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German Pages [324] Year 1970
Helmut Roscher Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge
HELMUT ROSCHER
Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge
V A N D E N H O E C K & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Band 21
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1969. - Printed in Germany. - Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen.
Vorwort Wenn ich diese Untersuchung nun als Buch vorlegen kann, so schulde ich bei diesem Anlaß mancherlei Dank : meinen Eltern, die nicht nur mit großen Opfern und viel Geduld mir ein ruhiges, konzentriertes Studieren ermöglichten, sondern auch allererst das Interesse an und die Liebe zur Geschichte in mir weckten, den evangelisch-theologischen Fakultäten in Hamburg, Heidelberg und Göttingen und ihren Professoren und Dozenten, bei denen ich studieren und lernen durfte, unter ihnen besonders Herrn Professor Dr. Bernd Moeller, Göttingen, der mich in die mittelalterliche Kirchengeschichte einführte, in seinem Heidelberger Innocenz-Seminar diese Arbeit anregte, sie mit interessiertem und freundlichem Rat hilfreich begleitete und mir durch eine Assistentur die Möglichkeit zu ihrem ruhigen Abschluß gab, schließlich der Deutschen Forschungsgemeinschaft und meiner heimatlichen evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers für ihre kräftigen Druckbeihilfen und, last not least, meinem Schwiegervater, dem Verleger Günther Ruprecht in Göttingen, der die Wege zur Veröffentlichung als Buch ebnete. Die Arbeit wurde 1966 von der evangelisch-theologischen Fakultät der GeorgAugust-Universität zu Göttingen als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Sommer 1965 abgeschlossen; nachträglich wurde es nur noch gering fügig geändert. Zu mehr, vor allem zum Nachtrag der seither erschienenen Literatur, ließen der Abschluß der Ausbildung und der Beruf als Pastor einer ausgedehnten Landgemeinde keine Muße. 2101 Neuenfelde im Alten Lande, Sommer 1968 Helmut Roscher
Inhalt Vorwort Einleitung
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Die Voraussetzungen 1. Kapitel: Der Stand der Forschung 2. Kapitel : Die Christianitas-Vorstellung 3. Kapitel: Papsttum und Kreuzzug vor Innocenz III
10 10 20 27
Teil I: Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes 1. Kapitel: Das erste Halbjahr 2. Kapitel : Der 4. Kreuzzug Abschnitt A : Die Zeit der Vorbereitung vom Kreuzzugsaufruf bis zum Vertrag von Venedig (Sommer 1198 bis April 1201) Abschnitt Β : Die Durchführung des 4. Kreuzzuges vom Vertrag von Venedig bis zur Errichtung des lateinischen Kaiserreiches (April 1201 bis 1204) Abschnitt C: Das Ende des 4. Kreuzzuges (1204 bis 1207) 3. Kapitel: Zwischenspiel 4. Kapitel: Die Vorbereitungen des 5. Kreuzzuges unter Innocenz III. (April 1213 bis Juli 1216)
51 51 58 58
99 122 132 140
Teil II : Die nicht-orientalischen Kreuzzüge Einleitung 1. Kapitel: Der Maurenkreuzzug in Spanien 2. Kapitel: Der Kreuzzug im Dienst der Mission 3. Kapitel: Der Kreuzzug gegen die Ketzer Exkurs : Die Entstehung des politischen Kreuzzuges
170 170 172 192 214 253
Teil III: Der Kreuzzug bei Innocenz III 1. Kapitel: 6 e r Kreuzzug im politischen Weltbild Innocenz' III 2. Kapitel: Der Kreuzzugsgedanke bei Innocenz III
260 260 268
Schluß Literaturverzeichnis Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen Register
292 304 318 319
Einleitung Von Gregor VII. bis zu Bonifaz VIII. reicht die große Zeit des mittelalterlichen Papsttums. Ihre Mitte bildet zeitlich wie sachlich der Pontifikat Innocenz' III. Gregors VII. ganz undifferenzierte Vorstellungen von einer Leitung der Welt durch das Papsttum wurden im 12. Jahrhundert durch kanonistische Distinktionen abgesichert und gemildert; im 13. Jahrhundert verloren diese kanonistischen Einschränkungen ständig an Wirkung auf die kurialen Ansprüche. Mit dieser Entwicklung überschnitt sich eine andere. Seit der Reform des 11. Jahrhunderts waren das Ansehen und die politische Bedeutung des Papsttums stark gestiegen, bis nach dem Zusammenbruch des staufischen Kaisertums die aufstrebenden Königreiche das politische Gewicht der Kurie überflügelten, wie es unter Bonifaz VIII. offenkundig wurde. Den Schnittpunkt dieser Entwicklungslinien bildet der Pontifikat Innocenz' III. Ihm gelang es in einem vorher und nachher nie erreichten Maße, seine kanonistisch abgesicherte Anschauung von der päpstlichen Leitung der Christenheit der politischen Wirklichkeit anzupassen. Das 12. und 13. Jahrhundert sind das Zeitalter der Kreuzzüge. Die unter Urban II. mit dem 1. Kreuzzug und der Eroberung Jerusalems einsetzende erste Epoche endete 1187 mit dem Zusammenbruch des Jerusalemer Reiches ; von nun an gerieten die Christen im Hl. Land immer mehr in die Defensive, bis 1291 ihr letzter fester Ort, Akkon, fiel. Auch für die Kreuzzugsbewegung bedeutete die Regierung Innocenz' III., des ersten großen Papstes nach der Katastrophe von 1187, eine Wende. Ihre Eigenart herauszustellen, ist das Ziel dieser Untersuchung; sie versteht sich als Beitrag zur Geschichte Innocenz' III., bei dem wir daher unseren Ausgangspunkt nehmen. Das bedeutet, daß neben den Kreuzzügen ins Hl. Land auch die Unternehmungen gegen die Mauren, die Heiden und die Ketzer, die Innocenz als Kreuzzüge verstand, einbezogen werden müssen. Um Innocenz recht einordnen zu können, sollen die Voraussetzungen, d. h. die Entwicklung im 12. Jahrhundert gründlich untersucht werden ; für die weitere Entwicklung mag dann eine Ubersicht bis zu Innocenz IV. genügen, die ein gelegentlicher Ausblick auf Gregor X. abschließt, der sich als letzter Papst mit vollem Ernst um eine Neubelebung der Kreuzzugsbewegung bemühte und dabei Gedanken Innocenz' III. aufgriff.
Die Voraussetzungen
1. K A P I T E L
Der Stand der Forschung a) Zur
Kreuvgugsgeschichte
Trotz des großen Umfangs ist der Zustand der Literatur zur Kreuzzugsgeschichte unbefriedigend1. Die letzten Jahrzehnte brachten eine Reihe großer Gesamtdarstellungen, denen zwei Eigenarten gemein sind : sie beschränken sich fast völlig auf die Kreuzzüge ins Hl. Land2 und sie sind wegen der speziellen Interessen der Autoren mit jeweils verschiedenen Einseitigkeiten belastet. R. Grousset referiert die europäische Geschichte der Kreuzzüge in größter Knappheit, um die Ereignisse im Orient breit erörtern zu können3. Auch der Byzantinist S. Runciman übergeht die jeweilige Vorgeschichte der Kreuzzüge und beginnt seine meisterhafte Darstellung erst mit dem Aufbruch der Kreuzheere4. A. Waas stellt die Kreuzzüge dar als Wirkung der „Ritterfrömmigkeit" ; dieses aufgepreßte Schema und zahlreiche Ungenauigkeiten mindern den Wert des Werkes, das aber über die Schilderung hinaus Anregungen zur Deutung gibt5. Die schmale Kreuzzugsgeschichte von P. Rousset (1957) ist so auf den 1. Kreuz1 Die Literatur verzeichnen H. E. Mayer, Bibliographie zur Geschichte der Kreuzzüge (1960) und, weniger umfangreich und zuverlässig, A. S. Atiya, The Crusades, Historiography and Bibliography (1962). Zum Forschungsstand vgl. zuletzt H.E.Mayer, Probleme moderner Kreuzzugsforschung, Vierteljahresschr. f. Soz. u. Wirtschaftsgesch. 50 (1963) S. 505—513 und J. Brundage, Recent Crusade Historiography, Cath. Hist. Review 49 (1963/64) S. 493—507, auch Atiya in der Einleitung seiner Bibliographie. 2 Nur die History of the Crusades von Κ. M. Setton u. a. macht hiervon eine Ausnahme. 3 R. Grousset, Histoire des Croisades et du royaume franc de Jérusalem, 3 Bde 1934—36, dasselbe gilt von der Kurzfassung L'épopée des croisades (1939), deutsch als Das Heldenlied der Kreuzzüge (1951). 4 S. Runciman, Geschichte der Kreuzzüge, 3 Bde (1957—60), (engl. Ausgabe 1952—54), vgl. die Rezensionen von H.E.Mayer, GGA 214 (1960/62) S.42ff und H.Grundmann, DLZ 82 (1961) S. 691 f. 5 A. Waas, Geschichte der Kreuzzüge, 2 Bde (1956), vgl. ders., Das Rätsel der Kreuzzüge, Zeitschrift für deutsche Geisteswiss. 6 (1943/44) S. 136—162. Vgl. die kritischen Rezensionen von H.E.Mayer, GGA 211 (1957) S.234ff, H. Grundmann, DLZ 82 (1961) S.693-96 und F.Dölger, Byz. Zeitschr. 50 (1957) S. 461-64.
Der Stand der Forschung
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zug konzentriert, daß die ganze weitere Kreuzzugsgeschichte als bloßer Anhang erscheint; die sehr ungleichmäßige Darstellung ist zudem durch in dieser Kürze verzerrende Urteile belastet. H. E. Mayers sehr dichte Darstellung® zeigt, daß selbst in nur einem Band die Komplexität der Kreuzzugsgeschichte zum Ausdruck kommen kann. Abgesehen von den nicht-orientalischen Kreuzzügen werden hier einmal die vielfältigen Aspekte der Kreuzzugsgeschichte, der äußere Verlauf, die Geschichte der Kreuzfahrerstaaten, der Kreuzablaß, die wirtschaftlichen und auch geistesgeschichtlichen Fragen, der Kreuzzugsgedanke usw. erfaßt. Dieses Werk zeigt erst, wie einseitig die meisten Kreuzzugsgeschichten sind. Ob die noch nicht abgeschlossene Gemeinschaftsarbeit unter Leitung von Κ. M. Setton der Vielfalt der Themen gerecht wird, muß noch offenbleiben7. Die bisher erschienenen zwei Bände (von fünf geplanten) stellen vor allem den äußeren Verlauf der Kreuzzugsgeschichte bis 1300 dar. Die Aufteilung der Arbeit unter viele Spezialisten birgt die Gefahr, daß die einzelnen Abschnitte den großen Zusammenhang verlieren. Schon jetzt wäre dem Leser mit manchem Vor-, Rück- oder Querverweis geholfen8. Auch die Darstellungen einzelner Kreuzzüge sind meistens auf bestimmte Streitfragen konzentriert, ζ. B. beim 4. Kreuzzug auf die Ablenkung des Zuges nach Zara und Konstantinopel9. Nur für den 2. Kreuzzug bietet G. Constable eine alle wichtigen Punkte umfassende Untersuchung10. Für umfassende Themen aus der Kreuzzugsgeschichte muß man gewöhnlich auf ältere Werke zurückgreifen, die durch neuere Spezialstudien nur ergänzt, nicht ersetzt werden. A. Gottlob hat die theoretischen Grundlagen, die äußere Geschichte und die Organisationsformen der Kreuzzugssteuern dargestellt11. Derselbe Autor hat gezeigt, wie die Ausweitung des Kreuzablasses auf die materielle Unterstützung des Kreuzzuges nicht nur neue Möglichkeiten der Kreuzzugsfinanzierung erschloß, sondern auch für die Geschichte des Ablasses eine Wende bedeutete12. Eine größere Untersuchung über den Kreuzablaß fehlt noch. Auch das wichtige Privileg des Kreuzfahrerschutzes ist bisher nur für den französischen Rechtsbereich untersucht worden13. Für die Kreuzwerbung hat U. Schwerin das H. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge (1965). A History of the Crusades (zitiert HC), Editor-in-Chief Κ. M. Setton, bisher 2 Bde (1957/62), vgl. den Plan des Gesamtwerkes Bd. I S. XIII f. 8 Vgl. auch die Kritik von H. E. Mayer, Probleme der Kreuzzugsforschung S. 510f. 9 Diese Kritik gilt auch für die besonders zahlreichen Darstellungen des 1. Kreuzzuges, von denen sogar die Werke von R.Röhricht (1901) und F.Chalandon (1925) manches wichtige Thema auslassen. 10 G. Constable, The Second Crusade as seen by Contemporaries, Traditio 9 (1953) S. 213—279. 11 A.Gottlob, Die päpstlichen Kreuzzugssteuern des 13. Jahrhunderts (1892). 12 A. Gottlob, Kreuzablaß und Almosenablaß (1906). Die große praktische Bedeutung des Kreuzablasses kommt in den neueren Werken zur Ablaßgeschichte von Paulus und Poschmann kaum zur Geltung. 13 E. Bridrey; La condition juridique des croisés et la privilège de Croix (1900). 6
7
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Die Voraussetzungen
Grundschema der päpstlichen Kreuzbullen herausgearbeitet, während V. Cramer die Kreuzpredigt und ihre Grundsätze, vor allem für das 13. Jahrhundert, untersucht hat14. Für die Geschichte des Kreuzzugsgedankens harrt C. Erdmanns grundlegendes Werk immer noch der Fortsetzung 15 . Erdmann hat gezeigt, wie aus vielfaltigen religiösen Kriegstraditionen der Kreuzzugsgedanke entstand und seine Aufnahme durch Gregor VII. den Bruch mit der tausend Jahre alten kirchlichen Tradition bedeutete, die, freilich in der Praxis oft ohne Konsequenz, den Krieg ablehnte. Es kennzeichnet das geringe Forschungsinteresse, daß die seinerzeit schon von K. Pivec angedeutete Kritik 16 erst drei Jahrzehnte später von dessen Schüler H.E.Mayer ausgeführt wurde. Neben den von Erdmann herausgearbeiteten Kriegstraditionen spielten Wallfahrtstraditionen eine entscheidende Rolle für die Entstehung des Kreuzzugsgedankens 17 . Für die weitere Geschichte des Kreuzzugsgedankens gibt es erst vereinzelte Vorarbeiten. Für den 1. Kreuzzug zeigt P. Rousset, freilich etwas undifferenziert, den eschatologischen Grundzug 18 , für Bernhard von Clairvaux weist E. Delaruelle auf das Vordringen des Bußmotivs hin19. M. Piocher hat die Bedeutung der lebendigen Begegnung mit den Muslim für die Kreuzzugsidee an Hand literarischer Texte untersucht20. P. A. Throop hat die im 13. Jahrhundert ständig wachsende Kritik am Kreuzzug und die kirchliche Reaktion, besonders unter Gregor X., dargestellt 21 . Das posthum erschienene Werk von P. Alphandéry, eine Art Frömmigkeitsgeschichte der Kreuzzugsbewegung, gibt vielerlei Anregungen, ist aber als Ganzes überholt 22 . Der Kreuzzugsgedanke bei den nicht-orientalischen Kreuzzügen ist nur für den deutschen Missionskreuzzug gründlich untersucht 23 ; für den Maurenkreuz 1 4 U. Schwerin, Die Aufrufe der Päpste zur Befreiung des Hl. Landes (1937); das Schema besteht aus drei Teilen : die narratio berichtet die Ereignisse im Hl. Land und den Anlaß, der zur exhortatio, dem eigentlichen Aufruf führt ; die statuta enthalten den Ablaß, die Privilegien und alle Bestimmungen für den geplanten Kreuzzug. V. Cramer, Die Kreuzzugspredigt zur Befreiung des Hl. Landes (1939). Da der Autor erblindete, fehlt dem Werk die letzte Überarbeitung ; so gibt es mehr Anregungen und weckt den Wunsch nach einer erschöpfenden Untersuchung des Themas. 1 5 C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens (1935). 1 6 M I Ö G 52 (1938) S. 84—86; Pivec spricht in seiner Rezension auch von einer laizistischen Wurzel des Kreuzzugsgedankens, die in Erdmanns fast ausschließlich klerikalen Quellen entstammenden Materialien nicht zur Geltung kommt. 17 H. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge S. 17—46. 18
P. Rousset, Les origines et les caractères de la première croisade (1945).
19
E. Delaruelle, L'idée de croisade chez Saint Bernard, Mélanges Saint Bernard (1954) S. 53—67.
20
M. Piocher, Studien zum Kreuzzugsgedanken im 12. und 13. Jahrhundert (Diss. Freiburg 1950).
21
P. A . Throop, Criticism of the Crusade (1940).
P. Alphandéry, La Chrétienté et l'idée de Croisade, hrgg. von A.Dupront, 2 Bde (1954/59); vgl. die positiven Rezensionen von H. E. Mayer, D A 15 (1959) S. 575f und H. Kämpf, HZ 192 (1961) S. 1 1 8 - 1 2 0 , aber auch die Bedenken von V . G . Berry, Speculum 37 (1962) S . 9 0 f . 22
23 Statt einer fehlenden Gesamtdarstellung vgl. den von H. Beumann herausgegebenen Sammelband, Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters (1963).
Der Stand dei Forschung
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zug hat C. Erdmann einen Anfang gemacht24, für den Ketzerkreuzzug fehlt selbst dieser. Wie wenig noch die Geschichte des Kreuzzugsgedankens geklärt ist, zeigen die diesem Thema gewidmeten Referate beim internationalen Historikertag 1955 in Rom 25 . Auf diesem Gebiet ist noch viel aufzuarbeiten26. Eine befriedigende Definition der Kreuzzüge erscheint z. Z. nicht möglich27, sogar für die einzelnen Kreuzzüge kann nur eine lockere Umschreibung gegeben werden28. Schon im Mittelalter wurden nur von kanonistischer Seite Versuche gemacht, zu sagen, was ein Kreuzzug sei ; aber diese Versuche begegnen erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts, als die Kreuzzugsbewegung ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte29. Am Anfang stand die Kreuzzugsbewegung; die Reflexion über sie, ihre Erfassung in Begriffen und Theorien, war bereits ein Zeichen der Distanzierung von der Bewegung 30 . Aber auch dem rückschauenden Historiker ist die knappe Definition der Kreuzzüge nicht möglich. Innerhalb der zwei Jahrhunderte Kreuzzugsgeschichte, bei den verschiedenen beteiligten Personen, Päpsten, Prälaten, Fürsten und Königen, 24 C. Erdmann, Der Kreuzzugsgedanke in Portugal, HZ 141 (1930) S. 23—53 ; R. Konetzke warnt nachdrücklich davor, die spanische Vorstellung vom Maurenkrieg mit dessen Wertung als Kreuzzug nördlich der Pyrenäen gleichzusetzen, HZ 184 (1957) S. 586 f. 25 Relazioni del X Congresso Internazionale di Scienze Storiche, Vol. III. Storia del Medioevo (1955) S. 542—652 mit Beiträgen von A. Cahen, P. Lemerle, P. Rousset, S. Runciman und M. Villey. In seinem Bericht über 25 Jahre Kreuzzugsforschung (vgl. Anm. 1) kann J. Brundage den Kreuzzugsgedanken ganz übergehen. 26 Vgl. die Forderung von H. E. Mayer, Probleme moderner Kreuzzugsforschung S. 506 ff. 27 Die ältere Forschung hat zahlreiche Versuche dazu gemacht; die Definitionen waren entweder einseitig auf bestimmte Kreuzzüge oder Kreuzzugsgebiete ausgerichtet und erfaßten nicht alles, was „Kreuzzug" war, oder sie waren zwar umfassend, aber nichtssagend. Statt vieler Beispiele sei auf E. Schlée, Die Päpste und die Kreuzzüge (Diss. phil. Halle 1893) S. lOf verwiesen; Schlée zitiert und kritisiert die Definitionen bei Sybel : „ein Unternehmen, mystisch in seinen Zwecken, ohne sichtbaren Zusammenhang mit den Interessen des Abendlandes, einzig zum Besten des Hl. Grabes und der Seligkeit der Kämpfenden", Prutz : eine von den politischen, wirtschaftlichen und nationalen Kräften des Abendlandes gestützte Unternehmung, „mit welcher die Kirche ihren Sieg über die Sonderbestrebungen zu vollenden und auch über die weltlichen Machtmittel der abendländischen Christenheit die Verfügung auf die Dauer in ihre Hand zu bringen gedachte", und schließlich Kugler: der Kreuzzug ist „nicht nur aufzufassen als ein gesteigerter Ausdruck des Verlangens, in heißer Andacht am Grabe Jesu zu beten, sondern ebensowohl als ein großartiger und, wenn auch abschließend mißlungener, so doch überaus folgenreicher Versuch der gesamten Christenheit, die an den Islam verlorenen altchristlichen Gebiete in ganzem Umfang wieder zu gewinnen und daneben die Herrschaft des Kreuzes sogar noch nach anderen Seiten über die bisherigen Grenzen hinaus auszudehnen". Unzufrieden mit diesen Definitionen bezeichnet Schlée dann als Kreuzzüge „diejenigen kriegerischen Bewegungen, die im Interesse der Kirche geführt werden und zu deren Ausführung von selten der Kirche das Kreuz gepredigt wurde". 28 P. Rousset, Les origines . . . S. 21, der, nachdem er eine Reihe von Definitionen abgelehnt hat, fast eine Druckseite zur Umschreibung des 1. Kreuzzuges benötigt. 29 Vgl. M. Villey, La Croisade, essai sur la formation d'une théorie juridique (1942), der freilich als Jurist gelegentlich etwas zu wenig historisch differenziert. 30 Vgl. Erdmann, Entstehung S. 133.
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Die Voraussetzungen
kleinen Klerikern, Chronisten oder einfachen Kreuzfahrern, in den verschiedenartigen Quellen, päpstlichen Kreuzbullen, privaten Briefen, in Geschichtswerken oder in offiziellen Berichten, in Kreuzpredigten und Kreuzzugsdichtungen, zeigt sich ein so komplexes Bild von den Kreuzzügen, daß jede knappe Definition des „Kreuzzuges" der historischen Wirklichkeit Gewalt antun müßte31. Doch darf das kein Vorwand zur Resignation sein32, auch die kleinere Aufgabe ist noch unerledigt, zu klären, was im Einzelfall als „Kreuzzug" galt; für Innocenz III. soll das unten versucht werden. Aus dem Mosaik solcher Einzelergebnisse mag dann vielleicht eine Klärung der Frage, was die Kreuzzüge waren, möglich werden. b) Zur Geschichte Innocent
III.
Die Bedeutung Innocenz' III. hat diesem Papst seit je das Interesse der Historiker gesichert; die ältere Forschung hat vor allem den äußeren Verlauf und die politische Geschichte seines Pontifikats geklärt. Die älteren Biographien von F. Hurter33 und A. Luchaire34 sind durch die Werke von J. Haller35 und H. Tillmann38 ersetzt. Haller stellt Innocenz' Pontifikat im Rahmen der Papstgeschichte unter dem bezeichnenden Titel „Die Vollendung" dar; ihn interessiert vor allem der große Kirchenfürst. Doch Hallers kritische Distanz zum Gegenstand seiner Arbeit ist so groß, daß trotz der präzisen Analyse die wirklichen, lebendigen Triebkräfte im Wirken Innocenz' nicht voll erfaßt werden. H. Tillmann versucht dagegen in ihrer Darstellung des Wirkens des Papstes, „Innocenz als Mensch" zu begreifen. Beide Werke ergänzen einander: wünscht man sich bei Hallers distanzierter Analyse manchmal etwas weniger Kühle, so scheint H. Tillmann gelegentlich zu übersehen, daß ihr „Held" zu den „Meistern der Politik" zählt; sie nimmt seinem Denken und Handeln hin und wieder abschwächend die Spitzen, die seine Leistung und Wirkung erst erklären. Die rege Innocenz-Forschung der letzten Jahrzehnte hat sich besonders zwei Themen zugewandt. Mit Innocenz beginnt die Reihe der im Vatikanischen Archiv erhaltenen Papstregister. So setzten die Versuche, die Eigenart dieser einmaligen Quellenreihe zu ergründen, bei Innocenz III. ein. F. Kempf hat nach Vorarbeiten von W. Peitz und R. Heckel die erhaltenen Registerbände Innocenz' als sukzessiv und in engem zeitlichem Zusammenhang mit den Ereignissen geVgl. L.Böhm, „Gesta Dei per Francos" — oder Gesta Francorum?, Saeculum 8 (1957) S.44f. Η. E. Mayer, Probleme moderner Kreuzzugsforschung S. 506—508 erhebt die Forderung, man solle sich endlich darüber verständigen, was als Kreuzzug gelten könne ; derselbe Autor versucht in seiner Geschichte der Kreuzzüge S. 263, in knappen Sätzen wenigstens den orientalischen Kreuzzug zu umreißen, bleibt sich aber der Vorläufigkeit seines Versuchs bewußt. 33 F. Hurter, Geschichte Papst Innocenz' III. und seiner Zeitgenossen, 4 Bde (1834—42). 34 A. Luchaire, Innocent III., 6 Bde (1904-1908). 35 J. Haller, Das Papsttum, 2. Aufl. Bd. III (1952) S. 296-480. 36 H. Tillmann, Papst Innocenz III. (1954). 31
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Der Stand der Forschung
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führte Originalregister bestimmt 37 . F. Bock erklärte dagegen diese Registerbände für Kopien von in Mappen jahrgangsweise gesammelten Briefkonzepten 38 . Doch für Kempfs These sprechen seine Analyse der Schreiberhände, Tintenwechsel und der Brieffolge im Register 39 . Damit wird die Stellung innerhalb des Registers zu einem wertvollen Hinweis bei der Datierung undatierter Briefe. Während Kempf selbst eine allen Ansprüchen genügende Ausgabe des Sonderregisters über den deutschen Thronstreit besorgte, ist von der Neuausgabe der Hauptregister soeben der erste Jahrgang, bearbeitet von O. Hageneder, A. Haidacher u. a. erschienen. Die Mitarbeiter haben in einer Reihe von Studien Einzelfragen wie die Überlieferung in Handschriften und Drucken, die kanonistischen Randzeichen, die Prinzipien der Registrierung usw. untersucht. Wichtiger für unsere Arbeit ist das andere große Thema, die exakte juristische Interpretation Innocenz' III. M. Maccarone hat zuerst die Fragestellung und ersten Ergebnisse der neueren Kanonistik auf Innocenz III. angewandt. Durch Vergleich mit kanonistischen Texten des 12. und 13. Jahrhunderts zeigte er, daß Innocenz gegen die hierokratischen Tendenzen, wie sie Bernhard von Clairvaux, Honorius Augustodunensis, Gerhoh von Reichersberg u. a. vertraten, die alte Zweigewaltenlehre festhielt. Sein Lehrer Huguccio, einer der bedeutendsten Kanonisten des späten 12. Jahrhunderts, vermittelte Innocenz die kanonistische Tradition ; hier hatte sich ein Verständnis für die Eigenständigkeit der weltlichen Gewalt gehalten, das die Hierokraten in ihrem einseitigen Spiritualismus verloren hatten 40 . Während Maccarone nur die theoretischen Grundlagen bei Innocenz darstellte, ging H. Tillmann auf ihre praktische Anwendung ein 41 . Sie zeigte, daß in Innocenz' Politik nirgends Tendenzen nachweisbar seien, die weltliche Gewalt der päpstlichen unterzuordnen. Dem wird man im ganzen zustimmen können, wenn auch Innocenz' Politik hier gelegentlich zu harmlos verstanden wird 42 . 3'
F. Kempf, Die Register Papst Innocenz' III. (1945).
F. Bock, Studien zu den Originalregistern Innocenz' III. Archiv. Zeitschrift 50/51 (1955) S. 329 bis 364, dagegen F. Kempf, Zu den Originalregistern Innocenz' III., QFiAB 36 (1956) S. 86—137. 38
39 Vgl. die Kempf zustimmenden Rezensionen von H. E. Feine, ZRG 74 K A 43 (1957) S. 518 und K.Jordan, HZ 184 (1957) S.455; weitere Literatur bei P. Rabikauskas, Art. Papstregister, LThK 8 (1963) Sp. 59f. Die neue Edition von Hageneder u. a. setzt S. XXXIII Kempfs These voraus. 40 M. Maccarone, Chiesa e Stato nella dottrina di papa Innocenzo III (1940) ; die epochale Bedeutung des Buches würdigt Β. Tierney, Speculum 37 (1962) S. 55. 41 H. Tillmann, Zur Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat in Lehre und Praxis Papst Innocenz' III., DA 9 (1952) S. 1 3 6 - 1 8 1 . 42 Vgl. z. B. S. 178f: Johann Ohneland wurde „aus eigenem Antrieb Vasall des Papstes". Auch wenn das Ultimatum des Papstes nicht die Forderung enthielt, Johann solle Lehnsmann der Kurie werden, ist doch angesichts des starken politischen und religiösen Drucks (Bann und Interdikt herrschten seit Jahren) „aus eigenem Antrieb" keine angemessene Bezeichnung der Motive Johanns. Zudem wissen wir nicht, welche „Empfehlungen" der Überbringer des päpstlichen Ultimatums eventuell mündlich dem König machte.
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Die Votaussetzungen
Die große Darstellung dieser neuen Innocenz-Sicht gab F. Kempf; in seinem Buch, Papsttum und Kaisertum bei Innocenz III. (1954), untersuchte er „die geistigen und rechtlichen Grundlagen seiner Thronstreitpolitik". Kempfs gründliche Analyse ergibt, daß Innocenz nicht in die Rechte der deutschen Königswähler und des Reiches eingriff; er wandte lediglich einem der beiden Anwärter für die Kaiserkrone, deren Vergabe als eine von der Königserhebung zu unterscheidende Maßnahme dem Papst zustand, den .favor apostolicus' zu 43 . Gerade dieser. Schlüsselbegriff ist aber sehr vieldeutig, denn favor kann allgemein die Gunst heißen, aber auch prägnant die Bedeutung von ,Privilegium' oder ,beneficium' haben. Innocenz respektierte formal streng dualistisch die Rechte der deutschen Fürsten, ließ aber mit seiner vieldeutigen Formulierung durchblicken, daß er auch von dieser dualistischen Basis aus die praktische und ideelle Macht des Papstes der des Kaisers, des höchsten Vertreters der weltlichen Gewalt, vorzuordnen trachtete. „Er überhöhte den Streit der Kanonisten (num imperator habeat gladium suum a papa an non), und gab ihm gleichzeitig neue Nahrung" (Krüger) 44 . Im Schlußteil seines Buches stellt Kempf anhand einer Analyse wichtiger Dekretalen 45 die politische Lehre Innocenz' vor dem Hintergrund des 12. Jahrhunderts zusammen. Innocenz vertrat, wie schon Maccarone zeigte, die dualistische Auffassung seines Lehrers Huguccio. Aber Innocenz stand am Anfang des 13. Jahrhunderts, des Jahrhunderts der großen Summen; er griff die verschiedenen Traditionen auf, ohne ihnen blindlings zu folgen, und verband sie zu einem in sich geschlossenen Weltbild 46 . Den Schlüssel zu diesem Bereich im Denken Innocenz' gibt seine ChristianitasVorstellung, von der im folgenden Kapitel ausführlich zu reden ist. Mit ihrer Hilfe überwölbte und relativierte Innocenz seine dualistische Grundauffassung. Als oberster Inhaber der kirchlichen Schlüsselgewalt beanspruchte er, Haupt der christianitas zu sein. Das Haupt der Christenheit hatte nach Innocenz zwar keine juristisch faßbaren Herrschaftsbefugnisse, aber kraft seiner religiös-moralischen Autorität kam ihm die Führung der christlichen Völkerwelt zu. Als Haupt der 4 3 Zur Kritik dieser Hauptthese Kempfs vgl. zuletzt H. Hoffmann, Die zwei Schwerter im hohen Mittelalter, D A 20 (1964) S. 1 0 5 - 1 1 0 . 44 Vgl. hierzu die Ausführungen von S. Krüger in einer Rezension zu Kempfs Buch, G G A 2 1 0 (1956) S. 30f. H. Hoffmann aaO S. 1 0 9 f stellt geradezu eine Vorliebe Innocenz' III. für Halbtöne und undurchsichtige Formulierungen fest. 4 5 Kempf geht vor allem auf die Dekretalen „Novit ille" und „Per venerabilem" ein ; die Diskussion um diese Texte ist noch nicht abgeschlossen, vgl. zu Per venerabilem B. Tierney, Tria quippe distinguit iudicia . . ., Speculum 37 (1962) S. 48—59, zu Novit ille H. Barion, vgl. Anm. 55, zu beiden Dekretalen zuletzt H. Hoffmann, D A 20 (1964) S. 102—104, der zwischen hierarchischer und dualistischer Interpretation schwankt und überlegt, ob Innocenz sich bewußt mehrdeutig ausgedrückt habe. 46 Vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 3 1 0 ; schon vorher taucht dieser Gedanke in der bislang unbeachteten Arbeit von H. Wehenkel auf, Untersuchungen zur Primatsidee Innocenz' III. (Diss. phil. Frankfurt 1946) S. 2 3 . 2 5 . 7 7 ; Wehenkel vergleicht ausdrücklich Thomas von Aquin mit Innocenz und spricht von einer „coincidentia oppositorum" in der Gesamtschau des Papstes.
Der Stand der Forschung
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Christenheit konnte Innocenz bei aller formaljuristischen Zurückhaltung im Dienst diplomatischer Klugheit doch mit seiner Autorität den Kaiser in den Schatten stellen. Dieser päpstliche Anspruch ließ sich weit besser der wechselnden politischen Wirklichkeit anpassen, als es je der staufischen Reichsideologie gelang 47 . Diese Verbindung der kanonistisch-dualistischen Tradition mit der spiritualistischen in einem in sich ausgewogenen Gesamtbild, das allerdings schon bald durch die Kanonisten und Päpste des 13. Jahrhunderts aus dem Gleichgewicht gebracht wurde, war Innocenz' eigenständige Leistung. Kempfs Buch fand ein breites Echo, aber nur wenige Rezensenten gingen auf die Hauptthesen ein. W. Ulimann hatte gerade in einem großen Werk dargelegt, daß während des frühen und hohen Mittelalters die Päpste eine gradlinige hierokratische Politik betrieben 48 ; so bestritt er die für Kempf entscheidende These, daß Innocenz zwischen ecclesia und christiariitas unterschieden habe 49 . Ullmanns sachliches Anliegen, daß hier mit Hilfe kanonistischer Konstruktionen die Intention der Politik Innocenz' III. verdeckt werde, ging in der bald sehr allgemein und polemisch werdenden Debatte mit Kempf unter 50 . Th. Mayer betont, daß die Auflösung der institutionellen Zuordnung von Papst und Kaiser seit dem Investiturstreit zur Folge hatte, daß der Kaiser ohne klare Rechtsposition auf die reale Machtbasis seiner Königsherrschaft zurückgedrängt wurde 5 1 . Nicht die Kanonistik, sondern Diplomatie und Politik seien seither für das Verhältnis von Papst und Kaiser entscheidend 52 . Seine ChristianitasVorstellung habe es Innocenz erlaubt, die praktische Vorordnung des Papsttums vor das Kaisertum durchzusetzen. Indem die Christianitas-Vorstellung die beiden Bereiche verwob, habe sie den Dualismus zerstört und eine neue Form päpstlicher Oberherrschaft begründet. Kempf hat daraufhin einen Konsensus darin festgestellt, daß Innocenz die Leitung des Abendlandes beansprucht und nicht nur an den religiösen Bereich gedacht habe ; eine strenge Trennung von Religion und Politik sei im Mittelalter gar nicht möglich gewesen, doch habe Innocenz mehr Verständnis für die politische Realität der Königreiche gehabt als seine Nachfolger 53 . Hier setzt H. Barion ein 54 . Zum Nachweis, daß Innocenz' politische Lehre dualistisch war, müsse der Nachweis treten, daß auch seine Politik dualistisch 4'
Vgl. die Rezension von H. Appelt, M I Ö G 64 (1956) S. 3 3 7 - 3 3 9 . W . Ulimann, Die Machtstellung des Papsttums im Mittelalter (1960), das englische Original erschien 1955. 49 Journal of Eccl. Hist. 6 (1955) S. 2 3 3 - 2 3 6 , vgl. unten Anm. 20 zu S. 23. 48
50 F. Kempf, Die päpstliche Gewalt in der mittelalterlichen Welt, Saggi Storici intorno al Papato (1959) S. 1 1 7 - 1 6 9 , darauf W. UUmann, HZ 191 (1960) S. 6 2 0 - 6 2 4 . 51 Th. Mayer, Papsttum und Kaisertum im hohen Mittelalter, HZ 187 (1959) S. 1 - 5 3 , bes. S. 3 6 - 5 3 . 52 Mayer zitiert mehrfach (S. 25.44) die Antwort der Summa Bambergensis (1206/10) auf die Frage nach der Zuordnung von Papst und Kaiser : Quaestio ista iudicem non habet, sed solum executorem ; tarnen pium est credere, quod imperator habet gladium a Papa. 53 F. Kempf, Das Problem der Christianitas, HJ 79 (1960) S. 1 0 4 - 1 2 3 . 54 Z R G 77 K A 46 (1960) S. 4 8 6 - 9 3 .
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Die Voraussetzungen
war. Solange die prinzipiell geschiedenen Bereiche von Weltlichem und Geistlichem überwölbt blieben von einem nur kirchlich-politisch, nicht auch weltlichpolitisch begründeten Vorrang des Geistlichen, bliebe die darauf basierende päpstliche Politik monistisch. Hierokratie dürfe nicht ein Begriff der reinen Theorie unter Absehen von der praktischen Politik werden. Mit dieser an Beispielen erläuterten 55 Forderung ruft Barion zu einer umfassenderen Betrachtung des hier aufbrechenden Problems. Kempf stellt in seiner Antwort als die entscheidende Frage heraus, ob sich die kirchliche Theorie der Wirklichkeit zum Trotz auf das nur geistlich-politische Wollen versteift habe oder nicht doch das weltlich-politische Wollen anerkannte, insoweit dieses seine Rechte geltend machte 56 . Das heißt aber, daß nicht allein die Kanonistik, sondern diplomatisches Geschick und politischer Blick, wie auch das Glück der Stunde entschieden, in welchem Maß der Papst das Abendland leitete. Wir werden diese Einsicht auf Innocenz' Verhältnis zur Kreuzzugsbewegung anzuwenden haben. Kempf hat weiter gefolgert 5 7 , daß, da weltliche und geistliche Gewalt sich im 12. Jahrhundert noch ganz innerhalb der christianitas verstanden, diese Einheit zu einer bei allen dualistischen Grundsätzen doch monotheletischen Tendenz des Handelns führte. In dieser Lage leitete die Kanonistik dazu an, verstärkt über den prinzipiellen Dualismus zu reflektieren und ihm mehr Geltung in der Praxis zu verschaffen. Der Dualismus der Kanonisten habe so die Gefahr der Hierokratie, die in der monotheletischen Tendenz lag, gebannt. Höhepunkt dieses Gleichgewichts und zugleich ein Höhepunkt in der Verwirklichung der Christianitas-Vorstellung sei der Pontifikat Innocenz' III. gewesen. Sobald dieses Gleichgewicht gestört wurde, kam es zum Entscheidungskampf zwischen Papsttum und Kaisertum, der mit dem päpstlichen Pyrrhussieg endete. 5 5 Eines der von Barion herangezogenen Beispiele ist Innocenz' Dekretale Novit ille (S. 491—93). Diese Dekretale, die die päpstliche Intervention in den Lehnsprozeß Philipps II. August gegen seinen Vasallen Johann Ohneland rechtfertigen soll, greift in den strittigen Bereich der res mixtae ein. Indem Innocenz feststellt, er wolle nicht ,de feudo', sondern .ratione peccati' richten, verabsolutiert er diesen kirchlich-rechtlichen Aspekt der Streitfrage, „erklärt also den strukturellen Dualismus des Problems für irrelevant gegenüber seiner monistischen Lösung mittels der Decisio de peccato". Innocenz sieht zwar den lehnsrechtlichen Aspekt des Streites, denn eben unter Hinweis hierauf hatte sich Philipp August die päpstliche Einmischung verbeten, indem er aber den Streit wegen des kirchlich-rechtlichen Gesichtspunktes der päpstlichen Jurisdiktion unterstellt, legt er von vorneherein fest, daß die staatlichrechtliche Beurteilung des Streits ohne Rechtskraft sei. Er schließt damit die Wirksamkeit des staatlichen Rechts in dieser Frage von vorneherein aus. „Der kanonistische Hintergrund der Dekretale Novit ille ist mithin (politisch-)rechtlicher Monotheletismus zugunsten der Kirche als funktionale Hierokratie in optima forma". Kempfs Einwände gegen diese Deutung von Novit ille, vgl. die Anm. 56 genannte Entgegnung S. 311—313, überzeugen nicht, weil sie eben diese prozessualrechtliche Verabsolutierung des kirchlich-rechtlichen Aspektes nicht bestreiten können. 56 F. Kempf, Zur politischen Lehre der früh- und hochmittelalterlichen Kirche, Z R G 78 K A 47 (1961) S. 3 0 5 - 3 1 9 . 57 F. Kempf, Kanonistik und kuriale Politik im 12. Jahrhundert, Archivum Historiae Pontificiae 1 (1963) S. 1 - 5 2 , bes. S.27ff.51f.
Der Stand der Forschung
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Fassen wir das Ergebnis dieser Diskussion für unsere Arbeit zusammen : Die Begriffe Dualismus und Hierokratie sind zu pauschal, um in der Diskussion weiterhin zu genügen 58 . Auch birgt die starke Konzentration der neueren Innocenz-Forschung auf kanonistische Fragen die Gefahr der Einseitigkeit in sich. Innocenz III. war nicht nur Kanonist, sondern vor allem Papst. Wenn Alexander III. in erster Linie Jurist und in zweiter Linie Papst war, so gilt für Innocenz III. das Umgekehrte 59 . Er war Papst, ein juristisch bestens geschulter, aber vor allem ein von seiner Berufung zur Leitung der Christenheit zutiefst durchdrungener Papst. Es kommt nicht nur darauf an, wie Innocenz seine Taten begründete und wie er sie verstanden wissen wollte ; es ist vor allem wichtig, was er getan hat 60 . Im Kreuzzug wurde die Christenheit als Gemeinschaft der christlichen Völker und Reiche sichtbar. Es ist daher zu untersuchen, wie der Papst als Haupt der Christenheit zum Kreuzzug als herausragender Aktion der Christenheit stand, wie weit der Kreuzzug auf päpstliche Initiative zurückging und auf welche Weise der Papst sich an seiner Vorbereitung und Durchführung beteiligte. Zur Zeit Innocenz' III. war die Kreuzzugsbewegung noch lebendig. Erst später, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, setzten die Versuche der Kanonisten ein, den Kreuzzug juristisch zu erfassen. Daher ist das Thema „Innocenz III. und der Kreuzzug" ein historisches, kein kanonistisches. Weil kanonistische Schulfragen und Begriffe hier kaum eine Rolle spielen, läßt sich beim Kreuzzug besonders gut Innocenz' Versuch beobachten, die Leitung der Christenheit in die Hand zu nehmen, ohne daß ständig gleich die Alternativfrage, Dualist oder Hierokrat, den Blick für die historische Wirklichkeit und die Persönlichkeit des Papstes verstellt. Das gibt dem Thema dieser Untersuchung zugleich eine paradigmatische Bedeutung für die Gesamtbeurteilung Innocenz' III. 58 Die von Barion eingeführten Begriffe, Dyophysitismus und Mono- bzw. Dyotheletismus, sollten freilich der Christologie vorbehalten bleiben. 59 So Th. Mayer, HZ 187 (1959) S. 40 f. 60 Vorbehalte gegenüber einer einseitig kanonistischen Sicht schon bei A. Stickler, MIOG 62 (1954) S. 208 und B. Tierney, Speculum 37 (1962) S. 5 6 - 5 9 .
2. K A P I T E L
Die Christianitas-Vorstellung Die neuere Forschung hat gezeigt, daß die Christianitas-Vorstellung ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis sowohl der politischen Lehre Innocenz' III. als auch der kurialen Kreuzzugsidee ist 1 . Christsein meint nicht nur eine unanschauliche Zugehörigkeit zum mystischen Leibe Christi, zur Kirche; Christsein schließt vielmehr auch ein irdisch-leibliches Zusammengehören mit den anderen Christen ein. In diesem Sinne haben die Christen sich immer als eine eigene Gruppe im Gegenüber zu den Nicht-Christen verstanden. Im Unterschied zum theologischen Begriff der Kirche bezeichnen wir diese „soziologische" Größe als Christenheit, denn die Zugehörigkeit zu dieser ist nicht ohne weiteres identisch mit dem persönlichen Glauben des Einzelnen. Auch ohne nähere Klärung des Verhältnisses von Kirche und Christenheit konnte man sich die letztere vorstellen als ein politisch-soziales Zusammengehörigkeitsbewußtsein, das die Christen der verschiedenen Völker und Länder umfaßte, ohne daß daraus schon ein geschlossener Block entstand. Als im Frühmittelalter die romanischen und germanischen Völker durchgehend christlich wurden und sich mit dieser Entwicklung die Aufnahme des gemeinsamen antiken, vor allem römischen Erbes verband, verfestigte sich dieses Gemeinschaftsbewußtsein als Christenheit, das während des abendländischen Mittelalters nie ganz verlorenging 2 . Im Hochmittelalter fand es seinen Ausdruck darin, daß die Kreuzzüge von den meisten Chronisten als ein Unternehmen der Christenheit gegen die Heidenwelt dargestellt wurden 3 . Der gewaltige Eindruck, den die Kreuzzüge machten, mußte wiederum einer Verbreitung der Christianitas-Vorstellung zugute kommen. Die sehr komplexen Vorstellungen von einer Gemeinsamkeit der christlichen Völkerwelt wurden an der Kurie aufgenommen und in wechselnder Weise in die politische Konzeption des Papsttums eingeführt. Die Kirche der karolingischen 1 Zur Christianitas-Vorstellung vgl. J. Rupp, L'idée de Chrétienté dans la pensée pontificale des origines à Innocent III. (1939), G. Ladner, The Concepts of .Ecclesia' and ,Christanitas' and their Relation to the Idea of Papal ,Plenitudo Potestatis' from Gregory VII. to Boniface VIII., Sacerdocio e Regno da Gregorio VII. a Bonifacio VIII. (1954) S. 49—77, J. van Laarhoven, ,Christianitas' et Réforme Grégorienne, Studi Gregoriani 6, S. 1—98, Kempf, Papsttum und Kaisertum passim, ders., Das Problem der Christianitas im 12. und 13. Jahrhundert, HJ 79 (1960) S. 1 0 4 - 1 2 3 . 2
Vgl. Rupp aaO S. 7 - 2 3 .
3
Vgl. P. Rousset, La notion de Chrétienté aux XI e et XII e siècles, Moyen Age 69 (1963) S. 191 - 2 0 3 .
Die Christianitas-Vorstellung
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Zeit hatte die gelasianische Zweigewaltenlehre aufgenommen und modifiziert 4 . Die Welt galt als ein großer ,ordo', als ,ecclesia universalis', die der himmlische Christus regierte. Er hatte auf Erden zwei Vertreter, die Inhaber der geistlichen und der weltlichen Gewalt. Sie leiteten die ,ecclesia universalis', die an die Stelle des gelasianischen ,mundus' getreten war. Innerhalb dieser verstand z. B. Johannes VIII. den laikalen Bereich als die ,christianitas' im Gegenüber zur klerikalen Hierarchie 5 . So waren die Amtsfunktionen innerhalb der ecclesia universalis zwar in ihren Repräsentanten unterschieden, aber nicht grundsätzlich getrennt. Alle Ämter waren „religiös", denn sie dienten dem gemeinsamen Ziel aller Gläubigen der Kirche. Auch eine klare Abgrenzung der Funktionen fehlte. Diese wenig durchgeklärte, karolingisch-ottonische Form der Zweigewaltenlehre genügte den Vorstellungen der kirchlichen Reformpartei im 11. Jahrhundert nicht mehr 6 . Schon bei Humbert von Silva Candida ist die Auflösung der alten Konzeption zu erkennen. Zwar vertrat Humbert noch den alten Grundsatz, daß der ,ordo clericalis' und die ,potestas laicalis' den ,vulgus' regieren 7 ; aber in der Durchführung stellte er die ,potestas laicalis' nur in ihrer Funktion als Dienerin und Schützerin der Kirche dar; dem Kaiser maß Humbert keine besondere Bedeutung bei. Da die spiritualia den absoluten Vorrang vor den temporalia haben, sah Humbert im Papsttum die entscheidende Größe für die ,universitas Christiana'. Fundament dieser ,universitas Christiana' ist der Glaube, Christus ihr Vater und die Kirche ihre geistliche Mutter. Zu den wichtigsten Ergebnissen der Regierung Gregors VII. gehört die Entsakralisierung des Königtums. „Canossa" wurde zum Symbol der Krise des mittelalterlichen ordo. Bisher galt der König als eine der beiden ,principales personae' innerhalb der ecclesia universalis; diese Nebenordnung der beiden Gewalten wurde jetzt aufgehoben. Der Kirchenbegriff der Reformer war weit straffer als der hergebrachte, man kann sagen, er war stärker „ekklesiologisch" ; ecclesia war jetzt die hierarchisch verfaßte Kirche. Zu ihr gehörten nach wie vor alle Christen, aber doch weniger als Glieder denn als Untertanen ; ecclesia war zum klerikalen Begriff geworden 8 . Die weltliche Gewalt und die ganze Laienwelt sollten so von aller aktiven Bedeutung innerhalb der Kirche ausgeschlossen sein. Doch blieb ihnen die Betätigung im Dienst der Kirche, und zwar in einem Rahmen, der sich besser als „christlich" denn als „kirchlich" in dem neugewonnenen Sinn bezeichnen läßt. Hier fand die christianitas ihren Platz in der Vorstellung der Reformer, besonders Gregors VII. Diese von der Kirche unterschiedene christliche VölkergemeinVgl. Laarhoven aaO S. 13-23. Vgl. Rupp aaO S. 4 8 - 5 2 . 6 Grundlegend hierfür Rupp aaO S. 53—68, dessen Ergebnisse aber von Laarhoven und Ladner im einzelnen vertieft wurden. 7 Zu Humbert vgl. Laarhoven aaO S.23—32; dort S.27 als Beispiel zitiert: Sic ab una eorum potestate populus doceri, ab altera debet regi; Adv. Simoniacos 111,21, MGH Libelli de lite I, 226,1. 8 Vgl. Laarhoven aaO S. 37—74 und Ladner aaO S. 52—54. 4 5
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Die Voraussetzungen
schaft wurde freilich nie klar definiert; auch die Bezeichnung blieb schwankend; neben christianitas finden sich ,christiani' (als exklusiver Kollektivname), christianorum gens, christianus populus, Christiana Respublica, Christianum imperium, orbis oder mundus christianus und auch die praedikative Umschreibung, ubi colitur nomen christianum 9 . Zu den genannten Grundlagen des Gemeinschaftsbewußtseins der westlichen Christenheit gehörte die Zugehörigkeit zum Leibe Christi. Damit verband sich in der Christianitas-Vorstellung Gregors VII. und seiner Nachfolger als wichtiger Faktor die Anerkennung des Papstes als sichtbaren Hauptes dieses Leibes 10 . Hier wird deutlich, daß die päpstliche Christianitas-Vorstellung nur möglich war auf Grund des doppelten Klanges, den das Wort ecclesia hatte : einerseits die karolingisch-ottonische Bedeutung als (christliche) Welt, andererseits die streng ekklesiologische Fassung des Begriffs in der kirchlichen Reformbewegung. Beide Auffassungen waren nicht definiert; so konnten sie einander durchdringen, bis sie für die Zeitgenossen kaum noch zu unterscheiden waren 11 . In der kurialen Christianitas-Vorstellung konnte so dem Papst die Funktion des geistlichen wie des weltlichen Hauptes zugewiesen werden. Der Papst war geistliches Haupt der Christenheit, weil er die oberste Schlüsselgewalt besaß und den Ausschluß vom Leibe Christi oder die Wiederaufnahme aussprechen konnte. Er beanspruchte die Funktion eines weltlichen Hauptes der Christenheit, weil nach päpstlicher Anschauung kein Fürst, auch nicht der Kaiser, allseits in der Christenheit als Oberherr galt 12 . Dieser Anspruch des Papstes mag durch die Erfahrung verstärkt worden sein, daß das Reformpapsttum und die von ihm forcierte Zentralisation der Kirche auf Rom hin die Einigung der abendländischen Völkerwelt wesentlich vorantrieb 13 . Die päpstliche Christianitas-Vorstellung war bei Gregor VII. noch nicht voll durchgebildet. Aber kaum ein Papst hat so energisch die Leitung der Christenheit beansprucht wie er: Plus enim terrarum lex Romanorum Pontificum quam imperatorum obtinuit; in omnem terram exivit sonus eorum et quibus imperavit Augustus, imperavit Christus 14 . In Gregors Augen waren seine Aufgaben als irdisches Haupt der Kirche gar nicht zu trennen von denen als Haupt der Christenheit. Theoretisch waren es zwei Größen, die Gläubigen in der Kirche und die Christen in der Welt; praktisch unterschied Gregor hier kaum. Gregor bemühte sich, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Wie einst der Kaiser zum Schutz der ecclesia universalis berufen war, so versuchte Gregor, 9
Vgl. Rupp aaO S. 25-33. 114f und Kempf, Problem der Christianitas S. 119. Vgl. Laarhoven aaO S. 75-78. 11 Vgl. Ladner aaO S. 56 ff, der neben der „carolingian" und der „gregorian tradition" eine „inverted carolingian tradition" einfuhrt. 12 Vgl. F. Kempf, Das mittelalterliche Kaisertum, in Das Königtum (1956) S. 225-242. 13 Vgl. G. Tellenbach, Die Bedeutung des Reformpapsttums für die Einigung des Abendlandes, Studi Gregoriani 2 (1947) S. 125-149. 14 Vgl. Register Gregors VII. Lib 11,75, ed. Caspar S.327f, dazu Laarhoven aaO S. 76f. 10
Die Christianitas-Vorstellung
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der Christenheit Verteidiger zu beschaffen, die militia beati Petri. Auch leitete Gregor aus der Zugehörigkeit eines Fürsten zur Christenheit dessen Pflicht ab, die Christenheit mit den Waffen zu verteidigen 15 . Laarhoven hat gezeigt, daß Gregor den Begriff christianitas nur selten benutzte (12mal) 16 und daß die ganze Vorstellung bei ihm noch nicht voll ausgebildet war. Aber hier war ein zukunftsträchtiger Gedanke in die kuriale Lehre aufgenommen worden. Auf der Synode von Clermont 1095, deren Hauptthema gerade die Durchführung der gregorianischen Reformen war, hat Urban II. die Kreuzzugsbewegung eingeleitet, die von den Chronisten als eine unübersehbare Manifestation der Christenheit geschildert wurde 1 7 . Wenn am Beginn dieser Aktion der Christenheit ein Papst, Urban II., stand, so ist das nur ein Zeichen, daß wie beim Kreuzzug so auch bei der päpstlichen Christianitas-Vorstellung die Wirklichkeit einer ausgebildeten Theorie vorausging 18 . Einzeluntersuchungen über die Entwicklung der päpstlichen ChristianitasVorstellung im 12. Jahrhundert fehlen 19 . Bei Innocenz III. war sie zum Schlüssel für sein Weltbild und seine politische Konzeption geworden 20 . Innocenz hat die Unterscheidung zwischen ecclesia und christianitas samt den entsprechenden Synonymen wesentlich weiter als Gregor VII., aber doch nicht ganz streng durchgeführt 21 . Dabei erscheint christianitas als der umfassendere Begriff. Ecclesia ist bei Innocenz die hierarchisch verfaßte Kirche, christianitas die Gemeinschaft aller Christen. So konnte Innocenz betonen, sein Amt verpflichte ihn nicht nur den Kirchen, d.h. den Kirchenprovinzen, Bistümern usw., sondern allen Gläubi15 Vgl. Register Gregors VII. Lib IX, 17, ed. Caspar S. 598,6: Robert Guiscard sei „iure christianitatis" zur Hilfe verpflichtet ; dazu Laarhoven aaO S. 85—87. 16 Laarhoven aaO S. 78—89 referiert und deutet diese Belege. 17 Vgl. Rupp aaO S. 7 3 - 8 3 und Rousset aaO (vgl. Anm. 3). 18 Vgl. Laarhoven aaO S. 94—98. L'idée de Chrétienté se réalisé plutôt qu'elle se raisonne, elle semble déjà exister en fait avant devenir une théorie (S. 95). 19 Der knappe Abriß bei Rupp aaO S. 91—98 vermittelt keinen Eindruck; nur im Stichwort „pax christianitatis" kann Rupp S. 96—98 einen Zugang zur Friedenspolitik Alexanders III. bieten. 20 Das hat Kempf, Papsttum und Kaisertum passim und besonders S. 280—314 gezeigt, ebd. S. 301—310, eine erste Klärung des Christianitas-Gedankens bei Innocenz III., auf die ich mich im folgenden beziehe. Gegen Kempf hat W. Ullmann, Journal of Eccl. Hist. 6 (1955) S. 236, eingewandt, die Unterscheidung von ecclesia und christianitas sei „somewhat artificial and dogmatically slippery". Dieser Einwand verkennt, daß christianitas gerade kein dogmatischer, sondern ein politisch-soziologischer Begriff für eine theologisch-religiöse Vorstellung war. M. Maccarone, Rivista di Storia della Chiesa in Italia 9 (1955) S. 406—412, hat die Unterscheidung von ecclesia und christianitas bei Innocenz überhaupt bestritten. Innocenz benutze beide Begriffe synonym, und zwar nur in ekklesiologischem Sinne. Er habe deshalb konsequent nicht nur einen indirekten, wie Kempf meint, sondern einen direkten Anspruch auf den Lehr- und Jurisdiktionsprimat in der Christianitas erhoben. Maccarone führt einige eindrucksvolle Beispiele fur seine These an; doch hatte Kempf durchaus eingeräumt, daß der Wortgebrauch von Christianitas bei Innocenz noch flexibel sei. Man wird kaum bestreiten können, daß mit dieser Unterscheidung der Begriffe sehr viele Texte Innocenz' III. besser verständlich werden, wofür auf Kempfs Beispiele verwiesen sei. 21 Vgl. Laarhoven aaO S. 96 und Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 305. Da eine statistische Untersuchung des Wortgebrauches bei Innocenz fehlt, muß offenbleiben, wie weit die Begriffe sich hier verfestigt hatten.
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Die Voraussetzungen
gen 2 2 . Weil die Not nicht so sehr der Kirche als vielmehr des ganzen christlichen Volkes es erforderte, schickte Innocenz den Kardinal Soffred als Legaten ins Hl. Land 2 3 . Besonders deutlich wird diese Unterscheidung dort, wo Kriege zwar nicht der Kirche, aber den Christen schadeten und Innocenz zum Frieden aufrief, um den Schaden vom christlichen Volke abzuwenden 24 . Der Ausdruck ,populus christianus' wurde bei Innocenz in einem vorher unbekannten Maße zum Wechselbegriff für christianitas 25 . Auch Byzanz, das doch kirchlich von Rom geschieden war, zählte Innocenz wie selbstverständlich zur Christianitas 26 . Ein Jahrhundert Kreuzzugsgeschichte hatte bewirkt, daß man im Westen trotz der kirchlichen Trennung angesichts der gemeinsamen Sarazenen-Gefahr die Christenheit in Ost und West als zusammengehörig empfand ; dagegen hatte man noch z. Z. Gregors VII. mehr oder weniger bewußt nur die westlich-christliche Völkerwelt als Christenheit verstanden. Diese Ausweitung der allgemeinen Christianitas-Vorstellung verdient für unser Thema der Erwähnung 2 7 . Die Christianitas-Vorstellung gehörte zu den Grundlagen von Innocenz' Lehre von der papalen Gewalt 2 8 . Seit der Reform des 11. Jahrhunderts waren das Ansehen und die innerkirchliche Bedeutung des Papstes, dessen Lehr- und Jurisdiktionsprimat in der westlichen Kirche unbestritten war, gewaltig gewachsen 29 . Auf seiner Stellung in der Kirche beruhte nach Innocenz auch die Funktion des Papstes als Haupt der Christenheit. Dieses rechtlich nicht faßbare, nur vage zu umreißende Vorstellungsgefüge hatte keine Organisation und keinen allseits anerkannten Führer ; auch dem Imperium kam, jedenfalls nach päpstlicher Meinung, nur ein Würdevorrang zu. Da aber die Christenheit auf dem gemeinsamen christlichen Glauben und der Zugehörigkeit ihrer Glieder zum Leibe Christi beruhte, beanspruchte Innocenz, Haupt der Christenheit zu sein. Er sah hierin einen Ausfluß seines Lehr- und Jurisdiktionsprimats, kraft dessen er zum Hüter des christlichen Glaubens und obersten kirchlichen Richter bestellt war. Haupt der Christenheit zu sein, war demnach nur ein mittelbarer Anspruch des Papstes. Reg X V I , 2 , P. 4677 vom 28. Februar 1213, M P L 216, 785 B. Reg V,27, P. 1668 vom 24. April 1202, M P L 214,979B, weitere Belege bei Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 301 f mit Fußnoten. 22
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Vgl. Kempf ebd. S. 302 mit vielen Belegen.
Vgl. Rupp aaO S. 113f; Rupp meint, hier klinge für Innocenz im Hintergrund der Begriff des „populus Romanus" mit. 25
2 6 Reg II, 251, P. 924 vom Dezember 1199, also noch vor der Eroberung Konstantinopels von 1203/1204; M P L 214, 810 C. 27 L. Grill, Bernhard von Clairvaux und die Ostkirche, Analecta S. Ord. Cisterc. 19 (1963) S. 170, stellt fest, daß während der ersten Kreuzzüge Byzanz in das europäische Bewußtsein einbezogen wurde. Dazu paßt es, daß man es den Griechen ausgesprochen übelnahm, wenn sie, wie es beim 2. und 3. Kreuzzug offenkundig war, sich nicht ganz in die antiheidnische Front der Christenheit einreihten. 28 Zum folgenden vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 308 ff und ders., Die päpstliche Gewalt in der mittelalterlichen Welt S. 141 f. 29
Vgl. H. Wehenkel, Untersuchungen zur Primatsidee Innocenz' III. (Diss. phil. Frankfurt 1946).
Die Christianitas-Vorstellung
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Diese Konstruktion erlaubte Innocenz die Aufnahme der beiden Traditionen vom Verhältnis des Papstes zur weltlichen Gewalt, deren Verbindung wir oben als das Neue in seinem Weltbild bezeichneten. Juristisch blieb Innocenz ein strenger Dualist ; im Papst gipfelte die kirchlich-geistliche Gewalt, neben der und unabhängig von ihr die weltlichen Gewalten standen. Anders als die ecclesia umfaßte die christianitas auch die christlichen Völker und Reiche. Als Haupt der Christenheit sah sich Innocenz an der Spitze der christlichen Welt. So konnte er auch die spiritualistische Tradition des 12. Jahrhunderts aufnehmen, ohne das dualistische Erbe Huguccios zu verleugnen. Kempf spricht von einer spiritualistisch-theologischen Aufgipfelung im politischen Weltbild Innocenz' III. 30 Diese Aufgipfelung mit Hilfe der Christianitas-Idee kann man nicht einfach als Hierokratie bezeichnen31. Ob der Papst die Christenheit anführte, hing nicht nur davon ab, ob er diese Aufgabe mit lebendiger Kraft angriff; es hing ebenso davon ab, ob die Christen ihm Gefolgschaft leisteten. Kempf gibt für diesen wichtigen Gedanken ein Beispiel : Innocenz hat sich stets gehütet, einen Fürsten abzusetzen und seine juristischen Möglichkeiten zu überschreiten. Aber er hat Könige und Fürsten wegen schwerer Sünden oder Ketzerei gebannt und die Treueide gelöst. Ob diese geistlichen Maßnahmen politische Folgen hatten, hing davon ab, ob die Christen ihrem gebannten König den Gehorsam verweigerten oder die Exkummunikation ihres Herrn mißachteten; erzwingen konnte der Papst den Rücktritt oder die Absetzung eines gebannten Fürsten nicht. Sollte die päpstliche Christianitas-Vorstellung Wirklichkeit werden, so war es entscheidend, ob der Papst in lebendigem Bezug zu den Christen stand und diese nicht nur seine kirchlich-juristische, sondern auch seine religiös-moralische Autorität anerkannten. Hier befand sich das Papsttum in ständiger Konkurrenz, zunächst mit dem staufischen Kaisertum, dann mit den aufstrebenden Königreichen32. Seit Gregor IX. verloren die Päpste diese lebendige Beziehung zum populus christianus. Gleichzeitig hielten sie aber den Anspruch auf Führung der Christenheit, wie sie Innocenz durchgeführt und Honorius III. einigermaßen behauptet hatte, fest. So entstand jene ständig wachsende Kluft zwischen dem päpstlichen Führungsanspruch und der politischen Wirklichkeit des 13. Jahrhunderts, die unter Bonifaz VIII. zum Fiasko führte. Innocenz' Sicht von der Stellung des Papstes äußerte sich im Gebrauch des Titels ,vicarius Christi', der den alten Papsttitel als Nachfolger Petri ergänzte und überhöhte 33 . Der Titel vicarius Christi war bis ins hohe Mittelalter hinein auf Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 280. Zum folgenden vgl. Kempf, Das Problem der Christianitas S. 118—123. Die Einschränkung, daß die päpstliche Christianitas-Vorstellung zur Verwirklichung auf die Anerkennung im christlichen Volk angewiesen war, bedeutet einen großen Fortschritt gegenüber Kempfs Buch von 1954. 32 Kempf hat gelegentlich nebenbei bemerkt (Das mittelalterliche Kaisertum S. 238 Anm. 48), man könne den ganzen Streit zwischen den Staufern und den Päpsten im 12. Jahrhundert als ein Ringen um die Führung der Christenheit ansehen. 33 M. Maccarone, Vicarius Christi, storia del titolo papale (1952) S. 104f. 30 31
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Die Voraussetzungen
Bischöfe, sogar auf jeden Kleriker, aber auch auf Laienfürsten angewandt worden34. Erst Bernhard von Clairvaux maß ihm größere Bedeutung bei 35 und Innocenz III. nahm ihn programmatisch und exklusiv für den Papst in Anspruch. Den päpstlichen Christusvikariat führte Innocenz auf Petrus zurück, den Christus selbst zu seinem Stellvertreter bestimmt hatte; so galt Innocenz der successor Petri auch als vicarius Christi. Die Anschauung von der Königsherrschaft Christi war im 12. Jahrhundert neu durchdacht worden 36 . Innocenz beanspruchte, Stellvertreter dessen zu sein, der König und Priester ist nach der Ordnung Melchisedeks, d. h. vicarius Christi regis et sacerdotis. Doch während er im geistlichen Bereich die „Fülle der Gewalt" innehat, hat der Papst in den weltlichen Dingen nur eine „große Gewalt" 37 ; Innocenz machte also einen Unterschied zwischen der Gewalt Christi und der seines Stellvertreters. Die weltliche Gewalt des Stellvertreters war begrenzt; mit der Unterscheidung zwischen dem päpstlichen Primat in der Kirche und der päpstlichen Führung in der Christenheit deutete Innocenz diese Grenze an, ohne sie genau zu fixieren38. Die christianitas war auch in den päpstlichen Äußerungen nie scharf definiert. Das entsprach der Wirklichkeit dieser „Gemeinschaft der christlichen Völker und Reiche" (Kempf), die nur von Fall zu Fall in aktuellen Ereignissen sichtbar vor Augen trat ; die Kreuzzüge sind das hervorragende Beispiel dafür. Eine weithin sichtbare Manifestation der christianitas waren auch die päpstlichen Generalkonzile des Mittelalters. Auf den ökumenischen Synoden der Alten Kirche hatten sich die Bischöfe als Garanten der Wahrheit versammelt. Bei den hochmittelalterlichen Generalkonzilen, als deren Höhepunkt das 4. Laterankonzil von 1215 unter Innocenz III. gelten muß, war nicht nur der Episkopat versammelt ; dazu kamen die Vertreter der Stifter, Klöster und Orden, und durch Gesandtschaften waren sogar die Laienfürsten auf dem Konzil vertreten, das so zu einer Repräsentanz der ganzen Christenheit wurde 39 . Auch die großen Themen des Konzils von 1215, Reform und Kreuzzug, griffen über den im strengen Sinn kirchEbd. S. 7 5 - 8 4 . Ebd. S. 95—100; noch im Investiturstreit war der Titel ein ganz nebensächliches Streitobjekt, vgl. ebd. S. 85—91. Auch hier zeigte sich die retardierende Wirkung der Kanonisten, denn Huguccio von Pisa und einige seiner Schüler protestierten, wenn auch vergeblich, gegen die Neigung, den Titel nur dem Papst zu geben, vgl. ebd. S. 100—107. 38 Vgl. J. Leclercq, L'idée de la royauté du Christ au Moyen Age (1959), der das Thema freilich noch nicht befriedigend ausführt. 37 „plenitudo potestatis" und „magna potestas", vgl. Innocenz' Silvesterpredigt, MPL 217, 481—83, zum Gan2en vgl. Maccarone, Chiesa e Stato S. 42—47. 38 Vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 309 ; von der territorialen Herrschaftsgewalt des Papstes im Kirchenstaat kann hier abgesehen werden. 39 Vgl. A. Hauck, Rezeption und Umbildung der allg. Synode im Mittelalter, HV 10 (1907) S. 465 bis 482; zum Konzil von 1215 vgl. G. Tangl, Die Teilnehmer an den allg. Konzilen des Mittelalters (1922) S. 2 2 9 - 2 3 2 und die von J. Werner edierte Teilnehmerliste, NA 31 (1906) S. 575-593. Zuletzt hat M. Maccarone, Il IV. Concilio Lateranense, Divinitas 5 (1961) S. 2 7 0 - 9 8 , bes. S. 275.295f, betont, wie eng für Innocenz Konzil und populus christianus zusammenhingen. 34
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liehen Bereich hinaus und betrafen die ganze Christenheit, deren Vertreter gemeinsam darüber berieten. Innocenz III. verstand das Konzil als Vertretung des populus christianus, die er als Papst einberief und leitete; ohne etwa das Konzil aller wirklichen Vollmachten und Möglichkeiten zu berauben, machte er damit klar, daß der Papst Zentrum und Haupt, fundamentum et caput, der Christenheit sein sollte40. Ein Vergleich mit Innocenz' Nachfolgern ist aufschlußreich. Das für 1241 von Gregor IX. nach Rom berufene und von··Friedrich II. verhinderte Konzil, wie auch das 1. Konzil von Lyon, das Innocenz IV. 1245 veranstaltete, waren nicht als repräsentative Versammlungen der Christenheit gedacht ; das Konzil von Lyon war eine Demonstration des päpstlichen Machtbereichs, aus dem allein die Konzilsväter kamen. Sie waren nur Publikum für die päpstlichen Verlautbarungen, ohne selbst ein Wort mitreden zu können 41 , wie es beim Konzil von 1215 möglich gewesen war 42 . Diese Krise des allgemeinen Konzils zeigt, daß zwischen der päpstlichen Christianitas-Vorstellung und der Wirklichkeit des populus christianus eine Kluft lag. 3. K A P I T E L
Papsttum und Kreuzzug vor Innocenz III. Der Kreuzzug war im 12. Jahrhundert keineswegs so eindeutig eine der großen Aufgaben des Papsttums, wie es in der Forschung allgemein vorausgesetzt wird 1 . Da aber erst diese Einsicht es ermöglicht, die Leistung Innocenz' III. recht zu erfassen, soll ein Überblick zeigen, welche Rolle die Päpste des 12. Jahrhunderts bei den Kreuzzügen spielten. Der Mangel an Vorarbeiten macht dabei viele Einzelinterpretationen nötig, die zusammen erst das Ergebnis dieses Kapitels rechtfertigen. Der Kreuzzugsgedanke war ohne entscheidende Beteiligung des Papsttums entstanden ; doch an seiner Durchsetzung hatte Gregor VII. wesentlichen Anteil, als er in der militia beati Petri das Kriegführen auch für Kirche und Papst „hof40 Vgl. hierzu C. Andresen, Geschichte der abendländischen Konzile des MA, in : Die ökumenischen Konzile der Christenheit (1961) S. 120—124. Hauck aaO S. 470 nahm an, Innocenz habe zuerst diesen neuen Begriff von der allg. Synode vertreten. Die neuere Forschung neigt zu der Annahme, er habe sich schon bei den frühen Kanonisten des 12. Jahrhunderts angebahnt und sei beim 3. Laterankonzil 1179 zum Durchbruch gekommen, vgl. H. Fuhrmann, Das ökumenische Konzil und seine historischen Grundlagen, Geschichte in Wiss. u. Unterricht 12 (1961) S. 688f mit neuerer Literatur. Die Frage kann hier offenbleiben. 41 Vgl. Andresen aaO S. 128-133, Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV, 836f, Haller IV, 175 f. 193. 42 Vgl. Tillmann, Papst Innocenz S. 166ff.198 ff. 1 E. Schlée, Die Päpste und die Kreuzzüge (Diss. Halle 1893) und D. C. Munro, The Popes and the Crusades, Proceedings of the American Philos. Soc. 55 (1916) S. 348—56 bieten ein ganz undifferenziertes Bild ; eine befriedigende Untersuchung fehlt.
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fähig" machte. Gregor plante sogar eine Art Kreuzzug im Osten, um Byzanz gegen die Türken zu helfen ; damit wollte er zugleich der Uberwindung des Schismas vorarbeiten. Er selbst wollte den Zug leiten, während Heinrich IV. ihn im Westen vertreten sollte2. Im Hintergrund steht deutlich die Vorstellung von der ecclesia universalis mit ihren zwei Häuptern, deren Zusammenwirken erst den Hilfszug für die christlichen Brüder im Osten ermöglicht. Der Investiturstreit machte diesen Plänen ein Ende; erst zwanzig Jahre später griff ein Papst den Kreuzzugsgedanken wieder auf. Es war ein unableitbares Zusammentreffen, daß der Kreuzzugsgedanke in dem Augenblick weitgehend ausgeformt war, als Gregor VII., der tatkräftigste Papst des 11. Jahrhunderts, regierte; eine feste Verbindung von Papsttum und Kreuzzugsbewegung war dadurch noch nicht entstanden. Dennoch steht am Beginn der Kreuzzugsgeschichte ein Papst, Urban II. Was ihn veranlaßte, bei der Synode von Clermont im November 1095 zum Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Grabes aufzurufen, wird nie ganz zu klären sein. Es war wohl weniger seine Amtspflicht als seine aktuelle politische und geographische Lage als italienischer Territorialherr; ihm waren aus ständigem Küstenkrieg die feindlichen Sarazenen viel eher ein Begriff als den großen Fürsten Europas 3 . Auch Kaiser Alexius, der im Frühjahr 1095, wie schon mehrfach zuvor, den Papst um Truppen gegen die Türken bat, sah diesen als mächtigen italienischen Territorialherrn an 4 . Dazu kam, daß 1095 der französische und der deutsche König gebannt waren und als Führer eines Heeres zum Schutz der Ostgrenze der Christenheit ausfielen. Gerade dem deutschen König und Kaiser wies aber die Tradition die Aufgabe des Heidenkrieges zu. Diese Umstände erklären zwar nicht restlos Urbans Entschluß, machen ihn aber in der konkreten Situation verständlicher. Urbans Einfluß auf das einmal angelaufene Unternehmen war gering. Seine für den Kreuzzug ernannten Legaten hatten rein geistliche Aufgaben. Nur Bischof Adhemar von Le Puy, der bis vor kurzem als einziger päpstlicher Legat beim 1. Kreuzzug galt, spielte gelegentlich bei militärischen Beratungen eine Rolle; doch nicht sein Amt, sondern seine große Erfahrung und seine adlige Herkunft verliehen ihm diesen Einfluß 5 . So wenig Urban den Kreuzzug durch Legaten leitete, so wenig nahm er die Werbung, Finanzierung und Vorbereitung des Zuges in die Hand; sein weiteres Wirken für den Kreuzzug beschränkte sich auf Einzelmaßnahmen. 2 Vgl. den Aufruf Gregors vom März 1074, Reg 1,49 ed. Caspar S. 75f, sein Schreiben an Heinrich IV. vom Dezember 1074, Reg 11,31 ed. Caspar S. 165—68 und den gleichzeitig erneuerten Kreuzaufruf, Reg 11,37 ed. Caspar S. 173. Dazu G. Hoffmann, Gregor VII. und der christliche Osten, Studi Gregoriani I (1947) S. 170f. 177f und F. Duncalf, HC I,222ff. 3 Vgl. A. Fliehe, Les origines de l'action de la papauté en vur de la croisade, RHE 34 (1938) S. 765 bis 775. 4 So W. Holtzmann, Studien zur Orientpolitik des Reformpapsttums und zur Entstehung des ersten Kreuzzugs, HV 22 (1924/25) S. 190 ff. 5
Vgl. H. E. Mayer, D A 16 (1960) S. 5 4 7 - 5 5 2 und J. Richard, Journal des Savants 1960 S. 5 2 - 5 8 .
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Dennoch stand der Kreuzzug unter der moralischen und religiösen Autorität des Papstes. Das flandrische wie das sudfranzösische Kreuzheer ließen sich unterwegs vom Papst segnen 6 . Aufschlußreicher noch ist ein Brief der Kreuzheerführer vom September 1098 aus Antiochia an Urban 7 . Sie melden darin die Eroberung der Stadt und den Tod Adhemars. Sie klagen, nun seien sie wie verlassene Waisen, und bitten den Papst, ihren geistlichen Vater, der „diesen Weg", d. h. den Kreuzzug, begonnen und sie durch seine Predigt veranlaßt hat, Haus und Heimat zu verlassen und als Kreuzfahrer Christus zu folgen und das Christentum zu verherrlichen, zu ihnen zu kommen. In Antiochien habe einst Petrus gewirkt und dort habe auch der Name „Christen" seinen Ursprung : quid igitur in orbe rectius esse videtur, quam ut tu, qui pater et caput christianae religionis existís, ad urbem principalem et capitalem Christiani nominis venias et bellum, quod tuum proprium est, ex hac parte conficias? Die folgende Einladung an Urban, mit ihnen nach Jerusalem zu ziehen, schließt : si enim ad nos veneris et viam per te inceptam nobiscum perfeceris, totus mundus tibi obediens erit. Auf einer Synode zur Unterstützung des Kreuzzuges beschloß Urban daraufhin, nach Jerusalem zu reisen·, scheint diesen Plan aber bald wieder aufgegeben zu haben8. Noch bevor ihn die Nachricht von der Eroberung Jerusalems erreichte, starb er am 29. Juli 1099. Die Neuartigkeit des Unternehmens, die politischen Verhältnisse und die noch wenig entwickelte kirchliche Zentralisation erlaubten es Urban nicht, den Kreuzzug als päpstliches Unternehmen zu organisieren. Obgleich er ihn im Rahmen des Möglichen unterstützte, fielen Vorbereitung und Durchführung des Kreuzzuges, damit aber auch seine militärische und politische Leitung den Laienfürsten zu. Dennoch verstanden die Kreuzfahrer den Zug als Werk Urbans II. Vor der Ausreise holten sie sich seinen Segen, und aus Antiochia luden sie Urban ein, an der Vollendung des von ihm begonnenen Zuges teilzunehmen, hier sei der ihm gebührende Platz. Ihr Hinweis auf Antiochien als Ursprungsort der Christenheit zeigt zugleich ihr Verständnis des Kreuzzuges als eines vom Papst begonnenen und unter seiner Autorität stehenden Unternehmens der Christenheit9. Nach dem eindrucksvollen Erfolg des Kreuzzuges rief Urbans Nachfolger, Paschal II., im Dezember 1099 den französischen Klerus zur Kreuzwerbung auf, 6 Vgl. Robertus Monachus 11,2 in RHC Occ 111,740 und Fulcher von Chartres 1,7,1 ed. Hagenmeyer (1913) S. 163. ' H. Hagenmeyer, Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1 0 8 8 - 1 1 0 0 (1901) S. 164f Nr. 16. 8 Über Urbans Beschluß auf der Synode von Bari, Oktober 1098, vgl. den Brief des Klerus von Lucca bei Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe Nr. 17 S. 167. Wenn das Schreiben der Kreuzfahrer aus Antiochien vom 11. September bereits im Oktober der Synode in Bari vorlag, bedeutet das eine ungewöhnlich schnelle Übermittlung; vgl. R. Röhricht, Geschichte des ersten Kreuzzuges (1901) S. 233 Anm. 1 ; weit skeptischer A. C. Krey, AHR 53 (1947) S. 241 f. Über eine große Kreuzzugssynode in Rom im April 1099 berichtet Bernold von St. Blasien, MGH SS V,466,42f, ohne Pläne einer Jerusalemreise Urbans zu erwähnen. 9 A. Becker will im noch fehlenden, zweiten Band seiner Urban-Biographie ausführlich auf den Kreuzzug bei Urban eingehen; vgl. Bd. I (1964) S. IX.
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denn der Kreuzzug bedürfe weiterhin der Unterstützung 10 ; aber schon Paschais Glückwunsch an die Kreuzfahrer vom April 1100, in dem er seinen Legaten Mauritius von Porto empfahl, enthält nichts darüber, wie Paschal sich die Zukunft des Hl. Landes dachte11. Als 1101 umfangreiche Kreuzheere aufbrachen, hat Paschal sich um keinerlei Planung gekümmert und scheint eine persönliche Teilnahme gar nicht erwogen zu haben. Der mit großen Hoffnungen begonnene Zug scheiterte völlig, da jede Klarheit über die Führungsbefugnisse fehlte; daß hier eine Aufgabe war, hat Paschal gar nicht gesehen12. In den zahlreichen Briefen, die er in seiner langen Regierung ins Hl. Land schrieb, fehlt fortan das Kreuzzugsthema völlig 13 . Die Verbindung zwischen Papsttum und Kreuzzug, die durch Urbans II. Aufruf von 1095 entstanden war, war keine institutionelle geworden; eine dauerhafte päpstliche Pflicht, den Kreuzzug vorrangig zu unterstützen, hatte sich nicht entwickelt 14 . Zwischen dem mißglückten Kreuzzug von 1101 und dem sogenannten 2.Kreuzzug von 1146/48 gab es keine größeren Zügeins Hl. Land, sondern nur kleinere Unternehmen mehr privater Natur 15 . Der Bedarf des Hl. Landes an Kämpfern wurde vornehmlich durch die neue Institution der Ritterorden gedeckt. Seit Innocenz II. halfen wichtige Privilegien, die die Kollekten im Abendland außerordentlich begünstigten und von allen nachfolgenden Päpsten bis ins 13. Jahrhundert bestätigt wurden, den Orden, ihre Funktion zu erfüllen 16 . Im übrigen war die Förderung des Kreuzzugs keine besondere Pflicht der Päpste ; auch hat keiner der vielen Gegenpäpste dieser Jahrzehnte versucht, sich auf diesem Gebiet hervorzutun und sich etwa so als den rechtmäßigen Papst zu erweisen 17 . Nach Urban II. war Eugen III. der erste Papst, deç.sich ernsthaft um einen neuen Kreuzzug bemühte. Auch Eugen hatte nach dem Falle Edessas (Dezember 1144) zunächst nur halben Herzens geholfen und Spendenaufrufe zugunsten der Ritterorden erlassen, um nicht ganz untätig zu erscheinen. Erst eine neue 10 Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe Nr. 19 S. 174f. Parallele Schreiben sind nach Hagenmeyer, ebd. S. 404, unwahrscheinlich. 1 1 Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe Nr. 22 S. 178f; ebd. Nr.23 S. 178—181 ein angeblicher Kreuzzugsbrief Paschais nach Pisa vom August 1100, in Wahrheit eine moderne Fälschung, vgl. P. Kehr in QFiAB 6 (1904) S. 3 1 6 - 3 4 2 . 12 Zum Kreuzzug von 1101 vgl. S. Runciman, The Crusade of 1101, Jahrb. der oesterr. byzantinischen Gesellschaft 1 (1951) S. 3 - 1 2 , Waas 1 , 1 5 8 - 1 6 2 und J. L. Cate, HC I, 343-367. Erst Runciman erkannte Umfang und Bedeutung dieses Zuges. Paschais Desinteresse betont Cate aaO S. 352. 13 Vgl. die Zusammenstellung der Orient-Korrespondenz Paschais bei Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe S. 403f. 14 P. Alphandéry aaO 1 , 1 4 3 - 1 5 7 sieht schon bei Urban II. seit 1098 das Interesse am Kreuzzug erschlaffen, während Paschal völlig desinteressiert gewesen sei. Das Urteil erscheint etwas hart und ist in der Beurteilung des Zuges von 1101 überholt. 15 Vgl. die Überblicke bei Runciman 1,239 und Waas 1,165. 16 Vgl. Waas II, 11 f. 17 Nur fur Anaklet II. findet sich ein Brieffragment von 1130, in dem er seine Verehrung für das von Gott den Christen wiedergeschenkte Jerusalem und das Hl. Grab zum Ausdruck bringt. J L 8393, MPL 179,711 A.
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Delegation aus dem Hl. Land und die Aussicht auf eine Förderung seiner Unionspläne veranlaßten Eugen zu energischen Maßnahmen 18 . Am 1. Dezember 1145 rief er Ludwig VII. von Frankreich und die Fürsten und Gläubigen seines Reiches auf, dem Hl. Land zu helfen. Es ist für unsere Fragestellung nicht ohne Interesse, daß der König gleichzeitig und unabhängig vom Papst, wenn auch aus rein politischen Motiven, den Entschluß gefaßt hatte, einen königlich-französischen Kreuzzug zu unternehmen19. Sein Unternehmen war so sehr als ein rein königliches geplant, daß Bernhard von Clairvaux sich dagegen sträubte und erst nachgab und den Zug unterstützte, als er ein zustimmendes Schreiben Eugens in Händen hatte 20 . Aber die unsichere Lage in Rom hinderte Eugen, selbst aktiv den Kreuzzug vorzubereiten 21 . Immerhin hat er aber die Kreuzwerbung auf Italien ausgedehnt22, bei seiner Frankreichreise selbst das Kreuz gepredigt 23 und bei Ludwigs Durchzugsverhandlungen mit Kaiser Manuel vermittelt 24 . Andererseits wollte Eugen nicht alle Interessen dem Kreuzzug unterordnen. Nur merklich zurückhaltend stimmte er nachträglich der Kreuznahme Konrads III. zu, weil er in seiner Bedrängnis einen Romzug des Königs lieber gesehen hätte25. Aber da Konrads Entschluß wie auch der Plan eines Wendenkreuzzuges durch Bernhards Autorität gedeckt waren, konnte Eugen seine Zustimmung nicht versagen 26 . Durch Ernennung von Legaten, deren Aufgaben jedoch rein geistlicher Natur waren, versuchte Eugen, wenigstens einigen Einfluß auf die Bewegung zu behalten27. Eugen III. zählt zu den frömmsten, nicht zu den tüchtigsten Päpsten des 12. Jahrhunderts. Der Kreuzzug entglitt bald seiner Hand, die ihn ohnehin nicht als ein päpstliches Unternehmen hätte vorbereiten und durchführen können. Die beherrschenden Gestalten des Kreuzzugs wurden zwei Könige, Ludwig VII. und Vgl. H. Gleber, Papst Eugen III. (1936) S. 3 5 - 3 7 . Die Frage, ob zuerst Eugen III. oder Ludwig VII. den Kreuzzug plante, ist unendlich oft diskutiert worden, vgl. die Arbeiten von Kugler, Hiiffer u. a. Nachdem E. Caspar und P. Rassow den Aufruf Eugens mit Sicherheit auf den 1. Dezember 1145 datiert hatten, NA 45 (1924) S. 2 8 5 - 3 0 5 , hat H. Gleber aaO S. 37—47, eine überzeugende Rekonstruktion der verwirrenden Zusammenhänge unternommen, der auch G. Constable aaO S. 254 Anm. 210 zustimmt. Die entsprechenden Abschnitte der neueren Kreuzzugsgeschichten sind weniger klar und ausführlich. 20 Vgl. Gleber aaO S. 4 3 - 4 7 . 21 Vgl. E. Vacandard, Rqh 38 (1885) S. 457 ; Gleber aaO S. 177 hat errechnet, daß Eugen nur rund ein Achtel seiner Regierungszeit, nämlich 446 von 3398 Tagen in Rom verbringen konnte. Schon die Zeitgenossen sahen, daß vor allem diese politische Not Eugen an der aktiven Kreuzzugsvorbereitung hinderte, vgl. Odo von Dieul, ed. Waquet (1949) S. 21. 22 Aufruf vom 5. Oktober 1146, ed. P. Kehr, PU Malta Nr. 3, NGG 1899 S. 388ff. 23 Constable aaO S. 262 f hat das spärliche Quellenmaterial zusammengetragen. 24 Vgl. Gleber aaOS. 48. 25 Vgl. H. Cosack, Konrads Entschluß zum Kreuzzug, MIÖG 35 (1914) S. 289 ff, ihm folgt Gleber aaO S. 53 ff. Dagegen lehnt V. G. Berry, HC 1,476 f dieses These Cosacks ab und erklärt das auch von ihr beobachtete Zögern Eugens mit dessen Sorge um die innere Ordnung des Reichs während Konrads Abwesenheit. 26 Vgl. Gleber aaOS. 57 f 27 Vgl. Gleber aaO S. 58f, Constable aaO S. 263f und H. E. Mayer, DA 16 (1960) S. 550f. 18
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Konrad III., und ein Mönch, Bernhard von Clairvaux. Was bedeutete dieser Umstand für das Verständnis des Kreuzzugs als eines unter der Autorität des Papstes stehenden Unternehmens der Christenheit? Eugen hatte mit dem Anfangssatz seines Aufrufs : Quantum predecessores nostri Romani pontífices pro liberatione orientalis ecclesie laboraverint, antiquorum relatione didicimus, deutlich sein Verständnis des Kreuzzuges als eines päpstlichen Zuges kundgetan. Der 1. Kreuzzug hatte eine Reihe von Anführern gehabt, aber keinen an Ansehen wie an Stand alle überragenden Führer. Schon das war jetzt anders. Die beiden mächtigsten Herrscher des Abendlandes an der Spitze des Kreuzzuges mußten, auch ohne es zu wollen, die Vorstellung vom Kreuzzug als einem päpstlichen Unternehmen beeinträchtigen. Auch gingen die Könige nicht so überstürzt ans Werk wie 1096 die Barone; sie ordneten ihre Länder, bestellten Reichsverweser, verhandelten mit Byzanz über den Durchzug, Ludwig kümmerte sich energisch um die Finanzierung, indem er eine Kreuzzugsumlage erhob und damit die Anfänge der Kreuzzugssteuern und auch des königlich-französischen Steuerwesens überhaupt einleitete28. Da das Unternehmen in einen deutschen und einen französischen Zug geteilt war, gab es in jedem Heer klare Kommandoverhältnisse; da zudem unter den den Heeren zugeordneten Legaten keiner vom Format eines Adhemar von Le Puy war 29 , dominierte das königliche Element in den Zügen völlig. Selbst Bernhard von Clairvaux nannte das deutsche Kreuzheer ein königliches Heer (exercitus regius) 30 . Bernhard von Clairvaux hat nicht nur, wie unten zu zeigen ist, den Kreuzzugsgedanken entscheidend beeinflußt; er hat auch die Konzeption des Kreuzzuges, wie Eugen III. ihn sich dachte, tiefgreifend verändert. Eugen hatte an ein Kreuzheer wesentlich aus Franzosen und Italienern gedacht, wobei eine Beteiligung anderer Christen nicht ausgeschlossen sein sollte. 'So war es beim 1. Kreuzzug gewesen, so hat es Eugen in seinem großen Aufruf angekündigt 31 . Entsprechend hat er nur in Frankreich und Italien die Kreuzwerbung eingeleitet 32 . Erst Bernhard hat die Werbung auf ganz Europa ausgedehnt. Von seiner Kanzlei aus gingen Kreuzaufrufe in alle Himmelsrichtungen ; er selbst zog predigend nicht nur durch Frankreich, sondern auch durch Flandern und das ganze Rheintal, trat auf deutschen Reichstagen auf und bewog sogar den deutschen König, 28 Für die Einzelheiten der Vorbereitungen sei auf den mehrfach genannten Aufsatz von Constable verwiesen. 29 Vgl. H. E. Mayer, D A 16 (1960) S. 550f und die beißende Kritik des Zeitgenossen Johann von Salisbury an den Legaten des 2. Kreuzzuges, Historia Pontificalis cap. 24, ed. Chibnall (1956) S. 54—56. 30 Epist. 363. Ausg. nach der Münchener Handschrift durch J. Greven, Annalen d. hist. Vereins f. d. Niederrhein 120 (1932) S. 4 4 - ^ 8 (S. 47,34) der ältere Druck bei MPL 1 8 2 , 5 6 8 A bietet .exercitus regni'. 31
J L 8796, ed. P. Rassow, NA 45 (1924) S. 3 0 2 , 1 0 - 1 4 .
Der Aufruf Quantum predecessores, J L 8796 ed. P. Rassow NA 45 (1924) S. 3 0 0 - 3 0 5 ging an Ludwig VII. und die Franzosen, der Aufruf Divini dispensationem vom Oktober 1146, ed. P. Kehr (vgl. Anm. 22) an den italienischen Episkopat. 32
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das Kreuz zu nehmen 33 . Die Kreuznahme Konrads III. und die Beteiligung eines deutschen Heeres am Kreuzzug bedeuteten eine Wende; der Kreuzzug war nicht länger eine Sache Frankreichs mit auswärtiger Hilfe, sondern eine gemeineuropäische Sache 34 . Doch lag darin keine Stärkung des Verständnisses des Kreuzzugs als einer gemeinsamen Aktion der Christenheit. Der 1. Kreuzzug kannte die Rivalität einzelner Führer, aber man zog doch gemeinsam, wie vor allem der Zug von 1101 zeigt. Beim 2. Kreuzzug trat eine Rivalität der beiden Heere zutage, des deutschen und des französischen, die getrennt marschierten. Auf den Vorschlag, gemeinsam zu marschieren, antworteten die Deutschen, so berichtet der Zeitgenosse Johann von Salisbury : Die Franzosen gehen uns nichts an 35 . Fassen wir zusammen: Seit dem 2.Kreuzzug stand trotz des Anspruchs Eugens III. die Kreuzzugsbewegung weniger unter der Autorität des Papstes als unter dem Einfluß der Könige 3 6 . Die Ausweitung der Kreuzzugsbasis auf ganz 33 Für eine Ausweitung der Werbung auf die ganze Christenheit schon durch Eugen tritt G. Hiiffer, H J 8 (1887) S. 4 1 1 - 4 1 8 ein. Doch diese war erst das Werk Bernhards von Clairvaux, vgl. E . V a candard, Vie de Saint Bernard (1895) II, 293, Gleber aaO S . 4 8 f , P. Rassow, Die Kanzlei St. Bernhards von Clairvaux, Stud. u. Mitt. z. Gesch. d. Benediktiner-Ordens 34 (1913) S. 243—75, H. Cosack, Konrads Entschluß zum Kreuzzug, MIÖG 35 (1914) S. 2 7 9 - 8 2 und J . Greven, Die Kölnfahrt Bernhards von Clairvaux, Annalen d. hist. Vereins f. d. Niederrhein 120 (1932) S. 1—43.
Vgl. V. G. Berry, HC I, 475. Historia Pontificalis cap. 24, ed. Chibnall S.54: respondentes nichil sibi cum Francis. 36 Eine Erklärung für diese Verlagerung der Verantwortlichkeit auch in der Theorie läßt sich vielleicht bei Bernhard von Clairvaux finden. Doch gilt gerade hier die Warnung von A. Fliehe, Bernard et la société civile de son temps (in Bernard de Clairvaux, 1953) S. 355 f, nicht vorschnell aus einzelnen Äußerungen Bernhards ein System, eine Staats- oder Schwerterlehre zu konstruieren. In seinem Papstspiegel nennt Bernhard die päpstlichen Aufgaben gegenüber den Un- und Irrgläubigen: Bekehrung der Heiden, Wiedergewinnung oder Bekämpfung der Ketzer, Abwarten in der Judenmission. Vom Kreuzzug steht in diesem Katalog kein Wort, obgleich Bernhard ihn erst nach dem 2. Kreuzzug zusammenstellte (De consideratione III, 1, M P L 182,759 CD). In der gleichen Schrift hat Bernhard die Zweischwerterlehre entworfen; beide Schwerter stehen dem Papst zu, aber das eine soll nur auf seinen Wink (nutu tuo), nicht durch seine Hand gebraucht werden : Uterque ergo Ecclesiae et spiritualis scilicet gladius et materialis, sed is quidem pro Ecclesia, ille vero et ab Ecclesia exserendus : ille sacerdotis, is militis manu, sed sane ad nutum sacerdotis et jussum imperatoris. Et de hoc alias. (De cons. IV, 3 ; MPL 182,776 BC). Der letzte Satz warnt schon davor, aus diesen knappen Äußerungen zuviel herauszulesen. Doch hat Bernhard seine Schwerterlehre ausdrücklich auf den Kreuzzug angewandt. Wie De consideratione ist auch der Brief von 1150, dem die folgenden Sätze entstammen, an Papst Eugen gerichtet. Bernhard will ihn, der den Plänen eines Kreuzzuges gegen Byzanz skeptisch gegenübersteht, zu größerer Begeisterung anstacheln : Exserendus est nunc uterque gladius in passione Domini, Christo denuo patiente, ubi et altera vice passus est. Per quem nisi per vos ? Petri uterque est, alter suo nutu, alter sua manu, quoties necesse est, evaginandus . . . Tempus et opus esse existimo ambos educi in defensionem orientalis Ecclesiae (Ep. 256, MPL 182,464 A). Will man trotz Fliches Warnung diese Äußerungen systematisieren, so ergibt sich, daß beim Kreuzzug beide Schwerter beteiligt sind. Doch das materiale Schwert, die Königsgewalt, wird hier nur auf den Wink des Papstes aktiv : Der Papst ruft zum Kreuzzug auf und die Könige folgen dem Ruf und übernehmen den materialen Teil des Kreuzzuges, seine Vorbereitung und militärische Durchführung, ohne doch selbst die grundsätzliche Verantwortung für den Kreuzzug dem Papst abzunehmen. Der Gedanke ist in der Folgezeit nicht aufgenommen worden. Erst hundert Jahre später, bei Innocenz IV., begegnet, wenn ich recht sehe, die Verbindung von Kreuzzug und Schwerterlehre bei einem Papst ; kurz vorher findet 34
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Die Voraussetzungen
Europa bedeutete neue Möglichkeiten, aber auch neue Gefahren für ein Verständnis des Kreuzzugs als einer Aktion der Christenheit. Die zentrale Figur aller Kreuzzugspläne der nächsten Jahrzehnte wurde Ludwig VII. Allein aus den Jahren 1162—1164 sind nicht weniger als acht Hilferufe aus dem Hl. Land an den König erhalten, in denen neue Aktionen zur Unterstützung des Hl. Landes erbeten wurden 37 . Auch indirekt versuchte König Amalrich I. von Jerusalem, den französischen König zur Hilfe zu bewegen, und schickte den Erzbischof von Tyrus zu Ludwigs Bruder, dem Erzbischof von Reims 38 . In einem dieser Schreiben, einem Hilferuf des Patriarchen von Antiochien, wird Ludwig bezeichnet als „der einzige Anker, der unserer Hoffnung geblieben ist 39 ". Dagegen ergriffen Eugens III. Nachfolger kaum die Initiative, um die Not des Hl. Landes zu beheben. Nur nach der schweren Niederlage der Tempelritter bei Saphet am 18. Juni 1157 forderte Hadrian IV. den Episkopat auf, die Christen zur Hilfe zu rufen. Als Papst müsse er wachen, wenn große Schäden allen Gläubigen drohten, schrieb Hadrian. Die Feinde der Templer bedrohten aber alle Christen bis ans Ende der Erde 40 . Hadrians Brief war ein reiner Werbeauftrag, der alle organisatorischen Fragen des Kreuzzuges nicht berührte; vermutlich fielen sie wie selbstverständlich Ludwig VII. zu; aber es ist bezeichnend, daß der Papst sich gar nicht darum kümmerte. Dabei war ihm die Bedeutung einer gründlichen Vorbereitung durchaus bewußt. Als 1159 Ludwig VII. und Heinrich II. von England einen Spanienzug planten, tadelte Hadrian die mangelnde Vorbereitung, die schon das Fiasko des 2. Kreuzzugs verschuldet habe. Aus dieser Erfahrung hätte man lernen müssen, schrieb Hadrian, und schob die Aufgabe der Vorbereitung so den Königen zu 41 . Wir sahen, wie die Hoffnungen auf einen neuen Kreuzzug in den sechziger Jahren um Ludwig VII. kreisten. Das wird verständlich, wenn man Alexanders III. Haltung gegenüber der Lage des Hl. Landes betrachtet. Fast seine ganze Regierung hindurch war Alexander durch den Streit mit Barbarossa und durch das Schisma belastet. So viel Wert er darauf legte, daß die orientalische Kirche auf seiner Seite stand42, so wenig konnte er für das Hl. Land tun. Dennoch bildete sie sich an weniger offizieller Stelle bei Jakob von Vitry, dem Kreuzprediger (vgl. Cramer aaO S. 242). Wir können dieses Problem nach diesen Erwägungen auf sich beruhen lassen. Zur höchst umstrittenen Schwerterlehre Bernhards vgl. zuletzt H. Hoffmann, Die beiden Schwerter im hohen Mittelalter, D A 20 (1964) S. 96 f, dort auch ältere Literatur. 37
RHGF X V I , 3 6 - 4 0 . 5 9 - 6 3 .
38
RHGF X V I , 187 f vom Jahre 1169.
39
RHGF X V I , 62 BC.
J L 10342, M P L 1 8 8 , 1 5 3 7 f , ein paralleler Brief bei Kehr, PU Spanien I Nr. 78, dort auch Angaben zur Situation. 40
41
J L 10546 vom 18. Februar 1159, MPL 1 8 8 , 1 6 1 5 - 1 7 .
Z . B . ein Bericht über die Parteinahme der orientalischen Kirche an den Erzbischof von Salzburg J L 1 0 6 4 5 vom 20. Januar 1161, MPL 200,102C, vgl. H. E. Mayer, Gesch. d. Kreuzzüge S. 160f. 42
Papsttum und Kreuzzug vor Innocenz III.
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er die kuriale Kreuzzugsidee fort, weshalb wir seine Kreuzaufrufe kurz durchgehen. Als 1164 den Sarazenen ein bedeutender Sieg über die Christen gelang 43 , reagierte Alexander wie zwanzig Jahre vorher Eugen III. Er versuchte die hilfesuchenden Boten des Königs von Jerusalem mit einem Spendenaufruf abzuspeisen44. Erst Monate später begriff er, daß diese Reaktion zu halbherzig sei, und erließ einen Kreuzzugsaufruf. Doch auch dieser war ohne rechten Schwung, nur eine der neuen Situation leicht angepaßte Kopie des zwanzig Jahre alten Aufrufs Eugens III.45. Ludwig VII., der 1145 Eugens Aufruf zum Erfolg verholfen hatte, war in langer Regierung gereift; seine Antwort bestand in einer Umlage zugunsten des Hl. Landes, die der englische König alsbald nachahmte 46 . Wirksame Hilfe für das Hl. Land kam so nicht zustande. Nach einer neuen schweren Krise im Winter 1168/69 schickte Amalrich von Jerusalem eine große Delegation nach Europa, die um Hilfe bitten sollte; vier Jahre lang reiste sie erfolglos vom päpstlichen zum französischen und von dort zum englischen Hof. Nur Kaiser Manuel von Byzanz half 47 . Als die Gesandtschaft erschien, erließ Alexander einen Kreuzzugsaufruf 48 , der deshalb Erwähnung verdient, weil er sich an alle Großen, Ritter und Gläubigen wendet, ohne geographische oder politische Grenzen zu nennen. Der Gedanke, daß der Kreuzzug eine Sache der gesamten Christenheit sei, schritt also fort. Er nahm in Alexanders Aufruf die Gestalt an, daß die gegenwärtige Bedrängnis der ecclesia orientalis den helfenden Einsatz der ecclesia occidentalis fordere. Aufschlußreicher noch ist ein Begleitschreiben zum Aufruf an den Erzbischof von Reims, Ludwigs Bruder Heinrich, und die anderen Erzbischöfe Frankreichs 49 . Der tatkräftige und herrschgewohnte Alexander gibt darin Anweisung, welches die nächsten Schritte für den Kreuzzug sein sollen. Die Erzbischöfe Frankreichs sollen zusammen zum König gehen und ihn veranlassen, eine Reichsversammlung mit allen weltlichen und geistlichen Fürsten Frankreichs einzuberufen, um über die Hilfe für das Hl. Land zu verhandeln. Die Erzbischöfe sollen entsprechende Konferenzen in ihren Provinzen abhalten, wobei es unklar ist, ob Alexander dabei nur an Geistliche als Teilnehmer dachte oder auch an Laien. Der Brief schließt, nur so könnte das Hl. Land die gewohnte Hilfe von Frankreich erhalten. Es ist deutlich, Alexander gab den Anstoß zu einem Kreuzzug, der unter päpstlicher Schirmherrschaft vom französischen König vorZur Situation vgl. M. Baldwin HC 1,551. Der Spendenaufruf vom 20. Januar 1165 wurde den Boten als Empfehlung an den Erzbischof von Reims mitgegeben, J L 1 1 1 0 5 , M P L 200, 3 2 8 B , vgl. E.Caspar, NA 45 (1924) S.300. 46 J L 1 1 2 1 8 v o m 14. Juli 1165, MPL 2 0 0 , 3 8 4 - 8 6 . 46 Zur Wirkung des Aufrufs vgl. A . Cartellieri, Philipp II. August ( 1 9 0 6 - 1 9 2 2 ) Bd. II S. 6 - 9 . 4 7 Zum Ablauf vgl. Baldwin HC I, 5 5 6 - 5 6 0 und Runciman II, 3 5 8 - 3 6 0 . 3 7 3 . 4 8 J L 1 1 6 3 7 vom 29. Juli 1169, MPL 200, 5 9 9 - 6 0 1 . 49 J L 1 1 6 3 8 , M P L 200,601 f an Erzbischof Heinrich von Reims. Der Versand paralleler Schreiben ist zu erschließen, da Alexander parallele Anweisungen für die anderen Erzbischöfe erwähnt, vgl. ebd. 602 C. 43 44
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Die Voraussetzungen
bereitet und organisiert werden und seine zentrale Basis im französischen Königreich haben sollte. Die Konzeption vom Kreuzzug als einer unter päpstlicher Autorität stehenden Aktion der lateinischen Christenheit ließ sich mit den realen Möglichkeiten zur Durchführung eines Kreuzzugs nur schwer vereinen. Ein Kreuzzug war praktisch nur denkbar, wenn der französische König entscheidend half. Diese Hilfe konnte der Papst dem König nicht befehlen ; seine Befehlsgewalt erreichte nur die Erzbischöfe, die dem König diesen Vorschlag unterbreiten sollten50. Da der König die erbetene Hilfe nicht gewährte, kam der Kreuzzug nicht zustande. Der andauernde Konflikt mit dem Kaiser und der sich verschärfende englischfranzösische Streit ließen Alexander auch in der zweiten Hälfte seines Pontifikats kaum eine Chance, ein Kreuzzugspapst zu werden. Doch auch als er nach dem Ausgleich mit dem Kaiser eine große Generalsynode, das 3. Laterankonzil von 1179, abhielt, tauchte der Kreuzzug in den Kanones dieser Synode nur ganz am Rande auf, ζ. B. in dem Verbot, den Sarazenen kriegswichtiges Material zu liefern (Kanon 24). Die achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts sind gekennzeichnet von der inneren und äußeren Krise des Königreichs Jerusalem und seinem Zusammenbruch unter den Angriffen Saladins. 1181, kurz bevor er starb, rief Alexander noch einmal zum Kreuzzug auf 51 . Auch diesmal mußte Alexander erst gedrängt werden. Einer Abordnung der Tempelritter, die ihn um Hilfe für das Hl. Land gebeten hatte, gab Alexander seinen Aufruf mit, damit er, wie ein Begleitschreiben zeigt, in allen Kirchen verlesen werde 52 . Brief und Aufruf zeigen einige Weiterentwicklungen gegenüber dem Aufruf von 1169. Mehrfach und stereotyp beruft sich Alexander auf die ,patres et predecessores nostri, Urbanus et Eugenius Romani Pontífices' und stellt so die Kreuzzüge ganz unter die Autorität des Papsttums. Diesem Beispiel folgend ruft Alexander die christlichen Könige, Fürsten, Barone, Grafen, Ritter und Gläubigen zum Kampf. Der Aufruf ist direkt an die Laien gerichtet ; Episkopat und Klerus erscheinen im Begleitschreiben als bloße Übermittler des päpstlichen Aufrufs an die Christenheit. Diese nämlich ist jetzt weit stärker als früher als Trägerin des Kreuzzuges herausgestellt. Christianitas und gentilitas stehen sich beim Kreuzzug gegenüber; der Kampf soll größere Schäden ,in illis partibus christianitatis', d. h. im Hl. Land verhindern. Darum ist jeder, den die augenblickliche Not nicht rührt, kein Christ. Dennoch kann der Papst den Kreuzzug nicht einfach anordnen oder den Christen die Teilnahme befehlen. Seine Macht beschränkt sich 50 Die Formulierung des Auftrags ist bezeichnend:. . . injungimus, ut vice nostra praedictis fratribus (seil, den Erzbischöfen) diligenter assistas et apud charissimum in Christo filium nostrum Ludovicum illustrem Francorum regem suggestione tua efficias, u t . . . M P L 2 0 0 , 6 0 2 B . 51 J L 14360 vom 16. Januar 1181, MPL 200, 1 2 9 4 - 9 6 . Während R. Röhricht, HZ 34 (1875) S. 10, in der Niederlage bei Banias einen unmittelbaren Anlaß für diesen Aufruf vermutet, nimmt Cartellieri aaO 11,12 kein Ereignis, sondern die allgemeine Krise des Hl. Landes, die durch den Aussatz Balduins III. verstärkt wurde, als Hintergrund des Aufrufs an. 52
Vgl. J L 14361, MPL 2 0 0 , 1 2 9 6 f , ein Begleitschreiben an den Episkopat.
Papsttum und Kreuzzug vor Innocenz III.
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darauf, Episkopat und Klerus dazu zu verpflichten, mit häufigen und eifrigen Ermahnungen die Fürsten, Grafen und Gläubigen dahin zu bringen 53 , daß sie dem Hl. Land eilends Hilfe bringen. Endlich fällt auf, daß der französische König und Frankreich diesmal nicht besonders genannt werden. Es ist allerdings nicht zu entscheiden, ob Alexander die Hoffnung aufgegeben hatte, daß Frankreich die tragende Kraft des Kreuzzugs sein würde, ob er lediglich den neuen König, Ludwigs VII. Sohn Philipp II. August, als einen kühleren Herrscher und weniger von frommem Kreuzzugsgeist erfüllt ansah54 oder ob die Konzeption des Kreuzzugs als einer Aktion der Christenheit jetzt so konsequent gefaßt war, daß sie die Nennung eines einzelnen Reiches ausschloß. Aber weder Frankreich noch ein anderes Land leisteten dem Aufruf von 1181 Folge. So dürfen wir schließen : Alexander III. unterstellte den Kreuzzug konsequent der Autorität des Papstes und sah ihn zunehmend als Unternehmen der Christenheit an. Der Papst konnte die Laien nur dringend bitten, sich des Kreuzzugs anzunehmen. Da die Laienfürsten sich diesem Ruf versagten und Alexander die Mühe der Vorbereitung und Organisation nicht selbst übernahm, kam keine größere Aktion zustande. Der Christenheit fehlte für den Kreuzzug die Initiative einer leitenden Spitze. So blieb Alexanders III. Regierung ohne unmittelbare Bedeutung für den Kreuzzug 55 ; aber die Fortbildung def Konzeption des Kreuzzuges als einer Aktion der Christenheit unter freiwilliger Anführung durch Laienfürsten war für die Zukunft wichtig. Wir müssen nun die Anfange einer Entwicklung nachtragen, die für die Kreuzzugsgeschichte in den letzten zwei Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts entscheidend wurde, der Beanspruchung des Kreuzzugs als repräsentativer Aufgabe des Kaisers. Seit Karl d. Gr. gehörte der Kampf gegen die Heiden zum Pflichtenkreis des Kaisers. Doch die Beteiligung der deutschen Herrscher an der Kreuzzugsbewegung war lange Zeit ohne Bedeutung. Zur Zeit des 1. Kreuzzugs war der 53 Die genaue Formulierung ist wichtig : . . . ut principes, comités et alios fideles Christi parrochianos vestris crebris et sollicitis exhortationibus laboretis inducere, u t . . . Sp. 1297 Α . 54 Haller 111,251 meint, der Papst habe dem gerade zur Regierung gekommenen König nicht zumuten wollen, sein Reich zu verlassen. Da aber, wenn der französische König nicht auszog, auch der englische nicht ziehen könnte, habe Alexander seinen Aufruf gar nicht erst an die Könige gerichtet. 55 Natürlich findet sich in den sehr zahlreich erhaltenen Briefen Alexanders vieles zum Kreuzzug. Doch in der zurückhaltenden Gesamtbeurteilung fühle ich mich bestätigt durch das anregende Buch von M. Pacaut, Alexandre III (1956), w o gerade zwei Seiten (S. 198 f) dem Kreuzzug gelten. Auch U. Schwerin aaO S. 76 wertet Alexanders Leistung für den Kreuzzug gering. Der Versuch von G. M. Esser, England, Frankreich und die Kurie in der Vorbereitung des 3. Kreuzzugs (Diss. Köln 1953), die Friedensvermittlung im Dienst des Hl. Landes als Leitgedanken für die Pontifikate Alexanders III. und Lucius III. herauszustellen (der Titel der Arbeit ist unglücklich gewählt), muß als gescheitert gelten. Damit soll nicht bestritten werden, .daß einzelne Vermittlungsversuche der Päpste im Interesse des Hl. Landes gemacht wurden, vgl. H. Tillmann, Die päpstlichen Legaten in England (1926) S. 78ff und W. Janssen, Die päpstlichen Legaten in Frankreich (1961) S. 1 2 5 - 1 2 8 . Unsere Auffassung, daß nicht mehr die Päpste, sondern die europäischen Könige die tragenden Kräfte des Kreuzzugs waren, findet hier ihre Bestätigung : als der Streit der beiden Könige sie am Kreuzzug hinderte, kam kein Kreuzzug zustande.
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Die Voraussetzungen
König, Heinrich IV., gebannt; am 2. Kreuzzug hatte Konrad III. zwar teilgenommen, jedoch keinen Ruhm geerntet. Da er zudem nie die Kaiserkrone erlangte, fehlte bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts eine Verbindung von Kaisertum und Kreuzzug. Erst Friedrich I. erhob diese zum Programm, das er allerdings erst ein Vierteljahrhundert später in die Tat umsetzen konnte. 1165 wurde auf Betreiben Barbarossas in Aachen Karl d. Gr. heiliggesprochen. Im gleichen Jahr erreichte mit dem Würzburger Reichstag der Kampf zwischen Friedrich I. und Alexander III. seine größte Schärfe und grundsätzlichste Tiefe, so daß schon der Zeitpunkt der Kanonisation Karls d. Gr. für sich spricht. Mehrfach berief sich Friedrich gerade in diesen Jahren auf Karl als Vorbild 56 . Der Ausbau des Karlsbildes und die Berufung auf Karl bei Friedrich waren Ausdruck dafür, daß Karl d. Gr. zum Prototyp des Kaisers erhoben wurde 57 . Die anläßlich der Kanonisation Karls von Friedrich angeregte und von einem Aachener Mönch abgefaßte Legende Karls d. Gr. darf deshalb als offiziöse Quelle zum Verständnis des Kaisergedankens bei Friedrich ausgewertet werden, wenngleich ihr unmittelbares Ziel die Legitimation der Heiligsprechung Karls war 58 . Einige Gedanken dieser offiziösen Legende Karls sollen kurz notiert werden. In Lib. I, cap. 13 wird die Zweischwerterlehre dargelegt; in diesem Rahmen heißt es von Karl : Iste igitur est qui pro totius mundi pace et salute et maxime pro sánete dei ecclesie stabili et firma unitate se omnibus periculis exposuit. Iste igitur est quem, etsi gladius persequentum non tetigit, cum vel ad propagandam christianitatem vel ad defensandam ecclesiam multis se periculis obiecerit — hec enim duo semper in mente habuit — dignitatem martirii non amisit 59 . Wird hier Karl in seiner öffentlichen Funktion, nämlich als Träger des Schwertes, als Heidenkämpfer dargestellt, so präzisiert das 2. Buch der Legende diese Vorstellung. Dieses umfangreichste der drei Bücher der Legende ist ausschließlich der Jerusalemfahrt Karls gewidmet. Die Sage von Karls Jerusalemfahrt ist alt ; sie entstand im 10. Jahrhundert und sollte die Herkunft der Reliquien von St. Denis glorifizieren 60 . Dieser ätiologische Grundzug der Sage klingt auch in der offiziösen Legende noch durch. Seit der Zeit des 1. Kreuzzugs wurde Karls Jerusalemfahrt in der Sache immer mehr zur Kreuzfahrt, zum Vorgänger der Kreuzzüge und der 56 Vgl. M G H Const. 1,322 passim und ebd. S. 3 8 1 , 1 5 . Ergänzend sei daraufhingewiesen, daß Otto von Freising, der Zeitgenosse und Onkel Friedrichs I., in seiner Chronik sehr betont, daß Konrads II. Gemahlin Gisela, also eine Ahnin Friedrichs wie Ottos, vom „alten und ruhmreichen Blut der Karolinger" war und Karl d. Gr. zum Ahnherrn hatte. So trugen auch Otto und Barbarossa das Blut Karls in sich, vgl. Chronik V I , 2 8 ed. Hofmeister (MGH Schulausgabe, 2. Aufl. 1912) S. 2 9 1 , 1 4 - 1 8 . 57 Vgl. H. Hoffmann, Karl der Große im Bild der Geschichtsschreiber des frühen Mittelalters (1919) S. 1 4 2 f f ; F. Heer, Die Tragödie des Heiligen Reiches (1952), Teil IV, Kap. 8: Der Kult des heiligen Kaisers, S. 246—59. Unerreichbar blieb mir R. Folz, Le souvenir et la légende de Charlemagne dans l'Empire germanique médiéval (1950) ; ders., La chancellerie de Frédéric I er et la canonisation de Charlemagne, Moyen Age 70 (1964), gibt für unsere Frage nichts her. 58 Ed. G. Rauschen (1890), dazu Hoffmann, Karl der Große S. 144f. 59 Ed.Rauschen S. 3 4 , 2 6 - 3 5 , 1 . 60 Vgl. Hoffmann, Karl der Große S. 104ff.
Papsttum und Kreuzzug vor Innocenz III.
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Kaiser wurde zum Kreuzritter 61 . Die Karls Verehrung wurde allmählich zum Kult, doch war Frankreich hierin Deutschland weit voraus. Hier fand die Karlsverehrung erst etwa seit dem Regierungsantritt Friedrichs I. größere Verbreitung. Die Kanonisation war also keineswegs ihr konsequenter Abschluß, sondern entsprang den persönlichen Gefühlen und politischen Interessen Friedrichs62. Die Legende erzählt von einem Brief des Patriarchen Johann von Jerusalem an Karl, in dem er zugleich im Namen der Bischöfe des Hl. Landes Karl um Hilfe bittet, ,a te omnium invictissime Karole magne auguste suffragium suspirantes'. Der Patriarch fahrt dann fort, Karl möge dieses Schreiben allen Fürsten und Bischöfen zur Kenntnis bringen, nicht nur der eigenen „Provinz", sondern auch in allen benachbarten „Provinzen". Der Brief schließt : Sciat autem hoc, quisquís auxiliari nobis apostolica doctrina de pace catholice ecclesie postposita neglexerit, a deo se esse vindicandum districtius63. Hier wird zweierlei deutlich : wenn Karl nicht nur in seiner, sondern auch in den benachbarten „Provinzen" zum Kampf für Jerusalem aufrufen soll, so tritt er damit an die Spitze der Christenheit, die sich zum Kreuzzug formiert. Die Drohung des Briefes mit dem göttlichen Gericht für alle, die die Hilfe verweigern, darf man vielleicht so verstehen, daß zwar keine im präzisen Sinn kirchlich-rechtliche Verpflichtung zum Kreuzzug besteht, der aber doch Christenpflicht ist. Die Legende holt noch einmal aus: Kaiser Konstantin V. von Byzanz hatte angesichts der heidnischen Bedrohung seines Reichs Gott um einen Helfer gebeten. Als er nachts über seinen Sorgen grübelte, erschien ihm ein Jüngling, der ihm mit freundlicher Stimme sagte, seine Bitte sei erhört : ecce, accipe adiutorem Karolum Magnum regem Gallie in domino ac pacis ecclesie propugnatorem ; und der Jüngling zeigte dem Kaiser einen herrlichen Ritter, dessen Rüstung und Waffen im überirdischen Glanz erstrahlten, so daß kein Zweifel mehr war: diesen Helfer hatte Gott erwählt. Daraufhin schrieb, berichtet die Legende weiter, Kaiser Konstantin an Karl, berichtete seine Vision und beschwor Karl, zu Hilfe zu zu eilen. Konstantins Gesandte trafen Karl in Paris, der Brief wurde mit größtem Wohlwollen aufgenommen. Karl, den die Legende jetzt ,rex et imperator' nennt, machte den Brief sogleich „durch die ganze Region der Franken" bekannt, d. h. doch wohl in der Francia occidentalis et orientalis, nicht nur im Frankreich des 12. Jahrhunderts. Der Kaiser rief jung und alt zu den Waffen, um mit ihm gegen die Heiden des Orients zu ziehen (II, 6—7). Im Fortgang wird dann erzählt, wie Karl aufbricht und schließlich die Heiden in die Flucht schlägt, Jerusalem befreit, durch seine Ankunft den Patriarchen und das Volk von Jerusalem hoch erfreut und wie Gott ihm alles zum Besten gedeihen läßt (11,8—9). Die Legende berichtet weiter, daß Karl in Jerusalem die wertvollsten Reliquien fand und mit ihnen die heimatliche Kirche reich beschenkte. 61
Vgl. ebd. S. 121 ff.
62
Vgl. ebd. S. 142ff.
63
Legende 11,4, Zitate ed. Rauschen S. 47,24f. 32ff.
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Die Voraussetzungen
Auf dem Rückweg wurde er von einfachen Leuten als ,verus Christi miles' erkannt, dessen Ruhm bis zu ihnen gedrungen sei64. Miles Christi ist die Bezeichnung des Kreuzritters ; Karl d. Gr., Ahnherr und Vorbild Kaiser Friedrichs I., galt demnach als der wahre Kreuzritter. Im Kreuzzug, in der Leitung der streitbaren Mannschaft der Christenheit gegen die Heiden des Orients, sah Friedrich I., so können wir aus der offiziösen Karlslegende und ihrer Entstehungsgeschichte schließen, eine programmatische Aufgabe des Kaisers 65 . Aber an ihrer Erfüllung wurde Friedrich noch lange gehindert, denn nach dem Ausgleich mit Alexander III. warteten zunächst dringende innenpolitische Probleme, der Konflikt mit Heinrich dem Löwen, auf den Kaiser. Wir haben damit den Anschluß an die Zeit nach dem Tode Alexanders gefunden. Sein Nachfolger, Lucius III., ein alter, im Dienst der Kurie erfahrener Mann, setzte die Politik des Ausgleichs zwischen Papst und Kaiser fort. Aber die Situation in Rom ließ Lucius praktisch keine Möglichkeit, wirksame Hilfe für das Hl. Land einzuleiten66. Erst als Kaiser und Papst sich im Oktober 1184 in Verona trafen, scheint der Plan eines Kreuzzugs wieder ernsthaft erwogen worden zu sein. Diese Zusammenkunft, auf die wir im Rahmen der Ketzerverfolgung noch einmal stoßen werden, war dadurch gekennzeichnet, daß Friedrich demonstrativ die kaiserliche Aufgabe anging, die Kirche vor inneren und äußeren Feinden zu schützen. Die Kreuzzugsverhandlungen von Verona stehen in einer Linie mit Friedrichs feierlicher Selbstverpflichtung, als Kaiser gegen die Ketzer vorzugehen. Eine ansehnliche Delegation des Königs von Jerusalem sorgte dafür, daß Papst und Kaiser der Ernst der Lage klar wurde 67 . Einzelheiten über Verlauf und Ergebnis der Kreuzzugsverhandlungen sind nicht bekannt. Wir wissen nur, daß der Delegation aus dem Hl. Land Empfehlungsbriefe mitgegeben wurden an die europäischen Höfe und daß Friedrich versprach, mit den deutschen Fürsten über den Kreuzzug zu verhandeln 68 . Jetzt zeigte sich, wie sehr die Initiative für einen Kreuzzug bereits an den Kaiser übergegangen war. Erst nach dem Treffen in Veroria versandte Lucius seinen 64
Legende 11,22 ed. Rauschen S.63,30. A.Hof, Die imitatio sacerdoti! bei Kaiser Friedrich II. (Diss. phil. Freiburg 1953) hat S. 28 f die Aufnahme des Kreuzzugsgedankens durch Barbarossa als imitatio sacerdotii im Sinn einer Ausweitung der als „heilig" geltenden Missionsaufgabe des christlichen Kaisers gewertet. Hof sieht das Problem, aber seine Erklärung als Ausweitung der Missionsaufgabe befriedigt nicht. 65
66
Vgl. das negative Urteil bei Schwerin aaO S. 80 f. Die Delegation bestand aus dem Patriarchen Heraklius von Jerusalem und den Großmeistern der Templer und der Johanniter; der Tempelmeister starb noch in Verona. 67
68
Eine befriedigende Untersuchung der Synode von Verona fehlt ; vgl. Hefele, Conciliengeschichte, 2. Aufl. V,726; J. Haller, Heinrich VI. und die römische Kurie, MIÖG 35 (1914) S. 397; Haller III, 257ff; K. Jordan bei Gebhardt-Grundmann, Handbuch der Deutschen Geschichte I (8. Aufl. 1954) S. 326; F. Riezler, Der Kreuzzug Kaiser Friedrichs I., FzDG 10 (1870) S. 7; Marbacher Annalen ed. Bloch (MGH Schulausgabe 1907) S. 5 5 , 1 - 6 und Continuatio Zwetlensis altera, M G H SS IX, 542, 47-50.
Papsttum und Kreuzzug vor Innocenz III.
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einzigen großen Kreuzaufruf, der lediglich eine Neuausfertigung von Alexanders III. Aufruf von 1181 war 69 . Der Aufruf hatte wiederum keinen Erfolg, denn die Könige Englands und Frankreichs versagten der Delegation Balduins IV. von Jerusalem praktisch jede Hilfe 70 , während Friedrich noch in Deutschland gebunden war. Lucius III. starb 1185; sein Nachfolger, Urban III., brach die Politik des Ausgleichs schroff ab und band durch die Erneuerung alter Streitigkeiten dem Kaiser die Hände, während er selbst nichts zur Rettung des Hl. Landes unternahm, dessen Lage sich rapide verschlechterte. Wie vom Papst und den drei großen Herrschern Europas keine Hilfe kam, so diesmal auch aus Byzanz nicht, wo die Angeli, ein schwächlicher Nebenzweig der Komnenen, das Erbe Kaiser Manuels usurpiert hatten. So brach im Sommer 1187 die Katastrophe über das Königreich Jerusalem herein. Die Nachricht vom Triumph Saladins über die Christen im Juli 1187 erreichte erst im Oktober Europa. Der ohnehin kranke Papst starb ob dieses Schreckens, obgleich die schlimmste Kunde, der Fall Jerusalems im Oktober 1187, noch gar nicht nach Westen gedrungen war 71 . Eine Szene bei der Wahl des Nachfolgers kennzeichnet den Schock, den die Katastrophe des Hl. Landes in Europa auslöste. Die ,sanior pars' der Wähler neigte einem der drei Kandidaten zu, dem Kardinal Heinrich von Albano, früherem Abt von Clairvaux. Als darüber eine Spaltung im Kardinalkollegium drohte, sprang Heinrich auf und lehnte die Wahl ab ; er wolle seine Kraft ungeteilt der Vorbereitung des Kreuzzugs widmen können. So wurde am 21. Oktober 1187 Albert von Morra, der Kanzler Alexanders III., als Gregor VIII. Papst72. Bereits in seiner Wahlanzeige an den deutschen Klerus vom 27. Oktober ging Gregor auf die Not des Hl. Landes ein. Er befahl dem Klerus, für die Befreiung des Hl. Landes zu wirken. Besonders sollten der Kaiser und die deutschen Fürsten, nicht minder aber auch das ganze christliche Volk aufgerufen werden, dem Allmächtigen diesen Dienst zu erweisen 73 . Nur eine Woche nach seiner Wahl, am 29. Oktober, rief Gregor die Christenheit zum Kreuzzug auf. Der Aufruf richtet sich an alle Christen, schildert ihnen die furchtbare Not, die Gott über das Hl. Land verhängt hat als Strafe für die Sünden der ganzen Christenheit, nicht nur der Christen im Hl. Land, betont die Verantwortung der gesamten Christenheit 69 Ed. P. Kehr, PU Sizilien Nr. 26, N G G 1899 S . 3 2 9 f , Verona 6 . - 1 3 . November 1184 (1185); Lucius setzte dazu auch noch das ursprüngliche Datum dieses Aufrufs von Alexander III. 70 Vgl. Lucius' Briefe J L . 1 5 1 5 0 Í , wohl vom Dezember 1184, M P L 2 0 1 , 1 3 1 1 - 1 3 1 3 ; William of Newburgh III, 10.12f ed. Howlett I, 240f. 244—247; Giraldus Cambrensis, De principis instructione 11,24f, Opera ed. Warner VIII,202ff; zum Ganzen vgl. Cartellieri aaO II, 1 3 . 1 8 - 2 2 . 71 Vgl. Cartellieri ebd. S . 3 9 ; G.Kleemann, Papst Gregor VIII. (1912) S . 1 8 f ; K . W e n c k , Die römischen Päpste zwischen Alexander III. und Innocenz III., in Festschrift P. Kehr (1926) S.427. 72 Vgl. Wenck ebd. S. 428, der zuerst dem oft verworfenen Bericht des Zisterziensers Alberich, M G H SS XXIII, 860f, Quellenwert beimaß; Wenck folgen I.Friedländer, Die päpstlichen Legaten in Deutschland (1928) S. 35 und Y.Congar, Henry de Marcy, Studia Anselmiana 43 (1958) S . 4 3 f . 73 J L 1 6 0 1 4 , M P L 202, 1538 A B , ein etwas früherer Kreuzaufruf vom 24. Oktober, J L 1 6 0 1 3 , ist eine spätere Fälschung, vgl. Kleemann aaO S. 23, Anm. 1.
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Die Voraussetzungen
für die Hilfe und ruft zur Buße. Nur in der Buße, die Gott versöhnt, liegt Hoffnung auf Erfolg der Rettungsaktion. Die knappen statuta des Aufrufs beschränken sich auf die kirchlich-religiöse Seite des Kreuzzugs : Ablaß und kirchlicher Schutz für die Kreuzfahrer, Verbot allen Luxus und Prunks beim Kreuzzug 74 . Gleichzeitig ordnete Gregor für die ganze Christenheit regelmäßige Bußen und Fasten wegen des Unglücks im Hl. Land an 75 . Wir werden auf dieses betonte Bußmotiv im Kreuzzugsgedanken Gregors später eingehen. Hier interessiert zunächst, daß Gregor zwar zum Kreuzzug aufrief, aber für Organisation und Durchführung keinerlei Anordnungen traf. Statt dessen sandte er sofort Legaten nach Deutschland76, denen Anfang November Heinrich von Albano, Gregors berühmtester Legat, folgte, der nördlich der Alpen für den Kreuzzug wirken sollte77. Gregor entsprach der Tradition, wenn er zwar zum Kreuzzug aufrief, die Durchführung aber den Laienfürsten überließ. Unter diesen drängte, wie wir sahen, der Kaiser in die bisher fast ausschließlich dem französischen König zugefallene Rolle. Gregor sprach deshalb gegenüber Friedrich I. und seinem Sohn, König Heinrich VI., den Wunsch nach guter Zusammenarbeit beim Kreuzzug aus78. Er betonte mehrfach, ohne die Hilfe des Kaisers und der anderen Großen könne er seine Pflicht gegenüber der Christenheit nicht erfüllen. Gregor sprach damit aus, was seit Jahrzehnten deutlich war: der Anstoß zum Kreuzzug ging vom Papst aus, die Durchführung hing vom guten Willen der Fürsten ab. Daher beeilte sich Gregor 79 , dem Kaiser zu versichern, er sei jetzt mehr noch als sonst zum Frieden bereit ; und er tat seinerseits alles, um die Eintracht von Papst und Kaiser zu fördern 80 . Gregor starb nach einer Regierung von nur 57 Tagen, die durchzittert waren von der Sorge, daß die Christenheit Gottes Strafurteil erkennen, Buße tun und dem Hl. Land unter Führung durch Kaiser und Fürsten zu Hilfe eilen möge 81 . Deshalb hat er sofort alle Streitpunkte als zweitrangig zurückgestellt, um die 74
J L 1 6 0 1 9 , M P L 202, 1 5 3 9 - 4 2 , vgl. auch J L 16034.
J L 1 6 0 1 8 ï o m 29. Oktober 1187, MPL 202, 1539; J L 1 6 0 2 2 vom 30. Oktober ed. PflugkHarttung, Acta Romanorum Pontificum inedita II, 395 f, Nr. 449, dass, vom 18. November ed. Ramackers, PU Frankreich II, 385 f Nr. 290. 75
J L 16014, MPL 202,1538B. 77
Zur Legation Heinrichs vgl. Friedländer aaO S. 35—45 und Janssen aaO S. 130—134.
78
J L 16071 f v o m 29. Oktober 1187, MPL 202, 1558f.
79 Gregor selbst erklärt, warum er zwischen seiner Wahl und dem Brief an den Kaiser fünf Wochen verstreichen ließ: er wartete die Ankunft der noch an Urban III. gesandten Boten Friedrichs ab; MPL 202,1558 AB. 80 Dem Erzbischof Folmar von Trier, um den es im Streit zwischen Urban III. und Friedrich I. hauptsächlich gegangen war, befahl Gregor, nachzugeben: J L 16075, MPL 202, 1559. Vgl. die Übersicht über Gregors durchweg ausgleichende Politik gegenüber dem Kaiser bei Kleemann aaO S. 3 0 - 3 9 . 81
Vgl. die Zusammenfassung bei Kleemann aaO S. 50—53.
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Eintracht der Christenheit in dieser entscheidenden Stunde nicht zu gefährden 82 ; sein Nachfolger ist ihm hierin gefolgt 83 . In die Regierungszeit Klemens' III. fielen Vorbereitung und Durchführung des 3. Kreuzzugs, die Gregor VIII. dem Kaiser und den Fürsten überlassen hatte. So trat Klemens beim Kreuzzug wenig hervor 84 . Doch drei Punkte verdienen Erwähnung. 1. 1189 rief Klemens die Armenier zur Teilnahme am Kreuzzug auf. Daß er die zu dieser Zeit noch von der römischen Kirche getrennten Armenier auf diese gemeinsame Aktion der Christenheit ansprechen konnte, macht die Bedeutung der Christianitas-Vorstellung deutlich 85 . 2. Klemens setzte die Friedenspolitik Gregors VIII. fort; die Vermittlung zwischen den Hafenstädten Pisa und Genua, deren Flotten für den Kreuzzug wichtig waren, war ein schöner Erfolg seiner persönlichen Bemühung 86 . 3. Ein Befehl Klemens', daß der gesamte Klerus eine Kreuzzugsumlage abliefern müsse, hatte die größte Tragweite ; hier lag der Ansatz zu den seit Innocenz III. üblichen Kreuzzugssteuern von allen kirchlichen Einkünften 87 . So war der Papst bei der Vorbereitung des Kreuzzugs keineswegs ganz unbeteiligt, aber der Schwerpunkt lag eindeutig bei den Laienfürsten 88 . Die erste Hilfe kam von jenem König Europas, der dem Hl. Land am nächsten war ; noch 1187 schickte Wilhelm von Sizilien fünfzig Galeeren mit achthundert Rittern 89 . Es war die spontan helfende Reaktion eines christlichen Fürsten, die vor allem bei Philipp August und Heinrich II. so auffallig fehlte. Diese beiden großen westeuropäischen Könige, und nach Heinrichs Tod sein Sohn und Nachfolger Richard Löwenherz, erklärten sich zwar prinzipiell zum Kreuzzug bereit, zeigten aber wenig Eifer 90 . Das staatspolitische Kalkül be82 Kempf, Kanonistik und kuriale Politik S. 51, weist daraufhin, daß Gregor VIII. wahrscheinlich vorher in Bologna Kirchenrecht doziert hatte. Sein Verhalten als Papst hätte dann ganz der in Bologna herrschenden dualistischen Lehre entsprochen. 83
Vgl. J. Geyer, Papst Klemens III. (1914) S. 10-18. Rein kirchliche Maßnahmen, wie die Bannandrohung für jede Verletzung des Kreuzfahrerschutzes oder für die Unterstützung der Sarazenen, können hier außer Betracht bleiben; vgl. etwa J L 16472.16634. 84
85 Vgl. J L 16461—63 mit Regestendes nur armenisch erhaltenen Briefwechsels. Ein entsprechendes Schreiben an Isaak II. von Byzanz, J L 16373, ist eine Fälschung, vgl. Geyer aaO S.28. 86 Vgl. Kleemann aaO S. 49 und Geyer aaO S. 28. 87 J L 16252 vom 27. Mai 1188 nach Genua, Pflugk-Harttung, Acta III, 363f und vom 10. Februar 1188 nach Canterbury (fehlt bei JL) bei Giraldus Cambrensis, De principis instructione 111,4 (Opera VIII, 236-39). Vgl. auch unten S.77ff.). 88 Geyer aaO S. 27—37 überbewertet die Leistung Klemens' für den Kreuzzug, denn was er sachlich aufzählt, ist nicht viel. Ein allgemeiner Kreuzaufruf, den Klemens erlassen zu haben scheint, ist verloren; vgl. Arnold von Lübeck IV,6, MGH SS XXI, 169,39ff und Klemens' eigene Andeutung im Brief an den armenischen Katholikos Gregor, vgl. das Regest J L 16461 ; das Regest eines Kreuzaufrufs nach Pisa bei Kehr, Italia Pontificia 111,362 Nr. 39. 89 Itinerarium Peregrinorum cap. 14, ed.H.E.Mayer (1962) S.271. 90 Richard Löwenherz hat allerdings, wie es seinem ritterlichen Ungestüm entsprach, sofort auf die Nachricht von der Niederlage bei Hattin hin das Kreuz genommen. Diese übereilte und spontane
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herrschte auch ihre Kreuzzugspläne ; endlose Verhandlungen über einen gleichzeitigen Aufbruch, damit nicht der eine die Abwesenheit des anderen zu einem Überfall mißbrauche, verzögerten den englisch-französischen Kreuzzug um Jahre 91 . Statt einer Zusammenarbeit zwischen beiden Kreuzheeren kam es sogar gelegentlich zu offenen Feindseligkeiten. Die Abhängigkeit vom Königtum, in die der Beitrag der nationalen Ritterschaft zum Kreuzzug geraten war, zeitigte schlimme Folgen. Diese Erfahrungen erklären, warum Innocenz die Kreuznahme der Könige nicht forcierte. Ein Dokument mit der bezeichnenden Uberschrift „Statuta regum in susceptione crucis" zeigt das Verständnis des Kreuzzugs als eines königlichen Unternehmens. Die Ausschreibung einer allgemeinen Kreuzzugssteuer, des Saladinszehnt, die Regelung der Schulden, Zinspflichten und Verpfandungen der Kreuzfahrer, schließlich sogar die in Form scharfer und präziser Anordnungen übernommenen päpstlichen Warnungen vor allem Prunk und Luxus beim Kreuzzug, wurden hier zu königlichen Gesetzen 92 . Durch die Bestätigung auf Reichstagen im Frühjahr 1188 verliehen die Könige ihren Vereinbarungen und den daraus folgenden Anordnungen über den Kreuzzug rechtliche Verbindlichkeit 93 . Der Kreuzzug war bei ihnen zu einem Unternehmen nationaler Könige geworden 94 . Der 3. Kreuzzug war aber vor allem der Kreuzzug des Kaisers. Das spürten schon die Zeitgenossen : Das Itinerarium peregrinorum preist Friedrichs Kreuznahme ; er stellt den wahren Kreuzfahrer dar ; sein Reich erstreckt sich vom Mittelmeer bis zum Nordmeer, doch Ruhm und Herrscherglück setzt er hintan, um demütig für den Herrn die Waffen zu ergreifen, ein Vorbild für alle, der trotz Reaktion des Kronprinzen trug ihm aber schweren Tadel seines Vaters, Heinrichs II., ein. Vgl. Itinerarium Peregrinorum cap. 17, ed. Mayer, S.276,17ff und William of Newburgh 111,23, ed. Howlett 1,271. 91 Über die Vermittlungsversuche der päpstlichen Kardinallegaten Heinrich von Albano und Johann von Anagni vgl. Janssen aaO S. 131—137 und Tillmann, Legaten S. 83. 92 Text bei William of Newburgh III, 23, ed. Howlett 1,273 f; dort die zitierte Überschrift. Nur der Umstand, daß für die bereitwillige Zahlung des Saladinszehnten ein Ablaß verheißen wird und der Ablaßgewährende in der 1. Person plur. erscheint, erregt Zweifel, ob es sich um ein königliches Dokument handelt, und stützt die Ansicht von Cartellieri aaO II, 54, der Text sei ein Rundschreiben des englischen und französischen Episkopats. 93 Reichstag von Geddington am 11. Februar 1188 und Reichstag von Paris, Ende März des Jahres, vgl. dazu Cartellieri aaO 11,58—63. 94 Zugleich verstanden die Könige den Kreuzzug als Aktion der Christenheit. In einer gegenseitigen Verpflichtung zum Kreuzzug, freilich schon von 1177, nennen sie diesen wiederholt ,servitium christianitatis' (bei Giraldus Cambrensis, Opera VIII, 166—169); diese Auffassung vertrat in England auch der Zeitgenosse William of Newburgh, dem der Kreuzzug als ,negotium christianum' galt (11,23; IV,13.19, ed. Howlett I, 272.326.349). Bei Giraldus Cambrensis werden sogar beide Kreuzzugskonzeptionen verbunden, wenn er — freilich erst 1217, d.h. nach Innocenz' III. Regierung — zum Abschluß der Erzählung von der Kreuznahme der Fürsten, Philipp II. August, Heinrich II., Richard Löwenherz und Friedrich I., schreibt: sie itaque per universos Europe fines, ad principum exemplum orbe composito, adeo Salvatoris iniuria singulorum animis altius insedit, ut in quolibet hominum convento respectu signatorum paucos videris non signatos (De principis instruetione III, 5, Opera V i l i , 241).
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seines Alters das „negotium christianum" in die Hand nimmt 95 . Auf dem Mainzer Hoftag beugen sich so viele Fürsten und Völker unter seine kaiserliche Führung, daß der Glanz des alten Roms wieder erstrahlt 96 . Noch deutlicher kommt dieses Verständnis naturgemäß bei den deutschen Chronisten zum Ausdruck. Die Historia de expeditione Friderici Imperatorie schildert, wie auf die Nachricht vom Unglück des Hl. Landes hin Friedrich kraft göttlicher Eingebung beschließt, das Land des Heilands zu befreien; erst danach erwähnt der Chronist den Kreuzaufruf Gregors VIII. 97 . Diese Reihenfolge in einer offiziösen Darstellung aus der kaiserlichen Kanzlei 98 bestätigt, daß Friedrich im Kreuzzug ein repräsentatives Werk des Kaisers sah. So nennt auch die Historia Peregrinorum den Kreuzfahrerkaiser Friedrich ,christianissimus et invictissimus Romanorum imperator Fridericus, vir utique magne experiencie, strennuitate Karolum representans'99, und erinnert damit an die Herausstellung Karls d. Gr. als das Vorbild des Kaisers und Kreuzfahrers. Dieses Urteil der Chronisten wird verständlich, wenn man die Kreuzzugsvorbereitungen überblickt, die Friedrich in Zusammenarbeit mit dem Kardinallegaten Heinrich von Albano in die Hand nahm. Es ist schon bezeichnend, daß der Legat von sich aus zunächst den Kaiser um Hilfe bat100. Nach Vorverhandlungen 101 wurde für die Kreuzzugsberatung ein großer Reichstag auf den 27. März 1188 nach Mainz einberufen. Heinrich von Albano gab diesem Tag seinen Namen : curia Jesu Christi ; nicht minder interessant ist für unsere Frage, daß Heinrich diesen Reichstag zugleich ein ,concilium christianitatis' nannte102. Obwohl der Legat, nicht der Kaiser, zum Reichstag einlud 103 , galt der „Hoftag Itinerarium peregrinorum cap. 18, ed. Mayer S. 278 f. Ebd. cap. 19/S.289f und cap.24/S. 301. 97 A. Chroust, Quellen zur Geschichte des Kreuzzugs Kaiser Friedrichs I. (1928) S. 2—10, bes. S. 5,14ff. 98 Vgl. Chroust aaO, Einleitung S. X L I V - X L V . 99 Chroust aaO S. 116,19f. Die Historia peregrinorum stammt aus Oberschwaben oder dem Elsaß, also aus den staufischen Kernlanden. 100 D¡ e Historia peregrinorum schreibt, Heinrich kam ,primo ut dignum erat' zum Kaiser ; Chroust aaOS. 125,10. 101 Beim Straßburger Reichstag, Anfang Dezember 1187, überbrachten Boten des Kardinals dem Kaiser einen Brief als erste Fühlungnahme, ed. W. Holtzmann, NA 48 (1930) S. 412f. Als Mitte Dezember Friedrich und Philipp August sich an der Grenze ihrer Reiche trafen, um ihr Bündnis zu besiegeln, nutzte der Legat die Gelegenheit, um persönlich mit Friedrich Kontakt aufzunehmen ; hier wurde dann der Mainzer Reichstag verabredet, vgl. Friedländer aaO S. 39 f. 102 MPL 204, 250 D; Chroust aaO S. 12, 28ff.33. Zur Urheberschaft des Ausdrucks .curia Christi' vgl. G. Künne, Heinrich von Clairvaux (Diss. Tübingen 1909) S. 105 Anm. 1. F. W. Wentzlaff-Eggebert, Der Hoftag Jesu Christi 1188 in Mainz (1962) führt unsere Fragen nicht weiter. loa Vgl. das Einladungsschreiben des Kardinals : Quoniam igitur eadem curia singulariter est Salvatori Domino deputata, sicut imperialis majestas sua potestate nos convocai, nosque ex parte Dei et ea quae fungimus legationis auctoritate universitatem vestram ad eandem curiam convocamus. MPL 204, 250D, Chroust aaO S. 12.24—27. Hätte es eine kaiserliche Einladung gegeben, hätte die offiziöse Historia de expeditione Friderici sie sicherlich neben dem wörtlich zitierten Schreiben des Legaten gebracht. 95 96
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Die Voraussetzungen
Christi" den Zeitgenossen doch als ,ex edicto imperiali' einberufen 104 . Wenn der Kaiser dann gar dem Legaten den Vorsitz überließ, so zeigte das nicht nur einen Höhepunkt im Zusammenwirken beider Häupter der Christenheit an, sondern auch, wie rückhaltlos Friedrich seine ganze Macht und Würde in den Dienst des Kreuzzugs stellte. Arnold von Lübeck betont zu Recht neben der unzweifelhaft echten Kreuzzugsfrömmigkeit des Kaisers auch die politische Seite im Verhalten Friedrichs, ,qui honorem imperii exaltare cupiens, ad expugnandos inimicos crucis Christi robur militie sue convertit' 105 . Da es Heinrich von Albano gelang, die schwierigste innenpolitische Frage, des Kaisers Streit mit dem Kölner Erzbischof Philipp, noch vor dem Mainzer Tag befriedigend zu lösen, konnte Friedrich sich voll der Kreuzzugsvorbereitung widmen. Daß diese in Deutschland wesentlich glatter und ruhiger verlief als in Frankreich und England, lag nicht nur am Ansehen des Kaisers, sondern auch an der geschickten Art Friedrichs, dessen Bestimmungen in jeder Hinsicht sinnvoll und maßvoll waren 106 . Auf dem Mainzer Tag bestimmte Friedrich, daß das deutsche Kreuzheer am 23. April 1189 von Regensburg aufbrechen sollte107. Ausdrücklich legte er fest, daß die deutschen Kreuzfahrer den Landweg wählen sollten ; die Seereise würde nur den Zusammenhalt des Heeres gefährden, und außerdem würden die verfügbaren Schiffe nicht ausreichen108. Gleichzeitig erließ Friedrich einen Heeresfrieden fur das Kreuzheer 109 und bestimmte, daß kein Fußsoldat, sondern nur Berittene mitziehen dürften, und zwar nur, wer im Waffendienst geübt und für zwei Jahre ausreichend versorgt sei. So wollte der Kaiser sein Kreuzheer schlagkräftig und innerlich gesund erhalten 110 , was jedoch wegen der Kreuzzugsbegeisterung des Volkes nicht ganz gelang 111 . Auch vor Störungen des Zuges von außen wollte Friedrich sich sichern. Ein Reichstag schickte Heinrich den Löwen erneut auf drei Jahre ins Exil, um den Itinerarium peregrinorum cap. 19, ed. Mayer, S. 289,11 f. MGH SS XXI, 170,29 f. 106 Bei diesem Vergleich folge ich dem Urteil von Cartellieri aaO II,73f; vgl. aber auch das Urteil eines Zeitgenossen, Arnolds von Lübeck, MGH SS XXI, 170,32 ff. 107 Historia Peregrinorum bei Chroust aaO S. 126,23—29. 108 Itinerarium peregrinorum cap. 19, ed. Mayer S. 290,21—26 und Kölner Königschronik ed. Waitz (MGH Schulausgabe 1880) S. 141 f berichten eine Abmachung Friedrichs mit Wilhelm von Sizilien, daß dieser keine deutschen Kreuzfahrer von Sizilien oder Apulien aus in See stechen ließe. Die niederdeutschen Kreuzfahrer waren aber von der Seereise nicht abzuhalten ; so nennt Arnold von Lübeck, MGH SS XXI, 170,32ff, den Aufbruchstermin ausdrücklich auch für sie als verbindlich, während die offiziöse Historia de expeditione Friderici, Chroust aaO S. 23 f, berichtet, daß einige Kreuzfahrer dennoch den Seeweg wählten, dies aber als bequem und unritterlich ablehnt. Zum Ganzen vgl. F. Kurth, Der Anteil niederdeutscher Kreuzfahrer an den Kämpfen der Portugiesen gegen die Mauren, MIÖG Erg. Bd. 8 (1911) S. 170 f. 109 Historia de expeditione Friderici, Chroust aaO S. 24,22—31. 1 1 0 Historia peregrinorum, Chroust aaO S. 126,16—22. Ebd. Anm. 4 und bei F. Riezler aaO S. 17 weitere Quellenbelege, dazu noch Itinerarium peregrinorum cap. 19, ed. Mayer S. 290,11—15. 111 Vgl. Arnold von Lübeck IV,8, MGH SS XXI, 171,Iff. 104
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inneren Frieden des Reiches während des Zuges zu gewährleisten 112 . Mit dem König Bela von Ungarn und Kaiser Isaak II. von Byzanz, deren Reiche das kaiserliche Kreuzheer durchqueren mußte, leitete Friedrich Verhandlungen über den Durchzug und die Verpflegung des Heeres ein 113 . Endlich sandte er einen Grafen zu Saladin, um diesem in echter Rittermanier die Freundschaft aufzusagen und den Krieg zu erklären 114 . All diese Maßnahmen zeigen, daß Friedrich den Kreuzzug nicht nur als kaiserliches Unternehmen propagierte, sondern es auch als solches in die Hand nahm und sorgfaltig vorbereitete. Auch die Durchführung des Zuges leitete der Kaiser selbst, indem er persönlich den Kreuzzug anführte. Erst sein Tod im Sommer 1190 nahm ihm die Leitung seines Kreuzzugs aus der Hand, der unter widrigen Umständen alsbald jede militärische Bedeutung verlor, um desto strahlender von den Chronisten geschildert zu werden. Vor diesem Hintergrund erst wird deutlich, welch große Aufgabe Innocenz III. in Angriff nahm, als er den Kreuzzug zum päpstlichen Unternehmen zu machen versuchte. Es war nicht mehr damit getan, die päpstliche Autorität über den Kreuzzug zu proklamieren oder Legaten zu senden, die den Papst vertreten sollten; der Kreuzzug verlangte sachliche Arbeit und Leistung. Das lehrt auch das Beispiel der Kreuzlegaten von 1187—91. Heinrich von Albano ist der einzige der Legaten, von dessen Tätigkeit in der Kreuzzugsvorbereitung wir nähere Kenntnis haben115, doch er starb schon am Neujahrstag 1189. Mehr zufällig hören wir hier und da von weiteren Legaten bei der Kreuzzugsvorbereitung, ohne daß ihr Wirken großen Eindruck bei den Chronisten hinterlassen hätte116. Nur in einer Nebenbemerkung erfahren wir, daß auch den 3. Kreuzzug ein päpstlicher Legat begleitete 117 ; sein Wirken blieb für den Kreuzzug belanglos. Der 3. Kreuzzug war der Kreuzzug des Kaisers und danach auch der der Könige Englands und Frankreichs. Er hatte sich mehr als seine Vorgänger von seinem päpstlichen Ursprung entfernt. Zwischen dem 3. Kreuzzug und Innocenz III. liegt der Pontifikat Coelestins III. Ebd. IV, 7; S. 170,35 ff. Historia peregrinorum, Chroust aaO S. 127 f, vgl. Riezler aaO S.21. 114 Während die Tatsächlichkeit des Briefwechsels Friedrichs mit Saladin nicht bezweifelt werden kann, sind die erhaltenen Brieftexte Fälschungen vermutlich englischen Ursprungs, vgl. H. E. Mayer, Der Brief Kaiser Friedrichs an Saladin, DA 14 (1958) S. 4 8 8 ^ 9 4 . 115 Heinrichs frühere Tätigkeit bei der Kreuzwerbung, sein Kampf gegen die Ketzer, sein Ruhm als sittenstrenger Bußprediger prädestinierten ihn zum päpstlichen Bevollmächtigten für die Kreuzzugsvorbereitung; vgl. Y. Congar, Henri de Marcy S. 8f und Künne aaO S. 96—100. 118 Vgl. Friedländer aaO S. 47f. 124f und Tillmann, Legaten S.85ff. Von dem großartigen Entschluß der Kardinäle, in freiwilliger Armut vorbildlich für den Kreuzzug zu wirken und allen Gläubigen voran nach Jerusalem zu eilen, berichtet nur Peter von Blois, epist. 219, MPL 207,508C, ohne daß wir von der Ausführung dieses Entschlusses etwas wüßten. 112
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Die Gesta Henrici II. et Ricardi, ed. Stubbs II, 180f, berichten für 1191, daß Bischof Adelard von Verona, Kardinal und päpstlicher Legat, im Verein mit zahlreichen Bischöfen die Kirchen im wiedereroberten Akkon neu weihte, also eine rein kirchliche Handlung vornahm.
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Die Voraussetzungen
Vom Kreuzzug in dieser Zeit reden, heißt vom Kreuzzug Kaiser Heinrichs VI. reden. Seit den achtziger Jahren hatten die Sorgen um das Hl. Land die Kreuzzüge in Spanien und Nordosteuropa fast vergessen lassen. In diesen Gebieten lebte zur Zeit Coelestins die Kreuzzugsbewegung wieder auf, wobei in Spanien der Papst selbst die Initiative ergriff 118 . Doch seit der Katastrophe von 1187 konzentrierte sich das allgemeine Interesse mehr denn je auf den Kreuzzug ins Hl. Land. Als Kaiser Heinrich VI. auch König von Sizilien wurde und so den Kirchenstaat umklammerte, schlug die Zusammenarbeit von Papst und Kaiser in einen Gegensatz um, der Coelestin die Beziehungen zu Heinrich abbrechen ließ. Doch Heinrich benötigte für seine Reichsreform die Unterstützung, mindestens das Wohlwollen des Papstes. Geschickt ergriff Heinrich die Initiative : in aller Stille plante er einen Kreuzzug, für den er sich der Zustimmung einiger Kardinäle versicherte; erst dann trat er im März 1195 an den Papst mit dem Angebot heran, auf eigene Kosten ein Kreuzheer ins Hl. Land zu schicken119. Coelestin blieb keine Wahl ; er mußte Heinrichs Plan seinen Segen geben und konnte nicht länger einem Kaiser unfreundlich begegnen, der sich so tatkräftig der Sorgen der Christenheit annahm. Coelestin durchschaute Heinrichs Absicht. Um zu verhindern, daß der Kreuzzug ein rein kaiserliches Unternehmen würde und nur Heinrichs propagandistischen Zwecken diente, versuchte er eine Beteiligung englischer Kreuzfahrer und eines Aufgebots des Königs Richard Löwenherz zu erreichen120. Coelestins hinhaltendes Zögern geht auch daraus hervor, daß der.übliche Kreuzaufruf, den der Papst wohl oder übel zur Förderung des kaiserlichen Kreuzzuges nach Deutschland schicken mußte, erst vom 1. August 1195 stammt121. Längst vorher, am 12. April, war Heinrich mit einer ,encyclica pro expeditione Jerosolymitana' hervorgetreten und hatte für sein Kreuzheer geworben 122 . Es war ihm gelungen, Coelestin zu überspielen123. Der Kreuzzug war für den Kaiser ein Druckmittel gegenüber dem Papst, und, was hier nicht darzulegen ist, für den sizilischen König ein wichtiger Faktor seiner Mittelmeerpolitik 124 . Heinrich ging noch weiter; sein Vater war an die Spitze des Kreuzheeres getreten, um sich als rechter Erbe Karls d. Gr. und als Führer der Christenheit zu Vgl. hierzu unten S.179f. Am 12. März 1195 bat Heinrich den Papst brieflich um Entsendung von Legaten, mit denen er den Kreuzzugsplan besprechen könne, MGH Const. I Nr. 364 S. 513 f. 120 JL 17270 vom 25. Juli 1195, MPL 206,1107-1110, besonders 1110A. 121 JL 17274 ed. Sudendorf, Registrum . . . I (1849) S. 8 2 - 8 4 . 122 MGH Const. I Nr. 365 S. 514f. 123 Vgl. J. Haller, Heinrich VI. und die römische Kirche, MIÖG 35 (1914) S. 592-597. 124 In welchem Sinne Heinrich den Kreuzzugsplan in seine Ostmittelmeerpolitik einbaute, ist strittig, ob vor allem gegen Byzanz und zur Erringung der „Weltherrschaft", so E. Traub, Der Kreuzzugsplan Kaiser Heinrichs VI. (Diss. Jena 1910) oder, um in der Levante neue handelspolitische Möglich118
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erweisen. Für Heinrich VI. war die persönliche Teilnahme am Kreuzzug keine Überzeugungssache, sondern ein Tauschobjekt in den Verhandlungen mit dem Papst. Wenn dieser Heinrichs kleinen Sohn Friedrich zum König salben, damit die Verbindung Siziliens mit dem Reich sanktionieren wollte, dann würde Heinrich als Gegenleistung persönlich das Kreuzheer anführen 125 . Da Heinrich im Kreuzzug so einseitig ein Instrument seiner Politik sah, sorgte er dafür, daß sein Kreuzheer schlagkräftig organisiert und fest in seiner Hand war 126 . Eine stattliche Soldtruppe unter dem Kommando des kaiserlichen Marschalls sollte den absolut verläßlichen Kern des Kreuzheeres bilden 127 . Auf drei Reichstagen ordnete Heinrich mit den Reichsfürsten alle den Kreuzzug betreffenden Fragen 128 . Als Herr Siziliens verfügte er auch über die idealen Ausgangshäfen, eine ausreichende Zahl Schiffe und große Vorräte für den Nachschub129, so daß er den Kreuzzug fest in der Hand hatte. Sogar wiederholte und unerwartet notwendig gewordene Verschiebungen des Aufbruchs konnten das Unternehmen nicht gefährden 130 . Heinrich fühlte sich so sehr als Herr des Kreuzzuges, daß er ohne Bedenken Teile des Kreuzheeres einsetzte, um den sizilischen Aufstand von 1197 niederzuwerfen und seine Herrschaft zu sichern131. Zwar ließ sich Heinrich bei der Werbung die Hilfe päpstlicher Legaten gefallen 132 , die durch ihr bloßes Erscheinen den Eindruck erweckten, der Papst stehe hinter Heinrichs Plänen; aber bei der Durchführung des Kreuzzuges war kein päpstlicher Legat zugegen. Auch hier zeigte sich, wie sehr der Zug Heinrichs eigene Aktion, ein rein kaiserlich-deutscher Kreuzzug war. Dank der glänzenden Vorbereitung zeitigte er gute Anfangserfolge, bis der überraschende Tod Heinrichs und der Ausbruch des deutschen Thronstreits das Unternehmen im Februar 1198 zusammenbrechen ließ. Damit sind wir bereits in die ersten Wochen der Regierung Innocenz' III. eingetreten. Als Ergebnis dieses Kapitels halten wir fest : Den Anstoß zu den Kreuzzügen hatte zwar das Papsttum gegeben, aber es hatte nicht die Möglichkeiten, ihre Vorbereitung und Durchführung verantwortlich zu übernehmen. So wurde die keiten zu erschließen, so W . Leonhard, Der Kreuzzugsplan Kaiser Heinrichs VI. (Diss. Gießen 1913). Wir können die Frage hier offenlassen. 1 2 5 Marbacher Annalen ed. Bloch S. 6 8 , 1 9 f , dazu Haller aaO S. 6 1 9 f . 638f, wesentlich skeptischer Leonhard aaO S. 8 5 - 8 8 . 126 Vgl. die Zusammenfassung bei Traub aaO S. 60 f. 1 2 7 Die fest bezahlte Soldtruppe sollte aus je 1500 Rittern und Knappen und 3000 Knechten bestehen, vgl. M G H Const. I. Nr. 365 S. 514; die Unkosten wollte Heinrich durch byzantinische Tribute decken, vgl. Leonhard aaO S. 67. 128 Oktober 1 1 9 5 in Gelnhausen, 6. Dezember 1195 in Worms und Ende März 1196 in Würzburg. Vgl. Marbacher Annalen ed. Bloch S. 66—68. 1 2 9 Vgl. Traub aaO S. 2 1 . 5 3 . 5 7 . 1 3 0 Vgl. Traub aaO S. 20—22.39—41, der die Opposition der Fürsten gegen Heinrichs Reichsreformpläne und eine schwere Erkrankung des Kaisers als Gründe für den mehrfachen Aufschub nennt. 1 3 1 Marbacher Annalen ed. Bloch S. 69,25ff, vgl. dazu Traub aaO S. 55 und Leonhard aaO S. 15. 1 3 2 Vgl. den Überblick bei Friedländer aaO S. 8 9 - 9 7 .
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Die Voraussetzungen
Kreuzzugsbewegung abhängig vom guten Willen der Laienfürsten. Friedrich I. sah im Kreuzzug eine hervorragende Aufgabe des Kaisers, in deren Erfüllung er in guter Zusammenarbeit mit dem Papst an die Spitze der Christenheit treten konnte. Heinrichs VI. Plan, diese Verbindung von Kaisertum und Kreuzzug gegen das Papsttum auszuspielen, scheiterte nur an seinem frühen Tod. Sollte der Kreuzzug als der sichtbarste Ausdruck der Christenheit nicht ganz dem Papst entgleiten, so mußte er hier neue Aufgaben und Verantwortung übernehmen, konnte dabei aber auch neues Ansehen gewinnen. Vor diesem Hintergrund ist das Bemühen Innocenz' III. um den Kreuzzug zu sehen.
Teil I: Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes 1. K A P I T E L
Das erste Halbjahr Die Befreiung des Hl. Landes „war Innocenz' Ziel vom ersten bis zum letzten Tag seiner Regierung. Kraftvolle Hilfe für das Hl. Land hat er schon in der Anzeige von seiner Erhebung dem Patriarchen von Jerusalem in Aussicht gestellt". Mit diesen Worten verleiht H. Tillmann einer allgemein verbreiteten Auffassung Ausdruck 1 ; nur gelegentlich wird in der Literatur angedeutet, daß Innocenz erst im Sommer 1198, ein halbes Jahr nach seiner Wahl am 8. Januar 1198, Kreuzzugspläne faßte 2 . Eine Klärung dieses Punktes ist wichtig, weil erst dann deutlich wird, ob Innocenz den Kreuzzug von Anfang an zum Programm seiner Regierung machte oder ob diese Aufgabe dem Papst erst aus der Situation heraus zuwuchs. Wir sahen, daß am Ende des 12. Jahrhunderts die Kaiser, Friedrich I. und Heinrich VI., an die Spitze der Kreuzzugsbewegung getreten waren. Als Innocenz am 8. Januar 1198 gewählt wurde, war zwar der Kaiser tot, aber sein Kreuzzug machte nach den letzten Meldungen, die man im Westen hatte, gute Fortschritte. Den Kreuzzug programmatisch zur Aufgabe des Papstes zu erklären, hätte in dieser Situation nur heißen können, diese Aufgabe dem Kaiser streitig zu machen. Der Brief des Papstes an den Patriarchen Aymar von Jerusalem und seine Suffraganen 3 , auf den H. Tillmann verweist, bietet in seiner ersten Hälfte einen Bericht von der Papstwahl. Dann schmeichelt der Papst dem Patriarchen, ihn, den geistlichen Herrn des Hl. Landes, wolle er durch die „Erstlinge" seiner Briefe besonders besuchen4. Der Ausdruck enthüllt sich als inhaltlose Schmeichelrede, denn schon vorher und mit anderer Begründung hatte Innocenz die „Erstlinge" seiner Briefe dem König von Frankreich gewidmet 5 . Im Fortgang der Wahlanzeige ruft Innocenz dazu auf, die Drangsal der Jerusalemer Kirche als Strafe Gottes demütig zu tragen ; nur durch Beten, Fasten und Tränen könne mit Gottes Hilfe die Lage sich noch zum Guten wenden. Erst in den letzten Zeilen kommt Innocenz dann auf die äußere Hilfe für das Hl. Land : Nos enim propositum ge1 Vgl. Tillmann, Papst Innocenz S.220, ähnlich Waas 1,227; Runciman 111,111 ; Luchaire, Innocent III, Bd. 4, La Question d' Orient (1907) S. 2 f. 2 Ζ. B.P. Rousset, Histoire des croisades (1957) S. 202; nicht ganz deutlich Haller III, 364.541 f. 3 Reg. 1,11, P. 18 vom 9. Januar bis 21. Februar 1198, MPL 214,9f, Hageneder S. 19f. 4 Ebd. 9 D bzw. S.20,3. 5 Reg 1,2, P.2 vom 9. Januar 1198, MPL 214,2C, Hageneder S.5,25f.
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rimus et habemus in votis, quantum ille permiserit, a quo speramus dirigi gressus nostros, ad subventionem vestram efficacius laborare et liberationi Hierosolymitanae privinciae, si datum fuerit desuper, sollicitius imminere 6 . Lassen schon die vagen Ausdrücke keinen Rückschluß auf Art und Umfang der Hilfe zu, so rückt die doppelte Einschränkung, quantum ille permiserit, und, si datum fuerit desuper, die Hilfe in unverbindliche Ferne. Hierin „den öffentlichen Ausdruck" des Wunsches „nach einem neuen Kreuzzug" zu sehen (Runciman), während noch das kaiserliche Kreuzheer im Hl. Land war, heißt spätere Pläne in diese Worte hineinlesen. Es sind nichts als ein paar unverbindliche Sätze angesichts der besonderen Bedrängnis der Empfänger. Es wäre im Gegenteil auffällig, wenn Innocenz seine Wahlanzeige ohne diese allgemeinen Trost-Bemerkungen abgesandt hätte7. Auch in dem um ein paar geistliche Mahnungen zu tapferem Kampf vermehrten Parallelbrief an den Mainzer Erzbischof Konrad 8 und die anderen deutschen Bischöfe im Hl. Land sind die päpstlichen Trostworte um nichts konkreter 9 . In einem gleichzeitigen Schreiben an die Fürsten des deutschen Kreuzheeres10 spricht Innocenz von der Kreuznahme als Dankespflicht der Christen, mahnt die Kreuzfahrer zu tapferem Kampf und frommem Leben und warnt sie, ohne das Ziel ihrer Kreuzfahrt erreicht zu haben, heimzukehren, denn ohne sie sei auch der Restbesitz der Christen im Hl. Land verloren. Diese Warnung war im Blick auf die verworrene Lage im Reich nach Heinrichs VI. Tod nur zu verständlich. Der Brief schließt mit der gleichen, unverbindlichen Hilfsankündigung wie die Wahlanzeige an den Patriarchen. Wie wenig Innocenz im Frühjahr 1198 konkrete Pläne für einen Hilfszug ins Hl. Land hatte, zeigen seine nächsten Briefe dorthin. Am 17. März 1198 schrieb er an den Erzbischof von Tripolis und dessen Metropoliten, den Patriarchen von Antiochien, in einer kirchlichen Streitsache, ohne die bedrängte Lage des Hl. Landes, in dem dieser Streit doch schließlich stattfand, auch nur mit einem Wort zu erwähnen 11 . ' Diese Beobachtungen werden ergänzt durch einige nach Ungarn gerichtete Briefe. Herzog Andreas, der Bruder Köllig Emmerichs, hatte am Sterbelager seines Vaters, des Königs Bela, die Ausführung von dessen Kreuzgelübde übernommen. Am 29. Januar 1198 drängte Innocenz den Herzog, bis spätestens zum Fest der Kreuzerhöhung (14. September) die Kreuzfahrt anzutreten, und drohte dem Säumigen mit Bann und Ausschluß von der Thronanwartschaft, falls sein Reg 1,11, MPL 214,10B, Hageneder S.20,26ff. ' Eine Wahlanzeige ins Hl. Land von einem Papst des 12. Jahrhunderts, an der man diese These prüfen könnte, ist bisher nicht bekannt. Die Vorarbeiten zum Orlens Pontificius von R. Hiestand stehen noch in den Anfängen, vgl. DA 18 (1962) S. 316. 8 Konrad von Wittelsbach, Erzbischof von Mainz und Kardinal ist zu unterscheiden von Konrad von Querfurt, Bischof von Hildesheim, Kanzler Heinrichs VI. und politischer Leiter von dessen 9 Reg 1,12, P. 19, MPL 214, IOC, Hageneder S. 21. Kreuzzug. 10 Reg 1,13, P.20, MPL 214,10 f, Hageneder S.21f. 11 Reg I,50f, P. 52f, MPL 214,45f, Hageneder S.77f. Dasselbe gilt für den undatierten Brief Reg 1,73, P. 520, MPL 214,64, Hageneder S. 108f in einem Streit zwischen den Johannitern und der Kirche von Tyrus. Als Gegenbeispiel aus späterer Zeit vgl. Reg 1,505, P.556 vom 3. Januar 1199, 6
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Bruder kinderlos sterben sollte12. Innocenz selbst kennzeichnete die Situation in Ungarn : unter dem Vorwand der Kreuzzugsvorbereitung hatte Andreas ein Heer gesammelt, um gegen seinen Bruder, den König, zu Felde zu ziehen. Das Drängen des Papstes sollte also weniger die Kreuzfahrt beschleunigen, als den Störenfried für eine Weile aus Ungarn entfernen, da Innocenz sich besonders zum Schutze Ungarns und der Ehre König Emmerichs verpflichtet wußte 13 . Deshalb erlaubte der Papst auch dem Erzbischof Jobus von Gran, seine Kreuzfahrt so lange zu verschieben, wie König Emmerich seine Gegenwart für erforderlich hielt, um die königliche Herrschaft in Ungarn zu konsolidieren 14 . Noch am 16. Juni 1198 erlaubte Innocenz auf Bitten Emmerichs gleich weiteren zwanzig bedeutenden ungarischen Magnaten, die der König für unentbehrlich in Ungarn hielt, die Kreuzfahrt aufzuschieben, bis der König Herr der Lage sei15. Ein gleichzeitiger Brief mahnte Herzog Andreas zum Frieden, ohne sein Kreuzgelübde auch nur zu erwähnen 16 . Da in all diesen Fällen der Aufschub der Kreuzfahrt nicht streng befristet war, spricht das für die Annahme, daß Innocenz bis Juni 1198 keine konkreten Kreuzzugspläne hatte. In einer dritten Briefgruppe aus dem ersten Halbjahr Innocenz' III. geht es um den Kreuzfahrerschutz für Richard Löwenherz. Der englische König war auf der Heimreise vom 3. Kreuzzug in Osterreich gefangen und an Kaiser Heinrich VI. ausgeliefert worden, der ihn erst gegen ein riesiges Lösegeld freiließ. Philipp II. August von Frankreich hatte diese Hilflosigkeit seines Gegners genutzt und einige Burgen Richards in Frankreich besetzt. Im Mai 1198 forderte Richard durch eine Gesandtschaft beim Papst, daß dieser als Garant des Kreuzfahrerschutzes die Rückerstattung des Lösegeldes und die Freigabe der Burgen erzwinge 17 . Innocenz mahnte daraufhin Herzog Friedrich von Osterreich, wie es bereits sein Vater Leopold V. auf dem Sterbebett befohlen hatte, seinen Anteil am Lösegeld zurückzuzahlen und für die Verzögerung Genugtuung zu leisten18. Erzbischof Ludolf von Magdeburg, ein eifriger Anhänger der staufischen Partei, erhielt gleichzeitig Befehl, Philipp von Schwaben zur Rückzahlung des mit dem Reichsschatz geerbten Lösegeldes zu veranlassen19. Die Drohung mit Bann und Interdikt unterstrich beide päpstlichen Aufforderungen. MPL 214,467 A , Hageneder S. 736,17, w o anläßlich eines Rechtsstreits im Hl. Land ausdrücklich auf die bedrohte Lage hingewiesen wird. 12 Reg 1,10, P.4, MPL 214,8, Hageneder S. 1 7 f vgl. dazu O. Hageneder, Exkommunikation und Thronfolgeverlust bei Innocenz III., RHM 2 (1957/58) S. 9 - 5 0 . 13 Hageneder, RHM 2 S. 43—48 kommt zum gleichen Ergebnis. 1 4 Reg 1,5, P. 14 vom 9. Januar bis 21. Februar 1198, MPL-214,5, Hageneder S. 12. 1 5 Reg I, 270, P. 290 vom 16. Juni 1198, M P L 214,227, Hageneder S.373. 1 6 Reg 1,271, P. 285, M P L 2 1 4 , 2 2 7 f , Hageneder S. 374f. 17 Zur Datierung der Gesandtschaft vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 13, Anm. 3 und C. R. Cheney-W. H. Semple, Selected Letters of Pope Innocent III. concerning England (1953) S. 3 Anm. 2. Richards weitere Forderungen interessieren in diesem Rahmen nicht. 1 8 Reg 1,242, P.231 vom 30. Mai 1198, M P L 214,206 f, Hageneder S . 3 4 1 f . Herzog Friedrich war bereits am 16. April gestorben. 1 9 Reg I, 236, P. 233 v o m 31. Mai 1198, M P L 2 1 4 , 2 0 3 f , Hageneder S.336.
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Gleichzeitig unterrichtete der Papst Richard von diesen Schreiben und von seinen Bemühungen um Richards Burgen bei Philipp August. Da aber die Rechtslage von Philipp August und Richards Gesandten sehr verschieden dargestellt werde, sei ein gerechtes Urteil erst nach gründlicher Untersuchung möglich. Diese Untersuchung wollte Innocenz selbst in Gegenwart beider Parteien führen ; bei der Gelegenheit wollte er auch über andere Dinge, die er als „für die ganze Christenheit nützlich" ansah, mit den beiden Königen beraten. Nur wenn ein solches Treffen nicht möglich sei, sollten päpstliche Legaten den Streit um die Burgen entscheiden 20 . Innocenz vertagte also die Entscheidung, und zwar auf eine sehr unbestimmte Zeit, „wenn sich einmal eine gute Gelegenheit bietet" 21 . Vorher, so schrieb er ausdrücklich, müßten die Verhältnisse in Rom, im ganzen Kirchenstaat und im Königreich Sizilien geklärt sein22. Die Fragen der aktuellen Politik hatten also den Vorrang; auch der deutsche Thronstreit begann bereits, die Haltung des Papstes zu beeinflussen ; da er über Philipp von Schwaben ,quaedam immutata' gehört habe 23 , könne er diesen nur indirekt, durch Ludolf von Magdeburg, zur Rückzahlung des Lösegeldes auffordern, schrieb Innocenz. Diese Briefe von Ende Mai sprechen gegen die Annahme, daß Innocenz zu diesem Zeitpunkt bereits konkrete Kreuzzugsabsichten hegte. Sonst hätte er es sich nicht leisten können, einem der größten Fürsten Europas und einem der angesehensten Teilnehmer des 3. Kreuzzugs den feierlich zugesagten Kreuzfahrerschutz in der Praxis kaum zu gewähren. Er mußte damit das Vertrauen in erneute Schutzgarantien des Papstes für zukünftige Kreuzfahrer untergraben und so der Propaganda für einen neuen Kreuzzug schweren Abbruch tun 24 . Auch wäre doch zu erwarten gewesen, daß Innocenz, wenn er einen Kreuzzug plante, dem angesehenen Kreuzzugsveteranen Richard gegenüber, dem er gerade ein wertvolles Ehrengeschenk gemacht hatte 25 , irgend etwas über diese Pläne hätte verlauten lassen, sie vielleicht mit Richard erörtert hätte. Auch die Absicht, bei dem für später in Aussicht genommenen Treffen mit Philipp August und Richard über 20
Reg I, 230, P. 235 vom 31. Mai 1198, MPL 214,196-199, Hageneder S. 325-29. Ebd. 198D bzw. S. 328,29—329,1 : nacta quoque temporis opportunitate condigna. 22 Ebd. 198 D/199 A bzw. S. 329,1-3. 23 Ebd. 197 A bzw. S. 326,7, der Sinn der Worte ist nicht recht deutlich. 24 Innocenz selbst scheint gespürt zu haben, daß seine wenig energische Haltung Anstoß erregen mußte. Er hat deshalb gleich eingangs (196 D bzw. S. 325,18 ß) Richard um Nachsicht gebeten ; nicht die Härte des Papstes, sondern die Gerechtigkeit, der auch der Papst verpflichtet sei, hindere ihn, alle Forderungen des ehemaligen Kreuzfahrers zu erfüllen. E. Winkelmann, Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig Bd. I (1873) S. 119 weist zusätzlich daraufhin, daß offensichtlich die kirchliche Bestattung Heinrichs VI. von Innocenz freigegeben worden ist. Coelestin III. hatte sie, da Heinrich den Kreuzfahrerschutz gegenüber Richard verletzt hatte und deshalb gebannt war, verweigert. Doch im Mai 1198, acht Monate nach seinem Tod, wurde Heinrich im Dom von Palermo bestattet, was nur mit päpstlicher Erlaubnis denkbar ist. Innocenz hätte dann die Interessen eines Kreuzfahrers dem päpstlichen Interesse an einem guten Verhältnis zu Konstanze von Sizilien geopfert. Doch sind die Hintergründe zu wenig geklärt, um diesen Vorwurf erheben zu können. 21
25 Reg I, 206, P. 225 vom 29. Mai 1198, MPL 214, 179f, Hageneder S. 296f, vier wertvolle Ringe, die in dem Begleitschreiben allegorisch gedeutet wurden.
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„einiges, das, wie wir meinen, der ganzen Christenheit von Nutzen ist", zu sprechen, erlaubt keinen Rückschluß auf Kreuzzugsabsichten zum Zeitpunkt des Briefes. Dagegen finden sich einige Andeutungen über das, was den Papst beschäftigte : Rom, der Kirchenstaat, die sizilischen Fragen und am Horizont auftauchend der deutsche Thronstreit 26 . Ein Schutzbrief für die Johanniter 27 und die Erlaubnis für den Bischof Garnier von Troyes, im Interesse seiner Kirche sein Kreuzgelübde nicht zu erfüllen, sondern durch Gebete, Fasten und Geldzahlungen abzulösen 28 , vervollständigen die Reihe der Briefe aus den ersten Monaten Innocenz' III., in denen von Kreuzzugsdingen die Rede ist. Dieser Überblick über alle Briefe aus den ersten Monaten Innocenz' III., in denen etwa vorhandene Kreuzzugsabsichten zu finden wären, schließt mit einem negativen Ergebnis: Nirgends werden konkrete Pläne oder Maßnahmen für einen Kreuzzug erkennbar. Im Gegenteil, der Brief an Richard Löwenherz zeigt, daß Innocenz Ende Mai 1198 noch langfristige andere Pläne hatte. Die Reise zu dem in Aussicht genommenen Treffen mit Richard und Philipp August wie die noch vorher geplante Neuordnung in Italien waren ja nicht von heute auf morgen zu erledigen. Diese Pläne hätten für die intensive Vorbereitung eines Kreuzzugs kaum die nötige Arbeitskraft frei gelassen. Wenn dann Ende Juni/Anfang Juli 1198 2 9 ganz unvermittelt und sehr tatkräftig die Kreuzzugs Werbung des Papstes einsetzte, bedeutete das einen Umschlag, den es zu beachten gilt. Fast sechs Monate lang war alles, was Innocenz im Zusammenhang mit dem Hl. Land und den 26 Zwar wurde Otto von Braunschweig erst am 9. Juni 1198 zum Gegenkönig gewählt, doch war Innocenz wohl seit Ende März/April von den Oppositionsplänen des Kreises um Erzbischof Adolf von Köln unterrichtet und wußte seit Mai auch von der Kandidatur Ottos. Die Gesandten Richards haben Innocenz „ziemlich sicher" (Kempf) von diesen Plänen berichtet und um Unterstützung für Otto gebeten. Vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 13, Anm. 3. 2 ' Vom 9. März 1198 ed. J. Pitra, De Epistolis et Registris Romanorum Pontificum (1885) S. 542f, Nr. 44. 28 Reg 1,69, P. 48 vom 15. März 1198, MPL 214,58-61, Hageneder S. 100-103. Der Brief prüft nach dem bekannten Schema : quid liceat — quid deceat — quid expediat, die Gründe für und wider die Gelübdeumwandlung. Das Ergebnis dieser formalistischen, inhaldich z. T. unhaltbaren Argumentation steht vorher fest, alles spricht gegen eine Erfüllung des Kreuzgelübdes. Auch hier zeigt sich, daß Innocenz keine akuten Kreuzzugsabsichten hegte, vgl. G.Tangl, AUF 10 (1926/28) S. 208-216. 29 Diese Initiative wird zuerst sichtbar in Reg 1,302, P. 320 von Ende Juni/Anfang Juli, MPL 214, 263—65, Hageneder S. 430—33, dem in vielen Parallelbriefen erteilten Werbeauftrag für die Kreuzprediger in Sizilien, Apulien, Calabrien, Tuscien usw. (der Registrator ließ hier Raum frei, um weitere Adressen nachzutragen). Hier, und nicht erst mit dem Kreuzaufruf vom 15. August, wie Cramer aaO S. 183 meint, setzt die Vorbereitung eines neuen Kreuzzuges ein. Cramer sieht zwar richtig, daß Innocenz erst „wenige Monate nach seiner Wahl mit großer Energie die Lösung der orientalischen Frage in die Hand nahm" (S. 181), setzt aber doch eine Kausalverbindung zwischen dieser Aktivität und der Hilfsankündigung in der Wahlanzeige an den Jerusalemer Patriarchen voraus (S. 183). Warum dazwischen ein halbes Jahr verstrich, bleibt bei Cramer offen. Auch Reg I, 300, P. 310 vom 27. Juni 1198, MPL 214,261, Hageneder S. 427, ein überraschend scharfer Befehl an Erzbischof Ludolf von Magdeburg, den Kreuzfahrerschutz energisch durchzufuhren, über dessen kraftlose Handhabung viele Kreuzfahrer Klage führen, ist wohl eine Folge der neuen Kreuzzugspläne.
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Kreuzzügen tat, durch Anfragen, Gesuche, Aufforderungen ausgelöst, der Papst reagierte nur 30 . Ende Juni trat er plötzlich aus dieser passiven Haltung heraus und ergriff schlagartig die Initiative. Was löste diese unerwartete Wendung im Verhalten des Papstes aus? Das Programm, wie es Innocenz Ende Mai im Brief an Richard Löwenherz angedeutet hatte, war Ende Juni 1198 keineswegs erfüllt. In der stadtrömischen Frage, in der Rekuperationspolitik und in den Verhandlungen um das Königreich Sizilien wurden gerade in diesen Monaten keine Fortschritte oder gar großen Erfolge erzielt31. Auch die Wahl Ottos von Braunschweig am 9. Juni 1198, mit der Innocenz seit spätestens Mitte Mai rechnen mußte, kommt nicht als auslösender Faktor in Frage. Weder der erfolgreiche Abschluß des Ende Mai noch genannten Programms, in dem auch von einem anschließenden Kreuzzug nichts verlautete, noch der Fortgang des Thronstreits, überhaupt kein Ereignis der abendländischen Politik erklärt diese überraschende Wende in der Haltung des Papstes, sondern eine unerwartete und erschreckende Nachricht aus dem Hl. Land. Das Kreuzheer Heinrichs VI. war im Herbst 1197 erfolgreich an der nordsyrischen Küste vorgedrungen und hatte sich vor der innersyrischen Festung Toron festgesetzt. Der Erfolg der Belagerung war nicht mehr nur eine militärische Notwendigkeit, sondern vor allem eine Prestigefrage geworden. Endlich, Anfang Februar 1198, wurde nach langem Zögern der Sturm angesetzt. Da verließ plötzlich Bischof Konrad von Hildesheim mit der kaiserlichen Kerntruppe des Heeres bei Nacht und Nebel das Lager der Kreuzfahrer. Dieser überraschende Schritt löste eine Panik aus, man floh Hals über Kopf nach Akkon und überließ dem anrückenden Entsatzheer der Sarazenen einen kampflosen Sieg und reiche Beute. Schon Anfang März schifften sich die ersten Ritter zur Heimfahrt ein 32 . 30 Auch die vagen Andeutungen in den Briefen an den Patriarchen von Jerusalem, das deutsche Kreuzheer usw. (vgl. oben) waren ja nur durch die Briefadressen veranlaßt und insofern bloße Reaktion. 3 1 Vgl. die Überblicke von J.Ficker, Die Rekuperationen der römischen Kirche, in Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens II (1869) S. 2 8 4 - 3 8 6 , bes. S. 369ff, J. Seeger. Die Reorganisation des Kirchenstaates unter Innocenz III. (Diss. Kiel 1937), Tillmann, Papst Innocenz S.83—101, Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 1—28, P.Prinz, Markward von Annweiler (1875) S. 51—85. Das Verständnis des Kreuzzuges als „Angelpunkt der päpstlichen Rekuperationspolitik" bei Cramer aaO S. 181 ist mir unverständlich. 32 Vgl. Leonhardt aaO S. 35—41. Bischof Konrads Gründe sind viel umrätselt worden, meistens wird die Kunde vom Tode Heinrichs VI. als auslösender Faktor genannt. Doch diese Nachricht traf schon Ende 1197 in Syrien ein, und auch die Annahme, erst die Bestätigung dieser Gerüchte, so Johnson HC II, 120f, habe das Fiasko von Toron ausgelöst, befriedigt nicht recht. Doch erklärt diese Nachricht nach Leonhardt aaO S. 40 f das lange Zögern vor Toron, da Bischof Konrad durch Heinrichs Tod seiner Autorität als dessen Kanzler beraubt war. Als Konrad dann vom Zusammenbruch der deutschen Herrschaft in Sizilien und Süditalien hörte, sah er die Ausgangsbasis des Kreuzzugs als verloren an. Erst das erklärt seinen überstürzten Aufbruch.
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Die Fahrt vom Hl. Land nach Rom dauerte ca. 6—8 Wochen 33 und wurde durch Zwischenlandungen, im März/April auch durch Frühjahrsstürme vielleicht noch verlängert. Da Innocenz sich nicht auf irgendwelche Gerüchte stützte, sondern auf Briefe 34 , unter denen man sich doch wohl einen offiziellen Bericht des Jerusalemer Patriarchen oder des Kardinalerzbischofs Konrad von Mainz vorzustellen hat, ist es gut denkbar, daß Innocenz diese Nachricht im Laufe des Juni erhielt. Schon in dem ersten Brief, der die neuen Kreuzzugspläne zeigt, dem Auftrag an die sizilischen Kreuzprediger von Ende Juni/Anfang Juli, berichtet Innocenz vom Scheitern des deutschen Kreuzzugs 35 . Noch deutlicher stellt er ein paar Wochen später, in der Ankündigung des Kardinallegaten Peter Capuano an den französischen Klerus, heraus, wie das Scheitern des deutschen Kreuzzugs den Papst, zu dessen Aufgaben die Sorge für das Hl. Land gehöre, zu tatkräftigem Einsatz für einen neuen Kreuzzug verpflichte. Zwischen den Nachricht aus dem Hl. Land und dem Einsetzen der päpstlichen Initiative für einen neuen Kreuzzug wird hier eine ausdrückliche Kausalverbindung hergestellt 36 . Wenn Innocenz an gleicher Stelle sagt, daß weder die Not der Kirche es erlaube noch das Beispiel seiner Vorgänger es erfordere, daß er persönlich an die Spitze des Kreu2zuges trete, so wird damit ein Doppeltes klar : Einmal, wie wenig der Kreuzzug Innocenz' eigenen Plänen entsprungen war. Wieder war er von außen genötigt worden, sich um Fragen der Hilfe für das Hl. Land zu kümmern. Doch diesmal erlaubte nicht die Anwesenheit eines starken deutschen Heeres im Hl. Land dem Papst, sich beruhigt anderen Dingen zuzuwenden; diesmal war die Not so groß, daß Innocenz sich nicht auf bloße Reaktionen beschränken durfte ; er mußte selbst die Initiative ergreifen und wirksame Hilfe schicken. Zum anderen lehrt der Hinweis, das Beispiel seiner Vorgänger erfordere nicht, daß der Papst persönlich an die Spitze des Kreuzzugs trete, daß am Beginn der Regierung Innocenz' III. der Kreuzzug nicht zu den traditionellen Aufgaben des Papstes zählte. Die Hilfe für das Hl. Land trat im Sommer 1198 als elementare Notwendigkeit hervor; erst aus dieser Situation heraus, weil kein anderer Helfer in Sicht war, ergriff Innocenz energisch die Initiative für einen neuen Kreuzzug und machte diesen so zur Aufgabe des Papstes. Der Kreuzzug, eines der großen Themen seines Pontifikats, wurde Innocenz nicht von der Tradition aufgenötigt; er selbst wählte diese Aufgabe, als während seiner Regierung die Lage eintrat, 33 Die durchschnittliche Fahrtdauer ist schwer zu bestimmen. E. Assmann hat in seiner Übersetzung des Gunther von Pairis, Die Geschichte von der Eroberung Konstantinopels (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, 3. Ausg., Bd. 101,1956), S. 57, Anm. 97 und vor allem S. 95, Anm. 202 das Material zusammengestellt. Eine unverdächtige Angabe nennt 61 Tage für die Reise von Akkon nach Venedig. 34 Zwar heißt es in Reg 1,302 von Ende Juni/Anfang Juli nur ,sicut accepimus', M P L 214, 265 A , Hageneder S . 4 3 2 , 1 7 f , doch im Aufruf vom 15. August, Reg I, 336, MPL 214,309 C, Hageneder S. 5 0 1 , 4 f f und im undatierten Brief an den französischen Klerus, Reg I, 345, M P L 2 1 4 , 3 1 9 C D , Hageneder S. 516, 15ff wird diese Andeutung erweitert: recepimus enim litteras. 35 36
Reg 1,302, MPL 2 1 4 , 2 6 5 A , Hageneder S . 4 3 2 , 1 7 f f . Reg 1,345, P. 348 undatiert, ca. zweite Hälfte August, MPL 214, 319CD, Hageneder S. 5 1 6 , 1 5 f f .
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daß die Hilfe der Christenheit für das Hl. Land dringend notwendig wurde und kein Kaiser da war, der an die Spitze des Kreuzzugs als einer Aktion der Christenheit hätte treten können.
2. K A P I T E L
Der 4. Kreuzzug Abschnitt A Die Zeit der Vorbereitung vom Kreusgugsaufruf bis %um Vertrag von Venedig (Sommer 1198 bis April 1201 ) a) Die Planung Der Kreuzzug, zu dem Innocenz im Sommer 1198 aufrief, ist als der 4. Kreuzzug bekannt und berüchtigt. Nicht die Befreiung des Hl. Landes und Jerusalems aus der Hand der Heiden war sein Ergebnis, sondern die schauerliche Eroberung einer christlichen Stadt, Konstantinopels, und die Errichtung eines lateinischen Kaiserreiches auf den Trümmern des eroberten byzantinischen Reiches. Die Schilderung dieser Ablenkung des Kreuzzuges und die umstrittene Frage, wie es dazu kam, beherrschen die Darstellungen und die Forschung. Da in dieser zweiten Phase des Kreuzzuges, bei der Durchführung, der Papst kaum eine Rolle spielte, hat man seiner Bedeutung für die Vorbereitung des Zuges nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Doch um zu verstehen, wie der Kreuzzug, den der Papst im Sommer 1198 so demonstrativ in die Hand genommen hatte, dieser Hand so völlig entgleiten konnte, genügt es nicht, zu klären, welche Gewalten auf welche Weise sich des Kreuzzugs bemächtigten. Eine Untersuchung der päpstlichen Kreuzzugsvorbereitung zeigt, daß es Innocenz gar nicht gelang, den Kreuzzug so in die Hand zu bekommen, wie man es nach seinen Aufrufen und Briefen vom Sommer 1198 erwarten mußte. Zugleich werden hier die Formen und Mittel der päpstlichen Kreuzzugsvorbereitung erkennbar, mit deren konsequenter Anwendung und Durchführung Innocenz 1213/1216 energisch versuchte, den Kreuzzug als ein Unternehmen der ganzen Christenheit unter Führung des Papstes zu verwirklichen. So bedarf die Vorbereitungszeit der Jahre 1198—1201 einer eigenen Untersuchung. Schon im ersten Schreiben des Papstes zum neuen Kreuzzug war zu erkennen, wie umfassend und klar er die Aufgaben begriff, die er mit dem Kreuzzug und seiner Organisation übernahm. An erster Stelle stand die Werbung von Kreuz-
Der 4. Kreuzzug: Die Vorbereitung (1198 bis 1201)
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fahrem, doch auch Geld und materielle Hilfe, Waffen, Lebensmittel und Schiffsraum wurden benötigt 1 . Die Forderung, dem Kreuzzug Schiffe zur Verfügung zu stellen, ist zwar nur für das südliche Italien ausdrücklich belegt 2 , doch die Entsendung von Legaten in die drei großen italienischen Hafenstädte, Venedig, Pisa und Genua, läßt darauf schließen, daß Innocenz auch dort Schiffe für eine Kreuzzugsflotte suchte3. Dafür mußte zwischen den verfeindeten Rivalinnen Pisa und Genua erst einmal Frieden vermittelt werden 4 . Innocenz scheint also von Anfang an für den Kreuzzug den Seeweg geplant zu haben. Auch sein Schreiben an Kaiser Alexius III., wohl vom August 1198, forderte zwar dessen Hilfe für den Kreuzzug, erwähnte aber keine Pläne für einen Marsch der Kreuzfahrer durch das Ostreich 5 . Während beim 1. und 2. Kreuzzug die Kreuzheere den Landweg gewählt und schon unterwegs große Verluste erlitten hatten, fuhren beim 3. Kreuzzug die englischen, französischen und sizilischen Kreuzfahrer und 1197 das Kreuzheer Heinrichs VI. über See ins Hl. Land. Noch der offiziöse Chronist des Kreuzzugs Barbarossas hatte gegen die Seereise polemisiert, sie sei zu bequem und unritterlich, und hatte den gefahrvolleren Landweg als verdienstlicher gepriesen 6 . Wenn Innocenz sich von vorneherein für den zwar weniger verdienstvollen, dafür aber erfolgversprechenderen Seeweg entschied, entsprach das einem Hauptzug seines Kreuzzugsgedankens, der auf den Erfolg ausgerichteten Nüchternheit. War diese Frage sofort entschieden, so ist doch deutlich, daß der Kreuzzugsplan des Papstes in seinen ersten Kreuzzugsschreiben noch nicht ganz fertig war. Sprach Innocenz zunächst von nur einem Kreuzlegaten, den er noch erst ernennen wollte 7 , so wurden im Aufruf vom August 1198 dagegen zwei Kreuzlegaten namentlich genannt: Peter Capuano, Kardinaldiakon von S.Maria in Vialata, bald darauf Kardinalpriester von S. Marceil, und Kardinalpriester Soffred von S. Praxedis 8 . Welche Funktion Innocenz diesen Kreuzlegaten zugedacht hat, ist umstritten. Nach der einen Auffassung hätte Innocenz die Legaten als „An1 Reg 1,302, P. 320 vom 25. Juni bis 5. Juli 1198, MPL 214,264C bis 265A, Hageneder S. 431,36 bis 432,17. 2 Ebd. 265 A bzw. S. 432,16 nach Sizilien mit vielen Paralleladressen in Kalabrien, Apulien usw. 3 Kardinal Soffred von S. Praxedis ging nach Venedig, Reg I, 336, MPL 214, 3 1 1 A , Hageneder S. 502,23f. Die Namen der Legaten nach Pisa und Genua werden Reg I, 343, MPL 214,318B, Hageneder S. 513,24 als bekannt vorausgesetzt, die Gesta Innocenti!, cap. 46, MPL 214,XCIA nennen die Kardinäle Peter von St. Caecilia und Gratian von St. Cosmae und Damiani. McNeal/Wolff, HC 11,155 möchten die Aufgaben dieser Legaten auf die Friedensvermittlung beschränken. 4 Gesta Innocentii cap. 46, MPL 214,XCIA. 5 Reg 1,353, P. 349, MPL 214,325-27, Hageneder S. 526ff. Eine genaue Datierung erscheint unmöglich. 6 Historia de expeditione Friderici, bei Chroust S. 24,2—7. 7 Reg I, 302, P. 320, MPL 214,265AB, Hageneder S. 432,23f: Nos... aliquem de fratribus nostris disposuimus destinare, qui exercitum Domini... praecedat. 8 Reg 1,336, P. 347 vom 15. August 1198, MPL 214,310 CD, Hageneder S. 502,11 ff; dazu H. Zimmermann, Die päpstliche Legation in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts (1913), S. 23 f. Die Beförderung Peter Capuanos berichten die Gesta Innocentii cap. 47, MPL. 214, XCI.
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führer des Kreuzzuges" zugedacht 9 , während dagegen H. Tillmann betont; der Papst habe „weder den Führer des Kreuzzuges bestimmt, noch sich in die Leitung des Zuges eingemischt", wobei dann offenbleibt, worin eigentlich die Aufgabe der von Innocenz ernannten Kreuzlegaten bestehen sollte. Bereits Urban II. hatte Legaten für den Kreuzzug ernannt, und zwar mehrere, wie erst jüngst J. Richard zeigen konnte. Nur einer von ihnen, Bischof Adhemar von Le Puy, ist in Einzelzügen zu erkennen. Wohl im Gegensatz zu seinen Kollegen hat er auch gelegentlich bei der Entscheidung militärischer Fragen eine Rolle gespielt, doch weniger auf Grund seines Amtes, als auf Grund seiner persönlichen Autorität, seines Ansehens und seiner edlen Herkunft 10 . Eugen III. hatte beim 2. Kreuzzug eine Reihe von Legaten ernannt, getrennt für das deutsche und das französische Kreuzheer. Ihre Aufgaben beschränkten sich, wie deutlich zu erkennen ist, auf geistliche Funktionen : Predigt, Seelsorge und alle Fragen im Zusammenhang mit dem Kreuzablaß 11 . Beim 3. Kreuzzug 12 und beim Kreuzzug Heinrichs VI. spielten Legaten keine Rolle. Schon daß Innocenz so bald und betont Legaten für den geplanten Kreuzzug ernannte, läßt daher vermuten, daß er den päpstlichen Einfluß auf die Durchführung des Kreuzzugs, die zuletzt ganz in der Hand der Könige und der Kaiser gelegen hatte, verstärken wollte. Schwieriger ist eine genaue Bestimmung der Funktionen, die Innocenz seinen Kreuzzugslegaten zudachte, denn einerseits scheint seine eigene Vorstellung hiervon nicht ganz einheitlich gewesen zu sein, andererseits umriß er die Funktion der Kreuzzugslegaten nur locker andeutend und bildhaft. Den umstrittenen und unpräzisen Ausdruck ,exercitum Domini praecedere'13, mit dem Innocenz die Funktion der Legaten umschrieb, ergänzte er bei seiner ersten Verwendung durch ein paralleles Bild : Während Josua kämpft, soll der Legat mit Aaron auf den Berg steigen und beten, daß Amalek in die Flucht geschlagen werde 14 . Die Aufgabe des Legaten erscheint hier als eine rein geistliche, während „Josua" daneben an einen militärischen oder politischen Führer des Zuges denken läßt 15 . 9 So Cramer aaO S. 186, ähnlich Luchaire aaO Bd. IV, La Question d'Orient S. 96, dagegen H. Tillmann, Papst Innocenz S. 220, Anm. 4 1 0 Die Bedeutung Adhemars wird neuerdings heftig diskutiert, H. E. Mayer, Zur Beurteilung Adhemars von Le Puy, DA 16 (1960), S. 547—552 faßt die Ergebnisse zusammen. Dazu noch, mit ähnlichen Ergebnissen, J. Richard, La papauté et la direction de la première croisade. Journal des Savants I960, S. 4 9 - 5 8 , zuletzt H. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge S. 53. 1 1 Vgl. Η. E. Mayer D A 16 (1960), S. 550f. Constable aaO S. 263f geht nur auf die Zahl der Legaten, nicht auf ihre Funktion ein. 1 2 Heinrich von Albano starb vor beginn des Kreuzzugs. Ob dieser in der Kreuzzugsvorbereitung so rührige Legat auch beim Kreuzzug selbst Aufgaben übernehmen sollte, muß offenbleiben. 1 3 Die Deutung von McNeal/Wolff, HC II,154: Zwei Kardinallegaten sollten nach Palästina vorausziehen und als Vertreter des Papstes den Weg für das Kreuzheer bereiten, beruht auf einer Fehlübersetzung von praecedere mit proceed statt precede. 14 Reg I, 302, M P L 214,265 A , Hageneder S. 432,25ff. 1 5 Für die These, Innocenz habe mit Richard Löwenherz als Führer, so Waas 1,243, oder wenigstens als prominentem Teilnehmer, so Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 166, des geplanten Kreuzzugs gerechnet, fehlen alle Belege.
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Sechs Wochen später, im Kreu2aufruf vom August 1198, heißt es ohne jede Erklärung nur, die Legaten sollten dem Heer „demütig und fromm voranziehen" (humiliter et devote praecedant)16. Wieder einige Monate später gelten die Legaten als „zur Führung des christlichen Heeres" (in ducatum exercitus christiani) berufen 17 . Am 31. Dezember 1199 endlich, eineinhalb Jahre nach Beginn der Kreuzzugspläne, bezeichnet Innocenz die Legaten als seine Stellvertreter beim Kreuzheer und „zu ihnen hin, als dem einen Haupt, sollen sich alle ausrichten" (et ad eos, tamquam ad unum caput, universi recurrant)18. Es liegt eine gewisse Unsicherheit über diesen Sätzen des Papstes, in denen die Funktion der Kreuzlegaten zunehmend weiter verstanden wird 19 . War es schon eine gerade erst bei Heinrich VI. zuerst begegnende Neuerung, daß statt mehrerer Kreuzheere ein zentral organisiertes Kreuzheer auszog, so war die Stellung eines Kreuzlegaten in einem solchen Heer schlechthin ohne Vorbild. Daher erklärt sich das Tasten des Papstes, welche Aufgaben seinen Legaten zufallen würde. Wir haben dafür eine gewisse Parallele : Graf Theobald von der Champagne, dessen Kreuznahme im Advent 1199 für den Kreuzzug entscheidend war, war der unbestrittene Anführer der Kreuzzugsvorbereitungen im nordfranzösischflandrischen Raum; daher wurde er, obgleich nie dazu erwählt oder ernannt, allgemein als Führer des geplanten Kreuzzugs anerkannt20. Weil man einen solchen Führer brauchte, wenn man einen einheitlichen Zug wollte, wählten die Kreuzritter nach Theobalds Tod alsbald im Juni 1201 den Markgrafen Bonifaz 16
Reg I, 336, P. 347, MPL 214, 310D, Hageneder S. 502,15f.
Reg 1,404, P. 545, MPL 214,381 A, Hageneder S. 608,26. Die Stellung des undatierten Briefs im Register weist auf die erste Hälfte November 1198. (Bei diesem noch mehrfach zitierten Brief ist zu beachten, daß im Erstdruck die Spalten MPL 214,381—384 völlig durcheinander gehen; in den Nachdrucken seit 1890 ist das korrigiert). 17
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Reg II,270f, P. 922.935, MPL 214,829Β und 834B.
Die Vergabe einer Kreuzesfahne an die Kreuzlegaten, vgl. Reg 11,218, P. 871 vom 23. November 1199, MPL 214, 778 A, stellt vielleicht ein weiteres Zwischenglied dar. Daß die Petersfahne, die Innocenz König Leo von Armenien zum Kampf gegen die Heiden sandte (Reg II, 254 f, P. 909 f vom 17. Dezember 1199, dazu Erdmann, Entstehung S. 171) ebenfalls eine Kreuzesfahne war, läßt sich nur vermuten, vgl. Erdmann ebd. S. 179ff. Noch schwieriger ist es, die Fahnenvergabe an die Legaten zu deuten. Nach Erdmann aaO S. 171 hatte die Fahne denselben Sinn wie das Kreuzeszeichen der Kreuzfahrer, war aber ein „nur für bevorzugte Führer geltendes Symbol". Urban II. verlieh zum 1. Kreuzzug eine Petersfahne, doch nicht an seine Legaten, etwa Adhemar von Le Puy, sondern an Hugo von Vermandois, den Führer eines Heeres. Erdmann sieht die Ursache hierfür darin, daß zufallig Hugos Heer den Weg durch Italien nahm. Aber vielleicht ist der Grund auch der, daß Hugo als Bruder des französischen Königs der vornehmste, wenn auch nicht der tüchtigste unter den Kreuzheerführern war (zum Ganzen vgl. Erdmann, Entstehung S. 169 f). Der Schluß über hundert Jahre hinweg, Innocenz habe mit der Vergabe der Fahne an seine Legaten diese als Führer des großen abendländischen Kreuzheeres — wie König Leo als Führer des armenischen Kreuzheeres — bezeichnen wollen, kann nur mit aller Vorsicht als Vermutung gewagt werden. 19
20 McNeal/Wolff HC II, 164 : He seems to have been regarded as the leader of the crusade. Ähnlich Runciman 111,114. Die von Luchaire aaO IV, 83 behauptete Wahl Theobalds ist nicht bezeugt.
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von Montferrat zu seinem „Nachfolger" als Führer des Kreuzheeres 21 . Das Vakuum, das dadurch entstanden war, daß kein Kaiser und keiner der Könige die Durchführung des Kreuzzugs in die Hand nahm, wurde vom Papst wie von den Kreuzrittern erst allmählich ganz erkannt und seine Ausfüllung versucht. Noch ein weiterer Punkt läßt erkennen, wie eilig und überstürzt Innocenz im Juni 1198 den Plan zu einem neuen Kreuzzug faßte. Im ersten großen Schreiben zum Kreuzzug fehlt ein Termin für den Aufbruch des Kreuzheeres. Es heißt nur, daß die Deutschen demnächst das Hl. Land verlassen und dieses nicht ohne Schutz bleiben dürfe 22 . Hier scheint an sofortige Hilfe gedacht zu sein. Auch die Kreuzzugsbriefe der folgenden Wochen nach Frankreich und Konstantinopel enthalten keine Zeitangaben 23 . Erst Wochen nach dem Einsetzen der Kreuzzugspläne setzte Innocenz im großen Aufruf vom 15. August 1198 den Aufbruchstermin fest : Im März 1199 sollten die Kreuzfahrertruppen bereitstehen ; die Dauer des Zuges wurde auf mindestens zwei Jahre veranschlagt 24 . Während für den 1. Kreuzzug Papst Urban den Aufbruchstermin festgelegt hatte25, hatten seit dem 2. Kreuzzug die Könige und später entsprechend die Kaiser mit der Durchführung des Kreuzzuges auch die Festsetzung des Aufbruchstermins übernommen, der gewöhnlich auf einem Reichstag beraten und beschlossen wurde 26 . Indem Innocenz III. den Kreuzzug in die päpstliche Regie übernahm, fiel ihm auch diese Aufgabe zu. Doch der erst nachträglich festgesetzte Aufbruchstermin, nur acht Monate nachdem die Notwendigkeit des Kreuzzugs dem Papst klargeworden war, ließ sich nicht einhalten. Er verstrich, ohne daß etwas geschah. Im Frühherbst 1199 schrieb Innocenz ins Hl. Land, verschiedene Kriege hätten den Kreuzzug bislang verzögert ; aber man solle die Hoffnung nicht aufgeben, denn der inzwischen im Orient geschlossene Waffenstillstand lasse zwar bei vielen die Vorbereitungen erschlaffen, nicht aber beim Papst, wenn auch freilich die Möglichkeiten nicht seinen Wünschen entsprächen27. Ein Brief an König Leo von Armenien vom 24. November 1199 zeigt noch deutlicher, in wie weite Ferne der Kreuzzug gerückt war: Zu gegebener Zeit (tempore opportuno) werde das Kreuzheer die Reise antreten28. Als im Dezember 1199 dringende Hilferufe aus dem Hl. Land 21 Vgl. Runciman 111,115; Waas 1,243; P. Riant, Innocent III, Philippe de Souabe et Boniface de Montferrat, Rqh 17 (1875), S.346; D. Brader, Bonifaz von Montferrat (1907), S. 171. 22 Reg 1,302, P. 320, MPL 214,265 A, Hageneder S. 432,18. 23 Reg 1,345, P. 348 nach Frankreich und Reg I,353f, P. 349fnach Konstantinopel, ca. August 1198. 24 Reg 1,336, P.347, MPL 214, 310B, Hageneder S.501, 31 ff; vgl. auch Reg 1,355, P.351 (undatiert, aber etwa gleichzeitig, vgl. Hageneder S. 515, Anm. 1) MPL 214,330 A ; Hageneder S. 531,27. 26 Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe Nr. 2, S. 137. 26 Vgl. für den 2.Kreuzzug V . G . Berry, HC I,469.477ff und für den 3.Kreuzzug zum engl.-frz. Kreuzzug R. Röhricht, HZ 34 (1875) S. 25 f, für das deutsche Kreuzheer die Beschlüsse des Mainzer Hoftags Christi, Historia peregrinorum bei Chroust, S. 126,23—29. 27 Reg 11,189, P.851 vom September/Oktober 1199, MPL 214.737D. 28 Reg II, 220, P. 878, MPL 214,780B. Wenn Innocenz gleichzeitig den sizilischen Sarazenen drohte, das demnächst (in proximo) aufbrechende Kreuzheer werde sich gegen sie wenden, war das eine leere Drohung ohne realen Hintergrund, Reg II, 226, P. 883, MPL 214,787 C.
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kamen, mahnte Innocenz den König von Frankreich, da das Kreuzheer doch nicht sobald aufbrechen könne, ein Vorauskommando als erste Hilfe schnellstmöglich ins Hl. Land zu schicken29. Von einem Aufbruchstermin für das Hauptheer verlautet auch das ganze Jahr 1200 hindurch nichts30. Als dann im April 1201 die Gesandten der flandrischen Kreuzzugsbarone in Venedig einen Chartervertrag schlossen, in dem der Aufbruch für Peter und Paul (29. Juni) 12Ö2 festgesetzt wurde, während das Kreuzheer sich ab April 1202 in Venedig versammeln sollte31, da griff Innocenz diesen Termin auf und richtete seine weitere Werbung auf ihn hin aus32. Nachdem der ursprünglich festgesetzte Termin sich nicht hatte einhalten lassen, überließ Innocenz es anderen Kräften, den Zeitpunkt des Aufbruchs zu bestimmen. Hier ist ein Vergleich mit Heinrich VI. lehrreich, der mehrmals durch politische Schwierigkeiten oder durch Krankheit gezwungen wurde, den Termin seines Kreuzzugs zu verschieben. Doch Heinrich bemühte sich, wenn ein Termin sich als unmöglich erwies, sofort einen neuen zu bestimmen33. So gelang es ihm, den Kreuzzug fest in der Hand zu behalten. Innocenz hat diese Aufgabe weniger energisch in Angriff genommen, und das trug dazu bei, daß er die Initiative aus der Hand gab. Nach diesem Ausblick auf die Gesamtplanung wenden wir uns den einzelnen Bereichen der Kreuzzugsvorbereitung zu. b) Die Werbung Der 1. Kreuzzug war eine spontane Bewegung gewesen; wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von dem geplanten Zug ins Hl. Land verbreitet, und eine systematische Werbung ist auch nicht im Ansatz zu erkennen. Das war beim 2. Kreuzzug schon anders. Eugen III. ließ die ersten päpstlichen Kreuzbullen nach Frankreich und Italien ausgehen, wobei besonders das Italien-Rundschreiben den ordentlichen Episkopat und Klerus mit der Kreuzwerbung be29
Reg II, 251, P. 924 vom 10./31. Dezember 1199, MPL 214, 809 D.
Das gilt nur mit Einschränkung, denn der 3. Jahrgang der Innocenz-Register (Februar 1200 bis Februar 1201) ist großenteils verloren, so daß wir von vielen Briefen dieses Jahres nicht den vollen Text, sondern nur kurze Inhaltsangaben, sogenannte Rubricellen, kennen, ed. A. Theiner, Vetera monumenta Slavorum meridionalium historiam illustrantia I (1863). In einem in den Gesta Innocentii erhaltenen Brief heißt es zwar, einige Ritter sollten „cum aliis statuto tempore" aufbrechen ; doch dieses Datum wird im Brief nirgends erwähnt. Die Angabe soll wohl heißen, daß diese Ritter, die die gelobte Kreuzfahrt verweigerten, gezwungen werden sollten, wenn es soweit sei, mit den anderen Kreuzfahrern aufzubrechen. P. 1045 vom April/Mai 1200, MPL 214, C X X X V I I A ; zur Datierung des Briefes vgl. Anm. 55. 30
31 Der Vertragstext bei G. L. Fr. Tafel und G. M. Thomas, Urkunden zur älteren Handels- und Staatsgeschichte der Republik Venedig (3 Bände 1856/57) I, 366. 32 Ein Brief nach England, P. 1346 vom 5. Mai 1201 bei Roger von Hoveden, ed. Stubbs IV, 166 weist für den Termin ausdrücklich auf die Festsetzung durch die Barone hin. 33 Vgl. Leonhard aaO S. 1 1 - 1 4 .
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auftragte 34 . Die eigentliche Schlüsselfigur der Propaganda für den 2. Kreuzzug aber war Bernhard von Clairvaux; aus seiner Kanzlei gingen Werbebriefe in alle Gegenden Europas, und er selbst zog als Kreuzprediger mit riesigem Erfolg durch Frankreich und dann das Rheintal hinauf auch durch Deutschland 35 . Zwischen dem 2. und 3. Kreuzzug traten zunehmend Gesandte aus dem Hl. Land, Prälaten oder Vertreter der Ritterorden und des Königs, bei der Werbung in Erscheinung. Aus der unmittelbaren Kenntnis der Lage vermochten sie mit besonderer Dringlichkeit die Not zu schildern und zur Hilfe aufzurufen 36 . Bei der Werbung für den 3. Kreuzzug und den Kreuzzug Heinrichs VI. wurden die zu diesem Zweck beauftragten päpstlichen Legaten besonders wichtig 37 . Heinrich von Albano, der Legat Gregors VIII. und Klemens' III., schickte Boten mit einem Werbebrief an die einzelnen Bischöfe, die dann in Gegenwart der Boten die Äbte und Prälaten ihrer Diözese versammelten, um sie mit der Werbung zu beauftragen und ihnen die nötigen Angaben dafür mitzuteilen 38 . Der Einsatz des einheimischen Klerus war vor allem deswegen notwendig, weil auch das hohe Ansehen der päpstlichen Kreuzprediger nicht über die Grenze hinweghalf, die die Unkenntnis der Landessprache ihrer Wirkung setzte. Mehrfach ist bezeugt, daß die Menge andächtig den gewaltigen Worten der Männer aus Rom lauschte, ohne sie zu verstehen. Erst wenn anschließend ein einheimischer Bischof das Wort ergriff, nahmen die Christen in Scharen das Kreuz 39 . Dieser Überblick über die Träger der Kreuzwerbung im 12. Jahrhundert — päpstliche Bullen und päpstliche Legaten, Vertreter des Hl. Landes und einheimischer Klerus und nicht zuletzt, etwa mit Bernhard von Clairvaux oder Heinrich von Albano, der Einsatz hochberühmter Männer — zeigt bereits alle Kräfte, die auch Innocenz für die Kreuzwerbung einsetzte. Nicht im Aufspüren neuer Kräfte, sondern in ihrer systematischen Erfassung und ihrem umfassend organisierten Einsatz lag das Wesen der Neugestaltung der Kreuzzugspropaganda durch Innocenz III. Ed. Kehr, PU Malta Nr. 3, NGG 1899 S.390. Vgl. grundlegend P. Rassow, Die Kanzlei St. Bernhards von Clairvaux, Stud. u. Mitt. zur Gesch. d. Benedikt. Ord. 34 (1913), S. 243ff, zuletzt A. Bredero, Studien zu den Kreuzzugsbriefen Bernhards, MIÖG 66 (1958) S. 3 3 1 - 3 4 3 , zur Kreuzpredigt Bernhards zuletzt Constable aaO S. 276-78. 36 Vgl. etwa die Gesandtschaft, die Alexander III. an den französischen Episkopat empfahl, damit Prälaten und Gesandte zusammen die Werbung fördern sollten, J L 1 1 6 3 8 vom 29. Juni 1169, MPL 200, 602 AB mit gleichzeitigem Kreuzaufruf J L 11637, MPL 200,599-601, oder die Abgesandten des Hl. Landes, die beim Treffen von Kaiser und Papst in Verona im Oktober 1184 die Häupter der Christenheit zur Hilfe für das Hl. Land mahnten, Marbacher Annalen ed. Bloch S. 55,1—6. 37 Für den 3. Kreuzzug vgl. die Zusammenstellung bei Kleemann aaO S. 27 f und Friedländer aaO S. 47 f. Barbarossa ließ durch Heinrich VI. solche päpstlichen Kreuzprediger ausdrücklich anfordern, vgl. Historia de expeditione Friderici bei Chroust, S. 43, lOff, für den Kreuzzug Heinrichs VI. vgl. Marbacher Annalen ed. Bloch S. 65,27—66,2 und den Überblick bei Friedländer aaO S.90ff. 38 Vgl. den Brief des Legaten an die deutschen Fürsten bei Chroust S. 12,30—32. 39 Z.B.beim Reichstag von Straßburg, Dezember 1187, vgl. Historia peregrinorum bei Chroust S. 123 f, und beim Reichstag von Gelnhausen, Oktober 1195, vgl. Reinhardsbrunner Chronik MGH SS XXX/1, S. 5 5 5 , 6 - 9 . 34
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Die Kreuzwerbung mußte sich, das war angesichts der propagandistischen Möglichkeiten selbstverständlich, neben den Kreuzaufrufen wesentlich auf das mündliche Wort stützen. Wollte man die ganze Christenheit für den Kreuzzug erfassen, galt es, ein dichtes Netz von Kreuzpredigern zu bestellen, denen neben der Werbung auch andere Aufgaben der Kreuzzugsvorbereitung oblagen, ζ. B. die Sammlung der Geldspenden. Die hierfür benötigte große Zahl von Predigern legte es nahe, zunächst einmal den ordentlichen Klerus einzuspannen, wie es bereits im 12. Jahrhundert, etwa 1187, geschehen war 40 . Doch mußte Innocenz über die Nachlässigkeit der Prälaten klagen, die das ihnen anvertraute Volk durch Predigt und Beispiel zur Kreuznahme reizen sollten41. Aus diesem Grunde beauftragte Innocenz noch eine große Zahl von besonderen Kreuzpredigern. Da die päpstlichen Briefe mit diesem Auftrag gewöhnlich nur Parallel-Ausfertigungen waren, deren Adressenlisten höchst unvollständig sind42, ist die Schar dieser besonderen Kreuzprediger nicht recht erfaßbar; ζ. B. ist die Kreuzpredigttätigkeit des Abtes Martin von Pairis/Elsaß, die aus der Historia Constantinopolitana des Gunther von Pairis bekannt ist, aus den erhaltenen Papstbriefen nicht zu ersehen. Diese Kreuzprediger hatten so verschiedene hierarchische Ränge, daß die hierarchische Stellung offensichtlich ohne Belang für ihre Ernennung zum Kreuzprediger war 48 . Dagegen scheint Innocenz darauf geachtet zu haben, daß diese Männer durch ihre Fähigkeiten, ihr Ansehen oder ihr persönliches Schicksal besonders für die Kreuzpredigt geeignet waren. Einer der bekanntesten unter ihnen war der berühmte Bußprediger Fulko von Neuilly, der seit einigen Jahren zurückgezogen auf seiner Landpfarrei gelebt hatte. In seiner Beauftragung zum Kreuzprediger erwähnte Innocenz ausdrücklich Fulkos frühere, erfolgreiche Predigttätigkeit. Er gab ihm Vollmacht, befähigte Mönche als Helfer bei der Predigt heranzuziehen, forderte aber eine enge Zusammenarbeit und Koordination mit dem Kardinallegaten Peter Capuano, der in Frankreich die Sache des Kreuzes betrieb 44 . Zwar ist es eine erst seit der populären Kreuzzugsgeschichte von Michaud (l.Aufl. 1817/20) entstandene, romantische Legende, daß Fulko auf dem Turnier bei Ecry an der Aisne zu Advent 1199 die Kreuzpredigt hielt, als mit der Kreuznahme Theobalds von Vgl. oben S. 64 mit Anm. 38. Reg 1,508, P. 559 vom 5. Januar 1199, MPL 214.470B, Hageneder S.742,8ff. 42 Vgl. z.B. die Adressenliste von Reg. I, 302, P. 320, MPL 214,266 A, Hageneder S. 433, 16f, die keine Einzelnamen nennt. Der Registrator ließ Raum frei, um noch weitere Adressen nachzutragen. 43 Z. B. war Fulko von Neuilly einfacher Landpfarrer, Lorenz von Syracus war Bischof, Lukas von Sambucina Abt, um nur einige zu nennen, vgl. Reg I, 302, P. 320 und Reg 1,398, P. 408. 44 Reg 1,398, P.408 vom 5. November 1198, MPL 214,375, Hageneder S.597, nach McNeal/ Wolff, HC II, 158 Anm. 15 eine Kurzfassung, nicht, wie die ältere Literatur annahm, eine Ergänzung des Predigtauftrags an Fulko. Alphandéry aaO 11,48.59 wertet das Schreiben als eine nachträgliche päpstliche Ermächtigung Fulkos, der bereits seit 1197 das Kreuz gepredigt habe; ebd. S.45—48 zur Biographie Fulkos. 40
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der Champagne, des späteren Kreuzheerführers und Bruders des 1197 verunglückten Jerusalemer Königs Heinrich von der Champagne, und vieler anderer nordfranzösischer und flandrischer Ritter der Durchbruch zum Erfolg in der Werbung für den 4. Kreuzzug gelang 45 . Doch ist der Erfolg der Kreuzpredigt Fulkos bei den Massen unbestritten 46 . In Unteritalien/Sizilien wird auch Abt Lukas von Sambucina ein bekannter Mann gewesen sein, den Innocenz zusammen mit Bischof Lorenz von Syracus zur Kreuzpredigt berief — und auf deren Vorschläge zur Verbesserung der Kreuzwerbung Innocenz bereitwillig einging 47 . Weit berühmter noch als der Abt Lukas war sein alter Freund und Ordensbruder, der Abt Joachim von Fiore, den Innocenz ebenfalls mit der Kreuzpredigt betraute und in den kommenden Monaten mehrfach in dieser Tätigkeit erwähnte. Joachim war nicht nur ein schon damals weitberühmter Mann, sondern war selbst einst im Hl. Land gewesen und hatte im Winter 1190/91 in Messina mit den Königen Richard Löwenherz und Philipp August weise Gespräche über den Kreuzzug geführt ; lauter Umstände, die es nahelegten, ihn bei der Kreuzwerbung einzusetzen48 : Dasselbe gilt für den Bischof von Liddo/Ramlah, der sich, wie viele der aus ihren Sitzen im Hl. Land vertriebenen Bischöfe, im Abendland um Hilfe für den Orient bemühte 49 . Schon vor dem Beginn der päpstlichen Kreuzzugsvorbereitungen hatte er vergeblich die Könige von Frankreich und England aufgesucht 50 . 45 Noch Runciman III, 111 beginnt mit dieser Szene die Darstellung des 4. Kreuzzugs. Zur Kritik der Legende vgl. E. McNeal, Fulk of Neuilly and the Tournament of Eery, Speculum 28 (1953), S. 3 7 1 - 7 5 . 46 Haller III, 541 vermutet, Fulkos unbestritten erfolgreiche Tätigkeit werde in den Gesta Innocentii Kap. 47 „wohl nicht unabsichtlich verschwiegen und alles Verdienst dem Kardinallegaten Peter von Capua zugeschrieben". Es ist sogar anzunehmen, daß Peter Capuano persönlich mit der Kreuzpredigt weder beauftragt noch beschäftigt war, vgl. H. Zimmermann, Die päpstliche Legation zu Beginn des 13. Jahrhunderts im Dienst der Kreuzpredigt..., Festschrift Anton de Waal (1913), S. 105 f. 4 ' Reg 1,302, P. 320, MPL 214,265CD, Hageneder S.432,38ff; über Lukas von Sambucina vgl. H. Grundmann, Neue Forschungen über Joachim von Fiore (1950), S. 32. Referat der Vorschläge und die päpstlichen Antworten Reg 1,508, P. 559, MPL214,470f, Hageneder S. 7 4 1 ^ 3 . 48 Der „abbas de Floribus" war einer der Kreuzprediger, denen sich der Bischof von Liddo anschließen sollte, Reg 1,343, P.359 vom 30.August 1198, MPL 214,317D, Hageneder S.513,6. Im folgenden Brief, Reg 1,344, P. 363 vom 1. September, einer Sondervollmacht für Kreuzprediger, erscheint der Abt von Floris in der Liste der Parallel-Adressaten, MPL 214,319 A, Hageneder S. 514,36. Vermutlich war Joachim einer der zahlreichen Parallel-Empfänger des Schreibens von Ende Juni 1198, das die Kreuzprediger berief; er wäre dann unter dem Vermerk „in eundem fere modum omnibus p e r . . . Calabriam" zu suchen, Reg 1,302, P. 320, MPL 214,266A, Hageneder S. 433,16. Vom Erfolg seiner Kreuzpredigt wissen wir nichts, wie auch diese Tätigkeit des Abtes in der JoachimForschung nicht erwähnt wird. Zum Syrien-Aufenthalt Joachims, vermutlich 1167, vgl. Grundmann, Neue Forschungen S. 39, und ders., Zur Biographie Joachims von Fiore, DA 16 (1960) S. 482f, zum Gespräch mit den Königen vgl. ders., Neue Forschungen S. 48 und Zur Biographie... S. 499 f, außerdem Runciman 111,41 f. 49 Vgl. W. Hotzelt, Kirchliche Organisation und religiöses Leben in Palästina während der Kreuzzugszeit, Das Hl. Land in Vergangenheit und Gegenwart 2 (1940), S. 85 f. » Reg 1,328, P. 331 von April/Juni 1198, MPL 214,293f, Hageneder S.476,14ff.
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Innocenz setzte den Bischof bei der Kreuzwerbung in Sizilien ein ; vor Klerikern und Laien, Patriziern, Rittern und Bauern, selbst vor der Kaiserin Konstanze sollte er die Not des Erblandes des Gekreuzigten schildern. Innocenz erkannte klar den psychologischen Effekt, den der Anblick eines aus dem Hl. Land Vertriebenen, vielleicht gar eines würdigen Greises, machen mußte, wenn er als Augenzeuge berichtete, was im Hl. Land geschehen war und wie es dort aussah51. Aus denselben Erwägungen heraus schickte Innocenz im Dezember 1199 den Boten, der den Hilferuf des Königs von Jerusalem gebracht hatte, weiter an den französischen König. Der Bote sollte die Not des Hl. Landes, die der Papst in dem mitgegebenen Brief schilderte, unterstreichen und so den König zu schneller und kräftiger Hilfe veranlassen 52 . Ganz so hatte schon Alexander III. gehandelt 53 . Neben diesen besonderen Kreuzpredigern war noch eine zweite Gruppe von Klerikern besonders mit der Vorbereitung des Kreuzzuges beschäftigt. In jeder Diözese wurden Kleriker als spezielle Kreuzzugsbeauftragte eingesetzt. Schon im Kreuzaufruf vom August 1198 wurden diese Kommissionen für Kreuzzugsfragen ernannt. Die für das Erzbistum Narbonne ζ. B. bestand, wie aus der ins Register eingetragenen Ausfertigung des Aufrufs in diese Provinz hervorgeht, aus dem Erzbischof, zwei Bischöfen und je einem Vertreter der Johanniter und der Tempelritter. Wir dürfen vermuten, daß für die anderen Provinzen ähnliche Kommissionen gebildet wurden, deren Zusammensetzung aber selten bekannt ist. Zahl und Zuständigkeitsbereich der jeweils Beauftragten waren vermutlich variabel; z.B. scheint für die Provinzen Arles, Aix und Embrun zusammen neben den Erzbischöfen nur ein Prälat, der päpstliche Subdiakon und Domprobst aus Marseille Raimund, beauftragt gewesen zu sein54. Im Frühsommer 1200 wurde dann eine Kommission für ganz Frankreich eingesetzt, der die Bischöfe von Soissons und Paris und die Äbte von St. Viktor und Vaux-Cernais angehörten 55 . 5 1 Vgl. aus Reg 1,343, P.359 vom 30. August 1198, M P L 2 1 4 , 3 1 8 A , Hageneder S . 5 1 3 , 1 4 f f die Worte: ut tanto libentius vestrum verbum recipiatur ab omnibus, quanto propositum fuerit cum majoris devotionis affectu ; et exsilium tuum terrae sanctae detentionem et paganorum barbariem, qui nec aetati nec ordini detulerunt, mentibus omnium repraesentando impressus sigillabit. Der letzte Relativsatz darf vielleicht auch als Anspielung darauf verstanden werden, daß der Bischof selbst bereits ein alter Mann war.
Reg 11,251, P. 924 vom 10./31. Dezember 1199, MPL 2 1 4 , 8 1 0 B. Vgl. J L 11 637 vom 29. Juli 1169, M P L 200,600 Β. 54 Reg 1,404, P.545 ca. November 1198, MPL 214,381 CD, Hageneder S . 6 0 9 , I f f . 55 P. 1045. Der Brief ist nur Gesta Innocentii cap. 84 erhalten; die Einsetzung der Kommission ebd. M P L 214, C X X X V I I I B . Die Ansetzung des undatierten Briefes bei Potthast auf April/Mai 1200 dürfte etwa richtig sein. Die Datierung auf „nach April 1201" bei McNeal/Wolff, HC II, 157, Anm. 10 und S. 164 hat D.E.Queller, Innocent III. and the Crusader-Venetian Treaty, Medievalia et Humanística 15 (1963) S. 32, Anm. 7 mit Recht abgelehnt. Über Queller hinaus läßt sich das Datum des Briefes einschränken: Der Brief setzt nicht nur das vom Legaten Peter Capuano im Januar 1200 verkündete Interdikt in Frankreich voraus, sondern bezeichnet Peter Capuano, der am 13. April 1200 wieder in Rom urkundete (vgl. Potthast Bd. I, S. 466), bereits als „tunc legatus" (col. C X X X I V D ) . 52
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
Die besonderen Aufgaben dieser Kreuzzugsbeauftragten waren einerseits die Ermahnung des ordentlichen Klerus zur Kreuzpredigt, andererseits die Sorge für die Durchführung der päpstlichen Kreuzzugsmandate 58 , wozu besonders die Einziehung der Zahlungen des Klerus für den Kreuzzug gehörte. Zur Durchführung dieser Aufgaben wurden auch besondere Provinzial-Kreuzzugssynoden abgehalten 57 , ähnlich denen, die 1188 die Boten Heinrichs von Albano veranstaltet hatten. Die Kreuzzugsbeauftragten erhielten den gleichen Ablaß wie die Kreuzfahrer 58 ; ihre Tätigkeit als Kreuzprediger hatte Vorrang vor ihren anderen geistlichen Pflichten 59 . Im Dienst der Werbung für den Kreuzzug standen demnach einmal die ordentliche Geistlichkeit, sodann Beauftragte für einzelne Diözesen oder Provinzen, die sich in diesem Bereich besonders der Kreuzzugsvorbereitung widmen und den Klerus zur Kreuzpredigt anhalten sollten, und schließlich besondere Kreuzprediger, die häufig ihr Ansehen, ihre ungewöhnliche Fähigkeit im Predigen oder ihre besondere Verbundenheit mit dem Hl. Land für diese Aufgaben empfahlen. Diese umfassende, systematische Organisation der Werbung sorgte dafür, daß wirklich die ganze Christenheit, deren Sache der Kreuzzug sein sollte, angesprochen wurde. Der Einsatz des einheimischen Klerus, vor allem in den zwei ersten der drei genannten Gruppen, löste auch das Sprachproblem, das die Kreuzpredigt 1187/88 und 1195 behindert hatte. Die Werbung richtete sich praktisch an die gesamte Bevölkerung Europas; Städte, kleine Orte, Burgbewohner, Adel und Bürgerliche, das ganze Volk wurde aufgerufen 60 . Die Empfängerlisten der großen Aufrufe nennen jeden Teil Europas 61 ; nur Spanien fehlt, wohl weil die dortigen Christen mit der Abwehr der Mauren genug zu tun hatten. Niemand dürfe sich von der Hilfe für das Hl. Land ausschließen, schrieb Innocenz, denn nicht der Papst habe dieses Unternehmen begonnen, sondern die Apostel selbst, als sie unter den Christen in aller Welt eine Kollekte für die notleidenden Brüder in Jerusalem einsammelten62. Der neue Legat Oktavian, der das Interdikt im September 1200 aufhob, verließ Rom im Juli (vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 43, Anm. 41), wird aber im Brief noch nirgends erwähnt. Hauptinhalt des Briefes ist der Tadel am französischen Klerus, der die im Dezember 1199 auf einer Synode in Dijon versprochenen Gelder nicht gezahlt hatte. Der Brief sollte daher weder zu kurz nach dem Dezember 1199 angesetzt noch auch zu dicht an die Legation Oktavians herangerückt werden, so daß April/Mai, auch noch der Juni 1200 als Abfassungezeit in Frage kämen, wie es Potthast annahm. Reg 1,336, P.347 vom 15. August 1198, MPL 214.312CD, Hageneder S. 504,27-34. « Z.B.Reg 1,404, P. 545, MPL 214,381C, Hageneder S.609,6ff. Vgl. auch unten S.80. 58 Wie Anm. 56. 59 Reg 1,358, P.335 vom 29. Juli 1198, MPL 214.336C, Hageneder S.540,14ff; in diesem Brief an das Generalkapitel der Zisterzienser erwähnt Innocenz beiläufig, daß Abt Lukas von Sambucina mit der Kreuzpredigt beschäftigt und so von der Pflicht der Teilnahme am Generalkapitel entbunden sei. 54
Z.B.Reg 1,302, P.320, MPL 214,265C, Hageneder S.433,3f. Vgl. die Listen zu P. 347. 915. 922. 934f. «2 Reg 1,336, P. 347, MPL 214.312A, Hageneder S. 5 0 4 , 4 - 6 . 60
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Der 4. Kreuzzug: Die Vorbereitung (1198 bis 1201)
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So war es praktisch wie auch in der Theorie die ganze Christenheit, die Innocenz zum Kreuzzug rief. Hier zeigt sich auch, wie der Christianitas-Gedanke der sozialen Wirklichkeit angemessen war. Nicht so sehr an alle einzelnen Christen wandten sich die päpstlichen Kreuzaufrufe, als vielmehr an die Christen in ihrer sozialen Gruppe, denn diese, aber nur selten der Einzelne, war in der Lage, sich am Kreuzzug zu beteiligen. Die Städte, die Grafen und Barone, um die sich ja jeweils ein Lehns- oder Herrschaftsverband gruppierte, wurden aufgefordert, ein angemessenes Truppenkontingent oder eine entsprechende Geldsumme für den Kreuzzug zu stellen63. Auch die geistlichen Herren, die ebenfalls einen Herrschaftsverband repräsentierten, wurden zur Stellung von Kreuzheertruppen oder Geld aufgefordert. Ihnen drohte Innocenz sogar, wer sich etwa dieser frommen und notwendigen Anordnung (constitutio !) widersetze, solle, bis er Genugtuung leiste, seines Amtes enthoben sein. Diese Drohung war nicht etwa durch schlechte Erfahrungen hervorgerufen, sondern sie stand bereits im Kreuzaufruf vom August 1198 e4 . Kein früherer Papst war so scharf vorgegangen. Hier zeigte sich der Anspruch auf direkte Befehlsgewalt des Papstes, auf die plenitudo potestatis in der Kirche im Unterschied zur Christenheit, zu der die Städte, Grafen usw., kurz, die sozialen Gruppen gehörten, wo der Papst nur eine indirekte Gewalt besaß, folglich Kreuzheertruppen nur dringend erbitten, nicht einfach anfordern konnte. An diesem Beispiel wird deutlich, wie Innocenz alle ihm verfügbaren Mittel einsetzte, um den Kreuzzug als ein Unternehmen der Christenheit unter Führung des Papstes in Gang zu bringen. In diesem Zusammenhang ist die Frage wichtig, ob Innocenz auch an eine persönliche Teilnahme der Könige dachte. Während von Konstanze von Sizilien sicher nur Geld und Truppen erbeten wurden 65 , ist die Frage für die Könige von Frankreich und England — der deutsche Herrscher fiel wegen des Thronstreits aus — nicht klar zu entscheiden. Innocenz rief jeden der Könige zum Frieden auf, „weil ohne deine und deiner Getreuen Hilfe" die geplante Unterstützung für das Hl. Land unmöglich sei66. Die Formulierung ist weder eindeutig als Aufruf zur persönlichen Teilnahme zu verstehen, noch schließt sie ein solches Verständnis aus. Ein direkter Aufruf an die Könige, das Kreuz zu nehmen, liegt jedenfalls nicht vor. Waas meint sogar, Innocenz habe eine Teilnahme der Könige am Kreuzzug nicht gewünscht, weil der 3. Kreuzzug gelehrt hatte, daß daraus nur Rivalitäten der Kreuzfahrer und Störungen für die einheitliche Leitung des Kreuzzuges entständen67. Doch vielleicht hat Innocenz einfach vorausgesehen, Ebd. 310 Β bzw. S. 501, 31 ff. Ebd. 311 Β bzw. S. 503, 2 - 5 . 65 Reg 1,343, P. 359, MPL 214,381 A, Hageneder S. 513,14. 86 Reg 1,355, P. 351, MPL 214,330A, Hageneder S. 531,26f. Jedenfalls hat Innocenz die Könige bei der Kreuzwerbung nicht einfach übergangen, wie McNeal/Wolff, HC 11,154 behaupten. 67 Waas 1,233 mit Anm. 12: Waas widerspricht damit seiner eigenen, freilich irrigen, These (ebd. S. 243), Innocenz hätte Richard Löwenherz als Führer des Kreuzzugs vorgesehen gehabt. 63 64
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
daß die Feindschaft zwischen Philipp August und Richard Löwenherz und ihr gegenseitiges Mißtrauen, das durch die Ereignisse während und nach dem 3. Kreuzzug noch gewachsen war, einen Aufruf zur persönlichen Teilnahme von vornherein aussichtslos machte, so daß Innocenz eine unnötige Ablehnung vermeiden wollte. Erlauben die Papstbriefe hierauf auch keine klare Antwort, so ist doch eines deutlich: die Teilnahme oder Nichtteilnahme der Könige hatte in Innocenz' Augen nicht die Bedeutung, daß er sich darüber ausdrücklich äußern mußte. Der Kreuzzug galt ihm als Sache der ganzen Christenheit; deshalb nahm er als Haupt der Christenheit den Kreuzzug selbst in die Hand, während die Teilnahme der Könige keine entscheidende Bedeutung für das Unternehmen hatte. Neben der generellen Werbung forderte Innocenz einige vornehme Ritter besonders zur Kreuzaufnahme auf, damit sie mit dem Kreuzzug Buße täten für den großen Schaden, den ihre zahlreichen öffentlichen Sünden dem christlichen Volk bereitet hatten68. Die Kreuznahme galt aber nicht als Bedingung der jeweils bereits vorher erfolgten Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft. In erster Linie ging es auch hier um Truppen für den Kreuzzug, nicht um die persönliche Bußleistung. So sollte Graf Raimund von Toulouse, wenn er persönlich verhindert sei, wenigstens Truppen für den Kreuzzug stellen69. So sehr Innocenz immer wieder den großen Erfolg der Kreuzwerbung optimistisch betonte, ja übertrieb 70 , als im Dezember 1199 dringende Hilferufe aus dem Hl. Land in Rom eintrafen, wurde es offenkundig, daß kein Kreuzheer bereitstand. Jetzt zeigten sich die Folgen der Methode, daß Innocenz die Städte, Grafen und Barone und auch die geistlichen Herren zur Stellung von Truppen oder von Geld für das Kreuzheer aufgefordert hatte71. Es rächte sich, daß er recht einseitig auf die bei früheren Kreuzzügen oft vernachlässigte finanzielle und materielle Grundlage des Unternehmens geachtet hatte. Zwar hatte Innocenz betont, er wolle beispielhaft ,in rebus pariter et in personis' dem Hl. Land helfen, doch die zweite Hälfte seines Vorbilds bestand nur in der Sendung der Kreuzlegaten, die, wie Innocenz betonte, auf seine Kosten mitziehen sollten. Aber Truppen, kampffähige Kreuzfahrer stellte der Papst nicht 72 . So mußte Innocenz um die Jahreswende 1199/1200 die im Sommer des Vor68 Der Kreuzzug als Bußstrafe wird erwähnt für Raimund von Toulouse, Reg I, 397, P. 407, M P L 2 1 4 , 3 7 4 f , Hageneder S . 5 9 6 f , Wilhelm von Fourcalciers, Reg 1,407f, P . 5 4 6 f , M P L 2 1 4 , 3 8 4 bis 386, Hageneder S. 609—612, und im August 1199 während einer kurzen Spanne scheinbarer Versöhnung sogar für Markward von Annweiler, Reg 11,168, P.829, M P L 2 1 4 , 7 1 8 f ; die zahlreichen Proteste, Markwards Sünden seien zu groß, als daß er sie mit dem Kreuzzug sühnen könne, wies Innocenz zurück, ohne doch Markward eindeutig zur Kreuznahme aufzurufen. 69 Reg 1,397, P.407, MPL 2 1 4 , 3 7 5 B C , Hageneder S . 5 9 6 , 3 6 f f mit starker Betonung des tempusacceptabile-Motivs. ™ Z . B . R e g 1,508, P. 559, vom 5. Januar 1199, M P L 2 1 4 . 4 7 0 B , Hageneder S . 7 4 2 , 4 f f . 71 Schon im Aufruf v o m August 1198 hieß es: Mandamus, quatenus certum numerum bellatorum vel pro certo numero certam pecuniae quantitatem... destinetis, Reg 1,336, P. 347, M P L 2 1 4 , 3 1 1 A , Hageneder S. 502,27 ff. 7 2 E b d . 3 1 0 C bzw. S. 502,5ff.
Der 4. Kreuzzug: Die Vorbereitung (1198 bis 1201)
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jahres begonnene Werbekampagne neu beleben 73 . Diesmal betonte er ausdrücklich, materielle Hilfe allein genüge nicht, das Hl. Land brauche auch Menschen für die Verteidigung; wer nur immer kampffähig sei, solle Kreuz und Waffen nehmen 74 . Den König von Frankreich mußte Innocenz bitten, um das Schlimmste zu verhüten, eine erste Entsatztruppe so schnell wie möglich ins Hl. Land zu schicken75. Noch konnte der erhoffte Kreuzzug der Christenheit unter Leitung des Papstes das königlich-französische Kreuzheer nicht ersetzen. Ein erstes Mal zeigte sich zwischen den Plänen des Papstes für den Kreuzzug und seinen realen Möglichkeiten eine tiefe Kluft. Schon früher hatte Innocenz seinen Legaten Peter Capuano bevollmächtigt, solche Ritter, die bei früheren Päpsten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Lösung bzw. Umwandlung ihrer Kreuzgelübde erschlichen hatten, zum Kreuzzug zu zwingen 76 . Als sich im Winter 1199/1200 ein großer Mangel an Kreuzfahrern zeigte, befahl Innocenz dem französischen Klerus im Frühjahr 1200, alle die, die einst das Kreuz genommen, es aber wieder abgelegt hatten, zu zwingen, mit den anderen Kreuzfahrern zusammen aufzubrechen. Der Befehl, notfalls Bann und Interdikt gegen sie einzusetzen, kennzeichnet, wie sehr die Sorge des Papstes um den Kreuzzug gewachsen war 77 . Im Mai 1201, als der Papst vom Chartervertrag der Kreuzfahrer mit Venedig erfahren hatte, ging der gleiche Befehl an den englischen Episkopat 78 . Hier sind wir einmal über die Durchführung etwas orientiert: Hubert Walter, Erzbischof von Canterbury, befahl am 24. August 1201 auf einer zu diesem Zweck einberufenen Westminster-Synode seinen Suffraganen, sorgfältige Untersuchungen in dieser Sache anzustellen, die Schuldigen hätten bis St. Martin (10. November) das Kreuz wieder zu nehmen und bis Mariae Lichtmeß (2. Februar 1202) die Kreuzfahrt anzutreten (im April 1202 sollte sich das Kreuzheer in Venedig versammeln) 79 . Wohl in diesem Zusammenhang erbat der Erzbischof vom Papst Belehrung über die Möglichkeiten zur Ablösung und Umwandlung von Kreuzgelübden. Die ausführliche, kano73 Eine Enzyklika rief direkt die Gläubigen zum Kreuzzug, Reg 11,271, P. 935 vom 4. Januar 1200, MPL 214,832—35, während der Papst gleichzeitig den Klerus zur Intensivierung der Kreuzpredigt mahnte, Reg 11,270, P.922 vom 31. Dezember 1199, MPL 214,831BC. 74 Ebd. 831 Β bzw. 833 B. 75 Reg 11,251, P.924 vom 10./31.Dezember 1199, MPL 214,809D. 76 77 78 79
Reg 11,23, P. 653 vom 1. April 1199, MPL 214.553A. P. 1046, MPL 214, CXXXVIIA. P. 1346 vom 5. Mai 1201, Text bei Roger von Hoveden, ed. Stubbs IV, 166.
Vgl. Roger von Hoveden, ed. Stubbs IV, 173. Der Fall des Giraldus Cambrensis zeigt, wie rigoros man dabei in England vorging. Giraldus war 1189 mit Heinrich II. zum Kreuzzug aufgebrochen, nach dessen Tod aber umgekehrt, weil seine Geldmittel nicht reichten. Im Dezember 1189 löste der Kardinallegat Johann von Anagni ihn vom Kreuzgelübde (vgl. Tillmann, Legaten S. 85). 1201 zwang man Giraldus, der als Kleriker und Mann von über fünfzig (geboren 1147) überhaupt nicht für den Kampf in Frage kam, zu erneuter Kreuznahme. Erst auf seine Beschwerde hin löste ein Papstbrief vom 4. Juni 1203 Giraldus wegen Alters und Armut definitiv vom Kreuzgelübde; P. 1931, Text bei Giraldi Opera ed. Brewer III, 71 f, zur Biographie des Giraldus vgl. Schöll in RE, 3. Aufl., VI, 669 f.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
nistisch ausgefeilte, kasuistisch durchgegliederte Antwort des Papstes bemühte sich, einerseits das religiöse Moment in den Gelübden zu respektieren, andererseits dafür zu sorgen, daß nur kampffähige und ausgerüstete Männer ins Hl. Land zögen 80 . Wenn im Sommer 1201, drei Jahre nach Beginn der Kreuzwerbung, noch jeder taugliche Kreuzfahrer dringend benötigt wurde, so darf man daraus schließen, daß die Kreuzwerbung nicht den von Innocenz erhofften Erfolg gehabt hatte. Was wurde nun den Kreuzfahrern geboten, womit konnten die Kreuzprediger die Christen anreizen, das Kreuz zu nehmen ? An erster Stelle ist hier der Kreuzablaß zu nennen, den Innocenz wie seine Vorgänger jedem gewährte, der sich am Kampf um die Rettung und Befreiung des Hl. Landes beteiligte. Urban II. hatte 1095 in Clermont noch sehr präzise formuliert; der von ihm gewährte Plenarablaß war genau ein Nachlaß bzw. Umwandlung der den Sündern auferlegten kirchlichen Bußwerke gewesen. Doch schon die Prediger des 1. Kreuzzugs hatten diese Einschränkungen nicht beibehalten und den Kreuzablaß als Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen verheißen 81 . Die Ablaßtheorie, deren theologische Durchdringung erst im 12. Jahrhundert voll einsetzte, war hineinverflochten in die Ausgestaltung der kirchlichen Bußlehre, deren vielfaltige Wandlungen im 12. und 13. Jahrhundert wir hier nicht verfolgen können. Die Kontroversen in der Büß- und Ablaßlehre hatten zur Folge, daß auch der Kreuzablaß das ganze 12. Jahrhundert hindurch noch keine feste Form fand. Diese gab ihm erst Innocenz III. im Aufruf vom Sommer 1198: De Dei misericordia et beatorum apostolorum Petri et Pauli auctoritate confisi, ex illa quam nobis D e u s . . . ligandi et solvendi contulit postestate, omnibus... plenam suorum peccatorum de quibus oris et cordis egerint poenitentiam veniam indulgemus et in retributione justorum salutis aeternae pollicemur augmentum 82 . Dabei war es ohne Belang, ob der Kreuzfahrer den Zug auf eigene oder auf fremde Kosten mitmachte. Diese Formulierung blieb in allen Kreuzaufrufen Innocenz' gleich und durch ihre Aufnahme in das Kreuzzugsdekret des Konzils von 121583 wurde sie maßgeblich für alle späteren Kreuzablässe 84 . Diese Ablaßformel bot keine exakte Interpretation des Ablasses. Nur soviel ist deutlich : Dem Papst stand die transzendente Wirkung des Ablasses fest, den er als Inhaber der Schlüsselgewalt, die er im Sinne einer clavis potestatis verstand, 80 Der Text ist in der Dekretalensammlung des Papstes erhalten, MPL 216,1261 f; P. 1137 setzt das Schreiben für August bis Oktober 1200 an, doch scheint wegen der Westminster-Synode vom August 1201 der Herbst 1201 passender. Eine weitere Nachfrage des Erzbischofs fand dann, im Spätherbst 1201 vermutlich, P. 1469, ihre Beantwortung, Text im Corp. Iuris Can. ed. Friedberg II,593f. Zur Interpretation vgl. auch G. Martini, Innocenzo III. ed il finanziamento delle crociate, Archivio della Reale Deputazione romana di storia patria 67 (1944) S. 329 f. 81 Vgl. hierzu zuletzt Η. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, S. 39ff. 82 Reg 1,336, P.347, MPL 214,311 B, Hageneder S. 5 0 3 , 6 - 1 1 . 83 MPL 217, 273 AB. 84 Vgl. N. Paulus, Geschichte des Ablasses im Mittelalter (1922) Bd. I, S. 207, A. Gottlob, Kreuzablaß und Almosenablaß (1906) S. 135f.
Der 4. Kreuzzug: Die Vorbereitung (1198 bis 1201)
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gewährte. Zugleich wurde durch die Bedingung, die Sünden müßten zuvor bereut und gebeichtet sein, die Beziehung des Ablasses auf die kirchliche Bußdisziplin beibehalten, ohne daß ein systematischer Ausgleich versucht wurde 85 . Da Innocenz diese Ablaßformulierung von Anfang an in stets gleichbleibender Form benutzte und sie selbst nicht weiter ausdeutete, darf man vermuten, daß er sie auch gar nicht eigenständig erarbeitet, sondern in der Sache, nicht im Wortlaut, von seinem Lehrer Huguccio übernommen hatte 86 . Doch auch Huguccios Theorie, die die verschiedenen Motive der Ablaßlehre ohne vollen Ausgleich verband, setzte sich nicht durch. Erst die Hochscholastik klärte die Ablaßlehre. So bedeutete die Formulierung des Kreuzablasses durch Innocenz keinen theologischen, sondern nur einen praktischen Fortschritt 87 . Auch sonst suchte Innocenz durch geistliche Vorteile zur Kreuznahme zu reizen. So konnten solche Exkommunizierten, deren Absolution sonst an ihr persönliches Erscheinen vor dem Papst gebunden war, ζ. B. bei tätlichem Angriff auf Geistliche, sich von den Kreuzpredigern lossprechen lassen, wenn sie das Kreuz nahmen 88 . Auf Vorschlag einiger Kreuzprediger ordnete Innocenz im Januar 1199 an, daß jeden Tag in allen Kirchen bei der Messe ein besonderes Gebet für die Kreuzfahrer gesprochen werde 89 . Was für einen mittelalterlichen Menschen das Bewußtsein bedeutete, daß täglich und überall die Christen für sein und seiner Gefährten Heil und Erfolg beteten, kann wohl kaum überschätzt werden. Schließlich erlaubte Innocenz 1200, als das Interdikt alles gottesdienstliche Leben in Frankreich verhinderte, daß den Kreuzfahrern unter Ausschluß aller anderen mit leiser Stimme und ohne Glockengeläut Gottesdienst gehalten würde 90 . Neben diesen geistlichen Vorteilen winkten den Kreuzfahrern auch materielle und rechtliche Privilegien. Person, Besitz und Familie des Kreuzfahrers wurden von der Kreuznahme bis zu seiner Rückkehr bzw. bis zur sicheren Nachricht von seinem Tode unter den Schutz der römischen Kirche wie auch der Erzbischöfe und Prälaten, als örtlichen Schutzgaranten, gestellt. Wer trotz dieser Schutz85 H. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge S. 42f. spricht mit Recht von einer vollkommenen Verwirrung im Kreuzablaß bei Innocenz III. 86 Zur Ablaßlehre Huguccios vgl. B. Poschmann, Der Ablaß im Lichte der Bußgeschichte (1948) S.75f. Die feinen Unterscheidungen bei Huguccio waren freilich in der auf knappe Formeln angewiesenen Kreuzwerbung nicht aufrechtzuerhalten. 87 Gottlob, Kreuzablaß und Almosenablaß S. 138, vermutet, Innocenz habe eine theologisch präzise Klärung bewußt vermieden, um den Theologen nicht vorzugreifen. Für den Kreuzablaß gilt so dasselbe wie für den Kreuzzug einerseits, den Ablaß allgemein, andererseits : die Praxis war vor der theologischen und kanonistischen Theorie (vgl. Poschmann aaO S. 63). Zum Kreuzablaß vgl. auch noch S. 164ff. 88 Reg I, 344, P. 363 vom 1. September 1198, MPL 214, 318D, Hageneder S. 514, 25ff, die gleiche Vollmacht wird bestätigt und erneuert Reg 1,508, P. 559 vom 5. Januar 1199, MPL 214,471 C, Hageneder S. 743,15 ff. 89 Ebd. 470 C, 471 Β bzw. S. 742, 19f und 743, Iff. 90 P. 1045, MPL 214, CXXXVC.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
erklärung sich gegen den Kreuzfahrer, seine Familie oder seinen Besitz verging, verfiel dem Bann. Über den Schutz hinaus wurden den Kreuzfahrern ihre Schulden zinslos gestundet ; wer sie trotzdem zwang, Zinsen zu zahlen, sollte mit kirchlichen Strafen zur Rückerstattung gezwungen werden; wenn Juden so handelten, sollten, da kirchlicher Zwang gegen sie nichts vermochte, ein totaler Handelsboykott aller Christen und die weltliche Gewalt der Fürsten sie zum Gehorsam zwingen 91 . Der kirchliche Schutz für die Kreuzfahrer ist in seinen Anfängen schon beim 1. Kreuzzug zu erkennen 92 ; die Anordnungen über den Kreuzfahrerschutz wurden im Lauf des 12. Jahrhunderts immer präziser; bei Alexander III. sind dann bereits alle Punkte zu finden93, denen wir bei Innocenz begegnen. Innocenz selbst berief sich für den Kreuzfahrerschutz auf das Vorbild Gregors VIII., d. h. des letzten großen Kreuzzugspapstes vor ihm 94 . Eine feste Formel für den Schutz hatte sich noch nicht gebildet, Ansätze dazu waren seit Alexander III. zu beobachten. Einige weitere Anordnungen vom Frühjahr 1200, die vermutlich, wie ζ. B. die täglichen Gebete für die Kreuzfahrer, auf Erfahrungen und Empfehlungen der Kreuzprediger zurückgingen, sollten die Kreuznahme erleichtern : Kleriker, deren finanzielle Mittel sonst nicht ausreichten, durften für die Kreuzfahrt ihre Pfründe auf drei Jahre verpfänden, was sonst streng verboten war. Den Kreuzfahrern, die nach Begleichung ihrer Schulden keine ausreichenden Mittel für die Kreuzfahrt mehr besaßen, sollten die Gläubiger das Geld stunden, sofern dadurch nicht die Existenz ihrer eigenen Familie bedroht war. Gegen Repressalien, mit denen manche Herren ihre Abhängigen an der Kreuznahme zu hindern suchten, sollten die Bischöfe energisch einschreiten95. Fassen wir das Ergebnis zusammen : Mit Hilfe einer systematisch organisierten Propaganda sorgte Innocenz dafür, daß die gesamte Christenheit von dem geplanten neuen Kreuzzug erfuhr und zur Teilnahme aufgefordert wurde. Mit der Verheißung reichen geistlichen Gewinns lud er zur persönlichen Kreuznahme ein. Durch zahlreiche Anordnungen versuchte er zugleich, denen, die bei einer Kreuznahme Repressalien oder finanzielle Einbußen, die während ihrer Ab9 1 Reg 1,336, P . 3 4 7 vom 15.August 1198, M P L 2 1 4 , 3 1 1 C bis 3 1 2 A , Hageneder S . 5 0 3 , 1 9 bis 504,3, fast wörtlich wiederholt Reg II,270f, P. 922.934 vom 31. Dezember 1199 bzw. 4. Januar 1200, MPL 214, 8 3 1 D - 8 3 2 B , 8 3 5 A B , leicht verändert P. 1045, MPL 214, C X X X V C D . 92 Guibert von Nogent, RHC Occ IV, 140, läßt Urban in Clermont gleich im Anschluß an seine berühmte Rede alle die mit dem Anathem belegen, die sich während der nächsten drei Jahre an Familie oder Besitz der Kreuzfahrer vergreifen. Paschal II. rief die französischen Prälaten auf, für die Einhaltung des von Urban versprochenen Schutzes Sorge zu tragen, vgl. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe Nr. 19, S. 175, dazu ebd. S. 406, Note 14. 93 Vgl. besonders J L 1 1 6 3 7 vom 29. Juli 1169, M P L 200, 6 0 1 Β und J L 1 4 3 6 0 vom 16. Januar 1181, MPL 200,1295 D. Eine Geschichte des Kreuzfahrerschutzes im 12. Jahrhundert ist noch nicht geschrieben. 94 P. 1045, M P L 214, C X X X V C . 98 Ebd. C X X X V I B .
Der 4. Kreuzzug: Die Vorbereitung (1198 bis 1201)
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Wesenheit im Hl. Land Schutzlosigkeit für Familie und Besitz fürchteten, diese Sorgen zu nehmen und ihnen so den Entschluß zu erleichtern. Waren dabei auch kaum Einzelheiten neu, so war doch die Geschlossenheit, mit der Innocenz alle überkommenen Methoden und Versprechen der Kreuzwerbung zusammenfaßte, eindrucksvoll. Innocenz ging noch einen Schritt weiter: wer nur immer Mühe und Gefahr des Weges und des Kampfes auf sich nehmen wollte, sollte am Kreuzzug teilnehmen können. Wenn seine Mittel die Teilnahme nicht erlaubten und er auch nichts zu verpfänden hatte, dann sollte ihm mit öffentlichen Geldern die Durchführung des Kreuzzuges ermöglicht werden. Dafür waren große Summen erforderlich. Im folgenden soll gezeigt werden, mit welchen Methoden Innocenz dieses Geld zu beschaffen suchte. c)
Finan^ierungsversuche
Seit dem Kreuzaufruf vom August 1198 hat Innocenz betont, man folge nur dem Beispiel der Apostel, die ihren notleidenden Brüdern in Jerusalem mit einer Kollekte geholfen hatten, wenn jetzt wieder Geld und Lebensmittel zur Hilfe für die Christen gesammelt würden, die an den heiligen Stätten in Bedrängnis seien96. Doch nicht nur das Vorbild der Apostel stellte Innocenz den Christen vor Augen, er selbst wollte mit gutem Beispiel vorangehen, damit man ihm nicht vorwerfen könne, er lege den Christen Lasten auf und mache selbst den Finger nicht krumm. Der Papst folgte dabei dem Beispiel dessen, der selbst „anfing, zu handeln und zu lehren", dessen Stellvertreter auf Erden der römische Bischof sei97. Innocenz hat diese Hilfe nicht nur versprochen; er hat die Tat folgen lassen, ζ. B. als er im Herbst 1199 die Transportkosten für eine Schiffsladung Weizen übernahm, die mit Kollektengeldern gekauft worden war 98 . Bevor wir prüfen, wie Innocenz das Geld für den Kreuzzug zu beschaffen suchte, soll ein Uberblick zeigen, welche Methoden der Kreuzzugsfinanzierung das 12. Jahrhundert gekannt hatte99. Die Teilnehmer des 1. Kreuzzugs kamen selbst für ihre Unkosten auf. Mancher Graf verkaufte Hab und Gut, um mitziehen zu können100, und viele mußten zurückbleiben, weil sie kein Geld besaßen101. Als während des Kreuzzuges den ärmeren Teilnehmern Geld und Verpflegung ausgingen, war keine allgemeine Unterstützungskasse vorhanden; Adhemar von Le Puy konnte nur durch eine spontan eingeführte „Armensteuer" unter den 96 Reg 1,336, P.347 vom 15.August 1198, MPL 214.312A, Hageneder S.504,5ff. Reg II, 189, P. 851 vom September/Oktober 1199, MPL 214,738 A. 97
Reg I, 336, P.347, MPL 214, 310C, Hageneder S.502,8ff.
98
Reg II, 189, P. 851, MPL 214.738A.
99 100
Einen Überblick gibt Martini aaO S. 3 0 9 - 1 5 . Guibert von Nogent, RHC Occ IV, 140 f.
101 Baldrich von Dol, RHC Occ IV, 17, Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe Nr. 17, S. 167 und Nr. 19, S. 175.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
reichen Kreuzfahrern den Hungertod vieler Armer verhindern 102 . Die Eigenfinanzierung durch die Kreuzfahrer blieb auch im ganzen 12. Jahrhundert der Normalfall; noch 1188 konnte Friedrich I. auf dem Mainzer Reichstag alle die vom Kreuzzug ausschließen, die nicht für mindestens zwei Jahre ihren Unterhalt bestreiten konnten103. Doch diese Regelung, die dem herkömmlichen Heereswesen entsprach, war bei den großen Entfernungen und der langen Dauer der Kreuzzüge unzureichend. Bereits Ludwig VII., der den 2. Kreuzzug ganz als königliches Unternehmen vorbereitete, machte daher den Versuch, mittels einer allgemeinen Kreuzzugsumlage in seinem Reich seine Unkosten beim Kreuzzug zu decken. Über die Einzelheiten wie über den Erfolg dieser Steuer wissen wir kaum etwas ; nur daß der Klerus über diesen „Kirchenraub" empört war, ist aus vielen Protesten ersichtlich104. Die Beschaffung der für das Hl. Land benötigten Gelder mittels einer königlichen, Klerus und Laien erfassenden Steuer schien sich durchzusetzen. Auf die Jerusalemer Hilferufe des Jahres 1165 antworteten Ludwig VII. und Heinrich II. mit der Ausschreibung einer Steuer auf alle Vermögen und Einkommen 105 . Ihre höchste Stufe und ihr Ende fanden die königlichen Kreuzzugssteuern beim 3. Kreuzzug. Während Friedrich I. die Eigenfinanzierung der Kreuzfahrer forderte, schrieben Philipp II. August und Heinrich II. in ihren Reichen eine allgemeine, zehnprozentige Kreuzzugssteuer aus, den Saladinszehnten. Doch diese Steuer löste vor allem beim Klerus eine derartige Protestwelle aus, daß Philipp August schon nach einem Jahr die Besteuerung als „Ungeheuerlichkeit" zurücknehmen und versprechen mußte, daß er oder seine Nachfolger nie wieder einen derartigen Versuch wagen würden. Der englische Saladinszehnt scheint mit dem Tode Heinrichs II. vergessen gewesen zu sein106. Der Versuch, den Kreuzzug mit Hilfe einer allgemeinen staatlichen Kreuzzugssteuer zu finanzieren, war gescheitert. Die Kreuzzugsunkosten drohten nun einseitig den Trägern des Kampfes, d. h. nur den Laien zur Last zu fallen, während doch der Kreuzzug die Sache aller Christen sein sollte. In dieser Lage schrieb Klemens III. eine Zwangskollekte des gesamten Klerus für den Kreuzzug aus, um so auch den geistlichen Stand an dieser Aufgabe zu beteiligen 107 . Diese Zwangskollekte Klemens' III. bildete die Vorstufe zur päpstlichen Besteuerung 102 Vgl. Gesta Francorum ed. Hagenmeyer (1890) S.390f. R.Röhricht, Geschichte des 1.Kreuzzugs (1901) S. 155,171. 103 Historia peregrinorum bei Chroust S. 126,19 f. 104 Vgl. Gottlob, Kreuzzugssteuern S. 2f, Cartellieri aaO 11,5, ders. Der Vorrang des Papsttums z.Z. der ersten Kreuzzüge (1941) S.342, V.G.Berry, HC I, 471, als Quellen: RHGF XII,94f und XV, 4 9 7 . 6 4 1 - 4 3 . 105 Vgl. zusammenfassend Cartellieri, Philipp August Bd. II, S. 6—9. 106 Text der Ausschreibung des Saladinszehnten bei William of Newburgh III, 23 ed. Howlett II, 273; zum Saladinszehnten vgl. Röhricht HZ 34 (1875) S. 14f, Gottlob, Kreuzzugssteuern S. 3 - 5 , Cartellieri aaO II, 83f, zur Kritik des Klerus vgl. Röhricht ebd. S. 18 und Cartellieri ebd. S. 69ff. 107 JL 16252 vom 27.Mai 1188 nach Genua, Pflugk-Harttung, Acta...III,363f; ein gleiches Schreiben vom 10. Februar 1188 nach Canterbury bei Giraldus Cambrensis, Opera VIII, 236—239.
Der 4. Kreuzzug: Die Vorbereitung (1198 bis 1201)
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des Klerus für Kreuzzugszwecke seit Innocenz III. Während ein fester Steuersatz noch fehlte, sollten doch auf päpstlichen Befehl die Erzbischöfe mit einer kleinen Kommission eine dem Einkommen angemessene Kreuzzugskollekte aller Kleriker ihrer Provinz erzwingen und das Geld sinnvoll für Kreuzzugszwecke verwenden 108 . Neben diesen Versuchen, durch Steuern die nötigen Gelder für den Kreuzzug zu beschaffen, wurden wieder und wieder von den Päpsten freiwillige Kollekten für das Hl. Land erbeten, wofür gelegentlich auch ein Teilablaß verheißen wurde 109 . Doch sind wir über diese Kollekten, die naturgemäß weniger auffallig waren als die Kreuzzugssteuern, nur bruchstückhaft im Bilde. Schließlich versuchten die Päpste bei besonderen Gelegenheiten Geld zur Unterstützung des Kreuzzugs zu gewinnen. So gehörte zu den Bedingungen, unter denen der wegen der Ermordung des Thomas Becket gebannte Heinrich II. 1172 in Avranches absolviert wurde, auch die Verpflichtung, auf ein Jahr 200 Tempelritter in Jerusalem zu unterhalten110. Die Gelder für die Kreuzzüge im 12. Jahrhundert waren also abgesehen von den Eigenbeiträgen der Kreuzfahrer auf drei Weisen beschafft worden: durch Kollekten, durch Steuern und aus zufällig fließenden Geldquellen. Diese drei Wege zur Finanzierung des Kreuzzuges hat auch Innocenz III. beschritten. Er hat die Christen zu freiwilligen Geldspenden aufgerufen und einmal sogar die Könige von England und Frankreich zu einer Kreuzzugsumlage veranlassen können. Er hat dem Klerus eine Kreuzzugssteuer von 21/2 Prozent seiner Einkünfte auferlegt. Er hat, wo zufällig Geldquellen sich auftaten, diese in die Kreuzzugskasse gelenkt. Nicht die einzelnen Methoden waren neu, sondern ihre systematische Ausweitung und Anwendung 111 . Die Propaganda für die Kreuzzugskollekte war wie die Werbung zur Teilnahme am Kreuzzug organisiert und oblag den gleichen Predigern 112 . Als Hauptanreiz für die Spende wurde wie für die Teilnahme ein Ablaß verheißen ; voller Ablaß genau wie für die Teilnahme für jedermann, der einen Kriegsmann für mindestens zwei Jahre ins Hl. Land schickte und die Kosten für Rüstung, Reise 108 Auf die Bedeutung dieser Zwangskollekte als Vorstufe zu den päpstlichen Kreuzzugssteuern weist Martini aaO, S. 314f hin. Heinrich VI. steht ganz außerhalb dieser Entwicklung; für ihn war der Kreuzzug ein Teil der Politik, daher mußte er auch die Finanzierung in seiner Hand konzentrieren. Er hoffte, die Unkosten für sein Kreuzheer durch byzantinische Tribute zu decken, vgl. Leonhard aaO S. 67. 109 Z. B.Alexander III. J L 1 1 6 3 8 vom 29. Juli 1169, MPL 200.602B ; ζ. B. för Coelestin III. J L 1 7 2 7 0 vom 25. Juli 1195, MPL 206, 1109 D. Zur Entstehung des Almosenablasses vgl. Gottlob, Kreuzablaß und Almosenablaß (1906) bes. S. 183ff. 110 Vgl. Materials for the History of Thomas Becket ed. J. C. Robertson, Bd. VII (1885) Nr. 772-774, S. 517.519.521. 1 1 1 Vgl. das Urteil von Martini aaO S. 333. 112 Vgl. den Auftrag an die Kreuzprediger Reg I, 302, P.320, MPL 214, 2 6 4 D - 2 6 5 A , Hageneder S. 432,10ff. Fulko von Neuilly galt sogar als recht erfolgreicher Kollektor, vgl. McNeal/Wolff, HC II, 158, Anm. 15.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
und Aufenthalt trug 113 . Doch auch denen, die weniger, aber ihren Möglichkeiten angemessen spendeten, winkte ein Ablaß, dessen Höhe an der Gabe, vor allem aber am Grade der Frömmigkeit, mit der die Spende gemacht wurde, berechnet werden sollte114. Damit war ein kleinliches, unwürdiges Berechnen ausgeschlossen115. Das gesammelte Geld sollte der jeweils zuständige Bischof verwahren und die Höhe der Summe nach Rom melden 116 . Die Kollekte verlief nicht ohne Störungen. Angebliche Kollektoren erschienen und ließen das Geld in die eigene Tasche fließen. Innocenz mußte scharfe Strafen androhen; auf Mißbrauch der Kreuzzugskollekte stand für Laien die Exkommunikation, für Kleriker die Suspension, d. h. vor allem der Verlust des Einkommens117. Doch die Kollekte scheint wenig Erfolg gehabt zu haben. Im Dezember 1199 mußte Innocenz erneut zur Spendenaktion aufrufen. Dabei finden sich in der Ablaßverheißung zwei unscheinbare, aber wichtige Veränderungen. Vollen Ablaß enthielt, wer einen Kämpfer für „mindestens ein Jahr", bisher zwei Jahre, ins Hl. Land schickte. Bei der Bemessung des Ablasses für die, die weniger spendeten, galt nach wie vor die Größe der Spende und der Grad der Frömmigkeit, jedoch war das kleine Wörtchen ,praecipue' fortgefallen, wodurch die Gewichte ganz anders verteilt wurden. Jetzt standen die beiden Gesichtspunkte einfach nebeneinander, und man mag fragen, ob dadurch nicht der erstgenannte, die Größe der Gabe, das Übergewicht erhielt 118 . Läßt das schon darauf schließen, daß die bisherigen Sammelergebnisse ungenügend waren, so wird dieser Eindruck verstärkt durch die jetzt neu hinzukommende Anordnung, in jeder Kirche einen Opferstock für freiwillige Kreuzzugsspenden der Gläubigen aufzustellen. Sie sollten zu dieser Spende durch den Hinweis auf ihre Verdienstlichkeit und durch eine alle Woche öffentlich zu haltende Messe für die Vergebung der Sünden „besonders der Spender" angereizt werden. Wie groß das Mißtrauen bei der Kollekte war, zeigt die Anweisung, den 1 1 3 Reg 1,336, P. 347, MPL 2 1 4 , 3 1 1 C, Hageneder S. 503,11 ff; Martini aaO S. 331 f beont die Ablaßverheißung für Kreuzzugsspenden, denn erst sie habe die Kollektenaufrufe wirksam gemacht. Doch war das freilich nicht erst eine Neuerung Innocenz' III. 1 1 4 Reg 1,302, P. 320, M P L 2 1 4 , 2 6 5 B , Hageneder S . 4 3 2 , 3 2 - 3 4 : Caeteros vero, qui ad hujusmodi opus exsequendum aliqua de bonis suis forte contulerint, juxta muneris quantitatem et praecipue juxta devotionis affectum remissionis hujus participes esse censemus. Im Aufruf vom August 1 1 9 8 erscheint dann das S t i c h w o r t . . . de bonis suis c o n g r u e . . . Reg 1,336, P. 347, M P L 2 1 4 , 3 1 1 C , Hageneder S. 503,18 f. 1 1 5 Das betont Tillmann, Papst Innocenz S. 224, Anm. 21 gegen Burdach. Freilich bleibt offen, wie der Grad der Frömmigkeit in Anschlag gebracht werden sollte. 116
Reg I, 409, P. 425 vom 19. November 1198, M P L 214, 386 D, Hageneder S . 6 1 3 .
So in einem Brief an Erzbischof Absalom von Lund, in dessen Provina ungebildete Laien (laici et illitterati) sich als Johanniter und Kreuzzugskollektoren ausgegeben hatten, Reg I, 450, P. 468 vom 9. Dezember 1198, MPL 2 1 4 , 4 2 5 f , Hageneder S . 6 7 3 f . 117
» » V g l . Reg II,270f, P. 922.935, M P L 214,831 C D . 8 3 5 A . H.Tillmann, Papst Innocenz S.224, Anm. 21 verschleiert diesen Fortfall des Wortes praecipue, wenn sie zuerst den Satz aus Reg 1,336 zitiert und dann fortfahrt „fast gleichlautend Reg 11,270.271".
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Opferstock mit drei Schlössern zu sichern und je einen Schlüssel dem Priester der Kirche, dem zuständigen Bischof und einem frommen Laien zu geben 119 . Im Juni 1201, nach dem Chartervertrag von Venedig, gelang es dem Legaten Oktavian sogar, die Könige Englands und Frankreichs zur Ausschreibung einer einmaligen Kreuzzugssteuer von einem Vierzigsten in ihren Reichen zu bewegen. Die Könige stimmten freiwillig zu, mußten aber, anders als 1188, den Klerus von der königlichen Kreuzzugssteuer ausnehmen, da dieser vom Papst selbst besteuert wurde. Aber sie behielten sich vor, selbst zu bestimmen, wie und wo das Geld eingesetzt werden sollte. In dem Steueraufruf, der in England im Namen des Königs ausging, stand ausdrücklich, daß diese Steuer einem Wunsch des Papstes entspräche120. Dieses Versprechen der Könige blieb freilich ohne greifbare Folgen; aus England hören wir nichts vom Ergebnis der Steuer, aus Frankreich nicht einmal, ob sie überhaupt ausgeschrieben wurde 121 . Die Laien hatte Innocenz lediglich intensiv zur Kollekte aufgerufen, den Klerikern befahl er von vornherein, zu den Kosten des Kreuzzugs beizutragen. Schon im großen Aufruf vom August 1198 befahl er den geistlichen Herren, ein bestimmtes Truppenkontingent oder das dafür benötigte Geld zu stellen. Wer sich dem widersetzte, galt als Übertreter der heiligen Kanones und wurde suspendiert 122 . Wie dieser Befehl zu verstehen war, zeigt Innocenz' Antwort an die sizilischen Kreuzprediger, die Ende des Jahres von einem totalen Widerstand des Klerus gegen diese Anordnung berichtet hatten. Sie sollten, so schrieb Innocenz, die Bischöfe und Prälaten noch einmal energisch auffordern, ihr Einkommen zu schätzen und die dem Ergebnis entsprechende Summe für den Kreuzzug zu zahlen. Verweigerten die Betroffenen die Schätzung, sollte sie durch geeignete Dritte vorgenommen werden. Wenn die Bischöfe und Prälaten dann etwa die auf Grund dieser Schätzung festgelegte Summe verweigerten, sollte ein neuer Bericht nach Rom gehen 123 . Schon jetzt drohte bei Nichtzahlung eine bestimmte Strafe (certa poena)124 und im Frühherbst 1199 sprach der Papst offen aus, daß er Befehl gegeben habe, widerspenstige Prälaten mit kirchlichen Zwangsmaßnahmen zur Zahlung zu zwingen (compellere)125. Aber alles hatte keinen Erfolg. Statt der Zwangskollekte nach dem Vorbild Klemens' III. mußte Innocenz zu Ende des Jahres 1199 eine förmliche Kreuzzugssteuer von einem Vierzigsten aller Einnahmen aller Kleriker, vom Bischof hinab bis zum Niederklerus, ausschreiben126. Einleitend schilderte er eindring119 Reg II, 270 f, P. 922.935, MPL 214,830 D und 834 C, wiederholt P. 1045, MPL 214, CXXXIV BC. Martini aaO. S. 318 referiert nur die Aufstellungsorder für die Opferstöcke, ohne sie einzuordnen. 120 Text bei Roger von Hoveden, ed. Stubbs IV, 188 f. 121 Zum Ganzen vgl. Roger v. Hoveden, ed. Stubbs IV, 187f u. Cartellieri aaO IV/1 S. 78 mit Anm. 3. 122 Reg I, 336, P.347, MPL 214,311 AB, Hageneder S. 502,25-503,5. 123 Reg I, 508, P. 559, MPL 214,471 AB, Hageneder S. 742,38ff. 124 Ebd. 470 C bzw. S. 742, 13. 126 Reg II, 189, P. 851, MPL 214.738A. 126 Reg 11,270, P. 922 vom 31. Dezember 1199, MPL 214,829f. Zu den Finanzmaßnahmen vom Dezember vgl. auch Martini aaO S. 317 f.
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lieh das Elend des Hl. Landes und das Ungenügen der bisher aus seinen eigenen Mitteln möglichen Hilfe, die immerhin ein Zehntel seiner Einnahmen verschlungen hatte. Dann legte er in ungewöhnlich feierlicher Form, im Namen des allmächtigen Gottes, in Kraft des Hl. Geistes und unter Androhung des göttlichen Gerichts allen Klerikern auf, daß sie von allen kirchlichen Einkünften, nach Abzug der unumgänglichen Zinszahlungen, mindestens den Vierzigsten für das Hl. Land zu zahlen hätten. Jeder Kleriker, der diese Zahlung willig, treu, ohne Betrug und in frommem Glauben leiste, erhalte den vierten Teil seiner Bußstrafen erlassen. Wer die Zahlung dagegen nicht erledige, erweise sich seinem Schöpfer und Erlöser gegenüber als hartherzig und schuldig; Gottes Stellvertreter auf Erden, der Papst, könne diese Schuld nicht stillschweigend übergehen. Doch sollte andererseits aus diesem durch die gegenseitige Not begründeten Steuererlaß kein Präjudiz entstehen, das den Klerus für die Zukunft verpflichte, denn eine Wiederholung dieser extremen Notlage werde es hoffentlich nie geben. H. Tillmann hat recht, wenn sie betont, daß diese Steuer nur mit der Notlage und nicht mit prinzipiellen Rechten des Papstes begründet wurde; aber sie beachtet nur den einführenden Satz und übersieht die der Ausschreibung folgende konkrete Strafandrohung, wenn sie behauptet, Innocenz habe den Zahlungsunwilligen nur das Strafgericht Gottes wegen Verletzung des Sittengesetzes angedroht, aber keine kirchlich-disziplinären Maßnahmen 127 . Im gleichen Schreiben gab Innocenz genaue Durchführungsbestimmungen; auf Provinzialsynoden sollte der Episkopat dem Klerus die Steuer vorlegen und innerhalb von drei Monaten nach dieser Mitteilung an die Geistlichen mußten die einzelnen Kleriker ihr Einkommen geschätzt und das Ergebnis gemeldet haben. Wer sich bei der Schätzung irrte, ging straffrei aus, wenn er die Restsumme zahlte, sobald er den Irrtum bemerkte. Gegen Täuschungsversuche sollte mit kirchlichen Strafen eingeschritten werden. Die Erzbischöfe und Bischöfe endlich sollten das eingehende Steuergeld sicher verwahren und die Höhe des Ertrages so schnell wie möglich nach Rom melden 128 . Doch auch diese scharf angekündigte, straff organisierte Steuer brachte nicht das benötigte Geld. Schon im Frühsommer 1200 klagte der Papst über den französischen Klerus, der weder den Vierzigsten, noch gar den Dreißigsten zahlte, zu dem sich viele Anfang Dezember 1199 auf einer Synode in Dijon in Gegenwart des Kardinallegaten Peter Capuano „freiwillig" verpflichtet hatten. Statt für die Sache Christi werde das Geld für Schauspiele und Jagdvergnügen ausgegeben, was den Laien bereits Anlaß zu ärgerlichen Gerüchten gebe, warf Innocenz den Klerikern vor 129 . Noch einmal befahl er die alsbaldige Zahlung des Vierzigsten und kündigte an, daß er eine Kreuzzugskommission für Frank127
Tillmann, Papst Innocenz S. 34. 225.
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Reg II, 270, P.922, MPL 214,830.
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P. 1045, MPL 214, CXXXIIIAB.
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reich beauftragt habe, durch kirchliche Strafen und ohne jeden Aufschub durch Appellation die Zahlung wenigstens des Vierzigsten zu erzwingen 130 . In England sollte im April 1200 der Magister Philipp den Vierzigsten eintreiben; aber er hatte nicht mehr Glück. Noch 1206/1207, wie neugefundene Briefe zeigen, mußte der Papst nach England schreiben, man solle jetzt endlich die Steuer von 1199 zahlen bzw. mit Zwangsmaßnahmen eintreiben 131 . An die exemten Orden und Kirchen gingen Sondermandate, die die Zisterzienser und Praemonstratenser zu einem Fünfzigsten 132 , die anderen exemten Kirchen und Klöster dagegen ebenfalls zum Vierzigsten verpflichteten 133 . Zumindest von den Zisterziensern wissen wir, daß sie ihre Steuerfreiheit gegen dieses Mandat erfolgreich verteidigten 134 . Im Sommer 1200 dankte Innocenz ihnen für ihre freiwillige Kreuzzugsbeihilfe von 2000 Silbermark 135 . Neben Kreuzzugskollekte und Kreuzzugssteuer versuchte Innocenz, sich zufällig öffnende Finanzquellen in die Kreuzzugskasse zu lenken. Es wurde schon erwähnt, daß in einigen Fällen als Bußstrafe die Kreuzfahrt auferlegt wurde. Erwies sich die persönliche Teilnahme als unmöglich, konnte eine Feldzahlung an ihre Stelle treten, wie im Falle des Grafen Raimund von Toulouse 1 3 6 . In den Geldnöten des Dezember 199 wurde daraus eine generelle Erlaubnis: jedermann konnte, wenn er wollte, Bußstrafen in Kreuzzugszahlungen umwandeln lassen. Bei der Festsetzung der zu zahlenden Summe sollten die Priester die Person des Büßers, seine Mittel und vor allem seine Frömmigkeit beachten 137 . Daneben trat auf Vorschlag der schon mehrfach genannten sizilischen Kreuzprediger, Bischof Lorenz von Syracus und Abt Lukas von Sambucina, die Kommutation der zahlreichen Gelübde, zum Grab des Apostels Jakobus in Spanien zu pilgern. Innocenz bestimmte, die als Weihegabe für den dortigen Altar bestimmte Summe müsse ihr Ziel erreichen, die Unkosten der Wallfahrt aber sollten statt dessen in die Kreuzzugskasse gehen, wenn die von ihrem Gelübde Gelösten die persönliche Mühe der Reise ebenfalls durch eine Zahlung ersetzten (redimere) 138 . Die gleiche Regelung galt, freilich nicht als Kann-, sondern als Sollbestimmung für die von Einwohnern des Hl. Landes gelobten Wallfahrten, damit Geld und Leute im Lande blieben 139 . E b d . C X X X I V D. Vgl. C. R.Cheney, Master Philipp and the Fortieth of 1199, E H R 63 (1948) S . 3 4 2 - 5 0 mit Edition der erwähnten Briefe. 132 Reg II,268f, P. 913.937, M P L 214,826-28. 1 3 3 Reg II, 272.305, P. 915936, M P L 214, 835.868. 134 Belege bei Tillmann, Papst Innocenz S. 224, Anm. 25 ; über die vermittelnde Rolle des päpstlichen Beichtvaters und früheren Zisterziensers Raynerius vgl. Grundmann, D A 16 (1960), S. 447 f. Damit sind die komplizierten Erklärungsversuche bei Alphandéry aaO 11,61 überholt, der die Sinnesänderung des Papstes mit Visionen zu motivieren sucht. 135 P. 1435, nur als Rubricelle erhalten. 13 « Reg 1,397, P. 407, MPL214.375C, Hageneder S. 596,36ff. 137 Reg II,270f, P.922.935, M P L 214, 831A und 834C, wiederholt in P. 1045, Gesta Innocentii Kap. 84, M P L 214, C X X X I V C . 138 Reg 1,508, P. 559, M P L 214,470D und 471B, Hageneder S. 741,21 ff, S.743,3ff. 139 Reg 1,439, P. 445 vom 2. Dezember 1198, M P L 214, 418, Hageneder S. 663. 130
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Zwei weitere Vorschläge der genannten Kreuzprediger griff Innocen2 auf: Das bei nichtseßhaften Mönchen gefundene Geld sollte, sofern es nicht aus einleuchtenden Gründen zurückerstattet werden mußte, in die Kreuzzugskasse fließen. Die Einkommen vakanter Pfründen sollten nach Abzug der üblichen Vergütung für die Vertreter, damit nicht die Kirche derweilen des Dienstes beraubt sei, auf zwei Jahre für das Hl. Land zur Verfügung stehen, sofern Bischof und Klerus der Kirche zustimmten. Es ist bezeichnend für den Juristen Innocenz, daß er bei beiden Vorschlägen die hier durch „sofern" eingeleiteten Einschränkungen machte, die jeweils nicht im Vorschlag enthalten waren. Der Kreuzzug durfte das kirchliche Besitzrecht nicht einfach durchbrechen140. Endlich warnte Innocenz am 5. Dezember 1198 in einem Schutzbrief für die Templer davor, diesen durch üble Machenschaften, ζ. B. durch willkürliche Verhaftung ihrer Leute und hohe Lösegeldforderungen, das für den Dienst im Hl. Land bestimmte Geld zu entwenden 141 . Auch bestätigte er den Rittern ihr altes Kollekten-Privileg, das für regelmäßige Zuwendungen an den Orden den Nachlaß eines Siebtels der Bußstrafen verhieß 142 . Auch dieses Geld diente, wenigstens in der Theorie, der Verteidigung des Hl. Landes. Im November 1198 gab Innocenz dem Erzbischof von Pisa genaue Anweisung über die Verteilung der Kollekte ; eine Kommission bestehend aus dem DiözesanBischof und je einem vom Erzbischof im Einvernehmen mit den Bischöfen ernannten Vertreter der beiden Ritterorden sollte mit dem Geld bedürftige Kreuzfahrer in ausreichendem, aber nicht überreichem Maße ausstatten ; verbleibende Restbeträge sollten vom Papst im Dienst des Kreuzzugs oder des Hl. Landes verwandt werden 143 . Eine neue Anweisung, vom 31. Dezember 1199, also nur rund ein Jahr später, war im Kern die alte, kennzeichnet aber das allgemeine Mißtrauen. Neben dem Bischof und den beiden Vertretern der Ritterorden treten jetzt in der Kommission fromme und umsichtige (discreti) Laien in ungenannter Zahl in Erscheinung 144 . Das paßt genau zu der gleichzeitigen Bestimmung, daß von den drei Schlüsseln zu jedem Opferstock für Kreuzzugskollekten je einer bei einem Laien liegen sollte145. Dazu stimmt auch das vom Papst wenig später zitierte ärgerliche Gerede unter den Laien, der Klerus gebe sein Geld lieber für Schauspiele und Jagdvergnügen aus als für die Sache Christi146. Umgekehrt wurden jetzt auch Sicherungen gegen den unberechtigten Bezug solcher Kollektengelder eingeführt. Bevor er die Hilfsgelder erhielt, mußte der Kreuzfahrer eine Kaution stellen, daß er für ein Jahr oder länger an der Ver1 4 0 Reg 1,508, P.559. Die Vorschläge MPL 2 1 4 , 4 7 0 D — 4 7 1 A , die einschränkende Zustimmung 471BC, Hageneder S . 7 4 2 , 1 8 f f bzw. S . 7 4 3 , I f f . 141 Pitra aaO. S . 5 4 8 f , Nr. 53 (nicht bei Potthast) 142 Pitra aaO. S. 552f, Nr. 57 (nicht bei Potthast). 1 4 3 Reg 1,409, P. 425, MPL 2 1 4 , 3 8 6 C - 3 8 7 A, Hageneder S. 613. 144 Reg 11,270, P.922, M P L 214, 8 3 1 A . 145 Ebd. 830 D. 146 P. 1045, M P L 214, C X X X I I I A, vgl. auch S. 81.
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teidigung des Hl. Landes aktiven Anteil nehmen wolle. Kehrte er vorzeitig zurück, mußte er das Geld zurückzahlen. Die Kaution wurde erst wieder verfügbar nach Vorlage einer Bescheinigung des Jerusalemer Patriarchen oder Königs, des päpstlichen Kreuzlegaten oder des Meisters eines der beiden Orden über den pflichtgemäßen Aufenthalt im Hl. Land 147 . Derart differenzierte Bestimmungen über die Verteilung und Kontrolle der Kreuzzugsgelder begegnen bei Innocenz III. zuerst. Zwar hatte schon Klemens III. die Verwendung der Kreuzzugsgelder einer Provinz deren Erzbischof mit einem Rat kluger Männer anvertraut, aber doch alles Weitere diesen überlassen148. Der Fortschritt zeigt, wieviel systematischer und konsequenter Innocenz die Kreuzzugsfinanzierung von der Kurie aus organisierte. Als Ergebnis dieses Abschnitts können wir zusammenfassen: Innocenz bemühte sich in vielfaltiger Form, den großen Geldbedarf des geplanten Kreuzzugs zu decken ; dabei griff er auch die Vorschläge von Mitarbeitern dankbar auf. Als der Erfolg ausblieb, wurde nach einem guten Jahr das Finanzsystem zwar nicht grundsätzlich verändert, wohl aber straffer gehandhabt und durchorganisiert. Dieses umfassende Finanzsystem mit seinen bei dieser Größenordnung naturgemäß zahlreichen Möglichkeiten des Betrugs, Mißbrauchs und der bewußten Nachlässigkeit machte einen relativ komplizierten Apparat notwendig. Dieser erregte wiederum das Mißtrauen der Laien, denen die Übersicht über das Ganze nicht gegeben war. Hinzu kam das eifersüchtige Wachen über den unverletzten Bestand der jeweils eigenen Rechte; eine Tendenz, die wiederum der Papst bei neuen Anordnungen durch differenziertere Bestimmungen berücksichtigen mußte, deren Folge eine erneut gesteigerte Kompliziertheit war. Überdies war das mittelbare Wesen der finanziellen Kreuzzugsunterstützung der religiösen Spontaneität weit weniger zugänglich als das unmittelbare Erlebnis einer Kreuzfahrt. So war alles Bemühen um die Finanzierung des Kreuzzugs in dieser Phase der Vorbereitung geprägt durch das Mißtrauen aller gegen alle, des Papstes gegen den Episkopat und den Klerus, der Bischöfe gegen den Papst, der Laien gegen die Kleriker und aller Beteiligten gegen die mit ihrem Gelde unterstützten Kreuzfahrer. Die Ursachen dieses Mißtrauens waren kaum zu umgehen, wollte man tatsächlich die Kampffähigen aller Bevölkerungsschichten am Kreuzzug beteiligen. Aber in einer solchen Atmosphäre war der religiösen Kreuzzugsbegeisterung das Atmen und das Leben schwer gemacht. d) Friedensvermittlungsversuche
im Dienst des
Kreu^ugs
Grundvoraussetzung für die Durchführung des Kreuzzugs war das Aufhören des permanenten Kriegszustandes zwischen den europäischen Reichen, denn nur dann waren Menschen und Mittel frei für den Dienst im Hl. Land. Daher war 147 148
Reg 11,270, P. 922, MPL 214,831 AB. JL 16252 vom 27. Mai 1188, ed. Pflugk-Hartung, Acta 111,363.
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die päpstliche Befriedungspolitik ein wichtiger Teil der Kreuzzugsvorbereitungen 149 . Doch in der unmittelbaren Berührung mit der großen Politik lag auch die Gefahr einer Vermischung der Interessen des Kreuzzugs mit den politischen Interessen des Papstes besonders nahe. Oft ist im Interessengewirr kaum zu unterscheiden, welche Motive echt und welche nur vorgeschoben waren. aa) Der Deutsche Thronstreit Nach dem Tode Heinrichs VI. kam es in Deutschland zum Thronstreit zwischen der weifischen und der staufischen Partei, der die politische Kraft des Reiches auf Jahre hinaus lähmte. Ende Mai 1198 fielen die ersten Schatten des beginnenden Streits auf die päpstliche Korrespondenz 150 . Doch bis zum Mai 1199 war Innocenz viel zu sehr mit Italien beschäftigt, um dem Streit zwischen Philipp von Schwaben und Otto von Braunschweig mehr als nur beobachtende Aufmerksamkeit zu widmen. Erst die Hiobsbotschaft vom Tode des Königs Richard Löwenherz, der stärksten Stütze Ottos, löste im Mai 1199 die aktive Thronstreitpolitik Innocenz' III. aus 151 . Wie Kempfs sorgfältige Analyse dieser Politik zeigt, spielte der geplante Kreuzzug hierin nie eine Rolle 152 . Daher genügt hier der Aufweis, wann und wie Innocenz den Kreuzzug als Argument für die Wiederherstellung der Eintracht im Reich benutzte. Gleich der zweite Brief des Sonderregisters über den Thronstreit, vom 3. Mai 1199, schilderte den Fürsten Deutschlands, wie sehr die Eintracht in Kirche und Reich und zwischen beiden alle Ziele der Christenheit fördert. In einer langen Liste solcher Ziele heißt es u. a. : mit dem Frieden des christlichen Volkes wird die Barbarei der Heiden unterworfen. In dem Gegenstück, einer Liste der durch die Zwietracht begünstigten Schäden für die Christenheit wird die Notlage des Hl. Landes gar nicht erwähnt 153 . Auch in den nächsten zwanzig Nummern des Thronstreitregisters erscheint der geplante Kreuzzug nicht mehr. Im Sommer 1198 war Erzbischof Konrad von Mainz aus dem Hl. Land zurückgekehrt, um in Europa für das Hl. Land zu wirken und Frieden zu stiften. Zu diesem Zweck rief er für den Juli 1200 ein Schiedsgericht zusammen, das den Thronstreit entscheiden sollte. Innocenz sah Ottos Chancen bei diesem Schiedsgericht für so gering an, daß er es hintertrieb, ohne doch seine offizielle Neutralität aufzugeben. Diese spannungsgeladene Situation wie auch das erneute Stocken der Kreuzzugsvorbereitungen gerade in dieser Zeit 154 mögen erklären, daß die Notlage des Hl. Landes, vor fünfzehn Monaten nur nebenbei erwähnt, nun in scharfer Form den streitenden Parteien zum Vorwurf gemacht Zum Verhältnis von Friedenspolitik und Kreuzzug vgl. auch unten S. 275. Vgl. oben S.54ff. 151 Vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 15. 21. 152 Vgl. Kempf ebd. S. 1 - 5 5 . 1 5 3 RNI 2, P. 686, ed. Kempf S. 7,19f, S. 8 , 1 0 - 1 7 . 154 In diese Zeit fallt ζ. B. die scharfe Mahnung an den französischen Klerus zu eifrigerer Kreuzzugsvorbereitung, P. 1045. 146
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wurde: „Auch seid ihr ein Anlaß für das Unglück des Hl. Landes, dessen Rückeroberung wir mit allen Kräften erstreben", schrieb Innocenz155. Später begegnet dieser Vorwurf, als Innocenz sich im geheimen Konsistorium bereits für Otto entschieden hatte und der Legat Guido ein letztes Mal versuchen sollte, den Thronstreit im Sinne des Papstes zu beenden, ohne daß dieser öffentlich Partei ergriff 156 . Als auch diese Legation nicht zum Erfolg führte, sprach sich Innocenz am 1. März 1201 öffentlich für Otto und gegen Philipp aus (RNI 32). Der Brief an die deutschen Prälaten, der die päpstliche Entscheidung begründen sollte, schildert, wie der Teufel immer neue Wege findet, alles Heilbringende in sein Gegenteil zu verkehren. So habe er es auch durch List fertiggebracht, daß das Blut, das im Dienst Christi gegen dessen Feinde vergossen die Krone der ewigen Herrlichkeit erwerben sollte, jetzt im Streit der christlichen Fürsten und Völker untereinander den Dämonen der Zwietracht geopfert wird 157 . Innocenz benutzte den Kreuzzug als Argument für die Wiederherstellung der Eintracht in den Briefen des Thronstreitregisters bis zum Beginn des Kreuzzugs viermal, und zwar immer an entscheidenden Einschnitten seiner Thronstreitpolitik. Aber der Kreuzzug hat Innocenz' Haltung im Thronstreit während dieser Jahre nicht beeinflußt; nur um den Gegnern der päpstlichen Thronstreitpolitik das Odium zu verleihen, sie rühre diese Aufgabe der ganzen Christenheit nicht, war das Argument in den Papstbriefen willkommen. bb) Der englisch-französische Krieg Der Gegensatz in Deutschland war stark verflochten mit dem alten Streit der Könige von England und Frankreich. War Richard Löwenherz der Onkel und stärkste Helfer Ottos von Braunschweig, so hatte Philipp von Schwaben im Sommer 1198 das staufische Bündnis mit Philipp II. August von Frankreich erneuert. Zwar hatte ein Waffenstillstand vom September 1197 das englischfranzösische Verhältnis entspannen sollen, doch als Innocenz zum Kreuzzug rief, herrschte schon wieder offener Krieg 158 . Innocenz mußte sofort versuchen, hier zu vermitteln, denn sonst wäre Frankreich, das klassische Kreuzfahrerland, für den geplanten Kreuzzug ausgefallen. Schon im Kreuzaufruf vom August 1198 geißelte er mit deutlichem Blick auf Frankreichs König die Kriege in Europa als schweren Schaden für das Hl. Land 159 und kündigte den Kreuzlegaten Peter Capuano als Friedensvermittler an 16°. Er sollte Frieden oder wenigstens einen Waffenstillstand auf fünf Jahre vermitteln und den betroffenen Völkern das Kreuz pre155 RNI 21, P. 1104 vom Juni/Juli 1200, ed. Kempf S. 63,5ff, zur Situation vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S . 4 0 f . 156 RNI 31, P. 1244 vom 5. Januar 1201, ed. Kempf S. 9 5 , 1 5 - 1 7 ; zur Situation vgl. Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 45. 157 RNI 46, P. 1299 vom 1. März 1201, ed. Kempf S. 127 ff, besonders S. 1 2 8 , 1 8 - 2 0 . 158 Vgl. Cartellieri aaO III,162f. 185. 1 5 9 Reg 1,336, P. 347, M P L 2 1 4 , 3 0 8 D - 3 0 9 A , Hageneder S. 500,Iff. 160 Ebd. 3 1 0 D.bzw. S. 503, 18ff.
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digen 161 . Er erhielt Vollmacht, von allen Klerikern Rat und Hilfe zu fordern und notfalls zu erzwingen, damit nur der im Interesse des Kreuzzugs notwendige Friede zustande käme 162 . Philipp August forderte Innocenz unter Androhung des Interdikts auf, innerhalb von zwei Monaten den Forderungen des Legaten gemäß wegen des Kreuzzugs Frieden zu schließen183. Er betonte, als Stellvertreter Christi folge er dem Beispiel dessen, der als ,mediator Dei et hominum' seinen Jüngern den Frieden brachte; der große Schaden, den der englischfranzösische Krieg nicht nur den betroffenen Völkern, sondern der ganzen Christenheit, vorab dem Hl. Land und dem Kreuzzug bringe, fordere daher ein Eingreifen des Papstes164. Philipp August, der im Wechselspiel des Kampfes gerade die schlechtere Position einnahm, ergriff im Herbst 1198 diese Vermittlerhand; über den Erzbischof von Canterbury, Richards führenden Staatsmann, wurden die ersten Kontakte hergestellt 165 . Nach Weihnachten begann dann der Kreuzlegat die wechselhaften und aufregenden Verhandlungen zu führen, die endlich im Januar 1199 zu einem fünfjährigen Waffenstillstand führten; geschickt hatte Peter Capuano zunächst das Höhere, vollen Frieden, gefordert, um das kleinere Ziel, den Waffenstillstand zu erreichen 166 . Innocenz bestätigte den Vertrag am 30. März 1199167, lobte diesen Erfolg des Legaten, bemerkte jedoch, der Waffenstillstand sei nur ein Teilerfolg, voller Friede das Ziel; dem Legaten gab er Vollmacht, alles zur Einhaltung und Kontrolle der Waffenruhe Notwendige anzuordnen. In diesem Papstbrief tritt noch einmal deutlich der Zusammenhang von Kreuzzugsvorbereitung und Friedensvermittlung hervor 168 . Den französischen König mahnte Innocenz mit leicht drohendem Unterton, den Waffenstillstand sorgfaltig zu beachten und die Zeit für den Abschluß eines Friedensvertrages zu nutzen169. Der Papst ahnte nicht, daß wenige Tage später, am 6. April 1199 Richard Löwenherz einer Pfeilwunde erliegen sollte. Damit war der erreichte Waffenstillstand zunichte ; Richards Bruder und Nachfolger Johann Ohneland begann aufs neue den von der Gegenseite provozierten Krieg 170 . Ein Friedensgespräch im August blieb ergebnislos; dagegen gelang dem Legaten Peter Capuano im Oktober 1199 die Vermittlung eines Waffenstillstandes, wenn auch nicht auf fünf Jahre, sondern nur bis zum 13. Januar 1200171. Eine Stellungnahme des Papstes ist nicht überliefert. 161 So das Ankündigungsschreiben für den Legaten Reg 1,345, P. 348, MPL 214,320 A, Hageneder S. 516,26ff. 162 Reg 1,346, P. 360, MPL 214,320C, Hageneder S. 517. 163 Reg 1,355, P.351, MPL 214,329D und 330B, Hageneder S. 531,21 ff.34ff. 164 Ebd. 329.Α-C bzw. S. 530,22-531,10. 165 Vgl. Cartellieri aaO III, 194f. 166 Den wechselvollen Verlauf schildert Cartellieri ebd. S. 196—201. 167 Reg 11,25, P. 651, MPL 214,554B. 168 Reg 11,23, P. 653, MPL 214,552CD. 169 Reg 11,24, P. 645, MPL 214,553 f. Ein Parallel-Brief an Richard ist zu vermuten, denn ähnliche Briefe gingen an den Klerus beider Reiche. 170 Vgl. Cartellieri aaO IV/1, S. 7. 171 Vgl. ebd. S. 13f. 20.
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Als der Waffenstillstand ablief, trafen die Könige sich zu einem Gespräch unter vier Augen, bei dem eine weitgehende Einigung gelang; der Waffenstillstand wurde bis zum 1. Juli 1200 verlängert und am 22. Mai 1200 bei Le Goulet voller Friede geschlossen. Der Friedensvertrag enthielt unter anderem die eindeutige Verpflichtung Johanns, weder mit Geld noch mit Rittern noch mit Soldaten, weder direkt noch mittelbar Otto von Braunschweig zu unterstützen172. Als Otto bald darauf seinen Onkel um Hilfe bat, hat dieser getreu dem Vertrag dieses Ansinnen abgelehnt 173 . Ein päpstlicher Legat hätte die Verpflichtung Johanns vielleicht verhindern können. Aber in jenen Monaten weilte kein Legat in Frankreich; auch als im Juli Kardinal Oktavian seine Legation dorthin antrat, wußte man in Rom noch nichts von dieser Bestimmung. So mußte Oktavian der Auftrag nachgesandt werden, bei seiner Arbeit in Frankreich auch den deutschen Thronstreit im Auge zu behalten. Wenn der Friedensvertrag jene Verpflichtung enthalte, was man in Rom offensichtlich noch nicht sicher wußte, sollte der Legat diese ,colligatio impietatis', wie Innocenz sie nach Jesaja 58,6 nannte, für ungültig erklären, denn „die Verpflichtung halten wir für unerlaubt, die den königlichen Gehorsam gegen den apostolischen Stuhl hindert, besonders in dem Streit, der über die Neubesetzung des Römischen Reiches geführt wird" 174 . Mit dem geplanten Kreuzzug hatte der Papst zwei Jahre hindurch die Dringlichkeit des. englisch-französischen Friedens und sein Eingreifen — unter Androhung geistlicher Strafen ! — in den weltlich-politischen Streit der beiden Könige begründet. Doch als der Friede geschlossen wurde und nur nicht den politischen Interessen der Kurie entsprach, erklärte Innocenz ihn für ungültig. Der Kreuzzug war Anlaß und Vorwand der Friedenspolitik des Papstes, der von den Herrschern Verzicht auf politische Vorteile forderte, und der doch seine eigenen politischen Interessen höher stellte als den Nutzen des Kreuzzugs. cc) Die sizilische Frage Die Gründe des Papstes, in die Wirren des sizilischen Königreiches einzugreifen, waren vielfaltig. Die Gefahr einer staufischen Umklammerung des Kirchenstaates von Süden und Norden war durch den Tod Heinrichs VI. noch nicht beseitigt. Innocenz mußte versuchen, die Situation nach Heinrichs Tod dafür zu nutzen, die politischen Verhältnisse im Königreich in einer für die politische Stellung des Papsttums in Italien günstigen Weise zu gestalten. Dazu bot sich ihm die beste Gelegenheit, als Konstanze von Sizilien bei ihrem Tode im Vgl. ebd. S. 3 6 - 4 4 , besonders S. 43. Vgl. Roger von Hoveden, ed. Stubbs IV, 115. 1 . 4 RNI 25, P. 1232 ca. vom August/September 1200, ed. Kempf S . 6 9 f . Von einem fast gleichzeitigen Brief an Oktavian in der gleichen Sache ist nur eine Rübricelle erhalten, P. 1130, vgl. Kempfs Edition des RNI S. 68, Anm. 1 und Kempf, Papsttum und Kaisertum S. 42 f mit Anm. 1. Der Verlust der Papstregister für 1200/1201 hüllt die päpstliche Haltung während der folgenden Monate in Dunkel. 172 1.3
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Dezember 1198 den Papst zum Vormund des vierjährigen Friedrich (II.) ernannte. Innocenz war gewillt, die politischen und kirchenpolitischen Chancen dieser einmaligen Konstellation zu nutzen. Er hatte dabei die staufischen Ministerialen zu Feinden, deren ständige Versuche, im Königreich Macht und Einfluß zu gewinnen, zugleich die natürliche Basis des Kreuzzugs gefährdeten. Seitdem Wilhelm II. von Sizilien 1187 als erster dem Hl. Land Hilfe geschickt hatte, seit die englisch-französische Kreuzfahrerflotte 1191 von Sizilien aus aufgebrochen war, vor allem aber seit Heinrich VI. seine Kreuzzugsplanung ganz von der Basis Sizilien aus angelegt hatte, war die große Bedeutung des Königreiches für den Kreuzzug offenkundig. Innocenz, der für den Kreuzzug den Seeweg plante, hatte wie Heinrich VI. Sizilien als Basis des Kreuzzugs vorgesehen. Nicht zufällig gingen die ersten Kreuzzugssschreiben des Papstes gerade ins Königreich175. Daher mußte Innocenz empfindlich reagieren, als nach Konstanzes Tod, wohl noch im Dezember 1198, der Herzog von Ravenna und Markgraf von Ancona, Markward von Annweiler, ein treuer Ministeriale Heinrichs VI., ins Königreich eindrang und damit die Neuordnung durch den Papst und die geregelte Durchführung des Kreuzzugs gefährdete. Als gar der bis vor kurzem reichstreue Abt Roffrid von Monte Cassino sich gegen Markward und für den Papst entschied, begann Markward einen wüsten Kriegszug durch das festländische Sizilien. Am 7. Januar 1199 fiel ihm San Germano kampflos in die Hände; tags darauf begann er die Belagerung des Monte Cassino, die er freilich am 15. Januar abbrechen mußte 176 . In dieser Lage rief der Papst die Bevölkerung Capuas und ihre Führer zum Kampf gegen Markward, den Feind Gottes und der Kirche, auf 177 . Ist dieser Aufruf auch durchaus verständlich, so überrascht es doch, wenn der Papst ihn in der Ankündigung gipfeln ließ, er werde, wenn nötig, für den Kampf gegen Markward und seine Freunde denselben Ablaß gewähren, wie für die, „die gegen die Perfidie der Sarazenen zur Verteidigung der orientalischen Provinz sich rüsten, damit nicht 178 durch ihn (seil. Markward) die Hilfe für das Hl. Land gehindert werde 179 . In dem langen Brief ist nur in diesen letzten Worten vom Hl. Land die Rede, während der ganze Kampfaufruf getragen ist vom Eifer des Papstes, die Macht der Deutschen im sizilischen Königreich auszuschalten. So wird man 1 7 5 Reg 1,302, P. 320 v o m 25. Juni bis 5. Juli 1198, M P L 2 1 4 , 2 6 4 f , Hageneder S. 430f. Wie wichtig Sizilien auch sonst für das Hl. Land war, zeigt ein Brief des Ordensmeisters der Johanniter an die englischen Ordensbrüder, in dem er 1201 darüber klagt, daß die gewohnte große Hilfe aus Sizilien ganz ausbleibe, seit die Deutschen dort wüteten ; Text bei Roger von Hoveden, ed. Stubbs IV, 185—187. 1 7 6 Zum Vorgehen Markwards und zur Lage im Königreich vgl. Baethgen aaO S. 7—14 und Prinz aaO. S. 92 ff. 177 Reg 1,558, P . 6 1 5 vom Februar 1199, M P L 2 1 4 , 5 1 3 f , Hageneder S . 8 0 7 - 8 0 9 . Der undatierte Brief setzt den Abbruch der Belagerung von Monte Cassino (15. Januar) voraus. 178 Die Unsicherheit, ob ein finales quin oder ein kausales quod zu lesen sei, vgl. M P L 2 1 4 , 5 1 4 C , ist durch die neue Ausgabe zugunsten des quin geklärt, vgl. Hageneder S. 809,16. 179
Reg I, 558, P. 615, MPL 214, 514C, Hageneder S. 8 0 9 , 1 6 f .
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diese völlig überraschende, am Schluß nachklappende Begründung mit Baethgen als „fadenscheinigen Vorwand" bezeichnen dürfen. Lange vor Beginn des geplanten großen Kreuzzugs tauchte hier die Möglichkeit seines politischen Mißbrauchs auf, als der Papst einen Kreuzzug in Sizilien in Aussicht stellte. Doch bevor es dazu kam, gab es noch eine kurze Scheinversöhnung zwischen Markward und dem Papst im August 1199180, der bald wieder Unstimmigkeiten 181 , und schon im September 1199 der völlige Bruch folgten 182 . Im Oktober 1199 landete Markward auf der Insel Sizilien und fand vor allem bei den Sarazenen der Insel viel Anhang, die von ihm eine freundlichere Behandlung als durch die päpstliche Herrschaft erhofften183. Diese Verbindung mit den Sarazenen Siziliens nahm Innocenz zum Anlaß, die Drohung vom Februar des Jahres wahr zu machen. Am 24. November 1199 rief er zum Kreuzzug gegen Markward und seine Helfer, vor allem die Sarazenen, auf 184 . Geschickt ließ der Papst die Schilderung der Greueltaten Markwards gipfeln in einem Anschlag auf das Leben des königlichen Kindes, Friedrichs II. Durch bloße Benutzung eines Bibelwortes stellte er nicht deutlich ausgesprochene, hintergründige Zusammenhänge her: „Dies ist der Erbe; kommt, laßt uns ihn töten und sein Erbgut an uns bringen" (Matth. 21,38) 185 . Gegen Friedrich hat sich Markward mit den Sarazenen verbunden, ihre Hilfe gegen König und Christen herangerufen: Quem igitur, etsi non pueri regis, Regis regum causa non moveat et non tangat injuria Crucifixi? Quis non insurgat in ilium, qui contra omnes insurgit et inimicis crucis se jungit ut fidem crucis evacuet et factus infideli deterior infidelibus nititur subjugare fideles186. Es ist verblüffend, wie hier durch raffinierte Wortspiele der Gegner des jungen Königs zum Feind Christi und Verbündeten der Feinde des Kreuzes gemacht wurde. Injuria Crucifixi meinte gewöhnlich die heidnische Besetzung des Hl. Landes ; damit hatte Markward zwar gar nichts zu tun, aber im Leser des Aufrufs wurde die Assoziation : injuria Crucifixi/Kreuzzug hervorgerufen. Noch erstaunlicher ist der folgende Abschnitt des Aufrufs. Hier erklärte der Papst, wenn die Sarazenen freilich in Treue gegen den König (Friedrich II.) beharren wollten, dann wolle er sie lieben und freundlich behandeln, sowie ihre guten Gewohnheiten fördern; doch könne und wolle er es nicht dulden, daß sie mit Markward auf den Schaden des Königreiches sännen187. Ob die Sarazenen Feinde des Kreuzes Christi oder förderungswürdige, bündnisfähige Partner wären, das entschied sich für Innocenz an ihrem loyalen Verhalten gegen den König Friedrich Reg II, 167, P.818, M P L 2 1 4 , 7 1 6 - 1 8 . Reg II, 168, P.829, M P L 2 1 4 , 7 1 9 B C . 182 Reg 11,179, P.841, M P L 2 1 4 , 7 2 9 - 3 1 . Zum Ganzen vgl. Baethgen aaO S. 1 4 - 1 8 und ausführlicher Prinz aaO S. 104—110, dort S. 1 0 4 f über die Vermittlerrolle des aus dem Hl. Land zurückgekehrten Kardinalerzbischofs Konrad von Mainz. 183 Vgl. Baethgen aaO S. 22 und Prinz aaO S. 1 1 5 f . 184 Reg II, 221, P. 877, M P L 2 1 4 , 7 8 0 C - 7 8 2 C . 185 Ebd. 781C. 186 Ebd. 7 8 1 D , die raffinierte Rhetorik dieses Satzes läßt sich nicht übersetzen. 187 E b d . 7 8 2 A . 180 181
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und seinen Vormund, den Papst188. Es wirkt danach wie zynischer Hohn, wenn Innocenz am Schluß des Briefes den Kreuzablaß auch für den Kampf gegen Markward gewährte und das damit begründete, daß von Sizilien aus dem Hl. Land leichter geholfen werden könne. Wenn Sizilien in die Hand der Sarazenen falle, dann gäbe es in Zukunft keine Hoffnung mehr auf die Befreiung des Hl. Landes 189 . Beim Aufruf zum Kreuzzug gegen Markward überwogen die politischen Motive. Auch die raffiniert eingeflochtenen Hinweise auf die Feinde des Kreuzes Christi und die mit diesem Zug geförderte Befreiung des Hl. Landes können das nur dürftig vertuschen. Wie weit Innocenz' Aufruf Erfolg hatte, ist hier nicht zu untersuchen. Der sizilische Kanzler, Bischof Walter Pagliari, eine politisch recht zwielichtige Gestalt, machte sich den päpstlichen Gedankengang schnell zu eigen: Wenn die Sarazenen eine ausreichende Kaution stellen und in Treue und Gehorsam dem König anhängen wollten, sollten sie in Frieden mit den Christen leben; andernfalls aber sollte der Papst das Kreuzheer gegen sie heranrufen 190 . Nennenswerte Truppen von außerhalb des Königreiches scheinen nur von zwei Seiten in den Kampf eingegriffen zu haben: ein Söldnerheer unter dem päpstlichen Marschall Jakob 191 und die Truppe des französischen Grafen Walter III. von Brienne 192 . Walter hatte, wie viele nordfranzösische Ritter, kurz nach Graf Theobald von der Champagne das Kreuz genommen 193 . Aber dies war nicht der Anlaß für ihn, im Gegensatz zu den anderen Kreuzfahrern nach Sizilien zu ziehen; Walter hatte dort vielmehr über seine Frau Alberia, eine Tochter Tankreds, Ansprüche auf die Grafschaft Lecce und das Fürstentum Tarent 194 . Ostern 1200 erschien er beim Papst und forderte dessen Unterstützung und Anerkennung seiner Ansprüche 195 . Der Papst, der jene Herrschaften noch im Herbst 1199 einem anderen Anwärter verliehen und feierlich bestätigt hatte196, bestätigte nun Walters Ansprüche, um diesen nicht als Feind, sondern als Verbündeten im Königreich zu haben. Walter ging nach Frankreich zurück, verpfändete seinen Besitz und warb ein Heer ; im Mai 1201 erschien er wieder in Rom, wo sein kleines 188 Das gleiche in einem wenig späteren Brief, in dem Innocenz den Sarazenen droht, wenn sie mit Markward ein Bündnis gegen den König schlössen, werde das sich schon versammelnde große Kreuzheer seine Waffen gegen sie wenden; Reg 11,226, P. 883 von Anfang Dezember 1199, MPL 214,787C. 1 8 9 Reg 11,221, P. 877, MPL 2 1 4 , 7 8 2 B . 1 9 0 Das Schriftstück des Kanzlers wird in den Gesta Innocentii cap. 31 für Ende 1201 oder 1202 angeführt, M P L 214, L V D. 191 Vgl. Baethgen aaO S . 2 3 . 3 9 und öfter. 192 Eine zusammenfassende Darstellung über Walter von Brienne fehlt; über ihn vgl. Prinz aaO S. 122—140, Baethgen aaO S.25ff, Tillmann, Papst Innocenz S. 1 1 5 f f und L . B ö h m , Johann von Brienne (Diss. phil. Heidelberg 1938) S. 1 6 - 2 0 . 1 9 3 Walters Kreuznahme berichtet Villehardouin § 5, ed. Farai (1938) 1,6 f. 1 9 4 Baethgen aaO S. 27 betont, daß Walthers Ansprüche nach sizilischem Erbrecht gar nicht so unbestreitbar waren, wie die Kurie und die ältere Literatur es darstellten. 1 9 5 Die ältere Datierung der Ankunft Walters in Rom auf Herbst 1199, so noch Prinz aaO S. 122, hat Baethgen aaO S . 3 1 , Anm. 1 korrigiert: Walter kann erst Ostern 1200 in Rom erschienen sein. 196 Vgl. Baethgen aaO S. 28 mit Anm. 1.
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Heer Bedenken erregte. Trotzdem wurde Walter im Kampf gegen die Deutschen in Unteritalien der entscheidende Mann. Doch auch dringende Vorhaltungen des Papstes veranlaßten ihn nicht zum Übergang auf die Insel, weil Walter seine eigenen, frisch erworbenen Gebiete ordnen und sichern wollte 197 . Dieser Umstand zeigt deutlich, daß territoriale Interessen, nicht der Kampf gegen Markward mit dem Kreuzablaß Walter herangelockt hatten. Es fallt auf, wie wenig Wert Innocenz der Tatsache beimaß, daß Walter das Kreuz genommen hatte. In dem Schreiben, in dem der Papst den königlichen Famiiiaren Siziliens die Bestätigung der Ansprüche Walters mitteilte und dessen Hilfe ankündigte, wurde nicht einmal direkt gesagt, daß Walter Kreuzfahrer sei, sondern wurde vor allem seine nahe Verwandtschaft mit den großen Kreuzfahrerbaronen Theobald von der Champagne und Balduin von Flandern betont, die zur Hilfe des Hl. Landes und Walters heranrücken würden 198 . Wenn auch im Gefolge Walters im Frühjahr 1201 eine Anzahl französischer Kreuzfahrer nach Unteritalien zog 199 , hat dieser Kampf doch dem Kreuzheer keine entscheidenden Kräfte entzogen. Auch für einen direkten psychologischen Einfluß auf das Kreuzheer in Venedig fehlen alle Zeugnisse, wie auch die Ablenkung des 4. Kreuzzugs nach Zara und Konstantinopel ohne Berufung auf den Kreuzzug gegen Markward geschah 200 . Der Kreuzzug gegen Markward im September 1202 hatte nicht den erhofften Erfolg. Auch als Markward im September 1202 an einer Krankheit starb201, war die Herrschaft der Deutschen im Königreich Sizilien noch nicht gebrochen. Noch im Juni 1205 starb Walter von Brienne an den Wunden, die er im Kampf gegen Diepold von Acerra, Markwards Freund, erlitten hatte202. Auch am Ende der Regentschaft des Papstes über Sizilien, 1208, konnte „von einer durchgreifenden Reinigung und Sicherung des Königreiches nicht die Rede sein" 203. Dieses Ziel erreichte erst der nun mündige König Friedrich. Innocenz' Absichten von 1199, in Sizilien die politischen Verhältnisse in seinem Sinne zu gestalten und zugleich die natürliche Basis des geplanten Kreuzzugs zu sichern, waren völlig gescheitert. Der Kreuzzug gegen Markward war nicht der erste Kreuzzug, der gegen einen politischen Gegner und zugleich mit dem Ziel geführt wurde, den Kreuzzug ins Hl. Land zu fördern. Gerade erst hatte Heinrich VI. sein Kreuzheer benutzt, um Vgl. Baethgen aaO S. 75 und Prinz aaO S. 139. Gesta Innocenti! cap. 25, MPL 214, X L V I I C, zur Datierung vgl. Baethgen aaO S. 32. 199 Villehardouin § 35, ed. Farai I , 3 4 f nennt eine Reihe von Namen und spricht von einer „grant partie de la bone gent de Champaigne qui croisié estoient" im Gefolge Walters. 2 0 0 L.Streit, Beiträge zur Geschichte des 4.Kreuzzuges (Gymn. Progr. Anklam 1877) S . 3 0 und H. Elkan, Die Gesta Innocentii (Diss. phil. Heidelberg 1876) S. 51, setzen die negative Wirkung des Kreuzzuges gegen Markward auf den 4. Kreuzzug reichlich groß und pauschal an. 201 Nach Prinz aaO S. 140 starb Markward bei einer Steinoperation, nach Baethgen aaO S. 79 f an der Dysenterie. 202 Vgl. Baethgen aaO S. 91 f. 203 Vgl. Baethgen aaO S. 106. 197
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1197 den sizilischen Aufstand niederzuwerfen und mit seiner Herrschaft im Königreich auch die Häfen und Nachschublager in Sizilien für den geplanten Kreuzzug zu sichern. Auch hatten schon frühere Päpste, Paschal II. und Eugen III., bei solchen Kreuzzügen ihre Hand im Spiel gehabt. Wenn Innocenz nun einen solchen Hilfskreuzzug nicht nur förderte, sondern selbst begann, spiegelt sich darin nur der Umstand, daß die politische Macht und das politische Engagement des Papsttums unter Innocenz III. einen Höhepunkt erreicht hatten. Es wäre verfehlt, hier bereits von politischen Kreuzzügen zu sprechen, denn noch galt stets die Förderung des Kampfes gegen die Sarazenen als das Hauptziel204. Damit wiederholt sich eine Beobachtung, die wir schon in den beiden letzten Abschnitten machten: in Sizilien wie im Deutschen Reich wie in Westeuropa waren die päpstlichen Friedensbemühungen im Dienst des Kreuzzugs untrennbar verflochten mit den weltweiten politischen Interessen des Papsttums. Der Papst als Leiter der Christenheit stand nicht einfach über den Parteien; auch als er den Kreuzzug in die Hand nahm, blieb dieser hineingestellt in das politische Wechselspiel Europas. Deshalb bezeichnet die Überschrift „Friedensvermittlungsversuche im Dienste des Kreuzzuges" mehr den Idealfall als die komplexe Wirklichkeit. Nur in einem Bereich war wirklich lediglich der Nutzen des Kreuzzugs das Ziel der päpstlichen Versuche, dem Blutvergießen Einhalt zu gebieten, bei den päpstlichen Turnierverboten, von denen unten zu reden ist. In den großen politischen Streitigkeiten und Kriegen war nie der Kreuzzug das alleinige Ziel der Befriedungsversuche. Daher gelang es Innocenz auch nicht, das einheitliche Kreuzheer der gesamten Christenheit unter päpstlicher Führung aufzustellen, das die Voraussetzung für ein Gelingen seiner Kreuzzugspläne gewesen wäre.
e) Die diplomatische Vorbereitung im östlichen Mittelmeerraum
Bisher haben wir ausschließlich die päpstlichen Kreuzzugsvorbereitungen im westlichen Teil der damaligen Welt, im Abendland verfolgt. Wenden wir uns nun den in der Hauptsache diplomatischen Vorbereitungen des geplanten Kreuzzugs im östlichen Mittelmeerraum zu. Im Dezember 1198 mußte Innocenz aus akutem Anlaß das alte Verbot erneuern, kriegswichtige Waren an die Sarazenen zu liefern. Die Venetianer hatten vorgebracht, der Handel mit den Sarazenen bilde die Grundlage ihres Lebensunterhalts. Innocenz konnte nur das Verbot des Handels mit Konterbande und des Dienstes auf sarazenischen Schiffen bestätigen, wie es das 3. Laterankonzil von 1179 erlassen hatte 205 . Doch stellte er den Venetianern ausdrücklich allen anderen Handel mit den Sarazenen frei und äußerte die Hoffnung, diese päpstliche Gunst werde sie zu tatkräftigerem Einsatz für den geplanten Kreuzzug er204 205
Zum Ursprung des politischen Kreuzzugs vgl. unten S. 254ff., dort auch Literatur. 3. Laterankonzil cap. 24, Mansi XXII, 2 3 0 D E .
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muntern 206 . Diese Szene zeigt schlagartig, wie wenig im östlichen Mittelmeerraum eine gemeinsame Front der Christen gegen die Sarazenen bestand. Innocenz' Hauptsorge in diesem Gebiet mußte es daher sein, hier wenigstens soweit Frieden unter den Christen zu schaffen, daß aus ihrer inneren Zwietracht nicht dem geplanten Zug Hindernisse erwuchsen, ehe er noch die eigentliche Front erreicht haben würde. Die größte christliche Macht im Osten war nach wie vor Byzanz, wenngleich seine Stärke vor allem seit dem Übergang des Thrones von den Komnenen auf eine Seitenlinie des Hauses, die Angeli, ständig zurückging. Kreuzzüge, die auf dem Landweg ins Hl. Land zogen, mußten das Ostreich passieren. Dabei war es zu mancherlei Reibereien gekommen; diese im Verein mit den dogmatischkirchlichen Gegensätzen hatten zu einer scharfen Mißstimmung zwischen den beiden Teilen der christlichen Welt geführt, die die Byzantiner zu einem ernsthaften Hindernis für den Kreuzzug werden ließ. Beim Durchmarsch seines Kreuzheeres hatte Friedrich I. nur mit viel Geduld und diplomatischem Geschick offene Feindseligkeiten mit den Byzantinern verhindern können207. Die ausgesprochen byzanzfeindliche Politik Heinrichs VI. und sein von kräftigen Drohungen begleiteter Anspruch, der alleinige christliche Kaiser zu sein, hatten die Stimmung zwischen Ost und West weiter verschlechtert208. Innocenz mußte also versuchen, mit dem derzeitigen Kaiser, Alexius III., so weit einig zu werden, daß wenigstens eine Behinderung des Kreuzzugs seitens Byzanz' ausgeschlossen war. Da traf es sich gut, daß im Sommer 1198 gerade eine Delegation Alexius' III. beim Papst weilte. Uber den Inhalt ihrer Botschaft gehen die Meinungen auseinander. J. Güldner, der die sorgfaltigste Untersuchung der Byzanzpolitik Innocenz' lieferte209, vermutet, daß Alexius angesichts der Schwäche seines Reiches sich gegen einen Kreuzzug gegen Byzanz sichern wollte und dem Papst daher anläßlich seiner Erhebung durch Gesandte Geschenke überreichen ließ und ihn einlud, Legaten an ihn zu schicken 210 . Gleich206 Reg I, 539, P.450 vom 3.Dezember 1198, M P L 214,493, Hageneder S . 7 7 5 f . Innocenz zitierte das Verbot nicht wörtlich, aber in enger Anlehnung an die Formulierung von 1179. 207 Vgl. den Überblick bei Runciman III, 11—14 und G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates (2. Aufl. 1952) S.324. 208 Vgl. Ostrogorsky aaO S. 328 f. 209 W.Norden, Das Papsttum und Byzanz (1903) bietet S. 133—143 für diesen Zeitabschnitt gewaltige Rekonstruktionen, deren Unhaltbarkeit J. Haller in seiner Rezension des Buches, HZ 99 (1907) S. 1 3 f , gezeigt hat. Die beste Darstellung der Byzanzpolitik Innocenz' III. in den Jahren 1198 bis 1200 bei J. Güldner, Über die Versuche Papst Innocenz' III. eine U n i o n . . . herbeizuführen (Diss, phil. Tübingen 1893) S.9—21, zur Gesandtschaft vom Sommer 1198 ebd S. 9f. W . de Vries, Innocenz III. und der christliche Osten, Archivum Historiae Pontificiae 3 (1965) S. 87—126, ist nur an den jurisdiktioneilen, dogmatischen und rituellen Aspekten der Unionspolitik Innocenz' interessiert und berührt unsere Fragen nicht. aio Vgl. Gesta Innocentii cap. 60; Güldner aaO S. 9 und Elkan aaO S. 94 verstehen den Satz in den Gesta : Alexius . . . misit. . . nuntios . . . rogans, ut ipse per legatos suos ejus Imperium visitaret (MPL 214, C X I X A ) , als Einladung, der Papst möge das Ostreich durch Legaten visitieren lassen. Elkan spürt die Unmöglichkeit dieser Einladung und bestreitet sie daher. Doch ist hier wohl
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zeitig versuchte Alexius wohl, Innocenz zu bewegen, ihn als alleinigen Kaiser anzuerkennen. Innocenz ging auf die Einladung von Legaten ein und schickte den Subdiakon Albert und den päpstlichen Notar Albertinus. Das ihnen mitgegebene Schreiben ist in mehrfacher Hinsicht bezeichnend211. Es begnügt sich nicht mit der dargebotenen Hand, sondern fordert sofort eine aktive Hilfeleistung beim Kreuzzug, denn Reichtum, militärische Mittel und geographische Lage ließen das Ostreich wie geschaffen dafür erscheinen. Doch nicht genug damit, forderte Innocenz auch gleich die Union, d. h. in seinen Augen die Unterwerfung der Ungehorsamen unter Rom. Das alles geschah in einem „herrischen Befehlston..., wie ihn seit Nikolaus I. kein römischer Bischof gegenüber Kontantinopel sich herausgenommen hatte" (Haller) 212 . Gerade diese Verbindung von Kreuzzug und Union war diplomatisch und politisch unglücklich. Die eventuell mögliche byzantinische Kreuzzugsbeteiligung wurde durch das Junktim mit der in dieser Schroffheit aussichtslosen Unionsforderung ausgeschlossen. Selbst eine so freundliche Biographin wie H. Tillmann muß dem Papst in seiner Unionspolitik „persönliches Versagen" vorwerfen, weil er nicht nur die Gegebenheiten falsch beurteilte, sondern auch bei aller Liberalität in rituellen Fragen den Kernpunkt der Unionsfrage ohne geduldige Liebe als reine Gehorsamsfrage ansah213. Gleichzeitig ging ein Schreiben an den Patriarchen von Konstantinopel, in dem naturgemäß die Unionsfrage das Hauptthema bildete, wenngleich der Patriarch doch dringend aufgefordert wurde, Kaiser Alexius zur Hilfe für den Kreuzzug zu veranlassen214. Nichts kennzeichnet Innocenz' Fehleinschätzung der Stimmung des Ostkaisers so sehr, wie das Angebot, auch dem Kaiser, wenn er sich zum Kreuzzug entschließe, den üblichen Ablaß und Kreuzfahrerschutz zu gewähren 215 . Damit war der Versuch, Alexius III. am Kreuzzug zu beteiligen, schon beendet. Der glückliche Abschluß eines neuen Handelsvertrages mit Venedig ließ den Kaiser hoffen, er bedürfe des päpstlichen Wohlwollens jetzt weniger als zuvor 216 . So wagte er in seiner Antwort, die mangelnde Bereitschaft zum Kreuzzug mit allgemeinen Redensarten, die Zeit sei noch nicht reif zur Befreiung des Hl. Landes, zu verschleiern und in der Unionsfrage ganz unverbindlich seine Beschon dem A u t o r der Gesta nicht klar gewesen, daß,Imperium meum' im Brief des Ostkaisers lediglich d i e Übersetzung der kaiserlichen Selbstbezeichnung ή βασιλεία μοο war, also etwa „meine kaiserliche Hoheit" bedeutete, vgl. dazu Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe S. 239 Note 4. Alexius hatte also einfach um die Entsendung päpstlicher Legaten gebeten. Reg 1 , 3 5 3 , P. 349 ca. v o m August 1198, M P L 2 1 4 , 3 2 5 - 3 2 7 , Hageneder S. 5 2 6 - 5 2 8 . Haller 111,368. 2 1 3 Tillmann, Papst Innocenz S. 219. 2 1 4 Reg 1 , 3 5 4 , P. 350, M P L 2 1 4 , 327 f, zum Kreuzzug 328 D, Hageneder S. 5 2 8 - 3 0 , bzw. S. 5 2 9 , 3 6 bis 530,7. 211
212
215
Reg 1,353, P . 3 4 9 , M P L 2 1 4 , 3 2 6 D , Hageneder S . 5 2 7 , 2 3 f f .
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V g l . Güldner aaO S. 11 f.
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teiligung an einem Unionskonzil in Aussicht zu stellen217. Der parallele Antwortbrief des Patriarchen handelt nur noch vom Unionsthema218. Die Antwortbriefe des Papstes stammen erst vom 13. November 1199219. Das Schreiben an den Patriarchen erwähnt trotz seiner ungewöhnlichen Länge (6 Spalten bei Migne) den Kreuzzug gar nicht mehr 220 . Der Brief an Alexius ist nur halb so lang, und berührt doch beide Themen, Kreuzzug und Kirchenunion. Der Papst tadelte den Kaiser, daß er der Not des Gekreuzigten tatenlos zusehe. Auch der Kaiser kenne Gottes Geschichtsplan nicht, und nicht hierüber zu grübeln sei das Gebot der Stunde, sondern dem Hl. Land zu helfen, dessen Situation doch die Nowendigkeit der Hilfe überdeutlich mache221. Die Unionsfrage kündigte Innocenz als eines der Themen eines geplanten allgemeinen Konzils an, bei dem dann der Patriarch die griechische Kirche zum Gehorsam gegen Rom zurückführen könne222. Das Angebot der Beteiligung an einem Unionskonzil, nach Güldner nie ernst gemeint 223 , reute Alexius jetzt. So forderte er, dieses Konzil müsse wie die vier großen Konzile auf griechischem Boden stattfinden, wohl wissend, daß Innocenz sich darauf nicht einlassen würde. Im übrigen lenkte er jetzt zu einem neuen Thema über, dem Verhältnis der beiden Kaiserreiche in Ost und West, und beanspruchte, der alleinige Kaiser zu sein 224 . Darauf antwortete wohl ein heute verlorener Brief, vermutlich vom Dezember 1200225. Im nächstfolgenden Papstbrief an Alexius, etwa vom Februar 1201, wurde die Aufforderung zum Kreuzzug nur noch eben in einem Nebensatz erwähnt als ein kleines Beispiel zum Thema des Briefes, dem Verhältnis des (Ost-)Kaisers zum Papst226. Durch diplomatische Beziehungen und Geschick hatte Alexius die gefahrlichen Themen, Unionskonzil und Kreuzzug, in den Hintergrund gedrängt. Der letzte Brief des Papstes an Alexius aus dieser Zeit gehörte schon in den nächsten Bereich, dem wir uns nun zuwenden müssen, der Insel Zypern. Seit den Wirren um die Thronbesteigung Isaaks II. Angelos in Konstantinopel herrschte auf der Insel ein selbsternannter Komnenen-Kaiser, Isaak Dukas ; auf dem Zug ins Hl. Land hatte 1191 Richard Löwenherz die Insel erobert227. Er 21'
Reg 11,210, M P L 214,756ff. Kreuzzug S p . 7 6 6 f , Union, Sp.768. Reg 11,208, MPL 2 1 4 , 7 5 6 - 5 8 . 2 1 9 Güldner aaO S. 13 nimmt an, die Beschäftigung mit den italienischen und sizilischen Fragen hätte Innocenz' Antwort so lange verzögert ; aber wir wissen gar nicht, wann die Briefe aus Byzanz in Rom eingetroffen waren. 2 2 0 Reg 11,209, P. 862, M P L 2 1 4 , 7 5 8 - 7 6 5 . 2 2 1 Reg 11,211, P. 863, MPL 214,769 f. 222 Ebd. Sp. 771. 223 Vgl. Güldner aaO S. 12. 18. 224 Vgl. Güldner aaO S. 1 8 f , der hier der Darstellung der Gesta Innocentii cap. 62 folgt. Dieses neue Thema kündigt sich schon in Reg 11,210, MPL 214,767 Β leise an. 225 P. 1222. 2 2 8 P. 1278, M P L 2 1 6 , 1 1 8 5 C. 227 Vgl. Runciman 1 1 1 , 4 3 - 4 7 . 218
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verkaufte sie an die Templer, aus deren Händen sie bald an das Haus Lusignan überging. König Amalrich I. hatte 1195 Kaiser Heinrich VI. die Vasallität angeboten, wenn der Kaiser ihn kröne. Die erbetene Krönung kam 1197 im Beisein des kaiserlichen Kanzlers, Bischof Konrad von Hildesheim, zustande, so daß die Insel jetzt ein kirchlich und politisch nach Westen orientiertes Königreich war 228 . Im Winter 1197/98 wurde König Amalrich als Nachfolger des verunglückten Heinrich von der Champagne der vierte Gemahl der Isabella von Jerusalem und kraft deren Recht König von Jerusalem. In Zypern ernannte er seinen Sohn Hugo zu seinem Nachfolger, für den er eine Regentschaft bestellte. Als nun 1199 Alexius III. drohte, sich der Insel mit Gewalt zu bemächtigen, forderte Innocenz die Könige von England und Frankreich auf, ihren ganzen Einfluß bei Alexius geltend zu machen, um ihn von einem Angriff auf die Rechte Amalrichs abzubringen, denn der König habe kaum Truppen genug, um sich im Hl. Land der Sarazenen zu erwehren. Man dürfe ihm, der dort an vorderster Front für die Christenheit kämpfe, nicht in den Rücken fallen229. Innocenz kündigte einen Sonderboten nach Byzanz an, der Alexius auch direkt um Frieden bitten sollte. Sehr befremdlich wirkt nach dieser pathetischen Argumentation, daß nur wenige Monate später, Ende Februar 1200, der Papst König Hugo und seine Insel mit Bann und Interdikt bedrohte, wenn dem Klerus nicht umgehend der schuldige Zehnt gezahlt werde. Über dieser Finanzfrage schienen plötzlich alle Gedanken an die christliche Einheitsfront im Orient verschwunden zu sein230. Noch einmal scheint Alexius die Restitution Zyperns gefordert zu haben, das bekanntlich zu seinem Reich gehöre ; wieder mußte Innocenz im März/April 1201 diese Forderung ablehnen, diesmal unter Hinweis auf die strategische Bedeutung der Insel für den geplanten Kreuzzug, weshalb auch die westlichen Fürsten beim Papst gegen die Ansprüche Alexius' III. interveniert hätten231. Größer als in Byzanz waren die päpstlichen Erfolge in Armenien. Fürst Leo aus dem Rubeniden-Hause war ehrgeizig genug, sein Ziel, die Erlangung der Königswürde, mit einem politischen und kirchlichen Stellungswechsel ins Lager des Westens zu bezahlen; er hatte bei Heinrich VI. und Coelestin III. so viel Erfolg damit, daß ihm am Epiphaniastage 1198 im Beisein des Kardinalerzbischofs Konrad von Mainz, des kaiserlichen Kanzlers, Bischof Konrad von Hildesheim, und aller benachbarten weltlichen und geistlichen Fürsten der Katholikos Gregor von Armenien die päpstliche Königskrone aufsetzen konnte. In seiner Antwort auf ein anschließendes Huldigungsschreiben des Katholikos gab Innocenz seiner Freude über die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit Ausdruck und Vgl. Runciman III, 87 f. Reg 11,251, P. 924 vom 10./31. Dezember 1199, MPL 214.810D; von einer Intervention Philipps oder Johanns ist nichts bekannt. 230 P. 956. 231 P. 1332, der Text in Gesta Innocentii cap. 64. Die zeitliche Ansetzung für März/April 1201 ist durch Theiner aaO S. 56, Nr. 15 begründet. 228
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Schloß mit der Ankündigung, bald werde ein Kreuzheer der orientalischen Kirche Hilfe gegen die Sarazenen bringen 232 . Doch alsbald versuchte Leo, den Papst im antiochenischen Erbstreit zur Parteinahme zu bewegen 233 . In diesem Streit um die Nachfolge im Fürstentum Antiochien befehdeten sich nicht nur ein von Leo geförderter Kandidat und der Graf Bohemund von Tripolis, sondern auch die beiden Ritterorden, der Patriarch von Antiochien und der Bischof von Tripolis durch viele Jahre. Innocenz antwortete daher ausweichend, erst müsse auch die Gegenseite gehört werden, und vertröstete den König auf die bald erscheinenden Kreuzlegaten. Leo solle den Streit durch Richterspruch, nicht durch Waffengewalt entscheiden lassen. Er solle seine eigenen Interessen jetzt dem gemeinsamen Interesse, der Abwehr der Heiden, unterordnen und sich tatkräftig am Krieg gegen die Sarazenen beteiligen 234 . Dazu verlieh Innocenz dem König auf seinen Wunsch hin eine Petersfahne, die ihn als Kämpfer im Auftrag des Papstes kennzeichnete235, und rief Adel und Volk von Armenien zum Heidenkriege auf 236 . Der erwähnte antiochenische Erbstreit war das schlimmste Symptom der im Hl. Land verbreiteten Plage gegenseitiger Fehden und Streitigkeiten. Immer wieder mußte Innocenz unter nachdrücklichem Hinweis auf die gegenwärtige Notlage die sich befehdenden Parteien, Adel, hohen Klerus und die Ritterorden, dazu mahnen, sich in der Abwehr des gemeinsamen Feindes zu vereinen, statt sich unter Einsatz diplomatischer, kirchlich-disziplinarer und oft auch rein militärischer Mittel gegenseitig zu entkräften und so den Sarazenen in die Hände zu arbeiten237. Nächst dem antiochenischen Streit war dabei die ständige, üble Rivalität der beiden Ritterorden am gefährlichsten. Doch wird man urteilen müssen, daß es viel zu wenig und zu harmlos war, wenn Innocenz den Orden einfach verbot, sich ihr Recht mit den Waffen statt mit Rechtsmitteln zu suchen, und zu diesem Zweck den alten, durch Vermittlung Alexanders III. geschlossenen Frieden, der sich ja gerade da als in der Praxis nicht wirksam erwiesen hatte, aufs neue bestätigte 238 . 232 Das Schreiben Gregors Reg 11,217 und Innocenz' Antwort Reg 11,218, P.871 vom 23. November 1199, MPL 214,775-778. 233 Reg 11,252, MPL 214,811 f; die Anfange des verwickelten Streites hat Runciman aaO 111,101 bis 105 dargestellt. 234 Reg 11,253, P.908 vom 17. Dezember 1199, MPL 214,813f. 235 Reg 11,255, P. 910, MPL 214,814f. 236 Reg 11,254, P. 909, MPL 214, 815C. 237 Von solchen Friedensbemühungen zeugen Reg 1,502.503.505.512.515.516-518, P.511.512. 561. 562. 500-502; Reg 11,257. 259. 273, P. 905. 929. 935 dazu noch P. 1001. Davon reichen einige Briefe, ζ. B. Reg I,502f, in den Zusammenhang des antiochenischen Streites hinein. Dieser pauschale Hinweis mag genügen, da die zerstrittenen Verhältnisse im Hl. Land uns nicht im einzelnen interessieren. Runciman hat sie in seiner Kreuzzugsgeschichte jeweils an ihrem Ort sachkundig dargestellt. 238 Reg 1,567, P.595, MPL 214,522f, Hageneder S. 818-820, dazu Pitra aaO S.554Í, Nr. 60 die Friedenserneuerung (fehlt bei Potthast). Das gleiche Datum, 8. Februar 1199, und der Hinweis in MPL 214,523 B, Hageneder S. 820,1ffbeweisen die Zusammengehörigkeit beider Schriftstücke.
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In diesem allgemeinen Durcheinander und Gegeneinander war eine starke Zentralgewalt nötig. Doch gab schon die Verfassung dem König von Jerusalem nicht viel Macht, so war die Stellung Amalrichs II. darüber hinaus noch dadurch geschwächt, daß er die Herrschaft nur kraft Rechts seiner Gemahlin Isabella ausübte. Zudem hatte sich gegen ihn, obgleich er sachlich über jeden Tadel erhaben war, Widerspruch erhoben, nur weil er aus dem Haus Lusignan stammte, genau wie jener König Guido, der nach dem Fiasko von 1187 eine so klägliche Figur gemacht hatte. Daher stellte Innocenz das Königspaar unter seinen besonderen Schutz239 und forderte die großen Kräfte im Hl. Land, die beiden Ritterorden, den Grafen von Tripolis und den Herzog von Antiochien, auf, dem König treu gegen die Feinde der Christenheit beizustehen240. Er sprach dem König Mut zu, er solle in Demut Gott vertrauen, der seinem Königreich beistehen und das Hl. Land aus der Gewalt der Heiden befreien werde 241 . Doch bald irritierte den Papst die Haltung des Patriarchen von Jerusalem, der gegen die Ehe zwischen Amalrich und Isabella wegen Inzestes und zu naher Verwandtschaft Protest erhoben, nach der Trauung aber beide widerspruchslos gekrönt hatte. In scharfen Worten forderte Innocenz vom Patriarchen Aufklärung über diese Meinungsänderung und die zugrunde liegenden Tatsachen242. Die Antwort des Patriarchen ist unbekannt und Innocenz kam auf diese Frage nicht zurück, sondern stand auch in Zukunft fest hinter dem König. Neben der Befriedung und der politischen Einigung der Christen in SyrienPalästina beschäftigte Innocenz auch die finanzielle Stärkung des Hl. Landes. So wurde die erwähnte Anordnung zur Kommutation von Wallfahrtsgelübden für den Bereich des Hl. Landes ausdrücklich damit begründet, daß man auf diese Weise Menschen und Geld im Lande behalte243. Hingewiesen wurde auch bereits auf die wiederholten Bemühungen, niemand ins Hl. Land ziehen zu lassen, der nicht zum Kampf wie zur Bestreitung seines Unterhalts fähig war und keine neue Belastung darstellte. Auch die im Westen begrüßte Vermehrung der Kanonikerpfründen an großen Kirchen wurde dem Bischof von Akkon untersagt, bis die christliche Herrschaft im Hl. Land wieder im alten Umfang hergestellt sei244. Endlich versuchte Innocenz, sich ein möglichst klares Bild von der Lage im Orient zu verschaffen. Deshalb gab er, unserer Kenntnis nach als erster Papst, dem Jerusalemer Patriarchen Auftrag, regelmäßig und wahrheitsgetreu die Entwicklung zu berichten245. 239 Reg 1,437, P.443 vom 2. Dezember 1198, MPL 214,417AB, Hageneder S.661. Das relativ späte Datum ist durch die weiten Entfernungen zu erklären, denn im folgenden Brief erwähnt Innocenz die Nachricht von der Erhebung Amalrichs zum König als gerade eingetroffen. 240 Reg 1,438, P.444 vom 2. Dezember 1198,'MPL 214,417f, Hageneder S.661f. 241 Reg 1,487, P. 486 vom 21. Dezember 1198, MPL 214,454, Hageneder S.717. 242 Reg 1,518, P. 502 vom 31. Dezember 1198, MPL 214,477 f, Hageneder S.753. 243 Reg 1,439, P.445 vom 2, Dezember 1198, MPL 214,418 CD, Hageneder S.663. 244 Reg 1,440, P.446 vom 2. Dezember 1198, MPL 214.419A, Hageneder S.663f. ™ Reg 11,189, P.851 vom Frühherbst 1199, MPL 214,738B.
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Zum Abschluß muß noch die sarazenische Macht erwähnt werden. Sie war seit Saladins Tod 1193 zunächst stark auseinandergefallen, doch allmählich ging aus den Diadochenkämpfen Saladins Bruder El-Adii, weniger populär, doch verschlagener und tatkräftiger als dieser, als Sieger hervor. 1201, nachdem Saladins Söhne ausgefallen bzw. ausgeschaltet worden waren, konnte El-Adil wieder eine lockere sarazenische Zentralherrschaft mit seinen Söhnen als Unterherrschern errichten246. Innocenz hat immer wieder zur Eile angetrieben, damit die Chance der innersarazenischen Wirren genutzt wurde. Aber nie hat er in diesen Jahren an einen der heidnischen Fürsten selbst geschrieben. Sie galten ihm nur als zu bekämpfende Feinde. Das fallt um so mehr auf, wenn man damit seine Versuche vergleicht, die Sarazenen Siziliens durch Drohung und Lockung zur Loyalität zu gewinnen. Auch der Waffenstillstand, der Ende Juni 1198 auf sechs Jahre geschlossen wurde, sollte Innocenz' Zeitplan für den Kreuzzug und seine Kreuzzugsvorbereitungen nicht stören, d. h. Innocenz betrachtete diesen Vertrag mit den Heiden als nicht bindend247. Damit ist unser Uberblick über die päpstlichen Kreuzzugsvorbereitungen vom Sommer 1198 bis zum Frühjahr 1201 abgeschlossen. An vielen Punkten zeigten sich der nüchterne Blick des Papstes und sein Talent für praktische Organisation. Doch seinen Kreuzzugsvorbereitungen fehlte die letzte Konsequenz und Stetigkeit, weil er seine Kräfte auf viele Aufgaben zugleich verteilen mußte. Daher stellten sich die päpstlichen Kreuzzugsvorbereitungen, gemessen an den großen Absichten von 1198, als sehr unzureichend heraus, sobald 1201 die Phase der Durchführung des Kreuzzuges begann.
Abschnitt Β Die Durchführung des 4. Kreu%%ugs vom Chartervertrag von Venedig bis ^ur Errichtung des lateinischen Kaiserreiches (April 1201-1204) a) Vom Chartervertrag
bis %ur Affäre von Zara
Im April 1201 führten die Verhandlungen einer Delegation der nordfranzösischen Kreuzfahrerbarone in Venedig zum Abschluß eines Chartervertrages für das Kreuzheer mit der Republik 1 . Anschließend schickte man Boten zum Papst, die dessen Bestätigung des Vertrages einholen sollten. Ob Innocenz diese erteilte, ist nicht ganz eindeutig. Die Gesta Innocentii berichten, Innocenz habe 24,1
Vgl. den Überblick bei Runciman 111,82-85.
Reg 11,189, P.851, MPL 214.737D. Zum Waffenstillstand von 1198 und den Fristproblemen desselben vgl. Runciman III, 102 mit Anm. 27. 247
1
Der Vertragstext bei Tafel und Thomas aaO I,362ff.
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a r g w ö h n i s c h eine V e r p f l i c h t u n g der Beteiligten g e f o r d e r t , keine christlichen L ä n der a n z u g r e i f e n ; die V e n e t i a n e r hätten unter diesen U m s t ä n d e n auf die Bestätig u n g verzichtet u n d so ihre w a h r e A b s i c h t v e r r a t e n 2 . Haller b e t o n t m i t Recht, daß der A u t o r der G e s t a im Ü b e r e i f e r f ü r den Papst diesen geradezu belastet: „ W e n n Innocenz w i r k l i c h f u t u r o r u m praesagus w a r , w a r u m tat er nichts, u m zu v e r h i n d e r n , w a s er k o m m e n sah?" 3 . I m Gegenteil f o r d e r t e Innocenz am 8. Mai 1 2 0 1 den K l e r u s v o n V e n e d i g z u r U n t e r s t ü t z u n g des K r e u z z u g e s a u f ; so läßt sich auch eine päpstliche V e r t r a g s b e s t ä t i g u n g i m m e r h i n v e r m u t e n 4 . D i e ganze Szene macht eines deutlich : der Papst, der Initiator des K r e u z z u g e s , hatte die Organisation des Z u g e s aus den Händen v e r l o r e n . Im w e i t e r e n V e r lauf der Ereignisse b e g e g n e n w i r den verschiedensten K r ä f t e n , der Republik V e n e d i g mit d e m verschlagenen D o g e n E n r i c o D a n d o l o , den K r e u z f a h r e r n und, o f t v o n ihnen zu unterscheiden, ihren F ü h r e r n , den n o r d f r a n z ö s i s c h e n B a r o n e n u n d M a r k g r a f B o n i f a z v o n M o n t f e r r a t , d e m griechischen T h r o n p r ä t e n d e n t e n A l e x i u s I V . u n d hinter i h m vielleicht seinem S c h w a g e r Philipp v o n S c h w a b e n . Freilich ist bis heute umstritten, w e r jeweils die V e r a n t w o r t u n g f ü r die Ereignisse trug. A b e r soviel ist klar: W i e schon beim Chartervertrag v o m A p r i l 1 2 0 1 , so 2 Gesta cap. 83, MPL 214, CXXXI BC. Vielleicht stützen die Gesta sich hier auf einen sehr pauschalen Vorwurf des Papstes an den Dogen vom Februar 1204(1), Reg VII, 18, MPL 215,301 D, wo Innocenz nachträglich behauptete, er habe mit der Vertragsbestätigung eine Warnung vor Angriffen auf christliche Länder verbunden. Neuerdings hat D. E. Queller, Innocent and the CrusaderVenetian Treaty of 1201, Medievalia et Humanística 1963, S. 31—34, den Bericht der Gesta gegen die geschlossene Kritik der Historiker (ebd S. 32, Anm. 8 verzeichnet) verteidigt. Seine zahlreichen Hypothesen, woher der Autor der Gesta diese Nachricht habe, und die Zuflucht zur Annahme mündlicher Warnungen des Papstes bei der Bestätigung des Chartervertrages überzeugen nicht. Der unmittelbare Eindruck, der Papst bzw. der papstfreundliche Autor der Gesta habe hier die spätere Entwicklung eingetragen, bleibt ansprechender. 3 Haller III, 543. * P. 1350, bislang unveröffentlicht, vgl. Haller 111,543. Auch Luchaire aaO IV,93 und Queller aaO nehmen eine Vertragsbestätigung durch Innocenz an ; auch die Anm. 2 zitierte Äußerung Innocenz' von 1204 spricht dafür. Aber es ist unklar, ob Innocenz den vollen Inhalt der Abmachungen von Venedig kannte, wozu auch die heimliche Änderung des Fahrtziels gehörte, denn der Kreuzzug sollte jetzt nach Ägypten, ins Zentrum der Sarazenen-Macht gehen. Die Annahme von A. Frolow, Recherches sur la deviation de la quatrième croisade (1955) S.27f, Innocenz habe im Vertrag auch die Änderung des Ziels bestätigt, ist unwahrscheinlich. Zwar findet sich diese These schon bei Riant, Rqh 17, S. 335 mit Anm. 7, der sich dafür falschlich auf Villehardouin § 30 beruft, die französischen Barone hätten diesen Plan „dans le texte du contrat de nolis" einfügen lassen. Aber Villehardouin sagt ausdrücklich, daß über den Vertrag hinaus heimlich Ägypten als Fahrtziel festgelegt wurde. Auch der erhaltene Vertragstext (s. o. Anm. 1) nennt kein Fahrtziel. In § 31 sagt Villehardouin, die Gesandten der Kreuzfahrer hätten in Venedig „chartes", d. h. doch schriftliche Abmachungen beschworen, die dann nach Rom geschickt und von Innocenz bestätigt wurden, vgl. Villehardouin §§ 30 f ed. Farai 1,30/32. Villehardouin war der Sprecher der Kreuzfahrergesandten bei den Verhandlungen in Venedig, sein Zeugnis hat daher Gewicht. Es ist also zumindest unklar, ob Innocenz überhaupt wußte, daß der Kreuzzug nach Ägypten und nicht ins Hl. Land gehen sollte. Da er 1203 seine Kreuzlegaten ins Hl. Land vorausschickte, scheint er es nicht gewußt zu haben. Daß das Ziel der Kreuzfahrt ohne Befragen, vielleicht ganz ohne Wissen des Papstes festgelegt wurde, bestätigt die Beobachtung, daß der Kreuzzug Innocenz entglitten war.
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konnte auch weiterhin Innocenz immer nur nachträglich Stellung nehmen zu den entscheidenden Weichenstellungen durch andere Kräfte. Es ist daher berechtigt, wenn wir den Einschnitt unserer Darstellung mit diesem Vertrag ansetzen und den Verlauf des 4. Kreuzzuges verglichen mit der Darstellung seiner Vorbereitung kurz und weithin in Anlehnung an die umfangreiche Literatur behandeln. Es kommt hier nur darauf an, Innocenz' Rolle zu untersuchen, und sie war eine Nebenrolle. Die Kreuzzugspolitik des Papstes im Jahre 1201 würde vermutlich auch dann kein farbigeres Bild ergeben, wenn von den Papstbriefen dieses Jahres nicht bis auf wenige Ausnahmen nur die Empfänger und kurze Inhaltsangaben, sogenannte Rubricellen, bekannt wären 5 . Es wurde schon gezeigt, wie Innocenz im Mai 1201 in einem Brief an England den Aufbruchstermin, den die Unterhändler in Venedig ohne päpstliches Zutun auf den 29. Juni 1202 festgelegt hatten, als allgemeinen Aufbruchstermin aufgriff und verbreitete 6 ; ein Parallelbrief nach Frankreich ist verloren 7 . Auch die ungarischen Kreuzfahrer wurden aufgefordert, gemeinsam aufzubrechen und nicht jeder, wenn es ihm passe8. Im übrigen änderte sich die päpstliche Arbeit für den Kreuzzug praktisch nicht : Da ging es um die Ablösung, den Aufschub oder die Umwandlung von Kreuzgelübden 9 . In Einzelfällen wurde die Kreuzfahrt oder die Stellung von Kreuzfahrern als Bußstrafe verhängt 10 . Einzelne Kreuzfahrer erhielten besondere Privilegien 11 . Der Papst mühte sich um weitere Finanzquellen für den geplanten Zug durch Gelübdekommutationen 12 , durch einen Appell an den französischen König um Hilfe für den Kreuzzug 13 und schließlich durch einen Befehl, wohl vom Juli 1201, an den französischen Klerus, endlich den Kreuzzugsvierzigsten zu zahlen14. 5 Die Registerbände der Jahrgänge III, IV, X V I I - X I X sind verloren. Für III, IV, XVIII und X I X sind Rubricellen wohl aus dem 14. Jahrhundert erhalten. Veröffentlicht bei A . Theiner, Vetera Monumenta Slavorum meridionalium historiam illustrantia Bd. I, Rom 1863. 6
P. 1346, Text bei Roger von Hoveden, ed. Stubbs IV, 166 vgl. oben S.63
7
P. 1441 vom Juli 1201 ? Vgl. Cartellieri, Philipp August IV/1 S. 77, Anm. 2.
8 P.1433. P. 1 4 0 9 . 1 4 2 8 . 1 4 6 9 . 1 5 2 1 . 1 5 2 2 . 1 5 3 2 . 1 5 5 2 . 1 6 0 3 und aus dem folgenden Jahr Reg V , 1 6 . 9 4 . 1 0 3 . In Reg V , 7 9 , P. 1719 vom 1. September 1202, MPL 2 1 4 , 1 0 6 3 B wird ein Laie, der einem Bischof die Zunge abschnitt, u. a. dazu verurteilt, drei Jahre am Kreuzzug teilzunehmen; nach Reg V , 2 0 , P. 1650 vom 27. März 1202, M P L 2 1 4 , 9 7 3 B mußte Johann Ohneland wegen verschiedener Sünden auf ein Jahr hundert Ritter für den Kreuzzug stellen. 9
10
11
Z . B . P. 1 3 6 5 , 1 5 2 7 .
Z . B . Reg V, 16, P. 1643 vom 9.April 1202, MPL 2 1 4 . 9 7 0 B . Auffallig ist, daß in einem Fall, P. 1603 wohl vom Januar 1202, die Ablösung eines Kreuzgelübdes durch Stiftungen ,in dotationem certorum locorum piorum' bestätigt wird, d. h. die Redemptionssumme kommt gar nicht dem Kreuzzug zugute. 12
1 3 P. 1438, vielleicht im Zusammenhang mit der S. 79 erwähnten königlichen Kreuzzugssteuer in England und Frankreich von 1201. 14
P. 1441, vgl. dazu Martini aaO S. 319.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
In einer Reihe von Briefen ging es Innocenz darum, dem Ungarnkönig Emmerich die Kreuzzugsteilnahme zu erleichtern, indem er den ungarischen Episkopat mit der Sorge um die innere Ruhe des Landes während Emmerichs Abwesenheit beauftragte 15 . Aber Emmerichs Bitte um Aufschub des Kreuzgelübdes wegen der drohenden Haltung des Bulgarenzars Calojan lehnte Innocenz ab; wer das Kreuz genommen hat, darf nicht mehr gegen Christen kämpfen16. Einige dieser Briefe stammen erst vom Februar 1203, als Innocenz schon vom Angriff des Kreuzheeres auf das ungarische Zara wußte; dennoch erwähnte er diese Verletzung des Kreuzfahrerschutzes mit keinem Wort; vermutlich, weil er keine Möglichkeit sah, energisch dagegen vorzugehen. All das zeigt schon, daß in den päpstlichen Handlungen dieser Jahre nichts mehr von dem begeisterten Schwung für den Kreuzzug aus dem Sommer 1198 oder der verbissenen Energie um die Jahreswende 1199/1200 zu spüren ist. Diese Beobachtung bestätigt sich in einigen negativen Feststellungen: Der Neußer Eid Ottos IV. vom 8. Juni 1201 erwähnt unter den mancherlei Versprechungen an den Papst den Kreuzzug mit keinem Wort 17 . Das ist um so auffalliger, als ja seit Friedrich I. und Heinrich VI. der Kreuzzug vor allem eine Aufgabe des Kaisers war. Es muß offenbleiben, ob das Schweigen über dieses Thema auf Otto oder den Papst zurückging. Klarer liegen die Verhältnisse in einem Zirkularschreiben an die deutschen Fürsten von Ende 120218, in dem der Papst zu einem einjährigen Waffenstillstand aufruft, um Friedensverhandlungen im Reich zu ermöglichen. Vor allem das Anwachsen der Haeresie erfordere eine rasche Einigung ; der Kreuzzug hingegen wird mit keinem Wort erwähnt. Ebenso vergeblich suchen wir ihn in dem etwa gleichzeitigen Brief des Papstes an den Kölner Erzbischof Adolf, in dem zuerst der Gedanke eines Generalkonzils auftaucht19. Unter den aufgeführten Problemen, die das Konzil erörtern sollte, findet sich die Befreiung des Hl. Landes nicht; sollte man dieses Thema unter den pauschal genannten „aüae multae necessitates ecclesiae" zu suchen haben, so wäre das auch bezeichnend genug für das Zurücktreten des Kreuzzuges im Denken und Handeln des Papstes. In den Jahren 1201/02 waren sowohl der Thronstreit als auch der Kampf des Papstes um Sizilien auf ihrem Höhepunkt angelangt. Für den deutschen Thronstreit bezeichnet die Dekretale Venerabilem vom März 1202 den Gipfel der theoretischen und grundsätzlichen Auseinandersetzung ; in Sizilien hatte Markward seit Oktober 1201 die Hauptstadt Palermo, seit November die Person des jungen Königs Friedrich in der Hand. Es ist durchaus verständlich, daß das 15 P. 1428. 1431. 1432. 1434 und Reg VI, 4. 8, P. 1839. 1845 vom 25./28. Februar 1203, MPL 215,13 f. 16. 16 Reg V, 103, MPL 214,1100, der Registerstellung nach ca. vom 8. November 1202. P. 3820 setzt den Brief fälschlich für November 1209 (!) an. 17 RNI 77 ed. Kempf S. 208-211. 16 RNI 79 ed. Kempf S. 214f zwischen 20. November 1202 und 13. Januar 1203 zu datieren. 19 RNI 80 ed. Kempf S. 216-219 Datierung wie in Anm. 18 für RNI 79.
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Reich und Sizilien Denken und Arbeitskraft des Papstes fast vollständig mit Beschlag belegten und dann für den Kreuzzug wenig freiließen. Wenden wir den Blick nach Osten. Am l . J u n i 1202 gingen Briefe an den König und den Katholikos von Armenien und an den Erzbischof der armenischen Hauptstadt Sis heraus, Antworten auf deren Briefe vom Oktober 1201. König Leo hatte in seinem Schreiben zwar die ganze Fülle der armenischen Probleme erwähnt und gebeten, mit den päpstlichen Legaten auch den Mainzer Erzbischof Konrad zu senden, dem er besonders vertraue. Aber vor allem hatte Leo in großer Breite die Situation im Kampf gegen die Sarazenen geschildert und angesichts der Zwietracht der Feinde einem entschlossenen, schnellen Angriff Erfolgschancen eingeräumt 20 . Innocenz' sehr kurze Antwort ging nur auf die Ehrenfragen im Verhältnis Armeniens zu Rom ein und erwähnte den Heidenkrieg wie auch die vertrauensvolle Bitte um Sendung des Mainzer Erzbischofs mit keinem Wort. Auch vom bevorstehenden Aufbruch des Kreuzheeres schrieb Innocenz nichts 21 . Die Ergebenheitsadresse des Katholikos Gregor hatte mit einer eindrücklichen Schilderung der Lage der armenischen Christen und einem dringenden Hilferuf geschlossen22. In seiner Antwort erwähnte Innocenz am Ende, daß sich das Kreuzheer jetzt versammle, mahnte zum Vertrauen auf Gott und forderte den Katholikos auf, unter seinen Landsleuten eifrig für den Sarazenenkrieg zu werben 23 . Der Erzbischof von Sis endlich hatte den Papst gebeten, dem armenischen König, und allen, die mit ihm zur Ehre und Verteidigung der Christenheit gegen die Feinde des Kreuzes Christi kämpften, denselben Ablaß zu erteilen wie den europäischen Kreuzfahrern, um ihren geschwächten Mut wieder zu stärken 24 . Der Papst ging auf diese Bitte gar nicht ausdrücklich ein, sondern ließ seinen Brief gleichlautend wie den an den Katholikos enden; dort war zum Schluß sehr allgemein von Sündenvergebung und Erwerb des Himmelreiches durch den Tod im Heidenkrieg die Rede 25 . Man spürt aus diesen Briefen deutlich, wie wenig den Papst Armenien im Blick auf den Kreuzzug interessierte; die Ausweitung seines Jurisdiktionsbereiches über die armenische Kirche war ihm wichtiger. Schon 1198/1200 hatte in den Verhandlungen mit Byzanz die Unionsfrage das größere Gewicht gehabt als die geforderte Kreuzzugsbeteiligung. 1202, als feststand, daß der Kreuzzug nicht in dem Maße ein päpstlicher sein würde, wie Innocenz erhofft hatte, läßt sich das gleiche für Armenien beobachten; während der Kreuzzug nicht mehr in erster Linie Sache des Papstes war, war dieser an der Union mit den Armeniern unmittelbar interessiert. 20 21 22 23 24 25
Reg Reg Reg Reg Reg Reg
V, 43, MPL 214, 1 0 0 3 D - 1 0 0 6 D . V, 44, P. 1689, MPL 214, 1 0 0 7 A - C . V, 45, MPL 214, 1010 B C V, 46, P. 1690, MPL 214,1012 AB. V,47, MPL 214, 1013B. V,48, P. 1691, MPL 214, 1014B, vgl. 1013B.
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Schon Wochen vor diesen Briefen kündigte Innocenz die Kreuzlegaten Soffred und Peter Capuano im Hl. Land an26. Wir sahen oben, wie Innocenz 1198/99 die Funktion der Kreuzlegaten zunehmend weiter gefaßt hatte ; er hatte erst langsam erkannt, welche Aufgaben und Möglichkeiten ihnen zufielen, wenn weder der Kaiser noch die Könige am Kreuzzug teilnahmen. In dieser Ankündigung ist nun eine rückläufige Tendenz spürbar: die französischen Kreuzzugsbarone und die Republik Venedig hatten durch ihre Initiative derartig an Autorität gewonnen, daß den Legaten jetzt nur die Aufgabe zugeschrieben wurde, im Kreuzheer die Eintracht zu wahren und in Streitfällen zu vermitteln 27 . Zweifellos war auch das noch eine wichtige Funktion, aber es war eben nicht mehr die Aufgabe der Leitung des Heeres. Es ist auch bezeichnend, daß Innocenz noch keineswegs wußte, ob beide Legaten oder nur einer mit dem Heer zögen 28 und ob beide gleichzeitig ins Hl. Land kämen 29 . Während sich Peter erst im April 1203 nach Akkon einschiffte, fuhr Soffred schon bald nach der Erteilung des Legatenoffiziums ins Hl. Land 30 . Beachtenswert ist, daß hier zum erstenmal, soweit wir wissen, in der Geschichte des Legatenamtes und unter Innocenz III. unserer Kenntnis nach auch zum einzigen Mal 31 das allgemeine Legatenoffizium außerordentlich erweitert wurde: die beiden Kardinalkreuzlegaten durften auch alle sonst dem Papst reservierten Rechte ausüben. Nach den bisherigen Beobachtungen war das wohl weniger Innocenz' Übereifer für das Hl. Land, wie Zimmermann meint, sondern der Unsicherheit des Papstes zuzuschreiben, der nicht wußte, welche Probleme den Legaten begegnen würden, und sie für alle Eventualitäten rüsten wollte 32 . Damit stehen wir wieder im April 1202, zu welchem Zeitpunkt sich das Kreuzheer in Venedig versammeln sollte. Mit einiger Verzögerung kamen im Laufe des Sommers die Truppen dort zusammen. Von einer Abreise am Tage Peter und Paul konnte nicht die Rede sein; am 23. Juni traf der Kreuzlegat Peter Capuano ein, erst Mitte August der erwählte Führer des Heeres Markgraf Bonifaz. Doch im ganzen blieb die Zahl der Kreuzfahrer weit geringer als erwartet, zumal ein Teil der französischen Kreuzfahrer in Marseille in See stach. Daher kam die im Chartervertrag vom April 1201 festgelegte, an die Venetianer zu zahlende Summe nicht zusammen. Die Venetianer hielten die auf der Insel St. Nikolaus lagernden Kreuzfahrer fast wie Gefangene ; sie forderten nachdrücklich und unter Hinweis auf die ihnen bei der Vorbereitung schon entstandenen Unkosten die Reg V , 2 6 , P. 1667 vom 24. April 1202, MPL 2 1 4 , 9 7 7 - 9 7 9 . Ebd. 978 B. 2 8 uterque vel alter eorum MPL 214,978 B. 29 Am Schluß des Briefs, MPL 214,979 A. Die Erteilung des Legatenoffiziums ist nur für Soffred belegt, Reg V , 2 7 , P. 1668, MPL 214,979, aber Peter Capuano wird ein paralleles Schreiben erhalten haben. 30 Vgl. Gesta Cap. 88, MPL 2 1 4 . C X L A . 3 1 Einige Jahrgänge seiner Briefe, darunter die von 1214—1216(1) sind bekanntlich verloren. Daher muß diese Einschränkung gelten. 32 Vgl. zum Ganzen H. Zimmermann, Die päpstliche Legation... S. 272. 26
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Zahlung der vollen Summe. Diese war anerkanntermaßen nicht unangemessen hoch und man kann ein berechtigtes Interesse der Venetianer an dieser Zahlung nicht bestreiten 33 . Mehrfach erbaten die Kreuzfahrer Zahlungsaufschub; schließlich rückten im September 1202 die Venetianer mit einem ad hoc entwickelten Vorschlag heraus, der einen Ausweg zeigen sollte. Die Kreuzfahrer sollten den Venetianern, statt ihnen die fällige Restsumme zu zahlen, helfen, die dalmatinische Stadt Zara zu erobern. Zara gehörte ursprünglich zu Ungarn, seit 1167/68 zu Byzanz und seit 1181 wieder zu Ungarn. Die Eroberung der Stadt aus Besitzgier, handelspolitischen Gründen und aus Rache wegen der Verhaftung venetianischer Gesandter in der Stadt im Jahre 1200 war ein jahrelanges Ziel der Venetianer gewesen 34 . Das Ansinnen der Venetianer stieß auf heftigen Widerspruch im Kreuzheer 35 . Hätte Peter Capuano sich an die Spitze dieses Widerstandes gestellt, der Zug nach Zara wäre wohl unterblieben, aber zugleich auch die Aussicht auf eine Verwirklichung des Kreuzzugs auf ein Minimum gesunken. Der Legat ermahnte die geistlichen Führer des Protestes, den Abt Martin von Pairis und Bischof Konrad von Halberstadt, beim Kreuzheer zu bleiben. Ob er damit Innocenz' Willen entsprach, muß offenbleiben, da gleichzeitige Äußerungen des Papstes zu dieser Frage fehlen und alle anderen Quellen späteren Datums sind 36 . Peter selbst fuhr noch einmal zu Verhandlungen in dieser Sache nach Rom und kehrte dann nicht zum Kreuzheer zurück 37 . Der Abt von Locedio überbrachte dem Heer das päpst33 Das betonen Fr. Cerone, Il Papa ed il Veneziani nella quarta Crociata, Archivio Veneto 36 (1888) S. 63 ff und ihm folgend Haller 111,542. 34 Hierzu vgl. Streit aaO S. 12.21 f. 27. 35 Im folgenden interessiert uns nur die Haltung des Papstes. Für diese geben aber die darstellenden Quellenwerke erst ein sehr viel späteres und undifferenziertes Bild, während die Papstbriefe dieser Wochen nichts zur Sache enthalten. Ich referiere nur kurz die Untersuchungen, die dieser Quellenlage Rechnung tragen, außer der genannten Arbeit von Cerone noch Tessier, Quatrième Croisade, la diversion sur Zara et Constantinople (1884). 36 H. Elkan aaO S. 102f hält Peter Capuano für einen Parteigänger der Venetianer, der „stets gegen die Interessen und Absichten des Papstes handelt". Wir wissen über diese Absichten des Papstes viel zu wenig und auch über die Haltung des Legaten nicht genug, um ein solches Urteil fallen zu können. 37 Nach dem Bericht der Gesta cap. 85 (MPL 214, CXXXVII C) lehnten die Venetianer die Teilnahme Peter Capuanos am Kreuzzug ab, wenn dieser über das officium praedicationis hinaus auch das officium legationis ausüben wollte; obgleich dies den Franken sehr mißfiel, mußte der Legat doch abreisen, er klärte dann den Papst über die bösen Absichten der Venetianer gegen Zara auf. Haller III, 543 hält diesen Bericht der parteiischen Gesta für falsch, obgleich Innocenz selber später im Sommer 1206 (Reg IX, 139) den Venetianern eine Zurückweisung des Legaten im Zusammenhang mit der Zara-Affäre vorwirft. Auch spricht der von Haller nicht genannte Brief Reg VI, 48 vom 21. April 1203 deutlich von einer Weigerung der Venetianer, Peter Capuano als Legaten anzuerkennen, doch dürfte diese Weigerung erst erfolgt sein, als Peter sich, wohl im März 1203 (vgl. Reg V,162, M P L 214,1180 C vom Februar 1203), dem Kreuzheer wieder anschloß, damit man ihm als Vertreter des Papstes treuen Gehorsam und den feierlichen Verzicht auf Gewalt gegen christliche Länder schwören und so die Absolution für den Überfall auf Zara erlangen könnte. Der Brief an Alexius III. vom 16. November 1202 sagt eindeutig, daß Peter Capuano nicht von den Venetianern verjagt, sondern von den Kreuzfahrern zu Beratungen nach Rom geschickt wurde (Reg V, 122, MPL 214,1124C). Der Irrtum der Gesta geht vielleicht auf einen Irrtum im Brief des Papstes an den
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liehe Verbot eines Angriffs gegen ein christliches Land 38 , zumal Zara dem unter Kreuzfahrerschutz stehenden König Emmerich gehörte. Ob und welche geheimen Anweisungen der Abt hatte, ist unbekannt. Auch der von ihm dem Kreuzheer vorgelesene Papstbrief ist verloren 39 . Man kommt hier über spekulative Vermutungen nicht hinaus. Tessier und Cerone erklären sich aus den raren Nachrichten den Hintergrund so, daß Innocenz einerseits keinen anderen Ausweg als die Zara-Aktion wußte, um den Kreuzzug aus der Krise zu befreien, andererseits aber diese Aktion nicht durch die Anwesenheit seines Legaten oder auch des Kreuzheerführers Markgraf Bonifaz sanktioniert wissen wollte. So hielt er den Legaten bis zum Frühjahr 1203 vom Heer zurück, und auch Bonifaz war während der Ereignisse vor und in Zara nicht beim Kreuzheer 40 . Der Abt von Locedio und in letzter Minute noch einmal der Abt von VauxCernais warnten im Namen des Papstes und unter Androhung des Bannes vor dem Angriff auf Zara. Doch vergeblich, ein kurzer Raubzug an der dalmatinischen Küste im November 1202 gipfelte in der Eroberung und Plünderung von Zara; auch das Aufhängen von Kreuzesfahnen an ihren Mauern konnte das Kreuzheer nicht abhalten, eine christliche Stadt eines Königs, der selbst das Kreuz trug, zu erstürmen. Man war sich im Kreuzheer durchaus bewußt, nun dem angedrohten Bann verfallen zu sein. Zwar verkündeten die Bischöfe im Heer die Absolution, aber Anfang 1203 reiste doch eine Gesandtschaft der Kreuzfahrer zum Papst, um das Einvernehmen wiederherzustellen. Führer dieser Delegation war der dem Papst eng vertraute Bischof von Soissons41. Die Gesandten wagten zwar nicht, das Verhalten der Kreuzfahrer zu billigen, schwächten aber ihre Schuld durch die Darstellung ab, daß die Kreuzfahrer sozusagen gezwungenermaßen dem Vorschlag der Venetianer gefolgt seien42. Dogen Dandolo vom 25. Februar 1204(!) zurück, w o Innocenz dem Dogen vorwirft, er habe alle Verbote in den Wind geschlagen „et legato nostro repulso" Zara angegriffen (Reg VII, 18, MPL 215, 3 0 2 A ) . Der gleiche Brief enthält noch eine Ungenauigkeit, wenn er die Bestätigung des Chartervertrages vom April/Mai 1201 mit einer Warnung vor dem Angriff auf christliche Länder verbindet, die zu dem Zeitpunkt ja noch gegenstandslos war (MPL 215,301 D). Vgl. oben (Anm. 2 zu S. 100). Der Wert des Briefes für die Rekonstruktion der Ereignisse ist also auch gering. Elkan aaO S. 100 möchte dagegen die Angaben der Gesta gegen die des Briefes Reg V , 1 2 2 festhalten, weil dieser Brief Alexius III. gegenüber die Dinge bewußt tendenziös darstellt. Elkan beachtet nicht den zeitlichen Abstand der verschiedenen herangezogenen Briefe zum Herbst 1202. 3 8 Vgl. Gesta cap. 85, M P L 214, C X X X I X A . Nach Innocenz' Brief vom Februar 1203 Reg V, 161, P. 1848, MPL 214, 1 1 7 9 B hat zunächst Peter Capuano einigen (quibusdam) das Verbot des Papstes mitgeteilt, das später auch durch Briefe, vermutlich die von den Äbten von Locedio und von VauxCernais verlesenen, öffentlich verbreitet wurde. 39 Zum Ganzen vgl. Tessier aaO S. 1 8 7 - 1 9 1 , McNeal/Wolff aaO S . 1 7 3 f und Riant Rqh 17, S. 372 und Anm. 4. 40 Vgl. Tessier aaO S. 192f, Cerone aaO S. 292.297, Haller aaO 111,543 und Tillmann, Papst Innocenz S. 227. « Vgl. Riant, Rqh 18, S. 25 und Tessier aaO S. 195. 42 So zu erschließen aus Reg V , 1 6 2 , P. 1849, M P L 214, 1 1 8 0 B .
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Dieser Delegation gegenüber nahm Innocen2 zum erstenmal, im Februar 1203, zu dem Überfall auf Zara Stellung 43 . Es war lange in der Forschung umstritten, wie Innocenz diese Untat beurteilte, ob er die Kreuzfahrer als gebannt ansah oder nicht 44 . Da zwei im Register direkt aufeinanderfolgende Papstbriefe kein einheitliches Urteil enthielten, schien eine Klärung unmöglich. Erst H. Tillmann hat eine klare und einfache Lösung des Problems gefunden 45 : Das erste Schieiben, Reg V,161, das keine Exkommunikation voraussetzt, sondern diese nur für den Fall einer weiteren Plünderung Zaras androht, ist nie hinausgegangen; es wurde vielmehr durch das Schreiben Reg V,162, ersetzt, als der Papst sah, daß die Kreuzfahrer selbst ihre Tat weniger nachsichtig beurteilten als er. Durch die Bitte an den Papst, sie vom Bann zu lösen, und vorher schon durch die von den Bischöfen im Heer erteilte Absolution hatten sie gezeigt, daß sie sich als dem angedrohten Bann verfallen ansahen. Das paßte in der Tat gut zu den Schreiben, die durch die recht ähnliche Einleitung und durch wörtliche Übernahme der Schilderung der Untaten ihre Zusammengehörigkeit erweisen. Das erste ist kürzer, weniger sorgfaltig formuliert und mag im ersten Zorn niedergeschrieben sein. Es wird gar nicht recht deutlich, warum der Papst die Kreuzfahrer nicht als gebannt ansah. Er fürchtete wohl, wie Tillmann vermutet, daß ein Bann den Kreuzzug gefährden würde. Er wollte daher diese Sentenz vermeiden, und wußte doch nicht recht, wie. Daher konnte auch gerade über diesem ersten Schreiben der Streit entstehen, ob der Papst die Kreuzfahrer gebannt habe oder nicht. Der Satz: Ne vero praemissa inhibido segniter audiretur, sie qui contra eam venire praesumerent, eos denuntiavimus excommunicationis vinculo innodatos et beneficiis indulgentiae, quam apostolica sedes crucesignatis induisit, immunes, erlaubt doch logisch nur einen Schluß : die Kreuzfahrer waren gebannt. Mit dem letzten Absatz des Briefes, beginnend : Ne igitur addatur peccato peccatum... setzt ganz unvermittelt die Wende ein. Unter Androhung des Bannes wird die weitere Zerstörung der Stadt verboten und Schadenersatz für den ungarischen König gefordert. Der Brief schließt dann: Alioquin vos excommunicationis sententiae subiacere noveritis et a promissa vobis venia remissionis immunes 46 . Diesen logischen Bruch vermied das zweite Schreiben, das alsbald, sorg43 Durch Kempfs Nachweis der sukzessiven Registerführung sind alle Versuche, den Brief Reg V,161 als eine erste Stellungnahme schon früher, etwa im Dezember 1202, anzusetzen, hinfällig: solche Versuche bei Tessier aaO S. 276—81 und ihm folgend Güldner aaO S. 27, Anm. 5 und Luchaire aaO IV, 103ff, mit neuer Begründung bei F.Bock, Archiv. Zeitschr. 50/51 (1955) S. 347. Dagegen datiert schon Potthast 1848 in Anlehnung an Reg V,160 auf den 20. Februar 1203; Riant, Rqh 18, S.25, Anm. 1 stimmt ausdrücklich zu. Dieses Datum verteidigt Kempf, QFiAB 36 (1956) S. 102 gegen Bock. 44 Vgl. den Exkurs bei Güldner aaO S. 56—58, der eine Exkommunikation der Kreuzfahrer durch Innocenz bestreitet. 45
Tillmann, Papst Innocenz S. 226, Anm. 28.
46
Reg V,161, P. 1848, MPL 214, 1178 f.
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fältiger und ausführlicher gearbeitet, das erste ersetzte47. Es beginnt ebenfalls mit einer langen Klage über die Untat von Zara, aber dennoch erfüllt den Papst auch Freude, weil die Kreuzfahrer ihre Schuld erkannt haben und, wie der Bischof von Soissons berichtete, auch zu sühnen bereit seien. Den Kern des Briefes bildet die Feststellung, daß die Kreuzfahrer den Überfall nicht aus eigenem Willen gemacht hätten, sondern „quasi quadam necessitate coacti". Das entschuldigt sie zwar nicht, denn schließlich haben sie sich selbst in diese Lage gebracht; aber nun kann der Papst ohne weiteres übergehen zu den Bedingungen der Lösung vom Bann, dem die Kreuzfahrer verfallen zu sein bekennen. Da Innocenz selbst den Bann verhängte, ist die Absolution durch die Kreuzheer-Bischöfe ungültig. Die Gebannten sollen vor Gott sühnen und Genugtuung leisten, vor allem alle Beute zurückgeben, und die Wiederholung solcher Vorfalle vermeiden. Sodann sollen sie dem Legaten Peter Capuano oder einem von ihm Beauftragten feierlich schwören, dazu auch durch gesiegelte Briefe an den Papst bestätigen, daß sie sich und ihre Nachfolger dem Papst zu völligem Gehorsam und zur Erfüllung seiner Bußauflagen unterwerfen. Schließlich sollen sie den Ungarn-König um Vergebung für das Unrecht bitten. Zu diesen Auflagen kommt ein neues, strenges Verbot, christliche Länder anzugreifen; nur böswillige Behinderung des Kreuzzuges oder eine andere „iusta sive necessaria causa" können, mit Erlaubnis des Papstes, eine Ausnahme von diesem Verbot rechtfertigen. Mit diesem Schreiben wurde der Legat Peter Capuano zum Kreuzheer gesandt, dem er außerdem einige mündliche Aufträge des Papstes überbringen sollte. Welchen Inhalts diese waren, ist nicht bekannt. Man hat zwar vermutet, daß Bonifaz von Montferrat sich auf diese mündliche Botschaft bezog, als er die Verhinderung der Kundgabe des Bannes über die unbußfertigen Venetianer damit begründete, daß er den päpstlichen Rat hatte, gegebenenfalls über vieles hinwegzusehen, um den Kreuzzug nicht zu gefährden48. Aber mit diesem Argument hatte schon einer der Delegierten des Kreuzheeres, Johann von Noyon, vergeblich versucht, vom Papst die Erlaubnis zu einer vorübergehenden Geheimhaltung des eingetretenen Bannes über die Venetianer zu erreichen. Der Papst hatte das strikt abgelehnt, und als Bonifaz die Bannsentenz dennoch'unterschlug, hat Innocenz ihre Veröffentlichung nachdrücklich gefordert und durchgesetzt49. So bleibt der Inhalt der mündlichen Botschaft des Legaten unbekannt. Doch bald stellte sich heraus, daß wenig Aussicht bestand, die Venetianer zu Reuebezeugungen und dem verlangten Gehorsamsschwur zu bewegen, daß sie im Gegenteil deutlich einen neuen Verstoß gegen das Verbot planten, christliche Länder anzugreifen50. Im Gegensatz dazu schickten die Kreuzzugsbarone noch 4
' Reg V, 162, P. 1849, M P L 2 1 4 , 1 1 7 9 D - 1 1 8 2 A .
48
Reg VI,100, M P L 215.105B, vgl. Tessier aaO S.202 und Tillmann, Papst Innocenz S.227
49
So der Bericht der Kreuzfahrer in Reg VI,99 vom April/Mai 1203, M P L 215,104BC.
Bonifaz berichtet April/Mai 1203, ein Bote der Venetianer sei zum Papst aufgebrochen, um wegen Zara zu verhandeln. O b er nach Rom gekommen sei, wußte Bonifaz nicht, Reg VI, 100, 50
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aus Zara, also noch vor dem Aufbruch von dort am 25. April 1203, die geforderten Unterwerfungsbriefe, zu denen ihr Begleitschreiben erhalten ist; gleichzeitig kam ein Schreiben des Markgrafen Bonifaz, in dem er sich wegen der Geheimhaltung des Bannes gegen die Venetianer beim Papst entschuldigte 51 . Innocenz antwortete in zwei Schreiben vom Juni 120352. In einem Brief an die Führer des Kreuzheeres beklagte er noch einmal die Untat von Zara, freute sich aber der Reue der Übeltäter. Doch diese Untat und die im nächsten Abschnitt zu erörternden Pläne, in Konstantinopel den jungen Alexius IV. durch das Kreuzheer einsetzen zu lassen, hatten Innocenz' Mißtrauen geweckt 53 . Darum schärfte er nachdrücklich ein, daß das Angriffsverbot auf christliche Länder auch Konstantinopel einschließe. Wie groß auch immer die Schuld Alexius' III. und das Recht Alexius' IV. sein mögen, jedenfalls seien hier nicht die Kreuzfahrer zur Bestrafung und zur Durchsetzung des Rechts berufen. Ihre Aufgabe sei allein die Befreiung des Hl. Landes. Von niemandem sollen sie sich täuschen lassen, und noch einmal schärfte der Papst das Verbot ein. Mißtrauisch forderte er auch noch einmal die Veröffentlichung des Bannes über die Venetianer, die nach den Briefen der Kreuzfahrer doch längst geschehen war 54 . Innocenz war zu sehr getäuscht worden, um dieser Meldung rückhaltlos zu vertrauen. Gleichzeitig ging ein Schreiben nicht nur an die Führer, sondern allgemein an das Kreuzheer 55 . Den wahrhaft Reumütigen wurde noch einmal Vergebung für die Zara-Aktion zugesprochen; Hauptzweck des Briefes aber war es, die Sorge zu zerstreuen, man dürfe nicht auf den Schiffen der Venetianer fahren, weil sich dann der Kontakt mit den Gebannten nicht vermeiden lasse. Innocenz erlaubte ausdrücklich die Fahrt auf venetianischen Schiffen, weil die Venetianer, die einen Großteil der Chartersumme bereits kassiert hatten, nicht auch noch materiellen Gewinn aus ihrer Verstocktheit ziehen sollten. Außerdem, so begründete Innocenz diese Erlaubnis juristisch, gelte hier mutatis mutandis dieselbe Regelung wie für Durchreisende in Ketzergebieten oder für christliche Hausmitglieder eines gebannten Hausherrn, denn diese Position hätten die Venetianer auf ihren Schiffen inne. Das Ganze wurde dann noch mit Bibelworten untermalt: „Um Gründe war der geschulte Jurist auch hier nicht verlegen" lautet MPL 2 1 5 , 1 0 5 c. Sonst hören wir nichts von diesem Boten. Zu den Angriffsplänen auf Konstantinopel vgl. unten S.114ff. 51 Reg V I , 9 9 f , MPL 215,103—105. Die Datierung ist nicht ganz klar. Die Schreiben können ja etwas später sein als die Unterwerfungsbriefe. Nach Riant Rqh 18, S. 30 sollen die Briefe schon im April 1203 beim Papst gewesen sein. Doch dann müßte Riant auch Reg VI, 101 f konsequent vordatieren, was er nicht tut. Vgl. die folgende Anmerkung. 52 A n dieser Datierung der beiden Briefe Reg VI, 101 f durch P. 1947 f auf ca. 20. Juni 1203 muß wegen der Stellung im Register festgehalten werden. Nach Tessier aaO S. 283—87 wäre Reg VI, 102 zusammen mit Reg V , 162 im März 1203 der Delegation des Kreuzheeres übergeben worden; dieser These folgen Güldner aaO S. 29, Anm. 3 und W . Norden, Der vierte Kreuzzug (1898) S. 96, Anm. 1. Riant, Rqh 18, S. 31 folgt zögernd Potthast. 53 54
Reg VI, 101, P. 1947, M P L 2 1 5 , 1 0 6 f . 55 Reg VI, 102, P. 1948, MPL 2 1 5 , 1 0 7 - 1 0 9 . Vgl. Anm. 49.
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Hallers bissiger Kommentar 56 . Nach der Ankunft im Hl. Land sollten dann die Kreuzfahrer sich sofort von den Venetianern trennen, wenn diese bis dahin noch gebannt sein sollten, denn als Gebannte könnten sie den Kampf des Herrn nicht mitkämpfen 57 . Innocenz' Befürchtungen über die Verstocktheit der Venetianer sollten sich bestätigen. Die Gebannten zeigten keinerlei Reue. Noch im Herbst 1204 konnte Innocenz den ungarischen König, der sich über die päpstliche Balkan-Politik und den in der Zara-Affare immer noch wirkungslosen Kreuzfahrerschutz beschwert hatte, nur damit vertrösten, daß im Unterschied zu den Kreuzfahrern die Venetianer immer noch gebannt seien; überdies werde ihrem geistlichen Oberhaupt, dem Patriarchen von Grado, das Pallium vorenthalten 58 . Erst als die Venetianer im Herbst 1204 die päpstliche Bestätigung des Märzvertrages über die Teilung des zu erobernden Griechenreiches wünschten, bequemte sich der Doge Dandolo zu einem alles andere als reumütigen Entschuldigungsschreiben an Innocenz59. Dieser antwortete, indem er die vom Legaten Peter Capuano inzwischen erteilte Absolution bestätigte 60 , die Verleihung des Palliums an den Erwählten von Grado in die Wege leitete61, aber die erbetene Bestätigung des Märzvertrages verweigerte 62 . Überblicken wir noch einmal zusammenfassend die Haltung, die Innocenz bei der Aktion gegen Zara einnahm. Zunächst muß festgestellt werden, daß die erhaltenen Quellen keine lückenlose Rekonstruktion der Ereignisse erlauben. Auch ist deutlich, daß Cerones Vorwurf zu weit geht, der Papst habe die Abweichung des Kreuzzuges nach Zara einfach tatenlos abgewartet 63 , um den Kreuzzug nicht zu gefährden. Innocenz hat vorher gegen die Aktion protestiert; die Frage ist nur, ob er alle Möglichkeiten dabei ausschöpfte, ob er es wirklich mit allem Nachdruck tat. Jedenfalls erscheint Tillmanns Rechtfertigung des Papstes etwas zu glatt, Innocenz habe nicht beabsichtigt, „die im Interesse des Kreuzzuges erlassenen Verbote, christliche Länder anzugreifen, auf Kosten des Kreuzzuges durchzuführen, d. h. es auf eine vollständige oder teilweise Auflösung des Kreuzheeres ankommen zu lassen" 64 . Mit dieser Relativierung des Kreuzfahrerschutzes wäre sein sachlicher Wert ganz geschwunden, ganz ab» Vgl. Haller 111,373. 57 Ähnliche Auskunft ging am 23. Januar 1204 an Peter Capuano auf dessen Anfrage; Reg VI, 209, P. 2093, M P L 2 1 5 , 2 3 5 f. 58 Reg VII, 127, P. 2284 vom 15. September 1204, MPL 2 1 5 , 4 1 6 D - ^ 1 7 A , vgl. auch Reg VII,74, P. 2232 vom 1. Juni 1204, MPL 2 1 5 , 3 5 4 B C . 56 Reg VII, 202, undatiert, MPL 2 1 5 , 5 1 1 f. Die Gesta cap. 90, MPL 214, CXLI Β setzen die Absolutionsbitte des Dogen irrtümlich schon nach der ersten Eroberung von Konstantinopel 1203 an. Reg VII,207, P. 2399 vom 29. Januar 1205, M P L 215,521 C. Die geforderte demütige Buße der Venetianer war noch lange ein Streitobjekt. 61 Reg VII, 200, P. 2394 vom 28. Januar 1205, M P L 2 1 5 , 5 1 0 . «2 Reg VII,206, P. 2398 vom 29. Januar 1205, M P L 2 1 5 , 5 2 0 f . 63 Cerone aaO S. 297 : La prima diversione fu stimata a Roma ciò che era in realtà. 64 Tillmann, Papst Innocenz S. 226.
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gesehen von der Frage, ob dieser Sündenfall des Kreuzzuges nur unter dem Gesichtspunkt des Kreuzfahrerschutzes zu betrachten ist. Weiter ist zu fragen, ob nicht eine gründliche Planung des Kreuzzuges unter Abwägung aller Realitäten eine Situation hätte vermeiden können, in der sich die Alternative vom Herbst 1202 stellte. Innocenz war 1198 an die Stelle des Kaisers getreten, als er die Organisation und Vorbereitung des Kreuzzuges übernahm. Gerade Heinrich VI. hatte seinem Kreuzheer eine materielle Basis, Geld, Verpflegung, Schiffe gegeben, die es zu einem unabhängigen und schlagkräftigen Instrument machten. Die klaren Befehls Verhältnisse in der kaiserlichen Kerntruppe erhöhten noch den Wert des Heeres. Dem Papst standen nicht die Hilfsmittel zur Verfügung, die Heinrich in Deutschland und Sizilien in Fülle besaß. Auch wurde ihm bzw. seinen Legaten nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit die Kommandogewalt zugebilligt, wie sie der Kanzler und der Marschall des Reiches hatten, die Heinrichs Kreuzheer führten. Wollte das Papsttum an der Spitze der Christenheit die Führung des Kreuzzuges übernehmen, die bislang die Fürsten praktisch an der Spitze ihrer Reiche innegehabt hatten, so stand es vor einer schweren Aufgabe. Was der Christenheit gegenüber den Reichen an innerer Geschlossenheit und fester Ordnung fehlte, mußte durch um so genauere Planung und gründlichere Vorbereitung wettgemacht werden. Andernfalls drohte entweder das völlige Scheitern der Kreuzzugspläne oder die De-factoAbhängigkeit des Kreuzzuges von einer weltlichen Macht, während nach außen der Papst und nicht mehr der Kaiser oder ein König die Verantwortung trug. Es wurde gezeigt, daß Innocenz zu viel mit anderen Problemen beschäftigt war, seine Kreuzzugsvorbereitungen zu stoßweise verliefen, um diese soliden Voraussetzungen zu schaffen. Die Kreuzlegaten Peter Capuano und SofFred erhielten 1198/1202 jeweils nur ad hoc spezielle Aufträge; nirgends hören wir, daß eine zentrale, verantwortliche Führung des Kreuzzugs mit Planung und Koordination beauftragt worden wäre 65 . Man kann auch nicht einwenden, diese Forderung sei zu modern; denn eben hier lag die Neuerung in Innocenz' III. Kreuzzugsidee : nicht mehr viele nationale Heere von Kreuzfahrern, die voneinander unabhängig ins Hl. Land ziehen, sondern der Aufbruch einer Streitmacht der Christenheit unter Führung der vom Papst beauftragten Legaten 86 . 6 5 Z. B. war die voraussichtliche Teilnehmerzahl, die im April 1201 im Chartervertrag mit Venedig die Grundlage aller Planungen und finanziellen Verpflichtungen bildete, mit 3 0 0 0 0 viel zu hoch angesetzt. Weil diese Zahl nur zu einem Bruchteil erreicht wurde, konnte das Kreuzheer die geschuldete Summe nicht aufbringen und geriet in Abhängigkeit von Venedig. Bei einem nationalen Kreuzheer hätte letzten Endes die Reichskasse die Differenz gedeckt. Da der Papst nicht über derartige Geldmengen für den Notfall verfügte, hätte nur eine genauere Kalkulation das Risiko mindern können. Heinrich VI., oft als „Realpolitiker" bezeichnet, hatte mit je 1500 Rittern und Knappen und 3000 Knechten exakte Zahlen für seine Kreuzzugsplanung (vgl. auch Leonhard, Kreuzzugsplan S. 65—67). In dieser Richtung hätte etwa die Arbeit einer Zentrale der päpstlichen Kreuzzugsvorbereitung geschehen können. m Es überrascht daher, daß Innocenz beim französischen König über das Verhalten der französischen Kreuzfahrer Klage führte, die doch gar nicht unter königlichem Befehl standen wie etwa
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Der Überfall auf Zara geschah. Innocenz hat im Interesse, den Kreuzzug zusammenzuhalten und ans Ziel gelangen zu lassen, den Übertretern seiner Verbote die Absolution vom Bann denkbar einfach gemacht. Aber welche Möglichkeiten außer dem Bann hatte Innocenz, um den Bruch des Kreuzfahrerschutzes zu bestrafen? Reale Machtmittel besaß er nicht und mit geistlichen Mitteln allein war Venedig nicht zu treffen. Vielleicht war Innocenz' nachgiebiges Verhalten gegen die Ungehorsamen unter den gegebenen Umständen am sinnvollsten. Aber damit war offenkundig geworden, daß der Kreuzzug den Händen des Papstes entglitten war 67 . Die beste Illustration dafür bieten gleich die folgenden Ereignisse: Der Zug nach Konstantinopel, die Restitution Alexius' IV. und schließlich die Gründung des lateinischen Kaiserreiches, bei denen die beteiligten Kräfte sich herzlich wenig um die Meinung des Papstes kümmerten. Im Juli 1203 schrieb Innocenz nach Deutschland, unter allen Unruheherden des politischen Lebens beschäftigten ihn zwei besonders: die Zwietracht im Deutschen Reich und die Not des Hl. Landes 68 . Die Sorgen, die den Papst erfüllten, als er im Juni 1203 die erwähnten Briefe an das Kreuzheer schrieb, machen diesen Stoßseufzer verständlich. Die Not des Hl. Landes, die Innocenz bedrängte, war vor allem die Sorge um den rechten Weg des Kreuzheeres. Aber daß sich seine Sorgen nicht hierauf beschränken durften, dafür sorgte eine Nachricht aus dem Hl. Lande selbst. Eben jetzt meldeten Boten des Jerusalemer Königs den Tod des Patriarchen Aymar und baten um Bestätigung des zum Nachfolger gewählten Kreuzlegaten Soffred, der freilich die Annahme dieses Amtes verweigerte. Innocenz sah den ganzen christlichen Orient bedroht; daher beschwor er Soffred eindringlich, das schwere Erbe Aymars anzutreten69, und schickte dem Kreuzlegaten Peter Capuano gleich das Pallium für den neuen Patriarchen 70 . Soffred aber blieb bei seiner Weigerung 71 . So wurde 1204 Bischof Albert von Vercelli, ein bewährter Helfer des Papstes in der Lombardei, Patriarch von Jerusalem. Bis zu seinem Tode 1214 hat er dort durch seinen vorbildlichen Lebenswandel und seine unermüdlichen Bemühungen um den inneren Frieden im Hl. Land segensreich gewirkt 72 . beim 2.Kreuzzug. Reg VI,68, P . 1 9 2 1 vom 26. Mai 1203, MPL 215,65C. Innocenz selbst scheint noch nicht alle Konsequenzen seiner neuen Kreuzzugsidee gezogen zu haben. So auch Tillmann, Papst Innocenz S. 230.
97
RNI 87, P. 1970 vom 20. Juli 1203, ed. Kempf S. 2 3 2 , 8 f f : Inter active vite sollicitudines, quibus cum Martha iugiter occupamur, circa plurima satagentes, duo quasi praecipua reputamus, utpote que agunt amplius mentem nostram, et familiarius tangunt ecclesiam generalem, videlicet imperii Romani divisio et nécessitas terre sánete. 68
69
Reg V I , 1 2 9 , P. 1987 vom 16. August 1203, M P L 2 1 5 , 1 4 1 - 1 4 5 .
70
Ebd. 1 4 5 A .
71
Zum Ganzen vgl. Gesta cap. 88f, MPL 214, C X L B - D .
72
Über Albert vgl. Tillmann, Papst Innocenz S. 223 und Zimmermann, Die päpstliche Legation
S. 67.
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b) Vom Aufbruch des Heeres aus Zara bis %ur Errichtung des lateinischen Kaiserreiches
Während Innocenz im Juni/Juli 1203 die erwähnten Briefe schrieb, war das Kreuzheer, um dessen Weg er sich sorgte, von Zara über Korfu nach Konstantinopel gelangt. Nach kurzer Belagerung wurde die Stadt erobert und an Stelle des geflohenen Kaisers Alexius' III. dessen Bruder Isaak II. wieder eingesetzt, dessen Sohn Alexius IV. Mitregent wurde. Es ist eine alte Streitfrage, wer für diese neuerliche Abweichung des Kreuzheeres verantwortlich war. Zwei Haupttheorien stehen sich gegenüber. Nach der Zufallstheorie stand hinter der Ablenkung kein großer Plan; sie ergab sich durch das Auftauchen des Thronprätendenten Alexius' IV. im Westen, der sich mit dem Kreuzheer verband. W. Norden vertiefte diese Sicht dahin, daß der 4. Kreuzzug nur eine, freilich unerwartete Lösung des längst falligen Problems des gespannten Verhältnisses zwischen dem Abendland und Byzanz war73. Nach der Intrigentheorie war die Ablenkung des Kreuzzuges dagegen Teil eines größeren politischen Planes, wobei verschiedene Urheber genannt werden. Galt zunächst die expansive Machtpolitik Venedigs als treibende Kraft74, so sah der Graf Riant in Philipp von Schwaben den Schuldigen. Er setzte die Byzanzpolitik seines Bruders, Heinrich VI., mit anderen Mitteln fort, wofür sich mit der Flucht seines Schwagers, Alexius' IV., der Anlaß und in der Person des Kreuzheerführers Bonifaz von Montferrat ein ergebenes Werkzeug bot75. H. Grégoire meinte dann, in Bonifaz' eigenen Interessen im byzantinischen Reich den Schlüssel gefunden zu haben76. Zwischen diesen Positionen schwanken bis heute die Lösungsversuche hin und her77. Frolows Nachweis, daß die einfachen Kreuzfahrer durch die 73
W. Norden, Der vierte Kreuzzug im Rahmen der Beziehungen des Abendlandes zu Byzanz
(1898) und ders., Das Papsttum und Byzanz (1903). 74
In dieser Eindeutigkeit zuletzt L. Streit, Beiträge zur Geschichte des 4. Kreuzzuges I. (Gymn. Progr. Anklam 1877). 75 P. Riant, Innocent III., Philippe de Souabe et Boniface de Montferrat, Rqh 17 (1875) S. 321—74 und ebd 18 (1875) S. 5—75; ders. Le changement de direction de la quatrième croisade d'après quelques travaux recents, Rqh 23 (1878), S. 71-114. J. Longnon, L'Empire Latin de Constantinople... (1949) folgt in der Darstellung des 4. Kreuzzuges bei den Streitfragen wesentlich Riant, ist aber weniger am Kreuzzug als an der Vorgeschichte des lateinischen Kaiserreichs interessiert. 76 H.Grégoire, The Question of the Diversion of the Fourth Crusade, Byzantion 15 (1940/41) S. 158—66; ders. Empereurs belges ou français de Constantinople I., Bulletin de la Faculté des lettres des Strasbourg 25 (1946/47) S. 221-227. 77 Einen Bericht über die Literatur seit 1880 gab E. Gerland, Der 4. Kreuzzug und seine Probleme, Neue Jahrbücher f. d. klass. Altertum, Gesch. u. dt. Lit. 13 (1904) S. 505—514. Ein Literaturbericht, der auch die Arbeiten in slawischen Sprachen erschlösse, wäre dringend erwünscht. Von neueren Arbeiten konnte ich nicht erreichen: D.M.Nicol, The Fourth Crusade, History Today 6 (1956). J. Lefort, La prise de Constantinople en 1204 (Diss. Paris 1963) und S. de Mundo Lo, Cruzadas en Byzancio (1957). Über dieses Buch berichtet H. E. Mayer, GGA 214 (1960/62) S. 56 und HJ 80 (1961) S. 338, daß der Autor u. a. mit unzureichenden Argumenten die aller bisheriger Einsicht widersprechende und haltlose These vertritt, Innocenz sei der Urheber der Abweichung gewesen.
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Aussicht auf die Eroberung der reichen Reliquienschätze Konstantinopels für die Abweichung gewonnen wurden, ist nur eine Ergänzung der alten Theorien, die dadurch nicht erledigt sind78. Auf das Ganze gesehen kann man nur resignierend schließen, daß das Problemjangelöst ist79. Vermutlich wird man nie über die Feststellung hinauskommen, daß alle genannten Kräfte ein Interesse an der Abweichung gehabt haben könnten und möglicherweise für sie verantwortlich waren. Wir können die Frage hier offen lassen, da wir uns wieder darauf beschränken, die Rolle des Papstes herauszustellen. Dafür bietet wiederum Tessier die besten Vorarbeiten 80 . Frühestens im März 1202 könnte Innocenz von konkreten Plänen gehört haben, mit Hilfe des Kreuzheeres den Prätendenten Alexius in Konstantinopel einzusetzen. 1195 hatte Alexius III. seinen Bruder, den Kaiser Isaak II., gestürzt, geblendet und zusammen mit dem Kronprinzen Alexius eingekerkert... Vermutlich 81 1201 konnte der junge Prinz fliehen; über Italien kam er an den Hof Philipps von Schwaben, des Gatten seiner Schwester Irene. Hier wurde Weihnachten 1201 mit Bonifaz von Montferrat, dem wenige Monate zuvor gewählten Führer des Kreuzheeres, der Plan entworfen, Alexius mit Hilfe des Kreuzheeres einzusetzen. Alexius und kurz darauf auch Bonifaz vertraten im März/April 1202 diesen Plan in Rom. Der völlig überraschte Papst scheint ihn kompromißlos abgelehnt zu haben 82 . Die Papstbriefe schweigen davon ; die offiziösen Gesta dagegen berichten, ohne Datum, kurz und wenig präzise, das Ereignis83. Sollte diese Rekonstruktion der Ereignisse durch Riant nicht richtig sein, so träte an ihre Stelle für unsere Frage nur ein weißer Fleck ; erst Monate später, im Herbst 1202, sehen wir Innocenz wieder in Berührung mit den Restitutionsplänen. Der Kreuzlegat Peter Capuano hatte im Kreuzheer von den Plänen vernommen. Um sich darüber mit Innocenz zu besprechen, reiste er im Herbst 1202, vermutlich im Oktober, nach Rom. Dort traf er auf eine Delegation Alexius' III., die über den Papst versuchen sollte, das befürchtete Verhängnis für Konstantinopel, die Einsetzung Alexius' IV. durch das Kreuzheer, aufzuhalten. Alexius III. hatte dabei zwei gewichtige Argumente angeführt; einmal den Widersinn eines An78 A. Frolow, Recherches sur la deviation de la IV e Croisade vers Constantinople (1955). In einer Rezension betont Th. Mayer diese nur ergänzende Funktion des Buches, H Z 188 (1959) S. 443 f. 79 McNeal/Wolff HC II, 172f: The Problem of the Diversion is stiU with us. 80 Tessier aaO S. 208-238. 81 Villehardouin § 70 datiert die Ankunft des Flüchtlings auf den Sommer 1202. Der Termin ist nicht sicher zu bestimmen. Die Auffassung, die Flucht falle erst in den Sommer 1202, wird aber, soweit ich sehe, heute nicht mehr vertreten. Wäre diese Spätdatierung, wie sie etwa Luchaire aaO IV, 72, 85 f und Streit aaO S. 31 vertraten, richtig, so wäre uns der Ablauf der Ereignisse fur 1202 noch unklarer. McNeal/Wolff aaO S. 170ff schwanken unentschieden hin und her. 82 So Riant aaO XVII S. 356—358. Nach Riant S. 357 wurde Innocenz' Haltung bestimmt durch den Abscheu vor einem Angriff des Kreuzheeres auf ein christliches Land, nach Haller aaO III, 369 durch den Gedanken, daß die Restitutionspläne nur dem Staufer Philipp nützen würden. Da direkte Quellen fehlen, sind beide Theorien gleich unsicher. 83 Gesta cap. 83, MPL 214, CXXXIIA.
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griffs des Kreu2heeres auf ein christliches Land und zum anderen, daß die Restitutionspläne nur ein Teil des staufischen Weltherrschaftsstrebens seien84. Innocenz nutzte die Bedrängnis des Ostkaisers geschickt aus. Seine Antwort stellte die Lage so dar, als hinge es nur von ihm ab, ob das Kreuzheer der Macht Alexius' III. das längst verdiente Ende bereite oder nicht. Der Hinweis, Alexius IV. habe Hilfe für den Kreuzzug, energischen Einsatz für eine Union und Gehorsam gegen Rom versprochen, sollte Alexius III. zwingen, endlich seine alten Versprechen zu erfüllen85. Alexius' III. Beteiligung am Kreuzzug und seine kirchliche Unterwerfung, nicht sein politischer Untergang86, waren das Ziel des Papstes. Wie er später mißtrauisch gegen Alexius' IV. Versprechen war87, so war ihm auch schon im November 1202 klar, daß der Prätendent goldene Berge versprechen konnte, solange er nicht auf dem Thron saß. Auch die staufische Verwandtschaft des Prinzen und der Gedanke, das Kreuzheer zum Handlanger byzantinischer Dynastie-Interessen erniedrigt zu sehen, mußten Innocenz gegen die Pläne im Kreuzheer einnehmen. Wenn er sie im Brief an Alexius III. dennoch aufgriff, so nur, um den Kaiser unter Druck zu setzen88. Aber im November 1202 war der Zug nach Konstantinopel noch keineswegs eine fest beschlossene Sache. Erst im Winterlager von Zara erschienen Gesandte Philipps von Schwaben, der Prinz Alexius und auch Bonifaz, und sprachen einen diesbezüglichen Kontrakt ab. Da Peter Capuano sich weisungsgemäß nicht im Lager befand, war kein autorisierter Vertreter des Papstes zur Stelle, um Protest einzulegen. Dennoch erhob sich mancherlei Widerspruch im Heer, als der Plan bekannt wurde ; in größeren und kleineren Trupps verließen eine ganze Reihe von Kreuzfahrern das Heer89. Als Innocenz im Februar 1203 den reumütigen Kreuzfahrern die Absolution erteilte, hatten ihm ihre Gesandten wohl von den schwebenden Verhandlungen berichtet. Er präzisierte deshalb den geforderten Gehorsamsschwur dahingehend, „daß ihr in Zukunft euch vor ähnlichen (Taten) peinlich hütet, die Länder von Christen weder feindlich betretet noch in irgendeinem Punkt ihnen Schaden zufügt, außer wenn sie eueren Zug böswillig behindern sollten oder ein anderer notwendiger oder gerechter Anlaß sich ergeben sollte, um dessentwillen ihr, nach Einholung des Rates des apostolischen Stuhles, anders handeln müßt"90. 84
So aus der Antwort des Papstes, vgl. Anm. 85, zu entnehmen. Reg V, 122, P. 1763 vom 16. November 1202, MPL 214,1123-25. 86 So gegen Streit aaO S. 47, Anm. 244. 87 Z. B. Reg VI,230, P. 2123 vom 7. Februar 1204, MPL 215.260CD. 88 So Tessier aaO S. 217-219, Güldner aaO S. 29 und Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 146f; vorher hatte Norden, Der vierte Kreuzzug (1898) S. 94 gemeint, Innocenz habe im November 1202 keinerlei Hoffnung gehegt, Alexius III. verhandlungsbereit machen zu können. Nur die negativen Gründe, Ablehnung des Staufer-Schwagers und des Mißbrauches des Kreuzheeres könnten den Papstbrief erklären. Riants Deutung, Rqh 17, S. 373 f, ist unklar und schwankend. Zum Ganzen vgl. Riant, Rqh 18, S. 5 - 2 3 . 90 Reg V, 162, MPL 214,1181A. Der Ausdruck „interveniente apost. sedis Consilio" gibt nur so verstanden den vollen Sinn wieder, daß die Kreuzfahrer vorher den Papst bzw. seinen Legaten fragen müssen. 86
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Es war klar, worauf diese Warnung zielte; aber der Papst vermied es noch, die Sache beim Namen zu nennen; das Verbot erhielt dadurch den unbestimmten Charakter des Eventuellen, Anonymen. Peter Capuano, der sich alsbald wieder dem Heere anschloß, berichtete, der Zug nach Konstantinopel sei so gut wie beschlossen91, und fragte, wie er sich verhalten solle. Innocenz konnte nicht glauben, daß die kaum absolvierten Kreuzfahrer sofort gegen das erneuerte Verbot verstoßen wollten. Wenn tatsächlich die Venetianer diese Untat begehen wollten, sollte der Legat das Heer verlassen, um den Frevel nicht durch seine Gegenwart zu decken ; sollten die Franken bei dieser Perfidie der Venetianer mitmachen, dann möge der Legat wohl überlegt das tun, was Gott ihm eingibt 92 . Mit anderen Worten : für diesen Fall wußte der Papst keinen Rat mehr, denn eine so offene Mißachtung lag jenseits des Vorstellbaren. Auch Innocenz' schon erwähnte Beschwerde bei Philipp August, der doch nichts mit dem Kreuzzug zu tun hatte, daß die französischen Kreuzfahrer sich am Überfall auf Zara beteiligt hatten und nun „noch Schlimmeres als zuvor" planten 93 , dürfte dieser Ratlosigkeit entsprungen sein. Als Innocenz die Briefe der Kreuzheerführer erhielt, in denen sie den geforderten Gehorsam beschworen 94 , mag er für einen Moment gehofft haben, den Kreuzzug wieder unter Kontrolle zu bekommen. Nachdrücklich warnte er die Barone vor einer Wiederholung der Sünde, für die sie jetzt Buße leisteten ; niemand von ihnen sei zum Richter oder Rächer über Alexius III. berufen; ihr Gelübde verpflichte sie ausschließlich zum Kampf für den Gekreuzigten. Vor diesem Hintergrund erhielt die Warnung, nicht noch einmal leichtfertig sein Verbot zu übertreten, ein ganz neues Gewicht. Gleichzeitig schrieb Innocenz den Kreuzfahrern, er habe Alexius III., der ja Hilfe versprochen hatte, um die benötigte Verpflegung gebeten. Will man nicht einen verlorenen Brief annehmen, so konnte damit nur der erwähnte Brief vom November 1202 gemeint sein. Da Innocenz sich aber nicht sicher war, ob sein Druck auf Alexius Erfolg haben würde, gab er den Kreuzfahrern mit feierlicher Begründung aus Bibel und Recht die Erlaubnis, sich im Notfall selber zu versorgen. Er hoffte, so Auswüchse bei der Verproviantierung zu verhindern, warnte vor jedem Blutvergießen und mahnte, auch bei der zwangsweisen Verproviantierung müsse man Gottesfurcht haben und den Vorsatz, Entschädigung zu leisten95. Tessier wertet alle diese Verbote und Kautelen nur als formale, diplomatische Klugheit des Papstes, der in seinem Herzen längst dem Zug nach Konstantinopel zugestimmt hatte; sie sollten ihm bei einem negativen Ausgang der Aktion als 91 Bonifaz hat später behauptet, wegen der schlechten materiellen Lage des Heeres habe Peter Capuano ihm geraten, sich auf die Pläne Alexius' IV. einzulassen (Reg VIII,133, MPL 215,711A), doch war das wohl nur ein Versuch des Markgrafen, den Verdacht von sich abzulenken. 92 Reg VI, 48, P. 1888 vom 21. April 1203, MPL 215,50BC. 93 Reg VI,68, P. 1921 vom 26. Mai 1203, MPL 215,65CD. 94 Reg VI,99, MPL 215,103f. 95 Reg VI, 101 f, P. 1947f ca. vom 20. Juni 1203, MPL 215,106D/107A.109AB.
Der 4. Kreuzzug: Die Durchführung (1201 bis 1204)
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Alibi dienen ; Innocenz habe sich einfach jeder Verantwortung entziehen wollen 96 . Dagegen scheinen mir diese Absätze der Papstbriefe nur zu bestätigen, wie ratlos Innocenz im Grunde war. Geschäftig wechselte er die Argumente und gab sich in den Regeln für die Verproviantierung Illusionen hin, wie sie nur die Verzweiflung erklären kann. Die Entscheidung läßt sich freilich nicht mit letzter Sicherheit treffen. Doch die Hast, mit der Innocenz nach der ersten Eroberung Konstantinopels zur Fortsetzung des Kreuzzugs drängte, ohne jeden energischen Versuch, die neue Lage und die Abhängigkeit des jungen Kaisers Alexius IV. positiv zu nutzen, sprechen gegen Tessiers Ansicht. So handelt nicht, wer im Herzen einer Sache zugestimmt hat und sich nur vorher noch ein Hintertürchen offenhalten will. Innocenz' Haltung war eher die eines Kapitulierenden, der sich schließlich einer Entwicklung fügt, weil er sie doch nicht mehr aufhalten kann 97 . Deshalb wohl fehlten vor Konstantinopel Szenen wie vor Zara, als päpstliche Eilboten noch in letzter Minute versucht hatten, das Unglück aufzuhalten 98 . Als die erneute Untat geschehen war, drängte der Papst weiter ; möglichst rasch fort von jener Unglücksstadt Konstantinopel. Die Warnungen des Papstes vom Juni 1203 haben die Kreuzfahrer wohl gar nicht mehr erhalten. Am 25. April waren sie aus Zara aufgebrochen und hatten auf Korfu die Ankunft Alexius' IV. abgewartet. Dann Schloß man formell einen Vertrag; Alexius versprach seine Unterstützung für den Kreuzzug, sein Eintreten für die kirchliche Union und seinen persönlichen Gehorsam gegen Rom, wenn das Kreuzheer ihn auf seinen Thron hebe. Am 8. Juni brach das Heer von Korfu auf; wider alles Erwarten wurden sie in Konstantinopel nicht von begeisterten Anhängern des Prinzen empfangen; nach mancherlei Geplänkel kam es am 17. Juli zum Sturm auf die Stadt; Alexius III. floh, und am 1. August 1203 wurde Alexius IV. zusammen mit seinem blinden Vater Isaak auf den Thron gesetzt 99 . Bei allen diesen Ereignissen war der Kreuzlegat Peter Capuano nicht zugegen. Er hatte sich der päpstlichen Anweisung folgend vom Heer getrennt, als er die Unvermeidbarkeit des Zuges nach Konstantinopel sah; er war ins Hl. Land aufgebrochen, noch bevor die Nachricht vom Tode des Patriarchen Aymar den Papst erreicht hatte100. Viele Monate hindurch blieb Innocenz ohne Nachricht vom Kreuzheer. Schreiben Alexius' IV. und der Kreuzfahrer, beide vom 25. August 1203, die die Ereignisse seit der Abfahrt aus Zara berichteten, erreichten Innocenz erst im 96
Vgl. Tessier aaO S. 2 2 2 - 2 2 4 , ähnlich Longnon aaO S. 34.
Ähnlich McNeal/Wolff aaO S. 176: It seems more likely that Innocent rather allowed the diversion to happen. Perhaps he felt, he could not prevent it. 97
98 Dieses Argument hat Tessier aaO S. 223 freilich in seinem Sinne gedeutet. Luchaire aaO IV, 116 ff konstatiert die Tatsache, ohne sich auf eine klare Interpretation derselben einzulassen. 99 100
Vgl. die üblichen Darstellungen, am ausfuhrlichsten Riant Rqh 18, S. 33—41. Reg VI, 130, P. 1987 vom 10. August 1203, M P L 2 1 5 , 1 4 7 B C .
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
Januar 1204101. Zu dieser Zeit war ihr Inhalt aber bereits durch die Entwicklung in Konstantinopel überholt, was Innocenz jedoch nicht wissen konnte. Alexius versprach in seinem Brief dem Papst Respekt und Gehorsam und seinen vollen Einsatz für eine Union ; die Ereignisse bis zu seiner Restitution erwähnte er nur kurz und betonte lediglich, die Kreuzfahrer hätten seiner gerechten Sache zum Siege verholfen 102 . Die Kreuzfahrer schilderten dagegen ausführlich die Ereignisse. Sodann brachten sie das neue Argument, die schlechte materielle Lage des Heeres hätte dieses für das Hl. Land zu einer neuen Belastung werden lassen, statt ihm Hilfe zu bringen. Der Vertrag mit Alexius habe da einen Ausweg geboten. Weiter führten sie zu ihrer Entschuldigung an, sie hätten zwei Wochen lang versucht, die Restitution Alexius' IV. durch Verhandlungen zu erreichen; dann erst hätten sie zur Gewalt gegriffen, weil alles sich gegen sie verschworen zu haben schien. Erst der letzte Absatz des Briefes nannte dann die handfesten Vorteile, die die Abweichung des Kreuzheeres eingebracht habe: Der neue Kaiser habe alsbald begonnen, seine Versprechen zu erfüllen, dem Kreuzheer Lebensmittel für ein Jahr zu stellen, ihm 200000 Mark zu zahlen und die venetianische Flotte für ein weiteres Jahr zu mieten ; schließlich habe er feierlich versprochen, im kommenden März mit den Kreuzfahrern den Kreuzzug fortzusetzen und dabei unter seiner Fahne soviel Tausend Ritter als möglich mitzuführen. Zum Schluß nannten die Kreuzfahrer das Wichtigste, das Versprechen des Kaisers, dem Papst Respekt und Gehorsam zu erweisen und auf eine Union hinzuwirken; auch wolle er Zeit seines Lebens fünfhundert Ritter mit Ausrüstung und Unterhalt für das Hl. Land stellen103. Die demütige, reuevolle Einleitung dieses Briefes war nur Tünche; nicht reuige Sünder, sondern triumphierende Sieger hatten diesen Brief geschrieben 104 . Anders als nach Zara dachten sie gar nicht daran, sich für ihr Tun zu entschuldigen oder gar um Absolution zu bitten. Das Bewußtsein, erneut das päpstliche Angriffsverbot durchbrochen zu haben, fehlt in dem Brief ganz. Offensichtlich hielten die Kreuzfahrer den Uberfall auf Zara und die Eroberung von Konstantinopel für prinzipiell verschiedene Dinge. Innocenz gratulierte dem neuen Kaiser sehr zurückhaltend, betonte aber, daß ihm Alexius wegen der Hilfe des Kreuzheeres zu Dank verpflichtet sei ; er stellte sich also hinter die Tat der Kreuzfahrer, sofern sie ihm Vorteil zu bringen schien. Zugleich mahnte er Alexius, den versprochenen Gehorsam auch zu halten und in der Erfüllung seiner Versprechen zu erweisen. Den Inhalt dieser Versprechen 101 Diese beiden Briefe vom 25. August 1203 stehen im Register erst unter den Briefen von Ende Januar 1204. Tessier aaO S. 287—92 hat eine so lange Laufzeit bezweifelt und vermutet, die Briefe seien schon Anfang Oktober 1203 beim Papst in Anagni eingetroffen. Doch ist das eine reine Vermutung. Die große Verwirrung im byzantinischen Reich nach der Eroberung Konstantinopels läßt es durchaus möglich erscheinen, daß die Briefe erst zu der Zeit eintrafen, als sie ins Register eingetragen wurden, loa Reg VI, 210, MPL 215,236 f. 103
Reg VI, 211, MPL 215,238 f.
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Tessier aaO S. 230 f.
Der 4. Kreuzzug: Die Durchführung (1201 bis 1204)
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nannte Innocenz nicht, und vom Kreuzzug fiel, wie im Brief des Kaisers, kein Wort 105 . Innocenz' Brief an die Kreuzfahrer war viel schärfer. Der Papst verweigerte den apostolischen Gruß und rief zur Buße, denn er fürchtete, sie seien aufs neue dem Bann verfallen. Er äußerte den Verdacht, die Kreuzfahrer benutzten den Vorwand, der Union zu dienen, nur, um ihre Vergehen zu verschleiern. Erst die Tat gelte, und daher sollten sie dafür sorgen, daß Alexius seine Versprechen erfülle. Wenn er das nicht tue, so sei ihre Doppelzüngigkeit erwiesen, denn dann hätten sie der Untat von Zara eine zweite hinzugefügt und wieder ihre Waffen zum Gemetzel unter Christen benutzt. Nur, wenn ihr Eifer ihre Reue beweise, könnten sie sich von diesem Verdacht frei machen. So sehr er sich über die Rückkehr der griechischen Kirche zum Gehorsam gegen Rom freue, schrieb Innocenz, ginge es ihm doch noch mehr um wirksame Hilfe für das Hl. Land. Damit diese nicht noch länger verzögert werde, sollten die Kreuzfahrer sich von ihrer Schuld reinigen; nur so könnten sie den Kampf des Herrn kämpfen, dem sie sich geweiht hatten106. Gleichzeitig befahl Innocenz den beim Heer befindlichen Bischöfen von Soisson und Troyes, sie sollten von Alexius eine förmliche, beeidete Urkunde verlangen, in der er sich zum Gehorsam gegen Rom und zum Einsatz für die Union verpflichte. Erst eine derartige Urkunde könne die Aufrichtigkeit der Kreuzfahrer bezeugen 107 . Der Papst erinnerte die Bischöfe daran, wie er nach der Zara-Untat sehr gezögert hatte, die Absolution zu gewähren, und wie er ein erneutes, scharfes Verbot hinzugefügt hatte, christliche Reiche, namentlich das Alexius' III., anzugreifen. Er fürchtete, die Kreuzfahrer seien jetzt erneut dem Bann verfallen. Die Bischöfe sollten daher die Kreuzfahrer zu rascher Buße drängen, damit sie die Absolution empfangen und den Kreuzzug fortsetzen könnten 108 . Alle diese Briefe zeigen, wie wenig Innocenz den Unionsplänen vertraute und wie dringend er wünschte, daß das Kreuzheer endlich zum Ziel kam. Mit keinem Wort ging er auf das Hilfsversprechen des Kaisers für das Hl. Land und den Kreuzzug ein ; die Aussicht, daß Alexius es erfüllte, war gering ; das Risiko eines weiteren Aufenthalts des Kreuzzugs oder gar neuer Zwischenfalle wollte der Papst nicht eingehen. So wurde die Absolution den Sündern fast aufgedrängt. Nur fort von Konstantinopel, war die Devise des Papstes. Man kann Innocenz nicht vorwerfen, seine Nachgiebigkeit in der Frage der Absolution sei auch nur mitbestimmt von der Hoffnung auf einen möglichen Vorteil der Einsetzung Alexius' IV. Er sah „in dem griechischen Abenteuer einen Zeit- und Kraftverlust für das Hl. Land, dem im besten Fall ein zweifelhafter Gewinn entsprach"109. Reg VI,229, P.2122 datiert 7.Febraur 1204, MPL 215,259f. ιοβ R e g VI,230, P. 2123 datiert 7. Februar 1204, MPL 215,260f. 107 Reg VI,231, P. 2124 datiert 7.-14. Februar 1204, MPL 215,261 f. 108 Reg VI,232, P.2125 datiert 7 . - 1 4 . Februar 1204, MPL 215,262f. 109 Tillmann, Innocenz S. 228.
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Det Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
Als der Papst diese Briefe schrieb, waren die Ereignisse schon weitergegangen. Alexius hatte sich bemüht, die Versprechen zu erfüllen. Aber die damit verbundenen Lasten für die Bevölkerung, die unpopuläre Union und das herrische Auftreten der Lateiner hatten seit Herbst 1203 zu einer wachsenden Entfremdung zwischen Bevölkerung und Kaiser und zwischen Kaiser und Kreuzheer geführt. Im Januar 1204 wurde Alexius IV. gestürzt und durch den scharf antilateinischen Kaiser Alexius V. oder Murzuphlos ersetzt. Kreuzfahrer und Venetianer einigten sich im März 1204, das griechische Reich zu erobern und unter sich zu verteilen 110 . Am 6. und erneut am 12. April stürmten sie gegen Konstantinopel, das dann drei Tage den Plünderern offenstand. Brennend, raubend und mordend, auf rücksichtsloser Suche nach Reliquien verwüstete das Kreuzheer unter schrecklichen Greueln die Stadt. Das Reich wurde dem Märzvertrag entsprechend geteilt. Die Wahlmänner, sechs Venetianer und sechs Vertreter des Kreuzheeres, wählten Graf Balduin IX. von Flandern, nicht den Kreuzheerführer Markgraf Bonifaz von Montferrat, zum Kaiser des neuen Reiches Romania. Am 16. Mai 1204 wurde er feierlich inthronisiert 111 . Nichts spricht für die Annahme, daß Innocenz von diesen Ereignissen vorher etwas wußte, geschweige denn eine Verantwortung für sie trug. Kaiser Balduin sandte dem Papst eine Anzeige seiner Erhebung und eine wertvolle Ehrengabe. Da der Bote unterwegs überfallen wurde, erreichte der Brief des neuen Kaisers den Papst erst Ende Oktober/Anfang November 1204112. Balduin schilderte darin ausgiebigst und triumphierend die Ereignisse von der Einsetzung Alexius' IV. bis zu seiner eigenen Krönung im Mai 1204, „une lettre pompeuse", wie Riant treffend sagt 113 . Balduin wußte gut, mit welchen Stichworten er dem Papst aufwarten mußte. So war nach seinen Worten die Eroberung Konstantinopels „einmütig zu Ehren der Heiligen Römischen Kirche und zur Unterstützung des Hl. Landes" geschehen, und seine eigene Krönung erfolgte „zur Ehre Gottes und der Heiligen Römischen Kirche und zur Unterstützung des Hl. Landes". Balduin berief sich auf den unbeschreiblichen Jubel bei seiner Krönung. Die anwesenden kirchlichen und militärischen Würdenträger aus dem Hl. Land hätten Gott ob seiner Gnade gar nicht genug loben können. Endlich sei Konstantinopel dem rechten Gottesdienst wiedergegeben und damit der Hilfe für das Hl. Land eine ganz neue und erfolgversprechende Zukunft eröffnet. Feierlich versicherte der neue Kaiser, nicht eher ruhen zu wollen, als bis er nach der Konsolidierung seiner Herrschaft auch das Ziel seiner Kreuzfahrt erreicht, Die Verträge bei Tafel und Thomas aaO 1,441 ff. Zum Ganzen vgl. Runciman aaO 111,123—130; Norden, Der vierte Kreuzzug . . . S.52—56. 112 Balduins Brief in Reg VII, 152, MPL 215,447-454; Innocenz' Antwort Reg VII, 153 stammt vom 7. November 1204. Der Überfall auf Balduins Boten, einen Venetianer, war ein Racheakt der Genuesen, die mit Venedig im Streit lagen; vgl. dazu J. K. Fotheringham, Genoa and the Fourth Crusade, EHR 25 (1910) S.42f. Innocenz protestierte scharf gegen diesen Übergriff, Reg VII, 147, P. 2318 vom 4. November 1204, MPL 215,433 f. 113 Vgl. Riant, Rqh 18, S. 62. 110 111
Der 4. Kreuzzug: Die Durchführung (1201 bis 1204)
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das Hl. Land besucht und befreit haben werde. Abschließend empfahl er dem Papst die Fürsten des neuen Reiches Romania und lud ihn ein, in der alten Konzilsstadt Konstantinopel das bereits früher erwogene Unionskonzil abzuhalten. Balduins Brief traf Innocenz in bester Stimmung. Gerade in jenen Tagen hatte König Peter II. von Aragon in Rom die Krone und sein Reich aus der Hand des Papstes zu Lehen genommen. Zu diesem außenpolitischen Erfolg kam nun die Nachricht aus Konstantinopel. Anders als bei der Erhebung Alexius' IV. war Innocenz diesmal begeistert. Von den widerwärtigen Ausschreitungen bei der Eroberung der Stadt erfuhr er erst später und hat sie dann mit zunehmender Schärfe verurteilt 114 . Aber seine erste Antwort an Balduin war voll Lob für dieses Gottesgeschenk. Er mahnte Balduin, sein Reich im Gehorsam gegen den Papst zu regieren, stellte es unter den speziellen Schutz Roms und bedrohte jeden Angriff auf Romania mit schweren Kirchenstrafen. Da von Konstantinopel aus dem Hl. Land viel leichter geholfen werden könne, befahl er Klerus und Laien im Kreuzheer, Balduin bei der Sicherung seines Reiches klug und tatkräftig zur Seite zu stehen. Innocenz selbst wollte Balduin für beide Länder, Romania und Jerusalem, weiter Hilfe senden. Endlich mahnte er Balduin, die Kirche des eroberten Reiches im Gehorsam gegen Rom zu halten und das Kirchengut zu schützen, bis er eine geordnete kirchliche Verwaltung eingesetzt habe115. Der Grund der Begeisterung des Papstes kommt noch deutlicher im Schreiben an den Kreuzheerklerus zum Ausdruck. In schier endlosen Allegorien und biblischen Bildern feierte Innocenz die Rückkehr der griechischen Kirche zur Einheit mit Rom: Samarien war heimgekehrt nach Israel, nicht mehr in Dan und Bethel wurde nun Gott verehrt, sondern auf dem heiligen Berge Zion; die beiden wichtigsten unter den zwölf Jüngern, Johannes, der Apostel der Griechen, und Petrus, der Apostel der Römer, waren wieder vereint; nun konnte „ganz Israel" selig werden. Vor Begeisterung gab Innocenz den üblichen Plural des päpstlichen Kanzleistils auf und schrieb streckenweise in der ungewohnten, ganz persönlichen Ich-Form116. Es war die Union, die Innocenz' Freude auslöste, denn vom Kreuzzug war in dem langen Schreiben mit keinem Wort die Rede 117 . Bald darauf übertrug Innocenz den Kreuzheergeistlichen auch die Sorge für eine erste Ordnung des lateinischen Gottesdienstes und einer lateinischen Hierarchie in Romania. Gott werde es am jüngsten Tage strafen, wenn sie das Land verließen, ohne die erste Neuordnung der Kirche geleitet zu haben ; gleichzeitig kündigte Innocenz einen besonderen Legaten für diese Aufgabe an 118 . 114 So Reg VIII, 126, P.2564 vom 12. Juli 1205, MPL 215,701Β und Reg VIII, 133, P.2573 vom August/September 1205, MPL 215.712B, vorsichtig auch schon Reg VIII,69, P. 2518 vom 25. Mai 1205, MPL 215,635B. 115 Reg VII,153, P.2321 vom 7.November 1204, MPL 215,454f. 116 Darauf weist Haller 111,376 hin. 117 Reg VII, 154, P. 2324 vom 13.Novemer 1204, MPL 2 1 5 , 4 5 5 - 6 1 . 118 Reg VII, 164, P. 2339 vom 7. Dezember 1204, MPL 215,471 f.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
Innocenz hoffte, in Griechenland werde sich nun unter der Frankenherrschaft eine dauerhafte lateinische Kirche entwickeln ; zugleich war er noch davon überzeugt, daß der Kreuzzug bald fortgesetzt würde bis zur Befreiung des Hl. Landes. Damit sind die zwei Themen genannt, die jetzt die päpstliche Aufmerksamkeit erforderten, einerseits die Fortsetzung des Kreuzzuges, andererseits die Ordnung des eroberten Reiches Romania und seiner Kirche. Für beide Aufgaben hatte Innocenz so große Hoffnungen, daß er kein Wort des Bedauerns oder gar des Tadels für die zweite Eroberung Konstantinopels fand ; sie war ihm vielmehr ein Gottesgeschenk; vor allem die „Union", wenn man die lateinische Kirchenherrschaft so nennen _will119, erfüllte ihn mit Dankbarkeit. Was er in jahrelangen Verhandlungen mit Alexius III. nicht erreicht hatte, war ihm nun ohne sein Zutun in den Schoß gefallen. Wir wissen aus der Rückschau, daß in dem Moment, als die Geschichte des lateinischen Kaiserreiches begann, der 4. Kreuzzug zu Ende war. Das riesige päpstliche Unternehmen war gescheitert, bevor die Kreuzfahrer auch nur einen Sarazenen zu Gesicht bekommen hatten. Doch für die Zeitgenossen war das nicht gleich offensichtlich120. Wir müssen noch der bislang wenig beachteten Frage nachgehen, was Innocenz tat, um den 4. Kreuzzug fortzuführen, und wann er ihn endgültig als gescheitert aufgab.
Abschnitt C Das Ende des 4. Kreu^uges
(1204—1207)
Die Errichtung des lateinischen Kaiserreiches und einer lateinischen Kirche auf den Trümmern des byzantinischen Reiches bedeutete für Innocenz eine Fülle neuer Aufgaben und Sorgen 1 . Die Intrigen um die Patriarchenwahl, der Märzvertrag über die Teilung des Reiches, die ärgerniserregenden, eigenmächtigen Eingriffe der Venetianer in das Kirchengut, all das beschäftigte den Papst sogleich in hohem Maße; die große Zahl der Briefe, die Ende Januar/Anfang Februar 1205 zu diesen Fragen an der Kurie geschrieben wurden, gibt davon Zeugnis2. Daneben ließen auch die Sorgen um das Hl. Land Innocenz nicht ruhen. ne Wie wenig wirkliches Verständnis Innocenz für die Problematik der Union hatte, zeigen Güldners Arbeit und Tillmann, Papst Innocenz S. 212—19. 1 2 0 Haller III, 376 trägt hier die spätere Einsicht ein, wenn er schreibt : „Darüber, daß der Kreuzzug gescheitert, die Befreiung des Hl. Landes verschoben war, konnte niemand sich täuschen". 1 Zur Geschichte des lateinischen Kaiserreichs vgl. E. Gerland, Geschichte des lateinischen Kaiserreiches von Konstantinopel, Bd. I (1905) für die Zeit bis zum Tode Kaiser Heinrichs (1216); J. Longnon, L'Empire Latin de Constantinople et la Principauté de Morée (1949) und R. L. Wolff, The Latin Empire of Constantinople, HC II, S. 187—233. 2 Potthast 2382, 2383, 2398, 2399, 2 4 0 6 - 2 4 0 8 . V o r allem zu P. 2406 eine Fülle von à pari-Briefen. Ende März 1205 dann P. 2458—2465. Im März fand die schrittweise Promotion des Patriarchen Thomas Morosini durch den Papst statt, vgl. Gesta cap. 98.
Der 4. Kreuzzug: Das Ende (1204 bis 1207)
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Er mühte sich um die Beilegung der armenischen Streitigkeiten3 und darum, den verwaisten Jerusalemer Patriarchenstuhl endlich wieder mit einem tüchtigen Prälaten, Bischof Albert von Vercelli, zu besetzen4. Aber bald zeigte sich die ungeahnte Rückwirkung des Abenteuers von Konstantinopel auf das Hl. Land. Nicht nur, daß das Kreuzheer dort aufgehalten wurde, daß alle abendländischen Hilfskräfte statt ins Hl. Land in das näher gelegene Romania zogen; das neue Reich lockte auch aus dem Hl. Land selbst in bedrohlichem Maße die kampffähigen Männer an. Das Königreich Jerusalem, das Fürstentum Antiochien, selbst Cypern wurden so von Truppen entblößt, daß die Gefahr eines sarazenischen Angriffs unversehens wuchs5. Sogar die beiden Kreuzlegaten, SofFred und Peter Capuano, die schon im Hl. Land weilten, reisten unverzüglich nach Konstantinopel, ohne Nachricht vom Papst abzuwarten. Schon am 17. Februar 1205 tadelte Innocenz sie deswegen scharf; nur die Sorge um das Kreuzheer, nicht das Interesse an der kirchlichen Neuordnung könne ihre Eigenmächtigkeit rechtfertigen, doch entschuldige freilich die ganz unerwartete, neue Situation manche Fehlentscheidung. Da sie nun einmal in Konstantinopel seien, sollten sie, bis der vom Kaiser erbetene Legat eintreffe, dessen Funktion wahrnehmen. Aber keinesfalls dürften sie darüber ihr eigenes Aufgabengebiet, das Hl. Land, vernachlässigen, zumal dort der Patriarch fehle; am besten übernehme Soffred die eine, Peter Capuano die andere Aufgabe6. Mitte Mai 1205 hatte der Papst soweit eine Übersicht gewonnen, daß er von den Notmaßnahmen des Jahresanfangs übergehen konnte zu einer ordentlichen Regelung der Aufgabenverteilung und der Verhältnisse zwischen dem Kreuzheer und dem neuen Reich Romania. Am 15. Mai empfahl Innocenz den Kardinallegaten Benedikt von St. Susanna an Kaiser Balduin und den Klerus seines Reiches. Benedikts Aufgabe, bisher von den Kreuzlegaten hilfsweise wahrgenommen, hätte Innocenz am liebsten selbst übernommen, wenn ihn nicht andere Beanspruchungen abgehalten hätten7. 3 Reg VII, 189, P. 2374 vom 18. Januar 1205 und Reg V I I I , I f , P. 2429f vom 5. März 1205, MPL 215,504.555-558. 4 Reg VII, 222, P. 2418 vom 17. Februar 1205, MPL 215,540. 5 Besonders klar formuliert das ein sonst ungedruckter Brief aus dem Hl. Land, den Winkelmann in seiner Rezension der Arbeit von Riant teilweise mitteilt: Jenar Lit.Ztg. 1876, S. 8: Post Constantinopolitanae urbis captionem quam plures incolae Jerosolimitani regni ConstantinopoJim properarunt, ibidem habitacula eligentes. Unde illas marítimas partes, quas adhuc retinent christiani, non possumus a Saracenorum incursibus defensare atque regnum Cypri pro paucitate hominum vix retiñere valemus. Antiochenis ergo iuxta mandati vestri tenorem nequimus praebere succursum, immo vestrum cogimur patrocinium implorare, ut in auxilium nostrum plurimos dirigatis, ne partem modicam, quam habemus, relinquere barbaris nationibus compellamur.
« Reg VII,223, P. 2419 vom 17. Februar 1205, MPL 215,541 f. ' Reg VIII,55f, P. 2498f vom 15. Mai 1205, MPL 215,622-624; Gerland aaO S. 58 unterschätzt die Bedeutung, die Innocenz der Legation Benedikts beilegte, wenn er ihren Hauptzweck nur darin sieht, Peter Capuanos Selbstherrlichkeit zu dämpfen.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
Die Errichtung der lateinischen Herrschaft in By2anz war nicht nur deshalb wichtig, weil sie das Unionsproblem, wenigstens äußerlich, löste. Ein lateinisches Konstantinopel war für Innocenz fast eine Garantie für den Erfolg im Hl. Land 8 . Den für Romania angeworbenen Hilfstruppen gewährte er den vollen Kreuzablaß, weil die Befreiung des Hl. Landes von Konstantinopel aus ein leichtes sei, so daß man geradezu dem Hl. Land in Konstantinopel zu Hilfe eilte9. Als Innocenz das Kapitel von Soisson bat, den beim Kreuzheer bewährten Bischof Nivelon auf weitere drei Jahre zu beurlauben, gab er als Grund an, Nivelons Anwesenheit in Konstantinopel fördere die Rückeroberung des Hl. Landes 10 . In einem kurzen Schreiben an das Kreuzheer schilderte Innocenz am anschaulichsten den Wert, den er dem lateinischen Kaiserreich für das Hl. Land beimaß. Wenn Gott schon früher das Ostreich von den Griechen auf die Lateiner übertragen hätte, dann brauchte man heute nicht den Verlust des Hl. Landes zu beklagen. Nun aber hat Gott in dieser „translatio" des Ostreiches wunderbar einen Weg gewiesen zur Wiedergewinnung des Hl. Landes. Daher soll das Kreuzheer für ein weiteres Jahr Kaiser Balduin mit Rat und Tat bei der Sicherung seines Reiches helfen. Innocenz dachte dabei offensichtlich an einen nur vorübergehenden Aufenthalt, nach dem der Kreuzzug fortgesetzt werden sollte. Auch während dieses Jahres sollten die Kreuzfahrer stets bereit sein, im Notfall sofort ins Hl. Land zu eilen 11 . Als bald darauf auch noch Albert von Vercelli die Wahl zum Patriarchen von Jerusalem annahm 12 , mag Innocenz aufgeatmet haben. Endlich, sieben Jahre nachdem der erste Hilferuf aus dem Hl. Land ihn erreicht hatte, schien ein Ende der Not, ein Ende der ständigen Sorgen und bösen Überraschungen greifbar nahe gerückt. Aber es schien nur so. Inzwischen waren zwei Unglücksfalle ein8 Noch im Juli 1205 schrieb Innocenz, der Sultan El-Adil (Saphadinus) sei über die Eroberung Konstantinopels so erschrocken, daß er lieber Jerusalem von den Christen als Konstantinopel von den Lateinern besetzt sähe (Reg VIII, 125, P.2571, M P L 215,698C). 9 So heißt es in Reg VIII, 69, P. 2518 vom 25. Mai 1205 an den Erzbischof von Reims : . . . cum per illud (imperium) terrae sanctae possit utilius subveniri, quin potius, cum per illud ista credatur recuperan de levi. . . ( M P L 215,635 D), und der Brief schließt: N o s enim his, qui accedentes ad ipsum in terrae sanctae subsidium laborarint, illam concedimus indulgentiam peccatorum, quam aliis crucesignatis apostolica sedes induisit. M P L 215,636 D . 1 0 Reg V i l i , 7 2 , P.2514 vom 25. Mai 1205, M P L 215,638C. 1 1 Reg V i l i , 63, P. 2507 vom 20. Mai 1205. Text bei L . Delile, Lettres inédites d'Innocent III. Bibliothèque de l'école des Chartes 34 (1873), S.408f, Nr. 8 und bei Pitra aaO S. 501, Nr. 11. Die sinnändernde Abweichung im Schlußsatz : . . . Ut oporteret vos interim ad ejus custodiam (d.h. zur Hilfe für das Hl. Land) properare, Pitra lies : preparare, geht wohl zu Lasten der ständig zu beobachtenden Unsorgfaltigkeit Pitras. Daß Innocenz an einen nur vorübergehenden Aufenthalt dachte, ist der Wendung „moram faciatis" zu entnehmen. Güldner aaO S. 42 findet diesen Brief sehr „merkwürdig", weil er mit seiner langfristigen Planung der Eile des Papstes im Brief an Kaiser Balduin vom November 1204 widerspreche. Doch ich vermag in jenem Brief kein eiliges Drängen auf Fortsetzung des Zuges zu finden. 12 Vom 16. Juni 1205 stammt das Schreiben, in dem Innocenz Albert als Legaten und Patriarchen dem Klerus der Provinz Jerusalem ankündigte, Reg VIII, 101, P. 2542.
Der 4. Kreuzzug: Das Ende (1204 bis 1207)
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getreten, die den Papst innerhalb weniger Wochen mehrmals zu überstürzten Änderungen seiner Orient- und Kreuzzugspläne zwangen. Am 1. April 1205 war König Amalrich von Jerusalem gestorben. Diese Nachricht verbunden mit einem dringenden Hilferuf aus dem Hl. Land muß Anfang Juli an der Kurie eingetroffen sein, denn jetzt zuerst hören wir in päpstlichen Briefen davon 13 . Der Tod König Amalrichs bildete den Schlußstein in einem furchtbaren Bild, das sich Innocenz jetzt von den Zuständen im Hl. Land und von den geringen Aussichten auf Hilfe machen mußte : Der neue Patriarch und Legat Albert von Vercelli weilte noch vielbeschäftigt in Europa; die beiden Kreuzlegaten Peter Capuano und Soffred waren nicht auf ihrem Posten, sondern in Konstantinopel; der antiochenische Erbstreit rief unter den Christen im Hl. Land, deren Kampfkraft durch den Sog nach Konstantinopel ohnehin stark geschwächt war, tiefe Parteigegensätze hervor. Aus Konstantinopel kam die Nachricht, daß Peter Capuano, offensichtlich allen Plänen des Papstes zuwider, die Gelübde der Kreuzfahrer gelöst hatte, wenn sie noch ein Jahr dem Reich Balduins als Schutz dienen wollten. Nun war als letzte Stütze im Hl. Land, das kaum auf rasche Hilfe hoffen durfte, auch noch König Amalrich gestorben, so daß das Land des geistlichen wie des weltlichen Führers entbehrte14. Deshalb stürzte Innocenz in höchster Not seine ganze, gerade neuformierte Ostpolitik um und rief in eindringlichen Bitten zur direkten Hilfe für das Hl. Land auf. Im ersten uns erhaltenen Papstbrief nach dieser Wende beauftragte Innocenz einige ungenannte Empfänger, König Philipp August dringlich zu mahnen, dem Hl. Land zu helfen ; er dachte dabei sogar an eine persönliche Teilnahme des Königs, der aber wenigstens die päpstliche Werbung beraten und fördern sollte. Ein Bericht über den Verlauf dieser Mission beim König sollte so schnell wie möglich nach Rom gehen, nur schnellstmögliche Hilfe konnte dem Hl. Land noch nützen, wie Innocenz gleich eingangs betonte15. 13 Reg VIII,126, P.2564 vom 12. Juli 1205 und Reg VIII,125; diesen undatierten Brief, dessenStellung im Register auf Juli 1205 weist, setzt Potthast 2571 erst für den 20.—27. August 1205 an. Durch diese Spätdatierung wird aber das ohnehin nur schwer zu rekonstruierende Bild der päpstlichen Ost- und Kreuzzugspolitik im Sommer 1205 völlig verwirrt. Potthast geht dabei offensichtlich davon aus, daß der Brief schon die Kenntnis des Briefes von Graf Heinrich, Kaiser Balduins Bruder, über die Schlacht von Adrianopel voraussetzt. Dieser Brief stammt vom 5. Juni und ist als Reg VIII, 131 im Register unter Briefen der zweiten Augusthälfte (auch hier fehlen fast alle Daten) eingetragen. Doch zeigt ein genauer Vergleich gerade das Gegenteil dieser Annahme; Reg VIII, 125 weiß zwar von der Schlacht bei Adrianopel, aber so entscheidende Tatsachen wie die Gefangennahme Kaiser Balduins und der Tod des Grafen Ludwig von Blois in der Schlacht sind hier noch unbekannt, während Graf Heinrichs Brief sie berichtet. Die Schlacht bei Adrianopel war am 14. April 1205. Ein Gerücht von der Niederlage mag bis Anfang Juli den Papst erreicht haben ; Graf Heinrich mußte auf die Hiobsbotschaft hin erst aus Kleinasien von seinen dortigen Kriegszügen fort in die Hauptstadt eilen. Erst sein Brief vom 5. Juni wird dann den Papst über den ganzen Umfang der Katastrophe aufgeklärt haben. Zur Schlacht bei Adrianopel vgl. Gerland aaO S. 46 ff. 14 Dieses Bild entwirft Innocenz in Reg VIII, 125, MPL 215,698Â bis 699A und in anklagendem Tone an Peter Capuano gerichtet in Reg VIII, 126, MPL 215.700A—701A. 15 Reg VIII,125, P.2571 von Anfang Juli 1205 (vgl. Anm. 13), MPL 215,698f. Das doppelte .quanto citius' (698A) kennzeichnet gut die bedrängte Eile des Briefes.
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Es ist bezeichnend, daß Innocenz sich hier wieder zuerst an Frankreich wandte. Frankreich war das klassische Kreuzfahrerland, von dessen König „besondere Hilfe in dieser Lage erwartet wird, denn Gott hat ihn deswegen so groß gemacht und ihn über alle christlichen Fürsten erhöht, damit er an erster Stelle dem König der Könige in dieser höchsten Not zu Hilfe eile" 16 . Das bedeutete die Rückkehr zum alten Gedanken nationaler Kreuzheere; ein Aufgebot der Christenheit unter Führung des Papstes war, das mußte Innocenz erkannt haben, so schnell nicht zu verwirklichen. Der folgende Brief an den Kreuzlegaten Peter Capuano ist noch aufschlußreicher17. Zutiefst enttäuscht mußte Innocenz alle seine Mühen als vergeblich erkennen. Nun machte er in schroffem Ton seinem Stellvertreter beim Kreuzheer, dem Legaten Peter und dessen Kollegen Soffred Vorwürfe. Schon als er von ihrer eigenmächtigen Reise nach Konstantinopel hörte, habe er Schlimmes geahnt, nun sei es eingetroffen, so beginnt der klagenreiche Brief. Pflichtvergessenheit wirft der Papst ihnen vor, schließlich sogar, die Habgier habe sie nach Konstantinopel gelockt, weil es im Hl. Land keine irdischen Reichtümer, sondern nur ewigen Lohn zu erwerben gab. Während dem Vernehmen nach Soffred schon auf der Heimreise nach Westen war 18 , trafen Peter Capuano nun die schweren Vorwürfe des Papstes, weil er die Gelübde der Kreuzfahrer gelöst hatte, deren erklärtes Ziel doch der Zug ins Hl. Land gewesen war ; unter diesen Umständen müßten ja die Sarazenen, die schon ganz verzweifelt gewesen sein sollen, neuen Mut schöpfen. Einmal im Anklagen begriffen, schleuderte Innocenz dem Legaten auch den Vorwurf hin, das Verhalten der Lateiner in Konstantinopel, wo sie schlimmer als Hunde hausten, müsse die Griechen ja unionsfeindlich stimmen; zum erstenmal verriet hier der Papst, daß er von den Greueln bei der Eroberung der Stadt recht wohl wußte, die er noch Wochen vorher zu vertuschen suchte19. Wie sollte er je wieder die Völker des Abendlandes zur Hilfe für das Hl. Land aufrufen, wenn sein Legat die Grausamkeit der Kreuzfahrer mit der Lösung ihrer Gelübde belohnte und die Fortsetzung des Kreuzzuges vereitelte ; seine Aufgabe wäre es vielmehr gewesen, Gottes Strafurteil über die Übeltäter zu verkünden. In der gegenwärtigen Notlage aber sollte Peter Capuano nun alles stehen- und liegenlassen, ins Hl. Land eilen und dort bis zur Ankunft des neuen Patriarchen und Legaten Albert der Not zu wehren versuchen. 16 Ebd. 699 A : . . . cum a diarissimo in Christo filio nostro Philippo illustri rege Francorum, praecipuum super hoc subsidium exspectetur, quem ob hoc Deus adeo magnificavit et exaltavit inter universos principes christianos, ut regi regum in hac summa necessitate principaliter ipse succurrat... 17 Reg V i l i , 126, P. 2564 vom 12. Juli 1205, M P L 215,699-702. 18 Etwa im September 1205 erwähnte Innocenz in einem Brief an Bonifaz von Montferrat, daß Soffred ihm einen Brief des Markgrafen überbracht habe: Reg VIII, 133, P.2573, M P L 215,710C. 19 Ebd. 701B. Die vertuschende Andeutung der Grausamkeiten in Reg VIII,69, M P L 215,635 B. Ein leider nicht datierter Brief der Griechen an den Papst schildert im Blick auf die Union ausgiebigst die Grausamkeiten und Kränkungen, die die Lateiner verübten. Abdruck bei Cotelerius, Ecclesiae Graecae Monumenta III, Paris 1683, vgl. Absatz 61—84 des Briefes = S. 5 1 0 - 5 1 4 ; de Vries aaO S. 120 f datiert „um 1215".
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Leider finden sich keine weiteren Papstbriefe, die diese Umorientierung der Kreuzzugspolitik weiter verfolgen lassen. Da für die folgenden fünf Wochen nur zwei oder drei Briefe im Register stehen20, vermute ich hier eine Lücke in der Überlieferung. Die Konfusion in der Ostpolitik könnte auch die kuriale Verwaltung in Verwirrung gebracht haben. Die nächsten Papstbriefe, die vom Kreuzzug handeln, entstammen einer wiederum durch die Ereignisse bedingten radikalen Schwankung der Ostpolitik Innocenz'. Zwar waren schon vorher Gerüchte über die Schlacht bei Adrianopel dem Papst bekanntgeworden, aber erst der Brief des Grafen Heinrich von Flandern, der, vorerst noch als Reichsverweser, an die Stelle seines kaiserlichen Bruders Balduin getreten war, zeigte Innocenz das ganze Ausmaß der Katastrophe. Heinrichs Bericht an den Papst vom 5. Juni 21 betonte die gegenseitige Abhängigkeit von Kirchenunion und lateinischer Herrschaft in Konstantinopel und die Abhängigkeit der Hilfe für das Hl. Land. Sò konnte Heinrich den Papst bitten, Kardinallegaten nach Italien, Deutschland und Frankreich und in die anderen Gebiete Europas zu schicken, um ein großes Hilfsheer für Konstantinopel zu werben; Innocenz sollte diesen Truppen denselben Plenarablaß gewähren wie denen, die ein Jahr in Syrien dem Gekreuzigten dienen. Zur Besprechung der Einzelheiten schickte Heinrich eine Delegation unter Führung des bewährten Bischofs Nivelon von Soisson, die auch den Brief überbrachte. Die Delegation konnte einen abgefangenen, heute verlorenen Brief des Bulgarenherrschers Calojan vorzeigen, der den Papst, der noch in Verhandlungen mit Calojan stand, von dessen Doppelspiel und heimlicher Verbindung mit den Türken überzeugen sollte22. Fotheringham hat gemeint, in Heinrichs Brief seien die Kreuzfahrer noch als „a distinct and compact body" verstanden. Sie hätten daher versucht, sich auf traditionelle Weise, d. h. mit Hilfe eines päpstlichen Kreuzaufrufs zu rekrutieren. Darin unterschieden sie sich von den in Heinrichs Brief gar nicht mehr genannten Venetianern, die im Erfolg von 1204 eine nationale Eroberung ihrer Republik gesehen hätten 23 . Doch die Formulierungen in Heinrichs Brief erlauben diese Interpretation nicht. Nicht das Selbstverständnis als Kreuzfahrer, sondern die brennende Not spricht aus Heinrichs Brief an den Papst; der Hinweis auf die Abhängigkeit des Hl. Landes von Konstantinopel und der verräterische Brief Caloj ans sollen Innocenz dazu veranlassen, die Herrschaft der lateinischen Eroberer zu unterstützen. Graf Heinrichs Brief und die Gesandtschaft hatten Erfolg. Ein kurzer Antwortbrief des Papstes riet Graf Heinrich, mit Calojan möglichst Frieden zu schließen ; 20 Reg VIII,126 stammt vom 12. Juli, Reg VIII,130 vom 16. August 1205, Nr. 127 (26. Juli) und Nr. 128 (undatiert) bieten nichts zum Thema. Nr. 129 ebenfalls undatiert, gehört bereits in den Zusammenhang von Nr. 130 (16. August) und Nr. 131 ff. 21 Reg VIII, 131, MPL 2 1 5 , 7 0 6 C - 7 1 0 A . 22 Vgl. Gerland aaO S. 57. 23 Vgl. Fotheringham aaO S. 47.
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Innocenz kündigte an, er wolle statt große Worte zu machen, tatkräftig helfen24. Daher rief er die Christenheit auf, nach Konstantinopel zu eilen und so dem Hl. Land Hilfe zu bringen. Innocenz vertrat also wieder die Politik, die er schon im Mai des Jahres betrieben hatte, wenngleich jetzt auch in einer weit bedrängteren Situation. Dieser Aufruf ist nicht erhalten. Schon oben wurde eine Lücke in der Registerführung für Juli/August 1205 vermutet. Diese Vermutung bestätigt sich jetzt, denn der unbekannte Konstantinopel-Aufruf aus dieser Zeit ist durch mehrfache Hinweise in späteren Papstbriefen gut bezeugt. Vom 16. August 1205 stammt ein Ergänzungsschreiben zu diesem Aufruf mit der bezeichnenden Adresse: „Allen Christen, die zur Hilfe für das Hl. Land nach Konstantinopel eilen wollen"; hierin heißt es: Licet ergo per generales litteras nuper universis Christi fidelibus injunximus in remissionem omnium peccatorum, ut, Constantinopolim accedentes, ad terrae sanctae subsidium laborarent25. Mit fast denselben Worten erwähnte Innocenz noch einmal am 10. April 1206 diesen bislang unbeachteten Aufruf 26 . In den genannten Ergänzungsschreiben zum Aufruf forderte Innocenz die Hilfswilligen auf, ihm durch zuverlässige Boten Nachricht zu geben, sobald ein fester Termin für den Abschluß der Rüstungen und den Aufbruch bestimmt sei. So könnten Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Schiffsraum und teure Wartezeiten vermieden werden. Innocenz wollte dann für den sicheren Durchzug durch Apulien Vorsorge treffen, so daß die Hilfswilligen unbehindert sich in Brindisi versammeln und versehen mit dem apostolischen Segen aufbrechen könnten27. Es fallt auf, wie Innocenz sich diesmal bemühte, die Kontrolle nicht aus der Hand zu geben. Statt des verräterischen Venedigs wählte er Brindisi zum Ausgangshafen; hier hatte er, zu dieser Zeit noch Regent von Sizilien, weit bessere Kontrollmöglichkeiten. Mit diesem Hilfsheer, dessen Werbung gerade erst anlief, bedrohte Innocenz nun den Bulgarenzar Calojan ; den gefangenen Kaiser Balduin, von dessen Tod man noch nicht wußte, solle er gut behandeln und freilassen ; das werde der Anfang zu einem festen Frieden mit den Lateinern in Griechenland sein, wozu er auch Graf Heinrich gemahnt habe. Andernfalls werde ein gewaltiges Heer aus dem Westen, das schon unterwegs sei nach Griechenland, gemeinsam mit einem von Ungarn her anrückenden Heer die Bulgaren in einem Zweifrontenkrieg aufreiben. Die Phantasie des Papstes mag schon fast an dieses gewaltige Heer geglaubt haben, das sich doch erst sammeln sollte28. Reg VIII, 132, undatiert, P. 2572 datiert 16. August bis 7. September 1205, M P L 215.710B. Reg VIII, 130, P. 2570 vom 16. August 1205, M P L 215,706 A B . 2 8 R e g I X , 4 5 , P. 2741 vom 10. April 1206, M P L 215.854C. 2 ' Reg VIII,130, M P L 215.706B. 28 Reg VIII, 129, M P L 215,705. P.2569 datiert 27. Juli bis 16. August 1205, aber sicher gehört der Brief erst in die zweite Augusthälfte zusammen mit Reg VIII, 130 ff. R. L . Wolff, HC 11,203 meint, Innocenz drohe Calojan „with a great phantom army" ; ganz so phantastisch und irreal war Innocenz' Drohung nicht. 24
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Außer dem erwähnten Aufruf ist vielleicht noch ein Brief an Peter Capuano verlorengegangen. Im Juni 1206 schrieb der Papst an Peter in Konstantinopel; kein Wort wies daraufhin, daß dieser dem strikten Befehl vom Juli 1205, umgehend ins Hl. Land zu eilen, nicht gefolgt war 29 . Der Papst hatte, so möchte ich vermuten, unter dem Eindruck der erschreckenden Notlage des Reiches Romania und im Blick auf seine Bedeutung für das Hl. Land, den Befehl an Peter aufgehoben. Ein entsprechender Brief vom August 1205 wäre verloren. Merkwürdig unberührt von diesen Ereignissen scheint der vielzitierte Brief des Papstes an Bonifaz von Montferrat, der zeitlich im engsten Zusammenhang mit den vorstehend aufgeführten Briefen steht30. Das Schreiben war die Antwort auf den Versuch des Markgrafen, alle Schuld für das Scheitern des Kreuzzuges von sich zu weisen. Innocenz schilderte den Ablauf des Kreuzzuges seit 1202 erst so, als sei Bonifaz unschuldig, dann so, als sei er schuldig; schließlich schob er das Urteil über diese Frage, das ja kirchenrechtlich für den Markgrafen entscheidend war, bis zur besseren Information auf. Erst die folgenden Sätze verraten den Zusammenhang mit der Situation; bis zur Entscheidung galt Bonifaz auf jeden Fall noch als Kreuzfahrer und hatte als solcher dem Papst zu gehorchen. In diesem Gehorsam gegen Rom sollte er sein Land, das Königreich Thessalonich, regieren, weil die Stärke der lateinischen Herrschaft in Griechenland die zukünftige Befreiung des Hl. Landes entscheidend erleichtere. So stand auch dieser Brief im Dienst der päpstlichen Unterstützung für das Kaisertum von Romania, das von außen die Bulgaren, von innen aber die fränkischen Feudalherren, an ihrer Spitze Bonifaz von Montferrat bedrängten. In der Folgezeit hören wir für ein Jahr nichts Wesentliches über den Fortgang der Vorbereitungen des Hilfszuges nach Konstantinopel. Im April 1206 versicherte Innocenz dem Grafen von Namur ausdrücklich, daß mit einem Hilfszug nach Konstantinopel im Dienste des Hl. Landes Wallfahrtsgelübde aller Art erfüllt werden könnten 31 . Man spürt hinter diesem Schreiben die Unsicherheit, die die doppelte Schwenkung der Kreuzzugspolitik des Papstes im Vorsommer unter den Christen ausgelöst hatte. Mittlerweile war der Bischof Nivelon von Soisson in seine Diözese weitergezogen, um dort persönlich die Werbung von Kreuzfahrern für Konstantinopel in die Hand zu nehmen. Er brachte ein kleines Heer zusammen, von dem wir in zwei Papstbriefen vom Dezember 1206 hören. Innocenz mahnte, in einheitlichem Zug vom gleichen Hafen aus die Seefahrt anzutreten ; er stimmte dem von den Kreuzfahrern vorgeschlagenen Hafen Genua zu, wies aber noch einmal Reg IX, 100, P. 2821 vom 21. Juni 1206, MPL 215, 915. Reg VIII,133, P.2573 (vom 16. August bis 7.September 1205) MPL 2 1 5 , 7 1 0 - 7 1 4 . Der Brief erreichte Bonifaz nicht; am 27. November 1206 schickte Innocenz ihm eine Abschrift des verlorenen Briefes, vgl. Reg IX, 189, P.2917, MPL. 215,1029. Dabei wurde der Registertext leicht verändert, vgl. Kempf, die Register S. 112ff. 31 Reg IX, 45, P. 2741 vom 10. April 1206, MPL 215,855 A. 29
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darauf hin, daß auch in Brindisi Schiffe bereitlägen, wenn die Einschiffung in Genua auf irgendwelche Schwierigkeiten stoßen sollte32. Die Dringlichkeit der Mahnung zu einheitlichem Zug und Aufbruch und der Hinweis auf die in Brindisi bereitliegenden Schiffe sind aufschlußreich. Sie zeigen, wie der Papst aus den bösen Erfahrungen gelernt hatte, die das Kreuzheer 1202 bis 1204 mit auf eigene Verantwortung gecharterten Schiffen in Venedig gemacht hatte. Ein Vierteljahr später, im März 1207, brachte zum letztenmal ein Schreiben des Papstes den Hilfszug nach Konstantinopel in eine direkte Verbindung mit dem Kreuzzug. Innocenz kündigte den „Kreuzfahrern" in Romania ein großes Hilfsheer an. Er hoffte, es werde ihnen bald zu Hilfe kommen, um die Heiden aus dem Land der Christen zu vertreiben. Sie sollten daher trotz aller bisherigen Mißerfolge des Kreuzzuges Mut fassen und tapfer ihren Mann stehen33. Doch der Führer des Hilfsheeres, Bischof Nivelon, starb auf der Reise in Bari ; das Heer lief auseinander34. Am 25. Juni 1207 erhielten der Erzbischof von Tours und seine Suffragane den Auftrag, für den Kreuzzug nach Konstantinopel bestimmte Bußgelder einzutreiben ; jetzt hieß es aber, diese Gelder sollten „in subsidium terrae sanctae" oder „in haereditatis Christi subsidium" dienen35. Kein Wort deutete mehr daraufhin, daß sie für einen Kreuzzug nach Konstantinopel bestimmt gewesen waren. Schon vier Wochen vorher hatte eine Friedensmahnung an Calojan die Drohung mit einem Kreuzheer stillschweigend fallengelassen 36 . Im Mai 1207 reisten zwei Legaten nach Deutschland, um im Thronstreit die langersehnte Einigung herbeizuführen; das Begleitschreiben des Papstes stellte den geistlichen und weltlichen Großen des Reiches noch einmal die Schäden des Zwiespaltes vor Augen. Wieder begann die Aufzählung mit dem Hinweis auf die Behinderung der Hilfe für das Hl. Land 37 ; aber alles klang wie in den Anfängen des Thronstreits. Nichts deutete an, was inzwischen geschehen war, welche Hoffnungen und welche Niederlagen die päpstliche Kreuzzugspolitik bewegt hatten. Das gleiche Bild bieten zwei Schreiben vom 25. Februar 1208 an den jungen Herzog Leopold von Österreich, der das Kreuz genommen hatte ; er zog ins Hl. Land, von Konstantinopel redeten die Briefe nicht mehr 38 . Umgekehrt wurden auch Kaiser Heinrich von Konstantinopel und die la32 Die beiden Briefe Reg IX, 198 f, P. 2928.2931 vom 10./11. Dezember 1206, MPL 215,1036 f sind weithin gleichlautend, der eine an Bischof Nivelon, der andere an sein Kreuzheer gerichtet. 33 Reg X,38, P. 3069 vom 30. März 1207, MPL 215,1131 f. 34 Vgl. Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 176. 35 Reg X,74, P. 3127 vom 25. Juni 1207, MPL 215,1174D. Die Gelder waren Bußen für den Bruch der Turnierverbote, die Innocenz im Interesse des Konstantinopel-Kreuzzuges von Bischof Nivelon erlassen hatte; vgl. Reg IX,197, P. 2927 vom 10. Dezember 1206, MPL 215,1035. 36 Reg X,65, P. 3109 vom 25. Mai 1207, MPL 215,1162. 37 RNI141, P. 3150 vom Mai 1207, ed. Kempf S. 334,17ff. 38 Reg XI, l f , P.3302f vom 25. Februar 1208, MPL 2 1 5 , 1 1 3 9 ^ 1 .
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teinischen Grafen, Ritter und Soldaten in Griechenland nicht mehr als Kreuzfahrer angesprochen39. Wo von der Eroberung Konstantinopels die Rede war40, wo der mit dem Kreuzheer nach Konstantinopel gekommene Klerus gemeint war, überall wurde jede Erinnerung an den Kreuzzug vermieden; die Ausdrücke „crucesignati" — am 30. März 1207 noch Anrede für die Lateiner in Griechenland — oder gar „exercitus christianus" wurden nicht mehr gebraucht ; nur von den „clerici de parte peregrinorum" war noch die Rede41. Im Frühjahr 1207 hatte der 4. Kreuzzug auch im Denken seines Initiators, Papst Innocenz' III., sang- und klanglos sein Ende gefunden42. Mit keinem Wort verrät uns Innocenz, was ihm die Hoffnung, der 4. Kreuzzug möge doch noch ans Ziel gelangen, endgültig raubte. War es der Tod des alten Mitarbeiters Nivelon in Bari, wie Norden vermutet43? Sicher hat dieser Tod Innocenz' Hoffnungen schwer getroffen; aber konnte er sie zerstören? Eine Spur in Innocenz' Briefen führt zu einer anderen Vermutung: Am 27. März 1207 ist der Kreuzlegat Peter Capuano wieder durch Unterschrift an der Kurie nachweisbar44. Er kannte am besten die Verhältnisse in Romania und die aussichtslose Lage für eine Fortsetzung des Kreuzzugs. Es liegt nahe, daß er Innocenz endgültig die langgehegte Hoffnung, man möchte eher sagen Illusion, nahm, das Kreuzheer werde jemals weiterziehen ins Hl. Land. Das gerade in jenen Tagen, am 30. März 1207, ausgefertigte Schreiben an die „crucesignati" in Konstantinopel48 könnte dem ehemaligen Legaten Anlaß gewesen sein, dem Papst zu sagen, daß es kein Kreuzheer mehr gab.
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P. 3318,3326—3330.3343.3375 = Reg XI,21.39.12-15.38.52 alle vom März/April 1208. Reg XI, 77, P. 3384 vom 24. April 1208, MPL 215,1393A. 41 So z. B. Reg XI,78, P.3379 vom 17. April 1208, MPL 215, 1395B und Reg XI, 79, P.3386 vom 24. April 1208 in der Adresse. 42 Zu dem gleichen Ergebnis kommt, ohne nähere Begründung Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 176; vorher, Der 4. Kreuzzug S. 104f, hatte er angenommen, die Nachricht von der Schlacht bei Adrianopel und die Einsicht, daß die Aufgabe des Abendlandes nun zunächst die Hilfe für Romania sei, habe Innocenz den 4. Kreuzzug als gescheitert ansehen lassen. Tessier aaO S. 234 spricht ohne Begründung von Mitte 1206. A. Fliehe bei Fliehe/Martin, Histoire de l'Eglise X (1950) S. 105 läßt den 4. Kreuzzug in Innocenz' Augen erst enden, als der Papst im Dezember 1208 aufs neue mit der Kreuzwerbung auf traditionelle Art begann. Aber hier wird, methodisch falsch, nämlich gar nicht nach dem Ende gefragt. P. Alphandéry, La Chrétienté et l'idée de croisade 11,91 stellt ohne Datum nur fest, daß Innocenz am Projekt einer Fortsetzung des Kreuzzuges über Konstantinopel hinaus noch lange festhielt. 40
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Vgl. Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 176. " Potthast Band I, S. 464. 45 Vgl. Anm. 33.
3. K A P I T E L
Zwischenspiel Nachdem Innocenz das Scheitern des 4. Kreuzzugs eingesehen hatte, vergingen sechs Jahre, bis er im Frühjahr 1213 mit der großangelegten Vorbereitung eines neuen Kreuzzuges begann. Aber die Not des Hl. Landes war inzwischen so zur ständigen Sorge des Papstes geworden, daß er sich der drängenden Aufgabe nicht verschließen konnte, dem Hl. Land zu helfen. Freilich blieb es bis 1213 bei einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen, denen kein großer Hilfs- oder Kreuzzugsplan zugrunde lag 1 . Wir begnügen uns daher mit einem summarischen Überblick und heben nur die zum Kreuzzugsplan von 1213 führenden Linien stärker hervor. Militärische Aktionen in das Hl. Land spielen in diesen Jahren kaum eine Rolle. Freilich folgte Innocenz dem Beispiel seiner Vorgänger aus dem 12. Jahrhundert, wenn er einzelnen Fürsten, die einen mehr privaten Ritterzug ins Hl. Land planten, Ablaß und Schutz der Kreuzfahrer und seinen päpstlichen Segen verhieß 2 . Unter diesen Fürsten soll hier nur der junge König von Georgien, Georg IV. Lachas, genannt werden, dessen Mitteilung von seinem geplanten Kreuzzug Innocenz mit Lob und mit dem Aufruf zu gründlicher Vorbereitung beantwortete. Hier wird einmal deutlich, wie sehr der Kreuzzug als eine Aktion der Christenheit galt; selbst das ferne Georgien, kaum vom türkischen Joch befreit, wollte mittun beim gemeinsamen Kampf um die Befreiung des Hl. Landes 3 . 1 Es geht deshalb nicht an, mit U. Schwerin, Die Aufrufe der Päpste zur Befreiung des Hl. Landes (1936) S.98, die Jahre 1208—1216 als eine Epoche in der Kreuzzugspropaganda Innocenz' III. zusammenzufassen. 2 Neben kleineren Fürsten wie den Grafen Maion von Celafonia, vgl. Reg X, 127, P. 3178 vom 15. September 1207, MPL 215,1224f, und Heinrich von Malta, vgl. Reg XII,4, P. 3674 vom 24. Februar 1209, MPL 216,12f, ist hier vor allem die Kreuznahme Herzog Leopolds von Österreich zu nennen, den Innocenz nicht nur in seinem Vorhaben bestärkte, sondern auch gleich im Hl. Land ankündigte; für sein großes Heer werde im ganzen Deutschen Reich mit Billigung der Fürsten eine Kollekte veranstaltet. Vgl. Reg XI,If, P. 3302f vom 25. Februar 1208, MPL 215,1139ff und Reg XI, 109, P. 3454 vom 10. Juli 1208, MPL 215,1427 D. Die erwähnte „Kollekte" war eine 1207 vom Reichstag in Nordhausen beschlossene Almosensammlung, für die zwar zum Teil ein Steuersatz festgelegt, aber jeder Schein des Zwanges vermieden wurde. Die Einzelheiten dieser Kollekte (oder Steuer?) sind dunkel; ob sie durchgeführt wurde, ist ungewiß. Vgl. Gottlob, Kreuzzugssteuern S. 6f, das Ausschreiben Philipps von Schwaben MGH Const. II,16f, weiteres BFW 160. 3 Reg XIV,68, P. 4267 vom 7. Juni 1211, MPL 216,433f. Über Georg IV. vgl. A. Manvelichvili, Histoire de Géorgie (1951) S. 217ff. Georg brach tatsächlich 1219 mit einem Kreuzheer auf; seine Vorhut war schon in Damiette eingetroffen, als ein Mongoleneinfall Georg zur Umkehr zwang.Noch
Zwischenspiel
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Eigene V e r s u c h e , ein neues K r e u z h e e r zu g e w i n n e n , machte Innocenz n u r in F r a n k r e i c h 4 u n d in N o r d - und Mittelitalien 5 , in beiden Fällen o h n e E r f o l g . S o w e i t w i r die Einzelheiten dieser V o r h a b e n e r k e n n e n k ö n n e n , bieten sie nichts Neues 6 . W i e w e n i g Innocenz in dieser Zeit an einen g r o ß e n K r e u z z u g dachte, zeigte sich auch, als der deutsche T h r o n s t r e i t mit der E r m o r d u n g Philipps v o n S c h w a b e n u n d der A n e r k e n n u n g O t t o s I V . 1 2 0 8 sein E n d e fand. Z w a r betonte Innocenz g e g e n ü b e r den deutschen Fürsten u n d d e m J e r u s a l e m e r Patriarchen, w e l c h e n G e w i n n das E n d e des Thronstreites f ü r die Hilfe f ü r das Hl. L a n d bed e u t e 7 ; aber in dem V e r s p r e c h e n , das seine L e g a t e n zu dieser Zeit v o n O t t o I V . in S p e y e r erhandelten, verpflichtete sich der A n w ä r t e r auf die K a i s e r k r o n e z w a r zur Hilfe gegen die K e t z e r , aber v o m K r e u z z u g schweigt der E i d 8 . W o l l t e Innocenz v e r h i n d e r n , daß der K r e u z z u g w i e d e r zur Sache des K a i s e r s w ü r d e ; k o n n t e n die L e g a t e n O t t o nicht dazu b e w e g e n , sich der seit Friedrich I. u n d Heinrich V I . kaiserlichen Pflicht des K r e u z z u g e s a n z u n e h m e n ? D i e Frage m u ß offenbleiben ; d o c h die e r h o f f t e F ö r d e r u n g der B e f r e i u n g des Hl. Landes brachte das E n d e des Thronstreites nicht. 1224 verhandelte seine Schwester und Nachfolgerin, Königin Russutana, mit Honorius III. über die Beteiligung Georgiens am Kreuzzug, vgl. Pressutti 4979, Rodenberg 1,178—80, Nr. 251—53. Der Titel „Rex Avogviae" hat z. B. U. Schwerin, aaO Anhang (Tabelle Nr. 27) Probleme bereitet. Es ist die lateinische Form des Namens eines georgischen Teilreiches, den Manvelichvili aaO S. 120 als „royaume de Abkházethie" wiedergibt. Honorius III. spricht von Königin „Russutana de Anegnia" (Horoy IV, 628 Nr. 211), was der Lesart „rex Anoguiae" nahekommt, die MPL aaO neben „Rex Avogviae" bietet. 4 Der Kardinallegat Guala, der im Mai 1208 nach Frankreich zog, um den Eheprozeß des französischen Königs zu prüfen, sollte dort auch für die Sache des Hl. Landes werben, vgl. die päpstliche Ankündigung Reg XI,85 P.3424 vom 29. Mai 1208, MPL 215,1401 f. Doch da Innocenz die vom König erbetene Scheidung verweigerte, ließ dieser den Legaten wissen, wenn ihn nicht noch andere Geschäfte hielten, könne er ja abreisen; eine Unterstützung des Legaten durch den König war also ausgeschlossen. Vgl. Reg XI, 182, P. 3557 vom 9. Dezember 1208, MPL 215,1494-98 und Tillmann, Papst Innocenz S. 276. 5 Der Kreuzaufruf für die Lombardei und die Mark Ankona — parallele Aufrufe in andere Gebiete sind nicht bekannt - Reg XI, 185f, P.3559f vom lO.Dezember 1208, MPL 215,1500-1503. Ein aktueller Anlaß für den Kreuzaufruf wird nicht genannt. 6 Für die Kreuzwerbung in Frankreich wissen wir keine Einzelheiten. Die Werbung in Italien sollte vom gesamten Episkopat und Klerus getragen werden, wobei — wie schon 1199/1200 — eine Kreuzzugskommission, bestehend aus den Bischöfen von Ivrea und Cremona und dem Abt von Tillieto, Propaganda und Vorbereitung des Unternehmens leiten sollte. Die Werbung richtete sich an alle Christen des Gebietes; der Papst verhieß für Teilnahme und finanzielle Unterstützung dieselben Ablässe wie 1199/1200, versprach den Kreuzfahrern seinen Schutz und mahnte zum Frieden. Wieder sollte der Klerus einen Kreuzzugsvierzigsten zahlen, und wieder finden sich in den erhaltenen Schreiben keine klaren Angaben über den Kreuzzugsplan, Termine, Sammelpunkte, die Ausgangshäfen usw. Belege vgl. vorige Anmerkung. 7 Vgl. Innocenz' Begleitschreiben für die Legaten nach Deutschland, RNI 180, P. 3610 vom 16. Januar 1209, ed. Kempf S. 389,13-22 und den Brief an den Patriarchen, Reg XII, 8, P. 3685 vom 5.März 1209, MPL216,19C. 8 RNI 189 vom 22. März 1209, ed. Kempf S. 400 ff.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
Fehlt auch in diesen Jahren ein energisches direktes Eintreten des Papstes für einen neuen Kreuzzug, so läßt sich doch beobachten, daß Innocenz die Notwendigkeit eines neuen Kreuzzuges nicht aus den Augen verlor. Hierher ge^ hört die im Vergleich zu der für 1198 festgestellten Gleichgültigkeit auffallige Sorgfalt, die Innocenz jetzt dem Kreuzfahrerschutz zuwandte 9 . Besonders eindrucksvoll ist ein empörter Brief des Papstes an Otto IV., als 1209 Kaiserliche in der Nähe von Cremona heimkehrende Kreuzfahrer überfallen und gefangengenommen hatten. Innocenz erinnerte den Kaiser, in dem er doch zu diesem Zeitpunkt noch einen potentiellen Verbündeten sehen mußte, nicht nur an das ähnliche Schicksal seines Kreuzfahrer-Onkels Richard Löwenherz; er stellte Otto auch ausdrücklich die psychologischen Wirkungen dieses Uberfalls vor Augen : manch einer könnte durch diese Nachricht von seinem Entschluß, dem Hl. Land zu helfen, wieder abgebracht werden 10 . Dieselbe Rücksicht erklärt Innocenz' Empörung und Protest, als die Venetianer erneut Kreuzfahrer, die in der Republik Schiffe für die Reise ins Hl. Land gechartert hatten, kurzerhand für eigene Kriegszwecke mißbrauchten und nach Kreta verfrachteten 11 . All diese Maßnahmen lassen sich verstehen als Versuche des Papstes, für einen späteren Kreuzzug möglichst gute Voraussetzungen zu schaffen. Diesem Ziel dienten auch die Versuche zur Sicherung der Ergebnisse des 4. Kreuzzugs, so unerwartet und ungewollt sie für Innocenz gewesen waren. Denn auch nachdem er das Scheitern des 4. Kreuzzugs begriffen hatte, sprach Innocenz wiederholt vom Wert des Reiches Romania für die Befreiung des Hl. Landes. Als Theodor Laskaris, der Herrscher des griechischen Kaisertums von Nicäa, 1208 den Papst um Vermittlung bei Kaiser Heinrich von Konstantinopel bat, gab Innocenz zwar unentschuldbare Greuel bei der Eroberung Konstantinopels durch die Kreuzritter zu, die er selbst jedoch immer verurteilt habe. Die päpstliche Antwort zielte darauf ab, die Griechen hätten, indem sie den Kreuzzug behinderten, selbst die Lateiner provoziert; diese hätten deshalb durch die Eroberung des byzantinischen Reiches nur grundsätzlich sichern wollen, daß die Griechen Rom Gehorsam und dem Hl. Land Hilfe leisteten. Gott habe in seiner Weisheit das Ostreich den Lateinern übergeben, um so die Befreiung des Hl. Landes zu fördern12. 9 Z. B. beauftragte Innocenz den Erzbischof und den Dekan von Sens mit dem Schutz, den sie an Ort und Stelle besser ausüben konnten als er von Rom aus, für die Familie des gefallenen Kreuzfahrers Graf Ludwig von Blois, Reg X,67, P. 3112 vom 29. Mai 1207, MPL 215,1163B. Um den Schutz für den Sohn Herzog Leopolds von Osterreich wirksam zu gestalten, war Innocenz bereit, der kanonisch nicht ganz einwandfreien Ehe dieses Sohnes mit der Tochter des Meißener Landgrafen zuzustimmen, der dann, so hoffte Innocenz, seinem Schwiegersohn gegen alle Feinde beistehen werde, vgl. Reg XIII, 118, P. 4057 vom 31. Juli 1210, MPL 216,305. 10 Gleichzeitig forderte Innocenz beim Reichslegaten Wolfger von Aquileja, beim Bischof von Cremona und bei den örtlichen Behörden energisch die Freilassung der Kreuzfahrer. Reg XIII, 75—77, P. 3 7 7 1 - 7 4 vom 9. Juli 1209, MPL 2 1 6 , 8 0 - 8 2 . 11 Reg XII,2, P.3679 vom 27.Februar 1209, MPL 216,11. 12 Reg XI,47, P. 3337 vom 7. März 1208, MPL 2 1 5 , 1 3 7 2 - 7 4 .
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1210, mit mehr Abstand vom unglückseligen Ende des 4. Kreuzzuges, nannte Innocenz bereits Romania als Ausgangsbasis eines künftigen Kreuzzuges, deren strategischer Wert durch eine erneute griechische Herrschaft nur gefährdet werde, wie das Beispiel Isaaks II. lehre, der seine Freundschaft zu den Sarazenen so weit trieb, daß er Saladin zu Ehren in Konstantinopel sogar eine Moschee errichten ließ. Deshalb müsse Kaiser Heinrichs Regierung mit allen Mitteln, auch mit geistlichen Strafen, gestützt werden 13 . Ein weiteres Jahr später nannte Innocenz Kaiser Heinrich bereits wieder einen „crucesignatus" und erinnerte ihn daran, daß er noch nichts zur Befreiung des Hl. Landes unternommen habe, um welches Zieles willen doch er und seine Gefährten Konstantinopel erobert hätten 14 . Mit zunehmendem Abstand vom Ende des 4. Kreuzzuges stellte Innocenz so immer klarer den strategischen Wert der lateinischen Herrschaft in Romania heraus ; er bemühte sich, diese Basis für die Befreiung des Hl. Landes zu sichern und auszubauen und sie als solche dem Bewußtsein des Kaisers einzuprägen. Daneben half Innocenz in diesen Jahren dem Hl. Land auch direkt. Zunächst einmal durch immer neue Geldsendungen in die bedrängten Gebiete 15 und durch mancherlei finanzielle Unterstützung für den zum König von Jerusalem gewählten französischen Grafen Johann von Brienne 16 . Wichtiger aber war noch Innocenz' Bemühen, die Verhältnisse im Hl. Land auch innerlich zu konsolidieren. Für den heiß umstrittenen Patriarchenstuhl von Antiochia fand sich 1209 in Bischof Peter von Ivrea ein Prälat, dessen Eifer für das Hl. Land bekannt war. Sein und des Patriarchen Albert von Jerusalem, einst Bischof von Vercelli, Wirken war für das innerliche zerrissene Land „eine wahre Wohltat" (Tillmann) 17 . Im Verein mit ihnen mußte Innocenz in zahlreiche Querelen der im Hl. Land eng gedrängt lebenden Kleriker eingreifen, die sich um Pfründen, Bene13 Reg XIII,84, P.4139 vom 7.Dezember 1210, MPL 216,353f. Der akute Anlaß war die Rebellion des Michalicius, vgl. dazu Gerland aaO S. 190ff. 14 Reg XIV,109, P.4314 vom 5. Oktober 1211, MPL 216,470 A. 15 Die Mittel für diese Geldsendungen stammten aus inzwischen eingegangenen Kreuzzugssteuern oder Spenden z.B. Reg XI, 109, P.3454 vom 10. Juli 1208, MPL 215,1428, oder aus finanziellen Ablösungen von Bußstrafen, z. B. Reg XI, 185, P. 3559 vom 10. Dezember 1208, MPL 215,1503. Die Verteilung der Gelder oblag den Patriarchen von Jerusalem und Antiochien, den Großmeistern der Ritterorden und dem Jerusalemer König, z. B. Reg XII,28, P. 3716 vom 23. April 1209, MPL216,38B. 16 Innocenz gab dem zum König gewählten Grafen 14000 Silbermark aus eigenen Mitteln und vermittelte ihm ein Darlehen von 40000 Turoneser Pfund. Vgl. Reg XII,27, P. 3715 vom 23. April 1209, MPL 216,37BC. Zur finanziellen Hilfe für Johann vgl. zusammenfassend L.Böhm, Johann von Brienne (Diss. Heidelberg 1938) S. 27. Böhms Kritik, Innocenz habe Johann wegen seiner schlechten Erfahrungen mit dessen Bruder Walter von Brienne nur zurückhaltend unterstützt, ist eine unbewiesene Vermutung. 17 Zum Ganzen vgl. den Überblick bei Tillmann, Papst Innocenz S.222f, zum Streit um den antiochenischen Patriarchen ebd S. 253f Anm. 119. Ein Schlichtungsversuch des Papstes z. B. Reg XI, 110, P. 3455 vom 12. Juli 1208, MPL 215,1428f. Peter von Ivrea gehörte 1208 zur Kreuzzugskommission für die Lombardei, vgl. Anm. 6. Innocenz suchte den Amtsantritt des Gewählten zu beschleunigen, Reg XII,8 P. 3685 vom 5. März 1209, MPL 216,18BC.
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fizien usw. stritten 18 . Noch mehr als diese aber gefährdete König Leo von Armenien die Einheit der Christen im Hl. Land, der mit den Templern um deren Besitz in Armenien und mit Bohemund IV. von Tripolis um das antiochenische Erbe stritt. Trotz großer Geduld des Papstes, trotz des Einsatzes geistlicher Strafen gegen den streitsüchtigen Leo gelang es Innocenz nicht, den antiochenischen Erbstreit zu beenden. Nur Leos Streit mit den Templern konnte er 1213 schlichten19. Energisch setzte Innocenz sich auch für den Grafen Johann von Brienne ein, den die Barone des Jerusalemer Reiches zum Gemahl für Prinzessin Maria, die Erbin des Reiches 20 , und damit zum König gewählt hatten21. Innocenz war bei der Wahl und der Erhebung Johanns unbeteiligt ; als dieser ihn aber im Zuge seiner Vorbereitungen in Rom aufsuchte, unterstützte Innocenz ihn mit Geld und Empfehlungen und dankte dem französischen König, dessen Reich dem Hl. Land stets geholfen und nun sogar den König von Jerusalem gestellt habe22. Zum Konflikt um König Johann kam es 1212, als er nach dem frühen Tode seiner Frau rechtlich nur noch Regent für die kleine Isabella II. Jolande war, aber mit seinem Anspruch, König kraft eigenen Rechtes zu sein, die erregte Opposition der selbstbewußten Barone hervorrief. Dazu kam als äußerer Feind König Hugo von Cypern, Sohn Amalrichs I. von Cypern und Jerusalem. Während Hugos Minderjährigkeit hatte Walter von Montbéliard, ein Baron aus dem Hl. Land und Onkel Johanns, auf Cypern regiert; er war dort so verhaßt, daß er nach Schluß seiner Regentschaft 1211 zu Johann nach Akkon floh, wo er 1212 starb. Aber Hugo rächte sich über Walters Tod hinaus an Johann und unterstützte bereitwillig dessen Feinde. Er ließ sogar einige Vasallen Johanns einkerkern, die sich bei einem Überfall der Sarazenen nach Cypern geflüchtet hatten23. In dieser bedrängten Lage trat der Papst kräftig für Johann ein. Er tadelte Hugos Verhalten, das nur den Sarazenen nützte, und warnte Hugo vor Kriegen mit christlichen Fürsten im Orient. Zugleich appellierte Innocenz an die Ritterorden und den Grafen von Tripolis 24 , nicht durch Opposition gegen Johann die Einheit 18 Statt zahlreicher Belege sei hier nur ein von Innocenz durch rasches Eingreifen im Keime erstickter Streit erwähnt, der drohte, als die Templer sich darüber empörten, daß die DeutschordensRitter den weißen Mantel, ein Privileg der Templer, übernahmen. Reg XIII, 125f. P . 4 0 6 8 f vom 27. August 1210, M P L 216, 3 1 2 f . Vgl. auch P.4289 vom 28. Juli 1211 (nicht im Register). 1 9 Für Innocenz' Geduld vgl. z.B. Reg XIII, 123, q.4066 vom 20. August 1210, M P L 2 1 6 , 3 1 0 f f ; zum Bann gegen Leo Reg X I V , 64—66, P. 4 2 4 7 - 4 9 vom 18. Mai 1211, MPL 2 1 6 , 4 3 0 ff, zum Ende des Streites mit den Templern Reg X V I , 7, P.4685 vom 22. März 1213, M P L 216,792. 20 Maria entstammte der Ehe Königin Isabellas mit Konrad von Montferrat; Isabella war 1205, bald nach dem Tode König Amalrichs, gestorben. 2 1 Zur Wahl und Erhebung Johanns vgl. Böhm, Johann von Brienne S. 25—27.102—104; danach reiste eine Jerusalemer Delegation nach Frankreich, um Philipp August um die Freistellung des Gewählten zu bitten, nicht wie die ältere Auffassung meinte (die z.B. Runciman 111,137 noch bietet), um Philipp August um Nominierung eines Kandidaten zu bitten. Graf und König stimmten der Wahl zu; Johann traf 1210 im Hl. Land ein und wurde mit Maria getraut und gekrönt. 22 Vgl. Anm. 16. 23 Vgl. Böhm aaO S. 3 2 - 3 5 . 24 Die Zahl der Parallel-Adressaten war vielleicht größer.
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der Christen im Hl. Land zu gefährden, die er der besonderen Sorge des Patriarchen Albert empfahl. Schließlich mahnte der Papst König Johann selbst, sich um der Einheit der Christen und um der Sarazenengefahr willen nicht durch Angriffe von christlicher Seite provozieren zu lassen25. Diese Briefgruppe zeigt noch einmal Innocenz' Sorge um die Eintracht der Christen im Hl. Land; sie entsprang der Einsicht, daß der innere Friede in den christlichen Ländern in Syrien/Palästina Voraussetzung eines neuen Erfolges gegen die Sarazenen war. Endlich muß ein Schritt des Papstes erwähnt werden, für den es in seiner bisherigen Kreuzzugspolitik keinerlei Parallele gab: 1211 schrieb Innocenz an den Gegner, den Sultan El-Adil (auch Saphadinus von Aleppo genannt). Der Papst griff ein Gerücht auf, El-Adil sei zwar ungetauft, aber im Herzen Christ. Im Vertrauen darauf, daß Gott dem Sultan schon die Wahrheit zeigen werde, warb Innocenz um El-Adil; vor allem aber rief er den Sultan auf, dem Patriarchen von Antiochien gegen alle Angriffe zu helfen und sich so Gottes Gnade und des Papstes Freundschaft zu verdienen. Der Brief zeigt damit kaum Verständnis für die Aufgabe einer Sarazenenmission26. Aber er ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Innocenz in diesen Jahren die Befreiung des Hl. Landes weniger durch die militärische Aktion, den Kreuzzug, als durch Verhandlungen, Schlichtung, Wiederherstellung der Ordnung zu fördern versuchte. Im Bild dieser Jahre fehlte eine Farbe, wenn wir nicht die Sorge um die Christen in sarazenischer Gefangenschaft nennten. Diese Aufgabe war alt, aber Innocenz hatte sie bislang privater Initiative überlassen 27 . Nun erinnerte ein trauriger Bericht des Patriarchen Nikolaus von Alexandrien den Papst daran. In seiner Antwort verwies Innocenz 1209 den Patriarchen und die Gefangenen auf Gottes tröstenden Geist und auf die zukünftige Offenbarung seiner Macht und versprach recht allgemein, das Seinige zur Hilfe zu tun 28 . Als der Patriarch, den dieses Schreiben nicht befriedigte, mit einer eindringlichen Schilderung der traurigen Lage noch einmal Hilfe erbat, antwortete Innocenz 1212 wieder mit einem geistlichen Trostschreiben. Zugleich aber erlaubte er Nikolaus, wie dieser vorgeschlagen hatte, einen geeigneten Mann unter den Gefangenen zum Diakon zu weihen, damit die Gefangenen, unter denen nur ein alter Priester wirkte, nicht wegen des mangelnden priesterlichen Beistandes vom Glauben abfielen. Darüber hinaus ließ er durch den Jerusalemer Patriarchen die Fürsten und Ritterorden aufrufen, alles zur Befreiung der Gefangenen zu tun, die dieses Schicksal doch ereilt habe, als sie den christlichen Glauben verteidigten. Wer helfen könne, es aber nicht tue, versäume schuldhaft ein Werk der Barmherzigkeit (Matth. 25,36 b) und müsse 25
Reg XV,208—211, P. 4638f. 4642f vom 7.-9. Januar 1213, MPL 216,736ff. Vgl. hierzu unten S.286f. 27 Einer Bruderschaft zum Loskauf christlicher Gefangener schrieb Innocenz 1199 eine Empfehlung an den König von Marokko, Reg 11,9, P. 619 vom 8. März 1199, MPL 214,544. Zu Innocenz' Fürsorge für christliche Gefangene vgl. auch Luchaire IV, 16 f und Tillmann, Papst Innocenz S. 246 Anm. 81. 28 Reg XII, 12, P. 3691 vom 23. März 1209, MPL 216,23. 26
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daher vom Sakrament ausgeschlossen werden. Sogar den Kampf dürfe man nicht scheuen, wenn es gelte, die Brüder zu befreien 29 . Wir werden diesem Motiv alsbald in Innocenz' Kreuzaufruf von 1213 wieder begegnen. Unser Überblick hat gezeigt, daß die Jahre 1207—1213 im Wirken Innocenz' III. für die Befreiung des Hl. Landes keinen selbständigen Abschnitt bilden ; nach anfänglichen Versuchen, ein neues Kreuzheer anzuwerben, beschränkte sich Innocenz auf eine Konsolidierung der christlichen Herrschaftsgebiete im östlichen Mittelmeerraum. Von dieser Grundlage aus, so mag er gedacht haben, sollte dann ein künftiger Kreuzzug erfolgreicher operieren können. Die Hauptaufmerksamkeit des Papstes war in diesen Jahren auf die Ereignisse im Westen gerichtet; hier waren auch die Kräfte der Christenheit gebunden. Doch unser Uberblick hat gezeigt, daß die Sorge um das Hl. Land integrierender Bestandteil des päpstlichen Denkens geworden war ; sie konnte zeitweise zurücktreten, blieb aber immer innerhalb des Horizontes. Diese Kreuzzugspolitik auf weite Sicht befriedigte aber die Kreuzzugsfrömmigkeit des Volkes nicht. Die einfachen Leute, die keine Ritter waren und keine Mittel für die Kreuzzugsteilnahme besaßen, waren seit dem 2. Kreuzzug praktisch vom Kreuzzug ausgeschlossen. Um so stärker hatte sich hier die Kreuzzugsbegeisterung gehalten, deren Schwinden in den Ritterkreisen die Kreuzwerbung so erschwert hatte. Nachdem nun die Kreuzzüge der Großen und der Reichen immer wieder gescheitert waren, brachen 1212 die Machtlosesten, die Kinder auf. Ohne Waffen, nur im Vertrauen auf Gott, wollten sie das Hl. Land befreien ; die Kinderkreuzzüge, in Deutschland und Frankreich gleichzeitig und unabhängig voneinander entstanden, blieben eine Episode ohne große Folgen 30 . Der Papst hat kaum Notiz davon genommen ; in den vollständig erhaltenen Registern der Jahre 1212/1213 verrät keine Zeile, daß Innocenz von jenen Zügen wußte. Nur Albert von Stade berichtet, Innocenz habe, als er gerüchtweise von den Kinderkreuzzügen hörte, seufzend gesagt: „Diese Kinder beschämen uns, denn während sie zur Rückgewinnung des Hl. Landes eilen, schlafen wir" 31 . Die Kinderkreuzzüge waren aber ein deutliches Anzeichen, daß die Kreuzzugsbewegung noch nicht tot war, daß vielmehr das Volk, weite Kreise des populus christianus, noch sehnsüchtig die Befreiung des Hl. Landes erstrebten. Im Frühjahr 1213 ging die Zwischenzeit zwischen den großen Kreuzzügen Innocenz' III. zu Ende. Wir prüfen abschließend, wann der neue Kreuzzugsplan sich abzuzeichnen begann. Die allgemein gehaltene Hilfsankündigung an König 29
Reg X I V , 1 4 6 - 1 4 8 , P. 4365.4363.4366 vom 18., 13., 19. Januar 1212, MPL 2 1 6 , 5 0 6 - 5 0 9 .
Zum Verlauf der Kinderkreuzzüge vgl. die grundlegende, kritische Quellenanalyse von D. C.Munro, The Children's Crusade, AHR 19 (1913/14) S. 5 1 6 - 2 4 , die J.Hansberry, The Children's Crusade, Cath. Hist. Review 24 (1938/39) S. 3 0 - 3 8 und N. Zacour, HC 1 1 , 3 2 5 - 4 2 fortsetzen. Zur geistesgeschichtlichen Einordnung der Kinderkreuzzüge vgl. P. Alphandéry, Les croisades d'enfants, Revue d'histoire des religions 73 (1916) S. 259—282 und ders., La Chrétienté et l'idée de croisade II, 115 bis 148. 30
31
M G H SS X V I , 355,37 f.
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Johann vom Januar 1213 scheint noch keine konkreten Kreuzzugspläne vorauszusetzen32. Aber in einem fast gleichzeitigen Brief an den päpstlichen Legaten beim Ketzerkreuzzug ist ein neues Interesse für den Zug ins Hl. Land spürbar. Der Brief stellt fest, der Kampf gegen die Ketzer sei weithin abgeschlossen, aber Nachrichten aus dem Orient meldeten neue Rüstungen der Sarazenen. Dieser neuen Gefahr könne der Papst um so besser begegnen, je weniger ihn andere Sorgen belasteten; der Legat solle daher die streitenden Kreuzfahrer in Südfrankreich, Simon von Montfort und Peter von Aragon, miteinander versöhnen. Schließlich ordnete Innocenz an, der Legat dürfe von der Vollmacht, das Volk zum Ketzerkreuzzug aufzurufen und dafür den Kreuzablaß zu verheißen, nur noch mit ausdrücklichem Auftrag aus Rom Gebrauch machen; er wolle das christliche Volk nicht ermüden, war des Papstes Begründung 33 . Einige Wochen später gewährte Innocenz wieder einmal dem König Andreas von Ungarn Aufschub für sein Kreuzgelübde. Aber diesmal setzte er eine klare Frist und mahnte Andreas, diese drei Jahre zur Vorbereitung des Zuges zu nutzen34. Der große Kreuzaufruf vom April 1213 sah vor, daß in 2J/2 Jahren das Konzil stattfände und erst dann der Kreuzzug aufbrechen wollte, d. h. bis zum Aufbruch mußte Innocenz mit rund drei Jahren rechnen. Da der Aufruf vom April 1213 in längerer Arbeit sorgfaltig vorbereitet war 35 , muß Innocenz einige Zeit vorher den Entschluß gefaßt haben, einen neuen Kreuzzug zu propagieren. Vom Kreuzaufruf her interpretiert zeigen die beiden letztgenannten Papstbriefe in der verstärkten Hinwendung zum Hl. Land und in der Befristung des Aufschubs für König Andreas erste Spuren des nun bei Innocenz entstehenden Planes zu einem neuen großen Kreuzzug 36 .
Reg X V , 2 1 1 , P. 4643 vom 9. Januar 1213, M P L 2 1 6 , 7 3 9 A . Reg X V , 2 1 5 , P.4648 vom 15. Januar 1213, MPL 2 1 6 . 7 4 4 A . 34 Reg X V , 2 2 4 , P. 4669 vom 3. Februar 1213, M P L 216,757. R. Röhricht, Studien zur Geschichte des 5. Kreuzzuges (1891) S.23, begründet diesen Aufschub irrtümlich damit, daß Andreas jetzt die Nachfolge seines verstorbenen Bruders Emmerich antrat und erst einmal sein Land ordnen mußte. Aber Emmerich war schon 1205 gestorben und Andreas seither König. Röhricht stützt sich auf einen angeblichen Brief von 1209 an Emmerich, P. 3820, der aber als Reg V . 1 0 3 , MPL 2 1 4 , 1 1 0 0 ins Jahr 1202 gehört. 32
33
Vgl. den Nachweis von G. Tangl, Studien zum Register Innocenz' III. (1929) S. 27—45. Die gelegentlich vertretene Ansicht, der Eindruck der Kinderkreuzzüge habe Innocenz zu dem neuen Kreuzzugsplan veranlaßt, läßt sich in den Quellen nicht belegen. Diese Auffassung ζ. B. bei H. Zimmermann, Die päpstliche Legation (1913) S. 205 und F. Wiegand, Art. Kreuzzüge in RE 3. Aufl. Bd. 11, S. 102,30ff. 35
36
4. K A P I T E L
Die Vorbereitungen des 5. Kreuzzuges unter Innocenz III. (April 1213 bis Juli 1216) Als Innocenz im April 1213 erneut zum Kreuzzug aufrief, konnte er nicht ahnen, daß er die Durchführung dieses Zuges nicht mehr erleben sollte. Ein knappes Jahr vor dem vom Laterankonzil 1215 auf den 1. Juni 1217 festgesetzten Aufbruchstermin starb Innocenz am 16. Juli 1216 im Alter von nur 56 Jahren. Honorius III. gab sich redliche Mühe, das Erbe seines Vorgängers recht zu verwalten ; doch aus dem großen Plan wurden eine Reihe voneinander unabhängiger Unternehmen. Die Kreuzzugsbewegung von 1217 mit den Königen von Ungarn und Cypern, dem Herzog von Osterreich und dem Grafen von Tripolis ; ein Jahr später begann der Kreuzzug von Damiette, der 1221 scheiterte. Man hatte vergeblich gehofft, Friedrich II. werde sein Kreuzgelübde erfüllen. Er tat es erst 1229 in einem „Kreuzzug", der kein militärisches Unternehmen war, sondern das kühle Werk eines Diplomaten. Wir müssen uns daher für die vorliegende Studie auf die Vorbereitungen des Kreuzzugs unter Innocenz III. beschränken, denn die Durchführung war das Werk anderer und erlaubt keine Rückschlüsse auf die Absichten und Vorstellungen Innocenz' III. Diese Aufgabe wird durch den Verlust von Teilen unserer Hauptquelle erschwert. Die Jahrgänge XVII—XIX des päpstlichen Registers (22. Februar 1214 bis zum Tode Innocenz') sind verloren; kurze Inhaltsangaben aus dem 14. Jahrhundert bieten für die Jahrgänge XVIII und XIX spärlichen Ersatz 1 . Im übrigen sind wir auf die schmale Empfangerüberlieferung angewiesen 2 . Immerhin sind aber die Kreuzzugsbestimmungen des Konzils von 12153 und die päpstliche Bekanntmachung der wichtigsten Punkte daraus im Januar 1216 erhalten 4 . So können wir die Hauptlinien der päpstlichen Kreuzzugsvorbereitungen erkennen, die sich in zwei Phasen gliedern: mit dem Kreuzaufruf vom April 1213 begannen die Vorbereitungen, die das Konzil im November 1215 bestätigte, verbesserte und vertiefte. 1
Ediert bei Α. A. Theiner aaO, fast wörtlich referiert bei P. 5127—5314. Bei der Datierung hilft gelegentlich ein neu entdecktes Verzeichnis von Papstbriefen, vgl. A. Haidacher, Beiträge zur Kenntnis der verlorenen Registerbände Innocenz' III., RHM 4 (1960/61) S. 3 7 - 6 2 , bes. S. 50f. 2 K. Hampe, Aus den verlorenen Registerbänden Innocenz' III. und Innocenz' IV., MIÖG 23 (1902) S. 545—68 hat einige weitere Texte aus einem Briefbuch ediert. 3 P. 5012, MPL 2 1 7 , 2 6 9 - 7 3 und Mansi XXII, 1057-68. 4 P. 5048, MPL 2 1 7 , 2 5 5 - 5 8 .
Die Vorbereitung des 5. Kreuzzuges (1213 bis 1216)
a) Vom Kreu^ugsaufruf
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bis %um Konsul ( 1213—1215)
Im April 1213 schrieb Innocenz III. in einer Fülle von parallelen Briefen ein großes allgemeines Konzil für den 1. November 1215 in Rom aus5. Wir erwähnten bereits, daß Innocenz in diesem Konzil die Vertretung der Christenheit sah, als deren Haupt er sich verstand®. Unter den mancherlei drängenden Fragen, die ein solches Konzil erforderten, hob Innocenz zwei hervor: die Wiedereroberung des Hl. Landes und die Reform der ganzen Kirche. Während der Aufruf die Reformaufgaben im einzelnen erläuterte, heißt es zum Kreuzzug ganz allgemein, das Konzil solle die christlichen Völker zur Hilfe für das Hl. Land anleiten, wie sie Klerus und Laien leisten sollten. Da das Konzil aber erst in einigen Jahren zusammentreten konnte, sollte inzwischen in jeder Diözese geprüft werden, welche Probleme das Konzil besprechen sollte. Geeignete Männer sollten die Sache des Hl. Landes betreiben, damit der Papst diese Aufgabe desto erfolgreicher angehen könnte, wenn das Konzil unter dem Druck der Notlage ihn persönlich damit betrauen sollte. Diese Sonderbeauftragten für die Kreuzzugsvorbereitung sollte der Klerus treu und klug unterstützen, damit sie ihrer Aufgabe, Hilfe für das Hl. Land zu beschaffen, mit Erfolg nachgehen könnten. Es fallt auf, wie sehr Innocenz in allen Kreuzzugsbriefen dieses Jahres betonte, der Kreuzzug müsse Erfolg haben. Die böse Erinnerung an das Scheitern, die Erfolglosigkeit des 4. Kreuzzuges ist deutlich zu spüren; der neue Kreuzzug durfte nicht wieder so enden, er mußte Erfolg haben7. Innocenz' Forderung nach Gutachten und Denkschriften sollte seine Kreuzzugsplanung auf eine ganz neue, sachliche Basis stellen. Wir wissen nicht, ob das gelang, denn kein solches Gutachten ist erhalten. Aber das Beispiel machte Schule; vor allem aus der Zeit Gregors X. sind zahlreiche Denkschriften über den Kreuzzug bekannt8. Innocenz begnügte sich nicht mit der Forderung nach Gutachten. Dem Patriarchen von Jerusalem schrieb er noch besonders, er solle wenn irgend möglich persönlich und in Begleitung sachkundiger Berater zum Konzil kommen9. Innocenz wollte sicherstellen, daß bei der Vorbereitung des Kreuzzuges auch wirklich alles bedacht würde. Schon diese Maßnahmen zeigen, wie sorgfaltig und überlegt Innocenz diesmal an das Unternehmen heranging. Nichts erinnert an die Eile, die ihn im Sommer 1198 wichtige Angaben im Kreuzaufruf vergessen ließ. Diesen Eindruck 5 Die Briefe waren zum Teil besonders auf die jeweiligen Empfanger abgestimmt. Wir legen die ins Register eingetragene Normalform zugrunde. Reg XVI, 30, P. 4706 vom 19. April 1213, MPL216, 823-27. β Vgl. oben S.26f. 7 Die zahlreichen Belege für diesen Gedanken, gewöhnlich mit dem Stichwort „efficax" oder „effectus", können hier nicht vollständig aufgeführt werden. Besonders eindrucksvoll ist das Wortspiel, der „aifectus" zur Hilfe für das Hl. Land müsse zum „effectus" werden, Reg XVI, 91, P. 4784 vom 2. August 1213, MPL 216,892B. Zum Erfolgsmotiv in Innocenz' Kreuzzugsgedanken vgl. unten S. 271 ff. 8 Vgl. Throop aaO S. 7 9 Reg XVI, 36, P. 4720 vom 26. April 1213, MPL 216,831BC. ff.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
bestätigt der große Kreuzzugsaufruf, der in der zweiten Aprilhälfte 1213 in fast alle Länder der Christenheit ging 10 . Nur Spanien, wo ein eigener Kreuzzug gegen die Mauren gefuhrt wurde 11 , und die eroberten byzantinischen Gebiete fehlen in der Adressenliste. Das mag Zufall sein, denn die Adressenlisten wurden im Register oft unvollständig geführt 12 . Aber auch von einer Kreuzzugsbeteiligung aus Romania findet sich keine Spur; sollte Innocenz entgegen allen früheren Erwartungen wegen der inneren politischen Schwierigkeiten des lateinischen Kaiserreichs keine Hilfe von dort erwartet haben? Ein glücklicher Zufall erlaubt es, zu verfolgen, wie der Aufruf (und ebenso die Konzilsladung) in der Kanzlei vorbereitet wurde, und dann, vermutlich im Konsistorium, noch einmal überarbeitet wurde, wobei z. T. beachtliche Zusätze und Änderungen hinzukamen. G. Tangl hat den Text in der Chronik des Burchard von Ursberg, der von der Registerfassung und von einer erhaltenen Originalausfertigung abweicht, als solchen Kanzleientwurf bestimmt 13 . G. Tangl hat auch gezeigt, in wie starkem Maße für diesen Kreuzaufruf Innocenz' Kreuzaufrufe von 1198 ff. und auch Aufrufe früherer Päpste herangezogen wurden. Oft geht die Übereinstimmung bis in den Wortlaut hinein und zeigt so, wie sorgfaltig man bei der Abfassung des Aufrufs vorging 14 . Zum Grundschema der päpstlichen Kreuzbulle gehörte als erstes die „narratio" ; sie berichtete die akute Lage im Hl. Land und nannte damit den Anlaß für den Kreuzzugsaufruf 15 . Eine solche narratio fehlt im Aufruf von 1213. Die Einleitung gibt sich zwar so, aber in Wirklichkeit berichtet sie nichts Konkretes. Der Aufruf nennt nur ein Faktum aus der jüngsten Geschichte des Hl. Landes, den Bau einer für Akkon bedrohlichen, starken Sarazenenfestung auf dem Tabor 16 . Doch steht diese Notiz so sehr in exhortativem Zusammenhang, daß sie kaum als narratio im üblichen Sinne gelten kann. Es ist auch kaum denkbar, daß dieser Bau von 1211 die gewaltigen Kreuzzugsvorbereitungen seit 1213 ausgelöst hätte; zudem zeigt die Langfristigkeit, mit der Innocenz die Vorbereitungen anordnete, daß es 1213 nicht um die Behebung einer plötzlichen, drängenden Notlage wie 1198 ging 17 . So darf man folgern, daß Innocenz 1213 weit mehr als alle seine Vorgänger aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zum Kreuzzug aufrief; nicht ein gerade besonders akuter Notstand, sondern die grundsätzliche Pflicht seines Amtes trieb ihn zu diesem Schritt 18 . 1 1 So auch Cramer aaO S. 193. Reg X V I , 2 8 , P. 4725, M P L 2 1 6 , 8 1 7 - 2 2 . Das übersieht Cramer, wenn er ebenda von einer „22fachen Ausfertigung" des Aufrufs spricht. 1 3 G. Tangl, Studien zum Register Innocenz' III. (1929) S. 2 0 - 4 5 . 1 4 Vgl. ebd S.4—16. Tangl begnügt sich mit dem Nachweis von Gedanken und Formulierungen in älteren Aufrufen, ohne die Bedeutung solcher Wiederaufnahme zu erwägen. 1 5 Vgl. U. Schwerin aaO S. 38ff. 1 6 MPL 2 1 6 , 8 1 8 B . Mit 77 Bastionen und 2000 Mann Besatzung war die Festung ungewöhnlich stark, vgl. Röhricht, Studien aaO S. 28. 1 7 So auch H. E. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge S. 191. 1 8 Nach Mayer aaO S. 191 f wollte Innocenz die den päpstlichen Zielen günstige politische Lage in Europa ausnutzen, die alle Fürsten an der Kreuzzugsteilnahme hinderte. Die Ausführungen dieses 10 12
Die Vorbereitung des 5. Kreuzzuges (1213 bis 1216)
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Wir wenden uns nun dem Inhalt des Aufrufs zu. Einige Motive sollen hier nur kurz erwähnt werden, da wir ihnen im Kapitel über den Kreuzzugsgedanken in größerem Rahmen nachgehen werden. Innocenz' Aufruf beginnt mit der Feststellung, da gegenwärtig mehr denn je die Not des Hl. Landes Hilfe verlange, müsse der Papst Christi Ruf nach Streitern in seinem Dienst aufnehmen und an die Gläubigen weitergeben. Gott könnte auch ohne ihre Hilfe das Hl. Land zurückgewinnen; aber er ruft die Christen zu dieser Aufgabe, bietet ihnen die Möglichkeit, sich das ewige Leben zu erwerben, und kann so erkennen, welche Gläubigen den Dienst des Herrn ernst nehmen. Es folgt ein Bild, das Innocenz zwar schon früh, vor ihm aber noch kein Papst benutzt hatte : Christus, der vertriebene König, erwartet die Hilfe seiner Lehnsleute, der Gläubigen. Lehnsleute, die ihren Herrn nicht mit aller Kraft zu befreien versuchen, müssen mit strengem Gericht rechnen, wenn ihr Herr wieder zur Herrschaft gelangt; nicht minder erwartet die Christen, die dem Hilferuf Christi nicht folgen, harte Strafe. Mit dieser Analogie aus dem Lehnsrecht begründete Innocenz die Pflicht eines jeden Christen, im Kreuzzug dem Herrn zu dienen19. Nach dieser Begründung des Kreuzzugs von Christus her folgt eine neue Begründung; die in sarazenischer Gefangenschaft schmachtenden Christen bedürfen der befreienden Tat ihrer Brüder. Dieser Gedanke war zwar schon im Kreuzaufruf Eugens III. angeklungen, von wo ihn Alexander III. übernommen hatte 20 ; aber seither waren Jahrzehnte vergangen und Innocenz übernahm hier nicht einfach einen traditionellen Topos der Kreuzwerbung 21 . Wir sahen oben, daß der Patriarch Nikolaus von Alexandrien Innocenz mehrfach und nachdrücklich auf das traurige Los dieser Gefangenen aufmerksam gemacht hatte. Innocenz' Briefe an Nikolaus, die Gefangenen und an die christlichen Fürsten im Osten zeigten, daß er seine Pflicht begriffen hatte, hier zu helfen22. Er begnügte sich jetzt auch nicht damit, die Not der gefangenen Christen als einen Grund für den Kreuzzug zu nennen; er schrieb gleichzeitig an Sultan El-Adii und schlug einen Gefangenen-Austausch vor 23 . Der Aufruf fahrt dann fort: bis zur Zeit Gregors d. Gr. 2 4 waren viele der jetzt sarazenischen Provinzen im Besitz der Christen, bis dann Mohammed, der Sohn des Verderbens, aufstand und sie erbeutete. Aber man darf getrost auf den Herrn hoffen, der von den 666 Jahren, die der Seher Johannes für das Tier aus dem Kapitels und unten über den Kreuzzugsgedanken Innocenz' werden zeigen, daß damit die treibende Kraft in Innocenz' Kreuzzugsplan verkannt wird. 1 9 Vgl. unten S. 281 ff. 2 0 J L 8796 vom l . M ä r z 1146, ed. P. Rassow in N A 45 (1924) S.303, 16ff, vgl. J . L . I I 218 vom 14. Juli 1165, M P L 200.385AC. 2 1 Die Überlegung, ob Innocenz den Gedanken direkt von Eugen oder von Alexander übernahm, vgl. Tangl, Studien S. 16, geht daher am Wesentlichen vorbei. 22 Vgl. oben S.137Í. 2 3 Reg X V I , 3 7 , P. 4719 vom 26. April 1213, M P L 216, 832A. 24
Der Text bei M P L ist hier völlig durcheinandergeraten. Ich folge Mansi X X I I , 975 Β.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
Abgrund nennt, „fast 600 Jahre" schon hat vergehen lassen. Innocenz sah also die entscheidende Zeit nahen, ohne den Zeitpunkt genau festzulegen 25 . Vorerst haben aber die Sarazenen jetzt als neueste Beleidigung Christi auf dem Tabor, wo einst der Herr vor den Jüngern verklärt wurde, eine große Festung gebaut, die den christlichen Rest des Hl. Landes bedroht. Auf diese lange Exposition folgt die kurze exhortatio, der eigentliche Aufruf : Auf denn, geliebteste Söhne, laßt den gegenseitigen Streit; in brüderlicher Liebe gürtet euch zum Dienst des Gekreuzigten und zögert nicht, euch für den einzusetzen, der für eure Seelen sein Blut vergoß. So werdet ihr mit irdischer Mühe die ewige Ruhe erwerben 26 . Den größeren Teil des Aufrufs Quia maior machen die statuta aus. Sie zeigen wieder, wie sorgfaltig vorbereitet und durchdacht der Aufruf ist. Möglichst genaue und ausführliche Anordnungen, die alles Wichtige behandeln, sollten dem Kreuzzug zum Erfolg verhelfen. Der volle Kreuzablaß wird, wie schon früher, jedem gewährt, der auf eigene oder fremde Kosten persönlich am Kreuzzug teilnimmt oder einer seiner Finanzkraft entsprechenden Zahl von Kreuzfahrern die Teilnahme finanziert; Teilablaß, dessen Höhe sich, wie 1198, nach der Größe der Gabe und dem Grad der Frömmigkeit richten soll, wird denen verheißen, die ihren Mitteln entsprechend zu den Kreuzzugskosten beitragen. Den Kreuzfahrern wird wieder von der Kreuznahme an der apostolische Schutz gewährt; ausdrücklich werden die örtlichen Bischöfe und Prälaten als zuständige Schutzgaranten genannt. Wir sahen, wie Innocenz sich zunächst wenig um den Kreuzfahrerschutz gekümmert, diese Aufgabe aber nach dem Scheitern des 4. Kreuzzugs ernster genommen und in einzelnen Fällen ortsansässige Prälaten damit betraut hatte, die wirksamer als der ferne Papst helfen konnten. Innocenz hatte damit aber nur eine alte Bestimmung mit neuer Kraft erfüllt, so daß 1213 die Schutzformel des Aufrufs von 1198 wörtlich übernommen werden konnte. Wie üblich sollen den Kreuzfahrern die Schulden zinslos gestundet werden; jüdische Gläubiger, die dieser Mahnung der Kirche unzugänglich sind, soll notfalls die weltliche Gewalt und ein Handelsboykott der Christen dazu zwingen 27 . Um die Hilfe wirksamer zu gestalten, beschwört Innocenz im Aufruf in feierlichster Form, beim Vater, Sohn und Hl. Geist, dem allein wahren und ewigen Gott im Namen Christi und für Christus alle Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Prioren, die Kapitel der Kathedralen und Konventualkirchen, alle Kleriker, nicht minder die Städte, Dörfer und Kastelle, desgleichen alle Könige, Fürsten, Grafen, Barone und sonstigen Großen, auch wenn sie vielleicht persönlich nicht Vgl. hierzu unten S. 288ff. Diese kurze Paraphrase ist keine Übersetzung, sondern soll nur den Stil der wörtlichen Rede beibehalten. 27 Martini aaO S. 321 betont, daß Innocenz bei dieser Forderung keinerlei kanonistische Begründung benutzte; die weltliche Gewalt konnte, aber mußte nicht helfen. 26 26
Die Vorbereitung des 5. Kreuzzuges (1213 bis 1216)
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teilnehmen können, eine angemessene Zahl von Kreuzfahrern für drei Jahre zu stellen. Wo eine kleine Stadt, ein Kloster usw. dazu allein nicht in der Lage ist, sollen mehrere sich zusammentun ; der Papst hofft mit Sicherheit, wenn das Geld nicht fehlt, fehlen auch die Menschen für den Kreuzzug nicht. Wir haben bereits erwähnt, daß der Appell an die Herrschaftsverbände und Kollektive nur der Sozialstruktur entspricht28. Auch hinter dieser Liste steht die Christianitas-Vorstellung ; nicht nur die „Kirche" oder die einzelnen Gläubigen, sondern die christlichen Völker und Reiche, die ganze Christenheit soll den Kreuzzug führen. Über den Kanzleientwurf hinaus ist an dieser Stelle die Forderung eingefügt, die Seestädte sollten Schiffe zur Verfügung stellen29. Aus diesem Zusatz spricht deutlich Innocenz' böse Erfahrung beim 4. Kreuzzug, als die mangelnde Vorsorge für Schiffsraum das Kreuzheer in die verderbliche Abhängigkeit von den Venetianern geführt hatte. Diese wurden jetzt noch einmal besonders daran erinnert, ihr Kreuzzugsgelübde von 1201 endlich zu erfüllen 30 . Vor allem aber ist Geld für den Kreuzzug nötig. Daher verspricht Innocenz, selbst nach Kräften den Zug zu unterstützen ; allen Klerikern erlaubt er wie 1199, zu diesem Zweck ihre Pfründe auf drei Jahre zu verpfänden. Dem gleichen Zweck dient die wohl bedenklichste Bestimmung des Aufrufs: da es zu zeitraubend ist, jeden, der das Kreuz begehrt, auf seine Tauglichkeit zu prüfen, soll unterschiedslos jedermann zur Kreuznahme zugelassen werden, ausgenommen Ordensleute und Regularkanoniker. Wenn dann dringende Notwendigkeit und augenscheinlicher Nutzen — zwei höchst dehnbare Bedingungen — es erfordern, können die Kreuzgelübde mit apostolischer Erlaubnis umgewandelt, aufgeschoben oder durch Zahlungen abgelöst werden. Die finanzielle Absicht ist unverkennbar. Um den Erfolg des Kreuzzugs finanziell sichern zu können, brach Innocenz mit der gesamten Tradition und öffnete der unkontrollierten Massenbegeisterung Tor und Tür; bei der notwendig folgenden Ernüchterung mußte der religiösen Kreuzzugsbewegung großer Schaden entstehen31. Auf diese Bestimmung folgt im Aufruf die Aufhebung der Kreuzablässe für den Kampf gegen die Mauern und die Albigenser, ausgenommen die spanischen bzw. die südfranzösischen Kampfteilnehmer 32 . Ablässe werden, so heißt es im Aufruf, nur bei konkreten Anlässen gewährt; in beiden Fällen ist dieser Anlaß jetzt überholt, weil beide Male Gottes Gnade solche Fortschritte ermöglichte, daß ein energisches Nachdrängen nicht mehr nötig ist. Auf die Anfrage eines Kreuzpredigers antwortete Innocenz, daß diese Bestimmung auch rückwirkend für noch nicht erfüllte Gelübde zum Ketzerkreuzzug gelte; die Betroffenen sollVgl. oben S. 69. Vgl. Tangl, Studien S. 36. 30 Reg X V I , 3 5 , P.4744 (ca. Ende April 1213), M P L 216,830. 3 1 Vgl. hierzu ausführlicher unten S. 279f. 32 Röhricht, Studien S. 4 hat das völlig mißverstanden und läßt alle Kreuzablässe gegen Heiden mit Ausnahme der Mauren und Albigenser aufgehoben sein. 28
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
ten eifrig zum Jerusalemzug gemahnt werden, „weil es feststeht, daß er verdienstlicher ist". Wenn die Mahnungen nichts helfen, soll die Erfüllung der Ketzerkreuzzugsgeliibde beim Jerusalemzug erzwungen werden 33 . Diese Sätze und die Haltung des Papstes zum Mauren- und Ketzerkreuzzug 34 erlauben den Schluß, daß weniger der relative Abschluß jener Unternehmen als vielmehr Innocenz' weit größeres Interesse am Jerusalem-Kreuzzug der wahre Grund für die Aufhebung jener Indulgentien war. Der nächste Abschnitt ist eine Neuerung in diesem Aufruf ; mit größter Schärfe werden die Korsaren und Piraten verurteilt, die schlimmer als die Sarazenen den Nachschub für das Hl. Land gefährden. Auch ihre Helfershelfer, sogar alle Städte und Fürsten, die den Kampf gegen sie nicht energisch betreiben, verfallen dem Bann. Weiter wird das alte Verbot wiederholt, den Sarazenen kriegswichtiges Material zu liefern 35 . Auch als Schiffssteuermann den Sarazenen zu dienen, wird verboten; wer dabei ergriffen wird, verliert allen Besitz und wird Sklave dessen, der ihn fangt. Damit sind die organisatorischen Bestimmungen, Gebote und Verbote erledigt. Doch, so fahrt Innocenz fort, weit mehr ist von Gottes Güte als von menschlicher Macht zu erhoffen; daher soll die Christenheit Gott um Beistand bitten für den geplanten Zug. Dem diente eine im Vorjahr „bewährte" Anordnung. Im Mai 1212 hatte Innocenz in Rom eine große Bittprozession für den Sieg in der bevorstehenden Schlacht gegen die Mauren veranstaltet ; der epochale Sieg von Las Navas de Tolosa gehörte den Christen36. Dieses Vorbild nennt der Aufruf zwar nicht, aber die Verbindung liegt nahe 37 , wenn Innocenz jetzt eine jeden Monat zu wiederholende Bittprozession von Frauen und Männern in der ganzen Christenheit anordnet. Zu dieser Prozession gehören Fasten, eine Predigt mit Kreuzwerbung und eine Kollektensammlung. Dieser letzte Punkt entspricht nicht nur Innocenz' Pragmatismus, der die günstige Gelegenheit für die Kollekte als handfeste Kreuzzugsunterstützung nutzte, sondern auch seiner stark finanziellen Ausrichtung der ganzen Kreuzzugsvorbereitung; deshalb sollen in den Kirchen, in denen sich die Prozessionen versammeln, Opferstöcke für die freiwillige Kreuzzugskollekte aufgestellt werden; wie 1199 erhalten der Bischof, der Pfarrer und ein frommer Laie je einen der drei Schlüssel. Aber nicht nur bei den monatlichen Prozessionen sollen die Christen des Kreuzzugs gedenken ; auch bei der täglichen Messe sollen Sündenbekenntnisse, Klagelieder und Bittgebete an den Kreuzzug erinnern. Nur einmal war vorher, 1187 durch Gregor VIII., 33
Reg X V I , 108, P.4807 vom 9. September 1213, MPL 216,905 A .
34
Vgl. unten Teil II, Kapitel 1 und 3.
3 5 Röhricht ebd (vgl. Anm. 32) mißversteht auch diesen Punkt, der Bann drohe allen, „welche mit den Muslimen von jetzt ab neue Handelsverbindungen anknüpfen". 38
Vgl. unten S. 184.
Tangl, Studien S. 9 f, möchte sogar in den Einzelheiten der Prozessionen genaue Parallelen sehen ; aber da im Aufruf von 1213 nur eine Rahmenordnung für die Prozession gegeben wird, geht dieser Schluß zu weit. 37
Die Vorbereitung des 5. Kreuzzuges (1213 bis 1216)
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so sehr das ganze kirchlich-geistliche Leben der Christenheit auf den Kreuzzug ausgerichtet worden; aber was 1187 Folge des ungeheuren Schocks gewesen war, war 1213 Teil eines großen, wohlüberlegten Planes des Papstes, der den Kreuzzug zu dem großen, notwendigen Aufbruch der Christenheit machen sollte. Treffpunkt, Aufbruchstermin, Reiseweg und Reisemittel bleiben im Aufruf einer späteren Entscheidung vorbehalten; bis dahin sollen die Kreuzzugsbeauftragten 38 die Unterlagen für die notwendige Beratung sammeln. Sie haben Vollmacht zu jeder Anordnung, die die Kreuzzugssache fördern könnte. Mit dem Appell, ihnen Unterhalt zu gewähren und jede Hilfe und Gehorsam zu leisten, schließt der Aufruf. Wir haben diesen Aufruf so ausführlich referiert, weil er gut erkennen läßt, wie gründlich Innocenz über den Kreuzzug nachgedacht hatte. Vieles erprobte Alte hat er übernommen, manchen neuen Versuch in die Kreuzzugsvorbereitung eingefügt. Sein Kreuzzugsplan war nicht aus einer augenblicklichen Not heraus geboren, sondern aus der Einsicht des Papstes erwachsen, daß es seine Aufgabe als Haupt der Christenheit sei, dem Hl. Land auf lange Sicht zu helfen. Dazu bedurfte es einerseits des Segens Gottes, andererseits der durchdachten Vorbereitung. Beide Motive kommen in Innocenz' Aufruf zur Geltung. Doch sollte in Innocenz' Vorstellung der Kreuzzug nicht nur vom Willen des Papstes, sondern von der gesamten Christenheit getragen werden. Daher sollte erst das geplante Konzil, die Vertretung der Christenheit, endgültig über den Kreuzzug beraten und beschließen. Innocenz bemühte sich, die Zeit bis zum Konzil zu nutzen. Den Patriarchen von Jerusalem mahnte er, im Hl. Land für Verhältnisse zu sorgen, die nicht Gottes Zorn erregten und so den Kreuzzug von vornherein zum Scheitern verurteilten 39 . Auch sollte der Patriarch den König Johann, die Ritterorden, Kreuzfahrer und Bevölkerung im Hl. Land auffordern, sich zu rüsten und das Hl. Land zu schützen, damit nicht noch vor dem Kreuzzug neues Unheil hereinbreche40. Deshalb unterstützte Innocenz auch nach Kräften das Vorhaben eines sonst unbekannten Kreuzfahrers Grimaldus, der mit seinen Gefährten sogleich aufbrechen wollte, ohne auf den großen Kreuzzug zu warten 41 . Wichtig war ein diplomatischer Vorstoß beim Sultan El-Adii. Innocenz hatte zwar keine Hoffnung, daß die Bitte eines Christen das harte Herz eines Heiden rühren könnte, wollte aber nichts unversucht lassen ; daher schickte er eine Ge38
Vgl. S.150.
Vgl. auch Innocenz' erregten Zorn, als er hörte, bei den Templern sei die Simonie eingerissen, denn diese Unsitte müßte im Hl. Land ja besonders üble Folgen haben. Reg XVI, 90, P. 4783 vom 25. Juli 1213, MPL 216,891 A. 40 Reg XVI,36, P. 4720 vom 26. April 1213, MPL 216,830f. 39
41 Reg XVI, 178-180, P. 4 8 9 6 - 9 8 vom 15. Februar 1214, MPL 216,962-64. Das Unternehmen wurde ganz geheim vorbereitet, um den Überraschungseffekt ausnutzen zu können. Wir wissen nichts über den Verlauf und Erfolg.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
sandtschaft an El-Adil, für die er beim Jerusalemer Patriarchen kundige Begleiter erbat 42 . Innocenz' Botschaft an El-Adil war weithin eine Drohung. Zwar hat Gott einst aus Zorn über die Sünden der Christen Saladin das Hl. Land erobern lassen, aber nun hat die Buße der Christen Gott wieder gnädig gestimmt, der ihnen das Hl. Land wieder zufallen lassen wird. Um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden, soll El-Adil daher das Hl. Land gutwillig herausgeben. Die weiteren Vorschläge des Briefes sehen einen Austausch der Gefangenen und, nach Rückgabe des Hl. Landes an die Christen, eine Duldung der beiderseitigen Minderheiten vor 43 . Eine befriedigende Antwort scheint Innocenz nicht erhalten zu haben, denn 1216 schickte er noch einmal Gesandte mit ähnlichen Angeboten 44 . Es überrascht, daß ein so erfahrener Politiker wie Innocenz meinen konnte, der große Sarazenenfürst werde sich einem Ultimatum beugen. Dennoch ist dieser diplomatische Versuch aufschlußreich : Innocenz ging es nicht um den Kreuzzug als Heiligen Krieg, sondern um die Befreiung des Hl. Landes, wobei er gerne den Krieg vermieden hätte 45 . Das ist nicht nur interessant im Vergleich zu den wilden Schmähungen, die später Gregor IX. gegen Friedrichs II. „Kreuzzug" und Vertrag mit El-Kamil schleuderte; es weckt auch erste Zweifel an der verbreiteten Ansicht, Innocenz habe den Kreuzzug vor allem in hierokratischer Absicht geplant. Unterdessen nahmen die Kreuzzugsvorbereitungen ihren Fortgang. Eine Hauptsorge des Papstes bildete dabei die Befriedung der christlichen Völker. Bei den Ausgleichsversuchen vor dem 4. Kreuzzug meinten wir im Kreuzzug meistens nur einen Vorwand des Papstes zu sehen. Der weitgehende Verlust der Papstbriefe verbietet ein klares Urteil für 1213ff., doch scheint die Förderung des Kreuzzuges tatsächlich das Hauptziel der päpstlichen Friedenspolitik seit 1213 gewesen zu sein; freilich war eine Verquickung mit politischen Interessen der Kurie deshalb nicht ausgeschlossen. Noch immer standen sich Philipp II. August und Johann Ohneland in Todfeindschaft gegenüber. Vergeblich versuchten der Kreuzzugsbeauftragte Robert von Courcon und wenig später der Kardinal Nikolaus von Tusculum, der als Legat die englische Kirche nach dem Ende des Kirchenstreits neu ordnen sollte, zwischen den Königen zu vermitteln 46 . Als Johann seit Februar 1214 im Poitou gegen Philipp rüstete, mahnte Innocenz noch einmal die Könige, Frieden oder wenigstens Waffenstillstand bis zum Konzil zu schließen, denn ihr Kampf behindere die Kreuzzugsvorbereitungen 47 . Aber erst mußte Johann am 27. Juli 42
Vgl. Anm. 40, Sp. 831A. Reg XVI, 37, P. 4719 vom 26. April 1213, MPL 216,831 f. 44 Vgl. P. 5186f, die Einzelheiten sind unbekannt. 45 Vgl. auch unten S. 286f. 46 Vgl. Tillmann, Legaten S. 98, und Zimmermann, Legation S. 43 und Cartellieri, Philipp August IV/2, S. 385. Dazu Innocenz' Empfehlung des Kardinallegaten Nikolaus als Friedensvermittler, Reg XVI,83, P.4775 vom 5. Juli 1213, MPL 216,884. 47 P. 4914 vom 22. April 1214, Reg Suppl. 186, MPL 217,227 und Cheney-Semple Nr. 68, S. 184f. 43
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die schwere Niederlage bei Bouvines erleiden, ehe Robert von Courcon am 31. August einen kurzen Waffenstillstand vermitteln konnte; am 18. September gelang dann bei Chinon der Abschluß eines Waffenstillstandes bis Ostern 122048. Sobald diese außenpolitische Belastung des englischen Königs entfallen war, rief Innocenz Johann Ohneland zum Kreuzzug auf 49 . Vermutlich zogen auch nach Deutschland Legaten, um hier für den Kreuzzug die Eintracht wiederherzustellen; aber mit dem zweiten Teil des Thronstreitregisters sind wohl auch die Papstbriefe verlorengegangen, die darüber näheren Aufschluß hätten geben können. Eine italienische Variante zum staufisch-welfischen Zwist in Deutschland waren die Kämpfe in der Lombardei, wo wir über die Vermittlungsversuche im Dienste des Kreuzzugs besser orientiert sind 50 . Die unheilvolle Verquickung mit den politischen Interessen der Kurie war hier natürlich naheliegend und ist gut zu erkennen beim Kaplan Pellegrinus, der im Juli 1215 als Legat für den für Konzil und Kreuzzug so nötigen Frieden in der Lombardei wirkte. Zu diesem Zweck sollten sich die Städte dem Schiedsspruch des Papstes unterwerfen; Pavia und Cremona folgten diesem Vorschlag sofort, denn die Kurie machte ihnen große Zusagen ; aber Mailand antwortete mit neuen Eroberungszügen, da es gegen Innocenz und Friedrich II. zu Otto IV. hielt. Einem Friedensaufruf des Papstes in einem Streit, in dem er selbst Partei war, konnte auch der Hinweis auf den Kreuzzug nicht zum Erfolg verhelfen 51 . Besonders wichtig nahm Innocenz diesmal die finanzielle Sorge für den Kreuzzug. Der Mangel an Zahlenmaterial läßt aber keine Schlüsse über den Erfolg der Maßnahmen zu. Die Gelder aus den Gelübde-Redemptionen, die Innocenz mit der unkontrollierten Freigabe der Kreuznahme provoziert hatte, begannen erst nach 1216 zu fließen. Eine Kreuzzugssteuer wie 1199/1200 hat Innocenz 1213 zunächst noch nicht erhoben, auch nicht angekündigt. Die wichtigste finanzielle Maßnahme vor dem Konzil war die intensiv propagierte Kollekte, zu der die erwähnte Aufstellung von Opferstöcken in den Prozessionskirchen zählte. Schon diese Kollekte löste viel Ärger und Mißtrauen aus ; das bekannte Gedicht Walthers von der Vogelweide vom „hern stoc", der Deutschland aussaugt und den Papst bereichert, ist eine große Anklage 52 . Dieser Vorwurf war sicher unberechtigt; aber die beginnende Konzentration bei der Verwaltung der Kreuzzugsgelder, die jetzt gewöhnlich nach Paris an den Tempel-Schatzmeister Aymar geschickt werden sollten53, weckte natürlich das Mißtrauen, weil nur noch wenige 48 Zu Roberts Vermittlung vgl. Zimmermann, Legation S. 201, Tillmann, Legaten S. 107 und mit allen Einzelheiten der Verhandlungen Cartellieri, Philipp August IV/2, S. 483—89. 49 Zu dieser These vgl. unten S. 156f. 50 Vgl. Β FW 6174 und 12473 und Zimmermann, Legation S. 185. 51 Vgl. Β FW 1 2 4 7 8 und 12487, Zimmermann, Legation S . 6 6 und Winkelmanii, Philipp von Schwaben und Otto IV., Bd. II, S. 416. 5 2 Vgl. K . Burdach, Der Kampf Walthers von der Vogelweide gegen Innocenz III. und das 4. lateranische Konzil, Z K G 55 (1936) S. 470 und Tillmann, Papst Innocenz S. 224 mit Anm. 23. 53 Ζ. Β. P. 5209, vgl. Th. van Cleve, HC II, 383.
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den Verbleib des Geldes übersahen. Eine größere Geldquelle öffnete sich in England; nach dem Kirchenstreit ließen sich vielfach nicht die rechtmäßigen Besitzer des vom König konfiszierten geistlichen Besitzes ermitteln; die Einkünfte daraus sollte der Legat Nikolaus für die Kreuzzugsfinanzierung sicherstellen54. Beim 4. Kreuzzug konnten wir beobachten, wie Innocenz neue Organisationsformen bei der Vorbereitung, besonders bei der Werbung entwickelte. Die Einrichtung der Provinzialkreuzzugskommissionen hielt Innocenz für so gut, daß sie bei der Kreuzzugsvorbereitung von 1213 sofort programmatisch eingeführt wurde. Schon die Konzilsladung sprach von diesen Sonderbeauftragten; der Kreuzaufruf nannte am Schluß die Namen der Beauftragten für die jeweilige Provinz oder Diözese und befahl, ihnen Gehorsam und Hilfe zu leisten. Aus den verschiedensten Quellen hat R. Röhricht eine lange, wohl fast vollständige Liste dieser Namen zusammengestellt 55 . Danach wurden die Kommissionen nicht schematisch gebildet, sondern verschieden nach Größe des Zuständigkeitsbereiches sowie nach Zahl und hierarchischem Rang der Beauftragten; die Bereiche entsprachen einmal den politischen, einmal den kirchlichen Grenzen, die kirchliche Stellung der Beauftragten reichte vom einfachen Kanonikus und Magister bis zum Erzbischof und Kardinal. Einige Kreuzzugsbeauftragte erhielten sogar das Legaten-Offizium, ζ. B. Robert von Courcon, ein Studienfreund des Papstes, für Frankreich oder die Erzbischöfe von Uppsala und Lund für Dänemark und Schweden 56 . Dabei gilt es zu beachten, daß anders als 1198 bei Peter Capuano und Soffred die hier genannten Kreuzzugsbeauftragten nur um die Vorbereitung des Zuges Sorge tragen sollten; die Frage der politischen und militärischen Leitung des Zuges spielte vor dem Konzil von 1215 keine Rolle. Ebenfalls anders als 1198 scheint Innocenz dem ordentlichen Klerus neben diesen Kommissionen nur noch eine helfende Rolle bei der Kreuzzugsvorbereitung zugedacht zu haben57. Die Papstbriefe geben auch einige Hinweise, wie die Kreuzpredigt organisiert wurde: für jeweils einige Parochien gemeinsam sollte eine Kreuzpredigt angesetzt werden ; damit sollten die Unterhaltskosten für die Prediger, die die Parodile zu bestreiten hatte, gesenkt werden. Wenn die Beauftragten nicht alle Gebiete ihres Bereichs bereisen konnten, durften sie Vertreter ernennen. Gleichzeitig wurden alle kirchlichen Rechte der Prediger während ihrer Werbetätigkeit vom Papst garantiert 58 . Die Kreuzpredigt der Befragten hielt Innocenz für so Reg XVI, 137, P.4829 vom 30. Oktober 1213, MPL 216,927. Röhricht, Studien S. 5 mit Noten. 56 Irrtümlich nennt Zimmermann, Festgabe de Waal S. 108, die beiden Erzbischöfe Legaten für den Missionskreuzzug, aber die angeführten Texte, P. 4723f bzw. 4727, Reg XVI,28, MPL 216,823B, sprechen eindeutig vom Kreuzzug ins Hl. Land. Zimmermann ebd S. 107 vermutet, Robert von Courcon sei der erste Legat gewesen, der persönlich regelmäßig das Kreuz gepredigt habe. 57 Vgl. die Konzilsladung Reg XVI,30, MPL 216,825B. 58 Vgl. z.B. Reg XVI, 111, P.4809 vom 11. September 1213, MPL 216,906f an den Regensburger Bischof, einen der Beauftragten für die Provinz Salzburg. Auch die berühmten Kreuzprediger 54
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wichtig, daß er z.B. Robert von Courcon von seinen sonstigen kirchlichen Pflichten ausdrücklich entband und sie anderen Bischöfen aufbürdete 59 . Auch sonst bemühte sich Innocenz, durch Vollmachten und Bestimmungen die Kreuzpredigt zu fördern. Die Prediger durften bei Brandstiftung und tätlichem Angriff auf Geistliche die sonst dem Papst reservierte Absolution erteilen 60 ; sie konnten ζ. B., wenn das nützlich erschien, von Ehehindernissen dispensieren61, vor allem aber gab es bereits für das bloße Anhören der Kreuzpredigt Ablaß 62 . Diese intensive Förderung und Organisation der Kreuzpredigt hatte auch für die Geschichte der Predigt Folgen. Wenn eine so große Zahl von Predigern die Kreuzwerbung tragen sollte, mußten dafür Hilfen gewährt werden ; es entstand jetzt eine ganze Reihe von Handbüchern für den Kreuzprediger. Aus England stammt die „Ordinatio de praedicatione Crucis in Anglia" von 1216, eine Zusammenstellung von Bibeltexten mit Auslegungen zu den Hauptabschnitten der Kreuzpredigt 63 . Eine ähnliche Materialsammlung bot Jakob von Vitry, selbst seit 1213 ein erfolgreicher Kreuzprediger in Frankreich, in sechs als Predigten gestalteten Kapiteln seines großen Predigtbuches 64 . Aus Deutschland schließlich haben wir im ursprünglichen Teil des Rommersdorfer Briefbuches ein Handbuch für den Kreuzprediger. Der Abt Rainer von Rommersdorf (gestorben 1214) und sein Nachfolger Bruno, beide Kreuzzugsbeauftragte der Provinz Trier, hatten hierin alle für die Kreuzwerbung wichtigen Briefe, die Konzilsladung, den Kreuzaufruf usw. zusammengestellt 65 . Die hier einsetzende Entwicklung war von großer Bedeutung. Schon dreißig Jahre später, unter Innocenz IV., waren die päpstlichen Kreuzaufrufe fast nur noch an den Klerus gerichtet. Die mündliche Kreuzpredigt hatte den Kreuzaufruf als direktes Werbemittel ganz verdrängt 66 . Ein halbes Jahrhundert nach der Kreuzwerbung von 1213 hat die damals einsetzende Entwicklung ihren Höhepunkt erreicht. Humbert von Romans, der frühere Meister des Prediger-Ordens, hat 1266/67 in seinem Traktat „De praedicatione Crucis contra Saracenos" nicht nur eine Materialsammlung für die Kreuzpredigt geliefert. Seine Schrift war eine Jakob von Vitry in Nordfrankreich und Oliver von Paderborn am Niederrhein zogen viele Helfer bei der Werbung heran, vgl. J. Greven, Frankreich und der fünfte Kreuzzug, HJ 43 (1923) S. 21. 59 Reg X V I , 144, P.4848 vom 13. November 1213, MPL 216,935C. Vgl. Anm. 58, Sp. 907 B. 61 Reg X V I , 154, P. 4862 vom 20. Dezember 1213, M P L 2 1 6 , 9 4 4 A . 62 Reg X V I , 32, P . 4 7 1 1 vom 19. April 1213, M P L 216,827 C. Die Höhe des Ablasses bestimmte vermutlich der Prediger. 63 Text bei R.Röhricht, Quinti belli sacri scriptores minores (1879) S.3—26, dazu Cramer aaO S. 2 0 2 - 2 1 1 . 64 Nur wenige Auszüge sind verstreut gedruckt, vgl. die Paraphrase und Interpretation bei Cramer aaO S. 2 1 5 - 2 4 8 . 6 5 Vgl. F.Kempf, Das Rommersdorfer Briefbuch des 13. Jahrhunderts, M I Ö G Erg.-Band 12 (1933) S. 5 0 2 - 5 7 1 , bes. S . 5 4 0 f . 5 6 1 - 6 3 . 553f. 66 Vgl. Schwerin aaO S. 1 2 . 1 2 2 und Cramer aaO S.250.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
feinsinnige Homiletik der Kreuzpredigt mit großer psychologischer Einfühlungskraft. Sie enthielt überdies ein richtiges Programm zur Schulung von Kreuzpredigern 67 . Zu den unmittelbaren Voraussetzungen dieser Entwicklung, deren offenkundige Bedeutung für die Geschichte der Volkspredigt in der Landessprache einmal einer größeren Untersuchung bedürfte 68 , gehört Innocenz' III. Organisation der Kreuzpredigt von 1213. Diese Werbeorganisation haben Innocenz' Nachfolger im Prinzip beibehalten. Honorius III. nennt ausdrücklich als die zwei Säulen der Kreuzwerbung Briefe, d. h. päpstliche Kreuzaufrufe, und Prediger 69 . Er hat entsprechend einerseits direkt die Christen und vor allem die Herrscher zum Kreuzzug aufgerufen 70 , andererseits ζ. B. die Predigtorganisation in Deutschland ausgebaut und ihr in Konrad von Marburg einen zentralen Leiter gegeben 71 . Auch unter Gregor IX. blieb Konrad von Marburg, inzwischen Bischof von Hildesheim, Leiter der Kreuzpredigt 72 . Aber daneben zog Gregor jetzt systematisch die Dominikaner als Kreuzprediger heran; die Provinzoberen mußten eine Reihe Brüder hierfür freistellen 73 . Innocenz' IV. versuchte, die Kreuzpredigt in Deutschland und Frankreich unter dem Kardinalbischof Odo von Tusculum noch stärker zu zentralisieren 74 . Aber erst Gregor X. hat diese Entwicklung zu Ende geführt ; er setzte neben den Episkopat, dem diese Aufgabe stets geblieben war, an Stelle der Provinzialkreuzzugsbeauftragten überall einheitlich die neuen Orden, die Franziskaner und Dominikaner, bei der Kreuzpredigt ein 75 . Diese straffe Gliederung und Vereinheitlichung erlaubte es Gregor, mit einer zentral ausgegebenen Anweisung die gesamte Kreuzpredigt umfassend zu organisieren 76 . Anläßlich der Bevollmächtigung des Kreuzlegaten Simon von St. Caecilia hat Gregor das Ziel dieser und aller Kreuzpredigtorganisation seit Innocenz III. knapp zusammengefaßt : ut 67 Eine Ausgabe des Werkes fehlt, vgl. aber ausführlich A . Lecoy de la Marche, La Prédication de la croisade au 13 e siècle, Rqh 48 (1890) S. 5 - 2 8 und Cramer aaO S. 2 5 - 9 6 . 68 Die geläufigen Darstellungen zur Geschichte der Predigt begnügen sich mit einem allgemeinen Hinweis auf die Bedeutung der Kreuzpredigt. Nur V. Cramer aaO bietet eine Fülle von Anregungen, die aber der systematischen Aufarbeitung bedürften. 69 Pressutti 4329 vom 26. April 1223, Rodenberg I, 151, 1 8 f , Nr. 224. 70 Z. B. Pressutti 4262 v o m April 1223, Rodenberg I, 151 f, Nr. 225. 71 Vgl. Pressutti 2329 vom 16. Februar 1220, Horoy 111,387 Nr. 81, Pressutti 2468 v o m April/ Juni 1220, Rodenberg I,83f, Nr. 117, Pressutti 2580 vom 28. Juli 1220, Rodenberg 1,29, Nr. 126. Später gewann dann in Deutschland Oliver von Paderborn als Kreuzprediger besondere Bedeutung. Vgl. H. Hoogeweg, Die Kreuzpredigt des Jahres 1224 in Deutschland, Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 4 (1890), S. 5 4 - 7 4 .
Auvray II, 172 Nr. 2790 vom 28. September 1225, Rodenberg 1,561 Nr. 664. Auvray II, 66, Nr. 2586 vom 15. Mai 1225, Rodenberg 1,532, Nr. 640. 74 Vgl. Cramer aaO S. 251. 75 Die Empfängerliste der Kreuzpredigtanweisung Gregors X . vom 17. September 1274 nennt für jede Kirchenprovinz sowohl den Erzbischof und die Bischöfe als auch parallel dazu die Provinzialoberen der beiden Orden. Vgl. Guiraud S. 227 Nr. 569. 72
73
76
Vgl. den Beleg aus Anm. 75.
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efficaciter proponatur in omnibus christianitatis regionibus fidelibus populis verbum crucis 77 . Nach dem oben Gesagten ist offenkundig, daß sich die Kreuzwerbung 1213 an die ganze Christenheit wandte. Doch begegnet in der Literatur hin und wieder die Vorstellung, Innocenz habe bewußt die großen Herrscher ausschließen wollen, weil er nur so den Kreuzzug als einen rein päpstlichen durchführen konnte. Diese Auffassung findet eine scheinbare Stütze in der Tatsache, daß das Fehlen der Führer für die Massen der Kreuzfahrer aus dem Volke und niederem Adel bald eines der Hauptprobleme beim 5. Kreuzzug wurde. Aber diese Auffassung hat keinen Anhalt in den Quellen. Schon im Februar 1213 erhielt König Andreas von Ungarn nur drei Jahre Aufschub für sein Kreuzgelübde, d. h. er sollte am großen Kreuzzug teilnehmen. Aber wichtiger waren die großen Herrscher Europas. Der Kreuzaufruf von 1213 sprach in der Tat nicht vom Kaiser, denn Otto IV. war ja gebannt. Doch die Könige, Fürsten, Grafen und Barone sollten wenigstens Truppen stellen, „wenn sie vielleicht nicht persönlich zum Dienste Christi eilen könnten" 78 . Innocenz hoffte also grundsätzlich auf die Teilnahme auch der Könige ; aber er war Realist genug, um auch die Möglichkeit zu erwägen, daß sie verhindert seien. Immerhin wurde der Kreuzzugsbeauftragte für Frankreich, der Legat Robert von Courcon, sofort im April 1213 zu König Philipp August und Kronprinz Ludwig geschickt79. Im September 1214 wurde endlich ein Ausgleich zwischen England und Frankreich vermittelt; sofort rief der Papst Johann Ohneland zu tatkräftiger Unterstützung des Kreuzzugs auf, denn nach seinen eigenen Worten habe er ja zu diesem Zweck den Waffenstillstand geschlossen. Johann nahm daraufhin das Kreuz ; Innocenz hat ihn dann energisch gedrängt, sein Gelübde zu erfüllen, und hat alle mit dem Bann bedroht, die durch politische Unruhen Johanns Kreuzzug gefährdeten 80 . Er hat sogar ausdrücklich lobend betont, Johann sei als vornehmster Kreuzfahrer Blickpunkt aller 81 . Endlich hat Friedrich II. bei seiner zweiten, endgültigen Königskrönung in Aachen am 25. Juli 1215 überraschend das Kreuz genommen 82 . Wenn jede Stellungnahme Innocenz' dazu fehlt, besagt das angesichts des Verlustes fast aller Papstbriefe dieses Jahres nichts83. Auch die in der älteren Literatur begegnende These, Innocenz habe Friedrichs Kreuznahme nicht nur bewußt ignoriert, sondern als Antwort den Zug als rein päpstlichen organisiert und durch hektische Guiraud S . 2 1 0 , Nr. 494 vom 1. August 1274. Reg X V I , 2 8 , MPL 2 1 6 . 8 1 9 C . 79 Reg X V I , 33, P . 4 7 1 2 vom April 1213, MPL 216,827 f. 80 Vgl. unten S.156f. 8 1 Cheney-Semple Nr. 78 S. 203f vom April 1215(?). 82 Kurzer Überblick über die Umstände bei B F W 810 bc, die Einzelheiten bei Winkelmann aaO Bd. II, S. 392 f. 77 78
83
So richtig Tillmann, Papst Innocenz S. 232, Anm. 57 gegen E. Kantorowicz.
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Eile eine Teilnahme Friedrichs verhindern wollen, läßt sich durch nichts belegen und entspringt einem überholten Innocenzbild84. H. M. Schaller hat vielmehr mehrere päpstliche Kreuzprediger in Friedrichs direkter Umgebung zu dieser Zeit nachgewiesen ; man kann daher sogar vermuten, daß Innocenz den Staufer, nachdem dessen Sieg über den Weifen durch die Schlacht bei Bouvines gesichert schien, zum Kreuzzug aufrufen ließ 85 . Letzte Sicherheit ist darüber freilich nicht zu gewinnen. Die These, Innocenz habe die Könige vom Kreuzzug fernhalten wollen, ist nicht länger zu halten. Freilich hat er die persönliche Teilnahme der Könige am Kreuzzug auch nicht als unerläßlich angesehen, wenn sie das Unternehmen nur durch Kämpfer und auch durch Geld unterstützen wollten. Der Kreuzzug war für Innocenz ein Unternehmen der ganzen Christenheit ; deshalb hat er die Kreuznahme der Könige weder verhindert noch besonders forciert. Wenn dem 5. Kreuzzug trotzdem die Führer fehlten, so hat das in den einzelnen Ländern verschiedene Gründe. In England brach 1215 der Bürgerkrieg aus; unter den deutschen Fürsten hatte die Kreuzpredigt kaum Erfolge, weil die allgemeine Unsicherheit noch zu stark auf dem Lande lastete. Friedrich II. konnte bis zur Kaiserkrönung 1220 nicht an die Erfüllung seines Gelübdes denken. Nur Herzog Leopold von Osterreich zog 1217 mit König Andreas von Ungarn ins Hl. Land, ein kurzes, wenig ruhmreiches Unternehmen. Es bleibt die Frage, warum das klassische Kreuzfahrerland Frankreich versagte. Wir übernehmen hier die Ergebnisse von J.Greven, auf dessen Arbeit für die Einzelheiten verwiesen sei86. Innocenz' auf Massenwerbung eingestellte Organisation der Kreuzpredigt und seine Freigabe der unkontrollierten Kreuznahme hatten im einfachen Volk zu riesigen Erfolgen geführt. „Allein gerade diese massenhafte Anwerbung verdroß die höheren Stände; diesen erschienen die wahllos zusammengebrachten Scharen von Bresthaften, Greisen, Weibern und Kindern einen kriegerischen Erfolg auszuschließen. So war die Teilnahme derer, die berufen waren, als Führer aus der bloßen Masse ein wirkungsvolles Kriegswerkzeug zu machen, nur schwach 87 ." Daneben hat vielleicht auch die englische Herkunft, die england84 So ausführlich A.Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands Bd. IV, S . 7 9 2 f mit Anm. 6. Noch H. Grundmann in Gebhardt-Grundmann, Handbuch der deutschen Geschichte I (8. Aufl. 1954) S. 355 meint, Friedrichs Kreuznahme „kam der Kurie allerdings überraschend wie ein Warnzeichen eigenmächtiger Politik in den Bahnen seiner Vorfahren". 8 5 Vgl. H. M. Schaller, Die Kanzlei Friedrichs II., Archiv für Diplomatik 3 (1957) S. 257. V o r allem aus der Anwesenheit des Kreuzlegaten Nikolaus schließt Schaller, „daß die Kreuznahme des jungen Königs im Einverständnis mit Innocenz III. erfolgte". Vgl. auch H. M. Schaller, Kaiser Friedrich II. (1964) S. 23; H. E. Mayer, G G A 214 (1960/62) S. 58f stimmte Schaller zunächst zu, urteilt aber neuerdings, Geschichte der Kreuzzüge S. 194, Innocenz sei von Friedrichs Kreuznahme „peinlich überrascht" gewesen und habe befürchtet, „er wolle ihm den Rang streitig machen und in die Fußstapfen Heinrichs VI. treten". Doch darf man für die Kreuznahme Friedrichs 1215, anders als für seinen „Kreuzzug" 1228/29 mit Schaller religiöse Gründe annehmen. 86
J. Greven, HJ 43 (1923) S. 1 5 - 5 2 .
87
Ebd. S. 26.
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freundliche Haltung und die schroffe Art des Kreuzlegaten Robert von Courcon •den höheren Adel Frankreichs verärgert 88 . Die Bestallung des Studienfreundes war kein glücklicher Griff des Papstes. Einen zweiten Grund sieht Greven in einer nicht nur momentanen Verärgerung, sondern in einem tiefgreifenden Prinzipiengegensatz 89 . Innocenz hatte die Rechtsstellung der Kreuzfahrer in einer Weise bestimmt, die den Rechten der Lehnsherren abträglich war. Diese Rechtsstellung galt für einen beachtlichen Teil der Bevölkerung und störte so die herkömmliche Rechtsordnung. So garantierte der päpstliche Schutz den Kreuzfahrern allen Besitz und alle Rechte und entzog sie der ordentlichen Gerichtsbarkeit; die verlangte zinsfreie Schuldenstundung störte die gesamte Wirtschaft 90 , die Befreiung der Kreuzfahrer von der lehnsrechtlichen Dienstpflicht mußte vollends Unordnung in einen Lehnsstaat bringen. Außerdem galten alle diese Rechte von der Kreuznahme an, also auch für die vielen „crucesignati", die nie ernsthaft für den Kreuzzug in Frage kamen. So kam es zum energischen Protest des französischen Königs. Philipp August ging dabei geschickt vor; da die Bischöfe offizielle Garanten des Kreuzfahrerschutzes waren, beauftragte er zwei von ihnen, die ihm treu ergeben waren, mit einem Gutachten über die Rechtsstellung der Kreuzfahrer. Dieses fiel natürlich im Sinne des Königs aus, der es im März 1214 veröffentlichte und für verbindlich erklärte. Es schränkte die päpstlichen Eingriffe in die innere Ordnung Frankreichs bis zur Bedeutungslosigkeit ein 91 . Diese „Ordonnance" des Königs hatte größte Bedeutung und war noch in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein viel kommentierter Text. Mit dieser Ordonnance und zahlreichen anderen, energischen Protesten trat die weltliche Gewalt in Frankreich gegen die päpstlichen Eingriffe in das staatliche Recht ein 92 ; so konnte durch zahllose einzelne Streitigkeiten die päpstliche Überfremdung der inneren Ordnung Frankreichs in Grenzen gehalten werden 93 , während ζ. B. in Deutschland jede kräftige Reaktion der weltlichen Gewalten ausblieb 94 . Wir haben hier ein typisches Beispiel für die praktische Mißachtung der Eigenständigkeit staatlichen Rechts trotz aller dualistischen Grundsätze bei Innocenz III., praktischen Monotheletismus bei theoretischen Dyophysitismus, um H. Barions Begriffe einmal zu verwenden 95 . Die Darstellung der Kreuzzugsvorbereitungen vor dem Konzil beenden wir mit einer Prüfung der Umstände der Kreuznahme Johanns Ohneland und der Ebd. S. 19. Ebd. S. 26-33. 90 A m 14. Mai 1214 verteidigte Innocenz das Vorgehen des Legaten gegen das Zinsnehmen; diese „Pest" habe in Frankreich so um sich gegriffen, daß sie allen Besitz und den freien Ritterstand verschlinge, damit aber die Voraussetzungen für den Kreuzzug zerstöre. P.4922, M P L 2 1 7 , 2 2 9 f . 91 Text in M P L 2 1 7 , 2 3 9 f . Bridrey aaO S. 143 nennt die Ordonnance „une sorte de concordat", übersieht dabei aber die einseitig königliche Ausrichtung des Gutachtens. 92 Vgl. Bridrey aaO S. 147 und passim. 93 Vgl. W . Kienast, Der französische Staat im 13. Jahrhundert, HZ 148 (1933) S.506ÍT. 94 Vgl. H. Conrad, Z R G 61 (1941) G A S. 114. 9 5 Vgl. die neue Problemstellung von H. Barion oben S. 17f. 88 89
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päpstlichen Stellung dazu. Einerseits befriedigen die bisherigen Urteile in dieser Frage nicht, zum anderen wird hier einmal deutlich, wie intensiv Innocenz dem Kreuzzug den Vorrang in der Politik gab. Johann war seit 1213 Lehnsmann des Papstes, aber erst nach der vernichtenden Niederlage bei Bouvines zum Frieden bereit; so kam es am 18. September 1214 zu einem Waffenstillstand mit Philipp August, wovon Johann dem Papst Nachricht gab. Innocenz' kurzer Antwortbrief vom 18. November 1214 Schloß : „Da du also versicherst, du seiest jenen Waffenstillstand eingegangen, damit desto besser dem Hl. Land geholfen werden könne, bitten wir deine Hoheit nachdrücklich und mahnen im Herrn, daß du eifrig und kräftig Hilfe für jenes Land anstrebst 96 ." Das muß nicht unbedingt als Aufruf zur persönlichen Kreuznahme verstanden werden, aber Johanns Antwort war die Kreuznahme am 4. März 121597. Dabei war offenkundig, daß Johann mit diesem Schritt Schutz vor der Opposition im Lande suchte und kaum an eine Kreuzzugsteilnahme dachte98. Aber dieser taktisch kluge Schritt war ihm vom Papst fast suggeriert worden, so daß man seine Kreuznahme nicht so scharf wie üblich verurteilen sollte 99 . Innocenz wußte, daß die Stellung seines Lehnsmannes in England sehr schwach war und seine Kreuzfahrt deshalb stark behindert werden würde. Sofort verbot er daher den Baronen alle Angriffe auf Johann, um diesen nicht an der Erfüllung des Kreuzgelübdes zu hindern ; gleichzeitig rief er den englischen Episkopat auf, eben deshalb Johann gegen seine Feinde zu schützen100. In seinem Brief, wohl vom April 1215101, lobte Innocenz Johanns Entschluß und rief ihn auf, sorgfältig zu rüsten, um die von Christus verheißene Krone zu erlangen. Zwar sei die Zahl der Kreuzfahrer schon sehr groß, aber Johann werde als der Vornehmste unter ihnen Blickpunkt und Vorbild für alle sein ; deshalb 96 Cheney-Semple Nr. 72, S. 192. Der längst bekannte Brief wurde bisher auf den 18. November 1211 datiert, vgl. P. 4325, M P L 2 1 7 , 2 1 3 D . Zu dieser Zeit ist er aber im Gang der Ereignisse nur mühsam unterzubringen, vgl. Cartellieri aaO Bd. IV/2, S. 302 mit Anm. 4. 97 Zur Begründung dieser These bedarf es einer chronologischen Überlegung, wobei wir eine durchschnittliche Reisedauer von England nach Rom von einem Monat zugrunde legen. A m 4. März 1215 nahm Johann das Kreuz, aber bereits am 19. März wußte Innocenz davon (P.4960f, CheneySemple Nr. 7 4 f , S. 194 mit Anm. 3, S. 197). So darf man schließen, daß eine Gesandtschaft Johanns, die am 19. Februar in Rom eingetroffen war (vgl. S. Painter, The Reign of King John, 1949, S. 310), Innocenz berichtet hatte, daß Johann feierlich am Aschermittwoch, dem 4. März 1215, das Kreuz nehmen werde, denn der Aschermittwoch wurde häufig wie zum feierlichen Beginn einer Kirchenbuße so auch zur feierlichen Kreuznahme benutzt (vgl. A . Jungmann, Die lateinischen Bußriten, 1932, S. 45). Johanns Gesandtschaft war ca. Mitte Januar 1215 aus England abgereist, der Papstbrief vom 18. November 1 2 1 4 nicht vor Mitte Dezember 1 2 1 4 eingetroffen : in den wenigen Wochen dazwischen hat Johann sich zur Kreuznahme entschlossen, die daher als direkte Antwort auf Innocenz' Brief gelten darf.
Vgl. zuletzt W . L. Warren, King John (1961), S. 233. Scharfe Urteile z.B. Tillmann, Legaten S. 107, dieselbe, Papst Innocenz S.232, Anm. 58 und Painter aaO S . 3 0 1 . 1 0 0 P. 4960f. 4965, Cheney-Semple Nr. 74f. 77, S. 1 9 4 - 1 9 7 . 202 vom 19. März bzw. 1. April 1215. 1 0 1 Cheney-Semple Nr. 78, S. 203 f ; ebd Anm. 1 vermutet Cheney aus der Faltweise des Originals, daß dem Brief ein zweites Schreiben an Johann beigelegt war, das heute verloren ist. 98
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müsse er sich besonders gut vorbereiten und beispielhaft verhalten; für die Durchführung des Kreuzgelübdes versprach Innocenz dem König alle erdenkliche Hilfe. In einem gleichzeitigen, heute verlorenen Schreiben forderte Innocenz von Johann bis zum Konzil im November genaue Angaben über seine Kreuzzugspläne 102 . Johann antwortete ausweichend am 29.Mai; die augenblickliche Bedrängnis erlaube es ihm noch nicht, sich schon näher festzulegen 103 . In diesen letzten Wochen, bevor die Barone dem König die Magna Carta abtrotzten (15. Juni 1215), wuchs die Verwirrung und Unsicherheit um Johann ständig 104 . Noch bevor ihn Johanns Brief erreichte, schrieb Innocenz am 18. Juni wieder nach England ; mit dem doppelten Hinweis, Johann sei sein Vasall und vor allem Kreuzfahrer, hoffte Innocenz, noch eine schiedsrichterliche Einigung zwischen dem König und den Baronen erreichen zu können. Wie früher im deutschen Thronstreit schilderte er ausführlich, wie ein Streit Gelder verschlinge und Menschen binde, die beide dem Hl. Land so dringend fehlten105. Als Antwort auf Johanns Brief wies Innocenz, der noch nichts von der Magna Carta wußte, am 7. Juli seine Vertreter in England an, mit Bann und Interdikt alle zu verfolgen, deren Widerstand gegen Johann dessen Kreuzfahrt behindere106. Als Innocenz dann von der Magna Carta hörte, verwarf er sie in einem Rundschreiben an alle Christen scharf, weil sie Johann am Kreuzzug hindere und so dem Hl. Lande schade. Innocenz berief sich auf die dem Papst geltenden Prophetenworte : Siehe ich habe dich gesetzt über Völker und Könige, daß du einreißt und ausreißt und baust und pflanzt (Jeremía 1,10) und, Löse die Bande der Ungerechtigkeit, öffne die bedrückenden Fesseln (Jesaja 58,6); hier sprach eindeutig der Papst, nicht der Lehnsherr des Königs 107 . Gleichzeitig verurteilte Innocenz die Magna Carta auch gegenüber den aufsässigen und gebannten Baronen. Die Rebellen sollten Vertreter zum Konzil schicken, um ihre Forderungen vorzutragen ; wenn dort über den Kreuzzug beraten werde, müsse sich auch ihr den Kreuzzug behinderndes Verhalten bessern108. Wir haben das so ausführlich dargestellt, weil hier einmal deutlich wird, wie ernst Innocenz jetzt den Kreuzfahrerschutz nahm. Garant dieses Schutzes war der Episkopat; so befahl Innocenz den englischen Bischöfen bei Strafe der Sus102 Vgl Anm. 1 0 1 ; die Anfrage ist aus Johanns Antwort zu erschließen. 103
Johanns Brief M P L 2 1 7 , 3 0 7 f, dazu Tillmann, Legaten S. 107.
Vgl. außer den Darstellungen von Painter und Warren noch C. R. Cheney, The Eve of Magna Carta, Bulletin of the John Ryland Library 38 (1955/56), S. 3 1 1 - 4 1 . 104
1 0 5 Text bei G. Β. Adams, Innocent III. and the Great Charter, in Magna Carta Commemoration Essays, ed. Η. E. Maiden (1917), S. 4 3 - 4 5 . 1 0 6 Cheney-Semple Nr. 80, S. 207—209 ; die verschiedenen irrtümlichen Datierungen, ζ. Β. P. 4992, hat F. M. Powicke aus dem Original korrigiert, EHR 44 (1929) S. 87ff. 107 P. 4990 vom 24. August 1215, Cheney-Semple Nr. 82, S. 2 1 2 - 1 6 , bes. S. 2 1 5 f . Schon 1200 berief sich Innocenz auf das Jesajawort, als er den Frieden von Le Goulet verwarf, der Johann verbot, seinem Neffen Otto IV. zu helfen. Damals war Johann kein päpstlicher Vasall, vgl. oben S. 87. 108 ρ 4 9 9 1 ) Cheney-Semple Nr. 83, S. 2 1 7 - 1 9 .
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
pension dessen Anwendung gegen die Barone109. Er tat alles, was in seiner Macht stand, um Johann die versprochene Teilnahme am Kreuzzug zu ermöglichen110. Es bestätigt sich damit unsere These, daß Innocenz einer Teilnahme der großen Herrscher am Kreuzzug keineswegs ablehnend gegenüberstand. Im Gegenteil, während dieser politisch höchst aufregenden Monate in England blieb die Teilnahme des Königs am Kreuzzug das beherrschende Thema in den engen Beziehungen des Papstes nach England. Mit diesem Blick auf eine der vielen Sorgen des Papstes bei der Vorbereitung des Kreuzzugs sind wir bis unmittelbar an das Konzil herangekommen, dessen Beratungen über den Kreuzzug im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts stehen sollen. b) Die Kreusgugsvorbereitungen
vom Konzil bis
Tode Innocen
Am 11. November 1215 eröffnete Innocenz im Lateran das 12. ökumenische Konzil, zu dem er 1213 eingeladen hatte. Hier sollte auch über den Kreuzzug beraten und beschlossen werden. Die Beteiligung an der Synode war größer als je zuvor. Auch Innocenz' besonderer Wunsch, der Jerusalemer Patriarch möge wegen der Kreuzzugsberatungen persönlich anwesend sein, hatte sich erfüllt. Freilich war es nicht der alte, dem Papst vertraute Patriarch Albert; dieser war 1214 gestorben. Aber sein Nachfolger, Radulph von Merencourt, nahm am Konzil teil. Galeeren des Königs Johann von Jerusalem mußten ihn gegen sarazenische Piraten schützen, als er ins Hl. Land zurückkehrte, um dort bis zur Ankunft des Kreuzheeres als Legat den Papst zu vertreten111. Eine Predigt des Papstes, unter den erhaltenen die weitaus persönlichste Rede Innocenz' III., eröffnete das Konzil112. Sie beginnt mit dem Herrnwort: Mich 109 Vgl. Cheney-Semple Nr. 80, S. 2 0 7 - 2 0 9 vom 7. Juli 1215, aber auch schon Nr. 75, S. 1 9 6 f vom 19. März. Die Vertreter des Papstes, die die kirchlichen Strafen aussprachen, beriefen sich dabei ausdrücklich auf den Brief vom 7. Juli, vgl. den Brief vom 5. September 1215, ed. F. M. Powicke, EHR 44 (1929), S. 9 1 - 9 3 . 1 1 0 G. B. Adams aaO S. 26—40 meint freilich, Johanns Kreuznahme sei nur ein Vorwand für Innocenz gewesen. England war nur ein „feudum censúale" des Papstes ; daher habe die Magna Carta kein päpstliches Recht tangiert und so Innocenz keine Möglichkeit gegeben, sie zu verwerfen; deshalb habe er den Kreuzzug Johanns vorgewandt. Gegen Adams ist einmal zu fragen, warum Innocenz dann eigentlich die Magna Carta verwarf, wenn sie seine Rechte gar nicht berührte, aber Johanns Kreuzzug nur ein Vorwand gewesen sein soll, um sie verwerfen zu können? Zum anderen hat Innocenz schon bevor er von der Magna Carta wußte, ausdrücklich beide Punkte, den Schutz des Kreuzfahrers und seine Rechte als Lehnsherr, als Gründe für sein Einschreiten genannt. Vgl. z. B. den Brief vom 18. Juni, oben, Anm. 105.
Vgl. P. 5176. 5178, Texte bei Hampe aaO S. 5 5 8 - 5 6 0 . Sermo I des Konzils, MPL 217,673—80. Die Predigt ist nicht ausdrücklich als Eröffnungspredigt gekennzeichnet, aber Inhalt und Aufbau weisen an diese Stelle, denn Kreuzzug und Kirchenreform werden in ihrer geistlichen Bedeutung als Themen der bevorstehenden Verhandlungen dargestellt. Hefele, Conciliengeschichte 2. Aufl. V,876, setzt die Predigt als Eröffnungspredigt an. Die Analyse bei Cramer aaO S. Î97f kommt über die Paraphrase nicht hinaus. 111
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hat herzlich verlangt, dies Abendmahl mit euch zu essen, ehe denn ich leide, d. h. ehe ich sterbe, wie Innocenz gleich erklärt. Man braucht diesen Satz nicht mit Todesahnungen des Papstes zu erklären. Er besagt, daß Innocenz in diesem Konzil Höhepunkt und Ziel seines Pontifikats sah. Wenn die gesamte Christenheit sich traf, um über die Reform der Kirche und die Befreiung des Hl. Landes zu beraten, dann fand in dieser Versammlung die Regierung Innocenz' III. ihren tiefsten Ausdruck. Gewissermaßen als Siegel unter eine fast achtzehnjährige, arbeitsreiche Amtszeit als Nachfolger Petri und Stellvertreter Christi wünschte Innocenz dieses große Treffen der Christenheit, dieses Pascha, zu erleben. Die Person des Papstes, sonst fast immer im amtlichen „Wir" versteckt, tritt in dieser Predigt im einfachen „ich" vor uns. Der Stuhl Petri bleibt bestehen auch über den Tod des Papstes Innocenz' III. hinaus, aber Lothar von Segni wird sterben; vorher noch diese Beratung der ganzen Christenheit über Kirchenreform und Kreuzzug zu erleben, ist die Erfüllung seines größten Wunsches. So nötigt uns dieser erste Satz, die Predigt als ganz persönliches Wort Innocenz' zu hören. Wünsche können fleischlich oder geistlich sein ; doch Innocenz ruft Gott zum Zeugen an, nicht aus fleischlichen, sondern aus geistlichen Gründen wünsche er dieses Pascha zu essen, „nicht um irdischen Vorteils oder zeitlichen Reichtums willen, sondern wegen der Reform der ganzen Kirche und wegen der Befreiung des Hl. Landes, aus welchen zwei Gründen in erster Linie und vor allem ich dieses heilige Konzil einberufen habe." 113 Das Wort „pascha" aus dem Eingangssatz bestimmt den Fortgang der Predigt. Während das griechische πασχα an das Leiden Christi erinnert und die Christen zum Leiden in dieser Welt ruft, müsse das zugrunde liegende hebräische Wort „phase" mit „transitus" übersetzt werden. Ein dreifaches pascha verfolgt Innocenz mit dem Konzil : ein pascha locale, den Zug hinüber ins Hl. Land, um Jerusalem zu befreien; ein pascha spirituale, den Übergang in einen besseren Zustand der Kirche, die Kirchenreform ; schließlich ein pascha aeternale, den Übergang aus diesem Leben in jenes, in die himmlische Herrlichkeit 114 . Von diesem dreifachen Transitus handelt die Predigt. Kläglich ruft Jerusalem die Christen zum „transitus corporalis", um die Stadt vom Elend zu befreien. Ihre Straßen sind zerstört, Fremde entweihen die heiligen Stätten und mißachten das Grab des Herrn; wo einst Christus verehrt wurde, huldigt man Mohammed. Welche Schande: die Söhne der Unfreien besitzen das Land, das Christus einst würdigte, dort das Heil der Welt zu wirken. Innocenz fragt: Was sollten wir tun? Und er gibt, wieder im Ich-Stil, für sich persönlich die Antwort: Ich bin bereit, wenn das Konzil es gutheißt, persönlich auszuziehen und Könige und Fürsten, Völker und Nationen zum Kampf für den Herrn aufzurufen, zur Rache für seine Schmach. Was auch von anderen gefordert wird, 113 114
MPL 217.674C. Ebd. 674f.
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jeder Priester soll durch persönliche Teilnahme oder finanzielle Opfer dieses großen Werkes und des verheißenen Lohnes teilhaftig werden. Wie einst das Geschlecht der Makkabäer, so müssen auch jetzt die Priester Jerusalem und den Tempel aus der Hand der Heiden befreien, denn durch Priester wirkt Gott das Heil115. Den geistlichen transitus, die Kirchenreform, können wir hier übergehen. Im dritten, eschatologischen Teil geht es um das höchste Ziel aller Christen, das Pascha im Reiche Gottes zu essen. Doch vor diesem letzten Pascha liegt der transitus aus der Mühsal der Welt in die Ruhe Gottes, vom Schmerz zur Freude, aus dem Tode zum Leben. Das Pascha der Kirche, die Eucharistie, gibt den Christen nur einen Vorgeschmack der Herrlichkeit, die sie im Reiche Gottes erwartet 116 . Diese Predigt zeigt uns, welche Triebkräfte hinter all den sachlichen Anordnungen und Überlegungen standen, die wir dargestellt haben. In dieser Predigt wird der Herzschlag spürbar, der der Kreuzzugspropaganda, den Finanzierungsversuchen, der Friedensvermittlung ihr Leben gab. Hinter dem mühseligen transitus in das Hl. Land, hinter der Sorgenlast und Kleinarbeit, die die Befreiung des Hl. Landes erforderte, sah Innocenz den ewigen transitus zur Herrlichkeit des Reiches Gottes leuchten. Man muß neben dem politischen auch dieses eschatologische Moment heranziehen, um zu erklären, warum Innocenz in zunehmendem Maß seine Arbeitskraft dem Kreuzzug widmete, in dem er schließlich, ganz im Gegensatz zu den Anfängen, ein Hauptziel seines Pontifikates sah117. Über den Verlauf des Konzils wissen wir nur sehr wenig, denn die Verhandlungsunterlagen sind verloren. Nur die 70 capitula des Konzils sind erhalten; sie schweigen vom Kreuzzug 118 . Aber ein äußerst sachliches Dokument mit der Überschrift „Domini Innocentii expeditionis pro recuperanda Terra Sancta ordinatio" vom 14. Dezember 1215 wird in seinem knappen ersten Satz als vom Konzil approbierte, in Beratungen mit klugen Männern entstandene päpstliche Anordnung bezeichnet. Diese Ordinatio stellt also das vom Papst veröffentlichte Ergebnis der Kreuzzugsberatungen dar 119 ; sie ist straff und klar gegliedert. Im ersten Abschnitt wird der Aufbruch auf den l . J u n i 1217 festgesetzt120. Wer den Seeweg wählt, soll sich zu diesem Zeitpunkt in Brindisi oder Messina 1 1 5 Ebd. 675f. Cramer aaO S. 285 notiert, daß der Hinweis auf die Makkabäer zwar seit Eugen III. in der Kreuzzugswerbung begegnet, aber bei Coelestin III. und bei Innocenz bis auf diese Predigt fehlt. Doch das mag Zufall sein, jedenfalls kann ich keinen Grund hierfür erkennen. 1 1 6 M P L 217,679 f. 1 1 7 Zum eschatologischen Motiv im Kreuzzugsgedanken Innocenz' vgl. unten S. 288ff. 1 1 8 Luchaire aaO IV,291 möchte einige Kapitel auf den Kreuzzug bezogen wissen, die in den Rahmen der Kirchenreform gehören, z. B. cap. 62 gegen das Überhandnehmen der Ablässe. 1 1 9 P. 5012, M P L 2 1 7 , 2 6 9 - 7 3 , auch Mansi X X I I , 1 0 5 7 - 5 8 . Maccarone, Il IV. Concilio Lateranense S. 280 f betont, daß es nur die Bedeutung der Ordinatio erhöhte, wenn sie nicht zu den anderen capitula zählte. 1 2 0 Luchaire aaO V I , 5 6 nennt irrtümlich den l . J u n i 1216 und spricht deshalb aaO I V , 2 9 6 f von einem völligen Fehlschlag des Kreuzzugs noch zu Innocenz' Lebzeiten.
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einfinden; wer den Landweg wählt, soll dem Papst Nachricht geben, damit er „zu Rat und Hilfe" einen Kardinallegaten schicken kann. Mit eigenem „Rat und Hilfe" will Innocenz in Brindisi oder Messina persönlich das Kreuzheer ordnen (ordinare). Diese Formulierung bedarf der Interpretation, wobei es nicht ausgeschlossen ist, daß Innocenz bewußt eine Formulierung benutzte, die ihm bis zuletzt die volle Freiheit der Entscheidung beließ. Für beide Heere, das zu Lande und das zur See, nennt die Ordinatio keine Führer, aber es ist undenkbar, daß Innocenz diese Frage ganz offenließ. So wird man die Bestallung des Kardinallegaten und das Erscheinen des Papstes „ad consilium et auxilium" der Kreuzheere so deuten dürfen, daß Innocenz das eine Heer persönlich, das andere durch seinen Legaten leiten wollte 121 . Der Sprachgebrauch bei Honorius III. scheint diese Interpretation zu bestätigen 122 . Innocenz tat damit einen in der Geschichte der Kreuzzüge ganz neuen Schritt. Nach dem Versagen der weltlichen Großen bis hinauf zum Kaiser bei früheren Kreuzzügen, nach dem totalen Fehlschlag einer Führung des Kreuzheeres durch Legaten beim 4. Kreuzzug warf Innocenz nun seine ganze persönliche und amtliche Autorität in die Waagschale. Mit diesem letzten Einsatz wollte Innocenz als Haupt der Christenheit an die Spitze der im Kreuzzug aufbrechenden Christenheit treten ; es ist doch wohl bezeichnend, daß schon Honorius III., der sonst ein getreuer Erbwalter Innocenz' sein wollte, diesen letzten Schritt nicht mehr erwogen zu haben scheint. Innocenz' Vorstellung vom Kreuzzug fiel mit seinem Tode dahin; nur viel später hat noch einmal ein Papst erwogen, an die Spitze des Kreuzheeres zu treten, Gregor X., der Erneuerer innocentianischen Kreuzzugsgeistes 123 . Welche Rolle die am Kreuzzug teilnehmenden Großen und Herrscher spielen sollten, ihr Verhältnis zur päpstlichen Führung, ließ Innocenz freilich ungeklärt. Der zweite Abschnitt der Ordinatio charakterisiert das Kreuzheer als geistliche Körperschaft, deshalb werden Stellung und Aufgaben der Kleriker im Kreuzheer an so herausragender Stelle geregelt. Der Klerus im Kreuzheer erhält seine heimatlichen Pfründen auf drei Jahre garantiert, genauso, wie wenn er die Resi121 Diese Interpretation vertritt ausdrücklich Hauck aaO IV, 785. Sonst geht die Literatur auf die Frage, wer das Kreuzheer führen sollte, nicht ein. Tillmann, Papst Innocenz S. 232, paraphrasiert lediglich den deutungsbedürftigen Satz : „Er selbst wollte zugegen sein, die Einschiffung leiten und die Streiter des Herrn beim Abschied segnen". 1 2 2 A m 8. Juli 1217 beauftragte Honorius die Erzbischöfe von Brindisi und Cosenza, in Brindisi und Messina die Einschiffung des Kreuzheeres zu leiten ; der Brief ist nur im Regest erhalten : „ut vice sua Messanam accedat, ubi crucesignatorum multitudo concurrebat, ibique verbum crucis praedicet et de agendis ipsis crucesignatis disponat", Pressutti Nr. 654, Horoy 11,451, Nr. 355. A m 24. Juli teilte Honorius den Erzbischöfen der italienischen Hafenstädte mit, er habe den Kreuzlegaten Pelagius beauftragt, bis zum 8. September nach Cypern zu kommen und sich dem Kreuzheer anzuschließen „ut vice nostra prout idem inspiraverit, ordinet et disponat", Pressutti Nr. 672, Horoy II, 473 Nr. 1. Nur für Pelagius, dem Honorius den Oberbefehl über das Kreuzheer gab, kommt also der Begriff „ordinäre" in Anwendung. Vgl. auch O. Hassler, Pelagius Galvani (Diss. phil. Basel 1902) S . 2 4 f und J. P. Donovan, Pelagius and the Fifth Crusade (1950) S. 44. 123
Zu Gregor X . vgl. unten S. 301 f.
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denzpflicht erfüllte. Im Heer soll er sich dem Gebet und der Seelsorge widmen und durch Predigt und Vorbild die Kreuzfahrer anhalten, in steter Gottesfurcht und Gottesliebe alles zu meiden, was Gott beleidigen könnte. Einfache Nahrung und schlichte Kleidung soll die Kreuzfahrer als Diener Gottes ausweisen ; so soll alle Eifersucht, aller Zorn vermieden werden, damit das Heer geistlich wie äußerlich gewaffnet dem Feinde sicher entgegenziehe im Vertrauen nicht auf die eigene, sondern auf Gottes Kraft. Hatten seit dem 2. Kreuzzug die weltlichen Fürsten Heeresfrieden für die Kreuzheere erlassen, so fehlen diesmal alle Zeugnisse dafür 124 ; dieser Abschnitt der Ordinatio hatte den Heeresfrieden der Herrscher ersetzt ; auch hier war der Papst an die Stelle der Fürsten beim Kreuzzug getreten. Die folgenden Abschnitte sollen den Teilnehmerkreis möglichst groß machen. Jeder, der das Kreuz nahm, soll an sein Gelübde gemahnt werden, notfalls mit Bann und Interdikt, bis er es erfüllt oder in berechtigten Fällen umwandeln läßt. Auch sollen die Patriarchen, Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und alle, denen die Seelsorge obliegt, unter feierlicher Anrufung des dreieinigen Gottes die Könige, Herzöge, Fürsten usw., ebenso die Städte und Kommunen auffordern, auf drei Jahre Truppen zu stellen; hierfür wird, wie im Aufruf von 1213, Plenarablaß gewährt. Dieser wird auch auf die ausgedehnt, die dem Kreuzheer Schiffe zur Verfügung stellen oder gar neue bauen lassen; es war also das Problem der Schiffsraumbeschaffung noch nicht befriedigend gelöst. Alle, die sich der Hilfe versagen, sollen wissen, daß sie dem Gekreuzigten den Dienst verweigern, wofür sie im Jüngsten Gericht werden Rechenschaft ablegen müssen. Es folgen die Abschnitte über die materielle Unterstützung des Kreuzzuges. Innocenz selbst will ein Vorbild geben; 30000 Pfund hat er bei größter Sparsamkeit für den Kreuzzug erübrigt; außerdem stellt er das Schiff für die Kreuzfahrer aus Rom und Umgebung. Weitere 3000 Mark Silber kann Innocenz aus bei ihm hinterlegten Spenden ankündigen. Auf dem Hintergrund dieses Vorbildes wird dann eine Steuer des gesamten Klerus ausgeschrieben, der drei Jahre lang ein Zwanzigstel seiner Einnahmen für Kreuzzugszwecke an besonders bestimmte Kollektoren abliefern soll. Dieses Geld soll bedürftigen Kreuzfahrern den Zug ermöglichen. Während die exemten Orden von der Steuer ausgenommen sind — ein Recht, das sie 1199/1200 erst im Widerspruch gegen den Papst behauptet hatten —, verpflichten Papst und Kardinäle sich freiwillig, einen Zehnten für den Kreuzzug zu zahlen. Für alle säumigen Zahler und alle Betrugsversuche droht der Bann. Nach den katastrophalen Erfahrungen mit dem Kreuzzugsvierzigsten von 1199, der ζ. T. 1207 noch ausstand125, hatte Innocenz diesmal nicht schon 1213, sondern erst gestützt auf die volle Autorität des Konzils erneut eine Besteuerung im Vgl. H. Conrad, Gottesfrieden und Heeresverfassung in der Zeit der Kreuzzüge, Z R G 61 (1941) G A S. 7 1 - 1 2 6 . 125
Vgl. C. R. Cheney, Master Philipp and the Fortieth of 1199, EHR 63 (1948) S. 3 4 3 - 5 0 .
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des Klerus angeordnet 126 . Aber auch diesmal erregte die Kreuzzugssteuer viel Ärger und Widerspruch, sobald die Eintreibung begann 127 . Die Eintreibung der Kreuzzugssteuer fällt bereits in die Regierungszeit Honorius' III., der als langjähriger Kämmerer der Kurie gerade für die Fragen der Kreuzzugsfinanzierung bestens vorbereitet war. Wenige Monate nach seiner Wahl erließ er eine bis in die Einzelheiten gehende Anweisung, wie, zu welchen Terminen und an wen die Steuern zu zahlen seien und wie die Summen nach Rom gemeldet werden sollen128. Die Briefe Honorius' III. bieten so reichhaltiges Material über die Organisation der Kreuzzugssteuer, daß wir über dieses Einzelthema aus der Kreuzzugsvorbereitung einmal ausführlicher Bescheid wissen 129 . Da finden sich ζ. B. exakte Abrechnungen über die Summen, die an den Kreuzlegaten Pelagius gesandt wurden 130 , oder interessante Angaben über die wechselnden Versuche, das Geld möglichst günstig (utiliter) zu verwalten: zu zunächst wurde der Steuerertrag jeder Provinz direkt dem Kreuzlegaten Pelagius überbracht, dann erhielten ihn die weltlichen Fürsten des Landes zur Ausrüstung von Kreuzfahrern, schließlich lieferten die päpstlichen Kollektoren das Geld dem Papst ab, der alles zusammen an Pelagius schickte131. Damit begann der Papst, die Verwaltung der Kreuzzugssteuern in seiner Hand zu konzentrieren, während die Kollektoren und Oberkollektoren im Lande zu reinen Funktionären des Papstes wurden 132 . Diese Entwicklung wurde unter Gregor IX. und Innocenz IV. konsequent fortgesetzt 133 . Honorius hat dann auch versucht, wirklich die ganze Christenheit für die Kreuzzugsfinanzierung heranzuziehen und aus der Kreuzzugssteuer des Klerus eine Klerus und Laien umfassende Kreuzzugssteuer zu machen134. Dieser auch von Gregor IX. 135 aufgegriffene Gedanke fand seine Verwirklichung aber erst im Kreuzzugszehnt Gregors X., den das 2. Konzil von Lyon 1274 ausschrieb, der umfassendsten Kreuzzugssteuer des 13. Jahrhunderts 136 . Dieser kleine Exkurs in die Geschichte der Kreuzungssteuern sollte nur zeigen, welche gewaltige Entwicklung mit dem Kreuzzugszwanzigsten des Konzils von Vgl. Martini aaO S. 322. Vgl. zuletzt Th. v. Cleve, HC 11,386. 128 Pressutti Nr. 111 vom 21. November 1216, Horoy II,89ff, Nr. 65. Vgl. dazu auch das Verbot, statt „in pecunia" in Naturalien zu zahlen, das den Blick des geübten Praktikers verrät. Pressutti 337 vom 13. Februar 1217, Horoy 11,267 f, Nr. 217. 1 2 9 Vgl. als Zusammenfassung immer noch A . G o t t l o b , Die päpstlichen Kreuzzugssteuern (1892). 1 3 0 Pressutti 2195 vom 7. September 1219, Horoy III,299ff, Nr. 19. 1 3 1 Vgl. Pressutti 2574 vom 25. Juli 1220, Rodenberg I,88f, Nr. 124. 1 3 2 A m 6. August 1220 tadelte Honorius den Pariser Tempelschatzmeister, bei dem die meisten Kreuzzugssteuern abgeliefert wurden, wegen eigenmächtiger Überweisungen an das Kreuzheer. Dafür sei jedesmal ein „mandatum speciale" aus Rom erforderlich. Pressutti 2600, Horoy III, 498 f, Nr. 13. 1 3 3 Vgl. Gottlob, Kreuzzugssteuern S. 167—206. 134 Pressutti 4263. 4329 vom April 1223, Rodenberg 1,151 f. 1 5 5 f , Nr. 224. 226. 136 Auvray II, 102f, Nr. 2664, Rodenberg 1 , 5 4 1 - 4 3 , Nr. 646 vom 28. Juni 1235. 1 3 8 Zum Lyoner Kreuzzugszehnt vgl. zuletzt L. Gatto, Il Pontificato del Gregorio Χ . (1959) S. 8 5 - 9 1 . 128
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1215 begann. 1199 hatte Innocenz noch ausdrücklich betont, der Kreuzzugsvierzigste sei eine einmalige Notmaßnahme und solle nicht zum Präzedenzfall werden 137 . Davon war 1215 nicht mehr die Rede; nachdem neben dem Papst auch das Generalkonzil mit seiner Autorität die Kreuzzugssteuer gedeckt hatte, wurde diese zur stehenden Einrichtung während des ganzen Jahrhunderts. Die Ordinatio von 1215 verkündete weiter noch einmal den päpstlichen Schutz und die anderen Privilegien für die Kreuzfahrer ; sie blieben also gegen den Widerspruch der französischen Krone in Geltung, d. h. Innocenz beharrte auf dem rechtlichen Vorrang der Interessen der Christenheit, deren Haupt er sein wollte, vor denen des Staates und seiner Rechtsordnung 138 . Wie 1213 werden Episkopat und Prälaten als Garanten des Schutzes genannt. Daneben erscheinen hier zum erstenmal besondere Protektoren, ein weiterer Beleg dafür, welches zunehmende Gewicht Innocenz dem Kreuzfahrerschutz zulegte. Kleriker, die diese neue Aufgabe vernachlässigen, werden mit nicht näher gestimmten schweren Strafen bedroht. Das Institut der Protektoren scheint sich aber nicht bewährt zu haben, denn es begegnet unter Innocenz' Nachfolgern nicht wieder. Es folgen in der Ordinatio Erlasse gegen die Begünstigung der Feinde ; Piraterie wird mit dem Bann bedroht, weil sie die Kreuzfahrt behindert ; Lieferung kriegswichtigen Materials an die Heiden, Stellung von Schiffen an sie oder Dienst auf ihren Schiffen werden schärfstens untersagt. Dieses Verbot mit der Strafandrohung ist an allen Sonn- und Feiertagen in den Hafenstädten öffentlich zu verkünden. Die nächsten Bestimmungen sollen die indirekte und ungewollte Behinderung des Kreuzzugs durch Christen unterbinden: auf vier Jahre wird jeder private Schiffsverkehr in den Orient untersagt, um allen verfügbaren Schiffsraum für den Kreuzzug frei zu machen. Auch die Turniere, die schon von früheren Konzilien verboten wurden, werden wie 1199/1200 untersagt, weil sie die Kreuzzugsvorbereitungen hindern. Die letzte dieser Bestimmungen sieht endlich einen Generalfrieden auf mindestens vier Jahre in der ganzen Christenheit vor. Allen Streit und allen Zwist sollen die Prälaten durch unverletzliche Friedens- und Stillhalteabkommen beenden, zu deren Vermittlung sie notfalls Bann und Interdikt einsetzen dürfen. Diese Bestimmung war eine „Utopie", wie Luchaire sagt 139 , aber sie zeigt doch, in welch umfassendem Maße alles im Räume der Christenheit sich nach Innocenz' Willen dem Zweck des Kreuzzugs beugen sollte. Vor allem der Friedenvermittlung galt die Arbeit des Papstes in den letzten Monaten. Den Abschluß der Ordinatio bildet die Verheißung des Kreuzablasses in der von Innocenz schon seit 1198 und wieder 1213 benutzten Form: Voller Ablaß für alle, die persönlich auf eigene oder fremde Kosten am Kreuzzug teilnehmen oder die einer den Mitteln des Spenders entsprechenden Zahl von Teilnehmern 137 138 139
Reg II, 270, P. 922 vom 31. Dezember 1199, MPL 214, 829D. Vgl. oben S. 155 Luchaire aaO VI, 60.
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die Kreuzfahrt finanzieren; Teilablaß in einem der Höhe der Spende und der Frömmigkeit, mit der sie gegeben wird, entsprechenden Umfang für alle sonstigen Kreuzzugsspenden. Wir sahen oben, daß Innocenz' Formulierung des Kreuzablasses jede theologische Klarheit vermissen läßt140. Dennoch wurde sie von größter Bedeutung, denn die jetzt auch vom Laterankonzil aufgenommene Ablaßformel setzte sich, aller inneren Unklarheit zum Trotz, durch. Innocenz IV. übernahm sie 1245 wörtlich auf dem 1. Konzil von Lyon 141 und auch das 2. Konzil von Lyon unter Gregor X. hat 1274 einfach diese Formel wiederholt 142 . Innocenz III. und das von ihm berufene Konzil von 1215 haben so mit ihrer normativen Kraft die Ablaßpraxis entscheidend bestimmt 143 . Aber noch in anderer Hinsicht war diese Ablaßformel bedeutsam: die schon lange bekannten, aber noch sehr umstrittenen Ablässe für Geldspenden fanden jetzt ihre endgültige und feierliche Bestätigung durch Papst und Konzil. Zwar war es noch ein weiter Weg bis zur üblen Ablaßkrämerei des Spätmittelalters, die Luthers Protest auslöste; aber die grundlegende Voraussetzung, die feste Verknüpfung von Geldspende und Ablaß hat das Konzil von 1215 mit der Ablaßformel Innocenz' III. sanktioniert 144 . In diesem letzten Abschnitt der Ordinatio von 1215 fehlt ein wichtiger Bestandteil des Aufrufs von 1213, die Zurücknahme anderer Kreuzablässe. Die Erklärung, diese Maßnahme sei 1213 in einem einmaligen Akt erfolgt, befriedigt nicht ; in Cap. III, De haereticis, hat das Konzil ausdrücklich auch für den Kampf gegen die Ketzer den gleichen Ablaß und Schutz wie für den Kreuzzug ins Hl. Land gewährt 145 . Da in einigen anderen Punkten ein Gegensatz zwischen Innocenz und dem Konzil erwiesen ist 146 , kann die Annahme einer solchen Differenz auch diese Beobachtung am einfachsten erklären. Die Mehrheit der Konzilsväter teilte nicht die einseitige Begeisterung des Papstes für die Befreiung des Hl. Landes durch den Kreuzzug, hinter dem alles andere zurückzustehen hatte147. Am 8. Januar 1216 teilte Innocenz die wichtigsten Punkte dieser Ordinatio in 140 141 142 143
Vgl. oben S. 73. Mansi XXIII, 632 CD. H. Finke, Konzilienstudien zur Geschichte des 13. Jahrhunderts (1891) S. 116. Vgl. Gottlob, Kreuzablaß und Almosenablaß (1906), S. 138 f.
Vgl. Gottlob ebd S. 253 f. Die vielfaltigen und tiefgründigen Wandlungen in der theologischen Ablaßlehre des 13. und 14. Jahrhunderts können für diese praktische Feststellung außer Betracht bleiben; keine Ablaßformel der großen scholastischen Lehrer hat in dem Maße die lehramtliche Autorität gewinnen können, die drei Generalkonzilien der Ablaßformel Innocenz' III. verliehen haben, wenngleich die mittelalterliche Kirche nie eine definitive Ablaßlehre offiziell verkündet hat. i « Mansi X X I I , 987/988 Α . 146 Solche Gegensätze bestanden über die Haltung zu den neuen religiösen Gemeinschaften, vgl. H. Grundmann, Religiöse Bewegungen des Mittelalters (2. Aufl. 1961) S. 140 ff. 147, über die Versorgung des Niederklerus, den Unterhalt der Kurie und über die Entscheidung im Streit um Graf Raimund von Toulouse, vgl. Tillmann, Papst Innocenz S. 166—68. 198ff. 147 Allerdings bestätigte Innocenz auf dem Konzil den Missionskreuzzug in Livland, vgl. unten S. 2 0 2 f ; doch spielte dieser nur in Norddeutschland eine Rolle als Konkurrenz für den Kreuzzug ins Hl. Land. 144
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einer Enzyklika den Kreuzfahrern mit 148 . Während die ausführlichere und sachlichere Ordinatio wohl nur einigen wichtigen Prälaten und den Kreuzzugsbeauftragten zuging, wandte sich dieses Schreiben an alle Kreuzfahrer. Es beginnt daher mit einem Aufruf zu dankbarem, freudigem und tapferem Kampf für den Herrn und die von ihm verheißene Krone. Erst nach dieser paraenetisch gehaltenen Einleitung teilt Innocenz die wichtigsten Partien der Ordinatio zitierend oder paraphrasierend mit. Dabei tritt die Ausrufung des vierjährigen Generalfriedens an die Spitze. Mit dieser Voranstellung betont Innocenz die Bedeutung dieses Friedens. Es folgen die Mitteilung des Aufbruchstermins, der Sammelhäfen usw.; die Sätze sind wörtlich aus der Ordinatio übernommen und erlauben daher keine Überprüfung unserer Interpretation des Satzes über die Stellung von Papst und Legaten beim Kreuzheer. Schutz und Privilegien der Kreuzfahrer werden kurz referiert, dagegen die zu ihrer Garantie bestellten Protektoren sehr herausgehoben und namentlich aufgeführt. Ihnen obliegt im Bereich der Kirchenprovinz auch die Pflicht der Kreuzpredigt sowie der Einsammlung von Kollekten und Steuern für den Kreuzzug. Man darf daher annehmen, daß als Protektoren gewöhnlich die Provinzialkreuzzugsbeauftragten berufen wurden. Daß die im Aufruf von 1213 und in der Ordinatio von 1215 so wichtige Frage des Schiffsraums in der Enzyklika ebenso fehlt wie das Turnierverbot, hat seinen Grund darin, daß nur nach Deutschland gerichtete Ausfertigungen des Schreibens erhalten sind. Die Forderung nach Schiffsraum war nur im Mittelmeergebiet sinnvoll; das Turnierwesen in Deutschland war im Gegensatz zu Westeuropa bedeutungslos, so daß schon 1200/1201 nur für England und Frankreich allgemeine Turnierverbote nachweisbar sind. Am Schluß greift Innocenz andeutend ein Problem auf, das die Ordinatio noch umging: die Kreuzgelübde der Untauglichen. Ohne Einzelheiten zu nennen, schreibt Innocenz, diese Aufgabe werde in jeder Provinz klugen und zu abwägender Entscheidung fähigen Männern übertragen. So viele Schwache, Frauen und Kleriker hätten das Kreuz genommen, daß die Gelübde der „weniger Tauglichen" kommutiert werden müßten. Wie Gott einst mit einem verschwindenden Rest aus Gideons Heer die Midianiter schlug, so genüge auch diesmal eine kleine Zahl aus der großen Schar. So versuchte Innocenz, die „Kreuzfahrer", die bald zurückgewiesen werden mußten, auf die Enttäuschung vorzubereiten. Aber klare Angaben, welche Gelübde zu kommutieren seien, fehlten auch hier noch ; dieses delikate Problem blieb Innocenz' Nachfolgern vorbehalten. Im Frühjahr 1217 schilderte der Abt Gervasius von Prémontré Honorius III. die vielfältigen Schwierigkeiten, auf die die Kreuzzugsvorbereitungen in Frank148 P. 5048-5050, M P L 2 1 7 , 2 5 5 - 5 8 für die Provinzen Mainz, Köln, Trier, Bremen, Lüttich, Verdun. Das Fehlen außerdeutscher Provinzen wird Zufall sein, da wir den Brief nur aus der Empfángerüberlieferung kennen.
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reich stießen149. Zum Teil waren sie erst dadurch entstanden, daß Innocenz' Tod Zweifel am Aufbruchstermin auslöste. Aber an zwei Punkten wird deutlich, wie Innocenz' Konzeption vom Kreuzzug grundsätzlich Widerspruch erregte. Die Bestimmung sizilischer Ausgangshäfen mißfiel den Franzosen. Sie wollten von ihrem eigenen Mittelmeerhafen Marseille aus starten. Doch auch der Gedanke, mit den Deutschen zusammen zu einem Heer zu gehören, war den französischen Rittern ein Dorn im Auge. Sie wandten ein, erfahrungsgemäß könnten Deutsche und Franzosen sich bei einer großen Aufgabe nicht vertragen ; eine zu enge Berührung werde daher nur den Frieden im Kreuzheer gefährden. Dieser Einwand entsprach der Tradition des 12. Jahrhunderts, als der Kreuzzug das Unternehmen nationaler Kreuzheere gewesen war. Innocenz' Vorstellung von der im Kreuzzug aufbrechenden christianitas, von dem einen großen Kreuzheer unter päpstlicher Führung, hatte sich also im Kernland der Kreuzzugsbewegung, in Frankreich, nicht durchgesetzt. Die Unternehmen, die aus Innocenz' Plänen entstanden, die Kreuzzugsbewegung von 1217 und der Kreuzzug von Damiette, sind nicht zuletzt an den Rivalitäten zwischen den nationalen Kreuzheeren und zwischen diesen und dem päpstlichen Kreuzlegaten Pelagius gescheitert. Seit den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts wurde der Kreuzzug praktisch wieder eine Sache einzelner Länder, zunächst Siziliens unter dem deutschen Kaiser Friedrich II. und dann Frankreichs unter Ludwig IX. 150 . Die wenigen Spuren aus den letzten Monaten des Papstes zeigen eine geradlinige Fortführung seiner Kreuzzugsvorbereitungen. Der Episkopat sollte die Kreuzfahrer zur Gelübdeerfüllung anhalten151. Der englische Klerus sollte die rebellischen Barone zum Gehorsam zwingen, um Johann Ohneland die Kreuzfahrt zu ermöglichen 152 . Auch sonst trat Innocenz mehrfach für den Kreuzfahrerschutz ein 153 . Der Ordinatio entsprechend forderte er die Zahlung der Kreuzzugssteuern 154 . Vor allem die Sorge um Schiffsraum für das Kreuzheer wurde dringend, ζ. B. wurde Ankona um Schiffe gebeten155. Dabei achtete Innocenz darauf, daß nicht etwa wie 1201 ein Chartervertrag das Kreuzheer den politischen Plänen der Schiffseigner auslieferte; so jedenfalls möchte ich die Annullierung eines Chartervertrages mit Genua im Juli 1216 verstehen156. Im Mai scheint Innocenz noch einmal allgemein zum Kreuzzug aufgerufen zu haben157. Vor allem aber widmete sich Innocenz der Friedensarbeit. Im Januar 1216 149 RHGF X I X , 6 0 4 f , dort für 1216 angesetzt und an Innocenz Ungerichtet. Die Datierung auf 1217 wies J . Greven, Frankreich und der 5. Kreuzzug aaO S. 50—52 nach. 1 5 0 Vgl. unten S. 295ff. « ι P. 5162, Theiner S. 65, Nr. 52 162 P. 5057 vom 30. Januar 1216, Cheney-Semple Nr. 87, S . 2 2 6 f . 153 P. 5163. 5277, Theiner Nr. 53, 174. 1 5 4 P. 5254 f, Theiner S. 68, Nr. 151 f. i « P. 5277, Theiner S. 69, Nr. 174. 156 P. 5309, Theiner S. 69, Nr. 206, zum Datum vgl. Haidacher, Beiträge S. 51. 157 P. 5295, Theiner S.69, Nr. 192, zum Datum Haidacher, Beiträge S . 5 1 . Es erregt freilich Bedenken, daß in der Empfängertradition keine Spur von dieser Enzyklika zu finden ist.
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Der Kreuzzug zur Befreiung des Hl. Landes
mahnte er noch einmal die christlichen Fürsten des Orients zur Eintracht158. Das Hauptaugenmerk des Papstes aber galt dem Frieden in Oberitalien. Sobald dem Patriarchen Wolfger von Aquileja im April 1216 die Vermittlung zwischen Mantua und Mailand auf der einen, Venedig und Treviso auf der anderen Seite gelungen war, beeilte Innocenz sich, diesen Frieden zu bestätigen159. Aber Mailand war in viele Kämpfe verwickelt, und da die Beauftragten des Papstes die Stadt nicht zum Frieden nach allen Seiten bewegen konnten, kündigte Innocenz sein persönliches Erscheinen an160. Das Gewicht dieses Schrittes kann man nur recht ermessen, wenn man bedenkt, daß Innocenz nur einmal während seiner sizilischen Regentschaft, sonst aber nie als Papst die Grenzen seines weltlichen Hoheitsbereiches verlassen hatte. Diese hoch bedeutsame Reise sollte daher dem großen Ziel einer allgemeinen Befriedung Oberitaliens dienen; besonders der Friede zwischen Genua und Pisa, den alten Rivalinnen, lag Innocenz am Herzen. Auf der Reise dorthin warf ihn ein Fieber nieder, am 16. Juli 1216 starb er in Perugia. Innocenz' Pontifikat blieb ohne rechten Abschluß, denn die Ausführung des Planes, dem er viele Jahre gewidmet hatte, durfte er nicht erleben ; seinen Nachfolgern mißlang das große Werk. Betrachten wir rückschauend, wie Innocenz seit 1213 mit ungeheurer Energie den Kreuzzug vorbereitete, wie er dabei in ständiger Aufnahme und Verbesserung früherer Bestimmungen, Pläne und Organisationsformen versuchte, die Erfahrung früherer, besonders des 4. Kreuzzugs zu verwerten und so dem geplanten Zug zum Erfolg zu verhelfen, so fallt der Unterschied gegenüber der Kreuzzugsvorbereitung von 1198/1200 auf. Erst im Verlauf seines Wirkens für den Kreuzzug seit 1213 gewannen bei ihm Konzeption und Organisation des Kreuzzuges in vollem Umfang die Gestalt, die es erlaubt, bei Innocenz III. einen entscheidenden Einschnitt in der Kreuzzugsgeschichte zu sehen. Als Innocenz im November 1215 den zum Konzil versammelten Vertretern der Christenheit zurief, „mich hat herzlich verlangt, dies Abendmahl mit euch zu essen, ehe denn ich sterbe", ahnte er wohl kaum, daß dieser Höhepunkt seines Pontifikats auch sein Ende war. Das große Ziel, dessen Vorbereitung die letzten Jahre des Papstes ausgefüllt hatte, war unerreicht. Als Innocenz den Stuhl Petri bestieg, hatte er die Aufgabe, dem Hl. Land Hilfe und Befreiung zu bringen, von sich geschoben ; doch die Aufgabe hatte ihn bald energisch gefordert und er hatte sich ihr im Sommer 1198 gestellt. Diese Aufgabe hat Innocenz dann in wechselndem Maße beschäftigt, sie hat ihn auf Höhen und vor allem in demütigende Tiefen des Mißerfolges geführt; losgelassen hat sie ihn nicht mehr. Am Ende hat sie Innocenz so erfüllt, daß er in dieser Aufgabe ein Hauptziel seiner Regierung sah. Im Dienst des Kreuzzugs, im Dienste des Gekreuzigten, wie er den Kreuzzug gern nannte, ist Innocenz gestorben. Vom Ende, 1 5 8 P. 5178 f, Theiner S. 65, Nr. 63 f, an die Könige von Jerusalem, Cypern und Armenien und an den Grafen von Tripolis. Der Brief an Johann von Jerusalem im vollen Text bei Hampe aaO S . 5 5 9 f . 1 5 9 P. 5279, Hampe aaO S. 566. 1 6 0 P. 5280, Theiner S. 69, Nr. 177.
Die Vorbereitung des 5. Kreuzzuges (1213 bis 1216)
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nicht vom Anfang her nimmt der Historiker das Recht, die Befreiung des Hl. Landes eines der großen Themen des Pontifikats Innocenz' III. zu nennen. Als Innocenz Papst wurde, stand und fiel der Kreuzzug mit der Person des Kaisers, Heinrichs VI.; auf seinen Kreuzzug blickte die Christenheit, er sollte das Hl. Land den Heiden entreißen. Als Innocenz starb, keine zwei Jahrzehnte später, hatte er den Kreuzzug zur Sache des Papstes gemacht, mit ihm stand und fiel das gewaltige Werk zur Befreiung des Hl. Landes. Daher ist die Gestalt dieses Papstes nicht zu trennen von den Kreuzzugsplänen, die er achtzehn Jahre hindurch betrieb.
Teil II: Die nicht-orientalischen Kreuzzüge Einleitung Die Kreuzzüge blieben nicht auf den Kampf um das Hl. Land beschränkt. Wenn auch die Forschung sich meistens hierauf beschränkt, müssen wir doch weiter ausgreifen. Nicht nur wurden auch Kriege im östlichen Mittelmeerraum, etwa in Griechenland, Sizilien oder Ägypten, die nur mittelbar der Befreiung des Hl. Landes dienen sollten, als Kreuzzüge angesehen. Auch in Europa selbst wurden Kreuzzüge geführt, gegen die Mauren in Spanien, gegen die Heiden an der Missionsgrenze in Nord-Ost-Europa und schließlich gegen die Ketzer mitten unter den Christen. Es waren dies so verschiedenartige Unternehmen, daß sie gemeinsam nur negativ als nicht-orientalische Kreuzzüge bezeichnet werden können. Diese Verschiedenartigkeit mag auch der Grund dafür sein, daß nur ein einziges Mal diese vielfältigen nicht-orientalischen Kreuzzüge zum Gegenstand einer zusammenfassenden Studie gemacht wurden. Otto Volk hatte 1911 über „Die abendländische-hierarchische Kreuzzugsidee" geschrieben 1 . Er urteilt, die abendländischhierarchischen Kreuzzüge seien „primärer Natur", nicht erst Ableger der orientalischen Kreuzzüge (S. 82f.). Nun hat inzwischen Carl Erdmann gezeigt, in wie starkem Maße europäische Kriegstraditionen, der spanische Maurenkrieg, der Heidenkrieg und auch der Kampf gegen die Ketzer, bei der Entstehung des Kreuzzugsgedankens beteiligt waren. Erdmanns Buch endet mit dem 1. Kreuzzug. Auf diesem Zuge, zu dem Urban II. 1095 aufrief, wurde der langsam entstandene Kreuzzugsgedanke in überwältigender Weise Wirklichkeit. Von diesem Zeitpunkt an war der Kreuzzugsgedanke nicht mehr nur das Konglomerat verschiedener europäischer Kriegs- und Wallfahrtstraditionen, sondern der Kreuzzugsgedanke wurde entscheidend bestimmt durch die Wirklichkeit des Kreuzzuges nach Jerusalem. Deshalb ist es falsch, die nicht-orientalischen Kreuzzüge des 12. und 13. Jahrhunderts nur aus sich heraus verstehen zu wollen. Sie entwickelten sich in Anlehnung an das Vorbild des Kreuzzuges ins Hl. Land, wobei diese Analogie nicht nur in der Praxis aufweisbar ist, sondern auch häufig in den Quellen ausdrücklich betont wird. Diese Einsicht, für die Erdmanns Arbeiten der Forschung die Augen geöffnet haben, genügt schon allein, um über Volks Buch hinauszuführen. 1
Diss. phil. Halle 1911.
Der Maurenkreuzzug
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Dazu kommt ein zweites, das sich schon in Volks Begriff der abendländischhierarchischen Kreuzungsidee andeutet. Für Volk sind die nicht-orientalischen Kreuzzüge nur ein Mittel für die Päpste, ihre hierarchischen Gelüste zu verwirklichen. Entsprechend sieht Volk die drei Höhepunkte der abendländisch-hierarchischen Kreuzzüge bei Gregor VII., Innocenz III. und Innocenz IV. (S. 132f.). Es liegt eine gewisse Inkonsequenz darin, wenn Volk einerseits die primäre Natur dieser Kreuzzüge betont, andererseits aber gerade die verschiedenen Ursprünge derselben völlig vernachlässigt und sie nur als Ausdruck päpstlichen Machtstrebens sieht. Wir werden gerade darauf zu achten haben, in welchen Gebieten und zu welchen Zwecken die nicht-orientalischen Kreuzzüge entstanden. Zudem hat die Forschung des letzten halben Jahrhunderts zur Geschichte des mittelalterlichen Papsttums doch mindestens dieses Ergebnis gehabt, daß das neuprotestantische Klischeebild vom mittelalterlichen Papsttum, das hinter Volks Arbeit steht, als überholt gelten kann. Neben Volks Arbeit ist mir keine Studie bekannt, die die nicht-orientalischen Kreuzzüge zusammenhängend zum Gegenstand hat; für die einzelnen Kreuzzüge, den Mauren-, Missions-, Ketzer- und politischen Kreuzzug gibt es eine Fülle von Einzeluntersuchungen, die in den entsprechenden Kapiteln zu nennen sein werden. Von zwei Kreuzzügen, die man in diesem Teil erwarten könnte, wird nicht die Rede sein. Den Kreuzzug gegen Markward von Annweiler, 1199/1202, den etwa Volk und Strayer hierher rechnen, hat Innocenz III., jedenfalls offiziell, als Hilfsunternehmen zum 4. Kreuzzug verstanden wissen wollen. Er ist deshalb in jenem Zusammenhang erwähnt worden. In einem Exkurs über die Entstehung des politischen Kreuzzuges muß noch einmal darauf zurückgegifFen werden 2 . Ein Kreuzzug gegen Johann Ohneland, zu dem Innocenz 1212 aufgerufen haben soll, wird in der älteren Literatur erwähnt 3 . Doch gibt es keine eindeutigen Belege dafür. Die Historiker streiten, ob Innocenz überhaupt zum Kriege gegen Johann Ohneland aufrief; zu einem Kreuzzug rief er bestimmt nicht auf 4 . So kann dieser angebliche Kreuzzug hier beiseite gelassen werden. Eine Schwierigkeit für diesen Teil der Arbeit ergibt sich daraus, daß jeder der nicht-orientalischen Kreuzzüge im Rahmen eines Spezialgebietes historischer Forschung zu sehen ist. Der Missionskreuzzug etwa kann nicht getrennt werden von der ostmitteleuropäischen Kolonisations- und Missionsgeschichte. Diese aber stellt einen eigenen Forschungsbereich für sich dar. Ähnlich ist die Lage bei den Kreuzzügen gegen die Mauren und gegen die Ketzer. All diese SpezialVgl. oben S.89ff. und unten S.254. Z. B. E. Gütschow, Innocenz III. und England (1904) 164, 169. Cartellieri, Philipp August IV/2, S. 341 f ; Volk aaO S. 78—82; Andeutungen auch bei Haller 111,411. Überall fehlen eindeutige Belege. Tillmann, Papst Innocenz III., erwähnt die Angelegenheit nicht mehr. 4 Vgl. S. Painter, The Reign of King John (1949), der die Unsicherheit der Quellen darlegt. Überblick zur Quellen- und Forschungslage bei J. Strayer, The Political Crusades of the 13 th Century, HC 11,346 Anm. 4. 2 3
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
bereiche zu übersehen, ist dem Nichtspezialisten kaum möglich. Wer für eine spezielle Untersuchung wie diese sich erst Schneisen schlagen muß in die Fülle der Forschungsergebnisse anderer Gebiete der historischen Wissenschaft, wird kaum vor gelegentlichen Vergröberungen und Verzeichnungen bewahrt bleiben.
1.KAPITEL
Der Maurenkreuzzug in Spanien a) Die zweite Front gegen die Sarazenen Im Jahre 711 hatte der westliche Flügel des Islam auf das europäische Festland übergegriffen und in raschem Siegeszug die iberische Halbinsel unterworfen. Bald darauf hatte die Reaktion von christlicher Seite eingesetzt1, die in jahrhundertelangem Ringen die Mauren wieder unterwarf. Diese Rückeroberung, die Reconquista, war ein wesentlicher Faktor zur Ausbildung des Kreuzzugsgedankens im 11. Jahrhundert gewesen 2 . Es sei nur daran erinnert, daß der älteste im Wortlaut erhaltene Kreuzablaß im Jahre 1064 von Alexander II. für den Kampf um Barbastro erlassen worden war 3 . Die lateinische Christenheit der Kreuzzugszeit hat in der spanischen Front eine zweite Sarazenenfront gesehen und sie in Parallele zur orientalischen Sarazenenfront gesetzt 4 . Schon Urban II. wies einige spanische Ritter, die zum Kreuzzug ins Hl. Land ziehen wollten, darauf hin, daß es nicht angehe, ,alibi a Saracenis christianos eruere, alibi christianos Saracenorum tyrannidi oppressionique exponere', und schickte die Ritter an ihre heimatliche Sarazenenfront nach Taragona zurück 5 . Aus der Fülle der Beispiele aus dem 12. Jahrhundert seien nur einige genannt 6 : Unter Calixt II. sprach das Laterankonzil von 1123 im Kanon 11 völlig parallel vom Kreuzzug nach Spanien und nach Jerusalem 7 . Eugen III. begann seinen Aufruf zum Wendenkreuzzug vom 11. April 1147 mit der Schilderung der gewaltigen Rüstungen für den Kreuzzug ins Hl. Land; bevor er dann auf den Wendenzug zu sprechen kam, erwähnte er, daß auch der König von Spanien 1 R.Konetzke, Geschichte des spanischen und portugiesischen Volkes (1939) S.65, läßt bereits 722 die Reconquista einsetzen. 2 B. W . Wheeler, The Reconquest of Spain before 1095, HC 1,31—39; Erdmann, Entstehung des Kreuzzugsgedankens S. 124ff. 267ff. 3 Erdmann, Entstehung S. 125, dort ältere Literatur. 4 Vgl. auch Runciman 11,239, der hier von der „Sicht Westeuropas" spricht. 5 Kehr, PU Spanien I,287f Nr. 23. Zur Datierung, Erdmann, Entstehung, S.294, Anm. 37. 6 Wir verzichten auf alle Beispiele, w o lediglich die Gegner in Spanien als Sarazenen bezeichnet werden. ' M a n s i X X I , 302 E—303 Α .
Der Maurenkreuzzug
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(Alfons VII. von Kastilien) ,contra Saracenos de partibus illis' mächtig rüste 8 . Die Verwendung des Gedankens einer zweiten, spanischen Sarazenenfront in einem Konzilsbeschluß und in einem Kreuzzugsaufruf zeigt bereits, als wie allgemein verbreitet diese Vorstellung gelten darf. Sie findet sich auch bei Innocenz' direktem Vorgänger, Coelestin III., der im Mai 1197 die Christen der Provinz Bordeaux zum Kampf gegen die Sarazenen aufrief ; sie könnten das Gelübde zum Jerusalem-Kreuzzug aber auch zu Hause — wohl im damals noch eng zu Frankreich gehörenden Katalonien — ableisten 9 . Um die gleiche Zeit gab William of Newburgh in seiner Historia rerum Anglicarum in einem ganzen Kapitel einen knappen, guten Überblick über die Eroberungen des Islam seit dem 7. Jahrhundert, worin William den historischen Zusammenhang beider Sarazenenfronten eindrucksvoll herausstellte10. Auch die Aufgabe an dieser Sarazenenfront wurde ganz wie die im Orient umschrieben. Fast klassisch wurde sie bei einem feierlichen Staatsakt 1143 formuliert, in dem Graf Raimund Berengar IV. von Barcelona und der päpstliche Legat Guido eine eigene Organisation für Katalonien-Aragon der seit 1130 im Lande weilenden Tempelritter gründeten. Die neue Templerprovinz wurde begründet ,ad defendendam occidentalem ecclesiam, quae est in Hispaniis, ad deprimendam et debellendam et expellendam gentem Maurorum, ad exaltandam sanctae Trinitatis fidem et religionem' 11 . So sahen im 12. Jahrhundert die lateinischen Christen und, was uns besonders interessiert, die Päpste die spanische Front. Innocenz III. hat diese Sicht geteilt. Im Mai 1199, als er die unkanonische Ehe des Königs Alfons IX. von Leon mit dessen Nichte, der kastilischen Prinzessin Berenguela, angriff, hat Innocenz diese Parallelität der Fronten hervorgehoben : inter cetera vero, in quibus scandalizatur hodie populus christianus, praecipuum est persecutio paganorum, quae tam in Oriente quam in Occidente, peccatis exigentibus, invaluit ultra modum 12 . Sogar die genannten Sünden stehen für Innocenz in Parallele, denn wie im Orient Königin Isabella von Jerusalem nacheinander zwei unkanonische Ehen einging, so im Westen König Alfons von Leon, dessen zweiter, wiederum unkanonischer Ehe der Brief in seinem Fortgang gilt. Noch deutlicher tritt diese Parallelität vielleicht in der großen Spottrede zum Vorschein, die Innocenz in seinem Kreuzzugsaufruf vom August 1198 den Sarazenen in den Mund legte. Sie rühmen sich 8 J L 9017, MPL 1 8 0 , 1 2 0 3 B . Alfons VII. von Kastilien hatte den Maurenkrieg zur zentralen Aufgabe seines kastilischen Kaisertums erklärt. Vgl. Konetzke, Gesch. d. span. u. port. Volkes, S. 71. 9 J L 17539, nur als Regest erhalten, ed. P. Ewald NA 6 (1880), S. 369. 1 0 William of Newburgh, Historia rerum Anglicarum V , 14 in: The Chronicles of the Reigns of Stephen, Henry II and Richard, 2 Vol. ed. W . Howlett (1884/85) II,454f. Veranlaßt ist dieser Überblick bei William durch die Darstellung des großen nordafrikanischen Maureneinfalls in Spanien 1195, üb V , 1 3 ed. Howlett 11,447ff. Williams Einsicht in den historischen Zusammenhang ist erstaunlich und läßt die beste Tradition englischer Geschichtsschreibung erkennen. 11
Zusammenhang und Zitat nach P. Kehr, Das Papsttum und der katalanische Prinzipat (1926)
S. 60. 12
Reg 11,75; P . 7 1 6 v o m 25. Mai 1199, M P L 214, 6 1 1 A .
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
dort, die Lan2en der Franzosen zerbrochen, die Anstrengungen der Engländer verlacht, die Kräfte der Deutschen vernichtet und nun auch die stolzen Spanier gezähmt zu haben13. Worin Innocenz die Aufgabe an der spanischen Sarazenenfront sah, entnehmen wir — wie schon bei dem Beispiel für das 12. Jahrhundert — einer Äußerung über die Ritterorden in Spanien. In der Bestätigung des Ritterordens von Calatrava bestimmte Innocenz im April 1199 ihre Aufgabe dahin, „daß ihr mit militärischen Waffen gerüstet gegen die Sarazenen zur Verteidigung des christlichen Volkes getreulich kämpfen sollt" 14 , wobei der Fortgang des Briefes ergibt, daß dabei über die Verteidigung hinaus durchaus auch an Eroberung gedacht war 15 . Gerade der Ritterschaft von Calatrava galt offensichtlich das Wohlwollen des Papstes, wie mehrere Privilegienbestätigungen zeigen16. Als die Ritter 1205 sich an den Waffenstillstand gebunden fühlten, den ihr König, Alfons VIII. von Kastilien, mit den Sarazenen Schloß, forderte Innocenz sie auf, sich statt dessen dem nicht durch Waffenstillstand gebundenen König Peter II. von Aragon im Kampf gegen die Mauren anzuschließen17. Diese Aufforderung entsprach genau dem Beispiel Coelestins III. vom November 119318. Erwähnenswert ist noch die Bestätigung des spanischen Ordens der St.-Jakob-Ritter vom Jahre 1210, dessen Hauptziel ebenfalls der Kampf „zur Verteidigung des christlichen Namens" war 19 . Auf dem jährlichen Generalkapitel des Ordens soll nachdrücklich zum Kampf gegen die Sarazenen zur Verteidigung der Christenheit gemahnt werden, doch weder Ehrgeiz noch Blutgier noch Habsucht soll die Ritter erfüllen, „sondern das allein sollen sie bei ihrem Kampf anstreben, daß sie einerseits die Christen vor ihrem (der Sarazenen) Angriff schützen, andererseits sie zum christlichen Glauben aufrufen können"20. Für die orientalische Sarazenenfront begegnet dieses Missionsmotiv — genau handelt es sich um Schwertmission — bei Innocenz III. nicht. Innocenz sah, so können wir zusammenfassen, die Front und die Aufgabe in Spanien ganz wie die Tradition des 12. Jahrhunderts. Wir müssen uns nun der Frage zuwenden, inwiefern der Kampf an der spanischen Sarazenenfront als Kreuzzug geführt und verstanden wurde. b) Maurenkriege als Kreuzige
im 12. Jahrhundert
Richard Konetzke hat mehrfach und energisch betont, daß die Reconquista und die Maurenkriege keine Kreuzzugsbewegung waren. Es geht Konetzke 1 3 Reg 1,336, M P L 214,309 A B , Hageneder S. 500, Das ,nunc' bezieht sich vielleicht auf den großen Maurensieg über das kastilische Heer am 12. Juli 1195 bei Alarcos. 1 4 Reg 11,53, P.681, MPL 2 1 4 , 5 9 0 D . 1 5 Ebd. 593B. 1 6 P. 1388 von 1201 und P. 4925 von 1214, beide Briefe sind verloren. 1 7 Reg VIII,96; P.2558 vom 5. Juli 1205, MPL 215,666C. 1 8 Kehr, PU Spanien I I , 5 5 4 f f N r . 2 0 0 f an die Johanniter, König Alfons II. von Aragon und (verloren, aber erwähnt) den spanischen Klerus. 1 9 Reg XIII, 11 ; P. 3929 vom 8. März 1210, M P L 216,207C. 20 Ebd. 2 0 9 A .
Der Maurenkreuzzug
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darum, den spezifischen Charakter dieser spanischen und portugiesischen Unternehmungen nicht durch ein unangemessenes Stichwort verdecken zu lassen21. In unserem Zusammenhang interessiert dagegen, ob die Maurenkriege überhaupt irgendwo und besonders seitens der Päpste als Kreuzzüge angesehen und betrieben wurden. Carl Erdmann hat für Portugal gezeigt, wie das ganze 12. Jahrhundert hindurch die Portugiesen den Maurenkrieg als nationalen und religiösen Befreiungs- und Eroberungskampf, aber keineswegs als Kreuzzug verstanden.22 Und doch gelang es ihnen mehrfach, englische, flämische und niederdeutsche Kreuzfahrer als Kampfgefährten zu gewinnen, wenn diese auf der Seereise ins Hl. Land an der portugiesischen Küste zwischenlandeten. Besonders eindrücklich zeigt das Beispiel von 1147 diese verschiedenen Interpretationen des Maurenkrieges: Der Bischof von Porto warb um die Hilfe der in Porto gelandeten englisch-niederdeutschen Kreuzfahrerflotte für die Eroberung von Lissabon durch die Portugiesen 23 . „Non Hierosolymis fuisse, sed bene interim vixisse laudabile est" ist sein Hauptargument. Die Kirche, die Mutter der Gläubigen, ruft in ihrer Bedrängnis um Hilfe ; sie gilt es vom Joch der Mauren zu befreien ; das ist das gute Werk, das die gelandeten Krieger vollbringen sollen. Auch mit materiellen Angeboten lockte der Bischof, wohl weil er der Überzeugungskraft der anderen Argumente für die Kreuzfahrer mißtraute. Die Kreuzfahrer ließen sich nach einigem Schwanken auf die Belagerung und Eroberung Lissabons zusammen mit dem portugiesischen König ein. Doch sie selbst verstanden dieses Unternehmen als Kreuzzug ; bei der Weihe eines Belagerungssturmes hielt einer ihrer Priester eine eindringliche Predigt, in der er ihnen erneut den Kreuzablaß verkündigte. Unter Vorweisen einer Kreuzesreliquie erinnerte er sie an das heilsame Zeichen des Kreuzes, in dem Gott ihnen den Sieg über die Feinde schenken werde. Die lange Predigt ist auch sonst deutlich getragen vom Schwung und Feuer der Kreuzzugsbegeisterung 24 . Die Kreuzfahrer segelten später weiter ins Hl. Land, um dort ihren Kreuzzug zu vollenden 25 . Lassen wir es dahingestellt sein, wie man auf der iberischen Halbinsel selbst den Maurenkrieg verstand, denn es ist deutlich, daß er andernorts jedenfalls als Kreuzzug galt. Dabei können auch hier nur einige Beispiele angeführt werden ; eine durchgehende Untersuchung auch nur der Haltung der Päpste zum Maurenkrieg im 12. Jahrhundert würde zu weit führen. Der bereits erwähnte Brief Urbans II. zeigt nicht nur, wie Urban die Sarazenenfronten im Hl. Land und in Spanien in Parallele sah, sondern auch, wie er die 21 Konetzke aaO S. 69 und ders. Islam und christl. Spanien im Mittelalter, HZ 184 (1957) 5 7 3 - 5 9 1 , bes. S. 586 f, mit Verweis auf spanische Literatur (J. A. Mara vali). 22 Erdmann, Der Kreuzzugsgedanke in Portugal, HZ 141 ( 1 9 3 0 ) , 2 3 - 5 3 , für 1147, bes. S. 3 3 - 3 5 . 23 Osbernus, De expugnatione Lyxbonensi, in Chronicles and Memorials of the Reign of Richard I, ed. W . Stubbs; Vol. I (1864), S. CL. 24 Osbernus ed. Stubbs S . C L X X I f f . 26 G. Constable, A Note on the Route of the Anglo-Flemish Crusaders of 1147, Speculum 28 (1953) 525 f.
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
kriegerischen Unternehmungen an beiden Fronten einander gleichstellte26. Einige spanische Ritter, die auf den Kreuzzug ins Hl. Land ziehen wollten, schickte Urban in den Kampf um Tarragona. Die Wiedereroberung dieser Stadt würde eine große Ausweitung (propagado) des Volkes Christi und eine Niederlage der Sarazenen bedeuten. Wie die Ritter anderer Länder einmütig der orientalischen Kirche zu Hilfe eilen, um sie vom sarazenischen Joch zu befreien, „ita et vos unanimiter vicine ecclesie contra Saracenorum incursus patientius succurrere nostris exortationibus labórate". Wer dabei ,aus Liebe zu Gott und den Brüdern' fallt, dem winken Ablaß und ewiges Leben. Wer nach Asien ziehen will, der soll hier — und das Wort ,hic' steht betont am Anfang — seine fromme Absicht durchführen. (Si quis ergo vestrum in Asiam ire deliberaverit, hic devotionis sue desiderium studeat consummare). Während die Heere des 1. Kreuzzuges ins Hl. Land zogen, stellte Urban den Kampf um Tarragona in Zielsetzung und geistlichem Gewinn dem Kreuzzug gleich27. Ebenso verbot Paschal II. im Oktober 1100 den spanischen Rittern den Jerusalemzug und verhieß ihnen für den Maurenkrieg Ablaß 28 . Im März 1101 zwang er tatsächlich einige spanische Kreuzfahrer zur Umkehr 29 . Gelasius II. versprach im Dezember 1108 dem Heer, das Saragossa belagerte, Ablaß, vollen Ablaß für alle, die ,pro eodem Domini servitio' vor Saragossa fallen, Teilablaß für alle Teilnehmer am Kampfe und sogar für die bloß materielle Unterstützung der Kämpfer 30 . Zu beachten ist dabei, daß zu dem aragonesischen Kern des Belagerungsheeres starke französische Truppen hinzukamen 31 , und daß Gelasius offensichtlich auch an nichtspanische Teilnehmer dachte, wenn er seinen Brief an das Belagerungsheer „und alle Anhänger des katholischen Glaubens" richtete. Aus päpstlicher Sicht war der Maurenkrieg demnach keine rein spanische Angelegenheit. Fünf Jahre später, 1123, sprach das 1. Laterankonzil im Kanon 11 bereits wie selbstverständlich von denen, die „vel pro Jerosolymitano vel pro Hispano itinere cruces sibi in vestibus posuisse noscuntur" 32 . Daß Spanienkämpfer wie Jerusalemkreuzfahrer das Kreuz tragen, war 1123 also bereits eine bekannte Erscheinung. Ein Aufruf Calixts II., vermutlich ebenfalls von 1123, zeigt den Maurenkrieg völlig als Kreuzzug: Wie schon bei Gelasius ist auch hier die Adresse universal gefaßt. Er ist gerichtet an alle Bischöfe, Könige, Grafen, Fürsten und übrigen Gläubigen. Gott ruft sie durch den Papst auf ,zur Verteidigung 26
Kehr PU Spanien I,287f, Nr. 23. Der Brief ist undatiert. Kehr vermutet in der Edition etwa 1089/91. Erdmann, Entstehung S.294, Anm.37 korrigierte das Datum: frühestens 1096, denkbar 1099. 28 J L 5839f, MPL 163.45BC. 29 J L 5863; MPL 163,64f. 30 J L 6665; MPL 163,508. 31 Vgl. Kehr, Das Papsttum und die Königreiche Navarra und Aragon bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts (1928) S.42. 32 Mansi XXI, 302 E - 3 0 3 A . 27
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der Brüder und zur Befreiung der Kirche'. Allen standhaften Teilnehmern des Kampfes, also nicht mehr nur den Gefallenen, wie bei Gelasius, verspricht Calixt denselben Ablaß wie den Jerusalemkreuzfahrern, den Plenarablaß. Die Kämpfer heften sich aus Anlaß dieses Zuges das Kreuz an und müssen innerhalb eines Jahres aufbrechen. Als Vertreter des Papstes soll der Legat und Erzbischof Olegar von Tarragona den Zug begleiten. Als Aufgaben für diesen ersten uns bekannten Kreuzlegaten für Spanien nennt der Aufruf nur geistliche Funktionen. Wichtig ist noch, womit Calixt begründete, daß der Papst zum Spanienkreuzzug aufruft: sein Hirtenamt (officium pastorale) verpflichtet ihn, die Herde Gottes und so auch die spanische Kirche wachsam zu hüten und gegen alle heidnischen Angriffe zu schützen.33 Ganz analog zu diesem konsequenten Verständnis des Maurenkrieges als Kreuzzug fanden die geistlichen Ritterorden bald nach ihrer Gründung auch in Spanien ein Tätigkeitsfeld. Schon 1130 wurden die Templer ins Land gerufen und in der Folgezeit nach Kräften unterstützt 34 . Entsprechend der Gründung der Ritterorden in Jerusalem entstanden mehrere speziell spanische Ritterorden 35 . Für Eugen III. sei auf seinen bereits erwähnten Aufruf zum Wendenkreuzzug verwiesen. Indem Eugen in der Einleitung die großen Vorbereitungen für den 2. Kreuzzug wie die Rüstungen für den Kampf gegen die Sarazenen in Spanien berichtete, zeigte er, daß der Maurenkrieg in seinen Augen ebenso ein Kreuzzug sei wie der Zug nach Edessa oder gegen die Wenden 36 . Doch finden wir in der Vorbereitung des 2. Kreuzzuges eine wichtige Neuerung : Bernhard von Clairvaux hat auch nach Spanien einen Werbebrief für den Kreuzzug gesandt, die Epistel „Ad peregrinantes Jerusalem" 37 . Das steht in scharfem Gegensatz zur Praxis Urbans II. und Paschais II., die während des 1. Kreuzzuges Spaniern die Teilnahme am Jerusalemzug verboten. Hier wird deutlich, wie in der Praxis der Jerusalemkreuzzug die erste Stelle einnahm, auch wenn der Maurenkrieg ebenso als Kreuzzug galt. Die Konsequenz dieser Entwicklung, die prinzipielle Nachordnung des Maurenkreuzzuges hinter den Orientkreuzzug, hat später Innocenz III. gezogen. 33 J L 7116; MPL 163,1305B—D, zur Datierung vgl. G. Säbekow, Die päpstl. Legationen nach Spanien und Portugal, Diss. phil. Berlin 1931, S. 40, Anm. 129. Ein weiterer Spanienaufruf Calixts II, J L 7111, ist eine Fälschung, vgl. N.Paulus, Geschichte des Ablasses im Mittelalter 1,198, Anm.4. Daß Calixts Bruder, Graf Raimund von Burgund, der Begründer der burgundischen Dynastie von Kastilien-Leon war und Calixts gesamte Spanienpolitik nach Kehrs Urteil (Navarra und Aragon S. 42 f) nichts als konsequente burgundische Familienpolitik war, kann nur Calixts auffallendes Interesse am Maurenkrieg erklären, ändert aber nichts an der Tatsache, daß er den Maurenkrieg als Kreuzzug ansah. 34 35 36 37
Vgl. Kehr, Katalanischer Prinzipat, S. 60. Vgl. Kehr, Navarra und Aragon, S. 54. J L 9017; MPL 180,1203.
Die Existenz dieses Briefes war längst bekannt, er galt aber als verloren. Leopold Grill hat ihn gefunden und ediert. Die Kreuzzugsepistel St. Bernhards Ad peregrinantes Jerusalem, Stud. u. Mitt. zur Gesch. d. Benediktinerordens 67 (1956) 237—53.
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In einem Aufruf Eugens III. von 1152 für den Kreuzzug des Grafen Raimund von Barcelona 38 , den Anastasius IV. wörtlich wiederholte 39 , findet sich zum ersten Male in päpstlichen Dokumenten die Anwendung der später stereotypen Bezeichnung „Feinde des Kreuzes Christi", auch auf die spanischen Sarazenen. Anastasius schickte auch als erster Papst einen Legaten von der Kurie nach Spanien, zu dessen besonderen Aufgaben die Förderung des Maurenkreuzzuges gehörte. Der Legat, der Kardinal Jacinth und spätere Papst Coelestin III., hat sich dieses Auftrages tatkräftig angenommen, wobei die Einzelheiten dunkel sind. Er ist aber vor Beginn des neuen Maurenkreuzzuges zurückgekehrt, den Alfons VII. von Kastilien seit 1148 vorbereitete und für den er wohl auch die Sendung des Kardinallegaten noch bei Eugen III. erbeten hatte. Jacinth hat also keinen Maurenkreuzzug begleitet oder gar geleitet. Dennoch hat sein Wirken der Maurenkreuzzugsbewegung großen Auftrieb gegeben 40 . Einem Brief Hadrians IV. von 1159 entnehmen wir Pläne der Könige Heinrich II. von England und Ludwig VII. von Frankreich für einen Spanienkreuzzug ,ad dilatandos términos populi christiani, ad paganorum barbariem debellandam et ad gentes apostatrices, et quae catholicae fidei refugiunt, nec recipiunt veritaten, Christianorum jugo et ditioni subdendas' 41 . Wichtig ist daran zweierlei. Dies ist der einzige Fall im 12. Jahrhundert, daß gleich zwei gekrönte Häupter Europas den Zug nach Spanien planen. Der Maurenkreuzzug war in das Bewußtsein der außerspanischen Christenheit eingedrungen. Sodann spiegelt die positive Zielsetzung des Unternehmens: Mission und Unterwerfung abtrünniger oder heidnischer Völker, die Siegesstimmung der größten Zeit des kastilischen Kaisertums, das gerade jetzt mit dem Tode Alfons VII., 1158, endete. Alexander III. hat, wenn ich recht sehe, keine direkte Bedeutung für den Maurenkreuzzug. Allerdings fällt in seine Regierungszeit die zweite Spanien-Legation des Kardinals Jacinth (1172—1175). Doch seine intensiven Bemühungen, die spanischen Reiche für den gemeinsamen Kampf zu einen, scheiterten. Hier sehen wir die für den Orientkreuzzug so oft zu beobachtende päpstliche Friedenspolitik einmal im Dienste des Maurenkreuzzuges, jedoch erfolglos 42 . Aus der Zeit Alexanders III., aber nicht aus dem direkten Umkreis des Papstes, stammt das vielleicht eindrucksvollste Beispiel für das Verständnis des Maurenkrieges als Kreuzzug. Helmold von Bosau schildert in seiner etwa 1166/68 geschriebenen Slawen-Chronik den zwanzig Jahre zurückliegenden 2. Kreuzzug. Zwei bezeichnende Sätze seien wörtlich zitiert : Helmold schildert die Werbung und Vorbereitung für den Kreuzzug ins Hl. Land. Er beschließt das Kapitel: Visum autem fuit auctoribus expeditionis partem exercitus unam destinare in 38 39 40 41 42
J L 9594, Auszug in MPL 180,1539 C. Kehr, PU Spanien I,346f Nr. 70. Zur Legation Jacinths vgl. zusammenfassend Säbekow aaO S. 48—51. JL 10546; MPL 188.1615B. Vgl. Säbekow aaO S. 4 0 - 5 5 .
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partes orientis, alteram in Hispaniam, terciam vero ad Slavos, qui juxta nos habitant 43 . Helmold berichtet dann in je einem Kapitel den Orientkreuzzug und das Lissabon-Unternehmen (Kap. 60 f.) und kommt dann zum Wendenkreuzzug (Kap. 62ff.). Die Schilderung der Eroberung Lissabons schließt er: Hoc solum prospere cessit de universo opere, quod peregrinus patrarat exercitus44. Helmold kennt also keinen Orientkreuzzug, Maurenkreuzzug und Wendenkreuzzug, sondern nur den einen Kreuzzug, jenes opus universum. Er kennt auch nur ein großes Kreuzheer, dessen verschiedene Abteilungen gegen Sarazenen, Mauren und Wenden eingesetzt werden. Stärker als hier kann der Maurenkrieg nicht als Kreuzzug, oder wie Helmold sagen würde, als Teil des einen Kreuzzuges verstanden werden. Die achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts standen ganz im Banne der Sorge um das Hl. Land. Den Päpsten blieb keine Zeit, sich um den Maurenkreuzzug zu kümmern. Wir überspringen daher diese Jahre. Auch die Beteiligung niederdeutscher Kreuzfahrer an der Eroberung von Silves in Südportugal 1189, so reizvoll die Episode des 3. Kreuzzuges gerade wegen der breiten Quellenlage ist, übergehen wir, da sie nichts Neues für uns bringt. Dagegen war die Regierung Coelestins III. für den spanischen Kreuzzug sehr wichtig. Coelestin hatte auf seinen zwei Spanienlegationen, die zusammen über fünf Jahre gedauert haben, ein sehr inniges Verhältnis zu Spanien gewonnen 45 . Dieses persönliche Interesse und die eigenen Erfahrungen in Spanien sind Coelestins Einsatz für den Maurenkreuzzug deutlich anzumerken. Coelestin setzte sich mit großer Energie für den Schutz der Spanienkreuzfahrer ein. Jede persönliche oder materielle Behinderung derselben bedrohte er mit dem Bann 48 . Der Schutz für Spanienkreuzfahrer war eine alte Einrichtung 47 , diese Schärfe hingegen war neu. Der Kardinallegat Jacinth hatte eine Einigung der spanischen Reiche für den Maurenkreuzzug nicht erreicht. Als Papst Coelestin wandte er sich dieser Aufgabe energisch zu. Die zwei Spanienreisen des Kardinallegaten Gregor von St. Angeli, 1191—1194 und 1196/97, hatten hierin ihren Hauptzweck 48 . Im November 1193 befahl Coelestin die sofortige Aufkündigung aller Friedensabmachungen oder gar Bündnisverträge zwischen den christlich-spanischen Reichen und den Mauren. Die Drohung mit Bann und Interdikt unterstrich die Schärfe dieses Befehls. Die Kehrseite des Befehls war die Aufforderung zu Bündnissen der christlichen Reiche untereinander zum Zwecke des Maurenkreuz43 Helmold von Bosau, Slavenchronik Kap. 59, ed. Schmeidler (MGH Schulausgabe 1937, 3. Aufl.) 1 1 5 , 1 7 - 2 0 . 44 Ebd. Kap. 61, ed. Schmeidler 118,4-6. Auf diesen Satz verweist Constable, The Second Crusade, Traditio 9 (1953) S. 223. 45 Vgl. zuletzt V. Pfaff, Papst Coelestin III. ZRG 78 K A 47 (1961) 109-128, bes. S. 126 ff. 46 Vgl. Kehr, PU Spanien 11,555, Nr. 200 vom 4. November 1193. 47 Z. B. Hadrian IV am 18. Februar 1159, J L 10546; MPL 188,1617. 48 Vgl. Säbekow aaO S. 5 5 - 6 1 .
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zuges 49 . Diese Bemühungen richteten sich insbesondere gegen die Herrscher von Navarra und Leon. Ein erneutes Mahnschreiben vom März 1196 an Herzog Sancho VIII. von Navarra hatte dann Erfolg und Coelestin konnte Sancho, der sich dabei die Anerkennung seines Königstitels erhandelte, im Februar 1197 als neues Glied in der Kette der anti-maurischen Koalition begrüßen. Von langer Dauer war dieses Nachgeben Sanchos allerdings nicht 50 . Nicht einmal vorübergehenden Erfolg hatte Coelestin dagegen bei König Alfons IX. von Leon. Dieser hielt an seinem Bündnis mit den Mauren fest, wie noch später zur Zeit Innocenz' III. Da griff Coelestin zum letzten Mittel, nachdem er vorher schon durch den Erzbischof von Toledo hatte Bann und Interdikt gegen Alfons schleudern lassen. Er rief die Nachbarn zum Kreuzzug gegen Alfons auf: Wer an diesem Feldzug gegen den Verbündeten und Helfer der Mauren teilnimmt, erhält denselben Ablaß wie die, die direkt gegen die Mauren ziehen. Das leonesische Gebiet soll den Eroberern zufallen 51 . Doch ist es zu diesem Kreuzzug nicht gekommen ; der Aufruf war wohl schon nur noch als Demonstration gedacht ; die Einheitsfront der christlichen Reiche war bereits wieder am Zerbröckeln 52 . Eine wirkliche Neuerung in Coelestins Maurenkriegspolitik war die im vorhinein gegebene päpstliche Bestätigung des eroberten sarazenischen Gebietes für die Eroberer. Für die Verteilung im einzelnen wurde eine Kommission aus Bischöfen der beteiligten spanischen Reiche unter Vorsitz des Kardinallegaten Gregor gebildet. Mit diesem Angebot wollte Coelestin vermutlich besonders König Sancho von Navarra zum Übertritt aus dem Sarazenenbündnis in ein christliches Bündnis locken 53 . Aus dieser Neuerung wird deutlich, wie stark Coelestin unter Beibehaltung aller Formen des Kreuzzuges wie Ablaß, Kreuzeszeichen usw., doch dem spanischen Verständnis des Maurenkrieges als nationalen Eroberungszuges entgegenkam. Diese Beobachtung erklärt auch den schon beim ersten Lesen auffalligen Eindruck, daß Coelestins Briefe zum Maurenkreuzzug so wenig eigentliche Kreuzzugsstimmung spüren lassen. Mit Coelestin III. hatte das päpstliche Wirken für den Maurenkreuzzug seinen Höhepunkt erreicht. Sieht man ab von Calixt II., bei dem familienpolitische Motive, und Coelestin III., bei dem persönliche Erfahrungen und Bindungen eine gewisse Ausnahmestellung erklären, so war die päpstliche Haltung zum Maurenkreuzzug des 12. Jahrhunderts recht einheitlich, aber von derjenigen zum Orientkreuzzug unterschiedlich. Die Päpste haben, soweit wir das erkennen können, nie die Initiative für den Maurenkreuzzug ergriffen. Aber sie haben, wenn von Kehr, PU Spanien II,554ff Nr. 200f. Vgl. Kehr PU Spanien 1 1 , 5 7 4 - 7 6 , Nr. 220 und ebd S. 591 ff, Nr. 230 nebst Kehrs Hinweisen S. 592. 51 J L 17433 und Erdmann, PU Portugal Nr. 154, S . 3 7 6 f . 52 Vgl. Erdmann, Kreuzzugsgedanke in Portugal HZ 141 (1930) 44. 53 Vgl. Kehr, PU Spanien 11,575, Nr. 220. Als Sancho in die christliche Front einschwenkte, wurde die Kommission durch Eintritt des Bischofs von Pamplona (Navarra) geändert, vgl. Kehr, PU Spanien II, 588ff Nr. 228. 49
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spanischer Seite entsprechende Bitten ergingen, für den Maurenkrieg den Ablaß und die Privilegien der Kreuzfahrer gewährt. Sofern päpstliche Legaten in Spanien für den Maurenkreuzzug wirkten, beschränkte sich diese Tätigkeit auf die diplomatische Vorbereitung und die Werbung, sowie auf die geistliche Betreuung der Kreuzfahrer. Mit der eigentlichen Leitung des Maurenkreuzzuges waren päpstliche Legaten nie beschäftigt.
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Vor dieser Gesamttradition des 12. Jahrhunderts, nicht vor dem eine Sonderstellung einnehmenden Pontifikat seines direkten Vorgängers Coelestin muß Innocenz' III. Wirken für den Kreuzzug gegen die Mauren gesehen werden. Der Anstoß zu neuen geordneten Aktionen gegen die Mauren kam nicht von Innocenz, sondern vom kastilischen König Alfons VIII. bzw. seinem Sohn, dem Infanten Ferdinand. Dieser wollte die „Erstlinge seiner Ritterschaft" Gott weihen und deshalb gegen die Mauren zu Felde ziehen, als 1210 der Waffenstillstand ablief. Pius Gams, auf dessen übersichtliche und eingehende Darstellung der historischen Zusammenhänge wir uns hier vor allem stützen, stellt als den spiritus rector dieser Initiative zum Kampf den großen Rodrigro Ximenez, seit 1208 Erzbischof von Toledo, heraus 54 . Der Infant teilte seinen Entschluß dem Papst mit und bat um die apostolische Unterstützung seines Unternehmens, sowie darum, ihm auch von anderer Seite brauchbare Hilfe zu verschaffen. Zu diesem Zwecke beauftragte Innocenz am 10. Dezember 121055 die Erzbischöfe und Bischöfe Spaniens, durch fleißige Mahnung die Könige und Fürsten Spaniens, deren Hände nicht durch Abkommen mit den Mauren gebunden waren, zur notwendigen Hilfe für den Infanten wie für die anderen kampfbereiten Könige — Innocenz dachte wohl vor allem an Peter von Aragon — in materieller Hinsicht wie durch Stellung von Kämpfern zu veranlassen. Innocenz verhieß dafür Vergebung aller Sünden. Darüber hinaus setzte er fest, daß alle Pilger 56 , die von überall her zur Durchführung dieses 54 Pius Bonifacius Gams, Die Kirchengeschichte von Spanien III/l (1876, Neudruck 1956) S. 111 bis 129 unterrichtet eingehend über die historischen Ereignisse. Ihm folgt knapp und übersichtlich A. Fliehe bei Fliche-Martin, Histoire de l'Eglise X (1950) S. 107—109. Die wenigen Andeutungen bei Tillmann, Papst Innocenz III., vgl. Register s. v. Sarazenen, reichen nicht aus. Hallers Darstellung 111,431 f ist zu negativ gegenüber Innocenz. Außerdem vgl. noch Luchaire, Innocent III (Bd. V) Les royautés vasalles du Saint-Siège (1908) 42—50. Sehr dürftig Volk aaO S. 75—78. Die einzige Spezialarbeit über Innocenz' Haltung zum Maurenkreuzzug, I. Garcia Ramila, Inocencio III y la cruzada de Las Navas de Tolosa, Revista de Archivos, Bibliotecas y Museos 48 (1927) S. 455—464, führt das Thema nicht weiter. 55
Reg XIII, 183 ; P. 4142, MPL 216,353 A - C Der Ausdruck .peregrini' kann fast als feststehender Name für Kreuzfahrer verwendet werden. Neben diesem spezifischen Gebrauch läuft bei Innocenz III. auch die allgemeine Wortbedeutung „Pilger" weiter. 56
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Kriegsplanes aus eigenem Antrieb herbeikämen, der gleichen Vergebung sich erfreuen sollten57. Am 22. Februar 121158 lehnte Innocenz die Bitte des kastilischen Königs um Sendung eines Legaten ab, weil die friedlosen Zeiten diese Legation im Augenblick nicht zuließen. Innocenz vertröstete den König, und in einem weithin gleichlautenden Brief auch seinen Sohn Ferdinand 59 , auf später. Er mahnte Vater und Sohn zur Ergebenheit gegen Rom und machte ihnen Mitteilung von einem gleichzeitigen Brief zu ihrer Sicherung vor den Nachbarreichen an den Erzbischof von Toledo und die Bischöfe von Turiasso, Coimbra und Zamora 60 . Die Bischöfe sollten nicht nur eifrig für den Maurenkrieg werben, sondern vor allem auch dafür Sorge tragen, daß kein spanischer Herrscher die Gelegenheit ergriffe, während König und Kronprinz wider die Mauren im Felde standen, die Friedens- und Waffenstillstandsverträge mit Kastilien hinterrücks zu brechen. Zu diesem Zweck sollten die genannten Bischöfe wenn nötig auch ihre kirchliche Zwangsgewalt einsetzen. Der Sache nach handelt es sich hier also um eine eindeutige Parallele zum Kreuzfahrerschutz, wenngleich die spezifische Begrifflichkeit fehlt. Der drohende Maurenkrieg hielt Innocenz auch davon ab, die vom Erzbischof von Toledo erbetene Entscheidung im Streit um den Primat Spaniens zu treffen, die der Papst im Sommer 1211 auf später verschob 61 . Eine Entscheidung hätte zunächst nur die innerchristlichen Gegensätze verschärft. Mittlerweile nahmen die kriegerischen Unternehmen des Infanten Ferdinand einen guten Anfang, lösten dann aber eine maurische Gegenoffensive aus. In ihrem Verlauf konnte der Emir von Marokko, El-Nasir, der seinen spanischen Glaubensbrüdern zu Hilfe geeilt war, sogar Eroberungen in Kastilien machen. So fiel im September 1211 die Burg Salvatierra, der Hauptsitz des Ritterordens von Calatrava62. Zu allem Unglück erlag Ferdinand, erst 21 Jahre alt, am 14. Oktober 1211 in Madrid einem plötzlichen Fieber 63 . Diese Nachrichten machten Innocenz unsicher. Sein Beileidsbrief 64 an König Alfons schloß mit der Aufforderung, Gott zu vertrauen, der allein den Triumph über die Feinde des Kreuzes schenken könnte; aber mit diesem Kampf, so riet 67 Es fallt auf, daß hier wie in allen hierher gehörenden Briefen die übliche Bezeichnung für den Kreuzablaß, ,indulgentia', fehlt. Stets ist nur von remissio peccaminum die Rede. 5 8 Reg X I V , 4 ; P . 4 1 8 5 . Haller III, 428 f deutet das als Folge der schlechten Erfahrungen, die Innocenz 1198/99 mit seiner spanischen Politik gemacht hatte. s« Reg X I V , 5 ; P . 4186. 1 0 Reg X I V , 3; P . 4 1 8 4 vom 22. Februar 1211. 6 1 Reg X I V , 5 7 ; P.4258 vom 1. Juni 1211, MPL 2 1 6 , 4 2 3 A . 62 GamsaaO S. 1 1 6 spricht irrtümlich vom September 1210. Innocenz berichtete am 31. Januar 1212 (Reg X I V , 155, M P L 2 1 6 , 5 1 4 B ) von einer Nachricht des Königs Alfons über diesen Vorfall, der ,hoc anno' geschehen sei. Das muß sich auf 1211 beziehen, wodurch wiederum verständlich wird, warum der Fall von Salvatierra in den Papstbriefen von 1211 nicht erwähnt wird. Richtig datiert Luchaire V , 4 5 . 63 Zum Ganzen vgl. Gams aaO S. 1 1 6 f . 64 Reg X I V , 154; P. 4375 vom 1. Februar 1212.
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der Papst dem König, solle man möglichst aufbessere Zeiten warten und, sofern das zu erreichen sei, vorerst einen akzeptablen Waffenstillstand schließen65. So wenig Erfolgsaussichten gab der Papst angesichts des völligen Aufruhrs in aller Welt einer im gleichen Brief angekündigten Maßnahme, der Ausdehnung der Werbung für den Maurenkrieg über die iberische Halbinsel hinaus. Den gesamten Episkopat des französischen Reiches und der Provence habe er mit dieser Werbung beauftragt, schrieb Innocenz an König Alfons 66 . Erhalten ist uns nur das Schreiben an den Erzbischof von Sens und seine Suffraganen 67 . Der Aufruf deckte sich fast ganz, weithin sogar wörtlich, mit dem oben besprochenen Werbeauftrag für den spanischen Episkopat vom Dezember 1210. Geändert war naturgemäß die narratio, die jetzt nicht mehr den Entschluß des Infanten Ferdinand zum Maurenkrieg, sondern die Ereignisse des Jahres 1211 berichtete. Sie verlieh dem Auftrag besondere Dringlichkeit durch den Hinweis, König Alfons habe den Siegeszug der Mauren nicht mitansehen können und ihnen für Sonntag nach Pfingsten eine große Feldschlacht angesagt. Die Hilfswilligen sollten entsprechend zur Stelle sein. Am 5. April 1212 erteilte Innocenz noch einmal den Erzbischöfen von Toledo und Compostela den Befehl, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln die spanischen Könige zum Frieden gegeneinander, möglichst auch zu gegenseitiger Hilfe zu zwingen. Der gegenwärtige Angriff der Mauren drohe über Spanien hinaus die gesamte Christenheit der Wildheit der Heiden zu unterjochen. Den akuten Anlaß zu diesem Brief gab das Verhalten König Alfons' IX. von Leon, der immer noch mit den Sarazenen verbündet war, und der vom Papst ausdrücklich der Wachsamkeit der Bischöfe empfohlen wurde. Einen Kreuzzug gegen den Maurenfreund Alfons hat Innocenz aber nicht in Erwägung gezogen, so daß dieser Gedanke Coelestins III. ohne Nachwirkung blieb. Alle Streitigkeiten der spanischen Königreiche untereinander sollten, so lautete Innocenz' Anweisung, nach dem Kriege vor den Richtstuhl des Papstes gebracht und dort entschieden werden 68 . 66 Ebd. 513C. Ebd. M P L 2 1 6 . 5 1 3 D - 5 1 4 A . Reg X I V , 155 ; P. 4373 vom 31. Januar 1212, MPL 2 1 6 , 5 1 4 B C . Vermutlich gingen weitere Briefe dieses Inhaltes an andere Empfänger ; eine entsprechende Adressatenliste fehlt allerdings. 6 8 Reg. X V , 1 5 ; P. 4417 vom 5. April 1212. Ein gleichzeitiges Schreiben an den König von Portugal, das diesen unter päpstlichen Schutz stellt, nennt den derzeitigen Maurenkrieg mit keinem Wort, Reg X V , 2 4 , P. 4432 vom 16. April 1212. Überhaupt spielte Portugal für diesen Maurenkrieg keine Rolle. Luchaire V , 4 6 vermutet wegen innenpolitischer Schwierigkeiten. Doch gehört die Beobachtung in einen weiteren Rahmen. C. Erdmann hatte seine Feststellung, daß kein Zeugnis für ein Interesse des Papsttums am portugiesischen Maurenkrieg im 12. Jahrhundert vorliegt, zunächst als zufallige Überlieferungslücke gedeutet; Erdmann, Das Papsttum und Portugal... (1928), S.50. In seiner späteren Untersuchung über den Kreuzzugsgedanken in Portugal kommt Erdmann zu folgendem Ergebnis: Die Portugiesen haben bis 1217 nichts für die Anerkennung ihres Maurenkrieges als Kreuzzug unternommen, und die Päpste haben in dieser Frage stets nur auf Bitten hin gehandelt. So ist das Fehlen aller päpstlichen Belege für einen portugiesischen Maurenkreuzzug im 12. Jahrhundert wie unter Innocenz III. dadurch zu erklären, daß man in Rom und in Portugal den portugiesischen Maurenkrieg nicht als Kreuzzug ansah. HZ 141 (1930) S.30—37. 65
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Unterdessen hatten sich seit Ende 1211, in größerem Maße seit Februar 1212 Hilfswillige in Toledo eingestellt, so daß im Laufe der Zeit eine beachtliche Streitschar dort versammelt war, als der Termin der angekündigten Schlacht heranrückte 69 . Innocenz, der die geringen Aussichten des christlichen Heeres gegen die weit stärkeren Maurentruppen kannte, rief für den Mittwoch nach Pfingsten 70 Klerus und Volk Roms zu einer großen gemeinsamen Bittprozession auf, deren Programm (Sammelplätze, Marschordnung, Marschroute bis zum Höhepunkt, einer Papstpredigt vor dem Palast des Bischofs von Albano, auf die Messen und Bittgebete folgen sollten) uns erhalten ist 71 . Es können hier nicht der Verlauf des Feldzuges, sein Höhepunkt : die Schlacht bei Las Navas de Tolosa am 16. Juli 1212, und ihre Folgen geschildert werden, zumal dafür auf die gute Darstellung bei Gams verwiesen werden kann 72 . Der Sieg der Christen am 16. Juli 1212 erhielt welthistorische Bedeutung, weil mit jenem Datum der ständige Verfall der maurischen Macht in Spanien begann. König Alfons von Kastilien berichtete dem Papst eingehend in einem Brief über den Verlauf des Feldzuges. Der Papst rief daraufhin wie im Mai zu einer Bittprozession, so jetzt zu einem Dankgottesdienst den Klerus und die Bevölkerung Roms zusammen, ließ ihnen den Brief des Königs vorlesen und erläuterte ihn selbst73. Vermutlich sagte Innocenz dabei im wesentlichen dasselbe, was er König Alfons in seinem Glückwunsch schrieb : Gott war es, der hier dem König und dem ganzen christlichen Volk den Sieg verliehen hatte. Gottes, nicht der Menschen Schwert, besser noch, das Schwert des Gott-Menschen, hatte die Feinde des Kreuzes Christi verschlungen. So sollte der Sieg zur Demut vor Gott führen, der allein diesen Triumph schenkte74. Der Maurenkreuzzug war damit im wesentlichen abgeschlossen, wie Innocenz das auch im großen Kreuzzugsaufruf vom April 1213 feststellte, als er zugunsten des Kreuzzuges ins Hl. Land die Verheißung der Sündenvergebung außer für die Spanier selbst für den Maurenkrieg zurücknahm 75 . Die geistliche Versorgung der den Mauren entrissenen Gebiete wurde im Dezember 1213 bis auf weiteres dem Erzbischof von Toledo übertragen 76 . Der Krieg in Spanien war von Innocenz nicht gewollt, er hat ihn nur jeweils in dem Maße unterstützt, wie es ihm von Spanien aus vorgeschlagen wurde. Er 69 70
Zum Ganzen, zur Zahl der Teilnehmer und zu ihren Führern vgl. Gams S. 118—121. Gams S. 122 deutet fälschlich .quarta feria'infra octavam Pentecostes' als Mittwoch nach Trini-
tatis. Die Prozessionsordnung ist hinter Reg X V , 181 im Register eingetragen. MPL 216.698C—699B. Vgl. Gams S. 121—128. Zur Bedeutung der Schlacht von Las Navas de Tolosa vgl. auch K o netzke, Gesch. d. span. u. portug. Volkes (1939) S.73. 73 So nach Reg X V , 1 8 3 ; P . 4 6 1 3 vom 26.Oktober 1212 an König Alfons, M P L 216,704. Haller 111,432 deutet das .interpretare' als „verdolmetschen", nicht als erläutern. Luchaire V , 4 9 sagt: „Innocent III. lut et commenta la récit d'Alfonse". 74 So im Brief an König Alfons M P L 2 1 6 . 7 0 4 B . 75 Reg XVI, 2 8 ; P. 4725, M P L 2 1 6 . 8 2 0 B . 76 Reg X V I , 1 5 3 , P. 4861 vom 20. Dezember 1213. M P L 2 1 6 . 9 4 3 B . 71
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hat die Sendung eines Legaten nur für spätere Zeiten versprechen können, woraus schon deutlich wird, daß er offensichtlich nicht an einen Kreuzzugslegaten dachte. Er hat im kritischen Augenblick statt zum Kampf zum Waffenstillstand geraten. Er hat auch, soweit wir sehen, keinerlei energische Versuche unternommen, den Waffenstillstands- und Neutralitätspakt des Königs von Leon mit den Mauren zunichte zu machen. Doch wollen wir, unserer Eingangsüberlegung gemäß, dieses Verhalten nicht vor dem isolierten Pontifikat Coelestins III., sondern vor der Tradition des 12. Jahrhunderts sehen. Dann scheint mir Haller 77 die Haltung des Papstes zu negativ zu werten, wenn er Innocenz als praktisch völlig desinteressiert an den Vorgängen schildert und dieses Desinteresse darauf zurückführt, daß Innocenz' diplomatische Versuche von 1198—1200, mit Hilfe des Legaten Rainer in Spanien seinen Einfluß zu verstärken, gescheitert waren. Immerhin hat Innocenz auch diesmal den Maurenkrieg zum Kreuzzug gemacht, und es muß nun gezeigt werden, welche Elemente des Kreuzzuges wir hier wiederfinden.
d) Der Maurenkrieg als Kreusgug bei Innocen^ III. Das spanische Unternehmen ging in seinem Ursprung nicht auf Innocenz zurück; auch der Feldzugsplan oder das Datum für die große Schlacht stammten nicht von ihm. Doch wie wir sahen, war das auch bei den orientalischen Kreuzzügen Innocenz' III. nicht anders; auch entsprach es ganz dem Verhalten der Päpste im 12. Jahrhundert. Wichtiger ist, daß im Maurenkrieg wie beim Kreuzzug ins Hl. Land die Gegner als Feinde des Kreuzes Christi bezeichnet werden 78 . Als Ziel des Kampfes kann hier natürlich nicht die Befreiung des Erbteiles Christi, des Hl. Landes gelten; aber die andere Aufgabe des Kreuzzuges, Verteidigung des christlichen Namens oder Glaubens, der Christenheit, wird auch für den Maurenkrieg genannt 79 . Das Ziel des Kampfes und die Gegner, gegen die er geführt wird, stellen den Maurenkrieg also in Parallele zum Kreuzzug ins Hl. Land. Auch für die Werbung zur Teilnahme am Maurenkrieg können wir Unterschiede und Parallelen zum orientalischen Kreuzzug feststellen. Der Unterschied : es ist kein Aufruf Innocenz' bekannt, der sich direkt an das christliche Volk wendet. Die Parallele : mit der Werbung wird der Episkopat, d. h. die ordentliche hierarchische Organisation beauftragt, die auch beim orientalischen Kreuzzug, dort allerdings neben Provinzialkommissionen und besonderen Kreuzzugspredigern, die Werbung organisierte. Die organisierte Werbung erstreckte sich zunächst auf Spanien, dann auch auf " Haller 111,431 f. 78 79
Ζ. B. Reg XIV,154; P. 4375, MPL 216.513D und Reg XV,15, P. 4417, MPL 216.553B.
Ζ. B. Reg XIV,155, P. 4373, MPL 216,514B oder in der Anordnung der Bittprozession MPL 216,698.
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
das französische Königreich und die Provence. Wenn man bedenkt, daß 1212 Italien und Deutschland durch den Konflikt zwischen Kaiser Otto IV. und dem Staufer Friedrich II. in Atem gehalten wurden und so für den Maurenkreuzzug ausfielen, und daß über England wegen des Kirchenstreites das Interdikt lag, so war diese räumliche Beschränkung der organisierten Werbung nur den realen Möglichkeiten angepaßt. Ausdrücklich hieß es jedesmal, daß Freiwillige von überallher willkommen seien80. Mit anderen Worten, der Ruf zur Hilfe im Kampf gegen die Feinde des Kreuzes Christi in Spanien erging an alle Christen, deren Hilfe man mit Recht erhoffen durfte, nicht nur an die unmittelbar betroffenen Christen Spaniens. Für die Teilnahme am Kampf wurde die Vergebung aller Sünden verheißen. Es wurde schon gesagt, daß dabei nie das in den Aufrufen zum Kreuzzug ins Hl. Land übliche Wort ,indulgentia', Ablaß, fiel, stets war nur von ,remissio' die Rede. Doch als Innocenz im April 1213 diese Gnadenverheißungen aufhob, sagte er: remissiones et indulgentias hactenus a nobis concessas procedentibus in Hispaniam contra Mauros... revocamus 81 , daher dürfen wir diese terminologische Besonderheit als Zufall werten : für den Maurenkrieg galt die Verheißung der Sündenvergebung genauso wie für den Jerusalemkreuzzug. Allerdings ist nur von der persönlichen Teilnahme am Kampf die Rede, und eine Mindestfrist hierfür, im Orient zunächst zwei Jahre, dann ein Jahr, wird nicht genannt. Der übliche Kreuzfahrerschutz wird nirgends ausdrücklich erwähnt und den Teilnehmern am Maurenkrieg versprochen. Aber wie schon dargelegt, sind die Bemühungen des Papstes für die Sicherheit Kastiliens praktisch gleichbedeutend mit solchem Schutz. Als Peter II. von Aragon sich über einige Übergriffe des Grafen Simon von Montfort beim Papst beschwerte, betonten dessen Mahnungen an Simon und der Auftrag an ein Schiedsrichterkollegium ausdrücklich, daß Simon seine Angriffe hinterhältig zu jener Zeit beging, als Peter gegen die Mauren die Interessen der Christenheit verteidigte, wodurch die Klage über Simons Verhalten erst ihr ganzes Gewicht erhalte 82 . Auch wenn man in Rechnung stellt, daß der König von Aragon päpstlicher Lehnsmann war, spricht sich in diesem Eintreten für Peter deutlich die faktische Gewährung des Kreuzfahrerschutzes für die Teilnehmer am Maurenkrieg aus. Wir hatten gesehen, daß neben der Werbung von Kreuzfahrern die Finanzierung der orientalischen Kreuzzüge den Papst in zunehmendem Maße beschäftigte. Sieht man von der sehr allgemein gehaltenen Aufforderung ab, König Alfons ,in rebus pariter et in personis' zu Hilfe zu kommen, dann hat Innocenz sich um die Finanzierung des Maurenkrieges nicht gekümmert. Der Grund hierfür wird darin liegen, daß König Alfons versprochen hatte, für alle Kosten 80 Peregrini, qui propria devotione undecunque procederunt. Ζ. Β. in Reg XIII, 183; P. 4142. MPL 216.353C. 81 Reg X V I , 2 8 . MPL 2 1 6 , 8 2 0 A . P.4725. 82 Vgl. Reg X V , 2 1 2 ; P.4655 vom 18. Januar 1213, M P L 2 1 6 . 7 4 0 A und Reg X V , 2 1 3 ; P.4653 vom 17. Januar 1213, M P L 216,742 A .
Der Maurenkreuzzug
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der Kriegsteilnehmer aufzukommen. Er konnte sich später rühmen, dieses Versprechen gehalten zu haben 83 . Die Bemühungen, für die gemeinsame Anstrengung der Christen zur Befreiung des Hl. Landes unter den christlichen Fürsten und Reichen Frieden zu stiften, finden in den von Innocenz befohlenen Vermittlungsversuchen der spanischen Bischöfe zwischen den spanischen Königreichen eine genaue Parallele für den Krieg gegen die Mauren. Wie weit haben sich nun diese starken Parallelen zwischen Orientkreuzzug und Maurenkrieg in der Bezeichnung des spanischen Unternehmens niedergeschlagen? Nirgends fallt das Stichwort vom .obsequium Jesu Christi', zu dem sich die Teilnehmer verpflichteten; nicht einmal von solchen Gelübden ist die Rede. Die Teilnehmer des Maurenkrieges werden von Innocenz stets,peregrini', nie ,crucesignati' genannt. Doch der Ausdruck ,pium propositum' bezeichnet den Entschluß zur Teilnahme am Maurenkrieg wie am Orientkreuzzug 84 . Das dem Infanten Ferdinand auf seine Bitten hin gewährte ,suffragium apostolicum' und das Eingreifen des Papstes für die Pläne des kastilischen Königs und des Infanten machen den Maurenkrieg zu einer offiziellen vom Papst autorisierten Unternehmung der Christenheit. Die vielfältigen Parallelen erlauben es trotz der genannten Unterschiede, die mehr in der Terminologie als in der Sache liegen, den Maurenkrieg als eine neben dem Zug ins Hl. Land andere Art von Kreuzzug zu verstehen. Innocenz selbst teilte dieses Verständnis, als er 1213 zugunsten des erneut ausgerufenen orientalischen Kreuzzuges den als Konkurrenzunternehmen verstandenen Maurenkrieg als für die gesamte Christenheit mit Ausnahme der Spanier erledigt erklärte. An diesem Punkt brach Innocenz mit der älteren Tradition des Maurenkreuzzuges. Nie zuvor hören wir von einer ausdrücklichen Aufhebung und Zurücknahme der für den Maurenkreuzzug'gewährten Privilegien und Ablässe. Innocenz begründete seinen Schritt 1213 damit, daß das Unternehmen praktisch beendigt sei85. Aber schon der Umstand, daß diese Aufhebung ausgerechnet in einem Aufruf zu einem neuen Orientkreuzzug erfolgte, zeigt ihre wahren Gründe. Diese Beobachtung, die mit zur Beantwortung unserer Frage beiträgt, wie weit der Maurenkrieg als ein Kreuzzug wie der ins Hl. Land galt, wird bestätigt durch einen Vorfall auf dem Konzil von 1215 : Bischof Sueirro von Lissabon forderte, es solle auch in Zukunft erlaubt sein, Kreuzfahrerflotten, die in Portugal anlegten, beim Maurenkrieg einzusetzen. Das hätte ganz der Praxis des 12. Jahrhunderts entsprochen, aber Innocenz hat diese Bitte entschieden abgelehnt 86 . 83
Reg XV, 182. MPL 216,700 A. Für den Maurenkrieg vgl. Reg XIV,155. P.4373; MPL 216,514B. 85 Reg XV,29. MPL 216,820A. 86 Wir erfahren von diesem Vorfall aus dem Chronicon Ennonis, geschrieben ca. 1234. Dort wird fur 1217 geschildert, wie Bischof Sueirro dennoch versucht, die niederdeutsche Kreuzfahrerflotte in Lissabon festzuhalten. Die ausdrückliche Ablehnung der Bitte des Bischofs durch Innocenz ist das Hauptargument für die Weigerung der Kreuzfahrer. M G H SS XXIII,479 bes. Z. 45ff. 84
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
Nicht der relative Abschluß des Maurenkrieges — denn Bischof Sueirro dachte ja gerade an eine Fortsetzung — sondern die absolute Vorrangstellung des Jerusalemzuges bestimmte das Handeln des Papstes. Wir haben oben ein erstes Anzeichen dieser Tendenz bei Bernhard von Clairvaux festgestellt. Eine direkte Linie von Bernhard zu Innocenz läßt sich hier nicht ziehen. Doch ist bei der bekannten Vorliebe Innocenz' für den Abt von Clairvaux mit einer Stimmungsverwandtschaft an diesem Punkte wohl nicht zu viel behauptet. Es bleibt der Unterschied, daß bei Innocenz diese Tendenz zuerst juristische Prägnanz und ausschließliche Verbindlichkeit erhielt, denn Innocenz ging es um die Konzentration aller Kräfte auf die Befreiung des Hl. Landes. Die Bestimmung zeigt zugleich, wie sehr der Papst, der in der Praxis des Maurenkreuzzuges stets nur die abwartende Haltung eines zusätzlichen Helfers einnahm, die Überordnung des Papsttums über den Maurenkreuzzug vertrat. e) Der Maurenkreuzzug bei den Nachfolgern
InnocenIII.
Abschließend sollen einige Entwicklungslinien für die Stellung des Papsttums zum Maurenkreuzzug unter den Nachfolgern Innocenz' III. angedeutet werden. Da die Tendenzen oft nur im Gesamteindruck eines oder mehrerer päpstlicher Briefe zu spüren sind, dagegen formal noch fast alles gleichbleibt, muß manches hier etwas thetisch ausgesagt werden, was nur in breiterer Einzelanalyse recht begründet werden könnte. Fragen wir zunächst, wie weit die große Neuerung Innocenz' III. festgehalten wurde; haben seine Nachfolger den Maurenkreuzzug zugunsten des Orientkreuzzuges aufgehoben oder aufzuheben versucht, haben sie am absoluten Vorrang des letzteren festgehalten? Honorius III. erweist sich auch hier als getreuer Verwalter des Erbes seines Vorgängers. Bischof Sueirro von Lissabon hatte gefordert, solche Kreuzfahrer, die aus Armut oder Körperschwäche nicht für den Orientkreuzzug in Frage kämen, sollten wenigstens ihre Waffen und Mittel für die Ausrüstung der gerade den Mauren entrissenen großen Burg Alkazar zur Verfügung stellen dürfen. Honorius lehnte diese Bitte im Januar 1218 ab und betonte vom Kreuzzug ins Hl. Land : ,impediri aliqua occasione non volumus' 87 . Honorius hat getreu diesem Vorsatz gehandelt. Er hat 1219 die Ableistung von Jerusalemgelübden im Maurenkrieg nur solchen Spaniern erlaubt, die zu arm oder zu schwach für den Zug ins Hl. Land waren ; Magnaten und Ritter aus Spanien sollten auf keinen Fall von der gelobten Jerusalemfahrt befreit werden88. Ebenso wurden 1217 — im Jahr des Kampfes um Alkazar — wie 1225 — als gerade der große kastilische Maurenkrieg begann — in Spanien die Steuern und Gelder für den Orientkreuzzug eingetrieben89. Rücksicht auf den Maurenkrieg wurde nicht genommen. 87 89
88 Pressutti 1930 v o m 15. März 1219. Pressutti 997, Rodenberg I,32f, Nr. 42 Pressutti 337, Horoy 11,267, Nr. 217 v. 13. Febr. 1217 u. Pressutti 5693 v. 19. Okt. 1225.
Der Maurenkreuzzug
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Honorius ist sogar noch einen Schritt weiter gegangen als Innocenz III. Als die Uneinigkeit der spanischen Königreiche untereinander eine Fortsetzung des Maurenkrieges unmöglich machte, hat der Papst am 4. Juli 1219 den Maurenkreuzzug auch für die Spanier selbst praktisch aufgehoben, indem er die Rückzahlung aller für den Maurenkreuzzug gewährten Gelder an die Kasse des Orientkreuzzuges befahl 90 . Honorius III. war der letzte Papst, der Innocenz an diesem Punkt folgte. Schon Gregor IX. gestattete den Spaniern wieder die Ableistung der Jerusalemgelübde im Maurenkreuzzug 91 . Auch trug er die offizielle Werbung für den Maurenkreuzzug wieder über die Pyrenäen hinaus nach Südfrankreich in die Provinzen Arles, Aix, Auch, Bordeaux, Genua und Narbonne 92 . Sogar Gregor X., der letzte Kreuzzugspapst und späte Anhänger der Kreuzzugspolitik Innocenz' III., ist seinem Vorbild hier nicht gefolgt. Gregor X. hat, wie wir sehen werden, einen Missionskreuzzug in Ostdeutschland zugunsten des Jerusalemzuges verhindert. Den Maurenkreuzzug hat er dagegen stark gefördert. Ein Jahr nach den großen Kreuzzugsplänen des 2. Konzils von Lyon hat er 1275 Emanuel, dem Bruder des kastilischen Königs, der das Kreuz genommen hatte und ins Hl. Land ziehen wollte, befohlen : ,ut adversus Christi hostes in ipsis Castelle ac Legionis regnis, contra Sarracenos decertet, pacificato regno Castelle in Terram Sanctam profecturus' 93 . Bei aller Begeisterung für den Kreuzzug zur Rettung des Hl. Landes hat Gregor doch, im Unterschied zu Innocenz III., den Maurenkreuzzug als gleichwertige Notwendigkeit angesehen. Während des 13. Jahrhunderts wurden die traditionellen Formen des Kreuzzuges für den Maurenkrieg beibehalten. Die Teilnehmer trugen das Kreuzeszeichen, standen unter päpstlich-kirchlichem Schutz und erhielten den Kreuzfahrerablaß. Doch praktisch wurden die Maurenkriege immer klarer zu rein territorialen und nationalen Eroberungskriegen. Diese Entwicklung verwundert nicht weiter, wenn man den großen Anstieg der realen Macht und des Prestiges der spanischen Reiche seit dem epochalen Sieg von Las Navas de Tolosa bedenkt 94 . Die erstarkten Reiche folgten ihrem natürlichen Expansionsdrang. Das wird schon deutlich an der Selbstverständlichkeit, mit der bereits in Gregors IX. Briefen die Maurenkreuzzüge als königliche Kreuzzüge erscheinen 95 . Auch die Finanzierung, eine Schlüsselfrage aller Kreuzzüge im späten 12. und 13. Jahrhundert, blieb immer eine königliche Angelegenheit. Die Päpste kümmerten sich kaum darum. Noch unter Innocenz IV. scheinen Kreuzzugssteuern 90
Pressutti 2525 aus dem Manuskript. Auvray 1,340 Nr. 518 vom 29. Oktober 1230. 92 Auvray 1,824, Nr. 1490f (1233); II,551f, Nr. 3484 (1237); 11,1205, Nr. 4703 (1239). 93 Guiraud S. 345, Nr. 840 (Regest) vom 17. September 1275. 94 Zum Aufschwung der spanischen Reiche nach 1212 vgl. Konetzke, Geschichte d. span. u. portug. Volkes (1939) S. 73f. 95 Vgl. z. B. für Aragon Auvray 1,824 Nr. 1490, für Portugal Auvray 1,1152 Nr. 2145, für Kastilien/ Leon, Auvray 1,156, Nr. 255 und 11,473, Nr. 3313. 91
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
jedenfalls nicht grundsätzlich — die Praxis mag oft anders ausgesehen haben — für den Maurenkreuzzug freigegeben worden zu sein. Noch zwei Einzelbeispiele sollen uns die königlich-nationale Struktur des Maurenkreuzzuges im 13. Jahrhundert zeigen. Als der König von Kastilien-Leon 1252 mit den afrikanischen Mauren Friedens Verträge Schloß, ,quae cedunt ad Dei gloriam, honorem Ecclesiae ac populi christiani', hat Innocenz IV. dem vorbehaltlos zugestimmt, da er den Frieden unter den Völkern wünschte 96 . Man vergleiche dieses Verhalten nur mit der wütenden Reaktion Gregors IX. auf Friedrichs II. Jerusalemer Sarazenen-Frieden, oder mit Coelestins III. energischem Kampf gegen alle Abmachungen und Bündnisse mit den Mauren. Innocenz IV. dagegen hat es widerspruchslos hingenommen, daß der kastilische König mit den .Feinden des Kreuzes Christi' Verträge Schloß, die angeblich der Ehre Gottes und dem Ruhme der Kirche, praktisch aber doch der königlich-kastilischen Politik dienen sollten. Im Jahre 1275 war von Afrika aus ein maurischer Gegenangriff auf Kastilien erfolgt. Gregor X. lobte in dieser Situation den Erzbischof von Toledo, weil er so tatkräftig wirkte ,ad christianorum succursum decertantium contra Saracenos'; er befahl dem Bruder des Königs, ,ut adversus Christi hostes, in ipsis Castelle ac Legionis regnis, contra Saracenos decertet', und seinen geplanten Jerusalemkreuzzug aufschöbe. Doch in der gleichen Situation bewilligte Gregor dem König von Kastilien ,ad defensionem sui regni decima pro subsidio Terre Sánete deputata' 97 . Nicht mehr zur Verteidigung der Christenheit, sondern zur Verteidigung des Königreiches wurde der Maurenkreuzzug geführt. Diese .Entwicklung spiegelt sich auch darin, wie die Zielsetzung des Maurenkrieges in den Papstbriefen umschrieben wird. Wir werden im folgenden Kapitel noch auf die Dialektik von Verteidigung (defensio) und Ausbreitung (dilatado) des Christentums eingehen müssen. Wir finden diese Dialektik auch schon beim Maurenkreuzzug. William of Newburgh schrieb (etwa 1198) vom Maurenkrieg, der ,pro fidei christianae vel propagatione vel defensione' geführt werde 98 . Das immer stärkere Überwiegen der einen Seite, der dilatatio oder propagado, zeigt die Tendenz des Maurenkrieges im 13. Jahrhundert an: Er wurde zum als Kreuzzug zur Ausbreitung des Christentums geführten Eroberungskrieg der spanischen Königreiche. Schon bei Honorius III. klingt diese Entwicklung leise an; der Maurenkrieg wird ,pro defensione fidelium et expugnatione Maurorum in Yspania' geführt 99 . Offenkundig ist diese Tendenz bei Gregor IX. : Er sagt 1228 vom kastilischen Maurenkreuzzug in bildhafter Sprache, ,dilatat locum tentorii sponse Christi' 100 ; Berger 111,117 Nr. 6014 vom 4. Oktober 1252. Die Zitate der Reihenfolge nach: Guiraud S.269, Nr.629, vom 3.September 1275, S.345, Nr. 840 vom 17. September 1275 und S. 345, Nr. 838 vom 28. Juli 1275. 98 William of Newburgh V , 1 3 ed. Howlett 11,445. 99 Pressutti Nr. 1864 vom 9. Februar 1219. 100 Auvray 1,156, Nr. 255 vom 8. Dezember 1228. 96
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Der Maurenkreuzzug
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zwei Jahre später wurde der Kampf geführt ,ut cul tus divini nominis ampliatur' 101 . Ein vorgeschobenes Kastell im maurischen Gebiet diente ,ad dilatandum cultum catholicae fidei ac tutelam populi defendendam' 102 , denn natürlich war das Verteidigungsmotiv noch nicht ganz verschwunden. Es konnte sogar angesichts einer maurischen Großoffensive bei Valencia 1237 wieder allein hervortreten; ,pro defensione fidei' geht jetzt der Kampf 103 . Doch das Hauptziel kennzeichnet ganz unverblümt eine Äußerung Gregors zum portugiesischen Maurenkreuzzug. Er wurde geführt ,a"d retinendas no vi ter acquisitas et alias acquirendas terras' 104 , als Eroberungskrieg also. Das gleiche Bild findet sich bei Innocenz IV. Die Kämpfer ziehen aus ,ad eruendam terram de manibus impiorum... pro attollenda Crucifixi gloria', ihr Ziel ist das ,Christianae religionis augmentum' 105 . Als der Krieg dann hinübergriff auf Marokko, verschwand das Verteidigungsmotiv verständlicherweise völlig. Man kämpfte ,ad cultum divini nominis ampliandum' und ,pro fidei christianae incremento' 106 . Gregor X. endlich griff, wie so oft, zurück auf Innocenz III. Doch die Verwendung innocentianischer Formeln zur Bezeichnung der spanischen MarokkoKriege: ,pro defensione fidei Christiane contra Sarracenos Africe' oder ,pro defensione christianitatis in partibus Africanis' 107 zeigt nur, einen wie weiten Weg der Maurenkreuzzug von Innocenz III. bis zu Gregor X. gegangen war. Es ging in diesem Abschnitt nicht um die spanische Expansionspolitik im 13. Jahrhundert als solche. Dieser Überblick sollte nur zeigen, wie kurzlebig Innocenz' III. Versuch war, den Maurenkreuzzug der päpstlichen Gewalt zu unterstellen. Wie der Maurenkreuzzug des 12. Jahrhunderts seine Wurzel und Lebenskraft nicht in päpstlichen Plänen und Aktionen, sondern in der Wirklichkeit der hergebrachten Maurenkriege hatte, so hat der Maurenkreuzzug des 13. Jahrhunderts sich dem päpstlichen Zugriff bald entzogen. Die Kräfte des Mutterbodens, Situation und Politik der spanischen Reiche waren stärker. Wie Innocenz III. einen Scheitelpunkt der Papstgeschichte darstellt, den Punkt größter erreichter Annäherung von päpstlicher Macht und päpstlichem Anspruch, so erreichte unter ihm auch die päpstliche Macht über den Maurenkreuzzug ihren höchsten Punkt. Innocenz III. hat die Verfügungsgewalt des Papsttums über den Maurenkreuzzug nicht nur gefordert ; er hat für einige, wenige Jahre den Maurenkreuzzug dem päpstlichen Willen unterstellt. Der Hand seiner Nachfolger ist der Maurenkreuzzug wieder entglitten. 101
Auvray 1,338, Nr. 515 vom 31. Oktober 1230.
102
Auvray 1,1117, Nr. 2063 vom 24. Juli 1234. Man beachte die Reihenfolge der Motive.
1B® Auvray
11,551, Nr. 3483 vom 5. Februar 1237.
104
Auvray 1,1152, Nr. 2145 vom 21. Oktober 1234
106
Beide Belege bei Berger 1,263, Nr. 1758 vom 22. März 1246.
108
Berger 1,333 Nr. 2245. 2249 vom 18. bzw. 23. Oktober 1246.
107
Guiraud S. 145, Nr. 384 vom 6. August 1274.
2. K A P I T E L
Der Kreuzzug im Dienst der Mission a) Die Entwicklung %um Missionskreusgug
im 12. Jahrhundert
Der starke missionarische Impuls der Ottonenzeit hatte im 11. Jahrhundert mehr und mehr an Kraft verloren. Erst im 12. Jahrhundert erfüllte die Kirche wieder ein tatkräftiger Missionswille, so daß die Stauferzeit als eine ausgesprochene Missionsepoche gelten darf 1 . Zu den wichtigsten Missionsfeldern zählte zunächst um die Mitte des 12. Jahrhunderts das Wendengebiet in Nordund Nordostdeutschland. Seit den siebziger Jahren waren dann vornehmlich Preußen und die baltischen Länder das Feld der Missionare. Während die 1206 in großem Stil einsetzende Preußenmission unter Bischof Christian zunächst eine friedliche, durch Predigt auf Bekehrung zielende Mission war und erst unter Honorius III. seit 1217 als Reaktion auf heidnische Feindseligkeiten das Mittel des Missionskreuzzuges anwandte2, finden wir zur Zeit Innocenz' III. den Kreuzzug im Dienste der Mission in Livland. Daher müssen wir auch im Rahmen dieser Arbeit einen Blick auf die nordosteuropäische Mission unter Innocenz' III. werfen 3 . Der Einsatz des Kreuzzuges im Dienst der Mission war zur Zeit Innocenz' III. keineswegs völlig neu. Wir wenden uns daher zunächst dieser Tradition zu. Der Heidenkrieg zur Verteidigung und Ausbreitung des Glaubens war schon in karolingischer Zeit und besonders dann unter den Sachsenkaisern eine wichtige Aufgabe des Herrschers ; dabei ist nicht recht deutlich, ob es mehr kaiserliche oder königliche Pflicht war, die Heiden zu bekriegen. Doch hat diese Frage 1 Vgl. J. Hashagen, Die Ausdehnung des Christentums während der Stauferzeit, DVfLG 13 (1935) 280—92. Hashagen sieht aber wohl das 11. Jahrhundert zu negativ; immerhin ist der Unterschied zwischen Salierzeit und Stauferzeit offensichtlich. Den immer noch besten Überblick über die Mission dieser Jahrhunderte gibt A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV (3./4. Aufl.) 576—685. 2 Vgl. F. Blanke, Die Missionsmethode des Bischofs Christian von Preußen (1927) und ders., Die Entscheidungsjahre der Preußenmission (1928), beide Aufsätze hier nach dem Sammelband, Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des hohen Mittelalters, hrsg. von H. Beumann (1963) 3 Die Deutsche Ostmission vor allem des 12. und 13. Jahrhunderts ist ein sehr sorgfaltig bearbeitetes Gebiet der Historiker. Wir können uns in folgendem daher weitestgehend auf die Ergebnisse dieser Forschung stützen. Zugleich bedeutet diese Forschungslage, daß wir uns sehr streng auf unser Thema, den Kreuzzug im Dienste der Mission, konzentrieren müssen. Das entspricht auch der Sache selbst, denn Mission und Missionskreuzzug sind sich im Wesen weit fremder als etwa Maurenkrieg und Maurenkreuzzug, von denen im vorigen Kapitel die Rede war.
Der Missionskreuzzug
193
praktisch wenig Bedeutung. Wie man sie auch beantwortet, fest steht, daß der Krieg gegen das östliche Heidentum zu den traditionellen und zentralen Aufgaben des Imperium christianum gehörte. Von daher erklärt es sich, daß dieser Heidenkrieg, noch bevor er mit dem Kreuzzugsgedanken in Berührung kam, nicht einfach ein profaner Krieg war. Er enthielt durchaus Elemente eines heiligen Krieges und war daher für den Kreuzzugsgedanken, sobald dieser einmal entwickelt war, in gewisser Weise „anfällig" 4 . Den ersten Einfluß des Kreuzzuges auf den Missionskrieg im Osten finden wir bereits kurz nach dem 1. Kreuzzug. In einem heute allgemein auf 1108 datierten Brief werden die westlichen Gebiete des Reiches aufgerufen, der ostsächsischen Kirche zu helfen. Das Schreiben gibt sich zwar als Aufruf des Magdeburger Episkopats und der Ostsachsen, doch handelt es sich in Wirklichkeit um die nichtautorisierte Arbeit eines flämischen Geistlichen in der Altmark 5 . Stil und Ton des Aufrufs erinnern bereits sehr an die Schreiben zum Orientkreuzzug. Doch nimmt er auch ausdrücklich auf diesen Bezug : ,de bonis sumite exemplum et Gallorum imitatores in hoc etiam estote' ; erhebt euch, con tra inimicos Christi', und schließlich, ,sicut Galli ad liberationem Hierusalem vos preparate. Hierusalem nostra ab initio libera, gentilium crudelitate facta est ancilla' ; Gott rief die Gallier ,ab extremo occidente', um ihnen ,in remotissimo oriente', den Sieg über seine Feinde zu schenken. Ihn ruft der Verfasser des Aufrufs an, daß er den Adressaten zum Schutze der ostsächsischen Kirche ebenso Mut und Sieg schenke wie den Franzosen für den Kreuzzug. Daneben sind auch die Unterschiede nicht zu verkennen : von Kreuznahme und präzisem Kreuzablaß weiß der Aufruf noch nichts, die Verdienstlichkeit des Zuges wird sehr vage umschrieben6. Doch ist schließlich ein erst von H. Beumann herausgestellter Einfluß des Orientkreuzzuges auf 4 Vgl. H. Hirsch, Der mittelalterliche Kaisergedanke in den liturgischen Gebeten (1930) und C. Erdmann, Der Heidenkrieg in der Liturgie und die Kaiserkrönung Ottos I. (1932), beide Aufsätze jetzt in Heidenmission und Kreuzzugsgedanke (1963) S. 22ff, 47ff. Erdmann stellt hier die Frage, ob der Heidenkrieg kaiserliche oder königliche Aufgabe war, die Hirsch klar in ersterem Sinne beantwortet hatte, als nicht präzise lösbar heraus. Einen vorzüglichen Überblick über die Entwicklung gibt M. Bünding-Naujoks, Das Imperium christianum und die deutschen Ostkriege vom 10. bis zum 12. Jahrhundert (1940) jetzt, Heidenmission und Kreuzzugsgedanke S. 65ff. Diese Arbeit wurde nach C. Erdmanns Entstehung des Kreuzzugsgedankens geschrieben und hat so dem Einfluß des Kreuzzugsgedankens auf den Heidenkrieg schon besondere Aufmerksamkeit widmen können. Zum Begriff des Imperium Christianum (statt Imperium Romanum), mit dem der eigentliche Träger des Heidenkrieges erfaßt wird, vgl. Bündig-Naujoks S. 119 f. J. Kirchberg, Kaiseridee und Mission . . . von Otto I. bis Heinrich III. (1934) ist noch ohne Blick für geistesgeschichdiche Zusammenhänge, vgl. die Kritik bei Bünding-Naujoks S. 66. 5 Der Aufruf ist ediert von W. Wattenbach NA 7 (1882) 624—26. Zur Interpretation BündingNaujoks S. 87—94 mit älterer Literatur und H. Beumann, Kreuzzugsgedanke und Ostpolitik im Hohen Mittelalter (1953), jetzt Heidenmission und Kreuzzugsgedanke S. 120ff, zum Aufruf von 1108 bes. S. 130ff. Für Datierung und Verfasserfrage berufen sich beide Autoren auf die Ergebnisse von M. Tangl NA 30 (1905) S. 183 ff. 6 Beumann S. 134 betont außerdem, daß der Aufruf kaum dem von U. Schwerin erarbeiteten stereotypen Aufbau der Kreuzaufrufe entspricht. Doch besagt dieses Argument wenig, da ja jenes Schema auch erst nach und nach entwickelt wurde und 1108 noch keineswegs fest vorhanden war.
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
diesen Aufruf zu betonen : Der Aufruf von 1108 spricht gar nicht von Bekehrung der Heiden, sein Ziel ist es, Helfer für die „Befreiung" der ostsächsischen Kirche zu gewinnen, und das heißt in den Augen des Schreibers, christliche Siedler für das christlich-heidnische Grenzgebiet zu werben 7 . Befreiung der orientalischen Kirche war aber eines der Hauptziele des 1. Kreuzzuges. Der Aufruf von 1108 hat keinerlei erkennbare Folgen gehabt 8 . Er ist nur ein gutes Beispiel dafür, wie populär der Kreuzzugsgedanke alsbald nach dem 1. Kreuzzug wurde und wie sehr seine Übertragung auf andere Fronten der Christenheit in der Luft lag. Verwirklicht wurde die Übertragung des Kreuzzugsgedankens auf den östlichen Heidenkrieg im Wendenkreuzzug von 1147. Der Vorschlag hierzu kam weder vom Papst noch überhaupt von kirchlicher Seite. Die sächsischen Fürsten konnten sich der Werbekraft Bernhards von Clairvaux nicht entziehen, verspürten aber wenig Lust zu einem zeitraubenden Kreuzzug ins Hl. Land. Auf dem Frankfurter Reichstag vom März 1147, der die Einzelheiten des deutschen Kreuzzuges beraten sollte, schlugen sie daher vor, die Feinde der Christenheit an den eigenen Grenzen, die Wenden mit einem Kreuzzug zu überziehen9. Es ist oft genug darauf hingewiesen worden, wie sehr dieser Vorschlag mit der bisherigen Missions- und Kolonisationspolitik in jenen Gebieten brach, wie sehr höchst materielle Interessen hinter dem Vorschlag standen. Auch über den Verlauf und die bescheidenen Ergebnisse des Zuges ist hier nicht zu handeln 10 . Bernhard von Clairvaux hat den Gedanken alsbald aufgegriffen und sich in einem besonderen Aufruf zum Wendenkreuzzug an den gesamten Episkopat, die Fürsten und alle Gläubigen gewandt 11 . Wir greifen aus diesem Aufruf einige Punkte heraus, die den geplanten Zug gegen die Wenden als Kreuzzug kennzeichnen und in Bernhards Augen legitimierten. Bernhard beginnt mit einem Hinweis auf den großen Erfolg der Werbung zum Zuge ,ad faciendam vindictam in nationibus et exstirpendos de terra Christiani nominis (inimicos)' 12 . Das zielt deutlich auf den Orientkreuzzug; es ist aber bezeichnend, daß der Aufruf zum Wendenzug hiermit beginnt und somit unter das gleiche Generalthema gestellt wird wie der Orientkreuzzug. 7
Beumann aaO S. 132 f.
8
Bünding-Naujoks aaO S. 94.
Vgl. Hauck IV, 628. Welcher Fürst zuerst den Gedanken eines Wendenkreuzzuges faßte, ist dunkel. 1 0 Zum äußeren Verlauf des Wendenkreuzzuges vgl. außer den üblichen Kreuzzugsgeschichten noch W . Bernhardi, Konrad III. (Jahrb. d. dt. Gesch.) Bd. II (1883) S. 5 6 3 - 5 7 8 . Das Ergebnis des Zuges wird neuerdings nicht mehr so negativ gesehen wie früher; vgl. H.-D. Kahl, Zum Ergebnis des Wendenkreuzzuges von 1147 (1957) jetzt Heidenmission und Kreuzzugsgedanke S. 275—316, und J. Schulte, Der Wendenkreuzzug von 1147 und die Adelsherrschaften im Prignitz- und Rhingebiet, Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 2 (1953) 95—124. Davon bleibt unberührt, daß bald nach Abschluß des Zuges (bzw. der Züge) gegen die Wenden von 1147 allgemeine Enttäuschung über die Ergebnisse sich breitmachte, vgl. Kahl aaO S. 276ff und 313—315. 1 1 Ep. 457, M P L 182,651 f. 9
12
Im Druck bei M P L hier eine Lücke, in der dieses oder ein ähnliches W o r t zu lesen sein wird.
Der Missionskreuzzug
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In einem zweiten Gedankengang stellt Bernhard die hartnäckige Weigerung der Heiden, das Evangelium anzunehmen, als Hindernis für den Jerusalemzug heraus. So haben die Fürsten in Frankfurt den Wendenkreuzzug nach Bernhards Worten beschlossen : ,ut non propter hoc (seil, wegen des hartnäckigen Heidentums) impediatur via Hierosolymitana'. Daraus ergibt sich für Bernhard das Ziel des Zuges. Die Christen sollen sich rüsten ,ad delendas penitus, aut certe convertendas nationes illas'. Diese Reihenfolge ist doch wohl bezeichnend 13 ; nicht die Mission unter den Wenden ist das Ziel, sondern ihre Vernichtung oder auch Bekehrung. Die Hauptsache ist, die Heiden, die den Kreuzzug behindern und dem Evangelium widerstreben, verschwinden. Deshalb verbietet Bernhard jeden Vertrag mit ihnen, etwa gar eine bloße Tributverpflichtung. Der Kampf geht ,donec.. .aut ri tus ipse, aut natio deleatur'. Für diesen Kampf verheißt Bernhard den Teilnehmern den gleichen Ablaß wie den Jerusalemkreuzfahrern. Wer noch nicht zum Jerusalemzug entschlossen ist, soll gegen die Wenden ziehen. Die Wendenkreuzfahrer tragen ebenfalls das Kreuz 14 . Auch die Schlichtheit in Kleidung und Rüstung, das Zeichen für den Bußcharakter des Zuges, gilt wie für „das andere Heer", so auch für die Kreuzfahrer ,contra hostes crucis Christi, qui sunt ultra Albim'. Eine Nachordnung des Wendenkreuzzugs hinter den Jerusalemzug ist bei Bernhard nicht zu erkennen. Entsprechend fehlt auch der Adresse seines Aufrufes jede geographische Einschränkung; am Schluß des Aufrufs wird sogar angekündigt, daß Abschriften desselben überall (ubique) durch den Klerus verbreitet und dem „Volk Gottes" bekannt gemacht werden sollten. Der Wendenkreuzzug war also nicht, wie man annehmen möchte, als lokales Sonderunternehmen gedacht15, wenngleich er sich in der Praxis auf deutsche, im wesentlichen sogar nord- und ostdeutsche, und auf dänische Teilnehmer beschränkte. Papst Eugen III. war von diesem neuen Kreuzzugsunternehmen überrascht. Er hat aber sofort einen eigenen Aufruf zum Wendenkreuzzug erlassen, der sich an alle Gläubigen richtete16. Wenn Eugen im Aufruf aber von den ,quidam ex vobis' sprach, die sich zum Wendenzug entschlossen hatten, so wird daraus klar, 13
Darauf verweist Hauck IV, 628, Anm. 4.
Aus Bernhards Aufruf geht nicht hervor, daß das Zeichen der Wendenkreuzfahrer nicht das einfache Kreuz, sondern das Kreuz auf der Weltkugel war. Vgl. z. B. Otto von Freising, Gesta Friderici 1,42 ed. Simson (MGH Schulausgabe 3. Aufl. 1912) S. 6 1 , 2 - 7 . Weitere Belege bei E. Vacandard, Vie de Saint Bernard 11,298 Anm. 1. 14
1 5 Wenn Bernhard in dem Aufruf einmal im Blick auf den Episkopat von dem .negotium, quod ad vos spectat' redet, so zeigen diese Blickrichtung und der Fortgang des Satzes, daß es sich nicht um eine geographische Beschränkung, etwa jenes ,negotium', das an euren Grenzen liegt, handelt, sondern um die speziellen Aufgaben des Episkopats bei Werbung und geistlicher Betreuung der Wendenkreuzfahrer. 1 9 J L 9017 v o m 11. April 1147, MPL 180,1203. Diese schnelle Reaktion Eugens begründet G. Constable damit, daß Eugen im Osten des Reiches eine starke kirchliche Machtposition aufbauen wollte. Seit dem Investiturstreit sei dies ein Ziel der päpstlichen Politik gewesen, zu dessen Verwirklichung sich hier eine Chance bot. Constable, The Second Crusade, Traditio IX (1953) S. 255ff.
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daß er die faktische Begrenzung des Unternehmens auf Deutschland (und Dänemark) erkannte 17 . Eugens Aufruf beginnt mit dem großen Wunder, daß so viele Gläubige sich ,ad infidelium expugnationem' rüsten. Die einen ziehen aus zur Befreiung der orientalischen Kirche, der spanische König rüstet gegen die Mauren und gleichsam als drittes Projekt dieses einen großen Unternehmens erscheint nun der geplante Wendenzug. Zwei Neuerungen bzw. Änderungen gegenüber Bernhards Aufruf bedürfen der Erwähnung. Eugen bemühte sich, durch Ernennung eines päpstlichen Legaten, des Bischofs Anselm von Havelberg 18 , eines hochgelehrten, tüchtigen und als (exilierter) Bischof von Havelberg auch persönlich interessierten Mannes, das neue Unternehmen fest in die Hand zu bekommen 19 . Anselms Aufgabe war nicht etwa die militärische Leitung des Zuges ; vielmehr umschrieb Eugen seinen Auftrag gegenüber den Wendenkreuzfahrern, , u t . . . paci et tranquillitati vestrae provideat, et unitatem inter vos conservet, et vos de promovenda Christiana religione commoneat'. Eugen scheint die äußerst ungeistliche Tendenz des Wendenkreuzzuges klar durchschaut zu haben. So stellte er, im Gegensatz zu Bernhard, das Missionsmotiv deutlich heraus ; von Vernichtung der Heiden verlautet dagegen kein Wort. Vielmehr nannte Eugen im Aufruf, wie noch ein Vierteljahr später in einem Brief an Bischof Heinrich von Olmütz als Ziel des Zuges: ,eos (seil. Sclavos) Christianae religioni subjugare' 20 . In den äußeren Dingen zeigt Eugens Aufruf den Wendenzug ganz als Kreuzzug : die Teilnehmer tragen das Kreuz, erhalten denselben Ablaß wie die Jerusalemfahrer und stehen unter dem gleichen päpstlichen Schutz. Als Ergebnis können wir festhalten : Papst Eugen III. ist die erste Persönlichkeit von zentraler Bedeutung, die den Kreuzzug eindeutig auch in den Dienst der Mission gestellt sah. Voraussetzung hierfür war die durch Bernhard von Clairvaux angefeuerte allgemeine Kreuzzugsbegeisterung der Jahre 1146/4721. Es ist bekannt, wie wenig Erfolg Eugens Versuch beschieden war, den Wendenkreuzzug mit Hilfe eines Legaten bei seiner religiösen Zielsetzung zu halten, 17
Zum Teilnehmerkreis vgl. Biinding-Naujoks S. 102—104.
Über Anselm vgl. W.Berges, Anselm von Havelberg in der Geistesgeschichte des 12. Jahrhunderts, Jahrb. f. d. Gesch. Mittel- und Ostdeutschlands 5 (1956) S. 3 9 - 5 7 . 18
1 9 Demselben Zwecke dürften dienen der Befehl zur Teilnahme an Wibald von Stablo (vgl. Epist. Wibaldi 150, ed. Jaffé, Bibliotheca rerum Germ. 1,243) und die Teilnahmeerlaubnis für Bischof Heinrich von Olmütz, dem Eugen eigentlich eine wichtige Aufgabe beim Orientkreuzzug, die Unionsdiplomatie, zugedacht hatte, J L 9110, M P L 180,1262. 20 Der Brief an Heinrich J L 9110, M P L 180,1262. Wie wenig die Zeitgenossen dieses missionarische Ziel des Zuges bei Eugen verstanden, zeigt Wibald von Stablo. Eugen befahl ihm am 30. März 1147 in Dijon die Teilnahme am Wendenkreuzzug. Wibald verstand diesen Befehl so: , . . . u t ad debellandos christiani nominis hostes ac Dei ecclesiae vastatores trans Albim super paganos militaremus' (ep. 150, ed. Jaffé, Bibl. rer. Germ. 1,243,8—13). W o Eugen Mission sagte, verstand Wibald militärische Unterwerfung. 21
Vgl. Bünding-Naujoks S. 110.
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und wie wenig die Führer und Teilnehmer des Zuges missionarisch dachten und handelten. Der Gesamteindruck des Unternehmens auf die Zeitgenossen war durchweg negativ. Ein nachhaltiger Einfluß des Kreuzzugsgedankens auf die ostdeutsche Missions- und Kolonisationspolitik ist in den nächsten Jahrzehnten nicht feststellbar22. Besonders deutlich wird das am Beispiel Helmolds von Bosau, der um die Mitte der sechziger Jahre seine Slawen-Chronik schrieb. Er hat den Wendenzug von 1147 völlig als Kreuzzug verstanden. Er hat, wie oben dargelegt (S. 178f), die drei Unternehmen von 1147, den 2. Kreuzzug, die Eroberung von Lissabon und den Wendenzug sogar als bloße Teilprojekte des einen ,opus universum', des einen Kreuzheeres verstanden. Und doch ist Helmolds Werk, wie die eingehende Interpretation vom Helmut Beumann ergeben hat, durchzogen von der skeptischen Kritik am Kreuzzugsgedanken, wie er sich vor Helmolds Augen verwirklicht hatte. Helmold ist geradezu „ein beredter Zeuge für die Unpopularität des (Kreuzzugs-)Gedankens im Gebiet des slavischen Grenzraums" (Beumann) 23 . Die Mission, und Hand in Hand damit die Kolonisation an der Ostgrenze des Reiches blieb in den folgenden Jahrzehnten nicht stehen. Doch der Kaiser, der in ottonischer Zeit praktisch und in salischer Zeit doch immerhin noch der Idee nach zentraler Träger des Missionsgedankens war, ließ kaum Interesse für diesen Bereich seiner Herrschaft erkennen. Statt dessen begann das Papsttum, das sich, so Albert Hauck, seit Gregor I. wenig um die Mission gekümmert hatte, mit Alexander III. „im Vollgefühl davon, daß auch die Förderung der Mission zum Prinzipat des römischen Bischofs gehöre", zu handeln und mehr und mehr die Leitung der Mission zu übernehmen; die Missionsarbeit wurde vom Werk der Reichskirche zum Werk der Universalkirche 24 . Alexanders III. Unterstützung galt besonders der Estlandmission, die von Uppsala ausging, das erst er zum Erzbistum im Norden erhoben hatte. Diese Missionsversuche unter dem französischen Mönch Fulco sind bald gescheitert 25 , doch begegnet erst hier wieder bei einem Papst der Kreuzzugsgedanke im Dienst der Mission. Alexander rief die Könige, Fürsten und Gläubiger der skandinavischen Reiche auf zum Kampf ,ad defendendam Christianae fidei veritatem' und ,ad propagandam Christiani nominis religionem'. Für die tapfere Teilnahme an diesem Kampf gewährte Alexander ein Jahr Ablaß der auferlegten Bußstrafen „wie jenen, die das Grab des Herrn besuchen" 26 . Wer jedoch in diesem Kampf den Tod fand, erhielt vollkommenen Ablaß seiner Sünden 27 . Vgl. ebd. S. llOff. Vgl. Beumann S. 1 4 0 - 1 4 5 , Zitat S. 144. 24 Hauck IV, 654.685. Zustimmend F. Blanke in den beiden Anm. 2 genannten Aufsätzen — Heidenmission und Kreuzzugsgedanke S.341 und 391. 28 Vgl. R. Wittram, Baltische Geschichte 1180—1918 (1954) S. 14; F. Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder (1965) S. 16. 26 Alexander dachte wohl an Jerusalem-Pilger, nicht an Kreuzfahrer bei diesem Vergleich. 27 J L 1 2 1 1 8 vom 11. September 1171/72, M P L 2 0 0 , 8 6 0 f ; zu diesem Aufruf vgl. Benninghoven S. 17. 22
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
Diese Ablaßverheißung ist noch von deutlicher Zurückhaltung geprägt. Auch spricht der Aufruf nicht von Kreuznahme, Kreuzfahrerschutz und dergleichen. Die Übertragung des Kreuzzuges in die Missionsarbeit war noch keineswegs abgeschlossen. Doch findet sich ein neuer, für die Zukunft wichtiger Gedanke in Alexanders Aufruf, die geographische Beschränkung in der Adresse auf die dem Missionsgebiet (in weiterem Sinne) benachbarten Länder. Auch die direkte Nebeneinanderstellung von ,defensio' und ,propagatio' als den beiden Zielen des Missionskreuzzuges begegnet vorher nicht in päpstlichen Dokumenten. Schließlich ist zu beachten, daß dieser Aufruf, anders als der Eugens III. von 1147, nicht in einen Moment hochgespannter Kreuzzugsbegeisterung fällt. Die achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts können wir wie beim Maurenkreuzzug überspringen. Die ständig wachsende Sorge um das Hl. Land lenkte die päpstliche Aufmerksamkeit vornehmlich in diese Richtung. Die nächsten Aufrufe zum Missionskreuzzug stammen von Coelestin III. 1193 und 1197 gewährte er auf Bitten des Bischofs von Uexküll einen Plenarablaß für einen Kreuzzug im Dienste der jungen livländischen Missionskirche, der Coelestin auch sonst manche Hilfe leistete. Von beiden Kreuzablässen wissen wir nur aus der Livländischen Chronik des Priesters Heinrich von Lettland; der Wortlaut der Ablaßbullen bzw. Kreuzzugsaufrufe Coelestins ist verloren28. Damit sind wir nicht nur zeitlich bis zu Innocenz III. vorgedrungen, sondern in Livland haben wir auch bereits jenes Gebiet erreicht, in dem ζ. Z. Innocenz' III. der Missionskreuzzug geführt wurde. Unser Überblick über die Tradition des Missionskreuzzuges im 12. Jahrhundert hat uns bereits fast alle Einzelmotive gezeigt, denen wir bei Innocenz wieder begegnen werden. Neu ist ihre Verbindung. Neu ist auch die Verbindung der von uns für Innocenz schon mehrfach beobachteten straffen, päpstlichen Gewalt über den Kreuzzug mit dem von Hauck festgestellten wachsenden Einfluß des Papstes auf die Mission seit Alexander III. b) Missionskreusgüge
während des Pontifikates
InnocenIII.
Über die Mission in Livland sind wir durch das reizvolle Chronicon Livoniae des Priesters Heinrich, eines Augenzeugen, ausführlich unterrichtet29. Wenn diese kenntnisreiche Quelle den Papst Innocenz III. nur höchst selten erwähnt 30 , so entspricht das genau dem Befund in den Papstbriefen31. Die Mission in Livland lag für Innocenz am Rande seines Blickfeldes. Von den ohnehin nicht zahlreichen 28 Heinrich von Lettland, Chronicon Livoniae, ed. L. Arbusow und A . Bauer (MGH Schulausgabe 2. Aufl. 1955) 1 , 1 2 (S. 7 , 4 - 6 ) und 11,3 (S. 9 , 8 - 1 1 ) . Der Text läßt beide Male kaum Einzelheiten erkennen. Zur sonstigen Unterstützung Coelestins III. für die Livland-Mission vgl. seinen Brief an Bischof Meinhard vom April 1193, J L 16991, M P L 206,995f. Zum Ganzen vgl. Benninghoven S. 27. 29 Ed. Arbusow und Bauer, vgl. vorige Anmerkung. 30 Vgl. das Namensregister der Ausgabe von Arbusow-Bauer. 3 1 Außer im Register Innocenz' sind diese Briefe mit unbedeutenden Ausnahmen zugänglich im Liv-, Esth- und Curländischen Urkundenbuch ed. F . G . B u n g e , Bd.I (1853).
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Livland betreffenden Papstbriefen befaßte sich wiederum der größte Teil mit der kirchlichen Organisation und der Metropolitanzugehörigkeit der neuen Kirchen, nicht mit der eigentlichen Mission 32 . Innocenz sah Livland in erster Linie unter kirchenpolitischem und politischem Blickwinkel, während ihn das Problem der Mission weniger beschäftigte. Der Grund hierfür ist weniger bei Innocenz, als in der Person des Bischofs von Livland, des Bremer Domherrn Albert von Riga, zu suchen. Die neueste Biographie Alberts trägt nicht umsonst den Untertitel „Ein Bremer Domherr als Kirchenfürst im Osten" 33 . Albert war ein Kirchenfürst mit ausgesprochen politischen Ambitionen. Mehrfach versuchte er, Livland zum Reichsfürstentum erheben zu lassen und so selbst zum Reichsfürsten zu werden. Er betrieb die Ausgliederung Rigas aus dem Bremer Metropolitanverband und seine Erhebung zum Erzbistum auf Kosten der Provinzen Uppsala und Bremen. Zwischen dem Deutschen und dem dänischen Reich, den polnischen und russischen Herrschern gelegen, verfolgte er geradezu eine ehrgeizige „Außenpolitik". Innerhalb seiner Kirche und seines Missionssprengeis versuchte er mit wechselndem Erfolg, durch Gründung neuer Bistümer und eines neuen Ritterordens, der bald sein ärgster Konkurrent wurde, wie durch Beförderung zahlreicher Verwandter in leitende Stellungen sich eine starke Hausmacht zu schaffen. So wertvoll Alberts Tatkraft, Einsatzbereitschaft und politischer Einfallsreichtum für die Mission im Baltikum waren, so unbequem mußte sein politischer Ehrgeiz für seine Partner sein. Sein Verhältnis zu Innocenz wurde mehr als einmal starken Belastungen ausgesetzt. Erst auf dem Konzil von 1215 sind sich die beiden energischen Männer, der Papst und der Bischof, persönlich etwas näher gekommen 34 . Diese Ergebnisse der erwähnten Biographie Alberts von Gisela Gnegel-Waitschies gilt es zu beachten, wenn wir Innocenz in seiner Haltung zum livländischen Missionskreuzzug recht verstehen wollen. Die Mission an der Düna war 1186 durch den Segeberger Domherrn Meinhard begonnen worden, der 1188 vom Bremer Erzbischof Hartwig II. zum Bischof von Uexküll geweiht wurde. Nach Meinhards Tod (1196) ernannte Hartwig den früheren Abt von Loccum, Berthold, zum Bischof der jungen Kirche, der er bereits einige Jahre als Priester gedient hatte. Berthold, ein Cistercienser, entsann sich der Methode seines großen Ordensbruders Bernhard von Clairvaux. 1197 rief er mit Erlaubnis Coelestins III. zum Missionskreuzzug auf. In der ersten Schlacht, am 24. Juli 1198, fiel er. Im folgenden Herbst und Winter brach ein großer Aufstand der Liven gegen die Christen aus35. Haller III, 433 f betont das fast nur passive Interesse des Papstes an der Nordostmission. G. Gnegel-Waitschies, Bischof Albert von Riga (1958). 34 Ebd. S. 94f. 116f und 163f. 35 Dieser Überblick folgt Hauck IV, 654—657. Zum Livland-Kreuzug unterrichtet gut über alles Wichtige A. Bauer, Der Livland-Kreuzzug, in Baltische Kirchengeschichte, hrsg. von R. Wittram (1956) S. 26—34. Zum Ganzen vgl. jetzt auch die breitangelegte Monographie von F. Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder (1965). 32
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Zu Bertholds Nachfolger wurde im Sommer 1199 der Bremer Domherr und Neffe des Erzbischofs Hartwig, Albert, geweiht. Albert wandte sich um Hilfe für seine Kirche an Innocenz III. Dieser rief am 5. Oktober 1199 die Christen in Sachsen und Westfalen, Slavien (Mecklenburg) und jenseits der Elbe, also die Christen Niederdeutschlands, auf, für die bedrängte junge Kirche Livlands die Waffen zu ergreifen 36 . Der Aufruf geht aus von der Pflicht des Papstes, den neugewonnenen Christen Schutz zu schaffen, damit die Angriffe der Heiden sie nicht den Übertritt zum christlichen Glauben bereuen oder gar rückgängig machen lassen. Die Mission darf nicht durch die Furcht der neuen Christen vor Drangsalierungen durch ihre früheren Glaubensgenossen behindert werden. Des weiteren folgt der Aufruf genau der Dreigliederung der Kreuzaufrufe für das Hl. Land. Eine narratio berichtet die Missionserfolge Meinhards und die Reaktion der Heiden, hinter der der Teufel zu erkennen ist. Es folgt die exhortatio, zur Verteidigung der Christen gegen die Heiden, die jede Erinnerung an den christlichen Namen auslöschen wollen, die Waffen zu ergreifen, falls nicht die Heiden mit den Christen der Kirche Livlands einen Waffenstillstand abschließen und einhalten. Umschloß schon die exhortatio eine allgemeine Verheißung der Sündenvergebung, so wird in den anschließenden statuta ausdrücklich die Erlaubnis gegeben, Wallfahrtsgelübde nach Rom im Dienste der Verteidigung der livländischen Kirche abzuleisten. Wer dort hinzieht, um Kirche und Christen zu verteidigen, steht unter päpstlichem Schutz. Dieser Aufruf ist ganz auf Verteidigung ausgerichtet. Die Mission soll durch Waffen gegen Angriffe verteidigt werden ; kein Wort davon, daß sie durch Waffengewalt vorangetrieben werden sollte37. Rein äußerlich-terminologisch ist der Zug durch diesen Aufruf nicht als Kreuzzug gekennzeichnet. Aber einerseits steht er in der Tradition der Missionskreuzzüge und andererseits spricht eine Reihe von inneren Merkmalen für den Charakter des Zuges als Kreuzzug : ohne irgendeine juristisch-kanonistische Hilfskonstruktion zu benutzen, wendet sich Innocenz an Christen, die anderen, von Heiden bedrohten Christen am nächsten benachbart sind, und ruft sie zur Hilfe für diese Christen und zur Verteidigung auf. Für diesen Dienst werden Ablaß und päpstlicher Schutz gewährt. Schließlich erinnert der Aufbau des Aufrufes stark an die Aufrufe zum Kreuzzug ins Hl. Land. So dürfen wir annehmen, daß Innocenz der Tradition entsprechend diesen Zug als Kreuzzug verstand, wie er es fünf Jahre später ausdrücklich tat 38 . 38
Reg 11,191, P. 842 vom 5. Oktober 1199, MPL 2 1 4 , 7 3 9 f ; vgl. dazu Benninghoven S. 37.
Gnegel-Waitschies S. 53 meint skeptisch, der Livland-Kreuzzug habe hier „wenigstens theoretisch" nicht die Zwangstaufe, sondern nur den Schutz der Mission zum Ziel gehabt. Uns interessiert hier ausschließlich Innocenz' Haltung, die der Aufruf klar zum Ausdruck bringt. Daß die Praxis oft anders aussah, steht auf einem anderen Blatt. 37
38 Heinrich von Lettland IV, 6 berichtet für 1200, Bischof Albert habe den Bruder Dietrich (Theoderich) zum Papst gesandt, „pro litteris expedicionis", die Innocenz auch bewilligt habe. Vermutlich — der Registerband dieses Jahres ist verloren — handelte es sich dabei nicht um einen Kreuzaufruf, son-
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Am 12. Oktober 1204 schrieb der Papst an den Episkopat und Klerus der Provinz Bremen, von der aus praktisch das Missionswerk in Livland getragen wurde 39 . Beginnend mit dem göttlichen Werke der Mission im allgemeinen und der livländischen Mission im besonderen, kommt Innocenz schließlich auf deren spezielle Schwierigkeiten zu sprechen. Obwohl Bischof Albert drei Orden, die Cistercienser und Regularkanoniker zur Predigt, sowie einen Laienorden mit der Templerregel — gemeint ist der 1202 vom Bischof gegründete Rigaer Schwertritterorden - zur Verteidigung gegen die Heiden herangezogen hat, widerstreben die Heiden immer noch dem Wort Gottes. Die Ernte ist zwar groß, aber zu wenige sind der Arbeiter. Darum hat Bischof Albert gebeten, der Papst möge aus den umliegenden Ländern solche Kleriker und andere wegen Armut oder Schwachheit Untaugliche, die das Kreuz genommen und den Jerusalemzug gelobt hatten, in jene Ernte senden, um den Heiden Jesus Christus zu predigen. Der Papst gibt dieser Bitte statt und erlaubt darüber hinaus, daß an allen interdizierten Orten, in die Alberts Werbe-Prediger kommen, während ihrer Anwesenheit Gottesdienste stattfinden, um der Freude über das Missionswerk Ausdruck zu verleihen 40 . Abschließend fordert Innocenz den Klerus auf, die Christen zur Hilfe und Beteiligung am Missionswerk zu mahnen, und verspricht auch für diese Werbearbeit Teilhabe an der Sündenvergebung. An diesem langen und wenig gegliederten Aufruf interessiert uns vor allem die Erlaubnis für Kleriker und zum Orientkreuzzug untaugliche Laien, Kreuzgelübde in der LivlandMission abzuleisten. Das bedeutete zwar keine völlige Gleichsetzung von Missionskreuzzug und Jerusalemkreuzzug, aber doch deutlich eine Parallelisierung, so daß wir auch bei Innocenz vom Missionskreuzzug sprechen können. Die erwähnte Bestimmung erlaubt noch eine weitere Feststellung ; nur Kleriker und zum Orientkreuzzug untaugliche Laien dürfen ihr Kreuzgelübde in Livland ableisten, d. h. der Missionskreuzzug soll dem Jerusalemzug keine wirklichen Kampfkräfte entziehen. Wir können also auch im Bereich des Missionskreuzzuges die Vorordnung des Orientkreuzzuges feststellen, die wir schon beim Maurenkreuzzug beobachteten. Weitere Papstbriefe, die vom Missionskreuzzug in Livland handeln, sind nicht erhalten. Dagegen betreffen eine Reihe von Briefen die Verteilung und kirchliche Ordnung der bisher heidnischen Gebiete, die Errichtung eines eigenen EstenBistums unter dem bewährten Missionar Dietrich (Theoderich) neben dem bestehenden Bistum Riga-Uexküll unter Bischof Albert und die Exemtion beider Bistümer aus dem Bremer Metropolitanverband. Diese Fragen können hier ebensowenig verhandelt werden wie einige Briefe, die zeigen, daß Innocenz durchaus dem um die Aufrufe des Papstes an die widerstrebenden Cistercienser, sich für die Ostmission einzusetzen. Vgl. Benninghoven S. 41 f, der freilich auf den Wortlaut bei Heinrich von Lettland nicht eingeht. 39 Reg VII, 139. P. 2299 vom 12. Oktober 1204, MPL 215,428 ff. 40 Das entspricht genau dem Privileg Eugens III. für die Templer-Kollektoren von 1145/46, J L 8829, Pflugk-Harttung, Acta Pontif. Roman, inedita 1 , 1 8 3 f Nr. 201.
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den missionarischen Zweck der livländischen Unternehmungen, Heiden für den christlichen Glauben zu gewinnen, im Auge behielt41. Auf dem Laterankonzil von 1215 hat Innocenz sich nach dem Bericht der Livländischen Chronik noch einmal positiv zum Missionskreuzzug geäußert 42 . Bischof Albert erinnerte in einer Konzilsrede daran, daß er 1207 Livland der Jungfrau Maria geweiht habe 43 . Wie Innocenz sich um das Land des Sohnes, das Hl. Land, kümmere, so solle er sich auch um Livland, das Land der Mutter, sorgen. Christus liebt seine Mutter, und so wenig er sein Land verlieren will, will er das Land seiner Mutter bedrängt sehen. Innocenz griff den Gedanken auf und versprach, dem Land der Mutter wie dem des Sohnes solle stets seine Sorge gelten. Er entließ beim Konzilsende Albert freundlich 44 mit der erneuerten Vollmacht, „zu predigen und zur Vergebung der Sünden Pilger (mit dem Kreuz) zu bezeichnen, die mit ihm nach Livland gehen sollten, um die junge Kirche vor den Angriffen der Feinde zu schützen" 45 . Das scheint zunächst der im Kreuzzugsaufruf von 1213 erfolgten Aufhebung aller Kreuzablässe außer dem für Jerusalem zu widersprechen. Doch waren seinerzeit als Ausnahmen für die Spanier im Maurenkrieg und für die Südfranzosen im Albigenserkrieg die Kreuzablässe bestehen geblieben. Im Gegensatz zu diesen beiden Kreuzzügen hatte der Missionskreuzzug in Livland nie über die unmittelbar benachbarten niederdeutschen Gebiete hinaus in größerem Maße Menschen angelockt und dem Dienst im Hl. Land entzogen 46 . So konnte Innocenz diesen ohnehin örtlich begrenzten Kreuzzug bestehen lassen. Bemerkenswert bleibt die, allerdings auf Albert, nicht auf Innocenz zurückgehende Parallelisierung des Missionskreuzzuges mit dem Kreuzzug ins Hl. Land durch die Weihe Li viands an Maria. A. Bauer sieht hierin einen der wirksamsten Schritte, um der Livlandmission einen ständigen Zustrom an Pilgern zu sichern47. Eben dieses Problem, die Abhängigkeit von der wechselnden Zahl der jeweils nur auf ein Jahr kommenden Kreuzfahrer, hatte Bischof Albert schon lange beschäftigt 478 . Dasselbe Problem hatte nach dem 1. Kreuzzug die jungen Kreuz4 1 P. 1026, Regest bei Theiner S. 48 Nr. 49, befiehlt den Cisterciensern die Missionspredigt, wenn Bischof Albert sie ruft. P . 1 3 2 3 vom 13. April 1201, Livi. Urkundenbuch 1,15 Nr. 13 und P.4822, Reg X V I , 121 vom 11.Oktober 1213 zeigen z.B. verständnisvolle Milderungen des Kirchenrechts für die Neophyten. H. Dörries, Fragen der Schwertmission, in Baltische Kirchengeschichte hrsg. von R. Wittram (1956) S. 17—25 hat speziell für den Livlandkreuzzug dieses Festhalten am missionarischen Grundmotiv dargestellt. 42 Heinrich von Lettland X I X , 7 , vgl. Benninghoven S. 138. 4 3 Zur Marien Verehrung in Livland vgl. Gnegel-Waitschies S . 6 4 f . 44 Gnegel-Waitschies S. 1 1 6 f stellt eine Annäherung der beiden in politischem Gegensatz stehenden Männer auf dem Konzil fest. 4 5 Heinrich von Lettland X I X , 7 , ed. Arbusow-Bauer S. 1 3 2 , 1 5 - 1 9 . 46 Zum Werbebereich Bischof Alberts und zum Einzugsgebiet der Livland-Kreuzzüge vgl. Gnegel-Waitschies S. 61 f, W . Kuhn, Ritterorden als Grenzhüter des Abendlandes gegen das östliche Heidentum, Ostdeutsche Wissenschaft 6 (1959) S. 1 3 f und ausführliche Untersuchungen bei Benninghoven S. 49 ff. « Vgl. Bauer, Livland-Kreuzzug S. 30 f. 47> Zur Fluktuation der Kreuzheere vgl. Benninghoven S. 63.
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fahrerstaaten bewegt. Livland befand sich als gerade christianisiertes, geistliches Territorium in heidnischer Umwelt in einer Lage, die der der Kreuzfahrerstaaten vor hundert Jahren weithin entsprach. Bischof Alberts Lösungsversuch war ebenfalls analog. Wie den Kreuzfahrerstaaten in den Ritterorden eine Art stehendes Heer erwuchs, so gründete Albert 48 für Livland 1202 einen besonderen Ritterorden, die militia Christi in Livonia. Der Orden übernahm die Templerregel, als Schwertritterorden von Riga wurde er bekannt. Anders als die Ritterorden des Hl. Landes wurde der Orden nicht dem Papst unterstellt, sondern unterstand als bischöfliche Gründung dem Bischof von Riga, von dem er auch lehnsabhängig war. Daß Albert nicht einen der großen, dem Papst unterstellten Orden herbeirief, sondern einen eigenen bischöflichen Ritterorden gründete, ist nur ein weiterer Beleg für seine ehrgeizige Politik. Der Orden rekrutierte sich, genau wie die Livland-Kreuzheere, fast ausschließlich aus Niederdeutschland 49 . Sieht man von den Johannitern ab, die schon im 12. Jahrhundert einigen Besitz in Ostdeutschland hatten, aber für den Grenzkrieg keine Rolle spielten50, so war Alberts Gründung das erste Beispiel für den zukunftsträchtigen Gedanken, Ritterorden im östlichen Missionsgebiet einzusetzen. Der Orden der Schwertritter blieb nicht der einzige in diesem Gebiet ; man muß sich nur einmal den Deutschen Orden aus der Geschichte Ostmitteleuropas im 13. und 14. Jahrhundert fortdenken, um zu ermessen, welche folgenreiche Entwicklung mit Alberts Gründung 1202 begann. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Schwertritterorden bald vom Deutschen Orden an Bedeutung überflügelt wurde und nach der vernichtenden Niederlage von Saule 1236 schon 1237 im Deutschen Orden aufging. Der Gedanke, in einem Ritterorden ein ständiges Heer als Gegenstück zu den wechselnden Kreuzheeren zu gewinnen, war nicht neu. Auch seine Übertragung auf ein anderes Kreuzzugsgebiet hatte in Spanien bereits Vorbilder. Dennoch bleibt der Einsatz von Ritterorden im Bereich der Mission die eigene Leistung Alberts 51 . Es war Alberts Leistung, nicht die Innocenz' III.513. Innocenz hat 48 Es ist eine alte Streitfrage, ob Albert oder sein Mitarbeiter Theoderich den Orden gründete. Nach Gnegel-Waitschies S.65f war Albert der Initiator der Gründung; da er aber 1202 eilig nach dem Westen reisen mußte, hat Theoderich sie im Einverständnis mit Albert organisiert und durchgeführt. So auch Kuhn aaO S. 12 Anm. 4. M. Hellmann, HJ 83 (1964) S. 392 hält gegen GnegelWaitschies an einem non liquet in dieser Frage fest. Benninghoven S. 39 ff sieht zwar auch Theoderich als Gründer an, ist aber (S.51) über Alberts Haltung zu diesem Schritt nicht sicher und vermutet (S. 44), daß Innocenz in einer Privataudienz Theoderich den Anstoß zu dieser Gründung gegeben habe. 49 Zum Ganzen vgl. jetzt das Buch von Benninghoven, bes. S. 39—61. Ebd. S. 49 kann Benninghoven das Kern-Stammgebiet der Ordensbrüder sogar auf den Raum Soest-Waldeck-Kassel-Loccum eingrenzen. 50 Vgl. Kuhn S. 52; seit 1224 hatte sogar der spanische Ritterorden von Calatrava Besitz an der Weichsel, vgl. Kuhn ebd. 51 Gnegel-Waitschies S. 67 wertet Alberts Gründung zu sehr als Selbstverständlichkeit, um diese Leistung voll erfassen zu können. 51* Benninghoven S. 44 erklärt selbst seine These, Innocenz habe die Ordensgründung angeregt, fur eine unbeweisbare Vermutung.
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aber schon 1210, also relativ bald nach der Gründung, die kirchenrechtliche Stellung des Ordens geregelt und ihn in Zukunft mannigfach unterstützt. Diese Hilfe geschah praktisch gegen Albert, denn Alberts als Hilfe gedachte Gründung hatte sich alsbald zu seinem scharfen Konkurrenten in Livland entwickelt. Innocenz' Haltung in diesem Rivalitätskampf zwischen Bischof und Ritterorden gehört in den Bereich der livländischen Kirchenpolitik, die hier nicht darzustellen ist. Fast ein Viertel der Albert-Biographie von Gnegel-Waitschies ist diesem Kampf gewidmet 52 . Allein diese Tatsache mag noch einmal beleuchten, wie untrennbar Innocenz' Haltung zum Livlandkreuzzug mit der Kirchenpolitik Livlands verknüpft war. Der Missionskreuzzug war notwendig nur eines, und nicht einmal das wichtigste der Probleme Livlands für den Papst. Dennoch können wir diesen Exkurs über den Schwertritterorden mit zwei positiven Feststellungen für unser Thema abschließen. Der Einsatz eines Ritter-, ordens in der livländischen Mission war einer der letzten Schritte auf dem Wege zur völligen Angleichung von Missionskreuzzug und Orientkreuzzug. In diesem Endstadium der Parallelisierung erscheint mit dem Ritterorden, zunächst als Ergänzung der Kreuzheere gedacht, jene Institution auf dem Missionsfeld, die bald die Bedeutung des Kreuzzuges für die Mission, kaum daß sie begonnen hatte, überflügeln und in ein Schattendasein verdrängen sollte. Diese Entwicklung war zur Zeit Innocenz' III. wohl kaum vorauszuahnen. Doch durch seine Unterstützung des Schwertritterordens hat Innocenz sie praktisch gefördert. Auch außerhalb Livlands begegnet bei Innocenz noch ein anderer Missionskreuzzug. König Waldemar von Dänemark, der bereits 1206/1207 seinem Krieg gegen das heidnische Osel den Charakter eines Kreuzzugs gegeben hatte, plante für 1210 einen Krieg gegen die Heiden an der unteren Weichsel und im Samland, um so die seinem Reiche gegenüberliegende Küste zu sichern53. Es gelang ihm, diesen Krieg so darzustellen, daß er sich in Innocenz' Briefen als ein Missionskreuzzug spiegelt: Waldemar habe zum „Kampf des Herrn" gegen die benachbarten Heiden gerüstet, weil sie die neugewonnenen Christen vom Glauben abschreckten und die Missionare vertrieben. Im Eifer um das göttliche Gebot wolle er sie daher, wie es im Evangelium heißt, zum Hochzeitsmahl des höchsten Königs zwingen. Dieses Vorhaben, „propositum", der Zwangsmission lobte Innocenz. Er ermahnte den König bei Zusage der Sündenvergebung, den Irrtum der Heiden auszurotten und die Gebiete des christlichen Glaubens auszudehnen. In diesem Streit solle Waldemar als ein tapferer „Ritter Christi" ausharren, um die Krone des ewigen Heils zu erlangen 54 . Schon in den Ausdrücken „propositum" und „miles Christi" klingt hier die Kreuzzugsterminologie an. Gleichzeitig rief Innocenz die dänischen Christen auf, diesen Entschluß ihres Königs nicht zu gefährden, sondern ihm, bei Vergebung der Sünden, in diesen 52
Gnegel-Waitschies S. 82—121 ; vgl. Benninghoven passim
53
Vgl. Benninghoven S. 75 f. 152 ff. 264.
54
Reg XII, 103, P.3809 vom 31. Oktober 1209, M P L 2 1 6 , 1 1 6 f .
Der Missionskreuzzug
205
Kampf zu folgen. Endlich nahm Innocenz König Waldemar gegen alle deutschen Angriffe in Schutz und verpflichtete Otto IV., seine Untertanen an Aktionen gegen den Dänen zu hindern, weil dieser im Dienste Christi stehe55. Deutlich denkt Innocenz auch hier an einen Missionskreuzzug. Apostolischer Schutz und Sündenvergebung werden dem König gewährt ; sein „propositum" wird mit den gängigen Ausdrücken für den Kreuzzug bezeichnet als „tarn sancta peregrinado" oder „servitium Jesu Christi" ; am Ziel winkt dem „miles Christi" die ewige Krone. Die dänischen Christen werden direkt vom Papst zu diesem Kampf aufgerufen, ohne daß er einen theoretischen Grund oder eine kanonistische Rechtfertigung dieses Appells nennt, wie er es in einem anderen, normalen Kriegsaufruf immer getan hat. Hier wandte sich der Papst direkt an die Christen, weil diese unmittelbar von der Aufgabe gefordert waren, den Heiden mit Waffengewalt zu begegnen. Das doppelte Ziel dieses Kampfes gegen die Heiden wird im Schlußsatz des Briefes an König Waldemar deutlich : Ursprung und erstes Ziel des Missionskreuzzuges ist die Verteidigung der Christen, der Kirche, der Mission gegen die Angriffe der Heiden ; doch Korrelat dieser „defensio" ist sofort die „dilatatio", die Ausweitung der Christenheit, die Ausbreitung des christlichen Glaubens. Zwischen beiden Zielen besteht kein Gegensatz. Die Vernichtung des Heidenglaubens, die Bekehrung der Heiden zum Christentum ist die beste, in die Zukunft weisende, Sicherheit gebende Verteidigung der Christenheit gegen die Heiden61. Fassen wir das Ergebnis zusammen, so ergibt sich ein blasses Bild, dessen Konturen aber doch erkennbar sind : Innocenz III. fand den Missionskreuzzug bereits als bestehende Einrichtung vor. Seine Aufgabe war daher nicht mehr, ihn auszurufen, sondern ihm neue Kräfte zuzuführen. Er tat das 1199 in einem Aufruf, dessen Aufbau genau den Aufrufen zum Orientkreuzzug entsprach. Eine aktive Organisation der Werbung durch den Papst fand nicht statt. Die Werbung war Sache des Missionsbischofs, Albert von Riga. Darüber hinaus wurde 1204 der Bremer Klerus mit der Werbung beauftragt. Die erneuerte Werbungsvollmacht von 1215 erlaubt keinen Schluß, wer die Werbung durchführen sollte. Die Werbung richtet sich stets, soweit wir sehen, nur an die Christen in den den Missionsgebieten zunächst gelegenen Ländern, nie an größere Teile oder die Gesamtheit des christlichen Volkes. Für die Teilnahme am Missionskreuzzug wird Sündenvergebung verheißen, dabei fallt nie der Spezialausdruck der Kreuzzugsaufrufe ,indulgentia', wie auch die Höhe des Ablasses nie präzise angegeben wird. Der Kreuzablaß erhielt, wie oben erwähnt, seine definitive Formulierung eben erst auf dem Konzil von 121562. Immerhin läßt die Umwandlung von Jerusalemgelübden in LivlandReg XII, 104, P.3810Ívom 31. Oktober 1209, MPL 216,117f. Zum Vorherrschen der „defensio" gegenüber der „dilatatio" und zur Vereinbarkeit beider Motive vgl. die guten Ausführungen bei A. Bauer, Livlandkreuzzug S. 29 f und jetzt auch Benninghoven S. 68-70. 73. 62 Vgl. S. 164f. 56 61
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
Gelübde den Schluß zu, daß auch für den Livland-Kreuzzug, jedenfalls 1204, der volle Kreuzablaß winkte. Entsprechend wird für den Aufruf von 1199 der Ablaß einer Rom-Wallfahrt gelten. Ein Ablaß für finanzielle und materielle Unterstützung des Missionskreuzzuges wird nicht ausgeschrieben. Ebenso wird die Stellung von Truppenkontingenten, wie sie von den anderen Kreuzzügen bekannt ist, nicht erwähnt. Angaben über die finanzielle und materielle Grundlage der Missionskreuzzüge finden sich in Innocenz' Briefen nicht. Den Kreuzfahrern wurde der apostolische Schutz versprochen, und wie der Fall König Waldemars lehrt, trat Innocenz auch dafür ein 63 . In einem Einzelfall hören wir von einem Turnierverbot im Zusammenhang mit dem Missionskreuzzug 64 . Die Führung des Kreuzheeres wird in keinem Fall besonders erörtert. König Waldemars Heidenkreuzzug war eindeutig ein königliches Unternehmen. Ebenso eindeutig entsprangen die Livland-Kreuzzüge der Initiative des Bischofs von Riga. Ohne Alberts rastlosen Einsatz wären die jährlichen Kreuzfahrerflotten aus dem Reich nie gekommen. Da zudem ein weltlicher Landesfürst für Livland nicht existierte, verstand es sich von selbst, daß Bischof Albert oder seine Beauftragten das Kreuzheer führten. Der erste päpstliche Legat in diesen Gebieten, Wilhelm von Modena, erschien erst 1225. In der Terminologie finden sich zahlreiche Parallelen zum Orientkreuzzug. Die Bezeichnungen ,propositum', ,servitium Christi' und ,tam sancta peregrinatio' werden für beide Kreuzzugsarten benutzt. Dabei fällt auf, daß sie, anders als beim Albigenserkreuzzug, nicht näher bezeichnet werden, etwa durch den Zusatz ,contra paganos'. Nur der gängige Kreuzzugsterminus ,praelium Domini' wird als ,adversus hujusmodi barbaras nationes' näher charakterisiert 65 . Das Fehlen des Begriffes ,crucesignati' und ähnlicher Benennungen wird bei der schmalen Quellengrundlage Zufall sein. Bei der Umwandlung der Jerusalemgelübde von 1204 heißt es : (Albertus) postulavit, ut sacerdotes... qui affixo suis humeris signo crucis voverunt Hierusalem proficisci in messem ipsius ad annuntiandum gentibus Jesum Christum mittere dignaremur 66 . Im Chronikbericht von 1215 wird die ,auctoritas... peregrinos in remissionem peccatorum signandi' genannt 67 . Beide Belege sprechen dafür, daß die Teilnehmer am Missionskreuzzug wie selbstverständlich das Kreuz an ihre Kleider hefteten, wenn sie sich zum Zuge entschlossen. Ganz eindeutig wird diese Parallelisierung von Jerusalemkreuzzug und Missionskreuzzug in dem beiden zugrunde liegenden Motiv der ,defensio christiœ
Vgl. auch die bei Heinrich von Lettland 111,2 berichtete Diskussion.
64
P. 1042, Theiner S. 49 Nr. 81.
66
MPL 216.117A.
M
MPL 215.429C.
67
Heinrich von Lettland XIX, 7, ed. Arbusow-Bauer S. 132,16 f.
Der Missionskreuzzug
207
anitatis' gegen die Angriffe der Heiden, der Barbaren, wie sie hier wie dort heißen können 68 . Doch die Ausweitung der defensio im Missionskreuzzug zur dilatatio christianitatis zeigt den Unterschied beider Kreuzzüge an. Die Parallelisierung beider Kreuzzüge wurde für den mittelalterlichen Menschen sicher am deutlichsten in der Weihe Livlands an Maria, so daß der eine Kreuzzug das Land Christi, des Sohnes Gottes, der andere das Land der Mutter Gottes zum Ziel hatte. Nach dem Chronikbericht hätte Innocenz diesen Gedanken in seiner Antwort auf Bischof Alberts Konzilsrede ausdrücklich und positiv aufgenommen. Wir stellen abschließend fest : Innocenz III. hat das militärische Unternehmen zum Schutz der Mission als Kreuzzug verstanden. Die durch das gescheiterte Abenteuer des Wendenkreuzzuges jäh unterbrochene Entwicklungslinie vom Heidenkrieg zum Missionskreuzzug hat zur Zeit Innocenz' III. ihren Abschluß gefunden. Der Missionskreuzzug war dem Orientkreuzzug angeglichen. Als Innocenz während des Laterankonzils von 1215 dem Bischof Albert die Vollmacht erneuerte und bestätigte, zum Kreuzzug für die livländische Mission zu werben, setzte er das Siegel unter diese Entwicklung. Das wird deutlich, wenn man die Selbstverständlichkeit und volle Breite, mit der der Missionskreuzzug von Anfang an in den Briefen Honorius' III. erscheint, vergleicht mit der Gewährung des Rompilger-Ablasses, nicht etwa des vollen Kreuzablasses, für den Livland-Kreuzzug 1199. Beim Missionskreuzzug zeigt sich erneut, daß Innocenz' Bedeutung nicht darin lag, auf allen Gebieten neue Bahnen beschritten zu haben. Die Bahnen zum Missionskreuzzug waren längst vorgezeichnet, als Innocenz Papst wurde. Er ist auf diesen Bahnen fest und energisch vorangeschritten. So war, als er starb, der Missionskreuzzug eine Selbstverständlichkeit geworden. Dabei steht der bedeutende Anteil des tatkräftigen Bischofs Albert an dieser Entwicklung außer Frage. Aber gerade an Innocenz' Verhältnis zu diesem ehrgeizigen Kirchenfürsten wird ein weiteres sichtbar69. Innocenz hat auch die anderen Kräfte in Livland gefördert. Er hat nicht alle Pläne des großen Missionsbischofs, ζ. B. die Erhebung Rigas zum Erzbistum, bewilligt. Innocenz hat auch den Schwertritterorden gegen Albert unterstützt. Er hat 1204 die von Albert erbetene Erlaubnis zur Umwandlung von Jerusalemgelübden nicht uneingeschränkt gegeben, sondern nur in dem Maß, daß dem Jerusalem-Zug kein wirklicher Nachteil aus dem Missionskreuzzug entstand. In all dem erweist sich, wenn auch undeutlicher und blasser als etwa beim Maurenkreuzzug, daß Innocenz zwar die Verpflichtung des Papstes zur Förderung des Kreuzzuges kannte und ernst nahm, aber doch jederzeit im Auge behielt, daß der Papst über dem Kreuzzug steht und die gesamte Christenheit, nicht nur der Kreuzzug, ihm anbefohlen ist. 68
MPL 214.739C und MPL 216.117A.
69
Vgl. hierzu die mannigfachen Einzelheiten bei Gnegel-Waitschies und Benninghoven.
208
Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
c) Ostmission und Kreuvgüge unter Innocen¡¿
Nachfolgern
Richten wir nun den Blick auf den Missionskreuzzug bei Innocenz' Nachfolgern. Wie gesagt begegnet er in den Briefen Honorius' III. von Anfang an als Selbstverständlichkeit und in voller Breite. Zum livländischen Missionskreuzzug kam alsbald auf Bitten Bischof Christians von Preußen ein Kreuzzug zum Schutze der Mission unter den Preußen, die 1215 die Abwesenheit Christians beim Konzil zu einem großen Aufstand benutzt hatten70. Die Lage der preußischen Mission war wesentlich stärker gefährdet als die der liv- und estländischen ; so spielt der preußische Missionskreuzzug in Honorius' Briefen eine größere Rolle. Die folgenden Belege stammen jedoch gemischt von beiden Kriegsschauplätzen, weil es uns nur um Typisches, nicht um historische Einzelheiten geht. Uneingeschränkt und selbstverständlich nannte Honorius die Teilnehmer des Unternehmens ,crucesignati' 71 . Sie erhielten den Plenarablaß, wie ihn das Konzil von 1215 den Kreuzfahrern allgemein (generaliter) bewilligt hatte72. Der Verweis auf die Ablaßbewilligung des Konzils bedeutete dann aber, daß nicht nur die persönliche Teilnahme, sondern auch die Entsendung von Kämpfern auf eigene Kosten mit dem vollen Ablaß, jede materielle Unterstützung mit Teilablaß belohnt wurde ,secundum quod transituris Jerosolymam indulgetur' 73 . Hier sehen wir zuerst päpstliche Bemühungen um die Finanzierung des Missionskreuzzuges. Mehrfach hat Honorius Kollekten zu diesem Zwecke ausgeschrieben. Diese Kollektenaufrufe ergingen in alle umliegenden Gebiete, die Provinzen Mainz, Köln, Salzburg, Magdeburg, Gnesen, Lund, nach Dänemark und nach Rußland. Immer wieder wurde dabei das apostolische Vorbild der paulinischen Kollekte für die armen Glaubensbrüder in Jerusalem herangezogen74. Für die Kollekten zum Jerusalem-Zug war dieses Beispiel ohne weiteres einleuchtend. Wenn es jetzt ohne jede hilfreiche Interpretation auch für die Kollekten zum Missionskreuzzug benutzt wurde, macht das deutlich, wie vollständig dieser in einer Linie mit dem Orientkreuzzug erschien. Der Kreuzfahrerschutz galt, wie der Ablaß, allgemein (generaliter) für alle Kreuzfahrer, ob sie nun ins Hl. Land, nach Livland oder nach Preußen fuhren. 70 Den äußeren Verlauf der Missionskreuzzüge unter Honorius III. schildert übersichtlich J. Clausen, Honorius III. (1895) S. 2 4 6 - 2 5 8 (Preußen) und S. 2 5 8 - 2 6 8 (Liv- und Estland). Der entsprechende Abschnitt bei A . Keutner, Papsttum und Krieg bei Honorius III. (Diss. phil. Münster 1935) S. 35—40 ist wenig brauchbar. Zum Ganzen der Preußen-Mission vgl. den Überblick bei Benninghoven S . 2 6 0 ff. 71 Pressutti 339, Horoy II,272ff, Nr. 220 vom 14. Februar 1217. 72 Ebd., dagegen wird im Januar 1222 der volle Kreuzablaß nur für drei Jahre Kreuzzugsdienst in Livland gewährt. Pressutti 3742, Rodenberg I, 133,16—21, Nr. 189. Ganz starr war die Ablaßformel also auch nach 1215 noch nicht. 73 Pressutti 1281, Horoy 11,729 Nr. 221 vom 5. Mai 1218. 74 Vgl. Pressutti 1291, Horoy II,729f, Nr. 222; Pressutti 2227, Horoy 111,326 Nr. 31 und Pressutti 5167, Horoy I V , 7 1 5 Nr. 26.
Der Missionskreuzzug
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Mit der Wahrnehmung des Schut2es wurden die örtlichen Bischöfe beauftragt 75 . Honorius hat sich aber auch direkt bei denen, die diesen Schutz verletzten, beschwert und sich energisch für die Kreuzfahrer verwandt, z . B . beim Bremer Erzbischof oder beim dänischen König 7 6 . Die Leitung des preußischen Missionskreuzzuges lag bei Bischof Christian77. Honorius wandte sich in Aufrufen zum Missionskreuzzug direkt an die Gläubigen oder beauftragte den Klerus mit der Werbung 78 . Diese richtete sich nur an die Christen der umliegenden Länder, Deutschland, Rußland, Polen und Skandinavien. Das verdient deshalb Erwähnung, weil Honorius mehrfach den ,populus christianus' ohne jede Einschränkung als von den heidnischen Angriffen betroffen bezeichnete79. Dennoch wurde nicht der ganze ,populus christianus' gegen die Heiden aufgeboten, sondern nur die Christen der umliegenden Gebiete. Hier zeigt sich, daß Honorius, ganz wie Innocenz, den Missionskreuzzug im Gegensatz zum Jerusalem-Kreuzzug als einen sehr lokalen Kreuzzug ansah. Sobald die Kräfte der direkt angegriffenen Christen nicht mehr ausreichten, wurden die zunächst benachbarten Christen zur Hilfe aufgeboten, denn ein Sieg der Heiden in den gerade christianisierten Gebieten wäre ,dolor et p u d o r . . . populo christiano, et maxime circumposite regioni' 80 . Auch bei der Umwandlung von Jerusalem-Gelübden galt dieser Grundsatz. Während gewöhnlich nur diejenigen, die zum Orientkreuzzug zu arm oder zu schwach waren, ihr Jerusalem-Kreuzzugsgelübde beim Missionskreuzzug ableisten durften, wurde diese Erlaubnis allen polnischen Kreuzfahrern erteilt, ,qui sunt magis vicini paganis' 81 . In all diesen äußeren, organisatorischen Dingen wie Kreuzablaß, Kreuzfahrerschutz, Werbung und Heeresleitung, wie auch im Verständnis des Missionskreuzzuges als eines Unternehmens mit geographisch begrenztem Einzugsgebiet ist kein wesentlicher Unterschied zwischen Honorius und Innocenz festzustellen. Auch das einzige Neue, die päpstlichen Bemühungen zur Finanzierung des Missionskreuzzuges, liegen ganz auf der gleichen Linie einer konsequenten Angleichung an den Orientkreuzzug. Honorius erscheint hier, wie so oft, als der konsequente und treue Verweser des Erbes Innocenz' III. Wichtiger ist, ob Honorius auch im inneren Verständnis des Missionskreuzzuges Innocenz folgte. Wir können diese Frage bejahen und das an zwei Punkten Pressutti 6069, Horoy V , 1 4 4 f Nr. 17 vom 28. November 1226. Pressutti 1274, Horoy II,724f Nr.217 vom 30. April 1218 und Pressutti 2227, Horoy 111,326 Nr. 31 vom 16. November 1219. 77 Pressutti 1290, Horoy 11,731 Nr. 223 und Pressutti 1338, Horoy II, 757 f Nr. 249, beide Briefe vom Mai 1218. 78 Der Aufruf vom Mai 1218, Pressutti 1281, Horoy II, 728 f, Nr.221, wendet sich z.B. direkt an die Christen in Polen und Pommern ; am Schluß folgt ein spezieller Werbeauftrag an den Klerus dieser Länder. 79 Z. B. Pressutti 276, Rodenberg I Nr. 13 S. 11, 6. 1 0 . 1 4 vom 25. Januar 1217. 80 Pressutti 3742, Rodenberg 1,133,14 Nr. 189 vom 18. Januar 1222. 81 Pressutti 339, Horoy 11,274 Nr. 220 vom 14. Februar 1217. 75
76
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
verdeutlichen, dem Ziel des Missionskreuzzuges und seinem Verhältnis zum Jerusalem-Kreuzzug. Das Ziel des Missionskreuzzuges ist auch bei Honorius vornehmlich die Verteidigung und die schützende Hilfe für die von den Heiden angegriffene Missionsarbeit. Das Verteidigungsmotiv erscheint oft als einziges Ziel des Missionskreuzzuges in den Papstbriefen. Honorius ruft die Christen auf, ,quatenus in eorundem (seil, der preußischen Christen) accédant auxilium contra barbaras nationes pro plantatione novella fidei christianae, tam spiritualibus armis, quam materialibus pugnaturi' 82 ; sie sollen ausziehen, ,ad defendendum venerabilem fratrem nostrum Prussiae episcopum, noviter baptizatos et conversos ab ineursibus paganorum' 83 . Doch der ,defensio' korrespondiert auch bei Honorius die .dilatatio'. Von den Erfolgen der Livland-Mission heißt es, ,expedit, ut a paganis... nullatenus opprimi permittantur, set potenter defendantur ab eis' und wenige Zeilen später fahrt Honorius fort, ,ita quod in partibus Ulis augeatur numero et merito populus christianus' 84 . An anderer Stelle hat Honorius dieses doppelte Ziel des Missionskreuzzuges knapp zusammengefaßt, ,pro fide catholica defendenda in partibus illis, aut dilatanda' 85 . Honorius hat so das rein religiöse Ziel des Missionskreuzzuges klar herausgestellt. Er erkannte die Gefahr seines Mißbrauchs als Eroberungszug und warnte die Kreuzfahrer : ,quatenus non quae vestra sunt, sed quae Christi quaerentes ad convertendum ad Dominium, non ad subjugandum vestrae servituti paganos intendere studeatis, ne, quod absit, illi, timentes subjici servituti, in sui erroris pertinacia fortius obstinentur et vos frustra laboretis in eis' 86 . Honorius hat auch die Mission nach Kräften gefördert, worauf hier nicht einzugehen ist. Das letzte Zitat zeigt aber, wie sehr er den Missionskreuzzug wirklich als Mittel zum Zweck, als Hilfsmittel der Mission begrifP 7 . 83 Pressutti 1338, Horoy 11,757 Nr. 249. Pressutti 1281, Horoy 11,729 Nr. 221. Pressutti 3742, Rodenberg 1,133,10-12.27 Nr. 189. 85 Pressutti 6068, Horoy V, 144 Nr. 16. m Pressutti 1338, Horoy 11,757 Nr. 249. 87 Um so mehr überrascht es, bei Honorius plötzlich das tempus-acceptabile-Motiv, das zuerst Bernhard von Clairvaux fur den Orient-Kreuzzug betont verwandt hatte, auf den Missionskreuzzug angewandt zu sehen. Dafür gibt es meines Wissens kein älteres Beispiel in dieser Eindeutigkeit: Gott will die Treue seiner Gläubigen prüfen und hat daher nicht ohne Grund in den verschiedenen Gegenden der Welt seine sichtbaren Feinde aufbewahrt (reservat), obgleich er sie leicht hätte vernichten können : vult tarnen eos a suis propugnatoribus superari, ut qui offenderunt in multis, multiplicem habeant satisfaciendi materiam et salventur. Pressutti 1290, Horoy 11,730 Nr. 223. Das Motiv noch einmal, aber weniger plastisch im gleichen Brief S. 731 und Pressutti 1281, Horoy 11,729 Nr. 221. Derartige Gedanken fehlen in Innocenz' III. Äußerungen zum Missionskreuzzug völlig. Das Motiv steht auch bei Honorius un verbunden neben der von Innocenz übernommenen, deutlich praktischen Abzweckung des Missionskreuzzuges. Die einfachste Erklärung scheint mir zu sein, daß Honorius dieses fromme und eindringliche Motiv aus der Tradition des Orient-Kreuzzuges übernahm, ohne es wirklich in die Konzeption des Missionskreuzzuges einzuarbeiten. Es wäre das kein singulärer Fall bei Honorius, denn wir sahen oben, daß er auch den Hinweis auf das Vorbild der paulinischen Jerusalem-Kollekte vom Orient-Kreuzzug übernommen und ohne organische Einfügung beim Missionskreuzzug benutzt hatte (vgl. S. 208f). 82
84
Der Missionskreuzzug
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Auch die Vorordnung des Jerusalem-Kreuzzuges vor den Missionskreuzzug erweist Honorius als getreuen Erben Innocenz' III. Wenn er das Verhältnis beider Kreuzzüge als das von ,bonum maius' und ,bonum minus' bestimmt88, so erinnert das unmittelbar an Innocenz' Bemerkung, es stehe fest, daß der Orientkreuzzug verdienstlicher sei. Konsequent hat Honorius die Ableistung von Jerusalem-Gelübden im Missionskreuzzug nur denen erlaubt, denen Armut oder körperliche Gebrechen den Orientkreuzzug unmöglich machten89. Er hat beim Aufruf zum Missionskreuzzug die erneute Kreuznahme ausdrücklich verboten, wenn noch ein Gelübde zum Kreuzzug ins Hl. Land der Erfüllung harrte 90 . Er hat umgekehrt gefordert, wer schon nicht zur Befreiung Jerusalems ausrücken könne, der solle wenigstens (saltem) am Missionskreuzzug teilnehmen 91 . Am deutlichsten wird diese Vorordnung des Jerusalem-Kreuzzuges bei der zeitweiligen Aufhebung des Missionskreuzzuges. Im Mai 1220 schrieb Honorius an Bischof Christian von Preußen, da es nunmehr mit allen Kräften (totaliter) dem Hl. Land zu helfen gelte, sei es falsch, die Kräfte der Kreuzfahrer zu zersplittern, die vereint einen baldigen, glorreichen Sieg im Hl. Land versprächen. Anschließend — aber eben erst anschließend — werde dann die ganze Kirche mit aller Kraft für die preußische Mission ins Feld ziehen92. Der Ablaß für den Missionskreuzzug wurde in aller Form vorübergehend (ad tempus) aufgehoben 93 . Doch schon im April 1221 mußte Honorius diese Maßnahmen zurücknehmen, weil ihre Durchführung die gesamten bisherigen Erfolge der Preußenmission gefährdete 94 . Denn das hat auch Honorius — ganz wie Innocenz gegenüber Albert von Riga auf dem Konzil von 1215 — feierlich bekannt: 'sicut oportet nos succurrere Terrae Sanctae, oportet quoque, ut pusillum gregem gentis Livonie... nullatenus omittamus' 95 . Was für Livland galt, wird man entsprechend für Preußen sagen dürfen. Aber Honorius hat gerade im Blick auf diese Verpflichtung des Papstes gegenüber den jungen Missionskirchen doch betont, „daß die Sache des Heiligen Landes unter unseren sonstigen Sorgen den ersten Platz einnimmt" 96 . So hat Honorius dem Bilde vom Missionskreuzzug gegenüber Innocenz III. keine grundsätzlich neuen Züge hinzugefügt. Er hat konsequent den Missionskreuzzug nach dem Bilde des Orientkreuzzuges verstanden, aber er hat, wie Innocenz, keinen Zweifel daran gelassen, daß die Verpflichtung des Papstes gegenüber dem Missionskreuzzug ihre Grenze findet in seiner Verpflichtung gegenüber dem Hl. Land. 89 Pressutti 339, Horoy II, 273 f Nr. 220. Pressutti 276, Rodenberg 1,11,16 ff Nr. 13 91 Pressutti 1281, Horoy 11,729 Nr.221. Pressutti 3742, Rodenberg 1,133,18f Nr. 189. 92 Pressutti 2425, Horoy III, 426 f Nr. 116. 93 Pressutti 2797 bietet aus dem Manuskript mehr als das entsprechende Brieffragment bei Horoy III, 573 f, wo gerade dieser Absatz fehlt. 94 Pressutti 3258, Horoy III, 769 f Nr. 327. 96 Pressutti 267, Rodenberg I , l l , 2 7 f Nr. 13. 96 Pressutti 339, Horoy 11,273 Nr. 200. 88
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Geht man die Register Gregors IX. und Innocenz' IV. durch, dann ergeben sich für das Bild des Missionsfeldzuges keine wichtigen Neuerungen, so sehr sie natürlich reiches Material für historische Einzelheiten bieten 97 . Der Missionskreuzzug hatte eben seine Form gefunden. Auffällig ist aber, wie der Raum, den die Missionskreuzzüge in den Papstregistern einnehmen, stark abnimmt, obgleich die Gesamtüberlieferung der Papstbriefe zunehmend breiter wird. Der Grund hierfür ist einfach zu erkennen ; mit dem Deutschen Orden war die Macht in die ostmitteleuropäische Mission eingetreten, die alsbald dieses Feld beherrschend bestimmen sollte. Ein Kreuzaufruf Gregors IX. von 1230 zeigt, was dieser Eintritt des Deutschen Ordens in die ostmitteleuropäische Geschichte für den Missionskreuzzug bedeutete. Der Aufruf berichtet von der Missionsarbeit und ihrer Gefahrdung durch die Preußen. Er berichtet, wie Konrad von Masowien den Deutschen Orden ins Land rief und dieser mit Gottes Hilfe die ersten Erfolge errang. Aber seine Kräfte allein (fratres... per se nequeunt) reichen für die schwierige Aufgabe nicht aus, so daß Gregor die Christen zum Kreuzzug aufruft, um dem Deutschen Orden gegen die Preußen zu helfen 98 . Noch einmal sehen wir hier das Prinzip des Kreuzzuges: wenn die ortsansässigen Christen den andrängenden Feinden nicht mehr gewachsen sind, sollen ihnen die benachbarten Christen zu Hilfe eilen. Doch jetzt waren die ortsansässigen Christen in Preußen und Livland nicht mehr nur ein paar Missionare mit schwachen Hilfskräften und eine kleine, junge Kirche, sondern der starke, militärisch schlagkräftige Deutsche Orden war durch die Gründung des Ordensstaates ortsansässig geworden. Wenn er im Anfang auch noch der Stärkung durch Kreuzheere aus dem Westen bedurfte, so wuchs seine Kraft doch so rasch, daß die Kreuzheere für den ostmitteleuropäischen Raum alsbald an Bedeutung verloren. Der Gedanke des Missionskreuzzuges war nach einer langen und durch jähe Unterbrechung verzögerten Entwicklung schließlich unter Innocenz III. zur vollen Ausgestaltung gekommen. Auf eine kurze Blütezeit unter Honorius III. folgte schnell eine Zeit nicht des Verfalls, sondern des Abklingens. Neue Kräfte hatten die Aufgabe übernommen, die einst den Missionskreuzheeren zugefallen war. Die tiefgreifenden Folgen dieses Wandels für Mission und Kolonisation sind hier nicht darzustellen99. Als Gregor X., den wir sonst als getreuen und späten Erneuerer der Kreuzzugspolitik Innocenz' III. kennenlernten, um Vorschläge zur Neubelebung der 97 Das zeigt sehr deutlich ein Vergleich eines Schreibens Honorius' III. von 1222 (Pressutti 3742, Rodenberg 1 , 1 3 3 Nr. 189) mit einem Brief Gregors IX. an Wilhelm von Modena von 1236 (Auvray 2959, Rodenberg I , 5 6 6 f N r . 671). Gregors Brief steht zu jenem Schreiben nicht nur im Verhältnis literarischer Abhängigkeit, er ist praktisch eine bloße Umarbeitung und Ergänzung desselben, um es der neuen Situation anzupassen. 98
Auvray 492, Rodenberg 1,337 Nr. 417.
Die wichtigste Literatur ist angegeben bei B. Moeller, Spätmittelalter (1966, Die Kirche in ihrer Geschichte, hrsg. von K . D. Schmidt und E. Wolf, Lieferung H 1) S. 11—13. 99
Der Missionskreuzzug
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Kreuzzugsbewegung bat, regte Bischof Bruno von Olmütz einen neuen Kreuzzug im deutschen Osten an. Gregor X. scheint auf diesen Vorschlag nicht einmal eingegangen zu sein. Von einer Durchführung gar finden wir keine Spur 100 . Während Gregor von seinem Programm eines Jerusalemkreuzzuges in der Praxis durchaus Abstriche zugunsten der spanischen „Kreuzzüge" machen mußte, ist von solchen zugunsten eines Missionskreuzzuges keinerlei Andeutung zu sehen. In einem kurzen Anhang soll noch ein Blick auf den Kreuzzug gegen die Tartaren geworfen werden, obgleich dieser zuerst ein Vierteljahrhundert nach Innocenz' III. Tod begegnet. Im März und April 1241 fielen die Mongolenhorden, von den Zeitgenossen Tartaren genannt, in Ungarn, Polen, Schlesien usw. ein. Ihr furchtbarer, stürmischer Siegeslauf löste großes Entsetzen aus. Man sah, daß die Gefahr nicht ein einzelnes Land, sondern die westliche Christenheit als Ganzes an ihrer Ostfront bedrohte. König Bela von Ungarn bot Friedrich II. die Lehnshoheit über sein Königreich an, wenn er helfe. Doch der Kaiser stand dem Mongoleneinbruch ohnmächtig gegenüber. Auch an das andere Haupt der Christenheit, den Papst, wandte man sich um Hilfe. Gregor IX. reagierte, indem er im Juni zum Kreuzzug gegen die Tartaren aufrief und das Kreuz predigen ließ. Wer das Kreuz nahm und gegen die Mongolen den Ungarn zu Hilfe zog, erhielt den vollen Kreuzablaß 101 . Auch Deutschland, Österreich und Böhmen sah der Papst bedroht, ja das Ziel der Tartaren schien „die Vernichtung des ganzen christlichen Volkes" zu sein, so daß Gregor auch die Ableistung aller JerusalemKreuzgelübde im Kampf gegen die Tartaren freigab 102 . Bekanntlich zogen sich die Tartaren bald zurück; der Kreuzzug gegen sie wurde unnötig. Aber das Beispiel lehrt, wie der Kreuzzug das Instrument geworden war, mit dem der Papst plötzlichen, großen Gefahren für die Christenheit zu begegnen hoffte, während der Kaiser ohnmächtig zusehen mußte. Auch Innocenz' IV. Verhalten in der Tartarenfrage ist lehrreich. Hans Patze hat darüber gehandelt 103 ; sein Ergebnis sei hier kurz referiert: Innocenz IV. bemühte sich durch diplomatische Missionen, Größe und Art der Tartarengefahr klarer zu erkennen. Er baute an der Ostgrenze der Christenheit ein Warnsystem aus, das bei einem Angriff sofort den Deutschen Orden, den Eckpfeiler in Innocenz' Konzeption, alarmierte und an die Tartarenfront rief. Auch in der Tartarenfrage ist deutlich, wie ein Kreuzheer die erste Lösung einer akuten Not bringen sollte. Für die Dauer wurde statt des Kreuzheeres der Deutsche Orden der Grundpfeiler der Verteidigungskonzeption. Die Parallele zur Ablösung des Missionskreuzzuges durch den Ritterorden ist offenkundig. 100
Hierzu vgl. Throop, Criticism of the Crusade (1940), S. 1 0 5 - 1 1 1 .
101
Auvray 6057, Rodenberg 1,721 f Nr. 821 vom 16. Juni 1241.
102
Auvray 6072 vom 19. Juni 1241, Rodenberg 1,722 f Nr. 822, besonders S. 7 2 3 , 7 - 1 4 . 2 0 - 2 2 .
1 0 3 Hans Patze, Der Friede von Christburg vom Jahre 1249 (1958) jetzt in Heidenmission und Kreuzzugsgedanke, besonders S. 461—483.
3. K A P I T E L
Der Kreuzzug gegen die Ketzer a) Einleitung, Vorgeschichte, Literaturübersicht und Fragestellung Eines der drängendsten Probleme, vor das sich die Kirche im 12. Jahrhundert gestellt sah, war das rapide Anwachsen der Haeresie seit dem Ende des 11. Jahrhunderts. Es kennzeichnet die Größe Innocenz' III., daß er sich diesem Problem stellte und eine gründliche Lösung anstrebte, während selbst ein Alexander III. noch die Aufgabe gar nicht recht erkannte. Herbert Grundmann hat gezeigt, wie die kirchliche Ketzerpolitik unter Innocenz ganz neue Wege einschlug. Statt wie bisher einfach zu verdammen, suchte Innocenz nach den Motiven derer, die sich von der Kirche ab- und der Ketzerei zuwandten. So gelang es ihm, einen großen Teil der fast gegen ihren Willen aus der Kirche in das Lager der Ketzerei abgedrängten Armutsbewegung wieder in die Kirche zurückzuführen und hier mit Hilfe der neuen Bettelorden einzugliedern1. Doch diese Haltung hatte ihre Gegenseite : ging Innocenz mit seelsorgerlichem Spürsinn und Verantwortungsgefühl den gutgläubig Irrenden weit nach und entgegen, so trat er um so energischer gegen hartnäckige Ketzer auf, deren Vernichtung er zu seinen kirchlichen Pflichten zählte2. Da Innocenz zu diesem Zweck einen Kreuzzug ausrief, müssen wir hier näher darauf eingehen. Zuvor ist eine Klärung nötig, was wir unter einem Kreuzzug gegen Ketzer verstehen. Zwar besteht auch hier die grundsätzliche Schwierigkeit, daß eine klare Definition unmöglich ist, weil wir es mit einem geschichtlichen Gebilde zu tun haben, das eher da war als seine theoretische Erfassung. Aber wir haben doch im Laufe der Untersuchung gesehen, daß Innocenz nicht nur die Übertragung des Kreuzzugsgedankens auf Kriegszüge in Europa weitergeführt und geordnet hat, sondern dabei auch stets bestimmte Gegebenheiten voraussetzte, die diese Kriege in seinen Augen zu Kreuzzügen machten: ein klar definierter Ablaß für die Teilnehmer und die Gewährung päpstlicher Schutzprivilegien nach dem Vorbild des Orientkreuzzuges; das Kreuzeszeichen der Teilnehmer; 1 H. Grundmann, Religiöse Bewegungen des Mittelalters (2. Aufl. 1961) S. 70—156, Innocenz' nachgehende, seelsorgerliche Sorgfalt zeigt für die Waldenser Κ. V. Selge, Apostelberuf, apostolisches Leben und apostolische Verfassung; die Frühgeschichte der waldensischen pauperes spiritu, Diss, theol. Heidelberg 1961, S.465ff. Zur Ketzerfrage bei Innocenz III. zuletzt O. Hageneder, Studien zur Dekretale Vergentis, ein Beitrag zur Haeretikergesetzgebung Innocenz' III., ZRG 80 KA 49 (1963) S. 138-173. 2 Zu dieser Zweipoligkeit vgl. Grundmann, Religiöse Bewegungen 135 f.
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ein Teilnehmerkreis,' der räumlich über die direkt gefährdeten Bereiche hinausgreift; eine vom Papst autorisierte oder organisierte Werbung, die den Christen direkt als Glied der Christenheit anspricht, ohne daß der Appell mit einer juristisch faßbaren Kampfespflicht des Adressaten oder durch rein materielle Anreize, wie Aussicht auf Belohnung oder Eroberung gestützt wird. Das Ziel des Kreuzzugs war in allen bisher von uns untersuchten Fällen die Verteidigung der Christenheit gegen äußere Feinde. Damit ist noch keine exakte Definition des Kreuzzugs gegeben, die der Offenheit der geschichtlichen Entwicklung Gewalt antun müßte. Doch helfen die genannten Kennzeichen, zwischen einem Krieg im allgemeinen Sinn und einem Kreuzzug zu unterscheiden und den allmählichen Übergang zum Ketzerkreuzzug unter Innocenz III. zu verfolgen. Prüfen wir nun, ob vor Innocenz III. der Kreuzzug auch gegen Ketzer angewandt wurde. C. Erdmann hat gezeigt, daß bei der Entstehung des Kreuzzugsgedankens auch Motive aus dem Kampf gegen Ketzer beteiligt waren 3 . Doch ist es ein Unterschied, ob vom Ketzerkrieg Linien zum erst im Entstehen begriffenen Kreuzzugsgedanken führen, oder ob der Kreuzzug, wie er seit 1095 Wirklichkeit wurde, nun auch statt gegen außerchristliche Feinde gegen abgefallene Christen, Ketzer angewandt wurde. Ein frühes, ganz isoliertes Beispiel bietet die Synode, die unter Vorsitz Innocenz' II. im Mai 1135 in Pisa tagte. Ihr 6. Kanon versprach allen, die gegen Roger II. von Sizilien und den Papst der Gegenpartei, Anaklet II. (Pierleoni), „zur Befreiung der Kirche" kämpften, denselben Ablaß, den Urban II. den Kreuzfahrern gewährt hatte4. Über eine Auswirkung dieses ersten, in Anlehnung an den Jerusalem-Kreuzablaß verkündeten Ablasses für den Kampf gegen innerchristliche Feinde, Schismatiker, wissen wir nichts. Während des ganzen 12. Jahrhunderts herrschte große Unsicherheit, ob und wie mit Gewalt gegen Ketzer vorzugehen sei. Seit der Synode von Toulouse 1119 hatten mehrfach Synoden an die weltlichen Gewalten appelliert, gegen Ketzer einzuschreiten, ohne daß eine grundsätzliche Klärung des Problems versucht wurde. Das staatliche Ketzerrecht aus der Zeit der römischen Reichskirche, auf das man allenfalls hätte zurückgreifen können, hatte sich, vor allem in den antidonatistischen Edikten seit 411, auch gegen eine breite haeretische Bewegung, nicht nur gegen einzelne Ketzer durchgesetzt. Aber die Wirksamkeit dieser antidonatistischen Gesetze hatte die Sozialstruktur Nordafrikas im frühen 5. Jahrhundert zur Voraussetzung gehabt. Doch auch ganz abgesehen von den gewandelten Bedingungen scheint das spätantik-reichskirchliche Ketzerrecht so in Vgl. Erdmann, Entstehung des Kreuzzugsgedankens S . 2 4 6 f . Text ediert von E. Bernheim, Zeitschrift für Kirchenrecht 16 (1881) 150f. J L Band I, S . 8 6 5 zählt diesen Beschluß als Kanon 11. Zur Synode von Pisa vgl. Hefele, Konziliengeschichte 2. Aufl. V , 4 2 5 f f ; Haller 11,50; E.-J. Schmale, Studien zum Schisma des Jahres 1 1 3 0 (1961) S. 169. Von diesen Autoren erwähnt nur Hefele den Kanon, geht aber nicht näher darauf ein. Volk, Abendländ.-hierarch. Kreuzzugsidee S . 4 0 f streift das Thema kurz. Seine Erklärung, hier schlage die volle Kreuzzugsidee durch, löst dieses Dokument nicht aus seiner Isolierung. 3
4
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Vergessenheit geraten gewesen zu sein, daß es im 12. Jahrhundert so unbekannt war, daß kein Rückgriff darauf erfolgte 5 . Daher erklärt sich das tastende Verhalten der Kirche gegenüber den Ketzern, bis endlich im 13. Jahrhundert mit der Inquisition ein Mittel gefunden war, das mit scheinbarem Erfolg angewandt wurde. Besonders drängend war das Problem im südfranzösischen Raum. 1177 beschlossen Heinrich II. von England und Ludwig VII. von Frankreich, gegen die beider Herrschaftsgebiete bedrohende Gefahr gemeinsam vorzugehen. In dieser Lage schrieb Abt Heinrich von Clairvaux, der uns bereits bekannte spätere Kardinal Heinrich von Albano, an Alexander III., rühmte den Entschluß der beiden Herrscher und fügte hinzu : Verum, quia necesse est, ut juxta Evangelii verbum sint gladii duo hic, dignum credimus et honorificum vobis, ut zelum saecularium principum vestra quoque aemulatio comitetur, ne pia eorum intentio sumat ex occasione defectum, si oportunum non acceperit ex vestra cooperatione subsidium6. Als Hilfsleistung des Papstes schlug Heinrich vor, den Kardinallegaten Petrus von St. Chrysogonus das königliche Unternehmen begleiten zu lassen. Aus Heinrichs Bericht über das 1178 verwirklichte Unternehmen und aus der Vita Henrici Angliae regis geht hervor, daß unter dem Eindruck der königlichen Machtdemonstration und der exemplarischen Bußstrafe, die der Legat einem Ketzer auferlegte, die anderen Ketzer sich den kirchlichen Bußrichtern unterwarfen7. Zu richtigen militärischen Aktionen kam es nicht. An einen Kreuzzug erinnert nichts. Tragende Kräfte des Zuges waren die beiden Könige in ihrer herrscherlichen Verantwortung. Von ihrer Macht eingeschüchtert wurden die Ketzer der kirchlichen Predigt und Bußpraxis zugänglich8. Im Jahre darauf fand in Rom das 3. Laterankonzil statt, an dem Heinrich von Clairvaux teilnahm. Es gelang ihm, inzwischen Kardinal von Albano, Papst und Konzilsväter davon zu überzeugen, daß mit Gewalt gegen die Ketzer eingeschritten werden müsse. Zwar ist nicht sicher zu erweisen, daß Heinrich für die Formulierung des Kanon 27 dieses Konzils verantwortlich ist, aber es steht außer Zweifel, daß er zu den treibenden Kräften zählte, die auf diese Stellungnahme zur Ketzerfrage drängten9. 5 Vgl. die Überblicke bei Grundmann, Religiöse Bewegungen S. 50—69, H. Köhler, Die Ketzerpolitik der deutschen Kaiser und Könige (1913) S. 1—8, H.Theloe, Die Ketzerverfolgungen im 11. und 12. Jahrhundert (1913). Die hier überall vorausgesetzte These, das alte Ketzerrecht sei nur gegen einzelne Ketzer, nicht gegen breite Bewegungen gerichtet gewesen, dürfte freilich gerade für die antidonatistischen Kaiseredikte nicht zutreffen, vgl. dazu E. Tengstroem, Donatisten und Katholiken (1964), S. 112ff,165-183.
E p i s t . l l , M P L 204,224D. Epist. 29, M P L 204,235—40 und Vita Henrici II regis Angliae, R H G F XIII, 173-176. 8 Zum Unternehmen von 1178 vgl. Y. Congar, Henri de Marcy, aaO bes. S. 18—20 und G . Künne, aaO S. 58 ff. 9 Vgl. Congar aaO S. 2 6 - 2 8 und Künne aaO S. 78-84. Hinsichtlich Heinrichs Einfluß auf die Formulierung des Kanon 27, den Künne S. 78—80 als wesentlich ansieht, ist Congar S. 27 Anm. 88 zurückhaltend. 6 7
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Betrachten wir den Kanon 27 ,de haereticis' von 1179 näher: Einleitend stellt der Kanon fest, die kirchliche Disziplin begnüge sich mit dem priesterlichen Urteil und verzichte auf blutige Strafen. Doch werde sie durch Gesetze katholischer Fürsten unterstützt, weil die Menschen oft aus Furcht vor äußerer Strafe zur kirchlichen Bußdisziplin fliehen. Von dieser Basis aus erklärt der Kanon alle Ketzer, ihre Anhänger und Förderer für exkommuniziert und alle Treueide und sonstigen Verpflichtungen ihnen gegenüber für gelöst. Sodann werden unter Hinweis auf die Verdienstlichkeit dieses Werkes alle Christen aufgerufen, mit Waffengewalt die Christenheit gegen die Ketzer zu verteidigen. Ihr Besitz soll konfisziert werden und die Fürsten dürfen die Ketzer ihrer Knechtschaft unterwerfen. Wer im Ketzerkampf fallt, erhält Vergebung aller Sünden, wer unter bischöflicher Aufsicht teilnimmt, zwei Jahre Ablaß; in besonderen Fällen können die Bischöfe, denen das ganze Unternehmen anvertraut ist, den Ablaß erhöhen. Wer seine Unterstützung versagt, verfallt dem kleinen Bann. Schließlich wird allen Teilnehmern der päpstliche Schutz versprochen, wie ihn auch die Jerusalemfahrer erhalten, und mit der Durchführung dieses Schutzes Episkopat und Klerus beauftragt 10 . In der Literatur wird dieser Konzilskanon häufig als Aufruf zum Ketzerkreuzzug verstanden 11 . Doch ist diese Interpretation nicht ohne Einschränkungen möglich. Die theoretische Grundlage des Ketzerkampfes bildet im Kanon die ergänzende Hilfeleistung, die die „katholischen Fürsten" dem „priesterlichen Urteil" gewähren und so durch die Androhung von Gewalt die Ketzer der kirchlichen Buße in die Arme treiben. Es geht also um die Zusammenarbeit von geistlicher und weltlicher Gewalt, auch wenn die Begriffe hier nicht erscheinen. Indem das Konzil die Treueide usw. gegenüber Ketzern löst und den Fürsten erlaubt, sie zu unterwerfen und ihren Besitz zu konfiszieren, bietet es für diese Hilfeleistung einen materiellen Anreiz. Dazu kommt ein geistlicher Lohn, der allen Christen winkt, die am Kampf teilnehmen oder gar darin fallen. Doch der gewährte Ablaß ist wesentlich geringer als der Kreuzfahrerablaß, auf den auch mit keinem Wort hingewiesen wird. Ein solcher Hinweis findet sich nur, wo den Kampfesteilnehmern derselbe apostolische Schutz gewährt wird wie denen, „die das Grab des Herrn besuchen". Als Ziel des Kampfes wird die Verteidigung des christlichen Volkes mit Waffengewalt genannt. Hierzu werden ohne Einschränkung „alle Gläubigen" aufgerufen. Die Leitung des Unternehmens obliegt nach dem Konzilskanon dem örtlichen. Episkopat. Schließlich ist negativ festzustellen, daß in dem ganzen, recht ausführlichen Kanon kein Wort von einer Kreuznahme der Teilnehmer 10 Mansi XXII,231—33; Hefele, Conciliengeschichte 2. Aufl. V,716 begnügt sich mit einer Paraphrase, ohne auf das Thema einzugehen. Ausführliche Interpretation des Kanons bei Theloe aaO S. 118—123, der S. 121 vor einer Überschätzung der Bedeutung des Kanons warnt. 11 Z. B. Grundmann, Religiöse Bewegungen S. 54: Das Konzil „forderte die weltlichen Fürsten geradezu zu einem Kreuzzug gegen die Ketzer a u f .
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steht12, obgleich das Kreuzeszeichen schon längst bei den Teilnehmern der Orient-, Mauren- und Missionskreuzzüge allgemein verbreitet war. Auch fehlt im Kanon eine der üblichen Bezeichnungen für den Kreuzzug, wie ,obsequium Jesu Christi', .exercitus Dei' usw. So spricht manches dafür, aber auch etliches dagegen, im Kanon 27 des 3. Laterankonzils den Aufruf zu einem Ketzerkreuzzug zu sehen. Ohne auf die Definitionsfrage einzugehen, können wir doch feststellen: Selbst wenn man hier von einem Ketzerkreuzzug sprechen will, kann man das nur in einem sehr viel eingeschränkteren Maße tun als 30 Jahre später bei Innocenz III. Ein Blick auf die Praxis der Ketzerbekämpfung in der Folgezeit bestätigt diese Interpretation, denn zu einem Ketzerkreuzzug ist es nicht gekommen. Es beginnt damit, daß kein Aufruf Alexanders III. zum Ketzerkrieg bekannt ist, während wir sonst für jeden Kreuzzug einen entsprechenden päpstlichen Aufruf kennen. Mit der Durchführung des Kampfes wurde der gerade zum Legaten für Frankreich ernannte Kardinal Heinrich von Albano betraut. Er hat 1181 mit einem Heer den Kampf aufgenommen, wobei offensichtlich die Hauptwirksamkeit darin bestand, daß den eingeschüchterten Ketzern Buße gepredigt wurde. Die Unterwerfung war nur von kurzer Dauer. Heinrichs Legatentätigkeit ist kürzlich von W. Janssen gründlich untersucht worden 13 . Gäbe es nicht den erwähnten Kanon 27 des Konzils von 1179, so käme niemand auf den Gedanken, das Vorgehen des Legaten gegen die Ketzer sei ein Kreuzzug gewesen. Von den kurzen chronikalischen Erwähnungen des Zuges von 1181 sei nur eine erwähnt. Das Chronicon Gaufredi Vosiensi, geschrieben 1183 und den Ereignissen somit besonders nahe, berichtet lediglich ganz knapp, Heinrich sei als Legat mit großem Heer gegen die Albigenser gezogen und habe Lavaur erobert. Daraufhin hätten viele Fürsten der Ketzerei abgeschworen. Es folgt, nach der Chronik in den Worten des Legaten, eine Darlegung über die Ketzerei 14 . Dieser Zeitgenosse hat offensichtlich das Ketzerunternehmen von 1181 nicht als Kreuzzug angesehen. Man könnte nun vermuten, von diesen ersten Anzeichen eines Kreuzzuges gegen die Ketzer führe durch die nächsten Jahrzehnte eine fortschreitende Entwicklung bis zum vollausgebildeten Ketzerkreuzzug bei Innocenz' III. 15 . Doch kam dieser im Konzilskanon von 1179 enthaltene Keim nicht zur Entfaltung. Die seit dem Frieden von Venedig 1177 erzielte Aussöhnung Friedrichs I. mit dem Papst trug ihre Früchte in einer Zusammenarbeit von Kaiser und Papst, die auch für die Ketzerfrage von Bedeutung war. Als im Oktober 1184 Friedrich I. und Lucius III. in Verona zusammentrafen, verhandelten sie auch über die Ketzer1 2 Sogar, wo für die Schutzbestimmung auf die Jerusalem-Fahrer verwiesen wird, heißt es nur ,qui sepulchrum Dominicum visitant'. 13 W.Janssen, aaO S. 110—119, vgl. auch die kurzen Abschnitte bei Künne S . 8 6 f und Congar S. 30.35—41. " R H G F XII,448f. 15 H. Pissard, L a guerre sainte en pays chrétien (1912) ist deshalb unbefriedigend, weil er den zeitlichen Abstand zwischen Alexander III. und Innocenz III. mißachtet.
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bekämpfung. Es wurde Übereinstimmung darin erzielt, daß die weltlichen Gewalten, hier repräsentiert durch ihren höchsten Vertreter, den Kaiser, alle von der Kirche gebannten Ketzer verfolgen und mit einer Art Friedlosigkeit bestrafen sollten16. Der komplizierten Frage, worin genau diese weltliche Strafe bestehen sollte, brauchen wir nicht nachzugehen. Für den Zusammenhang kommt es nur auf folgendes an: Papst Lucius III. sah das Ketzerproblem jetzt so gelöst, daß die Kirche den Schuldspruch fällte und den Ketzer ausstieß, die Bestrafung, die Gewaltanwendung gegenüber dem Ketzer übernahm dann die weltliche Gewalt. Diese Aufgabenverteilung war aber nicht nur eine bequeme Vorstellung des Papstes, sondern sie hatte die ausdrückliche Zustimmung des Kaisers gefunden. Das große Ketzerdekret Lucius' III. „Ad abolendam", in dem die Übereinkunft von Verona ihren Niederschlag fand, betont daher mehrfach, daß der Kaiser die Verpflichtung der weltlichen Gewalten, die exkommunizierten Ketzer zu bekämpfen, voll und ganz bejahe17. Der Chronik von Laon zufolge hat Friedrich dann auch ein entsprechendes Reichsgesetz erlassen, dessen Wortlaut aber verloren ist 18 . Später hat Heinrich VI. 1195 in Rimini bestimmt, alle neugewählten Behörden sollten das Ketzerdekret von 1184 beschwören, und er hat sich mehrfach Coelestin III. gegenüber zur Aufgabe der Ketzerbekämpfung bekannt 19 . Daß bei Heinrich hinter solchen Äußerungen vor allem diplomatische Absichten standen und er wie sein Vater die Ketzerbekämpfung recht energielos betrieben, interessiert hier nicht. Für unser Problem ist die Einsicht wichtig, daß Innocenz III., wenn er immer wieder die weltlichen Gewalten zur Ketzerbekämpfung aufrief, dabei nicht nur auf verschwommene, allgemeine Vorstellungen von einer Ketzerbekämpfungspflicht der Herrscher zurückgriff, sondern klare Abmachungen und eindeutige Verpflichtungen aus jüngster Zeit im Auge haben konnte 20 . Wenn im folgenden vom Ketzerkrieg die Rede ist, so können wir darunter ein militärisches Unternehmen gegen die Ketzer auf der Basis des Ketzerdekrets von 1184 verstehen 21 . Wir können uns nun dem Kreuzzug gegen die Ketzer bei Innocenz III. zu16 Hierzu und zum folgenden vgl. Köhler S. 1 0 - 1 9 . Das Dekret von Verona JL 15109, MPL 201, 1297ff. Zur Interpretation vgl. auch Grundmann, Religiöse Bewegungen S. 6 7 — 6 9 . 1 7 7 A n m . 17; Hauck IV,912f; Theloe S. 1 2 4 - 1 3 1 . 1 4 0 - 1 4 2 , der das Dekret von 1184 fur wichtiger als den Kanon von 1179 hält. 17 Auch Theloe S. 124 legt auf die kaiserliche Zustimmung besonderes Gewicht. 18 Vgl. Köhler S. 11. 1 8 Vgl. Köhler S. 1 5 - 1 8 . 20 Zur Aufnahme der Gedanken des Dekrets bei Innocenz III. vgl. O. Hageneder, Studien zur Dekretale Vergentis S. 146f. 163ff. A.Beckmann, Die Ansichten Papst Innocenz' III. über Frieden und Krieg, Diss. phil. Freiburg 1924 S. 71 meint, Innocenz habe sich nur auf das altkircHiche Ketzerrecht mit der Lehre vom crimen laesae maiestatis berufen können, und übersieht damit die Entwicklung der letzten Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts. 2 1 Z. Oldenbourg (vgl. S. 221) S. 11 f betont zwar richtig, daß die Teilnahme am Kreuzzug freiwillig war und der Papst niemanden, auch nicht den französischen König, dazu zwingen konnte, aber den kleinen Schritt weiter zur Unterscheidung von Ketzerkrieg und Ketzerkreuzzug, auf die jene Feststellung doch den Historiker stößt, tut Oldenbourg doch nicht.
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wenden. Im wesentlichen handelt es sich hierbei nur um einen Komplex, den Krieg und Kreu22ug gegen die Ketzer in Südfrankreich, den die Historiker kurz den Albigenserkreuzzug nennen, obgleich Innocenz sehr genau erkannt hatte, daß die Ketzer dieses Gebietes sehr verschiedenen Gruppen zugehörten 22 . Über Vorgeschichte und Verlauf dieses Unternehmens sind wir, nicht zuletzt dank der glücklichen Quellenlage, durch einige gute Darstellungen unterrichtet : Luchaire widmete dem Thema einen ganzen Band seiner Innocenz-Biographie ; Beiperron hat 1942 in aller Breite vor allem den historischen Ablauf geschildert, wobei er allerdings den uns bewegenden Fragen wenig nachgegangen ist und den Ketzerkreuzzug mehr oder weniger deutlich aus einem unglücklichen Weltherrschaftsstreben des Papstes entstehen läßt 23 . Eine straffe, vorbildliche Übersicht über den äußeren Verlauf gibt der Beitrag von Austin Evans in „A History of the Crusades II" 24 . Die entsprechenden Abschnitte bei Haller und Tillmann — bei Haller eines der reizvollsten Stücke des großen Werkes — gehen vor allem auf die Innocenz und die durch ihn erfolgte Auslösung des Ketzerkreuzzuges betreffenden Fragen mit im wesentlichen gleichen Ergebnissen ein 25 . Kennzeichnend für die historiographische Situation ist dabei, daß bei Haller und in der History of the Crusades das Kapitel über den Albigenserkreuzzug umfangreicher ist als die Darstellung des 4. Kreuzzuges, bei Tillmann sogar das gesamte Kapitel über die Kreuzzüge überragt 26 . Einen Überblick über die kanonistischen Theorien der Ketzerbekämpfung, aber ohne Verständnis für die historischen Grundlagen, gab 1912 H. Pissard 27 . Einige neuere Werke zeigen den Albigenserkreuzzug in größeren Zusammenhängen. A. C. Shannon sieht ihn als einen unbefriedigenden Versuch der Päpste, der Haeresie zu begegnen. Innocenz habe immer mehr erkannt, wie der Kreuzzug gegen die Ketzer zu allen möglichen Zwecken mißbraucht wurde, nur sein ursprüngliches Ziel, die Vernichtung der Ketzerei in Südfrankreich nicht erreicht 22 Ζ. B. Reg I, 94, P. 95, MPL 214,82 A vom 21. April 1198: „Katharer, Waldenser und Haeretiker welchen Namens auch immer". 23 A . Luchaire, Innocent III (Bd. 2) La croisade des Albigeois (2. Aufl. 1906); P. Beiperron, La Croisade contre les Albigeois et l'Union du Languedoc à la France 1209/49 (3. Aufl. 1944). Beide Bücher leiden unter dem Nachteil, daß jegliche Quellenbelege und Literaturverweise fehlen. Während Luchaire wenigstens chronologisch vorgeht, springt Beiperron v o r und zurück, so daß eine saubere Überprüfung des Gedankenablaufs an Hand der Texte unmöglich ist. Zu den Anfangen des Ketzerkreuzzuges vgl. Beiperron S. 144—150, zum angeblichen Weltherrschaftsstreben dahinter S. 127. Der anonyme Aufsatz : Le Pape Innocent III. dans ses rapports avec la croisade contre les hérétiques Albigeois, Bulletin de la Société Archéologique, Scientifique et Littéraire de Béziers, 2™e Série 12 (1883) S. 57—67 befaßt sich nur mit dem Prozeß gegen Raimund. 24
Austin Evans, The Albigensian Crusade HC 1 1 , 2 7 7 - 3 2 4 .
25
Haller 1 1 1 , 4 3 9 ^ 5 9 ; Tillmann, Papst Innocenz III., 1 8 6 - 2 1 2 .
Bei Tillmann 26 zu 14 Seiten, bei Haller 20 zu 18 Seiten in der History of the Crusades 47 zu 33 Seiten. 26
27 H. Pissard, La guerre sainte en pays chretien ; Essay sur l'origine et le développement des théories canoniques (1912).
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habe28. Z. Oldenbourg, Le Bûcher de Montségur, le 16. Mars 1244 (1959) aus der Reihe, Trents journées, qui ont fait la France, soll die Bedeutung des Albigenserkreu2zuges für das Werden des französischen Nationalstaates aufzeigen. Die breite, anschauliche Darstellung des Albigenserkreuzzuges bietet wenig Neues und erreicht das gesetzte Ziel kaum. Zudem behindern Vorurteile gegen die Nordfranzosen und gegen die Kirche ein volles Verständnis der geschichtlichen Entwicklung 29 . Auch J. Madaule, Le drame albigeois et le destin français, legt die Bedeutung des Albigenserkreuzzuges für die französische Geschichte dar. Anders als etwa Beiperron ist Madaule voll tiefen Interesses für den Gegenstand seiner Forschung. Er zeigt, wie im Albigenserkrieg verschiedene Kulturkreise, verschiedene geistige und politische Welten aufeinanderprallen und, obwohl der Midi unterliegt und erst jetzt zum südfranzösischen Raum wird, sich gegenseitig befruchten und durchdringen. Das anregende Buch ist kein streng historisches Werk und gibt für unsere Fragen wenig her30. So zeigt sich, daß wir für die uns interessierenden Fragen weithin allein gelassen sind. Diese Fragen sind : Wie kam es dazu, daß Innocenz zum Kreuzzug gegen die Ketzer aufrief, und welchen Anteil hatte er an seiner Durchführung ? D.urch welche Momente ist dieser Krieg als Kreuzzug qualifiziert? Worin liegen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ketzerkreuzzug und Orientkreuzzug ? In welche Richtung geht die Entwicklung nach Innocenz' Regierung ? b) Der Kampf gegen die Ketzer in seiner Eigenart als Kreusgug ; Vorgeschichte und Verlauf Auch gegen die südfranzösischen Ketzer hat Innocenz zunächst versucht, mit den gängigen kirchlichen Mitteln vorzugehen. Schon im April 1198 rief er zu kirchlichen Maßnahmen gegen die Ketzer auf, denen notfalls die weltliche Gewalt Nachdruck verleihen sollte31. Vor allem setzte er seine Hoffnung auf eine Reihe von Legaten, die er neben- und nacheinander in das Ketzergebiet sandte32. Volle sechs Jahre hindurch versuchte Innocenz, der Ketzerei auf diese Weise Herr zu werden33. Erst im Mai 1204 wandte er sich direkt an den französischen König 28 A. C. Shannon, The Popes and Heresy in the 13"1 Century (1949 = Diss. phil. Columbia-University 1949/50). 28 Vgl. etwa die Gleichsetzung von Haeresie und Antiklerikalismus (S. 290), die pauschale Behauptung, alle Haeresien verdammten absolut die Kirche von Rom (S. 261), und die völlige Verkennung mittelalterlichen Denkens in der Behauptung, das Katharertum des Midi sei weder für die öffentliche Moral noch für das soziale Leben noch für die zivilen Gewalten eine Gefahr gewesen, sondern nur für die katholische Kirche, die aber ihr bedrohtes Interesse als das bedrohte Allgemeinwohl ausgegeben habe (S. 86). 30 J. Madaule, Le drame albigeois et le destin français (1961). Eine erweiterte deutsche Ausgabe erschien 1964: Das Drama von Albi; der Kreuzung gegen die Albigenser und das Schicksal Frankreichs. Verweise hier nach der französischen Ausgabe. 31 Reg 1,81, P. 69 vom 1. April 1198, M P L 2 1 4 , 7 1 , Hagender S. 1 1 9 f . 32 So zuerst die Legaten Rainer und Guido, Reg 1,94, P. 95 vom 21. April 1198, denen weitere bald folgten. 33 Vgl. die Überbücke bei Luchaire 1 1 , 6 9 - 1 1 3 ; Haller 111,439-^43 und Evans HC II, 282 f.
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und forderte ihn auf, seine Macht gegen die Ketzer einzusetzen, ,potestas saecularis' und ,auctoritas spiritualis' seien zu gegenseitiger Hilfe verpflichtet. Der König solle seine ihm von Gott verliehene Macht zum Schutz der Kirche einsetzen, indem er persönlich oder Kronprinz Ludwig oder sonst ein tüchtiger Mann des Königs sich den Ketzern entgegenstelle und den südfranzösischen Adel, der mit der Haeresie sympathisierte oder doch nicht energisch gegen sie vorging, enteigne und den Besitz der königlichen Regentschaft unterstelle. Neben zeitlichem Ruhm sei hier auch derselbe Plenarablaß zu gewinnen, der den Kreuzfahrern im Hl. Land winkt 34 . Diese Ablaßverheißung, so deutlich sie an den Kreuzzug erinnert, ist doch nur lediglich ein Mittel, um dem König seine Pflicht, als weltlicher Herrscher gegen die Ketzer einzugreifen, anziehender zu machen35. Allen Baronen, Grafen und Vizegrafen gilt die gleiche Verheißung 36 . Sie bedeutet eine Steigerung gegenüber 1198, als fur die Arbeit gegen die Ketzer nur derselbe, nicht näher bestimmte Ablaß galt wie für eine Wallfahrt nach Rom oder Santiago 37 . Derselbe Gedanke wird noch deutlicher, als Innocenz im Februar 1205 erneut an König Philipp August appellierte, „das Schwert der weltlichen Gewalt, das von Königen und Fürsten zur Bestrafung der Übeltäter geführt wird, zur Rache für das Unrecht am Erlöser" zu zücken. Wieder wurde der König aufgefordert, gegen die ketzerfreundlichen Barone vorzugehen, ihren gesamten Besitz zu enteignen und der königlichen Herrschaft zuzuschlagen. Um dem Mangel des geistlichen Schwertes durch das weltliche Schwert aufzuhelfen, sollte er den Legaten Hilfe und Unterstützung leisten. Dafür wurde ihm wieder neben irdischem Ruhm der Kreuzablaß in Aussicht gestellt 38 . Hinter diesen Maßnahmen steht der Grundsatz, daß ein christlicher Herrscher jeden Ranges, der hartnäckig und allen Mahnungen zum Trotz in der Haeresie verharrt oder nicht tatkräftig gegen sie einschreitet, unfähig zu seinem Amt ist und daher abgesetzt werden muß 39 . Zu dieser Absetzung werden in erster Linie der Lehnsherr, hier der französische König, und die benachbarten Herrscher aufgerufen. Mehrfach ist aus diesen Jahren fur König Peter von Aragon die päpstliche Bestätigung solches enteigneten Ketzerbesitzes bezeugt 40 . Der für das planmäßige Eingreifen der Herrscher zusätzlich verheißene Kreuzablaß Reg VII,79, P. 2225 vom 28. Mai 1204, MPL 215,361 f. Volk S. 66 sieht wegen des Kreuzablasses schon hier „einen regelrechten kirchenpolitischen Kreuzzug", zu Unrecht, wie zu zeigen sein wird. 38 Reg VII, 76, P. 2229 vom 31. Mai 1204, MPL 215,360 A. 37 Reg 1,94, P. 95 vom 21. April 1198, MPL 214,83B, Hageneder S. 137,38f, Zur Unbestimmtheit des Ablasses vgl. N. Paulus, aaO 1,208. 38 Reg VII,212, P. 2404 vom 7. Februar 1205, MPL 215,526-528. 39 Innocenz selbst hatte diesen älteren Grundsatz in seine große Ketzer-Dekretale von 1199, Reg 11,1, aufgenommen. Vgl. dazu Hageneder, Studien zur Dekretale Vergentis, S. 143. Ebd. S. 153 bis 162 zeigt Hageneder, daß diese Gedanken auch jahrelang die Grundlage von Innocenz' Ketzerbekämpfung in Südfrankreich bildeten. Auf den Übergang zum Ketzerkreuzzug geht Hageneder 40 Reg VIII, 98. P. 2540 vom 16. Juni 1205 und Reg IX, 103, P. 2800 vom 9. Juni 1206. nicht ein. 34
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Der Ketzerkreuzzug
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darf nicht so gedeutet werden, als handele es sich hier bereits um einen Ketzerkreuzzug. Doch Philipp August war in diesen Jahren viel zu sehr im Kriege gegen Johann Ohneland beschäftigt, um dem päpstlichen Appell an seine königliche Hilfe Folge leisten zu können. In das folgende Jahr, 1206, fällt das Auftreten des Bischofs Diego von Osma und seines Kanonikus Dominikus als Prediger und Disputationsredner gegen die südfranzösischen Ketzer. Erst seit Mai 1207 läßt sich dann ein energischeres Vorgehen des Papstes gegen den Grafen Raimund VI. von Toulouse beobachten, auf dessen Person sich inzwischen das Vorgehen gegen die Albigenser fast beispielhaft konzentriert hatte. Vermutlich war die treibende Kraft hinter dieser energischeren Haltung der ehemalige Troubadour Fulko von Marseille, seit 1206 Bischof von Toulouse 41 . Die Bannsentenz gegen Raimund wurde jetzt überall öffentlich verkündet. Dieser Maßnahme folgte am 17. November 1207 ein Aufruf an den König, alle Grafen, Barone und Ritter, schließlich alle Gläubigen Frankreichs zum Kampf gegen die Ketzer 42 . Dieser Aufruf hat formal eine weitgehende Ähnlichkeit mit den Aufrufen zur Befreiung des Hl. Landes. Er beginnt mit einer ausführlichen Schilderung des immer schlimmeren Unwesens der Haeresie in Südfrankreich und den päpstlichen Maßnahmen dagegen, die bisher alle erfolglos waren 43 . Dieser narratio folgt die exhortado, der Aufruf zum Kampf, woran sich die statuta anschließen : Person, Land und Besitz des Königs und seiner Leute werden unter päpstlichen Schutz gestellt, damit sie um so sicherer sich dem Kampf widmen können. Der Besitz der Ketzer soll der öffentlichen Hand anheimfallen. Allen Franzosen, die gegen die Ketzer die Waffen ergreifen, wird hierfür der Ablaß der Orientkreuzfahrer gewährt. Dem König wird dieser Ablaß sogar versprochen, wenn er, statt persönlich teilzunehmen, wirksame Hilfe schickt44. Erscheint von daher mit diesem Brief der Kreuzzug gegen die Ketzer ausgerufen, so lehrt ein Blick auf die exhortado, daß die theoretische Position der Aufrufe zum Ketzerkrieg von 1204/1205 noch unverrückt behauptet wird: „wer die Maßregelung der Kirche mißachtet, muß durch den Arm der weltlichen Gewalt gezwungen werden". Daher ruft der Papst den König zur Hilfe gegen das Jesus Christus angetane Unrecht; er soll die Füchse fangen, die den Weinberg des Herrn Zebaoth zerwühlen. Dann wieder stärkste Anklänge an Formulierungen der Kreuzaufrufe : . . . serenitatem regiam monentes attentius et exhortantes in Domino in remissionem tibi peccaminum injungentes quatinus... Gleich darauf wird Philipp August wieder ermahnt, sich als „katholischer Fürst" zu erweisen, dessen politische Angelegenheiten Gott deshalb so glücklich lenkt, damit er um so kräftiger den Feinden Gottes und seiner Kirche entgegentreten könne 45 . 41 Vgl. Haller III,444f. 553. Die Frage, ob Fulko oder jemand anders die treibende Kraft war, ist umstritten. 42 Reg X, 149, P. 3223 vom 17. November 1207, MPL 215,1246f. 43 Ebd. MPL 215,1246 B - 1 2 4 7 A . 44 Ebd. 1247C. 46 Ebd. 1247B.
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Der Aufruf zum Ketzerkrieg vom November 1207 richtete sich an den Inhaber der weltlichen Gewalt als den Schützer der Kirche und Träger des das kirchliche Schwert ergänzenden weltlichen Schwertes. Während die Stilisierung als Kreuzaufruf dem Appell große Dringlichkeit verlieh, fügte der Papst dem Schreiben die Verheißung der sonst den Kreuzfahrern gewährten Privilegien und Ablässe hinzu, „pour rendre la tâche plus attrayante", wie Luchaire (S. 117) treffend schreibt. Diese Analyse ergibt, daß Innocenz im November 1207 den Ubergang vom Ketzerkrieg zum Ketzerkreuzzug noch nicht vollzogen hatte46. Philipp August reagierte sehr zurückhaltend; der Krieg gegen Johann Ohneland erlaube ihm nicht, ohne weiteres dem Aufruf Folge zu leisten47. Während die Angelegenheit noch in der Schwebe war, geschah jene Tat, die den hellen Zorn des Papstes erregte und in alles Folgende den erbitterten Haß hineintrug. Am 14. Januar 1208 wurde der Zisterziensermönch und päpstliche Legat Peter von Castelnau auf dem Rückweg von einer Zusammenkunft mit dem Grafen von Toulouse ermordet. Sofort erhob sich der Verdacht gegen Raimund, er habe den Mörder gedungen. Obwohl dieser Verdacht nie erhärtet wurde, galt doch in Zukunft Raimund als Hintermann der Tat, und Innocenz hat diesen Verdacht wie eine erwiesene Tatsache angesehen. Eine Fülle von Briefen aus dem März 1208 — wo das Datum genau überliefert ist, ist es der 10. März — zeigt die päpstliche Reaktion auf die Kunde von dem Mord 48 . Der Abt Arnald-Amalrich von Citeaux, der bereits als Legat gegen die Ketzer tätig war, wurde zum Nachfolger Peters bestellt49. Vor allem aber wurde wieder zum Kriege gegen die Ketzer aufgerufen. Gehen wir diese Aufrufe kurz durch : Der Aufruf an Philipp August 50 beginnt mit dem kurzen Hinweis, daß Gott den König Frankreichs unter allen Königen am meisten fördere, und geht dann gleich über zur Klage über die Mordtat; diese Klage ließe sich immerhin als narratio ansehen. Es folgt der eigentliche Aufruf zum Kampf, der sehr stark an die Kreuzaufrufe erinnert, wenn er beginnt : eia igitur, miles Christi, eia, christianissimus princeps. Doch wird dann sogleich wieder auf der bekannten Grundlage an die Pflicht des weltlichen Herrschers zum Schutz der Kirche erinnert: der König soll das Seufzen der ganzen Kirche hören, zu ihrem Schutz den Schild ergreifen und in frommem Eifer das Unrecht an Gott rächen. Er soll den günstigen Augenblick nutzen, da Gott ihm Gelegenheit gibt, für ihn zu kämpfen. Er soll sein Schwert, das er von Gott den Bösen zur Strafe, den Guten zu Lobe empfangen hat, mit dem Schwert des Papstes verbinden und Rache üben an die46 Volk S. 68 sieht klar, daß hier nur die Dringlichkeit, nicht die theoretische Grundlage eine andere ist als 1204/05. 47 Die Antwort des Königs referieren Evans HC 11,284, Luchaire 11,118 und Cartellieri, Philipp August IV/2 S. 265. 48 Reg XI, 1 1 . 2 6 - 3 3 . 49 Reg XI, 32. P. 3357, MPL 215,1361 AB. 50 Reg XI, 28. P. 3353, MPL 215,1358 B - l 359 C.
Der Ketzerkreuzzug
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sen unmenschlichen Verbrechern. Es ist königliche Pflicht, für Frieden und Sicherheit im Kônigreiçh zu sorgen; so möge der König darauf sinnen, das Volk zu befrieden und die Ketzer auszurotten, die sich um so sicherer als die Sarazenen dünken, als sie diese an Bosheit übertreffen. Auch wenn der Graf von Toulouse sich der Kirche unterwirft, soll Philipp August nicht aufhören, ihn mit königlicher Gewalt niederzuhalten, ihm und allen Ketzerfreunden ihre Länder wegzunehmen und an Stelle der vertriebenen Ketzer eine katholische Bevölkerung anzusiedeln, die in Heiligkeit und Gerechtigkeit nach rechtem Glauben unter des Königs glücklicher Herrschaft lebe. Von irgendwelchen Ablässen oder Privilegien findet sich in diesem Aufruf nichts. Doch der gleichzeitige Auftrag an den Erzbischof von Tour und die Bischöfe von Paris und Nevers, den König und die Großen zum Ketzerkrieg zu mahnen, enthielt auch die Erlaubnis, ihnen Ablaß in der vom Pariser Bischof vorgeschlagenen Form zu gewähren, die uns leider unbekannt ist 51 . Eine Parallele zum Kreuzablaß wird jedenfalls nicht ausdrücklich genannt. Der Aufruf an die Grafen, Barone und das Volk Frankreichs beginnt genau wie der an den König. Nur statt des Appells an die Königspflichten in der exhortado ist eine Ermahnung eingefügt, Gott dem Schöpfer den ihm geschuldeten Dienst zu erweisen; der gegenwärtige Augenblick gebe dazu gute Gelegenheit. Der Aufruf schließt wieder mit dem Gedanken, daß die Ketzer vertrieben und durch gut-katholische Bevölkerung ersetzt werden sollen52. An die Erzbischöfe des Ketzergebietes ging ein langes Schreiben53, das mit einem Loblied auf Peter von Castelnau und einer Klage über seine Ermordung beginnt und mit dem Befehl, den Legaten Gehorsam zu leisten, endet. Uns interessieren zwei Abschnitte : Einmal der Auftrag, denen, die gegen die Ketzer ziehen, um das gerechte Blut zu rächen, im Namen Gottes und seines Stellvertreters die Vergebung der Sünden zu verkünden, damit ihnen der Ketzerkrieg als Bußleistung für die bereuten und gebeichteten Sünden dient 54 . Weder die Formulierung des Ablasses noch ein ausdrücklicher Hinweis erinnern an den Kreuzablaß. In dem anderen Abschnitt wird Graf Raimund der Schuld an der Mordtat bezichtigt. Es entspricht den Kanones der Väter, daß dem, der selber die Treue bricht, auch keine Treue gehalten werden, er vielmehr aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgestoßen und gemieden werden soll. Daher sollen die Erzbischöfe alle, die dem Grafen durch Treueide oder Bündnisse verpflichtet sind, hiervon lösen. Jedem katholischen Christen sollen sie erlauben, den Grafen zu verfolgen und seine Länder in Besitz zu nehmen, unbeschadet der Rechte des Oberherrn 55 . Mit der Lösung der Treueide, d. h. der Auflösung der bestehenden Herrschaft wird die Voraussetzung für die in all diesen Briefen den theoretischen 51 Reg XI,33. P. 3358, MPL 2 1 5 , 1 3 6 1 D - 1 3 6 2 A . 62 Reg XI,29. P. 3323, MPL 215,1359 D - 1 3 6 0 A . 53 Reg XI,26 (und sehr ähnlich 27) beide P.3324, MPL 2 1 5 , 1 3 5 4 A - 1 3 5 8 B . 54 Ebd. 1356 CD. 66 Ebd. 1357 AB.
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
Kern bildende Forderung geschaffen, die Ketzer-Länder mit katholischen Herren und Bevölkerungen zu besetzen58. Gleichzeitig mit diesen Aufrufen zum Ketzerkrieg versuchte Innocenz, durch persönliche Vermittlung der Abt-Legaten von Perseigne und von Le Pin die Könige von England und Frankreich zum Frieden oder wenigstens zu einem zweijährigen Waffenstillstand unter Aufsicht des Erzbischofs von Tour zu bewegen, um so die Kräfte des französischen Königreiches für den Ketzerkrieg frei zu machen57. Am 28. März, fast drei Wochen nach den ersten Klagebriefen des Papstes, wurden Abt Arnald-Amalrich von Citeaux, der bereits als Legat tätig war, und die Bischöfe von Conserans und Riez zu Nachfolgern des Ermordeten bestellt. Während ein recht persönlich gehaltenes, undatiertes Papstschreiben dieses Inhaltes an den Abt sich im Register findet, ist das offizielle Beauftragungsschreiben vom 28. März nur aus der Empfangerüberlieferung bekannt 58 . Bis auf geringe Abweichungen und zwei noch zu nennende Erweiterungen deckt es sich wörtlich mit jenem Brief, in dem Innocenz am 31. Mai 1204 die damaligen Legaten berief und beauftragte, die Fürsten, Grafen und Barone zum Kampf gegen die Ketzer aufzurufen und ihnen als Anreiz den Kreuzablaß zu versprechen 59 . Die beiden Erweiterungen sind folgende: 1204 sollten die „Grafen, Vizegrafen und Barone in jenen Gebieten", 1208 „die Grafen, Vizegrafen, Barone und übrigen Gläubigen in jenen Gebieten" zum Kampf gegen die Ketzer gerufen werden. Diese Erweiterung findet jedoch ihre Begrenzung in der Beschränkung auf die direkt betroffenen Gebiete, die auch im März 1208 noch nicht aufgegeben wurde. Die zweite Erweiterung schränkte die Werbung mit dem Kreuzablaß dahin ein, daß dem Zuge ins Hl. Land daraus kein Schaden, d. h. keine Konkurrenz entstehen dürfe; alle, die den Jerusalem-Zug gelobt hatten, wurden ausdrücklich zur Erfüllung dieses Gelübdes verpflichtet. Das Gewicht dieser Beschränkung wird erst klar, wenn man bedenkt, daß 1208 im Gegensatz zu 1204 Pläne für einen großen Orientkreuzzug gar nicht akut waren: nicht nur der große JerusalemKreuzzug, wie 1213, sondern jede Orientkreuzfahrt hat Vorrang vor der Beteiligung am Ketzerkrieg. Schließlich legt der Umstand, daß dieser Brief an die Legaten gar nicht ins Register eingetragen wurde, den Schluß nahe, daß der Brief an der Kurie als reine Routineangelegenheit angesehen wurde, denn den Legaten mußte nun einmal offiziell ihr Auftrag erteilt werden. Diesen Brief 56 Ausgerechnet für die auf die Ermordung Peters folgenden Briefe des Papstes behauptet Volk S. 71, die Mordtat habe es Innocenz ermöglicht, ab jetzt öffentlich vom Kreuzzug zu sprechen. Gerade in diesen Briefen fehlt aber jede Anspielung auf den Kreuzzug. Ähnlich pauschal wie Volk auch das Urteil bei Oldenbourg S. 7. 67
Reg XI,30f, P. 3355 f, MPL 215,1360 Α - D , vgl. Tillmann, Legaten S. 94.
Reg XI,37, P. 3357, MPL 215,1361 AB; P. 3348 ed. A. Teulet, Layettes du trésors des chartes I (1863) Nr. 843 S. 3 1 7 - 1 9 vom 28. März 1208. Das Datum des erstgenannten Schreibens ist wohl, gerade weil es im Register fehlt, hiernach zu ergänzen. 58
59
Reg VII, 76, P. 2229, MPL 215,358-360 vgl. oben S. 222.
Der Ketzerkreuzzug
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als Beginn des Ketzerkreuzzuges zu werten, wie es Evans tut, ist daher nicht möglich 60 . H. Pissard sieht in der Hauptforderung dieser Aufrufe vom März 1208, die Ketzer als Herrscher und Bevölkerung zu vertreiben, ihre Länder mit katholischen Christen zu besiedeln und katholischen Eroberern zu überlassen, den Ketzerkreuzzug erklärt 61 . Mit dieser „théorie de l'exposition en proie" habe die Kirche, obgleich formal der Appell an die weltliche Gewalt des Königs weitergelte, doch über die weltliche Gewalt hinweg direkt sich an die Christen gewandt u]nd damit die wesentliche Bedingung für einen Kreuzzug erfüllt. Zweifellos hat Pissard recht, wenn er den direkten Aufruf an die Christen über den weltlichen Herrscher hinweg als konstitutiv für den Kreuzzug ansieht 62 , doch reicht diese Bedingung allein keineswegs aus, um den Kreuzzug zu charakterisieren. So bleibt auch gegen Pissard festzuhalten, daß die Aufrufe vom März 1208 noch einen Ketzerkrieg, keinen Ketzerkreuzzug meinten. Philipp August protestierte energisch gegen die seiner und gelehrter Autoritäten Meinung nach juristisch unhaltbare Verfügung des Papstes über französischen Lehnsbesitz. Mag die Rechtsfrage in der Tat schwierig sein — denn Innocenz wollte dem König ja keine Lehnsleute entziehen, sondern zuverlässigere an ihre Stelle setzen 63 — der Protest des Königs und das Scheitern der Bemühungen um einen Frieden mit England hatten zur Folge, daß wieder keine Streitmacht gegen die Ketzer zusammenkam. Nur einer relativ kleinen Zahl von Rittern, Cartellieri nennt die Zahl 500, darunter dem Herzog von Burgund und den Grafen von Nevers und St. Paul, erlaubte Philipp August den Aufbruch zum Ketzerkrieg 64 . Erst auf diesen Mißerfolg hin rief Innocenz im Oktober 1208 zum Kreuzzug gegen die Ketzer auf 65 . Damit die Kirche sich gegen ihre Feinde verteidigen kann, hat der Papst beschlossen, „den Schutz der christlichen Ritterschaft aus den benachbarten Ländern" herbeizurufen. Die Legaten, Abt Arnald-Amalrich und die Bischöfe von Riez und Conserans, bestellte er zu Führern. 60
A. Evans HC 11,285, Anm. 9 belegt mit diesem Brief den Übergang vom Ketzerkrieg zum Ketzerkreuzzug im März 1208. An der Kurie hat man ihm diese Bedeutung offensichtlich nicht beigemessen, sonst wäre er sicher ins Register eingetragen worden. Da der Brief nur eine geringfügige veränderte Wiederholung des Schreibens von 1204 ist, müßte Evans konsequenterweise mit dem 31. Mai 1204 den Beginn des Ketzerkreuzzuges ansetzen, und nicht erst im März 1208. 61
Pissard S. 37 ff. Diese zu einseitige Definition gibt Pissard S. 27. Er hat sie bezeichnenderweise nicht vom Kreuzzug, sondern vom „Heiligen Krieg" her entwickelt. 92
63 Zur lehnsrechtlichen Seite des päpstlichen Vorgehens und des königlichen Protestes vgl. zuletzt O. Hageneder, Studien zur Dekretale Vergentis S. 157. 64 Vgl. Cartellieri, Philipp August IV/2 S. 267ff, Haller 111,446, Pissard S. 41, Luchaire 11,126. Dagegen erwähnt Beiperron S. 144 nur das Scheitern der Friedensbemühungen, nicht den Protest des Königs als Grund. 66 So urteilen Haller 111,446; Tillmann, Papst Innocenz. S. 186, Anm. 4; Luchaire 11,128; Beiperron S. 148, wenn auch nicht ausdrücklich.
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
An Episkopat und Klerus Frankreichs ging der Auftrag, die ihnen unterstellten Christen durch Predigt und Mahnung für dieses Vorhaben zu gewinnen, so daß sie durch persönliche Teilnahme wie durch Einsatz ihrer Mittel der Kirche die notwendige Hilfe leisteten. Allen, die vom Eifer um den rechten Glauben entflammt dieses Werk tun, wird von Gott und seinem Stellvertreter Vergebung der Sünden gewährt, so daß ihnen diese heilige Mühsal als Buße für alle bereuten und gebeichteten Sünden gelten soll. Allen Teilnehmern am Ketzerkreuzzug werden die Schulden gestundet. Um denen, die für die gemeinsame Sache sich einsetzen, aus gemeinsamen Mitteln finanzielle Unterstützung gewähren zu können, soll der Klerus die Christen dem Beispiel des Erzbischofs von Sens folgend dazu anhalten, einmalig ein Zehntel der Jahreseinnahmen für diesen Zweck zu spenden, und zur Einsammlung dieser Kollekte — trotz des Richtsatzes handelt es sich um eine solche und nicht um eine Steuer — treue Männer bestellen66. Ein ähnliches Schreiben an Philipp August enthält noch den aus den Orientkreuzzugs-Aufrufen bekannten Zusatz, er möge die kirchlichen Mahnungen ja nicht zugänglichen Juden als ihr weltlicher Herrscher zwingen, den Kreuzfahrern ihre Schulden zinslos zu stunden67. Der gesamte Klerus Frankreichs wurde beauftragt, den apostolischen Schutz für die, die sich „dem Dienste Christi gegen die Haeretiker der Provence durch die Annahme des Kreuzes" widmen, wahrzunehmen 68 . Alle Kleriker, die das Kreuz gegen die Ketzer nehmen, dürfen ihre Pfründen auf zwei Jahre verpfänden 69 . Damit war der Kreuzzug gegen die Ketzer ausgerufen. Unter Verzicht auf alle Umwege, sei es durch Appell an die Ketzerbekämpfungspflicht des Königs und der weltlichen Herrscher, sei es durch die Freigabe des Ketzerbesitzes zur Eroberung durch Katholiken, wird jetzt der Schutz der christlichen Ritterschaft aus den umliegenden Ländern vom Papst herbeigerufen, um der Kirche gegen ihre Feinde beizustehen. Dieser Aufruf sieht ab von allen juristischen Konstruktionen und Begründungen und beschränkt sich, indem er sich allgemein an die „umliegenden Länder" wendet, nicht ausdrücklich auf ein Land und das direkt betroffene Gebiet, obgleich vor allem in Frankreich eine organisierte und systematische Werbung durch den Klerus erfolgen soll. Den Kreuzfahrern werden die üblichen Privilegien bewilligt; zinslose Schuldenstundung, apostolischer Schutz, für Kleriker das Recht zur Pfründenverpfandung und schließlich, in auffalliger Freiheit gegen die in den Kreuzaufrufen übliche Formulierung, der volle Ablaß aller bereuten und gebeichteten Sünden gewährt. Es ist deutlich, daß hiermit weit umfassender, als es Pissard annahm, der Kreuz88 Reg XI,158. P.3511 vom 9.Oktober 1208, MPL 215, 1469D-1470C, Martini aaO S.319 betont, daß der Aufruf zur materiellen Hilfe für den Ketzerkreuzzug rein moralisch begründet und nicht als Steuer verstanden wird. 67 Reg XI, 159, P. 3512 vom 9. Oktober 1208, MPL 2 1 5 , 1 4 7 0 D - 1 4 7 1 A . 68 Reg XI, 156., P. 3514 vom 11. Oktober 1208, MPL 215, 1469 AB. 69 Reg XI, 157, P. 3510 vom 8. Oktober 1208, MPL 215,1469C.
Der Ketzerkreuzzug
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zug umschrieben war. Die These, daß seit dem Oktober 1208 von einem Ketzerkreuzzug gesprochen werden muß, wird schließlich durch die formale Beobachtung bestätigt, daß von jetzt an die Teilnehmer am Krieg gegen die Ketzer als ,crucesignati' in den Papstbriefen erscheinen 70 . Auch Pierre de Vaux-Cernais, ein Neffe des Erzbischofs von Narbonne und mit den Führern des Kreuzzuges bestens vertraut, bestätigt unsere Datierung. In seiner Historia Albigensis paraphrasiert er einen nicht näher bezeichneten Papstbrief, der nach dem Ablauf der Erzählung wie nach seinem Inhalt nur ein Brief vom Oktober 1208 sein kann. Gleich auf die Paraphrase folgen die das Kapitel beschließenden Worte: ,Quid plura? Publicatur ista indulgentia in Francia, armat se multitudo fideliiim signo crucis' 71 . Unter den direkt beteiligten Kirchenfürsten und Grafen in Südfrankreich hat man demnach jenem Brief vom Oktober 1208 die entscheidende Wirkung beigemessen, daß ab jetzt die Kreuzzugspropaganda anlief und die Werbung Erfolg hatte. Eine genaue Bestimmung der Gründe, die Innocenz veranlaßten, einen förmlichen Ketzerkreuzzug auszurufen, ist aus den Quellen nicht möglich. Luchaire meint, Innocenz habe auf diese Weise verhindern wollen, daß die Magnaten, die dem Aufruf vom März 1208 folgten, in zügelloser Raubgier über den Süden herfielen und vielleicht, da eine zentrale Leitung fehlte, gar noch den Ketzern militärisch unterlägen 72 . Beiperron möchte davon nur den zweiten, militärischen Grund gelten lassen, denn die Einsicht, daß ein zentrales Kommando notwendig sei, habe Innocenz aus den Kreuzzügen ins Hl. Land gewonnen 73 . Meines Erachtens kommt dazu als entscheidender Grund, daß allen Aufrufen bis zum Kreuzzugsaufruf vom Oktober 1208 ein wirklicher Erfolg versagt war; die reine Notwendigkeit, endlich Truppen in Gang zu setzen, veranlaßte Innocenz zu diesem Schritt. Was aber immer der entscheidende Grund gewesen sein mag, 70
So in Reg XI, 156 und in der Adresse von Reg XI, 157.
71
Petrus Vallium Sarnii, Hystoria Albigensis, ed. P. Guebin et E. Lyon, 3 Vol. 1926-39, §§ 55-66 handeln von der Ermordung Peters von Castelnau und bringen wörtlich den Innocenz-Brief Reg XI,29. P. 3323 ; §§ 68 f berichten, zeitlich unrichtig — obgleich die Herausgeber Bd. III. S. XXIV die chronologische Zuverlässigkeit des Chronisten rühmen — die von Raimund erbetene Sendung des Legaten Milo und Raimunds Verhandlungen mit ihm, die erst in den Winter 1208/09 und das Frühjahr 1209 fallen. § 72 erzählt von einem Versuch päpstlicher Legaten, Philipp August zum Eingreifen zu bewegen, des Königs Ablehnung unter Hinweis auf seine Kriege und seine Erlaubnis für einige wenige Lehnsleute, in den Ketzerkrieg zu ziehen. Es handelt sich deutlich um die Verhandlungen im Frühjahr 1208 (so auch die Herausgeber 1,74, Anm. 1). Daran schließt sich in § 73 die erwähnte Paraphrase des Papstbriefes. Die Herausgeber (1,74, Anm. 2) nennen nur drei Gruppen von Papstbriefen, die in Frage kommen (März 1208, Oktober 1208, Februar 1209). Weist uns schon der Erzählungsablauf der Hist. Alb. in den Oktober 1208, so bestätigt das eine Formulierung der Paraphrase. Die Wendung : scientes remissionen omnium peccaminum a Deo et ejus vicaria universis indultam qui, orthodoxe fidei zelo succensi, ad opus se accingerent hujusmodi pietatis, findet sich nur in Reg XI, 158, P. 3511, MPL 215,1470 A vom 9. Oktober 1208. 72
Luchaire II, 127 f.
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Beiperron S. 146 f.
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Die nicht-orientalischen Kreuzzüge
der päpstliche Aufruf zum Kreuzzug gegen die Ketzer war ein letztes Mittel nach dem Scheitern aller anderen; er war eine Notlösung 74 . Man muß sich vergegenwärtigen, was das historisch bedeutete. Mag man das Unternehmen von 1179/81 als seinen Kreuzzug ansehen oder nicht, die historisch wirksame Übertragung des Kreuzzugsgedankens vom Kampf gegen die Sarazenen und Heiden auf den Kampf gegen die innerchristlich-haeretischen Feinde ist mit dem Albigenserkreuzzug unter Innocenz III. geschehen. Jetzt war der Damm gebrochen. Die politischen Kreuzzüge des 13. Jahrhunderts waren, wie ein Exkurs zeigen soll, eine bloße Folge. Diese entscheidende Übertragung des Kreuzzugsgedankens war aber, wie wir sehen, weniger das Ergebnis prinzipieller, theoretischer Erwägungen, sondern geschah aus einer kontingenten geschichtlichen Situation heraus, sie war der Ausweg aus einer mehr oder weniger zufalligen Notlage. Nachdem die erste der für dieses Kapitel gestellten Fragen, wie es zum Kreuzzug gegen die Ketzer kam, beantwortet ist, können wir daraus schon einige Folgerungen ziehen. a) Die Stilisierung des Kriegsaufrufes vom November 1207 als Kreuzzugsaufruf und die mehrfachen Hinweise, der verheißene Ablaß entspreche dem den Kreuzfahrern ins Hl. Land gewährten, zeigen, daß Innocenz auch im Umkreis des Ketzerkrieges an den Kreuzzug erinnert wurde und dort gemachte Erfahrungen aufgriff. Wenn er trotzdem jahrelang zögerte, ehe er den Kreuzzug gegen die Ketzer aufrief, spricht das gegen die Annahme, Innocenz habe hier an das Vorgehen eines früheren Papstes anknüpfen können. Ein solches Vorbild hätte ja den Ketzerkreuzzug gerade als eine durch ihr Alter sanktionierte Institution erscheinen lassen müssen. Eben das war der Ketzerkreuzzug aber nach unserer Feststellung für Innocenz III. nicht. b) Wenn der Ketzerkreuzzug nicht das Ergebnis gründlicher, theoretischer Überlegungen war, sondern der Ausweg aus einer Notlage, dürfen wir an die theoretische Parallelisierung von orientalischem und Ketzerkreuzzug nur beschränkte Erwartungen knüpfen. c) Wenn Innocenz so zögernd den Kreuzzug gegen die Ketzer ausrief, besteht die Möglichkeit, daß sich diese Unsicherheit auch in der Art ausspricht, wie Innocenz den Verlauf des Unternehmens in seiner Eigenschaft als Kreuzzug bestimmte. Dieser Frage soll jetzt zunächst nachgegangen werden. Nach dem Aufruf vom Oktober 1208 kam die Werbung in Gang und hatte 74 So auch Throop, aaO S. 46 f. Man vergleiche mit unserem Ergebnis das Urteil von Volk S. 63: „Innocenz' Vorgehen in den Albigenserkriegen ist jedoch vollkommen einheitlich ; wie an einer Schnur lassen sich alle seine Erlasse gegen die Ketzer aufziehen. Sie sind der klare Ausdruck seines überlegenen, kühlen, politischen Geistes. Von Erbarmungslosigkeit, von einer vorgefaßten, persönlich bestimmten Anschauung ist in seinen Briefen nichts zu spüren, die politische Notwendigkeit regelt seine Schritte. Von Fanatismus ist er ganz frei ; Fanatismus findet sich in religiösen Kämpfen, für den Papst ist es ein politischer". Am Unterschied dieser Beurteilungen wird deutlich, was die geistesgeschichtliche Forschung für das historische Verstehen bedeutet hat.
Der Ketzerkreuzzug
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Erfolg. Das nächste Mal erscheint der Ketzerkreuzzug in den Papstbriefen von Anfang Februar 120975. Zwei derselben sind erwähnenswert. In dem einen wird ,universis Christi fidelibus ad obsequium Christi signatis contra haereticos vel signandis tarn in regno quam extra regnum Franciae constitutis' der apostolische Schutz gewährt 76 . Wir sehen daraus einmal, daß die Bezeichnung des Ketzerkreuzzuges der des orientalischen Kreuzzuges ,obsequium Christi/Crucifixi' folgt, mit dem Zusatz „gegen die Haeretiker der Provence", der den speziellen Zweck angibt. Zum anderen ergibt sich, daß der Kreis der Teilnehmer ausdrücklich nicht auf Franzosen beschränkt ist, sondern prinzipiell jeder Christ als Teilnehmer des Ketzerkreuzzuges in Frage käme. In dem anderen erwähnenswerten Brief bittet Innocenz den französischen König, wenn er schon nicht selbst am Kampf gegen die Ketzer teilnehmen könne, möge er dem Kreuzheer einen Kommandeur (capitaneus) stellen, unter dessen zentraler Leitung das Heer einmütig vorrücke. Philipp August soll diesen Kommandeur aus königlicher Machtvollkommenheit (regia auctoritate) ernennen, „der die den Kampf des Herrn Kämpfenden unter göttlichem Schutz und deiner (des Königs) Fahne führen soll". Dadurch wird Philipp August, indem er dem Heer hilft, an der geistlichen Belohnung des Heeres teilhaben77. Ein Kreuzheer führte gewöhnlich das ,vexillum crucis' oder ,vexillum Petri'; wenn hier das königliche vexillum das Feldzeichen des Kreuzheeres sein soll, kennzeichnet das noch einmal, wie sehr Innocenz den Ketzerkreuzzug als Ersatzlösung für den nicht zustande gekommenen Ketzerkrieg des Königs verstand, zu dem dieser verpflichtet gewesen wäre. Genauso ist auch die Bitte um Ernennung des Kommandeurs aus königlicher Macht zu deuten. Beides sind Versuche des Papstes, den neuartigen Ketzerkreuzzug noch nachträglich zu dem gewohnten Ketzerkrieg des Königs zu machen. Zwar versagte sich Philipp August auch diesen Bitten, doch aus dem Versuch spricht nur zu deutlich die Unsicherheit des Papstes gegenüber dem nur zögernd ausgerufenen, eine Neuerung darstellenden Ketzerkreuzzug 78 . Die Drohung mit dem Kreuzheer veranlaßte Graf Raimund, in Rom um einen neuen Legaten zu bitten, mit dem er besser sprechen könne als mit dem eisernen Abt-Legaten Arnald-Amalrich. Innocenz ging auf diese Bitte ein und sandte als zusätzlichen Legaten den Magister Milo, vor dem Raimund am 18. Juni 1209 in St. Gilles Besserung versprach und seinen Frieden mit der Kirche machte. Innocenz gratulierte Raimund am 27. Juli und mahnte ihn, seine guten Vorsätze wahr zu machen79. Reg XI, 229-234, P. 3638-3643 vom 3. Februar 1209. Reg XI, 231, P. 3640. 77 Reg XI, 229, P. 3638, MPL 215,1545 AB. „ 78 Volk S. 70 sieht hier wie in allen anderen Versuchen, den König zum Eingreifen gegen die Ketzer zu bewegen, nur den Versuch, „daß der königliche Name als Deckmantel für die päpstlichen Interessen dienen sollte". Das ist nach unseren Ergebnissen doch zu einseitig geurteilt. 79 Reg XII, 90. P. 3784, vgl. Evans HC 11,285-87, Tillmann, Papst Innocenz S. 189. 75 76
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Inzwischen waren die Vorbereitungen für den Kreuzzug fortgeschritten, und es hatten sich besonders finanzielle Schwierigkeiten gezeigt ; die Legaten hatten eine Kreuzzugssteuer vorgeschlagen. In drei mit dem Gratulationsbrief an Raimund gleichzeitigen Briefen ist Innocenz' Vorschlag zur Lösung des Finanzierungsproblems enthalten. Eine Kreuzzugssteuer von Klerus und Laien in Höhe von einem Jahreszehnten lehnte Innocenz ab. Zwar sei der Zweck des Planes, den Kreuzfahrern, die für die allgemeine Sache kämpfen, auch aus allgemeinen Mitteln zu helfen, gut, doch erscheine eine Steuer zu hart, wenn man auch durch Mahnungen zu eifrigem Spenden denselben Erfolg haben könne. Zunächst solle man sich an das freiwillige Spendenaufkommen halten, wofür ruhig ein flexibel zu handhabender Richtsatz von einem Jahreszehnten gelten solle. Nur wenn das überhaupt nicht ausreiche und der Kreuzzug sich aufzulösen drohe, dürften die Legaten eine Steuer für den Ketzerkreuzzug ausschreiben, vorausgesetzt, daß dabei kein allgemeines Ärgernis entstehe. Für diesen Fall fügte Innocenz dem Brief an die Legaten ein Schreiben zur Vorlage bei den besteuerten Klerikern bei80. Von Laien durfte eine Steuer überhaupt nur mit Erlaubnis der Lehnsherren erhoben werden 81 . 80 Reg XII, 86, P. 3787. Tillmann, Päpstliches Schreiben mit bedingter Gültigkeit, MIÖG 45 (1931) S. 192 hat zuerst dieses Schreiben als Eventualausfertigung erkannt. Das übersieht Martini aaO S. 316, der überhaupt die historischen Zusammenhänge kaum berücksichtigt. 81 So der Brief an die Legaten Reg XII, 87, P. 3785 vom 27. Juli 1209, MPL 216,98 f. Gegen A. Gottlob, Die päpstlichen Kreuzzugssteuern (1892) S. 25f hat E. Michael (ZkTh 1893, S. 721 f) unter Hinweis auf dieses Schreiben betont, Innocenz habe das Recht behauptet, auch die Laien zu besteuern. Gottlob erwiderte (HJ 1895 S. 312—19), Innocenz habe nur den Klerus für den Kreuzzug besteuert, weil der Klerus den Kirchenbesitz, der eigendich Christus gehöre, innehabe. Eine kirchliche Laiensteuer für den Kreuzzug habe Innocenz abgelehnt. Die hier in Aussicht genommene Kreuzzugssteuer der Laien sei nur mit Zustimmung der Lehnsherren, als deren Bevollmächtigte dann die Legaten die Steuer eingesammelt hätten, gedacht gewesen. Auch die Pläne zur Laienbesteuerung unter Honorius III. und Gregor IX. hätten an eine staatliche Steuer gedacht. Dagegen erklärte Michael (ZkTh 1895 S. 753—56), die bedingte Zustimmung Innocenz' zur Laiensteuer als Ausfluß seiner päpstlichen Milde, die so lange als möglich mit der Freiwilligkeit der Gläubigen, nicht mit kirchlichen Befehlen arbeite. Gottlobs Interpretation mache die päpstlichen Legaten zu Delegierten der Lehnsherren, das sei ausgeschlossen. Michaels Ziel ist die Verteidigung eines grundsätzlichen Rechtes der Kirche, die Laien zu besteuern, wofür er Texte des Tridentinums zitiert (! S. 756). Trotz dieser unhistorischen, dogmatischen Argumentation ist ein Einwand Michaels zu beachten: in der Tat hätte Innocenz kaum seine Legaten als Delegierte der französischen Lehnsherren verstehen wollen. Doch der Papst dürfte dynamischer gedacht haben als seine beiden Interpreten. In der Situation von 1209 mußte es ihm nicht um eine kanonistisch möglichst exakte, sondern um eine wirksame Lösung gehen, wie ja sein ganzes Verhalten im Ketzerkreuzzug zeigt. Dabei konnte er durchaus an eine vom Lehnsherrn genehmigte Laienbesteuerung im Bedarfsfall denken. Er gab dabei keines seiner Rechte preis, löste die praktische Frage, schnell viel Bargeld zu bekommen, ohne Prinzipienstreit, da die Rechte der Lehnsherren respektiert wurden. Schließlich hätte eine, zunächst mit lehnsherrlicher Zustimmung durchgeführte, Laienbesteuerung durch den Papst sogar als Präzedenzfall wirken können, wenn man später, unter Übergehen der lehnsherrlichen Zustimmungs-Bedingung, auf das Vorbild der Laiensteuer unter Innocenz' III. verwies. Doch soll das nicht heißen, daß Innocenz die Eventual-Ausschreibung einer Laiensteuer auch unter diesem Aspekt sah. Undenkbar wäre das
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Das Schreiben an den Klerus geht aus von dem Gedanken, daß Gott der Geber der geistlichen wie der weltlichen Güter ist, und die Menschen ihm dafür auch mit ihrem weltlichen Besitz verpflichtet sind. Wenn die Sache Christi Geld kostet, müssen die Christen dieses Geld bereitstellen. Außerdem ist es nur recht und billig, daß die, die für die Allgemeinheit der Christen gegen die Ketzer kämpfen, durch die Sicherung einer geordneten kirchlichen Verwaltung aber besonders dem Klerus nützen, auch von denen unterstützt werden, denen sie nützen. Daher wird eine einmalige Ketzerkreuzzugssteuer in einer von den Legaten zu bestimmenden Höhe — hier zeigt sich wieder der Eventualcharakter des Schreibens — für alle kirchlichen Personen ausgeschrieben. Der große Mißerfolg der Steuer von 1199 — damals war nur der Vierzigste gefordert worden, diesmal wollten die Legaten einen Zehnten erheben — und auch wohl die Einsicht in die rechtlichen Probleme der Steuer, die sich in der Forderung nach der lehnsherrlichen Erlaubnis der Laienbesteuerung verrät, werden Innocenz veranlaßt haben, zunächst den weniger angreifbaren Weg einer intensiv propagierten Kollekte zu gehen, für die er sogar einen Richtsatz angab. Daher rief der Papst selbst die Untergebenen der im Kreuzheer befindlichen Ritter auf, als Dank für die Erlösung in Christus nun auch aus ihren Mitteln für die Sache Christi einen Beitrag zu leisten. Es sei nur billig, daß ihre Herren, die stellvertretend für alle Gläubigen zu Felde zögen, von ihren Untergebenen und von anderen Gläubigen dabei finanziell unterstützt würden 82 . Mittlerweile hatte sich Ende Juni 1209 das Kreuzheer in Lyon versammelt. Da Raimund von Toulouse gerade absolviert worden war, schied er als Angriffsobjekt aus. Das Kreuzheer aber wollte seinen Kreuzzug und zog daher gegen einen anderen Fürsten, der als Ketzerfreund galt, Raimund-Roger von Trencaval, Vizegraf von Béziers und Carcassonne, Lehnsmann des Grafen von Toulouse und des Königs von Aragon 83 . Unter unerhörten Grausamkeiten fiel Béziers am 22. Juli; am 15. August ergab sich Carcassonne. Als diese Hauptfesten gefallen waren, zog die Mehrzahl der Kreuzfahrer ab. Als Grund gaben sie an, sie hätten die vierzig Tage Heeresdienst abgeleistet, die Quarantäne', wie sie das französische Lehnsrecht kannte 84 . Es kann hier nur festgestellt werden, daß mit dieser Auffassung die französischen Kreuzfahrer klar zu verstehen haben, daß sie den Ketzerkreuzzug als etwas qualitativ anderes verstanden als den Kreuzzug ins Hl. Land. Seit vierzig Jahren findet sich in der Literatur immer wieder die Behauptung, Innocenz habe sich auf diese lehnsrechtliche Ordnung eingeaber nicht, wenn man etwa bedenkt, wie äußerlich korrekt Innocenz im deutschen Thronstreit mit dem gefahrlich vieldeutigen Begriff des favor arbeitete (vgl. S.Krüger in.GGA 210, 1956, S.30f). Jedenfalls läßt sich, soweit hat Gottlob gegen Michael recht, aus dem Brief Reg XII, 87 nicht die Behauptung eines prinzipiellen Papstrechtes zur Laienbesteuerung herauslesen. 82 Reg XII,88, P. 3783 vom 26. Juli 1209, MPL 216, 99CD. 83 Zum äußeren Verlauf des Kreuzzuges vgl. zuletzt die Übersicht bei Evans, HC II, 287 ff, der eine knappe Gliederung in sechs zeidiche Abschnitte oder Feldzüge voranschickt. 84 Vgl. Beiperron S. 176.
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lassen und für nur vierzig Tage Kreuzzugsdienst den vollen Kreuzablaß versprochen85. In Innocenz' Briefen begegnet diese Frist aber nicht. Dagegen spricht eine Äußerung des Papstes sogar dafür, daß Innocenz das Abrücken nach vierzig Tagen ablehnte und sogar den Ablaß in Frage stellte. Als Simon von Montfort, der als einziger bedeutender Ritter beim Kreuzheer aushielt, dem Papst nämlich diese Ereignisse berichtete, schrieb Innocenz an Simons Kampfgefährten, sie sollten im Kampfe durchhalten und Simon weiterhin helfen : nicht der Kampf, der Sieg erst verleiht die Krone, ist der Kernsatz des Briefes 86 . Simon wurde als Nachfolger des gefangenen und abgesetzten Raimund-Roger zum Vizegrafen von Béziers und Carcassonne gewählt. Damit begann der Kampf um die ständig weitergreifende Herrschaftsnahme des nordfranzösischen Barons Simon von Montfort in den eroberten Ketzergebieten. Die Etappen dieses langen Streites können wir hier ebenso außer acht lassen wie die alsbald im Spätsommer und Herbst 1209 mehrfach erfolgte neue Exkommunikation Raimunds von Toulouse. Über die erste Etappe des Kreuzzuges vom Juli/August 1209 berichteten die Legaten und Simon dem Papst. Da die meisten Kreuzfahrer abgezogen waren, bat Simon Innocenz um Hilfe und um Neuwerbung in der Christenheit87. Innocenz' Reaktion auf diese Bitte im November 1209 ist die letzte Äußerung des Papstes, in der er das Unternehmen gegen die Ketzer aktiv als Kreuzzug ansah und nicht nur, wie später, formal noch so nannte. Innocenz' freundlich gehaltene Antwort an Simon dankt diesem zunächst für den ausführlichen Bericht. Aber der freundliche Ton kann nicht verbergen, daß die Bitte um eine großangelegte Werbung für den Ketzerkreuzzug weitgehend abgelehnt wird. Der Papst begründet diese Ablehnung damit, daß er auf dringende Hilferufe aus dem Hl. Land hin gerade für die dortige Not einen Hilfsaufruf erlassen habe88. Wir wissen zwar nicht recht, worauf sich Innocenz hier bezog, denn aus dem Sommer oder Herbst 1209 ist eine päpstliche Werbeaktion für das Hl. Land nicht bekannt; höchstens könnte die von dem gewählten König von Jerusalem, Johann von Brienne, im Frühjahr 1209 erbetene Hilfe gemeint sein. Aber soviel wird schon hier deutlich : Innocenz gab dem Kreuzzug ins Hl. Land eindeutig den Vorrang vor dem Kreuzzug gegen die Ketzer, worauf wir noch einmal stoßen werden, und wie es seinem Verhalten beim Mauren- und beim Missionskreuzzug entsprach. Innocenz kündigte in diesem Brief an Simon 86 Als erster hat, soweit ich sehe, N.Paulus, Geschichte des Ablasses im Mittelalter (1922) 1,208 mit Anm. 5, Innocenz diese Maßnahme angelastet. Belege bringt Paulus nicht. Ihm folgt z. B. S. Runciman, The Decline of the Crusading Idea, Relazioni del X Congresso Internazionale di Scienze Storiche, Vol. III, Storia del Medioevo (1955) S. 645. Von hier hat F.-W. Wentzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung des Mittelalters (1960) S. 360 den Vorwurf übernommen. 88 Reg XII,129, P.3838 vom 13.November 1209, MPL 216,156BC. Der Kernsatz: finis, non pugna coronat. 87
Die Berichte sind als Reg XII, 106—109 in das päpstliche Register eingetragen.
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Reg XII,123, P.3833 vom 11.November 1209, MPL 216,152f.
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an, er habe Hilfegesuche für den Ketzerkreuzzug an Otto IV. und an die Könige von Kastilien und Aragon gesandt. Otto IV. hatte gerade im März des Jahres im Speyerer Versprechen dem Papst wirksame Hilfe gegen die Ketzer zugesagt 89 und war außerdem, da das dem Ketzergebiet benachbarte Königreich Arelate dem Kaiser unterstand, auch als weltlicher Oberherr fast schon direkt betroffen. Das Schreiben an Otto beginnt entsprechend mit der Feststellung, der Kaiser habe zu allen ,opera pietatis' bereit zu sein, besonders aber, wo es um den Bestand des Glaubens gehe 90 . Nach Schilderung der Lage Simons ergeht dann an Otto die Bitte, Simon die brüderliche Hilfe zu gewähren, denn das Unkraut der Irrlehre wuchere auch über die Grenzen hinweg. So bittet Innocenz die kaiserliche Majestät, Männer und Kräfte (viros et vires) des Imperiums zu Rat und Hilfe in diesem so großen und frommen Werk Simon zuzuschicken. Ähnlich lautet der Brief an Peter II. von Aragon (und à pari an Alfons VIII. von Kastilien) 91 , wobei hier ein Zusatz auf das Verhältnis von Ketzerkreuzzug und Maurenkrieg — die Briefe liegen zeitlich vor dem großen Maurenkreuzzug von 1210—1212 — eingeht. Für diesen seit Jahren geführten Krieg sei es wichtig, so schrieb Innocenz, daß im Rücken der spanischen Könige katholische Christen und keine Ketzer wohnten, so daß eine tatkräftige Unterstützung des Ketzerkreuzzuges auf lange Sicht die Front gegen die Mauren stärke und nicht etwa schwäche. Es wird bei diesen Briefen nicht restlos klar, ob der Appell zur Hilfe sich an die weltlichen Herrscher wendet, deren Pflicht zur Ketzerbekämpfung durch die die politischen Grenzen mißachtende Haeresie akut geworden ist, oder an mächtige christliche Nachbarn, die zur Hilfe in der Lage sind und dem hilfsbedürftigen Simon neue Kräfte zuführen sollen. Es wäre doch zu erwarten, daß im letzteren Falle ein Aufruf an die Nachbarvölker oder ein Werbeauftrag an den Klerus der Nachbarländer ergangen wäre. Nun ist ein solcher Auftrag zur Werbung aus dem November 1209 erhalten, doch wendet sich dieser bezeichnenderweise nur an den Episkopat der haeretischen Gebiete 92 ; ein paralleler Aufruf erging an die Konsuln in den südfranzösischen Städten, Arles, Montpellier und Avignon, also an die weltlichen Gewalten in den Kommunen, und forderte sie in einem letzten, über den Brief an die Bischöfe hinausgehenden Absatz auf, Hilfe zur Ketzerbekämpfung zu leisten. Auch jetzt nach den ersten großen Erfolgen sei der geistliche Lohn nicht geringer, sondern für alle, die zuerst und die zuletzt kommen, gleich 93 . Im Werbeauftrag an den Episkopat sah Innocenz den Kampf gegen die Ketzer als Kreuzzug an. Nach einer Schilderung der bisherigen Erfolge wird darauf RNI189 vom 22. März 1209, ed. Kempf S. 400-^02. Reg XII,124, P.3830 vom 11.November 1209, MPL 216,1530. 91 Reg XII, 125, P. 3831 vom 11. November 1209, MPL 216,154C. 92 Reg XII,136, P.3828 vom 11.November 1209, MPL 216,158f. 93 Reg XII,137, P.3829 vom 11.November 1209, MPL 216,160BC. 89
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hingewiesen, daß der Kampf noch nicht zu Ende sei, der Hydra immer neue Köpfe nachwüchsen. So sollen die Bischöfe für den Kampf gegen die Ketzerei eifrig unter ihren Gläubigen werben. Wer dem Aufruf folgt, erhält Ablaß, zinslose Schuldenstundung und soll durch Gelder unterhalten werden, die durch nachdringliche Mahnung als freiwillige Spenden des Klerus beschafft werden sollen. Da von einer Steuer nicht die Rede ist, sondern nur von einer dem Einkommen angemessenen Spende, ist die im Juli des Jahres für den Notfall in Aussicht genommene Ketzerkreuzzugssteuer nicht akut geworden. Die Werbung für den Kampf gegen die Ketzer, die nach dem Abzug der Kreuzfahrer im August 1209 notwendig wurde, zeigt so im November 1209 noch einmal deutlich, wie Innocenz zwar den Ketzerkreuzzug betreibt, ihn aber immer noch nicht mit voller theoretischer Begründung als Kreuzzug versteht, sondern immer wieder zum pflichtgemäßen Ketzerkrieg der weltlichen Herrscher neigt, der eine unumstrittene, alte Einrichtung war. Im Januar 1210 kam Graf Raimund von Toulouse nach Rom, um sich über die Behandlung und die erneute Exkommunikation durch die Legaten zu beschweren. Alles, was sich von da an in den Papstbriefen über die südfranzösische Ketzerei findet, handelt vom Prozeß gegen Raimund und von der umstrittenen Herrschaftsausübung Simons in den eroberten Gebieten. Zwar spricht Innocenz auch weiterhin gelegentlich vom ,exercitus signatorum' 94 , aber das ist offensichtlich eine rein technische Bezeichnung; von einem Kreuzzug gegen die Ketzer ist in Innocenz' Briefen nicht mehr die Rede. Es liegt nahe, läßt sich aber nicht erweisen, daß die Klagen Raimunds in Innocenz die Bedenken verstärkt haben, ob der Kreuzzug gegen die Ketzer nicht eine, zumindest in der praktischen Durchführung verfehlte Entscheidung war. Wir haben oben im Zusammenhang des 5. Kreuzzuges bereits gesehen, wie Innocenz im Januar 1213 die weitere Werbung für einen Kreuzzug gegen die Ketzer untersagte, im Kreuzaufruf vom April 1213 die Ablaß Verheißung für den Ketzerkrieg zurücknahm und gegenüber dem Dekan von Speyer, einem der Kreuzzugsbeauftragten der Provinz Mainz, offiziell den Kreuzzug ins Hl. Land als vorrangig und verdienstlicher bezeichnete 95 . Der Kreuzzug gegen die Ketzer war also im Rahmen der kirchlichen Maßnahmen gegen die Haeresie unter Innocenz III. nur eine Episode, deren Entwicklung den Händen des Papstes bald entglitt. Wenn er auch diese Entwicklung nicht aufhielt, so zeigt doch sein Schweigen ihr gegenüber, daß er sie nicht für gut hielt. Man möchte fast von einem Desinteresse des Papstes an dem Fortgang des militärischen Unternehmens sprechen, dessen ursprünglicher Zweck, die Ausrottung des Irrglaubens, gänzlich verfehlt und von politischen, lehns- und besitzrechlichen Streitfragen völlig überwuchert wurde 96 . 94
So noch Reg XV,212f, P. 4655. 4653 vom Januar 1213, MPL 216,739C und 741A. Vgl. oben S. 146. 96 Oldenbourg S. 184 betont ebenfalls die Zurückhaltung Innocenz' nach den ersten Erfolgen und S. 32, daß der Kreuzzug als Mittel zur Ausrottung der Ketzerei völlig versagte. 95
Der Ketzerkreuzzug
Ehe wir uns den Parallelen von Orient- und Ketzerkreuz2ug zuwenden, seien kurz einige Notizen erwähnt, die vielleicht von anderen Ketzerkreuzzügen unter Innocenz III. berichten. Im März 1204 schickte Innocenz dem Bulgarenzar Calojan eine Fahne, die das Kreuz und zwei Schlüssel zeigte. Er solle unter dieser Fahne gegen die ziehen, „die mit den Lippen Christus bekennen, im Herzen aber weit entfernt von ihm sind" 97 . Damit können Ketzer gemeint sein und die Peters- oder Kreuzesfahne auf einen Kreuzzug hindeuten. Doch aus diesen knappen Notizen läßt sich nicht viel erkennen, zumal Calojan als Herrscher ohnehin zur Ketzerbekämpfung verpflichtet war. Am 21. Oktober 1212 warnte Innocenz in schärfster Form die Mailänder, gegen deren Ketzerfreundlichkeit von allen Seiten laut Klage geführt würde. Man habe ihm, dem Papst, schon häufig vorgeschlagen, nach dem Vorbild des Ketzerkreuzzuges in der Provence auch hier gegen die Pest der Haeresie mit Ablaß Kämpfer zu werben und diese als .Christi charactere insignitos' gegen Mailand zu schicken98. Der Brief zeigt, wie der Ketzerkreuzzug sich jetzt bereits als Möglichkeit dem Bewußtsein der Zeitgenossen eingeprägt hatte. Von einer Verwirklichung dieser Drohung gegen Mailand wissen wir nichts ; H. Tillmann vermutet, das Schreiben sei nur eine dem Legaten für die Lombardei ausgehändigte Eventualausfertigung". Daher muß auch hier die Frage gestellt werden, die allerdings hier nicht lösbar ist, wieweit diese Drohung wieder nur äußerste Notlösung und ob sie überhaupt ernst gemeint war. Endlich bringt Mansi bei den Texten zum 4. Laterankonzil einen Chroniktext, der einen Einsatz von Kreuzfahrern gegen die Haeresie in Albano 1215 berichtet100. Doch ist der Text reichlich wirr und die Quelle, das Supplementum Chronicorum des Jac. Phil. Foresta oder J. Ph. Bergomensis, erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstanden. So ist dieser Bericht höchst unsicher. Als Ketzerkreuzzug zur Zeit Innocenz' III. kann in vollem Sinn wohl nur der Albigenserkreuzzug gelten. c) Parallelen und Unterschiede ^wischen Orient- und Ket^erkreu^ug
bei Innocemζ III.
Wie oben (S. 231) vermerkt, dürfen auf Grund der besonderen Umstände, die 1208 zurr^Ketzerkreuzzug führten, nur bedingt Parallelen erwartet werden. Am stärksten sind sie noch im Bereich der äußeren Organisation des Zuges. In einer akuten Notlage ruft der Papst die Christen zum Kampf auf. Die Werbung für diesen Kampf wird dem ordentlichen Klerus aufgetragen, von