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German Pages [209] Year 2020
In Jung
Passio Christi, Tribulatio Discipuli Eine exegetische und narratologische Untersuchung zu den Leidensvorstellungen des lk Doppelwerks
Novum Testamentum et Orbis Antiquus / Studien zur Umwelt des Neuen Testaments In Verbindung mit der Stiftung „Bibel und Orient“ der Universität Fribourg / Schweiz herausgegeben von Martin Ebner (Bonn), Peter Lampe (Heidelberg), Heidrun Elisabeth Mader (Heidelberg), Stefan Schreiber (Augsburg) und Jürgen Zangenberg (Leiden) Advisory Board Helen K. Bond (Edinburgh), Raimo Hakola (Helsinki), Thomas Schumacher (Fribourg), John Barclay (Durham), Armand Puig i Tàrrech (La Selva del Camp), Ronny Reich (Haifa), Edmondo F. Lupieri (Chicago), Stefan Münger (Bern)
Band 125
In Jung
Passio Christi, Tribulatio Discipuli Eine exegetische und narratologische Untersuchung zu den Leidensvorstellungen des lk Doppelwerks
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Wissenschaftlicher Satz: satz&sonders GmbH, Dülmen
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-5124 ISBN 978-3-666-56040-8
Meiner Frau, Ye Ryoung, und den Menschen, die leiden
Inhalt Vorwort
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Einleitung: Zielsetzung, methodische Vorüberlegungen und Thesen
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Kapitel I Passio Christi, Tribulatio Discipuli: Der Lk Passionsbericht und eine darin mitenthaltene Geschichte der Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Jünger als Co-Subjekt des Leidens im lk Passionsbericht 1.1 Die Jünger als Versuchungsobjekt des Satans während der Jesus-Passion (Lk 22,3.31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Jünger als Begleiter der Versuchungen Jesu (Lk 22,28; 23,49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die Jünger als Subjekt des Gebets (Lk 22,40.46) . . . . . 1.4 Die Jünger als Träger von Spannungen und Konflikten (Lk 22,23.24 ff.5 ff.49 etc.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leiden der Jünger (Tribulatio Discipuli) als Subplot der Passio Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Hinführung zu den Analysekategorien: Der lk Passionsbericht als eine mehrsträngige Geschichte (multiple story line) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Setting der „Tribulatio Discipuli“: gedehnte und getrennte Raumzeit für eine Jüngergeschichte . . . . . . 2.3 Figuren der „Tribulatio Discipuli“: Erweiterung und Differenzierung der Figurenmerkmale und Handlungsrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Plot der „Tribulatio Discipuli“: unentbehrliche gesonderte Handlungselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . Leiden der Jünger und die Antizipation der Acta: Die Jünger als Kontagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Integriertes Handlungsrollenmodell von „Passio Christi“ und „Tribulatio Discipuli“ im lk Passionsbericht 3.2 „Tribulatio Discipuli“ in Acta: leidende Jünger, betreuender Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Gesamtstruktur des lk Doppelwerks im Lichte des Leidensmotiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Fazit: Evangelium versus Acta . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kapitel II Hierarchie und Ungleichheit von Passio und Tribulatio: Unterschiede in der Leserempathie-Lenkung
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Inhalt
II-1 Ausdifferenzierung und Hierarchisierung zwischen Passio und Tribulatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Differenzierung zwischen Tribulatio und Passio bei Lukas 1.2 Hierarchisierung von Passio Christi und Tribulatio Discipuli bei Lukas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II-2 Jesus als ferne Figur, Jüngergruppe als nahe . . . . . . . . . . . . 2.1 Hinführung zu den Analysekategorien: die Empathielenkung und -konstellation zwischen Jesus und den Jüngern im lk Doppelwerk . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Empathielenkung zwischen Crucifixio Jesu und Lapidatio Stephani . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Empathiekonstellationen im mk und lk Passionsbericht 2.4 Vergleich der Empathielenkung beim „letzten Mahl Jesu“ und bei der „Abschiedsrede des Paulus“ . . . . . . . . 2.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel III Passio Christi, Tribulatio Discipuli: Eine Leidenshermeneutik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III-1 Leidensparallele zwischen Evangelium und Acta?: Positionierung der Thesen in die Auslegungsgeschichte . . . . . . III-2 Leidensspirale im lk Doppelwerk: Schlussbemerkung . . . . . . . .
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Literatur
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Quellen und Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bibelstellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Altes Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Logienquelle Q zugeordnete Logien (Matthäus / Lukas) Pseudepigraphen des Alten Testaments und Zwischentestamentliche Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qumrantexte, rabbinische Quelle und Übersetzungen . . . . Jüdische Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christliche Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übrige antike Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. II.
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Sie entstand größtenteils während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Peter Lampe. Für den Druck habe ich sie geringfügig überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt allen voran meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Lampe. Er hat nicht nur meine Dissertation mit kritischen und motivierenden Anregungen betreut, sondern mich darüber hinaus vielfältig unterstützt und gefördert. Für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens gebührt Herrn Prof. Dr. Martin Pöttner herzlicher Dank. Danken möchte ich auch der Neutestamentlichen Sozietät, darunter Prof. Dr. Helmut Schwier, Prof. Dr. Matthias Konradt, Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Gerd Theißen und Prof. Dr. István Czachesz für ihren fachlichen Anregungen. Wissenschaftliche Unterstützung erfuhr ich des Weiteren vom Institut für Evangelische Theologie der Justus-Liebig-Universität Gießen bei Prof. Dr. Ute Eva Eisen, die mir Anregungen für die narratologischen Methoden gab. In Dankbarkeit denke ich auch an Prof. Dr. SUH Joong Suk und LYU Eun-Geol, die bereits an meiner Alma Mater, Universität Yonsei mein wissenschaftliches Vorbild waren und dieses Dissertationsprojekt, jenseits einer Kontinent weiten Entfernung, auch finanziell unterstützte. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Jan Stievermann, in dessen Projekt „Biblia Americana“ in Heidelberg Center for American Studies ich mitwirken durfte. Finanzielle Unterstützung erfuhr ich auch durch das Gerhard von Rad Stipendium und ein Stipendium der Nangok Stiftung, die mir die Arbeit an diesem Projekt ermöglicht haben. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dafür meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Für einen Druckkostenzuschuss danke ich dem Förderverein der Theologischen Fakultät Heidelberg und der Evangelischen Landeskirche in Baden. Den Herausgebern u. a. Prof. Dr. Martin Ebner, Prof. Dr. Stefan Schreiber und Prof. Dr. Jürgen K. Zangenberg danke ich für die Aufnahme in die Reihe NTOA. Ich danke herzlich Frau Miriam Espenhain für ihre kompetente und akribische Mithilfe bei der Erstellung der Druckvorlage sowie der Register und für das Korrekturlesen. Mein freundlicher Dank gilt meinen Kolleginnen und Kollegen, Hiroko Yamayoshi, Kathleen Ess, Kaja Wieczorek, PD. Dr. Heidrun Mader, Dr. Henning Hupe, Pfrin. Dr. Sasia Lerdon, Dr. Mirjam Daume, Dr. Minhua Jing, Dr. Johanna Körner und meinen Freunden, Kirchenrat Pfr. Dr. Heinz Janssen und Pfr. Dieter Moeglin. Die beiden Pfarrer haben mich sowohl wissenschaftlich als auch geistlich begleitet und meine Arbeit gerne gelesen, auch während ich sie schrieb.
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Vorwort
Gewidmet sei dieses Buch, neben dem mich begleitenden liebsten Menschen, meiner Frau Ye Ryoung Lee, den Menschen, die leiden (Tribulatio Discipuli), auch unter aktueller Coronavirus-Pandemie. Zum Schluss sei meinen beiden Töchtern gedankt, die von ihren Namen her (Na-Nun: Gemeinschaft und Ih-Ruhn: Teilhabe) Zwillinge (κοινωνία) sind. Mit dem Beginn meiner Promotion kam die jüngere Ih-Ruhn zur Welt. Die Zeit der zurückliegenden vier Jahre war also für „unser“ Jung Quartett voll von Freude am Familienleben. In der Hoffnung, Christus und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden zu erkennen (Phil 3,10), Heidelberg, im April 2020
In Jung
Einleitung: Zielsetzung, methodische Vorüberlegungen und Thesen Die Christusgeschichte ist die Geschichte der Christen (Apg 11,26). Auf dieser Basis werden das ununterbrochene Lesen dieser Geschichte und ihre globale Verbreitung in den letzten zwei Jahrtausenden verständlich. Sowohl eine altsyrische Greisin im zweiten Jahrhundert als auch ein koreanischer Knabe im 21. Jahrhundert lesen Jesu Geschichte, „denn sie ist zugleich „unsere“ und „meine“ Geschichte.“ 1
Zugleich ist diese Geschichte Jesu größtenteils eine Leidensgeschichte. Auch heute lesen Menschen in Europa, in Lateinamerika und in Afrika das Neue Testament in aktuellen Leidenssituationen. Sie projizieren auf Jesu Leidensgeschichte ihre eigenen Schmerzen und Leiden und finden so Trost und Kraft. Auch die Urchristen pflegten eine solche Hermeneutik. In früheren sowie späteren Schriften des Neuen Testaments werden die Leiden der Christen verkoppelt: „. . . wie die Leiden des Christus überreich auf uns kommen, so wird uns durch Christus unser Trost überreich zuteil . . . “ (2 Kor 1,5), „. . . dazu seid ihr berufen worden, weil auch Christus für euch gelitten hat und euch ein Beispiel hinterlassen hat . . . “ (1 Petr 2,21).
Diese Hermeneutik des Leidens wirkte auch bei Lukas und seiner ersten Lesergemeinde. Wie hat Lukas den Zusammenhang von Passio Christi und Leiden zeitgenössischer Christen verstanden und in seiner Narratio dargestellt? Können moderne Leserinnen und Leser durch das lk Doppelwerk ein neues Verständnis für ihre aktuellen Leidenssituationen entwickeln? Diese Fragen in Bezug auf Lukas zu stellen, ist sinnvoll, weil Lukas nicht nur Jesu Geschichte, sondern auch eine Geschichte der Jünger, die in ihrer erzählten Welt leiden, geschrieben hat. D. h., die Passio Christi (παθεῖν) im Evangelium erweitert sich zur Tribulatio Discipuli (θλῖψις, s. u.) in Acta. Unser Ausgangspunkt liegt also bei der neutestamentlichen Hermeneutik des Leidens im Allgemeinen und den lukanischen Vorstellungen zum Leiden im Besonderen. Zielsetzung Diese Arbeit bezweckt nicht, ein neues hermeneutisches Modell zu entwickeln. Vielmehr wird eine gründliche Exegese angestrebt. Lukas hat bereits auf der Ebene der Textproduktion die Leidensgeschichte Jesu mit der der 1 Luz, Theologische Hermeneutik, 428.
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Einleitung: Zielsetzung, methodische Vorüberlegungen und Thesen
Jünger (Tribulatio Discipuli) verknüpft, indem er seine Vorlagen (Q/MkEv) redigierte und innerhalb seiner eigenen Jüngergeschichte (Acta) die Leiden Jesu in bestimmter Weise positionierte. Durch exegetische und narratologische Untersuchungen dieser Arbeit werden diese Charakteristika des lk Doppelwerks als Text-Phänomene analysiert. Man sieht z. B., dass der lk Jesus in seiner Passionszeit kaum Traurigkeit und Betrübnis ausdrückt, sondern die Betrübnis auf die Jünger transferiert wird (Lk 22,45). Darüber hinaus wird Jesus in Acta als Patron der Leidenden beschrieben (Apg 7,55 ff u. a., Kapitel I), wobei die Passio Christi und die Tribulatio Discipuli bei Lukas terminologisch voneinander unterschieden und in ein hierarchisches Verhältnis zueinander gebracht werden (Kapitel II). Die Leidensvorstellungen des lk Doppelwerks sollen eruiert werden, die dann zum Selbstverständnis leidender Christen auch im Hier und Jetzt beitragen können. Methodische Vorüberlegungen im Hinblick auf die Forschungsgeschichte Die sog. narratologischen Methoden der Bibelauslegung – in ihrem aktuellsten Entwicklungsstand – spielen für unser Projekt eine wesentliche Rolle. 2 Untersucht werden soll vor allem, dass Lukas die Leidensgeschichte Jesu zu einer Leidensgeschichte der Jünger ausweitete. Durch narratologische Begrifflichkeiten werden wir präzise aussagen können, bis zu welchem Grad die Geschichte Jesu zu einer Geschichte der Jünger wurde: Die Leidensgeschichte der Jünger wird im Passionsbericht des Evangeliums zu einem Subplot der Jüngerleiden der Apostelgeschichte proleptisch vorweggenommen. Ferner rezipieren die Leser durch eine bestimmte Empathie-Konstellation (Kapitel II-2) Jesus als eine fernere Figur und die Jüngergruppe als nähere, was ihre Leidensgeschichte den Rezipienten besonders nahebringt.
2 Vgl. wichtige Monographien und Methodenbücher über die narratologischen Bibelforschungen, U. E. Eisen, Die Poetik der Apostelgeschichte. Eine narratologische Studie, NTOA 58, Göttingen 2006; S. Finnern, Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28, Tübingen 2010; S. Finnern/J. Rüggemeier, Methoden der neutestamentlichen Exegese. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Tübingen 2016; D.F. Tolmie, Narratology and biblical narratives. A practical guide, San Francisco u. a. 1999; J. Hartenstein, Charakterisierung im Dialog. Maria Magdalena, Petrus, Thomas und die Mutter Jesu im Johannesevangelium im Kontext anderer frühchristlicher Darstellungen, Göttingen u. a. 2007; U. Poplutz, Erzählte Welt. Narratologische Studien zum Matthäusevangelium, Neukirchen-Vluyn 2008; C. Bennema, A theory of character in New Testament narrative, Minneapolis, Minn. 2014. Narratologische Ansätze schließen freilich andere Methoden nicht aus. Zuzustimmen ist Rüggemeier: „Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es deshalb, die historischen und philologischen Methoden der Exegese [. . . ] und neuere Ansätze, insbesondere aus dem Bereich der Literatur- und Erzählwissenschaften, in ein gemeinsames System der Textbetrachtung zu überführen. Zugleich sollen die Möglichkeiten einer solchen Textbetrachtung am Beispiel des markinischen Jesusbildes demonstriert werden“, Rüggemeier, Poetik der markinischen Christologie, 178.
Einleitung: Zielsetzung, methodische Vorüberlegungen und Thesen
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Bereits in der „redaktionskritischen Phase“ (in den 50er Jahren), 3 bevor in der angelsächsischen Exegese erstmals Ansätze der Literaturwissenschaft übernommen wurden (in den 70er Jahren), 4 wurden die Kunst bzw. die Technik der lk Erzählung als Forschungsthema angedacht. 5 Die lk Vorliebe für Parallelen wurde als eine zentrale Erzähltechnik („narrative technik“ 6) verstanden. Unser Projekt gibt eine neue Antwort auf diese klassische Frage, welche narrative Techniken Lukas anwendet, wenn er im Verlauf seiner beiden Werke Leidensverständnisse ausbreitet. Unter verschiedenen narratologischen bzw. literaturwissenschaftlichen Ansätzen ist für die Bibelauslegung neuerdings die sog. post-klassische Narratologie, v. a. die „kognitive Narratologie“ (gemeint sind kognitionswissenschaftliche Ansätze innerhalb der Narratologie, cognitive turn) 7 wichtig geworden. Im Gegensatz zu der „auf textimmanente Aspekte ausgerichteten“ struktura3 Eisen z. B. nennt drei Phasen der Auslegung des lk Doppelwerks vor dem Entstehen des „Narrative Criticism“ (s. u. Anm. 4): „1. Die historische Phase bis Anfang der 50er Jahre. 2. Die redaktionskritische Phase von 1954 (einsetzend mit dem Erscheinen von Hans Conzelmanns Mitte der Zeit) bis in die 70er Jahre. 3. Die Übergangsphase bzw. kompositionskritische Phase von 1974 (einsetzend mit Charles H. Talberts Literary Patterns) bis Mitte der 80er Jahre“, dies., Poetik, 33 f. (Hervorhebung im Original). 4 Die Bezeichnung „Narrative Criticism“ begegnet im Jahr 1982: D. Rhoads, Narrative Criticism and the Gospel of Mark, Journal of the American Academy of Religion 50 (1982), 411–434. Dieser Begriff, den Rhoads in Analogie zu anderen exegetischen „criticisms“ bildete, wurde von „einer starken Betonung textimmanenter Bezüge“ geprägt und positionierte sich tendenziell – wie etwa der sog. (new) literary criticism – in scharfer Abgrenzung zur historisch-kritischen Forschungsarbeit. Eisen, a. a. O., 22 f; Finnern, a. a. O., 148–49; Rüggemeier, a. a. O., 178. Der Begriff „Narrative Criticism“, der sich vom früheren Strukturalismus in der Literaturwissenschaft absetzt, ist für den aktuellen Forschungsstand in der Neutestamentlichen Wissenschaft nicht mehr adäquat und sogar irreführend. Alternativen sind, wie Eisen (2006) vorgeschlagen hat, „narratologische Analyse“ bzw. „narratologische Untersuchung“ des NT. Gut balanciert ist, auch Finnerns Bezeichnung „Narratologie in Exegese (und Literaturwissenschaft)“, Finnern, a. a. O., 28 f. 5 Mit Begriffen wie „dramatischer Episodenstil“ oder „dramatische Szenentechnik“, Haenchen, Apostelgeschichte, 117. E. Plümacher rezipierte Haenchens Begriff „dramatischer Episodenstil“, ders., Lukas als hellenistischer Schriftsteller, 80 ff. Vgl. auch „Erzählkunst in der Apostelgeschichte“ bei H. Steichele, Erzählkunst in der Apostelgeschichte; vgl. H.J. Cadbury, Style and Literary Method of Luke. Eisen führt die Thematik der „schriftstellerischen Kunst des Lukas“ bzw. „des literarischen Stils der Acta“ auf Adolf von Harnack als Vorläufer zurück. A. Harnack, Lukas der Arzt. Der Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte, Leipzig 1906; Eisen, Poetik, 35. 6 J. Verheyden, Unity of Luke-Acts, 49–56, u. a. 52. 7 In dieser Forschungsrichtung versucht man, Prozesse der Textproduktion und Rezeption anhand empirisch gewonnener kognitionspsychologischer Kategorien zu beschreiben. E. Ibsch, The Cognitive Turn in Narratology, Poetics Today 11, Duke University Press 1990, 411–418; A. Nünning, Renaissance eines anthropomorphisierten Passepartouts oder Nachruf auf ein literaturkritisches Phantom? Überlegungen und Alternativen zum Konzept des „implied author“, Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 67 (1993), 1–25; R. Schneider, Grundriß zur kognitiven Theorie der Figuren-
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Einleitung: Zielsetzung, methodische Vorüberlegungen und Thesen
listischen Phase der Narratologie werden die Erzählungen nun („seit Mitte der 1990-er Jahre“) als „historisch kontingente“ Produktionen verstanden. 8 D. h., (a) die realen – d. h. historischen (s. u.) – Leser und deren Kontexte spielen nun auch in der Narratologie eine Rolle: „Reale Leser haben immer ein bestimmtes Vorwissen und kognitive Verstehensschemata. [. . . ] Wenn die Narratologie also wissen will, wie eine Erzählung tatsächlich funktioniert, wie sie Figuren darstellt, mit Vorurteilen spielt, Sympathien lenkt, für Spannungen sorgt, darf sie die kognitiven Verstehensbedingungen nicht länger ausblenden.“ 9 Kurz, diese Ansätze der sog. kognitiven – bzw. postklassischen – Narratologie sind für die ntl Exegese vielversprechend. Tabelle 1: Klassische und postklassische Narratologie im Vergleich 10 strukturalistische Narratologie
postklassische Narratologie
– ahistorisch und synchron orientiert – textzentriert – in sich geschlossene, literaturwissenschaftliche Disziplin – Interesse an universalen Gesetzmäßigkeiten von Erzähltexten
– historisch und diachron orientiert – kontextorientiert – interdisziplinäre Projekte
– formalistisches, deskriptives Paradigma – Bevorzugung (reduktionistischer) binärer Oppositionen
– Interesse an spezifischen Bedeutungen in und Wirkungen von einzelnen Erzähltexten – interpretatives, evaluatives Paradigma – Bevorzugung einer ganzheitlichen kulturellen Interpretation
(b) Kognitionswissenschaftliche Annäherungen lassen sich selbstverständlich mit den historisch-kritischen Forschungen zu den antiken-urchristlichen Texten und zu deren Kontexten verbinden. Dies gilt parallel auch für die Forrezeption am Beispiel des viktorianischen Romans, Tübingen 2000; A. Nünning (Hg.), Neue Ansätze in der Erzähltheorie, Trier 2002; D. Herman (Hg.), Narrative theory and the cognitive sciences, Stanford, Calif. 2003; J. Eder, Narratology and Cognitive Reception Theories, in: T. Kindt (Hg.), What is Narratology?, Berlin u. a. 2003, 277–301; G. Brône (Hg.), Cognitive Poetics. Goals, Gains and Gaps, Berlin u. a. 2009; D. Herman, Cognitive Narratology, in: P. Hühn (Hg.), Handbook of Narratology, Berlin u. a. 2014, 30–43; S. Csábi (Hg.), Expressive minds and artistic creations. Studies in cognitive poetics, Oxford 2017. „Man versucht jetzt, die Kategorien der Erzähltheorie zunehmend auf die empirische Leserrezeption auszurichten und Forschungen zur Künstlichen Intelligenz, zur Kognitionspsychologie und kognitiven Linguistik für die Narratologie fruchtbar zu machen“, Finnern, a. a. O., 36. Zu der postklassischen Narratologie zählt neben der kognitiven Wende u. a. die kulturelle / historische Wende, a.a.O, 33 ff. 8 Rüggemeier, Poetik, 8 f. 9 Finnern, a. a. O., 37. 10 M. Petry, „Post-klassische“ Erzähltheorie. Ein Ausblick, in: P. Wenzel (Hg.), Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme, Trier 2004, 230; auch Finnern, Narratologie, 36.
Einleitung: Zielsetzung, methodische Vorüberlegungen und Thesen
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schungen der sog. „cognitive science of religion“ (CSR, kognitionswissenschaftliche Religionsforschung, ebenfalls einsetzend seit der Mitte der 1990-er Jahre) zum Urchristentum bzw. antiken Religionen. 11 Mehrere ntl Forscher führen mithin auch ohne Bezüge zur Narratologie (Erzählanalyse) kognitionswissenschaftlich geprägte Untersuchungen durch und bedienen sich dabei derselben Begrifflichkeiten wie die kognitive Narratologie – Begrifflichkeiten wie „Skripttheorie“ oder „Lesegedächtnis“. 12 Merkwürdigerweise existiert bislang kein Austausch zwischen beiden Forschungsrichtungen, obwohl sie einander befruchten könnten. Die eine Forschungslinie, die der kognitiven Narratologie, konzentriert sich auf konkrete Erzählanalysen des NT, z. B. Figuren- oder Handlungsanalysen. 13 Die CSR dagegen wendet Theorien und Forschungsergebnisse der Hirnforschung weniger auf Textanalyse als auf die Analyse urchristliches Milieus an und führt so sozialgeschichtliche Exegeseansätze weiter oder Forschungen über die ntl Umwelt mit Themen wie „Rituale“, „Visionen“ „Wundererzählungen“ oder „Gedächtnis beim Tradieren“. 14 Freilich ist die Grenze zwischen beiden nicht immer klar. Sog. kognitiv11 Aktueller Forschungseinblick: R. Uro, Cognitive Science in the Study of Early Christianity: Why It Is Helpful – and How?, NTS 63 (2017), 516–533. Eine Reihe von Wissenschaftlern spricht auch von „kognitiver Historiographie“, H. Whitehouse/L.H. Martin (Hg.), Theorizing Religions Past: Archeology, History, and Cognition, Walnut Creek, CA u. a. 2004; L.H. Martin/J. Sørensen (Hg.), Past Minds: Studies in Cognitive Historiography, London 2011. 12 P. Luomanen u. a. (Hg.), Explaining Christian Origins and Early Judaism. Contributions from Cognitive and Social Science, Leiden 2007; C. Shantz, Paul in Ecstasy. The Neurobiology of the Apostle's Life and Thought, Cambridge 2009; T. Kazen, Emotions in Biblical Law. A Cognitive Science Approach, Sheffield 2011; I. Czachesz/R. Uro (Hg.), Mind, Morality, and Magic. Cognitive Science Approaches in Biblical Studies, Durham 2013; F. Tappenden, Resurrection in Paul. Cognition, Metaphor, and Transformation, Atlanta 2016; I. Czachesz, Cognitive Science and the New Testament. A New Approach, Oxford 2017. 13 Z. B. Finnern, a. a. O.; Rüggemeier, Poetik; L. Lange, Die Juditfigur in der Vulgata. Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel, Berlin 2016; auch A. Bork, Die Raumsemantik und Figurensemantik der Logienquelle, Tübingen 2015; F. Wagener, Figuren als Handlungsmodelle. Simon Petrus, die samaritische Frau, Judas und Thomas als Zugänge zu einer narrativen Ethik des Johannesevangeliums, Tübingen 2015. 14 I. Czachesz, Explaining Magic. Earliest Christianity as a Test Case, in: Past Minds, 141–65; ders., A Cognitive Perspective on Magic in the New Testament, in: ders. u. a. (Hg.), Mind, Morality and Magic. Cognitive Science Approaches in Biblical Studies, London 2015, 164–79; R. Uro, A Cognitive Approach to Gnostic Rituals, in: Explaining Christian Origins, 115–37; ders., Kognitive Ritualtheorien. Neue Modelle für die Analyse urchristlicher Sakramente, Evangelische Theologie 71 (2011) 272–88; I. Czachesz, Rethinking Biblical Transmission. Insights from the Cognitive Neuroscience of Memory, in: Mind, Morality and Magic, 43–61; P. Luomanen, How Religions Remember. Memory Theories in Biblical Studies and in the Cognitive Study of Religion, in: Mind, Morality and Magic, 24–42; G. Levy, Judaic Technologies of the Word. A Cognitive Analysis of Jewish Cultural Formation, Sheffield 2012.
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Einleitung: Zielsetzung, methodische Vorüberlegungen und Thesen
narratologische Forschungen des NT, u. a. Rezeptionsanalysen, enthalten Elemente, die auch für die CSR relevant sind, z. B. Empathie, Lesegedächtnis und Emotionen der urchristlichen Rezipienten. Andererseits sind CSR-geprägte Analysen z. B. zur „Oralität“ der urchr. Überlieferungen für die Textforschung relevant. 15
Für unser Projekt folgt: 1. Wenn es sinnvoll für unser Textmaterial erscheint, übernehme ich Theorien und Begrifflichkeiten auch aus den Forschungsergebnissen der CSR oder aus allgemeiner Kognitionswissenschaft. Für die Analyse der Leserempathie und deren Lenkung durch Lukas (Kapitel II-2) spielt z. B. die Empathie-Definition von J. Decety 16 eine Rolle, obwohl sie in bisheriger (kognitiv-)narratologischer NT-Forschung noch nicht erwähnt wurde. 2. Unsere Arbeit versteht sich dennoch als in einer Reihe stehend mit den (kognitiv-)narratologischen Untersuchungen. Unser Interesse richtet sich auf Textphänomene, auf die lk Erzählkunst. Wenn Begrifflichkeiten der EmpathieForschung aufgenommen werden, soll nicht generell über Leseaktivität der Urchristen spekuliert, sondern es soll gezeigt werden, ob und wie die Erzählung des Lukas und deren Bestandteile (z. B. „hohe Innensicht“, „Zahl der Figurenmerkmale“, siehe Kapitel II-2) die Leserempathie seiner „intendierten Rezipienten“ (s. u.) steuern. Der Begriff des intendierten Rezipienten ist kurz zu klären. Ich benutze den textimmanenten Begriff des „impliziten Lesers“ (Iser u. a.) nicht. 17 Vielmehr versteht man heute unter dem „intendierten Rezipienten“ das mentale Modell, das ein Autor hat und aufgrund dessen er „den Inhalt der (literarischen) Mitteilung auswählt, ein bestimmtes Vorwissen bei den Lesern voraussetzt und auch seine Erzählstrategien auf die Adressaten zuschneidet“. 18 Dieser Begriff ist für ntl Exegese relevant und auch adäquat: Denn (a) zwar ist der intendierte Rezipient nicht mit der historischen Rezipientengruppe (lk Gemeinde) zu identifizieren, aber als deren auktoriales Bild steht er dieser nahe und kann exegetisch rekonstruiert werden. Als Lukas seine Werke produzierte, repräsentierte dieses Modell seine gesamte vorgestellte Leserschaft; „auch wenn jede reale Leserschaft heterogen ist, kann der Autor beim Schreiben nicht alle
15 R. Uro, Ritual, Memory and Writing in Early Christianity, Temenos 47 (2011) 159–82; I. Czachesz, Rewriting and Textual Fluidity in Antiquity. Exploring the Social-cultural and Psychological Context of Earliest Christian Literacy, in: J. H. F. Dijkstra u. a. (Hg.), Myths, Martyrs, and Modernity. Studies in the History of Religions in Honour of Jan N. Bremmer, Leiden 2009, 425–45. 16 J. Decety, Social Cognitive Neuroscience Model of Human Empathy, in: E. HarmonJones/P. Winkielman (Hg.), Social neuroscience: intergrating biological and psychological explanations of social behavior, New York 2007, 247–70. 17 Für W. Iser heißt der implizite Leser die „Textstruktur, durch die der Empfänger immer schon vorgedacht ist“; ders., Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung, München 41994, 61. 18 Finnern, a. a. O., 52.
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möglichen Gruppen im Blick haben“ 19 (z. B. „ihr“ in 2 Kor 2,1 ff; vgl. 1 Kor 1,10 ff). Der Abstand zwischen der Rekonstruktion der historischen Leserschaft und diesem Modell kann relativ gering sein, weil man die Adressaten des NT – z. B. Korinthergemeinde – größtenteils durch die auktorialen Aussagen – Korintherbrief – rekonstruieren muss. (b) Für die kognitiv-narratologische Bibelforschung sind darüber hinaus die klassisch-exegetischen Forschungsergebnisse Conditio sine qua non. Ohne Rekonstruktionen des Vorwissens der Autoren und realen Rezipienten ist keine kognitive Narratologie bei historischen Texten möglich: „Die narratologische Analyse ist [. . . ] auf die historischen Erkenntnisse der Exegese angewiesen und lässt sich keineswegs von diesen trennen.“ 20 Ferner, (c) aus interdisziplinärer Sicht kann man sagen, dass die Neutestamentliche Wissenschaft dieser Begrifflichkeit wesentlich mit zum Durchbruch verholfen hat. Der Begriff des intendierten Rezipienten entspricht dem „auktorialen Publikum“ (authorial audience) 21; in der Exegese hat er bislang eine größere Rolle gespielt als in der Literaturwissenschaft. 22 Der Begriff „des intendierten Lesers“ geht der kognitiven Wende voran: „Nicht der Geschmack des Lesers bedingt in der Regel Form und Thematik des literarischen Werks, sondern die Leseridee, die sich im Geiste [meine Betonung] des Autors bildet“ (1971). 23 Seit der Zeit vor der kognitiven Wende ist dieser Begriff eher für Bibelexegese wichtig gewesen. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, wie Finnern vermutet, dass „die Bibelexegese von der literaturwissenschaftlichen Infragestellung der Autorintention nie ganz erreicht worden ist“. 24 Reden wir heute vom intendierten Rezipienten als einem mentalen Modell des realen Autors, so kehrt damit der in der Literaturwissenschaft tot geglaubte Autor mit seiner Intention zurück. 25 Zusammengenommen ist „der intendierte Rezipient“ kein fremder Begriff für exegetische Untersuchungen. Ein Teil dieser Arbeit fragt nach der Empathie-Lenkung 19 Rüggemeier, a. a. O., 8. (Hervorhebung im Original) 20 Rüggemeier, a. a. O., 31. 21 P.J. Rabinowitz, Before Reading. Narrative Conventions and the Politics of Interpretation, Ithaca u. a. 1987, 21 ff; vgl. auch „Modell-Leser“, K. Dennerlein, Narratologie des Raumes, Berlin u. a. 2009, 196. 22 R.A. Culpepper, Anatomy of the fourth gospel. A study in literary design, Philadelphia 1987, 206 ff; P.L. Danove, The end of Mark's story. A methodological study, Leiden u. a. 1993, 66–75; W. Carter, Matthew. Storyteller, interpreter, evangelist, Peabody 1996, 4 ff; M. Mayordomo-Marín, Den Anfang hören. Leserorientierte Evangelienexegese am Beispiel Matthäus 1–2, Göttingen 1998, 38 ff; W. Carter/J.P. Heil, Matthew's parables. Audienceoriented perspectives, Washington, DC 1998, 9–14; S. Harstine, Moses as a character in the fourth gospel. A study of ancient reading techniques, Sheffield 2002, 31–37; C.H. Talbert, Reading Luke-Acts in its Mediterranean milieu, Leiden u. a. 2003, 15 ff; H.-U. Weidemann, Der Tod Jesu im Johannesevangelium. Die erste Abschiedsrede als Schlüsseltext für den Passions- und Osterbericht, Berlin 2004, 65 ff; P.E. Spencer, Rhetorical texture and narrative trajectories of the Lukan Galilean ministry speeches. Hermeneutical appropriation by authorial readers of Luke-Acts, London u. a. 2007, 29 ff. 23 E. Wolff, Der intendierte Leser. Überlegungen und Beispiele zur Einführung eines literaturwissenschaftlichen Begriffs, Poetica 4 (1971), 166. (Hervorhebung von mir) 24 Finnern, a. a. O., 52 f. 25 Vgl. S. Burke, The death and return of the author. Criticism and subjectivity in Barthes, Foucault and Derrida, Edinburgh 21998.
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dieses intendierten Rezipienten durch Lukas, was als Analyse von Autorintention gelten kann. Freilich wende ich diesen Begriff außerhalb der kognitiv-narratologischen Analysen nicht an, nicht z. B. in klassisch-exegetischen Teilen. Der Begriff ‚der intendierte Rezipient` wird nur im Kapitel II-2 (Empathie-Konstellation) begegnen, wo ich das lk mentale Modell seiner Leserschaft mit dem Begriff bezeichne.
Darüber hinaus werden auch klassisch-narratologische Analysen vorgenommen, z. B. Handlungsanalysen im lk Passionsbericht (Kapitel I-2). (c) Wenn ich konstatiere, dass klassische Exegese und kognitive Narratologie relevant füreinander sind, bedeutet das nicht eine Integration oder Mischung beider Methoden. Den klassisch-narratologischen (I-2 u. I-3) und kognitiv-narratologischen Analysen dieser Arbeit (II-2) gehen die klassischexegetischen (I-1) und philologischen Analysen (II-1) jeweils voran (s. u. die „Thesen“). Alle weiteren Begrifflichkeiten, z. B. ‚(Un-)Entbehrlichkeit der Handlungselemente` oder ‚Kontagonisten`, werden nicht hier zusammengefasst, sondern am Anfang der jeweiligen Kapitel (I-2, I-3 und II-2) eingeführt. Thesen und Methoden der Kapitel Kapitel I-1. Die Jünger als Co-Subjekt des Leidens im Passionsbericht (klassisch-exegetische Methode) Für eine Erzählanalyse ist zunächst eine Klärung der Inhalte nötig. Ist z. B. Jesu Deklaration, dass die Jünger die Begleiter bei seinen Versuchungen seien, zugleich eine Aufforderung zum Ausharren in der folgenden Leidenszeit (Lk 22,28)? Sind die Jünger nach Jesu Verhaftung geflohen (vgl. Mk 14,50), oder wird ihr Ausharren bei Jesu Passion bis zur Kreuzigung angedeutet (u. a. Lk 22,49)? Für die Antworten werden narratologische Methoden keine Rolle spielen. Vielmehr stellen wir die Materialien für die folgende Erzählanalyse zusammen. Ferner wird klassisch-exegetisch gezeigt, dass der lk Passionsbericht auch eine Geschichte der Jünger als Co-Subjekt des Leidens ist. Kapitel I-2. Leiden der Jünger (Tribulatio Discipuli) als Subplot der Passio Christi (klassisch-narratologische Methode) Die Leidensgeschichte der Jünger innerhalb des lk Passionsberichts ist ein Subplot. Im Gegensatz zum Kapitel I-1 werden nur narratologische Methoden angewendet. Anhand verschiedener narratologischer Begrifflichkeiten und Kriterien wird die Subplot-These überprüft. Bisher wurde zuweilen mit dem Begriff der „inclusive story“ 26 operiert – in dem Sinne, dass aktuelle Gemein26 P. Lampe/U. Luz, Diskussionsüberblick, in: P. Stuhlmacher (Hg.), Das Evangelium und die Evangelien. Vorträge vom Tübinger Symposium 1982, Tübingen 1983, 424. „Mt erzählt eine „inclusive story“, eine Geschichte, in der die Gegenwart [der Lesergemeinde] in Gestalt der Jünger in das Geschick des irdischen Jesus eingeschlossen ist“.
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degegenwart und vergangene Jesusgeschichte mit den Jüngern vom Autor und Leser überhin anders geblendet werden können. Dem LkEv dagegen wurde eine solche inclusive story abgesprochen, da die Geschichte der Kirche erst in der Apostelgeschichte zur Sprache kommt, während die Jesuszeit davon getrennt bleibt. Unsere Arbeit stellt demgegenüber erzählwissenschaftlich, dass im lk Passionsbericht für eine Jüngergeschichte eine separate (Neben-)Handlung vorhanden ist, in der Jesus als Nebenfigur (Mentor) der Leidenden fungiert. Wieweit diese Nebenhandlung transparent für die Kirche bzw. die Lesergruppe sein kann, untersuchen die folgenden Kapitel. Kapitel I-3. Leiden der Jünger und die Antizipation der Acta (klassischnarratologische Methode) Dieselbe Erzählstruktur, in der die Jünger leiden und Jesus ihnen hilft, ist auch in Acta zu beobachten. Der Subplot in der Passionsgeschichte des LkEv erweist sich als Antizipation, während in der Auslegungsgeschichte bisher nur von Parallele die Rede war. Die lk Passionsgeschichte erweist sich, da sie die Acta-Geschichte der Jünger antizipierend umfasst, als Angelpunkt in der Erzählstruktur des Doppelwerks. Die These wird durch ein integriertes Handlungsrollenmodell veranschaulicht. Kapitel II-1. Ausdifferenzierung und Hierarchisierung zwischen Passio und Tribulatio (klassisch-exegetische und philologische Methode) Im Gegensatz zum übrigen NT und zur LXX unterscheidet Lukas akribisch beide Typen des Leidens vom Subjekt her, nämlich das Leiden Jesu als παθεῖν (passio) und das der Jünger als θλῖψις (tribulatio). Lukas benutzt θλῖψις als terminus technicus, mit dem er ausschließlich die Leidenssituationen der Jünger in der erzählten Welt beschreibt. Methodisch liegt eine philologische Analyse vor. Zu beachten ist auch eine Hierarchie zwischen Passio und Tribulatio, so dass beide Leidenstypen nicht gleichgesetzt werden können. Die Hierarchie ist sowohl eine Hierarchie der Leidenssubjekte (Christus als Patron der Leidenden) als auch eine funktionale Hierarchie, insofern Passio und Tribulatio im Blick auf ihre kosmologisch-eschatologische und soteriologische Funktion sich unterscheiden. Kapitel II-2. Jesus als ferne Figur, Jüngergruppe als nahe (kognitivnarratologische Methode) Es wird gezeigt, dass die Jünger als nähere und Jesus als fernere Figur gezeichnet werden, so dass der intendierte Rezipient sich eher den Jüngern als Jesus nahe fühlen und sich in sie hineindenken kann. Lukas lenkt die Leserempathie durch verschiedene Erzählfaktoren konsistent von Jesus auf die Jünger. Für die Analyse der Empathie-Konstellation im lk Doppelwerk werden aktuelle Forschungen zur narrativen Empathie aufgegriffen und ein Modell kreiert,
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mit dem man quantitative Analysen durchführen kann. Verglichen werden u. a. die Perikopen ‚Kreuzigung Jesu vs Steinigung des Stephanus` und ‚letztes Gespräch Jesu vs Abschiedsrede des Paulus`. Kapitel III-1. Positionierung der Thesen in der Auslegungsgeschichte Im Gegensatz zu den Jüngerleidensgeschichten der Acta, in denen Jesus figuriert, erscheint Jesus nie in den Wundererzählungen der Acta, obwohl diese ebenfalls mit der Geschichte Jesu im Evangelium parallelisiert sind. Unter verschiedenen Thematiken, die zwischen Ev. und Acta in Parallele gesetzt werden, ist das Leidensmotiv auf diese Weise von besonderer Bedeutung. Wenn freilich Jesus auch im zweiten Werk der Jüngergeschichte erscheint, heißt dies nicht, dass seine Stellung als Patron der Leidenden auch auf seine Jünger in der Erzählung des Doppelwerks in einer Sukzession übergegangen wäre (gegen Talbert). Auch die These, dass Lukas mit dieser Parallele die Zeit der Kirche mit der Zeit Jesu rückwirkend verbinden wollte (Luz), erweist sich nicht als zutreffend, da Lukas in seinem Doppelwerk konsequent den Abstand zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli einhält. Kapitel III-2. „Leidensspirale“ im lk Doppelwerk (Hermeneutik des Leidens) Die Arbeit entwickelt zum Schluss ein Modell für eine Leidenshermeneutik. Das Modell nimmt sich als Leidensspirale aus. Im lk Doppelwerk ist wiederholt dargestellt, dass Figuren, obwohl sie zuerst das Leiden anderer Mitmenschen nicht verstehen, dann doch auf dieses Leiden emotional reagieren und schließlich eigene Leiden erfahren. Durch diese Spirale läuft die Heilsgeschichte weiter fort, bis ins Heute der realen Welt der Leser, da die Acta ein offenes Ende haben.
Kapitel I Passio Christi, Tribulatio Discipuli: Der Lk Passionsbericht und eine darin mitenthaltene Geschichte der Jünger Die lukanische Doppelwerk-Konstruktion lässt die Jüngergeschichte (Evangelium) sich zur Geschichte der Jünger bzw. des Urchristentums (Acta) erweitern. Man kann leicht mehrere thematische und strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen beiden Büchern auch bezüglich des Leidensmotivs finden. Die Forschungsgeschichte stellte diese als Parallelen dar. 1 These dieses Kapitels ist jedoch, dass die Geschichte der Jünger bereits im Passionsbericht des Ev. antizipierend mitgedacht ist (I-2). D. h., für das Doppelwerk erweist sich die Passionsgeschichte, indem sie die Geschichte der Jünger antizipierend mitumfasst, als Angelpunkt der Erzählstruktur, an dem Leiden der Jünger und Passion Christi ineinandergreifen (I-3). Diese These wird im Detail überprüft. Dabei spielen auch narratologische Methoden eine große Rolle, mittels derer ich beschreiben kann, bis zu welchem Grad die Geschichte Jesu zur Geschichte der Jünger konvertiert ist.
Schaubild 1: Parallele zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli
1 W. Radl, Paulus und Jesus im lukanischen Doppelwerk. Untersuchungen zu Parallelmotiven im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte, EHS. XXIII / 39, Bern 1975; E. Zeller, Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch untersucht, Stuttgart 1854; D. Moessner, The Christ must suffer: New Light on the Jesus-Peter, Stephen, Paul Parallels in Luke-Acts, NT 28 (1986), 220–256. Siehe Kapitel III-1 für Details zur Forschungsgeschichte.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
I-1 Die Jünger als Co-Subjekt des Leidens im lk Passionsbericht 2 In dem lk Passionsbericht treten die Jünger als das Co-Subjekt des Leidens bzw. Co – Objekt der Versuchung hervor, wie die folgenden Texte zeigen.
1.1 Die Jünger als Versuchungsobjekt des Satans während der Jesus-Passion (Lk 22,3.31) Im Gegensatz zu den synoptischen Seitenreferenten ist bei Lukas auffällig, dass Satan die Bühne auch der Passion Jesu betritt (Lk 22,3), womit die satanslose Zeit der Wirksamkeit Jesu (seit Lk 4,13), in der der Satan machtlos war (Lk 10,18), beendet wird. Die Einführung des Satans erklärt, wieso z. B. einer von den „erwählten Zwölf“ (Lk 6,13) Jesus an seine Feinde auslieferte (vgl. Apg 2,23a). 3 Zugleich versucht und prüft Satan im lk Passionsbericht den Kreis der Jünger. Σίµων Σίµων, ἰδοὺ ὁ Σατανᾶς ἐξῃτήσατο ὑµᾶς τοῦ σινιάσαι ὡς τὸν σῖτον Simon, Simon! Siehe, der Satan hat euch verlangt, um (euch) wie Weizen zu sieben (Lk 22,31).
Der Satan ist also nicht nur in Judas gefahren (Lk 22,3), sondern verlangte auch, die Jünger (ὑµᾶς 4) wie den Weizen zu sieben (Lk 22,31). Wie die Exegese einheitlich plausibel gemacht hat, ist der Satan hier wie in Hiob 1,6–
2 Unter dem ‚lk Passionsbericht` versteht diese Arbeit die Kapitel 22 und 23 des LkEv, wo der Evangelist über eine Kette von Ereignissen – vom Verrat des Judas bis zur Kreuzigung und Bestattung Jesu – berichtet. Vgl. F. Bovon, Lukan Story of the Passion of Jesus, 74–119. 3 M. Wolter, Das Lukasevangelium, 693; J. Fitzmyer, The Gospel according to Luke, 1374. Vgl. „Damit wird eine supranaturale Erklärung für eine nicht oder nur schwer verständliche Tat gegeben: Wer Gottes Sohn verraten kann, ist von bösen Mächten beeinflußt. [. . . ] Beim Versuch, Unerklärliches zu erklären, bedient sie [die Erzählung] sich der Einführung supranaturaler Kräfte, des Satans (Lk 22,3)“, H. Klein, Das Lukasevangelium, 658– 59; oder „The reference to Satan (cf. 22:31) shows how more than human decisions were involved in the passion of Jesus; the early church could see no other explanation off what had happened“, I. Marsahll, The Gospel of Luke, 788. Solch eine Funktion des Satans erinnert an qumranisches Denken: „Aber in der Hand des Engels der Finsternis liegt alle Herrschaft über die Söhne des Frevels, und auf den Wegen der Finsternis wandeln sie. Und durch den Engel der Finsternis geschieht Verirrung aller Söhne der Gerechtigkeit, und alle ihre Sünde, Missetaten und Schuld und die Verstöße ihrer Taten kommen durch seine Herrschaft entsprechend den Geheimnissen Gottes bis zu seiner Zeit. [. . . ] Und alle Geister seines Loses suchen die Söhne des Lichtes zu Fall zu bringen.“ 1QS 3,20–24. 4 Oft interpretiert man ὑµᾶς als den gesamten Kreis der Jünger. Z. B. „all of you“, Marshall, 820. Auch D. Bock, Luke, 1742; J. Nolland, Luke 18:35-24:53, 1072. Aus narratologischer Sicht definiere ich die Jünger als ‚Figurengruppe` bzw. ‚group character`.
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12; 2,1–7 oder TestBen 3,3 5 als Ankläger vorgestellt, der am Hofe Gottes die Menschen auf die Probe stellt. 6 ᾿Εἐξαιτέω und σινιάζω sind zwar hapax legomena des NT. Jenes ist aber in der griechischen Literatur gut bezeugt, indem es mit persönlichem Objekt ‚die Überlassung oder Auslieferung einer Person verlangen` bedeutet (TestBen 3,3; Josephus, Ant. 13,108; 16,277; 18,369; Bell. 1,393.505). 7 Das ὑµᾶς wird deshalb hier als direktes Objekt von ἐξαιτέω verstanden und nicht, was auch möglich wäre, als proleptisch vorgezogenes Objekt von σινιάζω. Das Objekt von σινιάζω ist elliptisch. Das Bild vom Durchsieben (σινιάζω) ist eine gängige Metapher für Prüfung oder Erschütterung. Durch das Sieb kann das Korn durchgelassen werden, während unbrauchbare Beimischungen behalten werden (vgl. Sir 27,4 8). Ziel des Satans ist offensichtlich, „daß möglichst vieler Jünger Treue sich als spreuartig, im Wind der Anfechtung verwehend, herausstellen möge“. 9 Sein Interesse ist, „die Jüngerschaft insgesamt als [. . . ] Unrat zu erweisen“, 10 der im satanischen Sieb hängenbleibt, wie es Sir 27,4 illustriert. In Verbindung mit Amos 9,9 11 und Mk 14,27 (σκανδαλίζω u. διασκορπίζω) ist das
5 „Wenn euch die Geister Beliars für jede Bosheit der Bedrängnis verlangen,“ TestBen 3,3. Siehe A. Argyle, The Influence of the Testament of the Twelve Patriarchs upon the New Testament, Expository Times 63 (1951–52), 256. 6 Bock 1742; F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas Bd. 4, 271; W. Dietrich, Das Petrusbild der lukanischen Schrift, 123; J. Ernst, Das Evangelium nach Lukas, 458; Fitzmyer, 1424; W. Foerster, Lukas 21,31 f, ZNW 46 (1955), 130; J. Green, The Gospel of Luke, 772; G. Klein, Rekonstruktion und Interpretation. Gesammelte Aufsätze zum Neuen Testament, München 1969, 63; H. Klein, a. a. O., 674; Nolland 1072; Marsahll 820; G. Petzke, Das Sondergut des Evangeliums nach Lukas, ZWKB, Zürich 1990, 181; F. Rienecker, LukasEvangelium, 547–48; B. Weiss, Die Evangelien des Markus und Lukas, KEK I / 2, Göttingen 9 1902, 641; W. Wiefel, Das Evangelium nach Lukas, ThHk 3, Berlin 1988, 374; Wolter, 715. U.a. G. Stählin, Art. ἐξαιτέω, ThWNT Bd. I, 194. Aber J. Neyrey, The Passion according to Luke. A Redaction Study of Luke's Soteriology, Eugen 2007, 33. Neyrey scheint eine Hiobreminiszenz zu bestreiten: „Lk 22:31 does not seem to envision a Job-like testing of the disciples so much as a warlike attack on them which would separate them from faith in Jesus and from God's kingdom by putting them under Satan' power.“ Jedoch war das Ziel des Satans auch bei Hiob keine bloße Prüfung (Hiob 1,11; 2,5.9). D. Crump, Jesus the intercessor. Prayer and Christology in Luke-Acts, WUNT II / 49, Tübingen 1992, 155. 7 Wolter, 715–16. Auch vgl. Plutarch, Def. Orac. 417D: ἰσχυροὶ καὶ βίαιοι δαίµονες ἐξαιτούµενοι ψυχὴν ἀνθρωπίνην (Mächtige und gewaltsame Götter verlangen eine Menschenseele). 8 „Beim Schütteln des Siebes bleibt der grobe Unrat zurück, ebenso die Unlauterkeit des Menschen in seiner Gesinnung“. 9 Foerster, 131. 10 G. Klein, Rekonstruktion, 62. 11 „Denn siehe, ich will befehlen und will das Haus Israel unter allen Völkern schütteln, wie man mit einem Sieb schüttelt, und nicht ein Steinchen fällt zu Boden.“
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Bild vom ‚Hin- und Herschütteln` als Angriff auf den Jüngerkreis zu pointieren 12 – ähnlich dem Einfall Satans in Judas (Lk 22,3), bei dem Judas Zugehörigkeit zum Zwölferkreis 13 ausdrücklich genannt wird. Trotz des Satanseinfalls wird Judas jedoch nicht aus seiner persönlichen Verantwortung entlassen (Lk 22,22). 14
Die hiesige Versuchung 15 Satans hat Lukas bereits am Anfang seiner Erzählung leicht angedeutet. Der Satan entwich nach der Versuchung Jesu in der Wüste nur „bis zu gelegener Zeit“ (ἄχρι καιροῦ, Lk 4,13)! Nun in der Passionszeit attackiert er die Jünger, um sie zu prüfen. Jesus warnt wiederholt seine Jünger vor dieser Versuchung (Lk 22,40; 46 16), die ab Lk 22,3.31 Realität wird.
1.2 Die Jünger als Begleiter der Versuchungen Jesu (Lk 22,28; 23,49) Darüber hinaus apostrophiert der lk Jesus, dass die Jünger die Begleiter in seinen Versuchungen seien: ὑµεῖς δέ ἐστε οἱ διαµεµενηκότες µετ᾽ ἐµοῦ ἐν τοῖς πειρασµοῖς µου Ihr aber seid es, die mit mir in meinen Versuchungen ausgeharrt haben. (Lk 22,28)
12 U.a. Neyrey, 33 (obige Anm. 5). Auch Crump, 155; Fitzmyer 1424; E. Fuchs, Art. σινιάζω, ThWNT Bd. VII, 291; Green, 772; Nolland 1072; W. Ott, Die Bedeutung der Gebetsparänese in der lukanischen Theologie, StANT 12, München 1965, 78. 13 Nicht wahrscheinlich ist, dass mit dem Ausdruck ἐκ τοῦ ἀριθµοῦ τῶν δώδεκα die Zugehörigkeit lediglich zur „Zahl“, und nicht mehr zum „Kreis“ der Zwölf, gemeint ist. Wolter, 693; Klein, 658. Die Zugehörigkeit zum Zwölferkreis wird wiederum in V. 47 ohne ἀριθµός unterstrichen. Darüber hinaus hat Judas auch bei der Einsetzung des Herrenmahls expressis verbis mit den anderen Jüngern zusammengesessen (Lk 22,14 f. Vgl. Mk 14,17 f; Mt 26,20 f; Joh 13,30). Zum ἀριθµός vgl. Apg 4,4; 5,36; 11,21; 16,5. 14 In zeitgenössischer Antike kann man unter dem Vorwand eines dämonischen Einflusses nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. P. Lampe, Concepts of Freedom in Antiquity. Pagan Philosophical Traditions in the Greco-Roman World, 117–132, hier 125: „Even when a god or a demon influences your thinking, you yourself are considered the author of the decision. No matter how much Athena tries to calm Achilles, he himself decides to be swayed by her (Homer, Il., 1.216; for a demon, see Aeschylus, Agam. 1505). Contrary to us, these authors do not feel the tension between divine influence and free human decisionmaking. Or, in other words, divine influence does not diminish the human's responsibility for their own acts.“ 15 „Dass der Satan in Judas fuhr, war schon 4,13 vorbereitet, sofern er damit die Versuchung erneuern will.“, B. Weiss, Die Evangelien, 629. 16 In der lk erzählten Welt ist das die letzte Weisung, die der irdische Jesus seinen Jünger erteilte.
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In Anbetracht des narrativen Prozesses ist diese Deklaration „einigermaßen überraschend“, 17 da Jesus bei den Versuchungen in der Wüste (Lk 4,1–13) noch keine Jünger hatte und dann nur einmal mit der Zeichenforderung von Lk 11,16 18 auf die Probe gestellt wurde. Welche Versuchungen sind also gemeint? Die Auslegungsgeschichte zeigt zwei entgegengesetzte Richtungen an. Man könne (1) diese πειρασµοί auf die gerade begonnene Passionszeit Jesu – ggf. mitsamt der nachfolgenden Zeit der lk Gemeinde – beziehen (Conzelmann, Hoffmann 19), oder (2) unter dieser Bezeichnung die zurückliegenden bitteren Erfahrungen während des öffentlichen Wirkens Jesu zusammenfassen (Grundmann u. a. 20). Klar und einfach wäre die erste Interpretation, wenn man die Jünger als Co-Subjekt der Passion Jesu darstellt: „Offensichtlich harrten die Jünger in der Passionszeit bei Jesus aus!“ Jedoch hat die Conzelmannsche These Schwächen, so dass ich für die letzte Auslegung votiere. Die Formulierung von Conzelmann ist eindeutig. „Es ist ja noch gar nichts passiert. Sondern: Ihr seid mit mir nach Jerusalem gekommen und nun mit mir in die Anfechtung geraten (und jetzt darin – Perfekt!). Und nun sind sie freilich die Bleibenden.“ 21 Diese kühne These kann aber schwerlich gestützt werden. Man kann nicht die Möglichkeit, dass Jesus während seines öffentlichen Wirkens in Versuchungen war, ohne weiteres ausschließen. Wenn man also die Conzelmannsche These von der Satanfreien Zeit nicht annimmt, hat man keinerlei Gründe, keine Versuchungen zwischen Lk 4,13 und Lk 22,3 zu postulieren. Im Gegenteil, man kann mit diesem Vers Lk 22,28 die Conzelmannsche These widerlegen. 22 Selbst wenn Lukas die Zeit Jesu als Satanfrei periodisiert hätte, kann der lk Jesus in der erzählten Welt seine verschiedenen Erfahrungen als Versuchungen bezeichnen. 23 Dafür gibt es im lk Schrifttum einen guten Beleg: Paulus hat ebenfalls in seiner Abschiedsrede die πειρασµοί mit seinen vergangenen bitteren Erfahrungen identifiziert (Apg 20,19). Dieser Ausdruck muss 17 Wolter, 713. 18 ἕτεροι δὲ πειράζοντες σηµεῖον ἐξ οὐρανοῦ ἐζήτουν παρ᾽ αὐτοῦ. (Lk 11,16) Die verbale Form πειράζω ist im LkEv nur zweimal belegt. In Lk 4,2 ist damit die Versuchung des Satans gemeint. 19 H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit, 75 ff; J. Ernst, Das Evangelium nach Lukas, 455; W. Ott, Gebet und Heil. Die Bedeutung der Gebetsparänese in der lukanischen Theologie, StANT 12, Münschen 1965, 85 ff; P. Hoffmann, Herrscher in oder Richter über Israel? Mt 19,28 / Lk 22,28–30 in der synoptischen Überlieferung, 253–264. Hoffmann hat darüber hinaus die Möglichkeit erwogen, µου als einen Genitivus subjectivus zu verstehen. Jedoch lässt µετ᾽ ἐµοῦ dies als unwahrscheinlich erscheinen. 20 W. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, Berlin 101984, 403 f.; D. Bock, Luke, 1739; E. Ellis, The Gospel of Luke, London 1974, 256. Die Mehrheit der Kommentare seit 2000 vertritt diese Interpretation. 21 Conzelmann, a. a. O. 22 „Im Gegensatz zur Ansicht von H. Conzelmann denkt Lukas nicht, Jesus sei zwischen diesen zwei Zeitpunkten von Versuchungen verschont geblieben: Die Wendeung ἐν τοῖς πειρασµοῖς µου beweist es. Nur waren die Versuchungen am Anfang und am Ende die intensivsten und die dramatischsten.“ Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Bd. 4, 268. 23 Narratologisch gesagt, sind die beiden Erzählebenen unterschiedlich. Siehe Kapitel I-2.
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nicht mit der satanischen Wirkung zu tun haben. Genau dies ist die Position Grundmanns, der die These der Satan-freien Zeit festhält, aber diese Versuchungen in V. 28 für vergangen hält. 24 Darüber hinaus ist es auch grammatisch schwierig, diese jesuanischen Versuchungen lediglich in die jetzige Passionszeit zu verorten. Das griechische Perfektum „vereinigt gleichsam Präsens und Aorist in sich, indem es die Dauer des Vollendeten ausdrückt“. 25 Wie Brown mit Recht kritisierte, „if a present meaning is to be given to διαµεµενηκότες (22,28), it is not that of remaining but rather the present state resulting from the past fidelity to Jesus.“ 26 Es wird also nicht gedeutet „Ihr wart immer bei mir, dass ihr jetzt in meine πειρασµοί geraten seid“, sondern „Ihr wart in meinen πειρασµοί immer bei mir, dass ihr jetzt (als vollendete Gegenwart) treu bleibt (auch in weiteren Versuchungen, die kommen: v. 40 ff).“ 27
Wie Petzke zum Ausdruck brachte, wirkt dieses Wort Jesu in V. 28 als eine „Forderung des Ausharrens in der kommenden Leidenszeit“. 28 Damit haben wir einen festen Grund, die Begleitung der Jünger als in Gegenwart der Passion immer noch nachwirkend zu verstehen. Dazu kommt, dass die Jünger für ihre Treue ‚eschatologisch` (Lk 22,33b) belohnt werden. 29 Vorausgesetzt ist nämlich, dass sie auch während / nach der Passionszeit Jesu 30 treu bleiben müssen, um diese Belohnung zu realisieren.
24 Grundmann, a. a. O. 25 F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, bearb. v. F. Rehkopf, Göttingen 182001, 279. 26 S. Brown, Apostasy and Perseverance in the Theology of Luke, AnBibl 36, Rome 1969, 9. Hervorhebung im Original. 27 Ott verstand dieses Problem, versuchte daher, ἐν τοῖς πειρασµοῖς µου nicht auf διαµεµενηκότες, sondern auf µετ᾽ ἐµοῦ zu beziehen. Ott, a. a. O., 88. Aber dieses ἐγώ (µετ᾽ ἐµοῦ) gehört wiederum zu διαµεµενηκότες, indem es die beiden Zeitpunkte umspannt. Man kann diese Interpretation mit einer abgeschwächten Formulierung wiedergeben, indem man zwischen der Zeit Jesu und der der lk Gemeinde unterscheidet. „Die Perfektform des Partizips ist zunächst vom Standpunkt der Erzählebene aus zu interpretieren, so daß Jesus von zurückliegenden Prüfungen redet. [. . . ] Erst wenn man vom Standpunkt des Evangelisten auf die ‚Zeit Jesu` zurückblickt, kann man das Ausharren der Jünger (auch) auf die Passion beziehen“, G. Schneider, Das Evangelium nach Lukas, Bd. II, ÖTK 501, Gütersloh 1984, 451. Auch J. Kremer, Lukasevangelium, NEB 3, Würzburg 1988, 215. Diese weitere Möglichkeit der sog. „inclusive story“ negiere ich nicht. Mit hiesigem Vers wäre dann angedeutet, dass die lk Gemeinde die Jünger als die Begleiter der Passion Jesu interpretierte. 28 G. Petzke, Das Sondergut, 180. 29 Doch die Tempora des V. 30 sind unklar, da ἔσθητε καὶ πίνητε des ἵνα-Satzes (Konjunktiv-Präsens) auch präsentisch aufzufassen sind. Aber V. 30b ist sowohl grammatisch als auch inhaltlich durchaus futurisch-eschatologisch. ἵνα ἔσθητε καὶ πίνητε ἐπὶ τῆς τραπέζης µου ἐν τῇ βασιλείᾳ µου, καὶ καθήσεσθε ἐπὶ θρόνων τὰς δώδεκα φυλὰς κρίνοντες τοῦ ᾿Ισραήλ (Lk 22,30). 30 Schon Bultmann hielt diese Aussage Jesu für nachösterlich. „Auch hier spricht fraglos der Auferstandene“, R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, FRLANT 29, Göttingen 31957, 170 f.
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Ferner, in den folgenden Erzählungen haben die Jünger diesen Anspruch Jesu de facto erfüllt. Die Jünger sind also weder geflohen 31 (vgl. Mk 14,50 ff) noch nach Galiläa hingegangen (vgl. Mk 14,27 f), sondern haben bis nach dem Tod Jesu in Jerusalem ausgeharrt (Lk 24,9 ff). Dieses Motiv ist nicht nur durch solche Auslassungen von Traditionen gestellt, sondern auch auf positive Weise abgebildet: In mehreren Versen bringt Lukas durch räumliche Bilder wiederholt zur Darstellung, dass die Jünger Jesus in seiner Passionszeit begleiten. Mk 14,17 Καὶ ὀψίας γενοµένης ἔρχεται µετὰ τῶν δώδεκα.
Lk 22,14 Καὶ ὅτε ἐγένετο ἡ ὥρα, ἀνέπεσεν καὶ οἱ ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ.
Mk 14,32 Καὶ ἔρχονται εἰς χωρίον οὗ τὸ ὄνοµα Γεθσηµανὶ ...
Lk 22,39 Καὶ ἐξελθὼν ἐπορεύθη κατὰ τὸ ἔθος εἰς τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν, ἠκολούθησαν δὲ αὐτῷ καὶ οἱ µαθηταί.
Mk ...
Lk 22,49 ἰδόντες δὲ οἱ περὶ αὐτὸν τὸ ἐσόµενον εἶπανž κύριε, εἰ πατάξοµεν ἐν µαχαίρῃ;
Derartige Veranschaulichung ist nicht bloß eine erzähltechnische Neigung, sondern Lukas hat einschlägige mk Traditionen gezielt nicht aufgenommen: In der lk Gethsemane-Szene wird anschaulich berichtet, dass die Jünger in geziemender Distanz (Lk 22,41, ὡσεὶ λίθου βολήν) mitbeteten, wohingegen bei Markus die meisten Jünger doppelt (Mk 14,32 u. 35) entfernt von Jesus nur saßen (siehe Kapitel I-1.3). Des Weiteren beschreibt Lukas, dass Jesus und Petrus im Haus des Hohenpriesters von Anfang bis zum Ende im selben Raum sind, wo sich ihre Blicke kreuzen können (Lk 22,61), da Petrus trotz der dreimaligen Bedrohung den Ort nie ändert. Eine sehr eindrucksvolle Darstellung wird letztlich im Augenblick der Kreuzigung Jesu geboten: Εἱστήκεισαν δὲ πάντες οἱ γνωστοὶ αὐτῷ ἀπὸ µακρόθεν καὶ γυναῖκες αἱ συνακολουθοῦσαι αὐτῷ ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ὁρῶσαι ταῦτα Alle seine Bekannten aber standen weitab, auch die Frauen, die ihm von Galiläa nachgefolgt waren, und sahen dies (Lk 23,49).
Bei der Kreuzigung Jesu standen alle seine Bekannten weitab! Mit diesem Maskulinum-Plural (οἱ γνωστοί) dachte Lukas höchstwahrscheinlich auch an die Jünger. Er widerspricht zwar nicht explizit Markus bzw. den mündlichen Traditionen, aber durch die allumfassend (πάντες) auf männliche Begleiter
31 Wäre die Flucht der Jünger bei Lukas geschildert worden, könnte man ja diese Deklaration Jesu als ein dramaturgisches Mittel verstehen. Es gibt aber keine Drehung in der lk Erzählung.
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ausgedehnte Formulierung 32 deutet er die Anwesenheit der Jünger an. 33 Aus evangelienharmonischen Gründen schließen zwar einige Exegeten hier die Jünger aus, aber dies überzeugt wenig. 34 In Bezug auf unsere These vom Co-Subjekt ist kurz zu fragen, ob die Jünger in Lk 23,49a – u. a. mit dem Adverbiale „ἀπὸ µακρόθεν“ – negativ charakterisiert werden. Das könnte nämlich bedeuten, dass die Jünger zwar anwesend, aber keine Co-Subjekte der Passion gewesen sind. Grundmann ist in etwa dieser Meinung („was sie [Jünger] mit ihm [Jesus] verbunden hat, ist von ihrer Seite aus zerrissen“, 35 indem sie von fern stehen). M.E. hat Grundmann jedoch überinterpretiert: Die Jünger werden zwar nicht als vorbildhaft dargestellt, es ist aber eine voreilige Schlussfolgerung, damit eine zerrissene Verbindung zwischen Jesus und den Jüngern anzunehmen. 1. Das Beisein der Jünger ist nicht ausschließlich negativ zu denken. Es müssen beide Seiten der Medaille berücksichtigt werden: Wäre das Jüngerverhältnis in toto gelöst oder zerrissen worden, gäbe es für sie auch keinen Anlass dazustehen. Umgekehrt kann man also sagen: „It also expresses their continuing, though imperfect, faith in Jesus' Messianic dignity“. 36 Der Abstand, der sich in „ἀπὸ µακρόθεν“ niederschlägt, wird nicht nur zu Jesus, sondern auch zu der Volkmenge (Lk 23,35.48) gehalten, die aus Schaulust (35a) anwesend ist. Die Jünger stehen also in Kontrast zu der Volksmenge, auch in dem Sinne, dass sie als die Letzten noch blieben (V. 49), während die Volksmenge schon zurückkehrte (V. 48). 37 Kann das Brustschlagen der
32 Lk 23,49a ist selbstverständlich lukanisch. J. Jeremias, Die Sprache des Lukasevangeliums. Redaktion und Tradition im Nicht-Markusstoff des dritten Evangeliums, KEK Sonderbd., Göttingen 1980, 309. Vielleicht hat Lukas diese Bezeichnung aus der mk Formulierung ἄλλαι πολλαὶ αἱ συναναβᾶσαι αὐτῷ (Mk 15,41) gewonnen. Wolter, 764. 33 Bei Exegeten ist kaum bestritten, dass πάντες οἱ γνωστοὶ die Jünger einschließen. Bock 1865; Bovon, Lukas, Bd. 4, 494; Eckey, 957; Ernst 490; Fitzmyer, 1520; Green, 828; H. Klein, 715; Marsahll, 877; G. Schneider, 487–488; B. Weiss, 673; Wiefel, 400; Wolter, 764. 34 Diese Auslegung ist aber auf keinen Fall genügend zu begründen. E. Schweizer führt an, dass man nach Lk 22,45 den Ausdruck ‚Jünger` nicht mehr sieht und daher annehmen kann, „daß sie schon am Anfang der Verhaftung flohen“, „obwohl Lukas nichts von ihrer Flucht erzählt“. E. Schweizer, Das Evangelium nach Lukas, 1986, 229 u. 241. Aber gerade wie in Lk 22,49 „οἱ περὶ αὐτόν“ auf die Jünger deutet, braucht man für die Jünger nicht unbedingt eine formale Bezeichnung. Vgl. J. Schmid, Das Evangelium nach Lukas, 3. Auflage, 1955, 351. Er behauptet, dass dieser Vers „auf zwei atl Texte“ (Psalm 37,12 sowie 87,9) anspielt. Aber dieser atl Hinweis steht, wenn überhaupt, der Annahme nicht entgegen, dass auch die Anwesenheit der Jünger dadurch angedeutet ist. „Immerhin spricht Lukas von ‚allen` Bekannten Jesu“, Wolter, 764. 35 Grundmann, 436. Vgl. K. Rengstorf, Das Evangelium nach Lukas und das Evangelium nach Johannes, Göttingen 1937, 258. 36 S. Brown, Apostasy, 69. 37 Genauso ist die Meinung von B. Weiss und Ernst. „wie V. 35, doch hier im ausdrücklichen Gegensatz zu der Volksmenge, die sich zerstreute, sodass sie die Letzten waren, welche, teilnehmend von fern (ἀπὸ µακρ., wie 1623) zusehend, beim Kreuze standen.“ B. Weiss, 673. (Hervorhebung im Original) „Aus der Schar des zuschauenden Volkes werden die Bekannten Jesu [. . . ] besonders herausgehoben“, J. Ernst, 490.
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in der Nähe des Kreuzes Stehenden einen Trauerprozess bzw. eine Bußbewegung suggerieren, 38 so sehen die von ferne Stehenden vor allen zu. Für die Kontinuität der lk Doppelwerkstruktur spielt diese Zeugenschaft der Jünger eine große Rolle. 39 2. M.E. ist „ἀπὸ µακρόθεν“ Markus zuzuschreiben. Selbstverständlich kannte Lukas die mk Tradition der „γυναῖκες“ (Lk 23,49b. vgl. Mk 15,40). Εἱστήκεισαν δὲ πάντες οἱ γνωστοὶ αὐτῷ ἀπὸ µακρόθεν καὶ γυναῖκες αἱ συνακολουθοῦσαι αὐτῷ ἀπὸ τῆς Γαλιλαίας ὁρῶσαι ταῦτα Alle seine Bekannten aber stand weitab, auch die Frauen, die ihm von Galiläa nachgefolgt waren, und sahen dies. (Lk 23,49) ῏Ησαν δὲ καὶ γυναῖκες ἀπὸ µακρόθεν θεωροῦσαι, . . . αἳ ὅτε ἦν ἐν τῇ Γαλιλαίᾳ ἠκολούθουν . . . Die Frauen aber sahen weitab (periphrastisches Partizip), . . . die, als er in Galiläa war, ihm nachfolgten . . . (Mk 15,40 f) „ὁρῶσαι“ ist ein Participium Conjunctum, das kopulative „καί“ verbindet daher keine Sätze, sondern zwei Subjekte, und zwar „οἱ γνωστοί“ und „γυναῖκες“, auf die sich das Adverbiale des Hauptsatzes bezieht. D. h., Lukas behält weiterhin die gesamte mk Satzstruktur, 40 während er das Subjekt auf die männlichen Subjekte ausdehnt. Mit ἀπὸ µακρόθεν könnte auf den Psalmen-Kontext angespielt werden. Aber aus der Perspektive des lk Autors betrachtet, wäre diese ortsadverbiale Bestimmung kein gutes Mittel, die Jünger, deren Anwesenheit knapp eingespielt wird, einer Kritik zu unterziehen. Vielmehr war dies beste Möglichkeit 41 im lk Kreuzigungsbericht 38 Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Bd. 4, 493 f; H. Klein, 715; Wolter, 763. Das Brustschlagen war ein Ausdruck, der auf Reue, Trauer und Schmerz deuten kann. Josephus, Ant. 4,320; 7,252; VitAd 42,8; JosAs 10,1.15; Philo, Flacc. 157; Menander, Dyscol. 647; Arrian, Anab. 7,24,3; Apuleius, Met. 7,27,2; 9,31,1. Über eine Empathie-Konstellation der intendierten Leser, die durch die Rezeptionsemotion dieser Perikope evoziert werden kann, und ein neues Modell für die Hermeneutik des Leidens, siehe jeweils Kapitel II und III dieser Dissertation. 39 Vgl. W. Robinson, Der Weg des Herrn. Studien zur Geschichte und Eschatologie im Lukas-Evangelium, 37. 40 Exegeten haben diese syntaktische Struktur nicht beachtet. M.E. hat Klein (715) allein diese Möglichkeit – aber ohne Argumentation – weitgehend erwähnt. Vgl. H. Klein, Die lukanisch-johanneische Passionstradition, ZNW 67 (1976), 155–186; M. Matson, The Influence of the Fourth Gospel on the Passion Narrative of the Gospel of Luke, 94 f; R. Brown, The Death of Messiah, 2. Bd., New York u. a. 1994. 41 Exegeten, die dieses ἀπὸ µακρόθεν zu demselben Adverb in Lk 22,54 (Verleugnung des Petrus) in Beziehung setzen, beachten nicht, dass dieses µακρόθεν ebenfalls von Markus (Mk 14,54) kommt. Zu bedenken ist aber, dass der lk Petrus und Jesus dann im selben Raum (Lk 22,61) waren. Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Bd. 4, 494. Green, 828, „As eyewitnesses, these persons will have an important role to fill in the book of Acts, but their characterization in this scene is not altogether positive. Like Peter in Lk 22:54, they are distanced from Jesus“.
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gegeben, die Jünger im Rahmen der erhaltenen Überlieferungen zu positionieren; waren sie doch von Jesus gebeten worden, in seiner Leidenszeit auszuharren (s. o. in diesem Kapitel I-1.2; vgl. Lk 22,28). 3. Selbst wenn die Jünger durch dieses Umstandswort zum Teil negativ dargestellt worden wären, ist das Zugegensein bei der Kreuzigung des Meisters per se ein MitLeiden. Dass sie nicht als Vorbild für die Jüngerschaft dienen, steht nicht im Widerspruch dazu, dass sie nun Leiden ertragen. Auch im Garten Gethsemane z. B. teilten die Jünger die Trauer des Meisters (Lk 22,45), obwohl sie weder seiner Weisung zum Beten stetig folgten noch seine dreimalige Ankündigung der Passion ganz und gar verstanden (Lk 9,22; 9,43 f; 18,31 f).
Kurzum, im lk Passionsbericht entsteht das Bild der Jesus begleitenden Jünger, wie es in der erzählten Welt durch Jesus selbst angeregt wird: „οἱ διαµεµενηκότες µετ᾽ ἐµοῦ ἐν τοῖς πειρασµοῖς µου“ (Ihr aber seid es, die mit mir in meinen Versuchungen ausgeharrt haben). Diese Aussage, die Jesus zu Beginn seiner Passion machte, wird in den folgenden Erzählungen narrativ ausgeführt. Nachdem sie trotz ihres Unverständnisses über die Passion Jesu seine Betrübnis geteilt hatten (Lk 22,45), harrten sie weiter in Jerusalem aus (Lk 24,9 ff), ohne im Garten Gethsemane die Flucht zu ergreifen (vgl. Mk 14,50 ff). Die Jünger blieben über das Haus des Hohenpriesters hinaus (Lk 22,61) bis zum letzten Augenblick der Kreuzigung (Lk 23,49) bei Jesus.
1.3 Die Jünger als Subjekt des Gebets (Lk 22,40.46) Grundverschieden ist die Rolle der lk Jünger am Ölberg von der bei Markus. Bei Lukas sind die Jünger von Anbeginn an zusammen mit Jesus das Subjekt des Gebets (Lk 22,40.46), wohingegen der mk Jesus seine Jünger lediglich aufforderte, sich zu setzen, bis er gebetet hat (Mk 14,32). προσεύχεσθε µὴ εἰσελθεῖν εἰς πειρασµόν / Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt! (Lk 22,40) Aber, καθίσατε ὧδε ἕως προσεύξωµαι / Setzt euch hier, bis ich gebetet habe! (Mk 14,32)
Obwohl Jesus seine Jünger schlafend fand (Lk 22,45), ist impliziert, dass sie nach der ersten Einladung (Lk 22,40) eine Weile (vgl. Mk 14,37) mitbeteten: Die lk Erzählung nimmt einen Zeitabstand an, 42 in dem sich die Jünger bis zum Einschlafen betrüben (κοιµωµένους αὐτοὺς ἀπὸ τῆς λύπης, Lk 22,45). Selbst wenn sie, ohne zu beten, tiefe Trauer empfanden, ist durch das Wort Jesu Co-Subjektivität beim Beten angesprochen, die durch die zweimalige Einladung Jesu (Lk 22,40.46) noch betont wird. Die doppelte Weisung an die 42 Man kann bei Lukas keine detailierten Angaben entnehmen. Vgl. Mk 14,37.
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Jünger rahmt dabei das Gebet Jesu. Nicht umstritten ist, dass dieses Gebet als Vorbild 43 für die Jünger dient. Die Wendung εἰ βούλει 44 betont Jesu Unterwerfung unter den Willen Gottes – mit einer weiteren internen Inclusio (s. u. Schaubild 2) – und wird dadurch auch inhaltlich zum Muster.
Schaubild 2: Inclusio des Gebets in Gethsemane
Obwohl Lukas die Versuchung der Jünger nicht bis ins Detail beschreibt, 45 lässt sie sich außerhalb des Passionskontextes nicht beschreiben: 1. Die beiden auf den Satan bezogenen Handlungen des Petrus (Lk 22,31 ff) und des Judas (Lk 22,3) beginnen und enden innerhalb des Zeitraums der Passion Jesu. Der Autor wendet eine kunstvolle Erzähltechnik an: Lukas hat mittels einer Prolepse (v. a. V. 31–34) Petri Verleugnung (Lk 22,54 ff.) und die Wirkung des Satans miteinander in Zusammenhang gebracht. Ebenso wird Judas Verrat (Lk 22,47) proleptisch in Lk 22,3 mit Satans Einfluss verknüpft, während der Tod des Judas durch eine Analepse – d. h. zurückschauend – dargestellt wird (Apg 1,16 ff). Mit diesen anachronischen Erzählungen sind die beiden wichtigen Typen von Versuchung der Jünger im Zeitraum der Passion Jesu angesiedelt. 2. Die Versuchung in der Passion Jesu kann man nicht mit den Leiden der Jünger in Acta identifizieren. Die Jünger beteten also hier am Ölberg nicht für ihre zukünftige Bedrängnis mit, die in Acta erzählt wird. Denn Lukas hält die 43 Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Bd. 4, 297 u. 304; Fitzmyer, 1438; Green, 777 ff.; H. Klein, 684; Grundmann, 411–12; Nolland, 1081. Die doppelte Funktion dieser Perikope, die Christologie und Paränese umfasst, ist seit langem diskutiert worden. A. Feuillet, Le récit lucanien de l'agonie de Gethsémani (Lc xxii. 39–46), NTS 22 (1976), 416. 44 Das war eine typische Höflichkeitsformel in der Antike. Xenophon, Anab. 3,3,31; Plutarch, Mor. 85e; 328b; Athenaeus, Deipn. 5,61 [219c]; Lukian v. Samosata, Demon. 23; Philo, Leg. All. 3,69; Abr. 251; Decal. 86. Siehe Wolter, 722. 45 Jesus selbst hätte sich dem Willen Gottes nicht unterwerfen können (Lk 22,42; vgl. Mk 14,35 f). Vgl. J. Héring, Zwei exegetische Probleme in der Perikope von Jesus in Gethsemane, 64–69.
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Versuchung (πειρασµός) der Jünger und ihr Leiden (θλῖψις) in Acta scharf auseinander. Für die Unterscheidung hat Lukas seine Quellen in zwei Richtungen redigiert: Einerseits wird θλῖψις keinmal im LkEv benutzt, obwohl dieses Wort bei Markus (Mk 4,17; 13,19.24) und Matthäus (Mt 13,21; 24,9.21.29) mehrfach belegt ist. Im lk Doppelwerk fungiert θλῖψις – auch seine Verbalform – nur für die Leiden der Jünger in Acta (Apg 7,10.11; 11,19; 14,22; 20;23). 46 Zum anderen kann man in Acta keinen Beleg für πειρασµός – oder seine verbalen Pendants – finden. Die θλῖψις der Jünger wird als eine eschatologische Notwendigkeit (δεῖ, s. u.) ausdrücklich vermerkt, so dass beide Terminologien bei Lukas zueinander im Kontrast stehen. 47 προσεύχεσθε µὴ εἰσελθεῖν εἰς πειρασµόν / Betet, dass ihr nicht in Versuchung kommt! (Lk 22,40) Vgl. µὴ εἰσενέγκῃς ἡµᾶς εἰς πειρασµόν / Führe uns nicht in Versuchung! (Lk 11,4) διὰ πολλῶν θλίψεων δεῖ ἡµᾶς εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ / Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes hineinkommen! (Apg 14,22)
1.4 Die Jünger als Träger von Spannungen und Konflikten (Lk 22,23.24 ff.5 ff.49 etc.) Eine Reihe von Handlungen im lk Passionsbericht führt die Jünger in innere sowie äußere Spannungen und Konflikte. Sie gestalten zusammen mit den oben genannten Geschehnissen – z. B. der Trauer am Ölberg (Lk 22,44), der Bitterkeit des Petrus (πικρῶς, Lk 22,62), dem Sehen der Kreuzigung (Lk 23,49) – den Inhalt der Tribulatio Discipuli, die in der Passio Christi mitenthalten ist. 1.4.1 Die Jünger in inneren Spannungen und Konflikten a. Spannungen bei der Einsetzung des Herrenmahls (Lk 22,14 f): Es begegnen in dieser Perikope im doppelten Sinne innere Spannungen und Konflikte. 46 θλῖψις wird bei Lukas durch πειρασµός (Lk 8,13. Vgl. Mk 4,17; Mt 13,21) oder ἀνάγκη (Lk 21,23. Vgl. Mk 13,19; Mt 24,21) ersetzt. Trotz der – eschatologischen – Gewichtigkeit dieses Ausdrucks lässt Lukas θλῖψις im LkEv einfach aus (Lk 21,25; vgl. Mk 13,24; Mt 24,29), ebenso wie entsprechende verbale Ausdrücke (Mk 3,9; Mt 7,14). Die Hauptthese dieser Dissertation ist, dass Lukas diese θλῖψις der Christen als einen terminus technicus verstand, mit dem er das aktuelle Leiden in der erzählten Welt der Apostelgeschichte beschreiben wollte. So können die Leser diese Tribulatio Discipuli des zweiten Werks mit der eschatologischen Bedrängnis oder der Versuchung (Lk 8,13) in dem Gleichnis vom Sämann nicht verwechseln, sondern als das in der erzählten Welt aktuelle Leiden des Stephanus (Apg 11,19), des Paulus (Apg 20,23) und der Jünger allgemein (Apg 14,22) akzeptieren. Siehe Kapitel II-1. 47 Siehe Kapitel II-1.1.3.
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Einerseits, abweichend vom Bericht anderer Synoptiker, hat der lk Jesus das Herrenmahl eingesetzt (Lk 22,19 f; vgl. Mk 14,22 ff), bevor er den Verrat ankündigt (Lk 22,21 f; vgl. dagegen Mk 14,18 ff). D. h., dass in der durch den neuen Bund (Lk 22,20) gegründeten Jüngergemeinde offensichtlich ein Verräter ist, 48 da auch Judas selbstverständlich den neuen Bund eingeht. Das ist per se ein Spannungsfaktor in der Jüngergruppe. 49 Darüber hinaus fragt kein Jünger selber, ob er der Verräter sei (vgl. Mk 14,19; Mt 26,22). Daher bekommen die Jünger keinen Hinweis von Jesus (vgl. Mk 14,20; Mt 26,23), sondern streiten (συζητεῖν 50) untereinander, wer unter ihnen der sein könnte, der dies tun werde (Lk 22,23). b. Streit um den Rang (Lk 22,24 f): Die Spannungen spitzen sich zu einem sichtlichen Konflikt zu. 51 Das Nomen „φιλονεικία“ – wörtlich „Siegeslust“ bzw. „Streitsucht“ – bezeichnet ein Streitgespräch unter Jüngern. Das Motiv „Rangstreit“ ist schon in Lk 9,46 aufgetaucht. Der lk Erzähler hat aber hier in Lk 22,24 die Überlegung (διαλογισµός, Lk 9,46) durch den Streit (φιλονεικία) ersetzt: In der Passionszeit Jesu befinden sich die lk Jünger in einer eskalierteren Konfliktsituation als während des öffentlichen Wirkens Jesu. Markus schildert dagegen als Parallele das Jüngermissverständnis (Mk 10,35 ff). Diese Episode spielt bei Mk schon vor dem Einzug in Jerusalem und kann demnach, wenn überhaupt, keine Jüngergeschichte innerhalb des mk Passionsberichts sein. 1.4.2 Die Jünger in äußeren Spannungen und Konflikten a. Makro-Kontext: An den Streit unter den Jüngern (V. 24) schließt sich die Belehrung Jesu (V. 25 ff) an, was zur Folge hat, dass die Jüngerschaft in 48 In diesem Sinne kann eben die lk Jüngerschaft ein corpus permixtum sein. 49 Hingegen hat der mk sowie mt Jesus erst nach der Ankündigung des Verrates das Herrenmahl eingesetzt. Bei Mk und Mt wirken keine Spannungen unter den Jüngern mehr nach (anders Lk 22,23), da Jesus bereits einen konkreten Hinweis auf den Verräter gab (Mk 14,20; Mt 26,23.25) und ein Zeitabstand zwischen der Ankündigung des Verrates und der Einsetzung des Herrenmahls liegt (ἐσθιόντων αὐτῶν (δὲ) αὐτῶν, Mk 14,2; Mk 26,26). 50 „συζητεῖν“ hat im NT zwei verschiedene Bedeutungen. Es kann sowohl ein schlichtes Überlegen (Sich-Fragen. Vgl. Mk 1,27; Lk 24,15), als auch ein heftiges Disputieren – ggf. in durchaus feindlichem Sinn (Apg 6,9; 9,29) – heißen (vgl. E. Larsson, EWNT III 680). Da das συζητεῖν in Lk 22,23 eine Streit-Situation voraussetzt (Lk 22,24), kann dies kaum auf ein bloß neutrales ‚Sich-Fragen` eingeschränkt werden. Der Sinn ist allenfalls zweideutig: Die Jünger befragen sich streitend untereinander. Zwar geben dt Bibelübersetzungen (Luther, Elberfelder, Züricher usw.) „συζητεῖν“ noch mit „sich befragen“ wieder, aber wiss. Kommentare optieren eindeutig für die zweite Bedeutung, nämlich „streiten“ (Bovon, J. Ernst, Grundmann, Klein) oder „disputieren“ (B. Weiss, Wolter). 51 Vgl. H. Klein, Das Lukasevanglium, 669. „Der Anschluß an das Vorhergehende ist künstlich mit δὲ καί. Aus der Diskussion, wer der Verräter sei, wird ein Streit, wer der Größte ist (V.24).“ Und Grundmann, 401.
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ein Spannungsverhältnis zum Römischen Reich treten soll. Denn Jesus kritisierte den Herrschaftsmechanismus des Römischen Reichs (V. 25) und orientierte die Jünger auf ein alternatives Reich hin (V. 29 f). 1. Lk 22,25 ist als eine grundsätzliche Kritik an dem Römischen Herrschaftsmechanismus zu verstehen, kann also noch pejorativer als Mk 10,42 sein. Lk 22,25: οἱ βασιλεῖς τῶν ἐθνῶν κυριεύουσιν αὐτῶν καὶ οἱ ἐξουσιάζοντες αὐτῶν εὐεργέται καλοῦνται (Die Könige der Nationen herrschen über sie, und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen). Mk 10,42: οἱ δοκοῦντες ἄρχειν τῶν ἐθνῶν κατακυριεύουσιν αὐτῶν καὶ οἱ µεγάλοι αὐτῶν κατεξουσιάζουσιν αὐτῶν (Die, welche als Regenten der Nationen gelten, beherrschen sie, und ihre Großen üben Gewalt gegen sie). Auf den ersten Blick könnte man die mk Ausdrücke für eine terminologische Radikalisierung halten: Mit dem Präfix „κατα-“ scheint bei Mk statt „herrschen“ von „unterdrücken“, statt „Titelsucht“ (εὐεργέτης) von „Machtmissbrauch“ die Rede zu sein. 52 Aber inmitten der Synkrisis-Struktur, wo der erste indikative Teil (Lk 22,25; Mk 10,42) als Antithese zum zweiten Teil des Imperativs (σὺ δέ bzw. ὑµεῖς δέ. Lk 22,26; Mk 10,43) vorgestellt wird 53, kommt eine Inversion auf. Denn je gemäßigter ein Ausdruck des ersten Teils ist, umso radikaler wird der Imperativ des zweiten Teils. Also, bei Markus könnten ein „herrschen“, was so weit kein „unterdrücken“ ist, oder ein Machthaber (ἐξουσιάζοντες), der keine Gewalt übt (κατεξουσιάζουσιν), weniger kritisch im Blick sein. Aber bei Lukas ist das, was zu den Jüngern als Zuhörern im Kontrast steht, die Regierung sowie die Titulatur der Herrscher im Allgemeinen. Dazu kommt, dass εὐεργέτης als ein typischer Ehrentitel in Bezug auf Patronage den Römischen Herrschaftsmechanismus widerspiegelt. 54 Somit stehen
52 Z. B., „Lk spricht zurückhaltender als Mk (10,42) nur vom Herrschen (nicht „beherrschen“). Möglicherweise spielen realpolitische Überlegungen des Lk hier mit hinein“, J. Ernst, 454. Aber vgl. K. Clark, the Meaning of [κατα]κυριεύειν, 100–105. Auch P.W. Walaskay, And so we came to Rome. The political perspective of St. Luke, Cambride u. a. 1983, 39; I. Marsahll, 812; L.T. Johnson, The Gospel of Luke, Minneapolis 1991, 344. 53 Wolter, 711. 54 „εὐεργέτης ist ein Ehrentitel, der vor allem in hellenistisch-römischer Zeit politischen Machthabern beigegeben wurde und nicht nur in der Literatur, sondern auch auf vielen Inschriften, Münzen und in Papyri belegt ist“, Wolter, 712. Auch Fitzmyer, 1417; R. Saller, Personal Patronage under the Early Empire, New York, 1982; B. Malina/R. Rohrbaugh, Social Science Commentary on the Synoptic Gospels, Minneapolis 1992, 326– 329; G. Schneider, EWNT II 192; J. Elliot, Patronage and Clientage, in: R. Rohrbaugh (Hg.), The social sciences and New Testament Interpretation, Peabody 1985, 144; J. Pilch/B.
Die Jünger als Co-Subjekt des Leidens im lk Passionsbericht
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die Jünger in der lk erzählten Welt schon in einem Spannungsverhältnis zu Römischem Herrschaftsmechanismus. 2. Darüber hinaus verheißt der lk Jesus ein eschatologisches Reich (29 f). Durch dieses wird der Kontrast zwischen der Jüngergemeinde und der irdischen herrschenden Schicht noch deutlicher. Während der mk Jesus seine Aufgabe als Dienender herausstellt (Mk 10,45), stellt der lk Jesus den Jüngern sein Königtum mit Kritik an dem bestehenden Herrschaftsmechanismus vor (Lk 22,25). In Lk 23,2 wird dieses Spannungsverhältnis als jüdische Anklage zur Sprache gebracht. Dieser Vers ist redaktionell: 55 Man kann zwar eine Unschuldserklärung des Pilatus finden (Lk 22,4), aber bei Markus war von Anbeginn an kaum ein unmittelbarer Kontrast zwischen Jüngerschaft und Römischem Reich. D. h., in der erzählten Welt des lk Doppelwerks sind die Jünger wenigstens die potenziellen Träger des Konflikts mit dem Römischen Reich. b. Mikro-Kontext: Die Jünger befinden sich auch im Mikro-Kontext in äußeren Spannungen und Konflikten, indem sie mit Gewalt eindringlich auf die äußere Sachlage reagieren sollen (Lk 22,47 ff). Die Jünger stehen dabei den Gegnern, die Jesus gefangen nehmen wollen, direkt gegenüber. Bemerkenswert ist, dass sie im Grunde unabhängig von Jesus dieser Situation entgegentreten: 1. Sie sahen, was es werden würde (49a). D. h., sie urteilten eigenständig über die Entwicklung dieser dringenden Situation (τὸ ἐσόµενον, ein substantiviertes Partizip Futur) 2. Zwar fragten sie Jesus (49b), aber diese Frage war deliberativ (εἰ πατάξοµεν). Formuliert wird daher „weniger eine Jesus um Erlaubnis bittende Frage, als vielmehr eine Selbstaufmunterung, eine Art rhetorischer Frage“. 56 3. Infolgedessen hat einer von ihnen schon Gewalt angetan, bevor Jesus antwortet (50). 4. Es stellt sich aber heraus, dass der Meister den Jüngern widerspricht (51). Freilich hat Jesus durch seine Aufforderung zum Schwertkaufen (Lk 22,36) die Spannungen in Bezug auf Gewaltanwendung erhöht. Im Urchristentum wurde die Trägerschaft von inneren (Phil 1,17; 2 Kor 2,4; 1 Petr 2,19 f u. a.) und äußeren (1 Thess 2,14; 2 Tim 3,11; Hebr 10,32 u. a.) Spannungen / Konflikten als Leidenstypus erkannt. V. a. die äußerlichen Spannungen und Konflikte der Jünger im Passionsbericht fungieren als Antizipation der Acta-Leidensgeschichten (s. u. I-3). Der Zusammenhang zwischen beiden ist dem Zusammenhang zwischen Versuchung (Lk 4) und Passion (Lk 22–
Malina, Biblical Social Values and their Meaning, Peabody 1993, 133; E. Ferguson, Backgrounds of Early Christianity, Grand Rapids, Mich. 1987, 45. 55 Bovon, Das Evangelium nach Lukas Bd. 4, 382; Grundmann 422; G. Schneider, 472; Radl, Sonderüberlieferungen, 132. 56 F. Rehkopf, Die lukanische Sonderquelle. Ihr Umfang und Sprachgebrauch, Tübingen 1959, 60.
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23) Jesu analog, da der zurückgekehrte Satan (Lk 4,13) nun nicht mehr Jesus, sondern die Jünger angriff (Lk 22,3.31).
1.5 Fazit Zusammenfassend kann man sagen, dass im lk Passionsbericht auch die Jünger an dem Hergang sowie der Bitterkeit des Kreuzesgeschehens Anteil haben. Die Auffassung, die Jünger seien Co-Subjekte des Leidens Jesu, wurde in der Forschungsgeschichte hier und da erwähnt. 57 Aber die vorliegende Arbeit hat sie als eine These zugespitzt behandelt und versucht, sie exegetisch zu beweisen. Im lk Passionsbericht treten die Jünger als Co-Subjekt des Leidens bzw. als Co-Objekt der Versuchung hervor. Diese These besteht aus vier verschiedenen Sub-Thesen: A. die Jünger als Versuchungsobjekt des Satans während der Jesus-Passion (Lk 22,3.31); B. die Jünger als Begleiter der Versuchungen Jesu (Lk 22,28; 23,49 etc.); C. die Jünger als Subjekt des Gebets darum, nicht in Versuchung zu kommen (Lk 22,40.46); und D. die Jünger als Träger von Spannungen und Konflikten (Lk 22,23.24 ff.35 ff.49 etc).
I-2 Leiden der Jünger (Tribulatio Discipuli) als Subplot der Passio Christi Eine Basiskonzeption dieser Arbeit ist: Die Leidensgeschichte der Jünger – Tribulatio Discipuli – ist bereits im Passionsbericht des Ev. antizipierend mitgedacht. Eine daran anzuschließende Frage ist, auf welche Art und Weise diese Jüngergeschichte in die Geschichte Jesu integriert wurde. These dieses Kapitels I-2 ist, dass die Tribulatio Discipuli als eine abgegrenzte Geschichte, als Subplot 58, im Passionsbericht mitenthalten ist. D. h., die Jünger fungieren als 57 Z. B. „Jesus is not the only one who is feeling the event's pressure“, Bock, 1762; „Um zu zeigen, dass Jesus anderweitig beschäftigt ist, aber das Schicksal seines Jüngers nicht vergisst [. . . ] dass Jesus sich nicht um sich selbst, sondern um seinen Jünger kümmert“, Bovon, Das Evangelium nach Lukas, Bd. 4., 352 f; „[. . . ] the role the disciples play during Jesus' ministry in the temple in Jerusalem is that of passive onlookers and listeners. With the onset of the passion, however, this will change noticeably“, J.D. Kingsbury, Conflict in Luke. Jesus, Authorities, Disciples, Minneaplis 1991, 127. 58 Zur Terminologie Subplot (Nebenhandlung): Subplot bezeichnet „Handlungseinheiten, die einem main plot in der Bedeutung und eventuell in der Ausdehnung untergeordnet [meine Betonung] sind, jedoch gleichzeitig ausreichende thematische Eigenständigkeit [meine Betonung] und quantitative Relevanz besitzen, um sich von einer episode und anderen im folgenden angesprochenen Handlungseinheiten abzuheben.“ R. Nischik, Einsträngigkeit und Mehrsträngigkeit der Handlungsführung in literarischen Texten. Dargestellt ins-
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Protagonisten einer eigenen Geschichte, 59 d. h., nicht bloß als ein Co-Subjekt des Leidens in der Geschichte Jesu (Kapitel I-1).
2.1 Hinführung zu den Analysekategorien: Der lk Passionsbericht als eine mehrsträngige Geschichte (multiple story line) In klassisch-exegetischen Methoden fehlen Begrifflichkeiten, mit denen man die Vielschichtigkeit bzw. Mehrsträngigkeit einer Narratio analysieren kann. Ein Beispiel: Obwohl wir exegetisch gezeigt haben, dass die Rolle der Jünger im lk Passionsbericht zum Co-Subjekt des Leidens ausgebaut ist, kann mit herkömmlichen exegetischen Methoden die sog. „Tribulatio Discipuli“ nicht ohne weiteres als eine abgegrenzte Geschichte erkannt werden. Vor diesem Hintergrund gesehen, könnte man meine Bezeichnung Tribulatio Discipuli eine aus Acta vorweggenommene Leidensgeschichte der Jünger, als eine Überinterpretation kritisieren. An dieser Stelle wendet diese Arbeit narratologische Methoden an, da die Narratologie für diese Problematik treffende Begrifflichkeiten sowie Analysekategorien bereitstellt: Durch eine Plot-Analyse kann man prüfen, ob eine Narratio mehrere Geschichtsstränge hat (Mehrsträngigkeit, oder Multiple Plot, s. u.), d. h., ob eine Reihe von Ereignissen entweder einen abgegrenzten Plot konstituieren oder nicht mehr als Bestandteil nur eines Plots anzusprechen sind (Elemente des Plots, s. u.). Die Analysekategorien dieses Kapitels beinhalten darüber hinaus Setting und Figur. Denn Setting und Figur treiben voran und beeinflussen den Plot: 60 Eine Figur ist nach ihrer Wichtigkeit für den Plot zu klassifizieren (z. B. Protagonist / Hauptfigur, Nebenfigur, Randfigur). Das Setting kann den Plot nicht nur als Grenze beschränken, sondern auch vorantreiben, indem es Gegenstände sowie Möglichkeiten zur Verfügung stellt. besondere an englischen, amerikanischen und kanadischen Romanen des 20. Jahrhunderts, Tübingen 1981, 51. Aufgabe unserer Exegese wird sein zu zeigen, wie eine Handlungseinheit nicht nur ‚untergeordnet (bzw. verknüpft)`, sondern auch ‚eigenständig` sein kann, so dass sie als Subplot angenommen werden kann. 59 Figur und Plot sind interdependent: Der Begriff der Handlung (plot) impliziert den Begriff eines handelnden Subjekts, und der Begriff der Figur setzt den Begriff der Handlung voraus. Ferner unterscheidet man die Figuren voneinander nach ihrer Wichtigkeit für den Plot – z. B. Protagonist / Hauptfigur, Nebenfigur. S. Finnern, Narratologie und biblische Exegese. Eine integrative Methode der Erzählanalyse und ihr Ertrag am Beispiel von Matthäus 28, Tübingen 2010, 148–49; J. Eder, Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse, Marburg 2008, 470 f; M. Pfister, Das Drama. Theorie und Analyse, München 112001, 227. Die Frage wird also sein, ob die Jünger im lk Passionsbericht nur eine Nebenfigur der Geschichte Jesu bleiben, oder als Protagonisten auch ihre eigene Geschichte vorantreiben. 60 Über die Interdependenz von Handlung und Figur, Pfister, a.a.O, 220 ff; Eder, a. a. O., 15.
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2.2 Setting der „Tribulatio Discipuli“: gedehnte und getrennte Raumzeit für eine Jüngergeschichte Das Setting ist einerseits ‚Umfeld in einer Narratio`, in dem Figuren ihren Plot ausführen, es ist andererseits auch selbst ein Output 61 der Narratio. Es ist vom Leser mitsamt Orts- und Zeitangaben zu rekonstruieren. 62 Außer gewöhnlichen Kategorien wie (a) räumlichem sowie (b) zeitlichem Setting kann man auch (c) vom soziokulturellen Setting reden, zu dem z. B. „politische und ökonomische Faktoren, soziale Gegensätze und Milieus, Bräuche, Normen und religiöse Vorstellungen zählen“. 63 Im Folgenden soll gezeigt werden, dass das Setting des lk Passionsberichts (1) multidimensional erweitert wird, um Zeit und Raum für eine Jüngergeschichte zu schaffen, und (2) eine Distanz zwischen Jesus und die Jünger. 2.2.1 Multidimensionale Erweiterung des Settings für eine Jüngergeschichte Multidimensional, also zeitlich-räumlich sowie soziokulturell erweitert sich das Setting des lk Passionsberichts für eine Jüngergeschichte. Dies soll nicht nur synchron gezeigt werden, sondern auch diachron im synoptischen Vergleich mit dem MkEv, das im Kontrast den lk Passionsbericht zu profilieren hilft. Forschungsergebnisse der klassischen Redaktionsgeschichte können so in unsere Analyse mit einfließen. 2.2.1.1 Erweiterung des zeitlichen und räumlichen Settings Wie bereits dargestellt (s. o. I-1.2), treten bei Lukas die Jünger in der Szene der Kreuzigung Jesu auf: „Alle seine Bekannten standen weitab.“ (Lk 23,49) Dieser allumfassende (πάντες) Maskulinum-Plural (οἱ γνωστοί) deutet – mit der Auslassung der mk Flucht aller Jünger – die Anwesenheit der Jünger an. D. h., die Bühne der Jüngerfiguren wird zeitlich-räumlich ausgebaut. Des Weiteren kann man auch die Szene des Todes des Judas aufzählen (Apg 1,16 ff). Durch eine anachronische Darstellung (Analepse 64) bezieht Lukas diese zusätzliche
61 M. Bal, Narratology. Introduction to the theory of narrative, Toronto u. a. 32009, 136 ff. 62 (1) Das Setting in einem Erzählwerk muss – anders als bei Theaterstücken – von jedem Rezipienten rekonstruiert werden: Der Leser / Hörer muss die Zeit- und Raumangaben, die nur sprachlich und oft lückenhaft gegeben werden, in einem eigenen Skript zusammensetzen. (2) Das Setting kann aber auch getrennt von Erzählhandlungen bzw. Ereignissen für eine wissenschaftliche Analyse rekonstruiert werden. V. a. B. Bosenius, Der literarische Raum des Markusevangeliums, WMANT 140, Neukirchen-Vluyn 2014, 7–8. 63 Finnern, a. a. O., 80. 64 Anachronie bzw. Analepse / Prolepse ist eine typische Darstellungsweise der Handlung. G. Genette, Die Erzählung, UTB 8083, München 1994, 25; Platz-Waury, Art., in: RLW III, 546–548; Finnern, a. a. O., 94–97.
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Episode des Judas in die Passio Christi / Tribulatio Discipuli mit ein; das räumliche Setting erweitert sich zum ‚Blutacker` (Apg 1,19) hin. Darüber hinaus kann die lk Auslassung der Perikope der Salbung Jesu (Mk 14,3 ff) mit dieser Tendenz in Einklang gebracht werden. Lukas stellt dasselbe Motiv in den Kontext des frühen öffentlichen Wirkens Jesu hinein (Lk 7,36 ff). Das räumliche Setting (Betanien bei Mk) im Passionsbericht hat sich folglich im Vergleich zum Markusevangelium reduziert. Diese Perikope ist bei Mk von großer Bedeutung für die Passion Jesu, da sowohl das Begräbnis antizipiert (Mk 14,8 f) als auch die messianische Designation 65 Jesu dargestellt wird. Dies bedeutet, dass sich das Setting im lk Passionsbericht bezüglich der Passio Christi zwar verringert, bezüglich der Tribulatio Discipuli aber ausweitet (s. o.).
Ferner ist zu bemerken, dass die Deklaration Jesu in Lk 22,28–30 die jetzige Leidenszeit mit der früheren sowie künftigen Zeit assoziiert: Durch das Perfekt (οἱ διαµεµενηκότες, Lk 22,28) wird das Begleiten der Jünger während der vergangenen bitteren Erfahrungen Jesu (µετ᾽ ἐµοῦ ἐν τοῖς πειρασµοῖς µου, s. o. I-1.2) mit dem Jetzt verbunden. Daran anschließend erteilt Jesus ihnen das futurisch-eschatologische Recht zu beurteilen (καθήσεσθε ἐπὶ θρόνων τὰς δώδεκα φυλὰς κρίνοντες τοῦ ᾿Ισραήλ, Lk 22,30b). Aus narratologischer Sicht bedeutet dies eine vom Redakteur vorgenommene Dehnung des zeitlichen Settings, zugunsten des Themas Tribulatio Discipuli.
Schaubild 3: Erweiterung des zeitlichen Settings im lk Passionsbericht (nach Finnerns Modell 66) Ist im mk Passionsbericht diese zeitliche Erweiterung auf weitere Erzählebenen zu finden? Es entsteht mit Jesu Voraussagen eine zweite Erzählebene, die mit dem Verrat des Judas (Mk 14,18 ff), dem „Zerstreut-Werden“ der Jünger (Mk 14,27) und 65 J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bd. 2, EKK II / 2, Neukirchen-Vluyn 2010, 223 f. Vgl. J.K. Elliott, The Anointing of Jesus, Expository Times 85, (1973–74) 105–107. 66 Finnern, a. a. O., 96.
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der Verleugnung Petri (Mk 14,30) proleptisch angelegt ist. Allerdings liegen diese Prolepsen im Passionsbericht selbst. Nur in der Perikope von Betanien, die Lukas von seinem Passionsbericht ausschloss, kann man ein ähnliches Phänomen entdecken: Jesus prophezeite sogar für die Zeit jenseits der mk erzählten Welt (λαληθήσεται, Mk 14,9). Relevant ist dies aber nur, wenn überhaupt, für das Thema Passio Christi.
2.2.1.2 Erweiterung des soziokulturellen Settings Im lk Passionsbericht erweitert sich auch das soziokulturelle Setting wesentlich. Man kann vielfältige soziokulturelle Lebensbedingungen antreffen, die bloß für den narrativen Prozess der Passion Jesu nicht notwendig sind: 67 Politisch-soziale Bräuche und Vorstellungen a. Kenntnisse des Römischen Herrschaftssystems: Patronage Wo der mk Jesus von Gewaltherrschaft sowie Machtmissbrauch der Herrscher spricht (Mk 10,42), nimmt der lk Jesus das entwickelte Herrschaftssystem des Römischen Reichs zur Kenntnis: „εὐεργέτης“ (Lk 22,25) spiegelt als typischer Ehrentitel in Patronage-Kontexten den Römischen Herrschaftsmechanismus wider (s. o. I-1.4. Von „Patronage“ siehe Anm. 54).
b. Spannungsverhältnis zwischen Urchristentum und Römischem Reich Dadurch, dass der lk Jesus den Römischen Herrschaftsmechanismus kritisiert (V. 25) und den Jüngern ein alternatives Reich (V. 29 f) verordnet, steht die lk Jüngerschaft in einem Spannungsverhältnis zum Römischen Reich (I-1.4). Dies wird in Lk 23,2 – wenigstens potenziell – bekräftigt, wo die Menge von Hohenpriestern sowie Schriftgelehrten Jesus wegen antirömischer Tätigkeiten verklagen; Markus dagegen erwähnt keine jüdische Anklage gegen Jesus (Mk 15,3). Unabhängig von der Frage, ob Lukas dieses Thema apologetisch (Lk 23,4.14 ff) behandelt, stößt man im lk Passionsbericht auf dieses Spannungsverhältnis. Es hat mit der Jüngergeschichte zu tun: Während Jesus nach seiner Verkündung auferstehen und zum Himmel fahren konnte, muss die Jüngergemeinde sowohl in der erzählten Welt (in Acta) als auch in der realen Welt unablässig zu ihrer – sozio-politischen – Umgebung sich verhalten. 68
67 Für diese Analysekategorie sind die Ergebnisse der klassisch-exegetischen Forschung mit hinzzuuziehen. Wir können aber den Umfang der Analyse begrenzen. Erklärt werden nur die sozio-kulturellen Elemente, 1. die innerhalb der lk erzählten Welt in Sicht kommen oder sie unmittelbar konstruieren, und 2. die in der mk Erzählung nicht zu finden sind. So werden z. B. die Tempelzerstörung oder der jüdisch-römische Krieg, die keine Bestandteile der erzählten Welt sind, oder die Einsetzung des Herrenmahles, die auch Markus berichtet, nicht behandelt. 68 Gerd Theissen, Gospel Writing and Church Politics. A Socio-rhetorical Approach, Hong Kong 2001, 1–7. Theissen erklärt z. B., dass das Unterhalten von „external relationships“ eine von „five tasks“ in „church politics“ sei.
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c. Sozialer Brauch, ein Schwert zu tragen (Lk 22,36.38.49 f) Da in der Weisung Jesu über die Ausrüstung (Lk 22,36) auch ein Schwert genannt wird, obwohl er dessen Gebrauch untersagt (Lk 22,51 f), erweitert der Schwertbesitz im Jüngerkreis das soziokulturelle Setting. Legt man wie manche Exegeten 69 die Anweisungen von Lk 22,36 für die Ausrüstung als Anweisung für die bevorstehende Zeit der Jünger aus, heißt dies eine Erweiterung des Settings für eine Jüngergeschichte.
d. Gefangensetzung und Todesstrafe als Verfolgungsgefahr für die Jüngergemeinde Im Unterschied zum mk Bericht äußert der lk Petrus seine Bereitschaft auch zur Gefangenschaft (εἰς φυλακήν, Lk 22,33). Lukas nennt in Lk 21,12 als Verfolgungsmöglichkeit – abweichend von anderen Synoptikern – die Auslieferung an Gefängnisse, die die Jüngergemeinde (ἐφ᾽ ὑµᾶς) treffen kann. Auch vom Tod spricht der lk Petrus um eine Nuance anders als bei Mk: Zwar hat der mk Petrus die Eventualität (ἐάν mit Konjunktiv) des Mitsterbens im Blick (ἐὰν δέη, „wenn erforderlich“), bestreitet aber nachdrücklich die Ankündigung seiner Verleugnung (Mk 14,30 f). Bei Lukas dagegen behauptet Petrus seine Bereitschaft (Indikativ Präsens) zur Gefangensetzung sowie zum Tod bereits vor (!) der Verleugnungsankündigung Jesu. Diese Verkopplung von Gefangenschaft und Tod als Leidenstypus begegnet auch in Acta zweimal (Apg 23,29; 26,31, jedoch mit δεσµός), wo sie sich in der erzählten Welt des Doppelwerks bei Paulus und Stephanus realisiert.
Religiöse Bräuche und Vorstellungen a. Christologische Vorstellungen als Retter sowie Heiler Ein wesentliches Merkmal des lk Passionsberichts ist, dass Jesus auch in seiner Passionszeit nach wie vor als Retter sowie Heiler fungiert (Lk 22,51; 23,34.43. M.E. auch 22,61: s. u. I-2.3): Jesus heilt das Ohr des Knechts des Hohenpriesters, bittet um Vergebung für diejenigen, die ihn ans Kreuz gebracht haben, und verspricht sogar am Kreuz einem Mitgekreuzigten das Paradies. Diese christologischen Züge kann man bei Mk oder Mt im Passionsbericht nicht antreffen, wo Ohnmacht und Schwäche Jesu im Vordergrund stehen. Bei der narratologischen Analyse dieser Arbeit sind diese Züge wichtig, da sie mit der Jesusfigur als Helfer im Sub-Plot „Tribulatio Discipuli“ wesentlich zu tun haben (s. u. I-2.3 und I-2.4).
b. Urchristliche Selbstvorstellung als eschatologische Richter In Lk 22,30 findet man die Vorstellung von den Jüngern als eschatologischen Richtern. Es handelt sich hier um eine alte Hoffnung der ersten Christen. 70 Lukas positionierte diese aus der Logienquelle stammende Vorstellung (Q 22,30) im Passionsbericht: Dadurch erweiterte sich das Setting für den Jünger-Subplot der lk Passionsgeschichte. 69 Bovon, a. a. O., 279; H. Klein, a. a. O., 678. 70 Bovon, a. a. O., 270. Entsprechende Vorstellungen begegnen auch in verschiedenen jüdischen Texten: 4Q521 Fragm. 2,2,7; PsSal 17,26; SapSal 3,8. Vgl. auch Apk 3,21; 4,4.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
c. Satans-Vorstellungen im frühjüdisch-urchristlichen Kontext Wie bereits dargelegt, betritt bei Lukas der Satan die Bühne der Passion Jesu und spielt eine Rolle für die Versuchung / Prüfung der Jünger (siehe I-1.1). Darüber hinaus erinnert die Bitte der Jünger, nicht in Versuchung zu kommen (Lk 22,40.46), an die fünfte Bitte des Vaterunsers (Lk 11,4), die fest im Leben der Urchristen verankert ist.
Die multidimensionale Erweiterung des Settings für die Jüngergeschichte erzeugt einen weiteren (literarischen) Raum, in dem eine Erzählung zu einem neuen Thema übergehen kann. Die Tribulatio Discipuli befindet sich in diesem ausgebauten Setting des lk Passionsberichts, unabhängig davon, ob wir diese Jüngergeschichte als einen abgegrenzten Subplot verstehen wollen oder nicht. 2.2.2 Distanz zwischen Jesus und Jüngern Der Raum bzw. dessen Abtrennungskraft ist eine „Fundamentalvariable“ 71 oder ein wichtiges „Kriterium“ 72 für die Trennung verschiedener Handlungsstränge (sog. multiple plot). M.a.W., ein abgetrennter Raum hilft dem Leser, verschiedene Plots (Handlungsstränge) voneinander abzugrenzen. Im lk Passionsbericht kann man eine Distanz zwischen Jesus und Jüngern beobachten. In den voneinander distanzierten Räumen spielen sich die Passio Christi und die Tribulatio Discipuli je für sich ab. In vielen Fällen bleibt Jesus zu seinen Jüngern in Distanz. In Gethsemane zog er sich „einen Steinwurf weit“ (ὡσεὶ λίθου βολήν) von den Jüngern zurück (Lk 22,41). Zur Subtilität dieses Ausdrucks 73 notieren Exegeten, dass sie sich sehen, aber nicht hören können 74 oder „entfernt [. . . ] aber in Reichweite“ 75 sind, usw. Während Jesus als Vorbild seiner Jünger wirkt (Sehen / Reichweite), geschieht das Gebet des Jesus-Subjekts und der Jünger-Cosubjekte separat (Hören / Entfernung). Des Weiteren erzählt Lukas, dass Jesus auch im Haus des Hohenpriesters aus einer gewissen Distanz bei Petrus bleibt, so dass sich ihre Blicke kreuzen können (Lk 22,61), da Petrus trotz der dreimaligen Bedrohung den Ort nie ändert (vgl. Mk 14,68; Mt 26,71). Bei der Kreuzigung Jesu stehen die Jünger ebenfalls von weitem (Lk 23,49). Darüber hinaus kann auch der Passahmahltisch, an dem nach der Ankündigung des Verrats die Jünger miteinander streiten (Lk 22,23 f), als ein Raum für Tribulatio Discipuli angesehen werden, da Jesus Abstand hält und nicht dazwischentritt (vgl. aber Mk 14,19 f u. Mt 26,22). 71 R. Nischik, Einsträngigkeit und Mehrsträngigkeit, 66–96. 72 H.-W. Ludwig (Hg.), Arbeitsbuch Romananalyse, Literaturwissenschaft im Grundstudium 12, 5., Tübingen 51995,165. 73 Vgl. Thucydides 5,65,2; Homer, Ilias 3,12; TestGad 1,3a; Gen 21,16. 74 Bovon, a. a. O., 304. 75 Klein, a. a. O., 683.
Leiden der Jünger (Tribulatio Discipuli) als Subplot der Passio Christi
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Zu beachten ist, dass dieser Abstand keine komplette Trennung des Ortes bedeutet, bei der sich die beiden Figurengruppen nicht treffen können, so dass die Integration eines Erzählwerks leidet. 76 Dass Jesus und die Jünger nur eine gewisse Distanz einhalten, hat mit der Rolle Jesu zu tun, die im nächsten Kapitel (I-2.3) erläutert wird. Soviel sei aber bereits vorweggenommen: Jesus spielt auch im (Sub-)Plot Tribulatio Discipuli (auch in Acta) die wichtige Rolle einer Nebenfigur, und zwar als ‚Mentor / Vorbild`. Für diese Rolle darf Jesus sich von den Jüngern nicht gänzlich isolieren: In Gethsemane agiert Jesus in geziemender Distanz immer noch als Vorbild des Gebets für seine Jünger; er wirkt 77 als Herr („ὁ κύριος“, in V. 61 zweimal) seiner Apostel, indem er Petrus auch im Haus des Hohenpriesters das Geleit gibt. Er wird nicht zuletzt bei seiner Kreuzigung zum Archetypen für die künftigen Leiden und Martyrien seiner Jünger (Lk 23,46; vgl. Mk 15,34, v. a. die Parallele zu Stephanus in Apg 7,59 f. Siehe Kapitel II-2.2). Zwar isolieren sich die Figuren ‚Jesus` und ‚Jünger` voneinander nicht absolut. 78 Aber der räumliche – auch psychologisch-symbolische – Abstand zwischen Jesus und den Jüngern als Leidenden schafft eine weitere Grundlage dafür, diese Jüngergeschichte in der lk Passionsgeschichte als einen Subplot verstehen zu können.
2.3 Figuren der „Tribulatio Discipuli“: Erweiterung und Differenzierung der Figurenmerkmale und Handlungsrollen Figur und Handlung sind intrinsisch voneinander abhängig: Der Begriff der Handlung impliziert den Begriff eines handelnden Subjekts, und der Begriff der Figur setzt den Begriff der Handlung voraus. Für die Analyse der beiden Kategorien ist dies wichtig. Außerhalb des Handlungsverlaufs sind z. B. weder einzelne Figuren noch Konstellationen zwischen ihnen anzutreffen. Die Figuren werden entsprechend nach ihrer Bedeutung bzw. Funktion für die Handlung – als Hauptfigur, Nebenfigur usw. – klassifiziert. Umgekehrt lässt sich sagen, dass durch eine detaillierte Figurenanalyse – z. B. durch die Beschreibung der Handlungsrolle jeder Figur – charakteristische Merkmale der Handlungsstruktur aufgewiesen werden können. Bezüglich unserer These – Tribulatio Discipuli als Subplot – haben die Figuren im lk Passionsbericht zusätzliche Ziele und Rollen, die vom Thema 76 Aus narratologischer Sicht ist diese nicht-absolute Trennung („Ortsinterferenz“) eine typische Integrationsart verschiedener Handlungsstränge. Nischick, a. a. O., 132–136. Eine ausführliche Analyse wird diesbezüglich im folgenden Kapitel I-2.4 vorgenommen. 77 Er wandte sich, blickte Petrus an, und ließ ihn bitterlich weinen. 78 Figuren, die nie zusammen auftreten, heißen „Alternative Figuren“. Nischik, a. a. O., 70; Pfister, a. a. O., 237.
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der Passio Christi nicht allein abgedeckt sind. Vielmehr weisen sie auf einen weiteren Plot (Tribulatio Discipuli) hin, in dem die Jünger als Protagonist fungieren, wobei z. B. das Aktantenmodel von Gremas eine gute Verstehenshilfe bietet. Für die These „Jünger-Protagonist“ sprechen auch Argumente, die man bereits ohne Handlungsrollenmodelle gewinnen kann. Das sind (1) „erweiterte Figurenmerkmale der Jünger“, die die Erzählbarkeit („tellability“, s. u.) der Jüngergeschichte steigern, und (2) eine „neue Figurenkonstellation zwischen Jesus und Jüngern“, in der die Jünger nicht mehr nur als Randfigur (genauer gesagt, als Kontrastfigur zu Jesus, s. u.) agieren müssen. Dazu kommt die o. g. (3) ‚Differenzierung der Handlungsrollen der Figuren`. 2.3.1 Erweiterte Figurenmerkmale und erhöhte Erzählbarkeit der Jüngergeschichte Die – im Vergleich zum MkEv – erweiterten Figurenmerkmale der Jünger stärken ihre Position als Hauptfigur und machen ihre eigene Geschichte erzählbarer, so dass mehrere sog. mögliche Welten („possible worlds“, s. u.) eröffnet werden. Der Begriff der Figurenmerkmale scheint zwar selbstverständlich zu sein: Merkmale, mit denen eine Figur wahrnehmbar wird. Aber als eine narratologische Analysekategorie sind sie noch unklar und werden in der aktuellen Forschung untersucht. Schwerlich unterscheiden sich die Figurenmerkmale von der sog. Charakterisierung oder auch der Figureninformation. Aber unklar ist noch, ob sie (Info-)Materialien auf der Text-Ebene (Figureninformation) sind, die einer Figur zuzuschreiben sind, ob sie sich im mentalen Modell der Rezipienten, d. h., als Folge einer Zuschreibung (Eigenschaft 79 der Figurenmodelle), befinden, oder ob sie diesen Prozess der Zuschreibung (Charakterisierung im breiten Sinne 80) bedeuten. Soweit ich recherchierte, hat S. Finnern diese Terminologie für die Figurenanalyse entwickelt. 81 Jedoch definiert er den Begriff nicht präzise. Er erklärt: „Die Rezipienten bilden mentale Modelle der Figuren in ähnlicher Weise, wie sie andere Personen im Alltag wahrnehmen. Die Figurenmerkmale (character traits) setzen sich dabei aus den expliziten und impliziten Zuschreibungen des Rezipienten zu einer Figur zusammen.“ 82 In einem anderen Kontext sind die Figurenmerkmale gleichbedeutend mit der Figureninformation, die einer Figur zuzuschreiben ist: „Die direkte Charakteri-
79 J. Eder explizierte „Eigenschaft der Figuren“ als Bestandteil des mentalen Modells. J. Eder, Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse, Marburg 2008, 173–179. 80 F. Jannidis, Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie, Narratologia 3, Berlin u. a. 2003. 81 Finnern, a. a. O., 129–147. Für ihn sind „Figurenmerkmale“ die zweite von sechs Kategorien der Figurenanalyse. Aber im Kapitel über die Figurenanalyse stellt er fast die Hälfe des Raums (19 von 34 Seiten) für diese neue Kategorie zur Verfügung. 82 Finnern, 129. Ziel dieser Analyse ist für ihn die Rekonstruktion. „Rekonstruieren Sie die Figurenmerkmale jeder Figur, wie sie der intendierte Rezipient wahrnimmt: Identität . . . “ Finnern, 162.
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sierung, bei der ein Figurenmerkmal explizit genannt wird, [. . . ] d. h. Figurenmerkmale können entweder vom Erzähler oder den Figuren genannt oder angedeutet werden“. 83 Gehört also dieser Zuschreibungsprozess zum Rezipienten oder zum Autor bzw. zur Erzählstruktur? Oder gehört dieser Zuschreibungsprozess zu beiden? R. Zimmermann hat ohne weitere Erklärung für seine Analyse der Figuren im JohEv die beiden Analyse-Kategorien, „Figurenmerkmale und Charaktersierung“, einfach in eins fallen lassen. 84 Problematisch ist ferner, dass einzelne Kategorien aus verschiedenen Modellen mit unterschiedlichen Paradigmen übernommen werden. S. Finnern beschreibt zwölf Analysekategorien der Figurenmerkmale: 1) Identität; 2) Charakterzüge; 3) Meinungen / Standpunkt; 4) Erleben; 5) Gefühle; 6) Verhaltensweisen; 7) Äußere Attribute; 8) Sozialer Kontext; 9) Wissen; 10) Pflichten; 11) Wünsche / Bedürfnisse / Motive; 12) Intentionen / Motivationen. 85 Dabei lehnt er sich hauptsächlich an die vier Eigenschaftenbereiche 86 des mentalen Figurenmodells von J. Eder an, ordnet aber auch Charakterzüge (character traits), die in der sog. klassischen Narratologie als eigenständige (psychologische) gelten 87, und nicht zuletzt die vier Figurendomänen der possible worlds theory (Wissen, Pflicht, Wunsch und Intention, s. u.), die eigentlich zur Handlungsanalyse gehören, bei. Diese Erweiterung der Kategorien ist grundsätzlich verständlich, da für eine anthropomorphe Rezeption der Figur fast alle Alltags- sowie wissenschaftlichen Theorien vom Menschen Beschreibungskategorien zur Verfügung stellen. M.E. muss man jedoch die Kategorien konziser fassen, um sie in der Praxis anzuwenden. Wenn alle genannten Kategorien durchgehend angewendet werden, stößt man schnell darauf, dass sie sich teils überschneiden oder voneinander abhängig sind. 88 Und wenn man nur einige auswählt, stellt sich schnell Willkür ein. Die vorliegende Arbeit nimmt unter folgenden Bedingungen die Figurenmerkmale als Analysekategorie an: 1. Der Begriff wird im breiteren Sinne benutzt. Je nach Kontext kann er sich als Figureninformation auf der Text-Ebene ausdrücken. Falls ich eine Rekonstruktion der Figurenmerkmale, wie sie der intendierte Rezipient wahrnimmt, beabsichtige (z. B. im Kapitel II-2), wird dieses Ziel jeweils explizit genannt. Darüber hinaus – auch um die terminologische Verwirrung beim Verhältnis zwischen Figurenmerkmalen und Charakterisierung nicht zu verstärken – verzichte ich darauf, eine weitere Terminologie (Figureninformation) zu benutzen. 2. Einzelne Kategorien bleiben heuristisch, ohne sinnvolle Ergebnisse zu liefern. Dafür werden aber die Kategorien aus den vier Figurendomänen der possible worlds theory aktiv
83 Finnern, 152 f. 84 R. Zimmermann, Figurenanalyse im Johannesevangelium. Ein Beitrag zu Sinn und Wahrheit narratologischer Exegese, ZNW 105-1 (2014), 36–42. 85 Finnern, 134 ff. 86 1. Körperlichkeit / äußere Attribute, 2. Psyche, 3. Sozialität 4. Verhalten. Eder, 173 ff. 87 S. Chatman, Story and discourse. Narrative structure in fiction and film, Ithaca u. a. 1978, 120–123. Laut Finnern komme dieses Verständnis „wahrscheinlich daher, dass im Englischen ‚character` sowohl die Figur als auch deren Charakter bezeichnet“. Finnern, 133. 88 Z. B. Wissen, Meinung und Intention können sich überschneiden; und Charakterzüge sind aus Verhaltensweisen erkennbar.
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verwendet, um charakteristische Merkmale der Handlungsstruktur des lk Passionsberichts aufzuweisen.
Intuitiv leuchtet ein, dass eine Figur mit vielen Merkmalen wichtiger ist. Kann diese Konzeption theoretisch bzw. methodologisch fundiert werden? In der Narratologie fehlt es leider an konkreten Kriterien, nach denen man die Wichtigkeit der Figuren beurteilen kann. J. Eder macht neuerdings den Vorschlag, „dass die Hierarchsierung der Figuren [Hauptfigur, Nebenfigur usw.] letztlich auf einer Annahme darüber beruht, wieviel Aufmerksamkeit sie vom Publikum jeweils bekommen (sollten).“ 89 Figuren mit vielen Merkmalen sollten also prinzipiell viel Aufmerksamkeit bekommen. Darüber hinaus können wir auch einzelne Beispiel-Aspekte von Eder für unser Thema, die Jünger im lk Passionsbericht, testen: – – – – – – – – – –
„Das Star Image der Darstellerin, die filmischen Techniken der Betonung der Figur . . . , die Häufigkeit, Dauer und Dichte ihrer Darstellung, die Ungewöhnlichkeit oder Normabweichung der Figur, ihre kausale Involviertheit in die Handlung (Handlungsfunktionalität), ihr Potential, bedeutsame Entscheidungen zu treffen, der Fokus, den anderen Figuren auf sie haben, die Perspektivierung des Geschehens durch die Figur, die symbolische und symptomatische Relevanz der Figur, und die emotionale Anteilnahme der Zuschauer an ihr“. 90
Abgesehen von den beiden ersten, die bei literarischen Figuren ausfallen, sind die meisten Aspekte von Eder auch für die Jünger im lk Passionsbericht adäquat. Z. B. treten die Jünger wenigstens bis Kapitel 22 fast mit gleicher Häufigkeit wie Jesus auf (Häufigkeit, Dauer und Dichte). Mittels der Versuchung des Satans (Lk 22,3.31; vgl. Lk 22,4.54 f) bzw. der Fürbitte Jesu (Lk 22,32; vgl. Lk 22,54 f) stehen ihre dunklen Handlungen in einem Kausalzusammenhang (Kausale Involviertheit). Die lk Jünger werden von Jesus (v. a. Lk 22,61 und 45 91) speziell fokussiert (Fokus, den andere Figuren auf sie haben) und agieren selbstständig aus ihrer eigenen Perspektive 92 heraus (Perspektivierung sowie Potential). Bezüglich der Trauer der Jünger (Lk 22,45) hat der – intendierte – Leser für sie Empathie 93 und Sympathie (emotionale Anteilnahme sowie Ungewöhnlichkeit).
89 J. Eder, 468. 90 A. a. O. 91 Im Gegensatz zum MkEv blickt der lk Leser auf den Petrus im Haus des Hohenpriesters auch aus der Perspektive von Jesus (Lk 22,61). Die Betrübnis der Jünger (Lk 22,45) ist als AcP (κοιµωµένους αὐτοὺς ἀπὸ τῆς λύπης) eine Wahrnehmung von Jesus. 92 Nach der Ankündigung des Verrats diskutieren sie nur miteinander (Lk 22,23) und streiten sich (Lk 22,24). Auch während der Gefangennahme Jesu verhalten sie sich eigenständig (Lk 22,49 ff. S.u. „Identität / Charakterzüge / Verhaltensweisen“ der Jünger). 93 Für eine ausführliche Analyse der Empathie-Konstellation, siehe Kapitel II-2.
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Die Figurenmerkmale der Jünger im lk Passionsbericht haben sich im Vergleich zur mk Parallele vermehrt. Man kann zur Analyse Finnerns einzelne Kategorien anwenden. (1) Identität / Charakterzüge / Verhaltensweisen: Die Aspekte, durch die sich die Jünger von anderen grundsätzlich unterscheiden (Figurenidentität 94), sind auf Anhieb zu finden. Jesus markiert z. B., dass die Jünger – anders als die anderen innerhalb der Nachfolgergruppe – bei seinen Versuchungen mit ihm ausgeharrt haben (Lk 22,28). Den Außenseitern gegenüber müssen die Jünger wie Jesus zu Dienenden werden (Lk 22,26 f), ohne über Völker herrschen zu wollen und sich Wohltäter nennen zu lassen (Lk 22,25). Sollte man mit einem Beiwort die Charakterzüge und Verhaltensweisen der Jünger beschreiben, wird dieses eigenständig lauten. Als Jesus den Verrat eines Jüngers ankündigt, haben sie weder Angst (so Mk 14,19a) noch fragen sie Jesus, „Nicht ich?“ (so Mk 14,19b), sondern befragen sich untereinander (Lk 22,23, siehe Kapitel I-1.4). Auch während der Gefangennahme Jesu verhalten sich die Jünger autonom. Sie treten unabhängig von Jesus der Situation entgegen: Sie sehen, was es werden würde (Lk 22,49a), d. h., sie urteilen eigenständig über die Entwicklung der Situation (τὸ ἐσόµενον, ein substantiviertes Partizip-Futur). Zwar fragen sie Jesus deliberativ in einer selbstermunternden rhetorischen Frage 95 (Lk 22,49b), haben aber schon Gewalt angetan, bevor Jesus antwortet (Lk 22,50 f). Weder verlassen sie Jesus noch fliehen sie (so Mk 14,50). (2) Sozialer Kontext / Wissen: Dass die Jünger als Wanderprediger in einen gesellschaftlichen Kontext eingezeichnet werden, wird durch ein Gespräch direkt geschildert (Lk 22,35 ff). Dabei ist klar, dass sie zum Wanderpredigertum Wissen und Erfahrungen haben (Lk 22,35c); die Anweisung über die Ausrüstung wird hier in der Passionszeit erneuert (vgl. Lk 9,1 ff; 10,1 ff). Auch alle übrigen Weisungen Jesu im Passionsbericht stellen Wissen – sowie Pflichten 96 – der Jünger dar. (3) Pflichten: Mit diesem Punkt stehen die lk Jünger am deutlichsten im Kontrast zu den Jüngern bei Markus. Jene haben verschiedene Pflichten zu erfüllen: Sie sollen sich anders als Außenseiter verhalten, indem sie wie Jesus die Dienenden werden (Lk 22,25 ff). Sie sollen darüber hinaus unmittelbare Weisungen Jesu über die Ausrüstung (Lk 22,36 ff) u. a. befolgen. Auch das Gebet darum, nicht in Versuchung zu kommen (Lk 22,40. 46), ist eine Pflicht, wobei diese Anweisung Jesu nicht zeitlich beschränkt ist (vgl. dagegen Mk 14,32 97); er sagt nirgends, dass es genug sei (vgl. dagegen Mk 14,41). Dazu kam Petrus persönlich die wichtige Aufgabe zu, seine Brüder zu stärken (Lk 22,33). Eine 94 Finnern, 134. 95 S.o. Anm. 56. 96 Als Kern-Bestandteile der Possible Worlds Theory, s. u. 97 Die Weisung des mk Jesus war nur für eine Weile, nämlich für die Zeit des Gebets Jesu (wörtlich „bis ich gebetet habe“, καθίσατε ὧδε ἕως προσεύξωµαι).
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der wichtigsten Pflichten der Jünger fällt ihnen durch den Kontext zu, nämlich in der Passionszeit Jesu bei ihm auszuharren (Lk 22,28 ff, s. o.). Die Jünger werden für ihre Pflichttreue ‚eschatologisch` (Lk 22,33b) belohnt, wenn sie während / nach der Passionszeit Jesu treu bleiben, so wie sie es auch vorher waren. 98 (4) Erleben / Gefühle: Lukas beschreibt relativ häufig die Gefühlszustände der Jünger. Dazu zählen die Trauer, aber auch Ärger (z. B. Lk 22,24.50). Die Jünger sind vor Traurigkeit eingeschlafen (Lk 22,45), Petrus weinte „bitterlich“ (Lk 22,62; auch z. B. Lk 23,27.48), wohingegen sich die Gegner Jesu freuen (Lk 22,5; 23,8.12.35). Weiter zu beachten ist, dass die Jünger im Gegensatz zum mk Bericht die Begleitung sowie den Schutz Jesu in seiner Passionszeit (Lk 22,32.61) erleben. (5) Meinungen (Standpunkt) / Wünsche: Aus dem Handlungsverlauf erschließt sich, dass die Jünger unterschiedliche Standpunkte von denen ihres Meisters haben. Sie hegen den von Jesus dann korrigierten Wunsch der Statuserhöhung (Lk 22,24). Jesus korrigiert und zeigt eine Alternative auf (Lk 22,26 f.29 f). Darüber hinaus tun sie von ihrem eigenen Standpunkt aus Gewalt an (Lk 22,50). Hingegen heilt Jesus den Gegner (Lk 22,51). Im mk Passionsbericht sind dagegen keine Meinungen / Wünsche der Jünger ersichtlich – außer dem Wunsch, Leiden aus dem Weg zu gehen. (6) Intentionen / Motivationen (aktualisierte Motive): Trotz ihrer Jesus entgegenstehenden Meinungen wenden sich die lk Jünger stets dem Ort zu, an dem ihr Meister gerade steht. Aktualisierte 99 Motive zeigen sich dort, wo die Jünger in eine brenzlige Situation mit Jesus gehen (Lk 22,33) und ihn beschützen (Lk 22,49 f) wollen, während bei Mk sie alle ihn verlassen (vgl. Mk 14,50). Wärend der mk Petrus (ἀλλ᾽ οὐκ ἐγω) und seine Jüngerkollegen (ὡσαύτως δὲ καὶ πάντες ἔλεγον) beteuerten, Jesus nicht zu verleugnen (Mk 14,31), verdeutlicht der Petrus des Lukas seinen Willen zum Begleiten mit konkreten Beispielen (Lk 22,33), noch bevor Jesus die Verleugnung ankündigt (Lk 22,34). Um zu begleiten – nicht um zu sehen, wie es enden würde (Mt 26,58) – folgt er Jesus und steht mit ihm im selben Raum im Haus des Hohenpriesters (Lk 22,61). Angedeutet ist zudem, dass auch all die übrigen bis zur Kreuzigung Jesu dabeigeblieben sind (Lk 23,49). Deutlich wird, dass die Figurenmerkmale der lk Jünger im Vergleich zu Mk expandieren. D. h., man kann die Jüngergruppe im lk Passionsbericht für eine wichtige Figur halten, die mehr als bei Mk die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zieht. Diese Merkmale stehen somit mit der Selbstständigkeit der Jüngergeschichte (Tribulatio Discipuli) als einem Subplot in unmittelbarerem Zusammenhang. Durch sie erhöht sich die Erzählbarkeit im Sinne der „possible worlds theory“ (PWT, s. u.). 98 Für eine ausführliche Exegese, s. o. I-1.2. 99 Meinungen und Wünsche sind dagegen nicht aktualisierte Motive. Finnern, 134–140.
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Mit der „Erzählbarkeit (tellability)“ sind die Eigenschaften gemeint, die eine Geschichte erzählenswert machen. Der Begriff beruht auf „conversational storytelling analysis“ und verbreitete sich dann in der gesamten narratologischen Forschungslandschaft. 100 Wie die Begriffsgeschichte zeigt, konzentrierten sich die Forschungen über Erzählbarkeit zunächst auf „conversational“ Kontexte des Erzählens (z. B. „contextual parameters of tellability“). 101 Dabei wurde sie pragmatik-orientiert vorgegangen (z. B.: ‚die Erzählbarkeit eines Elementes im lk Passionsbericht wäre bei antiken und modernen LeserInnen unterschiedlich`). Aber M.-L. Ryan hat eine andere Sicht auf die Erzählbarkeit gewonnen, bei der man innerhalb des Erzähluniversums rein semantisch vorgehen kann. Aus der Perspektive der possible worlds theory hat Ryan das Prinzip der Verschiedenheit möglicher Welten formuliert: „seek the diversification of possible worlds in the narrative universe“ 102 (z. B.: ‚die Erzählbarkeit des lk Passionsberichts wird durch die Verschiedenheit möglicher Welten bestimmt!`). Die PWT postuliert, dass in einem Erzähluniversum nicht nur eine Welt (nämlich textual actual world, TAW), sondern auch alternative mögliche Welten (alternative possible worlds, APW) existieren. Laut Ryan ist die Erzählbarkeit einer Geschichte abhängig vom verzweigten Netzwerk virtueller Ereignisse (d. h. APWs), die parallel zu den realen Ereignissen laufen: „some events make better stories than others because they project a wider variety of forking paths on the narrative map“. 103 Außer der TAW sind im Erzähluniversum vier individuelle Welttypen zu finden: die K-Welt (knowledge), W-Welt (wish), O-Welt (obligation) und I-Welt (intention) der Figurendomäne. 104 Diese vier Welttypen der Figurendomäne, die verschiedene APWs mit erhöhter Erzählbarkeit ermöglichen, sind im lk Passionsbericht in der Figurendomäne der Jünger deutlich zu erkennen. Sie entstehen mit den o. g. Figurenmerkmalen der Jünger (Wissen, Wünsche, Pflichten, Intentionen usw., s. o.). 100 R. Baroni, Tellability, in: P. Hühn (Hg.), Handbook of Narratology, Berlin 22014, 836. Man nennt sie auch „reportability“ oder „tell- bzw. noteworthiness“. 101 Dies ist ein typischer Forschungsbereich von tellability. Als „determininig the ‚point` of a narrative“, „the tellability of the same event might change according to the knowledge of the audience: we don't tell the same stories to someone we see everyday as compared to someone we see once in a while.“ Zusammengefasst, „the sort of news that makes a story salient today will no longer make it salient tomorrow.“ A. a. O. 102 M.-L. Ryan, Possible worlds. Artificial intelligence and narrative theory, Bloomington, Ind. u. a. 1992, 156. 103 M.-L. Ryan, Tellability, in: D. Herman u. a. (Hg.), Routledge Encycolpedia of Narrative Theory, London 2005, 590. Je komplizierter also virtuelle Ereignisse sind, desto erzählenswerter ist eine Geschichte. 104 Darüber hinaus erwähnt Ryan auch die Erzählerdomäne, die aus denselben Welttypen besteht. Ein Erzähluniversum setzt sich aus diesen Figuren- und Erzählerdomänen sowie der TAW zusammen. M.-L. Ryan, Possible worlds., 109–123. 105 Vgl. auch M.-R., Ryan, From Parallel Universes to Possible Worlds: Ontological Pluralism in Physics, Narratology, and Narrative, Poetics today 27/4 (2006), 650.
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Schaubild 4: two types of plot-map (nach Ryan) 105 In Bezug auf Erzählbarkeit (sowie PWT) sind folgende Punkte zu ergänzen: 1. Die Erzählbarkeit hat mit dem Plot selbst und nicht nur mit dessen Wert zu tun. Sie spielt daher auch bei der Plot-Analyse des nächsten Kapitels eine wichtige Rolle, wenn zu entscheiden ist, ob Tribulatio Discipuli ein eigenständiger (Sub-)Plot ist. 106 2. Die gesamte Thematik dieser Arbeit kann mit dem Begriff der Erzählbarkeit zusammengefasst werden: Aus der Sicht der Erzählbarkeit ist die Jesusgeschichte des lk Passionsberichts bis zu gewissem Grad zur Geschichte der Jünger motiviert, da Lukas die Jüngergeschichte im Verglich zum MkEv wesentlich erzählenswerter gestaltete. Man kann z. B. sagen, dass in Lk 22 die Erzählbarkeit der Jüngergeschichte nicht geringer ist als die der Jesusgeschichte, womit die Jüngergeschichte der Acta gut vorbereitet wird. 3. Laut Ryan geht die intrinsische Erzählbarkeit der Textualisierung voran. 107 Hier öffnet sich eine Möglichkeit, die historisch-kritische und die narratologische Methode zu integrieren. Denn mit dem Begriff der Erzählbarkeit analysieren wir nicht nur die Struktur des Endtextes. Vielmehr ist die Erzählbarkeit der Jüngergeschichte z. T. auch so zu erklären, dass sie bereits diachron dem Lukas vorgegeben war.
106 A. Gutenberg, Mögliche Welten. Plot und Sinnstiftung im englischen Frauenroman, Heidelberg 2000, 81; H. Dannenberg, Die Entwicklung von Theorien der Erzählstruktur und des Plot-Begriffs, in: A. Nünnig (Hg.), Literaturwissenschaftliche Theorien, Modelle und Methoden. Eine Einführung, Trier 31998, 62. 107 Ryan, Possible worlds, 149. „Some configurations of facts present an intrinsic ‚tellability` which precedes their textualization. This is why some stories exist in numerous versions, survive translation, and transcend cultural boundaries.“
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2.3.2 Neue Figurenkonstellationen zwischen Jesus und Jüngern Im lk Passionsbericht fungieren die Jünger nicht mehr nur als Kontrastfigur (s. u.) zu Jesus wie bei Mk. Zwischen Jesus und den Jüngern kann man verschiedene weitere ‚Figurenkonstellationen` (s. u.) entdecken, die die Wichtigkeit der Jünger für den Handlungsverlauf und die Vielschichtigkeit der Handlungsstruktur herausstellen. Figuren werden nicht nur mittels der Figurenmerkmale (Kapitel I-2.3.1) erfasst, sondern auch durch Analyse ihrer gegenseitigen Verhältnisse. 108 Zwar ist die Figurenkonstellation einer Erzählung ein komplexes Netzwerk 109, doch dessen Elemente sind kurz und bündig, d. h. „Kontrast“ und „Korrespondenz“. Mit verschiedenen Merkmalen befindet sich jede Figur in Kontrast- und Korrespodenzrelationen zu anderen Figuren; sie wird durch diesen Vergleich überhaupt erst wahrgenommen und charakterisiert. 110 In Bildern der Chemie spricht J. Eder vom doppelten System der Figurenrezeption: „Man kann sich die einzelnen Eigenschaften [Merkmale] wie Atome vorstellen, die Figuren wie Moleküle, die aus diesen Atomen zusammengesetzt sind, und die Figurenkonstellation wie eine komplexe Verbindung aus diesen Molekülen“. 111 Z. B. bestehen zwischen Jesus und den Jüngern verschiedene Korrespondenz- und Kontrastbezüge: Die beiden sind als männlich (nicht-weiblich), arm (nicht-reich), jüdisch (nicht-fremd) usw. parallelisiert, aber kontrastiert in Bezug auf belehrend/lernend, wundertätig/nicht-wundertätig (anders in Acta), gläubig/nichtgläubig usw., wobei diese Jünger zu anderen Figuren noch weitere Korrespondenzund Kontrastrelationen unterhalten (z. B. Mk 4,11). Die Figurenkonstellation beschränkt sich jedoch nicht auf statische Beziehungen auf der Basis von Merkmalen. 112 Sie entsteht auch aus dynamischer Interaktion der Figuren jenseits dieser Merkmale. 113 Ein Beispiel: Im lk Passionsbericht verlangte Satan nach den Jüngern,
108 Pfister sieht diese Verhältnisse als ein System an, durch das ein Figurenensemble dargestellt wird, „wobei der einzelnen Figur bzw. Figurengruppe eine für sie charakteristische Kombination von Differenzmerkmalen zukommt.“ Pfister, Das Drama, 224–225. 109 Eder, 464. „Die Figurenkonstellation ist aber mehr als die Summe der Figuren. Ihre Struktur setzt sich aus sämtlichen Verhältnissen zusammen, in denen diese Figuren zueinander stehen. [. . . ] Diese Beziehungen bilden ein komplexes Netzwerk.“ 110 „Bereits während Zuschauer [Leser] ein Figurenmodell entwickeln, setzen sie es immer wieder mit anderen Figurenmodellen in Beziehung. Dabei erhalten Eigenschaftsbereiche, die als kontrastiv oder analog wahrgenommen werden, in der Regel größere Aufmerksamkeit. Durch Kontrastierung bzw. Parallelisierung können Eigenschaften eine hervorgehobene Position innerhalb des Figurenmodells erhalten und thematische Schlüsse nahelegen.“ Eder, 473. 111 A. a. O. 112 „Die Struktur des Personals erschöpft sich jedoch nicht in solchen Kontrast- und Korrespondenzrelationen aufgrund von statischen Merkmalen, sondern schließt auch dynamische Interaktionsstrukturen ein“, Pfister, 232. 113 „Darüber hinaus sind die Figuren prinzipiell durch positive, neutrale oder negative Einstellungen den anderen Figuren gegenüber gekennzeichnet, die nicht immer auf Merkmalkorrespondenz bzw. Merkmalopposition zurückzuführen sind.“ Pfister, 233. Finnern bezeichnet als Bezugstypen „Sympathie / Antipathie der Figuren zueinander“. Finnern, 147.
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um sie zu versuchen (Lk 22,31), doch legte Jesus Fürbitte für sie ein (Lk 22,32). Jesus und Satan haben so eine starke Antipathie (Konflikt) zueinander, während die Jünger trotz des o. g. Kontrasts der Merkmale hier mit Jesus kein (1) Kontrast-, sondern (2) ein Korrespondenzverhältnis unterhalten. Darüber hinaus werden (3) Dreierbeziehungen häufig modelliert, z. B. ein „dramatisches Dreieck“, in dem ein Kontrastpaar in Relation zu einer dritten Person steht, „die meist den Status einer überlegenden Figur einnimmt.“ (wie in Lk 15,11 ff.) 114 Figuren sind anhand der Figurenkonstellation zu differenzieren: Man kann eine Figur für eine Kontrastfigur oder für eine Parallelfigur zu einer anderen Figur halten. Im Verhältnis zum Protagonisten handelt es sich bei Kontrastfiguren um zwei unterschiedliche Typen: Die einen spielen als sog. Gegenspieler / Antagonisten eines Konflikts als eine Art Hauptfiguren für den Handlungsverlauf eine wesentliche Rolle. Die anderen sind typische Nebenfiguren, die nur als Vergleichsfolien für den Protagonisten entworfen werden. 115 Man kann sie als Schau- oder Randfiguren ansehen, die sogar zum Setting zu rechnen sind, sofern sie mit ihren Merkmalen keine Funktion für den Handlungverlauf haben oder am Geschehen nur passiv teilnehmen. 116
Die Jünger im mk Passionsbericht sind Kontrastfigur als Randfigur (foil character): Für den Handlungsverlauf der Passio Christi spielen sie keinerlei Rolle, wiewohl sie durch verschiedene Markmale zu dem leidenden Jesus in starkem Kontrast stehen. In Gethsemane konnten sie wegen ihrer Schwäche anders als ihr Meister nicht eine Stunde wachen (Mk 14,37–38), sondern Jesus fand sie schlafend, sooft er während seines bekümmerten Gebets (Mk 14,32 ff.39) zu ihnen kam (Mk 14,37.40.41). Aufgrund des Nichterfüllens ihres Auftrags (‚Sich-setzen, bis Jesus betet`, Mk 14,32c) sind die Jünger keine Hilfsfigur für die Handlung Passio Christi, sondern sie sind lediglich eine Kontrastfigur zu Jesus. In der daran anschließenden Szene wird ihre Flucht doppelt berichtet (Mk 14,50 sowie 51 f). Die zweite Beschreibung (51 f) ist – als mk Sondergut – so bildhaft und dramatisch gestaltet, 117 dass das Schicksal des leidenden Jesu umso pointierter deutlich wird. 118 Die Jünger und der namenlose Jüngling (Mk 14,50), die zur dramatischen Wirkung beitragen, kann man auch zum Setting rechnen; sie sind als Schaufigur (card) zu bezeichnen, die ohne weitere Handlungsfunktionen zum leidenden Jesus nur einen Kontrast bilden. Ferner verleugnet Petrus seinen Meister (Mk 14,68.70.71) mit Fluch und Schwur
114 W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu. Eine hermeneutische Einführung, UTB 1343, Göttingen 1985, 74–84. Auch Finnern, 148. 115 Eder, 483. Vgl. Finnern, 148. „Wenn Figuren vor allem dazu dienen, die Charakterzüge einer anderen Figur hervorzuheben, nennt man sie Kontrastfiguren.“ J.-L. Ska, „Our fathers have told us“. Introduction to the analysis of Hebrew narratives, Roma 1990, 85. 116 Finnern, a. a. O. 117 Diese kleine Episode kann auf jeden Fall „den chaotischen Charakter der Jüngerflucht“ illustrieren. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Bd. 2, EKK II-2, Zürich u. a. 1979, 271. 118 „So steht Jesus am Ende der Verhaftungsszene ohne Jünger da. Er muß allein seinen schweren Weg antreten.“ A. a. O., 272.
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(ἀναθεµατίζειν καὶ ὀµνύναι, Mk 14,71). Aus antiker Sicht kann er nun mit Jesus unabänderlich 119 nicht mehr korrespondieren. So endet der letzte Auftritt der mk Jünger. Im Leiden können die Jünger um keinen Preis Parallelfigur von Jesus sein. Im Gegensatz zu Mk sind bei Lukas die Jünger bezüglich des Leidens keine Kontrast-, sondern vielmehr Parallelfigur von Jesus, als Co-Subjekt des Leidens (s. o. I-1). In der Vielfalt der Figurenkonstellationen sind die Jünger nicht mehr bloße Kontrastfigur oder Randfigur. V. a. wurde der Kontrast zwischen Jesus und den Jüngern schwächer. Lukas berichtet z. B. keine Flucht der Jünger (vgl. Mk 14,50 ff), sondern stellt dar, dass die Jünger als Begleiter der Versuchung Jesu (Lk 22,28 120) durch den Verlauf seiner Passion hindurch bis zur Kreuzigung (Lk 23,49 121) bei ihm ausharren. Im Unterschied zum mk Petrus schwört und flucht der lk Petrus nicht, um Jesus zu verleugnen, so dass Petri Sichlossagen von Jesus nicht endgültig wird, sondern er wird zurückkehren, gerade wie Jesus selbst voraussagt (Lk 22,32; vgl. Apg 2 usw.). Auch bei Mk wird Petrus dann mit der Gnade der Erstvision des Auferstandenen verschenkt! Am wichtigsten ist, dass Petrus für diese Umkehr sogar während der Verleugnung mit Jesus korrespondiert (Lk 22,54 ff). Bei Lukas führt also nicht der Hahnenschrei (vgl. Mk 14,72 f), sondern Jesus selbst seinen Jünger in die Erinnerung an sein Wort (Lk 22,61), die ihn dann zum Weinen bringt (Lk 22,62). Sollte Petrus am Anfang dieser Szene – wenn überhaupt – zu Jesus einen Kontrast bilden, so würde sich die Figurenkonstellation der beiden mit dem Auftritt Jesu und mit dessen unmittelbarer Wirkung auf Petrus (Lk 22,61 f) nun explizit zu einer Korrespondenzrelation verändern. 122 Als sich „der Herr“ (ὁ κύριος, Lk 22,61) zu ihm hinwendet, wendet sich auch Petrus zu seinem Herrn. Handelt es sich also um eine „innere Wendung“, wie Exegeten ausgelegt haben, 123 so heißt dies, dass es, narratologisch gesagt, um eine neue Figurenkonstellation zwischen 119 „Petri Reaktion ist diesmal mehr als nur ein Leugnen. Er flucht und schwört und gebraucht somit die kräftigsten Beteuerungen. [. . . ] Sein Sich-lossagen von Jesus ist perfekt. Es geschah feierlich und vor Zeugen.“ A. a. O., 293. 120 Jesu Deklaration (Lk 22,28) ist als Forderung, in der kommenden Leidenszeit auszuharren, zu interpretieren. Für Exegese, s. o. I-1.2. Dazu kommt, dass die Jünger für ihre Treue eschatologisch (Lk 22,33b) belohnt werden. Vorausgesetzt ist, dass sie auch während / nach der Passionszeit Jesu treu bleiben müssen, um diese Belohnung zu realisieren. 121 Bei der Kreuzigung Jesu standen alle seine Bekannten von ferne. Durch eine allumfassend (πάντες) auf alle männlichen Begleiter ausgedehnte Formulierung ist die Anwesenheit der Jünger angedeutet. Dies gilt, auch wenn Lukas in ganz anderer Absicht, z. B. aus Interesse für das Psalmen-Zitat, den Vers inszeniert hätte. Siehe auch Kapitel I-1.2. 122 Figurenkonstellationen können und müssen sich im Laufe der Handlung verändern. Festzuhalten ist, „daß das System der Korrespondenz- und Kontrastrelationen nicht vorgegeben ist, sondern während des Textablaufes erst aufgebaut wird“, Pfister, 225; Finnern, 148. 123 Wörtlich, Bovon, Lukas, Bd. 4, 353. Vgl. H. Klein, 690. Klein interpretiert diese Szene sogar rein psychologisch: „Es ist ein Beobachten im ‚Gewissen`“.
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den beiden geht. Denn die Figurenkonstellation ergibt sich aus „der Sympathie / Antipathie der Figuren zueinander“ 124 bzw. „der positiven, negativen oder neutralen Haltung der Figuren zueinander und deren Veränderung“. 125 Trotz des Korrespondenzverhältnisses mit Jesus stehen die Jüngergruppe aber für sich: Ungeachtet seines eigenen Schicksals, lässt Jesus den Jüngern vieles zuteil werden: ein Reich sowie das eschatologische Recht zu richten (Lk 22,29 f), göttliche Protektion gegen Satan (Lk 22,31 ff) und Weisungen für die neue harte Zeit der Jünger (Lk 22,35 ff). Jeder Jünger ist das Subjekt seines eigenen Gebets, nicht in Versuchung zu kommen, nachdem Jesus dieses Gebet angeordnet hatte (Lk 22,40.46). Dazu kommt, dass sie bei der Gefangennahme Jesu über eine Gewalttat diskutieren (Lk 22,49). Die Jünger sind Subjekte dieser Aktionen und nicht mehr nur Vergleichsfolien für Jesus (d. h. nicht mehr nur Kontrastfiguren am Rande). Darüber hinaus kann man im lk Passionsbericht ein typisches dramatisches Dreieck vorfinden. In der Szene der Gefangennahme Jesu haben die Jünger einerseits und die Volksmenge mit Judas andererseits eine starke Antipathie gegeneinander, zumal ein Jünger den Knecht des Hohenpriesters schlug und ihm das rechte Ohr abhieb (Lk 22,47 ff). Während die Menge mit Schwertern und Stöcken (Lk 22,52) Jesus verhaftet und die, welche um ihn sind, auch mit Gewalt ihn verteidigen wollen, rührt Jesus das Ohr des Knechts an und heilt diesen (Lk 22,51). In Wort und Tat steht Jesus jenseits des Kontrastpaares, indem er mit seiner Antigewalt-Rektion (Heilung) sowohl die Gewalt(re)aktion der Jünger zurückhält (Lk 22,51) als auch die Menge wegen ihrer Gewalt tadelt (Lk 22,52). Diese Dreierbeziehung ist bei Mk nicht zu entdecken. Denn (a) es ist unklar, ob dieser Gewalttäter zur Jüngergruppe gehört, 126 (b) Jesus erwähnt Gewaltaktion nicht einmal und (c) nimmt auch keine antithetische Reaktion (Heilung) vor.
Kurzum, die Figurenkonstellationen der Jünger und Jesus bei Lukas sind anders als bei Mk. Die lk Figurenkonstellationen können die (Co-)Subjektivität der Jünger bei verschiedenen Handlungen im lk Passionsbericht illustrieren und lassen bereits vor der detaillierten Analyse der Funktion der Figuren in der Handlung (z. B. anhand des Aktantenmodells nach Gremas, s. u. Kapitel I-2.3.3) die Gewichtigkeit der Jünger als Hauptfigur sowie die Vielschichtigkeit der Handlungsstränge des lk Passionsberichts erkennen.
124 Finnern, a. a. O. 125 Pfister, a. a. O. 126 Gnilka, 269; R. France, The Gospel of Mark. A commentary on the Greek text, NIGTC, Grand Rapids, Mich. u. a. 2002, 594. Pesch und Gundry stellen sogar fest, dass dieser kein Begleiter Jesu, sondern einer aus der Häschergruppe ist. R. Pesch, Das Markusevangelium. Einleitung und Kommentar zu Kap. 8,27–16,20, HThKNT 2-2, Freiburg 31984, 400–401. R. Gundry, Mark. A Commentary on his apology for the cross, Bd. 2, Grand Rapids, Mich. u. a. 2004, 860.
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2.3.3 Weitere Handlungsrollen der Figuren jenseits des Zielobjekts „Passio Christi“: Aktanten- und Handlungsrollenmodelle Die Handlung „Passio Christi“ und die sich daraus ergebenden Rollen der Figuren können das ganze Spektrum der Handlungselemente im lk Passionsbericht nicht allein abdecken. Dies können zwei Modelle veranschaulichen (s. u.). Anhand dieser Modelle lassen sich alle übrigen Elemente des Passionsberichts zu einer weiteren Handlung (= Tribulatio Discipuli) zusammensetzen. Dort fungiert Jesus dann bloß als eine Hilfsfigur (Mentor), die Jüngergruppe aber als Protagonist, wobei beide auf ein gemeinsames Zielobjekt ausgerichtet sind. An dieser Stelle wenden wir die Handlungsrollen-Modelle von A. Gremas und J. Eder an, die die Handlungsstruktur und die darin gespielten Figurenrollen einer Narratio bebildern können. Wohlbekannt ist das Aktantenmodell von Gremas (1972), dem Klassiker unter Strukturalisten. 127 In Analogie zur Satzsyntax arbeitete er als narrative Tiefengrammatik folgende sechs Aktanten 128 heraus: 1. Subjekt (Protagonist), 2. Objekt, 3. Sender (Auftraggeber), 4. Empfänger, 5. Helfer, 6. Widersacher (Antagonist). Allerdings stellt man heute das Modell von Gremas in Frage: Abgesehen davon, dass die Analogie des Textes zum Satz inzwischen als wenig tragfähig gilt, 129 üben viele daran Kritik, dass dieses Modell für die praktische Analyse zu schematisch und zu abstrakt sei, da es bei zahlreichen Texten viele Figuren nur mit Gewalt in eine der Kategorien einordnen kann, oder gar nicht, wenn die Figuren z. B. mit dem äußeren Handlungsverlauf wenig zu tun haben. 130 Aber trotz dieser Kritiken ist dieses Modell in seinen Grundzügen noch brauchbar. Man kann mit ihm die Struktur der Handlungsrollen auf einfache Weise darstellen. In jüngerer Zeit (2008) bot J. Eder ein weitergreifendes Modell an, mit dem er eine ‚flexible Heuristik` möglicher Figurenrollen erstellen wollte, ohne ‚Allgemeinheitsansprüche` zu stellen. 131 Basierend auf verschiedenen bestehenden Modellen – einschließend produktionsorientierter Modelle 132 – sollte sein Modell „möglichst viele Handlungsrollen“ aufführen, 133 die nicht unbedingt in jeder einzelnen Narratio
127 Zur Wirkungsgeschichte des Aktantenmodells im Allgemeinen, Hermann, 2000. Bezüglich der Anwendung des Modells in der Exegese, s. u. Anm. 134. 128 Man kann sie auch aktantielle Rollen nennen. Auf jeden Fall aber meinen die Aktanten weder dramaturgische Funktionen noch Figuren selbst („Akteure“) auf der Textoberfläche, sondern eine Tiefenstruktur des Textes. A.J. Gremas, Strukturale Semantik. Methodologische Untersuchungen, Braunschweig 1971, 157 ff (das Modell, auf Seite 165). 129 „Es spricht vielmehr das meiste dafür, daß Texte eben nicht satzanalog sind.“ Jannidis, 100. 130 Jannidis, a. a. O., 201. Bereits unter Anhängern strukturalistischer Analyseverfahren, R. Fowler, Linguistics and the Novel, London 1977, 30. Zu mentalen Dimensionen, die das Modell nicht umfassen kann, U. Margolin, Individuals in Narrative Worlds. An Ontological Perspective, Poetics Today 11/4 (1990), 845. Auch Ska, 92–94; Eder, 485; Finnern, 150. 131 Eder, 484–495. 132 Z. B. auch eine Drehbuch-Software „dramatica“ (s. u. Kapitel I-3.1), a. a. O. 133 A. a. O.
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Schaubild 5: „Aktantenmodell“ nach Gremas
Schaubild 6: Handlungsrollenmodell nach Eder zu finden sein müssen. Im Vergleich zum Aktantenmodell von Gremas steht hier der Protagonist selbst, nicht seine Helfer, dem Antagonisten / Widersacher gegenüber, wobei auch dieser Antagonist seine eigenen Helfer hat. Beide Modelle werden in den neuesten Forschungen der Neutestamentlichen Wissenschaft immer wieder angewendet. 134 Jedoch kann dieser Forschungsstand kein hinreichender Grund sein, diese Modelle für unsere These (Tribulatio Discipuli als Subplot) zur Anwendung zu bringen. Da in der Narratologie solche Modelle nur als Heuristik benutzt werden, kann man deduktiv keinen Schluss aus diesen Modellen ziehen. Man kann aber umgekehrt sagen, dass auch mit Eders Modell, wo fast an alle
134 Ska, a. a. O.; Eisen, Poetik; Finnern, 150–151 sowie 355–57; Bork, Raumsemantik, 310–14; Wagener, Handlungsmodelle, 68 u.ö.
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möglichen Handlungsrollen der Figuren gedacht ist, Passio Christi und Tribulatio Discipuli sich nicht zusammen in ein einziges Schema pressen lassen, das auf nur einen einzigen Plot deuten würde.
Führen wir im Detail aus: Bei Mk agiert Jesus unbestreitbar als der Protagonist der Handlung, deren Zielobjekt die Passion Jesu als Erfüllung von Gottes soteriologischer Verheißung ist. Die Handlungsrolle der Jünger wäre bei Gremas am ehesten die der Helfer. Für die Vorbereitung auf das Passamahl (Mk 14,13 ff) z. B. spielen zwei Jünger eine typische Helfer-Rolle. Darüber hinaus scheint Jesus in Gethsemane (Mk 14,32 ff) Beistand von seinen Jüngern zu erbitten: Während des Gebets Jesu sollen alle Jünger sitzenbleiben, drei davon aber wachen, während Jesus zu Tode betrübt ist. Derweil kommt Jesus immer wieder zu seinen Jüngern zurück. Weil ihre Aufgabe ihnen jedoch missglückt und keine Funktion für den weiteren Handlungsverlauf hat, kann man die Jünger ab der Szene des Herrenmahls (Mk 14,17 ff) bis zu ihrer Flucht nicht als Aktanten ansprechen, der im Bereich des äußeren Handelns in kausale Verknüpfungen integriert wäre. 135 Vielmehr fungiert die Jüngergruppe allein als Kontrastfigur zu Jesus (s. o. I-2.3), die mit dem Handlungsverlauf kaum etwas zu tun hat und in Gremas Aktantenmodell keinen Platz hat. Man kann aber die Jünger in Eders Modell als sidekick (Helfer) gut einordnen, zumal das Modell nicht nur den Bereich des äußeren Handelns, sondern auch den ‚mentalen Bereich des Problemlösens` umfasst, 136 in dem Jesus mit ihnen seine menschliche Schwäche 137 zu überwinden sucht (Mk 14,32 ff). Obwohl auch bei Lukas diese Tabelle der Passio Christi teilweise gilt, 138 spielen die Jünger an vielen Stellen weder eine Helfer-Rolle noch sind sie Kontrastfiguren zu Jesus. Schon in Gethsemane verwischt sich das Bild von Jüngern als Helfern: Die Jünger sind das Subjekt ihres eigenen Gebets, nicht in Versuchung zu kommen (I-1.3). Jesus lehnt sich auch mental nicht an die Jünger an, sondern dient vielmehr als ihr Vorbild für derartige Situationen (I-1.3). Dazu kommt, dass bei Lukas ein Ersatz-Helfer Jesu eingeführt wird, nämlich der Engel. (Lk 22,43) 139 Heraus kommt, dass die Jünger mit eigenen Leiden / Versuchungen / Konflikten zu Jesus in Korrespondenz stehen: Sie leiden wie 135 Eder, 50; Jannidis, a. a. O. 136 Eder, 290. 137 Man kann Jesu Weisungen in Gethsemane wie ein Selbstgespräch psychologisch interpretieren. V. a. bei „ἀπέχει“, was man normalerweise „es ist genug“ (bereits Vulgata „sufficit“, Mk 14,41) übersetzt, wird an solch eine Auslegungsmöglichkeit von vielen Exegeten gedacht. Pesch, 393–94; Gnilka, 262–63; France, 588–89; Gundry, 875 usw. 138 Vornehmlich in dem Sinne, dass die lk Jünger Jesus nicht verlassen, sondern bei ihm ausharren (I-1.2); sie führen die ihnen übertragenen Aufgaben als sidekick gewissenhaft durch. 139 Allerdings bleibt eine textkritische Unsicherheit. Beider Minus-(ohne V.42–43) und Pluslesart (mit V.42–43) sind die äußeren Bezeugungen fast gleich. Ich führe keine Textkritik aus: Für einen zusammengefassten Forschungsbericht, Wolter, 722–23. Narratologisch ist
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Schaubild 7: Mk Passio Christi nach Gremas Aktantenmodell
Schaubild 8: Mk Passio Christi nach Eders Handlungsrollenmodell
ihr Meister (Co-Subjekte des Leidens). D. h. im Kontext allein des Handlungsstrangs „Passio Christi“ finden die Jünger in keinem der Handlungsrollenmodelle einen adäquaten Platz, obwohl Eders Modell relativ umfassend ist. Lassen sich jedoch auf die Jünger bezogene Handlungselemente zu einer gesonderten Geschichte der Jünger zusammensetzen, kann man anhand beider Modelle wenigstens vorläufig 140 seine weitere Handlung herausschälen: Diese (Ne-
klar, dass bei der Pluslesart der Engel als Hilfsfigur fungiert und bei der Minuslesart diese Rolle leer bleibt. 140 Endgültig wird die These im Konnex mit der Handlungsanalyse bewiesen.
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Schaubild 9: Lk Tribulatio Discipuli nach Gremas Aktantenmodell
ben-)Handlung bezeichneten wir hypothetisch als „Tribulatio Discipuli“. Ihr Ziel(-objekt) ist das Leiden der Jünger als Erfüllung von Gottes ekklesiologischem Plan, der sich bezeichnenderweise in Acta 141 weiter entfaltet. Im Handlungsstrang Tribulatio Discipuli fungiert Jesus bloß als Nebenfigur. Auch in Gremas Modell wird Jesus als Helfer zum Aktanten, da diese Funktion Jesu für den Handlungsverlauf grundlegend ist: Jesus belehrt die Jünger (Lk 22,24 ff), bittet für sie (Lk 22,32), prophezeit über / für sie (Lk 22,31 ff), weist sie an (Lk 22,35 ff.39 ff), wird ihr Vorbild (Lk 22,42 f.51) und kehrt sich um und blickt um sich (Lk 22,61), um zu bekehren (Lk 22,61 f.32). Nach Eders Modell kann Jesus noch präziser bestimmt werden, als typischer Mentor (nicht Sidekick) für die Jünger. Es ist aufschlussreich, dass der archetypische Antagonist, der Satan, nicht für die Passio Christi, sondern für die Tribulatio Discipuli, seine Rolle spielt, indem er nach dem Aktantenmodell dem Helfer-Jesus gegenübertritt (Lk 22,31; vgl. Lk 4,13). Im Handlungsrollenmodell Eders kann man auch die übrigen Figuren, z. B. die Menge mit Judas, die Hohenpriester, die Hauptleute des Tempels, die Ältesten, als Helfer des Antagonisten 142 einordnen. Die Jünger dagegen treten als Protagonisten des Plots auf. 143
141 Genau deshalb verstehe ich diese Tribulatio Discipuli als Antizipation der Acta-Leidensgeschichte (s. u. I-3). Dieselbe Handlungsrolle sowie -struktur kann man bei der Tribulatio der Jünger in Acta beobachten. Der Zusammenhang zwischen beiden ist analog zu dem zwischen Versuchung (Lk 4) und Passion (Lk 22–23) Jesu. 142 Sie veranlassen bei Jesu Verhaftungs-Prozess und Kreuzigung Spannung / Konflikt / Qual der Jünger. 143 ‚Auslöser` und ‚Empfänger` sind Gott und seine Gemeinde (s. u. Schaubild 10).
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
Schaubild 10: Lk Tribulatio Discipuli nach Eders Handlungsrollenmodell
Alles in allem lässt sich durch eine Analyse der Handlungsrollen der Figuren nachvollziehen, dass die Passio Christi schwerlich die einzige Handlung des lk Passionsberichts ist, sondern die Tribulatio Discipuli mit den Jüngern als Protagonisten 144 fungiert.
2.4 Plot der „Tribulatio Discipuli“: unentbehrliche gesonderte Handlungselemente In der Narratologie kann Dissonanz verschiedener Handlungselemente, wie wir sie im letzten Kapitel I-2.3 wahrnahmen, auf zwei verschiedene Weisen erklärt werden. Solche misstönenden, d. h. in ein einziges Handlungsrollenmodell nicht integrierbaren Elemente kann man entweder als (1) „Satelliten“ (S. Chatman, s. u.) betrachten, die für den eigentlichen Plotverlauf entbehrlich sind, ohne die Logik des Plots zu stören. Sie würden dann die wichtigen Handlungselemente („Kerne“) nur ergänzen. Oder es handelt sich um (2) mehrere Handlungsstränge (multiple plot, R. Nischik, s. u.). Die scheinbar misstönenden Handlungselemente konstituieren dann einen eigenen abgegrenzten Plot.
144 Protagonist und Hauptfigur werden als Synonyme behandelt, obwohl sie streng genommen unterschiedliche Begriffe sind. Der Protagonist hat innerhalb der Handlungsbzw. Funktionsrollen seine Bedeutung. Die Hauptfigur ist nach Wichtigkeit zu definieren. Zimmermann z. B. identifiziert im relativ kurzen Text von JohEv sogar 24 Hauptfiguren. Zimmermann, Figurenanalyse im Johannesevangelium, 35.
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Es besteht aber bei der Plot-Analyse eine methodologische Schwierigkeit: Mit beiden genannten Begrifflichkeiten ist kaum Allgemeingültigkeit zu erreichen. Die Unterscheidung zwischen Kernen und Satelliten bzw. Mainplot und Subplot ist interpretationsabhängig, da sie letztlich vom Urteil jedes einzelnen Lesers bestimmt wird. 145 Dieses Problem war bei der Analyse von Setting und Figur weniger virulent (I-2.2 u. 3): Die charakteristischen Merkmale des Settings ließen sich beschreiben, unabhängig davon, ob wir uns aus der Perspektive der kognitiven Narratologie (z. B. mit der Skripttheorie, Kapitel II-2) oder rezeptionsorientiert annäherten. Auch bei der Figurenanalyse z. B. ließ die Anwendung der heuristischen Handlungsrollenmodelle wenig Spielraum für Interpretation. Folgende Punkte hegen das Problem der Subjektivität freilich ein: 1. Ergebnisse der Settings- und Figurenanalyse stabilisieren unsere These vom Subplot / multiple plot. 2. Der Synoptische Vergleich zeigte, dass bei Lukas Redaktion der mk Quelle die Jünger in der Passion im Vergleich zu Markus in den Vordergrund rücken.
2.4.1 Tribulatio Discipuli als Satellit der Passio Christi? (nach R. Barthes, S. Chatman) Man kann Ereignisse eines Plots nach ihrer Wichtigkeit für den Handlungsverlauf beurteilen. Bereits in der Phase des klassischen Strukturalismus 146 wurden die Bestandteile einer Erzählung und deren Hierarchie als Oberflächenstruktur 147 untersucht. Die Ereignisse, die den Handlungsverlauf u. a. mit Alternativen vorantreiben, bezeichnete R. Barthes als noyau, während dessen Gegenbegriff catalyse die Funktion bezeichnet, jene noyaux auszudehnen, zu verstärken, zu untermauern oder zu verzögern. 148 S. Chatman übersetzte dieses Begriffspaar als Kern („kernel“) und Satellite („satellite“), formulierte dazu ausdrücklich, dass Satelliten entbehrlich seien, und erstellte ein Diagramm, das sowohl in der Narratologie als auch in narratologischen Bibel-Auslegungen immer wieder angeführt wird 149:
145 Narratologen machen häufig auf diesen Umstand aufmerksam. Chatman selbst nahm die Kritik von J. Culler an. S. Chatman, Story and discourse, 56; J. Culler, Defining Narrative Units, in: R. Fowler (Hg.), Style and Structure in Literature, Ithaca 1975, 136; J.-P. Busse, Analyse der Handlung, in: Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorie, Modelle, Probleme, P. Wenzel (Hg.), Trier 2004, 31 u. 43; Pfister, 285 f; H.-W. Schwarze, Ereignisse, Zeit und Raum, Sprechsituationen in narrativen Texten, 152 f. Auch Finnern, 93; M. Powell, Narrative Criticism, in: J. Green (Hg.), Hearing the New Testament. Strategies for Interpretation, Grand Rapids u. a. 1995, 36. 146 Die Geschichte der Narratologie unterteilt Finnern in Anlehnung an Schönert in vier Phasen: 1. Anfänge (1910–1966), 2. Klassischer Strukturalismus (1966–1975/85), 3. Weiterführung und Niedergang (1980–1995), 4. Postklassische Narratologie (seit 1995, Ansätze seit 1985). Finnern, 29. 147 „surface narrative structure“, S. Rimmon-Kenan, Narrative Fiction. Contemporary poetics, London 2002, 13. 148 R. Barthes, Introduction à l'analyse structurale des récits, Communications 8 (1966), 9–10. 149 Chatman, 53–56.
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„A minor plot event – a satellite – is not crucial in this sense. It can be deleted [meine Betonung] without disturbing the logic of the plot, though its omission will, of course, impoverish the narrative aesthetically. Satellites entail no choice, but are solely the workingsout of the choices made at the kernels“. 150
In Bezug auf die Tribulatio Discipuli werden in folgenden zwei Kriterien überprüft, 1. ob sie eigene Handlungsalternativen eröffnet oder bloß den Plot der Passio Christi ergänzt, und 2. ob sich die Ereignisse der Tribulatio Discipuli für den Handlungsverlauf auf verschiedenen Ebenen – v. a. der des ganzen Evangeliums sowie der des Doppelwerks („retrospektives Urteil“) – für entbehrlich halten. 2.4.1.1 Funktion der Tribulatio Discipuli: mehr als bloßer ‚Satellit` Fungieren die serienmäßigen Ereignisse, die wir Tribulatio Discipuli nennen, bloß als Satellite für die Passio Christi? M.a.W., ergänzen, bereichern und füllen sie (Chatman) die Kerne aus? Oder beeinträchtigen die Episoden der Jünger im lk Passionsbericht sogar die Geschichte Jesu, indem sie den Fokus von Jesus z. T. abziehen? Bei Markus bilden die Ereignisse der Jünger v. a. einen scharfen Kontrast zur Passion Jesu, so dass sie, als Setting fungierend (Jünger als Kontrastfigur, s. o. I-2.3), die Hauptereignisse der Jesuspassion bereichern. Bei der Kreuzigung kommt zutage, dass Jesus einsam leidet, die Jünger ihren Meiser nicht begleiten (Mk 14,32 ff), sondern ihn verlassen (Mk 14,50 f) und mit Fluch und Eid verleugnen (Mk 14,66 ff). Bei Lukas aber reduziert sich diese Singularität der Passion Jesu, indem die Jünger als Co-Subjekt mit Jesus mitleiden (v. a. I-1). Ferner wird im Vergleich zu Mk vermehrt der Fokus auf die Jünger gerichtet: Die Rückkehr des Satans orientiert sich nicht an Jesus selbst (Lk 4,13), sondern an seinen Jüngern (Lk 22,3. 31), just in der Passionszeit. Darüber hinaus verordnet Jesus gerade in dieser Zeit eben den Jüngern ein Reich und verleiht ihnen das eschatologische Recht zu richten (vgl. Mt 19,28 ff, auch Mt 16,18 ff sowie 18,18). Die Redaktion des Lukas hat mit literarischen Techniken, z. B. einem Realitätseffekt, kaum etwas zu tun, den man als Hauptfunktion von unwichtigeren Teilen des Plots erwartet. 151 Folgende Tatsachen retardieren den Verlauf der Passio Christi nicht nur zeitlich, sondern sie defokussieren auch thematisch: (a) Die Jünger, die die Passionsverkündung nicht verstanden (Lk 9,45; 18,34; 22,38a usw.), schlafen vor Traurigkeit (Lk 22,45). (b) Jesus, der im Begriffe steht, seine eigene Passion zu erleiden, belehrt ständig seine Jünger und hebt dabei sogar seinen bisherigen Auftrag auf (Lk 22,36 ff), (c) er bittet für sie (Lk 22,32), (d) er erinnert Petrus an sein Wort (Lk 22,61), (e) er heilt auch noch jemanden wundertätig (Lk 22,51). 150 A. a. O., 54. (Hervorhebung von mir) 151 Vgl. Schwarze, 150; Busse, 28 f; Finnern, 92 f. Allerdings spielt der Realitätseffekt auch bei Lukas eine Rolle, z. B. in Apg 27,37.
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Darüber hinaus weist diese Reihe von Jünger-Ereignissen ein wichtiges Kennzeichen von Kernen auf, und zwar eigene Handlungsalternativen. Während laut Chatman Satelliten „no choice“ haben, sondern lediglich die Alternativen der Kerne ausarbeiten, 152 beobachteten wir bereits im I-2.3, dass die lk Jüngergruppe als Protagonist verschiedene mögliche Welten eröffnet. Innerhalb der Tribulatio Discipuli kann man komplexe Kausalzusammenhänge vorfinden, die die Ereignisse mit Auswahlmöglichkeiten verketten. Als Auslöser für die Jünger-Ereignisse betritt der Satan die Szene und schüttelt Judas (Lk 22,3) sowie die ganze Jüngergruppe (Lk 22,31). Weil Jesus im Gegenzug aber für Petrus gebetet und dessen Rückkehr vorausgesagt hat (Lk 22,32), sind das Mitgehen des Petrus und das Umwenden sowie das Blicken Jesu als Kyrios im Haus des Hohenpriesters (Lk 22,54 ff) keine fragmentarischen Marginalien. Angesichts der jesuanischen Aufforderung zum Ausharren an die Jünger (Lk 22,28 ff, siehe I-1.2) hätten die Jünger die alternative Möglichkeit gehabt, ihren Meister zu verlassen (vgl. Mk 14,50 ff). Aber sie alle bleiben bis zur Kreuzigung bei Jesus (Lk 23,49). Hätten die Jünger bei der Verleugnungsankündigung Jesus direkt gefragt (Lk 22,22): „Doch nicht ich?“ (vgl. Mk 14,19), dann hätte Jesus von Judas sprechen können (vgl. Mk 14,20). Und ein Konflikt zwischen ihnen wäre nicht entstanden, ebenso wie die folgende Lehre Jesu, mit der ein Kontrast zwischen Jüngergruppe und römischer Herrschaft aufgemacht wird (Lk 22,25 f, I-1.4), unnötig gewesen wäre. Als weitere Alternativmöglichkeit hätten die Jünger auf die Verhaftungssituation Jesu nicht gewalttätig reagieren müssen (Lk 22,49 f) und Jesus hätte sich nicht genötigt gesehen, ein Wunder zu tun (Lk 22,52). Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, dass Jesus in Gethsemane seine Passion hätte vermeiden können; eingeschränkt wurde diese Möglichkeit jedoch durch die Wendung ‚εἰ βούλει` 153, mit der Jesus sich dem Willen Gottes vorbildlich unterwarf. 154 Aus diesen Gründen können die Ereignisse der Tribulatio Discipuli schwerlich als bloßer Satellit angesehen werden. Im Gegensatz zu den mk ParallelElementen treiben diese Ereignisse die Geschichte der Passion Jesu nicht bereichernd voran. Hinzu kommt, dass durch diese Ereignisse Alternativen in den Blick kommen.
152 Chatman, 54. 153 Eine typische Höflichkeitsformel in der Antike. Xenophon, Anab. 3,3,31; Plutarch, Mor. 85e; 328b; Athenaeus, Deipn. 5,61 [219c]; Lukian v. Samosata, Demon. 23; Philo, Leg. All. 3,69; Abr. 251; Decal. 86. Siehe Wolter, 722. 154 Bovon, Lukas, Bd. 4, 297 u. 304; Fitzmyer, 1438; Green, 777 ff.; H. Klein, 684; Grundmann, 411–12; Nolland, 1081. Die doppelte Funktion dieser Perikope, die Christologie und Paränese umfasst, ist seit langem gesehen worden. A. Feuillet, Le récit lucanien de l'agonie de Gethsémani (Lc xxii. 39–46), NTS 22 (1976), 416.
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2.4.1.2 Unentbehrlichkeit der Tribulatio Discipuli für den Plotverlauf auf verschiedenen Ebenen des lk Doppelwerks Ein Urteil über die (Un-)Entbehrlichkeit einiger Handlungselemente setzt eine Auffassung vom Verlauf des Plots voraus. Praktisch heißt das, dass man eine Zusammenfassung der Erzählung braucht, um ein solches Urteil fällen zu können. 155 Allerdings bleibt jede Zusammenfassung subjektiv. 156 Der Subjektivität kann entgegengesetzt werden, indem man die Erzählung zunächst so zusammenfasst, dass die Zusammenfassung sich bewusst unserer These entgegengesetzt, d. h. die ganze Jüngergeschichte zunächst einmal als entbehrlich erscheint und die Konzentration möglichst nur auf dem Leiden sowie der Kreuzigung Jesu liegt: Das Zielereignis sollte das Leiden sowie die Kreuzigung (Lk 23,46) sein. Alle Ereignisse, die mit Leiden sowie Kreuzigung im unmittelbaren Zusammenhang stehen und dazu Alternativen bieten, sollten folglich als Kerne des Passionsberichts angesprochen werden (Lk 22–23). Vor allem h, i, m und n geben den Inhalt von Jesu Leiden und Kreuzigung wieder; d, f und j hätten entscheidende Alternativen zum Leiden oder Tod Jesu eröffnen können: Obwohl Lukas das Motiv im Vergleich zur mk Quelle abschwächt, wollte Jesus, in inneren Kampf geratend (γενόµενος ἐν ἀγωνίᾳ, Lk 22,44), dass der Kelch von ihm weggenommen würde (Lk 22,42). Jesus hätte den bewaffneten Widerstand der Jünger alternativ nicht hemmen können, sondern für seine Verteidigung Wunder tun können (Lk 22,49 ff; vgl. Mt 26,53). Pilatus hätte ohne das starke Fordern des Volks Jesus freigelassen. Auch a, b, c, e, g, k und l bilden eine Kausalkette bis zur Kreuzigung, aus der kein Glied herausgenommen werden kann. Es zeigt sich, dass alle genannten Elemente der Jüngergeschichte in Bezug auf die Passio Christi unentbehrlich sind. Satans Angriff auf die Jüngergruppe steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Plotverlauf des Kreuzesgeschehens. Und auch die Tatsache, dass sowohl die Jünger als auch Jesus selbst
155 Z. B. Finnern, 297. Auch die Debatte über „Kerne und Satellite des MtEv“ zwischen Matera und Carter wurde anhand einer Zusammenfassung des MtEv geführt: F. Matera, The Plot of Matthew's Gospel, CBQ 49 (1987), 233–53; W. Carter, Kernels and Narrative Blocks: The Structure of Matthew's Gospel, CBQ 54 (1992), 463–481. 156 Bovons Zusammenfassen des lk Passionsberichts z. B. lautet: 1. Die teuflische Verschwörung (22,1–6), 2. Die Vorbereitung des Passahmahls (22,7–14), 3. Das Abendmahl zwischen Pascha und Reich Gottes (22,15–20), 4. Das letzte Gespräch (22,21–38), 5. Jesu Gebet am Ölberg (22,39–46), 6. Jesu Gefangennahme (22,47–53), 7. Die Verleugnung durch Petrus und die Szene der Verspottungen (22,54–65), 8. Jesu Verhör vor dem Sanhedrin (22,66–71), 9. Jesus vor Pilatus (23,1–5), 10. Jesus vor Herodes (23,6–12), 11. Das letzte Verhör (23,13–25), 12. Auf dem Weg zum Kreuz – am Kreuz (23,26–43), 13. Tod und Begräbnis (23,44–56a). Bovon, Lukas, Bd. 4, 209–513.
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Tabelle 2: Die Kausalkette bis zur Kreuzigung Jesu in Lk 22–23 (Vorhang bis Lk 21 einschließlich: Jesus ist in Jerusalem mit Hohenpriestern, Schriftgelehrten und den Ersten des Volkes in Konflikt gekommen) a. Feinde Jesu wollten ihn umbringen – Lk 22,2 b. Satan fuhr in Judas (als Mitglied der Jüngergruppe) – Lk 22,3(.31) c. Judas ging zu Feinden, suchte eine Gelegenheit, Jesus zu überliefern – Lk 22,4 ff d. Jesus betete am Ölberg, verweigerte seine Passion nicht – Lk 22,39 ff e. Die Menge des Judas wollte Jesus verhaften – Lk 22,47 ff f. Die Jünger reagierten mit Gewalt – Lk 22,49 f g. Jesus hemmte sie; trotz seiner Fähigkeit, Wunder zu wirken, widerstand er der Menge nicht – Lk 22,47 ff h. Im Haus des Hohenpriesters wurde Jesus verspottet und geschlagen – Lk 22,63 ff i. Im Hohen Rat, bei Pilatus und bei Herodes wurde Jesus verhört – Lk 22,66 ff; 23,1 ff.6 ff j. Pilatus und Herodes wollten Jesus freisprechen – Lk 23,4.14 f.22 k. Die Hohenpriester, die Obersten und v. a. das Volk forderten die Kreuzigung Jesu – Lk 23,13 ff l. Pilatus entschied, ihre Forderung zu erfüllen – Lk 23,24 m. Auf Golgatha wurde Jesus von Obersten, Soldaten und sogar einem MitGekreuzigten verhöht, verspottet und gelästert – Lk 23,35 ff n. Jesus verschied – Lk 23,46
bei der Verhaftung nicht machtlos waren und sogar Gewalt anwendeten, 157 steht inmitten der Kausalkette bis zur Kreuzigung. Darüber hinaus ist der Passionsbericht ein Teil des Evangeliums und ferner des lk Doppelwerks. Die Handlungselemente der Tribulatio Discipuli und deren (Un-)Entbehrlichkeit sind also auch in Bezug auf diesen übergeordneten Plotverlauf zu überprüfen. Jedoch kann man kaum eine allgemein anerkannte Zusammenfassung der ganzen Plotstruktur des lk Doppelwerks erstellen; auch würde dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Meine Proposition ist, nur in der kontextuellen Nähe auszumachende Zielereignisse zu benutzen, anhand derer man den weiteren Plotverlauf der lk Erzählung feststellen kann. Darüber, dass das Lukasevangelium über den Passionsbericht hinaus bis zur Auferstehung sowie Himmelfahrt Jesu verläuft und dass das Pfingstereignis als Ausgangspunkt der Ausbreitung des Urchristentums kernhaft ist, kann kaum Streit sein.
157 Bei Lukas wird die Häschergruppe im Vergleich zum mk Bericht als unfähig dargestellt. Bei Markus legte die Menge des Judas dagegen ihre Hände an Jesus, ergriff ihn (Mk 14,46), und die Jünger wurden bedroht (Mk 14,50 ff).
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Tabelle 3: Kausalkette von den Kernen des Passionsberichts bis zu den Kernen des Pfingstberichts Kerne d. Passionsberichts → Kerne d. Auferstehungsberichts → Kerne d. Berichts d. Pfingstereignisses
Falls bei der Überprüfung dieser Kausalkette der Kerne gewisse Ereignisse der Tribulatio Discipuli für diese Kette unentbehrlich sind, auch wenn wir keine gesamte Plot-Struktur des Doppelwerks erstellen, so sollten diese Ereignisse auch für den Plotverlauf des ganzen Evangeliums bzw. Doppelwerks unentbehrlich sein. Auch nach der Kreuzigung und Grablegung Jesu (2-a) blieben die Jünger in Jerusalem. Es kam zum Ereignis des leeren Grabes (2-b) und zur Erscheinung des Auferstandenen (2-c ff). Weil auch das Pfingstwunder in Jerusalem geschehen soll (3-f), trug Jesus seinen Jüngern auf, weiter in Jerusalem zu bleiben (2-h; 3-a). Jesus und Engel erklärten immer wieder die Notwendigkeit der Passion und die Auferstehung (2-b, d und f). Dazu wurde die Buße zur Sündenvergebung als Inhalt der Zeugenaussage der Jünger ergänzt, als Jesus vor der Himmelfahrt (2-i; 3-c) festsetzte, dass sie auch davon (τούτων) seine Zeugen seien (2-g). Nach Jesu Himmelfahrt blieben sie, wie aufgetragen, in Jerusalem (3-c ff). Nachdem sie unter Führung von Petrus das Amt des Judas neu besetzt hatten (3-d), kam der Heilige Geist (3-e): Durch Petri Pfingstpredigt entstand die vorausgesagte Buße als erstes, woraufhin sich die Ausbreitung des Urchristentums entfaltete (3-f). Zusammengenommen sind die folgenden Handlungselemente unentbehrlich, aus welcher Sicht auch immer man den Plotverlauf des Corporis Lucani betrachtet: (1) dass die Jünger zur Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingsten in Jerusalem bleiben, (2) dass sie über die Passion sowie die Auferstehung Jesu aufgeklärt werden und diese – wie auch die Buße – als Zeugen Jesu verkündigen sollen, (3) dass nach dem Pfingstwunder das Zeugenleben sowie Buße der Jerusalemer und Ausbreitung der Urgemeinde beginnen. An dieser Kausalkette sind auch etliche Handlungselemente der Tribulatio Discipuli in Lk 22–23 beteiligt. (1) Ohne diese Jüngergeschichte wäre im Auferstehungsbericht wenig sinnvoll, dass die aus Galiläa (bei Lk mehrmals betont, Lk 22,59; 23,5 ff, Apg 1,11) stammenden Jünger auch während / nach der Kreuzigung Jesu in Jerusalem ausharren. Falls es keine Aufforderung gegeben hätte, in Jesu Versuchungen bei ihm auszuharren (Lk 22,28 ff), falls Petri Glauben aufgehört hätte und er nicht zurückgekehrt wäre (Lk 22,32), falls die Jünger nicht darum gebetet hätten, nicht in Versuchung zu kommen (Lk 22,40; 46), falls sie bei Jesu Verhaftung furchtsam gewesen wären (vgl. Mk 14,51 ff), also nicht beherzt Widerstand geleistet hätten (Lk 22,49 ff), dann wäre unbegründet, dass sie die Kreuzigung Jesu mit ansehen (Lk 23,49), alle in Jerusalem zusammenkommen (Lk 24,9 ff.33 ff), vor aller Öffentlichkeit zum Grab laufen
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Tabelle 4: Die Kausalkette von Auferstehung bis Pfinsterereignis im lk Doppelwerk Auferstehung (Ausgangspunkt nach Lk 23,50: Jesus ist tot) 2-a: Josef von Arimathäa legte Jesus in ein Felsengrab, Frauen aus Galiläa sahen den Vorgang (ὡς) – Lk 23,50 ff 2-b: Die Frauen sahen das leere Grab, Engel bestätigten die Auferweckung Jesu und erinnerten an sein Wort über die Notwendigkeit (δεῖ) seiner Passion – Lk 24,1 ff 2-c: Die Frauen verkündeten dies allen Jüngern, Petrus lief zum Grab, wobei andere nicht glaubten – Lk 24,9 ff 2-d: Jesus erschien vor zwei Jüngern unterwegs nach Emmaus, klärte die Notwendigkeit seiner Passion auf – Lk 24,36 ff 2-e: Die beiden kehrten nach Jerusalem zurück, Jesus war vor Petrus erschienen (analeptische Ergängzung zu 2-c) – Lk 24,33 f 2-f: Jesus erschien vor der Jüngergruppe, klärte die Notwendigkeit seiner Passion auf – Lk 24,36 ff 2-g: Jesus bestimmte die Jünger zu Zeugen von Passion, Auferstehung und Buße zur Sündenvergebung – Lk 24,45 ff 2-h: Jesus trug ihnen auf, bis Pfingsten in Jerusalem zu bleiben – Lk 24,49 2-i: Segnend wurde Jesus in den Himmel hinaufgetragen, die Jünger blieben in Jerusalem – Lk 24,50 ff
Pfingstereignis (Ausgangspunkt nach Lk 24,49: Jesus ist auferstanden) 3-a (2-h): Jesus trug ihnen auf, bis Pfingsten in Jerusalem zu bleiben – Apg 1,4 3-b (2-g): Jesus weissagte, dass die Jünger mit dem Heiligen Geist seine Zeuge werden – Apg 1,8 3-c (2-i): Jesus wurde emporgehoben, die Jünger blieben in Jerusalem – Apg 1,9 ff 3-d: Unter Führung von Petrus wurde das Amt des Judas neu besetzt – Apg 1,15 ff 3-e: Der Heilige Geist kam – Apg 2,1 3-f: Durch Petri Pfingstpredigt entstand eine Buße; es wurden dreitausend Anhänger hinzugetan – Apg 2,14
(Lk 24,12) und sich um Jerusalem herum bewegen (Lk 24,13 ff). Für seinen von Mk oder Mt unterschiedlichen Plotverlauf des Auferstehungsberichts in Jerusalem hat Lukas seine Quelle so redigiert, dass er die Galiläa-Tradition (Mk 14,28) sowie die Szene der Flucht der Jünger (Mk 14,50 ff) ausließ und betonte, dass die Jünger den leidenden Jesus begleiteten (Lk 22,28 ff.61; 23,49, siehe. I-1.2).
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(2) Für die Zeugenschaft der Jünger (Lk 24,48; Apg 1,8.21 f), 158 v. a. das Zeugesein von Christi Leiden (Lk 24,46b), ist das Mitsein und Sehen der Jünger in Jesu Passion unentbehrlich. Bei Jesu Begräbnis sahen die Frauen nicht nur, wo (ποῦ τέθειται, Mk 15,47), sondern „wie“ (ὡς ἐτέθη, Lk 23,55) sein Leib hingelegt wurde. Petrus verleugnete nicht nur Jesus, sondern sah auch seinen leidenden Meister im Haus des Hohenpriesters (Lk 22,61). Weder verließen die Jünger ihn noch flohen sie (Mk 14,50), sondern sie sahen als ‚diejenigen, die bei ihm in seinen Versuchungen ausgeharrt haben und auch nun bleiben (im Griechischen Perfekt, οἱ διαµεµενηκότες µετ᾽ ἐµοῦ ἐν τοῖς πειρασµοῖς µου, Lk 22,28)`, seine Kreuzigung (Lk 23,49). Hätten sie sich entzogen, wären sie für Jesu Passion keine Zeugen geworden. Und würde das Begleiten der Jünger ausgeklammert, wäre das „Zeugesein“ der Jünger für den Leser nicht plausibel. 159 Des Weiteren ist das Wie des Jesusleidens kernhaft. Jesus legt sogar am Kreuz Fürbitte für seine Henker ein (Lk 23,34 160) und er rettet einen seiner Mitgekreuzigten (Lk 23,43). Er fungiert vor und nach seiner Kreuzigung als Mentor oder Patron seiner Jünger, indem er sie belehrt (Lk 22,25 ff.35 ff) zu beten (Lk 22,39 ff), für sie selber betet (Lk 22,32), Wunder tut (Lk 22,51), durch einen Blick an sein Wort erinnert (Lk 22,61), die Schriften verständlich macht (Lk 24,4 ff) und auch während seiner Himmelfahrt sie segnet (Lk 24,50 f). M.a.W., die Funktion Jesu als Nebenfigur in der Tribulatio Discipuli ist auch für den übergeordneten Plot-Verlauf wesentlich. (3) Ohne die Jüngergeschichte des Passionsberichts können die Aktivität des Petrus in der Jerusalemer Urgemeinde (Apg 1,15 ff; 2,14 ff) sowie dessen absoluter Gegensatz zu Judas (Apg 1,16 ff) schwerlich verstanden werden. Bei Mt und Mk dagegen spielt Petrus nach der Kreuzigung keine Rolle mehr (vgl. Mt 28,16 ff), während bei Lukas Petri Rückkehr durch die Fürbitte Jesu antizipiert wird (Lk 22,32a). Daraus folgend erteilte Jesus ihm den Auftrag, seine Brüder zu stärken, was seine klare Führungsrolle im Urchristentum antizipiert (Lk 22,32b). Auch ließ Lukas vor der Passion aus, dass Jesus Petrus Satan rief (Mk 8,33; Mt 16,23). Als Satan selbst die Jüngergruppe angreift (Lk 22,3.31), betet Jesus für Petrus – und nicht für Judas, infolgedessen dieser nicht zurückkehrt (Lk 22,32), sondern an seinen eigenen Ort geht (Apg 1,25).
158 Auch Matthias erfüllt dieses Kriterium (Apg 1,22); vgl. Lk 1,2. 159 So betont auch Grasso, dass bei Lukas die Jünger der Passion nicht entfliehen, da der Evangelist sie als Zeugen braucht. S. Grasso, Fattori ermeneutici per la codificazione delle parole del risorto all'interno del Vangelo lucano (24,36–43. 44–49), in: San Luca I, 310; Bovon, Lukas, Bd. 4, 594. 160 Hier liegt ein textkritisches Problem, wobei die äußeren Bezeugungen fast gleich sind. Immerhin steht dieser Vers nicht dem Jesusbild als Patron / Retter selbst in der Passion entgegen.
Leiden der Jünger (Tribulatio Discipuli) als Subplot der Passio Christi
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Zusammengenommen sind nicht alle Elemente der Jüngergeschichte für die Passio Christi entbehrlich. Hinzu kommt, dass Auferstehungs- sowie Pfingstereignis und die jüngerbezogenen Handlungselemente in Jesu Passion miteinander in einem unmittelbaren Kausalzusammenhang stehen. Kurz und gut, hinsichtlich sowohl ihrer Funktionalität als auch ihrer (Un-)Entbehrlichkeit kann man die Tribulatio Discipuli im lk Passionsbericht nicht als bloße Satelliten ansprechen. 2.4.2 Tribulatio Discipuli als ein weiterer Handlungsstrang (nach Nischik, Pfister) Die Alternative, eine Uneinheitlichkeit innerhalb einer Erzählung zu erklären, ist, mehrere Stränge der Handlungen (story lines) anzunehmen. D. h., selbst wenn sich alle Szenen bzw. Ereignisse innerhalb eines Erzählwerks aneinanderreihen, müssen sie nicht einem singulären System angehören, sondern können mehreren unterschiedlichen Plots als „geschlossenen Systemen“ 161 zugehören. R. Nischik systematisierte die metaporische Begrifflichkeit der Einoder Mehrsträngigkeit und entwickelte für sie ein Modell. 162 Nischiks analytische Kriterien, zwischen Ein- und Mehrsträngigkeit zu unterscheiden, werden als „objektivierbar“ 163 nach wie vor benutzt. 164 Nischik führt drei Haupt- (1.Person 2.Ort 3.Zeit) und fünf Nebenkriterien an (4.Thematik 5.Umfang 6.Erzählperspektive 7.Anordnung 8.Erzähltechnik) 165: V. a. mit den drei Hauptkriterien, die als Figur und Setting, wie auch immer man sie sehen mag, für jede Erzählung relevant sind, listete sie acht verschiedene Möglichkeiten der Kombination auf und überprüfte – mit Beispielen von Romanen im englischsprachigen Raum –, ob damit eine Mehrsträngigkeit diagnostiziert werden kann (s. u. Tabelle 5).
161 Pfister, 285. 162 R. Nischik, Einsträngigkeit und Mehrsträngigkeit der Handlungsführung in literarischen Texten. Dargestellt insbesondere an englischen, amerikanischen und kanadischen Romanen des 20. Jahrhunderts, Tübingen 1981. 163 Busse, a. a. O., 43. 164 M. Bauer, Romantheorie und Erzählforschung. Eine Einführung, Stuttgart; Weimar 2 2005, 150; Busse, 43–48, H. Dannenberg, Die Entwicklung, 53; Finnern, 116–17; Gutenberg, a. a. O. 165 R. Nischik, a. a. O., 66–96. Ihre eigene Bezeichnung ist „Fundamental- sowie Begleitvariablen“.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
Tabelle 5: Variationstypen der Mehrsträngigkeit von Nischik Variationstyp
Fundamentalvariablen und ihre Konstanz / Variation
Generierung eines neuen Strangs
Romanbeispiel
1 (irrelevant)
POZ
Entfällt
Entfällt
2 (irrelevant)
POZ
Entfällt
Entfällt
3 (selten)
POZ
?
The Stone Angel vs. Mrs Dalloway
4 (selten)
POZ
?
5 (häufig)
POZ
Ja
6 (selten)
POZ
Ja
7 (Reintyp)
POZ
Ja
The Wild Palms
8 (Reintyp)
POZ
Nein
Huis Clos
Swamp Angel
P = Person / O = Ort / Z = Zeit / ? = nicht verallgemeinerbar * Quadrate markieren eine Änderung; z. B. Typ 1 „ P O Z “ bedeutet: unterschiedliche Personensets, gleiche Zeit und gleicher Ort
Nur bei drei dieser Typen (5,6 und 7) generiert sich Mehrsträngigkeit: 166 Typ 1 und 2 entfallen, weil es zumindest im englischen Literaturbetrieb nicht interessant zu sein scheint, dass sich verschiedene Personensets zur gleichen Zeit am gleichen Ort kontaktlos aufhalten können (Typ 1) oder dasselbe Personenset durchgängig zu gleichen Zeiten an verschiedenen Orten wirkt (Typ 2). Typ 8 ist ein Reintyp für Einsträngigkeit. Mit Typ 3 und 4 ist Ein- oder Mehrsträngigkeit nicht ohne weiteres zu entscheiden (d. h.: es sind Nebenkriterien wie die Thematik hinzuzuziehen). 167 Es ist also eher normal, dass ein Figurenset zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten wirkt. In Typ 5,6 und 7 kann sich Einsträngigkeit nur z. B. durch einen stark einheitlichen thematischen Bezug ergeben, oder in Typ 8, umgekehrt, eine Mehrsträngigkeit durch abgebrochene Thematik, d. h. einen sog. episodischen Plot. Zu bemerken ist, dass zwischen den Kriterien eine tendenzielle Hierarchie besteht. Das Kriterium „Person“ ist am wesentlichsten: „Zumindest ein partieller Wechsel des Personals ist Voraussetzung für eine Strangkonstituierung.“ 168 Dagegen müssen Ort oder Zeit bei einem Strangwechsel nicht unbedingt gewechselt werden (siehe obige Tabelle 5 u. 6). Ort und Zeit sind wieder nicht von gleicher Wichtigkeit: Es „wird zumindest eine Ortsvariation gemeinhin vorliegen. [. . . .] die zeitliche Parallelität [wird] zweier oder mehrerer Stränge als durchaus üblich angesehen.“ 169 166 A.a.O, 70–74. 167 A.a.O, 70–95. Weil die Nebenkriterien von Nischik, wie sie selbst erwähnt, auf verschiedenen Abstraktionsstufen liegen und sich überschneiden, können sie m. E. als (1) thematischer Bezug und (2) Erzähltechnik zusammengefasst werden. 168 A. a. O., 94. 169 A. a. O., 94–95.
Leiden der Jünger (Tribulatio Discipuli) als Subplot der Passio Christi
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Darüber hinaus wird als weitere Herangehensweise gefragt, auf welche Art und Weise mehrere Handlungsstränge in einem Erzählwerk miteinander verknüpft werden. Sind Stränge voneinander komplett separat, bilden sie als bloße Fragmente keine einheitliche Erzählung. Trennen sie sich voneinander überhaupt nicht, ergibt sich Einsträngigkeit. R. Nischik redet von „Integration von Strängen“, 170 M. Pfister von „Verknüpfungstechniken“. Pfister zählt drei verschiedene Verknüpfungstechniken auf. 1. „Handlungs- oder Geschehensinterferenz“: Eine Handlung in einem Strang kann auf andere Stränge wirken, indem sie dortige Handlungen konstituiert oder auslöst. 2. „Überschneidung der Figurenkonstellation“: Ein bestimmtes Figurenset nur einem Strang zuzuordnen, ist weder immer möglich noch nötig; vielmehr ist Überlappung der Figurenkonstellation eine wichtige Verknüpfungstechnik. 3. „Situative und thematische Äquivalenzen“, die einen inneren Zusammenhang zwischen Handlungssträngen schaffen. 171 Die Liste von Nischik ähnelt der Pfisters, außer dass sie auch Ortsinterferenz nennt: 172 1. Personalinterferenz, 2. Ortsinterferenz und – kongruenz, 3. Konsekutive Integration, 4. Situative Parallelität, 5. Bezugnahme, 6. Thematische Integration und 7. Symbolische Integration. Nischik erklärt selbst, dass die siebte symbolische Integration ein Sonderfall der sechsten thematischen Integration ist. 173
Für die Beweisführung unserer These werden folgende Punkte analysiert: Es wird gefragt, (1) ob man eine gewisse Einheitlichkeit und Abgeschlossenheit der Tribulatio Discipuli finden kann. Beide werden von Nischik und Pfister für einen Strang vorausgesetzt. 174 (2) Ob und wie Tribulatio Discipuli die Kriterien für analytische Trennung verschiedener Handlungsstränge (nach Nischik) erfüllt und (3) ob und wie sich Verknüpfungstechniken verschiedener Handlungsstränge (nach Pfister) im lk Passionsbericht bezüglich der Passio Christi und Tribulatio Discipuli entdecken lassen.
170 Nischik, a. a. O., 130–149. 171 Überdies erwähnt Nischik bezüglich dieses thematischen Zusammenhangs nicht nur „thematische Parallelen“, sondern auch „thematische Kontraste“, die verschiedene Stränge ebenfalls integrieren können. Nischik, a. a. O., 142–143. 172 Nischik, a. a. O., 130–149. 173 A. a. O., 147. 174 „iii) Subplot – Diese etymologische Zwitterbildung bezeichnet Handlungseinheiten [meine Betonung], die einem main plot in der Bedeutung und eventuell in der Ausdehnung untergeordnet sind, jedoch gleichzeitig ausreichende thematische Eigenständigkeit und quantitative Relevanz besitzen, um sich von einer episode und anderen im folgenden angesprochenen Handlungseinheiten abzuheben.“ Nischik, 51. Auch „‚Strang` entspricht z. T. plot auf der ‚Fabel`-Ebene. Der Begriff bezeichnet eigenständige Handlungseinheiten [meine Betonung], die sich durch das Werk ziehen und sich aus mehreren Handlungsfäden (s. u.) zusammensetzen“, Nischik, 58. Vgl. „Eine solche Sequenz [subplot] ist ein in sich relativ geschlossenes System chronologischer und kausaler Relationen. [. . . ] Ist sie dagegen nicht völlig in sich geschlossen, eröffnen sich Anschlußmöglichkeiten für eine verknüpfende Kombination von Sequenzen“, Pfister, 285.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
2.4.2.1 Tribulatio Discipuili als einheitliche geschlossene Geschichte Trotz aller möglichen Lesersubjektivität beim Urteil über Einheitlichkeit oder Abgeschlossenheit besteht doch eine klare redaktionelle Tendenz in der lk Jüngergeschichte im Vergleich zum MkEv. (1) Die Tribulatio Discipuli im lk Passionsbericht besitzt ihre eigene Kausalstruktur. Im mk Passionsbericht waren die Jünger angesichts der Passion Jesu schlicht verwirrt (Mk 14,19.26.31.37.40), sie verließen Jesus und flohen bei seiner Verhaftung (Mk 14,50 ff), denn sie waren schwache Menschen (Mk 14,38). Als weitere Erklärung bietet Markus für das ‚Zerstreutwerden` der Jünger Schrifterfüllung an. Im Gegensatz dazu sind alle Ereignisse der lk Jüngergeschichte die kausale Folge davon, dass der Satan die Jünger angriff (Lk 22,3.31; v. a. „ὑµᾶς“ von V. 31). Weil Jesus für Petrus gebeten hatte (Lk 22,31), aber für Judas nicht, kehrte Petrus zurück (Lk 22,32.61 f; 23,49; 24,12.34; Apg 1,15 ff; 2,14 ff), während Judas an seinen Ort ging (Apg 1,18.25). Ferner, Jesu Deklaration, dass die Jünger die Begleiter seiner Versuchungen seien (Lk 22,28), und das futurisch-eschatologische Belohnungsszenario (Lk 22,29 f) repräsentieren Jesu Erwartung, dass sie in der Passionszeit bei ihm bleiben, die Jünger ihn also weder verlassen noch fliehen (s. o., Mk 14, 50 ff), sondern bei ihm ausharren (Lk 22,61; 23,49). (2) Die Exposition und der Schluss der Tribulatio Discipuli sind relativ leicht fassbar. 175 Die Tribulatio Discipuli ist durch den Angriff des Satans aus-
Schaubild 11: Konflikt-Grade der Tribulatio Discipuli 175 „Eine Nebenhandlung hat oft eine eigene Exposition und / oder einen eigenen Schluss“, Finnern, 117.
Leiden der Jünger (Tribulatio Discipuli) als Subplot der Passio Christi
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gelöst worden, die Intensität des Konflikts steigt allmählich und endet schließlich mit der Kreuzigung Jesu. a. Anfangs geraten die Jünger miteinander in Konflikt, wer von ihnen es sein könnte, der Jesus überliefern werde (Lk 22,23) und wer von ihnen für den Größten zu halten sei (Lk 22,24). b. Dann geraten die Jünger durch Jesu Kritik am römischen Herrschaftsystem (patronage: Lk 22,25) sowie Verordnung eines alternativen Reichs (Lk 22,29) in eine mittelbare, aber grundsätzliche Spannung zum Römischen Reich. c. Danach mit der Menge des Judas ein gewalttätiger Konflikt (Lk 22,47 ff). d. Im Anschluss daran verleugnet Petrus seinen Meister (Lk 22,54 ff). e. Schließlich werden alle Jünger Zeugen der Kreuzigung Jesu als Klimax (Lk 23,49). Durch eine Analepse stellt Lukas dar, wie sehr sie bereits damals betrübt und hoffnungslos gewesen waren (Lk 24,17.21). (3) Die Ereignisse in der Tribulatio Discipuli bilden eine thematische Einheit (‚das Leiden der Jünger`). Dieses Thema deckt die verschiedenen Perikopen der Jüngergeschichte durchgängig ab: Die Jünger sind in interne Konflikte verwickelt (Lk 22,23 ff); sie sollen beten, nicht in Versuchung zu kommen (Lk 22,40.46); sie schlafen vor Traurigkeit ein (Lk 22,45); sie leisten Widerstand bei Jesu Verhaftung (Lk 22,47 ff); sie verleugnen Jesus vor seinen Augen (Lk 22,54 ff); sie weinen bitterlich (Lk 22,62); sie sehen seine Kreuzigung. Die Handlungsrollen der Figuren sind stabil und konstant: In dem Raum z. B., in dem die Jünger leiden, fungiert Jesus als Mentor / Vorbild für die Jünger und nicht als Leidensträger. Er belehrt seine Jünger, betet für sie, fordert von ihnen zu beten, blickt sie als Kyrios an und erinnert an seine Worte, indem er sich vor ihnen auch in schwierigen Situationen vorbildhaft verhält (Lk 22,42.51) und erst dann anfängt, körperlich zu leiden, nachdem sein Jünger aus dem gemeinsamen Raum hinausgegangen sind (Lk 22,63; vgl. Mk 14,65 u. 66 ff). Somit kann diese Jüngergeschichte als eine thematisch abgeschlossene von der Geschichte der Passion Jesu abgesondert werden. Hinzu kommt, dass sich diese Jüngergeschichte nicht im Mikrouniversum von Lk 22–23 erschöpft. Man stößt vielmehr auch in der Apostelgeschichte wiederholt darauf, dass die Jünger leiden, so dass dieser Erzählstrang in der Passionsgeschichte des LkEvs ein Stückweit antizipatorisch ist (siehe Kapitel I-3).
2.4.2.2 Tribulatio Discipuli als Musterbeispiel der Generierung eines neuen Strangs Die Tribulatio Discipuli im lk Passionsbericht erfüllt nicht nur Kriterien für die analytische Trennung von Handlungssträngen, sondern stellt ein Musterbeispiel der Generierung eines neuen Strangs dar. Sie gehört zum fünften Variationstyp von Nischik, nämlich „ P O Z“ (s. o. Tabelle 5):
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
„Der fünfte Variationstyp ( P O Z) stellt . . . die häufigste Variationskombination der Fundamentalvariablen in mehrsträngigen Werken dar: Verschiedene Personale ziehen zur selben Zeit an verschiedenen Orten ihre Kreise. Der sechste Variationstyp ( P O Z ) ist dem fünften zwar verwandt, kommt jedoch in der Literaturgeschichte sehr selten, wenn überhaupt, vor.“ 176
Zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli im lk Passionsbericht variieren (1) Person und (2) Ort, aber nicht die (3) Zeit. Darüber hinaus lassen sich (4) themathische Bezüge zwischen den Strängen und (5) unterschiedliche Erzählperspektiven als Nebenkriterien finden. (1) In der Tribulatio Discipuli ist ein partieller Wechsel des Figurensets zu sehen: Der Satan tritt nur in der Jüngergeschichte (Lk 22,3.31), der Engel dagegen nur in der Geschichte Jesu auf (Lk 22,43). Beide Geschichten teilen sich einige Figuren als Gegner, etwa die Menge des Judas. Jedoch gehören eine Magd (Lk 22,56) sowie zwei Männer, die Petrus bedrängen, allein zur Tribulatio Discipuli, die Ältestenschaft des Volkes und Schriftgelehrten (Lk 22,66 177) nur zur Passio Christi. Jesus und die Jünger figurieren in beiden Strängen, d. h. sie sind „konkomitante Figuren“. 178 Von der Funktion her freilich alternieren sie, da die Jünger in der Passio Christi nur als Sidekick (Nebenfigur) Jesu fungieren, Jesus in der Tribulatio Discipuli ebenfalls auch lediglich Mentor (Nebenfigur) der Jünger ist (Kapitel I-2.3). (2) Passio Christi und Tribulatio Discipuli teilen sich zeitweise einen gemeinsamen Raum (z. B. Lk 22,47 ff), aber haben auch je eigene gesonderte Räume. Bereits im Kapitel I-1.2 haben wir beobachtet, dass die Jünger und Jesus in Leidenssituationen eine gewisse Distanz zueinander einhalten (z. B. Lk 22,41.61; 23,49). Durch diesen Abstand ändert sich die Orts-Variable für den neuen Strang. Das Ausmaß des Abstandes spielt keine Rolle: „Eine Variation dieser Variablen kann hier z. B. verschiedene Erdteile oder lediglich zwei verschiedene Zimmer desselben Hauses betreffen“. 179 Die Räume der beiden Geschichten trennen sich dergestalt voneinander, dass sich Ereignisse von beiden separat entwickeln können. Die Jünger treffen also den leidenden Jesus (als Hauptfigur der Passio Christi) nicht im selben Raum, sondern sehen ihn nur aus der Distanz, und Jesus kommt mit den leidenden Jüngern nur als Mentor (als Nebenfigur der Tribulatio Discipuli) in Berührung. Bei der Verhaftung in Gethsemane, bei der Jesus nach der mk Erzählung ein Leidender ist, wirkt er für Lk wundertätig (Lk 22,51). Des Weiteren bleibt Jesus im Haus des Hohenpriesters in einer gewis176 Nischik, a. a. O., 73. 177 Hohenpriester gehören auch zur Jüngergeschichte, vgl. Lk 22,4. 178 Ein Begriff von Pfister: Konkomitante Figuren treten gemeinsam auf oder stehen in persönlichem und / oder geistigem Kontakt zueinander. Pfister, 237. 179 Nischik, a. a. O., 71.
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sen Distanz zu Petrus – zwar auf Sichtweite, aber in Distanz (Lk 22,61). Und als Petrus bei seiner Verleugnung Jesus anblickt, hat dieser noch nicht – körperlich – gelitten (Lk 22,63 ff; vgl. Mk 14,53 ff. v. a. V. 65). Auch die Jünger betreten nicht den Raum der Jesuspassion, z. B. den Gebetsraum Jesu, obwohl er nicht verbot, heranzukommen (vgl. Mk 14,32.34), so dass Jesus sich dem Willen Gottes unterwerfend (Lk 22,42) und die Jünger in Betrübnis (Lk 22,45) und in Gefahr, in Versuchung zu kommen (Lk 22,40.46), voneinander abgesondert beten. Auch bei Jesu Kreuzigung halten die Jünger Abstand ein. Sie stehen weitab und sehen bloß die Ereignisse (Lk 23,49), wohingegen sich die, die nahe dabeistehen, höhnend (Lk 23,35) und verspottend (Lk 23,36) am Geschehen beteiligen und darauf emotional (Lk 23,47 ff) reagieren. Freilich bedeutet die Kreuzigung Jesu Jüngerleid (Lk 24,17.21). Aber beide, Jesus und die Jüngergruppe, bleiben hier in ihrem jeweiligen Leid in Distanz zueinander, zwar in Sichtweite, aber in je eigenen Räumen. (3) Die Zeitvariable ändert sich nicht: Passio Christi und Tribulatio Discipuli im lk Passionsbericht folgen zur selben Zeit hintereinander. Die Anordnungsweise beider Stränge ist die „Alternation“, die Nischik auch als „Verkettung“ und „Einbettung“ bezeichnet. 180 (4) Thematische Bezüge sind klar zu erklären, nämlich das Leiden Jesu und das der Jünger. Man kann die beiden Stränge bezüglich des Subjekts des Leidens voneinander unterscheiden. Das Thema des Jesusleidens erweitert sich auf das der Jünger. (5) Es zeigt sich zwischen beiden Strängen auch ein Wechsel der Erzählperspektive. Die Jünger werden als nähere Figuren dargestellt, Jesus dagegen als relativ ferne: 181 Im lk Passionsbericht stößt man kaum auf Beschreibungen von Emotionen Jesu oder von dessen Qualen (vgl. Mk 14,33 ff; 15,34 ff. Aber Lk 22,42 und 23,46), dagegen wird die innere Sicht der Jünger, die bei Mk kaum ausgedrückt ist, bei Lk sichtbar (v. a. Lk 22,45). Lukas neigt ferner dazu, in der Tribulatio Discipuli die Kyrios-Titulatur zu benutzen: Nicht nur die Jünger in der erzählten Welt (Lk 22,33.38.49), auch der lk Erzähler (zweimal in Lk 22,61) nennt Jesus ‚ὁ κύριος`, was zur Positionierung Jesu (ehrfurchtsvoller) Distanz passt. Zusammengenommen erfüllen Tribulatio Discipuli und Passio Christi Nischiks Kriterien musterhaft, mit denen Stränge voneinander getrennt werden können.
180 Nischik, a. a. O., 167–175. Finnern, 117. 181 Sehr wichtig ist die Empathie-Konstellation. Sie wird ein Kernpunkt von Kapitel II-2 sein.
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2.4.2.3 Mehrfache Verknüpfung zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli Die getrennten Stränge von Passio Christi und Tribulatio Discipuli sind nun einer Analyse der Verknüpfungstechniken unterziehen. Pfister nennt drei Kategorien der Verknüpfung: (1) Die Überschneidung der Figurenkonstellation. Den nur partiellen Wechsel des Figurensets zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli haben wir bereits geklärt: Zwar alteriert die Handlungsfunktion von Jesus und den Jüngern (s. o.), doch treten sie gemeinsam – als konkomitante Figuren – in beiden Strängen auf. Lukas generiert sehr geschickt (2) Handlungs- oder Geschehensinterferenz zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli: Der Ausgangspunkt der Tribulatio Discipuli, nämlich Satans Angriff auf die Jünger (Lk 22,3.31), veranlasst direkt auch die Passio Christi (Lk 22,2.4). Auch bezüglich der (3) situativen und thematischen Äquivalenzen hat Lukas seine Geschichte wohl arrangiert. Das Thema ‚Leiden` verklammert die Passio Christi und die Tribulatio Discipuli, wobei das Leiden der Jünger v. a. als Ausharren bei Jesus verstanden wird (Lk 22,28.61; 23,49). Da Judas dies nicht tat (Apg 1,25), muss die Szene seines Todes durch eine Anachronie (Apg 1,18 f) nacherzählt werden. Hätte Lukas wie Matthäus die Szene innerhalb des Passionsberichts dargestellt (Mt 27,3 ff), wäre die Integration beider Handlungsstränge weniger gelungen gewesen. Verknüpfend wirkt zudem, dass das Leiden der Jünger mit dem Leiden Jesu durch das Motiv der Nachfolge verbunden wird, die als Kreuzesnachfolge konkretisiert wird (Lk 9,22–25; vgl. Lk 22,14.39.54). Diese Leidensnachfolge gilt „täglich“ (καθ᾽ ἡµέραν, Lk 9,23). 182 Ein Stückweit wird durch dieses Motiv die Einzigartigkeit der Passion Jesu abgeschwächt und die Perspektive auf Wiederholbarkeit und Nachahmbarkeit eröffnet. Gespiegelt wird die Wiederholbarkeit bis ins Setting hinein: Den Ölberg sucht Jesus, wie er es gewohnt ist (κατὰ τὸ ἔθος, Lk 22,39), auf. Auch wird der konkrete Name Gethsemane durch ein allgemeines Ort (ἐπὶ τοῦ τόπου, Lk 22,40) ersetzt. Selbst die Zeitangabe zum Abendmahl wird generalisiert (Lk 22,14 „Stunde“ [ἡ ὥρα]; Mk 14,17 dagegen konkret „Abend“ [ὀψία]). Das Setting vermag durch solche Verallgemeinerungen möglicherweise transparent für die Rituale-Liturgien der frühchristlichen Kirche zu werden. Ferner wird der Handlungsstrang der Passio Christi am Punkt des Verhörs vor dem Hohen Rat mit dem Strang des Jüngerleidens am Punkt der Verleugnung Petri ebenfalls durch das topologische Setting verklammert: 183 Obwohl Jesus und Petrus hier auf
182 Ein ausführlicher Forschungsbericht über den Gebrauch von „täglich“, S. Bøe, Crossbearing in Luke, Tübingen 2010, 116–126. 183 Nischik (130–149) nennt „Ortsinterferenz“ und „Ortskongruenz“ als weitere Integrationsart. Topologie heißt „Lagebeziehungen zwischen Objekten, deren Spezi zierung für Raumbeschreibungen, speziell für die Verwendung von Präpositionen notwendig ist. Solche topologischen (vermutlich universalen) Begriffe sind z. B. Innenraum (in, innerhalb) vs. Außenraum (an, bei), Vertikalität (über, unter, auf) vs. Horizontalität (neben, seitlich, rechts, links), außerdem Nähe vs. Ferne, Richtungen u. a. m.“, H. Bussmann, Art. Topologie, in: dies., Lexikon der
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Schaubild 12: Vergleich zwischen der lk und der mk Raumdarstellung im Haus des Hohenpriesters Distanz, wenngleich in Sichtweite, zueinanderstehen (s. o.), be nden sich doch beide in dem geschlossenen Topos des hohepriesterlichen Hauses, das mit εἰς, ἔξω und ἐν µέσω (Lk 22,54.55.62) als geschlossener Raum charakterisiert wird und so deutlich vom Setting in der mk Parallele abweicht (s. u. Schaubild 12). Außer diesen beiden εἰς- und ἔξω-Bewegungen werden keine Ortsveränderungen der Figuren erzählt – im Gegensatz zu Mk. Markus führt dieselbe Szene mit einer personalen Ortsangabe (πρὸς τὸν ἀρχιερέα, Mk 14,53; vgl. εἰς τὴν οἰκίαν τοῦ ἀρχιερέως, Lk 22,54) ein, die keine Topologie von Innen / Außen beinhaltet (Mk 14,53). Das räumliche Setting der mk Perikope, in der Jesus nicht mehr auftritt, müssen die Leser mit den weiteren topologischen Angaben rekonstruieren, die die Bewegung des Petrus z. T. nachzeichnen (Mk 14,54.66.68). Nach einer kurzen Zwischenszene mit dem Rat des Hohepriesterkreises (Mk 15,1a), in der weder Jesus noch Jünger gurieren, führt Markus die folgende Perikope abermals mit einer personalen Topographie (καὶ παρέδωκαν Πιλάτῳ, Mk 15,1b) ein. Die Topologie von εἰς und ἔξω, die einen Raum als geschlossenen darstellt, so dass Handlungsstränge durch das Setting verknüpft bleiben, ist auch in anderen Szenen
Sprachwissenschaft, Stuttgart 1983, 549. (Hervorhebung im Original) Durch die Gesamtheit aller topologischen und topographischen Angaben ist ein literarischer Raum zu rekonstruieren. Bosenius, 3. Topographie bezeichnet „anschauliche Orts- und Landschaftsbeschreibung“, G. Wilpert, Art. Topographie, in: ders., Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart 71989, 952.
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zu finden. Jesus und seine Jünger gingen aus dem Zimmer des Passamahls hinaus (ἐξελθὼν, Lk 22,39. Sie waren vorher in es hineingekommen. εἰςτὴν οἰκίαν εἰς ἣν εἰσπορεύεται, Lk 22,10). Auch der Ölberg wird so als Raum eingeführt.
Als Fazit des Kapitels I-2 ist festzuhalten, dass die „Tribulatio Discipuli“ nach narratologischen Kriterien als Subplot der „Passio Christi“ anzusprechen ist. Tabelle 6: Der Subplot „Tribulatio Discipuli“ in der lk Passionsgeschichte (*kursiv = Inhalt der Tribulatio) A. Der Satan greift die Jünger an (Lk 22,3 ff, analeptisch auch in 31; vgl. Lk 4,2 ff) – a1. Satan fährt in Judas (Lk 22,3) – a2. Judas beschließt, Jesus zu überliefern (Lk 22,4 ff) – Kausalkette-a1 – a3. Die Jünger geraten miteinander in Konflikt, wer Jesus überliefern werde (Lk 22,23) und, wer von ihnen für den Größten zu halten sei (Lk 22,24) – Kausalkette-a1 B. Jesus als Mentor und Patron schützt und belehrt seine Jünger (Lk 22,25 ff) – b1. Jesus belehrt über die wahre Größe – die Jünger geraten dadurch in eine Spannung zum römischen Herrschaftssystem (Lk 22,25 ff) – Kausalkette-a3 – b2. Jesus deklariert, dass die Jünger die Begleiter seiner Versuchungen seien (Lk 22,28) – b3. Jesus verordnet ein alternatives Reich und verheißt das eschatologische Recht zu richten (Lk 22,29 f) – die Jünger geraten in eine grundsätzliche Spannung zum Römischen Reich – b4. Nach einer Fürbitte (Lk 22,32a) prophezeit Jesus Petri Rückkehr (Lk 22,32b) und dann seine Verleugnung (Lk 22,33 f) – b5. Jesus belehrt über die Ausrüstung der Jünger auch für das Schwert (Lk 22,35 ff) – b6. Die Jünger beten als Subjekte eigenen Gebets mit dem Jesusvorbild vor Augen (Lk 22,39 ff) – b7. Die Jünger trauern in Gethsemane (Lk 22,45) C. Die Jünger bleiben bei Jesus, mit ihm leidend in der Passionszeit (Lk 22,47 ff) – c1. Bei Jesu Verhaftung (Kausalkette-a2) geraten die Jünger mit der Menge des Judas in einen gewalttätigen Konflikt (Lk 22,47 ff) – Kausalkette-b5 – c2. Jesus belehrt über (Anti-)Gewaltaktionen (Lk 22,51) – Kausalkette-c1 – c3. Petrus folgt Jesus, verleugnet ihn vor seinen Augen (Lk 22,54 f) – Kausalkette-b2/b4 – c4. Jesus als Herr blickt auf Petrus (Lk 22,61), dieser weint bitterlich (Lk 22,62) – Kausalkette-b4 (vgl. Apg 1,15 ff u. a.) – c5. Die Jünger sehen die Kreuzigung ihres Meisters als Klimax (Lk 23,49) und werden tief betrübt (Analepse: Lk 24,17.21) – Kausalkette-b2/b6(/b7 als emotionelle)
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I-3 Leiden der Jünger und die Antizipation der Acta: Die Jünger als Kontagonisten 184 Wie sind die „Passio Christi“ und die „Tribulatio Discipuli“ miteinander verknüpft? Darüber hinaus stellt sich die Frage, was die Tribulatio Discipuli im lk Passionsbericht mit der Leidensgeschichte der Jünger in Acta zu tun hat. Zu handeln ist in diesem Kapitel also über den Antizipationscharakter der Tribulatio Discipuli.
Schaubild 13: Nicht-integrierte Handlungsmodelle von Passio Christi und Tribulatio Discipuli
(1) Ein Schlüsselbegriff für die Integration von Passio Christi und Tribulatio Discipuli ist ‚Jünger als Kontagonisten`. Nach allem bisher Herausgearbeiteten, verzögerten die Jünger Jesu Passion dadurch, dass sie ihre eigene Tribulatio erlitten: Sie sind zwar der Protagonist des Subplots, fungieren aber dadurch im Mainplot als typischer Kontagonist (s. u.). (2) Für die These der Antizipation analysieren wir jede Acta-Perikope, in der die Jünger ebenfalls unter Jesu Obhut leiden. Es wird also die Gesamtstruktur des lk Doppelwerks mit Blick auf das Leidensmotiv betrachtet.
184 (1) Kontagonist verzögert die Handlung des Protagonisten bzw. lenkt diesen ab, während der Antagonist diesen verhindern will. (2) Er kann aber auch dem Protagonisten an die Seite treten: „Contagonists are sometimes attached to the Protagonist, where they function as a thorn in the side and bad influence“, in dramatica, s. u. Anm. 197 (vgl. http://dramatica. com/theory/book/characters).
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
3.1 Integriertes Handlungsrollenmodell von „Passio Christi“ und „Tribulatio Discipuli“ im lk Passionsbericht 3.1.1 Protagonist, Antagonist und Kontagonist Der Kontagonist ist eine Handlungsrolle im Modell Eders, das wir bereits für die Figurenanalyse eingeführt haben (I-2.3). Laut J. Eder ist der Kontagonist „ein Verführer oder Skeptiker, der den Protagonisten ablenkt und seine Kräfte und Lösungsversuche an andere, oft mentale Widerstände bindet.“ 185 Er ist vom Antagonisten dadurch zu differenzieren, dass er kein „zentraler Hauptgegner oder Drahtzieher“, sondern ein „Zwischengegner“ ist, 186 der zugleich Helfer des Protagonisten sein kann. 187 Helfer und Ablenker müssen sich dabei nicht ausschließen: 188 Mit dem Begriff Kontagonisten kann man sich also eine Figur bzw. eine Handlungsrolle vorstellen, die kein Gegenspieler / Antagonist des Protagonisten ist, aber diesen und dessen Handlungen verzögern bzw. verführen kann. Die Vorstellung von einem ungewollten Verzögerer bzw. Störer hat Relevanz für den lk Passionsbericht, da Jesu Passion durch die Jünger verzögert wird bzw. durch die Jünger vom Zielobjekt des Protagonisten abgelenkt wird, da Jesus während der Passion sich nicht nur um sein eigenes Leiden kümmern soll, sondern auch um seine Jünger und deren Leiden. Allerdings Zielobjekt des Hauptplots war die vorher wiederholt angekündigte (nicht nur von Jesus, Lk 9,22.44; 18,31, sondern auch vom Erzähler, Lk 9,31.51) Passio Christi: Das
185 Eder, Die Figur, 494. 186 Eder, a. a. O., 488. 187 Eders eigene Beispielfigur (Gerado in Death and the Maiden) ist der Kontagonist als Helfer. Eder, a. a. O., 752. Den Begriff „contagonist“ führte J. Eder aus dramatica (1999) ein (Da dramatica als ein Computerprogramm keine formelle wissenschaftliche Publikation ist, gab Eder bibliographisch an: „Dramatica Pro 4.0 1999: Elektronisches des Computerprogramms. Theorienentwurf: Philip, Melanie Anne / Huntley, Chris. Programmentwickler: Hindley, Kevin. Hersteller: Screenplay Systems Inc.“. Vgl. http://dramatica.com). Siehe sechs Figurentypen von dramatica, u. a. den Kontagonisten, z. B., J. Eder, Spiel-Figuren. Computeranimierte Familienfilme und der Wandel von Figurenkonzeptionen im gegenwärtigen Kino, in: R. Leschke (Hg.), Spielformen im Spielfilm. Zur Medienmorphologie des Kinos nach der Postmoderne, Bielefeld 2007, 271–297; O. Schneider, Storyworld creation: authoring for interactive storytelling, Journal of WSCG 10/1–2 (2002), 405–412; U. Spierling, Setting the scene: playing digital director in interactive storytelling and creation, Computers & Graphics 26/1 (2002), 31–34 u. a. Der Begriff ‚Kontagonist` wird über Eders Handlungsrollenmodell hinaus auch in neuesten Forschungen der Neutestamentlichen Wissenschaft angewendet, z. B. Zimmermann, Figurenanalyse, 34. Bork (2015) ordnet Satan und Pharisäer sowie Gesetzeslehrer den Kontagonisten des Q-Texts zu. A. Bork, Raumsemantik, 306–314. 188 In dramatica ist explizit erklärt, dass auch Sidekick zur Seite des Antagonisten gehören kann, s. o.
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Leiden der Jünger war dagegen vorher nicht angekündigt, sondern kam dem Protagonisten dazwischen. 189 3.1.2 Die lk Jünger als Kontagonist Die Jünger und ihre Tribulatio verhindern bzw. stören Jesus und seine Passio auf folgende Weise: 1. Durch die Betreuung von Jüngern wird Jesu Kontemplation der eigenen Passion behindert: Bei Markus läuft die Szene im Obersaal des Passahmahls fokussiert auf die bevorstehende Passion Jesu ab. Nach der Ankündigung des Verrats, der Einsetzung des Herrenmahls und der Ankündigung von Petri Verleugnung sowie des Zerstreut-Werdens der Jünger kommt der Protagonist sehr schnell in Gethsemane an. Der lk Jesus hingegen muss wegen des Streits unter den Jüngern vor der Ankündigung der Verleugnung sie nicht zum ersten Mal (Lk 9,46) über die wahre Größe im Reich Gottes belehren (Lk 22,24 ff). Dieser Streit (συζητεῖν sowie φιλονεικία, Lk 22,23.24) ist nicht von Jesus gewollt, sondern entsteht, weil die Jünger nicht Jesus (vgl. Mk 14,19), sondern sich untereinander befragt haben (Lk 22,23). Daraus folgend muss er ein alternatives Reich verordnen sowie das eschatologische Recht zu richten ankündigen (Lk 22,29 f), gegen Satans captatio Petri anbeten, diesem die Aufgabe, Brüder zu stärken, übertragen (Lk 22,31 ff) und der ganzen Jüngergruppe über ihre Ausrüstung neue Anweisung geben (Lk 22,35). Auch in Gethsemane muss Jesus, anstatt wie bei Markus gleich bestürzt und geängstigt zu sein (Mk 14,33) und sein wirkliches Gefühl zu äußern (Mk 14,34), sich zuvörderst um die Jünger kümmern (Lk 22,40). Auch im folgenden vorbildlichen Gebet 190 spiegelt sich keine menschliche Schwäche Jesu, und bei der Kreuzigung schreit nicht in Gottverlassenheit auf (Mk 15,34), sondern übergibt seinen Geist in die Hände des Vaters (Lk 23,46), fromm 191, so dass er auch da als das Vorbild für Leidende und Märtyrer fungiert (vgl. Apg 7,59). 2. Jesu Kraftlosigkeit wird bei Lk wegen der Jünger heruntergespielt: Ein Element der Passion Jesu ist, dass er kraftlos wird bzw. seine Kraft nicht entfaltet. Der mt Jesus hat zwar himmlische Kräfte auch im Moment seiner Verhaftung zur Verfügung, will sie jedoch für die Erfüllung seiner Passion nicht realisieren (Mt 26,53 f). Wegen dieser Ironie des sich-nicht-rettenden 189 Bei Mk und Mt musste Jesus nichts mehr tun, als zu leiden, aufzuerstehen (und dadurch alle Macht zu erlangen, Mt 28,18). 190 Siehe Kapitel I-1.3. 191 H. Klein, 714. „Nicht der menschlich gesehene Jesus stirbt, der seine letzte Verzweiflung vor Gott bring, sondern der fromme, sich ergebende.“
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Retters erntet Jesus Spott (Mt 27,38 ff; Mk 15,29 ff; Lk 23,35 ff). Zur Kraftlosigkeit gehört auch, dass in der mk Quelle die Heilkraft Jesu nach seinem Einzug in Jerusalem nicht mehr eingesetzt wird – in Jericho 192 die letzte Heilung Jesu stattfand (Mt 20,29 ff; Mk 10,46 ff; Lk 18,35 ff). 193 Im lk Passionsbericht dagegen muss Jesus wegen der Gewaltreaktion der Jünger (Lk 22,49 ff) bei der Verhaftung aus seiner göttlichen Kraft schöpfen und das Ohr des Knechts des Hohenpriesters heilen (Lk 22,51). 194 Hätte es keine Gewalt der Jünger gegeben, hätte Jesus keine Feindesliebe zeigen müssen. Analog muss Jesus im Haus des Hohenpristers für Petrus als Herr wirken (Lk 22,61 f, siehe I-1.2). 3. Wegen der Jünger verzögert sich das körperliche Leiden Jesu Die Passion, nicht zuletzt das körperliche Leiden Jesu, verzögert sich auch zeitlich. Bei Markus wurde Jesus nach der Verhaftung unverzüglich (καὶ . . . καὶ . . . , Mk 14,53) verhört: Alle Hohenpriester und Ältesten und Schriftgelehrten versammeln sich. Viele legen falsches Zeugnis gegen Jesus ab (Mk 14,56). Alle urteilen, dass Jesus des Todes schuldig sei (Mk 14,64). Einige fangen dann an, ihn anzuspeien, ihn mit Fäusten zu schlagen usw. (Mk 14,65). Erst danach wird Petri Verleugnung berichtet, während der er seinen Meister nicht sehen kann (Mk 14,66 ff). Bei Lukas wird Jesu Verhör um eine Nacht verzögert (ὡς ἐγένετο ἡµέρα, Lk 22,66). Die erste Nacht im Haus des Hohenpriesters dient dazu, das zeitliche Setting für die Episode von Petri Verleugnung, in der Jesus noch als Herr wirkt, zu ermöglichen. Bevor es Tag wird, fängt Jesus dann an, körperlich zu leiden (Lk 22,63 ff); da ist Petrus aber schon nicht mehr mit seinem Herrn (Lk 22,62). Aus antiker Hinsicht ist das ein wesentlicher Punkt: Es ist im Honor-Shame-Wertesystem unvorstellbar, dass man in körperlicher Schande als Herr wirkt. B. Malina und R. Rohrbaugh beschreiben die Szene der Verspottung Jesu sogar als Degragation. 195 Für die Tribulatio Petri (schon in Lk 22,31 ff) und die Herrenolle, die Jesus für ihn spielen soll (Lk 22,61), muss seine Passion hinausgezögert werden. Nach dem Abtreten des Petrus fängt der lk Jesus sofort an zu leiden, nun genauso reagierend wie bei Markus (Mk 15,2/Lk 23,3 und Mk 14,5/Lk 23,9).
192 Bei Lukas, „als er sich Jericho näherte, ἐν τῷ ἐγγίζειν αὐτὸν εἰς ᾿Ιεριχὼ“. (Lk 18,35) 193 Bei Mt fand die letzte Heilung Jesu bei seiner Tempelreinigung statt (Mt 21,14). Darüber hinaus ergeht bei Mk sowie Mt in Jerusalem ein Fluch gegen den Feigenbaum (Mk 11,12 ff; Mt 21,18 ff), was negative Kraft, aber keine Heilkraft zum Tragen bringt. 194 „Mit der Heilung des Verwundeten will Lukas auch zeigen, dass Jesus ‚sogar seine Feinde heilt`“. Wolter, 727. U. Busse, Die Wunder des Propheten Jesus, Stuttgart u. a. 21979, 336. „Der Bericht ist sehr verkürzt; er stellt Jesus dar als einen, der auch den Feinden gutes tut (6,27–35; 23,34).“ H. Klein, 686. 195 B. Malina/R. Rohrbaugh, Social Science Commentary on the Synoptic Gospels, Minneapolis 1992, 405. Auch B. Malina, The New Testament World, Atlanta 1981, 68.
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Schaubild 14: Integriertes Plotmodell von Passio Christi und Tribulatio Discipuli
Mit der Konzeption „Jünger als Kontagonisten“ kann man folgendes integrierte Handlungsrollenmodell entwerfen: Als Kontagonisten verzögern Jünger die „Passio Christi“, und gerade diese Aktionen bilden zugleich den Subplot „Tribulatio Discipuli“, wo Jesus als Helfer der Jünger fungiert. Dabei überschneiden sich die Figurenkonstellationen beider Plots nur partiell. Z. B. treten der Satan als Antagonist und die Brüder als Empfänger nur in der „Tribulatio Discipuli“ auf.
3.2 „Tribulatio Discipuli“ in Acta: leidende Jünger, betreuender Jesus In der Apostelgeschichte werden die Handlungsrollen der „Tribulatio Discipuli“ wiederholt: Die Jünger als Protagonisten leiden, Jesus als Mentor hilft. Vor allem, auf der ersten auktorialen Erzählebene, auf der Jesus selbst die Bühne betritt, figuriert er als Mentor bzw. Patron der Leidenden. Aber auch auf den weiteren figuralen Erzählebenen bezieht Jesus sich hauptsächlich auf das Leidensmotiv. 196 Verschiedene Erzählebenen in Acta gibt Schaubild 15 wieder.
196 Zu Erzählebenen vgl. bereits in den 70er Jahren R. Fieguths Kommunikationsmodell:
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Schaubild 15: Jesus auf verschiedenen Erzählebenen 197
3.2.1 Jesus auf der ersten auktorialen Erzählebene Jesus selber erscheint auf der Bühne der Acta insgesamt 5mal (Apg 1,4 ff; 7,55 ff; 9,3 ff; 18,9 ff; 23,11; aber auch 16,7, τὸ πνεῦµα ᾿Ιησοῦ, s. u.). In jeder Szene agiert er als Mentor / Patron der Jünger, der ihnen einen Auftrag erteilt und sie unterstützt. Klammern wir die erste Szene der (1) Himmelfahrt Christi (Apg 1,4 ff) als Wiederholung (Lk 22,44 ff) aus, so können wir auf der Basis der restlichen Stellen als These formulieren, dass in Acta Jesus Mentor und Patron der leidenden Jünger ist. Die nächste Szene ist die beeindruckendste, und zwar (2) die Steinigung des Stephanus (Apg 7,54 ff): Vor dem Tod des Stephanus kommt Jesus in Sicht (Apg 7,55.56) und spielt die Rolle, den Geist des Märtyrers aufzunehmen (Apg 7,59). Jesus fungiert also als Patron des Stephanus sowie der Vermittler zwischen Gott und dem Märtyrer.
„das Niveau von den Figuren (N1)“ – das von „fiktivem Erzähler und fiktivem Zuhörer (N2)“ – das von „Subjekt und Empfänger des Werkganzen (N3)“ – das von „Autor und Leser in ihrer Rolle als Pruduzent und Adressat (N4)“ – das von „Autor und Leser an sich ohne ihre kommunikative Rolle (N5)“. R. Fieguth, Zur Rezeptionslenkung bei narrativen und dramatischen Werken, Sprache im technischen Zeitalter 47 (1973), 186. Auch vgl. das Modell von Chatman u. a., was G. Genette aber wegen seiner Vielschichtigkeit stark kritisierte: „[realer Aut. [impl. Aut. [Erzähler [Erzählung] Adressat] impl. Leser] realer Leser]“, G. Genette, Die Erzählung, UTB für Wissenschaft, München 1994, 285; S. Chatman, Story, 151; Rimmon-Kenan, 86–89. 197 Ich habe das Modell von Finnern leicht bearbeitet. Finnern, a. a. O., 96.
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Während Jesus am Kreuz unmittelbar den Vater (πάτερ, Lk 23,46) anrief und ihm seinen Geist übergab, rief Stephanus den Sohn, den Herrn Jesus (κύριε ᾿Ιησοῦ, Apg 7,59), an und bat ihn, seinen Geist aufzunehmen. Die Rolle Jesu als Vermittler zwischen Gott und Märtyrer ist daran zu erkennen, dass Jesus in Leidenssituationen den Geist sowohl übergibt (παρατίθηµι, Lk 23,46), als auch aufnimmt (δέχοµαι, Apg 7,59). Stephanus ist von Jesus abhängig, so dass er bis zum Ende Jesus anruft und bittet. Darüber hinaus wird der Tod des Stephanus als „(ent)schlafen“ (ἐκοιµήθη, Apg 7,60) bezeichnet, was Christusabhängigkeit andeutet (z. B. οἱ κοιµηθέντες ἐν Χριστῷ, 1 Kor 15,18: Die in Christus schlafenden Christen werden auferstehen, während Christus bereits auferweckt ist). Im NT wird die Wendung lediglich für Christen, nicht für Jesus benutzt.
(3) Bei der Berufung des Saulus (Apg 9,3 ff) tritt Jesus ihm sowie dem Hananias in einer Erscheinung entgegen: Jesus weist sich selbst aus (Apg 9,5; vgl. Apg 9,17) und führt mit ihnen ein Gespräch, in dem es allein um das Leiden der Jünger geht und Jesus als Patron / Mentor der Leidenden sich erweist (v. a. Apg 9,16). Jesus selbst stellt sich im Blick auf die Verfolgung durch Saulus (Apg 8,1 ff; 9,1 f) als Leidenden dar (Apg 9,4), sogar vor der Angabe seines Namens (Apg 9,5). Die Identifizierung von Jesus und den Jüngern (auch wörtlich in Apg 9,1 198) als Leidenden 199 weist darauf, dass Jesus der Patron / Mentor v. a. der leidenden Jünger ist. Hananias dann hört, was geschehen soll (Apg 9,10 ff): Saulus selber muss für den Namen Jesu viel leiden (Apg 9,16). Keinem anderen Thema wenden sich die beiden Figuren zu, als dem Leiden der Jünger. Nach Apg 9,16 erscheint Jesus auch als der Patron / Mentor des Paulus, der viel leiden wird, woraufhin dieser im Plotverlauf sogleich anfängt zu leiden (Apg 9,23 ff). Darüber hinaus erscheint Jesus noch zweimal dem Paulus, (4) in Korinth (Apg 18,9 f) und (5) in Jerusalem (Apg 23,11), um ihn jeweils in Leidenssituationen zu ermuntern. In beiden Fällen wird die göttliche Figur nur „der Herr (ὁ κύριος)“ genannt. Obwohl in Apg 18,9 f kein weiteres Indiz gegeben ist, identifizieren Exegeten diesen Herrn mit dem erhöhten Jesus. 200 Dafür
198 In Apg 8,1 ff, ἐκκλησία. 199 Auch R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 303–24; E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 1961, 270. Vgl. Lk 10,16. 200 Haenchen: „die nächste Christuserscheinung“. E. Haenchen, 472. Auch Pesch, 149; F. Bruce, Commentary on the book of the acts, NICNT, Grand Rapids, Mich. 1956, 351; J. Fitzmyer, The Acts of the Apostles. A new translation with introduction and commentary, AB 31, New York u. a. 1998, 628; J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte, RNT, Regensburg 1994, 659; J. Jervell, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 171998, 461–62 usw. Exegeten erwähnen auch den Bezug zu verschiedenen atl. Epiphanieerzählungen sowie Zusprüche an berufene Propheten (Jes 41,10. 13; 43,5; Jer 1,5. 8. 19. Vgl. Gen 21,22; 26,3; 31,3. 5; Ex 3,12; Joh 1,5.9, auch Gal 1,15 usw.), wo freilich Jahwe spricht.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
spricht, dass in Apg 23,11 der Herr als Jesus identifiziert wird, den (τὰ περὶ ἐµοῦ 201) Paulus in Jerusalem bezeugte und auch in Rom bezeugen muss. Die Titulatur „der Herr“ bereitet Schwierigkeiten, die Figurenkonfiguration 202 zu bestimmen – Jesus war Knecht Gottes (Apg 3,13), dieser aber machte Jesus zum Herrn (Apg 2,36; vgl. aber wiederum Apg 4,27 ff). Unklar ist die inhaltliche Füllung von „Herr“, nicht nur (a) bei unmittelbaren Erscheinungen des Herrn (wie in o. g. Apg 18,9), sondern auch (b) beim Auftritt von dessen Entourage (z. B. mit Genitivverbindungen, „Engel oder Geist des Herrn“). Darüber hinaus läuft das hapax legomenon (c) „der Geist Jesu“ (Apg 16,17) zum „Geist Gottes“ bzw. „Geist des Herrn“ parallel. Alle Punkte haben für die hiesige Analyse Relevanz. Ad (a): Einige weitere Stellen sind zu überprüfen. Auch Petrus in Cäsarea hatte eine Erscheinung des Herrn (Apg 10,10 ff). Obwohl Petrus diesen unbenannten Sprecher „Herr“ ruft (µηδαµῶς κύριε, Apg 10,14), spielt diese Himmelsstimme in seiner Vision wahrscheinlich nicht auf Jesus an. Wäre es die Stimme von seinem Meister Jesus gewesen, hätte Petrus selbst sie nicht bloß als „eine Stimme (φωνὴ, Apg 11,7. 9)“ wiedergegeben, wobei Petri Rede wörtlich an Ez 4,14 (µηδαµῶς κύριε θεὲ τοῦ Ισραηλ) erinnert, wo der Prophet mit analogen Worten die analoge Ankündigung Gottes nicht hinnehmen wollte. Auch sonst wird der Herr als Subjekt der Handlung beschrieben, wie er bei der Entstehung der Gemeinde die, die gerettet werden, hinzutat (Apg 2,47), in Ikonion durch Paulus und Barnabas für das Wort seiner Gnade Zeugnis gab (Apg 14,3 f) oder in Philippi das Herz der Lydia öffnete (Apg 16,14). Diese Fälle signalisieren schwerlich einen narrativen Erscheinungsauftritt des Herrn als Figur, sondern umschreiben eher Gottes (oder Christi) geschichtslenkende Kraft. Genauso ist es in allen sog. „Wachstumsnotizen“ 203, wo immer wieder dieselben Vokabeln wie in Apg 2,47 begegnen (Apg 5,14; 11,24): Herr (ὁ κύριος) und Hinzutun (προστίθηµι). 204 Viele Exegeten identifizieren den Herrn in den Wachstumsnotizen mit Gott 205, über Apg 14,3 aber besteht kein allgemeiner Konsens: „ob mit κύριος Gott oder Christus gemeint ist, läßt sich nicht entscheiden“ (Haenchen). 206 Paulus und Barnabas predigten in Apg 14,3 freimütig „im Vertrauen auf den Herrn“ 207, der dann durch ihre Hände Zeichen und Wunder geschehen ließ. Hielte man freilich
201 In Rom predigte Paulus τὰ περὶ τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ (Apg 28,31. Auch περὶ τοῦ ᾿Ιησοῦ, Apg 28,23). 202 Man fragt nach der „Teilmenge des Personals, die jeweils zu einem bestimmten Punkt des Textverlaufs auf der Bühne präsent ist“. Pfister, 235. 203 G. Stählin, τὸ πνεῦµα ᾿Ιησοῦ (Apostelgeschichte 16:7), in: B. Lindars (Hg.), Christ and Spirit in the New Testament. In honour of Charles Francis Digby Moule, Cambridge 1973, 229–52. 204 ὁ δὲ κύριος προσετίθει τοὺς σῳζοµένους καθ᾽ ἡµέραν ἐπὶ τὸ αὐτό. (Apg 2,47); µᾶλλον δὲ προσετίθεντο πιστεύοντες τῷ κυρίῳ (Apg 5,14); καὶ προσετέθη ὄχλος ἱκανὸς τῷ κυρίῳ (Apg 11,24); auch Apg 2,41, aber ohne ὁ κύριος. 205 J. Zmijewski, Die Apostelgeschichte; Pesch, 51; Bruce, 287. Auch G. Schneider, Gott und Christus als KURIOS nach der Apostelgeschichte, in: J. Zmijewski u. a. (Hg.), Begegnung mit dem Wort. Festschrift für Heinrich Zimmerman, Bonn 1980, 161–174. 206 E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 362. 207 ἐπὶ τῷ κυρίῳ, nach Übersetzung von Pesch, 51 u. Haenchen, 360 f.
Leiden der Jünger und die Antizipation der Acta: Die Jünger als Kontagonisten
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diese Szene für eine Erscheinung Jesu, hieße das nichts anderes, als dass er wiederum seine Jünger in schwierigen Situationen (Apg 14,2. 5) als Patron / Mentor ermutigte. Ad (c): Ist auch mit dem „Geist Jesu (τὸ πνεῦµα ᾿Ιησοῦ, Apg 16,7)“ eine Erscheinung Jesu gemeint? Jesus und der Geist Jesu sind unterschiedliche Figuren, genauso, wie Gott und der Geist bzw. Engel Gottes andere Figuren sind. Diese Szene ist folglich von obiger Analyse der Figur Jesu in Acta auszuschließen. Allerdings schließt sich die Frage an, ob der Heilige Geist / Geist Gottes und der Geist Jesu identisch sind, da die beiden von der Funktion her kaum zu unterscheiden sind. 208 Das hapax legomenon ‚τὸ πνεῦµα ᾿Ιησοῦ` 209 ist aufschlussreich. Einerseits ist in diesem Geist „der Kyrios Jesus selbst gegenwärtig und wirkt“, 210 andererseits ist Jesus der Herr des Geistes, „über den er als Kyrios verfügt“. 211 Jesus hat den Geist nicht nur verheißen (Apg 1,4 ff; Lk 24,49), sondern er lenkt durch den Geist in Apg 16,7 als Patron die Jünger (Missionare) und wirkt als Herr (mit), wo der Geist bzw. Engel des Herrn wirkt. Ad (b): Wie sind der und die Engel 212 des Herrn zu bestimmen? Der Geist des Herrn ist in Apg 5,9 und 8,39 erwähnt, und der Engel des Herrn in Apg 5,19 ff, 8,26 ff, 12,7 ff und 12,23. Apg 5,9 erzählt keine narrative Erscheinung dieser Figur. Erst in Apg 5,19 tritt der Engel des Herrn in der erzählten Welt der Acta auf, indem er in Petri Tribulatio die Türen des Gefängnisses öffnet. Demselben Apostel in derselben Situation hilft er noch einmal (Apg 12,7 ff), wobei im Monolog des Petrus festgehalten wird, dass der Herr der Patron der Jünger in ihren Leidenssituaionen ist (Apg 12,11). Dadurch, dass der Geist des Herrn sowie dessen Engel die Richtung weisen (Apg 8,26) oder sogar selbst die Jünger lenken (Apg 8,39), interveniert der Herr im Handlungsverlauf der Jünger. Auch der Straftod des Herodes (der Engel des Herrn schlug ihn, Apg 12,23) befindet sich inmitten der Ereigniskette dieser Jüngergeschichte – als deren Satellit 213 –, in der die Gemeinde trotz / durch Tribulatio Discipuli (Hinrichtung des Jakobus sowie Gefangenschaft des Petrus, Apg 12,1 ff) mit Hilfe des Herrn (Apg 12,7 ff) – ebenso wie die Erkenntnis der Gemeinde (Apg 12,11 ff) wächst (Apg 12,24). In den Leidenssituationen der Jünger treten die Gehilfen des „Herrn“ wiederholt dazwischen. Würde man diesen Herrn auf Jesus beziehen, würde die These „Jesus als Patron der leidenden Jünger“ noch weiter befestigt.
208 Gerade in Apg 16,6 sind sie nicht unterscheidbar. 209 Bei Paulus aber πνεῦµα Χριστοῦ (Röm 8, 9. Auch 1 Petr 1,11) und τοῦ πνεύµατος ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ (Phil 1,19). 210 G. Stählin, 251. 211 A. a. O. 212 Bei Lukas sind Geist und Engel – auch ohne Genitivverbindung – verkoppelt (Apg 23,9, auch 23,8); die beiden sind von der Funktion als Werkzeug des Herrn her voneinander nicht scharf zu unterscheiden. 213 Über den Begriff Kern-Satellit, Kapitel I-2.4.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
3.2.2 Jesus auf weiteren figuralen Erzählebenen In Acta sind Jesus und dessen Handlung durch Erzählungen der anderen Figuren insgesamt 21mal dargestellt. 214 Im Prinzip beziehen sich diese Erzählungen immer auf Leidenssituationen. Am häufigsten (14mal 215) geht es um seine Passion, die in der Regel mit der Auferstehung zusammen als Inhalt des apostolischen Kerygmas berichtet wird. Dreimal wird die Passion auch ohne Koppelung an die Auferstehung beschrieben 216, die Auferstehung aber niemals allein. 217 Die figuralen Erzählungen über Jesus beziehen sich häufig aber auch auf Leidenssituationen der Jünger (7mal 218), wobei Passio Christi und Tribulatio der Jünger verbunden sein können (3mal 219). 220
214 Apg 1,11; 1,16 ff; 2,22 ff; 3,11 ff; 4,1 ff; 4,23 ff; 5,28 ff; 6,14; 7,52; 8,26 ff; 9,17 f; 9,27; 10,34 ff; 11,16; 13,16 ff; 17,1 ff; 17,16 ff; 20,18 ff; 22,6 ff; 25,19; 26,1 ff. Ich habe dabei die Stellen, wo bloß der Name sowie weitere Bezeichnungen Jesu erwähnt sind, ausgeklammert: Jesus: 8,35 (εὐηγγελίσατο αὐτῷ τὸν ᾿Ιησοῦν); 18,25 (τὰ περὶ τοῦ ᾿Ιησου); 19,4 (τοῦτ᾽ ἔστιν εἰς τὸν ᾿Ιησοῦν); 28,23 (περὶ τοῦ ᾿Ιησου). Der Name Jesu: 3,6; 5,40 f; 8,12. 16; 9,21 (τὸ ὄνοµα τοῦτο); 15,26 (τοῦ ὀνόµατος τοῦ κυρίου ἡµῶν ᾿Ιησοῦ Χριστου); 16,18; 19,5. 13. 17; 21,13. Jesus als Christus: 5,42 (εὐαγγελιζόµενοι τὸν χριστόν ᾿Ιησοῦν); 9,22 (ὅτι οὗτός ἐστιν ὁ χριστός); 18,28 (εἶναι τὸν χριστὸν ᾿Ιησοῦν); 24,24 (περὶ τῆς εἰς Χριστὸν ᾿Ιησοῦν πίστεως); 28,31 (τὰ περὶ τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ Χριστου). Jesus als Herr: 11,20 (εὐαγγελιζόµενοι τὸν κύριον ᾿Ιησοῦν); 16,31 (πίστευσον ἐπὶ τὸν κύριον ᾿Ιησοῦν). Jesus als Sohn Gottes: 9,20 (ὅτι οὗτός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ θεου). Jesus als ein (anderer) König: 17,7 (βασιλέα ἕτερον λέγοντες εἶναι ᾿Ιησοῦν) aus der Sicht von Gegnern. Für eine strikte narratologische Analyse sind diese Bezeichnungen aber keine Handlungen in den figuralen Erzählebenen. 215 Apg 1,16 ff; 2,22 ff; 3,11 ff; 4,1 ff; 4,23 ff; 5,28 f; 7,52; 8,26 ff; 10,34 ff; 13,16 ff; 17,1 ff; 17,16 ff; 25,13 f; 26,1 ff. Von 8,26 ff, s. u. die nächste Anm. 233. 216 Apg 4,23 ff; 7,52; 8,26 ff. Man könnte sagen, dass in Apg 8,26 die Passion Jesu indirekt dargestellt wird, indem Philippus nur Jesus verkündete (εὐηγγελίσατο αὐτῷ τὸν ᾿Ιησοῦν, Apg 8,35), jedoch als Person, die „wie ein Schaf zur Schlachtung geführt wurde und deren Leben von der Erde weggenommen wird“ (Apg 8,32 f). 217 In diesem Sinne orientiert sich die Apostelgeschichte, quantitativ betrachtet, mehr an der Passion (14mal) als der Auferstehung (11mal) und Parusie (4mal, Apg 1,11 ff; 3,11 ff; 6,14 ff; 17,16 ff). 218 Apg 4,23 ff; 7,52; 9,17 f; 9,27 f; 20,18 ff; 22,6 ff; 26,1 ff. Paulus und Hananias erzählen von Jesu Erscheinung, die sich auf das Leiden sowohl ‚von` als auch ‚durch` Paulus bezieht: 9,17 f, 9,27 f, 22,6 und 26,1. In 7,52 und 20,18 ff wird Jesus in der Voraussicht erwähnt, dass Stephanus und Paulus tödlich leiden werden. In 4,23 ff verbinden die Jünger selbst ihre eigene Tribulatio direkt mit Jesu Passio. 219 Apg 4,23 ff; 7,52; 26,1 ff. Allerdings sieht man im lk Doppelwerk keine metaphorische Gleichsetzung wie die Teilnahme an Christi Leiden, sondern die Hierarchie zwischen beiden, da die Passio immer die Tribulatio voraussetzt und Jesus als Patron der leidenden Jünger fungiert. S.u. Kapitel II-1. 220 Die übrigen Stellen (3mal: Apg 1,16 ff; 6,14; 11,16) sind als Ausnahmen zu betrachten, wo z. B. an die Parusie Jesu bzw. dessen eschatologisches Urteil gedacht ist (2mal), aber nicht an Leiden. Allerdings folgt in Apg 6,14 auf einen Falscheid die Steinigung Stephani, also wiederum eine Leidenssituation.
Leiden der Jünger und die Antizipation der Acta: Die Jünger als Kontagonisten
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Die Figuren in Acta erwähnen angesichts des aktuellen bzw. bevorstehenden Leidens der Jünger Jesus eher mit Fokus auf seine Passion, also ohne Koppelung an die Auferstehung. Im frühen Gemeindegebet nach Freilassung von Petrus und Johannes aus dem Hohen Rat (Apg 4,23 ff) werden die Passion Jesu (Apg 4,25 f), seine Widersacher (Apg 4,26) und die entsprechende Prädestination Gottes (Apg 4,28) zusammengefasst. Es folgt dann die Petition, dass Gott die derzeitige Tribulatio der Jünger sehen möge (καὶ τὰ νῦν, κύριε, ἔπιδε ἐπὶ τὰς ἀπειλὰς αὐτῶν, Apg 4,29). Stephanus in seiner langen Rede (Apg 7,2–53) vor dem Martyrium spricht nur einmal von Jesus, und zwar dann nur von dessen Tod (Apg 7,52), der mit dem Tod des Stephanus mitklingt (7,54 ff). Dass in dieser längsten Rede der Acta das Christuskerygma, abgesehen von der Tötung des Messias, also auch die Auferstehungs- und Bußtopoi fehlen, ist von Exegeten immer wieder notiert worden: „Bisher waren die Reden Missionsreden. Die Rede des Stephanus enthält aber die Verurteilung der Unbussfertigen“. 221 Dabei wird Apg 7,52 mit Apg 2,23 ff, 3,15 ff, 4,10 ff und 5,30 ff verglichen, wo der Mord an Jesus jedoch mit der Möglichkeit der Vergebung besprochen wird 222 und hervorgehoben ist (Apg 2,24; 3,15; 4,10; 5,30). Zusammengenommen ergibt sich, dass sich die Figuren in Acta in eigenen Leidenssituationen tendenziell auf die Passion Jesu konzentrieren, besonders ausdrücklich in Apg 4,23 ff.27.29. Jesus wird auch erwähnt, wo Tod 223 oder Leiden des Paulus angedeutet sind (Apg 20,18 ff). In der sog. Abschiedsrede des Paulus wird dieser zum Vorbild für die Presbyter: Seine Rede beginnt mit einer Erinnerung an sein eigenes Verhalten (ὑµεῖς ἐπίστασθε . . . , πῶς µεθ᾽ ὑµῶν τὸν πάντα χρόνον ἐγενόµην, Apg 20,18), betont sein Vorbild-Sein für sie (πάντα ὑπέδειξα ὑµῖν, Apg 20,35). Es wird aber auch mehrmals festgestellt, dass Jesus der Patron des Apostels sei: Paulus ist Vorbild für den Knechtsdienst für den Herrn (Apg 20,19.21.), den Jesus selbst gegeben hat (Apg 20,24). Auch schließt seine Rede mit einem Herrnwort (Apg 20,35) und er kniet nieder, sich als Knecht Jesu erweisend. Jesus wird also sowohl in der beständigen Tribulatio Pauli (Apg 20,19. 23) als auch in seiner bevorstehenden Leidenssituation (Apg 20,22.24.29), in der er das Leidensschicksal mit seinem Herrn teilen wird, als der Patron des Apostels dargestellt.
Kurzum, auf figuralen Erzählebenen der Acta erzählen die Figuren v. a. in eigenen Leidenssituationen vom Kyrios Jesus und seiner Passion. Dies zeigt einmal mehr die Rolle Jesu als Patron / Mentor der leidenden Jünger. Auf der ersten auktorialen Erzählebene hatte sich Jesus durchgängig so dargestellt.
221 J. Jervell, Die Apostelgeschichte, 248. Auch Pesch, 258; Zmijewski, 328 f. Für Jervell (249) endet mit der Stephanus Rede die Mission in Jerusalem; eine Umkehrforderung ist nicht mehr nötig. 222 Jervell, 248; Pesch, 258. 223 „Daß in 20,18–35 der Tod des Paulus vorausgesetzt ist, ergibt sich aus der Wahl der Testamentsform für die Rede, dem vorluk. Hinweis in 24 (‚den Lauf vollenden`) wie dem luk. in 29 (‚nach meinem Weggang`) jedenfalls in dessen Kontext.“ Pesch, 208. Auch Jervell, 515.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
Nach dem Aktantenmodell von Gremas sowie dem Handlungsrollenmodell von Eder 224 können wir die Handlungsrollen der Figuren in Acta folgendermaßen entwerfen:
Schaubild 16: Tribulatio Discipuli in Acta nach Gremas Aktantenmodell
Schaubild 17: Tribulatio Discipuli in Acta nach Eders Handlungsrollenmodell
3.3 Gesamtstruktur des lk Doppelwerks im Lichte des Leidensmotiv Die Tribulatio Discipuli, auf deren Bühne Lukas die Jünger als Leidenssubjekt und Jesus als deren Mentor darstellt, ist in die Passio Christi als eine untergeordnete Geschichte der Kontagonisten, die Jesu Passion verzögert und von ihr ablenkt, so integriert, dass sie die Jüngergeschichte in Acta antizipiert.
224 Über beide Modelle siehe I-2.3.
Leiden der Jünger und die Antizipation der Acta: Die Jünger als Kontagonisten
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Schaubild 18: Integriertes Plotmodell der Passio Christi und Tribulatio Discipuli im Doppelwerk
3.4 Fazit: Evangelium versus Acta Das Phänomen, dass inmitten der lk Doppelwerk-Konstruktion ein Parallelismus zwischen Jesus und den Jüngern liegt, wurde in der Forschungsgeschichte schon lange intensiv untersucht, da man es auf verschiedene weitere Thematiken, z. B. die Einheitlichkeit oder den Zweck des lk Doppelwerks als Geschichtsschreibung beziehen kann. 225 Die vorliegende Arbeit stellte dazu fest, dass das Leidensmotiv der Jünger nicht nur von der Apostelgeschichte 225 Z. B. W. Radl, Paulus und Jesus; E. Zeller, Apostelgeschichte; D. Moessner, Christ must suffer, 220–256. G. Muhlack, Die Parallelen von Lukas-Evangelium und Apostelgeschichte, Theologie und Wirklichkeit 8, Frankfurt u. a. 1979; F. Neirynck, The Miracle Stories in the Acts of the Apostles, in: J. Kremer (Hg.), Les Actes des Apôtres. Traditions, rédaction, théologie, Gembloux 1979, 169–213; R. O'Toole, Parallels between Jesus and
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli
her mit dem des Jesus in Parallele zu setzen, sondern auch bereits im Passionsbericht des Evangeliums antizipiert ist: Diese sog. Tribulatio Discipuli lässt sich mithilfe von Analysekategorien der Narratologie dem Subplot der Passio Christi zuordnen (Kapitel I-2). Diese neue Sicht auf die Doppelwerkstruktur ermöglicht als Zwischenbilanz einen neuen Blick auf die Bedeutung der Leidensthematik. Nicht nur die Passion Jesu ist im Evangelium von größter Wichtigkeit, auch in Acta wird das Motiv des Leidens ständig angesprochen, nicht nur durch wiederholte Verkündigungen der Passion Jesu, sondern auch durch die Funktion und Rolle Jesu als Patron / Mentor der Leidenden, durch eine Identifizierung zwischen den Gegnern der Jünger und den Jesu (Apg 4,24 ff), durch verschiedene Perikopen von Tribulatio Discipuli, nämlich des Petrus, Stephanus und Paulus usw. Die Passionsgeschichte erweist sich, da sie die Geschichte der Jünger in Acta antizipierend umfasst, als Angelpunkt der Erzählstruktur des Doppelwerks. Dass Lukas den Chiasmus 226 präferiert und solche Erzähltechniken nicht nur bei Einzelperikopen, sondern auch bei größeren Einheiten benutzt, wurde in der Forschungsgeschichte bereits beobachtet. Lukas nimmt also im Gegensatz zu anderen Thematiken die Tribulatio Discipuli im Evangelium vorweg, so dass das Leiden Jesu sowie der Jünger zum Höhepunkt der Gesamtstruktur des Doppelwerks wird. Die Bedeutung der Leidensthematik zeigt sich nochmal in anderer Hinsicht. Während Jesus bei Wundergeschichten in Acta, die ebenfalls mit der Geschichte Jesu im Evangelium parallelisiert werden, nicht einmal (unter 24 Perikopen 227) erscheint, betritt Jesus mehrmals in Leidenssituationen der Jünger die Bühne der Acta. Ohne Bezug zum Leiden wird er in Acta von anderen Figuren fast nicht erwähnt. Das Leiden sowohl Jesu als auch der Jünger wird in beiden Werken par force hervorgehoben. Mit den bisherigen Ergebnissen des Kapitels I erkennt man auf der Ebene der Narratio, dass Lukas im Hinblick auf das Leiden die Geschichte Jesu zur
His Disciples in Luke-Acts. A Further Study, BZ 27 (1983), 195–212; S. Praeder, JesusPaul, Peter-Paul, and Jesus-Peter Parallelisms in Luke-Acts, 22–39. A. Mattil, The JesusPaul Parallels and the Purpose of Luke-Acts: H.H. Evans Reconsidered, NT 17 (1975), 15– 46; S. Uytanlet, Luke-Acts and Jewish Historiography. A Study on the Theology, Literature, and Ideology of Luke-Acts, Tübingen 2014. 226 Als „a major structuring principle“, C. Talbert, Literary patterns, theological themes, and the genre of Luke-Acts, Cambridge 1975, 51–58; F. Bovon, Das Evangelium nach Lukas Bd. 1, 15–16. „. . . in der Mitte der Einheiten Höhepunkte zu gestalten . . . Solche durchdachten und wohlgebauten Episoden liefern eine Art literarischer Zusammenfassung und einen hermeneutischen Schlüssel für das ganze Werk (etwa wie die „mise en abîme“ der neueren französischen Kritik)“. 227 Apg 2,43; 3,1–10; 5,1–11; 5,12; 5,15; 5,16; 5,17–21; 6,8; 8,6–7,13; 8,18–24; 9,32–35; 9,36–42; 12,3–17; 12,9–12; 14,3; 14,8–10; 16,16–18; 16,25–34; 19,11–12; 19,13–19; 20,7–12; 28,3–6; 28,7–8; 28,9. Vgl. F. Neirynck, The Miracle Stories, 169–213.
Leiden der Jünger und die Antizipation der Acta: Die Jünger als Kontagonisten
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Geschichte der Jünger konvertierte: „Tribulatio Discipuli in der Passio Christi“. Im nächsten Kapitel II wird dieselbe Konversion auch auf der Ebene der Cognitio nachzuprüfen sein. Eine Hierarchie zwischen dem Leiden Jesu und dem der Jünger und unterschiedliche Empathie-Konstellationen der Leser (Jesus ferner, Jünger näher) durchziehen die gesamte Struktur des lk Doppelwerks: „Passio Christi in der Tribulatio Discipuli“.
Kapitel II Hierarchie und Ungleichheit von Passio und Tribulatio: Unterschiede in der Leserempathie-Lenkung An den Ergebnissen des Kapitels I könnte man als Kritik 1 anbringen, dass die Lesergruppe des Lukas die komplizierte narrative Struktur kaum richtig auffassen konnte. Ich bezweifle dies. Denn die Ausweitung der (Leidens-)Geschichte Jesu hinein in eine Geschichte der Jünger fand zugleich auf der Ebene der „Leser-Empathie“ (s. u.) statt, welche in der Antike kaum anders als heute funktioniert haben dürfte. 2 Die Leser rezipieren intuitiv die Jünger als Gegenstand der Empathie oder Identifikation, während Jesus zum Vorbild und Patron der Leidenden erhoben wird. M.a.W.: Lukas positionierte Jesus und seine Passion ferner/höher, die Jünger und deren Leiden dagegen näher/niedriger. Man sieht zunächst die vertikale Achse des Kreuzes: Lukas hat zwischen zwei unterschiedlichen Typen des Leidens, nämlich der Passio Christi und der Tribulatio Discipuli, hierarchisch differenziert. Mit sorgfältiger Redaktion wurde dabei Tribulatio (θλῖψις, Apg 11,19 usw.) als terminus technicus für die Leidenssituation der Jünger in der erzählten Welt verwendet. Die Hierarchie zwischen Passio und Tribulatio, die Abhängigkeit der Jünger-Tribulatio von der ChristusPassio impliziert, ist für jede Perikope exegetisch zu ermitteln (II-1). Die horizontale Achse besteht aus unterschiedlichen Entwicklungen der Empathie, die die Leser beim Rezipieren der Figuren von Jesus und den Jüngern durchmachen. Der Rezipient wird sich im Allgemeinen eher den Jüngern als Jesus nahe fühlen und sich in sie hineindenken, solange (wie bei Lukas) die Empathie durch verschiedene Erzählfaktoren ständig von Jesus weg hin zu den Jüngern gesteuert wird. Diese Empathie-Konstellation im lk Doppelwerk wird durch die Analyse der Szenen des Passionsberichts und den Vergleich der parallelen Szenen von Passio Christi im Ev. und Tribulatio Discipuli in Acta ausführlich ermittelt (II-2). 1 Dergleichen Kritik ist freilich an der (klassisch-)narratologischen Annäherung im Allgemeinen zu üben. Vgl. R. Denova, The Things Accomplished among us. Prophetic Tradition in the Structural Pattern of Luke-Acts, Sheffield 1997, 21–22; F. Spencer, Acts and Modern Literary Approaches, in: B. Winder u. a. (Hg.), The Book of Acts in its ancient literary setting, Grand Rapids 1993, 413. 2 Siehe I. Czachesz, Cognitive science and the New Testament. A new approach to early Christian research, Oxford / New York 2017, 21–61 [u. a. 58–61]. Leserempathie lässt sich mit Kategorien der Neurowissenschaft erfassen. In den letzten Jahren hat sich entsprechend im Fach Neues Testament auch eine neurowissenschaftlich beeinflusste Narratologie herausgebildet, die sich jedoch begrifflich zu eng gefasst als „cognitive narratology“ bezeichnet. Besser wäre gewesen, von neuroscience-based narratology o. ä. zu reden. Denn Empathie z. B. lässt sich nicht unter Kognition subsumieren.
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Hierarchie und Ungleichheit von Passio und Tribulatio
II-1 Ausdifferenzierung und Hierarchisierung zwischen Passio und Tribulatio Während in den übrigen synoptischen Evangelien das Leiden der Jünger bloß als Bestandteil eines Gleichnisses, einer Weisung oder einer eschatologischen Weissagung Jesu mittelbar angedeutet ist (Mk 4,17; 8,34; 10,30; 10,39; 13,9 ff; Mt 5,10 ff; 5,44; 10,16 ff; 20,23; 24,9 ff), hat Lukas das Leiden nicht nur Jesu, sondern auch der Jünger in der erzählten Welt konkret veranschaulicht, schon im Passionsbericht des Evangeliums, wo Acta-Leiden von Jüngern antizipiert ist (Kapitel I). Dabei hat Lukas selbst die beiden Typen des Leidens, die aus der genannten speziellen Darstellung des Lukas folgen, vom Subjekt her akribisch unterschieden, indem er das Leiden Jesu als ‚τὸ παθεῖν` (lat. passio), das der Jünger als „θλῖψις“ (lat. tribulatio) bezeichnet. Die Hierarchie zwischen beiden besteht darin, dass die Passio immer die Tribulatio voraussetzt und Jesus als Patron der leidenden Jünger fungiert. Bezüglich des Leidensmotivs ist also die Passio Christi nicht mehr der einzige Gegenstand der Leser-Empathie; 3 die Figur Jesus wird obendrein als fernere rezipiert, da Jesus als Patron der Leidenden dargestellt wird.
1.1 Differenzierung zwischen Tribulatio und Passio bei Lukas Passio und Tribulatio, d. h. ‚πάθηµα/πάσχω` und ‚θλῖψις/θλίβω` sind im gesamten NT hinsichtlich des Subjektes nicht voneinander zu unterscheiden – mit Ausnahme des lk Doppelwerks. Lukas bietet θλῖψις (tribulatio) als terminus technicus, der ausnahmslos die aktuellen Leidenssituationen der Jünger in der erzählten Welt beschreibt, so dass die Leser sie z. B. nicht mit einer futurisch-eschatologischen Bedrängnis (Mk 13,24; Mt 24,29) verwechseln müssen und sollen. 1.1.1 Passio und Tribulatio im NT: eine gemeinsame übertragene Bedeutung ‚πάσχω/πάθηµα` und ‚θλίβω/θλῖψις` haben unterschiedliche Grundbedeutungen: πάσχω heißt eigentlich ‚erfahren / erleben` und θλίβω ‚drücken / reiben / drängen`. 4 Allerdings haben die beiden Wörter bzw. Wortstämme schon in der Gräzität 5 einen übertragenen Sinn für Leidens- bzw. Notsituationen, da πάσχω 3 Jesus kann schwerlich ein Objekt der Identifikation sein, obwohl man in sein Gefühl in ihn und sein Leiden hineindenken kann. 4 W. Michaelis, Art. πάσχω, ThWNT Bd. V, 903–923; H. Schlier, Art. θλίβω/θλῖψις, ThWNT Bd. III, 139–148. 5 Für θλίβω, z. B. Polyb 18, 24, 3; Aristot Polit V 7 1307a; Plut Apophth Phillippi 6 (II 177d); Philo Migr Abr 157; Virt 146 usw.; Für πάσχω, Plat Leg V 730a; Hes Op 218; Aesch, Ag 249 f.
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auch ‚leiden / erleiden` bedeutet und θλίβω „bedrängen / betrüben“. Daher werden die beiden Termini in ntl Forschungen (v. a. in Lexika) häufig zusammengesehen. 6 Auch den Autoren des NT bzw. der LXX geht es kaum anders. Mit πάσχω werden entsprechend nicht nur die Passion Jesu, sondern auch die Leiden der Christen bezeichnet. θλῖψις, mit dem man verschiedene Bedrängnisse der Christen beschreiben kann, steht andererseits auch für Christus (Kol 1,24). Im NT kommt πάσχω insgesamt 42mal vor. Davon nur 7mal bezeichnet es weder Leiden Jesu noch das der Christen, sondern allgemeine Situationen. 7 An den übrigen 35 Stellen bezeichnet das Verb πάσχω das Leiden Christi (20mal 8) sowie der Christen (15mal 9). Das Nomen πάθηµα kommt im NT 16mal vor, bedeutet mit zwei Ausnahmen (Leidenschaft, Röm 7,5; Gal 5,24) das Leiden Christi (7mal 10) oder der Christen (7mal, aber inhaltlich noch 3mal mehr 11). Das Verbaladjektiv παθητός ist als hapax legomenon des NT sowie der LXX in Apg 26,23 für das Leiden Christi belegt (s. u.). Wie gesehen, entspricht im NT der πάσχω-Stamm den beiden Leidenssubjekten Christus und Christen. Darüber hinaus ist auffällig, dass ntl Autoren mit dieser Vokabel die beiden Typen des Leidens miteinander verbinden, indem z. B. im 1 Petr das Leiden Christi und das der Christen 4mal unmittelbar aneinandergereiht werden (1 Petr 2,18 ff; 3,13 ff; 4,1; 4,12 ff). Man kann aber in dieser Verbindung beider Leidenstypen nicht eine Tendenz der spät-ntl Literaturen sehen. Vielmehr bezeichnet schon im ältesten Beleg (1 Thess 2,14) πάσχω das Leiden der Christen. Die Verbform für die Passio Christi kommt eigentlich erst in den synoptischen Evangelien oder im Hebräerbrief vor, 12 Paulus bezieht
6 Z. B., J. Kremer, Art. πάσχω, EWNT III, 120; W. Michaelis, a. a. O., 904. 7 Mt 17,15 (leidet arg, κακῶς); 27,19 (vieles gelitten, πολλά); Mk 5,26 (vieles gelitten, πολλά); Lk 13,2 (erlitt); Apg 28,5 (erlitt nichts Schlimmes, οὐδὲν κακόν); 1 Kor 12,26 (als Gegensatz zu Ehre, δοξάζεται); Gal 3,4 (so Großes erfahren, τοσαῦτα). In Gal 3,4 ist πάσχω sogar eine positive Erfahrung (große Gabe des Geistes). H. Schlier, Der Brief an die Galater, Bd. 7., Göttingen 131965, 124; W. Bauer, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, v. K. u. B. Aland, Berlin u. a. 61988, 1279; auch O. Kuss, die Briefe an die Römer, Korinther und Galater, Regensburg 1940, 265; R. Fung, The Epistle to the Galations, Grand Rapids, Mich. 1988, 133 usw. Vgl. z. B. die Übersetzung von the New American Standard Bible, „Did you suffer so many things in vain – if indeed it was in vain?“ (Gal 3,4). 8 Mt 16,21; 17,12; Mk 8,31; 9,12; Lk 9,22; 17,25; 22,15; 24,26; 24,46; Apg 1,3; 3,18; 17,3; Hebr 2,18; 5,8; 9,26; 13,12; 1 Petr 2,21; 2,23; 3,18; 4,1. 9 Apg 9,16; 2 Kor 1,6; Phil 1,29; 1 Thess 2,14; 2 Thess 1,5; 1,12; 1 Petr 2,19; 2,20; 3,14; 3,17; 4,1; 4,15; 4,19; 5,10; Offb 2,10. 10 2 Kor 1,5; Phil 3,10; Hebr 2,9; 2,10; 1 Petr 1,11; 1 Petr 4,13; 5,1. 11 Röm 8,18; 2 Kor 1,6; 1,7; Kol 1,24; 2 Tim 3,11; Hebr 10,32; 1 Petr 5,9. Das Leiden Christi in 2 Kor 1,5, Phil 3,10, und 1 Petr 4,13 markiert das aktuelle Leiden der Christen. 12 Mt 16,21; 17,12; Mk 8,31; 9,12; Lk 9,22; 17,25; 22,15; 24,26; 24,46; Apg 1,3; 3,18; 17,3; Hebr 2,18; 5,8; 9,26; 13,12; 1 Petr 2,21; 2,23; 3,18; 4,1.
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dagegen das Verb πάσχω lediglich auf das Leiden der Christen. 13 Deshalb ist es motivgeschichtlich denkbar, dass die typische Formel der ersten Leidensankündigung Jesu (Mk 8,31 par. Mt 16,21; Lk 9,22) durch die „Bedrängnisse der Christen“ (1 Thess 2,14–16) bedingt ist 14 – d. h., bei der verbalen Wendung des πάσχω wäre die passio christiani (discipuli) ursprünglich gewesen und in die Passio Christi übertragen. 15 Bei πάθηµα fällt die Identifizierung beider Typen des Leidens ins Auge. Paulus bezieht πάθηµα insgesamt 2mal auf Christus (2 Kor 1,5; Phil 3,10). 16 Jedoch ist damit zugleich die Leidenssituation der Christen gemeint, da Christen am selben Leiden teilhaben: „wie ihr Anteil an den Leiden habt“ (κοινωνοί ἐστε τῶν παθηµάτων, 2 Kor 1,7) und „die Gemeinschaft seiner Leiden“ (κοινωνίαν τῶν παθηµάτων αὐτοῦ, Phil 3,10). Derselbe Fall ist auch in 1 Petr 4,13 (κοινωνεῖτε τοῖς τοῦ Χριστοῦ παθήµασιν). Bereits in frühsten ntl Literaturen ist πάθηµα für das Leiden der Christen belegt (Röm 8,18; 2 Kor 1,6; 1,7. Auch Kol 1,24; 2 Tim 3,11; Hebr 10,32; 1 Petr 5,9), wobei fast bei jedem Autor das πάθηµα Christi und das der Christen miteinander zu vertauschen sind (Pls, 1 Petr, Hebr). Nur bei den Deuteropaulinen bezeichnet diese Wendung ausschließlich das Leiden der Christen (Kol 1,24; 2 Tim 3,11). In den Evangelien kommt der πάσχω-Stamm relativ selten (niemals im JohEv) vor. Außerhalb des lk Werkes ist er nur 4mal belegt (Mt 16,21; 17,12; Mk 8,31; 9,12). Lukas dagegen präferiert den Stamm sowohl quantitativ (10mal 17) als auch qualitativ insofern, als es nicht nur wiederholt 18 die Notwendigkeit des Leidens Christi betont (γέγραπται / προκατήγγειλεν / (ἔ)δεῖ . . . παθεῖν), sondern sie auch mit einem einzelen Schlüsselwort (παθητός, dem Leiden unterworfen 19) zusammenfasst. παθητός ist nur für Christus belegt. Für unsere Analyse ist wichtig, dass verschiedene ntl Autoren πάσχω / πάθηµα und θλίβω / θλῖψις parallelisieren. In 2 Kor 1,6, 2 Thess 1,5 und Offb 2,10 werden das Verb πάσχω, in Kol 1,24 und Hebr 10,32 das Nomen πάθηµα quasi
13 2 Kor 1,6; Phil 1,29; 1 Thess 2,14; 2 Thess 1,5; 1,12. 14 J. Kremer, a.a.O, 122 f; P. Hoffmann, Mk 8,31. Zur Herkunft und markinischen Rezeption einer alten Überlieferung, in: ders. u. a. (Hg.), Orientierung an Jesus. Zur Theologie der Synoptiker; für Josef Schmid [zum 80. Geburtstag am 26. Januar 1973], Freiburg u. a. 1978, 181 f. 15 Dahinter steht das Motiv der Bedrängnisse des Gerechten (Ps 34,20). Es hätte aber zunächst 1 Thess 2,14–16 bedingt und dann Mk 8,31 parr. A. a. O. 16 3mal aber auf Christen (Röm 8,18; 1 Kor 1,6.7). 17 πάσχω: Lk 9,22; 17,25; 22,15; 24,26; 24,46; Apg 1,3; 3,18; 9,16; 17,3. παθητός: Apg 26,23. 18 6mal: Lk 9,22; 17,25; 24,26; 24,46; Apg 3,18; 17,3. 19 Bauer / Aland, 1220. παθητός ist nicht einmal in der LXX belegt, aber bei Plut., Philo Op Mund 8 f, Sacr Ac 70; Ebr 73 usw. W. Michaelis, Art. παθητός, ThWNT Bd. V, 923. Im NT haben die Verbaladjektiva überhaupt „keine lebendige Bildungskraft mehr“. F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 52.
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als Synonym von θλῖψις mitbelegt, 20 so dass in Kol 1,24 von Passio (πάθηµα) Pauli und Tribulatio (θλῖψις) Christi, also nicht Passio Christi und Tribulatio Pauli – anders als bei Lukas – geredet werden kann. Das Verb ‚θλίβω` kommt in NT insgesamt 10mal vor, davon 2mal (Mt 7,14; Mk 3,9) in der Grundbedeutung von Drücken oder Drängen. An den übrigen acht Stellen 21 bezeichnet es Bedrängnis(se) der Christen. Das Nomen ‚θλῖψις` kommt im NT insgesamt 45mal immer im übertragenen Sinne vor. Die besondere Bedeutung von θλῖψις ist von der LXX geprägt. 22 In der LXX bezeichnet das Wort (a) Bedrängnis und Trübsal des Volkes Israel (Ex 3,9; 4,31; 1 Makk 9,27 usw) sowie (b) das Leiden des einzelnen Gerechten (Ps 33,20; 36,39; 4 Makk 18,15 usw.) oder auch (c) endzeitliche Bedrängnis (Dan 12,1; Hab 3,16; Zeph 1,5 usw.; vgl. 1QM 1,12). Das NT rezipierte alle drei Typen von Tribulatio, indem es die Bedrängnis Israels oder der einzelnen Gerechten z. B. als das aktuelle Leiden der Ecclesia bzw. der Christen interpretiert (s. u.). Mit θλῖψις werden im NT zunächst (1) vergangene Bedrängnisse des Volkes Israel oder einer einzelnen Person der (Heils-)Geschichte gemeint. In Apg 7,10 und 7,11 bezeichnet θλῖψις die Bedrängnisse Josefs und eine große Bedrängnis, die die Väter Israels (πατέρες ἡµῶν) erleiden sollten. Man kann beide Belege für ein wörtliches Zitat des AT halten: Die Bedrängnis Josefs ist schon in der LXX als θλῖψις bezeichnet (Gen 42,21), und die Wendung θλῖψις µεγάλη in Apg 7,11 kann man auch in 1 Makk 9,27 (auch Neh 9,37) wortgetreu vorfinden, wo sich die θλῖψις µεγάλη in Israel (ἐν τῷ ᾿Ισραήλ) ereignet. Beide Fälle beziehen sich auf die Gegenwart der ntl erzählten Welt (vgl. Apg 7,51 ff), bezeichnen aber nicht unmittelbar das aktuelle Leiden. (2) Am häufigsten (29mal 23) bezeichnet θλῖψις aktuelle Bedrängnisse im Leben der Christen. Je nach Kontext aber umfasst dieser Begriff verschiedenartige Bedrängnisse – wie in der LXX. 24 θλῖψις bezeichnet nicht nur äußerliche Bedrängnisse z. B. in Verfolgungssituationen, sondern auch innerliche: 20 W. Michaelis, Art. πάθηµα, ThWNT Bd. V, 932 f; auch E. Schweizer, Der Brief an die Kolosser, EKK 12, Zürich u. a. 21976, 83. 21 2 Kor 1,6; 4,8; 7,5; 1 Thess 3,4; 2 Thess 1,6; 1,7; 1 Tim 5,10; Hebr 11,37. θλιβοµένοις in 1 Tim 5,10 kann (als ein Kriterium für die Aufnahme in den gemeindlichen Witwenstand) nicht unbedingt nur die christlichen Leidenden bezeichnen. J. Roloff, Der erste Brief an Timotheus, Zürich u. a. 1988, 295. Tribulatio in Hebr 11,37 gehört zwar zur Vergangenheit der Alten (οἱ πρεσβύτεροι, Hebr 11,2). Aber sofort schließt sich eine Mahnrede (Hebr 12,1 ff) als „Vergegenwärtigung“ daran an. O. Michel, Der Brief an die Hebräer, Göttingen 81984, 425. 22 J. Kremer, a. a. O., 376. 23 Mt 13,21; Mk 4,17; Apg 11,19; 14,22; 20,23; Röm 5,3*2; 8,35; 12,12; 2 Kor 1,4*2; 1,8; 2,4; 4,17; 6,4; 7,4; 8,2; 8,13; Eph 3,13; Phil 1,17; 4,14; 1 Thess 1,6; 3,3; 3,7; 2 Thess 1,4; Hebr 10,33; Jak 1,27; Offb 1,9; 2,9. 24 Mannigfaltige hebräische Begriffe sind in der LXX durch die Übersetzung mit θλῖψις vereinheitlicht worden. H. Schlier, a. a. O., 141. θλίβω ist Übersetzung von [ ָצַררs. a¯ rar] hi jemandem es eng machen: Dtn 28,52; Ri 10,9 usw., [ ָצַררs. a¯ rar] jemand feindlich behan-
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In 2 Kor 2,4 meinte Paulus mit θλῖψις seine Bekümmernis über die Vorgänge in Korinth. In 6,4 umfasst sie einen daran anschließenden Peristasenkatalog, in 7,4 nachfolgende innerliche Ängste. In Phil 1,17 gedenken die Gegner, den Fesseln des Apostels zusätzliche θλῖψις hinzuzufügen. 25 θλῖψις bezeichnet ferner allgemeinere Bedrängnisse im Leben der Urchristen, wie z. B. die Trübsal der Waisen und Witwen, die die Christen betreuen sollen (Jak 1,27), oder eine hypothetische Bedrängnis, die Paulus den Korinthern durch die Kollekte zufügen könnte (2 Kor 8,13). Darüber hinaus ist es in Phil 4,14 auffällig, dass die Philipper an der Tribulatio Pauli teilnehmen (συγκοινωνήσαντές µου τῇ θλίψει), so wie die Korinther und Paulus an der Passio Christi teilnehmen (2 Kor 1,7; Phil 3,10). Wie in der LXX bezeichnet θλῖψις auch im NT (3) die futurisch-eschatologische Bedrängnis: insgesamt 13mal. 26 Man kann auch diese Kategorie nach dem Subjekt der θλῖψις weiter unterteilen. Wenn das Eschaton bevorsteht, werden die Christen von Verfolgern bedrängt (τότε παραδώσουσιν ὑµᾶς εἰς θλῖψιν, Mt 24,9; auch Joh 16,21.33). Aber θλῖψις kann auch die Vergeltung Gottes gegenüber den Verfolgern (2 Thess 1,6) oder allgemein das Jüngste Gericht, das auch Christen nicht vermeiden können (v. a. Offb 2,22, auch Röm 2,9), meinen. Darüber hinaus bezeichnet θλῖψις eine universale kosmische Bedrängnis vor dem Eschaton (Mt 24,21.29; Mk 13,19.24. Auch 1 Kor 7,28; Offb 2,10; 7,14). Nicht zuletzt ist auch die singuläre Wendung (4) Bedrängnisse Christi (τῶν θλίψεων τοῦ Χριστοῦ, Kol 1,24) aufschlussreich. Dieser Vers ist schwierig auszulegen, nicht nur weil der Verfasser des Briefes den Ausdruck θλῖψις für Christus verwendet, sondern auch weil an diesen Bedrängnissen Christi ein Mangel besteht (τὰ ὑστερήµατα), den der Apostel ausfüllt oder ergänzt (ἀνταναπληρῶ). Die Bedrängnisse Christi können hier nicht die Erlösungsleiden Christi 27 meinen (vgl. schon Kol 1,14.22; 2,12 ff) und der Genitiv τοῦ Χριστοῦ ist als Genitivus objectivus zu interpretieren, wenn man die Bedräng-
deln: Jes 11,13 usw., ָחץ ַ [ לla¯ h. as. ] bedrängen, bedrücken: Ex 3,9; Ri 4,3 usw., [ ָינָהja¯ na¯ ] hi unterdrücken: Lev 19,33; Dtn 23,17 usw. θλῖψις ist Übersetzung von [ ָצָרהs. a¯ ra¯ ] Not, Übel, Bedrängnis, Angst: Gen 35,3; Dtn 31,17; 2 Chr 15,6 usw., [ ַצרs. ar] Not, Drangsal: Dtn 4,29; ָ [ ְמmes. ûqa¯ ] Bedrängnis: Hiob Hos 5,15 usw., חץvַ ַ [ לlah. as. ] Drangsal: 2 Chr 18,26 usw., צוּקה 15,24, צוק ֹ [ ָמma¯ s. ôq] Drangsal: Dtn 28,53 usw., usw. 25 Bauer / Aland, 736. 26 Mt 24,9; 24,21; 24,29; Mk 13,19; 13,24; Joh 16,21; 16,33; Röm 2,9; 1 Kor 7,28; 2 Thess 1,6; Offb 2,10; 2,22; 7,14. 27 Siehe E. Lohse, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon, Göttingen 141968, 112– 123. In der Auslegungsgeschichte unterscheidet man „fast durchwegs deutlich zwischen dem Versöhnung wirkenden „Leiden“ Jesu, dem kosmischen Ereignis des Todes Jesu einerseits und dem noch mangelnden, nämlich dem mit der Verkündung oder besonders der Heidenmission bzw. dem weiteren Wachstum der Gemeinde verbundenen andererseits.“ E. Schweizer, Der Brief an die Kolosser, Zürich u. a. 1976, 83.
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nisse Christi so versteht, dass sie von Christus erfahren werden, wobei die Kirche ‚Christus` genannt wird (vgl. 1 Kor 12,12). 28 Schliers Formulierung war schlicht: Die θλίψεις τοῦ Χριστοῦ sind „mit den παθήµατα τοῦ Χριστοῦ identisch“. 29 Schweizer aber vertritt die Auffassung, dass die θλίψεις τοῦ Χριστοῦ „nur die in der Gemeinde um Christi willen oder „in Christus“ erlittenen Leiden“ 30 sind (genitivus qualitatis). 31 D. h., die θλίψεις τοῦ Χριστοῦ stehen eher den παθήµατα Παύλου parallel, 32 die im selben Vers bereits angesprochen wurden. 33 Allerdings müssen beide Auslegungen nicht unbedingt miteinander kollidieren. Der Gedanke, dass Bedrängnisse der Christen bzw. der Kirche als Leiden Christi verstanden werden, ist nicht fremd (2 Kor 1,5 ff; Phil 3,10). Schon bei Paulus finden sich verschiedene Wendungen bezüglich der Leiden Christi, die der Apostel um Christi willen erleidet: Sterben Jesu (2 Kor 4,10), Wundmale Jesu (Gal 6,17), Anteil an seinen Leiden (Phil 3,10) usw. M.a.W., ein Genitivus objektivus in „Leiden Jesu“ kann zugleich einen Genitivus qualitatis bzw. Leidenssituationen der Christen umfassen. Darüber hinaus negiert die Interpretation von Schweizer nicht, dass eine Verbindung zwischen dem Erlösungswerk Christi und den apostolischen Leiden angedeutet ist. 34 Falls man also nicht vorschnell dieses und jenes miteinander identifizieren will, begreift man, dass Kol 1,24 alle möglichen Kombinationen beinhaltet, die man mit dem Wortfeld ‚πάσχω/θλῖψις` samt beiden Leidenssubjekten berechnen kann.
28 Das ist eine typische katholische Interpretation. H. Schlier, a. a. O. 143 f; J. Ernst, Die Briefe an die Philipper, an Philemon, an die Kolosser, an die Epheser, Regensburg 1974, 182– 188. Aber auch F.F. Bruce, The Epistles to the Colossians, to Philemon, and to the Ephesians. The New International Commentary on the New Testament, Grand Rapids, Mich. 2008, 81 f. Bruce bezieht das Motiv auf Acta-Perikopen. 29 Schlier, a. a. O., 143. 30 E. Schweizer, a. a. O.; auch J. Kremer, a. a. O. 31 U. Luz deutet an, dass hinter dieser Auslegung des Genitivus qualitatis eine protestantische dogmatische Neigung liegt. J. Becker/U. Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8,1, Göttingen 181998, 209. 32 W. Michaelis, a. a. O., 933. 33 Aus dieser Interpretation ist zu schließen, dass die besondere stellvertretende Stellung des Apostels – mit zweimaligen ὑπὲρ (ὑµῶν/τοῦ σώµατος αὐτοῦ, ὅ ἐστιν ἡ ἐκκλησία) – noch mehr betont wird. Schweizer, a. a. O., 85–86; auch Kremer, a. a. O., 378–79; W. Michaelis, 933; J. Ernst, a. a. O., 183–84; E. Lohse, a. a. O., 116–17; J. Becker/H. Conzelmann/G. Friedrich, Die Briefe an die Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, Thessalonicher und Philemon, Bd. 8. NTD, Göttingen 141976, 141–142 [Conzelmanns Auslegung]. Dagegen z. B. U. Luz, für den, der Briefverfasser zu den „Drangsalen Christi“, des „in seiner Kirche gegenwärtige[n] Weltversöhner[s]“, das apostolische Leiden des Paulus hinzurechnet. U. Luz, a. a. O., 210. 34 „Daß damit sein Leben dem Jesu angeglichen wird, liegt sicher auch im „Wortfeld“ und wird mitanklingen“, Schweizer, 86; auch J. Ernst, 183–84. Siehe auch Lang, Disbursing the account.
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Schaubild 19: Alle möglichen Kombinationen von Passio Christi und Tribulatio Discipuli in Kol 1,24
Sei es, dass man θλίψεις und παθήµατα für Synonyme hält, sei es, dass man von einer hochgradigen Assoziation spricht, Kol 1,24 dient als treffendes Beispiel dafür, dass sich die beiden Wörter mitsamt beiden Leidenssubjekten auf verschiedenen Ebenen kreuzen. Kurzum, im NT stehen die beiden Wortstämme von ‚πάσχω/πάθηµα` (Passio) und ‚θλίβω/θλῖψις` (Tribulatio) miteinander in einer engen Beziehung. Sie beinhalten an sich verschiedene Bedeutungen, die schon von der LXX überliefert sind. Dabei kreuzen sich die beiden Leidenssubjekte des Christus und der Christen für die jeweilige Vokabel: ‚πάσχω/πάθηµα` kann sowohl das Leiden Christi als auch das Leiden der Christen für / mit Christus heißen, ‚θλίβω/θλῖψις` umfasst neben verschiedenen Bedrängnissen der Christen auch diejenigen, die eine enge Verbindung mit Jesus Christus aufweisen (2 Kor 1,4.6; 1 Thess 1,6.7; Phil 1,29 ff usw.). Verschiedene ntl Autoren halten beide Leidenstypen so nebeneinander, dass Tribulatio Discipuli die Teilhabe bzw. die Erfüllung der Passio Christi bezeichnet. 1.1.2 Passio und Tribulatio im lk Doppelwerk: ein nach dem Subjekt differenzierter Gebrauch Im Gegensatz zu den anderen ntl Literaturen sind im Corpus Lucanum πάσχω/πάθηµα und θλίβω/θλῖψις in der Regel nach dem Leidenssubjekt voneinander zu unterscheiden. Im lk Doppelwerk kommt das Verb πάσχω insgesamt 11mal vor. 35 Davon ist 2mal das Verb mit Grundbedeutung belegt (Lk 13,2; Apg 28,5). An den übrigen Stellen bezeichnet πάσχω überwiegend das Leiden Christi (8mal: Lk 9,22; 17,25; 22,15; 24,26; 24,46, Apg 1,3; 3,18; 17,3) und nur 1mal das Leiden des Paulus, was Jesus selbst ihm zeigen will (Apg 9,16, s. u.). Das Nomen πάθηµα kommt keinmal vor (16mal im NT), stattdessen 35 Lk 9,22; 13,2; 17,25; 22,15; 24,26; 24,46; Apg 1,3; 3,18; 9,16; 17,3; 28,5.
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findet sich 1mal das Verbaladjektiv παθητός, was als hapax legomenon des NT sowie der LXX ebenfalls auf das Leiden Christi abhebt (Apg 26,23). Andererseits kommt θλῖψις insgesamt 5mal 36 vor. Im Gegensatz zu πάσχω bezeichnet θλῖψις lediglich die Leiden der Christen (3mal, Apg 11,19; 14,22; 20,23), wobei auch 2mal die Grundbedeutung belegt ist (Apg 7,10.11). Bei Lukas kommt die Verbform θλίβω nicht vor. Auffällig ist die Vorliebe des Lukas für gewisse grammatische Morpheme. Lukas benutzt nur die Verbform des πάσχω-Stamms, v. a. den Infinitiv. Die finite Verbform ist nur mit der Grundbedeutung belegt (Lk 13,2; Apg 28,5). D. h., für das Leiden Christi (8mal) oder des Paulus (1mal) kommt bei Lukas der Infinitiv παθεῖν (9mal) vor. Solch eine intensive Nutzung von παθεῖν ist ein charakteristisches Merkmal des lk Doppelwerks. In der ganzen LXX ist παθεῖν nur 1mal 37 belegt (Hes 16,5), dort als finaler Infinitiv 38, der mit der lk Wendung nichts zu tun hat. In den übrigen ntl Literaturen kommt παθεῖν 3mal (Mt 16,21; Mk 8,31; Hebr 9,26) vor. Da aber Mk 8,31 und Mt 16,21 eine synoptische Tradition („die erste Leidensankündigung“) sind, die auch Lukas teilt (Lk 9,22), findet sich παθεῖν in anderen ntl Traditionen nur noch 1mal (Hebr 9,26). Der Verfasser des Hebräerbriefes verwendet den Infinitiv παθεῖν aber zusammen mit ἔδει konjunktivisch als einen undenkbaren Gedanken 39 (Christus hätte oft leiden müssen), also ganz abweichend von der lk Wendung des Infinitives. Lukas hat zwar die Infinitiv-Wendung von Markus übernommen, aber erweiterte sie selbst massiv (7mal). Demgegenüber kommt der θλίβω-Stamm in Substantivform (θλῖψις) vor. Auch im Evangelium gebraucht Lukas keine Verbform, nicht einmal dort, wo θλίβω in den Paralleltexten (Mk 3,9 und Mt 7,14) vorkommt. D. h., die beiden Wortstämme bilden auch hinsichtlich der Wortart einen Kontrast (Infinitiv παθεῖν versus Substantiv θλῖψις). Darüber hinaus haben die beiden Vokabeln im lk Doppelwerk konkretere Bedeutungen als im gesamten NT, so dass man auch inhaltlich für παθεῖν und θλῖψις keinen gemeinsamen Nenner findet. Dass bei Lukas παθεῖν ohne nähere Bestimmung „das der Auferstehung bzw. Verherrlichung voraufgehende Geschehen“ oder den Tod Jesu bezeichnet, wurde in der Auslegungsgeschichte bereits erläutert. 40 Dort, wo Lukas unabhängig von seinen Quellen die Infi-
36 Apg 7,10. 11; 11,19; 14,22; 20,23. 37 In LXX kommt πάσχειν nicht einmal vor. 38 Hes 16,5 „. . . um über dich Leid zu empfinden, . . . “, Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, Bd. 2, M. Karrer u. a. (Hg.), Stuttgart 2011, 2893; Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, W. Kraus u. a. (Hg.), Stuttgart 22010, 1375. 39 F. Blass/A. Debrunner, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 289 [358-1]; auch E. Grässer, An die Hebräer, 2. Teilband Hebr 7,1–10,18, Zürich 1993, 193–194. 40 Kremer, a. a. O.; Michaelis, a. a. O.
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nitiv-Wendung gebraucht, impliziert παθεῖν ausnahmslos den Erlösungstod Jesu. 41 Infolgedessen distanziert sich der πάσχω-Stamm von Bedrängnissen der Christen. Bezüglich der θλῖψις beobachtet man, dass ihr futurisch-eschatologischer Sinn (im NT 11mal 42) verloren gegangen ist, obwohl die synoptischen Traditionen diesen 5mal (Mt 24,9; 24,21.29; Mk 13,19.24) belegen. Darüber hinaus bezeichnet θλῖψις bei Lukas auch keine innerlichen Drangsale bzw. Ängste (2 Kor 2,5; 6,3; 7,4; Phil 1,17) oder Bedrängnisse, die man auch in außerchristlichem Kontext erlebt (Jak 1,27; 2 Kor 8,13). Sondern sie bezeichnet nur die Bedrängnisse der Christen, die diese von der eschatologischen Erlösung erleiden müssen (Apg 14,22), oder konkrete Leiden der repräsentiven Figuren des Urchristentums, nämlich des Stephanus (Apg 11,19) 43 und des Paulus (Apg 20,23). Es zeigt sich also, dass die beiden Terminologien (θλῖψις und παθεῖν) in Bezug auf das Leidenssubjekt voneinander zu unterscheiden sind. Die Belege von παθεῖν (Lk 9,22 44; 17,25; 22,15; 24,26; 24,46, Apg 1,3; 3,18; 17,3) und die von θλῖψις (Apg 11,19; 14,22; 20,23) sind weit voneinander entfernt. Lukas meint auch niemals mit einem Wort, z. B. παθεῖν, beide Leidenstypen zugleich. Zwischenfazit: Bei Lukas sind πάσχω- und θλίβω-Stamm nach dem Leidenssubjekt voneinander zu unterscheiden. Die Vertauschbarkeit beider Terminologien ist durch ihre jeweils verengten Bedeutungsspektren verhindert. Darüber hinaus hält Lukas in seinem Textraum παθεῖν und θλῖψις so voneinander fern, dass man in jedem Kontext den einen Ausdruck kaum mit dem anderen assoziiert. Lukas stellt zwar über die Leidensthematik tiefe Betrachtungen an (παθητός, Apg 26,23), erlaubt aber für das Leiden der Christen auch keine Komposita des πάσχω-Stamms wie z. B. συµπάσχω (Röm 8,17; 1 Kor 12,26), κακοπαθέω (2 Tim 2,9; 4,5; Jak 5,13), συγκακοπαθέω (2 Tim 1,8) oder κακοπάθεια (Jak 5,10). Abweichend von anderen Synoptikern verfasste Lukas das zweite Werk als die Geschichte der Jünger, die in der erzählten Welt 41 Lk 22,15 (πρὸ τοῦ µε παθεῖν); 24,26 (παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ); 24,46 (παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ ἀναστῆναι ἐκ νεκρῶν τῇ τρίτῃ ἡµέρᾳ); Apg 1,3 (µετὰ τὸ παθεῖν αὐτὸν); 3,18 (προκατήγγειλεν . . . παθεῖν τὸν χριστὸν αὐτοῦ, ἐπλήρωσεν οὕτως); 17,3 (παθεῖν καὶ ἀναστῆναι ἐκ νεκρῶν). 42 Mt 24,9; 24,21; 24,29; Mk 13,19; 13,24; Joh 16,21; 16,33; Röm 2,9; 1 Kor 7,28; 2 Thess 1,6; Offb 2,10; 2,22; 7,14. 43 Man kann den Tod Jesu zwar dem Tod des Stephanus (bzw. des Paulus als einem angedeuteten, Apg 20,17 ff u. a.) gegenüberstellen. Doch bezeichnet Lukas den Tod der Christen explizit als θλῖψις (Apg 11,19; auch von Paulus, Apg 20,23) und vermeidet παθήµατα. 44 Man kann zwar die sog. Einweisung in die Nachfolge (Lk 9,23 ff) im weiteren Sinne auf die Leidensthematik der Jünger beziehen (v. a. Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, 190), die in der Nähe zur Passio Christi (Lk 9,22) angedeutet wird. Diese Anordnung ist aber, wenn überhaupt, nicht lukanisch, sondern kommt von Mk 8,31 ff.
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ständig leiden, und stellt sie bereits im Passionsbericht des ersten Werks als Co-Subjekt des Leidens dar (Kapitel I-1), wollte aber diesen Typ der JüngerLeiden in beiden Werken in der Regel nicht mit dem πάσχω-Stamm sondern mit dem θλίβω-Stamm, wiedergeben. Zuletzt ziehen wir kurz eine Ausnahme (Apg 9,16) in Betracht: Der auferstandene Jesus sagt das zukünftige Leiden des Saulus mit dem Verb παθεῖν voraus. 1. Zunächst ist zu fragen, ob es hier um eine vorlukanische Tradition geht. In der Tat halten mehrere Forscher diesen Vers (Apg 9,15 f) für vorlukanisch. 45 Wie fast allgemein anerkannt 46, hat Lukas „einen in Kap. 9 noch am deutlichsten erkennbaren Grundbericht benutzt“ 47 und für beide Redevarianten in Kap. 22 und 26 ihn stärker bearbeitet, da diese Bekehrungslegende des Saulus anfangs nicht in der Form einer Verteidigungsrede (wie in Kap. 22; 26) überliefert worden zu sein scheint. Lukas lässt aber in Kap. 22 und 26 das Leidensmotiv konsequent aus! Auch sprachlich ist Apg 9,16 nicht lukanisch. Die Formel ‚δεῖ . . . παθεῖν` begegnet sonst bei Lukas immer als eine christologische Aussage. 48 Auch die semitisierende 49 Wendung ‚σκεῦος ἐκλογῆς` in Apg 9,15 ist auffällig. Lukas benutzt hier weder ein Partizip (ἐκλελεγµένος, z. B. Lk 9,35) noch ein Verbaladjektiv (ἐκλεκτός, z. B. Lk 23,35), sondern das Genitiv-Attribut eines Abstraktums (ἐκλογῆς). Die hiesige Nutzung von ἐκλογή passt nicht zur lk Vorliebe, den ἐκλέγω-Stamm auf die „‚Auswahl` von Amtsträgern und Abgeordneten“ 50 zu beziehen. In den Redevarianten (Apg 22,14; 45 Z. B., „Daß dieser Vers terminologisch und sachlich nicht lukanisch ist, ergibt sich einmal aus sprachlichen Gründen: Die Verbindung von δεῖ und παθεῖν wird von Lukas sonst für christologische Aussagen reserviert; eine Übertragung auf das Leiden der Christen findet sich bei Lukas nirgends. [. . . ] Sodann muß in diesem Zusammenhang an die Tatsache erinnert werden, daß das Leidensmotiv – also das dominierende Motiv von 9,15 f. – in den Redevarianten konsequent getilgt ist (vgl. 22,14 f.; 26,1b–18)“, K. Löning, Die Saulustradition in der Apostelgeschichte, Münster 1973, 41–42. Oder „Nun sind es nach ihm gewöhnlich die Juden, die Paulus leiden machen (vgl. 20,19), während hier zuerst die Heiden und ihre Könige und dann auffällig nachgestellt die Kinder Israel genannt sind; weiter ist ‚leiden` kein Stichwort für die Verfolgung, die Paulus in der Apostelgeschichte erdulden muß, und das angekündigte ‚Bedeuten` findet nur sporadisch statt. Ich möchte V. 15 f. deshalb auch inhaltlich für traditionell halten, ausgenommen ‚und (vor) den Söhnen Israels`, dessen Stellung sich gut erklärt, wenn Lukas es zugesetzt hat“, C. Burchard, Der dreizehnte Zeuge, 123. 46 A. Weiser, Die Apostelgeschichte, 219 ff; R. Pesch, Die Apostelgeschichte, 301– 302; C.W. Hedrick, Paul's conversion / call: a comparative analysis of the three reports in Acts, JBL 100 (1981), 432; Haenchen, Die Apostelgeschichte, 272 ff; H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, 59; G. Stählin, Die Apostelgeschichte, Göttingen 111966, 309–311; G. Lohfink, Paulus vor Damaskus, 75–85; Löning, Saulustradition 14–19; Burchard, Der dreizehnte Zeuge, 120 f; V. Stolle, Der Zeuge als Angeklagter: Untersuchungen zum Paulusbild des Lukas, Stuttgart u. a. 1973, 200–205; usw. 47 A. Weiser, a. a. O., 219. 48 Auch Löning, Saulustradition, 41. 49 Weiser, 226; Löning, 42 usw. Haenchen (a. a. O.) und Conzelmann (a. a. O.) finden hier einen Septuagintismus (z. B. Jer 50,25; Ps 7,14 usw.). 50 Löning, 36. Vgl. Lk 6,13 (vgl. Mk 3,14 parr. ποιέω); Apg 1,24; 6,5; 15,22.25.
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26,16) paraphrasiert Lukas die Wendung von Apg 9,15 in προχειρίζοµαι (erwählen, vorherbestimmen 51) zur Zeugenschaft (Apg 22,15; 26,16). Ferner weicht die Voraussage von Apg 9,15 f im Detail 52 von der nachfolgenden Erzählung ab und erweist sich so auch von daher als nicht-lukanisch. 2. Eine entgegengesetzte Position ist, dass Lukas absichtlich in Apg 9,16 παθεῖν verwendete und dadurch zwischen Paulus und Jesus eine starke Parallele bilden wollte (Radl). Aus zwei Gründen halte ich diese Möglichkeit für weniger wahrscheinlich: (1) Wie gerade dargelegt, kam dieser Ausdruck aus der Tradition. (2) Die Figur Paulus in der erzählten Welt spricht nicht einmal von παθεῖν, sondern wiederholt von θλῖψις sowohl für sich selbst (Apg 20,23) als auch für Christen im Allgemeinen (Apg 14,22). Die Verwendung von ‚θλῖψις` für Paulus entspricht höchstwahrscheinlich der lukanischen Redaktion. Ich negiere nicht die starke Parallele zwischen Jesus und Paulus, die in der Forschungsgeschichte seit langem in Verbindung mit dem (Abfassungs-)Zweck des lk Doppelwerks betrachtet worden ist. 53 Dies mag dazu beigetragen haben, dass Lukas das traditionelle παθεῖν in Apg 9,16 trotz der sonstigen konsequenten Differenzierung zwischen πάσχω- und θλίβω-Stamm stehen ließ.
1.1.3 Passio (παθεῖν) und Tribulatio (θλῖψις) als termini technici im lk Doppelwerk Das im lk Doppelwerk insgesamt 5mal belegte Nomen θλῖψις bezieht sich niemals auf Christus. M.E. verwendete Lukas θλῖψις als terminus technicus, mit dem er das aktuelle Leiden in der erzählten Welt der Apostelgeschichte beschreiben wollte. Demgegenüber vermied Lukas für das Leiden Christi das Substantiv παθήµα, das die beiden Leidenstypen von Christus und Christen umfassen kann (s. o. II-1.1.1). Stattdessen bevorzugte er die von Mk übernommene Infinitiv-Form παθεῖν. Phänomen 1. Lukas hat in Bezug auf θλῖψις seine Traditionen konsequent und sorgfältig redigiert. Er schloss dadurch die futurisch-eschatologische Bedeutung aus. Während θλῖψις bei Mk und Mt 7mal (Mk 4,17; 13,19.24; Mt 13,21; 24,9.21.29) belegt ist, hat Lukas dieses Wort unabhängig vom Kontext ausgelassen. Das Phänomen, dass θλῖψις bei Lukas durch πειρασµός (Lk 8,13; vgl. Mk 4,17; Mt 13,21) oder ἀνάγκη (Lk 21,23. vgl. Mk 13,19; Mt 24,21) 51 H. Langkammer, Art. προχειρίζοµαι, EWNT III, 450. 52 V. a, „Die Reihenfolge ist in der Komposition des Lukas umgekehrt“, Jervell, 283 f. Darüber hinaus muss „ἐνώπιον als Ortsangabe auf die Frage ‚wo`, nicht als Bezeichnung der Richtung ‚wohin` verstanden werden“, Löning, 36 f. 53 D. h. die sog. Tübinger Schule, die die Apostelgeschichte für eine Tendenzschrift für die Paulus-Apologie hält, seit M. Schneckenburger, Über den Zweck der Apostelgeschichte: zugleich eine Ergänzung der neueren Commentare, Bern 1941. S. auch A.J. Mattill, Jr., The Purpose of Acts: Schneckenburger Reconsidered, in: W. Gasque (Hg.), Apostolic History and the Gospel: Biblical and Historical Essays Presented to F. F. Bruce on His 60th Birthday, Exeter 1970, 108–122.
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ersetzt ist, 54 könnte als theologische oder stilistische Konkretisierung verstanden werden. Aber dort, wo Lukas trotz eschatologischer Gewichtigkeit diesen Ausdruck einfach ausließ (Lk 21,25; vgl. Mk 13,24; Mt 24,29), besteht der Verdacht, dass er diesen Terminus und verbale Äquivalente (vgl. Mk 3,9; Mt 7,14) in seinem ersten Werk meidet, um ihn als terminus technicus für die Tribulatio Discipuli des zweiten Werks zu reservieren und ihn vor Verwechslung mit der futurisch-eschatologischen Bedrängnis oder der Versuchung (Lk 8,13) im Gleichnis von Sämann zu schützen. Stattdessen bezeichnet θλῖψις das in der erzählten Welt aktuelle Leiden des Stephanus (Apg 11,19), des Paulus (Apg 20,23) und der Jünger im Allgemeinen (Apg 14,22). In der Stephanus-Rede bezeichnet θλῖψις auch die Bedrängnisse Josefs (Apg 7,10) und eine große Bedrängnis (θλῖψις µεγάλη), die die Väter Israels (πατέρες ἡµῶν) leiden sollten (Apg 7,11; vgl. die Bedrängnis oder Trübsal des Volkes Israel in LXX, Ex 3,9; 4,31; 1 Makk 9,27 usw.). 55 Auch die Bedrängnis Josefs bezeichnet die LXX als θλῖψις (Gen 42,21). Ebenso ist θλῖψις µεγάλη in 1 Makk 9,27 und Neh 9,37 belegt, wo sie sich in Israel (ἐν τῷ ᾿Ισραήλ) ereignet. Anders als in seinem Evangelium hat Lukas diese Traditionen hier nicht ausgelassen. Er stellt so das aktuelle Leiden in seiner Jüngergeschichte in den Rahmen der ganzen Heilsgeschichte Israels. Wenn Lukas θλῖψις darüber hinaus – unabhängig von der Tradition – zur Beschreibung der aktuellen Leidensgeschichte der Jünger vorzieht (Apg 11,19; 14,22; 20,23), weist er diesem Wort neue Bedeutungen zu, die wir unten weiter ausführen. Phänomen 2. Lukas bietet abstrakte Bedeutungen von θλῖψις im Vergleich zu LXX oder anderen ntl Literaturen. Neben dem zweimaligen Zitat aus der LXX in der Stephanus-Rede (s. o.) belegt Lukas θλῖψις jeweils mit der Präposition ἀπό (etwas geschieht als Konsequenz von θλῖψις, Apg 11,19), mit der Präposition διά (Apg 14,22) und mit dem Prädikat µένω (Apg 20,23). Alle Fälle sind ohne Beispiel in der LXX und anderen ntl Literaturen, da Lukas dieses Wort in abstrakten Bedeutungen benutzt. In LXX und NT (insgesamt 179mal) ist die θλῖψις überwiegend mit lokalen Präpositionen verbunden (105mal, v. a. ἐν 56), in dem Sinne, dass man sich in Not oder Drangsal befindet. Selbst wenn es sich um andere grammatische 54 ἀνάγκη kommt in der LXX sehr häufig mit θλῖψις verbunden vor. Dieses Wort wäre eine gute Alternative gewesen, wenn Lukas die θλῖψις mit einem anderen Wort hätte ersetzen wollen (s. u.). 55 Über die θλῖψις in LXX und NT, s. o. Kapitel II-1.1.1. 56 74mal mit Präposition „ἐν“: Gen 35,3; Dtn 4,29; 28,53. 55. 57; Ri 10,14; 1 Sam 24,20; 2 Sam 22,19; 2 Chr 15,6, Neh 9,27. 37; Est 4,17; 8,12; 1 Makk 5,16; 13,5; 2 Makk 1,7; Ps 4,2; 9,10. 22; 19,2; 36,39; 45,2; 49,15; 58,17; 65,14; 76,3; 80,8; 85,7; 90,15; 117,5; 137,7; Ode 4,16; 5,16*2; 6,3; Spr 24,10; Sir 2,11; 3,15; 6,8. 10; 22,23; 35,24; 37,4; 51,10; PsSal 16,11. 14;
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Formen handelt, hat die θλῖψις kaum eine andere Bedeutung: Dieses Wort kommt 27mal als Subjekt eines Prädikates vor. Die Rede ist vom Kommen (v. a. ἔρχοµαι, 9mal 57) oder vom Sein (u. a. εἰµί, γίνοµαι, 17mal 58) der θλῖψις. Als Objekt eines Verbs (23mal) signalisiert sie, dass Gott jemandes Leiden erkennt (10mal 59) oder verursacht (5mal 60) und dass man Not leidet oder findet (ἔχω, 7mal 61). Auch wird θλῖψις als Genitiv-Attribut (14mal) mit anderen Begrifflichkeiten verbunden, z. B., „(essen / geben) Brot von θλῖψις“, 62 oder Erkennen von θλῖψις (ἀκοή, Genitiv-Objektivus 63). Nur bei Lukas schließlich verbindet sich θλῖψις mit µένω oder der Präposition διά: διὰ πολλῶν θλίψεων δεῖ ἡµᾶς εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ (Apg 14,22) und πλὴν ὅτι τὸ πνεῦµα τὸ ἅγιον κατὰ πόλιν διαµαρτύρεταί µοι λέγον ὅτι δεσµὰ καὶ θλίψεις µε µένουσιν (Apg 20,23).
Hos 5,15; Mi 2,12; Ob 1,12. 13; Nah 1,7. 9; 2,3; Hab 3,16; Jes 10,26; 26,16*2; 30,6; 33,2; 57,13; Jer 10,18; 15,11; Apg 7,10; Röm 5,3; 12,12; 2 Kor 1,4; 6,4; 8,1; Eph 3,13; 1 Thes 1,6; 3,3; 2 Thess 1,4; Jak 1,27; Apk 1,9. 18mal mit Präposition „ἐκ“: 1 Sam 10,19; 26,24; 2 Sam 4,9; 1 Kön 1,29; Ps 24,22; 33,7. 18; 53,9; 59,13; 107,13; 142,11; Spr 21,23; Sir 51,3; Nah 2,2; Sach 8,10; Jes 63,9; 2 Kor 2,4; Apk 7,14. 5mal mit Präposition „ἐπὶ“: Jes 28,10. 13; 2 Kor 1,4; 7,4; 1 Thess 3,7. 4mal mit Präposition „ἀπό“: 2 Chr 20,9; Ps 31,7; 54,4; 106,39, vgl. in Apg 11,19 kommt „ἀπό“ in Konsequenz vor. 3mal mit Präposition „εἰς“: Sir 40,24; Mt 24,9; Apg 2,22. 1mal mit Präposition „µετά“: Ez 12,18. Dazu zählen auch die Ausdrücke wie am Tag der Bedrängnis (ἐν ἡµέρᾳ θλίψεως, Gen 35,3). 57 ἔρχοµαι: Gen 42,21; Spr 1,27; Jes 10,3; Jer 1,16; Apg 7,11. εὑρίσκω (Die Bedrängnisse finden Jemand, d. h., ‚kommen`, ‚überfallen`): Dtn 31,17 (. . . εὑρήσουσιν αὐτὸν κακὰ πολλὰ καὶ θλίψεις. . . ); Ps 118,143 (θλῖψις καὶ ἀνάγκη εὕροσάν µε). κατέχω: Hiob 15,24 (θλῖψις αὐτὸν καθέξει); Jer 6,4 (θλῖψις κατέσχεν ἡµᾶς). 58 Sein mit εἰµί: Jes 28,13; Mt 24,24; Mk 13,19. Sein ohne εἰµί (z. B. πολλαὶ αἱ θλίψεις): Est 1,1; 4 Makk 18,15; Ps 21,12 (ὅτι θλῖψις ἐγγύς); 33,20; Jes 8,22; Dan 12,1 (Theodotion); Röm 2,9; 2 Kor 8,13. γίνοµαι: 1 Makk 9,27; Mt 13,21 (genitivus absolutus); Mk 4,17 (genitivus absolutus). κυκλόω: 1 Makk 12,13 (ἡµᾶς δὲ ἐκύκλωσαν πολλαὶ θλίψεις). πλατύνω: Ps 24,17. κατακρατέω: Jer 27,43. 59 Sehen / Hören: Gen 42,21; Ex 4,31; 2 Kön 13,4; Jdt 4,13; 4 Makk 14,9. Sich-Erinnern / Vergessen: Ps 43,25; Jes 65,16, Joh 16,21. Wissen / Mitteilen: Apk 2,9; Ps 141,3 (τὴν θλῖψίν µου ἐνώπιον αὐτοῦ ἀπαγγελῶ, Gott wird dann sie wissen). 60 Ps 65,11 (τίθηµι); 70,20 (δείκνυµι); 77,49 (ἐξαποστέλλω); Phil 1,17 (ἐγείρω); 2 Thess 1,6 (ἀνταποδίδωµι). 61 ἔχω (Man hat Bedrängnis): Joh 16,33; 1 Kor 7,28; Apk 2,10. εὑρίσκω (Man findet Bedrängnis, vgl. ‚Bedrängnis findet jemand` s. o.): Ps 114,3; PsSa 8,1. προσδέχοµαι (Man soll Bedrängnis erwarten): Jes 28,10. συγκοινωνέω (Man leidet zusammen): Phil 4,14. 62 1 Kön 22,27; 2 Chr 18,26; Jes 30,20. Man / Gott isst / gibt Brot der θλῖψις, d. h. Man leidet oder Gott verursacht Leiden. 63 Hos 7,12.
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Bei Lukas bezeichnet θλῖψις somit keine konkreten Notsituationen, aus denen man herauskommen soll / kann, sondern gilt als überall vorkommend (κατὰ πόλιν) und wird auch personifiziert: Sie wartet auf Paulus. Anders als im Römerbrief ist sie nicht nur ein potenzielles Subjekt (χωρίσει, Röm 8,35), sondern die Paulus bevorstehende θλῖψις existiert bereits aktuell (θλίψεις µε µένουσιν, Indikativ-Präsens). 64 Auch sachlich soll / kann man die θλῖψις nicht einfach vermeiden, da sie eine notwendige Bedingung ist, die zu durchleben ist (διὰ πολλῶν θλίψεων), bevor das Eschaton kommt. θλῖψις steht hier für eine heilsgeschichtliche Notwendigkeit (δεῖ ἡµᾶς εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ), die der Funktion des παθεῖν Christi entsprechen kann (vgl. Lk 24,26; Hebr 2,9.10). Nicht zuletzt stellt Lukas die θλῖψις mit der Präposition ἀπό zusammen (Apg 11,19). Οἱ µὲν οὖν διασπαρέντες ἀπὸ τῆς θλίψεως τῆς γενοµένης ἐπὶ Στεφάνῳ διῆλθον ἕως Φοινίκης καὶ Κύπρου καὶ Α ᾿ ντιοχείας µηδενὶ λαλοῦντες τὸν λόγον εἰ µὴ µόνον ᾿Ιουδαίοις. (Apg 11,19)
Obwohl die Kombination von θλῖψις und ἀπό in der LXX 3mal vorkommt, heißt dies dort nicht automatisch, dass eine θλῖψις andere Ereignisse auslöst. In 2 Chr 20,9 hat das ἀπό bloß einen lokativen Sinn. 65 An den übrigen zwei Stellen (Ps 54,4; 106,39) freilich löst Bedrängnis Erschrecken aus (ἐταράχθην . . . ἀπὸ θλίψεως, Ps 54,3–4) und in Ps 106,39 „wurden sie . . . geplagt wegen der Bedrängnis“ (ἐκακώθησαν . . . ἀπὸ θλίψεως). Lukas schildert entsprechend, dass die θλῖψις die Zerstreuung (‚διασπείρω`) der Christen veranlasst. Darüber hinaus fungiert dieses Ereignis als ein wichtiger Wendepunkt in der Erzählstruktur der Acta, da das Evangelium vom Herrn Jesus letztendlich nun auch Griechen verkündigt wird (Apg 11,20) und die Jünger nun Christen (Χριστιανούς) genannt werden (Apg 11,26).
64 Solch ein Verständnis der θλῖψις ist einzigartig und etwa vergleichbar mit der pln Personifikation der ἁµαρτία (ἁµαρτία als Macht- oder Tatbegriff). Vgl. G. Röhser, Metaphorik und Personifikation der Sünde. Antike Sündenvorstellungen und paulinische Hamartia, Tübingen 1987, 154.179; H. Umbach, In Christus getauft – von der Sünde befreit: die Gemeinde als sündenfreier Raum bei Paulus, Göttingen 1999, 32–35; T.L. Carter, Paul and the Power of Sin: Redefining „beyond the Pale“, Cambridge 2002, 14–18; S. Hagenow, Heilige Gemeinde – Sündige Christen: zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums, Tübingen 2011, 275–80; E.-G. Lyu, Sünde und Rechtfertigung bei Paulus: eine exegetische Untersuchung zum paulinischen Sündenverständnis aus soteriologischer Sicht, Tübingen 2011, 281–300. 65 „. . . dann werden wir aus der Not zu dir schreien (βοησόµεθα πρὸς σὲ ἀπὸ τῆς θλίψεως)“, 2 Chr 20,9.
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Phänomen 3. Bezüglich des πάσχω-Stammes zieht Lukas die Infinitiv-Form παθεῖν vor. Abseits des Corpus Lucanum (9mal) ist der Infinitiv παθεῖν eine seltene Form in LXX und NT (4mal, Ez 16,5; Mk 8,31; Mt 16,21; Hebr 9,26). Bei den nicht-lukanischen ntl Belegen von παθεῖν besteht die Gemeinsamkeit, dass das Prädikat „(ἐ)δεῖ“ die Infinitiv-Form auslöst. Allein Lukas verwendet παθεῖν auch unabhängig von (ἐ)δεῖ. M.a.W., auch dort, wo er grammatische Alternativen hatte, bevorzugt Lukas konsequent die Infinitiv-Form. Einerseits erweitert er 5mal 66 die mk (ἐ)δεῖ-Formel 67, andererseits verwendet er ebenso oft (4mal 68) παθεῖν ohne (ἐ)δεῖ. (1) Nur an den Stellen, an denen Lukas mk Tradition deutlich redigiert oder die Infinitiv-Wendung frei wählt, kommt παθεῖν ohne (ἐ)δεῖ vor. παθεῖν bezeichnet dann die Passion Jesu als ein abgeschlossenes Ereignis. Er verwendet zweimal den substantivierten AcI verbunden mit temporalen Präpositionen: πρὸ τοῦ µε παθεῖν (Lk 22,15) sowie µετὰ τὸ παθεῖν αὐτὸν (Apg 1,3). Er ist der einzige ntl Autor, der die Passion Jesu auf diese Weise auf den Begriff bringt. Für die beiden Stellen wäre sowohl das Substantiv παθήµα(τα) mit temporalen Präpositionen (Apg 1,3 in Vulgata 69) als auch ein temporaler Nebensatz mit πάσχω als finitem Verb (Lk 22,15 in Vulgata 70) eine Alternative. Andererseits tendiert Lukas dazu, das mk πολλὰ παθεῖν abzuschwächen 71 und dadurch die Einheit sowie die Einzigartigkeit der Passion Christi zu markieren, denn παθεῖν wird nicht mit anderen Infinitiven zusammen aufgelistet, 72 sondern kann allein den Erlösungstod bedeuten. 73 In Lk 24,46 und Apg 3,18 ist der παθεῖν-AcI durch andere Verben (γράφω u. προκαταγγέλλω) als (ἐ)δεῖ ausgelöst. Demgegenüber liegen in Lk 24,26 und Apg 9,16 die dem mk πολλά entsprechenden Objeke von παθεῖν, nämlich ταῦτα (Lk 24,26) und ὅσα (Apg 9,16), noch vor, wobei Lukas mk Tradition je nach Kontext leicht umformuliert (s. u.).
66 Lk 9,22; 17,25; 24,26; Apg 9,16; 17,3. 67 δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν, Mk 8,31. 68 Lk 22,15; 24,46; Apg 1,3; 3,18. 69 post passionem suam (Apg 1,3). 70 antequam patiar (Lk 22,15). 71 πολλὰ παθεῖν (Mk 9,31). Im lk Doppelwerk kommt παθεῖν 7mal ohne πολλά vor. Lk 22,15; 24,26; 24,46; Apg 1,3; 3,18; 9,16; 17,3. 72 Nämlich ἀποδοκιµασθῆναι, ἀποκτανθῆναι und ἀναστῆναι (Mk 8,31), ebenfalls in Lk 9,22 und 17,25. Für Markus formuliert Gnilka: „Vieles leiden zu müssen, ist eine Zusammenfassung der Drangsale, die der Menschensohn in seinem irdischen Leben erfährt.“ Gnilka, Das Evangelium nach Markus. Mk 8,27–16,20, Bd. 2, 15. Es ist also nicht beschränkt auf Ereignisse der Passionsgeschichte (vgl. Lk 22,15 oder Apg 1,3). δεῖ τὸν υἱὸν τοῦ ἀνθρώπου πολλὰ παθεῖν καὶ ἀποδοκιµασθῆναι ὑπὸ τῶν πρεσβυτέρων καὶ τῶν ἀρχιερέων καὶ τῶν γραµµατέων καὶ ἀποκτανθῆναι. 73 Nach Haenchens Vermutung stammt dieser „absolute Gebrauch von παθεῖν“ aus dem Hellenismus. Haenchen 109, v. a. Anm. 2.
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(2) Im lk Doppelwerk kommt die finite Verbform des πάσχω-Stamms nur in der Grundbedeutung vor, da sie weder Leiden Jesu noch das der Christen, sondern das allgemeine Erleiden (von Negativem) bezeichnet. Unabhängig vom Markusevangelium und der Logienquelle hat Lukas die finite Verbform von πάσχω zweimal in Gebrauch (Lk 13,2; Apg 28,5). (3) Bei der Nutzung des Substantivs παθήµα(τα) wäre folgende Problematik inhärent gewesen. Das πάθηµα ist in den ntl Traditionen fast immer (15mal unter 16 Belegen 74) in der Plural-Form belegt, was der lk Tendenz entgegensteht, den pluralen Sinn der mk Tradition von πολλὰ παθεῖν abzumildern 75 und stattdessen die Einmalig- und Einzigartigkeit der Passion Christi zu pointieren (s. o.). Nur der Autor des Hebräerbriefs belegt einmal das πάθηµα im Singular (Hebr 2,9) und bezeichnet damit die Passion Jesu. Die Tatsache, dass er aber dafür zusätzlich ein Genitiv-Attribut (τὸ πάθηµα τοῦ θανάτου) brauchte und im folgenden Vers (Hebr 2,10) die Pluralform παθήµατα für Christus hinnahm, zeigt freilich die Grenzen dieses Wortes als eines terminus technicus für Jesu Tod. 76 Das πάθηµα war seit Paulus auch für das Leiden der Christen vorkommen (s. o.). Zwischenfazit: ‚θλῖψις` und ‚παθεῖν` als termini technici Folgende Punkte rechtfertigen, θλῖψις und παθεῖν für termini technici zu halten. (a) Die Form beider Termini stabilisiert sich. Wie oben gesehen, existieren im lk Doppelwerk fast keine alternativen Formen dieser Wortstämme. Lukas vermeidet z. B. eine finite Verbform von θλίβω (vgl. Mk 3,9; Mk 7,14) oder die Substantivform von παθήµα (vgl. 2 Tim 3,11 77; Vulgata-Übersetzung von Apg 1,3) usw. (b) Die beiden Termini besitzen präzise abgegrenzte Bedeutungen. Das Leiden Christi und das der Christen wird in beiden Termini auf den Begriff gebracht. παθεῖν bezeichnet ein abgeschlossenes Ereignis (Lk 22,15; 24,46 78; Apg 1,3; 3,18). Sogar Jesus 79 in der erzählten Welt (Lk 22,15) bezeichnet seine
74 Röm 7,5; 8,18; 2 Kor 1,5.6.7; Gal 5,24; Phil 3,10; Kol 1,24; 2 Tim 3,11; Hebr 2,9.10; 10,32; 1 Petr 1,11; 4,13; 5,1.9. Nur in Hebr 2,9 kommt πάθηµα im Singular vor. In den Evangelien und der Apostelgeschichte fehlt der Begriff. 75 1 Thess 2,14–16 kann traditionsgeschichtlich als ein Hintergrund der πολλὰ-παθεῖν-Tradition (Mk 8,31 par, vgl. J. Kremer, a. a. O., 122 f; Hoffmann, a. a. O., 181 f) verstanden werden. Bezeichnenderweise benutzt Paulus in einem analogen Kontext (2 Kor 1,5 f) auch das Substantiv παθήµατα. 76 Das πάθηµα im Sinne von ‚Leiden` kommt meist in der Plural-Form vor. H. G. Liddell / R. Scott, A Greek-English lexicon, Oxford 91996, 1285. 77 Vgl. Apg 14,22. 78 Beim AcI in Lk 24,46 ist außergewöhnlich, so dass in der Textgeschichte viele Lesevarianten entstanden. B. Aland/K. Aland (Hg.), Novum Testamentum Graece, Stuttgart 28 2012, 291. 79 Oder auch der lk Erzähler (Apg 1,3).
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Passion mit diesem Wort. θλῖψις bezeichnet nicht nur die Christen bedrängende Begebenheit (Apg 11,19; 14,22), sie wird auch personifiziert, insofern sie überall auf Menschen wartet (Apg 14,22). 80 Die θλῖψις verliert bei Lukas den futurisch-eschatologischen Sinn (Mk 13,19.24 parr), bezeichnet allein die aktuellen Bedrängnisse der Figuren in der erzählten Welt sowie der intendierten Leser in der realen Welt (v. a. Apg 14,22 δεῖ ἡµᾶς εἰσελθεῖν). Dass παθεῖν und θλῖψις vom Subjekt her sich unterscheiden 81, ist ein Grund dafür, dass sie als Begriffspaar auftreten können: παθεῖν/Passio Christi und θλῖψις/Tribulatio Discipuli.
(c) Die θλῖψις kommt nur im zweiten Werk vor. Lukas hat in seinem Evangelium alle Traditionen mit θλίβω-Stamm umformuliert oder weggestrichen. 82 Hingegen hat Matthäus die mk Traditionen intakt übernommen (Mk 4,17; 13,19.24 und Mt 13,21; 24,21.29). Lukas hat θλῖψις im Gleichnis vom Sämann (Mk 4,17 parr) durch πειρασµός ersetzt (Lk 8,13). Bei Lukas ist der πειρασµός im Singular 83 wiederholt für negative Situationen belegt, in die die Jünger nicht kommen sollen (Lk 11,4; 22,40.46 84). Auch die ἀνάγκη (Lk 21,23) war ein gutes Surrogat, das Lukas anstelle der θλῖψις in die mk kleine Apokalypse einsetzen konnte. Da ἀνάγκη in der LXX ebenso wie θλῖψις eine Übersetzungsmöglichkeit des hebräischen [ ַצרs. ar] war 85 und oft mit θλῖψις verbunden wurde 86, kann auch sie einen eschatologischen Sinn haben 87, wie Paulus zeigte (1 Kor 7,26) 88. In Lk 21,25 f hat Lukas die mk θλῖψις (Mk 13,24 parr) einfach ausgelassen, obwohl sie in der mk Quelle als eine wichtige Zeitangabe (µετὰ τὴν θλῖψιν ἐκείνην) für die Parusie Jesu fungierte.
80 Etwa wie der Sündenbegriff in der pln Theologie. S.o. Anm. 64. 81 Von einer einzigen Ausnahme abgesehen, s. o. den Exkurs am Ende des Kapitels II-1.1.2. 82 Die Verbform ist auch in Acta nicht belegt. 83 Im Plural hebt der πειρασµός auf vergangene bittere Erfahrungen Jesu und Pauli ab. Lk 22,28; Apg 20,19. 84 Auch an diesen drei Stellen kann πειρασµός (genau wie in Lk 8,13) ein unwiederbringliches Scheitern der Christen bedeuten. Vor seiner zweimaligen Anweisung zum Gebet, nicht in Versuchung zu kommen (Lk 22,40.46), erklärt Jesus, dass Satan verlangte, die Jünger (ὑµᾶς) zu sieben, d. h. zu versuchen (Lk 22,31). Dagegen (δέ, Lk 22,32) legt Jesus eine Fürbitte ein, ohne die Petrus nicht zurückgekehrt wäre (ἐπιστρέψας, Lk 22,32), sondern endgültig gescheitert wäre. S.o. Kapitel I-1.1. 85 W. Grundmann, Art. ἀνάγκη, ThWNT I, 349. 86 Ps 119,143; Hiob 15,24. Auch im NT, 2 Kor 6,4; 1 Thess 3,7. 87 Grundmann, a. a. O. 88 W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther. 1 Kor 6,12–11,16, EKK VII / 2, Solothurn u.a. 1995, 156; C.K. Barrett, A commentary on the first Epistle to the Corinthians, London 1968, 174 f; J. Weiss, Der erste Korintherbrief, Göttingen 21977, 196; Schlier, ThWNT III, 144 f; Strobel, EWNT I, 188 usw. Vgl. auch die atl-jüdischen Belege von Jub 23,11–31; 4 Esr 5,1–13; 6,18–24; 9,1 f; syrBar 25–27.
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Demgegenüber verwendet Lukas θλῖψις in seinem zweiten Werk konsistent dort, wo mögliche Paralleltraditionen dieselben Motive mit anderen Worten formulieren. Die Darlegungen in Apg 13–14 z. B. stimmen mit dem Bericht in 2 Tim 3,11 89 überein. Wahrscheinlich haben beide Verfasser unabhängig voneinander 90 eine gemeinsame Überlieferung mit Ortsbezeichnungen und Aussagen über Leiden benutzt. 91 Der Verfasser des 2 Tim gab die Leiden des Paulus durch παθήµα und διωγµός wieder, während Lukas θλῖψις wählte. Auch die Rede des Paulus in Apg 14,22 als apostolische Paraklese zur Ermutigung in Verfolgungen hat eine Analogie (in 1 Thess 3,4): 92 προελέγοµεν ὑµῖν ὅτι µέλλοµεν θλίβεσθαι | Wir haben euch vorausgesagt, dass wir in Drangsal geraten werden (1 Thess 3,4), διὰ πολλῶν θλίψεων δεῖ ἡµᾶς εἰσελθεῖν εἰς τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ | Wir müssen durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes hineingehen (Apg 14,22).
Im Gegensatz dazu, dass Paulus in seinen echten Briefen Verbform vom θλίβω-Stamm benutzte, 93 bietet das lk Doppelwerk nur die Substantivform θλῖψις. Darüber hinaus ist die Sprache des Paulus im Briefe weniger mit dogmatischen Motiven gespickt als die lk Version. M.E. könnte θλῖψις ein Terminus der lk Gemeinde gewesen sein, die schon vor der Abfassung des Doppelwerks die Leiden der Jesusnachfolger so bezeichnete. Lukas hätte dann einen Grund gehabt, dieses Wort im Evangelium zu vermeiden, es aber in Acta zu benutzen. Genauso konsequent benutzt Lukas παθεῖν in seinem Doppelwerk, wobei sich Acta und redaktionelle Teile im LkEv entsprechen. 1) παθεῖν wird substantiviert, mit einem Personalpronomen-Akkusativsubjekt und einer temporalen Präposition versehen: µετὰ τὸ παθεῖν αὐτὸν (Apg 1,3) | πρὸ τοῦ µε παθεῖν (Lk 22,15), 2) Lukas besetzt das Akkusativsubjekt von παθεῖν mit Christus: παθεῖν τὸν χριστὸν (Apg 3,18) | παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ εἰσελθεῖν εἰς τὴν δόξαν αὐτοῦ (Lk 24,26),
89 Gemeint sind die Verfolgungen und Leiden, die Paulus in Antiochia (Apg 13,14–50), Ikonion (Apg 13,51–14,5) und Lystra (Apg 14,8–19) erfahren hat (2 Tim 3,11). Apg 14,21 f berichtet, dass Paulus die drei Städte erneut besuchte und auch dort über die Leiden sprach (Apg 14,22). 90 Sonst müsste man die gleiche Verfasserschaft bzw. eine literarische Abhängigkeit annehmen. A. Weiser, Der zweite Brief an Timotheus, Düsseldorf u. a. 2003, 270–271. 91 A. a. O. 92 Pesch, 64. 93 Auch in 2 Kor 1,6; 4,8; 7,5.
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τὸν χριστὸν ἔδει παθεῖν καὶ ἀναστῆναι (Apg 17,3) | παθεῖν τὸν χριστὸν καὶ ἀναστῆναι (Lk 24,46). Lukas verwendet also in seinem zweiten Werk genau dieselbe παθεῖν-Formel, die er in seinem ersten Werk für Passion und Auferstehung Jesu benutzte. Darüber hinaus verwendet er in beiden Werken konsequent weder die Substantivform πάθηµα noch finite Verbform von πάσχω.
Zusammenfassend: Schon vor der Abfassung des zweiten Werks hat Lukas Passio Christi und Tribulatio Discipuli terminologisch auseinandergehalten.
1.2 Hierarchisierung von Passio Christi und Tribulatio Discipuli bei Lukas Die beiden Leidenstypen, Passio Christi und Tribulatio Discipuli, sind nicht nur terminologisch auseinandergehalten, sondern es wurde auch eine Hierarchie von beiden in der erzählten Welt etabliert. Lukas hat im Vergleich zu den übrigen ntl Schriften ein einzigartiges Leidensverständnis entwickelt, dass er der Lesergruppe erschwerte, sowohl die Leiden der Jünger in der erzählten Welt als auch ihre eigenen Leidens- oder Notsituationen in der realen Welt mit dem Leiden Christi zu identifizieren. Darüber hinaus ist die Tribulatio Discipuli im lk Doppelwerk in jeder Situation ausnahmslos von der Passio Christi bestimmt: Christus fungiert kontinuierlich als der Patron der Leidenden. Ferner besteht im Corpus Lucanum auch eine funktionale Hierarchie zwischen beiden Leidenstypen, die sowohl soteriologisch als auch kosmologisch zu beschreiben ist. 1.2.1 Keine metaphorische Gleichsetzung oder Assoziation der beiden Leidenstypen Im Gegensatz zu anderen ntl Schriften ist es im lk Doppelwerk nicht möglich, das Leiden der Christen assoziativ oder metaphorisch mit dem des Christus direkt zu parallelisieren. Die lk Konzeption setzt nicht voraus, dass der Christ an Christi Leiden teilnimmt: . . . um ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner [Christi] Leiden zu erkennen, indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde, τοῦ γνῶναι αὐτὸν καὶ τὴν δύναµιν τῆς ἀναστάσεως αὐτοῦ καὶ [τὴν] κοινωνίαν [τῶν] παθηµάτων αὐτοῦ, συµµορφιζόµενος τῷ θανάτῳ αὐτοῦ (Phil 3,10) sondern freut euch, insoweit ihr an den Leiden des Christus teilhabt ἀλλὰ καθὸ κοινωνεῖτε τοῖς τοῦ Χριστοῦ παθήµασιν χαίρετε (1 Petr 4,13).
Obwohl in der Apostelgeschichte eine Schicksalsgemeinschaft zwischen Jesus und seinen Nachfolgern in Bezug auf das Leiden anschaulich dargestellt wird
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(v. a. beim Martyrium des Stephanus, Apg 7,54 ff), stößt man nicht auf eine metaphorische Gleichsetzung von beiden. Dies ist freilich nicht dem Umstand geschuldet, dass Lukas das Wortfeld κοινωνία/κοινωνέω nicht gekannt hätte (Apg 2,42): κοινωνία ist durch das gemeinsame Brotbrechen (Apg 2,42; vgl. Lk 24,35) gegeben in der Eucharistiefeier, 94 die für Paulus Gemeinschaft mit dem Kreuzesleib Christi (1 Kor 10,16; vgl. Lk 22,19 f) und mit seinem Leiden (Phil 3,10) bedeutete. Aber in der lk Passionsgeschichte kann man nicht sagen, dass die Jünger des Leidens Christi teilhaftig sind, selbst wenn man, wie die vorliegende Arbeit, diese Jünger als Co-Subjekt des Leidens auffasst (Kapitel I-1.1). Die Jünger waren zwar diejenigen, die bei Jesus in seiner Passion ausharrten (Lk 22,28; 23,49; vgl. Mk 14,50. Kapitel I-1.2). Sie sollten aber nicht für Jesus, sondern für sich beten, nicht in eigene Versuchung zu kommen (Lk 22,40.46). Auch wurden sie konsequent zu inneren sowie äußeren Spannungen und Konflikten geführt, die Jesus nicht durchlitt, wobei der zurückgekehrte Satan (Lk 4,13) nicht Jesus, sondern die Jünger angriff (Lk 22,3.31). Narratologisch gesehen sind die Jünger in der mk Passionsgeschichte eine (misslungene) Hilfsfigur (Randfigur) in der Handlung Passio Christi, aber in der lk Darstellung ist Jesus eine Hilfsfigur (Mentor / Patron) im Subplot Tribulatio Discipuli, in dem die Jünger als Protagonisten ihre sehr eigene Tribulatio erleiden (Kapitel I-2). Bei Lukas wird dem Leiden der Christen Christus nicht einmal als Attribut beigegeben im Gegensatz zum Corpus Paulinum: καθὼς περισσεύει τὰ παθήµατα τοῦ Χριστοῦ εἰς ἡµᾶς Wie die Leiden Christi auf uns überfließen (2 Kor 1,5), ἀνταναπληρῶ τὰ ὑστερήµατα τῶν θλίψεων τοῦ Χριστοῦ ἐν τῇ σαρκί µου ὑπὲρ τοῦ σώµατος αὐτοῦ, ὅ ἐστιν ἡ ἐκκλησία ich ergänze das Fehlende an den Bedrängnissen des Christus in meinem Fleische für seinen Leib, das ist die Kirche (Kol 1,24). Es ist nicht nötig, die Vielzahl von Deutungen des Genitiv-Attributs Χριστοῦ aufzuzählen. Für θλίψεων τοῦ Χριστοῦ (Kol 1,24) sind fast alle Interpretationsmöglichkeiten, von Christi Erlösungsleiden bis hin zu „die in der Gemeinde um Christi willen oder „in Christus“ erlittenen Leiden“ (genitivus qualitatis, E. Schweizer) in Betracht gezogen worden. Nicht grundverschieden ist das Spektrum für die παθήµατα τοῦ Χριστοῦ in 2 Kor 1,5, sei es, dass es um ein Leiden geht, das dem Leiden Christi entspricht (d. h. genitivus qualitatis), sei es, dass auf verschiedene Art und Weise von
94 Pesch, 130. Auch ders, Das Abendmahl und Jesu Todesverständnis, Freiburg u.a. 1978, 66–69.
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einer Verbundenheit oder einer Gemeinschaft zwischen dem Leiden des Paulus und dem Christi die Rede ist. 95
Bei Lukas werden Bedrängnisse der Christen nicht als Leiden Christi bezeichnet. Wohingegen bei Paulus auch weitere Wendungen bezüglich der Leiden, die der Apostel aktuell um Christi willen erträgt, grammatisch mit dem Genitiv des Christus formuliert sind (Sterben Jesu, 2 Kor 4,10; Wundmale Jesu, Gal 6,17; (Anteil am) Leiden von ihm, Phil 3,10 usw.). Im lk Doppelwerk hat die Genitiv-Wendung ᾿Ιησοῦ oder Χριστοῦ kaum mit dem Status der Christen zu tun, abgesehen davon, dass Formeln wie v. a. der „Name Jesu (Christi)“ den Inhalt der Verkündigung der Christen in der Öffentlichkeit wiedergeben. Meistens wird der Genitiv Χριστοῦ oder ᾿Ιησοῦ dem Namen (ὄνοµα, 19mal von 28 Belegen 96) angehängt, den die Christen verkünden sollen. Oder auch Auferstehung (Apg 2,31), Gnade (Apg 15,11) und Wort (Apg 20,35) kommen jeweils einmal als Bezugswort von Χριστοῦ oder ᾿Ιησοῦ dort vor, wo Petrus und Paulus coram publico eine Predigt halten. In Bezug auf eigene Situationen der Christen in der erzählten Welt, nämlich die Tribulatio Discipuli, sind die Leidenssubjekte oder Bezugspersonen konkret aufgezeichnet. In Apg 11,19 ist die Tribulatio durch eine klassisch-griechische attributive Stellung (ἀπὸ τῆς θλίψεως τῆς γενοµένης ἐπὶ Στεφάνῳ) als das beschrieben, was in Richtung auf Stephanus 97 entstand. In Apg 14,22 und 20,23 bezieht sich das Wort auf das Personalpronomen in der ersten Person (δεῖ ἡµᾶς. . . sowie . . . µε µένουσιν). 98 Was die Leiden der Christen mit der Passio Christi in Zusammenhang bringt, ist nicht eine metaphorische Identifizierung, sondern dass sie ständig für Jesus, und zwar wegen ihrer Verkündigung seiner Passion, leiden und Jesus immer als Patron bei ihren Leiden fungiert (vgl. oben). Auch bei Apg 9,4 f parr. ist zu überprüfen, ob die Wendungen τί µε διώκεις (Apg 9,4; 22,7; 26,14) sowie ὃν σὺ διώκεις (Apg 9,5; 22,8; 26,15) für eine metaphorische Gleichsetzung der beiden Leidenstypen gehalten werden können. Zwar ist das Verfolgungsobjekt des Saulus (Christen) hier mit Jesus identifiziert, doch heißt dies nicht sofort eine generelle Identifizierung der Tribulatio Discipuli mit der Passio Christi. 95 E. Schweizer, Der Brief an die Kolosser, 64–65, usw. S.o. Kapitel II-1.1.1. 96 Im lk Doppelwerk kommt die Genitiv-Form von ᾿Ιησοῦ bzw. Χριστοῦ insgesamt 28mal vor (dazu zählen weder Objekte von Präpositionen noch absolute Genitive). Auferstehung (Christou): Apg 2,32. Fuß (Jesu): Lk 8,35; 8,41. Soma (Jesu): Lk 23,52; 24,3. Wort (Jesu): Apg 20,35. Geist (Jesu): Apg 16,7. Mutter (Jesu): Apg 1,14. Gnade (Jesu): Apg 15,11. Name (Jesu Christou): Apg 2,38; 3,6; 4,10; 8,12; 10,48; 15,26; 16,18. Name (Jesu): Apg 4,18; 4,30; 4,33; 5,40; 8,16; 9,27; 15,11; 19,5; 19,13; 19,17; 21,13; 26,9. 97 Vgl. auch W. Köhler, Art. ἐπί, EWNT II, 56. 98 Darüber hinaus ist auch das Wort δεσµός, das einmal mit θλῖψις verbunden wurde (Apg 20,23), im ganzen lk Doppelwerk nicht einmal für Christus belegt. Lk 8,29; 13,16; Apg 16,26; 20,23; 23;29; 26;29.31. Jeder Beleg dieses Wortes in der Apostelgeschichte bezieht sich auf die Leidenssituationen Pauli.
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1. Im Kontext von Apg 9,4 f parr. ist die Passio Christi nicht vorausgesetzt. Allein die Tribulatio Discipuli wird als eine ‚Verfolgung` dargestellt. Christi Passion ist hier weder erwähnt noch angedeutet (vgl. Apg 7,52; 8,34 f). Auch eignet sich der διώκω-Stamm in den ntl Traditionen terminologisch nicht dafür, Passio Christi zu assoziieren. Außer bei Johannes (Joh 5,16; 15,20 99) bezieht sich der διώκω-Stamm keinmal auf Jesus, sondern die überwiegende Mehrzahl dieser Wendungen als „urchristl. Sprachgebrauch“ 100 zeigt, dass zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli eine Hierarchie besteht, da Christen um Christi willen verfolgt werden (Apg 9,16; 5,41; 15,26; 21,13). Auf verschiedenen Wegen erreichte Lukas die Überlieferung von der Verfolgung der Christen wegen (des Namens) Jesu – z. B. sind der vierte Makarismus (Q 6,22 f; vgl. Mt 5,11; 10,22 f; auch Lk 11,49), für dessen Rekonstruktion verschiedene Ausgaben der Logienquelle anzuführen, διώκω bevorzugen 101, oder auch pln Formeln wie z. B. 2 Kor 12,10 (vgl. 2 Tim 3,12) 102, wobei in den Paulusbriefen dieselben Wendungen vom Verfolger der Kirche wie in Apg 9,4 f parr. vorkommen (1 Kor 15,9; Gal 1,13.23; Phil 3,6). Darüber hinaus hat Lukas durch Redaktion der mk Quelle dieselbe Formel einmal selbst gebildet: In Mk 13,9 ff parr. hat Lukas sowohl διώκω als auch ὄνοµα hinzugefügt, 103 so dass eine Parallele zu Apg 9,4 ff (v. a. Apg 9,16, auch vgl. Apg 13,50 104) entsteht. Hier verdächtige ich den lk Autor, wegen der Gewichtigkeit des Paulus bereits im Evangelium das Schicksal des Paulus anzudeuten, da er die für Paulus reservierten Motive (z. B. ‚διώκω`, ‚ὄνοµα` und auch ‚φυλακή` 105) extra
99 Auch bei Johannes meint Verfolgung Jesu kaum seinen Erlösungstod. Vielmehr kann ein gradueller Unterschied zwischen einer allgemeinen Verfolgung Jesu (Joh 5,16) und dem Willen der Feinde, ihn zu töten (ζητεῖν ἀποκτεῖναι, Joh 5,18), erkannt werden. Der Beschluss, Jesus zu töten, der seinen Erlösungstod (Passio) wirkt, wird durch ein anderes Wort (ἐβουλεύσαντο, Joh 11,53) beschrieben. Der Ausdruck „Verfolgung Jesu“ ist also zweifach von seinem Erlösungstod abgeschoben: διώκειν (Joh 5,16), ζητεῖν ἀποκτεῖναι (Joh 5,18; 7,1; 7,19; 7,20; 7,25; 8,37; 8,40), βούλεσθαι ἀποκτεῖναι (Joh 11,53). 100 O. Knoch, Art. διώκω, EWNT I, 818. 101 P. Hoffmann (Hg.), Die Spruchquelle Q: griechisch und deutsch; [griechischer Text nach der „Critical edition of Q“ des International Q Project], Darmstadt 42013, 28 u. 120. Auch sonst sollte der Gedanke, dass man wegen Christus leidet (µισήσωσιν. . . ἀφορίσωσιν. . . ὀνειδίσωσιν . . . ἕνεκα τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου; Lk 6,22), für Lukas nicht fremd sein. 102 Ohne ὑπέρ- oder ἕνεκεν-Formeln bezeichnet diese Wendung fast immer die Verfolgung der Anhänger Jesu. ∆ιώκω: Mt 5,10.12.44; 10,23; 23,34; Lk 11,49; Apg 9,4.5; 22,4.7.8; 26,11.14.15; Röm 12,14; 1 Kor 4,12; 15,9; 2 Kor 4,9; Gal 1,13.23; 4,29; 5,11; 6,12; Phil 3,6; Apk 12,13. ∆ιωγµός: Mt 13,21; Mk 4,17; Apg 8,1; 13,50; Röm 8,35; 2 Thess 1,4; 2 Tim 3,11. 103 . . . παραδώσουσιν ὑµᾶς εἰς συνέδρια καὶ εἰς συναγωγὰς δαρήσεσθε καὶ ἐπὶ ἡγεµόνων καὶ βασιλέων σταθήσεσθε ἕνεκεν ἐµοῦ εἰς µαρτύριον αὐτοῖς. (Mk 13,9) . . . καὶ διώξουσιν, παραδιδόντες εἰς τὰς συναγωγὰς καὶ φυλακάς, ἀπαγοµένους ἐπὶ βασιλεῖς καὶ ἡγεµόνας ἕνεκεν τοῦ ὀνόµατός µουž ἀποβήσεται ὑµῖν εἰς µαρτύριον. (Lk 21,12 f) 104 In der Apostelgeschichte kommt der διώκω-Stamm überwiegend für die Verfolgung vor, die Paulus angetan hat. Aber auch die Verfolgung, die Paulus erduldete, stellt sich in Apg 13,50 dar. 105 Auch ‚φυλακάς` ist lk Redaktion. Vgl. Apg 16,23.24.27.37.40. So auch ‚δεσµός`, Apg 16,26; 20,23; 23,29; 26,29.31; Lk 21,12.
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betont. 106 Was aber unverändert bleibt, ist die Tatsache, dass hinter Apg 9,4 f parr. trotz der dramatischen Identifikation des Vorfolgungsobjekts des Saulus mit Jesus (vgl. Lk 10,16) inhaltlich nicht die Passio Christi steht, so dass man die Verfolgung der Anhänger Jesu, die sie um Jesu willen leiden, nicht mit dem Erlösungstod gleichstellen kann. 2. Die Rede Jesu in Apg 9,4 ff richtet sich nicht an die leidenden Christen, sondern verfolgende Nicht-Christen. Der ursprüngliche Adressat dieser Rede war Saulus, der Verfolger der Kirche auf der auktorialen Erzählebene 107 (Apg 9,4 ff). Dann auf der figuralen Erzählebene, d. h. in der retrospektiven Selbsterzählung des Paulus, sind die Empfänger dieser Message die Jerusalemer (Apg 22,7 f) sowie Agrippa (Apg 26,14 f), die paradoxerweise nun den Paulus verfolgen. Dass die erste Leser- oder Hörergruppe des lk Doppelwerks durch diese Erzählung ihre eigenen (Leidens-)Situationen mit der Passion Christi überblendet hätten, lag nicht nahe. Darüber hinaus gebraucht Jesus den Ausdruck διώκω für einen einzigen Fall des Paulus, 108 als dieser ein Verfolger war. Für die erste Leser- bzw. Hörergruppe des Lukas war diese Wendung darum kaum verallgemeinert zu rezipieren (anders 1 Petr 4,13). Im lk Doppelwerk bezieht sich die Passio Christi auf die Christen in der erzählten sowie der realen Welt nicht durch eine bloße Analogie, sondern dadurch, dass sie die Passio Christi (vgl. lk χριστὸν-παθεῖν-Formel, im Kapitel II-1.1.3) verkünden und dafür ihre eigenen Leiden (v. a. Apg 14,22) gerne erdulden.
1.2.2 Passio Christi als singuläre Causa und Conditio der Tribulatio Discipuli Im lk Doppelwerk ist die Passio Christi (παθεῖν) die Voraussetzung sowie der Anlass für die Tribulatio Discipuli (θλῖψις), auch im Vergleich zu anderen ntl Literaturen. Christen leiden um Christi willen. Jedoch gilt dies nicht für alle ntl Texte. Man kann auch an einer Tribulatio Discipuli von einem anderen Christen teilnehmen, anstatt mit Christus das Leiden zu teilen, 109 oder nicht (nur) für Christus (ὑπὲρ Χριστοῦ), sondern auch für andere Leute (ὑπὲρ ὑµῶν 110) leiden. 106 Die Gewichtigkeit des Paulus im ganzen lk Doppelwerk und eventuelle Antizipationen dieses Motivs (z. B. Lk 6,40; 21,12 ff) sind ein interessantes Thema, das die vorliegende Arbeit leider nicht umfassen kann. 107 Über die Differenzierung zwischen der auktorialen Erzählebene und der figuralen, siehe Kapitel I-3.2. 108 In der erzählten Welt der Apostelgeschichte, also auf der auktorialen Erzählebene, spricht Jesus nur Paulus an. Bei der Steinigung des Stephanus befindet sich die Erscheinung Jesu auch auf der auktorialen Erzählebene (Apg 7,55); dieser aber spricht nicht. 109 Phil 4,14. Allerdings ist dieser andere hier Paulus, der als Leidender wiederum selbst Anteil an dem Leiden Christi hat. 110 Z. B. 2 Kor 1,6 oder Kol 1,24. „Sei es aber, dass wir bedrängt werden, so ist es für euren Trost und eure Rettung“ (εἴτε δὲ θλιβόµεθα, ὑπὲρ τῆς ὑµῶν παρακλήσεως καὶ σωτηρίας, 2 Kor 1,6) oder „Jetzt freue ich mich in den Leiden für euch“ (Νῦν χαίρω ἐν τοῖς παθήµασιν ὑπὲρ ὑµῶν, Kol 1,24). Aber vgl. Phil 1,29, „Denn euch wurde die Gnade in Bezug auf Christus zuteil, für Christus dazusein, also nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch seinetwegen zu leiden“ (ὅτι
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Im Gegensatz dazu hat das Corpus Lucanum nicht eine solche relative Eigenständigkeit der Tribulatio Discipuli formuliert: 1. Im lk Doppelwerk geschieht jede Tribulatio Discipuli für den Namen Christi: „Wie viel er für meinen Namen leiden muss“ (ὅσα δεῖ αὐτὸν ὑπὲρ τοῦ ὀνόµατός µου παθεῖν, Apg 9,16). Die Leiden des Paulus sind durch ein unmittelbares Herrenwort (εἶπεν δὲ πρὸς αὐτὸν ὁ κύριος, Apg 9,15) als für den Namen Christi festgestellt. Auch leiden die übrigen Apostel für diesen Namen durch die gesamte Erzählung der Apostelgeschichte hinaus; Lukas deutet sie in seinem Evangelium im Voraus sogar an (Lk 6,22; 21,12.17; 24,47). Die Jünger verkünden Christi Namen (Apg 2,21 usw. 111) und leiden ebendeswegen (Apg 4,17 usw. 112), sich ihres Schicksals bewusst (Apg 21,13). Der Inhalt ihrer Verkündigung kann die Passio Christi selber sein (Apg 3,18; 17,3, s. o. die lk χριστὸν-παθεῖν-Formel.), die die Tribulatio Discipuli auslöst (jeweils Apg 4,1 ff; 17,5 ff). Bei Lukas ist die ὑπέρ-Formel allein für Christus reserviert. Die Wendung ‚für euch` (ὑπὲρ ὑµῶν) darf nur Christus verwenden (v. a. Lk 22,19 f 113). Bei Christen dagegen formuliert Lukas ὑπέρ-Namen Christi (Apg 5,41 u. a. 114). Auch in einem Kontext, wo führende Persönlichkeiten den Gemeinden eine Wohltat antun (Apg 15,22 ff), steht keine ὑπὲρ-ὑµῶν-Formel, sondern bezeichnenderweise die Wendung ὑπὲρ τοῦ ὀνόµατος τοῦ Χριστου mit einer Anspielung auf Tribulatio Discipuli: „Deshalb haben wir uns geeinigt und beschlossen, Männer auszuwählen und zusammen mit unseren lieben Brüdern Barnabas und Paulus zu euch zu schicken, die beide für den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, ihr Leben eingesetzt haben“ (ἔδοξεν ἡµῖν γενοµένοις ὁµοθυµαδὸν ἐκλεξαµένοις ἄνδρας πέµψαι πρὸς ὑµᾶς σὺν τοῖς ἀγαπητοῖς ἡµῶν Βαρναβᾷ καὶ Παύλῳ, ἀνθρώποις παραδεδωκόσι τὰς ψυχὰς αὐτῶν ὑπὲρ τοῦ ὀνόµατος τοῦ κυρίου ἡµῶν ᾿Ιησοῦ Χριστοῦ, Apg 15,25.26). 2. Im lk Doppelwerk stellt sich keine Tribulatio Discipuli dar, die als generelle Notsituation, die auch Nicht-Christen oder wie etwa in Tradition die Frommen oder Gerechten allgemein erleiden, verstanden werden kann (vgl. 1 Petr 4,15 ff; Röm 8,18). In der Apostelgeschichte entsteht jede Leidenssituation der Christen konkret und eindeutig durch ihre Verkündung von ihrem oder wegen ihres Glaubens an die Passio Christi als Ausdruck ihrer christlicher ὑµῖν ἐχαρίσθη τὸ ὑπὲρ Χριστοῦ, οὐ µόνον τὸ εἰς αὐτὸν πιστεύειν ἀλλὰ καὶ τὸ ὑπὲρ αὐτοῦ πάσχειν, Phil 1,29). 111 Apg 2,21.38; 3,6.16; 4,10.12.30;5,28; 8,12.16; 9,27; 10,43.48; 15,14.17.26; 16,18; 19,5.13.17; 22,16. 112 Apg 4,7.10.12.17.18; 5,28.40.41; 9,14.15.16.21; 15,26; 21,13; 26,9. 113 Auch Lk 9,50 ist Jesu Wort. 114 Auch Apg 9,16; 15,26; 21,13. 1mal kommt „ὑπὲρ ἐµοῦ“ (Apg 8,24) vor; dies hat aber der vor Gott ungerechte Simon (Apg 8,23) für sich gesprochen. Andererseits kommt 1mal „für jeden“ (Apg 21,26) in einem Kontext vor, wo aber das jüdische Tempel-Opfer begangen wird. Ansonsten ist ὑπέρ im lk Doppelwerk bloß für die Vergleichsebene (Lk 6,40; 16,8) oder eine Ortsangabe (Apg 26,23) belegt.
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Identität: Apg 4,1 ff; 5,17 ff; 6,8 ff; 9,1 ff; 9,22 ff; 9,28 ff; 12,1 ff; 13,45; 14,5 ff; 16,19 ff; 17,5 ff; 17,13 ff; 18,6; 8,12 ff; 19,23 ff; 20,3; 21,27 ff; 22,17 ff; 23,12 ff; 23,27 ff; 24,1 ff; 25,1 ff. 115 Zusammenfassend: Die Erzählung des lk Doppelwerks ermutigt Christen zu leiden, wie ntl Briefe dies auch tun. In der Apostelgeschichte kommt die Vokabel παράκλησις oder παρακαλέω mehrmals vor, 116 mit der die Gemeindeführer die Christen in Leidenssituationen ermutigen (Apg 14,22; 16,40; 20,1.2; auch Apg 11,23). Paulus tröstet: „Warum weint ihr und brecht mir das Herz? Ich bin bereit, nicht nur gebunden zu werden, sondern auch in Jerusalem für den Namen des Herrn Jesus zu sterben!“ (Apg 21,13) Die Jünger können so mitweinen (auch Apg 20,36 ff; 8,2 usw.) und dann eigene Leiden erleiden, wenn sie die Passion Christi verkünden. 1.2.3 Hierarchie des Leidensubjekts – Christus als Patron der Leidenden Zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli besteht eine Hierarchie auch in Bezug auf das Leidenssubjekt. Diese Ungleichheit kommt nicht bloß von einem Meister-Jünger- oder Herr-Knecht-Verhältnis. Vielmehr lässt sich konkreter zeigen, dass Christus konsequent als Patron leidender Anhänger fungiert, selbst in seiner eigenen Passion (s. o. Kapitel I). Die Jünger dagegen spielen nicht derartige Rolle für andere Leidende (vgl. 1 Kor 1,6 f 117). Christi PatronRolle ist bereits im letzten Kapitel I (v. a. I-1.2 und I-1.3) mit narratologischen sowie klassisch-exegetischen Begrifflichkeiten ausführlich analysiert worden. Hier wird dieselbe These mit minimalen Wiederholungen zusammengefasst. Jesus war in seiner eigenen Passion im Evangelium nicht nur ein Leidender, sondern auch ein Patron für die leidenden Jünger; seine eigene Menschlichkeit oder Schwäche sind in der Passion kaum dargestellt (vgl. Mk 14,33 ff; 15,34 ff.37). In der Leidensgeschichte der Jünger, die dem Passionsbericht des Lukasevangeliums als Subplot innewohnt (Kapitel I), belehrte Jesus seine Jünger (Lk 22,24 ff), bat für sie (Lk 22,32), prophezeite über / für sie (Lk 22,31 ff), wies sie an (Lk 22,35 ff; 39 ff), wurde ihr Vorbild (Lk 22,42 f; 51) und wandte sich um und blickte sie an (Lk 22,61), um sie zu bekehren (Lk 22,61 f; 32). Im Kapitel I wurde nach Eders Modell narratologisch bestimmt, dass Jesus als typische Mentor-Figur für die Jünger fungiert.
115 Vgl. auch Apg 27,14 ff. Auch der Schiffbruch, den Paulus mit anderen zusammen (πάντας τοὺς πλέοντας µετὰ σοῦ) erleidet, ist von Gott selbst zum Zweck der Mission (Apg 27,24) bestimmt. Es gibt also in der Apostelgeschichte keine Leiden der Christen, die unabhäging von der Verkündung dargestellt wären. 116 παρακαλέω: Apg 2,40; 8,31; 9,38; 11,23; 13,42; 14,22; 15,32; 16,9.15.39; 16,40; 19,31; 20,1 f; 20,12; 21,12; 24,4; 25,2; 27,33 f; 28,14.20. παράκλησις: Apg 4,36; 9,31; 13,15; 15,31. 117 Auch Phil 4,14; 2 Tim 1,8; Jak 5,10 ff.
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In der Apostelgeschichte kann man dieselben Figurenrollen bei der Tribulatio Discipuli beobachten – Jünger als Protagonisten leiden, Jesus als Mentor hilft. Insgesamt 5mal (Apg 1,4 ff; 7,55 ff; 9,3 ff; 18,9 ff; 23,11) erscheint Jesus. Wenn wir (1) die Szene von Christi Himmelfahrt (Apg 1,4 ff) als Wiederholung vom Evangelium (Lk 22,44 ff) ausklammern, um also nur auf die in Acta erzählte Welt konzentrieren, können wir sagen, dass Jesus als Mentor bzw. Patron der Leidenden figuriert, immer wenn er die Bühne der Apostelgeschichte betritt. (2) In der Szene der Steinigung des Stephanus (Apg 7,54 ff) tritt Jesus vor dem Tod des Stephanus auf (Apg 7,55.56) und nimmt den Geist des Märtyrers auf (Apg 7,59). Dadurch fungiert Jesus sowohl als Patron des Stephanus als auch als Vermittler zwischen Gott und Märtyrer. In seiner eigenen Passion rief Jesus dagegen am Kreuz direkt den Vater an (πάτερ, Lk 23,46) und übergab Gott seinen eigenen Geist. Das heißt, dass Jesus in Leidenssituationen den Geist sowohl übergibt (παρατίθηµι, Lk 23,46) als auch aufnimmt (δέχοµαι, Apg 7,59), wohingegen Stephanus von Jesus abhängig ist. Auch eine euphemistische Wendung vom (Ent)schlafen (ἐκοιµήθη, Apg 7,60) zeigt die Abhängigkeit zwischen Jesus und Christen. Diese Formel verbindet sich, wie in 1 Kor 15,18 (οἱ κοιµηθέντες ἐν Χριστῷ), im ganzen NT nur mit Christen, die nach diesem Schlaf in Christus auferstehen werden, während Christus bereits auferweckt ist. (3) Jesus erscheint auch in der Berufung des Saulus (Apg 9,3 ff) diesem und dem Hananias. Die Figuren wenden sich keinem anderen Thema als dem Leiden der Jünger zu. Hananias erhebt einen Einwand gegen die Rede des Herrn, und zwar in Bezug auf die Tribulatio Discipuli, die Saulus zufügte (Apg 9,13 ff). Die Antwort Jesu handelt ebenfalls über das Leiden, und zwar das Leiden des ehemaligen Verfolgers, den Jesus als sein Werkzeug auserwählte (Apg 9,15 f). Somit zeigt sich Jesus als der Patron / Mentor des Paulus, der viel leiden wird; im Verlauf der Erzählung beginnt dieses Leiden ohne Verzug (Apg 9,23 ff). (4) und (5) Jesus erscheint noch zweimal dem Paulus, d. h. in Korinth (Apg 18,9 f) und in Jerusalem (Apg 23,11), um ihn jeweils in Leidenssituationen zu ermuntern. Dieser Herr ist offensichtlich Jesus, weil Paulus wie in Jerusalem auch in Rom Jesus als Herrn bezeugen muss. 118 Darüber hinaus treten die Gehilfen des Herrn wiederholt in Leidenssituationen der Jünger dazwischen (Apg 12,7.11 u. a.). Falls man diesen Herrn auf Jesus beziehen kann, gilt auch an diesen Stellen die These „Jesus als Patron der leidenden Jünger“. Jesus hilft dann seinen leidenden Jüngern durch die Gehilfen. Dazu kommt, dass die Figuren in eigenen Leidenssituationen tendenziell mehr von der Passion Jesu erzählen als z. B. von seiner Auferstehung oder 118 Paulus predigt in Rom τὰ περὶ τοῦ κυρίου ᾿Ιησοῦ Χριστου (Apg 28,31; auch περὶ τοῦ ᾿Ιησου, Apg 28,23).
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Parusie. Auch dies zeigt die Rolle Jesu als Patron der leidenden Jünger. In der Apostelgeschichte kommen durch andere Figuren dargebrachte Erzählungen von Jesus insgesamt 21mal vor. 119 Meistens (14mal 120) beziehen sich diese figuralen Erzählungen auf Leidenssituationen seiner Passion, die in der Regel mit der Auferstehung verbunden als Inhalt des Kerygmas verkündet werden. Während die Passion aber auch ohne eine Verbindung zur Auferstehung (3mal 121) dargestellt wird, steht die Auferstehung niemals allein. 122 Darüber hinaus beziehen sich die figuralen Erzählungen über Jesus häufig auch auf Leidenssituationen der Jünger (7mal 123). Kurzum, die Passio Christi ist ein Leidenstyp des Patrons, die Tribulatio Discipuli der der Klienten. 1.2.4 Funktionale Hierarchie zwischen Passio und Tribulatio: Kosmologisch-eschatologischer und soteriologischer Unterschied 1.2.4.1 Heilsgeschichtlich-eschatologische Funktion Auch bei Lukas steht die Passion Christi in einem Bezug zur Endzeit bzw. Äonenwende, da verschiedene eschatologische Phänomene mit der Passion kombiniert werden. In Lk 17,25 ist die Passio Christi – auch ohne Verbindung mit der Auferstehung – für die Parusie (Lk 17,20 ff u. 26 ff) eine conditio sine qua non 124 (πρῶτον δὲ δεῖ, Lk 17,25). Laut E. Grässer heißt das, „daß vor dem Ende eine Leidensperiode einhergeht, der sowohl Jesus selbst wie auch
119 Apg 1,11; 1,16 ff; 2,22 ff; 3,11 ff; 4,1 ff; 4,23 ff; 5,28 ff; 6,14; 7,52; 8,26 ff; 9,17 f; 9,27; 10,34 ff; 11,16; 13,16 ff; 17,1 ff; 17,16 ff; 20,18 ff; 22,6 ff; 25,19; 26,1 ff. Dabei sind die Stellen, wo bloß der Name sowie weitere Bezeichnungen Jesu erwähnt sind, ausgeklammert. Jesus: Apg 8,35 (εὐηγγελίσατο αὐτῷ τὸν ᾿Ιησοῦν) usw.; Der Name Jesu, ὄνοµα (τοῦ κυρίου) ᾿Ιησοῦ (Χριστοῦ): Apg 3,6 usw.; Jesus als Christus: Apg 5,42 (εὐαγγελιζόµενοι τὸν χριστόν ᾿Ιησοῦν) usw.; Jesus als der Herr: 11,20 (εὐαγγελιζόµενοι τὸν κύριον ᾿Ιησοῦν) usw.: Jesus als der Sohn Gottes: 9,20 (ὅτι οὗτός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ θεου); Jesus als ein (anderer) König: 17,7 (βασιλέα ἕτερον λέγοντες εἶναι ᾿Ιησοῦν). 120 Apg 1,16 ff; 2,22 ff; 3,11 ff; 4,1 ff; 4,23 ff; 5,28 f; 7,52; 8,26 ff; 10,34 ff; 13,16 ff; 17,1 ff; 17,16 ff; 25,13 f; 26,1 ff. Von 8,26 ff, s. u. die unmittelbar folgende Anm. 121. 121 Apg 4,23 ff; 7,52; 8,26 ff. Man könnte sagen, dass in Apg 8,26 die Passion Jesu indirekt dargestellt wird, da Philippus zwar nur Jesus verkündete (εὐηγγελίσατο αὐτῷ τὸν ᾿Ιησοῦν, Apg 8,35), jedoch dies als als Jes 53,7 f = Apg 8,32 f, vom geschlachteten Schaf die Rede ist. 122 In diesem Sinne orientiert sich die Apostelgeschichte, quantitativ betrachtet, an der Passion (14mal); dagegen Auferstehung 11mal und Parusie 4mal (Apg 1,11 ff; 3,11 ff; 6,14 ff; 17,16 ff). 123 Apg 4,23 ff; 7,52; 9,17 f; 9,27 f; 20,18 ff; 22,6 ff; 26,1 ff. Wo Paulus und Hananias Jesu Erscheinung erzählen, kommt das Leiden sowohl ‚von` als auch ‚durch` Paulus ins Spiel (Apg 9,17 f, 9,27 f, 22,6 und 26,1). Jesus kann zwar seine eigene Passion und Auferstehung erklären, aber nur die Tribulatio Pauli und die Tribulatio Discipulorum via Pauli. In Apg 4,23 ff verbinden die Jünger selbst ihre Tribulatio mit Jesu Passio. 124 E. Grässer, Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte, Berlin 1957, 171.
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seine Anhänger ausgesetzt sind (Lc 21!)“. 125 Freilich kann man mit Wolter einwenden, dass sich die Leser bereits jenseits des Zeitpunkts der Jesuspassion befinden (ex eventu), vielmehr „aus der Zukunft wieder in die Gegenwart bzw. Vergangenheit der Jesusgeschichte versetzt“ („textgliedernde Funktion“) werden. 126 Ich denke, dass man nicht vorschnell die beiden Horizonte von Jesus und lk Lesern verschmelzen darf. Lukas hat für seine Leser, die in der nachösterlichen Zeit leben, den eschatologischen Sinn der θλῖψις weggestrichen, im zweiten Werk den Leidenstyp der Christen ausgestaltet (s. o. Kapitel II-1.1) und dabei die Tribulatio Discipuli nicht mit den verschiedenen endzeitlichen Leiden (Lk 21,7 ff) in Zusammenhang gebracht. Vielmehr verknüpft Lukas die Passio Christi mit der Tradition apokalyptisch-eschaotologischer Leiden, die in der mk Vorlage eigentlich die Jünger erleiden sollen (vgl. Mk 13,3 ff). Man spricht somit von einer doppelten Redaktion des Lukas, nämlich einer Enteschatologisierung der θλῖψις der Jesusanhänger sowie einer Verknüpfung von Jesu Passio und Parusie. Darüber hinaus werden in Lk 22,15 ff die futurischeschatologischen Motive der Erfüllung des Passahmahles (Lk 22,16) und des Kommens des Reichs Gottes (Lk 22,18) mit Jesu Passion (τὸ παθεῖν) verbunden. Durch Redaktion der mk Formulierung („bis zu jenem Tag, an dem ich sie neu trinke im Reich Gottes“) akzentuiert Lukas das Kommen des Reichs des Gottes („bis das Reich Gottes kommt“), das mit der Parusie Jesu verbunden ist (Lk 11,20; 22,30). 127 Ferner spricht der lk Jesus im Gegensatz zu Mk explizit von seiner Passion (τό παθεῖν) mit einer temporalen Präposition, so dass die beiden Zeitpunkte von Passion und Parusie ausdrücklich aneinandergefügt werden. Unabhängig von historischen Rekonstruktionen, z. B. dass „die Eucharistie der ersten Christen nicht nur ein Mahl zur Erinnerung an Jesu Tod, sondern auch eine freudige Vorwegnahme des Endes war“, 128 stellt Lukas die Passio Christi auf der Ebene der Narratio in einen eschatologischen Horizont. Dieser unmittelbare Bezug auf die Endzeit zeigt eine funktionale Hierarchie an, die zwischen beiden Leidenstypen liegt. Die Tribulatio (θλῖψις) der Jünger, die in der Apostelgeschichte dargestellt ist, hat nichts mit dem Eschaton zu tun (vgl. auch Apg 3,18 ff, u. a. V. 20). 1.2.4.2 Soteriologische Funktion Obwohl seine beiden Werke über den Sühnetod Jesu kaum explizit sprechen, hat Lukas auf den soteriolgischen Sinn der Passion Christi angespielt. V. a. weist Apg 20,28 („Er [Gott] hat sich die [Kirche] durch das Blut seines Sohnes erworben“, ἣν περιεποιήσατο διὰ τοῦ αἵµατος τοῦ ἰδίου) darauf hin, dass auch bei Lukas die Vorstellung von Jesu Sühnetod vorausgesetzt ist. Selbst wenn dieser 125 126 127 128
A. a. O., 171–72. Wolter, Das Lukasevangelium, 581. Auch Wolter, 702. Bovon, Evangelium nach Lukas, Bd. 4, 244.
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Ausdruck aus der Tradition kam, 129 kollidiert er nicht mit dem, was Lukas selbst in erzählender Form darlegt. Durch Jesu Mund lässt es erklären, dass der Passion Jesu sowie seiner Auferstehung die Sündenvergebung auf sogar universaler Ebene (Lk 24,46 f) unmittelbar („καί“) folgt. 130 Dieselbe Abfolge von Passion Jesu (Apg 2,23 ff) und daraus folgender universaler Sündenvergebung (Apg 2,38) kann man auch in der Apostelgeschichte (Apg 5,30 ff; 13,28 ff u. a. V. 38 usw.) beobachten. Durch die Passion und Auferweckung Jesu wird der Weg zum Leben neu eröffnet. Demgegenüber übt die Tribulatio Discipuli im lk Doppelwerk keine weiteren Wirkungen aus. Sie hat keine soteriologische Funktion. Auch in Apg 14,22 nicht, wo die Jünger-Tribulatio als heilsgeschichtliche Notwendigkeit vor dem Eschaton hingestellt wird. διὰ πολλῶν θλίψεων ist nicht etwa Mittel (instrumental) zum Eingang ins Reich Gottes, sondern am ehesten räumlich zu verstehen: „durch viele Bedrängnisse hindurch müssen wir eingehen ins Reich Gottes“.
1.3 Fazit Lukas hat in seinem Doppelwerk die Leiden der Jünger nicht nur durch die Narratio verbildlicht (Lapidatio Stephani, Apg 7,54 ff usw.), sondern sie auch konsequent mit einem feststehenden Begriff, nämlich der θλῖψις (tribulatio) belegt. Beide Leidenstypen, Passio und Tribulatio, sind vom Subjekt her akribisch unterschieden, da Lukas das Leiden Jesu als τὸ παθεῖν und das der Jünger als θλῖψις bezeichnet. Diese (1) Ausdifferenzierung bedeutet zunächst, dass die Passio Christi (τὸ παθεῖν) bei Lukas keine Monopolstellung als Leidenstypus hat. Durch eine detaillierte (2) Hierarchisierung (‚Jesus als Patron für die Leidenden`, ‚Passio als Causa und Conditio von Tribulatio`, ‚funktionale Hierarchie zwischen beiden Typen`) macht Lukas klar, dass die Passio Christi mit den eigenen Leidenssituationen der Leser nicht identifiziert werden kann. D. h., (1) die Passio Christi ist nicht der einzige Gegenstand der Leser-Empathie (kurz, „Hineindenken der Leser“ 131). (2) Die Figur Jesu wird auch so rezipiert,
129 Lukas meidet, an anderen Stellen davon zu sprechen. Pesch, 204 f. 130 Auch die Verkündung Johannes des Täufers bezieht sich auf Sündenvergebung (Lk 3,3), aber sie ist nicht universal (auch Lk 1,77, τῷ λαῷ). Darüber hinaus gibt es bei Johannes dem Täufer ein Wissen von dieser Sündenvergebung (γνῶσιν σωτηρίας, Lk 1,77). 131 Die Empathie-Forschung ist eigentlich ein Themenfeld der Psychologie bzw. der Neurowissenschaft. Menschen entwickeln ihre Empathie nicht nur für die Mitmenschen in der realen Welt, sondern auch für die Figuren in der erzählten Welt. Auch in der Literaturwissenschaft werden entsprechende Forschungen seit kurzem aufgenommen und auf die Rezeption von Erzählungen bezogen. Für die Narratologie ist mit Empathie gemeint, „dass sich der Rezipient einer Figur kognitiv und emotional ‚nahe` fühlt und sich verstärkt in sie hineindenkt, also z. B. auf ihre Gefühle schließt“. Finnern, Narratologie und biblische Exegese,
Ausdifferenzierung und Hierarchisierung zwischen Passio und Tribulatio
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dass sie als Patron der Leidenden wahrgenommen wird, weniger als EmpathieObjekt. 132
Schaubild 20: Reichweite der Leser-Empathie bezüglich der Leidenstypen im 1 Petr und im lk Doppelwerk
Im 1 Petr kann man ein Beispiel für ein nicht-differenziertes Verhältnis zwischen Passio Christi und Tribulatio Discipuli entdecken. In diesem Brief verbinden sich die Leiden der Leser unmittelbar mit der Passion Christi. Die Passio Christi ist als ein bloßes Beispiel (ὑπογραµµός 133, 1 Petr 2,21) für Leser zu verstehen; die Leser können an den Leiden Christi teilnehmen (κοινωνεῖτε τοῖς τοῦ Χριστοῦ παθήµασιν, 1 Petr 4,13). Darüber hinaus kann nur die Passio Christi Gegenstand der Leser-Empathie sein beim Rezipieren der intendierten Lesergruppe, für die als historische Adressaten dieses Briefes die Leiden der Christen in der erzählten Welt (Inhalt des Briefes, z. B. 1 Petr 2,18 ff) mit den eigenen aktuellen Leidenssituationen in der realen Welt identisch sind. Eine derartige Empathie-Konstellation bietet das lk Doppelwerk nicht, da die Leidenden sich kaum in Christi Erlösungstod und Auferstehung oder die So-
193. Für die konkrete Analyse werden verschiedene narratologische Faktoren angenommen. S.u. weiter Kapitel II-2. 132 Mit Begrifflichkeiten der Kognitionswissenschaft und der Narratologie analysiere ich im nächsten Kapitel II-2 diese Phänomene. 133 ὑπογραµµός ist hapax legomenon im NT. In den profanen Literaturen bezeichnet dieses Wort als ein Schulausdruck ein Hilfsmittel, wodurch die Kinder zu schreiben lernen. G. Schrenk, Art. ὑπογραµµός, ThWNT I, 772 f. In diesem Sinne kann man keine grundsätzliche Hierarchie zwischen diesem Beispiel und den übrigen postulieren, also anders als bei der platonischen Ideenlehre.
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Hierarchie und Ungleichheit von Passio und Tribulatio
teriologische Stellung Jesu hineindenken können. 134 Lukas hat einen anderen Leidenstyp der Christen entwickelt, den die Leser mit ihren analogen Leidenssituationen gleichsetzen können. Während Passio Christi bzw. die Figur Jesu in eine Distanz rückt, in der sie kaum noch Empathieobjekt sein kann. In diesem Kapitel beobachteten wir, ob und wie Lukas sein eigenes Leidensverständnis begrifflich entworfen hat. Im folgenden Kapitel wird durchleuchtet, ob und wie Lukas in seiner Erzählung durch verschiedene narrative Faktoren die Konstellation der Leser-Empathie steuerte.
II-2 Jesus als ferne Figur, Jüngergruppe als nahe Der Rezipient wird sich im Allgemeinen eher den Jüngern als Jesus nahe fühlen und sich in sie hineindenken, solange Lukas die empathische Leserreaktion durch verschiedene Erzählfaktoren von Jesus hin zu den Jüngern lenkt. Die Empathie-Konstellation im lk Doppelwerk wird durch die Analyse der Szenen im Passionsbericht, wo die Emotion Jesu größtenteils auf die Jünger transferiert wird (u. a. Lk 22,45; vgl. Mk 14,33–34), und den Vergleich der parallelen Szenen zwischen Passio Christi im Evangelium und Tribulatio Discipuli in Acta (‚Kreuzigung Jesu vs Steinigung des Stephanus`, ‚das letzte Gespräch Jesu vs Abschiedsrede des Paulus` usw.), ermittelt.
2.1 Hinführung zu den Analysekategorien: die Empathielenkung und -konstellation zwischen Jesus und den Jüngern im lk Doppelwerk Die Empathie-Forschung ist eigentlich ein Themenfeld der Psychologie bzw. der Neurowissenschaft. 135 Laut J. Decety besteht die Empathie (Einfühlung) aus emotionalen und kognitiven Komponenten: (a) eine Resonanz mit den Emotionen des Mitmenschen, (b) eine Abgrenzung des Selbst – ohne diese wäre nur Emotionsansteckung möglich – und (c) ein Verstehen der Situation des Mitmenschen (sog. ‚perspective-taking`). 136 Menschen entwickeln aber ihre Empathie nicht nur für Mitmenschen in der realen Welt, sondern auch für Figuren in der erzählten Welt. 137 Auch in der Literaturwissenschaft oder in der 134 Man kann auch im 1 Petr die Theologie des Erlösungstodes Christi sowie dessen universale soteriologische Wirkung entdecken (v. a. 1 Petr 3,18 ff). Trotzdem steht der Parallelismus zwischen den Leiden Christi und denen der Christen im Vordergrund. 135 Finnern, a. a. O., 193. 136 J. Decety, Human Empathy, 247–70. 137 Bereits am Anfang der Forschungsgeschichte beinhaltete die Empathie-Forschung die „Leseerfahrung“. S. Keen, A Theory of Narrative Empathy, Narrative 14/3 (2006), 209.
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Narratologie entstanden entsprechende Forschungen seit kurzem, v. a. nach dem sog. „cognitive turn“. 138 In der Narratologie ist mit ‚Empathie` gemeint, „dass sich der Rezipient einer Figur kognitiv und emotional ‚nahe` fühlt und sich verstärkt in sie hineindenkt, also z. B. auf ihre Gefühle schließt“. 139 Als ein relativ junger Begriff 140 differenziert sich die Empathie von den beiden Begriffen der Sympathie und Identifikation. Die Sympathie – oder auch ihr Gegenteil, die Antipathie – umfasst einen Prozess der „Wertschätzung“ bzw. des „Einverständnisses“ mit einer Figur. 141 Die Empathie kann als Vorgänger diese Sympathie beeinflussen oder fördern. Man kann also sagen, dass die Empathie unabhängig von diesem kognitiven Prozess der Wertschätzung entsteht. So kann man z. B. Empathie auch mit Antagonisten haben, die man aber nicht wertschätzt und mit denen man auch nicht einverstanden ist. Ein Beispiel von S. Keen ist einfach aber zutreffend: 142 „Empathie: I feel what you feel. I feel your pain.
Sympathie: I feel a supportive emotion about your feelings. I feel pity for your pain.“
Der Begriff ‚Identifikation` wird in der Narratologie heute kritisiert und durch ‚Empathie` ersetzt. 143 Die Identifikation kann „ein so starkes Einswerden mit dem Gegenüber“ bedeuten, dass man nachhaltig „fühlt, denkt und auch agiert 138 Für einen Forschungsbericht, S. Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 193 f (v. a. Anm. 707), und die Einleitung dieser Arbeit. 139 A. a. O. 140 Der Terminus ‚empathy` entstand als Übersetzung von ‚Einfühlung` am Anfang des 20. Jh. Interessanterweise importierte der deutschsprachige Raum denselben Terminus als ‚Empathie` zurück. „In 1909, the experimental psychologiest E.B. Titchener translated as ‚empathy` aesthetician Theodor Lipps' term Einfühlung (which meant the process of „feeling one's way into“ an art object or another person).“ S. Keen, Narrative Empathy, 209. 141 Es besteht freilich der Begriff ‚Sympathie-Lenkung` in der Literaturwissenschaft. A. Nünning, Ansgar / V. Nünning, Art. Sympathielenkung, Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie, Stuttgart / Weimar 42008, 697–699. W. Habicht (Hg.), Sympathielenkung in den Dramen Shakespeares: Studien zur publikumsbezogenen Dramaturgie, Bd. 9., München 1978. Man kann eine ‚Sympathie-Lenkung` als eine auktoriale Erzählstrategie sehen. In der mk Passionsgeschichte z. B. fungiert Jesu Beurteilung gegenüber Judas (Mk 14,21b) als ein wichtiger sympathie-lenkender Faktor. 142 Keen, a. a. O. 143 Z. B., „[. . . ] in Anbetracht der Tatsache, dass auch Differenzierungen und Modifikationen des Identifikationsbegriffs zum Zwecke der Übertragbarkeit auf Literaturrezeption die Beschreibungsadäquatheit des Begriffs nicht verbessern, sollte auf den Terminus Identifikation bei der Beschreibung von Rezeptionsemotionen verzichtet werden, wenn damit nicht der Fall gemeint ist, dass ein Rezipient seine Persönlichkeit nach Eigenschaften einer literarischen Figur ausrichtet und dauerhaft verändert“, R. Schneider, Grundriß zur kognitiven Theorie der Figurenrezeption am Beispiel des viktorianischen Romans, Tübingen 2000, 106. Auch Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 195; E. Andringa, Effects of
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wie dieser Andere“. 144 Sie bezieht sich dann jenseits des Leseerfahrens der erzählten Welt auf den lebensweltlichen Bereich. Bei der Empathie erkennt man dagegen ein Hineinfühlen in den Anderen als einen „Als-ob-Zustand“. 145 Insofern ist dieser Begriff für die Analyse einer Narratio und ihrer Rezeption adäquat. Kurz, für die Rezeption der Erzählungen sowie der literarischen Figuren ist die Analyse der Empathie-Lenkung als eines Basis- oder Ausgangsfaktors wichtig. Darüber hinaus ist die Existenz und der Entwicklungsmechanismus der Empathie mit sog. „Spiegelneuronen“ physiologisch oder neurowissenschaftlich zu erklären. 146 Die Gefahr, dass eine Analyse der Empathielenkung oder -konstellationen in den ntl Erzählungen anachronistisch wird, ist gering, da zwei Jahrtausende aus evolutionärer Sicht wenig bedeuten. Der Mechanismus der Empathie-Entwicklung bei den urchristlichen Lesern unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der modernen („primitive empathy“, Keen). 147 Hingegen umfassen Sympathie oder Identifikation Wertschätzungen oder verschiedene weitere Faktoren im Lebensbereich der Leser, die sich von denen der modernen Leser wesentlich unterscheiden können. Für unser Projekt kann eine Analyse der möglichen unterschiedlichen Empathielenkungen ein anschauliches Beispiel abgeben, ob und wie Lukas Jesu Leidensgeschichte in die Leidensgeschichte der Jünger überführt hat: Jesus ist z. B. ferne Figur, die Jünger aber nahe. Somit wird unser Ziel klar. Trotz des aufstehenden Forschungsinteresses an der sog. narrativen bzw. literarischen Em-
„Narrative Distance“ on Readers' Emotional Involvement and Response, Poetics 23 (1996), 431–452; U. Christmann/M. Schreier, Kognitionspsychologie der Textverarbeitung und Konsequenzen für die Bedeutungskonstitution literarischer Texte, in: F. Jannidis u. a. (Hg.), Regeln der Bedeutung, Berlin u. a. 2003, 246–285. 144 V. Barthel, Empathie, Mitleid, Sympathie: rezeptionslenkende Strukturen mittelalterlicher Texte am Beispiel des Willehalm-Stoffs, Berlin / New York 2008, 31. 145 A. a. O. 146 „Mirror neurons fire not only when carrying out an action but also when observing another carrying out the same action. They provide a basis for understanding primates' mind-reading, including human empathy“, Keen, 227, Anm. 25; V. Gallese u. a., The Mirror Matching System: A Shared Manifold for Intersubjectivity, Behavioral and Brain Sciences 25 (2002), 35–6; M. Iacoboni u. a., Cortical Mechanisms of Human Imitation, Science 286 (1999), 2526–8; N. Eisenberg u. a., Physiological Indices of Empathy, in: ders u. a. (Hg.), Empathy and its Development, Cambridge / New York 1987, 380–5; N. Sherman, Empathy and Imagination, in: P. French / H. K. Wettstein (Hg.), Philosophy of Emotions. Midwest Studies in Philosphy, XXII, Notre Dame 1998, 82–119, usw. 147 S.o. Anm. 146, v. a. Keen, 211 f, „What is some times called ‚primitive empathy` may work in the same way [wie die „fear response“], provided a first, fast, feeling response to seeing or learning about another's emotional state, before cognitive evaluation through deliberate role taking occurs“. Siehe auch I. Czachesz, Cognitive science and the New Testament, 58–61.
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pathie („narrative empathy“ 148 oder „literary empathy“ 149) wurde der hiesige Versuch, Empathiekonstellationen bei konkreten Figuren bzw. unterschiedlichen Erzählwerken zu vergleichen, bisher kaum unternommen. Angesichts aktueller empirischer Forschungen ist die Entwicklung einer lückenlosen Methode oder eines allgemein anwendbaren Modells für die Analyse von Empathielenkungen oder -konstellationen in Erzähltexten bislang ein Forschungsdesiderat. Immerhin sind sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen erkennbar: Möglichkeiten. Verschiedene traditionelle Erzählfaktoren in der Narratologie beeinflussen die Entwicklung sowie Lenkung der Empathie. Z. B. hat die sog. „Raumfiltertechnik“ mit der Empathielenkung wesentlich zu tun. Der Erzähler kann den intendierten Lesern „das Schicksal aller Figuren“, d. h. „den gesamten fiktiven Raum“, nicht immer vermitteln. 150 Sondern die Leser erleben die Geschehnisse in der erzählten Welt durch den auktorialen bzw. figuralen Raumfilter (wie das sog. ‚camera eye`), der ggf. auch die Innensicht einer Figur erkennen lassen kann. Durch diese Technik des Raumfilters kann der Erzähler die Empathie mit den Figuren verschiedenartig sich entwickeln lassen. Z. B. kann man kaum Empathie mit Randfiguren haben, v. a. wenn der Erzähler kaum Informationen über sie gibt. Denn ein sog. „perspectivetaking“ (s. o., Decety) ist dann kaum möglich. Wir können für die Analyse der Empathielenkung eine Reihe weiterer Erzählfaktoren identifizieren, die die Entwicklung oder Lenkung der Leserempathie beeinflussen. 151 Durch eine Zusammenstellung solcher Erzählfaktoren können Narratologen oder Exegeten für ihr einzelnes Projekt ein – wenigstens vorläufiges – Modell entwickeln. 152 Grenzen. Die Wirkungen der o. g. Erzählfaktoren auf die Empathielenkung sind empirisch noch nicht vollständig verifiziert. D. h., je nach Ergebnis der Experimente kann sich ein angenommener Zusammenhang zwischen bestimmten Erzählfaktoren und Empathielenkung als unzutreffend erweisen. 153 148 Keen, a. a. O. 149 M.M. Hammond u. a. (Hg.), Rethinking empathy through literature, New York u. a. 2014. 150 Barthel, a. a. O., 61. 151 „Um nun die vom Autor intendierte Empathie zu einzelnen Personen – die Empathielenkung – zu beschreiben, ist der Text auf literarische und erzählerische Mittel zu prüfen, die die Empathie typischerweise beeinflussen (Empathiefaktoren)“, S. Finnern/J. Rüggemeier, Methoden der neutestamentlichen Exegese: ein Lehr- und Arbeitsbuch, Tübingen 2016, 239. 152 Genauso war das Projekt von Barthel, a. a. O., angelegt – Hauptsächlich mit „Innensichtsdarstellung“ sowie „Figuren- und Erzählkommentaren“ entwickelte sie ein Modell, durch das man analysiert, inwieweit Zieltexte empathiefördernde Signale an den Rezipienten senden. 153 „The confirmation of many of the hypotheses about specific narrative techniques and empathy has yet to be undertaken in most cases, but the work that has been done as often
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W. van Peer und H. Pander Maat z. B. stellten einem Experiment mit teenagers fest, dass die Erzählperspektive abweichend von der traditionellen Annahme der Narratologie keine so wesentliche Rolle für die Empathie-Entwicklung spielt. 154 Eine Systematisierung der empathie-lenkenden Erzählfaktoren ist nicht einfach, da ihre synergetischen Effekte (Interaktionen) weiter zu eruieren sind. Wie ist z. B. zu interpretieren, wenn ein Faktor mit dem anderen kollidiert? Im lk Passionsbericht lenkt der lk Erzähler den Raumfilter mehr auf Jesus als auf die Jünger, stellt aber die Innensicht der Jünger häufiger als die von Jesus dar (s. u.). Wie wird sich dann die Empathiekonstellation im Blick auf beiden Figuren gestalten? Da noch viele Forschungsdesiderate bestehen, sollte man seine Befunde immer vorsichtig interpretieren und versuchen, wenigstens eine Tendenz zu skizzieren. Für unsere Analyse schlage ich folgendes Modell vor: 1. Es soll die Textstruktur, die die Leser-Empathie steuert, analysiert werden. 155 Analysekategorien und -methoden werden daher möglichst weitgreifend erfasst. Ich benutze die umfangreichste Liste von S. Finnern (s. u.), 156 die fast alle möglichen traditionellen Kategorien der Narratologie umfassen. Seine sog. Empathiefaktoren stammen sowohl aus verschiedenen vorangehenden – empirischen – Forschungen als auch aus eigenen theoretischen Überlegungen. Zu dieser Liste wird das Setting ergänzt, was auch als eine empathielenkende Textstruktur fungieren kann. 157 V. a. für eine Analyse von antiken Texten ist so eine umfassende Herangehensweise nötig. Wir haben dafür Beispiele. In einem relativ neuen Sammelband (2014) zur Erforschung literarischer Empathie liegen einige Aufsätze vor, die die Entstehungsfails fully to support the commenplaces of narratology as it authenticates them“, Keen, 216 (Hervorhebung im Original). Keen erklärt als ein Beispiel das Experiment von van Peers (s. u.). Freilich wird aber mit einem einzigen Experiment eine Analysekategorie noch nicht diskreditiert. Z. B. kann ein negatives Ergebnis mit dem fehlerhaften experimentellen Design zu tun haben. A. a. O. 154 Genauer gesagt war das Thema „Perspectication and Sympathy“. W. van Peer/H. Pander Maat, Perspectivation and Sympathy: Effects of Narrative Point of View, in: R. J. Kreuz / M. S. MacNealy, Empirical Approaches to Literature and Aesthetics, Norwood, NJ 1996, 143–54. 155 Barthel, 82, „Analyse der empathielenkenden Strukturen“. Im Vergleich dazu orientieren sich Finnerns Terminologien an einzelnen narrativen Faktoren, „Empathiefaktoren“, Finnern, Methoden der neutestamentlichen Exegese, 239; oder auch „Faktoren für empathische Nähe“, a.a.O, 240. 156 Demgegenüber erwähnt S. Keen bloß zwei Faktoren, nämlich „character identification“ and „narrative situation“. S. Keen, Narrative Empathy, 216 ff. Die beiden Faktoren haben zwar weitere untergeordnete Faktoren, die aber weder so ausführlich noch so konkret wie die von Finnern sind. 157 Zum „vivid use of setting“ als einem Empathiefaktor, Keen, a. a. O., 216. Es ist ausfällig, dass Finnern in seiner Liste das Setting ausließ.
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bzw. Wirkungsweisen der Empathie in einzelnen Werken untersuchen. 158 Es zeigt sich allerdings, dass sich noch keine umfassenden Analysekategorien herausgebildet haben, da bloß die figuralen bzw. auctorialen Meinungen analysiert werden. Wenn in modernen Werken das Innenleben der Figuren bzw. der Erzähler im Detail beschrieben werden, kann man jedoch aus den gewonnenen Informationen Schlüsse ziehen, wie der Autor Empathie lenkt oder fördert. Laut Barthel sind z. B. ihre mittelalterische Texte (Willehalm usw.) daran orientiert, die Empathie und Sympathie der Leser im Allgemeinen zu fördern. 159 Barthel analysiert auf drei Erzählebenen und beobachtet dabei, wie diese Werke formal („E1“), d. h. durch „Raumfilter“, auktorial-inhaltlich („E2“), „empathiefördernde Kommentare“ der Erzähler und figuralinhaltlich („E3“), d. h. durch „mitleidlenkende Reden der einzelnen Figuren“, die Leser-Empathie lenken. 160 Allerdings müsste man für antike Texte noch umfassendere formale Analysekategorien anwenden, wenn in ihnen die auktorial- und figuralinhaltlichen Ebenen nicht sehr ausgebildet sind.
V. a. für die Analyse der Autor-Intention wird die klassiche Redaktionsgeschichte sowie weitere historisch-kritische Methoden komplementierend angewendet. Auch eine (Nicht)-Nutzung einer Quelle stellt eine Wahl des Lukas-Autors dar. Drei primäre (s. u.) Faktoren für empathische Nähe (1) hohe / niedrige (2) Wahrnehmungs(3) Ähnlichkeiten zu Innensicht zentrum (Raumfilter) Lebenssituationen der Rezipienten Neun sekundäre (s. u.) Faktoren für empathische Nähe (4) sprachliche Distanz (5) Häufigkeit der (6) große Bedeutung für (direkte indirekte Präsenz der Figur die Handlung oder berichtete Reden / Gedanken) (7) Erzählerbeteiligung (8) Zahl der Figuren(9) Komplexität der Figur (Ich- oder Er / Siemerkmale Erzähler) (10) Positive / negative (11) Zugehörigkeit zu (12) Dramatische Erzähler- und einer bekannten Darstellung des Figurenkommentare Figurengruppe Settings
158 Z. B., M.-C. Harrison, Conformist Culture and the Failures of Empathy: Reading James Baldwin and Patricia Highsmith; oder E. Leake, Empathy and Gender Activism In Early Modern Spain: Maria De Zayas's Amorous And Exemplary Novels, in: M.M. Hammond u. a. (Hg.), Rethinking empathy through literature, New York u. a. 2014. Die Herausgeber insistieren, dass sie für diese Thematik den ersten Sammelband herausgaben. 159 Barthel, 5–30. 160 Barthel, 53–82. Sie unterscheidet drei Erzählebenen: E1 heißt „die Ebene des epischen Berichts (unpersönliche Erzählinstanz, E1)“, E2 „die Ebene der persönlichen Erzählinstanz“ [d. h. Kommentare] und E3 „die Ebene der Figurenreden“, a. a. O., 57; auch 82. Die obigen Bezeichnungen der Ebenen als ‚formal`, ‚auctorial-inhaltlich` und ‚figural-inhaltlich` sind meine Bezeichnungen.
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2. Die Analysekategorien werden in zwei Teile geteilt. (1) ‚Innensicht` 161 (2) ‚Wahrnehmungszentrum (Raumfilter)` und (3) ‚Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen der Rezipienten` halte ich für primär. Ohne sie wäre kein Hineindenken der Leser in die Figuren möglich. Die übrigen Faktoren sind sekundär in dem Sinne, dass wir unter Vorbehalt sie nutzen sollten, bis empirische Forschungen ihre Gültigkeit verifizieren. 162 Obwohl über den Zusammenhang zwischen sog. Empathiefaktoren und Leserempathie bisher nur wenige Forschungen betrieben wurden, werden bezüglich der Verlässlichkeit die primären Faktoren den sekundären übergeordnet, was dann relevant würde, wenn jeweilige Analyseergebnisse sich widersprechen würden. 3. Ziel ist eine quantitative Analyse. Die meisten Faktoren in unserer Liste können im Blick auf Jesus und die Jünger sich in quantitativen Unterschieden abbilden: Wie häufig begegnen z. B. die Innensichten der Jünger? Wie häufig die Informationen über die Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen der Rezipienten? Wie häufig positive / negative Erzählerkommentare zu Jesus sind? Für das Neue Testament vertreten wir hier Neuland. S. Finnern hat in seinen beiden Methodenbüchern Beispiele für die Analyse der von Matthäus intendierten Empathie gebracht (2010; 2016 mit Rüggemeier). 163 J. Rüggemeier analysierte eine bewusste Empathielenkung im Gleichnis vom barmherzigen Samariter als Teil der Erzählstrategie des Lukas (2016). 164 In vorliegender Arbeit wird die Empathielenkung im Blick auf Jesus und die Jünger bei Lukas untersucht, wobei auch die Apostelgeschichte und das Markusevangelium (mk Passionsbericht im Vergleich zum lk) mit dem Fokus rücken.
2.2 Empathielenkung zwischen Crucifixio Jesu und Lapidatio Stephani Ein wichtiges Beispiel für thematische oder strukturelle Anklänge zwischen beiden Büchern des Lukas ist die Parallele zwischen Jesu Tod (Lk 23,44[32]– 161 Barthel, 59, „Die Begriffsklärung von Empathie (die wiederum Grundbedingung für Mitleid und Sympathie ist) machte im Vorfeld deutlich, dass Empathie allein auf der Basis einer Kenntnis des Figurenbewusstseins entstehen kann. Eine entsprechend zentrale Stellung nehmen folglich diejenigen narrativen Techniken ein, die eine ‚Innensicht` in das innere Erleben der Figur ermöglichen.“ 162 Vgl. Keen: „A few techniques of characterization have actually been tested for their relation to readers' emotional responsiveness or empathy. [. . . ] Many aspects of characterization familiar to narrative theorists have not yet been tested in controlled experiments, despite their nomination by theorists“, Keen, A Theory of Narrative Empathy, 217. 163 Finnern, Narratologie, 393–397; Finnern/Rüggemeier, Methoden, 240. 164 J. Rüggemeier, Strategisches Erzählen und Strategiewechsel im Umfeld neutestamentlicher Erzähltexte. Das lukanische Gleichnis vom barmherzigen Samariter als Anschauungsbeispiel, Diegesis 5/2 (2016), 63–83.
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49) und dem Tod des Stephanus (Apg 7,54–60). Exegeten zweifeln kaum daran, dass Lukas diese Parallelstruktur durch die Redaktion der Stephanus-Traditionen gebildet bzw. herausgestellt hat. 165 Vor dem Tod rufen die beiden ihren jeweiligen Patron mit lauter Stimme (φωνῇ µεγάλῃ, Lk 23,46; Apg 7,60) an, den Geist aufzunehmen. Darüber hinaus zeigen sie ihre eigene Emotion oder den Schmerz (vgl. Mk 15,34.37; Mt 27,46.50), die sich auf die Rezeptionsemotionen der Leser positiv auswirken könnten, nicht. Im Detail kann die unterschiedliche Empathielenkung in diesen beiden Perikopen analysiert werden. Dabei soll unsere These ‚Jesus als ferne Figur` im lk Doppelwerk überprüft werden. 2.2.1 Hohe / niedrige Innensicht Mit dieser Kategorie bemerkt man augenblicklich einen wesentlichen Unterschied zwischen beiden Perikopen. Der lk Erzähler beschreibt eine ergreifende Vision des Stephanus (Apg 7,55), wohingegen bei der Kreuzigungsszene das innerliche Erleben Jesu nicht geschildert wird. Auch die parallele Aussage Jesu in Lk 22,69 beschreibt keine Innensicht: „Von nun an aber wird der Menschensohn zur Rechten der Macht Gottes sitzen (Lk 22,69)“, „. . . Er sah . . . Jesus zu Rechten Gottes stehen, und sprach: Siehe, ich sehe . . . den Menschensohn zu Rechten Gottes stehen (Apg 7,55 f)“.
Lukas beschreibt nicht Jesu Gestik, Mimik oder Emotion 166 bei der Kreuzigungsszene. Auch wenn wir die Vergleichsszene auf Lk 23,32–49 erweitern, kann man keine weiteren Informationen bekommen. Für Jesu Körperzustände wird nur gesagt, dass er „mit lauter Stimme“ (φωνῇ µεγάλῃ, Lk 23,46) einmal rief. Auch Stephanus rief seinen Herrn „mit lauter Stimme“ (φωνῇ µεγάλῃ, Apg 7,60) an, so dass dieser singuläre Hinweis für die Entscheidung, ob Empathie mehr auf Jesus oder Stephanus gelenkt wird, keine sinnvolle Rolle spielen kann. Im Gegensatz dazu sieht man mehrmals die Gestik-Mimik, Körperzustände und Emotionen des Stephanus. Gestik-Mimik des Stephanus: (1) Stephanus richtet den Blick fest zum Himmel (ἀτενίσας εἰς τὸν οὐρανὸν, Apg 7,55), die δόξα Gottes zu sehen; (2) dann kniet er nieder (Apg 7,60). Ob er bewusst betete oder „unter Hagel von Steinwürfen“ in die Knie sank, 167 wie Exegeten diskutieren, ist nicht zu bestim165 R.I. Pervo, Acts: a commentary, Minneapolis 2009, 195 f; Pesch, Apostelgeschichte, 261 ff; G. Schneider, Die Apostelgeschichte. Teil I. Einleitung; Kommentar zu Kap. 1,1– 8,40, Freiburg 1980, 471 ff; D. Moessner, Christ must suffer, 220 ff usw. 166 Körperzustände, Mimik, Gestik und Emotion spielen in Barthels Modell eine Rolle: Barthel, 82. 167 Pesch, 265.
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men. Die erste Auslegung offenbart eine Ähnlichkeit mit Lebenssituationen der Rezipienten, so dass diese Gestik Leserempathie umso mehr lenken kann. Körperzustände des Stephanus: (1) Sein Knien kann mit der o. g. zweiten Auslegung („unter Hagel von Steinwürfen“) einen wichtigen Körperzustand anzeigen, der in sein inneres Leben als Schmerz hineinblicken lässt, wobei Menschen neurowissenschaftlich u. a. durch Schmerzen anderer Mitmenschen typischerweise Empathie entwickeln. 168 (2) „Seiend voll Heiligen Geistes“ (ὑπάρχων δὲ πλήρης πνεύµατος ἁγίου ἀτενίσας, Apg 7,55) ist ein geistlicher Körperzustand, der bei Jesu Kreuzigung nicht berichtet ist. Die ersten Rezipienten des lk Doppelwerks konnten sich durch diesen pneumatologisch-liturgischen Ausdruck an Ähnlichkeiten mit ihren Lebenssituationen erinnert fühlen (s. u.). (3) Schließlich kommt die laute Stimme (Apg 7,60) als ein Hinweis auf Körperzustände hinzu. Emotionen des Stephanus: Für Stephanus „laute Stimme“, mit der er seinen Herrn rief und schrie, wurden das Verb ἐπικαλέω und κράζω ausgewählt. Die beiden Vokabeln können erregte Emotionen des Stephanus andeuten. (1) Das Wort ἐπικαλέω steht als terminus im Zusammenhang mit rituellen Lebenssituationen der ersten Rezipienten (s. u.). Dass Stephanus im letzten Moment seines Lebens schmerz-erleidend mit ritueller Gestik („Knien“) sowie Sprache den Herrn ruft, manifestiert seine Emotion der absoluten Abhängigkeit. (2) Auch das Wort κράζω kann an eine gottesdienstliche Situation erinnern (Röm 8,15; Gal 4,6), 169 wobei dieses Verb auch einen gellenden Schrei im negativen Sinne bezeichnen kann. κράζω ist 56mal im NT belegt, steht aber außer in Mt 27,50 (Todesschrei) nicht für Jesus. Es benennt das Geschrei der von Dämonen Besessenen (Lk 9,39; Mk 5,5 usw.) oder der Verfolger (Apg 7,57). Diese antipodische Assoziation wird ist Acta wiederholt dargestellt, und zwar bei Stephanus (Apg 7,60) versus Gegner (Apg 7,57) sowie Paulus (Apg 14,14) versus Epheser (Apg 19,28.32.34). Demgegenüber ist Jesu Ruf mit φωνέω (einen Ton hervorbringen) beschrieben, was als relativ neutraler Ausdruck – anders als βοάω in der mk Vorlage (Mk 15,34) – keine erregte Emotion, wie z. B. beim Schreien oder Brüllen voraussetzt. Kurz, obwohl beide, Jesus und Stephanus im Tod ihre Schmerzen oder Ängste nicht versprachlichen, sind die Emotionen bei Stephanus stärker angedeutet. 2.2.2 Wahrnehmungszentrum (Raumfilter, camera eye) Auch bezüglich des Wahrnehmungszentrums stehen Jesus und Stephanus im Kontrast zueinander. Stephanus wird in der ganzen Szene seiner Steinigung von der sog. Erzählkamera begleitet, wohingegen das camera eye der Kreuzi-
168 Keen, Narrative Empathy, 209. 169 H. Fendrich, Art. Κράζω, EWNT II, 775. Vgl. Röm 8,15; Gal 4,6, E. Käsemann, An die Römer, Tübingen 1973, 217 ff.
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gungsszene einmal über Jesus lediglich hinausschwenkt (s. u. Schaubild 21) und dann abgeschaltet wird. Jesus: Die sog. Erzählkamera der Kreuzigungsszene bewegt sich sehr einfach: eine Zooming in (Lk 22,44–46) und ein Kameraschwenk (Lk 22,46–49). Der lk Erzähler zeigt zunächst die Gesamtsicht des Settings, z. B. Uhrzeit oder verfinsterte Sonne (Lk 23,44–45). Dann begleitet das camera eye den vorüberziehenden Jesus einmal (Lk 23,46). Sie schwenkt danach nie wieder zu Jesus zurück, sondern entfernt sich von ihm immer weiter (Hauptmann → Nahestehende → Fernstehende, Lk 23,47–49). Jesus befindet sich also selten im Wahrnehmungszentrum. 170 Bei der mk Vorlage aber hatte die Erzählkamera nach Jesus zurückgeschwenkt (Mk 16,34.37). 171
Schaubild 21: Wahrnehmungszentrum der Kreuzigungsszene (Lk 23,44–49)
Stephanus: Bei der Steinigungsszene wird Stephanus vom camera eye selten nicht begleitet. Diese Hauptfigur, die vor dieser Szene 54 Verse lang ununterbrochen allein redete, ist auch hier außer in Apg 7,54 und 7,58b 172 immer zu sehen. Darüber hinaus wird die Szene so abgedreht, dass sich der Protagonist (anders als bei der Kreuzigung) im Wahrnehmungszentrum befindet. Stephanus monopolisiert die Erzählkamera seit seinem Bühnenauftritt in Apg 6,5. Narratologen nennen dieses Wahrnehmungszentrum zusammen mit der Innensicht (s. o.) die Fokalisierung einer Figur. 173 In diesem Fall ist Stephanus, nicht Jesus, definitiv eine fokalisierte Figur.
170 Auch wenn wir die Szene auf Lk 23,32–49 erweitern, wird die Situation nicht anders. Nach der Gesamtdarstellung des Settings (Lk 23,32–33) begleitet die Erzählkamera die Leute (Lk 23,34b–38) und die beiden Mitgekreuzigten (Lk 23,39–42) länger als Jesus (Lk 23,43). 171 Unten wird die redaktionsgeschichtliche Analyse durchgeführt. 172 Hinsichtlich der Figurengruppe ‚Jünger` ist freilich Apg 7,58b keine Ausnahme bei der Empathielenkung zwischen Jesus und den Jüngern. In Apg 7,58b begleitet das camera eye ja Paulus. 173 Finnern, Narratologie und biblische Exegese, 171–175.
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2.2.3 Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen der Rezipienten Laut S. Finnern können „christliche Rezipienten sich besonders gut in die Jünger in den Evangelien einfühlen“ 174, während Christi messianischer Tod die erste Lesergruppe kaum an ihre alltäglichen Lebenssituationen erinnert. Außer einem Psalmen-Kontext (Lk 23,46/Ps 30) klingen Jesu Worte und Taten bei der Kreuzigung an das gewöhnliche Leben der Rezipienten schwerlich an. Allerdings spielt diese singuläre Analogie kaum eine Rolle für die Empathielenkung, da dasselbe Motiv auch in der Steinigungsszene des Stephanus (Apg 7,59) erscheint. In der Kreuzigungsszene lenkt die lk Redaktion die Empathielenkung auf die Jünger. Sie deutet Augenzeugenschaft der Jünger, die die Abfassung des Corpus Lucanum supponiert (Lk 1,2; 24,48; Apg 1,22 usw.), an (Lk 23,49, s. I-1.1.3), so dass die Kreuzigungsszene die erste Lesergemeinde an ihre eigene Zeugenschaft erinnern mag. Im Gegenteil dazu spiegelt die Szene der Lapidatio Stephani verschiedene urchristliche Lebenssituationen wider. Man kann v. a. dogmatisch-gottesdienstliche Gegebenheiten wahrnehmen, z. B. Gebete (Apg 7,60), die Fülle des Heiligen Geistes (Apg 7,55), Visionen sowie die Vorstellung vom geöffneten Himmel (Apg 7,56) oder den Euphemismus für den Tod (Apg 7,60). Wie oben gesehen (2.2.1), ist der letzte Moment des Stephani Erlebens durch die Gestik des ‚Niederkniens`, die sich mit dem Gebet assoziiert, und die Anrufung des Herrn mit dem Wort ἐπικαλέω geprägt. Während dieses Wort in den Evangelien-Traditionen 175 nicht belegt ist, nutzen die ntl Briefe (v. a. Röm 10,13; 1 Kor 1,2 usw.) und die Apostelgeschichte diese Vokabel, und zwar nicht nur Grundbedeutungen, sondern auch für das spezielle formelhafte „bekennende Rufen“. 176 Lukas benutzt dieses Wort in seinem Evangelium nicht, aber in seinem zweiten Werk 20mal – darunter 6mal (Apg 2,21; 7,59; 9;14.21; 15,17; 22,16) für diese Art von Bekennen. Er brachte also diese Vokabel nicht aus der Evangelien-Tradition mit, sondern höchstwahrscheinlich direkt aus der urchristlichen Lebenssituation wie z. B. der „(liturgischen) Akklamation“. 177 Darüber hinaus kann auch das Verb κράζω (Apg 7,60) an eine gottesdienstliche Situation mit dem Abba-Ruf erinnern (Röm 8,15; Gal 4,6). 178 κράζω ist 56mal im NT belegt, steht aber außer in Mt 27,50 (Todesschrei) 179 keinmal für Jesus. „Seiend voll Heiligen Geistes“ (ὑπάρχων δὲ πλήρης πνεύµατος ἁγίου ἀτενίσας, Apg 7,55) schließlich ist ein typischer pneumatologisch-liturgischer 174 Finnern, a. a. O., 194. 175 In den vier Evangelien kommt das „ἐπικαλέω“ nur einmal in Mt 10,25 vor, dieser Vers ist aber mt Redaktion mit der Grundbedeutung „nennen“. P. Hoffmann, Die Spruchquelle Q, 42. 176 W. Kirchschläger, Art. ἐπικαλέω, EWNT II, 72 ff. 177 A. a. O. 178 S.o. Anm. 169. 179 Dieser Vers ist auch mt Redaktion, also keine Tradition.
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Ausdruck. Die euphemistische Verwendung von κοιµάοµαι für den Tod 180 bezieht sich im NT lediglich auf Christen und nicht einmal auf Jesus. Wenn dieser „für eine Martyriumssituation zu friedliche Ausdruck“ 181 als Erfüllung der ersten Bitte des Stephanus 182 interpretiert werden kann, wird dabei eine Abhängigkeit zwischen Jesus und den Christen vorausgesetzt, die auch für die Auferstehung der Christen (vgl. 1 Kor 15,18, οἱ κοιµηθέντες ἐν Χριστῷ) gilt. Die Frage, ob die Martyriumssituation selbst eine Alltäglichkeit der ersten Lesergemeinde des Lukas reflektiert, ist schwerlich zu beantworten; der Tod des Paulus ist nur angedeutet. Allerdings bezeichnet Lukas den Tod des Stephanus als θλῖψις (tribulatio) (Apg 11,19), die als terminus technicus des lk Doppelwerks konsequent das Leiden der Jesusanhänger bezeichnet (s. o. Kapitel II-1). In diesem Sinne hat die Perikope der Steinigung des Stephanus mit dem allgemeinen Leiden der lk Gemeinde als einer Lebenssituation zu tun. Hiesige Anlayse knüpft also an ein Ergebnis des vorangegangenen Kapitels II-1 an. Bemerkenswerterweise trägt auch ein Element, das Stephanus aus dem Wahrnehmungszentrum kurz herausnimmt, nämlich das plötzliche Auftreten des Paulus (s. o. Apg 7,58b), zur Analyse der Empathielenkung hin zu den Jüngern bei. Da Paulus in dieser Szene ohne Introduktion eingeführt ist, muss „Paulus für die Leser des Lukas sehr gut bekannt“ sein. 183 Solches Grundwissen über wichtigste Gemeindeführer kann dazu beitragen, Leser-Empathie auf die Jünger als Figurengruppe zu entwickeln. 2.2.4 Erzählerbeteiligung Narratologen haben lange supponiert, dass die sog. Ich-Erzähler stärker auf Rezipienten wirken als die sog. Er-Erzähler. 184 Lukas ist in seinem Doppelwerk teilweise ein beteiligter Ich-Erzähler (Proömia beider Werke und die sog. Wir-Passagen der Apostelgeschichte). Da in der Apostelgeschichte die WirPassagen enthalten sind, die im Evangelium fehlen, erwartet man, dass die Narratio des zweiten Werks im Allgemeinen mehr Leserempathie entwickeln kann. 185 Darüber hinaus ist der Ich-Erzähler in den Wir-Passagen als autodiegetische 186 Hauptfigur (nämlich Paulus oder wenigstens ein beteiligter Beob180 Exegeten votieren einstimmig so. Zmijewski, die Apostelgeschichte, 340; Pesch, 265; Fitzmyer, The Acts, 394; Jervell, 254; Bruce, Acts, 160; Haenchen, 284 usw. 181 Bruce, a. a. O. 182 Pesch, a. a. O. 183 Jervell, 253. 184 Finnern, a. a. O., 167, 194; vgl. Keen, Narrative Empathy, 220. 185 H.-W. Ludwig/W. Faulstich, Erzählperspektive empirisch: Untersuchungen zur Rezeptionsrelevanz narrativer Strukturen, Tübingen 1985. Vgl. aber o. g. Beispiel von W. van Peer/H. Pander Maat, Perspectivation and Sympathy, 143–54. 186 Die Autodiegetische Erzählstimme ist eine spezielle Art der homodiegetischen Erzählstimme, die der heterodiegetischen Erzählstimme gegenübersteht. Eisen, Poetik, 80; S. Lanser, The narrative act: point of view in prose fiction, Princeton, NJ 1981, 160.
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Hierarchie und Ungleichheit von Passio und Tribulatio
achter aus seinem Umkreis) im Vergleich zu dem Ich-Erzähler der Proämia als einem unbeteiligten Beobachter wesentlich mehr involviert. 187 Derartige Ich-Erzähler spielen freilich keine unmittelbare Rolle in den beiden Szenen der Jesuskreuzigung und der Stephanussteinigung, so dass aus diesem Punkt keine unterschiedliche Empathielenkung zwischen beiden Figuren bzw. Szenen stattfindet. 2.2.5 Sprachliche Distanz Tabelle 7: Die fünf Submodi der Figurenrede nach S. Finnern 188
Erzählte Rede
Transponierte Rede
Zitierte Rede
Darstellung von Rede
Darstellung von Gedanken
Gesprächsbericht (= Redebericht) Maria sprach mit Petra über ihr weiteres Vorgehen.
Gedenkenbericht (= Bewusstseinsbericht) Maria dachte über ihr weiteres Vorgehen nach.
indirekte Rede Maria sagte, sie wisse nicht, was sie tun solle.
indirektes Gedankenzitat Maria überlegte, was sie tun sollte.
freie indirekte Rede Sie wisse aber nicht, was sie tun solle.
freies indirektes Gedankenzitat (= erlebte Rede) Was sollte sie bloß tun?
direkte Rede Sie sagte zu ihr: „Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
direktes Gedankenzitat Sie dachte: „Was soll ich jetzt tun?“
freie direkte Rede (= autonome direkte Rede) Ich weiß nicht, was ich tun soll.
freies direktes Gedankenzitat (= innerer Monolog, Bewusstseinsstrom) Was soll ich jetzt tun?
hohe Distanz
geringe Distanz
Auch durch die sprachliche Distanz kann unterschiedliche Empathie gelenkt werden. Nicht jedoch im Blick auf Jesu Kreuzigung und Steinigung des Stephanus. In beiden Szenen hält der lk Erzähler geringe sprachliche Distanz, indem er die Reden beider Figuren durch zitierte Rede darstellt (Lk 23,46; Apg 7,56.59.60). 189 Man könnte fragen, ob die Vision in Apg 7,55 einen Gedankenbericht ist. Grammatisch ist aber dieser Satz eine Kombination von einem Verb der Wahrnehmung mit AcP: εἶδεν δόξαν θεοῦ καὶ ᾿Ιησοῦν ἑστῶτα ἐκ δεξιῶν τοῦ θεοῦ. Obwohl die übrigen 187 Der klassische Ich-Erzähler kann sein: 1. Hauptfigur 2. Eine der Hauptfiguren 3. Nebenfigur 4. Beteiligter Beobachter 5. Unbeteiligter Beobachter. Finnern, 167; Eisen, 80; Lanser, a. a. O., usw. 188 Finnern, a. a. O., 350. 189 Auch in Lk 23,32–43 sind nur zitierte Reden Jesu zu sehen: Lk 23,34.43.
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Figuren die Vision des Stephanus nicht wahrnehmen, ist sie als eine Wirklichkeit(swahrnehmung) dargestellt.
2.2.6 Häufige Präsenz der Figur Hinsichtlich dieser Analysekategorie stehen beide Figuren nicht in starkem Kontrast. Jesus und Stephanus bleiben ununterbrochen auf der Bühne. Da, wie im Kapitel 2.2.2 gesehen, die Erzählkamera (Wahrnehmungszentrum) beider Mikrouniversen Stephanus eher länger als Jesus begleitet, kann man sagen, dass Stephanus häufiger präsentiert ist. Jesus betritt freilich auch die Szene der Lapidatio Stephani einmal (Apg 7,55 f). Hinsichtlich des ganzen Doppelwerks ist Jesu Präsenz zwar viel öfter als die des Stephanus. Doch sind die Jünger als Figurengruppe auch im Evangelium nicht viel seltener als Jesus dargestellt, in der Apostelgeschichte sogar eindeutig mehr. Stephanus ist Teil der Figurengruppe der Jünger (siehe Einleitung). Darüber hinaus ist die Präsenz des Stephanus in der Steinigungsszene auch im Bezug auf die „gespeicherte Empathie“, die sich in enger Verbindung mit vorherigen Erzählungen ergibt, 190 beeindruckend. Er beherrscht die Erzählung der Apg 6,1–8,3, inklusive der Analepse in Apg 11,19 und 22,20. D. h., für die Leser, die Apg 7,54 ff rezipieren, ist Stephanus beretis vollends präsentiert.
2.2.7 Große Bedeutung für die Handlung Man spricht sowohl von der Bedeutung einer Figur für die Handlung der ganzen Erzählung als auch der einzelnen Szenen. 191 Im Bezug auf letzteres spielen Jesus und Stephanus gleichermaßen die Rolle der Hauptfigur. D. h., für die Leser, die die beiden Szenen episodenweise rezipieren, sind im Blick auf diese Kategorie Stephanus und Jesus gleichermaßen nahe. Für die gesamte Handlungsstruktur des lk Doppelwerks ist die Bedeutung Jesu, der Hauptfigur des ganzen ersten Werkes (Τὸν µὲν πρῶτον λόγον, Apg 1,1), nachträglich größer als die des Stephanus. Wie bei der „häufigen Präsenz der Figur“ (s. o.) aber muss betont werden, dass die Jünger als Gesamtheit als Protagonisten des zweiten Werks des Lukas fungieren. Darüber hinaus ist Stephanus nicht bloß eine „Episodenfigur“ (Pfister) 192, die nur in einer Szene vorkommt (Apg 11,19; 22,20). Nach dem Ergebnis des Kapitels II-1 dieser Arbeit vertritt Stephanus den speziellen Leidenstypus der Jünger, Tribulatio (θλῖψις, Apg 11,19), der zu der Passio Christi parallel läuft. Eben diese Tribulatio, die wegen Stephanus entstand, veranlasst ein wichtiges Ereignis, nämlich die Zerstreuung (διασπείρω) der Christen (Apg 11,19), einen wichtigen Wendepunkt für die ganze Erzählstruktur der Acta, da das Evangelium von Jesus nun auch Griechen verkündigt wird (Apg 11,20) und die Jünger nun erstmals Christen (Χριστιανούς) genannt werden. (Apg 11,26). 190 Finnern erwähnt die „Empathiespeicherung“ und die „gespeicherte Empathie“ für die Analyse der Empathiedynamik und -konstellation. Finnern, 393–397. 191 Finnern, 148. 192 Pfister, Drama, 227.
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2.2.8 Zahl der Figurenmerkmale In beiden Todesberichten ist die Zahl der Figurenmerkmale zwar grundsätzlich niedrig. Wenn man Finnerns Liste 193 entlanggeht, stellt man fest, dass die Figurenmerkmale des Stephanus zahlreicher die von Jesus sind. (1) Identität / Charakterzüge / Verhaltensweise: Bei der Steinigung des Stephanus kann man maximal vier verschiedene identitätsbildende Elemente vorfinden, durch die man Stephanus von anderen Figuren unterscheiden kann: (a) Er ist voll Heiligen Geistes (ὑπάρχων δὲ πλήρης πνεύµατος ἁγίου ἀτενίσας, Apg 7,55), (b) kann Visionen haben (Apg 7,55bf), (c) vertraut auf seinen Patron bis zur letzten Minute (Apg 7,59), und (d) bittet für seine Henker (Feindesliebe als „Verhaltensweise“, Apg 5,60). Demgegenüber sind Identitätsmerkmale und Charakterzüge Jesu bei seiner Kreuzigung höchstens zweimal beschrieben: (a) Auch Jesus vertraut auf seinen Patron in der Todesstunde (Lk 23,46), und (b) wird von dem Hauptmann als gerecht bezeichnet (Lk 23,47). Wenn wir die Szene auf Lk 23,33–49 erweitern (s. o. Kapitel 2.2.1), sind zwei weitere Elemente zu finden: (c) Jesus zeigt bei der Kreuzigung seine eschatologische Herrschaft an (Lk 23,43) und (d) bittet wie Stephanus für seine Henker (Lk 23,34). Da Lk 23,34 aber textkritische Probleme 194 darstellt, kann man nicht sagen, dass in beiden Szenen die Identitätsmerkmale Jesu zahlreicher als die des Stephanus sind. (2) Sozialer Kontext: Beiden Figuren werden in einen gesellschaftlichen Kontext als zum Tode verurteilte Delinquenten eingezeichnet. Die Szene Steinigung des Stephanus stellt sich tumultuarisch dar. Sie zeigt Züge eines (Lynch-)Gerichtsverfahrens mit Zeugen und augenscheinlich einem Hauptankläger (Saulus, Apg 7,58). (3) Erleben / Gefühle: Bei diesen Kategorien entdeckt man einen Unterschied. Beide Figuren erleben zwar gleichermaßen den Tod(esschmerz), aber nur Stephanus eine Vision (Apg 7,55 f). Darüber hinaus äußern die beiden ihre Gefühle nicht. Aber ἐπικαλέω (bekennendes Rufen) und κράζω (gellender Schrei) signalisieren erregte Emotionen des Stephanus (s. o. 2.2.1 u. 2.2.3). (4) Pflichten / Wissen / Meinungen (Standpunkt): In beiden Szenen lassen sich Informationen für diese Kategorien kaum finden. Man kann nicht mehr erschließen als das, dass Jesus und Stephanus Kenntnisse über das Gebet das Übergeben/-nehmen des Geistes beim Tod haben (Lk 23,46; Apg 7,59). (5) Intention / Motivation (aktualisierte Motive): (a) Die Übergabe des Geistes spigelt eine Intention beider Figuren. (b) Ebenso die Bitte, dass Gott die Sünde der Henker ihnen nicht anrechnet (Apg 7,60) oder ihnen vergibt 193 Finnern, 133 ff. Über meine eigenen Überlegungen zu dieser Liste, s. o. Kapitel I-2.3.1. 194 Bovon, Evangelium nach Lukas, Bd. 4, 461; B.M. Metzger, A textual commentary on the Greek New Testament: a companion volume to the United Bible Societies' Greek New Testament, London u. a. 31971, 80 [als nicht ursprünglicher Bestand des LkEv]; Wolter, 757 f.
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(Lk 23,34). Man kann keine weiteren Figurenintentionen oder -motivationen entdecken.
Jesus (erweiterte Szene) Stephanus
Identität usw.
Sozialer kontext
Erleben usw.
Plichten usw.
Intentionen usw.
Summe
2 (4)
1
1
1
1 (2)
6 (9)
4
1
3
1
2
11
2.2.9 Komplexität der Figur Dieser Faktor zeigt keinen Kontrast zwischen Jesus und Stephanus. Nach der klassischen Kategorie vom „round“ und „flat character“ (Forster, 1927) 195 gehören die beiden Figuren dem „flat character“ an. Dagegen ist Paulus eine typisch runde Figur (s. u. den Vergleich zwischen der Abschiedsrede Jesu und der des Paulus). Gegenüber der groben round / flat Kategorisierung heute ausdifferenziertere Kategorien zur Figurenanalyse' mittlerweile bereitstehen. 196 Auch im Lichte weiterer Kategorien, wie z. B. Dynamik, Dimensionalität, (In)Kohärenz usw. (s. u. 2.3.1.9 u. 2.3.2.9) stellt sich der eine nicht komplexer als der andere dar. 2.2.10 Positive / negative Erzähler- und Figurenkommentare In beiden Szenen fehlen direkte Erzählerkommentare. Bei der Kreuzigung Jesu kommt aber ein positiver Figurenkommentar des Hauptmannes vor: „Dieser Mensch war wirklich gerecht!“ (Lk 23,47) Dieser von Lk gegenüber Mk redigierte Vers vertritt zugleich den axiologischen Standpunkt des Erzählers (οὗτος δίκαιος, Redaktion). Narratologen erklären, dass ein „axiologischer“ oder „evaluativer“ Erzählerstandpunkt den Einstellungswandel des intendierten Rezipienten manipulieren kann. 197 Darüber hinaus gibt der lk Centurio Gott die Ehre (ἐδόξαζεν τὸν θεὸν λέγων, Lk 23,47). Im Vergleich zu derselben Figur in der mk Erzählung, die bloß sah und sprach (ἰδὼν . . . εἶπεν, Mk 15,29), kann der Centurio mit seiner Rede für die lk Lesergemeinde, die ebenfalls Gott rühmt, als sympathischer und zuverlässiger 198 Zeuge rezipiert werden. Demgegenüber kommen bei der Steinigung des Stephanus weder positive noch negative Figurenkommentare vor. Das Einverständnis des Paulus (συνευδοκῶν, 195 E.M. Forster, Aspects of the Novel [Repr.], London u. a. 1990, 73–81. 196 Finnern, 157–159. 197 Finnern, 180, 182. T. Köppe, Literatur und Erkenntnis: Studien zur kognitiven Signifikanz fiktionaler literarischer Werke, Paderborn 2008, 142–151. 198 Finnern, 153, „Sowohl der Erzählerkommentar als auch die Figurenrede können unzuverlässig sein.“
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Hierarchie und Ungleichheit von Passio und Tribulatio
Apg 8,1) mit der Tötung des Stephanus könnte als Gedankenbericht (s. o.) für einen impliziten Figuren- oder Erzählerkommentar gehalten werden. Die direkt folgende Erzählung stellt aber fest, dass Paulus keine sympathische Figur ist (Apg 8,3). Die Wirkung dieser vermeintlichen Figurenbewertung ist also, wenn überhaupt, begrenzt. Fassen wir zusammen: Durch die Anlyse der Erzähler- und Figurenkommentare in beiden Szenen kann eine mögliche Empathielenkung der Rezipienten auf Jesus hin erkannt werden. Der Kommentar des Hauptmannes kann als ein empathie-förderndes Element auch dadurch fungieren, dass er ein wichtiges Figurenmerkmal Jesu indirekt (figural) darstellt. 2.2.11 Zugehörigkeit zu einer bekannten Figurengruppe In beiden Szenen wurden keine Informationen über die Zugehörigkeit Jesu oder des Stephanus zu einer bekannten Figurengruppe, z. B. der Siebenergruppe (Apg 6,16), explizit ergänzt. Bekannte Figurengruppen konstituieren sich nicht nur durch Etikettierungen oder Titulaturen, sondern auch durch Figurenkonstellationen, die sich „aus der Sympathie / Antipathie der Figuren zueinander“ ergibt. Zu nennen sind „Kontrastpaare, Korrespondenzpaare und Dreieckskonstellationen / dramatisches Dreieck“. 199 Finnern hat für den Empathiefaktor „Zugehörigkeit zu einer bekannten Figurengruppe“ bloß die „Figurenkonstellation“ gewähnt. 200 In der Szene der Steinigung des Stephanus kann man eine klare Figurenkonstellation wahrnehmen, an der er beteiligt ist. Stephanus hat in seiner Szene Antagonisten (7,57.59), mit denen er ein ‚Kontrastpaar` bildet, insofern Lukas die antipodischen Handlungen mit demselben Verb (κράζω, Apg 7,57.60) beschreibt. Dagegen bildet Jesus in seiner Kreuzigungsszene weder ein Kontrastpaar mit den anderen ihn feindlich genommenen Figuren, noch korrespondiert er mit ihnen. Allerdings bildet Jesus mit dem Schächer von Lk 23,40–43 eine Figurenkonstellation, die von Sympathie / Antipathie beherrscht ist. Auf diese Weise ergibt sich auch bei dieser Kategorie ein Patt zwischen Jesus und Stephanus im Hinblick auf die Empathielenkung. Andere Kategorien geben den Ausschlag. 2.2.12 Dramatische Darstellung des Settings Das Setting der Crucifixio Jesu ist insgesamt dramatischer als das der Lapidatio Stephani dargestellt. (1) Lukas übernimmt das Übernatürliche der mk Vorlage: Zur Mittagsstunde kam eine Finsternis über das ganze Land für drei Stunden (Lk 23,43; Mk 15,33). (2) Durch lk Redaktion dient das Zerreißen des Tempelvorhangs vor dem Tod Jesu als ein kosmisches Vor-Zeichen, so dass eine 199 Finnern, 147. Siehe auch Kapitel I-2.3.2 dieser Arbeit. 200 A. a. O., 194.
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dramatische Darstellung des Settings entsteht. Lukas ändert hier die mk chronologische Abfolge (vgl. Mk 15,38), in der das Zerreißen des Tempelvorhangs als ein Handlungselement innerhalb einer Kausalkette stand: Jesus verschied mit lautem Schrei (37) → der Tempelvorhang zeriss (38) → Hauptman bekennt (39) Bei Lukas besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen „der Tempelvorhang zeriss (Lk 23,45)“ und „Jesus verschied (Lk 23,46)“. Dieses Motiv (Lk 23,45b) schafft zusammen mit der Sonnenfinsternis (Lk 23,45a) vielmehr als Setting eine bestimmte Stimmung, die dramatischer ist als bei Mk. 201 (3) Darüber hinaus schafft eine an Jesu Tod anschließende Reaktion der Randfiguren (Lk 23,48), die in der Narratologie zum Setting gerechnet werden, 202 eine besondere Dramaturgie. Abgesehen davon, wie man das Brustschlagen der ganzen Menge interpretiert, wurde das Setting der Kreuzigungsszene zu einer atemberaubenden Darstellung gebracht. Im Gegensatz dazu stellt sich das Setting der Szene der Steinigung des Stephanus nicht als besonders dar: Man findet bloß zwei Ortsangaben, „vor dem Hohen Rat“ (ἐν τῷ συνεδρίῳ, Apg 6,15) und „zur Stadt hinaus“ (ἔξω τῆς πόλεως, Apg 7,58). In Apg 7,55 fällt die Raumdarstellung auf, da Stephanus im Hohen Rat zum Himmel emporblickt. Daher vermuten Exegeten, dass die Szene ursprünglich im Freien stattgefunden habe. 203 Diese mögliche Unklarheit, auch wenn Lukas sie beabsichtigt hätte, lässt die Szene nicht so dramatisch erscheinen wie bei der Kreuzigung Jesu. Zwischenfazit: Drei primäre Faktoren für empathische Nähe, (1) hohe Innensicht, (2) Wahrnehmungszentrum und (3) Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen sprechen durchgängig dafür, dass der Stephanus der Steinigungsszene im Vergleich zu Jesus der Kreuzigungsszene als näher zu rezipieren ist. Unter dem Strich gilt dies auch bei Betrachtung der sekundären Faktoren. Kurz, Stephanus ist näher als Jesus dargestellt.
2.3 Empathiekonstellationen im mk und lk Passionsbericht Anders als im letzten Kapitel II-2.2, wo wir die Empathielenkung des lk Autors bezüglich einzelner Figuren (Jesus und Stephanus) analysierten, werden nun 201 Exegetisch hat das Zerreißen des Tempelvorhangs wenigstens zwei Bedeutungen. (1) Mit dem Tod Jesu verliert der Tempel und sein Kult ihren Sinn. (2) Als eine Entfernung der Scheidewand zwischen dem Heiligen und dem Allerheiligsten (Ex 26,33), bedeutet das Zerreißen die Eröffnung des Zugangs zu Gott für Nichtpriester und Heiden. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, 321 f. 202 Finnern, 148; C. Bode, Der Roman: eine Einführung, Tübingen u. a. 2005, 127. 203 Jervell, 251; Pesch, 263.
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Hierarchie und Ungleichheit von Passio und Tribulatio
alle Konstellationen der auktorialen Empathielenkungen in den beiden Passionsberichten miteinander verglichen. Zunächst wird die Empathiekonstellation im mk Passionsberichte geprüft (Kapitel II-2.3.1). Durch eine Analyse der lk Version wird dann bewertet, ob und wie Lukas eine neue Empathiekonstellation erstellt hat (Kapitel II-2.3.2). 2.3.1 Empathiekonstellation zwischen Jesus und Jüngern im mk Passionsbericht 2.3.1.1 Hohe / niedrige Innensicht Jesus Im mk Passionsbericht ist das Innenleben Jesu viel stärker dargestellt als das aller übrigen Figuren. Man erinnert sich z. B. sofort an die unmittelbaren Ausdrücke von eigener Betrübnis Jesu in Gethsemane (MK 14,34) oder das jämmerliche Geschrei der Gottverlassenheit am Kreuz (Mk 15,34). Darüber hinaus kann man an mehreren Stellen in das Innere Jesu schauen – anhand von z. B. Körperzuständen, Mimik, Gestik oder Emotionsberichten. 204 1. Bei der Einsetzung des Abendmahles fällt die Gestik Jesu ins Auge, dass er das Brot und den Kelch nimmt und sie den Jüngern gibt (Mk 14,22 f). Mit seinen Segens- und Dankesworten kann man eine Innensicht Jesu vornehmen. 2. In der Gethsemaneszene wird das Innenleben Jesu ausführlich und detailliert visualisiert. Der allwissende Erzähler des Markusevangeliums gibt bekannt, dass Jesus anfing, sehr bestürzt und geängstigt zu werden (Mk 14,33). Unmittelbar daran anschließend äußert Jesus: „Meine Seele ist sehr betrübt, bis zum Tod“ (Mk 14,34). Jesu Ängste sind nicht nur durch den Inhalt des Gebets („Nimm diesen Kelch von mir weg“, Mk 14,36) weiter dargestellt, sondern auch durch seine Gestik angedeutet, mit der sich auf die Erde wirft (Mk 14,35), wiederholt zu seinen Jüngern kommt (Mk 14,37.ff) und mit den gleichen Worten zweimal betet (Mk 14,39). 4. Nicht zuletzt am Kreuz werden Jesu Schmerz und sein Jammer der Gottverlassenheit festgestellt (Mk 15,34.37). Das Verb βοάω (Mk 15,34) hat nicht einen relativ neutralen Sinn wie φωνέω (‚einen Ton hervorbringen, rufen`; Lk 23,46), sondern drückt erregte Emotionen der Figuren wie beim Schreien oder Brüllen aus. 205 Dazu kommt, dass Jesus noch einmal einen lauten Schrei ausstößt, bevor er verscheidet (Mk 15,37). Man kann somit die Einsicht in das Innenleben bei der Passion Jesu stärker erleben. Die Jünger Obwohl die Jünger im mk Passionsbericht passive Nebenfiguren sind, die kaum eine eigene Handlung ausführen, kann man ihr Innenleben strecken204 Nach Barthels Modell, s. o. Anm. 166. 205 H.J. Ritz, Art. Βοάω, EWNT I, 536.
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weise einsehen. 1. So kommt der Gedanke des Judas, dass er Jesus ausliefern will, durch den mk allwissenden Erzähler zur Sprache (ἵνα+Konjunktiv, Mk 14,10b). 2. Nach der Warnung Jesu vor dem Auslieferer (Mk 14,18), fingen sie an, betrübt zu werden (Mk 14,19a). An diesen Bericht des mk Erzählers schließt sich die Gestik an, dass einer nach dem anderen Jesus fragt, „Doch nicht ich?“ (Mk 14,19b), so dass ihre Angst veranschaulicht wird. 3. Als Reaktion auf eine negative Ankündigung Jesu bekunden Petrus und die anderen Jünger ihren Willen, Jesus nicht zu negieren; Petrus gestikuliert sogar beteuernd (ἐκπερισσῶς, Mk 14,31). 4. In Gesthsemane ist ein Körperzustand der Jünger kurz erwähnt, und zwar dass ihre Augen beschwert sind (Mk 14,40; auch 14,37), wobei Jesus diesbezüglich vorher anmerkt, der Geist sei zwar willig, aber das Fleisch schwach (Mk 14,38). Dabei wird noch einmal ihr(e) Gedanke(nlosigkeit) vorgeführt, dass sie nicht wissen, was sie Jesus antworten (Mk 14,40). 5. Im Haus des Hohenpriesters ist eine Emotion des Petrus nach dreimaliger Verleugnung berichtet: Er weint (Mk 14,72), wobei auch seine Gestik, nämlich zu verfluchen und zu schwören (Mk 14,71), sein Inneres anzeigt. 2.3.1.2 Wahrnehmungszentrum (Raumfilter, camera eye) Im mk Passionsbericht steht Jesus durchgängig im Wahrnehmungszentrum. Das sog. ‚camera eye` des Erzählers begleitet die Jünger nur, wenn sie bei Jesus anwesend sind. Nur selten und fragmentarisch stehen die Jünger in einem separaten Wahrnehmungszentrum. In Mk 14,1 f (Anschlag der Hohenpriester) stehen weder Jesus noch die Jünger, sondern die Hohenpriester sowie die Schriftgelehrten im Wahrnehmungszentrum. In Mk 14,3–9 (Salbung Jesu in Betanien) wird Jesus durch den Erzähler begleitet, wobei man einmal auch eine Nahaufnahme Jesu (sein gesalbter Kopf, Mk 14,3) erlebt. Zwar richtet sich die ‚Erzählkamera` einen Augenblick auf die Murrenden (Mk 14,4 f). Da aber die Anonymität dieser Personen eine distanzierte Wahrnehmung bzw. eine unscharfe Fokussierung zeigt, steht Jesus wieder im alleinigen Fokus (Mk 14,6–9). In den folgenden beiden Versen Mk 14,10 f (Verrat des Judas) steht Judas, also ein Jünger, mit den Hohenpriestern (oder auch alleine Mk 14,11b) im Wahrnehmungszentrum. In Mk 14,12–16 (Vorbereitung des Passahmahles) werden Jesus und die Jünger vom Erzähler begleitet, wobei Jesus (Mk 14,13–15) aber deutlich länger als die Jünger (Mk 14,12) spricht. Danach in Mk 14,16 begleitet der mk Erzähler kurz allein nur die beiden Jünger. In Mk 14,17–31 (Abendmahl usw.) wird die Erzählung wiederum auf Jesus und die Jünger fokussiert, die ein langes Gespräch führen. Die Jünger werden durch die „Erzählkamera“ begleitet, sprechen aber weniger. In Mk 14,32–42 (Gethsemane) werden Jesus und die Jünger räumlich voneinander getrennt. Das sog. ‚camera eye` folgt dann allein Jesus. Die Jün-
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ger werden wahrgenommen, nur wenn sich Jesus zu ihnen zurückbewegt (Mk 14,35 f.40.41). Darüber hinaus kann man sagen, dass das camera eye ab und zu sogar mit der Perspektive Jesu identifiziert wird: εὑρίσκει (εὗρεν) αὐτοὺς καθεύδοντας (Mk 14,37.40). In Mk 14,43–50 (Gefangennahme) stehen die Jünger mit Jesus zusammen im Fokus, aber nur bis sie die Bühne verlassen (Mk 14,50 ff). Auch in der Szene von ihrer Flucht wird klargestellt, dass Jesus dabei anwesend ist, d. h. Jesus und die Jünger stehen in einem gemeinsamen Wahrnehmungszentrum (Mk 14,50.51). In Mk 14,53–72 (Jesus vor dem Hohen Rat / Petri Verleugnung) wechselt die Erzählkamera relativ schnell und häufig, insofern Petrus zweimal (Mk 14,53 und 14,66–72) vom Erzähler separat begleitet wird. In Mk 14,66–72 folgt das camera eye ausschließlich der Bewegung des Petrus (z. B. ἐξῆλθεν ἔξω εἰς τὸ προαύλιον, Mk 14,68). Das ist aber die letzte Bühne, die einer vom Zwölferkreis betritt. Daraufhin (Mk 15,1–47) steht Jesus durchgängig im Wahrnehmungszentrum. 2.3.1.3 Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen der Rezipienten Der Anfangsteil des mk Passionsberichts (Anschlag der Hohenpriester, Mk 14,1–9) hat kaum etwas mit der Figur Jesu und den Jüngern zu tun. Auch wenn die intendierten Leser des Markusevangeliums ähnliche Erfahrungen der Verfolgung wie in Mk 14,1 ff gesammelt hätten, hätten sie sich in die Hohenpriester und die Schriftgelehrten als Verfolger kaum hineingedacht. Auch die Szene der Salbung Jesu in Betanien hat höchstwahrscheinlich die intendierten Leser an ihre gegenwärtigen Interessen erinnert, da Mk 14,9 als Herrenwort ihre gegenwärtigen Lebenssituationen in der realen Welt umfasst. Diese Voraussage geht aber weder Jesus noch die Jünger als Figuren in der aktuellen erzählten Welt an, so dass man beide Figurengruppen nicht als nahe rezipieren muss. Eine ähnliche Situation wie der Verrat des Judas in Mk 14,10 f ist in der Lesergemeinde eines Evangeliums vielleicht kaum vorstellbar gewesen. Demgegenüber ruft die folgende Szene, Einsetzung des Abendmahles (Mk 14,10– 26), sofort typische christliche Rituale auf, die auch im Urchristentum begangen werden (z. B. 1 Kor 11,17 ff). Man erlebt viel Empathie sowohl für die Figur Jesu, die das Brot und den Becher gibt, als auch für die Jünger, die diese Gaben bekommen. Darüber hinaus singen die Jünger und Jesus ein Loblied (Mk 14,26). Das Wort ὑµνέω kommt im NT durchaus in dem Sinne vom Lobpreis Gottes vor (Mk 14,26 par.; Apg 16,24; Hebr 2,12). Man kann sogar versuchen, diesen urchristlichen Lobgesang sehr detailliert z. B. als den zweiten Teil des Hallel, „das nach dem Schlußtischgebet des eigentlichen Passa – Mahles beim vierten Becher Wein gesungen wurde“, 206 zu rekonstruieren. Auch im 206 M. Rutenfranz, Art. ὑµνέω, EWNT III, 939 f.
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Vergleich zum lk Bericht, der über diesen Hymnus nicht informiert, ist die mk Version den intendierten Lesern höchstwahrscheinlich lebensnäher gewesen. Die Szene der Ankündigung der Verleugnung des Petrus (Mk 14,27–31) könnte auf extreme Probleme der mk Gemeinde wie z. B. die Apostasie der Mitglieder Bezug nehmen. Man sieht aber – im Gegensatz zur lk Fassung – keine weitere Relevanz für die aktuelle Situation der Gemeinde, wie etwa „die Bekehrung oder das Brüder-Stärken“ (Lk 22,32), die als positive Rollen des Petrus in der nachösterlichen Zeit zu assoziieren sind. Vielmehr bei Markus wird allein das Thema des ‚Verstreut-Werdens der Jünger` betont (Mk 14,27). Zu vermuten ist also, dass die intendierten Leser, wenn überhaupt, im Blick auf mögliche Apostasie in ihrer eigenen Gemeinde sich in die Jünger hineindenken sollten. Die Situation Jesu in der Gethsemane-Szene (Mk 14,32–42), dass er vor dem Erlösungstod (τὸ ποτήριον τοῦτο, Mk 14,36) seine menschliche Schwachheit zeigt, dürfte kaum an die Gegebenheiten der Leser erinnern. Vielmehr könnten sich einige Motive wie ‚Schlafen` als ein eschatologisches Thema (vgl. Mk 13,35 ff 207) oder der Kontrast zwischen Geist und Fleisch, der sowohl anthropologische (vgl. Ps 51,14) als auch harmartiologische Konzeptionen (vgl. 1QS 11,12) beinhalten dürfte, 208 auf urchristliche dogmatische Kontemplationen beziehen. Darüber hinaus dürfte das Gebet, nicht in Versuchung zu geraten (Mk 14,38), die intendierten Leser an bestimmte Rituale erinnern. Demgegenüber ist Jesu Emotion der Gottverlassenheit schließlich könnte auch für die intendierten Leser gelten. Dies heißt aber nicht nur, dass man eine solche Hoffnungslosigkeit erleben kann, sondern dass der zitierte Psalm 22 als eine Grundlage fungiert, durch die die Lesergemeinde den Kreuzigungsbericht verstehen kann. 209 Darüber hinaus hat Psalm 22 auch als ein Danklied (v. a. Ps 22,23 ff), das einer Klage (Ps 22,1–22) folgt, verschiedene Bezüge in den Lebenssituationen der Rezipienten. Insgesamt bestehen Ähnlichkeiten zu Lebenssituation der Rezipienten eher bei der Figur Jesu als der der Jünger. 2.3.1.4 Erzählerbeteiligung Der Erzähler des Markusevangeliums ist ein unbeteiligter Er-Erzähler. Der lk Erzähler dagegen ist wenigstens teilweise ein beteiligter Ich-Erzähler (Proömia beider Werke sowie die sog. Wir-Passagen der Apostelgeschichte).
207 Hier ist aber freilich von dem leidenden Jesus, also nicht von dem Christus der Parusie die Rede. 208 Gnilka, 262; Kuhn, Jesus in Gethsemane, Evangelische Theologie 12 (1952/53), 274– 285. 209 Gnilka, 322. „Die im Danklied des Psalms bekundete Rettung aber (VV 23 ff) bezeugt, daß die von der Gemeinde geglaubte Auferstehung die Voraussetzung ist, daß man mit Hilfe des Psalms die Passion Jesu beschrieb.“
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2.3.1.5 Sprachliche Distanz Mit der Tabelle 7 oben vor Augen, lässt sich festhalten, dass Markus in seinem Passionsbericht bei Jesus eine sehr geringe Distanz zeigt, da er die Reden sowie Gedanken Jesu fast immer direkt zitiert. Bei der Beschreibung Jesu ist die „zitierte Rede“ (direkte(s) Rede / Gedankenzitat, s. o.) 17mal 210 eingeführt. Fragmentarische Nutzungen von „erzählter Rede“ (Mk 14,33) und „transponierter Rede“ (Mk 14,35. 39) stellen dabei keine Ausnahme dar. Man sieht nämlich in Mk 14,33 und 14,35 zwar einen Gedankenbericht (erzählte Rede, s. o.) und eine indirekte Rede (ἵνα-Satz, transponierte Rede, s. o.), doch dann folgt sofort jeweils eine direkte Rede: . . . er fing an, bestürzt und geängstigt zu werden [Gedankenbericht]. Und er sagte zu ihnen, „Meine Seele ist zu Tode betrübt. . . “ [direkte Rede] (Mk 14,33– 34), . . . und er betete, dass die Stunde, wenn möglich, an ihm vorübergehe [indirekte Rede]. Und er sprach: „Abba, Vater, alles ist dir möglich . . . “ [direkte Rede] (Mk 14,35–36)
Zwar wird eine empathische Distanz der Rezipienten zu Jesus an beiden Stellen zunächst temporär vergrößert, jedoch wird dies mit der folgenden direkten Rede sofort korrigiert. Mk 14,39 ist die einzige Stelle, an der Markus die Rede Jesu bloß indirekt darstellt. Dennoch fungiert diese Beschreibung als ein positiver Empathiefaktor, da man auch zusammen mit den Berichten von der wiederholten Rückkehr Jesu zu den Jüngern (Mk 14,37. 40. 41) in sein Inneres blicken kann (Gestik für Innensicht, s. o. Kapitel II-2.3.1.1). Auch die Reden sowie Gedanken der Jünger sind häufig direkt beschrieben. Bei der Beschreibung der Jünger ist die „zitierte Rede“ insgesamt 8mal 211 eingeführt. Man kann aber zwischen der sprachlichen Distanz zu Jesus und der der Jünger quantitativ vergleichen. Mk Darstellung der Jünger zeigt einen relativ höheren Anteil an der „erzählten Rede“ (3mal, Mk 14,19.31.70) und der „transponierten Rede“ (2mal, Mk 14,10.40). D. h., ungefähr die Hälfte der Beschreibungen der Jünger gehört zu diesen beiden Kategorien, die eine sprachliche Distanz schaffen. Darüber hinaus ist die direkte Rede der Jünger immer sehr kurz. An allen genannten Stellen sprechen sie also ausnahmslos mit einem Satz, während Jesu Rede länger dargestellt ist (Mk 14,13–15 usw). Für Petrus wird interessanterweise ein direktes Gedankenzitat (Mk 14,72) angeführt, was aber zugleich eine direkte Rede (ὅτι-recitativum) 212 Jesu ist: „Ehe 210 Direkte Rede Jesu, Mk 14,6–9; 14,13–15, 14,18; 14,20–21; 14,22; 14,24–25; 14,27–28; 14,30; 14,32; 14,34; 14,36; 14,37–38; 14,41–42; 14,48–49; 14,62; 15,2; 15,34. 211 Direkte Rede der Jünger, Mk 14,12; 14,19; 14,29; 14,31; 14,45; 14,68; 14,71. Wenn die Murrende in Mk 14,4 die Jünger wären, kann man dazu noch eine Stelle finden, also Mk 14,72 als direktes Gedankenzitat. 212 F. Blass/A. Debrunner, §470.1.
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der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen“. Im Allgemeinen ist die sprachliche Distanz des mk Erzählers zu Jesus geringer als die zu den Jüngern. 2.3.1.6 Häufige Präsenz der Figur Im mk Passionsbericht besteht ein Unterschied zwischen Jesus und den Jüngern bezüglich dieses Faktors. Nachdem alle Jünger Jesus verließen und flohen (Mk 14,50 ff), litt er vieles einsam und wurde gekreuzigt, während die Jünger abwesend waren (Mk 15,40). Während Jesus und die Jünger die Bühne des Kapitels 14 meistens zusammen betreten, sind die Szenen, wo die Jünger ohne Jesus erscheinen, seltener und kürzer (Mk 14,10–11; 14,16; 14,54; 14,66–72). Außer den Szenen vom Verrat des Judas (Mk 14,10 f, zwei Verse) sowie der Verleugnung des Petrus (Mk 14,66 ff, sieben Verse) wird das Auftauchen der Jünger ohne Jesus mit einem einzelnen Vers beschrieben (Mk 14,16.54). Demgegenüber wird Jesus, frei von seinen Jüngern, insgesamt 5mal dargestellt und dergleichen Bühnen sind mit sieben oder elf Versen (Mk 14,3–9; 55–65) auch länger beschrieben. 213 2.3.1.7 Große Bedeutung für die Handlung Wir haben mit dieser Kategorie bereits den mk Passionsbericht und eine darin enthaltene Handlungsrolle der Jünger analysiert (s. o. Kapitel I-2.3). Kurz: Die Jünger im mk Passionsbericht sind typische Randfiguren (Kontrastfigur oder card), die man auch nicht für eine Nebenfigur 214 halten kann. Sie markieren als Kontrastfigur allein die Figurenmerkmale der Hauptfigur, nämlich Jesu, sind insofern wie ein dramatisches Setting der Handlung. In Gethsemane sind sie kein Subjekt des Gebets etwa im Sinne des lk Passionsberichts, in dem alle Jünger von Anbeginn an beten sollen (Lk 22,40.46, siehe Kapitel I-1.3). Sie sind während Jesu Beten wie eine Folie, die bloß dasitzen und warten (Mk 14,34), wobei die meisten Jünger von Jesus doppelt entfernt bleiben (Mk 14,35). Auch während Jesu Bezeichnung des Verräters (Mk 14,17–21) sprechen sie die meisten zu Jesus bloß dasselbe Wort, einer nach anderem: „Doch nicht ich?“ (Mk 14,19) Die Jünger sind so im Plotverlauf der Passio Christi im Grunde entbehrlich. Die einzige Ausnahme bildet Judas in dem Sinne, dass ohne seinen Verrat Jesus nicht auf solche Art und Weise überliefert würde (u. a. siehe Kapitel I-2.4). Die Zugehörigkeit des Judas zum Zwölferkreis wird wiederholt festgestellt, immer wenn Judas den Verrat übt (Mk 14,10.20.43, auch Mk 14,17). Man kann ihn daher aus der Figurengruppe „Jünger“ nicht ausklammern. Dennoch 213 Mk 14,3–9 (s. o.); 14,35–36; 14,39; 14,53; 14,55–65. 214 Man kann sagen, dass z. B. in Mk 14,12 ff. die Jünger eine typische Helfer-Rolle (Vorbereitung des Passahmahles) spielen. Die Szene ist aber nur ein Bruchstück des ganzen Passionsberichts. Sonst helfen die Jünger dem leidenden Meister nicht (über die sog. „Entbehrlichkeit“, Kapitel I-2.4.1).
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wird bezüglich des Judas keine große Empathie geweckt. Zumal ein „negativer Figurenkommentar“ von Jesus (s. u. Kapitel II-2.3.1.10) ihn vernichtend kommentiert: „Für ihn wäre es besser, wenn er nicht geboren wäre“ (Mk 14,21). Die Handlungsrolle Jesu als Hauptfigur seines Passionsberichts macht ihn eindeutig zu einer nahen Figur.
2.3.1.8 Zahl der Figurenmerkmale (1) Identität / Charakterzüge / Verhaltensweisen: Die Aspekte, durch die sich die Jünger von anderen Figuren grundsätzlich unterscheiden, sind kaum dargestellt (anders als im lk Passionsbericht, s. u.). Bis sie Jesus verlassen und fliehen (Mk 14,50), sind die Jünger näher bei ihm als andere Figuren (z. B. die Leute in Betanien, Mk 14,3 ff), etwa am Passahmahltisch (Mk 14,17 ff) oder in Gethsemane (Mk 14,32). Aber Informationen über die Charakterzüge sowie Verhaltensweisen der Jünger bleiben spärlich und summieren sich in Attribute wie ‚unselbstständig` oder ‚schwach`. Die Jünger tun lediglich, was Jesus anordnet (Mk 14,12.23.32), hängen von ihm ab (Mk 14,19b; vgl. Lk 22,23). Sie sind schwache Menschen, die nicht eine Stunde wachen können (Mk 14,37. 40), bei der Gefangennahme Jesu fliehen (Mk 14,50) und mit dem Schwur und dem Fluch den Meister verleugnen (Mk 14,66 ff). Im Gegensatz dazu stellt sich die Figurenidentität Jesu sehr klar dar: Jesus hat eine soteriologische (auch Mk 14,24) Aufgabe mit seinem Erlösungstod („dieser Kelch“, Mk 14,36, auch Mk 14,21), deklariert selbst, dass er Christus, der Sohn des Hochgelobten (᾿Εγώ εἰµι, Mk 14,62a) und der Menschensohn der Parusie sei (Mk 14,62b). Darüber hinaus zeigt Jesus mehrere charakteristische Merkmale. Er zeigt zwar auch menschliche Schwäche in Gethsemane (Mk 14,32 ff, vgl. Mk 15,34). Doch danach aber verhält sich Jesus standhaft bei seiner Passion, insofern er entweder schweigt (Mk 15,61; 15,5) oder kurz antwortet: „Du sagst es“ (Mk 15,2). Gegenüber den Jüngern oder auch anderen Leuten (Mk 14,3 ff) wird Jesu Identät als Meister bestätigt, insofern er belehrt (Mk 14,6 ff), anweist (Mk 14,13 ff), verkündigt (Mk 14,18 ff. 27 ff) oder ein wichtigstes Ritual des Urchristentums, die Eucharistie, einsetzt (Mk 14,22 ff). (2) Wissen: Auch bezüglich des Figurenwissens bilden Jesus und die Jünger einen scharfen Kontrast. Jesus ist mehr oder weniger eine allwissende Figur, die auch weiß, was die Zukunft bringt (Mk 14,9.13 ff.18 ff.25.27 ff.35 ff.42.62). Seine Weissagungen werden im Verlauf des mk Passionsberichts in der Regel als wahr erwiesen (Mk 14,13 ff.18 ff.25.27 ff.35 ff.42). Jesus kennt jenseits der erzählten Welt auch die reale Welt der intendierten Leser (Mk 14,9). Dazu kommt ein Wissen über das Eschaton, das auch aus der Perspektive der Leser Zukunft bleibt (Mk 14,62). Wenig dagegen wissen die Jünger. Außer dem, was Jesus lehrt (z. B. Mk 14,6 ff. 13 ff. 18 ff usw.), kennen sie einen Lobgesang (Mk 14,26), und Judas kennt Jesu Aussehen (Mk 14,44 f), was bei der Gefangennahme Jesu eine Rolle
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spielt. Erzählt wird, dass sie nicht wissen (οὐκ ᾔδεισαν), nicht einmal das, was sie Jesus antworten sollen (Mk 14,40). (3) Pflichten: Im Gegensatz zu den Jüngern im lk Passionsbericht (vgl. z. B. Lk 22,26 ff.32.36, oder auch Lk 22,28, s. u.) haben die mk Jünger in der Passionszeit Jesu kaum Pflichten. Nur für das Wach-bleiben wären sie pflichtig gewesen (Mk 14,34). Jesus dagegen hat Pflichten. Er soll für viele Menschen (Mk 14,24) ausgeliefert werden (Mk 14,21) und sterben (Mk 14,35 f). (4) Erleben / Gefühle: Markus beschreibt selten die Gefühlszustände der Jünger. Sie werden einmal betrübt (Mk 14,19), und Petrus weint (Mk 14,72). Jesu Gefühle und Erleben dagegen stellen sich viel intensiver dar. Er ist bis zum Tode (ἕως θανάτου) betrübt (Mk 14,34). Am Kreuz erlebt er die absolute Gottverlassenheit (Mk 15,34) und schreit im Schmerz des Todes (Mk 15,37). (5) Meinungen (Standpunkt) / Wünsche: Im Passionsbericht stellt Markus selten Meinungen oder Wünsche sowohl von Jesus als auch der Jünger dar. Die Jünger wollen Jesus eigentlich nicht verlassen (Mk 14,29. 31); Jesus wünscht, dass die Stunde an ihm vorübergehe (Mk 14,25) und der Kelch von ihm weggenommen werde (Mk 14,36). Im einzelnen hat Jesus als Meister kleine Wünsche, z. B. dass die Jünger das Passahmahl vorbereiten (Mk 14,12 ff) oder beten, um nicht in Versuchung zu fallen (Mk 14,38). Die Figur Jesus ist auch mit dieser Kategorie eine nahe Figur. (6) Intentionen / Motivationen (aktualisierte Motive): Außer einem primitiven Überlebenstrieb bei ihrer Flucht (Mk 14,50 f) kann man keine aktualisierten 215 Motive der Jünger im Passionsbericht finden. Jesus zeigt dagegen als Motivation, entgegen dem eigenen Überlebenswunsch (Mk 14,35 f) standhaft in der Passion zu bleiben. Er schweigt dabei (Mk 15,61; 15,5) oder spricht bloß kurz (Mk 15,2). Darüber hinaus verteidigt er sich nicht, so dass sich Pilatus wundert (Mk 15,5). Obwohl Jesus dadurch die Todesstrafe bekommt (Mk 14,64), verbirgt er vor dem Hohen Rat nicht seine göttliche Identität. Es ergibt sich, dass im mk Passionsbericht die Figurenmerkmale Jesu zahlreicher als die der Jünger der Menge sind. 2.3.1.9 Komplexität der Figur Nach der klassischen (Forster, 1927) Kategorie von „round“ und „flat character“ 216 unterscheiden sich Jesus und die Jünger voneinander nicht scharf. Sie gehören gemeinsam den flachen Figuren an – Paulus ist dagegen eine typische runde Figur (s. u. den Vergleich zwischen der Abschiedsrede Jesu und der des Paulus). Man kann aber mit weiteren Kategorien (siehe Kapitel 2.2.9) analysieren und dann erkennen, dass Jesus komplexer als die Jünger ist, auch in dem Mikrouniversum der Passionsgeschichte.
215 Meinungen und Wünsche sind dagegen nicht-aktualisierte Motive. Finnern, 134–140. 216 E. Forster, Aspects, 73–81.
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Dynamik (diachronisch): Im Verlauf des mk Passionsberichts verändern sich die Merkmale. Er zeigt z. B. in Gethsemane seine menschliche Schwäche und Wünsche, die Passion zu vermeiden (Mk 14,32 ff), danach aber reagiert er standhaft (s. o.). Die Jünger sind schwache Menschen (Mk 14,19 f. 37 ff), fliehen bei der Gefangennahme Jesu (Mk 14,50 f) und verleugnen im Fall des Petrus den Meister mit Schwur und Fluch (Mk 14,72). Dimensionalität (synchronisch): Auf ähnliche Weise kann man die Dimensionalität der beiden Figurengruppen abhandeln. Die Jünger, die sich als schwach und abhängig darstellen, sind eindimensionale Figuren. Jesus zeigt sich aber in seiner Menschlichkeit und Göttlichkeit. Die Figur Jesus wird mehrdimensional. 217 2.3.1.10 Positive / negative Erzähler- und Figurenkommentare Dieser Faktor macht auch einen starken Kontrast zwischen Jesus und den Jüngern auf. V. a. Jesu negative Kommentare über die Jünger haben als Herrenwort Bedeutung für die Lesergemeinde. Im mk Passionsbericht kommentiert Jesus die Jünger nicht einmal positiv (Mk 14,18 ff.27 ff.37 f.72, aber vgl. Lk 22,28.32 usw.), wobei Jesu Votum zu Judas am schlimmsten ist, was man sich vorstellen kann (Mk 14,21). Demgegenüber bekommt Jesus positive Kommentare. Wenn z. B. etwas Negatives über Jesus gesprochen wird (Mk 14,56 ff; 15,6 ff.29 ff), tritt der mk Erzähler sofort dazwischen, um zu korrigieren: Die negativen Aussagen über Jesus seien falsch (Mk 14,56 f), und Pilatus weiß, dass die Hohenpriester aus Neid Jesus überlieferten (Mk 15,8). Am Anfang der Kreuzigung lästern (Mk 15,29 f) die Leute und spotten (Mk 15,31 f), in der Todesstunde aber spricht der Hauptmann: „Dieser Mensch war Gottes Sohn!“ (Mk 15,39) 2.3.1.11 Zugehörigkeit zu einer bekannten Figurengruppe Im mk Passionsbericht werden sowohl die Zugehörigkeit der Jünger zum Zwölferkreis (Mk 14,10.17.20.43) als auch verschiedene Hochheitstitel Jesu (Mk 14,14.21.27.36.41.45.61 f; 15,2.9.12.26.32.39) 218 mehrmals betont. Beide 217 Vgl. auch „Konventionalität“ bezüglich der sog. Figurenkonzeption, Finnern, 157– 159. Das Phänomen von Jesu Göttlich- und Menschlichkeit wurde antik-paganen Lesern als unkonventionell rezipiert, wie die Rezeptionsgeschichte zeigt. Die frühen paganen Kritiker des Christentums haben sich mit der Menschlichkeit Jesu als anstößig auseinandergesetzt. Kelsos: „Ein Gott kennt Trauer und Schmerz nicht, dieser aber empfindet Schmerzen, klagt und bittet, der Todesfurcht zu entrinnen“. Die lk Version, die wir anschließend analysieren werden, zeigt eine alternative Interpretation, mit der man Anstößigkeit der Schwachheit Jesu lösen kann. Die Figur Jesu im mk Passionsbericht entspricht nicht einem bekannten Typus. Org, c. Cels. II 23. Vgl, J. Frey, Leidenskampf und Himmelsreise. Das Berliner Evangelienfragment (Papyrus Berolinensis 22220) und die Gethsemane-Tradition, BZ 46 (2002), 71–96. 218 Und zwar didaskalos, Menschensohn, Hirte, Rabbi, Christus, Sohn des Hochgelobten, der König der Juden, der König Israels und Gottes Sohn.
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Figuren gehören zu je einer bestimmten Personengruppe (z. B. Jünger als Zwölferkreis oder Jesus als Lehrer). Allerdings wird die Zugehörigkeit unterschiedlich entwickelt. Wie wir im Kapitel I-2 gesehen haben, kann sich eine Figurenkonstellation im Laufe der Erzählung ändern. Jesus und die Jünger sind ein Korrespondenzpaar, nachdem Jesus sie berufen und begleitet hat. Als sie ihn aber verlassen und Petrus ihn in der Öffentlichkeit verleugnet, 219 ändert sich die Figurenkonstellation. Die beiden bilden nun eher ein Konstrastpaar, wobei Jesus zur nahen Figur wird, während die Jünger die Bühne verlassen (Mk 14,50 ff.72). 2.3.1.12 Dramatische Darstellung des Settings Das Setting des mk Passionsberichts spielt im Grunde keine große Rolle für die Entwicklung der neuen Empathiekonstellation zwischen Jesus und den Jüngern. Denn die beiden teilen sich das Setting meistens. Die Orte, an denen sich die Jünger ohne Jesus befinden (Mk 14,16; 14,53 f; 14,66 ff), sind nicht besonders dramatisch dargestellt. Der Raum in Mk 14,66 ff zwischen dem Hof und dem Vorhof (vgl. Lk 22,54 ff) kann zeigen, dass Petrus bedroht wurde (Mk 14,3.32.53; 15.1.22). Bei Jesus ist auffällig, dass er doppelt entfernt von den meisten Jüngern betet (Mk 14,35). Die Leser hätten damit eine empathische Distanz zu den Jüngern mitfühlen können. Der Ortsname Golgatha und dessen Übersetzung ‚Schädelstätte` wecken negative Assoziationen, sie erinnern an die ‚Enthaupteten` (vgl. Ri 9,53; 2 Kön [LXX 4Kön] 9,35) oder auch die reinheitsvorschriftlich unreinen Orte. 220 Ein zeitliches Setting, nämlich der Zeitraum zwischen sechster und neunter Stunde bei der Kreuzigung, spielt eine gewisse Rolle, insofern die unnatürliche Sonnenfinsternis (Mk 15,33) ein dramatisches Setting kreiert, in dem sich Jesus ohne Begleitung der Jünger befindet. Dadurch die Empathie der intendierten Leser mehr auf Jesus gelenkt werden. Zwischenfazit: Zwar böten die Jünger sich eigentlich an, dass sich die christlichen Leser in sie leicht hineindenken. Aber im mk Passionsbericht sind die Jünger im Vergleich zu Jesus als ferne Figuren dargestellt. Fast alle genannten Faktoren sprechen für diese Tendenz.
219 Klassisch-exegetisch formuliert, „Sein [Petri] Sich-lossagen von Jesus ist perfekt. Es geschah feierlich und vor Zeugen“, Gnilka, 293. 220 Gnlika, 316.
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2.3.2 Neue Empathiekonstellation zwischen Jesus und Jüngern im lk Passionsbericht 2.3.2.1 Hohe / niedrige Innensicht Im Vergleich zur mk Vorlage stellt Lukas die Innensicht Jesu weniger und die der Jünger mehr dar. Jesus Im lk Passionsbericht verblasst das Innenleben Jesu. Z. B. sieht man keine Betrübnis Jesu in Gethsemane (Lk 22,40 ff) oder kein Geschrei aus dem bittersten Gefühl von Gottverlassenheit am Kreuz (Lk 22,44 ff). Das Innere Jesu, das man durch die Körperzustände, Mimik, Gestik, Emotionsberichte usw. wahrnehmen kann, ist bei Lukas weniger berichtet. 1. Jesu Gestik bei der Einsetzung des Abendmahles ist auch bei Lukas zu sehen: Er nimmt das Brot und den Kelch und gibt sie den Jüngern, indem er das Dankgebet spricht (Lk 22,17 ff). 2. In der lk Gethsemaneszene wird kein Innenleben Jesu erzählt. Weder der lk Erzähler noch Jesus selbst spricht von der Betrübnis Jesu (Lk 22,40 ff; vgl. Mk 14,33 f). Darüber hinaus ist auch angstbesetzte Gestik ausgelassen, also dass Jesus sich auf die Erde wirft (vgl. Mk 14,35), wiederholt zu seinen Jüngern kommt (vgl. Mk 14,37.ff) oder mit gleichen Worten mehrmals betet (vgl. Mk 14,39). Wenn Lk 22,44 textkritisch zu Lukas gehören sollte, 221 wäre hier das Innere Jesu durch einen Erzählerkommentar (‚geratend in Beklemmung`) sowie eine Gestik (‚schwitzen`) zu sehen. Beides fällt aber milder als bei Markus aus (Mk 14,33 ff). 3. Auch am Kreuz werden der Schmerz Jesu und sein Jammer der Gottverlassenheit weggestrichen (Lk 23,44 ff, vgl. Mk 15,34.37). Stattdessen spricht Jesus mit lauter Stimme: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist.“ Man sieht bei diesem Wort keine erregte Emotion Jesu. Andererseits hat das Verb φωνέω (einen Ton hervorbringen, rufen) neutraleren Sinne als das mk Verb βοάω (Mk 15,34), das erregte Emotionen der Figuren beim Schreien oder Brüllen 222 ausdrückt. In der lk Redaktion führen auch einige weitere Stellen Gestik Jesu vor Augent: Bei seiner Gefangennahme rührt Jesus das Ohr des Knechtes des Hohenpriesters an und heilt ihn (Lk 22,51); er wendet sich im Haus des Hohenpriesters nach Petrus um und blickt ihn an (Lk 22,61), so wie Jesus auf dem Weg zum Kreuz sich ebenfalls zu den klagenden Frauen hinwendet (Lk 23,28). Obwohl solche Gestik Jesu keinen Schmerz und keine Angst zeigt, ist das Innere Jesu hier zu sehen.
221 Das Votum dieser vorliegenden Arbeit ist, dass die beiden Verse nicht von Lukas stammen. S.o. den Exegese-Teil im Kapitel I-1. 222 Ritz, a. a. O., 536.
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Die Jünger Durch die lk Redaktion wurden folgende Berichte ergänzt, die die Innensicht der Jünger intensivieren. Bei der Einsetzung des Herrenmahls befragen sie sich wegen Jesu Ankündigung des Verrats untereinander und streiten sich um den Rang (Lk 22,23 f). Diejenigen, die in Gethsemane betrübt werden, sind die Jünger, also nicht Jesus (Lk 22,45). Bei Jesu Gefangennahme ist als neue Gestik der Jünger zu sehen, dass einer von ihnen (εἷς τις ἐξ αὐτῶν) dem Knecht des Hohenpriesters sein rechtes Ohr abhiebt (Lk 22,50), wobei die Jünger nicht fliehen. Im Haus des Hohenpriesters kreuzen sich die Blicke Jesu und Petri (Lk 22,60 f), was dazu führt, dass Petrus bitterlich weint (πικρῶς, Lk 22,62). Auf der anderen Seite wird eine Szene ausgelassen, die Schwächen (vgl. Mk 14,19a) und Ängste der Jünger dargestellt (vgl. Mk 14,19). Lukas beschreibt aber eine alternative Gestik, die gleichfalls das Innere, nämlich die Eigenständigkeit der Jünger (sich-befragen) oder ihren Wettkampfgeist (Streit um den Rang), veranschaulicht (Lk 22,23 f). 2.3.2.2 Wahrnehmungszentrum (Raumfilter, camera eye) Im lk Passionsbericht begleitet die sog. ‚Erzählkamera` die Jünger deutlich mehr als im mk Passionsbericht, da Lukas durch seine Redaktion einige kleine Bühnen ergänzt, auf denen die Jünger ohne ihren Meister erscheinen. Am Beginn seines Passionsberichts, bis zur Szene der Einsetzung des Herrenmahles (Lk 22,1–29), folgt Lukas dem mk Bericht ohne große Änderungen. Bei dem Anschlag der Hohenpriester (Lk 22,1 f) sind die Hohenpriester und Schriftgelehrten allein das Wahrnehmungszentrum. Nachdem das sog. camera eye kurz Judas in Abwesenheit von Jesus begleitet (Lk 22,3 ff), werden Jesus und die Jünger bei der Vorbereitung des Passahmahles (Lk 22,7–12) durch den Erzähler begleitet. Genauso wie bei Markus (Mk 14,16) begleitet der lk Erzähler kurz in einem Vers die beiden Jünger ohne Jesus (Lk 22,13). Danach wird die Erzählung auf Jesus und die Jünger zusammen fokussiert, während sie ein langes Gespräch führen (Lk 22,14–22.25–38). Danach aber hat Lukas durch einschneidende Redaktionen das Wahrnehmungszentrum (Raumfilter) geändert. Lukas kreiert für die Jünger eine Szene, in der nach Jesu Ankündigung des Verrats sie allein das Wahrnehmungszentrum werden (Lk 22,23 f). Im mk Passionsbericht sprechen sie dagegen, einer nach dem anderen, Jesus an. Auch in Gethsemane ist die Bewegung der sog. ‚Erzählkamera` anders als bei Markus (Lk 22,39–46). Zwar begleitet auch das lk camera eye im Grunde Jesus, wobei die Jünger durch die Bewegung Jesu wahrgenommen werden (Lk 22,45). Da Jesus aber nicht mehrmals hin- und zurückgeht, ist diese Tendenz nicht so stark wie bei Markus ausgebildet. Jesus ist nur in zwei Versen das einzige Wahrnehmungszentrum (Lk 22,41 f 223, vgl. 223 Ich halte Lk 22,43 f textkritisch nicht für lukanisch. S.o.
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Mk 14,35 f.39.40 224). Im Haus des Hohenpriesters wird Petrus vom Erzähler wie im mk Passionsbericht (Lk 22,54–62) noch einmal begleitet, wobei bei Lukas aber auch Jesus kurz erscheint (Lk 22,61). Petrus bewegt sich nach dem kurzen Blickkontakt mit Jesus fort (Lk 22,62a), wobei das camera eye nicht Jesus, sondern Petrus begleitet (Lk 22,62b). Dazu kommt, dass die Jünger auch bei der Kreuzigung mitgesehen werden (Lk 23,49). Mit dem allumfassenden Maskulinum Plural (alle seine Bekannten, πάντες οἱ γνωστοὶ αὐτοῦ) 225 werden die Jünger zum wesentlichen Zeitpunkt der Kreuzigung noch einmal wahrgenommen. 2.3.2.3 Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen der Rezipienten Bezüglich dieses Empathiefaktors lässt sich eine beachtliche Änderung durch die lk Redaktion feststellen. Die Handlungen oder Situationen der Jünger im lk Passionsbericht können die intendierten Leser deutlich mehr an ähnliche Lebenssituationen erinnern als die mk Vorlage. Kurzum, Wort und Tat der Jünger stellen sich für die lk Gemeinde als relevant und vorbildlich dar (s. u.). Andererseits, da Jesus angesichts seiner Passion kaum menschliche Schwäche oder Schmerzen ausdrückt, bleiben den intendierten Lesern nur seine soteriologische Aufgabe und seine Rolle als Patron zum Kontemplieren übrig. In diesem Sinne sind die Jünger nahe Figuren, Jesus aber ist eine ferne Figur. Weil Lukas die allzu negativen Handlungen der mk Jünger auslässt oder wenigstens abmildert, können seine intendierten Leser im Passionsbericht umso stärkere Ähnlichkeiten zu ihren Lebenssituationen finden. Dass Lukas die Flucht der Jünger nicht berichtet, sondern ihre Anwesenheit bis zur Kreuzigung Jesu andeutet, haben wir mehrmals festgestellt (v. a. Kapitel I-1.2). Dies hat damit zu tun, dass die Christen auch in vielen Bedrängnissen im Glauben verharren sollen (vgl. Apg 14,22, auch im Evangelium, Lk 9,23 ff; 12,8 ff; 14,26 usw.). Die Jünger sollten auch in Bedrängnissen den Herrn nicht verlassen. Noch interessanter ist, dass bei Lukas auch Judas an eine Lebenssituation der Lesergemeinde erinnern kann. Lukas hat anders als Markus durch eine Analepse auch den Tod des Judas in der erzählten Welt des Passionsberichts 226 dargestellt (Apg 1,16 ff; vgl. Mt 27,3 ff). Diese Handlung des Judas wird von den anderen Jüngern zurückschauend dahingehend kommentiert, dass Judas die Stelle als Jünger verließ und an seinen eigenen Ort ging (τὸν τόπον τῆς διακονίας ταύτης καὶ ἀποστολῆς ἀφ᾽ ἧς παρέβη ᾿Ιούδας πορευθῆναι εἰς τὸν τόπον τὸν ἴδιον, Apg 1,25). Diese Aussage hat mit dem Kontrast zwischen 224 Hier ist eine narrative Ellipse vorausgesetzt, dass Jesus abseits der Jünger nochmal betet. Abgesehen davon wird Jesus dann in Mk 14,41 das Wahrnehmungszentrum. Die sog. Erzählkamera begleitet die Bewegung Jesu (ἔρχεται). Jesus spricht selbst zu den Jüngern. 225 Über die exegetische Beweisführung, s. o. Kapitel I-1.2. 226 Die Passionsgeschichte kann als ein Plot (Gegenteil zur Story) auch die Szenen umfassen, die sowohl durch Prolepse als auch durch Analepse erzählt werden. Siehe Kapitel I-2.2.
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Petrus und Judas, der bereits im Passionsbericht scharf konturiert wird, zu tun. Nach Satans Angriff (Lk 22,31 u. 22,3) auf die Jünger (ὑµᾶς) hat Jesus für Petrus gebetet, so dass dieser zurückkehrt (Lk 22,32). Judas, für den Jesus nicht betete, verließ dagegen den Zwölferkreis („den Ort des Apostelamts“, Apg 1,25). Judas stellt für urchristliche Lebenssituationen, die Abfall (ἀφίστηµι, Lk 8,14), Zwiespalt (σχίσµα, 1 Kor 1,10) oder sogar Exkommunikation (εξαιρώ, 1 Kor 5,14, auch Mt 18,15 ff) umfassen. Auch die Handlung des Petrus und Jesu Voraussage über ihn erinnern die intendierten Leser klar an eigene Lebenssituationen. Unabhängig davon, wie wir eine bestimme Vorstellung des Petrus in der lk Lesergemeinde rekonstruieren oder Petri Aufgabe, seine Brüder zu stärken, in Einzelheiten auslegen, lässt die Petrusfigur an Gemeindeführer und ihre Aufgaben denken. Bemerkenswert ist, dass Lukas diese Assoziationen in Jesu Leidensgeschichte geweckt hat, also nicht nur in Acta. Genauso ist es beim Thema des Streits zwischen den Jüngern (Lk 22,24 ff). Das erinnert an negative Lebenssituationen. Darüber hinaus hat Lukas die Szene der Einsetzung des Abendmahles (Lk 22,19 ff) von Markus (Mk 14,10–26) übernommen; sie kann an die Lebenssituationen der Leser erinnern. Man erlebt also Empathie sowohl für die Figur Jesu, die das Brot und den Becher gibt, als auch für die Jünger, die sie entgegennehmen. Demgegenüber weisen die Handlungen Jesu kaum eine Analogie zu den Lebenssituationen der Rezipienten auf, da der lk Jesus seine menschliche Schwäche oder Schmerzen nicht ausdrückt (vgl. Mk 14,33 f; 15,34). Jesu Gebet in Gethsemane (Lk 22,42) oder sein Wort am Kreuz (Lk 23,45) fungieren vielmehr als Vorbild für seine Nachfolger (Lk 14,27; Apg 8,59); auch in seiner Passion wirkt er konsequent als der Herr (Lk 22,29 f; 22,31 ff.51.61; 23,34.43). Diese Rolle Jesu und die soteriologische Funktion der Passion stehen nicht in Analogie zu Lebenssituationen der Leser. Die Trauer in Gethsemane wurde bei Lukas bezeichnenderweise auf die Jünger transferiert (Lk 22,45). Unabhängig davon, ob mit dem Gefühl der compassio die lk Lesergemeinde gewisse Rituale beging, 227 hat dieser Vers einen Bezug zu Kontemplationen urchristlicher Leser, die an den Tod und den Schmerz Jesu dachten (vgl. Lk 7,38; 23,27, auch vgl. Mt 9,15 πενθεῖν). 2.3.2.4 Erzählerbeteiligung Im Gegensatz zu Markus ist Lukas wenigstens teilweise ein beteiligter Ich-Erzähler (Proömia beider Werke, die sog. Wir-Passagen der Apostelgeschichte). Dieser Faktor spielt aber nicht eine unmittelbare Rolle für die Empathielenkung innerhalb des Passionsberichts. Lukas berichtet zwar über Paulus stellenweise explizit als Ich-Erzähler. Paulus kann dadurch als nahe Figur rezipiert werden (s. u. Kapitel II-2.4), unabhängig davon, wie man die sog. 227 Formgeschichtlich, É. Trocmé, The Passion as Liturgy. A Study in the Origin of the Passion Narratives in the Four Gospels, London 1983.
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Wir-Passagen exegetisch versteht. In seinem Passionsbericht aber bleibt Lukas bloß ein Er-Erzähler. D. h., mit dieser Analysekategorie ist innerhalb der Passionsgeschichte keine unterschiedliche Empathielenkung zwischen Jesus und den Jüngern sichtbar zu machen. Durch das Proömium (Lk 1,1 ff, v. a. V. 2) entsteht allerdings ein geringer Unterschied zwischen der mk und der lk Version. Aus der Sicht der Narratologie hat der Prolog Bedeutung für die Erzählerbeteiligung bezüglich der Jünger, da Lk 1,2 für die ganze Erzählung des Lukasevangeliums gilt. Die Jünger waren von Anfang an die Augenzeugen (Lk 1,2; vgl. Lk 24,48) und überlieferten dem lk Erzähler und seinem Kreis die Traditionen. Durch die Analepse in Apg 1,22 wird klar, dass sich diese Augenzeugenberichte nicht nur auf die Auferstehung Jesu, sondern das ganze Leben Jesu beziehen. Das hat auch mit der Rolle der Jünger im Passionsbericht zu tun. Die Jünger sollten in der Passion Jesu weiter bei ihm ausharren (Lk 22,28 ff, siehe Kapitel I-1.2), nicht fliehen (vgl. Mk 14,50 f) und bis zur Kreuzigung den leidenden Herrn ansehen (Lk 22,61; Lk 23,49). Da sich der lk Erzähler im Vergleich zu Markus an der Augenzeugenschaft der Jünger mehr beteiligt, können die Leser diese Figurengruppe, die Jünger, umso näher rezipieren. 2.3.2.5 Sprachliche Distanz (s. o. die Tabelle 7) Lukas hat im Vergleich zu Markus die sprachliche Distanz zu Jesus gründlich verringert. Im lk Passionsbericht stellen sich Jesu Reden und Gedanken nicht indirekt dar. Die Darstellung von Jesu Reden ausnahmslos in der direkten Rede (21mal, Lk 22,8.10 ff.15 ff.25 f.31 ff.34.35.36 f.38.40.42.46.48.51.52 f.67 ff.70; 23,3.28 ff.43.44). Im Gegensatz dazu benutzt Lukas für die Jünger auch die erzählte Rede (4mal, Gedanke: Lk 24,25.47, Rede: Lk 22,4 ff. 24) und die transponierte Rede (1mal, Rede: Lk 22,23): καὶ αὐτοὶ ἤρξαντο συζητεῖν πρὸς ἑαυτοὺς τὸ τίς ἄρα εἴη ἐξ αὐτῶν ὁ τοῦτο µέλλων πράσσειν, Und sie fingen an, sich untereinander zu befragen, wer von ihnen es wohl sei, der dies tun werde (Lk 22,23).
Im lk Passionsbericht begegnen aber auch direkte Rede sowie direktes Gedankenzitat der Jünger häufiger (8mal, Gedanke: Lk 22,61, Rede: Lk 22,9.33.35.38.49.57.58.60). Verglichen mit dem mk Passionsbericht, der nur die Hälfte der Beschreibungen der Jünger durch mit zitierter Rede ausgestaltet (s. o.), ist bei Lukas die zitierte Rede (8mal) deutlich häufiger als die erzählte Rede (4mal) oder die transponierte Rede (1mal). Darüber hinaus gehört es zur lk Redaktion, dass die Jünger Jesus nicht nur antworten, sondern auch selbst ihn ansprechen (Lk 22,38.49), während bei Markus die zitierten Reden der Jünger bloß die Antworten auf Jesu Fragen enthalten.
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Insgesamt ist die sprachliche Distanz des lk Erzählers zu Jesus viel geringer als zu den Jüngern. Man kann aber im Vergleich mit der mk Erzählung auch sagen, dass die sprachliche Distanz des lk Erzählers zu den Jüngern verringert wurde. 2.3.2.6 Häufige Präsenz der Figur Bezüglich dieses Faktors bestand bei Markus ein bedeutender Unterschied zwischen Jesus und den Jüngern, weil die Jünger die Bühne der Narratio endgültig verlassen (Mk 14,50). Lukas berichtet nicht über die Flucht der Jünger bei Jesu Gefangennahme (Lk 22,47 ff), sondern deutet ihre Anwesenheit bei der Kreuzigung an (Lk 23,49). Dazu kommt der Auferstehungsbericht, wo die Jünger anders als in der mk Erzählung nochmalig und explizit beschrieben werden (Lk 24,1 ff). Da in Lk 23 die Jünger fast nicht erscheinen (vgl. Lk 23,49), wird Jesus eine nahe Figur. Auch in Lk 22 werden die Jünger, wo allein die Jünger auf der Bühne erscheinen, öfter als bei Markus erwähnt. Lukas behält alle derartigen Stellen von Markus (Mk 14,10–11.16.54.66–72), z. B. den Verrat des Judas oder die Vorbereitung des Passahmahles, bei (Lk 22,4 ff.13.54 ff) und ergänzt weitere Szenen für die Jünger: Satan fährt in Judas (Lk 22,3) oder die Jünger diskutieren oder streiten miteinander (Lk 22,23 f), sie sprechen Jesus an (Lk 22,38.49) oder verteidigen Jesus, indem sie mit dem Schwert dreinschlagen (Lk 23,50). 2.3.2.7 Bedeutung für die Handlung Die große Bedeutung der Jünger für die Handlung des lk Passionsberichts haben wir im Kapitel I-2.3 analysiert. Zusammenfassend: Die Jünger im lk Passionsbericht sind keine Randfiguren, die im mk Passionsbericht kaum eine Rolle in der Handlung spielen, sondern sie sind Protagonisten in ihrem eigenen (Sub-)Plot Tribulatio Discipuli. In diesem Jüngersubplot spielt vielmehr Jesus die Rolle der Nebenfigur als Helfer und Mentor (Kapitel I-2.3). Wie gesehen (Kapitel I-2.4) ist die Tribulatio Discipuli zwar ein Subplot der Passio Christi. D. h., Jesus hat größere Bedeutung für den ganzen Plot der Passionsgeschichte als die Jünger. Aber im Vergleich zur mk Erzählung spielen die Jünger nun eine wesentlich bedeutendere Rolle, indem ihre kleine Geschichte für den weiteren Verlauf der ganzen Narratio unentbehrlich ist (I-2.4). Darüber hinaus antizipiert die Rolle der Jünger in der Gesamtstruktur des Doppelwerks die ganze Leidensgeschichte des zweiten Werks (I-3). Nicht zuletzt kommt ohne die Jünger keine Augenzeugenschaft zustande, die für die Niederschrift des Corpus Lucanum konstitutiv ist (Lk 1,2; 24,48; Apg 1,22 usw.). Nicht nur Jesus, auch die Jünger sind diesbezüglich nahe Figuren. 2.3.2.8 Zahl der Figurenmerkmale (1) Identität / Charakterzüge / Verhaltensweisen: Bei Markus finden sich identitätsbildende Elemente für die Jünger (z. B. Mk 6,7 ff; 8,34 ff; 9,33 ff usw.), jedoch fehlen sie im mk Passionsbericht. Bei Lukas dagegen geht die Identitätsbildung
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der Jünger auch innerhalb der Leidensgeschichte Jesu weiter. Z. B. betont Jesus, dass die Jünger in seinen Versuchungen mit ihm ausgeharrt haben (Lk 22,28). Andererseits müssen die Jünger wie Jesus Dienende werden (Lk 22,26 f), ohne herrschen zu wollen und sich Wohltäter zu nennen (Lk 22,25). Auch sind die Charakterzüge sowie Verhaltensweisen der Jünger im lk Passionsbericht vielfältiger als bei Markus. Die Jünger im lk Passionsbericht sind im Grunde „eigenständig“: Bei Jesu Ankündigung des Verrates haben sie weder Angst (vgl. Mk 14,19a) noch sprechen sie Jesus an (vgl. Mk 14,19b), sondern sie befragen sich untereinander (Lk 22,23). Auch bei Jesu Gefangennahme verhalten sie sich autonom, indem sie selbst sehen, was geschehen wird (Lk 22,49a) und Gewalt antun (Lk 22,49 f). Andererseits werden sie in Gethsemane betrübt und schlafen ein (Lk 22,45). Man sieht somit noch einen Charakterzug der Jünger: Sie sind im Vergleich zu Jesus, der vor dem Tod keine Angst ausdrückt, schwache Menschen 228 (vgl. Mk 14,38) und Mitleid zeigende Figuren, unabhängig davon, ob ein Ritual der compassio in der lk Gemeinde begangen wurde oder nicht. Demgegenüber sind die Identitätsmerkmale und Charakterzüge Jesu im lk Passionsbericht knapper beschrieben. Zwar werden seine soteriologische Aufgabe und die Hoheitstitel, die aus der mk Vorkage kommen (Mk 14,22 ff.62 usw.), fast genauso häufig erwähnt (Lk 22,17 ff.69 usw.). Da aber Schwäche oder Menschlichkeit Jesu ausgeblendet werden, sondern er allein als Patron oder Vorbild für die Leidenden dargestellt wird (Lk 22,42.51.61; 23,28.34.43.46), entdeckt man umso weniger Charakterzüge Jesu. (2) Sozialer Kontext / Wissen: Auch bezüglich des Figurenwissens bilden Jesus und die Jünger im lk Passionsbericht einen leichten Kontrast. Wie bei Markus ist Jesus eine fast allwissende Figur (Lk 22,10 ff.16.18.21 f.31 ff.69; 23,28 ff usw.), die Jünger nicht. Lukas gibt dennoch viele Hinweise auf den sozialen Kontext sowie das Figurenwissen der Jünger. Z. B. werden die Jünger als Wanderprediger in einen gesellschaftlichen Kontext eingezeichnet (Lk 22,35 ff). Sie haben diesbezüglich bestimmte Erkenntnisse und Erlebnisse (Lk 22,35c) und auch neues Wissen (vgl. Lk 9,1 ff; 10,1 ff). (3) Pflichten: Nach der lk Redaktion bleiben Jesu Pflichten fast unverändert: Er soll für die Christen (Lk 22,20) ausgeliefert werden (Lk 22,22) und sterben (Lk 22,42). Die Pflichten der Jünger im lk Passionsbericht sind dagegen unvergleichlich zahlreicher als bei Markus. Sie sollen wie Jesus die Dienenden werden (Lk 22,25 ff), unmittelbare Weisungen Jesu über die Ausrüstung (Lk 22,36 ff) usw. befolgen. Darüber hinaus ist auch das Gebet, nicht in Versuchung zu geraten (Lk 22,40.46), keine zeitweilige Aufgabe (vgl. Mk 14,32. 41); die harte Zeit (ἀλλὰ νῦν, Lk 22,36) wird in der vorangegangenen Szene erklärt. Dazu Petri Aufgabe, seine Brüder zu stärken (Lk 22,33), und die Pflicht des gesamten Zwölferkreises, in der Passion Jesu bei ihm auszuharren (Lk 22,28 ff). 228 Vgl. J. H. Neyrey, The Absence of Jesus' Emotions – the Lucan Redaction of Lk 22,39– 46, Biblica 61 (1980), 153–171.
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Diese Deklaration Jesu bestimmt das Verhalten der Jünger auch in der unmittelbar folgenden Passion. Vergleicht man die Pflichten der Jünger mit denen Jesu, erkennt man, dass die Jünger mehr Pflichten als Jesus haben. (4) Erleben / Gefühle: Im Blick auf diese Kategorie haben die lk Jünger mehr Figurenmerkmale als die mk Jünger und als Jesus im lk Passionsbericht. Bei Markus waren Jesu Gefühle und Erleben intensiver als die der Jünger (bis zum Tode betrübt, Mk 14,34; absolute Gottverlassenheit und Schmerz des Todes, Mk 15,34.37). Im lk Passionsbericht dagegen drückt Jesus weder Trauer noch Schmerz aus. Stattdessen beschreibt Lukas die Gefühlszustände der Jünger viel deutlicher. Sie schlafen vor Traurigkeit ein (Lk 22,45), und Petrus weint „bitterlich“ (Lk 22,62), während sich die Gegner Jesu freuen (Lk 22,5; 23,8.12.35). Zu den Gefühlszuständen zählt aber nicht nur Trauer, sondern auch Ärger (z. B. Lk 22,24.50). Dazu kommt als sehr lukanisch, dass die Jünger die Begleitung sowie den Schutz Jesu in seiner Passion (Lk 22,32.61) erleben. Jesus erlebt keine absolute Gottverlassenheit, sondern übergibt seinen Geist in die Hände Gottes (Lk 23,46). (5) Meinungen (Standpunkt) / Wünsche: Erzählte Meinungen und Wünsche Jesu im Passionsbericht sind in den synoptischen Evangelien nicht unterschiedlich. Jesus wünscht, dass der Kelch von ihm weggenommen werde – allerdings (ἀλλά) solle geschehen, was der Vater will (Mk 14,36 parr). Darüber hinaus wünscht er als Meister, dass die Jünger das Passahmahl vorbereiten (Mk 14,12 ff parr.) oder beten, um nicht Versuchung zu kommen (Mk 14,38 parr.). Bei Meinungen und Wünschen der Jünger dagegen hat Lukas viel ergänzt. Den Willen der Jünger, Jesus nicht zu verlassen (Mk 14,29.31) berichtet Lukas etwas erweitert – Petrus wolle sogar ins Gefängnis und in den Tod gehen (Lk 22,33). Nachgetragen wird auch ihr Wunsch, sich im Sattel zu halten (Lk 22,24). Trotz der Gegenbehauptung Jesu (Lk 22,26) ist klar, dass Jesus den Wunsch der Jünger nach dem höheren Rang im Eschaton dann doch erfüllen will (Lk 22,29 f). Dass die Jünger unterschiedliche Standpunkte als ihr Meister haben, weist darauf hin, dass sie von ihrem eigenen Standpunkt aus Gewalt antun (Lk 22,50). Der Standpunkt Jesu ist grundverschieden (Lk 22,51). Da Jesus diese Wünsche oder Standpunkte der Jünger jeweils korrigiert, werden die Wünsche sowie Standpunkte Jesu umso deutlicher. Bezeichnend ist, einerseits, dass die Belehrungen Jesu, die die Standpunkte der Jünger korrigieren, während seiner Passion stattfinden. Andererseits sind die Äußerungen der Jünger über ihre Wünsche keine Reaktion auf Jesu Belehrungen: Sie besitzen eigene Initiative, d. h., im lk Passionsbericht erweitern sich die Figurenmerkmale. (6) Intentionen / Motivationen (aktualisierte Motive): Bezüglich dieses Faktors hat Lukas an der mk Version nicht viel verändert. Mit der Auslassung der Flucht der Jünger (vgl. Mk 14,50 f) wird ihr primitiver Überlebenstrieb als Motivation verschwiegen. Bei Markus zeigte eine einzige Stelle Intentionen
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oder Motive der Jünger (s. o.). Bei Lukas dagegen findet man eine klare 229 Motivation der Jünger, ihren Meister auch mit Gewalt zu verteidigen (Lk 22,49 f; vgl. Lk 22,38). Die Andeutung der Anwesenheit der Jünger bei der Kreuzigung (Lk 23,49) lässt ihre Motivation vermuten, jederzeit bei Jesus zu verharren, was im Passionsbericht als Pflicht (Lk 22,28, s. o.) formuliert ist. Jesu Intentionen sowie Motivationen sind in den beiden Passionsberichten im Grunde identisch. Er will sich im Verlauf der Passion standhaft zeigen. Er schweigt (Lk 23,9) oder spricht im Allgemeinen kurz (Lk 22,70b; 23,3.43 usw), sich nicht verteidigend. Wenn nötig, verbirgt er vor dem Hohen Rat seine göttliche Identität nicht (Lk 22,67 ff). Darüber hinaus zeigt der lk Jesus in seiner Passion seine Motivation, Herr bzw. Erlöser zu sein. Er heilt noch wundertätig (Lk 22,51), sieht Petrus (Lk 22,61), kümmert sich voraussagend um die Töchter Jerusalems, betet um Vergebung für die Kreuzigenden (Lk 23,34) und verspricht einem Mitgekreuzigten das Paradies (Lk 23,43). Zwischenfazit: Die Figurenmerkmale der Jünger im lk Passionsbericht werden im Vergleich zu Mk deutlich expandiert. Die Jünger zeigen mehr Merkmale als Jesus. 2.3.2.9 Komplexität der Figur Obwohl nach klassischer Kategorisierung Jesus und die Jünger den flachen Figuren – und nicht den runden wie Paulus – angehören (s. o.), ist nach weiteren Kategorien (Kapitel 2.2.9) Jesus im mk Passionsbericht eine komplexere Figur als die Jünger. Im Gegensatz dazu lässt sich im lk Passionsbericht erkennen, dass sich die Jünger im Lichte jeder Sub-Kategorie nach Dynamik und Dimensionalität deutlich komplexer als Jesus darstellen. Dynamik (diachronisch): Im lk Passionsbericht verändern sich die Figurenmerkmale Jesu kaum im Plotverlauf. In Bezug auf sein eigenes Leiden drückt Jesus weder Angst noch Schmerz aus, vielmehr fungiert er auch in seiner Passionszeit konsequent als Herr und Patron für die anderen (s. o.). Obwohl sich die Figurenmerkmale der Jünger nicht dramatisch wandeln (z. B. keine Flucht), kann man einen Unterschied zwischen den Jüngern und Jesus erkennen. Petrus sagt z. B. sehr mutig, dass er mit Jesus in den Tod gehen will (Lk 22,32), verhält sich aber im Haus des Hohenpriesters ängstlich und verleugnet den Herrn (Lk 22,54 ff). In Gethsemane sind die Jünger vor Kummer eingeschlafen (Lk 22,45), danach zeigen sie aber, wie findig (Lk 22,49) und kräftig (Lk 22,50) sie auf die Gegner bei Jesu Gefangennahme reagieren können. 229 In Mk 14,47 ist unklar, wer Gewalt angetan hat. Ich schließe mich der Mehrheitsmeinung an, dass dieser Täter höchstwahrscheinlich nicht zum Zwölferkreis gehört (vgl. Mk 14,50). Dagegen ist bei Lukas klar berichtet, dass ein Jünger mit dem Schwert dreinschlägt (Lk 22,49, vgl. Lk 22,38).
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Dimensionalität (synchronisch): Die Dimensionalität der Merkmale der Jünger ist komplexer als die von Jesus (s. o.). D. h., im lk Passionsbericht sind die Jünger eher mehrdimensional dargestellt, während Jesus eine eindimensionale Figur ist. Die Jünger zeigen verschiedene Eigenschaften: Schwäche (Lk 22,31.45) sowie Charakterstärke (Lk 22,49 f), Treue zu Jesus (Lk 22,8 ff.38) sowie Eigenständigkeit (Lk 22,23 ff.49 f), Mitleid (Lk 22,45) sowie Streitbarkeit (Lk 22,24 ff.49 f) usw. Demgegenüber sind negative oder menschliche Merkmale Jesu ausgelassen. Im Vergleich zu Markus beschreibt Lukas Jesus als eine eindimensionale Figur. 2.3.2.10 Positive / negative Erzähler- und Figurenkommentare In den Kommentaren zu den Jüngern liegt ein himmelweiter Unterschied zwischen der mk und der lk Erzählung. Wir können vermuten, dass Jesu Kommentare zu den Jüngern als Herrenwort für die Lesergemeinde größere Bedeutungen als die Erzählerkommentare hatten. Während Jesu Votum über Judas in der Mk-Vorlage (Mk 14,21) weggestrichen ist, wird der Kommentar von Lk 22,28 ff ergänzt: Jesus deklariert, dass die Jünger in Jesu Versuchungen bei ihm ausgeharrt haben. Sie bekommen (διατίθηµι, Präsens) dann ein Reich sowie das eschatologische Recht zu richten (Lk 22,29 f). Darüber hinaus hat Lukas fast alle negativen Kommentare Jesu zu den Jüngern im mk Passionsbericht (Mk 14,18 ff.27 ff.37 f usw.) abgemildert (Lk 22,21 f.31 ff.45 f; auch Lk 22,32). Legt man aus, dass Lukas durch die Beschreibung in Lk 22,45 die Jünger entschuldigt, 230 heißt dies nichts anderes, als dass hier eine positive Bewertung des Erzählers vorliegt. Durch die verschiedenen positiven Kommentare wird die Empathielenkung der intendierten Leser auf die Jünger wesentlich erhöht. Auch für Jesus hat Lukas mehr positive Kommentare abgegeben als Markus. Während der mk Pilatus bloß weiß, dass die Hohenpriester aus Neid Jesus überliefert haben (Mk 14,56 f), spricht er in der lk Version Jesus auf positive Weise und mehrmals öffentlich frei (Lk 23,4.14 f.22). Von Jesu Unschuld spricht auch einer der Mitgekreuzigten (Lk 23,41), was sich von der mk Erzählung unterscheidet. Dazu kommt, dass auch der lk Hauptmann auf Jesu Unschuld (Lk 23,47), also nicht auf seiner göttlichen Identität (vgl. Mk 15,39) insistiert. 2.3.2.11 Zugehörigkeit zu einer bekannten Figurengruppe Lukas hält die Zugehörigkeit der Jünger zum Zwölferkreis fest und ergänzt weitere Aspekte, die die Identität der lk Jünger profilieren: die Dienenden (Lk 22,26 f), die bei Jesus Ausharrenden (Lk 22,28), eschatologische Richter (Lk 22,30), Wanderprediger (Lk 22,35 ff) usw. Die Zugehörigkeit der Jünger zu 230 Bovon, Evangelium nach Lukas, Bd. 4, 310.
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bekannten Figurengruppen wird damit noch deutlicher. Auf der anderen Seite ist bei Lukas die Figurenkonstellation Jesus versus Jünger nicht so scharf konturiert wie bei Markus. Denn die Jünger verlassen weder Jesus endgültig (vgl. Mk 14,50 f, Lk 23,49) noch verleugnen sie ihn öffentlich mit Schwur und Fluch (vgl. Mk 14,71). Jesus sagt vielmehr voraus, dass sie zurückkommen (Lk 22,32); er korrespondiert mit ihnen auch nach seiner Gefangennahme (Lk 22,61). Jesus und die Jünger bilden ein Korrespondenzpaar. Ihre Zugehörigkeit zum Meister-Jünger-Verhältnis im Plotverlauf nicht abschwächt. Im Vergleich dazu sind Jesu Hoheitstitel fast gleich wie bei Markus. Der neue Titel, den Lukas einfügt, ist „Herr“. 231 Er hebt auf die Beziehung mit den Jüngern ab, da im lk Passionsbericht nur die Jünger diesen Titel nennen dürfen (Lk 22,33.38.49; vgl. Lk 22,61). Zusammengenommen: Auch der Faktor der Figurenzugehörigkeit erhöht im lk Passionsbericht die Empathielenkung auf die Jünger. 2.3.2.12 Dramatische Darstellung des Settings Wie im Kapitel I-2.4 gesehen, hat Lukas das räumliche sowie zeitliche Setting im Passionsbericht v. a. dort, wo Jesus und die Jünger zusammenbleiben (d. h. Lk 22), auf besondere Weise dargestellt. Durch die Abstrahierung und Symbolisierung des Settings wird eine allgemein-rituelle Wiederholbarkeit möglicher gemacht. 232 Die Szenen werden schnell abgedreht (ἐπὶ τὸν Πιλᾶτον, Lk 23,1; πρὸς ῾Ηρῴδην, Lk 23,7; τῷ Πιλάτῳ, Lk 23,11. Auch εἰς τὸ συνέδριον, Lk 22,66). Zwischenfazit: Im lk Passionsbericht wird die Leser-Empathie durch die meisten genannten Faktoren eindeutig mehr als bei Markus auf die Jünger gelenkt. Demgegenüber sind die Faktoren, über die Empathielenkung auf Jesus erfolgen kann, reduziert. Lukas beschreibt für seine intendierten Leser die Jünger im Passionsbericht – verglichen mit Markus – als nähere Figuren. Die Leser können sich in Jesu Passionsgeschichte in seine Jünger leicht und sicher hineindenken.
231 Lk 22,11 (didaskalos); 22,22 (Menschensohn); 22,29 f (mein Reich, d. h. König); 22,33 (Kyrios); 22,42 (Pater, d. h. der Sohn); 22,49 (Kyrios); 22,61 (Kyrios); 22,67 (Christus); 69 (Menschensohn); 70 (Gottessohn); 23,2 (Christus als König); 23,3 (König der Juden); 23,37 f (König der Juden); 23,39 (Christus); 23,42 (Kyrios), vgl. Lk 23,47 (gerechter Mensch). Ergänzt ist nur der ‚Herr`. 232 Z. B. ist der Ölberg, ein wichtiger Ort für die ein für alle Mal geschehene Passion Jesu, als ein Ort dargestellt, an dem die (κατὰ τὸ ἔθος, Lk 22,39) Jesus und die Jünger sich aufzuhalten pflegen. Lukas ersetzt den konkreten Ortsnamen ‚Gethsemane` (Mk 14,32 parr.) mit einem Gattungsnamen (ἐπὶ τοῦ τόπου, ‚an den Ort`, Lk 22,40). Auch durch eine Generalisierung der Zeitangabe des Abendmahls (ἡ ὥρα, ‚die Stunde`, Lk 22,14, vgl. ὀψία, ‚Abend`, Mk 14,17) werden urchristliche Rituale oder Liturgien leichter mit der Narratio verknüpfbar.
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2.4 Vergleich der Empathielenkung beim „letzten Mahl Jesu“ und bei der „Abschiedsrede des Paulus“ Die Parallele zwischen den Abschiedsreden Jesu und Pauli ist immer wieder in der Forschung behandelt worden. 233 Da es zwischen beiden Szenen keine klaren wörtlichen Übereinstimmungen gibt 234 wie beim Tod Jesu und Stephani (s. o. II-2.2), kann eine bewusste Gleichsetzung des Lukas nicht sicher gefolgt werden. 235 Für beide Perikopen hat Lukas seine Quellen wesentlich bearbeitet 236 und dabei beide Szenen antiken Abschiedsreden angenähert. 237 Paulus ist die einzige Figur der Acta, die solch eine Rede hält, was Jervell veranlasste, Paulus den „Oberapostel“ anzusprechen. 238 In diesem Kapitel II-2.4 werden die beiden Hauptfiguren des Doppelwerks als Subjekte von Abschiedsreden vor dem Tod im Blick auf die Emapthielenkung verglichen. Prima Vista findet man den weinenden und küssenden Paulus (Apg 20,19.31.37) und den scheinbar affektlosen Jesus. Analysieren wir aber im Detail. Die Zieltexte für dieses Kapitel sind (1) Lk 22,14–38 und (2) Apg 20,17– 21,1a. Die Abschiedsrede des Paulus kann auch Apg 21,1a inhaltlich miteinschließen, da man die neue Information erhält, dass die sog. Wir-Erzähler an der Szene beteiligt waren („nachdem wir uns von ihnen [den Ältesten] getrennt haben“, Apg 21,1a). 2.4.1 Hohe / niedrige Innensicht Pauli Innensicht ist höher als die Jesu. Allerdings sind Jesu Gestik, Mimik oder Emotionsberichte 239 beim letzten Mahl häufiger als bei der Kreuzigung (II-2.2).
233 Roloff, Die Apostelgeschichte, 300 ff; Pervo, 514 ff; J. Lambrecht, Paul's FarewellAddress at Miletus, in: J. Kremer (Hg.), Les actes des Apôtres: traditions, rédaction, théologie ; [17–19 août 1977], Gembloux 1979, 326; S. Walton, Leadership and lifestyle: the portrait of Paul in the Miletus speech and 1 Thessalonians, Cambridge u. a. 2000, 100, usw. Pervo, 517 „The obvious intra-Lucan parallel, Jesus' final speech to [. . . ] (Lk 22:14–38)“. 234 Allerdings ist der πειρασµός wichtig. Bei Lukas bedeutet dieses Wort im Plural nur für Jesus und Paulus vergangene bittere Erfahrungen, also keine Versuchung, in die man nicht geraten soll (Lk 11,4; 22,40.46; vgl. Lk 4,2.13). Das könnte ein Indiz dafür sein, dass Lukas die beiden Figuren einander parallel laufen lassen will. 235 Roloff, a. a. O. 236 Allgemein anerkannt ist, dass bei der Milet-Rede viel Redaktionen bestehen. Pesch, 198, usw. 237 Pesch, a. a. O.; Pervo, a. a. O.; Walton, a. a. O. Auch für LkEv, A. Weissenrieder / F. Wendt, „Warum schlaft ihr?“ (Lk 22.46). Überlegungen zum Jüngerbild in Lk 22,39–46 im Lichte ikonographischer und medizinhistorischer Quellen, in: A. Weissenrieder u. a. (Hg.), Picturing the New Testament. Studies in Ancient Visual Images, Tübingen 2005, 97– 98. 238 Jervell, a. a. O., 509. 239 S.o. Anm. 166.
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Gestik-Mimik Jesu: (1) Jesu Sich-Niederlassen, was eine Nachahmung der Jünger zur Folge hat, ist Gestik (Lk 22,14). (2) Wiederholt dankend nimmt Jesus einen Kelch (Lk 22,17); er nimmt und bricht Brot (Lk 22,19); nochmal nimmt den Kelch (τὸ ποτήριον ὡσαύτως, Lk 22,20). Da er seinen Leib und sein Blut erwähnt, kann diese Handbewegung ein Stückweit Innenwelt indizieren. Körperzustände Jesu sind nicht berichtet. Emotionsberichte Jesu: Ausdrucksnuancen lassen Jesu Emotion ein wenig durchschimmern: (1) Eine Figura Etymologica in Lk 22,15 (᾿Επιθυµίᾳ ἐπεθύµησα, ich habe mich sehr gesehnt) deutet großes Begehren an. (2) οὐ µὴ (Lk 22,16.18) lässt als emphatische Verneinung von zukünftiger Entschlossenheit durchblicken. Weiteren Indizien für Jesu Emotionen lassen sich in dieser Szene nicht erkennen. Im Gegensatz dazu lässt sich die Innenwelt des Paulus bei seiner Abschiedsrede sowohl unter qualitativen als auch quantitativen Gesichtspunkten besser erkennen. Gestik-Mimik des Paulus: (1) Paulus kniet und betet (Apg 20,36). Diese Gestik hat ebenfalls eine synchronisierende Bewegung der Menge zur Folge (σὺν πᾶσιν αὐτοῖς; vgl. οἱ ἀπόστολοι σὺν αὐτῷ, Lk 22,14). Pauli Knien und Beten ist aber bedeutender als das bloße Sich-Setzen Jesu (Lk 22,14). Es entsteht (2) ein lautes Weinen bei allen (ἱκανὸς δὲ κλαυθµὸς ἐγένετο πάντων, Apg 20,37). Es gibt keinen Grund, Paulus aus diesem πάντων auszuschlißen. Vielmehr bricht das Weinen der Menge dem Paulus das Herz (τί ποιεῖτε κλαίοντες καὶ συνθρύπτοντές µου τὴν καρδίαν, Apg 21,13). (3) Danach fallen die Ältesten Paulus um den Hals und küssen ihn. Kurz, die Gestik des Paulus ist häufiger und impressiver als die von Jesus berichtet. Körperzustände des Paulus: „Gebunden durch den Geist“ (δεδεµένος ἐγὼ τῷ πνεύµατι, Apg 20,22) zieht Paulus nach Jerusalem: Der Geist hat diesen Weg für Paulus vorgesehen; er muss ihn gehen – was eben auch einen Körperzustand involviert, der bei Jesu Rede nicht berichtet wird. Emotionsberichte für Paulus: (1) Weinen und (2) Küssen in Apg 20,36 f sind unmittelbare Emotionsberichte. Darüber hinaus ist Pauli Emotion auch durch (3) die Demut sowie die Tränen in Apg 20,19 und (4) die Tränen in Apg 20,31 dargestellt. Lassen sich in den ganzen ntl Erzählungen Szenen finden, die Gestik-Mimik, Körperzustände und Emotionsberichte einer Figur dramatischscher dargestellt hätten. 2.4.2 Wahrnehmungszentrum (Raumfilter, camera eye) Paulus wird von der sog. Erzählkamera länger als Jesus begleitet. Jesus: Im Vergleich zur Kreuzigungsszene (II-2.2.2) steht Jesus beim letzten Mahl deutlicher im Wahrnehmungszentrum. In Lk 22,23–24 begleitet das camera eye jedoch nicht Jesus, sondern allein die Jünger, die sich miteinander
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streiten. Dazu kommen auch die Antwort des Petrus (Lk 22,33) und der Jüngergruppe (Lk 22,35.38), wodurch der Fokus auf die Jünger gelenkt wird. Paulus: Bei seiner Miletrede monopolisiert Paulus das Wahrnehmungszentrum. In Apg 20,18–35 redet er allein. Auch danach bei der Darstellung der Reaktion der anderen Figuren auf seine Rede bleibt die Erzählkamera weiter bei ihm, denn Paulus und die Ältesten sind physisch miteinander verbunden (Apg 20,36 ff). Auch in Apg 20,17 bleibt Paulus im Wahrnehmungszentrum. Im Fokus steht die Handlung des Paulus, mittels eines Boten (πέµψας) die Ältesten zu sich zu rufen. D. h., auch wenn eine weitere Erzählebene für einen anonymen Boten eröffnet wird, befindet sich Paulus in der ursprünglichen Erzählebene des V. 17 stets im Wahrnehmungszentrum. Im NT kommt das Verb µετακαλέοµαι (herbeirufen, einladen) nur in der Apostelgeschichte 4mal vor (Apg 7,14; 10,32; 20,17; 24,25). Dabei verbindet Lukas 3mal dieses Wort mit dem Verb ἀποστείλας (Apg 7,14) oder πέµψον/πέµψας (Apg 10,32; 20,17), wobei das Objekt des Schickens ausnahmslos fehlt. Paulus ist also durch die ganze Szene der Abschiedsrede hindurch das Wahrnehmungszentrum. 2.4.3 Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen der Rezipienten Fast alle Elemente beider Szenen beziehen sich auf Lebenssituationen der intendierten Lesergruppe. Das letzte Mahl: (1) Einsetzung des in der Kirche seitdem gefeierten Herrenmahles (Lk 22,14 ff); (2) Verrat des Judas (Lk 22,21 f); (3) Herrschaftsmechanismus des Römischen Reichs, nämlich Patronage (Lk 22,24 f; v. a. εὐεργέται, siehe Anm. 54 im Kapitel I.); (4) jesuanische / urchristliche Kritik daran / Alternative dazu (Lk 22,26 ff); (5) Selbstbild der Urchristen, dereinst als eschatologische Richter zu fungieren (Lk 22,30); (6) Satan-Vorstellungen im frühjüdischurchristlichen Kontext (Lk 22,31); (7) Fürbitte Jesu sowie Rolle der Gemeindeführer (Lk 22,32); (8) Gefangensetzung und Todesstrafe als Verfolgungsgefahr für die Jüngergemeinde; (9) Petri Verleugnung (Lk 22,34); (10) Lebensweise der urchristlichen Wanderprediger (Lk 22,35); (11) sozialer Gebrauch und Kontext, ein Schwert zu tragen (Lk 22,36 ff). 240 Abschiedsrede des Paulus: (1) Rolle sowie Existenz der Gemeindeführer des Urchristentums (Apg 20,17.28.32); (2) Gefangensetzung als Verfolgungsgefahr für die Jüngergemeinde sowie Konfliktsituation mit Juden (Apg 20,19.23); (3) Heidenmission (Apg 20,21; vgl. Röm 1,16; 1 Kor 1,24 usw.), (4) Sühnetheologie (Apg 20,28; vgl. Röm 3,25), (5) Gemeindeaufbau (Apg 20,32; vgl. 1 Kor 8,1), (6) Fürsorge für Schwache (Apg 20,35; vgl. Röm 14,1 ff; 1 Kor 8,11 f); (7) Erfahrung 240 Siehe Kapitel I-2.2.1.2.
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der von außen eindringenden (εἰσελεύσονται) Irrlehren und innerkirchlichen (ἐξ ὑµῶν) Falschlehren (Apg 20,29 f; vgl. 1 Thess 2,3 ff; Gal 4,17 usw.), (8) alltäglich erfahrener Abschiedsschmerz (Apg 20,36). Kurz, die beiden Szenen stehen bezüglich der „Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen der Rezipienten“ nicht in einem Kontrast. 2.4.4 Erzählerbeteiligung Ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Perikopen besteht darin, dass sich der Erzähler der Miletrede an der erzählten Geschichte unmittelbar beteiligt (Apg 21,1a). In der Narratologie wird angenommen, dass sich eine ‚Erzählung in der ersten Person` auf die Rezeption stärker als eine Erzählung in der dritten Person auswirkt. 241 Im Gegensatz zur Szene des letzten Mahles, die der Er-Erzähler darstellt, ist bei der Abschiedsrede des Paulus explizit geklärt, dass der Erzähler an der Szene mitbeteiligt war: „῾Ως δὲ ἐγένετο ἀναχθῆναι ἡµᾶς ἀποσπασθέντας ἀπ᾽ αὐτῶν, εὐθυδροµήσαντες ἤλθοµεν εἰς τὴν Κῶ Als es aber geschah, dass wir abfuhren, nachdem wir uns von ihnen [Ältesten] getrennt hatten, kamen wir geradewegs nach Kos“ (Apg 21,1). Sinnvoll ist die Annahme, dass unsere Perikope von Pauli Abschiedsrede durch den Wir-Erzähler, dessen Wir-Passagen die Szene unmittelbar umklammern (Apg 20,15; 21,1), obwohl diese Perikope normalerweise nicht den Wir-Passagen zugerechnet wird. Solange die Erklärung über die Entscheidung Pauli in Apg 20,16 aber dem Wir-Erzähler zuzurechnen ist, besteht kein Grund, die direkt folgende Erzählung in Apg 20,17 ff nicht demselben Erzähler zuzurechnen. V. a. sind die Übergänge zwischen den Szenen nahtlos: In Apg 20,16, am Ende der Wir-Passage, ist von Paulus die Rede, und der Erzähler der Milet-Szene eröffnet diese mit einer Handlung des Paulus (Apg 20,17–18a). Nach der langen Rede des Paulus (Apg 20,18b–35) schließt der Erzähler die Szene mit den Reaktionen der Ältesten (Apg 20,36–38, πᾶσιν αὐτοῖς). Und an diese Beschreibung schließt sich der Beginn der nächsten Wir-Passage mit einer Handlung derselben Figuren an (Ältesten, αὐτῶν; Apg 21,1a). Da Exegeten meinen, dass dieses „Wir“ in Apg 21,1a Paulus umfasst, 242 kann man der Wir-Erzähler als autodiegetische 243 Hauptfiguren einstufen, die sich am Geschehen intensiv beteiligt.
2.4.5 Sprachliche Distanz (s. o. Tabelle 7) Im Blick auf die Sprachliche Distanz sind keine unterschiedlichen Empathielenkungen zwischen beiden Szenen zu erkennen. Reden beider Figuren sind 241 U.a., Keen, Narrative Empathy, 220. 242 Z. B. Pervo, 394. 243 Die Autodiegtische Erzählstimme ist eine spezielle Art der homodiegetischen Erzählstimme, die der heterodiegetischen Erzählstimme gegenübersteht. Siehe Anm. 186.
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in „zitierter Rede“ (direkte Rede), d. h. mit geringster sprachlicher Distanz dargestellt. Jesu (zitierte) Reden: Lk 22,15 f.17 f.19.20–22.25–30.31 f.34.35.36 f.38. Pauli (zitierte) Reden: Apg 20,18b–35 als Einheit.
Man könnte fragen, ob Apg 20,38 eine „transponierte Rede“ (indirekte Rede) des Paulus anführt (ἐπὶ τῷ λόγῳ ᾧ εἰρήκει, ὅτι οὐκέτι µέλλουσιν τὸ πρόσωπον αὐτοῦ θεωρεῖν, „über das Wort, womit er gesagt hatte, dass sie nicht mehr sein Angesicht sehen würden“, Apg 20,38). Grammatisch ist dieser ὅτι-Satz ein indirektes Zitat. Allerdings ist er inhaltlich eine Wiedergabe des V. 25: ἐγὼ οἶδα ὅτι οὐκέτι ὄψεσθε τὸ πρόσωπόν µου, „ich weiß, dass ihr nicht mehr mein Angesicht sehen werdet“ (Apg 20,25). D. h., der lk Erzähler hat diese Rede des Paulus nicht indirekt dargestellt, sondern sie auf einer anderen Erzählebene noch einmal berichtet, um die Innensicht einer anderen Figur (der Ältesten) zu beschreiben. 2.4.6 Häufige Präsenz der Figur Jesus und Paulus treten von der Bühne der Szenen nicht ab. Mit dieser Analysekategorie stehen beide zueinander nicht in starkem Kontrast. Wie im Kapitel 2.4.2 gesehen, begleitet aber die sog. Erzählkamera (Wahrnehmungszentrum) Paulus länger als Jesus. In Lk 22,23 f z. B. werden nur die Jünger wahrgenommen, wohingegen Paulus in seiner Milet-Szene immerwährend präsentiert wird. Somit kann gesagt werden, dass Paulus bei seiner Abschiedsrede etwas häufiger als Jesus beim letzten Mahl präsentiert wird. 2.4.7 Große Bedeutung für die Handlung Jesus und Paulus haben in ihren Szenen als Hauptfigur jeweils größte Bedeutung für die Handlung. Diesbezüglich kann also keiner als näher als der andere rezipiert werden. Es besteht kein Unterschied zwischen beiden auch darin, dass sich ihre Reden – jenseits der erzählten Welt – auf die reale Welt der Rezipienten beziehen können: vgl. Lk 22,19 f.30.32 f; Apg 20,23.28 ff. Auch für die gesamte Handlungsstruktur des Doppelwerks ist die Bedeutung Pauli, der wichtigsten Hauptfigur des zweiten Werkes, nicht geringer als die Jesu des ersten Werkes. Wie Lampe und Luz die Apostelgeschichte als „Paulusgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ bezeichnen, 244 ist Paulus in der zweiten Hälfte der Acta die einzig beherrschende Figur. Petrus ist z. B. nach Apg 15,7 ff nicht mehr auf der Bühne zu sehen. Die sog. gespeicherte Empathie 245 der Rezipienten mit Paulus hat 244 P. Lampe / U. Luz, Nachpaulinisches Christentum und pagane Gesellschaft, in: J. Becker (Hg.), Die Anfänge des Christentums, Stuttgart u. a. 1987, 186. 245 Finnern, a. a. O. Dieses Theorem ist noch nicht empirisch verifiziert, aber plausibel. Man verliert oder erneuert nicht die ganze Empathie szenenweise.
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sich durch gewichtige Handlungen des Paulus in der bisherigen langen Erzählung (Apg 7,58–20,16) kumuliert. Darüber hinaus steht die Milet-Perikope dafür, dass mit Paulus die „apostolische Epoche“ endet. 246 In der Apostelgeschichte darf nur Paulus eine Abschiedsrede halten, in der er sich als Vorbild für die Kirche sowie als Gründer der Gemeinden darstellt. 247 Er tritt also als Repräsentant der Apostel („Oberapostel“) hervor. Somit ist seine Bedeutung für die ganze Erzählung der Apostelgeschichte mit der Bedeutung für das Jesu Evangelium vergleichbar.
2.4.8 Zahl der Figurenmerkmale Obwohl in beiden Abschiedsszenen die Zahl der Figurenmerkmale (nach Finnerns Liste 248) im Vergleich zu beiden Todesszenen (II-2.2.8) relativ hoch ist, zeigt Paulus in der Abschiedsrede noch mehr (36) Figurenmerkmale als Jesus (26). (1) Identität / Charakterzüge / Verhaltensweise: Jesus (7): Bei dem letzten Mahl finden sich sieben verschiedene identitätsbildende Elemente Jesu, durch die Jesus sich von anderen Figuren unterscheidet: (a) Er ist ein Meister / Patron (Lk 22,14), (b) ein Leidender (Lk 22,15.21.28), (c) ein Dienender (Lk 22,27, ὁ διακονῶν), (d) ein Besitzer des Königtums (Lk 22,29 f) und (e) auch ein Seher (Lk 22,34.37). Zu seinen Charakterzügen oder Verhaltensweisen kann man sagen, er ist (f) willensstark (Lk 22,16.18.37) und (g) fromm (als Beter, Lk 22,32). Paulus (12): Wiewohl Paulus bei seiner Miletrede mehrere identitätsbildende Elemente hat, die deckungsgleich mit denen von Jesus sind, zeigt jener auch weitere charakteristische Merkmale. Er ist genauso wie Jesus (a) ein Meister / Patron (Apg 20,17), (b) ein Leidender (Apg 20,19.23), (c) ein Dienender (Apg 20,19) und (d) ein Seher (Apg 20,29 f), zeigt sich aber auch als (e) ein Verkünder (Apg 20,20.25), (f) ein Zeuge (Apg 20,21.26) und (g) ein Handarbeiter (Apg 20,34). Als Charakterzüge sind aufzuzählen: Es ist (h) fromm (gebunden im Geist / Gebet, Apg 20,22.36), (i) demütig / affektiv (Apg 20,19.31.37) aber auch (j) willensstark / beherzt (Apg 20,24), (k) bescheiden / selbstständig (Apg 20,33.34), nicht zuletzt (l) selbstbewusst als Vorbild bzw. vorbildhaft (Apg 20,35). Beim Vergleich beider Szenen sind die Identitätsmerkmale Jesu weniger zahlreich als die des Paulus.
246 Jervell, Die Apostelgeschichte, 509. 247 A. a. O. 248 Finnern, 133 ff.
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(2) Sozialer Kontext: Jesus (2): Jesus kann sich als (a) ein religiöser Leiter, der u. a. die Wanderprediger aussendet, im gesellschaftlichen Kontext religiöser Anführer verorten (Lk 22,35 ff). Im politischen Kontext kann er als (b) ein Kritiker bzw. Aufrührer gegen das Römische Reich, der einen alternativen Herrschaftsmechanismus (Lk 22,25 f) und sogar ein alternatives Reich (Lk 22,29 f) lehrt, verstanden werden. Paulus (2): Paulus wird als (a) Handarbeiter in einen gesellschaftlichen Kontext eingezeichnet (Apg 20,34). (b) „Das Reich“ (τὴν βασιλείαν, Apg 20,25) hat Paulus ebenfalls verkündet, so dass er genauso wie Jesus als ein politischer Aufrührer verstanden werden konnte (vgl. Apg 17,6 f). (3) Erleben / Gefühle Jesus (5): Man sieht (a) Jesu Begehren als Emotion (Lk 22,35 ff). Zu einem Erleben gehören (b) seine Versuchungen als ‚vergangene bittere Erfahrungen` (Lk 22,28, siehe I-1.2), (c) die Aussendung seiner Jünger (Lk 22,35; vgl. Lk 9,1 ff; Lk 10,1 ff), (d) der Streit unter seinen Jüngern (Lk 22,24; vgl. Lk 9,46 ff) und (e) Satans Sieben als Versuchung der Jünger (Lk 22,31 ff; vgl. Lk 4,1 ff). Paulus (5): Pauli Emotion ist durch (a) seine Trauer und Tränen wiederholt zu sehen (Apg 20,19.31.37). Zu seinem Erleben gehören (b) das Dienen des Herrn (Apg 20,19), (c) die Versuchungen als ‚vergangene bittere Erfahrungen` wie bei Jesus (Apg 20,19), (d) sein Verkünden und Belehren (Apg 20,20 f.25.27.31) und (e) Handarbeit mit Bescheidenheit (Apg 20,33 f). (4) Pflichten / Wissen / Meinungen (Standpunkt): Jesus (6): (a) Das Leiden erweist sich als eine Pflicht Jesu (Lk 22,15.22.37, δεῖ). Jesus weiß, (b) dass er das Passahmahl nicht mehr essen wird (Lk 22,16.18), (c) dass er ausgeliefert wird und es dem Überlieferer wehe wird (Lk 22,22) und (d) dass Petrus dreimal leugnen wird, ihn zu kennen (Lk 22,34). (e) Zudem hat er Kenntnisse der prophetischen Schriften (Lk 22,37). (f) Über den weltlichen Herrschaftsmechanismus hat Jesus eine negative Meinung (Lk 22,25 f). Paulus (9): Als Pflicht muss Paulus (a) den Dienst, den er von Jesus empfangen hat, nämlich das Evangelium zu bezeugen (Apg 20,24), (b) die Tribulatio zu leiden (Apg 20,19.23); (c) sich der Schwachen anzunehmen (δεῖ, Apg 20,35). Paulus weiß, (d) dass Fesseln und Bedrängnisse auf ihn warten (Apg 20,23), (e) dass die Ältesten sein Angesicht nicht mehr sehen werden und (f) dass nach seinem Weggang reissende Wölfe eindringen werden (Apg 20,29). (g) Über Herrenworte hat er Kenntnisse (Apg 20,35). Als Meinung hegt er, (h) dass sein Leben nicht der Rede wert sei (Apg 20,24), solange es nur dem Evangelium dient, und (i) dass er rein sei vom Blut aller (Apg 20,26).
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(5) Intention / Motivation (aktualisierte Motive): Jesus (6): (a) Jesus hat sich gesehnt, das Passahmal mit den Jüngern zu essen; somit wird eventuell auch als aktualisiertes Motiv Jesu klar, dass Passahmahl mit ihnen weiterzuführen ist (Lk 22,15). Jesu Intentionen sind es, (b) dass er den neuen Bund schließt und die Jünger sich an ihn erinnern (Lk 22,19 f), (c) dass er die Jünger über die wahre christenmenschliche Größe belehrt und ihnen sein Reich übergibt (Lk 22,26–30), (d) dass Petrus sich bekehrt und die Brüder stärkt, (e) dass die Jünger einen Geldbeutel und eine Tasche mitnehmen und ein Schwert kaufen und (f) dass ein Schriftwort an ihm erfüllt wird (Lk 22,37). Paulus (8): Pauli aktuelle Intentionen sind es, (a) dass er eine Abschiedsrede für die Ältesten hält (Apg 20,17 f), (b) dass er nach Jerusalem geht (Apg 20,22), (c) dass er seinen Lauf vollendet und die Gnade Gottes bezeugt (Apg 20,24), (d) dass die Ältesten auf sich und die ganze Herde achten (Apg 20,28), (e) dass sie sich wachsam daran erinnern, dass er drei Jahre ununterbrochen sie ermahnte (Apg 20,32), (f) dass er sie Gott und dem Wort anvertraut (Apg 20,32), (g) dass sie sich der Schwachen annehmen (Apg 20,35) und (h) dass er mit ihnen betet (Apg 20,36). Identität usw.
Sozialer Kontext
Erleben usw.
Plichten usw.
Intentionen usw.
Summe
Jesus
7
2
5
6
6
26
Paulus
12
2
5
9
8
36
2.4.9 Komplexität der Figur Auch nach der klassischen Kategorie von „round“ und „flat character“ 249 bilden die beiden einen Kontrast. Der lk Jesus ist eine flache Figur, die auch in der Passionszeit kaum menschliche Schwächen zeigt (vgl. dagegen z. B. Mk 14,33 ff; 15,34). Wie in der realen Welt der Urchristen wohl bekannt (Gal 1,23f: vgl. Apg 9,21), erfährt Paulus in der Apostelgeschichte eine dramatische Umwandlung vom Kirchenverfolger (Apg 8,3 ff; 9,1 ff) zum wichtigsten Apostel. Gemessen an einer weiteren Kategorie (Kapitel 2.2.9), und zwar der Dynamik, kann man sagen, dass Paulus dynamischer als Jesus ist. Auch innerhalb der beiden hier zu verleichenden Abschieds-Szenen erweist sich Paulus in der Milet-Szene als komplexer, da die Leser seine (a) Mehrdimensionalität, (b) Detailliertheit und (c) (In)Kohärenz 250 erkennen. Wie oben 249 E. Forster, Aspects, 73–81. 250 Finnern, 157–159.
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gesehen, (a) ist Paulus zwar demütig und affektiv (Apg 20,19.31.37), zeigt sich aber auch sehr willensstark und beherzt (Apg 20,24). Er ist also bezüglich der Charakterzüge mehrdimensional. (b) Die oben analysierte Zahl der Figurenmerkmale lässt erkennen, dass Paulus detaillierter als Jesus dargestellt ist. (c) In Bezug auf die Zukunftsvisionen ist Paulus in Milet inkohärent. Trotz seiner Andeutungen des eigenen Schicksals (Apg 20,24.25.29) sagt er, dass er nicht wisse, was in Jerusalem ihm widerfahren werde (Apg 20,22). Demgegenüber kennt Paulus die Zukunft der Gemeinde (Apg 20,29 f). Im Gegensatz dazu sind Jesu Charakterzüge sowie Handlungen beim letzten Mahl eindimensional und kohärent. 2.4.10 Positive / negative Erzähler- und Figurenkommentare In beiden Szenen fehlen sowohl Erzähler- als auch Figurenkommentare. 2.4.11 Zugehörigkeit zu einer sichtbaren Figurenkonstellation 251 In den beiden Abschiedsszenen lassen sie deutliche Figurenkonstellationen. D. h., sowohl Jesus beim letzten Mahl als auch Paulus bei der Miletrede werden im Verhältnis zu den anderen Figuren gut wahrgenommen (s. u.; vgl. dagegen Jesus als isolierte Figur am Kreuz: 2.2.11). Anhand Mit dieses Faktors kann daher keine unterschiedliche Empathielenkung zwischen Jesus und Paulus behauptet werden. Allerdings sind die Arten der Figurenkonstellationen in beiden Szenen abweichend. Die Figurenkonstellation in der Milet-Szene bleibt konstant: Paulus und die Ältesten sind nämlich ein Korrespondenzpaar; die beiden Figuren haben füreinander extreme Sympathie (v. a. Apg 20,36 f). Demgegenüber sind die Figurenkonstellationen bei dem letzten Mahl, sehr verschieden und wechselhaft. Innerhalb dieser kurzen Szene verändern sich die Figurenkonstellationen 4mal: Jesus bildet zuerst (1) ein Korrespondenzpaar mit der Jüngergruppe, insofern sie zusammensitzen und Gespräch mit Sympathie füreinander führen (Lk 22,14– 20); danach (2) ein Kontrastpaar mit dem Auslieferer (Lk 22,21–22); dann (3) ein dramatisches Dreieck, wo die sich antipatisch streitenden Jünger als Kontrastpaar zu ihm als dritter Person stehen; wie in den meisten Fällen nimmt er den Status einer überlegenden Figur ein (Lk 22,23–33); 252 dann wieder (4) ein Kontrastpaar mit Petrus und Satan; die Absichten / Ansichten der Figuren kreuzen sich (Lk 22,31– 34); schließlich wiederum (5) ein Korrespondenzpaar mit der Jüngergruppe, da die Jünger Jesu Anweisungen befolgen (Lk 22,35–38). Bis jetzt wurden in der Narratologie noch keine Überlegungen ausgelöst, ob und wie sich solche dynamischen Veränderungen der Figurenkonstellationen auf die Empathie-Lenkung auswirken. 251 Auch Finnern hat für den Empathiefaktor, „Zugehörigkeit einer bekannten Figurengruppe“, bloß die „Figurenkonstellation“ erwähnt. Finnern, 194. 252 W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu, 74–84.
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2.4.12 Dramatische Darstellung des Settings Obwohl Lukas nicht viele direkte Angaben macht, ist das Setting des letzten Mahles quantitativ und qualitativ dramatischer als das der Miletrede dargestellt. Das letzte Mahl: Innerhalb der Szene fehlt die Raumangabe. Wegen einer Angabe in der vorherigen Szene aber erkennen die Leser, (1) dass die Figuren nun in einem großen, mit Polstern ausgelegten Obergemach sind (Lk 22,12). (2) Zudem handelt es sich um eine Abendmahlzeit (Lk 22,14.20). Mit diesen Raum-Zeitangaben können die Rezipienten eine gewisse zeremonielle Atmosphäre empfinden. Darüber hinaus ist die Zeit dieser Szene als (3) „vor der Passion“ festgehalten (Lk 22,15). Pauli Abschiedsrede: In der Milet-Szene gibt es keine Raumangaben. Wie häufig ausgelegt, ist es plausibel, an eine kleine Hausgemeinde, wo sich nur vier oder fünf Personen versammeln können, zu denken. Wir haben also alles andere als eine dramatische Darstellung des Settings vor uns. Es fehlen ebenfalls konkrete Zeitangaben. Das zeitliche Setting ist dadurch angedeutet, da die Ältesten Paulus zum Schiff begleiten (Apg 20,38) und Paulus mit dem Wir-Erzähler zusammen weiter nach Kos fährt (Apg 21,1). Insgesamt ist eine zeremonielle Atmosphäre wie beim letzten Mahl kaum zu assoziieren. Zwischenfazit: Zwei primäre Faktoren für empathische Nähe, nämlich (1) hohe Innensicht, (2) Wahrnehmungszentrum, sprechen dafür, dass Paulus bei der Mitletrede im Vergleich zu Jesus bei dem letzten Mahl als nähere Figur dargestellt wird. (3) Ähnlichkeiten zu Lebenssituationen lassen keinen Unterschied zwischen beiden Szenen erkennen. Während Jesus und Paulus angesichts von vier verschiedenen sekundären Faktoren sich nicht voneinander unterscheiden, rücken vier andere Faktoren (Erzählerbeteiligung, Präsenz, Zahl der Merkmale, Komplexität) Paulus näher heran als Jesus. Bloß mit einem Empathiefaktor, nämlich der dramatischen Darstellung des Settings, kann eine stärkere Empathielenkung auf Jesus als auf Paulus erkannt werden. In der lk Erzählung stellen Jesus und Paulus zwar einer ähnlichen Situation (Abschied von untergeordneten Figuren) jedoch entwickelt sich beider empathische Nähe unterschiedlich. Jesus ist eine fernere Figur als Paulus.
2.5 Fazit Die intendierte Lesergruppe des Lukas kann die Jünger als Gegenstand von Empathie (nahe Figur) rezipieren, während Jesus zum Patron der Leidenden erhoben wird und so als fernere Figur erscheint.
Jesus als ferne Figur, Jüngergruppe als nahe
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Gegenüber Markus hat sich in der lk Passionsgeschichte (Lk 22–23) die Emapthie-Konstellation zwischen Jesus und den Jüngern verschoben (II-2.3). Im mk Passionsbericht waren die Jünger keine Figuren, die Leser-Empathie evozieren konnten. Sie waren bloß Randfiguren, die ohne Figurenmerkmale fast zum Setting zu rechnen waren (s. o.). Bei Lukas ziehen die Jünger bezüglich einiger Empathiefaktoren mit Jesus gleich, sie sind hinsichtlich Empathieevozierender Nähe stellenweise sogar ihm überlegen. Lukas beschreibt Jesus as ferner, als Markus dies Tat. Man kann die empathische Distanz Jesu und der Jünger auch durch den Vergleich mit der Parallelpassagen zwischen Evangelium und Acta herausarbeiten. In den Abschiedsreden Jesu (Lk 22,14 ff) und Pauli (Apg 20,17 ff) tendieren fast alle Empathiefaktoren dazu, Paulus näher als Jesus darzustellen (II-2.2). Schon Pervo erwähnt das „emotional bond between Paul and the presbyters“, 253 welches dann zwischen Jesus und den Jüngern nicht so zu finden ist. Jesus ist vielmehr in eine Distanz geschickt, in der er als Patron wirkt. Was die Parallelpassagen von Jesu Tod und Stephanus Martyrium ausgeht, wirken die beiden Figuren bei der Lenkung der Leser-Empathie sehr unterschiedlich. Durch ausführliche exegetisch-philologische Analysen haben wir festgestellt, dass für die intendierte Lesergruppe des Lukas Stephanus als näheres Empathieobjekt dargestellt wird: Er schreit (κράζω) als Kontrast zu den Schreien seiner Henker (κράζω), und betend und schmerz-erleidend ruft er seinen Herrn an (ἐπικαλέω). Lukas hat durch verschiedene Erzählfaktoren Empathie von Jesus auf die Jünger (einschließlich Stephanus und Paulus) hingelenkt. Die Rezipienten fühlen sich insofern mehr den Jüngern als Jesus „nahe“ und können sich in sie stärker hindenken.
253 Pervo, 530.
Kapitel III Passio Christi, Tribulatio Discipuli: Eine Leidenshermeneutik III-1 Leidensparallele zwischen Evangelium und Acta?: Positionierung der Thesen in die Auslegungsgeschichte Wir sind zu den Ergebnissen gekommen: (a) Lukas bietet die Leidensgeschichte der Jünger innerhalb der Geschichte Jesu als einen separaten Subplot. (b) Für die Jünger, die eigene Leiden bereits in der Passionsgeschichte des Evangeliums und dann in Acta ertragen, fungiert Jesus als der Patron der Leidenden. (c) Bezüglich der empathischen Distanz wurden die Jünger als Leidenssubjekt näher als Jesus dargestellt. Zwischen beide Leidenstypen, nämlich Passio und Tribulatio, wird klar unterschieden. Sie stehen in einem hierarchischen Verhältnis zueinander. Bietet sich an, an dieser Stelle mit der Auslegungsgeschichte ein Gespräch zu eröffnen, insofern sie sich mit dem Thema Einheit und Abfassungszweck des lk Doppelwerks beschäftigt hat. Es stellt sich die Frage, warum und bis zu welchem Grad Lukas seine beiden Werke als einheitliches Werk komponierte. Hat Lukas Acta als die Fortsetzung des Evangeliums von Anbeginn an geplant? 1 Wenn immer die Auslegungsgeschichte des lk Doppelwerks – auch vor der Phase des sog. ‚narrative criticism` – die Kunst bzw. Technik der lk Erzählung als Forschungsthematik behandelte, trat die lk Vorliebe für Parallelen als seine zentrale Erzähltechnik in den Vordergrund. Für die Einheitlichkeit des lk Doppelwerks spielt das Leidensmotiv eine große Rolle. Es muss nicht ausdrücklich erwähnt werden, dass die Passion Jesu in der lk Erzählung von größter Wichtigkeit ist. Auch in der Apostelgeschichte wird das Leidensmotiv geschildert – durch wiederholte Verkündigungen der Passion Jesu und daraus folgender Tribulatio Discipulorum, nämlich des Petrus, Stephanus und Paulus. Bekannt ist, dass Lukas eine Vorliebe hat für Erzähltechniken wie den Chiasmus 2 oder die sog. „mise en abîme“, nämlich „in der Mitte der Einheiten Höhepunkte zu gestalten“. 3 In diesem Sinne fungiert das Leiden Jesu und der Jünger als Höhepunkt der Gesamtstruktur des
1 Siehe Anm. 247 im Kapitel I. Auch wer an einer unterschiedlichen Autorschaft bzw. theologisch-literarischer Unverbundenheit beider Werke festhält oder sie für zwei Werke in einer Trilogie hält, kann angesichts der Parallelen um die genannte Auseinandersetzung nicht herumkommen. W.G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, 127; J.-D. Kaestli, Luke-Acts and the Pastoral Epistles. The Thesis of a Commom Authorship, in: C.M. Tuckett (Hg.), Luke's literary achievement. Collected essays, Sheffield 1995, 110–126. 2 Als „a major structuring principle“, C. Talbert, Literary patterns, 51–58. 3 Bovon, 15–16.
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Passio Christi, Tribulatio Discipuli: Eine Leidenshermeneutik
Doppelwerks, da Lukas die Tribulatio Discipuli, nämlich die Leidensgeschichte der Jünger bereits in den Passionsbericht Jesu als Subplot integrierte und so die Apostelleiden der Acta antizipierte. Wie wichtig das Leidensmotiv unter den Parallelen zwischen Evangelium und Acta ist, zeigt sich u. a. daran, dass in der Apostelgeschichte Jesus bei dem Jüngerleiden wieder auftritt, während dies bei den Wundererzählungen der Acta, die zu denen im Evangelium parallel gestellt werden, 4 nicht der Fall ist. Darüber hinaus sind folgende Punkte für die Frage nach der Einheit des lk Doppelwerks relevant. (1) Die sog. „succession narrative“-These (Talbert u. a.): Verschiedene Parallelmotive im lk Doppelwerk betreffen den Ablauf der Heilsgeschichte. Vor dem Hintergrund der Conzelmannschen Periodisierung der Heilsgeschichte und angesichts der „bewussten“ Parallelisierung der beiden Werke durch Lukas 5 („patterns“, die sich in beiden wiederholen 6) wurde die Apostelgeschichte als „Fortsetzung“ bzw. „Sukzession“ 7 wie bei antiken Historio- und Biographien erkannt. C.H. Talbert vergleicht die Doppelwerkstruktur des Corpus Lucanum mit Diogenes Laertius, und W. Radl mit Plutarchs Vitae Parallelae. In diesem Werke gilt das Römische Reich als „Fortsetzung des Hellenentums“, in jenem geht es um „das Leben der Gründer und die Sukzessionen“. 8 Ferner wird das lk Sukzessionsmotiv mit jüdischer Geschichtsschreibung verglichen, v. a. mit der Erzählung von ‚Elia und Elisa`. 9 Der letztere Vergleich passt auch deshalb, weil Lukas selbst beide Figuren dort anführt (Lk 4,16 ff v. a. 26 f), wo bezeichnenderweise der Universalismus bzw. eine programmatische Heidenmission in Acta zaghaft angedeutet wird.
4 Vgl. Muhlack, Die Parallelen; Neirynck, The miracle Stories. 5 Radl, Paulus und Jesus, 230. Radl erforschte den Parallelismus zwischen Jesus und Paulus. Die Suche nach dem Zweck des lk Doppelwerks mittels der Jesus-Paulus-Parallelen kann auf M. Schneckenburger zurückgeführt werden. M. Schneckenburger, Über den Zweck der Apostelgeschichte. Zugleich eine Ergänzung der neueren Commentare, Bern 1841; auch A. J. Mattill, The Purpose of Acts: Schneckenburger Reconsidered, in: W. Gasque (Hg.), Apostolic History and the Gospel: Biblical and Historical Essays Presented to F.F. Bruce on His 60th Birthday, Exeter 1970, 108–122. 6 Talbert, a. a. O., 15–23. 7 Die „Sukzession“ ist auch bei Pesch ein Abfassungszweck und eine theologische Intention des Lukas, ders., Apostelgeschichte, 33 f. 8 Plutarch „hält es für zweckmäßig, den Gründer des schönen und vielbesungenen Athen vergleichend gegenüberzustellen dem Vater des unbesiegbaren und hochberühmten Rom [. . . ] Die Voraussetzung der Parallelisierung bei Lukas ist die Grundüberzeugung, daß der Ablauf der Heilsgeschichte Gottes Plan entspricht.“, Radl, a. a. O., 376 f; Talbert, a. a. O., 133. 9 T.L. Brodie, The Crucial Bridge. The Elijah-Elisha Narrative as an Interpretive Synthesis of Genesis-Kings and a Literary Model for the Gospels, Collegeville, Minn. 2000, 82– 85. Dazu ergänzt S. Uytanlet die Parallele von Mose und Josua, ders., Luke-Acts and Jewish historiography, 91–157.
Leidensparallele zwischen Evangelium und Acta?
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Obwohl der Ablauf der Heilsgeschichte bei Lukas wesentlich ist, spielt bei den Leidensvorstellungen das Sukzessionsmotiv keine so große Rolle. Jesu Rolle in den Leidenssituationen der Christen als Patron kann von Paulus und Petrus nicht fortgeführt werden. Als Patron erscheint Jesus bei den Leiden der Christen und ermutigt sie unmittelbar oder durch seine Entouragen (Kapitel I-3). Die Jünger – auch Paulus – reagieren in Leidenssituationen – anders als der lk Jesus – emotional (Apg 8,2; 20,37 f; 21,12 f usw.). (2) Die Auffassung, dass Lukas durch die Parallelen die Zeit der Kirche mit der Zeit Jesu rückwirkend verbinden wolle, erweist sich wenigstens im Blick auf die Leidensvorstellungen nicht als zutreffend. „Sein Anliegen ist [. . . ], die Zeit der Kirche mit der Zeit Jesu zu verbinden. Deshalb erzählt er das Geschick des Stephanus oder des Paulus in Analogie zum Geschick Jesu [. . . .] Die Zeit Jesu und die Zeit der Kirche gehören für Lukas ebenso eng zusammen wie Jesus und der Heilige Geist.“ 10
Wie ausgelegt, hält Lukas in seinem Doppelwerk konsequent eine Hierarchie zwischen Passio und Tribulatio durch und unterscheidet zwischen verschiedenen Empathie-relevanten Distanzen zu jeweiligen Leidenssubjekten. Zusammengenommen finden wir bei der Tribulatio Discipuli und bei Jesu Patron-Rolle eine Parallelisierung zwischen beiden Werken, in Bezug auf die Passio Christi aber eine Ungleichheit. Ich schlussfolgere, dass das lk Doppelwerk keinem singulären Verfassungszweck dient, insofern verschiedene Motive (wie ‚Sukzession` oder ‚rückwirkende Verbindung` heilsgeschichtlicher Zeitperioden) zwar der lk Vorliebe zur Parallele entgegenkommen. Inmitten dieser Vielfältigkeit aber begegnet ein neues Anliegen des Lukas, und zwar, ausdifferenzierte Leidensvorstellungen seiner Leserschaft nahezubringen, die nicht einfach unter dem Stichwort „Parallelisierung“ zusammenzufassen sind. Unser Befund war differenzierter. Hermeneutisch wünschen Leser oder Hörer des NT Affinitäten zwischen ihrem eigenen Leben und Leiden und dem Jesu herzustellen. Doch spielt in christologischen bzw. soteriologischen Kontemplationen eine grundsätzliche Ungleichheit zwischen den Christen und Christus eine wichtige Rolle. Lukas löst sie so, dass er die beiden Leidensgeschichten zwar parallel formuliert. Auch kennt er das Wortfeld κοινωνία/κοινωνέω (Apg 2,42) 11 und das Teilhabe-
10 U. Luz, Art. Geschichte / Geschichtsschreibung / Geschichtsphilosophie IV, TRE Bd. XII, 598. Auch in der angelsächsischen Exegese, „[. . . ] we will hope to show that the Lucan parallelisms are narratologically motivated, so as to tie the Acts of the Apostles into the story line of the Gospel of Luke“, J.B. Green, Internal repetition in Luke-Acts: contemporary narratology and Lucan historiography, in: B. Witherington (Hg.), History, literature and society in the Book of Acts, Cambridge 1996, 285. 11 Das Wortfeld ‚κοινωνία/κοινωνέω` fehlt in seinen beiden Quellen, Mk und Q.
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Motiv beim gemeinsamen Brotbrechen (Apg 2,42; vgl. Lk 24,35, Kapitel II-2). Auch stellt er die Schicksalsgemeinschaft zwischen Jesus und seinen Nachfolgern bei Leiden dramatisch dar (v. a. im Martyrium des Stephanus, Apg 7,54 ff). Er erlaubt aber nie eine metaphorische oder assoziative Gleichsetzung von Christi Passio und den Leiden der Christen.
III-2 Leidensspirale im lk Doppelwerk: Schlussbemerkung Zum Schluss soll ein Modell für die Leidenshermeneutik vorgestellt werden. Bei den lk Leidensdarstellungen ist eine Spirale zu sehen: Die Jünger reagieren trotz anfänglicher Unverständnisse auf die Leiden anderer emotional und erfahren dann eigene Leiden. Man kann sich vorstellen, dass in einer solchen Spirale die Heilsgeschichte über die Leiden der Jünger in der erzählten Welt hinaus fortläuft (Urgemeinde, Griechen und Römer, s. u.), auch bis zum Heute der realen Welt der Leser – dadurch, dass die Acta ein offenes Ende haben. Christus und seine Passion wirken beim aktuellen Leiden der Christen mit, insofern Christus als Patron und Herr der Leidenden fungiert und seine Passion als die Erlösung und der Zweck der Jüngerleiden feststeht.
Schaubild 22: Die Leidensspirale des lk Doppelwerks
Lukas hat das Motiv des mk Jüngerunverständnisses allein für die Leidensthematik aufgenommen und sogar erweitert:
Leidensspirale im lk Doppelwerk: Schlussbemerkung
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Verschiedene Stellen vom mk Jüngerunverständnis-Motiv wurden gestrichen. (u. a. Mk 4,13; 6,52; 7,18; 8,17.21; 14,68). Darüber hinaus sieht man bei Lukas auch keinen „Unverständnistadel in Frageform“ (vgl. Mk 4,13; 7,18; 8,17). 12 Auffällig ist, dass Lukas aber an den beiden Stellen der Ankündigung der Passion dieses Motiv nicht eliminiert (Lk 9,45; 18,34), sondern das Motiv sogar erweitert (Lk 24,25 ff). Für unser Spiral-Modell klären wir kurz drei Punkte. (1) Wie im Kapitel I ausgelegt, obwohl die Jünger die Passion Jesu nicht verstanden haben, haben sie für die Passio Compassio als ‚Entschuldigung` (Lk 22,45; Bovon 13) erwiesen, in Jesu Passionszeit bei ihm ausgeharrt und so für die Passion Augenzeugenschaft erlangt. (2) Positiv gehört das Jüngerunverständnis zum heilsgeschichtlichen Plan Gottes. 14 Auch in der von Lukas erweiterten Szene verstehen die Jünger das Leiden Christi und dessen Notwendigkeit nicht, obwohl sie nunmehr mit dem Auferstandenen sprechen (Lk 24,25 ff). Es wird nacherzählt, dass sie beim Gespräch mit Jesus, bevor er ihre Augen öffnete (Lk 24,30 f), bezüglich der Passion starke Emotionen („Herz-Brennen“) gehabt hatten (Lk 24,32). (3) Lukas hat diese Struktur auch in seinem zweiten Werk durchgehalten:
„Leiden 1“ Dem Leiden Jesu und dem Mit-Leiden der Jünger folgt die Gründung der Jerusalemer Urgemeinde: Trotz ihres Unverständnisses trauern die Jünger um den leidenden Jesus (Lk 22,45; vgl. 23,48) und leiden als Co-Subjekt (I-1) in der Passionszeit mit. Daraus folgend werden die Jünger Zeugen Jesu in der Zeit der Jerusalemer Urgemeinde. „Leiden 2“ Dem Leiden Stephani und dem Mit-Leiden der Jünger / Kirche (Apg 8,1bff) folgt die Verbreitung des Evangeliums zu den Griechen (Apg 11,19): Bei der Steinigung des Stephanus (Apg 7,54 ff) wird sein Leiden nicht verstanden (Apg 8,1a), sondern es folgen enorm emotionale Reaktionen (Apg 8,2). Saulus, der ohne Introduktion plötzlich in der Steinigungsszene erscheint (Apg 7,58), ist für die Leserschaft eine wohl bekannte und mit Sympathie besetzte Figur, 15 die an Stephanus anschließend selbst zum Märtyrer wird, wie in folgender Erzählung angedeutet (Apg 20,22 ff.37 f; 21,11 ff; 26,32 u. a.). Diese Erwähnung Pauli, die seiner (weiteren) Kirchenverfolgung (Apg 8,3 ff) und Jesusbegegnung (Apg 9,3 ff) vorangeht, hat eine zweifache Funktion: zum einen hält sie die Augenzeugenschaft (Apg 7,58) 16 für das Martyrium Stephani 12 O. Franzmann, Jüngerunverständnis. Zur Geschichte und Interpretation eines Motivs der Evangelien, 47. 13 Bovon, Lukas IV, 310: „Lukas entschuldigt sie“. 14 H. Schürmann, Lukasevangelium, 573. Auch C. Kurth, „Die Stimmen der Propheten erfüllt“. Jesu Geschick und „die“ Juden nach der Darstellung des Lukas, Stuttgart u. a. 2000, 57. Für die Auslegung von Lk 9,43b spielt die Konjunktion ἵνα eine Rolle. 15 Jervell, Apostelgeschichte, 253. 16 Pesch, Apostelgeschichte, 264.
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fest; zum anderen zeigt sie sein Unverständnis (Apg 8,1a). Man kann auch hier ein Mit-Leiden der Christen sehen, insofern die Kirche in Jerusalem mit Stephanus „zugleich“ (ἐν ἐκείνῃ τῇ ἡµέρᾳ) eine große Verfolgung erleidet (Apg 8,1b) – „der gewaltsame Tod des Christuszeugen war der Auftakt zu einer Christenverfolgung“. 17 Die über Stephanus Trauernden („die Frommen“ in Apg 8,2; vgl. Lk 22,45) leiden mit dem (Haupt-)Leidenden mit (Apg 8,1a). Dem Leiden Stephani folgen die Samaria-Mission (Apg 8,4 ff), die Bekehrung des Saulus (Apg 9,1 ff) und die Verkündigung des Evangeliums an Griechen (Apg 11,19 ff). „Leiden 3“ Dem Leiden Pauli und dem Mit-Leiden der Jünger / des erzählenden „Wir“ (bis Apg 28,16) folgt die Verbreitung des Evangeliums zu den Römern (Apg 28): Bei der Szene von Milet (Apg 20,17 ff) und Cäsarea (Apg 21,8 ff) werden das geweissagte Leiden Pauli und sein angedeuteter Tod sowie deren Notwendigkeit nicht verstanden (Apg 21,12.14; auch 21,4); die Figuren reagieren bloß mit Trauer (Apg 20,37 f; 21;13). Zu bemerken ist, dass auch der beteiligte Wir-Erzähler sein Gefühl über die Leiden Pauli stark ausdrückt (Apg 21,12 ff; auch in 20,37, πάντων). Dieser Erzähler begleitet ihn über Jerusalem (Apg 21,17 u. a.) hinaus bis nach Rom (Apg 28,16). Das heißt, auch im ‚Leiden 3` sind die Trauernden zugleich die Ausharrenden beim Leiden (auch beim Leiden in Malta z. B., Apg 28,1; vgl. Jünger als Co-Subjekt der Passion Jesu). Dem Leiden Pauli folgt die Verkündigung des Evangeliums an die Römer (Apg 28,31), als Klimax der erzählten Welt der Acta. „Leiden 4“ Dem Leiden (=angedeutetem Tod) Pauli in Rom und dem MitLeiden der Jünger / Leser (mit dem offenen Ende) folgt die Verbreitung des Evangeliums hier und jetzt in der realen Welt: Durch die Andeutungen des Todes Pauli (Apg 20,17 ff; 21,11 ff; 26,32 u. a.) haben die Leser, unabhängig von ihrem (Un-)Verständnis, bekümmerte Emotionen auf das Leiden Pauli, die dann durch den offenen Schluss des Doppelwerks (Apg 28,30 f) mit dem Leiden ihrer realen Welt verbunden werden. Dass Lukas über die erzählte Welt hinausgreifen möchte, lässt sich exegetisch durchaus substantiieren. (1) Die lk Spiralstruktur wirkt auf verschieden Erzählebenen gleichzeitig. D. h. nicht nur die erzählten Figuren haben betrübte Emotionen gegenüber den Leiden anderer Figuren, sondern auch der Erzähler selbst drückt diesbezüglich starke Gefühle aus und nimmt an dem Leiden Pauli Anteil (s. o.), so dass wiederum auch beim Rezipienten solche Emotionen entstehen können
17 G. Schneider, Apostelgeschichte, 478.
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(mimetische Rezeption, s. u.). Die lk Leidensvorstellungen können unter verschiedenen Rezeptionskategorien verbucht werden, und zwar (mit J. Phelan) als „mimetische“, „thematische“ und „synthetische Rezeption“. 18 D. h., es ist Platz sowohl für Rezipienten, die die Figuren bzw. deren Emotionen beurteilen und übernehmen („mimetisch“), als auch für diejenigen, die Interesse an Themen – Passio / Tribulatio – („thematisch“) haben. Darüber hinaus auch für Leser, die auf die Erzählung als Kunstwerk („synthetisch“) reagieren, und für die ästhetische Struktur der lk Leidensvorstellung (Sublot, Antizipation, Spirale u. a.) Interesse zeigen. Ferner, die lk Leidensdarstellungen können beim Rezipienten auch die Arten von Emotionen hervorrufen, die Finnern und Rüggemeier in Bezug auf biblische Texte auflisten, nämlich „ästhetische Emotionen“ (auf Textstruktur bezogen, s. o.), „figurenmerkmalbezogene Emotionen“ (auf Eigenschaften und Verhaltensweisen der Figuren bezogen) und „situationsbezogene Emotionen“ (Mitfiebern mit Figuren im Verlauf einer Erzählung). 19 (2) Durch die lk Redaktion und Gestaltung der narrativen Stoffe kann sich die Leser-Gemeinde mit den Jüngern in der erzählten Welt identifizieren – zumal Lukas selbst die Jünger explizit mit den Christen identifiziert (Apg 11,26). Diese Gleichsetzung wird doppelt vollzogen. Im NT kommt das Wort µαθητής nur in den vier Evangelien und in Acta vor, in der LXX keinmal. D. h. Lukas ist der einzige ntl – oder biblische – Autor, der das Wort ‚Jünger` außerhalb der Geschichte Jesu benutzt. Die Leser anderer ntl Autoren brauchen einen gesonderten kognitiven Prozess, 20 wenn sie sich mit dem historischen Zwölferkreis bzw. mit den Jüngerfiguren in der Erzählung des Evangeliums identifizieren möchten. Im Gegenteil dazu bezeichnet Lukas auch die christlichen Randfiguren in Acta als Jünger und die Jünger als Christen (s. o.). D. h., solange sich die Leser / Hörer als Christen verstehen, können sie nicht negieren, Jünger zu sein. Auch nach dem Tod des Paulus – in der Gegenwart der ersten Rezipienten – sind für Lukas die Christen ‚Jünger` (Apg 20,30). Lukas weitet die Leidensgeschichte Jesu zu auch einer Leidensgeschichte der Jünger aus. Nach allen Auslegungen gelangen wir zu einem hermeneutischen Schluss: Obwohl Christen die Bedeutung oder die Notwendigkeit von Leiden nicht immer verstehen, sollen sie in aktuelle Leiden der Mitmenschen sich mitleidend hineinfühlen, für und mit Christus eigene Leiden aufnehmen, bis sie „durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen“ (Apg 14,22). 18 J. Phelan, Rhetoric / Ethics, in: D. Herman (Hg.), The Cambridge companion to narrative, Cambridge u. a. 2007, 210 f; Finnern, a. a. O., 191. 19 Finnern / Rüggemeiner, Methoden, 244 f; Finnern, a. a. O., 202 f. 20 „Applikation wird [. . . ] als ein kognitiver Vorgang verstanden, bei dem eine Entität oder eine Relation in der Erzählung mit einer Entität bzw. Relation in der (aus Sicht des Rezipienten) realen Welt verglichen wird. [. . . ] Identifikation ist dabei ein Spezialfall der Applikation, bei dem der Vergleich eine Übereinstimmung dieser beiden Entitäten oder Relationen ergibt, z. B. von Personen oder Sachverhalten“, Finnern, a. a. O., 207. (Hervorhebung im Original)
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Bibelstellenregister Einzelne Verse / Versgruppen, die nur im Rahmen des größeren Textzusammenhangs erwähnt werden, dem sie zugehören, sind nicht einzeln aufgeführt. Kursiv gesetzte Seitenzahlen beziehen sich auf eine Erwähnung ausschließlich im Fußnotentext.
Altes Testament Genesis 21,16 21,22 26,3 31,3 31,5 35,3 42,21
1. Samuel 42 85 85 85 85 100, 107 99, 107
24,20
Psalmen 107
2. Samuel 22,19
107
2. Könige 9,35
Exodus 3,9 3,12 4,31 26,33
99 f, 107 85 99, 107 143
153
2. Chronik 15,6 18,26 20,9
100, 107 100 109
Leviticus 19,33
100
Deuteronomium 4,29 23,17 28,52 28,53 28,55 28,57 31,17
100, 107 100 99 100, 107 107 107 100
Nehemia 9,27 9,37
107 99, 107
Esther 4,17 8,12
107 107
4,2 7,14 9,10 9,22 19,2 22 22,1–22 22,23 f 30 33,20 34,20 36,39 37,12 45,2 49,15 51,14 54,3 f 54,4 58,17 65,14 76,3 80,8 85,7 87,9 90,15 106,39 117,5 119,143 137, 7
107 105 107 107 107 147 147 147 136 99 98 99, 107 28 107 107 147 109 109 107 107 107 107 107 28 107 109 107 112 107
Hiob Richter 4,3 9,53 10,9 10,14
100 153 99 107
1,6–12 1,11 2,1–7 2,5 2,9 15,24
22 23 23 23 23 100, 112
Sprüche 24,10
107
198
Bibelstellenregister
Jesaja
Ezechiel
10,26 26,16 30,6 33,2 41,10 41,13 43,5 57,13
4,14 16,5
108 108 108 108 85 85 85 108
Micha 86 103, 110
Daniel 12,1
99
1,7 1,9 2,3
108 108 108
100, 108
Jeremia 1,5 1,8 1,19 10,18 15,11 50,25
108
Nahum
Hosea 5,15
2,12
Habakuk 85 85 85 108 108 105
Amos 9,9
3,16
99, 108
23 Zephanja
Obadja 1,12 f
107
1,5
99
Neues Testament Matthäus 5,11 5,20 f 5,44 7,14 9,15 10,16 f 10,22 f 13,21 16,18 f 16,21 16,23 17,12 17,15 18,15 f 18,18 19,28 19,28 f 20,23 20,29 f 21,14 21,18 f
24,9 117 96 96 32, 99, 103, 107 157 96 117 32, 99, 106, 112 62 97, 98, 103, 110 68 97, 98 97 156 62 25 62 96 82 82 82
24,9 f 24,21 24,29
26,20 f 26,22 26,23 26,25 26,26 26,53 26,53 f 26,58 26,71 27,3 f 27,19 27,38 f 27,46 27,50 28,16 f 28,18
32, 100, 104, 106 96 32, 100, 104, 106, 112 32, 96, 100, 104, 106 f, 112 24 33, 42 33 33 33 64 81 48 42 156 97 82 133 133, 136 68 81
Markus 1,27 3,9 3,14 4,11 4,13 4,17 5,5 5,26 6,7 f 6,52 7,14 7,18 8,17 8,21 8,31 8,31 f 8,33 8,34 8,34 f 9,12 9,31
33 32, 99, 103, 107, 111 105 51 181 32, 96, 99, 106, 112 134 97 159 181 111 181 181 181 97, 98, 103, 110 f 104 68 96 159 97, 98 110
199
Bibelstellenregister 9,33 f 10,30 10,35 f 10,39 10,42 10,43 10,45 10,46 f 11,12 f 13,3 f 13,9 13,9 f 13,19 13,24
13,35 f 14,1 f 14,1–9 14,2 14,3 14,3 f 14,3–9 14,4 f 14,5 14,6 f 14,6–9 14,8 f 14,9 14,10 14,10 f 14,10–26 14,12 14,12 f 14,12–16 14,13 f 14,13–15 14,14 14,16
14,17 14,17 f 14,17–21 14,17–31 14,18
159 96 33 96 34, 40 34 35 82 82 123 32, 117 96 32, 100, 104, 106, 112 32, 96, 100, 104, 106 f, 112 147 145 f 146 33 145, 153 39, 150 145, 149 145 82 150 145 39 40, 146, 150 145, 148 f, 152 145 f, 149, 159 146, 157 145, 150 151, 161 145 57, 150 145, 148 152 145, 149, 153, 155, 159 27, 76, 149, 152, 164 24, 57, 150 149 145 145
14,18 f 14,19
14,19 f 14,20 14,21 14,22 f
14,23 14,24 14,25 14,26 14,27 14,27 14,27 f 14,27–31 14,28 14,29 14,30 14,30 f 14,31
14,32
14,32 f 14,32–42 14,33 14,33 f
14,34
14,35 14,35 f
14,36
33, 39, 150, 152, 163 33, 47, 63, 72, 81, 145, 148 f, 151, 155, 160 42, 152 33, 63, 149, 152 150 f, 163 33, 144, 150, 152, 160, 163 150 150 f 150 f 72, 146, 150 23 39, 147, 152 27, 150 146 67 151, 161 40 41 48, 72, 145, 148, 151, 161 27, 30, 47, 52, 75, 150, 153, 160, 164 52, 57, 62, 150, 152 145, 147 81, 144, 148 75, 120, 126, 148, 154, 157, 172 75, 81, 144, 149, 151, 160 27, 148 f, 153 f 31, 146, 148 f, 151, 155 144, 147, 150 f, 161
14,37
14,37 f 14,37–38 14,38
14,39 14,40
14,41
14,42 14,43 14,43–50 14,44 f 14,45 14,46 14,47 14,50
14,50 f
14,51 14,51 f 14,53 14,53 f 14,53–72 14,54 14,55–65 14,56 14,56 f 14,61 f 14,62 14,64 14,65 14,66
30, 52, 72, 145 f, 148, 150 144, 152, 154, 163 52 31, 72, 145, 147, 151, 160 f 52, 144, 148 f, 154 f 52, 72, 145 f, 148, 150, 155 47, 52, 57, 146, 148, 152, 155, 160 150 149, 152 146 150 152 65 161 18, 48, 52, 68, 115, 146, 150, 159, 163 27, 30, 53, 62 f, 65, 67, 72, 146, 149, 151 f, 158, 161 146 52, 66 77, 82, 146, 149, 152 75, 153 146 29, 77, 149, 159 149 82 152, 163 152 150, 160 82, 151 73, 75, 82 77
200 14,66 f 14,66–72 14,68 14,70 14,71 14,72 14,72 f 15,1 15,1–47 15,2 15,3 15,5 15,8 15,9 15,12 15,22 15,26 15,29 15,29 f 15,31 f 15,32 15,33 15,34
15,34 f 15,37
15,38 15,39 15,40 15,40 f 15,41 15,47 15,61 16,34 16,37
Bibelstellenregister 62, 73, 82, 149 f, 153 146, 149, 159 42, 52, 77, 146, 181 52, 148 53, 145, 163 145, 148, 151 f 53 77, 153 146 82, 150 f 40 150 f 152 152 152 152 152 141 82, 152 152 152 142, 153 42, 81, 133 f, 144, 144, 150 f, 154, 157, 161, 172 75, 120 120, 133, 144, 151, 154, 161 143 152, 163 29, 149 29 28 68 150 f 135 135
Lukas 1,1 f 1,2 1,77
157 136, 157 f 124
4 4,1 f 4,1–13 4,2 4,2 f 4,13
4,16 f 4,26 6,13 6,22 6,40 7,36 f 7,38 8,13 8,14 9,1 f 9,22 9,22–25 9,23 9,23 f 9,31 9,35 9,39 9,43 9,43 f 9,44 9,45 9,46 9,46 f 9,51 10,1 f 10,16 10,18 11,4 11,16 11,20 11,49 12,8 f 13,2 14,26 14,27 15,11 f 17,20 f
35, 59 171 25 25, 165 78 22, 24 f, 36, 59, 62, 115, 165 178 178 22, 105 117, 119 118 39 157 32, 106 f, 112 156 47, 160, 171 30, 80, 97, 98, 102 f, 110 76 76 104, 156 80 105 134 181 30 80 62 33, 81 171 80 47, 160, 171 85, 118 22 32, 42, 112, 165 25 123 117 156 97, 102 f, 111 156 157 52 122
17,25
17,26 f 18,31 18,31 f 18,34 18,35 18,35 f 21,12 f 21,23 21,25 22 22–23
22,1 f 22,1–6 22,1–29 21,7 f 21,12 21,12 f 22,2 22,3
22,3 f 22,4 22,4 f 22,5 22,5 f 22,7–12 22,7–14 22,8 22,8 f 22,9 22,10 22,10 f 22,12 22,13 22,14
22,14 f 22,14–22 22,14–20 22,14–38
97 f, 102, 104, 110, 122 122 80 30 62 82 82 117 106, 112 32, 107, 112 50, 159, 164 22, 34 f, 59, 64, 65 f, 73, 175 155 64 155 123 119 118 65, 76 22 f, 25, 31, 36, 46, 62 f, 65, 68, 72, 74, 76, 78, 156, 159 78, 155 35, 46, 74, 76 65, 78, 158 f 48, 161 32 f 155 64 158 162 158 78 158, 160 174 155, 159 27, 76, 164, 166, 170, 174 24, 32, 167, 175 155 173 165
201
Bibelstellenregister 22,15
22,15 f 22,15–20 22,16 22,17 22,17 f 22,18 22,19 22,19 f
22,20 20,20–22 22,21 22,21 f 22,21–38 22,22 22,23
22,23 f
22,23–33 22,24
22,24 f
22,25 22,25 f
20,25–30 22,25–38 22,26 22,26 f
97 f, 102, 104, 110 f, 113, 166, 170 f, 174 123, 158, 169, 172 64 123, 160, 166, 170 f 166 154, 160, 169 123, 160, 166, 170 f 166, 169 33, 115, 119, 157, 169, 172 33, 160, 166, 174 169 170 33, 160, 163, 167, 173 64 24, 63, 160, 171 32 f, 36, 46 f, 73, 78, 81, 158, 160 42, 73, 154 f, 159, 162, 166, 169 173 33, 46, 48, 73, 78, 81, 158, 161, 167 32 f, 36, 59, 81, 120, 157, 163 34 f, 40, 47, 73 33, 47, 63, 68, 78, 158, 160, 171 169 155 34, 161 46, 48, 151, 163, 167
22,26–30 22,27 22,28
22,28 f
22,28–30 22,29 22,29 f
22,30
22,31
22,31 f
22,31–34 22,32
22,32 f 22,33
22,33 f 22,34 22,35
172 170 18, 24 f, 26, 30, 36, 39, 47, 53, 68, 72, 76, 78, 112, 115, 151, 162 f, 170 f 48, 63, 66 f, 158, 160, 163 25, 39 73 34 f, 40, 48, 54, 72, 78, 157, 161, 163, 170 f 26, 29, 123, 163, 167, 169 22 f, 36, 46, 52, 59, 62 f, 65, 68, 72, 74, 76, 78, 112, 156, 162, 167, 169 31, 54, 59, 81 f, 120, 157 f, 160, 163, 171 31, 173 46, 52 f, 59, 62 f, 66, 68, 72, 78, 112, 120, 147, 151, 156, 161 f, 167, 170 169 26, 41, 47 f, 53, 75, 158, 160 f, 164, 167 78 48, 158, 167, 169 f 81, 158, 160, 167, 169, 171
22,35 f
22,35–38 22,36 22,36 f
22,37 22,38
22,39 22,39 f 22,39–46 22,40
22,40 f 22,41 22,42
22,42 f 22,43 22,43 f 22,44 22,44 f 22,44–46 22,45
22,45 f 22,46
35 f, 47, 54, 59, 68, 78, 120, 160, 163, 171 173 35, 41, 151, 160 47, 62, 158, 160, 167, 169 170 f 41, 62, 75, 158 f, 161, 162, 164, 167, 169 27, 76, 78, 164 59, 65, 68, 78, 120 31, 64, 160, 165 24, 30 f, 32, 36, 42, 47, 54, 66, 73, 75 f, 81, 112, 115, 149, 158, 160, 164 f 26, 154 f 27, 42, 74 31, 64, 73, 75, 157 f, 160 57, 59, 120 57, 74 155 32, 64, 84, 154 121, 135, 154 135 12, 28, 30, 46, 48, 62, 73, 75 f, 78, 126, 154 f, 157, 160 f, 163, 181 f 163 24, 30 f, 36, 42, 47, 54, 66, 73, 75,
202
22,46 f 22,46–49 22,47 22,47 f 22,47–53 22,48 22,49
22,49 f
22,50 22,50 f 22,51
22,51 f 22,52 22,52 f 22,54 22,54 f
22,54–62 22,54–65 22,55 22,56 22,57 22,58 22,59 22,60 22,60 f 22,61
Bibelstellenregister 112, 115, 149, 158, 160, 165 124 135 31 35, 54, 65, 73 f, 78, 159 64 158 18, 27 f, 32 f, 35 f, 47, 54, 63, 75, 158 f, 161, 162, 164 41, 46, 48, 63 f, 65 f, 82, 161 f 35, 48, 48, 155, 161 f 47 35, 41, 48, 54, 59, 62, 68, 73 f, 78, 82, 120, 154, 157 f, 160 f 41 54, 63 158 29, 76 f, 78 31, 46, 53, 63, 73, 153, 159, 162 155 64 77 74 158 158 66 158 155 27, 29, 30, 41 f, 43, 46, 48, 53, 59, 62, 66, 68, 72, 74 f, 78, 82, 120, 154 f, 157 f, 160 f, 163 f
22,61 f 22,62
22,63 22,63 f 22,66 22,66 f 22,66–71 22,67 f 22,69 22,70 23,1 23,1 f 23,1–5 23,2 23,3 23,4 23,5 f 23,6 f 23,6–12 23,7 23,8 23,9 23,11 23,12 23,13 f 23,13–25 23,14 f 23,22 23,24 23,26–43 23,27 23,28 23,28 f 23,32 f 23,32–49 23,33–49 23,34
23,34–38 23,35 23,35 f 23,36 23,39–42 23,41 23,40–43
53, 59, 72, 82, 120 32, 48, 53, 73, 77 f, 82, 155 f, 161 73 65, 75, 82 74, 82, 164 65 64 158, 162 133, 160 158, 162 164 65 64 40 82, 158, 162 40, 65, 163 66 65 64 164 48, 161 82, 162 164 48, 161 65 64 40, 65, 163 65, 163 65 64 48, 157 154, 160 158, 160 135, 138 133, 135 140 41, 68, 138, 140 f, 157, 160, 162 135 28, 48, 75, 105, 161 65, 82 75 135 163 142
23,43
23,44 23,44–45 23,44–49 23,44–56 23,45 23,46
23,47 23,47 f 22,47–49 23,48 23,49
23,50 23,50 f 24,1 f 24,4 f 24,9 24,9 f 24,12 24,13 f 24,15 24,17 24,21 24,25 24,25 f 24,26
24,30 f 24,32 24,33 f 24,34 24,35 24,36 f 24,45 f
41, 68, 135, 138, 140, 142, 157 f, 160, 162 158 135 133 f, 135 64 143, 157 42, 64 f, 75, 81, 85, 121, 133, 135 f, 138, 140, 143 f, 160 f 140 f, 163 75 135 28, 48, 68, 143, 181 24 f, 27 f, 29 f, 36, 38, 42, 48, 53, 66 f, 68, 72 f, 74 f, 78, 115, 136, 156, 158 f, 162 f 67, 159 67 67, 159 68 27 29, 66 f 67, 72 67 33 73, 75, 78 73, 75, 78 158 181 97 f, 102, 104, 109 f, 113 181 181 66 f 72 115, 180 67 67
203
Bibelstellenregister 24,46
24,47 24,48 24,49 24,50 f
68, 97 f, 102, 104, 110 f, 114 119, 158 136, 158 f 67, 87 67 f
Johannes 1,5 1,9 5,16 5,18 7,1 7,19 7,20 7,25 8,37 8,40 11,53 13,30 15,20 16,21 16,33
85 85 117 117 117 117 117 117 117 117 117 24 117 100, 104 100, 104
Apostelgeschichte 1,1 1,3
1,4 1,4 f 1,8 1,9 f 1,11 1,15 f 1,16 f 1,18 1,18 f 1,19 1,21 f 1,22 1,24 1,25 2
139 97 f, 102, 104, 110 f, 113 67, 84 87, 121 67 f 67 66, 88 67 f, 72, 78 31, 38, 68, 88, 156 72 76 39 68 68, 135, 158 f 105 68, 72, 76, 156 53
2,1 2,14 2,14 f 2,21 2,22 f 2,23 2,23 f 2,24 2,31 2,36 2,38 2,41 2,42 2,47 3,11 f 3,13 3,15 3,15 f 3,18
3,18 f 3,20 4,1 f 4,4 4,10 4,10 f 4,17 4,23 f 4,24 f 4,25 4,26 4,27 4,27 f 4,28 4,29 5,9 5,14 5,17 f 5,19 f 5,28 f 5,30 5,30 f 5,36 5,41 5,60 6,1–8,3 6,5 6,8 f 6,9 6,13
67 67 f 72 119, 136 88 22 89, 124 89 116 86 123 86 115, 179 f 86 88 86 89 89 97 f, 102, 104, 110 f, 113, 119 123 123 88, 119 f 24 89 89 119 88, 89 92 89 89 89 86 89 89 87 86 120 87 88 89 89, 124 24 117 140 139 105 120 33 84
6,14 6,15 6,16 7,2–53 7,10 7,11 7,51 f 7,52 7,54 7,54 f
7,54–60 7,55
7,55 f 7,56 7,57 7,58
7,59
7,59 f 7,60
8,1 8,1 f 8,2 8,3 8,3 f 8,4 f 8,26 8,26 f 8,34 f 8,39 8,59 9,1 9,1 f
84, 88 143 142 89 32, 99, 103, 107 f 32, 99, 103, 107 99 88, 89, 117 124, 135 84, 89, 115, 121, 139, 180 f 133 118, 121, 133 f, 136, 138, 140, 143 12, 84, 121, 133, 139 f 121, 136, 138 134, 142 135, 137, 140, 143, 181 81, 84 f, 121, 136, 138, 140, 142 42 85, 121, 133 f, 136, 138, 140, 142 142, 181 f 85, 181 120, 179, 181 f 142 172 182 87 87 f 117 87 157 85 85, 120, 172, 182
204 9,3 f 9,4 9,4 f 9,5 9,10 f 9,13 f 9,14 9,15 9,15 f 9,16
9,17 9,17 f 9,21 9,22 f 9,23 f 9,27 9,28 f 9,29 10,10 f 10,14 10,34 f 11,7 11,9 11,9 f 11,16 11,19
11,20 11,21 11,23 11,24 11,26 12,1 f 12,7 12,7 f 12,11 12,11 f 12,23 12,24 13–14 13,14–50 13,16 f 13,28 f 13,38
Bibelstellenregister 84 f, 121, 181 85, 116 116 f, 117 f 84 f, 116 85 121 136 105 f, 119 105 f, 121 85, 97 f, 102, 105 f, 110, 117, 119 85 88 136, 172 120 85, 121 88 120 33 86 86 88 86 86 182 88 32, 95, 99, 102 f, 107, 109, 112, 116, 137, 139, 181 109, 139 24 120 86 11, 109, 139, 183 87, 120 87, 121 87 87, 121 87 87 87 113 113 88 124 124
13,45 13,50 13,51–14,5 14,2 14, 3 14,3 f 14,5 14,5 f 14,8–19 14,14 14,21 f 14,22
15,7 f 15,11 15,17 15,22 15,22 f 15,25 15,26 16,5 16,7 16,14 16,17 16,19 f 16,24 16,40 17,1 f 17,3
17,5 f 17,6 f 17,13 f 17,16 f 18,6 18,9 18,9 f 18,12 f 19,23 f 19,28 19,32 19,34 20,1 20,2 20,3 20,15 20,16
120 117 113 87 86 86 87 120 113 134 113 32, 99, 103 f, 106 f, 112 f, 116, 118, 120, 124, 156, 183 169 116 136 105 119 105, 119 117, 119 24 84, 87 86 86 120 146 120 88 97 f, 102, 104, 114, 110, 119 119 f 171 120 88 120 86 84 f, 121 120 120 134 134 134 120 120 120 167 168
20,17 20,17 f
20,17–21,1 20,18 20,18 f 20,18–35 20,19
20,20 20,20 f 20,21 20,22 20,22 f 20,23
20,24 20,25 20,26 20,27 20,28 20,28 f 20,29 20,29 f 20,30 20,31 20,32 20,33 f 20,34 20,35 20,36 20,36 f 20,37 20,37 f 20,38 21,1 21,4 21,8 f
170 104, 168, 172, 175, 182 165 89 88 89, 167 f 25, 89, 112, 165 f, 170 f, 173 170 171 89, 170 89, 166, 170, 172 f 181 32, 89, 99, 103 f, 106 f, 116, 169 f 89, 170 f, 173 169 f, 173 170 f 171 123, 167, 172 169 89, 168, 173 170, 173 183 165 f, 170 f, 173 167, 170, 172 171 170 f 89, 116, 167, 170 f 166, 168, 170, 172 120, 166 f, 173 165 f, 170 f, 173, 182 179, 181 f 169, 174 165, 168, 174 182 182
205
Bibelstellenregister 21,11 f 21,12 21,12 f 21,13 21,14 21,17 21,27 f 22,6 f 22,7 22,7 f 22,8 22,14 22,15 22,16 22,17 f 22,20 23,8 23,9 23,11 23,12 f 23,27 f 23,29 24,1 f 25,1 f 25,19 26,1 f 26,14 26,14 f 26,15 26,16 26,23 26,31 26,32 27,14 f 27,24 27,37 28 28,1 28,5 28,16 28,23 28,30 f 28,31
181 f 182 179, 182 117, 119 f, 166, 182 182 182 120 88 116 118 116 105 106 136 120 139 87 87 84 f, 121 120 120 41 120 120 88 88 116 118 116 106, 106 97 f, 103 f 41 181 f 120 120 62 182 182 97, 102 f, 111 182 86, 121 182 86, 121, 182
Römerbrief 1,16 2,9
167 100, 104
3,25 5,3 7,5 8,9 8,15 8,17 8,18 8,35 10,13 12,12 14,1 f
167 99, 108 97, 111 87 134, 136 104 97, 98, 111, 119 99, 109 136 99, 108 167
4,10 4,17 6,3 6,4 7,4 7,5 8,1 8,2 8,13 12,10
101, 116 99 104 99, 100, 108, 112 99, 100, 104 99, 113 108 99 99, 100, 104 117
Galaterbrief 1. Korintherbrief 1,2 1,6 1,6 f 1,7 1,10 1,10 f 1,24 5,14 7,26 7,28 8,1 8,11 f 10,16 11,17 f 12,12 12,26 15,9 15,18
136 98 120 98 156 17 167 156 112 100, 104 167 167 115 146 101 97, 104 117 85, 121, 137
1,13 1,15 1,23 1,23 f 3,4 4,6 4,17 5,24 6,17
Epheserbrief 3,13
1,5 f 1,6
1,7 1,8 2,1 ff 2,4 2,5 4,8
99, 102, 108 11, 97, 98, 111, 115 102, 111 97, 98 f, 102, 111, 113, 118 97, 98, 100, 102, 111 99 17 35, 99, 100 104 99, 113
99, 108
Philipperbrief 1,7 1,17 1,19 1,29
2. Korintherbrief 1,4 1,5
117 85 117 172 97 134, 136 168 97, 111 101, 116
3,6 3,10
4,14
98 35, 99, 104 87 97 f, 102, 118 f 117 97, 98, 100 f, 111, 114, 116 99, 100, 118, 120
Kolosserbrief 1,22 1,24
2,12 f
100 97 f, 100 f, 111, 115, 118 100
206
Bibelstellenregister
1. Thessalonicherbrief
Hebräerbrief
1,5 1,6 1,12 2,3 f 2,14 2,14–16 3,3 3,4 3,7
2,9 2,10 2,12 2,18 5,8 9,26 10,32
97 99, 100, 108 97 168 35, 97 f 98, 111 99, 108 99, 113 99, 112
2. Thessalonicherbrief 1,4 1,5 1,6 1,7 1,12
99, 108 98 99, 100, 104 99 98
1. Timotheusbrief 5,10
99
10,33 11,2 11,37 12,1 f 13,12
Jakobusbrief 1,27 5,10 5,10 f 5,13
2. Timotheusbrief
1. Petrusbrief
1,8 2,9 3,11
1,9 1,11 2,9 2,18 f 2,19 2,20
3,12 4,5
104, 120 104 35, 97, 98, 111, 113 117 104
109, 111 109, 111 146 97 97 97, 103, 110 35, 97, 98, 111 99 99 99 99 97
99, 100, 104, 108 104 120 104
99 87, 111 99 97, 125 35, 97 97
2,21 2,23 3,13 f 3,14 3,17 3,18 3,18 f 4,1 4,12 f 4,13
4,15 4,15 f 4,19 5,1 5,9 5,10
11, 97, 125 97 97 97 97 97 126 97 97 97, 98, 111, 114, 118, 125 97 119 97 97, 111 97, 98, 111 97
Johannesapokalypse 1,9 2,10 2,22 3,21 4,4 7,14
108 97, 98, 100, 104 100, 104 41 41 100, 104
Der Logienquelle Q zugeordnete Logien (Matthäus / Lukas) 6,22
117
22,30
41
207
Bibelstellenregister
Pseudepigraphen des Alten Testaments und Zwischentestamentliche Literatur 1. Makkabäer 5,16 9,27 13,5
107 99, 107 107
Joseph und Aseneth (JosAs)
Sirach
10,1 10,15
2,11 3,15 6,8 6,10 22,23 27,4 35,24 37,4 51,10
29 29
Jubiläen 2. Makkabäer 1,7
23,11–31
112
107 Odai
4. Makkabäer 18,15
99
4,16 5,16 6,3
107 107 107
Testament Benjamins 3,3
4. Esra 5,1–13 6,18–24 9,1 f
23
Psalmen Salomos 112 112 112
2. Baruch 25–27
107 107 107 107 107 23 107 107 107
112
16,11 16,14 17,26
107 107 41
Testament Gads 1,3
42
Sapientia Salomonis
Vita Adae et Evae (VitAd)
3,8
42,8
41
29
Qumrantexte, rabbinische Quelle und Übersetzungen Gemeinderegel (1QS)
Kriegsrolle (1QM)
3,20–24 11,12
1,12
22 147
4Q521 Fragment2 2,7
41
99
Jüdische Autoren Josphus Antiquitates Judaicae 4,320 29 7,252 29 13,108 23 16,277 23 18,369 23
Bellum Judaicum 1,393,505 23
De migratione Abrahami 157 96
Philo
De virtutibus 146 96
De Abrahamo 251 31, 63
In Flaccum 157
De decalogo 86
Legum allegoriae 3,69 31, 63
31, 63
29
208
Bibelstellenregister
Christliche Schriften Origenes Contra Celsum II, 23 152
Übrige antike Literatur Aischylos
Hesiod
Plutarch
Agamemnon 249 f 96 1505 24
Opera et dies 218 96
Apophth Philippi 6, 2, 177d 96
Homer
De defectu oraculorum 417D 23
Apuleius Metamorphosen 7,27,2 29 9,31,1 29
Ilias 1,206 3,12
24 42
Moralia 85e 328b
31, 63 31, 63
Lukian von Samosata Aristoteles Politik V7,1307a
Demonax 23
Polybius 31, 63
96
96 Menander Dyscolos 647
Arrian Anabasis 7,24,4
18,24,3
Thucydides 29
V 65,2
42
29 Xenophon
Platon Athenaeus Deipnosophistae 5,61 31, 63
Leges 5, 730
96
Anabasis 3,3,31
31, 63