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German Pages 223 [224] Year 2018
SERAPHIM Studies in Education and Religion in Ancient and Pre-Modern History in the Mediterranean and Its Environs Editors Peter Gemeinhardt · Sebastian Günther Ilinca Tanaseanu-Döbler · Florian Wilk
Editorial Board Wolfram Drews · Alfons Fürst · Therese Fuhrer Susanne Gödde · Marietta Horster · Angelika Neuwirth Karl Pinggéra · Claudia Rapp · Günter Stemberger George Van Kooten · Markus Witte
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Origenes der Christ und Origenes der Platoniker Herausgegeben von
Balbina Bäbler und Heinz-Günther Nesselrath
Mohr Siebeck
Balbina Bäbler, geboren 1967; 1997 Promotion in Klass. Archäologie an der Universität Bern; seit 2015 wissenschaftl. Mitarbeiterin im SFB 1136 (»Bildung und Religion«) Heinz-Günther Nesselrath, geboren 1957; 1981 Promotion in Klassischer Philologie an der Universität Köln; 1987 Habilitation; seit 2001 Professor für Klassische Philologie an der Universität Göttingen
ISBN 978-3-16-155855-9 / eISBN 978-3-16-155907-5 ISSN 2568-9584 / eISSN 2568-9606 (SERAPHIM) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2018 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Martin Fischer in Tübingen aus der Minion Pro gesetzt und von Hubert & Co. in Göttingen gedruckt und gebunden. Der Umschlag wurde von Uli Gleis gesetzt. Abbildungen: André Thevet: Les vrais pourtraits et vies des hommes illustres grez, latin et payens: 5r (Clement Alexandrin); 9r (Origene d’Alexandrie); 59r (Platon).
Vorwort Der hier vorgelegte Band versammelt zum einen die Beiträge, die am 15. und 16. Juli 2016 an einem Workshop des Teilprojekts A 02 des an der Theologischen und der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen angesiedelten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion“ präsentiert wurden; beteiligt waren ferner die Leiterin des Teilprojekts A 03 und der Leiter des Teilprojekts C 04 (vgl. auch die jeweils erste Anmerkung zur Einleitung und zu den Beiträgen von Peter Gemeinhardt, Ilinca Tanaseanu-Döbler und Balbina Bäbler). Der Workshop hatte den Titel „Origenes Platonicus et Origenes Christianus? Aut Origenes Platonicus et Christianus?“ und war damit der Frage nach den möglichen Beziehungen zwischen dem christlichen Theologen Origenes und dem Neuplatoniker Origenes gewidmet. Wie der Titel des Workshops andeutet, ging es dabei nicht zuletzt um die Möglichkeit, dass es sich bei den zwei Trägern dieses Namens sogar um ein und dieselbe Person gehandelt haben könnte. Im Lauf des Workshops ergab sich nun – nach ebenso konstruktiven wie kontroversen Diskussionen –, dass diese Frage (immer noch) nicht einer eindeutigen Antwort zugeführt werden kann; es zeigte sich aber auch, dass auch bei dem christlichen Theologen Origenes der Platonismus eine erhebliche Rolle spielt. Um diesem Ergebnis Rechnung zu tragen, werden die an dem Workshop präsentierten Beiträge nunmehr unter dem Titel „Origenes der Christ und Origenes der Platoniker“ publiziert und zudem noch um zwei Beiträge – von Prof. Dr. Theo Kobusch und von Dr. Andrea Villani, denen wir für ihre Bereitschaft, die „platonische“ Seite des Christen Origenes weiter auszuleuchten, sehr dankbar sind – ergänzt. Wir hoffen, dass unser Band auf diese Weise die Diskussion, wie in der späteren Antike Christentum und Platonismus interagierten, befruchten und bereichern kann. Göttingen / Oxford, im August 2017
Balbina Bäbler und Heinz-Günther Nesselrath
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Heinz-Günther Nesselrath Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Christoph Riedweg Das Origenes-Problem aus der Sicht eines Klassischen Philologen . . . . . . . . 13 Peter Gemeinhardt Origenes simplex vel duplex? Das Origenes-Problem aus der Sicht eines Kirchengeschichtlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Theo Kobusch Produktive Rezeption. Zum Platonismus des ‚christlichen Philosophen‘ Origenes . . . . . . . . . . . . . . 61 Winrich Löhr Der platonische Ideenkosmos bei Origenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Andrea Villani Platon und der Platonismus in Origenes’ Contra Celsum . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Ilinca Tanaseanu-Döbler Die Origeneis des Porphyrios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Jens Halfwassen Was wissen wir über die Metaphysik des Platonikers Origenes? . . . . . . . . . . 165 Balbina Bäbler Origenes und Eusebios’ Chronik und Kirchengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Namen- und Sachregister (Balbina Bäbler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Stellenregister (in Auswahl) (Balbina Bäbler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
Abkürzungsverzeichnis AA AAWLM.G AEPHE.R AJP AKG ANRW AW BBW BEThL BHTh BKAW BSGRT CAG CAnt CBy CCSG CCSL ChH COGD COMES CSCO.A CStS CUFr DACL
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X DGE DPhA EnAC ETH FC GCS GI GNO Hist.E HWP Hyp. JAC JECS JEH JHS JThF JThS KfA(.E) KKR Lampe LSJ
MH MSR NAWG.PH OCT OSAP
Abkürzungsverzeichnis
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Abkürzungsverzeichnis
Patr. PG PhB PL PTA PTS QSGP RAC REAug RHPhR RHWAW.G RIPh RPh SBA SBO SBS SC SPA STA STAC StPatr SVF SVigChr TBAW ThR TK TRE TU
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XII VigChr WUNT ZAC Zet.
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Einleitung* Heinz-Günther Nesselrath 1. Origenes: einer oder zwei? Da die in der Überschrift gestellte Frage bis in die aktuelle Gegenwart kontrovers diskutiert wird1, seien hier – als Einstieg in das Thema dieses Bandes – stellvertretend für viele andere zunächst die Argumente zweier bedeutender deutscher Theologen, Alfons Fürst (Münster) und Thomas Böhm (Freiburg i. Br.)2, gegen bzw. für eine Identität der beiden Origeneis vorgestellt; das Referat ihrer beider Positionen – am Ende noch um einige neuere Stimmen ergänzt – mag als brauchbare Einführung in die Texte und Fragen dienen, die in diesem Band wiederholt unter verschiedener Perspektive zu Wort kommen werden. Alfons Fürst hat in mehreren wichtigen Publikationen3 die Gründe dargelegt, weswegen es ihm zwingend erscheint, dass es sowohl einen christlichen Theologen Origenes als auch einen heidnischen Neuplatoniker dieses Namens gab. Er betont, dass der christliche Theologe zugleich ein mit „heidnischer“ Bildung und Philosophie zutiefst vertrauter Mann war4, wie nicht zuletzt der Origenes gewidmete Abschnitt der Kirchengeschichte des Eusebios von Caesarea (Hist. eccl. VI 1 – VII 1) und darin (Hist. eccl. VI 19,2–9) vor allem ein wörtlich wiedergegebenes Porphyrios-Exzerpt aus der großen (heute aber nur noch in Fragmenten und kurzen referierenden Bezugnahmen5 erhaltenen) gegen die Christen gerichteten Schrift des Porphyrios, Κατὰ Χριστιανῶν, zeigen. Origenes – so Fürst – nahm
* Dieser Beitrag ist im Rahmen des Teilprojekts A 02 des an der Theologischen und der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen angesiedelten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion“ entstanden. 1 Vgl. dazu den Beitrag von Christoph Riedweg in diesem Band, unten S. 13–39. 2 Beide haben – aus jeweils verschiedenen, hier nicht näher zu erörternden Gründen – an dem im Vorwort erwähnten Origenes-Workshop leider nicht teilnehmen können. 3 Fürst 2015; ders. 2007, 50–68; ders. 2011, 45–79 (vor allem 56–63: „Philosophieunterricht: Ammonius, der Lehrer des Origenes“). 4 Origenes sei „Grieche und Christ“ gewesen (Fürst 2015, 461), habe sich aber gleichwohl nicht als Philosoph verstanden (462, vgl. 522–525). 5 Neue Sammlung dieser Fragmente und Testimonien: Becker 2016.
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Heinz-Günther Nesselrath
„wohl nach 210“6 Philosophie-Unterricht bei Ammonios Sakkas, dem späteren Lehrer Plotins; nicht zuletzt dank dieses Unterrichts lassen sich größte Einflüsse Platons auf Origenes konstatieren: Seine Denkform ist „zutiefst platonisch“7, und er ist geradezu ein „platonischer Christ“8; aber er ist nicht identisch mit dem heidnischen (platonischen) Philosophen Origenes. Diese Auffassung hat Fürst bereits einige Jahre früher ausführlicher begründet:9 Nach Bestimmung von Origenes’ Lebensdaten (von etwa 185 bis etwa 25310) und Hinweisen auf seine gründliche Unterweisung in griechischer Paideia11 geht Fürst auch auf Origenes’ Philosophie-Studium in bereits fortgeschrittenen Lebensjahren ein12 und danach auf die Frage, wie viele Origeneis es wohl gab. Bereits in der Spätantike spalteten „Häresiologen … den Christen Origenes … in bis zu drei Personen auf“13; Fürst selbst ist von der Unmöglichkeit, den christlichen Theologen Origenes und den neuplatonischen Philosophen Origenes miteinander zu identifizieren, überzeugt: „Der Origenes, den Porphyrius in der Vita Plotins mehrmals erwähnt und der ebenfalls Schüler des Ammonius war, muss ein anderer sein als der Christ Origenes.“14 Fürst gibt dafür zwei wesentliche Gründe an: 1. Laut Vita Plotini 3 (Z. 31 f.) verfasste der Neuplatoniker Origenes ein Buch über Dämonen und eine Schrift Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς, und zwar unter der Regierung von Kaiser Gallienus (253–268)15; da nun aber der platonische Philosoph und Zeitgenosse Longinos in einer Schrift (zitiert in V. Plot. 20 Z. 41), die ins Jahr 263 gehört, von diesen Werken nur das erste, nicht aber das zweite nennt, sei das nicht erwähnte Werk wohl in Gallienus’ spätere Jahre zu setzen und könne daher nicht von dem Christen Origenes verfasst sein.16 2. Eine in Porphyrios’ Plotin-Vita (Porph. V. Plot. 14 Z. 20–25) geschilderte Begegnung 2015, 465. Laut Porphyrios (Eus. Hist. eccl. VI 19,7 = Porph. Contra Christianos 6F. § 7 Becker) war Ammonios in erwachsenem Alter vom Christentum zur heidnischen Philosophie konvertiert. Fürst (2015, 466) betont, dass Porphyrios in diesem Text weder die beiden Ammonioi noch die beiden Origeneis verwechselt hat (so dagegen Bruns 2008). 7 Fürst 2015, 511. 8 Fürst 2015, 512. 9 Fürst 2007, 50–68 sowie 2011, 56–63. 10 Fürst 2007, 52; die Angabe des spätantiken Autors Epiphanios (Haer. 64,3,3), derzufolge Origenes seine akme zur Zeit des Kaisers Decius (249–251) gehabt und danach noch 28 Jahre in Tyros gelebt habe, ist laut Fürst „völlig willkürlich“ (2007, 51). 11 Fürst 2007, 54: Laut Eus. Hist. eccl. VI 2,7 f.15 unterrichtete sein Vater Leonides Origenes „in den griechischen Wissenschaften beziehungsweise in der allgemeinen Schulbildung“ und hielt ihn „darüber hinaus zum eingehenden Studium der Bibel“ an. 12 Fürst 2007, 63; vgl. oben Anm. 6. In einem Brief (zitiert in Eus. Hist. eccl. VI 19,12–14) rechtfertigte Origenes übrigens seine Beschäftigung mit Philosophie. 13 Fürst 2007, 64, mit Verweis auf Redepenning 1841, Band I, 428 f. 14 Fürst 2011, 59: Es geht hier um die Erwähnungen eines Origenes in Porphyrios’ Plotin-Vita (§ 3.14.20). 15 Porph. V. Plot. 3 Z. 29–32: Ὠριγένης … Ἔγραψε … οὐδὲν πλὴν τὸ „Περὶ τῶν δαιμόνων“ σύγγραμμα καὶ ἐπὶ Γαλιήνου „ Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς“. 16 Zu diesem Argument vgl. unten Riedweg, S. 27–30. 6 Fürst
Einleitung
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Plotins mit Origenes kann nur in Rom erfolgt sein, d. h. Origenes hätte einmal in Rom gewesen sein müssen, „was mit der Biographie des Christen Origenes nicht in Einklang zu bringen ist“.17 Insgesamt ist Fürst der Auffassung, dass „der Origenes, den Porphyrios in der Vita Plotini mehrmals erwähnt, … ein anderer sein [muss] als der Christ Origenes“18; daher sei „die Unterscheidung zwischen einem christlichen Platoniker Origenes und einem gleichnamigen Neuplatoniker die viel einfachere und überzeugendere These“. Gleichwohl hat Fürst keine Schwierigkeiten, den von Porphyrios19 gegebenen Hinweis, dass Origenes ein Schüler des Ammonios Sakkas (des späteren Lehrers Plotins, vgl. o.) gewesen sei, zu akzeptieren, denn Ammonios könne durchaus „gut vierzig Jahre lang als philosophischer Lehrer tätig“ gewesen sein20; er ruft dazu richtig in Erinnerung, dass Origenes selber sogar ein halbes Jahrhundert als christlich-philosophischer Lehrer tätig war. Um die Unterscheidung zwischen einem christlichen Theologen Origenes und einem heidnisch-platonischen Philosophen Origenes aufrechterhalten zu können, ist Fürst auch bereit anzunehmen, dass Ammonios Sakkas dann eben zwei Schüler namens Origenes hatte: „die Geschichte hält bisweilen wunderliche Zufälle bereit.“21 Demgegenüber sei Eusebios – so Fürst22 – bei seiner Erwiderung auf Porphyrios, in der er den konstanten christlichen Glauben des Ammonios hervorhebt und sogar durch Hinweise auf von ihm verfasste Werke wie Περὶ τῆς 17 Fürst
2011, 59. 2007, 64; die von Beatrice 1992, 358–360 vorgebrachten Hypothesen, um die Identifikation der beiden Origeneis zu plausibilisieren, seien „abenteuerliche Konstruktionen“ (ibid. 65). 19 Porphyrios wird von Fürst als durchaus glaubwürdiger Zeuge für die Schülerschaft (auch) des (Christen) Origenes bei Ammonios Sakkas angesehen: Für Fürst (2011, 57) beruhen Porphyrios’ Äußerungen über Origenes (zitiert in Eus. Hist. eccl. VI 19,5–8 = Porph. Contra Christianos 6F. Becker) „durchaus auf eigener Kenntnis der Person und wohl auch von Werken des Origenes“. Auch bei der Unterscheidung von zwei verschiedenen Ammonioi (vgl. u.) gebe es – so Fürst 2011, 59 – „keinen Grund dafür, Porphyrius hier nicht beim Wort zu nehmen. Demnach war Origenes Schüler des Neuplatonikers Ammonius, der von seinen Eltern als Christ erzogen worden war, als Erwachsener und Philosoph sich aber umgehend dem Heidentum zugewandt hatte und später auch der Lehrer Plotins war.“ 20 Fürst 2007, 67; auch 2011, 58 hält Fürst es durchaus für möglich, „dass der Ammonius, der vor seinem Tod um 242 elf Jahre lang der Lehrer Plotins war, schon zu Beginn des 3. Jahrhunderts als philosophischer Lehrer des Origenes tätig gewesen sei“. Auch den von Origenes in einem Brief (zitiert bei Eus. Hist. eccl. VI 19,13) erwähnten heidnischen Philosophielehrer – bei dem er auch den späteren alexandrinischen Bischof Heraklas kennengelernt habe – möchte Fürst (2011, 59) mit Ammonios Sakkas identifizieren; vgl. auch dazu unten Riedweg, S. 22. 21 Fürst 2007, 66; vgl. Fürst 2011, 60: „Der heidnische Philosoph Ammonius […] war nicht nur der philosophische Lehrer Plotins, sondern auch eines heidnischen und eines christlichen Philosophen, die beide zufällig Origenes hießen.“ 22 Fürst 2007, 259 f. und 2011, 58. An dieser zweiten Stelle weist Fürst auch den Harmonisierungsversuch von Baltes 2001, 324 (nämlich dass dieser eine Ammonios „nach dem Amtsantritt des ‚rechtgläubigen‘ Bischofs Demetrius zwar am Christentum festhielt, sich aber einer häretischen Sekte gleichgesinnter Intellektuellen anschloss‘“) und 326 zurück. 18 Fürst
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Μωυσέως καὶ Ἰησοῦ συμφωνίας zu belegen versucht23, einer Verwechslung mit einem christlichen Autor namens Ammonios erlegen.24 So wie Alfons Fürst bei seiner Erörterung der Frage, ob es nur einen oder zwei Origeneis gegeben habe, die von Eusebios zitierte Charakterisierung des christlichen Theologen Origenes durch Porphyrios als ein Kernstück der hier relevanten Quellen behandelt, tut dies auch Thomas Böhm in seinem (bereits einige Jahre vor den oben zitierten Schriften Fürsts unternommenen) Versuch, nun gerade die Identität des christlichen und neuplatonischen Origenes zu erweisen.25 Böhm betont zunächst die großen Diskrepanzen zwischen den Origenes-Bildern des Eusebios und des Porphyrios (8) und unternimmt dann eine Doxographie der Streitfrage. Folgendes müsse gegeben sein, um nur von einem Origenes sprechen zu können (9): eine Identität des Lehrers der beiden Origeneis; eine Harmonisierung bei den biographischen Angaben, die zu den beiden Personen überliefert sind; und nicht zuletzt signifikante Übereinstimmungen in ihren Lehren – wobei Böhm die Bedeutung dieses Kriteriums Lehre gleich wieder relativiert: „ein und derselbe Autor kann in zeitlich unterschiedlich entstandenen Werken Platons Text hinsichtlich des Prinzips anders auslegen.“26 Gleichwohl wendet sich Böhm zuerst diesem Kriterium Lehre zu und fokussiert es auf ein Thema, das für den Theologen Origenes und den Neuplatoniker Origenes gleichermaßen von Wichtigkeit war: „Die Frage nach der Jenseitigkeit des einen Prinzips“. Für den Theologen Origenes ist (der christliche) Gott „eine οὐσία … jenseits der οὐσία“.27 Was den Neuplatoniker Origenes betrifft, so wurde er von dem etwa zweihundert Jahre jüngeren Proklos kritisiert, weil er das „Eine … jenseits von jeglichem Seienden“ aufgebe (Proklos, Theol. Plat. II 4).28 Aus dieser Kritik ergibt sich – so Böhm (12) –, dass für Origenes der νοῦς das erste Prinzip ist, während er ein jenseitiges Eines abgelehnt hat.29 Böhm hält nun, was die Jenseitigkeit des Prinzips betrifft, „die Interpretationen von Origenes, dem Theologen, und Origenes, dem Philosophen, [für] identisch“ (13), jedenfalls in der Hinsicht, „daß die Jenseitigkeit des Prinzips von den Begriffen ‚Würde‘ und ‚Mächtigkeit‘ her ausgelegt werden müßte“ (ibid.). Mit diesen Begriffen („Würde 23 Vgl.
hierzu unten Riedweg, S. 21. „die Behauptung des Porphyrius, Origenes sei ein zum Christentum konvertierter Grieche“ – laut Fürst (2011, 60) nur „die polemische Vergröberung“ der „enge[n] Verzahnung von griechischem Denken und biblischer Tradition …, welche die Theologie des Origenes kennzeichnete“ – habe, so Fürst (ibid.), Eusebios falsch verstanden, als er gegen Porphyrios einwandte, Origenes sei vielmehr christlich erzogenes Kind christlicher Eltern [Hist. eccl. VI 19,10]. Vielleicht ist hier jedoch Porphyrios’ Aussage zu abstrakt gedeutet. 25 Böhm 2002. 26 Böhm 2002, 9. 27 Böhm 2002, 10. 28 Böhm 2002, 11. 29 Vgl. dazu auch unten Halfwassen, S. 168. 24 Auch
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und Mächtigkeit“ = πρεσβείᾳ τε καὶ δυνάμει) wird an einer kardinalen Stelle von Platons Politeia (VI 509 b) die Jenseitigkeit der Idee des „Guten“ (ἀγαθόν) gegenüber dem Bereich des „Seins“ (οὐσία) beschrieben.30 Bei dem christlichen Theologen Origenes sind diese Kategorien an zwei Stellen seines Kommentars zum Johannes-Evangelium zu finden.31 Böhm weist in diesem Zusammenhang auf folgende bemerkenswerte Koinzidenz hin (13): „Außer bei dem Theologen Origenes und in dem Proklosreferat zu dem Platoniker Origenes wird der Platontext aus Resp. 509 b […] nur noch bei Eusebios in der Praeparatio evangelica zitiert, wobei Eusebios seine eigene Platonauslegung mit Hilfe von Numenius von Apamea zu stützen versucht.“ Böhm richtet seine Aufmerksamkeit dann auf die „historischen Angaben bei Eusebius und Porphyrius“ und bespricht zunächst „Das Problem der Schülerschaft bei Ammonius“ (15). Dabei betont er (zu Recht32), dass sich „aus den Angaben des Porphyrius … kein Schluß ziehen [lässt] über den paganen Ursprung des Origenes. Porphyrius kommt es allein auf das unterschiedliche Verhalten gegenüber der griechischen Kultur oder der Philosophie an“ (15 f.). So gibt es hier laut Böhm zwei Möglichkeiten (16): „Porphyrius schließt von der heidnischen Bildung darauf, daß Origenes als Heide aufgewachsen ist […] Andererseits könnte auch Eusebius fälschlicher Weise davon ausgehen, dass Origenes schon immer Christ gewesen ist […].“ Wie für Fürst (s. o.) gibt es auch für Böhm „keinen zwingenden Grund zu bestreiten, daß der Christ Origenes ein Schüler des Ammonius gewesen ist“ (16). Wie Fürst (s. o.) akzeptiert auch er, dass „sowohl der Theologe Origenes als auch der Philosoph Origenes bei einem Ammonius in die Schule gegangen [sind]“ (17), und argumentiert im Anschluss daran gegen die (besonders von H. Dörrie33 und H.-R. Schwyzer34 vertretene) These, dass es sich dabei nicht um denselben Ammonios gehandelt haben kann. Gegenüber Dörrie macht Böhm – wie dann auch Fürst (s. o.) – geltend, dass Ammonios ohne weiteres vierzig Jahre lang gelehrt und damit sowohl den Christen Origenes als auch den jüngeren Plotin zum Schüler gehabt haben kann. Ebenso weist Böhm Dörries Argument zurück, dass Ammonios laut Eusebios Bücher geschrieben habe, laut Longinus aber nicht – dies sei nicht Longinus’ eigentliche Aussage.35 Danach setzt sich Böhm mit Schwyzers These auseinander, dass Ammonius erst relativ spät (nämlich kurz 30 Plat. Rep. VI 509 b: οὐκ οὐσίας ὄντος τοῦ ἀγαθοῦ, ἀλλ‘ ἔτι ἐπέκεινα τῆς οὐσίας πρεσβείᾳ τε καὶ δυνάμει ὑπερέχοντος. 31 Orig. In Joh XIII 21,123 (p. 244,19–22 Preuschen) und XIII 25,152 (ibid. p. 249,26–29), worauf Böhm 2002, 10 Anm. 22 hinweist. 32 Vgl. auch unten Riedweg, S.20 f. 33 Dörrie 1976, 352. 34 Schwyzer 1983. 35 „Longin behauptet überhaupt nicht, daß Ammonius gar nichts geschrieben habe; man kann die Äußerungen Longins auch dahingehend verstehen, daß es nicht … das primäre Ziel des Ammonius gewesen ist, etwas zu schreiben“ (Böhm 2002, 17). Die (von Fürst ins Auge ge-
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vor 231) mit Lehrtätigkeit begonnen habe, Origenes also nicht bei ihm gewesen sein könne, und weist dieses Postulat zu Recht zurück; sein Fazit: „Der Theologe Origenes und der Philosoph Origenes haben einen Ammonius gehört“36, und dies könne durchaus der gleiche Mann gewesen sein. In dem anschließenden Abschnitt „Lebenszeit und Wirkungsstätten“ (scil. des Origenes) bemüht sich Böhm, die chronologischen Widersprüche wegzuerklären, die immer wieder gegen eine Identität des christlichen Theologen Origenes und des platonischen Philosophen Origenes ins Feld geführt worden sind. Namentlich geht es hier um die Frage, ob es sich bei dem Origenes, der irgendwann zwischen 231 und 242 Plotin – der in dieser Zeitspanne Schüler des Ammonios in Alexandria war – in Alexandria traf und ihm dann später (irgendwann zwischen 244 und 269) auch noch einmal in Rom begegnete, um den christlichen Theologen gehandelt haben kann. Die Negierer der Identität der beiden Origeneis halten dies für unmöglich, weil der Christ Origenes 231 Alexandria verlassen habe und nie mehr dorthin zurückgekehrt sei und weil er auch nie in Rom gewesen sei. Dagegen rechnet Böhm mit der Möglichkeit, „daß Origenes mit der Toleranz seines alten Freundes Heraklas rechnete und nach dem Tod des Ammonius nach Alexandrien zurückkehrte, vielleicht in der Hoffnung, sich dort wieder etablieren zu können; diese Ereignisse fielen dann in die Zeit 243/244. Erst jetzt könnte sich Heraklas genötigt gesehen haben, gegen Origenes einzuschreiten. […] Dann stünde auch nichts im Wege, daß sich Origenes nach dem Tod des Ammonius mit Herennius und Plotin getroffen hätte.“37 Ferner hält Böhm auch eine (spätere) Reise des Origenes nach Rom für möglich. Es bleibt noch das Problem, dass der Philosoph Origenes noch ein Buch veröffentlicht haben soll (nämlich unter Kaiser Gallienus), als der Theologe Origenes schon tot gewesen wäre – laut Eusebios starb er unter Kaiser Trebonianus Gallus (der zwischen Juni 251 und August 253 regierte und dessen Nachfolger Valerian und dessen Sohn Gallienus wurden). Dieser Schwierigkeit versucht Böhm mit folgender Überlegung zu begegnen: „Allein aus der Angabe bei Euseb, Origenes sei unter dem Kaiser Gallus gestorben, läßt sich nicht eindeutig zeigen, daß Origenes bereits tot gewesen sein muß, als der Philosoph Origenes unter Gallienus noch schrieb.“38 Das würde natürlich bedeuten, dass man hier mit einer fehlerhaften Angabe im Eusebios-Text rechnen müsste.39 Insgesamt glaubt Böhm jedenfalls, dass die bisher geltend gemachten Indizien, um einen
fasste) Möglichkeit, dass Eusebios den Christen Ammonios mit dem heidnischen Philosophen Ammonios verwechselt haben könnte, erörtert Böhm nicht. 36 Böhm 2002, 18. 37 Böhm 2002, 21. 38 Böhm 2002, 22. 39 Für eine andere Möglichkeit, der Gallus-Gallienus-Frage beizukommen, vgl. unten Riedweg, S. 29.
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christlichen Theologen Origenes von einem platonischen Philosophen mit dem gleichen Namen zu unterscheiden, nicht ausreichend sind. Acht Jahre nach Böhm hat sich Elizabeth DePalma Digeser seine Auffassung zueigen gemacht und weiter ausgebaut: Für sie bewegte sich der eine Origenes in einer „‘interaction sphere’, an environment in which otherwise disparate cultural groups share an overarching consensus regarding certain grand traditions“.40 Wie Böhm ist sie der Überzeugung, „that the doctrines attributed to the Platonist wholly agree with the extant texts of the Christian theologian“41; wie Böhm glaubt sie, dass Eusebios’ Angabe, der Theologe Origenes sei in der Regierungszeit des Kaisers Trebonianus Gallus gestorben, falsch ist und er vielleicht Gallus mit Gallienus verwechselte, ferner, dass Origenes zur Zeit des alexandrinischen Bischofs Heraklas noch einmal nach Alexandria zurückkehrte, dies aber von Eusebios bewusst verschwiegen wurde.42 Auch einen Besuch des Origenes in Rom – um dort die Unterstützung des römischen Bischofs Fabianus gegen Heraklas zu gewinnen – hält sie (wie Böhm) für durchaus möglich;43 und dass Origenes von Longinos und Porphyrios nur zwei schriftliche Werke zugewiesen werden, begründet sie damit, dass für diese beiden platonischen Philosophen Origenes’ (zahlreiche) christlich-theologische Werke einfach uninteressant waren.44 Für sie bewegte sich der Philosoph / Theologe Origenes „in two circles … he lived in a borderlands region where philosophers and Christian exegetes intermingled“.45 Dass Leute, die sich in diesem philosophisch-theologischen Grenz‑ und Zwischengebiet bewegten, aus verschiedenen Perspektiven sehr verschieden betrachtet werden konnten, erklärt für Digeser die so unterschiedlichen Bilder, die Porphyrios und Eusebios von (dem einen) Origenes zeichnen.46 In einem ein Jahr später erschienenen Beitrag hat Marco Zambon47 wiederum eine Lösung mit zwei Origeneis favorisiert48, die von Porphyrios verwechselt und miteinander identifiziert worden wären49, was jedoch außerordentlich unwahrscheinlich sein dürfte. Es ist freilich in der Tat ein Problem, dass Porphyrios selber nirgendwo explizit zwischen den beiden Origeneis, wenn er sie beide kannte, differenziert (vgl. dazu Riedweg, unten S. 33) – könnte das ein Indiz dafür sein, dass die beiden eben doch nur eine Person waren?50 40 Digeser
2010, 198. Vgl. ibid. 205. 2010, 200. Vgl. ibid. 208–210. 42 Digeser 2010, 201. 43 Digeser 2010, 202. 44 Digeser 2010, 203. 45 Digeser 2010, 204. 46 Digeser 2010, 205–207. Weitere neuere Stimmen zur Frage eines oder mehrerer Origeneis sind bei Tanaseanu-Döbler (unten S. 129 Anm. 1) referiert. 47 Zambon 2011. 48 Sie wurde ähnlich bereits von Goulet 1977 vorgetragen. 49 Zambon 2011, 158–164. 50 Gemeinhardt (unten S. 49) argumentiert gerade umgekehrt und fordert eine „ausdrückliche Identifikation von zwei Trägern dieses Namens“. Wenn es freilich wirklich nur einen Ori41 Digeser
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So ist die Frage, ob es ein oder zwei Origene(i)s gab, noch keineswegs abschließend beantwortet. Der vorliegende Band möchte zeigen, dass es sich auf jeden Fall lohnt, weiter über diese Frage nachzudenken.
2. Zum Inhalt dieses Bandes Im vorliegenden Band ist die erste Sektion ebenfalls einer durchaus kontroversen Erörterung der Frage, ob man mit zwei oder doch nur mit einem Origenes rechnen sollte, gewidmet. Zunächst nähert sich der Klassische Philologe Christoph Riedweg dieser Frage noch einmal mit großer Vor‑ und Umsicht – sowie einer detaillierten Untersuchung der einschlägigen Zeugnisse (vor allem des großen in Eusebios’ Kirchengeschichte überlieferten Fragments aus Porphyrios’ Schrift Contra Christianos, F6. Becker) – und versucht zu begründen, warum die Identität des christlichen Theologen Origenes und seines platonischen Homonymos zumindest eine ernstzunehmende Möglichkeit bleibt. Demgegenüber gelangt der Kirchenhistoriker Peter Gemeinhardt nach seiner Durchsicht der relevanten Zeugnisse des Proklos, des Porphyrios und der christlichen Autoren Gregorios Thaumaturgos, Pamphilos, Eusebios, Markellos von Ankyra und Athanasios zu dem Ergebnis, dass Proklos implizit und Porphyrios sogar explizit (durch Äußerungen, die zum einen dem Neuplatoniker Origenes und zum anderen dem Christen Origenes gewidmet sind und nirgends eine Verbindung zwischen beiden erkennen lassen) die Existenz von zwei Origeneis bezeugen; es ergibt sich aus dieser Zeugnis-Prüfung aber auch, dass der Theologe Origenes ebenfalls in hohem Maße Platoniker ist – und sogar in so hohem Maße, dass ihm schon in den folgenden Generationen wahres (= „orthodoxes“) Christsein immer mehr abgesprochen wurde, bis man seine Lehren schließlich auf kirchlichen Konzilien als Ketzereien verdammte. Damit ist ein guter Übergang zur zweiten Sektion dieses Bandes geschaffen, in der es in drei Beiträgen um eine nähere Bestimmung der Art und des Ausmaßes geht, in dem der Theologe Origenes von Platon und dem Platonismus geprägt wurde. Im ersten Beitrag dieser Sektion stellt der Philosoph Theo Kobusch einige generelle Charakteristika der „produktiven Rezeption“ des Platonismus durch genes gegeben hätte, der sowohl als christlicher Theologe wie auch als platonischer Philosoph schriftstellerisch tätig gewesen wäre, bestand vielleicht für Zeitgenossen wie Porphyrios gerade keine Notwendigkeit, dies ausdrücklich hervorzuheben. In diesem Zusammenhang kann an das Phänomen Nonnos erinnert werden, unter dessen Namen sowohl ein riesiges Dionysos-Epos als auch eine hexametrische Paraphrase zum Johannes-Evangelium überliefert sind; während ältere Forschung deshalb immer zwei Dichter des gleichen Namens – einen heidnischen und einen christlichen – annahm, gibt es inzwischen die communis opinio, dass beide Werke von demselben Autor stammen und dabei das christliche Hexametergedicht dem heidnischen sogar voranging (vgl. dazu zuletzt Friesen 2015, 239–241).
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Origenes heraus: Dies betrifft den Begriff der „wahren Philosophie“ (die auch schon bei Platon göttlich inspiriert ist), die moralische Umdeutung der platonischen Seelenwanderungslehre (mit der Origenes vielleicht sogar seinerseits den späteren Platonismus beeinflusst hat), die platonisch verstandene Dialektik (die argumentativ überzeugen und nicht dekretieren will), die platonische dualistische Ontologie (Unterscheidung eines Reichs der Sinne von einem Reich des nur geistig Wahrnehmbaren) und damit zusammenhängend die Vorstellungen vom „inneren Menschen“ und nicht zuletzt auch das Ziel der „Verähnlichung“ mit Gott. Nach den Betrachtungen Kobuschs konzentriert sich der Historische Theologe Winrich Löhr auf die Rezeption der platonischen Ideenlehre bei (dem Theologen) Origenes (vor allem, aber nicht ausschließlich, in dessen Johanneskommentar); er weist nach, wie Origenes „auf das platonische Konzept einer Ideenwelt“ rekurriert, um Probleme der Christologie (etwa die Frage des Verhältnisses von Gott Sohn / Logos und Gott Vater zueinander) zu lösen, und zeigt, dass Origenes „ im Hinblick auf den zeitgenössischen Schulplatonismus durchaus up to date“ ist; deutlich erkennbar sei bei ihm „der Versuch, eine hierarchisch geordnete Prinzipientheorie zu skizzieren und letztlich nur ein oberstes Prinzip zuzulassen“. Der starken Präsenz Platons und des Platonismus speziell in dem wichtigen Werk Contra Celsum (das aus Origenes’ letztem Lebensabschnitt stammt) geht der Kirchenhistoriker Andrea Villani nach: Er zeigt, dass Platon zum einen in der polemischen Strategie des Origenes gegen Kelsos eine wichtige Rolle spielt, dass aber unabhängig davon Origenes’ eigenes Urteil über Platon und seine Lehren ein bemerkenswert differenziertes und positives ist und dass Platon und der Platonismus auf das in Contra Celsum zutagetretende Denken des Origenes mehrfach bedeutenden Einfluss ausgeübt haben, etwa bei der Frage des Gottesbegriffs. Die dritte Sektion ist den Spuren gewidmet, die der Christ Origenes und der Neuplatoniker Origenes bei wichtigen späteren Autoren (zwei platonischen und einem christlichen) hinterlassen haben. Die Religionswissenschaftlerin Ilinca Tanaseanu-Döbler bietet eine genaue Untersuchung aller Zeugnisse über den Neuplatoniker (und Plotin-Kommilitonen und ‑Konkurrenten) Origenes sowie über den christlichen Theologen Origenes, die sich aus dem umfangreichen (heute aber stark fragmentierten) Werk des Plotin-Schülers Porphyrios erhalten haben (Porphyrios scheint in der Tat der einzige noch greifbare Autor zu sein, der über beide Origeneis spricht); sie gelangt dabei zu einer differenzierten Bestandsaufnahme der Ähnlichkeiten wie auch der Unterschiede, die in Porphyrios’ Äußerungen zwischen dem Neuplatoniker Origenes und dem Christen Origenes auszumachen sind, und liefert damit ebenfalls einen wichtigen Beitrag zu der Frage nach der Identität oder Nicht-Identität der beiden. Der Philosoph Jens Halfwassen bespricht die Zeug-
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nisse, die uns bei Proklos, dem bedeutenden Haupt der neuplatonischen Schule im Athen des 5. Jahrhunderts, noch zu dem Philosophen Origenes erhalten sind, und gelangt dabei zu einer klaren Bestimmung, welche Positionen dieser Origenes – wahrscheinlich in Auseinandersetzung mit Plotin – im Rahmen der Entwicklung des Platonismus im frühen und mittleren 3. Jahrhundert n. Chr. vertreten hat. Origenes’ Lehrmeinungen waren dabei so scharfsinnig begründet – so Halfwassen –, dass noch zwei Jahrhunderte später Proklos sich zu einigem argumentativen Aufwand veranlasst sah, um sie zu widerlegen. Den letzten Teil dieser Sektion – und zugleich den Beschluss des Bandes – bildet ein Beitrag der Mitherausgeberin Balbina Bäbler, der den Beziehungen nachgeht, die sich zwischen dem Wirken des Origenes und zwei bedeutenden Werken des Eusebios von Caesarea, seiner Chronik und seiner Kirchengeschichte, feststellen lassen: Zum einen hat sich Eusebios für den Aufbau seiner Chronik offensichtlich von der Hexapla des Origenes inspirieren lassen, zum anderen liefern seine Chronik und seine Kirchengeschichte wichtige – wenn auch nicht unkontroverse – Daten für Origenes’ Leben und Werdegang und damit auch noch einmal zu der Frage, ob es zwei Origeneis oder nur einen gab.
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Sekundärliteratur Baltes, Matthias, Ammonios Sakkas: RAC Suppl. 1 (1985) 323–332. Beatrice, Pier Franco, Porphyry’s Judgment on Origen: Origeniana quinta. Historica, Text and Method, Biblica, Philosophica, Theologica, Origenism and Later Developments (ed. by Robert J. Daly; BEThL 105; Leuven: Peeters, 1992) 351–367. Böhm, Thomas, Origenes – Theologe und (Neu‑)Platoniker? Oder: Wem soll man mißtrauen – Eusebius oder Porphyrius?: Adamantius 8 (2002) 7–23. Bruns, Christoph, War Origenes wie Plotin Schüler des Ammonios Sakkas?: Jahrbuch für Religionsphilosophie 7 (2008) 191–208.
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Digeser, Elizabeth DePalma, Origen on the Limes: Rhetoric and the Polarization of Identity in the Late Third Century: The Rhetoric of Power in Late Antiquity. Religion and Politics in Byzantium, Europe and the Islamic World (hg. von Robert M. Frakes u. a.; Library of Classical Studies 2; London: Tauris Academic Studies, 2010) 197–218. Dörrie, Heinrich, Ammonios, der Lehrer Plotins: Ders., Platonica minora (STA 8; München: Fink, 1976) 324–360 = Hermes 83 (1955) 439–477. Friesen, Courtney J. P., Reading Dionysos. Euripides’ Bacchae and the Cultural Contestations of Greeks, Jews, Romans, and Christians (STAC 95; Tübingen: Mohr Siebeck, 2015). Fürst, Alfons, Christentum als Intellektuellen-Religion. Die Anfänge des Christentums in Alexandria (SBS 213; Stuttgart: Verlag Katholisches Bibelwerk, 2007). –, Von Origenes und Hieronymus zu Augustinus. Studien zur antiken Theologiegeschichte (AKG 115; Berlin / Boston: De Gruyter, 2011). –, Origenes: RAC 26 (2014) 460–567. Goulet, Richard, Porphyre, Ammonius, les deux Origène et les autres …: Études sur les Vies de philosophes de l’Antiquité tardive: Diogène Laërce, Porphyre de Tyr, Eunape de Sardes (hg. von dems.; Textes et traditions 1; Paris: Librairie philosophique J. Vrin, 2001) 267–290 = Ders., Revue d’histoire et de philosophie religieuses 57 (1977) 471–496. Redepenning, Ernst Rudolf, Origenes: eine Darstellung seines Lebens und seiner Lehre, Band I (Bonn: Eduard Weber, 1841). Schwyzer, Hans-Rudolf, Ammonios Sakkas, der Lehrer Plotins (RHWAW.G 260; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1983). Zambon, Marco, Porfirio e Origene, uno status quaestionis: Le traité de Porphyre contre les chrétiens. Un siècle de recherches, nouvelles questions. Actes du colloque international organisé les 8 et 9 septembre 2009 à l’Université de Paris IV-Sorbonne (hg. von Sébastien Morlet; Collection des Études Augustiniennes, Série antiquité 190; Paris: Institut d’Études Augustiniennes 2011) 107–164.
Das Origenes-Problem aus der Sicht eines Klassischen Philologen Christoph Riedweg Zumindest unterschwellig dürfte die seit langem bestehende und zumal in der Gräzistik bis heute nicht gänzlich überwundene Tendenz, zwischen der klassischen paganen Tradition – als dem gewissermaßen ‚reinen‘ Erbe der Antike – und der jüdisch-christlichen Überlieferung zu trennen, auch in der OrigenesDiskussion eine gewisse Rolle spielen. Diese Trennlinie wird durch die weiterhin maßgeblichen englischsprachigen Lexika im philologischen Alltag wie von selbst bestätigt und verstärkt: Henry George Liddell und Robert Scott, auf die das traditionell mit „LSJ“ abgekürzte „Greek-English Lexicon“ im Kern zurückgeht, dachten explizit an ein „Lexicon of Classical Greek“, in dem lediglich summarisch auf patristische und byzantinische Autoren verwiesen wurde, und da zur Zeit der ersten Überarbeitung dieses Lexikons durch H. Stuart Jones ein „Lexicon of Patristic Greek“ (der spätere „Lampe“) bereits in Vorbereitung war, verzichtete Jones mit Ausnahme der Septuaginta, der jüdisch-hellenistischen Literatur und des Neuen Testaments sowie von Texten, die Quellen für die Rekonstruktion paganer Autoren sind (wie z. B. Kyrills von Alexandrien „Gegen Julian“), überhaupt auf die Berücksichtigung der frühchristlichen Literatur.1 Neuere Lexika wie der noch unvollständige „DGE“2 oder Montanaris „GI“3 versuchen in dieser Hinsicht mehr oder weniger stark gegenzusteuern, doch bleiben „LSJ“ (mit dem Supplement von Glare 1996) und „Lampe“ in der Wissenschaft aus verschiedenen Gründen noch immer die erste Anlaufstelle. Als ich im Jahre 2000 angefragt wurde, die Herausgeberschaft von Band 5 der Reihe Antike des neuen Grundriss der Geschichte der Philosophie zu übernehmen, lag für die Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike ein älteres Konzept vor, das mit seiner Aufteilung der paganen und der christlichen Philosophie auf je getrennte Bände eine ähnliche Denkhaltung erkennen lässt. Dass ein solches Konzept den komplexen Austauschverhältnissen kaum gerecht wird, liegt auf 1 Cf.
auch Riedweg 2002. auch elektronisch abrufbar: http://dge.cchs.csic.es/xdge/ (letzter Zugriff am 24. 03.
2 Jetzt
2017) 3 Jetzt auch auf Englisch verfügbar (online unter http://dictionaries.brillonline.com/montan ari [letzter Zugriff am 24. 03. 2017]).
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der Hand.4 Jüdisch-christliche Denker durchliefen schon bald in der Regel die gleichen Schulen wie die heidnischen Geistesgrößen, und es ist zunehmend von regelrecht osmotischen Prozessen auszugehen, wobei diese Osmose bereits früh in beide Richtungen wirkte. Auf diesem Hintergrund ist auch eine Dichotomie, wie sie Schwyzer 1983, 23 formulierte – niemand „konnte […] gleichzeitig überzeugter Platoniker und gläubiger Christ sein“5 –, ausgesprochen problematisch: Zumindest für die Plotin bekannten christlichen Gnostiker, deren Lehre erstaunlich weitgehend mit dem zeitgenössischen Platonismus übereingestimmt zu haben scheint6, galt dies gewiss nicht, und unabhängig vom Spezialfall des Ammonios, den einige moderne Forscher ebenfalls gerne verdoppeln möchten, ist in diesem Zusammenhang auch auf das bemerkenswerte Interesse zeitgenössischer Platoniker wie Numenios und Amelios an der jüdisch-christlichen Überlieferung zu erinnern, das auf einen intensiven Austausch insbesondere mit philosophienahen ‚heterodoxen‘ Christen schließen lässt.7 Ein Origenes, der zugleich ein herausragender platonischer und jüdischchristlicher Gelehrter und Exeget war, wäre aus dieser Perspektive überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, Origenes Platonicus et Christianus stellt zunächst einmal eine besonders reizvolle Ausgangshypothese dar, zu der sich etwa auch die Nachricht fügt, dass Origenes’ engster Mitarbeiter Heraklas noch um 231/233, d. h. kurz bevor er zum Bischof von Alexandrien gewählt werden sollte, den 4 In der Überzeugung, dass „mit der paganen Philosophie und der Philosophie von Judentum
und Christentum nicht etwa zwei grosse weltanschauliche Blöcke gegeneinander abzugrenzen und isoliert zu betrachten sind, sondern dass diese vielmehr von Beginn weg in lebendigem Austausch miteinander stehen“, haben daher die drei aktuellen Herausgeber Christoph Riedweg, Christoph Horn und Dietmar Wyrwa dem Bandaufbau ein Mischprinzip zugrunde gelegt, „bei dem die chronologische Folge die zentrale Rolle spielt, zudem aber auch das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die Schulzugehörigkeit eines Autors und – in sekundärer Weise – auch seine Religionszugehörigkeit und seine geographische Situierung berücksichtigt werden. Die Herausgeber sind der Ansicht, dass sich auf diese Weise die Interdependenzen zwischen Autoren und Schulen, die durchaus religionsübergreifend festzustellen sind, besonders deutlich herausarbeiten lassen und die faszinierende Epoche angemessener beschrieben und verstanden werden kann“ (vgl. http://p3.snf.ch/Project-146147 [letzter Zugriff am 24. 03. 2017]). 5 Auch Weber 1962, 25 f. geht zu schematisch vor (vgl. „Longinos rechnet Origenes zu den Πλατωνικοί, und Porphyrios gibt ihm implicite darin recht. Wenn also Origenes christliche Lehren vertrat, so können diese jedenfalls nicht im Vordergrund gestanden haben“ etc.; differenziert dagegen 38 zu Ammonios im Anschluss an Langerbeck 1957). Zutreffend wird die intellektuell offene, von fließenden Übergängen gekennzeichnete Situation im Alexandrien dieser Zeit u. a. geschildert von Langerbeck 1967, 149–151.165; Nautin 1977, 201; Fowden 1977, 367; Fürst 2007 a, 19 f.67 f. und 2007 b, 262 f.; von einem konkurrierenden Wettkampf um kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus spricht Schott 2008, 262 von einer „interaction sphere“ im Sinne Caldwells Digeser 2010, 198.205. 6 Vgl. Plotin II 9,6; Edwards 2002, 31 zufolge dürfte Plotin die von ihm als Freunde bezeichneten Gnostiker (cf. II 9,10, 3) in Ammonios’ Schule kennengelernt haben. 7 Amelios könnte seine vielbeachtete Paraphrase des Johannesprologs ‚heterodoxen‘ Christen verdanken, mit denen die Platoniker sich allgemein vergleichsweise leicht verständigen konnten; vgl. Riedweg 2016.
Das Origenes-Problem aus der Sicht eines Klassischen Philologen
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Philosophenmantel als unmissverständliches visuelles Zeichen seiner ‚multiple identity‘ trug. Diese Arbeitshypothese, die im übrigen die spätere anti-origenistische Polemik aus ‚orthodoxer‘ Perspektive leichter verständlich machen würde, muss freilich einer rigorosen philologischen Prüfung unterworfen werden. Die Hauptschwierigkeit besteht dabei in der Rekonstruktion der Lebensdaten der an der Causa beteiligten Protagonisten Ammonios, Origenes, Plotin und Porphyrios. Zumal im Falle des Ammonios und des Origenes lassen sich diese höchstens näherungsweise aus der nicht nur ausgesprochen spärlichen und lückenhaften, sondern z. T. auch widersprüchlichen Überlieferung eruieren. Das ist umso gravierender, als für die Klärung der Frage, ob von einem oder von zwei Origeneis (und Ammonioi) auszugehen ist, chronologische Überlegungen am Ende den Ausschlag geben und es dabei, wie wir gleich sehen werden, mitunter auf Wochen und Monate ankommt. Für die Annahme eines einzigen Origenes scheint in erster Linie das Porträt zu sprechen, das Porphyrios in einem berühmten Fragment seiner Schrift Gegen die Christen (Κατὰ Χριστιανῶν) vom christlichen Origenes zeichnet. Es handelt sich überhaupt um das längste auf Griechisch erhaltene Originalzitat aus dieser Kampfschrift, die von Kaiser Konstantin vor dem Konzil von Nikaia offiziell verboten wurde und entsprechend schlecht erhalten ist8 – mit ihrer scharfsinnigen, philosophisch und philologisch untermauerten Polemik hatte sie in christlichen Kreisen größte Beunruhigung ausgelöst. Umso mehr Bedeutung misst Eusebios den Aussagen des ‚Gegners‘ über Origenes zu: Er führt ihn in seiner Kirchengeschichte als Kronzeugen für die allgemein anerkannten professionellen Kompetenzen des Origenes im Bereich der Fachwissenschaften und der Philosophie an (Hist. eccl. VI 19 = Porph. Adv. Christ. III, fr. 6F. Becker). Bereits das vorausgehende Kapitel VI 18 ist für das intellektuelle Klima, wie es sich Eusebios für die Zeit um 220 in Alexandrien vorstellt, aufschlussreich: Ambrosios, Origenes’ späterer Gönner, ist Eusebios zufolge nur ein Beispiel für Häretiker, Gebildete und Philosophen, die, angezogen von Origenes’ weithin ausstrahlendem Ruhm9, zu ihm gekommen sind und sich von ihm nicht nur in der christlichen Theologie, sondern auch in der heidnischen Philosophie unterrichten ließen. Denn, so Eusebios weiter, „diejenigen, die er als dafür geeignet sah“ – eine wichtige Einschränkung, die an Platons sog. Tyrannenprobe im Siebten Brief erinnert10 –, „führte er auch zu den philosophischen Wissenschaften“. Eusebios erwähnt Geometrie und Arithmetik als „vorbereitenden Unterricht“ (προπαιδεύματα)11, bevor 8 Porphyrios
38T. Smith; vgl. allgemein Riedweg 2017.
9 Dieser soll auch die Mutter des Kaisers Alexander Severus Iulia Mamaea veranlasst haben,
Origenes zu sich nach Antiochien zu rufen (Eus. Hist. eccl. VI 21,3 f.); cf. Perrone 2013, 148. 10 Cf. Plat. Ep. 7, 340 b–341 a. 11 Cf. Orig. Ep. ad Greg. 1.
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Origenes die Schriften der verschiedenen Philosophenschulen diesem engeren Kreis vorgestellt, kommentiert und Punkt für Punkt erforscht habe (VI 18,3 τὰ παρὰ τούτοις συγγράμματα διηγούμενος ὑπομνηματιζόμενός τε καὶ θεωρῶν εἰς ἕκαστα), ein Verfahren, wie es offenkundig auch in Plotins Schule üblich war.12 Dieselbe exegetische Vorgehensweise soll im Folgenden auf die in der Forschung intensiv diskutierte13 Schlüsselstelle für unsere Frage angewandt werden, indem das Porphyriosfragment Adv. Christ. III, fr. 6F Becker Abschnitt für Abschnitt unter Angabe der Fundstelle bei Eusebios zitiert, erläutert und in den größeren Kontext eingeordnet wird. Der Text gliedert sich in zwei Teile: 1) einen allgemeinen, in dem von „gewissen“ Christen die Rede ist, die zur Rettung der schlechten jüdischen Schriften (gemeint ist offensichtlich das Alte Testament) zu allegorischen Auslegungen Zuflucht nehmen (VI 19,4), und – nach einer von Eusebios mit „Dann, nach weiteren Äußerungen, sagt er“ markierten, kaum sehr langen Lücke – 2) der Einführung des Origenes als Beispiel (VI 19,5–8). Der erste, mit technischen Fachtermini gespickte Teil14 ist für die OrigenesFrage nur insofern von Bedeutung, als er den zweiten Abschnitt im übergeordneten Zusammenhang der Frage einer angemessenen Bibelexegese situiert und mit der scharfen Polemik die Stoßrichtung von Porphyrios’ Argumentation erkennen lässt. Angesichts der „Schlechtigkeit der jüdischen Schriften“, so Porphyrios15, wäre eine radikale Distanzierung (ἀπόστασις) angezeigt, doch die Christen erkennen offenbar lediglich ein ‚Problem‘, für das sie eine „Lösung“ (λύσιν) anbieten, indem sie sich laut Porphyrios „auf inkohärente und für das Geschriebene unpassende Exegesen“ verlegen (ἐπ’ ἐξηγήσεις ἐτράποντο ἀσυγκλώστους καὶ ἀναρμόστους τοῖς γεγραμμένοις) und, statt sich zu verteidigen „für das Fremdartige“, das Eigene vielmehr mit Lob (ἔπαινος) überhäufen: Sie rühmten das, was in Porphyrios’ Augen von Mose „offen“ (φανερῶς, d. h. ohne verborgenen tieferen Sinn) gesagt wurde, als „Rätsel“ (αἰνίγματα, ein seit dem DerveniPapyrus für die Allegorese verwendeter Terminus) und als „göttliche Orakel voll verborgener Mysterien“ (θεσπίσματα πλήρη κρυφίων μυστηρίων), wobei sie mit solcher Wichtigtuerei den kritischen Verstand ausschalteten. Zur Illustration führt Porphyrios nun zu Beginn des zweiten Fragmentteils Origenes als Beispiel ein (VI 19,5): ὁ δὲ τρόπος τῆς ἀτοπίας ἐξ ἀνδρὸς ᾧ κἀγὼ κομιδῇ νέος ὢν ἔτι ἐντετύχηκα, σφόδρα εὐδοκιμήσαντος καὶ ἔτι δι’ ὧν καταλέλοιπεν συγγραμμάτων εὐδοκιμοῦντος, παρειλήφθω, Ὠριγένους, οὗ κλέος παρὰ τοῖς διδασκάλοις τούτων τῶν λόγων μέγα διαδέδοται. unten S. 24 f. zu Porph. V. Plot. 14. Sekundärliteratur dazu ist Legion; cf. den Forschungsbericht von Zambon 2011 (zu ergänzen jetzt u. a. Johnson 2012). 14 Cf. u. a. Cook 2000, 129–131. 15 Cf. dazu Johnson 2013, 278–280. 12 Vgl. 13 Die
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Welcher Art das bizarre Vorgehen ist, wollen wir am Beispiel eines Manns in Erfahrung bringen, dem auch ich, als ich noch sehr jung war, begegnet bin – er stand in höchstem Ansehen, und er steht es aufgrund der Schriften, die er hinterließ, noch immer: Origenes, dessen großer Ruhm bei den Lehrern dieser Reden andauert.16
Aus der Einführung geht eindeutig hervor, dass Porphyrios in der Fortsetzung zumindest ein konkretes Beispiel für die Absurdität von Origenes’ Allegoresen geliefert haben muss.17 Eusebios, dessen Interesse an dieser Stelle ausschließlich den Hinweisen zur Biographie und zum intellektuellen Profil des Origenes gilt, überliefert es leider nicht. Als er „noch ganz jung“ war, so Porphyrios, sei er Origenes begegnet.18 Zwei Fragen stellen sich hier: Wann hat dieses Treffen stattgefunden, und wo? Porphyrios ist um 233/234 in Tyros geboren und weilte von ca. 253–263 in Athen bei Longin, danach bis 268 in der Schule Plotins in Rom. Der Christ Origenes wiederum war mehr als eine Generation älter: In der Regel gilt ca. 185/186 n. Chr. als sein Geburtsjahr und als Todesjahr die Spanne von 251–255.19 Wenn sich Porphyrios als noch sehr jung beschreibt, so dürfte dies auf eine Zeit zwischen 14 und 17 Jahren deuten20, in der die μειράκια („Jünglinge“) im Rahmen des Festes der Liberalia die toga praetexta gegen die toga virilis eintauschten.21 Als Ort der Begegnung kommt wohl am ehesten die nicht weit von Tyros entfernte Hauptstadt der Provinz Syria Palaestina, Caesarea Maritima, wohin sich Origenes wegen Spannungen mit Bischof Demetrios seit 232/23322 zurückgezogen hatte, 16 Diese
und alle weiteren Übersetzungen stammen vom Verfasser. überlegen wäre, ob die von Didymos zitierte, in der Deutung unsichere Allegorese von Achilleus und Hektor auf Christus und den Teufel eventuell in diesen Zusammenhang gehört (Becker reiht das Fragment entsprechend unmittelbar nach unserer Stelle als fr. 7F. ein; Porphyrios hätte die Allegorese auch ironisch als Beispiel für eine abstruse Exegese à la Origenes’ Bibelauslegungen anführen können). 18 Der vorsichtige Vorschlag von Johnson 2013, 16 mit Anm. 68, ἐντετύχηκα im Sinne eines „textual encounter“ zu verstehen, scheint mir auch aufgrund der Fortsetzung καὶ ἔτι δι’ ὧν καταλέλοιπεν συγγραμμάτων εὐδοκιμοῦντος wenig plausibel. 19 Mehr dazu unten S. 28 f. 20 Leicht anders Nautin 1977, 199 „Porphyre avait alors dix-sept ou dix-huit ans.“ 21 Einem Jugendlichen dieses Alters widmet Dionysios von Halikarnass seine Schrift Περὶ συνθέσεως ὀνομάτων (vgl. De comp. verb. 1,1). Wie sehr sich schon μειράκια für Philosophie interessieren konnten, belegt u. a. auch Porphyrios’ Lehrer Longin, der im Prooimion seiner Schrift Περὶ τέλους den Mangel an genuinen Philosophen beklagt und betont, dass dies, „als wir noch Jünglinge waren“ (ἔτι δὲ μειρακίων ὄντων ἡμῶν), noch ganz anders gewesen sei (De fine fr. 11A. Männlein-Robert = fr. 4,20 f. Patillon-Brisson = Porph. V. Plot. 20,20 f.); für weitere Beispiele vgl. Fürst 2007 a, 58 und 2007 b, 254 f. 22 Cf. Eus. Chron.(Hieron.) p. 216,2 f. Helm (233 p. Chr.) Origenes de Alexandria ad Caesariam Palaestinae transit (noch später, nämlich 235, laut der armenischen Fassung p. 225 Karst); in Hist. eccl. VI 26 schwankt die textkritische Überlieferung zwischen dem 10. Jahr des Alexander Severus (der zwar schon 221 von Elagabal zum Kaiser und damit seinem Nachfolger ernannt wurde, aber doch erst nach dessen Ermordung 222 wirklich an der Macht war, was eher auf 232 als auf 231 schließen lässt) und dem 12. (was 234 ergeben würde). Ein definitiver Entscheid ist kaum möglich (auch die Begegnung mit der Kaisermutter Iulia Mamaea in Antiochien – 17 Zu
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in Frage, auch wenn von einer relativ regen Reisetätigkeit des Origenes auszugehen ist.23 Die Begegnung mit dem schon damals hochangesehenen Origenes, die wohl dessen Tod nur wenige Jahre vorausging, scheint den philosophisch interessierten Jüngling Porphyrios beeindruckt zu haben – sonst würde er sich kaum mehr als 20 Jahre danach bei der Abfassung von Κατὰ Χριστιανῶν (Terminus post quem ist 270/272)24 noch gut daran erinnert haben. Im nächsten Abschnitt skizziert Porphyrios Origenes’ prominente philosophische Filiation (VI 19,6): ἀκροατὴς γὰρ οὗτος Ἀμμωνίου τοῦ πλείστην ἐν τοῖς καθ’ ἡμᾶς χρόνοις ἐπίδοσιν ἐν φιλοσοφίᾳ ἐσχηκότος γεγονώς, εἰς μὲν τὴν τῶν λόγων ἐμπειρίαν πολλὴν παρὰ τοῦ διδασκάλου τὴν ὠφέλειαν ἐκτήσατο, εἰς δὲ τὴν ὀρθὴν τοῦ βίου προαίρεσιν τὴν ἐναντίαν ἐκείνῳ πορείαν ἐποιήσατο. Dieser war ein Schüler des Ammonios, der in unserer Zeit die Philosophie am meisten vorangebracht hat, und er zog zwar großen Nutzen aus dessen Unterricht im Hinblick auf seine Kompetenz in diskursiver Rede, doch was die richtige Auswahl der Lebensweise betrifft, schlug er den ihm entgegengesetzten Weg ein.
Man hat aus der Verwendung des Terminus ἀκροατής („Hörer“) für Origenes’ Schülerschaft aufgrund der in Plotins Schule üblichen Unterscheidung zwischen „Hörern“ und „Nacheiferern“ (ζηλωταί: Porph. V. Plot. 7,1) eine losere Beziehung ablesen wollen.25 Doch ist der Begriff „Hörer“ an sich neutral und drückt zunächst lediglich aus, dass er an Ammonios’ ἀκροάσεις („mündliche Vorträge“: Porph. V. Plot. 3,26) teilgenommen hat. Über Ammonios’ Lebensdaten ist kaum etwas bekannt. Er wird von Porphyrios seiner eigenen Zeit zugerechnet, auch wenn er als Lehrer des Origenes gewiss erheblich älter gewesen sein dürfte.26 Aus dem Terminus ante quem 243 (Abreise Plotins aus Alexandrien) für die von Porphyrios in der Plotin-Vita ges. oben Anm. 10 – lässt sich nur annähernd in die Zeit zw. 231 und 233 datieren, cf. Schroeder 1987, 499), und 232/233 scheint die vorsichtigste Lösung. Cf. auch Nautin 1977, 27.65–70.368; Bienert 1978, 96: „zwischen 231 und 233“; Norelli 2000, 295 f.; zu möglichen Gründen für die „Entfernung“ des Origenes aus der alexandrinischen Kirche durch Demetrios s. außer Eusebios und Hieronymus bes. auch Photios, Bibl. 118, 92 b–93 a sowie Severus ibn al-Moqaffa’, Hist. patriarch. 1,4 (Patrologia Orientalis 1,2), p. 163.164 f.169–173 Evetts; Bienert 1978, 95–104; für einen freiwilligen Wegzug plädiert u. a. Perrone 2013, 150 f. 23 Cf. u. a. Fürst 2015, 468 f. In „Caesarea von Palästina“ lokalisiert der Kirchenhistoriker Sokrates auch eine von Eusebios erzählte Anekdote, wonach Porphyrios dort Schläge von einigen Christen bekommen habe und deswegen „das Christentum verlassen“ und „gegen die Christen zu schreiben“ begonnen habe (Hist. eccl. III 23,38; dazu Kettler 1972, 332 f.; Kinzig 1998; Schott 2008, 274–276; Johnson 2013, 16). 24 Cf. Riedweg 2017, 59 Anm. 2. 25 Z. B. Schwyzer 1983, 36; Schroeder 1987, 507 f. („a casual pupil of Ammonius“) etc. 26 Ähnlich in der Suda s. v. Ἀμέλιος in Bezug auf diesen Plotinschüler: συγχρονίσας Ἀμμωνίῳ καὶ Ὠριγένει; cf. auch Nautin 1977, 20 über Eusebios: „les expressions καθ’ ἡμᾶς et εἰς ἡμᾶς désignent chez lui toute la période qui s’est écoulée depuis sa propre naissance“ (damit vergleichbar
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nannte Vereinbarung unter den Ammonios-Schülern schließt man traditionell auf ein Todesjahr um 242 n. Chr.27, doch kann die Vereinbarung auch noch zu Ammonios’ Lebzeiten getroffen worden sein.28 Gesichert ist einzig, dass Plotin laut Porphyrios’ Chronologie zwischen 232 und 243 in Alexandrien sein Schüler war.29 Wichtiger ist im vorliegenden Kontext ohnehin die Frage, in welcher Zeit der christliche Origenes bei Ammonios studiert haben könnte. Die Vorschläge in der Sekundärliteratur schwanken zwischen „von etwa 205–210“30, „nach 210“31, „nach 211“32 bis zu den „letzten Jahre[n] vor der endgültigen Abreise des Origenes aus Alexandreia 232“.33 Tatsächlich scheint vor 232/233 fast jedes Datum möglich, auch wenn es, wie wir gleich sehen werden, Gründe zur Annahme gibt, dass dieses Studium kaum ganz am Anfang von Origenes’ ‚Karriere‘ erfolgte, so frühreif und seine Schüler beeindruckend er schon als junger Lehrer auch gewesen sein mag.34 Ist bereits am Ende des vorausgehenden Paragraphen ein gewisser Widerspruch zwischen Worten und Taten bzw. Lehre und Leben angeklungen35, so wird dieser Punkt im Folgenden in einer Art Parallelvita von Ammonios und Origenes ausgeführt und verdeutlicht (VI 19,7): Ἀμμώνιος μὲν γὰρ Χριστιανὸς ἐν Χριστιανοῖς ἀνατραφεὶς τοῖς γονεῦσιν, ὅτε τοῦ φρονεῖν καὶ τῆς φιλοσοφίας ἥψατο, εὐθὺς πρὸς τὴν κατὰ νόμους πολιτείαν μετεβάλετο, Ὠριγένης δὲ Ἕλλην ἐν Ἕλλησιν παιδευθεὶς λόγοις, πρὸς τὸ βάρβαρον ἐξώκειλεν τόλμημα· ᾧ δὴ φέρων αὐτόν36 τε καὶ τὴν ἐν τοῖς λόγοις ἕξιν ἐκαπήλευσεν, κατὰ μὲν τὸν βίον Χριστιανῶς ζῶν καὶ παρανόμως, κατὰ δὲ τὰς περὶ τῶν πραγμάτων καὶ τοῦ θείου δόξας ἑλληνίζων τε καὶ τὰ Ἑλλήνων τοῖς ὀθνείοις ὑποβαλλόμενος μύθοις. Denn Ammonios wuchs als Christ mit christlichen Eltern auf. Als er [sc. jedoch] mit dem Denken und mit der Philosophie in Berührung kam, wechselte er sogleich zu dem den betrachten auch wir heute einen viel älteren Philosophen wie Jürgen Habermas durchaus als unseren Zeitgenossen). 27 Cf. Schwyzer 1983, 17. 28 Mehr dazu unten S. 26–31. 29 Cf. Porph. V. Plot. 3,6–21. 30 Baltes 1985, 324 im Anschluss an Theiler 1966, 1; ähnlich Nautin 1977, 415; Beatrice 1992, 359 („in about 210“); Tanaseanu-Döbler 2013, 115. 31 Williams 1995, 399, gefolgt von Fürst 2015, 465; cf. dens. 2007 b, 269: „Wann genau, ist nicht sicher zu klären; sicher jedenfalls im ersten Jahrzehnt des 3. Jahrhunderts.“ 32 Wyrwa 2005, 285. 33 Schwyzer 1983, 36. 34 Auszuschließen ist ebenso, dass Origenes erst kurz vor seinem Wegzug aus Alexandrien mit diesem Studium begonnen hat, da er wohl bei Ammonios seinen späteren Mitarbeiter Heraklas kennengelernt hat (s. unten S. 22 f.). Cf. auch Dorival 2005, 810: „Origène a pu fréquenter le maître de philosophie à n’importe quel moment entre 206 et 220“. 35 Cf. auch Kettler 1972, 332 Anm. 42. 36 Man ist versucht, αὑτὸν (statt des in den Ausgaben üblichen nicht-aspirierten αὐτὸν) zu schreiben, doch vgl. Riedweg 1994, 244.
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Gesetzen und Sitten entsprechenden Lebensstil. Origenes aber, der als Hellene37 in hellenisch diskursiven Lehren erzogen worden war, driftete nach der barbarischen Tollheit ab: Dieser verschacherte er tatsächlich sich selbst und seine Haltung in der Lehre, wobei er, was die Lebensführung betrifft, christlich und gegen die Gesetze und Gebräuche lebte, im Hinblick auf die philosophischen Ansichten über die Dinge und das Göttliche jedoch hellenisch dachte und die [sc. Lehren] der Hellenen den fremdartigen Mythen unterjubelte.
Die von Porphyrios suggerierte Spiegelbildlichkeit der beiden Lebenskurven darf nicht dazu verleiten, über die feinen Nuancen hinwegzusehen: Lediglich im Falle des Ammonios erwähnt er die Eltern – und sagt damit auch etwas zur Religionszugehörigkeit. Bei Origenes dagegen liegt der Akzent auf der pagan-hellenischen Ausbildung38, der er im späteren Wirken nicht im umfassenden, auch den βίος miteinschließenden Sinn treu geblieben sei.39 Mit anderen Worten: Porphyrios macht bei Origenes einen fortdauernden Konflikt zwischen der christlichen Lebensführung auf der einen40 und seiner Ausbildung und späteren Unterrichtstätigkeit auf der anderen Seite aus: Letztere sei durch und durch von der hellenischen Denk‑ und Argumentationstradition geprägt gewesen.41 Nebenbei bemerkt: mit der Aussage, dass Origenes den fremdartigen Mythen die Lehren der Hellenen unterjuble, spielt Porphyrios gewiss auf allegorische Auslegungen an, für deren Absonderlichkeit er ja Origenes als Beispiel hier einführt. 37 Man könnte das Wort auch mit ‚Heide‘ übersetzen, doch dann ginge die kulturelle Konnotation verloren. 38 Dazu fügt sich, dass laut Eus. Hist. eccl. VI 2,15 Origenes noch von seinem Vater zum Wissen der Hellenen herangeführt worden war (cf. Fürst 2007 b, 254 f.) und sich nach dessen Märtyrertod so eifrig dem Studium der Literatur widmete, dass er alsbald als ‚Sekundarlehrer‘ (γραμματικός; cf. VI 3,8 f.) ein gutes Auskommen haben konnte. 39 Richtig Nautin 1977, 201 „En réalité, Porphyre ne prétend pas qu’Origène soit né dans une famille païenne. Au lieu de mentionner ses parents, comme il l’a fait pour Ammonius …, il parle seulement de son éducation intellectuelle …“; cf. schon Weber 1962, 36 f.; ferner u. a. auch Fowden 1977, 367 f.; Zambon 2003, 557 mit Anm. 29; Johnson 2012, 57.66 f. (Schott 2008, 265 übersieht in seinen aufschlussreichen Ausführungen diese Nuance ebenso wie Bruns 2008, 197–200). Für die von Porphyrios suggerierte zeitliche Abfolge (zunächst Heide, danach Christ) scheint zunächst die Formulierung in Orig. Princ. 1, praef. 2 zu sprechen: Sicut enim, multis apud Graecos et Barbaros pollicentibus veritatem, desivimus apud omnes eam quaerere, qui eam falsis opinionibus asserebant, posteaquam credidimus filium esse dei Christum et ab ipso nobis hanc discendam esse persuasimus. Doch dürfte damit weniger auf eine Konversion tout court hingewiesen sein als vielmehr 1) auf eine vertiefte Einsicht in das Wesen Christi sowie 2) die daraus resultierende Distanzierung nicht von schlechterdings allen Philosophen, sondern von denjenigen, die – wie z. B. Epikur – ihre Lehren auf falsche Annahmen gründen (vgl. Orig. Comm. in I. Cor. 16,45–51, mit dem abschließenden Fazit: καὶ ἁπαξαπλῶς πᾶσαν Ἑλληνικὴν καὶ βαρβαρικὴν ἐξετάζων φιλοσοφίαν ἐρεῖς ὅτι ἐν οἷς διαφωνεῖ πρὸς τὴν Χριστοῦ διδασκαλίαν μωρία ἐστίν, und allgemein das Brieffragment bei Eus. Hist. eccl. VI 19,12“ [unten S. 22 f.], wo die kritische Sichtung dessen, „was die Philosophen über die Wahrheit zu sagen versprechen“, erst nach einer vorausgehenden Phase erfolgreichen Wirkens als christlicher Lehrer unternommen wird). 40 Zu παρανόμως cf. u. a. Zambon 2003. 41 Cf. dazu auch Johnson 2011, 179 f.
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Wir sind bisher unbekümmert davon ausgegangen, dass es sich bei dem an dieser Stelle genannten Ammonios um den später Ammonios Sakkas genannten Lehrer Plotins handle42, und dafür scheint das gewaltige Lob, mit dem er Ammonios in § 6 eingeführt hat, in der Tat zu sprechen: Kein anderer zeitgenössischer Philosoph habe derart viel zum philosophischen Fortschritt beigetragen wie er. Aber ist es tatsächlich vorstellbar, dass der von Plotin hochverehrte Lehrer ein – laut Porphyrios ehemaliger, laut Eusebios sogar bis zum Lebensende als solcher erkennbarer – Christ war? Eusebios wendet nämlich im Anschluss an das Zitat gegen Porphyrios’ Darstellung ein, dass 1) Origenes aus einer christlichen Familie stammte (was zutreffen könnte und, wie gesehen, durch Porphyrios’ Formulierung nicht ausgeschlossen wird), und dass 2) Ammonios „die Lehren der göttlich inspirierten Philosophie“ bis ans Ende seines Lebens unversehrt bewahrt habe – zum Beweis dafür erwähnt er seine Schriften, darunter ein Werk „Über die Harmonie von Mose und Jesus“ (VI 19,9 f.). Viele Forscher verweigern an dieser Stelle Eusebios die Gefolgschaft und nehmen an, dass er den Lehrer Plotins mit einem christlichen Ammonios verwechselt habe43 bzw. dass es sich bei Origenes’ Ammonios um den gleichnamigen, von Longin erwähnten Peripatetiker handle.44 Freilich passt ein Werk wie das von Eusebios erwähnte Περὶ τῆς Μωυσέως καὶ Ἰησοῦ συμφωνίας, welches, aus dem Titel zu schließen, wohl eine antignostische Stoßrichtung hatte45, zumindest zum jungen Ammonios des Porphyrios sehr wohl, zumal wenn man das offene intellektuelle Milieu Alexandriens mitbedenkt, wo die Grenzen zwischen (platonnaher) Heterodoxie und kirchlicher Orthodoxie in dieser Zeit wohl noch einigermaßen fließend waren.46 Wie intensiv sich der christliche Origenes jedenfalls auch mit Häretikern sowie paganen Wissenschaftlern und Philosophen austauschte, lässt ein überaus aufschlussreiches Brieffragment erkennen, das Eusebios unmittelbar nach dem Ausschnitt aus Adv. Christ. zitiert, um zusätzlich zu Porphyrios’ Zeugnis die Kompetenz des Origenes auf dem Gebiet des hellenischen Wissens auch durch eine (offensichtlich apologetisch motivierte) Selbstaussage zu belegen (VI 19,12–14; der Brief dürfte eine Antwort des Origenes auf Vorwürfe sein, die der alexandrinische Bischof Demetrios „um das Jahr 230 oder etwas später“ gegen ihn vorgebracht hatte):47 42 So z. B. auch schon Theodoret Graec. aff. cur. VI 60: Τούτῳ [sc. dem Ammonios mit dem Beinamen Sakkas] φοιτῆσαί φασιν Ὠριγένην τὸν ἡμέτερον, τῷ δὲ Πλωτῖνον τουτονί κτλ. 43 Cf. für ältere Vertreter dieser Auffassung Dodds 1960, 31 Anm. 1, Weber 1962, 38 Anm. 3 und Schwyzer 1983, 20 Anm. 13; auch Fürst 2007 a, 66 und 2007 b, 259 f. 44 Edwards 1993. 45 Weber 1962, 38; Langerbeck 1967, 151 („antimarcionitisch“); Kettler 1972, 330; Baltes 1985, 326; Beatrice 1992, 353 f.; anders Bruns 1977, 124 („a judaizing apologia“). 46 Cf. oben Anm. 5. 47 Schwyzer 1983, 28 f.; cf. u. a. Nautin 1961, 126–129; Weber 1962, 39 f.; Kettler 1972, 333 f.; Fowden 1977, 364; Goulet 1977 = 2001, 274 f.; Nautin 1977, 22.53 f.201; Bienert 1978, 92 f.102 f.;
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ἐπεὶ δὲ ἀνακειμένῳ μοι τῷ λόγῳ, τῆς φήμης διατρεχούσης περὶ τῆς ἕξεως ἡμῶν, προσ ῄεσαν ὁτὲ μὲν αἱρετικοί, ὁτὲ δὲ οἱ ἀπὸ τῶν Ἑλληνικῶν μαθημάτων καὶ μάλιστα τῶν ἐν φιλοσοφίᾳ, ἔδοξεν ἐξετάσαι τά τε τῶν αἱρετικῶν δόγματα καὶ τὰ ὑπὸ τῶν φιλοσόφων περὶ ἀληθείας λέγειν ἐπαγγελλόμενα. (13) τοῦτο δὲ πεποιήκαμεν μιμησάμενοί τε τὸν πρὸ ἡμῶν πολλοὺς ὠφελήσαντα Πάνταινον, οὐκ ὀλίγην ἐν ἐκείνοις ἐσχηκότα παρασκευήν, καὶ τὸν νῦν ἐν τῷ πρεσβυτερίῳ καθεζόμενον Ἀλεξανδρέων Ἡρακλᾶν, ὅντινα εὗρον παρὰ τῷ διδασκάλῳ τῶν φιλοσόφων μαθημάτων, ἤδη πέντε ἔτεσιν αὐτῷ προσκαρτερήσαντα πρὶν ἢ ἐμὲ ἄρξασθαι ἀκούειν ἐκείνου (emendavi : ἐκείνων codd.) τῶν λόγων· (14) δι’ ὃν καὶ πρότερον κοινῇ ἐσθῆτι χρώμενος ἀποδυσάμενος καὶ φιλόσοφον ἀναλαβὼν σχῆμα μέχρι τοῦ δεῦρο τηρεῖ βιβλία τε Ἑλλήνων κατὰ δύναμιν οὐ παύεται φιλολογῶν. Als sich nun der gute Ruf meiner geistigen Haltung verbreitete, kamen zu mir – ganz dem Wort geweiht, wie ich war – bald Häretiker, bald Vertreter der hellenischen Wissenschaften und insbesondere der Philosophie. Ich beschloss daher, sowohl die Lehrmeinungen der Häretiker wie das, was die Philosophen über die Wahrheit zu sagen versprachen, zu erforschen. (13) Dies taten wir nach dem Modell des Pantainos, der vielen vor uns nützlich geworden war und sich eine außerordentliche Kompetenz in diesen Dingen erworben hatte, sowie des Heraklas, der jetzt im Presbyterion der Alexandriner Einsitz hat. Ihn hatte ich beim Lehrer der philosophischen Wissenschaften angetroffen: Schon fünf Jahre hatte er ihm angehangen, bevor ich [sc. überhaupt] begonnen hatte, dessen Lehrvorträge zu hören. (14) Um seinetwillen hatte er auch die von ihm zuvor benutzte gewöhnliche Kleidung abgelegt und das Philosophengewand angezogen, das er bis heute bewahrt, wobei er möglichst ohne Unterbruch Bücher der Hellenen studiert.
Der nicht namentlich genannte „Lehrer des philosophischen Wissens“ hat zu Spekulationen Anlass gegeben. Wer die von Porphyrios skizzierte ‚biographie intellectuelle‘ des Origenes für verlässlich hält, wird kaum zögern, ihn mit dem dort genannten Ammonios gleichzusetzen.48 Falls dies zutrifft, hat Origenes also in Ammonios’ Schule auch seinen künftigen Mitarbeiter Heraklas getroffen.49 Die Begeisterung des Heraklas für die Philosophie, die sich auch am äußeren Habitus zeigt, wird von Origenes wohl nicht zuletzt deshalb so stark betont, weil es seit der (im Moment der Abfassung des Briefes offensichtlich nicht wenige Jahre zurückliegenden50) ersten Begegnung und seiner Anstellung als für den Schroeder 1987, 495.505–507; Ziebritzki 1994, 32 f.; Norelli 2000, 294; Fürst 2007 a, 49.62 f.; Bruns 2008, 198–200; Digeser 2010, 204 f.; Zambon 2011, 110. 48 So z. B. Kettler 1972, 333 f.; Nautin 1977, 201; Scholten 1995, 21; Le Boulluec 2003, 604; Wyrwa 2005, 285; Fürst 2007 a, 66 f. und 2007 b, 260; anders Dörrie 1955 = 1976, 352–354; Schwyzer 1983, 32–36; Edwards 1993; Bruns 2008. 49 Das Verbum εὗρον ist wohl im Sinne des Kennenlernens zu verstehen (cf. auch Schwyzer 1983, 32 und Schroeder 1987, 505 Anm. 71). Dazu steht Eus. Hist. eccl. VI 3,2 in Widerspruch, wenn dort davon die Rede ist, dass noch zur Zeit der Verfolgung (d. h. zw. 206–210) einige Heiden zu Origenes gekommen seien, und die Brüder Plutarch und Heraklas namentlich erwähnt werden. Bienert 1978, 92 versucht den Widerspruch mit einer anderen Deutung von εὗρον zu überwinden: „Möglich wäre es jedoch, daß er ihn bereits von früher her kannte und ihn bei dieser Gelegenheit wiedersah. Vielleicht waren inzwischen einige Jahre vergangen“. 50 Man vergleiche die Unterscheidung zwischen dem Jetzt (νῦν, μέχρι τοῦ δεῦρο) und dem Damals, als Heraklas bereits 5 Jahre in der Schule des Ammonios war.
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Anfängerunterricht zuständiger Mitarbeiter51 zu einer gewissen Entfremdung gekommen sein könnte52 – zumindest blieb Heraklas im Unterschied zu Origenes in der Gunst des Bischofs Demetrios, dessen Nachfolge er nach seinem überraschenden Tod antrat.53 Die Neuausrichtung der Schule mit Aufgabenverteilung zwischen Heraklas und Origenes wird in der Regel in die Jahre 216/217 datiert54, was als Terminus ante quem einen ersten Anhaltspunkt für den Beginn von Origenes’ philosophischem Fachstudium ergibt. Aus dem Brieffragment geht andererseits auch deutlich hervor, dass er diesbezüglich eher ein ‚Spätberufener‘ war:55 Erst als sein Renommee etabliert war und zahlreiche Häretiker und Philosophen zu ihm strömten, begann er sich professionell mit der Philosophie auseinanderzusetzen. Ein Datum um 215 herum wäre daher plausibler als das in Eusebios’ Chronik allgemein für seine „Studien in Alexandrien“ angegebene Jahr 208 – unter letzteren sind wohl sowieso eher die philologisch-grammatischen Studien zu verstehen.56 Dass Origenes danach über längere Zeit hinweg die Lehrvorträge des Ammonios hörte, lässt sich im übrigen der Formulierung ἢ ἐμὲ ἄρξασθαι ἀκούειν ἐκείνων τῶν λόγων entnehmen. Das Brieffragment zeigt überdies an, dass die durch die Parallelisierung mit der Vita des Ammonios bei Porphyrios suggerierte Annahme, Origenes könnte zunächst heidnisch gewesen sein, von Eusebios vermutlich zu Recht zurückgewiesen wird. Der letzte Paragraph des langen Zitats aus Buch 3 von Κατὰ Χριστιανῶν ist für unsere Frage von ganz besonderer Bedeutung, legt doch Porphyrios darin gewissermaßen die intellektuellen Koordinaten des – nota bene: christlichen – Origenes aus (VI 19,8): συνῆν τε γὰρ ἀεὶ τῷ Πλάτωνι, τοῖς τε Νουμηνίου καὶ Κρονίου Ἀπολλοφάνους τε καὶ Λογγίνου καὶ Μοδεράτου Νικομάχου τε καὶ τῶν ἐν τοῖς Πυθαγορείοις ἐλλογίμων ἀνδρῶν ὡμίλει συγγράμμασιν, ἐχρῆτο δὲ καὶ Χαιρήμονος τοῦ Στωϊκοῦ Κορνούτου τε ταῖς βίβλοις, παρ’ ὧν τὸν μεταληπτικὸν τῶν παρ’ Ἕλλησιν μυστηρίων γνοὺς τρόπον ταῖς Ἰουδαϊκαῖς προσῆψεν γραφαῖς. Denn er lebte in ständiger Gemeinschaft mit Platon und pflegte engen Kontakt mit den Schriften des Numenios und Kronios, Apollophanes, Longin, Moderatos, Nikomachos 51 Cf.
Eus. Hist. eccl. VI 15.
52 Eus. Hist. eccl. VI 26 spricht freilich von einer geordneten Übergabe: Origenes habe ihm die
dortige Katechetenschule beim Wegzug von Alexandrien „überlassen“ (καταλείπει). Allgemein zu Heraklas’ Verhältnis zu Origenes cf. u. a. Bienert 1978, 100–104. 53 Eus. Hist. eccl. VI 26; er blieb 16 Jahre Bischof von Alexandrien (ibid. lies VI 35). 54 Bienert 1997, 136: „um 215“. 55 Cf. auch Markschies 2007, 95 f.; anders u. a. Schwyzer 1983, 32 f. 56 Eus. Chron. (Hieron.) p. 212,26 Helm (p. 426,41 verweist Helm explizit auf Eus. Hist. eccl. VI 2,15 ff. als Parallele). Mit dem Eintrag für das Jahr 229 „Origenes war zu Alexandria in der Schule um diese Zeit“ in Eus. Chron.(armen.) p. 225 Karst kann im Grunde höchstens auf fortgesetzte philosophische Studien verwiesen sein.
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und der [sc. anderen?] bei den Pythagoreern berühmten Männer; er studierte aber auch die Bücher des Stoikers Chairemon und des Cornutus, von denen er die Figur der Übertragung der hellenischen Mysterien kannte und auf die jüdischen Schriften anwandte.
Man beachte, wie ausdrucksstark die Verben sind, die Porphyrios an dieser Stelle für Origenes’ Umgang mit Platon und auch für die Beschäftigung mit den pythagoreisierenden Platonikern verwendet: συνεῖναι bzw. συνουσία (wörtlich das „Zusammensein“) bezeichnet seit Xenophon und Platon das sokratisch-dialektische gemeinsame Suchen nach der ‚Wahrheit‘, insbesondere den von Freundschaft gezeichneten Lehr‑ und Wissenschaftsbetrieb der platonischen Akademie, und auch ὁμιλεῖν und ὁμιλία (wörtlich „Umgang, Kontakt“) werden seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. gerne für mündliche Lehrsituationen verwendet. Schüler können daher auch οἱ συνόντες oder ὁμιληταί genannt werden. Anders gesagt: der christliche Origenes wird von Porphyrios an dieser Stelle unmissverständlich als professioneller Platoniker bezeichnet, der in permanentem Austausch mit seinem ‚Meister‘ steht, der Platons Dialoge gewissermaßen Tag und Nacht liest und interpretiert.57 Dies tut er, aus der Fortsetzung zu schließen, in klar pythagoreisierender Tendenz, wie sie unter den an zweiter Stelle Genannten für Numenios und Kronios, die auch in Porphyrios’ De antro zusammen aufgeführt werden58, und Moderatos und Nikomachos charakteristisch ist.59 Die beiden kaiserzeitlichen Stoiker Chairemon und Cornutus werden offenkundig als hauptsächliche Inspirationsquellen für die – aus Porphyrios’ Sicht – abstrusen Bibelallegoresen des Origenes angeführt60 und leiten insofern zum Hauptthema zurück.61 Das Bild, das hier von Origenes’ intellektueller Betätigung gezeichnet wird62, berührt sich in bemerkenswerter Weise mit dem, was Porphyrios in V. Plot. 14 57 Man
vergleiche damit auch Origenes’ Aussage über Heraklas im o. g. Brieffragment βιβλία τε Ἑλλήνων κατὰ δύναμιν οὐ παύεται φιλολογῶν. 58 Cf. im Zusammenhang mit Plotin Longin De fine fr. 11B.II.3.a) Männlein-Robert = fr. 4,71–76 Patillon-Brisson = Porph. V. Plot. 20,71–76. 59 Longinos würde man auf Anhieb wohl nicht ohne weiteres dieser Richtung des Platonismus zurechnen, doch ist zu bedenken, wie wenig von diesem Platoniker erhalten ist (cf. allgemein Männlein-Robert 2001; zu seinem Interesse an Pythagorica De fine fr. 11B.II.3.a) Männlein-Robert; die Tatsache, dass Longin jünger als Origenes war, spricht für sich jedenfalls nicht gegen die Richtigkeit von Porphyrios’ Angabe). Völlig unbekannt ist uns der – nicht mit dem gleichnamigen Stoiker und Zeitgenossen Aristons (SVF I 404–408) zu verwechselnde – Platoniker Apollophanes; cf. Goulet 1994; allgemein Cook 2008, 14–16. 60 Zwar bezeichnet μεταληπτικόν zunächst eine Wortübertragung (transsumptio), wie sie laut Quintilian vor allem für die Komödie geeignet ist (Inst. VIII 6,37; cf. auch Cook 2008, 10 f.), doch zeigt eine Stelle wie Herakl. All. 26,11, dass das Wort auch im allgemeineren Sinn einer Allegorese (bei Herakleitos einer Wortallegorese: Hephaistos für Feuer) verwendet werden konnte; cf. auch Bernard 1990, 65. 61 Mit den „hellenischen Mysterien“ wird auch ein Bogen zu μυστήρια in § 4 geschlagen. 62 Es wird in Origenes’ erhaltenem Werk, abgesehen von den Verweisen auf Numenios, durch Stellen wie Cels. I 59 ( Ἀνέγνωμεν δ’ ἐν τῷ Περὶ κομητῶν Χαιρήμονος τοῦ Στωϊκοῦ συγγράμματι; cf. auch Beatrice 1992, 355 mit Anm. 40) sowie VII 6 bestätigt, wo sich Origenes daran erinnert, was er „bei einem Pythagoreer, der über die beim Dichter mit einem tieferen Sinn (ἐν ὑπονοίᾳ)
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über Plotins Lehrbetrieb in Rom schreibt:63 Auch von – oder für – Plotin64 wurden „bei den Zusammenkünften (ἐν ταῖς συνουσίαις) die Kommentare eines Severos, eines Kronios oder Numenios oder Gaios oder Attikos gelesen“, und neben peripatetischen Werken und Aristoteles’ Metaphysik ist ebenfalls von stoischen Lehren die Rede, die, ohne dass man es bemerkte, seinen Schriften beigemischt waren. Liest man an dieser Stelle die Plotinvita weiter, so scheint die auffällige Nähe zu Adv. Christ. III, fr. 6F. Becker durch zusätzliche Informationen tendenziell noch verstärkt zu werden. So schreibt Porphyrios Plotin, bei aller Originalität und außergewöhnlichen Art seiner philosophischen Reflexion, doch eine konsequente Orientierung an der Denkart des Ammonios in seinen Untersuchungen zu. Longin, einer von Origenes’ Referenzautoren, wird in Plotins Schule ebenfalls gelesen (wobei Longin von Plotin als „Philologe, aber ganz und gar kein Philosoph“ abgekanzelt wird – eine Aussage, die wohl spezifisch auf den zuletzt genannten Φιλαρχαῖος [„Liebhaber des Alten“] zielt, dessen Titel weniger ein philosophisches als ein attizistisch-literaturästhetisches Werk vermuten lässt).65 Nicht genug damit, berichtet Porphyrios auch vom peinlichen Erröten Plotins, als Origenes einmal in den Unterricht (συνουσία) gekommen sei: Sein Bedürfnis, sich zurückzuziehen, begründete er laut Porphyrios mit dem Verweis auf einen Redner, der sehe, dass er das, was er sagen will, zu Wissenden sagen wird – „und so beließ er es bei einer knappen Unterredung, erhob sich [sc. und ging] weg“.66 Unter der Annahme eines einzigen Origenes und Ammonios scheint alles fast zu schön aufzugehen: Treuer Schüler des Ammonios wie Plotin es laut Porphyrios in seinem Unterrichtsstil war, fühlte er sich beschämt, als ein anderer berühmter Ammonios-Schüler in seinen Unterricht kam, weil dieser nichts, was er nicht selbst schon wüsste, hätte erfahren können. Auch hier stellt sich freilich wieder die Frage der Chronologie: Als Ort der Begegnung kommt gewiss nur Rom in Frage, wo Plotin, der von seinem 28. bis zu seinem 39. Lebensjahr (d. h. von 232–243) Schüler des Ammonios in Alexandrien gewesen war, nach dem Tode Kaiser Gordians III., den er auf dessen Perser-Feldzug begleitet hatte, im gesagten Dinge geschrieben hatte“, zur Bedeutung von Chryses’ Worten an Apollon und der von diesem Gott gesandten Pest in Il. 1 gelesen hatte. Cf. auch Hier. Ep. 70,4 (Numenios und Cornutus). 63 Cf. auch Schott 2008, 269; Zambon 2011, 162. 64 Bei αὐτῷ (Zeile 11; cf. auch Zeile 18) handelt es sich entweder um einen Dativus auctoris (dann wäre Plotin selbst derjenige, der diese Kommentare vorgelesen und erläutert hätte) oder um einen Dativus commodi, dann hätte sich Plotin diese Kommentare – von einem Schüler? – vorlesen lassen; vgl. Harder 1937, 182 („In den Vorlesungen ließ er … vorlesen“); Goulet-Cazé 1982, 262 („On lui lisait …“) und Brisson et al. 1992, 155/157 („Il se faisait lire …“ etc.). Beide Deutungen scheinen mir grundsätzlich möglich (für die erste spricht vielleicht die Tatsache, dass auch im Folgenden Plotin der aktive ist; cf. ähnlich auch Eus. Hist. eccl. VI 18,3 über Origenes [oben S. 15 f.]). 65 Cf. Männlein-Robert 2017. 66 Porph. V. Plot. 14,20–25.
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Jahre 244 seine Schule eröffnet hatte. Damit ergibt sich ein Zeitfenster von 7–9 Jahren, in dem der wohl zwischen 251/253 verstorbene christliche Origenes67 hätte vorbeikommen können (Porphyrios wäre in diesem Fall kein Augenzeuge, sondern würde relata berichten, da er erst um 263 zu Plotin gekommen ist). Dass sich in den – so oder so sehr lückenhaften – Nachrichten über die letzten Jahre von Origenes’ Leben kein Hinweis auf eine solche Romreise findet68, hat als argumentum ex silentio kaum Gewicht, zumal für 245 eine Reise nach Athen und Nikopolis im äußersten Süden von Epirus bezeugt ist, von wo er leicht nach Rom hätte übersetzen können. In diesem Zusammenhang muss nun freilich als weiteres Puzzle-Teilchen die vielbesprochene pythagoreisierend-platonische69 Vereinbarung der AmmoniosSchüler mit in den Blick genommen werden, welche einer Identifikation der beiden Origeneis am meisten Schwierigkeiten zu bereiten scheint. Einzige Quelle hierfür ist wiederum Porphyrios’ Plotin-Vita (Kapitel 3). Er berichtet von einer Abmachung zwischen Herennios, Origenes und Plotin, „keine einzige von Ammonios’ Lehrmeinungen zu enthüllen, die in den mündlichen Vorträgen für sie ‚herausgereinigt‘ worden seien“ (3,24–27). Diese Angaben sind ebenso kryptisch wie lückenhaft. Szlezák 1977 betont zu Recht, dass weder eine Begründung dafür gegeben wird, warum lediglich diese drei Schüler eine solche Vereinbarung getroffen haben, noch Ort und Zeit dieser συνθῆκαι spezifiziert werden.70 Die communis opinio geht von Alexandrien als Ort aus und nimmt ganz selbstverständlich an, dass die Abmachung erst nach Ammonios’ Tod, wann immer dieser genau erfolgte71, getroffen wurde. Doch könnten sich die drei genauso gut „schon zu Lebzeiten des Ammonios auf die Geheimhaltung“ geeinigt haben, „möglicherweise auf seinen Wunsch“.72 Auch über den Inhalt der Lehren, die der Geheimhaltung unterworfen waren, erfahren wir im Grunde nichts Näheres.73 Einen gewissen Anhaltspunkt liefern einzig das religiös konnotierte Verb ἐκκαλύπτειν (Geheimnisse Dritten gegenüber „enthüllen“) sowie der allerdings nicht leicht zu verstehende Relativsatz ἃ [sc. δόγματα] δὴ ἐν ταῖς ἀκροάσεσιν αὐτοῖς ἀνεκεκάθαρτο: Ιn Verbindung mit „Lehrgegenständen“ dürfte die – an 67 Zu
seinem mutmaßlichen Todesdatum cf. unten S. 28 f.
68 Dies wird seit dem 17. Jahrhundert (Valesius) in der Forschung nicht selten als ein weiterer
‚Beweis‘ für die Notwendigkeit zweier Origeneis angeführt; cf. Weber 1962, 22; Zambon 2011, 116.134.146.147. 69 Cf. dazu Szlezák 1977, 59 f.63; zur Verbindung von Pythagoreischem und Platonischem in Hinblick auf die Prinzipien auch Longin De fine fr. 11B.II.3.a) Männlein-Robert = fr. 4,71–76 Patillon-Brisson = Porph. V. Plot. 20,71–76. 70 Cf. auch Zambon 2011, 161. 71 Man legt ihn wegen Plotins Abreise aus Alexandrien 243 in der Regel in die Zeit um 242. 72 Szlezák 1977, 55. 73 Auch dazu treffend Szlezák 1977, 55: „andererseits kann unmöglich alles, was wir heute bei Plotin lesen, einmal der Geheimhaltung unterworfen gewesen sein – vieles davon ist tradiertes Schulgut.“
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sich ebenfalls religiös gefärbte – Reinigungsmetapher in ἀνεκεκάθαρτο hier einen Prozess des „Herausreinigens“ in der Art einer Destillation oder Extraktion (vgl. Plat. Leg. III 678 c9–d2) meinen.74 Falls dies zutrifft, so wird Ammonios gewissermaßen ‚Goldnuggets‘ des platonischen Denkens aus einer größeren Textmasse75 ‚für‘ seine Schüler76 herausgelöst und systematisiert haben. Der Vergleich mit den μέγιστα des platonischen Siebten Briefes, die nicht einfach so mitteilbar sind, sondern nur bei entsprechender Eignung und nach langem gemeinsamem Bemühen plötzlich wie ein Licht in der Seele aufleuchten77, drängt sich geradezu auf.78 Der Geheimhaltung unterworfen wären dann wohl auch im Falle der Ammoniosschüler in erster Linie die höchsten Prinzipien – bzw., um mit Kelsos zu reden, τὰ περὶ τοῦ πρώτου ἀγαθοῦ (fr. VI 3 Bader) –, die im Sinne einer pythagoreisch-platonischen Esoterik dem engsten Schüler‑ und Freundeskreis vorbehalten blieben. Laut Porphyrios, der unverkennbar bemüht war, Plotin von jeder Verantwortung für den Verstoß zu befreien, soll als erster Herennios die Vereinbarung übertreten haben, Origenes sei ihm, der in dieser Hinsicht vorausging, gefolgt ( Ἐρεννίου δὲ πρώτου τὰς συνθήκας παραβάντος, Ὠριγένης μὲν ἠκολούθει τῷ φθάσαντι Ἐρεννίῳ: 3,29 f.). Der anschließende Satz stellt sowohl inhaltlich wie chronologisch den größten Knackpunkt für die Origenes-Frage dar (3,30–32):79 Ἔγραψε δὲ οὐδὲν πλὴν τὸ Περὶ τῶν δαιμόνων σύγγραμμα καὶ ἐπὶ Γαλιήνου Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς. Er schrieb aber nichts außer dem Traktat Über die Daimones und unter Gallienus Dass einziger Schöpfer der König ist.
Zunächst ist kurz zu prüfen, wer Subjekt des Satzes ist. An sich fällt unmittelbar davor als letzter Name derjenige des Herennios. Doch sowohl die von Porphyrios intendierte Abfolge „Herennios, Origenes und – erst als Dritter, der die Übertretung nur noch nachvollzieht – Plotin“ als auch die Satzstruktur mit μὲν – δὲ ( Ἐρεννίου δὲ πρώτου τὰς συνθήκας παραβάντος, Ὠριγένης μὲν ἠκολούθει τῷ φθάσαντι Ἐρεννίῳ. Ἔγραψε δὲ κτλ.) sprechen gegen eine Zuweisung des Satzes an ihn. Dies umso mehr, als Porphyrios über Herennios generell nichts Weiteres 74 In vergleichbarer Weise verwendet z. B. Orig. Cels. VIII 13 ἐκκαθαίρειν für eine begriffliche Klärung. 75 Wohl nicht nur Platons Dialoge, sondern auch die Kommentarliteratur der mehr oder weniger zeitgenössischen Platoniker à la Porph. V. Plot. 14 und Adv. Christ. III, fr. 6F., § 8 Becker. 76 Das Wort αὐτοῖς in 3,27 dürfte eher als Dativus commodi denn als Dativus auctoris zu verstehen sein; es sind ja nicht die Schüler, die diese Lehren gewonnen haben, sondern sie stammen gemäss 3,28 klar „von Ammonios“ (τὰ παρὰ Ἀμμωνίου δόγματα). 77 Ep. 7, 341 b–e. Die Bedeutung dieser Stelle für den kaiserzeitlichen Platonismus lässt u. a. auch Kelsos fr. VI 3 Bader erahnen; cf. fr. VI 7 f. 78 Cf. Szlezák 1977, 59 f. 79 Schon Valesius hat seine Annahme zweier Origeneis hauptsächlich an dieser Stelle festgemacht, cf. Schroeder 1987, 495; Zambon 2011, 116.
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zu berichten weiß (war er vielleicht der älteste und ist auch als erster gestorben?). Außerdem wird dem Origenes durch ein ebenfalls von Porphyrios zitiertes Longin-Fragment explizit τὸ Περὶ τῶν δαιμόνων zugeschrieben (Longin De fine fr. 11B.I.2.a Männlein-Robert = fr. 4,40 f. Patillon-Brisson = Porph. V. Plot. 20,40 f.; dass Longin die zweite in 3,31 f. genannte Schrift nicht nennt, hat wenig Gewicht80, da er ja explizit keine Vollständigkeit beansprucht, sondern nur ein, zwei mit ὥσπερ eingeleitete Beispiele für ein Parergon jener Philosophen geben wollte, die sich auf den mündlichen Unterricht konzentrierten). Vor allem die Zeitangabe „unter Gallienus“, mit der der zweite Traktat wohl als Alterswerk charakterisiert werden soll, scheint auf den ersten Blick einer Identifikation mit dem christlichen Origenes unüberwindliche Schwierigkeiten in den Weg zu legen. Gallienus regierte ab September 253 zusammen mit seinem Vater Valerian und von 260 bis 268 als Alleinherrscher. Zwar ist aus der Tatsache, dass Gallienus allein genannt wird, keinesfalls zu schließen, dass Porphyrios eine Datierung erst in die Zeit von Gallienus’ Alleinherrschaft im Auge hatte:81 Auch in 4,9 f. spricht er im Hinblick auf 253 n. Chr. vom „ersten Jahr von Gallienus’ Königsherrschaft“. Insofern könnte also auch hier bereits der Beginn seiner Herrschaft gemeint sein, wobei freilich auffällt, dass Porphyrios sonst überall, wo er Gallienus für eine Datierung erwähnt, ein präzises Regierungsjahr angibt. Damit kommen wir zur überaus heiklen Frage des präzisen Todesdatums des christlichen Origenes. Die wichtigste, freilich nur bedingt zuverlässige Quelle ist Eusebios’ Kirchengeschichte. In VII 1 lesen wir: Δέκιον οὐδ’ ὅλον ἐπικρατήσαντα δυεῖν ἐτοῖν χρόνον αὐτίκα τε ἅμα τοῖς παισὶν κατασφαγέντα Γάλλος διαδέχεται· Ὠριγένης ἐν τούτῳ ἑνὸς δέοντα τῆς ζωῆς ἑβδομήκοντα ἀποπλήσας ἔτη, τελευτᾷ. Auf Decius (249–251), der nicht einmal zwei Jahre regierte und zugleich mit seinen Kindern getötet wurde, folgt Gallus (251–253). In dieser Zeit stirbt Origenes, der eins weniger als 70 Lebensjahre vollendet hatte.
Dieses Todesdatum steht in einem leichtem Widerspruch zu den in VI 2 von Eusebios gemachten Angaben: In VI 2,2 f. lesen wir von einer Christenverfolgungim 10. Jahre des Septimius Severus (Juni 193 bis 4. Februar 211), in der sich Origenes, von Eusebios als noch „ganz und gar ein Knabe / Jüngling“ bezeichnet (κομιδῇ παιδὸς ὑπάρχοντος), durch ein außergewöhnliches Verlangen nach dem Martyrium und intensives Bibelstudium hervorgetan habe. Dies deutet auf die Jahre 202/203 hin82, wozu auch der ergänzende Hinweis passt, Quintus Maecius
80 Anders
z. B. Fürst 2007 a, 64; cf. auch schon O’Brien 1992, 336–339. vorsichtig Weber 1962, 18. 82 Molthagen 1970, 39 dagegen rechnet mit 201/202 aufgrund der alexandrinischen Zählung der Regierungsjahre; cf. schon Bardy 1955, 166 Anm. 2; allgemein dal Covolo 2004. 81 So
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Laetus sei damals Präfekt Ägyptens (200–203) gewesen.83 Sein Vater Leonides erlitt in dieser Verfolgung selbst das Martyrium (VI 2,12).84 Eusebios ergänzt an dieser Stelle, dass Origenes zusammen mit der Mutter und sechs jüngeren Geschwistern zurückgelassen wurde, wobei er das 17. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen hatte. Aufgrund dieser Angaben kommen wir auf ein ungefähres Geburtsdatum um 185/187.85 Unter Berücksichtigung der Altersangabe in VII 1 ergäbe dies die Jahre 254/256 als Zeitfenster für Origenes’ Tod. Ein Tod unter Gallienus ist also nicht einmal hundertprozentig ausgeschlossen.86 Aber da Eusebios’ Angaben zu Origenes’ Jugend in sich mit gewissen Unsicherheiten behaftet sind87 und Photios im Anschluss an Pamphilos zunächst sogar eine noch frühere Datierung erwägt (Martyrium unter Decius [249–251])88, was dann aber hauptsächlich aufgrund von Briefen des Origenes aus der Zeit nach Decius89 zugunsten von „Gallus und Volusianus“ (251–253) verworfen wird90, scheint es vorsichtiger, den expliziten Verweis auf die Herrschaft des Gallus als gegeben zu betrachten. Entfällt damit die Identifizierung des Verfassers der Schrift Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς mit dem christlichen Origenes definitiv?91 Nicht unbedingt. Wie angedeutet, ist die Angabe ἐπὶ Γαλιηνοῦ an dieser Stelle insofern etwas singulär, als Porphyrios bei den insgesamt fünf weiteren Datierungen anhand von Gallienus’ Herrschaft – vier davon stehen im unmittelbar anschließenden 4. Kapitel seiner Plotin-Vita – jeweils das präzise Regierungsjahr angibt. Eine Emendation von ἐπὶ Γαλιηνοῦ in ἐπὶ Γάλ[ιη]λου scheint mir daher paläographisch unproblematisch – die Majuskeln Λ und Ν werden oft verwechselt, und die Verschreibung ist mit der Häufigkeit der Verwendung von Gallienus’ Namen in der Fortsetzung an sich leicht zu erklären.92 83 Die weitere Angabe in VI 2,2, dass Bischof Demetrios (189–232) νεωστὶ die Nachfolge von Julian angetreten habe, ist für ein mehr als 10 Jahre zurückliegendes Ereignis zumindest überraschend (Eus. Hist. eccl. V 22 datiert den Wechsel ins 10. Jahr des Commodus, d. h. 189/190). 84 Cf. Norelli 2000, 293 f.; Fürst 2007 a, 51–55 und 2007 b, 252–254. 85 Dazu fügt sich im Prinzip auch die (allerdings mit einem distanzierenden φασιν versehene) Angabe in VI 36,1, wonach Origenes im dritten Jahr des Philippus Arabs (d. h. 246/247) bereits „über 60 Jahre alt“ war. 86 Cf. schon Redepenning 1841, 418 f. („[…] Origenes in der That erst unter Valerianus starb“); auch Norelli 2000, 298; Böhm 2002, 22; Fürst 2007 a, 51 f.; auf der Grundlage der von Nautin 1977 vorgelegten Hypothesen zu Eusebios’ Quellen Schroeder 1987, 498; Kettler 1972, 332 Anm. 47; Kettler 1979, 324 rechnet damit, dass in Eusebios’ „Quelle […] (oder vielleicht schon in der Vorlage dieser Quelle) […] Gallienus mit Gallus verwechselt oder beim Abschreiben in ‚Gallus‘ korrumpiert worden sein“ mag; Beatrice 1992, 361 glaubt kühn, aus Porphyrios’ Angabe den umgekehrten Schluss ziehen zu können: „On this date, then, Origen is still alive“. 87 Die sehr weitgehende Skepsis von Nautin 1977 dürfte freilich überzogen sein, cf. u. a. Fürst 2007 a, 50 f.; ausgewogen Bienert 1978, 87–106; vgl. auch Norelli 2004. 88 Cf. auch Tit. Bostr. Adv. Man. 4,12. 89 Cf. Eus. Hist. eccl. VI 39,5. 90 Photios Bibl. 118, 92 b; cf. Nautin 1977, 27.99–102. 91 So z. B. Weber 1962, 20. 92 Mit einer Verwechslung der beiden Namen rechnete schon Kettler 1979, 324 (oben Anm. 87). Ein anderer textkritischer Eingriff zur Lösung des Problems wurde von Cadiou 1935,
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Ist man zu diesem Schritt bereit, so wäre das wichtigste chronologische Hindernis für die Annahme eines einzigen Origenes überwunden, und es bliebe nur noch die Schwierigkeit, dass Origenes einzig diese Schriften geschrieben haben soll, was wiederum auf den ersten Blick in eklatantem Widerspruch zur Fülle der literarischen Produktion des christlichen Origenes zu stehen scheint.93 Freilich muss der Kontext der Aussage über die zwei Bücher präzise in den Blick genommen werden: Was genau verbot die Abmachung unter den drei Ammoniosschülern? Galt das Verbot dem Faktum einer Publikation an sich, und falls ja, betraf es jede Art von Buchveröffentlichung? Um mit dem Letzten zu beginnen, so ist gewiss mit Longin De fine fr. 11B.2.c) Männlein-Robert = fr. 4,52 f. Patillon-Brisson = Porph. V. Plot. 20,52 f. zwischen „technischen“ (τεχνικόν), d. h. im eigentlichen Sinne philosophischen, Abhandlungen und allen anderen Arten von Schriften – erwähnt werden Gedichte und epideiktische Reden – zu unterscheiden. Die Vereinbarung dürfte lediglich den ersten, von Longin auch als „ernsthaftere“ bezeichneten Schriften94 gegolten haben. Und selbst diese hielt Longin im Falle eines Ammonios und Origenes für nebensächlich, da diese beiden Platoniker, deren Exzellenz er übrigens mit ähnlichen Worten lobt, wie sie Porphyrios in Adv. Christ. III, fr. 6F., § 6 Becker für Ammonios gebraucht hatte, ihr Hauptaugenmerk auf die mündliche Vermittlung gerichtet hätten („es schien ihnen ausreichend, ihre Schüler soweit voranzubringen, dass sie ihre Lehrmeinungen begriffen“ / ἀποχρῆναι σφίσιν ἡγήσαντο τοὺς συνόντας προβιβάζειν εἰς τὴν τῶν ἀρεσκόντων ἑαυτοῖς κατάληψιν: Longin De fine fr. 11B.I. MännleinRobert = fr. 4,25 f. Patillon-Brisson = Porph. V. Plot. 20,28 f.).95 Schon Szlezák hat des weiteren richtig festgehalten, dass „nichts enthüllen“ (μηδὲν ἐκκαλύπτειν) keineswegs mit Publizieren identisch ist, sondern genauso die mündliche Verbreitung der ‚Geheimnisse‘ einschließt.96 Dies geht auch aus Porphyrios’ Ausführungen zu Plotin unmissverständlich hervor, wenn er die Zeit vor dem Bruch der Vereinbarung durch Herennios und Origenes so charakterisiert (V. Plot. 3,27 f.):
259 Anm. 3 erwogen: „Faut-il lire Αἰλιάνου au lieu de Γαλιήνου (qu’on écrivait aussi Γαλιάνου)? “ Eine Datierung in das Jahr 223, in dem Marius Maximus und Roscius Aelianus Konsuln waren, passt freilich keinesfalls in den von Porphyrios skizzierten zeitlichen Rahmen. 93 Cf. u. a. Schroeder 1987, 500. 94 Longin De fine fr. 11B.2.c) Männlein-Robert = fr. 4,48 Patillon-Brisson = Porph. V. Plat. 20,56. 95 Interessanterweise sieht Longin in diesem Rückblick (die Schrift dürfte aus den Jahren 265–268 stammen: cf. Männlein-Robert 2001, 226) Plotin nicht mehr mit Ammonios und dem (offensichtlich ebenfalls als seit längerem verstorben gedachten) Origenes zusammen, sondern rechnet ihn der Gruppe zeitgenössischer Philosophen zu, die durch Verschriftlichung (διὰ γραφῆς) ihre Lehrmeinungen den Nachgeborenen hinterlassen wollten (Longin De fine fr. 11B.I. Männlein-Robert = fr. 4,25–27 Patillon-Brisson = Porph. V. Plot. 20,25–27). 96 Cf. Szlezák 1977, 58 f.; anders Schwyzer 1983, 15 f.
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[…] ἔμενε καὶ ὁ Πλωτῖνος, συνὼν μέν τισι τῶν προσιόντων, τηρῶν δὲ ἀνέκπυστα τὰ παρὰ τοῦ Ἀμμωνίου δόγματα. […| hielt sich auch Plotin an die Abmachung, wobei er zwar in schulischer Gemeinschaft mit einigen, die zu ihm gekommen waren, lebte, jedoch darauf achtete, dass die von Ammonios überkommenen Lehren [sc. von diesen] nicht in Erfahrung gebracht werden konnten.
Es liegt auf der Hand, dass hier allein von mündlichem Unterricht die Rede ist, und auch bei diesem achtete Plotin offenbar mit größter Sorgfalt darauf, die Abmachung nicht zu übertreten. Selbst nach dem Verrat – er wird von Porphyrios nicht genau datiert, dürfte aber etwa in der Mitte zwischen 244 (Eröffnung der Schule Plotins) und 253/254 (Beginn von Plotins Schreiben im ersten Jahr von Gallienus’ Herrschaft) liegen97 – schrieb er „während langer Zeit nichts“, sondern lehrte nur mündlich, wobei er sich, wie Porphyrios festhält, den Unterricht des Ammonios zum Vorbild nahm (3,33 f. ἐκ δὲ τῆς Ἀμμωνίου συνουσίας ποιούμενος τὰς διατριβάς). Dass er in dieser zweiten Hälfte der insgesamt 10 Jahre dauernden mündlichen Lehre ausgewählten Schülern – z. B. Amelios, der 247 zu ihm gekommen war und Mitschriften der Lehre zu machen begann (3,38 ff.) – die Lehren des Ammonios schon mitteilte, ist denkbar, wird jedoch nicht gesagt. Wichtiger ist es für Porphyrios, den maieutischen Stil dieses ammonianisch geprägten Unterrichtens zu betonen – ein Stil, den Plotin auch später beibehielt (cf. 14,15 f.) und der sich offenbar u. a. dadurch auszeichnete, dass er „die mit ihm zusammenlebenden Schüler (τοὺς συνόντας) zum Nachforschen ermunterte“ (ζητεῖν προτρεπομένου: 3,37 f.).98 Fassen wir zusammen. Aus historisch-philologischer Perspektive bietet einzig Porphyrios’ Darstellung der Vereinbarung zwischen den Ammonios-Schülern erhebliche, aber nicht gänzlich unüberwindliche Schwierigkeiten für die Annahme eines einzigen Origenes. Wer die Arbeitshypothese der Einheit des – laut Porphyrios durch und durch platonisierten99 – christlichen Origenes und des Mitschülers von Herennios und Plotin retten will, kommt um die folgenden 97 Dafür spricht, dass Plotin vor der Abfassung erster Schriften noch ein Weilchen allein mündlich unterrichtete und dass Origenes’ erstes Werk zeitlich vom zweiten um einige Jahr getrennt ist, wie Porphyrios’ Formulierung unabhängig davon, ob man die Emendation akzeptiert oder nicht, nahelegt. Herennios wiederum wird gar nicht in Bezug zu Büchern gesetzt; er könnte also die Vereinbarung auch allein durch mündlichen Unterricht verletzt haben. 98 Genau dies beabsichtigten laut Orig. Princ. 1, praef. 3 auch die Apostel, indem sie zwar das Glaubensnotwendige ganz klar überlieferten, die rationale Begründung dafür jedoch den mit den Gaben des Geistes Beschenkten zum Erforschen überließen (rationem … assertionis eorum relinquentes ab his inquirendam, qui spiritus dona excellentia mererentur etc.) und überhaupt bewusst Lücken gelassen hätten, ut studiosiores quique ex posteris suis, qui amatores essent sapientiae, exercitium habere possent, in quo ingenii sui fructum ostenderent, hi videlicet, qui dignos se et capaces ad recipiendam sapientiam praepararent. 99 Zu Origenes’ Platonismus cf. u. a. auch die erhellenden Ausführungen von Dillon 1992.
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Schritte kaum herum: Unter Annahme der Korrektheit von Eusebios’ Angaben zu Origenes’ Todesdatum in Hist. eccl. VII 1 muss er 1) davon ausgehen, dass es sich bei der Schrift Dass einziger Schöpfer der König ist um ein kurz vor Origenes’ Tod unter Kaiser Gallus verfasstes Alterswerk handelt und daher die paläographisch an sich völlig unbedenkliche Emendation ἐπὶ Γάλ[ιη]λου in Porph. V. Plot. 3,31 f. übernehmen100; 2) Porphyrios’ Aussage, dass Origenes „nichts außer der Abhandlung Über die Daimones und … Dass einziger Schöpfer der König ist verfasst“ habe (3,30– 32), auf technisch philosophische Schriften über die spezifischen „Lehren des Ammonios“ (3,26 f.) einschränken, d. h. er muss nach „er schrieb nichts“ in 3,30 aus dem Zusammenhang ein „[sc. darüber]“ ergänzen (ἔγραψε δὲ οὐδὲν [sc. περὶ αὐτῶν] πλὴν τὸ κτλ.). Einzig durch diese beiden Schriften, deren Titel für einen christlichen Autor mit platonischen Interessen an sich mühelos vorstellbar sind101, hätte sich Origenes nicht mehr an die gemeinsame Abmachung gehalten, in jeder anderen Hinsicht aber wäre er frei gewesen.102 Ist man zu diesen beiden Schritten bereit, bleibt als letzte Schwierigkeit, dass die Vereinbarung zwischen Herennios, Origenes und Plotin wohl eine gemeinsame Phase des Unterrichts bei Ammonios in Alexandrien voraussetzt. Über Herennios’ Leben haben wir überhaupt keine Informationen. Von Plotin wissen wir, dass er im Jahre 232 zu Ammonios kam, während Origenes 232/233 Alexandrien definitiv verlassen hat. Es bleiben also immerhin ein paar Monate der möglichen Überlappung im Jahre 232, und wenn man bedenkt, welches Erweckungserlebnis für Plotin die Begegnung mit Ammonios Porphyrios zufolge bedeutete („Diesen habe ich gesucht“: Porph. V. Plot. 3,13), wäre die relative Kürze der gemeinsam bei Ammonios verbrachten Zeit103 kaum ein ernsthaftes Problem.104 Wie plausibel im übrigen die These einer ursprünglichen Geheimhaltung technisch philosophischer Schriften für den christlichen Origenes ist, lässt sich auch daran erkennen, dass er ähnlich das philosophischste seiner theologischen Werke, Περὶ 100 Die Konjektur wäre immer noch sinnvoll, jedoch weniger zwingend, falls die mit Hist. eccl. VII 1 konkurrierenden Hinweise zu Origenes’ Alter beim Tod seines Vaters in VI 2,2 f.12 richtig sein sollten (cf. oben S. 28 f.). 101 Cf. auch Schroeder 1987, 501 f. „It can certainly be said that nothing in these titles argues for a difference between them“. S. auch unten Anm. 110. 102 Man beachte in diesem Zusammenhang, wie vorsichtig Origenes die Frage nach der Spitze der ontologischen Pyramide in der an ein weiteres Publikum gerichteten Schrift Gegen Kelsos anspricht (VI 64, s. unten Anm. 110). 103 Für Schroeder 1987, der „a deep and lengthy association“ als eine notwendige Voraussetzung für die Abmachung betrachtet (499), ist dies das entscheidende Argument für die Annahme zweier Origeneis (508). 104 Eine andere, wenig überzeugende Lösung schlägt Beatrice 1992, 359 vor („But at the death of Ammonius, Origen couldn’t help but re-enter Alexandria in 242–243, even if for a brief period of time, to gather the spiritual heritage of the late master and make the famous agreement with Erennius and Plotinus“ etc.); cf. auch Böhm 2002, 21 (gegen eine solche Annahme schon Weber 1962, 21 f.); anders Hanson 1954, 4–6, der an eine Begegnung des Origenes mit Ammonios und Longin in den Jahren 243/245 in Athen denkt.
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ἀρχῶν, nach einem von Hieronymus zitierten Briefzeugnis eigentlich nur für interne Zirkulation (wohl unter Gleichgesinnten) vorgesehen hatte.105 Gewiss: man kann angesichts der vertrackten Situation in guten Treuen sowohl für wie auch gegen eine Identität der beiden Origeneis plädieren.106 Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich Porphyrios, unsere Hauptquelle, an keiner Stelle gemüßigt fühlt, zwei Origeneis (und Ammonioi) zu unterscheiden.107 Und dass ein Christ, der ohne Unterlass Platon studiert und sich auch mit den Schriften der pythagoreisierenden Platoniker seiner Zeit intensiv auseinandersetzt (Porph. Adv. Christ. III, fr. 6F., § 8 Becker), grundsätzlich dazu fähig war, philosophisch technische Traktate zu verfassen108, welche die Beachtung seiner paganen Zeitgenossen gefunden haben, sollte man nicht vorschnell in Zweifel ziehen. Dies umso mehr, als die für den platonischen Origenes charakteristischen Züge der Platonauslegung aus christlicher Perspektive besonders einleuchtend erscheinen.109 Doch das wäre Thema eines anderen Beitrags. 105 Es war sein Freund Ambrosius, der secreta edita in publicum protulerit: Hier. Ep. 84,10; dazu Karpp in Görgemanns / Karpp 1992, 9; vgl. auch Pamph. Apol. Orig. 20 quae per spatium et quietem in secreto conscripsit und 36 … quae quidem non in publico ab eo dicta sunt,… sed ex illis haec libris protulimus quos in secreto apud semet ipsum nullo arbitro intercedente dictabat. 106 So mag man sich vielleicht eher schwertun mit der Vorstellung, dass der (falls Porphyrios dabei gewesen sein sollte, bereits alte) christliche Origenes sich drei Tage lang auch physisch völlig verausgabt haben könnte, um im Rahmen der Erläuterung von Plat. Tim. 19 d Porphyrios gegenüber den Nutzen Homers für die ethische Praxis zu erweisen (fr. 10 Weber; zu bedenken ist freilich die topische Züge tragende Stilisierung durch Porphyrios, der Proklos’ Quelle für diese Anekdote war: zu „drei Tagen“ als Zeitspanne äußerst intensiver Reflexion cf. 13,11, zum Erröten ibid. 14,21 f.; Kettler 1979, 325 f. möchte die physiologischen Symptome als Folgen der Folterung während der Decianischen Verfolgung deuten; anders Schroeder 1987, 508 f.; Kinzig 1998, 329 Anm. 39). – Bekanntlich wurden in der Forschung seit dem 17. Jahrhundert eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungen für die Origenes‑ und die Ammonios-Frage vorgeschlagen, die hier nicht im einzelnen erörtert werden können; für einen Überblick vgl. Schroeder 1987, 495–497 und 504–509 sowie besonders Zambon 2011, 113–156. 107 Cf. auch Zambon 2011, 159. Anders Weber 1962, 23 f. auf der problematischen Basis der Angaben über die Zahl der Schriften und Bruns 2008, 195. 108 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Origenes in Cels. VII 37 mit „abgelegenen und nur von wenigen Lernbegierigen gelesenen“ philosophisch-theologischen Büchern rechnet (vgl. die kurz davor genannten hypothetischen λόγοι τῶν φιλοσοφούντων καὶ ἐπιμελῶς ὅση δύναμις ἐξεταζόντων τὰ Χριστοῦ; s. auch oben S. 2 f. mit Anm. 106 zu Princ.). Im Hinblick auf Kelsos’ Skizze der platonischen Ontotheologie gemäß Tim. 27 d–28 a und Rep. VI 508 b–509 b in VII 42.45 gibt Origenes im übrigen seiner positiven Einschätzung derselben unmissverständlich Ausdruck: Er spricht von „gesunden Lehrmeinungen“ und von den „auch bei den Griechen gut reflektierten Dingen“, die er nicht kritisieren wolle (VII 49; cf. VII 46), und beklagt einzig, dass sie „nach so bedeutenden Worten über Gott und das Intelligible in den Schulen“ dann in krassem Widerspruch zu dem „ihnen von Gott Offenbarten“ religiös und ethisch leben würden (VII 47). Mit anderen Worten, er wirft den Griechen im Grunde dasselbe wie Porphyrios in Adv. Christ. III, fr. 6F., § 7 Becker ihm vor: einen Lebensstil, der nicht mit den hehren Lehren übereinstimmt. 109 Proklos zufolge lehnte Origenes die Existenz eines ἕν, welches noch jenseits jedes Denkens und jedes Seienden wäre, ab (In Plat. theol. 2,4 = Origenes fr. 7 Weber; wie die erste, auch in Proklos’ Augen mit Platon übereinstimmende Erklärung erkennen lässt, könnte diese anti-
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henologische Deutung sehr wohl einer spezifischen Deutung von Platons ἐπέκεινα τῆς οὐσίας in Rep. VI 509 b9 entspringen, wo Origenes den vieldeutigen Begriff οὐσία im parmenideischen Sinne von γνῶσις verstanden haben mag, vgl. ὡς κρεῖττον ἁπάσης γνώσεως καὶ παντὸς λόγου καὶ πάσης ἐπιβολῆς; auch die Schrift Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς dürfte nicht nur eine antignostische – vgl. in diesem Zusammenhang ebenfalls Orig. Princ. IV 2,1 –, sondern auch eine anti-henologische Stoßrichtung gehabt haben). Angesichts der fundamentalen Bedeutung von Gottes Selbstoffenbarung in Ex. 3,14 ἐγώ εἰμι ὁ ὤν (erwähnt u. a. in Princ. I 3,6; Hom. in Sam. 1,11) für die jüdisch-frühchristliche Theologie als Bindeglied zu Platons ὄντα überrascht eine solche restriktive Auslegung von Platons Seinspyramide kaum. Eine ähnliche Deutung klingt in Origenes’ Johanneskommentar zumindest an, wenn er in II 95 f. aus Ex. 3,14 und Markus 10,18 (vgl. Lukas 18,19) οὐδεὶς ἀγαθὸς εἰ μὴ εἷς ὁ θεός schließt: Οὐκοῦν ‚ὁ ἀγαθὸς‘ τῷ ‚ὄντι‘ ὁ αὐτός ἐστιν. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch, wie offen und differenziert Origenes die diesbezügliche Problemlage in Cels. VI 64 skizziert: Das Thema der οὐσία wird als große wissenschaftliche Herausforderung bezeichnet (δυσθεώρητος); zumal, wenn das „eigentliche Sein (ἡ κυρίως οὐσία) das beständige und unkörperliche ist“, bedürfe es intensiver Erörterung, um herauszufinden, „ob Gott ‚jenseits des Seins durch Würde und Macht‘ ist (Plat. Rep. VI 509b9) und [sc. all] den Dingen Anteil am Sein gibt, denen er dies gemäß seinem Logos und durch den Logos selbst gibt, oder ob er auch selbst Sein ist, freilich von Natur aus unsichtbar genannt wird im Schriftwort über den Retter, das sagt: ‚[sc. er,] der Bild des Gottes des unsichtbaren ist‘, wobei mit dem Wort ‚unsichtbar‘ der körperlose bezeichnet wird“. Außerdem, fährt Origenes fort, müsse man auch untersuchen, „ob der Eingeborene und ‚Erstgeborene jeder Schöpfung‘ als Sein alles Seienden (οὐσία οὐσιῶν) und Idee der Ideen und Prinzip bezeichnet werden soll, sein Vater und Gott aber als jenseits (ἐπέκεινα) von all diesem [sc. seiender]“. Dass diese Problemskizze auf der Höhe der zeitgenössischen philosophischen Diskussion steht (cf. auch VII 38) und Porphyrios’ Einschätzung κατὰ δὲ τὰς περὶ τῶν πραγμάτων καὶ τοῦ θείου δόξας ἑλληνίζων vollauf bestätigt (Adv. Christ. III fr. 6F., § 7 Becker), lässt sich kaum bestreiten, und dasselbe gilt auch für seine Äußerungen zu τὸν περὶ δαιμόνων λόγον, den er in ähnlicher Weise als anspruchsvoll und für die menschliche Natur schwierig zu begreifen bezeichnet (πολὺν ὄντα καὶ δύσληπτον τῇ ἀνθρωπίνῃ φύσει: VII 67). Beachtung verdient schließlich auch der Widerspruch, den (der als platonisch geltende) Origenes wiederholt gegen Longins rhetorisch-stilistische Platonanalysen erhebt (cf. fr. 9 und 13 f. Weber, wo Origenes eine Ausrichtung Platons auf das dulce dezidiert in Abrede stellt). Dazu fügt sich der unprätentiöse Stil des christlichen Origenes und seine Ablehnung einer prunkvollen Rhetorik (cf. u. a. Cels. VI 1 f.; Fürst 2007 a, 55 und 2007 b, 255 f., der freilich allgemein die Bedeutung der Rhetorik, welche ja Stil‑ und Literaturkritik miteinschloss, durch eine allzu scharfe Abgrenzung von der Philosophie kaum angemessen berücksichtigt).
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Riedweg, Christoph, Ps.-Justin (Markell von Ankyra?), Ad Graecos de vera religione (bisher „Cohortatio ad Graecos“). Einleitung und Kommentar (SBA 25/1–2; Basel: Reinhardt, 1994). –, Welche Bedeutung hat die Patristik für ‚meine Philologie‘?: Zwischen Altertumswissenschaft und Theologie. Zur Relevanz der Patristik in Geschichte und Gegenwart (hg. von Christoph Markschies / Johannes van Oort; SPA 6; Leuven: Peeters, 2002) 188–193. –, Aspects de la polémique philosophique contre les chrétiens dans les quatre premiers siècles (Conférences de l’année 2014–2015): Annuaire de l’École Pratique des Hautes Études (EPHE), Sciences religieuses 123 (2016) 151–158 (auch online: http://asr.revues. org/1442 [letzter Zugriff am 24. 03. 2017]). –, Ein neues Zeugnis für Porphyrios’ Schrift Gegen die Christen – Johannes Chrysostomos, Johanneshomilie 17,3 f.: Die Christen als Bedrohung? Text, Kontext und Wirkung von Porphyrios’ Contra Christianos (hg. von Irmgard Männlein-Robert; Roma Aeterna 5; Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2017) 59–84. Scholten, Clemens, Die alexandrinische Katechetenschule: JAC 38 (1995) 16–37. Schott, Jeremy M., Living Like a Christian, but Playing the Greek: Accounts of Apostasy and Conversion in Porphyry and Eusebius: Journal of Late Antiquity 1 (2008) 258–277. Schroeder, Frederic M., Ammonius Saccas: ANRW II 36,1 (1987) 493–526. Schwyzer, Hans-Rudolf, Ammonios Sakkas, der Lehrer Plotins (RHWAW.G 260; Opladen: Westdeutscher Verlag, 1983). Szlezák, Thomas Alexander, Plotin und die geheimen Lehren des Ammonios: Esoterik und Exoterik der Philosophie: Beiträge zu Geschichte und Sinn philosophischer Selbstbestimmung (hg. von Helmut Holzhey / Walther Ch. Zimmerli; Basel: Schwabe, 1977) 52–69. Tanaseanu-Döbler, Ilinca, Philosophie in Alexandria – der Kreis um Ammonios Sakkas: Alexandria (COMES 1; hg. von Tobias Georges u. a., Tübingen: Mohr Siebeck, 2013) 109–126. Theiler, Willy, Ammonius der Lehrer des Origenes: Forschungen zum Neuplatonismus (hg. von dems.; QSGP 10; Berlin: De Gruyter, 1966) 1–45. Weber, Karl-Otto, Origenes der Neuplatoniker: Versuch einer Interpretation (Zetemata 27; München: Beck, 1962). Williams, Rowan, Origenes: TRE 25 (1995) 397–420. Wyrwa, Dietmar, Religiöses Lernen im zweiten Jahrhundert und die Anfänge der alexandrinischen Katechetenschule: Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (hg. von Beate Ego / Helmut Merkel; WUNT 180; Tübingen: Mohr Siebeck, 2005) 271–305. Zambon, Marco, Παρανόμως ζῆν: la critica di Porfirio ad Origene (Eus. HE VI 19, 1–9): Origeniana Octava. Origen and the Alexandrian Tradition. Origene e la tradizione alessandrina. Papers of the 8 th International Origen Congress. Pisa, 27–31 August 2001, Volume 1 (hg. von Lorenzo Perrone u. a.; BEThL 164 A; Leuven: Peeters, 2003) 553–563. Zambon, Marco, Porfirio e Origene, uno status quaestionis: Le traité de Porphyre contre les chrétiens. Un siècle de recherches, nouvelles questions. Actes du colloque international organisé les 8 et 9 septembre 2009 à l’Université de Paris IV-Sorbonne (hg. von Sébastien Morlet; Collection des Études Augustiniennes, Série antiquité 190; Paris: Institut d’études augustiniennes 2011) 107–164. Ziebritzki, Henning, Heiliger Geist und Weltseele. Das Problem der dritten Hypostase bei Origenes, Plotin und ihren Vorläufern (BHTh 84; Tübingen: Mohr Siebeck, 1994).
Origenes simplex vel duplex? Das Origenes-Problem aus der Sicht eines Kirchengeschichtlers* Peter Gemeinhardt 1. Einleitung: Origeneis und Nikoläuse War Origenes, der – vor Augustin – produktivste, zugleich aber auch umstrittenste Theologe der christlichen Spätantike, in Personalunion auch ein erheblich weniger produktiver, aber gleichfalls in der Nachwelt umstrittener (Neu‑) Platoniker? Oder lebten und lehrten binnen weniger Jahrzehnte in Alexandrien zwei Personen dieses Namens, die sich teils in denselben philosophischen Kreisen bewegten und frappierend ähnliche Probleme im Blick auf Gott, Mensch und Welt wälzten, deren Namensgleichheit aber trotzdem reiner Zufall ist? Und wenn man zu größerer Klarheit darüber gelangte, ob es einen Origenes gab oder doch eher zwei Origeneis – was könnten wir dem jeweiligen Befund über das Miteinander von Christen und (sit venia verbo) „Heiden“, von Philosophie und Theologie im 3. Jahrhundert entnehmen? Wann und warum aber – so fragt sich schließlich – wurden solche Unterschiede überhaupt getroffen und unter wechselseitiger Polemik stabilisiert, wenn doch alle Beteiligten nichts anderes wollten, als die richtige Philosophie über Gott und die Welt zu vertreten, und damit zum philosophischen Diskurs der Antike einen konstruktiven Beitrag zu leisten? Die großen Fragen nach Gott und der Welt hängen mit dem scheinbar kleinen Problem der Zahl von Trägern des Namens Origenes zusammen, und mit diesem begrenzten Problem will ich beginnen. Die Frage nach der Zahl der Origeneis im 3. Jahrhundert n. Chr. ist alt, und es sind – so sollte man meinen – längst alle Argumente ausgetauscht und dies mehr als einmal.1 Eine eindeutige Antwort hat sich gleichwohl nicht herausgeschält, und die argumentativen Koalitionen in der Origenes-Frage formieren sich keineswegs nach disziplinären Grenzen, sondern * Dieser Beitrag ist im Rahmen des Teilprojekts C 04 des an der Theologischen und der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen angesiedelten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion“ entstanden. 1 Zuletzt fasste Fürst 2014, 465 f. das Für und Wider übersichtlich zusammen.
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trennen und vereinen vielmehr Philosophiehistoriker, Klassische Philologen und Kirchengeschichtler. Und so mag es in gewisser Weise zur Werkbiographie eines Patristikers gehören, sich mindestens einmal zur Frage „Origenes simplex vel duplex“ zu verhalten – das will ich hier tun, wohl wissend, dass mir Größere vorangegangen sind. Ich möchte daher einleitend einige Überlegungen anstellen, was aus kirchengeschichtlicher Sicht das Problem mit dem einen oder den beiden Origeneis ist. Wie das mir gestellte Thema suggeriert, ist das jedenfalls nicht von vorneherein dasselbe Problem wie aus klassisch-philologischer, philosophiegeschichtlicher oder althistorisch-archäologischer Perspektive, obwohl die verfügbaren Quellen in allen Fällen natürlich dieselben – und gleichermaßen knapp – sind. Denn wie aus der Perspektive der Geschichte des Christentums auf die OrigenesFrage geantwortet wird, hat Auswirkungen auf die Sicht dieser formativen Phase der christlichen Kirche insgesamt. Ich erlaube mir daher eingangs einen kurzen Umweg, der den kirchengeschichtlichen Streitwert einer solchen Frage an einem ganz anderen Beispiel deutlich machen soll.2 Eine der bekanntesten Figuren der Christentumsgeschichte ist der heilige Nikolaus, von dem allgemein bekannt ist, dass er im kleinasiatischen Myra lebte, wohl im ersten Drittel des 4. Jahrhunderts, denn er war Teilnehmer des ersten ökumenischen Konzils von Nizäa im Jahr 325. Doch sogleich ist Vorsicht geboten: Das wissen wir aus späteren Traditionen, die erst im 6. Jahrhundert literarisch zu fließen beginnen und dann bald zum reißenden Strom werden, der jede Übersichtlichkeit hinwegschwemmt. Diesen rund zweihundert Jahre lang währenden Mangel an verlässlichen Überlieferungen setzte ich voraus, als ich im Dezember 2015 auf einem kleinen Symposium in Bern über Nikolaus in den Traditionen der Ost‑ und Westkirche bis in die reformatorische Zeit zu sprechen hatte.3 Aber es gibt immer noch mehr an überlieferungsgeschichtlichen Denkwürdigkeiten zwischen Himmel und Erde, als sich der Patristiker träumen lässt: In der Diskussion wurde ich darauf angesprochen, wie es sich mit dem Rhetor gleichen Namens aus dem 5. Jahrhundert verhalte und ob dieser nicht derselbe sei wie der heilige Nikolaus. Hier musste ich passen. Offensichtlich hatte ich, aber – dies sei zur Entschuldigung vorgebracht – auch die ganze bisherige Nikolausforschung, die Existenz des Rhetors namens Nikolaus von Myra übersehen, der im 5. Jahrhundert einige fachspezifische Traktate verfasste, die auch 2 Die Frage, ob man überhaupt von Kirchen-Geschichte oder nicht vielmehr von Geschichte des Christentums sprechen sollte, habe ich andernorts behandelt (Gemeinhardt 2013 a); sie kann hier auf sich beruhen, obwohl nicht verschwiegen sei, dass ich letztere Formulierung für sinnvoller halte und dass gerade in der Biographie des Origenes der Bezug zur „Kirche“ durchaus mehrdeutig ist, je nachdem, ob man darunter die Gemeinschaft der Glaubenden oder die vom Bischof geleitete Gemeinde versteht, aus deren Dependance in Alexandrien Origenes bekanntlich im Streit ausschied! 3 Gemeinhardt 2018 [im Druck].
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erhalten und ediert sind.4 Abgesehen von diesen Schriften wissen wir freilich nichts über ihn; es ist auch nicht klar, ob er Christ und vielleicht sogar nach dem berühmten Bischof seiner Heimatstadt benannt war5, was in jener Zeit im westlichen Kleinasien keine Singularität gewesen wäre. Nun kommt es vermutlich nicht nur mir unwahrscheinlich vor, dass der spätere Nothelfer Nikolaus im Erst‑ oder Nebenberuf Rhetor gewesen sein soll, und es gibt in der byzantinischen Nikolaus-Tradition, wenn ich nichts übersehen habe, auch kein Indiz dafür. Da der Name seinerzeit recht verbreitet war, dürfte es sich wohl eher um eine zufällige Namensgleichheit handeln. Dafür spricht auch die Chronologie, die den Rhetor sicher ins 5. Jahrhundert, den Bischof – wie gesagt: nach allen späteren (!) Zeugnissen – ins 4. Jahrhundert setzt. Bleiben wir also bei zwei Nikoläusen von Myra und fragen uns stattdessen: Was würde es eigentlich ändern, wenn sich der Heilige als vormaliger Rhetor entpuppte? Wären seine Wundertaten weniger bemerkenswert, ja wäre die einigermaßen morbide mittelalterliche Legende von den drei Scholaren, die ein missgünstiger Wirt tötete und einpökelte und die der Heilige wieder auferweckte, nicht noch typischer für Nikolaus, den Patron der studierenden Jugend?6 Es ist ja keineswegs so, dass es in der Spätantike keine rhetorisch gebildeten Heiligen7 oder keine zum Christentum konvertierenden Rhetoren gegeben hätte – Augustin ist nur das prominenteste Beispiel. Gewiss würde man, mit Augustins Confessiones im Hinterkopf, eine ausdrückliche Abkehr von weltlicher Bildung erwarten. Doch was wissen wir wirklich von den Männern und Frauen, die seinerzeit in Wüste und Kloster zu Leitbildern aufstiegen? Allgemeiner gefragt: Woher kommen die Erwartungshorizonte, die bei antiken und modernen Autoren und Lesern vorprägen, was als authentisch christlich gelten darf – und was nicht? Diese Fragen sind – um zu Origenes zu kommen – auch für das hier zu diskutierende Problem relevant. Denn offensichtlich gab es im 3. und 4. Jahrhundert ganz konkrete Erwartungen, wie ein rechter Christ und wie ein satisfaktionsfähiger Platoniker auszusehen hatten. Das wird paradigmatisch erkennbar bei Euseb von Caesarea und bei Porphyrius, deren Schriften das Problem „simplex vel duplex“ aufwerfen, und zwar in einer Schärfe, die deutlich macht, dass es hier nicht um Geschmacksurteile geht, sondern um eine handfeste Auseinandersetzung über kulturelle und religiöse Identität – schon im Mittelplatonismus hatte Philosophie ja zunehmend mit Religion zu tun, und im 3. Jahrhundert intensivierte sich dieses Miteinander noch. Wie wir das Verhältnis von christlichem und 4 Vgl.
Kennedy 2003, 129–172. dafür, dass der Rhetor Nikolaus Christ gewesen sein könnte, findet Gibson 2010, ohne jedoch sein Verhältnis zum Bischof und späteren Heiligen desselben Namens zu diskutieren. 6 Zu dieser Überlieferung, die nicht in die Legenda aurea aufgenommen wurde, im Spätmittelalter aber größte Popularität genoss, vgl. Mezger 1993, 95–114. 7 Hierzu anhand einiger prominenter Exempla Gemeinhardt 2011. 5 Indizien
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(neu‑)platonischem Origenes, von Philosophie und Theologie, sehen, ist daher keine unschuldige, sondern eine durchaus brisante Problematik – das zeigt allein schon die weit verzweigte Forschungsgeschichte. Die Frage „Origenes Christianus aut Platonicus“ ist der modernen Forschung – zumal deren patristischem Zweig – als Thema vorgegeben, und es lohnt sich allemal, die Quellen erneut zu sichten, die dazu geführt haben, dass man die Herausforderung durch die nicht miteinander übereinstimmenden Quellenzeugnisse durch deren Verteilung auf zwei Origeneis (und auf zwei Ammonioi) zu bewältigen versucht hat. Das kirchengeschichtlich Reizvolle daran ist aus meiner Sicht nicht nur die Zahl an sich, sondern die in den Quellen und zugleich (!) in der modernen Forschung zutage tretende Diskussion über das, was im 3. Jahrhundert als christlich erscheint, ob das etwas ganz anderes oder im Grunde dasselbe wie „platonisch“ ist8 – und unter welchen Voraussetzungen die im Titel dieses Bandes angedeutete Alternative damit überhaupt trägt. Das will ich in drei Schritten diskutieren und abschließend einige Gesprächsanstöße formulieren.
2. Zwei Origeneis: Die Sicht des Porphyrios Origenes Christianus aut Platonicus? Für Porphyrios und Proklos war die Antwort klar. Um mit letzterem zu beginnen: Proklos, neuplatonisches Schulhaupt im 5. Jahrhundert und in dieser Eigenschaft mit der Sichtung und Evaluierung des Erbes der Akademie und deren Lehrer befasst, referiert in seiner Theologia Platonica Lehrsätze eines gewissen Origenes, „der dieselbe Bildung wie Plotin erfahren durfte“9, jedoch nicht wie dieser zwischen dem ersten Seienden und dem jenseits allen Seins zu verortenden Einen unterschieden habe.10 Nach Proklos’ Referat war dieser Origenes Schüler des Ammonios Sakkas und äußerte sich im Rahmen der emergenten neuplatonischen Schulphilosophie, wenn er auch anders als Plotin und daher aus späterer Sicht nicht angemessen philosophierte.11 Ob es sich dabei um einen Christen handelt, wird freilich nicht erwähnt oder gar problematisiert. Dieses Schweigen an sich besagt natürlich gar nichts, aber hätten nach den Invektiven des Porphyrios gegen den Theologen Origenes, auf die wir sogleich zu sprechen kommen, spätere Neuplatoniker noch unbefangen auf dessen Schrifttum zurückgegriffen? Das lässt sich nicht ausschließen, aber es 8 Vgl. Schott 2008, 261: „The desire of modern scholars to distill an unequivocal account of Origen and Ammonius out of Porphyry’s and Eusebius’ otherwise enigmatic and contradictory narratives echoes the insistence of these ancient accounts on the fixity and clarity of the difference between Greek philosophy and Christianity.“ 9 Procl. Theol. Plat. II 4 (31,8 f. Saffrey / Westerink): Ὠριγένην τὸν τῷ Πλωτίνῳ τῆς αὐτῆς μετάσχοντα παιδείας. Zu Proklos vgl. auch Halfwassen, unten S. 168–174.176. 10 Procl. Theol. Plat. II 4 (31,9–11 Saffrey / Westerink): Καὶ γὰρ αὖ καὶ αὐτὸς εἰς τὸν νοῦν τελευτᾷ καὶ τὸ πρώτιστον ὄν, τὸ δὲ ἓν τὸ παντὸς νοῦ καὶ παντὸς ἐπέκεινα τοῦ ὄντος ἀφίησι. 11 Hierzu vgl. Böhm 2002, 10–13. Zum Ammonioskreis vgl. Tanaseanu-Döbler 2013.
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erscheint doch wahrscheinlicher, dass wir es bei Proklos mit einem (neu‑)platonisch schreibenden Origenes zu tun haben, der nicht identisch mit dem durch sein Schrifttum und zahlreiche Testimonien bezeugten christlichen Theologen Origenes ist – und das hieße, dass wir auf der Basis des proklischen Zeugnisses vorerst mit zwei Trägern dieses Namens, einem Platoniker und einem Christen, rechnen sollten. Porphyrios selbst bietet ein komplexeres Bild, das sich vor allem aus zwei Textstellen speist. Einmal geht er in der Vita Plotini in zwei Passagen auf Origenes ein, der mit Herennius und Plotinos Schüler des Ammonios gewesen sei, von denen allerdings nur der Held seiner Vita, Plotin, die von den dreien getroffene Vereinbarung eingehalten habe, die Lehre des Meisters geheim zu halten.12 Andernorts – in einem umfangreichen Zitat aus Contra Christianos, das Euseb überliefert – erhebt Porphyrios harsche Anklagen gegen Origenes: „Wie widersinnig das ist, möge man von einem Mann vernehmen, dem ich selbst noch in ganz jungen Jahren begegnet bin, der sich Ruhm erworben hatte und auch jetzt noch durch die Schriften, die er hinterlassen hat, in hohem Ansehen steht: von Origenes. Dessen Ruhm ist bei den Vertretern dieser Lehren weit verbreitet. Denn als ein Hörer des Ammonios, der zu unseren Lebzeiten den größten Erfolg in der Philosophie hatte, erwarb er sich von seinem Lehrer großen Nutzen im Hinblick auf wissenschaftliche Kenntnisse. Was aber die Wahl der richtigen Lebensführung angeht, so schlug er einen ihm entgegengesetzten Weg ein. Denn Ammonios war als Christ unter Christen von seinen Eltern aufgezogen worden. Als er mit dem Denken und der Philosophie in Berührung gekommen war, wandte er sich sofort der gesetzesgemäßen Lebensführung zu. Origenes hingegen lief, obwohl er als Grieche mit griechischer Bildung erzogen worden war, auf die barbarische Verwegenheit auf. Dieser nun verschacherte er sich selbst und seine wissenschaftlichen Fähigkeiten rasch, indem er zwar im Hinblick auf seinen Lebensstil wie ein Christ lebte, und zwar gegen das Gesetz, sich aber doch bei seinen Ansichten über die irdischen Verhältnisse und das Göttliche als Grieche gebärdete und griechische Lehren den fremdartigen Mythen unterschob. Denn ständig pflegte er Platon zu konsultieren, setzte sich mit den Schriften des Numenios und Kronios, des Apollophanes und Longins, des Moderatos und des Nikomachos sowie der berühmten Männer unter den Pythagoreern auseinander. Er benutzte auch die Bücher Chairemons des Stoikers und des Kornutus, bei denen er auf die metaleptische Redeweise mit Bezug auf die griechischen Mysterien aufmerksam wurde, die er dann auf die jüdischen Schriften übertrug.“13 V. Plot. 3,18 f. (6,25–33 Harder). C. Christ. 6F. Becker = fr. 39 Harnack = Eus. Hist. eccl. VI 19,5–8 (558,23–560,17 Schwartz): ὁ δὲ τρόπος τῆς ἀτοπίας ἐξ ἀνδρὸς ᾧ κἀγὼ κομιδῇ νέος ὢν ἔτι ἐντετύχηκα, σφόδρα εὐδοκιμήσαντος καὶ ἔτι δι᾿ ὧν καταλέλοιπεν συγγραμμάτων εὐδοκιμοῦντος, παρειλήφθω, Ὠριγένους, οὗ κλέος παρὰ τοῖς διδασκάλοις τούτων τῶν λόγων μέγα διαδέδοται. ἀκροατὴς γὰρ οὗτος Ἀμμωνίου τοῦ πλείστην ἐν τοῖς καθ᾿ ἡμᾶς χρόνοις ἐπίδοσιν ἐν φιλοσοφίᾳ ἐσχηκότος γενονώς, εἰς μὲν τὴν τῶν λόγων ἐμπειρίαν πολλὴν παρὰ τοῦ διδασκάλου τὴν ὠφέλειαν ἐκτήσατο, εἰς δὲ τὴν ὀρθὴν τοῦ βίου προαίρεσιν τὴν ἐναντίαν ἐκείνῳ πορείαν ἐποιήσατο. Ἀμμώνιος μὲν γὰρ Χριστιανὸς ἐν Χριστιανοῖς ἀνατραφεὶς τοῖς γονεῦσιν, ὅτε τοῦ φρονεῖν καὶ τῆς φιλοσοφίας ἥψατο, εὐθὺς πρὸς τὴν κατὰ νόμους πολιτείαν μετεβάλετο, Ὠριγένης δὲ Ἕλλην ἐν Ἕλλησιν παιδευθεὶς λόγοις, πρὸς τὸ βάρβαρον ἐξώκειλεν τόλμημα· ᾧ δὴ φέρων αὐτόν τε καὶ τὴν ἐν τοῖς λόγοις ἕξιν ἐκαπήλευσεν, κατὰ μὲν τὸν βίον Χριστιανῶς ζῶν καὶ παρανόμως, κατὰ δὲ τὰς περὶ 12 Porph.
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Die Passage ist ebenso bekannt wie umstritten14 und stellt nicht ohne Grund für mehrere Beiträge im vorliegenden Band einen zentralen Beleg dar. Porphyrios spricht hier von Origenes als einem Schüler des Ammonios – mit diesem Ammonios ist der Archeget des Neuplatonismus gemeint, nicht der gleichnamige Christ, der im 3. Jahrhundert in Alexandrien als Theologe wirkte.15 Auch in dieser Zuordnung liegt ein Problem, denn Euseb ging offenbar davon aus, dass der Philosoph Ammonios nicht nur als Christ aufgewachsen, sondern auch ein solcher geblieben sei. Das mutet im Blick auf die christenkritische Haltung seines Schülers Plotin und seines Enkelschülers Porphyrios freilich höchst unwahrscheinlich an und kann angesichts des in Ägypten verbreiteten Namens Ammonios – analog zu den kleinasiatischen Nikoläusen – schon gar nicht aufgrund der bloßen Namensgleichheit postuliert werden.16 Dass Euseb zwei Ammonioi durcheinanderbrachte, ist angesichts der seitdem verstrichenen Zeit allemal glaubhafter als eine Verwechslung zweier Namensvettern durch Porphyrios, der den einen davon aus Erzählungen Plotins gekannt haben mag.17 Es bedarf keiner langen Erläuterung, worin Porphyrios das Vorbildliche bei Ammonios und das Schändliche bei Origenes sah: Letzterer hatte die eindeutig besseren Startvoraussetzungen gehabt, verpasste es jedoch, sich für die richtige Lebens‑ und Denkform zu entscheiden; jener hatte hingegen die Eierschalen seines christlichen Elternhauses erfolgreich abgestreift und sich dem Leben „nach den Gesetzen“, also einer mit der Natur übereinstimmenden Weise des Denkens und Handelns, zugewandt. Das Ziel der Argumentation ist die (Wieder‑)Herstellung von Eindeutigkeit: Man kann nicht zugleich Platoniker und Christ sein, und man kann einen falschen (christlichen) Lebenswandel nicht durch oberflächliche (und dann ebenso falsche) Rezeption „metaleptischer“, d. h. τῶν πραγμάτων καὶ τοῦ θείου δόξας ἑλληνίζων τε καὶ τὰ Ἑλλήνων τοῖς ὀθνείοις ὑποβαλλόμενοις μύθοις. συνῆν τε γὰρ ἀεὶ τῷ Πλάτωνι, τοῖς τε Νουμηνίου καὶ Κρονίου Ἀπολλοφάνους τε καὶ Λογγίνου καὶ Μοδεράτου Νικομάχου τε καὶ τῶν ἐν τοῖς Πυθαγορείοις ἐλλογίμων ἀνδρῶν ὡμίλει συγγράμμασιν, ἐχρῆτο δὲ καὶ Χαιρήμονος τοῦ Στοϊκοῦ Κορνούτου τε ταῖς βίβλοις, παρ᾿ ὧν τὸν μεταληπτικὸν τῶν παρ᾿ Ἕλλησιν μυστηρίων γνοὺς τρόπον ταῖς Ἰουδαϊκαῖς προσῆψεν γραφαῖς. Übers. Becker 2016, 135. Zur Metaphorik „auf Grund laufen“ (ἐξώκειλεν) vgl. Becker 2016, 158 Anm. 37. 14 Einen guten Überblick über die ältere Diskussion bietet Ziebritzki 1994, 32–38; ausführlich analysiert dieses Fragment einschließlich seines Kontextes bei Euseb jetzt Becker 2016, 132–167. Vgl. in diesem Band auch Riedweg, oben S. 15–25. 15 Die Quellen zu diesem Ammonios bietet Bardenhewer 1923, 198–202. 16 Für einen Christen namens Ammonios als Lehrer des Christen Origenes – der aber nicht der Lehrer Plotins und des Platonikers Origenes gewesen sei – plädiert Bruns 2008, 203 f., für einen dritten Ammonios – einen Peripatetiker – spricht sich Edwards 1993 aus. Zur älteren Diskussion vgl. Ziebritzki 1994, 38–42 (mit dem Ergebnis, dass es nur einen Ammonios gegeben habe, der philosophisch unterrichtet und christliche Literatur verfasst habe); vgl. dagegen Fürst 2007 a, 64 f.; ders. 2007 b, 259 f., wonach es zwei Ammonioi in Alexandrien gegeben habe, wobei der christliche Theologe aber für Origenes, anders als der einstige Christ und spätere (proto‑) neuplatonische Lehrer, keine biographische Rolle gespielt habe. 17 Eine solche Verwechslung behauptete zuletzt Bruns 2008, 202–204.
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allegorischer Textinterpretationen wettmachen. Matthias Becker ordnet diese Kritik in seiner Untersuchung und Kommentierung der Fragmente von Contra Christianos in erhellender Weise dem Paradigma der „Bedrohungskommunikation“18 zu: Porphyrios nahm demnach deutlich wahr, dass Christen wie Origenes in Konkurrenz zu anderen philosophischen Schulen standen, und bestritt daher, dass sich beide – und zwar legitimerweise! – auf dem gleichen Terrain bewegten, das durch den für Origenes wie Plotin und Porphyrios wegweisenden Unterricht des Ammonios bereitet worden war; gerade die Schärfe der Abgrenzung zeigt, so Franz Heinrich Kettler, dass „noch das Bewußtsein ursprünglicher Zusammengehörigkeit auf beiden Seiten erhalten geblieben“ sei.19 Daraus wird auch verständlich, warum Porphyrios den durchaus respektablen Lektürekanon des Origenes als Teil seiner dichotomischen Existenz zwischen Christentum und Philosophie diffamiert.20 Wichtiger für unsere Fragestellung ist, dass Porphyrios offenbar aus eigener Bekanntschaft wusste, mit welchem Origenes er es zu tun hatte: Wie er selbst betonte, hatte er in seiner Jugend – d. h. in den 240 er Jahren – Origenes getroffen, und zwar in Caesarea, wo dieser nach seinem Abschied aus Alexandrien eine neue Schule gegründet hatte.21 Der Weg von Tyrus nach Caesarea war gut bewältigbar. Porphyrios bezeichnet Origenes aber nicht als den Gefährten Plotins, von dem in der Vita Plotini die Rede ist. Und obwohl dieser Gefährte hier nicht gut wegkommt – er bricht das Geheimhaltungsgelübde und bringt Plotin durch seine bloße Anwesenheit in Verlegenheit, mehr sagen zu sollen, als gesagt werden kann22 –, wird er nicht der Apostasie zum Christentum geziehen, was gegenüber dem christlichen Origenes in Contra Christianos der entscheidende Anklagepunkt ist. Von hier aus wäre also explizit – wie implizit bei Proklos – mit zwei Origeneis zu rechnen. Freilich ist zu beachten, dass Porphyrios sich in unterschiedlichen literarischen Gattungen mit je spezifischen kommunikativen Zielvorstellungen äußert, einmal zur innerneuplatonischen Selbstverständigung, sodann kritisch gegen eine phi18 Zu diesem Konzept vgl. Becker 2016, 32–41; zu Porphyrios’ Darstellung des Ammonios vgl. Becker 2016, 156, wonach sich der Autor einer „literarischen Konvertitenstilisierung bedient, um klare Grenzen zwischen dem philosophischen und dem christlichen Lebensstil zu ziehen, wodurch nicht zuletzt eine Stärkung der intellektuellen Identität pagan-philosophischer Schulzirkel erreicht werden soll“. 19 Kettler 1979, 325. 20 Vgl. Kettler 1979, 324: „Man gewinnt aus dieser detaillierten Beschreibung den Eindruck, daß Porphyrius anläßlich seines Besuchs von Origenes auch dessen Bibliothek persönlich kennen lernte.“ 21 Die Argumente der Forschungsdiskussion, in der mehrheitlich für ein Treffen in Caesarea optiert wird, fasst Becker 2016, 151 f. luzide zusammen, nicht ohne berechtigterweise anzumerken, dass „der autobiographische Hinweis, der an sich nicht anzuzweifeln ist, […] an der vorliegenden Stelle auch als literarisches Mittel [dient], um die Autorität dessen, was über Origenes gesagt wird, durch Autopsie zu verbürgen“. 22 Porph. V. Plot. 14,74 (32,20–25 Harder).
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losophische und religiöse Konkurrenz. Origenes wird damit zum Paradebeispiel der Verworfenheit der Christen, die nicht nur die klassische Paideia pervertieren, sondern nicht einmal das Vorbild ihres eigenen Schulhauptes beachten. In seiner Schrift De philosophia ex oraculis haurienda unterscheidet Porphyrios Christus klar von seinen Verehrern: Die Frage, ob Christus ein Gott gewesen sei, beantwortet Hekate dahingehend, „dass die unsterbliche Seele, vom Leib gelöst, ihren Wandel fortsetzt, wie du weißt, doch von der Weisheit getrennt, irrt sie immer umher. Seine Seele aber ist die eines überaus frommen Mannes, nur ihre Verehrer sind von der Wahrheit weit entfernt.“23 Einen Menschen als Gott zu verehren wäre einem wahrhaft gebildeten Griechen nie passiert, und als ein solcher „Barbar“ muss entsprechend der Christ Origenes gelten!24 Angesichts dessen scheint es mir überaus unwahrscheinlich, dass ein solcherart fehlgeleiteter Christusverehrer in der Vita Plotini als Ammoniosschüler auftreten sollte, ohne dass auch nur mit einem Wort auf dessen spätere religiöse Verirrung hingewiesen wird, die ja weit über die üblichen philosophischen Schuldifferenzen hinausgeht.25 Dem widerspricht nicht, dass nach Porphyrios sowohl der Platoniker als auch der Theologe Origenes Schüler des Ammonios waren: Letzterer lehrte lange in Alexandrien, und offensichtlich konnten seine Schüler aus dem Unterricht ganz verschiedene Konsequenzen ziehen, die mitunter zu Konflikten führten, sei es innerhalb des emergenten Zirkels um Plotin, sei es im Diskurs über eine externe Bedrohung der philosophischen Ordnung – des νόμος – durch Christen, die sich anmaßten, philosophisch mitreden zu können.26 Porphyrios und ebenso Celsus, Hierocles sowie der bei Macarius Magnes zitierte anonyme „Hellene“ reagierten höchst erregt auf den Anspruch des Christentums, eine – und dann gleich die einzige und wahre – Philosophie zu sein. 23 Porph. Phil. orac. haur. fr. 345 aF (396,22–31 Smith = Augustin, Civ. XIX 23, 394,55–59 Dombart / Kalb): de Christo autem, inquit, interrogantibus, si est deus, ait Hecate: „quoniam quidem inmortalis anima post corpus [ut] incedit, nosti; a sapientia autem abscisa semper errat. uiri pietate praestantissimi est illa anima; hanc colunt aliena a se ueritate.“ Etwas anders lautet das Zitat bei Euseb, Dem. ev. III 7,1 (396,14–24 Smith = 140,6–10 Heikel): περὶ γοῦν τοῦ Χριστοῦ ἐρωτησάντων, εἰ ἔστι θεός, ἡ Ἑκάτη φησίν· „ὅττι μὲν ἀθανάτη ψυχὴ μετὰ σῶμα προβαίνει, / γινώσκεις, σοφίης δὲ τετμημένη αἰὲν ἀλᾶται· / ἀνέρος εὐσεβίῃ προφερεστάτου ἐστὶν ἐκείνη / ψυχή.“ 24 Vgl. Schott 2008, 269 f. 25 Vgl. hierzu auch Becker 2016, 153. 26 Es ist kein Zufall, dass Origenes (der Christ!) eine der Hauptfiguren in der Untersuchung des Marburger Philosophen Winfried Schröder ist, die unter dem Titel „Athen und Jerusalem“ argumentiert, dass die Christen aus der philosophischen Koiné der Antike mutwillig ausscherten (Schröder 2011, bes. 96). Porphyrios und andere Christentumskritiker hätten sie dafür zu Recht in die Schranken gewiesen, womit sie wiederum der Religionskritik der frühneuzeitlichen Aufklärung vorgearbeitet hätten, die solche antichristlichen Positionen bereitwillig aufgegriffen habe. Dieses Buch, das in der These gipfelt, das Christentum sei „ein Irrweg in der Geschichte des Abendlandes“ gewesen (aaO. 230), wirft trotz der beachtlichen Materialfülle, die es darbietet, mehr Fragen auf, als es beantwortet; vgl. dazu meine Besprechung in ZAC 16 2012 390 f.
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Wir können also bei Porphyrios philosophische Dissense ad intra und ad extra beobachten, die sich jeweils mit dem Namen Origenes verbinden. Da keine ausdrückliche Identifikation von zwei Trägern dieses Namens erfolgt, der in Alexandrien im 3. Jahrhundert weit verbreitet war27, ist, was die neuplatonischen Quellen anbetrifft, letztlich von einem doppelten Origenes auszugehen. In Alexandrien gab es offensichtlich vor 231 einen christlichen Theologen und zwischen 232 und 242, als Plotin Schüler des Ammonios war, einen nichtchristlichen, zum neuplatonischen Dunstkreis gehörenden Philosophen dieses Namens.28 Da der Christ nach allem, was wir wissen, nach 231 niemals wieder in Alexandrien war und ein Romaufenthalt nach 244, bei dem er den etwas jüngeren Plotin persönlich getroffen haben könnte, reine Hypothese ist29, bleibt die Duplizität als einfachste Lösung.
3. Ein Origenes: Euseb von Caesarea und Gregor Thaumaturgus Für Porphyrios galt also: Origenes Christianus aut Platonicus, und zwar prosopographisch wie auch sachlich. Nach ihm konnte man nur Platoniker oder Christ sein; beides zusammen ging nicht.30 Die antiken christlichen Autoren fanden eine solche Alternative dagegen nicht in jedem Fall einleuchtend. Christliches und Platonisches auf zwei Personen zu verteilen war nicht ihr primäres Interesse, und soweit ich sehe, wird der Platoniker Origenes – in Unterscheidung von dem viel umstrittenen Theologen aus Alexandrien und Caesarea – bei keinem christlichen Autor erwähnt. Das ist aber nicht die ganze Geschichte, und um diese näher zu beleuchten, erweist sich die Unterscheidung zwischen der reinen Zahl der Origeneis und der inhaltlichen Überlappung oder Diskrepanz von Christianus und Platonicus als sehr fruchtbar: Auch wo zahlenmäßig nur eine Person dieses Namens im Blick ist, kann – in unterschiedlichem Ton – über deren christliche und / oder philosophische Identität geurteilt werden. 27 Fürst
2014, 463. Zu diesem Ergebnis kam bereits Weber 1962, 17–34. 29 Böhm 2002, 20 f. hält die Argumente gegen Aufenthalte des Christen (und s.E. Philosophen) Origenes in Alexandrien und Rom nach 231 nicht für zwingend; damit ist freilich weder das Fehlen eines positiven Belegs kompensiert noch der Sachverhalt erklärt, dass nach der wahrscheinlichsten Datierung der Christ Origenes spätestens 253 (unter Trebonianus Gallus: Eus. Hist. eccl. VII 1; 636,6–8 Schwartz) starb, während der Philosoph Origenes erst später (unter Gallienus, so Porph. V. Plot. 3,19; 6,33 Harder) seine Schrift Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς verfasste. Die Hypothese von Beatrice 1992, 358–360, der spätere Reisen mit Origenes’ kirchenpolitischen Schwierigkeiten erklärt, überzeugt nicht. 30 Sicher nicht historisch, aber im vorliegenden Zusammenhang doch von Interesse ist die diese Haltung quasi spiegelverkehrt darstellende Notiz in der sog. „Tübinger Theosophie“ aus dem 5. Jahrhundert, Porphyrios sei „zu Beginn einer von uns [sc. den Christen] gewesen“ (§ 85; 54,693 f. Erbse = Porphyrius, fr. 10T. Becker; 15,1 Smith): ὁ Πορφύριος εἷς ἐγένετο παρὰ τὴν ἀρχὴν ἐξ ἡμῶν. Ebenso Sokrates von Konstantinopel, Hist. eccl. III 23,38. 28
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Origenes Christianus et Platonicus? Selbstverständlich – so Euseb, der die Passage aus Contra Christianos gerade deshalb zitiert, weil sogar die „Heiden“ Origenes’ tiefe Vertrautheit mit den hellenistischen Wissenschaften erkannt und gewürdigt hätten. Euseb führt Origenes in Buch VI seiner Historia ecclesiastica ausdrücklich als „Philosophen“ ein.31 Dabei schillert der Begriff der Philosophie allerdings: Einerseits spricht Euseb von distinkten „Systemen“ (αἱρέσεις) im Sinne platonischer, stoischer und aristotelischer Weltentwürfe; andererseits können die „philosophischen Lehren“ (φιλόσοφα μαθήματα) aber auch als „Vor-Bildung“ (προπαιδεύματα) verstanden und mit den „grundlegenden Wissenschaften“ (ἐγκύκλια γράμματα) gleichgesetzt werden32, die „eine nicht wenig nützliche Grundlage für das Verständnis der göttlichen Schriften“ abgeben.33 Euseb war mehr an einer grundsätzlichen Verhältnisbestimmung nichtchristlicher und christlicher Bildungstraditionen gelegen als an einer präzisen Rekonstruktion von Origenes’ Lehrprogramm. Insofern müsste man hier in umfassenderem Sinne von Origenes philosophicus (statt Platonicus) sprechen. Entsprechend referiert sein Schüler Theodor alias Bischof Gregor Thaumaturgus in einem zwischen 238 und 244 entstandenen Panegyricus auf seinen ehemaligen Lehrer das Lehrprogramm von dessen Schule in Caesarea und zuvor auch in Alexandrien: Nichts von der griechischen Philosophie (mit Ausnahme der „Atheisten“) habe den Schülern verborgen bleiben dürfen34, und so habe man „alle vorhandenen Schriften der alten Philosophen und Dichter“ lesen müssen, „ohne etwas zu übergehen oder zu verwerfen; denn, so meinte er, wir könnten darüber ja auch noch gar kein Urteil fällen“.35 Das vernunftgemäße Leben (φιλοσοφεῖν) war für Origenes also die Grundlage aller Frömmigkeit (εὐσεβεῖν).36 Das Bild ließe sich aus Origenes’ eigenen Schriften ergänzen, aus seinem Brief an Gregor Thaumaturgus über das für einen Christen angemessene Bildungsprogramm, vor allem aber durch die Analyse des philosophischen Gepräges seiner Schriften, die ihn – so Alfons Fürst – als höchst versierten Kenner der zeitgenössischen Schulen ausweisen, der mit dem mittleren Platonismus auch dessen Anverwandlung stoischer Denkmuster rezipiert, all dies aber zu einer neuplatonisch-christlichen Philosophie sui generis fortentwickelt habe.37 Der 31 Vgl. Eus. Hist. eccl. VI 3,6. 9. 13 (526,10 f.23.27; 528,14 f. Schwartz); dazu Becker 2016, 64. – Eusebs Agenda in seiner Vita Origenis kann hier nicht eigens untersucht werden; Erhellendes hierzu bietet Verheyden 2011. 32 Eus. Hist. eccl. VI 18,3 f. (556,17–24 Schwartz). 33 Eus. Hist. eccl. VI 18,4 (556,24 f. Schwartz): οὐ μικρὰν … ἐξ ἐκείνων ἐπιτηδειότητα εἰς τὴν τῶν θείων γραφῶν θεωρίαν καὶ παρασκευήν. 34 Greg. Pan. Or. 14,170 (194,13 f. Guyot / Klein). 35 Greg. Pan. Or. 13,151 (184,22–25 Guyot / Klein): Φιλοσοφεῖν μὲν γὰρ ἠξίου ἀναλεγομένους τῶν ἀρχαίων πάντα ὅσα καὶ φιλοσόφων καὶ ὑμνῳδῶν ἐστι γράμματα πάσῃ δυνάμει, μηδὲν ἐκποιουμένους μηδ᾿ ἀποδοκιμάζοντας· οὐδέπω γὰρ οὐδὲ τὴν κρίσιν ἔχειν. 36 Greg. Pan. Or. 6,79 (152,21 f. Guyot / Klein). Hierzu vgl. Gemeinhardt 2013 b. 37 Fürst 2014, 510–514.
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späteren Kritik des Porphyrios, Origenes sei von der wahren Wissenschaft abgefallen und habe daher auch in der Lebensführung geirrt, kam Origenes gewissermaßen zuvor, indem er gegenüber Celsus erklärte, dass selbst Platon, die Koryphäe der Philosophie schlechthin, keine rechte Gottesverehrung, sondern Aberglauben praktiziert habe.38 Ich will auf die Beziehungen des Theologen Origenes zu Platon und zum Mittelplatonismus sowie zum zeitgenössischen und folgenden Neuplatonismus nicht weiter eingehen, da sich im vorliegenden Band Berufenere damit befasst haben. Es sei hier nur festgehalten, dass – obwohl prosopographisch zwischen dem Platoniker und dem Christen Origenes zu unterscheiden sein dürfte – aus der Sicht der Zeitgenossen und nicht zuletzt unseres Protagonisten selbst von dem Christen Origenes als einem Origenes Christianus et Platonicus zu sprechen ist. Das ist nun für die Sicht eines Kirchengeschichtlers auf das Origenes-Problem von nicht ganz unerheblichem Belang. Origenes und die auf ihn zielende Kritik belegen, dass in Alexandrien in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts eine ganze Bandbreite von Platonismen und von – sit venia verbo – Christianismen existierte, die sich allesamt als „Philosophie“ verstanden. Und dies war auch in Caesarea zu Beginn des 4. Jahrhunderts noch akzeptiert, jedenfalls nach dem Zeugnis Eusebs. Origenes war Teil dieser „Intellektuellen-Religion“, als die Alfons Fürst das frühe alexandrinische Christentum bezeichnet hat.39 Ob er zuerst „hellenisch“ erzogen wurde und dann zum Christentum abirrte, wie Porphyrios sagt, oder von Kindesbeinen an als Christ aufwuchs, wie Euseb betont, ist historisch nicht zu entscheiden; als Grammatiklehrer40, der er mit einiger Sicherheit gewesen war, gehörte er jedenfalls der Bildungselite an. Es ist deshalb – gegen Euseb – kaum wahrscheinlich, dass er die Grammatik als „der heiligen Wissenschaft widersprechend“ betrachtete, verhinderte sie doch nicht im Mindesten, dass „sein sittliches Leben die herrlichsten Früchte echtester Philosophie zeitigte“.41
4. Ein (fehlgeleiteter) Origenes: Christliche Kritik im 4. Jahrhundert Und das war auch gut so. – Wirklich? Nur sehr kurz will ich eine dritte, dezidiert kritische Perspektive benennen, die im 4. Jahrhundert an Prominenz gewann: Origenes Platonicus et non Christianus. Nicht dass spätere christliche Quellen den wohl außerhalb neuplatonischer Zirkel schnell vergessenen Platoniker Origenes wiederentdeckt hätten! Vielmehr entspann sich um das Werk und die Denkwege Orig. Cels. VI 3 f.17 (1008,5–1012,10; 1038,22–1040,3 Barthold / Fiedrowicz). 2007 a. 40 Eus. Hist. eccl. VI 2,15; 3,8 f. (524,1–6; 526,13–19 Schwartz). 41 Eus. Hist. eccl. VI 3,6 (526,9 f. Schwartz): ἐπεὶ καὶ τὰ κατὰ πρᾶξιν ἔργα αὐτῷ γνησιωτάτης φιλοσοφίας κατορθώματα εὖ μάλα θαυμαστὰ περιεῖχεν. 38 Vgl.
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des Christen Origenes im 3. und 4. Jahrhundert eine vielschichtige Kontroverse, die in einen regelrechten „Antiorigenismus“ mündete.42 Dabei wurde Origenes sogar vorgeworfen, (zu sehr) Platoniker zu sein, um noch als rechter Christ gelten zu können. Ich will das nur mit zwei Beispielen illustrieren: Pamphilus, der Lehrer Eusebs von Caesarea, der selbst das alexandrinische διδασκαλεῖον besucht hatte und später in Caesarea die Hinterlassenschaft des Origenes sammelte und ordnete, verfasste zwischen 307 und 309 n. Chr. eine Apologie für Origenes, in der er mittlerweile aufgelaufene Vorwürfe zu widerlegen suchte. Als deren infamsten bezeichnete er den Vorwurf, Origenes habe die Lehre von der Seelenwanderung (μετενσωμάτωσις) vertreten43, deren platonischer Hintergrund unverkennbar ist. Pamphilus verteidigt Origenes nicht, indem er die Legitimität platonischer Denkfiguren für die christliche Theologie offensiv vertritt, sondern indem er – vor einer ausführlichen Widerlegung des Sachgehalts des Vorwurfs – gewissermaßen eine methodische Zwischenbemerkung einschiebt, indem er auf die typische „zetetische“ oder „gymnastische“ Argumentationsweise des einstigen Alexandriners und nachmaligen Caesareensers eingeht: „Mit der Art der Erörterung verhält es sich so: Nicht immer scheint das Gesagte die persönliche Meinung wiederzugeben, sondern auch das, was man dagegen vorbringen könnte, wird diskutiert. Und sie [sc. die anonymen Kritiker] bemerken nicht, dass darin die Kunst des Disputierens besteht. Vielmehr machen sie ihm Vorwürfe, indem sie von dem Grundsatz ausgehen, er habe selbst gedacht, was er als Ansicht eines Gegners erörtert.“44
Pamphilus griff damit Origenes’ eigene Sicht seiner dialogischen Methode auf, die nicht zuerst auf gesicherte Dogmen, sondern auf möglichst kompetente Betätigung des Intellekts zielte.45 Die Verteidigungsstrategie lautete pointiert: Ein Christianus durfte selbstverständlich aus didaktischen Gründen als Platonicus auftreten, wenn auch nicht ein solcher in Reinkultur bleiben. Der Ton verschärfte sich, als im „arianischen“, präziser: subordinatianischen, Streit diskutiert wurde, mit welcher Terminologie über das Verhältnis von Vater und Sohn-Logos im Blick auf ihre Göttlichkeit zu sprechen sei. Das oben bereits erwähnte Konzil von Nizäa hatte 325 in einem deklaratorischen Glaubensbekenntnis hierfür den Begriff des „Wesens“ (οὐσία) als zentral definiert: Christus stamme „aus dem Wesen des Vaters“ (ἐκ τῆς οὐσίας τοῦ πατρός) und 42 Hierzu
ausführlich Bienert 2003. Apol. 87 (314,1–8 Röwekamp). 44 Pamph. Apol. 173 (382,13–17 Röwekamp): ratio disputationis ita se habeat ut non semper ex sua persona velut pronuntiari videantur quae dicuntur sed interdum etiam ea quae e contrario dici poterant disputentur, et hanc esse artem disputandi non advertentes, obiciunt ei de hoc dogmate quod quasi ipse senserit ea quae ex adversantis persona disseruit. Übers. Röwekamp, aaO. 383. Dieser Interpretationsansatz wird gleich zu Beginn der Apologie eröffnet: Pamph. Apol. 3 (228,11–26 Röwekamp). Hierzu vgl. Perrone 1999, 119–124. 45 Vgl. z. B. Orig. Princ. I 7,1 (85,27–86,1 Koetschau): Haec quidem, quae superius disseruimus, generali nobis sermone digesta sint, per consequentiae magis intellectum quam definito dogmate pertractata atque discussa de rationabilibus naturis. 43 Pamph.
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sei insofern „Gott von Gott“ (θεὸν ἐκ θεοῦ), so dass man ihn dem Vater „wesensgleich“ (ὁμοούσιος) zu nennen habe. Weil der Logos „aus dem (selben) Wesen“ stamme, verwarfen die Verfasser des Bekenntnisses die Lehrmeinung, er sei „aus einer anderen Hypostase oder Wesenheit“ (ἐξ ἑτέρας ὑποστάσεως ἢ οὐσίας).46 „Hypostase“ war aber ein Begriff, den die Zeitgenossen mit der Theologie des Origenes verbanden, und manche sahen ausgerechnet in diesem Begriffsgebrauch sogar den Kern des Problems. Markell von Ankyra warf Origenes entsprechend vor, er habe nicht von den Propheten und Aposteln lernen wollen, sondern sich selbst überhoben und den Begriff der „Setzung“ (ὑπόθεσις) auf Christus angewandt, der in sachlicher Nähe zu dem von Markell extrem kritisch betrachteten Hypostasenbegriff steht.47 Diese theologische Verirrung sei freilich nicht überraschend – so komme es, wenn man die „äußerliche“, d. h. nichtchristliche Bildung (ἡ ἔξωθεν παίδευσις) allzu hoch schätze und gar meine, mit Platon Theologie treiben zu sollen: „Weil er gerade erst den Unterricht der Philosophie aufgegeben hatte und beschloß, sich mit den göttlichen Worten zu befassen, begann er ohne rechtes Verständnis für die Schriften aufgrund der Größe und Hochschätzung der von außen kommenden Bildung früher als nötig zu schreiben, wurde durch die Schriften der Philosophie auf Abwege geführt und hat ihretwegen Gewisses nicht korrekt geschrieben.“48
Die Begründung für diesen Vorwurf lag Markell zufolge offen zutage: So zitiere schon der Buchtitel Περὶ ἀρχῶν Platons Lehre (δόγμα) von den Erstursachen (ἀρχαί) und den zwischen ihnen bestehenden Unterschieden (διαφοραί), ja der erste Satz der Schrift des Origenes biete mit οἱ πεπιστευκότες καὶ πεπεισμένοι ein wörtliches Zitat aus dem platonischen Gorgias!49 Euseb von Caesarea wies diese Kritik in seiner Schrift Contra Marcellum vehement zurück50; tatsächlich geht die 46 Alle
Zitate: COGD I 19. Ancyr., fr. 20 (20,5–8 Vinzent) = fr. 38 (Eus. Marcell. I 4,21, 21,24–22,2 Klostermann / Hansen): ταῦτα Ὠριγένης γέγραφεν, μὴ παρὰ τῶν ἱερῶν προφητῶν τε καὶ ἀποστόλων περὶ τῆς ἀιδιότητος τοῦ λόγου μαθεῖν βουληθείς, ἀλλ῾ ἑαυτῷ δεδωκὼς πλεῖον δευτέραν ὑπόθεσιν διηγήσασθαι τοῦ λόγου μάτην τολμᾷ. Vinzent bevorzugt für ὑπόθεσιν die Lesart ὑπόστασιν (App. z. St. und aaO. 135 Anm. 26). Vgl. zum Folgenden Bienert 2003, 831 Anm. 12 mit Verweis auf Seibt 1994, 280–292. 48 Marcell. Ancyr., fr. 22 (22,9–12 Vinzent) = fr. 88 (Eus. Marcell. I 4,24; 23,1–6 Klostermann / Hansen): ἄρτι τῶν κατὰ φιλοσοφίαν ἀποστὰς μαθημάτων, καὶ τοῖς θείοις ὁμιλῆσαι προελόμενος λόγοις πρὸ τῆς ἀκριβοῦς τῶν γραφῶν καταλήψεως διὰ τὸ πολὺ καὶ φιλότιμον τῆς ἔξωθεν παιδεύσεως θᾶττον τοῦ δέοντος ἀρξάμενος [ὑπο]γράφειν ὑπὸ τῶν τῆς φιλοσοφίας παρήχθη λόγων, καί τινα δι’ αὐτοὺς οὐ καλῶς γέγραφεν. Übers. Vinzent 1997, 23 (modifiziert). Becker 2016, 481 hält es für denkbar, dass Markell hierbei direkt auf Porphyrios’ Contra Christianos zurückgriff oder diese Schrift jedenfalls durch Vermittlung christlicher Kritiker kannte, konzediert aber, dass die Begründung für die Verhaftetheit des Origenes im platonischen Denken, der Buchtitel und das Eingangszitat von De principiis, im erhaltenen Werk des Porphyrios so nicht belegt ist (aaO. 483). 49 Marcell. Ancyr. fr. 22 (22,12–19 Vinzent) = fr. 88 (Eus. Marcell. I 4,24–26; 23,6–13 Klostermann / Hansen). Gemeint ist Plat. Gorg. 454 e. 50 Eus. Marcell. I 4,26 (23,14–23 Klostermann / Hansen). 47 Marcell.
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Formulierung bei Origenes wohl nicht auf Platon, sondern auf biblische Texte zurück (2 Tim 1,12).51 Interessant ist allerdings für unsere Fragestellung, dass bei Markell eine Parallele zu Porphyrios’ Vorwurf, Origenes sei ein ambitionierter, jedoch inkompetenter Rezipient Platons gewesen, vorliegt: Auch diesem christlichen Kritiker zufolge war Origenes von seiner ursprünglichen griechischen Identität abgefallen (ἀποστάς!) und dilettierte mit seiner Bildung in christlichen Belangen – auch nach Markell konnte man nur Christ oder Platoniker sein.52 Soweit ich sehe, behauptete kein christlicher Theologe offensiv das Gegenteil, aber das heißt keineswegs, dass Sympathien für Origenes nicht an mitunter unerwarteten Stellen zu finden wären. So kehrte die Exkulpierungsstrategie des Pamphilus für Origenes um die Mitte des 4. Jahrhunderts bei Athanasius von Alexandrien wieder: „Was er [sc. Origenes] suchend und übend schrieb, soll man nicht auffassen, als wäre es seine eigene Ansicht, sondern die Meinung von solchen, die bei Untersuchungen Streit suchen; was er aber mit Bestimmtheit festlegt, das ist des ‚Fleißigen‘ Gedanke.“53
Christianus aut Platonicus respektive Christianus et Platonicus: Nicht im Blick auf die Anzahl alexandrinischer Personen, aber hinsichtlich der Legitimität oder Illegitimität des Umgangs mit der antiken Philosophie trat diese Leitdifferenz als innerchristliches Konfliktfeld erneut zutage, zuerst im trinitarischen Streit, dann in den origenistischen Debatten am Ende des 4. Jahrhunderts und schließlich in justinianischer Zeit, wovon hier nicht mehr ausführlich die Rede sein soll. Origenes wurde zum Symbol der kritischen Abgrenzung zwischen Theologie und Philosophie – ein Problem, das er selbst gar nicht als solches empfunden hatte.54
5. Fazit: Zwei Origeneis – und weitere offene Fragen Origenes ist nicht die erste und schon gar nicht die einzige Gestalt in der Geschichte des Christentums, bei der sich Kirchengeschichtler ein wenig mehr Empathie in Bezug auf die Fragen und Interessen der Nachwelt gewünscht hätten. Denn beim Versuch, einer Antwort auf die Frage nach Identität und Differenz der beiden philosophierenden Origeneis näher zu kommen, ist keiner von beiden eine Hilfe. Ist von dem paganen Platoniker ohnehin kaum Text erhalten, so hat der christliche Theologe zwar ein breites Œuvre hinterlassen, das jedoch in 51 So
Görgemanns / Karpp, 83 Anm. 1 zu Orig. Princ. I praef. 1 (7,9 Koetschau). vgl. Logan 1999, 162; zur Analyse der Kritik Markells vgl. jetzt auch Becker 2016,
52 Dazu
481 f. 53 Athan. Decr. 27,1 f. (23,19–22 Opitz): ἃ μὲν γὰρ ὡς ζητῶν καὶ γυμνάζων ἔγραψε, ταῦτα μὴ ὡς αὐτοῦ φρονοῦντος δεχέσθω τις, ἀλλὰ τῶν πρὸς ἔριν φιλονεικούντων ἐν τῷ ζητεῖν· ἃ δὲ ἀδεῶς ὁρίζων ἀποφαίνεται, τοῦτο τοῦ φιλοπόνου τὸ φρόνημά ἐστι. Vgl. dazu Kannengiesser 1999, 175 f. 54 Erhellend hierzu Williams 1999.
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autobiographischer Perspektive nur begrenzte und in der uns interessierenden Hinsicht gar keine Aufschlüsse erlaubt, wie Lorenzo Perrone festgestellt hat: „Origen is silent on his intellectual genealogy“55, und das gilt nicht nur für christliche Vorgänger, sondern eben auch für seine philosophischen Lehrer. Wann er bei Ammonius studierte und ob dieser seinerzeit (noch) Christ oder (schon) „Heide“ war – oder ob dieser Unterschied überhaupt ins Auge fiel –, darüber lässt Origenes selbst uns im Unklaren, und ebenso darüber, ob er vielleicht einen weiteren Origenes (oder einen anderen Ammonios in Alexandrien getroffen hatte. Kirchengeschichtlich gesehen besteht das Origenes-Problem nicht in erster Linie in der Zahl möglicher Träger dieses Namens. Die historischen Daten sprechen – daran möchte ich trotz den im vorliegenden Band vorgebrachten Argumenten von Christoph Riedweg festhalten – gegen eine Identifikation beider Origeneis. Eine Identität ließe sich möglicherweise durch einen inhaltlichen Vergleich behaupten, wobei die Quellenbasis eher ungleich verteilt ist. Freilich kommt die Identität des Lehrers erschwerend hinzu: Wenn von einem Ammonios, dem Neuplatoniker avant la lettre, auszugehen ist, dann gingen schon dessen philosophische Schüler Plotin und Longin sehr unterschiedliche Wege. Umso weniger zwingend wäre es, die nicht leicht mit den Fragmenten des Neuplatonikers Origenes in Einklang zu bringende Schriftenfülle des Christen Origenes dem Œuvre einer einzelnen Person zuzuweisen.56 Wäre freilich der Christ Origenes mit dem Platoniker Origenes identisch – dann wüssten wir etwas mehr über die Nachwirkungen seiner Schülerschaft bei Ammonios, und wir wären in der Lage, ihn in den im zweiten Drittel des 3. Jahrhunderts n. Chr. emergenten Neuplatonismus mit seiner offensichtlichen Vielfalt von Positionen einzuzeichnen. Das würde allerdings nichts daran ändern, dass Origenes mit der Entwicklung einer systematischen christlichen Theologie diesen Schuldiskurs überstieg, und dies offenbar mit bedrohlicher Plausibilität, wie die Reaktion des Porphyrios zeigt. Dennoch: Die Zweiheit von Personen ist aus meiner Sicht erheblich wahrscheinlicher (wie auch im Fall des eingangs erwähnten Nikolaus von Myra!). Das eigentliche Origenes-Problem oder besser: die sich angesichts des diskutierten Befundes stellende Herausforderung sehe ich vielmehr in der evidenten Pluralität von theologischen und philosophischen Denkwegen, wie sie vielleicht nur um die Mitte des 3. Jahrhunderts und nur an einem Ort wie Alexandrien möglich war, dort aber eben auch Realität wurde. Der Diskurs zwischen Porphyrios und Euseb zeigt, wie schwer es bereits den jüngeren Zeitgenossen und erst recht den kommenden Generationen fiel – und wie wichtig es ihnen dennoch erschien –, diesen Denkraum zu strukturieren, in dem Grenzen überschritten
55 Perrone 56 Auf
2013, 19. solche Parallelen weist Böhm 2002, 13–15 hin.
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wurden, die man später für unerlässlich hielt.57 Es irritierte daher, wenn Origenes – der Christ – als schon gestandener Gelehrter dem Zirkel des Ammonios angehörte und wiederum selbst „Heiden“ und Christen in den philosophischen Kosmos der Antike einführte. Aber genau so scheint es gewesen zu sein. Noch für Euseb war sogar ein Ammonios, der die kommenden Neuplatoniker belehrte und zugleich christliche Schriften verfasste, in diesem Setting denkbar. So ermuntert die Frage Origenes Platonicus aut Christianus? dazu, darüber nachzudenken, warum sie eigentlich auf beide Origeneis gar nicht zutrifft, warum sie aber wenig später im Blick auf den Christen Origenes so unabweisbar von Christen und „Heiden“ gestellt wurde und – über die Origenes-Frage hinausgehend – zur Etablierung fixer Differenzen führte.58 Dass derartige Grenzziehungen im 3. Jahrhundert noch höchst fluide waren, zeigen die damalige wie die heutige Diskussion über die schiere Zahl und die philosophische und biblische Bildung des (oder der) Origene(i)s.
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57 Vgl. Schott 2008, 262: „Both Porphyry’s and Eusebius’ representations of Origen and Ammonius were born out of this acrimonious scramble for Christian and Platonic self-definition and the social and political jockeying that went along with it, and both accounts must be read in terms of this highly politicized context.“ 58 Vgl. Schott 2008, 276 f.: „It is more fruitful to explore narratives of conversion and apostasy as productive of difference … As staged movement, narratives of intellectual transformation served to differentiate the otherwise largely shared field of late antique intellectualism.“
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Peter Gemeinhardt
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Origenes simplex vel duplex?
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Produktive Rezeption Zum Platonismus des ‚christlichen Philosophen‘ Origenes Theo Kobusch συνῆν τε γὰρ ἀεὶ τῷ Πλάτωνι (Porphyrios über Origenes) Origenes in pluribus Platonicorum opinionem sectatur (Thomas von Aquin)
Seitdem offenbar im 17. Jahrhundert zum ersten Mal die Idee geäußert wurde, dass der christliche Philosoph Origenes von einem in der Vita Plotini des Porphyrios erwähnten Neuplatoniker gleichen Namens unterschieden werden muss, wird diese Frage bis heute kontrovers diskutiert. Sie ist sogar noch angereichert worden durch die Zusatzfrage, ob nicht auch zwei Autoren mit dem Namen Ammonios unterschieden werden müssen, nämlich Ammonios Sakkas, der Begründer des Neuplatonismus, und ein anderer Ammonios, über dessen Identität sich die Gelehrten streiten: Ist es der christliche Philosoph Ammonios, von dem bei Eusebius der Titel einer bekannten Schrift genannt wird: Die Übereinstimmung zwischen Moses und Jesus, oder der von Longin erwähnte Peripatetiker? Es ist nicht das erste Mal, dass bei Figuren, von denen man fast nur den Namen hat, die Spekulationen ins Kraut schießen. Angesichts der schwierigen Ausgangsfrage beschränkt sich dieser Beitrag auf einen schmalen Aspekt: Er versucht, den eigentümlichen Charakter des Platonismus im Denken des christlichen Philosophen Origenes deutlich zu machen und ihn so vom neuplatonischen Platonismus des Studienkollegen Plotins, also des Autors von Über die Dämonen und Der König allein ist Schöpfer abzuheben. Ungleich wichtiger ist die Frage, wie das Verhältnis des Christentums zur Philosophie zu denken ist. Vor über vierzig Jahren hat der Altphilologe H. Dörrie das Christentum als „Gegenplatonismus“ charakterisiert.1 Dieser Ausdruck scheint eine weitverbreitete, auch heute noch vertretene Ansicht wiederzugeben. Es ist hier nicht der Platz, die Argumente gegen diese unhistorische Sicht der 1 Dörrie
1971.
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Dinge aufzuzählen.2 Aber eine ähnliche Gesamtauffassung von dem besagten Verhältnis scheint auch hinter dem Buch von M. J. Edwards, Origen against Plato, zu stehen. Dort wird interessanterweise die Behauptung aufgestellt, dass die Frage, ob Origenes ein Philosoph war, unabhängig von der Frage sei, ob er ein Platoniker war. Statt sich auf den Philosophiebegriff des Origenes, der auch der platonische ist, einzulassen, wird hier vom angelsächsischen Philosophiebegriff ausgegangen und davon das Denken des Platonismus unterschieden und davon noch einmal die christliche Theologie des Origenes. Bezeichnenderweise endet das Buch mit dem Satz: „Origen’s work contains the antibodies to Platonism as proof that he has suffered and resisted its attacks.“3 Demgegenüber soll dieser Beitrag zeigen, dass Origenes’ Denken über weite Strecken von der platonischen Philosophie beeinflusst, ja bestimmt ist, und dass da, wo Origenes über Platon hinausgeht, dies im Sinne und Geiste Platons geschieht. Nicht alles bei Origenes ist auf Platon zurückführbar. Evident ist das im Falle des eigentlichen Zentrums der origeneischen Lehre, nämlich seiner Freiheitslehre, in deren Hintergrund das Denken der Stoa, besonders der späteren Stoa, steht. Aber auch das offenbart nur, was für das Denken der Kirchenväter allgemein gilt: Es hat sich nicht als die ‚Revolution einer Denkart‘ begriffen, nicht als ein ganz und gar Neues, sondern als die Fortsetzung bzw. die Vollendung eines schon lange, schon immer Begonnenen. In diesem Sinne weisen die Kirchenväter und so auch Origenes, wann immer es möglich ist, auf mögliche Vorwegnahmen der christlichen Lehre, sei es im griechischen oder jüdischen Denken, sei es im Denken anderer Kulturen, hin. Das gilt auch für jene Inhalte der christlichen Lehre, die uns heute als spezifisch christlich erscheinen mögen, wie Trinität, Inkarnation, Auferstehung. Denn – so ist die philosophische Überzeugung bis ins 19. Jahrhundert – nicht alles Alte ist wahr, aber alles Wahre muss alt sein. Zwei Beispiele können das veranschaulichen: 1. Eine der Seligpreisungen in der Bergpredigt besagt, man soll, wenn man auf eine Wange geschlagen wird, die andere hinhalten. Kelsos weist auf den platonischen Kriton hin, wo das vorweggenommen sei. Origenes widerspricht nicht.4 2. Beim Thema der Herablassung Gottes, der συγκατάβασις, die als besonders spezifisch christlich erscheinen könnte, zitiert Origenes eine Stelle aus dem Höhlengleichnis Platons, in dessen Nähe auch der vielsagende Begriff der κατάβασις des Philosophen in die Höhle steht.5 Origenes hat in diesem Sinne viele Anregungen Platons aufgegriffen und sie zugleich produktiv modifiziert. Die fünf folgenden Themen sind solche Modifikationen der platonischen Lehre, und Platon hätte – dahin geht meine Vermutung – bei einigen nur leise widersprochen. 2 Vgl.
Kobusch 2014. 2002, 161. 4 Orig. Cels. VII 58 f. 5 Orig. Cels. IV 15. 3 Edwards
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1. Wahre Philosophie Es waren besonders die Theologen des 20. und 21. Jahrhunderts, die Origenes und alle Kirchenväter zu ‚Theologen‘ erklärt haben.6 In fast allen Handbüchern und Überblickswerken werden die Autoren der christlichen Antike so bezeichnet. Dabei wird durchaus unter ‚Theologie‘ ein Wissen von Gott verstanden, das eine eigene Erkenntnisquelle neben der natürlichen Vernunft hat. Dieses scholastische Theologieverständnis für das Verständnis der Kirchenväter vorauszusetzen, ist aber der Sache ganz unangemessen. Denn die Kirchenväter kennen selbst gar nicht diesen Theologiebegriff. Sie wissen nicht, was eine Theologie, die von der Philosophie zu unterscheiden wäre, sein soll. Wenn der Begriff der Theologie bei ihnen vorkommt, so bezeichnet er in jedem Falle gewissermaßen eine Art der philosophischen Theologie, den Gipfel der philosophischen Einsicht, die metaphysische Erkenntnis. Niemals aber bezeichnen die Kirchenväter ihr eigenes Tun, ihre Schriftauslegung als von der Philosophie verschiedene ‚Theologie‘. Vielmehr verstehen sie die christliche Lehre durchweg als Philosophie. Das ist schon bei Justin so. Später im 4. Jahrhundert wird der Begriff der „christlichen Philosophie“ üblich.7 Doch Gregor von Nyssa nennt schon Origenes den „Führer“ der „christlichen Philosophie“.8 „Christliche Philosophie“, das ist von nun an die klassische Bezeichnung des Denkens der Kirchenväter, das sich von der hellenischen, aber auch der jüdischen Philosophie unterschieden weiß. Bis ins 12. Jahrhundert ist die Unterscheidung zwischen Philosophie und Theologie und damit das Wissen von einer von der Philosophie verschiedenen Theologie unbekannt. An die Stelle des Ausdrucks „christliche Philosophie“ können auch viele andere Ausdrücke wie „biblische Philosophie“ oder „Philosophie Christi“ treten.9 Immer doch bleibt es ein philosophisches Denken, d. h. ein Denken der natürlichen Vernunft, von dem hier die Rede ist, mögen die Gegenstände auch noch so erhaben sein wie die Trinität, die Inkarnation oder die Auferstehung. Dieser umfassende Philosophiebegriff bei den Kirchenvätern und besonders bei Origenes ist platonischen Ursprungs und darüber hinaus auch inhaltlich durch und durch platonisch geprägt. Erkennbar ist das daran, dass Origenes das Christentum auch die „wahre Philosophie“ nennt.10 Denn dieser Ausdruck stammt unverwechselbar von Platon. Für ihn ist die ‚wahre Philosophie‘ diejenige, die den Tod aushalten kann, ja mehr noch, die den Tod übt im Sinne der meditatio mortis.11 „Wahre Philosophie“ ist das Wissen der Kardinaltugenden, 6 Edwards 2002, 2, wo ein Satz des Papstes Johannes Paul II. zitiert ist: „Assuming many elements of Platonic thought, he begins to construct an early form of Christian theology.“ 7 Dazu Malingrey 1961; ferner Leclercq 1952; Schmidinger 1989; Hadot 1995. 8 Greg. Nyss., De vita Gregorii Thaumaturgi 13 Heil. 9 Vgl. Kobusch 2006 a, 29. 10 Vgl. Orig. Cant. I, Prol. p. 76 Brésard. Später wird der Ausdruck auch von Lact. Opif. 20,1 oder Augustinus gebraucht, vgl. Ord. II 1; Civ. XXII 22; C. Iul. IV. 11 Vgl. Plat. Rep. 486 b. 490 a.
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aber auch das des wahren Politikers.12 Sie ist jenes Wissen, das die περιαγωγή, die Umlenkung der Seele bewirkt, also das, was später die Kirchenväter die ‚Transformation‘ (μεταμόρφωσις) des Selbst nennen werden.13 Origenes hat die christliche Lehre im Sinne Platons als die ‚wahre Philosophie‘ verstanden, insofern sie die mit Hilfe der aus der paganen Welt übernommenen artes liberales vermittelbare Wahrheit über das Christentum darstellt.14 Das Christentum ist somit eine philosophische Wahrheit, die durch die natürliche Vernunft ergründet werden kann. Auch die Bibel selbst ist Philosophie. Origenes lässt daran gar keinen Zweifel, indem er die salomonischen Bücher der Proverbia, des Ecclesiastes und des Hoheliedes als Repräsentanten dreier wichtiger philosophischer Disziplinen versteht, nämlich als die Moralphilosophie, Naturphilosophie und Metaphysik der Bibel, die er als die „Fundamente der wahren Philosophie“ bezeichnet.15 Speziell der Begriff der ‚Theologie‘ bezeichnet bei ihm nicht das, was heutige Theologen unter ‚Theologie‘ verstehen, nämlich die von der Philosophie unterschiedene Offenbarungstheologie, sondern „la science de Dieu ou le discours sur Dieu“.16 Später hat eine große Tradition, die bis zur karolingischen Epoche und darüber hinaus bis ins Mittelalter und in die Renaissance reicht, sowohl den platonischen Terminus der ‚wahren Philosophie‘ aufgenommen als auch die philosophische Disziplinentrennung auf die ganze Bibel, d. h. auch auf das Neue Testament angewandt.17 Nun hat die theologische Interpretation des origeneischen Denkens und mit ihr, wenn es sie je gab, auch die philosophische immer darauf hingewiesen, dass doch nach Origenes die Worte der Schrift inspiriert seien und folglich die Schrift Offenbarungswahrheiten enthalte. Tatsächlich hat Origenes eine Stelle seines Werkes, nämlich den Beginn des vierten Kapitels seiner Schrift De principiis, Rep. 521 b. Rep. 521 c. Auf die platonische περιαγωγή wie auch die gleichbedeutende μεταβολή der Stoiker nimmt Clem. Strom. IV 6,28 Bezug, sogar zweimal: V 14,133, ebenso Eus. Pr. ev. XIII 13,63, die paganen Neuplatoniker ohnehin, vgl. Iambl. Protr. 70 Pistelli; ders. Comm. math. 23,5 Festa; Procl. Eucl. 20,17 Friedlein oder Syrian, Met. 83,11 Rabe. 14 Orig. Gen. hom. 11,2, 103: Et si de huiuscemodi coniugiis disputando, disserendo, contradicentes redarguendo convertere aliquos poterimus ad fidem et si suis eos rationibus et artibus superantes veram philosophiam Christi et veram pietatem Dei suscipere suaserimus, tunc ex dialectica vel rhetorica videbimur quasi ex alienigena quadam vel concubina filios genuisse. 15 Orig. Cant. I, Prol. 3,8, p. 132 Brésard: Haec vero eum verae philosophiae fundamenta ponentem et ordinem disciplinarum institutionumque condentem quod non latuerit neque ab eo abiectus sit etiam rationalis locus, evidenter ostendit in principio statim Proverbiorum suorum, primo omnium per hoc ipsum quod Proverbia attitulavit libellum suum, quod utique nomen significat aliud quidem palam dici, aliud vero intrinsecus indicari. 16 Crouzel 1992, 89. Crouzel sagt ibid. 90 sehr richtig: „Sa distinction de la philosophie et de la théologie ne correspond donc pas exactement à celle de nos contemporains“, spricht aber gleichwohl, sogar in Buchtiteln, von der „Theologie“ des Origenes und zwar im Sinne „unserer Zeitgenossen“. 17 Vgl. Kobusch 2006 a, 29.58–63; ders. 2011 a, passim (Sachregister: ‚Philosophieeinteilung‘). 12 Plat. 13 Plat.
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ausdrücklich diesem Thema gewidmet.18 Der in der christlichen Philosophie allgemein und so auch bei Origenes übliche aus dem zweiten Timotheusbrief entnommene Ausdruck für das Inspiriertsein der Schrift ist θεόπνευστος. Auffälligerweise sind aber gerade in diesen Kapiteln über die Inspiration der Schrift auch platonische Reminiszenzen eingeflochten. So erinnert der Gedanke des ‚Übermenschlichen‘ bzw. des ‚Überhimmlischen‘, wie die Herausgeber mit Recht bemerken, an den platonischen Ion bzw. Phaidros, und damit an zwei Dialoge, die für den Inspirationsgedanken wichtig sind.19 Nicht zuletzt gebraucht aber Origenes in diesem Zusammenhang auch den platonischen Begriff der Inspiration, die ἐπίπνοια, um die göttliche Herkunft der Schrift zu bezeugen.20 Nach Platon verdanken sich die Mantik, die Mystik, die Dichtkunst und die Liebe als Formen göttlichen Wahnsinns je einer göttlichen Inspiration. Was aber für unseren Zusammenhang von höchster Wichtigkeit ist, ist die Tatsache, dass auch die wahre Philosophie nach Platon auf eine göttliche Inspiration zurückgeht.21 Hinzu kommt, dass Origenes ausdrücklich der platonischen Vorstellung und Lehre (vor allem im Siebten Brief) zustimmt, dass das unsagbare ‚erste Gute‘ wie ein entfachtes Feuer plötzlich in der Seele sei, und Origenes führt diese Lehre auf die göttliche ‚Offenbarung‘ zurück.22 Gegenüber Kelsos gibt Origenes zu, dass Platons Lehre von der göttlichen Eingebung der Philosophie, besonders nach dem Phaidros, „nicht ohne Überzeugungskraft“ (ἀπίθανος) sei.23 Im Neuplatonismus wird dieser Gedanke in vielfacher Form aufgenommen. Die Philosophie ist ein Geschenk der Götter an die Menschen. Wie Hermias, der Phaidros-Interpret sagt, wird sie uns in Form von „Illuminationen und Inspirationen“ von den Göttern gegeben.24 Die Inspiration wird in diesem Zusammenhang, wie das Proklos erläutert hat, als ein Wissen verstanden, das dem Beweiswissen entgegengesetzt ist.25 Im selben Sinne hat Proklos unter den verschiedenen Formen des „theologischen Unterrichts“ jene „unverhüllten“ Redeweisen hervorgehoben, 18 Vgl. Redepenning, 264: „Die Beweise für die Inspiration hat Origenes an keiner Stelle vollständiger gesammelt und lichtvoller geordnet, als in seiner Schrift über die Grundlehren“. 19 Orig. Princ. 675.689.693 Görgemanns / Karpp. 20 Orig. Princ. 700. 21 Plat. Rep. 499 b: […] ἢ βασιλείαις ὄντων ὑέσιν ἢ αὐτοῖς ἔκ τινος θείας ἐπιπνοίας ἀληθινῆς φιλοσοφίας ἀληθινὸς ἔρως ἐμπέσῃ. 22 Orig. Cels. VI 3. 23 Orig. Cels. VI 17. 24 Hermias, In Platonis Phaedrum Scholia I, 58,21: […] καὶ ἐλλάμψεις καὶ ἐπίπνοιαι ἡμῖν ἐκ τῶν θεῶν ἐνδίδονται […]. Platons Wort aus dem Timaios (47 b), dass nie ein größeres Gut den Menschen von den Göttern geschenkt wurde als die Philosophie, wird in der Spätantike oft zitiert, z. B. auch bei Simpl. Epict. Ench. 303,46 Hadot. Auch im Christentum wird das so gesehen, vgl. Iust. Mart. Dial. 2,1. Nach Clem. Strom. VI 8,67 ist die Philosophie als Vorstufe der christlichen Philosophie den Griechen von Gott „geschenkt“ worden. 25 Prokl. In Plat. remp. I 185,27: ὁ γὰρ διαφερόντως αὐτοῖς πιστεύειν ἐν ταῖς περὶ θεῶν πραγματείαις ἀξιῶν, κἂν ἄνευ ἀποδείξεως λέγωσιν, διὰ τὴν ἐκ τῶν θεῶν ἐπίπνοιαν, οὗτος δή που θαυμάσεται τὴν ἐν τοῖς μύθοις δι’ ὧν ἐκεῖνοι τὰ θεῖα παραδιδόασιν ἀλήθειαν·
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die von allem mythischen, symbolischen und bildhaften Reden unterschieden werden müssen: Das aber sind das wissenschaftliche Wissen, das die Philosophie Platons am meisten kennzeichnet, und jenes Wissen, das auf der göttlichen Inspiration beruht.26 Daraus können wir für das Verständnis der Inspiration der ‚wahren Philosophie‘ bei Platon entnehmen: Sie bezeichnet die göttliche Herkunft der Philosophie. Die Inspiration ist die Verleihung des göttlichen Geistes, durch den der Philosoph, der ‚wahre Philosoph‘, alles erkennen kann. Bisweilen wird im Platonismus neben der Inspiration auch die Illumination als ein Modus der Verleihung göttlicher Wahrheit an die menschliche Vernunft erwähnt.27 Die Illumination ist dementsprechend ein ähnlicher Vorgang, durch den unter Vermittlung des ‚Geistes‘ der menschlichen Vernunft das göttliche Licht und mit ihm auch die Inhalte des göttlichen Denkens verliehen werden – auch wenn nicht jeder Einzelne im gleichen Maße das göttliche Licht aufnehmen kann.28 Im Licht dieser göttlichen Wahrheiten erkennt der wahre Philosoph die Dinge dieser Welt.29 Es ist die natürliche Vernunft, die diese Inspiration der philosophischen Grundwahrheiten, d. h. über das Sein und die Tugenden, also der theoretischen und praktischen Wahrheiten erfährt. Wir können also sagen: Inspiration und Illumination sind – nach Platon und dem Platonismus – die Quellen unseres ‚Apriori‘.30 Platons Werke selbst aber sind die wissenschaftliche Ausgestaltung dieser Inspiration. Hält man sich diesen platonischen Hintergrund des Inspirationsbegriffs und des darin implizierten apriorischen Wissens vor Augen, wird erst klar, was Origenes durch die Rezeption dieses Begriffs, nicht nur in dem oben zitierten Passus über das Schriftverständnis aus dem vierten Buch von De principiis31, eigentlich sagen will. Dieses berühmte Buch beginnt ja damit, dass den apriorischen Wahrheiten (κοιναὶ ἔννοιαι) und der Evidenz der Sinneserkenntnis ‚Zeugnisse‘ der göttlichen Schriften an die Seite gestellt werden sollen. Das macht geradezu Prokl. Theol. Plat. I 19 f. Saffrey / Westerink. oben Anm. 24. 28 Vgl. Philop. In Arist. de anima 271,6 f. Hayduck: […] οὕτως καὶ τὰς τοῦ θεοῦ ἐλλάμψεις ἄλλα ἄλλως ὑποδέχεται κατὰ τὰ μέτρα τῆς ἑαυτῶν οὐσίας. 29 Nach Asclepius, dem späten Aristoteleserklärer (In Arist. met. 70,26 Hayduck), ist es die „von dort“ hervorgehende Illumination, die „das Hiesige“ erleuchtet und in sich die „demiurgischen Begriffe“, d. h. die Ideen im Denken Gottes enthält. Vgl. auch Simpl. In Arist. phys. 618,30 Diels: […] τῆς τῶν δημιουργικῶν εἰδῶν ἐλλάμψεως […]. 30 Die κοιναὶ ἔννοιαι sind der klassische Ausdruck für die apriorischen Erkenntnisse in der spätantiken Philosophie. Dementsprechend heißt es bei Olymp. In Plat. Alc. 217,18, 136 Westerink,: ἔστιν γὰρ ἐν αὐτῇ ὁ κατὰ σχέσιν θεός· καὶ διὰ μὲν τῆς τοῦ νοῦ ἐλλάμψεως ἔχομεν τὰς κοινὰς ἐννοίας […]. 31 Ohne göttliche Inspiration ist nach Orig. Cels. IV 30 ein Wissen über das Wesen des Menschen oder Gottes nicht möglich. Wie es ebd. IV 65 heißt, bedarf es, um Entstehung, Wesen und Überwindung des Übels erkennen zu können, der göttlichen Inspiration. z. B. Vgl. auch ebd. I 4. III 40; Comm. in Rom. s.36 a. 26
27 Vgl.
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ein Grundprinzip der Lehre des Origenes aus: Die christliche Lehre will das natürlich schon immer Gewusste nicht umstürzen, sondern bestätigen. Das gilt insbesondere für den Bereich des Moralischen: Was Gott in der Bibel verkündet, das entspricht in allem dem natürlichen Sittengesetz, das Gott in Form eines apriorischen Vorwissens allen Menschen ins Herz, d.i. in den Willensort, eingeschrieben hat.32 Es gibt auch keinen Menschen, der dieses apriori Gewusste von Gut und Böse, vom Gerechten und Ungerechten, vom Sittlichen und Unsittlichen je ganz verlieren könnte.33 In ähnlicher Weise formuliert es Origenes als ein Programm, zu prüfen, „ob nicht die Lehren unseres Glaubens von Anfang an in schönster Harmonie mit den allgemeinen Begriffen sind“.34 Die ‚allgemeinen Begriffe‘ aber stehen für das, was schon immer unter allen Menschen anerkannt ist. Auch im Bereich des Theoretischen gibt es solches schon immer apriori Erkanntes und Anerkanntes, etwa das Wissen, dass Gott niemals vergängliche Materie sein kann oder dass Tiere Wesen ohne Vernunft sind.35 Im Namen solcher allgemeiner Selbstverständlichkeiten, die apriori erkannt werden, können dann auch falsche philosophische Lehrsätze zurückgewiesen werden, wie z. B. derjenige von der mit Gott gleichewigen Materie oder die Leugnung der göttlichen Providenz oder der Astralglaube, die Ewigkeit der Welt u. ä. Solche philosophischen Lehrsätze verfallen der Kritik, nicht weil in erster Linie eine Bibelstelle gegen sie spräche, sondern weil sie mit einem vernünftigen Gottesbegriff nicht vereinbar sind.36 Auf diese Weise ist es die Sache des christlichen Philosophen, das apriori allgemein Erkannte in der Schrift wieder zu erkennen. Es war Gregor von Nyssa, der aus dieser Einsicht des Origenes ein allgemeines hermeneutisches Prinzip machte, das für die gesamte Patristik Geltung hat: Zuerst muss man den den Worten immanenten Sinn herausstellen, d. h. einen philosophischen Gedanken haben, und dann diesem Vorwissen, d. h. dem apriori Erkannten die von Gott inspirierten Worte der Schrift „angleichen“.37 Der Begriff der ‚Angleichung‘ erinnert an die berühmte, vorwiegend aus dem Mittelalter bekannte Adaequationstheorie der Wahrheit, nach der diese eine adaequatio rei et intellectus ist. Diese Formulierung geht zurück auf das Denken der Spätantike. Proklos definiert die Wahrheit als die ‚Angleichung‘ (ἐφαρμογή) des Erkennenden und des ErCels. I 4. Cels.VIII 52. 34 Orig. Cels. III 40. 35 Orig. Cels. III 40; IV 84. 36 Vgl. Orig. Gen. hom. 14,3. 37 Greg. Nyss. Cant. 6, 173,3–5 Langerbeck: (χρὴ γὰρ οἶμαι προεκθέσθαι πρότερον τὴν τοῖς ῥητοῖς ἐγκειμένην διάνοιαν, εἶθ’ οὕτως ἐφαρμόσαι τοῖς προθεωρηθεῖσι τὰ θεόπνευστα ῥήματα), […]. Vgl. ebd.,183,16–184,2: Καιρὸς δ’ ἂν εἴη πάλιν ἐπ’ αὐτῆς τῆς λέξεως παραθέσθαι τὰς θείας φωνάς, ὥστε τοῖς θεωρηθεῖσιν ἐφαρμοσθῆναι τὰ ῥήματα· Ἐπὶ κοίτην μου ἐν νυξὶν ἐζήτησα ὃν ἠγάπησεν ἡ ψυχή μου, ἐζήτησα αὐτὸν καὶ οὐχ εὗρον αὐτόν, ἐκάλεσα αὐτὸν καὶ οὐχ ὑπήκουσέ μου. 32 Orig. 33 Orig.
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kannten.38 Hinter dem von Gregor von Nyssa formulierten hermeneutischen Prinzip steckt also eine Wahrheitstheorie. Die Angleichung des durch göttliche Inspiration mitgeteilten apriori Erkannten und der Worte der Schrift, die wegen des immanenten Sinns auch ‚inspiriert‘ heißen, macht die ‚wahre Philosophie‘ des Christentums aus. Dieses von Gregor von Nyssa präzis und konzis formulierte hermeneutische Prinzip ist das Prinzip aller patristischen und frühmittelalterlichen Schriftauslegung, die ihren Höhepunkt in Meister Eckharts Werken findet.39 Hier ist jede Vorstellung von einer Offenbarungstheologie, die in der Hl. Schrift eine zweite unabhängige Erkenntnisquelle neben der natürlichen Vernunft sieht, fehl am Platze.
2. Seelenwanderung40 Eine der am heftigsten vom Christentum kritisierten Lehren des Platonismus ist die von der Seelenwanderung auch in Tierkörper. Wie Hippolyt berichtet, soll sie schon von Empedokles und seinem Lehrer Pythagoras vertreten worden sein, die sogar den Wechsel der Seele in Pflanzen angenommen haben – eine Lehre, die sich bis in die christlichen Zeiten gehalten zu haben scheint.41 Das Christentum hat die platonische Lehre von der Seelenwanderung als die Fortsetzung dieses pythagoreischen ‚Mythos‘ verstanden. Für die Idee einer möglichen Transmigration der Seele in die Körper von Wölfen, Habichten, Falken, aber auch Bienen, Wespen und Ameisen hatte das Christentum freilich nur noch ein höhnisches Gelächter übrig.42 Komplettiert wird diese Tradition der Seelenwanderungslehre durch die Gnostiker und Manichäer, für die der Durchgang der Seele durch die verschiedenen Körperarten die Funktion der Reinigung bzw. der Befreiung hat.43 Mit dem Christentum jedoch ist diese Tradition an ihr Ende gekommen.44 Vielleicht jedoch schon früher, denn Photius berichtet in seinem Referat über Prokl. In Plat. Tim. II 287; vgl. dazu Kobusch 2006 b, 150. Kobusch 2017 a. 40 Der Text dieses Abschnitts entspricht in Teilen Kobusch 2008. 41 Vgl. Hippolytus, Ref. haer. I 3,1,1 und VI 26,2,3. Zur Tier‑ und Pflanzenwerdung der Seele vgl. Gregor von Nyssa, De anima et resurrectione 84–85 Spira / Mühlenberg. 42 Vgl. Theodoret, Haereticarum fabularum compendium 520 Migne: Πυθαγόρας μὲν οὖν τὰς μετενσωματώσεις ἐμυθολόγησε τῶν ψυχῶν, οὐκ εἰς ἀλόγων σώματα μόνον, ἀλλὰ καὶ εἰς φυτὰ μεταβαίνειν ταύτας εἰπών. Ἠκολούθησε δὲ οὕτω πως καὶ ὁ Πλάτων τῷδε τῷ μύθῳ. Vgl. dens., Graecarum affectionum curatio XI 34,1. 43 Epiphanius, Panarion II 133,22 Holl / Dummer: καὶ γὰρ καὶ Οὐαλεντῖνος καὶ Κολόρβασος, Γνωστικοί τε πάντες καὶ Μανιχαῖοι καὶ μεταγγισμὸν εἶναι ψυχῶν φάσκουσι καὶ μετενσωματώσεις τῆς ψυχῆς τῶν ἐν ἀγνωσίᾳ ἀνθρώπων, ὡς αὐτοί φασιν κατά τινα μυθοποιίαν· ταύτην φασὶν ἐπιστρέφειν καὶ μετενσωματοῦσθαι εἰς ἕκαστον τῶν ζῴων, ἕως ἂν ἐπιγνῷ καὶ οὕτω καθαρθεῖσα καὶ ἀναλυθεῖσα μεταστῇ εἰς τὰ ἐπουράνια. Vgl. Iren. Adv. haer. I 20,2. 44 Hippol. Ref. haer. VIII 10,2,5: ἀπὸ δὲ τοῦ σωτῆρος μετενσωμάτωσις πέπαυται πίστις τε κηρύσσεται εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν τοιοῦτόν τινα τρόπον. 38
39 Vgl.
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die Pronoialehre des Hierokles von Alexandrien, dass schon nach Ammonios Sakkas eine Umkörperung „von Menschen nur in Menschen“ und niemals von vernunftlosen Lebewesen in Menschen oder umgekehrt möglich sei.45 Tatsächlich scheint die wörtlich verstandene platonische Lehre für das Christentum immer ein unüberwindbares Hindernis auf dem Weg zur wahren Philosophie gewesen zu sein. Ja, seine Kritik an der platonischen Lehrmeinung scheint sogar die Platoniker zu einer Revision der ursprünglich platonischen Lehre geführt zu haben. Origenes nimmt in der Interpretationsgeschichte der platonischen Lehre von der Seelenwanderung auch in Tierkörper eine Schlüsselstellung ein. Trotz irritierender Texte von Hieronymus und Justinian ist, wenn man die von H. Crouzel gesammelten Belegstellen berücksichtigt, die Ablehnung der Seelenwanderung eindeutig und die Begründung dafür offensichtlich.46 Origenes hat die bisher im Platonismus wörtlich verstandene Seelenwanderungslehre – durchaus nicht nur aus exegetischen, sondern auch aus philosophischen, genauer: freiheitsphilosophischen Gründen – abgelehnt und der platonischen Redeweise von der ‚Tierwerdung‘ des Menschen einen moralischen Sinn abgewonnen. „Wenn die Seele vom Guten herabsinkt und sich zur Schlechtigkeit hinneigt und immer mehr in diese hineingerät, dann wird sie, wenn sie nicht umkehrt, infolge der Unvernunft viehisch (ἀποκτηνοῦται) und infolge der Bosheit wie ein Tier (ἀποθηριοῦται).“47 Denn es ist die Eigenart der Tiere, „aus bloßer Natur“ oder „aufgrund der Konstitution“ zu handeln.48 Der Mensch dagegen ist ein Zusammengesetztes aus Natur und Freiheit, und die Natur ist eine durch Freiheit konstituierte, d. h. sie ist „zweite Natur“.49 Die Rede von der ‚Vertierung‘ des Menschen kann nur bedeuten, dass der Wille sich aus Nachlässigkeit oder Leichtsinn bloßen Naturantrieben überlässt und sich so vom göttlichen Leben selbst entfremdet. Die Tierwerdung ist somit als eine – als solche freilich nicht – gewollte, das heißt vom Willen verursachte ‚Vertierung‘ zu verstehen. In diesem Sinne „gibt es viele Menschen, die nicht Menschen sind, sondern Tiere“, die sich vom wahren Menschen (dem „Menschen Menschen“) durch ihren Gebrauch der Freiheit unterscheiden. Ihre Seele ist gestorben, obgleich nicht der Substanz nach. Origenes lehnt die platonische, wörtlich verstandene Seelenwanderungslehre ab – auch gegenüber Kelsos, der „in vielen Dingen platonisieren will“ –, weil hier die ‚Vertierung‘ der Seele als eine substantielle Veränderung nach Art eines 45 Phot. Bibl. Codex 251, 461 b: Ὅτι Πλάτωνά φησι τὰς ἀνθρωπίνας μόνας ψυχὰς μετενσωματοῦσθαι, καὶ ταύτας οὐχ ἁπλῶς ἐξ ἀνθρώπων δὲ μόνον εἰς ἀνθρώπους. Ἐξ ἀλόγων δὲ ζῴων εἰς ἀνθρώπους μετάβασιν ἢ εἰς ἄλογα ἐξ ἀνθρώπων οὐδαμῶς αὐτόν φησι δοξάζειν. 46 Crouzel 1956, 203; vgl. auch Edwards 2002, 97–99.161. 47 Orig. Princ. I 8,4, 262 Görgemanns / Karpp (Anm.); in der Ausgabe von Görgemanns / Karpp, 262 f. sind die einschlägigen Texte abgedruckt. Zum moralischen Sinn der Tierwerdung vgl. auch Crouzel 1956, 201–205. 48 Orig. Cels. IV 86. 49 Vgl. Kobusch 2015 b, 146.
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Dinges gedacht und so die Eigenheit der Willensbewegung nicht erkannt wird.50 Ja, es ist sogar vornehmlich Kelsos, gegenüber dem Origenes die Absage an die platonische Vorstellung von der Transmigration in Tierkörper (μετενσωμάτωσις) zum Ausdruck bringt, weil Kelsos offenbar die christliche Auferstehungslehre im Sinne der platonischen μετενσωμάτωσις missverstanden hat.51 Zugleich scheint die moralische Argumentation des Origenes aber auch gegen die von den Gnostikern vertretene Lehre der Seelenwanderung in Tierkörper gerichtet zu sein. Im Römerbriefkommentar erwähnt Origenes den Gnostiker Basilides, der diese Lehre offenbar im wörtlichen Sinne in die paulinische Lehre vom Naturgesetz hineingelesen habe.52 Gegen die Gnostiker aber bringt Origenes, wann immer es geht, den Willen und die Freiheit zur Geltung. So ist verständlich, dass wir es hier mit einer moralischen Umdeutung der ursprünglich und auch von den Gnostikern wörtlich, d. h. naturhaft verstandenen Seelenwanderungslehre zu tun haben.53 Sie ist bei den Vätern allgemein aufgenommen worden.54 Offenbar war es auch Origenes, der den späteren Platonismus zu einer Revision der Schullehre veranlasst hat. Denn Porphyrios und Jamblich haben – nach weitgehend übereinstimmenden Berichten bei Nemesios und Aineias von Gaza – die Vertierung der Seele in einem moralischen Sinne umgedeutet. Da nach dem späteren Neuplatonismus alles Seiende sich in artlich festgelegten Grenzen bewegt und eine Überschreitung dieser ontologischen Grenzen nicht möglich ist, kann, wie Porphyrios und Jamblich meinen, Platon mit der Tierwerdung der Seele nicht einen Wechsel von einem vernunftbegabten in ein unvernünftiges Lebewesen, sondern nur ihre sittliche Depravation gemeint haben, so dass zu einem Esel zu werden bedeutet, in der Art eines Esels das menschliche Leben zu führen.55 Nemesios hat den Wechsel der Interpretation auch selbst benannt: Während die früheren Platoniker die Seelenwanderung „im eigentlichen Sinne“ (κυρίως), d. h. wörtlich und dies wiederum bedeutet: bezogen auf die Welt der Natur verstanden haben, haben die Neueren einen übertragenen (τροπικῶς),
Orig. Cels. IV 83 (Anm. 6); vgl. auch ders. Comm. in Matth. XI 17. Orig. Cels. VII 32; VIII 30; vgl. auch ebd. I 13; IV 17; V 29; vgl. ferner ders. Fr. Luc. fr. 17; Fragmenta in evangelium Matthaei 4 Benz / Klostermann 1932; Comm. in Matth. VI 11,66; XIII 1,46. 52 Orig. In ep. Rom. V 1; V 9; VI 8. 53 Vgl. auch Crouzel 1956, 205: „Le thème des images bestiales est une véritable transposition de la métempsychose, professée par bien des philosophes grecs, mais étant symbolique et morale, cette transposition reste dans l’orthodoxie chrétienne“. 54 Vgl. z.B: Greg. Nyss. Inscr. Ps. 175,16–19 McDonough: […], ἀλλὰ ἀποθηριούμενος διὰ τῆς προαιρέσεως καὶ κύων γενόμενος οὗτος καὶ τότε τῆς ἄνω πόλεως ἐκπεσὼν ἐν λιμῷ τῶν ἀγαθῶν κολασθήσεται. 55 Aineias von Gaza, Theophrast sive de anima 12,11; Nemes. Nat. hom. II 35,5 Morani; zu den Schwierigkeiten dieses Textes, besonders was die scheinbare Diskrepanz zu Aineias’ Bericht angeht, vgl. die Untersuchung von Dörrie 1957, 426 f. 50
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und wie der Begriff der ἤθη zeigt, einen moralischen Sinn angenommen.56 Diese Uminterpretation ist durch die Vermittlung des Porphyrios im späteren Platonismus, z. B. auch von Calcidius57, weitgehend übernommen worden. Hierokles von Alexandrien zum Beispiel hat sich für eine solche Uminterpretation in besonderer Weise eingesetzt.58 Was in Origenes’ Lehre von der Seelenwanderung vorausgesetzt wird, nämlich die Unterscheidung zwischen dem Bereich der Natur oder des Wesens (φύσις, οὐσία, κατάστασις) einerseits und dem Bereich der Freiheit andererseits, ist nicht ohne Folgen geblieben, sowohl für die Ontologie der christlichen Philosophie als auch für die des Neuplatonismus. Origenes hat an einer Stelle seines Werkes in diesem Sinne ‚oben‘ und ‚unten‘ als Naturkategorien, d. h. als Ortsbestimmungen von entsprechenden moralischen Kategorien unterschieden, die den Zustand eines Willens bezeichnen.59 Didymus der Blinde, ein Schüler des Origenes, hat den Grundgedanken aufgenommen. Beim Beschreiben des Phänomens der Annäherung bzw. Entfernung weist er darauf hin, dass nicht an ein örtliches (τόπος) Näherkommen, sondern an ein ‚Verhältnis‘ oder an einen ‚Zustand‘ gedacht ist.60 Die Naturkategorie des Ortes ist gar nicht anwendbar, wenn es um den Abstand zu Gott geht, wohl aber die moralische Kategorie der „Beziehung“.61 Auffälligerweise hat eben dies, die Unterscheidung zwischen der Naturkategorie des Ortes und der geistigen Kategorie des Verhältnisses, Porphyrios aufgenommen: Das Problem, wie Unkörperliches dem Körperlichen nah sein kann, kann nur gelöst werden, wenn zwischen zwei Präsenzweisen unterschieden wird, nämlich der ortsmäßigen und der beziehungsmäßigen. Die Beziehung aber, an die hier gedacht ist, ist eine ‚Neigung‘ (ῥοπή), und wie andere Zusammenhänge zeigen, eine Willensneigung. Somit ist das, was im Bereich substantieller Wirklichkeit nicht möglich ist, moralisch gesehen doch möglich: die Präsenz des Unkörperlichen 56 Nemes. Nat. hom. II 35,2 Morani: […] οἱ μὲν κυρίως ἤκουσαν τοὺς λύκους καὶ τοὺς λέοντας καὶ τοὺς ὄνους, οἱ δὲ τροπικῶς αὐτὸν εἰρηκέναι διέγνωσαν τὰ ἤθη διὰ τῶν ζῴων παρεμφαίνοντα. 57 Vgl. Calcidius, In Timaeum c. 198, 219 Waszink. 58 Neben den bei Dörrie 1957, 432 f. genannten Autoren vgl. auch Hierokles, Über die Providenz und das Schicksal (überliefert in der Bibliothek des Photios, cod. 214 und cod. 251; einschlägige Stellen, an denen Hierokles darauf insistiert, dass eine Seelenwanderung nur zwischen Menschenkörpern möglich ist, sind cod. 214 p. 172 b20–24 und cod. 251 p. 461 b1–5). 59 Vgl. Origenes, Die Homilien zum Ersten Buch Samuel 228 Fürst, dazu auch die Anm. 49–51 von Fürst. 60 Didymus Caecus, Comm. in Zach. I 13 Doutreleau: Σχέσει δὲ καὶ διαθέσει, ἀλλ’ οὐ τόπῳ γίνονται αἱ λεγόμεν[α]ι ἐξαναχωρήσεις καὶ ἐγγύτητες. Vgl. ders. Comm. in Ps. III 228,19 f. Gronewald: καὶ ἐγγίζει σοί’. παράστασιν | οὖν [θ(εο)ῦ] οὐ τόπῳ λαμβάνομεν, ἀλλὰ σχέσει καὶ διαθέσει. 61 Ebd. V 298,15–18 Gronewald: μακρὰν | γὰρ ἔτ̣ι εἰσὶν τοῦ θεοῦ τρόπον τινὰ σχέσει καὶ δ[ιαθέσει], τόπῳ· οὐδὲν δὲ τοπικῶς μακράν ἐστιν τοῦ θεοῦ· “πληροῖ” γὰρ “τὸν | ο[ὐρα]νὸν καὶ τὴν γῆν”. Vgl. ders. Fragmenta in Psalmos fr. 636,5–7 Mühlenberg: Τὸ δὲ Πρὸς σὲ ὀρθρίζω οὐ τοπικῶς ἀκουστέον. οὐ γὰρ ἐν τόπῳ θεὸς ἀλλ’ ἐν διαθέσει, σχέσει πρὸς θεὸν γινομένου τοῦ τὰ αἰσθητὰ ὑπερπηδήσαντος· τούτῳ γὰρ ἀκολουθεῖ τὸ πρὸς θεὸν ἐλθεῖν.
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in den Körpern. Ähnliches gilt für die von Origenes ins Spiel gebrachte Unterscheidung zwischen einem örtlichen Abstieg, einem raummäßigen ‚Hinab‘, und dem im Christentum angenommenen ‚pronoetischen‘ Herabsteigen Gottes in der Menschwerdung62, die auch von einem seiner Schüler übernommen wurde.63 Auffälligerweise hat diesen Gedanken und Begriff der Willensneigung der spekulativste Kopf unter den Kirchenvätern, Gregor von Nyssa, aufgenommen. Die ontologische Mittelstellung des Menschen ist genau darin begründet, dass – so legt er es gegen die gnostischen ‚Natur‘-Theoretiker dar – der Wille die Fähigkeit hat, sich nach beiden Seiten hin, zum Guten oder Bösen, zu neigen und so seiner Natur jene Bestimmung zu geben, die er haben will.64 Wenn es nicht ein dem Christentum und dem Neuplatonismus gemeinsamer Topos wäre, könnte man vermuten, dass Proklos diese Charakterisierung geradezu wörtlich von dem Kirchenvater übernommen hätte. Denn Proklos hat die Mittelstellung der rationalen Seele zwischen Geist und Sinnlichkeit genau so gerechtfertigt: Es liegt in dem unsteten, instabilen Charakter der Willensneigung begründet, dass die rationale Seele „der Beziehung nach“ (κατὰ σχέσιν) beide extreme Zustände haben, d. h. sowohl Geist wie bloßes Sinnenwesen werden kann, wenngleich sie – wie die lateinische Übersetzung hinzufügt – der Substanz nach keines von beiden ist.65 Entsprechendes gilt nach Proklos auch für die halbgöttlichen Heroen wie Herakles: Sie sind nicht von Natur aus, d. h. dem Wesen nach ‚Dämonen‘, d. h. nach Platon: dem Bereich zwischen Gott und Mensch zugehörig, sondern der „Beziehung“ nach.66 Julian Apostata unterscheidet entsprechend: Der Mensch ist Mensch von Natur, dem Willen nach aber ist er göttlich oder dämonisch.67 Hierokles von Alexandrien hat diese Position nun seinerseits wiederum fast wörtlich von Proklos übernommen: Der Mensch bleibt immer Mensch, aber je nachdem, ob er abwechselnd moralisch oder unmoralisch handelt, kann von ihm gesagt werden, er werde zum Tier oder er werde ein Gott, ohne je eines von beiden von Natur zu sein, sondern allein durch die Beziehung der „Verähnlichung“ Cels. V 12. Vgl. Didymus Caecus, Fragmenta in Psalmos fr. 1213,13 Mühlenberg. 64 Greg. Nyss. Eunom. III 2,39, 64 f. Jaeger: […]; συνήσει γὰρ διὰ τῶν εἰρημένων ὁ πρὸς τὸ ἀκόλουθον βλέπων, ὅτι καὶ ὁ τοῦ ψεύδους πατήρ, ὁ τοῦ θανάτου δημιουργός, ὁ τῆς κακίας εὑρετής, κτιστὸς ὢν ἐν νοερᾷ τε καὶ ἀθανάτῳ καὶ ἀσωμάτῳ τῇ φύσει, οὐκ ἐκωλύθη ὑπὸ τῆς φύσεως διὰ μεταβολῆς γενέσθαι ὅπερ ἐστί. τὸ γὰρ τρεπτὸν τῆς οὐσίας ἐφ’ ἑκάτερον κατ’ ἐξουσίαν κινούμενον ἀκολουθοῦσαν ἔχει τῇ τῆς προαιρέσεως ῥοπῇ τὴν τῆς φύσεως δύναμιν, ὥστε ἐκεῖνο γενέσθαι πρὸς ὅπερ ἂν ἡ προαίρεσις αὐτῆς ἀφηγήσηται. Vgl. ders. Cant. IV 102 Langerbeck. Gelegentlich der Frage, wie es mit der ‚Selbstursprünglichkeit‘ des Willens des göttlichen Logos stehe, erwähnt auch Cyrill. Alex., Thesaurus de sancta et consubstantiali trinitate, PG 75, 208 die „Willensneigung“, die von der natürlichen Neigung so unterschieden ist, dass sie nach beiden Seiten sich verändern kann. 65 Proklos, Trois Études sur la Providence II. 66 Prokl. In Plat. Crat. 117 Pasquali. 67 Julian (Imp.), An Themistius, den Philosophen 5 p. 259A, 7 Nesselrath: Ἀκούεις ὅτι, κἂν ἄνθρωπός τις ᾖ τῇ φύσει, θεῖον εἶναι χρὴ τῇ προαιρέσει καὶ δαίμονα, πᾶν ἅπλως ἐκβαλόντα τὸ θνητὸν καὶ θηριῶδες τῆς ψυχῆς […]. 62 Orig. 63
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mit beiden.68 In diesem Sinne durchzieht die Unterscheidung zwischen dem Naturhaften und Substantiellen oder Wesenhaften einerseits und dem Beziehungshaften, Verähnlichenden und Willensmäßigen andererseits das ganze Werk.69 Das aber bedeutet, dass die „demiurgischen Grenzen“, von denen der Neuplatonismus spricht70, nur die Grenzen im Bereich der Naturen, auch der geistigen, sein können. Im Bereich des Moralischen, d. h. im Bereich des Willens kann es keine Grenzen geben. Deswegen kann Hierokles sagen, dass „Wahrheit und Tugend nicht nur bei den Menschen, sondern auch bei den Göttern das Größte sind“.71 Was hier nicht bezweifelt werden soll, sondern vorausgesetzt wird, ist die große Bedeutung des Begriffs der ‚Beziehung‘ (σχέσις) als Naturdingkategorie. Bei den Aristoteleskommentatoren spielt sie als solche im Zusammenhang mit den Begriffen der ‚Substanz‘ und der ‚Relation‘ eine wichtige Rolle. ‚Oben‘ und ‚unten‘ sind in diesem Sinne auch Gegenstände breiter Erörterungen. Was aber darüber hinaus für unseren Zusammenhang von eminenter Wichtigkeit ist, ist die Tatsache, dass die ‚Beziehung‘ auch als eine moralische Kategorie angesehen wird und als solche bewusst wird. Simplikios hat das in einer bedeutenden Theorie über die ‚Beziehung‘ zum Ausdruck gebracht. Darin unterscheidet er ausdrücklich zwischen den vielen denkbaren physisch bedingten Beziehungen von Gleichen oder Ungleichen (z. B. Brüder oder Vater-Sohn) und den moralischen, d. h. durch den Willen gestifteten und durch ihn bedingten Beziehungen (wie etwa Freund – Feind, Lehrer – Schüler).72 Dem entspricht auf den ersten Blick die Unterscheidung des Syrian, bedingt durch den Einfluss der rhetorischen Tradition (Hermogenes, Sopater u. a.), zwischen ‚sachlichen‘ und ‚persönlichen‘ Beziehungen.73 Dass Simplikios damit jeweils eine eigene Pflichtenlehre verbindet und so auch zur Konzeption von Menschheitspflichten kommt, ist der Forschung noch kaum bewusst geworden.
68 Hierocl. Carm. Aur. 23,10, 97 Köhler: ἀεὶ γὰρ μένουσα ἄνθρωπος τῇ τῆς ἀρετῆς καὶ κακίας ἀνὰ μέρος κτήσει θηρίον λέγεται ἢ θεὸς γίνεσθαι, φύσει δὲ οὐδέτερον, ἀλλὰ σχέσει τῆς πρὸς ἑκάτερον ὁμοιώσεως. 69 Vgl. z. B. ebd. 95.85; dazu vgl. auch Kobusch 2010, 288–292. 70 Vgl. Prokl. In Plat. remp. II 144,28 Kroll; ders. Theol. Plat. V 70 Saffrey / Westerink; ders. In Plat. Parmen. II 139 f. Steel; ders. In Plat. Crat. 150 Pasquali; ders. In Tim. I 179; II 194.225 Diehl; Hierocl. Carm. Aur. 93,5.96,19.121,15 Köhler. 71 Hierocl. Carm. Aur. 20,10, 87 Köhler: ἀλήθεια γὰρ καὶ ἀρετὴ οὐ μόνον ἐστὶν ἐν ἀνθρώποις ἀλλὰ καὶ ἐν θεοῖς τὰ μέγιστα. Das zeigt, dass auch Hierokles ein Anhänger der stoischen Lehre von der Univozität des Moralischen ist. Vgl. dazu Kobusch 2018 [im Druck]. 72 Simpl. Comm. Ench. 346 Hadot,: Ἀλλὰ, τί ποτ’ ἔστιν ἡ σχέσις, δεῖ πρότερον ἐννοῆσαι, καὶ οὕτω ταῖς διαφοραῖς αὐτῶν ἐπιστῆσαι. Ἡ τοίνυν σχέσις, ὡς κοινῶς εἰπεῖν, σύνταξίς ἐστι τινῶν πρὸς ἄλληλα, φυσικὴ ἢ προαιρετικὴ, ὁμοίων ἢ ἀνομοίων […]. 73 Syrian, Comm. Herm. II 174 Rabe: ταύτας δὲ διαιρετέον τῇ τε κατὰ πρόσωπον σχέσει καὶ τῇ κατὰ πράγματα καὶ μερικῶς τῇ ἐκβάσει […].
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3. Überzeugung, nicht Gewalt Der Einfluss Platons auf Origenes ist nicht zuletzt an dem gemeinsamen Philosophiebegriff erkennbar. Philosophie ist für beide ‚Dialektik‘, das Wort in einem bestimmten Sinne verstanden. Origenes hat die „Dialektik der Hellenen“, d.i. die Dialektik im Sinne der Logik, die sich in Sophismata ergeht, als sinnlose Veranstaltung des Verstandes abgelehnt.74 Die platonische ‚Dialektik‘ aber, die wie der spätere Titel einer Abhandlung des Plotin zeigt, ein anderer Name für die Metaphysik ist, hat Origenes durchaus anerkannt und sogar in christlichen Texten wiedererkannt.75 Nun verbindet Origenes mit dem Titel der Dialektik nicht so sehr die Disziplin der Metaphysik – für die er ja im Hoheliedkommentar eine eigene Bezeichnung: die ἐποπτεία (inspectiva) aus dem Mittelplatonismus übernommen hat – als vielmehr die Kunst der Unterredung in ‚Fragen und Antworten‘, die in der langen Geschichte des Platonismus erst spät, nämlich durch F. Schleiermacher und F. Schlegel eigens wiederentdeckt werden musste – so sehr war sie inzwischen dem allgemeinen Bewusstsein entschwunden. Diesem ‚dialogischen‘ Platonverständnis hat sich inzwischen eine Richtung der Platonforschung gegenübergestellt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die in der indirekten Überlieferung angedeutete ungeschriebene Prinzipienlehre zu ergründen, die womöglich ein anderes Platonbild ergibt, als es die Dialoge offenbaren.76 Was sich so in der modernen Platonforschung ziemlich unversöhnlich gegenübersteht, ist für Origenes problemlos miteinander kombinierbar. Er überlässt es in einem Kapitel seines Werkes Contra Celsum – der ja eigentlich Epikureer ist, aber sich öfter als Platoniker ausgibt – dem Urteil des Einzelnen, ob Platon tatsächlich, wie es der berühmte Siebte Brief anzudeuten scheint, neben der Wahrheit der überlieferten Dialoge eine noch tiefere, ‚göttlichere‘ Lehre, die ungeschrieben blieb, hatte. Fest steht aber für ihn, den christlichen Platoniker, dass die Propheten und Apostel nicht die gesamte christliche Philosophie in schriftliche Form gebracht, sondern die höchste Wahrheit „den Vielen“, d. h. der Menge gerade vorenthalten haben, damit sie nicht in unwürdige Hände gelange.77 Daraus kann man entnehmen, dass die Unsagbarkeit und Unschreibbarkeit der höchsten Wahrheiten im Platonismus ein Topos war, der hier von dem christlichen Platoniker übernommen wird. Ja, zuletzt steckt hinter diesem besonderen Topos die allgemein griechische Überzeugung, dass die Wahrheit per se hinter den verschiedenen Vorhängen und Verhüllungen der Sprache und Bilder, der Vermutungen und Mythen ver-
Orig. Cels. I 2.38; II 20.51 u. ö. Cels. VI 7; vgl. II 12. 76 Vgl. den hervorragenden Bericht bei Erler 2007, 406–411. 77 Orig. Cels. VI 6. 74 Vgl.
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borgen ist, wie es nach dem Neuplatonismus das Wort ἀλήθεια schon von selbst andeutet.78 Nachdem Origenes in Contra Celsum seine Idee von der ungeschriebenen Lehre des Christentums ausgebreitet hat, stellt er es im unmittelbar folgenden Kapitel als die „Dialektik“ im platonischen Sinne dar, die in „Fragen und Antworten“ die christliche Wahrheit ergründet.79 ‚Fragen und Antworten‘ ist in dieser Zeit ein allgemeiner Name zur Kennzeichnung der platonischen Philosophie, später auch für das ‚Exoterische‘ im Unterschied zum ‚Akroamatischen‘.80 Das bedeutet nun, dass Origenes beides, also das Unschreibbare oder Unsagbare der Lehre und die Form des ‚Dialektischen‘, d. h. die öffentliche Diskussion, die in ‚Fragen und Antworten‘ besteht, gar nicht als in sich widersprüchlich empfunden hat. Das wiederum ist nur so erklärbar, dass dieses Unsagbare nicht prinzipiell unsagbar, sondern nur, wie es ja auch im Text heißt, vor der Menge nicht sagbar ist. Grundsätzlich aber können diese der Alltagsvernunft unzugänglichen Geheimnisse vor dem Forum einer allgemeinen, reinen, d. h. philosophischen Vernunft verantwortet werden. Deswegen hat die christliche Philosophie, obwohl sie sich immer im Gegensatz zum platonischen Elitedünkel als das Wissen für die kleinen Leute darstellt, doch aus dem Platonismus den Anspruch übernommen, in ihrer höchsten Form nur ‚Wenigen‘ zugänglich zu sein.81 Was jedoch als eine kritische Ergänzung des platonischen Wissensbegriffs erscheint, ist die Würdigung des dem ‚einfachen Mann auf der Straße‘ zukommenden Wissens, das ‚Glauben‘ genannt wird. Es ist nach der Vorstellung der beiden Alexandriner Clemens und Origenes die Grundlage allen Wissens.82 Nachdem Kelsos und andere Kritiker dem Christentum vorgeworfen hatten, es gründe seinen Wahrheitsanspruch allein auf ‚bloßen Glauben‘, haben Clemens von Alexandrien und Origenes darauf hingewiesen, dass diese fideistische Position nicht der christlichen Philosophie entspreche. Sie haben dagegen die Konzeption des intellectus fidei entwickelt, nach der einerseits allem wissenschaftlichen Wissen notwendig eine Form des Glaubens vorhergeht, andererseits alles Geglaubte, alle 78 Vgl.
Kobusch 2017 a. Orig. Cels. VI 7. 80 Wie Diog. Laert. II 106 berichtet, war der Chalkedonier Dionysios der erste, der die Dialektik als die philosophische Untersuchung in der Form von ‚Fragen und Antworten‘ verstand (vgl. auch III 48). Alkinoos, Didaskalikos 1,14 definiert den Dialog als den Logos, der aus Frage und Antwort besteht. Vgl. auch die verschiedenen Abhandlungen mit dem Titel „Fragen und Antworten“, etwa von Ephräm dem Syrer oder die anonymen Quaestiones et Responsiones oder Porphyrios’ Kategorienkommentar, der später unter dem Titel „Über Fragen und Antworten“ zitiert wird. Zum Frage-Antwort-Schema als entscheidendem Element des ‚Exoterischen‘, d. h. der Öffentlichkeit im Unterschied zum αὐτοπρόσωπον, der persönlichen Erklärung, dem ‚Akroamatischen‘ vgl. vor allem Ammonios, In Arist. Categ. 4,16 Busse, dann auch Olymp. Prolegomena 7,6 Busse. Noch Kant in seiner Logik unterscheidet in diesem Sinne das ‚Akroamatische‘ und das ‚Erotematische‘ (vgl. Kant, Logik § 119, AA IX, 149 f.). 81 Vgl. Theiler 1933, 8 = ders. 1966, 169. 82 Näheres bei Kobusch 2006 a, 98–101 u. ö. 79
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sog. Glaubensgeheimnisse durch das Denken der Vernunft eingeholt werden können.83 Deswegen geht nach Origenes der Weg vom Glauben zum λόγον διδόναι. Zwar zitiert Origenes in diesem Zusammenhang nicht Platon, sondern den ersten Petrusbrief, aber der Gedanke des λόγον διδόναι im Neuen Testament ist zweifellos platonischen Ursprungs. Zur Rechtfertigung aber gehört die Fähigkeit, die Scheinargumente der Gegner zerpflücken zu können.84 Das kann nicht jeder. „Einige unter den Christen sind ja zwar wegen ihrer großen Einfalt nicht imstande, von ihrem Glauben Rechenschaft zu geben, halten dafür aber einsichtsvoll an dem fest, was sie überkommen haben, während andere wieder gewichtige und auch tiefe und, wie ein Grieche sich ausdrücken würde, esoterische und metaphysische Gründe für ihre Überzeugung anführen können.“85 Es ist besser, den Lehrsätzen mit Vernunft und Weisheit zuzustimmen als nur mit ‚bloßem Glauben‘.86 Deswegen ist der Weg vom bloßen Glauben zur Erforschung des Sinns ein Aufstieg.87 „Glauben mit Vernunft“ – das ist das Selbstbewusstsein der „christlichen Philosophie“.88 Die Idee vom Nichtstehenbleibendürfen beim bloßen Glauben und vom Fortgehen zum λόγον διδόναι verrät auch das eigentliche Ziel solchen Philosophierens: Es ist nichts anderes als die aus der platonischen Philosophiekonzeption stammende ‚Überzeugung‘. Zwar betont Origenes an einigen Stellen, dass die durch das göttliche Wort der christlichen Philosophie bewirkte Überzeugung von anderer Art sei als das, was in den Dialogen Platons das menschliche Wort des Sokrates vermag, aber das Ziel beider Philosophien ist dieselbe Art der freien Annahme des Wortes, also der Überzeugung.89 Deswegen ist Origenes auch besonders entsetzt über die rhetorische Frage des Kelsos, wie denn der christliche Gott nicht die Macht und Fähigkeit habe zu überzeugen.90 Denn das rührt an die Substanz seines Denkens. Das Königtum des christlichen Gottes ist durch ein einzigartiges Merkmal gekennzeichnet: Es ist keine Gewaltherrschaft, sondern die Herrschaft über Freie. In den Jeremiahomilien steht der bedeutungsvolle Satz: „Gott ist kein Tyrann, aber ein König, und als König übt er keine Gewalt aus, sondern überzeugt und er will, dass man sich freiwillig unter seine Verwaltung selbst begibt, damit das Gute eines Menschen nicht aus Notwendigkeit, sondern aus seiner Freiheit werde.“91 Es ist der Schlüs83 Vgl. z. B. Orig. Comm. in Matth. XV 16: […] ὥστε λόγον διδόναι παντὶ τῷ ἐρωτῶντι αὐτὸν περὶ τῆς ἐν αὐτῷ πίστεως, περὶ ἑκάστου τῶν πεπιστευμένων καὶ περὶ τῶν ἐν ταῖς ἱεραῖς γραφαῖς κεκρυμμένως εἰρημένων […]. 84 Orig. Cels. VII 12. 85 Orig. Cels. III 37. Zu ἐποπτικόν = metaphysisch vgl. Hadot 1972 und Kobusch 2005. 86 Orig. Cels. I 13. 87 Orig. Cels. III 33 88 Orig. Cels. III 16: […] μετὰ λόγου πιστεύειν […]. 89 Orig. Cels. III 68. 90 Orig. Cels. VI 54. 91 Orig. Ier. 20,2, 256,19 Nautin. Zu anderen ähnlichen Äußerungen im frühen Christentum
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selsatz der Philosophie des Origenes. Ohne ihn bleibt der Raum seines Denkens verschlossen und unzugänglich. Gott, die „ungezeugte Freiheit“ (wie Origenes ihn an anderer Stelle nennt)92 übt seine Herrschaft aus, indem er im Modus der Überzeugung, d. h. ohne Gewalt endliche Freiheit neben sich gedeihen lässt. Im Lichte dieser Grundthese antwortet Origenes denn auch auf Kelsos’ Vorwurf, der christliche Gott habe nicht die Macht zu überzeugen: Dies ist nämlich keine Frage der Macht. Vielmehr ist hier Freiheit im Spiel, die Freiheit derer, an die die überzeugenden Worte gerichtet sind. Die innere Annahme oder Ablehnung dieser Worte aber, oder, wie Origenes sagt, die „Zustimmung“ bzw. die Verweigerung derselben, die schon nach den Stoikern als das innere Bollwerk der Freiheit von außen gar nicht erzwungen werden kann, wird von dem christlichen Gott der Freiheit absolut respektiert.93 Was die Differenz von Überzeugung und Gewalt betrifft, so steht hier Platon im Hintergrund. Zwar ist der Gegensatz von Überzeugung und Gewalt allgemein griechisch ausweisbar, und schon Äsop hat in seinen Fabeln auf den Vorzug der Überzeugung vor der Gewalt hingewiesen. Aber dass dies am ehesten durch die „wahre Muse“, die Erziehung, die Philosophie und den Dialog geschieht, das hat Platon dem griechischen Denken unverkennbar eingeprägt.94 Platon und Origenes ziehen hier an einem Strang. Ihrer beider philosophische Devise ist: Überzeugung, nicht Gewalt! Auch das zählt zu dem, was Origenes die „Harmonie des Christentums mit der Philosophie“ nennt.95 Diese Einstellung ist zum Allgemeingut der christlichen Philosophie geworden. Athanasius sagt in diesem Sinne, dass es Sache der Religion ist zu überzeugen, nicht Gewalt auszuüben.96 Die im Dialog erreichbare Überzeugung beinhaltet jedoch nicht nur die freie Übernahme theoretischer Argumente. So sehr es Origenes auch um die theoretische Ausbildung des „christlichen Philosophen“, um seine Allgemeinbildung im Sinne der ἐγκύκλιος παιδεία97, zu der durchaus auch die später so genannten artes mechanicae gehören98, und um seine Kenntnisse auch in den Wissenschaften anderer Kulturen geht99 – zuletzt geht es ihm um das Praktische. In diesem Sinne kritisiert er die Defizite der platonischen Theologie. Denn diejenigen, die vgl. Kobusch 2006 a, 168 f. Nach Orig. Cels. I 30 war Jesus kein Tyrann, der andere von sich abhängig macht, sondern ein „Lehrer“ sowohl des theoretischen Logos über Gott als auch des Sittengesetzes („des gesamten ethischen Bereichs“). 92 Vgl. Kobusch 2012. 93 Orig. Cels. VI 57. Zur Freiheitslehre des Origenes vgl. neben den Arbeiten von Fürst (z. B. 2014) jetzt auch besonders Hengstermann 2016. 94 Vgl. z. B. Plat. Rep. 548 b–c; vgl. auch Xen. Mem. I 2,10 oder Symp. 8,20. 95 Orig. Cels. IV 81. 96 Athan. Hist. Ar. c. 67,2 Opitz; vgl. auch Ps.-Justin, Diogn. 499 Marrou; Clem. Strom. VII 2,6; Greg. Naz. or. 4,61 (c. Iulianum), 168 Bernardi. 97 Orig. Cels. III 58. 98 Orig. Cels. IV 76. 99 Orig. Cels. VI 14.
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das höchste Gut so trefflich beschrieben haben, steigen zum Piräus hinab, um die Artemis zu verehren und dem Asklepios einen Hahn zu opfern. Platon und die Platoniker, so will Origenes sagen, haben die beste theoretische Konzeption des göttlichen Seins entworfen, aber die religiöse Praxis stimmt nicht mit der Theorie überein.100 Dieselbe Kritik an der einseitigen Theorielastigkeit der platonischen Philosophie, insofern sie den Kult und die religiöse Praxis vernachlässigt, begegnet uns auch in Augustins Werk.101 Sonst aber ist die Philosophie Platons, insofern sie von Platon als Lebensform, d. h. als Einheit von Theorie und Praxis verstanden wird, durchaus ein Vorbild für Origenes. Der eigentliche und letzte Anspruch der Philosophie ist, ganz im Sinne des Sokrates, das Leben zu ändern.102 Es ist ein universaler Anspruch, denn Origenes betont, dass die Philosophie nicht nur eine Selbstheilung darstellt, sondern die ἐπανόρθωσις, das Geradebiegen der Krummheit in den Sitten des ganzen Menschengeschlechts, zu ihrem Anliegen machen muss.103 Mit dieser sittlichen ‚Korrektur‘ hat es aber nach Origenes dieselbe Bewandtnis wie mit der ‚Überzeugung‘: Gott kann sie nicht einfach aufgrund seiner Allmacht herstellen – was Kelsos im Sinn hat –, sondern sie zustande zu bringen, ist Sache der menschlichen Freiheit. Würde Gott aber auf die Freiheit des Menschen keine Rücksicht nehmen, dann würde das Wesen der Sittlichkeit in sich zerstört.104 So bleibt die Versittlichung des ganzen Menschengeschlechts ein Postulat, aber sie ist ein notwendiger, unverzichtbarer Anspruch der Philosophie – das will uns Origenes sagen.
4. Intellektuelle Subjektivität: Die geistigen Sinne Die Rezeption der platonischen Ontologie bei Origenes ist so evident, dass sie hier kaum im Einzelnen nachgewiesen werden muss. Der Dualismus zwischen dem Reich des Sinnfälligen und Sichtbaren und dem Intelligiblen ist in seinem Cels. VI 4–5; ähnlich VII 44. Vgl. dazu Kobusch 1983. 102 Vgl. Orig. Cels. I 64. Nach Cels. III 51 erscheinen im Christentum diejenigen, die ihr Leben geändert haben, wie von den Toten Auferstandene. Das zeigt, dass wie bei Plotin belegbar die Auferstehung auch als eine Art geistiger Übung verstanden wurde. S. dazu Kobusch 2009, 498 f. 103 Orig. Cels. I 68; in Cels. III 27 erhebt Origenes den Anspruch, dass das Christentum schon entscheidend zur „Korrektur der Sitten“ und zur Steigerung der Religiosität beigetragen habe. Zum universalen Anspruch vgl. auch Cels. IV 10. Zu den platonischen Metaphern des ‚Geraden‘ und ‚Krummen‘ vgl. Kobusch 2015 a. Nach Basilius, der, wie Origenes auch, die Proverbia Salomonis als die Ethik der christlichen Philosophie versteht, ist die „Korrektur der Sitten“ eine der Hauptaufgaben der Ethik; vgl. Basilius, Homilia in principium proverbiorum, 388 Migne. Im individuellen Leben ist die ἐπανόρθωσις auch die Bezeichnung für die Reue, sowohl in der paganen Philosophie – wie bei Proklos und Hierokles – als auch und besonders innerhalb der christlichen Philosophie. 104 Vgl. Orig. Cels. IV 3. 100 Orig. 101
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Werk allgegenwärtig. Für die Stoiker, die für seine Freiheitslehre so wichtig sind, hat er in ontologischer Sicht nur Verachtung übrig, denn sie haben die Existenz geistiger Wesenheiten geleugnet. Zwar ist es richtig, so würde Origenes dem Aristoteles zustimmen, dass die „im Leben stehenden Menschen“, also der ‚normale Durchschnittsmensch‘, mit den Sinnen und dem Sinnfälligen beginnen muss, wenn er zum Reich des Intelligiblen aufsteigen und nicht beim Sinnfälligen stehen bleiben will, aber das kann nicht bedeuten, dass die Erkenntnis des Intelligiblen ohne die Sinneserkenntnis unmöglich wäre.105 Doch Origenes verleiht dieser Rezeption der platonischen Ontologie sofort auch seine eigene Prägung. Es ist nicht das Interesse an einer Ontologie des Intelligiblen als solcher, was ihn leitet. Vielmehr hat Platons Unterscheidung zwischen der Welt des Seins und der Welt des Werdens für ihn hauptsächlich eine praktische Bedeutung. Origenes deutet das durch die Redewendung „nicht allein mit Worten“ (οὐχ … λέξεσι μόναις) an. Das bedeutet, dass hier ‚Sein‘ und ‚Werden‘ nicht nur theoretische Bedeutung, sondern auch Auswirkungen auf den ‚inneren Menschen‘ haben, der um des Seins und der Wahrheit willen seine Schritte gerade zu richten und seine Seele zu reinigen und die Welt des Werdens zu fliehen bereit ist. Origenes gebraucht in diesem Zusammenhang des Aufstiegs wahrer Erkenntnis, d. h. praktischer Erkenntnis, auch den aus dem platonischen Symposion stammenden Begriff der ‚Stufe‘, bisweilen auch mit Bezug auf Platon den der Jakobsleiter.106 In diesem Sinne ist bei Origenes ohnehin eine auffällige Zurückhaltung zu bemerken, wenn es um das Thema der platonischen Ontologie der intelligiblen Objektwelt geht. Beispielsweise wird, wie H. Koch bemerkt, „bei Origenes nirgends gesagt, dass die Ideen die Gedanken Gottes sind“.107 Es sind die geistigen Wesenheiten, insofern sie (freie) Subjekte sind, die das Denken des Origenes in seinem Kern beschäftigen. Was die menschliche Subjektivität betrifft, so macht sie unter dem Titel des ‚inneren Menschen‘ einen Hauptgegenstand seiner Philosophie aus. Auch wenn Origenes immer nur die paulinische Version dieses Titels, ὁ ἔσω ἄνθρωπος, zitiert und nie, wie z. B. Gregor von Nyssa, auch die platonische, ὁ ἔντος ἄνθρωπος, kann es keinen Zweifel geben, dass Origenes’ Lehre vom inneren Menschen die Entfaltung einer Grundidee Platons ist – zumal der hl. Paulus selbst ein großer Platoniker ist.108 Der innere Mensch ist – lässt man alle ‚Verhüllungen‘ der Bilder und der Sprache, besonders auch der Sprache des Moses, beiseite und hält sich nur an die ‚nackte Wahrheit‘, d. h. an Cels. VII 37. Cels. VII 46. Zur Jakobsleiter vgl. ebd. VI 21. Zur Redewendung ‚nicht nur den Worten nach‘ im Unterschied zum Praktischen vgl. Ps.-Orig. Selecta in Psalmos 1605 Migne: Μελετᾶται νόμος οὐκ ἐν λέξεσι καὶ φωναῖς μόνον, ἀλλὰ καὶ ἐν πράξεσιν. Euseb. Comm. in Ps. oder Julian (Imp.), Ep. 61 c Bidez. 107 Koch 1932, 255. 108 Zum umstrittenen Thema des inneren Menschen vgl. Kobusch 2006 a, 64–71. 105 Orig. 106 Orig.
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die philosophische – nichts anderes als der „Geist“.109 Origenes denkt dabei in erster Linie an die subjektive Seite desselben. In diesem Sinne sind zwar nicht in seinen erhaltenen echten Schriften, aber doch in den in seinem Geiste verfassten die verschiedenen Vermögen genannt, die den inneren Menschen ausmachen: die geistige Intuition, das diskursive Denken, das Phantasievermögen, die Erinnerung, das Auslegungsvermögen u. a.110 Eine besondere Bewandtnis hat es mit dem Vermögen des ‚Erblickens‘ (ἐπιβλεπτική). Der ingressive Charakter dieser Fähigkeit ist, wenn man sie im Bereich des inneren Menschen verständlich machen will, am besten durch die Metapher des ‚Aufwachens‘ bzw. des Aufmerkens, d. h. der Aufmerksamkeit ausgedrückt. Origenes hat ausdrücklich betont, dass wie beim äußeren Menschen auch beim inneren Menschen Schlafen und Aufwachen unterschieden werden müssen.111 Das Aufwachen des inneren Menschen meint nichts Anderes als die philosophische Bewusstwerdung. Origenes hat es mit merkwürdigem Anklang an den platonischen Ion als die Selbstaufmerksamkeit des Geistes in seiner Gänze, d. h. auch mit Berücksichtigung der praktischen Seite desselben, des Willens, beschrieben.112 Indem (Ps.)-Origenes in diesem Zusammenhang auch den Trieb erwähnt, deutet er an, dass der innere Mensch auch die volitive Seite mitumfasst. Deswegen – so sagt man später, durchaus in den Spuren des Origenes – ist der innere Mensch auch der Wille des Menschen.113 Nur wenn die Existenz eines solchen inneren Menschen angenommen wird, kann verstanden werden, wie eine ‚Annäherung‘ des Menschen an Gott – denn das Umgekehrte: die Nähe Gottes beim Menschen ist nach Origenes immer schon gegeben – überhaupt möglich ist. Denn da „Gott nicht an einem Ort“, sondern als unsichtbare Kraft ortlos ist, kann nur das Unsichtbare „in uns“, eben der innere Mensch, sich ihm annähern. Der aber besteht in der Empfindung für Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit und Frieden. Ohne diese aber ist eine Annäherung an Gott nicht möglich.114 109 Vgl. Orig. Cels. V 60. Zur urgriechischen Vorstellung von der ‚nackten Wahrheit‘, die hier anklingt, vgl. Konersmann 2004; Kobusch 2017 a. 110 Ps.-Orig. Selecta in Psalmos, Ps 102, 1560 Migne: Πᾶσα δύναμις τοῦ ἔσω καὶ κατ’ εἰκόνα τοῦ Θεοῦ ἀνθρώπου, οἷον ἡ νοητικὴ καὶ διανοητικὴ καὶ ἡ ἐπιβλεπτικὴ καὶ ἡ ὁρμητικὴ καὶ ἡ φανταστικὴ καὶ αἱ λοιπαί. 111 Orig. Fr. Luc. 195 f. Rauer. 112 Orig. Comm. in Matth. X 24: Οἱ δὲ ὅλῃ ψυχῇ καὶ ὅλῃ καρδίᾳ καὶ ὅλῃ διανοίᾳ, ἀντὶ τοῦ τὸν θεὸν ἀγαπᾶν, ἀγαπῶντες ἀργύρια ἢ δοξάρια ἢ γύναια ἢ παῖδας, οὗτοι πλέον ἢ ἀσθενείας πεπόνθασιν καί εἰσιν ἄρρωστοι. Κοιμῶνται δὲ οἱ, δέον προσέχειν καὶ ἐγρηγορέναι τῇ ψυχῇ, τοῦτο μὲν οὐ ποιοῦντες, ἀπὸ δὲ πολλῆς ἀπροσεξίας νυστάζοντες τὴν προαίρεσιν καὶ ὑπνώττοντες τοῖς λογισμοῖς. Vgl. Plat. Ion 532 c; Ps.-Orig. Selecta in Psalmos 1128 Migne: Σημαίνει μέντοιγε καὶ ὁ ὕπνος χωρὶς τῆς κατὰ τὴν ἔξοδον τοῦ βίου τὴν ἀπροσεξίαν τῆς ψυχῆς, τῆς προσοχῆς ἐγρηγορήσεως καλουμένης. 113 Rabanus Maurus, En. Ep. Beati Pauli 432 C Migne: […] quod interior homo, hoc est, voluntas […]. Es handelt sich dabei um eine wörtliche Wiedergabe von Orig. Comm. in Rom. I 22 Hammond Bammel. 114 Ps.-Orig. Selecta in Psalmos 1625 Migne.
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Um diese Möglichkeit der Annäherung menschlicher Subjektivität an Gott verstehen zu können, hat Origenes die Lehre von jenen in Analogie zu den somatischen Sinnen erdachten fünf geistigen Sinnen eingeführt, die geeignet sind, besondere Seiten des göttlichen Seins zu erfassen. Diese Sinne, die Origenes auch die Sinne des inneren Menschen, die Sinne des Herzens oder die göttlichen Sinne nennt115, können als verschiedene Weisen der Wahrnehmung des Geistigen oder als die Organe des Geistes verstanden werden.116 Dabei konnte Origenes ein weiteres Mal an Platon anknüpfen, der ja schon vom Auge der Seele gesprochen hat. In seinem Dialog mit Herakleides hat Origenes diese Erweiterung der platonischen Lehre zusammenhängend entfaltet. Danach ist der geistige Sehsinn die Fähigkeit, kraft der göttlichen Erleuchtung das ‚Verborgene‘, d. h. die Wahrheit in ihrer ‚Unverborgenheit‘ zu sehen. Der innere Mensch hat auch Ohren. Die Ohren zu verschließen angesichts des Wortes Gottes, ist Sache seiner Freiheit. Aber das geistige Hören selbst ist die Fähigkeit, Schuld empfinden zu können (ὅσοι συνοίδατε ἑαυτοῖς ἐν αἰτίᾳ εἶναι). Wie der äußere Mensch den Wohlgeruch von etwas oder auch einen üblen Geruch wahrnehmen kann, so hat der innere Mensch auch einen Sinn für den Wohlgeruch der Gerechtigkeit und ihre defizitären Formen. Was der Geschmack des inneren Menschen ist, geht aus dem Dialog mit Herakleides nicht klar hervor. Mit Blick auf andere Werke könnte man sagen, dass er das Empfinden für das Wertvolle, für die Qualität geistiger Speisen ist.117 Schließlich hat der innere Mensch auch die Fähigkeit des Berührens. Zwar hatten auch schon Platon und Aristoteles und die gesamte aristotelische Tradition die simplex apprehensio, d. h. das erste einfache Erfassen einfacher Begriffe als eine ‚Berührung‘ aufgefasst, aber diese war streng auf die Voraussetzung einer Satzerkenntnis beschränkt. Hier jedoch, bei Origenes – und übrigens auch bei Augustinus –, wird der geistige Sinn der Berührung als das „Glauben“ verstanden, das in ähnlicher Weise dem Beweiswissen vorhergeht.118 Später wird das im Einzelnen erläutert. So entsprechen nach Bernhard von Clairvaux den fünf äußeren Sinnen die des inneren Menschen, insofern sie Wahrnehmungen göttlicher Eigenschaften sind, nämlich der Wahrheit, Gerechtigkeit, Weisheit, Liebe und Ewigkeit. Der innere Mensch als solcher hat durch sie ein „Gefühl“ (affectus), eine Empfindung für Wahrheit und Gerechtigkeit usw.119 Origenes’ Lehre von den geistigen Sinnen oder den Sinnen des inneren Menschen120 entpuppt sich so als eine wichtige Ergänzung zur platonischen Philoso115 Vgl.
dazu Rahner 1975, 115; Canévet u. a. 1993. 1975, 120; Dillon 1990 hat gezeigt, inwiefern die Grundidee des Origenes von einer Wahrnehmung im noetischen Bereich im Platonismus, besonders auch bei Philo vorbereitet worden ist. 117 Vgl. Orig. Comm. Ioh. IV 405, 352 Blanc. Vgl. Ps.-Orig. Selecta in Psalmos, Ps. 118,65/66. 118 Orig. Heracl. 19,21 Scherer; Aug., Sermo 243, 1144 Migne: […] sed ille tactus fidem significat. 119 Bernardus Clareuallensis, Sermones de diversis 116 Leclercq / Rochais. 120 So nennt sie Didymus der Blinde, In Zachariam III 63 Doutreleau. 116 Rahner
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phie des Intelligiblen. Die Tatsache, dass der Mensch ein Empfinden, ein Gefühl, einen Sinn für so etwas hat wie die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Liebe und sie auch vermisst, wenn sie nicht da sind, ist ein Faktum der menschlichen Vernunft. Origenes hat die subjektive Seite dieser Werte entdeckt.
5. Verähnlichung mit Gott Obwohl Origenes die Transzendenz Gottes sehr stark herausstellt und z. B. mehrmals die platonische Formel dafür, ‚Jenseits von Geist und Wesenheit‘, positiv verwendet121, ist seine Philosophie andererseits sowohl durch den Gedanken von der Nähe Gottes zu den Menschen als auch durch die Idee, Gott ähnlich werden zu können, geprägt. Wie kann das zusammen gedacht werden? Es ist ein Problem – so lautet die These dieses Kapitels –, das ursprünglich schon im Platonismus – gemeint ist: im Denken Platons selbst – angelegt ist. Denn auch schon bei Platon haben wir diese Konstellation des Denkens: Einerseits die Idee von der absoluten Transzendenz Gottes in der Politeia – die Schule gemacht hat –, andererseits den Grundgedanken von der ‚Verähnlichung mit Gott‘ im Theätet, der ebenfalls in der Spätantike und darüber hinaus, in der christlichen und paganen Philosophie, omnipräsent ist. Um diese widersprüchlich erscheinende Konstellation auflösen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, was das Zentrum der Philosophie Platons ist und was auch immer zentral für alle Formen des Platonismus geblieben ist. Das ist die These, dass Gott aus theoretischer Sicht als ein transzendentes Wesen erscheint, das sich unserem Denken, auch dem intuitiven, und unserer Sprache entzieht, dass aber derselbe Gott aus praktischer Sicht, also durch das Sittliche, aufs Engste mit dem Menschen verbunden ist. Das bedeutet auch, dass Gott nach Platon und dem Platonismus zwar jenseits von Sein und Denken ist, aber nicht jenseits von Gut und Böse. Das Praktische wird ja an den Stellen im Werk Platons, wo von der ὁμοίωσις θεῷ die Rede ist, deutlich herausgestellt. Evident ist das im Falle des ‚locus classicus‘ Theätet 176 b. Aber auch Politeia 500 c drückt das aus, indem der im theoretischen Bereich mit einem pejorativen Beiklang belastete Begriff der ‚Imitation‘ nunmehr, praktisch gesehen, die intensivste Form der Verähnlichung mit Gott bezeichnet. Wenn noch andere markante Stellen seines Werkes mitberücksichtigt werden (Phaidon 82 a, Phaidros 248 a, Timaios 90 a–c), kann es keinen Zweifel geben, dass Platon den praktischen Weg, das praktische Wissen, als die einzig gangbare Brücke zum Göttlichen im Sinne der Verähnlichung mit ihm verstanden hat. Genau diese Grundidee ist bei Origenes aufgenommen. In seiner Prinzipienschrift zitiert er dem Sinn nach die zentrale Stelle aus dem Theätet: „Das höchste 121 Vgl. Orig. Cels. VII 38.45. In Cels. VI 64 wird interessanterweise überlegt, ob die platonische Formel im Christentum nicht vielleicht nur auf den göttlichen Vater anwendbar ist.
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Gut, zu dem die Vernunftwesen insgesamt streben, und das auch das Ziel von allem heißt, wird von vielen Philosophen folgendermaßen definiert: Das höchste Gut sei, Gott ähnlich zu werden, soweit es möglich ist.“122 Wenn Origenes dann im Folgenden eine Verbindung herstellt zwischen der ὁμοίωσις Platons und der ὁμοίωσις, die in der Formel von der Gottebenbildlichkeit des Menschen im Buch Genesis vorkommt (κατ’ εἰκόνα καὶ καθ’ ὁμοίωσιν, Gen. 1,26 f.), folgt er dem allgemein frühchristlichen Anspruch der ‚Anciennität‘ des Christentums, nach dem das, was bei Platon christlich akzeptabel erscheint, im Alten Testament schon vorgeprägt ist.123 In diesem Zusammenhang entfaltet Origenes erstmals in seinem Werk, aber auch – sieht man von einer unbedeutenden Vorlage bei Irenäus ab – in der christlichen Philosophie überhaupt seine These, dass „Bild“ (εἰκών) und „Gleichnis“ (ὁμοίωσις) in dem berühmten Genesisvers (Gen. 1,26 f.) nicht dasselbe meinen. Vielmehr bezeichnen sie nach Origenes zwei unterschiedliche Elemente der menschlichen Freiheit. ‚Bild‘ meint die von Gott verliehene, unverlierbare Grundlage unserer Freiheit, aufgrund deren wir uns entscheiden können. Das ‚Gleichnis‘-hafte dagegen ist das, wodurch wir uns aktuell in unserem Handeln Gott oder dem Teufel angleichen. Während die Bildhaftigkeit nie verloren werden kann, ist die Gleichnishaftigkeit des Menschen das Verlierbare.124 Gegenüber Kelsos weist Origenes mit Bezugnahme auf die Unterscheidung in De principiis darauf hin, dass das „Ähnliche“, d. h. das Gleichnishafte, nicht eine umfassende Gleichheit meint.125 Andererseits drückt es auch keinen qualitativen Unterschied aus. Es ist dazwischen. Das Ähnliche ist auf dem Weg der Verähnlichung. Später hat der Origenesanhänger Gregor von Elvira das ganz im Geiste des Origenes, aber mit einer aus der rhetorischen Tradition stammenden Unterscheidung so gedeutet: Bild Gottes ist der Mensch als Person, Gleichnis Gottes aber wird er durch seine Taten.126 Die Verähnlichung mit Gott ist freilich nur möglich, weil ein Göttliches schon im Menschen ist. Platon hat am deutlichsten im Timaios gesagt, dass ein solches göttliches Element der Seele von Gott von Anfang an mitgegeben ist.127 Origenes hat auch diesen platonischen Grundgedanken aufgenommen, indem das „Bildgemäße“ (κατ’ εἰκόνα) als jener dem Menschen schon immer verliehene Logos –
Princ. III 6,1, 642 f. Görgemanns / Karpp. Kobusch 2006 a, 51–57. 124 Vgl. Orig. Princ. III 6,1, 645 Görgemanns / Karpp. Zur Interpretation dieses Textes und zu seiner Wirkungsgeschichte vgl. Kobusch 2011 b. 125 Orig. Cels. IV 30. 126 Gregorius Illiberitanus, Tractatus Origenis de libris Sanctarum Scripturarum tr. 1,233 Bulhart: Diximus enim imaginem persona esse, similitudinem uero in factis, sicut apostolus ait: imitatores mei estote sicut et ego xpisti, et alibi ex uoce dei: estote sancti, sicut et ego sanctus sum. Zur Unterscheidung zwischen ‚persona‘ und ‚facta‘ und ihrem rhetorikgeschichtlichen Hintergrund vgl. Kobusch 2015 c. 127 Plat. Tim. 90 a–c. 122 Orig. 123 Vgl.
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den „manche“, d. h. die Stoiker, auch ἡγεμονικόν nennen – zu verstehen ist, durch den wir Vernunftwesen sind.128 Origenes zieht aus diesen bei Platon grundgelegten Gedanken schließlich die letzten Konsequenzen: Wenn die menschliche Vernunft als jenes Vermögen, durch das der Mensch vernunftbestimmt handeln kann, eine göttliche Gabe, eine göttliche Einrichtung ist, dann muss Vernunft etwas den vernünftigen Wesen, Gott eingeschlossen, Gemeinsames sein.129 Und wenn das stimmt, dann ist unter der Berücksichtigung des von Platon herkommenden Primats des Praktischen noch ein Schritt weiter zu gehen: Dann muss, was Origenes mit Berufung auf die Stoiker auch sagt, das Moralische, die ‚Tugend‘, bei Gott und den Menschen dasselbe sein, d. h. dann müssen die moralischen Begriffe notwendig einen univoken Sinn haben.130 Indem Origenes diese These vertritt, hat er die platonische Lehre von der Verähnlichung mit Gott vollendet und zugleich den Boden bereitet für eine unabsehbare Entwicklung.131
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Der platonische Ideenkosmos bei Origenes Winrich Löhr Stellt man die Frage, ob Origenes Platoniker war, so erscheint es folgerichtig und sachlich geboten, auch dessen Rezeption einer der wichtigsten und charakteristischen Lehren Platos und seiner Schule zu untersuchen, nämlich der Ideenlehre. Im ersten Teil meiner Ausführungen seien die wichtigsten einschlägigen Stellen aus dem erhaltenen Œuvre des Origenes, in denen die Ideenlehre angesprochen wird, vorgeführt und analysiert. Im zweiten Teil sei knapp die Rezeption der Ideenlehre in der christlichen und jüdischen Tradition vor Origenes skizziert. Danach sei untersucht, ob und inwiefern die Rezeption der platonischen Ideenlehre mit der Konzeption göttlicher Hypostasen sowie der Konzeption einer ewigen Zeugung des Sohnes aus dem Vater bei Origenes zusammenhängen. Den Schluss bildet ein Resümee, das versucht, einen weiteren Rahmen für die erzielten Ergebnisse anzudeuten.
1. Zunächst also seien die wichtigsten Passagen aus dem Œuvre des Origenes aufgelistet, in denen er die platonischen Ideen anspricht (ausdrücklich sei in diesem Zusammenhang auf den nützlichen Artikel von H. Crouzel1 verwiesen). In Cant. I 6,12–14 In Joh I 111; 113–114; 115; 243–244; 289–292; II 126; XIX 146–147; XXXII 127 In Mt XII 9 In Eph. frg. VI Princ. I 4,4; II 3,6 Cels. II 64 (?); III 81; V 22.39; VI 64.71 Philoc. 5,4.
Wie man an dieser Auflistung erkennen kann, findet sich die Mehrheit der hier relevanten Belege im Johanneskommentar, und zwar in den ersten beiden Büchern. Nach dem Johanneskommentar (In Joh) sind noch besonders relevant die Belege aus Contra Celsum und De Principiis. Zur Datierung lässt sich sagen, 1 Crouzel
1989. Vgl. Löhr 2009, 398 f.
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Winrich Löhr
dass der Johanneskommentar wohl noch in Alexandrien (also vor ca. 230 n. Chr.) begonnen wurde, De principiis vielleicht in die Zeit seines Abschieds von Alexandrien gehört, und Contra Celsum unter Kaiser Decius, also gegen Ende seines Lebens geschrieben wurde.2 Die Rezeption der platonischen Ideenlehre – so kann man schließen – findet sich also in beiden Perioden des Lebens des Origenes, der in Alexandrien und der in Caesarea maritima. Betrachten wir zunächst die Belege aus dem Johanneskommentar etwas näher: In Joh I 111–115 ist Origenes mit der Auslegung von Jo 1,1 beschäftigt: In Joh I 90–108 hatte er verschiedene Bedeutungen des Wortes ἀρχή diskutiert, um dann, aufbauend auf der vorausgegangenen Diskussion, In Joh I 109–118 seine christologische Interpretation von ἀρχή zu entwickeln. Origenes stellt zunächst fest (I 110), dass diese ἀρχή im Sinne einer ersten Ursache (ὑφ’ οὗ) verstanden werden kann, und zwar mit Verweis auf Ps 148,5 und Gen 1,3.6; Christus sei in gewisser Weise (πως) Demiurg, und die Genesis-Verse sind demnach vom Vater zu ihm gesprochen. In Joh I 111 folgt dann die entscheidende Feststellung: Christus ist Demiurg als ἀρχή; ἀρχή wird er aber deshalb genannt, weil er die Weisheit (σοφία) ist: Als Beleg dient Prov 8,22 LXX. Jo 1,1 besagt also, dass der Logos in der Weisheit als im Anfang ist. „Die Weisheit wird hier im Hinblick auf die Zusammenstellung der geistigen Schau aller Dinge und ihrer Begriffe verstanden (κατὰ μὲν τὴν σύστασιν τῆς περὶ τῶν ὅλων θεωρίας καὶ νοημάτων), während der Logos so aufgefasst wird, dass er die gedachten Dinge den Vernunftwesen kommuniziert.“
Prov 8,22 LXX besagt also, dass die Weisheit so konstituiert ist, dass in ihr der Plan aller Dinge im Denken zusammengefasst ist. Der Logos hingegen kommuniziert die Begriffe / Ideen aller Dinge den Vernunftwesen. In Joh I 113 wird dann folgende Paraphrase für Jo 1,1 vorgeschlagen: „Alles entsteht gemäß der Weisheit und den Modellen des Systems der Begriffe, die in ihm [scil. dem Logos] sind.“
In Joh I 114 ruft Origenes einen Vergleich auf: So wie nach den Plänen eines Architekten ein Schiff oder ein Haus erbaut wird und wie also die ἀρχή von Haus oder Schiff die Modelle und Gedanken (τύποι καὶ λόγοι) in dem Architekten sind, ebenso wurde auch das All nach den λόγοι konstruiert, die zuvor von Gott in der σοφία klar bestimmt worden waren. Nachdem aber – so fährt Origenes fort (I 115) – Gott die σοφία als beseelt / lebendig (ἔμψυχον) sozusagen3 geschaffen hatte, hat er ihr auch erlaubt, von den
2 Pazzini
2000; Simonetti 2000; Dorival 2000. deutet an, dass die Rede vom ‚Schaffen der σοφία‘ uneigentlich ist.
3 Origenes
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in ihr befindlichen Modellen den seienden Dingen und der Materie die Formung und die Formen bereitzustellen, vielleicht auch gar die Existenz selber (?).4 Man kann also so resümieren: In Joh I 111–115 legt Origenes dar, wie Gott die Weisheit als lebendiges Wesen konstituiert5, das die platonischen Ideen in sich enthält und das nach dem Modell dieser Ideen das All schafft. Die Weisheit ist mit dem Demiurgen-Christus identisch. Weiterhin spielt Origenes In Joh I 115 laut Charlotte Köckert auch „auf das Konzept einer Weltseele an, wie sie von den Timaeusauslegern vertreten wird: Nach ihnen ist die Weltseele vor allem dadurch charakterisiert, dass sie die λόγοι aller Dinge enthält, durch welche die Materie gestaltet wird.“6 Origenes rundet den Gedankengang von In Joh I 111–115 im folgenden Kapitel (116) mit der Feststellung ab, dass man in grober Weise (παχύτερον) sagen könne, dass der Sohn Gottes das Prinzip der Dinge sei, das Alpha und das Omega (Offb 22,13 wird zitiert). Aber die Bezeichnung ἀρχή wird nicht durch alle christologischen Prädikate impliziert: Dies gilt z. B. für das Christus-Prädikat ‚Erstgeborener von den Toten‘ (Kol 1,18) und auch für das Prädikat Logos: Denn der Logos ist laut Jo 1,1 nicht die ἀρχή, sondern er ist in der ἀρχή. Der Gottessohn ist ἀρχή nur insofern, als er σοφία, Weisheit ist. Origenes schreibt (In Joh I 118): „Deshalb könnte man in zugespitzter Weise (τεθαρρηκότως) sagen, dass das hervorragendste aller Prädikate, die durch die Bezeichnungen des Erstgeborenen der gesamten Schöpfung gedacht werden, die Weisheit ist.“
– Betrachten wir die Passage In Joh I 243–244: Origenes beschäftigt sich hier mit exegetischem Bezug auf 1 Kor 1,24 mit dem Christusprädikat σοφία. Zunächst stellt er In Joh I 243 fest, dass es sich nicht lediglich um eine Bezeichnung der Gedanken Gottes handele. In Origenes’ Formulierung fällt schon das entscheidende Stichwort ὑπόστασις: „Es ist nicht nur in den bloßen Vorstellungen (φαντασίαι) Gottes des Vaters des Alls, dass die Weisheit ihr Sein (ὑπόστασις) hat, nach Analogie der Vorstellungen in den menschlichen Gedanken (κατὰ τὰ ἀνὰ λόγον τοῖς ἀνθρωπίνοις ἐννοήμασι φαντάσματα)….“
Origenes fährt In Joh I 244 fort: Es handelt sich vielmehr darum, das Konzept einer unkörperlichen ὑπόστασις zu begreifen, die lebendig und beseelt ist. Sie 4 Zur textkritischen Problematik dieser Stelle s. Köckert 2009, 245 Anm. 106. Die bewusst vorsichtige Formulierung des Origenes an dieser Stelle (ἐγὼ δὲ ἐφίστημι εἰ καὶ …) dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Origenes hier die Sophia (also den beseelten lebendigen Ideenkosmos) nicht nur als Grund der rationalen Formung der Materie, sondern auch als Grund der substantiellen Existenz, des Vorhandenseins der Dinge selbst (?), zu denken versucht. Vgl. auch Thümmel 2011, 218. 5 Vgl. Orig. In Joh XXXII 127: der Logos als die πᾶσα ἔμψυχος καὶ ζῶσα ἀρετή; Cels. III 81 (beseelter, lebendiger Logos, lebendige Weisheit). Vgl. auch Orig. In Eph. frg. VI (Gregg 1902, 241). 6 Köckert 2009, 246. Bei den erwähnten Timaios-Exegeten denkt Köckert u. a. an Porphyrios.
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ist die ὑπόστασις aller möglichen Gedanken (ποικίλων θεωρημάτων)7, welche die λόγοι aller Dinge enthalten8; dies ist die Weisheit, die über sich in Prov 8,22 redet (es folgt das Zitat). Wichtig ist hier also die Einführung des Begriffs der Hypostase: Die Weisheit ist das als lebendiges und beseeltes Wesen existierende Gesamt der Ideen und hat als solche eine eigenständige, eben hypostatische Existenz; sie ist nicht lediglich in den Gedanken Gottes vorhanden. – Betrachten wir In Joh I 289–92. Als eine Art Resümee des ersten Buchs des Johanneskommentars fasst Origenes seine Exegese von Jo 1,1 zusammen: „Im Anfang war der Logos“ heißt unter Hinzuziehung von Prov 8,22: Der Logos bleibt beständig in der Weisheit, welche der Anfang ist. Diese Hypostasierung des Logos in der Weisheit bedeutet nicht, dass er nicht bei Gott (πρὸς τὸν θεόν) ist bzw. dass er Gott (θεός) ist. Aber er ist eben nicht einfachhin (γυμνῶς) bei Gott, sondern er ist „im Anfang (in der ἀρχή) bei Gott“. Jo 1,3 gilt in analoger Weise: Alles ist durch ihn, den Logos, gemacht worden, aber eben durch den Logos, der in der ἀρχή, d. h. in der Weisheit ist, denn laut David hat Gott alles ‚in Weisheit‘ geschaffen (Ps 104 LXX, 24). In Joh I 291 erweitert Origenes seine Reflexion um eine Überlegung, die begründen soll, dass der Logos unbedingt eine eigene, selbständige Identität (ἰδία περιγραφή)9, d. h. ein eigenes Leben (οἷον τυγχάνοντα ζῆν καθ‘ ἑαυτόν) hat. Er exegesiert dazu den Satz „Dies sagt der Herr der Kräfte“, der sich verschiedentlich in den Psalmen findet (Ps 23,10 u. ö.). Origenes zufolge ist dieser Satz so zu verstehen, dass der Christus die hervorragendste und beste der Kräfte (δύναμις) war, die je ihre eigene Identität hatten. Der λόγος, der in uns (den Menschen) ist, hat keine Identität außerhalb unseres Geistes; aber der Logos Christus hat seine 7 Cf.
Eph 3,10 etc. Orig. Cels. V 39 der im Kontext eines Argumentes gegen konsequenten Vegetarismus bemerkt: „Wenn wir ihn [d. h. den Gottessohn] also ‚zweiten Gott‘ nennen, so soll man wissen, dass wir mit dem Ausdruck ‚zweiter Gott‘ (δεύτερος θεός) nicht anderes bezeichnen als die Vollkommenheit, die alle Vollkommenheiten umfasst (τὴν περιεκτικὴν πασῶν ἀρετῶν ἀρετήν) und den λόγος, der jeglichen erdenklichen λόγος der naturgemäß und zur Führung und zum Nutzen des Ganzen geschaffenen Wesen umfasst. Dieser Logos, sagen wir, hat in besonderer Weise über jede Seele hinaus in der Seele Jesu Wohnung genommen und sich mit ihr vereinigt, denn allein sie war in vollkommener Weise aufnahmefähig für die höchste Teilhabe an der Vernunft, der Weisheit und der Gerechtigkeit selbst“ (Übers. Barthold, modifiziert). 9 Sextus Empiricus, Adversus Mathematicos VIII 161 f. (II, 138 f. Mutschmann): „Von den Seienden, sagen die Skeptiker, existiert das eine gemäß der Differenz (κατὰ διαφοράν), das andere als etwas, was irgendwie auf anderes bezogen ist. Und alles, was gemäß der Differenz existiert, wird nach seinem eigenen selbständigen Sein (κατ’ ἰδίαν ὑπόστασιν) und absolut (ἀπολύτως) betrachtet, wie z. B. weiß und schwarz, süß und bitter und alles, was diesem ähnlich ist. Wir fassen diese nämlich bloß an und für sich auf, gemäß ihrer Individualität (κατὰ περιγραφήν) und ohne irgendetwas anderes hinzuzudenken. In Relation wird aber dasjenige Sein gedacht, das gleichsam eine Verbindung zu etwas Anderem hat und nicht mehr absolut (d. h. an und für sich) genommen wird, wie das Weißere und das Schwärzere und das Süßere und das mehr Bittere und alles, was zu derselben Form gehört.“ Vgl. auch Orig. In Joh II 16. 8 Vgl.
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ὑπόστασις, d. h. seine eigene Wesenheit, in der Weisheit. Die Problematik, um die es hier zu gehen scheint, ist die des jeweils individuellen, abgrenzbaren Seins unkörperlicher Wesenheiten: Nur wenn dieses möglich ist, ist es möglich, die Hypostase des Sohnes von derjenigen des Vaters zu unterscheiden. Origenes argumentiert nun, dass Christus als die hervorragendste der δυνάμεις Gottes auch von den anderen unkörperlichen Kräften Gottes unterschieden werden kann. – Origenes schlägt In Joh II 125 f. eine Einteilung der Christusprädikate vor: Einige Prädikate hat der Heiland nicht für sich selbst, sondern für andere (z. B. ‚Hirte‘, ‚Tür‘, ‚Weg‘). Andere Prädikate hat er für sich und für andere, so z. B. ‚Weisheit‘ und vielleicht auch ‚Logos‘. Nun stellt sich aber die Frage (ζητητέον), ob, wenn es ein geordnetes Ganzes von Ideen (σύστημα θεωρημάτων)10 in ihm gibt, einige dieser Ideen, die er für sich weiß, der übrigen gewordenen Natur unzugänglich sind (In Joh II 126).11 Diese Frage, so fährt Origenes fort (In Joh II 127) muss in Bezug auf den Heiligen Geist gestellt werden, der nach Jo 16,4 Schüler des Heilands ist: Fasst der Heilige Geist alles in sich, was der Sohn von Anfang an erkennt, indem er den Vater betrachtet (ἐνατενίζων τῷ πατρί)? Die Formulierung der Frage lässt erkennen, dass der Sohn als Weisheit die intelligible Welt in sich trägt, da er den Vater kontempliert. – In Joh XIX 146 f. legt Origenes Jo 8,23 (‚Ich bin nicht von dieser Welt‘; vgl. Jo 17,14) aus: Er redet über eine von der empirischen Welt unterschiedene unsichtbare Welt, eine intelligible Welt (κόσμος νοητός): Die Menschen, die reinen Herzens sind (Mt 5,8) werden des Anblicks und der Schönheit dieser Welt ansichtig. Origenes meint, dass die Betrachtung der intelligiblen Welt auf die Schau Gottes selbst vorbereite – da es doch in der Natur Gottes selbst liege, geschaut zu werden (Wortspiel mit θεός / θέα). In Joh XIX 147 wirft Origenes eine exegetische Frage auf: Ist der ‚Erstgeborene aller Schöpfung‘ (Kol 1,15) in gewissem Sinne ein κόσμος und zwar, insofern er die überaus mannigfaltige Weisheit (Eph 3,10) ist? Dadurch, dass die λόγοι jeder erdenklichen Sache in ihm sind, denen entsprechend alles entsteht, was von Gott in der Weisheit geschaffen wird (Ps 103,24), ist er auch κόσμος (geordnete Welt). Dieser κόσμος ist um so viel unterschieden vom αἰσθητὸς κόσμος (der sichtbaren Welt) und vielfältiger als dieser, um so viel der von aller Materie freie λόγος des gesamten Kosmos sich vom materiellen κόσμος (ἔνυλος κόσμος) unterscheidet. Der materielle Kosmos wird auch nur geordnet (ist auch nur deshalb κόσμος), insofern er an Logos und Weisheit, welche die Materie ordnen, Anteil hat.
10 Für die Übersetzung von θεώρημα als (platonische) Idee s. die Bemerkung von Blanc 1996, 294 f. note 2 zur Stelle. 11 Vgl. Orig. In Joh I 172.
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In Joh XIX 148 führt Origenes dann seine Exegese zum Ziel, wenn er vorschlägt, dass Jo 8,23 von der Christusseele gesprochen wurde (der einzigen Seele, die dem göttlichen νοῦς verbunden blieb und nicht gefallen ist), die in der noetischen Welt zu Hause ist und ihr ihre Jünger zuführt. Origenes will zum einen begründen, inwiefern der Begriff κόσμος aus Jo 8,23 in irgendeinem Sinne auf den präexistenten Christus angewendet werden kann. Er ist κόσμος, insofern er die Ideen (λόγοι = Ideen) enthält: Er ist Ideenkosmos. Doch inwiefern ist die in Jo 8,23 artikulierte Differenz zu verstehen? Origenes muss also den Unterschied von materieller Welt und noetischer Welt begründen: Der noetische Kosmos, der von aller Materie befreite γυμνὸς πάσης ὕλης τοῦ ὅλου κόσμου λόγος ist vielfältiger (ποικιλώτερος). Auch verhält es sich so, fügt Origenes hinzu, dass der λόγος (also die Ideenwelt) das Prinzip ist, das dem sichtbaren Kosmos erst seine Ordnung verleiht.12 Was meint Origenes damit, wenn er sagt, dass die Ideenwelt vielfältiger als die sichtbare Welt ist? Möglicherweise rezipiert Origenes hier direkt oder indirekt eine kritische Bemerkung des Aristoteles zur platonischen Ideenlehre (Metaphysik 1079 a19–24), der zufolge es sein kann, dass die platonischen Ideen zahlreicher sind als die Einzeldinge der Sinnenwelt. Die Bemerkung des Aristoteles, deren exakte Begründung schon aufgrund des korrupten Textes schwer zu verstehen ist, scheint darauf hinauszulaufen, dass es platonische Ideen nicht nur zu Einzeldingen wie Mensch, Tier, Pflanze etc. gibt, sondern auch zu gruppierbaren Eigenschaften wie groß, klein, schön etc. und das sowohl in Bezug auf die Qualitäten der Sinnenwelt als auch diejenigen der Ideenwelt.13 Auch von dem Plotinschüler Amelius ist eine diesbezügliche Lehrmeinung überliefert. Syrianus schreibt in seinem Metaphysikkommentar (zu Aristoteles, Metaphysik 1984 a7): „Es sagen aber in Bezug auf dieses diejenigen, welche die Unendlichkeit der platonischen Ideen vertreten, dass die sinnliche Welt (αἰσθητὸς κόσμος) nicht alle Ideen (εἴδη) zugleich aufnimmt. Einige von ihnen aber sagen, dass nicht einmal innerhalb einer unendlichen 12 Dass Origenes hier so umstandslos platonisierend einen noetischen κόσμος von einem wahrnehmbaren κόσμος unterscheidet, ist bemerkenswert, denn an anderer Stelle scheint er sich davon zu distanzieren, vgl. z. B. Princ. II 3,6; II 9,3 und die umsichtige Diskussion dieser Stellen bei Köckert 2009, 259–262. Boys-Stones 2011 meint, dass für Origenes der Sohn die absolut einfache paradigmatische Ursache sei; erst der spontane und mit freiem Willen geschehene Abfall der Intellekte erzeuge die Vielfalt der Welt: Es sind die gefallenen νόες, die das Abbild des Sohnes als Vielfalt wahrnehmen, es sind die Beziehungen der vielfältigen Intellekte, welche das einfache Paradigma als vielfältig erscheinen lassen. Diese Deutung übersieht wichtige Belege bei Origenes: Der intellegible κόσμος in der lebendigen Weisheit ist in sich vielfältig. Gleichwohl besteht das von Boys-Stones aufgeworfene Problem. Wenn man hier nicht eine – durchaus mögliche – Inkohärenz bei Origenes postulieren will (Origenes diskutiert Fragen und schlägt mögliche Lösungen vor), so bleibt nur die Überlegung, dass Gott in seiner Weisheit die spontan erzeugte Vielfalt der Welt vorherbedacht hat, vielleicht sogar im Sinne eines Überschusses: Gott kann sich mehr Vielfalt denken, als tatsächlich durch die spontanen Bewegungen der abgefallenen νόες entsteht. 13 S. Reale 2004, 92 f.
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Zeitspanne der Kosmos die Abbilder aller Ideen-Ursachen aufnehme. Dieses sagt nämlich der Plotinschüler Amelius (oder: Amelius und seine Schüler) in jugendlichem Leichtsinn.“14
– Dass Origenes die platonische Ideenlehre nicht nur evoziert, sondern sich auch näher mit deren konzeptionellen Details beschäftigt hat, legt auch eine weitere Passage nahe. Im 5. Buch des Johanneskommentars beschäftigt sich Origenes mit der Vielheit der Worte. Er zitiert die Warnung von Prov 10,19 vor den vielen Worten (πολυλογία). Betrifft diese Warnung auch diejenigen, welche die heilsame Wahrheit lehren (Philocalia 5,3)? Origenes verknüpft die Frage mit dem platonischen (prinzipientheoretischen) Problem von Einheit und Vielheit. So schreibt er in Philocalia 5,4: „Der gesamte Logos Gottes, der am Anfang bei Gott war, ist nicht Vielheit von Worten (πολυλογία), er ist nicht einzelne Worte (λόγοι). Denn er ist ein Logos, der aus vielen Ideen (theorêmata) besteht, wobei eine jede Idee Teil des Gesamtlogos ist.“15
Alle λόγοι außerhalb dieses λόγος, so fährt Origenes fort, sind niemals der λόγος, sondern immer nur Einzel-Logoi – selbst wenn sie von der Wahrheit handeln. Denn nirgendwo ist da eine Monas und das Übereinstimmende und das Eine (οὐδαμοῦ γὰρ ἡ μονὰς, καὶ οὐδαμοῦ τὸ σύμφωνον καὶ ἓν), sondern das Eine ist unter ihnen verschwunden, weil sie miteinander im Streite liegen „und sie wurden Zahlen und vielleicht unendlich viele Zahlen“, d. h. sie lösen sich in eine möglicherweise unendliche Vielheit auf.16 Daraus ergibt sich für Origenes: Wer die (theologische) Wahrheit ausspricht, sagt immer nur ein Wort, wer dagegen außerhalb der Wahrheit steht, viele Worte. Wenn man also die πολυλογία auf die Lehren bezieht und nicht auf das Artikulieren einer großen Anzahl von Worten, so kann man sagen, dass auch die biblischen Bücher eigentlich nur ein Buch bilden, während die anderen viele sind. Es ist der Logos, der mit dem Heiland identisch ist, der das Buch der Bibel schließt und öffnet (Jes 22,22; Offb 3,7). Wichtig ist hier, wie Origenes auf die Einheit des platonischen Ideenkosmos rekurriert, um das exegetische / theologische Problem zu lösen, wie sich Einheit der Wahrheit und Vielheit der Worte über die Wahrheit vereinbaren lassen. Die Einheit des Ideenkosmos wird mit Begriffen wie μονάς, ἕν sowie τὸ σύμφωνον
14 Syrianus, In Metaphysica Commentaria 147,2–6 Kroll. Vgl. auch Seneca, ep. 58,18; Simplikios, In Phys. 503,10 ff. Diels (ich danke Jens Halfwassen für die Hinweise). Möglicherweise wird hier eine Tradition greifbar, die sich von Plato selbst und der Alten Akademie herleitet, s. Halfwassen 2016, 125–128. 15 Vgl. Cels. V 22: λόγοι ὄντες ὡς ἐν ὅλῳ μέρη ἢ ὡς ἐν γένει εἴδη τοῦ ἐν ἀρχῇ λόγου πρὸς τὸν θεόν; V 39: Logos = Vollkommenheit (ἀρετή) aller Vollkommenheiten, Vernunft aller Vernünfte in den Geschöpfen; In Cant. 6,13 (256 Brésard): Christum ipsarum virtutum substantiam (ὑπόστασις?). 16 Syrianus, In Metaphysicam Commentaria 147,13–22 Kroll diskutiert die Unendlichkeit der noetischen Zahlen.
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umschrieben.17 Wenn Origenes die Einheit des Ideenkosmos betont, so greift er einen Gedanken auf, der sich schon bei Plato findet.18
2. Origenes ist nicht der erste christliche Philosoph, bei dem die Kenntnis oder sogar die Verwendung der mittelplatonischen Konzeption der Ideen als Gedanken Gottes festzustellen ist. So ist Justin diese Konzeption zumindest bekannt; ob Athenagoras sie kannte, ist unklar; Irenäus von Lyon kennt und verwendet sie.19 Blicken wir auf die spezifisch alexandrinische Tradition (und nehmen auch das Judentum in den Blick), so ist zunächst auf Philo von Alexandrien, De opificio mundi zu verweisen, einen der frühen und eindrücklichsten Belege für eine reflektierte Ausarbeitung und Verwendung dieser Konzeption. Charakteristisch für die philonische Konzeption des νοητὸς κόσμος (der erste Beleg für diese Junktur findet sich bei Philo) ist folgendes: 1. der Architektenvergleich (opif. 17–18)20; 2. der Akzent, dass die Ideen nicht einfach im Logos sind, sondern das Denken (λογισμός) des Logos selbst21; 3. die Selbstreflexion der Weisheit Gottes, die fähig ist, sich selbst zu sehen (Migr. Abr. 40 f.); 4. die Lebendigkeit der Ideenwelt.22 Keiner der Kirchenväter hat – nach ihren erhaltenen Texten zu urteilen – eine so ausgearbeitete Konzeption der Ideenwelt wie Philo. Clemens von Alexandrien hat Philo gelesen und z. T. auch plagiiert23; bei ihm finden sich die Konzeptionen der Ideen als Gedanken Gottes (Strom. V 16,324; V 17 Vgl. Nicomachus von Gerasa apud Iamblichum, Theologoumena Arithmeticae 3.4 Falco; Moderatus von Gades apud Simplicium, In Aristot. Phys. Comm. 1,7 (225–233 Diels). Vgl. auch das ἕν Plotins. 18 Plat. Tim. 31 a–b. In gewissem Sinne ist der Ideenkosmos das Eine-Alles der zweiten Hypothese des Parmenides, s. Plat. Parm. 145 c5. 19 Justin, 1 Apol. 64,5; Irenäus von Lyon, Adv. haer. IV 20,1. Zu Athenagoras s. Löhr 2009, 374. 20 Blanc 1996, 403 meint, dass Orig. In Joh I 114 den Architektenvergleich von Philo übernimmt. 21 Opif. 19: „Man könnte sagen, dass die intelligible Welt nichts anderes ist als der Logos Gottes, der schon dabei ist, die Welt zu schaffen. Denn die intelligible Stadt (νοητὴ πόλις) ist nichts anderes als die Überlegung (λογισμός) des Baumeisters, der schon darüber nachdenkt, die Stadt zu erbauen.“ 22 Philo, Mut. nom. 267: „… das Wort αἰών bezeichnet das Leben des νοητὸς κόσμος …“. Vgl. Quod deus 32. 23 Runia 1993, 132–156. 24 „Die Idee ist ein Gedanke (ἐννόημα) Gottes, was die Barbaren den λόγος Gottes genannt haben.“ Zugespitzt gesagt erscheint hier die Logostheologie als barbarischer Platonismus. Vgl. dazu Löhr 2017.
Der platonische Ideenkosmos bei Origenes
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73,3). Er kombiniert die Ideen des νοητὸς κόσμος und der μονάς (Strom. IV 157; V 71,2.93,4). Die Annahme ist plausibel, dass Clemens sich prinzipientheoretisch grundsätzlich an den ersten beiden Hypothesen des platonischen Parmenides orientiert hat: Gott (der Vater) kann negativ-theologisch nach dem Entwurf der ersten Hypothese gedacht werden (Strom. V 81,5–82,1), während der Sohn (wie bei Origenes) das Eine-Viele der zweiten Hypothese aufnimmt (V 156,1–2).25 In charakteristischer Uneindeutigkeit kann Clemens Gott auch als den νοῦς, den Ort der Ideen (χώρα ἰδεῶν) bezeichnen26 und den Logos-Sohn auch jenseits der aus den Ideen bzw. den Engelwesen bestehenden intelligiblen Welt placieren (Strom. V 38,6 f.). Alain Le Boulluec hat darauf hingewiesen, dass dies nicht bedeutet, dass der Sohn jenseits des Intellektes ist. Dieser Rang ist vielmehr dem Vater vorbehalten, der – wie das Gute Platons – jenseits von Sein, Wahrheit und Wissen ist.27
3. Der besondere Akzent, den die Konzeption des Ideenkosmos bei Origenes gegenüber seinen jüdischen und christlichen Vorgängern gewinnt, besteht m. E. in der klaren Hypostasierung des Ideenkosmos. Origenes betont, dass der κόσμος νοητός bzw. der Logos seine Hypostase in der Weisheit hat. Warum? Hier ist auf In Joh I 125 zu verweisen. Dort notiert Origenes sein Erstaunen, dass es Christen gibt (die Identität dieser Christen wird von Origenes nicht näher spezifiziert), die oft von allen Christusprädikaten nur den Titel λόγος nennen, die anderen Prädikate aber verschweigen. Erwähnen sie die anderen Titel aber, so wird erklärt, dass diese τροπικῶς (d. h. im übertragenen Sinne) zu verstehen seien, das Prädikat λόγος aber κυρίως (d. h. im eigentlichen Sinne). Origenes hält diese Position für falsch (In Joh I 151.154). Er wirft die Frage auf, was es genau bedeutet, wenn der Sohn als λόγος bezeichnet wird. Er verweist auf Ps 44 (45),2 („Mein Herz hat einen guten Logos hervorgebracht“) als Hauptbeleg derjenigen, welche die Bezeichnung λόγος präferieren. Origenes charakterisiert die Position der Gegner folgendermaßen (In Joh I 151 f.): Sie glauben, dass in Ps 44 (45),2 der Logos eine Hervorbringung des Vaters ist (προφορὰν πατρικήν), die gleichsam aus Silben besteht (d. h. der Logos ist wie ein hervorgebrachtes Wort, er ist ein λόγος προφορικός28). Damit aber können sie nicht seine ὑπόστασις (Eigenexistenz) und auch nicht seine οὐσία aussagen. 25 Moreschini
2005, 118–121. der Kommentar von Le Boulluec 1981, 252 f. 27 Le Boulluec 1981, 161 f., mit Verweis auf Plat. Rep. VI 508 e–509 b; Clemens Alexandrinus, Strom. VII 1,2,2–3. 28 Zur christlichen Rezeption der Konzeption des λόγος προφορικός s. Löhr 2017. 26 Dazu
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In Joh I 152 legt Origenes noch einmal nach: Er fordert die Kontrahenten (d. h. die Vertreter einer christlichen Logostheologie) auf zu erklären, dass der Gott Logos ein solcher Logos ist, der an und für sich lebendig ist und dann entweder nicht vom Vater getrennt ist und deshalb wegen seines Nicht-Subsistierens auch nicht Sohn ist, oder dass er vom Vater getrennt ist und eine eigene οὐσία hat. Origenes bestreitet also in seinem Kommentar zum Johannesprolog die Privilegierung der Logosbezeichnung für den Sohn und kritisiert damit eine exklusive und einseitige Logostheologie. Für Origenes versteht sich die Bedeutung des Logosprädikates nicht von selbst, vielmehr bedarf dieses Prädikat genauso der Auslegung wie die anderen neutestamentlichen (bes. johanneischen) Christusprädikate. Darüber hinaus wendet sich Origenes – wie andere christliche und heidnische Philosophen – gegen ein Verständnis des göttlichen Logos als λόγος προφορικός.29 Vielmehr betont er, dass der aus dem Vater hervorgegangene Sohn eine eigene Hypostase und eine eigene οὐσία hat.30 Das logostheologische Modell war bereits vor Origenes in eine Krise geraten, denn es ließ wichtige Fragen unbeantwortet. Vor allem konnte es nicht plausibel darlegen, wie die distinkte Identität des Logos aussieht: Ist er ein Aspekt oder Attribut des Vaters oder ein eigenständiges Wesen? Damit verbunden blieb auch die Frage nach der Entstehung des Logos aus dem Vater umstritten sowie die Frage, ob man zwei Aspekte des Logos sinnvoll unterscheiden kann – den Logos im Vater (als Geist des Vaters) sowie den Hervorgang des Logos aus dem Vater. War der Logos nur ein Aspekt des Vaters, so konnte die christologische Differenz gegenüber dem Judentum nicht klar genug artikuliert werden. War er hingegen ein „anderer Gott“31 oder ein „zweiter Gott“32, so stellte sich nicht nur die Frage nach dem Monotheismus, sondern auch diejenige nach der Beziehung zwischen erster und zweiter Hypostase. Origenes konstruiert die Hypostasierung (man könnte geradezu und sachgemäß von einer ‚Reifizierung‘ reden) des präexistenten Sohnes in Absetzung von den vor ihm genügend und letztlich ergebnislos diskutierten Aporien der Logostheologie. Origenes rekurriert dabei philosophisch-prinzipientheoretisch auf die platonische Ideenwelt, exegetisch vor allem auf das Prädikat der σοφία. Origenes greift auf Lösungsansätze Philos von Alexandrien zurück, entwickelt diese aber weiter. Tertullian bietet im Westen fast gleichzeitig mit Origenes das Gegenstück: Er ‚reifiziert‘ die zweite Person der Trinität unter Rekurs auf eine stoisch-materialistische Konzeption des Logos als eines Geistkörpers.33 29 S. Löhr
2017. Origenes, In Joh I 151.243–244.292; II 74–76.215; XXXII 192–193; Princ. I 2,2; fr. 32 (Görgemanns / Karpp 1985, 784–786 = Athanasius, De decr. 27,1–2); Cels. VIII 12; Comm. Ser. in Mt. XVII 14 Klostermann; or. 15,1 etc. Siehe Hammerstaedt 1994, 1004–1008. 31 So Justin, Dial. 50,1.56,3 f.11 u. a. 32 Philo, Quaest. in Gen. II 62; Leg. alleg. III 207; Orig. Princ. I 3,5; Cels. VI 61. 33 S. Löhr 2017. Orig. Cels. VI 71 grenzt sich gegen eine derartige stoische Konzipierungsmöglichkeit explizit ab. 30 Vgl.
Der platonische Ideenkosmos bei Origenes
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Die platonische Konzeption der Ideenwelt bot folgende wichtige Elemente: – ein geistiges (noetisches) präexistierendes Wesen; – die Lebendigkeit dieses Wesens; – die kosmologische Funktion dieses Wesens; – den Gedanken einer innerlich vielfältigen Einheit. Das Christusprädikat σοφία hingegen bot folgende Elemente: – Durch Kombination von Prov 8,22 LXX und Jo 1,1 (eine auch nach moderner Exegese durchaus sachgemäße Intertextualität) ergibt sich, dass der Logos, der im Anfang ist (Jo 1,1) immer im Anfang (d. h. in seiner Hypostase) bleibt.34 – Die Vielfalt der Weisheit ergibt sich aus Eph 3,10 (πολυποίκιλος σοφία τοῦ θεοῦ). – Die Lebendigkeit und – sit venia verbo – ‚Hypostasizität‘ wird ebenfalls durch Prov 8,22 nahegelegt, wo die Weisheit selbst redet, u. a. über ihren eigenen Ursprung bei Gott (Prov 8,22: geschaffen, Prov 8,25: gezeugt). So schreibt Origenes in Homilia I in Psalmum LXXIII 4 (230 Perrone): „Ich kenne nämlich den Anfang (ἀρχή), von dem Gott ein jedes geschaffen hat, ich kenne diese ἀρχή nämlich als beseelt seiend und lebendig und sagend: „…“ (es folgt das Zitat von Prov 8,22).
Wie bekannt, rekurriert Origenes für die Frage der Entstehung der zweiten Hypostase aus der ersten Hypostase auf das Konzept einer ewigen Zeugung. Hier kann nicht diskutiert werden, ob sich das Konzept einer ewigen Zeugung schon bei Clemens von Alexandrien findet; die Belegstelle findet sich in seinem Kommentar zu Jo 1,1 in der lateinischen Übersetzung von Cassiodor35; sie ist – wie hier nicht ausführlich begründet werden kann – als Zeugnis nicht ganz unverdächtig. Wichtig für unseren Zusammenhang ist aber, dass bei Origenes die Konzeption der ewigen Zeugung des Sohnes als einer rein geistigen Zeugung mit der Konzeption der zweiten Hypostase als Ideenwelt zusammenhängt. Dies kann man an folgenden wichtigen Belegstellen für diese Konzeption zeigen: In Princ. I 2,2 verteidigt Origenes die ewige Zeugung der Weisheit aus dem Vater: Es gibt keinen Augenblick der ewigen Existenz Gottes, in dem er nicht die Weisheit hätte zeugen können oder wollen. Der Sohn ist somit absolut anfangslos: 34 Vgl. aber Orig. In Eph fr. I (234–235 Gregg): In Auslegung von Eph 1,1 fragt Origenes, ob und wie der Wille Gottes (θέλημα τοῦ θεοῦ) Christus zugeordnet werden kann; er vergleicht die Bezeichnungen mit θεοῦ δύναμις, θεοῦ σοφία: das θέλημα hätte ebenso wie diese die θεοῦ ὑπόστασις. Wenn aber einer einwenden würde, dass es sinnlos ist, das θέλημα τοῦ θεοῦ als wesenhaft (οὐσιῶσθαι) zu denken, so ist zu antworten, dass der Wille Gottes wie die Kraft, Weisheit, Logos Gottes in dem eingeborenen Logos οὐσιώμενος ist. 35 Ediert im Band III der Clemens Alexandrinus-Ausgabe von Stählin / Früchtel / Treu (210,1 ff.).
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„So muss man nun also glauben, dass die Weisheit außerhalb jeden Anfangs, der ausgesprochen oder gedacht werden könnte, ist. In diesem selbständigen Sein der Weisheit (die lateinische Übersetzung Rufins: in hac ipsa ergo sapientiae substantia)36 waren nun alle Kräfte und Gestaltungen für die künftige Schöpfung enthalten, sowohl für die primär seienden als auch die sekundär zufällig entstehenden Dinge, die durch die Kraft des Vorherwissens vorgeformt und angelegt waren. Weil also in der Weisheit gleichsam Skizzen und Vorbilder für die Geschöpfe lagen, sagt die Weisheit durch Salomo von sich selbst, sie sei geschaffen als Anfang der Wege Gottes, da sie nämlich in sich selbst Ursprünge, Pläne und Arten37 der ganzen Schöpfung enthält.“38
In Princ. I 4,3–4 (‚Über die Geschöpfe‘) argumentiert Origenes folgendermaßen: Die wohltätige, schöpferische und vorsehende Kraft ist immer in Gott aktiv. Man kann sich nicht vorstellen, dass sie einmal nicht aktiv war. Das aber heißt, dass es immer eine geschöpfliche Welt gab, an der sie sich betätigte. Diese ewige geschöpfliche Welt ist eine schwierige und sehr kontroverse theologische Frage. Origenes (Rufin?) schlägt eine Überlegung vor, die ohne Gefahr für die Frömmigkeit weiterhelfen kann: Gott hatte immer einen Sohn, der die Weisheit ist. „In dieser Weisheit, die immer beim Vater war, lag immer die Schöpfung vorgebildet und gestaltet, und es gab keine Zeit, da es nicht die Vorbilder der künftigen Dinge in der Weisheit gab.“39
D. h. die ewige Zeugung ist zunächst und vor allem eine ewige Schöpfung, die ermöglichen soll, Gott als ewig und notwendig fürsorglich und gut zu denken. Es ist in der Forschung bereits darauf hingewiesen worden40, dass dieses Argument bereits bei Philo von Alexandrien, De Providentia I 6–8 vorgebildet ist: Gott hat als Schöpfer immer gewirkt, denn die Ideen waren bei ihm seit Anbeginn. Die Betonung der neidlosen Güte des Schöpfers findet sich natürlich auch in Platos Timaios 29 e–30 b. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Origenes, In Joh II 18. Origenes hatte zuvor den Unterschied zwischen ὁ θεός und θεός dargelegt (In Joh II 13–15). Nur ὁ θεός ist der wahre Gott, die nach ihm geformten ‚Götter‘ (d. h. diejenigen Menschen, die durch die Teilhabe an der Kraft, Weisheit etc. des Gottessohnes geformt werden)41 sind nur Abbilder eines Archetyps. Dieser Archetyp, dieses ‚Urabbild‘ Gottes (in paradoxer Formulierung: ἡ ἀρχέτυπος εἰκών), das ist der Logos, der (Jo 1,3) immer bei Gott ist und nie damit aufhört, d. h. der in der ununterbrochenen Schau (ἀδιάλειπτος θέα) der Abgründe Gottes verharrt. Die ewige Zeugung ist hier ununterbrochene Kontemplation. 36 Die
griechische Vorlage dürfte ἐν αὐτῇ τῇ σοφίας ὑποστάσει o.ä. gelautet haben.
37 Die griechische Vorlage dürfte πάσης κτίσεως ἀρχαὶ καὶ λόγοι καὶ γένη o.ä. gelautet haben.
Princ. I 2,2 (übers. Görgemanns / Karpp 1985, 127). Princ. 1,4,4 (übers. Görgemanns / Karpp 1985, 191). 40 Görgemanns / Karpp 1985, 191, Anm. 7. 41 Vgl. Anm. 2 in Blanc 1996, 222 f. 38 Origenes, 39 Origenes,
Der platonische Ideenkosmos bei Origenes
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In Joh II 18 zeigt also, dass der Logossohn als den väterlichen Abgrund kontemplierender Nous zu denken ist. Der Vater aber ist laut Origenes (Princ. I 1,6) eine einfache geistige Natur (intellectualis natura simplex), er ist in jeder Hinsicht eine Einheit und Einsheit „sowie Vernunft und die Quelle, aus der jegliche geistige Natur, jede Vernunft, ihren Ursprung hat“ (sed ut sit ex omni parte monas, et ut dicam henas, et mens ac fons ex quo initium totius intellectualis naturae vel mentis est). Anders als Plotin bezeichnet Origenes also das oberste Prinzip / den Vater als mens; er bemüht sich in Princ. I 1 ganz wesentlich darum, den Vater als unkörperlich und damit geistig bzw. Geist zu charakterisieren. Vater und Sohn sind beide gleichermaßen Geist.42 Hier ist auch eine weitere Passage aus dem 5. Buch des Johanneskommentars anzuführen, die Pamphilus in seiner Apologie für Origenes zitiert. Dort erklärt Origenes, wie Christus der Sohn des Vaters von Natur aus und nicht durch Adoption ist. Origenes schreibt dort: „Also ist der eingeborene Gott, unser Erlöser, als einziger vom Vater der Natur nach gezeugt und nicht Sohn durch Adoption. Denn er ist aus dem Geist selbst des Vaters geboren wie der Wille aus dem Geist: Denn die göttliche Natur, d. h. diejenige des ungezeugten Vaters, ist nicht teilbar, so dass wir annehmen müssten, dass der Sohn durch Teilung oder Verringerung seiner Substanz gezeugt worden wäre. Aber bei Gott ist von einem Geist, Herzen oder Gedanken zu reden, der unerschütterlich besteht, der, indem er einen Keimling des Willens hervorbringt, zum Vater des Wortes gemacht wird. Dieses Wort, das im Schoße des Vaters ruht, kündigt den Gott an, den niemals jemand gesehen hat (Jo 1,18) und offenbart den Vater, den niemand erkannt hat wenn nicht allein er, denjenigen, die der Vater zu jenem gezogen hat (Mt 11,27).“43
Hier ist also der Vater (die erste Person der Trinität) wesentlich als Geist und Intelligenz, als nous bestimmt. Der Sohn geht aus diesem Vater hervor. Gelegentlich kann Origenes auch in Aufnahme von Plato, Staat 509 b sagen, dass er jenseits von Nous und Ousia ist (In Joh XIX 37; Cels VII 38; VI 64): An der letztgenannten Stelle schlägt er vor zu untersuchen (ζητητέον), „ob man ‚den Eingeborenen‘ und ‚Erstgeborenen aller Schöpfung‘ (Kol 1,15) als Wesen der Wesen (οὐσίαν … οὐσιῶν) und Idee der Ideen (ἰδέαν ἰδεῶν) und Ursprung (ἀρχήν) bezeichnen muss, seinen Vater und Gott aber als jenseits von all diesen steOrig. In Joh 1,283: Der Vater enthält in sich die θεωρήματα τῆς ἀληθείας. Apologie 106 (172 f. Amacker). Für die ewige Zeugung kann Origenes zum einen den Vergleich vom Licht, das unablässig den Lichtschein hervorbringt, anführen (vgl. Princ. I 2,5), zum anderen den vom Geist, der den Willen erzeugt. Der erste Vergleich will in Gottes würdiger Weise (man beachte den Topos des θεοπρεπές) die ewige Zeugung denken, die nicht mit der Zeugung bei Lebewesen wie Menschen und anderen Lebewesen zu vergleichen ist. Der zweite Vergleich (s. auch Princ. I 2,6) will verdeutlichen, dass das Hervorgehen des Sohnes in der Weise rein geistig zu verstehen ist, dass es nicht eine Teilung oder Verminderung der göttlichen Substanz bedeutet. Die Annahme, dass das Wollen aus dem ungeteilten und einfachen Geist hervorgeht, dürfte eine stoische Seelenlehre voraussetzen (s. die Ausführungen zur Willensfreiheit in Princ. III 1). 42 Vgl.
43 Pamphilus,
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hend.“44 Die platonisch-prinzipientheoretische Strukturierung der christlichen Theologie wird hier als Gegenstand einer ζήτησις, d. h. einer wissenschaftlichen Untersuchung, identifiziert. Man könnte sich fragen, ob die bei Origenes skizzierte prinzipientheoretische Position derjenigen des Numenius ähnlich ist: Ein erster Gott, der das absolute Sein und Nous ist45, der aber nur aktiv ist, wenn er unter Benutzung (ἐν προσχρήσει46) des zweiten Gottes sowie dieser unter Benutzung des dritten Gottes schafft.47
4. Schlussüberlegung Ist es sinnvoll, Origenes prinzipientheoretisch als Platoniker zu bezeichnen? Origenes rekurriert auf das platonische Konzept einer Ideenwelt, um bestimmte exegetisch-theologische Probleme seiner Christologie zu lösen: Es ging um die Frage, wie man den präexistenten Christus plausibel als eine eigenständige und unkörperliche Hypostase konstruieren kann. Hier war es hilfreich, das Modell der platonischen Ideenwelt als eines eigenständigen, unkörperlichen, transzendenten Lebewesens zu Hilfe zu nehmen. Diese Lösung grenzt sich implizit und explizit gegen vorausgegangene Logostheologien ab, knüpft aber gleichzeitig an einige der in diesen Logostheologien vorhandenen Lösungselemente an. Origenes ist ein theologischer Feinarbeiter. Zu diskutieren ist, wie bestimmend die platonisierende Hypostasenspekulation für die Theologie des Origenes insgesamt ist. Die Passagen, in denen sie greifbar wird, sind nicht sehr zahlreich und sie haben alle einen eher skizzierenden und andeutenden Charakter. Wird in diesen Passagen das eigentliche (eben: platonische) Gerüst der Theologie des Origenes sichtbar, ein Gerüst, das nirgendwo in den Vordergrund gestellt wird? Oder steht Origenes letztlich viel distanzierter zum Platonismus und belässt es bei suggestiven Anspielungen, die zeigen sollen, dass seine Theologie platonisch ‚anschlussfähig‘ ist? Der ‚Platonismus‘ des Origenes – wenn man von einem solchen reden will – scheint mir ziemlich präzise zum Übergang von Mittel‑ zum Neuplatonismus im 2. / 3. Jahrhundert zu passen; Origenes ist prinzipientheoretisch durchaus up to date im Hinblick auf den zeitgenössischen Schulplatonismus. Deutlich wird der Versuch, eine hierarchisch geordnete Prinzipientheorie zu skizzieren und letztlich nur ein oberstes Prinzip zuzulassen. Nunmehr muss die Prinzipientheorie auch erklären können, wie das zweite aus dem ersten Prinzip entsteht, ohne dass Cels. VI 64 (Übers. Barthold, leicht modifiziert). fr. 16 und 17 des Places. 46 Vgl. Philo, Leg. all. III 96; Quod deus 57. 47 Numenius, fr. 22 des Places. 44 Orig.
45 Numenius,
Der platonische Ideenkosmos bei Origenes
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die absolute Einfachheit und Unkörperlichkeit des ersten Prinzips dadurch in Frage gestellt wird. Zu beachten ist die trinitarisch-theologisch durchaus nicht unproblematische Hypostasierung der platonischen Ideenwelt. Origenes ist derjenige Theologe, der den Hypostasenbegriff in die Trinitätsspekulation einführt. Hier ergibt sich eine gewisse Parallele zum Plotin-Schüler Porphyrius, der die Prinzipienspekulation seines Meisters mit Hilfe des Hypostasenbegriffes zu strukturieren versucht.48 Origenes will mit der Einführung des Hypostasenbegriffes den Sohn als gegenüber dem Vater eigenständiges göttliches Wesen kennzeichnen. Arius, der in seiner Gotteslehre zweifellos Origenist war, hat die Unterschiedenheit der Hypostasen von Vater und Sohn dann noch stärker als Origenes betont.49 Es ist interessant, Irenäus von Lyon mit Origenes zu vergleichen: Origenes rekurriert auf eine Kombination von hypostasierter Ideenwelt und Kontemplation des Einen, Irenäus hingegen lehnt eine Hypostasierung des Denkens Gottes ab und entwirft antignostisch ein perichoretisches Modell der Nous-Hypostasen.50 Beide Modelle sind problematisch: Dasjenige des Origenes neigt durch die Postulierung einer Hypostasenverschiedenheit zum Subordinatianismus, dasjenige des Irenäus bleibt Skizze, kennt keinen wirklichen Logos-Hervorgang und beschränkt sich bei der Frage, wie der präexistente Sohn entsteht, auf negative Formulierungen bzw. auf den Verweis auf Jes 53,8.51 Beide aber, Origenes und Irenäus, scheinen ihren trinitarischen Gottesbegriff so konzeptualisieren zu wollen, dass er mit einem platonisierenden Begriff des lebendigen absoluten Geistes kompatibel bleibt. Beide präsentieren also geistmetaphysische Modelle. Den Impuls dazu verdanken sie nicht nur dem zeitgenössischen Platonismus, sondern auch christlich-gnostischen Vorgängern. In seiner großangelegten Archéologie du Sujet hat Alain de Libera festgestellt, dass es die Konzepte von Subjektität und Perichorese sind, die auch weiterhin die Geschichte des Subjektbegriffes bestimmen.52 D. h. aber, dass es genau dieses jüdische, christliche, gnostische, platonische geistmetaphysische Labor des 1.–3. Jahrhunderts ist, das heute noch für eine Archäologie des Subjekts interessant ist.
48 Hammerstaedt 1994, 994–996. Diese Parallelität ist suggestiv, auch wenn Hammerstaedt 1994, 1007 f. feststellen kann, dass bei Origenes an keiner Stelle eine Rezeption des neuplatonischen Hypostasenmodells festzustellen sei. S. auch Edwards 2002, 68.74–76. 49 Arius apud Athanasium, De synodis 15 (242,16 f. Opitz). Vgl. Porphyrius, Sent. 33 (37 Lamberz). 50 Irenäus von Lyon, Adv. haer. II 13,3–4. 51 Diese negative Theologie im Bezug auf den Hervorgang des Sohnes aus dem Vater findet sich auch nach Irenäus, z. B. bei Eusebius von Caesarea, s. Grillmeier 1979, 308. 52 A. de Libera, Archéologie du Sujet I–III (2007–2014).
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Platon und der Platonismus in Origenes’ Contra Celsum Andrea Villani Der apologetische Traktat Contra Celsum stellt einen besonderen Ausgangspunkt dar, um den Einfluss Platons und anderer Platoniker auf Origenes zu untersuchen, da sich der alexandrinische Theologe in diesem Werk vor die Aufgabe gestellt sieht, einen Vertreter des sogenannten Mittelplatonismus1 zu widerlegen.2 Kelsos hatte in seinem ca. 180 n. Chr. verfassten Alethes Logos die erste uns belegte scharfe Kritik gegen die Christen vorgelegt. Das Christentum – dies ist sein Hauptvorwurf – habe mit der alten Tradition der Weisheit (d. h. dem „wahren Logos“), die in vielen Völkern und bei den alten Weisen zu finden ist und in Platons Lehre ihren Höhepunkt erreicht hat, gebrochen, sie verdorben und wolle sie ganz ersetzen; das Christentum sei nichts anderes als eine moderne und gefährliche Ausartung. Wie Origenes selber zugibt, nimmt er sich dieser Aufgabe, die sein Mäzen Ambrosius ihm zugewiesen hatte – nämlich die antichristliche Schrift des Kelsos zu widerlegen –, nur widerwillig an3; nichtsdestotrotz nimmt er sie so ernst, dass daraus eine umfangreiche und detaillierte Apologie in acht Büchern entsteht, in der Origenes’ gesamtes Fachwissen in jedem Bereich der klassischen Paideia äußerst deutlich und auf nahezu jeder Seite in Erscheinung tritt. Wie treffend 1 Die Frage nach der philosophischen Zugehörigkeit des Kelsos geht bis auf Origenes selbst zurück, der den Philosophen offensichtlich nicht kannte und ihn zunächst mit einem Epikureer der Zeit des Kaisers Hadrian, von dessen Existenz er Kenntnis hatte, identifizierte, um dann seine Hypothese selbst in Frage zu stellen, da die Andeutungen doch klar genug waren, den Autor des Alethes Logos als Platoniker einzuordnen. Aus der modernen Forschung, wo ein Konsens über eine (mittel)platonische Einstellung des Kelsos herrscht, sei verwiesen auf: Pichler 1980, 27–38; Frede 1994, 5191 f. (der präzisiert, Celsus sei „a Platonist in the anti-Aristotelian tradition like Numenius or Atticus“); Dillon 1996, 400 f.; Magris 1998 b, 230 f. (für eine Analyse der mittelplatonischen Themen, die Kelsos in seiner Schrift behandelt, siehe 232–238); Lona 2005, 42–50. Siehe aber auch Rizzi 2018, der eine Vordatierung der Schrift in die Zeit des Kaisers Hadrian vorschlägt und die interessante Hypothese aufstellt, dass Kelsos’ Epikureismus nicht als eine Angabe einer klaren philosophischen Richtung zu verstehen sei, sondern eher einer kulturellen Mode jener Zeit entspreche. (Ich danke dem Autor, der mir die noch unveröffentlichte Fassung seines Artikels zukommen ließ.) 2 Während dieser Beitrag sich exklusiv auf Contra Celsum fokussiert, bietet Theo Kobusch anhand besonders wichtiger Themen einen Gesamtüberblick über den Platonismus im Denken des Origenes (siehe S. 61–89). 3 Vgl. vor allem das Proömium des Werkes und dazu Monaci 2003, 189–193.
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geschrieben worden ist4, drückt Contra Celsum ein doppeltes Bewusstsein der Christen aus: einerseits das christliche Urteil über eine Kultur und Gesellschaft, deren Werte und Ideale platonische Philosophen artikuliert haben, andererseits das Selbstbild der kirchlichen Kultur und ihrer neuen Ideale der Gemeinschaft und Gesellschaft, welche die alten ersetzen sollen. In der Tat ist Origenes in der Lage – und möchte dies seinem Gegner mit einem zuweilen nur schlecht verhüllten Stolz auch zeigen –, sich auf derselben kulturellen Ebene des Kelsos zu bewegen und ihn sogar zu übertreffen. Im rhetorischen Bereich belehrt er z. B. seinen Gegner, wie eine Prosopopoiie richtig zu verfassen sei, da Kelsos dabei versagt habe, wie er immer wieder betont.5 Der Bereich aber, in dem sich die Fertigkeit des Origenes am klarsten zeigt, ist sicher die Philosophie. Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit in Alexandria und Caesarea unterrichtete Origenes auch Philosophie, als Propädeutik zur christlichen Lehre. Wenn man Gregor dem Wundertäter glauben kann6, war der Höhepunkt des origeneischen philosophischen Bildungsprogramms nach dem Studium der Logik / Dialektik, der Natur‑ und Moralphilosophie die Metaphysik bzw. die Theologie:7 Dafür wurden von Origenes Texte aus allen philosophischen Schulen, außer derjenigen der sogenannten Atheisten, d. h. der Epikureer, gelesen und kommentiert, in der Überzeugung, dass alle diese Schriften einige Wahrheitselemente enthielten, die zu einem besseren Verständnis der Bibel von Nutzen sein könnten (Or. pan. 13,153 f.). Ein solcher Bildungsweg, der eine allgemeine Auseinandersetzung mit allen philosophischen Lehren unter der sicheren Führung eines weisen Lehrers voraussetzt, würde die jungen und unerfahrenen Schüler vor dem Risiko bewahren, sich an eine zufällig angetroffene philosophische Schule zu binden (14,163), und sie mit einer angemessenen Urteilsfähigkeit ausstatten.8 4 O’Leary 5 Für
2011, 195. eine Analyse dieses polemischen Verfahrens erlaube ich mir, auf Villani 2011 zu ver-
weisen. 6 Text und Übersetzung der ihm traditionell zugeschriebenen Dankrede an Origenes sind zu lesen in Guyot / Klein 1996. Das Problem der Autorschaft kann hier übergangen werden. Zur Bestimmung des Inhalts des Unterrichts des Origenes sollte auch dessen Brief an Gregor herangezogen werden, wo er das Programm einer christlichen Ausbildung darlegt: Auch dort nimmt die pagane Philosophie eine propädeutische Rolle am Anfang eines Weges ein, der zum korrekten Verständnis der heiligen Schriften hinführt. Durch die philosophischen Lehren, die immer begrenzt anzuwenden und nicht als selbständiges Ziel zu sehen sind, verschafft sich der Schüler eine kulturelle und methodische Grundlage, die er dann in dem Umfang anwenden soll, wie sie für die Theologie und die Erforschung der Bibel nützlich sind. Eine Analyse dieses Briefes findet man in Pereira 2011, 234–244. 7 Zum philosophischen Charakter des origeneischen Theologiebegriffs und zur Identifizierung der christlichen Lehre mit der „wahren Philosophie“ siehe Kobusch in diesem Band, S. 63 f. 8 Zur origeneischen Schule in Alexandria siehe die Synthese von Le Boulluec 2003, 602–608, wo sowohl Origenes’ philosophische Ausbildung als auch seine philosophische Lehrtätigkeit beschrieben werden. In Anschluss an Le Boulluec beschreibt Fürst 2014 die Schule von Origenes in Alexandria als eine „freie, von Christen verschiedener Richtungen und Nichtchristen […] besuchte Schule in der Art der kaiserzeitlichen Philosophenschulen, in der Origenes in Fort-
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1. Platon in Contra Celsum 1.1 Platon in der polemischen Strategie des Origenes gegen Kelsos Contra Celsum bestätigt einerseits den aus Gregors Schrift gewonnenen Eindruck, dass Origenes eine philosophische Ausbildung für die Christen als notwendig erachtete (so z. B. in Cels. III 58), da sie als „Übungsfeld für die Seele“ auf die „göttliche Weisheit“ hinzielt (Cels. VI 13); andererseits belegt die Schrift auch, dass Origenes selber sich mit verschiedenen philosophischen Lehren gut auskannte und bei Bedarf davon Gebrauch machte. Platon ist in Cels. einer der meisterwähnten heidnischen Autoren, und viele seiner Schriften werden hier zitiert oder andeutungsweise evoziert.9 Das geschieht oft nur als Reaktion auf Kelsos’ Argumente, wenn diese Platon anführen:10 In manchen solcher Fälle wird Platon als ein Mittel der oben beschriebenen polemischen Strategie benutzt, um Kelsos in dessen eigenem Fachbereich zu korrigieren und ihn somit als inkompetent darzustellen. So wird z. B. in Cels. IV 62 eine Stelle aus Kelsos’ Schrift mit einem Zitat aus Platons Theaitetos (176 a) angeführt, die Origenes mit einem anderen Zitat aus dem Timaios (22 d) richtigstellen möchte und sich dabei erstens als korrekter Interpret Platons vorstellt und zweitens seinen Gegner verspottet und als ‚unphilosophisch‘ disqualifiziert („Und er scheint mir nicht einmal Platon genau verstanden zu haben, er, der es unternimmt, die Wahrheit in dieser einen Schrift ganz zu umfassen, und seinem Buch gegen uns den Titel ‚Wahre Lehre‘ gibt […] dies sagen wir im Anschluss an Platon, weil …“).11 Mit einer solchen Strategie beabsichtigte Origenes, Kelsos’ intellektuelle Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen und so dessen gesamtes Unterfangen scheitern zu lassen: Kelsos war als traditionsbewusster Philosoph angetreten – und wenn er gerade bei seinen philosophischen Ansprüchen delegitimiert wird, dann wird auch die Wucht seines Angriffs gegen das Christentum bis in ihre Grundfesten erschüttert.
setzung des Wirkens von Pantaenus und Clemens […], kostenlos […] christliche Philosophie unterrichtete […] und dabei auch Heiden für das Christentum gewann“ (464). Ähnlich wird auch Origenes’ Unterfangen in Caesarea als eine Schule beschrieben, „deren Zweck nicht Mission war […], sondern in der er wie in Alexandria christliche Philosophie unterrichtete“ (469). Zu Inhalt und Methode des origeneischen Bildungsprogramms siehe auch Jacobsen 2012, 148–152 und Georges 2015, 138–148. 9 Romaniuk 1961 hat die Stellen aus Leg., Phaed., Phaedr. und Rep. aufgelistet und sie in echte Zitate, Andeutungen und implizite Zitate untergliedert. 10 Platon ist für Kelsos eine wahre philosophische Autorität: s. Frede 1994, 5198 f. 11 Diese sowie alle im Folgenden zitierten Übersetzungen aus Cels. stammen aus Fiedrowicz / Barthold 2011–2012 (Übersetzung von Claudia Barthold). Ein ähnliches polemisches Verfahren kommt auch in VI 8 und 12 vor.
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1.2 Origenes’ Urteil über Platon Origenes’ Urteil über Platon ist aber viel nuancierter als das aus den vorherigen Stellen skizzierte Bild. Wenn auch in Contra Celsum die polemischen Bedürfnisse immer im Vordergrund bleiben, lassen doch einige Aspekte wenn nicht gerade eine gewisse Nähe, so zumindest eine nicht komplette Unvereinbarkeit der Positionen von Origenes und Kelsos durchblicken. Origenes ist nämlich prinzipiell bereit, Lehren zu würdigen, die ihm als richtig erscheinen, auch wenn sie nicht aus einer christlichen Feder stammen – dies ist zumindest in der Auseinandersetzung mit Kelsos der Fall, während z. B. in den Homilien sein Urteil über die Philosophie viel gröber ausfällt.12 Manchmal sagt er auch explizit, dass Christen und Philosophen „einige gemeinsame Positionen“ vertreten.13 So gesteht Origenes in Cels. mehrmals, dass einige platonische Ideen gute Lehren seien, denen gegenüber er nichts einzuwenden habe. Das sechste Buch bezeugt äußerst klar eine solche Haltung, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen sollen. Dort widerlegt Origenes einen Teil von Kelsos’ Alethes Logos, in dem dieser den Philosophen Platon und die heilige Schrift verglichen hatte, um die Überlegenheit des ersteren zu beweisen. In Cels. VI 3 liest man z. B. nach einem Zitat aus Platons siebtem Brief (341 c–d): „Wenn wir diese Worte hören, so stimmen wir ihnen zu, da sie treffend sind, ‚denn Gott hat ihnen‘ diese und alle anderen treffend zum Ausdruck gebrachten Wahrheiten ‚offenbart‘“. Platon wird auf diese Weise ‚christianisiert‘, da seine Worte nicht auf seine eigenen Überlegungen, sondern auf eine Offenbarung Gottes zurückzuführen sind, andererseits wird damit aber auch deutlich, dass in Origenes’ Augen kein grundsätzlich unvereinbarer Gegensatz zwischen Platon und dessen Lehre und dem Christentum besteht. Dennoch wird Platon gleich darauf dafür kritisiert, dass er nicht die Konsequenz aus seinen Erkenntnissen gezogen und dementsprechend gehandelt habe, d. h. nicht die Idolatrie verlassen habe14, laut einem Motiv, das seinen Ursprung in Paulus hat.15 12 Vgl. Cels. VII 46: „Wir, die wir uns bemühen, keine treffenden Aussagen anzugreifen, auch wenn sie von Personen stammen, die außerhalb des Glaubens stehen, und es auf keinen Streit mit ihnen anlegen und nicht danach trachten, gesunde Ansichten umzustoßen …“ Für die Homilien vgl. z. B. Hom. Lev. VII 6: „… da es bei ihnen [scil. Philosophen und Häretikern] keine Weisheit gibt, die nicht mit einer gewissen Unreinheit vermischt ist“. 13 Siehe Cels. III 81: „Meine jedoch nicht, dass ich nicht in Einklang mit der christlichen Lehre handle, wenn ich mich gegen Celsus auf diejenigen berufen habe, die über die Unsterblichkeit oder das Fortleben der Seele philosophierten. Wir haben mit ihnen einige gemeinsame Positionen …“. Vgl. auch Cels. VII 59. 14 Cels. VI 3: „Aus diesem Grund erklären wir aber auch, dass diejenigen, die die wahre Erkenntnis von Gott gewonnen haben, jedoch Gott nicht so verehren, wie es dieser wahren Erkenntnis von ihm entspricht, den über die Sünder verhängten Strafen unterliegen.“ Vgl. auch Kobusch in diesem Band, S. 78, der von der „einseitigen Theorielastigkeit der platonischen Philosophie“ spricht, während es Origenes eigentlich nur um das Praktische geht. 15 Vgl. Röm 1,18–23: „Der Zorn Gottes enthüllt sich vom Himmel über jede Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit unterdrücken, da
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Nur wenige Seiten weiter, in Cels. VI 5 liest man: Beachte den Unterschied zwischen den treffenden Worten Platos über „das erste Gute“ und den Aussprüchen der Propheten über das Licht der Seligen. Sieh nämlich, dass die bei Plato befindliche Wahrheit über diesen Gegenstand die Leser nicht zur reinen und unverfälschten Gottesverehrung geführt hat, nicht einmal den Autor selbst, der so tiefe philosophische Erkenntnisse über ‚das erste Gute‘ dargelegt hat; die schlichte Sprache der göttlichen Schriften hingegen hat die echten Leser mit göttlicher Begeisterung erfüllt.
Wenn einerseits die zunächst äußerst positive Erwähnung von Platon sogleich mit der Überlegenheit der Propheten relativiert wird, lässt sich andererseits dennoch nicht bestreiten, dass laut Origenes es bei Platon Wahrheiten gibt, die von diesem mit treffenden Worten dargelegt worden sind. Der größte Unterschied liegt darin, dass Platons Lehre keine Wirkung außerhalb eines elitären Kreises von Gebildeten zu haben scheint, während die heilige Schrift trotz – oder vielleicht gerade wegen – ihrer schlichten Sprache eine positive Wirkung auf alle Menschen ausübt. Für Origenes kann also die platonische Philosophie „als eine respektable Theorie“ angesehen werden, „aber sie nützt nichts für das Leben“.16 Bei passender Gelegenheit verwendet Origenes auch in Bezug auf Platon das apologetische Argument, welches schon jüdische und christliche Autoren vor ihm entwickelt hatten17, nämlich dass Moses älter als die ganze griechische Weisheit sei, die in Platon ihren Höhepunkt gefunden hatte, und was älter ist, ist auch besser, da gerade Alter die Eigenschaft ist, die einer Lehre Glaubwürdigkeit verleiht.18 Damit verbunden ist die Idee der furta Graecorum oder der sogenannte Plagiatsvorwurf:19 Es waren die griechischen Philosophen oder Dichter, die auf die jüdischen Schriften zurückgriffen und ihre Lehren daraus entlehnten und ihnen nämlich das, was von Gott erkannt werden kann, offenbar ist; denn Gott hat es ihnen offenbart. Seine unsichtbare Wirklichkeit kann nämlich seit Erschaffung der Welt anhand der Geschöpfe durch die Vernunft klar erkannt werden, ebenso seine ewige Macht und Göttlichkeit, so dass sie unentschuldbar sind, weil sie Gott zwar erkannt, ihm aber nicht wie Gott Verehrung und Dank erwiesen haben, sondern in ihren Gedanken auf Nichtigkeiten verfielen und sich in ihrem unverständigen Herz Finsternis ausbreitete. Indem sie behaupteten, Weise zu sein, wurden sie zu Toren und vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit dem Abbild der Gestalt eines vergänglichen Menschen, von Vögeln, Vierfüßern und Gewürm.“ Die verschiedenen Verwendungen dieser paulinischen Stelle in Cels., die für Origenes den theologischen Status („le statut théologique“) der griechischen Philosophie bestimmt, hat O’Leary 2011, 198 f. kurz analysiert. Vgl. auch Reemts 1998, 126. 16 Kobusch 1987, 444. Die Gegenüberstellung von Theorie (Logos) und Praxis bildet eine strukturelle Thematik in Cels. wie von Perrone 2009, besonders 305–308, gezeigt wurde. 17 In der Tat begnügt sich Origenes, auf die Schriften seiner Vorgänger, nämlich Josephos, Contra Apionem und Tatian, Oratio ad Graecos, zu verweisen, ohne neue chronologische Argumente anzuführen: Cels. I 16 und IV 11. Für eine Geschichte der jüdischen, heidnischen und christlichen Anwendung dieses apologetischen Arguments in der Zeit vor Origenes vgl. Pilhofer 1990. 18 Zur origeneischen Verwendung eines solchen Arguments vgl. Droge 1989, 157–167 und Reemts 1998, 183–192. 19 Vgl. dazu Ackermann 1997, 63 f.
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nicht umgekehrt, wie von Kelsos behauptet wird.20 So bemüht sich Origenes z. B. in Cels. VI 18, nach einem von Kelsos angeführten Zitat aus dem zweiten Brief Platons (312 e–313 a), statt dieses zu widerlegen, zu beweisen, dass sich diese Idee schon bei den Propheten finde und gibt sogar zu verstehen – wenn auch in etwas kryptischer Form –, dass die Stelle einen Hinweis auf die Trinität verbergen könnte.21 Lässt man den Altersbeweis als Mittel der apologetischen Strategie des Origenes beiseite, zeigt diese Stelle auch noch, dass für den Christen Origenes einige platonische Aussagen mit seinem Glauben durchaus vereinbar sind. Um die Elemente, welche die bis hierher analysierten Stellen zum Vorschein gebracht haben, zusammenzufassen, kann man folgendes festhalten: Für Origenes steht fest, dass Platonismus und Christentum gemeinsame Lehren teilen. Diese Ähnlichkeiten stammen entweder aus einer Offenbarung Gottes oder aus der Abhängigkeit der griechischen Philosophen von Moses, gemäß dem chronologischen Argument. Somit hat Origenes – gestützt auf Röm 1,18–23 – der Philosophie der Griechen ein theologisches Gewicht verliehen, da deren Erkenntnisse eher als ein Geschenk Gottes als aus menschlicher Vernunft kommend anzusehen sind.22 Gleichzeitig wird aber immer wieder hervorgehoben, dass die Wahrheiten, die Platon erkannt hat, wirkungslos geblieben seien und nicht zu der nötigen Läuterung der religiösen Praxis geführt hätten; so sei eine Spaltung zwischen Theorie und Praxis entstanden, die nur das Christentum wieder schließen konnte. Eine letzte Stelle, die ein neues wichtiges Thema einführt, nämlich die Debatte über die Allegorie, soll hier genügen, um dieses erste Platonbild bei Origenes abzurunden. In einem Teil des vierten Buches23 möchte Origenes die biblischen Erzählungen der Schöpfung der Welt und des Menschen in den ersten Kapiteln der Genesis, welche Kelsos mit verachtendem Spott zusammengefasst hatte24, verteidigen, indem er dasselbe hermeneutische Verfahren für die Heilige Schrift beansprucht, das Kelsos für die Auslegung der griechischen Mythen verwendet, den Christen aber für die Bibelinterpretation abgesprochen hat, nämlich die 20 Unter den Mittelplatonikern hatte am deutlichsten der pythagoreisierende Numenios von Apameia orientalische oder barbarische Weisheitslehren in die griechische Philosophie einbezogen und sich damit die Wertschätzung des Origenes verdient, der ihn in Cels. oft zitiert und von seinen Lehren Gebrauch macht (I 15; IV 51 usw.; zum Verhältnis zwischen Origenes und Numenios siehe auch Somos 2000). Kelsos dagegen glaubte, dass Moses und die Propheten die griechische Philosophie korrumpiert (Cels. V 65) oder genauer gesagt Platon missverstanden hätten (z. B. VI 7.19). Siehe dazu auch Droge 1989, 159–161. 21 Für eine Analyse dieser Stelle siehe Crouzel 1962, 50 f., der im Übrigen bemerkt, dass auch Justin (Apol. I 60,7) und Klemens von Alexandria (Strom. V 103,1) eine Anspielung an die Trinität in der Stelle aus Platon gelesen hatten. 22 Vgl. O’Leary 2011, 199 und Reemts 1998, 126. 23 Vgl. Cels. IV 33–47. Eine Gesamtanalyse dieses Abschnittes der Apologie bietet Zambon 2015. 24 In Cels. IV 36 beschreibt Kelsos z. B. die Erzählungen von Gen 2 über die Schöpfung der Menschen und das Paradies als „ein Märchen wie für alte Frauen“.
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allegorische Deutung.25 An einer bedeutenden Stelle in Cels. IV 39 liest man – bevor der Plagiatsvorwurf vorgebracht wird26 – die Betonung der Notwendigkeit, Platons Mythen philosophisch zu untersuchen, d. h. sie zu allegorisieren. Nach einem langen Zitat aus dem Symposium (203 b–e) über die Geburt des Eros, das Origenes wegen der Ähnlichkeit zwischen dem dort erwähnten „Garten des Zeus“ und dem „Garten Gottes“ von Gen 2,8 f. wiedergibt, schreibt er: Wenn nun die Leser dieser Rede die Böswilligkeit des Celsus nachahmen wollen – was Christen fern sein möge –, so werden sie sich über diesen Mythos lustig machen und den großen Plato mit Spott überziehen. Wenn sie aber die in das Gewand des Mythos gekleideten Inhalte nach Art von Philosophen untersuchen und die Absicht Platos entdecken können, so werden sie die Kunst bewundern, mit der er es verstand, philosophische Lehren, die ihm bedeutsam erschienen, für die große Masse im Gewand des Mythos zu verhüllen, dabei aber doch soviel als nötig für diejenigen zu sagen, die von den Mythen ausgehend die wahre Absicht des Verfassers zu entdecken wissen.
Gewiss ist auch hier Origenes’ Hauptanliegen apologetischer Natur: Der Beweis, Platon habe absichtlich allegorisiert, dient vor allem der Forderung der Christen, die Bibel allegorisch lesen zu dürfen. Es ist dennoch nicht weniger bemerkenswert, dass der Philosoph als „der große Platon“ beschrieben wird und vor allem, dass ihm eine Verfassermethode zugeschrieben wird, die Origenes woanders27 dem Logos – als dem Autor der Heiligen Schrift – zurechnet. Um die Legitimität der allegorischen Auslegung der Heiligen Schrift zu rechtfertigen, bietet Origenes seinem Leser eine stark konzentrierte Abhandlung über korrekte Hermeneutik, die gegen eine rein wörtliche Auslegung gerichtet ist.28 Er geht von der Annahme aus, dass der Verfasser einer mythischen Erzählung – sei es Platon, sei es, wie im Fall der Bibel, der Heilige Geist– gerade diese narrative Form ausgewählt hat, 25 Besonders deutlich formuliert Origenes seine Forderung in IV 38: „Ist es allein den Griechen gestattet, philosophische Gedanken in verhüllter Form darzulegen, ebenso den Ägyptern und allen fremdländischen Völkern, die sich auf ihre Mysterien und die darin enthaltene Wahrheit etwas einbilden?“ Zur Ansicht des Kelsos über die christliche Allegorese siehe auch Zambon 2015, 214 f. 26 Origenes stellt dennoch das apologetische Argument der furta Graecorum hier nur als eine der möglichen Hypothesen dar (vgl. Reemts 1998, 187). 27 Vgl. Princ. IV 2,9. 28 Siehe dazu Zambon 2015, 211 und Ramelli 2016, 99. Mit Verweis auf verschiedene Stellen aus Origenes’ Traktat über biblische Hermeneutik in Princ. IV 1–3 behauptet Ramelli 2016, 96: „Here and elsewhere, Origen applies the terminology of philosophical investigation to exegesis because for him scriptural allegoresis, no less than the allegoresis of Plato’s dialogues, is part of philosophy (as allegoresis of myths was for the Stoics).“ Diese allgemeine Position von Ramelli, die auch Grundeinstellungen origeneischer Hermeneutik auf den Einfluss Platons zurückführt, scheint mir aber dem Risiko nicht zu entgehen, die Spannung zwischen den philosophischen und den rein biblischen Aspekten des Denkens von Origenes – was gerade das Interesse an seiner Figur weckt – zu verkennen: vgl. O’Leary 2011, 24.30 („Nous discernerons des tensions encore irrésolues entre les versants biblique et platonicien de l’esprit origénien“) und 50. Allerdings untersucht Ramelli auch Origenes’ ‚Richtigstellungen‘ („corrections“) angesichts der Bibel von Platons protologischen und eschatologischen Mythen (101–104).
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um besonders wichtige Lehren zu verhüllen, und dass deren wahrer Sinn nur mit einer gründlicheren Erforschung aufgedeckt werden kann. Es ist dann die Aufgabe der Philosophen, die wahre Absicht (βούλημα) des Verfassers herauszufinden, indem man mithilfe der Allegorie über die wörtliche Bedeutung des Textes hinausgeht und dessen tiefere Bedeutung zum Vorschein bringt.29 Ohne damit behaupten zu wollen, dass Platon in Origenes’ Augen ein inspirierter Autor im Sinne der biblischen Verfasser sei30, verdient doch die Parallelität der hermeneutischen Prinzipien, durch die Platon und die Bibel richtig auszulegen sind, als eine klare Anerkennung der philosophischen Qualität des heidnischen Autors angesehen zu werden.31 Darüber hinaus wird aus dieser Stelle ersichtlich, dass Philosophen (die Origenes mit Respekt behandelt, da sie „ihr Leben der Erforschung der Wahrheit geweiht haben“, Cels. IV 30) und Bibelexegeten („Menschen, die ihr ganzes Leben der von Jesus geforderten ‚Erforschung der Schriften‘ [Jo 5,39] gewidmet und angestrengt daran gearbeitet haben, die Intention [βούλημα] der heiligen Schriften zu untersuchen“, Cels. VI 37), dieselbe Aufgabe zu erfüllen haben und im Grunde auch dasselbe Lebensziel haben, nämlich die Erkenntnis Gottes zu erlangen und die Angleichung an ihn zu verwirklichen.32
2. Der Platonismus in Contra Celsum Die bislang zitierten Stellen erlauben uns, Origenes’ allgemeine Haltung gegenüber Platon und einigen seiner Lehren zu erfassen; es handelt sich dabei um eine differenzierte Position, die zwischen akzeptablen Theorien und deren abzulehnenden praktischen Folgen unterscheidet. Die Passagen sagen aber noch nichts über den konkreten Einfluss Platons auf das Denken des Origenes aus, der nur durch die Präsenz spezifisch platonischer Themen oder deren Überarbeitung in den Schriften des Origenes nachzuprüfen ist. Man wird wohl kaum bestreiten dürfen, dass Origenes „die platonische Opposition zwischen unsichtbarem Sein, 29 Mit sehr ähnlichen Worten drückt sich Origenes in Cels. I 42 im Hinblick auf die Evangeliengeschichte über Jesus aus: „… um darzulegen, dass für die Leser verständiges Urteil, eingehende Prüfung und, um es so zu nennen, ein Zugang zur Intention (βούλημα) der Schriftsteller nötig ist, um herauszufinden, mit welchem (tieferen) Sinn jede Aussage abgefasst ist“. 30 Kelsos nennt dagegen „göttlich inspiriert“ einige platonische Aussagen aus den Briefen und dem Phaidros (vgl. Cels. VI 17). 31 Vgl. Crouzel 1962, 79 f. und vor allem Ramelli 2016, 95–100, die die Meinung vertritt, dass die Neigung des Origenes, protologische sowie eschatologische Themen nur allegorisch auszulegen, gerade aus einer Beeinflussung durch Platon entstand, der dieselben Themen nicht mit spekulativen Abhandlungen, sondern nur anhand von mythologischen Erzählungen besprochen hatte („Both Plato and Scripture spoke mythically, that is, symbolically of protology and eschatology, which exceed historical experience“, 99). 32 Zur Bedeutung der ὁμοίωσις θεῷ für Origenes (und seiner Abhängigkeit von der platonischen Tradition) vgl. Theo Kobusch in diesem Band, § 5.
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Wahrheit und Wissen versus sichtbarem Werden, Irrtum und Meinen bzw. Glauben“33 rezipiert.34 Das grundlegende Auslegungsschema der zwiegespaltenen Welt, das zwischen einer himmlischen und einer irdischen Ebene oder zwischen Vorbild und Abbild unterscheidet, das seine ganze Theologie bestimmt, verdankt Origenes der Philosophie Platons.35 Auch eine Reihe anderer origeneischer Motive, wie z. B. die Unsterblichkeit der Seele, die Idee der magischen Wirkung der Götternamen, die Quantität der Übel in der Welt oder die sehr umstrittene Lehre der Präexistenz der Seelen sind eindeutig platonischer Herkunft.36 Um dies beispielhaft zu veranschaulichen, werden wir nun ein Thema unter die Lupe nehmen, das besonders wichtig und repräsentativ für die platonische Tradition und deren Transformationen in der Antike sowie für die christliche Lehre ist, nämlich den Gottesbegriff mit all seinen verschiedenen Implikationen. Eine letzte Vorbemerkung sei noch erlaubt: Wie schon gezeigt, kennt Origenes Platons Schriften aus erster Hand und ist problemlos in der Lage, anhand von ihnen zu argumentieren. Wie schon vor ihm auch Kelsos bewegt er sich aber seiner Zeit gemäß in der Denkströmung des Mittelplatonismus37 oder an der Schwelle zwischen Mittel‑ und Neuplatonismus, wenn nicht sogar am allerersten Anfang des Neuplatonismus, wie die neueste Origenesforschung zu zeigen versucht38, und liest Platon also durch eine solche Brille, was einem christlichen Denker 33 Fürst 2014, 511, mit Verweis auf Cels. VII 45, mit der Parallele aus Plat. Rep. VI 506 b–509 b.
34 Anders Dörrie 1967, 49: „In der Schrift wider Kelsos erscheint Origenes nicht als Platoniker, sondern als entschiedener Gegner eines Platonikers“; oder 50: „Tatsächlich scheint sich Origenes’ Berührung mit dem Platonismus als peripher zu erweisen …“. In weiteren Beiträgen (z. B. Dörrie 1971) hat Dörrie verneint, dass der Platonismus, dessen religiöse Züge er besonders hervorgehoben hat, tatsächlich ins Christentum aufgenommen worden sei. Ganz im Gegenteil: „… die christliche Theologie darf, ja muß als Antithese zur Theologie des Platonismus begriffen werden“ (301), was zur Folge hatte, dass die Legitimität einer Wendung wie „christlicher Platonismus“ widerlegt wurde. Stattdessen hat Dörrie vorgeschlagen, von einem „christlichen GegenPlatonismus“ zu sprechen (301 f.). Einen aktuelleren Versuch, Origenes als Antiplatoniker zu charakterisieren, hat Edwards 2002 unternommen. Dorival 2005, 825–827 hebt stoische statt platonische Einflüsse auf Origenes’ Denken hervor. 35 Vgl. Koch 1932, 201–205 und Crouzel 1962, 49. 36 Vgl. wieder Fürst 2014, 511 und Crouzel 1962, 50. Der Überblick über Origenes’ Platonismus von Ramelli 2017, besonders 2–5, dürfte wohl etwas zu weit gehen: Dass Origenes als Ziel hatte, einen ‚orthodoxen‘ christlichen Platonismus gegen die Häresien und den heidnischen Platonismus zu gründen (so auf S. 2), scheint mir eine nicht genug an seinen Texten begründete Hypothese zu sein. Angebrachter ist das Urteil von Fürst 2014, 522, der sonst durchaus geneigt ist, Platons Einflüsse auf Origenes hervorzuheben: „Origenes will ganz dezidiert kein Philosoph sein, sondern Exeget und Theologe, und ein solcher ist er auch, allerdings in einer überaus komplexen Verschränkung mit einer philosophischen Haltung und Denkweise.“ 37 Wie Magris 1998 a, 50, bemerkt, war gerade der Mittelplatonismus – der eine korrekte Auslegung platonischer Philosophie mithilfe der esoterischen Tradition der ungeschriebenen Lehren und auch der pythagoreischen sowie aristotelischen Philosophie bieten wollte – der philosophische Ansprechpartner aller religionsgeschichtlichen Bewegungen der Kaiserzeit. 38 Vgl. Fürst 2014, 561 f.: Origenes ist „nicht mehr nur auf dem Weg vom Mittel‑ zum Neuplatonismus, sondern liefert den ersten Entwurf eines neuplatonischen Systems“. Dagegen vertritt Di Pasquale Barbanti 2003, 137, die traditionellere Sicht, Origenes sei an der Spitze eines
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entspricht, dessen Interesse zweifellos theologisch ausgerichtet ist. In der Tat entwickelte der Mittelplatonismus dank der Hervorhebung der ungeschriebenen Lehren – welche die Theologie als Gotteslehre noch nicht ins Zentrum ihrer Spekulationen gestellt hatten, obwohl Platon das Wort θεολογία in die philosophische Sprache eingeführt hatte (Rep. II 379 a) – nun die Philosophie Platons in einer solchen Weise weiter, dass die Theologie in der spezifischen Form einer Prinzipienlehre als Gipfel der Philosophie betrachtet wurde.39 2.1 Der Gottesbegriff des Origenes Ein Thema, an dem Origenes sich als von den Überlegungen Platons und der Mittelplatoniker beeinflusst zeigt, ist die Frage nach dem Gottesbegriff 40, die sich in der Auflistung der möglichen Prädikate Gottes, aber auch in den Gedanken zu dessen Transzendenz, Erkenntnis sowie Unaussprechlichkeit ausdrückt – ein Thema, das ihm nicht nur von Kelsos aufgezwungen wurde, sondern das Origenes stets beschäftigte.41 In Cels. wird dieses Thema nicht in einem spezifischen Abschnitt systematisch erörtert, sondern kehrt – der Struktur des Werkes gemäß, das Kelsos’ Argumente Punkt für Punkt auswertet – an verschiedenen Stellen wieder, wo mehrere im ganzen Werk verstreute Gottesattribute sowie ‑qualitäten besprochen werden.42 a) Die wichtigsten Prädikate Gottes Bevor wir auf diese zwei Abschnitte näher eingehen, soll noch eine wichtige Stelle in Cels. IV 14 berücksichtigt werden, welche die für Origenes wichtigsten Prädikate Gottes auflistet, die bei jeder weiteren Überlegung über ihn vorauszusetzen sind. In den vorherigen Kapiteln kritisiert Kelsos die jüdisch-christliche Idee eines in die Welt herabsteigenden Gottes oder Gottessohnes als „eine ganz abscheuliche Vorstellung“, die „keiner langen Widerlegung“ bedürfe (IV 2). Dennoch erklärt er dann weiter unten, wie sich eine solche Vorstellung widerlegen lässt, und tut dies nicht, indem er etwas Neues anführt, sondern mittels „seit langem anerkannten Thesen“, die er folgendermaßen zusammenfasst: „Gott ist sich transformierenden Mittelplatonismus zu sehen, der durch neupythagoreische und aristotelische Ansichten den Weg zum Neuplatonismus vorbereite, ihn aber noch nicht angetreten habe. 39 Vgl. Magris 1998 b, 230 f. 40 Edwards 2002, 55–61, versucht, die platonischen Einflüsse auf die origeneische Gottesauffassung zu verharmlosen. 41 Dies hat zurecht Reemts 1998, 123 f. beobachtet. Eine Gesamtanalyse des Transzendenzbegriffs und der damit verbundenen Ideen von Unaussprechlichkeit und Erkenntnis Gottes im Mittelplatonismus bietet Magris 1998 a, 54–63. 42 So wird z. B. Gott in Cels. V 37 als geschlechtslos und zeitlos (wie Platon, Parm. 141 a, in Bezug auf das Eine formuliert) beschrieben: Vgl. dazu Di Pasquale Barbanti 2003, 114 f. und Reemts 1998, 125 f., welche die Ähnlichkeiten, aber auch die Unterschiede zwischen der platonischen und der origeneischen Auffassung erhellen.
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gut, schön und glücklich und befindet sich im schönsten und besten Zustand“ (IV 14). Für diese Definition rekurriert Kelsos auf einige Aussagen zur Vollkommenheit und Unveränderlichkeit Gottes, die in mehreren Dialogen Platons vorkommen (Phaedr. 246 d–e; Rep. II 380 d–382 e; Phaed. 78 c u. a.), zu denen die Mittelplatoniker noch die Attribute der absoluten Transzendenz und Unfassbarkeit hinzugefügt haben (z. B. Apul. Plat. I 5,190). Darauf setzt Kelsos seine Argumentation mit einer ausführlicheren Erklärung der Unveränderlichkeit Gottes fort, welche durch den christlichen Gedanken des Herabsteigens Gottes gefährdet sei. Nach einem Hinweis auf seine vorangehende Erläuterung entgegnet Origenes seinem Widersacher, indem er betont, dass im Fall Gottes das Herabkommen keine Veränderung und keinen Zustandswandel impliziert: „Denn er bleibt unwandelbar in seinem Wesen und ‚steigt‘ durch seine Vorsehung und seinen Heilsplan auf die Ebene der menschlichen Verhältnisse ‚herab‘“ (IV 14), was unmittelbar danach durch Bibelzitate bekräftigt wird. Nach einer Kritik an der epikureischen und stoischen Gottesvorstellung beendet Origenes diesen Teil seiner Ausführungen mit einer eigenen Definition Gottes, welche durch ihre erkennbar platonische Prägung gleichzeitig ein implizites Bekenntnis seiner platonischen Zugehörigkeit darstellt: „Diese Philosophen [scil. Epikureer und Stoiker] haben es nämlich nicht vermocht, den Begriff der göttlichen Natur klar zu erfassen, die absolut unvergänglich, einfach, unzusammengesetzt und unteilbar ist“ (ebd.). Hier stimmt also Origenes, gegen die materialistischen Philosophenschulen, mit Kelsos und damit mit Platon überein.43 b) Zwischen Transzendenz, Erkenntnis und Unaussprechlichkeit Im sechsten und siebten Buch von Cels. liest man die ausführlichsten Gedanken des Kelsos und Origenes in Bezug auf Gott. In Cels. VI 62–69 entwickelt Kelsos zunächst, vom Gottesbild der Genesiserzählungen ausgehend, seine Idee der absoluten Transzendenz Gottes, welche eine „didaktische Vorbereitung des Lesers auf die höchste Lehre“44 bietet. Die Antwort des Origenes darauf unternimmt den schwierigen Versuch, die Transzendenz Gottes zu bewahren, ohne dass dadurch Gottes Hinwendung an die Menschen aufgehoben würde. In Cels. VII 42–45 entwickelt Kelsos seine Lehre von der Erkenntnis Gottes sowie von dessen Unaussprechlichkeit, die in Form einer „summa theologiae des Platonismus“45 entfaltet wird. Origenes’ Replik (46–52), welche die Schwierigkeiten der menschlichen Gotteserkenntnis anerkennt und bekräftigt, sie aber dennoch durch die Inkarnation überwindet, zeigt bestens, inwieweit sein Versuch möglich ist, Methode und Inhalte der griechischen Philosophie in die christliche Lehre zu übertragen und gleichzeitig dem religiösen Wahrheitsanspruch des Platonismus mit 43 Vgl.
zu dieser Definition Gottes Di Pasquale Barbanti 2003, 113 f. und Reemts 1998, 124 f. die Überschrift eines Absatzes von Dörrie 1967, 28, lautet. 45 Dörrie 1967, 28. 44 Wie
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Hilfe der Bibel und der konkreten christlichen Lebenspraxis entgegenzutreten. Wie zu erwarten, sind beide Abschnitte durch Zitate aus oder Andeutungen an Platon geprägt, die Kelsos in seiner Schrift einführte und Origenes in seinen Antworten zu würdigen oder kritisch auszuwerten weiß. Um das zu erfassen, sollen diese Stellen nun näher betrachtet werden. In Cels. V 65 kündigt Kelsos an, im folgenden Teil seiner Schrift die christliche Lehre vorzustellen, auch wenn er die Christen als ohne Grundlage (ἀρχή) für ihre Religion beschreibt. So wird in Cels. VI 1–21 das christliche Gedankengut als eine Reihe von falschen Interpretationen griechischer und besonders platonischer Lehren geschildert.46 Hier bedient sich Origenes für seine Antwort der bereits analysierten Argumente des Altersbeweises bzw. Plagiatsvorwurfs einerseits und des Vorwurfs der lebenspraktischen Wirkungslosigkeit des platonischen Lehrgebäudes andererseits. Auf diese Weise kann er den für richtig gehaltenen Vorstellungen Platons zustimmen, zugleich aber die christlichen Auffassungen als überlegen erscheinen lassen. Nach einem Abschnitt, in dem er einige orientalische, markionitische und gnostische Ideen ausführt (VI 22–48), kommt Kelsos auf die biblische Vorstellung der Weltschöpfung zu sprechen (49–64), was Origenes zu tiefergehenden Überlegungen zur Erkenntnis Gottes veranlasst (61–72). In VI 19 nimmt Kelsos mit einigen Stellen aus Platons Phaidros schon die Idee der absoluten Transzendenz Gottes vorweg, die in 61–65 vertieft behandelt wird.47 Hier geht es um das „wahrhaft seiende Wesen“, welches allein mit dem Verstand erfasst und nur durch negative Attribute beschrieben werden kann. Auf eine solche Vorstellung gestützt, kann Kelsos die vielen Anthropomorphismen des biblischen Gottes als eine lächerliche Herabwürdigung des göttlichen Wesens bezeichnen, wie er ab VI 61 in einer besonders zersetzenden Weise zeigt. Er vergleicht den Gott der Christen mit einem „schlechten Handwerker“, der „müde geworden“ sei und „eine Ruhepause, um sich zu erholen“ benötige, und kommentiert lehrerhaft dazu: „Es ist nicht erlaubt, dass der erste Gott ermüdet oder Handarbeit verrichtet oder Befehle erteilt“ (VI 61); Gott „besitzt weder Mund noch Stimme“ und „auch nichts anderes von dem, was wir kennen“ (62); „Er hat den Menschen auch nicht als sein Bild geschaffen; denn Gott ist nicht so beschaffen, noch gleicht er einer anderen Gestalt“ (63); fälschlicherweise behaupten die Christen – setzt Kelsos fort –, dass „Gott an Form oder Farbe“, „an Bewegung“48, oder „am Sein Anteil hat“49 (64); schließlich zieht er die un46 So kritisiert z. B. Kelsos in Cels. VI 7 die Christen, da „sie Plato missverstanden haben“ (ähnlich in VI 19). 47 Zitiert wird in diesem Kontext Phaedr. 247 c: „Den überhimmlischen Ort hat kein Dichter auf der Erde angemessen besungen, noch wird es je tun“; „Das wahrhaft seiende Wesen, farblos, gestaltlos und unberührbar, anschaubar allein für den Verstand (νοῦς), den Lenker der Seele, bei dem sich die Gattung des wahren Wissens findet, hat diesen Ort inne“. Dazu Reemts 1998, 127. 48 Die hier beschriebene Auffassung des Kelsos geht auf Plat. Phaedr. 247 c zurück. 49 Vgl. Plat. Rep. 509 b.
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ausweichliche Schlussfolgerung: „Gott ist auch durch das Wort (λόγος) nicht erreichbar“ und „Man kann ihm keinen Namen beilegen“ (65). Gegenüber einer solchen Konzentration (mittel)platonischer Theologie, die Gott als absolute Transzendenz nur durch negative Prädikate beschreibt, zeigt der Antwortversuch des Origenes eine schwierige Überlagerung von Platonismus und biblischer Lehre, aus welcher seine Absicht offensichtlich wird, ersteren aufrechterhalten, ohne letztere aufheben zu wollen.50 Zunächst wird das Problem der biblischen Anthropomorphismen mit dem üblichen Hinweis auf deren metaphorische bzw. übertragene Bedeutung gelöst (so in VI 61.64), die den geistigen Sinn ans Licht bringt (62). Danach unterzieht Origenes mehrere Argumente des Kelsos einer Differenzierungsanalyse51, die zwischen einer richtigen, annehmbaren und einer falschen, abzulehnenden Aussage unterscheidet (so in VI 62, bezüglich der Dinge, die wir kennen; 63, zum Mensch als Bild Gottes laut Gen 1,27; oder 65, zur Unmöglichkeit, Gott mit dem Logos zu erreichen, sowie zu der Möglichkeit, Gott Namen beizulegen). Besonders bei den Überlegungen von VI 65 über die Erreichbarkeit Gottes wird klar, auf welche Weise Origenes bemüht ist, den Platonismus durch die Bibellehre zu überwinden.52 Wenn auch die menschliche Vernunft (der menschliche Logos) Gott nicht erreichen kann, wie Kelsos richtig behauptet, so kann dennoch der Logos, von dem in Joh 1,1 die Rede ist (also der göttliche Logos), Gott, den Vater, erreichen und den Gläubigen weitervermitteln53 – in diesem Sinne hat Kelsos also Unrecht. Der erste Schritt des Erkenntniswegs muss also nach Origenes Gott überlassen sein, da der Mensch nicht in der Lage ist, ihn zu betreten. Gott aber, der kein passives Objekt menschlicher Erkenntnis ist, sondern aktives Subjekt eines solchen Annäherungsprozesses54, kann und möchte sich durch seinen Logos offenbaren und dadurch seine Attribute dem Menschen enthüllen. Wenn die origeneische Position zwischen der Unmöglichkeit oder Möglichkeit und Unaussprechlichkeit oder Aussprechlichkeit der Erkenntnis Gottes zu 50 Eine gründliche Analyse dieses Abschnittes von Cels., welche die vielen philosophischen Einzelheiten in Betracht zieht, die hier nicht behandelt werden können, bietet O’Leary 2011, 214–230. 51 Besonders klar drückt sich Origenes in VI 65 aus: „Wenn aber Celsus behauptet, dass ‚er [scil. Gott] auch durch das Wort nicht erreichbar ist‘, so nehme ich eine semantische Differenzierung vor“ (διαστέλλομαι τὸ σημαινόμενον). 52 Die von Origenes vorgeschlagene „semantische“ Differenzierung lautet: „Wenn er damit das Wort (λόγος) in uns meint, ob es nur gedacht (ἐνδιάθετος) oder auch ausgesprochen (προφορικός) wird, so werden auch wir erklären, dass ‚Gott durch das Wort nicht erreichbar ist‘. Wenn wir aber die Worte: ‚Im Anfang war der Logos, und der Logos war bei Gott, und Gott war der Logos‘ (Joh 1,1) verstanden haben, so erklären wir, dass für diesen ‚Logos Gott erreichbar‘ ist, indem er nicht von ihm allein erfasst wird, sondern von jedem, ‚dem er den Vater enthüllt‘ (vgl. Mt 11,27); somit werden wir die Aussage des Celsus: ‚Gott ist auch durch das Wort nicht erreichbar‘ als falsch beweisen.“ 53 In Cels. VI 68 f. erklärt Origenes genauer, wie die Fleischwerdung des Logos eine neue Erkenntnis Gottes ermöglicht hat. 54 Reemts 1998, 133.
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schwanken scheint, so muss man mit einer gewissen Spannung zwischen philosophischem und biblischem Element rechnen, der Origenes’ Denken nicht ganz entgeht. So wird die apophatische Theologie des Kelsos nur teilweise von Origenes akzeptiert55, und zwar nur in Bezug auf den Menschen, der nicht fähig ist, allein durch die begrenzte Kraft seiner Vernunft und seiner Sprache, Gott zu erfassen oder von ihm zu sprechen.56 Die platonische Struktur der Überlegung über die Transzendenz Gottes wird auf diese Weise in eine konkrete Auffassung der biblischen gnoseologischen Verhältnisse eingebunden und ihr untergeordnet. Gerade dann, wenn er die abstrakte Transzendenzauffassung der Mittelplatoniker auf die Konkretheit eines Vater-Sohn‑Verhältnisses zurückführt, verlässt Origenes die platonische Struktur und erweist sich als bibeltreuer Denker.57 Die Untersuchung eines letzten Abschnittes von Cels., und zwar VII 36–52 und besonders 42–45, wird die Darstellung der Gottesauffassung vervollständigen, welche in der Auseinandersetzung zwischen dem Platoniker Kelsos und dem Christen Origenes einen wichtigen Diskussionsgegenstand bildet.58 In VII 33 stellt Kelsos nochmals die Frage nach der Erkenntnis Gottes: Die Christen, sagt er, kehren „immer wieder zu derselben Frage zurück: ‚Wie sollen wir nun Gott erkennen und ihn sehen?‘“. Origenes versichert seinem Gegner, dass die Christen nicht mit den Sinnen, sondern mit dem Geist zur Gotteserkenntnis zu gelangen versuchen, dafür aber auf Gottes Hilfe angewiesen sind, da die menschliche Willensentscheidung nicht ausreichend ist. Daraufhin legt Kelsos den Christen eine weitere Frage in den Mund („Wie werden sie Gott erkennen, wenn sie ihn nicht durch sinnliche Wahrnehmung erfassen können? Wie ist eine Erkenntnis ohne Sinneswahrnehmung möglich?“, VII 36), um dann selbst die Antwort darauf vorzuschlagen: „Wenn ihr die Augen für die Sinneswahrnehmung schließt und mit dem Geist nach oben schaut, wenn ihr euch vom Fleisch abwendet und die Augen der Seele aufweckt, so werdet ihr auf diese Weise allein Gott sehen“ (ebd.). Zunächst kritisiert Origenes sehr ausführlich Kelsos’ kurze Prosopopoiie der Christen und unterrichtet ihn, wie man sie hätte korrekt verfassen sollen (36 f.)59; darauf folgt eine kurze, aber philosophisch bedeutende Definition Gottes („Da wir die Auffassung vertreten, dass der Gott des Universums Geist ist, oder jen-
55 So O’Leary 2011, 227: „Chez Origène, l’apophase est un stade qui est dépassé dans l’événement de la Révélation“. 56 Vgl. Di Pasquale Barbanti 2003, 119–121 und Reemts 1998, 129–132, welche behauptet: Origenes „versucht sowohl wesentliche Elemente des philosophischen Gottesbegriffs zu bewahren, als auch die biblisch bezeugte Nähe Gottes zur Welt und die Möglichkeit, ihn zur Sprache zu bringen, festzuhalten“ (131). 57 So O’Leary 2011, 223 f. 58 Eine ausführliche Untersuchung dieses Abschnittes hat Dörrie 1967 unternommen, mit dessen Position sich de Vogel 1983, 290–296, kritisch auseinandergesetzt hat. 59 Zur Kritik der Prosopopoiie des Kelsos vgl. Villani 2011, 274–277 sowie Villani 2008, 138–140.
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seits von Geist und Sein steht60 und einfach, unsichtbar und unkörperlich ist …“), die Origenes aber nur dazu braucht, um zu beweisen, dass die Christen „Gott mit nichts anderem erfassen als dem, was ‚nach dem Bild‘ jenes Geistes geschaffen ist“ (38). Daraufhin möchte Kelsos die Christen, obwohl er sie nur als eine „kleinmütige und körperliebende Menschensorte“ ansieht, belehren, wie sie Gott erkennen können (39). Um das zu tun, verweist er in VII 42 die Christen an Platon, den „noch fähigeren Lehrer im Bereich der Theologie“ und zitiert dazu eine berühmte Stelle aus dem Timaios (28 c), in der Platon schreibt: „Den Schöpfer und Vater dieses Universums zu finden, ist mühevoll, ihn aber allen sprachlich mitzuteilen, hat man ihn einmal gefunden, ist unmöglich“.61 Dann erläutert Kelsos die drei Wege, die eine solche Gotteserkenntnis erlauben. Diese erfolgt nämlich durch „Zusammenstellung (σύνθεσις) mit anderen Dingen oder durch Unterscheidung (ἀνάλυσις) von ihnen oder durch Vergleich (ἀναλογία) mit ihnen“ (42). Synthese, Analyse oder Analogie – drei gnoseologische Verfahren62, die auch von anderen Mittelplatonikern erwähnt werden – ermöglichen es also, „eine gewisse Vorstellung“ „von dem unbenennbaren und ersten Wesen“ zu bekommen.63 Origenes beurteilt Platons Stelle als „großartig“ oder zumindest „nicht verachtungswürdig“64, setzt ihr aber trotzdem unmittelbar danach die biblische Inkarnation des Logos entgegen, die einen neuen Annäherungsprozess zwischen Mensch und Gott eröffnet hat. Er geht sogar über Platon hinaus, indem er der menschlichen Natur jede Möglichkeit, Gott zu erkennen oder von ihm zu sprechen, abspricht, so wie es Platon in der ersten Hypothese des Parmenides in Bezug auf das Eine tut.65 Nur mit der Hilfe Gottes, d. h. mit seiner Gnade, ist der Mensch fähig, Gott zu erkennen: „Der Logos Gottes erklärt aber 60 Die
griechische Formulierung ἐπέκεινα νοῦ καὶ οὐσίας ist eine klare Anspielung auf Plat. Rep. 509 b. 61 Während Platon mit der Wendung „Schöpfer und Vater dieses Universums“ den Demiurg als Schöpfergott meinte, beziehen die Mittelplatoniker den Satz auf das erste Prinzip (vgl. z. B. Alkinoos, Didasc. 27; Atticus, fr. 15 des Places). Auch das Begriffspaar ἀκατονόμαστος und ἄρρητος, das im Text des Kelsos vorkommt, verweist auf ein mittelplatonisches Milieu, wo die zwei Adjektive als eine zusammengesetzte Verkürzung von Platons Stellen aus Timaios und dem Siebten Brief (341 c5, die auch Origenes in Cels. VI 3 mit Zustimmung erwähnt) verwendet wurden, wie Whittaker 1983 gezeigt hat (vgl. auch Magris 1998 a, 54 f.). Auch mehrere christliche Autoren zitieren die Stelle aus Tim. 28 c im Bezug auf den Gott der Bibel (z. B. Iust. Apol. II 10,6; Clem. Alex. Protr. 68 u. a.). 62 Für eine Analyse der drei Erkenntniswege siehe Crouzel 1962, 54 f. Eine Liste von Parallelstellen findet sich bei Fiedrowicz / Barthold 2012, 1266 Anm. 66. 63 Damit hat sich der Umschwung der negativen Theologie ins Positive vollzogen, wie Magris 1998 a, 56, bemerkt hat. 64 Bartholds Übersetzung als „bedeutsam“ scheint mir den Sinn des origeneischen οὐκ εὐκαταφρόνητος etwas zu verschieben. 65 Das Verhältnis der origeneischen Überlegungen zu den Hypothesen des platonischen Parmenides hat besonders Di Pasquale Barbanti 2003, 111–122, herausgearbeitet. Möglicherweise steht Plat. Parm. 142 a3 auch hinter der Idee, dass das höchste Prinzip ἀκατονόμαστος sei; dazu Whittaker 1983, 305 f.
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[…], dass Gott durch eine gewisse göttliche Gnade erkannt wird, die der Seele nicht ohne Gott zuteil wird, sondern mit einer Art göttlicher Einwirkung“ (44). Die Gotteserkenntnis kann nicht mit den von Kelsos vorgeschlagenen abstrakten philosophischen Methoden erreicht werden, sondern ist nur als Gabe von Gott selbst möglich. Bemerkenswert in diesem Kontext ist, dass Origenes die Idee der „göttlichen Einwirkung“ bzw. Inspiration (ἐνθουσιασμός), welche platonischen Ursprungs ist, gerade dort anwendet, wo er die christliche Position ausführt – ein weiterer Beweis der bewussten Verschmelzung philosophischer und christlicher Themen, die er hier unternimmt.66 Auch in diesem Abschnitt fehlt die Polemik gegen die Idolatrie der Philosophen nicht, die in einer sehr ironischen Weise beschrieben wird.67 Der Haltung der Philosophen, die nicht eine ihrem tiefen Denken entsprechende Lebensweise führen, setzt Origenes die der einfachen Christen gegenüber, welche besser als die Philosophen beten und so zum reinen Gottesbegriff gelangen können. Im Kapitel 45 liest man die Lehre des Kelsos, gemäß der zwei Wirklichkeitsbereiche, das Sinnliche und das Geistige, existieren, die mit der Gegenüberstellung von Begriffen wie Sein und Werden, Wahrheit und Irrtum, Wissen und Meinung erläutert werden. Dieser Unterricht in platonischer Theologie wird mit der Wiedergabe des Sonnengleichnisses aus Platons Politeia (506 b–509 b) vervollständigt. Die Antwort des Origenes entwickelt sich in mehreren Kapiteln (46–52): Sie fängt mit einem versöhnlichen Ton an, da der Christ seine Bereitschaft äußert, würdige Lehren zu akzeptieren68, und fährt mit der Behauptung fort, dass der Gott des Universums – anders als die elitären Platoniker denken – „sowohl den Glauben der einfachen Christen an ihn annimmt als auch die vernunftgemäße Verehrung der intelligenten Menschen“ (46). Etwas weiter unten erklärt Origenes, dass die Christen, welche ihre Seele reinigen, als Ziel haben, nicht nur auf verbaler Ebene ‚Sein vom Werden‘ zu trennen und ‚geistig Erkennbares vom Sichtbaren‘ und die ‚Wahrheit‘ mit dem ‚Sein‘ zu verbinden und ‚den mit dem Werden verbundenen Irrtum‘ in jeder Weise zu meiden, indem sie, wie sie es gelernt haben, nicht auf die Dinge aus dem Bereich des ‚Werdens‘ schauen, die das „Sichtbare“ und deswegen „Zeitliche“ darstellen, sondern auf das Höherwertige, ob man es ‚Sein‘ nennen will oder, weil es ‚geistig erkennbar‘ ist, ‚unsichtbar‘ oder, weil seine Natur außerhalb der Sinnwahrnehmung liegt, „nicht Sichtbares“. 66 Zur platonischen Idee der göttlichen Einwirkung (ἐνθουσιασμός) bei Origenes sowie zu den platonischen Reminiszenzen in der origeneischen Lehre von der Inspiration der heiligen Schrift siehe Perrone 2000, besonders 320 f.323 f. und Kobusch in diesem Band, S. 66, der bemerkt, dass bei Platon – nicht anders als bei Origenes – die Inspiration die göttliche Herkunft der Philosophie bezeichnet. 67 Vgl. Cels. VII 44: „Denn welcher vernünftige Mensch wird nicht über denjenigen lachen, der nach so vielen sublimen philosophischen Spekulationen über Gott oder die Götter zu den Götterbildern hinblickt und entweder an sie sein Gebet richtet oder es durch das Anschauen dieser Bilder zu dem geistig verstandenen Gott emporträgt, zu dem er, wie er sich vorstellt, vom Sichtbaren und vom … Symbolischen aus aufsteigen muss.“ 68 Vgl. den oben in Anm. 12 zitierten Text.
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Die Interpretation dieser Stelle hat die Origenesforscher sehr beschäftigt: Sie zeige entweder „die Weise, in der Origenes die platonische Metaphysik verarbeitet und in sein eigenes christliches Denken einverleibt hat“69; oder aber, dass Origenes nicht fähig ist, der platonischen Begrifflichkeit einen christlichen Charakter zu verleihen.70 In der Tat scheinen die Bereiche der philosophischen theoretischen Reflexion und der christlichen Lebenspraxis sich kaum zu berühren, wobei aber die Reinheit eines solchen Lebenswandels den Beweis bildet, dass die Christen einen wirkungsvollen Zugang zur geistigen Ebene haben (48). Plausibel erscheint auch die Idee, dass Origenes bewusst, nachdem er in VII 46 kurz seinem Gegner gezeigt hat, dass er durchaus auch platonisch argumentieren kann, auf die Lebenspraxis der Christen übergeht: Für ihn ist die Einheit des Lebens so wichtig, dass es ihm als unangebracht erscheint, nur metaphysisch zu reden, als ob die Ontologie eine selbständige Rolle spielen könnte.71 Es geht also nochmals um die Kritik der platonischen Spaltung zwischen Theorie und Praxis, die Origenes immer wieder bekämpft hat und die als eine Achse der Polemik des Christen gegen den Platonismus gesehen werden kann.72
Literaturverzeichnis Primärliteratur Gregor der Wundertäter. Dankrede an Origenes. Im Anhang: Der Brief des Origenes an Gregor den Wundertäter, hg. von Peter Guyot / Richard Klein (FC 24; Freiburg u. a.: Herder, 1996). Die ‚Wahre Lehre‘ des Kelsos. Übersetzt und erklärt von Horacio E. Lona (KfA.E 1; Freiburg u. a.: Herder, 2005). Origenes. Contra Celsum / Gegen Celsus. Band 1–5, eingel. und komm. von Michael Fiedrowicz, übers. von Claudia Barthold (FC 50/1–5; Freiburg u. a.: Herder, 2011–2012).
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Die Origeneis des Porphyrios* Ilinca Tanaseanu-Döbler Die Leitfrage des Colloquiums, das diesem Band zugrunde liegt – nämlich ob der christliche Theologe Origenes mit dem in neuplatonischen Texten erwähnten Kommilitonen Plotins identisch sein könnte –, ist in der Forschung vielfach diskutiert worden.1 In seinem Überblick über die verschiedenen Theorien seit dem 17. Jahrhundert hat Marco Zambon die grundsätzliche Problematik herausgestellt: Die Quellenbasis ist so dürftig und lückenhaft, dass alle vorgeschlagenen Konstellationen – von der Minimallösung eines Origenes und eines Ammonios bis zur Maximallösung mit zwei Origeneis und zwei Ammonioi – mit Plausibilitätserwägungen arbeiten und notwendigerweise hypothetisch bleiben müssen.2 Der vorliegende Beitrag macht sich dieses caveat zu eigen und blickt * Dieser Beitrag ist im Rahmen des Teilprojekts A 03 des an der Theologischen und der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen angesiedelten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion“ entstanden. 1 Ein gründlicher Überblick bei Zambon 2011. In der gegenwärtigen Forschung dominiert die am ausführlichsten von Weber 1962 vertretene These zweier unterschiedlicher Intellektueller mit dem Namen Origenes, eines paganen Neuplatonikers und eines christlichen Theologen. Webers Argumente fußen stark auf der Chronologie und der räumlichen Verortung, sodann auf den Diskrepanzen hinsichtlich der Schriftenzahl (1962, 18–25). Inhaltliche Diskrepanzen betreffen für ihn die Frage nach der Gewichtung und Kompatibilität von Christentum und Platonismus, den Umgang mit der bei Ammonios erlernten Philosophie und den Grad der Vertrautheit mit ihr, die Einstellung zu Aristoteles und den Stil (25–29 und 31–33). Für Weber ergibt sich sonst im streng inhaltlichen Sinne kein zwingendes Argument, zwei Origeneis anzunehmen, da beide schließlich den gleichen Lehrer gehabt hätten und Platon wie Homer schätzen (30 f.). Die Identitätstheorie wird in der neueren Forschung neben Böhm 2002 etwa von Ramelli 2009, die theologisch programmatisch die Kompatibilität von Christentum und Platonismus unterstreichen möchte, oder Digeser 2010 und 2012, 49 f. vertreten. Der Position von Digeser schließt sich Marx-Wolf 2016, 21 f. ohne Diskussion der Argumente und der Probleme an. Für die Maximallösung (zwei Origeneis und zwei Ammonioi) seien als Beispiel Dörrie 1976 a oder Edwards 2002, 54 f. angeführt. Edwards 2015 setzt sich mit den Argumenten von Böhm und Ramelli auseinander und bleibt letztlich bei der Maximallösung. Als Beispiel für eine Mittelposition sei hier noch Goulet 1977 erwähnt (zwei Origeneis, ein Ammonios, der aber nicht notwendigerweise tatsächlich den Christen unterrichtet hätte). 2 Zambon 2011, bes. 158. Er selbst favorisiert als wahrscheinlich die auf Goulet 1977 basierende Lösung zweier Origeneis, die von Porphyrios verwechselt und miteinander identifiziert worden wären (158–164).
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auf einen Ausschnitt aus der schmalen Quellenbasis: Porphyrios’ Äußerungen zu Origenes. Porphyrios ist eine der wichtigsten Quellen für die Rekonstruktion des Schülerkreises des Ammonios Sakkas (insbesondere durch seine Vita Plotini) sowie der platonischen Positionen des Plotin-Kommilitonen (in den bei Proklos erhaltenen Fragmenten aus seinem Timaioskommentar) und bietet in einem in Eusebios’ Kirchengeschichte erhaltenen Fragment eine pagane Sicht auf den christlichen Theologen Origenes. Die literarische Darstellung der Origeneis und ihrer geistigen Verortung in diesen Texten soll im folgenden im Fokus stehen, nicht die Fragen der Chronologie, die in den Beiträgen von Balbina Bäbler und Christoph Riedweg behandelt werden. Punktuell soll dort, wo in der Darstellung des Porphyrios Spannungen oder Konvergenzen zu gesicherten Werken des christlichen Theologen Origenes erkennbar werden, auch auf diese eingegangen werden.
1. Die Vita Plotini In der Lebensbeschreibung seines Lehrers skizziert Porphyrios das Netzwerk von Intellektuellen, in dem sich Plotin bewegt. Eine gewichtige Rolle spielt darin ein Origenes als Kommilitone Plotins und Lehrer Longins. Geprägt bzw. zusammengehalten ist das Netzwerk von dem Bezug auf eine schwer fassbare Lehrerfigur, Ammonios, als dessen Studenten Plotin, Origenes und Longin auftreten. Insofern legt sich zunächst ein Blick auf den Lehrer nahe, um die Origenes-Erwähnungen des Porphyrios zu kontextualisieren, bevor dann diese selbst betrachtet werden. Porphyrios’ Ziel ist es, in der Vita seinen Lehrer Plotin als Verkörperung der Philosophie schlechthin zu zeichnen.3 Dieses Idealbild soll als narrativ-protreptische Einführung in seine Edition des plotinischen Gesamtwerks dienen; die enge Verknüpfung zwischen Vita und Edition zeigt schon ihr vollständiger Titel: „Über das Leben Plotins und die Anordnung seiner Schriften“.4 Um Plotin als Idealphilosophen zu profilieren, greift er auch auf die Selbstinszenierung Plotins zurück. Zu dieser gehört, dass Plotin seine Abstammung und familiäre Genealogie bis auf eine skurrile Episode, die sein Anders-Sein unterstreichen könnte, den Schülern verschweigt, hingegen aber einen Bericht über seine philosophische Genealogie verbreitet, der die Begegnung mit dem Lehrer als Ergebnis einer langwierigen Suche darstellt.5 Ammonios erscheint in dieser Schilderung 3 Saffrey 1992, 55, schlägt vor, die Edition der Enneaden und die Vita als Gegenschlag gegen Jamblichs rivalisierende Philosophiekonzeption zu sehen. Die Vita steht sicherlich in einem Spannungsverhältnis zu Jamblichs De vita Pythagorica, auch wenn aus Mangel an chronologischen Hinweisen unklar bleiben muss, wer auf wen reagiert; siehe zu den verschiedenen Möglichkeiten Männlein-Robert 2016. 4 Auf die Bedeutung des Gesamttitels verweist Saffrey 1992, 31. 5 Vgl. Schott 2005, 295.
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als philosophischer „Insider-Tip“, der in der alexandrinischen Philosophenszene eine exzentrische Position einnimmt und scheinbar nicht zu den einschlägigen Namen gezählt wird.6 Wie Porphyrios berichtet: „Was er nun selbst von sich aus in den Gesprächen häufig erzählte, war folgendes. […] Im achtundzwanzigsten Jahr habe er [Plotin] sich auf die Philosophie gestürzt, und nachdem er bei denen eingeführt worden sei, die damals in Alexandrien in Ansehen standen, sei er aus ihrer Vorlesung bedrückt und tieftraurig herausgeschlichen, so sehr, dass er einem seiner Freunde erzählt habe, was er durchleide. Dieser aber habe gleich verstanden, was das Ansinnen seiner Seele war, und habe ihn zu Ammonios gebracht, den er noch nicht ausprobiert hatte. Als er nun eingetreten sei und Ammonios gehört habe, habe er zu seinem Freund gesagt: ‚Diesen habe ich die ganze Zeit gesucht!‘“7
Über den Unterricht des Ammonios, den Plotin elf Jahre lang besucht, erfahren wir bei Porphyrios nichts. Sowohl vom Inhalt als auch von den Methoden her bleibt dieser Unterricht eine black box, wird aber immer wieder als prägend für Plotin erwähnt. Durch ihn habe die Philosophie Plotin so sehr ergriffen, dass er die Philosophie der Perser und Inder autoptisch kennenzulernen strebte und sich deswegen dem Feldzug Kaiser Gordians III. anschloss.8 Die vielbesprochene Vereinbarung der drei Meisterschüler, die Lehre des Ammonios geheimzuhalten9, unterstreicht literarisch die Bedeutung, die dieser Lehre zugemessen wird, und umgibt sie mit einer Aura des Besonderen. Schließlich beschreibt Porphyrios Plotins Unterricht als direkt aus dem Unterricht bei Ammonios schöpfend und vom ammonianischen Geist geprägt.10 Insofern könnte man die literarische Stilisierung des Ammonios in der Vita Plotini als eine Chiffre beschreiben, die für das philosophisch „ganz Andere“,11 Unkonventionelle, Elitär-Esoterische steht und so das ebenfalls „ganz andere“ Charisma Plotins zu erklären vorgibt, ohne 6 So richtig Dörrie 1976 a, 326.330–332, der zudem darauf verweist, dass die Geheimhaltungsvereinbarung einen sehr kleinen inneren Schülerkreis impliziert. 7 V. Plot. 3: Ἃ μέντοι ἡμῖν αὐτὸς ἀφ’ ἑαυτοῦ ἐν ταῖς ὁμιλίαις πολλάκις διηγεῖτο, ἦν τοιαῦτα. […] Εἰκοστὸν δὲ καὶ ὄγδοον ἔτος αὐτὸν ἄγοντα ὁρμῆσαι ἐπὶ φιλοσοφίαν καὶ τοῖς τότε κατὰ τὴν Ἀλεξάνδρειαν εὐδοκιμοῦσι συσταθέντα κατιέναι ἐκ τῆς ἀκροάσεως αὐτῶν κατηφῆ καὶ λύπης πλήρη, ὡς καί τινι τῶν φίλων διηγεῖσθαι ἃ πάσχοι· τὸν δὲ συνέντα αὐτοῦ τῆς ψυχῆς τὸ βούλημα ἀπενέγκαι πρὸς Ἀμμώνιον, οὗ μηδέπω πεπείρατο. Τὸν δὲ εἰσελθόντα καὶ ἀκούσαντα φάναι πρὸς τὸν ἑταῖρον· τοῦτον ἐζήτουν. 8 V. Plot. 3: Καὶ ἀπ’ ἐκείνης τῆς ἡμέρας συνεχῶς τῷ Ἀμμωνίῳ παραμένοντα τοσαύτην ἕξιν ἐν φιλοσοφίᾳ κτήσασθαι, ὡς καὶ τῆς παρὰ τοῖς Πέρσαις ἐπιτηδευομένης πεῖραν λαβεῖν σπεῦσαι καὶ τῆς παρ’ Ἰνδοῖς κατορθουμένης („Und von jenem Tag an sei er ununterbrochen bei Ammonios geblieben und habe einen derartig starken philosophischen Habitus entwickelt, dass er eifrig bestrebt gewesen sei, auch die Philosophie, die bei den Persern praktiziert wird, aus eigener Erfahrung kennenzulernen und auch diejenige, die bei den Indern blüht“). Interessant ist, dass Porphyrios diese Information als autobiographische Rekonstruktion Plotins präsentiert. 9 V. Plot. 3. 10 V. Plot. 3. 11 Die Wendung wurde von Rudolf Otto für den unfassbaren, mysterienhaften Charakter des Numinosen geprägt; siehe Otto 2004, 28.33–36.
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es wirklich zu erklären.12 In Contra Christianos gibt Porphyrios durchaus auch konkretere Informationen, etwa zum religiösen Hintergrund und zur religiösen Biographie des Ammonios; diese werden hier ausgeblendet, so dass Ammonios nur als Chiffre für die Philosophie erscheint. Dies führt uns ein weiteres caveat vor Augen: nicht nur ist die Quellenbasis zu Ammonios und den beiden Origeneis dürftig, sondern es handelt sich zumindest bei den zeitnäheren Quellen (Origenes, Porphyrios, Eusebios) durchweg um Texte, die eigene literarische, philosophische und / oder religiöse Ziele verfolgen13, so dass Argumente e silentio unsicher werden. Wie wird nun die Chiffre Ammonios profiliert? Rekonstruktionen der Lehre des Ammonios führen in der Hauptsache einen Punkt ins Feld: die Harmonisierung von Platon mit Aristoteles, bzw. die weitergehende Synthese philosophischer, dichterischer und anderer Weisheitstraditionen.14 Gewonnen wird diese ‚Lehre‘ insbesondere aus der späteren, nur in einer Zusammenfassung und einzelnen Exzerpten bei Photios erhaltenen Schrift über die Vorsehung des Neuplatonikers Hierokles von Alexandrien, der Ammonios als Ausgangspunkt einer neuen, gereinigten Philosophie darstellt, mit Plotin und Origenes als seinen Nachfolgern.15 Damit steht Hierokles allein; andere neuplatonische Sukzessionsketten weisen Plotin diesen Rang zu; ebenso singulär ist seine Inklusion des Origenes in die Sukzessionskette.16 In der Vita Plotini spielt die Harmonie zwischen Platon und Aristoteles keine Rolle, auch wenn Plotin hier als versiert in stoischen und peripatetischen Lehren dargestellt und ihm eine gründliche Rezeption von Aristoteles’ Metaphysik attestiert wird; die im Seminar verwendete Literatur umfasst Kommentare (ὑπομνήματα) von Severus, Kronios, Numenios, Gaius, Atticus sowie peripatetische Kommentare, und einmal wird auch etwas von Longin vorgetragen und diskutiert. Porphyrios betont damit die Bandbreite des Unterrichtes, hebt aber zugleich hervor, dass Plotin zwar die Kommentare lesen lässt, aber selbst nicht einfach seine Lehre daraus bezieht, sondern „originell und besonders in seiner Betrachtung war und den Geist des Ammonios in die 12 Vgl. auch Goulet 1977, 495 (generell zu Ammonios); Brisson 1982, 70, der den unbestimmten und geheimnisvollen Charakter des Ammonios in der Vita Plotini festhält, ohne ihn weiter zu deuten, ebenso Urbano 2013, 70: „the shadowy figure of Ammonius“. 13 Beatrice 1992, 352 (besonders um Eusebios zu diskreditieren), ausführlich Verheyden 2011 zu Eusebios’ Agenda, Digeser 2012, 26 f und 47; Zambon 2011, 158, beide zu Eusebios und Porphyrios. 14 So etwa Dörrie 1976 b, 343–348, mit dem Akzent auf Ammonios’ Gottbegeistertheit und dem offenbarungsartigen Charakter seiner Lehre; Weber 1962, 52–64, Digeser 2012, 35–37. Der zweite Aspekt, den Forscher aus Nemesios von Emesa gewinnen, ist eine eigene Lösung des Problems der Verbindung Leib-Seele bzw. Körperliches-Geistiges (z. B. Dörrie 1976 a, 332–343; Digeser 2012, 37 f.). Zu den verschiedenen Rekonstruktionen der Lehre des Ammonios siehe Tanaseanu-Döbler 2013, 111–113 und 124 f. mit weiterer Literatur. 15 Photios, Bibliotheca, cod. 214, 173 a. 16 Siehe dazu Tanaseanu-Döbler 2017.
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kritische Diskussion einbrachte“.17 Eine programmatische Harmonisierung von Aristoteles und Platon lässt sich also in der literarischen Stilisierung Plotins und des Ammonios in der Vita Plotini nicht erkennen – man müsste umgekehrt auch nach den literarischen Absichten hinter Hierokles’ Präsentation des Ammonios fragen. Der einzige Punkt der Biographie Plotins, den Porphyrios eng mit dem Studium bei Ammonios verknüpft und der als Resultat dieses Unterrichtes erscheint, ist die Entschlossenheit, die Philosophie der Perser und Inder autoptisch kennenzulernen. Diese Verknüpfung legt für den Ammonios der Vita Plotini nahe, dass er diesen Kulturen im Unterricht ein bestimmtes Interesse entgegenbrachte.18 Dies würde sich gut in das im Mittelplatonismus verbreitete Interesse an ‚barbarischer‘, zumeist orientalischer, Weisheit einfügen.19 Interessant ist in diesem Zusammenhang eine knappe Notiz bei Proklos, auf die Heinrich Dörrie und Angelo Sodano aufmerksam machen. In einer doxographischen Passage wird Theodor von Asine mit einer Lehre vom Ursprung der Seele ausgehend von zwei Intellekten zitiert: „Denn so berichtet Theodoros von Asine, der die Lehrmeinung bei Porphyrios als eine Lehre persischer Herkunft gefunden hat, dies habe zumindest Antoninus, der Schüler des Ammonios, berichtet.“20 Dies wäre ein weiteres Indiz dafür, dass Schüler des Ammonios und damit auch dieser selbst in Verbindung mit barbarischen, hier eben ‚persischen‘, Lehren gebracht werden.21 Die von Porphyrios behauptete Indienbegeisterung Plotins hat das berühmteste zeitgenössische Pendant in Philostrats Apollonios-Vita, wo Indien als Ort der Weisheit par excellence dargestellt wird; im frühen 3. Jahrhundert schreibt der christliche syrische Literat und mittelplatonisch angehauchte Philosoph Bardaiṣan über die Begegnung mit einer indischen Gesandtschaft an Elagabal, von der Fragmente bei Porphyrios erhalten sind; auch dort ist Indien ein von den phi17 V. Plot. 14: ἴδιος ἦν καὶ ἐξηλλαγμένος ἐν τῇ θεωρίᾳ καὶ τὸν Ἀμμωνίου φέρων νοῦν ἐν ταῖς ἐξετάσεσιν. 18 Vgl. Dörrie 1976 a, 327–330, wenngleich übertrieben optimistisch hinsichtlich seiner Rekonstruktion von Plotins Beweggründen. Zu Versuchen, Ammonios als Buddhisten zu verstehen, siehe Dörrie 1976 a, 325. Digeser 2012, 40–42, präsentiert diese These vorsichtig als möglich, wenngleich nicht beweisbar. Angesichts dessen, dass keine zeitgenössische Quelle Ammonios als Inder präsentiert, halte ich die These trotz sicher gegebener Kulturkontakte zwischen Indien und dem Römischen Reich – und hier gerade zu Alexandrien als Handelsstadt – in der Kaiserzeit für unplausibel. 19 Cf. Chadwick 1966, 68; Dörrie 1976 a, 327 f; Becker 2015 b, 60–65. Zur Rezeption und Konstruktion „barbarischer Weisheit“ im Platonismus siehe Baltes 1999 und Jeck 2004, 59–142. Wichtige Beispiele wären Numenios oder die Chaldäischen Orakel, die mittelplatonische Philosophie als Ausfluss „chaldäischer“ Götternähe inszenieren. 20 Proklos, In Tim. II 154 Diehl: οὕτω γὰρ ὁ Ἀσιναῖος λέγει Θεόδωρος, εὑρὼν παρὰ τῷ Πορφυρίῳ τὴν δόξαν ὡς ἐκ Περσίδος ἥκουσαν· ταῦτα γοῦν Ἀντωνῖνον ἱστορῆσαι τὸν Ἀμμωνίου μαθητήν. Dazu Dörrie 1976 a, 357–360, Sodano 1964, VIIIf. 21 Dörrie 1976 a, 357.
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losophischen Brahmanen und Gymnosophisten geprägtes Land.22 Porphyrios’ Interesse an Indien geht über die Bardaiṣan-Rezeption hinaus; er erwähnt die eigene Beschäftigung mit den erwähnten Brahmanen und Gymnosophisten im Kontext der Frage, ob es einen einzigen Heilsweg für alle Menschen geben könne.23 Auch die Perser kommen in seinem Werk vor, wenngleich eher marginal.24 Porphyrios selbst interessiert sich also offensichtlich insbesondere für Indien und sammelt Quellen. Inwiefern das für Plotin zutrifft, ist nicht gesichert. Zwar legt ihm Porphyrios die Information über die orientalische Begeisterung und den Feldzug in der Vita als autobiographische Rekonstruktion in den Mund, aber in Plotins eigenen Schriften spielt der Topos der weisen Barbaren so gut wie keine Rolle; Inder und Perser werden in keiner Weise erwähnt.25 Mehrere Szenarien sind möglich: Entweder hat Plotin nach der missglückten IndienReise seine philosophischen Prioritäten neu geordnet, oder aber Porphyrios betont dieses jugendliche Interesse aus eigener Programmatik heraus, etwa um den jungen Plotin zumindest teilweise in die Nähe des jungen Pythagoras oder Apollonios zu rücken und damit einen Beitrag zu der Debatte um hellenische Philosophie versus barbarische Weisheit zu leisten.26 Schließlich ist seine Vita keine unschuldig-neutrale Biographie, sondern die Einleitung zu seiner Edition der Enneaden, die mit bestehenden Editionen um die Deutungsmacht über den Lehrer rivalisiert, und sie kann auch als Konkurrenzentwurf zu Jamblichs De vita Pythagorica gelesen werden, wo die Reisen des jungen Pythagoras zu den Quellen barbarischer Weisheit prominent figurieren.27 Fragt man nun nach dem christlichen Origenes und den barbarischen Völkern, insbesondere Indern und Persern, so fehlt dieser Topos der autoptischen orientalischen Weisheitssuche – seine gesamte geistige Formation bleibt auf Alexandrien zentriert. Stärker als bei Plotin lassen sich aber in seinen Werken Variationen der topischen Beschreibung Indiens als exotisches Land der Mirabilien und / oder Philosophen finden.28 So gibt er in seinem Matthäuskommentar als Hilfsmittel zur Auslegung von Mt 13,45 f. (das Himmelreich gleiche einem Kaufmann, der eine wertvolle Perle findet und alles dafür gibt) einen Exkurs zum Wesen der Perle, nach Informationen, die sich bei den „Steinkundigen“ finden 22 Bardaiṣan bei Porphyrios, De Styge, fr. 376F Smith und De abstinentia IV 17,3–10. Dazu Tanaseanu-Döbler 2015. 23 Für Porphyrios und Indien siehe O’Meara 1982, Lacrosse 2001, 83–85 sowie Johnson 2013, 282–286. 24 Stellen bei Johnson 2013, 264–266. 25 Vgl. Edwards 2006, 92 sowie Lacrosse 2001, der lediglich das von Porphyrios geschilderte Interesse an Indien als gesichert annimmt (83), obwohl er selbst das Fehlen jeglicher expliziter indischer Bezüge in den Enneaden notiert (91). 26 Vgl. Edwards 2006, 92 f, der bei Plotin einfach nur „ambition“ vermutet. 27 V. Pythag. 3–4 (13–19). Siehe Männlein-Robert 2016; cf. auch Saffrey 1992, 55. 28 Zu diesem dominanten Indienbild der Kaiserzeit und Spätantike siehe die Analyse von Parker 2008.
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ließen.29 Im Wesentlichen exzerpiert Origenes dort ein einziges Werk, welches in der Beschreibung der Perlenarten das Gewicht auf die indische Perle legt. In Contra Celsum werden die Inder und Perser im Kontext des Topos der weisen Barbaren von beiden Kontrahenten routiniert ins Feld geführt30 – eine besondere Wertschätzung dieser Kulturen im Vergleich zu anderen lässt sich allerdings für Origenes nicht heraushören. Mit diesem Befund ist der Christ Origenes im mittelplatonischen Mainstream, sehr nahe bei dem Befund, der in Porphyrios’ eigenen Schriften greifbar wird, eher weiter entfernt von Plotins Desinteresse. Nach der Erwähnung der Indienexpedition Plotins berichtet Porphyrios von einer später gebrochenen Geheimhaltungsvereinbarung dreier Ammoniosschüler; an dieser Stelle tritt der Plotin-Kommilitone Origenes erstmals in der Vita auf: „Herennius aber und Origenes und Plotin vereinbarten, keine von den Lehren des Ammonios zu enthüllen, welche ihnen in den Vorlesungen deutlich erklärt worden waren. So blieb Plotin dabei, zwar einige Interessierte zu unterrichten, aber die Lehren, die von Ammonios stammten, unausgesprochen zu bewahren. Als aber Herennius als erster die Vereinbarung brach, folgte Origenes Herennius, der ihm zuvorgekommen war; er schrieb aber nichts außer der Schrift „Über die daimones“ und unter Gallienus „Dass nur der König Schöpfer ist“. Plotin aber schrieb eine lange Zeit hindurch nichts, schöpfte aber für seinen Unterricht aus seinem Studium mit Ammonios. Und das hielt er so geschlagene zehn Jahre lang, indem er zwar einige Schüler unterrichtete, aber nichts schrieb.“31
Origenes erscheint hier als Teil eines Dreiergestirns, das als innerster Schülerzirkel des Ammonios stilisiert wird, der dessen Lehre empfängt.32 Damit wird Ammonios’ Lehre mit einer esoterischen Aura umgeben. Über Origenes er29 In Matth. X 7: Εὕρομεν οὖν παρὰ τοῖς περὶ λίθων πραγματευσαμένοις περὶ τῆς φύσεως τοῦ μαργαρίτου […]. 30 Z. B. Cels. I 14 (Kelsos führt Inder und Perser in einer Aufzählung verschiedener barbarischer Völker als Weisheitsträger auf); Cels. I 12 spricht Origenes davon, dass Inder und Perser wie andere weise barbarische Kulturen zwischen den der Masse zugänglichen Mythen und dem verborgenen Sinn, der nur Eliten zugänglich ist, unterscheiden); I 24 erwähnt Origenes die „kundigen unter den Magiern der Perser“ sowie die Brahmanen und Samanäer als Philosophen der Inder (ebenfalls im Kontext einer Aufzählung verschiedener barbarischer Kulturen); V 41 (Kelsos) und 44 (Origenes) über die Vergleichbarkeit der persischen und jüdischen Gottesverehrung. 31 V. Plot. 3: Ἐρεννίῳ δὲ καὶ Ὠριγένει καὶ Πλωτίνῳ συνθηκῶν γεγονυιῶν μηδὲν ἐκκαλύπτειν τῶν Ἀμμωνίου δογμάτων ἃ δὴ ἐν ταῖς ἀκροάσεσιν αὐτοῖς ἀνεκεκάθαρτο, ἔμενε καὶ ὁ Πλωτῖνος, συνὼν μέν τισι τῶν προσιόντων, τηρῶν δὲ ἀνέκπυστα τὰ παρὰ τοῦ Ἀμμωνίου δόγματα. Ἐρεννίου δὲ πρώτου τὰς συνθήκας παραβάντος, Ὠριγένης μὲν ἠκολούθει τῷ φθάσαντι Ἐρεννίῳ, ἔγραψε δὲ οὐδὲν πλὴν τὸ Περὶ τῶν δαιμόνων σύγγραμμα καὶ ἐπὶ Γαλιήνου Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς. Πλωτῖνος δὲ ἄχρι μὲν πολλοῦ γράφων οὐδὲν διετέλεσεν, ἐκ δὲ τῆς Ἀμμωνίου συνουσίας ποιούμενος τὰς διατριβάς· καὶ οὕτως ὅλων ἐτῶν δέκα διετέλεσε, συνὼν μέν τισι, γράφων δὲ οὐδέν. Zu dieser in der Forschung vieldiskutierten Vereinbarung siehe den Beitrag von Riedweg in diesem Band, ebenso Goulet-Cazé 1982, 257–261 zu verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten, Cheirlonneix 1992, O’Brien 1992 a. 32 An anderen Schülern des Ammonios wird noch ein Olympios in V. Plot. 10 erwähnt, der kurze Zeit bei Ammonios studiert, Plotin den ersten Rang geneidet und einen Schadenzauber gegen ihn durchgeführt hätte.
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fahren wir, dass er sich Herennius’ Bruch der Vereinbarung anschließt. In der Darstellung des Porphyrios betrifft dies zum einen die Themen des mündlichen Unterrichts (wie an der Verhaltensänderung Plotins abzulesen ist), zum anderen philosophische Veröffentlichungen. Porphyrios hält aber explizit fest, dass Origenes trotz des Bruchs der Vereinbarung nichts anderes als die zwei genannten Werke schreibt. Damit signalisiert er, dass der Schwerpunkt von Origenes’ ammonianischem Philosophieren eindeutig im Bereich der mündlichen Unterweisung liegt. Dadurch wird indirekt das Werk Plotins, dessen Ausgabe die Vita ja einführt, als die reichste und einschlägigste schriftliche Hinterlassenschaft des innersten ammonianischen Schülerkreises präsentiert. Die chronologischen Implikationen der Datierung des zweiten Werkes werden im Beitrag von Christoph Riedweg besprochen; die verschiedenen Szenarien sollen hier nicht noch einmal diskutiert werden. Für das literarische Bild des Origenes in der Vita Plotini sind die Titelerwähnungen insbesondere aufgrund der Thematik interessant, die sich gut in den Platonismus des 3. Jahrhunderts einfügt: Origenes schreibt über Dämonologie und die Verbindung von Prinzipienlehre und Demiurgie. Seine Position zu ersterem Thema lässt sich anhand von Fragmenten aus Porphyrios’ Timaioskommentar schärfer konturieren, die weiter unten besprochen werden. Der zweite Titel33 nimmt höchstwahrscheinlich Bezug auf den pseudoplatonischen Zweiten Brief mit den drei Königen34 sowie auf den platonischen Timaios mit dem Demiurgen als ποιητὴς καὶ πατήρ.35 Die Formulierung lässt vermuten, dass dort das erste Prinzip als ποιητής präsentiert wird, und zwar, wie Denis O’Brien zu Recht hervorhebt, als der einzige ποιητής.36 Wie in der Theologia Platonica des Proklos festgehalten wird, tendiert Origenes dazu, das höchste Prinzip – somit den „König“ – auf der Ebene des Seins und des Intellekts zu verorten und ein darüber stehendes überseiendes Eines im Sinne der ersten Hypothese des Parmenides abzulehnen37, wie ausführlich in dem Beitrag von Jens Halfwassen erörtert wird. Die Frage ist, wieviel sich aus dem Titel, 33 Zu den möglichen Bedeutungen dieses Titels und den divergierenden Interpretationslinien der Forschung vgl. Zambon 2011, 112, Anm. 10 und O’Brien 1992 b, 317–321. Edwards 2015, 88 verbindet die beiden Linien, indem er zwar die technisch-platonische Bedeutung von βασιλεύς im Titel liest, aber von einer „obvious sycophancy“ der Widmung der Schrift an Gallienus spricht. 34 Ep. 2, 312 e. 35 Tim. 28 c. 36 O’Brien 1992 b, 326 und 328. 37 Proklos, Theol. Plat. II 4; vgl. dazu die Rekonstruktion der origeneischen Position bei Saffrey / Westerink 1974, X–XIX oder Edwards 2015, 90–92 in Auseinandersetzung mit Böhm 2002. Eine andere Lesart schlägt Tarrant 2017 vor. Er liest die Proklosstelle so, dass Proklos letztlich unschlüssig ist, ob Origenes das Eine der ersten Hypothese als geeigneten Begriff für die Gottheit ablehne oder ob er insgesamt die Existenz einer unsagbaren und überseienden Gottheit bestreite. Diese Position vergleicht er mit dem anonymen Parmenideskommentar auf dem Turiner Palimpsest, für den er Origenes als einen möglichen Autor ansieht. Allerdings scheint mir Proklos’ Unsicherheit an dieser Stelle eher rhetorisch zu sein.
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der eine konkrete Gegenthese als Zielobjekt nahelegt, herauslesen lässt. Eine Möglichkeit wäre, ποιητής im Sinne des Timaios auf demiurgische Aktivität zu beziehen und die Verbindung des ersten Prinzips mit demiurgischer Tätigkeit als Kernanliegen der Schrift zu sehen. Es ergeben sich Interpretationen wie diejenige Ηeinrich Dörries, der das Werk als Replik auf Prinzipienlehren und Theologien versteht, die das erste Prinzip bzw. den ersten Gott von der Demiurgie grundsätzlich trennen wollen.38 Letzteres Denkmuster findet sich prominent bei Origenes’ Kommilitonen Plotin, ebenso aber schon auch bei Numenios, die beide, wie Dörrie zeigt, den Begriff „König“ für den höchsten, nicht schaffenden Gott bzw. das Eine verwenden.39 Insbesondere Plotin habe den Begriff zu einer wichtigen Metapher ausgebaut.40 Zu Recht verweist nun O’Brien dagegen darauf, dass diese Interpretation der Formulierung des Titels nicht vollständig gerecht wird, die nicht nur auf das ποιητής-Sein des Königs abhebt, sondern darauf, dass er der einzige ποιητής sei. Auch er sieht Plotin als Zielscheibe, allerdings aufgrund seiner abgestuften Hervorbringungstheorie. Bei Plotin werde das Eine zuweilen auch als ποιητής bezeichnet, wenngleich nicht als δημιουργός; dies sei also nicht der Streitpunkt, sondern vielmehr die Vorstellung, dass auch Intellekt und Seele in abgestufter Weise an der aktiven Produktion der Wirklichkeit beteiligt seien.41 Mit dieser Akzentuierung der Prinzipienlehre und Demiurgie stünde der Plotin-Kommilitone in einem ambivalenten Verhältnis zur Schöpfungslehre des Christen Origenes: insofern er auch das höchste Prinzip als demiurgisch tätig ansieht, wären die beiden auf einer Linie. Wenn aber mit O’Brien auch die ποιητής-Funktion ausschließlich auf das höchste Prinzip konzentriert würde, würde das letztlich zu Spannungen mit der Position des christlichen Theologen führen, der zwar am primären Schöpfersein des Vaters festhält, aber – vielleicht hier vergleichbar mit Plotin – auch dem Sohn Schöpfungstätigkeit zuschreibt 38 Dörrie
1976, 394 f. Dörrie 1976, 395: Der Titel richte sich „dem Wortlaut nach gegen Numenios […] der Sache nach […] gegen Plotin“. Saffrey / Westerink 1974, XII, bemerken ebenfalls die Nähe der durch den Titel anvisierten Gegenthese zu Numenios und Plotin. Beatrice 1992, 361 sieht das Werk als Origenes’ „philosophical testament“ an, gerichtet gegen Plotins Henologie; ihm folgt Böhm 2002, 23. Edwards 2006, 68 deutet en passant den Titel als Reaktion auf Plotin. Weitere Vertreter dieser Richtung bei O’Brien 1992 b, 327. Vgl. auch Tarrant 2017, 329–332, der Numenios bzw. Gnostiker und ihre Numeniosrezeption anvisiert sieht. 40 Zu Numenios: Dörrie 1976, 394; zu Plotin 396–405; vgl. auch Saffrey / Westerink 1974, XII und XXXVf zu Numenios, XLIII–XLIX zu Plotin. Allerdings ist angesichts der lediglich fragmentarisch erhaltenen Schriften des Numenios mehr Vorsicht geboten als bei Dörrie zu spüren ist. Wie Saffrey / Westerink 1974, XII festhalten, verwendet er die beiden Termini schon pointiert so, dass der erste Gott König, der zweite Schöpfer ist, was durchaus auf eine technischverfestigte Verwendung der Termini hindeuten könnte. 41 O’Brien 1992 b, 329–331. Die neue Interpretation von Tarrant 2017, 329–332, hebt wie Dörrie nur auf das ποιητής-Sein des Königs ab und berücksichtigt die von O’Brien zu Recht unterstrichene Einzigkeit dieser Schöpfungstätigkeit nicht. Insofern bleibt O’Briens Vorschlag die plausiblere Deutung. 39 Vgl.
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und letztlich auch den Geist in das Schöpfungswerk einzubeziehen scheint.42 Der Christ Origenes kennt die Stelle aus dem pseudoplatonischen Zweiten Brief: Kelsos führt sie an, um die Überlegenheit Platons zu demonstrieren, und Origenes setzt ihr verschiedene Bibelstellen entgegen, um die Überlegenheit der autoritativen Schriften der Christen zu beweisen.43 Auf den Inhalt der Platonstelle geht Origenes nicht explizit ein; die Passagen, die er ihr entgegensetzt, haben die Unerkennbarkeit des Vaters als Gegenstand und knüpfen somit nicht an die drei Könige an, sondern eher an die im Zweiten Brief im Anschluss daran thematisierte Suche der menschlichen Seele nach dem inkommensurablen König.44 Die zweite Erwähnung des Origenes in der Vita Plotini präsentiert eine kleine Vignette aus Plotins Schulleben: Origenes besucht den Unterricht seines Studienfreundes, den dieser daraufhin trotz der gegenteiligen Bitten seines Freundes abbricht, da es keine Freude mache, zu bereits Wissenden zu sprechen. In der gleichen Passage lässt Porphyrios Plotin den Ammonios‑ und Origenes-Schüler Longin als „Philologen, nicht Philosophen“ kategorisieren. Wie Irmgard Männlein-Robert notiert, wird damit Origenes von Porphyrios als ernstzunehmender Philosoph präsentiert, mit Longin gleichsam als Kontrastfolie.45 Diese Charakterisierung der beiden entspricht jener, die Porphyrios von Origenes und Longin als Kommentatoren des platonischen Timaios in den Exzerpten und Paraphrasen seines eigenen Kommentars gibt, die bei Proklos erhalten sind und weiter unten besprochen werden. Gerade als Philologe ist Longin für Porphyrios in der Vita durchaus wertvoll, wenn es darum geht, die breite Anerkennung Plotins zu belegen. So zitiert er das Proöm von Longins Schrift Περὶ τέλους, welche gegen Plotin und Amelios gerichtet ist, als Urteil „eines Mannes von höchster Berühmtheit und schärfstem kritischen Gespür“ (τοῦ ἐλλογιμωτάτου ἀνδρὸς καὶ ἐλεγκτικωτάτου).46 Diesem Zitat verdanken wir eine weitere Notiz über Origenes. Im Proöm teilt Longin die Philosophen seiner Zeit in zwei Gruppen ein: einerseits diejenigen, die ihre 42 Zu Origenes’ Schöpfungslehre siehe Bostock 1992, 258–260; vgl. auch Hengstermann 2009, 79–83. Die Spannung zwischen der im Titel des in der Vita Plotini erwähnten Origenes implizierten These und der Schöpfungslehre des christlichen Theologen notiert auch Edwards 2015, 92 f. 43 Contra Celsum VI 17 f.; Saffrey / Westerink 1974, XLI; O’Brien 1992 b, 323. Die Stelle hat eine christliche Rezeptionsgeschichte seit Justin, der sie als platonisches Missverständnis der Trinität in 1 Apol. 60,7 liest. Eine Zusammenstellung der christlichen Belege findet sich bei Dörrie 1976, 395 f; detaillierter bei Saffrey / Westerink 1974, XXXVII–XLIII. Vgl. auch Crouzel 1992, 415, der von einer strukturell parallelen Verwendung des Passus bei Origenes und Plotin spricht, aber bei Origenes eben im Kontext der christlichen Rezeption und durch Rückgriff auf die christliche Heilige Schrift; Edwards 2015, 93 konstatiert zu Recht eine polemische Note im Umgang des christlichen Exegeten mit dem platonischen Passus, die mit einer „eirenic“ Verwendung durch den Platoniker nicht harmoniere. 44 Ep. 2, 312 e–313 a. 45 V. Plot. 14. Männlein-Robert 2001, 148 f; vgl. auch insgesamt 142–150. Zur Juxtaposition Philologe-Philosoph in der griechischen Literatur siehe daneben auch die ausführliche Diskussion und historische Verortung von Pépin 1992. 46 V. Plot. 20.
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Lehre dezidiert auch für spätere Generationen schriftlich festhalten, andererseits diejenigen, die sich auf den mündlichen Unterricht beschränken.47 Während Plotin und Amelios zur ersten Gruppe gehören, zählten Ammonios und Origenes zu zweiten: „Zur zweiten Art gehören als Platoniker Ammonios und Origenes, bei denen wir am längsten studiert haben, Männer, die ihre Zeitgenossen hinsichtlich der intellektuellen Brillanz um ein beträchtliches Stück überragten, und auch Theodotos und Euboulos, die Diadochen in Athen. Denn auch wenn einige von ihnen etwas geschrieben haben, wie etwa Origenes das Werk „Über die Dämonen“ oder Euboulos „Über den Philebos und den Gorgias und die Gegenargumente des Aristoteles zu Platons Politeia“, so dürfte das doch wohl keine zuverlässige Grundlage sein, um sie zu denen zu zählen, die sich ausgiebig um ihre Darlegungen bemüht haben, da sie diese Art von Beschäftigung nebenbei betrieben und nicht in erster Linie ernsthaft danach strebten, zu schreiben.“48
Diese zweite Gruppe, die Longin um stoische und peripatetische Namen ergänzt, scheint also sehr wohl auch geschrieben zu haben, aber „nichts Fachliches, sondern Dichtungen und Lobreden, die sich auch noch heute gegen ihren Willen erhalten haben, denn sie hätten es sicherlich nicht begrüßt, durch solcherlei Bücher später bekannt zu werden, wo sie doch Abstand davon genommen hatten, ihre Gedankenwelt in ernsthafteren Schriften aufzubewahren.“49 Die Tatsache, dass Longin zwar die Schrift über die daimones nennt, nicht aber diejenige zur Prinzipienlehre und Demiurgie, ist so interpretiert worden, dass diese zur Abfassung von Περὶ τέλους (ca. 263) ihm nicht vorlag50 – möglich ist aber auch, dass hier lediglich ein Beispiel gegeben wird.51 Wie Irmgard Männlein-Robert fest47 V. Plot. 20: οἱ μὲν καὶ διὰ γραφῆς ἐπεχείρησαν τὰ δοκοῦντα σφίσι πραγματεύεσθαι καταλιπόντες τοῖς ἐπιγιγνομένοις τῆς παρ’ αὐτῶν ὠφελείας μετασχεῖν, οἱ δ’ ἀποχρῆναι σφίσιν ἡγήσαντο τοὺς συνόντας προβιβάζειν εἰς τὴν τῶν ἀρεσκόντων ἑαυτοῖς κατάληψιν. 48 V. Plot. 20: Τοῦ δὲ δευτέρου Πλατωνικοὶ μὲν Ἀμμώνιος καὶ Ὠριγένης, οἷς ἡμεῖς τὸ πλεῖστον τοῦ χρόνου προσεφοιτήσαμεν, ἀνδράσιν οὐκ ὀλίγῳ τῶν καθ’ ἑαυτοὺς εἰς σύνεσιν διενεγκοῦσιν, οἵ τε Ἀθήνησι διάδοχοι Θεόδοτος καὶ Εὔβουλος· καὶ γὰρ εἴ τι τούτων γέγραπταί τισιν, ὥσπερ Ὠριγένει μὲν τὸ Περὶ τῶν δαιμόνων, Εὐβούλῳ δὲ τὸ Περὶ τοῦ Φιλήβου καὶ τοῦ Γοργίου καὶ τῶν Ἀριστοτέλει πρὸς τὴν Πλάτωνος Πολιτείαν ἀντειρημένων, οὐκ ἐχέγγυα πρὸς τὸ μετὰ τῶν ἐξειργασμένων τὸν λόγον αὐτοὺς ἀριθμεῖν ἂν γένοιτο, πάρεργον τῇ τοιαύτῃ χρησαμένων σπουδῇ καὶ μὴ προηγουμένην περὶ τοῦ γράφειν ὁρμὴν λαβόντων. Vgl. auch Eunapius, V. Sophist. 4,1,12, der Porphyrios ziemlich ungenau referiert und Origenes neben Amerios und Aquilinus als Kommilitonen des Porphyrios (!) präsentiert, die Schriften hinterlassen hätten, welche zwar von den Lehren her in Ordnung, aber stilistisch katastrophal seien. 49 V. Plot. 20: οὐ μὴν καὶ γράψαντές γε τεχνικὸν οὐδέν, ἀλλὰ ποιήματα καὶ λόγους ἐπιδεικτικούς, ἅπερ οὖν καὶ σωθῆναι τῶν ἀνδρῶν τούτων οὐχ ἑκόντων οἶμαι· μὴ γὰρ ἂν αὐτοὺς δέξασθαι διὰ τοιούτων βιβλίων ὕστερον γενέσθαι γνωρίμους, ἀφέντας σπουδαιοτέροις συγγράμμασι τὴν ἑαυτῶν ἀποθησαυρίσαι διάνοιαν. Zum Prolog von Περὶ τέλους vgl. auch Männlein-Robert 2001, 167 f. und 172–200, zu Origenes und Ammonios 182–186. 50 O’Brien 1992 b, 336–339, der somit die Schrift auf die letzten Jahre des Gallienus datiert; Edwards 2015, 87 f. 51 So Goulet 1992, 461, der festhält, dass beide Varianten möglich sind. Zur Passage und der Datierungsfrage insgesamt siehe Goulet 1992; gefolgt von Männlein-Robert 2001, 190 mit Anm. 236.
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hält, betrachtet Longin Origenes neben Ammonios als seinen Lehrer. Denkbar ist eine Konstellation, wie sie für andere philosophische Schulen belegt ist: der fortgeschrittene Schüler des Ammonios übernimmt eine Assistentenfunktion in der Schule des Lehrers.52 Kompliziert wird die Lage dadurch, dass Longin im weiteren Verlauf einen zweiten, der peripatetischen Schule zugehörenden, Ammonios erwähnt, der mit seiner polymathia geglänzt habe. Damit ergibt sich eine breitere Auswahl in der Frage, ob der Christ Origenes und Plotin den gleichen Lehrer hatten oder bei zwei verschiedenen Ammonioi gehört haben.53 Longins Exzerpt bestätigt und unterstreicht Aspekte der Darstellung des Origenes, die Porphyrios vorher schon eingeführt hatte. Origenes wird auch hier als ernstzunehmender echter Philosoph präsentiert, den der Kenner Longin in einem Atemzug mit Ammonios als besonders brillanten Philosophen und als Philosophielehrer anführt. Auch Longin präsentiert Origenes aber als insbesondere durch den mündlichen Unterricht wirkend und nicht durch planvoll-systematische Publikationstätigkeit zugunsten der Nachwelt, wie sie nach Longins Klassifikation Plotin betreibt. Für Longin dient die gesamte Klassifikation der Philosophen seiner Zeit, wie Marie-Odile Goulet-Cazé zeigt, dazu, letztlich die einen als unwichtig, die anderen als unzugänglich auszusortieren und Plotin und Amelios als einzige ernstzunehmende Kontrahenten zu profilieren. Porphyrios verwendet seinerseits die Stelle mit umgekehrtem Vorzeichen, um Plotins Anerkennung durch einen Fachmann zu unterstreichen.54 Die Einordnung der Schriften des Origenes als nicht repräsentativ und bloßes Beiwerk seiner eigentlichen – nun verlorenen – philosophischen Tätigkeit ermöglicht es ihm, wie schon in der bereits analysierten Passage zur Geheimhaltungsvereinbarung, Plotins Werk, und somit seine Edition der Enneaden, als die einzige schriftliche Kontaktmöglichkeit mit der ammonianischen Lehre hinzustellen.55 Nicht zuletzt dient das Exzerpt aus Longin auch dazu, die eigene Position als Meisterschüler Plotins gegen Amelios zu untermauern.56 Porphyrios zeichnet demnach in der Vita Plotini das Bild eines philosophischen Netzwerks, das von Ammonios als dem geheimnisvollen, bewusst unbestimmt konturierten, Lehrer geprägt ist und zumindest anfänglich eine esote52 Brisson, Anm. ad loc., in Brisson et al. 1992, 287; für Amelios bzw. Porphyrios als mögliche Assistenten Plotins und sonstige Belege für Assistenten in philosophischen Schulen siehe Goulet-Cazé 1982, 237 f. mit Anm. 1. 53 So Edwards, zuletzt 2015, 85 mit Verweis auf Philostrat, V. Sophist. II 27, wo ein Peripatetiker Ammonios parallel zu Longins Formulierung als herausragender Gelehrter unter Philostrats Zeitgenossen erwähnt wird ( Ἀμμώνιον τὸν ἀπὸ τοῦ Περιπάτου, ἐκείνου γὰρ πολυγραμματώτερον ἄνδρα οὔπω ἔγνων); es gebe somit „two Ammonii of comparable eminence“ (ebd.), und jeder von ihnen hätte den Christen unterrichten können. 54 Goulet-Cazé 1982, 273–276. 55 Cf. auch Urbano 2013, 138–140 allgemein zu Porphyrios als „custodian of Plotinus’s books“ (Zit. 138) und zu seiner Stilisierung seines Unterfangens in der Vita Plotini u. a. als Eröffnung eines durch Plotin vermittelten Zuganges zu der ammonianischen Sukzessionslinie. 56 Urbano 2013, 133.
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rische Aura pflegt. Den Unterricht bei Ammonios bringt Porphyrios für Plotin mit Interesse an der Weisheit der Inder und Perser in Verbindung. In diesem Kreis erscheint Origenes einerseits als Meisterschüler des Ammonios; als echter Philosoph und Philosophielehrer. Thematisch legt dieser Origenes Interesse an Dämonologie und Prinzipienlehre an den Tag. Andererseits wird er aber als vorwiegend mündlich lehrender Philosoph präsentiert, der seine philosophische Betätigung nicht systematisch für die Nachwelt schriftlich festhält. Damit erscheinen seine Schriften zumindest philosophisch als quantité négligeable. Die religiöse Zugehörigkeit wird weder im Hinblick auf Origenes noch im Hinblick auf Plotin oder Ammonios thematisiert.
2. Der Timaioskommentar des Porphyrios: die Fragmente bei Proklos In Proklos’ Timaioskommentar wird Origenes an einigen Stellen erwähnt, und zwar ausschließlich in der Auslegung des Prologs und der Wiedergabe der Solon-Erzählung. Zumindest einige der Erwähnungen werden im Text auf Porphyrios zurückgeführt. Die parallele Struktur auch der anderen Stellen, an denen Origenes erwähnt wird (z. B. die enge Verbindung von Origenes und Longin in den jeweiligen Referaten), lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass auch dort Porphyrios’ Kommentar die Vorlage ist.57 Im folgenden werden zunächst die Fragmente besprochen, die Sodano in seine Edition der Fragmente des porphyrischen Timaioskommentars aufnimmt, danach ein Blick auf die übrigen Stellen geworfen.58 Anders als im Fall der Vita Plotini, wo Porphyrios direkt zu hören war, muss hier der Überformung durch Proklos Rechnung getragen werden. Proklos fügt das porphyrische Material in seine umfangreiche doxographische Fundierung seines Kommentars zu den jeweiligen Textstellen ein, die ein möglichst vollständiges Bild der Auslegungsgeschichte zu geben anstreben. Die erste bei Sodano festgehaltene Vignette, die Origenes als Protagonisten hat, betrifft die sokratische Herabwertung der dichterischen Mimesis in Timaios 19 d–e: Dichter, ob gegenwärtige oder vergangene, seien nicht in der Lage, das Leben im Idealstaat würdig nachzubilden, da es außerhalb ihrer Erfahrungswelt liege. Origenes und Longin diskutieren beide, ob diese Geringschätzung auch den Dichter par excellence, Homer, treffe: „Longin und Origenes aber rätseln, ob er nicht etwa auch Homer unter die Dichter einbezogen habe, wenn er behauptet, dass er der gleichen Meinung nicht nur über die 57 Vgl.
Weber 1962, 47.
58 Die Stellen sind von Weber 1962, 6–12 als fr. 8–16 des Origenes zusammengestellt worden.
Ramelli 2009, 241–244 gibt eine kurze Zusammenfassung der Fragmente und betont deren philosophische strukturelle Kompatibilität mit dem Werk des Christen Origenes (Interesse an platonisch geprägter Allegorisierung und Philologie, thematische Überschneidungen).
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zeitgenössischen Dichter – das wäre ja nichts Neues – sondern auch über die Dichter der Vorzeit sei. So habe, erzählt Porphyrios, Origenes drei geschlagene Tage unablässig mit Geschrei, hochrotem Kopf und schweißgebadet zugebracht, mit der Behauptung, der Untersuchungsgegenstand und das Problem seien bedeutend, und er habe seinen ganzen Ehrgeiz daran gesetzt zu zeigen, dass die dichterische Nachahmung bei Homer als Ansporn für tugendgemäße Handlungen ausreiche. Denn wer spreche erhabener als Homer, der auch dann, wenn er Götter zu Streit und Kampf aufstelle, nicht aus der dichterischen Nachahmung herausfalle, sondern der Natur der Dinge mit erhabenen Worten Genüge tue? Soweit das gegnerische Argument. In seiner Antwort sagt Porphyrios aber, dass Homer zwar fähig sei, den Leidenschaften Größe und Erhabenheit umzulegen und die Handlungen zu anschaulicher Fülle zu erwecken, dass er aber keineswegs in der Lage sei, geistige Leidenschaftslosigkeit und ein wirksames philosophisches Leben zu vermitteln.“59
Homers mimesis, so Origenes in dem Referat, sei so erhaben, dass sie wirkkräftig das tugendhafte Leben nachbilde und dadurch zu einem ebensolchen Leben animieren würde. Demgegenüber scheint Porphyrios zumindest an dieser Stelle in Abgrenzung zu Origenes die Bedeutung Homers lediglich auf der Ebene der Imagination angesiedelt und ihm tatsächliche praktisch-philosophische Relevanz abgesprochen zu haben.60 Sowohl er als auch Origenes betonen philologisch Homers besondere dichterische Begabung, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich seines praktisch-philosophischen Wertgehaltes und Potentials. Diese Debatte um Homer und dessen positive Würdigung durch Origenes lässt 59 Proklos, In Tim. I 63 Diehl (= Porphyrios, In Tim. fr. 8 Sodano; Origenes, fr. 10 Weber): ἀπορεῖται δὲ ὑπὸ Λογγίνου καὶ Ὠριγένους ὁ λόγος, μήποτε καὶ τὸν Ὅμηρον περιείληφεν ἐν τοῖς ποιηταῖς εἰπὼν τὴν αὐτὴν εἰληφέναι δόξαν οὐ περὶ τῶν ὄντων μόνον—τοῦτο γὰρ οὐδὲν καινόν— ἀλλὰ καὶ περὶ τῶν πάλαι γεγονότων ποιητῶν. ὥστε, φησὶν ὁ Πορφύριος, τριῶν ὅλων ἡμερῶν διατελέσαι τὸν Ὠριγένη βοῶντα καὶ ἐρυθριῶντα καὶ ἱδρῶτι πολλῷ κατεχόμενον, μεγάλην εἶναι λέγοντα τὴν ὑπόθεσιν καὶ τὴν ἀπορίαν, καὶ δεικνύναι φιλοτιμούμενον, ὅτι πρὸς τὰς κατ’ ἀρετὴν πράξεις ἀρκοῦσά ἐστιν ἡ παρ’ Ὁμήρῳ μίμησις· τίς γὰρ Ὁμήρου μεγαλοφωνότερος, ὃς καὶ θεοὺς εἰς ἔριν καὶ μάχην καταστήσας οὐ διαπίπτει τῆς μιμήσεως, ἀλλ’ ἀρκεῖ τῇ φύσει τῶν πραγμάτων ὑψηλολογούμενος; ταῦτα μὲν ὁ ἐνιστάμενος λόγος. ἀπαντῶν δὲ ὁ Πορφύριός φησιν, ὅτι μέγεθος μὲν πάθεσι περιθεῖναι καὶ ὕψος Ὅμηρος ἱκανὸς καὶ εἰς ὄγκον ἐγεῖραι φανταστικὸν τὰς πράξεις, ἀπάθειαν δὲ νοερὰν καὶ ζωὴν φιλόσοφον ἐνεργοῦσαν οὐχ οἷός τε παραδοῦναι. Zu dieser Passage vgl. etwa Weber 1962, 65–74 und Männlein-Robert 2001, 453–458. Weber skizziert die philosophische Rezeption und Bewertung Homers: Ausgehend von seiner – hypothetischen! – Annahme, dass zur Lehre des Ammonios eine weitreichende Harmonisierung verschiedener philosophischer und dichterischer Traditionen mit Platon gehörte (ebd. 63 f.), liest er die Anekdote als Ausdruck und Zeichen dafür, dass Origenes in der Herabsetzung Homers „den Hauptsatz der ammonianischen Lehre in Gefahr gesehen [habe]“ (66). In seiner Betonung Homers zeige sich, „daß von den unmittelbaren Anhängern des Ammonios Origenes am meisten die Einheitslehre des Meisters verfochten hat“ (ebd. 74). Das hängt alles an der auf tönernen Füßen stehenden Rekonstruktion ‚der‘ ammonianischen Lehre. Männlein-Robert 2001, 455 f diskutiert die Quellen und möglichen Verortungen der Anekdote; auch sie unterstreicht, dass die Schilderung des Porphyrios auf die besondere Bedeutung der Einordnung Homers für Origenes hinweise. 60 Hier geht es nur um die vorliegende Stelle im Timaioskommentar und nicht um die Rekonstruktion des komplexen Gesamtbildes der porphyrischen Homer-Hermeneutik, die auch eine allegorische Interpretation Homers als Trägers kosmologischer Wahrheiten einschließt; dazu siehe z. B. Toulouse 2000.
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sich in eine kaiserzeitliche Tendenz zur philosophischen Rehabilitation Homers einschreiben.61 Interessant ist die Anekdote auch, weil sie Origenes in Aktion im philosophischen Unterricht zeigt, eingebunden in eine tagelange „hitzige Schuldebatte“62 über den Timaios, wie sie Porphyrios auch aus Plotins Unterricht mit sich selbst als fragendem Protagonisten berichtet.63 Porphyrios scheint für beide Ammoniosschüler also sehr ähnliche didaktische Methoden festzuhalten. Die hier zutage tretende besondere Wertschätzung Homers durch den Gesprächspartner Longins und des Porphyrios legt die Frage nahe, inwiefern sich eine solche bei dem Christen Origenes greifen lässt. Vertreter der Einheitsthese wie etwa Pier Franco Beatrice verweisen dabei auf die Wertschätzung des christlichen Theologen für Homer, die sich in Contra Celsum greifen lasse.64 Andrea Villani hat die Homerzitate und ‑bezüge bei dem christlichen Theologen untersucht und kommt zu einem sehr nuancierten, ambivalenten Ergebnis: Origenes erwähne und zitiere Homer nur in Contra Celsum.65 Dort vereine er die philologisch-literarische Bewunderung und rhetorische Verwendung homerischer Werke mit einer eher reservierten bis kritischen, an Platons Dichterkritik angelehnten inhaltlichen Würdigung; damit nehme er eine eher exzentrische Position im Platonismus seiner Zeit ein.66 Damit wäre er – wenngleich aus anderen Gründen – näher bei der von Proklos festgehaltenen Position des Porphyrios im Timaioskommentar als bei derjenigen, die von dem begeisterten Verteidiger Homers berichtet wird. Wie Villani festhält, wertet Origenes die platonische Verbannung von Dichtern wie Homer aufgrund ihres schlechten Einflusses auf die Jugend aus dem Idealstaat positiv67 – ein Gegensatz zur Position des Porphyrios-Kontrahenten im Timaioskommentar, der Homers Dichtung als Triebkraft zu ethisch richtigem Handeln darstellt. An anderer Stelle greift Origenes die in seiner Zeit fest etablierte philosophisch-allegorische Deutung 61 Villani 2012, 134 im Hinblick auf Kelsos, mit Verweis auf das quasi-kanonische Werk zur spätantiken philosophischen Homerallegorese von Lamberton 1986. 62 Weber 1962, 44. 63 V. Plot. 13. 64 Beatrice 1992, 356 f. 65 Wie Dorival 1992, 189 f. feststellt, gilt das für alle expliziten Zitate bei Origenes: pagane Zitate finden sich fast ausschließlich in Contra Celsum. Das gilt natürlich nur für die erhaltenen Werke; wie Hieronymus, Adv. Rufin. I 18 belegt, zitierte Origenes zumindest im 6. Buch seiner verlorenen Stromateis ausführlich aus Platon. Zu dieser Stelle und den Stromateis siehe Morlet 2004. 66 Villani 2012, bes. 134 f. Vgl. auch die kurze Diskussion bei Lamberton 1986, 80–82, der ebenfalls Origenes’ ambivalente Position zu Homer unterstreicht und ihn von Clemens’ „liberalerem“ Umgang mit dem klassischen Erbe absetzt; ähnlich schon Chadwick 1966, 102 f. 67 Villani 2012, 118 f.; Cels. IV 36: Εὐλόγως ἐκβάλλει τῆς ἑαυτοῦ πολιτείας Πλάτων ὡς ἐπιτρίβοντας τοὺς νέους τὸν Ὅμηρον καὶ τοὺς τοιαῦτα γράφοντας ποιήματα. Ἀλλὰ Πλάτων μὲν δῆλός ἐστι μὴ φρονήσας ἐνθέους γεγονέναι ἄνδρας τοὺς τοιαῦτα ποιήματα καταλελοιπότας … („Zu Recht verbannt Platon Homer und die, die solche Dichtungen verfassen, aus seinem Staat, weil sie die Jugend zerstören. Offensichtlich ist aber Platon nicht der Meinung, dass diejenigen, die solche Dichtungen hinterlassen haben, gottbegeisterte Männer seien …“).
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Homers auf:68 In Contra Celsum VII 6 deutet er die Eingangsszene der Ilias mit Apollons Erhörung des Chryses als Beleg dafür, dass Homer lehre, Apollon sei ein daimon, der an entsprechenden Opfern Gefallen finde.69 Das greift die platonische Tendenz auf, Riten und Mythen, die mit einem platonischen Gottesbild kollidieren, auf das Konto von daimones zu schieben.70 Seine Lesart untermauert er mit dem Werk eines „Pythagoreers“ über die verborgene Lehre Homers, wo er die entsprechende Exegese der Chryses-Apollon-Begegnung als Hinweis auf böse daimones findet.71 Die Identität des Pythagoreers bleibt dunkel.72 Vielleicht bietet die Liste der philosophischen Referenzautoren des Christen Origenes in Porphyrios’ Contra Christianos einen Anhaltspunkt: Dort wird Kronios als einer der für Origenes zentralen Autoren erwähnt.73 Wie wir aus Porphyrios’ De Styge wissen, hat Kronios eine Homerallegorese verfasst, die Porphyrios als spitzfindig 68 Villani 2012, 119 und 121 f. hält VIII 68 als besten Beleg dafür fest, dass Origenes potentiell
auch Homer einen tieferen philosophischen Sinn zuschreiben kann; VII 6 behandelt er nur summarisch (119). 69 Cels. VII 6: Διόπερ διαγράφων τὰ γινόμενα ὁ τῶν ποιητῶν ἄριστος Ὅμηρος καὶ διδάσκων, τίνα μάλιστά ἐστι τὰ πείθοντα τοὺς δαίμονας ποιεῖν ἃ βούλονται οἱ θύοντες, εἰσήγαγε τὸν Χρύσην, ἕνεκεν ὀλίγων στεφάνων καὶ μηρίων ταύρων καὶ αἰγῶν τυγχάνοντα ὧν ᾔτησε καθ’ Ἑλλήνων διὰ τὴν θυγατέρα, ἵνα λοιμώξαντες ἀποδώσειαν αὐτῷ τὴν Χρυσηΐδα. Μέμνημαι δὲ παρά τινι τῶν Πυθαγορείων, ἀναγράψαντι περὶ τῶν ἐν ὑπονοίᾳ παρὰ τῷ ποιητῇ λελεγμένων, ἀναγνοὺς ὅτι τὰ τοῦ Χρύσου πρὸς τὸν Ἀπόλλωνα ἔπη καὶ ὁ ἐξ Ἀπόλλωνος ἐπιπεμφθεὶς τοῖς Ἕλλησι λοιμὸς διδάσκει ὅτι ἠπίστατο Ὅμηρος πονηρούς τινας δαίμονας, χαίροντας ταῖς κνίσσαις καὶ ταῖς θυσίαις, μισθοὺς ἀποδιδόναι τοῖς θύσασι τὴν ἑτέρων φθοράν, εἰ τοιοῦτο οἱ θύοντες εὔχοιντο. („Deswegen hat der vortrefflichste der Dichter, Homer, als er die Geschehnisse beschrieb und lehrte, was das Mittel par excellence sei, um die daimones dazu zu bewegen, den Willen der Opfernden zu tun, den Chryses eingeführt, wie er um ein paar Kränze und Stier‑ und Ziegenschenkel willen das erlangte, was er wegen seiner Tochter gegen die Hellenen erbeten hatte, damit sie, von der Pest geschlagen, ihm die Chryseis zurückgäben. Ich erinnere mich aber, bei einem der Pythagoreer, der über das bei dem Dichter durch Anspielung Gesagte schrieb, gelesen zu haben, dass die Worte des Chryses an Apollon und die Pest, die Apollon über die Griechen schickt, lehren, dass Homer wohl wusste, dass bestimmte böse daimones aus Freude über Fettdünste und Opfer die Opfernden mit dem Verderben der anderen belohnen, wenn die Opfernden derartiges erbitten sollten“). 70 Z. B. Plutarch, De Iside 25–30, 360D–363A; De defectu oraculorum 10–21, 414F–421E. 71 Cels. VII 6 (Text siehe oben in Anm. 69). 72 Die SC-Edition von Borret schlägt nichts vor. Lamberton 1986, 80 verweist auf die Diskussion der Stelle bei Chadwick 1965, 400, Anm. 2. Chadwick verweist auf eine mögliche Identifikation mit Numenios, die er aber als letztlich unwahrscheinlich hinstellt; für Lamberton ist Numenios ein verlockender, aber unbelegbarer Kandidat. Zur pythagoreischen Homerallegorese siehe den Überblick bei Lamberton 1986, 31–43. Dorival 1992, 193 verbindet die Stelle mit den drei von Porphyrios in Euseb, Hist. eccl. VI 19,8 genannten drei Pythagoreern Kronios, Numenios und Nikomachos, diskutiert aber dann, letztlich ohne positives Ergebnis, lediglich die mögliche Autorschaft des Numenios. Ebd. 201 hält er fest, dass Kronios von Origenes nirgendwo explizit erwähnt werde, eine Behauptung, die Becker 2016, 162 rezipiert. Aus dem Fehlen eines explizit markierten Zitates lässt sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Nicht-Rezeption des betreffenden Autors schließen, wozu Dorival in seinem Artikel insgesamt tendiert. 73 Bei Eusebius, Hist. eccl. VI 19,8. Siehe dazu die Diskussion unten sowie den Beitrag von Riedweg.
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und konstruiert ablehnt.74 Die Art, wie Porphyrios Kronios einführt, berührt sich teilweise wörtlich mit Origenes’ Erwähnung des Pythagoreers. Interessant ist, dass Origenes’ Korrelation zwischen niederen, bösen daimones und materiellen, insbesondere Blutopfern75 sich später bei Porphyrios in De abstinentia findet; Heidi Marx-Wolf hat zu Recht einige Parallelen zwischen Origenes und Porphyrios in diesem Punkt unterstrichen.76 Insgesamt ergibt sich für den Umgang des christlichen Theologen mit Homer einerseits eine große Vertrautheit, aber eine doch anders akzentuierte Wertung, als sie in der von Porphyrios berichteten und bei Proklos erhaltenen Vignette durchscheint: der Christ Origenes kennt und anerkennt das Unterfangen, Homer philosophisch zu allegorisieren, unterstreicht aber auch, dass er letztlich aus dem platonischen Idealstaat zu Recht verbannt sei.77 Diese Diskrepanz ließe eher vermuten, dass zwei verschiedene Origeneis anzusetzen wären78, die sich aber eben beide im gleichen literarischen und philosophisch-platonischen Diskurs ihrer Zeit bewegen und strukturell das Denkmuster der philosophischen allegorischen Interpretation autoritativer Texte79 wie die Beschäftigung mit mittelplatonischer Dämonologie teilen. Eine weitere Passage, in der Proklos Porphyrios’ Kommentar rezipiert, ist die Kommentierung von Tim. 20 d, dem Beginn der Solon-Erzählung, innerhalb einer ausführlichen Forschungsgeschichte zum Status des Atlantismythos (μῦθος oder ἱστορία), die von Krantor bis zu Syrianos reicht.80 Sodano führt nur einen Teil des Textes als Fragment 10, ohne dass das Kriterium für die Auswahl deutlich würde; sein Einschnitt zerstört den inhaltlichen Zusammenhang des Textes. 74 Porphyrios, De Styge fr. 372F Smith: τῶν οὖν ἀναπτύσσειν ἐπιχειρησάντων τὰ δι’ ὑπονοίας παρ’ αὐτῷ λεγόμενα ἱκανώτατα δοκῶν ὁ Πυθαγόρειος Κρόνιος τοῦτ’ ἀπεργάσασθαι, ὅμως ἐν τοῖς πλείστοις ἄλλα τε ἐφαρμόζει ταῖς τεθείσαις ὑποθέσεσι, τὰ Ὁμήρου μὴ δυνάμενος, οὔ παρὰ τοῦ ποιητοῦ τὰς δόξας, τοῖς δὲ παρ’ ἑαυτοῦ προσάγειν τὸν ποιητὴν πεφιλοτίμηται. – „Von denen, die es unternommen haben, das, was bei ihm durch Anspielung gesagt ist, zu entfalten, scheint nun der Pythagoreer Kronios dies am fähigsten getan zu haben; dennoch passt er an den meisten Stellen andere [Gedanken] den gesetzten Hypothesen an, da er ihnen Homers [Gedanken] nicht anpassen kann; und sein ganzer Ehrgeiz liegt nicht darin, seine Meinungen den [Worten] des Dichters anzupassen, sondern den Dichter seinen eigenen [Positionen].“ 75 Cels. VII 6; vgl. auch z. B. VIII 30 und 62–64. 76 De abstinentia II 36 und bes. 42. Marx-Wolf 2010, 222 f.; 2016, 17 f. 77 Villanis detaillierte Arbeit über die Homerrezeption des Christen Origenes lässt dementsprechend die Ansicht Webers, dass die entsprechenden Stellen im Timaioskommentar kein Argument für die Diskrepanz bilden, da auch der Christ Origenes „den Homer überaus hoch [schätze]“ (1962, 31), als qualifizierungsbedürftig erscheinen. Die Unterschiede zwischen den beiden Origeneis hält auch Männlein-Robert 2001, 456, Anm. 239 mit Verweis auf Schwyzer fest. 78 Eine andere Möglichkeit wäre, einen Sinneswandel ein und derselben Person anzunehmen, allerdings erscheint das aus chronologischen Gründen unplausibel. 79 Ramelli 2009, 242–244 weist nachdrücklich auf dieses gemeinsame Denkmuster hin und liest es als weiteren Hinweis auf die Identität der beiden. 80 Proklos, In Tim. I 75–78 Diehl (teilweise in Origenes, fr. 12 Weber). Zu dieser Passage und ihrer philosophie‑ und literaturgeschichtlichen Verortung siehe Weber 1962, 117–122.
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Deswegen wird im Folgenden der ganze Passus besprochen. In ihm erscheint Origenes als Vertreter einer exegetischen Richtung, die dem Kampf der Athener und Atlantiden Historizität nicht grundsätzlich abspricht, aber die platonische Darstellung in erster Linie als bildhafte Darstellung kosmischer Gegensätze und Spannungen ansieht.81 Proklos benennt vier Spielarten dieses Ansatzes: die Deutung auf Planeten versus Fixsterne, auf verschiedene daimones, auf Seele, oder auf Seelen gegen daimones.82 Die erste Variante schreibt er Amelios zu, die zweite Origenes, die dritte Numenios, die vierte interpretiert er als Kombination der origeneischen und der numenianischen Position. Für Origenes seien Athener und Atlantiden Klassen unterschiedlich mächtiger und guter daimones, von denen die einen die Obermacht gewinnen, die anderen unterliegen.83 Diese Deutung korreliert mit dem daimonologischen Interesse, das in der Plotin-Vita durch den einen Werktitel bezeugt ist. Die vierte Gruppe von Exegeten, die bei Proklos erwähnt werden, ist interessant, da sie in seiner Formulierung als eine bewusste Rezeption des Origenes erscheint: „wieder andere aber behaupteten, indem sie, wie sie meinen, die Positionen des Origenes und des Numenios verbanden, dass es sich um einen Kampf der Seelen gegen die daimones handele, da die daimones die Eigenart haben, nach unten zu führen, und die Seelen emporgeführt werden.“84 Diese Exegese unterscheide drei Arten von daimones: eine göttliche Art, eine relative Art, die in den Rang eines daimon aufgestiegene Seelen umfasst, und eine dritte, böse Art, welche die Seelen schädigt. Der von Platon beschriebene Krieg finde zwischen den bösen, materiegebundenen daimones, die nach ägyptischer Art mit dem Westen verbunden werden, und den ins Werden absteigenden Seelen statt; der von Platon beschriebene Krieg sei analog zu den Berichten der „alten Theologen“ über Kämpfe zwischen Osiris und Typhon bzw. Dionysos und den Titanen. Proklos schreibt diese Synthese von Origenes und Numenios Porphyrios zu, dessen Interpretation er als letztlich identisch mit der numenianischen liest. Damit hätte Porphyrios in der Auslegung des Atlantismythos bewusst an Origenes angeknüpft – nicht beantworten lässt sich leider die Frage, inwiefern die darin enthaltene dreiteilige Klassifikation der daimones auf diesen zurückgehen könnte. Hans Lewy hat die These aufgestellt, dass Porphyrios’ Darstellung der daimones im zweiten Buch von De abstinentia, die dort „gewissen Platonikern“ zugeschrieben wird, von Origenes stammen 81 Proklos, In Tim. I 76 Diehl: οἳ δὲ γεγονέναι μὲν ταῦτα τοῦτον τὸν τρόπον οὐκ ἀπογινώσκουσι, παραλαμβάνεσθαι δὲ νῦν ὡς εἰκόνας τῶν ἐν τῷ παντὶ προουσῶν ἐναντιώσεων. 82 Proklos, In Tim. I 76 f. Diehl. Vgl. Edwards 2006, 53. 83 Proklos, In Tim. I 76 f. Diehl: οἳ δὲ εἰς δαιμόνων τινῶν ἐναντίωσιν, ὡς τῶν μὲν ἀμεινόνων, τῶν δὲ χειρόνων, καὶ τῶν μὲν πλήθει, τῶν δὲ δυνάμει κρειττόνων, καὶ τῶν μὲν κρατούντων, τῶν δὲ κρατουμένων, ὥσπερ Ὠριγένης ὑπέλαβεν. 84 Proklos, In Tim. I 77 Diehl: οἳ δὲ καὶ μίξαντες τὴν Ὠριγένους, ὥσπερ οἴονται, καὶ Νουμηνίου δόξαν ψυχῶν πρὸς δαίμονας ἐναντίωσιν εἶπον, τῶν μὲν δαιμόνων καταγωγῶν ὄντων, τῶν δὲ ψυχῶν ἀναγομένων.
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könnte.85 Wenn dies zutrifft, hätten wir zumindest einen Konvergenzpunkt mit dem christlichen Theologen Origenes: Oben wurde schon mit Marx-Wolf darauf hingewiesen, dass dessen in Contra Celsum aus pythagoreischen Quellen hergeleitete Vorstellung böser, materiegebundener daimones, die als Götter verehrt werden und sich an Opfern erfreuen, sehr stark mit derjenigen des Porphyrios in De abstinentia korreliert. Auch sonst setzt sich der Theologe gegen Kelsos als daimonologischer Experte in Szene und entwickelt als Antwort auf dessen mittelplatonische kosmische Hierarchie eine eigene christliche, in der er den daimones einen eigenen Platz zuweist.86 Allerdings berühren wir hier zugleich einen wichtigen Unterschied: Während der Platoniker offensichtlich Stufungen bei den daimones vornehmen und im Atlantismythos bessere von schlechteren daimones unterscheiden würde, wie es auch Porphyrios in De abstinentia tut87, zeichnet der christliche Theologe Origenes in seiner Erwiderung auf Kelsos’ Dämonologie kategorisch alle daimones als von Gott abgefallen und böse. Ihnen setzt er emphatisch die Engel als die guten Diener Gottes im All entgegen.88 Insofern ließe sich auch bei der Annahme des Platonikers Origenes als Quelle für Porphyrios eben nur von einem Konvergenzpunkt der beiden Origeneis und des Porphyrios – daimonologisches Interesse und vielleicht Verbindung des materiellen Kultes mit niederen daimones –, nicht aber von einem Hinweis auf Identität der beiden Origeneis sprechen. Das dritte bei Sodano festgehaltene Fragment89 betrifft die εὐκρασία der athenischen Jahreszeiten, welche Origenes mit der Kreisbewegung des Himmels in Verbindung bringt, mit welcher in der Politeia die Fruchtbarkeit der Seelen zusammenhänge.90 Origenes „legt also Platon mit Platon aus“.91 Die Versuche, 85 Lewy 1978, 497–508; gefolgt von Saffrey / Westerink 1974, XI, Anm. 4 und Beatrice 1992, 362; vorsichtiger O’Brien 1992 a, 436, mit Anm. 22. Lewys These wird akzeptiert von MarxWolf 2010, 225 und 2016, 23 und 41, die mit Digeser die Gleichsetzung der beiden Origeneis favorisiert (vorsichtiger 2010, als gegeben vorausgesetzt 2016). 86 Das Thema der daimones, eng verbunden mit demjenigen des richtigen Kultes, prägt Cels. VII 67 – VIII 64. 87 De abstinentia II 38 f.; vgl. Marx-Wolf 2016, 17 f. 88 Cels. VII 69; VIII 25 f.33 f.44.54.62; zu den Engeln als Gegenpart der daimones VIII 13 oder 31 f. Vgl. Edwards 2015, 95 und Marx-Wolf 2016, 41 f., die das Problem sieht und mit Verweis auf verschiedene Genres und Sprechakte zu lösen versucht – als Philosophielehrer habe Origenes Platon philosophisch kommentiert und dabei anders gesprochen als in anderen Schriften. Das erklärt aber nicht seine Vehemenz gerade in Contra Celsum, welches auch MarxWolf als das geeignetste Werk ansieht, um die beiden Origeneis zusammenzubringen (42), gegen die mittelplatonische Daimonologie, die Kelsos vorträgt. Eine gute, wenngleich knappe Übersicht über Origenes’ Daimonologie gibt Monaci Castagno 1992, die zwar Akzent-Unterschiede zwischen den theologischen und den pastoralen Werken feststellt, aber doch auch als roten Faden eine negative Zeichnung der daimones und ihre Verbindung mit dem paganen Kult herausarbeitet (bes. 322 f.). 89 Fr. 21 Sodano (Origenes, fr. 16 Weber). Auch dieses Fragment bringt die Position des Origenes unmittelbar vor derjenigen Longins. 90 Proklos, In Tim. I 162 Diehl. 91 Männlein-Robert 2001, 527.
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seine Position inhaltlich eindeutig zu rekonstruieren92, scheitern letztlich an der Dürftigkeit der kurzen Paraphrase. Festzuhalten ist, dass Proklos – wohl in Anlehnung an Porphyrios als Quelle – Origenes einen gewissen, wenn auch unvollständigen, Einblick in die Wahrheit im Gegensatz zu Longin zuspricht.93 In den anderen Passagen des proklischen Timaioskommentars, wo Origenes erwähnt wird, wird dieser wie auch an den bisher betrachteten Stellen, in nächster Nähe bzw. enger Verbindung zu Longin genannt.94 In In Tim. I 31 wird der Dissens zwischen den beiden in der Frage festgehalten, welche πολιτεία Platon in Tim. 17 b–c meine.95 Die Bedeutung der literarischen Ästhetik und des Stils für Platon wird von beiden grundsätzlich unterschiedlich eingestuft: Longin betrachte den Atlantismythos lediglich als literarischen und pädagogischen Schachzug Platons, der seine Leser vor der trocken-anstrengenden Darlegung der φυσιολογία vorbereiten und „vorbehandeln“ möchte (ψυχαγωγεῖν, προθεραπεύειν). Origenes gehe hingegen zwar davon aus, dass der platonische Bericht als solcher fingiert sei, worin er den Numenios-Anhängern Recht gebe; doch sei er nicht zum Zweck des ästhetischen Genusses entstanden, wie Longin annehme. Letztlich nenne Origenes jedoch keinen Grund für den Einschub der Erzählung.96 Im Vergleich zu der oben besprochenen Deutung fällt auf, dass Proklos Origenes hier als Rezipienten einer numenianischen Position präsentiert. Andere Stellen kreisen um Platon als Schriftsteller: Während Longin Platon stellenweise als Literaten präsentiere, dem es gerade auch an der ästhetischen Wirkung seines Textes liege, betone Origenes wiederholt, dass Platon zwar einen schönen Stil schreibe, aber nicht primär um des ästhetischen Genusses (der ἡδονή) willen.97 Ein weiteres philologisches Detail betrifft den Wortlaut der Würdigung Solons und dessen philosophische Angemessenheit.98 Insgesamt ergibt sich in den wohl auf Porphyrios fußenden Erwähnungen des Origenes in Proklos’ Timaioskommentar das Bild eines Platonexegeten, der mit Longin im engen Austausch steht und sich von dessen Exegese des Atlan92 Weber
1962, 113–117, Männlein-Robert 2001, 526 f. Männlein-Robert 2001, 527. 94 Proklos, In Tim. I 31.59 f.68.83.86.93 Diehl (Origenes, fr. 8.9.11.13.14.15 Weber). Die Gegenüberstellung mit Longin erfolgt in fünf der Fragmente in unmittelbarer Nähe; im Falle von fr. 15 Weber (In Tim. I 93 Diehl) wird Longin gleich zu Beginn der Exegese in I 90 Diehl erwähnt. 95 Dazu Weber 1962, 138–139; Männlein-Robert 2001, 421–424. 96 Proklos, In Tim. I 83 Diehl: Ὠριγένης δὲ πεπλάσθαι μὲν ἔλεγε τὸ διήγημα καὶ τοσοῦτόν γε συνεχώρει τοῖς ἀμφὶ τὸν Νουμήνιον, οὐ δι’ ἡδονὴν δὲ πεπλάσθαι μεμηχανημένην κατὰ τὸν Λογγῖνον· αἰτίαν δὲ οὐ προσετίθει τοῦ πλάσματος. Zu dieser Passage im Kontext, mit einem Schwerpunkt auf Longin und dessen philosophiegeschichtlicher Verortung Männlein-Robert 2001, 478–492. 97 Proklos, In Tim. I 59 f.68.86 Diehl. Vgl. dazu Männlein-Robert 2001, 445 f. und 450–452; 476 f. Aus der Verwendung des Imperfekts im Kontext dieser Gegenüberstellungen schließt sie auf „eine lang andauernde Auseinandersetzung des Origenes mit seinem Schüler Longin“, die insbesondere „Platons Sprache und Stil bzw. deren Funktion betraf“ (ebd. 39). Zu Origenes’ Position im philosophiegeschichtlichen Kontext siehe auch Weber 1962, 139–157. 98 Proklos, In Tim. I 93 Diehl; siehe Weber 1962, 157 f. 93
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tismythos dadurch absetzt, dass er dem platonischen Timaiostext durchgehend einen philosophischen Anspruch zuspricht: Darin gibt es keine Passagen, die ‚nur‘ schöne Literatur wären.99 Dieser Zugang zu Platons Text könnte implizieren, dass Origenes dem gesamten platonischen Text eine gleichmäßige philosophische Dichte bzw. Bedeutung zuspricht. Demgegenüber erscheint Longin grundsätzlich als der Philologe, der nicht hinter den schönen Stil gelangen kann. Damit wird auch bei Proklos durch die Vermittlung des porphyrischen Timaioskommentars die plotinisch-porphyrische Unterscheidung zwischen dem Philosophen Origenes und dem bloßen Philologen Longin perpetuiert; in In Tim. I 86 Diehl zitiert Proklos sogar explizit den von Porphyrios in der Vita Plotini überlieferten Ausspruch Plotins, Longin sei eben Philologe, kein Philosoph.100 Philosophisch wird Origenes’ Ansatz in der Nähe des Numenios verortet, mit dem er etwa auch die daimonologische Interpretation teilt, die ihrerseits mit dem in der Vita Plotini erwähnten daimonologischen Interesse korreliert.101 Zweitens muss aber auch festgehalten werden, dass Origenes und Longin dennoch in einem Punkt eine wichtige Gemeinsamkeit aufweisen: beide teilen eine höhere Wertschätzung Homers, die dessen Dichtung auch philosophischen Wert bzw. Kompatibilität mit philosophischen Inhalten zuspricht. In diesem Punkt distanziert sich Porphyrios zumindest im Timaioskommentar von beiden und rückt näher an die Position des Christen Origenes in Contra Celsum. Mit der bei Proklos festgehaltenen Debatte der drei Philosophen um den Anfang des Timaios bewegen wir uns in einem Kontext, in dem Philologie und platonische Philosophie eng verbunden sind, wenngleich im gleichen LehrerSchüler-Netzwerk unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen werden können. Christliches fehlt in diesem Bild wiederum vollkommen. Dies entspricht dem Bild des Origenes aus der Vita Plotini und gibt uns einen Einblick darin, wie dieser Origenes im Platonismus des 5. Jahrhunderts wahrgenommen wurde. Proklos übt zwar selten offene Kritik an den Christen, macht aber keinen Hehl aus seiner Ablehnung; für ihn sind die Christen theologische Ignoranten.102 Nirgendwo in seinem erhaltenen Werk führt er christliche Intellektuelle an. Hätte er den allseits bekannten und umstrittenen Christen bei Porphyrios gemeint gesehen, wäre zu erwarten gewesen, dass er dessen religiöse Zugehörigkeit anspricht. Dass er es nicht tut, lässt darauf schließen, dass zumindest für Proklos Mitte des 5. Jahrhunderts in dem ihm vorliegenden Kommentar des Porphyrios ein anderer, philosophisch akzeptabler, i. e. nichtchristlicher, Origenes zu greifen ist. 99 Vgl.
auch Männlein-Robert 2001, 91 f. 2001, 35 f., 43 und 450. Inwiefern es sich um ein Zitat der Vita oder eines anderen Textes, etwa des Timaioskommentars des Porphyrios, handelt, muss offen bleiben. 101 Vgl. Männlein-Robert 2001, 189. 102 Vgl. Hoffmann 2012. 100 Männlein-Robert
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3. Contra Christianos Wie verhält sich nun das Bild, das Porphyrios von dem Christen Origenes schildert, zu dem Origenes der Vita Plotini und des Timaioskommentars? Rekonstruieren lässt sich das Bild aus einer vielzitierten und auch in diesem Band aus verschiedenen Perspektiven diskutierten Passage aus seinem verlorenen Werk gegen die Christen, die bei Eusebios von Caesarea erhalten ist.103 Eusebios zitiert die Passage als Beleg dafür, dass Origenes’ philosophische Betätigung die Anerkennung der paganen Philosophen gefunden habe: „in deren Schriften finden wir viele Erwähnungen des Mannes, wobei sie ihm manchmal ihre Darlegungen widmen, manchmal ihm wie einem Lehrer ihre eigenen Mühen vorlegen.“104 Als das einzige konkrete Beispiel wird Porphyrios, der Erzfeind der Christen, ins Feld geführt, der in seiner Kritik an der christlichen Anwendung allegorischer Hermeneutik auf die Bibel Origenes als Inbegriff christlicher Verkehrtheit anführe. Eusebios verfährt also mit Porphyrios’ Ausführungen zu Origenes genau so, wie Porphyrios seinerseits mit Longins Prolog von Περὶ τέλους verfahren war: Er bedient sich der Einschätzung eines Fachmannes und Gegners, um zu erweisen, dass sich Origenes für seine Philosophie allgemeiner Anerkennung erfreut habe. Die Parallelität zwischen Porphyrios’ und Eusebios’ Vorgehen in den beiden Lebensbeschreibungen beschränkt sich nicht nur darauf: Wenn Verheydens Analyse der Intention des Eusebios und seiner implizierten „untold story“ richtig ist, dann dient die Darstellung des Origenes in der Kirchengeschichte Eusebios insbesondere zur Profilierung Caesareas und damit zur eigenen Profilierung105, vergleichbar der Selbstprofilierung des Porphyrios durch Vita und Edition. Die entscheidende Passage lautet: „Die Art und Weise der Absurdität möge dem Beispiel eines Mannes entnommen werden, dem auch ich als sehr junger Mann noch begegnet bin; er stand im hohen Ansehen und tut es immer noch durch die Schriften, die er hinterlassen hat: Origenes, dessen Ruhm bei den Lehrern dieser Darlegungen als bedeutend weitergegeben wird.“106
103 Eusebios, Hist. eccl. VI 19,1–11 (= fr. 6F. Becker). Siehe dazu auch Christoph Riedweg im vorliegenden Band. Aus der neueren Literatur dazu siehe z. B. Beatrice 1992, Ramelli 2009, 223–235, Zambon 2011, 108–112, Johnson 2011, 176–181; Johnson 2012; Urbano 2013, 71–74; Becker 2015 a, mit einem Fokus auf die Allegorese und die konträren autoritativen Schriften; Becker 2016, 132–167. Für eine Diskussion der gesamten Origenesvita in Hist. eccl. VI siehe Verheyden 2011; Urbano 2013, 150–162. 104 Hist. eccl. VI 19,1: Μάρτυρες δὲ καὶ τῆς περὶ ταῦτα αὐτοῦ κατορθώσεως αὐτῶν Ἑλλήνων οἱ κατ’ αὐτὸν ἠκμακότες φιλόσοφοι, ὧν ἐν συγγράμμασιν πολλὴν μνήμην εὕρομεν τοῦ ἀνδρός, τοτὲ μὲν αὐτῷ προσφωνούντων τοὺς ἑαυτῶν λόγους, τοτὲ δὲ ὡς διδασκάλῳ εἰς ἐπίκρισιν τοὺς ἰδίους ἀναφερόντων πόνους. Vgl. auch Hist. eccl. VI 18,4. 105 Verheyden 2011, bes. 724 f. (Zit. 724). 106 Hist. eccl. VI 19,5: ὁ δὲ τρόπος τῆς ἀτοπίας ἐξ ἀνδρὸς ᾧ κἀγὼ κομιδῇ νέος ὢν ἔτι ἐντετύχηκα, σφόδρα εὐδοκιμήσαντος καὶ ἔτι δι’ ὧν καταλέλοιπεν συγγραμμάτων εὐδοκιμοῦντος, παρειλήφθω, Ὠριγένους, οὗ κλέος παρὰ τοῖς διδασκάλοις τούτων τῶν λόγων μέγα διαδέδοται.
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Das Zusammentreffen spielt in der frühen Jugend des Porphyrios107; das verwendete ἐντυγχάνομαι impliziert kein technisches Lehrer-Schüler-Verhältnis.108 Wie Matthias Becker festhält, betont Porphyrios mit dem Ausdruck σφόδρα εὐδοκιμήσαντος die Berühmtheit des Origenes als Lehrer als Grund seiner eigenen Berührung mit ihm.109 Interessant ist, dass Porphyrios hier den gleichen Terminus verwendet wie in der Vita Plotini für die Beschreibung der Philosophielehrer, die Plotin als erste Adresse aufsucht (τοῖς τότε κατὰ τὴν Ἀλεξάνδρειαν εὐδοκιμοῦσι), bevor er dann Ammonios findet. Εὐδοκιμεῖν muss also nicht zwangsläufig positiv sein, sondern kann durchaus den schönen Schein implizieren. Im weiteren Verlauf bezeichnet Porphyrios den Kirchenvater als ἀκροατής desjenigen Ammonios, „der das höchste philosophische Niveau in unserer Zeit erreichte“.110 Plausibel, wenngleich nicht zwingend, ist die Annahme, dass es sich hierbei um den gleichen Ammonios handelt, der in der Vita Plotini als Lehrer Plotins dargestellt wird – dafür spricht die überragende Position, die diesen Ammonioi jeweils zugewiesen wird.111 Die Erwägung, eventuell den bei Longin erwähnten Peripatetiker Ammonios als Lehrer des Origenes anzusehen, erscheint dagegen wenig plausibel, da Porphyrios diesem sicherlich nicht einen Rang über dem gefeierten Plotin-Lehrer zugestanden hätte.112 Origenes habe von seinem Lehrer allerdings nur die Erfahrung in den λόγοι erworben und hinsichtlich der Lebensweise (βίος) einen diametral entgegengesetzten Weg eingeschlagen. Während Ammonios, Christ aus einer christlichen Familie, durch die Philosophie eine Bekehrung zur „Lebensweise nach den Gesetzen“ (ἔννομος πολιτεία) durchlaufen habe, sei Origenes trotz seiner „hellenischen“ Herkunft und Erziehung mitsamt seiner erworbenen Geisteshaltung113 zum „barbarischen 107 Hist. eccl. VI 19,3 und 5; cf. z. B. Ramelli 2009, 224 oder Becker 2016, 4 f. und 151 f. Er stellt die verschiedenen Möglichkeiten zusammen: entweder ein Treffen während Origenes’ Lehrtätigkeit in Caesarea oder aber eine Begegnung in Tyros am Lebensende des Origenes. 108 So auch Becker 2016, 5 und 152 mit weiterer Literatur. 109 Becker 2016, 5. 110 Hist. eccl. VI 19,6: ἀκροατὴς γὰρ οὗτος Ἀμμωνίου τοῦ πλείστην ἐν τοῖς καθ’ ἡμᾶς χρόνοις ἐπίδοσιν ἐν φιλοσοφίᾳ ἐσχηκότος γεγονώς. Mit ἀκροατής in Absetzung von ζηλωτής könnte Porphyrios auf eine Abstufung hinweisen: Origenes wäre dann kein Mitglied des innersten Kreises des Ammonios (siehe Becker 2016, 154, der auf die entsprechende Darstellung der Schülerschaft Plotins in V. Plot. 7 verweist; dazu detailliert Goulet-Cazé 1982, 233–236). 111 Vgl. Digeser 2012, 30; Becker 2016, 153 f. 112 Zwei Ammonioi, der eine Peripatetiker: Edwards, zuletzt 2015, 85. Dagegen zu Recht Urbano 2013, 74 f. Auch wenn Longin und Philostrat zwei Ammonioi kennen und den Peripatetiker als Gelehrten würdigen (wie Edwards betont), bedeutet das nicht, dass Porphyrios, der den Peripatetiker sonst geflissentlich ignoriert und mit Ammonios stets den Lehrer Plotins meint, dem Peripatetiker eine derart herausgehobene Stellung zugewiesen hätte – es sei denn, man nähme eine Verwechslung an, was in Anbetracht seiner persönlichen Begegnung mit dem Christen Origenes wie seines Studiums bei Plotin wenig wahrscheinlich klingt. 113 Ἕξις; vgl. V. Plot. 3 zu Plotin.
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Frevel“ übergegangen.114 Porpyhrios unterscheidet hier zwischen βίος und Lehre: Origenes habe κατὰ μὲν τὸν βίον als Christ gelebt, seine Welt‑ und Gottessicht sei aber pagan („hellenisch“) geprägt und lediglich den falschen, fremden Mythen unterlegt.115 Systematisch wird in der Skizze der Lebenswenden des Ammonios und des Origenes der Gegensatz Χριστιανός – Ἕλλην eingesetzt116 und das Christentum nochmals deutlich als τὸ βάρβαρον τόλμημα qualifiziert und damit vom Ἕλλην-Sein abgehoben: zumindest an dieser Stelle hat der Begriff „barbarisch“ keinerlei positive Konnotationen.117 Angedeutet wird in der Betonung des Gegensatzes Hellenisch – Christlich und der Verknüpfung des Hellenischen mit der philosophischen Bildung eine Hellenismuskonzeption, die an das spätere Rhetorenedikt Julians denken lässt.118 Im wesentlichen entspricht Porphyrios’ Darstellung des origeneischen Missbrauchs der Philosophie 114 Hist. eccl. VI 19,6 f.: εἰς μὲν τὴν τῶν λόγων ἐμπειρίαν πολλὴν παρὰ τοῦ διδασκάλου τὴν ὠφέλειαν ἐκτήσατο, εἰς δὲ τὴν ὀρθὴν τοῦ βίου προαίρεσιν τὴν ἐναντίαν ἐκείνῳ πορείαν ἐποιήσατο. Ἀμμώνιος μὲν γὰρ Χριστιανὸς ἐν Χριστιανοῖς ἀνατραφεὶς τοῖς γονεῦσιν, ὅτε τοῦ φρονεῖν καὶ τῆς φιλοσοφίας ἥψατο, εὐθὺς πρὸς τὴν κατὰ νόμους πολιτείαν μετεβάλετο, Ὠριγένης δὲ Ἕλλην ἐν Ἕλλησιν παιδευθεὶς λόγοις, πρὸς τὸ βάρβαρον ἐξώκειλεν τόλμημα· ᾧ δὴ φέρων αὐτόν τε καὶ τὴν ἐν τοῖς λόγοις ἕξιν ἐκαπήλευσεν, κατὰ μὲν τὸν βίον Χριστιανῶς ζῶν καὶ παρανόμως, κατὰ δὲ τὰς περὶ τῶν πραγμάτων καὶ τοῦ θείου δόξας ἑλληνίζων τε καὶ τὰ Ἑλλήνων τοῖς ὀθνείοις ὑποβαλλόμενος μύθοις. 115 Hist. eccl. VI 19,7: κατὰ δὲ τὰς περὶ πραγμάτων καὶ τοῦ θείου δόξας ἑλληνίζων τε καὶ τὰ Ἑλλήνων τοῖς ὀθνείοις ὑποβαλλόμενος μύθοις. Vgl. Urbano 2013, 72: „We might say Porphyry accused Origen of manipulating the Greek habitus.“ 116 Digeser 2010, 206 f. liest die Stelle so, als würde Porphyrios Origenes’ christliche Herkunft annehmen und ihm sein Beharren darin trotz der Bildung vorwerfen; der Gegensatz zwischen ihm und Ammonios wäre der zwischen dem Konvertiten zum richtigen Leben und dem Nicht-Konvertiten. Ähnlich auch Böhm 2002, 15 f., Johnson 2012, 57.66 f. und Urbano 2013, 73 mit Anm. 181 sowie Riedweg im vorliegenden Band. Diese Positionen entsprechen der Interpretation von Beatrice 1992, 353. Allerdings wird von Porphyrios explizit gesagt, dass Origenes als Ἕλλην in hellenischer Bildung unterwiesen wurde und dennoch eine Bewegung vom Ἕλλην-Sein zum Christentum vollzogen habe (im Sinne der im LSJ festgehaltenen metaphorischen Bedeutung „drift into“); deswegen bleibe ich bei der oberen Lesart, die eine Konversion angesprochen sieht (mit Goulet 1977, 473 oder Männlein-Robert 2014, 126). Dieser Punkt ist wichtig für Porphyrios’ Origenesbild; seine Historizität ist für die vorliegende Argumentation zweitrangig. Es sei nur angedeutet, dass er sich am ehesten als Detailfehler des Porphyrios interpretieren lässt, ohne gleich, wie Goulet 1977, eine grundsätzliche fälschliche Identifikation der beiden Origeneis durch Porphyrios anzunehmen. 117 Vgl. Männlein-Robert 2014, 128–130 und Becker 2016, 157 f. Insgesamt zur Verwendung des Barbarenbegriffs bei Porphyrios, der grundsätzlich von der Überlegenheit des Hellenischen ausgeht, siehe Schott 2005, 293 f. Johnson 2012, 57–60 versucht eine Erklärung des Begriffs τόλμημα aus Plotin Enn. V 1,1 und verwandten Stellen bei Porphyrios und bezieht damit das τόλμημα auf eine falsche Theologie oder Praxis hinsichtlich des Körpers (60). Da er aber nicht rein begriffsbezogen, sondern eben auch mit generellen Vorstellungen des Porphyrios über Körper und Christentum, die nicht unbedingt mit dem Begriff verbunden sind, argumentiert, bleibt seine Deutung des Begriffs spekulativ. 118 Ep. 61 c Bidez. Die Interpretation von Johnson 2011, 179 f., dass hellenische und barbarische Traditionen hier auf der gleichen Ebene stünden und Porphyrios hier Origenes’ Import von Lehren einer ethnischen Gruppe in die Texte einer anderen kritisiere, überzeugt nicht. Porphyrios geht es hier nach den zitierten Texten in Origenes’ geistiger Bibliothek um hellenische
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genau dem Programm, das in dem berühmten Brief des Origenes an Gregor den Wundertäter artikuliert wird. Dort unterscheidet Origenes gleich zu Beginn hellenische Philosophie und Christentum (Χριστιανισμός) als zwei mögliche Gegenstände höherer Bildung und skizziert eine klare Hierarchie: Der Philosophie komme genau die vorbereitende, untergeordnete Rolle im Hinblick auf das Christentum bzw. die Exegese der Bibel zu, welche die Philosophen den vorbereitenden Wissenschaften im Hinblick auf die Philosophie zuweisen.119 Origenes deutet auch sein Bewusstsein an, dass Christen aus der Beschäftigung mit den hellenischen Wissenschaften die Gefahr häretischer Anschauungen erwachsen kann – er betrachte diese also durchaus mit Vorsicht.120 Insofern lässt sich insgesamt sagen, dass Porphyrios zwar polemisch, aber doch in der Sache nicht unzutreffend schreibt. Nach der plakativen Darstellung des barbarischen Abdriftens des Origenes gibt Porphyrios eine lange Aufzählung der für diesen relevanten Autoren. An erster Stelle steht, abgehoben von den anderen, Platon, in dessen geistiger Gesellschaft Origenes sich stets befunden haben soll (σύνην ἀεί). Sodann folgen Autoren, die zum großen Teil mittelplatonische und pythagoreische Prägung aufweisen: „Er pflegte vertrauten Umgang mit den Schriften des Numenios und Kronios, des Apollophanes und Longin und Moderatus, sowie des Nikomachos und der Berühmtheiten unter den Pythagoreern“.121 Eine dritte distinkte Gruppe Philosophie. Vgl. zur Frage nach dem Hellenismus an der vorliegenden Stelle auch Johnson 2012, 66 f. 119 Origenes, Ep. ad Gregorium 1: δύναται οὖν ἡ εὐφυΐα σου Ῥωμαῖόν σε νομικὸν ποιῆσαι τέλειον καὶ Ἑλληνικόν τινα φιλόσοφον τῶν νομιζομένων ἐλλογίμων αἱρέσεων. ἀλλ’ ἐγὼ τῇ πάσῃ τῆς εὐφυΐας δυνάμει σου ἐβουλόμην καταχρήσασθαί σε τελικῶς μὲν εἰς Χριστιανισμόν· ποιητικῶς δὲ διὰ τοῦτ’ ἂν ηὐξάμην παραλαβεῖν σε καὶ φιλοσοφίας Ἑλλήνων τὰ οἱονεὶ εἰς Χριστιανισμὸν δυνάμενα γενέσθαι ἐγκύκλια μαθήματα ἢ προπαιδεύματα, καὶ τὰ ἀπὸ γεωμετρίας καὶ ἀστρονομίας χρήσιμα ἐσόμενα εἰς τὴν τῶν ἱερῶν γραφῶν διήγησιν· ἵν’, ὅπερ φασὶ φιλοσόφων παῖδες περὶ γεωμετρίας καὶ μουσικῆς γραμματικῆς τε καὶ ῥητορικῆς καὶ ἀστρονομίας, ὡς συνερίθων φιλοσοφίᾳ, τοῦθ’ ἡμεῖς εἴπωμεν καὶ περὶ αὐτῆς φιλοσοφίας πρὸς χριστιανισμόν („Dein Talent kann dich nun zum vollkommenen römischen Juristen machen und zu einem hellenischen Philosophen der im allgemeinen Ansehen stehenden Schulen. Ich aber würde mir wünschen, dass du die ganze Kraft deines Talents vollständig auf das Christentum hin einsetztest. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass du tatkräftig sowohl von der hellenischen Philosophie die Dinge übernommen hättest, die gleichsam in Hinsicht auf das Christentum allgemeine Wissenschaften oder propädeutische Disziplinen werden können, als auch die Lehren aus der Geometrie und Astronomie, die dir nützlich für die Auslegung der heiligen Schriften sein würden – um einmal das, was die Söhne der Philosophen über Geometrie und Musik und Grammatik und Rhetorik und Astronomie sagen, nämlich dass sie Hilfsdisziplinen der Philosophie seien, auch über die Philosophie selbst in Hinsicht auf das Christentum zu sagen“). 120 Origenes, Ep. ad Gregorium 3; es geht anscheinend um die Gefahr der τοῦ κόσμου μαθήματα für Personen, die schon Christen (geworden) sind. Siehe dazu Goulet 1977, 476 f., auch zusätzlich zur Diskussion der Frage, inwiefern sich aus dem Brief und der Dankesrede Aufschlüsse über ein institutionalisiertes Curriculum in der Schule des Origenes gewinnen lassen. 121 Hist. eccl. VI 19,8: τοῖς τε Νουμηνίου καὶ Κρονίου Ἀπολλοφάνους τε καὶ Λογγίνου καὶ Μοδεράτου Νικομάχου τε καὶ τῶν ἐν τοῖς Πυθαγορείοις ἐλλογίμων ἀνδρῶν ὡμίλει συγγράμμασιν. Zu den einzelnen Autoren dieser Gruppe siehe Becker 2016, 161–164.
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bilden die Stoiker: „Er benutzte aber auch die Bücher des Stoikers Chairemon und des Cornutus, aus denen er die übertragene Deutung der hellenischen Mysterien kennenlernte und sie auf die jüdischen Schriften anwandte.“122 Die Liste hat Parallelen zu Plotin: Ὑπομνήματα von Numenios und Kronios werden von Porphyrios als Texte, die im Unterricht Plotins gelesen wurden, erwähnt.123 Die anderen für Plotin erwähnten Kommentarwerke erscheinen hier nicht; das kann damit zusammenhängen, dass Plotin als traditioneller Philosophielehrer portraitiert wird und somit die exegetische Dimension für seine Vorlesungen in der Vita in den Vordergrund rückt. Bis auf Platon, der als Person angesprochen und so als steter geistiger Begleiter des Origenes stilisiert wird, ist von den anderen Figuren als Autoren von Büchern die Rede; evoziert wird gleichsam der Handapparat, der Origenes’ Arbeit prägt. Die Liste scheint auf Texte im Umkreis der Philosophie zu zielen; auch dadurch wird das Hellenische an Origenes in diesem Abschnitt auf die Philosophie fokussiert.124 Allerdings bleibt festzuhalten, dass Porphyrios doch – zumindest in dem erhaltenen Fragment – bei allen Bezügen zur Philosophie, die er um den christlichen Intellektuellen herum webt, es doch vermeidet, ihn expressis verbis als Philosophen zu bezeichnen. Er attestiert ihm lediglich die τῶν λόγων ἐμπειρία als Frucht des Studiums bei Ammonios – ein platonisch geprägter Leser könnte die platonische Herabsetzung der Rhetorik als bloßes Erfahrungswissen (ἐμπειρία) aus dem Gorgias mitschwingen hören125, vielleicht auch die plotinische Gegenüberstellung φιλόλογος – φιλόσοφος. Eusebios lehnt die Konversionsgeschichte als unglaubwürdig ab: Origenes habe sein Christentum von den Vorfahren geerbt126, und Ammonios habe bis 122 Hist. eccl. VI 19,8: ἐχρῆτο δὲ καὶ Χαιρήμονος τοῦ Στωϊκοῦ Κορνούτου τε ταῖς βίβλοις, παρ’ ὧν τὸν μεταληπτικὸν τῶν παρ’ Ἕλλησιν μυστηρίων γνοὺς τρόπον ταῖς Ἰουδαϊκαῖς προσῆψεν γραφαῖς. 123 V. Plot. 14; siehe Zambon 2011, 162, Anm. 170. 124 Vgl. Beatrice 1992, 355: „The list is obviously not complete […] But what he [P.] says is already sufficient to make us comprehend that the determining influence that Origen had received, besides that from the Platonic dialogues, stemmed from the Neopythagorean, Middle Platonic and Stoic literature, or at least, that is the vivid impression that he left in Porphyry’s mind.“ Vgl. auch die Analyse der expliziten philosophischen Zitate im Werk des Origenes bei Dorival 1992, bes. 192–202, der weitere von Origenes verarbeitete Texte, etwa von Chrysipp oder anderen Stoikern, nachweist und mit Porphyrios’ Katalog kontrastiert. Aufgrund der Nicht-Übereinstimmung der expliziten Zitate mit dem Katalog, der Erwähnung Longins und aufgrund der starken Präsenz stoischer Zitate verwirft er pauschal den Katalog des Porphyrios als falsch (201). Da er aus den stoischen Zitaten eine höhere Kompetenz des Origenes in der Stoa als im Platonismus gegeben sieht, verwirft er auch Porphyrios’ Behauptung, Origenes sei Schüler des Ammonios gewesen (201 f.). Der Artikel bietet wertvolles Material, um die Diskussion um Origenes’ geistige Bibliothek und philosophische Prägung über Porphyrios hinaus zu erweitern. Allerdings erscheint die Konzentration auf explizite Zitate nicht geeignet, solche weitreichenden Schlüsse zu tragen; hier müssten auch metaphysische Strukturähnlichkeiten und andere Rezeptionsformen als nur die Zitate einbezogen werden. 125 Gorgias 462 c–465 a. 126 Eusebios’ biographische Skizze, die Origenes in einem christlichen Elternhaus verortet, hat sich in der Forschung durchgesetzt. Ramelli 2009, 221 versucht, Porphyrios Recht zu geben,
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zum Tod die Haltung der „gottbegeisterten Philosophie“ unverfälscht beibehalten. Beleg sind ihm die Schriften des Ammonios (die Formulierung entspricht der Formulierung des Porphyrios zu Origenes), die unter anderem eine συμφωνία zwischen Moses und Jesus beinhalten.127 Interessant ist zum einen der Hinweis auf den christlichen Hintergrund des Ammonios, in dem beide Autoren übereinstimmen.128 Dies könnte die Marginalität bzw. besondere Position des Ammonios innerhalb der alexandrinischen philosophischen Szene erklären, die in der Vita Plotini anklang. Die Bedeutung des Ammonios als begehrter Identifikationsfigur für Eusebios wie für Porphyrios wird durch die konfligierenden Interpretationen seiner religiösen Affiliation deutlich129, die eine erhebliche Grauzone vermuten lassen. Eusebios kann letztlich für seine Hypothese nur auf den einen Werktitel konkret verweisen, während Porphyrios die ebenfalls recht unspezifische Lebensweise (ἡ κατὰ τοὺς νόμους πολιτεία) hervorhebt. Eine συμφωνία zwischen Moses und Jesus lässt sich aber nicht nur als dezidiert christlicher Text lesen, sondern könnte – vergleichbar mit Numenios – eine philosophische Perspektive einnehmen und die beiden Figuren als Exponenten barbarischer religiöser Weisheit betrachten (nach dem Kirchenvater Origenes soll Numenios Jesus, wenngleich nicht namentlich, thematisiert haben).130 Die Annahme, Eusebios führe hier einen falschen zweiten – oder gar dritten – christlichen Ammonios ins Feld, ist nicht zwingend: Longin stellt ja ausdrücklich fest, dass er nicht primär auf philosophische Nachwirkung angelegte parerga nicht in Betracht zieht. Zum anderen beansprucht Porphyrios auch Origenes’ Werk, dessen Ansehen er kennt und hier – wenn auch explizit auf das christliche Lager beschränkt – unterstreicht, in seinen besten Aspekten als Ergebnis der pagan-philosophischen Bildung für sein eigenes ‚hellenisches‘ Lager, wenn er Origenes’ metaphysischen Habitus und die dahinter stehende philosophische Bibliothek als pagan bzw. hellenisch charakterisiert und den christlichen Anteil – die falschen Mythen, auf die die richtige Philosophie angewendet wird, und die den λόγοι nicht entsprechende Lebensweise – so darstellt, dass er prinzipiell leicht von der hellenischen Grundlage abgesondert werden könnte.131 Dass Porphyrios mit seiner indem sie vorschlägt, dass der bei Euseb erwähnte Leonides vielleicht nicht der leibliche, sondern nur der geistliche ‚Vater‘ des Origenes sei. 127 Hist. eccl. VI 19,10. Dazu Urbano 2013, 74 f. 128 Beatrice 1992, 353 erwägt, dass Porphyrios eventuell in der Biographie des Ammonios seine eigene religiöse Wende gespiegelt sehe. Zu Ammonios’ Christentum und möglichen Parallelen vgl. Digeser 2012, 42–48. Vgl. auch Böhm 2002, 17 und den Beitrag von Riedweg in diesem Band. 129 So zu Recht etwa Digeser 2012, 47; Urbano 2013, 72–79 und 160–162. 130 Vgl. schon Weber 1962, 38. Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten für die erwähnte Schrift des Ammonios vgl. auch Becker 2016, 167 und Digeser 2012, 44 f. 131 Insofern erscheint es verfehlt, wenn Schott 2005, 309 die Stelle so interpretiert, als würde Porphyrios Origenes unter einer hellenischen Maske verborgenes Barbarentum vorwerfen – zumindest was Origenes’ Denkform betrifft, stellt es Porphyrios genau entgegengesetzt dar.
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Beobachtung durchaus einen wichtigen Punkt trifft, lässt sich aus Origenes’ Rechtfertigung seiner Beschäftigung mit paganen Texten und der Philosophie herauslesen, die Eusebios anschließend anführt. Aus diesem Brief ergibt sich das Bild eines christlichen Lehrers, der auch Häretiker und Philosophen anzieht und sich daraufhin entschließt, bei Ammonios zu studieren. Dort trifft er unter anderem auf Heraklas, der wohl zunächst pagan ist und dann unter Origenes’ Einfluss eine Konversion zum Christentum durchläuft, die ihn allerdings nicht daran hindert, den Philosophenmantel zu tragen und unablässig hellenische Werke zu studieren.132 In dieses Bild passen auch die verlorenen Stromateis des Origenes, die nach Ausweis einer Notiz bei Hieronymus die Harmonisierung christlicher Lehren mit den Positionen Platons sowie des Aristoteles, Numenios und Cornutus beinhalteten.133 Insgesamt scheinen pagane und christliche Philosophen und Intellektuelle verschiedener Couleur im alexandrinischen Milieu miteinander in einem relativ offenen Austausch zu stehen; das erinnert an die ebenfalls gemischte Zusammensetzung von Plotins römischer Schule. Für dieses Miteinander bei aller unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit hat Elizabeth Digeser treffend aus der Anthropologie den Begriff der „interaction sphere“ verwendet.134 Umso auffälliger ist, dass Porphyrios hier, wo er eindeutig über den christlichen Kirchenvater als christlichen Philosophen spricht, die zwei philosophischen Werke, die er dem Plotin-Kommilitonen in der Vita Plotini zuschreibt, nicht erwähnt – sie hätten die Beanspruchung des ‚hellenischen‘ Anteils an Origenes’ Denken wirkungsvoll untermauern können. Dass diese Werktitel auch sonst in der christlichen Überlieferung zum Christen Origenes nicht vorkommen, ist ebenfalls ein wichtiges Indiz – zumindest Anti-Origenisten wie Hieronymus hätten sie weidlich für ihre Polemik ausnutzen können.135
eccl. VI 19,12–14. Goulet 1977, 485 mit Verweis auf Hieronymus, ep. 70,4: hunc [sc. Clemens] imitatus Origenes decem scripsit Stromateas Christianorum et philosophorum inter se sententias conparans et omnia nostrae religionis dogmata de Platone et Aristotele, Numenio Cornutoque confirmans. Dazu auch Chadwick 1966, 71 f. mit Anm. 10, der zusätzlich auf Hieronymus, ep. 84,3 verweist, wo dieser die Stromateis als Ausweis des Irrtums des Origenes und seiner Parteigänger beschreibt (sextus Stromatum liber, in quo Platonis sententiae nostrum dogma conponit) und auf dessen Adv. Rufin. I 18, wo es dem vergleichbaren Kontext nach um dieselbe Stelle aus den Stromateis wie in ep. 84 geht und Hieronymus die Übersetzung eines Fragments aus dem sechsten Buch anführt, in dem Origenes explizit das platonische Konzept der zuweilen notwendigen Lüge für den christlichen Gebrauch rezipiert. Zu dieser Stelle und den Stromateis allgemein vgl. nun Morlet 2004, 129–138, der plausibel darlegt, dass Origenes’ Stromateis in diesem Punkt Eusebios in der Praep. ev. XII 31 als Vorlage gedient haben. 134 Digeser 2010, 198 und 205. Vgl. auch Urbano 2013, 75 f. 135 So richtig Edwards 2015, 89; anders Ramelli 2009, 237: Eusebios habe an den beiden Schriften kein Interesse gehabt und habe Origenes als Christen, nicht als Platoniker profilieren wollen, ebenso wie Hieronymus. 132 Hist. 133
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4. Fazit Die untersuchten Texte lassen erkennen, wie stark die Darstellung des Origenes und auch die anderer intellektueller Schlüsselfiguren wie etwa Ammonios von den Intentionen und Gesamtanlagen der jeweiligen Kontexte abhängen. Besonders deutlich wird Porphyrios’ selektive Darstellungsweise hinsichtlich der religiösen Zugehörigkeit des Ammonios. Diese wird von ihm nur in der Schrift gegen die Christen thematisiert, die ganz auf diesen religionspolemischen Skopos ausgerichtet ist; in der Vita Plotini, die ganz im Zeichen der vom traditionellen Kult losgelösten Philosophie steht, wird sie bewusst ausgeblendet. Kontrastierungen von Personen werden bewusst und teils schematisch eingesetzt: so baut Porphyrios in der Vita wie im Timaioskommentar den Plotin-Kommilitonen Origenes als Gegenpol zu Longin auf, und in Contra Christianos Ammonios als Gegenpol zu dem christlichen Exegeten Origenes. In der Vita dient die Darstellung des Netzwerks, in dem sich Plotin befindet, zum einen der Profilierung Plotins, zum anderen der Profilierung des Porphyrios als seines Meisterschülers und der Profilierung seiner Edition als der einzigen autorisierten; im Timaioskommentar profiliert er sich gegenüber Longin und Origenes, indem er erst die beiden in einen Gegensatz bringt und damit den ersteren als bloßen Philologen diskreditiert und dann die Positionen des Philosophen Origenes verwirft (Homer) oder weiter verfeinert (Dämonologie). Ähnliche bis gleiche Strategien – Kontrastierungen, Berufung auf Porphyrios als einen anerkannten philosophischen Experten und Gegner des Origenes, Verbindung der selektiven Darstellung des Origenes mit starker Betonung des Christlichen mit einem impliziten, aber rekonstruierbaren Plädoyer pro domo – lassen sich auch bei Eusebios finden. Wenn nun im Bewusstsein dieser rhetorischen Aufladung die Darstellungen von Origeneis bei Porphyrios betrachtet werden, ergibt sich folgendes Bild: 1. Sowohl der Plotin-Kommilitone als auch der christliche Exeget aus Contra Christianos werden als Schüler des Plotin-Lehrers Ammonios beschrieben. Eine Verwechslung der beiden durch den Kronzeugen Porphyrios erscheint dabei unplausibel, da dieser sowohl den Christen gekannt hat als auch mit dem Netzwerk um Ammonios durch Longin und Plotin vertraut war.136 Jedoch deckt sich die Position, welche dem Plotin-Kommilitonen Origenes durch Porphyrios (und Longin) in der Vita Plotini im Schülerkreis des Ammonios zugeschrieben wird, nicht mit dem, was der Christ Origenes in dem bei Eusebios zitierten Brief selbst beschreibt – ein kurzes, pragmatisch motiviertes Informationsstudium, ohne jegliche Anspielungen auf einen esoterischen Unterricht, das primär dazu dienen sollte, seine eigene christliche Lehrtätigkeit für einen weiteren Interessentenkreis zu öffnen und abzustützen. Der Christ Origenes passt damit eher in den weiteren 136 So
zu Recht Beatrice 1992, 352.
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Schülerkreis des Ammonios, zu dem auch Longin, Antoninus, Heraklas oder die in der Vita Plotini erwähnten Theodosios und Olympios gehören.137 2. Die untersuchten Texte zeichnen zwei unterschiedliche Portraits, die unter dem Namen „Origenes“ laufen. Einheitlich ist das Bild des Origenes, das in der Vita Plotini und im Timaioskommentar präsentiert wird. Er wird von Porphyrios dezidiert und ausschließlich als Philosoph, teilweise auf Kosten Longins als Philologen, profiliert. Ihm werden zwei Traktate zu platonischen Kernthemen zugeschrieben: Dämonologie und Prinzipienlehre. Im Zusammenhang mit ihm wird Christliches weder in der Vita Plotini noch im Timaioskommentar thematisiert. Das bedeutet nun nicht, dass dieser Origenes zwangsläufig pagan ist – der Umgang mit Ammonios lässt erkennen, dass Porphyrios solche Referenzen bewusst ausblenden kann. Aber für Porphyrios spielt seine religiöse Affiliation in den genannten Schriften keine Rolle. Als Timaios-Exeget deutet dieser Origenes den Atlantismythos allegorisch, legt Platon mit Platon aus, setzt dämonologische Akzente, die zu der einen in der Vita Plotini erwähnten Schrift passen, und betont den praktisch-philosophischen Wert Homers. Im Detail ergeben sich Spannungen des von Porphyrios in diesen beiden Werken gezeichneten Origenes zu gesicherten Positionen des Christen Origenes. Konkret betrifft das die Einschätzung des philosophischen und ethischen Potentials Homers, die Einordnung der daimones sowie die Schöpfungslehre. Contra Christianos führt einen dezidiert christlichen hochkarätigen Intellektuellen ein. Porphyrios unterscheidet bei ihm zwischen seinem fundamental hellenischen metaphysischen System und seiner biblischen Exegese. Die hellenische Prägung seines philosophischen Denkens wird nicht nur postuliert, sondern mit dem selektiven Verweis auf dessen Referenzbibliothek untermauert. Als Gegenstand der allegorischen Methode werden hier nur die biblischen Schriften erwähnt. Durch seine Schriften wirke dieser Origenes bei den Christen fort und genieße bleibenden Nachruhm – Porphyrios scheint diese nicht als parerga, sondern als ein beachtliches Corpus zu verstehen, das eine grundlegend falsche Richtung einschlägt. Die beiden philosophischen Werke aus der Vita Plotini werden nicht erwähnt, obwohl sie Porphyrios’ Bild eines metaphysisch grundsätzlich hellenisch geprägten Origenes noch zusätzlich untermauern würden. Im Falle dieses Origenes ist ihm die religiöse Zugehörigkeit essentiell, da sie ihn von der hellenischen philosophischen Bildung entfremdet und so seinen allegorischen Ansatz aus philosophischer Perspektive als absurden Verbindungsversuch von Gegensätzen erscheinen lässt. Auf dieser Grundlage erscheint eine Identifikation der beiden Origeneis wenig plausibel. Dennoch ist im Laufe der Diskussion an zahlreichen Punkten die Verankerung auch des Christen Origenes in den Gesprächszusammenhängen des Platonismus seiner Zeit deutlich geworden; er weist verschiedene thematische 137 V. Plot.
7 und 10; Männlein-Robert 2001, 185 f.
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wie auch inhaltliche Berührungspunkte mit dem Plotin-Kommilitonen Origenes, mit Plotin sowie nicht zuletzt mit Porphyrios selbst auf. Porphyrios selbst verweist auf den „hellenischen“ Anteil an Origenes’ Lehre, der das metaphysische Grundgerüst liefere, und ordnet ihn qua Schülerschaft bei Ammonios und qua Referenzbibliothek in die platonisch-pythagoreische Denkströmung der späteren Antike ein, der auch der andere Origenes angehört. Der Christ Origenes vereint philologische und philosophische Bildung; er schätzt Homer und liest ihn teilweise allegorisch, was ihn mit dem Plotin-Kommilitonen verbindet; er macht sich aber auch Platons Dichterkritik zu eigen und schmälert Homers philosophischen und ethischen Wert – hier ist er eng bei der Position, die Porphyrios selbst einnimmt. Mit beiden verbindet ihn die explizite Thematisierung Homers, der in Plotins erhaltenen Werken eine eher geringe Rolle spielt. Porphyrios postuliert für Plotin ein Interesse an barbarisch-orientalischer Weisheit, wobei er in ihn wohl eher seine eigenen Interessen hineinprojiziert; den Rekurs auf diesen Topos finden wir bei dem Christen Origenes, und zwar ungleich besser greifbar als bei Plotin selbst. Die Prinzipienlehre und Schöpfungslehre des Christen fällt mit Plotins Position unter die im Werktitel über den König als einzigen Schöpfer implizierte Kritik; aber alle drei sind im mittelplatonischen und neuplatonischen Ringen um die Bestimmung des höchsten Prinzips und seines Verhältnisses zum Sein und zur Welt vereint. Schließlich ist das Interesse an der Hierarchie von Zwischenwesen zwischen Mensch und Gott bei dem Plotin-Kommilitonen wie dem Christen stark ausgeprägt, wenngleich ihre Modelle im Detail divergent ausfallen; auch hier erinnert Origenes’ Position teilweise stark an Porphyrios. Insofern lassen sich beide Origeneis im Rahmen des Platonismus des 3. Jahrhunderts verorten. Aus den Versuchen, sie zu identifizieren, lässt sich das wichtige Anliegen festhalten, diese gemeinsame Basis hervorzuheben und über allzu starr dichotomische Denkmuster „pagan versus christlich“ hinauszukommen.138 Auf diesem Hintergrund, der die Gemeinsamkeiten anerkennt, kann dann noch präziser auch nach den jeweiligen Unterschieden zwischen paganen und christlichen Platonikern gefragt werden, so etwa nach den grundsätzlich konträren Entscheidungen hinsichtlich der Texte, die als letztgültig autoritativ betrachtet werden.139 Christliche Platoniker wie der Theologe Origenes könnten dann besser als eigenständige Stimmen im manchmal durchaus diskordanten Konzert des Platonismus im 2. und 3. Jahrhundert wahrgenommen werden.140 138 Siehe
hier auch den Beitrag von Christoph Riedweg in dem Band. Recht fordert Dorival 1992, 202, in Bezug auf Origenes und Plotin, eine Kombination der „méthode de l’accord“ und der „méthode de la différence“. Dies ließe sich generell für das Studium kaiserzeitlicher und spätantiker Philosophie extrapolieren. Vgl. auch seine ausgewogene Stellungnahme hinsichtlich der Konvergenzen und Divergenzen zwischen Kirchenvätern und Platonismus in der Kaiserzeit, ebd. 203. 140 Das Spektrum der möglichen Verhältnisbestimmungen des Christen Origenes zum Platonismus seiner Zeit ist breit; vgl. etwa Ramelli 2009 und Edwards 2008. Letzterer schlägt zu Recht als notwendige Grundlage für die Diskussion der Frage, inwiefern Christen wie Origenes 139 Zu
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Was wissen wir über die Metaphysik des Platonikers Origenes? Jens Halfwassen 1. Der Platoniker Origenes1 gehörte zusammen mit Plotin und Herennios zu den engsten Schülern des Platonikers Ammonios2, der wahrscheinlich bis 242 in Alexandria lehrte. Dieser Platoniker Ammonios ist zu unterscheiden von einem anderen Philosophen Ammonios, der etwa zur gleichen Zeit lehrte, aber kein Platoniker, sondern Aristoteliker war. Longin3, der ein Schüler der Platoniker Ammonios und Origenes war, nennt den Aristoteliker Ammonios den bedeutendsten Philologen seiner Zeit, dem niemand an Gelehrsamkeit gleichgekommen sei.4 Von beiden zu unterscheiden ist ein dritter Ammonios, ein von Eusebios bezeugter christlicher Philosoph, der ein offenbar gegen die Gnostiker gerichtetes Werk Über die Übereinstimmung von Moses und Jesus verfasste.5 Eusebios identifiziert den Christen Ammonios irrtümlich mit dem Platoniker gleichen Namens.6 Anlass zu dieser Verwechslung bietet offenbar Porphyrios, der in seiner Schrift Gegen die Christen berichtet, der Platoniker Ammonios sei christlicher Herkunft gewesen, habe sich aber unter dem Einfluss der Philo-
1 Siehe
zu Origenes Weber 1962. Siehe zu Ammonios Dörrie 1955; Theiler 1966; ders., 1970; Schwyzer 1983. – Die Unterschiede zwischen den von diesen führenden Spezialisten gezeichneten Ammonios-Bildern zeigen drastisch, wie wenig wir über diesen Philosophen wirklich wissen. Während Dörrie und Schwyzer Ammonios für einen Vorläufer Plotins halten und ihm ohne überzeugende Belege die Lehre vom Übersein des Einen zuschreiben, zeichnet Theiler Ammonios als Mittelplatoniker und als einen Vertreter der Harmonisierung von Platon und Aristoteles; die Belege (vor allem aus Hierokles und Nemesios), die Theiler dafür anführt, sind sehr bestreitbar, außerdem identifiziert er den Platoniker zu Unrecht mit dem Christen Ammonios. Schroeder 1987 kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass wir über die Philosophie von Plotins Lehrer schlicht nichts wissen und der Versuch, sie zu rekonstruieren, sinnlos ist. 3 Siehe zu Longin die umfassende Monographie von Männlein-Robert 2001. 4 Porphyrios, V. Plot. 20, Z. 49–52. 5 Eusebios, Hist. eccl. VI 19,10. 6 Ebenso Ziebritzki 1994, 39–42. 2
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sophie vom Christentum abgewendet.7 Porphyrios und Longin bezeugen übereinstimmend, dass der Platoniker Ammonios ausschließlich mündlich gelehrt und keine Schriften verfasst habe8 – er kann also nicht der Verfasser der Schrift Über die Übereinstimmung von Moses und Jesus sein, der nach Eusebios auch noch weitere Schriften verfasste und aufgrund dieser Schriften angesehen war.9 Porphyrios berichtet von einer Verabredung der drei Ammonios-Assistenten Plotin, Origenes und Herennios, die Lehren ihres Meisters geheim zu halten.10 Herennios habe diese Verabredung als erster gebrochen, Origenes sei ihm später gefolgt. Plotin habe dagegen zehn Jahre lang (von 244 bis 253) in Rom nur mündlich gelehrt und erst nach dieser langen mündlichen Lehrtätigkeit mit der Abfassung seiner Schriften begonnen, und zwar seit der Thronbesteigung des Kaisers Gallienus, der Plotins Schüler war.11 Longin rechnet in seinem Überblick über die Philosophen seiner Zeit Plotin zur schreibenden Zunft, Ammonios und Origenes dagegen zu den ausschließlich oder vorwiegend mündlich lehrenden Philosophen.12 Origenes hat nur zwei Schriften verfasst: eine relativ frühe Schrift Über die Dämonen – die zwischen 243 und 253 zu datieren sein dürfte13 – und eine spätere Schrift mit dem Titel Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς, die erst unter Gallienus entstanden ist, also zwischen 253 und 268.14 Dieser Titel enthält eine prinzipientheoretische Aussage: der βασιλεύς nimmt offenbar den βασιλεὺς πάντων aus dem 2. Platonbrief 15 auf, der in der Antike allgemein als echt angesehen wurde, während er heute allgemein als unecht gilt.16 „Der König aller Dinge“ ist eine genuin Platonische Metapher für das höchste Prinzip, den universalen Urgrund – Platon sagt im Sonnengleichnis, das Gute, also das überseiende Eine, herrsche als König (βασιλεύειν) über die intelligible Welt, so wie sein Analogon, der Sonnengott, als König über die sichtbare Welt regiere.17 Der ποιητής bezieht 7 Bei Eusebios, Hist. eccl. VI 19,7. Siehe die kommentierte Neuedition und Übersetzung von Becker 2016; dort 132–167 zu der Passage aus Eusebios über Origenes und Ammonios. 8 Porphyrios, V. Plot. 3,25–28 mit 20,36–47. 9 Eusebios, Hist. eccl. VI 19,10. 10 Porphyrios, V. Plot. 3,24–27. Dazu Szlezák 1977. 11 Porphyrios, V. Plot. 3,29–35. 12 Porphyrios, V. Plot. 20,25–39. 13 Die Datierung vor 253 ergibt sich aus Porphyrios’ Angabe, Origenes habe die Geheimhaltungsvereinbarung vor Plotin gebrochen, dessen früheste Schrift von 253 stammt. 14 Porphyrios, V. Plot. 3,31 f. 15 Platon, Ep. 2, 312 e. 16 Siehe den gründlichen Überblick über die Auslegungsgeschichte des Briefes im antiken Platonismus bei Saffrey / Westerink 1974, XX–LIX („Introduction“). – Unbeschadet der Unechtheit des Briefes passt der freilich nur angedeutete dogmatische Gehalt der berühmten Rätselpartie sehr gut zu Platons Prinzipienlehre, was auch die in der Antike immer wieder betonte Übereinstimmung mit den drei ersten Hypothesen des Parmenides über das absolute Eine, das seiende Eine (der Geist als Ideentotalität) und das sowohl seiende als auch nicht-seiende Eine (die Seele) belegt. 17 Platon, Rep. 509 d.
Was wissen wir über die Metaphysik des Platonikers Origenes?
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sich dagegen auf den Schöpfergott aus Platons Timaios, den Demiurgen, den Platon dort, wo er ihn einführt, „den Schöpfer und Vater dieses Alls“ (ποιητὴς καὶ πατὴρ τοῦδε τοῦ παντός18) nennt. Der Titel der Schrift des Origenes besagt also, dass der Urgrund allein der Schöpfer sei bzw. dass der Schöpfergott eben der Urgrund sei – er setzt also den Schöpfer mit dem höchsten Prinzip, dem Einen und Guten gleich. Diese Gleichsetzung war im Mittelplatonismus weit verbreitet und geht wohl auf Xenokrates zurück.19 Indem Origenes sie übernimmt, vertritt er eine Prinzipientheorie, die sich von jener Plotins sehr deutlich unterscheidet: Plotin nämlich unterscheidet das Eine selbst in seiner absoluten Transzendenz über Sein und Geist von dem Schöpfergott des Timaios, den er mit dem göttlichen Geist als dem Ort der Ideen und Inbegriff des intelligiblen Seins identifiziert.20 Es kann darum sein, dass Origenes sich mit seiner Schrift gegen Plotin wendet – wir hätten es dann mit einer Streitschrift zu tun, die eine Kontroverse innerhalb der Ammonios-Schule über den Status des höchsten Prinzips austrägt. Diese Möglichkeit ist deswegen nicht von der Hand zu weisen, weil die PrinzipienSchrift des Origenes während der Regierungszeit des Plotin-Schülers Gallienus entstanden ist, also in einer Zeit, in der Plotins prinzipientheoretische Position allgemein bekannt und Plotin der berühmteste lebende Philosoph war21, so berühmt, dass er selbst in der Provinzstadt Köln im Zentrum eines Philosophenmosaiks abgebildet wurde. Allerdings ist ein polemischer Bezug auf Plotin nicht sicher. Die Unterscheidung des höchsten Prinzips vom Schöpfergott, gegen die sich Origenes wendet, wurde nämlich auch schon vor Plotin von berühmten Platonikern vertreten, nicht nur von Numenios22, sondern in einer Plotin sogar näher stehenden Form auch von Eudoros von Alexandria und von Moderatos von Gades, ebenso von platonisierenden Gnostikern wie Basilides, den Valentinianern oder den Sethianern.23 Während die im Mittelplatonismus überwiegende Gleichsetzung des Einen mit dem Demiurgen vermutlich auf Xenokrates zurückgeht, lässt sich die Überordnung des Einen über den Demiurgen und den göttlichen Geist mit Sicherheit auf Speusipp zurückführen24 – und sie entspricht natürlich Platons eigener Lehre.25 Tim. 28 c. Krämer 1964, 21–126, bes. 21–45 und 119–126.; ebenso Dillon 1977, 24–30; ders. 1993, 94; ders. 2003, 98–107. 20 Plotin, Enn. V 1, 8. Siehe dazu Halfwassen 1992, Teil I; ders. 2004, 32–58.84–97; ders. 2015, 149–164. 21 Porphyrios nennt Plotin einfach „den Philosophen meiner Zeit“ (ὁ καθ’ ἡμᾶς γεγονὼς φιλόσοφος, V. Plot. 1,1). 22 Vgl. Numenios, fr. 16, 17 und 21 des Places. 23 Siehe Whittaker 1969; Dillon 1977, 126–129.346–349; Krämer 1964, 223–264. 24 Siehe Krämer 1964, 208–223. 25 Siehe Halfwassen 2000. 18 Platon, 19 Siehe
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2. Wie aber hat Origenes seine prinzipientheoretische Position begründet? Wir kennen diese Begründung durch Proklos, der schreibt: „Ich wundere mich aber über all jene Interpreten Platons, welche das Königtum des Geistes im Bereich des Seienden zugeben und gleichzeitig das unsagbare Übermaß des Einen und seine die Totalität transzendierende Wirklichkeit nicht verehrt haben; das gilt besonders für Origenes, der doch aus der gleichen Schule wie Plotin stammte. Denn auch Origenes hört beim Geist, dem absolut ersten Seienden, auf und leugnet das Eine jenseits allen Geistes und jenseits allen Seins. Verneint er es deswegen, weil das Eine über jede Erkenntnis, jede Argumentation und jede Intuition erhaben ist, so müssten wir zugestehen, dass Origenes weder von Platon noch vom Wesen der Sache abweiche. Leugnet er es aber mit der Begründung, dass das Eine vollkommen unwirklich und wesenlos sei und dass der Geist das Höchste sei, weil nämlich das ursprünglich Seiende und das ursprünglich Eine identisch seien, dann können weder wir ihm darin zustimmen noch kann Platon ihn akzeptieren und ihn unter seine Schüler rechnen. Denn weit, denke ich, ist diese Lehre von der Philosophie Platons entfernt und sie ist voll von der Aristotelischen Neuerung.“26
Nach Proklos hat Origenes also den Geist, die höchste und ursprünglichste Form des Seins, als das Höchste schlechthin angesehen. Das Eine jenseits des Seins und jenseits des Geistes, wie Plotin es lehrte, bestritt er dagegen: es sei vollkommen unwirklich, wesenlos und nichtig (παντελῶς ἀνύπαρκτον καὶ ἀνυπόστατον). Zur Begründung hat Origenes, wie Proklos berichtet, sich darauf berufen, dass das ursprünglich Seiende und das ursprünglich Eine identisch seien. Dies ist, wie Proklos betont, die prinzipientheoretische Position des Aristoteles, für den das Seiende und das Eine vertauschbar sind (Metaphysik 1003 b22–34). Diese Konvertibilitätsthese des Aristoteles hält Proklos mit Recht nicht nur für unplatonisch, sondern für antiplatonisch: sie schließt nämlich das Eine als überseiendes Prinzip des Seins aus und erhebt das Sein zum Grundthema der Prinzipientheorie. Damit etabliert sie eine Metaphysik als Ontologie, während Platons Metaphysik den Charakter einer Henologie hatte.27 Proklos wirft Origenes darum Abfall vom Platonismus vor und sieht in ihm einen Aristoteliker. 26 Proklos, Theologia Platonica II 4,31, 4–22 Saffrey / Westerink: θαυμάζω δὲ ἔγωγε τούς τε ἄλλους ἅπαντας τοῦ Πλάτωνος ἐξηγητάς, ὅσοι τὴν νοερὰν βασιλείαν ἐν τοῖς οὖσι προσήκαντο, τὴν δὲ τοῦ ἑνὸς ἄρρητον ὑπεροχὴν καὶ τῶν ὅλων ἐκβεβηκυῖαν ὕπαρξιν οὐκ ἐσέφθησαν, καὶ δὴ διαφερόντως Ὠριγένην τὸν τῷ Πλωτίνῳ τῆς αὐτῆς μετασχόντα παιδείας. καὶ γὰρ αὖ καὶ αὐτὸς εἰς τὸν νοῦν τελευτᾷ καὶ τὸ πρώτιστον ὄν, τὸ δὲ ἓν τὸ παντὸς νοῦ καὶ παντὸς ἐπέκεινα τοῦ ὄντος ἀφίησι· καὶ εἰ μὲν ὡς κρεῖττον ἁπάσης γνώσεως καὶ παντὸς λόγου καὶ πάσης ἐπιβολῆς, οὔτ’ ἂν τῆς τοῦ Πλάτωνος συμφωνίας οὔτ’ ἂν τῆς τῶν πραγμάτων φύσεως αὐτὸν ἁμαρτάνειν ἐλέγομεν· εἰ δ’ ὅτι παντελῶς ἀνύπαρκτον τὸ ἓν καὶ ἀνυπόστατον καὶ ὅτι τὸ ἄριστον ὁ νοῦς καὶ ὡς ταὐτόν ἐστι τὸ πρώτως ὂν καὶ τὸ πρώτως ἕν, οὔτ’ ἂν ἡμεῖς αὐτῷ ταῦτα συνομολογήσαιμεν οὔτ’ ἂν ὁ Πλάτων ἀποδέξαιτο καὶ τοῖς ἑαυτοῦ γνωρίμοις συναριθμήσειε. πόρρω γάρ, οἶμαι, τὸ τοιοῦτον δόγμα τῆς τοῦ Πλάτωνος φιλοσοφίας ἐστέρηται καὶ τῆς Περιπατητικῆς ἀναπέπλησται καινοτομίας. Siehe dazu Halfwassen 2015, 169 f. 27 Dazu demnächst Halfwassen 2018.
Was wissen wir über die Metaphysik des Platonikers Origenes?
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Origenes hat also nicht nur wie die meisten Mittelplatoniker den Geist als das höchste Prinzip angesehen, sondern er hat die Lehre vom überseienden absolut Einen, wie sie Plotin und schon Speusipp vertrat, ausdrücklich bestritten und in ihr eine philosophisch unhaltbare Position gesehen – und dafür hat er sich auf Aristoteles’ Lehre von der Konvertibilität des Einen und des Seienden berufen. Es ist aber ganz unwahrscheinlich, dass sich der Platoniker Origenes bei der Bestreitung einer im Platonismus seit langem prominent vertreten prinzipientheoretischen Position ausschließlich auf Aristoteles berufen hat – und das in einer Schrift, deren Titel bereits zwei Schlüsselwörter Platons kombiniert. Vielmehr muss er geglaubt haben, die Konvertibilität des Seienden und des Einen entspreche der genuinen Lehre Platons. Wie kann Origenes zu dieser Überzeugung gelangt sein? Aristoteles entwickelt die Konvertibilität des Einen und des Seienden im Γ 2 seiner Metaphysik im Zusammenhang mit seiner Lehre von der vielfachen Bedeutung des Seienden – und diese Lehre richtet sich explizit gegen die monistische Ontologie des Parmenides, genauso aber auch gegen Platon, für den es eine einzige Idee des Seins bzw. des Seienden (ἰδέα τοῦ ὄντος28) gibt. Aristoteles’ Platon-Kritik in der Nikomachischen Ethik29, wo er gegen die eine Idee des Guten die kategoriale Bedeutungsmannigfaltigkeit von „gut“ ins Feld führt, beweist zur Genüge, dass Aristoteles’ Pluralisierung der Bedeutungen des Seienden, des Einen und des Guten ebenso gegen Platon wie gegen den Eleatismus gerichtet war. Es spricht somit nichts dafür, Aristoteles’ Konvertibilitätsthese als Platon-Referat zu verstehen, auch wenn es im Buch Γ der Metaphysik natürlich sehr viele Referate über Platon und die Akademie gibt.30 Wenn Origenes die Konvertibilitätsthese also für Platonisch gehalten hat, dann muss er sich dafür auf Platon selbst berufen haben. Suchen wir in Platons Dialogen nach einem möglichen „Beleg“ für die Konvertibilitätsthese, dann werden wir nur an einer einzigen Stelle fündig: zu Beginn der zweiten Hypothese des Parmenides31. Die zweite Hypothese legt das Sein des Einen zugrunde, und sie hält gleichzeitig fest – als Ergebnis der ersten Hypothese – dass das Sein und das Eine unterschieden werden müssen, Einheit und Sein also nicht einfach identisch sind.32 Hierdurch ergeben sich das Sein und das Eine als unterschiedene Bestimmungsmomente eines einheitlichen Ganzen, dessen Bestimmungen sie beide sind: des seienden Einen (ἓν ὄν). Im nächsten Schritt der Argumentation sagt Platon dann, dass die beiden elementaren Momente des seienden Einen, das Eine und das Sein, unbeschadet ihrer Verschiedenheit Sophistes 254 a8 f. Nikomachische Ethik A 4. 30 Hinzuweisen ist namentlich auf Metaphysik 1004 b27 f. (Test. Plat. 40 A Gaiser): πάντα ἀνάγεται εἰς τὸ ὂν καὶ τὸ μὴ ὄν, καὶ εἰς ἓν καὶ πλῆθος. – Origenes könnte die scheinbare Gleichordnung von Sein und Nichtsein mit Einheit und Vielheit durchaus in dem Sinne verstanden haben, dass bereits Platon die Konvertibilität von Sein und Einheit vertreten hätte. 31 Platon, Parmenides 142 b ff. 32 Platon, Parmenides 142 bc. 28 Platon,
29 Aristoteles,
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gleichwohl notwendig ineinander enthalten sein müssen, denn nichts kann „sein“, wenn es nicht Eines ist, und nichts kann „Eines sein“, wenn es nicht ist:33 „Also enthält jedes von diesen beiden Momenten wiederum sowohl das Eine als auch das Seiende in sich […] denn das Eine enthält immer das Seiende in sich und das Seiende das Eine,34 […] denn weder verlässt das Seiende das Eine noch das Eine das Seiende, sondern diese beiden sind bei allem immer gleich.“35
Wenn Origenes die Konvertibilität des Einen und des Seienden für Platons Lehre gehalten hat, dann muss er sich auf diese Passage am Anfang der zweiten Hypothese berufen haben. Nun versteht Origenes die Konvertibilität aber wie schon Aristoteles so, dass sie einen überseienden Einheitsgrund als Ursprung des Seins gerade ausschließen soll. Das ergibt sich aus der angeführten Passage indes nur dann, wenn man die vorangehende erste Hypothese über das absolute Eine als eine reductio ad absurdum liest und nicht als negative Theologie des tran szendenten Absoluten.36 In der Tat berichtet Proklos in seinem Parmenideskommentar, dass diese Position vertreten wurde, und zwar offenbar so prominent, dass er mehrfach auf sie zurückkommt und sie sehr ausführlich widerlegt. Es kann überhaupt kein Zweifel bestehen, dass dies die Position des Origenes ist, wie die Forschung einhellig annimmt.37
3. In seinem Überblick über die verschiedenen Auslegungsrichtungen des Parmenides erwähnt Proklos nach der anti-eleatischen und der logisch-propädeutischen Deutung des Dialogs zunächst eine positive metaphysische Deutung, welche die Dialektik des Einen aber nicht henologisch, sondern rein ontologisch gedeutet habe: „Von denen nun, die dem Parmenides einen sachlichen (metaphysischen) Gehalt zusprechen und lehren, die Methode werde um der Sachen willen geübt, und die nicht die erhabensten und esoterischsten Lehren auf eine bloße Erläuterung der Methode reduzieren, behaupten die einen, die Untersuchung beziehe sich auf das Seiende: wie die Eleaten gelehrt haben, das Seiende sei Eines, das habe sich Platon vorgenommen, durch jene Männer selbst und durch die ihnen eigentümliche Methode zu klären, wobei Zenon Parmenides 142 e. Parmenides 142 e3 f. und 6 f.: πάλιν ἄρα καὶ τῶν μορίων ἑκάτερον τό τε ἓν ἴσχει καὶ τὸ ὄν […] τό τε γὰρ ἓν τὸ ὂν ἀεὶ ἴσχει καὶ τὸ ὂν τὸ ἕν. 35 Platon, Parmenides 144 e1–3: οὔτε γὰρ τὸ ὂν τοῦ ἑνὸς ἀπολείπεται οὔτε τὸ ἓν τοῦ ὄντος, ἀλλ’ ἐξισοῦσθον δύο ὄντε ἀεὶ παρὰ πάντα. 36 Siehe zur ersten Hypothese des Parmenides Halfwassen 1992, 265–405. Ich glaube dort bewiesen zu haben, dass dieser Text als negative Theologie des überseienden Absoluten gedeutet werden muss. 37 Siehe Dillon 1987, XXVI–XXVII.7–8.32 (Anm. 20).385–386.389–391.395.485.596 (Anm. 125). 33 Platon, 34 Platon,
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virtuos das Viele in Widersprüche verwickele, Parmenides aber das seiende Eine (die Einheit des Seins) hervortreten lasse. Denn die reinigenden Argumentationen müssten den vollendenden vorausgehen. Und so behaupten sie denn, Platon selbst sei es, der hier die Sache des Parmenides vertrete und für die hier vorgetragenen Lehren bezeuge, dass sie ganz und gar edle Tiefe besitzen. Denn im Theaitetos sagt Sokrates doch, er sei in seiner Jugend mit dem ganz alten Parmenides zusammengetroffen und habe gehört, wie Parmenides über das Seiende philosophierte38 – und zwar nicht als bloße Methodenübung, sondern durch tiefschürfende Überlegungen – und er sei nun besorgt, dass wir nicht verstehen, was er (Parmenides) sagt, und ganz und gar verfehlen, worum es in seinem Denken geht.39 Damit kennzeichnet Platon das Ziel der hier (im Parmenides) durchgeführten Argumentationen unverkennbar als sachlich (metaphysisch) gehaltvoll und er wendet um dieses Zieles willen die Methode an, die der Schau der Wahrheit vorausgehen muss, wie auch die Aporien über die Ideen (im ersten Teil des Dialogs) uns auf die geistige Erfassung des seienden Einen (der Einheit des Seins) vorbereiten. Denn die Vielheit der Ideen habe ihren Bestand nur in dem seienden Einen (der Einheit des Seins), sowie die Zahl in ihrer jeweiligen Monade. Wer also durch die Analyse der Abschnitte (des zweiten Dialogteils) deren Ordnung finden will, muss sagen, dass es das eigentlichste Ziel des ganzen Dialogs sei, die Wahrheit über das Seiende im Sinne des Parmenides aufscheinen zu lassen […] sie beziehen die Hypothesen auf das Seiende und berufen sich dafür auf Parmenides, der deutlich sage, dass sich die Untersuchung auf das Eine in seinem Sinne beziehe40; und das sei das Seiende.“41
Dies ist offensichtlich die Deutung des Origenes, wie schon John Dillon vermutet hat.42 Wir kennen keinen anderen antiken Platoniker, der den Parmenides in der Theaitetos 183 e7–184 a3. Theaitetos 184 a1–3. 40 Vgl. Platon, Parmenides 137 b1–4: ἢ βούλεσθε, ἐπειδήπερ δοκεῖ πραγματειώδη παιδιὰν παίζειν, ἀπ’ ἐμαυτοῦ ἄρξωμαι καὶ τῆς ἐμαυτοῦ ὑποθέσεως, περὶ τοῦ ἑνὸς αὐτοῦ ὑποθέμενος. 41 Proklos, In Parm. I 635,21–636,20; 638, 5–7: τῶν δὲ πραγματειώδη τὴν πρόθεσιν εἰπόντων καὶ τὴν μέθοδον τῶν πραγμάτων ἕνεκα γυμνάζεσθαι λεγόντων, ἀλλ’ οὐ τὰ ἀπορρητότερα τῶν δογμάτων εἰς τὴν τῆς μεθόδου κατάληψιν περιαγόντων, οἱ μὲν περὶ τοῦ ὄντος ἔφαντο τὴν ζήτησιν εἶναι, καὶ πῶς ἓν οἱ ἄνδρες ἐκεῖνοι τὸ ὂν ἔλεγον εἶναι, προκεῖσθαι τῷ Πλάτωνι δι’ αὐτῶν ἐκείνων καταδήσασθαι τῶν ἀνδρῶν καὶ τῆς μεθόδου τῆς εἰωθυίας ἐκείνοις, τοῦ μὲν Ζήνωνος τὰ πολλὰ διελέγχοντος κρατερῶς, τοῦ δὲ Παρμενίδου τὸ ἓν ὂν ἐκφαίνοντος· δεῖν γὰρ τοὺς καθαρτικοὺς λόγους προηγεῖσθαι τῶν τελειωτικῶν. καὶ δὴ καὶ φασὶν αὐτὸν εἶναι τὸν Πλάτωνα τὸν περὶ τοῦ Παρμενίδου βοῶντα καὶ μαρτυρόμενον περὶ τούτων τῶν ἐνταῦθα λόγων, ὡς ἄρα βάθος ἔχουσι παντάπασι γενναῖον. φησὶ γοῦν ἐν τῷ Θεαιτήτῳ Σωκράτης Παρμενίδῃ συγγενέσθαι νέος ὢν μάλα πρεσβύτῃ, καὶ ἀκοῦσαι φιλοσοφοῦντος ἐκείνου περὶ τοῦ ὄντος οὐχὶ μεθόδους γυμναστικὰς, ἀλλὰ βάθος ἐχούσας ἐπιβολάς, φοβεῖσθαι οὖν μὴ οὔτε τὰ λεγόμενα ξυνῶσι, τί τε διανοούμενος εἶπεν ἐκεῖνα παντάπασιν ἀπολειφθῶσι· δι’ ὧν παρέστησεν ἐναργῶς πραγματειώδη τὸν τῶν προκειμένων λόγων σκοπόν, καὶ τὴν μέθοδον εἰς ἐκεῖνον ἄγειν, καὶ προειλῆφθαι τῆς θεωρίας ὡς ἀναγκαίαν, καὶ τὰς περὶ τῶν ἰδεῶν ἀπορίας ὡς προσανακινούσας εἰς τὴν τοῦ ἑνὸς ὄντος ἡμᾶς κατανόησιν· καὶ γὰρ τὸ πλῆθος τῶν ἰδεῶν ἐν τῷ ἑνὶ ὄντι τὴν ὑπόστασιν ἔχειν, ὡς ἐν μονάδι τὸν οἰκεῖον ἀριθμόν· ὥστ’ εἰ κατὰ ἀνάλυσιν ἐθέλοι τις τῶν τμημάτων τὴν τάξιν εὑρεῖν, τὸ μὲν σκοπιμώτατον ἂν εἴποι τοῦ διαλόγου τέλος περὶ τοῦ ὄντος τοῦ κατὰ τὴν Παρμενίδειον δόξαν ἐκφῆναι τὴν ἀλήθειαν· … περὶ τοῦ ὄντος εἶναι διατείνονται, μαρτυρόμενοι τὸν Παρμενίδην, ὅτι περὶ τοῦ κατ’ αὐτὸν ἑνὸς ποιήσεται τὸν λόγον ἐναργῶς βοῶντα· τοῦτο δὲ εἶναι τὸ ὄν. 42 Dillon 1987, XXVI–XXVII.7–8.32 (Anm. 20). 38 Platon, 39 Platon,
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von Proklos geschilderten Weise ontologisch gedeutet hätte. Dagegen passt alles, was wir über die prinzipientheoretische Position des Origenes wissen, zu dem, was Proklos über die ontologische Deutung berichtet. Wenn Origenes die dialektische Übung auf das seiende Eine im Sinne des Vorsokratikers Parmenides bezog, dann fand er dieses offenbar vor allem in der zweiten Hypothese enthüllt, deren Gegenstand ja das seiende Eine ist. Dort konnte Origenes finden, dass die Vielheit der Ideen ihren Bestand (ὑπόστασις) im seienden Einen hat, das aus seiner ursprünglichen Bestimmungszweiheit die unbegrenzte Vielheit der Ideen und Zahlen ausfaltet.43 Dort fand er die Konvertibilität des Seienden und des Einen.44 Und dort fand er auch die Bestimmung des seienden Einen als Geist – denn wenn das seiende Eine sowohl in sich selbst als auch in den Anderen, nämlich in den Ideen als seinen eigenen Momenten, ist45, dann kann dies sinnvoll gar nicht anders verstanden werden denn als Aussage über den Geist, der zugleich in sich selbst ist, weil er sich selbst denkt, und in den Ideen, die er als die Explikationsmomente seiner eigenen Einheit denkt. Von der henologischen Deutung Plotins unterscheidet sich Origenes’ ontologische Interpretation dadurch, dass sie die erste Hypothese nicht als negative Theologie des überseienden Absoluten deutet, sondern als reductio ad absurdum, als Widerlegung eines übersteigerten Begriffs von absoluter Einheit, was seine Bestreitung der Seinstranszendenz des Einen erklärt – auch dies wissen wir durch Proklos: „Als erstes müssen wir sagen, worauf sich die erste Hypothese bezieht: ob allein auf Gott oder auf Gott und die Götter, wie einige (Jamblich) behaupten? Denn dass diese Argumentation sich auf eine sachhaltige Wirklichkeit bezieht und dass nicht, wie einige (Origenes) glauben, das Eine, das allein Eines ist, unwirklich ist und die Hypothese zu unmöglichen Schlussfolgerungen führt, auch wenn sie als Beleg dafür anführen, was am Ende der Hypothese gesagt wird: oder ist es unmöglich, dass es sich mit dem Einen so verhält?46 (in welchem Sinne das nämlich dort gesagt ist, das wird von uns später noch geklärt werden) – dass sich also nun diese Argumentation, die alle Bestimmungen verneint, nicht auf Wesenlos-Unwirkliches bezieht, ist, wie gesagt, klar.“47
Proklos unterscheidet hier drei Auslegungen der ersten Hypothese: die erste bezieht sie auf „Gott allein“ im Sinne des absoluten Einen – das ist die neuplatoParmenides 142 e–144 e. Parmenides 142 e, 144 e. 45 Platon, Parmenides 145 b–d. 46 Platon, Parmenides 142 a7. 47 Proklos, In Parm. VI 1064,17–1065,8: πρῶτον εἰπεῖν χρὴ τίς ὁ τῆς πρώτης ὑποθέσεως σκοπός, ἆρα περὶ θεοῦ μόνον, ἢ περὶ θεοῦ καὶ περὶ θεῶν, καθάπερ λέγουσί τινες· ὅτι μὲν γὰρ περὶ πράγματος ὕπαρξιν ἔχοντος ὁ λόγος, καὶ οὐχ, ὥσπερ ὑπέλαβόν τινες, ἀνυπόστατόν ἐστι τοῦτο μόνως ἕν, καὶ ἀδύνατον συνάγει ἡ ὑπόθεσις, εἰ καὶ μαρτύρονται τὸ πρὸς τῷ τέλει τῆς ὑποθέσεως εἰρημένον· ἢ οὐ δυνατὰ ταῦτα περὶ τὸ ἕν· ἐκεῖνο μὲν γὰρ ἀφ’ ἧς εἴρηται διανοίας, ἐκεῖ ῥηθήσεται παρ’ ἡμῶν· ὅτι δέ, ὥσπερ ἔφην, οὐκ ἀνυπόστατον τοῦτο οὗ πάντα ἀποφάσκει νῦν ὁ λόγος, δῆλον. 43 Platon, 44 Platon,
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nische Standarddeutung; die zweite bezieht sie auf „Gott und die Götter“, das heißt auf das Eine und die Henaden – das ist die Deutung Jamblichs;48 und die dritte bestreitet, dass die erste Hypothese überhaupt einen positiven metaphysischen Sachgehalt habe und betrachtet das ἓν μόνως ἕν, das sie zugrundelegt, als unwirklich, weil die Hypothese zu unmöglichen Schlussfolgerungen gelange und sich am Ende selbst aufhebe, wofür sich diese Deutung auf das Ende der Hypothese beruft, wo Parmenides den jungen Aristoteles fragt, ob es nicht unmöglich sei, dass es sich mit dem Einen so verhalte – diese dritte Deutung ist die des Origenes.49 Proklos führt gegen sie eine ganze Reihe von logischen, metaphysischen und textlichen Argumenten an, die ich in der Sache alle für durchschlagend halte,50 auf die ich hier aber nicht näher eingehe. Er referiert die Deutung des Origenes aber später noch etwas genauer: „Einige (Origenes) haben aufgrund dieser Wendung (der oben zitierten Frage des Parmenides, ob es denn möglich sei, dass es sich mit dem Einen so verhalte) behauptet, dass die erste Hypothese zu unmöglichen Schlussfolgerungen führe und dass aus diesem Grunde das Eine unwirklich (wesenlos nichtig) sei. Denn sie fassen alle Negationen in einem hypothetischen Syllogismus zusammen: Wenn das Eine selbst ist, dann ist es weder ein Ganzes, noch hat es Anfang, Mitte oder Vollendung, noch eine Gestalt51 usw. alle folgenden Negationen; und nach allen anderen: das Eine ist nicht seiend, es ist nicht Sein, nicht sagbar, nicht benennbar, nicht erkennbar.52 Und weil dies unmöglich sei, darum schlossen sie, dass Platon selbst sage, das Eine selbst sei unmöglich. Das taten sie aber deswegen, weil sie selbst lehrten, es gebe kein Eines ohne Teilhabe am Sein und dass darum das Eine nicht verschieden sei von dem Seienden noch von dem seienden Einen. Denn das Eine habe genausoviele Bedeutungen wie das Seiende und das überseiende Eine sei nichts als ein leerer Name.“53 48 So
Dillon 1987, 389 und Steel 2009, Bd. III 33 ad loc. übereinstimmend Saffrey / Westerink 1974, Bd. 2, 419 (Anm. 38) und Steel 2009, Bd. 3, 33 ad loc. 50 Siehe Halfwassen 2015, 170–183. 51 Platon, Parmenides 137 c5–138 a1. 52 Platon, Parmenides 141 e7–142 a3. 53 Proklos, In Parm. VII 64,1–11 Klibansky; 515,4–14 Steel: Quidam quidem igitur hinc moti dixerunt impossibilia concludere primam ypothesim et propter hoc et le unum anypostaton esse. Connectunt enim coniunctum: si est le unum, ipsum non est totum, non est principium habens, medium aut finem, non est figuram habens, et omnia consequenter; et post omnia non unum essentiale, non essentia, non dicibile, non nominabile, non cognoscibile. At uero impossibilia hec, ut ipse ait, impossibile esse le unum ipsum. Hoc autem erat quod et ipsi dicebant non esse aliquid imparticipabile ab essentia unum non unum, neque ab uno ente. Tot modis enim esse le unum, quot modis et le ens, et le superessentiale unum nomen esse solum. ἔνιοι μὲν οὖν ἐντεῦθεν ὁρμηθέντες εἰρήκασιν ἀδύνατα συνάγειν τὴν πρώτην ὑπόθεσιν καὶ διὰ τοῦτο καὶ τὸ ἓν ἀνυπόστατον εἶναι· συνημμένον γὰρ πλέκουσι „εἰ ἔστι τὸ ἓν αὐτό, οὐκ ἔστιν ὅλον, οὐκ ἔστιν ἀρχὴν ἔχον, μέσον ἢ τελευτήν, οὐκ ἔστι σχῆμα ἔχον“, καὶ τὰ ἑξῆς πάντα· καὶ ἐπὶ πᾶσιν οὐχ ἓν οὐσιῶδες, οὐκ οὐσία, οὐ ῥητόν, οὐκ ὀνομαστόν, οὐ γνωστόν. ἀλλὰ μὴν ἀδύνατα ταῦτα, ὡς αὐτός φησιν· ἀδύνατον εἶναι τὸ ἓν αὐτό. τοῦτο δὲ ἦν ὃ καὶ αὐτοὶ ἔλεγον, τὸ μὴ εἶναί τι τὸ ἀμέθεκτον ὑπὸ οὐσίας ἕν, μὴ ὄν, μηδὲ ὑπὸ τοῦ ἑνὸς ὄντος· τοσαυταχῶς γὰρ εἶναι τὸ ἕν, ὁσαχῶς καὶ τὸ ὄν, καὶ τὸ ὑπερούσιον ἓν ὄνομα εἶναι μόνον. 49 So
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Origenes hat sich also für seine Bestreitung des überseienden Absoluten auf die Schlussperikope der ersten Hypothese54 berufen und die Antwort des jungen Aristoteles als Äußerung von Platons eigener Meinung gelesen. In diesem Sinne verstand er die ganze Hypothese als Widerlegung eines übersteigerten Begriffs absoluter Einheit. Leitend für diese seine Deutung war, wie Proklos berichtet, Origenes’ eigene systematische Überzeugung von der Konvertibilität des Einen und des Seienden.
4. Versuchen wir abschließend ein Resümee: 1. Origenes hat in seiner Prinzipienschrift eine ontologische Deutung des Parmenides vertreten, die offenbar so detailliert und argumentativ wie textlich so gut abgestützt war, dass Proklos sie noch zweihundert Jahre später einer detaillierten Widerlegung würdigte. Origenes vertritt eine klare These über den bis heute umstrittenen Zusammenhang der beiden Dialogteile und über den Sinn des dialektischen zweiten Teils. Die Ideenaporien des ersten Dialogteils sind die negative Vorbereitung der positiven Metaphysik des seienden Einen, die Origenes im zweiten Teil findet. Die Ideenaporien folgen der negativ-elenktischen, in ihrer Zielsetzung kathartischen Methode Zenons, welche die Widersprüchlichkeit und damit die Unhaltbarkeit der Vielheit aufzeigt. Die positive Dialektik des seienden Einen – vor allem in der zweiten Hypothese – dagegen entspricht der positiven Ontologie im Lehrgedicht des historischen Parmenides, die zur Schau der Einheit des Seins hinführt. Die Aporien ergeben sich für Origenes aus dem Ideenpluralismus des jungen Sokrates, der noch nicht sieht, dass die Vielheit der Ideen nur dann sinnvoll ist, wenn die Ideen als integrative Artikulations‑ und Entfaltungsmomente der Einheit des Seins begriffen werden und in diese Einheit einbegriffen bleiben; die Ideen existieren nur im seienden Einen und können darum nicht mit dem jungen Sokrates gegen die Einheit des Seins in Stellung gebracht werden. Platon übernimmt von Parmenides die These der Einheit des Seins und entfaltet mit den Bestimmungen des seienden Einen lediglich, was im Lehrgedicht des Parmenides selber schon angelegt ist. Darum stimmt Platon auch mit Aristoteles darin überein, dass das Sein das grundlegende Thema der Metaphysik ist, dass das Seiende und das Eine vertauschbar sind und dass der sich selbst denkende Geist das höchste, vollkommenste und ursprünglichste Seiende und darum auch die höchste Form von Einheit und das höchste Prinzip ist. Die Bestimmung des seienden Einen als Geist, der in den Ideen sich selbst als die Einheit aller Ideen denkt, entspricht zugleich der Lehre des historischen 54 Platon,
Parmenides 142 a 6–8.
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Parmenides, nämlich dessen These über die Identität von Denken und Sein55, die auch Plotin so gedeutet hat, dass das wahre Sein der Geist als sich selbst denkender Inbegriff der Ideen ist.56 2. Origenes hat diese Parmenides-Deutung in seiner Prinzipienschrift offenbar zugleich mit einer bestimmten Deutung des Timaios verbunden. Wenn er das seiende Eine als das höchste Prinzip mit dem Schöpfergott Platons gleichsetzt, dann hat er offenbar auch den Demiurgen des Timaios so gedeutet, dass er als sich selbst denkender Geist die Ideen in sich selbst enthält, also mit dem Ideenkosmos als dem Paradigma seiner Schöpfungstätigkeit identisch ist – denn das seiende Eine, das er mit dem Demiurgen identifiziert, enthält ja die Ideen als die artikulierenden Momente seiner Einheit in sich. Mit der Gleichsetzung des Demiurgen mit dem Ideenkosmos folgt Origenes mittelplatonischer Schultradition. Er unterscheidet sich mit dieser Deutung aber deutlich von Numenios, der den Demiurgen als den „zweiten Gott“ mit der Weltseele gleichsetzte und ihn dem „ersten Gott“ unterordnete, den Numenios mit der Idee des Seienden aus dem Sophistes, der Idee des Guten aus der Politeia und dem „intelligiblen Lebewesen“ aus dem Timaios identifizierte.57 3. Origenes’ Deutung der ersten Hypothese als Widerlegung eines übersteigerten Begriffs von absoluter Einheit war argumentativ und texthermeneutisch so aufwendig begründet, dass sie sich gegen eine vorliegende und gut ausgearbeitete negativ-theologische Deutung der ersten Hypothese gerichtet haben muss, die diese als Hauptbeleg dafür anführte, dass Platon die Transzendenz des Einen über Sein und Geist gelehrt hat. Ohne diese polemische Zielsetzung hätte Origenes sich mit der ersten Hypothese kaum so viel Mühe gegeben. Origenes’ polemischer Aufwand ist nur verständlich, wenn er sich gegen einen Platoninterpreten von höchster Prominenz und Autorität richtet. Darum halte ich es für höchst wahrscheinlich, dass Origenes’ Gegner kein anderer ist als Plotin. Zwar hat schon Moderatos die erste Hypothese auf „das erste Eine über dem Sein und aller Seiendheit“ (τὸ πρῶτον ἓν ὑπὲρ τὸ εἶναι καὶ πᾶσαν οὐσίαν) bezogen.58 Doch erst Plotin hat den Parmenides zum „Grundbuch des Platonismus“59 gemacht. Darum musste ein Interpret, der zu Plotins Zeiten noch eine traditionelle mittelplatonische Platondeutung vertreten wollte, sich nun auch mit dem Parmenides auseinandersetzen und konnte sich nicht mehr auf den Timaios beschränken. Origenes’ ontologische Deutung des Parmenides war immerhin so gut gemacht, dass der große Proklos seinen ganzen Scharfsinn und seine gesamte Gelehrsamkeit aufbot, um sie zu widerlegen. Proklos’ Trumpfkarte war dabei das von ihm 55 Parmenides,
fr. 3 und fr. 8,35 f. Diels-Kranz. Enn. V 1,8. Siehe dazu Halfwassen 2007. 57 Siehe Numenios, Fr. 15, 16, 17, 19, 20 und 22 des Places. Dazu Halfwassen 1994. 58 Moderatos bei Simplikios, In Phys. 230, 34 ff. Diels. Dazu Halfwassen 2015, 188–199. 59 So Volkmann-Schluck 1966, 143. 56 Plotin,
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im Wortlaut zitierte Zeugnis Speusipps über die Prinzipientheorie Platons.60 Denn Platons Neffe und erster Nachfolger musste schließlich wissen, was sein Onkel gelehrt hatte. 4. In Proklos’ Angaben über die Prinzipientheorie und die Parmenides-Interpretation des Origenes fassen wir also, wie es aussieht, eine Kontroverse zwischen den beiden Ammonios-Schülern Plotin und Origenes über das richtige Verständnis von Platons Prinzipientheorie sowie die angemessene Deutung des prinzipientheoretischen Schlüsseldialogs Parmenides, eine Kontroverse mit weitreichenden Implikationen für das Verhältnis Platons zu seinem bedeutendsten Anreger Parmenides wie zu seinem größten Schüler Aristoteles. Ob dabei Plotin oder Origenes dem Lehrer Ammonios näher stand, können wir meines Erachtens aufgrund mangelnder Quellen nicht entscheiden. Immerhin fällt auf, dass sich weder Proklos noch irgendein anderer Neuplatoniker jemals auf Ammonios für die zentralen Dogmen des Neuplatonismus beruft und dass Proklos prononciert Plotin als den Wiederentdecker der wahren Metaphysik Platons feiert, der diese von den Verkürzungen der Mittelplatoniker befreit habe und damit zur Wahrheit der Alten Akademie zurückgekehrt sei.61 5. Vielleicht liegt aber der Versuch nahe, aus den Gemeinsamkeiten zwischen Origenes und Plotin Aufschluss über ihren Lehrer Ammonios zu gewinnen. Die beiden auffälligsten Gemeinsamkeiten sind zum einen die Immanenz der Ideen im absoluten Geist – und zum anderen die Heranziehung des Parmenides sowie der Zeugnisse des Aristoteles für die Rekonstruktion der Metaphysik Platons. Die Immanenz der Ideen im göttlichen Geist ist aber alles andere als spezifisch für die Ammonios-Schule, und der Ammonios-Schüler Longin hat sie nicht geteilt. Sollte also die Auswertung des prinzipientheoretischen Schlüsseldialogs Parmenides zusammen mit den Zeugnissen des Aristoteles über Platon jenen „Geist des Ammonios“ ausmachen, den Plotin Porphyrios zufolge in seine Lehre einbrachte?62
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Origenes und Eusebios’ Chronik und Kirchengeschichte* Balbina Bäbler 1. Eusebios’ Chronik und ihre Rezeption In ihrer grundlegenden Monographie zu Origenes, Eusebios und der Bibliothek von Caesarea schreiben Anthony Grafton und Megan Williams über die Chronik des Eusebios: „ […] in a world in which laundry lists were not yet proverbial, it took a kind of genius to make history into one.“1
Diese „Weltgeschichte in Wäschezettelform“ wurde zum einflussreichsten Modell für Universalgeschichte, zum Muster für mittelalterliche Chroniken in Ost und West und im Grunde bis zur Reformation ein Standardtext.2 Daher sollen hier zunächst das Werk sowie seine Entstehung und Überlieferung vorgestellt und danach einige für die Datierung von Ereignissen im Leben des Origenes wichtige Aspekte behandelt werden. Eusebios’ Werk ist eine Weltchronik von der Geburt Abrahams (2016 v. Chr.) bis zum Jahre 325, den Vicennalia des Kaisers Constantin; es wurde vermutlich kurz nach diesem Ereignis vollendet. Eine frühere Version war wohl entweder um 311 oder 313 entstanden, nach dem Tod des Kaisers Diokletian bzw. der Mailänder Vereinbarung („Toleranzedikt“), die das Ende der Christenverfolgungen bedeutete. Im Lichte der für das Christentum entscheidenden Umwälzungen der folgenden Jahre wurde die endgültige Fassung bis zum zwanzigjährigen Thronjubiläum des ersten christlichen Kaisers erweitert, das kurz nach der Hinrichtung seines ehemaligen Mitkaisers Licinius stattfand, der bei Eusebios als Christenverfolger dargestellt ist.3 * Dieser Beitrag ist im Rahmen des Teilprojekts A 02 des an der Theologischen und der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen angesiedelten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion“ entstanden. 1 Grafton / Williams 2006, 175. 2 Mosshammer 1979, 29; Croke 1982, 195. 3 Eus. V. Const. I 51,1– 56,2; Eus. Hist. eccl. X 8,8–11; Sirinelli 1961, 31–33; Mosshammer 1979, 37; Adler 1992, 467; Burgess 1999, 66 f.; Grafton / Williams 2006, 140 f. Zur Frage der Datierung der früheren Version(en) s. die eingehende Analyse bei Andrei 2012, 41–59.
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Das Werk bestand aus einem theoretischen ersten Teil, der Chronographia, die ein allgemeines Vorwort und eine Diskussion der chronologischen Systeme verschiedener antiker Völker mit Listen ihrer Könige enthielt, sowie dem Hauptteil, dem Kanon (canones), der in synchronistischer Tabellenform Regierungsdaten wiedergibt, die sog. fila regnorum: Von links nach rechts werden jeweils die Herrscher der Assyrer, Meder, Perser und anderer orientalischer Reiche aufgeführt, später kommen Ptolemäer und Römer hinzu (während andere verschwinden). Die Chronologie der Griechen enthält eine Liste der Olympiasieger im Stadionlauf (stadionicae) von der ersten bis zur 249. Olympiade (217 n. Chr.), und eine dem Historiker Diodor entnommene Liste der Thalassokraten (Seeherrscher) vom Trojanischen Krieg bis zum Feldzug des Xerxes gegen Griechenland.4 Alle zehn Jahre ist links außen eine Zahl angebracht, die eine Vervielfältigung von zehn ist und die Dekaden seit Abraham markiert. Diese Spalten sind jeweils über zwei Seiten angeordnet, wobei Ereignisse von epochaler Bedeutung quer über beide Seiten geschrieben sind und sämtliche Jahresreihen unterbrechen, so etwa die Eroberung Trojas, der Tempelbau Salomos, die erste Olympiade, oder die assyrische Gefangenschaft Israels. Dieses Schema wird beibehalten bis zum Datum des Endes der babylonischen Gefangenschaft und dem Wiederaufbau des Tempels (Esra 4,24), der in das zweite Jahr des Königs Dareios, 520/19 v. Chr. (= Ol. 65,1) fällt, was von Eusebios als entscheidendes Epochenjahr empfunden wurde. Nach diesem Datum werden die fila auf einer statt auf zwei Seiten angeordnet und die Geschichte Israels unter derjenigen des Perserreiches geführt.5 Innerhalb dieses Gerüstes liegt das spatium historicum – ein von Joseph Justus Scaliger dafür geprägter Terminus –, das den Platz für die Verzeichnung historischer Ereignisse bietet. Eine Seite enthält jeweils 30 bis 35 Zeilen, wie in griechischen Manuskripten der Zeit üblich.6 Gut fünfzig Jahre nach ihrer Entstehung wurde die Chronik von dem Kirchenvater Hieronymus (um 347–419) ins Lateinische übersetzt und bis 378, dem Jahr der Schlacht von Adrianopel, fortgeführt; diese Übersetzung wurde wohl für die Synode von Rom 382 angefertigt. Hieronymus fügte in das spatium historicum zahlreiche weitere Ereignisse aus der römischen Geschichte ein, und benutzte rote und schwarze Tinte, um die Königslisten zu unterscheiden. Er löste zudem Eusebios’ Olympiadenzählung in Einzeljahre, also ein typisches römisches Annalenschema, auf, was auch zu Fehldatierungen führte, die dann Eusebios angelastet wurden.7 Eusebios’ griechisches Original ist nicht erhalten, die lateinische Übersetzung hingegen wurde die Vulgata, die immer wieder abgeschrieben, ergänzt, revidiert 4 Zu
den Quellen des Eusebios Mosshammer 1979, 128–168. 1979, 22 f. 25 (Abb.). 6 Mosshammer 1979, 67–72; Gamble 1995, 42–45.74. 7 Koep 1957, 56; Mosshammer 1979, 29–37; Adler 1989, 72 f. Zu den (oft unzuverlässigen) Zusätzen bezüglich der römischen Literaturgeschichte s. Helm 1929, 14 f. 92–95. 5 Mosshammer
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und auch epitomisiert wurde. Allerdings hatte Hieronymus nur den Kanon übersetzt; weshalb er das theoretische erste Buch wegließ, ist unklar und führte bereits in der Antike zu Spekulationen über den prior libellus.8 Zahlreiche Exzerpte aus Eusebios’ Chronik, auch aus dem ersten Teil, sind in der Ἐκλογὴ χρονογραφίας des byzantinischen Mönchs Georgios Synkellos erhalten. Synkellos schrieb in Konstantinopel unter dem Patriarchen Tarasios (784–806), bis zu dessen Zeit er seine Weltchronik führen wollte, starb aber vorher, so dass sie nur bis Kaiser Diokletian (285) reichte. Er war, wie viele byzantinische Gelehrte, in erster Linie ein, wenn auch nicht unkritischer, Kompilator, der neben Eusebios auch viele weitere ältere Quellen, wie etwa spätere Epitomai hellenistischer Geschichtsschreiber wie Berossos und Manetho, oder jüdische Pseudepigrapha, sowie einen Teil der Chronographiae des Julius Africanus, zusammenstellte.9 Das Manuskript des Synkellos wurde erst 1602 von Isaac Casaubonus wiederentdeckt und von dem bedeutenden Philologen, Historiker und Rechtsgelehrten Joseph Justus Scaliger in sein monumentales, 1606 in Leiden publiziertes Werk Thesaurus Temporum aufgenommen10, das die Frucht seiner 20 jährigen Beschäftigung mit antiker Chronologie war; er war dazu durch die Gregorianische Kalenderreform von 1583 angeregt worden, der er sehr kritisch gegenüberstand. Der Thesaurus enthielt auch eine Edition mit umfangreichem Kommentar der lateinischen Eusebios-Übersetzung des Hieronymus. Scaliger glaubte damals, man könne aus Synkellos das verlorene erste Buch des Eusebios rekonstruieren, was eine erheblich zu optimistische Einschätzung war.11 Die wichtigste Quelle für diesen ersten Teil ist die armenische Übersetzung von Eusebios’ Werk, die aus der im 6. Jahrhundert angefertigten syrischen Übersetzung übersetzt und dann erst im 18. Jahrhundert entdeckt wurde, Scaliger also noch unbekannt war. Diese armenische Version, deren Überlieferung auf zwei Codices, dem Jerusalemer Codex G vom Ende des 13. / Anfang des 14. Jahrhunderts, und dem aus der gleichen Zeit stammenden Etschmiadziner Codex E beruht, wurde 1911 von Joseph Karst übersetzt und mit einer ausführlichen Einleitung versehen.12 8 Mosshammer 1979, 29; Adler 1989, 72. Hieronymus übersetzte die Einleitung des Eusebios, in der dieser das in priori libello behandelte Material erwähnt, so dass bekannt war, dass das Original einen ersten Teil enthalten hatte, s. Hieron., Chron. 8 Z. 9–16 (Helm). 9 Sirinelli 1961, 31 f.; Mosshammer 1979, 40 f.; Adler 1989, 4–8. Der zweite Teil seines Namens, unter dem Georgios Synkellos zitiert wird, ist seine Amtsbezeichnung, etwa „Berater des Bischofs“. 10 Thesaurus Temporum. Eusebii Pamphili Caesareae Palaestinae Episcopi chronicorum canonum omnimodae historiae libri duo, interprete Hieronymus (…) Josephi Scaligeri Notae et Castigationes in Latinam Hieronymis interpretationem, et Graecae Eusebii. (…) Leiden 1606. 11 Adler 1992, 484–486; Bäbler 2012, 47 f.; zu den Quellen des Synkellos Adler 1989, 132–158; zu seinem Werk Adler 1989, 159–203. 12 Karst 1911, zu den Codices XI–XIII; Mosshammer 1979, 41–50.
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Von der lateinischen Übersetzung des Kanon gibt es eine breitere Überlieferung; erwähnt seien hier nur die zwei besten und vollständigsten Handschriften, die beide aus dem 5. Jahrhundert stammen: Die Handschrift S, die im 9. Jahrhundert der Bibliothek des Klosters Fleury gehörte, ist heute in Paris, Leiden und Rom verteilt; die am Anfang verstümmelte Handschrift O befindet sich in der Bodleian Library in Oxford.13
2. Quellen und Vorbilder des Eusebios Nicht nur die Überlieferungslage der eusebianischen Chronik ist also kompliziert, auch die Analyse der Quellen des Eusebios und damit zusammenhängend die seiner Methode ist eine Herausforderung. Sie ist aber deshalb von Bedeutung, weil eines der Hauptargumente gegen die Zuverlässigkeit des Eusebios in seiner Kirchengeschichte seine Angaben zur Chronologie der Ereignisse sind.14 Das methodische Problem im Umgang mit den Angaben des Eusebios liegt – wie im folgenden gezeigt werden soll – nicht zuletzt darin, wie stark man Abweichungen von ein oder zwei Jahren gewichten sollte oder will.15 Welches war der Stand der Forschung zur Zeit des Eusebios, und welche waren die Voraussetzungen, auf die er sich stützen konnte?16 Zu Eusebios’ Zeit gab es seit Jahrhunderten chronologische Listen, vor allem von Magistraten, Priestern und Herrschern, aber auch die Zählung nach Olympiaden (s. u.). Aufgrund der Quellenlage sind wir über Athen am besten informiert: Im späten 5. Jahrhundert v. Chr. wurde es dort übliche Praxis, das Jahr nach dem höchsten, eponymen („namengebenden“) Archon zu bezeichnen. Es ist aber umstritten, wann offizielle Listen dieser Art beginnen; die früheste attische Archontenliste stammt aus den 420 er Jahren, auch wenn sie Namen bis in die 590 er Jahre enthält.17 Ebenfalls erst im 5. Jahrhundert v. Chr. beginnt die Aufzeichnung der spartanischen Ephoren; für die Frühzeit Spartas existierte ein
13 Abb.
bei Mosshammer 1979, 22 f. und Grafton / Williams 2006, 138 f. z. B. Schroeder 1987, 498 f. S. auch unten S. 194. 15 Grant 1971, 136 fällt ein vernichtendes Urteil über Eusebios als Historiker: Seine Ideen seien nicht alle so schlecht; „it is just that he claims to be a historian and then gets his history all mixed up“; vgl. ibid. 142: Die Autorität des Eusebios „is subject to almost limitless doubt and revision. Eusebius can never be trusted if contradicted by a more reliable witness, hardly ever if not contradicted.“ 16 Eine Zusammenstellung und eingehende Analyse der sicheren, wahrscheinlichen und möglichen Quellen des Eusebios bietet Mosshammer 1979, auf dessen Werk ich mich in den folgenden Ausführungen teilweise stütze. 17 Bäbler 2012, 56; Herodot hatte jedenfalls noch keine Liste der athenischen Beamten zur Verfügung. 14 Dazu
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chronographisches Werk über die „Prytanen der Lakedaimonier“, zusammengestellt von Charon von Lampsakos.18 Sicherer ist die Olympiadenzählung, d. h. die Liste der Sieger in den alle vier Jahre im Zeusheiligtum von Olympia stattfindenden sportlichen Wettkämpfen, die wahrscheinlich zuerst Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. von dem Sophisten Hippias von Elis zusammengestellt wurde.19 Ihr Beginn 776 v. Chr. (= Ol. 1,1) ist dabei gesichert durch die bei Diodor XX 5,5 erwähnte Sonnenfinsternis in Ol. 117,3, die astronomisch auf den 15. August 310 v. Chr. berechnet werden kann.20 Während dies bei der Rückrechnung 776 v. Chr. für das erste Olympiadenjahr ergibt, ist allerdings umstritten, ob zu dieser Zeit überhaupt schon Spiele stattfanden; archäologische Belege dafür fehlen bislang.21 Zudem mussten spätere Chronographen zahlreiche nicht verzeichnete Olympiaden postulieren, da sie einen Synchronismus zwischen Iphitos, dem Gründer bzw. Erneuerer der Spiele und dem spartanischen Gesetzgeber Lykurg konstruieren wollten.22 Ein weiteres Problem ist der Umgang der griechischen Historiker, die Eusebios ebenfalls benutzte, mit den ihnen vorliegenden Genealogien der führenden griechischen Familien. Bedeutende griechische Geschlechter führten ihre Ahnenreihe in der Regel auf mythische Heroen zurück; durch die familiäre Heiratspolitik untereinander konnten sich Synchronismen ergeben. Die selbst in klassischer Zeit noch weitgehend mündlich überlieferten Familientraditionen reichten aber selbst in aristokratischen Familien nicht weiter als höchstens vier bis fünf Generationen zurück; von dort bis zu den mythischen Vorfahren klaffte eine Lücke.23 Während dies in einem weitgehend mündlichen Kontext kaum Schwierigkeiten bereitet, werden diese Probleme akut, sobald versucht wird, solche halbmythischen Generationensysteme in eine Jahreszählung umzuwandeln. Erst die Versuche, Abfolgen von Personen und Ereignissen zu systematisieren und zu synchronisieren, zeigten ihre oft geradezu absurden Datierungen auf, wenn etwa Heroen, die ganz verschiedenen mythischen Generationen angehör18 Mosshammer 1979, 86–88. Die vorangehende Periode war ἄδηλος χρόνος. – Allerdings ist sich die Forschung bis heute uneinig, ob Charon von Lampsakos ein Vorgänger und Gewährsmann Herodots war oder doch eher erst an das Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. datiert werden muss. 19 Belegt ist das Werk bei Plutarch, Numa 1, über Inhalt und Umfang dieser Ὀλυμπιονίκων ἀναγραφή ist allerdings nichts bekannt. Möller 2004, 179 f. vermutet sogar, dass erst Eratosthenes und andere spätere Chronographen daraus das Gründungsdatum der Spiele ableiteten. 20 Bäbler 2012, 56. 21 Möller 2004, 169. Wahrscheinlich begannen die Spiele im 7. Jahrhundert v. Chr.; ein Stadion ist erst im 6. Jahrhundert v. Chr. bezeugt. 22 Möller 2004, 179. Iphitos ist bei Pausanias V 8,5 bezeugt; er soll die ursprünglich von Herakles in mythischer Zeit gegründeten, später in Vergessenheit geratenen Spiele wieder eingeführt haben. 23 Thomas 1986, 123.128.131. Familientraditionen wurden kaum in formaler, schriftlicher Weise festgehalten, abgesehen von Gedichten, die einzelne, legendäre Vorfahren feiern, s. Thomas 1986, 101.
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ten, gemeinsam vor Troja kämpften. Historiker, die Synchronisationen unternahmen, mussten also nicht nur Synthesen erarbeiten, sondern kreative Arbeit leisten: Eine oft angewandte Lösung bestand darin, bei der Unvereinbarkeit von Datierungen zwei Personen desselben Namens anzunehmen.24 Dazu kommt für den modernen Leser die grundsätzliche Frage, was antike Autoren unter einer „Generation“ verstanden: Herodot etwa gab in seinen Historien eine Generation mit 23, 26, 33, 34, 39 oder sogar 40 Jahren an – was nicht bedeutet, dass Herodot „Fehler“ machte, sondern dass er in verschiedenen geographischen und historischen Kontexten die jeweils entsprechenden, verschiedenen Zählsysteme benutzte.25 Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Chronologie erfolgte erst im Hellenismus. Die erste weitgehend im Original erhaltene Chronik ist das sog. Marmor Parium, eine nach ihrem Fundort benannte griechische Universalchronik, die 264/3 v. Chr. für die Bewohner von Paros aufgestellt worden war und vom Jahr dieser Aufstellung, als Diognetos Archon von Athen war, die Jahre rückwärts bis zu dem mythischen athenischen König Kekrops 1581/0 v. Chr. rechnete.26 Gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. machte der am Museion in Alexandria wirkende Universalgelehrte Eratosthenes von Kyrene (um 284–202 v. Chr.) die Rechnung nach Olympiadenjahren zur Basis seines Systems; er nannte neben der Zahl auch den Sieger im Stadionlauf, da die Griechen mit dieser Art der eponymen Zählung vertrauter waren. Das Werk des Eratosthenes wurde zur Grundlage für spätere Chronographen, die nicht mehr direkt auf inschriftliche Olympionikenlisten zurückgriffen.27 Die Olympiadenzählung wurde außerdem auch von dem sizilischen Historiker Timaios von Tauromenion (um 350–250 v. Chr.) in seinem chronographischen Werk benutzt28 und von späteren Historikern und Chronographen übernommen, wodurch sie enorm erfolgreich wurde. Sie wirkte insbesondere über die Attalos II. von Pergamon gewidmete Chronik des Apollodor (geb. um 180 in Athen) – die mit der Zerstörung Trojas beginnt und 144/3 v. Chr. endet – entscheidend auf literarische Genera wie Biographie oder Literaturgeschichte; Cicero entnahm Apollodors Werk Angaben zum Leben griechischer Philosophen. Seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. brachte der Aufstieg des römischen Reiches eine neue Dimension in die Chronographie: Geschichtsschreiber versuchten nun, Daten aus dem ganzen Reich zu sammeln und eine universale Chronologie 24 Thomas 1986, 184–187; s. auch Möller 2004, 172 zu der bisweilen notwendigen „Manipulation“ von Genealogien. 25 Mosshammer 1979, 105–110. 26 Bäbler 2012, 57 f. Von den zwei Bruchstücken befindet sich das eine seit 1667 im Ashmolean Museum in Oxford, das andere im Museum der Insel; der Text ist ediert von F. Jacoby, FGrHist 2B (1929) 239 (Kommentar in FGrHist 2D). 27 Eratosthenes: FGrHist 241, s. auch Gelzer 1880, 167 f. 28 Synchronistische Liste der Olympioniken, Ephoren von Sparta, Archonten von Athen, Herapriesterinnen von Argos: FGrHist 566 T 10.
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aufzustellen. So schrieb Dionysios von Halikarnass (um 60 v. – nach 7 n. Chr.) eine Römische Archäologie in zwanzig Büchern, die von „den ältesten Mythen“ bis zum Beginn des Ersten Punischen Krieges (264 v. Chr.) reichte. Kastor von Rhodos verfasste in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. Chronika in sechs Büchern, deren Gerüst auf der Olympiadenzählung des Eratosthenes und Apollodor beruht und die von Ninos (s. u.) bis zur Neuordnung Vorderasiens durch Pompeius reichen. Sie enthielten Königs‑ und Beamtenlisten von Assyrien, Argos und Athen, aber auch von Rom und wurden nicht nur von Varro, Julius Africanus und Eusebios, sondern auch noch in byzantinischer Zeit benutzt. Alle diese Werke sind nur fragmentarisch oder sogar nur als Namen und Titel in der Suda erhalten.29 Wie die Griechen mit der Olympiadenzählung, so schufen auch die Römer eine Ära, mit der die Zeitrechnung von einem festen Punkt aus ermöglicht wurde, nämlich die Gründung Roms in Ol. 6,4 = April 752 v. Chr. Diese Zählweise wurde in literarischen Zusammenhängen verwendet und auch von Eusebios benutzt. Seit der frühen Republik gab es zudem Beamtenlisten (Fasti), in denen die beiden jeweils für ein Jahr gewählten Konsuln aufgeführt wurden. Die römischen Historiker strebten nach möglichst großer Präzision, und sie hatten in der Tat auch eine inzwischen enorme Fülle von Ereignissen und Daten zur Verfügung, die kombiniert werden konnten. Aber es handelte sich dabei um verschiedenste, teilweise widersprüchliche Chronologien: Listen von Amtsträgern, Priestern, Siegern in sportlichen Wettkämpfen, aber auch Populär‑ und Lokalgeschichte und Traditionen, die auch von politischen Tendenzen beeinflusst sein konnten. Griechische und römische Historiker nennen zwar bisweilen (wenn auch selten) ihre Quellen hinsichtlich chronologischer Angaben, diskutieren aber nicht deren Methodik. Für den griechischen Osten war Eusebios zudem mit mehreren Königs-Ären konfrontiert, die für das Gebiet des jeweiligen Herrschers maßgeblich waren. Die verbreitetste Zählung war dabei die 312/1 v. Chr. beginnende Seleukiden-Ära, die bis in byzantinische Zeit als „Ära der Griechen“ bzw. „Ära des Alexander“ (da auch dessen Nachfolger noch mit seinen Eroberungen in Verbindung gebracht wurden) in Gebrauch war.30 Das Jahr dieser Zeitrechnung, die auf dem babylonischen Kalender basierte, begann ursprünglich im April, war aber im Lauf des 1. Jahrhunderts n. Chr. mehrfach an den Julianischen Kalender angepasst worden.31 In der unmittelbaren Umgebung von Caesarea waren eine Vielzahl von StadtÄren in Gebrauch, die auf die Gründung oder Neugründung eines Ortes zurückgingen, etwa diejenige von Ashkelon, die um 104 v. Chr. begann, oder die 29 Mosshammer
1979, 99 f. 1992, 59–69. 31 Burgess 1999, 28 f. 30 Meimaris
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über die Stadtgrenzen hinaus verbreitete von Eleutheropolis, die 200/201 n. Chr. begründet wurde, als Septimius Severus den Ort Bet Guvrin besuchte, zur Stadt erhob und in Eleutheropolis umbenannte. Umso mehr muss hier betont werden, was für eine unglaubliche Leistung Eusebios vollbrachte, der sich mit einer zu seiner Zeit nicht mehr zu überblickenden Masse von disparatem, teilweise voneinander abhängigem, teilweise aber auch widersprüchlichem Material konfrontiert sah, das gesichtet, korreliert und synchronisiert werden musste. Eusebios zog außerdem mit enormer Gründlichkeit auch nichtgriechische Quellen heran: Für die nichtgriechische Geschichte benutzte er griechisch schreibende Historiker, zum einen Manetho, der Hohepriester von Heliopolis war und für Ptolemaios I. Soter (367/6–282 v. Chr.) Aegyptiaca in drei Büchern von der mythischen Zeit bis in die Gegenwart verfasst hatte, für die er auch ägyptische Quellen verwendet hatte; zum anderen Berossos, der für den Seleukidenkönig Antiochos I. Soter (281–261) aus babylonischen Quellen eine Geschichte Babylons von der Erschaffung der Welt bis auf Alexander d. Gr. geschrieben hatte. Von anderen Historikern wurden Manetho und Berossos kaum rezipiert.32 Eusebios war sich der Unsicherheiten gerade der Chronologie der Frühzeit sehr bewusst: Im Vorwort zum ersten Buch führt er das berühmte Zitat aus Platons Timaios an, das einem ägyptischen Priester in den Mund gelegt wird: „O Solon, ihr Griechen seid immer Kinder, denn ein greiser griechischer Mann wird nie gefunden, und ein Lernen der Kunde der alten Zeit gibt es bei euch nicht.“33
Dieser Satz wird hier in origineller Weise neu interpretiert, nämlich nicht, wie von Platon intendiert, als Aussage über das Alter des Orients und die Jugend der Griechen, sondern als Illustration der Schwierigkeiten chronologischer Untersuchungen.34 Eusebios’ Chronik ist der früheste kontinuierliche chronologische Text; seine Synchronismen, die fila regnorum, sind seine eigene, originale Erfindung. Früher wurde bisweilen behauptet35, die 221 erschienene Chronographiae des Julius Africanus seien das „Original“ und die Vorlage für Eusebios’ Arbeit gewesen, aber bereits die 1923 erschienene Arbeit von Rudolf Helm, Eusebius’ Chronik und ihre Tabellenform, zeigte klar, dass zwar auch das Werk des Julius Africanus Listen von Königen, Olympiaden, Archonten und Konsuln enthielt und auch gelegentliche Synchronismen zwischen jüdischer und griechischer Geschichte,
32 Manetho: FGrHist 609; Berossos: FGrHist 680; s. dazu Burgess 2006, 24 f. Hauptquelle für die Fragmente des Manetho und Berossos ist Alexander Polyhistor, ein um 110 v. Chr. in Milet geborener Grammatiker, der Werke zu verschiedensten Themen verfasste. 33 Platon, Tim. 22 b. 34 Eus. Chron. 2 Z. 25–28 (Karst); s. dazu Adler 2006, 157. 35 Gelzer 1885, 24.97.
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aber eben nicht eine universale synchrone Chronik darstellte.36 Erst Eusebios dagegen bezog alle orientalischen und griechischen Reiche und Staaten ein und versuchte, Synchronismen in den Lebensdaten großer griechischer, „barbarischer“ und hebräischer Namen zu finden, und zwar ohne die geringste christliche Polemik. Sowohl im Umfang wie auch in Darstellung und Komposition war Eusebios’ Chronik mit ihren Parallelkolumnen und Synchronismen innovativ, geradezu revolutionär.37 Der Verfasser war sich dessen auch selbst bewusst; die wenigen Anspielungen auf Julius Africanus sind fast ausschließlich negativ; insbesondere übt er eine vernichtende Kritik an dessen biblischer Chronologie von Moses bis Salomo, womit er offensichtlich dem Leser auch zeigen will, dass er etwas völlig Neues unternimmt.38 Für die einmalige Gestaltung von Eusebios’ Werk gab es aber einen Prototypen, wie in jüngster Zeit Anthony Grafton gezeigt hat, nämlich die um 245 n. Chr. von Origenes geschaffene sog. Hexapla, die Synopse des Alten Testaments in sechs Spalten: In dieser Edition steht links der hebräische Text, dann folgt dessen griechische Transkription, dann vier griechische Übersetzungen, darunter die dreier hellenistisch-jüdischer Gelehrter aus dem aus dem 1. / 2. Jahrhundert n. Chr.: Zunächst die griechische Übersetzung des Aquila, die sehr pedantisch wörtlich ist, dann diejenige des Symmachus in flüssigem Griechisch, danach die (von Origenes rezensierte) Septuaginta, und schließlich die Übersetzung des Theodotion, dessen Besonderheit die Übersetzung schwieriger hebräischer Wörter, insbesondere von kultischen Realia, war.39 Das „Layout“ der Hexapla war zu Origenes’ Zeit geradezu revolutionär: Die meisten Codices hatten nur eine Kolumne pro Seite; mehrere waren zwar möglich, aber ungewöhnlich. Das Original muss etwa 40 Codices zu 400 Blättern (also 800 Seiten) umfasst haben, und stellte eine enorme Herausforderung für die Schreiber dar; die Leistung ging an die Grenzen der Buchtechnologie des 3. Jahrhunderts und wäre ohne großzügige Unterstützung privater Sponsoren kaum möglich gewesen. Grafton nannte die Hexapla die Verkörperung der tri36 Zu Julius Africanus, der mindestens Latein und Griechisch fließend beherrschte, ähnlich wie Origenes eine sehr gute Kenntnis jüdischer Kultur hatte, umfassend gebildet war und wie Origenes und Eusebios gute Kontakte, auch mit hochrangigen Politikern, in der ganzen damaligen Welt hatte, s. Wallraff 2006, XIII mit Lit. Anm. 1: Wie bei Origenes wurde in der modernen Forschung vermutet, dass es nicht einen, sondern zwei Autoren dieses Namens gegeben habe, einen Christen und einen Heiden. 37 Sirinelli 1961, 36–38. 59–63; Mosshammer 1979, 29–83; Croke 1982, 196 f. 38 Gelzer 1880, 108 schließt aus den polemischen Stellungnahmen des Eusebios gegen Julius Africanus, dass dieser dessen Hauptquelle gewesen sein müsse; s. auch Adler 2006, 148–150. Unter den von Eusebios explizit genannten Quellen werden die Chronographiae des Julius Africanus nicht aufgeführt; Gelzer 1885, 79 f. nimmt an, dass Eusebios eine Erwähnung nicht für nötig gehalten habe, da sie den gebildeten Christen, für die er schrieb, ohnehin bekannt war. 39 Grafton / Williams 2006, 88 f.
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umphalen Verschmelzung verschiedener Traditionen, die Origenes’ gesamtes wissenschaftliches Programm auszeichnet.40 Ebenso wie diese Arbeit des Origenes ist auch die Chronik des Eusebios in der Verbindung von innovativer Forschung und innovativer Darstellung ein Produkt der einzigartigen Umgebung von Schule und Scriptorium in Caesarea, wo es Platz für Experimente wie auch Offenheit für pagane Gelehrsamkeit gab.
3. Probleme und Methoden des Eusebios Gerade des Origenes großartige Hexapla stellte Eusebios aber auch vor eines der zahllosen Probleme seines Unternehmens: An diesem Werk konnte er nämlich klar erkennen, dass aus der Bibel keine feste Chronologie abzuleiten war: So überlieferten die hebräische Bibel, die Septuaginta und die samaritanische Bibel unterschiedliche Angaben darüber, in welchem Alter die Urväter ihre Söhne gezeugt hätten. Dies wiederum führte zu verschiedenen Zeitangaben für die Sintflut, die nach der hebräischen Version 1656 Jahre nach der Erschaffung der Welt, nach der samaritanischen nur 1307 Jahre, nach der Septuaginta hingegen 2242 Jahre danach stattfand. Die Septuaginta umfasst damit eine Weltgeschichte zwischen Schöpfung und Geburt Jesu, also zwischen Kreation und Inkarnation, von 5200 Jahren; folgt man der Chronologie der hebräischen Bibel, dauerte sie aber nur rund 4000 Jahre.41 In seinem Vorwort zum ersten Teil seines Werks macht Eusebios klar, dass er die Zeitrechnung der Septuaginta bevorzugt. In den Ausführungen zu der Chronographie der Hebräer, die er mit derjenigen in der Septuaginta vergleicht, vermutet er, die Juden könnten im hebräischen Text die Chronologie komprimiert haben, so dass z. B. Adam bei der Geburt seines Sohnes Seth nur 130, dieser wiederum bei der Geburt seines Sohnes Enos nur 105 Jahre alt war, um damit die zeitgenössische jüdische Praxis sehr früher Heiraten zu legitimieren.42 Eusebios war aber auch der Septuaginta gegenüber durchaus kritisch: So bemerkte er, dass die Angabe, Methusalem habe noch 802 Jahre nach der Zeugung seines Sohnes gelebt, bedeutet hätte, dass er noch bis in das 14. Jahr nach der Sintflut am Leben gewesen wäre, was aber der Angabe in der Genesis (1. Mos. 7,23) widerspricht, dass die Flut nur Noah und seine Familie verschonte. Er versucht diese Schwierigkeit dadurch zu lösen, dass er das Todesdatum des Me40 Grafton / Williams
2006, 86–132 (hier 132); s. auch Gamble 1995, 120 f. 2006, 159 f. 42 Eus. Chron. 40 Z. 14–20 (Karst): „Ich vermute, daß dies der Juden geflissentliches Werk war, sich zu erkühnen zu verkürzen, zu verstümmeln die Zeiten vor der Kinderzeugung, zu dem Behufe einer frühzeitigeren Verehelichung und Kinderzeugung. Denn wenn die Vorfahren, die langlebigen und hochbetagten, so früh zur Ehe und Kinderzeugung schritten, wie ihre Lesung angibt, wer würde da nicht ein eifernder Nachahmer jener ihrer Frühverheiratungs-Sitte werden?“ S. dazu auch Grafton / Williams 2006, 159 f. 41 Grafton / Williams
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thusalem ändert, wofür er sich offenbar auf handschriftliche Überlieferungen stützen kann: „Wie es jedoch in anderen Abschriften steht, lebte er außerdem noch 782 Jahre, und verstarb gerade während der Sintflut.“43 Mit dieser Berechnung wäre allerdings nicht mehr – wie schon damals allgemein angenommen – Methusalem, sondern dessen Großvater Jared der langlebigste aller Menschen gewesen. Die inneren Widersprüche waren nicht vollständig aufzulösen. Eusebios sagt daher mit bemerkenswerter Offenheit, dass er der Chronologie der Septuaginta hauptsächlich deshalb folge, weil die Septuaginta in weitaus mehr Abschriften vorhanden sei als die anderen Bibelversionen, also offenbar den meisten Leuten glaubwürdig scheine: Neque me fugit in Hebraeis codicibus dissonantes aetatum annos inveniri plusque vel minus, prout interpretibus visum est, lectitari, sequendumque illud potius, quod exemplariorum multitudo in fidem traxit.44
Der Grund für die Wahl der Chronologie der Septuaginta war also offensichtlich das intendierte Publikum. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Die christliche Chronologie und Chronographie vor Eusebios hatte immer auch eine apologetische oder sogar polemische Tendenz (s. dazu u.). Das Interesse christlicher Schriftsteller an diesem Thema erwachte erst allmählich, als sich herausstellte, dass mit einer baldigen Wiederkunft Jesu nicht zu rechnen war und man daher das Datum der Parusie in der Zukunft feststellen wollte; auch wurde die korrekte Berechnung des Ostertermins immer wichtiger. Die christliche Geschichtsschreibung und ‑interpretation, die sich entwickelte, bedurfte auch einer christlichen Chronologie der Menschheitsgeschichte, und diese musste nicht zuletzt belegen, dass die neue Religion, die sich aus der jüdischen entwickelt hatte, älter war als die bisherigen, also dass die jüdische Literatur Priorität vor der griechischen hatte.45 Diesem Anliegen ist natürlich auch die von Eusebios entwickelte Chronologie in einem gewissen Maße verpflichtet. Doch steht der „Altersbeweis“ des Christentums nicht im Zentrum von Eusebios’ chronologischem Werk; sein wissenschaftliches Interesse ging weit über christliche Apologetik hinaus. Sein Chron. 38 Z. 24–26 (Karst); Grafton / Williams 2006, 157 f. Chron. 8 Z. 20–9 Z. 4 (Helm). Er ist aber dabei nicht völlig konsequent: So zieht er bei der Chronologie von Moses bis Salomon (Eus. Chron. 50 Z. 3–23 [Helm]) die hebräische Bibel heran; dazu Adler 2006, 153. Der Chronologie der Septuaginta folgten für die „Urgeschichte“ von Abraham bis zur Flut nahezu alle christlichen Chronographen, s. Gelzer 1880, 52 f. 45 Gelzer 1885, 99 f.; Koep 1957, 52–54; Croke 1983, 121 f. Mit diesem Anliegen waren bereits jüdische Historiker und Philosophen wie Philon oder Flavius Josephus befasst gewesen, die zu beweisen versucht hatten, dass Homer und Platon, also letztlich die Kultur des Mittelmeerraumes, auf Abraham und Moses zurückgingen, s. Burgess 2006, 25–30. Für christliche Apologeten war dieses Anliegen eine noch größere Herausforderung, da sie vermehrt pagane historische Quellen einbeziehen mussten. S. dazu den Beitrag von Andrea Villani in diesem Band, S. 113. 43 Eus.
44 Hieron.
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Ziel war weniger die Datierung des Moses als die Errichtung eines Systems, das auf logischen Beweisen fußte.46 Wie sehr der Christ Eusebios in der griechischen chronographischen Tradition steht, zeigt sich in seiner Entscheidung, eine Grenze zwischen Geschichte und mythischer Vorgeschichte zu ziehen, wie dies bereits Eratosthenes getan hatte, für den die Historie nach dem Fall von Troja begann. In gleicher Weise beginnen die Kanontafeln des Eusebios erst nach der Flut, und zwar mit dem assyrischen König Ninos, der mit Abraham synchronisiert und auf 2016 v. Chr. (= Abr I) datiert wird.47 Mit dem Namen des Ninos steht Eusebios ebenfalls ganz in griechisch-hellenistischer Tradition, denn Assyrien als älteste Zivilisation und Ninos als ihr erster König ist spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. fest etabliert. Bezeugt ist diese Tradition schon bei dem griechischen Arzt und Historiker Ktesias, dessen Persika mit Ninos beginnen und bis zum achten Regierungsjahr des Königs Artaxerxes II. (398/7 v. Chr.) reichen, an dessen Hof er Leibarzt war. Zwar gilt Ktesias als notorisch unzuverlässig, er nimmt aber mit diesem Ausgangspunkt seiner Chronik sicher eine schon damals verbreitete Vorstellung auf.48 Damit setzt sich Eusebios klar von den christlichen Chronographen ab, die ihre Darstellungen immer ab origine mundi beginnen lassen, ein Anfang, der noch für Synkellos ein „unerschütterliches Fundament“ (ὡς θεμέλιον ἀρραγῆ καὶ βάσιν ἄσειστον)49 darstellte und identisch war mit dem Beginn der Zeit. Doch bereits für platonisierende jüdische und später dann christliche Philosophen stellte es ein grundsätzliches Problem dar, ob die Zeit als solche zusammen mit dem Kosmos erschaffen worden sei oder bereits vor der Schöpfung existiert habe. Diese Schwierigkeit konnte oft nicht einmal von einem Autor innerhalb seines eigenen Werkes konsequent bewältigt werden.50 Eusebios vertritt die Position, dass das Paradies allegorisch aufgefasst werden müsse und noch außerhalb einer physischen und temporalen Existenz liege.51 Er entgeht damit dem Problem, die Erschaffung der Welt datieren zu müssen. Ein Bewusstsein des Eusebios für die eigentlich unlösbaren Schwierigkeiten seines Unternehmens kann wahrscheinlich in dem Zitat aus der Apostelgeschichte gesehen werden, das er gleich zu Beginn des Vorworts zum ersten Buch anführt, „nicht steht es bei euch, zu kennen die Stunden und die Zeiten, 46 Adler
2006, 153. Chron. 20 a Z. 6 (Helm). 48 Adler 1989, 15 f.; Grafton / Williams 2006, 159 f. 49 Georg. Sync. 2 Z. 23 Mosshammer. 50 So schreibt Philon, Opif. mundi 26, die Zeit habe nicht vor dem Kosmos existiert, sondern sei mit ihm oder nach ihm, d. h. durch dessen Bewegung veranlasst, entstanden; dieselbe Auffassung vertritt er in leg. 1,2. Nach Decal. 58 existierte dagegen die Zeit schon vor dem Kosmos. S. dazu Runia 2001, 158 in seinem Kommentar zu De opificio mundi. 51 Eus. Chron. 36 Z. 16–17 (Karst): „Denn für den Wohnungsaufenthalt in dem sogenannten Gottes-Garten ist es niemandem möglich die Zeiten zu bestimmen.“ 47 Eus.
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die der Vater unter seine Gewalt gestellt hat“ (Apg 1,7).52 Wie frei Eusebios dabei von einseitig christlicher oder hellenozentrischer Sichtweise war, zeigt auch ein weiteres bemerkenswertes Zitat aus dem Vorwort, in dem er im Grunde allen Chronologien gleichen Wert beimisst: Aber auch diese unsere Erörterung soll hiermit, indem sie eben dasselbe bezeugt, jenes Wort des Meisters [i. e. Apg 1,7] glaubwürdig machen: dass nämlich weder von den Griechen, noch von den Barbaren, noch von den anderen, ja selbst nicht einmal von den Hebräern man mit Sicherheit die allgemeine Chronographie der Welt lernen könne; dass vielmehr bloß dieses gelte, dass überhaupt von uns aus dieser gegenwärtigen Abhandlung füglich zweierlei zu erlernen sei: erstens, dass ja keiner nach Art jener anderen sich einbilden solle, mit urkundlich zuverlässiger Gewissheit die Berechnung der Zeiten erfassen zu können und sich täusche; dass man vielmehr wissen möge, dass solches lediglich für den Ringplatz bestimmt sei; wie also und welcherweise wäre es da möglich, ein Wissen über die vorliegende Frage zu erlangen, und nicht zweifelnd zu bleiben?53
Eusebios entwickelt eine eigene Methode, Daten zu berechnen, die er zusammengefasst in der Praeparatio Evangelica (X 9,1–10) erläutert, wobei er sich seiner Innovation bewusst war: Zu Beginn schreibt er, was Moses und das Alter der nach ihm kommenden Propheten betreffe, so hätten die meisten anderen in ernsthafter Weise den Nachweis in eigenen Schriftwerken niedergelegt; aus diesen werde er einige kurze Partien anführen. Für seinen Teil werde er über die genannten hinaus einen neueren (καινοτέραν) Weg einschlagen und diese (im folgenden erläuterte) Methode benutzen.54 Die hauptsächliche Erneuerung besteht dabei, vorwärts und rückwärts von Schlüsseldaten aus zu arbeiten: Eusebios geht von zwei epochalen Daten aus: Zuerst stellt er einen Synchronismus zwischen der römischen Geschichte und dem Leben Jesu fest, dessen öffentliches Wirken im 15. Regierungsjahr des Tiberius (Lk 3,1), d. h. dem Olympiadenjahr 201,1, begonnen habe. Dieses Jahr ist durch eine Vielzahl literarischer und epigraphischer Quellen auf 28/9 n. Chr. festgelegt.55 Das zweite Epochenjahr ist der Wiederaufbau des Tempels (Esra 4,24) im 2. Regierungsjahr des Dareios (520/19 v. Chr.). Zwischen diesen beiden Eckpunkten liegt ein Intervall von 548 Jahren, nämlich vom ersten Jahr der 65. Olympiade (520/19 v. Chr.) bis zum vierten Jahr der 201. Olympiade (28/9 n. Chr.). Chron. 1 Z. 28–2 Z. 2 (Karst). Chron. 2 Z. 7–19 (Karst). 54 Eus. Praep. Ev. X 9,1–2: Μωσέως πέρι καὶ τῆς τῶν μετ’ αὐτὸν προφητῶν ἀρχαιότητος πλεῖστοι μὲν ἄλλοι διὰ σπουδῆς τὴν ἀπόδειξιν ἐν οἰκείοις καταβέβληνται συγγράμμασιν, ἀφ’ ὧν αὐτίκα μάλα σμικρὰ ἄττα παραθήσομαι. [2] Κἀγὼ δὲ καινοτέραν παρὰ τοὺς εἰρημένους ὁδεύσας ταύτῃ χρήσομαι τῇ μεθόδῳ. 55 Rechnet man von dort die Olympiadenjahre zurück, kommt man wiederum auf 776 v. Chr. = Ol. 1,1; Bäbler 2012, 56. 52 Eus. 53 Eus.
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Von diesen Daten aus rechnet Eusebios nun zurück: Vom zweiten Jahr des Dareios, 520 v. Chr., sind es 256 Jahre bis zur ersten Olympiade 776 v. Chr., was in der jüdischen Geschichte das 50. Jahr des Königs Usjia (Asarja) in der Ära des Propheten Jesaja ist. Dann folgt er den griechischen Historikern und Chronographen, von denen die Zeitspanne zwischen dem Fall Trojas und der ersten Olympiade mit 408 Jahren angeben wird. Ebenfalls 408 Jahre liegen in der jüdischen Geschichte zwischen dem erwähnten Jahr des Königs Usija und dem dritten Jahr des Richters Labdon.56 Weitere 328 Jahre zurück liegt Moses, der damit ein Zeitgenosse des attischen Urkönigs Kekrops ist. Erst nach Kekrops fanden die Flut des Deukalion, der Raub der Kore, die Begründung der Demeter-Mysterien, die Entführung der Europa sowie die Geburt des Apollon, Dionysos, Minos, Perseus, Asklepios, Herakles und der Dioskuren statt. Moses ist daher älter als die griechischen Götter und Heroen.57 Rechnet man von Moses weitere 505 Jahre zurück, so kommt man zu Abraham, der ein Zeitgenosse des Assyrerkönigs Ninos war. Hier liegt also zwar ein „Altersbeweis“ des Moses vor; wichtiger sind aber die festen Eckpunkte als solche. Gerade die spezifisch antipaganen, apologetischen Elemente, die Eusebios gelegentlich einfügen zu müssen glaubte, wirken oft als Fremdkörper im Text oder führen bisweilen sogar zu Widersprüchen, wenn er etwa den „gottlosen“ Porphyrios und seine Datierung des Moses angreift, obwohl dieser Moses früher als alle anderen Chronographen datierte.58 In jedem Fall erleichterte diese neue Art der Zeitrechnung die Synchronismen zwischen paganer und jüdisch-christlicher Geschichte.
4. Daten und Datierungen zum Leben des Origenes Für die Daten, die konkret im Hinblick auf Leben und Lehrtätigkeit des Origenes relevant sind, gab es für Eusebios noch eine weitere wichtige, spezifisch christliche Quelle, nämlich die Listen der Bischöfe von Rom, Alexandria, Antiochia und Jerusalem, die Eusebios im Kanon wie auch an mehreren Stellen seiner Kirchengeschichte angibt, jeweils mit dem Namen, der Stelle in der apostolischen Nachfolge und dem Jahr der Sukzession; für Rom und Alexandria werden auch die Amtsjahre angegeben.59 Doch obwohl diese Bischofslisten eine alte und wertvolle Tradition darstellen, ist das erste gesicherte Datum darin das Todesjahr des Papstes Pontianus 235; frühere Namen wurden erst seit dem 4. Jahrhundert 56 Usija (Asarja), König von Juda in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts v. Chr. (die genaue Regierungszeit ist umstritten): 2. Kön. 14,21; 2. Chr. 26,1. Labdon (Abdon): Richt. 12,13. 57 Croke 1983, 123 f.; Adler 1992, 471 f. 58 Eus. Chron. praef. 7 Z. 18–8 Z. 4 (Helm); dazu Adler 2006, 153 f. Für Grant 1980, 3 ist gerade diese Stelle ein Beleg für die apologetische Zielsetzung der gesamten Chronik. 59 Burgess 1999, 44 f. Zu den Bischofslisten s. auch Grant 1980, 5; Burgess 1999, 44 f.
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aufgrund von Rückrechnungen mit Daten versehen.60 Bei den Bischöfen von Alexandria wird angenommen, dass die Datierungen auf die Chronographiae des Julius Africanus von 221 zurückgehen; die Synchronismen der römischen und alexandrinischen Bischöfe mit den römischen Kaisern beruhen aber wohl erst auf Eusebios’ späterer Redaktionsarbeit.61 Seit der Alleinherrschaft des Julius Caesar von 48 v. Chr. an vermerkt Eusebios die Herrschaftsdauer der römischen Kaiser in Jahren, Monaten und manchmal sogar Tagen, wobei die Thronbesteigung im Text rot markiert ist. Diese Angaben sind von beeindruckender Genauigkeit.62 Hinsichtlich der Synchronismen der Kaiser mit den Bischöfen besteht ein weiteres grundsätzliches Problem: Listen von Bischöfen und anderen christlichen Amtsträgern, Aufzeichnungen christlicher Gemeinden, Briefe, Bücher und ähnliches befanden sich in Archiven, die sich meist in oder neben den Kirchen befanden. Das Edikt des Kaisers Diokletian vom 23. Februar 303 befahl nun aber explizit nicht nur die Zerstörung der Kirchen, sondern auch die Beschlagnahmung und Verbrennung der christlichen Bücher.63 Diese Maßnahme ist ein interessantes Zeugnis für die Bedeutung, die die schriftliche Überlieferung bereits zu dieser Zeit in den Gemeinden hatte: Bücher waren essentiell für das Leben einer christlichen Gemeinde64, und sie wurden offensichtlich von den Autoritäten als Bedrohung empfunden. In welchem Maß Caesarea von der diokletianischen Verfolgung betroffen war, ist umstritten: Wie strikt das diokletianische Edikt ausgeführt wurde, hing von den Magistraten der einzelnen Orte ab; es wurde vor allem in Nordafrika und Spanien mit aller Härte angewandt.65 Für Caesarea und Jerusalem wird hingegen in der Forschung meist angenommen, dass die Bibliotheken unversehrt blieben, da sie zu dieser Zeit bereits zu groß und zu prominent waren, um in oder bei einer Kirche untergebracht zu sein.66 Doch Eusebios berichtet als Augenzeuge von Bücherverbrennungen auf dem Marktplatz: τὰς δ’ ἐνθέας καὶ ἱερὰς γραφὰς κατὰ μέσας ἀγορὰς πυρὶ παραδιδομένας αὐτοῖς ἐπείδομεν ὀφθαλμοῖς.67 60 Koep
1954, 410–412. Koep 1954, 412 f. 62 Burgess 1999, 32–35 nimmt an, die Quelle des Eusebios sei eine unbekannte Olympionikenliste bzw. ein unbekannter „olympischer Chronist“ (vielleicht der von ihm erwähnte Cassius Longinus) gewesen, da Eusebios die Daten des Regierungsantritts des jeweiligen Kaisers korrekt mit der entsprechenden Unterteilung der Olympiade verbindet, obwohl diese in den erhaltenen Siegerlisten fehlt. Andrei 2012, 62–64 vermutet, Eusebios habe eine offizielle römische Tageschronik (a die in diem) benutzt. 63 Tanner 1979, 413 f.; Speyer 1981, 76 f. 64 Gamble 1995, 140 f. 65 Leclerq 1910, 859–862; Wendel 1954, 248; Bruce 1979, 413; Bruce 1980, 129 f.; zu den Folgen der Ereignisse in Nordafrika, wo traditor codicum im 4. Jahrhundert ein Anklagepunkt gegen Christen wurde, s. Speyer 1981, 127–129; Grafton / Williams 2006, 228 f. 66 Wendel 1954, 248; Tanner 1979, 416–419; Bruce 1980, 133 f.; Frenschkowski 2006, 67 f. Bisweilen bleiben die angegebenen Gründe für die Verschonung der Bibliothek von Caesarea auch recht vage, so etwa bei Leclerq 1910, 859 f.: „on ne sait ni pourquoi ni comment“. 67 Eus. Hist. eccl. VIII 2,1. 61
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Zudem gab es in Caesarea zahlreiche Märtyrer, auch aus dem direkten Umfeld des berühmten Bibliotheks‑ und „Universitäts“-Betriebs; so fiel Origenes’ Nachfolger Pamphilos den diokletianischen Verfolgungen, denen sich Eusebios später durch Flucht nach Tyros und Ägypten entzog, zum Opfer.68 Es ließe sich also vielleicht ebenso gut annehmen, dass gerade die Prominenz der Bibliothek des Origenes, Pamphilos und Eusebios diese zur Zielscheibe machte. Monumentale Kirchenbauten, die eine relativ umfangreiche Bibliothek hätten enthalten können, sind zur Zeit des diokletianischen Edikts in Caesarea noch nicht zu erwarten. Wo die berühmte Bibliothek lag, muss vorderhand Spekulation bleiben.69 Es ist daher fraglich, wie viele solide Dokumente zur frühen christlichen Geschichte und Chronologie Eusebios zur Verfügung hatte. Man muss sich also die immensen Schwierigkeiten wie auch die Fülle und Problematik des Quellenmaterials vor Augen halten, mit dem Eusebios konfrontiert war, aber auch die durch die sehr komplizierte Überlieferungslage zusätzlich hinzugekommenen Probleme: Zwischen der Gegenwart und dem Original des Eusebios steht eine Übersetzung und viele Generationen von Abschreibern. Bereits die Synchronisation der lateinischen und der armenischen Version stimmt nicht ganz überein: Üblicherweise wird beim Umrechnen von Daten in den Julianischen Kalender von der Gleichung ausgegangen, dass das erste Jahr der ersten Olympiade, 776 v. Chr., dem Jahr 1241 nach Abraham entspricht. Folgt man der armenischen Version, so ist dies aber das Jahr 1240. Auch die unterschiedlichen Anfänge des Jahres je nach lokaler Ära mussten korreliert werden. Untersuchungen von Eusebios’ Abgleichungen zwischen seinem eigenen Kalender und dem römischen, den er in seinem Werk Märtyrer Palästinas anwandte, zeigten, dass er offenbar den lokalen Kalender von Tyros benutzte, dessen Jahr am 3. Oktober begann.70 Die oben dargelegten verschiedenartigen Schwierigkeiten, zu zuverlässigen Jahreszahlen zu gelangen, haben natürlich auch für die Datierung der wichtigen Ereignisse im Leben des Origenes Folgen: Manche Daten, die der Leser eigentlich erwarten würde, finden sich nicht in der Chronik, wie etwa das Geburts‑ und das Todesjahr des Origenes. Gerade diese beiden zentralen Eckpunkte bieten die größten und bislang ungelösten Schwierigkeiten: So schreibt Eusebios in der Kirchengeschichte: „Als Decius, ohne ganz zwei Jahre regiert zu haben, zugleich mit seinen Söhnen ermordet wurde, folgte Gallus. Um diese Zeit starb Origenes im Alter von 69 Jahren.“71 68 Pamphilos wurde 307 inhaftiert und im März 310 enthauptet; Grafton / Williams 2006, 179; Eusebios wurde später durch sein Verhalten während der Verfolgung angreifbar, s. Grant 1980, 165. 69 Von Caesarea Maritima sind derzeit schätzungsweise 10 % ausgegraben, von den Wohnvierteln fast gar nichts. 70 Burgess 1999, 28 f. mit Anm. 4 für die Lit. zum Thema. Zu lokalen Stadtären s. o. S. 185. 71 Eus. Hist. eccl. VII 1 (Übersetzung hier und an den weiteren Stellen nach Haeuser): Δέκιον
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Trebonianus Gallus regierte vom Juni 251 bis zum August 25372; die Angabe ἐν τούτῳ scheint mir auf einen Zeitpunkt des Todes des Origenes hinzuweisen, der nahe bei der Sukzession des Gallus liegt, so dass sein Geburtsjahr 182 gewesen wäre.73 Im vorangehenden Buch hatte Eusebios allerdings vermerkt, Origenes sei noch nicht siebzehn Jahre alt gewesen, als sein Vater den Märtyrertod erlitt; diese Christenverfolgungen fanden im zehnten Regierungsjahr des Septimius Severus statt, also 201/2. Diese Angabe stimmt mit der Chronik überein.74 War Origenes zu diesem Zeitpunkt noch gerade nicht siebzehn, so müsste er 185/6 geboren sein. Dann aber fiele sein Tod im 69. Lebensjahr in die Jahre 253/4 oder 254/5. Gallus freilich regierte nur bis zum August 253. Nach Porphyrios ist eine Schrift des Origenes noch in die Regierungszeit des Kaisers Gallien zu datieren; dieses Zeugnis für eine längere Lebenszeit könnte aber nur als Argument verwendet werden, wenn man annimmt, dass es sich bei dem Verfasser um den christlichen Origenes handelte75; schon der Titel dieser Schrift, Ὅτι μόνος ποιητὴς ὁ βασιλεύς76, macht dies eher unwahrscheinlich. Noch merkwürdiger mutet die Aussage des Porphyrios an, Origenes habe daneben nur noch ein weiteres Werk, Περὶ τῶν δαιμόνων, verfasst77; denn in seiner bei Eusebios zitierten Polemik gegen den christlichen Origenes zeigt Porphyrios eine genaue Kenntnis von dessen Werk und exegetischen Methoden. Das genaue Geburts‑ und Todesjahr des Origenes kann also nicht bestimmt werden. Ebenso unsicher ist auch der genaue Zeitpunkt, an dem Origenes Alexandria verließ und nach Caesarea übersiedelte. Nach Eusebios’ Kirchengeschichte erfolgte dies im zehnten Jahr der Regierung des Alexander Severus, also 232.
οὐδ’ ὅλον ἐπικρατήσαντα δυεῖν ἐτοῖν χρόνον αὐτίκα τε ἅμα τοῖς παισὶν κατασφαγέντα Γάλλος διαδέχεται· Ὠριγένης ἐν τούτῳ, ἑνὸς δέοντα τῆς ζωῆς ἑβδομήκοντα ἀποπλήσας ἔτη, τελευτᾶ. 72 Sein Vorgänger, der von Eusebios erwähnte Traianus Decius war im Sommer 251 im Kampf gegen die Goten gefallen. 73 Auch Schroeder 1987, 497 versteht die Stelle so, dass Origenes in dem Jahr (251) gestorben sei, in dem Trebonianus Gallus dem Decius nachfolgte. Rechnet man mit der ganzen Zeitspanne von Gallus’ Regierung für das mögliche Todesdatum des Origenes, so wäre sein spätestes mögliches Geburtsjahr 184; s. auch den Beitrag von Peter Gemeinhardt in diesem Band, S. 49 Anm. 29. 74 Eus. Hist. eccl. VI 2,12: ὡς δὲ ἤδη αὐτῷ ὁ πατὴρ μαρτυρίῳ [ … ] ἑπτακαιδέκατον οὐ πλῆρες ἔτος ἄγων [ … ]; cf. Eus. Hist. eccl. VI 2,2; Eus. Chron. 212 Z. 7–9 (Helm). 75 S. dazu die Beiträge von Peter Gemeinhardt und Jens Halfwassen in diesem Band, bes. S. 49 und 166 – Eusebios spricht zudem explizit von Gallus als Nachfolger des Decius, so dass es m. E. unwahrscheinlich ist, dass er Gallus und Gallienus verwechselt, gegen Schroeder 1987, 498. Eine Hörerschaft des christlichen Origenes bei Ammonios schließt dies natürlich nicht aus. 76 Zum möglichen Inhalt dieser Schrift vgl. Halfwassen in diesem Band, S. 166 f. 77 Porph., V. Plot. 3,32.
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In der Chronik steht aber beim Jahr 233: Origenes de Alexandria ad Caesariam Palaestinae transit.78 Schroeder hingegen nimmt für Origenes’ Weggang aus Alexandria das Jahr 231 an. Da Plotin erst von 232 bis 242 bei Ammonios studiert haben soll, würde damit eine Bekanntschaft oder gar enge Freundschaft von Plotin, Origenes und Herennios die nach Porphyrios zusammen Schüler des Ammonios Sakkas gewesen seien, schon rein chronologisch unmöglich und die Annahme eines zweiten, nichtchristlichen Ammonios-Schülers und Philosophen Origenes zwingend.79 Damit würde auch die Annahme einer Lebenszeit bis in die Regierungsjahre des Gallienus (s. o.) für den Kirchenvater Origenes hinfällig, denn die bei Porphyrios genannten beiden Werke wären dann dem paganen Platoniker Origenes zuzuschreiben. Mag diese Argumentation auch inhaltlich plausibel sein, so muss doch angemerkt werden, dass Schroeders chronologische Argumentation nicht ganz überzeugend ist, denn es bleibt unklar, weshalb er 231 als Jahr der Übersiedlung des Origenes nach Caesarea annimmt; alle Angaben des Eusebios weisen auf ein um ein oder zwei Jahre späteres Datum.80 Nach Fürst hingegen war Origenes 231/2 in Caesarea zum Presbyter geweiht worden, was bekanntlich ohne Autorisierung des alexandrinischen Bischofs Demetrios geschah und entsprechend dessen Zorn hervorrief. Danach sei er noch einmal nach Alexandria zurückgegangen, bevor er sich endgültig in Caesarea niedergelassen habe. 233 sei dann jedenfalls Heraklas Leiter der alexandrinischen Katechetenschule gewesen.81 Bei dieser chronologischen Variante würde ein gewisser zeitlicher Raum bestehen, der es ermöglichte, dass der christliche Origenes zusammen mit Plotin und Herennios zum Kreis des Ammonios gehört hätte. Auch Fürst nimmt aber an, dass man zwischen einem heidnischen und einem christlichen Origenes unterscheiden müsse.82 Crouzel rechnet ebenfalls mit dem späteren „Umzugsdatum“, mit Hinweis auf den bei Eusebios auf die Nachricht von der Übersiedlung des Origenes nach Caesarea unmittelbar folgenden Satz: „Bald darauf starb Demetrius, der Bischof der Kirche von Alexandrien, nachdem er volle 43 Jahre im Amte gewesen war.“83
78 Eus. Hist. eccl. VII 26: die überwiegende Mehrheit der Handschriften gibt δέκατον für das Regierungsjahr des Kaisers, nur A überliefert δωδέκατον; Eus. Chron. 216 Z. 1–2 (Helm). 79 Schroeder 1987, 498 f.; Porph. V. Plot. 3, 24 f. spricht von einem „Schweigepakt“ der drei Ammonios-Schüler Herennios Origenes und Plotin über die Lehren des Meisters, der erst von Erennios, dann von Origenes gebrochen worden sei. 80 Alexander Severus wurde 221 Caesar und damit designierter Nachfolger des Kaisers; die Herrschaft trat er aber erst ein Jahr später nach der Ermordung des Elagabal an; das zehnte Regierungsjahr muss also 232 sein. 81 Fürst 2015, 467 f. 82 Fürst 2015, 465 f. 83 Eus. Hist. eccl. VI 26; Crouzel 1984, 19.
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Im fünften Buch der Kirchengeschichte hatte Eusebios den Amtsantritt des Demetrios in das zehnte Regierungsjahr des Kaisers Commodus datiert, also in das Jahr 190.84 Daher sei Origenes im Jahre 233 von Alexandria nach Caesarea übergesiedelt. Allerdings stimmen diese Daten wiederum nicht ganz mit den Angaben der Chronik überein: Die Weihung des Heraklas, des Nachfolgers des Demetrios, zum Bischof von Alexandria wird dort für das Jahr 231 verzeichnet85, und die Weihung des Demetrios erfolgte bereits im Jahre 18986, was seinen Tod nach 43 Amtsjahren und bald nach Origenes’ Wegzug in das Jahr 232 datieren würde; dann allerdings hätte Heraklas nicht schon 231 sein Nachfolger werden können. Man muss sich bei diesen Inkonsistenzen aber vor Augen halten, dass Eusebios in der Kirchengeschichte kein genaues Datum für den Umzug des Origenes nach Caesarea nennt; die Zeitangabe „bald darauf“ (οὐκ εἰς μακρόν) für Demetrios’ Tod kann unterschiedlich interpretiert werden.
5. Fazit Wie soll man mit solchen Widersprüchen zwischen Chronik und Kirchengeschichte umgehen und wie sind sie im Hinblick auf das Leben des Origenes zu bewerten? Nicht nur angesichts der Fülle von (teilweise widersprüchlichen) Informationen, die Eusebios zu verarbeiten hatte, sondern wohl auch angesichts der großen Zahl und des Umfangs der Werke, die er selbst verfasste, war die Einhaltung genauer chronologischer Präzision (d. h. die widerspruchsfreie Fixierung einzelner Jahre) ein nahezu unmögliches Unterfangen. In Eusebios’ Kirchengeschichte lässt sich die praktische Anwendung seiner für die Chronik entwickelten Methode sehen, d. h. die Darstellung geschichtlicher Abläufe mit Hilfe von Synchronismen. Durch die Verwendung verschiedener Kalender und Chronologien, die synchronisiert werden mussten, entstehen dabei fast unausweichlich Inkonsistenzen von ein bis zwei Jahren. Außerdem wird neben den absoluten Datierungen auch eine relative Chronologie in Form von Angaben wie „bald darauf“ (οὐκ εἰς μακρόν), „in dieser Zeit“ (ἐν τούτῳ) oder ähnlichem benutzt. Eine „Umwandlung“ solcher Wendungen in absolute Zahlen ist nahezu unmöglich, umso mehr, als das Zeitgefühl des modernen Lesers womöglich demjenigen des antiken Publikums nicht entspricht. Hist. eccl. V 22. Chron. 215 Z. 23 f. (Helm): Alexandrinae ecclesiae XII episcopus ordinatur Heraclas: ann. XVI. Für das vorangehende Jahr 230 ist das große Renommee, das Origenes in der Stadt genoss, verzeichnet: Origenes Alexandriae clarus habetur. 86 Eus. Chron. 209 Z. 14 f. (Helm): Alexandriae XI constituitur episcopus Demetrius: ann. XLIII. 84 Eus. 85 Eus.
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Meines Erachtens sollte man daher in Bezug auf Ereignisse im Leben des Origenes nicht mit einzelnen Jahren argumentieren. Weder das genaue Jahr seiner Geburt noch das seines Umzugs von Alexandria nach Caesarea noch dasjenige seines Todes lässt sich bestimmen. Insofern sollten Behandlungen von Fragen wie etwa, mit wem er in Alexandria in näherer Beziehung gestanden haben könnte, nicht davon abhängig gemacht werden, ob er die Stadt 232 oder 233 verließ, sondern ausschließlich von inhaltlichen Erwägungen bestimmt werden. Der unglaublichen Leistung des Eusebios, die hier darzustellen versucht wurde, wird durch diese kleinen Ungenauigkeiten in jedem Fall kein Abbruch getan.
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Die Autorinnen und Autoren Balbina Bäbler: Studium der Klassischen Archäologie, Griechischen und Lateinischen Philologie, Promotion in Bern 1997. Ausgrabungstätigkeit in der Schweiz und in Georgien; Lehraufträge in Göttingen, Hamburg und Hannover; 2010–2015 Mitarbeit an der kommentierten Edition von J. J. Winckelmanns „Schriften und Nachlass“ (Akademie der Wissenschaften Mainz), seit Juni 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am SFB 1136 „Bildung und Religion“. Neuere Veröffentlichungen: Archäologie und Chronologie (2. Aufl. Darmstadt 2012); zus. mit H.-G. Nesselrath (Hgg.), Christian Gottlob Heyne. Werk und Leistung nach zweihundert Jahren (AdW 32, Göttingen 2014); Die Passion zum Studio der Griechen. Winckelmann als Philologe (Heidelberg 2017). Peter Gemeinhardt: Studium der Evangelischen Theologie, Promotion in Marburg 2001 und Habilitation 2006 in Jena, seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte mit Schwerpunkt Patristik an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen, seit Juli 2015 ebendort Sprecher des DFG-Sonderforschungsbereichs 1136 „Bildung und Religion“. Neuere Veröffentlichungen: Die Kirche und ihre Heiligen. Studien zu Ekklesiologie und Hagiographie in der Spätantike (STAC 90), Tübingen 2014; zus. mit Lieve Van Hoof und Peter Van Nuffelen (Hgg.), Education and Religion in Late Antique Christianity. Reflections, Social Contexts, and Genres, London / New York 2016; (Hg.), Was ist Kirche in der Spätantike?, Leuven 2017. Jens Halfwassen: Studium der Philosophie, Geschichte, Altertumswissenschaften und Pädagogik, Promotion 1989 und Habilitation 1995 in Köln, 1997 Professor für antike und mittelalterliche Philosophie an der LMU München, seit 1999 Ordinarius für Philosophie an der Universität Heidelberg, Gründungsmitglied der Academia Platonica Septima Monasteriensis 1999, Ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften seit 2012, Ehrendoktor der Universität Athen 2014, Fellow des Collegium Budapest, des Marsilius-Kollegs Heidelberg und des Heidelberger Centrums für Transkulturelle Studien. Neuere Veröffentlichungen: Auf den Spuren des Einen. Studien zur Metaphysik und ihrer Geschichte (Tübingen 2015); zus. mit Tobias Dangel und Carl O’Brien (Hgg.), Seele und Materie im Neuplatonismus (Heidelberg 2016); zus. mit Markus Gabriel und Stefan Zimmermann (Hgg.), Philosophie und Religion (Heidelberg 2011).
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Die Autorinnen und Autoren
Theo Kobusch: Studium der Fächer Philosophie, Griechisch und Latein in Gießen und Bern. Promotion 1972 in Gießen und Habilitation 1982 in Tübingen. 1983–1988 C2-Professor an der Ruhr-Universität Bochum; 1989–1990 Heisenberg-Stipendiat; 1990–2003 ordentlicher Professor für Philosophisch-Theologische Grenzfragen an der Ruhr-Universität Bochum; seit 2003 ordentlicher Professor für Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Neuere Veröffentlichungen: Person und Handlung. Von der Rhetorik zur Metaphysik der Freiheit: Person und Rechtsperson. Zur Ideengeschichte der Personalität (hg. von Rolf Gröschner u. a.; Politika 11; Tübingen 2015) 1–30; Die Univozität des Moralischen: Zur Wirkung des Origenes in Deismus und Aufklärung: Origeniana undecima. Origen and Origenism in the history of Western thought (hg. von Anders-Christian Jacobsen; BEThL 279; Leuven 2016) 29–45; Spätantike Philosophie und Moderne (Tübingen 2017). Winrich Löhr: Studium der Theologie. Promotion 1986 und Habilitation 1993 in Bonn. 1996 bis 2000 University Lecturer for Early Christian Life and Thought an der Divinity Faculty der Universität Cambridge / UK. Von 2000 bis 2007 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte (Schwerpunkt: Alte Kirche) am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg. Seit 2007 ordentlicher Professor für Historische Theologie an der Universität Heidelberg. Neuere Veröffentlichungen: Editors and Commentators: Some Observations on the Craft of Second Century Theologians, in: P. F. Beatrice / B. Pouderon (Hgg.), Pascha Nostrum Christus (FS R. Cantalamessa; Paris 2016) 65–84; Augustine’s Correspondence with Pascentius (epp. 238–241) – an epistolary power game? REAug 62.2 (2016) 183–222; Probleme und Perspektiven der Logostheologie (Tübingen 2017). Heinz-Günther Nesselrath: Studium der Klassischen Philologie und der Alten Geschichte an der Universität zu Köln. Ebendort 1981 Promotion und 1987 Habilitation. 1981–1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Altertumskunde der Universität zu Köln. 1992–2001 vollamtlicher Professor für Klassische Philologie an der Universität Bern. Seit 2001 ordentlicher Professor für Klassische Philologie an der Georg-August-Universität Göttingen. Neuere Veröffentlichungen: (Edition) Iulianus Augustus, Opera (Bibliotheca Teubneriana), Berlin / Boston 2015; (zus. mit Balbina Bäbler) Philostrats Apollonios und seine Welt: Griechische und nichtgriechische Kunst und Religion in der Vita Apollonii (BzA 354), Berlin / Boston 2016; (Hg.) Gegen falsche Götter und falsche Bildung: Tatian, Rede an die Griechen (SAPERE 28), Tübingen 2016. Christoph Riedweg: Studium der Klassischen Philologie und der Musikwissenschaft an der Universität Zürich. Promotion 1985 und Habilitation 1992 in Zürich. Von 1993 bis 1996 ordentlicher Professor für Klassische Philologie / Grä-
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zistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; seit 1996 ordentlicher Professor für Klassische Philologie / Gräzistik an der Universität Zürich; von März 2005 bis Januar 2013 Direktor des Istituto Svizzero in Rom. Neuere Veröffentlichungen: zus. mit anderen (Hgg.), Kyrill von Alexandrien, Werke Bd. I: „Gegen Julian“, Teil 1: Buch 1–5; Teil 2: Buch 6–10 (Berlin / Boston 2016–2017); Ein neues Zeugnis für Porphyrios’ Schrift Gegen die Christen – Johannes Chrysostomos, Johanneshomilie 17,3 f.: Die Christen als Bedrohung? Text, Kontext und Wirkung von Porphyrios’ Contra Christianos (hg. von Irmgard Männlein-Robert; Roma Aeterna 5; Stuttgart 2017) 59–84. Ilinca Tanaseanu-Döbler: Studium der Religionswissenschaft (HF), Theologie und Philosophie (NF) (Universität Bayreuth). Promotion 2005 in Bayreuth und Habilitation 2012 an der Universität Bremen. Von 2009 bis 2015 Juniorprofessorin im Courant-Forschungszentrum „Bildung und Religion“ (EDRIS) an der Georg-August-Universität Göttingen; seit 2015 ebendort Professorin für Religionswissenschaft. Neuere Veröffentlichungen: Theurgy in Late Antiquity. The Invention of a Ritual Tradition (BERG 1; Göttingen 2013); Porphyrios und die Christen in De philosophia ex oraculis haurienda, in: Irmgard MännleinRobert / Matthias Becker (Hgg.), Die Christen als Bedrohung? Text, Kontext und Wirkung von Porphyrios’ Contra Christianos (Wiesbaden 2017) 137–175; „Ein Lob Platons selbst wie auch derjenigen, die von ihm die Philosophie empfingen“. Bemerkungen zur literarischen Inszenierung philosophischer Sukzession bei Proklos: Sukzession in Religionen. Autorisierung, Legitimierung, Wissenstransfer (hg. von Almut-Barbara Renger / Markus Witte, Berlin / Boston 2017) 393–436. Andrea Villani: Studium der Klassischen Philologie an der Universität Pisa, Doktoratsstudium im Fach „Studi sulle Religioni: Studi Sociali e Scienze Storiche delle Religioni“ an der Universität Bologna. Promotion 2008 in Bologna. Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Courant Forschungszentrum „Bildung und Religion“ (EDRIS), Georg-August-Universität Göttingen. Seit 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Akademie-Projekt SAPERE. Neuere Veröffentlichungen: Il posto della retorica nella strategia polemica di Origene contro Celso: Auctores nostri 9 (2011) 257–281; (Hg.) Lire les Pères de l’Église entre la Renaissance et la Réforme. Six contributions éditées par Andrea Villani, avec une préface de Bernard Pouderon (Collection Christophe Plantin, 2), Paris 2013; Origene nella Riforma a Strasburgo: il caso di Martin Bucer, in: E. Prinzivalli, F. Vinel, M. Cutino (Hgg.), Transmission et réception des Pères grecs dans l’Occident, de l’Antiquité tardive à la Renaissance. Entre philologie, herméneutique et théologie, Paris 2016, 517–538.
Namen‑ und Sachregister Abbild 117 Abraham 179, 180, 190, 194 Ära, Ären 185 f., 194 Äsop 77 Akademie 24, 44 Alexandria 6, 7, 19, 23, 25, 26, 32, 41, 46, 47 f., 49, 50, 55 f., 92, 98, 110, 165, 184, 192 f., 195 f., 197 f. Allegorese (Bibel‑) 16 f., 24 Allegorie 114, 116 Altersbeweis 114, 189, 192 Altes Testament 16, 187 Ambrosios 15, 109 Amelios 14, 31, 96, 138 f., 140, 146 Ammonios Sakkas 2, 3, 6, 14, 15, 18 f., 21, 23, 25, 26 f., 31, 44 f., 49, 55, 61, 130 f., 133, 135, 139 f., 151, 154 f., 157 f., 165 f., 176, 196 Anfang / ἀρχή 101 Apollodor von Athen 184 Apostasie 47 Apostel 74 Archetyp 102 Archonten(listen) 182 Aristoteles 25, 81, 96, 132, 133, 156, 168 f., 173 f., 176 – Aristoteliker 165, 168 Arius 105 Athen 17, 26, 182, 184, 185 Atlantismythos 145 f., 147 f., 158 Augustin 41, 43, 78, 81 Barbarisch 133, 151, 153, 155, 159 – Barbar 134 f. Bardaisan 133 f. Bernhard von Clairvaux 81 Berossos 181, 186 Bibel 64, 67, 110, 115 f., 150, 153 Bibelexegese 16
Bibliothek 193 f. Bischofslisten 192 f. Cassiodor 101 Caesarea (Maritima) 17, 47, 49, 50, 52, 92, 110, 179, 185, 188, 193 f., 195 f., 197 Celsus s. Kelsos Chairemon 24 Christ 19, 21, 42, 46, 48, 50, 52, 55, 99, 110, 112, 114, 115, 120, 124, 135, 138, 143 f., 149 f., 151 f., 153, 157, 158, 165, 190 Christus 48, 53, 94, 95, 96, 103, 104 Chronik 179 Clemens von Alexandria 75 Cornutus 24, 154, 156 Dämonologie 136, 141, 147, 157 f. Decius 2 Anm. 10, 29, 92, 194 Demetrios 3 Anm. 22, 17, 21, 23, 196 f. Demiurg 136, 167, 175 – Demiurgie 136 f., 139 Dialektik 74 Didymos der Blinde 71 Diokletian 179, 181, 193 Das Eine 97, 136 f., 167, 168 f., 170, 171 f., 173 f. Elagabal 133 Empedokles 68 Ephoren 182 Epikureer 74, 109 Anm. 1, 110 Eratosthenes von Kyrene 184, 190 Eros 115 Eusebios 3, 4, 7, 16, 21, 43, 132, 150, 154, 165 Exegese 96 Fabianus 7 Freiheit 77
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Namen‑ und Sachregister
Gallus 6, 7, 29, 32, 194 f. Gallien(us) 2, 6, 7, 28, 31, 166, 195 Generation 183 f. Gnostiker 14, 70, 165 Gordian III. 25, 131 Gott 48, 53, 67, 72, 77, 78, 80 f., 82, 83, 92, 95, 98, 99 f., 102, 114 f., 118 f., 120 f., 122, 137, 147, 172 f. Grammatik 51 Gregor Thaumaturgos / der Wundertäter 50, 110 f. Grieche 48, 76, 114, 184 – griechisch 187, 189 Häretiker 15, 21, 22, 23 Hebräisch 187, 188 Heiliger Geist 95 Heraklas 3 Anm. 20, 6, 14, 22 f., 156, 158, 196 f. Herennios 6, 26 f., 31, 32, 45, 135 f., 165, 196 Hermeneutik 115 Herodot 184 Hexapla 187 Hierokles 73, 132 f. Hieronymus 33, 156, 180, 181 Hippias von Elis 183 Homer 141–143, 145, 149, 157, 158 f. Hypostase 53, 92, 95, 101, 104, 105 Idee 96, 98, 102, 112, 114, 118, 120, 167, 172, 174 – Ideenlehre 96 f. Idolatrie 112, 124 Inder 131, 133, 134 f., 141 – Indien 133, 134 Inspiration 65, 66 Jamblich 70, 173 Jesus 21, 116, 155, 165, 188, 191 Johannes-Evangelium 5, 8 Anm. 50 Judentum 98, 100 – jüdisch (Schriften / Literatur) 13 f., 16, 14, 45, 62 f., 99, 105, 113, 118, 154, 189 Julian (Apostata) 72, 152 Julius Africanus 181, 185, 186, 193
Kelsos / Celsus 48, 51, 62, 65, 70, 75, 77, 78, 109 f., 138, 147 Kirchenvater 62, 63, 72, 151, 155, 180, 196 Konstantin / Constantin 15, 179 Konzil von Nikaia / Nizäa 15, 42, 52 Kosmos 95, 96, 99 Kronios 24, 25, 144 f. Ktesias 190 Lehrer 3, 18, 21, 55, 110, 130 f., 140, 149, 150 f., 157 Leonidas (Vater des Origenes) 29 Licinius 179 Longin(os) 2, 17, 21, 24 Anm. 59, 25, 61, 130, 132, 138 f., 140 f., 143, 148 f., 150, 155, 157 f., 165 f. Logos 83, 92 f., 94 f., 97 f., 99 f., 121, 123 Manetho 181, 186 Markell von Ankyra 53 Marmor Parium 184 Martyrium 28 – Märtyrer 194 Metaphysik 74 Mittelplatonismus 43, 50, 51, 74, 104, 109, 117 f., 133, 167 Monas 97 Moses 16, 21, 113, 114, 155, 165, 190, 191, 192 Mythos 68 – Mythen 20, 74, 114 f., 144, 155 – mythisch 183 Nemesios 70 Neuplatoniker 1, 3, 4, 41, 44, 61 Neuplatonismus, neuplatonisch 46, 49, 51, 55, 61, 65, 72, 104, 117 Nikolaus von Myra 42 f., 55 Nikopolis 26 Ninos 190, 192 Nonnos 8 Anm. 50 Numenios von Apameia 5, 14, 24, 25, 114 Anm. 20, 132, 137, 145, 148, 149, 153, 154 f., 156, 175 Olympiade 180, 183, 191, 192, 194 Olympiasieger 180 Ontologie 78, 168, 169, 174
Namen‑ und Sachregister
Orientalisch 133, 159, 180, 187 Origenes: – Eltern 19 f. – Kontroverse um 52–54 – Lebensdaten 2, 17, 28 f., 194–196 – Philosophiestudium 2, 18–20 Orthodoxie 21 Paideia 48, 109 Pamphilos 29, 52, 103, 194 Pantainos 22 Parmenides 169, 171 f., 174, 176 Peripatetiker 61 – peripatetisch 25, 132, 139 Perser 131, 133, 134 f., 141, 180 Philosophie (griechische / pagane) 22 f., 43, 47, 50 f., 78, 82, 110, 112, 130, 134, 151 f., 153, 155 – christliche 63 f., 68, 75, 77, 82, 156 Philostrat 133 Platon 2, 24, 51, 53, 62, 63 f., 65 f., 74, 76 f., 78 f., 81 f., 84, 98, 99, 102, 109, 111, 112–116, 132, 133, 143, 148, 153 f., 167, 169.,174 f., 176, 186 Platoniker 14, 24, 43, 46, 48, 49, 54, 62, 109, 165 Plotin 2, 14, 15, 16, 17, 18, 21, 25, 31, 32, 45, 46, 48, 55, 74, 103, 105, 130–132, 134 f., 139, 143, 154, 156, 159, 167, 169, 172, 175 f., 196 Porphyrios 2, 4, 5, 7, 15, 17, 21, 24, 25, 31, 43, 44, 46, 48, 51, 55, 61, 70 f., 105, 165 f., 192, 195 Prädikat 118 Präexistenz 117 Prinzipienlehre (/-theorie) 118, 136 f., 139, 141, 167, 168 Proklos 44 f., 67, 170, 172, 173 f., 175 f. Propädeutik 110 Prophet(en) 74, 114, 191, 192 Pythagoras 68, 134 – Pythagoreer 144 f., 153 – pythagoreisch 147 – pythagoreisierend 24, 26 Rom 3, 6, 7, 17, 25, 49, 166, 192 – römisch 180, 184
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Scaliger, Joseph Justus 180. 181 Schöpfer 102, 123, 167 – Schöpfung 114 Schüler 3, 6, 19, 24, 26, 31, 71, 110, 133, 140, 149, 151, 157, 166, 176 Sein 116, 123, 136, 167, 168, 169, 175 Seele 68, 81, 83, 96, 111, 117, 124, 137, 145, 147 Seelenwanderung 52, 68–73 Septimius Severus 28, 186, 195 Septuaginta 188 Simplikios 73 Sokrates 171, 174 Solon 145, 148 Sparta 182 Speusipp 167, 169, 176 Stoa 62 – Stoiker 77, 79, 84, 154 – stoisch 50, 132, 139 Synchronismus 183, 186 f., 192 – Synchronisation 184, 194 Synkellos, Georgios 181, 190 Theodoros von Asine 133 Theologie 44, 53, 62, 63 f., 77, 104, 110, 117 f., 121, 122, 137 Transzendenz 82, 119–122 Trinität 100, 103 114 Tyros 17, 47, 194 Urgrund 167 Valerian 28 Vorbild 117 Wahrheit 67, 74 f., 78, 80 f., 97, 99, 113, 114, 117, 124, 148 Weisheit 94, 95, 98, 101, 102, 109, 113, 133, 155 Welt 102 Xenokrates 167 Xenophon 24 Zahl 97 Zeugung 101 Zeus 115
Stellenregister (in Auswahl) Biblische Schriften
Didymos der Blinde
Genesis 1,26 f. 83 1,3.6 92 2,8 f. 115
Commentarii in Zachariam (Comm. in Zach.) I 13 Doutreleau 71 Anm. 60 V 298,15–18 Gronewald 71 Anm. 61
Psalmen Ps 44 (45), 2
99
Diogenes Laertios
Mt 13,45 f.
134
Röm 1,18–23
112 f., 114
Apg 1,7 191 Aristoteles Metaphysica (metaph.) 1003b22–34 168 Athanasios De decretis Nicaenae synodi (Decr.) 27,1f (23,19–22 Opitz) 54 Clemens von Alexandria Stromateis (Strom.) IV 157 V 16,3 V 38,6 f. V 71,2 V 93,4 V 81,5–82,1 V 156,1–2
99 98 99 99 99 99 99
Vitae philosophorum II 106
75 Anm. 80
Epiphanios von Salamis Panarion omnium haeresium (haer. / Panarion) 64,3,3 2 Anm. 10 II 133,22 Holl/Dummer 68 Anm. 43 Eusebios von Caesarea Hieronymi Chronikon (Chron.) 8 Z. 20–9 Z. 4 (Helm) 189 209 Z. 14 f. (Helm) 197 215 Z. 23 f. (Helm) 197 Chronik (dt., aus dem Armenischen) (Chron.) 1 Z.. 28–2 Z. 2 (Karst) 191 2 Z. 7–19 (Karst) 191 2 Z. 25–28 (Karst ) 186 36 Z. 16–17 (Karst) 190 Anm. 51 38 Z. 24–26 (Karst) 189 Historia Ecclesiastica (Hist. Eccl.) VI 1–VII 1 1 VI 2,2 28 VI 2,12 195 VI 3,2 22 Anm. 49 VI 18,3 16
209
Stellenregister (in Auswahl)
VI 18,4 VI 19 VI 19,1 VI 19,5 VI 19,5–8 VI 19,6 VI 19,7 VI 19,8 VI 19,12–14 VI 26 VII 1 VIII 2,1
50 Anm. 33 15 150 150 f. 3 Anm. 19, 16 151, 152 19, 152 23–25, 153 21 196 28, 194 f. 193
Praeparatio Evangelica (Praep. Ev.) X 9,1–2 191 Gregor von Nyssa De vita Gregorii Thaumaturgi 13 Heil 63 Contra Eunomium (Eunom.) III 2,39,64 f. Jaeger 72 Anm. 64 Gregorios Thaumaturgos Panegyricus in Origenem (Pan. Or.) 13,151 50 Anm. 35 13,153 f. 110 Irenäus von Lyon Adversus Haereses (Adv. Haer.) II 13,3–4 105 Julian Apostata An Themistius, den Philosophen 5 p. 259A, 7 Nesselrath 72 Anm. 67 Kelsos fr. VI,3 Bader
27
Longin De fine fr. 11B.I. Männlein-Robert 30 fr. 11B.I.2.a Männlein Robert 28 fr. 11B.2.c Männlein-Robert 30
Markellos von Ankyra fr. 22 (22,9–12 Vinzent)
53
Origenes Contra Celsum (Cels.) III 58 III 81 IV 14 IV 15 IV 30 IV 36 IV 38 IV 39 IV 62 V 22 V 39 V 65 VI 1–21 VI 3 VI 5 VI 13 VI 17 f. VI 18 VI 19 VI 22–48 VI 37 VI 61 VI 62–69 VI 64 VI 65 VII 6 VII 42–45 VII 44 VII 46 VII 58 f. VII 38
111 112 118 f. 62 116 114 Anm. 24, 143 115 Anm. 25 115 111 97 94 Anm. 8 120 120 112 113 111 138 114 120 120 116 120 119 103 121 Anm. 51 144 119, 122 f. 124 Anm. 67 112 62 138
Commentarius in Canticum Canticorum (Cant.) I Prol. 3,8 p. 132 Brésard 64 Anm. 15 6, 173,3–5 Langerbeck 67 Anm. 37 Commentarius in epistulam primam ad Corinthios (Comm. in I. Cor.) 16,45–51 20 Anm. 39
210
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Commentarius in Matthaeum (Comm. in Matth.) X 24 80 Anm. 112 Epistula ad Gregorium (Ep. ad Greg.) 1 15 Anm. 11, 153 3 153 In Genesim Homiliae (Gen. Hom.) 11,2,103 64 Anm. 14 Fragmenta ex commentariis in epistulam ad Ephesios (In Eph.) fr. Ι (234–235 Gregg) 101 Commentarii in Evangelium Johannis (In Joh.) I 111 92 I 113 92 I 114 92 I 115 93 I 125 99 I 151 f. 99 I 152 100 I 243–244 93 f. I 289–292 94 f. II 18 102 f. II 125 f. 95 XIX 19,37 103 XIX 146 f. 95 XIX 147 9 XIX 148 96 Homiliae in Ieremiam (Ier.) 20,2, 256,19 Nautin 76 De principiis (Princ.) 1 praef. 2 1 praef. 3 Ι 2,2 I 4,3–4 I 1,6 III 6,1
20 Anm. 39 31 Anm. 98 101 102 103 82 f.
Pamphilos Apologia pro Origene (Apol.) 106 (172 f. Amacker) 103 173 (382,13–17 Röwekamp) 52
Philon von Alexandria De opificio mundi (opif.) 17–18 98 19 98 Anm. 21 26 190 Anm. 26 Photios Bibliotheke (Bibl.) 118, 92b–93a 251, 461b 214, 173a
18 Anm. 22 69 Anm. 45 132
Platon Epistulae (ep.) Ep. 2 312e–313a 114 Ep. 7 340b–341a 15 Anm. 10 341b–e 27 341c–d 112 Gorgias (Gorg.) 462c–465a 154 Parmenides (Parm.) 137b1–4 171 142e 170 144e1–3 170 Politeia (Rep.) II 379a VI 506b–509b VI 509b
118 124 5, 103
Symposium (symp.) 203b–e 115 Theaitetos (Tht.) 176a 111 183e7–184a3 171 184a1–3 171 Timaios (Tim.) 17b–c 148 19d–e 141 20d 145 22d 111 29e–30b 102
211
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Porphyrios Contra / Adv. Christianos 6F. Becker 6F. § 6 Becker 6F. § 7 Becker 6F. § 8 Becker 7F. Becker
3 Anm. 19, 8, 15, 16–20, 25, 45–48 30 2 33 17 Anm. 17
De Styge fr. 372F Smith
145
Vita Plotini (V. Plot.) 3 131, 135 3,13 32 3,29–32 2 3,26 18 3,27f:. 30 f. 3,31 f. 32 7,1 18 14 24 f., 133 Anm. 17 14,20–25 2 f. 20 139 20,20 f. 17 Anm. 21 20,40 f. 28 Proklos In Platonis rem publicam commentarii (In Plat. remp.) I 185,27 65 Anm. 25
In Platonis Parmenidem commentaria (In Parm.) I 635,21–636,20 171 I 638,5–7 171 VI 1064,17–1065,8 172 VII 64,1–11 173 In Platonis Timaeum commentaria (In Tim.) I 31 Diehl 148 I 63 142 II 154 133 Anm. 20 Theologia Platonica (Theol. Plat.) II 4 4, 136 II 4,31, 4–22 Saffrey/ Westerink 168 Sextus Empiricus Adversus Mathematicos VIII 161 f.
94 Anm. 9
Syrianus In Aristotelis Metaphysicam Commentaria 147,2–6 Kroll 96 f. 147,13–22 Kroll 97