werden, aber in der Ewigkeit, in der Zeitlosigkeit, die in der Augenblicklichkeit nur blitzhaft apperzipiert wird (dritte Hypothese) und den Zeiten (den Zeitigungen/Räumlichungen) der Sinnregungen vorausgeht. Diese Zeitlosigkeit ist aus phänomenologischer Sicht leer, denn sie ist die Implosion ins Eine der schematischen proto-ontologischen Proto-Zeitlichkeit, die sie allerdings dennoch, wenn auch in untergründiger Bewegung entfaltet, wie eine quasi-endgültige Aporie. Aus architektonischer Sicht ist nun gerade dieses phänomenologisch »Leere« symbolisch »voll«, was nun die Konzeption der Zeitigung/Räumlichung der Sinnregungen »filtern« wird, jedesmal wenn sie sich phänomenologisch wieder neu ansetzt, indem sie den Abstand zu ihrer eigenen Schieflage erneuert. Diese wird nicht mehr als die Schieflage des Sinns zu sich selbst gefaßt werden, sondern als die Schieflage des Einen, d.h. der symbolischen Identität selbst im Verhältnis zu einer symbolischen Identität der Idee, die gerade durch diese Schieflage abgesichert sein soll. Verdeutlichen wir uns diese äußerst wichtige Bewegung. Die Idee ist deshalb die Spur des Einen, weil sie dessen ursprünglich verzögertes Echo in der Explosion (Prozession) ist, die sich auf die Implosion zurückwendet (Konversion). Das bedeutet also, daß die Implosion, die ja immer schon als Abgrund verschüttet war, sich noch in der Explosion wieder aufzunehmen vermag, oder daß die Explosion von sich selbst unterschieden ist in einer gleichermaßen von sich selbst unter-schiedenen Implosion und daß die Form den Inhalt in diesem doppelt differenten Einschalten des Unter-schieds wieder zusammenfügt: dadurch wird die mythische Vergangenheit, die andere Zeit, die des Ursprungs im Mythos in der Implosion aufgesogen, womit sie echohaft als Retention der Implosion widerhallt, welche nun die Explosion an ihrer völligen Ausweitung hindert, sie so in ihrer Dynamik aufrechterhält und sie vor einer bloßen Dissemination bewahrt. Anders gesagt hält der Brennpunkt der Ein-Identität die versprengten Elemente der Explosion vor der gänzlichen Zerstreuung zurück: die Erinnerung oder die Retention des Einen öffnet auf seine Protention, über die das Eine sich reflektiert, aber in Abwesenheit und als Abwesenheit, die sich erst »im Nachhinein« in der Ein-Identität der Idee wiedergewinnt, d.h. in der Erleuchtung als solcher, die nicht der Ein-Identität, sondern der Idee angehört. Diese gehört nicht einmal dem verfehlten »Einen« an, sondern als Spur des abwesenden Einen dem über die Kontingenz des Sinns rekodierten (und rekodierenden) Einen. Für sich genommen ist die Idee jeweils die Rekodierung der über dem auf Abstand gebrachten Abgrund voll-
303 zogenen Gründungs-Abgrund des implodierenden Einen. Sie soll die Identität erreichen, indem sie sich selbst als durch die Ein-Identität polarisierte Identität erfaßt. Ihr ursprünglicher Abstand zu dieser erlaubt ihr also, sich zu identifizieren, sich im Begriff scheinbar selbst vorauszugehen und sich nachzufolgen, um sich mit sich selbst zu identifizieren. So gefaßt ist die Idee also der symbolische Brennpunkt des Sinns, dessen zeitigende Entfaltung in einer zweiten Explosion/Implosion aus dem identitären Pol der Idee hervorgehen soll, der die Seele als Ort hat. Und in diesem Prozeß rekodiert sich eigentlich die philosophische Sprache. Aus phänomenologischer Sicht folgt daraus zweierlei, einmal auf der Stufe der Erleuchtung, dann auf der Stufe ihres sprachlichen Ausdrucks. Wenn die Erleuchtung die Spur des Einen und die Idee die Stabilisierung dieser Spur ist, dann bedeutet das wiederum zweierlei. Als Implosion entwurzelt sich, wie wir gesehen haben, das Eine völlig aus dem phänomenologischen Feld, indem es dieses verschlingt, indem es dieses in der Verschmelzung in das phänomenologische »schwarze Loch« der Implosion geraten läßt. Aber da diese andererseits in ihrer Form einer Identität (des Sinns) als Eines gefaßt ist, wirkt sie sich als auf Entfernung gehaltener Pol aus, dessen Entfernung das phänomenologische Feld polarisiert. Das bedeutet, daß die schon durch die harmonische Abstimmung in der Erleuchtung sich vollziehende Verwebung der Protentionen und Retentionen – als eine den formalen sprachlichen Wesen* folgende Verwebung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, die durch wilde sprachliche Wesen* schon aufgefächerte wilde weltliche Wesen* sind –, selbst schon, aber auf Abstand, durch das Eine verformt ist, daß also die harmonische Abstimmung selbst schon eine (durch die Implosion) stabilisierte Explosion des Einen ist, oder auch daß sie nichts anderes als die harmonische Abstimmung des Einen mit sich selbst ist, die den Sinn in seiner Identität der Idee stabilisiert. Daher werden die formalen sprachlichen Wesen*, welche die harmonische Abstimmung betreiben und die, erinnern wir daran, wilde sprachliche Wesen* sind, als »Logizitäten« a priori der harmonischen Abstimmungen des Einen mit sich selbst wieder aufgenommen oder rekodiert, und zwar über die Distanz hinweg, die das Eine von sich selbst wie von seinen Splittern trennt, in denen durch seine Abwesenheit sich seine Identifizierung vollzieht. Diese »Logizitäten« lassen sich zwar, was auch widersprüchlich wäre, am Einen selbst nicht direkt aufweisen, aber sie rekodieren sich durch das Harmonische, das jede Idee ausmacht und über die harmonischen Resonanzen zwischen den Ideen. Anders gesagt handelt es sich, da das Ganze eben durch das Eine vereinigt ist, um eine Art »transzendentale Logik«, nach der zu suchen sich Platons Denken im Parmenides aufgemacht hat. Diese »Logik« gehört dem an, was Maldiney sehr treffend den harmonischen Logos genannt hat. In ihm vereinigen sich die Formalität des Schemas des Denkens des Einen, seiner Implosion/Explosion und die Wiederaufnahme der Sinnregungen als Inhalte, die symbolisch in den Ideen verdichtet sind. Die phänomenologische Auswirkung dieser symbolischen Stiftung des Einen besteht also zumindest tendenziell vor allem darin, die harmonische Abstimmung aus der Verwebung herauszureißen, die sie in der Erleuchtung an den Protentionen und den Retentionen vollzieht, als ob die phänomenologische Kontingenz (Faktizität) der Sinnregungen nun auf die Notwendigkeit a priori der harmonischen Logoi der Identität und der Identitäten zurückgeführt worden wäre. Demnach erscheint es nicht mehr notwendig, um die Erleuchtung zu stabilisieren, auf gut Glück formale sprachliche Wesen* an formale sprachliche Wesen* anzugliedern, um die harmonische Abstimmung herzustellen. Es erscheint also nicht mehr notwendig, die Sinnregungung
304 zu zeitigen/räumlichen, wohl aber sozusagen ihre symbolische Identität symbolisch abzusichern, indem man folglich die philosophische Sprache (langage) rekodiert – d.h. indem man sie stiftet. Dies findet in der sich bildenden symbolischen Stiftung statt, in welcher der harmonische Logos sich selbst als Meta-Sprachliches im Sprachlichen sucht, in seinem un-endlichen oder unabschließbaren Bemühen, sich an sich selbst auszurichten, zumindest durch eine Resonanz, die selbst harmonisch ist. Das bedeutet also, daß die sprachlichen formalen Wesen*, so wirksam sie auch immer in den harmonischen Abstimmungen des harmonischen Logos sind, sich durch die Polarisierung des Einen jeder proto-ontologischen/phänomenologischen Tiefe beraubt finden. Wenn in diesem Denken ein »Rest« des mythischen Denkens da ist, dann in dem im harmonischen Logos enthaltenen A priori: eine Art von »transzendentaler Vergangenheit« als einer anderen Zeit, die nicht mehr die der unmöglich gewordenen mythischen Erzählung ist, sondern einer sozusagen transzendentalen »Zeit« angehört, die in Wirklichkeit eine Zeit-Losigkeit ist, in der die Zeit selbst als ihre transzendentale Möglichkeit implodiert. Der harmonische Logos ist in diesem Sinn Träger des Paradoxes, nicht dem Sprachlichen anzugehören, sondern die Bedingung a priori jedes Sprachlichen zu sein: transzendentales Meta-Sprachliches, von dem das Sprachliche nur eine kohärente Verformung und die blind verlaufende Rekodierung sein kann. Man findet hier schon das, was die gesamte klassische Philosophie durchzogen hat, nämlich die Idee eines »Systems« a priori von Ideen, der Welt und der Seele im deutschen Idealismus (Fichte, Hegel), die Idee eines »Systems des menschlichen Geistes«. Die Verschiebung die sich daraus für die Sprachphänomenologie ergibt, ist entscheidend: hat sich bisher der Sinn immer in einer begriffslosen schematischen Teleologie reflektiert, und zwar als der Abstand zu seiner bis zu einer gewissen Sättigung sich ausbildenden Schieflage, die mit einem Pulsieren der »Geradelage« in der »Schieflage«11 einhergeht, war also bisher der Sinn mit innerer Notwendigkeit kontingent und durch und in seiner Kontingenz (seiner Faktizität) auf die Transpassibilitäten anderer Sinnregungen und Sinnansätze geöffnet, so sieht sich nun in der symbolischen Stiftung diese Teleologie methodisch in einer logischen Teleologie wiederaufgenommen, die durch den Begriff der Identität polarisiert wird, von dem man jedenfalls vermeint, daß er die Identität in ihrem Begriff liefert – und zwar vermittels der gesuchten, auf sich selbst bezogenen Angleichung an das, was Kant »teleologisch reflektierende Urteile« nannte. Außerdem ist diese begriffslose Teleologie onto-logisch, d.h. a priori und durch die vermeintliche Bestimmung a priori der Sinnregungen als Identitäten kurzgeschlossen, die sich in ihrer Idee verdichten. Es brauchte die Kantsche kritische Wendung – die noch einmal von Fichte und Hegel kurzgeschlossen wurde –, um diese Bewegung der ontologischen Bestimmung a priori zu entschärfen, durch welche die symbolische Stiftung sich eigentlich nur vorausent-warf, um den Anschein zu erwecken, sich an sich selbst anzugleichen. In dieser Version sind nämlich die Sinnregungen nun kontigent, aber nur für uns, in unserer Kontingenz, während sie doch, auf ihre ideale Identität zurückgeführt, die durch Erschöpfung und durch Abstraktion zu suchen ist, in ihrer a priori Gliederung streng notwendig sind. Diese Notwendigkeit muß nun die Philosophie in der Bewegung ihrer sich bildenden symbolischen Stiftung darstellen. Aber diese Suche ist ihrerseits unabschließbar, da sie innerhalb des strengen Rahmens der symbolischen Stiftung unerklärbar bleibt und die Idee als stabilisierte Spur sich selbst nur im Sprachlichen und durch das Sprachliche stabilisieren kann.
305 Nun ist aber dieses in seiner Zeitigung/Räumlichung seinerseits aus den formalen Wesen, die es bei seinem Abenteuer einbringt, entwurzelt, die ja in der harmonischen Abstimmung selbst aus ihrer phänomenologischen und schematischen Tiefe entwurzelt worden waren. Das bedeutet, daß jedes Bemühen der Umschreibung des harmonischen Logos im Sprachlichen nur noch durch die der symbolischen Stiftung eigenen Blindheit geleistet werden kann, vermittels einer blinden Neuverteilung der sprachlichen formalen Wesen, deren Ineinander-Umschlagen sich blind vollzieht und deren »Leerstrukturen« ihrerseits die Ideen zu mit dem Einen harmonierenden Ideen (sozusagen »longitudinal«) und zu wechselseitig harmonierenden Ideen (sozusagen »transversal«) strukturieren werden. Diese »Leerstrukturen« werden als in einem transzendentalen »Vorher« (das a priori) immer schon da vermeint, und sie neigen dazu, den harmonischen Logos zu etwas zu verfestigen, aus dem sich die symbolische Stiftung einer bestimmten fungierenden Sprache herausentwickelt, ein ausgewachsenes Sprachsystem, nämlich das der klassischen Philosophie. Wir werden auf diese äußerst komplexe Weise einer kohärenten Verformung zurückkommen müssen, durch welche die sich blind vollziehende Wiedereinschreibung der formalen Wesen in die formalen Wesen, d.h. von sprachlichen Logizitätsfetzen in sprachliche Logizitätsfetzen, so etwas wie einer »Logik« Raum zu geben vermag. Noch dazu einer »Logik« der Rekodiereung des Sinns oder von Sinnfetzen, die selbst sich in ihren meta-logischen oder transzendentalen Teil und in ihren gestifteten Teil aufteilt, der damit als unmittelbar erkennbar gegeben ist. Wir verstehen jedenfalls, daß diese Verformung durch die Entwurzelung der sprachlichen formalen Wesen in ihrem Bezug zur Zeitigung/Räumlichung oder zu ihren Bedingungen in der konstitutiven Verwebung der Erleuchtung eingeleitet wird. Und das läßt uns umgekehrt verstehen, daß sich etwas von dieser Bewegung immer schon in jeder symbolischen Stiftung des Sprachlichen zum Sprachsystem, d.h. zu Zeichenkomplexen und ihrem geregeltem Gebrauch, vollzieht. In jeder symbolischen Stiftung gibt es nämlich wie gesagt eine Distanzierung der identitären Implosion, ob nun wie im mythischen Denken durch die Stiftung eines Denkens gegen die Identität, oder wie im mythologischen Denken durch die Suche nach der Identität durch genealogische Rekodierungen, welche die Identität auf eine »akzeptable« Distanz bringen, oder wie im philosophischen Denken durch die »transzendentale« Unterscheidung zwischen dem identitären Einen und dem Seinssinn. Es ergibt sich jeweils, wenn auch in verschiedenen Modalitäten, daß das phänomenologische Feld sich gemäß dieser Distanzierung rekodiert. Insofern auch das phänomenologische Feld dabei an den Rändern des »schwarzen Loches« der Implosion zurückgehalten wird, findet sich also zumindest eine gewisse Identität der Zeichen abgesichert, übrigens auch gegen die Explosion, die sie als immer schon disseminiert erscheinen ließe. In dieser Distanzierung des Abgrunds gibt es immer zumindest etwas von der Selbstheit, die sich gegenüber einem Sinn abzuheben versucht, der sich rekodiert, indem er sich als Gründung, d.h. als Identität »darstellt«. In diesem Sinn, aber nur in diesem, gibt es also eine Art von hegelianisch aufgefaßter »Wahrheit« der symbolischen Stiftung in der symbolischen Stiftung der Philosophie. Denn es muß schon eine unbewußte Rekodierung des Abgrunds geben, sei es auch nur, um das Sprachliche im Sprachsystem zu stabilisieren. Aber das schließt nicht ein – das wäre ein ethnozentristischer Glaube – daß diese minimale Identität der Zeichen – eine Identität in ihren »longitudinalen« und in ihren »transversalen« Unterschieden, die daraus wie gesehen eine ursprüngliche Polysemie machen – nicht wieder fraglich werden könnte: sie vermag nämlich nicht aus sich selbst heraus die
306 Identität der symbolischen Stiftung abzusichern. Wie auch das phänomenologische ist das symbolische Feld von einer un-endlichen Komplexität und Feinheit und vielfältig »aufgefächert«. Anders gesagt, die »Sedimentierung« der Sinnregungungen zu Bedeutungen hat immer schon im symbolischen Feld stattgefunden und das philosophische Problem des Sprachsystems besteht in der relativen Invarianz ihrer Bezüge, in denen sich aushöhlend auf unbewußte und (in den Grenzen dieser relativen Invarianz) bewegliche Weise das abzeichnet, was als das Logisch-Grammatische wieder aufgenommen und in und mit der Philosophie dargestellt wird. Das bedeutet nämlich, daß hinsichtlich der Situation der philosophischen Stiftung des Sprachsystems und mutatis mutandis allgemein in der symbolischen Stiftung zum Sprachsystem sich eine wechselseitige Ablösung der Bedeutungen (der Zeichen) und der sprachlichen formalen Wesen* vollzieht, die dabei gleichermaßen ihre proto-ontologische und schematische Tiefe verlieren; daß also in der bereits angesprochenen Wiederzusammenstellung des Sprachlichen von den »erkennbaren« Zeichen der Sprache her etwas von den in der Erleuchtung wirkenden sprachlichen formalen Wesen auf blinde Weise in diejenigen formalen sprachlichen Wesen umschlägt, die in der Zeitigung/Räumlichung der Erleuchtung walten, wobei diese verwobenen formalen Wesen, ohne deswegen sich als »transzendentale Logik« (Meta-Sprachliches) des Sprachlichen zu reflektieren, sich ihrerseits in den »Leerstrukturen verdichten, welche die Zeichen aneinandergliedern, und die in ihrer rätselhaften Invarianz auf stets unbewußte Weise den Gebrauch der Zeichen regeln und dabei bewirken, daß das Sprachsystem als immer schon gegeben und ohne Ursprung zu sein scheint. Die so ungeheure Schwierigkeit der Sprachhänomenologie besteht, wie nun erkennbar ist, in der doppelten kohärenten Verformung der phänomenologischen »Zeichen« zu linguistischen Zeichen und der formalen Wesen, die als Logizitätsfetzen die Zeitigung/Räumlichung in Gang bringen und durchführen, zu »Leerstrukturen« (Matrizen der zu untersuchenden Verhältnisse). Diese Schwierigkeit wird noch dadurch gesteigert, daß, wie gesehen, mit der symbolischen Stiftung des Sprachlichen zum Sprachsystem gewissermaßen die ganze symbolische Stiftung auftritt, oder daß sie zumindest als Echo auf all die anderen »Fächerungen« der symbolischen Stiftung widerhallt, und zwar durch die der Ordnung der symbolischen Faktizität angehörende »Tatsache«, daß die symbolische Stiftung niemals selbstverständlich ist, sondern sich ständig immer weiter bildet, erarbeitet und umarbeitet. Im mythischen Denken zeitigt/räumlicht sich das Denken in ursprünglich plurale Sprachphänomene, die aber in dieser faktiziell einzigartigen Form des Denkens, das sich gegen die Identität, also auch gegen die »Hypostase« des Sprachlichen stellt, gewissermaßen unmittelbar materialisiert, konkretisiert oder sedimentiert werden – worauf noch zurückzukommen ist. Dies geschieht auf zweifache Weise, insofern zum einen der einmal gebildete Mythos nur noch mit Variationen, Hinzufügungen oder Auslassungen wieder aufgenommen werden kann und insofern zum anderen das Denken, das sich darin suchte, sich nur wiederfinden kann, wenn es seinerseits andere Mythen erfindet, was als unabschließbarer Prozeß immer weiter bis ins Unendliche läuft und sich niemals dem Gedanken einer Einheits-Totalität unterordnet. Daraus folgt eine außergewöhnliche Variabilität des Sprachlichen (wir sprechen nicht vom Sprachsystem), seiner »Zeichen«, und in den Mythen eine große Nähe seiner Phänomene zur Phänomenalität: aus diesem Grund beeindrucken sie uns durch ihre Jugendlichkeit oder Kindheit, die wir nach dem bisher Gesagten in einem transzendentalen Sinn verstehen müssen. Im Sprachgebrauch des Mythos kann eine Frau auch ein Frosch und ein Mann ein Jaguar sein, ohne daß es da, wie
307 Lévi-Strauss irrtümlich meinte, a priori eine Kodierung gäbe. Im Gegenteil, gerade weil sich das Sprachliche nicht in kanonische Formeln im Verhältnis zu sich selbst verfestigt, werden all diese Abstände der Sinnregungen möglich (und sogar transpossibel) – und es wäre viel Erfindungsreichtum nötig, um ihnen Regeln unterzuschieben, die noch dazu von einer (strukturalistischen) Abstraktion sind, die doch früher gar nicht in Reichweite war. Was das mythologische Denken angeht, so sucht sich hier die Fixierung der fungierenden Sprache zum Sprachsystem – also die symbolische Stiftung – über die Verkettungen geregelter Umformungen der genealogischen Kodierung. Dabei erscheint das Sprachsystem schon, insofern es sich in und durch Namen fixiert, auch wenn es im Verlauf der Umformungen vorkommt, daß sie sich wie Schubladen ineinander verschachteln – da ja auch Genealogien von Namen hineinspielen. Hier zeigt sich schon eine gewisse »Logik«, die auf blinde Weise die zeitigenden/räumlichenden Rhythmen der ineinander umschlagenden sprachlichen formalen Wesen rekodiert, eine »Logik«, die wir einfachheitshalber »genealogisch« nennen. Schließlich gelingt es dem »Logisch-Grammatischen« aus Gründen, die wir aufgewiesen haben, sich als solches in der Philosophie zu ergreifen, aber sozusagen blutleer, da es von jeder Zeitigung und jeder Räumlichung losgelöst ist: wir befinden uns am anderen Pol der kohärenten Verformung, in der das »Logische« so formal und zeitlos ist, daß es überhaupt keinen Sinn mehr trägt, außer den der symbolischen Tautologie zwischen Denken und Sein (Apophantizität des zum Logischen gestifteten Sprachlichen). Es kann nur dann auf die Frage seines Sinns zurückgeführt werden, wenn es als geregelte Verformung der transzendentalen Logik erscheint, die niemals als solche aufweisbar ist und immer in der ersteren verborgen bleibt. An seinem Ende dämmert der philosophische Logos in äußerster Flachheit dahin und hat nicht mehr zu sagen als daß das, was ist, so ist, wie es ist – oder vielmehr, daß es so zu sein scheint, wie es scheint, – eine katastrophale Absorption des Scheinens und des Erscheinens durch das Sein. Heidegger stellt so gesehen eine Version dieser Katastrophe dar, von der aus alles neu aufgenommen werden muß. Wir stehen nun vor dem Problem der kohärenten Verformung der Fragmente sprachlicher Logizität (der sprachlichen formalen Wesen) zu »Leerstrukturen«. Dieses Problem können wir nur in der sich bildenden symbolischen Stiftung ergreifen. Das wäre eine fast unmögliche Aufgabe, wenn die sich bildende symbolische Stiftung nicht auf unlösbare Schwierigkeiten stoßen würde, welche Spuren oder Zeugen in dem hinterlassen, was nun als das symbolische Unbewußte zu fassen ist. Diese Spuren finden sich auch in dem, was sich daraus blind zu symbolischen Pathologien auswächst – Neurosen und Perversionen, denen die Psychoanalyse zu begegnen hat, und Psychosen, die für sie unbehandelbar sind, weil sie am Horizont des »schwarzen Loches« der Implosion auftauchen. Indem wir dem nachgehen, kommen wir wieder auf das phänomenologische Erhabene zurück, seinem Begegnen und Verfehlen. c) Die sich bildende symbolische Stiftung und ihre konstitutive Bruchlinie: das symbolische Unbewußte; symbolische Stiftung und symbolisches Gestell* In der symbolischen Stiftung hängt alles von der Implosion des Sinns in die Identität ab und von der Distanzierung gegenüber dieser durch die re-kodierende Wiederaufnahme des Sinns in Distanz zu seiner Implosion. Indem die symbolische Stiftung sich in ihrer Bildung derart in eine selbstbezügliche Bewegung setzt, bringt sie zugleich das phänomenologische Feld gleichsam »unterirdisch« wieder ins Spiel, und allein schon durch diese Tatsache gewinnt sie »Leben« und entwickelt sich ausarbeitend weiter. Nun kann diese Bewegungen mit »Fehlstarts« beginnen, sich brechen
308 oder aufspalten, um »hinter« sich eine Art symbolisches Kondensat zu lassen, das symbolische Unbewußte, das sich an passive Synthesen ersten Grades angliedert. Die Katastrophe der Implosion des Sinns besteht darin, daß dieser, indem er über sich selbst zur einer Identität zusammenbricht, die sein Abgetriebenes ist, zugleich seine Selbstheit (ipséité) verliert, d.h. seine zu ihm gehörende »Identität«, die ihn in seiner Transpassibilität gegenüber anderen Sinnregungen und Sinnansätzen einzigartig macht. Für den Sinn bedeutet dies also die Erfahrung seines Todes, der im Sprachlichen »negativ« erhabene Moment des Sprachlichen. Indem er sich über seine ausschließliche Selbstheit verkrampft, sich an sich selbst berauscht, stirbt der Sinn in der Identität eines phänomenologischen »schwarzen Loches« ab, und die Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung besteht durchweg daraus, diesen Tod abzuwenden. Diese Abwendung des Todes kann sich in einem Übergang vom Genitivus objectivus zum Genitivus subjectivus gegen sich selbst wenden, so daß der Tod selbst abwendend wird oder dagegen konspiriert, daß sich die symbolische Stiftung bildet, indem er sie zum symbolischen Unbewußten versteinern läßt. Das entsteht immer dann, in umgekehrter Richtung zur bisher analysierten Bildung der symbolischen Stiftung, wenn das Selbst sich an den Rändern der Implosion haltend gleichsam über sich selbst verkrampft und sich dabei selbst von der Identität ablöst, wenn also das Selbst sich in Distanz zu einer ihrerseits implodierenden Identität als formale Struktur nimmt, die eigentlich die Struktur einer leeren, gegenüber der Zeitigung/Räumlichung indifferenten Zeit und eines ebensolchen Raums ist. Aber wir wissen auch, daß diese Implosion durch die immer schon eingeleitete symbolische Stiftung immer schon in den Abstand zu sich selbst gebracht wurde und sich in relative Identität zumindest von Zeichen umkehrt, die aus den sprachlichen formalen Wesen* ziemlich herausgelöst wurden, da sie nicht mehr in den sprachlichen formalen Wesen verankert sind, die sich mit der Zeitigung/Räumlichung ins Spiel bringen. Es folgt daraus, daß die Abstraktion der Selbstheit (als Form der Zeit und des Raums) sich immer schon in der kohärenten Verformung der schon begonnenen symbolischen Stiftung herstellt. Das heißt also, daß die Selbstheit, die sich loslöst, indem sie sich am Rand des Abgrunds zurückhält, in solcher Abstraktion von der implodierenden Identität sich nicht ganz allein hält, sondern sich auf mehr oder weniger selektive Weise an implodierenden Identitäten festhält, und zwar in ähnlicher Weise, wie im Abenteuer des sich bildenden Sinns die symbolische Verwicklung der sich bildenden symbolischen Stiftung sich abspielt und sich immer wieder vollzieht. Daraus folgt nun wiederum, daß die sich abstrahierende Selbstheit hält, indem sie, allerdings auf Distanz, mit implodierenden Identitäten »verklammert« ist, die ihr so etwas wie eine (unbewußte) verkleidete (travesti) Re-präsentation ihrer Identität vermitteln: man wird in diesem durch die identitäre Implosion besetzten (investi) Zeichen die »Signifikanten« im Lacanschen Sinne erkannt haben, in denen der Sinn tatsächlich implodiert ist und, so gesättigt wie er von sich selbst ist, in der Implosion zu schlummern fortfährt in einer Ver-schmelzung (con-fusion) von sprachlichen und außersprachlichen Wesen*, die er von jedem phänomenologischen Horizont abschneidet (oder kurzschließt), ob es sich nun um begriffslose teleologische Sinnhorizonte oder um nicht teleologische Horizonte von anderen Welten in dieser Welt handelt. Entsprechend tendieren die sprachlichen Logizitätsfetzen (die sprachlichen formalen Wesen*), welche die sprachlichen und außersprachlichen Wesen im phänomenologischen Unbewußten schematisch (in einer Zeitigung/Räumlichung) gliedern sollen, dazu, sich zu »Leerstrukturen« zu verfestigen, die sie im symbolischen Unbewußten nach einer unbewußten »Logik«, nämlich der »Logik des Signifikanten« glie-
309 dern: diese vollzieht sich gemäß einer nur nachträglich erkennbaren »Sedimentierung« gegenläufig zur »Logik« der symbolischen Stiftung. Als »unbewußte«, dies aber nur am architektonischen Ort des Symbolischen, ist diese »Logik« gewissermaßen die symbolische Stiftung, die sich in sich selbst verwickelt oder verwirrt, indem sie sich auf blinde Weise innerhalb ihrer Rekodierung rekodiert, d.h. indem sie sich überbestimmt. Und insofern eine Distanzierung gegenüber der Implosion der Identität nur möglich ist, wenn neben ihr eine entsprechende Distanzierung gegenüber der Selbstheit in ihrer mehr oder weniger vollständigen Formalität stattfindet, gibt es keine symbolische Stiftung ohne symbolisches Unbewußtes. Das heißt auch, daß jede symbolische Stiftung in der Faktizität, die ihre Einzigartigkeit ausmacht, ihr symbolisches Unbewußtes – und alle seine möglichen konkreten Ausgestaltungen – als ihren Schatten mit sich trägt, wobei dieses Unbewußte verschieden angeordnet ist, je nach der symbolischen Stiftung, deren Schatten sie ist. Dies schränkt nun beträchtlich die seit Freud für »universell« gehaltene Tragweite der Psychoanalyse ein, deren »Gegenstand« immer nur das symbolische Unbewußte der symbolischen Stiftung war, in der wir leben, und sie wird dies auch immer nur sein könnnen. Es ist also grundsätzlich vergeblich, eine psychoanalytische Studie des mythischen oder mythologischen oder gar äußerstenfalls des philosophischen Denkens zu unternehmen (»äußerstenfalls«, weil wir alle mehr oder weniger von der Philosophie »durchdrungen« sind, aber nur sozusagen in Fetzen). Es wird nun eine Aufgabe der Phänomenologie der symbolischen Stiftungen sein, die jeweiligen Besonderheiten ihres symbolischen Unbewußten herauszuarbeiten. Da muß es Unterschiede geben: in einer symbolischen Stiftung, die wie im mythischen Denken sich gegen die Identität bildet, ist sie anders als in der Stiftung des mythologischen Denkens, die an der Identität auf Distanz festhält, indem sie diese nach genealogischen Kodierungen rekodiert, und wieder anders in der Stiftung des philosophischen Denkens, welche auch die Identität auf Distanz hält, indem sie diese in den Ideen gleichsam gemäß genetischer Kodierungen rekodiert. Es ergibt sich nun daraus eine jeweils verschiedene Konzeption der Selbstheit: im mythischen Denken die Selbstheit der Mythen, in der die Selbstheit ihres Erfinders verschwindet, im mythologischen Denken die Selbstheit der Götter, in der die Selbstheit der Menschen verschwindet und im philosophischen Denken die Selbstheit der Ideen, für die eine menschliche Selbstheit, die des Philosophen oder seines Denkens notwendig ist. Es ist nicht verwunderlich, daß das Problem wieder äußerst komplex wird, auch wenn die näheren Umstände nicht ausgearbeitet werden und wir es hier es nur grundsätzlich behandeln können. An der Konstitution des symbolischen Unbewußten ist erstaunlich, wie die sich bildende symbolische Stiftung gewissermaßen über sich selbst stolpert und sich bricht, um einen Teil ihrer selbst hinter sich verfestigt zurückzulassen. Spuren oder Zeugen davon sind die Signifikanten mit ihrer »Logik«, welche die symbolische Stiftung in der Bewegung ihres Bildens nicht mehr aufzugreifen oder in ihre Bildung wieder zu integrieren vermag – allenfalls kann sie diese, wie es in den erfolgreichen psychoanalytischen Kuren der Fall zu sein scheint, in einem Gewebe von mehreren sich bildenden Sinnregungen »verflüssigen«. Auch wenn es paradox scheinen mag, so handelt es sich hier um das von Merleau-Ponty in seinen von C. Lefort in Das Sichtbare und das Unsichtbare aufgenommen Arbeitsnotizen unter dem Begriff der »existentialen Sedimentierungen«12 Gedachte, worauf wir ja schon hingewiesen haben. Diese fixieren durch Polarisierung auf unbewußte Weise die onto-logischen existentialen Möglichkeiten dessen, was als Sinn möglich bleibt, und zwar durch das Kurz-Schließen von Transpassibilitäten/Transpossibilitäten. Die Signifikanten sind
310 nämlich symbolische Existentialien, in denen die Sinnmöglichkeiten zu ihnen selbst gewissermaßen eingeschlossen liegen, wodurch sie auf ihre Weise zugleich die abenteuerliche phänomenologische Erfahrung des Sprachlichen und die Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung verformen. Diese Art von Ökonomie der Implosion, die in den zerstreuten Implosionen zu Signifikanten stattfindet, müssen wir genauer untersuchen. Es ist, als ob bestimmte Zeichen kurz vor ihrer Identifikation in der sich bildenden symbolischen Stiftung sich mit Sinnregungen auflüden, indem sie diese in ihrer Implosion kondensierten und so ein »anderes Sprachliches« hinter dem Sprachlichen entwürfen, wo aber das Sprachliche unverständlich ist, und wogegen auf jeden Fall das Sprachliche in seiner doppelten phänomenologischen und symbolischen Dimension nichts ausrichten kann. Dem Bewußtsein (con-science) entgehen also nicht die Signifikanten, sondern daß sie sich auf eine erratische Weise ihm darstellen, und zwar in Verkettungen, die eben nicht kontingent sind, da sich darin kein Sinn reflektieren kann, sondern willkürlich und dabei dennoch mit übermächtiger Notwendigkeit zwingend. Das ist die Notwendigkeit des Todes, der in seiner Ökonomie sich von sich selbst unterscheidet, insofern er dabei »Gestalt gewonnen hat« und gerade diese Gestaltbildung ihn auf Distanz bringt. Die Signifkanten und ihre Artikulationen sind wie die Kondensate der Identität, des Abgrundes, des Strudels oder des »schwarzen Loches« der Identität, in dem das Selbst unter Wahrung der Distanz sich ergreift und sich fängt, allerdings mehr oder weniger als leeres. Zweifellos verursacht die Vernichtung oder zumindest die Tendenz zur Vernichtung dieser Entfernung die Katastrophe der Psychose: eine Neigung zur aboluten Passivität der Selbstheit hinsichtlich der Identität, mit der Tendenz, eine nur ganz leere Selbstheit zuzulassen, die leidend dem »nackten Schrecken« (Binswanger) eines Raumes ganz partes extra partes und einer einförmigen, monotonen und leeren Zeit ausgesetzt ist. Es handelt sich hier um eine extreme symbolische Pathologie, in der die Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung blockiert ist und nur noch die mehr oder weniger zerfallenen Trümmer der Katastrophe übrig bleiben. Man kann durchaus sagen, wie es auch Freud mehr oder weniger vorschwebte, daß sich dabei das symbolische Unbewußte quasi »unter offenem Himmel« befindet. Dies aber nur, weil es jede symbolische Stiftung und das ganze phänomenologische Feld in sich aufgesogen hat. Wir werden noch mehr Klarheit gewinnen, wenn wir außerhalb des Falles der Psychose diejenigen symbolischen Pathologien untersuchen, die mit den von uns bereits untersuchten symbolischen Stiftungen einhergehen: in den Fällen des mythischen und des mythologischen Denkens ist es das Ritual, in dem Mythen oder Fetzen von Mythen ihren Sinn verloren haben und bestimmte »Signifikanten«, die deren Sinn (ihren Sinnüberschuß) in sich bewahren, sich von heiligen »Werten« besetzt finden – insofern gehört das Heilige unserer Meinung nach immer dem Ritual an und ist der symbolischen Pathologie immer unendlich nah –, indem sie sich auf blinde Weise in rituellen Verhaltensweisen rekodieren, die durch miteinander verflochtene Überkodierungen mit mehr oder weniger »magischer« Tragweite überbestimmt werden; im Fall des philosophischen Denkens handelt es sich um das Ritual in seiner scholastischen Form, in welchem die kanonischen Ausdrücke des Denkens sich von Bedeutungen allein deshalb überbesetzt sehen, weil sie von einer Person oder einer Gruppe von Personen ausgesprochen sein sollen, ohne daß es noch in Frage käme, den Sinn dieser Ausdrücke zu erforschen. Dies hat uns veranlaßt, in unseren Arbeiten als Echo, aber auch in ironischem Bezug auf das Werk Heideggers dieses System von Signifkanten mit ihrem Anschein von »Logik« als symbolisches Gestell* zu nennen:
311 wir haben es in einer ausdrücklich polemischen Absicht durch symbolischen »Kram« (machin) übersetzt. »Kram« sind diese symbolischen »Basteleien« tatsächlich, in denen in Wirklichkeit die symbolische Stiftung in ihrer Bildung abgebrochen wird oder sich zumindest so verwickelt oder verstrickt, daß ihr die Frage nach dem Sinn abhanden kommt. Was also läßt die symbolische Stiftung, zumindest teilweise in ein symbolisches Gestell verfestigen? Das Bewahren des Selbst angesichts der Katastrophe, haben wir gesagt. Aber diese ist, wie wir uns erinnern, schon in verschiedenen Modalitäten bestätigt, und zwar in der Auslösung der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung als einer solchen, welche die Identität in Abstand bringt, was auch heißt: von sich selbst distanziert. Das bedeutet also auch, daß es in jeder symbolischen Stiftung etwas vom symbolischen Gestell* gibt, wobei dieses Gestell* die strukturale Analyse »hypostasiert«, insofern sie die symbolische Stiftung als ein »System« von Zeichen und ihrer Relationen in ihrem Gebrauch auffaßt. Das bedeutet auch, wie wir es auch vom symbolischen Unbewußten gesagt haben, daß das symbolische Gestell* die symbolische Stiftung als ihren Schatten begleitet, wir aber allmählich zu begreifen beginnen, daß es zumindest verschiedene »Einrastungen« für verschiedene symbolische Gestelle*, oder vielmehr »Schichtungen« des symbolischen Gestells* mit mehr oder weniger große Anhäufungen von symbolischen Überbestimmungen gibt – wobei es der symbolischen Stiftung nur dann gelingt, sich zu bilden, wenn sie in ihrer Bewegung dazu kommt, schrittweise diese »Anhäufungen« »wegzuräumen« und sie in der Diskursivität eines sich bildenden Sinnes zu disziplinieren, welcher in seiner Diskursivität, die auch Zeitigung/Räumlichung ist, die Ressourcen des phänomenologischen Feldes sozusagen hinterrücks wieder ins Spiel bringt. So gesehen ist also das symbolische Unbewußte nicht nur das von der Psychoanalyse »entdeckte«. Es hat eine viel allgemeinere Reichweite, es wirkt schon gemäß des sich als Gebrauchsregeln Sedimentierten bei der »Neuzusammenstellung« der Zeichen im Sprachlichen, welche durch die der Implosion folgende Explosion auseinandergesprengt und disseminiert waren. Aber das symbolische Unbewußte der Psychoanalyse ist vielleicht, zumindest in unserer Kultur, das »archaischste«, da es sozusagen der identitären Implosion am nächsten ist und also auch am heftigsten gegen die Bewegung »rebelliiert«, es in der Diskursivität der sich bildenden symbolischen Stiftung zu disziplinieren. Deswegen haben wir zu Beginn gesagt, daß die Einsicht in den »Mechanismus« seiner Konstitution uns die Chance eröffnet, das zu verstehen, was in jeder symbolischen Stiftung als blind verlaufende Rekodierung des phänomenologischen Feldes im Spiel ist. Es liefert uns im Rahmen des Möglichen tatsächlich die auffälligsten Fälle, welche die symbolische Stiftung nicht in der (transzendentalen) Illusion ihrer Übereinstimmung mit sich selbst »triumphieren« lassen. Das symbolische Unbewußte der Psychoanalyse stellt genau die Bruchlinie dar, an der greifbar wird, daß die symbolische Stiftung sich nicht selbst zusammenschmiedet, ohne daß sie darum zum »wilden Zustand« des phänomenologischen Feldes zurückkehrt. Das stellt unser Problem neu und präziser: welche notwendigerweise verfrühte Modalität der Abstraktion des Selbst bringt dieses zum Zerspringen, und zwar in symbolische Existentialien, die Signifikanten als Zeichen (sowohl weltliche als auch sprachliche Wesen) sind, die selbst auf mehrdeutige Weise von der identitären Implosion gezeichnet sind und dadurch, allerdings unbewußt, der Identität des Selbst Gestalt geben? Wieder zeigt sich das, was wir von Anfang an verfolgen: das Entscheidende liegt in dieser rätselhaften Beziehung zwischen dem Selbst und der Identität, wobei die »Identität« des Selbst gänzlich der Faktizität angehört und radikal einzig-
312 artig, aber transpassibel gegenüber anderen Einzigartigkeiten ist, während die Identität ohne phänomenologische Anführungszeichen ganz der Faktualität angehört, d.h. einer prinzipiellen Anonymität, die sich auf die Universalität, also eigentlich auf die Austauschbarkeit hin öffnet, was auch ohne das Wissen der sprechenden »Subjekte« die Zirkulation der Signifikanten ermöglicht, aber auch die wahrhaft »allgemeine« Form der symbolischen Pathologien, welche die Wirkungen des symbolischen Gestells* sind. Es ist, als ob in dieser Modalität die Selbstheit sich nur deshalb in ihrer Form aufrecht erhielte, um sich in der Identität des Inhalts zu vernichten. Als ob also die »Seele« sich nur »rein« erhalten könnte, indem sie sich von ihrem »Leib« trennt – d.h. indem sie sich entleiblicht, indem sie, ohne selbst davon zu wissen, sich in ihren Signifikanten phantomatisch verkörpert. Oder auch, als ob die »Seele«, von sich selbst übersättigt, nun nur noch mit den unbedeutenden (insignifiants) Fetzen des Sinns zu »basteln« hätte, wobei es sich um eine Bedeutungslosigkeit im Verhältnis zu den großen Fragen handelt und damit auch zu der großen Frage, was das »Leben« des Sinns ausmacht. Mit diesen Sinnfetzen versucht nun die Seele verzweifelt sich »wieder zusammenzusetzen«, während das Wesentliche, das was die Sinnregungungen im Sprachlichen verleiblicht, sich schon entzogen hat, weil es schon in den Signifikanten und ihrer »Logik« phantomatisch verkörpert ist. Diese Situation der Spaltung* hat die Psychoanalyse besonders stark betont. Alles wird, wie wir ahnen, von der verfrühten Abstraktion des Selbst ausgelöst. Sie gibt nämlich dem Sinn die Illusion seiner solipsistischen Exklusivität. Es ist, als ob der Begriff der Idee, die der Erleuchtung als dem schon geöffneten Ort ihrer Identifikation vorausgeht, sich so »schnell« vorausgeht, daß er sich sozusagen selbst überholt und dadurch die Idee oder vielmehr die Erleuchtung in den Signifikanten implodieren läßt, der Spur eines Sinns, der sich schon unter sich selbst begraben hat und vor dem Begriff geflohen ist. Das Denken dreht leer, da es sich in seiner nur reflexiven Form entleiblicht hat, und die Leiblichkeit des Sinns hat sich durch Verdichtung im Signifikanten phantomatisch verkörpert, indem sie in dieser Implosion die phänomenologischen Sinnfetzen in sich hinein zieht – die phänomenologischen »Zeichen« – durch die der Sinn sich suchte; oder auch, indem sie die transzendentalen Spuren und Zeugen seiner Transpassibiliät und damit seiner Transpossibilität in sich hinein zieht. Der Signifikant wäre nun der massive und passive Phantom-Körper der Idee, das von ihr Abgetriebene. Aber dies trifft, nochmals, nur auf den Grenzfall der Psychose zu, in der die Zeichen zwar voneinander getrennt und zerstreut, aber tatsächlich identisch sind. Man darf die Verfrühung der Abstraktion des Selbst also nicht so nah am sich bildenden Sinn annehmen, sondern als schon Angenommene in der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung, zumindest in der stiftenden Bewegung des Sprachsystems, von einer Vielfältigkeit von Zeichen eingenommen, die schon auf dem Weg der Neuzusammensetzung sind, aber von der Verfrühung angehalten werden, wobei die Leiblichkeit des Sprachlichen verfrüht zu schon vielfältigen und schon gegen die bloße Zerstreuung geschützten PhantomKörpern verdichtet wird, d.h. zu pluralen Signifikanten, die schon nach einer gewissen »Logik« von »Leerstrukturen« angeordnet sind – wodurch, nochmals, das Unbewußte oder die sich sedimentierenden Gestelle* ins Register des Symbolischen und nicht des Phänomenologischen übertragen werden. Wir müssen also nun im Grundsatz erfassen, wie diese Signifikanten, als phänomenologische Sinnfetzen, die kurz vor der Identifizierung zu Zeichen stehen, in ihrer »ökonomisierten«, da (durch eine Art von »Signifikantenkette« des »anderen Sprachlichen«) »verschobenen« Implosion noch Träger sprachlicher formaler Wesen
313 sein können, von phänomenologischen Fetzen sprachlicher »Logizitäten«, die sich ebenfalls anschicken, sich nach »Leerstrukturen« zu verteilen (was die Lacansche Psychoanalyse als »Logik des Signifkanten« hypostasiert, wodurch sie zum Vasallen des Strukturalismus wird). In dieser als höchst instabil zu bezeichnenden Situation ist eben alles in Umwandlung begriffen – nach der wir ja suchen. Diese wäre nur eine spekulative oder »metaphysische« Abstraktion, wenn sie sich nicht zu den erkennbaren symbolischen Pathologien sedimentierte oder verfestigte, und zwar in genau dieser Instabilität, welche nur für die Theorie und in theoretischen Zusammenhängen den Anschein einer »Stase« hat, auch wenn diese Pathologien in der sich bildenden symbolischen Stiftung fungierend bleiben – aber dies tun sie, weil diese Instabilität sie »parasitär« geradezu »lähmt«, indem sie unermüdlich auf deren Kosten ihre eigene Stabilität sucht, die jedoch unmöglich ist: das ist ein wenig wie in menschlichen Angelegenheiten der »faule Kompromiß«, dessen auch recht »faule« Auswirkungen man immer wieder zu spüren bekommt. Wie sieht es in einer weniger inchoativen, also weiter entwickelten Weise aus? Die Verfrühung der Abstraktion des Selbst entspricht der Verfrühung der Identität des Sinns – als ob der Sinn, der sich in der Erleuchtung vorausgeht, sich dabei sprunghaft selbst entgegenwürfe, indem er sich identifiziert und seine eigene zeitigende/ räumlichende Entfaltung kurzschlösse. Das bedeutet, daß die Zeitigung/Räumlichung im Sprachlichen in Wirklichkeit schon so weit begonnen hat, daß der Sinn sich darin mit der Frage seiner Selbstheit reflektiert, daß sie aber noch nicht weit genug entfaltet ist, um dem Sinn in dieser Reflexivität Zeit zu geben, sich im Sprachlichen zu verleiblichen, sich zu erkunden und sich in der Vielschichtigkeit der sprachlichen Phase, in seinen nicht teleologischen Horizonten der Transpassibilität zu entdecken, und zwar deshalb, weil diese Selbst-Erkundung und Selbst-Entdeckung auch ein Abenteuer ist, das den Sinn dem Risiko, sich zu verlieren, buchstäblich aussetzt. Durch diese auf ihn selbst bezogenene »Übereilung« (précipitation) also »fällt« im chemischen Sinn des Wortes der Sinn »aus« (précipite) und verfestigt sich, indem er sich in Selbstheit und Identität teilt; und zwar insofern verfrüht, als seine Übereilung schon eine Tendenz zur identitären Imposion hat, die gewissermaßen wie das »Reaktiv« agiert, die den Sinn in die Identität der Zeichen oder der Verkettung von Zeichen ausfällen läßt, gestückelt oder fragmentarisch und im Abstand zu einem Selbst, das seinen Sinn verloren hat. Diese Übereilung und diese »Ausfällung« des Sinns sedimentiert sich nun in Signifikanten, die der Selbstheit des Sinns, also dem, was allein sein »Leben« ausmacht, gegenüber blind sind. Und diese Verwandlung durch kohärente Verformung können wir nun in ihrer Bewegung besser fassen. In diesem wahrhaft sprachlichen Phänomen, das schon angesetzt ist, aber übereilt durch den von der Identität verursachten Kurzschluß zum Stillstand gebracht wurde, sind die »Zeichen« vor dem Kurzschluß, der ihren Schwung abrupt unterbricht, noch phänomenologische »Zeichen«, d.h. Sinnfetzen, die an den Sinn gebunden sind, aber in ihrer phänomenologischen Konkretheit als Fetzen die phänomenologischen Spuren und Zeugen ihrer Transpassibilität gegenüber anderen Sinnregungen (woraus die Gesamtheit ihrer wechselseitigen »longitudinalen« »Verweise« besteht) und auch gegenüber anderen Sinnansätzen tragen (was die Masse ihrer wechselseitigen »transversalen« »Verweise« ausmacht). Die phänomenologischen »Zeichen« sind, wie wir wissen, »longitudinal geteilt« gemäß der formalen sprachlichen Wesen*, die durch die Zeitigung (Räumlichung) ins Spiel gebracht wurden und »transversal aufgefächert« gemäß der formalen sprachlichen Wesen*, welche die Protentionen und die Retentionen in der Erleuchtung, also in
314 der harmonische Abstimmung miteinander verweben. Diese letztgenannten formalen Wesen*, die wie alle sprachlichen formalen Wesen* durch den sprachlichen Schematismus ins Spiel gebracht wurden, gliedern sich also schon gemäß der angesetzten Zeitigung des Sinns an die ersteren an. Diese entsprechen eher der Räumlichung (Zeitigung), die sich schon in den weltlichen wilden Wesen* vollziehen, insofern sie in den Proto-Protentionen/Proto-Retetionen verwoben sind, die durch die harmonische Abstimmung in Protentionen und Retentionen verwandelt werden. Anders gesagt, die angesetzte, aber durch die Übereilung abrupt unterbrochene sprachliche Phase ist schon ein schematischer Ansatz des Sprachlichen, den die Übereilung als Identität ausfällen läßt. Daß der sprachliche Schematismus in seinem Schwung derart unterbrochen wird, wirkt sich so aus, daß die formalen sprachlichen Wesen* gleichsam »im freien Zustand«, in ihrer Entleiblichung oder ihrem »formalen Zustand« gelassen werden, und daß das sprachliche Phänomen, das von seiner Reifung (in Zeitigung/Räumlichung) abgeschnitten ist, zur Identität oder zu Zeichen verdichtet wird, wobei es in seiner tendenziellen Implosion die möglichen inneren Bezüge des Sinns zu sich selbst in seiner ontologisch-existentialen Möglichkeit des Existierens wieder auf sich nimmt – und genau in diesem Sinn kann man hier von »existentialer Sedimentierung« sprechen. Weil es sich um eine in ihrer Entfaltung abgebrochene Existenz handelt, ist die verdichtete sprachliche Phase von ihrer Transpassibilität abgeschnitten. Das bedeutet, daß die »longitudinale« Teilung der Zeichen nur mehr durch eine Zeit gesichert werden kann, die sie passiv (die Zeit der Selbstheit) und von außen (die Zeit der Identität) empfängt, um sie dann in ihrer Identität zu wiederholen, und daß die »transversale« Auffächerung der Zeichen nur mehr als faktuelle (»ontische«) Möglichkeiten der Zeichen erscheint, die immer schon da und verfügbar sind, obwohl sie keinen Ursprung in der symbolischen Stiftung der Zeichen haben, also als das erscheint, was das sprachliche Kondensat von vornherein als Ausdrücke seiner Möglichkeit enthält. Anders gesagt, daß sich der beginnende Sinn zu früh in seine Identität stürzt, wirkt sich so aus, daß das sprachliche Phänomen in ein sprachliches Wesen verwandelt wird, aber dieses Wesen hat sich im Verhältnis zu seiner Phänomenalität verirrt, es hat sich von einem leiblichen zu einem phantom-körperlichen verwandelt, abgeschnitten von jeder Transpassibiltiät (und Transpossibilität). Die signifikante Zirkulation der Signifikanten ist nur die Wiederholung des Identischen, das vermittels der passiven Synthesen ersten Grades sich passiv eingeprägt hat, in der nun selbst identischen Zeitform der »Wiederholbarkeit«. Die phänomenologische Öffnung des Sinns durch Transpassibilität wandelt sich in Geschlossenheit durch die Wiederaufnahme der Horizonte, die der Transpossibilität als faktuelle Möglichkeiten eines Sinns entsprechen, der übereilt im Inneren seiner eigenen Möglichkeit verdichtet wurde – eine Schließung, wie man sieht, die in ihrer Bewegung sehr nahe an der Heideggerschen Verschlossenheit des Daseins* im Selbst ist, die nun als eigentlich symbolische bewußt wird. Diese Schließung ist wie ein Echo der identitären Implosion, die jedoch schon auf Enfernung gesetzt wurde durch den abrupt abgeschnittenen Ansatz der sprachlichen Phänomene. Das bedeutet für die sprachlichen formalen Wesen* , daß diese nicht mehr durch ihre schematische Gliederung, die von der Schieflage des sprachlichen Schematismus hinsichtlich seiner selbst ausgeht, die proto-ontologischen Tiefen des Sprachlichen erschließen können, indem sie diese wieder ins Spiel bringen, also auch nicht die Transpassibilität einer bestimmten sprachlichen Phase gegenüber anderen sprachlichen Phasen (d.h. die von uns sogenannte innere »Dephasierung«). Die
315 sprachlichen formalen Wesen* können nicht mehr als nicht teleologische Horizonte der Verleiblichung des Sinns in der Phänomenalität wirken, also als Horizonte der Transpassibilität und Überbestimmbarkeit der anderen Sinnregungen im Sinn selbst (Horizonte der interfaktiziellen Begegnungen), sondern sie »entwurzeln« sich aus diesen Horizonten, verlieren ihren Status der wechselseitigen Überbestimmbarkeit der Sinnregungen und schreiben sich in das sprachliche Kondensat in der Form der blinden Überbestimmungen neu ein, wobei diese nur Überbestimmungen von vielfältigen und faktuellen Möglichkeiten innerhalb der ontologisch-existentialen Möglichkeit desjenigen Sinns sind, der durch diese Verdichtung abgebrochen wurde. Anders gesagt, die sprachlichen formalen Wesen*, die durch die Verfrühung der identitären Verdichtung »freigesetzt« wurden, übertragen sich innerhalb des zur Identität verdichteten Sinns, indem sie durch Überbestimmung (was ein anderes Wort für die scheinbare Sättigung des Sinns durch sich selbst ist) faktuelle Möglichkeiten gliedern, die (da sie von der inter-faktiziellen Transpassibilität herkommen, die in Möglichkeiten implodiert ist) notwendigerweise im Überschuß über das sind, was sich zuerst als die faktizielle Möglichkeit des Existierens des Sinn öffnete. Vermittels dieser durch Überbestimmung miteinander verflochtenen Überschüsse schneiden damit die formalen, »freigesetzten« Wesen den verfrüht in Identität verdichteten Sinn neu zu, und zwar in Zeichen oder vielmehr in Signifikanten (im Lacanschen Sinn) eben nicht mehr des Sinns, sondern der Identität selbst. Vom phänomenologischen »Zeichen« des Sinns für sich in seiner Selbstheit, d.h. von den Sinnfetzen im sich bildenden Sinn, wandelt sich das verfrüht in seinem Schwung unterbrochene sprachliche Phänomen nicht nur zum Signifikanten der Identität, der insofern blind ist, als er nun jedem Sinn gegenüber blind geworden ist, dessen Selbstheit entsprechend ausgehöhlt ist. Sondern es ist auch ein Signifikant, der in sich durch Überdeterminierung in Signifkanten, in eine »signifikante Konstellation« von Signifikanten zerteilt ist, deren innere Beziehungen durch diese Überbestimmungen geregelt werden: ein wahrhaft signifikanter »Knoten« von Signifikanten, der die Leiblichkeit des Denkens in seinem Phantom-Körper verkörperlicht, ihn also verfestigt und auf die Wiederholung der Identität fixiert, was sich im Zuge des Wiederholungszwangs* abspielt, den Lacan so treffend als »Automatismus der Wiederholung« übersetzte, ein Automatismus, aus dem sich widerstandslos das symbolische Gestell* herausschält. Uns wird damit einsichtig, daß es keine »Logik« im Sinn von formalen Gliederungen von »Leerstrukturen« ohne Verwandlung der phänomenologischen Überbestimmbarkeit in symbolische Überbestimmung gibt, die sich über die Verwandlung der interfaktiziellen Transpossibilität in faktuelle Möglichkeiten vollzieht, die deshalb wechselseitig überbestimmt sind, weil sie nun intrafaktiziell sind. Diese spielen als eine Art Federn und Verwerfungen, die von der Identität innerhalb der Identität hervorgerufen werden, welche die ontologische Möglichkeit des Existierens sich verdichten oder sedimentieren läßt. Darin findet sich nun das Selbst gepackt, gefangen, aufgespießt oder angeklammert wie in dem, was nun seinen Schlüssel auf Distanz der identitären Implosion zurückhält. Wiederum in anderen Worten: die Verwandlung der Transpossibilität in faktuelle Möglichkeiten und die Verwandlung der Überbestimmbarkeit in Überbestimmung hat eine Ursache, die selbst der Kontingenz, also der Faktizität angehört, nämlich die Tatsache, daß die Identifikation den Sinn in eine signifizierende Identität stürzen oder sedimentieren läßt, die scheinbar ohne jedes Außen ist, wodurch jede Interfaktizität eo ipso zur Intrafaktizität wird. Diese Identifikation des Sinns ist eigentlich immer verfrüht und wirkt sich immer so aus, daß dadurch die Selbstheit zu früh distanziert wird. Der einzige Horizont dieser In-
316 trasubjektivität ist, wie bei Heidegger in Sein und Zeit*, der durch wechselseitige Implosion der Selbstheit und der Identität eintretende Tod – ein Tod, der vor seiner faktiziell-existentialen Unmöglichkeit/Möglichkeit das Absterben in der Psychose ist, die durch Abwesenheit der Distanz oder eher durch die unbeherrschbar gewordenen Distanz zwischen Selbstheit und Identität auftritt. Nach dieser Sichtweise distanziert sich also das Selbst von der Identität, um sich gegen den Tod zu schützen oder auch aus Angst vor ihm. Dies aber zur falschen Zeit (was das symbolische Unbewußte konstituiert), d.h. zu schnell oder zu früh für das Bewußtsein des sich bildenden Sinns. Das läßt die Fetzen der fungierenden Sprache in Signifikanten und allgemeiner in signifikante Konstellationen stürzen, bei denen es sich jeweils tatsächlich nur um ein solus ipse handelt, das durch diese Überstürzung individuiert wird und einsam der signifikanten Konstellation als Gestalt seiner Identität »gegenüber« steht. Als ein solus ipse ohne Außen, das nur dem Tod gegenübersteht, der sich im Wiederholungszwang umsetzt, kennt dieses Selbst keine anderen Selbstheiten. Und wegen dieses fehlenden Außen werden die phänomenologischen »Zeichen« mit ihren gegenseitig transpassiblen Transpossibilitäten in Signifikanten verwandelt, die sich gegenseitig durch die Übertragung der Transpossibilitäten in nun intrafaktizielle und faktuelle Möglichkeiten überbestimmen. Die »Logik« der signifizierenden Konstellation, in der durch eine solche Übertragung in eine Identität ohne außen die formalen Wesen* sich übertragen, sich verweben und miteinander ver-schmelzen, ist eine »Logik«, die durch diese Aufeinanderschichtungen und Überlagerungen der formalen Wesen* zugleich sich selbst als eine Art von strukturaler Invariante dieser Aufeinanderschichtungen und Überlagerungen sedimentiert, wodurch diese nämlich als »Leerstrukturen« erscheinen. Diese »Logik« scheint maßen dieser »strukturalen« Formalität als grundsätzlich herumirrend, grundsätzlich auch dazu fähig, je nach den Umständen, d.h. der symbolischen Umschläge der sich bildenden symbolischen Stiftung, andere phänomenologische Fetzen der fungierenden Sprache, ja sogar andere Gliederungen von bereits symbolisch gestifteten Zeichen neu zuzuschneiden – aber dies entsteht immer nur im Rücken dieser Gliederungen, d.h. nur insofern, als diese bloß die Wiederentfaltung eines sprachlichen Phänomens durch eine symbolische Neuzusammenstellung der Zeichen ist. Die signifizierende Gliederung enthält also so etwas wie Spuren von wilden und formalen sprachlichen Wesen*, die aber eben durch die Verschmelzung der letzteren unkenntlich geworden sind. Dennoch tendiert diese Verschmelzung durch überbestimmende, da intrafaktizielle Übereinanderschichtungen dazu, sich in einer »Logik« zu stabilisieren, die von anderswoher (vom Anderen) herzukommen scheint, in einer Art von reiner »fungierender Sprache«, die eine Art von Meta-Sprachlichem darstellt, allerdings nicht ein dem Selbst zugängliches, sondern ein ganz anderes Metasprachliches des Anderen. Damit taucht die erschreckende Gestalt eines symbolischen Stifters auf, der die »Fäden« der signifizierenden Gliederung »zu ziehen« scheint, Scheingestalt des Todes als einer Identität – und damit der mit ihr verklammerten Selbstheit –, die in sich sowohl die Möglichkeit des Sinns aufgesogen hat, den sie immer schon »ausgespielt« zu haben scheint, als auch die scheinbar endgültig besiegte Transpassibilität der Sinnregungen. Das ist ein mystifiziertes und mystifizierendes Bild der Endlichkeit, weil die Selbstheit vor ihrem Risiko und ihrem Abenteuer nur dadurch bewahrt wird, daß sie sich in eine unendliche Schuld zurückzieht, in eine Identität, die sie vermeinlich im »Ausspielen« absichert, wobei sie die scheinbare Allmacht ihrer Trunkenheit von sich selbst auf die Identität überträgt, die sich dadurch gegen sie wendet. Eine extreme Gestalt des freiwillig übernommenen symbolischen Despotismus und ebensol-
317 cher Knechtschaft, gegen welche sich der willentliche sozio-politische Despotismus und die Knechtschaft zu fundieren suchen, die auch symbolisch sind. Diese Gründung kann sich selbst nur in der sich bildenden symbolischen Stiftung denken , wobei sie durch diese neue Vermittlung, die wir gerade entdecken, nicht nur die Identität auf Distanz bringt, sondern auch die Gefahr der absoluten Herrschaft der Identität. Diese »Logik« muß sich nämlich auch in Logik rekodieren, ob nun in die des Mythos, der mythologischen Genealogie oder der eher genetischen als logisch-eidetischen Philosophie – als wären in der Logik der Kodierungen der symbolischen Stiftung die symbolischen Überbestimmung wieder zu entfalten, die in den sprachlichen Verdichtungen oder in den existentialen Sedimentierungen zu Identitäten am Werk sind. Wir sagen »auch«, denn dies kann nur geschehen, wenn man das phänomenologische Feld wieder aktiviert, was die Dinge äußerst komplex werden läßt. Wie bringt sich die Phänomenologie des Sprachlichen in diesem inneren Bruch wieder ins Spiel, dieser Bruchlinie der sich bildenden symbolischen Stiftung? Das kann nur geschehen, wenn es trotz allem noch phänomenologische Zeugen im symbolischen Unbewußten gibt. Aber welche? Das ist die schwierige Frage, der wir nun nachgehen müssen. Die ganze Schwierigkeit rührt daher, daß die verdichtete sprachliche Phase, indem sie sich zum Signifikanten oder in eine signifizierende Konstellation der Identität verdichtet hat, die sich blind von sich aus als Signifikanten rekodieren, dabei ihren Sinn und ihren entsprechenden Rhythmus verliert, der sie in phänomenologische »Zeichen« als Sinnfetzen zerschneidet. Diese werden durch die blinde Rekodierung der Signifikanten, also durch Überbestimmungen so wieder zusammengefügt, daß sie dabei unkenntlich werden und die Signifikanten in ihren Phantom-Verkörperungen den verfestigten Kondensaten der Leiblichkeit – der Phänomenalität – des Sprachlichen gleichen. Der Sinn ist in seiner Implosion verschüttet und nichts scheint ihn wiedererwecken zu können. Der Signifikant ist eben nach Freud ein »innerer Fremdkörper« in der phänomenologischen Masse des Sprachlichen. Und dennoch hat sich, wie wir gesehen haben, etwas von den formalen sprachlichen Wesen* nach »leerer«, entleiblichter Selbst-Anwendung in der »Logik« der intrafaktiziellen Überbestimungen sedimentiert, in der Verwebung der ontisch-faktuellen Möglichkeiten, in die sich die Transpossibilitäten des Sinns verwandelt haben. Und als die »Entdeckung« Freuds zumindest in ihrer universellen Tragweite, kann gelten, daß diese »Logik« der symbolischen Überbestimmungen den von ihm so genannten »Primärprozeß« ausmacht, der sich vermittels Verdichtung und Verschiebung vollzieht – was nur sehr unvollkommen durch die rhetorischen Figuren der Metapher und der Metonymie wiedergegeben wurde, da dies gemäß der Ausdrucksweise der strukturalistischen Ideologie suggeriert, als gäbe es so etwas wie eine »ursprüngliche Rhetorik« des menschlichen Geistes. Die Verdichtung ist immer nur Verdichtung der, in der, und durch die Identität, und die Verschiebung ist nur der Effekt des Herumirrens der »Leerstrukturen«, der sich sowohl im phänomenologischen als auch im symbolischen Feld verbreitet, wobei diese »von unten« oder »hinterrücks« wieder neu zusammenfügt werden, und zwar gemäß einem wahrhaften Parasitentum, das die ganze symbolische Pathologie ausmacht. Dies gibt nun der signifizierenden Struktur den Anschein eines Meta-Sprachlichen, das aber in Wirklichkeit nur eine Pseudo-Sprache (langage) ist, weil sie nur die eine oder andere verdichtete Gestalt der Identität wiederholt und diese durch die Wiederholung widerhallen läßt, wobei es wohlgemerkt zum symbolische Gestell* gehört, daß diese Wiederholung unbe-
318 wußt ist; sie erweckt den Eindruck, von ganz alleine zu laufen (eben als Wiederholungszwang), indem sie blind vor sich hin läuft. Die symbolische Stiftung kann sich also trotz allem nur bilden, wenn sie gemäß der ihr eigenen Kodierungen das Netz der Überbestimmungen wieder entfaltet, in dem ihr Bilden sozusagen »eingefangen« ist. Nun kann dieses Entfalten sich seinerseits nur dadurch bilden, daß diese in der Implosion verflochtenen Überbestimmungen durch Zeitigung/Räumlichung diskursiviert werden, also letztlich durch das Neuansetzen der sprachlichen Phänomene durch die erneute Öffnung der formalen sprachlichen Wesen* als Spuren und Zeugen ihrer Transpassibilitäten: das bedeutet, zumindest zunächst, indem das Risiko, die Identität zu verlieren, anerkannt oder auf sich genommen wird, um in seinem abenteuerlichen Unter-schied den Sinn wiederzufinden. Die Identität zu verlieren bedeutet hier in der sich ansetzenden symbolischen Konfiguration, das Risiko des Todes in der identitären Implosion auf sich zu nehmen, also das Risiko, alles zu verlieren, um den Sinn in seiner Bildung, also in seiner Selbstheit wiederzufinden: man wird das phänomenologische Erhabene in seiner »positiven« Gestalt wiedererkannt haben, in der das über seiner Formalität verkrampfte Selbst, sich verlieren und seinen eigenen Tod durchqueren muß, um sich relativ verleiblicht als Selbst des Sinns wiederzufinden, der gegenüber einer ursprünglichen Vielfalt von anderen trans-passiblen Sinnregungen und anderen ebenso transpassiblen Sinnansätzen trans-passibel ist. Das ist in den Termini der Phänomenologie der Sinn der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché – hyperbolisch, weil die Identität eines transzendentalen Ichs oder einer durch den Tod individuierten Selbstheit ihren ursprünglichen Status verloren hat. Man versteht besser, wie diese Epoché zugleich auf die ursprüngliche phänomenologische Gemeinschaft der gegenseitig durch die Trans-passibilität verleiblichten Sinnregungen hin öffnet. Wir untersuchen also gerade die Bewegung im umgekehrten Sinn, welche den Übergang vom Signifikanten und von der signifizierenden Konstellation hin zur phänomenologischen Masse des Sprachlichen leistet. Aber insofern diese Bewegung meistens, wenn nicht sogar immer, nichts anderes als die Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung ist, rekodiert sie sich auf ihre Weise von Anfang an auch, wenn auch erst nur durch eine ganz relative, aber schon gestiftete Identität der Zeichen. In und durch die Zeichen eines Sprachsystems wird der Sinn wieder zur Suche nach sich selbst aufrufen, ohne daß diese Zeichen ipso facto schon zu Signifikanten verdichtet wären. Insofern einerseits die formalen sprachlichen Wesen*, die als »Geister ohne Leib« in der »Logik« der Überbestimmungen eingeschlossen sind, sich als sprachliche schematische Horizonte wieder zu erwecken vermögen, also sich zu der ursprünglichen und überbestimmbaren Mannigfaltigkeit der Sprachphänomene wieder zu öffnen vermögen, und insofern andererseits dieses Erwachen unmittelbar sich in den Termini eines Sprachsystems zu rekodieren vermag, d.h. in den Zeichen und den Gebrauchsregeln eines Sprachsystems, macht sich nun die symbolische Stiftung zu sich selbst als dem auf, was den Sinn von seiner Identität zu befreien vermag, also in einem wahrhaften Umkehrung der Identität des Sinns zu einem Sinn der Identität, selbst wenn, wie im mythischen Denken, er gegen die Identität gespannt ist und in den Mythen als vielfältige Sinnregungen von vielfältigen Identitäten ursprünglich auseinanderspringt, deren symbolische Identität eine Art Harmonie zweiten Grades ist. Das Wiederentfalten der Überbestimmungen in Überbestimmbarkeiten vollzieht sich also meistens, wenn nicht immer in den Termini eines Sprachsystems, und dies ist nach unserem Verständnis nur möglich, wenn das Sprachsystem – die Zeichen und
319 die Regeln ihrer Verkettungen – nicht selbst zu einem symbolischen Gestell* hypostasiert ist, d.h. nach der geläufigen Formulierung: wenn das Sprachsystem »lebendig« bleibt. Das heißt in unseren Worten, daß dergleichen nur dann möglich ist, wenn die Anwendungen des Sprachsystems immer von der phänomenologischen fungierenden Sprache durchdrungen sind und eine Art Saum von ursprünglicher Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit ihre Zeichen und ihre Regeln umfängt. Wir dürfen also nicht unsererseits den Ausdruck »symbolische Kodierung« nur von der symbolischen Kodierung eines Sprachsystems her verstehen: damit verfielen wir der strukturalistischen Illusion, nach der in der sich bildenden symbolischen Stifung ein symbolisches Gestell* sich auf ein anderes symbolisches Gestell* anwendete. Alles muß, anders gesagt, in der Beweglichkeit einer Ver-wandlung begriffen werden, die in ihrem schöpferischen oder stiftenden Moment nicht im voraus weiß, wohin sie geht. Nachdem all diese Vorsichtsmaßnahmen getroffen sind, müssen wir also von der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché her auf die Signifikantenkette der Signifikantenkonstellation zurückkommen, um darin den Neuansatz der sprachlichen Phänomene zu erfassen, wobei wir uns bewußt sind, daß diese zunächst und zumeist, wenn nicht immer, vorab durch die symbolische Stiftung des Sprachlichen zum Sprachsystem »gefiltert« ist. Wir situieren uns also, aus architektonischer Sicht, »vor« dem Moment, an dem die sich bildenden symbolischen Stiftung in Gang kommt, die Möglichkeit bewahrend, später wieder auf die Wirkung zu stoßen, welche die faktizielle Einzigartigkeit (das »Willkürliche« aus strukturalistischer Sicht) der symbolischen Stiftung seinerseits auf die sich bildende symbolische Stiftung der fungierenden Sprache selbst haben kann. Die Signifikantenkette ist, wie wir gesehen haben, ein sprachliches Phänomen, das vorzeitig im Schwung seiner Reifung (seiner Zeitigung/Räumlichung im Sprachlichen) zum Stillstand gebracht wurde, weil es vorzeitig zur Identität verdichtet wurde, wodurch der Sinn verloren geht, der als Rätsel in die Formalität des Selbst übertragen wird, das zum unbewußten »Subjekt« des symbolischen Unbewußten geworden ist. Die phänomenologischen »Zeichen« sind ihrerseits wieder zugeschnitten und damit zu Signifikanten verdichtet, wobei dieser Wiederzuschnitt nur der Effekt der (in der Intra-Faktizität) an sich selbst vollzogenen Selbst-Anwendung der formalen sprachlichen Wesen* ist. Es gibt also, in der Signifikanten-»Logik« als einer »Logik« von Überbestimmungen durch Verdichtungen und Verschiebungen zwischen Signifikanten, Spuren von formalen sprachlichen Wesen; als gäbe es dadurch keine Rückkehr des Sprachlichen zu seiner unerinnerbaren und ungereiften phänomenologischen Wildheit , sondern nur eine Art blinder Barbarei die sie in Pseudo-Sprachliches verselbständigt. Diese Barbarei ist zur symbolischen Stiftung komplementär, sie hat an ihr »parasitär« teil und »lähmt« sie in der Bewegung ihrer Bildung durch ihr »Herumirren« und ihren Automatismus, die sich der Zeit des Bildens entziehen. Es ist also, als ob in dieser Verdichtung der schematische Abstand des Sprachlichen hinsichtlich seiner selbst – ein Abstand, erinnern wir daran, durch den es wilde sprachliche Wesen* gibt – sich auf sich selbst anwendete, um seine Schieflage zu reduzieren, was bei dem verfrühten Sturz in eine Signifikantengestalt der Identität notwendig ist. Es handelt sich um eine unbewußte Selbst-Anwendung, die selbst verfrüht ist, das Sprachliche zum Pseudo-Sprachlichen (des Anderen) verkommen läßt und die verfrüht verdichtete sprachliche Phase ihrer Protentionen und Retentionen entledigt, also ihrer harmonischen Abstimmung, welche ja die Erleuchtung ausmachte. Es bleibt also gewissermaßen davon nichts weiter als die »Landschaft« der
320 Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen mit der darin aufgehobenen Zeit zurück, aber diese »Landschaft« ist eben durch die unbewußte Selbstanwendung der formalen Wesen* neu zugeschnitten oder rekodiert, d.h. durch die Signifikanten»Logik« der Überbestimmungen. Wenn man, wie es auch erforderlich ist, bis ans Ende geht, dann folgt daraus, daß, insofern durch diesen Wiederzuschnitt und diese Rekodierungen die Proto-Protentionen und die Proto-Retentionen nicht mehr fähig scheinen, sich durch harmonische Abstimmung als Protentionen und Retentionen ineinanderzugliedern, d.h. insofern sie für Sinnregungen, die selbst trans-passibel sind, nicht mehr als Sinnansätze erscheinen, die Proto-Protentionen und die ProtoRetentionen selbst teilweise in wilde weltliche außersprachliche Wesen* implodieren, die allerdings sozusagen direkt durch die Signifikanten-Gliederungen der Überbestimmungen wieder zugeschnitten und rekodiert werden.13 Die Signifikanten sind also in ihrem phänomenologischen Gehalt nichts anderes als die außersprachlichen weltlichen wilden Wesen, die durch die »Logik« der Überbestimmungen, d.h. durch den »Primärprozeß« zerhackt und verflochten werden, was, wie Freud richtig gesehen hat, dem symbolischen Unbewußten den Anschein seines ursprünglichen Archaismus gibt. Dies bringt auch den Prozeß der identitären Implosion zum Stillstand und läßt das Selbst an den Rändern der Fremdheit der Unheimlichkeit* seiner Identität, die dadurch in eine Signifikanten-Konstellation auseinanderfällt. Deren Anordnung in der Zerstückelung und Verschränkung der außersprachlichen weltlichen wilden Wesen* konstituiert die passiven Synthesen ersten Grades, welche wir so nennen, weil sie am ehesten über den Primärprozeß zugänglich sind. Gäbe es diese unmittelbare Wiederaufnahme des unerinnerbaren Ungereiften im Archaismus des symbolischen Unbewußten nicht, dann käme das Sprechen von außersprachlichen weltlichen wilden Wesen* fast einer spekulativen Hypothese gleich. Man versteht damit, wie sich der phänomenologische Neuansatz des Sprachlichen vollziehen kann: das ist nur möglich, weil in der identitären Implosion, die im symbolischen Unbewußten angehalten wird, sich die Zeit, d.h. auch das Sprachliche, sich gleichsam spontan außer Kraft setzt, und weil in der gleichen Bewegung das symbolische Unbewußte den Anschein des Archaismus nur deshalb annimmt, weil es die kohärente, aber unmittelbare Verformung des Unerinnerbaren und des Ungereiften des außersprachlichen phänomenologischen Feldes ist. Der Primärprozeß implantiert sich unmittelbar in die außersprachlichen weltlichen wilden Wesen*, die er zerstückelt und verflechtet, und zwar im Verlauf von Überbestimmungen als implodierter Restbestände des Sprachlichen. Fremdartige, mißgestaltete Wesen, Chimären, die in ihrer Barockheit in den Träumen an die Oberfläche zu kommen scheinen. Die Ausarbeitung ihrer Darstellbarkeit* ist nichts anderes als diese barbarische Wiederzusammensetzung der außersprachlichen wilden Wesen*; und in unserer Konzeption sind die Signifikanten keine sprachlichen Wesen – es sei denn solche Wesen, die selbst auf einen »wilden Zustand« zurückgebracht wurden –, sondern buntscheckige und zusammengesetzte außersprachliche wilde Wesen*. Es ist also etwas vom phänomenologischen Ursprung des Sprachlichen fähig, sich darin wieder ins Spiel zu bringen, wenn nur hinter oder unter der Signifikanten-»Logik« der Überbestimmungen in zweiter Instanz zu ihr sich der Abgrund der Proto-Gegenwärtigkeit der Welt auftut und sich dabei die Horizonte des Unerinnerbaren und des Ungereiften öffnen als die Horizonte der ursprünglichen Räumlichung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen in der »Landschaft« des Abgrunds; daher kann sich der neuerliche Durchgang durch die ganze von uns skizzierte Bewegung noch einmal ansetzen, und darin wird sich dann die Bewegung der sich bildenen Stiftung
321 wieder verankern, allerdings unter der Bedingung, daß der Abgrund durch dieses Durchqueren des Todes sein identitäres Gesicht verloren hat. Eigentlich ist der Abgrund der Gründung nur für die Gründung selbst der Abgrund der identitären Implosion, und zwar deshalb, weil die Gründung sie durch die Vermittlung der Kodierung, die in sich selbst stattfindet, sich von sich selbst unterscheiden läßt. Tiefer noch und sozusagen hinter dieser identitären Gestalt des Abgrunds, besteht der Abgrund, der nun nicht mehr einer der Gründung ist, aus dem phänomenologischen Apeiron des Feldes oder des phänomenologischen Unbewußten. Und diesem kann man nur im phänomenologischen Zusammentreffen »begegnen«, d.h. im phänomenologischen Erhabenen, als einer selbst abgründigen Inchoativität des phänomenologischen Ursprungs der sprachlichen Phänomene: hier kolonisieren ad infinitum Ansätze von Sinnregungen durch die ursprüngliche Verräumlichung des Abgrunds zur »Landschaft« die außersprachlichen weltlichen wilden Wesen*, indem sie diese in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen wandeln. In diesen endlos ansetzenden Ansätzen setzt auch die Selbstheit endlos ihre Verleiblichung in den Welten als Verleiblichung ihres eigenen Rätsels an – nämlich das des Sinns oder vielmehr der endlos pulsierenden Sinnregungen. Daher finden sich nun die Zauber der symbolischen Überbestimmungen zerstreut, und zwar insofern, als, im Abgrund der sprachlichen und außersprachlichen wilden Wesen versunken, die formalen Wesen, die in ihrer intra-faktiziellen Selbst-Anwendung gefangen sind, zur Entfaltung gelangen, indem sie sich auf inter-faktizielle Weise bis ins Unendliche neu an andere formalen Wesen* und andere wilde Wesen* angliedern. Der Verlust der Identität, also ihr Tod, wird mit Gewinnen an Selbstheiten wettgemacht, die sehr reichlich ausfallen, da sie sich aus der Transpassibilität heraus als viele transpassible Verleiblichungen ansetzten – gemäß einer Art phänomenologischer »Metempsychose«, an welche vielleicht durch und mittels des Filters ihrer symbolischen Rekodierung die Metempsychose als symbolisches Glauben gerührt hat. So weit gehen dabei die Dinge allerdings überhaupt nicht, weil dergleichen uns erst die Phänomenologie ahnen und blitzhaft apperzipieren läßt und weil dies, wie wir gesehen haben, sich in Termini der sich bildenden symbolischen Stiftung rekodiert, d.h. zuerst in den Termini des Sprachsystems. Trotzdem bringt sich immer etwas dieser Art durch seine eigene phänomenologische Epoché in der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung ins Spiel. Etwas solcher Art hindert also die symbolische Stiftung daran, in sich selbst zu implodieren, in mehr oder weniger »vermittelte« oder »verfeinerte« Gestalten ihrer Identität, also in mehr oder weniger ausgearbeitete Gestalten des symbolischen Gestells*. Und wir haben gesehen, daß dieses die symbolische Stiftung wie ihren Schatten begleitet, und daß ihre Gestalt des symbolischen Unbewußten, die wir gerade untersucht haben, gewissermaßen die archaischste ist und am dichtesten sowohl an der identitären Implosion im Abgrund der Identität (Psychose) ist als auch am phänomenologischen Apeiron im phänomenologischen Abgrund der außersprachlichen Welten. Wir sehen jedenfalls, ohne es hier weiter ausführen zu können, daß es zweifellos ein geheimes Einverständnis gibt zwischen der »Entdeckung« des symbolischen Unbewußten durch Freud und der »Entdeckung« der Phänomenologie durch Husserl, das irgendwie mit dem sozio-historischen Zustand unserer Zivilisation verbunden sein muß,14 insofern sie immer noch unter dem Horizont der tiefgreifenden Erschütterung durch die Französische Revolution lebt. Wie dem auch sei, die symbolische Stiftung ist derart komplex, daß die in ihr enthaltene Gestalt des symbolischen Unbewußten oder des symbolischen Gestells* im all-
322 gemeinen nicht bei der von uns untersuchten Form stehen bleibt, die, insofern sie sowohl dem Abgrund der Gründung als auch dem phänomenologischen Abgrund der Welten sehr nahe ist, sozusagen am Zugangspunkt – der eher eine Zugangsbrücke ist – zur symbolische Ordnung wirkt, die man so genannt hat, ohne genau zu wissen, was es bedeuten soll. Das symbolische Unbewußte der Psychoanalyse hat deshalb einen so »exemplarischen« Wert, weil es gleichsam das Fossil unserer »verfehlten« symbolischen Stiftung ist, ein Fossil insofern, als es die Versteinerungen von Lebensformen bewahrt. Wir müssen einsehen, daß die symbolische Stiftung eigentlich immer, zumindest in ihrer Identität, »verfehlt« ist, daß ihr »Gelingen« in der Schließung über sich sich selbst immer nur eine imaginäre Projektion ist, gewissermaßen die »Ideologie« der symbolischen Stiftung, und daß das symbolische Gestell* ebenso vielfältige Gesichter in ihr haben kann wie die symbolische Stiftung selbst. Auch der Mythos kann identitär verdichtet werden, wenn er seinen Sinn verliert und zur magischen Formel wird, die auf blinde Weise die Rituale rekodiert, und zwar sowohl das Sprachsystem als auch die Verhaltensweisen. Das gleiche trifft auf die Mythologie zu, wenn sie nicht mehr als die Formel der Identität einer Gesellschaft ist, die in allerlei Zeremonien bis zum Überdruß wiederholt wird und als sicherer Unterpfand gilt, der zwischen »Guten« und »Abweichlern« zu unterscheiden erlaubt. Auch die Philosophie kann es treffen, wenn sie, wiederum durch Sinnverlust, sich im ausschließlichen Besitz der höchsten Wahrheit vermeint und sich zur dogmatischen Schule aufwirft. Das entscheidende Problem liegt darin, daß durch die Verfeinerung der fungierenden Sprache (des Sprachsystems und seiner Anwendungen/Praxis), welche die symbolische Erarbeitung im Laufe der sich bildenden symbolischen Stiftung erreicht wurde, die Entfernung zu den beiden Abgründen immer größer wird, und dies übersetzt sich sowohl in eine Art allmähliches Versinken der symbolischen Stiftung in ihrer eigenen Komplexität, als auch in ihre symbolische Schwächung, die deren »Willkürliches« offensichtlicher macht und durch eine Art ungeheurem Kurzschluß zu dem anscheinend definitiv Stummen der weltlichen »Landschaften« zurückführt. Nichts »spricht« mehr, weil nichts mehr mit der erforderlichen Jugendlichkeit sich wieder in die fungierende Sprache zu versetzen vermag. Diese Situation trifft allzu genau auf die gegenwärtige Lage zu, in der die Wundertaten der Intelligenz anstatt zu erhellen, zu verdunkeln scheinen.
§ 4. UNTERWEGS ZU EINER PHÄNOMENOLOGIE DER SPRACHPHÄNOMENOLOGIE:FUNGIERENDE SPRACHE UND SPRACHSYSTEM
a) Die Mythen und die Musik Es ist der Verdienst von Lévi-Strauss, in seinen Mythologiques die sehr erhellenden und sehr reichen Parallelen zwischen dem mythischen Denken und dem musikalischen Denken aufgewiesen zu haben. Nicht weil diese Parallelen immer völlig überzeugend und unproblematisch wären – sie sind meistens verformt durch das strukturalistische Apriori oder durch ein Eintreten dafür –, sondern weil sie so problematisch sind, daß sie zur Sache selbst führen oder führen können. Ohne hier eine systematische Kritik aufzugreifen, können wir doch ihren sozusagen »Positives« skizzieren, indem wir das Erhellende dieser Parallele betrachten, abgesehen von den Pro-
323 blemen, die aus phänomenologischer Sicht schon für die symbolische Stiftung der Musik selbst und ihr symbolisches Abgleiten durch ihre Geschichte hindurch aufgeworfen werden. Aus diesem Blickwinkel ist die Musik tatsächlich ein leibhaftiges Paradox. Nirgends als bei ihr läßt sich besser spüren, was die sprachliche Zeitigung/Räumlichung bedeutet, die auf einen Sinn oder auf Sinnregungen ausgeht, die wir in ihrem Reichtum mit den »Mitteln« des Sprachsystems nur mit größter Mühe vernehmbar machen könnten – zumindest wenn wir uns einen historisch abgesteckten Teil der westlichen Musik vornehmen, der grosso modo von der Renaissance bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts reicht. Und dennoch, nirgends erscheint die symbolische Stiftung so prägnant an vielfältigen Kodierungen, die von der Notenschrift im Notensystem über die Musikinstrumente bis zu den sehr komplexen Systemen der Komposition gehen, ohne von den Topoi der musikalischen Rhetorik zu reden – und gerade dieser Aspekt hat Lévi Strauss offensichtlich besonders in Erstaunen versetzt. Die Dinge gewinnen indessen eine eigenartige Tiefe, wenn man beide Aspekte zugleich festhält. Die Musik stellt sich dabei zwar als ein Sprachliches heraus, wobei aber die musikalische Phase immer ein sprachliches Phänomen – ein sinnbildener Rhythmus von Zeitigung/Räumlichung – ist, das ohne jedes linguistische »Mittel« auskommt, denn die Noten der Tonleiter sind vollkommen willkürlich, und die Regeln ihrer Verkettung sind für sie spezifisch. Das leibhaftige Paradox der Musik rührt daher, daß sie sich in ihren Phasen beim Hervorbringen des Sinns oder der Sinnregungen quasiunmittelbar als sprachliches Phänomen konstituiert, wobei diese Sinnregungen jedenfalls sehr viel dichter an ihrem phänomenologischen Ursprung sind als die sprachlichen Phasen, die durch einen sprachlichen »Ausdruck« vermittelt werden; und das Paradox entsteht dadurch, daß dies mit sehr viel künstlicheren »Mitteln« als bei der fungierenden Sprache erzeugt wird, da die Zeichen außer Verkehr gezogen sind, und mit ihnen die Sinnfetzen, die darin durch ihre Quasi-Identität als Zeichen des Sprachsystems gefiltert sind. Entscheidend ist nun, daß der Sinn oder die Sinnregungen sich durch Töne oder durch rhythmische Verkettung von Tönen bilden, was bedeutet, daß die Töne oder die Verkettungen von Tönen dabei quasi spontan zu phänomenologischen »Zeichen« werden, d.h. Sinnfetzen, und zwar umso leichter, als sie keine Bedeutung haben. So phänomenalisiert sich das musikalische sprachliche Phänomen wie jene »viel-schichtige« Zeitigungs/Räumlichungs-Phase, in der durch Überschuß an Geschwindigkeit und Überschuß an Langsamkeit des Denkens die Sinnfetzen sich dynamisch (rhythmisch) auf andere Sinnfetzen beziehen, und zwar gemäß der sowohl »transversalen« als auch »longitudinalen« rhythmischen und überkreuzten oder verwobenen »Referenzen«, wobei sie die Töne oder Gruppen von Tönen in viele Sinnansätze auffächern und sie in sich noch in viele gegenseitig transpassible Sinnregungen teilen. Die Musik ist der Ort der gegenseitigen Transpassibilität der Sinnregungen und der Sinnansätze, was ihren außerordentlichen Reichtum ausmacht, der weit über das hinausgeht, was mit den »Mitteln« eines Sprachsystems sagbar ist. Entsprechend ist sie ein bevorzugter Ort der Verleiblichung des Sinns zum Sprachlichen. Als unverdächtige Ressource der symbolischen Stiftung ist die Musik dazu da, uns zu zeigen, daß die symbolische Stiftung weit davon entfernt ist, eo ipso Entleiblichung zu bedeuten – sie ist diesem Risiko auch in der Musik ausgesetzt, wenn diese in die Abstraktion ihres Formalismus abgleitet und zu einer Art Algebra der Töne wird, die allenfalls für die Jünger der jeweiligen Schule vernehmbar ist: in diesem musikalischen Fall des symbolischen Gestells* werden die Töne mit Signalen verwechselt, und wir brauchen gar nicht eigens zu betonen, daß eine
324 solche Situtation heute allgemein geworden ist. In der Musik als sprachlichem Phänomen gibt es folglich, wie es Lévi-Strauss gedacht hat,15 Komplementarität – und zwar chiastische – zwischen dem Komponisten und dem Zuhörer: während der Komponist einem Überfluß von Sinn und Sinnansätzen ausgesetzt war, die er dann in seiner Komposition als sprachlichem Phänomen durch den »Filter« der musikalischen Stiftung gezeitigt/geräumlicht hat, steht der Zuhörer seinerseits einem Überfluß an Tönen gegenüber, die wechselseitig transpassibel sind, über die zumindest ein Teil des Überflusses der in der musikalischen Phase gegenseitig transpassiblen Sinnregungen und Sinnansätze sich allmählich zeitigt/räumlicht, und zwar nach einer Komplexität von Schnelligkeiten und Langsamkeiten, die jeder Analyse spottet und auf jeden Fall viel reicher ist, als die, welche sich mittels der Kodierungen des Sprachsystems entfalten läßt. Wie steht es nun um den Mythos? Ganz offensichtlich vollzieht sich in ihm auch eine Entwurzelung der Zeichen aus dem, was ihre zumindest relative Identität in ihrer Stiftung konstituiert. Die symbolische Verwicklung, die in der mythischen Erzählung abläuft, gewinnt ihren Sinn nur, wenn Sinn innerhalb des Sinns eingeschrieben wird, wenn Zeichen oder Gruppen von Zeichen als Sinnfetzen, d.h. als phänomenologische »Zeichen« neu zusammengestellt werden, welche aus dem Mythos eine Art Musik des Sinns machen, also ein sprachliches Phänomen. Die Plattheit des gewöhnlichen Sprachgebrauchs (des Sprachsystems) wendet sich also gewissermaßen gegen sich selbst durch ein sehr konsequentes Ausschalten der relativen Identität der Zeichen – die nur noch wie Musiknoten sind – vermittels ihrer Wiederaufnahme als Sinnfetzen eines sich bildenden Sinns oder vieler Sinnregungen im Mythos, durch die symbolische Verwicklung der Erzählung hindurch. Das hindert natürlich nicht, sondern lädt gewissermaßen dazu ein, daß dieser oder jener Sinnfetzen sich selbst durch Überbestimmung aufstaut, d.h. sich als Signifikanten-Knoten dessen konstituiert, was sich nun als das symbolische Unbewußte des mythischen Denkens absondert. Aber wenn man allzusehr im mythischen Denken solche durch »Leerstrukturen« gegliederte Signifikanten-Knoten sehen will – was Lévi-Strauss nachdrücklich getan hat –, dann läuft man Gefahr, sie in ein mehr oder weniger zusammengebasteltes symbolisches Gestell* zu verwandeln, und das in ihr enthaltene Denken durch eine verfeinerte Form des Ethnozentrismus wieder einmal zu tilgen. Der Mythos wird also wieder sprachliches Phänomen jenseits des Sprachsystems, und als symbolische Stiftung tritt nun, im aktiven Kampf gegen die Identität, nur noch seine symbolische Kodierung als Erzählung auf. Natürlich wird immer eine Geschichte erzählt, aber der Sinn des Mythos liegt nicht in dieser Geschichte selbst, die sicherlich für »Wilde« ebenso unwahrscheinlich ist wie für uns, sondern darin, was sie als Sinn ansetzt – und er kann ebenso wenig in sie eingeschlossen werden, wie auch der Sinn der Musik nicht durch die gestiftete musikalische Form – etwa die Sonate oder Symphonie – erschöpft werden kann. Folglich muß sich gerade in der Formgebung der symbolischen Verwicklung die spezifische »Arbeit« des symbolischen Unbewußten des mythischen Denkens ansiedeln, wobei diese Formgebung aus einer Art symbolischer Gleichung besteht, mit der sich die Problematik des symbolischen Ursprungs rekodiert, von dem aus sich die Stiftung auf die Suche nach ihrem Sinn macht. Vom symbolischen Unbewußten aus verteilen sich die Zeichen anders, aber zugleich derart – und das macht aus dem Mythos ein Denken –, daß diese identitäre Verdichtung von Zeichen sich als Erleuchtung oder Funken des Sinns wieder auf die Zeitigung/Räumlichung öffnet, und zwar eines Sinns, der im Abstand zwischen der Erleuchtung als Protention und der Erleuchtung als Retention zu zeitigen/räumli-
325 chen ist. Das ist, wie wir gesehen haben, nur möglich, wenn in dieser Verdichtung die außersprachlichen weltlichen wilden Wesen spielen, die sich anders auffächern und sich so der »Logik« der Überbestimmung entziehen können, d.h. sich in der fungierenden Sprache als Proto-Protentionen und Proto-Retentionen neu ansetzen können, die selbst harmonische Abstimmungen zwischen Sinnansätzen herzustellen vermögen, die der Mythos während der ganzen Erzählung widerhallen lassen wird. Der Mythos ist insofern Ort der sich bildenden symbolischen Stiftung, als er sich in Wirklichkeit zwischen der Infra-Sprache des symbolischen Unterbewußten und der Meta-Sprache bildet, in welcher er sich buchstäblich als sprachliches Phänomen verleiblicht. Anders gesagt, ist die Erzählung nur insofern wahrhaft stiftend, als sie sich in einem sprachlichen Phänomen verleiblicht, das ihm Leben und Farben gibt, d.h. ihren Sinn oder ihre Sinnregungen, die durch Sinnfetzen entfaltet werden. Diese nun schneiden die fungierende Sprache ganz anders neu zu als nach der tendenziellen Identität der an sich relativ willkürlichen Zeichen. Unbestimmtheit der Zeichen und Implosionen in Signifikanten gibt es durch die Sinnfetzen (die phänomenologischen »Zeichen«) im Sinn (und in den Sinnregungen), d.h. auch durch ihre vielfältigen, überkreuzten und verwobenen sowohl »transversalen« als auch »longitudinalen« Referenzen. Der Mythos ist nun auch Ort der Transpassibilität und entsprechend der Transpossibilität. Deshalb und nur deshalb ist er ursprünglich und unabschließbar in der Interfaktizität auf andere Mythen geöffnet. All dies impliziert hinsichtlich des Mythos zwei gleichermaßen wichtige Dinge: Einerseits seine strukturelle Komplementarität zur Musik – als ob sie den gleichen Ursprung teilten – andererseits, in der gleichen Bewegung, seine Verfestigung in Rituale, in denen sozusagen das symbolische Unbewußte wieder die Überhand gewinnt. Insofern die Sinnfetzen, die phänomenologischen »Zeichen«, sich in den Mythen von den sprachlichen Zeichen ablösen und in der Phänomenalität zu schweben beginnen, rufen sie von sich aus nach einem Ton, der ihre Zerschneidung anders markieren könnte, einen Ton oder Rhythmen von Tönen, die nicht selbst Töne des Sprachsystems sind. Daher wird in der Konkretheit der Lebenswelt* die mythische Erzählung von vokalen und gestischen Effekten begleitet, welche die Rede nuancieren, modulieren und verstärken: als ob der Mythos sich nur »vollständig« als Sprachphänomen verleiblichen könnte, wenn er sich mit einer musikalischen Phase verdoppeln und diese mit ihren Rhythmen die vielfältigen, überkreuzten und verwobenen Referenzen zwischen den Sinnfetzen neu markieren würde. Als ob es dieser »Musikalisierung« der fungierenden Sprache bedürfte, um die Wiederzusammensetzung der Zeichen des Sprachsystems zu phänomenologischen »Zeichen« auszubauen, wobei die Phänomenalisierung der fungierenden Sprache sich dabei im Verhältnis zur im Sprachsystem verfaßten Erzählung im zweiten Grad und jeweils in der »Jeseinigkeit«* seiner Faktizität phänomenalisiert, dem Abenteuer folgend, das der Sinn angesetzt hat, der sich durch diesen oder jenen Vortragenden bildet. Der gleiche Mythos kennt keine zwei identischen Versionen, es gibt also keine kanonische Fassung, da die Redundanzen der verbalen Formeln, Wiederholungen, Wiederaufnahmen und Rezitationen den Umständen anheimgegeben werden, oder weil nicht die Identität wichtig ist, – gerade sie wird auf Entfernung gehalten –, sondern der Sinn in seiner Selbstheit. Von diesem verleiblichten Sinn oder diesem »materialisierten« Denken gibt es keine »geläuterte« Version wie beim Theorem, sondern nur vielfältige Versionen, die jeweils nach Belieben durch die Transpassibilität gehen. Die phänomenologischen »Zeichen« sind dabei wie der sich bildende Sinn niemals stabil, sondern schwankend, und immer jenseits (oder, wegen der Musikalisierung: diesseits) der re-
326 lativen Fixierung in den Zeichen des Sprachsystems. Das geht bis zu den Zeichen des Sprachsystems, die selbst in diesem Schwanken begriffen sind, in all diesen vielfältigen Kurzschlüssen innerhalb des Mythos, von den Bedeutungen, die zunächst identitär scheinen: daher kommt der Eindruck des mythisch »Wunderbaren«, das noch in den Märchen und Legenden wirksam ist, in denen zusammengesetze Wesen auftreten, »Chimären«, die das Prinzip der Identität überschreiten, und anscheinend unvermittelte und unverständliche Verwandlungen und Metamorphosen von einem Wesen zum anderen, die jeder ausgearbeiteten Taxinomie nach dem Typus einer Unterscheidung zwischen Art und Genus spotten. Ein Tier, eine Pflanze kann ein menschliches Wesen und eine bestimmte Person in einer Erzählung sein und umgekehrt. Und man versteht, daß im zweiten Grad dieses zweiten Grades des mythischen Sprachgebrauchs – der, im Gegensatz zu dem, was Lévi-Strauss gedacht hat, nichts von einem Sprachsystem hat –, sich hinterrücks und aus dem Untergrund die außersprachlichen weltlichen wilden Wesen wieder ins Spiel bringen. In diesem Sinn bezeugen die Mythen durch ihre ursprüngliche Vielfalt nicht so sehr eine mythische Hinter-Welt – was tendenziell in der Mythologie der Fall sein wird – als die ursprüngliche phänomenologische Vielfalt von sowohl transpassiblen als entsprechend auch transpossiblen Welten. Das gilt auch von der Musik, und deshalb besteht zwischen dem Mythos und der Musik mehr als eine Komplementarität: eine enge Wahlverwandtschaft oder gemeinsame Natur. Dies kann nun seinerseits auseinanderbrechen, denn als Sprachphänomen ist der Mythos grundsätzlich instabil. Nichts verhindert, daß der Mythos seinen Sinn für seine Identität aufgibt, nichts hindert die phänomenologischen »Zeichen« oder irgendeine ihrer Verkettungen daran, in Identität zu implodieren, d.h. in eine Signifikanten-Konstellation oder Signifikanten-Kette. Das hat, wie wir gesehen haben, eine doppelte Auswirkung: die Verwandlung der – durch interfaktizielle Transpassibilität – phänomenologischen Überbestimmbarkeit in intrafaktizielle symbolische Überbestimmung, und umgekehrt, gewissermaßen im »Vordergrund«, die Verwandlung der außersprachlichen weltlichen wilden Wesen*, die durch die »Logik« der Überbestimmung teilweise zerstückelt und aufeinander verwiesen werden. Aber diese derart verkennbaren Wesen* sind eben stumm und können in der fungierenden Sprache nicht wieder aufgenommen werden, solange ihre intra-faktiziellen Überbestimmungen sich nicht wieder durch Transpassibilität zu inter-faktiziellen Überbestimmbarkeiten öffnen, die in der Masse der wilden sprachlichen Wesen versunken sind. Durch diese identitäre Implosion wird der Mythos von der »Musikalität« getrennt, die nun nicht mehr ein notwendiger Teil von ihm ist, sondern nur noch ihn buchstäblich begleitet, und nun wird ihr gewissermaßen die Aufgabe übertragen, den Sinn zu suchen, der unter der Identität verschüttet wurde. Oder vielmehr, insofern der Sinn durch diesen Verlust immer schon unter der Identität verschüttet ist, erwartet man nun von ihr, indem sie die inneren Rekodierungen bis zur äußersten Komplexität treibt, daß sie das Rätsel des Sinns bewahrt. Damit scheint es so, als ob die derart verfrüht vom Sinn abgezogene Selbstheit den Schlüssel zu ihrem Rätsel – den Schlüssel zum Rätsel des Sinns – nur in einer äußerst weit getriebenen, scholastischen Ritualisierung der Musikalität finden kann, die sich damit in ein symbolisches Gestell* verfestigt. Der Mythos ist nur mehr magische und unverständliche Formel, dessen Ritual den Sinn äußerstenfalls dadurch wieder einbinden soll, daß in einem Jenseits des »Übernatürlichen« Sinn und Identität wieder verknüpft werden sollen. Diese Verheerung des Denkens und der Verhaltensweisen durch die Rituale, die eigentlich immer »magisch« sind, macht nun die Form der symbolischen Pathologien in dieser symboli-
327 schen Stifung aus, denn damit verfängt sich das mythische Denken in der Falle des symbolischen Gestells*, das es als seinen Schatten begleitet. Es handelt sich im Mythos eben nicht darum, wie man naiv geglaubt hat, den »realen« Verlauf der Dinge zu beeinflussen – in dieser symbolischen Stiftung gibt es keine Stiftung des Realen als solchem: das stellt sich erst die Philosophie als Aufgabe –, sondern es geht dabei darum, den verlorenen Sinn der symbolischen Verwicklungen wiederzufinden, die den Sinn des Lebens selbst ausmachen. Ein verzweifeltes Unterfangen, und in diesem Sinn dazu verurteilt, bis ins Unendliche zu wuchern, einerseits weil der Sinn sich niemals mit der Identität vereinigen wird – denn er kann sich nur mit der Selbstheit vereinigen, die das mit sich bringt, was ihn als ein »Leben« in ihm selbst »leben« läßt – und andererseits weil sich in diesem Fall der Gestaltung der Sinn erschöpft, sozusagen im Dienst der Identität – »freiwillige Knechtschaft« des Sinns, symbolisches Verfehlen, in dem die Identität, in der der Sinn sich vergraben hat, noch besser ist, als überhaupt kein Sinn, d.h. als der Tod des Sinns. Ein ökonomischer Umgang mit dem Tod also vollzieht sich im Ritual, das sich durch den Wiederholungszwang in Gang hält, in dem die musikalischen Überbestimmbarkeiten sich ihrerseits unendlich in Überbestimmungen verwandeln, die wie im Echo die Signifikanten-Überbestimmungen er-klären sollen. Im Ritual ist in der Tat und äußerstenfalls alles Signifikant, aber nichts hat mehr Sinn. Denn dem Signifikanten wird unterstellt, daß er den Signifikanten unendlich »in Gang hält«. Die Entleiblichung vollzieht sich dabei voll und ganz, da, wie es Lévi-Strauss gut gesehen hat, nun das Denken durch einen Schlund vom Leben getrennt wird, der auf unbestimmte Zeit zu füllen wäre, oder weil die Leiblichkeit des Sinns und des Sprachlichen dazu neigt, sich in der blinden unendlichen Rekodierung der »Musikalität« in verfestigte Verhaltensweisen und in ständig wiedergekäute Zauberformeln phantomatisch zu verkörperlichen – eine Rekodierung, die deswegen nichts mehr den Kodierungen des Sprachsystems verdankt, weil sie dabei auch nicht den geringsten Sinnfetzen wieder zuschneidet. Um die Worte Kants in der dritten Kritik wieder aufzunehmen, liegen im Ritual gleichermaßen Fanatismus und Aberglauben. Das phänomenologische Erhabene vor dem Abgrund des phänomenologischen Apeirons hat sich darin in den heiligen Terror oder Horror vor dem Abgrund der identitären Implosion verwandelt: mit seinem Anschein von Wahn ist das Ritual zweifellos das letzte Bollwerk gegen den Wahnsinn. In dieser Perspektive verstehen wir besser, was die phänomenologische Sprachpraxis im mythischen Denken ausmacht. Sie setzt sich, wenn auch weniger ausdrücklich, im mythologischen Denken fort, das nicht mehr von seiner Polarisierung gegen die Identität gestiftet ist, aber das, indem es die Identität durch die genealogischen Rekodierungen der bereits bestehenden Mythen sucht, einen Teil ihrer sprachlichen Phänomenalität wieder aufgreift, um dann doch zu versuchen, durch diese Rekodierungen sie auszulöschen, als ob, wie dies noch in der Philosophie der Fall sein wird, die phänomenologische Praxis des Sprachlichen darin nichts weiter wäre als eine geheime Sinnreserve, aus der das mythologische Denken schöpfen wird, um seinen Sinn zu bilden, ohne daß entscheidbar wäre, ob diese phänomenologischen Ressourcen daran noch wegen ihrer ursprünglichen Wildheit oder schon wegen einer gänzlich poetisch verfaßten »Rhetorik« teilhaben, die das ausbilden würde, was Bottéro und Kramer »kalkulierte Phantasien« nennen.16 Das macht jedenfalls verständlich, daß die phänomenologische Sprachpraxis sich nach einer schematischen Teleologie ohne Begriff vollzieht und als eine auf sich selbst bezogene Praxis des Sinns – »Zweckmäßigkeit ohne Zweck«, wie Kant sagte. Sie ist also nicht die Praxis einer
328 »logischen« Teleologie, die sich auf den Sinn als Sinn des Sinns ausrichtet, d.h. wie auch immer auf die Identität des Sinns als Sinn der Identität – was der symbolischen Stiftung den symbolischen Horizont ihrer Identität öffnet. Von da her erscheint das mythische Denken als eine Denkpraxis, die der phänomenologischen Sprachpraxis sehr nahe ist. Davon entfernt ist sie allerdings, wie wir gesehen haben, durch die Art, in der diese Praxis von der symbolischen Stiftung »gefiltert« wird, d.h. dadurch, daß die symbolischen Stiftung selbst im Verlauf der mythischen Erzählung sich als eine Verwicklung (intrigue) darstellt, wobei über das hinaus, was sonst nur seine bloße Identität wäre, sich etwas von ihrem Sinn ausbildet. Und nach welchem Schlüssel diese Verwicklungen inszeniert werden, wird uns auf immer entgehen. Ein wenig ins Absurde gehend, wären wir versucht zu sagen, daß die phänomenologische Sprachpraxis der Phänomenologie selbst zu dem hin tendieren müßte, was in den Mythen ins Spiel gebracht wird, wobei man aber sich jeder Erzählung, also jeder symbolischen Verwicklung enthalten müßte. Nun läßt die Formulierung einer solchen »Hypothese« einen anderen Versuch des menschlichen Geistes, die Phänomenalität des Sprachlichen »wiederzuerobern«, vor uns auftauchen, der selbst in enger Wahlverwandtschaft zur Musik steht, nämlich die Poesie. Könnte oder müßte man sagen, daß die phänomenologische Sprachpraxis in der Phänomenologie dazu neigt, mit der phänomenologischen Sprachpraxis in der Poesie zu verschmelzen? Mit dieser Frage werden wir uns nun auseinandersetzen müssen. b) Die Poesie und der phänomenologische Ursprung des Sprachlichen in der Sprache Die Poesie im hier gemeinten, eher architektonischen als historischen Verständnis, bildet sich als solche in einem Prozeß der »Entmythifizierung« und in einem Prozeß der »Demythologisierung« heraus, d.h. gewissermaßen als eine komplementäre Gestalt der Philosophie, und zwar da, wo es darum geht, ohne auf die Inszenierungen der symbolischen Verwicklungen in der mythischen oder mythologischen Erzählung zurückgreifen zu können, trotzdem in einem Sprachsystem das zu sagen, was in ihm zunächst unsagbar zu sein scheint. Sie bringt also sozusagen allein mit den Mitteln des mit Zeichen und ihren Gebrauchsregeln gestifteten Sprachsystems wieder den phänomenologischen Ursprung des Sprachlichen ins Spiel. Das nähert sie noch mehr als den Mythos der phänomenologischen Sprachpraxis. Aber das macht aus ihr auch, als Gestaltungsfall, einen noch viel komplexer zu behandelnden Fall dieser phänomenologischen Praxis. Wir haben das zweimal, in Phénomènes, temps et êtres und in Phénoménologie et institution symbolique, erörtert und sind dort schon auf diese Komplexität gestoßen, die vor allem erscheint, wenn man, wie wir uns dort bemüht haben, das herauszuarbeiten versucht, was grundsätzlich die Phänomenologie auf ihren eigenen Sprachgebrauch hin öffnen muß. Dieser muß, sofern er noch etwas mit der Philosophie zu tun haben will, zumindest ein reflektierter Sprachgebrauch sein und darf nicht nur, wie es in der Poesie der Fall ist, auf die Kontingenz der Erleuchtung vertrauen. Anders gesagt, die extreme Komplexität im Falle der Poesie kommt daher, daß die Phänomenologie sie nur von einer Distanz her betrachten darf, die ohne jede »Vergegenständlichung« nicht nur die Erleuchtung, sondern auch ihre Kontingenz reflektiert, sowie die Art und Weise, in der ihre Zeitigung/Räumlichung mit den Zuschnitten der symbolischen Stiftung des Sprachsystems »komponiert«. Eine phänomenologische Untersuchung der Poesie kann also so gesehen nichts anderes sein, als eine Phänomenologie der fungierenden Sprache insgesamt, in der zumindest etwas von der symbolischen Stiftung des Sprachsystems aus seinen
329 Untergründen heraus ans Licht kommt, selbstverständlich in Distanz zu jeder linguistischen »Theorie«, die eigentlich nur der Reflex des Gesichts ist, welches das Sprachsystem als symbolisches Gestell* annehmen kann. Wiederum anders gesagt, müssen wir noch insofern weiter gehen, als es in der Distanz zu jeder symbolischen Verwicklung oder, wenn man will, zur alleinigen symbolischen Verwicklung des Sprachsystems selbst, darum geht, die kohärente Verformung zu erfassen, welche die Poesie gegen sich selbst wendet, nämlich die Verformung der phänomenologischen »Zeichen« zu linguistischen Zeichen. In dieser Umwendung geht es darum, die Poesie selbst einer hyperbolisch-phänomenologischen Epoché zu unterziehen, insofern in der Bewegung der Stiftung des sich bildenden Sprachsystems genau das nachgewiesen werden soll, was die Poesie ermöglicht. Es ist eine sehr komplexe Bewegung, in der in und durch die Poesie der Wiederzuschnitt der Zeichen zu Sinnfetzen (zu phänomenologische »Zeichen«) gewissermaßen »oberhalb« seiner selbst als das wiederergriffen werden muß, was die Poesie gewissermaßen immer nur sich selbst reflektieren läßt, indem sie Sinn bildet und indem sie sich als Sinn bildet. Und zwar selbstverständlich ohne daß es nun eine Durchsichtigkeit vom »Oberhalb« auf das »Unterhalb« gäbe, da zwischen beiden eben die »Filtrierung« durch die symbolische Stiftung des Sprachsystems wirkt. Nur so kann sie übrigens in der Bewegung ihrer Bildung erfaßt werden, sozusagen in ihrer eigenen symbolischen Verwicklung, in der unreduzierbaren Schieflage, die zwischen Infra-Sprache und Meta-Sprache besteht. Diesen »Filter« also müssen wir als solchen nun untersuchen, außerhalb der Illusion seines Zusammenfallens mit der apophantischen Logik, wohl aber in dem, was in seinen Zerteilungen mitverstanden ist, die sowohl in Richtung zum Infra- als auch zum Meta- sich vollziehen. Anders gesagt, geht es, wenn man will, um die phänomenologische »Bedeutung« dieser Zerteilungen, um das, was in ihnen an Phänomenalität des Sprachlichen verschüttet wurde, und um das, was auch in ihnen sich als phänomenologische Horizonte des Sprachsystems zu erwecken vermag. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als das »Prinzip« der identitären Implosion der phänomenologischen »Zeichen« in Zeichen des Sprachsystems, d.h. um die immer schon gestiftete Gestalt, die der Gemeinsinn durch das Sprachsystem animmt, oder um das, was Husserl die Lebenswelt* nannte, mit ihren »Substruktionen«, die nicht mehr wissenschaftlich oder metaphysisch, sondern linguistisch sind. Zwar sind diese zunächst und zumeist im gewöhnlichen Gebrauch »selbstverständlich«, aber eben nicht mehr dann, wenn der Sinn sich wie in der Poesie mit seinem eigenen Rätsel und mit seiner eigenen transpassiblen Kontingenz (Faktizität) erhellt. Was führt nun dazu, um nochmals die zu verstehende Schwierigkeit zu umreißen, daß die phänomenologischen »Zeichen« in Identität implodieren können, ohne daß sich dadurch der Sinn in »Signifikanten« eines symbolischen Gestells* auflöst, und die Zeichen noch, wie man sagt »Bedeutungs«träger sind? Was unterscheidet die Bedeutungen von den Sinnfetzen, was scheint sie zu stabilisieren, obwohl sie vom Sinn losgelöst und statt transpassibel nur noch möglich sind, als ob – das wäre sozusagen die transzendentale Illusion des Sprachsystems – das Sprachsystem nun mit seinen Zeichen und seinen Gebrauchsregeln alles sagen könnte? Womit schneiden die Zeichen aus der phänomenologischen Masse des Sprachlichen tote Zeiten und tote Winkel für die Transpassibilität aus, die aber eben nicht ganz tot sind, da ja der poetische »Gebrauch« des Sprachsystems, sie zu erwecken, sie wieder aufleben zu lassen, d.h sie wieder zu öffnen erlaubt?
330 Nehmen wir die Fragen wieder von der Phänomenalität des Sprachlichen her auf und insbesondere von den Vorgängen in der Erleuchtung her. Wie wir gesehen haben, setzt der Sinn in dieser damit ein, daß sich eine harmonische Abstimmung zwischen Proto-Protentionen und Proto-Retentionen bildet, die zumindest einen Teil von ihnen in Protentionen und Retentionen umwandelt, d.h. in eine Zukunft, die schon eine Vergangenheit und in eine Vergangenheit, die noch eine Zukunft hat, wobei die harmonische Abstimmung von sprachlichen formalen Wesen* durchgeführt wird, die in der ursprünglichen Räumlichung gemäß der sprachlichen formalen Wesen* Teile der außersprachlichen weltlichen wilden Wesen, die bereits in sich aufgefächert sind, verweben. Aber durch den Abstand des sprachlichen Schematismus zu sich selbst ist die harmonische Abstimmung, d.h. die Erleuchtung von sich selbst unterschieden, d.h. er wird auf Protentionen und Retentionen übertragen, in denen die nur blitzhaft apperzipierte harmonische Abstimmung sich auf die Suche nach sich selbst begibt, um sich wiederzufinden – wobei dieser Aufbruch gewissermaßen die eigentliche Zeitigung/Räumlichung ist, in welcher der blinde phänomenologische Teil der Sprache, d.h. die wilden und formalen Wesen*, wieder ins Spiel gebracht werden, und zwar in ihrer schematischen Angliederung an die, welche in der Erleuchtung ins Spiel gebracht worden waren. Und mit dem Einbringen solcher formalen Wesen* wird auch die dem Sprachlichen eigene proto-ontolgische Tiefe eingebracht, was seine eigentümliche Unerinnerbarkeit und Ungereiftheit ausmacht. Nun muß das Denken, also der sich bildende Sinn, in der »eigentlichen« Zeitigung/Räumlichung sozusagen mit den Zeichen des Sprachsystems und dessen Gebrauchsregeln »komponieren«. Anders gesagt verwandeln sich gerade dort, wo architektonisch die phänomenologische Entwurzelung der Zeichen und der geregelten Verkettung der Zeichen gegenüber den phänomenologischen »Zeichen« angesiedelt ist, die Zeichen und Verkettungen von Zeichen in Sinnfetzen und in sich bildenden Sinn. Und deshalb nimmt auch die Formel »sprachlicher Ausdruck« einen wahrhaft phänomenologischen Status an, allerdings nur unter der Bedingung, daß es im »Ausdruck« eine Verwebung der Zeichen in und mit den phänomenologischen »Zeichen« gibt, die ja ihrerseits niemals gegeben sind. Umgekehrt muß genau an dieser Stelle auch der Zuschnitt zu Zeichen und Gebrauchsregeln des Sprachsystems sich stiften, also etwas wie die identitäre Implosion der Zeichen, die allerdings nie mit den phänomenologischen »Zeichen« zusammenfallen. Und zwar deshalb nicht, weil die phänomenologischen »Zeichen« sich durch die schematische Angliederung der formalen Wesen* an formale sprachliche Wesen* konstituieren – und sich in ihrem Fließen »zuschneiden« – also auch durch deren zeitigende/räumlichende – rhythmisierende – Verwebung, welche die vielfältigen und überkreuzten Bezüge zwischen den phänomenologischen »Zeichen« untereinander konstituieren. Die Bezüge sind zweifacher Ordnung: »transversal«, weil sie die weltlichen außersprachlichen wilden Wesen in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen auffächern, d.h. in vielfältige Sinnansätze innerhalb der phänomenologischen »Zeichen«; »longitudinal« sind sie in der eigentlichen Zeitigung, in der nicht nur mehrere schematische Gliederungen für den gleichen Sinn möglich sind, sondern auch noch andere schematische Gliederungen für wieder andere Sinnregungen trans-passibel sind. Die formalen Wesen* sind immer Spuren oder Zeugen der TransPassibilität einer bestimmten sprachlichen Phase gegenüber dem »gesamten« Sprachlichen, d.h. gegenüber der fungierenden Sprache in den proto-ontologischen Tiefen ihres un-endlichen Schematismus.
331 Nun ist aber in der symbolischen Stiftung des Sprachsystems genau diese proto-ontologische Tiefe der fungierenden Sprache in ein »System« der Sprache verwandelt worden, d.h. in seine Zeichen und seine Gebrauchsregeln, in denen die Transpassibilitäten von den Möglichkeiten des Sprachsystems absorbiert werden, die prinzipiell Möglichkeiten sind, alles zu sagen, als ob das Sprachsystem in der Ausschließlichkeit seiner Stiftung die struktural-eidetische Invariante der fungierenden Sprache wäre. Als ob also das Sprachliche selbst in die Identität ihrer »Systems« implodiert wäre, und zwar als die phänomenologische Masse ihres un-endlichen Schematismus mit seinem proto-ontologischen Abstand. Und dann, als ob sich gerade das unbestimmbare »Ganze« seiner phänomenologischen Masse stabilisierte – und sich bestimmte – mit einem Schlag in die Zeichen und ihre Gebrauchsregeln innerhalb der symbolischen Stiftung des Sprachsystems implodierte – was ihm tatsächlich den Anschein gibt, ohne Ursprung zu sein, mit einem Mal geschaffen zu sein oder immer schon da, von Ewigkeit an im Geist des Schöpfers: das ist vielleicht eine der Ursprünge der Onto-Theologie, wobei unser Glaube an die Grammatik, um Nietzsche zu paraphrasieren, unser Glauben an Gott wäre. Unter diesem Blickwinkel ist es wahr, daß das Problem unbehandelbar ist, und zwar für immer. Die Schwierigkeit wird dadurch verschärft, daß wir die Genese des Sprachsystems durch identitäre Implosion uns nicht »in iterierbarer Ableitung« »vorstellen« können, etwa ausgehend von einer Art Umwandlung sprachlicher Phasen oder von Bruchstücken sprachlicher Phasen in Identitäten: dergleichen führt, wie wir gesehen haben, zur Implosion phänomenologischer »Zeichen« in sinnlose Bedeutungen – also ohne daß ihr Zuschnitt in Bedeutungen stattfände –, die durch Überbestimmungen aneinander angegliedert und verschränkt sind. Die identitäre Verdichtung in Signifikanten gehört dem abgebrochenen Sprachlichen an, sie kommt an sich nicht vom Sprachsystem her, selbst wenn ihre Wiederentfaltung im Sprachlichen wohlgemerkt wie jede Entfaltung im Sprachlichen durch das Einbringen des Sprachsystems vermittelt ist. Daß die Signifikanten sich ganz anders als im Sprachsystem blind zuschneiden und kodieren und sich überdies wechselseitig überdeterminieren, ist verblüffend, macht sie aber auch relativ leicht erkennbar, wenn auch manchmal nur in der Unmittelbarkeit, in der sie so fremdartig erscheinen. Freud sagte deshalb, daß der Primärprozeß vermittels »Wahrnehmungsidentitäten« »funktioniert« und der Sekundärprozeß (der des Denkens, das sich sprachllich ausdrückt) mit »Denkidentitäten« – also Identitäten des Sprachsystems – der Zeichen des Sprachsystems, die nach ihren Gebrauchsregeln miteinander verkettet sind. Man kann nun auch nicht sagen, daß das Sprachsystem gewissermaßen nur ein riesiges symbolisches Unbewußtes wäre, weil es etwa, nun einmal wie bei manchen Linguisten ganz als symbolisches Gestell* gefaßt, blind gegenüber dem Sinn wäre, d.h. automatisch gesprochen würde. Das ist zwar, wie anzuerkennen ist, eine im Sprachsystem ständig wirksame Tendenz, da, jedenfalls wenn wir die hyperbolische phänomenologische Epoché praktizieren, es immer zur Frage werden wird, ob wirklich wir denken, wenn wir denken, oder ob nicht das Sprachsystem an unserer Stelle »denkt«. Aber wenn wir die symbolische Stiftung des Sprachsystems mit seinem symbolischen Gestell* verwechseln – mit »der Ideologie des Redens«, d.h. seinen Stereotypen – dann überspringen wir eine Vermittlung, nämlich die der »lebendigen« Rede (womit nicht unbedingt eine »sich selbst gegenwärtige« gemeint ist), d.h. einer Rede, der es auch in den Begriffen des Sprachsystems gelingt, etwas Sinnvolles zu sagen. Kurz, wir überspringen den in jeder »lebendigen« – insbesondere der poetischen – Rede wirksamen Moment der symbolischen Stiftung des sich bildenden Sprachsystems. Ein Sprachsy-
332 stem zu lernen, bedeutet zunächst und vor allem, die Reden verstehen und sprechen zu lernen, in seinen »Geist« einzutreten, der der »Geist« seines Fließens ist, seiner »Begabung« und seines Erfindungsreichtums. Die Schwierigkeit besteht also darin, daß eine – zumindest relative -identitäre »Fixierung« von Zeichen des Sprachsystems und ihrer Verwendung nur direkt aus einer identitären Implosion der phänomenologischen »Zeichen« heraus geschehen kann, denn deren Kennzeichen ist gerade, in ihrem Fließen, das an das transpassible Fließen der Sinnregungen gebunden ist, eigentlich nicht identifizierbar zu sein. Im Gegensatz zu dem, was Lacan in seinen theoretischen Basteleien geglaubt hat, gibt es keinen direkten Bezug zwischen den Signifikanten und den Zeichen des Sprachsystems, sondern allenfalls zwischen den Signifikanten und den phänomenologischen »Zeichen« der fungierenden Sprache, weshalb übrigens das symbolische Unbewußte ihren Gebrauch durch Versprecher (und in gewissem Sinn durch Fehlhandlungen) stören kann und derartig leicht auf der Rückseite des Sprachsystems nachgewiesen werden kann. Es gibt im Sprachsystem eine Art von »Negativität«, in der sich die Selbstheit wiederfindet, deren Rolle nun gewissermaßen ist, das Sprachsystem hinsichtlich des Sinns »in Gang zu setzen«, und diese »Negativität« bringt die Selbstheit in Abstand sowohl zur phänomenologischen Masse der fungierenden Sprache als auch zu ihren identitären Inselchen in den Signifikantenkonstellationen. Es gibt keine uns verstummen machende symbolische Pathologie – es sei denn an der äußersten Grenze der Psychose. Ganz im Gegenteil: sie wuchert in der Sprache und geht in der Psychose bis zur Störung oder völligen Verformung ihres Gebrauchs, wie in den Wahnvorstellungen zu sehen ist, aber – nochmals – diese Störung oder Verformung stammt nicht aus dem Sprachsystem selbst. Wovon nun ist das Sprachsystem die Identifikation? Und wie breitet es sich sozusagen mit einem Schlag auf die ganze phänomenologische Masse der fungierenden Sprache aus? Das können wir offensichtlich nur verstehen, wenn wir auf die vielfältige Verwebung der phänomenologischen »Zeichen« als Sinnfetzen zurückkommen und wenn wir den Blick von der ausschließlich auf den sich bildenden Sinn gerichteten Aufmerksamkeit zur Aufmerksamkeit des in den phänomenologischen »Zeichen« blitzhaft Apperzipierbaren »wenden«, also auf ihre phänomenologischen »Inhalte« oder »Gehalte«, die aus sich selbst heraus fließend sind – wobei die symbolische Stiftung des Sprachsystems vielleicht in dieser »Umwandlung« besteht. Der sich in seinem Beginn in der Erleuchtung selbst fassende Sinn ist, wie wir gesagt haben, nichts anderes als die durch die sprachlichen formalen Wesen* getragene harmonische Abstimmung zwischen Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, die dadurch in Protentionen und Retentionen umgewandelt werden, d.h. in Proto-Protentionen, die schon ihre Vergangenheit haben – was aus ihnen Protentionen macht – und in Proto-Retentionen, die noch ihre Zukunft haben – was sie zu Retentionen werden läßt. Das bedeutet, daß die formalen Wesen*, welche die harmonische Abstimmung leisten, wie zu Beginn des Sinns etwas von den Proto-Retentionen in den Proto-Retentionen, mit ihrem Vergangenheitszug, und etwas von den Proto-Protentionen in den Proto-Retentionen mit ihrem Zukunftscharakter sehen lassen und sozusagen sichtbar machen. Anders gesagt besteht die Erleuchtung des Sinns darin, daß in dieser chiastischen zweifachen Übertragung der Vergangenheit in der Zukunft und der Zukunft in der Vergangenheit etwas der außersprachlichen weltlichen wilden Wesen, die schon von der ursprünglichen Räumlichung (durch die sprachlichen formalen Wesen) aufgefächert sind, seinerseits wieder in beiden Richtungen verschmilzt (der Vergangenheit in der Zukuft und der Zukunft in der Vergangenheit),
333 und zwar so, und das ist schon der Beginn des Sinns, daß die Vergangenheit die Zukuft blitzhaft in der Spur aufleuchten läßt, die sie in der Zukunft noch hat, und daß die Zukunft die Vergangenheit blitzartig in der Spur aufleuchten läßt, die sie schon in der Vergangenheit hat. Die harmonische Abstimmung ist nur diese zweifache blitzhafte Apperzeption, durch welche die Vergangenheit mit einer Zukunft versehen wird, die durch ihre darin enthaltene Spur erweckt wird, und durch welche die Zukunft mit einer Vergangenheit versehen wird, die gleichermaßen durch die darin enthaltene Spur erweckt wird: diese zweifache »Dotierung« läßt eine Zukunft für diese Vergangenheit und eine Vergangenheit für diese Zukunft blitzhaft apperzipieren, aber diese Zukunft der Vergangenheit und diese Vergangenheit der Zukunft sind eben blitzhaft apperzipiert, und sie rufen von sich aus durch ihren Abstand hindurch zur Zeitigung, in der diese blitzhafte Apperzeption auf der Suche nach sich selbst als Apperzeption ist. Diese zweifache blitzhafte Apperzeption ahnt also als phänomenologischen Gehalt auch die Auffächerung, die sich derart mit den außersprachlichen wilden Wesen kreuzt, oder sie apperzipiert blitzhaft vielmehr diesen oder jenen aufgefächerten Splitter dieser wilden Wesen als Vorboten anderer Splitter durch diesen darin schon vorhandenen Splitter zumindest als zukünftiges Echo, wobei umgekehrt dieser blitzhaft apperzipierte Splitter als Echo der Masse sich selbst von einer Masse von Splittern absondert, von denen der eine oder andere echoartig Bestandteil der Masse von immer schon der Vergangenheit angehörenden Splittern ist, und so sich darin blitzhaft als die Vergangenheit der Ankündigung der Zukunft apperzipieren läßt. Wir sprechen von blitzhaftem Apperzipieren, denn dieser »Moment«, den wir durch unsere Reflexion isolieren, ist von äußerster Schnelligkeit eines Pulsierens, das die Phänomenalisierung des Sinns ausmacht, wenn er eben als Erleuchtung, als Matrix der Zeitigung/Räumlichung und nicht als punktueller Augenblick eintritt. Der Sinn in seiner beginnenden Phänomenalisierung – denn diese Phänomenalisierung braucht ihre Zeit – ist die Verwebung dieser doppelten blitzhaften Apperzeption, in der etwas geahnt wird und in der durch die harmonische Abstimmung ein Teil der Proto-Retentionen sich in den Protentionen blitzhaft apperzipieren läßt und ein Teil der Proto-Protentionen sich in den Retentionen blitzhaft apperzipieren läßt: dabei handelt es sich jeweils um einen a priori unbestimmten Teil und nicht um die Masse der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen insgesamt. Die harmonische Abstimmung ist so gesehen selektiv, sie nimmt durch die Verwebung genau das vorweg, was sie in Abstimmung bringt. Aber, wie man hinzufügen muß, sie nimmt es nicht so vorweg, daß alles Übrige ausgelöscht wird: sie nimmt es vorweg, insofern sie sich daran anklammert und insofern das Vorweggenommene seinen Status der Protention und der Retention nur bewahren kann, wenn es sich sozusagen gegenüber den von Konkretheiten an Proto-Protentionen und Proto-Retentionen ausgefüllten Horizonten abhebt. Ihnen gegenüber schlägt also die harmonische Abstimmung einen Gesichtswinkel vor, einen Horizont von Zeitigung, in den sich der Sinn nur noch hineinstürzen muß. Die harmonische Abstimmung macht also die Auffächerung der außersprachlichen wilden Wesen gewissermaßen sich selbst spürbar, und dies bedeutet, daß der Sinnansatz, der über die harmonische Abstimmung als Sinn zu leben begonnen hat, gegenüber anderen Sinnansätzen transpassibel bleibt, die ursprünglich in den Proto-Protentionen und Proto-Retentionen verräumlicht waren. Demnach handelt es sich um eine vielfältige Transpassibilität, die phänomenologisch im Sinn pulsiert, der durch den harmonischen Zusammenklang zum Aufbruch angesetzt hat.
334 Diese pulsierende Erleuchtung ist zu schnell, um zur ihrer »Stabilisierung« gelangt zu sein, und sie zeitigt sich durch den gegenüber sich selbst gehaltenen Abstand des Schematischen, und zwar zwischen dem in seiner Retention gerade Stattgefundenen, und dem protentionalen Horizont seiner Vollendung, die zugleich sein Versprechen darstellt, in dem sie sich von dieser Vergangenheit her wieder aufnehmen und wiederfinden muß. Gerade diese Verwebung der doppelten blitzhaften Apperzeption ist durch den räumlichenden ursprünglichen Abstand zwischen der Erleuchtung als Retention und der Erleuchtung als Protention zu zeitigen. Das kann, wie wir gesehen haben, nur mit den Mitteln der Verwebung geschehen, aber wegen des schematischen Abstands, der ursprünglich die Erleuchtung von sich selbst unter-scheidet, kann das nur durch die Leistung dieses Schematismus und der formalen wilden Wesen geschehen, die in ihm als Spuren (Reminiszenzen und Vorahnungen) seines UnEndlichen sind. Also dadurch, daß andere formale Wesen* wieder ins Spiel gebracht werden – andere als die, welche den harmonischen Zusammenklang hergestellt haben –, die ihn sozusagen dazu bringen müssen, sich harmonisch im Bezug zu sich selbst weiterzuentwickeln. Genau das bewirkt, daß es in Wirklichkeit eine schematische Aneinandergliederung der formalen Wesen des harmonischen Zusammenklangs und der formalen Wesen der harmonischen Entfaltung hinsichtlich seiner selbst des harmonischen Zusammenklangs gibt. Dieser wird gewissermaßen im Inneren seiner selbst durch die sich bildende schematische Aneinandergliederung sich noch komplexer machen: dadurch gewinnt die Verwebung der schon in der Erleuchtung wirksamen Protentionen und Retentionen eine größere Komplexität, um aus ihnen eine eigentlich zeitigende/räumlichende Verwebung durch das hindurch zu machen, was dabei zu phänomenologischen »Zeichen« wird. Man versteht von da her, daß diese, wie wir gesagt haben, nur »longitudinal« die ursprüngliche Masse der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen »aufspalten« können, und zwar durch die Überbestimmbarkeit, mit der die formalen Wesen des harmonischen Zusammenklangs »versehen sind«. Und insofern sie in den inneren Abstand der Erleuchtung eindringen, gehen sie dabei das Risiko ein, gegenüber dem ursprünglich initiierten Sinn andere transpassible Sinnregungen zu rhythmisieren, aber auch mit der Chance, daß es nicht a priori nur einen einzigen Rhythmus für die ontologische Möglichkeit des Existierens des initiierten Sinnes gibt. Das will heißen, daß die phänomenologischen »Zeichen« nicht nur – obwohl doch hauptsächlich – Sinnfetzen sind, und zwar solche, die sowohl gegenüber anderen Sinnfetzen des gleichen Sinns als auch gegenüber anderen Sinnfetzten anderer Sinnregungen transpassibel sind, und die sich dadurch untereinander »longitudinal« blitzhaft apperzipieren, sondern daß sie auch »longitudinal« aufgespaltene Splitter der anfänglichen (»transversalen«) Masse der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen sind. Daher sucht sich die erste Verwebung der Erleuchtung Leiblichkeit oder phänomenologische Konkretheit, indem sie aus dem Sinn einen zweifachen – »longitudinalen« und »transversalen« Weg macht, wobei dieser sich in eben der Masse bewegt, die den Sinn als weltlichen Sinn sich entfalten läßt. Durch diese Neuverteilung der ProtoProtentionen und Proto-Retentionen in den Protentionen und Retentionen, die durch wechselseitigen Bezug und harmonische Abstimmung auf mehreren Stufen auf einmal an Komplexität gewonnen haben, – und deren Komplexheit die phänomenologischen »Zeichen« »zuschneidet« –, wird das, was sich in ihnen blitzhaft apperzipiert, auch »transversal« durch die Auffächerungen der Proto-Protentionen und Proto-Protentionen, nicht mehr nur als transpassible Sinnfetzen, sondern auch als transpassible Sinnansätze konstituiert. Wir haben im Vorangegangenen gesagt, daß
335 darin die phänomenologische Quelle dessen liegt, was im Sprachsystem zur Polysemie wird. Nun gibt es für die Zeichen nur hinsichtlich der Bedeutungen Polysemie. Das macht verständlich, daß die Bedeutungen nichts anderes als die symbolische Verdichtung dessen sind, was sich auf flüchtige, unstabile und fließende Weise als phänomenologische Gehalte in den phänomenologischen »Zeichen« ahnen läßt, wobei diese Verdichtung zur Wirkung hat, die Transpassibilität in Möglichkeit zu verwandeln und zu verfestigen. Anders gesagt wird verständlich, daß das Sprachsystem sich nicht durch identitäre Verdichtung der phänomenologischen »Zeichen« stiftet, sondern gleichsam umgekehrt, nämlich indem sie durch »symbolische Verdichtung« die Aufmerksamkeit nur darauf richtet (und sie dabei konstituiert), daß die phänomenologischen »Zeichen« sozusagen unabhängig vom sich bildenden Sinn einander transpassible Sinnregungen und Sinansätze blitzhaft apperzipieren lassen. D.h. nicht als Sinn oder Sinnansätze, sondern als das, was sie durch »symbolische Verdichtung« in einer Art von sekundärer, seine Zeitigung aufhebender Wieder-Verräumlichung der fungierenden Sprache zurückhält. Das Zeichen ist tatsächlich, wie Husserl auf seine Weise verstanden hat, nur der »sichtbar« machende Abstand, und die Bedeutung ist nichts anderes als dieser Abstand selbst. Die Bedeutungen und die Zeichen, die sie maskieren sollen, sind also in der phänomenologischen Masse der fungierenden Sprache nur die ursprüngliche und äußerst komplexe Vielfalt der »Blickwinkel«, die im Verlauf der fungierenden Sprache die Masse der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen zu sehen »geben«, anders gesagt: die weltliche »Landschaft«. Das gestiftete Sprachsystem wäre dann nur das Sieb oder der Filter, das durch die Vielfältigkeit seiner Blickwinkel etwas von der »Landschaft« der Welt zu sehen gäbe, wie in einer symbolischen Verdopplung seiner ursprünglichen phänomenologischen Verräumlichung. Die Invarianz des Sprachsystems wäre nur die Invarianz oder das »Geometral« dieser Blickwinkel, und die Zeichen wären in ihrem »Willkürlichen« nur die »Noten« dieser Blickwinkel, in denen sich etwas dem Sehen oder vielmehr der blitzhaften Apperzeption öffnet. Das Sprachsystem wäre so wie das »Negativ« der fungierenden Sprache und das erklärte, daß man, um die fungierende Sprache »wiederaufzuladen«, sie auf sich selbst wenden muß wie in der Poesie. Damit wäre das Sprachsystem nicht weltlich, aber doch in der Lage, Weltliches blitzhaft apperzipieren zu lassen, wobei es die blitzhaften Apperzeptionen untereinander spielen läßt, um Sinn zu bilden. Indem die Zeichen im Verlauf der Zeitigung/Räumlichung der sprachlichen Phänomene das wieder markieren und merken lassen (re-marquer), was sich im Pulsieren blitzhaft in der Transpassibilität der phänomenologischen »Zeichen« apperzipieren läßt, nämlich Sinnansätze – Proto-Protentionen/Proto-Retentionen – und Sinnfetzen – angesetzte Zeitigungen oder »betonte Zeiten« von Zeitigungen, in denen sich ein Teil der Verwebung der Protentionen und Retentionen ausfertigt – sind sie wie deren Rückseite, insofern sie sich als die Abstände geben, die jeweils symbolische Horizonte öffnen, Blickwinkel und Zeitwinkel, von denen aus das blitzhaft Apperzipierbare für blitzhaft apperzipierbar gehalten wird. Das Rätsel besteht darin, daß dadurch die Transpassibiltitätshorizonte der phänomenologischen »Zeichen«, die phänomenologische Horizonte sind, sich in symbolische Horizonte der »Sichtbarkeit« (für das »Denken«) verwandeln, die aus der »Sicht« des Sprachsystems wechselseitig möglich sind, welches eigentlich die Sicht der Selbstheit ist, die nun vom Sprachsystem unterschieden oder abstrahiert ist und welches das zu sehen gibt, was W.v.Humboldt die Weltansicht nannte, also die Landschaft der Welt, die durch den Filter oder das Sieb dieser Vielfältigkeiten von symbolischen Horizonten gegangen
336 ist. Es ergibt sich so also mit einem Schlag der verdoppelte Raum in der symbolischen Stiftung der ursprünglichen Verräumlichung der weltlichen »Landschaft«: mit einem Schlag, d.h. im vermeintlich Augenblicklichen, Zeitlosen des symbolischen Stifters. Es ist die gleiche Landschaft, also die gleiche »Welt«, die zu sehen gegeben wird, und die Zeichen sind nun, wie Husserl bemerkt hat, bis ins Unendliche in der leeren Form des Augenblicks wiederholbar, die selbst wiederholbar ist und wiederholt wird in der Gleichförmigkeit der Zeit als Verfließen der »lebendigen Gegenwart« von der Zukunft her in die Vergangenheit. Das Bewußtsein, d.h. die Selbstheit, reduziert sich von nun an auf diese einheitliche und leere Form. Eine identitäre Implosion gibt es hier allenfalls als die der Welten, Phasen oder der sprachlichen und außersprachlichen Weltphänomene, wilder Phasen von sprachlichen Phänomenen, in der gleichen und einzigen Welt, und in dem gleichen und einzigen Sprachsystem. Dieses, als Kompossibilität oder »prästablierte Harmonie« (deren Sinn verlorengegangen ist) seiner Gesichts- und Zeitwinkel auf das, was nun die Dinge, die Wesen, und ihre Anordnungen werden, impliziert also eine Art von »Monadologie« der Blick- und Zeitwinkel, denn indem die Zeichen jeweils durch die Identität außerhalb des Sinns der Welt und des Sprachsystems hindurchgehen, »kommunizieren« sie und ihre Bedeutungen mit den anderen Zeichen und mit anderen Bedeutungen. Der Moment der Stiftung des Sprachsystems ist also zugleich der Moment der Stiftung der Welt, die überhaupt sowohl Natur und Kultur ist, aber deren Weltsinn durch eine Implosion in die Identität unreduzierbar verschüttet wurde. So gesehen folgt auf die identitäre Implosion, wie wir gesagt haben, notwendig die Explosion der Zeichen. Bezieht man aber diese Zeichen auf die identitäre Implosion in einer Signifikantenkonstellation, dann sind sie gewissermaßen leere Signifikanten, nichtig, ohne irgendeine phänomenologische – und damit proto-ontologische – Konkretheit; jede Implosion in Signifikanten des Sprachsystems schließt sich kurz, indem sie sich als Abstand »verflüchtigt«, in dem sich etwas zu apperzipieren gibt. Das Sprachsystem ist also wie ein Grenzfall der Annulierung jeder Signifikanz und jeder symbolischen Überbestimmung, und gerade hier findet die abstrakte Selbstheit eigentlich ihren Ort: es gibt im Sprachsystem schon so etwas wie eine Negativität, nach der die Selbstheit des Sinns nur erfaßbar ist – das ist die gewöhnliche Auffassung –, wenn dieser durch eine Selbstheit (des sprechenden Subjekts) erhalten wird, die das Sprachsystem »in Gang bringt«, also die »Nichtigkeit« der Zeichen arbeiten läßt, indem sie das verwebt, was sich jeweils in ihren symbolischen Horizonten blitzhaft apperzipieren läßt, also indem sie ihre Blick- und Zeitwinkel verwebt. Und es genügt, daß in seiner eigenen symbolischen Verwicklung als der Bildung seiner symbolischen Stiftung das Sprachsystem sich genügend selbst »zivilisiert« hat, um sich zu stabilisieren und zu festigen, damit in dieser Bewegung die Selbstheit einzigartig erscheinen und der Eigenname des Dichters oder des Philosophen einen bedeutungsvollen Wert gewinnen kann. Die – von W. v. Humboldt hervorgehobene – »Zivilisierung« des Sprachsystems in seiner »Bildung«, also seiner symbolischen Stiftung, festigt es gegenüber der nun entstehenden Einzigartigkeit derer, die es sprechen und insbesondere auf hervorragende Weise sprechen. Es gibt demnach keine menschliche Selbstheit als solche mehr, die nicht mit der symbolischen Verfeinerung und Ausarbeitung des Sprachsystems hinsichtlich seiner selbst verbunden wäre. Es gibt also, trotz seiner einseitigen Ausschließlichkeit eine Art »Wahrheit« des Strukturalismus, zumindest, wenn er auf dem »diakritischen Wert« der Zeichen besteht und damit hervorhebt, daß sie keinerlei ontologische Positivität haben. Die Zeichen und ihre Bedeutungen – als das der blitzhaften Apperzeption Gewährte – haben
337 nämlich an sich weder phänomenologischen noch ontologischen Status. Es sind Lücken von Lücken, Leerstrukturen zwischen denen sich »Volles« erahnen läßt, aber auf Entfernung – nämlich der, welche ihre Referenzen zur »Welt« zum »Referenten« umschlagen läßt – und die »willkürlich« durch Töne, Graphismen oder Gesten markiert werden und durch Verhaltensweisen, die selbst mehr oder weniger »willkürlich« kodiert sind. Es gibt also schon eine »Nichtigkeit« der linguistischen Zeichen, deren Anerkennung sich auf eine gewisse, nämlich verquere Weise mit der Sprachphänomenologie verbindet. Es besteht entgegen allem Anschein eine tiefe Immaterialität der Zeichen dadurch, daß sie unmittelbar von dem durchzogen sind, was sie sehen oder blitzhaft apperzipieren lassen: als Winkel des blitzhaften Apperzipierens von Dingen, Wesen, und ihrer (statischen und dynamischen) Anordnungen sind sie nicht als solche »erfaßt« (es sei denn, daß sie damit ihren Zeichenstatus verlieren), sondern sie sind auf das hin durchsichtig, was sie blitzhaft apperzipieren lassen. Deshalb gibt es von den Zeichen keine passive Rezeption des den passiven Synthesen Zugehörigen, wohl aber immer von ihren Verkettungen, als überkreuzende Verkettungen von Winkeln ihrer blitzhaften Apperzeption als Linien oder symbolischer Horizonte auf der »Welt«. Der Zuschnitt von Zeichen ist äußerst variabel und immer zu Umarbeitungen bereit, wie am Beispiel der symbolischen Stiftung der Schrift zu sehen ist (piktographisch, ideographisch, syllabisch, alphabetisch), aber der Zuschnitt der Winkel der blitzhaften Apperzeption sind es sehr viel weniger, auch wenn die beiden in der sich bildenden Bewegung der symbolischen Stiftung des Sprachsystems in wechselseitiger Interaktion sind: wie dem auch sei, die im »Willkürlichen« ihrer Zuschnitte befindlichen Zeichen laden sich immer nur mit »Bedeutung« auf oder öffnen sich vielmehr von sich aus auf sie als das blitzhaft zu Apperzipierende, wenn sie in dem Kontext ihres »Gebrauchs« zurückversetzt werden, der immer, außer bei völliger Absurdität, der Kontext des Sinns ist. Man muß den Sinn erfassen, um Bedeutungen zu erfassen, und nicht umgekehrt: das weiß übrigens jeder, der mit Fremdsprachen und insbesondere mit Übersetzungen zu tun hat. Dagegen wird man vielleicht einwenden, daß es Zeichen gibt, die in den »wilden Zustand« zurückfallen können, wie es sich z.B. in der Freudschen Psychoanalyse am Beispiel des Wolfsmannes zeigt. Hier bedeutet, d.h. läßt blitzhaft aufscheinen, Groucha ein junges Mädchen und eine besondere Birnenart. Entscheidend ist, daß für den Wolfsmann als Kind »Groucha« nicht mehr das junge Mädchen und die Birnenart bedeutet, sondern ist. »Groucha« ist also in den Signifikanten implodiert, in ein »Zwitterwesen«, zugleich junges Mädchen und Birne: eigentlich ein außersprachliches weltliches wildes Wesen*, das in Proto-Protentionen/Proto-Retentionen einer bestimmten lustvollen Erfahrung aufgefächert ist, wobei sich diese noch beim einfachen Aussprechen des Namens einstellt – was also nicht die Tatsache einer Faktualität in der Vorhandenheit* ist, sondern einer Faktizität des Sinnansatzes. Dieses Beispiel ist deswegen von besonderem Interesse, weil es das zu verstehen erlaubt, was sich in der symbolischen Stiftung des Sprachsystems wiederaufgearbeitet hat, nämlich als das, was man im Bezug auf Platons Kratylos »Kratylismus« nennt, wonach sich die Stiftung der Zeichen durch sukzessive Entfernung von einer bestimmten Anzahl von Hauptsignifikanten gebildet haben soll. Eine Auffassung, die nach Bottéro und S.N. Kramer sich bereits bei den alten Mesopotamiern mit der Überzeugung auswirkte, »daß die Wörter keineswegs willkürliche flatus vocis sind, sondern tönende oder sichtbare Emanationen der Dinge.«17 Was hier geschieht, können wir wieder vom Beispiel »Groucha« aus erfassen, dem einfachen Beispiel einer Bennenung. Als Name läßt »Groucha« ein Wesen und Dinge blitzhaft apperzipieren, dies
338 aber vollzieht sich nur in der Trennung des »Gegenstandes« der blitzhaften Apperzeption von der Affektivität, mit der er für das Subjekt (den Wolfsmann) verbunden ist. Als Zeichen hat der Name eine allgemeine abstrakte Struktur, welche die gesamte symbolische Stiftung der Logik im Inneren des Sprachsystems ausrichten wird und die so allgemein ist, daß der Name in seiner Bedeutung einen Signifikanten oder ein außersprachliches wildes Wesen sogar blitzhaft apperzipieren lassen wird (wobei aber von dem, was darin in die Identität implodiert ist (Signifikant), oder vom Spiel in der Verdichtung der außersprachlichen wilden Wesen in den proto-ontologische Tiefen abgesehen wird): das ist trotz allem der Grund, weshalb wir, unter der Bedingung, es zu ver-merken, trotzdem linguistisch das Recht haben, davon zu reden. Anders gesagt, der Name, in seiner Nichtigkeit, die phänomenologisch eine Negativität bedeutet, annihiliert als Zeichen die Faszination des Signifizierens durch Identität oder die phänomenologisch durch Unerinnerbarkeit und Ungereiftheit erzeugte Faszination. Der Name abstrahiert oder trennt sich also als solcher von dem, was sich später und von anderswo daran wieder aufnimmt, wie der Affekt (im Freudschen Sinne) oder die Befindlichkeit. Diese Implosion einer solchen Trennung macht ihrerseits aus dem Namen ein Emblem, d.h. einen Signifikanten, in dem der Name nichts mehr blitzhaft apperzipieren läßt, und die Selbst-Annihilierung des Namens in seiner eigenen Nihilität, die in der hyperbolischen phänomenologischen Epoché erkannt wird, läßt das außerweltliche wilde Wesen mit seiner proto-ontologischen Ladung an Unerinnerbarkeit und Unreife auftauchen. Bekanntlich gehört für den Wolfsmann beides zusammen, da Groucha (ohne Anführungszeichen, da es nicht mehr ein Name ist) einerseits in der Signifikantenkette aufgefaßt wird und andererseits er sie darin übersteigt, daß er das Auseinandergehen der Überbestimmungen in Überbestimmbarkeiten erlaubt, mit denen die sprachliche Zeitigung/Räumlichung wieder ins Spiel gebracht wird, was die symbolische Verwicklung zu entknüpfen erlaubt, die sich darin verflochten hat – dem Tod die Stirn zu bieten, indem man ihn durchläuft. Gegenläufig zu dieser Bewegung der Selbst-Vernichtung des Sprachsystems in seiner phänomenologischen Epoché, vollzieht sich allerdings seine Bewegung tautologischer Selbst-Affirmation gewissermaßen durch die Selbst-Anwendung seiner Nichtigkeit auf sich selbst, als ob in diesem Fall minus mal minus plus ergäbe: das ist der Fall der in jedem Sprachsystem vorhandenen apophantischen Logik, die aber die Stiftung der Logik für ein »Paradigma« einer Art Meta-Sprache nimmt, welche vermeintlich die Wahrheit transparent »ausdrückt« und dabei symbolisch das ganze Sprachsystem durch kohärente Verformung von diesem Paradigma aus wiedererarbeitet. Indem sie sich so als »Tangentialpunkt« des sprachlichen Ausdrucks und des »Realen« stiftet, jedenfalls von besonders einfachen Aussagen, die vermeintlich das, was ist, so zu sehen geben, wie es ist, stiftet die apophantische Logik zugleich die Zeichen des Sprachsystems nach solchen Anordnungen, daß vermeintlich die Zeichen selbst – was schon mehr als blitzhaftes Apperzipieren ist –, und zwar durch eine einfache und einseitige Referenz, ein »etwas« (eidetische Sachverhalte oder Tatsachen) der Welt eindeutig zu sehen geben. Das ist ein gewissermaßen reiner Fall der Zeichentransparenz, in dem der symbolische Horizont ihrer blitzhaften Apperzeption durch »Sichtbares« gesättigt ist (»sichtbar« nur für das Denken, da es auch in materieller Abwesenheit von »etwas« sein kann), was dann »gesehen« wird oder vielmehr dessen »Vision« sich mit einem Schlag in der Apperzeption vermeintlich vollendet. Es ist aber auch, wie man hinzufügen muß, ein reiner Fall der »Plattheit« des Sprachsystems, das sich in dieser selbstbezüglichen symbolischen Tautologie er-
339 schöpfen soll, also in dieser symbolischen Identität der sprachlichen Identität des durch den Abstand der Bedeutung dem Sehen Gegebenen und der Identät dessen, was wirklich unter dem Horizont dieses Abstands apperzipiert wird (in der Wesensschau*, oder der Anschauung der Tatsachen). Schon diese Identität ist bar jeden Welt-Sinns, weil das davon Apperzipierte nur seine sinnlose Identität ist, die über die eidetischen Variationen von auf die gleichen Dinge gerichteten vielfältigen Blickund Zeitwinkel (Bedeutungen) gewonnen wird. Es wird also getan, als ob es nur in der Identität Realität gäbe, die ihrerseits bis ins Unendliche in der Identität der wechselseitig disseminierten Zeichen ausgezahlt wird. Daher kommen die offenbar wunderbaren Kräfte des Sprachsystems, die Dinge in ihrer Abwesenheit ahnen zu lassen, d.h. eigentlich außerhalb ihrer Verankerung in den weltlichen Konkretheiten, während dies doch nur von seiner eigenen phänomenologischen Nichtigkeit zeugt, von seiner scheinbaren Kraft, »ganz allein zu laufen«, sobald der Anfang des Denkens ausschließlich darin gesehen wird, was die Zeichen zunächst der blitzhaften Apperzeption und dann der Apperzeption anbieten. Nun gibt es etwas, an dem nun Maß zu nehmen ist: nur indem das Sprachsystem sich gewissermaßen in der sinnlosen Identität als Zeichen»system« stiftet, d.h. als ein System von nichtigen Signifikanten, tendiert es überhaupt durch die Zeichen dazu, sich als ein System von Winkeln blitzhafter Apperzeption zu festigen, die in sich selbst jeweils tote Winkel mit sich bringen, und insofern die phänomenologische Transpassibilität auch auf die Sinnfetzen öffnet, d.h. Fetzen von Zeitigung/ Räumlichung, bringen sie auch tote Zeiten mit sich. Das ist gleichsam maximal im Sachverhalt oder in der Tatsache »spürbar«, in der durch die Benennung der geöffnete Winkel gleichzeitig in seinem Maximum (180°) und in seinem Minimum (0) ist, da er in der Frontalität des »objektiven« oder wahrnehmungsmaßigen »Gegenübers« besteht. Das bedeutet, daß wir mit dem Sprachsystem Sinn bilden, indem wir die Winkel der blitzhaften Apperzeptionen so vermengen und verweben, daß wir die toten Winkel des »Systems« durch Überlagerung von offenen Winkeln wieder öffnen und wir etwas von der Phänomenalität des Sprachlichen finden, von der in ihm enthaltenen, auf dem Grund der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen vollzogenen Verwebung der Protentionen und der Retentionen. Es gibt also kein Sprachsystem, das sich nicht wieder in fungierende Sprache »umzuwandeln« vermöchte, wofür aber der Preis von Drehungen und Verdrehungen der Bedeutungen zu zahlen ist, welche die Winkel der blitzhaften Apperzeptionen der Zeichen sich so überschneiden und überlagern lassen, daß dabei für den Zweck der Sinnbildung ein Teil der toten Winkel und Zeiten eliminiert wird. Durch diese Rückwendungen des Sprachsystems auf sich selbst, die Schulung (Erziehung) und Kultur erfordert (eine wahrhafte Erarbeitung des Sprachsystems, um ihm alle auf es bezogenen transpassiblen Feinheiten wiederzugeben), kann das gesprochene oder geschriebene Sprachsystem erst Sinn bilden, d.h. fungierende Sprache werden. Und bekanntlich ist in unserer Kultur dies das Werk vor allem der Dichter – und der Philosophen, sofern sie, was selten ist, über die bloße Scholastik hinausgehen. Das ist in der gleichen Bewegung nur verständlich, wenn zumindest aufleuchtet, wie sich die phänomenologischen Logizitäten der sprachlichen Wesen an so etwas wie das »Logisch-Grammatische« des Sprachsystems – die Gebrauchsregeln der Zeichen – angliedern. Wir wissen, daß die Gliederung der phänomenologischen »Zeichen« für ihre Zeitigung/Räumlichung durch die schematische Gliederung der sprachlichen formalen Wesen vollzogen wird, und zwar als Spuren oder Zeugen der Transpassibilität der sprachlichen Phänomene gegenüber der fungierenden Sprache,
340 mithin als in der Zeitigung/Räumlichung verteilte schematische Abstände gegenüber dem Abstand, der aus dem ursprünglichen Vorausgehen und Rückstand im sprachlichen Schematismus selbst besteht. Im verborgenen Raum dieser schematisch verteilten Abstände, die durch Transpassibilität auf Sinnansätze und Sinnfetzen hin öffnen, verteilen sich durch Verwebung die Protentionen und Retentionen, also die Sinnfetzen des sich in der sprachlichen Phase bildenden Sinns. Insofern nun die Zeichen des Sprachsystems sich daran machen, allerdings mit Abstand, diese Sinnfetzen zu markieren, nicht als Sinnfetzen, sondern als solche, in denen etwas von der »Landschaft« der Welt blitzhaft apperzipierbar wird, geschieht dies gemäß der Blickund Zeitwinkel, die als symbolische Horizonte wie Linien des Blicks und der Zeit sind. Das heißt, daß es zwischen diesen Linien der Bedeutungen, die, wie gesehen, tote Zeiten und Winkel mit sich bringen, auch Angliederungen gibt, die sich mit der identitären »Sedimentierung« der Zeichen »sedimentieren«. Anders gesagt bestehen zwischen den Zeichen, sofern sie den Sinn »wiederherzustellen« vermögen, Verkettungen, transzendentale Matrizen von Gebrauchsregeln, die wie Zeichen für »Zeichen«, wie die Rückseite der schematischen Verkettungen zwischen sprachlichen formalen Wesen sind. Mehr noch, in dem Maße, in dem diese Verkettungen von Zeichen für Zeichen eigentlich Verkettungen von Blick- und Zeitlinien untereinander (von Winkeln der blitzhaften Apperzeption untereinander) sind, verdichten sie davon gleichzeitig welche, wie etwa die Beziehungen, in ein eigentlich sehr komplexes »System« von Beziehungen, wobei sie durch das Sieb, den Filter oder die »Maschen« des Sprachsystems, das durch es immer schon »strukturiert ist, dem blitzhaft Apperzipierten jeweils den Schein des Seins geben. Die Beziehungen können dabei ihrerseits in Beziehung zu anderen Beziehungen stehen. Dieses »System« konstituiert die transzendentale Matrix des Logisch-Grammatischen als ein System, das selbst durch die logische Stiftung des Sprachsystems symbolisch rekodiert wird. und dieses kann nur den Gegenstand einer unendlichen Reflexion für das abgeben, was wir mit Bezug auf Wittgenstein eine »philosophische Grammatik« des Sprachsystems nennen werden. Diese letztere macht also in der symbolischen Stiftung des Sprachsystems die negative Rückseite der phänomenologischen Masse des Sprachlichen in ihrem endlichen und unendlichen Schematismus aus – wobei ein unreduzierbarer Abstand zwischen beiden bleibt, der sich in jeder Phase der fungierenden Sprache als transzendentale Reminiszenzen und Vorahnungen des Sprachlichen wieder markiert und ver-merkt (se re-marque). Auch deshalb kann sich die Verwebung der blitzhaften Apperzeptionen, die sich durch die Verwebung der symbolischen Horizonte der Zeichen des Sprachsystems vollzieht, nicht nur auf ihre Ausbildung in den Gebrauchsregeln eines Sprachsystems beschränken – wobei sie diese nur ganz leicht übertritt – sondern kann sie auch verfeinern und sie von innen heraus verwandeln, indem sie darin ungeahnte Ressourcen zu »entdecken« scheint. Gerade deshalb ist es eine gefährliche Illusion zu glauben, daß die Poesie oder die bis zum Äußersten ihrer Fragestellungen getriebene Philosophie zu einer »Destruktion« des Sprachsystems führen müßte. Denn das Sprachsystem bietet uns, aber gleichsam »auf der Rückseite« oder »einwärts gewendet« alle denkbaren »Mittel« des Denkens. Und dies muß äußerstenfalls auch ohne jeden Jargon möglich sein, dem die nominalisierende Abstraktion immer Vorschub leistet. Was geschieht also in der Poesie, wenn sie mit dem »poetischen Bild« die Bedeutungen kurzschließt, also die Blick- und Zeitwinkel, die auf den ersten Blick »Altbekanntes« oder »Plattes« zu sehen geben? Was vollzieht sich dabei sowohl an der fungierenden Sprache (phänomenologischer Gesichtspunkt) als auch am Sprachsystem
341 (symbolischer Gesichtspunkt)? Welcher Um-wandlung wohnen wir bei? Der Kurzschluß der Linien der blitzhaften Apperzeption läßt »Zwitter-Wesen« erahnen, die im Verhältnis zu denen, die sich jeweils in einer Bedeutung zu »sehen« geben, schon zweiten Grades sind. Diese »Komposition«, wenn sie nicht offensichtlich absurd oder unhaltbar ist, läßt eine »verborgene Harmonie« zwischen den kurzgeschlosssenen »Wesen« »entdecken«. Diese gehen damit also einen Chiasmus oder mehrere Chiasmen ein, durch den oder durch die sie aufgefächert werden und die, umgekehrt zu dem mittels der außersprachlichen wilden Wesen Erzeugten, darin – diese vewebend – Proto-Protentionen und Proto-Retentionen öffnen, also Sinnansätze, in denen die Zeit des Sinns noch in der Schwebe ist. Diese Proto-Protentionen/Proto-Retentionen befrachten nun die »Zwitter-Wesen« mit Transpassibilitäten gegenüber anderen Sinnansätzen und vielfältigen Sinnregungen, und in diesem Sinn kann man wie J. Garelli von einer »poetischen Gravitation« reden.18 Es gibt im Verborgenen, in den Chiasmen der Kurzschlüsse sich schon abzeichnende Sinnfetzen, d.h. phänomenologische »Zeichen«, die sich in noch geheime harmonische Abstimmungen verwandeln, die dann ihrerseits in ihre Zeitigung/Räumlichung eintreten – welche nun die der Erleuchtung geworden ist. Aber diese harmonischen Abstimmungen bilden sich nicht zwischen den in den Kurzschluß gebrachten »Wesen«: sie bilden sich aus dem Verborgenen des Kurzschlusses heraus, aus den Tiefen, die dieser erweckt oder wiedererweckt, hinter oder unterhalb der kurzgeschlossen »Wesen«, und zwar wie Tiefen von Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, die hier das sind, was Garelli das »Unterschlagene« der Welt nennt.19 In und nur in diesem Verborgenen bringt sich wieder etwas von den außersprachlichen wilden Wesen im Rücken des Sprachsystems ins Spiel. Die harmonischen Abstimmungen bilden sich nicht, wie wir gesagt haben, zwischen den kurzgeschlossenen sprachlichen »Wesen«, sondern in den Tiefen des Unterschlagenen des Kurzschlusses, nach einer wahrhaften Umkehr des Sprachsystems, in dem die »Zwitter-Wesen« wie der anscheinend absurde Teil der Proto-Protentionen und der Proto-Retentionen scheinen, der durch die Bedeutungen des Sprachsystems ins Auge gefaßt und in die Zeit hereingenommen wird. Anders gesagt sind die Chiasmen des Kurzschlusses nur ein kleiner »sichtbarer« Teil von sehr viel reicheren und komplexeren Chiasmen von Proto-Protentionen und ProtoRetentionen, wobei diese Chiasmen eigentlich außersprachliche weltliche wilde Wesen auffächern und damit verweben. Und das Gedicht bildet sich, wenn, von Kurzschluß zu Kurzschluß, sich in ihren verborgenen harmonischen Resonanzen der Sinn oder die Sinnregungen bilden, indem es diese als das verwebt, was sie nun geworden sind, nämlich als Sinnfetzen, phänomenologische »Zeichen«, welche die sprachliche Äußerung durchziehen wie ihre Kehrseite. Die Poesie verwendet also den poetischen Kurzschluß wie ein »Mittel«, um das Sprachsystem gegen sich selbst zu wenden und es zu seiner Selbst-Annihilation zu führen, und zwar in einer phänomenologischen Epoché, die Garelli mit Recht poetische Epoché nennt. Im Verhältnis zum phänomenologischen Sprachgebrauch leistet der poetische insofern eine Art doppelter »Mimesis«, als er darin etwas nur findet, wenn er nicht von den außersprachlichen wilden Wesen, sondern von den Bedeutungen ausgeht, also was in den blitzhaften Apperzeptionen des Sprachsystems in den Blick genommen wird. Es ist eine Bewegung des Wieder-Aufstiegs der fungierenden Sprache durch das Sprachsystem hindurch bis zu ihrem phänomenologischen Ursprung, der sich nur im Pulsieren ihrer Phänomenalität zeigen kann, »im Verborgenen«, zwischen den Zeilen und den Wörtern, d.h. zwischen den symbolischen Horizonten des Sprachsystems. Und im Verborgenen dieses Wiederaufstiegs setzt sich
342 auch das Sprachsystem wieder in Bewegung in der ihr eigenen symbolischen Verwicklung seiner sich bildenden symbolischen Stiftung. Dichter ist bekanntlich nur, wer ein sehr feines Gespür für die Sprache hat, für das, was sie an ihren Grenzen leistet und dabei doch noch Sprache bleibt und nicht etwa in eine unbegreifbare Kakophonie von Bedeutungen auseinanderfliegt. Das Paradox der Dichtung besteht also darin, daß sie nur insofern zu jener phänomenologischen (poetischen) Epoché des Sprachsystems vordringen kann, in der das Sprachsystem sich auslöscht und sich zugunsten von all dem, was jenseits davon oder dahinter sich als fungierende Sprache in ihren Abgründen abspielt, selbst annihiliert, wenn ihr Gebrauch sehr fein »geregelt« oder »kontrolliert« erscheint, in dem schon alles von der Wahl eines Wortes oder dem Setzen eines Kommas abhängen kann. Das liegt daran, daß die verstimmende Störung der den Zeichen innewohnenden Plattheit, eigentlich von einer höchst raffinierten Abstimmung der Vorgehensweisen herrührt, mit denen das Sprachsystem gegen sich selbst gewendet wird, wobei die ideale Dichtung oder die regulierende Idee der Dichtung zweifellos die des »absoluten« Gedichts des Sprachsystems wäre, wenn nämlich das Gedicht oder die Worte nur wie Musiknoten wären, einfache »mnemotechnische« Spuren (in diesem Sinn von der symbolischen Stiftung herrührend), um sich an das sprachliche Phänomen zu erinnern und es wieder in Bewegung zu bringen. In diesem Sinn gibt es wie in den Mythen eine innewohnende Zusammengehörigkeit zwischen der poetischen und der musikalischen Sprache (langage). Anders gesagt hat die Dichtung jeweils als Problem zu lösen, daß es ihr gelingt, in der Dichtung zwei Arten der Verkettung zusammenzuhalten: die schematische der phänomenologischen »Zeichen« als Sinnfetzen der Dichtung, die von sich aus, wie gesehen, keine Identität haben – es sei denn daß sie sich verfrüht in Signifikanten verdichten, wir werden darauf zurückkommen – und die linguistische, die logischgrammatische Verkettung der Zeichen. Das Problem ist umso komplexer, als die phänomenologischen »Zeichen« dabei einmal durch Zeichen oder Zeichengruppen, ja sogar von der Abwesenheit von Zeichen rekodiert werden, daß sie sich aber auch noch durch ihre schematischen Verkettungen hinterrücks aufdrängen, allerdings mit der »Unterstützung« der linguistischen Verkettungen. Oder auch: daß die »Komposition« der phänomenologischen »Zeichen« in ihren schematischen Verkettungen sich anders vollzieht als die linguistische Komposition der Zeichen in ihren logischgrammatischen Verkettungen. Es gibt also eine Tendenz zur Abspaltung des einen vom anderen, und dies schon aufgrund der »Abstraktion« des Sprachsystems, d.h. gewissermaßen so, wie sich die sprachlichen »Logizitäten« anscheinend ein für allemal in »Leerstrukturen« verfestigt oder verdichtet haben, d.h. in Relationen zwischen den Zeichen, wobei sie einen Teil der phänomenologischen Überbestimmbarkeit in der symbolischen Überbestimmung der Zeichen, also ihre Polysemie, bewahren. Und bekanntlich spielen die Dichter mit dieser, um Dichtungen zu »komponieren«: gerade dies macht die Kurzschlüsse nicht willkürlich, und dies erlaubt durch sie die polysemischen Überbestimmungen des Sprachsystems zu Überbestimmbarkeiten der fungierenden Sprache wieder zu öffnen. Die »Monadologie« der Bedeutungen, von der wir gesprochen haben, meint nicht so sehr, daß die Bedeutungen füreinander jeweils in sich abgeschlossene Atome mit eigener Identität wären, die daraus Signifikanten bildete, sondern vielmehr, daß es zwischen ihnen in verschiedene Richtungen prästablierte Harmonien durch die polysemischen Überbestimmungen gibt, die man als die Spur der sprachlichen Phänomenalität im Sprachsystem nehmen kann. Das Problem des Dichters entzieht sich also weniger der Be-
343 handlung, als es scheint, da es in der Dichtung nicht darum geht, die schematische Verkettung mit einer oder mehreren logischen, sondern mit logisch-grammatischen Verkettungen zu »versöhnen«, welche selbst harmonische Möglichkeiten mit sich bringen, die mit den schematischen Rhythmen der phänomenologischen »Zeichen« harmonisch mitzuschwingen vermögen, und zwar durch das hindurch, was nun gleichsam als Echo zur Transpassibilität des Sprachlichen die Trans-Erregbarkeit des Sprachsystems ist. Es handelt sich also eher um Trans-Erregbarkeit als um ideale Transparenz, da das Sprachsystem durch seine unaufhebbare und ursprüngliche Polysemie noch phänomenologische Spuren trägt. Und diese Trans-Erregbarkeit, die der Dichter spürbar werden lassen muß, ist selbst harmonischer Zusammenklang zwischen den Zeichen und den logisch-grammatischen Verkettungen der sprachlichen Aussage des Dichters einerseits und dem sich darin im Verborgenen zeitigenden/räumlichenden sprachlichen Phänomen andererseits. Genau das verleiht auch den verwendeten Zeichen und ihren Verkettungen ihre Notwendigkeit, nicht so sehr die einer möglichen symbolischen Stiftung der Dichtung, die ebenso »abstrakt« und ebenso scheinbar »willkürlich« wie die der Musik wäre – es gibt, sozusagen in der Dichtung sehr viel weniger »Freiheitsgrade« –, sondern eher die Notwendigkeit des Trans-Erregbaren dafür, aus der Tiefe oder dem Hintergrund die blitzhaften Sprachapperzeptionen wieder in der weltlichen Dichte (der Leiblichkeit) des Sprachlichen zu verankern. Deshalb haftet jeder Rede über die dichterischen »Tropen« oder »Gattungen« etwas (in einer Rhethorik) Gestiftetes an, oder, wenn sie eine metaphysische Begründung sucht, etwas Abstraktes oder Künstliches. Auf ihrem Weg begegnet die Dichtung auch einer Gefahr, gegen die sie sich wappnen muß, nämlich der ihres symbolischen Gestells*. Hier werden, indem sie phänomenologisch die fungierende Sprache ansetzt, durch identitäre Implosion oder verfrühte Verdichtung der phänomenologischen »Zeichen« zu Signifikanten die Zeichen oder Zeichengruppen des Sprachsystems in etwas umgekehrt, das wie ein »wilder Zustand« von der gleichen Art ist, wie wir ihn am Beispiel von Groucha herausgehoben haben. Dieses nämlich läßt die sprachliche Aussage der Sache selbst (das sprachliche Phänomen) mit der Sache selbst verwechseln, die, so identifiziert, sich nun selbst in einen unsinnigen Signifikanten der Identität verwandelt und sich den Anschein der dichterischen Identität gibt. Das ist die Brutstätte der bekanntlich bis zum Überdruß wiederholbaren dichterischen »Allgemeinplätze«, wie in einer dichterischen »Scholastik«, in der das Dichten das Denken nicht mehr nötig hat. Das bedeutet, um ihr konstitutives Paradox anders zu formulieren, daß die Dichtung in ihrem Bestreben, dem Sinn im Sprachlichen Leiblichkeit zu geben, sich sozusagen gleichermaßen Abstand halten muß gegenüber der Entleiblichung der Sprache in der tendenziellen phänomenologischen Nichtigkeit des Sprachsystems und gegenüber der voreiligen phantomatischen Verkörperung der phänomenologischen »Zeichen« und folglich auch der Zeichen des Sprachsystems zu Signifikanten. Wiederum anders gesagt heißt das, daß die »lebendige« Dichtung sich nur durch eine Umwendung des Sprachsystems bilden kann, wobei durch deren gewissermaßen entgegengesetzte, auf kohärente Weise vollzogene Verformung sie zu ihrer Verwandlung geführt wird und aktiv an dem teilnimmt, was die Linguisten seine Diachronie nennen, in der niemals vollendeten Bewegung seiner sich bildenden symbolischen Stiftung.
344 c) Grundsätze für eine phänomenologische Analyse der fungierenden Sprache im Sprachsystem: Prinzipien für eine Architektonik des Sprachsystems Aus all dem eben Gesagten müssen wir nun die Lehren für die phänomenologische Praxis der fungierenden Sprache in der Phänomenologie ziehen. Obwohl sie sehr nahe an der Dichtung ist, darf sie dennoch nicht mit ihr verwechselt werden, sondern wäre in diesem Sinn als eine »Meta-Poetik« zu fassen. Dazu wird sie, wie gesehen, schon vermittels der Philosophie, aus der sie hervorgegangen ist, also durch die Kraft der abstrakten Benennung, die sich, wenn sie mit Vorsicht gehandhabt wird, schon in Distanz und in den zweiten Grad bezüglich des zu Benennenden begibt. Diese Distanz erlaubt ihr, in das Denken all das neu einzuschreiben, was ihr durch die Benennung allein verloren ginge. Es handelt sich sinngemäß um das, was wir wie in unseren vorangegangenen Arbeiten auch hier in unseren Meditationen getan haben. Und immer noch in diesem Sinn ist die hyperbolisch-phänomenologische Epoché nichts anderes als der radikale Zweifel, der das Denken darüber ergreift, ob das, was der abstrakte Name zu bezeichnen scheint, auch wirklich das ist, was er zu bezeichnen scheint. Die Phänomenologie als phänomenologische Philosophie, wie wir sie praktiziert haben, ist demnach nur die schwierige Wiedereroberung der Konkretheit, und zwar immer im zweiten Grad, in dem durch die Abstraktion geöffeten Abstand. Und dies ist immer mit dem Wissen verbunden, daß die Namen nicht Wesen oder Sein bezeichnen, sondern auf Probleme verweisen, die aus Sorge um Kohärenz und philosophische Intellegibilität vielleicht »Wesen« getauft wurden – wir sprechen in der Tat die Sprache der Philosophie und keine andere. Wir haben uns hier darauf beschränkt, nur eine innere Kohärenz der Probleme und Fragen zu suchen. Das bedeutet, daß diese Kohärenz in unseren Augen nichts Ontologisches hat, das von vornherein im Sein oder Seyn eingeschrieben wäre, sondern nur architektonisch ist. Eine Reflexion über die phänomenologische Praxis des Sprachgebrauchs in der Phänomenologie ist nun unlösbar mit dem verbunden, was wir eine phänomenologische Architektonik der fungierenden Sprache und des Sprachsystems nennen werden. Und gerade dies glauben wir hier entwickelt zu haben, aber ohne es gewissermaßen methodisch zu durchdenken, d.h. ohne die Bewegung, die nur final sein kann, von der Anwendung der Architektonik auf sich selbst herzuleiten. Als eine Art von »transzendentaler Deduktion« der fungierenden Sprache und des Sprachsystems hätte unsere Sprachphänomenologie noch auf ihre Art von »transzendentaler Dialektik« zu warten, die darauf hinauslaufen müßte, die Architektonik der Probleme und Fragen mit ihr selbst abzustimmen. Der architektonische Sinn, den wir im zweiten Grad entfaltet haben, wäre noch in eine architektonische »Idee« umzuwandeln, die in einer phänomenologischen Sprachpraxis die konkreten phänomenologischen Analysen ins Auge zu fassen erlaubte, denen Husserl fast fünfzig Jahre gewidmet hat. Wir finden damit das ganze Problem der Phänomenologie wieder, das bipolar geteilt ist zwischen der Sorge, die anscheinend einfachsten Dinge in ihrer Phänomenalität zu erfassen – aber das einfachste ist paradoxerweise das schwierigste, weil es sich hinter dem »Selbstverständlichen« der symbolischen Stiftung verbirgt – und der entsprechenden Sorge, die meist uneingestandenen Voraussetzungen der konkreten Analyse mittels dem zu durchdenken, was Husserl eine »phänomenologische Philosophie« und Fink eine »transzendentale Methodenlehre« nannte.20 Wir werden in unserer nächsten »Meditation« auf diese Frage zurückkommen, die insofern vorentscheidend ist, als sie die Phänomenologie dazu zu verdammen scheint, nie etwas anderes zu tun, als stets neu zu beginnen. Es braucht die Bescheidenheit des Forschers, um das Demutsvolle der Anfänge aufzugreifen.
345 Damit wird uns die Hervorhebung eines anderen Sinns oder einer anderen Modalität des gleichen Sinns gestattet, nach dem sich die Phänomenologie als Meta-Poetik zu begreifen hat. Dies, weil sie nämlich von den, wie es Husserl sagte, noch stummen Sachen selbst auszugehen hat, um sie zur Sprache zu bringen. Wenn nun die Sachen »wirklich« stumm sein sollten, uns also nicht schon etwas zu sagen haben, oder noch nicht durch blitzhafte Apperzeptionen oder die Bedeutungen des Sprachsystems zugeschnitten sein müssen, dann können sie nur außersprachliche wilde Wesen* in ihren außersprachlichen Verwebungen sein, im Abgrund und in ihren sprachlichen Verwebungen (aber nicht im Sprachsystem!) innerhalb der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, die allein innerhalb von harmonischen Zusammenklängen zwischen Protentionen und Retentionen Sinn zu initiieren vermögen. Zwar haben wir, um dieses zu sagen, nichts anderes als das Sprachsystem, und so gesehen sind wir den Dichtern ganz nahe, aber anstatt zu dichten, haben wir die Praxis des Dichtens begiffslos zu reflektieren, indem wir gewissermaßen die poetische Epoché in eine phänomenologische Epoché verwandeln. Wir steigen also gleichsam, anstatt wie die Dichter von dem Sprachsystem zur fungierenden Sprache hinauf, von der fungierenden Sprache – und von ihrem phänomenologischen Ursprung – hinunter zum Sprachsystem, und zwar durch das hindurch, was wir in unseren vorangegangenen Arbeiten der Einfachheit halber »begriffslose transzendentale Eidetik« getauft haben – eine widersprüchliche Ausdrucksweise und so gesehen Ausdruck des phänomenologischen Problems, denn wenn es Eidetik gibt, dann auch Eidos, und wenn es Eidos gibt, dann auch Begriff. Dafür, was ja außerhalb dieses etwas emblematischen und polemischen Ausdrucks steht, fehlen uns die Worte. Dieser Blickwinkel stellt uns vor die Schwierigkeit, daß wir, um von der fungierenden Sprache zum Sprachsystem wieder hinunterzusteigen, nicht nur einen Zugang zur fungierenden Sprache brauchen – und dieser kann uns durch die poetische Praxis eröffnet werden – sondern auch einen Zugang zu seinem Ursprung, zu den ProtoProtentionen und Proto-Retentionen – wie wir gesehen haben, führt auch die poetische Praxis dahin. Wir brauchen aber auch Zugang zu außersprachlichen wilden Wesen – wobei das Paradox sich einstellt, daß das symbolische Unbewußte uns dabei helfen kann, indem es allerdings die wilden Wesen* als die zur identitären Implosion in den Signifikanten verdorbene Form und als die Überbestimmung des Signifikanten verkleidet. In unseren phänomenologischen Termini sind die außersprachlichen wilden Wesen* wiedererkennbar, aber als Gestalten der Identität, am Rand des identitären Abgrunds, den sie verbergen, und um etwas von ihrer proto-ontologischen Tiefe und von ihren nicht teleologischen Horizonten der Unerinnerbarkeit und Unreife im phänomenologischen Abgrund wiederzufinden, müssen sie diese Identität verlieren. In einer solchen Art hyperbolisch-phänomenologischen Epoché der Signifikanten-Identität kann sich etwas wie die Proto-Sinnregungen der wilden Wesen wieder öffnen – ihre Proto-Protentionen und Proto-Retentionen – und sich für sich eine phänomenologische Sprachpraxis der in der Phänomenologie ansetzen. Das bleibt dennoch formal und sozusagen ein neutrales philosophisches Denken, wenn wir nicht berücksichtigen, daß die Begegnung der beiden Abgründe, nämlich des identitären und des phänomenologischen Abgrunds, im Grunde all das ausmacht, was sich am Ort einer sehr konkreten und paradoxen »Erfahrung« des phänomenologischen Erhabenen abspielt. Die hyperbolisch-phänomenologische Epoché der Signifikanten-Identität ist keine neutrale und rein intellektuelle Operation: sie ist die phänomenologische Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen, von dem man schon ungefähr sieht, daß es jede phänomenologische Praxis der fun-
346 gierenden Sprache durchziehen muß – wobei es sich bei der identitären Implosion zu Signifikanten insofern um diese Erfahrung selbst handelt, als sie im symbolischen Fehlgehen verfehlt oder kurzgeschlossen wird, was das Selbst dazu verleitet, sich in seiner Formalität oder seiner Abstraktion an »Gestalten« nicht seines Sinns, sondern seiner Identität zu heften. Es gibt nun also einen anderen Pol, den wir berücksichtigen müssen um die Erfahrung des Erhabenen umfassender zu verstehen: nämlich den Pol der symbolischen Stiftung des Sprachlichen zum Sprachsystem, in dem die Selbstheit, wie wir gesehen haben, vom Sinn oder den Sinnregungen auf die Selbstheit des Menschen übertragen wird, die nun notwendig ist, um die Sinnregungen in ihrer Selbstheit zu erhalten. Diese Verschiebung der Selbstheit der Sinnregungen zur Selbstheit eines sprechenden Subjekts kann nicht ohne Widerhall in der Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen sein und muß uns Menschen, also auch uns Phänomenologen, eine konkretere Konsistenz in der konkreten menschlichen Erfahrung der phänomenologischen Epoché geben, die jede signifizierende Identität ausschaltet. Die phänomenologische Praxis der fungierenden Sprache ist nämlich menschliche Praxis, und die Phänomenologie muß sie gewissermaßen zumindest bis zum Horizont ihrer »Reinheit« führen. Wir werden dabei von der symbolischen Stiftung zum Rätsel des symbolischen Stifters übergehen. Wenn wir nun zur symbolischen Stiftung des Sprachsystems zurückkommen, wissen wir, daß das Selbst insofern darin nicht angesiedelt ist, weil ihm als »sprechendem Subjekt« nur die Aufgabe zukommt, die Zeichen und die Regeln »in Gang zu setzen«, und diese Funktion wird auch nicht dadurch aufgewertet, wenn das Subjekt dabei symbolisch durch seinen Eigennamen oder durch die Personalpronomen Identität hat. Das Selbst als Selbst kann also nur außerhalb des Sprachsystems »seinen Ort finden«. Dieses »Außerhalb« liegt auch jenseits von allem, was sich im Sprachsystem und durch es sagen läßt, und befindet sich somit im Kurzschluß oder vielmehr in der Epoché jeder Identität. Offensichtlich stehen wir hier vor der Erfahrung des Erhabenen, wie sie in Kants dritter Kritik auftritt. Und mit dieser Erfahrung ist eben auch die des Todes verbunden als dem Verlust jedes Bezugspunkts und jeder symbolischen Identität, in der die physische Integrität des Subjekts bewahrt bliebe. Es handelt sich dabei, wie wir andernorts gezeigt haben,21 um eine zweifache Erfahrung: sie ist entweder, in der phänomenologischen Epoché jeder wieder-erkennbaren Identität, die phänomenologische Begegnung mit dem phänomenologischen Abgrund – dem phänomenologischen Apeiron –, und die begriffslose phänomenologische Reflexion des Rätsels der Selbstheit, das in seinem Rätsel durch das Rätsel schlechthin (hier vollzieht sich Reflexion) des symbolischen Stifters gehalten wird – welcher, ohne sie zu »verursachen« die Selbstheit als radikale Einzigartigkeit unter einer ursprünglichen Vielfalt von anderen radikalen Einzigartigkeiten stiftet, die ebenso rätselhaft sind; oder aber diese Epoché bricht verfrüht ab und verdichtet das phänomenologische Apeiron im identitären Abgrund zur Form der Signifikanten-Konstellation. In diesem Fall taucht der symbolische Stifter nur auf »negative« Weise auf, nämlich als der manipulierende große Andere, der durch eine Art Attentat die signifizierenden Über-Bestimmungen anordnet. Die Selbstheit sieht sich nun von einer Art symbolischer Knechtschaft einer Identität blockiert, die sinnlos ist (symbolische Pathologie) oder deren in Identität implodierter Sinn verloren gegangen ist, wobei das »abstrakte« Selbst dieser sinnlosen Identität der Signifikanten nun im Verhältnis des »abstrakten« Selbst des Sprachsystems das »unbewußte Subjekt des Unbewußten«
347 ist, das durch die mystifizierende und mystifizierte Identität der Signifikanten an diese »festgenagelt« ist. Umgekehrt läßt uns das erfassen, wie in dem »positiven oder phänomenologischen Moment« des Erhabenen das Selbst sich in seinem Rätsel begegnen und sich auf seine phänomenologische Konkretheit hin öffnen kann: nämlich je weniger das Sprachsystem die »Signifikanten« enthält, da sie hinsichtlich der Identität nichtig sind. Je mehr also der symbolische Stifter auch als der eines Sprachsystems als einer Art »identitären Systems« der signifizierenden Nichtigkeit erscheint, wandelt sich die Identität des Sinns im Signifikanten in den un-endlichen Sinn der Identität um, welche aber aber nicht mehr dazu gehört, da sie nun Selbstheit ist, oder, um wie Ricœur zu sprechen,22 die Selbigkeits-Identität und nicht mehr die Selbst-Identität. Dadurch verbindet sich der Sinn des Selbst mit den Bedeutungen der Zeichen – das Selbst denkt, und nicht bloß das Sprachsystem – und dies in den Sinnregungen der fungierenden Sprache und durch sie. Und auf rätselhafte Weise wird im Abgrund die Verbindung zwischen dem Sinn des Selbst und den durch die Sprache in Bedeutungen rekodierten Sinnregungen durch den symbolischen Stifter hergestellt. Die Genialität der symbolischen Stiftung des jüdischen und christlichen Monotheismus besteht darin, daß sie in Gott, für sie die Gestalt des symbolischen Stifters, den Sinn der Sinnregungen als der Sinnidentität erkannt hat, die den Sinn der symbolischen Stiftung ausmacht und dafür sorgt, daß jeder Sinn in seiner Faktizität eine wieder-erkennbare »Identität« hat. Dadurch zeichnet den symbolischen Stifter aus, daß er jeden Sinn erhält durch alle Eklipsen seiner Zeitigung/Räumlichung hindurch, seine lückenhaften Phasen, die phänomenologisch durch keinerlei Kontinuität aufrechterhalten werden. Anders gesagt erhält der symbolische Stifter die Möglichkeit der Wiederholbarkeit der Sinnregungen, als eine Art »fortdauernder Schöpfung«, die schon Descartes gedacht hatte, wobei die Sinnregungen jeweils die Einzigartigkeit ihrer faktiziellen Selbstheit einschließen. Dies führt nun zur Husserlschen Problematik der »Reaktivierung«, denn gerade dies leistet über die Verwebung der Sinnregungen die Absicherung des Sinns einer Geschichte und einer Tradition, des Horizonts der historischen Zeit.23 Es gibt damit eine Art »Vertrauen« in den Sinn, das keinen Sinn jemals endgültig »verloren« zu geben scheint. Anders gesagt, die durch das Sprachsystem geleistete Übertragung der Signifikanten auf ihren »Nullzustand« und die durch den »Filter« seiner symbolischen Stiftung hindurchgehende Begegnung des Selbst mit dem symbolischen Stifter, welche sich beide außerhalb des Sprachsystems befinden, öffnen den Weg auf die Verleiblichung der menschlichen Selbstheit, aber auch des symbolischen Stifters, und zwar in dem, was als »sein« Wort oder seine Rede (sein Logos) scheint. Auf diese Weise sind Selbstheit und symbolischer Stifter durch symbolische Horizonte, und zwar des Sprachsystems in der Bewegung seiner Stiftung eingespannt. Diesen beiden symbolischen Horizonten muß man den der Welt hinzufügen, die ja auch in ihrem phänomenologischen Gehalt oder in ihrer Leiblichkeit außerhalb des Sprachsystems (aber nicht außerhalb der fungierenden Sprache) ist. Wir stehen damit vor der architektonischen Gliederung der Sprache in ihre drei symbolischen Horizonte: der Selbstheit (Seele), des symbolischen Stifters (Gott) und der Welt, die nicht als Wesen begriffen werden können – es sei denn, wenn man sie von der identitären Implosion her nimmt – sondern, sozusagen (wie bei Kant) als notwendige »Ideen« zur Orientierung des Denkens. Damit kommen wir auf unseren Ausgangspunkt zurück, nämlich darauf, was uns eigentlich das Recht gibt, vom phänomenologischen und vom symboli-
348 schen Feld zu sprechen. Und wir sind nun auf der Suche nach einer neuen »transzendentalen Methodenlehre« in der Phänomenologie. Dieses Aufweisen symbolischer Horizonte des Sprachsystems als einer Anordung seiner Architektonik erlaubt uns, die phänomenologische Praxis der fungierenden Sprache unter diesen Horizonten ins Auge zu fassen. Diese Horizonte sind eigentlich insofern reflektierend, als dabei die menschliche Selbstheit un-endlich und abgründig die Erfahrung ihres Lebens und ihres Todes im Leben und Tod der Selbstheit der Sinnregungen reflektiert: dies ist eine Erfahrung des sprachlichen Erhabenen oder des Erhabenen im Sprachlichen, die sich in der wechselseitigen Eklipse der fungierenden Sprache und des Sprachsystems vollzieht. Diese Erfahrung überschreitet, um es nochmals zu sagen, alles bloß Intellektuelle. Es handelt sich nämlich um ein Pulsieren der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché eines konkreten menschlichen Selbst, das akzeptiert, nichts mehr zu wissen, das anerkennt, daß vor dem phänomenologischen Abgrund das Wissen so nichtig ist wie die Zeichen des Sprachsystems; das nicht mehr »weiß«, »wer« es ist, das weiß, daß das »Ich« ein Selbst ohne identität ist, vielleicht ein »wildes« Selbst auf dem Grund jedes Selbst, und das dennoch in seiner radikalen Einzigartigkeit – im Gegensatz zur Identität – un-verwechselbar ist. Ein Selbst also, dessen Leben und Erlebnisse auf immer Rätsel sind, in einer Art von »gelehrter Unwissenheit« neuen Stils, in der man ständig auf die Über-raschung der Phänomenalität zurückkommen muß, um deren Sinn, Sinnansätze oder noch wilden Proto-Sinnregungen zu befragen. Das Werk Husserls enthält dafür eine Fülle von Sinn, worauf wir in unserer letzten Meditation noch zurückkommen werden, es ist aber wie eine riesige Baustelle mit unfertigen Bauabschnitten, die allesamt Rätsel und Fragen sind, die wer weiß wie lange immer wieder aufzugreifen sind. Denn die phänomenologische Sprachpraxis in der Phänomenologie ist die Praxis einer fungierenden Sprache, die nichts mehr zu begründen hat, und in diesem Verzicht auf »metaphysische Letztbegründung« liegt vielleicht die Treue zum »Geist« des »Gründers« der Phänomenologe – wie auch immer seine Haltung in dieser Frage gewesen sein mag. Daher wird auch nicht aus Schwäche, sondern aus Reichtum und Überschuß an Reichtümern die Phänomenologie sich der mit den Anfängen verbundenen Demut hingeben, was in der »gelehrten Unwissenheit«, von der wir gesprochen haben, die größte Bescheidenheit des Denkens verlangt. Die Phänomenologie kann sich nur dagegen wappnen, zur Scholastik zu verkommen, indem sie ständig auf ihre vorrangige An-archie und A-Teleologie zurückkommt, in denen allein die ursprüngliche Wildheit des Unerinnerbaren und des Ungereiften wie ein Echo widerzuhallen vermag. Man braucht zwar eine große »Festigkeit der Seele«: eben die, welche sich erobert, und die sich immer wieder im Kampf gegen die Gefahren ihres Verlusts wiedergewinnen muß, und zwar im Durchgang durch den symbolischen Tod am Ort des phänomenologischen Erhabenen, weit weg von jeder »Lehre«. An diesem Ort und außerhab der formalen Weisungen einer »transzendentalen Methodenlehre« der Phänomenologie ist jeder auf seine Einzigartigkeit zurückverwiesen. Eigentlich kann niemand »phänomenologischen Sinn« besitzen, wenn er ihn nicht schon hat, dieser »Sinn« aber ist in einer Praxis zu kultivieren und zu verfeinern, in der man immer in Bezug zur »Sache selbst«, die jedoch unidentifizierbar ist, »urteilen« muß und nicht um der narzißtischen Befriedigung willen, die man aus intellektuellen Großtaten oder Aufführungen zieht. Als Rätsel – von dem wir auch ausgegangen sind – bleibt immer der sensus communis, der Gemeinsinn, welcher sehr weit entfernt vom »gesunden Menschenverstand« ist, und den Husserl selbst Lebenswelt* getauft hat. Es ist ein Rätsel der architektonischen
349 Überkreuzungen zweier Felder, nämlich der fungierenden Sprache und des Sprachsystems, wobei es sich um vielfältige, variable und labile Überkreuzungen handelt. Deren faktizielle Einzigartigkeit ist jeweils zur »Analyse« aufgegeben, was wir zu Beginn im Zusammenhang mit der Affektivität oder Befindlichkeit befolgt haben. Und diese Überschneidungen spielen sich jeweils über den Abgrund hinweg ab, auf dessen Grund der symbolische Stifter in seinem radikalen Rätsel hin und her schwebt, und auch über den undurchquerbaren Abgrund hinweg, der zwischen dem phänomenologischen Abgrund und dem Abgrund der identitären Implosion besteht. All dies verlangt also, daß wir die Frage nach der Architektonik der Phänomenologie an der Wurzel wieder aufgreifen, und zwar in einer »transzendentalen Methodenlehre«, die nach der geeigneten Methode fragt, wie in der Faktizität jedes Einzelfalles diese Überkreuzungen zwischen symbolischen Horizonten des Sprachsystems und nicht teleologischen Horizonten der Phänomenalität nachzuweisen wären. Eine Praxis wäre unmöglich, wenn nicht die Möglichkeit wenigstens der Orientierung in dem verflochtenen Flechtwerk der Probleme und Fragen und ein Infragestellen des Traditionellen im philosophischen und auch im historischen phänomenologischen Sprachsystem gegeben wäre, in der eben alles zum Problem und zur Frage geworden ist. Selbst wenn dabei gewissermaßen »alle« Fragen »gestellt« würden, ist aus dem Blickwinkel der architektonischen Überkreuzungen von Sprachsystem und fungierender Sprache nicht »alles« in hinreichend gerechtfertigten Formulierungen »gestellt« worden. Es handelt sich dabei auch um den Blickwinkel einer richtigen »Topik« des Sinns der Probleme und Fragen, worin als wechselseitige Echos sowohl eine phänomenologisch-transzendentale »Topik« des Sprachsystems, die wir gerade umrissen haben – als auch eine phänomenologisch-transzendentale »Topik« der »Sachen selbst«, die wir gleichermaßen skizziert haben, widerhallen muß. Daraus muß eine Statusänderung des philosophischen Sprachsystems in seinem Verhältnis zur phänomenologischen Sprache (langage) folgen, die selbst durch diese Resonanz auf Distanz zu ihrer Absorption in der Dichtung gehalten wird – wobei man wohlgemerkt nur auf sehr unsaubere Weise und aus Naivität das Sprachsystem der Philosophie dem Sprachsystem einer bloßen Theorie gleichsetzen könnte. Im Grunde hängt alles davon ab, daß dieses Sprachsystem wie jedes andere auch nur die sich den Anschein des Positiven gebende negative Kehrseite der phänomenologischen Masse des Sprachlichen ist, in der nichts gegenwärtig Positives apperzipiert wird, in der aber, auf dem Hintergrund von Abwesenheiten – des Abgrundes in der phänomenologischen Überschneidung der außersprachlichen wilden Wesen* ebenso wie des Spaltes in der (die Weltphänomene verräumlichenden) Verwebung der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen – pulsierende blitzhafte Apperzeptionen sich selbst und untereinander extrem schnell oder äußerst langsam verweben. Somit ist die phänomenologische Sprachpraxis in der Phänomenologie wie in der Dichtung oder der Musik eine Praxis der Hyper-Schnelligkeit oder der Hyper-Verzögerung des Denkens, und überdies auf mehreren Registern auf einmal. Alles geschieht überhaupt dermaßen schnell – ob in der Schnelligkeit der blitzhaften Apperzeptionen oder in der Schnelligkeit der vor-zeitigen identitären Verdichtung – daß das Denken, wenn es den Sinn in seiner Selbstheit erfassen will, meistens nicht zugleich weiß, wie der Sinn sich bildet oder gebildet wird. Aus phänomenologischer Sicht besteht das ganze Problem letztlich in der Koexistenz zweier Reflexivitäten innerhalb der sprachlichen Phänomene, nämlich des Sinns in seiner Selbstheit und der Phänomenalität ohne Selbstheit, und darin, daß diese beiden Reflexivitäten ineinander und auseinander pulsieren, so wie das Pulsieren der Selbstheit zwischen ihrem Auftau-
350 chen und ihrem Verschwinden: das ist die Erfahrung des Schematismus der Phänomenalisierung, die zugleich Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen ist. Die beiden Reflexivitäten können sich »im direkten Gegenüber« nicht halten, da die Entfaltung der einen die andere aufzehrt, der Übergang aber der einen zur anderen vollzieht sich im phänomenologischen Pulsieren, und die eine bemerkt sich blitzhaft nur über die Nichtung der anderen durch eine hyper-schnelle oder hyper-verzögerte blitzhafte Apperzeption, welche die Barriere der Vernichtung durch eine Art »Tunneleffekt« des Denkens überwindet, einer anscheinend widersprüchlichen Überschreitung ihrer eigenen Regeln, deren »Methode« noch zu erarbeiten bleibt. Das Wesentliche des Denkens liegt nun nicht mehr in der anscheinend gegenwärtigen »Positivität« der blitzhaft apperzipierten »Inhalte«, sondern in deren Fließen und Beweglichkeit, die sie auch in Abwesenheitshorizonte hineinspielen lassen, und ihre toten Winkel und Zeiten im Sprachsystem sind ihrerseits nur ihre Spuren, die gewissermaßen »als Negativ« re-kodiert sind. Im Fließen und den Beweglichkeiten der blitzhaften Apperzeptionen gibt es also kein »Sosein«, Quiddität, Eidos oder Seiendes. Dieser Ort ist jenseits jeder Ontologie, auch der fundamentalen, aber nicht jenseits jeden Denkens: damit wird wieder auf andere Weise gesagt, daß das Denken sich nicht orientieren kann, wenn es sich in einer Ontologie – oder in Ontologien – verankert entdeckt, sondern nur, indem es sich nun in seinem Verhältnis zum philosophischen Sprachsystem reflektiert, und zwar in einer Architektonik der damit verbundenen Probleme und Fragen. Mit einem Wort wird hier nicht mehr die Frage des Seins vorrangig, sondern die Frage als solche. Wir werden uns der Frage bewußt und daß es auch solche Fragen gibt, die keine Antwort beruhigen kann, weil sie letztlich auf eine mehr oder weniger radikale oder ursprüngliche Abwesenheit abzielen. Die Gegenwärtigkeit selbst, das Bewußtsein, das die Gegenwärtigkeit in ihrer Zeitigung/Räumlichung entfaltet, ist buchstäblich von Abwesenheiten und von Horizonten der Abwesenheit durchzogen, und wenn wir denken, dann glauben wir auch zu denken – das ist die Urdoxa Husserls – ohne recht zu wissen, was wir denken: wir können niemals wissen, wieweit wir beim Denken tatsächlich tief in unserer Selbstheit denken oder ob etwas des Sprachsystems durch uns »denkt«. Und zwar deshalb, weil es eine fundamentale Schieflage des Sinns in seiner Selbstheit gibt, die ihn eben auf seine Phänomenalität hin öffnet. In klassischer Terminologie liegt das Problem darin, daß der »Maßstab« des Bewußtseins, den Hegel in seiner Phänomenologie innerhalb der symbolischen Tautologie des Absoluten zu finden glaubte – als das symbolische Unbewußte der philosophischen Sprache konstituierend –, nirgends existiert und sich unwiderruflich jenseits der symbolischen Horizonte des Sprachsystems (Selbst, symbolischer Stifter, Welt) zurückzieht. Denn Selbst, symbolischer Stifter, Welt sind selbst ebenso unergründlich und unendlich in ihren Tiefen, abwesend eben, wobei aber diese Abwesenheit paradoxerweise orientiert und strukturiert. Daß wir niemals in einem direkten Gegenüber oder Nebeneinander angeben können, worin sich der Gehalt dessen, was wir denken, gegenüber dem Gehalt, den wir zu denken glauben, unterscheidet – damit wird vielleicht der höchste Ausdruck unserer Faktizität und Endlichkeit konstituiert. Daß wir so reflektieren, ist zweifellos auch der klarste Ausdruck der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché, in der der Zweifel an »dem, was« wir »wirklich« denken, uns ständig bis in das Innerste des Cogito begleitet. In diesem Sinn betrachten wir uns als »Hyper-Cartesianer«, nämlich indem wir aus den Metaphysischen Meditationen das wieder aufgreifen, was wahrscheinlich den korrosivsten Keim und die Neuheit der Modernität ausmacht. Allerdings ändert dabei die Philosophie ihren Sinn, insofern sie sich nun weit auf ihren
351 phänomenologischen Horizont hin öffnet, und das Denken, wie wir es zu zeigen glauben, ist darin nicht ganz unmöglich – weil es die Gefahren seiner verfrühten identitären Implosion in einen »verallgemeinerten« Skeptizismus kennt, weil es weiß, daß sich alles zwischen dem Glauben und dem Zweifel abspielt, in dem fast unhaltbaren Feld der hyperbolischen Epoché, in dem nicht schon deshalb etwas unmöglich zu denken, also zu reflektieren ist, weil »etwas« in der Abwesenheit oder aus der Abwesenheit heraus spielt. Das bedeutet eine beträchtliche Ausweitung des Feldes des Denkens, womit das Denken an die Genzen des Denkens geführt wird, und so gesehen auch die Phänomenologie an ihre Grenzen gerät. Diese ist nun, wie gesagt, nur insofern auf die anscheinende Bescheidenheit der Anfänge und seiner Anfänge zurückgeworfen, als sie durch ihre Hyperschnelligkeit schon jenseits ihrer selbst ist, um sich als die Bewegung selbst der »Sache selbst« wieder einfangen zu können. So gesehen wird die »transzendentale Methodenlehre« in der Phänomenologie als philosophische und phänomenologische Praxis der phänomenologischen Sprache nur dann ihr Ziel erreichen, wenn es ihr gelingt, durch eine »abgründige« Reflexion der architektonisch vielfältigen und fließenden Überkreuzungen der selbst im Fluß seienden Felder des philosophischen Sprachsystems und der phänomenologischen Sprache gewissermaßen das auszusagen, worin die »Regeln« des »guten Gebrauchs« des philosophischen Sprachsystems in der Phänomenologie bestehen sollen, wobei ein sich in kohärenter Verformung vollziehender Übergang zu leisten wäre von seinen scheinbar einfachen und apperzeptiven Referenzen mit den »Sachen« bis hin zu den vielfältigen, blitzhaft-apperzeptiven und verwobenen Referenzen der phänomenologischen Sprache. Erst dann könnten sich jeweils die philosophisch reflektierten Zugangsweisen – was weder in der Musik noch in der Poesie der Fall ist – auf dem wilden Feld der Proto-Retentionen und der Proto-Protentionen und der außersprachlichen weltlichen Wesen abzeichnen – was wir in unseren vorangegangenen Arbeiten nur recht allgemein skizziert haben. Es handelt sich eigentlich darum, den Umschlag der Abwesenheiten des Sprachsystems (tote Zeiten und Winkel) in Abwesenheiten oder vielmehr in Horizonte von Abwesenheiten der fungierenden Sprache zu reflektieren, um die Reflexion des Übergangs von der phänomenologischen Nichtigkeit der Zeichen des Sprachsystems zu den phänomenologischen Konkretheiten der phänomenologischen »Zeichen« wechselseitig transpassibler »Sinnfetzen«; von der Lebenswelt* als immer schon symbolisch gestiftet und durch die symbolische Stiftung ausgesiebt oder gefiltert hin zur wilden Lebenswelt*, die in ihren Tiefen eine »unvorstellbare« phänomenologische Vielfalt an Welten enthält und zweifach, nämlich in passive Synthesen zweiten und dritten Grades, gegliedert ist. Und wenn diese ursprünglicher erscheint als die erste, dann nicht gemäß einer vom Ursprung ausgehenden zeitlichen Verteilung – die beiden begleiten sich ständig – sondern weil sie in sich die nicht teleologischen und proto-ontologischen Horizonte des Unerinnerbaren und des Ungereiften in sich trägt, wobei die symbolische »Ewigkeit« der symbolischen Stiftung gewissermaßen nur der Kurzschluß davon ist: eher als um Implosion handelt es sich hier um identitäre Explosion, die einen mehr oder weniger gleichen Umfang wie die Implosion hat und deren Sinn sich begriffslos im Selbst, dem symbolischen Stifter und der Welt reflektiert. Im Grunde geht daraus umgekehrt hervor, daß das vielleicht Neue an unserer Phänomenologie darin besteht, daß in ihr das phänomenologische Feld zumindest von gleichem Umfang scheint wie das symbolische Feld und daß das erste das zweite in seinem ganzen Ausmaß und in all seinen »Schichtungen«, »Verzweigungen« und »Gliederungen« begleitet. Nichts ist in der
352 Gründung, ja sogar im symbolischen Abgrund, das nicht im symbolischen Feld durch phänomenologische Horizonte und sogar durch den phänomenologischen Abgrund sozusagen »gedoppelt«, aber gleichermaßen »ekliptisch verdeckt« wäre. Damit wird auf eine andere Weise all das Pulsieren ausgesagt, das sich in der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché vollzieht, und von ihr, die sich in der zweifachen wechselseitigen ekliptischen Verdeckung des Phänomenologischen und des Symbolischen abspielt, ist in unserer »transzendentalen Methodenlehre« auszugehen. Ohne diese zweifache ekliptische Verdeckung »lebte« das Symbolische nicht in Sinnregungen oder in der Welt, und sie implantiert auch, aber über den Abgrund der Distanz hinweg, das Phänomenologische in das Symbolische. Dieser Abgrund hallt in der ursprünglichen Schieflage der Sinnregungen, auch in ihrem »sprachlichen Ausdruck«, wider, und diese sucht sich dann in eine »Planlage« aufzulösen, wenn sie von der Identität durch Übereinstimmung des Sinns mit sich heimgesucht wird, was schon eine Heimsuchung der Idealität bedeutet, wie wir es übrigens in unserem Kommentar zu Husserls Ursprung der Geometrie gesehen haben,24 wobei die Idealität die Übereinstimmung etwa durch Übergehung absichern soll: wir werden von der phänomenologischen Nichtigkeit der Zeichen des Sprachsystems her auf die Frage der Idealität zurückkommen müssen, weil die Idealität einerseits ein »Wesen« des Sprachsystems ist, das in einem Sprachsystem, dem der Wissenschaft, ausgesprochen werden kann und weil sie andererseits auch ein außersprachliches »Wesen« ist, dessen Status nicht weit von der identitären Implosion zum Signifikanten entfernt ist. Denn man sollte weder die phänomenologischen »Wesen« mit Idealitäten verwechseln, was eigentlich unmöglich ist, noch, was eine ganze »Phänomenologie« der Idealität verlangt, diese phänomenologischen »Wesen« von der Idealität her denken, oder vom Schatten der Idealität her, der diese polarisierte – man weiß, wie sehr Husserl sein ganzes Leben lang von diesem Schatten heimgesucht wurde, von den Logischen Untersuchungen an bis zu Der Ursprung der Geometrie: der Schatten des Eidetischen, zweifellos das einziges Mittel, über das Husserl verfügte, um das un-endliche und wuchernde Feld zu disziplinieren, das sich vor ihm auftat. Derart sind die Probleme und Aufgaben, welche jede für sich in einer Architektonik der Phänomenologie als Architektonik ihrer Probleme, Fragen und Aporien zu untersuchen sind, und zwar im Abstand oder in der Schieflage der Phänomenologie zum Jenseitigen der Phänomenologie, d.h. in ihrer ursprünglichen Verdrehung als Praxis des Wilden, des Ozeans, des Apeiron, dessen Grenzen auf immer nur provisorisch und veränderlich sind: das Positive ist dabei immer nur die Illusion der Übereinstimmung des Nichts mit sich selbst. d) Methodische Grundlegung für die phänomenologische Analyse der fungierenden Sprache im Sprachsystem In Bezug auf all das, was wir hinsichtlich der fungierenden Sprache in Phénoménologie et institution symbolique entfaltet haben, wurde hier eine neue und besonders wichtige Vermittlung eingeführt: der in der schematischen Gliederung der Zeitigung/Räumlichung vollzogene Übergang der formalen Wesen* zu den toten Winkeln und Zeiten der Zeichen, wird durch eine doppelte Faktizität vermittelt: einerseits schneiden die formalen sprachlichen Wesen nur die phänomenologischen »Zeichen« als Sinnfetzen zu, und damit sind sie wie Zeugen sowohl der Transpassibilitäten der Sinnfetzen untereinander als auch der Transpassibiltitäten der Sinnfetzen gegenüber dem sich bildenden Sinn, ebenso wie der Transpassibilitäten der Sinnfetzen gegenüber anderen Sinnregungen und Sinnansätzen, die dadurch selbst transpassibel wer-
353 den; dergestalt sind sie in den Sinnfetzen auch »Indizes« ihrer phänomenologischschematischen Überbestimmbarkeit; andererseits und geradezu umgekehrt werden die toten Zeiten und Winkel der Zeichen des Sprachsystems nur dadurch zu solchen, daß die Stiftung der Zeichen durch deren Bedeutungen und nach dem Grad ihrer logisch-grammatischen Fixierung in der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung auf die Apperzeptionen oder symbolisch zugeschnittenen blitzhaften Apperzeptionen hin öffnet; der »Rest« der in dieser Stiftung enthaltenen Überbestimmbarkeit nimmt die Form der Überbestimmung der Bedeutungen an, was man unter »Polysemie« der Zeichen zu verstehen pflegt, die in Wirklichkeit unaufhebbar ist. In diesem Sinn sind die Zeiten dort nur deshalb »tot«, weil sie reine Zeit ohne Raum sind, es handelt sich um den in der Schwebe gehaltenen Entwurf der fungierenden Sprache, der in einer Zukunft vorschwebt, die als das »Ganze« der Zeit genommen wird, es geht also auch um das sogenannte »reine« Denken. Und auch die Winkel sind nur deshalb tot, weil das blind in ihnen Durchscheinende reinem Raum ohne Zeit angehört, ein ent-worfener Raum eines rein Sprachlichen, das in völliger Durchsichtigkeit das Ganze der Welt entfalten würde, in einer Art »anschaulichem Verstand«, der für uns leer ist, weil ihm jedweder phänomenologischer Gehalt oder jede phänomenologische Konkretheit fehlt. Das haben wir im Vorangegangenen das »Auge« des Sprachsystems genannt, eine solche symbolische Gestalt nimmt im Sprachsystem der symbolische Stifter an. Die toten Zeiten und Winkel zählen als solche weder zur Zeitigung/Räumlichung, noch tragen sie zu ihr bei. Praktisch vollzieht es sich also folgendermaßen: Wenn wir auf den Sinn abzielen, um ihn zu bilden, dann tun wir dies in einem Sprachsystem, indem wir die Apperzeptionen und blitzhaften Apperzeptionen der Zeichen miteinander verweben. Im Gegensatz zu den metaphysischen Illusionen tun wir dies, ohne auch nur die mindeste Rechnung auf Möglichkeiten anzustellen, sondern indem wir, wie man so schön sagt, mit der Polysemie der Zeichen »spielen«. Das soll ganz konkret heißen, daß die Teilung des sprachlichen Phänomens in die Selbstheit des sich dabei bildenden Sinns und in seine Phänomenalität in der sprachlichen Aussage widerhallt, und zwar als Kontrapunkt zwischen dem, was sich dabei begriffslos als Sinn reflektiert und dem, was sich darin trotz allem als Rhythmus toter Zeiten und Winkel neu verteilt. In diesen kann die Transpassibilität des Sinns gegenüber anderen Sinnregungen wiedererweckt werden und sich die mit der Gegenwärtigkeitsphase notwendig verbundene Dephasierung wieder einbringen, die den Sinn daran hindert, identitär in eine – mehr oder weniger »kanononische« – Aussage oder einen ebensolchen Satz zu implodieren. Meistens sind diese toten Zeiten und Winkel »verpaßt« – wie man sein Drankommen verpaßt –, aber sie können immer erweckt werden, und zwar im umgekehrten Durchgang – der wahrhaften phänomenologischen Umkehrung der fungierenden Sprache – von der Überbestimmungen der Zeichen in ihrer Polysemie zur von den formalen Wesen getragenen Überbestimmbarkeit. Anders gesagt kann das Denken im »Verpassen« der toten Zeiten und Winkel »schnell« oder »langsam« genug verlaufen, um mit ihren Kontrapunkten zu spielen und darin die phänomenologischen Horizonte des Sprachlichen zu erfassen. Hier befindet sich der Ort der Verankerung der konkreten phänomenologischen Analyse der fungierenden Sprache, der die relative phantomatische Verkörperung der Sinnregungen in Zeichen zu ihrer Verleiblichung in phänomenologische »Zeichen« zurückverwandelt. Und in diesem Wiederaufstieg in der Umwandlung spielt die »intersubjektive« oder »interfaktizielle« Begegnung selbstverständlich die größte Rolle – oder vermag sie zumindest zu spielen. Was aus der Sicht der fungierenden Sprache als Überschuß der schema-
354 tischen Logizität des Sprachlichen in seinen formalen Wesen über das hinaus erscheint, was sich in ihm als Sinn reflektiert, erscheint aus der Sicht des Sprachsystems als seine Überbestimmungen, die immer nur tendenziell eliminiert werden können – und diese hindern, wie man sieht, wie im Fall der logischen und logisch-eidetischen Stiftung des Sprachsystems die Zeichen daran, in den Status der phänomenologischen »Nichtigkeit« einzutreten, was Husserl auf anderen Wegen entdeckt hat. Es gibt also Arten des Rückwendens des Logisch-Grammatischen des Sprachsystems auf sich selbst, das es in sich komplexer werden läßt, indem es sich auf sich selbst anwendet, wodurch es sich schon in seiner grammatischen Struktur nicht auf eine zu große Einfachheit von logischen Strukturen reduzieren läßt. Dies bleibt letztlich mehr oder weniger der Freiheit und der Erfindungsgabe des sprechenden oder schreibenden Subjekts überlassen. Die potentiell un-endliche (ohne a priori bestimmbare Grenze) Formbarkeit der »Syntax« des Sprachsystems entzieht sich letztlich dem gestifteten Logisch-Grammatischen, das mehr oder weniger in der Bewegung seiner Stiftung aufgehalten ist. Und gerade durch seine »Kultur«, durch das immer wieder unternommene Einsetzen seiner sich bildenden symbolischen Stiftung gibt uns das Sprachsystem mehr oder weniger die Mittel an die Hand, um das in ihm Verfestigte umzukehren und um die Zweideutigkeiten der gebildeten und verstandenen Sinnregungen aufzudecken – was »durch die Kontexte« noch komplexer wird, die immer sowohl phänomenologische als auch symbolische Kontexte des Sinns sind. Die Rückwendungen vollziehen sich also durch signifizierende Überbestimmungen der Bedeutungen, d.h. Apperzeptionen und blitzhafte Apperzeptionen der Zeichen. So gesehen sind sie Zeugen der Überbestimmbarkeit (des schematischen Überschusses an »Logizität«) der fungierenden Sprache, die im Sprachsystem rekodiert sind, da sie sich mehr oder weniger in der signifikanten Implosion verfestigt haben. Dies sind sie aber nur durch die Vermittlung des zweifachen Übergangs der Überbestimmbarkeit zur Überbestimmung und umgekehrt. Und diese kann bekanntlich im Sprachsystem bis zum Pathologischen wuchern, indem sie sich als »Logik« des Signifikanten verselbständigt, die auf Entfernung außersprachliche wilde Wesen*, aber allgemeiner noch diese als schon in Proto-Protentionen und Proto-Retentionen aufgefächerte »symbolisch markiert«, was ihnen den Status von symbolischen Existentialien verleiht, d.h. von sedimentierten und phantomatisch verkörperten Existentialien. Das bedeutet, wie sehr auf dem Weg zur Erforschung der phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache innerhalb der sprachlichen Aussagen das Unbewußte und die symbolischen Pathologien besonders geeignete Wegweiser abgeben können, die zu diesem Zweck in unsere Architektonik integriert werden müssen. Die Methode könnte sich so eine Art Stichwort zunutze machen, das zwar nicht so unmittelbar transparent, aber auch weniger unmittelbar zweideutig ist als die der »Rückkehr zu den Sachen selbst«: sie schriebe die Wendung der Passivität (oder der Passibilität) zur Trans-passibilität auf ihre Fahnen, die Wendung der (ontischen und ontologisch-existentialen) Möglichkeit zur Transpossibilität, und schließlich der Überbestimmung zur (unendlichen) Überbestimmbarkeit. Das spielt sich ganz konkret in der Aufmerksamkeit ab, die den komplexen Spielen der Kontrapunkte der toten Zeiten und Winkel der Bedeutungen im sich bildenden Sinn entgegengebracht wird – was durch die Hyper-Schnelligkeit und die Hyper-Verzögerung des Denkens möglich ist. Mehr wollen wir hier nicht sagen. Der Sinn ist auch deshalb so schwer zu bilden, weil man mit diesen toten Zeiten und Winkeln irgendwie »listig« und »komponierend« umgehen muß, um die Apperzeptionen und blitzhaften Apperzeptionen des
355 Sprachsystems zu dem zu verweben, was stets als die phänomenologischen »Zeichen« der fungierenden Sprache flieht und fließt. So wird die Leiblichkeit, die das Sprachsystem mit seiner Stiftung ihr gewissermaßen immer schon »entzogen« hat, durch die fungierende Sprache wieder »zurückerobert«.
ANMERKUNGEN 1
E. Husserl, Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß, hrsg. v. I. Kern, Husserliana, Bd XIII, XIV, XV, Martinus Nijhoff, Den Haag, 1973, Bd. XV, Text Nr. 31, S. 526-556, Ende Februar 1933. 2 s. dazu Marc Richir, Phénoménologie en esquisses. Nouvelles fondations. Grenoble: J. Millon 2000. Den Überlegungen dieses Buches folgend wird auch hier in der Regel »imagination« mit »Phantasie« wiedergegeben. 3 der in der II. Meditation dieses Buches zitierte Text; s. a. unsere Abhandlung »Le problème de l’incarnation en phénoménologie«, a.a.O. 4 in Phénomènes, temps et êtres und Phénoménologie et institution symbolique, a.a.O. 5 s. unsere Arbeit Du sublime en politique, a.a.O. 6 J. Bottéro und S.N. Kramer, Lorsque les dieux faisaient l’homme. Mythologie mésopotamienne. Gallimard, Bibl. des Histoires, Paris, 1989. 7 s. unser Werk Du sublime en politique, a.a.O. 8 s. unser Werk La crise du sens et la phénoménologie, a.a.O. 9 Anm. d. Übers.: Leider ist das Wortspiel des Autors im Deutschen nur sehr vermittelt wiederzugeben. 10 H. Maldiney, Aîtres de la langue et demeures de la pensée, L’Age d’Homme, Lausanne, 1975, insbesondere S. 278-372. 11 s. Anm. 9. 12 s. unsere Studie: »Communauté, société et Histoire chez le dernier Merleau-Ponty«, in;: Merleau-Ponty: Phénoménologie et expérience (Coll.), a.a.O. 13 Daß es einen anderen Teil der außersprachlichen wilden Wesen gibt, der nicht unmittelbar durch die Signifikanten-Gliederungen rekodiert oder wiederzugeschnitten wird, haben wir am Beispiel der Psychoanalyse des Wolfsmannes in unserer Studie »Merleau-Ponty: un tout nouveau rapport à la psychanalyse«, in: Les Cahiers de Philosophie, no 7, Lille, 1989, S. 155-187, gezeigt. 14 s. unser Werk Du sublime en politique, Payot, a.a.O. 15 In den Mythologien, insbesondere im Band IV, (L’homme nu, Plon, Paris, 1971), in dem »Finale«, S. 585-586,589-590,599-603. 16 J. Bottéro und S.N. Kramer; Lorsque les dieux faisaient l’homme, a.a.O. 17 J. Bottéro und S.N. Kramer; Lorsque les dieux faisaient l’homme, a.a.O., S. 671. 18 J. Garelli, La gravitation poétique, Mercure de France, Paris, 1966. 19 J. Garelli, Le recel et la dispersion, Gallimard, Paris, 1978, s.a. ders., Le temps des signes, Klincksieck, Paris, 1983. 20 E. Fink, VI. Cartesianische Meditation, Teil I, Die Idee einer transzendentalen Methodenlehre, hrsg. von H. Ebeling, J. Holl und G. van Kerckhoven, Husserliana Dokumente, II, 1, Kluwer Acad. Publ., Dordrecht, 1988. 21 s. unsere Werke: Phénoménologie et institution symbolique und Du sublime en politique, a.a.O. 22 P. Ricœur, Soi-même comme un autre, Seuil, Coll. »L’ordre philosophique«, Paris, 1990. 23 o s. unsere Untersuchung: »Sens et Histoire«, in Kairos, n 3, Presses universitaires du Mirail, Toulouse, 1992, S. 121-151. Dort steht unter anderem: »Wenn es doch einen »Gott« bei Husserl gibt, dann als symbolischen Horizont von Sinn, d.h. gewissermaßen als das, was seit seiner Abwesenheit und das unbeherrschbare Pulsieren dieser Abwesenheit in der Gegen-
356 wärtigkeit ist, was den Sinn selbst aushebt und in der universalen Teleologie und nur in ihr, den Sinn aller Sinnregungen, ihre harmonische Einheit bilden soll. Es ist also wie eine Art von symbolischer »Pro-jektion« der symbolischen Systeme, welche es erlaubt, ihre unmittelbar abgetötete »Hypostasierung« im blinden symbolischen Gestell* auszusparen: das Eigentümliche dieser symbolischen »Pro-jektion« […] ist, den »Sinn der Sinnregungen« sowohl radikal außerhalb der sich in der Gegenwärtigkeit sich bildenden Sinnregungen, als auch außerhalb des symbolischen Feldes der Sedimentierungen zu stellen, welches, wenn es sich für sich selbst verselbständigte, sich sofort in ein mechanisches »Denken« der symbolischen Maschine verwandelte.« (S. 126) Es gibt also eine Art von architektonischer Inkompatibilität zwischen dem symbolischen Stifter und der Fixierung der Sprache als »System« (Gestell*) von Zeichen und deren Gebrauchsweisen. Es ist, wie man sagen könnte, die konkrete Gestalt der Nicht-Kausalität des symbolischen Stifters in diesem architektonischen Kontext. 24 s. unser Werk, La crise du sens et la phénoménologie, a.a.O.
VI. Meditation
Phänomenologie und Architektonik §1. DIE ARCHITEKTONISCHE UMGESTALTUNG DER PHÄNOMENOLOGIE DURCH DIE PHÄNOMENOLOGIE DER FUNGIERENDEN SPRACHE
a) Die Umgestaltung der Phänomenologie Husserls durch die Phänomenologie der fungierenden Sprache Alles in unserer vorangegangenen Meditation führt uns dazu, den Reichtum der konkreten Analysen, denen sich Husserl im Laufe seines ganzen Lebens gewidmet hat, wieder aufzunehmen und anders neu zu lesen, allerdings unter der Bedingung, angemessen zu berücksichtigen, daß deren Grundlage oder Geist erst wieder erfaßt werden kann, wenn man von der Eingeschlossenheit in der Subjektivität – welche bei Husserl die Rolle einer metaphysischen Substruktion gespielt hat – absieht. Zunächst scheint die natürliche Einstellung – die nur insofern »natürlich« ist, als sie selbstverständlich scheint – durch nichts anderes konstituiert zu werden als durch die symbolische Stiftung des Sprachsystems: nämlich auf dem Umweg über den symbolischen Zuschnitt in Zeichen und in Regeln ihrer Gebrauchsweisen, den symbolischen Zuschnitt der »Welt« in Sprachapperzeptionen, vor denen die Zeichen zu ihrer phänomenologischen Nichtigkeit tendieren. Es sind immer Apperzeptionen von Dingen, Wesen, Sachverhalten und Tatsachen, ihren Anordnungen und ihren Strukturen, wobei deren »Wirklichkeit« von einer Art »apperzeptiven Glaubens« herrührt, der dazu tendiert, die Verkettungen des Sprachsystems zu annihilieren – einschließlich jenes Sprachsystems, das sich im Inneren der Sprachsysteme als wissenschaftliche Sprache stiftet. Diese Apperzeptionen sind immer in der Gegenwärtigkeit zugeschnittene Apperzeptionen, also gegenwärtige Momente der Gegenwärtigkeit, und sind auf die Gegenwart des Sprachsystems als der umfassenden Gegenwart der »Welt« bezogen. Entsprechend sind sie auf ein Selbst bezogen, das als Akteur der Gegenwärtigkeit wirkt, indem es diese in Bewegung setzt und die jeweilige apperzeptive Gegenwart apperzeptiert, wobei es aber den Abgrund seiner Gründung in sich verbirgt – nachdem nun das Sprachsystem in Apperzeption und in Apperzeptionssystem auseinandergefallen ist, hat sich der symbolische Horizont des symbolischen Stifters in einen Bezug des Selbst auf sich selbst vergraben, das sich in transzendentaler Erschleichung als das einzige ausgibt, das den Sinn zu »beseelen« oder zu »aktivieren« vermag: die konstituierende transzendentale Subjektivität ist die genaue antwortende Entsprechung des sprechenden und auf das »System« des Sprachsystems bezogenen Subjekts auf die Konstituierung des verschütteten Sinns der Apperzeptionen. Damit wird bedeutet, wie sehr aus unserer phänomenologischen Sicht die Husserlsche Konzeption des konstituierenden transzendentalen Subjekts von einer Substrukton beeinträchtigt ist, die eigentlich eine kohärente Verformung des phänomenologischen Feldes durch die symbolische Stiftung des – insbesondere philosophischen – Sprachsystems ist, also durch die natürliche Einstellung.
360 Und dennoch hat Husserl den Weg in die Phänomenologie geöffnet, und zwar durch die phänomenologische Epoché, die in unserem Zusammenhang eine Epoché der Sprachapperzeptionen ist, was nun nicht ihre unmögliche Unterdrückung bedeutet. Sie sollen vielmehr in der Schwebe gehalten oder außer Verkehr gezogen werden, wodurch sie auf ihre impliziten Horizonte von Möglichkeiten hin geöffnet werden, nämlich eben auf blitzhafte Apperzeptionen, vor allem in den toten Zeiten und Winkeln, die aber wie bisher auch weiterhin zum Sinn beitragen, der teilweise identitär zum undurchsichtigen und kontingenten Sinn dieser oder jener Apperzeption des Sprachsystems verdichtet ist. Daher kann Husserl in der zweiten Cartesianischen Meditation (§20) die Intentionalität als »Über-sich-hinaus-Meinen«* oder »Mehrmeinung«* »definieren«. Ein Überschuß an Sinn im Sinn, den wir für ein Echo der Schieflage des sich selbst bildenden Sinns halten, und hier mag es genügen, daran zu erinnern, daß dieser für den intentionalen Sinn konstitutive Überschuß – und damit für jede konstitutiven Problematik – durch Husserl meistens in einer Teleologie deshalb wieder aufgegriffen wird, weil der Sinn, der identitär im Sinn dieser oder jener Apperzeption des Sprachsystems verdichtet ist, vermutlich nur in einem Begriff angeeignet werden kann, der in einem einheitlich verfaßten Denken auf die kontingente Identität des apperzeptiven Sinns antwortet – also in einem Namen für dessen symbolischen Horizont. Die Husserlsche Konstitution ist meistens deshalb teleologisch, weil sie die teleologisch transzendentale Reflexion der – symbolisch zugeschnittenen und gegebenen – Kontingenzen der Sprachapperzeptionen ist. Es ergibt sich daraus eine neue kohärente Verformung der Landschaft der blitzhaften Apperzeptionen, wobei in diese neue tote Zeiten und Winkel eingeführt werden – z.B. faßt die Wahrnehmung das Ding nur als Vorhandenheit* auf und nicht zugleich als Zuhandenheit*, als schon in den praktischen Netzen der symbolischen Zuschnitte eingebundener Gebrauchsgegenstand, die gleichwohl zu den Apperzeptionen und blitzhaften Apperzeptionen beitragen. Diese kohärente Verformung vollzieht sich nun in genauer Entsprechung zu dem, was wir in unserer vorangegangenen Meditation als Architektonik des Sprachsystems bezeichnet haben, die nach seinen drei symbolischen Horizonten, Selbst, Welt, symbolischer Stifter aufgebaut ist, nur daß der letztere, wie wir gerade gesehen haben, in den Tiefen des Selbst sich verbirgt. Denn sie geht mit der Reduktion der konkreten phänomenologischen Zeitigungen/Räumlichungen auf die Dualität von Zeit und Raum einher, wobei die Zeit auf die abstrakte Struktur einer lebendigen, mit ihren Protentionen und Retentionen versehenen Gegenwart hin ausgerichtet ist und in jeweilige apperzeptive Gegenwart zugeschnitten ist, und der Raum als homogener aufgefaßt wird, in dem jeder »Ort« a priori von einem Ding und Gegenstand der Apperzeption eingenommen werden kann. Dabei taucht alles in die Gegenwart des Sprachsystems ein, als einer allumfassenden, simultanen »lebendigen Gegenwart«. In diesem Kontext, der unter einen immer nur vermuteten Begriff gebracht werden kann, ist die im quasi-kantschen Sinne »logische« Teleologie – denn es geht hier nicht um das Urteil – auf die Zukunft eines Versprechens hin orientiert, von der ein Teil des Sinns radikal in der Vergangenheit verschüttet ist: der Begriff ist in der Tat für immer mutmaßlich, und niemals wird die Teleologie es erreichen, mit der Komplexität der Anfänge »gleichzuziehen«. Damit bringen die konstitutiven Teleologien bei Husserl sprachliche Phänomene ins Spiel, ohne aber selbst sprachliche Phänomene zu sein: diese sind darin unaufhebbar durch die symbolische Orientierung des Begriffs auf kohärente Weise verformt, und in diesem Sinn ist immer eine transzendentale Subjektivität notwendig – gewissermaßen als »symbolischer Wegweiser«, als eine Weise, das Sprachsystem auf sich
361 selbst zurückzubeziehen, indem man die Sprachapperzeptionen durch die blitzhaften Sprachapperzeptionen erklärt, indem man also mit der aktiven Unbestimmtheit des Sprachsystems und seiner Apperzeptionen spielt, und zwar vermittels der von uns so genannten phänomenologischen fungierenden Sprache. Und dies kann in den konkreten Analysen Husserls bis zur äußersten Komplexität gehen, die allerdings meistens unbemerkt bleibt. Hier vollzieht sich, wie man sagen könnte, eine Zickzack-Bewegung zwischen Sprachsystem und fungierender Sprache. Es genügt, sich darüber bewußt zu werden, daß diese symbolische Substruktion des phänomenologischen Feldes Gefahr läuft, die Husserlsche Phänomenologie auf immer der Phänomene zu berauben, um zu verstehen, von woher jene trotzdem an diese rührt, und auch, wie genau es möglich ist, diese jener zurückzugeben. Die Phänomene der Husserlschen Phänomenologie sind selbst in ihrer Unfaßbarkeit nichts anderes als die »Erlebnisse«. Wenn man sich klarmacht, daß diese nur durch eine transzendentale Erschleichung – welche Pato¢ka in der Erarbeitung der asubjektiven Phänomenologie herausgearbeitet hat – auf die Subjektivität zurückgeführt werden können, wenn mir bewußt ist, daß ich in dem von mir angenommenen Leben letztlich niemals wissen kann, ob das von mir Erlebte der Realität oder der Illusion angehört oder nicht, der Eigentlichkeit oder Uneigentlichkeit – darin liegt der Sinn der hyperbolischen phänomenologischen Epoché –, wenn man also weiß, daß es im Erlebnis keine »unbezweifelbare Gegebenheit« gibt, sondern nur die Faktizität des Existierens, auf die sich eigentlich das Cogito reduziert, dann gelangt man zu dem Schluß, daß die Husserlsche Reduktion auf die Immanenz des Erlebens nur dann einen phänomenologischen Sinn haben kann, wenn sie über Husserl hinaus, der darin nicht radikal genug ist, als eine Reduktion auf die Zeitigung/Räumlichung des sich bildenden Sinns, d.h. auf die Faktizität jedes sich bildenden Sinns in seiner »Jeseinigkeit«, oder seiner Selbstheit begriffen wird. Das schließt ein, daß die phänomenologische Zeit lückenhaft ist, daß es vor dem Raum eine ursprüngliche Räumlichung der Sinnansätze in der Welt gibt als blitzhafte Apperzeptionen in den aufblitzenden Sprachapperzeptionen, und daß es schließlich keine, ja notwendigerweise plurale Zeitigungen/Räumlichungen gibt, die nicht auch nicht-teleologische Horizonte von Proto-Zeitigungen/ Proto-Räumlichungen enthielten. Wenn in anderen Worten das »innere Erleben« keinen anderen phänomenologischen Status hat, als den des sich in Gegenwärtigkeit bildenden Sinnes – und zwar selbst dann, wenn dieser Sinn durch die Teleologien der symbolischen Kontingenzen schon vielfältig verformt ist –, dann bedeutet das, daß die Phänomenologie als Explikation der auf ihren phänomenalen Status reduzierten »Erlebnisse« aufgerufen ist, ganz Phänomenologie der Sprache zu werden, ihren Ausgang nicht in der Evidenz der apperzeptiven Gegegebenheiten zu nehmen, welche nur die symbolische Evidenz der Sprachapperzeptionen ist, sondern in der phänomenologischen, fließenden und immer in der ihr innewohnenden Schieflage gegenüber sich selbst im Überschuß/Mangel befindlichen Evidenz des in den sprachlichen Phänomenen sich bildenden Sinns. Wenn es eine Architektonik der Phänomenologie gibt, dann notwendigerweise, wie wir es am Ende unserer vorangegangenen Meditation angezeigt haben, als Architektonik der komplexen Überkreuzungen der fungierenden Sprache und des Sprachsystems – ohne daß, wie wir gezeigt haben, jemals die fungierende Sprache in eine Art Meta-Sprachsystem als eine allgemeine oder universelle »Grammatik« des Denkens umgewandelt werden könnte: das wäre nur eine durch imaginäre Projektion in eine transzendentale Illusion angestellte »Hypostasierung« der phänomenologischen Sprache in ihrem un-endlichen schematischen Fließen.
362 Daraus folgt, daß die hyperbolisch-phänomenologische Epoché konkret nichts anderes ist, als das Einklammern des Sprachsystems und seiner Apperzeptionen, was notwendig ist, um sich auf die phänomenologische fungierende Sprache zu öffnen und auf die außergewöhnlich reiche und komplexe Überkreuzung seiner aufblitzenden Apperzeptionen. Wenn das ganze phänomenologische Erlebnis immer nur eine Phase der sprachlichen Gegenwärtigkeit ist, dann ist die phänomenologische Reduktion auf das Erlebnis nichts anderes als die Reduktion der Sprachapperzeptionen auf die blitzhaften Apperzeptionen der fungierenden Sprache, und damit auf die Sinnfetzen im Sinn mit ihrer zweifachen Dimension der Transpassibilität: erstens der Transpassibilität des Sinnfetzens gegenüber dem Sinn (in seiner Selbstheit) und gegenüber anderen transpassiblen Sinnregungen, und zweitens der Transpassibilität des Sinnfetzens gegenüber vielfältigen, immer in ursprünglicher Räumlichung befindlichen Sinnansätzen, in denen die harmonischen Abstimmungen pulsieren, die nicht die Zeit haben, sich zwischen Proto-Protentionen und Proto-Retentionen zu bilden. Die Sinnfetzen versammeln in den passiven Synthesen blitzhafte Apperzeptionen, die selbst gegenüber anderen blitzhaften Apperzeptionen transpassibel sind: das meint die phänomenologische »Polysemie« der phänomenologischen »Zeichen«, in der sich die passiven Synthesen zweiten Grades im Verborgenen oder auf Distanz an die (schematischen) passiven Synthesen dritten Grades angliedern. Anders gesagt öffnet die hyperbolisch-phänomenologische Epoché der Sprachapperzeptionen den Weg zur phänomenologischen Vielfalt der Welten in der Sprache, d.h. durch die Transpassibilität hindurch zur Interfaktizität der Phänomene oder der sprachlichen Phasen. Dieser Weg verläuft in umgekehrter Richtung, von der Einheitlichkeit der »Welt« her, welche die »Welt« (»Referent«) des Sprachsystems ist und als Korrelat ein insofern leeres Selbst mit sich führt, als es nur die abstrakte Form der Zeit enthält, und das einsam ist, weil man von ihm erwartet, seine Begründung nur auf versteckte Weise zu integrieren. Irgendwo, zumindest in der theoretischen Substruktion seiner Lehre, gibt es bei Husserl immer auch eine Aporie des Solipsismus –, weil das zunächst durch die Zerstreuung der Sprachapperzeptionen geöffnete phänomenologische Feld sich bei ihm nur sammeln kann, wenn es sich in der Sphäre der Subjektivität verschließt: Man braucht immer ein Selbst oder ein transzendentales Ego, um die abstrakte, einförmige und kontinuierliche Einheit der Zeit und die abstrakt homogene Verteilung des Raums wie in einer Gegenwart zusammenzuhalten, die eigentlich eine Gegenwart ist, zu der Sprachsystem und Sprechakte (des Denkens) Tangenten sind. Dies alles kommt daher, daß die konkrete phänomenologische Zeit – die Zeit der Zeitigung/Räumlichung – einseitig von der »Gegenwart« der Apperzeption verformt ist, welche sowohl die Apperzeption seiner selbst (mundan oder psychologisch-empirisch, und transzendental im verborgen gehaltenen Abgrund der Gründung) als auch Apperzeption eines Ob-jekts (wenn auch nur auf den gespenstischen Zustand der Abschattung reduziert), sowie Apperzeption der Welt als ontologischem »Referenten« des Selbst und des wahrgenommenen Objekts ist: wir finden darin quasi als solche die drei symbolischen Horizonte des Sprachsystems wieder, innerhalb derer jede faktuelle (und nicht mehr faktische) Apperzeption von etwas sich abspielt. Dennoch hat Husserl, indem er durch die phänomenologische Epoché und Reduktion die impliziten Horizonte der Möglichkeiten der Apperzeptionen wieder geöffnet hat und indem er in diesen Horizonten Säume oder Höfe von – eigentlich phänomenologischen – Unbestimmtheiten entdeckte, die Phänomenologie, so wie wir sie verstehen, in Gang gesetzt und den Weg für eine »Ent-realisierung« der »Gegenstände« der Apperzeptionen eröffnet, auch wenn dies
363 meist nur geschehen ist, um bezeichnenderweise die Möglichkeiten, die eigentlich schon Möglichkeiten von blitzhaften Apperzeptionen waren, auf Möglichkeiten von Apperzeptionen des gleichen Gegenstands oder anderer Gegenstände zurückzuführen, d.h. auf Apperzeptionsmöglichkeiten, die noch dem Sprachsystem angehören. Es ist wohl hinreichend deutlich geworden, daß die Verschließung des phänomenologischen Feldes in die Subjektivität nichts anderes als sein Verschließen in das Sprachsystem ist, in die symbolische Stiftung der Sprache, in der jede Transpassibilität von vornherein nur auf Möglichkeiten reduziert ist, auch wenn diese auf zwei Stufen spielen, nämlich auf der ontologisch-existentialen des Sinns in seinem faktischen Existieren, und auf der banaleren der ontisch-existentiellen, logisch durch die Widerspruchsfreiheit geregelten Möglichkeiten des Seienden und der »Aspekte« des Seienden, also wiederum der Sprachapperzeptionen. Solange man nicht durch die Erfahrung der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché hindurchgegangen ist (die eigentlich eine Erfahrung des Erhabenen ist), bleibt die Phänomenologie immer, durch das wechselseitige Spiel dieser beiden Möglichkeits»stufen«, an die Anthropologie gebunden, was eine symbolischen Zirkularität mit sich bringt. Die phänomenologische Reduktion des Sprachsystems auf die fungierende Sprache hat als eine weitere entscheidende Konsequenz, daß diese umgekehrt in ihrer phänomenologischen Masse architektonisch auf vielfältige Weise für Transpassibilitäten verschiedener Sprachsysteme offen ist, ob es sich um die Vielfalt von (philosophischen, wissenschaftlichen, dichterischen usw.) Sprachsystemen im gleichen »empirischen« Sprachsystem handelt oder um die Vielfalt von »empirischen« Sprachsystemen und ihren Familien: das Erfassen des Sinns als solchem nämlich kann und muß als Prinzip für die wechselseitige Übersetzbarkeit der Sprachsysteme dienen. Selbst wenn diese meistens in der Praxis auf riesige Schwierigkeiten stößt, so entziehen sich diese nicht grundsätzlich der Bewältigung, auch wenn diese sich mitunter darauf beschränken muß, zu erfassen, weshalb der in einer bestimmten Sprache geäußerte Sinn innerhalb einer geregelten Übertragung nicht wörtlich in eine bestimmte andere Sprache übersetzt werden kann. Der Sinn der interfaktiziellen Begegnung besteht darin, daß wir immer, zumindest a priori Sinn zu verstehen vermögen, den wir selbst nicht so auszudrücken könnten. Und auch der Sinn der Transpassibilität besteht darin, daß sie die Kapazitäten des nur Möglichen überschreitet. Damit verändert sich tiefgreifend der Status des phänomenologischen Feldes der »Erlebnisse«: weit davon entfernt, durch die Ein-förmigkeit der von der »Gegenwart« her gefaßten Zeit des Sprachsystems zusammengehalten werden zu müssen, und von einer »lebendigen Gegenwart«, in der etwa die fungierende Sprache Tangente zum Sprachsystem wäre, hält sich das phänomenologische Feld gemäß einer begriffslosen Kohäsion ursprünglich in der von uns gerade so genannten phänomenologischen »Masse« durch die ursprüngliche Transpassibilität der Sinnregungen untereinander und gegenüber den Sinnansätzen. Durch Distanzen hindurch, die nicht im vermeintlich kontinuierlichen Fluß der Zeit zwischen der einen und anderen Gegenwart bestehen, sondern in der ursprünglichen Räumlichung dieser oder jener Weltphase innerhalb der Vielfalt der wilden Welten und in dem, was als Räumlichung davon jeweils in jeder Zeitigung des Sinns widerhallt. Eben diese ursprünglichen Distanzen, in denen phänomenologische Abwesenheiten in einer bestimmten Phase der Gegenwärtigkeit spielen, die in ihrer Jeseinigkeit* genommen wird, machen die Transpassibiliät als Trans-passibilität aus. Dabei entsteht überhaupt kein Bedürfnis, daß wie in der Gegenwart des Sprachsystems »alles« in einem Raum gegenwärtig und »gleichzeitig« wäre, da die Räumlichung – die nicht mit dem Raum
364 zu verwechseln ist – sich darin immer schon und auf immer vollzieht, und zwar sowohl als unermüdliche Räumlichung der Welt in den Proto-Protentionen und ProtoRetentionen und in den durch sie »kolonisierten« weltlichen wilden Wesen, als auch als Räumlichung in der Zeitigung, eine Räumlichung, die diese sowohl innerhalb als außerhalb ihrer selbst aufweckt, und zwar in der ersten Räumlichung der Sinnansätze oder der blitzhaften Apperzeptionen. Das bedeutet, daß dabei immer alles in Bewegung ist, daß es eine a priori unbestimmte Vielfalt von wechselseitig trans-passiblen Bewegungen gibt und daß daher kein Sinn ohne Schieflage ist, ohne un-meßbaren Überschuß/Mangel von Sinn zu Sinn – was eine Öffnung bedeutet, die entgegen ihrer identitären Implosion in den Sinn der apperzeptiven Identität verläuft, die in den Teleologien der Identität nur endlos ausgedrückt werden kann. Das ist wieder eine andere Ausdrucksweise dafür, daß wir auch dann, wenn wir uns – zum Beispiel im Cogito – der Faktizitiät unseres Lebens sicher sind, wir niemals dessen versichert sein können, was wir leben, also nicht des Sinns des gerade Gelebten. Was in der Tradition als äußerst armselige Verwirrung galt, ist für die Phänomenologie eigentlich von unendlichem und quasi unterschöpflichem Reichtum. Wenn man dahinein Klarheit bringen will, dann erarbeitet man sie allerdings auf symbolische Weise, in der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung, und verliert dabei deren rätselhafte Inchoativität des Ursprungs. Die Phänomenologie als Philosophie wird sich immer zwischen der Klippe einer Ausarbeitung halten, die ihr Feld bei dieser Ausarbeitung auf kohärente Weise verformt, und der Klippe ihrer Vernichtung in der Inchoativität, die immer da ist und immer auf sehr undurchsichtige Weise wirkt, aber an der die Philosophie als Nicht-Philosophie stranden würde. Es bleibt uns eine Frage ins Auge zu fassen, damit unsere Umgestaltung der Phänomenologie Husserls durch die Sprachphänomenologie vollständig wird: es ist die des Status der Husserlschen Idealität und Eidetik in Bezug auf die Sprachphänomenologie. Es handelt sich dabei zunächst um den Statuts der Idealität und der Eidetik hinsichtlich des Sprachsystems, denn trotz der Illusion, die manchmal die Linguistik vermittelt (diese geht gewissermaßen daraus hervor), ist nicht jedes Sprachsystem, wie gesehen, ipso facto eidetisch. Der Status des eidetischen kann also nur in der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung erfaßt werden, auf Distanz zur identitären Implosion in Signifikanten und zur phänomenologischen Annullierung der Zeichen vor ihren konkreten Apperzeptionen. Das Problem ist nämlich, daß die Husserlsche »eidetische Anschauung« eine besonders herausgehobene Apperzeptionsart ist, da, um den Ausdruck Husserls im § 52 der VI. Logischen Untersuchung wieder aufzugreifen, sie »allgemeine Anschauung« des Allgemeinen ist, und daß die »Imagination« (die imaginäre Variation) als konstitutiver Teil in sie eingeht. Das ist das Problem der Konstitution der Idealitäten einschließlich der mathematischen. Das Eidos konstituiert sich bei Husserl immer – und insbesondere in diesem § 52 – durch abstraktive Identifikation sowohl des wahrgenommenen als auch des imaginierten Gegenstandes – wir würden in unseren Begriffen sagen: in der Indifferenz der Sprachapperzeption gegenüber ihrem Typus tatsächlicher oder imaginärer »Erfüllung«. Mit dieser Abstraktion wird gleichzeitig von ihren Möglichkeitsbedingungen abstrahiert, d.h. vom Kontext der fungierenden Sprache (und des Sprachsystems), in welchem sie verwurzelt ist, so daß die Idealität außersprachlich, außerzeitlich und außerräumlich erscheint, als ob dadurch die vom Sprachsystem herkommende Apperzeption in ihrem eigenen Gehalt sich von ihrem Weltgehalt ablöste, und sich doch damit identifizierte, ohne dabei zugleich in einen Signifikanten zu implodieren, welcher dermaßen gesättigt von Sinn wäre, daß er damit sinnlos würde. Oder
365 als ob umgekehrt die vom Sprachsystem herkommende Apperzeption sich vom Sprachsystems abstrahierte und dabei sozusagen die toten Zeiten und Winkel verstopfte, wo sie so auftaucht, als sei sie an sich unabhängig von jedem Sprachsystem, wobei sie auch noch, wie Husserl hervorhebt, den Eindruck einer »Realität« erweckt, die der Unterscheidung von »Realem« und »Imaginärem« entgeht. Darin liegt zweifellos eines der ursprünglichen Motive des in der Philosophie als »Platonismus« Anzutreffenden: die Eidè sind nämlich nicht voneinander unabhängig, sondern bewahren, durch ihre vielfältigen Bezüge logischer Kompatibilität und Inkompatibilität etwas von dem Kettfaden des Sprachsystems – das zumindest im Logisch-Grammatischen gestiftet ist. Dabei stellt sich auch die Frage der Teilhabe der einen oder anderen konkreten Apperzeption des Sprachsystems an diesem sehr hervorgehobenen Typus der allgemeinen Apperzeption des Allgemeinen, die gewissermaßen in jedem Sprachsystem immer gut funktioniert. Alles hängt offensichtlich mit der abstraktiven Identifikation zusammen, die, indem sie das sprachliche Zeichen im reinen Abstand der Bedeutung* oder des Begriffs annulliert – also im Abstand einer Hinweisung* oder einer eindeutigen logischen Referenz –, den Eidos buchstäblich als Gehalt des Seinssinns stiftet, der in der symbolischen Tautologie mit dem Sinngehalt des Begriffsdenkens symbolisch identisch ist, wobei der Sinn dieser Sinngehalte identischer Sinn der Identität ist. Im logisch-eidetischen Fall ist aber dieser Sinn von sich selbst gesättigter Sinn und verlangt von sich selbst keine teleologische Ausführung:1 das eidetische präsentiert sich als ontologisches, d.h. im Rahmen einer Notwendigkeit, die zumindest tendenziell die Kontingenz ausschließt, die nicht von der identitären Implosion einer sprachlichen Phase oder eines Sinnfetzens herkommt, sondern gleichsam von der identitären Implosion von Sprachapperzeptionen, in welchen blitzhafte Sprachapperzeptionen sich in »Familien« von blitzhaften Apperzeptionen »wieder-erkennen«, die jeweils von einer allgemeinen Apperzeption eines Allgemeinen zusammengehalten werden. Als ob also in diesem Fall, und zwar in der Bewegung ihrer sich bildenden symbolischen Stiftung, die Zeichen des Sprachsystems in signifikante Identitäten implodierten, die jene zwar als Begriffe stiften, sie aber phänomenologisch zu Sprachapperzeptionen annullierten, die in ihrer Eindeutigkeit von sich selbst gesättigt sind. Daraus ergibt sich nun übrigens, worauf wir in unserern vorangegangenen Meditationen mehrmals hingewiesen haben, die Plattheit des logisch-eidetischen Feldes, das zirkulär nur gerade das auszusagen scheint, was in der Sättigung seiner Evidenz eigentlich nach gar keiner Aussage verlangt, wobei das ganze Problem nur darin liegt, die logisch-eidetische »Schicht« des Sprachsystems in seiner symbolischen Stiftung aus den gewöhnlichen Vermengungen des gewöhnlichen Sprachsystems herauszuarbeiten. Bei dieser Plattheit handelt es sich um eine Einebnung eines Sprachsystems, das sich in seinen Begriffen gegenüber dem annulieren soll, was vermeintlich eindeutig bezeichnet, wobei dies alles, wie man durch das Kapitel VI der VI. Logischen Untersuchung weiß, bis zur »kategorialen Anschauung« geht, d.h. bis zur kategorialen Struktur der eidetischen Apperzeptionen, die geradehin die eidetischen Sachverhalte erfassen können. Diese identitäre Verdichtung der Zeichen des Sprachsystems, die dazu tendieren, in einer durch Übergehung verwirklichten Übereinstimmung der Zeichen mit sich selbst in ihren betreffenden Apperzeptionen die toten Zeiten und Winkel ihrer gegenseitigen Apperzeptionen zu entledigen, führt nämlich die phänomenologische Annullierung der Zeichen des Sprachsystems zu ihrem Ende, und dadurch einfach nur zur phänomenologischen Annulierung des Sprachsystems selbst zu einem logisch-ei-
366 detischen Sprachsystem, dessen empirische Sprachsysteme nur kontingente und untergeordnete Versionen wären. Damit geht ganz natürlich die Idee einer »rein logischen Grammatik« einher, d.h. einer »allgemeinen Grammatik« des Denkens, in der die »Buchstaben« nur noch konventionelle oder künstliche Symbole einer reinen Operativität der Begriffe und der Eidè in ihren Verkettungen wären. Damit hätte das Sprachsystem – die symbolische Stiftung der fungierenden Sprache – zu sich selbst so etwas wie ein schizophrenes Verhältnis – da eine identitäre Implosion der Zeichen und ihre Apperzeptionen oder blitzhaften Apperzeptionen stattfindet –, die aber zur psychotischen Schizophrenie architektonisch in einem antipodischen Verhältnis steht, weil es hier um die Abspaltung und Teilung des Sprachsystems von sich selbst geht. Die Eidè sind also nicht wie andere Signifikanten: sie sind sozusagen Signifikanten des Außer-der-Welt-Seins des Sprachsystems, der identitären Implosion dieses Außer-der-Welt-Seins, die ihnen damit etwas von der Welt zurückzugeben scheint, nämlich das Sein, zumindest unter seiner jeweiligen Form, die in ihre Verselbständigung auseinandergesprengt ist. Aber nur durch phänomenologische transzendentale Illusion erscheint dieses Sein als das Sein der Welt, da es seine innere Konsistenz nur durch abstraktive Identifikation seines eigener Gehalts in Distanz zu seinem konkreten apperzeptiven (und jeweils einzigartigen) weltlichen Gehalt aufrechtzuerhalten scheint. Besteht die Husserlsche eidetische Reduktion darin, die eidetischen Invarianten herauszuarbeiten, dann werden diese durch diese Identifikation von den weltlichen Apperzeptionen ab-strahiert, und die Imagination spielt dabei eben deshalb eine zentrale Rolle, weil sie schon Distanzierung gegenüber den konkreten apperzeptiven Gehalten ist. Und diese Invarianten sind alle gleichermaßen durch die Abstraktion »konstruiert« wie in der Bewegung der symbolischen Stiftung des sich bildenden Sprachsystems »entdeckt«, die dabei bis zum Ende zu gehen scheint – was erklärt, daß die »Konstruktion nicht der freien Wahl der Willkür überlassen ist. Nichts ist also vom phänomenologischen Feld der Sprache weiter entfernt als das Logisch-Eidetische. Und wenn Husserl es niemals entbehrlich machen konnte, dann zweifellos deshalb, weil er gegenüber den un-endlichen Wucherungen des phänomenologischen Feldes kein anderes Mittel fand, sich darin zu situieren und zu orientieren – was allerdings mit der Illusion einherging, eines Tages die Phänomenologie als »Wissenschaft« absichern zu wollen. Dies aber kann sie, wie wir hier zeigen wollten, nur als »architektonische Wissenschaft« beanspruchen. Wenn sie plötzlich mit einem Schlag stattfände, würde die identitäre Implosion der Zeichen des Sprachsystems in eidetische »Signifikanten« das Sprachsystem durch seine phänomenologische Annullierung in ein symbolisch-eidetisches »System« oder Gestell* verwandeln, das mit einem Schlag zusammengestellt worden wäre, und seit jeher und auf immer das »Denken« im Laufe seiner maschinellen symbolischen Machinationen zurichten würde. Und gerade dies ist aus architektonischer Sicht zweifellos eine der Gestalten des symbolischen Unbewußten der Philosophie, zumindest der sich als »Wissenschaft« und damit als »die« Wissenschaft selbst meinenden Philosophie. Tatsächlich aber – wie im Werk Husserls zu sehen ist, funktioniert das Eidetische, um ohne fundamentalen Bruch die natürliche Haltung und die phänomenologische Haltung zu durchqueren, eben nicht auf »maschinelle« Weise. Davon zeugt zumindest zweierlei: 1) daß seit seinen Vorlesungen von 1910 mit dem Titel Grundprobleme der Phänomenologie,2 Husserl versucht hat, ohne die Vermittlung der eidetischen Reduktion auf das phänomenologische Feld hin zu öffnen, was seine Vorlesungen für die phänomenologischen Problematik besonders interessant macht; 2) daß Fink im Laufe seiner
367 täglichen Zusammenarbeit mit Husserl in den dreißiger Jahren die Frage des Eidetischen als eine eigentlich aporetische gestellt hat. Wir müssen auf diese Frage zurückkommen, um die Strukturen und architektonischen Probleme aus ihr zu entwickeln. Dabei werden wir noch genauer den Sinn der von uns vorgeschlagenen Umgestaltung der Phänomenologie Husserls durch die Phänomenologie der Sprache herausarbeiten. b) Das architektonische Problem der tranzendentalen Eidetik beim jungen Fink und der Gang seiner Lösung bei Merleau-Ponty Die architektonische Aporie der transzendentalen Eidetik in Finks VI. Cartesianischer Meditation In seiner berühmten, 1933 in den Kantstudien erschienen und bekanntlich von Husserl gebilligten Untersuchung3 konzipiert Fink die phänomenologische Reduktion so, daß »die Seinsidee« selbst »reduziert« werden muß, um den Begriff des »transzendentalen Seins« zu gewinnen.4 Es muß sich daraus nach Fink eine Transformation der als naive Ontologisierung der Vor-Gegebenheit der Welt gefaßten Eidetik in eine transzendentale Eidetik ergeben. Auf die schwierige Frage des Verhältnisses zwische eidetischer und phänomenologischer Reduktion, schreibt Fink sogar sehr deutlich: »Es ist grundverkehrt, statt die Frage nach der Natur des transzendentalen Eidos aus dem Reduktionsvollzug als Problem aufzuwerfen, die Natur der Reduktion umgekehrt aus der undurchsichtigen Eidetik her begreifen zu wollen.«5 Denn, wie er später präzisiert »Dogmatisch ist also […] die Erkenntniseinstellung auf eidetische Verhalte […] als auch die philosophische Erkenntnis der apriorischen Weltform.«6 Sie gründet sich, durch »eidetische Fixierung des Wesenhaften«,7 auf die natürliche weltliche Erfahrung als a-thematische Wesens-Vorbekanntheit der Vorgegebenheit der Welt.8 Das führt die Phänomenologie zumindest zu Folgendem: »Sie gewinnt durch die Reduktion nicht nur die Möglichkeit, die transzendental reduzierte Erfahrung von individuell Seiendem, sondern auch das wesenhaft zum Menschen gehörende Wesenswissen konstitutiv zu befragen und damit den apriorischen Weltstil selbst zum Thema einer konstitutiven Analytik zu machen«.9 Anders gesagt führt das die Phänomenolgie dazu, die transzendentale Konstitution des Eidos ins Visier zu nehmen und auf die Eidetik jenen kritischen Blick zu werfen, der die Phänomenologie vom transzendentalen Anschein oder der transzendentalen Illusion befreien kann, in der sich letztlich die Phänomene mit den eidetischen Sachverhalten vermischen und somit verschwinden würden. Schon die Einführung der Kantschen Problematik der transzendentalen Illusion muß uns bewußt machen, daß es sich hier um ein architektonisches Problem, also um einen von der phänomenologischen Reduktion herbeigeführten Wechsel des Registers oder der Stufe handelt. Und es ist sehr bemerkenswert, daß diese Einführung mit der Frage des Status des Phänomens in der Phänomenologie Husserls verbunden sein soll. Dadurch hallt schon als Echo unsere Frage des Verhältnisses zwischen dem Eidos als identitär verdichtetem »Wesen« von Sprachapperzeptionen und den blitzhaften Apperzeptionen, die in seine »Konstitution« eingehen können. wider. Zum Glück sind seit der Veröffentlichung der VI. Cartesianischen Meditation E. Finks10 die Dinge sehr viel klarer geworden, und zwar im Rahmen einer »transzendentalen Methodenlehre«, die wir nun nicht ausführen werden, in der aber die Frage der Architektonik der Husserlschen Phänomenologie als systematische Architektonik oder Organisation ihrer Probleme in den Vordergrund tritt.11 Bekanntlich ist die
368 VI. Meditation im Rahmen einer engen Zusammenarbeit Husserls und Finks sowohl während der Überarbeitung des deutschen Textes der Cartesianischen Meditationen als auch bei der Erarbeitung eines Projekts der systematischen Darstellung der Phänomenologie entstanden. Ohne hier in eine Untersuchung der Feinstruktur dessen hineinzubegeben, was die Eigenheit des Finkschen Ausgangspunktes ausmacht – den Husserl selbst offensichtlich nicht in aller Konsequenz geteilt hat –, wagen wir hier als erste Annäherung die Aussage, daß er darin besteht, die phänomenologische Epoché radikal ernst zu nehmen und einen »phänomenologisierenden Zuschauer« anzunehmen, der an dem, was er vermeintlich sieht, »unbeteiligt*« ist (man denkt an das philosophische Bewußtsein in der Einführung in die Phänomenologie Hegels), und zwar genau in dem Maße, als er aktiv, in einem Tun*, das Einklammern oder Außerkraftsetzen jeder ontifizierenden und ontologischen These ausübt. Das bedeutet in unseren Begriffen, daß schon die von Fink konzipierte phänomenologische Epoché darin besteht, die Sprachapperzeptionen außer Kraft zu setzen, in denen also das Selbst (das sprechende Subjekt, das Subjekt, das vermeintlich aktiv die Apperzeptionen in Beziehung setzt) gewissermaßen nicht mehr in der identitären Implosion der Zeichen gefangen und durch die sich darin verdichtenden Gehalte des Seinssinns »gespalten« oder »be-teiligt*« ist. Es besteht also in diesem anscheinend überbestimmten philosophischen Kontext keine Gefahr, daß dieser »Zuschauer, der schon durch sein Tun auf Distanz und außerhalb des Umlaufs der identitären Verdichtungen des Seins operiert, im Grunde nur mehr die Vorhandenheit* dessen zu sehen bekäme, was die Sprachapperzeptionen liefern, die gegenüber jeder Zeitigung/Räumlichung der Sprache gegenüber indifferent wären. Daß eine solche identitäre Verdichtung der Zeichen des Sprachsystems, die sie zu ihrer phänomenologischen Annullierung führt, vom phänomenologischen Standpunkt aus eine transzendentale Illusion ist, zeigt zum Beispiel im § 9 (»Das Phänomenologisieren als Ideieren«) die geordnete Wiederaufnahme der Problematik der »transzendentalen Eidetik«. Zuerst erklärt Fink auf eine für uns recht bezeichnende Weise (VICM, 86-88), daß es in der theoriebildenden phänomenologisierenden Erfahrung eine »besondere Logifizierung« gibt, welche man als »eidetische Methode« charakterisieren könnte. Und sofort stellt sich die Frage, ob diese »Logifizierung«, die eigentlich »Ideierung« ist, für den Phänomenologen wie für den Wissenschaftler, der sich den weltlichen Realitäten zuwendet, die gleiche ist, also welchen Status die transzendentale Eidetik haben kann. Im »regressiven« Vorgehen der Phänomenologie innerhalb von konstitutiven Analysen kann man bis zum »konstitutiven Ursprung« des Eidos in der »invarianten Strukturkonstitutionen des transzendentalen Lebens« gehen, d.h. bis zu »Sinngebungsleistungen*« im Rahmen transzendentaler Horizontkonstitution. In diesem Fall nimmt die transzendentale Theorie der Eidetik ihren Ausgangspunkt in der Aufweisung transzendentaler Konstitutionsprozesse am Leitfaden weltlicher Wesen. Offensichtlich denkt Fink hier in einer Analogie, die auf den ersten Blick sehr zweifelhaft erscheint, denn zwar rechtfertigt sich die intentionale Konstitutionsanalyse, die von der gegebenen Apperzeptionsidentität zum Überschuß des Sinns im Sinn der Identität des Apperzipierten zurückführt, durch die blitzhaften Apperzeptionen, die in den Sinnhorizonten als Möglichkeiten des Sinns spielen, also durch den Hof von Unbestimmtheiten und Dunkelheiten in der Apperzeptionsidentität, aber dies gilt nicht für das Eidos, das durch die phänomenologische transzendentale Erschleichung der identifizierenden Abstraktion jeden Horizont mit Dunkelheiten so weit verschließt oder verdunkelt, daß es als Sein und als So-Sein erscheint. Folglich
369 kann man die transzendentale Konstitution des Eidos nur in der Bewegung des Verstehens der Ideierung und der »Logifizierung« verstehen, in ihrem Dazwischen, dessen Umrisse wir zwischen der phänomenologischen Sprache und der symbolischen Stiftung des sich bildenden Sprachsystems skizziert haben. In diesem Fall kann zwar das »weltliche Wesen«, das eigentlich als einziges (a priori mögliches) durch das eidetische hervorgebracht wird, als »Leitfaden« dienen, aber nur als »Terminus« für die identitäre Implosion der Zeichen des Sprachsystems, und nicht als »intentionaler Wegweiser«. Gerade dies hat auf seine Weise Merleau-Ponty vorausgeahnt, wenn er sagt, daß es sich bei der »Konstitution« des Eidetischen eigentlich darum handelt, abzuschätzen, was eine faktizielle Erfahrung mit ihren Varianten verbindet und artikuliert, um das Eidos als in den Horizonten der faktiziellen Erfahrung »inkrustiert« hervorzubringen. Das entspricht grosso modo dem schon von ihm selbst im Vorwort seiner Phänomenologie der Wahrnehmung zur Eidetik Entwickelten.12 Es wird nun verständlich, warum Fink im Folgenden auf zwei Seiten von bemerkenswerter Dichte und einer nicht weniger bemerkenswerten Kühnheit die Dinge noch weitertreibt (VICM, 88-90). Indem er sich über die Eidetik hinsichtlich des transzendentalen Seins befragt, d.h. über die Logifizierung der phänomenologisierenden Auslegung der Weltkonstitution (über die ohne architektonische Verwandlung vollzogene Übertragung des Eidetischen in der Auslegung der blitzhaften Apperzeptionen), unterstreicht er, daß »die transzendentale Subjektivität nicht allein als faktische zum Gegenstand der theoretischen Erfahrung des phänomenologischen Zuschauers« wird, sondern sich vor allem in ihren Wesensmöglichkeiten zeigt. Die Wesen finden sich also auf konstituierende Möglichkeiten bezogen, die schon nicht mehr nur – in einem quasi-leibnizschen Sinn – bloß logisch-ontologische Möglichkeiten sind: sie sind zumindest ontologisch-existentiale Möglichkeiten des Existierens für den Sinn, der in seiner Faktizität des Existierens genommen wird, d.h. von dem gleichen Sinn her Möglichkeiten der Verkettung von blitzhaften Apperzeptionen, die sich gemäß der gleichen Teleologie des auf sich selbst ausgehenden Sinns vollzieht. Die Frage ist nämlich, fährt Fink fort, ob das so vom Standpunkt des transzendentalen Seins ins Auge gefaßte Eidos noch daraus »herausgehoben*« werden soll, indem es naiv auf eine »ideale Geltungseinheit« bezogen wird (also für uns auf ein Zeichen des abstrakt identifizierten Sprachsystems in seiner identitären Implosion), und zwar ohne bis zu den solchen Einheiten zugrundeliegenden konstitutiven Leistungen zu gehen; oder ob sich eben mit dem transzendentalen Eidos nicht der Unterschied zwischen der »Geradehin-Einstellung*«, die auf das thematische Wesen gerichtet ist, und der »reflektiven Einstellung*«, welche die transzendentale Konstitution des Wesens reflektiert, anzeigt, d.h. die höhere transzendentale Konstitution der Sinngebungen, die mit den Wesenheiten einhergeht. Es handelt sich also in unseren Begriffen wohl darum, vom Kurzschluß, der das Eidos in der Implosion identifiziert, auf die schon sprachlichen blitzhaften Apperzeptionen zurückzugehen, die durch diese Implosion kurzgeschlossen wurden. Wenn wir den hier paraphrasierten Text (s. VICM, 88) so lesen, daß sich ein kohärenter Zusammenhang herstellt, dann bedeutet das, daß der eidetische Sinn nicht mehr in der Wesensschau* unmittelbar gegeben wird, sondern sich an konstituierende Möglichkeiten des transzendentalen Lebens angliedert, die man nicht von vornherein auf die in ihrer thematischen Einheit ganz und gar fertigen Idealitäten beziehen darf. Es gibt hier einen Wechsel des Registers, den Fink ganz deutlich anzeigt: »Weder ist die Eidetik des phänomenologischen Zuschauers vom selben Typus wie die Eidetik in der natürlichen Einstellung, noch zeigt sie eine Affinität mit der transzendental-konstitutiven Aufklärung dersel-
370 ben.« (VICM, 88). Alles beruht nämlich, wie es Fink sehr aussagekräftig ausdrückt, darauf, daß im letzteren das weltliche Eidos, d.h. das seiende* Wesen*, bei Strafe der transzendentalen Illusion, d.h. des architektonischen Irrtums, nicht als Leitfaden dienen kann. Was der phänomenologisierende Betrachter als transzendentales Eidos im Leben der transzendentalen Subjektivität vermeintlich »schaut«, ist nicht das Eidos oder ein eidetischen Sachverhalt als Seiendes (s. VICM, 88-89). Der Gegensatz oder Unterschied zwischen beiden liegt letztlich zwischen dem eidetischen als Invarianz ontischer Seinsmöglichkeiten (s. VICM, 89), die also immer an das letztlich logische Seiende und an das Mögliche des Seienden gebunden sind (für uns: immer an die Sprachapperzeptionen) und dem Eidetischen, wenn es noch eins gibt, das an das »transzendentale Sein« gebunden ist, d.h. an das, »was eigentlich nicht ist« (VICM, 89), sondern die »nur paradox beschreibbare »Seinweise« des Vor-Seins hat«. (Ebd.) Bedenken wir, was ins Spiel gebracht wird, denn es ist entscheidend, und Fink verschanzt sich übrigens hinter der Unmöglichkeit, weitere Erklärungen geben zu können (s. VICM, 90). Zwar kann man dieses »Vor-Sein« immer als das der »Vor-Gegebenheit«* der Welt und diese als eine Vorhandenheit* und, sobald man sie ansieht, als Gegenstand einer »Vision« interpretieren. Zwar ist der Begriff des »uninteressierten Betrachters« für das phänomenologisierende Selbst zumindest zweideutig. Aber es ist festzuhalten, daß dieses »Desinteresse« nur von der radikalen phänomenologischen Epoché herrührt, die sich nicht nur auf die praxis , sondern auch auf die theoria erstreckt und also beider Sinn modifiziert. Dem entnehmen wir: wenn Fink vom transzendentalen Sein sagt, daß es nicht ist, will er ausdrücken, daß es kein Seiendes, daß es nicht »Gegenstand« einer Apperzeption des Sprachsystems ist. Das genügt, um die Sphäre der Vorhandenheit* auszuschließen. Es handelt sich auch nicht um das Sein eines Seienden, sondern um das Vor-Sein, eben von Möglichkeiten, und zwar solchen, die der Idealität vorausgehen, die also blitzhaften Apperzeptionen angehören und die, obwohl sie in ihren Bestimmtheiten durch das Sprachsystem rekodiert werden, deshalb nicht weniger zur fungierenden Sprache gehören und an die faktizielle Möglichkeit des Existierens des Sinns gebunden sind. Deshalb fragt sich Fink noch, welchen Status die Ideierung, wenn sie dann stattfindet, in der phänomenologisierenden Tätigkeit haben kann: nimmt sie an der Produktivität (Hervorhebung durch Fink) der phänomenologischen theoretisierenden Erfahrung teil? Man bemerkt umgekehrt, daß die Gefahr der transzendentalen Erschleichung oder des architektonischen Irrtums anscheinend in der Verschmelzung der Sinnregungen der Theorie vor und nach der Epoché auftritt oder darin liegt, daß außer der sich in der natürlichen Einstellung vollziehenden Ideierung keine andere theoretische phänomenologische Produktivität möglich ist. Sollte dies der Fall sein, dann hätte die transzendentale Eidetik keinen Sinn, wäre für immer unmöglich oder würde nun ausgerechnet selbst der transzendentalen Illusion angehören. So stellt sich gewissermaßen die architektonische Aporie dar, auf die Fink in dieser VI. Meditation, aber auch in der zu Beginn zitierten Untersuchung von 1933 stößt. Es handelt sich im übrigen nicht nur um die Frage der Ideierung, sondern auch der Prädikation und der Wissenschaftlichkeit, die mit Recht zur transzendentalen Phänomenologie gehören. Es geht dabei auch um die Frage der »sekundären« »Verweltlichung«*, durch die das »Vor-Sein« sich in ein Sein zurückverwandelt sieht, d.h. in ein Sein des Seienden. Als ob er sich von dieser Aporie loszulösen versuchte, denn sie ist nämlich, wie wir sehen werden, nicht zu lösen, kommt Fink im § 9 der VI. Meditation auf die Konstitution der Ideation in der natürlichen Einstellung zurück. Er beginnt mit der Unterscheidung zwischen jener Art nicht thematischen Wissens der
371 Vor-gegebenheit des Seienden, in dem auf nicht thematische Weise die eidetischen Strukturen des Seienden schweben, und der Gegebenheitsweise der Wesen im Akt der Ideation (s. VICM, 90-91). Es gibt also in der natürlichen Einstellung immer schon ein implizites Vor-wissen der Wesen – das Merleau-Ponty von der Phänomenologie der Wahrnehmung an hervorheben wird –, und die Ideation als ein Akt, dieses Vorwissen zu thematisieren, ist eine gewisse »Produktivität«, also eine besondere geistige »Spontaneität«, die auf der Basis der Anamnese dieses Vor-Wissens kategorial – denn jede eidetische Anschauung ist kategorial – das Wesen zur Selbstgegebenheit* führt. Die sich so als aktiv erweisende »Anamnese« (noch vor der Aufnahme des fertigen Eidos in der Wesenschau*, und weil sie für uns Wiederaufnahme von Apperzeptionen und blitzhaften Sprachapperzeptionen ist), wird also nach Fink schon durch das eidetische Vor-Wissen geleitet (Vor-Wissen des von sich selbst gewußten Sprachsystems): es gibt keine eidetische Schöpfung oder einen logisch-eidetischen Nominalismus, wohl aber sozusagen abstraktive Reflexion oder reflektierende Abstraktion des Eidos, das versteckt die natürliche Erfahrung des Seienden vermeintlich artikuliert. So handelt es sich bei der Eidetik um eine ausdrückliche Thematisierung in und durch die kategoriale Aktivität des »weltlichen« A priori (für uns: des Sprachsystems), und nun nimmt die Eidetik den Sinn der »Analytik der Vorgegebenheit der Welt« an (s. VICM, 91-92). Wir haben gesehen, daß diese Bewegung, die in der Entwirrung der Vermengungen der natürlichen Einstellung besteht – die Verwebungen von Apperzeptionen und blitzhaften Apperzeptionen, die sich in der gewöhnlichen Erfahrung vollziehen, die zugleich immer eine des Sprachsystems ist –, und dabei eine vermutete Übereinstimmung des Logisch-Eidetischen mit sich selbst klar machen will, eigentlich eine Stiftung des Logisch-Eidetischen durch identitäre Implosionen in eidetische Apperzeptionen von bestimmten Zeichen und Zeichengruppen des Sprachsystems ist (hauptsächlich der Namen und allem Benennbaren, insbesondere der prädikativen Aussagen mit der Kopula »ist«). Wie steht es nun um die transzendentale Eidetik? Genau in diesem Punkt auf der letzten Seite des § 9 (VICM, 92-93) sperrt sich die Aporie offensichtlich gegen jede Auflösung. Auf sehr konsequente Weise erklärt Fink, daß das »transzendentale Eidos kein »Apriori« ist.« (VICM, 92). Und zwar weil es nicht an der Vorhandenheit des weltlich Seienden und des weltlichen Vor-Wissens seiner eidetischen Strukturen teilhat oder bloß weil die durch die phänomenologische Reduktion freigesetzte transzendentale Subjektivität nicht der Vorgegebenheit angehört (ebd.). Worin besteht nun die Aporie? Lesen wir hier den Text in seinem Zusammenhang: »Die auf sie bezügliche Ideation ist keine blosse Erinnerung (anamnesis), keine Vergegenständlichung eines schon besessenen Wissens, keine blosse Zugangs- und Aneignungsmethode, sondern hat im Hinblick auf das Wesen eine grundsätzlich überlegenere Funktion. Die Produktivität, die der theoretischen Erfahrung des phänomenologischen Zuschauers zukommt als dem Ansetzen von solchem als seiend (transzendental seiend), was die konstitutive Natur des Vor-Seins hat, – diese Produktivität eignet auch der diese theoretische Erfahrung logifiziernden transzendentalen Ideation. Sie ontifiziert die »reinen Möglichkeiten« des Vorseienden zu den Geltungsgebilden einer transzendentalen Eidetik.« (VICM, 92-93) Die Aporie ist unauflösbar, weil die transzendentale Eidetik des Vor-Seins von der durch die Logifizierung herbeigeführten Ontifizierung des Vor-Seins herrührt, von dem wir gesehen haben, daß es kein Seiendes ist. Und man sollte nicht glauben, daß die Analysen der »Logifizierung«, wie sie Fink mit den sich auf die Prädikation beziehenden Analysen im § 10 vorstellt, als Einleitung einer Lösung dienen könnten, da sie letztlich zur Forderung nach einer Verflüs-
372 sigung des Sprachsystems und der Begriffe führen, durch eine methodische Praxis der neo-platonischen coincidentia oppositorum. Als ob uns für die transzendentale Eidetik die philosophischen Ausdrucksmittel fehlten, eine Erfahrung, die sich durchaus in Husserls Vorlesungen, Seminaren und Forschungsmanuskripten immer wieder eingestellt hat. Es geht um die Aporie der »transzendentalen Sprache«. Es ist als ob die Phänomenologie ständig an den Rändern der phänomenologischen Sprache durch eine Epoché am Rand der Hyperbel (sie öffnet sich nur auf ein rätselhaftes »Vor-Sein«) durch das philosophische Sprachsystem immer wieder eingeholt würde, d.h. durch die transzendentale Erschleichung des Logisch-eidetischen, bloß weil sie als »Wissenschaft« sprechen will. Hier ahnt Fink, wenn auch »negativ«, etwas voraus, das mit der von uns vorgeschlagene Architektonik systematisch erkundet werden soll. Es handelt sich nämlich nicht bloß darum, die Philosophie zu verlassen. Wie in jedem Fall einer unlösbaren Aporie scheint die Philosophie in einer allerdings verzweifelten Lage zu sein. Entweder gesteht man zu, daß die transzendentale Eidetik, insofern sie von der apperzeptiven Ontifizierung herrührt, unmöglich ist, und dann ist die transzendentale Phänomenologie selbst gewissermaßen unmöglich – eine bekanntlich von bestimmten Strömungen – ob nun von »analytischer« oder, auf der Gegenseite, von Heideggerscher Inspiration – geteilte Einstellung, wobei man die Husserlsche Eidetik in ihrem noch »naiven« praktischen Zustand »der« Metaphysik beläßt. Oder man nimmt an, daß die transzendentale Eidetik möglich ist – das ist Finks Einstellung, und, soweit er den Standpunkt Finks teilt, zweifellos auch Husserls. Nach dieser Auffassung hätte die Ontifizierung durch Logifizierung des transzendentalen »Vor-Seins« von den Tiefen der Reduktion her das »Seiende« in einen anderen Sinn als den der natürlichen Einstellung zurückzuführen, also auch die Sprachapperzeptionen, die massiv auftreten, da sie zunächst und zumeist uns auf eine andere Weise die Sicht nehmen, als die, durch die sie sich in sich selbst verschließen und das Denken in den Eidè gefangen nehmen. Daraus können sich nun zwei Fälle ergeben: Entweder nimmt man an, daß die Ontifizierung, welche die phänomenologische Erfahrung des Vor-Seins logifiziert, direkt von der phänomenologisierenden Produktivität des »unbeteiligten Betrachters« herrührt und sich damit sozusagen im lebendigen Vollzug selbst ergreift, womit man aber sofort in der transzendentalen Illusion eines sowohl archetypischen als auch anschaulichen Verstandes endet, der auf seine Produktivität hin durchsichtig ist, und damit auf so etwas wie den »absoluten Geist« Hegels – dem kommt, zumindest tendenziell, die Einstellung Finks nahe, der die wirklich transzendentale Phänomenologie als »meontisch« faßte -; oder man wendet sich auf kritische Weise von dieser transzendentalen Illusion ab, indem man aus dieser Durchsichtigkeit des phänomenologisierenden Betrachters auf seine eigene Produktivität hin eine regulative Idee der transzendentalen Phänomenologie macht, das im Unendlichen angesiedelte telos jenseits jeder möglichen Erfahrung. Nun aber existiert diese letztere auf stumme Weise für den, der sie zu vernehmen bereit ist, immer nur als Idee, und niemals im wirklichen Verlauf des Denkens, also nicht im zumindest in einem Sprachsystem oder in Begriffen Ausdrückbaren – das ist auch die nicht immer feste Position Finks und selbstverständlich Husserls. So sind die vielfältigen Tiefen der fungierenden Sprache in ihrer Phänomenologie alle darin ver-mengt, was in seiner Sprachlosigkeit als die unauslotbare Tiefe jeden Denkens und »Ausdrucks« im Sprachsystem durch-scheint. Indem sie am Horizont ihrer unendlichen Teleolgie verschwindet, nimmt die Phänomenologie die Gefahr auf sich, damit all das verschwinden zu lassen, was sich als Phänomen phäno-
373 menalisieren ließe, und ließe die Phänomenologie, wie es tendenziell schon der Fall ist, zu einer Phänomenologie ohne Phänomene werden. Nun scheint diese Situation nur so lange hoffnungslos, als man die Begriffe als solche aufrechterhält. Bei genauerem Hinsehen ist leicht erkennbar, daß diese Aporie von einer architektonischen Schwierigkeit herrührt: Sollten wir durch die transzendentale phänomenologische Epoché und Reduktion radikal das Register wechseln und dabei tatsächlich vom Feld des Seienden und dem des Seins des Seienden auf das Register des Nicht-Seienden und des Vor-Seienden in seinen Wesensmöglichkeiten als einem Feld der schon sprachlichen blitzhaften Apperzeptionen übergehen, auch wenn diese darin noch vermengt und verwirrt sind, dann bedeutet das, daß sie jedwede Ontifizierung und Logifizierung verwerfen müssen und daß die transzendentale Produktivität sich nicht darauf beschränkt, nur das Seiende hervorzubringen und zu logifizieren, sondern sich auf alles andere reduziert, das weder dem Eidos noch den eidetischen Sachverhalten im klassischen Sinne angehört. Man kann nicht umhin, hier an Heidegger zu denken, der in Sein und Zeit einen ganz anderen Ausgangspunkt wählt. Aber dieser erscheint uns bei näherer Überlegung bei weitem nicht als ein »Heilmittel« gegen die hier gestellte Aporie: wenn es Verwandtschaftsbeziehungen zwischen dem von Fink eingebrachten »Vor-Sein« und dem in Sein und Zeit angesprochenen Sein – dem Seinssinn – gibt, dann wäre das Heideggersche »Heilmittel« eine »Roßkur«, da die transzendentale Eidetik sich dabei auflöst, insofern das Kategoriale rücksichtslos vom Existentialen getrennt wird. Die Möglichkeiten des Daseins* sind bei Heidegger niemals Wesensmöglichkeiten, sondern Existenzmöglichkeitenn und überdies führt das Einbeziehen all dieser Möglichkeiten ausschließlich im Horizont des Todes das Heideggersche Denken zu einer sehr subtilen Form des »anschaulichen und archetypischen Verstandes« zweiten Grades, in dem die Existentialien des Daseins* sich herausheben müßten, ohne sich von der Kontinuität der horizontalen ekstatischen Struktur der »eigentlichen« Zeitlichkeit und Zeitigung loszulösen – was also einer Wiederholung der hier ausgewiesenen architektonischen Aporie gleichkäme, auch wenn sie durch den Heideggerschen Geniestreich gleichsam um einen Grad verschoben ist: man weiß, wie Heidegger seinerseits während seines ganzen Lebens auf die Frage der ursprünglichen Zeitigung und der Sprache immer wieder zurückgekommen ist, ganz zu schweigen von seiner wahrhaften »Flucht nach vorne« in der »Dekonstruktion« »der« vermeintlich einheitlichen Metaphysik. Das hat dazu geführt, daß sich für ein, zwei Generationen auch die Phänomenologie verflüchtigt hat. Um aber wieder auf die Aporie zurückkommen, auf die Fink gestoßen ist, so kann für den in ihr enthaltenen Punkt der Wesensmöglichkeiten des transzendentalen VorSeins sich etwas vom Heideggerschen Genie als sehr kostbar erweisen: warum sollte man es nicht so sehen, daß diese Möglichkeit, die sich erst später in der eidetischen Idealität verschließt, also gleichsam proto-kategorial oder proto-eidetisch ist, zugleich, also im gleichen Moment oder in der gleichen Bewegung, existentiale ontologische Möglichkeit im Heideggerschen Sinne ist? Anders gesagt: weshalb sollte man es nicht so sehen, daß das »Wesen« – in phänomenologischen Anführungsstrichen – d.h. das Wesen*, das nicht ein Seiendes oder ein ontischer Sachverhalt ist, sich gewissermaßen in gleicher Distanz zur ontischen Tatsache (der Vorhandenheit*) und der eidetischen Idealität (möglicherweise ebenso vorhanden* und durch Ideation erhalten) hält und nicht faktuell, sondern faktiziell im Heideggerschen Sinne ist? Warum sollte es nicht Faktizität der Wesen* im gleichen Sinn wie Faktizität der Existenz geben? Warum sollte das Husserlsche »ich kann«, das als ein »ich kann« des
374 Leibes in einem Leib* verleiblicht und nicht nur reine geistige Möglichkeit ist, nicht ein ontologisches »ich kann« des Existierens sein, und zwar eines (transitiven) Existierens sowohl der Welt und seiner Wesen*, die wesen* und nicht Seiendes sind? Und weiter noch, warum sollte die Faktizität des Wesens*, die, um es nochmals zu sagen, für uns im Sprachsystem blitzhaft apperzipierte sprachliche Wesen* sind, nicht letztlich der Faktizität des sich bildenden Sinns zugerechnet werden, der jeweils – in der Jeweiligkeit* seiner Jeseinigkeit* – dadurch der Faktizität des Selbst begegnet? Den Weg einer solchen Möglichkeit für die Phänomenologie gewiesen und ihn beschritten zu haben, bevor der Tod ihn unterbrach: darin scheint uns der unschätzbare und äußerst originelle Beitrag zu liegen, den Merlau-Ponty in Das Sichtbare und das Unsichtbare für die Phänomenologie geleistet hat, obwohl sein zu kurzes Leben ihm nicht erlaubt hat, seinen ganzen Wert zu entfalten. Sein Vorgehen bewegte sich dermaßen in der Linie des phänomenologischen Erbes und seiner Notwendigkeiten, daß es offenbar wie ein Echo auf Pato¢kas Ausarbeitung seiner »asubjektiver« Phänomenologie antwortet. Die Entdeckung der wilden Wesen* in Das Sichtbare und das Unsichtbare Daß die VI. Meditation Finks zu den ursprünglichen Anregungen des Denkens Merleau-Pontys gehört, ist dadurch bezeugt, daß Merleau-Ponty die VI. Meditation zweimal im Vorwort zur Phänomenologie der Wahrnehmung (PW, 3, 17) zitiert – zuerst im Zusammenhang mit der »konstruktiven Phänomenologie«, dann des »uninteressierten Zuschauers« und der phänomenologisierenden Stiftung der Phänomenologie durch ihre reflektive Rückkehr auf sich selbst. Außerdem zitiert er darin auch die große Untersuchung von 1933 (PW, 10) im Zusammenhang mit der Reduktion als »Erstaunen« angesichts der Welt. Bekanntlich hatte Merleau-Ponty die VI. Meditation über eine von Gaston Berger übermittelte Kopie kennengelernt. So ist die von Merleau-Ponty in seinem Vorwort entfaltete Konzeption des Eidetischen sehr dicht an dem, was Fink unter transzendentaler Konstitution des Eidos verstand. Er schreibt zum Beispiel:»Dem Wesen der Welt nachfragen heißt nicht, sie reduzieren auf den Gegenstand unserer Rede und dann sie in die Idee erheben, vielmehr heißt es darauf zurückgehen, was vor aller Thematisierung die Welt faktisch für uns schon ist.« (PW, 12f) Oder auch: »Die eidetische Reduktion hingegen zielt auf nichts anderes ab, als die Welt so zur Erscheinung zu bringen, wie allem Rückgang auf uns selbst zuvor sie je schon ist, nichts anderes will sie, als reflektierend dem unreflektierten Bewußtseinsleben nahezukommen.« (PW, 13) Und den Beweis dafür, daß Merleau-Ponty schon 1945 die Lösung der Aporie, auf die Fink gestoßen war, in dem von uns aufgewiesenen Sinn erahnte, sehen wir in den zwei folgenden Texten, die wir einzeln für eine kurze Erläuterung präsentieren. Zuerst: »Der notwendige Durchgang durchs Wesen bedeutet nicht, daß es zum Gegenstande der Philosophie wird, sondern im Gegenteil, daß unsere Existenz so gänzlich benommen ist von der Welt, daß sie nicht im gleichen Moment, in dem sie der Welt sich zuwirft, sich selbst als solche zu kennen vermag, es vielmehr, um ihre Faktizität selbst zu erkennen und uns zuzueignen, des Feldes der Idealität bedarf.« (PW, 11f.). Dann: »Die Weltlichkeit der Welt*, was die Welt zur Welt macht, ist die Faktizität der Welt, wie auch die Faktizität des cogito nicht ihm als Mangel anhaftet, sondern gerade das ist, was meiner Existenz mich versichert.« (PW, 14). Diese Annäherung der Faktizität an das Eidetische ist allerdings noch instabil und zweideutig, da Merleau-Ponty dem zuletzt zitierten Text unmittelbar hinzufügt: »So ist die Eidetik Methode eines phänomenologischen Positivismus, der das Mögliche auf das Wirkliche gründet« (ebd.). Das ist
375 nun eine durch die Wörter »Positivismus« und »Reales« äußerst zweideutige Formulierung: es ist, als ob das Eidetische genau in dem Moment eine heuristische Rolle spielte – von jeder materiellen oder formalen Ontologie getrennt –, in dem diese Aufweisung von Möglichkeiten für das Denken diese letzteren auf einer »Realität« gründet, von der man sich fragt, ob sie aus der Realität der Dinge oder des jeweiligen Seienden besteht, oder ob sie letztlich von einer anderen Ordnung ist, nämlich der Existenz in ihrer Faktizität. Mit wieder anderen Worten, wenn man will: die Faktizität erscheint nicht völlig von dem Vorhandensein* des Sachverhaltes und der Tatsachen losgelöst und nicht klar im Heideggerschen Sinn als Faktizität der Existenz verstanden, als das immer schon Da eines Daseins*, das nach dem Entdecken seines Geworfenseins nun wahrhaft zu sein oder zu existieren hat, indem es auf die dunkle Entscheidung zurückgeht, die sein Sein und seine Welt ausmacht. Man muß auf Das Sichtbare und das Unsichtbare warten, bis der »phänomenologische Positivismus« in Frage gestellt und überwunden wird: jedenfalls öffnet sich ihm in dieser Spannung ein Spielraum, in dem sich während etwas mehr als zehn Jahren Merleau-Pontys Phänomenologie, sein phänomenologisches Denken meditierend bewegte. Dies macht jedenfalls eine der Kontinuitätslinien seines Werkes aus, was uns zu einer rückblickenden Lektüre von Das Sichtbare und das Unsichtbare an berechtigt. Die Lösung der architektonischen Aporie, auf die Fink gestoßen ist, findet sich zwar im ganzen Werk Das Sichtbare und das Unsichtbare, wird aber ausdrücklich in dem Kapitel mit dem Titel »Fragen und Anschauung« ausgeführt, in dem Merleau-Ponty tiefgründig die Frage des Eidetischen wieder aufgreift, nämlich des Gegensatztes zwischen Tatsache und Wesen. Diese Wiederaufnahme vollzieht sicht ausdrücklich gegen den Strich der – nicht zitierten – VI. Meditation da sie die Idee des »reinen Zuschauers«13 verwirft und über den Begriff des »Wahrnehmungsglaubens« die Husserlsche Urdoxa* rehabilitiert, dergemäß wir immer schon in der Welt sind, gewissermaßen Parteigänger der Welt, die als in der Welt Gefangene sich nur noch mittels der imaginaren Möglichkeit davon abspalten können. Das schließt, wie das ganze Werk zeigt, äußerst feine Differenzierungen des »Wahrnehmungsglaubens« ein, ob es sich nun etwa um die vorsprachliche Erfahrung (die nach dem Ausdruck Husserls in seinen Cartesianischen Meditationen »stumm« ist), um die Praxis der fungierenden Rede oder um die auf Idealitäten gerichtete Wissenschaft handelt. Das impliziert auf jeden Fall eine phantastische und wunderbare Inhoativität der Erfahrung des Inder-Welt-Seins, und das Genie Merleau-Pontys besteht gerade darin, in einem außergewöhnlich flüssigen Stil all die sie durchziehenden Unbestimmtheiten wiederherzustellen. Für uns kommt nämlich die Rehabilitierung der Urdoxa* der Rehabilitierung der grundsätzlichen phänomenologischen Unbestimmtheit gleich und sie ist auch die Entdeckung – im Geiste Husserls, aber zweifellos feiner als bei ihm –, daß die ganze Schwierigkeit der Phäomenologie darin besteht, sozusagen die Verkettungen von Unbestimmtheiten denken zu können, die immer nur teilweise bestimmt und ebenso veränderlich und dehnbar wie diese Bestimmungen sind – womit sich schon etwas von dem zeigt, was wir unter den Einwirkungen der in ihrer Phänomenologie fungierenden Sprache auf das Sprachsystem verstehen, etwas von der schon bei Fink notwendig gewordenen, aber dann doch verfehlten Flüssigkeit. Dieser »phänomenologische Sinn« hat Merleau-Ponty niemals gefehlt, in Das Sichtbare und das Unsichtbare erreicht er aber seine acmé. Dieser Abstand gegenüber der VI. Meditation ist allerdings nur scheinbar. Denn er erlaubt, in den »unbeteiligten phänomenologischen Betrachter« den »notwendigen« Unterschied einzuführen, der ihn gegen jedwede Ontifizierung und Logifizierung
376 14 wappnet, die den Sinn der »Theorie« umwandelt, die Heidegger nur durch seine mißbräuchliche – und eigentlich auch skandalöse – Interpretation Platons einseitig auf die ontische Sicht des Seienden reduziert hatte. Der Begriff des »unparteiischen«, »unbeteiligten« oder »interesselosen« »Zuschauers« ist nämlich zweideutig, und wir haben gesehen, wie auch Fink ihr zum Opfer fiel, als er die Ontifizierung des »Vor-Seins« für unvermeidlich hielt. Nun kann aber andererseits der »Betrachter« in einem anderen Sinn gedacht werden – übrigens wie bei Hegel in der Einleitung zur Phänomenologie – da er »phänomenologisiert«, Phänomenologie macht, »phänomenalisiert«, wie wir sagen würden. Allerdings nicht in der Weise, daß er schlechtweg ihr Akteur und Herr des »Prozesses« der Phänomenalisierung sein könnte, (wie etwa das Hegelsche philosophische Bewußtsein aufgefaßt werden kann), sondern daß er sich durch die Blick»wendung« der Epoché auf seinen »Ort« hin öffnen kann, als einem kritischen »Ort«, von dem allein aus die unendlichen Nuancen seines »Wahrnehmungsglaubens« sich differenzieren könnten. Was also Merleau-Ponty in Wirklichkeit verwirft, ist ein Betrachter, der in der Furcht, in der jeweiligen oder allgemeinen Angst, gar nichts mehr zu sehen, lieber das »Vor-Sein« ontifiziert, um nun in ihm etwas zu sehen, nämlich das Wesen als das, was den Sinn der Seienden, der Sachverhalte und der Tatsachen verdichtet, also identitär den Sinn der Sprachapperzeptionen kondensiert. Die transzendentale Erschleichung gestaltet sich aus architektonischer Sicht so, daß die von uns so genannte radikale Kontingenz der Phänomenalisierung, die ebenso gut als seine Faktizität bezeichnet werden könnte, durch einen Zuschauer umgewandelt wird, der vor der Angst, nichts Ontisches mehr zu sehen, zurückschreckt (negativer Moment des phänomenologisch Erhabenen), wobei er zwischen der Vorhandenheit* der Faktualität der Fakten und dem Vorhandensein* der Wesen, die deren Verkettungen artikulieren sollen, gespalten ist. Es handelt sich um eine sekundäre Spaltung, die nämlich der, wie Merleau-Ponty es nennt, »ontologischen Diplopie«15 angehört, wobei man jene übrigens nicht ganz so kurzschließen kann, daß sie dem ontisch-kategorialen Feld angehört und für sich selbst das ontologisch-existentiale Feld erarbeitet, jedenfalls nicht ohne dadurch auch die Diplopie dieser Teilung zwischen Fakten und Wesen hin zu einer Teilung zwischen existentialer Faktizität und kategorial-regionaler Faktualität zu verschieben. Nur in diesem Zusammenhang wäre Merleau-Pontys Lösung der Aporie zu verstehen. Er schreibt: »Die Wesensmöglichkeiten können zwar die Tatsachen einschließen und beherrschen, aber sie selbst entstammen [Hervorhebung M.R.] einer anderen grundlegenderen Möglichkeit: derjenigen, die meine Erfahrung bearbeitet und sie öffnet zur Welt und zum Sein und die diese gewiß nicht als Tatsachen vorfindet, sondern ihre Faktizität [geänderte Übersetzung J.T.] erst beseelt und organisiert. Wenn die Philosophie nicht länger Zweifel ist und sich in Enthüllung und Auslegung verwandelt, weil sie sich von den Tatsachen und vom Seienden losgelöst hat [Hervorhebung M.R.], so besteht das Feld, das sie eröffnet, zwar aus Bedeutungen oder Wesenheiten, aber diese sind nicht selbstgenügsam, sondern beziehen sich offen auf unsere Akte der Ideation und sind durch sie einem rohen Sein abgewonnen, in dem das, was unsere Wesenheiten und unsere Bedeutungen verbürgt [geänderte Übersetzung J.T.], im noch wilden Zustand wiederzufinden ist [Hervorhebung M.R.].« (VI, 148f). Für das Auftauchen der Wesensmöglichkeiten bietet sich also eine fundamentalere Möglichkeit an als die logisch-eidetische Möglichkeit der Ideation und der Variationen, die auf der Tatsache gegründet sind – fast identische Ausdrücke wie die Finks. Es handelt sich dabei um die Möglichkeiten, welche meine Erfahrung zur Welt und zum Sein öffnen: sie sind also im Heideggerschen Sinn ontologisch-existential und
377 ermöglichen, daß ich die Welt im transitiven Sinn in der Welt existiere. Demnach sind die eidetischen Möglichkeiten nicht in der Vorhandenheit* vor unseren Augen da, sie gehören nicht dem Spiel der Variationen über Faktuelles an und sie heben sich nicht selbst als positive und in der Wesensschau* gegenwärtige Invarianten hervor, sondern sie erscheinen selbst als faktizielle Möglichkeiten des Existierens, die durch die Möglichkeit eingerichtet werden, welche meine Erfahrung zur Welt und zum Sein öffnet. Sobald die Philosophie das Zweifeln einstellt, um den Grund dessen zu finden, was von so unerschütterlichen Positivität ist, daß das Beenden des Zweifels veranlaßt wird, wenn sie also dadurch, daß »sie sich von den Tatsachen und vom Seienden losgelöst hat«, d.h. von der ontischen Stufe der Sprachapperzeptionen, die phänomenologische Epoché praktziert, die eigentlich hyperbolisch ist, weil sie eher die Gefangenheit der Urdoxa* im apperzeptiv Seienden suspendiert als die Urdoxa* selbst, dann entdeckt sie zwar noch »Wesenheiten« und »Bedeutungen« und die entsprechenden »Akte der Ideation«, aber all dies »verstellt nicht die Sicht«, »füllt nicht die Horizonte aus« und ist »nicht selbstgenügsam«, sie erweisen sich als Schieflage zum sich Entdeckenden, insofern sie sich durch die Ideation einem rohen Sein »abgewonnen« oder abstrahiert zeigen, das ihnen vorausliegt und nicht mit ihnen übereinstimmt. Dies ist in unserer Ausdrucksweise die Sphäre des »Seins«, die sich in ihrer hyper-schnellen und hyper-langsamen Inchoativität mit der phänomenologischen Masse der phänomenologischen Sprache einstellt: für diese Wesenheiten oder Bedeutungen existieren aber keine »Entsprechungen«, sondern nur das auf den wilden Zustand Antwortende, und dieses letztere gilt es wiederzufinden. Dieses »Antwortende«, das also nicht dem gleichen Register wie unsere Wesenheiten oder Bedeutungen angehört, kann nur aus vielfältigen blitzhaften Apperzeptionen bestehen, welche die Welt als blitzhafte Apperzeptionen der fungierenden Sprache kolonisieren: Sinnfetzen und Sinnansätze, Proto-Protentionen und Proto-Retentionen, die sich schon zu Welt räumlichen, weltliche wilde Wesen, die schon von Proto-Protentionen und Proto-Retentionen aufgefächert sind, und erratische wilde Wesen, die über die Welt hinwegstreichen, von der sie sich dadurch loslösen, daß sie mit Unerinnerbarkeit und Ungereiftheit aufgeladen sind, also mit ihren transzendentalen Reminiszenzen und Vorahnungen von anderen Welten, die auf immer verborgen und für immer entzogen sind. All dies, was wir herausgearbeitet haben, bleibt bei Merleau-Ponty noch undeutlich vermengt, obwohl er davon ein äußerst waches Vorgefühl hatte. Es fehlte zweifellos noch am Übergang der faktiziellen Möglichkeiten des Existierens zur Transpassibilität, deren Bedeutung erst durch Maldiney offenkundig gemacht wurde. Im Geist der Umgestaltung, die wir in und durch die von uns so bezeichnete Phänomenologie der fungierenden Sprache an der Husserlschen Phänomenologie vollziehen – aber auch, wie man sieht, an der Phänomenologie überhaupt –, ist nun doch die archtitektonische Verwandlung zu erkennen, die für die Phänomenologie zuerst notwendig ist, wenn sie verhindern will, daß sie wieder in die identitäre Implosion des Sprachsystems im Logisch-Eidetischen hineingezogen wird. In dieser Hinsicht würde ein vertieftes Studium des Kapitels, des ganzen Werkes und insbesondere der von Claude Lefort herausgegebenen »Arbeitsnotizen« zeigen,16 daß der Registerwechsel, der aus dem ontischen, apperzeptiven, Feld herauszuführen erlaubt, durchaus bemerkenswert von Merleau-Ponty auf kohärent architektonische Weise respektiert wird, da seine »wilden« Wesen* nicht dem Seienden angehören, nicht am Vorhandensein* und noch weniger, wegen ihrer Wildheit, am Zuhandensein* teilhaben, und dennoch nicht nichts sind. An der Grenze zwischen Anwesenheit und Abwesen-
378 heit sind sie nämlich auf vielfältige und außergewöhnlich komplexe Weise – nach der unendlichen Komplexität, welche jede Phänomenologie der fungierenden Sprache ins Spiel bringt – die Bindung an die fungierende Sprache, »die eine Erfahrung auf verborgene Weise mit all ihren Varianten verbindet« (SuS, 155). Wenn es also eine transzendentale Eidetik in dem von Fink gemeinten Sinn gibt, dann eher in der Bewegung seiner Konstitution als Phäomenologie der fungierenden Sprache, die durch Transpassibilität drei »Arten« von passiven Synthesen und zwei Dimensionen von wilden Wesen* aneinandergliedert, nämlich die sprachlichen und die außersprachlichen wilden Wesen*, wobei eine Entsprechung zu den beiden Dimensionen des Schematismus der Phänomenalisierung vorliegt, nämlich der sozusagen blinde Schematismus und der sich (in der Sprache) reflektierende Schematismus als ein solcher, der sich selbst in dem ursprünglichen Abstand schematisiert, den der Schematismus zu sich selbst hat. Das heißt, daß die Sprache in ihrer Phänomenalisierung begriffslose (bedeutungslose) schematische Reflexion ist, noch oberhalb der Begriffe und der Ideen, oberhalb der faktiziellen (ontischen) Möglichkeiten des Existierens. Im Akt der Ideation kann nun gar nichts der phänomenologischen Sprache auf abstraktive Weise vom Logisch-eidetischen her reflektiert werden, alles aber muß auf andere Weise reflektiert werden, ohne vorgängigen Begriff, d.h. auf die Weise, die Kant in der dritten Kritik »ästhetisch« nannte, denn darin müssen immer der hinsichtlich seiner selbst sich bildende Sinn oder die sich bildenden Sinnregungen aufgespürt werden, und zwar in der Jeweiligkeit* einer Jeseinigkeit*, die selbst gegenüber anderen Jeseinigkeiten* transpassibel ist. Das stellt uns vor eine ganz andere Konzeption des »interesselosen Zuschauers«, die sich der von Kant gedachten »ästhetischen Betrachtung« nahe weiß. Allein diese Reflexion kann eigentlich als phänomenologisch bezeichnet werden. Das will nicht heißen, daß die Phänomenlogie sich in Ästhetik verwandeln muß – diese ist allerdings in der strengen Kantschen Architektonik der einzige geeignete Ort für die Phänomenologie – sondern im Gegenteil, daß die Ästhetik, die schon in ihrem Kantschen Sinn phänomenologisch ist, sich zur Phänomenologie insofern verallgemeinern muß, als das Phänomen nur als Phänomen seine phänomenologische Reflexion ohne vorgängigen Begriff verlangt. Nur dies kann das phänomenologische Denken vor der transzendentalen Illusion eines zugleich anschaulichen als auch archetypischen Verstandes bewahren, denn nunmehr können sich die Phänomene weder identifizieren noch abstrahieren oder sich auf die gegenwärtige Gegebenheit des Manifesten reduzieren, sondern nur als Phänomene »verflüssigen sie sich« in den immer rätselhaften Verbindungen zwischen unseren Wesenheiten und unseren Begriffen und den vielfältigen Ahnungen der Sprache, die man nicht als Phänomene, sondern als phänomenologische Konkretheiten denken muß. Demnach erlaubt gerade die begriffslose phänomenologische Reflexion der Phänomene der Sprache über den Hiatus hinweg, den sie zwischen dieser Reflexion und der abstrahierenden Reflexion – oder reflektierenden Abstraktion – öffnet, den ganzen Abstand zu ermessen, der die von Fink so genannte »Logifizierung« und »Ontifizierung« ausmacht, und zwar ohne daß die Phänomenalität der Phänomene der Sprache auch nur irgendeiner Selbst-Gegebenheit angehörte – das zu glauben hieße – um es nochmals zu sagen – der transzendentalen Illusion zu verfallen. Wenn wir aber in Entsprechung zu den fundamentalsten Forderungen der Kantschen Architektonik daran festhalten, daß dieser Hiatus oder dieser Abstand eigentlich unüberwindbar ist – es sei denn mit einem »dogmatischen« Sprung, d.h. wenn man will: »metaphysisch« –, wenn wir also die blitzhaften Apperzeptionen so konzipieren, daß sie aus der Phänomenologie der Sprache entstammen und die Bedeutungen
379 und Begriffe aus einer sich selbst abschaffen wollende Bewegung der symbolischen Stiftung des Sprachsystems hervorgehen, was ihr den transzendentalen Schein vermittelt, außersprachlich zu sein, da sie außerhalb von Zeit und Raum ist, wenn wir damit anerkennen, daß es von dem einen zum anderen keine mögliche »Ableitung« und noch weniger eine »Deduktion« gibt, dann wäre als fundamentalste architektonische Trennlinie der Phänomenologie die zwischen dem wilden phänomenologischen Feld und dem symbolisch gestifteten Feld zu ziehen, zwischen der fungierenden Sprache in ihren Phänomenen und dem Sprachsystem in seinen Aussagen und seinem Ausgesagten. Aber dies ist, obwohl schon hier und da von Merleau-Ponty angedeutet, schon jenseits dessen, was was ihm die Zeit zur Ausarbeitung gewährte. c) Die Architektonik der Phänomenologie Husserls nach Fink (VI. Cartesianische Meditation) und die Frage nach dem »Organ« der Phänomenalisierung Wie der Titel ankündigt, wurde die VI. Cartesianische Meditation von Fink so konzipiert, daß sie auf die fünf von Husserl geschriebenen Meditationen folgen sollte, an deren Neubearbeitung er aktiven Anteil nahm. Es handelt sich dabei im Zusammenhang mit einer systematischen Ausformung der Husserlschen Phänomenologie – einer systematischen Form ihrer Probleme und Fragen – um eine architektonische Reflexion, die sich dem Geist Kants gemäß als »transzendentale Methodenlehre« begriff. Wir werden hier nicht auf die enormen Schwierigkeiten zurückkommen, die, wie wir gesehen haben, dieser schwierige Text der Phänomenologie aufwirft, sondern uns darauf beschränken, sein Wesentliches aufzugreifen,17 um genauer die Umgestaltung situieren zu können, die wir von der Phänomenologie Husserls vorschlagen. Im ersten Absatz der VI. Meditation setzt sich Fink gegenüber der von Husserl entfalteten Phänomenologie ab, indem er ausdrücklich vorschlägt, gleichsam über ihr »Organ« , nämlich die Epoché und die phänomenologische Reduktion nachzudenken. Sollten diese einen »transzendentalen, uninteressierten und phänomenologisierenden Betrachter« »des konstituierenden transzendentalen Lebens der Welt« freisetzen, dann implizieren sie damit schon eine wichtige Unterscheidung zwischen dem phänomenologisierenden Selbst und dem konstituierenden Selbst: wenn in der transzendentalen Konstitution, die immer »Konstitution von Seiendem« (VICM, 23) ist, d.h. in unseren Begriffen Konstitution von Sprachapperzeptionen, die vorzeitig durch die identitäre Implosion der Zeichen identifiziert werden, dann ist das konstituierende Selbst Teilnehmer an dieser Konstitution; mit dem phänomenologisierenden Selbst kann es sich aber so nicht verhalten, weil dieses als solches nicht konstituierend ist – jedenfalls nicht im gleichen Sinn. Nach unseren Begriffen ist es nicht in die identitäre Implosion der Zeichen mit-inbegriffen und öffnet sich somit auf das »transzendentale Leben« als genau das, was als vorausgehendes phänomenologisches Feld den instabilen, beweglichen und in unaufhörlichem Werden begriffenen »Boden« ausmacht, auf dem sich die Sprachapperzeptionen »vorwegnehmen«; ein Boden, der für uns eher das phänomenologische Apeiron der blitzhaften Apperzeptionen der fungierenden Sprache ist und von all dem, was diese an phänomenologischen Konkretheiten transportieren – worin eben, obwohl der Terminus eigentlich nie von Fink gerechtfertigt wurde, das Selbst, in dem dies »statt«findet, »phänomenologisierend« ist und die Operation der phänomeologischen Reduktion zu einer »phänomenologisierenden« wird. Infrage steht, wie wir gesehen haben, ob dieses »Phänomenologisierende-Tun«, das auf die Selbst-Transparenz in seiner Reflexion abzielt – eine lange Reflexion, zu de-
380 ren Entfaltung gewissermaßen die VI. Meditation gehört – dies auch erreichen kann oder nicht. Denn sie kann es nur, wie wir gerade gezeigt haben, in der transzendentalen Illusion einer phänomenologisierenden Produktion erreichen, die sich selbst sozusagen auf archetypische Weise besitzt, – es ist die transzendentale Illusion der Übereinstimmung unseres »diskursiven Verstandes« mit einem »archetypischen Verstand« – womit nun das phänomenologisierende Selbst bestenfalls eine Gestalt des architektonischen Ideals der Phänomenologie wird, ein symbolischer Ent-wurf des Selbst in einer Meta-Sprache. Diese quasi-hegelianische Wendung durchquert zwar ab und zu die VI. Meditation, aber sie ist für uns ohne jegliches Interesse, da sie stark auf eine metaphysische (onto-theologische) Substruktion der Architektonik zurückführt. Wir werden uns also dafür stark machen, auf der Undurchsichtigkeit zu bestehen, die dem »Phänomenologisierenden-Tun« eigen ist, d.h. auf ihrer unreduzierbare Dunkelheit und ihrer unreduzierbaren Anonymität, für uns eben jener phänomenologischen Anonymität, welche die Phänomene in ihrer Phänomenalität hält und die das phänomenologische »Selbst« aus der Verschlossenheit in einer Subjektivität herauslöst – die im Verhältnis zur konstituierenden transzendentalen Subjekivität zweiten Grades wäre und deshalb sich in eine ins Unendliche gehene Regression der Reflexion begeben würde. Wir werden noch genauer auf diese grundsätzlichen Probleme zurückkommen. Wie dem auch sei, bemerkenswerterweise erlaubt diese Distanzierung zwischen »Phänomenologisierung« und »Konstitution« Fink, eine erstaunliche Parallele zwischen der Systematik der Probleme und Fragen der Phänomenologie und den hauptsächlichen Unterscheidungen der Kritik der reinen Vernunft vorzuschlagen. Die von Husserl eingeführte Phänomenologie wird nämlich als eine Elementarlehre gefaßt, d.h. eine »transzendentale Elementarlehre«, in die transzendentale »Ästhetik«, »Analytik« und »Dialektik« geteilt ist. Die erste besteht in einer »Auslegung der cogitata als cogitata und ihrer Universalstrukturen«, also des cogitatum als dem, was »als identische Einheit gegeben ist« (VICM, 11-12). Es handelt sich also um die Analyse der noematischen Kerne, die als Leitfäden für intentionale Analysen, also von noetisch-noematischen Korrelationen, dienen sollen: für uns handelt es sich klarerweise um die Analyse von Sprachapperzeptionen in ihrer logisch-eidetischen Identität, insofern sie notwendige Punkte sind, um Eingang zur phänomenologischen Analyse (im Husserlschen Sinn) der Weltphänomene zu finden. Dadurch wird, anders gesagt, das Feld des jeweils Seienden bereitgestellt, das sowohl in seinen regionalen wie in seinen kategorialen Gliederungen (»material« eidetisch und »formal« eidetisch) sich als ein ausgebreites Feld oder eine Ebene gibt, auf der das Sein ein Gegenwärtigsein (Vorhandensein*) ist. Auf den ersten Blick erscheint merkwürdig, daß Fink dies als »Asthetik« bezeichnet, denn einerseits ist dabei wenig von aisthesis die Rede, und andererseits hat das Vorhandensein der Sprachapperzeptionen die Bedingungen ihrer Zeitigung/Räumlichung in der fungierenden Sprache identitär implodieren lassen. Aber einerseits zeichnen sich die Sprachapperzeptionen gerade dadurch aus, daß sie sich zunächst und zumeist »unmittelbar« als Apperzeptionen von »weltlich« Seiendem geben, daß sie unmittelbar wiedererkennbar sind, und andererseits impliziert ihr Gegenwärtigsein, das auf die Gegenwart des Sprachsystems antwortet, eine einförmige und undifferenzierte Zeitlichkeit und eine Räumlichkeit, die sich auf einen homogenen und isotropen Raum reduziert, der zwar vielleicht nicht unendlich, aber zumindest unbegrenzt ist. Da das phänomenologische Feld, so wie es sich auf den ersten Blick in der transzendentalen Ästhetik darstellt, nicht vorher durch die Frage nach der a priori Möglich-
381 keit seiner theoretischen Erkenntnis Konturen gewonnen hat, ist es nun, in kantschen Begriffen, ein Feld sowohl der Ästhetik als auch der allgemeinen analytischen Logik, in der die Apperzeptionen der fungierenden Sprache von ihren Zeitigungen/Räumlichungen, in denen sich die Referenzen verweben und vermischen, so losgelöst sind, daß diese letzteren in ihren Vermengungen als jeweils eindeutige Referenzen zum Seienden erscheinen, das außerhalb des Sprachsystems zu sein scheint und allenfalls mit der logisch-eidetischen »Meta-Sprache« zusammenfällt. Daß das Feld der »Ästhetik« immer schon durch die Identitäten der in Wirklichkeit symbolischen Erkenntnis strukturiert sein soll, ist eben gerade ein Zeichen dafür, daß diese »Ästhetik« »transzendental« ist und ebensosehr auf dem Vorwege hinsichtlich einer transzendentale »Analytik« ausgeformt wurde. Diese teilt sich ihrerseits in zwei die regressive Phänomenologie konstituierende Momente: die statische und die genetische Analytik. Die erstere besteht darin, zu den »Akten« als »Lebenseinheiten der transzendentalen Welterfahrung« (VICM, 12) zurückzukehren: es handelt sich um die intentionale Analyse als statische Analyse der intentionalen Korrelation (noetisch-noematisch), bei der sich schon in der Intentionalität der Überschuß des intentionalen Sinns im Sinn selbst enthüllt. Diese Analyse ist schon »Konstitutions«-Analyse als konstitutive Analyse, allerdings nicht der Identität des Sinns (Bedeutung, Begriff), der im Seinden als Eidos des Seienden verdichtet ist (eidetischer Sachverhalt) – Sein des Seienden – sondern des Sinns der auf diese Weise identitär verdichteten Identität. Da diese Identität nichts anderes als eine Identität von Sprachapperzeptionen ist, welche die Bewegung ihrer symbolischen Stiftung verdichten, erscheint sie aus phänomenologischer Sicht kontingent, kann aber in ihrer Identität durch einen zumindest vermutlichen Begriff subsumiert werden, der vermeintlich von sich aus den Sinn der Identität in einer noch »logischen« Teleologie regelt. Anders gesagt ist die statische Analytik schon in diesem Sinn konstitutiv, daß sie, nachdem sie die Sinnidentität in der »transzendentalen Ästhetik« »gefunden« hat, sozusagen deren Legitimität befragt, indem sie nach dem Sinn dieser Sinnidentität, bzw. dieser Apperzeption des Sprachsystems fragt. An diesem Vorgehen ist besonders subtil, daß der teleologische Begriff des zu analysierenden Dinges (des Seienden) sich bereits von seinem logisch-eidetischen Begriff distanziert hat, daß er sich schon den konkreten Bedingungen der Erscheinung des Seienden annähert – oder zu nähern glaubt –, und sich von der Idealitität des Eidos abzuheben glaubt, die nur sozusagen da ist, um zu wissen, wovon man spricht und eine Analyse durchführt. Deshalb kann diese Art von Analyse strenggenommen nur vollzogen werden, wenn man sie der phänomenologischen Epoché und Reduktion aussetzt: Das Seiende ist dabei nicht mehr streng als Seiendes genommen, das anscheinend von dem Sprachsystem (und der fungierenden Sprache) abgehoben ist, wohl aber als Apperzeption (des Sprachsystems) in einem Sinnzusammenhang , der nur der des Sprachsystems sein kann, der zumindest teilweise schon der identitären Implosion dieser Zeichen freigegeben ist – teilweise insofern, als der Begriff von einem zum anderen Ende bleibt, aber um, mit Kant gesprochen, vom Status des »Bestimmenden« zum Status des »Reflektierenden«, vom Status der ontologisch-eidetischen Notwendigkeit zu der in der konkreten Erfahrung begegneten Kontingenz überzugehen. In der Bewegung der statischen Analyse befragt sich also sozusagen in einem Anhalten ihrer selbst die symbolische Stiftung vermittels eines Selbst, das sie vermeintlich unter-hält, über den Sinn ihrer Bestimmungen, die ihr deshalb als kontingent erscheinen. Die Epoché ist so gesehen die Entdeckung der Kontingenz und daß die symbolischen Bestimmungen nicht völlig blind sind, da sie immer in einer Bewegung der
382 sich bildenden symbolischen Stiftung begriffen sind, wobei der Identitätssinn im Herzen der Identität des Sinns fraglich wird. Zwar werden dadurch die Sinnregungen der phänomenologischen fungierenden Sprache durch die quasi-identitäre Stiftung des Sprachsystems auf kohärente Weise verformt, wobei diese Verformung die Polarisierung der Sinnregungen als teleologische Sinnregungen von Identitäten ist, die noch in die Ein-förmigkeit einer abstrakten, durch die »lebendige Gegenwart« strukturierten Zeit eingeschrieben sind – und in der isotropen Homogenität eines Raumes, der als eine augenblickliche Simultaneität von Punkten gefaßt ist -; aber zumindest kommen diese Sinnregungen an die Oberfläche der Problematik, und zwar mit ihrer eigentümlichen Charakteristik, immer »vermutlich« zu sein, als Schieflage oder als Überschuß gegenüber sich selbst, weshalb sie eben als »konstituierend« erscheinen. D.h. als solche, welche die Geheimnisse dessen enthalten, was aktiv aber endlos den Seinssinn des Seienden konstituiert – man sieht nebenbei, was diesbezüglich Heidegger alles gegenüber Husserl schuldet. Und zwar weil – anders gesagt – das Denken sich von seiner blind bestimmenden Implosion in die Identität des Seienden (Eidos, eidetischer Sachverhalt) distanziert hat, weil es nicht mehr dem Sein des Seienden »anhängt«, indem es sich darin vermengt, und weil dieses durch die Entdeckung der Kontingenz distanzierte Sein selbst – in den Begriffen Husserls – »Phänomen« wird, für uns also symbolischer Horzont des Sinns des Identitätssinns, und Horizont der Konstitution dieser letzteren als apperzeptivem Seienden. Es gibt allerdings in dieser Art von Analyse einen Moment, in dem sie etwas anderem begegnet, das zu ihrer Grenze wird: es handelt sich um den Moment, der die Weiterverfolgung der regressiven Phänomenologie in der genetischen Analytik motiviert, jener »abbauenden«, in die »konstituierenden Tiefenschichten des transzendentalen Lebens« (VICM, 12) eindringenden Analyse der Sedimente von Akten, – mutatis mutandis ist das in etwa das Äquivalent der »transzendentalen Deduktion« der Kategorien bei Kant. Wenn sie auch auf kohärente Weise von Teleologien verformt werden, die von (vermutlichen) reflektierenden Begriffen von Sinnidentitäten polarisiert werden, so sind die Sinnregungen der Identität, wie gesehen, immer noch Sinnregungen, allerdings solche, die durch die Identität »verstümmelt« wurden und in dem Paradox gefangen sind, den Sinn von etwas zu sagen, das als Apperzeption des Sprachsystems zwar unmittelbar wiedererkennbar ist, aber in dieser Erkenntnis selbst undurchsichtig oder kontingent bleibt. Anders gesagt gibt es im Überschuß des Sinns über den Sinn, der in jeder Intentionalität im Spiel ist, solchen Sinn, der nicht streng der Identität angehört und der ein Feld von pluralen Sinnregungen anregt, von anderen Sinnregungen, die in der Konstitution auch möglich sind und den Zusammenhalt der Welt ausmachen. Indem es jenseits des identitären Sinns seiner Aperzeptionen sich wieder auf die Bewegung seiner sich bildenden symbolischen Stiftung öffnet, entdeckt das immer durch sein Subjekt als formalem und leerem Selbst getragene Sprachsystem, daß seine Apperzeptionen in Horizonte von vielfältigen blitzhaften Apperzeptionen eingeschrieben sind, von denen die Apperzeptionen Verdichtungen oder »Sedimentierungen« sind. Anders gesagt, das Sprachsystem (des analysierenden Subjekts) öffnet sich auf seine aufblitzenden Tiefen, die in ihrer Inchoativität schon phänomenologische Tiefen der fungierenden Sprache sind. Wenn man hinzunimmt, daß Fink vorschlägt, die »egologische Reduktion« gleich auf die »intersubjektive Reduktion« auszudehnen, ist erkennbar, daß es sich wohl schon um Apperzeptionen und blitzhafte Apperzeptionen handelt, die durch die phänomenologische fungierende Sprache ins Sprachsystem eingebracht wurden, d.h. durch eine ursprüngliche Vielfalt an sprachlichen Phänomenen – von sich bildendem Sinn –, de-
383 ren Begegnungen, durch ihre vielfältigen Dephasierungen hindurch, sich nur durch Transpassibilität vollziehen können. Die genetische Analytik öffnet sich also in Wirklichkeit auf das eigentlich ungeheure phänomenologische Apeiron, aber während sie bei Husserl nur noch im Hinblick auf die teleologische Explikation der Sinnregungen von Identitäten gefaßt ist, ist sie hier zudem auf kohärente Weise durch das verformt, was dann eine sehr komplexe Gliederung von jeweils durch Sprachapperzeptionen polarisierten Teleologien sein wird – wobei sich die interfaktizielle Transpassibilität nur implizit durch die Überkreuzungen oder Überschreitungen von einer Teleolgie zur anderen abspielt. Bei Husserl bleiben die »konstituierenden Tiefenschichten des transzendentalen Lebens« immer einerseits durch vielfältige (und unzählige) Verdichtungen oder Sedimentierungen von kaum umrissenen Sinnidentitäten konstituiert – oder auch, wie wir sagen würden: von Ansätzen von Sinnidentitäten –, die vermeintlich auch als entsprechender habitus in der phänomenologischen Kontinuität der dem »transzendentalen Leben« immanenten Zeitlichkeit bewahrt werden. Andererseits konstituieren sie sich in eben dieser Kontinuität durch die vielfältigen (und zahllosen) Wiederaufnahmen seiner Sinnregungen von Identitäten in Teleologien, die ihrerseits mit ihren vielfältigen Verflechtungen in ihren jeweiligen Verläufen ihre Ansätze wieder verlieren, was unendlich so weiter läuft. Es ergibt sich daraus zwar, und das gehört zweifellos zum Innovativsten und Fruchtbarsten der Phänomenologie Husserls, daß »die Welt« als solche niemals eigentlich konstituiert und daß die Idee der Vollendung ihrer Konstitution in einer bestimmten Totalität eine phänomenologische transzendentale Illusion ist, aber das hindert nicht, daß die Konstitution dabei immer im Blick bleibt, aber nicht in Bezug auf die Sinnregungen in den begriffslosen Teleologien, sondern hinsichtlich der Sinnidentitäten. Die Konstitution der Welt, auch wenn sie genetisch ist, ist bei Husserl letztlich immer der Gegenstand einer universalen Teleologie gewesen. Er ist so gesehen in der Architektonik des Sprachsystems, in seinen drei symbolischen Horizonten Selbst, symbolischem Stifter und Welt gefangen geblieben. Deshalb hat er immer die vielfältigen Dephasierungen der sprachlichen Phasen in einer »phänomenologischen Monadologie« zu reduzieren versucht. Es handelt sich dabei eher um eine Substruktion durch das philosophische Sprachsystem als durch die sogenannte »Metaphysik«, die eher als symbolische Stiftung eines bestimmten Sprachsystems aufzufassen wäre. Und wir werden sehen, daß Fink bemerkenswerterweise die teleologische Ausrichtung jeder konstitutiven Problematik unterstrichen hat. Genau aus diesem klar umrissenen Zusammenhang heraus muß man unserer Meinung nach auch verstehen, daß für Fink das phänomenologisierende Selbst nicht das konstituierende Selbst ist: bei Fink müssen die phänomenologische Epoché und Reduktion auf die Sinnregungen zurückführen und nicht auf die Sinnregungen von Identitäten, und zweifellos deswegen ist er auf die Aporie einer »transzendentalen Sprache« gestoßen. Man versteht umgekehrt, daß aus der auch von uns eingenommenen architektonischen Sicht die Husserlsche »transzendentale Analytik« gerade an dem scheitert, was ihr Moment der »transzendentalen Deduktion« hätte sein sollen: diese könnte tatsächlich nur Restitution sein, die durch die phänomenologische Sprache – die Masse seiner vielfältig durch die interfaktizielle Transpassibilität dephasierten Phasen – vollzogen würde hin zu einem fließenden Sprachsystem als einer Praxis von Redeweisen (und Schreibweisen) und der immer schon und auch weiterhin überkreuzten und verwobenen Vielfältigkeit ihrer Referenzen, durch die entsprechende Vielfältigkeit ihrer blitzhaften Apperzeptionen hindurch. Genau darin erkennen wir das, was wir im Grundsatz durch die Phänomenologie der fungierenden Sprache in
384 Angriff genommen haben. Und wir werden sehen, daß daraus ein ganz anderer Status als bei Fink für das herauskommt, was er aus der Husserlschen Phänomenologie als »transzendentale Dialektik« herausentwickelt. Man könnte in erster Annäherung sagen, daß diese »Dialektik« dann abstrakt wird, wenn ihr der »Moment« der »Deduktion« fehlt – die, erinnern wir daran, in einem quasi juridischen Sinn aufzufassen ist. Für Fink stimmt nämlich (VICM, 12) die »transzendentale Dialektik« mit dem überein, was Husserl »konstruktive Phänomenologie« genannt hat und die über die Grenzfragen des Anfangs (die Geburt) und des Endes (den Tod) der (egologischen und intersubjektiven) Konstitution der Welt Fragen stellt. Sie ist, wie wir sagen würden, insofern konstruktiv, als sie in diesem Fragenfeld über gar keine Apperzeption des Sprachsystems und über gar keinen identitären Sinn verfügt. Unsere Geburt oder unseren Tod werden wir niemals apperzipieren oder erkennen, und zwar weil das Sprachsystem, das als symbolische Stiftung weder Ursprung noch Tod kennt, für den Ursprung und für den Tod als solchen überhaupt keine Apperzeptionen bereitstellt – und obschon es empirische Apperzeptionen davon gibt, so entsprechen diese doch überhaupt keiner intrinsischen Apperzeption der Geburt und des Todes. Im Verhältnis zum von der phänomenologischen Erfahrung bestimmten Feld und im Verhältnis zum gegenwärtigen Feld der gegenwärtigen Apperzeptionen und der möglicherweise gegenwärtigen blitzhaften Sprachapperzeptionen definiert sich also das Feld der konstruktiven Phänomenologie als ein Feld des darüber Hinausgehenden. Dort vollzieht sich auch die kohärente Verformung des zweiten durch das erste, und weil, wie bei Kant, das erste das Feld der möglichen Erfahrung bestimmt, scheint das zweite von einer transzendentalen »Dialektik« herzurühren. Es wird verständlich, daß in diesem Kontext die phänomenologische transzendentale Illusion sich den Anschein gibt, Geburt und Tod – und a fortiori das Pränatale und Postmortale – was wir die transzendentale Vergangenheit und Zukunft nennen – könnten Gegenstand der Apperzeptionen sein. Die Konsequenz der transzendentalen Kritik dieser Illusion bringt sehr viel, da mit ihr ein weiteres phänomenologisches Feld in den Blick kommt als die Sphäre der Sprachapperzeptionen. In ihm zählt, um mit MerleauPonty zu sprechen, die Abwesenheit zur Anwesenheit. Da aber andererseits die phänomenologische Analyse der Apperzeptionen und der »Systeme« von Apperzeptionen immer in Wörtern von Apperzeptionen geleistet wird, wird die »Konstruktion«, die in der konstruktiven Phänomenologie unternommen werden muß, immer mehr oder weniger als »spekulative« erzeugt und die phänomenologische Kritik der transzendentalen Illusion führt damit zur Modifikation dessen, was dabei durch ein »als ob« erscheint. In unseren Begriffen, werden hier Geburt und Tod als ontologische Simulacren zum Erscheinen gebracht, und zwar um so mehr, als die Konstruktion sich selbst nur in dem Rahmen der Verschlossenheit in der Subjektivität erarbeiten kann – ob diese nun egologisch oder intersubjektiv ist. Denn die Analyse hat niemals den Ort der transzendentalen Subjektivität verlassen, welche vermeintlich das phänomenologische Feld zusammenhält. Anders gesagt, wenn die regressiven Analysen der Konstitution, um sich auf die un-endlichen Tiefen der Sprache zu öffnen, nicht von einer Phänomenologie der fungierenden Sprache zu einer »transzendentalen Deduktion« des Sprachsystems weitergetrieben werden, die diese von der Verwirrung ihrer Referenzen in der Indifferenz der logischen Referenz, die vermeintlich eindeutig ist (die Hinweisung*), befreit, dann fehlt der transzendentalen Dialektik sozusagen der Leitfaden und sie findet sich unmittelbar in den symbolischen Horizonten der »Totalitäten des Lebens« aufgelöst. Weder das Selbst, noch der symboli-
385 sche Stifter, auch nicht die Welt als phänomenologischer Horizont des Äußeren im Verhältnis zur fungierenden Sprache werden darin dem Sieb ihrer konkreten phänomenologisch-transzendentalen Kritik ausgesetzt. Klassisch ausgedrückt, neigen sie immer dazu, auf Seiendes zurückgeführt zu werden, sei es auch als transzendentale Illusion des Seienden. Schwerwiegender ist noch, daß sie auf das Vorhandensein* zurückgeführt zu werden tendieren, und zwar insofern letztlich die identitäre Implosion der Zeichen des Sprachsystems in Identitäten von Sinn dazu tendiert, aus diesen jeweils ein Vorhandensein* zu machen, wobei in der Bewegung der in der Identität der Apperzeptionen sich bildenden symbolischen Stiftung des Sprachsystems sich auch die »metaphysischen« Substruktionen konstituieren, und zwar nicht nur des klassischen Denkens, sondern auch der Phänomenologie. In diesem Zusammenhang war es durchaus schon eine Revolution, als Heidegger in Sein und Zeit* das Zuhandensein* entdeckte und vom Vorhandensein* unterschied: die für uns äußerst bedeutsame Entdeckung, daß sich selbst die vielfältigen Gebrauchsweisen der Dinge, der pragmata, in einem Netz hielten, das zwar auch symbolisch gestiftet, aber anders strukturiert war als das durch tendenzielle identitäre Implosion seiner Zeichen gestiftete Spachsystem – wobei die trotz allem noch bestehende metaphysische Substruktion in Sein und Zeit* glauben machte, die Vorhandenheit* lasse sich von der Zuhandenheit* ableiten: das öffnete zwar das »logisch-eidetische« Sprachsystem auf ungeahnte Tiefen der Sprache hin, verschloß diese aber gleich wieder, indem sie auf das symbolische Feld der gestifteten Praktiken übertragen wurden, wobei Heidegger für den weiteren Gang diesen Bruch in der existentialen Analyse brauchte, der zum neuen Ausgangspunkt für das Sein-zum-Tode wurde. Gewonnen haben wir nun für unsere Architektonik der Beziehungen zwischen fungierender Sprache und Sprachsystem, daß jede symbolische Stiftung einschließlich der nicht eo ipso sprachlichen Gebrauchsweisen sich durch ihre eigenen Mittel über einen unüberwindbaren Hiatus hinweg aus den phänomenologischen Tiefen der sprachlichen Phasen, die durch Transpassibilität vielfältig und wechselseitig dephasiert sind, erhebt. Das bedeutet, daß wir im Gegensatz zu dem, was anscheinend Fink sein ganzes Leben lang gedacht hat, der von Heidegger inspirierten Phänomenologie nicht zutrauen, die Leitlinien zu finden, die wir für eine transzendentale Dialektik suchen – die ja auch im Heideggerschen Denken nicht zu finden ist, der es zweifellos ebenso an Architektonik mangelt wie auch auf ihrer Art der Husserlschen Phänomenologie, wie wir gezeigt haben. Wo wäre also für uns der Ort einer transzendentalen Dialektik? Erinnern wir zunächst daran, daß sich für uns die Frage der Geburt und des Todes am Ort des phänomenologischen Erhabenen stellen, dort, wo im Apeiron in unendlicher Räumlichung der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen am Abgrund der außersprachlichen weltlichen Phase auch das Selbst als Echo des symbolischen Stifters pulsiert, welcher es als Rätsel stiftet ohne es zu verursachen oder zu bestimmen. Es handelt sich zwar um ein phänomenologisches Pulsieren, in dem aber das Selbst sich in seinem Rätsel hält (sich stiftet), insofern es das Leben und den Tod im Pulsieren durchquert, indem es begriffslos sein Rätsel in dem Rätsel reflektiert, das es während dieser Durchquerung erst empfängt: die Begegnung mit dem symbolischen Stifter ist phänomenologisch, auch wenn das Selbst und der symbolische Stifter in ihren Tiefen es nicht sind. Damit sind sie Symbolisches, außerweltlich, aus dem Abgrund der Weltphase, die an sich unbewohnt und unbewohnbar, unheimlich* ist. Es gibt in der VI. Meditation Finks Spuren des phänomenologischen Erhabenen, wie durch eine Tangente berührt, und sie kommunizieren mit der Kluft*, welche es mit der durch
386 die phänomenologische Epoché eingeführten Spaltung* zwischen dem phänomenologisierenden und dem konstituierenden Selbst gibt. Wir werden darauf zurückkommen, weil es entscheidend den »Status« des »Organs« der »Phänomenologisierung« betrifft, der, wie wir gleich sehen werden, eine Präfiguration dessen ist, was wir unter dem »Organ der Phänomenalisierung« verstehen. Aber abgesehen davon, daß die Phänomenologie des phänomenologischen Erhabenen in sich den »negativ erhabenen Moment« des symbolischen Verfehlens einschließen müßte, wenn sie vollständig sein will – eben dieser läßt antipodisch die fungierende Sprache in das symbolische Unbewußte und das Sprachsystem in die apperzeptiven Identitäten identitär implodieren –, bedeutet jene Phänomenologie des phänomenologischen Erhabenen, daß sich in ihr die Frage des Erhabenen nur abstrakt in einer gänzlich intellektuellen Konzeption im Zusammenhang mit den »Totalitäten« des Lebens stellt: dergleichen geschieht nämlich nur, wenn die Sprachapperzeptionen das phänomenologische Feld der fungierenden Sprache kohärent verformen und es im Gegenwärtigen des Sprachsystems einebnen und verschließen. Im phänomenologischen Feld hingegen stellt sich die Frage des Erhabenen mit jedem sich bildenden Sinn, jeder Gegenwärtigkeitsphase, jedem sprachlichen Phänomen, das zwischen seiner identitären Implosion und seiner Schieflage als einem dem Leben (Geburt) und dem Tod Ausgesetztsein gebannt ist. Es ergibt sich daraus für uns, daß die transzendentale Dialektik universell jede sprachliche Phase durchdringt, insofern sie in der gleichen Bewegung sowohl die phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache als auch die symbolische Stiftung des Sprachsystems einbringt. So gesehen gibt es nichts in einem Sprachsystem Ausgesprochenes, das nicht, für einen irreduziblen Teil seiner selbst, eine transzendentale Illusion zuläßt. Und diese ist allerdings, wie bei Kant, letztlich untilgbar, da wir das Denken meistens in einem Sprachsystem vollziehen, ohne daß es uns jemals gelänge, streng zu unterscheiden, was wir wirklich denken und was wir zu denken glauben. In diesem Sinn kann man sagen, daß es unaufhebbar eine »Ideologie« der Rede gibt: Ideo-logie in dem Sinne, daß sich die Sprachapperzeptionen gedankenlos und mechanisch in die Rede eingehen, aber die Illusion des Denkens insofern vermitteln, als es in ihnen und durch sie verdichtet wird und so den Anschein der Fülle gewinnt. Davor haben wir uns immer gehütet, diese implizite »transzendentale Dialektik« haben wir immer in unserer Phänomenologie der fungierenden Sprache spielen lassen. Durch diese mannigfaltige und universelle örtliche Verbreitung findet die Dialektik, wie wir glauben, ihren ursprünglichen Sinn von Dialektik wieder, deren phänomenologische Bedeutung für uns darin liegt, daß durch die Transpassibilitäten des Sinns gegenüber den Sinnregungen und der Sinnfetzen gegenüber Fetzen und Ansätzen von Sinn jede sprachliche Gegenwärtigkeitsphase mit innerer Notwendigkeit dephasiert ist. Der Leitfaden der überall auftauchenden transzendentalen Dialektik in den Reden, d.h. der phänomenologisch-transzendentalen Kritik der in jeder Rede vorhandenen transzendentalen Illusionen, wird uns also in der hyperbolischen Epoché durch die Transpassibilitäten geliefert, die in den interfaktiziellen Begegnungen der Sinnregungen mit den Sinnregungen ihre Wirksamkeit entfalten. In diesen Begegnungen spielt wie in jeder wahrhaften Begegnung immer das phänomenologische Erhabene mit, vollzieht sich das Zusammenspiel des Selbst, des anderen Selbst (alter ipse), des symbolischen Stifters, und der Welt in der protozeitlichen/proto-räumlichen Kluft ihrer Phase. Und die transzendentalen Illusionen ergeben sich aus der Vermengung der transpassiblen phänomenologischen Konkretheiten mit dem bloß Möglichen, das den Sinnregungen und Redeweisen immanent ist.
387 All diese Kommentare zu der von Fink vorgeschlagenen Dreiteilung der Husserlschen Phänomenologie erlauben uns, den Sinn ihrer von uns vorschlagenen Umgestaltung besser zu erfassen, aber auch besser einzuschätzen, was Fink in seiner Reflexion der phänomenologischen Epoché und Reduktion als »Ort« oder »Organ« der »Phänomenologisierung« vorschlägt. Für Fink geht es in der transzendentalen Methodenlehre darum, daß sie das phänomenologisierende Selbst »zum SelbstBewusstsein kommen« läßt (VICM, 16), ein Selbst, das durch die phänomenologische Epoché aufgeschlossen wird und ist und sich somit vom blind konstituierenden Selbst abhebt – zumindest zunächst und zumeist. In der gleichen Bewegung und insofern dieses immer thematisch auf ein Thema gerichtet ist (Sinnidentität einer Apperzeption oder eines eidetischen Typus von Apperzeptionen), das es tendenziell blind macht, ergibt sich aus dem phänomenologisierenden Selbst die Distanzierung zum Thema und zu jeder Thematik, d.h. daß ihre Unbestimmtheit von vorherein in Frage gestellt wird – und diese ist für uns phänomenologische Unbestimmtheit, Öffnung auf noch verworrene Tiefen der fungierenden Sprache. Folglich handelt es sich im Fall der Thematisierung »des konstituierenden transzendentale Lebens« durch die Lehre der phänomenologischen Methode selbst nicht um ein Thema im gleichen Sinn, da es strenggenommen nicht der Gegenstand einer Apperzeption des Sprachsystems sein kann, was nach Fink die Regression ins Unendliche vermeidet und dem Begriff der Methode einen »Anflug« oder »Hauch« des Phänomenologischen gibt – wobei die Reflexion der in der Elementarlehre eingesetzten Methoden vielförmig und komplex wird. So wird, wie wir gesehen haben, dennoch die Konstitution in ihrer transzendentalen Anonymität weiterhin durch die Teleologie unter-stützt und erscheint wie eine blinde teleologische Tendenz, an deren Ziel die Welt in ihren vielfältigen Apperzeptionen immer wie ein »Endprodukt« oder vollendet erscheint, in dem das »transzendentale Leben« sich von sich selbst enfernt hat – in unseren Worten: durch Verdichtung in Sinnidentitäten von sich selbst gesättigt ist. Die Versuchung ist nun groß, durch eine transzendentale Illusion die transzendentalen Strukturen der Konstitution zu einem transzendentalen Leben zu hypostasieren, das selbst-transparent und archetypisch wäre: Fink gibt, der sichtlich quasi-hegelianischen Inspiration seiner Meditation folgend, dem bis zu einem gewissen Punkt nach, auch dort, wo er von Heidegger angeregt stillschweigend voraussetzt, daß diese Strukturen mutatis mutandis der gleichen Ordnung sind wie die ontologisch-existentialen Strukturen, die zugleich das Seiende und die vorgängigen Beziehungen des phänomenologisierenden Selbst zum Seienden enthüllen. Heidegger wird bis zu einem gewissen Punkt davor bewahrt durch die Frage der Zeitlichkeit als Zeitigung: allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt, denn es genügt wie im Kantbuch, den Akzent ausschließlich auf die Zeitlichkeit, als letztem »Grund« zu legen, um vom archetypischen Verstand in den anschaulichen Verstand zu stolpern (mit den Worten Heideggers: die Zeit als reine Selbst-Affektion). Man sieht, daß Fink in seiner »spekulativen« Kühnheit zwischen den Untiefen und Klippen segelt, wo das Unternehmen Gefahr läuft, Schiffbruch zu erleiden. Viel interessanter als die Untiefen und Klippen ist die Reise selbst. Die von Fink durchdachte phänomenologische Epoché hat in unseren Augen insofern schon etwas Hyperbolisches, als sie einerseits eine Spaltung zwischen Konstitution – die immer auf die Sprachapperzeptionen teleologisch ausgerichtet ist – und Phänomenologisierung auftut, zwischen der Welt als immer verfrüht festgelegtem final konstituiertem Terminus und der »wahrhaften« phänomenologischen Konkretisierung des transzendentalen Lebens. Das läßt Fink den Status der apperzeptiven »Gegebenheiten«
388 grundsätzlich in Frage stellen, wie wir im Zusammenhang mit dem Eidetischen gesehen haben, und führt dazu, daß er vom Seienden zum Vor-Seienden, oder vom Sein zum »Vor-Sein« – eigentlich ein »Werden« – und vom »Gegebenen« zum »Vorgegebenen« übergeht. Dies bedeutet entgegen allem Anschein nicht das Vorhandensein* von etwas, das immer schon und auch weiterhin noch vor jedem auf ein Thema gerichteten Bewußtsein und vor jeder thematischen Erklärung gegeben wäre, sondern meint das der Gabe Vorausgehende, innerhalb dessen sie gegeben wird. Also die Inchoativität des phänomenologischen Feldes: all das, was wir durch die Verwebungen von Protentionen und Retentionen, von Proto-Protentionen und Proto-Retentionen an den weltlichen wilden Wesen bezeichnet haben, bis hin zu den protoontologischen Verwebungen der weltlichen wilden Wesen* selbst – all dies bleibt allerdings bei Fink ununterschieden. Wenn Fink die natürliche Einstellung damit charakterisiert, daß sie daran festhält, daß »das erfahrene Seiende ‚an sich‘ vor der Erfahrung genau so da war, wie es in der Erfahrung gegeben ist« (VICM, 56), dann ist das nachvollziehbar, da das Seiende Gegenstand von Sprachapperzeptionen ist und das Sprachsystem, dank seiner der symbolischen Stiftung angehörenden Wesenszüge, ohne Ursprung und ohne Tod (unsterblich) ist, sich immer schon selbst vorausgeht und sich immer noch selbst folgt – denn so ist nun einmal die symbolische »Voraussetzung« der symbolischen Stiftung in ihrer symbolischen Tautologie. Wenn nun von der Distanz des phänomenologisierenden und des von der Hyperbel der Epoché erfaßten Selbst her die Apperzeption des Sprachsystems als das verfrühte Ergebnis einer komplexen Sinngebung erscheint, in der die Sinnidentität sich wieder auf die Frage des Sinns der Identität öffnet, – nämlich der Verfrühung der identitären Implosion, welche die konkreten Kontexte der Zeitigung/Räumlichung der Apperzeption als blitzhafte Apperzeption außer Verkehr zieht –, dann »findet« die phänomenologische Reflexion der Konstitution – darin liegt das Rätsel des »Ergebnisses« der Epoché – nicht mehr die Apperzeption so »wieder«, wie sie vermeintlich vor der Reflexion gegeben war: so verstanden ist damit das »Phänomenologisieren« ein »Phänomenologisierendes-Tun«. Es handelt sich um eine Sinnbildung, die einen anderen Stil der Zeitigung voraussetzt als jenen, in dem von der abstrakten Gegenwart des Sprachsystems her die Zeit als einförmiges Fließen immer wieder in Bewegung gebracht wird – den wahrhaft phänomenologischen Stil. Das ist die phänomenologische Zeitigung eines Werdens, in dem für uns, aber nicht für Fink, der noch in diesem Text im Husserlschen Erbe befangen ist,18 Sinn sich in der Gegenwärtigkeit bildet und sich immer wieder bildet in der Jeweiligkeit* seiner Jeseinigkeit* und ohne daß nun deshalb die kohärente Verformung durch die appezeptiven »Teleologisierungen« hineinregiert. Und auch wenn Fink von daher das Feld des Nicht-Gegenwärtigen und der Nicht-Gegenwärtigkeit der Geburt und des Todes in den Blick nimmt, das er allerdings nur in der Form des Vorgeburtlichen (transzendentale Vergangenheit) und der Zeit nach dem Tod (transzendentale Zukunft), und zwar als Horizonte der »konstruktiven« Phänomenologie faßt, so eröffnet er dennoch sehr fein und viel radikaler als Heidegger die Dimension des Abwesens* im phänomenologischen Feld, das auf den ersten Blick als ein Feld des Anwesens* erscheint. Und darin zeigt sich die momentweise Nähe seines Denkens zum phänomenologischen Erhabenen. Es stellt sich aber nun die Frage, ob das »Organ« der Phänomenologisierung noch ein Selbst sein kann – sei es nun ein abolutes »Selbst« oder ein »absoluter Geist« – wenn es nicht zumindest in dem Moment des phänomenologischen Erhabenen gestiftet ist. Der Gedanke der Stiftung spiel nun aber bei Fink keine Rolle.
389 Diesen letzten Punkt werden wir nun genauer untersuchen und dabei sehen, daß merkwürdigerweise gerade hier Husserl Terrain zurückgewinnt, indem er sich noch mehr als »Phänomenologe« zeigt als Fink. Wir werden bei diesem Tun vom »Organ« der Phänomenologisierung zum Organ der PhÄnomenalisierung übergehen. In der Beilage XIII zur VI. Meditation, (VICM, 213-214; s.a. Beilage XIV, VICM, 215-216) diskutiert Husserl den Unterschied zwischen Konstitution und Phänomenologisierung und stellt in Frage, ob das phänomenologisierende Selbst vom konstituierenden Selbst getrennt werden kann – was ein wichtiger Punkt ist, da diese Trennbarkeit die transzendentale Illusion eines archetypischen oder anschaulichen Verstandes nährt, den wir für den unseren annehmen. Husserl schreibt nämlich: »Die transzendentale Subjektivität ist in einer unendlichen Reflexivität, in einer iterativen Unendlichkeit der wirklichen und möglichen Reflexion, und ist dabei in der Art ständig Welt konstituierend, dass sie all ihre durch reine und absolute Selbstbesinnung sich entfaltenden transzendentalen in die immerfort schon konstituierte und sich fortkonstituierende Welt hineinprojiziert. Das aber im entsprechend zuwachsenden Sinn: denn jedes solche Projizieren ist selbst sinngebende Leistung. Damit ist aber gesagt, dass der Weltsinn von hier aus, von dem Phänomenologisieren her, in beständigem Wandel ist.« (VICM, 213) Genau dies haben wir in unseren Worten im phänomenologisierenden Tun als Sinnbildung ausgemacht: das Phänomenologisieren ist schon die Öffnung der Sprachapperzeptionen auf die Tiefen der fungierenden Sprache im Sprachsystem hin, d.h. auf die blitzhaften Apperzeptionen als Fetzen und Ansätze von Sinnregungen im Sinn der Identitäten, die durch die phänomenologische Epoché wieder aufgeschlossen werden. Nun bereichert diese Sinnbildung den konstituierten Sinn und den Welt konstituierenden Sinn damit, daß er etwa durch den Filter der kohärenten Verformungen (die »Teleologisierungen«) etwas von den Verwebungen der blitzhaften Apperzeptionen wiederentdeckt,. Und diese Reflexion ist nun unendlich, der Weltsinn in ständiger Bewegung, und zwar so weit, daß die Sinnidentitäten der »natürlichen« Apperzeptionen (des Sprachsystems) davon abgehoben und in diesen ständigen Veränderungen als Verfrühungen erscheinen. Husserl fährt fort: »Anders ausgedrückt: Der Phänomenologe entdeckt den wahren Sinn der Welt. Während dieser doch schon vorgegebene, vorbekannte Welt als vermeintlich konkrete hat. Entdeckend in der jeweiligen transzendentalen Gegenwart ist der Phänomenologe sich transzendental fortkonstituierend und in sich der Welt durch Einlegen des Enthüllten ins Psychische neuen Sinn gebend in der egologischen Selbstzeitigung und Zeitlichkeit der Welt mit dem verzeitlichten Ego.« (VICM, 213-214) Das bedeutet unserer Meinung nach, daß die Entdeckung des »wahren Sinns der Welt« zumindest im Ansatz in der Jeweiligkeit* einer sprachlichen Phase stattfindet, – auch wenn sie meistens durch die identitären Implosionen des Sinns verstümmelt wird, was der Zeitigung den Anschein eines lebendigen und mit einem Selbst verbundenen Gegenwärtigen gibt. Sie vollzieht sich also in der Jeweiligkeit* eines Sinns – auch etwa des Identitätssinns – auf der Suche nach sich selbst in der Schieflage (der Überschuß) des über sich selbst hinausgehenden intentionalen Sinns; aber das bedeutet auch, daß dieser Sinn, der ja neu ist, da er sich gerade sich selbst gegenüber erschließt, wieder in die Zeitlichkeit der Welt eingefügt oder eingelegt wird und daß das von der Zeitigung des Sinns her gezeitigte Ego (das »Psychische«), auch in die egologische Selbst-Zeitigung übertragen wird, da dieser Sinn Identitätssinn bleibt. Sollte die Phänomenologisierung in diese Richtung gehen,19 dann könnte man sagen, sie scheitere eben daran, daß sie nicht in die Richtung der Phänomenalisierung geht,
390 da sie, obwohl sie sich den Sinnregungen und damit dem phänomenologischen Feld der Sprache gegenüber öffnet, sich – blitzhaft apperzipiertes Feld wieder aufgebend – durch die identitären Implosionen des Sinns wieder einholen läßt, hier durch die »verweltlichende« Apperzeption, die das Phänomenologisch-Transzendentale mit »Psychischem« wieder zudeckt. Die Ursache scheint klar zu sein: »Die ständig vorgegebene, vorbekannte und in fortschreitender Welterfahrung und Wissenschaft kennenzulernende Welt hat im »natürlichen« Welt- und Wissenschaftsleben keinen vollen und letzten Wahrheitssin, Seinssinn. Sie ist nur als transzendental konstituierte verstanden zu ihrem vollen Seinssinn gebracht.« (VICM, 214) Man könnte glauben, daß damit die Fülle des Seinssinns aus seiner Unabgeschlossenheit bestünde, in seiner Konkretheit, die so in einer Unendlichkeit gefaßt wird, die Husserl gerade angesprochen hat. Diesen Gedanken legt das im Text unmittelbar Folgende nahe: »Aber Phänomenologie tritt auch in der Welt als Wissenschaft auf, als historisches Kulturgebilde ist sie verweltlicht. Die natürlich vorgebene Welt bekommt in ihrer psychischen Seite ständig von der einmal in Gang gebrachten Phänomenologie zuwachsenden Seinssinn, weltlich sich objektivierend.« (VICM, 214) Nirgends sieht man zweifellos besser als hier, weshalb die Phänomenologie als »Wissenschaft« ständig sich durch »Verweltlichung« zu verlieren droht, wenn sie nicht die notwendig zu ihr gehörende phänomenologische Kritik der Sprache ausübt, wenn sie also nur das symbolisch gestiftete Sprachsystem der apperzeptiven Identitäten verwendet, in welchen dieses sich unermüdlich rekodiert. Das hindert nicht: »Der Mensch, der zum Phänomenologen geworden ist, hat sein naives Menschentum überwunden; aber auch in phänomenologischer Umstellung findet er sich »als Mensch in der Welt«, aber nun doch als »neuer« Mensch. Sein transzendental phänomenologisierendes Tun ist anonym und ist selbst konstituiert; nachkommende Aktivität der Reflexion, iterativ zu wiederholen – macht immer neue Verweltlichung in der eigenpsychischen Sphäre.« (VICM, 214) Die Dinge erscheinen unverändert, aber nur zum Schein, da Husserl sofort hinzufügt: »Ich kann mich, wieweit immer ich als Phänomenologe gekommen bin, auf die Welt als Korrelat richten. Und nachdem ich die Notwendigkeit der Verweltlichung des Transzendentalen in Iterierbarkeit erkannt habe, wird die Welt für mich im voraus einen neuen Seinssinn annehmen, nämlich als unendlichen Horizont der ihr sich einlegenden und einzulegenden Tranzendentalität.« (VICM, 214, Hervorhebung M.R.) Muß das nicht in unseren Begriffen heißen, daß der unendliche Horizont der Transzendentalität, der für uns der Horizont der Phänomenalität ist, in der Iterabilität selbst pulsiert, zwischen seinem Auftauchen als etwas, das sich nicht schon verweltlicht hat und seinem Verschwinden, das nach der Vollendung des Auftauchens sich dadurch einstellt, daß das Aufgetauchte sofort die apperzeptiven Züge des »Weltlichen« annimmt und damit das eigentlich Phänomenale sich auflösen läßt? Nun ist dieses Pulsieren eben das, was wir die Phänomenalisierung nennen, und genau darin, in diesem unstabilen, da pulsierenden »Oberhalb« der Sprachapperzeptionen, apperzipieren sich blitzhaft die (sprachlichen und außersprachlichen) Phänomenalitätsfetzen. Nicht so sehr das sich in der Iterabilität wieder Iterierende ist wichtig, sondern das, was sich pulsierend in der Iterabilität selbst abspielt. Von dem aus gesehen, was sich reiteriert, ist die Iterabilität übrigens unendliche Regression oder Regression ins Unendliche – jeweils zurückgeworfen durch das Anhalten eines verfrüht identifizierten Inhalts –, sobald man aber die Iterabilität als phänomenologisches Pulsieren der
391 Phänomenologisierung blitzhaft apperzipiert, ist sie jenes nicht oder auf ganz andere Weise. Damit sieht man schon, daß ein phänomenologisches »Organ« der Phänomenalisierung in der konkretesten oder unmittelbarsten Gestalt nur ein solches der blitzhaften Apperzeption sein könnte, die hinter den Apperzeptionen ihr Wesen treiben. Das paßt zu der ganz zentralen Rolle, die wir ihr in unseren vorangegangenen »Meditationen« gegeben haben. Und die Anonymität, von der eben die Rede war, ist für uns nichts anderes, als das im Vorangegangenen als »phänomenologische Anonymität« Verstandene, also die Anonymität der Phänomenalität. Dann muß schließlich auch das phänomenologisierende »Selbst« radikal als phänomenalisierendes »Selbst« gefaßt werden, d.h. als ein »Selbst«, das im phänomenologischen Pulsieren pulsiert, jener »Stätte«, wo im phänomenologischen Erhabenen seine symbolische Stiftung als ein Rätsel »stattfindet«, das es zusammenhält, obwohl es sich immer und auf immer entzieht. Hinzuzunehmen ist schließlich noch folgender Text, welcher der Beilage XIV entstammt: »In der Wachheit bin ich Subjekt des Phänomenologisierens; als das erkenne ich, dass ich in der naiv-menschlichen Wachheit eine Sphäre der Anonymität hatte, dergemäss ich nicht phänomenologisierend war, bzw. erkenne, dass andere Menschen transzendentale Mitsubjekte sind mit eben solchen Anonymitäten, in denen sie nicht phänomenologisierend sind. Als phänomenologisierendes Ich habe ich ständig meine Anonymitätskorrelatsphären, das Patente und mir patent Werdende in immerzu Relativem. Aber das weiss ich, das transzendentale Ich nicht am Anfang, mit Einsatz der Reduktion, , obschon, so wie Epoché in ihrer Motivation einsetzt, also schon auf Reduktion abgesehen ist, ein Horizont da ist als der, in den ich hineinstrebe, der mir bekannt werden soll. Also die neue transzendentale »Vorgegebenheit« ohne antizipierbaren Wesensstil. Nachher aber bin ich soweit, iterierte und als Iteration konzipierte Reflexion (im »Immer wieder« also) auszuführen und habe nun den Horizont der immer wieder sich eröffnenden konstituierten Konstitution.« (VICM, 215) Aus diesem Text ist die Wandlung des Sinns des Anonymats (»Anonymität) zu entnehmen, und zwar von der Anonymität der identitären Aperzeptionen des Sprachsystems her bis zum phänomenologischen Anonymat der (sich ja immer in der symbolischen Stiftung vollziehnenden) Konstitution, das sich in der blitzhaften Apperzeption zeitweilig auftut, was hier bemerkenswerterweise sowohl durch die phänomenologischen Anführungsstriche hervorgehoben wird, die den Ausdruck »vor-gegeben« einfassen, als auch vor allem durch die Abwesenheit des eidetischen Stils dieses »Vorgegebenen«: die Reduktion ist keine Einstellung, die man verinnerlichen kann, sondern das phänomenologische Pulsieren dessen, was seit der Husserlschen Phänomenologie nur mehr ein Horizont ist, in dem alles, was wir im Vorangegangenen entwickelt haben, unübersichtlich vermengt ist. Nach dieser Untersuchung der VI. Meditation Finks bleibt uns, wenn wir unsererseits unsere phänomenologische »transzendentale« Methodenlehre ausarbeiten wollen, nichts anderes übrig, als nun vom architektonischen Problem der blitzhaften Apperzeption auszugehen.
392
§ 2. DIE ARCHITEKTONIK DES ORGANS BZW. SCHEMAS DER PHÄNOMENALISIERUNG
a) Die zentrale Rolle und das architektonische Problem der blitzhaften Apperzeption Man braucht nur schnell unsere Sprachphänomenologie durchzugehen, um zu bemerken, daß die blitzhafte Apperzeption darin eine ganz zentrale, aus phänomenologischer Sicht wahrhaft vermittelnde Rolle spielt. Durch blitzhafte Apperzeptionen reflektiert sich schon der sich bildende Sinn in seiner zeitigenden/räumlichenden Bildung: es handelt sich nicht nur um blitzhafte Apperzeptionen der phänomenologischen Konkretheiten, die durch die Zeichen des Sprachsystems ins Spiel und zur Wirkung gebracht werden, sondern auch in der gleichen Bewegung, und gemäß der zugleich angenommenen »mehreren Geschwindigkeiten« des Denkens als sich bildendem Sinn, um blitzhafte Apperzeptionen der Verwebung dieser blitzhaft apperzipierten, in Protentionen und Retentionen verwobenen Konkretheiten, wobei dies eine ihrerseits bewegliche Verwebung ist, die sich blitzhaft apperzipiert, weil sie »schneller« und »langsamer« als sie selbst verläuft. Daher erahnt sich auch der sich bildende Sinn durch blitzhafte Apperzeptionen als transpassibel, nicht nur gegenüber anderen, entsprechend trans-possiblen Sinnregungen, sondern auch, in den von ihm ins Spiel gebrachten blitzhaft apperzipierten Konkretheiten, die sich als Fetzen oder in phänomenologischen »Zeichen« des Sinns versammeln, die gegenüber anderen Sinnfetzen transpassibel sind. Diese scheinen nur flüchtig umrissen – zu schnell oder zu langsam blitzhaft apperzipiert – wie Sinnansätze und wie Zeugen der ursprünglichen Räumlichung der abgründigen Weltphase in den Proto-Protentionen und Proto-Retentionen. Diese sind also ihrerseits in ihrer ursprünglichen Räumlichung blitzhaft apperzipiert, die sie über die immer wechselnden Distanzen der Räumlichung hinweg untereinander transpassibel macht. Nun sind die Proto-Protentionen/Proto-Retentionen in ihrer Konkretheit nur außersprachliche weltliche wilde Wesen*, die schon in sich durch sprachliche wilde Wesen* aufgefächert sind, und auch dieses »nur« ist selbst im phänomenologischen Moment des Erhabenen blitzhaft apperzipiert, d.h. im Ausschalten jedes sprachlichen Phänomens gegenüber dem phänomenologischen Apeiron der Phase der Proto-Gegenwärtigkeit der Welt in ihrem Agrund – wie in einer »Lähmung« oder einem »Erstarren« jedes sprachlichen Phänomens. Und schließlich ist auch der Kurzschluß der Proto-Protentionen und Proto-Retentionen in den außersprachlichen weltlichen wilden Wesen selbst konkret blitzhaft apperzipiert, wenn diese als transzendentale Reminiszenzen des Unerinnerbaren und als transzendentale Vorahnungen des Ungereiften blitzhaft apperzipiert werden, als Spuren und Aufleuchten von pluralen Welten im proto-zeitlichen/protoräumlichen Abgrund der Weltphase. Das bedeutet, daß die blitzhafte Apperzeption nicht homogen ist, sondern sich, wie gesehen, auf verschiedenen »Stufen« abspielt, zuerst in den passiven Synthesen dritten Grades, die blind durch den Schematismus der Phänomenalisierung in Gang gesetzt werden, und zwar im ursprünglichen Abstand zwischen diesem Schematismus als (phänomenologisch) endlichem und dem gleichen Schematismus als (proto-ontologisch) unendlichem, was den passiven Synthesen zweiten Grades der außersprachlichen wilden Wesen* Spielraum gibt; dann in denjenigen passiven Synthesen dritten Grades, die auf sozusagen »reflektierte« Weise durch die begriffslose schematische Teleologie des Schematismus der Phänomenalisierung in Gang gesetzt wer-
393 den, die »darauf abzielt«, sich »selbst« »wieder aufzunehmen«, was nur den Abstand des Schematismus zu sich selbst im Abstand wieder aufreißen, d.h. den blinden Schematismus der Phänomenalisierung im verdoppelten Abstand, aber zu sich selbst, re-schematisieren läßt, der zwischen dem (phänomenologischen) Endlichen und dem (proto-ontologischen) Unendlichen besteht, was nun den passiven Synthesen zweiten Grades der sprachlichen wilden Wesen* Spielraum gibt. Indem diese dadurch die außersprachlichen wilden Wesen* auffächern, geben sie diesen den Anschein von Proto-Protentionen/Proto-Retentionen, die immer schon und auch weiterhin sich in der Gegenwärtigkeitsphase der Sprache in Räumlichung befinden, und zwar als das, was durch die in den blitzhaften Apperzeptionen der Sprache »erhaltene« Transpassibilität vielfältig die sprachliche Gegenwärtigkeitsphase im Inneren ihrer selbst dephasiert, ebenso wie die Sinnfetzen (die phänomenologischen »Zeichen«), die nur vielfältige Fetzen von vielfältigen Sinnregungen sind – so entsteht das phänomenologische Äquivalent zur »Polysemie«. So aus formaler – oder architektonischer – Sicht gesehen ist die blitzhafte Apperzeption immer das Echo der Phänomenalisierung, niemals die Phänomenalisierung selbst, weil sie immer blitzhafte Apperzeption von Fetzen von Phänomenalität, von phänomenologischen Konkretheiten durch einen unaufhebbaren Abstand hindurch ist, einmal aus Trans-passibilität, aber auch durch ihre Überschreitung der mit der identitären Implosion der Zeichen des Sprachsystems im Logisch-eidetischen einhergehenden Gesetze der Identität und der Widerspruchsfreiheit, eine Überschreitung, die wir als »Tunneleffekt« des Denkens bezeichnet haben. Dieser unaufhebbare Abstand ist nämlich der Abstand jedes Schematismus der Phänomenalisierung zu sich selbst: paradoxerweise ist er einerseits der Ausdruck der Faktizität oder der Endlichkeit, da er der unaufhebbare Abstand zwischen dem phänomenologischen Endlichen und dem proto-ontologischen Unendlichen ist, und weil seine Unaufhebbarkeit die Unmöglichkeit bedeutet, jemals die Grenze zwischen dem Endlichen und Unendlichen zu fixieren; zugleich ist er andererseits das scheinbare Zeichen einer »Unendlichkeit«, weil er in seiner Bedeutung, daß der phänomenologische Schematismus immer und auf immer »schneller« und »langsamer« als er selbst verläuft und immer sozusagen zugleich »hier« und »woanders« ist, den »Tunneleffekt« des Denkens erst möglich macht und zu jeden spekulativen Kühnheiten zu berechtigen scheint. Man braucht bloß die blitzhafte Apperzeption, insofern sie im phänomenologischen Pulsieren – in der Phänomenalisierung – als blitzhafte Apperzeption der phänomenologischen Konkretheiten über die Distanz des Abstands hinwegspielt, (widersprüchlich) als identitäre Apperzeption eines Inhalts zu nehmen, um sie als eine intellektuelle Anschauung funktionieren zu lassen. Nun macht das eben die »metaphysische« Gestalt der transzendentalen Illusion aus, da, wie wir schon in unserer Phänomenologie gesehen haben, die identitäre Implosion der phänomenologischen Konkretheiten (und nicht der »Gegenstände« der Sprachapperzeptionen oder der blitzhaften Apperzeptionen) nicht zur intellektuellen Anschauung führt, sondern zum »Signifikanten« und zur Konstellation von »Signifikanten«, die für die passiven Synthesen ersten Grades als »passive Synthesen« des »Primärprozesses« oder des symbolischen Unbewußten konstitutiv ist. Wir müssen nämlich immer ungeheure architektonische Vorsichtsmaßnahmen treffen, um nicht die blitzhaften Apperzeptionen wie Apperzeptionen »funktionieren« zu lassen, das heißt als intellektuelle Anschauungen – »intellektuell« darin, daß sie immer außersprachlich erscheinen und dadurch mit dem durchweg transzendentalen Anschein der Nicht-Diskursivität.
394 Das architektonische Problem der blitzhaften Apperzeption liegt also darin, daß die von uns vorgeschlagene »Nominalisierung«, die sozusagen fatal ist, weil wir noch das philosophische Sprachsystem benutzen, sich immer noch ganz im Simulacrum bewegt. Blitzhaftes Apperzipieren geschieht immer nur im phänomenologischen Pulsieren, in der Phänomenalisierung der Phänomene, der phänomenologischen Konkretheiten, deren – aus dem logisch-eidetischen Sprachsystem der Philosophie hervorgegangenes – philosophisches Paradox ist, daß sie als solche nur zwischen ihrem Auftauchen und ihrem Vergehen wesen*, in der mit innerer Notwendigkeit widersprüchlichen Doppel-Bewegung, die sie daran hindert, sich im Erschienenen »auszubreiten« und sich im Verschwundenen »aufzuzehren«. Es geht also nicht mehr um das Erscheinen, das Heidegger meinte, oder allenfalls im Sinn des unendlichen Erscheinens, wobei es sich nicht um etwas in statischer Weise Unendliches wie ein von sich selbst übersättigtes und gewissermaßen schattenloses Erscheinen handelt, sondern um ein dynamisches Unendliches, in dem eben auf unermüdliche Weise der Abstand zwischen dem phänomenologischen Endlichen und dem protoontologischen Unendlichen ohne genaue oder gar bestimmbare Grenzlinie wieder aufgerissen wird. Anders gesagt ist dieses auf dynamische Weise unendliche Erscheinen nichts anderes als der unendliche Schematismus der Phänomenalisierung in seinen beiden – sprachlichen und außersprachlichen – »Gestalten«, insofern er ständig in seinem Abgrund die unaufhebbare Faktizität seiner Endlichkeit mit sich führt, und dabei die blitzhafte Apperzeptionen von Phänomenalitätsfetzen als phänomenologischer Konkretheiten mittels ihrer ursprünglichen Verfrühungen und Verspätungen gegenüber dieser Mitnahme spielen läßt. Das bedeutet, in anderen Worten, daß die blitzhafte Apperzeption ein durchaus heuristisches »Organ« der Phänomenalisierung ist, da es ein ursprünglich verfrühtes und/oder verzögertes Echo davon ist, da das eigentlich phänomenologische »Organ« der Phänomenalisierung der Schematismus der Phänomenalisierung selbst ist. Er ist also die zentrale architektonische »Gestalt« unserer für die Phänomenologie vorgeschlagenen Umgestaltung, und als solchen wollen wir ihn nun untersuchen. b) Der Schematismus der Phänomenalisierung als architektonische »Gestalt« Es wäre natürlich ein architektonischer, aus der transzendentalen Illusion kommender Irrtum, den unendlichen Schematismus an sich als Schematisierung oder unmittelbare Phänomenalisierung zu betrachten, der selbst-transparent oder ein von Phänomenen ganz »unbeschriebenes Blatt« wäre: das wäre merkwürdigerweise – aber nicht merkwürdiger als der anschauliche oder archetypische Verstand bei Kant – nur eine architektonische und keine metaphysische Gestalt des Unendlichen – wenn man will: von Gott selbst, von der wir selbst in Phénomènes, temps et êtres insofern Gebrauch gemacht haben, als es, immer noch nach der gleichen Merkwürdigkeit, unmöglich ist, sich darüber hinwegzusetzen, es sei denn durch einen brutales und sterilisierendes Anhalten des Denkens. Über den unendlichen Schematismus des Unendlichen kann man sich wirklich unmöglich hinwegsetzen, wenn man angemessen die Endlichkeit und die Faktizität jeder Phänomenalisierung erfassen will. Nur über ihn allein kann man nämlich den stets endlichen und instabilen Charakter der blitzhaften Apperzeptionen erfassen, d.h. den Abstand des Endlichen und damit die Angliederung des Phänomenologischen und des Proto-Ontologischen. Oder auch: nur durch ihn allein kann begriffen werden, daß die tiefe Natur der Endlichkeit und der Faktizität nicht so sehr die (der Faktizität angehörende) »Tatsache« ist, sich als endlich zu spüren und zu entdecken,
395 als vielmehr, daß dieses »Endliche« a priori ohne zuschreibbare oder bestimmbare Grenze ist, daß man sich niemals etwa soweit »endlich« fühlt, daß man zum Wissen gelangt, woher man ist, denn das hieße, Faktizität und empirische Faktualität miteinander zu verwechseln. Anders gesagt, wenn der unendliche Schematismus die zentrale architektonische »Gestalt« der Phänomenologie ist, dann ist der Abstand des Schematismus zu sich selbst als einem phänomenologischen und protontologischen sozusagen deren zugrundeliegende architektonische (faktizielle, nicht faktische) Tatsache. Dieser Tatsache entspricht die Faktizität der blitzhaften Apperzeptionen, d.h. ihre Unvollendetheit, ihre Unvollständigkeit, ihre relative Unbestimmtheit und daß sie sich immer gegenüber einer undeutlichen proto-ontologischen Masse abheben. So gesehen muß sich die Phänomenologie dazu durchringen, nur endloser Zugang zum Unendlichen zu sein. Und zwar, wie wir gezeigt zu haben glauben, jenseits der bloß un-endlichen Inchoativität der Vermengung – was Descartes erahnt, aber seiner Tradition getreu dadurch beiseite schiebt, daß er nur die symbolische Klarheit und Unterscheidung sucht, die, da sie sich nicht von den Verschwommenheiten des undeutlichen Denkens nähren, sich nun nur noch direkt mit dem symbolischen Stifter verknüpfen können. Also nicht zwischen dem archetypischen/anschaulichen Verstand und dem diskursiven Verstand ist die wichtigste architektonische Unterscheidung der Phänomenologie zu ziehen, sondern zwischen dem unendlichen und endlichen Schematismus, oder vielmehr ausdrücklich (bei Kant ist es nur unausdrücklich enthalten) in der Differenz oder dem Abstand als eigenem, aber verschobenem Ort der Faktizität und der Endlichkeit. Man könnte sich darüber verwundern, daß damit selbst das Göttliche eine phänomenologische »Gestalt« gewinnt. Aber abgesehen davon, daß es ja für dieses Göttliche weder Phänomene noch blitzhafte Apperzeptionen gäbe, wenn nicht schon im unendlichen Schematismus die Differenz des Endlichen bestünde, abgesehen also davon, daß für dieses Göttliche sich die Phänomene und die blitzhaften Apperzeptionen der Fetzen ihrer Phänomenalität in der selbst-transparenten Leere des Nichts zum Nichts auflösten, wobei dieses Göttliche aus phänomenologischer Sicht Nichts wäre und die phänomenologischen Konkretheiten ebenso wie die Phänomene nur von uns als den Bewohnern dieses Abstands kämen, bedeutete das aus phänomenologischer Sicht auch, daß der göttliche Verstand, wenn er nichts außer dem definitiv oder ewig blinden Lauf des gegenstandslosen sich schematisierenden Schematismus zum Bewohnen hat, weder archetypisch (eidetisch), noch anschaulich (apperzeptiv) sein könnte. Das drückt schon die ganze Verschiebung aus, die der unendliche Schematismus als archtektonisch zentrale »Gestalt« der Phänomenologie in die Kantsche Architektonik einführt. Außerdem zeigt sich, daß diese Verschiebung, die aus dem göttlichen Verstand einen aus phänomenologischer Sicht leeren Verstand macht, zweifellos die transzendentale Kritik der transzendentalen Illusion zu ihrem Ende führt, da diese als deren Illusion des Nichts zum Nichts erscheint. Sollte es diesen »Gott« geben, wäre er so arm, daß er buchstäblich Null wäre, und »Gott« könnte allenfalls nur durch uns »leben«, d.h. in dem Abstand oder der Differenz zwischen dem Schematismus und ihm selbst.20 Und »ewig« wäre er nur aus der phänomenologischen Ewigkeit der Phänomenalisierung, der des Dichters, des »Meeres, das mit der Sonne geht«. Als architektonische »Gestalt« eines von ihm selbst abstrahierten unendlichen Schematismus, weil er ohne Abstand im Verhältnis zu sich selbst wäre, ist Gott nicht einmal ein metaphysisches Rätsel, sondern metaphysisch unmöglich – was ein Zeichen dafür ist, daß er nur einen architektonischen Sinn hat und daß er nur in und durch den Abstand einen phänomenologischen Sinn gewinnt,
396 der aus phänomenologischer Sicht positiv (und nicht nur negativ) fungiert. Ein Zeichen auch dafür, daß wir damit am weitesten von der symbolischen Stiftung und sogar vom symbolischen Stifter entfernt sind, auch wenn diese architektonische Gestalt des Unendlichen eine unabweisbare Spur des philosophischen Sprachsystems in der Phänomenologie ist. Aber eben diese Spur hat keinen Sinn aus sich selbst, da sie diesen nur in dem Abstand zu sich selbst gewinnen kann, in den sich die gesamte Phänomenologie einhöhlt. Es handelt sich also aus wirklich architektonischer Sicht um die zum symbolischen Stifter antipodische »Gestalt«, die in unseren Augen jedes Bemühen der phänomenologischen »Bestimmung« des symbolischen Stifters vereitelt. Der kann nicht etwa, wie man allzu oft gesagt hat, im Sprachsystem, sondern nur mit dem menschlichen Selbst, d.h. mit dem Sprachsystem auftauchen. Wir sind so auf die komplexe Architektonik zwischen der phänomenologischen Sprache und dem Sprachsystem oder den Sprachsystemen zurückverwiesen. c) Skizze einer Architektonik der Beziehungen zwischen phänomenologischer Sprache und dem Sprachsystem/den Sprachsystemen: die Architektonik der identitären Implosionen Bemerkenswerterweise verteilen sich, wenn der unendliche Schematismus architektonisch antipodisch zum symbolischen Stifter ist, auch die identiären Implosionen des Sinns zu Sinnidentitäten zwischen zwei äußerst ähnlich antipodischen »Gestalten«: einmal die Implosion, welche die Katastrophe oder das schwarzen Loch des Sinns in der Psychose konstituiert, und zum anderen die Implosion der Apperzeptionen oder der Zeichen des Sprachsystems in anscheinend außersprachliche identische Apperzeptionen. Nun überlagert nicht die eine dieser architektonischen Verteilungen die andere, vielmehr antworten sie wie zwei Grenzfälle gleichsam echoartig aufeinander. Es gibt eine Art von »symbolischer Pathologie« des Logisch-eidetischen, die, wenn es ihr gelingt, sich als solche in ihrer Stiftung zu vollenden, die Praxis des Sprachsystems jeden »Lebens« und jeder Sinnsuche beraubte und sie darauf beschränkte, stupid wie ein Esel solche Sätze zu wiederholen wie »Gold ist gelb« oder »es regnet« – in einer Art »Schizophrenie« des Sprachsystems, das in einen vermeintlich reinen Logos gespalten ist, der immer weiter abspaltet, was überdies mit der Elison eines jeden konkreten Selbst einhergeht. Das ist eine extreme Spielart, auf die, was höchst bemerkenswert ist, sich glücklicherweise die klassische Philosophie niemals reduziert hat. Das bedeutet, daß sowohl an diesem architektonischen Pol wie bei seinem antipodischen Gegenüber, dem der Psychosen, die identitäre Implosion niemals ganz abgeschlossen ist und daß in diesem Sinn die symbolische Stiftung, zumindest die symbolische Stiftung im Fortgang, für welche die Verdichtung zum symbolische Gestell* immer eine Drohung bedeutet, gewissermaßen eine Verteidigung gegen die identitäre Implosion darstellt. Aber diese Verteidigung ist mehr oder weniger instabil, mehr oder weniger prekär und mehr oder weniger »gelungen«: sie spielt sich immer in der symbolischen Erarbeitung der sich vollziehenden symbolischen Stiftung ab, nämlich durch die in ihr spielende phänomenologische Dimension, die durch das Bewahren zumindest von Spuren der blitzhaften Apperzeption und der Transpassibilität die identitären Implosionen davor zurückhält, sich zu vollenden – ob nun als Implosion der phänomenologischen sprachlichen Phasen zu »Signifikanten« oder der Zeichen des Sprachsystems zu den vermeintlich reinen Idealitäten. Es ist nämlich kennzeichnend, daß im Falle der Vollendung der symbolischen Stiftung – wenn das Selbst darauf reduziert würde, in einer Art universellen Kombinierens, »Performanzen« eines linguistischen oder semiotischen »Sy-
397 stems« (Gestell*) zu realisieren – die Transpassibilitäten darauf reduziert würden, nur immer schon da seiende, dem System allerdings noch unbewußte »Möglichkeiten« zu sein. Alles wäre immer schon gesagt, in einer Gegenwart der symbolischen Stiftung ohne jede Zeitlichkeit, und sollte dies nicht der Fall sein, wie man festzustellen gewungen ist, dann gehört das eben nicht der Faktizität, sondern der Faktualität an. Es ist schlicht eine Tatsache, daß vergleichsweise wenige menschliche Wesen psychotisch sind, ebenso wie nur wenige menschliche Wesen den absoluten Ort des absoluten Wissens besetzen. Alles rührt, wie wir wissen, daher, daß der architektonische Angelpunkt der architektonischen Beziehungen zwischen phänomenologischer Sprache und dem Sprachsystem oder den Sprachsystemen – der Pluralität der empirischen Sprachsysteme und der Sprachsysteme im Verlauf ihrer Stiftung in einem empirischen Sprachsystem – durch das phänomenologische Erhabene konstituiert wird, in dem sich phänomenologisches Feld und symbolisches Feld begegnen, und zwar positiv in der phänomenologischen Begegnung, negativ in der symbolischen Verfehlung. Es kann in dieser Hinsicht interessant sein, die Dinge von den Psychosen her aufzunehmen, dort, wo das symbolische Verfehlen sozusagen einen extremen Zustand erreicht. Von einer bestimmten Seite gesehen gibt es für den phänomenologischen »Blick« keinen »direkten« Zugang zur Psychose, auch nicht durch die phänomenologische Epoché im Sinn der das Symbolische ausschaltenden Epoché, und zwar weil in einem problematischen Sinn, der schon Husserl aufgegangen war, das Phänomenologische sich mit der »Normalität« vermengt. Aber es handelt sich bei ihr nicht um die Normalität irgendeiner sozialen oder moralischen Norm, auch wenn sie in ihrem weitesten Sinn gefaßt wäre, noch um die religiöser oder »philosophischer« Normen: sie verbindet sich viel eher mit dem »sensus communis« im Sinne Kants, d.h. mit dem phänomenologischen »Gemeinsinn«, der phänomenologischen Masse sprachlicher Phänomene, die zueinander transpassibel sind. Nun hat Maldiney wunderbar gezeigt,21 daß die Psychose aus einem Kurzschluß der Transpassibilität besteht. Das wird dadurch vermittelt, daß es in diesem Feld keine »intersubjektive Leiblichkeit« mehr gibt, d.h. keine interfaktizielle Begegnung, also keine mögliche Apprehension des Kranken davon, was seine existentiale ontologische Möglichkeit des Existierens im transitiven Sinn wäre. »Begegnung« gäbe es dann allenfalls in dem, was dauernd die Menschen schwer »trifft«, also in der Unmöglichkeit des Existierens für das kranke Subjekt, das so weit von seinem Geworfensein* eingenommen ist, daß die Transitivität seines Existierens durch ein immer schon vollendetes Sein aufgesogen ist, das immer schon irgendwo identitär implodiert ist. Allerdings ist diese Implosion äußerst schwer, aber nicht vollkommen verwirklicht. Das psychotische Wesen fühlt sich und leidet daran, gewissermaßen neben sich und der Welt zu sein, indem es sich nur durch Fetzen ergreift, nämlich die zerstreuten Fetzen der Katastrophe, deren implodiertes »Zentrum« unauflöslich woanders ist. Das bedeutet, daß im Gegensatz zu Binswangers Auffassung dieses Wesen nicht einfach eine »ontische Flexion« des Daseins* ist: seine Faktizität zersplittert dabei so weit, daß sie die Züge eines unerklärlichen rohen Faktums anzunehmen scheint, das des »nackten Schreckens« (Binswanger) eines Lebens, daß seines Sinns und seiner Zeitigung beraubt ist, so daß nur noch übrig bleibt, in der Stumpfsinnigkeit unendlich zu leiden. Das bedeutet auch, daß damit keine Hoffnung besteht, die Psychose von einer mehr oder weniger vagen »existentialen Anthropologie« oder von einer philosophischen Anthropologie her zu »verstehen«, die aus dem Dasein* ein Vorhandensein* macht, auch nicht, aus dem gleichen Grund, von einer mehr oder weniger verfeinerten »psy-
398 choanalytischen Anthropologie« her, ob sie nun »naturalistisch« (Freud) oder »struktural« (Lacan) ist. Die Phänomenologie kann Zugang zur Psychose finden, wenn sie »im Zickzack« vorgeht und dabei die symbolische Pathologie als symbolisches »Ausgleiten« auffaßt, das an sich völlig positiv ist, obwohl es schwer festgestellt werden kann. Es handelt sich um die verfrühte identitäre Implosion sprachlicher Phänomene oder Fetzen dieser Phänomene (Sinnfetzen), die ganze Flächen symbolischer Felder mit sich reißt und verschlingt – was insbesondere den Sprachgebrauch in Mitleidenschaft zieht. Entsprechend wird dabei auch die Leiblichkeit* des Leibes in seinen Zeitigungen/Räumlichungen hineingezogen – diese Seite der Beobachtung wurde bisher durch die von der Phänomenologie inspirierten Psychiatrie bemerkenswert analysiert und ausgearbeitet.22 So gesehen muß grundsätzlich jeder konkrete Fall der Psychose die Gelegenheit bieten, die komplexen architektonischen Bezüge zwischen der phänomenologischen Sprache und dem »Sprachsystem« zu studieren, das dazu tendiert, sich im Wahn als Selbstzweck zu stiften, eine Art »Sprachsystem« des Kranken, an der die Suche nach einer verlorenen, da woanders implodierten Identität ansetzt: die Analyse kann nur so vorgehen. daß sie von einem zum anderen übergeht, also im »Zickzack« vorgeht. In diesem Zusammenhang, in dem die verfrühte identitäre Implosion dazu tendiert, entsprechend das Symbolische in ein symbolisches Gestell zu verwandeln, das blind diese unsinnigen »Signifikanten« manipuliert, erscheinen vielleicht schließlich die Neurosen und Perversionen in der Bewegung der sich vollziehenden symbolischen Stiftung, die sich aber auf eine unbewußte und »private« und immer verfrühte Weise vollzieht, ihrerseits nicht so sehr als »Abwehr« des chaotischen »Unbewußte«, sondern vielmehr als »Abwehr der psychotischen Katastrophe, d.h. eines symbolischen Verfehlens, das dabei als absolutes blitzhaft apperzipiert würde. Wenn in diesen Fällen der symbolische Aspekt des »psychischen Konflikts« sehr viel unmittelbarer »lesbar« ist, wenn er darin sogar den Anschein einer symbolischen, allerdings verfrüht blockierten Verwicklung annimmt – die der symbolischen Identität des Subjekts – die allerdings wegen ihrer verfrühten Blockierung weder Sinn noch Geschichte bildet, sondern in ihrem Innersten unsinnig und ohne Geschichte (unbewußt) bleibt, dann deswegen, weil die Neurosen und die Perversionen jeweils auf ihre Weise vielleicht Arten »zwischengeschalteter Zustände« eines Quasi-Gleichgewichts sind zwischen der sozial anerkannten, aber auch vom phänomenologischen sensus communis durchsetzten »Normalität« einerseits und der psychotischen Katastrophe andererseits. Während die Psychosen das ganze phänomenologische, außersprachliche und sprachliche, Feld in Mitleidenschaft ziehen, wobei die signifikante Gefangennahme dabei gewissermaßen unter aller Augen erscheinen kann, nähmen die Neurosen und Perversionen die signifkante Implosion sozusagen später, obwohl immer noch insofern verfrüht auf, als diese schon (noch) in der Bewegung der sich vollziehenden symbolischen Stiftung stattgefunden und dabei gewisse sprachliche Phänomene und damit besondere Arten von Verkettungen oder sozial gestifteter Praktiken in Mitleidenschaft gezogen haben würde. Während bei den Psychosen der »Punkt des Widerstands« gegen den »sensus communis« grundsätzlicher Art und quasi einzig oder zentral in seiner Monotonie ist, hat er sich in den Neurosen und Perversionen vervielfältigt, um »ein System zu bilden« – was er tatsächlich in den imaginären Vernünfteleien des Perversen oder des Neurotikers tut. Schließlich sollten nicht solche Grenzfälle vergessen werden, die man die sozialen »Pseudo-Psychosen« nennen könnte: in diesen Fällen verkommt das symbolische Feld zum symbolischen Gestell*, ob nun zu magisch-religiösen oder scholastischen Ritualen welcher
399 Art auch immer, in denen das symbolische »System« »von ganz allein« zu laufen scheint, wie in einem sich systematisch regelnden Delirium, das aus seiner Abweichung vom Gemeinsinn seine ausschließliche und beherrschende Regel macht: ein Grenzfall der symbolischen Stiftung, der es beinahe erreicht, seine Bildung in seinem Gebildeten und die Identität der Subjekte in den kodierten Zeichen zum Stillstand zu bringen. An dieser architektonischen Gestaltung der Bezüge zwischen Sprache und Sprachsystem bzw. Sprachsystemen überrrascht, daß sowohl eine Nähe als auch eine größere Distanz zwischen seinen äußersten Polen besteht, nämlich zwischen dem entsprechend in unseren »Meditationen« ausgebreiteten phänomenologischen Feld und dem Feld der Psychosen, wobei das erste durch die Transpassibilitäten und die blitzhaften Apperzeption »geregelt« wird, wohingegen diese im zweiten durch das Maschinenhafte unterdrückt wurden. Beide geraten für die Normalität ohne phänomenologische Anführungszeichen, also sozusagen für die symbolisch gestiftete Normalität der Lebenswelt* in Verwirrung durch die symbolische Verfehlung, die das Chaos der Inchoativität mit der Verwirrung der identitären Implosion verwechselt. Umgekehrt erfahren sie über die Distanz eines Abgrunds hinweg ihren Unterschied durch das phänomenologische Erhabene in seinem »positven Moment, als »movimentum«, in dem das Selbst phänomenologisch sich selbst als Rätsel erreicht, d.h. indem es sich als Rätsel begriffslos im Rätsel eines nicht bestimmenden, nicht ursächlichen, wirkungslosen symbolischen Stifters reflektiert. Dadurch stiftet sich ebenso rätselhaft die fungierende Sprache im Sprachsystem, aber in der un-endlichen Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung. Dadurch also stiftet sich die phänomenologische »Normalität« des »Gemeinsinns« in jener Normalität, die wir als die der Lebenswelt* kennen und an-erkennen. So erscheint diese sowohl wie eine endlos sich selbst vertiefende Distanzierung des phänomenologischen Feldes, als auch wie eine Abwehr gegen die dabei ständig drohenden identitären Implosionen, wobei die symbolische Stiftung dazu tendiert, sie nach einer »Ökonomie« zu »disziplinieren«, die nicht ohne Weisheit ist – in der sich bildenden symbolischen Stiftung gibt es immer eine durchaus implizite Weisheit. Nichts bewahrt sie aber ihrerseits, um den Preis des Schwindens dieser Weisheit, vor der Gefahr der identitären Implosion des nun als seine Zeichen Erscheinenden, als ob es besser wäre, eine durch eine Art Verkrampfung scheinbar beherrschte »Pseudo-Psychose« in der quasi magischen Operativität der Zeichen zu haben, als ganz der verheerenden Barbarei der Psychose zu unterliegen – als ob ein »rationaler« manipulierender »Gott« (Gestell*) (dessen Regeln bekannt und wiedererkennbar sind) besser wäre als ein blinder manipulierender »Gott« (Gestell*) (dessen Regeln sich jedem bekannten oder erkennbarem Maßstab entziehen). Das bedeutet, daß es auch eine mehrgeschossige Architektonik der identitären Implosionen gibt, die als antipodisches Echo auf die mehrgeschossige Architektonik der Phänomenologie antwortet: den vermeintlich außersprachlichen Eidè entsprechen die außersprachlichen weltlichen wilden Wesen*; den verschiedenen »Logiken«, von der des Eidetischen bis hin zu denen des »Signifikanten«, entsprechen mehr oder weniger damit vermengt die sprachlichen Logizitäten als sprachliche wilde Wesen*; den außerzeitlichen Signifikanten des symbolischen Unbewußten entsprechen weltliche wilde Wesen*, die durch die Verwebungen von sprachlichen wilden Wesen* kolonisiert sind: der Nacktheit der sich blind und unsinnig in Gang setzenden Signifikanten der psychotischer Erfahrung entsprechen außersprachliche weltliche wilde Wesen mit ihrer Unerinnerbarkeit und Ungereiftheit. Das bedeutet also, daß die Phänomenologie der fungierenden Sprache und der
400 außersprachlichen Welten in ihrem ganzen Umfang die Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung verdoppelt, einschließlich ihrer »Ausrutscher« innerhalb der aus phänomenologischer Sicht immer verfrühten identitären Implosionen. Das bedeutet auch, daß die phänomenologische Analyse darin ihr ganzes Recht zurückgewinnt, unter der Bedingung, sich nicht in der Zirkularität der symbolischen Tautologie, sondern als Analyse im Zickzack zu vollziehen, die aus nichts anderem besteht als aus dem durch die hyperbolische phänomenologische Epoché immer lateral zu dieser Zirkularität verlaufenden Spiel der blitzhaften Apperzeptionen und der interfaktiziellen Transpassibilität. Dabei kommen wir auf den Schematismus der Phänomenalisierung als »Ort« der blitzhaften Apperzeptionen und der Transpassibilitäten zurück. D.h. aus der Sicht der phänomenologischen Erfahrung, die wir zu machen vermögen, kommen wir zum phänomenologischen Erhabenen als einer phänomenologischen blitzhaften Apperzeption des Selbst durch die Erfahrung seines Lebens und seines Todes im Symbolischen. Der Moment der Öffnung zum Phänomenologischen, der sich eigentlich in der hyperbolisch-phänomenologischen Epoché vollzieht, ist nichts anderes als die phänomenologische »Komponente« der am Ort des Erhabenen stattfindenden Begegnung des Phänomenologischen mit dem Symbolischen. Diese vermittelt den blitzhaften Apperzeptionen und den Transpassibilitäten ihren genauen architektonisch-phänomenologischen Status innerhalb der phänomenologischen Erfahrung, d.h. ihre phänomenologische Legitimität. d) Das phänomenologische blitzhafte Apperzipieren des Individuums (Selbst) und der Schematismus der Phänomenalisierung: die phänomenologische Erfahrung des phänomenologischen Erhabenen Von der symbolischen Apperzeption des Individuums als symbolischer Identität oder »Signifikant« ist seine konkrete phänomenologische Apperzeption zu unterscheiden. Aber insofern diese notwendigerweise die des verleiblichten Individuums ist und die Verleiblichung sich zwischen Anwesenheit und Abwesenheit abspielt, zwischen der Anwesenheit der Sinnregungen in den sprachlichen Phänomenen, wo sie in der Selbstheit der auf sich selbst bezogenen Sinnregungen eingegraben ist, und der Abwesenheit der Sinnregungen innerhalb der gleichen sprachlichen Phänomene, die sie der Erfahrung des Erhabenen aussetzen läßt, ist die konkrete phänomenologische Apperzeption des Individuums von einer transzendentalen Apperzeption ununterscheidbar, in der nämlich jede Phänomenalität des Individuums in seiner Apperzeption die eines Pulsierens oder Umschlagens in ekliptische Verdeckungen ist.23 Im Schwinden der Selbstheit der Sinnregungen innerhalb des phänomenologischen Apeirons des Erhabenen taucht innerhalb der ursprünglichen Räumlichung der Proto-Protentionen/Proto-Retentionen, in der Aufhebung jeden sprachlichen Phänomens, die verleiblichte Selbstheit als Zentrum in und durch die Verteilung der sich wechselseitig verdeckenden Sinnregungen auf. Aber dieses Auftauchen, wenn es sich nicht in sich selbst verfängt – was die transzendentale Illusion eines Begriffs, des absoluten Ichs oder Gottes als das Prinzip jeden Phänomens wäre –, kann seinerseits sich nur in der Mobilität des phänomenologischen Apeirons verteilend auflösen, und so weiter, aber nicht als ein Prozeß der durch ständige Unterbrechungen logisch geregelten oder kodierten, bis ins Unendliche laufenden Regression, sondern als ein wahrhafter Abgrund der auf sich selbst hin verleiblichten Selbstheit, deren ganzes Sein aus dieser niemals vollendeten Unbestimmtheit seiner »Konstitution« besteht. Man sieht also, daß in der Bewegung dieser »Konstitution«, diesem Pulsieren oder dieser Doppelbewegung des Schwindens und des Auftauchens das Selbst sich in sei-
401 nem Auftauchen/Schwinden nur blitzhaft apperzipieren kann, und zwar wenn sich das Auftauchen/Vergehen phänomenologisch (begriffslos) zugleich als solches, also als Phänomen reflektiert und damit als ein ganz anderes Auftauchen/Vergehen, das das Selbst als Selbst nur insofern aufrechterhält, als das Selbst es nicht beherrscht und dabei unausweichlich wie von einem Rätsel mitgenommen wird, das es sein läßt, und zwar jenseit der Hypostase der symbolischen Identität. Auf die Frage Wer bin ich? ist keine bestimte Antwort möglich, sie würde mich töten. Das Phänomenologische in dieser blitzhaften Apperzeption ist eigentlich das Pulsieren selbst, in dem sich nämlich eine sehr rätselhafte Reversibilität zwischen beiden Polen abspielt, die zusammenzuhalten sind. Das in ihr als eine »Vor-Öffnung« zum Symbolischen sich Ergebende ist dann die phänomenologische, da begriffslose Apprehension des Auftauchens/Schwindens als solchem, wie eine einzige Doppel-Bewegung, wie ein einziger Guß oder eine Schieflage des Auftauchens und Schwindens, in dem das individuierte Selbst pulsiert. Deshalb ist die »Gestalt« des symbolischen Stifters darin noch phänomenologisch, in dem Verständnis, wonach er sozusagen als die »absolute Einsamkeit« der Doppelbewegung als solcher erscheint, des Pulsierens als solchem, das »mich« zusammen mit den Phänomenen zwischen Individuation und der Desindividuation pulsieren läßt. Im Pulsieren vollzieht sich eigentlich ein Durchgang durch den Tod, insofern es mich den Tod (Schwinden) zum Auftauchen hin durchschreiten läßt, und auch ein Durchgang durch das Leben, insofern es mich das Leben (das Auftauchen) zum Vergehen hin durchschreiten läßt. Im Durchgang durch beides läßt mich das Pulsieren zwischen Leben und Tod, die beide gleichermaßen vergänglich sind, »zittern«. Und es verleiht mir eine Art sehr merkwürdiger Unsterblichkeit, da es in seinem ständigen Umschlag von einem Pol zum anderen zeitenthoben ist, gewissermaßen älter als die Zeitigung/Räumlichung, und im selbst rätselhaften Abstand der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung der Weltphänomene. Deshalb beginnt so etwas wie der Sinn der Sinnregungen, der eigentliche Ansatz jeden Sinns, auch dem, der mich selbst ausmacht und den ich für mich selbst zu bilden habe, der durch die faktischen Möglichkeiten des Lebens und des Todes hindurch pulsiert, wobei die Möglichkeiten in den Sinnregungen selbst enthalten sind, d.h. auf transpassible Art und dabei auf Transpassibilitäten öffnend. Mit der Aufhebung der Sprachphänomene, also der Sinnregungen, werden ihre wechselseitigen und vielfältigen Transpassibilitäten erweckt, nicht nur untereinander, sondern auch zu ihren Fetzen, und von ihnen aus zu anderen Ansätzen transpassibler Sinnregungen. Bei dieser Aufhebung oder Epoché hyperbolischer Art wird der Sinn in den Sinnregungen selbst durch diese Art von verallgemeinertem Pulsieren in Frage gestellt. Es geht dabei um die Erfahrung, daß man die Sinnregungen verliert, wenn man zu viel davon besitzt, und zwar wegen der Transparenz, die sie gewonnen zu haben scheinen, um die Erfahrung des ekliptischen Umschlagens in den Sinnregungen noch vor ihrer Zeitigung/Räumlichung, ihres rätselhaften Ursprungs zwischen der Proto-Zeitigung/Proto-Räumlichung und ihrer Zeitigung/Räumlichung, dem unfaßbaren »Moment«, in dem die Proto-Protentionen und die Proto-Retentionen in ihrer nicht nachlassenden ursprünglichen Räumlichung alle zusammen »tanzen«, welche den sozusagen noch »ursprünglicheren« Proto-Räumlichungen/Proto-Zeitigungen angehört. Nichts kann nämlich das phänomenologische Pulsieren am Wuchern hindern. In wieder anderen Worten, die unsere Rede durch klassische Bezüge klären könnte, kann das Pulsieren als solches als das göttliche »Denken« selbst gedacht werden, aber man sieht, daß dies ein »Denken« vor der »Schöpfung« wäre, das nichts be-
402 stimmt, daß sogar nur das Nichts des Pulsierens denkt und das überdies, da es niemals weder mit dem Auftauchen noch mit dem Vergehen zusammenfallen kann, gegenüber sich selbst immer ursprünglich verfrüht und verspätet ist: das nun ist der unendliche Schematismus der Phänomenalisierung mit seinem ursprünglichen Abstand zu sich selbst, die einzige phänomenologisch-architektonische Gestalt des symbolischen Stifters, die ihn nicht auf das reine Nichts zurückführt. Das Pulsieren als solches kann noch mit dem Licht vergeglichen werden, aber nur so verstanden, daß dieses Licht nur erhellt, um insgeheim sich zu verdunkeln, da es ganz aus dem Pulsieren zwischen der Erleuchtung des Auftauchenden und dem Verdunkeln des Vergehenden besteht. Obwohl es Abwesenheit in der Transzendenz von Abwesenheit der Welt ist, hat es dennoch insofern einen unreduzierbar symbolischen Status, als es nur durch einen Sprung oder Hiatus im Verhältnis zum Phänomenologischen gedacht werden kann: nichts in den sprachlichen und außersprachlichen Weltphänomenen kann seine Reflexion als einer radikalen Einzigartigkeit motivieren, wobei seine Einzigkeit nur von dieser Radikalität herkommt (und nicht umgekehrt), weshalb paradoxerweise seine Reflexion trotz allem phänomenologisch ist. Wir stehen letztlich vor dem alten Paradox, daß Gott mich als verleiblichtes Selbst individuieren kann, als »Kreatur«. Wir sehen es nur unter einer anderen Form, nämlich der phänomenologischen Reflexion eines unreduzierbaren einzelnen Wesens wieder auftauchen. Dieses einzelne Wesen ist schon mit jedem Weltphänomen gegeben, kann aber nur dann noch einmal als solches reflektiert werden, wenn es sich in einem im Abgrund der Doppelbewegung selbst vorausgeht und nachfolgt, oder besser: wenn es sich selbst als die Phänomenalität eines Phänomens nimmt, das sich nur hinsichtlich seiner selbst phänomenalisiert, also ohne daß etwas anderes als es selbst dabei erscheint. Derart ist also gewissermaßen die schematische Phänomenalisierung im elementarsten Zustand: sie ist Schematisierung zwischen blinder und sprachlicher Schematisierung, da sie wegen ihres Eintretens durch den Abgrund der phänomenologischen blitzhaften Apperzeption des Selbst darauf hinausläuft, das phänomenologische Pulsieren als solches zwischen Sinn und Nicht-Sinn zu schematisieren. Denn es besteht kein Zweifel, daß nun auch dieses Schema der Doppelbewegung zwischen Auftauchen und Vergehen zu pulsieren beginnt, d.h. konkret als das blitzhaft apperzipiert zu werden, was das Selbst stützt und auflöst. Was so aus einer spekulativen Sicht fast verrückte Abstraktion ist, ist aber konkret nichts anderes als die phänomenologische Erfahrung unseres Lebens und unseres Todes, der tiefsten Gründe der menschlichen Selbstheit, die immer weiter weg ist, als man sie festgemacht zu haben glaubt, unauffindbar, es sei denn in der unendlichen Bewegung der Suche nach ihr. So gesehen ist die phänomenologische blitzhafte Apperzeption des Individuums nichts anderes als die phänomenologische blitzhafte Apperzeption eines radikal Anderen, wir tragen es alle in uns, wenn wir ihm in dieser unendlichen Bewegung nachspüren, wir sind von dieser radikalen Unheimlichkeit* bewohnt, die uns unvermeidlich irren läßt, auf den Wegen und Umwegen, den glücklichen und unglücklichen Stunden (heurs et malheurs) unseres individuierten Rätsels. Es handelt sich aber dabei nicht um das Innewohnen eines anwesenden Gottes, auch nicht eines Gottes, der nur als Leichnam anwesend wäre – wie im Fall der symbolischen Verfehlung, wo der Leichnam durch die Fäden des Apparats oder des symbolischen Gestells wiederbelebt wird –, denn hier geht es um die Bewohnung durch eine endlos fliehende Abwesenheit, u.z. in eine aus Abwesenheit der Welt bestehende Transzendenz. Wenn nach alter Lehre der Leib der Individuierung ein Grab ist, dann lebt er als ein Leib und nicht als ein von außen, etwa vom Großen Anderen »beseelter« Kör-
403 per, eben nur dann, wenn das Grab seit jeher und für immer leer ist. In diesem Sinn schließen wir uns Lévinas an, da der symbolische Stifter, Gott, mit dem Gesicht eines Unererinnerbaren erscheint, das einer anderen Ordnung angehört als das Unerinnerbare/Ungereifte der Welt: dies allein erlaubt dem Gedanken des symbolischen Stifters als einer arché und somit der onto-theologischen Substruktion der Metaphysik zu entgehen. Wenn man dergleichen ein letztes Mal mit den Begriffen des cartesianischen Cogito wieder aufnehmen wollte, müßte man sagen, daß sich aus dem hyperbolischen Zweifel eigentlich nichts anderes ergibt als ein radikal unbestimmtes Cogito des Unbestimmten, und daß wenn »ich« denke, im transzendentalen – da in den Ausdrücken einer Positivität nicht faßbaren – Abgrund der »Selbst-Ahnung«, »ich« in diesem Denken nur insofern bin, als der Abgrund des Pulsierens oder der Doppelbewegung als solcher »mich« sein läßt. Mein Denken ist dabei völlig unbestimmt, da es nichts anderes als das Pulsieren selbst ist, und um mein Sein steht es genauso, da es das Sein des Abgrundes ohne Grund und Ende des Auftauchens/Vergehens ist, das mich in ihn hinabreißt und mich nur insofern auf die Ränder zurückstößt, als es eben diese absolute Singularität des Seins ohne Boden und ohne Ende hat. Aber diese Singularität ist aus phänomenologischer Sicht nichts anderes als der Übergangspunkt zum unbestimmten und unbestimmbaren Ganzen des phänomenologischen Feldes, das sozusagen die unergründliche göttliche »Tiefe« ausmacht. In diesem Sinn muß man die architektonische Überlagerung des unendlichen Schematismus der Phänomenalisierung und des symbolischen Stifters innerhalb der Architektonik verstehen: Gott selbst kann nichts ohne unendlichen Schematismus stiften, und es gäbe überhaupt keine mögliche phänomenologische blitzhafte Apperzeption des symbolischen Stifters ohne den unendlichen Schematismus des phänomenologischen Pulsierens des Selbst innerhalb der Doppelbewegung; was nun nicht bedeuten soll, daß die beiden Gestalten identisch wären oder die eine zur anderen übergehen könnte, da der Hiatus als ein Hiatus zwischen Symbolischem und Phänomenologischem streng aufrechterhalten werden muß. Es ist also wahr, daß Gott im Cogito da ist, aber er ist es nur durch seine Abwesenheit. Zwar hat Descartes das Erhabene im hyperbolischen Zweifel darin berührt, daß auch dieser mich in dem individuiert, was nur Anschein oder Phänomen wäre, hat aber mit seinem Gedanken etwas kurzgeschlossen, daß ich nach einer solchen Individuierung in Gott etwas »sehen« könnte (»die ewigen Wahrheiten«): ein Kurzschluß, durch den, plötzlich, aber auch insgeheim, der symbolische Stifter auf die Stufe des symbolisch Gestifteten gehoben wird, wobei der erhabene »Moment« sozusagen nur für den guten, wahrhaftigen Ablauf in der symbolischen Stiftung benutzt oder ausgebeutet wurde. Dem Genie Kants gebührt das Verdienst, diese Zauberei entzaubert und den dafür Aufgeschlossenen gezeigt zu haben daß die cogitatio nur sehr selten ihren cogitata genau entspricht – daß dergleichen eigentlich nur in den identitären Implosionen geschieht. In einem besonderen Sinn hat Husserl genau das wiederentdeckt, aber um gleich wieder, zumindest in seinen »offiziellen« oder »lehrhaften« Schriften, in den Irrtum zurückzufallen, nach dem die cogitatio ipso facto bestimmt und möglicher Gegenstand einer adäquaten Anschauung ist. Denn das Selbst oder das transzendentale Ich erhält, wie wohl deutlich wurde, sein »Leben« durch nichts anderes als durch das Pulsieren seiner blitzhaften Apperzeption, die das »Erlebte« in seinen Tiefen für einen adäquaten anschaulichen Zugriff wegen dessen Abwesenheit völlig unerfaßbar macht. Aber gerade diese Unfaßbarkeit oder diese Nicht-Gegebenheit des Erlebnisses
404 hat die Phänomenologie erst möglich gemacht, denn gerade durch sie gehört trotz allem das »Erlebnis« dem Feld der Phänomene an und ist von einer phänomenalen Tiefe, die immer das zu subvertieren vermag, was dessen Anschauung in der Gegebenheit immer nur als das immer schon symbolisch Kodierte und Zugeschnittene ergreift. Wenn das Erlebnis etwas anderes ist als der einfache psychologische Inhalt dessen, was ich zu leben und zu denken glaube, also etwas anderes als der Inhalt einer mehr oder weniger (bei Husserl: durch das Eidetische) verfeinerten oder disziplinierten Innenschau, wenn also das Erlebnis eine phänomenologisch-transzendentale Dimension hat, dann deshalb, weil es nichts anderes ist als die Welt in ihren sprachlichen und außersprachlichen Phänomenen. Als eine Transzendenz aus Abwesenheit darin, daß ich niemals sehr genau weiß, ob ich lebe, wie ich lebe und was ich lebe, ist das Erlebnis ein »meiniges« eigentlich nur im Schwanken des Individuums am Ort seiner konkreten blitzhaften, auch stets transzendentalen Apperzeption einer Zugehörigkeit zum Selbst, die also immer problematisch und immer der hyperbolischen Epche unterworfen ist, aber ihre letzte Konsistenz eben nur in der Bewegung dieser Hyperbel gewinnt, die niemals ein Ergebnis hat. Derart ist, denken wir und nehmen die Ausdrucksweise Finks wieder auf, der festumrissene Platz des »phänomenolgisierenden« – an der Phänomenalisierung teilhabenden – Ichs in der Phänomenologie. Diesen Platz hat Husserl, wie wir gesehen haben, vorausgeahnt, und man sieht auch, seine grundsätzliche Instabilität, ja sogar unaufhaltsame Verflüchtigung, was deswegen nun nicht bedeutet, daß die Phänomenologie hinfort sich »ganz aus sich selbst heraus« entwickeln müßte – selbst wenn sie ganz dicht davorsteht und damit sich als nicht-philosophische gäbe.
§ 3. ARCHITEKTONISCHE WAHRHEIT UND PHÄNOMENOLOGIE
a) Von der transzendentalen Erschleichung der Lichtung* bei Heidegger Aus all unseren vorangegangenen Betrachtungen könnte hervorgehen, daß wir zumindest zu einer gewissen architektonischen »Wahrheit« gelangen, die nun offensichtlich nicht als »Angleichung« an einen gewissen bereits existierenden (vorhandenen*) »Sachverhalt« aufgefaßt werden könnte, sondern als Lichtung*, in der das Ganze der Phänomenologie und seiner inneren Gliederungen in seinen Verhältnissen mit der symbolischen Stiftung und deren inneren Gliederungen »sich lichtet«. Wir stünden somit vor der Notwendigkeit, den Heideggerschen Begriff der Lichtung* umzugestalten, insofern in der Phänomenologie nur sehr wenig – es sei denn an einem ihrer Grenzpunkte – vom Seienden die Rede ist, also von den von uns so genannten Sprachapperzeptionen. Zumindest Heidegger aber schlägt vor, sie auf die Frage des Seins hin zu »überholen« oder zu überschreiten. Die Lehre von der Lichtung*, die uns in besonders augenfälliger Weise für diese »Transponierung« oder »Umgestaltung« geeignet erscheint, entwickelt Heidegger in dem 1950 in den Holzwegen veröffentlichten Text Der Ursprung des Kunstwerks, insbesondere auf einer Seite von einer außergewöhnlichen Dichte, in der vom Irrtum und der Nicht-Wahrheit die Rede ist. Ein Text also, an dem die Erwartung gestellt werden könnte, daß Heidegger auf dieser Ebene der Radikalität mit der Frage des »Irrtums« oder der ursprünglichen oder transzendentalen »Illusion« die Frage der architektonischen »Wahrheit« seines eigenen Vorgehens stellte. Wir sprechen im Konjunktiv, da dies in Wirklichkeit nicht geschieht, da hier der Irrtum nur das
405 Seinde und die Seienden betrifft und nicht das, was als die Illusion der Lichtung* selbst erscheinen könnte – eine Illusion, die wahrhaft transzendental oder »ontologisch« wäre. Auf dieser Seite, die übrigens entscheidend für den Aufbau des Textes über das Kunstwerk ist,24 faßt Heidegger zwei Möglichkeiten der Verbergung* ins Auge. Er unterscheidet die Verbergung als Versagen* von der Verbergung als Verstellen*, eine Unterscheidung innerhalb des Rahmens der ontologischen Differenz Seiendes/Sein. Damit wird nun folgendes eingebracht: wenn die Lichtung der Ort des Seins ist, an dem das Seiende zur Erscheinung kommt, dann ist die Lichtung immer mit dem Seienden als die Bedingung der Möglichkeit seines Erscheinens zirkulär verbunden. Der Irrtum entstünde gewissermaßen nur dadurch, daß dem Sein zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, und damit durch eine Uneigentlichkeit* des menschlichen Daseins*. Genau das zu »überschreiten« nimmt sich Heidegger vor. Was die Verbergung als Versagung angeht, so ist sie, wie er schreibt, »der Anfang der Lichtung des Gelichteten«: es ist die Versagung des Seienden, von der wir noch nichts anderes sagen können als: es ist. Es handelt sich also um ein Auftauchen des Seienden in einer Art von undifferenzierter Inchoativität, in der sich die Sprache auf das einzige Wort »ist« reduziert. Das ist, wie man sagen könnte, nun selbst die Bewegung der symbolischen Stiftung des »Realen«, die sich aus sich selbst heraus in ihrer apperzeptiven Identität des Seienden hält und universaler »Referent« jeder Hinweisung* im philosophischen Sprachsystem ist. Aber es gibt noch eine andere Art Verbergung inmitten des sich gerade Lichtenden: wenn ein Seiendes vor das andere gleitet, eines durch das andere verschleiert* oder dieses durch jenes verdunkelt wird oder auch wenn eine Vielfalt unter die Maske von nur Einigem gerät oder das Ganze durch das Vereinzelte verneint wird. Da, präzisiert Heidegger, erscheint zwar das Seiende, aber gibt sich anders als es ist, d.h. als Schein* und trügerischer Schein, was als eigentlicher Ursprung des Irrtums gelten kann. Daß der Irrtum nur das Seiende, also die apperzeptiven Identitäten, betrifft und zwar besonders in ihrer Vielfalt und den Vielfältigkeiten ihrer Gliederungen, also auch ihrer Differenzen, ist hier schon recht bemerkenswert. Der Irrtum ist damit gewissermaßen eine »Vermengung« durch vielfältige Verstellungen der apperzeptiven Identitäten. Wenn wir den Sinn des Textes richtig erfassen, dann bedeutet das, sobald das Seiende überhaupt, das sich zu lichten begonnen hat, dabei sich der Sprache verweigert und in ihr als seine Spur nur das Wörtchen »ist« hinterläßt, sich differenziert, indem es die Lichtung »ausdehnt«, zersplittert es in Vielfältigkeiten von Seiendem, die der alles verwirrenden Verstellung unterliegen. Heidegger unterstreicht mit Nachdruck, daß wir nie mit Gewißheit die beiden Arten der Verbergung auseinanderhalten können. Können wir wirklich das »es ist« von einem Seienden behaupten, das sich anderes gibt als es ist, d.h. als Schein? Und können wir entsprechend sagen, daß es überhaupt nicht ist, da es sich trotz allem als täuschendes gibt? Es besteht kein Zweifel, daß für Heidegger diese Ununterscheidbarkeit das Kennzeichen unserer Endlichkeit ist. Und dieser Ununterscheidbarkeit ist, wie er hinzufügt, eigentümlich, so zu tun, als verberge und verstelle sich die Verbergung selbst in einer Art unstabiler und unbeherrschbarer Migration der Versagung zur Verstellung und von der Verstellung zur Versagung, wobei beide miteinander vermengt werden. Aber all dies fände nach Heidegger überhaupt nicht statt, wenn die Lichtung des Gelichteten nicht immer schon begonnen hätte: Man muß also denken, daß all dies am Ort der Lichtung* hervorgebracht wird und daß diese nie eine feste Bühne ist, auf der sich das Spiel des Seienden abspielen würde. In un-
406 seren Begriffen bedeutet das, daß die Lichtung der Ort der wandelbaren und wechselhaften Pulsierungen des Gelichteten ist. In den Begriffen Heideggers, daß die Lichtung* selbst nur als diese doppelte Verbergung der Versagung und Verstellung erzeugt wird und daß demnach die Unverborgenheit* des Seienden nicht dem Seienden selbst angehört – aber, wie Heidegger später in seinem Werk präzisiert, dem Sein, insofern es sich mit dem Sein (Wesen*) des Daseins* im Menschen verbindet oder es sich »aneignet«. Dies kann so aufgefaßt werden, daß das Wesen* der Wahrheit die Nicht-Wahrheit ist (die doppelte Verbergung), in einem anderen Sinn aber, den wir hinzufügen, bedeutet es, daß es keine (transzendentale) Illusion des Seins selbst gibt und damit, da doch Verbergung und sogar doppelte Verbergung stattfinden, auch keinen (transzendentale) Schein der Lichtung selbst, da dergleichen nur in der Differenzierung und Vervielfältigung des Gelichteten möglich ist. Es wird also bekanntlich auf der Ebene der Lichtung keine Art von »transzendentaler Hyperdialektik« geben. Das aber bedeutet für uns zweierlei: daß die Lichtung* gewissermaßen ein nicht-kritischer (vor-kritischer oder illusionär die Kantische transzendentale Kritik überschreitender) Begriff ist, der nicht durch eine hyperbolische phänomenologische Epoché in Frage gestellt wird, und daß gerade die architektonische Kritik des Begriffs der Lichtung deren fundamentalen architektonischen Mangel aufzudecken hat. Wenn wir richtig sehen, muß es im Begriff der Lichtung eine unbemerkte transzendentale Erschleichung geben, wegen der Heidegger zweifellos etwas hastig darauf schließt, daß die Lichtung* aus dem Seienden entwurzelt ist. Beunruhigend ist schon, daß Heidegger zunächst zwei Arten der Verbergung unterscheidet, um sie dann als ununterscheidbar zu erklären. Das ist von großem Nutzen, denn dadurch löst sich die »Wahrheit«, die Lichtung*, nämlich vom Seienden und von der Zirkularität ab, die sich daran zu heften scheint, aber die Voraussetzung wiegt um so schwerer, als der Begriff der Verbergung als Versagung, nämlich der ontischen Bestimmungen, sich allzu gut in die Gesamtheit der Heideggerschen Problematik der ontischontologischen Differenz einfügt. Man mag sich fragen, ob es nicht hier schon eine Art kohärenter Verformung der Problematik gibt, die schon als transzendentale Erschleichung gelten könnte und zum Korrelat jene andere transzendentale Erschleichung hätte, dank derer der Begriff der Verbergung als Verstellung sich zunächst nur auf der ontischen Ebene allein abzuspielen scheint – wobei die Verwirrungen, die durch Verstellungen herbeigeführt werden, für Heidegger nur die von uns so genannten apperzeptiven Identitäten betreffen: es handelt sich nur um ein Abgleiten, um Verschleierungen, Verdunkelungen, Maskierungen, Verneinungen des Seienden durch das Seiende. Erst dann, durch die verborgenene Vervielfältigung und Differenzierung des Seienden in plurales Seiendes, wobei diese Pluralisierung insgeheim auf die Rechnung des Seins gesetzt wird, sieht der Begriff der Verbergung als Verstellung sich mit einer »ontologischen« Dimension »wieder aufgeladen«, wobei die Endlichkeit auf ebenso verborgene Weise die Aufgabe hat, mit ihrem unterbrechenden Einschnitt die endliche Ununterscheidbarkeit der Versagung und der Verstellung zu kennzeichnen. Kann man etwas anderem als »der« derart als implizitem »Gegensatz« gefaßten Metaphysik ihre anfänglich gesetzte Differenz in Rechnung stellen? Und was wäre berechtigt, die mit der Architektonik verbundene transzendental-kritische Reflexion zu hindern, sich über die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen Versagung und Verstellung in der Lichtung* selbst Fragen zu stellen? Wenn diese Unterscheidung nur eine (transzendentale) Illusion ist, wäre es dann nicht auch der ge-
407 samte Heideggersche Diskurs und müßte er nicht dementsprechend in seiner philosophischen Gliederung als eine Konstruktion bezeichnet werden? Der Gedanke ist also unabweisbar, daß sich diese Ununterscheidbarkeit in dem flüchtigen – pulsierenden – Übergang der Lichtung abspielt, allerdings nur insofern als dieser »Übergang« gleichzeitig »Übergang« zur Unverborgenheit des Seienden ist – der apperzeptiven Identität. Da die Lichtung Seiendes zu lichten beginnt, ist es nur Seiendes, das sich in die Illusion oder den Irrtum vermengen oder verwirren kann. Die Heideggersche transzendentale Erschleichung liegt darin, daß sie insgeheim dem Seienden die Partei (und den Ausgangspunkt) entnimmt, die aus ihm hinauszugehen und die Lichtung vom Seienden loszulösen erlaubt. Denn wenn wir in umgekehrter Richtung vom Zielpunkt der doppelt wechselhaften Lichtung* ausgehen, erhalten wir nämlich nichts anderes als das, was wir die vielfältigen Verwebungen und Überkreuzungen der Sprachapperzeptionen zu schon sprachlichen blitzhaften Apperzeptionen genannt haben, in denen nichts mehr darauf hinweist, es sei denn, man unterschiebt den Ausgangspunkt dem Zielpunkt, daß das Gelichtete sich notwendigerweise als apperzeptive Identität des Sprachsystems lichten müsse. Wir sind zu einem anderen architektonischen Register übergegangen, und die Heideggersche transzendentale Erschleichung besteht nun ganz wie bei Husserl darin, blind (und insgeheim) dieses andere Register in Begriffen von apperzeptiven Identitäten zu rekodieren. Damit haben wir die Lichtung* als transzendentale Illusion. Hätte Heidegger gedacht, daß am Ort der Lichtung* streng genommen vom Seienden nicht mehr die Rede sein kann, dann hätte man sagen können, daß er dieser Illusion entgangen wäre, und daß seine »Konstruktion« ein nur heuristisches Hilfsmittel wäre, um die hyperbolisch-phänomenologische Epoché dessen auszuüben, was in »Wahrheit« immer nur »zu sein scheint«, und zwar in einem Urglauben* oder der Urdoxa*, welche symbolischer Glaube ans Seiende ist – während es doch aus streng phänomenologischer Sicht immer nur ein Simulacrum des Seienden gibt, was wir an anderer Stelle ontisches Simulacrum genannt haben, eine apperzeptive symbolische Identität allein des Sprachsystems, überdies des philosophischen. Es stellt sich also heraus, daß der Gedanke der Lichtung* für Heidegger – selbst wenn man die übrigens bemerkenswerten Texte von Unterwegs zur Sprache* berücksichtigt – eine verpaßte Gelegenheit war, sich den phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache zu öffnen. Sein Vorgehen ist unlösbar von der (symbolischen) Zirkularität behaftet und leidet sowohl unter einem architektonischen Mangel als auch der »transzendentalen« Illusion oder Erschleichung. Man könnte dies als eine Zirkularität des Sein-Seienden zum Seiend-Sein bezeichnen, die einer bestimmten philosophischen Stifung des philosophischen Sprachsystems angehört und dann in der Nachfolge zur symbolischen Tautologie des Gedichtes von Parmenides steht. Welche Lehren können wir für die architektonische »Wahrheit« daraus ziehen? Erstens, sollte es Lichtung* geben, dann wäre sie zwar vom Seienden (der apperzeptiven Identität) unabhängig, aber von einer außerordentlichen architektonischen Komplexität, da sie, anstatt in den Beziehungen zwischen Sein und Seiendem sich in den Bezügen der fungierenden Sprache und ihrer außersprachlichen Tiefen zum Sprachsystem aufzutut, sogar zu Sprachsystemen in der doppelten Bedeutung, die wir dieser Pluralität zuweisen – wobei die Problematik des Seins und des Seienden nur einen Sonderfall darstelt, der an das sehr spezifische Sprachsystem der Philosophie gebunden ist. Zweitens und dementsprechend – womit wir uns an das Denken Finks annähern –, wäre von der Lichtung sicherlich nicht im Sinn der »Lichtung des Seins« zu sprechen, sondern im Sinn der Lichtung der Welt, und sogar, wenn man
408 durch blitzhafte Apperzeption und Transpassibilität tiefer in die Abgründe der ProtoZeitigungen/Proto-Räumlichungen eindringt, der Lichtung im Abgrund einer Welt in ihrer Phase, in welcher auf radikal nicht-teleologische Weise Spuren und Lichtscheine anderer Welten in unbegrenzter Pluralität schweben. Daraus folgt, daß die Phänomene und die Phänomenalität nicht primär für die Frage des Seins – ob es nun die Frage des Seinssinns oder die Frage des Seins selbst ist – verantwortlich sind, sondern nur, wenn sie sich in ursprünglicher Weise auf die Proto-Ontologie beziehen, die, wie wir gesehen haben, die ursprüngliche Gestalt unserer Endlichkeit ist, vermittels der (außersprachlichen und sprachlichen) wilden Wesen*, die dem An-wesen* und dem Ab-wesen* rechtmäßig vorausgehen gemäß – um einen Begriff Heideggers aufzunehmen – einer Wesung*, die nichts Eidetisches oder Kategoriales an sich hat. In anderen Worten gehört das phänomenologische Feld, das sich im Sprachsystem in und durch die blitzhafte Apperzeption nur blitzhaft öffnet, die Spuren des schematischen Abstands in ihm sind, nicht primär einer »Gebung« innerhalb einer »Enthüllung« oder einer »Entbergung« an – auch wenn nun dessen Wesen sich auf die eine oder andere Weise verbirgt –, und genau dies bewirkt, daß die transzendentale Illusion und die ihr entsprechende transzendentale Dialektik das ganze phänomenologische Feld in seinen Einzelheiten wie in seiner Gesamtheit und damit das ganze Feld des Sprachsystems in seinen Beziehungen zur fungierenden Sprache bewohnt. Man muß also gegenüber der Lichtung* mißtrauisch sein, nicht weil sie sich immer schon nach den beiden Modalitäten der Verbergung der apperzeptiven Identitäten ausbreitete, sondern weil die Lichtung* von der transzendentalen Illusion der Lichtung* unablösbar bleibt. Woher kann unter solchen Bedingungen die Architektonik ihre architektonische Wahrheit gewinnen? Mit dieser Frage wollen wir uns abschließend beschäftigen. b) Von der »architektonischen Wahrheit« der Architektonik Vor einer derart komplexen und auch schwierigen Frage fehlen uns die Worte. Eines allerdings muß unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Architektonische »Wahrheit« könnte es zunächst einmal nur mit phänomenologischen Anführungszeichen geben, die ihr aus den gerade erwogenen Gründen von vornherein jede ontologische und metaphysische Tragweite nehmen. Dann liegt sie in einer bestimmten »Adäquation« der Methode (des Wegs) der phänomenologischen Erklärung mit sich selbst, selbst wenn diese Gleichung eigentlich insofern leer ist, weil sie nur gestattet, sich in ihr mit einer relativen Sicherheit im Feld der Probleme und Fragen der Phänomenologie wiederzufinden. In diesem Sinn nimmt sie übrigens die Züge einer »Wissenschaft« an, aber überhaupt nicht im Sinne einer positiven Wissenschaft – die Architektonik hat nichts von einem a priori mathematischer Ordnung, sie ist keine mathesis und kein »System des menschlichen Geistes« (Fichte, Hegel) –, sondern sie versteht sich als der »transzendentalen Methodenlehre« im Sinne Kants benachbart. Das bedeutet, daß die Architektonik allenfalls ein »System« der Orientierung sein kann, die nach symbolischen Achsen ausgerichtet sind, wobei die Orientierungen zudem je nach der anvisierten Frage oder dem Problem variieren. Es ist anders gesagt in der »Adäquation«, und in diesem Sinn in der »Wahrheit« der Architektonik in Bezug auf sich selbst, etwas von der symbolischen Stiftung enthalten. Das ist aber nichts anderes als die symbolische Stiftung der Philosophie selbst. All die in unseren »Meditationen« erarbeitete und dargestellte Architektonik ist also eigentlich nichts anderes als das Maximum, das der Philosophie – der symbolischen Stiftung ihres Sprachsystems – für die Probleme und Fragen in der Phänomenologie erlaubt ist, wo-
409 bei diese als kritische Instanz gegenüber dem Gebrauch des philosophischen Sprachsystems dient. Eine Phänomenologie als Wissenschaft kann es also nur insofern geben, als sie sich systematisch in ihrem Problem- und Fragenfeld organisiert, indem sie auf kohärente Weise gleichsam im umgekehrten Sinne das Sprachsystem der Philosophie verformt, also – um die Begriffe Husserls (und Finks) wieder aufzugreifen – insofern sie sich immer der architektonischen Strenge gemäß in der »phänomenologischen Philosophie« verankert, welche die Architektonik selbst ist. Zwar wird es immer ein Problem für das Denken bleiben, inwiefern die Frage des Phänomens und der Phänomenalität eine eigentlich philosophische Frage ist, auch ohne daß man wie Heidegger (und Fink) über die Vorsokratiker, über Anaximander, Parmenides oder Heraklit »phantasieren« müßte. Aber eine Sache, von der zweifellos niemand besser Zeugnis abgelegt hat als Merleau-Ponty, ist dennoch unbestreitbar: daß im philosophischen Register die Phänomenologie eine letzte Frage ist, welche die Philosophie an den Rand des Absturzes zur Nicht-Philosophie bringt – was zweifellos der Grund dafür ist, weshalb sich die Klassiker dagegen immer mehr oder weniger deutlich gewehrt haben. Die Phänomenologie beinhaltet das Paradox, daß sie, sobald sie sich als »implizite Philosophie« voraussetzt, immer schon ausgemacht ist, und daß die Philosophie in ihrer Ausarbeitung uns von ihr eher entfernt, indem sie uns Illusionen vermittelt: das Achten auf die Phänomene und auf die Phänomenalität neigt zum Verstummen, was durchaus so sein muß, wenn sie sich im Angesicht der unentwirrbaren Komplexitäten und unendlichen Feinheiten unserer Erfahrung in der Welt selbst treu bleiben will. Die Frage, die den Phänomenologen immer zur radikalen Bescheidenheit verpflichtet, lautet im Grunde immer: weshalb benötigt oder erwartet diese Erfahrung, die anscheinend sich selbst genügt, ihre Erklärung? Eine merkwürdige Faszination der Komplexität und der Feinheit gegenüber, welche die klassische Philosophie zunächst und zumeist »abfertigte«, indem sie diese als verworren erklärte: aber das geschah sozusagen in der mehr oder weniger glücklichen (oder unglücklichen) Unschuld der sich bildenden symbolischen Stiftung der Philosophie. Diese seltsame Faszination hat zweifellos Husserl vor einem Jahrhundert ergriffen und der Phänomenologie zur Geburt verholfen. Und ihr Status als letzte Frage oder Grenzfrage der Philosophie gestattet ihr, sowohl Philosophie zu bleiben als auch aus ihr auszubrechen. In unseren Begriffen: sich in der Architektonik zu erfassen und durch diese Wiederaufnahme in der Lage zu sein, die symbolische Stiftung überhaupt, und von daher jede symbolische Stiftung in Frage zu stellen. Es besteht kein Zweifel, daß so gesehen die phänomenologischen Fragen in jeder symbolischen Stiftung ständige Fragen bleiben. Aber das bedeutet sicherlich nicht, daß es in jeder Kultur »sich als solche selbst noch nicht wissende Phänomenologen« gäbe: das bedeutet, daß diese Fragen sich nach einer anderen Architektonik verteilen, deren Aufweis uns in unseren zukünftigen Arbeiten obliegen wird, ebenso wie in anderen Worten, die jeweils der symbolischen Stiftung angemessen sind, in welcher sie sich stellten. Gerade die phänomenologische Dimension – wir haben es oft genug gesagt – läßt nämlich die symbolischen Ausarbeitungen »leben« und hindert sie daran, sich in symbolischen Gestellen* zu verdichten. Innerhalb dieses Rahmens wird die von uns vorgeschlagene Architektonik der Phänomenologie nichts anderes sein als die möglichst gut »eingestellte« Mischung der philosophischen und phänomenologischen Fragestellung, die wir in das Herz einer jeden möglichen symbolischen Befragung und Ausarbeitung hineintragen können, und zwar vermittels blitzhafter Apperzeption und der Transpassibilität: eine andere Kultur zu verstehen, die dabei durch
410 unsere reflektiert wird, stellt kein komplexeres Problem dar, als ein anderes Sprachsystem vermittels des unseren zu verstehen, das in den in ihm enthaltenen Tiefen der fungierenden Sprache (vom Sinn und von den sprachlichen Sinnregungen her) reflektiert wid. Es wäre also illusorisch zu glauben, daß die Architektonik, die wir in ihrer relativen »Übereinstimmung« mit sich selbst entfalten, sich zu einem zur Doktrin gemästeten »System« verdichten müßte. Denn damit würde das, was eigentlich »Schieflage« (porte-à-faux) ist, zur Illusion einer »Geradheit« (porte-à-vrai), einer möglichen Sättigung von erfülltem Sinn philosophisch-symbolischer Horizonte der Architektonik, oder noch konkreter zur Illusion, daß man mit den wilden Wesen*, den Proto-Protentionen/Proto-Retentionen, den Protentionen/Retentionen, den Welt-Phasen und den Gegenwärtigkeitsphasen usw. »das Sein« oder etwas « Festes« in den Händen hält, auch wenn es in seinen »meta-stabilen« Transformationen oder Umwandlungen gefaßt wird. Alle diese Begriffe weisen nominalisierend im Sprachsystem der Philosophie auf »zu lösende« Probleme hin, die einerseits niemals »gelöst« werden, weil ihre Lösung andererseits Zeit verlangt, und zwar verschieden rhythmisierte Zeit zugleich, wobei manche Rhythmen äußerst schnell meist unbemerkt vorübergehen, und andere so extrem langsam verlaufen, daß man für sie eine Lebenszeit aufwenden müßte, die weit über die Dauer eines menschlichen Lebens hinausgeht. Damit wird auf wieder andere Weise die Phänomenologie zur Bescheidenheit aufgerufen, auch der Geschichtlichkeit der Generationen zu vertrauen, welche sich von den gleichen Fragen faszinieren lassen können. Die Phänomenologie als Grenzfrage wird immer die Erosion oder die Korrosion der Philosophie durch die Nicht-Philosophie konstituieren, und wer glaubt, man könne beide zusammenfallen lassen, wäre schon sehr listig, aber auch dumm. In all diesen Sinnzusammenhängen ist also die von uns vorgeschlage Architektonik der Probleme und Fragen der Phänomenologie und das in diesen »Mediationen« Entwickelte nichts anderes, als in chiastischer Überkreuzung sowohl die Philosophie von der Phänomenologie her als auch die Philosophie von der Phänomenologie her auf die Probe zu stellen. Wie es keine Phänomenologie »an sich« gibt, es sei denn als Philosophie, womit sie aber verstummen würde, so gibt es auch keine Philosophie »an sich«, es sei denn, sie löste sich von jeder Erfahrung ab, würde damit aber nur zum »Geschwätz«, wie etwa jedes symbolische Gestell*, das sich blind bis ins Unendliche selbst wiederholt. Und das gleiche wäre über die Probe zu sagen, auf die eine andere symbolischen Stiftung durch die Phänomenologie gestellt wird, nur daß, wie gesehen, diese Prüfung durch die in der Architektonik sich vollziehende kohärente Verformung des philosophischen Sprachsystems durch die Phänomenologie komplizierter wird und daß nun diese kohärente Verformung ihrerseits überprüft werden muß, indem sie einer anderen symbolischen Stiftung gegenübergestellt wird. Das ist zweifellos ein Zeichen dafür, daß die von uns konzipierte Phänomenologie das Erbe des Originellsten – aber auch Rätselhaftesten – unserer westlichen Tradition antritt, nämlich die »humanistische« Neugier und die interesselose Begeisterung für alles, was doch der menschliche Geist hervorbringen konnte – im »Guten« wie im »Bösen«. Eine merkwürdige, nahezu unhaltbare Tradition, da es in ihr keinerlei »Boden« gibt, sondern nur die wilde Leidenschaft einer Frage, mit der wir uns »einrechnen« und uns wiedererkennen können über Entfernungen und Jahrtausende hinweg, und trotz der vielfältigen Verschüttungen, die uns auch mit Dunkel schlagen, uns ebenso wie die anderen.
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ANMERKUNGEN 1
Eine Ausnahme muß mit der Husserlschen Problematik der Eidetik im Rahmen der transzendentalen Intersubjektivität gemacht werden, unter dem Horizont einer Art »feingestickter« Onto-Theologie, auf die wir im Anhang der hier vorliegenden Mediation mit dem Titel »Tatsache und Eidos« zurückkommen werden. Wir sagen aber gleich, bevor wir näher darauf eingehen, daß dieser Weg uns durch die hyperbolisch-phänomenologische Epoche abgeschnitten ist, d.h. durch eine radikale Betrachtung der Faktizität. 2 Veröffentlicht durch I. Kern in Husserliana, Bd. XIII, Martinus Nijhoff, Den Haag, 1973, S. 111-194, ins Französische übersetzt mit einem beträchtlichen kritischen Apparat, auf den wir zurückkommen werden, von J. English, Problèmes fondamentaux de la phénoménologie, P.U.F., Coll. »Epimethée«, Paris 1991. 3 E. Fink »Die phänomenologische Philosophie Edmund Husserls in der gegenwärtigen Kritik«, in: Kantstudien 38 (1933), S. 319-383. 4 a.a.O., S. 369. 5 ebd. 6 a.a.O., S.379. 7 ebd. 8 ebd. 9 a.a.O., S. 380. 10 E. Fink, VI. Cartesianische Meditation, Teil I, Die Idee einer transzendentalen Methodenlehre, hrsg. v. H. Ebeling, J. Holl und G. van Kerckhoven, Kluwer Acad. Publ., Husserliana Dokumente II, 1, Dordrecht, 1988. Wir zitieren mit dem Sigle VICM und der Seitenangabe.. 11 s. die Untersuchung von G. van Kerckhoven »Consensus, dissension, contruction«, und unsere eigene »La question d’une doctrine transcendantale de la méthode en phénoménologie, in Epokhè, n° 1, J. Millon, Grenoble, 1990, S. 45-89 und 91-125. 12 M. Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, (Übers. v. R. Boehm), Berlin: De Gruyter 1966. Wir werden darauf noch zurückkommen. Wir werden im Folgenden zitieren mit dem Sigel PW und der Seitenangabe. 13 M. Merleau-Ponty, Le visible et l’invisible, hg. v. Claude Lefort, Gallimard, Paris 1964, S. 147. Deutsch: M. Merleau-Ponty, Das Sichtbare und das Unsichtbare, gefolgt von Arbeitsnotizen, hrg. und mit einem Vor- und Nachwort versehen von Claude Lefort, aus dem Französischen von Regula Giuliani und Bernhard Waldenfels, : W. Fink-Verlag, Reihe »Übergänge«, Bd. 13, München1994. Wir werden im Folgenden zitieren mit dem Sigel SU und der Seitenangabe. 14 s. das Werk von D. Montet, Les traits de l’être. Essai sur l’ontologie platonicienne. J. Millon, coll. »Krisis«, Grenoble, 1990. 15 a.a.O., S. 216 16 s. unser Buch Phénomènes, temps et êtres, a.a.O., 1, Abteilung, S. 65-103. 17 Im folgenden werden wir uns von von zwei diesem Thema gewidmeten Untersuchungen anregen lassen: 1) G. van Kerckhoven, »Consensus, dissension, construction. E. Fink, E. Husserl et la définition du sens de l’expérience phénoménologique«, Epokhè, n°1, J. Millon, Grenoble, 1990, S. 45-89; 2) unsere eigene »La question d’une doctrine transcendantale de la méthode en phénoménologie«, ebda., S. 91-125; s. a. R. Bernet, »Diffférence ontologique et conscience transcendantale«, im Sammelband Husserl, J. Millon, Coll. »Krisis«, Grenoble, 1989, S. 89-116. 18 Das trifft nicht für die unveröffentlichten Arbeiten Finks aus der gleichen Zeit zu; s. die bemerkenswerten Arbeiten von R. Bruzina. 19 Das ist die stringente, stark und überzeugend durchgeführte Interpretation, die J. English von der Phänomenolgie Husserls vorlegt; s. den sehr reichhaltigen kritischen Apparat, den er mit seiner Übersetzung der Grundprobleme der Phänomenologie Husserls gibt (s. Anm. 2), allerdings hätten wir es uns gewünscht, daß der Autor seine eigene Terminologie deutlicher erklärt; wir sind nicht immer sicher, sie zu verstehen.
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Was wir in unseren vorangegangenen Arbeiten als den Schematismus und die schematische Operation, die sich immer im Abstand vollzieht, unterschieden haben. 21 H. Maldiney, Penser l’homme et la folie, a.a.O. 22 s. das bemerkenswerte Buch von A. Tatossian, Phénoménologie des psychoses, Mason, Paris, 1979. Wir danken Dr. Georges Charbonneau, der uns freundlicherweise dieses Buch zugänglich machte, das heute leider nicht mehr erhältlich ist. 23 Wir beziehen uns auf einige Seiten unserer III. Recherche phénoménologique, die der transzendentalen Apperzeption gewidmet ist; s. Recherches phénoménologiques, vol. 1, Ousia, Brüssel, 1981, S. 266-270. 24 Holzwege, V. Klostermann, Frankfurt/M., 1950, S. 42.
Anhang TATSACHE UND EIDOS BEI HUSSERL
Im Anschluß an unsere letzte »Meditation« muß nicht noch einmal eigens hervorgehoben werden, von welch entscheidender Bedeutung das Verhältnis zwischen Tatsache und Eidos für die Architektonik der Phänomenologie ist. Es soll nur daran erinnert werden, daß Merleau-Ponty in Das Sichtbare und das Unsichtbare zu seinem Begriff des wilden Wesens* gelangt ist, indem er im Anschluß an Fink dieses Verhältnis weiter vertieft und in den Bezug zwischen Faktizität und Essentialität überführt hat. Nun ist das nicht der einzig mögliche Weg, wie es ein höcht erstaunlicher Text Husserl bezeugt,1 der vom November 1931 datiert ist und in die Richtung einer Umarbeitung der klassischen Onto-Theologie geht. Dieser Text, mit dem Untertitel von I. Kern »Die Implikation des Eidos transzendentale Intersubjektivität im Eidos transzendentales Ich. Faktum und Eidos« müssen wir um der architektonische Vervollständigung willen näher untersuchen. Husserl beginnt damit, daß er in sehr klassischer Manier die Problematik der Teleologie stellt: »Die Selbstkonstitution der transzendentalen Subjektivität als ins Unendliche auf »Vollkommenheit«, auf wahre Selbsterhaltung Gerichtetsein.« (378). Diese Tendenz ist teleologisch, sie hat im Sein immer wieder neue Widersprüche zu überwinden (ebd.) und ihr entspricht ein Willen zum Leben und zum Sein, der zudem Wille zur Authentizität ist. Zwar ist die Vollendung dieser Teleologie undenkbar und in der Anschauung nicht darstellbar. Aber ihre Entwicklung konstituiert das universelle Sein der transzendentalen Subjektivität als »ontologischer Form«. Das absolute Ziel, das universelle Telos gilt nur in seiner »logifizierten Form« (379) als vollendet. Daher nimmt es der Wille als eine Unendlichkeit und Ewigkeit (ebd.). Umgekehrt erscheint die Endlichkeit »durch seine dunkle Horizonthaftigkeit« als eine Form der Unendlichkeit, und die endliche Form der unendlichen Zeitigung erscheint als »Zeitfolge von Endlichkeiten, aber beschlossen im nunc stans (379-380): die Gegenwart ist endlich, ihr ständiges Fließen aber unendlich. Husserls Frage richtet sich nun darauf, welchen Status diese transzendentale Subjektivität hat, die zur Fortdauer und zum Anwachsen im Leben und Sein sowohl für die »transzendentalen Einzelsubjekte« als auch für die möglichen und wirklichen intersubjektiven Gemeinschaften eingespannt ist (s. 380). Anders gesagt geht die ganze Frage um den Status der Teleologie als »universeller Teleologie«, »Form aller Formen« (ebd.), und zwar individuell und intersubjektiv. Die einfache Frage nach der Teleologie als dem »idealen Progressus der teleologischen Unendlichkeit« zeigt, daß der universelle Lebens- und Seinswille, der durch jede transzendental genommene Subjektivität hindurchgehen muß, nur insofern – oder vielmehr nur relativ – weltschöpferisch sein kann, als er die Widersprüche im Sein überwindet, die dazu tendieren aus der Welt ein »Nichts« zu machen (380-381). Die Widersprüchlichkeit der Welt oder die Unstimmigkeiten in der Welt sind für Husserl besonders dadurch gekennzeichnet, ohne Ursprung und ohne arché zu sein; und der teleologische Seinswille oder das Sein im Sinne des Wollens nimmt darin
414 den Sinn an, zum Sein zu führen und das Sein als harmonisches oder stimmiges Sein und den Seinssinn als harmonischen oder stimmigen Sinn zu konstituieren. Dies nun läßt Husserls Reflexion in die entscheidende Schwierigkeit der symbolischen Zirkularität als Selbstvoraussetzung der universellen Teleolgie geraten. Genau hier begegnet er zum ersten Mal dem Problem der Onto-Theologie, da nun offenkundig wird, daß die Welt dahin tendiert, nichts zu sein: »Nun setzt aber Wille und das willensgemässe Sein, in willentlicher Einstimmigkeit Sein, schon Sein, schon transzendentale Subjektivität in irgendeinem Modus und irgendeiner Menschlichkeit, Weltlichkeit voraus, und in einem ganzen Formensystem, das an sich und für uns vorangeht als Voraussetzung.« (381) Anders gesagt: Willen, Sein und Welt tauchen eben nicht aus dem Nichts auf – das ist das Problem ihrer sich bildenden symbolischen Stiftung – und die Welt, die nichts zu sein scheint, kann sich nicht a priori auf ein bloß widersprüchliches Chaos reduzieren, auf bloß rohe Fakten, die überhaupt keinen Sinn enthalten: wenn es weltliche Faktualitäten gibt, dann können sie nicht vom bloßen Zufall herkommen, sondern von der Kontingenz, und zudem von einer Kontingenz, die von vornherein in ein »ganzes System von Formen« eingeschrieben ist, ohne welches die Teleologie in sich selbst zusammenfiele und nur selbst-transparente Notwendigkeit eines archetypischen Verstandes wäre. Husser schließt unmittelbar an: »Das sagt nicht, dass es ohne den universalen »weltbewegenden«, Welt in Wahrheit schaffenden Willen sein kann, sondern nur, dass sie zur Konkretion des absoluten Seins (und damit auch des raumzeitlichen Seins) als Wesensstruktur gehört.« (ebd., Hervorhebung M.R.) Mit anderen Worten besteht die im ersten Zitat bereits angesprochene Voraussetzung des »Formensystems« aus der eidetischen Struktur gewissermaßen als der Gesamtheit der symbolischen (und matrixhaften) Horizonte der weltlichen Kontingenzen (Faktualitäten). Diese Voraussetzung bedeutet nicht etwa, daß diese Strukturen willkürlichen Charakters sind – die Frage stellt sich, weil es sich nämlich um ein System handelt, das sich durch seine immer schon da seiende symbolische Stiftung hindurch sucht –, sie bedeutet auch nicht, daß ein solches System schlechtweg aus einer göttlichen Schöpfung hervorgeht (klassische Version der Onto-Theologie). Vielmehr gehört dieses Formensystem als eidetische Struktur der Welt zuerst der Konkretion des absoluten Seins (dem universellen Willen) an, und zwar vermittels der Konkretheit einer transzendentalen Subjektivität, in welchem Modus der Weltlichkeit und der Menschlichkeit auch immer sie sich konkretisieren mag, wobei die betreffende Vermittlung bis zur verweltlichenden Apperzeption gehen kann, die in der natürlichen Einstellung mit dem raumzeitlichen Sein einhergeht. Welches auch immer der konkrete, mehr oder weniger »reine« Modus der transzendentalen Subjektivität und Intersubjektivität sein mag, er ist immer von eidetischen Strukturen als symbolischen Horizonten ihrer Sinnregungen durchdrungen oder getragen. Man könnte nicht besser die von uns so bezeichnete eidetische Erschleichung des phänomenologischen Feldes charakterisieren, und gerade auf dessen Geltung und Tragweite werden sich Husserls Fragen richten. Es liegt in dieser Linie, daß er gleich anschließend ausdrücklich auf die Onto-Theologie zu sprechen kommt, dabei diesen Zusammenhang präzisiert und das Problem in seinem ganzen Umfang aufwirft: »Der universale absolute Wille, der in allen transzendentalen Subjekten lebt und der das individuell-konkrete Sein der transzendentalen Allsubjektivität möglich macht, ist der göttliche Wille, der aber die gesamte Intersubjektivität voraussetzt, nicht als ihm vorangehend, als ohne ihn möglich (auch nicht etwa so, wie Seele den Leibkör-
415 per voraussetzt), sondern als strukturelle Schichte, ohne die dieser Wille nicht konkret sein kann.« (ebd.) Zusammengefaßt heißt das: der absolute universelle Wille (die universelle Teleologie) als der göttliche Wille in uns – der Sinn der Teleologie ist immer schon durch den Sinn des Sinns aufgerufen – könnte nicht als »strukturelle Schichte« ohne die Intersubjektivität in ihrer Gesamtheit konkret sein und agieren. Es gibt keinen Gott ohne uns, auch wenn er zugleich Ursprung und Ende der intersubjektiven Gemeinschaft ist. Diese aber muß in ihrer Struktur genommen werden, und diese ist auch, wie bald deutlich wird, eine den »universalen absoluten Willen« hinsichtlich seiner selbst filternde Struktur, wobei der »Effekt« dieses Filters ist, sie in und durch uns konkret werden zu lassen. Keine Intersubjektivität ohne Gott, sagt uns Husserl ungefähr, aber auch nicht Gott ohne Intersubjektivität als einer zumindest matrixhaften Struktur des Eidetischen. Von daher ist nur ein Schritt, den Husserl auch tun wird, um zu denken, daß es von dieser Struktur bis zur eidetischen Struktur der Welt einen gangbaren Weg einer ursprünglich intersubjektiven Konstitution des Eidetischen gibt: dieser Weg ist äußerst interessant, wenn man bedenkt, daß es sich dabei eigentlich um nichts Geringeres handelt als die symbolische Stiftung des philosophischen Sprachsystems unter dem Horizont »seines« symbolischen Stifters, der hier unter dem Begriff des »göttlichen Willens« gedacht ist. In der gleichen Bewegung wird, was zumindest unserer Kenntnis nach im Werk Husserls sehr selten vorkommt, das Eidetische ausdrücklich in einen problematischen Zusammenhhang mit der Teleologie gestellt: wir entnehmen daraus, daß diese Bezugnahme nur in dem architektonischen Kontext der von uns so bezeichneten sich bildenden symbolischen Stiftung des philosophischen Sprachsystems Sinn hat, d.h. der »Fixierung« der Sprachapperzeptionen durch identitäre Implosion. Es kann sich also dabei architektonisch nicht um die gleiche Teleologie handeln wie zum Beispiel diejenige, welche die Wahrnehmung der weltlichen Faktualitäten (die nicht in Identität implodierten Sprachapperzeptionen) regelt, da sie im Verhältnis zu jener zweiten Grades ist. Kurz, dieser Text Husserls ist deshalb höchst interessant und verdient auch diese weitere Zuspitzung, weil er bezeugt, daß Husserl auf seine Weise das Problem der in ihrer teleologischen Bewegung ihrer Bildung genommenen symbolischen Stiftung des philosophischen Sprachsystems berührt hat. Vielleicht hat dieser Text nur im Rahmen der fast täglichen Unterredungen Husserls mit Fink verfaßt werden können. Denn wir befinden uns auf dem gleichen problematischen und architektonischen »Ort«, auch wenn, wie wir noch deutlicher sehen werden, die Husserlsche »Lösung« des Problems in die Richtung geht, eine überarbeitete Version der Onto-Theologie wieder ins Spiel zu bringen. Husserl wird also zunächst zum sehr ergiebigen Versuch der »intersubjektiven« Konstitution des Eidetischen übergehen, um eben die »strukturelle Schichte« der gesamten Intersubjektivität auszulegen. Die faktische Einschreibung meines Ichs in die sowohl subjektive wie intersubjektive universelle teleologische Entwicklung ist nicht ohne Folgen für die Konstitution des Eidetischen, denn indem jede faktische Realität (meines Ichs und seiner zugehörigen Welt) als eine (verwirklichte oder sich gerade verwirklichende) Möglichkeit unter anderen sich mir bietenden Möglichkeiten von eidetischen Strukturen erscheint, wandelt sich der Sinn der freien (eidetischen) Variation zum Sinn eines Zugangs zu der »universale[n] Wesensform der transzendentalen Allsubjektivität« des »universalen Willens«, der jede Subjektivität durchzieht und demnach als »göttlicher Wille« verstanden werden kann. Das Eidetische ist also so gesehen intersubjektiv, weil es in der universellen Teleologie der sich
416 bildenden symbolischen Stiftung des philosophischen Sprachsystems die eidetische Variation als einer Suche nach Invarianten durch die und in der Einbildung in ein aktives Spiel der Erfahrungen der (transzendentalen) Anderen mit den Faktizitäten gebracht wird – seien auch diese Anderen unbekannt, also abwesend (381-382). Und da mein Ich unmittelbar mit den anderen Ichheiten einhergeht, gelten die so herausgearbeiteten Wesensstrukturen eo ipso für jedes faktische ego. Wir sind genau im Inneren der symbolischen Stiftung des philosophischen Sprachsystems, in dem jede Transpassibilität sich auf die Möglichkeit reduziert findet, wie auch der folgende Text bezeugt: »Zunächst scheint es sogar, dass die Wesensform eines ego, eines transzendentalen Einzelsubjektes überhaupt, identisch ist mit der allgemeinen Form, die alle Möglichkeiten eines faktisch für mich möglichen Anderen überhaupt umspannt. Sie sei schon Wesensform, nur gebunden an mein faktisches Sein dadurch, dass sie einen Horizont von real möglichen völlig unbekannten Anderen befasst.« (382, Hervorhebung M.R.) Das Eidetische, das in der teleologischen Bewegung seines Bildens genommen wird, die mit der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung des philosophischen Sprachsystems übereinstimmt, bringt also nur dadurch die Apperzeptionen dieses Sprachsystems als von jedem Anderen apperzipierbar ins Spiel (möglich als Realität eines bestimmten Apperzeptionsaktes), daß sie umgekehrt mich faktziell in dieser idealen Intersubjektivität durch meinen faktiziellen Akt der Apperzeption zu individuieren vermag. »Ich« nehme gewissermaßen innerhalb einer Unendlichkeit von anderen, bekannten oder unbekannten Standpunkten den Status eines Standpunktes zu den eidetischen Apperzeptionen des Sprachsystems an. Nun erscheint die symbolische Stiftung des Sprachsystems als das, was sie tatsächlich ist: eine intersubjektive Invariante. Sie ist intersubjektiv und nicht interfaktiziell, da dies mit einer entsprechenden eidetischen Reduktion der Faktizität der Existenz auf die Dualität (Diplopie) einer Faktizität einhergehen müßte, die schließlich nur noch die Faktualität eines einzelnen Gesichtspunkt wäre, und auch der Essentialität des Subjekts, also des Menschen, so wie Husserl in aller Klarheit unmittelbar anschließend im Text aufweist: »Aber da ist freilich ein Unterschied. Zu jedem real für mich möglichen Anderen gehört, dass er mich als faktisches ego mit meiner wirklichen Erfahrung und Erfahrungswelt impliziert. Zu einem rein wesensmöglichen Anderen aber, dass er in seiner Möglichkeit die Wesensmöglichkeitsabwandlungen meines ego impliziert. Damit ist auch gesagt: Der völlig unbekannte Andere liegt objektiviert als Mensch in der für mich faktischen Welt, entweder als Mensch der Erde oder als menschenartiges Wesen auf irgendeinem Gestirn etc. Ein eidetisch mögliches transzendentales Ich liegt aber objektiviert als Mensch in einer eidetisch möglichen Welt.« (ebd., Hervorhebung M.R.) Es gibt also doch eine Elison der Faktizität und der Interfaktizität in der »eidetisch möglichen Welt«, d.h. in dem symbolischen Netz der Sprachapperzeptionen, die zu Identitäten verdichtet sind. Die Anderen werden in ihrem Mitdasein* auf eine nur noch mögliche und allgemeine faktuelle Vielfalt der Sprachapperzeption »menschliches Wesen« – oder auch, in der Sprache Husserls: »Eidos transzendentales Ich« (383) – reduziert. Und so gilt für ihn: »Jedes exemplarische Ich als Wirklichkeit oder Möglichkeit ergibt dasselbe Eidos.« (383). Es gibt keine faktizielle Singularität mehr, sondern nur noch exemplarische und faktuelle Partikularitäten des gleichen Univer-
417 sellen. Das ist eine Elision der Einzigartigkeit, die an Hegel denken läßt. So schreibt Husserl: »es ist klar, dass das Eidos dieses Universums [d.h. der Möglichkeiten der Universa von Möglichkeiten, die jedem transzendentalen Ich zugehören], also das Eidos transzendentale Intersubjektivität, zugleich impliziert ist im Eidos transzendentales Ich.« (383) Die Struktur der intersubjektiven Invarianz, die dem symbolisch gestifteten philosophischen Sprachsystem (seinen Sprachapperzeptionen) eigen ist, ist nämlich per definitionem immer schon da. Und sie ordnet sich immer schon die Vermögen der Einbildung in der freien eidetischen Variation, die auf der Suche nach den Wesenheiten als Invarianten ist, unter, da diese freie Variation den Status der freien Variation faktueller Gesichtspunkte gegenüber den in eidetische Identitäten implodierten Sprachapperzeptionen angenommen hat. Als Invarianten sind sie gewissermaßen identitär implodierte Verdichtungen der transpassiblen Interfaktizität, die nun auf die Intersubjektivität des Möglichen herabgedrückt wurde. Wohin ist also die Faktizität an sich selbst »geschwunden«? Und die Interfaktizität, die interfaktizielle Begegnung? Husserl stellt sich tatsächlich diese Frage, und zwar auf eine überraschende, da sehr phänomenologische Weise: »Nun aber ein weiteres sehr Bedeutsames: Das Eidos konstruiere ich, das faktische phänomenologisierende ego. Konstruieren und Konstruktion (die konstituierte Einheit, das Eidos) gehört zu meinem faktischen Bestande, meiner Individualität.« (ebd.) Und diese Verankerung der eidetischen Möglichkeiten meiner selbst und des Eidos in meiner Faktizität überträgt sich ohne Schwierigkeit auf die Anderen (s. 384): eine Art zu sagen, daß mit der Faktizität zugleich die Interfaktizität einbezogen wird. Wenn das Eidos in mir, in meiner Faktizität konstruiert wird, dann gleichermaßen auch in den Anderen, in ihrer Faktizität: die Anderen sind nicht weniger konstituierend als ich selbst. Die wechselseitige Implikation meiner selbst und der Anderen (die Anderen in mir und ich in den Anderen), die auf die Ebene des Universums der eidetischen Möglichkeiten gehoben worden war, muß nun in den Tiefen der konstituierenden transzendentalen Intersubjektivität neu gedacht werden. Und dies führt uns mitten ins Herz des Textes, nämlich zum wieder aufgefrischten Rückgriff auf die Frage der Beziehung zwischen Faktizität und Essentialität, in den Begriffen Husserls: zwischen »Faktum und Eidos« (385). Er schreibt: »Wir haben hier einen merkwürdigen und einzigartigen Fall, nämlich für das Verhältnis von Faktum und Eidos. Das Sein eines Eidos, das Sein eidetischer Möglichkeiten und des Universums dieser Möglichkeiten ist frei vom Sein oder Nichtsein irgendeiner Verwirklichung solcher Möglichkeiten, es ist seinsunabhänig von aller Wirklichkeit, nämlich entsprechender. Aber das Eidos transzendentales Ich ist undenkbar ohne transzendentales Ich als faktisches.« (385) Anders gesagt ist die Sphäre (»das Universum«) der eidetischen Möglichkeiten »ideal« und in diesem Sinn, außerweltlich. Es ist die Sphäre des symbolisch gestifteten philosophischen Sprachsystems, ein Universum von »möglichen Welten« im quasi-leibnizschen Sinn. Aber dies enthebt uns nach Husserl nicht, daß aus ihr heraus die transzendentale Konstitution und sogar die intersubjektive transzendentale Konstitution zu denken wäre, die in diesem tieferen Sinn auch die »strukturelle Schicht« ist, ohne die es keine konkrete universelle Teleologie gäbe. Die Frage ist nun: welcher ist der transzendentale intersubjektive »Antwortende« auf das Univer-
418 sum der idealen eidetischen Möglichkeiten? Es empfiehlt sich hier, noch aufmerksamer zu sein: »Solange ich, im Faktum meiner transzendentalen Subjektivität und der mir geltenden Welt stehend, abwandle und zum Eidos übergehend systematisch forsche, stehe ich in der absoluten Ontologie und korrelativ in der mundanen Ontologie.« (385) Das heißt: ich vollziehe für mich selbst die Elision meiner Faktizität in den eidetischen Variationen und Untersuchungen, die mich auf das absolute, also von der Faktizität der Welt freie Eidetische hin öffnen, und auf das Eidetische dieser Welt hin als einem besonderen Fall des absoluten Eidetischen. Diese Elision könnte ich allein ausüben, weil sie mit der entsprechenden Elision jeder Faktizität und mit der eidetischen Reduktion sowohl dieser Welt als auch jeden Ichs auf sein Eidos einhergeht. Husserl fügt sogleich etwas hinzu, das tief in das Herz der Schwierigkeit eindringt: »Nun bedenke ich aber, dass in der Rückfrage sich schliesslich die Urstruktur ergibt in ihrem Wandel der Urhyle etc. mit den Urkinästhesen, Urgefühlen, Urinstinkten. Danach liegt es im Faktum, dass das Urmaterial gerade so verläuft in einer Einheitsform, die Wesensform ist vor der Weltlichkeit. Damit scheint schon »instinktiv« die Konstitution der ganzen Welt für mich vorgezeichnet, wobei die ermöglichenden Funktionen selbst ihr Wesens-ABC, ihre Wesensgrammatik im voraus haben. Also im Faktum liegt es, dass im voraus eine Teleologie statthat. Eine volle Ontologie ist Teleologie, sie setzt aber das Faktum voraus. Ich bin apodiktisch und apodiktisch im Weltglauben. Für mich ist im Faktum die Weltlichkeit, die Teleologie enthüllbar, transzendental.« (ebd.) In erster Linie handelt es sich in diesem Text offensichtlich um ein typisches Beispiel der symbolischen Zirkularität, die jedes Denken der Genese durchzieht. Wenn es Teleologie und sogar universelle Teleologie gibt, dann kann sie nur im Ablauf der ursprünglichen Hyle vor-gezeichnet sein, die sie zumindest im Verborgenen in Form eines Alphabets oder einer eidetischen Grammatik – wir würden sagen: in Form einer transzendentalen Matrix des Eidetischen – enthält, wobei immer die Frage aufgeworfen wird, und auch Husserl wird sie stellen, ob sie nicht eine Art göttlicher Logos ist. Interessanter aber als diese jeder Onto-Theologie eigentümliche symbolische Rekodierung des Vorher in das Nachher ist, daß Husserl Faktizität, Essentialität und Teleologie in ihrer für ursprünglich gehaltenen Inchoativität zusammenzudenken versucht. Nur in der Faktizität sind Weltlichkeit und die Teleologie enthüllbar und transzendental, ebenso wie es das Eidetische als Ontologie in ihr sein kann, als eine Form des Wesens vor der tatsächlichen oder faktischen Weltlichkeit. Es ist hier gut zu sehen, wie sehr die inchoative transzendentale Faktizität – welche im Cogito die Apodiktizität meiner Existenz und meines In-der-Welt-Seins und die faktische Gewißheit des Existierens ausmacht, die nicht a priori mit begrifflicher Klarheit und Unterscheidung einhergeht – in den Gesamtzusammenhang einen architektonischen Registerwechsel einführt, der, wenn er verfehlt wird, direkt zur transzendentalen Illusion eines endlichen menschlichen Verstandes als eines (faktuellen) partikularen und endlichen Falles eines unendlichen göttlichen Verstandes (des philosophischen Sprachsystems insgesamt) führt, wobei dieser allein auf die willkürliche (faktuelle) Tatsache reduziert ist, daß die Möglichkeiten des eidetischen Universums a priori notwendig sind. Selbst wenn nach unserem Verständnis dabei notwendigerweise eine kohärente Verformung der ursprünglich hyletischen (kinästhetischen, affektiven, instinktiven) Faktizität stattfindet, die vermeintlich schon voller noch dunkler teleologisch-eidetischer »Prä-figurationen« ist, und zwar in einem Zusammenwachsen der Faktizität der »Fakten« mit der Essentialität ihrer »Struktu-
419 ren«, impliziert jener Registerwechsel, daß dieses Zusammenwachsen, in dem wir die unendlichen Tiefen der phänomenologischen fungierenden Sprache sehen, in dem umrissen werden muß, was sie, jedenfalls für uns, mit größerer innerer Notwendigkeit charakterisiert. »Ewiges« Problem der Phänomenologie als einem Vorgehen im »Zickzack«, da sie hier mit Husserl ein Feld blitzhaft aufleuchten sieht, das seiner Apperzeption entgeht. Uns ginge es dabei eben darum, die blitzhafte Apperzeption in der hyperbolischen phänomenologischen Epoché pulsieren zu lassen. Der Einsatz hier ist groß, sogar sehr groß, da der Übergang von der fungierenden Sprache zum Sprachsystem durch das phänomenologische Erhabene und durch die Begegnung mit dem symbolischen Stifter vermittelt wird, in seinem aus phänomenologischer Sicht radikalen Rätsel, dessen als Gott rekodierte Gestalt sich ins Innere des philosophischen Sprachsystems überträgt. Wir stehen also vor einem maximalen Schwankungsmoment von Husserls Denken, vor einem Quasi-Pulsieren, und es wäre noch zu sehen, ob der gerade gelesene Text zur Befürchtung Anlaß gibt, daß das Zusammenwachsen der Faktizität mit der Essentialität in der ursprünglichen Hyle »unmittelbar« das ergibt, was Husserl die absolute Ontologie »vor der Weltlichkeit« genannt hat – was nun die von uns monierte transzendentale Illusion wäre. Es gibt allerdings noch eine Chance, daß dem nicht so ist, da die hier in Frage stehende Teleologie immer die der sich bildenden symbolischen Stiftung ist, die unaufhebbar an die Faktizität gebunden ist. Nachdem wir auf diese Lage vorbereitet sind, die in Wirklichkeit viel komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint, können wir die Lektüre dieses ebenso wichtigen wie schwierigen Textes fortsetzen. Abgründe tun sich auf: »Aber nun hat diese Teleologie Bedingungen ihrer Möglichkeit, also auch das Sein der teleologischen Wirklichkeit selbst, und von der (transzendentalen) Wirklichkeit her ihre Wesensmöglichkeit. Eben im Verwiesenwerden auf die Urfakta der Hyle (im weitesten Sinn); ohne die wäre keine Welt möglich und keine transzendentale Allsubjekitivität. Kann man bei dieser Sachlage sagen, diese Teleologie, mit ihrer Urfaktizität, habe ihren Grund in Gott? Wir kommen auf letzte »Tatsachen« – Urtatsachen, auf letzte Notwendigkeiten, die Urnotwendigkeiten. Aber i c h denke sie, ich frage zurück und komme auf sie schliesslich von der Welt her, die ich schon »habe«. Ich denke, ich übe Reduktion, ich, der ich bin und für mich in dieser Horizonthaftigkeit bin. Ich bin das Urfaktum in diesem Gang, ich erkenne, dass zu meinem faktischen Vermögen der Wesensvaritation etc. in meinem faktischen Rückfragen sich die und die mir eigenen Urbestände ergeben, als Urstrukturen meiner Faktizität. Und dass ich in mir einen Kern von »Urzufälligem« trage in Wesensformen, in Formen vermöglichen Funktionierens, in denen dann die weltlichen Wesensnotwenigkeiten fundiert sind. Mein faktisches Sein kann ich nicht überschreiten und darin nicht das intentional beschlossene Mitsein Anderer etc., also die absolute Wirklichkeit. Das Absolute hat in sich selbst seinen Grund und in seinem grundlosen Sein seine absolute Notwendigkeit als die eine »absolute Substanz«. Seine Notwendigkeit ist nicht Wesensnotwendigkeit, die ein Zufälliges offen liesse. Alle Wesensnotwendigkeiten sind Momente seines Faktums, sind Weisen seines in bezug auf sich selbst Funktionierens – seine Weisen, sich selbst zu verstehen oder verstehen zu können.« (385-386, Hervorhebungen M.R.) Die Faktizität des Ich und meiner Welt und die intersubjektive Faktizität, d.h. die Interfaktizität (die »strukturelle Schicht«, von der die Rede war) machen also die
420 ganze Teleologie der sich bildenden symbolischen Stiftung aus, d.h. die transzendentalen Horizonte, in welchen sich das Eidetische konstituieren und enthüllen kann, also das philosophische Sprachsystem. Dieses ist also nicht sozusagen der »göttliche Logos« selbst, sondern die durch uns geleistete Explizierung dieses Logos, insofern er dank der Distanz, die unsere Faktizität als Struktur der Interfaktizität in ihn induziert, durch uns auf sich selbst bezogen wird. Eine Trennung zwischen Faktizität und Essentialität kann es nur in dem Sinn geben, daß sie sich zwischen meinem und unsem »Faktum« vollzieht, wobei die Teilung beides unreduzierbar aufeinander bezieht. Ist aber das Eidetische in diesem Sinn sozusagen durch eine teleologische und ursprünglich verzögerte Wiederaufnahme jeder Faktizität und jeder Kontingenz gegründet, dann ist die Inchoativität oder Koaleszenz in der ursprünglichen Hyle der Faktizität und der Essentialität im gleichen Sinn göttlich und auf gewisse Weise in sich selbst gegründet, d.h. gleichermaßen ohne Grund, mithin abgründig: damit erhält diese Art eidetischer Prä-Formierung die Tragweite eines letzten Faktums mit äußerster Notwendigkeit und damit sowohl einer absoluten Faktizität oder Kontingenz als auch einer absoluten Notwendigkeit. Diese Faktizität ist ebenso absolut notwendig wie diese Notwendigkeit absolut faktisch: diesen Status haben das Alphabet oder die Wesens-Grammatik, von der Husserl gesprochen hat. Und so ist auch der Status seiner Onto-Theologie, in der man diese Faktizität von aller Faktualität unterscheiden muß. Seinen ganze Reiz und seine Einzigartigkeit gewinnt dieser Text aus dem Status des zweiten Grades, der hier der Teleologie als Öffnung von teleologischen Horizonten für die eidetische Explikation und Entfaltung zugewiesen wird. In unseren Begriffen wird die Teleologie von einem architektonischen Standpunkt aus so gefaßt, daß sie gleichsam von unten her oder im zweiten Grad die Auslegung der weltlichen Sprachapperzeptionen durch die Auslegung ihrer allgemeineren eidetischen Rahmen in dem verdoppelt, was man gewöhnlich für Apperzeptionen des philosophischen Sprachsystems hält. Deshalb haben wir hier, trotz der Ungenauigkeit der Husserlschen Sprache – in der Faktum* und Tatsache* verwendet werden – nicht mehr so sehr mit der Faktualität der weltlichen Tasachen in ihrer Vorhandenheit* zu tun, sondern mit der Faktizität und der Interfaktizität, die durch die faktizielle Sicherheit des Existierens des Cogito ins Spiel gebracht werden. Anders gesagt erweckt der Text deshalb ein so großes architektonisches Interesse, weil Husserl, indem er von der Kontingenz der weltlichen Tatsachen, also vom durch die Sprachapperzeptionen gelieferten Empirischen, zur Kontingenz der Faktizität – und der transzendentalen Interfaktizität, die der Heideggerschen Faktizität sehr nahe ist – übergeht, glaubt Husserl im Eidetischen gewissermaßen den Kern zu finden, von dem aus die Fundamentalontologie in einem quasi-heideggerschen Sinn konstituiert werden könnte, und zwar durch den Übergang von einer inchoativ in eine Notwendigkeit verwickelten Faktizität zur Faktizität der menschlichen Existenz als das Vermögen der teleologischen Auslegung der ersteren. Man könnte sogar in quasi-heideggerschen Begriffen sagen, daß die göttliche Faktizität der selbst als faktiziell aufgefaßten prä-teleologischen Formen des Eidetischen die fundamentale Faktizität des Daseins* ist, in deren Inneren, und nur in ihm, die endliche Faktizität des individuierten transzendentalen Ich (des transzendentalen Selbst) Sinn annimmt. Und daß in diesem Sinn eine Interpretation der Husserlschen Phänomenologie als »Fundamental-Ontologie« architektonisch möglich wäre. Wenn man sich streng an die Teleologie als eine Teleologie der sich bildenden symbolischen Stiftung hält – eine tatsächlich absolut faktizielle und absolut notwendige
421 symbolische Stiftung: für die symbolische Stiftung ist eben charakteristisch, sich von jedem Ursprung und in diesem Sinn von jeder innewohnenden Kontingenz loszulösen –, dann kann hier kein architektonischer Irrtum, keine transzendentale Illusion entstehen. Gott ist in diesem Sinn, wie wir gesehen haben, eher der Name einer symbolischen Stiftung des Sprachsystems als der eines symbolischen Stifters. Jede symbolische Stiftung geht sich undeutlich voraus, bevor sie sich als das »erkennt«, was sie bei ihrer Auslegung ist: das ist der dunkle phänomenologische Teil der Bewegung der sich bildenden symbolischen Stiftung, der über die symbolischen Durcharbeitungen eigentlich zu einer kohärenten Verwandlung der symbolischen Stiftung führt. Ein architektonischer Irrtum oder eine transzendentale Illusion könnte allenfalls im naiven Glauben Husserls bestehen, daß wir mit der ursprünglichen Faktizität der ursprünglichen Hyle und mit der Öffnung teleologischer Horizonte in ihr, die das Eidetische wie als seine transzendentale Matrix »präfigurieren«, zu einem tieferen, ja letzten Register der Phänomenologie übergehen. Damit würde nämlich nicht gesehen, daß dabei das phänomenologische Feld, hier das phänomenologische Feld der fungierenden Sprache, auf kohärente Weise durch die noch für inchoativ gehaltenen Substruktion des philosophischen Sprachsystems verformt wird, und damit entschlüge man sich in der gleichen Bewegung vor allem jedes Mittels, diese Inchoativität für sich unter der Leitung der hyperbolischen phänomenologischen Epoché als eine Inchoativität überhaupt der Faktizität und der Essentialität zu denken. Husserl gelingt es bezeichnenderweise nicht, jedes Wesen* als von innen heraus von der Faktizität getragen zu denken, er kann nur die Faktiziät des in seiner Gesamtheit genommenen Eidetischen denken, und demnach kann diese Faktizität selbst nur göttlich sein. Das faktische Sein Gottes, das ohne jede Grundlegung, also abgründig ist, besteht darin, sich als absolute Notwendigkeit zu entfalten, die gerade dadurch, daß sie überhaupt keine Kontingenz zuläßt, selbst durch und durch kontingent ist – d.h. in einem architektonisch übertragenen Sinn, willkürlich, und das Eidetische, also das philosophische Sprachsystem, ist nur die teleologische Explizierung dieser Kontingenz selbst. Die Husserlsche Umarbeitung der Onto-Theologie ist insofern bezeichnend, als durch all dies die Schieflage in die symbolische Stiftung des Sprachsystems hineingetragen wird. Das Göttliche ist nicht Selbst-Übereinstimmung und Selbst-Transparenz, die sich ohne Riß als ontologisch-eidetische Notwendigkeit von unmittelbar zugänglichen möglichen Welten einem Denken einprägte, das sich durch die Epoché und die Reduktion von der Verdunkelung durch die weltlichen Faktualitäten befreite. Die göttliche faktische Notwendigkeit ist ohne das verdoppelte Echo, dem sie in meiner Faktizität und in unserer Interfaktizität begegnet, nicht faßbar. Dieser Gott ist eher ein jüdischer und christlicher Gott als ein griechischer, in die Vollkommenheit seiner autarcheia zurückgezogener Gott: er wäre nicht ohne uns, und wir lassen ihn leben, indem wir in unserer ganz besonderen Faktizität immer nur das Echo seiner besonderen Faktizität erahnen, welche die höchste und grundlegende ist, da es die unseres (offensichtlich: philosophischen) Sprachsystems ist, und es bleibt uns nun nur noch, diese uns zu erklären und auszulegen. Als umgekehrter Effekt davon wird gerade dadurch, wie zweifellos in jeder monotheistischen Tradition – zumindest formulieren wir es einstweilen als Hypothese –, der Zugang zu den phänomenologischen Tiefen der Sprache versperrt: indem die interfaktizielle Transpassibilität nur die Transpassibiliät eines jeden Sinnes gegenüber dem einzigen Sinn des in Gott enthaltenen Sprachsystems ist, stellt dieser gewissermaßen den Implosionspol aller vielfältigen Transpassibiliäten der Sinnregungen untereinander und gegenüber An-
422 sätzen oder Fetzen von Sinnregungen dar. Der architektonische Irrtum aus phänomenologischer Sicht, d.h. die phänomenonologische transzendentale Illusion, besteht darin, alle phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache auf die einzige Sphäre eines göttlichen Sprachsystems einzuebnen, von dem jedes Sprachsystem, und insbesondere, für Husserl, das philosophische, nur die unendliche teleologische Entfaltung wäre, indem es die ursprüngliche Schieflage seiner Endlichkeit und Faktizität zu überwinden sucht; denn das (teleologische) Ganze besteht darin, das menschliche oder das philosophische Sprachsystem zu seiner unmöglichen Übereinstimmung mit sich selbst zu führen. Das, könnte man sagen, macht die onto-theologische Version der sich ja in ihrer Tradition bildenden symbolischen Stiftung aus. Es braucht hier nicht wiederholt zu werden, daß die Schieflage Schieflage ist, daß sie phänomenologisch unaufhebbar ist und daß die Übereinstimmtung deshalb ganz falsch liegt, weil sie als etwas »imaginär Erlebtes« zur identitären Implosion der symbolischen Stiftung ins symbolische Gestell* führt – und in das »barbarische« Spiel der phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache als unbewußte und dunkle Tiefen der Bedeutungen, aber auch der »Signifikanten«, die sich unweigerlich im symbolischen Unbewußten blind rekodieren und die Diskurse und Verhaltensweisen mechanisieren. Das philosophische Sprachsystem fällt dabei mit sich selbst zusammen und ist in einem besonderen Sinn nichts anderes als das reine Logisch-Eidetische: aber dieses Sprachsystem ist stumm, es sagt nichts mehr von dem aus, was das Rätsel unserer condition humaine ausmacht. Husserl hat sich wenigstens vor der Gefahr gehütet, indem er die Teleologie, einschließlich der Teleologie der eidetischen Auslegung, als eine unendliche konzipiert hat. Die Entfernung zwischen der ursprünglichen göttlichen, absolut notwendigen Faktizität und unserer Faktizität ist auf immer unüberwindbar und unaufhebbar. Gerade deshalb kann Gott nur in und durch uns leben. Das Unendliche ist die archtitektonische Gestalt des Phänomenologischen in der sich bildenden symbolischen Stiftung, und zwar auch dann, wenn es in dieser als Gott rekodiert wird. Dieser ist letztlich das identitäre symbolische Verdichtete (die »eine absolute Substanz«, sagt Husserl) der phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache im Sprachsystem, derjenige, welcher wie in der letzten Gestalt der Subjektivität diese in sich einschließt, um ihre Differenzen aufzuheben. Diese Verdichtung wird dadurch möglich, aber nicht notwendig, daß gerade in der Begegnung des Sprachsystems mit den unendlichen phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache auch die phänomenologische Erfahrung des Erhabenen geschieht, d.h. die phänomenologische Begegnung mit dem symbolischen Stifter. Dieser ist offensichtlich nicht etwa mit Gott zu verwechseln, wenigstens nicht mit dem Gott, der die symbolische Stiftung des Sprachsystems aufrechterhält, die von ihm zu ihm durch die Wechselfälle und Abenteuer der Bewegung seiner Bildung hindurch verläuft. Symbolischer Stifter ist er nämlich vor allem des Selbst als einem Rätsel – und zwar von jedem Selbst, einschließlich des Selbst der Sinnregungen – und übt keine Kausalität auf die Sprachsysteme aus. Aber die Berücksichtigung der unendlichen phänomenologischen Tiefen der fungierenden Sprache erlaubt wenigstens zu verstehen, daß die Sprachsysteme in ihrer symbolischen Stiftung nur deshalb radikal kontingent sind, weil diese Kontingez nicht selbst absolute Kontingenz des Absoluten ist. Die radikale Kontingenz bezieht sich auf die von Sinn durchzogene und den Sinn tragende Faktizität. Letztlich kann die absolute Kontingenz des Absoluten die der Faktualität sein, also des in seiner identitären Implosion von Sinn entleerten Willkürlichen. Der ganze Text Husserls oszilliert eigentlich zwischen diesen beiden Polen, das macht ihn ebenso labil wie interessant.
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ANMERKUNG 1 Es handelt sich um den Text n° 22 mit dem Titel »Teleologie«, der von I. Kern im Band XV der Husserliana veröffentlicht wurde. Dieser Text wird auch von J. English in seinem Kommentar der Grundprobleme der Phänomenologie, P.U.F., Paris 1991, S. 275, zitiert.
Notiz des Übersetzers Nach dem ersten in deutscher Sprache veröffentlichten Buch Marc Richirs »Das Abenteuer der Sinnbildung«, das die 1. Meditation der Phänomenologischen Meditationen und weitere zwei Aufsätze enthält, erscheint nun im gleichen Verlag auch die deutsche Ausgabe von Marc Richirs Hauptwerk. Die Übersetzung dieses Buches wäre nie in Angriff genommen und auch nicht durchgehalten worden, wenn nicht ein ständiger intensiver Gedankenaustausch mit dem Autor bestanden hätte, in dem so mancher Problemfall besprochen werden konnte. Aus den in sehr freundschaftlichem Ton gehaltenen Briefen und Gesprächen erwuchs nicht nur die nötige Korrektur sondern auch eine ständige Ermutigung und Bestärkung, welche die Freude an der Arbeit wachhielt. So konnte das Übersetzen zu einem sich ständig weiterentwickelnden Sinnbildungsprozeß werden, der oft genug den Charakter des Wagnisses und des Abenteuers hatte. Marc Richir hat die gesamte Übersetzung gelesen, Anregungen gegeben und Verbesserungen vorgeschlagen. Ich selbst konnte mit jeder Frage an ihn herantreten und habe dabei eine Fülle von Erläuterungen erhalten, die seine anfangs zwar als reizvoll erschienene aber nicht immer unmittelbar nachvollziehbare Art des Denkens mir immer vertrauter haben werden lassen. Für dieses ja nicht selbstverständliche Entgegenkommen innerhalb eines großzügig ausgelegten Zeit-Raumes der Begegnung möchte ich Marc Richir an dieser Stelle sehr herzlich danken. Eine für die Übersetzung durchaus wichtige Besonderheit ist, daß während dieser Zeit des Gedankenaustausches Marc Richir auch an seinem Text weiterarbeitete und da und dort gegenüber der Originalausgabe Änderungen angebracht hat, um einige Details klarer werden zu lassen. Zu einigen Übersetzungsproblemen sind noch folgende Anmerkungen zu machen: 1. Die Unterscheidung zwischen langage und langue wird im Deutschen am präzisesten getroffen, wenn man das erstere als fungierende Sprache und das zweite als Sprachsystem faßt. An vielen Stellen würde allerdings die stringente Durchführung dieses Sprachgebrauchs manche Sätze stilistisch über Gebühr belasten. Deshalb wird in der Übersetzung auch sehr häufig langage durch Sprachliches und langue durch Sprache wiedergegeben. Auch dort wo das Adjektiv sprachlich auftaucht, basiert es auf einer Wendung mit langage. Aber auch diese zweite Unterscheidungsmöglichkeit konnte nicht stringent durchgehalten werden. Mitunter schien es passender, für langage Sprachgebrauch zu setzen. Ausnahmsweise geht in folgendenen Wendungen Sprache immer auf langage zurück: phänomenologische Sprachpraxis, phänomenologische Sprache und Sprachphänomenologie (phénoménologie de langage). Hingegegen übersetzt Sprachapperzeption immer aperception de langue. 2. Während im Buch »Das Abenteuer der Sinnbildung« für entre-aperception immer die Übersetzung Ahnung gewählt wurde, so wurden die mit diesem Begriff verbundenen »romantischen« Konnotationen doch letztlich als so störend empfunden, daß nun statt dessen der Ausdruck blitzhafte Apperzeption und für entre-apercevoir entsprechend blitzhaft apperzipieren vorgezogen werden.
425 Wegen des großen Umfangs des Buches, wurde auf eine besondere Einleitung in die deutsche Ausgabe verzichtet. Wer eine Hinführung zur Denkweise Marc Richirs und in die Grundzüge seiner Sprachphänomenologie haben möchte, sei auf meine Einführung verwiesen, die der Aufsatzsammlung »Das Abenteuer der Sinnbildung« vorangeht. Jürgen Trinks
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ZUM AUTOR M A R C R I C H I R , geb. 1943, ist Mitglied der Belgischen Akademie der Wissen-
schaften, er lehrt und forscht als »chercheur qualifié« am Fonds National de la Recherche Scientifique (FNRS) Belgiens und als Professor an der Université libre de Bruxelles und als Forschungsleiter für Grundsatzfragen der Psychopathologie am entsprechenden Laboratorium der Universität Paris-VII. In seinen Publikationen arbeitet er an einer teifgreifenden Umgestaltung der Phänomenologie. Seine wichtigsten Werke sind: Recherches phénoménlogiques (1,2,3) Fondation pour la phénoménologie transcendantale (Ousia, 1981), Recherches phénoménlogiques (4,5) Du schématisme phénoménologique transcendantal (Ousia, 1983), Phénomènes, temps et êtres (J. Millon, 1987) Phénoménologie et institution symbolique (J. Millon, 1988), La crise du sens et la phénoménologie (J. Millon, 1990), Du sublime en politique (Payot 1991), Méditations phénoménologiques (J. Millon, 1992), L’expérience du penser. Phénoménologie, philosophie, mythologie (J. Millon, 1996), Melville. Les assises du monde (Hachette, 1996), La naissance des dieux (Hachette, 1998), Phénoménologie en esquisses. Nouvelles fondations (J. Millon, 2000). In deutscher Sprache ist bisher erschienen: Das Abenteuer der Sinnbildung. Aufsätze zur Phänomenalität der Sprache (Wien: Turia+Kant, 2000). Er ist Herausgeber der renommierten Reihe »Krisis« bei J. Millon, Grenoble.